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German Pages 249 [248] Year 2022
Wissenschaftlicher Beirat: Andreas Anter, Erfurt Horst Bredekamp, Berlin Norbert Campagna, Luxemburg Sebastian Huhnholz, Hannover Florian Meinel, Göttingen Herfried Münkler, Berlin Henning Ottmann, München Walter Pauly, Jena Wolfram Pyta, Stuttgart Volker Reinhardt, Fribourg Peter Schröder, London Kazuhiro Takii, Kyoto Pedro Hermilio Villas Bôas Castelo Branco, Rio de Janeiro Loïc Wacquant, Berkeley Barbara Zehnpfennig, Passau Moshe Zimmermann, Jerusalem
Staatsverständnisse | Understanding the State herausgegeben von Rüdiger Voigt Band 169
Ulrich Niggemann [Hrsg.]
Oliver Cromwell und das Commonwealth Staatsverständnisse zwischen Revolution und hergebrachter Ordnung
Titelbild: Portrait of Oliver Cromwell in armour (Robert Walter, ca. 1649)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-7338-1 (Print) ISBN 978-3-7489-1342-9 (ePDF)
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1. Auflage 2022 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Editorial
Das Staatsverständnis hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder grundlegend gewandelt. Wir sind Zeugen einer Entwicklung, an deren Ende die Auflösung der uns bekannten Form des territorial definierten Nationalstaates zu stehen scheint. Denn die Globalisierung führt nicht nur zu ökonomischen und technischen Veränderungen, sondern sie hat vor allem auch Auswirkungen auf die Staatlichkeit. Ob die „Entgrenzung der Staatenwelt“ jemals zu einem Weltstaat führen wird, ist allerdings zweifelhaft. Umso interessanter sind die Theorien früherer und heutiger Staatsdenker, deren Modelle und Theorien, aber auch Utopien, uns Einblick in den Prozess der Entstehung und des Wandels von Staatsverständnissen geben. Auf die Staatsideen von Platon und Aristoteles, auf denen alle Überlegungen über den Staat basieren, wird unter dem Leitthema „Wiederaneignung der Klassiker“ immer wieder zurückzukommen sein. Der Schwerpunkt der in der Reihe Staatsver ständnisse veröffentlichten Arbeiten liegt allerdings auf den neuzeitlichen Ideen vom Staat. Dieses Spektrum reicht von dem Altmeister Niccolò Machiavelli, der wie kein Anderer den engen Zusammenhang zwischen Staatstheorie und Staatspraxis verkörpert, über Thomas Hobbes, den Vater des Leviathan, bis hin zu Karl Marx, den sicher einflussreichsten Staatsdenker der Neuzeit, und schließlich zu den zeitgenössischen Staatstheoretikern. Nicht nur die Verfälschung der Marxschen Ideen zu einer marxistischen Ideologie, die einen repressiven Staatsapparat rechtfertigen sollte, macht deutlich, dass Theorie und Praxis des Staates nicht auf Dauer voneinander zu trennen sind. Auch die Verstrickung Carl Schmitts in die nationalsozialistischen Machenschaften, die heute sein Bild als führender Staatsdenker seiner Epoche trüben, weisen in diese Richtung. Auf eine Analyse moderner Staatspraxis kann daher in diesem Zusammenhang nicht verzichtet werden. Was ergibt sich daraus für ein zeitgemäßes Verständnis des Staates im Sinne einer modernen Staatswissenschaft? Die Reihe Staatsverständnisse richtet sich mit dieser Fragestellung nicht nur an (politische) Philosophen und Philosophinnen, sondern auch an Geistes- und Sozialwissenschaftler bzw. -wissenschaftlerinnen. In den Beiträgen wird daher zum einen der Anschluss an den allgemeinen Diskurs hergestellt, zum anderen werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse in klarer und aussagekräftiger Sprache – mit dem Mut zur Pointierung – vorgetragen. Auf diese Weise wird der Leser/die Leserin direkt mit dem Problem konfrontiert, den Staat zu verstehen. Prof. Dr. Rüdiger Voigt
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Editorial – Understanding the State
Throughout the course of history, our understanding of the state has fundamentally changed time and again. It appears as though we are witnessing a development which will culminate in the dissolution of the territorially defined nation state as we know it, for globalisation is not only leading to changes in the economy and technology, but also, and above all, affects statehood. It is doubtful, however, whether the erosion of borders worldwide will lead to a global state, but what is perhaps of greater interest are the ideas of state theorists, whose models, theories and utopias offer us an insight into how different understandings of the state have emerged and changed, processes which neither began with globalisation, nor will end with it. When researchers concentrate on reappropriating traditional ideas about the state, it is inevitable that they will continuously return to those of Plato and Aristotle, upon which all reflections on the state are based. However, the works published in this series focus on more contemporary ideas about the state, whose spectrum ranges from those of the doyen Niccolò Machiavelli, who embodies the close connection between the theory and practice of the state more than any other thinker, to those of Thomas Hobbes, the creator of Leviathan, those of Karl Marx, who is without doubt the most influential modern state theorist, those of the Weimar state theorists Carl Schmitt, Hans Kelsen and Hermann Heller, and finally to those of contemporary theorists. Not only does the corruption of Marx’s ideas into a Marxist ideology intended to justify a repressive state underline the fact that state theory and practice cannot be permanently regarded as two separate entities, but so does Carl Schmitt’s involvement in the manipulation conducted by the National Socialists, which today tarnishes his image as the leading state theorist of his era. Therefore, we cannot forego analysing modern state practice. How does all this enable modern political science to develop a contemporary understanding of the state? This series of publications does not only address this question to (political) philosophers, but also, and above all, students of humanities and social sciences. The works it contains therefore acquaint the reader with the general debate, on the one hand, and present their research findings clearly and informatively, not to mention incisively and bluntly, on the other. In this way, the reader is ushered directly into the problem of understanding the state. Prof. Dr. Rüdiger Voigt
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Inhaltsverzeichnis
Ulrich Niggemann Einleitung
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Legitimation und Delegitimation von Commonwealth und Protektorat Ronald G. Asch Oliver Cromwell und der englische Republikanismus
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Andreas Pečar Verwirklichung oder Zurückweisung theokratischer Utopien? Ambivalenzen des Cromwell-Regimes in der Zeit des Commonwealth (1649–1653)
49
Peter Schröder Das Legitimitätsdefizit eines principe nuovo: Zur Legitimierung von Oliver Cromwells Protektorat
67
Georg Eckert Agent Provocateur: Thomas Hobbes‘ Seitenblicke auf Oliver Cromwell
89
Ulrich Niggemann Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Revolution, Staat und Staatsverständnisse bei den Levellers und Diggers
111
Cromwell in den englischen Außenbeziehungen Cornel Zwierlein Navigation Act (1651) und British Empire: Cromwells Vermächtnis
145
Christian Wenzel Die ‚Geschäftsfähigkeit‘ des Commonwealth: Zuschreibungen von Staatlichkeit und die Verträge der englischen Republik, 1649-1660
185
7
Erinnerung und Aneignung Sarah Covington Die Erinnerung an den Cromwellschen Staat im Irland des siebzehnten Jahrhunderts
211
Ulrich Niggemann Welcher Cromwell? Perspektiven auf Staatsverständnisse der Cromwell-Zeit
231
Autoren/Autorinnen
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Ulrich Niggemann Einleitung
Here lies ignominious dust, Which was the only seat of lust; A man and yet a Monster too, That did both King and State undo, Most people say, this is his doom, That here he don’t deserve a Tomb.1
Mit diesen Worten einer fiktiven Grabinschrift brachte 1661 eine Flugschrift die offizielle Erinnerung an Oliver Cromwell auf den Punkt. Der ehemalige Lord Protector Englands, Schottlands und Irlands, der bereits am 3. September 1658 verstorben war, wurde am 30. Januar 1661 posthum wegen Hochverrats verurteilt und am Galgen hingerichtet. Anschließend wurde ihm der Kopf abgeschlagen und derselbe zusammen mit denjenigen von Henry Ireton und John Bradshaw an der Westminster Hall zur Schau gestellt.2 Die posthume Exekution war der Beginn einer bis ins 19. Jahrhundert reichenden damnatio memoriae. Cromwell galt das ganze 17. und 18. Jahrhundert hindurch als Inbegriff des machthungrigen Verschwörers, Usurpators und Tyrannen, an dessen Händen das Blut König Karls I. sowie zahlreicher Untertanen des Königreichs England klebte – oder nochmals in den Worten der bereits zitierten Flugschrift: for having spilt the innocent blood of our Sovereign, and polluted his soul therewith, he cares not to spill the blood of his subjects like water, plenty whereof was shed in our streets, during his short and troublesome Reign, by his oppression, dissimulation, hypocrisie, and cruelty.3
Oliver Cromwell blieb ein schweres Erbe – in der Folge der Glorious Revolution ebenso wie das ganze 18. Jahrhundert hindurch, nicht nur in England, sondern auch in Schottland und Irland.4 Es dauerte noch bis in die Viktorianische Zeit hinein, bis sein Bild ausdifferenziert und teilweise rehabilitiert wurde.5 Freilich bleibt es bis heute von Ambivalenzen geprägt: Freiheitskämpfer, religiöser Fundamentalist oder 1 Bate, The lives, actions, and execution 1661, S. 11. 2 Vgl. Gaunt 1996, S. 3f.; Knoppers 2000, S. 182-191; Worden 2001, S. 218; Gentles 2011, S. 197; Sharpe 2013, S. 152f. 3 Bate, The lives, actions, and execution 1661, S. 5. 4 Zu Irland Ó Siochrú 2008; sowie den Beitrag von Sarah Covington in diesem Band. 5 Vgl. Worden 2001, S. 215-263; sowie knapp Gaunt 1996, S. 10f.; Gentles 2011, S. 200f. Zu den sich wandelnden Bildern auch unten in diesem Band Niggemann, Oliver Cromwell.
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Militärdiktator sind nur einige der Zuschreibungen, die mit seiner Figur assoziiert werden. Dabei war es keineswegs ein gerader Weg, der Oliver Cromwell zur zentralen Figur der Englischen Revolution6 werden ließ. Am 25. April 1599 in Huntingdon in East Anglia als Sohn von Robert Cromwell und Elizabeth Steward geboren, war Cromwell ein Nachfahre des Lordsiegelbewahrers und wichtigsten Managers der Säkularisierung von Kirchenland unter Heinrich VIII., Thomas Cromwell (1485-1540).7 Gleichwohl waren die familiären Verhältnisse, in denen Oliver Cromwell aufwuchs, eher kleinadelig und ländlich. Die Informationen über Kindheit und Jugend Cromwells sind insgesamt eher spärlich. Cromwell studierte in Cambridge und kam dort auch mit ‚puritanischer‘ Theologie in Berührung. 1628/29 wurde er erstmals als Abgeordneter für Huntingdon ins House of Commons gewählt, danach tagte das Parlament freilich für elf Jahre nicht mehr.8 1640 kehrte Cromwell dann als Abgeordneter ins Unterhaus zurück, war aber in dem im November 1640 zusammengetretenen, später so genannten Long Parliament, nur ein Hinterbänkler. Erst mit seiner Ernennung zum Kommandanten der Reiterei in der New Model Army rückte er in eine zentrale Stellung in dem nun bereits voll ausgebrochenen Konflikt zwischen Parlament und Krone ein. In der Schlacht von Naseby am 14. Juni 1645 errang er mit seinen Ironsides den ersten wichtigen Sieg der Parlamentsarmee im Bürgerkrieg. 1648 vermittelte er zwischen den Radikalen in der Armee und dem Parlament, und im Januar 1649 gehörte er bereits zum innersten Kreis der Führer der parlamentarischen Partei und zu den Befürwortern des Prozesses gegen König Karl I., ja zu den Unterzeichnern seines Todesurteils. Mit der Gründung der Republik wurde er zur zentralen Figur im Staatsrat, 1653 zum Lord Protector, und damit faktisch zum Staatsoberhaupt. Am 3. September 1658 starb Cromwell an einer MalariaInfektion.9 Sein ältester Sohn Richard übernahm nun die Würde des Lord Protector, konnte jedoch die Armeeführung nicht hinter sich bringen und die verbreitete Unzufriedenheit im Land nicht abmildern. Im Frühjahr 1660 marschierte General George Monk mit seinen Truppen in London ein und stellte das Long Parliament wieder her, das sogleich die Restauration der Monarchie einleitete und Karl II. nach England zurückrief. Damit endete die insgesamt unruhige und instabile Phase des Interregnums.10
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Dieser vielfach verwendete Begriff ist natürlich unscharf: Schon Conrad Russell hat mit dem Begriff der „wars of the three kingdoms“ den gesamtbritischen Charakter der Vorgänge deutlich zu machen versucht; Russell 1991, S. 27-43. 7 Zu Thomas Cromwell vgl. Elton 1973; Schofield 2011. 8 Zu den parlamentslosen Jahren vgl. insbesondere Sharpe 1992. 9 Zur Biographie Cromwells vgl. Gardiner 1925; Firth 1972; Hill 2019; Gaunt 1996; Gentles 2011; Morrill 2015; Berg 2019; Hutton 2021. 10 Es ist an dieser Stelle unmöglich, die vielfältigen Darstellungen, Interpretationen und Schulen in Bezug auf die Englische Revolution und das Interregnum zu referieren. Grundlegend dazu
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Wie damit bereits anklingt, war Oliver Cromwell kein Theoretiker, kein „Staatsdenker“, der sich in Abhandlungen und Traktaten zu seinem Verständnis von Staat und Herrschaft geäußert hätte. Im Gegenteil: Äußerungen Cromwells zur Konzeption von Herrschaft müssen mühsam zusammengetragen werden und ergeben keineswegs ein schlüssiges Bild. Sie finden sich vor allem in seinen Reden, aber auch in einigen Briefen und anderen Schriftstücken, die zu einem großen Teil ediert vorliegen11, die aber stark von den jeweiligen Sprechsituationen geprägt sind und dementsprechend sorgfältig kontextualisiert werden müssen. Historikerinnen und Historiker sind sich folglich alles andere als einig in ihrer Einschätzung von Cromwells Staatsverständnis. War er tatsächlich ein Revolutionär? Oder war er nicht doch eher sozial konservativ, ein Mann, der ganz in seiner sozialen Schicht, der Gentry, also des englischen niederen Landadels, verwurzelt war? War er ein religiöser Fundamentalist, der eine theokratische Herrschaft anstrebte oder war er ein pragmatischer Machtpolitiker?12 Sicher ist, dass Cromwell sich dem breiten und heterogenen Spektrum dessen, was zumeist mit dem Sammelbegriff des ‚Puritanismus‘ bezeichnet wird, zugehörig fühlte. Zugleich muss allerdings auch unterschieden werden zwischen seinen innersten Überzeugungen, die uns kaum zugänglich sind, und seinen öffentlichen Äußerungen, die eben immer auch strategische Verlautbarungen sind.13 Genau diese Unterscheidung zwischen einer aufgrund der Quellenüberlieferung nur schwer greifbaren Person und einer öffentlichen, vielfach inszenierten und medial vermittelten Rolle, stellt eine methodische Herausforderung dar, mit der sich jede Beschäftigung mit Cromwell auseinandersetzen muss. Letztlich wird man wohl zu der Schlussfolgerung kommen müssen, dass über Cromwells Vorstellungen von Staat und Herrschaft wenig Fundiertes gesagt werden kann, wohl aber über seine öffentlichen Äußerungen, seine Inszenierungen und die an ihn herangetragenen zeitgenössischen Zuschreibungen und Projektionen. Lässt sich also das Staatsverständnis Oliver Cromwells kaum im Sinne einer klassischen Ideengeschichte von Staat und Herrschaft auf den Punkt bringen, so scheint es gleichwohl möglich und sinnvoll, die im Zuge der Englischen Revolution kursierenden Staatsvorstellungen in all ihrer Pluralität und Kontroversität zu betrachten und zu Oliver Cromwell in Beziehung zu setzen. Kompendien und Studien zu den Staatsverständnissen, insbesondere zur Entwicklung republikanischer Staatstheorien während der Zeit des Bürgerkriegs und des Interregnums, sind vielfach vorhanden. Richardson 1998. Einführend zu den Ereignissen Greyerz 1994; Hughes 1998; Hirst 1999; Hill 2002; Coward 2014, S. 165-284; Braddick 2009; ders. 2018. 11 Hier v.a. die klassische Edition von Carlyle 1902-1903, die auf eine erste Fassung von 1845 zurückgeht. Weitere Editionen liegen von W.C. Abbott und C.L. Stainer vor; vgl. zu den verschiedenen Editionen Morrill 1990. 12 Historiographiegeschichtliche Überblicke bei Hill 2019, S. 221-225; Pennington 1973; Wende 1980, S. 119-121; Gentles 2011, S. 199-201. 13 Dazu Andreas Pečar im vorliegenden Band. Zu den Schwierigkeiten bei der Erfassung der Persönlichkeit auch schon Howell 1978.
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Insbesondere Vertreter.innen der sogenannten Cambridge School haben sich vielfach mit der Entwicklung politischer Ideen in dieser Phase beschäftigt.14 Einzelne Autoren, die aufgrund ihrer Wirkungsgeschichte als besonders bedeutend interpretiert werden, wie etwa Thomas Hobbes oder auch James Harrington, John Milton oder Andrew Marvell, wurden in der historischen, ideengeschichtlichen und philosophischen Forschung intensiv behandelt.15 Es kann hier also nicht darum gehen, eine Geschichte der politischen Ideen im England der Mitte des 17. Jahrhunderts vorzulegen. Tatsächlich lässt sich die Englische Revolution als ein „Laboratorium“ frühneuzeitlicher Politiktheorie verstehen, das vergleichbar ist mit Italien im ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert.16 Zwei Voraussetzungen scheinen dafür entscheidend zu sein: Erstens führte die Destabilisierung der politischen Verhältnisse zu einer raschen Infragestellung bisheriger Gewissheiten. Die weitgehend neue Situation ermöglichte die Formulierung neuer Denkansätze, die sich nicht mehr einfach auf die Tradition und die hergebrachten Verhältnisse berufen konnten. Die Denkrahmen und politischen Sprachen des Common Law wurden teilweise überformt durch Rekurs auf – zumeist durch italienische Autoren vermittelte – antike Texte. Diese boten Orientierung, waren aber, wie etwa James Harrington betonte, nicht mehr einfach die autoritativen Muster, sondern wurden neu zusammengefügt und adaptiert: „to go mine way, and yet to follow the ancients“17 – so beschrieb Harrington seine Vorgehensweise. Das Alte müsse gesichtet und genutzt werden, aber nicht kritiklos, sondern im Sinne einer sorgfältigen Abwägung von Schwächen und Stärken. Diese methodische Herangehensweise ermögliche die Entwicklung einer ausbalancierten und stabilen Verfassung für ein neues Staatswesen.18 Die Levellers gingen sogar noch einen Schritt weiter, indem sie sich bei allen Rekursen auf die angelsächsische Vergangenheit doch vor allem als Männer der Gegenwart darstellten.19 Zweitens ermöglichte der weitgehende Zusammenbruch der Zensur im Zuge der Bürgerkriege eine sehr breite und vielschichtige Debatte in den Medien. Es entstand ein ausdifferenzierter Medienmarkt, auf dem sich zahlreiche Produzenten etablieren konnten, die die Nachfrage nach Informationen und Meinungen mit einer Vielzahl von Flugblättern, Flugschriften, Zeitschriften und Zeitungen bedienten. Die 14 Z.B. Pocock/Schochet 1993; Skinner 1998; ders. 2018; Peltonen 1995; Worden 1991; Scott 2007; Burgess 2009. 15 Zu Hobbes etwa Tuck 1996; Schröder 2012; Martinich/Hoekstra 2016; Burgess 2009, S. 296-323; zu Harrington Pocock 1992; Riklin 1999; Burgess 2009, S. 346-363; Hammersley 2019; zu Milton Armitage/Himy/Skinner 1995; Lim 2006; und zu Marvell Dzelzainis/Holberton 2019; sowie allgemeiner Worden 2007. 16 Zum Renaissance-Italien als „Laboratorium Europas“ Zwierlein 2020, S. 15-17. 17 Harrington, The Commonwealth of Oceana 1656, S. 10. 18 Vgl. Niggemann 2012, 135-137. 19 Dazu der den Levellers und Diggers gewidmete Beitrag von Ulrich Niggemann in diesem Band.
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mediale Auseinandersetzung führte nicht nur zur Ausformulierung einer Vielzahl unterschiedlicher politischer Positionen und Vorstellungen vom Staat, sondern förderte auch komplexe Argumentationsmuster und prägte Diskurse und Denkrahmen aus, die die Wahrnehmungen und Erwartungshaltungen der Akteure beeinflussten.20 „Staatsverständnisse“, wie sie hier gefasst werden, sind somit kulturelle Phänomene. Sie sind nicht das Resultat abstrakter Ideen oder philosophischer Entwürfe, die in den Studierstuben herausragender Autoren entstehen, sondern sie sind das Ergebnis komplexer diskursiver Aushandlungsprozesse, konkurrierender Positionen und kontroverser Interessen. Sie sind umkämpft und umstritten. Sie sind Produkt dieser Umstrittenheit und des daraus resultierenden Bedürfnisses, Positionen zu formulieren und gegnerische Positionen zu delegitimieren. Zugleich – und das ist wichtig – sind sie auch Produkt von Marktmechanismen, denn der Buch- und Medienmarkt folgte nicht zuletzt ökonomischen Logiken, die in einer prinzipiell unsicheren und dadurch stark politisierten Situation immer neue Produkte generierte, die konsumiert werden konnten.21 „Staatsverständnisse“ kamen aber nicht nur medial und durch mediale Konsumgüter zum Ausdruck, sondern auch in den Praktiken der Akteure. Bürgerkrieg und Revolution hatten hier sicher Verschiebungen und Verwerfungen zur Folge, ohne freilich die vorhandenen Mechanismen der Aushandlung von Politik, wie sie von den Eliten auch weiterhin praktiziert wurden, ganz zu beseitigen. Und noch etwas ist wichtig: „Staatsverständnisse“ im England des 17. Jahrhunderts entwickelten sich nicht isoliert vom Rest Europas. Zwar wies das Königreich einige Besonderheiten auf, darunter die in der Folge der normannischen Eroberung 1066 sehr weitgehende Zentralisierung, die zugleich auf eine professionelle administrative Durchdringung, wie sie in weiten Teilen Europas seit dem 15./16. Jahrhundert – nicht zuletzt im Zuge der Rezeption des römischen Rechts – vorangetrieben wurde, verzichtete, um sich stattdessen in Rechtsprechung und Verwaltung auf lokal und regional tätige Laien sowie auf ein gewohnheitsrechtliches Common Law zu stützen.22 Neben den Besonderheiten gab es aber auch beträchtliche Ähnlichkeiten etwa zum französischen Staatswesen. Das gilt für bestimmte Formen sakraler Herrschaftsausübung ebenso wie für Vorstellungen von den „zwei Körpern des Königs“23. Auch das Parlament – oft als Ausdruck eines „englischen Sonderwegs“ verstanden – muss in die Entwicklung ständischer Gremien seit dem ausgehenden Mittelalter eingeordnet werden, auch wenn es in der Tat während des Rosenkriegs und im Zuge der Henricianischen Reformation seine Stellung deutlich 20 21 22 23
Dazu insbesondere Peacey 2013. Generell zu Medien und Markt in der Frühen Neuzeit Arndt 2013; Winkler 1993. Zum englischen ‚Staat‘ vgl. Reinhardt 2000, S. 69-73; Ertman 1997, S. 156-223. Kantorowicz 1957. Außerdem zum Glauben an die Heilungsfähigkeiten der Könige in Frankreich und England Bloch 1924. Vergleichend zu den sakralen Aspekten von Herrschaft neuerdings auch Asch 2014.
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stärken konnte.24 Diese Entwicklungen brachten eine durchaus eigenständige englische Rechtsliteratur hervor. Zugleich fand aber auch eine intensive Beobachtung kontinentaleuropäischer Entwicklungen statt, die auch in der Rezeption italienischer und französischer Staatsrechtsliteratur zum Ausdruck kam.25 Diese wenigen Hinweise mögen genügen, um die Komplexität jeder Auseinandersetzung mit der politischen Ideengeschichte in ihrer kulturellen Verortung im England des 17. Jahrhunderts anzudeuten. Die medialen und kommunikativen Akte der 1640er und 1650er Jahre waren nicht voraussetzungslos und standen in engen Austausch- und Transferbeziehungen sowohl zu zeitlich früheren Äußerungen als auch zu den Entwicklungen auf dem europäischen Kontinent. Sie brachten zudem eine Vielfalt an konkurrierenden und sich widersprechenden Aussagen hervor, von denen nur einige wenige längerfristig als geradezu ‚kanonische‘ Texte rezipiert wurden.26 Doch warum lohnt es sich, Staatsverständnisse Oliver Cromwells oder in Bezug zu Oliver Cromwell zu behandeln? Es dürfte deutlich geworden sein, dass Cromwell nicht als systematischer Theoretiker gelten kann, sondern als pragmatischer Politiker, der als solcher weniger einer ausgearbeiteten Programmatik folgte, als ad hoc auf sich ergebende Situationen reagierte. Anders als in den meisten Bänden der Reihe „Staatsverständnisse“ steht also kein Autor im Fokus, sondern ein Praktiker, ein Politiker und Militär. Der Reiz liegt daher vor allem darin, die Entwicklung von Ordnungs- und Herrschaftsvorstellungen in den sich wandelnden Kontexten einer politisch-gesellschaftlichen Krisensituation zu ergründen und zu einer zentralen Figur in Beziehung zu setzen. Dabei kommen vielfache Zuschreibungs-, Projektionsund Aneignungsphänomene zur Sprache, die sich gerade an der Figur Cromwells thematisieren lassen. Die Tatsache, dass die englische Republik, der Bruch mit der Tradition und die Herrschaft Cromwells einer besonderen Legitimation bedurften, die kommunikativ hergestellt werden musste27, brachte gerade jene Vielfalt an politischen Entwürfen hervor, die exemplarisch in diesem Band erörtert werden und die bewusst als kulturelle und kommunikative Phänomene, und nicht als Ergebnis abstrakter und systematischer Theorie, erörtert werden. Dementsprechend widmet sich der erste und größte Themenblock dieses Bandes den Legitimationsstrategien und den darin entwickelten konzeptionellen Entwürfen. In einem ersten Aufriss bietet Ronald G. Asch einen breiten Überblick über die Entwicklung republikanischer Konzepte während der Bürgerkriegsjahre und in der Folge der Errichtung des Commonwealth und Protektorats. Dabei wird einerseits deutlich, dass nicht eine republikanische Programmatik den Gang der Ereignisse be24 25 26 27
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Elton 1959. Vgl. auch Coward 2014, S. 72-75; Jones 2009. Nach wie vor Pocock 2003. S. beispielhaft oben Anm. 15. Vgl. etwa Asch 2018.
stimmte, sondern dass in nuce vorhandene republikanische (vor 1648/49 noch kaum prinzipiell gegen die Monarchie gerichtete) Staatsvorstellungen erst in der Folge der Hinrichtung des Königs eine eigene Dynamik entfalteten, sowie andererseits, dass die Befürworter einer republikanischen Staatsform stets eine Minderheit blieben, die sich zudem auch und gerade gegen die parlamentarische Regierung und ab 1653 gegen das Protektorat wandte. Asch betont zudem auch die Situationsbedingtheit der größeren republikanischen Entwürfe des Interregnums etwa aus der Feder John Miltons, Henry Vanes, Marchamont Nedhams oder James Harringtons. Sie lassen sich aber eben gerade nicht einfach als Programmschriften der Cromwell-Herrschaft verstehen, sondern formulierten auch Kritik und standen somit in einer gewissen Distanz zu Cromwell. Gleichwohl blieben diese Texte nicht ohne Wirkung auf Cromwell oder berührten sich mit Formen der Selbstinszenierung, auch und gerade im Sinne des religiös geprägten Republikanismus. Andreas Pečar widmet sich sodann der Frage nach dem religiösen Charakter von Cromwells Herrschaft. Dabei wird zunächst einmal deutlich, wie wichtig es ist, zwischen den persönlichen Überzeugungen Cromwells, die sich kaum zuverlässig ermitteln lassen, und den rhetorischen Strategien, die sich als „adressatengerechtes Sprechen“ definieren lassen, zu unterscheiden. Religiöse Aufladungen in Cromwells Rhetorik hatten freilich Pečar zufolge einen Höhepunkt in der Zeitspanne zwischen 1647 und 1653, durchzogen also keineswegs die gesamte Phase seiner politischen Aktivität. In England war die Hochphase religiöser Rhetorik stark verbunden mit der Suche nach einer Verfassung in der Folge der Hinrichtung Karls I. Antimonarchische Rhetorik verband sich mit biblizistischen Invektiven gegen die Monarchie als Staatsform und mit dem Streben nach einer christlichen, theokratischen Herrschaft, die durchaus auch millenarische Züge annehmen konnte. Die Stilisierung Cromwells als „Moses“ oder als providentielle Führungsfigur gehört demnach in diesen Debattenkontext. Sie war somit auch und vor allem Teil einer Legitimationsstrategie, die sich auch in den militärischen Aktivitäten in Schottland und Irland spiegelte, wo sie – wie der Beitrag von Sarah Covington zeigt – auch langfristig im kollektiven Gedächtnis verblieb. Peter Schröder greift beide Aspekte auf, um sich mit dem Legitimitätsdefizit Cromwells zu beschäftigen. Er versteht Cromwell dabei – auch in Anlehnung an Hobbes – im Sinne des italienischen Politiktheoretikers Niccolò Machiavelli als „principe nuovo“, der besonderer Bemühungen bedurfte, um Legitimität herzustellen. Auch hier erscheinen Staatsverständnisse vor allem als rhetorische Strategien, als Sprechweisen und Instrumente, mit denen Herrschaft kommuniziert wurde. Cromwells Kommunikation beruhte dabei einerseits auf Charisma, andererseits auf der direkten Anknüpfung an höfische Traditionen. Zudem stellten die faktische Herrschaftsausübung und die Rechtsprechung im Sinne des Common Law wichtige Elemente der Herrscherlegitimation dar. In religiöser Hinsicht war nicht nur die Inszenierung als providentieller Herrscher, sondern auch die Toleranzpolitik mit ihrer
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Inklusion der unterschiedlichen religiösen Strömungen ein Herrschaftsinstrument, das es zudem erlaubte, eigene Erfolge als göttlichen Willen darzustellen. Internationale Anerkennung – darauf weist auch Christian Wenzel hin – habe sich schließlich auch aus außenpolitischen Erfolgen ergeben. Wie bereits im Beitrag von Ronald G. Asch anklingt, lassen sich die Legitimationsbestrebungen und die darin geäußerten Herrschaftsverständnisse während des Interregnums nur in der Kontroverse begreifen. Wegweisende und langfristig wirksame Ausformulierungen von politischen Konzepten entstanden gerade in der Kritik an Cromwell und am Protektorat. Unter dem Begriff des „Agent Provocateur“ wirft Georg Eckert daher einen neuen Blick auf Thomas Hobbes und dessen Perspektive auf Oliver Cromwell. Hobbes Werke, insbesondere der „Leviathan“ und der „Behemoth“, erscheinen hier als differenzierte Auseinandersetzungen nicht nur mit dem Problem der Macht und Souveränität, sondern eben auch mit Cromwell und seiner Herrschaftsausübung, die als letztlich nicht konsequente Umsetzung einer machttheoretischen Prämisse diskutiert würden. Dass Cromwell nicht weit genug gegangen sei, zieht sich denn auch als roter Faden durch Eckerts Interpretation der Hobbesschen Texte. Zu zögerlich, und doch zugleich ein Usurpator, so ließe sich in diesem Licht der Cromwell von Hobbes charakterisieren. Radikalere Ansätze in der Konzeption gesellschaftlicher und politischer Ordnung vertraten jene Gruppierungen und Strömungen die unter den Namen der „Levellers“, „True Levellers“ und „Diggers“ bekannt wurden. Ihre Vorstellungen von Gesellschaft und Staat sowie ihr Verhältnis zu Cromwell und der politischen Ordnung der Revolutionsjahre behandelt Ulrich Niggemann. Auch diese Ansätze speisten sich nicht selten aus der Wahrnehmung, Oliver Cromwell und seine Mitstreiter seien nicht weit genug gegangen. Die Hoffnungen religiöser und sozialer Gruppen in England auf eine weitere Umgestaltung der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, auf eine breitere Partizipation, Hoffnungen, die gerade auch in Armeekreisen ventiliert wurden, hatten sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, zwischenzeitlich bestand die Befürchtung, das von Presbyterianern beherrschte und vielfach als ‚konservativ‘ eingeschätzte Parlament könne die Armee auflösen und einen Kompromiss mit dem König finden. In den Putney Debates und in den Leveller-Schriften kamen solche Befürchtungen, aber auch weiterreichende Konzepte einer staatlichen Ordnung zum Ausdruck. Wahlrechtsreform, politische Teilhabe und ein gerechteres Justizsystem standen dabei zeitweise im Zentrum. Noch weitreichender waren hingegen die Konzeptionen der sogenannten Diggers, die die Bearbeitung des Landes als religiöse und soziale Betätigung konzipierten und auf ihr einen auf Gleichheit und Besitzlosigkeit beruhenden Gesellschaftsentwurf formulierten. Stehen in den Beiträgen des ersten Themenblocks vor allem die aus den spezifischen Legitimationsbedürfnissen Cromwells und der Revolution sowie aus den damit verbundenen Kontroversen entstandenen Entwürfe und Konzepte im Vorder-
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grund, so fragen die beiden Beiträge des zweiten Themenblocks nach den Außenbeziehungen bzw. der Darstellung und Durchführung englischer Politik in Europa. Cornel Zweierlein geht dabei dem komplexen Verhältnis von ökonomischen und politischen Interessen der entstehenden englischen See- und Kolonialmacht nach, indem er die 1653 erlassene Navigation Act und ihre Wirkungen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückt. Interessant ist hier vor allem die Kontinuität zur frühen Stuart-Zeit einerseits und die Grundlegung der Strukturen und Institutionen, die bis weit ins spätere British Empire hinein wirksam blieben. Dabei zeigt Zwierlein die vielfältigen ideen- und diskursgeschichtlichen Zusammenhänge auf, die die Handelspolitik nicht nur des englischen Staates, sondern auch der vielfach personell mit diesem verflochtenen Handelsgesellschaften und Korporationen prägten und beeinflussten. Religiöse wie auch naturphilosophische Vorstellungen, Rechtsdenken und imperiale Ansprüche verbanden sich in Debatten über Handelsvolumina und ökonomische Prozesse sowie über die Zugänglichkeit der Meere, wie sie sich etwa in der bekannten Kontroverse um Grotius‘ „Mare liberum“ und Seldons „Mare clausum“ widerspiegelte. Inwieweit hingegen die englische Republik und das Protektorat von außen, aus einer kontinentaleuropäischen Perspektive, als „geschäftsfähig“ angesehen wurde, steht im Zentrum der Überlegungen von Christian Wenzel. Den Ausgang bildet die in der Literatur verbreitete Vorstellung, beim Cromwellschen Staat habe es sich aus der Sicht europäischer Akteure um eine Art „pariah state“ gehandelt, dessen Bruch mit der Monarchie auch ein Bruch aller völkerrechtlichen Verträge beinhaltet habe. Dagegen zeigt sich ein weit weniger geschlossenes Bild, wenn man sich die Praktiken, aber auch die mit dem England der 1650er Jahre geschlossenen Verträge anschaut. Offenbar gab es einen variablen und eher situationsabhängigen Umgang mit Cromwell-England. Prinzipiell war England als Geschäftspartner durchaus anerkannt, wenn es den jeweiligen Interessen diente. Die bestehenden Konventionen und auch die vorhandenen Verträge wurden durchaus beachtet, England mithin als Staatswesen innerhalb der europäischen völkerrechtlichen Praxis wahrgenommen. Sowohl Zwierleins als auch Wenzels Beiträge tragen damit wichtige Aspekte zu einer Erörterung von Staatsverständnissen im Umfeld der Englischen Revolution bei, denn gerade in der Außenwahrnehmung wie auch in der Außendarstellung – auf der Ebene der Praktiken und des Handelns ebenso wie auf einer eher theoretisch reflektierenden Ebene – spiegelt sich das Selbstverständnis von Commonwealth und Protektorat.28 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die von außen herangetragene Wahrnehmung und der Umgang mit dem republikanischen England auch in dessen Selbstentwurf hineinwirkten, denn selbstverständlich entwickelten sich politische Konzeptionen nicht isoliert von den europäischen Debatten und Kontroversen. In diesem Sinne wäre es sicher auch interessant, sich noch einmal die Rückwirkungen
28 In diesem Sinne auch Little 2009, S. 2f.
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und Austauschprozesse zwischen dem englischen Commonwealth und dem Frankreich der Fronde, insbesondere auch der Bordelaiser Ormée anzuschauen.29 Ebenso wichtig ist indes auch die Frage nach den Wirkungen innerhalb des britischen Archipels, insbesondere in Schottland und Irland. Am Beispiel Irlands beleuchtet daher Sarah Covington die Folgen der Cromwellschen Eroberungs- und Kolonisierungspolitik im kollektiven Gedächtnis. Dabei geht es nicht in erster Linie um Staatsverständnisse, sehr wohl aber um die folgenschweren Wahrnehmungen eines Staates, der einer auswärtigen Gesellschaft seinen Stempel aufdrückte. Im Mittelpunkt stehen dabei weniger die vielfach angesprochenen und auch im Beitrag etwa von Andreas Pečar mitberücksichtigten religiösen Konflikte und Deutungsmuster, die – wie auch Covington verdeutlicht – als Denkrahmen von zentraler Bedeutung waren und für eine auch nationale oder gar früh-nationalistische Aufladung der Erinnerung sorgten; im Mittelpunkt stehen vielmehr die Landkonfiskationen in der Folge des irischen Krieges. Diese sorgten – durchaus in Anknüpfung an bereits spätestens seit der Regierungszeit Elisabeths angelaufene Maßnahmen – für eine tiefgreifende Veränderung der Besitz- und Herrschaftsverhältnisse. Die Enteignung der irischen Grundbesitzer sowie die Verpflanzung beträchtlicher Teile der irischen Bevölkerung in den Westen, nach Connaught, und in die Kolonien prägten sich tief in das kollektive Gedächtnis ein und wurden eng verknüpft mit dem Namen Oliver Cromwell – selbst da, wo Cromwells Regime gar nicht verantwortlich war. Am Ende stehen noch einige Überlegungen, die ebenfalls an Fragen nach der kollektiven Erinnerung anknüpfen und ausgehend von der größtenteils negativen Cromwell-Erinnerung des 17. und 18. Jahrhunderts die Rezeptionsfähigkeit Cromwellscher Staats- und Herrschaftsverständnisse thematisieren. Tatsächlich zeigt sich, dass die Debatten um die Englische Revolution, das Interregnum und die CromwellHerrschaft nie abrissen, sondern – mit wechselnden Zuschreibungen und Bewertungen – die politischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahrhunderte wesentlich prägten. Diese verschiedenen Aneignungsmuster sagen selbst sehr viel über die jeweils aktuellen politischen Debatten aus und lassen wichtige Aspekte der politischen Kultur erkennen. Gleichzeitig bilden diese verschiedenen Rezeptionsschichten jedoch auch einen Anlass, den eigenen Zugang zur Cromwell-Ära zu reflektieren und durch sie hindurch vorsichtige Aussagen über Ordnungs-, Herrschafts- und Staatsvorstellungen der Mitte des 17. Jahrhunderts zu treffen. Dabei lassen sich freilich innere Überzeugungen kaum rekonstruieren, wohl aber die rhetorischen und kommunikativen Strategien zur Herstellung von Autorität und Legitimität. Selbstverständlich wäre es wünschenswert gewesen, das Tableau der Beiträge noch zu erweitern. Zahlreiche Aspekte mussten unberücksichtigt bleiben, nicht nur im Hinblick auf die Einbettung von englischen Staatsverständnissen der Cromwell-
29 Dazu immerhin Knachel 1967. Vgl. auch Birnstiel 1985, S. 129-148.
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Zeit in die zeitgenössischen europäischen Debatten, sondern auch mit Blick auf die Ausdifferenzierungen innerhalb Englands/Großbritanniens selbst. Wünschenswert wäre desweiteren sicher eine stärkere Einbeziehung britischer und internationaler Wissenschaftler.innen gewesen. Die Vorgaben der Reihe „Staatsverständnisse“ sehen freilich komplett deutschsprachige Bände vor; die gegebenenfalls notwendige Übersetzungsarbeit liegt beim Herausgeber. Hier waren aufgrund der vorhandenen Zeit- und Arbeitskapazitäten einer entsprechenden Erweiterung der Gruppe der Beitragenden von vorneherein Grenzen gesetzt. Das von den vorliegenden Aufsätzen abgedeckte weite Spektrum an Perspektiven, Fragestellungen und Überlegungen lässt dennoch hoffen, dass Leserinnen und Leser unterschiedlicher Fachrichtungen das eine oder andere an neuen Erkenntnissen zu einer wichtigen und wirkmächtigen Phase englischer und europäischer Staatsentwicklung gewinnen können.
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Legitimation und Delegitimation von Commonwealth und Protektorat
Ronald G. Asch Oliver Cromwell und der englische Republikanismus
I. Am 30. Januar 1649 wurde Karl I. von England öffentlich hingerichtet. Zwar wurde das Königtum als Institution erst einige Wochen später abgeschafft, und die Republik wurde sogar erst am 19. Mai als „Commonwealth and Free State“ ausgerufen,1 aber der Regizid markierte dennoch von Anfang an den Beginn einer neuen Epoche. England und, in dem Maße wie sie von den englischen Heeren unterworfen wurden, auch Irland und Schottland erhielten eine republikanische Ordnung. Nicht wenige Historiker haben betont, dass die Entscheidung, die Monarchie abzuschaffen, situationsbedingt gewesen sei und nicht das Ergebnis eines längerfristigen Prozesses oder gar der Triumph tief verwurzelter republikanischer Ideale über eine Institution, die schon vor 1640 ins Wanken geraten war.2 Dem haben Quentin Skinner und seine Schüler die These entgegengesetzt, dass ein republikanisches Freiheitsideal unter Mitgliedern der englischen Elite bereits lange vor 1640 verbreitet gewesen sei, genährt nicht zuletzt von der Lektüre der Werke antiker Denker, Redner und Historiker wie Cicero und Livius.3 Skinner nimmt dabei ein Argument wieder auf, das sich schon bei Thomas Hobbes findet, der im „Leviathan“ der antiken Überlieferung eine Hauptschuld an der Destabilisierung der Monarchie zu seinen Lebzeiten gab.4 Allerdings sollte man vorsichtig sein, eine solche polemische Zuspitzung im Werk des großen Philosophen als belastbare Beschreibung der Wirklichkeit zu betrachten. Blair Worden hat in einem älteren Beitrag zum Republikanismus in den 1640er und -50er Jahren zurecht bemerkt: „The Humanist foundations on which republicanism would be built were laid before the civil wars, but the building was not begun.“5 Viele gentlemen mögen sich auch schon vor 1640 als tugendhafte Bürger, als römische „cives“ in modernem Gewandt gesehen haben, wenn sie ihre Ämter als Friedensrichter auf lokaler Ebene ausübten.6 Ebenso bestanden die meisten darauf, dass der Monarch in seiner Herr1 Smith 2015, S. 187. 2 So etwa Worden 2012d, S. 265-273; ders. 1994c, S. 55. 3 Peltonen 1995; Skinner 2002a; ders. 1998; ders. 2002b; Vallance 2015; und zur Verbindung von Republikanismus und demokratischen Bestrebungen: Peltonen 2019. 4 Hobbes, Leviathan 1991, S. 225-226 (Teil II, Kap. 29). 5 Worden 1994c, S. 51. 6 Cust 2007; Goldie 2001.
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schaftsausübung an Recht und Gesetz gebunden war. Aber das hieß nicht, dass sie die Monarchie durch eine Republik ersetzen wollten. Freilich radikalisierte sich die Haltung vieler Führer des Parlaments im Laufe des Kampfes gegen den König und noch mehr galt das für die parlamentarischen Armeen, insbesondere die New Model Army. Schon nach Ende des ersten Bürgerkrieges 1646 war man gewillt, Karl I. nur dann weiter als König zu akzeptieren, wenn seine Prärogativrechte radikal eingeschränkt wurden. Nach dem zweiten Bürgerkrieg 1648 war Karl für viele seiner Gegner untragbar geworden. Da er nicht freiwillig abdankte, blieb zuletzt als Option nur die Entscheidung, ihm den Prozess zu machen, zumindest sahen es so die Offiziere der New Model Army. Es wäre wohl übertrieben zu sagen, dass die Republik von 1649 ausschließlich das Ergebnis der Tatsache war, dass ein glaubwürdiger Kandidat für den vakant gewordenen Thron aus dem Hause Stuart oder dessen näherer Verwandtschaft nicht mehr bereit stand (Karl Ludwig von der Pfalz stand für eine solche Position 1649 nicht mehr zur Verfügung, auch wenn es vorher Überlegungen gegeben haben mag, ihn an Stelle seines Onkels zu krönen).7 Die politischen Zielvorstellungen der parlamentarischen Seite hatten sich namentlich in den Jahren 1647 bis 1648 soweit radikalisiert, dass ein England ohne monarchisches Oberhaupt schon vor dem Prozess gegen den König zumindest als ultima ratio denkbar geworden war. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass es eine entwickelte und systematische politische Theorie, die die Legitimität einer republikanischen Ordnung begründete, faktisch vor 1649 nicht gab, eine solche entstand erst schrittweise nach der Ausrufung der Republik. Man könnte sogar mit Glenn Burgess feststellen, dass vor 1640 „republikanische“ Elemente der gängigen politischen Theorien die Monarchie nicht schwächten, sondern eher stärkten. Das galt sicherlich seit Ausbruch des Bürgerkrieges nicht mehr und erst recht nicht nach 1649.8 Auch dann noch trifft aber zumindest für die stärker systematisch ausgearbeiteten republikanischen Ordnungsmodelle der 1650er Jahre zumindest teilweise das zu, was Blair Worden über die Staatstheorie dieser Epoche vor vielen Jahren geschrieben hat: „The republicanism of the 1650s was a protest against the English republic, not a celebration of it.“9 Das gilt insbesondere, wenn man die Verfassung des Protektorates trotz ihrer Übernahme monarchischer Elemente noch als republikanisch gelten lässt.10
Worden 2012d, S. 264, kommt freilich mit Bezug auf das Zögern des Parlamentes, die Monarchie abzuschaffen und den Mangel eines aus Sicht des Parlamentes geeigneten Kandidaten für den Thron zu dem Schluss: „Facts not principles doomed the Stuart succession.“ Zu Karl Ludwig von der Pfalz Asch 2004. 8 Burgess 2009, S. 325. 9 Worden 1994c, S. 48. Vgl. zum weiteren Kontext auch ders. 2013. 10 Inwieweit der Begriff Republikanismus im engeren Sinne des Wortes die Ablehnung jeder Form von Monarchie voraussetzte, ist strittig. Siehe dazu: Hankins 2010. 7
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Grundlagen für eine republikanische politische Theorie wurden dennoch schon ab 1649 geschaffen, als es galt, die neu entstandene Republik zu legitimieren, etwa in Miltons „Defensio pro Populo Anglicano“ von 1651. Eine weitere wichtige Stufe der Fortentwicklung solcher Theorien wurde 1656 erreicht, als sich abzeichnete, dass sich das Protektorat Cromwells zunehmend zu einer Form monarchischer Herrschaft entwickelte. Marchamont Nedhams „The Excellencie of a Free State“ erschien in diesem Jahr und ebenso Harringtons „Oceana“, die vielleicht in ihrer langfristigen Wirkung einflussreichste Schrift dieser Epoche, die aus einer pro-republikanischen Perspektive geschrieben wurde.11 Schließlich kann man für das Jahr 1659 und die ersten Monate des folgenden Jahres noch einmal eine intensivere Debatte über die Vorteile einer Republik gegenüber jeder Form von Königsherrschaft konstatieren, als es galt, die Wiederherstellung der Stuart-Monarchie zu verhindern. Überzeugte Republikaner standen allerdings bereits der parlamentarischen Herrschaft der Jahre 1649 bis 1653 oft in kritischer Distanz gegenüber. Ihre Unzufriedenheit mit der politischen Entwicklung Englands nach der Hinrichtung des Königs hatte unterschiedliche Gründe, aber zwei Faktoren stechen besonders hervor: Zum einen war man sich in der Regel bewusst, dass die überzeugten Anhänger der republikanischen Idee sowohl unter der politisch-sozialen Elite als auch in der Bevölkerung insgesamt eher eine Minderheit ausmachten. Man hatte den Eindruck, dass das Rumpfparlament in den Jahren 1649 bis 1653 zu viel Rücksicht auf die Gegner einer grundsätzlichen politischen Erneuerung des Landes nahm. Zum anderen befürworteten viele überzeugte Republikaner auch eine weitgehende Glaubensfreiheit, der sich im Rumpfparlament vor allem die Presbyterianer, die Pride’s Purge 1648 überlebt hatten oder später ihre Sitze wieder einnahmen, widersetzten, da sie am Ideal einer nationalen Kirche, der jeder angehören sollte, festhielten. Die Kritik an der bestehenden Verfassungsordnung intensivierte sich dann ab 1653. Die Republikaner jedweder Couleur sahen die Rückkehr zu einer politischen Ordnung, in der das Parlament der Autorität einer „single person“ untergeordnet war (wie es das Instrument of Government vom Dezember 1653 vorsah), meist kritisch. Diese Kritik blieb auch bestehen, wenn die Vollmachten dieser „single person“ beschränkt blieben, und der Herrscher nicht die Würde eines Königs beanspruchte. Das schloss freilich für Manche pragmatische Kompromisse im Sinne einer vorläufigen Anerkennung der Autorität des Protektorats nicht aus. Im Übrigen gab es eine große Bandbreite republikanischer Ordnungsvorstellungen und die Verteidiger eines republikanischen Herrschaftssystems, zu denen unter den Politikern und Militärs dieser Jahre u. a. Sir Henry Vane, Henry Neville und Algernon Sidney gerechnet werden konnten, bildeten zu keinem Zeitpunkt ein geschlossenes politisches Lager. Entsprechend unterschiedlich fielen auch die Reaktionen auf die Herrschaft Oliver Cromwells aus. 11 Scott 1993, S. 142-143. Zur Entwicklung republikanischer politischer Theorien in den 1650er Jahren siehe auch Worden 1991, S. 443-458.
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II. Ein prominenter Autor, der auf jeden Fall zu den entschiedensten Kritikern monarchischer Herrschaft gehörte – eine Haltung, die freilich nicht ohne weiteres mit einem prinzipiellen Republikanismus gleichgesetzt werden kann – war der englische Dichter John Milton, der in den 1650er Jahren sowohl unter dem Commonwealth als auch unter Cromwell Secretary of Foreign Tongues respektive Latin Secretary des Staatsrates war. Er war also mit dem Protektorat auch persönlich verbunden und verzichtete vielleicht auch deshalb darauf, Cromwell zu Lebzeiten offen zu kritisieren. Nach dem Tode des Lord Protector gab er seine Zurückhaltung auf, so könnte es zumindest scheinen. Anfang 1660 publizierte er den Traktat „The Ready and Easy Way to Establish a Free Commonwealth“. Gewissermaßen in letzter Minute wollte er mit dieser Abhandlung noch einmal der Restauration des Hauses Stuart, die sich bereits deutlich am Horizont abzeichnete, entgegenwirken. Aber „The Ready and Easy Way“ kann auch als republikanische Kritik an der Herrschaft Cromwells zwischen 1653 und 1658 verstanden werden, denn Milton setzte ganz auf ein politisches System, das von einer Elite der „Tugendhaften“ dominiert wurde. Dabei blieb für die Herrschaft einer „single person“ kein Raum. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat oft betont, dass Milton dem Protektorat distanziert gegenüberstand und seine Äußerungen aus den Jahren 1659 und 1660 werden sogar vielfach als ein klares Verdammungsurteil gesehen, das sich gegen das Protektorat und dessen Politik richtete.12 So einfach liegen die Dinge nicht. Zum ersten waren die Äußerungen Miltons während der Endphase des Interregnums auch stark situationsbedingt; die Herrschaft Cromwells, der 1658 verstorben war, oder auch seines Sohnes Richard, der als Lord Protector im Mai 1659 abgedankt hatte, stand faktisch gar nicht mehr als politische Option zur Debatte, es ging um ganz andere Fragen. Zum zweiten sind auch einzelne Äußerungen des Dichters in ihrem Bezug umstritten. Milton schrieb in einer seiner Publikationen aus dem Jahr 1659, dass die Vergangenheit „a short but scandalous night of interruption“ im Siegeszug der Freiheit gewesen sei. Austin Woolrych und andere Historiker haben diese Bemerkung auf das Protektorat Cromwells und seines Sohnes bezogen. Aber waren die sechs Jahre vom Frühjahr 1653 (Auflösung des Rumpfparlamentes)13 bis zur Abdankung Richard Cromwells wirklich eine „kurze“ Zeitspanne? Wohl kaum.14Daher sind auch andere Interpretationen dieser Worte denkbar. Das wirft zumindest die Frage auf, wie eindeutig die Ablehnung des Protektorates durch Milton selbst 1659/60 war, zumal er Cromwell bis zu seinem Tode als Secretary of the Latin Tongue (er hatte das Amt freilich schon 12 Woolrych 1974. Vgl. Worden 1998. Zu Milton als Republikaner siehe auch Dzelzainis 2001; und Skinner 2002c. 13 Den Titel Lord Protector nahm Cromwell erst später an, aber faktisch begann seine Herrschaft im Frühjahr 1653. 14 Zu diesem Problem Gregory 2015.
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1649 angetreten) diente und, wie schon betont, vor 1659 nicht erkennen ließ, dass er mit der Politik seines obersten Dienstherrn oder auch seines Sohnes und Nachfolgers nicht einverstanden war.15 Selbst den Wechsel von Oliver zu Richard Cromwell kommentierte er nicht kritisch. Das mag Klugheit gewesen sein oder ein Stück weit auch Resignation, aber auffällig ist es dennoch.16 In jüngster Zeit ist daher mit Nachdruck betont worden, dass die vermeintlich grundsätzliche Opposition Miltons gegen die Herrschaft Oliver Cromwells eine bloße Konstruktion sei. Sie geht von der Annahme aus, dass Milton durch und durch Republikaner war, und dass diese republikanischen Überzeugungen seine politische Haltung primär bestimmten. Dagegen ist mit Recht eingewandt worden, dass Milton trotz seiner monarchiefeindlichen Haltung vor allem durch die Hoffnung auf eine politische Ordnung motiviert wurde, die ein Maximum an individueller Religionsfreiheit gewährleistete. Alles andere war am Ende Mittel zum Zweck.17 Dennoch ist Milton sicher ein wichtiges Beispiel für einen Vertreter der parlamentarischen Seite im Bürgerkrieg, der sich nach dem Sieg über den König eine ganz neue politische Ordnung erhofft hatte, und nun von dem, was das Protektorat zu bieten hatte, zumindest partiell enttäuscht war. Für Milton stand dabei, wie schon betont, die Sehnsucht nach Glaubensfreiheit im Mittelpunkt. Hier gab es sogar Berührungspunkte zur Weltsicht Cromwells, der den protestantischen Sekten ebenfalls einen möglichst großen Spielraum einräumen wollte.18 Allerdings wollte Milton mehr. Im Idealfall sollte jede kirchliche Organisation auf nationaler Ebene ganz abgeschafft werden, und auch Gemeinden, die das Dogma der Trinität ablehnten, sollten toleriert werden. Das waren Forderungen, die Cromwell zu weit gingen, und wenn Milton von seiner Herrschaft doch ein Stück weit enttäuscht war, dann gründete das auch in solchen Erfahrungen.19 Milton war sich nur allzu bewusst, dass seine politischen Ideale von der Mehrheit der Bevölkerung und der politisch-sozialen Führungsschicht tendenziell abgelehnt wurden. Die Republik, die er konzipierte, ging von einer Herrschaft der Elite der Aufgeklärten aus, die zugleich eine religiöse Avantgarde darstellten. In „The Readie and Easie Way“ fragt er, wie man sich verhalten solle, wenn die Mehrheit der Bürger Royalisten und Feinde der Freiheit seien? Yet of freedom they partake all alike, one main end of government: which if the greater part value not, but will degenerately forgoe, is it just or reasonable, that most voices against the main end of government should enslave the less number that would be free? 15 Vgl. Campbell/Corns 2008, S. 250-276. 16 Gregory 2015, S. 50-51. 17 Ebd., S. 61: „Milton’s republicanism emerged from and was always subordinate to his religious concerns.“ Eine abgewogene Darstellung der Problematik findet sich bei Knoppers 2001. 18 Zu Miltons religiösen Überzeugungen und seinem Kampf für Toleranz siehe Rumrich 2001. 19 Woolrych 1974, S. 153-156. Vgl. Worden 2012c, S. 369-370, zur distanzierten Haltung Miltons gegenüber dem Protektorat.
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More just it is doubtless, if it com [sic] to force, that a less number compell a greater to retain, which can be no wrong to them, thir libertie, then that a greater number […] compell a less most injuriously to be thir fellow slaves.20
Ähnliche Ansichten hatte Milton schon in früheren Schriften wie der „Defensio pro populo Anglicano“ von 1651 vertreten. Er wusste nur zu gut, dass weder seine religiösen Ideale noch seine republikanischen Wertvorstellungen die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung besaßen. Die Masse der Menschen, davon war Milton überzeugt, neigte zu einer Art weltlicher Idolatrie, ihr Royalismus und ihre Loyalität gegenüber Monarchen jeder Art stellte faktisch eine Art Götzenkult dar. Diese Position hatte er schon 1649 im Kontext der Hinrichtung Karls I. und ihrer Legitimation mit Nachdruck vertreten.21 Sie fand sich dann wieder in der „Defensio pro populo Anglicano“, jener Streitschrift, mit der Milton den Königsmord gegen den französischen Gelehrten Claudius Salmasius, der in Leiden lehrte, verteidigte. Salmasius hatte sich in seiner royalistischen Abhandlung, der „Defensio Regia“, auch auf das Alte Testament gestützt, um darzulegen, dass Königen ihre Autorität von Gott verliehen worden war. Milton seinerseits verließ sich in der Abwehr dieses Argumentes u. a. auf die Auslegung des Alten Testamentes in der jüdischen Überlieferung, in den Midraschim, eine Tradition, die ihm unter anderem durch ein Werk des Tübingen Gelehrten Wilhelm Schickard vertraut war.22 Ausgehend von dieser rabbinischen Überlieferung und unter Bezug auf die Einsetzung des ersten Königs des Volkes Israel, Saul, gegen den Willen Gottes kam Milton zu dem Schluss, dass eigentlich jede Form von Königstreue eine Art Idolatrie sei. Für das Volk Gottes gebe es am Ende nur einen legitimen König, Gott selbst: For this reason the Jewish commonwealth, where God holds sway, is called a theocracy by Josephus in his refutation of the Egytian Apion, who like you [gemeint ist Salmasius] was a grammarian and a blasphemer. When at last the Jewish people came to their senses they complained that it had been ruinous for them to have other kings than God (Isaiah 26: 13). This Evidence all proves that the Israelites were given a king by God in his wrath.23
Miltons politische Ordnungsvorstellungen trugen somit durchaus theokratische Züge,24 aber zugleich war er ein energischer Gegner des Klerus und seiner Machtansprüche ganz unabhängig davon, ob es sich nun um die Bischöfe der Church of England oder um presbyterianische Geistliche handelte, eine Kombination, die 20 Milton, Readie and Easie Way 2013, S. 511. Zum Gedanken, dass der sanior pars der Vorrang vor der Mehrheit gebühre, siehe auch Sauer 2012. 21 Milton, Eikonoklastes 2013, bes. S. 282-283. Vgl. Asch 2014, S. 93. 22 Nelson 2010, S. 42-43. Vgl. auch ebd., S. 37-41. Siehe ferner ders. 2007; und Lim 2006. 23 Milton, Defence of the People 1966, S. 370. Vgl. ebd., S. 369. Vgl. die lateinische Ausgabe von 1651, wo es unmittelbar vor dieser Stelle heißt: „non hominis esse dominari in homines sed solius Dei.“; Milton, Pro populo Anglicano defensio 1651, S. 65. 24 Zum Problem der Theokratie siehe den Beitrag von Andreas Pečar in diesem Band.
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widersprüchlich erscheinen mag, aber unter radikalen Protestanten, die einer spiritualistischen Vorstellung von wahrer Frömmigkeit anhingen, in den 1640er und 50er Jahren nicht ungewöhnlich war.25 Obwohl Milton auch in dogmatischen Fragen sicher kein im konventionellen Sinne rechtgläubiger Christ war, sondern eher als gläubiger Häretiker bezeichnet werden kann, trägt doch auch „The Readie and Easie Way“ die Handschrift seiner religiösen Überzeugungen.26 Der Gedanke kehrt immer wieder, dass es die Herrschaft Gottes ist, die den Menschen frei macht und dass jede Form von Monarchie im Widerspruch zur Königsherrschaft Gottes steht. So bezieht er sich auch in seinem Traktat auf die Einsetzung Sauls als erster König Israels. Damit sei eine ideale Ordnung („a Commonwealth of God’s own ordaining, he only thir king, they his peculiar people“) ersetzt worden durch ein Regime, das Gott missfallen habe. Noch schlimmer aber sei es, wenn man zur von Gott verworfenen Königsherrschaft zurückkehre, nachdem man eigentlich schon die Freiheit erlangte habe.27Das sei so, als ob das Volk Israel nach der Flucht aus Ägypten freiwillig in die ägyptische Knechtschaft zurückgekehrt sei „to the worship of thir idol queen.“28 Gedanken wie diese mögen Cromwell auch nicht ganz ferngelegen haben; nur dass seine Anhänger ihn als den englischen Moses sahen, der das neue Volk Israel, die Engländer, aus der ägyptischen Knechtschaft befreit hatte.29 Es lässt sich belegen, dass Cromwell sich selbst zumindest zeitweilig tatsächlich in dieser Perspektive sah. Als das erste Parlament des neu begründeten Protektorates 1654 zusammentrat, ließ er den Geistlichen John Goodwin jedenfalls eine Predigt halten, die den Auszug Israels aus Ägypten zum Thema hatte. In seiner eigenen Ansprache an das Parlament nahm er auf diesen Vergleich Englands mit dem Volke Israel unter Moses ausdrücklich Bezug.30Man sieht hier, dass es durchaus Berührungspunkte zwischen der Weltsicht Cromwells und einem religiös inspirierten Republikanismus gab. Was speziell Milton betraf, so war er zumindest 1653/54 durchaus noch bereit gewesen, Cromwell eine besondere Rolle als Schutzherr der neu errungenen englischen Freiheit zuzugestehen, auch wenn seine Heroisierung des Feldherrn in seiner „Defensio Secunda“ ambivalente Züge aufwies.31 Die letzten Abschnitte der „Defensio“ waren
25 Rumrich 2001. 26 Historiker der Skinner-Schule ignorieren in der Regel die religiösen Aspekte der republikanischen Ideale, die in den 1650er Jahren artikuliert wurden, oder sehen in der religiösen Sprache, in der viele Forderungen artikuliert wurden, nur eine Art Camouflage oder ein rhetorisches Vehikel ohne tiefere Bedeutung. Siehe Dzelzainis 2002. Das wird aber den Texten und der Mentalität der Zeit nicht gerecht. 27 Milton, Readie and Easie Way 2013, S. 507 und 509. 28 Ebd., S. 521. 29 Zu Cromwell als dem neuen Moses siehe Coffey 2011, S. 267, mit Bezug u. a. auf Dawbeny, Historie 1659. 30 Coffey 2011, S. 268. Siehe auch Abbott 1988, Bd. 3, S. 64-65 und 434-435. 31 Die „Defensio“ war allerdings wohl von Milton schon weitgehend vollendet worden, bevor Cromwell das Rumpfparlament im Früjahr 1653 auflöste; Worden 2007, S. 288-306.
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explizit Cromwell gewidmet. In leidenschaftlichen Worten beschwor der Dichter den neuen Regenten: Cromwell we are deserted, You alone remain. On you has fallen the whole burden of our affairs. On you alone they depend, In unison we acknowledge your unexcelled virtue.
Jeder müsse verstehen, that there is nothing in human society more pleasing to God, or more agreeable to reason, nothing in the state more just, nothing more expedient, then the rule of the man most fit to rule. All know you to be that man Cromwell! Such have been your achievements as the greatest and most illustrieous citizen, the director of public counsels, the commander of the bravest armies, the father of your country.32
Gerade der letzte Satz klang in der lateinischen Originalfassung noch prägnanter und eindrucksvoller: „Eum te agnoscunt omnes, Cromuelle, ea tu civis maximus et glorisissimus, dux publici consilii, fortissimorum exercituum Imperator, pater patriae gessisti!“33 Allerdings wollte Milton Cromwell auch ausdrücklich auf die Rolle des „civis maximus“ festlegen. Nachdrücklich lobte er ihn dafür, nicht den Titel eines Königs angenommen zu haben, sondern sich mit der Stellung eines Pater Patriae begnügt zu haben – der Titel Protektor kam als solcher bei Milton nicht vor. Zugleich wurde Cromwell gewarnt: „Certainly you yourself cannot be free without us, for it has so been arranged by nature that he who attacks the liberty of others is himself the first to lose his own liberty, as it were.“34 Nicht genug damit, versuchte Milton Cromwell auf ein klares kirchenpolitisches Programm – nämlich den faktischen Rückzug der weltlichen Obrigkeit aus allen kirchlichen Angelegenheiten – zu verpflichten.35 Ob mit dieser Schrift schon ein späterer innerer Bruch zwischen Milton und dem Lord Protector angelegt war, darüber mag man streiten.36 Deutlich wird aber doch, dass Milton Cromwell davon überzeugen wollte, dass er sich vor allem als einen heroischen Kämpfer für die Freiheit und gegen die Mächte des Aberglaubens und der Finsternis sehen solle, als einen neuen Gideon (der im Alten Testament als Richter, nicht als König Israels auftrat), und eben nicht als Herrscher, der die Nachfolge eines Monarchen antrat. Die Rolle des heroischen Verteidigers der Freiheit bot aus Miltons Sicht gerade den Vorteil, dass sie nicht institutionalisierbar war und eine republikanische Ordnung nicht in Frage stellte.37
Milton, Second Defense 1966, S. 671 und 671-672. Milton, Defensio Secunda 1654, S. 151. Milton, Second Defense 1966, S. 673; ders., Defensio Secunda 1654, S. 153. Milton, Second Defense 1966, S. 675-78; Worden 2007, S. 286. Zur Einordnung der „Defensio secunda“: Worden 2007, S. 285-88, und S. 305-325; andere Akzentuierungen finden sich zum Teil bei Sauer 2014, S. 87-94; siehe auch Jenkins 2007; und Rahe 2008, S. 115-116. 37 Worden 2007, S. 299, zu Gideon. Vgl. Lowenstein 2008, S. 186. 32 33 34 35 36
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Miltons Eulogie auf Cromwell in der „Defensio Secunda“ mag zugleich als Ermahnung und versteckte Kritik gemeint gewesen sein, aber offen trat der Dichter dem Lord Protector in späteren Jahren nicht entgegen und selbst in den Schriften der Jahre 1659 bis 1660 bleibt noch unklar, in welchem Maße sich die antimonarchischen Argumente wirklich (auch) auf das Protektorat beziehen sollten und nicht nur auf die mögliche Rückkehr des Hauses Stuart.
III. Andere Weggefährten und Zeitgenossen des Dichters waren nicht so zurückhaltend. Die meisten Abgeordneten, die im Rumpfparlament in den Jahren 1649 bis 1653 eine aktive Rolle gespielt hatten, gingen mehr oder weniger stark auf Distanz zu Cromwell. Manche Kritiker, wie etwa John Streater (freilich kein Parlamentarier, sondern ein Offizier), der während des Feldzuges in Irland die Position eines Generalquartiermeisters bekleidet hatte, verglichen ihn schon 1653 mit einem Nero, der sich als „servant of the commonwealth“ ausgebe, aber in Wirklichkeit ein Tyrann sei.38 Streater vertrat radikale und demokratische Vorstellungen und propagierte das Ideal einer heroischen republikanischen Tugend. Jeder Bürger war in einer Republik dazu geschaffen, ein Cäsar zu sein, wer jedoch für sich allein die Machtstellung des historischen Cäsar beanspruchte – und Streater sah offenbar wie andere Republikaner Cromwell in einem solchen Licht –, den traf mit Recht der Dolch des Attentäters.39 Die Kritik an Cromwell nahm im Laufe der Jahre eher zu und erreichte 1656 im Kontext der Einberufung des zweiten Protektoratsparlaments einen Höhepunkt, eine Reaktion auch auf die Herrschaft der Major Generals, die von vielen als eine Art Militärdiktatur empfunden wurde. Männer wie Sir Arthur Haselrigg,40 einer der prominentesten Protagonisten der Opposition gegen Karl I. im Langen Parlament sahen in Cromwell einen Verräter an der Sache, für die man einst gemeinsam gekämpft hatte, und äußerten ihre Kritik auch öffentlich.41 Aber auch unter den Offizieren der Armee gab es erhebliche Vorbehalte gegen die Errichtung des Protektorates durch das Instrument of Government und die zumindest partielle Rückkehr zu quasi monarchischen Herrschaftsformen. Schon im September 1654 versuchten Cromwells Gegner im Offizierskorps eine Petition in Umlauf zu bringen, die die Armee aufforderte „that old cause of liberty against tyranny“ zu verteidigen. Zugleich warf man Cromwell vor, sich das Land mit Hilfe einer stehenden Armee aus Söldnern gefü38 Scott 2004, S. 278, unter Bezug auf Streater, Glympse of That Jewel 1653, S. 14. Zu Streater vgl. Raymond 1998, S. 567–574. 39 Smith 1995, S. 141-144. 40 Durston 2004. 41 Scott 2004, S. 279-280.
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gig zu machen. Die meisten Exemplare der Petition konnten zwar von Cromwells Agenten aus dem Verkehr gezogen werden, bevor sie Schaden anrichteten, während die Hintermänner dieser politischen Intervention ihres Kommandos enthoben und zum Teil auch inhaftiert wurden, wie z. B. Edmund Ludlow, der immerhin den Rang eines Generalleutnants bekleidete.42 Derartige Aktionen zeigten allerdings, wie verbreitet die Missstimmung war, die Cromwell entgegenschlug. Je mehr das Protektorat die Gestalt einer monarchischen Herrschaft annahm, desto schärfer wurde die Kritik an Cromwells Herrschaft von Seiten der Anhänger der „Good Old Cause“, des Kampfes für eine freiheitliche Verfassung, in der dem Parlament eine dominierende Stellung zugedacht war, und in der für die Herrschaft einer „single person“ kein Raum blieb. Von daher ist es durchaus plausibel zu argumentieren, dass der Republikanismus, dem die sogenannten „commonwealthmen“ (der Begriff setzte sich allerdings erst 1659/60 durch) sich verpflichtet wussten, ganz wesentlich auch eine Reaktion auf Cromwells Usurpation der Macht und die Militärherrschaft der Major Generals in den Jahren 1655/56 war, und nur in seinen frühen Anfängen als Gegenmodell zur Monarchie des Hauses Stuart diente.43
IV. Zu den republikanisch gesinnten Kritikern Cromwells in den Jahren 1653 bis 1658 gehörte ein Mann, der lange ein Weggefährte des Feldherren gewesen war, und den auch Milton, der viele seiner Überzeugungen, teilte, bewunderte, Sir Henry Vane d. J.44 Vane hatte ursprünglich zu den Vertrauten und Freunden Cromwells gehört, aber mit der Auflösung des Rumpfparlamentes hatten sich ihre Wege getrennt. 1656 veröffentlichte Vane ein Pamphlet, dem er den Titel „A Healing Question Propounded and Resolved“ gab. Noch deutlicher als Milton bekannte er sich in diesem Text dazu, dass die Königsherrschaft Christi das Ziel jeder Politik sein müsse: Das bisherige Werk müsse vollendet werden „to its desired and expected end of bringing in Christ, the Desire of All Nations, as the chiefe Ruler amongst us.“45 Eine Lösung der anstehenden Probleme erwartete Vane von einer verfassungsgebenden Versammlung, die „the whole body of the good people“ repräsentieren sollte. Mit „the good people“ waren diejenigen gemeint, die die Revolution von 1649 mitgetragen hatten und auch religiös zu den Gottesfürchtigen gehörten, was das klare Bekenntnis zu persönlicher Glaubensfreiheit einschloss.46 Rahe 2008, S. 223-224. Vgl. Saunders/Okey/Alured, To His Highness 1654. Worden 2012d) S. 301. Vgl. ders. 2012a, S. 242-245. Mayers 2004. Vane, Question 1656, S. 23. Vgl. ebd., S. 19: Ziel müsse sein „the setting up of the Lord himselfe as chiefe Judge and Lawgiver amongst us.“ 46 Ebd., S. 11 und 13. Vgl. Mayers 2004, S. 14.
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Cromwell scheint anfangs bereit gewesen sein, sich auf die Argumente von Vane, der die Exekutive allerdings ganz einem gewählten Parlament unterordnen wollte, ein Stück weit einzulassen. Im Laufe des Jahres 1656 änderte er jedoch seine Meinung und sah in „The Healing Question“ – der Text hatte eine erhebliche Breitenwirkung – nun einen Angriff auf seine Autorität. Vanes Traktat wurde als aufrührerisch eingestuft und der Autor, der nun seinerseits zum Angriff überging und Cromwell als Nachfolger der Stuarts und Feind der Freiheit bloßzustellen suchte, inhaftiert, wenn auch nur für drei Monate.47 Das Bemerkenswerte ist freilich, dass Cromwell den Text Vanes durchaus zur Kenntnis nahm.48Der Lord Protector sah zwar in Vane einen zunehmend gefährlichen Gegner, aber ursprünglich hatte er seine religiös-politischen Freiheitsvorstellungen durchaus geteilt, und das Frömmigkeitsmodell der spiritualistischen religiösen Sekten, das Vane vertrat, war bis zu einem gewissen Grade auch das Seine.49 Die Argumente Vanes und anderer gleichgesinnter Gegner, eine Monarchie sei als Symbol und Fokus der Idolatrie zu verurteilen, scheinen dann auch eine gewisse Wirkung auf Cromwell gehabt zu haben. Als ihm 1657 vom Parlament die Krone angetragen wurde – in Verbindung mit einer neuen Verfassung, die seine Stellung legitimiert, aber auch rechtlich stärker eingeschränkt hätte – zögerte er lange, ob er dieses Angebot annehmen sollte. Am Ende, nach langen drei Monaten, lehnte er die Krone ab. In einer gewundenen Rede begründet er seine Entscheidung und verwies darauf, dass die Zerstörung der Stuart-Monarchie ein göttliches Strafurteil nicht nur gegen eine gottlose Dynastie gewesen sei, sondern über die Institution des Königtums. So wie Gott Jericho zerstört habe, so habe er die Monarchie zu Boden geworden. Er aber, Cromwell, werde Jericho nicht wiederaufbauen: Truly the providence of God has laid this title aside providentially […] and God has seemed providentially not only to strike at the family but at the name. […] I would not seek to set up that that providence hath destroyed and laid in the dust, and I would not build Jericho again.50
Interessanterweise hatte auch Vane in „A Healing Question“ sich auf Jericho und auf die Sünde Achans bezogen. Achan hatte gegen das Gebot Gottes aus dem zerstörten Jericho Beute an sich genommen und in seinem Zelt versteckt und dafür war ganz Israel von Gott gestraft worden (Jos. Kap. 7).51 Entweder nahm Cromwell in seiner Rede direkt Bezug auf Vanes Text oder die Tatsache, dass die Gleichsetzung einer Wiederherstellung der Monarchie mit der Sünde Achans in den Kreisen, in denen sich Cromwell bewegte, Gemeinplatz war, erwies sich als hinreichend, um ihn 47 48 49 50 51
Mayers 2004, S. 15. Woodford 2013, S. 133-147. Zu Cromwells eigener religiöser Haltung siehe Davis 2003. Abbott 1988, Bd. 4, S. 473 (13. April 1657). Vane, Question 1656, S. 14-15.
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zu einer solchen Anspielung zu bewegen.52In jedem Fall bleibt festzuhalten, dass Cromwell der religiös inspirierte Republikanismus, den wir bei Männern wie Milton und Vane finden, nicht grundsätzlich fremd war, und dass er wohl auch deshalb und nicht nur aus Berechnung zögerte, die Königswürde zu beanspruchen, obwohl er in den letzten Jahren des Protektorates immer mehr eine königsgleiche Stellung einnahm.53 Es spricht jedenfalls viel dafür, in Cromwell einen ungekrönten Monarchen wider Willen zu sehen, dem die republikanischen Ideale seiner Kritiker ebenso vertraut waren wie das Streben nach umfassender religiöser Glaubensfreiheit, das für Vane und Milton so wichtig war. Oder in der Sprache der Zeit formuliert, während Cromwell sich in der Rolle des Moses, des Befreiers sah, wurde er von den Umständen in die Rolle eines Monarchen gedrängt, den einige als Saul, andere aber als einen David sahen.
V. Sehr viel ferner dürfte Cromwell denen gestanden haben, für die eine republikanische Verfassung Ausdruck vorwiegend oder rein säkularer Freiheitsvorstellungen war. Ein prominenter Vertreter eines solchen Freiheitsideals war Marchamont Nedham (1620-1678). Allerdings ist Nedham nicht einfach auf eine klare Position festzulegen, denn er verdiente sein Geld damit, für wechselnde Auftraggeber als Pamphletist und Journalist zu arbeiten. Ab 1642 war er anfänglich für die parlamentarische Seite, anschließend dann aber für den König als Herausgeber und Autor regelmäßig erscheinender Nachrichtenblätter, die stark propagandistisch ausgerichtet waren, tätig. Nach der endgültigen Niederlage und der Hinrichtung des Königs hatte er dann erneut die Seiten gewechselt und gab den „Mercurius Politicus“ als das halb offizielle Nachrichtenblatt der neuen Republik heraus. Überdies verteidigte er die neue republikanische Ordnung in seinem Traktat „The Case of the Commonwealth of England Stated“ (1650). Während der Herrschaft des Rumpfparlaments unterhielt Nedham enge Beziehungen zu einer Gruppe von radikalen Abgeordneten, zu denen Henry Marten, John Bradshaw (der Vorsitzende des Gerichtes, das Karl I. zum Tode verurteilt hatte) und Thomas Chaloner gehörten.54 Was diese Männer verband, war ein radikales, von der Antike und besonders von der römischen Geschichte inspiriertes Freiheitsideal und die kritische Distanz gegenüber jeder Form institutionalisierter Religion. Wenn jemand in der Tat ein römischen Freiheitsideal im Sinne Quentin Skinners vertrat, dann war es dieser Kreis, der in den Worten von Paul Rahe
52 Woodford 2013, S. 147. Vgl. Worden 2012b, bes. S. 29-32. 53 Knoppers 2000, S. 122-129. Vgl. Asch 2018. 54 Rahe 2008, S. 199.
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eine „Libertine Alliance“ bildete, der auch der Politiker und Autor Henry Neville angehörte.55 Mit Cromwells politischen und religiösen Vorstellungen hatten die Ideale dieser Gruppe wenig zu tun. Dennoch schrieb Nedham einen der zentralen Legitimationstexte für das neu geschaffene Protektorat: „A true state of the case of the Commonvvealth of England, Scotland, and Ireland, and the dominions thereto belonging: in reference to the late established government by a Lord Protector“ (London 1654). Nedham argumentierte zu diesem Zeitpunkt, dass das Protektorat die wesentlichen Prinzipien einer republikanischen Verfassung bewahre und nicht etwa zerstöre. Gegenüber der uneingeschränkten Herrschaft eines Parlamentes, das nur aus einer Kammer bestand, habe es den Vorteil, eine Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive zu bieten. Überdies sei der Lord Protector mittels Wahl in sein Amt gekommen (was nicht wirklich zutraf), so dass seine Herrschaft mit dem Ideal der Volkssouveränität verträglich sei.56 Die Schrift gefiel Cromwell so gut, dass er in seiner Rede zur Eröffnung des ersten Protektoratsparlamentes eine ganze Reihe von Argumenten aus dieser Abhandlung übernahm und auch in einer späteren Ansprache aus Anlass der Auflösung des Parlamentes noch einmal Bezug auf sie nahm.57 Von Zeit zu Zeit ließ Nedham jedoch die Maske, die er als Lohnschreiber trug, ein Stück weit fallen, und ließ seine Skepsis gegenüber den politischen Zielen seiner Auftraggeber dann doch erkennen. Nedham war ein Machiavellist in mehr als einem Sinne des Wortes. Zum einen ließ er sich von den Schriften des großen Florentiners inspirieren und sah die Stärke einer republikanischen Verfassung nicht zuletzt in der Wehrhaftigkeit eines Staates, dessen Bürger sich mit der Größe und Macht des Gemeinwesens als wahre Patrioten identifizierten. Zum anderen sah er jede Politik als fundamental interessengeleitet an.58 Für Idealismus welcher Art auch immer blieb da nicht viel Raum, und in seinen persönlichen Karriereentscheidungen ließ sich Nedham auch nur selten von der Treue zu irgendwelchen Prinzipien leiten. Ein reiner Opportunist war er nicht, denn er sah seine Aufgabe offenbar darin, seinen Zeitgenossen zu zeigen, wie man die im Kampf gegen den König erkämpfte Freiheit am besten bewahren konnte. So ist auch sein eigentliches Hauptwerk zu verstehen: In dem Jahre, das für die Entwicklung einer ausgereiften Theorie republikanischer Herrschaft entscheidend war, 1656, publizierte er (allerdings anonym) „The Excellencie of a Free State“. Diese Schrift übte zumindest implizit scharfe Kritik an der
55 Ebd., S. 205-211. Zu Neville siehe auch Mahlberg 2009. Neville hatte bis 1653 dem Rumpfparlament angehört und sich offen gegen die Auflösung dieses Parlaments gewandt. 1656 kandidierte er für das zweite Protektoratsparlament scheiterte allerdings, weil der Sheriff als wahlleitender Amtsträger entschlossen war, seine Wahl zu verhindern; Mahlberg 2009, S. 47-51. Neville gehörte im Übrigen zu den engsten Vertrauten von James Harrington. 56 Scott 2011, S. 198-199. Siehe ferner: Foxley 2013; und Burgess 2009, S. 337-346. 57 Rahe 2008, S. 231. Vgl. Abbott 1988, Bd. 3, S. 84. 58 Vgl. Scott 2000, S. 310-311.
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Machtstellung Cromwells und verfolgte möglicherweise das Ziel, die anstehenden Wahlen zum zweiten Protektorats-Parlament zu beeinflussen.59 Es ist freilich auch die Vermutung geäußert worden, dass Nedham nicht einfach der Versuchung nachgab, sich einmal mehr oder weniger offen zu seinen Überzeugungen zu bekennen, sondern dass sich er sich auch politisch verkalkuliert hatte. Er glaubte, so Joad Raymond, dass Cromwells Versuche seine Macht zu festigen, scheitern würden, so dass eine Kritik am Lord Protector auch Karrierechancen zu eröffnen schien.60 In „The Excellencie“ identifizierte Nedham ausgehend von einer pessimistischen Anthropologie, die den Menschen vor allem von Selbstsucht geleitet sah, das Machstreben der „grandees“, der übermächtigen Einzelnen, als eine der größten Gefahren für das Überleben einer Republik. Die entsprechenden Passagen aus „The Excellencie“ waren zwar abstrakt formuliert, respektive nahmen Bezug auf die Krise der späten römischen Republik und andere Episoden der Geschichte, aber vieles davon konnte man ohne allzu große Mühe auch auf Cromwell beziehen, ja musste es geradezu. Schon die Bemerkung in der Einleitung, die Römer hätten nach dem Sturz der Monarchie dafür Sorge getragen, auch die Idee des Königtums zu verbannen („that not only the name of King, but the thing King was plucked up root and branch before ever the Romans could attain to a full establishment of their rights and Freedoms“),61konnte leicht als Anspielung auf die gegenwärtige Situation in England verstanden werden, da sich die Umwandlung des Protektorates in eine echte Monarchie bereits als Möglichkeit am Horizont abzeichnete. Auch der Hinweis darauf, dass Cäsar den Namen Imperator statt den eines Königs angenommen habe, weil dieser zu verhasst war, dann aber dennoch faktisch als König geherrscht habe, ließ sich durchaus auf Cromwell anwenden.62 Noch direkter zielte Nedhams Hinweis auf den Königsmacher Warwick aus der Zeit der Rosenkriege auf den Lord Protector: „How much does it concern every commonwealth, in such a case, to see and beware, That Warwick’s ghost be not conjur’d up again to act a Part in some new Tragedie“,63 zumal dieser Satz prominent am Ende der Einleitung zu „The Excellencie“ platziert war. Auch wenn man Cromwell nicht vorwerfen konnte, zwei unterschiedliche Linien des Hauses Stuart gegeneinander auszuspielen, trauten ihm offenbar schon 1656 manche Beobachter zu, dass er die Dynastie Cromwell an die Stelle der Stuarts setzen wollte. Generell trat Nedham dafür ein, die obersten Amtsträger einer Republik regelmäßig auszuwechseln, alles andere bedrohe die Freiheit: „For if any be ever so good a patriot, yet if his power be prolonged, he will find it hard to keep power from creeping in and promoting him to some extravagancies to his own 59 60 61 62 63
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Scott 2011, S. 198. Raymond 2004, S. 6. [Nedham] The Excellencie 1656, S. 13. Ebd., S. 14. Ebd., S. 22.
private benefit.“64 Auch den militärischen Oberbefehl dürfte man nicht auf Dauer einer einzelnen Person anvertrauen, da ohnehin von einer Armee, die nicht aus den aktiven Bürgern der Republik bestehe, immer eine Gefahr ausgehe, denn es gelte: „the sword and sovereignty ever walk hand in hand together.“65 Nedhams Abhandlung macht deutlich, wie sehr Cromwell aus der Sicht der militanten Republikaner, denen Nedham hier seine Stimme lieh, ein neuer Cäsar, wenn nicht gar ein neuer Sulla war. Nicht nur in royalistischen Kreisen wurde in den letzten Jahren des Protektorats erwogen, sich des Usurpators durch ein Attentat zu entledigen.66 Legitimieren konnte sich Cromwell als Herrscher, nachdem die militärischen Erfolge im Kampf gegen Spanien ausblieben, am ehesten als Garant der Stabilität und des Friedens nach langen Jahren des Bürgerkrieges, gewissermaßen als ein neuer Augustus, der ein Prinzipat geschaffen hatte, dass die besten Elemente einer Republik mit den Vorteilen einer Monarchie verband.67 Aber war die spannungsgeladene Kombination aus persönlichem Charisma eines großen Feldherrn, militärischer Macht und immer wieder erstrebter, aber nie ganz erlangter Legitimation durch ein gewähltes Parlament, wirklich ein Garant des inneren Friedens? Und wenn dies nicht der Fall war, wie konnte England dann nach den Wirren des Bürgerkrieges wieder zu einer dauerhaften politischen Ordnung finden?
VI. Diese zuletzt genannte Frage stand im Mittelpunkt der Staatstheorie von James Harrington, dem oft der Rang des bedeutendsten unter den pro-republikanischen Theoretikern der 1650er Jahre zugesprochen wird, dem zudem das Verdienst zugekommen sei, in seiner „Oceana“, die 1656 im Druck erschien, den Republikanismus der „Discorsi“ Machiavellis erneuert und auf die englischen Verhältnisse des 17. Jahrhunderts übertragen zu haben.68 Einflussreich wurde Harrington vor allem mit seiner These, eine stabile Verfassung müsse die Eigentumsverhältnisse eines Landes widerspiegeln, Sozialverfassung und politische Herrschaftsordnung müssten einander also entsprechen. Da die feudale Eigentumsordnung des Mittelalters unwiderruflich zerfallen sei, könne England daher nur eine Republik sein, denn eine Monarchie ohne einen mächtigen Hochadel sei zum Scheitern verurteilt. Mit diesem Argument wollte Harrington wohl auch die Royalisten überzeugen, ihren Frieden mit der Republik zu machen, denn anders als andere republikanische Autoren plä64 65 66 67 68
Ebd., S. 37. Vgl. ebd., S. 75. Ebd., S. 164-165, sowie S. 166, und 173. Allen, Killing no Murder 1657. Vgl. Hawke, Killing is Murder 1657. Zum Vergleich Cromwell-Augustus siehe Knoppers 2000, S. 102-104. Grundlegend noch immer Pocock 1975, S. 383-400. Vgl. Mahlberg 2009, S. 145-150; Burgess 2009, S. 346-362; und Dzelzainis 2014.
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dierte er dafür, den ehemaligen Royalisten die Bürgerrechte in einer zukünftigen Verfassungsordnung nicht vorzuenthalten. Indes fehlt hier der Raum detaillierter auf Harringtons Verfassungsvorstellungen einzugehen. Was uns interessiert, ist vor allem das Verhältnis des Autors zu Cromwell und zum Protektorat. Einerseits widmete Harrington seine „Oceana“ dem Lord Protector und ließ in seiner Staatsutopie eine Figur, den „Lord Archon“, Olphaus Megaletor, auftreten, die erkennbar Züge Cromwells trug. Andererseits haben viele Historiker die „Oceana“ als scharfen Angriff auf die Machtstellung Cromwells interpretiert. Die Widmung an den Herrscher wäre somit eine bloße Finte, oder sogar ironisch gemeint gewesen, so wie manch andere Anspielung auf den Protektor im Text der „Oceana“ auch.69 John Toland, ein überzeugter Republikaner des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, weiß in seiner Biographie Harringtons zu berichten, dass dieser bei der Tochter Cromwells, Elizabeth Claypole, vorstellig wurde, um zu erreichen, dass die Druckfahnen seines von den Agenten Cromwells beschlagnahmten Werkes wieder freigegeben wurden. Toland schreibt: He told her at last it [die „Oceana“] was the issue of his brain which was misrepresented to the protector, and taken out of the press by his order. She immediately promis’d to procure it for him, if it contain’d nothing prejudicial to her father’s government; and he assur’d her it was only a kind of a political romance, so far from any treason against her father, that he hop’d she would acquaint him that he design’d to dedicat it to him, and promis’d that she her self should be presented with one of the first copys.70
Nun ist schwer zu beurteilen, wie zuverlässig dieser Bericht ist – Toland besaß allerdings Zugang zu den Papieren Harringtons, die dieser hinterlassen hatte –, und sicherlich ist der Text der „Oceana“ in mehr als einer Hinsicht vieldeutig und ambivalent, und natürlich auch mehr als die harmlose politische Romanze, als die Harrington ihn darstellen wollte, wenn man Toland folgt. Aber Harrington war kein Lohnschreiber und Opportunist wie Nedham, obwohl auch er von Machiavelli beeinflusst war. Und es bleibt eine Tatsache, dass der Epilog der „Oceana“ unter dem Titel „Corollary“ sich ausdrücklich mit der Rolle des „Lord Archon“ in einer idealen Republik auseinandersetzte, und zwar in einer Weise, die für die Position einer „single person“ an der Spitze des Staatswesens durchaus Raum ließ.71 War das alles nur eine rhetorische Fassade, die verhindern sollte, dass die „Oceana“ von den Zensoren endgültig beschlagnahmt und eingestampft wurde? Das erscheint als unwahrscheinlich, zumal zu dem Zeitpunkt der Drucklegung der „Oceana“ noch ganz unklar war, wie die zukünftige Verfassung Englands aussehen würde, und welche Vollmachten Cromwell in Zukunft besitzen würde. Diese Fragen wurde erst 69 So insbesondere Worden 1994a, bes. S. 113-126. Vgl. ders. 1994b. Die gegenteilige Position vertritt u.a. Scott 2011. 70 Toland, Introduction 1771) Abschnitt 14. 71 Hammersley 2019, S. 89-92.
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in der Humble Petition and Advice im folgenden Jahre geregelt. Die „Oceana“ hatte Harrington ohne Zweifel geschrieben, um die Debatte über diese Fragen zu beeinflussen, und da Cromwell oft betont hatte, er würde nur allzu gern seine Machtstellung aufgeben, wenn auch ohne seine Herrschaft politische Freiheit, Frieden und religiöse Toleranz gewährleistet seien, mag Harrington einfach versucht haben, Cromwell beim Wort zu nehmen, wie Jonathan Scott und Rachel Hammersley mit überzeugenden Argumenten betont haben.72 In der „Oceana“ und in ihrem Epilog tritt der „Lord Archon“ vor allem als Verfassungsgeber auf, wie Lykurg in Sparta oder Solon in Athen. Anschließend zieht er sich als idealer republikanischer Bürger auf seine Güter zurück, so wie Cincinnatus in Rom. Aber das Volk überträgt ihm dann doch auf Lebenszeit „the dignity and office of Archon or protector of the Commowealth“. In dieser Eigenschaft führt der Archon den Oberbefehl über eine Armee von 12.000 Mann und ist, zumindest in Grenzen, auch für die Außenpolitik der neuen Republik zuständig.73 Vorbild für die Rolle des Archon ist offenbar die Stellung des Statthalters in der Republik der Niederlande, zum Teil aber wohl auch die des Dogen in Venedig. Über den Archon heißt es, er sei „the greatest prince in the world, for in the pomp of his court he was not inferior unto any, and in the field he was followed with a force that was formidable unto all.“ Eine Gefahr für die Freiheit der Republik ging in Harringtons „Oceana“ von seiner Machtstellung nicht aus. Dafür war das Gleichgewicht der unterschiedlichen Institutionen in einem Idealstaat zu gut austariert, zumal der Archon nicht über die eigentliche Exekutivgewalt in zivilen Fragen verfügt. Am Ende war England mit einem Fürsten als gewähltem Oberhaupt stärker als alle Königreiche: „For there be some nations (wherof this is one) that will bear a prince in a commonwealth, far higher than it is possible for them to bear a monarch.“ Und er bemerkte abschließend: „There are kings in Europe to whom a king of Oceana would be but a petty companion. But the prince of this commonwealth is the terror and the judge of them all.“74 Wenn Harrington diese Sätze formuliert hatte, um Cromwell zu überzeugen, dass eine politische Selbstbeschränkung für ihn die beste Strategie sei, dann scheiterte er damit. Toland, der Cromwell allerdings verabscheute, schreibt: He did accordingly inscribe it to Oliver Cromwel, who, after the perusal of it, said, the gentleman had like to trapan him out of his power, but that what he got by the sword he would not quit for a little paper shot: adding in his usual cant, that he approv’d the government of a single person as little as any of ’em, but that he was forc’d to take upon him the office of a high constable, to preserve the peace among the several partys in the nation, since he saw that being left to themselves, they would never agree to any certain
72 Scott 2011, S. 201-203; Hammersley 2019, S. 82 und 91. 73 Harrington, Commonwealth of Oceana 1992, S. 251. 74 Ebd., S. 257 (sämtliche Zitate).
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form of government, and would only spend their whole power in defeating the designs, or destroying the persons of one another.75
In der Wirkung, die sie entfaltete, schrieb sich Harringtons „Oceana“ daher auch als Gegenentwurf zur Protektoratsverfassung, wie sie in der Humble Petition and Advice ihre endgültige Form erhielt, in die Geschichte der politischen Theorie ein, und wurde so auch von den Commonwealthmen nach 1660 rezipiert, zumal Harrington selbst, nachdem Cromwell seine gut gemeinten Ratschläge ausgeschlagen hatte, im Protektor offenbar zunehmend einen Tyrannen sah.76 Ob diese Entwicklung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Werkes für den Autor selbst bereits absehbar war, ist jedoch eine ganze andere Frage.
VII. Die politische Kultur Englands wurde durch das republikanische Experiment trotz der Wiederherstellung der Monarchie 1660 tiefgreifend geprägt. Das Protektorat nahm in diesem Kontext aber eine ambivalente Stellung ein. Einerseits bot die charismatische Herrschaft Cromwells mit ihrer offensiven, bellizistischen Außenpolitik ein Gegenmodell zur Monarchie der Stuarts nach 1660, die die Tendenz hatte, England zum dauerhaften Klienten Ludwigs XIV. werden zu lassen. Cromwell stellte unter Beweis, dass ein politisches System, das auf die Legitimationsressourcen einer Erbmonarchie verzichtete, zumindest zeitweilig erfolgreich sein konnte. Andererseits hatte das Protektorat seinen Begründer nicht überlebt. Es war nicht gelungen, das persönliche Charisma Cromwells so zu transformieren und durch eine institutionelle Legitimation zu ersetzen, dass auch ein persönlich schwächerer Nachfolger sich an der Spitze des Staates halten konnte. Auf einer anderen Ebene hatte die Herrschaft Cromwells die paradoxe Wirkung gehabt, die Entwicklung einer systematischen republikanischen Staatstheorie zu provozieren – die es so vor 1640 in England nicht gegeben hatte –, die die „commonwealthmen“ des späten 17.
75 Toland, Introduction 1771, Abschnitt 14. Vgl. die Bemerkung in Abschnitt 15: „If Cromwel therfore had meant as he spoke, no man had ever such an opportunity of reforming what was amiss in the old government, or setting up one wholly new, either according to the plan of Oceana, or any other. This would have made him indeed a hero superior in lasting fame to Solon, Lycurgus, Zaleucus, and Charondas; and render his glory far more resplendent, his security greater, and his renown more durable than all the pomp of his ill acquir’d greatness could afford: […] Lycurgus and Andrew Doria, who, when it was in their power to continue princes, chose rather to be the founders of their countrys liberty, will be celebrated for their virtue thro the course of all ages, and their very names convey the highest ideas of Godlike generosity; while Julius Cæsar, Oliver Cromwel, and such others as at any time inslav’d their fellow citizens, will be for ever remember’d with detestation, and cited as the most execrable examples of the vilest treachery and ingratitude.“ 76 Worden (1994a), S. 125.
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und des 18. Jahrhunderts weiterentwickeln sollten, und die am Ende auch die neue amerikanische Republik durch ihre Wertvorstellungen prägen sollte.
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Andreas Pečar Verwirklichung oder Zurückweisung theokratischer Utopien? Ambivalenzen des Cromwell-Regimes in der Zeit des Commonwealth (1649–1653)
Stellt man in einer historischen Untersuchung die Frage nach dem „Staatsverständnis“ oder – vielleicht für das 17. Jahrhundert angemessener – nach dem Herrschaftsverständnis Oliver Cromwells, dann gehen bereits mit diesem Begriff mehrere Vorannahmen einher. Mit dem Begriff wird suggeriert, dass man Cromwell eine politische Konzeption, eine Überzeugung zuordnen könne, die sein politisches Handeln wesentlich bestimmte. Cromwell hat uns aber keine politischen Traktate hinterlassen, keine Bekenntnisschriften, keine Selbstzeugnisse, aus denen man auf seine politische Konzeption oder seine religiösen Überzeugungen rückschließen könnte.1 Überliefert sind uns in einer vierbändigen Edition von Wilbur Cortez Abbott zahlreiche Briefe und Reden Cromwells.2 Alle Aussagen in der Geschichtswissenschaft über Cromwells Weltsicht und Herrschaftsverständnis fußen auf einer Interpretation der Rhetorik Cromwells in diesen Briefen und Reden. Das Erkenntnisinteresse bei der Interpretation der schriftlich überlieferten Äußerungen Cromwells beeinflusst allerdings ganz wesentlich deren Ergebnis. Wenn die Interpretation darauf abzielt, ein Staats- und Herrschaftsverständnis Cromwells zu identifizieren, dann werden die unterschiedlichen Äußerungen als Ausdruck persönlicher Überzeugungen einer Person verstanden. Man sucht nach Leitmotiven und Leitbegriffen, in denen sich diese Überzeugung über einen längeren Zeitraum regelmäßig spiegelt. Die Fragen zielen darauf, die Weltsicht einer Person – im Singular wohlgemerkt – zu rekonstruieren. Deutet man die Äußerungen Cromwells jedoch nicht primär als Ausdruck seiner Überzeugung und seines „Staatsverständnisses“, sondern als politische Rhetorik, so ergeben sich aus dieser Prämisse andere Fragen und andere Zugänge. Versteht man unter Rhetorik adressatengerechtes Sprechen, um bestimmte Wirkungen zu erzielen, so tritt die persönliche Überzeugung des Sprechers in den Hintergrund, und die Frage nach den jeweils angesprochenen Adressaten, nach den kommunikativen Kontexten, in denen die Äußerungen jeweils angesiedelt waren, gewinnen an Gewicht.
1 Davis 1990, S. 183 und 187f. 2 Abbott 1988.
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Wenn es in diesem Beitrag darum geht, insbesondere die religiös aufgeladene Rhetorik Cromwells im politischen Raum zu deuten, so soll der zweite Weg beschritten werden, Cromwells Aussagen also als adressatenorientierte Rhetorik verstanden werden und nicht – zumindest nicht von vornherein – als unmittelbarer Ausdruck seiner persönlichen Überzeugung. Dafür spricht, dass die Leitbegriffe von Cromwells religiös aufgeladener Rhetorik – insbesondere seine vielfältigen Beschwörungen der allgegenwärtigen göttlichen Providenz – zu einer bestimmten Zeitspanne besondere Konjunktur hatten, nämlich für die Zeit von den Putney Debates (1647) bis zur Ernennung Cromwells zum Lord Protector (1653). Davor und danach finden sich Verweise auf die göttliche Providenz deutlich spärlicher,3 was man durchaus bereits als Argument dafür ansehen kann, dass diese Rhetorik eventuell mehr den spezifischen Rahmenbedingungen dieser Jahre geschuldet war als den persönlichen Grundsätzen Cromwells. In diesem Beitrag wird die Frage zu klären sein, welche Gründe Cromwell veranlasst haben mögen, sich in den genannten Jahren verstärkt einer spezifischen religiösen Rhetorik im politischen Raum zu bedienen. Dabei werde ich in zwei Schritten vorgehen: Erstens wird knapp die Debattenlage dieser Jahre dargelegt, d.h. welche Konzeptionen politischer Herrschaft in der Öffentlichkeit erörtert wurden, nachdem die althergebrachte Monarchie als Herrschaftsform mit der Hinrichtung Karls I. ein vorläufiges Ende genommen hatte. Zweitens wird dann zu fragen sein, in welchen kommunikativen Kontexten sich Cromwell bevorzugt der Providence-Rhetorik bediente, und ob man ihn aufgrund seiner Rhetorik zum Fürsprecher einer bestimmten Herrschaftsform ausmachen kann, oder ob sich dafür andere Gründe denken lassen.
I. Als Folge der Hinrichtung Karls I. lassen sich in England in der Debatte um die zukünftige Verfassungsordnung – neben den Anhängern der althergebrachten Monarchie, die weiterhin zahlreich waren4 – idealtypisch vier Richtungen unterscheiden. Dabei war insbesondere strittig, aus welchen Quellen sich die Legitimität politischer Herrschaft in England zukünftig speisen sollte. Zur Auswahl standen erstens das Herkommen und die Gesetze Englands als Legitimationsquelle, zweitens die den Engländern seit alters her zustehenden Freiheitsrechte, drittens die Republik als antike Mustervorlage zur Sicherstellung der Freiheitsrechte des Volkes sowie schließlich viertens Gott als letztlich einzige Quelle politischer Legitimität. Und auch wenn in zahlreichen Debattenbeiträgen auf mehrere dieser Quellen politischer Legitimi3 Vgl. nur Sommerville 1990, 253. 4 Vgl. hierzu Sharpe 2010, S. 376–384 und 391–403; Lacey 2003, Kap. 4.
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tät zugleich rekurriert wurde, lassen sich doch unterschiedliche Konzeptionen und Legitimationsstrategien ausmachen. Diese vier vorherrschenden Richtungen im Meinungskampf um die politische Zukunft Englands sollen hier zunächst skizziert werden, bevor anschließend der Versuch unternommen wird, Oliver Cromwell in diesem Spektrum einzuordnen und dabei insbesondere auf dessen politische Rhetorik einzugehen, mit der er sich und seine Mitstreiter als Werkzeuge einer providenziellen Gottesordnung auf Erden beschwor. 1. Insbesondere im Kreise der neuen Machthaber und der Mitglieder des Rumpfparlaments gab es die Fürsprecher einer Herrschaft de facto, die ihre Argumentation insbesondere während der sogenannten Engagement Controversy vorbrachten, als alle männlichen Erwachsenen einen Eid leisten sollten „to the Commonwealth of England as it is now established, without a king or a House of Lords“.5 Dieser Eid sei die notwendige Gegenleistung der Untertanen für „benefit and protection from this present government“.6 Im Rahmen dieses Konzepts leitete sich die Legitimität der Regierung davon ab, dass sie die Herrschaft de facto innehatte, also regierte. Und sie untermauerte diesen Legitimationsanspruch durch eine Kontinuitätsfiktion: In England hätten von alters her stets die Gesetze regiert, und dies gelte auch weiter so. Der König sei schließlich auch nur ein Vollstrecker und eine Schutzmacht der Gesetze gewesen. Nachdem er diese Rolle missbraucht habe, habe man ihn abgeschafft, ebenso wie das House of Lords, die Gesetze Englands gelten aber weiter und blieben in Kraft. Es habe keine Revolution gegeben, sondern nur eine Wiederherstellung der Gültigkeit der Gesetze. Mit dieser Kontinuitätsfiktion korrespondierte auch der fortbestehende Geltungsanspruch des Rumpfparlaments, als Institution den Willen der politischen Nation Englands zu repräsentieren, trotz einer ununterbrochenen Legislaturperiode von mittlerweile zehn Jahren und mehr, trotz der sehr weitgehenden Säuberung im sogenannten Pride’s Purge, trotz der Entledigung vom Oberhaus. Und mit dieser Kontinuitätsfiktion korrespondierte der Fortbestand der Armee sowie der zu deren Erhalt notwendigen Steuern und Abgaben, die weiterhin zu leisten waren. Man geht wohl nicht fehl, wenn man diesem Legitimationsanspruch de facto der neuen Machthaber jegliche Überzeugungskraft abspricht.7 Und die Kritik an ihnen wurde insbesondere unter denjenigen laut, die ihrerseits gegen den König Karl I. in den Kampf gezogen waren bzw. sich publizistisch gegen ihn engagiert hatten. 2. Unter diesen Kritikern fanden sich diejenigen, die eine wahre Volksherrschaft befürworteten, auch wenn damit sehr unterschiedliche Konzeptionen verbunden sein 5 Kenyon 1986, S. 307. 6 Ebd. 7 Krischer 2010; Sharpe 1998; Schröder 1986, S. 134–143.
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konnten. Autoren wie John Lilburne beispielweise betonten die individuellen Freiheitsrechte, die einem jeden freigeborenen Engländer verliehen worden seien. Die englische Monarchie habe den Engländern diese Freiheitsrechte geraubt. Letztlich sei schon die Eroberung Englands durch die Normannen der Sündenfall in der Freiheitsgeschichte Englands gewesen, und auch die neuen Machthaber gründeten ihre Herrschaft auf dieses normannische Joch.8 Denn mit der Abschaffung der Monarchie hätten die Engländer ihre althergebrachten Freiheitsrechte nicht wiedererlangt, es seien nur neue Unterdrücker (Rumpfparlament mit Souveränitätsanspruch sowie presbyterianische Geistliche) an die Stelle der alten getreten (Monarchie und Bischofskirche). Lilburne und die Levellers kämpften daher gegen die neue Regierung, d.h. für eine sofortige Auflösung des Rumpfparlaments, und forderten zum einen die Wiederherstellung der individuellen Freiheitsrechte aller Engländer und zum anderen ein allgemeines Wahlrecht, damit dann ein neues, frei gewähltes Parlament über Englands politische Zukunft entscheiden könne. 3. Neben dem Rekurs auf die angelsächsische Frühgeschichte Englands mit allen damit verbundenen mythischen Freiheitsprojektionen war die Zeit der römischen Republik eine weitere Epoche, die die Phantasie der Zeitgenossen beflügelte. Der englische Bürgerkrieg und die Hinrichtung Karls I. brachten eine ganze Reihe von „neo-roman and republican writings“ hervor.9 Zwar ist in der politischen Ideengeschichte bis heute strittig, inwiefern man prominenten neurömischen Autoren wie Henry Parker, John Milton, Marchamont Nedham oder James Harrington einen klassischen Republikanismus attestieren kann oder aber in ihnen Fürsprecher eines neuen Republikanismus sieht, dessen Beginn mit Machiavelli anzusetzen ist.10 All diesen Autoren gemein ist hingegen die Betonung der kollektiven Freiheitsrechte, d.h. Partizipationsrechte des Volkes, die in einer Monarchie notgedrungen verlorengingen, weshalb einzig eine republikanische Regierungsform die Freiheit des englischen Volkes garantieren könne.11 Dieses Argument wurde von unterschiedlichen Autoren sowohl zur Bekräftigung der mit der Hinrichtung Karls I. etablierten neuen politischen Ordnung eingesetzt (Milton, Nedham) als auch in kritischer Abgrenzung von ihr (Harrington). In beiden Fällen griff man als Legitimationsquelle stets auf antike Autoren zurück, deren politischen Aussagen der Status gleichsam normativer Quellen zuerkannt wurde. 4. Diente die Hinrichtung König Karls I. den Fürsprechern einer englischen Republik zur Wieder-Herstellung der Herrschaft des Volkes, erkannten andere Autoren 8 9 10 11
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Lilburne, The legall fundamentall liberties 1649. Vgl. Seaberg 1981. Vgl. Skinner 1998, S. 16. Skinner 1998; Rahe 2008; Pocock 2003. Vgl. nur A Short Discourse 1649, fol. 12r/v.
in der Abschaffung der Monarchie eine geradezu heilsgeschichtliche Bedeutung.12 Die Monarchie galt diesen Fürsprechern einer Theokratie als von Beginn an illegitime Herrschaftsform. Den Anfang nahm diese Herrschaftsform mit der Etablierung König Sauls als erstem König der Juden im Alten Israel. Dies geschah gegen den ausdrücklichen Willen des Propheten Samuel und gegen alle Warnungen Gottes vor den Folgen der damit automatisch einhergehenden Tyrannenherrschaft. In dieser Lesart von 1 Sam 8 galt die Monarchie als Usurpation. Tangiert waren aber nicht die Herrschaftsrechte des Volkes Israel, tangiert war die Stellung Gottes als alleiniger Herrscher über Israel. Mit der Etablierung der Monarchie habe sich das jüdische Volk von Gott abgewandt und einen politischen Götzen in ihren Reihen etabliert, so dass sich beinahe die gesamte Geschichte der Königszeit Israels und Juda deuten lässt wie eine fortgesetzte kollektive Missachtung der Gesetze Gottes. Erst die Abschaffung der Monarchie in England habe daher wieder die Chance auf eine Rückkehr zur Beachtung der Gesetze Gottes ermöglicht.13 Diese Deutung erfährt bei manchen Autoren zusätzlich eine apokalyptische Zuspitzung: König Karl I. und das mit ihm verbundene Bischofsregiment werden dann als Repräsentation der Hure Babylon verstanden, deren Untergang nun die Chance einer Wiederkehr Christi auf Erden und damit den Beginn des Tausendjährigen Reiches eröffne. In dieser Deutung sind die Ereignisse des englischen Bürgerkrieges und die Hinrichtung Karls I. unmittelbar verknüpft mit der Endzeit auf Erden und dem Ende der Weltgeschichte.14
II. Kann man nun Oliver Cromwell eine dieser vier Konzeptionen von Herrschaft zurechnen? Machte er sich in der Zeitspanne zwischen der Hinrichtung Karls I. und seiner Etablierung als Lord Protector eines der hier skizzierten Staatsverständnisse zu eigen, und lassen sich seine politischen Handlungen dieser Zeit auf ein solches Staatsverständnis zurückführen? Interessanterweise betont die Forschung weit eher die politische Indifferenz Cromwells gegenüber der Frage nach der konkreten Herrschaftsform.15 Und auch religiös scheint er sich einer klaren Gruppenzuordnung zu 12 Vgl. hierzu Burgess 2009, S. 271–283. 13 Vgl. nur Cook, Monarchy 1651, fol. a2r–a3r, fol. b1r; fol. b4r, fol. h1r/v. 14 [Burroughs] Glimpse 1641, S. 8: „First, that though the Kingdome of Christ may be darkned for a while, yet certainly Christ will reigne in his Church gloriously, at which the Saints will sing Hallelujah. Secondly, that the beginning of this glorious Reigne of Christ, the Multitude of the People shall bee the furtherers of it, and take speciall notice of it“. Ferner Milton, Of Reformation 1953, S. 615f.; Archer, Personal Reign 1642; Owen, Sermon 1649, fol. A3r; Owen, Human Power 1649. Vgl. ferner Pečar 2013, S. 243–249; ders. 2011, S. 90–94 und S. 117–120; Foxley 2011, 219–223. 15 Vgl. nur Sommerville 1990, S. 254.
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entziehen, kann er keiner Denomination innerhalb des weiten Spektrums protestantischer Frömmigkeit in England wirklich zugerechnet werden.16 Statt Cromwell also politisch und religiös in das Spektrum der vorhandenen Parteiungen im öffentlichen Raum in England einzuordnen, wird ihm eine Art Weltanschauung sui generis unterstellt. Für zahlreiche Historiker ist Cromwell gerade in den Jahren nach 1648 ein Überzeugungstäter, zutiefst erfüllt von seiner eigenen heilsgeschichtlichen Rolle als „Werkzeug Gottes“.17 Schröder sieht im „Providentialismus“ den „Schlüssel zum Verständnis dieses komplexen, in vieler Hinsicht so rätselhaften Mannes“,18 und folgt damit den wegweisenden Veröffentlichungen Blair Wordens zu Cromwells providenzieller Weltsicht.19 Bei Worden wie bei Schröder bleibt die Frage, inwiefern man mit Cromwells Providentialismus seine handlungsleitende Weltsicht erkennt oder eine von ihm oft bemühte Rhetorik zur Beförderung politischer Zielsetzungen, letztlich ungeklärt. Zum einen deutet Schröder Cromwells Providentialismus – also die Vorstellung, dass Gott seinen Willen durch den Ablauf der Ereignisse in seiner Gegenwart kundtat und erkannte politische Notwendigkeiten nichts anderes seien als Fingerzeige Gottes – als „den Traditionalismus durchbrechende Ideologie“.20 Zum anderen spricht Schröder aber ebenso von einem „artifiziellen Providentialismus“ Cromwells,21 der in seinen eigenen Aussagen z.B. über den Ausgang von Schlachten auf die wundersame Hilfe und Unterstützung Gottes abhob und die politischen und militärischen Kausalfaktoren in seiner Rhetorik geringschätzte. Es bleibt also letztlich offen, ob Cromwells politisches Agieren in den Jahren nach der Hinrichtung Karls I. von seiner religiösen Überzeugung bestimmt war oder er sich aus politischen Gründen einer religiösen Rhetorik bediente, die er in den Jahren nach 1653 ebenso wieder ablegte, als sie nicht mehr nützlich zu sein schien. Auch die Tatsache, dass Cromwells religiös aufgeladene Rhetorik insbesondere in den Jahren zwischen 1648 und 1653 Konjunktur hatte, weit stärker als in den Jahren davor oder danach, wird in der Forschung auf gegensätzliche Weise interpretiert. Sieht man Cromwells religiöse Rhetorik als Ausdruck seines Selbstverständnisses und seiner Weltsicht, so deutet man das Abflauen der religiös aufgeladenen Rhetorik nach 1653 nicht als Ausdruck eines politischen Strategiewechsels, sondern als ein Indikator für Cromwells „spiritual trauma“ und „a crisis of spiritual enthusiasm“.22 Folgt man dieser Logik, so hätte man in den Jahren von 1648 bis 1653 den 16 17 18 19 20 21 22
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Davis 1990, S. 185. Schröder 2000, S. 107; Drake 1966, S. 259; Worden 1985; Worden 2012, S. 33–62. Schröder 2000, S. 107. Worden 1985; Worden 2012. Schröder 2000, S. 109. Ebd., S. 108. Davis 1990, S. 186f.: „The notion of a self-deceiving manipulator of the language of religion, imperturbably confident in the ‘Divine Right of Oliver’ will no longer survive critical examination“. Ähnlich fällt auch Ian Gentles Urteil aus: „Cromwell was much more confident that he
gleichsam authentischen Cromwell vor sich, bei dem Rhetorik, Überzeugung und Weltsicht übereinstimmten, und danach eine Art gebrochenen Lord Protector, der sich aus politischen Gründen einer politischen Selbstinszenierung bedienen musste, die nicht mehr deckungsgleich war mit seinen religiösen Überzeugungen. Gänzlich anders fällt die Interpretation Quentin Skinners aus, wenn er den oft bemühten Verweis Cromwells auf die Providenz Gottes als „the most basic argument in favour of engagement“ wertet.23 In dieser Interpretation ist der Providentialismus eine Antwort auf die politische Situation, die durch die Hinrichtung König Karls I. entstanden sei. Die neuen Machthaber in England seien zur Herrschaft legitimiert, so das Argument, da sie infolge göttlicher Intervention für diese Rolle bestimmt worden seien. Die de facto Herrschaft der neuen Machthaber sei der augenfällige Beweis dafür, dass ihre Herrschaft dem Willen Gottes entspreche. Diese Interpretation wertet die politische Rhetorik Oliver Cromwells weniger als authentischen Ausdruck seiner Überzeugungen denn als strategische Antwort auf die politischen Rahmenbedingungen. Cromwell bediente sich dieser religiös aufgeladenen Rhetorik insbesondere in den Jahren der Engagement Controversy, um die Legitimation seiner militärischen und politischen Stellung sowie seiner Handlungen abzusichern, während in den Jahren vor 1648 und nach 1653 andere Legitimationsstrategien eine größere Rolle spielten. Es wird nun anhand von Cromwells rhetorischen Bezügen zu Gott und dem Willen Gottes zu diskutieren sein, inwiefern sich diese Rhetorik als Ausdruck eines Herrschafts- und Staatsverständnis werten lässt oder aber als situative Antwort auf die jeweiligen politischen und militärischen Rahmenbedingungen.
III. Was waren nun die Themenfelder und Debattenkontexte, in denen Cromwell auf die göttliche Providenz rekurrierte? Und kann man dieser Rhetorik mit einer jeweiligen politischen Strategie Cromwells in Verbindung bringen? Diese Fragen werden im Folgenden anhand von fünf Themenfeldern bzw. Debattenkontexten erörtert. 1. Besonders zahlreich finden sich Hinweise Cromwells auf die göttliche Providenz, wenn es um die Siege der Armee geht – gegen den König, gegen die Schotten, gegen die Aufständischen in Irland. So betont er in seinem Schreiben über die erfolgreiche Einnahme Bristols an den Sprecher des Unterhauses,24 „that all this understood providence up to the time he became Lord Protector than afterwards“; Gentles 2001, S. 92. 23 Skinner 1972, S. 86. 24 Abbott 1988, Bd. 1, S. 374–378 (14. September 1645).
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is none other than the work of God. He must be a very Atheist that doth not acknowledge it“. Die kämpfenden Soldaten seien „instruments to God’s glory, and their country’s good“. Und in der Gottesfürchtigkeit seien alle Soldaten miteinander vereint, so dass alles Trennende dagegen verblasse, sie hätten „real unity“ in ihrem Gottesglauben, in ihrem „spirit of faith and prayer“, was viel bedeutsamer sei als die bisher beschworene „Uniformity“ in England, die nur auf „united in forms“ abziele. Die Armee wird in diesem Schreiben zu einer Schöpfung Gottes: „God hath put the sword into the Parliament’s hands, for the terror of evil-doers“.25 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt präsentiert Cromwell in einem Schreiben an seinen zivilen Dienstherrn, den Sprecher des Unterhauses, die Armee als Werkzeug Gottes. Zwar sei das Parlament der politische Auftraggeber. Auf dem Schlachtfeld aber führe Gott die Truppen zum Sieg, da die Soldaten von wahrer Frömmigkeit erfüllt seien. Die göttliche Providenz dient Cromwell dazu, der Armee eine eigenständige Legitimitätsbasis zu verleihen und sie damit vom politischen Auftraggeber, dem Parlament, zu emanzipieren. Bei der Erstürmung Bristols war die Armee in Cromwells Worten zwar noch das Schwert des Parlaments, Gott aber war deren eigentlicher Urheber. Und als die Armee dann drei Jahre später nach London marschierte und als eigenständiger politischer Machtfaktor auftrat, war auch dieser Akt der Usurpation Teil des göttlichen Heilsplans, wie John Owen verlautbarte, im Kriegszug Cromwells gegen Irland und Schottland nach der Hinrichtung Karls I. Feldkaplan unter Cromwell und dessen theologischer Berater.26 In seiner Darstellung war die Armee kein eigenständiger Machtfaktor und kämpfte auch nicht für eigene Interessen, sondern war ein Werkzeug allein göttlichen Willens und zu dieser Rolle gleichsam prädestiniert: „their work was done in heaven before they began it“.27 Der Rekurs auf den göttlichen Willen und den göttlichen Heilsplan verschaffte der Armee, als deren Fürsprecher Cromwell Zeit seines Lebens auftrat, eine eigenständige, von jeglicher Tradition und Verfassungsordnung unabhängige Legitimation, mit der im Konfliktfall auch das Common Law, das politische Herkommen, die Monarchie in England und die Mitwirkung des Oberhauses aus dem Weg geräumt werden konnte. Die zahlreichen errungenen Siege und das Ausbleiben militärischer Rückschläge und Niederlagen verschafften diesem Argument zumindest eine gewisse Plausibilität und Glaubwürdigkeit in einer Zeit, in der es durchaus üblich war, das Geschehen auf Erden als „Theatre of Gods Judgments“ zu sehen.28 2. Eine auffällige Häufung von Verweisen Cromwells auf die göttliche Providenz findet sich anlässlich der Putney Debates, als hohe Offiziere der Armee gemeinsam 25 26 27 28
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Alle Zitate ebd., S. 377. Greaves 2004; Davis 1990, S. 206. Owen 1999, Bd. 8, S. 97f. Beard, Theatre 1597. Vgl. allgemein Walsham 1999; Hill 1970, Kap. 9.
mit Soldaten und den sogenannten Levellers über ihre politischen Zielsetzungen gegenüber dem König und dem Parlament berieten.29 Seit dem Sommer des Jahres 1647 war die Armee zunehmend zu einem politischen Machtfaktor mit einer eigenen Agenda geworden, die ihre politischen Forderungen in eigenen Stellungnahmen vorbrachte, zunächst in der „Declaration of the Army“ vom 14. Juni, danach in den „Heads of Proposals“ vom 1. August.30 Die Armee betonte, kein Söldnerarmee zu sein, sondern den Auftrag des Parlaments ernst zu nehmen, „the people’s just rights and liberties“ zu verteidigen.31 Aus diesem Anspruch erwuchs dann ein Forderungskatalog, der die vollständige Bezahlung der Soldaten und deren Immunität vor Strafverfolgung ebenso einschloss wie die baldige Auflösung des Parlaments, Neuwahlen für das Unterhaus unter Beachtung eines allgemeinen Wahlrechts und dem Ziel eine Repräsentation des gesamten Volkes sowie eine Aufhebung aller Strafbestimmungen zur Durchsetzung einer allgemein verbindlichen Frömmigkeitspraxis.32 Oliver Cromwell selbst saß derweil zwischen allen Stühlen. Er verhandelte im Namen der Armee mit König Karl I. über die Annahme der erhobenen Forderungen. Er trat als Mitglied des Unterhauses auf, um das Parlament dazu zu bewegen, seinerseits im Rahmen der Gesetzgebung den Forderungen zuzustimmen. Diese Verhandlungen machten ihn wiederum angreifbar für diejenigen, die den Sieg der Armee über den König zum Anlass nahmen für weiterreichende politische Zielsetzungen. Insbesondere John Lilburne und seine Mitstreiter, die sogenannten Levellers, nahmen ihn unter Beschuss und nannten ihn einen Heuchler, der die Ziele der Armee an die Presbyterianerfraktion im Parlament verraten habe.33 Diese Kritik stieß auch in Reihen mancher Armeeoffiziere, den Agitators, auf Gehör, von denen einige gleichfalls für eine grundsätzliche Neuordnung der sozialen und politischen Verfassung Englands eintraten.34 In Putney erfolgte dann eine vierzehntägige Aussprache über diese Irritationen und über die Frage, ob man sich auf eine einheitliche Linie verständigen könne.35 Im Rahmen dieser Beratungen und der Aussprache über das „Agreement of the People“ – den Forderungskatalog der Agitators – führte Cromwell auf vielfältige Weise den Willen Gottes an, dem man folgen solle: „uniting of us in one to that that God will Vgl. Woodhouse 1992. Kenyon 1986, S. 263–268 und S. 268–274. Ebd., S. 264. Ebd., S. 268–274. Abbott 1988, Bd 1, S. 434–436. Vgl. Gentles 2011, S. 54. Vgl. nur Copy of a Letter 1647, S. 3: „Thus you may observe the strange inconstancy of those who would obstruct your ways […] but we hope it will be discouragement unto you, though your Officers, yea the greatest officers, should apostatise from you; It’s well known that the great Officers which now oppose, did as much opoose secretly when wee refused to disband according to the Parliament’s Order; and at last they confessed the Providence of God was the more wonderfull, because those resolutions to stand for Freedom and justice began among the Souldiers only“. Vgl. Gentles 2011, S. 57–59. 35 Vgl. Gaunt 1996, S. 80–87. 29 30 31 32 33 34
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manifest to us to be the thing that He would have us prosecute“. In den Beratungen ginge es nicht darum, gute Dinge einzufordern, sondern „to do God’s business [and] that which is the will of God“.36 Man solle Gott die Möglichkeit einräumen, die Versammlung zu einen: „make us of one heart and one mind“.37 Keinesfalls dürfe die Versammlung in Parteiungen auseinanderfallen.38 Dies lasse sich aber nur vermeiden, wenn jeder unvoreingenommen und ohne feste Vorsätze bereit sei, Gottes Fingerzeig zu folgen, anstatt Vorurteilen und vorgefassten Meinungen zu folgen. Cromwell macht keinen Hehl daraus, dass er die Agitators der fünf Regimente einer solchen Voreingenommenheit beschuldigt.39 Allerdings benennt er auch offen die Vorbehalte, die ihm in der Armee und seitens der Levellers entgegengebracht werden: „They may have some jealousies and apprehensions that we are wedded and glued to forms of government; so that whatsoever we pretend, it is vain for [you] to speak to us, or to hope for any agreement from us to you“.40 Um diesen Vorbehalten zu begegnen, legte Cromwell folgendes Bekenntnis ab, „that the foundation and supremacy is in the people, radically in them, and to be set down by them in their representations“.41 Cromwells Verweis auf Providenz und das Einfordern der Unterwerfung aller Beteiligten unter den Willen Gottes war eine rhetorische Strategie, um die bereits vorab schriftlich ausgearbeiteten Forderungen der Agitators als vorgefasste Meinungen zu denunzieren und damit deren Verbindlichkeit für die Beratungen in Frage zu stellen.42 Zugleich bot es ihm einen Ausweg, um nicht von der Versammlung von vornherein als Fürsprecher der althergebrachten Verhältnisse und damit als Gegner jeglicher Verfassungsreform wahrgenommen zu werden. Dass alle Beteiligten danach trachten sollten, Gottes Willen gerecht zu werden, sollte die Notwendigkeit eines breiten Konsenses unterstreichen und knappen Mehrheitsentscheidungen jegliche Legitimität entziehen. Cromwells Rhetorik zielte also darauf, die Armee möglichst geschlossen zu halten und einer Zersplitterung in einzelne politische Interessensgruppen vorzubeugen. Nur so konnte er auch seine eigene Autorität in der Armee aufrechterhalten. Ein eigenes „Staatsverständnis“ oder Herrschaftsverständnis lässt sich Cromwells Rhetorik in den Putney Debates hingegen nicht entnehmen. Allerdings hatte Cromwells Rhetorik die Folge, dass nun auch die Fürsprecher einer politischen Neugestaltung Englands wie Colonel Edward Sexby sich auf Gottes Willen beriefen und eine Beibehaltung der Monarchie in England als Rettungstat 36 37 38 39 40 41 42
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Abbott 1988, Bd. 1, S. 521. Ebd., S. 523. Ebd., S. 524. Ebd., S. 526. Ebd., S. 527f. Ebd., S. 528. Diese Rhetorik setzte Cromwell in den weiteren Beratungen z.B. im General Council der Armee vom 1. November fort; Abbott 1988, Bd. 1, S. 542: „at such a meeting as this we should wait upon God and the voice of God speaking in any of us“.
für Babylon anprangerten: „I think we are going about to set up the power of Kings, some part of it, which God will destroy; and which will be but as a burdensome stone, that whosoever shall fall upon it, it will destroy him“.43 Noch stellte sich Cromwell einer solchen Lesart entgegen, dass die heilsgeschichtlich notwendige Vernichtung Babylons den Kampf gegen die Monarchie in England einschließe. Er plädierte stattdessen dafür, Gottes Eingreifen abzuwarten: „God can do it without necessitating us to do a thing which is scandalous, or sin, or which would bring dishonour to His name; and therefore let those that are of that mind wait upon God for such a way when the thing may be done without sin, and without scandal too“.44 3. Mit der Flucht König Karls I. aus dem Gewahrsam der Armee und dem darauffolgenden zweiten Bürgerkrieg hatte sich die Zurückhaltung der Armeeoffiziere und insbesondere Oliver Cromwells bei weitreichenden politischen Maßnahmen zumindest in einem Punkt aufgelöst, und machte der Überzeugung Platz, dass man Karl I. den Prozess machen müsse. Um dies politisch durchzusetzen, wurde das Oberhaus aufgelöst, wurde das Unterhaus von sämtlichen Kritikern dieses Kurses – der Mehrheit des Hauses – gesäubert, nahm man auch einen weiteren Krieg mit Schottland in Kauf.45 In Korrespondenz mit Kritikern einer Hinrichtung König Karls I. rechtfertigte nun auch Cromwell selbst einen aktivistischen Kurs im Namen Gottes, wie aus seinem Schreiben an Colonel Robert Hammond deutlich wird, der Cromwell gegenüber die Gehorsamspflicht aller Untertanen gegen die von Gott gegebene Obrigkeit betonte.46 Cromwell argumentierte zum einen, dass jegliche Herrschaft begrenzt sei und eine Überschreitung dieser Grenzen auch Widerstand legitim mache, dies aber ein rein weltliches Argument sei. Zum anderen verwies Cromwell auf die göttliche Providenz, die klar und unverhüllt Gottes Willen wiederspiegele. Die Schuld des Königs liege in dessen „malice against god’s people, now called Saints, to root out their name; and yet they, by providence, having arms, and therein blessed with defence and more“.47 Diesen Saints obliege es nun, Gottes Willen auf Erden zu vollstrecken. Dabei sprach sich Cromwell nun selbst gegen jedes weitere Zögern aus: „Have not some of our friends, by their passive principle […] been occasioned to overlook what is just and honest, and think the people of God may have as much or more good the one way than the other? Good by this Man, against whom the Lord hath witnessed; and whom thou knowest“. Cromwell sah in der Abschaffung der Monarchie nun „glorious dispensations of God“, dieser Fügung dürfe man sich
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Ebd., S. 543. Ebd., S. 546. Vgl. hierzu Gentles 2011, 72–80; Pečar 2013, S. 238f. Abbott 1988, Bd. 1, S. 697. Ebd.
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nicht entgegenstellen.48 Diese Rhetorik griff Cromwell dann in seiner Rede vor dem Unterhaus Ende Dezember 1648 wieder auf, als er den Prozess gegen Karl I. nicht als Ergebnis interessegeleiteten Handelns ansah, sondern als Folge von „providence and necessity“.49 Und auch im Nachhinein rechtfertigte Cromwell die Hinrichtung Karls I. gegenüber den aufständischen königstreuen Schotten, dass dieses Ereignis nicht auf politische Akteure zurückgeführt werden könne, sondern auf „eminent actings of the providence and power of God to bring forth his good will and pleasure, concerning the things which he hath determined in the world“.50 In Folge des zweiten Bürgerkriegs war Providence für Cromwell nun gleichbedeutend mit einer gottgegebenen Sendung der Armee, den „Saints“, Karl I. vor Gericht zur Rechenschaft zu ziehen – und damit auch der Monarchie in England ein vorläufiges Ende zu bereiten. Über dieses Ziel hinaus lässt sich weiterhin kein Staats- oder Herrschaftsverständnis ausmachen, werden mit dem göttlichen Auftrag keine weiteren Reformziele verknüpft. Allerdings wird die Armee mithilfe dieses Argument gleichsam unantastbar – und damit gegen Forderungen nach deren Auflösung immunisiert. 4. Fast unmittelbar nach der Hinrichtung Karls I. begannen die Planungen eines Kriegszugs der Armee in Irland.51 Cromwell war von Beginn an in diese Planungen eingebunden und tat einiges dafür, um sich selbst den Oberbefehl bei diesem Unternehmen zu sichern. Als der Staatsrat ihm dann den Oberbefehl antrug, nahm er diesen aber nicht gleich an, sondern bat sich Bedenkzeit aus, damit Gott ihm die Antwort mitteilen möge. Vor allem aber spielte er die Bedeutung der Frage des Oberbefehlshabers herunter, da letztlich Gott diese Position in der Armee innehätte: „I do not think that God hath blest this army for the sake of any one man, nor has his Presence been with it upon any such ground; it hath been of His own good pleasure and to serve His own time“. Und weiter: „It matters not who is our Commander-in-Chief if God be so; and if God be amongst us, and His presence with us, it matters not who is our Commander-in-Chief“.52 Cromwells Rhetorik diente hier zum einen dazu, die zahlreichen Manöver zu verschleiern, mit denen er und seine Mitstreiter für Cromwells Oberbefehl im Irlandkrieg geworben hatten; Ian Gentles spricht sehr passend von einer „show of reluctance“.53 Zum anderen machte er gegenüber dem neuen politischen Auftraggeber – dem Council of State – klar, dass die Armee als Gottes unmittelbares Werkzeug auf Erden anzusehen sei. Gleichwohl sei diese Armee in Schottland und England 48 49 50 51 52 53
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Ebd., S. 699. Ebd., S. 719. Ebd., Bd. 2, S. 288. Vgl. Gaunt 1996, S. 112–115. Abbott 1988, Bd. 2, S. 36f. Gentles 2011, S. 105. Vgl. ferner Little 2009.
von Feinden bedroht: den Schotten, die sich mit Prinz Karl, dem Sohn des soeben hingerichteten Karl I. verbündet hätten, aber auch deren zahlreichen Sympathisanten in England. Diese seien bereit „to seek the ruin and destruction of those that God hath ordained to be instrumental for their good“.54 Der Staatsrat möge zwar als politischer Dienstherr im Irlandkrieg fungieren, der wahre Dienstherr könne für Cromwell und die Armee aber nur Gott selbst sein, als dessen Werkzeug er sich stilisierte. Und nachdem Cromwell und seine Armee im Jahr darauf bei der Kampagne in Schottland in der Schlacht von Dunbar über die Truppen Karls II. einen weiteren Sieg davongetragen hatten, den Cromwell der göttlichen Vorsehung zuschrieb, richtete er in einem Schreiben an den Sprecher des Unterhauses die Aufforderung: „we pray you own His people more and more, for they are the chariots and horsemen of Israel“.55 Cromwell verband die Siegesmeldung mit Mahnungen an das Parlament, eine reformation of manners einzuleiten, um Gottes Wohltaten zu verdienen.56 5. Cromwell nutzte seine Führungsposition in der Armee, je länger das Commonwealth dauerte, desto stärker als politische Autorität. Er war maßgeblich an der Auflösung des Rumpfparlaments beteiligt, den traurigen Überresten des im November 1640 einberufenen Parlaments, er war auch derjenige, der das darauf folgende Parlament der Heiligen – einer handverlesenen Schar frommer Abgeordneter – mit einer einleitenden Rede auf dessen Aufgabe und auf dessen heilsgeschichtliche Bedeutung einschwor. So wie Cromwell die Armee stets als Werkzeug Gottes darstellte, übertrug er diese Rhetorik nun auch auf das neugebildete Parlament: „truly God hath called you to this work by, I think, as wonderful providences as ever passed upon the sons of men in so short a time“.57 Cromwell griff außerdem endzeitliche Hoffnungen in seiner Rede an die Abgeordneten mit auf, wenn er die vergangenen Schlachten der Armee als Kampf gegen die Feinde Gottes darstellte, die nun besiegt seien, und man nun davor stehe, die Tür zu durchschreiten, um der geweissagten Versprechen Gottes teilhaftig zu werden.58 Diese Rhetorik ist eine Annäherung an diejenigen Geistlichen, die den Bürgerkrieg gegen Karl I. gleichsetzten mit dem Kampf gegen die Hure Babylon 54 Abbott 1988, Bd. 2, S. 37. 55 Ebd., S. 321–325, hier S. 325. 56 Ebd.: „Disown yourselves, but own your authority, and improve it to curb the proud and the insolent, such as would disturb the tranquillity of England […]; relieve the oppressed, hear the groans of poor prisoners in England; be pleased to reform the abuses of all professions; and if there be any one that makes many poor to make a few rich, that suits not a Commonwealth.“ Vgl. ferner Gentles 2011, S. 99f.; Hirst 1991; Worden 2012, S. 19f. 57 Abbott 1988, Bd. 3, S. 60. 58 Ebd., S. 64f.: „why should we be afraid to say or think, that this may be the door to usher in the things that God has promised; which have been prophesied of; which He has set the hearts of His people to wait for and expect? We know who they are that shall war with the lamb, against his enemies; they shall be a people called, and chosen and faithful. And God hath, in a military
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und das Untier der Apokalypse. Mit dieser Rhetorik wurde die Abschaffung der Monarchie und der Bischofskirche – sowie der kirchenpolitischen Vorstellungen der Presbyterianer – heilsgeschichtlich aufgewertet, als Auseinandersetzung mit den Widersachern Christi.59 Zum anderen verbanden sich mit dem erfolgten Untergang Babylons Hoffnungen auf die unmittelbar bevorstehende Wiederkehr Christi auf Erden, die insbesondere von den Fifth-Monarchy Men artikuliert wurden. Diese Hoffnungen schien sich Cromwell in seiner Rede vor dem Parlament der Heiligen zu eigen zu machen.
IV. In der Bewertung von Cromwells Providence-Rhetorik oszilliert die Forschung zwischen mehreren Polen: Entweder werden die Aussagen als Ausdruck seiner religiösen und politischen Überzeugung, oder aber als Bemäntelung seiner Machtinteressen gewertet.60 Für Christopher Hill wiederum ist der Providenzialismus Cromwells zwar Ausdruck seiner individuellen Weltsicht, die sich aber seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Puritans verdankt; für ihn handelt es sich um eine Art Klassenbewusstsein, das Cromwell mit seinen Mitstreitern teilte.61 In all diesen Interpretationen ist der Ausgangspunkt der Betrachtung aber stets Cromwell selbst – seine Überzeugung, seine Interessen, seine Gruppenzugehörigkeit. Die Möglichkeit einer alternativen Deutung ergibt sich, wenn man die Frage in den Mittelpunkt stellt, an welche Gruppen Cromwell seine Providence-Rhetorik adressierte und wessen Unterstützung er mit dieser Sprache gewinnen wollte, bzw. was die Providence-Rhetorik in den unterschiedlichen kommunikativen Kontexten jeweils bewirken sollte. Wie dieser Beitrag gezeigt hat, war die erhoffte Wirkung der Providence-Rhetorik je nach Arena und Debattenfeld ganz unterschiedlich gelagert: •
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Die Legitimation der Armee als Werkzeug Gottes war zum einen an die Soldaten selbst adressiert, vor allem aber an das Parlament, um auf diese Weise die Armee gegen Kritik, gegen Pläne zur Strafverfolgung einzelner Soldaten oder gegen Pläne zur Auflösung der Armee zu immunisieren. In der Debatte innerhalb der Armeeführung über die zu verfolgenden politischen Ziele, z.B. den Putney Debates, diente die Providence-Rhetorik dazu, weitrei-
way […] appeared with them and for them; and now in these civil powers and authorities does not He appear? […] I do think something is at the door: we are at the threshold.“ 59 Vgl. nur Cook, Monarchy 1651; Haggar, No King but Jesus 1652. 60 Zur ersten Deutung neigt Davies 1990; zu letzterer Gentles 2011, S. 85: „for all his professions of personal unworthiness and dependence on God, the will of that God did always seemed to coincide with the interests and wishes of the lieutenant-general and MP from Cambridge“. 61 Hill 1970, Kap. IX.
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chende soziale und politische Reformpläne und Emanzipationsforderungen mit dem Rekurs auf den Willen Gottes abzuwehren oder zumindest abzuschwächen. In der Diskussion über König Karl I., den gegen ihn angestrengten Hochverratsprozess, dessen Hinrichtung und die Abschaffung der Monarchie sollte die Providence-Rhetorik den Bruch mit der politischen Ordnung Englands legitimieren und zugleich die neue politische Ordnung Englands ohne König legitimieren helfen. In der Engagement Controversy verlieh die Providence-Rhetorik der Normativität des Faktischen gleichsam metaphysische Legitimität. Nach den gewonnenen Feldzügen Cromwells in Irland und gegen die schottischen Truppen im Norden Englands griff Cromwell auf die Providence-Rhetorik zurück, um auf diese Weise der eschatologischen Erwartungshaltung zahlreicher Offiziere und weiterer Gruppen zu begegnen und mit einem Eingehen auf deren Hoffnungen nach einem gottesfürchtigen Regiment zugleich die Forderungen nach freien und gleichen Wahlen für ein zukünftiges Parlament abzuwehren.62 Dieses situative Aufgreifen von Forderungen bestimmter Gruppen wie der FifthMonarchy Men im Zusammenhang mit der Etablierung des Parliament of the Saints sollte aber nicht fehlgedeutet werden, indem man Cromwell vorschnell zu einem willfährigen Anhänger dieser Gruppe erklärt.63 Auch hier handelte es sich zunächst um die Sprache einer für ihn relevanten Gruppe, die er situativ aufgriff, um damit die Auflösung des Rumpfparlaments und das besondere Nominierungsverfahren für das einberufene Parliaments of the Saints zu rechtfertigen.
Cromwell bediente sich der Providence-Rhetorik also in unterschiedlichen Debattenkontexten und verband damit verschiedene Wirkungsabsichten. Ein diese Debattenfelder übergreifendes Ziel scheint sich weniger von einem Staats- oder Herrschaftsverständnis Cromwells ableiten zu lassen als von der schieren Notwendigkeit, die Armee in den sehr wechselhaften Zeitläuften als Machtmittel zu bewahren und gegen Kritik zu immunisieren. Aus diesem Grund waren alle Forderungen nach einer Wiederherstellung der englischen Freiheitsrechte, nach freien und gleichen Wahlen für ein neu einzuberufendes Parlament gefährlich, knüpften diese Forderungen den Fortbestand der Armee doch letztlich an das Wohlwollen eines zukünftigen Parlaments, statt dass die Armee selbst das Wohlwollen aller politischen Institutionen des Landes einfordern konnte. Bei allen politischen Kurswechseln Cromwells seit den Putney Debates bis zur Etablierung des Protektorats im Jahr 1653 blieb Cromwell
62 Zu diesen Erwartungshaltungen vgl. nur exemplarisch Saracino 2014, S. 87–99. 63 So aber Greyerz 1994, S. 102: „Oliver Cromwell stand bis 1653 unter ihrem [d.h. der Fifth Monarchy Men] Einfluss“; Schröder 1986, S. 155: „Die politische Bedeutung der Fifth Monarchists zu Anfang der fünfziger Jahre ergab sich vor allem daraus, dass Cromwell unter den Einfluss des Generalmajors Harrison, ihres Hauptrepräsentanten in der Armee, geriet und zu einem fellow-traveller wurde“.
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stets daran interessiert, die Armee als (sein) Machtinstrument in England zu erhalten. Wie der Beitrag gezeigt hat, leistete ihm die Providence-Rhetorik dabei wertvolle Dienste, da er mit Rückgriff auf diese Sprache sowohl Erwartungen und Zielen prominenter Armeeoffiziere entgegenkam als auch konkurrierende Erwartungen, deren Realisierung den Fortbestand der Armee hätten gefährden können, zurückweisen konnte.
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Peter Schröder Das Legitimitätsdefizit eines principe nuovo: Zur Legitimierung von Oliver Cromwells Protektorat
Während der turbulenten Auseinandersetzungen des englischen Bürgerkriegs attackierten die Royalisten Cromwell auch mit dem Vorwurf des Machiavellismus. Das war zur Diskreditierung politischer Gegner eine häufig bemühte Strategie, die sich allerdings auch abnutzte.1 In der Rückschau diskutierte Hobbes im „Behemoth“ Cromwells politisches Vorgehen. Dabei kommt der Frage der Legitimität eine besondere Bedeutung zu. Hobbes bemühte ebenfalls Machiavelli, schlug aber einen anderen Weg ein: Er deutete die von Machiavelli in seinem „Principe“ diskutierten Ratschläge für einen neu zur Macht gelangten Fürsten an und bezog diese auf Cromwell. Hobbes sah in Cromwell einen principe nuovo im Sinne Machiavellis.2 Cromwell war sich offenbar sehr bewusst darüber, dass seine politische Legitimität aus genau diesen Gründen fragil war. Wie versuchte Cromwell diesen Defiziten zu begegnen? Welche Argumente und Traditionen bemühte er zur Legitimitätsstiftung seiner Herrschaft? Die Beantwortung dieser Fragen ermöglicht den Zugang zu Cromwells Staatsverständnis aus einer ideengeschichtlichen Perspektive. Nicht nur die rechtsphilosophische Frage nach der legitimen Souveränität, sondern auch die konkret politische Frage, wem Gehorsam im Konflikt zwischen verschiedenen Bürgerkriegsparteien zu leisten sei, war zu beantworten. „Olivier Cromwell ein Mensch der unter dem Schein einer äußerlichen Bescheidenheit seinen Ehrgeiz zu verbergen wusste; und der seinen Dominatum so ungerecht er gleich gewesen auch nach seinem Todt beliebt gemacht: inmassen die Engelländer seine schändliche Usurpation nicht allein nicht gemercket, sondern ihn auch als einen König begraben lassen“.3 Auch Hobbes bezeichnete Cromwell als Usurpator.4 Sein de-facto-Argument zur Legitimierung politischer Herrschaft eröffnet aber die Möglichkeit, dass ein Usurpator zum legitimen Souverän werden kann, wenn er den Schutz der Untertanen gewährleistet (siehe dazu genauer unten Abschnitt II).
1 Ein prominentes Beispiel unter den vielen Pamphleten ist Machiavellian Cromwellist 1648. 2 Vgl. Hobbes, Behemoth 2015, S. 217. Diese von Hobbes implizit nahegelegte Parallele wird in den folgenden Ausführungen zumindest en passant präzisiert. 3 Lebens-Beschreibung 1692, S. 361f. 4 Hobbes, Behemoth 2015, S. 214.
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Cromwell wurde aber nicht erst in der Rückschau als Usurpator der legitimen Macht gesehen. Er wurde mit diesem Vorwurf schon zu Lebzeiten konfrontiert.5 Abschnitt I erörtert zunächst worin die wesentlichen Voraussetzungen und Ursprünge von Cromwells Staatsverständnis lagen. Die folgenden Teile diskutieren welche Begründungen zur Legitimierung seiner Herrschaft von ihm angeführt wurden. Abschnitt II untersucht die pragmatischen und politischen Argumente zur Begründung von Cromwells Herrschaft, gefolgt von einer Analyse der juristischen und konstitutionellen Argumente zur Legitimierung von Cromwells Herrschaft (III). Abschnitt IV geht auf die Bedeutung von Religion und Vorsehung von Cromwells Selbst- und Staatsverständnis ein. Insbesondere hier wird die Zeitgebundenheit Cromwells im konfessionellen Zeitalter deutlich. Abschnitt V geht kurz auf die Außen- und Kriegspolitik Cromwells und auf ihre Rolle für die Legitimitätsstiftung seiner Herrschaft ein.
I. Voraussetzungen und Ursprünge von Cromwells Staats- und Herrschaftsverständnis Die Familie Cromwell hatte durch die englische Reformation an politischem Einfluss und Bedeutung unter der Regierung Heinrich VIII. erheblich gewonnen. Insbesondere der aus einfachen Verhältnissen stammende Thomas Cromwell erreichte die höchsten Ämter im englischen Königreich (u.a. Lordsiegelbewahrer). Bis zu seinem dramatischen Fall hatte er die politischen und religionspolitischen Geschicke Englands wesentlich mitgestaltet. Die Familie Cromwell verfügte über ein familiäres Netz von Beziehungen, das sie zum Teil des politischen Establishments machte. Die Cromwells waren keine revolutionären Aufrührer und auch Oliver Cromwell war von diesen konservativen Traditionen nachhaltig geprägt.6 Bereits 1628 wurde er zum ersten Mal als Abgeordneter in das Parlament gewählt, er war aber vornehmlich mit lokalpolitischen Fragen beschäftigt.7 Cromwell wurde dann wieder 1640 Abgeordneter im Parlament, das wegen seiner kurzen Sitzungsdauer schon bald als Short Parliament bezeichnet wurde. Ab dem 3. November 1640 wurde erneut ein Parlament einberufen, in dem Cromwell ebenfalls einen Sitz als Abgeordneter innehatte. Während er zuvor als Neuling kaum aufgefallen war und nur eine zurückhaltende Nebenrolle im Parlament eingenommen hatte, fiel er zum ersten Mal in dem neu konstituierten Parlament durch sein Eintreten für John
5 Weitere Quellen werden im Folgenden genannt und genauer erörtert. Siehe allgemein auch Burgess 1986. 6 Vgl. dazu Bennett 2006, S. 7-9 sowie S. 264; und Hill 2019, S. 27. 7 Zu den staatspolitischen und konstitutionellen Konflikten dieser Zeit vgl. Schröder 2021, S. XXXV-LIII.
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Lilburne auf.8 Cromwell gehörte zunächst nicht zu den Scharfmachern im Parlament. Der Konflikt zwischen Karl I. und seinem Parlament wird in den Nineteen Propositions, die dem König vom Parlament gemacht wurden und auf die er wiederum in einer Antwort einging, fassbar.9 Hobbes kommentierte diese Vorgänge in der Rückschau im Behemoth: Was den Zeitpunkt des Versuchs eines Regierungswechsels von der Monarchie zur Demokratie anbelangt, so müssen wir unterscheiden: Sie forderten die souveräne Herrschaft nicht in klaren Worten und unter dem richtigen Namen heraus, bis sie den König erschlagen hatten, auch nicht die Rechte einer solchen unter ihren speziellen Bezeichnungen, bis der König durch Tumulte, die sich in der Stadt erhoben, aus London verjagt war und sich seiner persönlichen Sicherheit wegen nach York zurückgezogen hatte. Er war dort erst seit wenigen Tagen, als sie ihm die Nineteen Propositions sandten, von denen über ein Dutzend Forderungen nach verschiedenen Machtbefugnissen waren, die wesentliche Teile der souveränen Gewalt ausmachten.10
Um diese Kontroverse rankte sich dann sehr schnell eine Polemik aus beiden Lagern in Rede und Gegenrede. Wozu Hobbes nur ironisch bemerkte, zunächst „beschossen sich [die Konfliktparteien] gegenseitig mit nichts als Papier“.11 Der Konflikt zwischen König und Parlament spitzte sich schnell zu und führte in den Bürgerkrieg. Cromwells Verständnis legitimer Herrschaft gründete selbst noch während des englischen Bürgerkriegs in der Überzeugung, dass die legitime Herrschaft nur im Zusammenspiel von Parlament und König ausgeübt werden konnte. Cromwell hatte keinerlei militärische Ausbildung oder praktische Erfahrung in der kämpfenden Truppe. Seine Kenntnisse über Taktik, Logistik und militärische Führung erwarb er während seiner ersten militärischen Einsätze. Und dennoch wurde er in verblüffender Weise zu dem bedeutendsten Feldherrn des englischen Bürgerkriegs. Als Mitglied des Parlaments und als militärischer Führer kam ihm eine vermittelnde Rolle zwischen diesen beiden Machtzentren zu, die ihn von der Lokalzunehmend auch in die Staatspolitik führte. Cromwells politischer Erfolg und der Aufstieg zur Herrschaft ist vor allem dadurch begründet, dass es ihm gelang, Armee
Vgl. Hyde, History 1707, S. 246: „Oliver Cromwell (who, at that time, was little taken notice of)“. Cromwells Reden und Briefe liegen in verschiedenen Editionen vor (vgl. Abbott 1937-1947; Carlyle 1861; Roots 1989; und Wernle 1911), die aber alle auch ihre Schwächen haben. Siehe dazu Woodford 2012. Bei der Oxford University Press ist eine kritische Ausgabe von Cromwells Reden und Schriften unter der Herausgeberschaft von Jason Peacey et al. in Vorbereitung. 9 Vgl. Nineteen Propositions 1642. 10 Hobbes, Behemoth 2015, S. 31. 11 Ebd., S. 123. 8
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und Parlament immer wieder auf seine Seite zu ziehen. Von einer Militärdiktatur Cromwells zu sprechen, übersieht wichtige Aspekte seiner Herrschaftsbegründung.12 Selbst nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges fochten diejenigen, die die Interessen des Parlaments gegen den König vertraten, zumeist mit dem Ziel, den König zu Konzessionen gegenüber dem Parlament zu zwingen, um die Balance der Herrschaftsrechte zu Gunsten des Parlaments zu verändern.13 Erst im Laufe der Ereignisse des Bürgerkrieges kam es zunehmend vor allen in Teilen der Armee zu der Überzeugung, dass eine neue Verfassungsgrundlage ohne König Karl I. gefunden werden müsse. Cromwell stellte sich diesem Ansinnen zunächst entgegen.14 Radikale Forderungen der Levellers lehnte er während der Putney Debates ab.15 Die Levellers hatten einen für Cromwell gefährlichen Einfluss innerhalb der Armee, der bis zur Meuterei führen konnte und Cromwell musste auch deswegen daran gelegen sein, ihre Forderungen zurückzuweisen und ihren Einfluss zu brechen.16 Er hielt noch bis Anfang Dezember 1648 an der traditionellen Herrschaftsidee vom Zusammenwirken von König und Parlament fest, bevor er dann zu denjenigen gehörte, die ein Gerichtsverfahren gegen den König vorantrieben. Auch hier ist zu bemerken, dass es sich dabei um den Versuch handelte, innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung, durch ein vom Parlament sanktioniertes Vorgehen, eine Ausübung legitimer Herrschaftsrechte gegen den König zu behaupten. Cromwell musste sich gegen ganz unterschiedliche Gegner durchsetzten. Zunächst galt sein Kampf den Royalisten. Aber daneben hatte er sich gegenüber den religiös und zuweilen auch sozial radikalen Strömungen der Levellers, Diggers, Fifth-Monarchy Men usw. abzugrenzen und zu behaupten. Dies geschah innerhalb des Spannungsverhältnisses
12 Siehe dazu Woolrych 1990, S. 209: „Cromwell was persuaded to accept power under the terms of the Instrument of Government […] and he positively welcomed the limitations which the Instrument imposed upon him. […] Compared with the traditional powers and prerogatives of the monarch within the older trinity of king, privy council and parliament, Cromwell's were far more circumscribed“. Siehe auch ebd. S. 214. 13 Vgl. Goldie 1985, S. 307f. 14 Ludlow, Memoirs 1698, Bd. 1, S. 213f.: „The Army that lay then about Putney were no less dissatisfied with their Conduct, of which they were daily informed by those that came to them from London; so that the Adjutators began to change their Discourse, and to complain openly in Council, both of the King and the Malignants about him, saying, that since the King had rejected their Proposals, they were not engaged any further to him, and that they were now to consult their own Safety and the Publick Good: that having the Power devolved upon them by the Decision of the Sword, to which both Parties had appealed, and being convinced that Monarchy was inconsistent with the Prosperity of the Nation, they resolved to use their Endeavours to reduce the Government of England to the Form of a Commonwealth. These Proceedings strook so great a Terror into Cromwell and Ireton, that they thought it necessary to draw the Army to a general Rendezvouz, pretending to engage then to adhere to their former Proposals to the King; but indeed to bring the Army into subjection to them and their Party.“ 15 Robertson 2007, insbes. S. 88 und S. 100f. Vgl. zu den Levellers auch Macpherson 1973, S. 126-181; und Schröder 1984, S. 493. 16 Im September 1649 kam es zur letzten durch die Levellers verursachten Meuterei in der Armee. Vgl. Hirst 1990, S. 296.
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der politischen Machtzentren von Parlament, lokalen Autoritäten, der Stadt London und insbesondere der Armee. Innerhalb dieses vielfältigen Machtgefüges setzte sich Cromwell mit verblüffendem Erfolg durch. Durch seine Herrschaft als Lord Protector (ab dem 16. Dezember 1653) zog Cromwell nach seinem Tod und nach der Restauration der Stuarts (1660) dann auch erhebliche Schuldzuweisungen auf sich. Das lag nicht zuletzt darin begründet, dass so leichter ein politischer Ausgleich mit den parlamentarischen Republikanern gefunden werden konnte, da die vornehmliche Verantwortung für Bürgerkrieg und Königsmord Cromwell zugeschrieben werden konnte. Das Bild Cromwells ist bis heute umstritten. Oliver Cromwell ist bis zum heutigen Tag neben seinem Sohn Richard der einzige nicht dynastisch-monarchische Herrscher in England und das einzige Staatsoberhaupt, welches nicht durch Erbfolge zu seinem Rang kam.17
II. Pragmatische und politische Argumente zur Begründung von Cromwells Herrschaft In den Kapiteln VI-VIII erörtert Machiavelli in seinem „Principe“ die verschiedenen Möglichkeiten, wie jemand „vom Privatmann zum Fürsten aufzusteigen“ vermag.18 War Cromwell zum Herrscher durch eigene Waffen und Tüchtigkeit gelangt? Oder durch Verbrechen? Machiavelli diskutiert diese Varianten, hebt aber vor allem grundsätzlich eingangs im Principe hervor, „daß in den ererbten Staaten, die an das Geschlecht ihrer Fürsten gewöhnt sind, viel geringere Schwierigkeiten bestehen, die Macht zu behaupten, als in den neuerworbenen“.19 Damit sind zwei verschiedene Aspekte von Cromwells Herrschaftsverständis benannt. Erstens war er durch traditionelle Erfahrungen und Überlegungen geprägt. Zweitens war ihm bewusst, dass seine neuerworbene Herrschaft gegenüber der alten Dynastie und Verfassung als defizitär erscheinen musste. Nach Hobbes‘ Einschätzung wagte Cromwell es nicht, den Königstitel für sich in Anspruch zu nehmen. Im Dialog des „Behemoth“ wird dies von Hobbes erörtert: „B: Warum lehnte er den Titel König ab? A: Weil er nicht wagte, ihn zu dieser Zeit anzunehmen; das Heer war seinen höheren Offizieren ergeben; da nun unter diesen viele auf die Nachfolge hofften, die sogar dem Generalmajor Lambert ver17 Das Instrument of Government hatte zunächst ausdrücklich verfügt, dass das Amt des Lordprotektors durch Wahl und nicht durch Erbfolge zu vergeben war. Gardiner 1889, S. 323: „That the office of Lord Protector over these nations shall be elective and not hereditary; and upon the death of the Lord Protector, another fit person shall be forthwith elected to succeed him in the Government“. Dies wurde aber kurz vor Oliver Cromwells Tod noch geändert (s.u. Anm. 77). Sein Sohn Richard beerbte seinen Vater als Staatsoberhaupt, da Oliver sich einige Tage vor seinem Tod in diesem Sinne geäußert hatte. 18 Machiavelli, Il Principe 1986, S. 41. 19 Ebd., S. 9.
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sprochen worden war, so hätten sie wohl am Ende gegen ihn gemeutert. Er war deshalb gezwungen, auf eine günstigere Gelegenheit zu warten“.20 Es ist durchaus umstritten, ob Cromwell für sich tatsächlich den Königstitel annehmen wollte. Seine gegenteiligen Beteuerungen sind durchaus ernst zu nehmen und nicht nur einer Bescheidenheitsrhetorik geschuldet.21 Die Tendenz bei den führenden Politikern der siegreichen Parlamentarier lag eindeutig in dem Bemühen, England eine Mischverfassung zu geben, die auch monarchische Momente enthielt (mixed monarchy).22 Hobbes meinte, dass Cromwell es schon sehr früh auf die Herrschaft im Staat abgesehen hatte. Er war mit dieser Interpretation nicht allein. Sie ist aber irreführend.23 Auch nach der Hinrichtung Karls I. war der Anspruch der Stuart-Dynastie auf die Krone keineswegs erloschen. Cromwell wusste, dass die Bedeutung und Legitimitätsstiftung dynastischer Erbfolge keineswegs zu unterschätzen war, hatten er und seine Familie doch selbst den Erbmonarchen über Generationen treu gedient. Die Monarchie war ein ganz wesentlicher Teil der konstitutionellen und politischen Ordnung, durch die das englische Königreich politische Stabilität und Legitimität erhielt. Auch das Hofzeremoniell der Stuarts hatte legitimitätsstiftende Wirkung. Cromwell wurde immer wieder in polemischer Absicht vorgehalten, sein vergleichsweise schlichtes Herkommen und seine puritanischen Neigungen hätten ihm den Zugang zu diesem praktisch-pragmatischen Aspekt der Herrschaftslegitimierung verschlossen. Cromwells Haushalt wurde von der Royalisten bewusst verspottet,
20 Hobbes, Behemoth 2015, S. 218. Die Rolle der Meutereien von Soldatenführern/Garden erläutert Machiavelli ausführlich am Beispiel der römischen Kaiser und des osmanischen Hofs im „Principe“ in den Kapiteln IV und XIX. Zur Rolle der Heeresführer als eigene politische Kraft für principi nuovi siehe auch das Borgia-Kapitel (Kap. VII). Die amicizia dei soldati ist eine dritte Variante der Herrschaft des principe nuovo, die Machiavelli andeutet, neben jener, die auf die Unterstützung der grandi oder aber des popolo aufbaut. 21 Vgl. dazu auch das zeitgenössische Urteil aus deutscher Perspektive in Lebens-Beschreibung 1692, S. 330f. 22 Whitelocke 1853, Bd. 3, S. 373: „Colonel Fleetwood: I think that the question, whether an absolute republic or a mixed monarchy be best to be settled in this nation, will not be very easy to be determined. Lord chief justice St. John: It will be found that the government of this nation, without something of monarchical power, will be very difficult to be so settled as not to shake the foundation of our laws and the liberties of the people. Speaker [des Parlaments]: It will breed a strange confusion to settle a government of this nation without something of monarchy. Colonel Desborough: I beseech you, my lord, why may not this as well as other nations be governed in the way of a republic? Whitelocke: The laws of England are so interwoven with the power and practice of monarchy, that to settle a government without something of monarchy in it, would make so great an alteration in the proceedings of our law, that you have scarce time to rectify, nor can we well foresee, the inconveniences which will arise thereby“. Vgl. auch Goldie 1985, S. 308-311; und Nippel 1980, S. 292-311. 23 Hobbes, Behemoth 2015, S. 155: „B Da in England nun Frieden herrschte und der König gefangen war, wer verkörperte jetzt die souveräne Gewalt? A Das Recht war gewiss beim König, aber die Ausübung lag noch bei niemandem, sondern war wie in einem Kartenspiel während der ganzen Jahre 1647 und 1648 ohne Kampf zwischen dem Parlament und Oliver Cromwell, dem Generalleutnant von Sir Thomas Fairfax, umstritten. B Welche Trümpfe besaß Cromwell in diesem Spiel?“.
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um ihn zu delegitimieren.24 Cromwell war ein principe nuovo und musste sich den daraus folgenden Herausforderungen stellen. Er war aber auch im Sinne von Norbert Elias ein charismatischer Herrschaftsaspirant, was ihm auch neue politische und legitimitätsstiftende Handlungsspielräume eröffnete. „Der charismatische Herrschaftsaspirant, der von einer labilen, heftig fluktuierenden oder gar total erschütternden Spannungsbalance eines gesellschaftlichen Feldes hochgetragen wird, ist dagegen gerade derjenige, welcher als der Neue, oft, wenn auch nicht immer, als der sozial Neue gegenüber den bisherigen Herrschenden seines gesellschaftlichen Feldes auftritt und die bisher herrschenden, eingefahrenen und übersehbaren Attituden und Motivationen zu durchbrechen verspricht“.25 Zur Zeit des Protektorats wird aber deutlich, dass Cromwell die höfischen Formen des Königshofs zu nutzen wusste. Anlässlich der Hochzeit seiner Tochter Mary mit Lord Fauconberg verfasste der Dichter Andrew Marvell zwei Stücke, die während der Hochzeitsfeier aufgeführt wurden.26 Diese Feierlichkeiten zeigten, zum Nachteil der Stuarts, die zunehmende Akzeptanz, die der Emporkömmling Cromwell von den aristokratischen Eliten erfuhr.27 Diese Tendenz wird noch deutlicher in der Tatsache, dass Cromwell begann, Adelstitel zu verleihen.28 Aber die Nachahmung der zeremoniellen Traditionen des Königshofs hatte auch seine Gefahren. Cromwell musste sich diesen Fragen immer wieder stellen, die sowohl die pragmatischen und politischen wie auch die juristischen und konstitutionellen Argumente zur Begründung seiner Herrschaft berührten. Ich werde daher auf diesen Aspekt im nächsten Teil zurückkommen. Dort wird dann auch deutlich werden, warum mit guten Gründen davon auszugehen ist, dass Cromwell den Königstitel für sich nicht beanspruchte. Der Vorwurf ein Hypokrit zu sein, wird ihm zu Unrecht gemacht.29 Eine weitere Option zur Legitimierung seiner Herrschaft hätte für Cromwell darin liegen können, sich den Begriff der salus populi zu Eigen zu machen. Aber er scheute davor zurück, diese Formulierung, die u.a. auf Cicero zurückgeht und im politischen Diskurs der Frühen Neuzeit ein Allgemeinplatz war, zu nutzen. Vor allem bei den Denkern der Staatsräson war das Prinzip salus populi suprema lex (das Wohl des Volkes ist das höchste Gesetz) prominent in Gebrauch. Bei Hobbes meint der Satz, wie er ausdrücklich betont,30 nicht mehr Staatsräson und die Geheimnisse der Regierungskunst (arcana imperii), sondern Frieden und die „commodity of li24 Vgl. insbesondere Taylor, Court and Kitchen 1664. 25 Elias 1983, S. 186. 26 Marvell, Two Songs 1772. Marvells berühmteste Dichtung zu Oliver Cromwell, „An Horatian Ode upon Cromwell's Return from Ireland“ wurde erst 1681 publiziert und war zuvor auch handschriftlich nicht verbreitet worden. Vgl. dazu Healy 2001, S. 166. 27 Vgl. dazu Faust 2018; und Bennett 2006, S. 256. 28 Hirst 1990, S. 321. 29 Vgl. Runciman 2008, S. 59. 30 Hobbes, Menschliche Natur 2020, S. 197.
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ving“ der einzelnen Untertanen. In dieser Hinsicht ist Hobbes durchaus Cicero näher und wird ihm gerechter als die Autoren der ratio status und der arcana imperii. Umstritten war vor allem die Interpretation, worin denn die inhaltliche Bestimmung von salus populi lag. Der Verweis auf salus populi diente zur Begründung ganz unterschiedlicher politischer Lehren. Beispielsweise beanspruchte Henry Parker im Konflikt zwischen Karl I. und dem Parlament auch mit Verweis auf die salus populi die Souveränität für das Parlament.31 Bereits Selden hatte in seinen Table Talks – wohl mit intendierter Kritik an Parker – betont, kein Satz werde so missbraucht wie der Verweis auf die salus populi.32 Die Offenheit und Vieldeutigkeit dieses Begriffs ließ es Cromwell offenbar geraten sein, ihn nicht zur Legitimierung seiner Herrschaft zu bemühen. In den politischen Diskussionszusammenhängen dieser Zeit war ein anderes Konzept zu ähnlicher Prominenz gelangt, das Cromwell viel mehr entgegen kam. Seit er der oberste Befehlshaber der New Model Army war, oblag es ihm für den Schutz des Commonwealth zu sorgen. Bereits vor der Berufung zum Lordprotektor besaß Cromwell damit seit 1650 de facto die höchste Macht in England. Im „Leviathan“, der 1651 veröffentlicht wurde, verwies Hobbes einerseits darauf, der Kampf um die Herrschaft und Souveränität in England sei noch nicht entschieden. Anderseits betonte er im „Leviathan“ wiederholt, ein Souverän könne so lange Gehorsam von den Untertanen einfordern, wie durch ihn deren Leben und Sicherheit geschützt werde. Der Zusammenhang von Schutz und Gehorsam war nicht nur bei Hobbes ein zentrales Lehrstück politischer Philosophie und Propaganda. So erlaubte das Insistieren auf die Wechselbeziehung von Schutz und Gehorsam Cromwell eine überzeugende Rechtfertigung seiner Herrschaft. Hobbes beendete den Leviathan mit den eindringlichen Worten, diese Schrift sei „veranlaßt durch die gegenwärtigen [meine Hervorhebung] Wirrnisse, ohne Parteilichkeit […] und ohne eine andere Absicht, als den Menschen die Wechselbeziehung zwischen Schutz und Gehorsam vor Augen zu führen“.33 Stellen wie diese lassen zumindest die Vermutung zu, Hobbes habe Cromwell im „Leviathan“ direkt angesprochen und sich darum bemüht, sich mit ihm zu arrangieren.34 1651, nach der katastrophalen Niederlage von Charles Stuart (Karl II.) am 3. September in der Schlacht von Worcester, wurde in England diese Schutzfunktion der Untertanen eben nicht mehr durch die Stuartmonarchie wahrgenommen. Dies war Cromwells letzte Schlacht, die er als Feldherr führte. Er sah in diesem wichtigen Sieg einmal mehr Gottes Vorsehung und 31 Parker, Observations 1642, S. 3. So urteilte Hobbes dann auch in „Behemoth“, „der Vorwand zur Rebellion des Langen Parlaments war die salus populi“; Hobbes, Behemoth 2015, S. 206. 32 Selden , Table Talks 1860, S. 211: „There is not anything in the World more abused than this Sentence, Salus populi suprema lex esto, for we apply it, as if we ought to forsake the known Law“. 33 Hobbes, Leviathan 1996, S. 599. 34 Vgl. Malcolm 2012, S. 65-87, insbes. S. 79 und S. 85f.
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Gnade gegenüber dem englischen Volk am Werk. Der Sieg der New Model Army, war nicht nur in den Augen Cromwells ein Zeichen dafür, dass Gott ihrer Sache wohlgesonnen war (siehe dazu auch unten Abschnitt IV).35 Der von den Schotten frisch gekrönte Karl II. musste England nach dieser Niederlage fluchtartig verlassen. Hobbes hatte Karls II. Rückkehr nach Paris noch am 13. Oktober erlebt, bevor er dann zum Ende des Jahres Paris verließ und nach England zurückkehrte. In Paris wurde nun Edward Hyde (seit 1660 der Earl of Clarendon) von Karl zum bestimmenden Ratgeber und Vertrauten der königlichen Sache ernannt. Hyde fürchtete, dass durch Hobbes’ Einfluss führende Royalisten nun legitime Gründe finden würden, in dieser aussichtslosen Lage, in der der exilierte Thronnachfolger wie nie zuvor auf ihre Loyalität und Unterstützung angewiesen war, sich mit dem Feind zu arrangieren und die Sache des Königs de facto aufzugeben. Am 2. Januar 1650 war vom Parlament das Engagement verabschiedet worden, ein Treueid auf das Parlament, der von allen Männern ab 18 Jahren zu leisten war. Er lautete „I do declare and promise, that I will be true and faithful to the Commonwealth of England, as it is now established, without a King or House of Lords“.36 Allerdings ist hier zu beachten, dass Hyde zu den wenigen gehörte, denen die Option zur Rückkehr nach England auch gar nicht blieb, denn er zählte zu den durch Parlamentsbeschluss ausdrücklich namentlich genannten „persons who shall expect no pardon“.37 Antony Ascham und andere hatten die Rechtmäßigkeit des Engagement auch mit dem Hinweis auf die Macht, die inzwischen nicht mehr beim König sondern de facto beim Parlament (und der Armee) lag, verteidigt.38 Für Cromwell konnte es kein besseres Argument zur Rechtfertigung und Legitimierung seiner Herrschaft geben, als den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam zu betonen. Schließlich war der Lord Protector der oberste Beschützer des neu errichteten Commonwealth.39 In der Rückschau machte Hyde Hobbes genau diesen Vorwurf, denn Hobbes‘ „Leviathan“ habe dazu geführt, dass der Zusammenhang von Schutz und Gehorsam Cromwell die Unterwerfung ehemaliger Royalisten einbrachte und die Treue zum König schwand. Viele hätten das Engagement als rech-
35 Carlyle 1861, Bd. 3, S. 94: „The dimensions of this mercy are above my thoughts. It is, for aught I know, a crowning mercy. […] the Parliament to do the will of Him who hath done His will for it, and for the Nation; whose good pleasure it is to establish the Nation and the Change of the Government, by making the People so willing to the defence thereof, and so signally blessing the endeavours of your servants in this late great work.“ 36 Gardiner 1889, S. 298. 37 Ebd., S. 197. 38 Ascham, Bounds 1650, S. 1: „The Bounds and Bonds of Publique Obedience, Or, A Vindication of Our Lawfull Submission to the Present Government, or to a Government Supposed Unlawfull, but Commanding Lawfull Things“. Siehe dazu auch Burgess 1986, S. 518-524. 39 Vgl. Gardiner 1889, S. 323: „That Oliver Cromwell, Captain-General of the forces of England, Scotland and Ireland, shall be, and is hereby declared to be, Lord Protector of the Commonwealth of England, Scotland and Ireland, and the dominions thereto belonging, for his life“.
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tens angesehen und seien Untertanen des Usurpators geworden.40 Hobbes hatte ein ähnliches Urteil in einer 1656 publizierten Schrift selbst gefällt.41 Erst durch den am 16. Dezember 1653 zum Lord Protector erklärten Oliver Cromwell waren wieder eindeutige Machtverhältnisse geschaffen, die eine klare und verlässliche Zuordnung von Schutz und Gehorsam ermöglichten. Cromwell war bewusst, dass seine Herrschaft weiterer Legitimierung bedurfte. Davon hing seine politische Macht ab.
III. Juristische und konstitutionelle Argumente zur Legitimierung von Cromwells Herrschaft In der englischen Geschichte wurde der Begriff des Lord Protector vor Cromwell zuletzt zur Zeit der Regentschaft von Eduard VI. genutzt. Denn da dieser noch minderjährig war (er trat 1547 mit neun Jahren die Nachfolge seines Vaters Heinrich VIII. an), wurde Edward Seymour, 1st Earl of Hertford und Onkel des neuen Königs, Lord Protector of the Realm.42 Es ist bemerkenswert, dass Cromwell den Königstitel ablehnte und einen Titel bevorzugte, dem dieser Sachwalter- und Übergangscharakter anhaftete.43 Mit dem Instrument of Government wurde der englische Staat zum ersten Mal auf der Grundlage einer geschriebenen Verfassung organisiert.44 Das Instrument of Government (vom Dezember 1653) wurde vom Parlament verabschiedet. Hobbes kommentierte auch diese Vorgänge lakonisch im „Behemoth“: B: Kam Cromwell nur hoch mit dem einzigen Titel der salus populi? A: Nein. Denn das ist ein Titel, den sehr wenige Menschen verstehen. Sein Weg war, die oberste Gewalt vom Parlament übertragen zu bekommen. Deshalb berief er ein Parlament und gab diesem die oberste Gewalt unter der Bedingung, dass sie ihm diese übertrügen. War das nicht geistreich?45
Während die Monarchie die oberste Gewalt weder vom Volk, noch vom Parlament erhalten hatte, hatte sie Cromwell aus den Händen der Parlamentarier erhalten. Die Rechtfertigung und Legitimität der Königsherrschaft bedurfte nicht der Zustimmung 40 Vgl. Hyde, A brief view 1676, S. 92. 41 Hobbes, Six Lessons 1845, S. 335f.: „I believe it [my doctrine, d.h. Hobbes’ politische Lehre] hath framed the minds of a thousand gentlemen, which otherwise would have wavered in that point“. 42 Heinrich VIII. hatte in seinem Testament für die Regentschaft während der Minderjährigkeit seines Sohnes keinen Lord Protector, sondern ein regency council vorgesehen. 43 Vgl. die Gesprächsaufzeichnung in Whitelocke 1853, Bd. 3, S. 373: „Whitelocke: I should humbly offer, in the first place, whether it be not requisite to be understood in what way this settlement is desired, whether of an absolute republic, or with any mixture of monarchy. Cromwell: My lord commissioner Whitelocke hath put us upon the right point; and indeed it is my meaning that we should consider whether a republic or a mixed monarchical government will be best to be settled; and if anything monarchical, then in whom that power shall be placed“. 44 Loughlin 2013, S. 15. 45 Hobbes, Behemoth 2015, S. 207.
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der Regierten und ging auf göttliches Recht und die ancient constitution zurück. Jedem war bekannt, woher der Lordprotektor seine Herrschaftsrechte empfangen hatte, aber niemand konnte bestimmen, woher der König sie empfangen hatte, es sei denn man bezog sich direkt auf Gott.46 Cromwell versuchte mit dem Instrument of Government eine neue Form der Herrschaftslegitimierung zu begründen, ohne doch auf traditionelle Aspekte des englischen Herkommens zu verzichten. Diese Gratwanderung gelang ihm aufgrund seiner charismatischen Persönlichkeit bis zu einem gewissen Punkt, so dass er das Commonwealth zusammenhalten konnte. Eine kontinuierliche politische Stabilität konnte aber durch die englische Verfassung (das Instrument of Government) nicht erreicht werden. Ein wesentlicher Grund für die besondere Tradition einer ungeschriebenen Verfassung lag im Common Law. Das englische Common Law hatte über Jahrhunderte das Idiom und die Konzepte geliefert, in denen in England die politischen Auseinandersetzungen ausgetragen wurden. Dem stand durch die sich im 16. Jahrhundert in ganz Europa ausbreitende Naturrechtstradition bald eine weitere Rechtstradition zur Seite, die zum Common Law in Konkurrenz trat. Natur- und vertragsrechtliche Begründungen staatlicher Herrschaft bedeuteten auch das Hinterfragen der bis dahin geltenden Argumentationsmuster. Cromwell lag daran, alle diese politischen Diskurse zu neutralisieren. Er begründete seine Herrschaft weder mit der Idee der Volkssouveränität, wie sie aus naturrechtlichen Überlegungen insbesondere von den Levellers vorgebracht wurden, noch mit dem Common Law. Letzteres war allerdings mit Begründungsstrategien politischer Herrschaft der ancient constitution eng verbunden und wurde insofern auch von Cromwell genutzt.47 Das Instrument of Government forderte vom Lordprotektor einen Eid, nach dem Gesetz und Herkommen zu regieren.48 Cromwell leistete nicht nur diesen Eid, sondern er „bemühte sich auch ehrlich darum ihn zu befolgen“.49 Auch auf der pragmatischen Ebene lag Cromwell daran, führende Common Lawyers zu rekrutieren. Das kam der Rechtsprechung und -pflege zugute und ermöglichte zugleich auch, die Neutralisierung gewohnheitsrechtlich begründeter politischer Ansprüche. Der bedeutende Jurist des Common Law Matthew Hale diente unter allen Regimen – einschließlich des Protektorats – von Karl I. bis zur 46 Vgl. Pocock 1987, S. 156. 47 Woolrych 1990, S. 210: „The whole system of the common law, from the central courts at Westminster through the assizes to the quarter sessions of the justices of the peace, continued to function almost without interference“. 48 Gardiner 1889, S. 325: „That every successive Lord Protector over these nations shall take and subscribe a solemn oath, in the presence of the Council, […] that he will seek the peace, quiet and welfare of these nations, cause law and justice to be equally ad ministered; and that he will not violate or infringe the matters and things contained in this writing [d.h. Instrument of Government], and in all other things will, to his power and to the best of his understanding, govern these nations according to the laws, statutes and customs thereof“. 49 Woolrych 1990, S. 210: „Cromwell made an honest attempt to keep to it“.
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Restauration Karl II. als einer der obersten Richter Englands. Dabei gelang es ihm seine Integrität und politische Neutralität weitgehend zu wahren.50 Burnet berichtet von den Skrupeln, die Hale offenbar umtrieben, als er zu entscheiden hatte, ob er Cromwells Angebot, eine der führenden Richterstellen zu besetzen, annehmen wolle. Derlei Berichte aus der Rückschau sind häufig tendenziös. Ob Hale in Cromwell tatsächlich einen Usurpator gesehen hat, wie Burnet behauptet, und darin das Zögern Hales begründet lag, ist zumindest fraglich.51 Mit Hale wurde die Rechtsprechung während des Protektorats aufgewertet. Cromwell hatte ein genuines Interesse an einer gerechten und funktionierenden Rechtsprechung. Ein eminenter Jurist des Common Law wie Hale war, trotz seiner royalistischen Neigungen, ein Garant für die im Common Law gründende Rechtspflege. Daneben wurde er von Cromwell auch mit einer wichtigen Kommission zur Rechtsreform betraut. Cromwell war aber auch daran gelegen, die Legitimierung und Reputation des Rechtssystems zu stärken, wodurch das Protektorat oder Commonwealth insgesamt an Ansehen und Legitimität gewann, von der damit auch der Lordprotektor profitierte. Auch hier war die Bestallung Hales ein nicht zu unterschätzender Zugewinn.52 Das Common Law bestimmte nach wie vor gewissermaßen die Grammatik des politischen Diskurses in England. Cromwell versuchte aber nicht das Common Law zur Legitimierung seiner Herrschaft ausdrücklich zu instrumentalisieren.
IV. Zur Bedeutung von Religion und Vorsehung von Cromwells Selbst- und Staatsverständnis Hier geht es nicht um Cromwells Bekenntnis zu einer bestimmten religiösen Gemeinschaft. Colin Davis hat zudem überzeugend gezeigt, dass eine Zuordnung Cromwells zu einem bestimmten religiösen Bekenntnis „unmöglich“ ist.53 Für Cromwells Selbst- und Staatsverständnis ist die Religion bedeutend. Welche Rolle spielte sie zur Begründung und Legitimierung seiner politischen Unternehmungen und seiner Herrschaft? Cromwell war ein religiöser Mann. Religion war für ihn nicht bedeutsam, um sie für weltlich-politische Ziele zu instrumentalisieren. Genau das wurde ihm allerdings unter anderem von den Levellers vorgeworfen.54 Die Bedeutung der Religion in diese Richtung interpretieren zu wollen, wäre ein Irrweg. 50 Berman 1994, S. 1704 betont „Hale’s integrity“ und „his ability to maintain an essentially neutral political stance throughout a long period of revolutionary upheavals and to serve in high places under successive opposing regimes“. 51 Burnet, Life and Death 1681, S. 36. 52 Vgl. ebd., S. 38. 53 Davis 2003, S. 144: „Cromwell is impossible to identify with any one Church, sect or ‘way’“. 54 Vgl. zum Beispiel The hunting of the Foxes 1649, S. 12: „Was there ever a generation of men so Apostate so false and so perjur’d as these? Did ever men pretend an higher degree of Holinesse, Religion and Zeal to God and their country as these? […] You shall scarce speak to
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Vielmehr sind zunächst Cromwells religiöse Überzeugungen ernst zu nehmen und zu bestimmen, um dann die hier gestellte Frage beantworten zu können. Cromwell war nicht nur gegenüber den Katholiken misstrauisch. Er verwahrte sich auch vor der Intoleranz der Presbyterianer und anderer radikalerer sektiererischer Religionsgemeinschaften. Die Fifth-Monarchy Men sind hier als radikalste und einflussreichste Sekte zu nennen. Sie vertraten einen extremen Puritanismus. Ihr Name erklärt sich aus der aus dem Buch Daniel gewonnenen Überzeugung, dass das fünfte Königreich, nach dem assyrischen, persischen, griechisch-mazedonischen und römischen nun unmittelbar bevorstehe und das Reich Christi sein werde. Die Fifth-Monarchy Men fanden vor allem in den größeren Handelsstädten ihre Anhängerschaft. Sie unterstützten zunächst Cromwell, aber ab 1653 versuchten sie gewaltsam die Herrschaft der Heiligen zu etablieren. Cromwell ließ daraufhin ihre Anführer gefangen nehmen. Cromwell war an einer Kirchenreform gelegen, um die Einheit der Gläubigen zu ermöglichen. Diese Einheit sollte aber durch die Duldung der Vielfalt und nicht durch Zwang erfolgen.55 Cromwell vertrat zunächst eine Politik der Toleranz, solange die Konfessionen oder Kongregationen daran glaubten, dass die Sünden durch das Blut Christi vergeben worden seien und nicht den Frieden und die Sicherheit des Commonwealth bedrohten. Wer immer diesen Glauben habe, könne seine Religion ungeachtet der jeweiligen Form ausüben.56 Religiös motivierte Aufrührer waren ihm genauso suspekt wie die Katholiken. „Die Regelung der Religionsfrage durch Cromwell war eine teilweise Erfüllung des Programms der Independenten. Der Zehnte blieb zwar ebenso erhalten wie die Nationalkirche, aber sie war ein loses föderales System mit nur wenigen äußeren Kontrollen der Kongregationen“.57 Grundsätzlich war Cromwell den menschlichen Institutionen gegenüber sehr skeptisch. Dies erklärt sich aus seinem Glauben an die Vorsehung (Providence oder auch Providentialism).58 Er glaubte, dass göttliche Vorsehung die Geschicke der Menschen bestimme, ja dass selbst Siege auf den Schlachtfeldern des Bürgerkriegs auf Gottes Willen zurückzuführen seien.59 Gott, so berichtete Cromwell nach der Eroberung von Wexford an das Parlament, griff offenbar selbst in die Kriegsgeschehnisse
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Cromwell about any thing, but he will lay his hand on his breast, elevate his eyes and call God to record, he will weep, howl and repent, even while he doth smite you under the first rib“. Ausführlich dazu Collins 2002. Carlyle 1861, Bd. 3, S. 419: „men who believe the remission of sins through the blood of Christ, and free justification by the blood of Christ; who live upon the grace of God: those men who are certain they are so [Faith of assurance], 'they' are members of Jesus Christ, and are to Him the apple of His eye. Whoever hath this Faith, let his Form be what it will; he walking peaceably, without prejudice to others under other Forms“. Goldie 1985, S. 320. Vgl. zu Cromwells providentialism insbesondere Worden 1985, sowie die Ausführungen in Morley 1902, S. 55-60; Hill 2019, S. 179-208; und Davis 2003, S. 157-159. Vgl. z.B. Cromwells Reden in Roots 1989, insbes. S. 134f. und Carlyle 1861, Bd. 3, S. 81f.
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ein.60 Mit dieser Auffassung war er keineswegs allein. Radikale wie Gerrard Winstanley sahen in Cromwell ein Werkzeug Gottes. Gleich Moses sollte Cromwell das englische Volk aus der ägyptischen Tyrannei in das gelobte Land führen. Cromwell verwies wiederholt darauf, dass es sich nicht um seine persönliche Berufung handle, sondern dass das Werk, ein gottgefälliges Commonwealth zu schaffen, von denjenigen unternommen werden müsste, die durch Gottes Vorsehung gestärkt und berufen seien. Er motivierte seine Soldaten und Offiziere mit diesen Überlegungen gleichermaßen wie seine politischen Gefolgsleute.61 Die wichtigen Siege der Schlachten von Dunbar oder Worcester deutete Cromwell als Zeichen der göttlichen Vorsehung. Aber damit ergab sich auch die unbequeme Frage, wie Niederlagen zu deuten seien. Und in der Tat wurde Cromwell von erheblichen Zweifeln ergriffen, als die Unternehmungen gegen die Spanier in der Karibik nicht zu dem gewünschten Erfolg führten (siehe dazu unten Abschnitt V). Er fühlte sich von Gott verlassen. Dieser „Providentialismus“ konnte durch die Kontingenz der Ereignisse schnell seine legitimierende und motivierende positive Kraft in das lähmende Gegenteil verkehren. Fehlschläge und Niederlagen konnten gerade nicht als Zufälle abgetan werden, sondern waren ebenso Ausdruck von Gottes Vorsehung. Cromwells Auffassung war konsequent und er sah daher auch in den Fehlschlägen Gottes Willen am Werk und war entsprechend niedergeschlagen. Im konfessionellen Zeitalter war Cromwells Haltung nicht ungewöhnlich.62 Cromwell verstand es, die höheren Ziele zum Ruhme Gottes in den Mittelpunkt seiner Handlungen zu stellen. Das wurde von einigen seiner Zeitgenossen durchaus ebenso gesehen, Cromwell sei aufgrund der Vorsehung Gottes Lordprotektor geworden, dem das Volk deswegen Gehorsam leisten müsse, weil Gott ihn über das Volk gesetzt habe.63 Nur weil der Glaube in die göttliche Vorsehung und den 60 Carlyle 1861, Bd. 1, S. 390: „it hath, not without cause, been deeply set upon our hearts, That, we intending better to this place than so great a ruin, hoping the Town might be of more use to you and your Army, yet God would not have it so; but, by an unexpected providence, in His righteous justice, brought a just judgment upon them; causing them to become a prey to the soldier [meine Hervorhebung] who in their piracies had made preys of so many families, and now with their bloods to answer the cruelties which they had exercised upon the lives of divers poor Protestants!“. 61 Carlyle 1861, Bd. 3, S. 433: „this work […] should be done […] by men of honest hearts, engaged to God; strengthened by Providence; enlightened in His words“. 62 Dazu Worden 1985, S. 55: „providentialism is to be found at the centre of seventeenth-century political argument and decision-making“. Burgess 1986, S. 532: „providentialist defactoism […] continued to be used in defence of the interregnum regimes throughout the 1650s. […] Indeed the most thorough-going usages of providential theory are to be found in defences of the protectorate rather than in defences of the commonwealth“. 63 Smith, Gods Unchangeableness 1655, S. 1: „Oliver Cromwell is by the Providence of God, Lord Protector of England, Scotland and Ireland, &c, to whom the People owe obedience, as to him whom God hath set over them“. Ganz ähnlich auch die Argumentation von Moore, Protection Proclaimed 1656: „God hath bounded, limited, and put an end to the power and reign of the Norman Race of Kings, and Queens in England; yea, the time of the late Parliaments Government was limited by God [...] so that by the Divine institution of him, who hath wrought
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Eingriff Gottes in die menschlichen Angelegenheiten der von ihm geschaffenen Welt so verbreitet war, konnte diese Argumentation überhaupt ihre Überzeugungskraft entfalten. Die Vorstellungen vieler Menschen korrespondierte mit Cromwells Überzeugungen göttlicher Vorsehung.64 Ihm ging es nicht um Selbstinszenierung oder Erhöhung seiner Person. Und doch blieb das nicht aus. In seinem „The First Anniversary of the Government under His Highness the Lord Protector“ pries Marvell in von Allegorien gesättigter Sprache den „Angelique Cromwell“ als Verteidiger der rechtgläubigen Protestanten gegen die Katholiken.65
V. Die Außen- und Kriegspolitik Cromwells als Legitimitätsstiftung seiner Herrschaft Zwei wichtige Kriege, zunächst gegen die Niederlande und dann gegen Spanien, bestimmten die Kriegs- und Außenpolitik Cromwells. Die Auseinandersetzung mit den Niederlanden war zunächst durch die wirtschaftliche Konkurrenz der beiden Seemächte bestimmt. Cromwell wollte diesen Konflikt zu einem Ende bringen. Es gelang ihm den Krieg (1652-1654) erfolgreich zu beenden. Die Oranier waren durch Heirat mit den Stuarts verbunden. In einem Geheimvertrag konnte erreicht werden, dass die Oranier von der Statthalterschaft in den Niederlanden ausgeschlossen wurden. Damit wurde Charles Stuart von einer weiteren wichtigen Hilfsquelle abgeschnitten. 1654 öffnete ein Handelsvertrag mit Portugal dem Commonwealth weitere Möglichkeiten der wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen Machtprojektion. „Außenpolitische Erfolge sollten das im Innern geringe Ansehen der Republik verbessern helfen“.66 Nicht zuletzt mit diesem Ziel vor Augen entschied Cromwell 1655, Hispaniola (das heutige Haiti und die Dominikanische Republik) anzugreifen. Die Insel gehörte zu den spanischen Überseebesitzungen. Guizot bemerkte dazu, Spanien habe zu den ersten großen Monarchien des europäischen Kontinents gehört, die das neue politische Regime in England diplomatisch anerkannten. Das geschah aus spanischem Eigeninteresse, da die Spanier Cromwell als Gegengewicht zu dem in Paris residierenden Exilhof sahen. Ihnen lag daran, den französischen Einfluss all these things after the Counsel of his own will, is the present Government established in Oliver Cromwell, (subordinately to God) the entitled Lord Protector thereof; and whosoever he be that denies it, or speakes against it, denies the Omniregency of God, and the Ordinance of his will“. 64 Worden 1985, S. 99: „At its period of widest influence, from about 1620 to 1660, Puritan providentialism was a major force in English life and English politics“. 65 Marvell, First Anniversary 1655, S. 7: „Angelique Cromwell who outwings the wind; And in dark Nights, and in cold Dayes alone Pursues the Monster thorough every Throne: Which shrinking to her Roman Denn impure, Gnashes her Goary teeth; nor there secure“. 66 Haan/Niedhart 1993, S. 186.
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zurück zu drängen. Für Cromwell und das Commonwealth aber hatte die spanische diplomatische Anerkennung eine wichtige Signalwirkung, um die Ansprüche der Stuarts zurückzuweisen. Es gab daher keinen legitimen Grund, nicht einmal einen glaubhaften Vorwand für die englische Aggression gegen Spanien.67 Tatsächlich wird man sagen müssen, dass dieser Angriff gegen Spanien politisch unklug war und den Royalisten in die Hände spielte. Allein das Gerücht, dass die Flotte Cromwells mit dem Ziel Hispaniola anzugreifen unterwegs sei, ließ die Royalisten Hoffnung schöpfen. Lord Jermyn gab dieser Hoffnung in einem Brief an Karl II. Ausdruck, denn es sei kaum anzunehmen, dass die Spanier nach dieser Aggression Cromwell weiterhin politisch decken würden.68 Cromwell sah in diesem Unternehmen auch einen konfessionspolitischen Kampf. Denn, so schrieb er an den Vize-Admiral Goodson, Gott selbst liege im Streit mit dem römischen Babylon, das durch die Spanier gestützt werde. Der Herr werde ihm einen Sieg über sie bescheren. Auch hier verschränkte sich Cromwells Glaube an die Vorsehung mit seinen politischen Zielen (siehe oben Abschnitt IV).69 Der Angriff auf Hispaniola wurde abgeschlagen und die Flotte wandte sich unter der Führung von Penn und Fortescue nach Jamaika, das am 17. Mai 1655 erobert wurde. Für Cromwell war dieses Unternehmen dennoch ein Misserfolg, denn Jamaika hatte – zumindest zunächst – längst nicht die Bedeutung wie Hispaniola. Nur konsequent war es, dass Cromwell in dieser Niederlage auch ein Zeichen dafür sah, dass Gott sich von ihm abgewandt und ihn hatte fallen lassen. Er machte sich schwere Selbstvorwürfe, da er offenbar die Gnade und Vorsehung Gottes nicht mehr verdiente. Cromwell schrieb an Fortescue in Jamaika, Gott habe ihn schmerzlich gezüchtigt.70 Das politische Resultat war, dass Spanien unnötig provoziert worden war, ohne dass von einem nennenswerten Gewinn gesprochen werden konnte. Cromwell selbst hätte lieber mit Frankreich ein Bündnis geschlossen, statt mit Spanien gegen Frankreich zu stehen. So war der Angriff auf Hispaniola auch als ein Zeichen an Mazarin und die französische Krone gemeint, führte aber zunächst zu keiner französischen diplomatischen Offerte. In Frankreich waren die englischen Royalisten immer noch einflussreich. Die englische Königin Henrietta Maria, Katholikin und Schwester des französischen Königs Ludwig XIII. (1601-1641) und Tante von Ludwig XIV., residierte noch immer am englischen Exilhof. Auch war Cromwells offene Feindschaft 67 Vgl. Guizot 1854, Bd. 2, S. 149: „l’Espagne [...] avait la première, entre les grandes monarchies du continent, reconnu la République, et ne lui donnait aucun motif légitime, aucun prétexte spécieux d'agression“. 68 Vgl. ebd., S. 162. 69 Carlyle 1861, Bd. 3, S. 351: „The Lord Himself hath a controversy with your Enemies; even with that Roman Babylon, of which the Spaniard is the great underpropper. In that respect we fight the Lord’s battles; - and in this the Scriptures are most plain. The Lord therefore strengthen you with faith, and cleanse you from all evil: and doubt not but He is able, and I trust as willing, to give you as signal success“. 70 Vgl. Abbott 1945, Bd. 3, S. 857.
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gegen die Katholiken kaum geeignet, ihm Entgegenkommen am französischen Hof einzubringen. Hier wird erneut deutlich, wie Religion und zwischenstaatliche Politik im Staatsverständnis Cromwells miteinander verschränkt waren. Das führte – vor allem aus der sicheren Distanz der Restaurationszeit nach 1660 – auch zu heftiger Kritik.71 Trotz Cromwells militärischen Unternehmungen gegen Spanien in der Karibik sandte der spanische König Philipp IV. einen neuen Botschafter nach London. Der Marquis de Leyde hatte den Auftrag einen geheimen Allianzvertrag mit England zu schließen. Spanien wollte die inneren Unruhen in Frankreich ausnutzen. Cromwell wurde spanische Hilfe zur Eroberung von Calais angeboten, vorausgesetzt er würde dem Prinzen Condé dabei helfen, Bordeaux einzunehmen.72 Cromwell ließ sich darauf nicht ein und sandte Oberst (Colonel) William Lockhart nach Frankreich, um dort die Verhandlungen mit der französischen Krone voran zu bringen. In den erhaltenen Instruktionen an Lockhart betonte Cromwell das gemeinsame Interesse Englands und Frankreichs und die Bedeutung der Religion. Einmal mehr kreuzten sich politisches und religiöses Interesse in Cromwells Überlegungen.73 Der politische und militärische Erfolg dieser Initiative brachte Cromwell die internationale Anerkennung der führenden Mächte Europas ein. In der Schlacht um Dünkirchen (Battle of the Dunes) am 14. Juni 1658 schlug das französische Heer unter der Führung von Turenne, unterstützt von den Protektoratstruppen der New Model Army unter dem Befehl von Lockhart, der 6000 Mann ins Feld geführt hatte, das spanische Heer und dessen alliierten Truppen der französischen Aufrührer (Fronde) und englischen Royalisten. Dünkirchen wurde erobert und an die Engländer übergeben. Lockhart wurde der Gouverneur dieser strategisch wichtigen Stadt in Flandern, von der aus die Spanier Kaperschiffe mit dem Ziel, englische Handelsschiffe aufzubringen, ausgesandt hatten. Nachdem sich die Engländer vor über hundert Jahren 71 Bethel, The world’s mistake 1668, S. 3f.: „contrary to our Interest, [Cromwell] made an unjust Warr with Spain, and an impollitick League with France, bringing the first thereby under, and making the latter too great for Christendome; and by that means, broke the ballance betwixt the two Crowns of Spain, and France, which his Predecessors the Long Parliament, had alwayes wisely preserved. In this dishonest Warr with Spain, he pretended, and indeavoured, to impose a belief upon the world, that he had nothing in his eye, but the advancement of the Protestant Cause, and the honour of this Nation; but his pretences, were either fraudulent, or he was ignorant in Forreign affairs“. 72 Vgl. Guizot 1854, Bd. 2, S. 163f. 73 Firth 1906, S. 744: „you may insinuate, that I have taken France for a friend, not out of necessitie, but choice, that it cannot be unknowne to the cardinall [Mazarin] what tenders have been made by Spaine to have turned the armes of this state another way, nor what my principles are which lead me to a closure with France, rather than with Spaine, I having often declared them to the French Ambassador here, viz. that the one gives libertie of conscience to the professors of the protestant religion, and the other persecuteing it with losse of life and estate, that therefore the friendship is like[ly] to be constant, and lasting on my part, haveing in the contracting thereof, not only satisfyed the interest of the state, but pursued my owne principles and conscience“.
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aus Calais zurückgezogen hatten, war dies die erste Besitznahme einer Stadt auf dem europäischen Kontinent. Cromwells internationale Politik wurde von Erfolg gekrönt und die Reputation und Legitimität seines Protektorats wurde auf der internationalen Bühne nicht mehr in Frage gestellt. Die königliche Familie der Stuarts hatte hingegen den Exilhof in Paris aufgrund des Bündnisses zwischen Ludwig XIV. und Cromwell verlassen müssen. Charles Stuart hatte sich mit Spanien verbündet und war nach Brüssel ausgewichen. Nach der Niederlage im Juni 1658 war die Sache der Royalisten an einem Tiefpunkt ihrer politischen und militärischen Möglichkeiten, die englische Krone wiederzugewinnen, angelangt. Nur durch den frühzeitigen Tod Cromwells am 3. September des gleichen Jahres wurde sein Erfolg wieder in Frage gestellt, und 1660 kam es dann doch noch zur Restauration der Stuarts.
VI. Ausblick und Schluss Cromwells Herrschaft und das Protektorat wurden von eminenten Autoren verteidigt.74 Im Gegensatz zu ihnen kann Cromwell nicht als origineller politischer Denker gelten. Sein Staats- und Herrschaftsverständnis war durch das alte Herkommen der ancient constitution und die Tradition der Monarchie geprägt. Er kam unerwartet und auch unvorbereitet zu den wichtigen Rollen, die er innerhalb des englischen Bürgerkriegs als Armeeführer und Politiker spielte. Die Legitimierung seiner Herrschaft beruhte auf einer unvermittelten Verschränkung heterogener Argumente und Rechtfertigungsstrategien, die sich zumindest oberflächlich zu widersprechen schienen.75 Hobbes sah in ihm einen Opportunisten, der „sich immer der stärksten Gruppierung anschloss und deren Farbe annahm.“76 Derartige Urteile aus der Rückschau sind zumeist unfair und werden Cromwell nicht gerecht. Er war im Sinne Machiavellis ein principe nuovo der wie Borgia und die durch Usurpation an die Macht gelangten römischen Kaiser ein Emporkömmling war, der vom Militär und den capitani abhing, sich aber dadurch auszeichnete, dass er politisch und militärisch die Gunst der Stunde zu ergreifen und zu nutzen wusste. Allerdings glaubte Cromwell nicht an ein blindes Schicksal oder die heidnische Göttin Fortuna, sondern an die göttliche Vorsehung, die ihn im Dienst und zum Heil von England für die militärische und politische Führung seines Landes erwählt hatte. Die militärischen und politischen Erfolge schienen das zu bestätigen, bis militärische Rückschläge dieses Gottvertrauen in Frage stellten. Cromwell sah menschliche Insti-
74 Siehe insbesondere Milton, Second Defence 1999, S. 401f.; und Nedham, A true state 1654. 75 Vgl. dazu Sommerville 1990, S. 241, der diese Unterschiede herausstellt. 76 Hobbes, Behemoth 2015, S. 156.
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tutionen als wenig verlässlich an, und doch wusste er, dass er zur Legitimierung seiner Herrschaft gewissermaßen alle Register ziehen musste. Dazu gehörte die Inszenierung des Hoflebens, das politische und militärische Ausgreifen innerhalb der zwischenstaatlichen Beziehungen, sowie der Rekurs auf konstitutionelle und juristische Herrschaftsbegründungen. Der Makel der fehlenden Dynastie konnte dennoch nicht kompensiert werden und auch durch die Erklärung der Erbfolge des Lordprotektors war diese Unzulänglichkeit nicht wettzumachen.77 Von den einen als Usurpator und Königsmörder verfemt,78 von anderen als Held der englischen Freiheit und Rechtgläubigkeit enthusiastisch begrüßt,79 blieb seine Herrschaft ein kurzes und einmaliges Zwischenspiel in der englischen Geschichte. Cromwell versuchte der politischen Schwäche, die einem principe nuovo eigen ist, letztlich vergeblich zu trotzen. Die Faszination, die von seiner Person ausgeht, liegt nicht nur in den außerordentlichen militärischen und politischen Erfolgen Cromwells begründet, sondern auch in seinem Scheitern an den Beharrungskräften, die sich trotz Bürgerkrieg und revolutionärer Aufruhr durchsetzten.
Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Abbott, Wilbur Cortez, Hrsg., 1937-1947: The Writings and Speeches of Oliver Cromwell, 4 Bde., Cambridge/Mass. Andrews, John, 1660: The Case is altered. Or, Dreadful news from Hell. In a discourse between the ghost of this grand traytor and tyrant, Oliver Croomwel, and Sir reverence my Lady Joan his wife, at their late meeting neer the scaffold on Towerhill. With his epitaph written in Hell, on all the grand traytors, now in the Tower, London. Machiavilian Cromwellist, 1648: The Machiavilian Cromwellist and Hypocritical Perfidious New Statist, London. The hunting of the Foxes, 1649: The hunting of the foxes from new-market and Triploeheaths to Whitehall, by five small Beagles (late of the Armie), or, the Grandie-deceivers unmasked (that you may know them) directed to all the free-people of England, o.O. Lebens-Beschreibung, 1692: Lebens-Beschreibung des verschmitzten Welt-Mannes Oliver Cromwell, Frankfurt.
77 Mit der Petition and Advice wurde 1657 das Instrument of Government ersetzt. Hier wurde nun u.a. Cromwell das Recht zugestanden seinen Nachfolger zu benennen; Gardiner 1889, S. 336: „your Highness will be pleased during your lifetime to appoint and declare the person who shall, immediately after your death, succeed you in the Government of these nations“. 78 Ein extremes Beispiel ist Andrews, Case 1660. 79 So zum Beispiel Milton, Second Defence 1999, S. 402: „Go on therefore, Cromwell, […] your country’s deliverer, the founder of our liberty, and at the same time its protector“; oder auch Nedham, A true state 1654. Siehe Togashi 2011.
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Georg Eckert Agent Provocateur: Thomas Hobbes‘ Seitenblicke auf Oliver Cromwell
Oliver Cromwell wurde im Englischen Bürgerkrieg vom ungemein erfolgreichen Kommandeur der auf dem Schlachtfelde so unerwartet überwältigenden Ironsides zur zentralen militärischen wie politischen Figur – lange bevor er im Jahre 1653 als Lordprotektor des Commonwealth de facto auch zum Staatsoberhaupt geriet. Zugleich geriet er schon zu Lebzeiten zur Symbolfigur des Systemwandels, auch dank eigener Stilisierung.1 Sein im Protektorat vorgezeichnetes Bild eines königlichen Nicht-Königs2 sollte auf ausgleichswillige Anhänger wie Gegner der Monarchie pazifizierend wirken. Freilich polarisierte der neue Machthaber enorm: Während Royalisten das hässliche Feindbild eines blutdurstigen Usurpators zeichneten, skizzierte etwa James Harrington in seiner Utopie „The Commonwealth of Oceana“ (1656) das Ideal seines guten Gesetzgebers Olphaus Megaletor unverkennbar entlang den Zügen Oliver Cromwells. Kurzum: Wer seinerzeit oder später zum Bürgerkrieg, zum Commonwealth, zur Restauration, zum politischen System Englands überhaupt Stellung bezog, musste sich irgendwie zu Cromwell verhalten. Das galt auch für Thomas Hobbes, der sein wirkungsmächtigstes Werk im Interregnum verfasste. Der „Leviathan“ erschien im Jahre 1651, zwei Jahre nach der Hinrichtung Königs Karls I. und zwei Jahre vor der Einführung des „Instrument of Government“, das Cromwells Herrschaft nach einer Phase interimistischen Tastens schließlich konstitutionell absicherte. Bereits im „Leviathan“ warf Hobbes einige Seitenblicke auf Cromwell, der in der Darstellung auf gewisse Weise sogar eine zentrale Rolle spielte – allerdings nicht explizit und als Individuum, sondern eher implizit und als Typus, auf den jegliche politische Philosophie gefasst sein müsse: inwiefern, soll dieser Aufsatz andeuten. Dazu bedarf es einiger hermeneutischer Vorbemerkungen, ehe nachzuvollziehen ist, wie Hobbes seinem Cromwell eine Funktion als „Agent Provocateur“ zuwies: der einerseits nicht weit genug, andererseits viel zu weit gegangen sei. Daran profilierte der Philosoph sein politisches Denken.
1 Zur Inszenierung Cromwells vor dem Hintergrund der monarchischen Tradition siehe: Sharpe 2010. 2 Einen zunehmend königsgleichen Auftritt im Protektorat thematisiert: ders. 1998, S. 44.
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I. Hermeneutische Grenzen: Was wir über Hobbes‘ „Leviathan“ wissen können – und was nicht Dass Hobbes im „Leviathan“ ganz unbefangen und ohne weitere Rücksichten seine Meinung vorgetragen habe, ist zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber eben auch nicht sonderlich wahrscheinlich. Immerhin war Hobbes vor der Publikation dieses Werkes im besagten Jahre 1651 den Royalisten zuzuordnen gewesen – und kehrte nun aus dem französischen Exil in ein England zurück, in dem Oliver Cromwell nach wie vor das Kommando über die siegreiche New Model Army und damit auch die politische Vorherrschaft innehatte. Darum vermag es wiederum nicht zu verwundern, dass man nach dem Namen „Cromwell“ im gesamten „Leviathan“ vergeblich sucht – gewidmet war die Schrift übrigens dem Adeligen Francis Godolphin, der im Englischen Bürgerkrieg an der Seite des Königs gestanden, indes seine zwischenzeitlich eingezogenen Besitzungen in der neuen, republikanischen Regierungsform wiedererlangt hatte. Es sind also komplexe Kontexte, in denen es den eigentlichen Text zu lesen gilt: von den großen politischen Konstellationen bis hin zu den kleinen Praktiken der Patronage und des zeitgenössischen Publizierens. Zwar war der Rahmen des Sagbaren bei der Publikation des „Leviathan“ durchaus weit, jedenfalls wesentlich weiter, als es manche, prinzipiell durchaus zutreffende Bemerkungen über die Bedeutung der seinerzeitigen Zensur erscheinen lassen. Inwiefern sie in der Praxis doch recht duldsam ausgestaltet war, lässt sich ganz konkret zeigen. So vermochte Hobbes, auf der Insel noch immer bekannt als Autor des herrscherfreundlichen „De Cive“ und gerade erst zurückgekehrt aus dem französischen Exil, in das er sich wie viele Royalisten geflüchtet hatte, seinen „Leviathan“ im Jahre 1651 getrost in England zu veröffentlichen. Paradoxerweise brachte seine Abhandlung ihm ausgerechnet auf der Seite, auf der selbst er zu stehen schien, am allermeisten Kritik ein, nämlich von Königstreuen aus Adel und Anglikanismus, die Hobbes vorwarfen, mit dem Gehorsamsgebot des „Leviathan“ implizit die neue Herrschaft zu unterstützen. Mehr noch, gerade die Ablehnung des Werkes im Umfeld der exilierten Stuarts verschaffte dem Autor eine „Freikarte nach England“.3 Gleichwohl hätte scharfe Kritik an Cromwell im „Leviathan“ schwerlich ohne Folgen bleiben können – selbst wenn die klassische Zensur unterdessen zusammengebrochen war4. Hobbes wäre vom Regen in die Traufe geraten, schließlich hatte er sich wieder auf die Insel begeben, um einer möglichen Verfolgung in Frankreich zu entgehen, wo er zuletzt wiederum als Materialist und Kritiker des Katholizismus in Verruf geraten war: Zum Märtyrer noch der besten Sache wollte er sich offenkundig nicht machen lassen. Anders lagen die Verhältnisse in den 1660er Jahren, als 3 Bredekamp 2020, S. 57. 4 Collins 2007, S. 481.
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Hobbes sein einziges Werk explizit über den Englischen Bürgerkrieg verfasste, den „Behemoth“ – und doch ganz ähnlich: Der Druck des Buches wurde sogar verboten, der als Fortsetzung des „Leviathan“ konzipierte Dialog durfte erst im Jahre 1681 erscheinen, auch wenn diese Zensur seitens des Königs eher als Maßnahme gedacht war, die Hobbes‘ Prestige dienen sollte. Im „Behemoth“ trat Cromwell nun zum ersten und auch zum letzten Male in Hobbes‘ Publikationen explizit hervor.5 Am signifikantesten dürfte jener Moment sein, als sich der im Gespräch als Schüler zu erkennende „B“ nach dem Dilemma des Parlaments erkundigt, erst eine Anarchie ausgelöst zu haben, dann aber unfähig zu sein, eine neue Regierungsform zu errichten – und zwar aufgrund einer verhängnisvollen Eigendynamik: Der zuvor siegreiche General müsse dann entweder die Herrschaft selbst übernehmen oder sie anderen übertragen, in letzterem Falle freilich würden die anderen Armeekommandeure sich weigern, selbst zu Sklaven eines neuen Herrschers zu werden. Worauf der andere Dialogpartner, der Zeitzeuge „A“, erwidert: Sie werden es, und sie taten es: insofern, als das der Grund dafür war, dass Cromwell, nachdem er die absolute Macht über England, Schottland und Irland unter dem Namen des Protektors in seine eigenen Hände bekommen hatte, es niemals gewagt hat, den Titel des Königs auf sich zu legen, und er vermochte es auch niemals, ihn auf seine Kinder festzulegen. Seine Offiziere hätten das nicht geduldet, weil sie nach seinem Tode beansprucht hätten, ihm nachzufolgen; auch die Armee hätte nicht zugestimmt, weil er sich ihr gegenüber immer gegen die Regierung einer einzelnen Person ausgesprochen hatte.6
Hobbes‘ Cromwell war also in die selbst gestellte Falle getreten. Eine gewisse Plausibilität gewann diese Lesart dadurch, dass sich tatsächlich weder Cromwells Sohn Richard noch Cromwells Regierungssystem hatten halten können. Seit der Restauration des Jahres 1660 herrschte auf den Britischen Inseln wieder ein König, Karl II., dessen Vater einst hingerichtet worden war. Schon diese Diagnose scheint bei Hobbes aber eher ins Strukturelle als ins Individuelle gewendet zu sein. Denn letztlich hoben die Dialogpartner im „Behemoth“ nicht auf persönliche Eigenheiten ab, sondern ließen Oliver Cromwell eher als einen von vielen Heerführern mit Machtambitionen erscheinen,7 mitnichten als außergewöhnliche, geschweige denn charismatische Gestalt, vielmehr als raffinierten Taktiker, der seine „besten Karten“ klug auszuspielen wusste,8 der sich mehr als einmal eines raffinierten „Tricks“ zu
5 Lemetti 2012, S. 91. 6 Hobbes: Behemoth 1860, S. 299. Dieses und weitere im Original englischsprachige Zitate sind vom Autor übersetzt. 7 Kraynak 1990, S. 66. 8 Hobbes: Behemoth 1860, S. 333.
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bedienen imstande war,9 der geduldig auf den richtigen Moment der Machtübernahme zu warten vermochte.10 Weitere Cromwell-Bezüge in Hobbes‘ gesamtem Œuvre ergeben sich nur implizit. Auch das „Commonwealth“, das der „Leviathan“ vorstellt, ähnelt dem Cromwell’schen Commonwealth lediglich dem Namen nach – das ohnehin erst ab dem Jahre 1653 so hieß. Wer wollte, konnte daraus indes eine Verbindung konstruieren, ebenso wie aus dem berühmten Titelkupfer des „Leviathan“. Doch ob der darauf abgebildete Herrscher eher Oliver Cromwell oder Karl II. ähnelt, wird sich wohl niemals entscheiden lassen und hing ohnehin seit jeher von dem ab, was die Leser darin erkannten. Teils dürfte die Vieldeutigkeit beabsichtigt gewesen sein, teils zeichnen sich verschiedene Stadien der Arbeit am „Leviathan“ und der damit verbundenen Kalküle ab. Zunächst war eine ikonographische Assoziation des Titelkupfers mit Karl II. keineswegs beabsichtigt, weil sie Hobbes‘ Anspruch einer universalen Staatstheorie statt nur einer Stellungnahme in einem innerbritischen Konflikt widersprochen hätte.11 Erst in passender Situation glich der Künstler Abraham Bosse das Portrait des Leviathan an die Gesichtszüge Karls II. an.12 Weitere explizite Bezüge auf Cromwell fehlen in Hobbes‘ Œuvre jedenfalls. Teils intensiv diskutierte Fragestellungen lösen sich damit in einer Wolke methodologischer Unentscheidbarkeit auf. Nicht umsonst ist Hobbes‘ Werk zum Kristallisationspunkt großer Debatten darum geworden, was man aus solchen Texten eigentlich herausfinden könne und als was sie sich deuten ließen: als Sprechakte vornehmlich.13 Gewiss hatte Hobbes seine eigenen Ambitionen, die bisweilen im „Leviathan“ aufscheinen wie Ansätze eines Bewerbungsschreibens: Da sich die Fähigkeit zum Erteilen eines Rats auf Erfahrung und lange Studien gründet und man von niemand erwartet, daß er in allen Dingen, deren Kenntnis zur Regierung eines großen Staates notwendig ist, erfahren ist, kann jemand nur in solchen Gebieten als guter Berater angesehen werden, in denen er nicht nur große Übung besitzt, sondern über die er auch reiflich nachgedacht und Untersuchungen angestellt hat.14
Aber welcher Natur diese Ambitionen waren, wissen wir nicht. Ohnehin haben der rasche Wechsel der Kontexte von der zunächst durchaus stabilen monarchischen, manchen Zeitgenossen als despotisch und vielen Nachgeborenen als „absolutistisch“ geltenden Herrschaft Karl I. über die Auseinandersetzung mit einigen Unterhausmitgliedern und den Bürgerkrieg bis hin zur Hinrichtung des Königs, zur Errichtung des Commonwealth, zum Kollaps dieses Regierungssystem, zur Restauration und zur Neuformierung der politischen Lager in den 1600er Jahren mehrere Implikationen. 9 10 11 12 13 14
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Ebd., S. 335. Ebd., S. 346. Bredekamp 2020, S. 38. Ebd., S. 54f. Skinner 1996. Hobbes: Leviathan 1996, S. 200 (Kapitel 25). Hervorhebung im Original.
Die erste mündet im Problem, welchen Teil des Hobbes’schen Œuvres man für besonders authentisch erachten, als Hobbes „eigentliche“ Meinung auffassen könne. Es lässt sich nur mithilfe zweifelhafter Prämissen lösen, die letztlich willkürliche Setzungen darstellen: sei es, dass man ein bestimmtes Werk als Zentrum seines Schreibens definiert, sei es, dass man die Entwicklung seines Denkens als einen Reifeprozess darstellt, der das spätere Schaffen zum Zielpunkt habe. Doch ob im „Behemoth“ wirklich „Hobbes’s own view of Cromwell“ zum Ausdruck gekommen sei,15 lässt sich füglich bezweifeln: Es ist eben der Cromwell, den Hobbes beim Schreiben des „Behemoth“ als darstellbar erachtete. Umgekehrt repräsentiert der „Leviathan“ exakt die Figur, die Hobbes unter anderen Umständen als vermittelbar erschienen war. Die hermeneutischen Dilemmata geraten übrigens nicht kleiner, wenn man zusätzlich etwa die „Elements of Law“ heranzieht: abgeschlossen im Jahre 1640, doch vor einem – unautorisierten – Raubdruck aus dem Jahre 1650 nur als Manuskript in Zirkulation. Ein Folgeproblem resultiert aus dem Anspruch, Hobbes insgesamt eine spezifische Loyalität zuzuschreiben. Selbst wenn man beim Blick auf sein gesamtes Werk ein Zurücktreten von republikanischen Elementen und eine stärkere Zuneigung zum Royalismus feststellt,16 bleibt ein wesentlicher Unterschied verdeckt: Gesetzt, man akzeptiert diese Argumentation, so fehlen doch Quellen, die erkennen lassen, ob Hobbes nun in erster Linie ein Royalist, also ein Anhänger des (im engeren Sinne des Wortes „absolutistischen“) Königtums, oder aber ein Parteigänger der Stuarts (oder ein Parteigänger von Parteigängern der Stuarts) gewesen sein mag – und man wird sie vermutlich kaum finden, weil wenigstens Hobbes‘ „Leviathan“ in erster Linie dem Gedanken an einen Souverän verpflichtet war, wie auch immer er beschaffen sein mochte. „Hobbes’s break with the Stuarts”,17 weithin wahrgenommen, muss so oder so keineswegs identisch mit einer Wendung gegen die Monarchie gewesen sein. Ähnliche Zuordnungsschwierigkeiten ergeben sich im Übrigen für die schwierige Frage nach Hobbes‘ Ekklesiologie. Dass sich Hobbes gegen den Episkopat gewandt hat,18 kann auch einem Kalkül wider spezifische Bischöfe – etwa den notorischen Erzbischof Laud – geschuldet gewesen sein. So zentral seine Angriffe auf einen „clerical dualism“ waren,19 so wenig lässt sich auch die Motivation dahinter erfassen. Die zweite Implikation besteht darin, dass auch Indizien der Rezeptionsgeschichte kaum verfangen. Die Debatte darum, ob es sich beim „Leviathan“ um ein Angebot an Cromwellianer oder eher um eine „Sympathieerklärung für Karl I.“ gehandelt
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Lemetti 2012, S. 91. Hamilton 2009, S. 412, 452. Collins 2005, S. 165. Ebd., S. 129. Ebd., S. 121.
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haben mag oder nicht,20 ist schon eine etwas ältere, die sich wohl niemals befriedigend abschließen lassen wird: weder mit Verweis auf Hobbes selbst, der aus leicht erklärbaren Gründen später erklärte, keineswegs eine Verteidigung des Interregnums beabsichtigt zu haben,21 noch mit Blick auf Leser wie etwa Clarendon und sein Verdikt, Hobbes habe mit dem Leviathan nur Cromwells übles Treiben gedeckt22 (nicht einmal willentlich, denn für Clarendon blieb Hobbes ein naiver Intellektueller bar jeder politischer Erfahrung23). Überhaupt lässt sich pointiert sagen, dass die Hobbes-Rezeption eher Nebensächlichkeiten der Darstellung gegolten habe:24 Autoren sterben nun einmal vor ihren Texten. Die dritte Implikation führt zu einer Wendung ins Methodologische. Nicht allein, dass sich die Kontexte der Hobbes’schen Publikationen erheblich voneinander unterscheiden – zugleich gibt es eben nie nur einen einzigen Kontext,25 aus dem heraus ein Werk in seiner konkreten Beschaffenheit hinreichend zu erklären wäre: zum makropolitischen, also dem Schicksal des Königtums, gibt es immer auch einen mikropolitischen, nämlich Hobbes‘ konkrete Position zu seinen Patronen und deren Lage gegenüber ihren eigenen Patronen bis hin zu den Stuarts selbst, zum geistesgeschichtlichen einen sozioökonomischen etc. Wie sich einzelne Akteure den tagespolitischen Entwicklungen folgend in einem sich ständig wandelnden Raum bewegten, ist indes kaum nachzuvollziehen, entsprechende Zuordnung lassen sich nur bei günstiger Quellenlage treffen – jedenfalls kaum bei der Genese eines Textes, die sich über viele Jahre zog. Indizien dafür, dass Hobbes gezielt Royalisten und Revolutionäre ansprach, finden sich durchaus, etwa in Passagen über Loyalitätspflicht. Mit Sätzen wie „Unterwirft sich ein im Krieg überwundener Monarch dem Sieger, so werden seine Untertanen von ihrer früheren Verpflichtung entbunden und dem Sieger verpflichtet“ konnten sich am Beginn der 1650er Jahre wenigstens gemäßigte Akteure auf beiden Seiten anfreunden, auch mit der Differenzierung, wie es sich in einem Fall der Gefangenschaft verhalte, die „nicht als Aufgabe seiner Souveränitätsrechte auszulegen“ sei und eine anhaltende Gehorsamspflicht gegenüber „den zuvor eingesetzten Beamten“26 beinhalte. Eine vierte Implikation betrifft die kaum zu beantwortende Frage, wem manche Argumente eigentlich gehören. Die Ideengeschichte weist kein Urheberrecht zu, sondern fragt danach, wie Ideen kombiniert und genutzt werden. Anders gesagt: Es gilt zwischen „theoretischen Grundlagen“ und „praktischer Außenwirkung“ zu
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Sternberg 1929, S. 499. Burgess 1990, S. 678. Ebd., S. 699. Zagorin 2007, S. 466. Burgess 1990, S. 701. Ebd., S. 675. Hobbes: Leviathan 1996, S. 172 (Kapitel 21).
unterscheiden.27 Dass manche Argumente von Hobbes zur Verteidigung von Cromwells Religionspolitik herangezogen wurden,28 sogar mit quasi-offiziösem Rang,29 macht Hobbes noch zu keinem Cromwell-Anhänger. Selbst der anti-episkopale Hobbes ist noch kein pro-Independent-Hobbes,30 auch wenn man Hobbes mit guten Gründen näher bei den Independents um Cromwell als bei Presbyterianern vermuten darf, die sich loyal zu den Stuarts verhielten.31 Das hinderte ihn freilich nicht daran, gerade in Religionsfragen so manche Argumente zurückzuweisen, die unterdessen Cromwells Anhänger gebrauchten;32 zudem lässt sich konstatieren, dass Hobbes sich weniger konkret gegen Cromwell und die Mitglieder des Rumpfparlaments wandte als vielmehr generell gegen die Prinzipien, die er ihrem Handeln zugrunde liegen sah.33 Würdigt man den „Leviathan“ vor allem als Sprechakt, also als konkrete Positionierung eines Philosophen im politischsozialen Raum, wird die Annahme einer in sich geschlossenen Gedankenführung erst recht problematisch. Dann liegt die Erwägung nahe, dass eher ad-hoc-Bedürfnisse die Richtung wiesen. Anders gesagt: Hobbes bedurfte zu solchen Zwecken gar keiner konsistenten Argumentationsweise,34 beispielsweise bediente er sich bisweilen eines philosophischen Materialismus, wo er der königlichen Sache dienlich schien.35 Wenn umgekehrt Royalisten wie Robert Filmer – übrigens ein intellektueller Rivale Hobbes‘ um die Gunst der Stuarts mit wiederum ganz eigenen Interessen – sich gegenüber dem „Leviathan“ kritisch äußerten,36 wird Hobbes noch lange nicht zum Gegner des Königs. Schließlich lasen ihn nicht wenige Royalisten, um Linderung für ihre Gewissensnot zu erlangen und zu einem vorläufigen Arrangement mit dem Rumpfparlament respektive der neuen politischen Ordnung zu finden:37 eben nicht prinzipiell, sondern rebus sic stantibus. Denn man kann und konnte das Werk schon damals als Verteidigung der Monarchie gegenüber republikanischer Kritik verstehen,38 während andere darin einen „revolutionary text“39 sahen und sehen. Immerhin attackierte der „Leviathan“ sowohl die Vorrechte des Klerus, vor allem des Episkopats, als auch des Adels: zweier wesentlicher Trägergruppen des König-
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Sternberg 1929, S. 500. Collins 2005, S. 179. Skinner 1966, S. 311f. Hamilton 2009, S. 445. Collins 2007, S. 491. Patterson-Tutschka 2015, S. 635. Ebd., S. 633. Ebd., S. 645. Ebd. Parkin 2007, S. 443. Sommerville 2004, S. 157. Burgess 1990, S. 701. Collins 2005, S. 116.
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tums der Stuarts,40 ganz abgesehen davon, dass Hobbes‘ Buch sich als atheistisches Machwerk denunzieren ließ41 – auch wenn Gott hier in gewisser Weise als Garant menschlicher Verträge überhaupt erscheint42. Zudem lässt sich der „Leviathan“ auch in eine lange Tradition humanistischer Texte einreihen, deren Wesen gerade in beabsichtigter Doppeldeutigkeit lag.43 Auf eine gewisse Ambiguität weist die Rahmung des gesamten Buches hin, von der Widmung bis zum Fazit. In der Zueignung bekannte Hobbes bereits ein Dilemma: „Denn es ist schwierig, auf einem Weg, der von Leuten umlagert ist, die auf der einen Seite für zu große Freiheit und auf der anderen für zuviel Autorität kämpfen, zwischen beiden Standpunkten ungeschoren hindurchzukommen.“44 In der „Conclusion“ wiederum verwahrte er sich gegen eine Vereinnahmung seines Textes durch siegreiche Usurpatoren,45 sicherte sich also gegen alle Seiten ab: Nur wer sich als Usurpator angesprochen fühlte, hätte etwas gegen diesen Gedanken einzuwenden gehabt. Schließlich lautet die zentrale und für diesen Aufsatz wichtigste Implikation: Wir dürfen davon ausgehen, dass Hobbes die teils unerhörten Geschehnisse und Entwicklungen jener Jahre auch als Rückfragen an sein Philosophieren verstanden hat: Hobbes hat sich eben nicht darauf beschränkt, das bereits im Jahre 1642 erschienene Werk „De Cive“ im Jahre 1647 – also lange vor dem Königsmord – in einer überarbeiteten, bis dahin erschienene Kritik aufgreifende Neuauflage zu publizieren, sondern eben den „Leviathan“ verfasst und veröffentlicht. Ob er seine innersten Überzeugungen in all diesen Jahren beibehalten und nur die Argumentation an das Erlebte, Erhoffte, Befürchtete angepasst haben mag, können wir zwar nicht beurteilen. Aber gerade die spezifische Argumentation im „Leviathan“ lässt Rückschlüsse darauf zu, was Zeitgenossen wie Hobbes seit dem Beginn des Bürgerkriegs zu denken, auch zu schaffen gemacht hat.
II. Der zögerliche Cromwell Verfasst war der „Leviathan“ wohl durchaus „with one eye on the rise of Oliver Cromwell”,46 jedenfalls strukturell gedacht. Genau dieser Blick auf die Geschichte seiner eigenen Zeit hat Hobbes interessiert, darauf war der „Leviathan“ systematisch angelegt: um ein Staatswesen zu entwickeln, das nicht in solche Krisen geraten 40 41 42 43 44 45 46
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Schäfer 2021, S. 371. Martel 2007, S. 4. Ebd., S. 135. Ebd., S. 7. Hobbes: Leviathan 1996, S. 3 (Widmung). Burgess 1990, S. 680. Collins 2005, S. 149.
könne wie zuletzt das englische, seinen Tiefpunkt findend in der Hinrichtung des Monarchen, mithin des einzig legitimierten Souveräns. Nicht für das Individuum Cromwell interessierte sich Hobbes, sondern für einen Typus, dem sich auch Cromwell zuschreiben ließ: einen Typus, der einerseits nicht weit genug ging, andererseits eben zu weit. Tatsächlich finden sich im „Leviathan“ sowohl Passagen, die sich nachgerade als Aufforderung lesen lassen, sich mit dem im Bürgerkrieg Erreichten keineswegs zufriedenzugeben, als auch solche, die Cromwells Grenzüberschreitungen implizit kritisierten. Intensiv thematisierte Hobbes schwierige Szenarien eines Herrschaftswechsels, bis hin zu einer Argumentationsweise, die infolge der Glorreichen Revolution eine besondere Bedeutung erlangen sollte – in Gestalt einer Unterscheidung zwischen einer Herrschaft „de iure“ und einer Herrschaft „de facto“,47 die unter gewissen Umständen eben auch anzuerkennen sei. Immerhin beklagte er, aus der Lektüre von „verschiedenen, neulich gedruckten englischen Büchern“ ersehen zu müssen, „daß die Bürgerkriege dem Menschen noch nicht genügend gelehrt haben, zu welchem Zeitpunkt ein Untertan einem Eroberer verpflichtet ist, noch, wie es dazu kommt, daß die Menschen dadurch verpflichtet werden, seinen Gesetzen zu gehorchen“.48 Dabei waren seine Ausführungen über „Herrschaft durch Eroberung oder Sieg im Krieg“ durchaus auf die englische Situation des Jahres 1648 anzuwenden: diese Herrschaft erwirbt sich der Sieger dann, wenn der Besiegte, um der bevorstehenden Tötung zu entgehen, entweder durch ausdrückliche Worte oder andere ausreichende Willenszeichen vertraglich übereinkommt, daß solange ihm Leben und körperliche Freiheit zugestanden werden, der Sieger nach Belieben daraus Nutzen ziehen darf.49
Auch den vom Cromwell betriebenen Königsmord fasste Hobbes in Formulierungen, die wiederum zu den englischen Verhältnissen des Jahres 1648 passten – solange der militärisch geschlagene König lebte, war er allzeit konkurrierender Souveränitätsansprüche halber eine Bedrohung: Und deshalb bedeutet Pardon nicht, daß einem das Leben geschenkt wird, sondern nur einen Aufschub, bis es sich der Sieger noch einmal überlegt hat, denn es handelt sich nicht um ein Ergeben unter der Bedingung, daß einem das Leben geschenkt wird, sondern um ein Sich-Ausliefern an das Gutdünken des Siegers.50
Letztlich kritisierte der „Leviathan“ weniger eine revolutionäre Herrschaft als deren ungenügende Umsetzung. Denn Hobbes benannte – weitsichtig, wie sich nach Cromwells Tod und dem darauffolgenden raschen Verfall des Commonwealth zeigen
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Dazu Eckert 2009, S. 315–319. Hobbes: Leviathan 1996, S. 536 (Rückblick und Schluss). Ebd., S. 157 (Kapitel 20). Ebd., S. 158 (Kapitel 20).
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sollte – die Risiken, die aus einer zu zögerlichen Herrschaftsübernahme resultierten: „Dazu gehört, daß ein Mensch, der ein Königreich an sich bringen möchte, mit einer geringeren Macht als zum Frieden und zur Verteidigung des Staats notwendig, zufrieden ist.“51 Dagegen schrieb Hobbes im „Leviathan“ insofern konsequent an, als er gerade jegliche Teilung der Souveränität für den Anfang des Untergangs eines Staates erachtete: ob nun in einer traditionsreichen Monarchie oder in einer neuen Staatsform, machte dabei keinen wesentlichen systematischen Unterschied. Aus seiner Sicht galt für Oliver Cromwell wie für den gestürzten Karl I. gleichermaßen ein identisches Caveat, dass Macht durch Macht abgesichert werden müsse: Die Verpflichtung der Untertanen gegen den Souverän dauert nur so lange, wie er sie auf Grund seiner Macht schützen kann, und nicht länger. Denn das natürliche Recht der Menschen, sich selbst zu schützen, wenn niemand anderes dazu in der Lage ist, kann durch keinen Vertrag aufgegeben werden. Die Souveränität ist die Seele des Staates, von der die Glieder keinen Bewegungsantrieb empfangen können, wenn sie einmal den Körper verlassen hat. Der Zweck des Gehorsams ist Schutz.52
Um aber wirksamen Schutz bieten zu können, erachtete Hobbes eine starke, unbeschränkte Herrschaft für unerlässlich. Diese Pointe führte mitten in ein Dilemma der Art, in das sich gerade radikale Unterhausmitglieder mit ihren egalitären Forderungen selbst gebracht hatten: dass die Verwirklichung der von ihnen ausgelobten freiheitlichen Prinzipien einen Sieg im Bürgerkrieg wohl unmöglich, die errungene Herrschaft jedenfalls unterminiert hätte – ohne die Militärdiktatur Cromwells kein Sieg über die Monarchie. Gerade die Eigenmacht des Parlaments betrachtete Hobbes freilich mit großer Sorge, weil sie einen strukturellen Gegensatz von Volksversammlung und Herrscher bedeute,53 mithin eine verderbliche Splittung von Souveränität. Im Staat durfte es seiner Ansicht nach nur ein Kraftzentrum geben, schon damit die Untertanen ihren Gehorsam ungeteilt diesem zuwenden würden und eben nicht mehreren: „Gehorchen heißt ehren, denn niemand gehorcht Leuten, von denen er annimmt, daß sie keine Macht haben, ihm zu helfen oder zu schaden“.54 Loyalitätszweifel galt es also zu vermeiden. Folgerichtig geriet Hobbes das von anderen gepriesene Ideal der Mischverfassung zum Horror, in welcher Form auch immer.55 Ob unter Bedingungen der Monarchie, des Interregnum oder des Commonwealth, machte für ihn keinen staatsphilosophischen Unterschied. Dem Grunde nach bestand Hobbes zufolge zwischen Republik und Monarchie kein prinzipieller Gegensatz, jedenfalls insofern nicht, als beide Staatsformen nach eine Unterordnung unter einen Souverän voraussetzten.56 Dieser freilich musste klar erkennbar sein, aus der unvoll51 52 53 54 55 56
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Ebd., S. 245 (Kapitel 29). Hervorhebung im Original. Ebd., S. 171 (Kapitel 21). Hamilton 2009, S. 454. Hobbes: Leviathan 1996, S. 68 (Kapitel 10). Herz 2008, S. 224. Hobbes: Leviathan 1996, S. 138 (Kapitel 18).
kommenen Wahrnehmung von Souveränitätsrechten folgte diesen Prämissen gemäß notwendigerweise Instabilität: Das Recht des Münzschlagens, die Verfügungsgewalt über Vermögen und Person minderjähriger Erben, das Marktrecht und alle anderen bevorzugten Rechtsstellungen können vom Souverän übertragen werden, unbeschadet der Gewalt, seine Untertanen zu schützen. Überträgt er jedoch den Oberbefehl über das Militär, so ist sein beibehaltenes Recht der Rechtsprechung nutzlos, da er die Ausführung der Gesetze nicht durchsetzen kann; vergibt er die Gewalt der Steuererhebung, so ist das Militär nutzlos, oder vergibt er die Beeinflussung der Lehrmeinungen, so werden die Menschen aus Geisterfurcht rebellisch.57
Gerade den zuletzt genannten Punkt griff Hobbes an anderer Stelle im „Leviathan“ neuerlich auf, galt ihm die Macht des Souveräns doch vor allem darin gegründet, übernatürlichen Glauben in die rechten Bahnen zu lenken – andernfalls drohe Aufstand.58 Auch daran gemessen erschien Oliver Cromwell in seiner relativen Duldsamkeit zu zögerlich: ein Agent Provocateur, der davor zurückschreckte, die beanspruchte Macht am Ende durch systematische Unterwerfung gerade radikaler Gruppen vollumfänglich zu ergreifen. Dazu hätte aus Hobbes‘ Sicht wohl gehört, dass Cromwell sich nicht zuletzt durch kluge Personalpolitik von einstigen radikalen Trägern seiner Herrschaft löste: „Eine andere Aufgabe des Souveräns ist die Wahl guter Berater.“59 Was hier fast wie ein Stellengesuch anmutet, kann man als Rekurs Hobbes‘ auf einen alten Topos auffassen, dass nämlich ein Herrscher seine Klugheit und Regierungstauglichkeit zumal durch die Auswahl seiner Räte beweise. Zugleich wies Hobbes zwischen den Zeilen auf eine latente Bedrohung der Vorherrschaft Cromwells hin: Er verfügte eben nicht über hinreichende Machtmittel, die zahlreichen Gruppierungen mit ihren oft heilsgeschichtlich unterlegten politischen Gestaltungsambitionen einzuhegen, er konnte ihre Beanspruchung kaum wagen. Anders gesagt: Hobbes zeichnete jenen Weg zum Leviathan an, der Cromwell aus Rücksichtnahme auf seine prekäre Macht gerade nicht einschlagen konnte. Wenn schon Usurpator, pointiert gesagt, dann auch richtig. Auf den moralischen Unterschied kam es dabei kaum an, schließlich thematisierte Hobbes immer wieder Ambitionen von homines novi: „Begierde nach großem Reichtum und Streben nach großen Ehren sind ehrenhaft, denn sie sind Zeichen dafür, daß man die Macht besitzt, sie zu erlangen. Begierde und Streben nach kleinen Gewinnen und Vorteilen sind unehrenhaft.“60 Dabei griff er auch auf antike Topoi zurück, die in Machtstreben keineswegs etwas Unanständiges erkannten: „Auch bei den Menschen galt es bis zur Gründung großer Staaten nicht als Schande, ein Pirat oder Wegelagerer zu 57 58 59 60
Hobbes: Leviathan 1996, S. 142 (Kapitel 19). Hervorhebung im Original. Johnston 1986, S. 110. Hobbes: Leviathan 1996, S. 267 (Kapitel 30). Ebd., S. 71 (Kapitel 10).
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sein“.61 Hier setzte Hobbes weniger anthropologisch als historisch an und räsonierte über eine Zeit, in der „die Menschen in kleinen Familien zusammenlebten“ und in der gegolten habe: „je größer die Beute, die sie machten, desto größer die Ehre“.62 Weit entrückt davon sah Hobbes seine eigene Gegenwart indes nicht, urteilte er doch: Und wie damals kleine Familien, so vergrößern jetzt Städte und Königreiche, die nichts anderes als größere Familien sind, aus Gründen der eigenen Sicherheit ihren Herrschaftsbereich bei jeder angeblichen Gefahr und aus Furcht vor einem Angriff oder der Unterstützung, die den Angreifern zuteil werden könnte, und bemühen sich nach Kräften, ihre Nachbarn mit offener Gewalt und Hinterlist zu unterwerfen oder zu schwächen.63
Es ist nachgerade unmöglich, darin keinen Bezug zu Oliver Cromwells blutigen Feldzügen in Irland zu erblicken. Freilich bot Hobbes zugleich eine gesellschaftliche Funktionsanalyse, bei der es zeitgenössischen Lesern schwergefallen sein dürfte, nicht an Heerführer wie eben Cromwell zu denken: Umgekehrt sind arme und robuste, mit ihrer gegenwärtigen Lage unzufriedene Männer sowie solche, die ehrgeizig ein militärisches Kommando anstreben, geneigt, die Ursachen eines Kriegs andauern zu lassen und Wirren und Aufruhr anzuzetteln. Denn militärische Ehren gibt es nur im Krieg, und für ein schlecht stehendes Spiel besteht nur Hoffnung, wenn man erreicht, daß die Karten von neuem gemischt werden.64
Wo solche Verhältnisse herrschten, bestand keine Souveränität. Genau daraus ließ sich ein Vorwurf an Cromwell formulieren. In welche Lage der mächtige Heerführer den Staat gebracht hatte, führte Hobbes im „Behemoth“ im Detail aus. Auf die Frage nach dem Inhaber der „höchsten Gewalt“ folgte die Antwort: „Wenn man mit Gewalt das Recht zu regieren meint, hatte niemand sie. Wenn man die höchste Stärke meint, lag sie klar bei Cromwell, den ihm gehorchten als General aller Streitkräfte in England, Schottland und Irland.“65 Kurzum, Cromwell war nicht weit genug gegangen.
III. Der übergriffige Cromwell Befasste sich Hobbes also einerseits damit, worin und warum Oliver Cromwell nicht weit genug gegangen sei, setzte er sich andererseits auch damit auseinander, worin und warum Cromwell zu weit gegangen sei: Die englischen Geschehnisse stellten die implizite Vergleichsfolie dar, auf der seine Argumentation erst ihre Überzeu61 62 63 64 65
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Ebd., S. 71 (Kapitel 10). Ebd., S. 131 (Kapitel 17). Ebd., S. 131f (Kapitel 17). Ebd., S. 76 (Kapitel 11). Ebd., S. 388f.
gungskraft schöpfte. Mehr als auf Cromwell selbst hatte Hobbes es auf Cromwells Anhänger und überhaupt auf einen Typus abgesehen, der den Staat in den Untergang reißen müsse. Schonungslos attackierte er den Angriff auf einen König, der trotz sechshundertjähriger Erbfolge dennoch nicht als ihr Vertreter angesehen worden ist, sondern daß diese Bezeichnung widerspruchslos als Titel derer galt, die auf seinen Befehl hin vom Volk abgeordnet wurden, um seine Petitionen vorzubringen und dem König – falls er es erlaube – ihren Rat zu geben.66
Freilich interessierten ihn dabei nicht individuelle Aspekte, sondern strukturelle Gegebenheiten, zu denen sogar anthropologische rechneten. Im Wesen nicht einzelner Menschen, sondern des Menschen selbst lagen die Herausforderungen, auf die Hobbes mit seiner politischen Philosophie eine Antwort zu geben trachtete: nicht erst im „Leviathan“, anthropologische Erklärungen finden sich schon in seiner Übertragung der „Geschichte des Peloponnesischen Krieges“ aus dem Altgriechischen ins Englische – inwiefern deren Autor Thukydides ein besonderer Menschenkenner gewesen sei, hatte der Übersetzer Hobbes bereits in den 1620er Jahren gerühmt.67 So wie einst Thukydides seinen Blick auf Ambitionen der Menschen gewandt hatte, so führte nun auch Hobbes deren Handeln auf ähnliche Motivationen zurück: „So halte ich an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit, der nur mit dem Tode endet“, motiviert davon meist, „daß er die gegenwärtige Macht und die Mittel zu einem angenehmen Leben ohne den Erwerb von zusätzlicher Macht nicht sicherstellen kann.“68 Die englischen Entwicklungen hatten solche Zeilen unterdessen mit einer gewissen Plausibilität aufgeladen, schon in den Putney Debates über eine künftige Verfassung hatten sich tiefe Risse abgezeichnet – so tief, dass etwa der Leveller Thomas Rainsborough seine Forderungen nach einem allgemeinen Wahlrecht, genauer die Ablehnung eben dieser Forderungen sarkastisch dahingehend kommentierte, dass das Volk also gekämpft habe, „um sich selbst zu versklaven, um Macht an Männer von Reichtum, von Gütern zu geben“.69 Immerhin starb Rainsborough kurz vor jenem Ereignis, das Cromwell und seine Partei als prinzipienlose Machiavellisten erscheinen ließ, vor der Säuberung des Unterhauses im Dezember 1648 („Pride’s Purge“), die insbesondere viele Leveller betraf: Abgeordnete, die sich nicht loyal gegenüber den Generälen der von Cromwell kommandierten New Model Army gezeigt hatten, wurden damals teils nur von der Teilnahme an den weiteren Parlamentssitzungen ausgeschlossen, teils sogleich inhaftiert. Das Lange Parlament, das so sehr 66 67 68 69
Ebd., S. 146 (Kapitel 19). Johnston 1986, S. 5. Hobbes: Leviathan 1996, S. 75 (Kapitel 11). Puritanism and Liberty 1951, S. 71.
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als Inbegriff der Volkssouveränität ausgelobt worden war, tagte nunmehr nur noch als Rumpfversammlung.70 Derlei stand zweifellos im Hintergrund der Gedanken von Thomas Hobbes, der im Streben nach Macht eine grundlegende Eigenschaft des Menschen schlechthin erblickte – auch wenn sie sich auf unterschiedliche Weise auszudrücken pflege: Die Leidenschaften, die am stärksten von allen die Verstandesunterschiede bewirken, sind hauptsächlich das mehr oder weniger starke Verlangen nach Macht, Reichtum, Wissen und Ehre. Sie alle können auf das erste, nämlich auf das Verlangen nach Macht, zurückgeführt werden. Denn Reichtum, Wissen und Ehre sind nur verschiedene Arten von Macht.71
Auf diese Prämisse war leicht eine voluntaristische Konklusion zu gründen, indem Hobbes eine beliebig große Bereitschaft unterstellte, dem individuellen Machtstreben alles unterzuordnen. Für den Nominalisten bedeutete es keine Überraschung, dass Menschen zu Weltentwürfen jenseits jedweder ratio neigten: Wäre der Satz: Die drei Winkel eines Dreiecks sind gleich den zwei rechten Winkeln eines Quadrats der Herrschaft irgendeines Menschen oder den Interessen derer, die Herrschaft innehaben, zuwidergelaufen, so zweifle ich nicht daran, daß diese Lehre wenn nicht bestritten, so doch durch Verbrennung aller Lehrbücher der Geometrie unterdrückt worden wäre, soweit die Betroffenen dazu in der Lage gewesen wären.72
Für Hobbes war die Welt der Menschen vor allem die Welt ihrer Denkfehler, mochten Gesetzesübertretungen nun durch falsche Grundsätze entstehen oder „durch falsche Lehrer, die entweder das Gesetz der Natur falsch auslegen, indem sie es in Gegensatz zum bürgerlichen Gesetz bringen, oder eigene Theorien oder Überlieferungen aus früheren Zeiten lehren, die mit der Pflicht eines Untertanen unvereinbar sind“73 – oder durch falsche Schlussfolgerungen, die letztlich aus emotionaler Aufladung resultierten: „Zu den Leidenschaften, die am häufigsten Ursache von Verbrechen sind, gehört einmal Prahlerei oder ein krankhaftes Überschätzen des eigenen Wertes“.74 Dieser generellen Diagnose verlieh Hobbes sogar noch eine spezielle Wendung, indem er Anmaßungen aus vermeintlich überlegenem Wissen thematisierte: Menschen, die eine hohe und falsche Meinung von ihrer eigenen Klugheit besitzen, tadeln gern die Handlungen der Regierenden und stellen ihre Autorität in Frage und
70 Im „Behemoth“ führte Hobbes analog aus, wie Cromwell wiederum im Jahre 1653 „seinen Fuß auf den Nacken dieses Langen Parlaments“ gesetzt habe; Hobbes: Behemoth 1860, S. 388. 71 Hobbes: Leviathan 1996, S. 56 (Kapitel 8). 72 Ebd., S. 79f (Kapitel 11). Hervorhebung im Original. 73 Ebd., S. 226 (Kapitel 27). 74 Ebd., S. 227 (Kapitel 27).
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erschüttern somit die Gesetze durch ihre öffentlichen Reden, was darauf hinausläuft, daß nur das ein Verbrechen sein soll, was nach ihren eigenen Plänen Verbrechen sein sollte.75
Selbstwidersprüche etwa englischer Revolutionäre wie Cromwell, die zur Stärkung der Parlamentsherrschaft angetreten waren und diese nunmehr aushebelten, indem sie das Parlament willkürlich neu konstituierten, waren aus dieser Sicht gar keine performativen Selbstwidersprüche mehr, sondern zeigten nur auf besonders eklatante Weise die notorische Differenz zwischen Machtzielen und den zu deren Erreichung herangezogenen argumentativen Mitteln auf: weil politische Rhetorik für Hobbes eben nur Rhetorik darstellte,76 eine Technik zum Machtgewinn. Wie er es pointiert gerade in Hinsicht auf jenes Wort wendete, das in den 1630er Jahren zum Leitbegriff der Opposition gegen die königliche Prärogative geworden war: „Aber die Menschen lassen sich von dem bestechenden Wort ‚Freiheit‘ leicht täuschen, und da ihnen die Urteilskraft zur Unterscheidung fehlt, halten sie fälschlich das für ihr ureigenes Erbe und Geburtsrecht, was allein das Recht der Öffentlichkeit ist.“77 Freilich schränkte Hobbes seine Diagnose keineswegs auf eine spezifische Argumentation ein; er eröffnete keine Differenzierung, die es gestattet hätte, etwa die Divine right-Lehre Robert Filmers oder anderer Stuart-Apologeten für weniger rhetorisch zu erachten. Ein Angriff auf den König, gar auf dessen Leib und Leben war aus dieser Warte nicht etwa deshalb besonders verwerflich, weil er gegen die Lehre des Gottesgnadentums verstoßen hätte – sondern jegliches Crimen laesae majestatis insofern als besonders schlimmes Verbrechen zu werten, weil es den Rahmen des Staates per se, insbesondere des ihn begründenden Gesellschaftsvertrags sprenge78. Von solchem Übel, dass ein derartiger Schritt gerechtfertigt würde, konnte Hobbes zufolge nichts Diesseitiges sein: Die Lage des Menschen in diesem Leben wird niemals ohne Mängel sein, aber es kann einem Staat kein größeres Unheil geschehen als das, welches von dem Ungehorsam der Untertanen und dem Bruch jener Verträge kommt, die dem Staat zugrunde liegen.79
Nicht politische Rhetorik also war die Währung, in der Hobbes‘ Gesellschaftsvertrag auszumünzen war, sondern eben der Beschluss, dauerhaft Rechte der Untertanen auf den Souverän zu übertragen. Schon in den „Elements of Law“, konzipiert vor Beginn des Bürgerkrieges, aber entstanden unter dem Eindruck der massiven politischen Auseinandersetzungen der späten 1630er Jahre, hatte Hobbes nach Erklärungen für Aufruhr gesucht und einen generellen Ansatz dafür gefunden – vor 75 Ebd., S. 227 (Kapitel 27). 76 Ein Beispiel dafür gab Hobbes andernorts, indem er das Streben nach Gemeinwohl als bloßen „Vorwand“ („pretence“) für die Rebellion des Parlamentes bezeichnete; Hobbes: Behemoth 1860, S. 389. 77 Hobbes: Leviathan 1996, S. 167 (Kapitel 21). 78 Hüning 2007, S. 221. 79 Hobbes: Leviathan 1996, S. 162 (Kapitel 20).
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allem den Missbrauch der Sprache, die Verführung durch Rhetorik.80 Diese Gedanken griff der „Leviathan“ auf, indem er nachgerade eine Kasuistik entwarf: Vier Fälle unterschied Hobbes, erstens eigenen Irrtum, zweitens die Täuschung anderer durch „Wörter in übertragener Bedeutung“, drittens falsche Willenserklärungen, und schließlich viertens den Fall, „wenn sie sie gebrauchen, um sich gegenseitig zu verletzen“.81 Zwar verschob sich Hobbes‘ Analyseraster zwischen den „Elements“ und dem „Leviathan“ durchaus. Hatten in ersten noch Unzufriedenheit, „pretense of right“ und „hope of success“ als wesentliche Aufstandsmotive gegolten,82 so setzte letzterer einen anderen Akzent: „So liegen also in der menschlichen Natur drei hauptsächliche Konfliktursachen: Erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen, drittens Ruhmsucht.“83 Aber das Prinzip der Analyse wandelte sich keineswegs, Hobbes erblickte die Sonderstellung des Menschen sowohl in seinem ständigen Machtstreben als auch in seiner Bereitschaft, sich und andere zu täuschen. Antike Analogien zwischen Menschen und fleißigen, uneigennützigen Lebewesen wie Bienen und Ameisen hielt er darob für grundsätzlich verfehlt: „Die Menschen liegen in einem ständigen Wettkampf um Ehre und Würde, diese Lebewesen aber nicht“, zudem gebe es unter den Menschen allzu viele, „die sich für klüger und zur Regierung der Öffentlichkeit fähiger halten als der Rest. Und diese Leute streben nach Reformen und Neuerungen, die einen auf diesem, die anderen auf jenem Weg und stürzen die Öffentlichkeit dadurch in Wirren und Bürgerkrieg“.84 Sah Hobbes in Überlegenheitsdünkel einen der wesentlichen Denkfehler der Menschen,85 so führte er nicht nur im „Leviathan“ den Kriegsausbruch auf falsche Bibellektüre zurück:86 ohne dass darin eine Absicht zur Täuschung liegen musste. Auch als Hobbes im „Behemoth“ über „Cromwell und seine Fanatiker“ schrieb,87 argumentierte er ähnlich wie im „Leviathan“. Darin hatte er sich einen Typus von Aufrührer zurechtgelegt, der sich – wie eben auch Cromwell selbst – auf einer göttlichen Mission sah, im Extrem die Covenanter, die sich auf einen Pakt mit Gott beriefen: Der Vertrag mit Gott ist nur durch Vermittlung solcher Personen möglich, zu denen Gott entweder durch übernatürliche Offenbarung spricht oder die als seine Stellvertreter unter ihm und in seinem Namen regieren. Denn andernfalls wissen wir nicht, ob unserer Verträge angenommen werden oder nicht.88
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Johnston 1986, S. 64. Hobbes: Leviathan 1996, S. 25f (Kapitel 4). Johnston 1986, S. 77. Hobbes: Leviathan 1996, S. 95 (Kapitel 13). Ebd., S. 133 (Kapitel 17). Slomp 2007, S. 190. Martel 2007, S. 39. Hobbes: Behemoth 1860, S. 382. Ders.: Leviathan 1996, S. 106 (Kapitel 14).
Mehr noch, Hobbes stellte an die Berufung auf die Offenbarung zu politischen Zwecken ganz grundsätzlich die Frage, „wie jemand der Offenbarung eines anderen sicher sein kann, ohne daß ihm selbst eine besondere Offenbarung widerfährt, so ist dies offensichtlich unmöglich.“89 Bei aller partiellen Nähe zu den Independents90 untergrub Hobbes gerade mit seiner Kritik am menschlichen Erkenntnisapparat jene Legitimationsstrategien, die im Englischen Bürgerkrieg ein Mittel erblickten, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen: „Es gibt Leute, die weiter gehen und das natürliche Gesetz nicht als diejenigen Regeln, welche zur Erhaltung des menschlichen Lebens auf Erden dienen, ansehen wollen, sondern als diejenigen, welche zur Erlangung der ewigen Glückseligkeit nach dem Tode führen“ – indes ein fundamentaler Irrtum, weil es „kein natürliches Wissen vom Zustand des Menschen nach dem Tode gibt, noch viel weniger von der Belohnung, die dann einem Treubruch zuteil wird“.91 Das Thema war Hobbes derart wichtig, dass er im so selten intensiv gelesenen Vierten Buch des „Leviathan“ („Vom Königreich der Dunkelheit“) verhängnisvolle Folgen einer instrumentellen Bibellektüre beklagte: „Der Feind ist in der Nacht unserer natürlichen Unwissenheit hier gewesen und hat das Unkraut unserer geistigen Irrtümer gesät, und zwar erstens, indem er das Licht der Schriften mißbrauchte und auslöschte.“92 Probleme der politischen Philosophie wendete Hobbes auf diese Weise zu epistemologischen. Prophetische Ansprüche, wie sie nicht nur die Independents um Cromwell, sondern auch insbesondere radikale Gruppierungen wie Leveller, Digger und anderer formulierten, ließen sich für ihn nicht mit hinreichender Sicherheit erheben: „Wie kann dann aber einer, dem Gott nie seinen Willen unmittelbar – außer auf dem Weg der natürlichen Vernunft – geoffenbart hat, wissen, wann er dem Wort zu gehorchen oder nicht zu gehorchen hat, das von einem geäußert wird, der sich als Prophet ausgibt?“93 Auf solche und andere Weisen hinterfragte Hobbes die prophetischen Mandate, aus denen gerade überzeugte Revolutionäre ihre Legitimation ableiteten: Ich kann keine Stelle finden, die beweist, daß Gott zu den untergeordneten Propheten, die dies durch ständige Berufung waren, auf übernatürliche Weise gesprochen hatte. Er bewirkt dies vielmehr allein auf die natürliche Art, in der er die Menschen zu Frömmigkeit, Glauben, Rechtschaffenheit und den anderen Tugenden aller übrigen Christen führt.94
Der einzige politische Imperativ, der sich für Hobbes aus der Bibellektüre mit Sicherheit gewinnen ließ, war einer der Bescheidung: Gehorsam gegenüber der
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Ebd., S. 219 (Kapitel 26). Collins 2005, S. 123. Hobbes: Leviathan 1996, S. 113 (Kapitel 15). Ebd., S. 464 (Kapitel 44). Ebd., S. 287 (Kapitel 32). Ebd., S. 329 (Kapitel 36).
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Obrigkeit in Verbindung mit einer scharfen Mahnung, „daß die Diener in der gegenwärtigen Welt kein Recht auf Befehl haben“.95 Dazu passte auch sein an anderer Stelle des „Leviathan“ vorgetragenes Plädoyer, keine himmlischen Maßstäbe an irdische Fragen anzulegen: „Eine andere Lehre, die der bürgerlichen Gesellschaft widerspricht, lautet: Alles, was man wider sein Gewissen tut, ist Sünde. Sie ergibt sich aus der Anmaßung, sich zum Richter über Gut und Böse machen zu wollen“.96 Freilich legte Hobbes zugleich eine höchst pragmatische Lösung für jegliche Probleme vor, die aus theologischen Annahmen oder gar aus konkurrierenden Exegesen resultierten – die Autorität machte diesem Gedankengang zufolge nicht nur das Gesetz, sondern auch eine verbindliche, eo ipso wahre Interpretation: „Wie in der Familie Abrahams niemand außer ihm erkennen konnte, was das Wort Gottes ist und was nicht, so kann dies auch in einem christlichen Staate niemand außer dem Souverän.“97 Derlei war für Cromwell ebenso akzeptabel wie für Royalisten, freilich auf andere Weise, als Hobbes es gemeint hatte: nicht per aufrichtigem Glauben daran, dass Herrschaft einen privilegierten Zugang zum göttlichen Weltenplan gewähre, als vielmehr per Überlegung, dass jegliche Delegation theologischer Maximen an den Grundfesten des Staates rüttele. Überhaupt brachte er im dritten Teil des „Leviathan“, in dem er sich durch intensive Exegese den „Grundsätzen christlicher Politik“ widmete, folgerichtig weniger eigene Leitsätze hervor, als dass er Leitsätze anderer zu widerlegen trachtete. Der Nominalist Hobbes blieb eher einer wörtlichen Lesart verpflichtet, gerade mit Blick auf das Alte Testament: In den Schriften von Geistlichen, besonderes aber in Predigten und in der Andachtsliteratur, steht Reich Gottes meistens für die ewige Glückseligkeit nach diesem Leben in der höchsten Stufe des Himmels, die sie auch Recht der Herrlichkeit nennen, und bisweilen für das Unterpfand dieser Glückseligkeit, die Heiligung, die sie auch als Gnadenreich, bezeichnen, niemals jedoch für die Monarchie, das heißt die souveräne Gewalt Gottes über alle Untertanen, die er durch ihre eigene Zustimmung erworben hat, was die eigentliche Bedeutung der Wortes Reich darstellt.98
Für Hobbes galt hingegen, „daß Reich Gottes an den meisten Stellen der Schrift ein Königreich in dem eigentlichen Sinne des Wortes bedeutet, das mit den Stimmen des Volkes von Israel in besondere Weise errichtet wurde.“99 Ähnlich war auch die ausführliche gelehrte Auseinandersetzung mit diversen Positionen Robert Bellarmins gehalten, deren Fundamente er jeweils untergrub – freilich Positionen, die gerade so gut von den Levellern hätten stammen können, wie etwa: „Die bürgerliche Gewalt untersteht der geistlichen. Deshalb hat der Inhaber der obersten geistlichen Gewalt
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Ebd., S. 380 (Kapitel 42). Ebd., S. 247 (Kapitel 29). Hervorhebung im Original. Ebd., S. 360 (Kapitel 40). Ebd., S. 312 (Kapitel 35). Hervorhebung im Original. Ebd., S. 312 (Kapitel 35). Hervorhebung im Original.
das Recht, den zeitlichen Fürsten zu befehlen und über ihre zeitlichen Angelegenheiten zugunsten der geistlichen zu verfügen.“100 Weitaus fataler als diese Denkfehler schien Hobbes freilich ein anderes Problem, das prinzipiell aus Akten der Rebellion erwuchs, also auch derjenigen Oliver Cromwells und seiner Anhänger – nämlich just jener verhängnisvolle Effekt der Nachahmung, den auch die oben zitierte Passage aus dem später erschienenen „Behemoth“ beklagt. Die Revolution führte sich selbst ad absurdum, bereits im „Leviathan“ hatte Hobbes das Dilemma des Aufruhrs per se konzise beschrieben: Und was das andere Beispiel, das Erwerben der Souveränität durch Rebellion betrifft, so ist klar, daß es der Vernunft widerspricht, dies zu versuchen, weil selbst dann, wenn der Erfolg eintritt, dies doch vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sondern eher das Gegenteil, und weil durch diese Art des Erwerbens andere darauf gebracht werden, sich die Souveränität auf dieselbe Art zu verschaffen. Gerechtigkeit, das heißt, das Einhalten von Verträgen, ist deshalb eine Regel der Vernunft, die uns verbietet, alles zu tun, was unserem Leben schadet und folglich ein natürliches Gesetz.101
Am Ende des „Behemoth“ erneuerte Hobbes diese Kritik, indem er Cromwells Herrschaft lediglich als eine von mehreren Episoden eines klassischen Verfassungskreislaufes darstellte, ihr mithin die beanspruchte Sonderstellung einer neuartigen Regierungsform absprach: Ich habe in dieser Revolution eine Kreisbewegung der souveränen Gewalt über zwei Usurpatoren hinweg erblickt, vom verstorbenen König bis zu diesem seinem Sohn. Denn (einmal abgesehen von der Gewalt des Rates der Offiziere, die nur kurzzeitig war und ihm bloß vertrauenshalber zustand) sie bewegte sich von König Karl I. zum Langen Parlament; von dort zum Rumpf; vom Rumpf zu Oliver Cromwell; und dann wieder zurück von Richard Cromwell zum Rumpf; dann zum Langen Parlament; und dann zu König Karl II., bei dem sie lange verweilen möge.102
Kurzum, Cromwell war zu weit gegangen.
IV. Fazit: Cromwell Cunctator, Cromwell Usurpator So sehr Thomas Hobbes an seinen Theorien feilte, er blieb ein Pragmatiker der Macht: mit voller Absicht, so lässt sich seine „Hoffnung“ verstehen, es möge früher oder später meine vorliegende Schrift in die Hände eines Souveräns fallen, der sie ohne Hilfe eines interessierten oder mißgünstigen Interpreten selbst überdenken wird – denn sie ist kurz und, wie ich meine, klar –, und der durch Ausübung
100 Ebd., S. 439 (Kapitel 42). Hervorhebung im Original. 101 Ebd., S. 113 (Kapitel 15). 102 Hobbes: Behemoth 1860, S. 418.
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der vollen Souveränität, indem er die öffentliche Verbreitung dieser Lehre schützt, diese spekulative Wahrheit in praktischen Nutzen verwandelt.103
Vermutlich hätte Hobbes keine Scheu gehabt, einen Oliver Cromwell, der seinen Ratschlägen zur konsequenten Machtergreifung gefolgt wäre, als Herrscher darzustellen, der seine eigene Loyalität vollauf verdiente. Tatsächlich liest sich der „Leviathan“ an manchen Stellen geradezu als Handlungsanweisung, was der Erringung jener unantastbaren Macht dienen könne, die allein einen Staat zu stabilisieren vermöge: keineswegs nur brutale Verfolgung – „Die Leutseligkeit von Menschen, die schon Macht besitzen, ist ein Zuwachs an Macht, denn sie weckt Liebe.“104 Thomas Hobbes hielt Oliver Cromwell in gewisse Weise nachgerade vor, was er alles unterlassen hatte, sparte aber auch nicht an indirekter Kritik daran, was Cromwell getan hatte: als Cunctator einerseits, der vor konsequentem Handeln zurückschreckte, als Usurpator andererseits, der die Souveränität des Monarchen attackiert hatte – kein geringes Vergehen: „Feindselige Handlungen gegen den augenblicklichen Staat sind ebenfalls schwerere Verbrechen als solche, die gegen Privatleute begangen werden, denn dadurch wird jedermann geschädigt.“105 Insofern zeigt sich Cromwell im Spiegel der Hobbes’schen Schriften als unausgesprochener Agent Provocateur, dessen Handeln exemplarisch als Hintergrund diente – vor dem Hobbes‘ Plädoyer einer starken Herrschaft um so überzeugender wirken konnte. Der „Leviathan“ war dazu gedacht, den politischen Diskurs auf eine andere Stufe zu heben: jenseits unmittelbarer Loyalitäten. Denn Hobbes diskreditierte andere Autoren, weil aus ihren Ideen radikale Folgen erwuchsen,106 nicht aufgrund ihrer Loyalität zu einer der Fraktionen des Bürgerkrieges. In diesem Sinne ist wohl auch der Ausklang der gesamten Schrift aufzufassen. Hier sah sich Hobbes am Ende meiner Abhandlung über die bürgerliche und kirchliche Regierung, die von den Wirren der Gegenwart veranlaßt wurde, angelangt, ohne Parteilichkeit, ohne Schmeichelei und ohne eine andere Absicht zu verfolgen als die, den Menschen die gegenseitigen Beziehungen zwischen Schutz und Gehorsam vor Augen zu halten, deren Beachtung die Beschaffenheit der menschlichen Natur und die göttlichen Gesetze, die natürlichen wie die positiven, unabdingbar fordern.107
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Ders.: Leviathan 1996, S. 281 (Kapitel 31). Ebd., S. 67 (Kapitel 10). Ebd., S. 235 (Kapitel 27). Skinner 2007, S. 161. Hobbes: Leviathan, S. 544 (Rückblick und Schluss).
Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Hobbes, Thomas, 1860: Behemoth. The History of the Causes of the Civil Wars of England and of the Counsels and Artifices by which they were carried on from the Year 1640 to the Year 1660, in: The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury, hrsg. v. William Molesworth, Bd. 6, London, S. 161–418. Hobbes, Thomas, 1996: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hrsg. v. Iring Fetscher, Frankfurt am Main. Hobbes, Thomas, 2015: Behemoth oder Das Lange Parlament, hrsg. v. Peter Schröder, Hamburg. Puritanism and Liberty, 1951. Being the Army Debates (1647–9) from the Clarke Manuscripts with Supplementary Documents, hrsg. v. Arthur S. P. Woodhouse, Chicago.
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Ulrich Niggemann Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Revolution, Staat und Staatsverständnisse bei den Levellers und Diggers
1. Some of the Sectaries have spoken and written that against the Lawes of the Land, both Common and Statute, as I beleeve neither Papists, nor any English men ever did before them […] By which passages tis evident the Sectaries aime at a totall change of the Laws and Customs of this Kingdom. 2. They have spoken and written much against the King, speaking of him as a Delinquent, terming him the great Delinquent […]; yea they have pleaded for the King to be deposed, and justice to be done upon him as the grand murtherer of England, and not only that he should bee beheaded, but the Kingdome also, viz. this Kingdome deprived of a King for ever, and Monarchie turned into Democracie.1
Mit diesen Worten beschrieb der Presbyterianer Thomas Edwards im dritten Teil seiner „Gangræna“ betitelten Invektiven gegen diverse religiöse Gruppierungen die politische Haltung der schon bald als Levellers, als „Gleichmacher“, charakterisierten Bewegung.2 Aus Sicht des ‚konservativen‘ Presbyterianers, der zwar eine weitergehende Reform der Kirche Englands anstrebte, jedoch die Vielzahl unterschiedlicher Strömungen und Sekten verabscheute, handelte es sich um eine Krankheit, die man wegschneiden musste – eine durchaus gängige Metaphorik gegen Häresien im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Für Edwards handelte es sich aber nicht nur um eine Krankheit in Bezug auf Religion und Kirche, sondern eben auch im Hinblick auf das politische Gemeinwesen. Radikale bedrohten die gesamte gesellschaftliche Ordnung, die – in Edwards Verständnis – auf der Monarchie beruhte. Der Begriff „democracie“ hingegen bezeichnete einen Zustand des Chaos, der Anarchie, in dem die sozialen Hierarchien und die gottgewollte Ordnung auseinanderbrachen.3 Der vorliegende Band thematisiert nicht allein Oliver Cromwells Verständnis von Staat und Herrschaft, sondern bemüht sich auch darum, die im Kontext der Englischen Revolution geäußerten Positionen und ihre Vielfalt zumindest ausschnitthaft darzustellen und zu Cromwell in Beziehung zu setzen. Innerhalb dieses Spektrums ist in der ideengeschichtlichen Forschung immer wieder auf die Gruppen der Levellers und Diggers hingewiesen worden. Nicht nur Zeitgenossen wie Thomas Edwards, sondern auch Historikerinnen und Historiker des 19., 20. und 21. Jahrhun1 Edwards, Third Part of Gangraena 1646, S. 194f. Vgl. dazu auch Wootton 1991, S. 417-419. 2 Vgl. zu Edwards Baker 2004; Hughes 1998. 3 Vgl. Hanson 1989; Maier 1997; Wootton 1991, S. 428f.
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derts betonten dabei die ‚Modernität‘ und ‚Radikalität‘ dieser Gruppen, die ihrer Zeit weit voraus gewesen seien.4 In der jüngeren Forschung ist freilich durchaus umstritten, ob sich Levellers und Diggers als Radikale, gar als Demokraten charakterisieren lassen oder ob damit in unzulässiger Weise Anachronismen eingeführt werden, die dem 17. Jahrhundert Vorstellungen und Denkweisen unterstellen, welche letztlich nur Projektionen unserer eigenen Gegenwart sind. Nachdem diese Gruppen in der liberalen Historiographie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der „Whig Interpretation of History“,5 mit einigen Ausnahmen eher vernachlässigt worden waren,6 konnten sie in der Folge des Ersten und Zweiten Weltkriegs als Vorreiter moderner Demokratien wiederentdeckt werden, wobei insbesondere das „Agreement of the People“ als Vorläufer schriftlicher Verfassungen interpretiert wurde.7 Im Zentrum einer Geschichtsdeutung, die die Englische Revolution als revolutionären Klassenkampf interpretierte, standen Levellers und Diggers insbesondere bei marxistischen Philosophen und Historikern wie Crawford Brough Macpherson, Henry Noël Brailsford oder Christopher Hill.8 Für Macpherson etwa gehörten die Levellers in den Kontext der Entstehung bürgerlich-kapitalistischer Vorstellungen von Freiheit und Besitz. Sie bildeten somit im Rahmen der marxistischen Geschichtsdeutung ein wichtiges Durchgangsstadium auf dem Weg zu einer klassenlosen Gesellschaft. Noch interessanter für marxistisch inspirierte Historiker waren die Diggers, die man als frühe Agrarkommunisten deutete. Doch handelte es sich bei den Levellers und Diggers um Demokraten, gar um Kommunisten? Gerade die jüngere, oft unter dem Schlagwort des „Revisionismus“ subsumierte Forschung hat hier erhebliche Zweifel geäußert. Den Revisionisten ging es darum, teleologische und aktualisierende Deutungen zu vermeiden und ihre Forschungen strikt in praktischen Vollzügen und lokalen Bezügen zu verorten.9 Die Levellers erschienen nun weit weniger als revolutionäre und geradezu moderne Gruppierung, sondern als letztlich doch sozial konservative, in den religiösen Anschauungen des 17. Jahrhunderts verhaftete Gruppierung.10 Auch mit Blick auf die Diggers betonten revisionistische Forscherinnen und Forscher das religiöse Sek4
Vgl. zur Historiographie Foxley 2013, S. 1f.; Kennedy 2008, S. 1-21; Vernon/Baker 2012, S. 10-20; De Krey 2017, S. 4-7; Worden 2001a, S. 257f. 5 Butterfield 1965. 6 Vgl. Vernon/Baker 2012, S. 10f.; Worden 2001a, S. 276f. 7 Worden 2001a, S. 279f.; ders. 2001b, S. 320-322; Vernon/Baker 2012., S. 11-14; De Krey 2017, S. 5f. 8 Etwa Macpherson 2016, S. 126-181; Brailsford 1961; Hill 1991. Vgl. auch Worden 2001a, S. 277-279; ders. 2001b, S. 332-335; Foxley 2013, S. 2f.; Vernon/Baker 2012, 14-17; De Krey 2017, S. 6; und allgemeiner zur marxistischen Interpretation der Englischen Revolution Richardson 1998, S. 113-146. 9 Vgl. Vernon/Baker 2012, S. 17-20; De Krey 2017, S. 6f.; und allgemeiner zum Revisionismus Burgess 1990; Richardson 1998, S. 203-238; Sharpe 2000. 10 Foxley 2013, S. 3.
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tierertum, die Bezüge zu christlichen Utopien und gerade nicht in die Moderne weisende kommunistische Ansätze.11 Neueste Arbeiten bemühen sich um eine differenziertere Position, die einerseits die historischen Kontexte beachtet und Anachronismen zu vermeiden sucht, andererseits aber auch innovative Potentiale anerkennt: The Levellers were distinctive in their thought and their demands. That is not to deny that some of their fundamental arguments – notably on the origins of political power in the people – were shared with and derived from radical parliamentarian thought; that was a crucial influence. But the Levellers united round more distinctive and radical visions of the political future than this broader coalition was prepared to support.12
Forschende wie Rachel Foxley bemühen sich dementsprechend darum, ‚radikale‘ Gruppierungen sowohl in die vorhandenen historischen Debattenkontexte einzuordnen als auch die Besonderheit dieser Gruppen zu betonen: „there were indeed many points of contact. Nonetheless, Leveller thought never fused with any of these strands, and developed in its own directions“.13 Es wird im vorliegenden Beitrag nicht möglich sein, solche Fragen nach der ‚Modernität‘ politischer Bewegungen und Anschauungen der 1640er Jahre zu beantworten, auch deshalb, weil es sich dabei immer um normative Fragen handelt, deren Beantwortung sich nicht loslösen lässt von Standpunkten und Werthaltungen, die zwangsläufig unserer eigenen Zeit angehören. Es soll hier vielmehr um die Frage nach den politischen Konzepten, nach den Zielen und Vorstellungen gehen, die in der Spätphase der Bürgerkriege und der Frühphase des Interregnums aus dem Kreis der Levellers und Diggers formuliert wurden, teils in Adaption der laufenden Debatten der Bürgerkriegszeit, teils aber auch in Abgrenzung zu anderen Positionen, nicht zuletzt denen Oliver Cromwells und seines Umfelds. Zunächst wird die Genese der Levellers als Bewegung kurz skizziert, wobei das Augenmerk sich eher auf die diskursive Situation richtet als auf einzelne Akteure (I). Im nächsten Schritt soll das „Agreement of the People“ als eine Art zentrales Manifest der Gruppe unter Hinzuziehung einiger Publikationen der Leveller-Führer vorgestellt werden, um einige grundlegende Positionen herauszuarbeiten (II). Anschließend wird kurz auf die Diggers und Gerrard Winstanleys „Law of Freedom“ eingegangen (III), um am Ende noch einmal gebündelt die Frage nach Staatsverständnissen bzw. Vorstellungen von idealen Gemeinwesen zu stellen (IV).
11 Vgl. Greyerz 1994, S. 108f.; Kennedy 2008, S. 13-21. 12 Foxley 2013, S. 6. 13 Ebd., S. 6. Vgl. auch De Krey 2017, S. 7f.
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I. Zur Entstehung der Levellers Die Genese der Levellers als Gruppe ist nur mit Blick auf eine konkrete und spezifische Konstellation zu verstehen. Erstens war die Situation 1646 vor allem von den Dynamiken des Bürgerkriegs geprägt, der aus der Eskalation des Konflikts zwischen dem Long Parliament und der Krone ab November 1640 hervorging und seit Herbst 1642 offenen ausgetragen wurde. Seit 1645 hatte die reformierte Parlamentsarmee, die New Model Army, zunehmend die Oberhand gewonnen,14 und am 16. Juni 1646 legten die letzten royalistischen Verbände die Waffen nieder. König Karl I. begab sich in schottische Gefangenschaft, wurde aber bald an die New Model Army ausgeliefert. Sowohl in der Armee als auch im Parlament entbrannten nun Kontroversen über das weitere Verfahren: Wie sollte mit dem König umgegangen werden? Welche Kompromisse waren denkbar?15 Im Parlament hatte eine Gruppe von Presbyterianern die Oberhand gewonnen, eine Gruppe, die – wie Thomas Edwards – eine im calvinistischen Sinne reformierte Nationalkirche anstrebte, sozial in der landed Gentry, also den wohlhabenden landbesitzenden Schichten, verortet war und tiefergehende soziale Veränderungen ablehnte. Das Parlament arbeitete daher auf einen Kompromiss mit dem König hin und wollte die New Model Army baldmöglichst auflösen.16 Die Armee unter der Führung Oliver Cromwells und Henry Iretons wehrte sich gegen dieses Vorgehen, auch durch mehrere große Meutereien und schließlich, im August 1647 durch den Einmarsch in London. Die einfachen Soldaten drängten auf die Auszahlung der Soldrückstände, protestierten gegen einen Frieden ohne Konsultation der Armee und erhoben den Anspruch, gegen das Parlament die eigentlichen Interessen des Volkes zu vertreten. Die Armee trat nicht nur als politischer und militärischer Machtfaktor zunehmend in Erscheinung, sondern ließ auch in ihrem Inneren ein Milieu entstehen, in dem religiöse und politische Vorstellungen jenseits der traditionellen Ordnung gedeihen konnten.17 Zweitens hatte der eskalierende Konflikt nicht nur zum Zusammenbruch der Zensur geführt, sondern auch eine breite mediale Debatte hervorgebracht, in der die Auseinandersetzung zwischen Royalisten und Parlamentsanhängern publizistisch ausgetragen wurde. Die Instabilität der Bürgerkriegsjahre trug sicher mit dazu bei, dass hergebrachte Ordnungen zunehmend in Frage gestellt wurden, neue Diskurse und politische Sprachen sich etablieren konnten und damit auch neue Ordnungskonzepte denkbar wurden. Die Möglichkeit, in London fast uneingeschränkt publizieren 14 Zum Verlauf des Bürgerkriegs vgl. Greyerz 1994, S. 178-190; Hirst 1999, S. 202-232; Woolrych 2002, S. 234-330; Coward 2012, S. 191-214; Braddick 2015. Zur New Model Army immer noch Kishlansky 1979; sowie Woolrych 1987. 15 Vgl. Woolrych 2002, S. 335-365; Coward 2012, S. 215-219. 16 Vgl. Kishlansky 1979, S. 139-178; Woolrych 1987, S. 24-54; Hirst 1999, S. 233-236. 17 Vgl. Kishlansky, 1979, S. 179-222; Hirst 1999, S. 237-240; Woolrych 2002, S. 366-385; Gentles 2012.
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zu können, brachte einen Medienmarkt hervor, der von der Vielzahl der Nachrichten- und Meinungsorgane lebte.18 In der Masse der Flugschriften, Flugblätter und ersten Zeitschriften wurden diverse politische Entwürfe und Konzepte vorgebracht und teilweise auch republikanische Vorstellungen formuliert.19 Auch die Führungsfiguren der Leveller-Bewegung, John Lilburne (ca. 1614–1657), Richard Overton (bis 1664), William Walwyn (1660–1681) und John Wildman (ca. 1621–1693) waren schon in den Bürgerkriegsjahren publizistisch aktiv gewesen und hatten sich auf parlamentarischer Seite engagiert.20 Teilweise waren sie dadurch mit den bestehenden Zensurbehörden in Konflikt geraten, sogar inhaftiert worden, so dass sie sich in der Folge auch für eine weitgehende Pressefreiheit aussprachen, wie sie etwa auch von John Milton in seiner Schrift „Aeropagitica“ von 1644 gefordert wurde.21 Drittens waren es längerfristige ökonomische Konjunkturen und Krisen, die vor allem in den Londoner Mittel- und Unterschichten Unruhen auslösten. London hatte seit dem 16. Jahrhundert einen enormen Bevölkerungszuwachs erlebt, der sich auch in einer wachsenden Unruhe in den Vororten und in den städtischen Unterschichten widerspiegelte.22 Die Levellers nahmen sich der Sorgen der ökonomisch benachteiligten Gruppen an, bzw. rekrutierten sich zu einem großen Teil sowohl aus dem Milieu der New Model Army als auch aus der Londoner Stadtbevölkerung. Lilburne selbst beschrieb die Anhänger der Levellers als „the hobnails, clouted shoes, the private soldiers, the leather and woollen aprons, and the laborious and industrious people in England“.23 Es waren also vor allem die kleinen Händler, die Handwerker, Arbeiter und Tagelöhner Londons, die „middling sort“, die ‚kleinen Leute‘ innerhalb der städtischen Bevölkerung, die neben den Soldaten den Kern der Levellers ausmachten, deren Anführer freilich über ein gewisses Maß an Bildung verfügten und sozial den oberen Rand der Leveller-Bewegung bildeten.24 Stellungnahmen gegen Monopole und Privilegien griffen daher auch die Sorgen der städtisch-gewerblichen Bevölkerungsschichten vor Kommerzialisierung und Modernisierung auf. Hoffnungen auf breitere Unterstützung, auch aus Gentry-Kreisen, erfüllten sich hingegen kaum. Und viertens schließlich sorgten die Pläne einer presbyterianischen Nationalkirche für Unruhe in weiten Teilen der Bevölkerung. Es dürfte klar sein, dass die Mehr18 Vgl. dazu generell Peacey 2013. Mit Bezug auf die Entstehung der Levellers: De Krey 2017, S. 38f. 19 S. den Beitrag von Ronald G. Asch in diesem Band. Vgl. überblicksartig auch Worden 1991; Lamont 1993; Pocock/Schochet 1993; Skinner 1998; ders. 2018; Vallance 2015. 20 Vgl. De Krey 2017, S. 60-83. 21 Vgl. zum Text Skerpan-Wheeler 2016, S. 303-306; Hoxby 2009; Hughes 2009. 22 Zum Wachstum Londons immer noch Brett-James 1935. Vgl. außerdem Clay 1984, Bd. 1, S. 197-213. 23 Zit. nach Wootton 1991, S. 413. Zu den ökonomischen Entwicklungen in London auch Rees 2017, S. 43-58; De Krey 2017, S. 15-26. 24 Vgl. Foxley 2013, S. 8; Dow 1985, S. 33; Schröder 1986, S. 97f.
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heit weiterhin dem Anglikanismus und seiner Verwurzelung in den parishes, also den ländlichen und städtischen Pfarreien anhing und schon den presbyterianischen Neuerungen skeptisch bis ablehnend gegenüberstand.25 Zugleich gab es gerade in London auch viele religiöse Strömungen, Gruppierungen und Gemeinden, die sich in den Bürgerkriegsjahren gebildet hatten, die einer Nationalkirche gegenüber generell kritisch waren und die eine weitreichende Toleranz und Gewissensfreiheit für alle protestantischen Denominationen forderten. Auch diese Forderungen griffen die Levellers auf.26 Die Religion stand durchaus im Zentrum der Konflikte: Die Anglikanische Kirche und sogar der König wurden von einigen radikalen Gruppen als Instrument des Antichristen wahrgenommen, so dass der Konflikt eine eschatologische Dimension erhielt, an die die Levellers anknüpfen konnten. David Wootton schreibt: „The main impetus to revolution thus came not from any secular theory of revolutionary change but from a radical development of Protestant eschatology“.27 Lilburne, Walwyn, Overton und viele andere, dem Spektrum der Independenten nahestehende Personen teilten die Enttäuschung über das – in ihren Augen – Versagen des Parlaments und der Westminster Assembly, eine „godly reformation“ durchzuführen.28 Walwyn und Overton hatten ihre publizistische Tätigkeit mit vornehmlich religiösen Texten begonnen, in denen sie mit der Vorstellung der „free grace“, also der allen Menschen zukommende Gnade Gottes, gegen die Prädestinationslehre des Calvinismus Stellung bezogen. Nach der Auffassung vieler Levellers sollte die Rettung allen Menschen, selbst den Sündern, zuteil werden.29 Die Phase seit dem Ende des ersten Bürgerkriegs im Sommer 1646 kann durchaus als kritisch gelten. In eben diese Phase fiel die Entstehung der Levellers als politische Bewegung, die wesentlich von Lilburn, Walwyn und Overton initiiert und getragen wurde.30 Die Levellers knüpften somit an die Debatten der Jahre seit 1640 an, in religiöser Hinsicht griffen sie Impulse der verschiedenen ‚puritanischen‘ Strömungen auf, jedoch ohne die strikt calvinistische Prädestinationslehre; in politischer Hinsicht waren sie geprägt von den kursierenden, zunehmend monarchiekritischen
25 Vgl. Hughes 2003, S. 369-371; Cromartie 2015, S. 401-404. 26 Vgl. Schröder 1986, S. 95f.; Wootton 1991, S. 414f.; Carlin 2018; De Krey 2017, S. 31-37; Rees 2017, S. 58-61. 27 Wootton 1991, S. 421f. 28 Vgl. Coward 2014, S. 220; Greyerz 1994, S. 106f. 29 Vgl. Aylmer 1975, S. 20; Schröder 1986, S. 96; Wootton 1991, S. 437; Coffey 2015, S. 454f.; und generell zu den religiösen Haltungen bei den Levellers Foxley 2013, S. 119-149. Zum Konzept der „free grace“, die Bezüge zum Antinomianismus, zum niederländischen und Arminianismus sowie zur Lehre des Hugenotten Moyse Amyraut aufweist, vgl. auch McGrath 1986, Bd. 2, S. 105-121; Tyacke 1990. 30 Zu den führenden Köpfen der Levellers vgl. Braddick 2018; Rees 2017, S. 23-42; Gibbons 2010; Sharp 2006; Aylmer 1975, S. 14-22; De Krey 2017, S. 60-91. De Krey argumentiert freilich, dass eine Leveller-Bewegung trotz der bereits bestehenden Kontakte und Verbindungen nicht vor dem späten Oktober 1647 greifbar ist; De Krey 2017, S. 105-137.
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Texten Henry Parkers, Philipp Huntons und anderer.31 Eine Wurzel der Bewegung ist zudem auch in den Petitionen vor und während des ersten Bürgerkriegs zu sehen, als mit der Root and Branch Petition vom Dezember 1640, der Remonstrance of Many Thousand Citizens vom Juli 1646, der sogenannten Large Petition vom März 1647 und der Petition vom 11. September 1648 die Massen Londons mobilisiert und politisiert werden konnten.32 Lilburne, der 1638 erstmals verhaftet und vom Gericht der Star Chamber zu einer öffentlichen Auspeitschung verurteilt wurde und der in seiner Verteidigung die Rechte des freien Engländers beschwor, stand zeitweise selbst im Zentrum von Petitionskampagnen, an denen sich mit mehreren Flugschriften auch Richard Overton beteiligte. Als Lilburne freikam, stand bereits eine Bewegung in London bereit, die sich von Overton, Walwyn und Lilburne führen ließ.33 Edward Vallance hat argumentiert, dass die Petitionskampagnen ebenso wie die parlamentarischen Eide – etwa der „Solemn League and Covenant“ vom September 1643 – nicht nur Modelle politischer Mobilisierung boten, sondern auch ihre Wurzeln in alteuropäischen Eidverbünden und Schwurgemeinschaften besaßen, die ihrerseits im Kontext lokaler Widerstandsbewegungen gemeinschaftliches Handeln begründeten. Das „Agreement of the People“ stand somit jenseits seiner politischtheoretischen Inhalte auch im Zusammenhang solcher Praktiken.34 Die zunehmende Konfrontation zwischen den militärischen Agitators, den Levellers und der sozialkonservativen Armeeführung, zu der auch Henry Ireton und Oliver Cromwell zählten, einerseits und der Ausbruch des zweiten Bürgerkriegs nach der Flucht des Königs im April 1648 andererseits nährten ein Klima des Misstrauens, nicht nur gegenüber Karl, dem im Januar 1649 der Prozess gemacht wurde, sondern auch zwischen der neuen, nur noch auf ein Rumpfparlament gestützten Regierung und Teilen der Armee.35 Dabei verbanden die Levellers und Cromwell eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Dazu gehörten schon 1648 die Ablehnung eines settlement mit Karl I., die Kritik an einer presbyterianischen Nationalkirche und der Widerstand gegen die Auflösung der Armee. Der Dissens lag vor allem in den unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der künftigen sozialen Ordnung.36 Diese Situation führte 1649 zu erneuten Meutereien in der Armee und zum Widerstand gegen eine zunehmend auf Cromwell und die Armeeführung zugeschnittene Regierung durch einen Council of State, den Lilburne in seiner Schrift „England’s New Chaines
Vgl. Foxley 2013, S. 51-83; De Krey 2017, S. 91-95. Vgl. Dow 1985, 31f.; Walter 2015, S. 340-343; Coward 2014, S. 186f.; Zaret 2000, S. 217-265. Vgl. Woolrych 2002, S. 169; Rees 2018, 2f.; Braddick 2018, S. 102-115. Vallance 2012. Zur Situation 1646 bis 1649 Hirst 1999, S. 233-254; Coward 2014, S. 215-232; sowie Pečar 2013. 36 Vgl. Aylmer 1975, S. 12f.; De Krey 2017, 189-198.
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Discovered“ anprangerte.37 Cromwell ging gegen die Meuterer mit Gewalt vor, was die Auflösung der Levellers als eigenständige Gruppierung zur Folge hatte.38 Waren die Levellers von der älteren Forschung sehr stark in den Kontext einer frühen demokratischen Bewegung gerückt worden, die v.a. säkular gedeutet wurde, so hatte insbesondere die revisionistische Forschung den religiösen Konflikt betont. Heute wird man wohl beide Aspekte berücksichtigen müssen. Zudem wird man die Unterstützung aus der Bevölkerung nicht überschätzen dürfen. Wichtig ist in inhaltlicher Hinsicht nicht nur die Beachtung der zeitgenössischen Kontexte, sondern auch die Heterogenität der Bewegung, die nie eine Partei im Sinne einer eindeutigen Programmatik oder gar einer geschlossenen Organisation war. Am ehesten lässt sich die Leveller-Bewegung wohl fassen, wenn man sie inhaltlich lose über die verschiedenen Versionen des „Agreement of the People“ definiert.39 Der Text vom 3. November 164740 lässt sich auch als Antwort auf die Kritik an John Wildmans „The Case of the Army Truly Stated“ lesen, und er erhob den Anspruch, die wahren Interessen des Volkes zu vertreten. Die Autorschaft des Textes ist umstritten. Andrew Sharp, der den Text zuletzt ediert hat, geht davon aus, dass er wesentlich von William Walwyn verfasst worden sei, andere wie De Krey, Vernon und Baker betonen stärker die Rolle Wildmans. Die Forschung geht generell von mehreren Verfassern aus, unter denen sich eventuell auch Lilburne und Overton befanden.41 Von der Gegenseite, namentlich der Armeeführung, wurden die „Heads of Proposals“ bereits am 2. August 1647 aufgestellt. Darin ging es um Vorschläge für eine Einigung mit dem König, um eine moderate Parlamentsreform und eine vorsichtige Kirchenreform.42 Das „Agreement of the People“ ging deutlich darüber hinaus und sollte in den Putney Debates vom 28. Oktober bis 11. November 1647 als Diskussionsgrundlage für die künftige Verfassung Englands dienen, wurde freilich im Laufe der Debatten mehrfach modifiziert.43 Es ging darüber hinaus auch darum, eine Verfassungsgrundlage zu schaffen, die letztlich von der ganzen Bevölkerung im Sinne einer Schwurgemeinschaft angenommen werden sollte. Wenn wir sie neben den Schriften Lilburnes, Overtons und Walwyns als ideologischen Kern der Leveller-Bewegung verstehen, dann lohnt sich im Folgenden ein näherer Blick auf den Text.
37 Lilburne, England’s new chains 1998. Vgl. Braddick 2018, S. 161-169; Skinner 2018, S. 158. 38 Vgl. Aylmer 1975, S. 43-46; Dow 1985, S. 42; Wootton 1991, S. 414; Foxley 2013, S. 7-13; Rees 2018, S. 4; De Krey 2017, S. 245-255. 39 Wootton 1991, S. 412. 40 Das Datum bezieht sich auf die erstmalige Publikation des Textes und ist z.B. angegeben bei Wootton 1991, S. 412. Eine erste handschriftliche Version wurde offenbar bereits am 28. Oktober 1647 verlesen; vgl. Vernon/Baker 2012, S. 3. Diese Angabe auch bei Sharp 1998, S. 92. 41 Vgl. Sharp 1998, S. 92 Anm. 1; sowie Vernon/Baker 2012, S. 3; und De Krey 2017, S. 147. 42 Vgl. Coward 2014, S. 223; De Krey 2017, S. 122-126. 43 Vgl. zu den Putney Debates Coward 2014, S. 225-227; De Krey 2017, S. 149-157; Mendle 2001. Zu den späteren Versionen des „Agreement“, die erst deutlich nach den Putney Debates im Dezember 1648 sowie im Januar 1649 erschienen, vgl. Vernon/Baker 2012, S. 7f.
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II. Leveller-Programme Das „Agreement of the People“, das gewissermaßen als Manifest der Leveller-Bewegung innerhalb der Armee gelten kann und seit Anfang November 1647 auch im Druck verbreitet wurde, begann zunächst mit einer Art Rechtfertigung der eigenen Position. Verfasst wurde der Text im Namen einer Reihe zu Beginn aufgelisteter Regimenter der Armee, zu denen auch die Infanterieeinheiten von Richard Overton und John Lilburne gehörten. Gott habe sich – so die Argumentation – bereits der Anliegen der New Model Army und des Volkes angenommen, indem er deren Feinde, also insbesondere den König, der Armee ausgeliefert habe.44 Nun hätten die genannten Regimenter die Pflicht, eine Rückkehr in die „slavish condition“ der Zeit vor dem Sieg über die Royalisten zu verhindern. Hier wurde also bereits gegen die Versuche des von den Presbyterianern beherrschten Long Parliament, einen Kompromiss mit dem König zu erzielen, Stellung bezogen. Zu diesem Zweck werden in vier Artikeln, von denen der letzte in fünf Unterartikel unterteilt ist, im Kern drei grundlegende Prinzipien formuliert: Erstens geht es um ein gleiches Wahlrecht und eine gleiche Stimmverteilung. Das heißt, man forderte, die sehr ungleiche Repräsentation der wahlberechtigten Bevölkerung, die sich aus der sehr unterschiedlichen Größe und Bevölkerungsdichte der Counties ergab45, zu beseitigen und die Wahlbezirke so zu gestalten, dass die Wähler gleichmäßiger vertreten werden konnten. Zweitens sollte die repräsentative Versammlung – das Parlament – nicht zu lange im Amt bleiben, sondern alle zwei Jahre neu gewählt werden, was auch die zügige Auflösung des bestehenden Parlaments zur Folge gehabt hätte. Schließlich wurde drittens konstatiert, „that the power of this and all future representatives of this nation is inferior only to theirs who choose them“.46 Das Parlament sollte also die höchste Autorität im Land haben, sich jedoch seinen Wählern unterordnen, die somit die übergeordnete Souveränität besaßen. Hier wurde also auf Konzepte rekurriert, die bereits vorher während des Bürgerkriegs, zum Teil unter Rückgriff auf italienische und französische Ansätze aus dem 16. Jahrhundert, diskutiert und prominent etwa bei Henry Parker formuliert worden waren.47 Eingeschränkt war die Autorität des Parlaments v.a. in all jenen Dingen, die die Freiheit des Einzelnen betrafen, also etwa die Religionsausübung oder die Meldung zum Militärdienst.48 Hier griffen die Levellers die Forderung nach Toleranz für alle protestantischen Denominationen auf und betonten die Freiwilligkeit des Militärdienstes. Die Freiheit und Gleichheit aller 44 45 46 47
Agreement 1998, S. 92-95. Vgl. mit Blick auf eine etwas spätere Periode Hill 1996, S. 6f. Agreement 1998, S. 94. Vgl. Dow 1985, S. 40f.; Wootton 1991, S. 427; Foxley 2013, S. 69-72. Vgl. zu Parker und der Bürgerkriegsdebatte Pocock/Schochet 1993, S. 152f.; Skinner 2018, S. 196-207; und ausführlich Mendle 1995. 48 Hierzu auch To the right honourable, the Commons of England 1648, S. 136. Vgl. zum Prinzip der Religionsfreiheit bei den Levellers auch Foxley 2012.
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vor dem Gesetz gehörte ebenfalls zu den grundlegenden Prinzipien, ebenso wie die Ablehnung aller Privilegien und Exemtionen von Personen oder Korporationen.49 Die recht kurz gehaltenen Artikel lassen nur recht allgemeine Beobachtungen zu, die freilich ergänzt werden können durch verschiedene Leveller-Flugschriften, darunter die Schriften Walwyns, Lilburnes, Overtons und Wildmans, die sich in Teilen anschlossen an parlamentarische Texte zu Beginn des ersten Bürgerkriegs wie etwa Henry Parkers „Observations upon some of His Majesties late answers and expresses“ von 1642, in denen ausgehend von einem fiktiven Naturzustand politische Herrschaft aus einem freiwilligen Konsens des Volkes und einer bedingten Unterwerfung jedes Einzelnen unter diese Herrschaft abgeleitet wurde.50 Diese Bedingtheit der Unterwerfung unter eine Regierung ist entscheidend, denn anders als etwa Thomas Hobbes im „Leviathan“ argumentierte, war die Regierung bei Parker ein „trust“, eine vom souveränen Volk der Obrigkeit anvertrautes Gut, das dieser auch wieder entzogen werden konnte, wenn sie nicht im Interesse des Volkes handelte.51 In ganz ähnlicher Weise geht auch Overton von der individuellen Freiheit, der „self-propriety“, also dem Eigentum jedes Menschen an sich selbst, als unveräußerlichem Recht aus. Wer einem anderen ohne dessen freiwillige Zustimmung dieses Recht nehme, sei als Dieb oder Räuber zu qualifizieren. Jede Regierung müsse also, wenn sie nicht Tyrannei sei, auf der freiwilligen Zustimmung der Regierten beruhen, die zudem jederzeit wieder entzogen werden könne.52 Ebenso argumentierte auch John Lilburne. Wegen seiner publizistischen Aktivitäten gegen die führenden Presbyterianer im Parliament saß er 1645 und 1646 mehrfach im Gefängnis.53 Während seiner Gefangenschaft im Tower of London 1646 verfasste er die Flugschrift „Londons Liberty In Chains discovered“, in der es heißt: „And for that all lawfull powers reside in the people, for whose good, welfare, and happinesse, all government and just policies were ordained“.54 Hier richtete sich das Argument freilich nicht nur gegen die königliche Regierung, sondern v.a. gegen die gewählte Londoner Obrigkeit, die ihrem Auftrag nicht gerecht werde. Auch eine solche gewählte Regierung könne zur Tyrannei werden, und auch wenn diese auf den ersten Blick moderater erscheine als die Tyrannei eines einzelnen Mannes, „yet in many things it is more intollerable“.55 Auch in „England’s Birth-Right Justified Against all Arbitrary Usurpation, whether Regall or Parliamentary“ klingt diese Vorstellung einer auch durch gewählte Versammlungen ausgeübten Tyrannei 49 Vgl. Aylmer 1975, S. 25; Schröder 1986, S. 104f.; Houston 1993; Foxley 2013, S. 94f.; dies. 2018, S. 9; Rees 2017, S. 162-171. 50 Parker, Observations 1642. Vgl. Skinner 1998, S. 1f.; Pocock/Schochet 1993, S. 152f.; Mendle 1995, 70-89; und mit Bezug auf die Levellers Foxley 2013, S. 21-23. 51 Parker, Observations 1642, S. 5, 7f. Vgl. Pocock/Schochet 1993, 152f. 52 Overton, An arrow 1998, S. 55-57. 53 Braddick 2018, S. 94-115. 54 Lilburne, Londons Liberty 1646, S. 2. 55 Ebd., S. 2. Vgl. auch Schröder 1986, S. 96; Wootton 1991, S. 428f.
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an.56 Zweifellos spielte in dieser Einschätzung Lilburnes eigene Erfahrung mit der Strafverfolgung durch das Parlament und durch die City of London eine wichtige Rolle, zumal die Versuche der Parlamentarier um William Prynn, die Zensur wieder zu etablieren und Kritik an der presbyterianischen Religionspolitik zu unterbinden, von den Independenten und anderen Gruppen zunehmend als neue Tyrannei wahrgenommen wurden.57 Gleichzeitig regte sich bei den führenden Akteuren der Levellers Widerstand gegen die Unantastbarkeit des Königs, wie sie das Parlament noch 1642 formuliert hatte („the king could do no wrong“).58 Für Richard Overton lag die gesetzgebende Gewalt nicht beim König, sondern beim Königreich und seinen Repräsentanten im Parlament. Das Parlament habe dementsprechend das Recht, Gesetze notfalls auch gegen den Willen des Königs zu verabschieden. Das habe zur Folge, dass der König bestenfalls ein oberster Beamter der Exekutive sein könne: „So that seeing the sovereign power is not originally in the king, or personally terminated in him, then the king at most can be but chief officer or supreme executioner of the laws“.59 Jede Machtausübung, die nicht von den Parlamentariern als Vertetern des Volkes und im Sinne des Volkes ausgeübt werde, sei somit Usurpation und Tyrannei und folglich illegal. Das gelte auch für das House of Lords, dessen Abschaffung Overton in seiner Schrift „An arrow against all tyrants and tyranny“ vom Oktober 1646 als notwendigen Schritt zur Verwirklichung von Freiheit forderte.60 Auch andere LevellerTraktate und Petitionen sahen im König ein Exekutivorgan und wandten sich gegen die Existenz eines Oberhauses, das der gleichmäßigen und freien Repräsentation des Volkes entgegenstehe.61 Besonders die „negative voice“, also das Vetorecht der Krone, galt als tyrannisch und musste abgeschafft werden, um freie parlamentarische Entscheidungen zu ermöglichen.62 Ebenso forderten einige Texte regelmäßige und häufige freie Wahlen, etwa im Zweijahresrhythmus, wie sie das „Agreement of the People“ vorsah, oder gar im Jahresabstand wie in der Petition vom 11. September 1648.63 Häufige Neuwahlen sollten eine möglichst weitreichende Kontrolle der Parlamentarier durch das Volk gewährleisten.64 Umstritten ist, welche Rolle Wahlrechtsfragen, insbesondere die Frage des allgemeinen Männerwahlrechts in der Programmatik der Levellers spielte. Gerade im Hinblick auf die Diskussion, ob sich die Levellers tatsächlich als frühe Demokraten charakterisieren lassen, war diese Frage stets von herausragender Bedeutung. Dabei 56 57 58 59 60 61 62 63 64
Lilburne, England’s Birth-Right 1646, S. 2f., 11f., 32f. u.ö. Vgl. Aylmer 1975, S. 17f.; Coward 2014, S. 246f.; Coffey 2018, S. 452-456. Wootton 1991, S. 426. Overton, An arrow 1998, S. 62f. Ebd., S. 57-61. Außerdem ders., Alarum 1646. Z.B. die Petition To the right honourable, the Commons of England 1998, S. 131f. Vgl. Dow 1985, S. 41; Kennedy 2008, S. 158; Foxley 2013, S. 175f., 183. To the right honourable, the Commons of England 1998, S. 135. Vgl. Thomas 1972, S. 58.
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geht es nicht zuletzt um die Bewertung der späteren Versionen des „Agreement of the People“, in denen etwa Bedienstete vom Wahlrecht ausgeschlossen wurden bzw. das Wahlrecht an Besitz geknüpft wurde.65 Hatten in den Putney Debates die Verhandlungsführer der Levellers und der Soldaten in diesem Punkt den Forderungen Cromwells und Iretons nachgegeben oder hatte es sich bei der Frage der „property qualification“ nie um einen Kernpunkt des Leveller-Programms gehandelt? Entscheidend ist wohl etwas anderes: Entsprechend den allgemeinen Vorstellungen in der Frühen Neuzeit handelte es sich beim Haushalt um eine soziale Einheit, die als „ganzes Haus“ gemeinsam handelte. Bei Wahlen wurde das Haus durch die Haushaltsvorstände vertreten, was in der Regel auch ein Grund für das Fehlen eines Frauenwahlrechts war.66 Damit aber rückten freie Männer in den Fokus. Vorstände eines eigenen Haushalts sollten das Parlament wählen, dem sie sich dann freiwillig unterwarfen. Das Recht zur Wahl hatten also keine bereits Unterworfenen.67 David Wootton schließt daraus: „The Levellers were not democrats: rather they believed that all authority must be originally founded on genuine consent, which, in the event of tyranny, the people had a right to withdraw“.68 Demnach sei nicht die Frage des Wahlrechts, sondern die Volksouveränität das zentrale Anliegen gewesen. Das Prinzip der freien Zustimmung und Akzeptanz von Herrschaft sei ihnen wichtiger als die Frage gewesen, wer denn faktisch diese Zustimmung durch Wahlen artikuliere. Etwas anders wertet Quentin Skinner die Prioritätensetzung, denn er sieht in der Wahlrechtsfrage einen zentralen Diskussionspunkt der Putney Debates.69 Auch wenn sich dort am Ende eine moderatere Position durchgesetzt habe, die das Wahlrecht an ein unabhängiges Einkommen geknüpft und Bedienstete ausgeschlossen habe, so sei das doch nicht die Leveller-Position gewesen. Vielmehr hätten sie das Wahlrecht als natürliches Recht verstanden, das sich aus der freiwillig gegebenen Zustimmung zu einer Regierung ergebe; oder mit den Worten von Thomas Rainborough: „every man that is to live under a government ought first by his own consent to put himself under that government“.70 Diese freie Zustimmung werde von jedem freien Mann gegeben, so dass auch jeder freie Mann das Recht habe, sich an den 65 Vgl. ebd., S. 58f.; Dow 1985, S. 43f.; Foxley 2018, S. 22f. 66 Vgl. zum Konzept des Hauses und den Rechten des Hausvorstands Schmidt-Voges 2015, S. 13-17. Ein Frauenwahlrecht stand zu keinem Zeitpunkt auf der Agenda der Levellers. Dass dennoch die Aktivitäten von Frauen aus dem Umfeld der Bewegung, namentlich Elizabeth Lilburne, von Bedeutung für die Konstituierung der Levellers waren, ist in der jüngeren Forschung hervorgehoben worden; vgl. Hughes 2018. Dagegen freilich Foxley 2013, S. 111, die einige Äußerungen Lilburnes als genderspezifische Zuschreibung von „Maskulinität“ versteht, die erst zum Politischen qualifizierten. 67 Wootton 1991, S. 432f.; Vallance 2015, S. 439. Hierzu insbesondere Macpherson 2016, S. 126-137, der besonders auf den Ausschluss der Lohnarbeiter abhebt. 68 Wootton 1991, S. 433. Dagegen Goldsmith 1986, S. 66f., der bei den Levellers eine Tendenz zum allgemeinen Wahlrecht sieht. 69 Skinner 2018, S. 151. 70 Zitiert nach Skinner 2018, S. 152. Vgl. auch Foxley 2018, S. 23f.
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Parlamentswahlen zu beteiligen. „‚The right of every free-born man to elect‘ simply follows from the rule that anything ‚which concerns all ought to be debated by all‘“ – so gibt Skinner die Position des Offiziers Captain Lewis Audley wieder.71 Das Wahlrecht sei somit von Teilen der Leveller-Bewegung als Recht jedes erwachsenen Mannes verstanden worden. Freilich sei hier eine wichtige Unterscheidung einzuführen, die sowohl bei Oliver Cromwell und Henry Ireton als auch bei den Levellers getroffen worden sei, nämlich die Unterscheidung zwischen freier Geburt und dem Zustand der Freiheit. Während jeder Mensch frei geboren werde, seien „free men“ als solche zu verstehen, die sich nicht dem Willen eines anderen unterworfen hätten. Wer also dem Willen anderer unterstehe, sei nicht frei und könne somit nicht von seinem Geburtsrecht der Wahl Gebrauch machen. Freiheit, so Skinner, sei also als ein Zustand wahrgenommen worden, der Veränderungen unterliegen könne. Genau hier ergibt sich auch die Verknüpfung mit der Verfügung über Besitz: Freiheit habe nur derjenige, der nicht in Abhängigkeit anderer stehe, also auch im Sinne von Lohnarbeit, sondern sich aus seinem eigenen Hausstand selbst ernähren könne. Es sei also der Besitz gewesen, der in der Wahrnehmung nicht nur der Levellers, sondern etwa auch James Harringtons, Freiheit garantiert habe.72 Mit Blick auf die Position der Levellers sei demnach zu unterscheiden zwischen einer „universal male suffrage“, also dem Wahlrecht aller Männer, und einer „universal manhood suffrage“. Die „manhood“ sei zu verstehen als die Fähigkeit, eigenständig zu handeln, ohne die Kreatur eines anderen zu sein. Genau darüber habe sich der Ausschluss von Bediensteten, aber auch etwa von Bischöfen, begründet.73 Skinner hält also im Gegensatz zu Wootton die Wahlrechtsfrage durchaus für zentral innerhalb der Programmatik der Levellers, die aber vor dem Hintergrund einer ‚neorömischen‘ Freiheitsvorstellung zu interpretieren sei, mithin nicht gleichgesetzt werden könne mit modernen Freiheitsideen.74 Liest man also das „Agreement of the People“ als zentrales Manifest der Leveller-Bewegung vor dem Hintergrund weiterer Texte so wird durchaus klar, dass ein zentraler Aspekt das Misstrauen gegenüber der Ausübung von Macht war. In der Vorstellung der Levellers, aber auch vieler anderer Akteure, die sich auf parlamentarischer Seite in den publizistischen Kampf gegen Karl I. einbrachten, spielte die Vorstellung einer vertragstheoretischen Machtübertragung des Volkes an eine Regierung eine herausragende Rolle. Dass solche Theorien nicht in jeder Hinsicht neu waren,
71 Skinner 2018, S. 152. 72 Ebd., S. 153f. Dagegen argumentiert Keith Thomas, dass die Levellers mit dem Begriff „servant“ nur jene Personen gemeint hätten, die als Bedienstete im Haushalt eines anderen gelebt hätten; Thomas 1972, S. 72f. 73 Skinner 2018, S. 154f. 74 Dazu auch Skinner 1998; und mit dem Hinweis auf die politische Zielvorstellung einer insgesamt von Kleineigentümern geprägten Gesellschaft Schröder 1986, S. 109.
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bedarf hier keiner Erörterung.75 Sie legitimierten aber den Anspruch, die Macht der Obrigkeit zu beschränken, sie einzuhegen und sie einer Kontrolle durch das Volk zu unterwerfen. Nur durch ein von allen freien Männern gewähltes Repräsentativorgan, das zudem einer regelmäßigen und häufigen Wiederwahl bedürfe, könne die Freiheit aller gewährleistet werden. Freiheit ist hier vor allem die Abwesenheit von Zwang und Restriktion, die Freiheit von einer möglichen Unterwerfung unter Willkür und Tyrannei.76 Insbesondere John Lilburne, der mehrfach wegen Verschuldung und wegen kritischer Publikationen inhaftiert wurde, betonte in diesem Kontext auch die Notwendigkeit eines transparenten und für alle gleichermaßen gültigen Rechts. Das geltende englische Rechtssystem griff er als Schöpfung Wilhelms des Eroberers an. Die fehlende Kodifizierung mache das Recht intransparent und für alle außer den Rechtsgelehrten undurchschaubar, wodurch der Willkür und der Ungleichbehandlung Tür und Tor geöffnet werde.77 Auch die Ablehnung von Monopolen und Privilegien gehört in diesen Zusammenhang: Sie widersprachen nicht nur dem gleichen Recht aller freien Engländer, sondern stellten auch Hemmnisse in der ökonomischen Entfaltung jedes Einzelnen dar.78
III. Die Diggers Die Diggers, die sich selbst auch als „True Levellers“ bezeichneten, traten ab 1649 auf, kurz bevor das Scheitern der Levellers mit der Niederschlagung der letzten großen Armee-Meuterei sichtbar wurde. Anders als die eng mit der Armee verbundenen Levellers verstanden sie sich als pazifistische Bewegung und wurden zunächst von dem ehemaligen Soldaten der New Model Army, William Everard (1602–1651), angeführt.79 Schon bald gehörte auch Gerrard Winstanley (1609–1676) zu den Anführern der Gruppe.80 Eine kleine Gruppe, die nie mehr als siebzig Personen umfasste, begann im April 1649 mit der Besetzung von brachliegendem Land am St. George‘s Hill bei Weybridge in der Grafschaft Surrey, westlich von London. Die Gemeinschaft lehnte Privatbesitz ab und bewirtschaftete gemeinsam das Land und forderte Menschen in der Umgebung auf, sich ihnen anzuschließen. Dahinter 75 Zu verweisen wäre etwa auf die vertragstheoretischen Konzeptionen in den sog. monarchomachischen Schriften der französischen Religionskriege; vgl. Kennedy 2008, S. 146-149; sowie speziell dazu Kingdon 1991, S. 206-214; Daussy 2016, S. 77-81; Zwierlein 2020, S. 13f. 76 Skinner 2018, S. 155f. 77 Wootton 1991, S. 427f. 78 Lilburne, England’s Birth-Right 1646, S. 9-12; ders., Londons Liberty 1646, S. 5f., 22f., 40f., 46-52; Walwyn, Gold tried in the fire 1998, S. 79f. Vgl. Aylmer 1975, S. 25; Schröder 1986, S. 104f.; Houston 1993; Foxley 2013, S. 94f.; dies. 2018, S. 9; Rees 2017, S. 162-171. S. auch den Beitrag von Cornel Zwierlein in diesem Band. 79 Zu Everard Hessayon 2004. 80 Zur Biographie Winstanleys Bradstock 1997, S. 69-81 Davis/Alsop 2004; Gurney 2007, S. 62-78.
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stand wohl auch die Hoffnung auf Abzug von Arbeitskräften aus der zunehmend gewinnorientierten Landwirtschaft und aus den feudalen Abhängigkeiten.81 Die Gemeinschaft hielt sich freilich nicht lange. Der erhoffte Zuzug von Menschen blieb weitgehend aus, und angefeindet von den benachbarten Grundbesitzern löste sich die Gruppe bald wieder auf. Zwar waren auch andernorts kleine Gemeinschaften entstanden, doch auch sie waren nicht von langer Dauer.82 Die Entstehung der Diggers lässt sich nicht allein aus der Leveller-Bewegung und ihrer Auflösung erklären, vielmehr steht sie auch im Zusammenhang mit ländlichen Unruhen, die gerade auch in den Jahren vor den Bürgerkriegen immer wieder aufgetreten waren. Dabei ging es um Proteste gegen die enclosures, also die Einhegung und intensive Bewirtschaftung von bis dahin gemeinschaftlich genutzten Flächen und Allmenden.83 Die Diggers waren insofern Teil dieser Proteste, als sie versuchten, Gemeinden auf Brachland und Allmenden wie St. George‘s Hill und Cobham Heath zu etablieren.84 Dahinter steht auch eine Entwicklung, die von einer feudal geprägten Landwirtschaft in eine zunehmend kommerziell orientierte Landwirtschaft führte. Die marxistische Forschung hat dieser Entwicklung hin zu einem ‚Agrarkapitalismus‘ stets besondere Aufmerksamkeit geschenkt, doch auch die nichtmarxistische sozial- und wirtschaftshistorische Forschung sieht eine solche Transformation, die gegen Ende des Jahrhunderts und verstärkt im 18. Jahrhundert zu einer Verdrängung des englischen Bauernstandes in den von Ackerwirtschaft geprägten Regionen des englischen Südostens führte und die bisweilen mit dem Begriff der „Agrarrevolution“ bezeichnet wird. Die allmähliche Auflösung der Allmenden, die Intensivierung der Flächennutzung gerade auch in den bis dahin extensiv genutzten Feuchtgebieten, etwa der fens in Lincolnshire und Cambridgeshire, waren Teil dieser Entwicklung und führten zu heftigen Konflikten mit der ansässigen Bevölkerung.85 Mitte des 17. Jahrhunderts befanden sich diese Prozesse noch in ihren Anfängen, doch Konflikte, etwa um die Trockenlegungen in den fens, gab es auch während der Bürgerkriege und des Interregnums. John Wildman und John Lilburne, die wie angesprochen zu den Führungsfiguren der Leveller-Bewegung gehörten, traten hier zeitweise als Anwälte der fen-Bewohner auf.86 Es gab in der Leveller-Bewegung durchaus Stimmen, die die bereits durchgeführten Einhegungen der Allmenden 81 Vgl. Deppermann 1984, S. 71-75; Shulman 1989, S. 133-135; Hill 1991, S. 110-112; Wootton 1991, S. 425f.; Gurney 2007, S. 121-143. 82 Vgl. Deppermann 1984, S. 75f.; Hill 1991, S. 113; Gurney 2007, S. 153-165. Zu den verschiedenen Digger communities auch Hill 1991, S. 124-128. 83 Vgl. Thirsk 1957, S. 159-167, 180-186; Kerridge 1968; Clay 1984, Bd. 1, S. 67-77. Zum Zusammenhang zwischen den Diggers und den ländlichen Unruhen der 1640er Jahre auch Gurney 2007, S. 34-38. 84 Walter 2015, S. 335. 85 Vgl. Kennedy 2008, S. 59-90; und generell zu den Trockenlegungsmaßnahmen in den fens Darby 1956; Kerridge 1968, S. 222-239; Ash 2017. 86 Vgl. Lindley 1982, S. 65, 188-195; Holmes 1985, S. 167; Braddick 2018, S. 206-215.
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rückgängig machen und das Land an die Armen und Landlosen verteilen wollten, andere lehnten einen solchen Vorstoß eher ab und hielten am Prinzip des Privatbesitzes fest.87 Generell stand die ländliche Welt jedoch nicht so stark im Fokus der sehr städtisch geprägten Leveller-Bewegung. Gerade hier freilich setzte die Gruppe der Diggers an. Im Gegensatz zur städtischen Welt der Levellers verfügten sie über ein tieferes Verständnis der bereits laufenden Transformationsprozesse der englischen Agrarwirtschaft. Das schlug sich etwa in der Kritik am Improvement-Diskurs der Agrarreformer der Stuart-Zeit nieder, in dem es allein um die Verbesserung der Erträge und die Kommerzialisierung der Landwirtschaft ging, was in weiten Teilen der ländlichen Bevölkerung Englands auf Ablehnung stieß.88 Eine erste Ausformulierung dessen, was als Programm der Diggers gelten kann, findet sich in dem recht kurzen Manifest mit dem Titel „The True Levellers Standard Advanced: Or, The State of Community opened, and Presented to the Sons of Men“ vom April 1649, das im Namen von William Everard, Gerrard Winstanley und dreizehn weiteren namentlich genannten Personen erschien. Es sollte begründen, warum „the Common people of England have begun, and gives Consent to Digge up, Manure, and Sowe Corn upon George-Hill in Surrey“. „Every single man, Male and Female, is a perfect Creature of himself“, heißt es in dem Manifest. Nur Gott regiere über die Welt, aber er habe keiner besonderen Schicht („branch of mankind“) die Macht gegeben, über andere zu herrschen. Erst die Blindheit der Menschen und ihr fleischliches Dasein habe sie zu Sklaven gemacht und Könige geschaffen.89 Die Monarchie wird hier also als Fehlentwicklung hingestellt, die den wahren Absichten der Schöpfung widerspreche – ein Argument, das auch sonst unter Verweis auf 1. Sam. 8 in der zeitgenössischen Monarchiekritik kursierte.90 Hier geht es freilich nicht allein darum, dass Gott die Israeliten vor der Einsetzung eines Königs gewarnt habe, sondern die True Levellers thematisierten den Besitz an der Erde. Demnach sei die Erde, die als „Common Treasury of Relief for all“, geschaffen worden sei, eingehegt worden, zum Besitz von wenigen geworden, während alle anderen zu Dienern und Sklaven herabgestuft worden seien. Dieser Zustand müsse rückgängig gemacht, die Erde wieder zum Gemeinbesitz werden. Der Vorwurf an die revolutionäre Regierung war jedoch, dass sie nur die bisherige Unfreiheit durch eine neue ersetzt und dass sie ihr Freiheitsversprechen gebrochen habe.91 Die Freiheit aber sei das Geburtsrecht jedes Einzelnen, das nun eingefordert werde – freilich nicht mit Waffengewalt, sondern
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Kennedy 2008, S. 123f. Ebd., S. 125; Clay 1984, Bd. 1, S. 77-81. True Levellers Standard 1649, S. 6f. Zum Text auch Gurney 2007, S. 125-127. Vgl. etwa Pečar 2011, S. 216f.; Worden 1991, S. 472f. True Levellers Standard 1649, S. 11.
by labouring the Earth in righteousness together, to eate our bread with the sweat of our brow, neither giving hire, nor taking hire, but working together, and eating together, as one man, or as one house of Israel restored from Bondage.92
In einer ausgeprägt religiösen, fast schon prophetischen Sprache wird hier die Vorstellung einer Gütergemeinschaft bzw. einer Arbeitsgemeinschaft propagiert, wie sie auch schon in anderen religiösen Gemeinschaften, etwa bei Täufergruppen wie den Hutterern oder Mennoniten, praktiziert wurde.93 Dahinter stand die Vorstellung einer historischen Entwicklung, die die einst freien Angelsachsen in der Folge der normannischen Eroberung in unfreie Copyholders verwandelt habe. Die normannische Eroberung habe zu einer Feudalisierung geführt, in der unter dem König die großen Lords stehen, die den größten Teil des Landes besitzen, das sie jedoch gestohlen und mit dem Schwert erobert hätten.94 Die Copyholds, also der unfreie bzw. in Abhängigkeit stehende Besitz sei verfügbar nur über Treueid, Dienstverpflichtung und Abgaben, während der Landverlust, insbesondere durch Enclosures und Akkumulation von Besitz durch die Großgrundbesitzer aus der Gentry und Aristocracy, zum Verlust des Zugangs zum Markt und zu Sklaverei gegen Lohn führe. Dies resultiere letztlich in der Akkumulation von Kapital auf dem Land – so die von der marxistischen Forschung angeregte Interpretation von Geoff Kennedy.95 Folgt man dieser Deutung, so wird in den Texten der Diggers Kritik an ländlicher Lohnarbeit deutlich, und ihre Strategie sei es gewesen, den Landlords diese Arbeitskraft zu entziehen, indem sie die Lohnabhängigen zum Umzug in ihre Gemeinschaften und zur Bewirtschaftung der Commons motivierten, ihnen dadurch gewissermaßen Zugang zum gemeinschaftlich genutzten Land verschafften. Freilich wurde die Lohnarbeit hier als unchristliche Ausbeutungsbeziehung, als eine Form von Gefangenschaft konstruiert, die nicht nur einen säkularen Klassenantagonismus, sondern religiös auch eine Form von sündhafter Ausbeutung der Mitmenschen bezeichnete.96 Everard und Winstanley argumentierten hier also religiös, wobei bereits zu Beginn des „True Levellers Standard“ Gott als Prinzip der Vernunft konzipiert wurde.97 Auch das Titelblatt der „Declaration and Standard of the Levellers of England”, die freilich v.a. einen Bericht über den Auftritt Everards und Winstanleys vor Fairfax und dem Parlament darstellt, wird die religiöse Verortung der Diggers betont: Während eine weibliche Gestalt die mosaischen Gesetzestafeln hochhält, diskutieren zwei Männer, wohl William Everard und Thomas Fairfax offenkundig 92 Ebd., S. 12. 93 Vgl. dazu auch Stayer 1984. Zum Vergleich mit Thomas Müntzer und seiner eschatologisch begründeten Revolution auch Bradstock 1997. 94 True Levellers Standard 1649, S. 14. Ähnlich auch Declaration and Standard 1649, S. 2. Vgl. Kennedy 2008, S. 126. 95 Kennedy 2008, S. 126f., Zit. 127. 96 Ebd., S. 127. 97 True Levellers Standard 1649, S. 6. Vgl. auch Wootton 1991, S. 426; und zu den frühen religiösen Texten Winstanleys Gurney 2007, S. 90-113.
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freimütig über aufgeschlagenen Bibeln. Sie tragen ihre Hüte, da die Diggers, wie der Text betont, sie auch in Gegenwart Höhergestellter nicht absetzen wollten („Hee [i.e. Fairfax] was but their fellow Creature“).98
Abb.: Ausschnitt aus dem Frontispiz von The Declaration and Standard of the Levellers of England [Thomason/E.552(5)] Welche religiösen Vorstellungen und theologischen Ansätze in solchen Äußerungen greifbar werden, kann hier nicht erörtert werden, auch wenn diese Frage für das Denken der Anführer der Diggers sicherlich von zentraler Bedeutung sind, wurden sie doch zum Teil auch verknüpft mit eschatologischen, gar millenarischen Erwartungen, aber auch mit Perspektiven für eine puritanische Religiosität, die innerweltlich und sozial verwurzelt sein sollte. Bei Winstanley finden sich zudem mystische und pantheistische Ansätze.99
98 Declaration and Standard 1649, S. 3. 99 Dazu auch Declaration and Standard 1649, S. 2. Vgl. auch Hill 1978; Shulman 1989, S. 13-71; Bradstock 1997, S. 82-135; Gurney 2007, S. 213; Aylmer 1975, S. 47f. Winstanley selbst beschrieb das „digging“, also die Arbeit auf dem Acker, als religiöse Tätigkeit. Das passt durchaus zu Vorstellungen, die ‚puritanische‘ Siedler in Nordamerika mit Blick auf die „wilderness work“, die Fruchtbarmachung eines in ihrer Sicht ‚wilden‘ und ‚unkultivierten‘ Kontinents, entwickelten; vgl. Niggemann 2015.
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Gerrard Winstanleys bis heute anhaltende Bekanntheit beruht freilich auf einem anderen Text, der 1652, also bereits nach der Auflösung der Digger-Gemeinschaft vom St. George‘s Hill entstanden ist: „The Law of Freedom in a Platform“.100 Einerseits steht der Text in der Tradition utopischer Entwürfe, etwa Thomas Morus‘ „Utopia“ oder auch Tommaso Campanellas „Città del Sole“, und er weist auch einige Parallelen zu diesen ‚klassischen‘ humanistischen Utopien auf; andererseits bricht er mit der ostentativen Fiktionalität dieser Texte und versteht sich als Handlungsaufforderung, als konkretes Programm für eine neue Gesellschaft.101 Der Text enthält eine Widmung an Oliver Cromwell, die wiederum als Appell zu lesen ist, es nicht beim Sieg über den König bewenden zu lassen, sondern eine wahre Republik zu errichten, in der der Besitz von und die Herrschaft über den Grund und Boden tatsächlich beim Volk liege. Er erinnert daran, dass Karl I. nicht von Cromwell allein besiegt worden sei, sondern mit der Unterstützung des gemeinen Volkes.102 Tatsächlich lässt sich der Text zum Zeitpunkt seines Erscheinens wohl vor allem als Kritik an Cromwell und der Republik lesen, insofern als deutlich wird, dass die Abschaffung der Monarchie eben zu keiner tiefgreifenden sozialen Reform und einer Beseitigung bestehender Abhängigkeitsverhältnisse geführt hätten. „The Law of Freedom“ enthält demgegenüber den Entwurf einer gesellschaftlichen Ordnung, in der die Reste der Monarchie konsequent abzulösen und durch neue Formen des Zusammenlebens zu ersetzen sind. Erst dadurch werde wahre Freiheit möglich. Im Kern beruhte Winstanleys Entwurf auf zwei Grundprinzipien, die er zur Voraussetzung für Freiheit erklärte: Einerseits die freie Verfügung über den Grund und Boden, die – übrigens ganz ähnlich wie in Harringtons Analyse103 – eine Republik von einer Monarchie unterscheide, andererseits die Abschaffung des Kaufens und Verkaufens, also des Geldumlaufs, der die Quelle von Ungleichheit und Ungerechtigkeit sei. Die freie Verfügung über Land sei der natürliche Zustand gewesen, bevor Eroberer und Tyrannen dem Volk das Land geraubt hätten. In England seien die freien Angelsachsen durch die normannische Eroberung 1066 in diesen unfreien Zustand geraten. Während Wilhelm I. das Land unter sich und seinen Untergebenen aufgeteilt und seinen Soldaten noch Land als freehold ausgegeben habe, seien die Angelsachsen unter feudale Abhängigkeiten geraten, hätten das Land für die neuen Gutsherren bestellen und dafür noch Abgaben und Dienste leisten müssen.104 Mit dieser Darstellung leitet Winstanley den Zustand, der bis zur Revolution und zur Abschaffung der Monarchie 1649 angehalten habe, erneut und weitgehend übereinWinstanley, Law of Freedom 1983. Vgl. etwa Schölderle 2017, S. 87-92. Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 275-285. Vgl. auch Hill 1983, S. 32, 42-48. Harrington, Commonwealth of Oceana 1992, S. 11-13. Vgl. Hill 1983, S. 50; Pocock 1987, S. 128-133; Riklin 1999, S. 97-104. 104 Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 297-300.
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stimmend mit „The True Levellers Standard“ historisch her und rekurriert dafür das Geschichtsbild des „norman yoke“, das zur Wiedererlangen der alten Freiheit abgeschüttelt werden müsse.105 Bezeichnend sind hier die allgemeinen Charakterisierungen der Monarchie: „This kingly government is he who beats pruning hooks and plouhgs into spears, guns, swords and instruments of war“ – Monarchie fördere also den Krieg, „that he might take his younger brother’s creation birthright from him, calling the earth his and not his brother’s“.106 Monarchie sei der Egoismus Einzelner oder Weniger, sie führe in die Versklavung der Vielen: This kingly government is he that makes the elder brethren freemen in the earth, and the younger brethren slaves in the earth […]. Nay, he makes one brother a lord and another a servant while they are in their mother’s womb, before they have done either good or evil.107
Die Monarchie wird folglich verantwortlich gemacht für die Ungleichheit der Menschen, die ohne ihr Zutun bereits von Geburt an festgelegt sei. Der Gegenentwurf einer allen Menschen gleichermaßen gehörenden Erde und einer freien Verfügung über die Früchte der Erde wird hingegen religiös begründet. So rekurriert Winstanley auf das Beispiel Israels, das das Land Kanaan in Besitz nahm, das als fruchtbares Land beschrieben wird. Es sei nicht unter die Soldaten verteilt worden, sondern per Losentscheid an alle Familien.108 Wahre Freiheit könne also nur existieren, wenn alle gleichermaßen Zugang zur Erde und ihren Früchten hätten. Winstanley schlägt vor, dass diese Früchte von allen in gemeinschaftlicher Arbeit geerntet und in Lagerhäuser gebracht werden sollen, aus denen sich jeder Bürger das für seinen Lebensunterhalt nötige holen könne. Auch die Handwerker sollten ihre Produkte auf diese Weise allen zur Verfügung stellen.109 Dies leitet bereits über zu Winstanleys zweitem Grundprinzip, dass nämlich der Geldumlauf zu Ungleichheit, Ungerechtigkeit und letztlich sozialem Konflikt führe. Wie schon Thomas Morus den Reisenden Hythlodeus in „Utopia“ konstatieren ließ, dass sich der englische Staat seine Diebe und Bettler selber schaffe, um sie dann zu bestrafen, so kam auch Winstanley zu dem Schluss, dass das System des Kaufs und Verkaufs, des ungleichen Besitzes an Land und Ressourcen die Kriminalität schaffe, 105 Vgl. Pocock 1987, S. 124-128; Gurney 2007, S. 159-161; Kennedy 2008, S. 183-192; Vallance 2015, S. 441. 106 Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 306. 107 Ebd., S. 307. Gemeint waren hier Kain und Abel als älterer und jüngerer Bruder, vgl. Shulman 1989, S. 85-95. 108 Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 296f.; außerdem ebd., S. 300-302. Vgl. Shulman 1989, S. 75-82. Es ist freilich bezeichnend, das die Eroberung des Landes hier – in Übereinstimmung mit der gesamten jüdisch-christlichen Auslegungstradition – nicht als Unrecht thematisiert wird, sondern als völlig selbstverständlicher Vorgang. Die Frage der Freiheit wird hier nur mit Bezug auf das Volk Israel, nicht jedoch der zuvor ansässigen Bevölkerung diskutiert; vgl. zu den Implikationen bis in unsere Gegenwart Hagemann 2015. 109 Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 368-372.
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die dann vom selben System drakonisch bestraft werde.110 Das Lagerhaussystem und das Prinzip des freien Zugangs aller zu allen Gütern mache Geld, Kauf und Verkauf überflüssig. Alles stehe so umfangreich zur Verfügung, dass niemand Not leiden müsse. Freilich sollten kluge Gesetze dafür sorgen, dass niemand sich auf Kosten der Allgemeinheit dem Müßiggang hingebe oder mehr aus den Lagerhäusern entnehme als er für seinen Lebensunterhalt benötige.111 Dabei hält Winstanley an einem Rest Privatbesitz fest, denn alles, was eine Familie in ihrem Haus habe, sollte ebenso wie das Haus selbst sicher vor dem Zugriff anderer sein. Wer also unter der Berufung auf die Gütergemeinschaft ohne Zustimmung des Besitzers etwas aus einem Haus entwende, begehe weiterhin Diebstahl.112 Und auch gegen den Vorwurf, Winstanley und die Diggers betrieben die Auflösung der traditionellen Ehe, gäben sich gar – wie die Gruppe der Ranters – der Polygamie hin, bezog „The Law of Freedom“ eindeutig Stellung: Vielmehr solle weiterhin die monogame Ehe gelten, jedoch ohne Hemmnisse durch sozialen Status oder Besitz. „Every man and woman shall have the free liberty to marry, whom they love, if they can obtain the love and liking of that party whom they would marry”, aber wenn eine Frau schwanger werde, so solle der Vater des Kindes sie auch heiraten.113 Die Prinzipien, auf denen „The Law of Freedom“ basierte, sollten also die Freiheit und Gleichheit aller ermöglichen, ohne die gesellschaftliche Grundeinheit des Hauses anzutasten. Aus der allgemeinen Gleichheit, die sich aus der Freiheit und der gemeinschaftlichen Verfügung über den Grund und Boden ergab, leitete sich auch das von Winstanley vorgeschlagene Regierungssystem ab, das auf der Wahl sämtlicher Ämter auf lokaler wie auch nationaler Ebene und auf einjährigen Amtszeiten beruhte. Die Wahl sorgte dafür, dass diejenigen die Ämter versahen, die von allen als geeignet eingeschätzt wurden, die kurzen Amtszeiten sollten der Korruption durch Macht vorbeugen und eine Kontrolle der Regierenden durch die Regierten ermöglichen.114 Solche Prinzipien der Rotation von Ämtern und der relativ kurzen Amtszeiten finden sich auch sonst in zahlreichen Texten der Zeit, besonders promi-
110 Z.B. Winstanley, New-year’s Gift 1983, S. 169-171. Vgl. Hill 1983, S. 37. Vgl. auch die Ausführungen bei Morus, die in der Aussage gipfeln: „quid aliud, quæso, quam facitis fures & iidem plectitis?“; Morus, Utopia 1672, S. 38. Zur Nähe Winstanleys zu Morus‘ „Utopia“ auch Goldsmith 1986, S. 76f. 111 Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 380-383. 112 Ebd., S. 303f.: „For though the store-houses and public shops be commonly furnished by every family’s assistance, and for every family’s use, as is shewed hereafter how: yet every man’s house is proper to himself, and all the furniture therein, and provision he hath fetched from the store-houses is proper to himself […]. And if any other man endeavour to take away his house, furniture, food, wife or children, saying every thing is common, and so abusing the law of peace, such a one is a transgressor, and shall suffer punishment“; ähnlich ebd., S. 288. 113 Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 388f. Vgl. Shulman 1989, S. 189-201. Zu den Ranters, über die wir fast nur aus ihnen feindlich gesinnten Quellen informiert sind, vgl. Coward 2014, S. 239; Hill 1991, S. 184-230; sowie ausführlich Davis 1986. 114 Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 317-324.
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nent sicher in James Harringtons „Commonwealth of Oceana“ (1656), wo freilich stark Bezug genommen wird auf italienische Texte, etwa von Donato Gianotti über die venezianische Verfassung.115
IV. Fazit: Ein „Staatsverständnis“ der Levellers und Diggers? Wer in den Texten der Levellers und Diggers eine kohärente politische Haltung oder Programmatik, gar ein in sich stimmiges Staatsverständnis sucht, wird vermutlich enttäuscht. Bei diesen Gruppen handelte es sich nicht um Parteien im modernen Sinne, sondern eher um in sich heterogene, von ganz unterschiedlichen Akteuren getragene Bewegungen, die zudem nicht statisch waren, sondern Entwicklungen unterlagen und deren schriftliche Äußerungen situativ waren, also konkreten Debattenkontexten und Argumentationsbedürfnissen zugeordnet werden müssen.116 Schon die Frage, ob hier überhaupt Vorstellungen über Staatlichkeit im modernen Sinne entwickelt wurden, ist schwer zu beantworten. Der Begriff des Staates spielt in allen hier angesprochenen Texten praktisch keine Rolle, die Rede ist vielmehr vom „commonwealth“, also einem Gemeinwesen, das sich in einem republikanischen Sinne als gemeinsame Angelegenheit Aller auffassen lässt. Folglich geht es auch nicht um Herrschaftsvorstellungen, sondern vielmehr um Vorstellungen von Partizipation und Gerechtigkeit. In der Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass Levellers und Diggers den Staat oder das Gemeinwesen als säkulare Institution verstanden hätten.117 Tatsächlich bleibt dieser Punkt jedoch weitgehend offen. Sicher ist, dass sie Toleranz für unterschiedliche religiöse Gruppen und Strömungen forderten, und Overton etwa trat auch für die Rechte von Katholiken und Juden ein.118 Man mag daraus auf eine Idee der Trennung von Kirche und Staat schließen, zumal sich bei Winstanley etwa auch deutliche Invektiven gegen den Klerus finden, gegen einen eigenen Stand, der davon lebe, die Natur der Gottheit vor der Bevölkerung geheim zu halten.119 Gleichwohl argumentieren die Schriften Winstanleys, Walwyns, Overtons und anderer keineswegs säkular, sondern das Göttliche und die eschatologische Erwartung sind durchaus präsent in ihren Texten. Insbesondere bei den Diggers handelte es sich offenkundig um eine religiöse Bewegung, die ihr Handeln, ihre gemeinschaftliche Bearbeitung der Erde und ihre Form der Gütergemeinschaft als religiöses Dasein
115 Z.B Harrington, Commonwealth of Oceana 1992, S. 33. Vgl. Riklin 1999, S. 88f., 136-138, 145-147. 116 Vgl. dazu auch Foxley 2013, S. 13f. 117 Wootton 1991, S. 440. 118 Vgl. Goldsmith 1986, S. 69. 119 Winstanley, Law of Freedom 1983, S. 347.
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verstand. Vorbilder finden sich sowohl in klösterlichen Lebensformen als auch in den Täufergruppen des 16. Jahrhunderts. Was also lässt sich als konzeptioneller Kern eines Staatsverständnisses in den Bewegungen der Levellers und Diggers ausmachen? Sehr deutlich ist sicher die Ablehnung einer monarchischen Herrschaftsform, die historisch hergeleitet wird aus einem Akt der Eroberung. Diese Eroberung mit dem Schwert wird als Grundlage einer weitreichenden Unfreiheit verstanden, die nur durch eine vollständige Beseitigung der monarchischen Regierungsform, wie sie von den Normannen etabliert wurde, rückgängig gemacht werden kann. Freiheit ist bei den Levellers definiert einerseits prinzipiell als Geburtsrecht, andererseits situativ als Zustand, in dem eine Person keiner anderen Person unterworfen ist. Nur dann kann sie ihre Freiheit im Sinne von Partizipation und fehlendem äußeren Zwang nutzen. Freiheit kann also als zentraler Begriff in allen Leveller-Texten gelten, und es ist beobachtet worden, dass die Formulierung „free-born Englishman“ vor John Lilburne kein gebräuchlicher Terminus gewesen sei.120 Vielmehr habe Lilburne durchaus gängige Begriffe wie „free-born subject“ oder „liberties of the subject“ gezielt modifiziert. Foxley argumentiert, dass Lilburnes Begrifflichkeit, die „subject“ durch „Englishman“ ersetze, in die Richtung von „citizen“ und „citizenship“ gehe und dass somit erstmals Vorstellungen eines allgemeinen Bürgerrechts angedeutet worden seien.121 Voraussetzung dafür ist eine Rechtsgleichheit aller, also das Fehlen von Privilegien für einige wenige, sowie die Transparenz und gleiche Verfügbarkeit über das Recht. David Wootton geht so weit, in solchen Überlegungen eine Unterscheidung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative zu erkennen.122 Bei den Diggers kommt hinzu die Verfügung über die Früchte der Erde. Dieses Verfügungsrecht ist aber nur dann gegeben, wenn nicht Einzelpersonen Eigentümer des Landes sind und andere zum Dienst auf diesem Land zwingen können.123 Wie immer man die einzelnen Aspekte, gerade auch die Frage des Wahlrechts, gewichten mag: Entscheidend ist wohl bei allen Vertretern der beiden Bewegungen der Fokus auf die Volkssouveränität als zentrales Anliegen. Nur wenn Herrschaft sich vom Volk her begründet, also nicht das Geburtsrecht eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe ist, kann Freiheit gesichert werden und können die Regierenden effektiv kontrolliert werden. Hier berührten sich die Vorstellungen der Levellers sicher mit denen der Parlamentsmehrheit wie auch mit denen Oliver Cromwells und der Armeeführung. Levellers und Diggers gingen jedoch einen Schritt weiter, wenn sie postulierten, dass Freiheit als Geburtsrecht aller gelten müsse und dass die „self-propriety“ nicht als Privileg, sondern als unveräußerliches Recht aufgefasst 120 121 122 123
Foxley 2018, S. 7. Ebd., S. 7f. Wootton 1991, S. 423f. Vgl. Shulman 1989, S. 157-160; und zur stärkeren Betonung der agrarischen Verhältnisse auch schon Aylmer 1975, S. 50.
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werden müsse. So sehr die jüngere Forschung auch die Kontextualisierung dieser Denkansätze vorangebracht hat und teleologisch auf die Moderne hin gerichtete Interpretationen verabschiedet hat – man wird doch nicht leugnen können, dass dies weitreichende soziale Folgen implizierte, die dann auch in deutlichen Gegensatz zu den eher ‚sozialkonservativen‘ Auffassungen der Parlamentarier, der Armeeführung und Oliver Cromwells gerieten. Diese prinzipielle Auffassung von Freiheit, die bei den Levellers stärker auch mit Blick auf ökonomische Freiheiten und die Freiheit des Besitzes, bei den Diggers stärker auf die Verfügung über Land gerichtet ist, ist vielleicht für das Verständnis dieser Bewegungen wichtiger als die konkrete Ausgestaltung staatlicher Institutionen, obwohl darüber insbesondere in Gerrard Winstanleys „Law of Freedom“ durchaus Überlegungen angestellt wurden. Zweifellos eignet gerade den Ansätzen der Diggers ein utopisches Moment, indem sie eine religiös begründete ideale Gemeinschaft projektierten, die zunächst ohne Anspruch auf eine vollständige revolutionäre Transformation Englands in kleinen Communities verwirklicht werden sollte, die aber im „Law of Freedom“ durch aus Züge eines gesamtenglischen Verfassungsentwurf erhielt. Ohne eine exakte semantische Übereinstimmung zu postulieren, hätte das Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, das im Zuge der Französischen Revolution ab 1789 verbreitet wurde, in ähnlicher Form auch bei den Diggers, mit Abstrichen auch bei den Levellers Verwendung finden können. Einen wichtigen Unterschied hebt freilich bereits Hans-Christoph Schröder hervor: Während nämlich das Motto „Liberté, Égalité, Fraternité“ in der Revolution von 1789 in das Postulat eines Volkswillens und einer homogenen Nation führte, bleibt es bei den Levellers auf das Individuum bezogen, dessen Freiheit und Gleichheit gegenüber anderen Individuen betont wird.124 Deutlich wind indes noch ein anderer Aspekt, der hier nur noch angedeutet werden kann: Was in den Texten der Levellers und Diggers, ähnlich wie auch bei James Harrington,125 erkennbar wird, ist, dass die hier aufgestellten Prinzipien keiner Herleitung aus der Vergangenheit, etwa aus der aus einer Ancient Constitution oder der griechisch-römischen Antike mehr bedürfen. Zwar fehlen entsprechende Rekurse nicht völlig, aber im Kern wurde die Freiheitsforderung offensiv mit Bezug auf die Gegenwart und Zukunft formuliert: „For whatever our forefathers were, or whatever they did or suffered or were enforced to yield unto, we are the men of the present age“.126 Das war ein klares Bekenntnis zur Gegenwart und Zukunft, auch wenn Rekurse auf die Vergangenheit, auf das „norman yoke“ oder eine vage „goldene Zeit“ nie ganz fehlten und der Zug zur Vereinfachung der Verfassung und des Rechtssystems immer auch gegen Modernisierungsversuche gerichtete Tenden124 Schröder 1986, S. 99f. 125 Vgl. Niggemann 2012. 126 Remonstrance 1998, S. 35. Vgl. Wootton 1991, S. 428; Withington 2015, S. 323; Vallance 2015, S. 438f.; Foxley 2013, S. 1.
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zen besaß.127 Die Revolution öffnete – um mit Reinhart Koselleck zu sprechen – Erwartungshorizonte128, die auch ins Utopische reichten.
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Cromwell in den englischen Außenbeziehungen
Cornel Zwierlein Navigation Act (1651) und British Empire: Cromwells Vermächtnis
Betrachtet man die Politik von Commonwealth und Cromwell in den Jahren hastigen Wandels insbesondere zwischen 1648 und 1652, so steht die britische Politik im Inneren im Zeichen der Eroberungen und Unterwerfungen Schottlands und Irlands als direkten Folgen der Civil Wars mit dem 1649 hingerichteten Stuart-König. Die Innenpolitik gehört damit zu den zeitlich eng den spezifischen revolutionären und post-revolutionären Bedingungen unterworfenen Bereichen, welche eher exzeptionell waren. Dies konnte in der Restorationsphase wieder ganz anders akzentuiert werden. In der Außenpolitik und Handelsaußenpolitik hingegen eröffnet sich in diesem Moment eine Konstellation, bei der es scheint, als ob Cromwell und das Commonwealth zum einen in deutlicher Kontinuität zur Monarchie stehen und als ob zum anderen die Entscheidungen und Weichenstellung dieser Zeit auch eine Kontinuitätslinie in die Restorationzeit legten. Mit Blick auf die Konturierung und Forcierung der merkantilistischen Grundlinien der britischen Politik sowie in ‚imperialen‘ Ausgriffen und Projekten transatlantisch, im Kampf gegen Prince Rupert und gegen die portugiesisch-brasilianische Flotte sowie mit Verstärkung der navy-Präsenz im mediterranen Raum wirkt Cromwell eher wie einer der zentralen Begründer des frühen British Empire.1 Auf handelspolitischer Ebene ist der Navigation Act, bzw. mit vollständigem Titel: An Act for increase of Shipping, and Encouragement of the Navigation of this Nation (Oktober 1651), den das Rumpfparlament erließ, und der oft verkürzt als ‚Cromwells Navigation Act‘ bezeichnet wird, das legislatorische Rückgrat der englischen Außenhandelspolitik schlechthin bis ans Ende der Frühen Neuzeit. 1695, als gerade die Neugründung des unter anderem mit John Locke besetzten Board of Trade eingerichtet wurde,2 und die Erneuerung des Acts mit seiner flankierenden Regelung der Vizeadmiralitätsgerichtsbarkeiten in den Kolonien anstand (1696)3, bezeichnete Francis Brewster das Gesetz als „the Sea Magna Charta, and the only Law that ever past in England for the securing our Trade and Navigation“.4 Seit Harpers Monographie gibt es etliche Einzelstudien, Kapitel 1 Gardiner 1894, S. 330-367; Pestana 2004, S. 86-122, für die Unterdrückung der Aufstände in den Kolonien durch Flottenentsendung seitens des Commonwealth 1651; Hanna 2015, S. 99-101; Battick 1967, S. 43. 2 Steele 1968. 3 Crump 1931; Owen/Tolley 1995, S. 25-43; Hanna 2015, S. 222-250. 4 Brewster, Essays 1695, S. 92.
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und Artikel, die die Bedeutung der erneuerten Navigation Act-Gesetzgebung bis ins 19. Jahrhundert nachzeichneten, auch wirtschaftshistorische Versuche, retrospektiv die Vorteile mit den nachteiligen Transaktionskosten im Vergleich zu einem denkbaren Freihandelskonzept zu bilanzieren.5 Hinsichtlich der Frage nach dem ‚Staatsverständnis‘, das im Navigation Act deutlich wird, ließe sich zunächst Skepsis äußern, ob es sich nicht um eine ganz einfache praktisch merkantilistische Gesetzgebung handelt, die einer weiter reichenden ‚Theorie‘ vielleicht gar nicht bedurfte.6 Der zentrale erste Artikel lautete: For the Increase of the Shipping and the Encouragement of the Navigation of this Nation, which under the good Providence and Protection of God, is so great a means of the Welfare and Safety of this Commonwealth; Be it Enacted by this present Parliament, and the Authority thereof, That from and after the First day of December, One thousand six hundred fifty and one, and from thence forwards, no Goods or Commodities whatsoever, of the Growth, Production or Manufacture of Asia, Africa or America, or of any part thereof; or of any Islands belonging to them, or any of them, or which are described or laid down in the usual Maps or Cards of those places, as well of the English Plantations as others, shall be Imported or brought into this Commonwealth of England, or into Ireland, or any other Lands, Islands, Plantations or Territories to this Commonwealth belonging, or in their Possession, in any other Ship or Ships, Vessel or Vessels whatsoever, but onely in such as do truly and without fraud belong onely to the People of this Commonwealth, or the Plantations thereof, as the Proprietors or right Owners thereof; and whereof the Master and Mariners are also for the most part of them, of the People of this Commonwealth, under the penalty of the forfeiture and loss of all the Goods that shall be Imported contrary to this Act; as also of the Ship (with all her Tackle, Guns and Apparel) in which the said Goods or Commodities shall be so brought in and Imported; the one moyety to the use of the Commonwealth, and the other moyety to the use and behoof of any person or persons who shall seize the said Goods or Commodities, and shall prosecute the same in any Court of Record within this Commonwealth.7
5 Harper 1973; Farnell 1964; Martin 1974; Groenveld 1987; Pincus 1996, S. 11-39; Morgan 2002. 6 Zum britischen Merkantilismus vgl. Stern/Wennerlind 2014; Reinert 2011; Pincus 2012; Barth 2016. 7 Acts and Ordinances of the Interregnum 1911, 559-562; Harper 1973, S. 46 mit Anm. 46, hatte etliche selbst ernannte (Thomas Violet) oder später identifizierte Urheber zusammengestellt, resümierte aber: „surviving records fail to identify the author of the Act“; Brenner 1993, S. 626, hingegen formulierte wieder stark: „The author of the navigation act […] was Benjamin Worsley“. Worsley hat tatsächlich auch in einem autobiographischen Brief an Lady Clarendon, in dem er genau unterscheidend von den Zeiten seiner Beschäftigung in öffentlichem Dienst (in Irland seit 1640) und ohne Anstellung (während der Civil Wars) berichtet, für die Zeit seiner erneuten Indienstnahme durch Förderer im Staatsdienst ab 1649 die Initiative für die Ausarbeitung des Acts of Navigation in Anspruch genommen: „After ye change of ye Government about ye latter end of ye yeare 1649: I had some incouragement and some invitation indeed to returne into England, where though I did after freely engage in ye publick service; yet, I can as faithfully and as truly affirme (as I did before) that I did it upon a publicke account […] of some others, that were much more eminent (then my selfe) […] so in all ye imployments I undertooke I can produce evidence ynough to testify for me, I never preferred my owne estate before that of ye
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Die zentralen Regelungskomponenten sind die Monopolisierung des Warenimports aus Asien, Afrika und Amerika nach England und in englische Kolonien auf Schiffen in englischem Eigentum und mit größtenteils englischer Mannschaft. Auch für Europa sollte dies mit einigen Ausnahmen gelten, Stoßrichtung war wie bekannt nicht nur dieses Transportmonopol, sondern insbesondere auch der Transfer der Möglichkeiten von Zwischenhandel und Re-Export mit Importgütern auf die englischen Händler. Europäische Händler durften ihre Waren nur direkt auf ihren Schiffen, nicht über Zwischenhändler nach England einführen (Franzosen französische Ware in französischen Schiffen), was insbesondere Niederländer ausschließen sollte, die viel Frachtdienstleistungen für andere Nationen erbrachten. Große Teile der Handelsgüter aus Bordeaux wurden zuvor auf niederländischen Schiffen jahrein, jahraus gen Norden und nach London transportiert.8 Wichtig ist auch der letzte Absatz, der das freie Prisenrecht für nicht-englische Schiffe und ihre Waren in englischen bzw. kolonialenglischen Häfen eröffnet. Wie bekannt, wurden die Regelungen des Navigation Act 1660, 1696, 1733 zwar abgeändert und weiter ausdifferenziert, die Kernkonzeption und auch der erste Artikel bleiben aber für die ganze Zeit des frühen British Empire bestehen: wenn es also eine legacy Cromwells aus jener sonst so außergewöhnlichen und ausnahmereichen Zeit des Interregnum gibt, die eher vollkommene Kontinuität mit der Monarchie als staatspolitische Commonwealth-Besonderheiten suggeriert, so scheint es gerade auch dieses zentrale Gesetz zu sein. Seit langem ist über Gesetzgebungsprozess und ‚Autorschaft‘ geschrieben worden. Als service of ye publicke, nor ever did neglect ye publicke to consider my owne privatt profitt. I was ye first sollicitour for ye Act for ye incouragement of navigation, & putt ye first fyle to it, and after writt ye Advocate in defence of it. In Ireland I held the place of cheife Clarke or secretary to ye Councell there; of Comissioner generall for all the revenew there; of surveyor generall for all ye forfeited lands, and last of all of Commissary generall of ye masters […]“; Worsley to Lady Anne Hyde Clarendon, London, 8. November 1661, Bodleian Library Oxford, Clarendon MS 75, fol. 300-301, hier 300r-v, Hervorhebung C.Z. – die Graphie lässt keinen Zweifel an der Lesart „put a fyle to it“, obwohl man ‚style‘ vermuten würde: initiale ‚st‘ oder ‚sh‘ sind immer mit rundbäuchiger Linienführung ohne Unterlänge beim ‚s‘ und ohne Ligatur zwischen den Buchstaben geschrieben, während die initialen ‚f‘ genau so wie bei „fyle“ geformt sind; so auch Leng 2008, S. 142. Vielleicht ist damit tatsächlich die Ansammlung von memorials und Aktenmaterial gemeint - sozusagen ‚file after file‘ -, auch unter Erhebung des Datenmaterials der Companies, bevor das Gesetz aufgrund der Analyse dieser „files“ dann erlassen wurde. Doch seine Biographen erinnern daran, dass die Rolle des Sekretärs des Council of Trade natürlich enge Beschränkungen hinsichtlich der tatsächlichen Gesetzgebung implizierte; „the powers of the draughtsmen were circumscribed by compromises effected between their political and entrepreneurial superiors. Therefore, Worsley’s individual role at this advanced level of political action was likely to be limited.“ (Webster 1994, S. 232). Leng 2008, S. 2, 60-79, urteilt klugerweise ebenso vorsichtig: „Worsley had a hand in producing [the Navigation Act]“. Pincus 1996, S. 51, Anm. 21f., hingegen betont die entscheidende Rolle Oliver St. Johns und des Misslingens seines Unionsversuchs mit den Niederlanden, woraufhin Edward Hyde zufolge das Parliament dann „presently entered upon counsels how they might discountenance and control the trade of Holland, and increase their own“. Beides schließt sich nicht aus, da die verschiedenen wirtschaftspolitischen Pläne eben seit April diskutiert wurden. 8 Malvezin 1892, Bd. 2, 354f.
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Kontext ist stets, und sicher zu Recht, die sich zuspitzende Handelskonkurrenz mit den Niederlanden angeführt worden, die nur ein Jahr nach Erlass des Acts in den ersten Niederländischen Krieg mündete. Allermeist wird weiter der Sekretär des im Januar 1650 vom Rump Parliament mit dem Council of State gegründeten Council of Trade, Benjamin Worsley, als derjenige genannt, der am meisten Einfluss nahm oder dessen eigene Ideen jedenfalls am stärksten kongruent sind. Obgleich der sogleich zu analysierende Beitrag Worsleys wie auch die Diskussionen zwischen Levellers und ‚Konservativen‘ ein wichtiger Hintergrund gerade der Monate um 1651 sind, scheint sich doch paradoxal die eben angedeutete Kontinuität der Politik des Commonwealth im Bereich des Außenpolitischen in einem weiteren Paradox zu spiegeln: Auf Dauer sind doch weniger Worsley, sondern andere, die Seeherrschaft Englands legitimierende Texte als Staatstheorie auch von Cromwell und Commonwealth zu verstehen, die aber exakt zeitgleich auch weiter von Royalisten vereinnahmt werden – Seldens Mare clausum ist nur der bekannteste derselben.
I. Auf Niederländischer Seite war der Aufschwung des Handels nach dem Westfälischen Frieden und damit auch der Ressourcen-Freisetzung und der entscheidende Freiheits- und Sicherheitsgewinn bei den Fahrten durch den Kanal und entlang der französischen, iberischen und afrikanischen Küste für die Atlantik- und Asienroute, aber auch der nun leicht mögliche Baltische Handel Richtung Westen und Süden zentral.9 Allerdings rüsteten die Niederlande gleichzeitig die Kriegsflotte zunächst ab und es nahmen, wie Groenveld gezeigt hat, die Prisen niederländischer Schiffe, die durch den Kanal fuhren, durch englische Kaperer 1647 bis 1652 kontinuierlich zu, und zwar durch englische Schiffe des Parliament ebenso wie der Royalisten, da die Niederländer Zwischen- bzw. Frachthandel mit und für beide Parteien betrieben, so dass die jeweils andere Seite die Niederländer kaperten. Auf Seiten des Parliament stieg die Anzahl der Kaperungen gerade 1651, noch vor dem Navigation Act, stark an.10 Man darf Cromwells eigene Beteiligung am Navigation Act speziell sicher nicht hoch bewerten, da er in der Zeit Anfang 1651, als der Council of Trade sich mit der Planung befasste und von April bis Oktober 1651, als die Verhandlungen über das Gesetz im House of Commons geführt wurde,11 auf schottischen Schlachtfeldern und zuletzt auf der Worcester-Kampagne mit der Armee durch die ganze Insel zog.12 Doch verlief parallel zu diesem finalen terrestri9 10 11 12
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Lindblad 1993; Israel 1989, S. 259-69, 377-98; Ormrod 2003, S. 34. Groenveld 1987, S. 561: 50 Kaperungen 1650, 126 1651. Harper 1973, S. 45f. Wheeler 2002, S. 236-242.
schen Siegeszug die Aufrüstung der Kriegsmarine, was zum Teil die eigentlich für friedliche Beziehungen zu hochfrequenten Kaperungen erklärt, obwohl noch kein Krieg mit den Niederlanden bestand.13 Aber die Niederlande hatten bis Ende 1650 das Commonwealth nicht offiziell anerkannt, erst als William II. von Oranien starb, brach der oranisch-promonarchische Widerstand und die Generalstaaten beschlossen die Anerkennung formell. Die Konjunktur der Kaperungen verhält sich nichtsdestoweniger antizyklisch hierzu. Gerade in dem Moment, als ab Februar 1651 die englischen Unterhändler, insbesondere der Lord Chief Justice Oliver St. John mit den Niederlanden über eine Konföderation der beiden calvinistischen Republiken verhandelten, stiegen die Kaperungszahlen, was darauf hindeutet, dass durch die Eroberung Irlands gebundene Kräfte zur See frei wurden. Der eigentliche Krieg setzte erst im April 1652 mit der Aufrüstung von ca. 117 Kriegsschiffen finanziert mit einem Budget von über 700.000 Pfund ein.14 Vor diesem Hintergrund fanden die Beratungen von Council of Trade und House of Commons über eine mögliche Seerechts-Gesetzgebung statt: Es sind keine durchgängigen institutionellen Archivalien oder Protokolle des Council erhalten,15 aber es ist offensichtlich, dass er einige Aktivität entfaltete, Materialien und Informationen zu sammeln. So forderte er von den großen Handelskompanien in London Kopien von Rechnungsbüchern, Charter-Privilegien, und andere Dokumente seit den letzten dreißig Jahren an, ersichtlich mit dem Ziel, eine Art Konjunkturstatistik zu ermitteln. Aus Sicht Thomas Violets sollte dies die East India Company mit dem Ziel treffen, damit deren übermäßige Ausfuhr von englischem Geld für fernöstliche Waren aufgedeckt würde: Dies schwäche den Staat in einer Zeit, da Geld für Kriegsführung das Wichtigste sei (der bekannte topos der sinews of power).16 Dies war aber vermutlich primär Violets eigene stark bullionistische Perspektive. Aber auch in den Akten der Levant Company sind Aufforderungen des Council vermerkt, die Aktenübersendung befahlen.17 Konkrete Projekte und Empfehlungen oder Entscheidungen sind wenige überliefert, und doch war der Council wohl die handelspolitische Scharnierstelle zwischen merkantilistischem Projektieren, der Ideen-Welt insbesondere auch des sogenannten Hartlib-Circle und dem Parliament, und der Abschlussbericht desselben im September 1651 fällt fast zeitgleich mit dem Navigation Act zusammen. Von Farnell zu Brenner führt eine sich zuspitzende Interpretationslinie, wonach der Navigation Act insbesondere als Gesetz zu verstehen sei, der eine Art Lobby der von Brenner so genannten ‚New Merchants‘ befriedigte, die sich auf den Kolonialhandel in den neuen Formen der großen Handelskompanien spezialisiert hatten: Da Carp 1989, S. 43-72. Wheeler 2002, S. 251. Leng 2008, S. 64, Anm. 66. Violet, The Advancement of Merchandize 1651, S. 32f., 93. Eigentlich eine Übertragung von Plutarch: Vita Cleomenes § 27, wonach das Geld die νεῦρα des Krieges seien. 17 TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 33v. 13 14 15 16
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Worsley nachweislich vorher im Gesetzgebungsverfahren und in der Unterdrückung der Rebellion in Virginia auf Seiten der ‚New Merchants‘ gegen den niederländischen Handel mit der amerikanischen Ostküste eine zentrale Rolle gespielt hatte, überträgt („there is every reason to think…“) Brenner diese ‚New-Merchant‘-Nähe auch auf die Navigation-Act-Ausarbeitung.18 Leng hingegen hat darauf hingewiesen, dass der Council of Trade sehr ausgewogen zusammengesetzt war und die ‚New Merchants‘ keineswegs die Mehrheit besaßen, sowie dass in der Arbeit des Council die ‚New Merchants‘ wie auch die anderen Kompanien und Händlergruppen außenstehende Parteien gegenüber der staatlich eingesetzten Institution waren, die berichtspflichtig oder vorschlags- und projektaktiv waren.19 Pincus hatte noch weiter ausholend betont, dass jedenfalls ein Großteil gerade der Londoner Händler an sich 1651 kein ökonomisches Interesse am Ausschluss der Niederländer vom Frachtund Zwischenhandel hatte, da sie auf deren Schiffe angewiesen waren und jedenfalls kurzfristig in große Lieferungs- und Logistik-Schwierigkeiten gestürzt wurden. Vielmehr sei entscheidungswirksam doch eine ideologische Allianz zwischen Republikanern und eschatologisch-apokalyptisch geprägten puritanischen Wirtschaftspolitikern gewesen: Als das kurzzeitige Projekt der Union oder Föderation der beiden protestantischen Republiken nach dem Tod Wilhelms II. von Oranien gescheitert war und alle Unionisten der sogenannten ‚protestantischen Internationalen‘, zu der auch ein Großteil des Hartlib-Kreises – Hartlib selbst und Dury20 – gehörten, sich enttäuscht sahen, hätte die eben genannte republikanisch-apokalyptische Allianz englisch-national gegen die Niederländer reagiert, so wie das Commonwealth kurz zuvor gegen die Schotten reagiert habe: dies sei die politische Konstellation des Spätherbst 1651, die zur tatsächlichen Ausarbeitung des Navigation Act geführt habe, und von hier aus sei die Linie zum ersten Englisch-Niederländischen Krieg 1652 bis 1654 zu legen. Derselbe sei nicht als quasi teleologisch sich ergebendes, langfristig vorbereitetes Ergebnis einer sich seit Ende des 16. Jahrhunderts zuspitzenden handelspolitischen Konkurrenz zu verstehen,21 sondern eher kurzfristig aus dieser spezifischen Situation der Commonwealth-Politik heraus. Die Niederländer wären eben nun als ‚falsche, verräterische‘, im Kern doch nur macht-, eigennutz- und wohlstandsorientierte Protestanten angesehen worden. Ob letztere beiden Thesen so unversöhnlich sind, mag man diskutieren. An der Jahrzehnte lang bestehenden Handels-Kompetition kann kein Zweifel bestehen und entsprechende lange unverbundene Motive können sich momentan zu stärkeren Motivbündeln amalgamieren. Jedenfalls hat Pincus in den Anfangskapiteln seiner Studie der Ideologien, die gerade die englische Außenpolitik 1655 bis 1668 geprägt hätten, eine Fülle entsprechender 18 19 20 21
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Brenner 1993, S. 626. Leng 2008, S. 54f., 60f. Haffemayer 2018, S. 431-434. Pincus 1996, S. 11-39.
Quellenbelege für tendenziell apokalyptisch-millenarische Denkrahmen wiedergegeben, die in einer komplexen Transformation der älteren Stoßrichtung gegen eine spanische Universalmonarchie oder in den aktuelleren Varianten gegen katholisierend-absolutistische Tendenzen der Monarchie auch gegen andere protestantische Staatsgebilde gerichtet sein konnten – und der Navigation Act stellt auch bei ihm gleichsam den Grundstein dar. Die im Council of Trade diskutierten Projekte und Probleme, sowie auch Violets und Worsleys pamphletförmige Verteidigungen des Navigation Acts scheinen aber bei nüchterner Betrachtung doch gar nicht so stark von klar identifizierbaren, spezifischen theologischen Referenzen durchdrungen zu sein, sondern weisen im eigentlichen Kern eher eine klare Traditionslinie zu den englischen Frühmerkantilisten der Generation von Mun, Misselden und Malynes auf.
Abb. 1: Titelblatt Worsley, The Advocate 1651 (British Library 712.m.1/1, Foto CZ)
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Freilich ist der Widmungsbrief von Worsleys „The Advocate“ an den Council of State leicht millenarisch gerahmt:22 Worsley sei im „Glauben des Kommens seiner [Gottes] Ankunft und des sehr baldigen Durchbruchs [breaking forth] seines Ruhms“. Ein erstes Anzeichen dieses Kommen Gottes – zu ergänzen: am Jüngsten Tag – sei das Aufdecken, Stückchen für Stückchen („little and little“) aller Betrügereien. Diese leicht apokalyptische Rahmung – die allerdings ohne jede präzise biblische Motivik, etwa der Prophetenankunft, der Antichristentdeckung oder Ähnlichem aus 2 Thess., der Johannes-Apokalypse oder dem Buch Daniel auskommt23 – dient eher zur Akzentuierung des fundamentalen Problems der Erkenntnisunsicherheit: Menschen beraten und geben eben unter anderem politische Ratschläge im Zustand des „Not-knowledg [sic]“,24 einerseits des Nichtwissens hinsichtlich der konkreten Richtigkeit für Anwendungen in diesem Leben, andererseits aber auch hinsichtlich der Wertung von all diesem seitens Gottes im Jüngsten Gericht: viele Menschen werden sicher überrascht werden, und die einen, die selbstbewusst in die eine oder andere Richtung geraten haben, werden als eitle Falschredner entlarvt werden. Hinsichtlich des gerade anstehenden Problems konkretisiert sich das spezielle Nichtwissen dahingehend, ob Gott nicht vielleicht gerade will, dass wir (die Engländer) von anderen Nationen unterdrückt werden, so dass er gegebenenfalls seine göttliche Macht und Protektion beweisen könne, oder ob er es umgekehrt geschehen lässt, dass wir (die Engländer) die anderen Nationen im Wohlstand übertreffen – vielleicht aber nur, damit er uns unsere Eitelkeit zeigen und vorhalten kann – all das könne er, Worsley, nicht wissen; was die Sinngebung der Providenz hinsichtlich dessen ist, was passiert, was vor sich geht und von Menschen herbeigeführt wird, ist dem menschlichen Verstand unzugänglich.25 Die millenarische Haltung wird also eigentlich nur anzitiert, die mit ihr verbundene theozentrische Grundproblematik des absoluten Nichtwissens der Werthaftigkeit des Tuns auf Erden coram Deo wird 22 Worsley, The Advocate 1651. 23 Für die Ausbreitung eines höchst vielfältigen Diskurses ca. 1580-1620 vgl. Lake/Questier 2002; Lake 1989; Morton 2010; Leppin 1999, für den zwar anderen deutschen Kontext, aber klarstellend für das, was man theologisch als Referenzen für Apokalyptik im engeren Sinne erwarten würde. 24 Worsley, The Advocate 1651, fol. A3v. Ein früher Beleg für diese ungewöhnliche Variation von ‚Ignorance‘. Vgl. zu Geschichte und Theorie von Nichtwissen als analytischer Kategorie Zwierlein 2016c. 25 „Beeing convinced, by these thoughts, therefore (Right Honorable!) of the low Condition wee are herein, I not knowing what the Councils of God intend to bring forth for the settlement of this Nation; Nor how hee hath resolved in his Wisdom to dispose of it, as to its outward Condition, whether Hee intend’s wee shal bee oppressed by other Nations about us, that hee may the more manifest his Power and Protection over us: Or that wee shal bee advanced in prosperitie above others, that so hee may perhaps shew us our vanitie (the Casting of the Scale either way in appearance much depending upon the present Councils) I say, not knowing This, I can as little Judg what means Providence will pleas to use in order to the bringing to paß these his purposes, whether hee will chuse This, or reject That.“; Worsley, The Advocate 1651, fol. A4r.
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hervorgehoben, und mit Verweis auf Salomon wird die Tür geöffnet zur eher natürlichen Grundanlage des Menschen als wirtschaftendem Subjekt wie auch als politischem Planer und Berater: Die Grundanlage der menschlichen Natur wird dabei als zirkelförmig beschrieben: alle Begierden („Lusts“), etwa hinsichtlich des Erwerbs von äußeren Dingen, von ihrer ersten instinkthaften Erregung bis zur vollständigen Befriedigung sind primär darauf hin ausgerichtet, Reputation und Wertschätzung zu erzeugen. Umgekehrt ist die Annahme von Reputation und Wertschätzung die Ursache für all jene Begierden.26 Diese menschliche Grundausstattung kombiniert mit dem moralischen Präzept, sein Land und seinen Haushalt gut zu pflegen,27 geben Worsley das Recht eine wahre „Affection“ zu verspüren, Ratschläge hinsichtlich der governance der Handelsverbesserung zu erteilen – und auf einer zweiten Ebene damit ebenso die Befriedigung dessen, was letztlich Begierden sind – Erwerb von Reichtum und Macht durch Handel – im Sinne des menschlich-natürlichen LustKreislaufs zu befördern: Bei näherer Betrachtung ist die millenarische Rhetorik also nur die kunstvolle und zeitgemäße Verpackung, um einen dann gänzlich untheologischen, rein merkantilistischen Traktat in einen legitimen Sprechakt zu verwandeln. Aus der Nichtwissensproblematik im Zeichen von naher Beikunft des Herrn und des Providenzplans könnte auch Handlungsabstinenz und Fatalismus folgen, bei Worsley dient das Anzitieren dieses Grundproblems nur, um das Rückgeworfensein des Menschen auf die natürliche Grundausstattung des vom Schöpfer so Geschaffenen zu belegen, und um daraus die Berechtigung abzuleiten, den hieraus folgenden Bewegungsmotiven im Rahmen moralisch-biblisch gegebener Zielrichtungen quasi instinktiv zu folgen; statt Jenseits-orientierten Enthusiasmus gerade Öffnung für konkretes, fast materialistisch fundiert anmutendes Handeln. Die Forschung hat für Worsley schon lange seine frühen naturphilosophischen Studien seit 1646, seine astrologischen Spekulationen im Austausch mit Boyle über den Einfluss von Planetenbahnen auf Partikel der Luft und den Menschen, seine chemischen Experimente, die er während des Niederlande-Aufenthalts 1648 bis 1649 betätigte und damit seine 26 „And thus all Lusts, (as well those of Acquisition) in the Minde (as others to exterior things) both in their first Issuings forth, and also in the Accomplishments of them, are still but to give countenance unto, and keep up a Repute and Esteem in us. The Assumption (on the other side) of Repute and Esteem to our selvs is the very ground and original of all Lusts (These two, observing tune, and keeping time each to the measures and notions of the other) and within this Circle is concluded whole Humane Nature, with all the Parts, and the most perfect Actions of it.“; Worsley, The Advocate 1651, fol. A3v. Die Terminologie ist hier nachweislos, aber viel spricht dafür, dass im Hintergrund die philosophische Tradition der Verbindung von Begierde Streben - Bewegung - bewegen (ἐπιθυμία, ὄρεξις, δύναμις, κινέω) steht, wie sie etwa bei Aristoteles, De anima, 433a9-b30, erfasst ist, aber auch bei Descartes, Les passions de l´Ame 1649, Art. 111 (‚Au Desir‘) und passim. Der Hartlib-Kreis war zwar anticartesianisch, aber für den Rückgriff auf solche Grundkonzepte bedurfte es keiner ganz spezifischen philosophischen Richtungsverortung. 27 Eccl 2, 5-6: „Feci hortos et pomaria et consevi ea cuncti generis arboribus; extruxi mihi piscinas aquarum ut inrigarem silvam lignorum germinantium“; zitiert Worsley, The Advocate 1651, fol. A4r.
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Einbindung in kollektiv bearbeitete Problemzusammenhänge des Hartlib-Kreises genauso wie den Kreisen, aus denen in der Restoration dann die Royal Society hervorgehen sollte, akzentuiert:28 Dies war freilich insgesamt keine rein säkular-materialistische Betätigung, sondern folgte eher einer „latitudinarischen“ Prägung von Naturphilosophie, die aber doch stark Bibelexegese und -lektüre von Naturphilosophie und vom Studium der Schöpfung Gottes trennte. Eine genaue Vorlage für die Lust – Acquisition – Repute and Esteem – Assumption of Repute and Esteem – Lust-Zirkelstruktur der menschlichen Natur, die jedenfalls nicht schlicht antik-philosophisch vorgeformt wirkt, sondern auch insbesondere italienische Vorlagestufen zu haben scheint, ist nicht auszumachen. In England war fraglos seit längerem der Renaissance-Diskurs der reputazione des Einzelnen wie auch von Fürsten in ihrer nach innen und nach außen gerichteten Wirkung rezipiert.29 Hier ist der Reputationsbegriff dann auf die wirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Wahrnehmungswirkung im sozialen Zusammenhang übertragen, die Reichtum und Gütererwerb haben. Jedenfalls hat dieses strukturierende Hauptelement wie auch später im Traktat die Vorstellungen von ökonomischen Kreisläufen und Wirkungszusammenhängen nichts mit millenarischer politischer Theologie zu tun. Der eigentlich wirtschaftspolitische Teil beginnt dann mit einer Art translatioAnalyse des Strebens nach Universalmonarchie seitens der Spanier auf die Niederländer: Diesen wirft Worsley natürlich keine Universalmonarchie-Gelüste vor, aber das Streben nach einem „ingrossing the Universal Trade, not onely of Christendom, but indeed of the greater part of the known world“,30 was nicht verwunderlicher Weise zum Nachteil anderer Nationen geschehe: In diesem kurzen Satz ist durchaus die Umsemantisierung des Universalmonarchiedenkens von einer rein politischen hin zu einer wirtschaftlichen Ebene nachvollziehbar: die ältere Form von solchermaßen chiffrierten Hegemonialbestrebungen ist etwa von der Indienstnahme des 28 Clericuzio 1994. 29 Die oben erwähnte Terminologie aus der philosophischen Tradition des Nachdenkens über die Seele und die inneren Antriebe des Menschen stammend scheint kombiniert mit dem Reputationsbegriff, wie er im italienischen Tacitismus und Staatsräsondiskurs abstrahiert worden war: „la riputatione non è nel riputato, ma nel riputante: appreßo ella non nasce dal non hauer diffetto, mancamento, ma dall´hauer eccellenza, e grandezza di valore. Onde io stimo, che riputare non sia altro, che un ripensare, ò un considerare profondamente una cosa. Eche huomo di riputatione sia quello, la cui virtù, per non si potere facilmente penetrare, e comprendere in un tratto, sia degna d´esser più, e più volte considerata e stimata; e che ciò sia riputare. non è la riputatione il medesimo, che credito, benche ci si confaccia assai, perche il credito è delle persone priuate: la riputatione delle publiche.“; Botero 1598, S. 41f.; die nicht zuletzt von Machiavelli herrührende Gleichsetzung von Außenschein und -darstellung mit Realität in der politischen Wahrnehmung ist hier als Attributionsbegriff ausgeformt („A uno principe adunque non è necessario avere in fatto tutte le soprascritte qualità, ma è bene necessario parere di averle“, De principatibus XIX). Bei Hobbes findet sich in etwa zeitgleich mit Worsley eine ganz auf dieser Linie liegende Terminologie: „Reputation of power, is Power, because it draweth with it the adhaerence of those that need protection. So is Reputation of love of a mans Country, (called Popularity,) for the same Reason […etc.]“; Hobbes, Leviathan 1996, Kap. 10, S. 62f. 30 Worsley, The Advocate 1651, fol. B1R.
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mittelalterlichen Dante-Diskurses und der Rezeption bei Gattinara und Karl V. her bekannt und war zu einem diskursiv-polemischen topos geworden.31 Hier nun findet sich der explizit reflektierte Sphärenwechsel zum Welt-Handel als „Zentralfeld“ von Kompetition, innerhalb dessen dann solch ein Universalherrschaftsstreben wirken kann. Dies ist dann nicht mehr auf einen undefinierten imperialen, latent kontinental-europäischen Raum, sondern auf den geographisch klar erfassten Globus mit seinen Weltmeeren bezogen. Immerhin war in der zweiten Hälfte des 16. bis ins 17. Jahrhundert die auch mit antichristlich-apokalyptischen Motiven durchzogene Außenpolitik-Analyse in England sehr häufig auf spanisch-habsburgische Universalmonarchiebestrebungen abhorreszierend bezogen. Eine kleine Volte zum Wirtschaftlichen, die notwendig transkonfessionell sein muss, da die Niederlande auch protestantisch waren, die man nicht tiefgehend als Vorwegnahme von Schmitts These von der Neutralisierung von zentralen Feldern und des Wechsels dominanter Wettstreite ‚von Religion zu Politik‘ oder ‚von Politik zu Wirtschaft‘ hin kommentieren muss,32 aber sicher ist hier eine reflektierte Wahrnehmung dessen gegeben, was Mitte des 17. Jahrhunderts der zentrale Bereich war, auf den gerade der Fokus Englands und des Commonwealth lag. Der Überblick über den Niederländischen Handel nach Asien (East-Indies), Guinea, Grönland, Russland, das Baltische Meer mit den verschiedenen Handelsgütern von Hering über Holz und Pottasche zu Tüchern, Pfeffer und Gewürzen ist dann ganz summarisch und ist insoweit nicht durch die proto-statistische Schätzungstechnik geprägt, die bei anderen Merkantilisten zu finden ist, die auf empirische Datenerhebungen rekurrierten.33 Auf der Basis simpler wirtschaftlicher ‚Gesetze‘ („Canons and Rules“) – z.B. dass bei zwei Anbietern desselben Warentyps der Käufer den billiger Anbietenden vorziehe – analysiert Worsley dann die gegenwärtige Problemlage, die er als Teufelskreislauf („Circle“)34 bzw. selbst verstärkende Spirale oder Schleife charakterisiert: Verschiedene Bedingungen wie größere Schiffsanzahl in den verschiedenen Weltmeeren und Handelsbereichen, geringe Hafen- und Zollgebühren in den eigenen niederländischen Häfen, geschickte Verwaltung des Kreditmarkts und Aufrechterhaltung der Reputation der eigenen Ware hätten zur Dominanz im Baltischen Meer wie in der Karibik geführt, hätten immer wieder zum „underselling“ gegenüber der englischen Konkurrenz, hätten insbesondere zu sehr viel billigeren Frachtfahrtpreisen geführt; letztere hätten wiederum die englischen Händler zur Nutzung der niederländischen Schiffe, damit zu geringerem Einsatz eigener Schiffe, zum Anreiz der Niederländer, noch mehr eigene Schiffe zu bauen, zum Darniederliegen des eigenen Schiffsbaus, zum Abbau von kompetentem Schiffspersonal überhaupt, zur Abhängigmachung 31 32 33 34
Bosbach 1988. Schmitt 1963, S. 79-95. Appleby 1978; Finkelstein 2000, S. 54-73; McCormick 2009; Murphy 2016, S. 21-40. Worsley, The Advocate 1651, S. 6.
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und der Preisdiktatunterwerfung geführt. Worsley trennt klar zwischen Mikround Makroebene: was für den einzelnen Händler profitabel und erstrebenswert gewesen sei, war zum Nachteil der Volkswirtschaft als ganzer.35 Solche Analysen der kollektiv-aggregierten negativen Wirkung von partikular eigennützig positiven Wirtschaftshandlungen ist im englischen Merkantilismus keine Ausnahme.36 Neben den genannten ‚Grundwirtschaftsgesetzen‘ ist die Analyse hier von einer Identifizierung verschiedener „Courses“ geprägt, also Wirkungs- und Kausalketten mit einer bestimmten Richtungstendenz. Die Analyse mündet daher nicht in ein statisches Tableau, sondern in diese in einer Spirale rückkoppelnd verstärkte Vielzahl von „Courses“ (Drifts). Die im zweiten kurzen Abschnitt dann angeratenen Hilfsmittel laufen primär auf die Unterbrechung und Kappung dieser Bewegungsrichtungen, der „Courses“ hinaus, welches letztlich recht simpel auf 1) Sperrung oder Umleitung von Warenströmen von ihnen zu uns, 2) Verhinderung des Verkaufs ihrer eigenen Waren, 3) Schwächung ihrer Schifffahrt hinauslaufe sowie hinsichtlich des Imports, 4) Waren primär vom eigentlichen Ursprungsort der Waren zu beziehen und hinsichtlich des Exports, 5) eigene Waren zu den entferntesten Plätzen zu schicken, wo sie den höchsten Preis erzielen. In dieser ganzen Analyse kommt eine Ebene göttlicher Kausalität nicht mehr vor, außer im ersten wirtschaftlichen Grundgesetz, das schlicht beinhaltet, dass aufgrund von Gottes Vorhersehung in den Weltregionen unterschiedliche Produkte und Waren vorkommen, so dass ein Handelsverkehr zwischen den Regionen nötig sei, damit eine positive Umverteilung ermöglicht werde. Allein an dieses Grundgesetz scheint die merkantilistische Norm der Präferenz des Direktimports aus Ursprungsländern in gewisser Weise anzuschließen, obwohl der tatsächlich stattfindende Zwischenhandel als gegeben beschrieben und lediglich im aktuellen Fall für England als wirtschaftlich negativ, aber nicht als normativ-göttlich verboten dargestellt wird. Es fehlen die Quellen für eine noch höher detailaufgelöste Rekonstruktion der Verbindung zwischen politischer Planung, Parliament-Debatte und Council-of-Trade-Diskussion, um klare Aussagen darüber zu treffen, wieviel und welche Elemente dieser Argumentation gegebenenfalls schon Grundlage für Handlungsanweisungen zur See im Lauf des Jahres 1651 gewesen sind. Die angesprochene markante Zunahme der Kaperung niederländischer Schiffe, nicht nur aber vor allem seitens der Parliament-Flotte, weist so jedenfalls Punkt 3) eher als nachträgliche Zusammenfassung dessen, was schon konkret durchgeführt wurde, aus; die anderen Punkte bei Worsley hingegen wirken tatsächlich wie Teilstücke des Artikel 1 des Navigation Act, nur nun in einen Wirkungs- und Argumentationszusammenhang eingestellt. 35 „Which (though a good and beneficial expedient for the particular Merchant) began notwithstanding several very great mischiefs to this Nation in general“; Worsley, The Advocate 1651, S. 4. 36 Misselden, Free Trade 1622, S. 84; Mun, England’s Treasure 1664, S. 41, 64.
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Konkurrierend und teilweise komplementär wurde – neben Projekten zum binnenländischen improvement und etwa zum Goldzieher-Gewerbe – hinsichtlich des Außenhandels vor allem noch die Option der Free Ports diskutiert. Man verstand Amsterdam mit vergleichsweise niedrigen Zöllen als solchen, und dezidiert stand immer das toskanische Livorno als Beispiel im Zentrum. Die merkantilistische Freihafenpolitik des 17. Jahrhunderts setzte auf Privilegierung ausländischer Händler und Kapitaleigner zur Ansiedlung am Ort, die Handelsnetzwerke aufbauen können sollten. Im Falle Livornos betraf es die Ansiedlung ganzer Großgruppen (Juden, Armenier, die europäischen Händlernationen) in einer neu gebauten Stadt. Für England war primär der Ausbau, die Peuplierung und anderweitige Stärkung bestehender outports in der Diskussion,37 eben aber auch mit Ansiedlung weiterer ausländischer Kaufleute. Die 1640er und 1650er waren trotz aller Turbulenzen auch die Zeit des massiven Ausbaus des atlantischen Handelssystems, das neben London – das im 17. wie 18. Jahrhundert an sich stets für etwa 80% des Handelsvolumens stand – auch die südwestlichen Hafenstädte, z.B. Bristol, Plymouth, Falmouth, Topsham und Bideford umfasste.38 Auch auf diese Pläne rekurrierte ein Traktat Worsleys über die Free Ports, der zeigt, dass die monopolistisch-wirtschaftspolitischen Tendenzen nicht die einzigen waren.39 London war schon lang ein sehr offener Handelsplatz, italienische Handelsleute hatten im 15. und 16. Jahrhundert große Elemente der mediterranen Handelstechniken importiert, wovon nicht zuletzt Namen wie die „Lombard Street“ bei der Royal Exchange zeugten.40 So wie aber viele Teile – etwa des Versicherungsgeschäfts – bald von italienischen in englische Hände übergingen, war die Offenheit auch immer von Abschlusstendenzen geprägt. Das Hauptproblem waren nach Worsley wiederum die niederländischen Zwischenhändler, die derzeit weniger Zölle als Engländer auf importierte Waren zu zahlen hätten, was ihnen einen heimgemachten Re-Export-Vorteil verschaffe. Würde man keine FreihafenRegelungen wählen, so solle man per Regulierung von Konsum und Zöllen darauf dringen, dass die Import-Balance nicht die Export-Balance übertreffe: Hier wird die alte Grundessenz der Merkantilisten der 1620er wieder rezipiert. Würde man sich für Freihäfen entscheiden, würden Abfluss von Geld verringert und die Wechselkurse (sc. durch die Ansiedlung fremden Kapitals und Bankiersmacht) zugunsten der Engländer verbessert; mit einer geringen Abgabe von 1% (statt der teilweise derzeit auf Waren englischer Händler erhobenen 20%) würde das Commonwealth aufgrund höheren Gesamthandelsvolumens mehr fiskalischen Gewinn erzielen.41 Doch bleibt die Darstellung eher unentschieden und wenig ausgearbeitet im Detail, 1696 waren 50 outports als solche offiziell zugelassen; Hoon 1938, S. 168f. Hornsby 2012, S. 22f. Worsley, Free Ports 1651. Vgl. etwa Rossi 2016, für die frühe, zunächst auch sprachlich auf Italienisch erfolgende Rezeption der Prämienversicherung in England. 41 Worsley, Free Ports 1651.
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man meint zu merken, dass Worsley diese Handelspolitikrichtung nicht für die durchschlagskräftigste hielt. Es sind auch gegenläufige Eingaben der Kompanien erhalten, etwa, dass Armenier und Juden bei Prisen niederländischer Schiffe nicht von der Güterkonfiskation ausgenommen werden sollen, sondern zur Abschreckung ihrer doch gewichtigen Handelsbeziehungen mit den Niederlanden gleichbehandelt werden sollten; der armenische Handel ruhte für die Frachtschiff-Infrastruktur des eigenen beträchtlichen euroasiatischen Handel insbesondere in Seide in großen Teilen der europäischen Gewässer nicht auf einer eigenen Handelsflotte auf, sondern bedurfte der europäischen Schiffe.42 In der Tat war die gewählte Variante eher die protektionistische des Navigation Act, es bildete sich kein armenisch-jüdisches Klein-Amsterdam oder Livorno in Bristol oder Plymouth aus.
II. Wie in Veröffentlichungen zur außenpolitischen Dimension der französischen Fronde und auch passagenweise in der oben auf die Cromwell-Herrschaft bezogenen Literatur vermerkt ist, war neben den Niederlanden, den Kaperkriegen im Kanal und der atlantischen Dimension dieser Konflikte auch der Südhandel von beträchtlicher Bedeutung in den wirtschaftspolitischen Debatten von circa 1647 bis 1652. Wenn man dies vom Ende des genannten Zeitrahmens, also vom Zeitpunkt des Ausbruchs des englisch-niederländischen Kriegs her betrachtet, kann man studieren, wie in der Opposition zwischen dem, was man die Wirtschaftspolitik der Levellers vertreten durch William Walwyn nennen kann, und der konservativen Levant Company, zwei Gruppierungen gleichsam das eine und das andere Ende der Skala darstellten, welche beide nicht die im ersten Artikel des Navigation Act kondensierte Linie von Council of State und of Trade waren. Walwyn ist einer der leicht greifbaren Vorzeigeautoren der Levellers. Seine Texte propagieren nicht nur täuferische und freikirchliche sowie konstitutionell-demokratische Forderungen. Es finden sich in seinen Kontroverspolemiken vielmehr auch Passagen, die der Tradition des Antimachivellismus zuzurechnen sind, sowie die faszinierende Verarbeitung des heterodox-katholischen Montaigne für die eigene Sache: er verwendet die Erfahrung der Eroberung Amerikas mit seinen ‚guten Wilden‘ als Spiegel und kontraintuitive Identifikationsfiguren für die eigene Sache. Gesprächsbereite echte Christen sollten zu jenem „ehrlichen Papisten“ Montaigne oder zu jenen „innocent Cannibals, ye Independent Churches“ gehen, „to learn civility, humanity, simplicity of heart; yea, charity and Christianity“, empfahl er Richard Pri-
42 TNA Kew PRO 105/144, f. 34r. Vgl. Aslanian 2011; für einen späten immer noch ähnlich gelagerten Konfliktfall vgl. ders. 2004.
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ce 1649.43 Gegen Henry Robinson verfocht er 1651 die fundamentale Bedeutung der juries als Entscheidungsfindungsorgan der Justiz und damit die Verwurzelung von Recht und Jurisdiktion im Volk in einer demokratisierenden Verallgemeinerung der Common-law-Traditionen.44 Welches der konkrete Kontext war, aus dem eine seiner letzten politischen Stellungnahmen stammte, ist nicht ganz gesichert. Jedenfalls findet sich in den Register books der Levant Company eine Kopie seiner Eingabe an Parliament und Council of state, auf die die Levant Company antworten sollte, die auf May 1652 zu datieren ist.45 Es ist einer der radikalsten Free Trade-Beiträge, 43 Walwyn, Just Defense 1989, S. 399-402; McDowell 2003, S. 74f.; Lestringant 1996, S. 77-118; ders. 2004, S. 205-225, 357-388, für die Genealogie jener Darstellung der Kannibalen als bons sauvages bei Montaigne von den Berichten der französischen Brasilien-Kolonialunternehmungen her. 44 Walwyn: Juries Justified 1989. Es ist darauf hinzuweisen, dass eine Besonderheit des ersten Navigation Act von 1651 der Cromwell-Zeit ist, dass als potenzielles Gericht für die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmung von Schiff und Waren im Hafen oder gegebenenfalls der Prise eines entflohenen Schiffs nach begangenem Importregelungs-Verstoß ein „Court of Record“, das heißt ein Common law-Gericht, insbesondere also King‘s Bench oder Court of Westminster bestimmt wurde, während ab 1660 der in den Hauptzügen nach Civil Law urteilende High Court of Admiralty zuständig wurde: dies verweist auf die besondere Hochschätzung der Civil-War- und Cromwell-Zeit für das Common law und im Besonderen für die Gerichtsbarkeit durch juries aus dem Volk zusammengesetzt, wie sie unter anderem Edward Coke und hier Walwyn markant als Ausweis spezifisch englischer freiheitlicher und republikanischer Jurisdiktion verteidigt hatten. Die Admiralty übernahm zwar auch jury-Jurisdiktion, aber nach den Statuten Heinrichs VIII. von 1536 nur im Bereich des Kriminalrechts (Admiralty Sessions, etwa für Piraterie-Fälle), nicht in den maritim-zivilrechtlichen Streitigkeiten. 45 Walwyns Eingabe (fol. 36v-39v) ist zusammen mit „Another Reasons for continuing the Company“ (fol. 40r-47r) in das Register der Levant Company (TNA Kew PRO SP 105/144) ohne Datum eingetragen, die Reasons sind auf den 21. Mai 1652, der letzte vorherige Eintrag auf den 2. Mai datiert. Walwyns Text ist abgedruckt bei McMichael/Taft 1989, S. 446-452 (ohne die Antwort der Company). Für den Kontext anderer Anti-Monopol-Pamphlete der Levellers vgl. Appleby 1978, S. 114; Houston 1993. Die Reasons der Company sind allerdings „To the right Honorable the Committee of the Counsell of State for Trade & forraine affairs. Reasons humbly offered by the Gouernor & Company of Merchants trading into the Levant Seas, showing that the Trade to Turky wil be carried on with more advantage to the Comonwealth in a Company, then in an irregular way as the trade to Spain“ betitelt: der Council of Trade hatte seinen Abschluss-Report eigentlich im September 1651 vorgelegt und wurde „discontinued“ zum Ende des Jahres (Leng 2008, S. 79). In dem Register der Levant-Company sind aber kontinuierlich in diesen ersten Monaten des Jahres 1652 Antworten und Eingaben der Company registriert, die offensichtlich auf Anforderungen des „Comittie of ye Councell of State for Trade & Forraine affaires“ erfolgten: SP 105/144, fol. 33r: Governor und Company referieren auf die Teilnahme an mehreren Sitzungen des Comittie [of Trade] des Council of State, welches ihnen aufgetragen habe „to propound what may be expedient for advancement of ye trade into Turky, and securing it against any designe of the Hollanders“ (14. November 1651): Auch nach Erlass des Navigation Act ging es also weiter um die Verbesserung des Handels und hier scheint dann die Frage nach der Form desselben im Disput mit Walwyn zum Thema geworden zu sein - fol. 33v: „Wednesday the 24th day of March 1651 [i.e. 24. März 1652 New Style] at the Comittie of the Councell of State appointed for Trade & forrain affaires“, fol. 34r (Referenz auf Anfrage des Comittie vom 24. März, Antwort vom 2. April 1652; hiernach, also April: „Narrative of the begining & progresse of the Trade to Turky“, von Governor and Company an das ebenso benannte Comittie gerichtet, fol. 34v. Von November 1651 bis Mai 1652 ist stets
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die mit den Diskussionen der 1670er/80er nicht zu vergleichen ist, in denen es eher um verschiedene Regulierungs- und Kompanieformen ging, als um wirkliche Handelsfreiheit von jedermann: „Common Right“ in England sei all das, was vorteilhaft für den Commonwealth, zum Besten der Privatperson sei und nicht im Gegensatz zum Gemeinwohl stehe. Daraus folge letztlich, dass „forraine Trade to be universally free to all English men alike“, dass dies für den Commonwealth am vorteilhaftesten sei.46 Diese allgemeine Handelsfreiheit sei das beste Mittel für die grundsätzlichen Ziele, die lägen 1. In the improvement of Land by the buying & transporting of Native Comodities 2. In occasioning profitable Labour for all industrious people, in buying and transporting all sort of Manufactures, and bringing of all sorts of unwrought samples & materialls of Gold & Silver: 3. In keeping other Nations from making the like unto our home Manufacture 4. In the increase of Shipping: 5. In the increase of Marriners: 6. In being more secure from advantages of Forraine States: 7. In the increase of Wealth and plenty.47 Diese doch enorm expansionistischen und wachstumsbezogenen Staatsziele waren für den Leveller, der sonst über christozentrische und nächstenliebebezogene religionspolitische Ansätze räsonnierte, problemlos vertretbar, was zeigt, dass gerade in der Außenpolitik, im Nachdenken über das Verhältnis des Common-Wealth als Ganzen in seiner Außenwelt in einigen Bereichen erstaunliche Kongruenz herrschte: nationale Rahmung und keineswegs christlich-quasi-kommunalistischer Universalismus in nationsübergreifender Hinsicht (wie man vielleicht denken könnte) stehen hier genauso im Vordergrund wie bei Cromwell, ja sogar wie bei den konservativen Company-merchants; dass man nationales Wachstum wollte, war gar kein Diskussionspunkt.
von diesem Subkomittee des Council of State so die Rede, die letzte Antwort an den „Councill for Trade“ ist hingegen im gleichen Register auf 30. Dezember 1650 datiert (fol. 30r). 46 Walwyn in: McMichael/Taft 1989, S. 447. 47 Walwyn in: McMichael/Taft 1989, S. 449.
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Abb. 2: Register Book der Levant Company (The National Archives, Kew, Public Record Office, State Papers 105 / 144, fol. 36v, Foto CZ). Die Lösung lag für Walwyn in einem großen „increase of Merchants“. Das Wachstum der Anzahl der Händler werde nicht zu einer minimalen Konzentration in einer oder zwei Städten, sondern dazu führen, dass sie „dispersed in every Haven and Towne“, in einer großen Streuung zu finden seien. Die große Anzahl würde zu großer Dynamik, zu Emulation und Nachahmung untereinander führen, damit zur Verbesserung der Produkte: Ein Wettbewerbsgedanke ist für Walwyn durchaus zentral.48 Hingegen würden bei Regulierung des Handels etwa in Form der Kompanien diese die Arbeitslöhne frei bestimmen und drücken können, man würde nur 48 Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Levellers grundsätzlich Eigentum und Freiheit konzeptionell befürworteten, man sie nicht als Vorläufer für kommunalistischen Sozialutopismus ohne Privateigentum vereinnahmen kann.
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Nischenmärkte schaffen und pflegen, sprich für Luxusgüter, und so die eigentlichen „maker, worker, grower, growth & Land“ in Armut setzen. Nur bei großer Dispersion, bei großer Anzahl von Händlern, Waren, Gütern würde der Markt selbständig zu „cheap Rates“ führen und jedwedes „Money of Gold Silver or Bullion“ würde den Weg nach England finden. Wenn sehr viele und frei agierende Kaufleute Handel betrieben, würde der Schiffsbau notwendig profitieren, die Anzahl von Matrosen und anderen Schiffsleuten würde wachsen, also positive Effekte für das, was man heute den Arbeitsmarkt nennen würde. Die vielen Kaufleute – so spekulierte Walwyn würden sich frei in kleineren Gruppen („small inconsiderable bodies“) zusammenschließen, aber auch wieder trennen, so dass sie sich bei den langen Fahrten und Wegen in die „East & West Indies, to Turky, Spaine, France, & all places“ stützen würden, sie böten aber keine Aggressions- und Angriffsfläche für große Potentaten und Staaten – wie die derzeit bestehenden Staatskompanien mit ihrem teilsouveränen Status. Die bisherige Form der inkorporierten quasi-zünftisch geregelten Handelsformen sei hingegen keineswegs so harmonisch auf „Union“ und konsensuelle Absprache und gemeinsame Handlungsfähigkeit ausgerichtet, sondern würde gar zu gegenseitiger Übervorteilung und anderen Nebeneffekten kollusiver-betrügerischer Zusammenarbeit führen. – So Walwyns utopieähnliche Vorstellung des Ausschweifens einer Vieltausendschar kleiner Handelsleute auf eigene Faust aber interessanter Weise im Vertrauen fast auf so etwas die die Selbstregulationskräfte ‚des Marktes‘; er rekurriert nicht etwa auf sozialutopische oder religiöse Grundlagen, sondern auf ein ‚Gesetz der Masse und Menge‘. Grob rekurriert Walwyns Projekt immer noch auf die Grundziele des Navigation Act (Zunahme des heimischen shipping, der marriners, Wachstum des Gesamtwohlstands des Commonwealth), aber die Lösungsmittel sind ganz andere als von allen Merkantilisten diskutiert. Die Levant Company, die viele Royalisten in ihren Reihen hatte,49 wie allgemein bekannt war, begann die Erwiderung zunächst mit einer defensiven Betonung, dass sie durchaus of „some hundreds of freedmen“ bestehe, von denen jeder sein eigenes Kapital „at distinct an interest & way, as if we were noe Company at all“ einsetze. Junge könnten für 25 Pfund, ältere für 50 Pfund eintreten, und der Zusammenschluss diene der Einkaufskoordination sowie der Organisation der Schiffsfahrten und des Schiffsbaus. Die Privilegien der Charter seien keinesfalls eine solcher „restraint of the Comon liberty, but a prudent accomodating thereof unto the publique utillity by the benefit of order and Government“: In der Abwägung zwischen individueller Freiheit und dem kollektiven bzw. öffentlichen Nutzen ergebe sich zum Vorteil der Regierung diese Zusammenschlusslösung. Gewitzt spielt die Company hier mit den unterschiedlichen Freiheitsbegriffen: während Walwyn einen universalisierenden naturrechtlichen Begriff der Freiheit aller Menschen zur freien Berufs- und
49 Brenner 1993, S. 282-284, 374-381.
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also auch Handelsunternehmungs-Wahl verwendet, benutzt die Levant Company den tradionellen Begriff des „free man“: die ‚Befreiung‘ meint den Erwerb des Status des Privilegs der Mitgliedschaft in der Kompanie (ähnlich auch der Stadt – Stadtfreiheit), wozu neben der Geldzahlung grundsätzlich für lange Zeit auch englische Nationalität sowie eine Gesellenzeit, wenn man nicht schon Vollkaufmann war, gefordert war.50 – Nach diesem Vorsatz folgt aber doch eine allgemeinere Antwort. Die Company stellt zunächst die Vorteile des Handels in Company-Form heraus. Sie geht am Ende auch konkret auf „Mr Walwins paper“ ein mit der Darlegung des nucleus der eigenen Gesellschafts- und Staatsvorstellungen: Wenn Walwyn von einem „Comon Right“ des Freihandels spreche, so gehe er hier ohne Zweifel von einer Art Naturzustand aus: 1. 1. First for the Generall position of Comon Right and the peoples claims thereto: if the same be taken (as it seemes propounded) in the native originall sence, Then as it did precede all Government, so the exercise of it tends to the dissolution of all other Civill Governments whatsoever: into the principles whereof it becomes not us to be inquisitive. 2. 2. If thereby be meant the Comon Rules of iustice & equity, whereby right is vested in any, and comonly passeth from one person to another, we may enquire by what right any one person may come to enjoy the fruits of another without affording so much as an acknowledgment for it? and whether the Comon Right and the dissolution of Companies would not put a conclusion to the future designes for discovery & setling of trade in forraine parts?51
Die Company verweist dann (3.) auf die Gültigkeit von Gesetzen und staatlichen Normen etwa auch für die Tuchhersteller und Goldschmiede: Auch hier könne nicht jeder seine Wolle so verarbeiten, wie er wolle, sondern nach bestimmten Vorgaben; und wenn die Gesetze bestimmen, dass Goldverarbeitung nur im Land geschehen solle und nicht zur Ausfuhr führen dürfe, dann gelte auch dies – Letzteres vielleicht eine Anspielung auf Diskussionen, die im Council of Trade 1651 geführt wurden und auf die sich auch Veröffentlichungen von Thomas Violet beziehen: And thereby it is evident that not only the Supreame power doth lymit, but even the people themselves doe usually decline the exercise of their Comon rights & tye themselves to some rule for the advantage & facilitation of Commerce.52
50 Dies gibt die Konditionen der Charter vom 14.12.1605 wieder für den Erwerb des ‚freedom‘ der Company, Wood 1964, S. 39f., 215f. Nicht genannt ist hier die Summe, die variierte und kurz nach der Restoration schon eine Höhe von durchschnittlich 400 Pfund erlangt hatte, die man zahlen musste, um eine siebenjährige Ausbildung in der Levante bei einem Kaufmann durchzuführen; vgl. für freedom-Erwerb und freeman-Quote der Cities von London, York und Liverpool Gauci 2001, S. 16-62. 51 TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 45r. 52 TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 45v.
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Die Levant Company ‚verspürt‘ also bei Walwyn den utopischen Zug, wie er ihnen vielleicht von seiner Just Defense und der Hochschätzung des ‚bon sauvage‘ bzw. ‚innocent cannibal‘ bei Montaigne bekannt war, dass er die Gesellschaft auf den natürlichen Grundzustand zurückführen wolle, was aber mit jedweder Staatstheorie einer Gesellschaft nach der Überführung der multitudo in eine respublica nicht übereinstimmen könne. In einer verfassten Gesellschaft herrschen Gewohnheitsrechte und positives Recht, das seit langem gelte. Die Company lässt sich gar nicht auf eine explizite Staatstheorie ein, also, ob hier ein leviathanischer Herrschaftsvertrag zu konstruieren sei, sondern führt nur jene Grunddifferenz, wie sie bei Cicero oder andernorts zu finden war, zwischen einem Natur- und einem Zivil- bzw. Staatszustand an.53 Leveller-Theorie referiere nie auf die konkreten historisch-politico-juristischen Realitäten einer gewachsenen Gesellschaft und des Gegen- und Miteinanders konkurrierender Staaten. Now the principall end of Government in Trade, being to advance the same for the benefit of the publique, by the incouragment and increase of able Merchants, the exportation of Native Commodities, & importation of Forraine, by the promoting of Navigation and increase of Marriners […dies sei nur möglich] by a Vnite Society of Persons tutored and bred up to the trade, and injoying the mutuall Councells of each other, then by others trading in a confused and loose way […] in an ungoverned & disorderly Trade.54
Die Company sieht sich gezwungen, in allgemeinerer Form die Vorteile eines solchen Sozietäts-Zusammenschlusses anzuführen: Hauptargumente sind hier Wissensakkumulation, -spezialisierung und -weitergabe, entsprechend bessere Verwaltung, Verhandlungsfähigkeit mit den Staatsmächten wie mit der Pforte im Osmanischen Reich, die Unterhaltung größerer wehrhafter Schiffe sowie gegenüber dem eigenen Staat aber auch Privatleuten die klarere dauerhafte korporative Präsenz in England, die die Company auch als rechtlichen Ansprechpartner leichter greifbar halte: This Method of a company also strengthening the experience of such as have not bin bred to the trade or not lived abroad or such as have discontinued it, who sitting in courts and hearing the publique debates and letters, acquire a necessary insight into the same, which in an open way would never be comunicated to them and how all this can be effected in a loose and irregular way of Trade, we cannot imagine, nor how this trade can supsist without it.55
Der korporative Zusammenschluss ermöglicht über Kaufleutegenerationen hinweg und in aggregierter Kommunikation zwischen Handelszentrum London und der Peripherie der Faktoreien eine wesentlich bessere Steuerung und Verbreitung des 53 Cicero, De republica, I, 25 (i.e. I, 39) – in Mittelalter und Früher Neuzeit bei Augustin überliefert, für die Opposition vorzivilisierter multitudo vs. rechtlich verfasster res publica. 54 TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 41r. „Disorderly Trade“ ist auch der Begriff, den Misselden, Free-Trade 1622, S. 67, bei der Abwehr nicht korporativer Handelsformen wählt. 55 TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 41v.
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notwendigen Wissens – im Hintergrund stehen die Serien der Briefe mit Handels-, Preis-, Routen-, Warenberichten, die Informationen über Konkurrenten vor Ort, politische Lage und Situation im jeweiligen Gastland, Austausch über Verbesserungsmöglichkeiten der rechtlichen und anderer Bedingungen, die in den Sitzungen des Boards regelmäßig ausgewertet, beantwortet und verarbeitet sowie vom ‚husband‘ der Company archivalisch verwaltet wurden, wie sie heute in den Registern der Levant Company erhalten sind:56 Zwar unterhielt auch jeder Händler sein eigenes Korrespondenznetz, aber richtig ist sicher an diesem Argument, dass die Korporation Information aus allen Faktoreien kumulierte und abrufbar hielt – ex post betrachtet spricht der Verlust der meisten rein privaten Kaufmanns(familien)archive im Vergleich zur jedenfalls partiell sehr guten korporativ-staatlichen Überlieferung für das Argument der Company.57 Auf dieser Linie liegt auch ein weiteres wissensbezogenes Argument: If the distinction of Arts hath begotten the perfection of them, such as have not served an apprentiship [sic] to an art, being for that end, by the wisdome of former times, restrained from the exercise thereof: Certainely this method is most proper in the case of forraine Trade, where in there is so great variety and intricacy: as in the difference of Moneys, weights, measures, Coustomes; The diversity of Nations & languages and difficult inspection into our owne native comodditie, for how can a person that wants skill in his comodity, see that the Maker performe his part? or how can a falsified comodity hold his estimation and use? And whereas this trade to Turky is at present managed by a great number of persons experimented in the clothtrade, whose principall credit is with the Clothier (which causeth a greater exportation) it will be found that in a loose way of Trade, Raw silke, which is the chiefe returne of our cloth, would be imported by the Silkemen for cheap they wanting experience in Cloth.58
Die Company führt eine Art Vorrecht aufgrund höheren Spezialwissens an, das auf der Verfeinerung und Differenzierung von Handwerken und Künsten im Grundsätzlichen aufruht, im speziellen Fall insbesondere durch die lange Gesellenzeit erworben würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein prominenter Levant Merchant wie Lewes Roberts, der auch Kapitän der Stadtmiliz in London war, seinen Treasure of Traffike or a Discourse of Forraigne Trade (1641) sowie die Erstauflage des vielleicht erfolgreichsten englischen Beitrags zum internationalen KaufmannsbuchGenre The Merchants Mappe of Commerce (1638) verfasst, welche gerade solche hier angesprochenen Fragen behandelten und so punktuell Einblick in das ‚Fachwissen‘ gaben,59 das in der Company vorhanden war, und de facto auch auf starken familiären Vernetzungen, Land- und Immobilienbesitz in den englischen Tuchher-
56 57 58 59
TNA Kew PRO SP 105 und SP 110. Vgl. für einige Hinweise Zwierlein 2022. TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 43v. Zwierlein 2016b, S. 231-235.
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stellungsregionen beruhte.60 Von den nicht korporativ verfassten Händlern wurde im 17. Jahrhundert in der Tat nichts Vergleichbares publiziert. Die Kompendien waren nicht zuletzt auf der Basis der Informationen aus den Handelsplätzen der gesamten Welt erstellt worden, auf die Roberts (längere Zeit husband-Archivar der Company und Mitglied anderer Kompanien) direkten Zugriff hatte. Man mochte als Mitglied des Council of state oder des Parliament durchaus den Eindruck haben, dass diese funktionalen Argumente der Company eine gewisse Grundlage hatten: die Company beschränkte sich auf solche und hob nicht etwa auf rein royalistische Charter-Privileg-Vorrechte oder Ähnliches ab, versuchte sich also im Sachvortrag zu ‚entroyalisieren‘. Die im Schlussteil des obigen Zitats angesprochenen ‚Silkemen‘ meint Händler wie die nicht korporativ verfassten Londoner Südhändler, die im westlichen Mittelmeer insbesondere bis Livorno handelten. Verhandlungen und Verträge mit Potentaten wie dem Sultan müssten sonst von jedem Kaufmann einzeln geschlossen werden – was kaum möglich erscheine. Die nötigen großen Fernhandelsschiffe von der Größe und „of good defence“ wie sie benötigt würden, könnten von „free trade“ nicht getragen werden. Der Levantehandel benötige insgesamt „better meanes of experience, more security, better protection, firmer settlement, less feare of oppression [sic] taxations, with many other contraveniences which cannot be expected in an irregular Trade“.61 Schließlich dreht die Company Walwyns Prognose um, nun mit einem durchaus vermögensund standesbewussten Ton: „universall freedome“ würde vielleicht, wenn überhaupt, nur kurzzeitig die Menge an Kaufleuten erhöhen, aber diese seien „contingent & accidentall persons“, die in anderen Betätigungen gebunden seien, Innen- und Außenhandel ohne Spezialisierung mischend. Man sei eben nicht zum (Groß)kaufmann geboren, sondern werde hierzu langsam erzogen („we believe that men are bred, & not Borne to a skill in Merchandise“). Der kompanieförmige Handel bewahre diesem in der Außenwelt „esteeme“ und stimuliere eine große Anzahl von jungen Söhnen, danach zu streben, genau so Erfolg zu haben; wenn man nur einen „open and low Trade“ betreibe, würde es am Ende, obwohl der Handel vielleicht frei sei, wenig Kaufleute geben, da dies kein erstrebenswerter Beruf mehr sei, alles „would fall to the ground“, es gebe dann für Viele kein „employment“ mehr auch jenseits der Vollkaufmannschaftseigenschaft. It not being the Freedome, but the Greatness of trade, which increaseth the number of Merchants; and this greatness is maintained in a manner forced by the experience, stock, & constant pursuance of those who manage it.62
60 Davis 1967; Gauci 2007, S. 169. 61 TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 42r. 62 TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 47r.
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Alles in allem ist dies also eine meritokratische, auf Funktionsspezialisierung, auch auf Hierarchie, Kapitalgröße und somit latent auf positiv bewertete Sozialstratifikation nach Besitz und nach dem Wert von Erfahrungserwerb, eine auf die die Kräfte des einzelnen übersteigende Macht korporativ-institutioneller Strukturen setzende Argumention, die in exakter Opposition zu Walwyns Vorschlag kompletter Deregulierung und Entmonopolisierung des Zugangs zum Fernhandel stand – so als ob die episkopale High Church gegen Independent-Church-Anhänger argumentiere. In der Tat spiegelt dieser Schlagabtausch 1652 die verbleibende Stärke der Levant wie der East India Company und anderer Charter-Companies entgegen etwa den Merchant adventurers und noch weniger verfassten Kaufleutegruppierungen, welche auch im Navigation Act ihren Niederschlag gefunden hatte: Einige der Artikel des Act sind ganz offensichtlich Ergebnisse des Kompromisses mit bestimmten Händlerlobbies, den Fisch- und Hering-Händlern (wohl vor allem das Baltikum betreffend), und denen des Levante- und Ostindienhandels: Letzteren wurde insbesondere ihre alten Freiheiten bestätigt, im Mittelmeer bzw. im asiatischen und afrikanischen Raum frei Handelswaren auf- und abzuladen, so dass die Bestimmung, dass Ferngüter nur aus den Regionen ihrer Ursprungs-Herstellung importiert werden dürften, hier aufgehoben war („Commodities of the Straights or Levant Seas excepted…East-India Commodities excepted.“).63 So vermochten die Companies sich durchaus ihren durchschnittlich ‚konservativen‘ Charakter zu erhalten: die chaplains der Kompanie blieben weiter episkopal gesinnt und auch andere Indizien sprechen für die auch von Brenner betonte grundsätzliche Ferne der Großkompanien von der revolutionären und teilweise auch von der Cromwellʼschen politischen Agenda.64
III. Dieser Disput wurde im Mai 1652 geführt, als gerade der niederländische Krieg ausbrach. Wie Davis gezeigt hatte, zeitigte der Navigation Act zwar auf der Importebene seine Wirkung, er hatte aber lange Zeit nicht die von Worsley prognostizierte positive Wirkung auf den Schiffsbau, sondern die große Zahl von erbeuteten Schiffen in den Kriegen gegen die Niederlande, die dann umgebaut und nationalisiert (‚freed‘) wurden, deckte bis in die letzten Dekaden des 17. Jahrhunderts den Bedarf
63 Acts and Ordinances 1911, S. 559-562. 64 Etwa Robert Frampton, der gerade während der Cromwell-Zeit mit dem Aufbau der factory library in Aleppo begann und der als pro-Stuart-Anhänger noch 1689 zu den non-jurors gehörte; in Levantehändlerbibliotheken finden sich nicht selten royalistische Publikationen dieser Zeit (wie die Eikon basilike, Stilisierungen von Karl I. als Märtyrer) – wenngleich es auch Gegenbeispiele gibt.
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jedenfalls der merkantilen Flotte Englands.65 Schiffskaperung war aber umgekehrt eine Bedrohung, die gerade im Vorfeld des Navigation Act nicht nur die Auseinandersetzung mit den Niederlanden, sondern auch mit französischen Kaperern prägte, wie Pincus und andere festhielten. Wiederum litt gerade die Levant Company unter denselben, da hier der Schiffsweg immer sehr küstennah bis zur Meerenge von Gibraltar verlief, von der East India Company, die oft einen weiteren Bogen ausfuhr, sind vergleichbare Klagen nicht überliefert. Von Ende 1650 stammt eine wohl bis Frühjahr 1648 zurückreichende Übersicht von 21 Schiffen mit zusammen 5090 Tonnen Frachtvolumen und 402 Kanonen im Wert von 538.000 Pfund, die die Company „to and by the French“ innerhalb von 21 Monaten verloren hatten.66 Dies betraf Handelsschiffe, man kann aber zur Relationierung den Betrag in Erinnerung rufen, mit dem Admiral Blake 1652 die Aufrüstung von 117 Kriegsschiffen bewerkstelligen wollte (729.000 Pfund):67 Die Verluste der 21 Großschiffe waren also ganz erheblich. Es gab keinen offiziellen Krieg, und an sich befand sich Frankreich selbst im Zustand der Fronde, aber die englischen Royalisten hatten ihren Rückhalt in Frankreich gesucht und teilweise gefunden, und Mazarins Regierung lavierte in komplexen diplomatischen Ausweichmanövern, um dies nicht als königlich-französische Aktionen, sondern als solche französischer Privatleute darzustellen. Die Staatsmaschinerie (Parlement, Staatsrat, Gerichte) war teilweise paralysiert.68 Prince Ruperts Flotte wurde durch etliche französische Schiffe unterstützt und Charles Stuart (Karl II.) hatte auf Jersey den royalistischen Generallieutenant George Carteret installiert, der erst Ende 1651 von der Parliamant-Partei nach Saint-Malo vertrieben wurde und der bis dahin auf der Insel unter anderem einen royalistischen ErsatzCourt of Admiralty unterhielt, der englisch-royalistische Prisen aburteilte. Englisches Parliament und Council of state hatten noch nicht vermocht, aus der FrondeSituation eigenes politisches Allianz-Kapital zu schlagen. Aus dieser komplexen Konstellation stammt ein Fall, der in Frankreich verhandelt wurde:69 Der Malteser65 England gewann in den drei niederländischen Kriegen etwa 2.000 Schiffe per Kaperung und verlor nur 500, in den spanischen und französischen Kriegen war die Bilanz negativ. Der Navigation Act von 1660 sah auch deshalb speziellere Regelungen zur Gleichstellung zwischen englischen und ‚foreign built ships‘ vor, weil eben große Teile der Handelsflotte im Nordseehandel, aber auch bis zu einem Drittel der Schiffe im Südhandel nun ursprünglich niederländischer Herstellung war: Davis 2012, S. 47f., 305f. 66 TNA Kew PRO SP 105/144, fol. 27r. Vgl. schon die frühere Liste von 7 Schiffen vom 28.12.1649, ebd., fol. 14r. 67 Vgl. Anm. 14. 68 Knachel 1967, S. 130, 139, 155. 69 Factum pour Messire Henry d’Anglures de Bourlemont. Der Fall ist in einem factum und mémoire, das heißt: Falldarstellung mit verteidigungsseitigem rechtsgutachtenförmigen Plädoyer überliefert, BNF Paris 2°-FM-291; auch in BNF Paris Ms. fr. 18592, fol. 330 bzw. 346-355. Zum Quellentyp Lavoir 1988. Die Entscheidung ist nicht überliefert: die jugements des Amiral im siège der Table du marbre in AN Paris Z/1/D reichen nur bis Richelieus Reform, die sentences-Serie des Nachfolger-Conseil des prises in AN Paris G/5/215ff., 221ff. enthalten nur in 211 einige Stücke aus dieser Zeit. Das Amt des Grand maître de la navigation hatte während der
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ritter Henry dʼAnglures de Bourlemont hatte im Mai 1648 noch an der Belagerung von Chania auf Kreta im venezianisch-osmanischen Krieg teilgenommen, hatte dann aber wohl im Moment der Umstürze in England die Gelegenheit wahrgenommen, sich als Privat-Kriegsschiffer am 15. September 1649 mit einer lettre de marque von Karl (II.) versehen zu lassen. Als französischer Korsar in königlich-englischen Diensten kaperte er kurz vor Elba – also in der Nähe des toskanischen Hafens Livorno – vier Schiffe von Engländern, die als „republikanische Engländer“ definiert oder erkannt wurden unter der Führung eines Kapitän William Knouls (Knolles?). Er forderte die Schiffe zum Segelstreichen und zur Akzeptanz der Kontrolle auf, es kam dann zu einem Scharmützel mit Kanonen- und Handwaffeneinsatz, alle Schiffe landeten zunächst beschädigt auf der Insel Saint Marguerite kurz vor Nizza, aber unter französischer Hoheit; Savoyen stand auf royalistisch-englischer Seite. Auf Geheiß des sieur du Laurens, commissaire du Parlement dʼAix-en-Provence wurde dort eine Begutachtung des Schadens am Schiff und eine Zeugenaufnahme vorgenommen. Per Postkutsche reiste Bourlemont dann an die Nordküste Frankreichs, um auf der Insel Jersey eine Entscheidung des dortigen temporären royalistischen Admiralitätsgerichts zu erreichen; dies erfolgte am 5. Januar 1650 offenbar durch Karl II. persönlich, der sich gerade auf Jersey befand, welcher die Prise selbstverständlich für rechtens erklärte, da Bourlemont im Krieg des Königs gegen ‚seine‘ rebellischen Untertanen, die Parliament-Anhänger, berechtigte Beute genommen habe. Auf den Schiffen waren allerdings nicht nur Engländer, sondern auch Untertanen des persischen Schah, Armenier aus Isfahan, und ein Schiff habe einem osmanischen Schiffseigner oder Pächter aus Bursa gehört; auf diesem wären Waren der persischen Armenier von Smyrna nach Livorno und dann mit den Engländern weitertransportiert worden. Die Armenier klagten nun gegen Bourlemont in Paris, vor dem Conseil du roy, der in noch unverfestigten Kompetenzverteilungen zu dieser Zeit die Verfahren an sich zog, die später dem Conseil de Marine zufielen, der als oberstes Prisengericht unter dem von Richelieu eingesetzten Grand Maître de la Navigation bis 1659 (Umbenennung) bzw. bis 1669 (Ablösung der Richelieu-Innovation durch Wiedereinsetzung des Amiral de France) für Prisenjurisdiktion zuständig war.70 Bourlemonts Rechtsberater hatten aus ihrer Sicht drei Voraussetzungen für die Rechtfertigung der Prise zu beweisen 1) Dass Schiffskapitän und -besatzung sich geweigert hatten, die Segel zu streichen und ihre Papiere vorzuweisen, und dass es im Anschluss hieran zum Kampf und zur Schiffsnahme im Kampf seitens Bourlemont gekommen sei Unmündigkeit Ludwigs XIV. zunächst Anna von Österreich inne, die es am 12. Mai 1650 an den Herzog César de Vendôme abgab; Darsel 2012, S. 235. Statt dieser speziellen Admiralitätsgerichtsbarkeit war in dieser Übergangszeit aber wohl der königliche conseil selbst der eigentliche Spruchkörper, das factum erwähnt ohnehin nur die Räte des Conseil. 70 James 2004; Barazzutti 2011, S. 252-257.
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2) Dass das Schiff rebellischen Engländern als erklärten Feinden des englischen Königs gehörte 3) Dass mindestens der größte Teil der Waren Londoner Händlern gehörte. Das Verteidigungsplädoyer geht hierbei zugleich auf verschiedene Einlassungen der Armenier ein. Auf den Vorwurf, dass unterschiedslos Untertanen eines fremden Herrschers und ihr Eigentum, gegebenenfalls nicht einmal auf einem englischen (sondern einem gepachteten osmanischen) Schiff, höchstens unter englischer Flagge segelnd, beraubt worden seien; dass schon das Patrouillen- und Kontrollrecht Bourlemonts nicht gegeben sei; dass nicht die englische Admiralität für die PrisenEntscheidung zuständig gewesen sei. Bemerkenswert ist die schon rezipierte grotianische und, in Abwandlung, auch Seldenʼsche Methode, aus empirischer Umschau und im Völkervergleich ‚bei allen Völkern gültige‘ Rechtsnormen des Handelsrechts / Lex mercatoriae abzuleiten, sei es aus positiven Rechtsnormen, sei es aus historisch dokumentierten Rechtsbräuchen.71 Für das Patrouillenrecht von Schiffen, und das Recht, dass bei Widerstand des kontrollierten Schiffs dann eine gerechte Beutenahme vorliege, führt er Normen und historische Belege aus England an, aus Frankreich seit dem 15. Jahrhundert bis zur Ordonnance Heinrichs III. von 1584, aus der Nordsee für die Hanse nach Albert Krantz,72 für die Niederlande sowie für die Toskana nach Alberico Gentili;73 nur Philipp II. in seinem Edikt von 1562/374 habe seinen Landsleuten die Zulassung der Kontrolle verboten, welcher aber als große Ausnahme dementsprechend selbst im Unrecht sei. Für England betont Bourlemont (sein Advokat), dass dessen Könige dies wohl zuerst gesetzlich bestimmt hätten und rekurriert dafür auf Seldens Mare clausum: Dieser hatte gerade im zweiten Buch des berühmten Traktats echte ‚Grundlagenforschung‘ hinsichtlich maritimer Rechtssätze des Common law betrieben anhand von Manuskripten in Bibliotheken und Rolls, die im Tower of London archiviert lagen, und hieraus Exzerpte und Kompilationen erstellt. So edierte er auch jenes Gesetz von König Johann ohne Land aus dem Jahr 1200, dessen Echtheitsstatus bzw. Überlieferung allerdings nach Stand heutiger Forschung ungesichert ist – Seldens einzige Quelle hierfür war ein Manuskript aus dem 15. Jahrhundert:75 71 Literatur zur mediävistischen und frühneuzeithistorischen lex-mercatoriae-Debatte bei Zwierlein 2021, S. 36. 72 Krantz, Wandalia 1580, Lib. XIII, cap. 9, S. 298: Die Sentenz „Nec aliud reportavit quam quod ex hoste, qui hostilia non redderet, sed defenderet, hostiliter inuectus prior ab illo, tulisset iustam & omni iure gentium debitam praedam“ wird aus einem Beispielsfall 1472/73 betreffend den Danziger Paul Beneken in Bezug genommen. 73 Gentili, Hispanicae advocationis 1613, Lib. I, S. 27, 105-108. Gentilis Werk, das einzige, das er für publikationsfertig und -würdig hielt im Moment seines Todes, war eine Frucht von Rechtskonsilien, die er als Zivilist und Advokat am High Court of Admiralty erstellte; Benton 2010; Vadi 2020, S. 318f. Zum HCA u.a. Durston 2017. 74 Abgedruckt etwa bei Pardessus 1828-1845, Bd. 4, S. 64-102. 75 Toomer 2009, Bd. 1, S. 429.
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Les premiers qui l’ont introduit [sc. jenes Kontroll- und Prisenrecht] ont esté vray-semblablement les Anglois […mit jener] Ordonnance, que l’un de leurs Roys appellé Iean Sans-terre fit pour ce sujet en l’année 1200. au rapport de Seldenus, dans le Traicté qu’il a fait pour monstrer que les Roys d’Angleterre estoient maistres de la mer, & auoient droict d´empescher leurs alliez d’y nauiger sans leur permission. Cette Ordonnance, qui est conceue en vieux François, porte: Si le Nauire de guerre encontre sur la mer aucunes nefs ou vaisseaux chargez ou vuides qui ne veillent aualer ou abaisser leurs triefs au commandement du Lieutenant du Roy, ou de l’admiral ou son Lieutenant, mais combatent encontre, que s’ils puent estre pris qu’ils soient reputez comme ennemis, & leurs nefs & biens pris & forfaits comme biens des ennemis, tout soit que le maistre ou possesseur d´iceux voudroient venir apres ou alleguer mesme les nefs & biens estre des amis du Roy nostre Seigneur, & que la menie estant en iceux soit chastiée par emprisonnement de leurs corps pour leur rebelleté par discretion. Les termes de cette Ordonnance sont remarquables, en ce qu’elle veut que ceux qui font refus d’amener leurs triefs, c’est à dire leurs voiles, & combatent encontre, c’est à dire font resistance, soient reputez comme ennemis, & leurs nefs & biens pris & forfaits comme biens des ennemis, encores que les maistres & possesseurs desdites nefs & biens soient amis du Roy.76
Dass die Armenier mit als Feinde zu zählen haben, wird mit verschiedenen anderen Normen und Entscheidungen, aber auch mit Liviusʼ Satz „Hostis est quique intra praesidia eius sunt“, untermauert;77 Bourlemont habe sich nicht um eine feinsäuberliche Scheidung zwischen rebellischen Engländern und armenischen Frachtvertragspartnern kümmern müssen, zumal letztere auch mitgekämpft hätten. Da nach Kriegsrecht – Dig. 41, 5, 7 mit Dig. 39, 4, 11 § 2 – gelte, dass alles, was dem Feind gehöre, gerechte Beute sei, und der überwiegende Teil der Warenladung unbestritten den Engländern zugehöre, fallen auch die armenischen Güter hierunter. Die Einlassung, dass die Armenier Untertanen des persischen Schah seien, verfange nicht, da keinerlei Allianz, noch umgekehrt erklärter Krieg zwischen dem Schah, England und Frankreich bestehe, was bedeute, dass dessen Untertanen (wie auch umgekehrt) kein freies Handelsrecht mit England und Frankreich besäßen: […] puisque ce qui donne la liberté aux nations de trafiquer les vnes auec les autres, n’est que l’alliance & la confederation, ainsi qu’il a esté remarqué par ceux qui ont traicté de la Politique, & que l’on peut recueillir de tous les Traitez qui se font entre les Princes, qui portent tousiours qu’il sera permis à leurs subjets de traffiquer respectiuement dans les Estats des vns & des autres; ce qui ne seroit pas necessaire de stipuler, si sans Traicté & sans alliance & confederation particuliere le trafic estoit permis à tout le monde.78
76 Factum pour Messire Henry d’Anglures de Bourlemont, S. 9f. – dies ist wörtliches Zitat aus Selden, Of the Dominion 1652, Buch II, Kap. 26, S. 401f. 77 Livius XXXVIII, c. 48, etwa bei Grotius, De jure belli ac pacis 1993, Buch III, Kap. 2, par. 3, S. 639, in Bezug genommen. 78 Factum pour Messire Henry d’Anglures de Bourlemont, S. 18.
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Diese beleglose Aussage, a fortiori aus gängigen existierenden Völkerhandelsrechtsverträgen wie den Kapitulationen (ahdname) mit der Pforte geschlossen,79 ist bemerkenswert, weil Bourlemont (sein Advokat) damit eine Position vertritt, die explizit der naturrechtlichen Handelsfreiheits-Begründung entgegensteht, wie sie schon von Francisco Vitoria vertreten und maßgeblich von Grotius zur Grundlage von „Mare liberum“ gemacht worden war: Dort war die Position stets, dass gerade das freie commercium zwischen den Völkern göttliches Naturrecht sei, etwa auch zwischen amerikanischen Ureinwohnern und erstmals landenden Europäern; alles, was an Rechtsbeziehungen folge, müsse aus diesem Recht abgeleitet werden können.80 Bei Bourlemont (Advokat) hingegen herrscht grundsätzlich eher ein „bellum omnium contra omnes“ zwischen allen noch nicht miteinander irgendwie positiv-rechtlich verbundenen Völkern, erst Verträge und Konzessionen zwischen den Potentaten könnten den jeweiligen Untertanen Handelsrecht zusprechen. Dass schließlich der König von England der zuständige Prisenrichter sei, weil Bourlemont von diesem den Kaperbrief (Commission) ausgestellt erhalten hatte, und dass auch die Urkundenausstellung des Prisenurteils durch Karl II. als König von Großbritannien, von England, Schottland und Frankreich diplomatisch korrekt der Titelführung seit Jakob I. entspreche, wird wieder mit Verweis auf Selden und einem von Selden gezielt hervorgehobenen Quellenstück untermauert: I gave you the whole sens, yea and partly the words before; but now have thought fit to set down an entire Copie of the Libel, as it was written at that time in the French or Norman Tongue; which runs after this manner: […] que come LES ROYES D’ENGLETERRE PAR RAISON DUDIT ROYALME, DU TEMPS DON’T IL NY AD MEMOIRES DU CONTRARIE, EUSSENT ESTE EN PAISIBLE POSSESSION DE LA SOVVEREIGNE SEIGNURIE DE LA MER D’ENGLETERRE ET DES ISLES ESTEAUNS EN YCELLE […] Et A. de B. Admirall de la dite mire deputez per le Roy de Engleterre, et touz les autres Admiralls per meisme celui roy d’Angleterre et ses Ancestres jadis Ris d’engleterre, eussent este in paisible possession de la dite soverein garde oue la conisance et Justice et toutz les aultres apertenances avantdites […]81
79 De Groot 2003; van den Boogert 2005. 80 Bei Vitoria steht gleichsam exakt die entgegengesetzte Formulierung wie die von Bourlemont/ Advokat vorgebrachte: „Licet Hispanis negotiari apud illos […] nec principes illorum possunt impedire subditos suos ne exerceant commercia cum Hispanis, nec e contrario principes Hispanorum possunt prohibere commercia cum illis“; Vitoria, Relectio V: De Indis, sect. III, nr. 3, in: ders.: Relectiones 1586, S. 209; „Iure Gentium hoc introductum est, ut cunctis hominibus inter se libera esset negociandi facultas, quae a nemine posset adimi.“; Grotius, Mare liberum 2009, S. 127. 81 Selden, Of the Dominion, Buch II, Kap. 28, S. 416f.; Factum pour Messire Henry d’Anglures de Bourlemont [zweite Replik, Appendix, separat. pag.], S. 5. Zu diesem von Selden wie anderen Common-Lawyers aus einem im Londoner Tower aufbewahrten Manuskript zu Handelsrechts-Vertragsverhandlungen mit italienischen Händlern zitierten Dokument von 1303 vgl. Toomer 2009, Bd. 1, S. 429f.
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Der Fall hat für sich einiges Interesse und verdiente noch die Analyse einiger vorgebrachter Spezialkonfliktpunkte und Argumente. Vorliegend reicht es, darauf hinzuweisen, wie in der komplexen Allianznetzwerkbildung zwischen französischen Royalisten und den Stuart-Anhängern im Kampf gegen das parlamentarische England und Cromwell die Selden‘sche Grundlegung des Anspruchs der Könige auf Souveränität im und über das Meer, jedenfalls über das England nah gelegene Meer, aber auch das Meer, soweit es von feindlichen Handelsschiffen befahren wird, als Teil der königlich-imperialen Prärogative auftaucht, und dies auch problemlos auf Französisch und vor der obersten französischen Prisengerichtsbarkeit. Stand dies im Gegensatz zu den Ansprüchen des Commonwealth, das zeitgleich mit diesem Prisenfall mit der Ausarbeitung des Navigation Act beschäftigt war?
IV. So könnte man denken: Man könnte vorderhand vermuten, dass die Seldenʼsche Konzeption von Herrschaft und Souveränität über das Meer, die Zonierbarkeit desselben, eine dezidiert englisch-königliche sei, die hier die Stuart-affine Partei in Anspruch nimmt, während die republikanische Regierung schon von der Oppositionslogik her andere Vorstellungen unterstützen müsste. Tatsächlich gab das Rump Parliament und der Council of State bei einem seiner wichtigsten Propagandisten, dem Herausgeber des „Mercurius politicus“ Marchamont Nedham,82 1652 gerade die Übersetzung von Seldens „Mare clausum“ ins Englische in Auftrag:83 mit demselben Staatswappen des Commonwealth auf der Titelseite wie Worsleys „Advocate“ erschien es mit einem Gedicht und einem markigen Vorwort Nedhams datiert vom 19. November 1652. In dem Vorwort ist der anti-niederländische wie imperiale Anspruch von Cromwells Republik deutlicher denn je zum Ausdruck gebracht.
82 Frank 1980; Worden 1994; ders. 1995; ders. 2007. 83 Nedham erhielt 200 Pfund, Toomer 2009, Bd. 1, S. 434f.; Fulton 1911, S. 410f.
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Abb. 3: Titelblatt John Selden, Of the Dominion, Or Ownership of the Sea 1652, (British Library 502.f.12, Foto CZ) Schon im Gedicht des Κλαρεάμοντος – wohl ein nicht ganz klares latino-graecisierendes Pseudonym für Marchamont selbst –, das an Frontispiz-Position abgedruckt ist, wird jener Linienschlag zwischen der venezianischen Begründung der Herrschaft über das adriatische Meer und der englischen Meeres-Souveränitätskonzeption aufgenommen, die von Welwood bis Selden (dort im Kapitel I, 26) zentral war, wie ich gezeigt habe:84 Seldens Traktat bestand ja im Wesentlichen im ersten Buch aus dem Durchgang vor allem antiker mediterraner Völker und ihren Seerechtskonzepten, wobei von keinem von diesen ein genuiner Einzeltraktat des Typus „De dominio maris“ hätte zitiert werden können; erst im Kapitel I, 16 konnte dann eine Fülle 84 Das Folgende nach Zwierlein 2016a, S. 83-102 (Unterkap. ‚From Venetian dominium maris to the Britons’ Empire’).
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solcher Einzeltraktate neben Bartolus und vor allem Baldus vom 15. bis ins 16. Jahrhundert angeführt werden, die sich auf Venedigs dominium-maris-Anspruch bezogen: dies betraf die Civil-law-Quellen in der englischen Rechtssystematik. Im zweiten Buch stellte Selden insbesondere mittelalterliche englische Common-lawQuellen zusammen, die nun für England die parallele Tradition und lang herrschende Ausübung der Konzeption von Besitzbarkeit, Teilbarkeit und Herrschaft über Meer begründeten. Für die Civil-law-Seite war also Venedig die passende Hauptreferenz, die man gegen Grotius in Anschlag bringen konnte. Dem grotianischen humanistischen Gestus der Rückführung aller juristischen Argumentation auf die (so von ihm verstandene) puristische Position des römischen Rechts, dass das Meer eine res communis und daher zivilrechtlich und folglich auch staatsrechtlich schlechthin nicht ‚besitzbar‘ und aufteilbar war, so wie dies auch für die Luft gelte, hatte Selden mit dieser antik-venezianischen-englischen Quellenzusammenstellung und -analyse seinerseits historisch-rechtlich die Rechtsauffassung der italienischen Postglossatorenzeit modernisiert und aktualisiert. Dies konnte Nedham schon in Gedichtform bringen: If little Venice bring’s alone Such waves to her subjection as in the Gulf do stir; What then should great Britannia pleas, But rule as Ladie o’re all seas, and thou as Queen of her. For Sea-Dominion may as well bee gain’d By new acquests, as by descent maintain’d.
Nach Hinweis auf den ursprünglichen Entstehungszusammenhang und der frühen offiziellen Überantwortung der Schrift an die Londoner Justiz weist Nedham ganz offen auf den jetzigen Neu-Nutzungs- und Umdeutungsvorgang hin: I may injure the eminent Autor, yet in this hee will bee a Gainer, that his Book is now faln under a more noble Patronage, in the tuition of such heroick Patriots, who, observing the errors and defects of former Rulers, are resolved to see our Sea-Territorie as bravely mainteined by the Sword, as it is by his Learned Pen. It is a gallant sight to see the Sword and Pen in victorious Equipage together, For, this subdue’s the souls of men by Reason, that onely their bodies by force. The Pen it is which manifest’s the Right of Things […]85
Die Funktion der ‚Staatsautoren‘ wie Selden, Nedham oder Milton als Legitimatoren für die mit dem Schwert zu erkämpfende oder verteidigende Position wird herausgestellt, und Nedham betont dann klar die fortdauernde Tradition von der königlichen in die gegenwärtige republikanische Zeit; der übergreifende Herrschaftsbegriff hierfür ist das Empire: For, what true English heart will not swell, when it shall bee made clear and evident (as in this Book) that the Soveraigntie of the Seas flowing about this Island, hath, in 85 Selden, Of the Dominion 1652, fol. b1r-v.
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all times, whereof there remain’s any written Testimonie, both before the old Roman Invasion and since, under every Revolution, down to the present Age, been held and acknowledged by all the world, as an inseparable appendant of the British Empire […]86
Nun ist dieses ‚Empire‘ in den Händen des Parliament, dem die Übersetzung gewidmet ist, den „founders of the most famous and potent Republick this day in the world“: Der Ton des ‚republikanischen Empire‘ oder, wie man es erst später für das 19. Jahrhundert als Terminologie gewohnt ist, eines liberal Empire, ist klar gesetzt und zwar gegen die andere Republik, die Niederlande. Die Unions- und Föderationsversuche, der Austausch der Gesandten zwischen beiden Republiken in dieser Sache 1650/51 ist von Nedham, der diese Projekte zunächst auch publizistisch unterstützt hatte, als Enttäuschung und Verrat breit ausgeführt; nun hätten die Niederlande bewiesen, dass sie von Anbeginn nur auf Krieg aus gewesen seien. Die Seldenʼsche Argumention der Territorialität des Meers und der Herrschaft der englischen Könige über dieses dient so nun als direkte Kriegslegitimation für den ersten englisch-niederländischen Krieg: And what greater extremitie than to invade a Neighbor’s Territorie, and prosecute the Invasion by a design of Conquest: The Sea is indeed your Territorie no less than the Land; It hath been held so by all Nations, as unquestionably subject, under every Alteration of Government, to them that have enjoied the Dominion by Land, so that the Netherlanders having enter’d your Seas, in defiance of your Power, are as absolute Invaders, as if they had enter’d the Island it self. It is just as if Hannibal were again in Italy, or Charls Stuart at Worcester; and the late affront given near Dover, was like the one’s braving it before the walls of Rome, and as if the other had com and knock at the gates of London, or rather at your very Chamber-door […]87
Grotius wird nicht namentlich angesprochen, wohl aber der Traktat „Mare liberum“, der selbstverständlich als Manifest der niederländischen Position identifiziert ist. Der ursprüngliche Entstehungskontext von „Mare liberum“, die Auseinandersetzung in Ostasien mit den Portugiesen und eine Prisengerichtsentscheidung vor der Amsterdamer Admiralität spielt keine Rolle mehr, die ‚venezianischen republikanisch-imperialen Briten‘ übernehmen nun „Mare clausum“ als zeitenthobenes allgemeines imperiales Manifest, und „Mare liberum“ wird zeitenthoben zum niederländischen. Dass dies über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg eine nicht starre Zuordnung war, dass also auch andere Nationen und auch die Engländer hin und wieder situationsbezogen gerne mit Grotius argumentierten und umgekehrt, ist hier nicht zu verfolgen. Dass man leicht wechselwendig mal Mare-liberum-, mal Mare-clausum-Positionen vertreten konnte in den interessengeleiteten, schillernden See-Herrschaftsdebatten der Frühen Neuzeit, ist ein Problem für sich und liegt unter anderem an der Äquifunktionalität beider Traktatargumentationen hinsichtlich 86 Ebd., fol. b1v-b2r. 87 Ebd., fol. d1r.
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des Ziels, Anspruchsgrundlage für Kaperrechte und kriegsrechtsbedingte Übergriffe liefern zu können. Doch ist in der Frühphase von etwa 1616 bis zum Beginn der Restoration 1660/1663 die englische Position immer eine, die sich auf die neo-Baldusʼsche und dann Seldenʼsche Eigentums- und Herrschaftsfähigkeit an ‚Meer‘ beruft. Das parlamentarische England vor und unter Cromwell bezieht sich dabei nicht nur auf diesen allgemeinen Gedanken, sondern es besteht auch eine Kontinuität hinsichtlich der politischen Ziele, die ursprünglich unter Jakob I. und Karl I. mit den Seeherrschaftstraktaten verfolgt wurden, nämlich auch die Legitimation von Steuer-, Zoll- und Abgabenrechterhebung hinsichtlich von Meereszugang, Handel, Meeressicherheits-Gewährleistung durch convoys und navy und Hafensicherheit: Das Vektigalien-Recht ist schon die Ziellinie des Traktats des Zivilisten Welwood, und trotz Seldens kurzzeitigen Überwürfnisses mit dem König gerade hinsichtlich seiner Steuerrechtstraktatistik impliziert auch „Mare clausum“ diese Abgabenrechts-Legitimation.88 Das verstärkt das eingangs angesprochene Paradox, dass Cromwells Staat an diesen Legitimationsschriften festhält: Denn unter anderem an der Erhebung des ship money und seiner aus Sicht des Parliament ungerechtfertigten Erhebung und schlechten Verwaltung bzw. seines abuse für die Finanzierung etwa des Bischofskriegs in Schottland entzündeten sich die ersten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Parliament und König am Vorabend der Civil Wars in den 1620ern und 1630ern.89 Doch kann man das Paradox vielleicht mit einer Ummünzung von Tocqueville vom französichen Fall auf England auflösen:90 Das Parliament hatte ja schon früh die grundsätzliche Notwendigkeit der Erhebung von Abgaben zur Verstärkung von Flotte und convoy-Fahrten zum Beispiel in der brisanten Abwehr gegen die Barbaresken-Piraten nicht abgelehnt, sondern sogar in Form einer indirekten Steuer auf die Konsumgüter – statt korporativ als Abgabeaufforderung an die Hafenstädte – eher verstärkt und zentralistisch ausgestaltet. Genauso erscheint hinsichtlich des imperialen Anspruchs des Aufbaus der navy und des raumgreifenden Anspruchs auf Seeherrschaft nach der inneren Teilbefriedigung 1650/51 eher eine massiv gestaltende staatliche Verstärkung und Kontinuität der vorherigen royalistischen Flottenträume sichtbar zu werden: So wie Tocqueville die Zentralisierung und Staatsapparatzunahme von Ancien Régime über Revolution zur Restaurationszeit 1770-1830 als durchgängige Tendenz und Ironie der Geschichte analysierte, könnte man diese Linie einer imperialen Tendenz gerade im Bereich der Außenpolitik bei allem konstitutionellen Wandel im Inneren für die Übergangsphase um 1650 festhalten. Die Umsemantisierung und weitere Indienstnahme nicht nur Seldens, sondern 88 Welwood, De Dominio maris 1615 [i.e. 1616 n.s.], cap. IV ‚Mare esse Vectigale‘, S. 20-28; Ford 2013, S. 183; Davies, The Question concerning impositions 1656; ders., Jus Imponendi Vectigalia 1659. Die Traktate waren noch Jakob I. gewidmet; Pawlisch 1985. Vgl. Armitage 2000, S. 115-120. 89 Hebb 1994, S. 219-236; Zwierlein 2016a, S. 25-27. 90 Tocqueville 1967.
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auch Boroughs und John Davis‘ Traktate in den 1650ern sowie die Neuauflage von Welwoods „De dominio maris“ (1653) – alles Texte, die ursprünglich vor allem der Stuart-Monarchie hinsichtlich der maritimen Herrschaftslegitimation zuarbeiteten – und dann der erneute Nachdruck einiger dieser Texte in der Restoration (etwa Selden 1663: nun wieder mit königlichen Dedikationsschreiben) zeigt diese Bewegungsrichtung. Stets ist die Venedig-Referenz zentral, etwa auch mit anonymisierten Teilübersetzungen von Paolo Sarpi, so dass das Commonwealth hier einerseits die royalistisch-imperiale und andererseits die republikanische Seeherrschaftstradition absorbiert.91 So wie hier der Krieg gegen die Niederlande direkt flankiert ist von Nedhams Pen, erweist sich auch der ein wenig frühere Navigation Act als ein legislatorisches Sword im Dienst des republikanischen Empire; und bei der Diskussion über die verschiedenen Formen des merkantilistischen Ausgreifens – von Walwyns Leveller-Strategie der Maximierung der Anzahl der beteiligten Händler zum Konservativismus der auf kapital- und stände-hierarchisch meritokratisch-elitären old companies – sind sich doch alle Akteure über das Ziel von Wachstum und expansionistischer Stärkung Großbritanniens einig.92 Kaum betont muss werden, dass der Navigation Act insofern auch nicht über Jahrzehnte und Jahrhunderte irgendwie auf den damaligen Gegner Niederlande fixiert blieb, sondern dass schon in den Neuerlassen 1660/1662 (mit Act of Frauds) und später die jeweiligen Umakzentuierungen entsprechend der aktuellen Dimensionen und vordringlichen Fronten des Empire erfolgten. So wie Seldens neu aufgelegtes „Mare clausum“ blieb der Navigation Act damit ‚Cromwells legacy‘ oder das republikanisch-merkantilistische Fundament des Empire.
91 Zwierlein 2016a, S. 86; Boroughs, The Soveraignty of the British Seas 1651. Boroughs hängt in den einleitenden Paragraphen deutlich von Welwood ab und übernimmt von diesem die Reaktivierung der venezianischen Postglossatorendoktrin des Baldus gegen Grotius (ebd., S. 4f.). Die Venedig-Referenz auch in dem dem Council of State gewidmeten Boroughs, Englands Command 1653, mit dem Zitat aus Lukans De bello civili „Sic Venetus stagnante Pado, fusoque Britannus Navigat Oceano“. Nedhams Ausgabe von Selden, Of the Dominion 1652, enthält Nedham, Additional Evidence 1652 sowie etliche Zusatz-Kapitel zum „Encreas [i.e. Increase]“ der auf maritime Herrschaft bezogenen Kräfte Englands, sowie den wieder die England-Venedig-Verbindung herstellenden Traktat Nedham, Dominium Maris 1652. Letzteres ist eine Teilübersetzung des Supplimento dellʼHistoria degli Uscochi des Paolo Sarpi; Calafat 2019, S. 85; Pincus 1996, S. 70. 92 Appleby 1976; Pincus 2012, S. 22 Anm. 66, hatten schon auf die Teilströmung im englischen Merkantilismus hingewiesen, die nicht statisch, sondern wachstumsförmig argumentierte; Wennerlind 2011, S. 117-119, hat die Vorstellung von möglichem „infinite improvement“ gerade für den Hartlib-Kreis hervorgehoben; vgl. auch Haffemeyer 2018, S. 470-522; Slack 2015 hat die Grundzüge eines solchen allgemeinen Diskursstrangs herausgearbeitet, für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts Zwierlein 2021, S. 254-265. Wichtig ist im vorliegenden Zusammenhang die lagerübergreifende Übereinstimmung expansionistischer ‚increase‘- und handelswirtschaftsbezogener imperialistischer Motive.
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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen a) Handschriftliche Quellen Oxford, Bodleian Libr., MS Clarendon 75. London/Kew, The National Archives (TNA), PRO SP 105/144.
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Christian Wenzel Die ‚Geschäftsfähigkeit‘ des Commonwealth: Zuschreibungen von Staatlichkeit und die Verträge der englischen Republik, 1649-1660
Wenige Monate nach der Hinrichtung Karls I. bezog der englische Jurist William Prynne mit der Veröffentlichung seiner „Summary reasons against the new oath & engagement“ (1649) Stellung in der Engagement Controversy. Prynne, der dem puritanischen Spektrum zugeordnet werden kann, positionierte sich deutlich gegen die Überlegungen, die Loyalität von Council of State, Parlament und Bevölkerung zur neuen Regierung durch den Schwur eines Eides sicherzustellen.1 Ein derartiger Eid sei nicht nur illegitim und eine Bedrohung für den inneren Zusammenhalt des englischen Gemeinwesens,2 sondern wirke sich auch negativ auf die Außenbeziehungen Englands aus: „It will dissolve all our ancient Leagues with forraigne Kingdomes and States, made only with our King and Kingdome.“3 Der Bruch mit der Monarchie sei schließlich auch ein Bruch der in ihrem Namen geschlossenen Verträge und gebe den so von ihren Verpflichtungen entbundenen Vertragspartnern die Möglichkeit, von nun an ohne jede Sanktion und im Einklang mit dem Völkerrecht zum Nachteil Englands zu handeln.4 Darüber hinaus skizzierte Prynne auch ein massives Problem für die Reputation des Landes und die durch sie definierten Handlungsspielräume 1 Prynne, Summary Reasons 1649. Zur Engagement Controversy vgl. Burgess 1986; Skinner 1972; Tubb 2015; Vallance 2001. Zu Prynne selbst siehe Kirby 1931. 2 Zur unterstellten Illegalität des Eides Prynne, Summary Reasons 1649, S. 1: „This Oath and Engagement is imposed by those who, by the Lawes of God and the Realme, had never any Power […] to Administer, much lesse to Make or Impose any Oath in any Case“; zur Gefährdung der inneren Struktur Englands ebd.: „It is contrary to all the ancient Oathes of our Judges, Justices of Peace, Mayors, Sheriffs, Recorders, Clearkes of Chancery and other courts of Justice: To the Oathes of Fealty and Homage, made by all the Kings Tenants.“ 3 Prynne, Summary Reasons 1649, S. 13. Die Trennung eines „Innen“ vom „Außen“ in Bezug auf frühneuzeitliche Gemeinwesen und Konflikte ist eine in der Forschung mitunter kontrovers thematisierte Frage, siehe dazu detailliert Tischer 2011. Den Hintergrund bildet eine zumeist an der Staatsdefinition Georg Jellineks ausgerichtete Problematisierung von „Grenze“ als territorialer Kategorie, vgl. im Überblick zur damit insgesamt verbundenen Frage nach Staat und Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit Meumann/Pröve 2004. Dabei werden Vorstellungen von „Innen“ und „Außen“ als zeitgenössische Zuschreibungskategorien durchaus greifbar und bilden auch für den vorliegenden Beitrag den maßgeblichen Maßstab für die Kategorie von „Außenbeziehungen“ des Commonwealth, die überall dort als solche verstanden werden, wo sie aus der Perspektive der historischen Akteure den Bereich der Außenbeziehungen tangierten. 4 Prynne, Summary Reasons 1649, S. 13, argumentierte, der Eid und die damit verbundene Ungültigkeit der Verträge gebe anderen Staaten „by the Law of Nations […] advantage and occasion to seize our Ships, Merchants, Merchandize without breach of League, in the behalfe of the
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zukünftiger Außenbeziehungen, die sich erheblich verengen würden: „It will lose our Interest, honour and reputation in and with all other Kingdomes or States, who will refuse to owne or treat with us.“5 Dieses von Prynne skizzierte Szenario scheint sich nicht bewahrheitet zu haben. Zwischen der Revolution von 1649 und der Restauration von 1660 trat das englische Commonwealth in zahlreiche vertragliche Verbindungen mit anderen europäischen Akteuren, insbesondere nach der Errichtung des Protektorats 1653 und der damit einhergehenden Konsolidierung der innerenglischen Verhältnisse.6 Monarchisch organisierte Gemeinwesen wie Frankreich, Schweden oder Dänemark zählten ebenso zum Kreis der Vertragspartner wie die republikanisch organisierten Generalstaaten.7 Dieser Befund erscheint durchaus bemerkenswert: Schließlich verweist die eingangs zitierte Argumentation Prynnes ebenso auf den zeitgenössisch offenbar denkbaren Ausschluss des Commonwealth aus dem Kreis völkervertragsrechtlich anerkannter Akteure wie seine Klassifizierung als „Republique bastarde“ unter dem „Tyran & Usurpateur […] Olivier Cromüel“ durch den Diplomatietheoretiker Abraham de Wicquefort.8 Auch in der Forschung wird mitunter die Ansicht vertreten, das Commonwealth sei als ein „dangerous pariah state“ gesehen und behandelt worden, insbesondere durch die monarchischen Gemeinwesen Europas.9 Demgegenüber steht wiederum die Beobachtung einer sukzessiven Anerkennung des Commonwealth gerade durch diese monarchischen Gemeinwesen, wie sie etwa durch Cicely V. We-
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King and those who stand for the Kingdomes continuance, with whom only the League were made and stand firme against others who oppose them.“ Ebd. Die Bedeutung der innerrepublikanischen ‚Zäsur‘ von 1653 für die Außenbeziehungen des Commonwealth resultiert aus der im Instrument of Government festgelegten Zuständigkeit des Lordprotektors für diesen Bereich, siehe The Instrument of Government, in: Gardiner 1899, Nr. 87, Art. 5, S. 314: „[T]he Lord Protector, by the advice aforesaid, shall direct in all things concerning the keeping and holding of a good correspondency with foreign kings, princes, and states; and also, with the consent of the major part of the council, have the power of war and peace.“ Nach der Revolution hatte die Aufgabe „to advise concerning the entertaining, keeping, or renewing amity and good correspondence with foreign kingdoms and states, and preserving the rights of the English in foreign parts, and composing differences theres; and to send ambassadors, agents, or messengers to any foreign kingdoms or state, and receive ambassadors, agents, or messengers from them“ beim Council of State gelegen, siehe Sitzung des Council of State vom 13. Februar 1650 (A.S.), in: Calendar of State Papers Foreign, Domestic, Interregnum (im Folgenden CSPDI), Bd. 1, S. 513. Für eine detaillierte Übersicht der Verträge siehe unten, Anm. 61. Wicquefort, L’Ambassadeur 1681, S. 55. Vgl. Bonney 2001. Zum Zitat selbst siehe Venning 2020, S. 209; in diesem Sinne beschreiben auch Barnard 1982; Spence 2016; und Jackson 2021, die Behandlung des Commonwealth. Auch in dezidiert völkerrechtshistorischen Studien findet sich diese Bewertung, wie Kolla 2017, S. 275, zeigt: „The existentence of these regimes represented a threat to the idea of monarchical government in Europe and to the then-dynastic international system, much as the French revolutionary ones later would.“ Auch Korr 1974 sieht eine diesbezügliche Grundhaltung gegenüber der neuen Regierung Englands: „They could not be trusted[.]“.
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dgwood und Richard Bonney beschrieben und pragmatischen bzw. ‚realpolitischen‘ Erwägungen zugeschrieben worden ist.10 Diese durchaus konträren Einschätzungen verweisen auf eine Frageperspektive, die im Rahmen der seit den 1990er Jahren intensiveren Untersuchung der englischen Außenbeziehungen zwischen Revolution und Restauration sichtbar geworden ist: Wie handelte das republikanische England im völkervertragsrechtlichen Bereich und wie wurde es behandelt?11 Wenngleich diese Frageperspektive zunächst auf ein sehr partikulares Erkenntnisinteresse hinzudeuten scheint, so eröffnet sie doch einen Zugang zum größeren Problemfeld zeitgenössischer Vorstellungen und Zuschreibungen von Staatlichkeit in Bezug auf das republikanische England. Dieser Zugang resultiert aus dem spezifischen Quellenwert von Friedensverträgen, die in den letzten Jahren intensiv für kulturgeschichtliche Fragestellungen fruchtbar gemacht worden sind. Ihnen lagen – ganz grundsätzlich – wechselseitige Zuschreibungen von ‚Geschäftsfähigkeit‘ zu Grunde, die auf zeitgenössische Inklusions- und Exklusionsprozesse verweisen und damit zu ihrer Rekonstruktion herangezogen werden können. Im Folgenden wird die bereits formulierte Fragestellung nach den völkervertragsrechtlichen Außenbeziehungen des Commonwealth und den damit verbundenen Zuschreibungen von Staatlichkeit verfolgt. In einem ersten, methodischen Schritt werden zunächst die konzeptionellen Grundlagen dieses Vorgehens entfaltet und abgesteckt (I). In einem zweiten Schritt steht die zeitgenössische Behandlung der mit Blick auf Prynne bereits angerissenen Frage im Mittelpunkt, wie das republikanische England in Bezug zu den vertraglichen Beziehungen des monarchischen England zu betrachten sei (II). Den dritten Schritt bildet ein Längsschnitt durch formale und inhaltliche Strukturmerkmale der Vertragspraxis des Commonwealth (III), bevor in einem vierten Schritt die Einbeziehung der Republik als Garantin des Friedens von Kopenhagen 1660 – als Höhepunkt der vertraglichen Integration – thematisiert wird (IV) und ein abschließendes Fazit die Ergebnisse bündelt (V). 10 Bonney 2001; Wedgwood 1965. 11 Die Außenbeziehungen des Commonwealth sind, wie der Forschungsüberblick von Pincus 2002, S. 1-7, zeigt, lange Zeit als eine zu vernachlässigende Facette der englischen Geschichte des 17. Jahrhunderts verstanden und behandelt worden, als – wie Pincus pointiert formuliert – „hardly worthy of study.“ Bereits in älteren Studien wie Gardiner 1903 war die republikanische Außenpolitik zwar präsent, eine detaillierte Untersuchung – zunächst mit Blick auf die englisch-französischen Beziehungen – ist dann aber erstmals durch Korr 1974 formuliert wurden, bevor Venning 1995 und Pincus 1996 umfassendere Synthesen vorgelegt haben. Die jeweils übergeordnete Frage nach den Motiven der republikanischen Außenpolitik, insbesondere unter und durch Cromwell, ist dabei meist mit Verweis auf eine als „Protestant Interest“ bzw. „Protestant Cause“ bezeichnete Verortung im konfessionellen Bereich beantwortet worden. Prestwich 1950; Wedgwood 1965; Bonney 2001 und Downing/Rommelse 2011 haben sich darüber hinaus mit der republikanischen Diplomatie beschäftigt. Die Frage nach der völkerrechtlichen bzw. völkervertragsrechtlichen Stellung und Behandlung des Commonwealth und die Frage nach den performativen Folgen von Verträgen, die bislang primär als strukturierende Ereignisse thematisiert werden, sind dabei allerdings, insbesondere mit Blick auf zeitgenössische Deutungsmuster, bislang nicht detailliert in den Blick genommen worden.
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I. Methodische Überlegungen: (Friedens-)Verträge, Garantien und Staatlichkeit in kulturgeschichtlicher Perspektive Die jüngere Frühneuzeitforschung hat Friedensverträge als Quellen der Kulturgeschichte des Politischen identifiziert und fruchtbar gemacht.12 Als Friedensvertrag wird ganz grundlegend ein schriftlich fixiertes Abkommen zwischen mindestens zwei Akteuren verstanden, das auf die Beendigung des Kriegs- und die (Wieder-)Herstellung des Friedenszustands abzielte.13 Friedensverträge standen am Ende politischer Aushandlungsprozesse und dokumentierten das Einverständnis der beteiligten Akteure mit den beschlossenen Regelungen und die zum Ausdruck gebrachte Absicht ihrer Beachtung.14 Mehr noch: Friedensverträgen lag grundsätzlich eine wechselseitige Zuschreibung von ‚Geschäftsfähigkeit‘ zu Grunde, was die Zugehörigkeit der Vertragsparteien zu jenem Kreis von Akteuren betraf, dem man die Befugnis zur Aushandlung und Unterzeichnung entsprechender Dokumente einräumte.15 Während die damit verbundene Frage nach Vorstellungen von Souveränität, Vertrags- und Bündnisfähigkeit in völkerrechtlicher und völkerrechtshistorischer Perspektive meist in essentialistischer Hinsicht auf „Staaten“ als Vertragssubjekte projiziert wird, verweist dieses Strukturmerkmal von Friedensverträgen in kulturgeschichtlicher Perspektive auf frühneuzeitliche Aushandlungsprozesse und auf Vorstellungen von Staatlichkeit.16 Friedensverträge konstituierten also einen Kommunikationsraum von und zwischen Akteuren, die sich wechselseitig als zu diesem Kommunikationsraum zugehörig betrachteten und ihn über Vorstellungen wie das ius foederis oder das ius ad bellum definierten.17 Dies gilt letztlich auch für Bündnisverträge, Handelsverträge oder – als Spezifikum dynastisch verfasster Gemeinwesen – dynastische (Ehe-)Verträge.18 Entscheidend dafür war auch die 12 Zur „Kulturgeschichte des Politischen“ allgemein Mergel 2002; und die Beiträge in StollbergRilinger 2005; konzise auch Landwehr 2009, S. 88-99. Zu Friedensverträgen als kulturgeschichtlichen Quellen im Überblick Peters 2010; Lesaffer 2004; Duchhardt 2004; und Espenhorst 2021. Als neuere Fallstudie am Übergang zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit zeigt Wilangowski 2017 das Potential, das die Analyse von Friedensverträgen bietet. 13 Vgl. Bittner 1924 sowie, mit breiter chronologischer Perspektive, Fisch 1979. 14 Vgl. Dauser 2017, S. 21. 15 Vgl. Malettke 2012, S. 105. 16 Exemplarisch zeigt sich diese Einschränkung anschaulich bei Haggenmacher 1991, S. 316: „The very concept of a treaty-making power as we know it […] is intimately linked to modern international law and to its basic subject, the sovereign state.“ Die damit verbundenen Probleme für den Bereich der Vormoderne haben insbesondere mediävistische Untersuchungen herausgearbeitet, siehe dazu Kintzinger 2011 S. 11-12; und Jucker 2011. Für frühneuzeithistorische Perspektiven auf die Problematiken und Teleologien bei Rekursen auf einen modernen Staatsbegriff für frühneuzeitliche völkerrechtliche Diskurse siehe Tischer 2012, S. 58-78. 17 Im Überblick Fassbender 2005, zur Vorstellung eines durch Zuschreibungen von völkerrechtlicher Zugehörigkeit konstituierten Kommunikationsraums siehe, mit Blick auf Kriegsbegründungen, Tischer 2012. 18 Zu Bündnisverträgen Frehland-Wildeboer 2010, zum Zusammenhang zwischen Friedens- und Handelsverträgen Neff 2004; zu dynastischen Eheverträgen Kampmann/Carl 2021, S. 540-546.
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Öffentlichkeit von Friedensverträgen:19 Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts wurden sie zunehmend publiziert, übersetzt, sowie in Vertragssammlungen gebündelt und dadurch inhaltlich sowie materiell aufbereitet.20 Friedensverträge fungierten damit als öffentlicher Legitimationsrahmen politischen Handelns und politischer Kommunikation und wurden schließlich durch ‚positive‘ Völkerrechtstheoretiker in normativer Hinsicht zur Grundlage eines „ius publicum europaeum“ erhoben.21 Mit der wechselseitigen Zuschreibung von ‚Geschäftsfähigkeit‘ verband sich auch die wechselseitige Anerkennung einer spezifischen Normen- und Rechtskultur, die in Gestalt zunehmend formalisierter Regelungen die Gestaltung von Friedensverträgen prägte.22 Sehr grundlegend lassen sich hier drei Arten von Vertragsklauseln unterscheiden: Die Regelungen betrafen erstens die Ergebnisse des bestehenden Konflikts, zweitens die Modalitäten der Konfliktbeilegung und drittens die Ausgestaltung der zukünftigen Koexistenz zwischen den Vertragsparteien sowie, damit verbunden, die Vertragssicherung.23 Insbesondere die Vertragssicherung wurde in der Frühen Neuzeit eng mit Vorstellungen und Zuschreibungen von Staatlichkeit verknüpft, in dem man eine teleologische Entwicklung dieser Praktiken und damit auch einen teleologischen Staatsbildungsprozess (re-)konstruierte:24 Demnach hätten antike und mittelalterliche Herrscher zur Vertragssicherung noch auf subalterne Akteure aus dem Inneren ihrer Gemeinwesen zurückgreifen müssen. Neben dem Schwur von Eiden oder der Stellung von Geiseln sei es gängige Praxis gewesen, hochrangige lokale Funktionsträger als conservators bzw. conservatores zu benennen, denen das Recht und die Pflicht übertragen wurden, Vertragsbrüche zu diagnostizieren und zu sanktionieren. Auch herausgehobene Städte oder ständisch-parlamentarische Instanzen, wie im französischen Bereich die Generalstände oder das parlement von Paris, seien in diese Aufgabe der Vertragssicherung einbezogen worden. Mitunter hätten Herrscher eingewilligt, dass ihre Untertanen sich im Falle des Vertragsbruchs als von ihrem Gehorsamseid befreit betrachten und die Gegenseite militärisch unterstützen sollten. Herrscherliche Handlungsspielräume, so der Kern dieses Narrativs, seien durch diese Einflussmöglichkeiten subalterner Akteure erheblich eingeschränkt gewesen.25 19 Öffentlichkeit wird hier und im Folgenden nicht als abstrakter Kollektivakteur, sondern als Strukturmerkmal und Eigenschaft von Informationen verstanden, vgl. Niggemann 2017, S. 42-49; und Gestrich 1994, S. 24-28. 20 Zu Vertragssammlungen als Quellengattung Durst 2016. 21 Vgl. Lesaffer 2001; und ders. 2012. 22 Dazu umfassend Fisch 1972. 23 Diese Klassifizierung folgt Lesaffer/Broers/Waelkens 2014, S. 244. Zur Sicherheit des Friedens allgemein und mit Blick auf zwei Praktiken, Geiselstellungen und dynastische Eheverträge, Kampmann/Carl 2021. 24 Vgl. hierzu und zum folgenden Wenzel 2021a, S. 369-372. 25 Dieses Narrativ findet sich etwa bei Mably, Le droit public 1746, Bd. 1, S. 121-122; Neyron, Essai historique 1777, S. 9-79; Du Dumouchet Bac, Traité 1787, S. 193-197; Scheidemantel, Repertorium 1783, S. 156-158; und Steck, Versuche 1772, S. 48-62.
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Auf den Beginn des 16. Jahrhunderts datierte man dagegen die Entstehung einer Praktik, die zum Indikator für den Entwicklungsgrad jener politischen Einheit stilisiert wurde, die man aus der Perspektive des späten 17. und vor allem des 18. Jahrhunderts als modernen Staat deutete: die Garantie.26 Im frühneuzeitlichen Verständnis umfasste eine Garantie eine spezifische Berechtigung und Verpflichtung eines Akteurs in Bezug auf einen Friedensvertrag: „Dieser Guarantie […] klebet das Versprechen an demjenigen, welcher wider den Inhalt des Friedens beleydiget werden sollte, gegen den brechenden Theil beyzustehen.“27 Eine Garantie umfasste also das Recht und die Pflicht, „auf den Fall, daß ein Vertrag gebrochen werden wird, dem Beleidigten mit gewaffneter Hand beizustehen.“28 Frühneuzeitliche Politik- und Völkerrechtstheoretiker argumentierten, der Aufstieg dieser Praktik und die damit einhergehende Zurückdrängung subalterner Akteure sei mit der inneren Konsolidierung monarchischer Gemeinwesen einhergegangen und intentionalen Motiven gefolgt: Die Souverains fingen an, die Unzuträglichkeiten und den wenigen Nutzen dergleichen Gewährleistungen ihrer Vasallen einzusehen, und an ihrer Statt andere Prinzen und Fürsten zu Conservatoren ihrer Traktaten zu erbitten und zu ernennen. Dieses ist der Ursprung der heutigen Garantien.29
Garantien, so der Kern dieses frühneuzeitlichen Narrativs, das im Übrigen eine erhebliche Persistenz als Forschungsmeinung gewinnen sollte, wurden also als ein Indikator (fürsten-)staatlicher Entwicklung interpretiert.30 Da dem Garanten letztlich die Aufgabe der Friedenswahrung übertragen wurde, waren entsprechende Verpflichtungen zudem eng mit Vorstellungen herrscherlicher Reputation verknüpft, was die Konstruktion von Handlungsräumen und -zwängen und damit die Plausibilisierung politischen Handelns ermöglichte und, letztlich, zur Legitimation militärischer Interventionen herangezogen werden konnte.31 Gerade diese Möglichkeit, dass ein Garant mit dem Argument des Vertragsbruchs in die inneren Angelegenheiten
26 Eine umfassende Untersuchung von Garantien in der Frühen Neuzeit liegt bislang nicht vor und ist Gegenstand der entstehenden Habilitationsschrift des Verfassers. 27 Pufendorff, Acht Bücher 1711, Bd. 2, S. 972. 28 Höpfner, Naturrecht 1787, S. 218. 29 Steck, Versuche 1772, S. 61-62. In diesem Sinne auch Mably, Le droit public 1746, Bd. 1, S. 122, der darüber hinaus die Netzwerkbildung zwischen den beteiligten Akteuren betont: „Tout ces usages barbares disparurent à mesure que les Rois agrandirent leur autorité sur leurs sujets, & que la politique les lia entr’eux par un commerce plus étroit.“ 30 Dickmann 1965, S. 157-158, argumentiert, „die Vasallen [wurden] als conservatores pacis untauglich, weil sie überall der monarchischen Gewalt unterworfen wurden und nicht mehr gegen ihre Souveräne Garantie leisten konnten[.] […] Die moderne Staatenwelt brauchte neue Formen der Vertragssicherung“. 31 Dazu Wenzel 2021b; und Kampmann/Katz/Wenzel 2021.
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eines Gemeinwesens eingreifen könnte, sorgte für die Brisanz und Umstrittenheit dieser Praktik.32 Friedensverträge im Allgemeinen und Garantieklauseln im Speziellen verweisen also auf Grund der mit ihnen kommunizierten Zuschreibungen von ‚Geschäftsfähigkeit‘, Partizipationsfähigkeit und Zugehörigkeit zu einem spezifischen Kommunikationsraum auf frühneuzeitliche Vorstellungen von Staatlichkeit. Damit eröffnet sich also ein Ansatzpunkt, nach zeitgenössischen Zuschreibungen von Staatlichkeit in Bezug auf das republikanische England zu fragen.
II. Das Commonwealth und die alten Verträge Bereits wenige Wochen nach der Hinrichtung Karls I. am 30. Januar 1649 richtete der Council of State seine Aufmerksamkeit auf den Bereich der Außenbeziehungen und damit auf die Frage, in welchem Verhältnis die neue Regierung Englands zu den vertraglichen Verpflichtungen der abgesetzten Monarchen stand.33 Am 8. März (A.S.) wurde zu diesem Zweck die Einsetzung eines Committee for Foreign Affairs beschlossen, dessen Auftrag und personelle Zusammensetzung am 13. März (A.S.) konkretisiert wurden: Unter anderem Bulstrode Whitelock und Henry Vane sollten klären, „what alliances this crown had with foreign states, and whether to continue the same and on what terms.“34 Dieser Auftrag ist in doppelter Hinsicht aufschlussreich: Einerseits offenbart er eine gewisse Unkenntnis über das Ausmaß und die Modalitäten der vertraglichen Beziehungen der Monarchie, sodass zunächst das NichtWissens über die Verträge der Krone thematisiert und die Notwendigkeit zur Informationsbeschaffung postuliert wurde. Diese Perzeption von Unkenntnis mitsamt dem aus ihr abgeleiteten Handlungsappell sollte im Council of State bis zur Errich32 Anschaulich für diese Ambivalenz sind etwa die Debatten, die mit Blick auf die Garantie der protestantischen Sukzession nach der Glorious Revolution und im Kontext des Barrierevertrags in England geführt wurden, siehe zur Kritik an der Garantie etwa Swift, Some Remarks on the Barrier Treaty 1712; und zu ihrer Verteidigung The Barrier-Treaty Vindicated 1713. Aus völkerrechtlicher Perspektive formulierte Mably, Le droit public 1746, Bd. 2, S. 156-157, eine Deutung von „l’abus qui […] s’est glisse dans l’usage des garanties“ und argumentierte, „elles introduiront dans l’Europe une maxime ruineuse d’y traiter les affaires.“ 33 Für die Verträge der englischen Krone unter Jakob I. und Karl I. und damit in einem Zeitraum, der im republikanischen England als unmittelbarer Kontext verstanden wurde, siehe die Register bei Dumont 1726, Bd. 5/2 und Bd. 6/1: Es bestanden vertragliche Beziehungen zu den Kronen von Frankreich, Spanien, Portugal und Dänemark, den Generalstaaten, einzelnen Reichsfürsten wie dem Pfalzgrafen, den russischen Zaren, den französischen Hugenotten sowie den irischen Katholiken. Darüber hinaus waren Jakob I. und Karl I. in zwei Garantien eingebunden: 1609 garantierte Jakob I. den Zwölfjährigen Waffenstillstand zwischen Spanien und den Generalstaaten, 1626 beanspruchte Karl I. eine Garantie für den Vertrag von Paris zwischen Ludwig XIII. von Frankreich und der hugenottischen Minderheit, vgl. Wenzel 2021b. 34 Zur Einrichtung des Committee for Foreign Affairs siehe Sitzung des Council of State, 8. März 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 31, zur personellen Zusammensetzung und zum Auftrag siehe Sitzung des Council of State vom 13. März 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 37.
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tung des Protektorats prägend bleiben, wie einer der ersten Arbeitsaufträge John Thurloes offenbart.35 Andererseits wird die Vorstellung sichtbar, dass man offenbar nicht per se von der plötzlichen Ungültigkeit der Verträge ausging, sondern sowohl die Möglichkeit ihres Fortbestehens als auch die Möglichkeit ihrer Neuausrichtung im Bereich des Realistischen verortete. Zu dieser Haltung passt ein ebenfalls im März 1649 an die englischen Händler gerichteter Appell, auf Basis der bestehenden Friedens- und Handelsverträge weiterhin eine „good correspondence with foreign states“ pflegen.36 Die damit implizit zum Ausdruck gebrachte Vorstellung, das Commonwealth of England sei als Rechtsnachfolgerin der Monarchie zu sehen und damit weiterhin an die Verträge der Krone gebunden, explizierte die am 17. April (A.S.) durch das Parlament verabschiedete Act Declaring the Grounds and Causes of making Prize.37 Die hier formulierten Regelungen für die Beschlagnahmung feindlicher Schiffe erfolgten „without infringing or intrenching upon any the Leagues, Treaties, or Articles of Peace heretofore made between any Forreign Kings, Princes, States or Nations, and the said Dominions of England and Ireland.“ Stattdessen konstatierte das Parlament die Absicht und Bereitschaft, „to uphold, maintain, and keep, and are ready to renew the Leagues and Amities between these and Foreign Nations, Kingdoms and States“.38 Vor dem Hintergrund dieser Selbstwahrnehmung bzw. -darstellung sind die erheblichen Irritationen zu verstehen, welche die im August 1649 verkündete Entscheidung der französischen Krone hervorrief, als Reaktion auf die Hinrichtung Karls I. ein weitgehendes Handelsverbot mit England zu erlassen.39 Am 23. August 1649 (A.S.) debattierte das Parlament über diese Entscheidung und kritisierte, auf Basis einer Petition Londoner Händler, das französische Vorgehen als Ver-
35 Thurloe war ab April 1652 als Secretary to the Council of State tätig und übernahm die weitgehende Kontrolle über den Geheimdienst des Commonwealth, was die gesammelten und im 18. Jahrhundert publizierten „Thurloe Papers“ zu einer zentralen Quellen für die republikanischen Außenbeziehungen macht. Zu Beginn seiner Tätigkeit ließ Thurloe sich zahlreiche Dokumente beschaffen und vorlegen, wie die Liste in A Collection of the State Papers of John Thurloe, Bd. 1, S. xii-xiii, zeigt, die insbesondere Friedensverträge umfasste: „One great book of treaties with divers nations; one book of negotiations with the king of Denmark and Poland. A Treaty with the king of Denmark with a seal of silver and gilt. One treaty between his late sacred majesty and the king of Denmark by the duke of Buckingham and the early of Holland, 1625. One treaty between king Henry VII. and the king of Denmark. A copy of the contract between the king of Sweden and the king of Denmark. […] A treaty with Spain 1630. […] Two treaties between king James and the states, 1608. One treaty between king James and the states, 1624. One treaty with the states at Southampton, 1625. […] One treaty with Spain“. 36 Sitzung des Council of State vom 12. März 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 34. 37 Die Act Declaring the Grounds and Causes of making Prize 1649 wurde am 17. April (A.S.) vom Parlament verabschiedet und erschien am 20. April (A.S.) in gedruckter Form. 38 An Act Declaring the Grounds and Causes of making Prize 1649, [S. 168]. 39 Korr 1974, S. 12-13.
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stoß gegen „free Trade and Intercourse […] as it stands agreed by the Treaties.“40 Zum Beleg dieser Sichtweise, die französische Krone verstoße gegen geltende Verträge, konstruierte man eine bis zum Regierungsbeginn Jakobs I. zurückreichende Kette konsekutiver Verträge in Folge des „Treaty between England and France, in the year 1606.“41 Dieser Vertrag, so die Argumentation, sei in den Jahren 1610, 1629 und 1632 im Rahmen neuer Verträge immer wieder bestätigt worden und müsse daher nach wie vor als gültig angesehen werden. In dieser Hinsicht markierte das Parlament die englische Republik also als direkte Nachfolgerin der englischen Monarchie und sah den Wechsel der Staatsform nicht als jenen fundamentalen Bruch mit den Verpflichtungen der Krone, wie etwa Prynne ihn prophezeit hatte.42 Währenddessen verlief die Arbeit des Committee for Foreign Affairs im Laufe des Jahres 1649 offenbar weniger stringent, was sich in seiner mehrfachen Neuausrichtung und Umbenennung niederschlug. Wie Robert Fallon treffend festgestellt hat, verweist diese mehrfache Neuausrichtung des Committee for Foreign Affairs sowohl auf die personell-strukturelle Diskontinuität zwischen Monarchie und Commonwealth unmittelbar nach der Revolution als auch auf die höhere Bedeutung innenpolitischer Problemfelder.43 Dennoch wird ein nach wie vor hohes Interesse an der Ebene vertraglicher Außenbeziehungen sichtbar: Am 16. Juli (A.S.) benannte der Council of State das Committee for Foreign Affairs in Committee for Foreign Alliances and Treaties [!] um, bevor es am 17. September (A.S.) zum Committee for Foreign Agencies gemacht wurde. Als einziges größeres Tätigkeitsfeld dieses Committee for Foreign Agencies wurden im Oktober 1649 das Verhältnis zu den letzten Vertragspartnern der Krone sowie im November 1649 eine Allianz mit der Eidgenossenschaft diskutiert.44 Ansonsten sah sich das Commonwealth mit abwartenden Reaktionen anderer Gemeinwesen konfrontiert, was den Umgang mit der Revolution und der neuen Regierung betraf, die bislang vor allem für den diplomatischen Bereich untersucht worden 40 Sitzung des House of Commons vom 23. August 1649 (A.S.), in: Journals of the House of Commons, Bd. 6, siehe auch Sitzung des Council of State vom 20. August 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 285. 41 Sitzung des House of Commons vom 23. August 1649 (A.S.), in: Journals of the House of Commons, Bd. 6. 42 In dieser Diskussion benannte man einerseits explizit die Vertragsparteien, die in diesen Verträgen genannt wurden, nämlich „the Two Kings“, andererseits bezog man ihre Gültigkeit dann auf „The Two Nations of England and France“ (Hervorhebung im Original). Mit Blick auf die französische Argumentation, die im Folgenden weiter thematisiert werden wird, bietet sich hier ein diskursiver Anknüpfungspunkt. 43 Siehe hierzu und zu den Umbenennungen Fallon 1993, S. 27-31. 44 Sitzung des Council of State vom 16. Juli 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 233, Sitzung des Council of State vom 17. September 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 312, Sitzung des Council of State vom 20. Oktober 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 355, Sitzung des Council of State vom 24. Oktober 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 362, Sitzung des Council of State vom 5. November 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 376, Sitzung des Council of State vom 29. November 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 412.
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sind.45 Auch im völkervertraglichen Bereich schlug sich diese Vorgehensweise nieder, die aus der englischen Binnenperspektive selbst thematisiert und problematisiert wurde. Das Parlament beklagte Mitte Januar 1650, dass die Erklärung vom 17. April 1649 (A.S.), mit der das Commonwealth seine Bereitschaft zur Beachtung und Erneuerung der bestehenden Verträge kommuniziert hatte,46 bislang ohne jede Reaktion geblieben sei: Whereas by Act of 17 August [recte: April] 1649, it is declared that Parliament intends to uphold and renew leagues and amities between this commonwealth and foreign nations, […] there has not hitherto been published the like declaration, by such foreign kingdoms and states[.]47
Erneut war die Schlussfolgerung daraus allerdings nicht, dass die bisherigen Verträge ungültig seien. Das Parlament erneuerte daher den Appell an englische Akteure sich „towards foreign Princes and nations, in former league with England“ so zu verhalten, „as not to molest them.“48 Während die englische Seite unmittelbar nach der Revolution also zunächst vor allem die Kontinuität der bisherigen Verträge betonte und sich mit Vorstellungen von Diskontinuität konfrontiert sah, lassen sich im Zuge der sukzessiven Konsolidierung des Commonwealth und der damit verbundenen, diplomatischen Anerkennung in den Jahren 1649 bis 1653 dann Prozesse greifen, die Frage nach der Gültigkeit der monarchischen Verträge für die Republik situativ zu behandeln, wofür die englisch-französischen Beziehungen in diesem Zeitraum ein aufschlussreiches Beispiel sind.49 Hier finden sich Argumentationen, die sowohl von der Gültigkeit als auch der Ungültigkeit der bisherigen Verträge ausgingen, obwohl – auf den ersten Blick – eher die konträre Sichtweise nahegelegen hätte. So wandte sich die hugenottische Adelsopposition auf dem Höhepunkt der Fronde mit der Bitte um Unterstützung an den Council of State im Allgemeinen und Oliver Cromwell im Besonderen, die im Februar 1652 „A Brief Information of the present condition of those of the Religion in France“ debattierten. Als Argumentationsmodus adressierte diese hugenottische Petition allerdings ‚nur‘ die Rolle Englands als erhoffter protestantischer Führungsmacht, ohne auf die Garantie Karls I. von 1626 zurückzugreifen.50 Dieser Befund ist durchaus bemerkenswert, da man diese Garantie – die eigentlich als Anknüpfungspunkt zur Einforderung eines englischen Eingreifens zu Gunsten der Hugenotten nahe gelegen hätte – noch Ende des Wedgwood 1965; Bonney 2001. An Act Declaring the Grounds and Causes of making Prize 1649, [S. 168]. Sitzung des Council of State vom 17. Januar 1650 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 484. A Collection of the State Papers of John Thurloe, Bd. 1, S. 135. Für eine detaillierte Analyse der englisch-französischen Beziehungen zwischen der Revolution von 1649 und der Restauration von 1660 siehe die grundlegenden Untersuchungen von Korr 1974; und Venning 1995. 50 Vgl. Korr 1974, S. 40-42.
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17. Jahrhunderts von englischer Seite funktionalisierte, um ein gegen Frankreich gerichtetes Vorgehen im Pfälzischen Erbfolgekrieg zu legitimieren.51 Die hugenottische Seite ging also offenbar nicht davon aus, dass die Berufung auf ältere Verträge zur Einforderung englischen Handelns erfolgversprechend sei. Das Szenario einer englisch-spanischen Annäherung katalysierte Ende 1652 die französischen Versuche zur Bildung einer englisch-französischen Allianz.52 Zu diesem Zweck wurde am 2. Dezember 1652 der französische Gesandte Antoine de Bordeaux instruiert, das Commonwealth anzuerkennen und einen Friedens- und Bündnisvertrag auszuhandeln.53 Bordeauxs Instruktion zeigt anschaulich die Möglichkeit zum situativen Umgang mit der Frage nach der Gültigkeit älterer Verträge, die – wie gesehen – insbesondere in den englisch-französischen Beziehungen zunächst eine konflikthafte gewesen war. Nun formulierte man das Argument, dass die vertraglichen Bindungen zwischen England und Frankreich nach wie vor bestünden, da es gerade nicht die individuelle Person des Monarchen sei, die als Vertragspartei verstanden werden dürfe: [C]’est l’intention de Sa Majesté de la garder entière et sincère et avec autant de soin et d’exactitude qu’elle faissait avec les Rois d’Angleterre, se ressouvenant bien que les traités étaient de nation à nation comme de roi à roi.54
Auf Basis dieser Instruktion sprach Bordeaux am 21. Dezember vor dem Parlament und elaborierte die Argumentation, wonach die alten Verträge auch für die neue Regierung Geltung beanspruchen könnten und die Staatsform der beteiligten Gemeinwesen letztlich eine untergeordnete Rolle in dieser Frage spiele: The union which ought to exist between neighbouring states does not depend on the form of their government. This kingdom can from a monarchy become a republic, but the geographical situation is not changed; the nations always remain neighbours and always interested in each other; commerce and the treaties between them bind peoples more than princes, having for their chief object their common advantage.55
Damit zeigt sich also eine durchaus flexible und situative Handhabbarkeit der Frage, inwiefern die Verträge des monarchischen England auch Gültigkeit für das 51 Diese Garantie mitsamt den aus ihr abgeleiteten Anspruch, die englischen Könige müssten als Garanten des Edikt von Nantes verstanden werden und könnten deshalb legitim in innerfranzösische Angelegenheiten eingreifen, griff etwa The declaration of Charles Duke of Sconberg 1692, S. 1, auf: „Yet forasmuch the Kings of England are Guarantees for the Edict of Nantes, the Peace of Montpelier, and many other Treaties of that Nature, the King, my Master, believes himself to be obliged to maintain that Guaranty, and to cause the said Edict to be Established.“ 52 Venning 1995, S. 55-71. 53 Zu Bordeauxs Mission vom Dezember 1652 allgemein sowie zur Instruktion im Besonderen siehe detailliert Korr 1974, S. 44-55. Die Instruktion selbst findet sich bei Jusserand 1929, Nr. II, S. 154. 54 Instruktion an Antoine de Bordeaux, 2. Dezember 1652, in: Jusserand 1929, Nr. II, S. 154. 55 Für das englische Protokoll der – im Original in französischer Sprache gehaltenen Rede Bordeauxs – siehe The Manuscripts of his grace the Duke of Portland 1891, Bd. 1, S. 666.
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republikanische England beanspruchen sollten und konnten: Es ließ sich offenbar ebenso plausibel mit Momenten der Diskontinuität wie mit Momenten der Kontinuität argumentieren, je nachdem, welche Entscheidungsprozesse und Zielperspektiven den jeweiligen Argumentationen zu Grunde lagen. Nachdem die französische Seite nach der Revolution von 1649 zunächst mit einem Moment der Diskontinuität und einer daraus abgeleiteten Exklusion der englischen Republik argumentiert hatte,56 argumentierte sie nach der Konsolidierung des Commonwealth mit einem Moment der Kontinuität und einer daraus abgeleiteten Inklusion der englischen Republik. Auch die englische Seite selbst handhabte diese Frage mitunter situativ, wie sich in den englisch-französischen Verhandlungen zeigte, die nach Bordeauxs Mission einsetzten und letztlich zum Friedensvertrag von Westminster 1655 führten:57 Nachdem Council of State und Parlament – wie gesehen – zunächst die Kontinuität zwischen Monarchie und Republik in Vertragsfragen betont hatten, artikulierten sie 1653 Vorstellungen der Diskontinuität, um neue Rahmenbedingungen der englisch-französischen Beziehungen auszuhandeln. Man lehnte den französischen Vorschlag ab, die Verträge zwischen Karl I. und Ludwig XIII. zur Grundlage des neuen Vertrags zu machen, „because this government was completely different, they intended to also make new and fundamental treaties.“58 Es ließ sich also ein Zusammenhang zwischen Verträgen und Vorstellungen von Staatlichkeit herstellen, der als ein situativer und veränderlicher verstanden werden muss: Einerseits konnte man argumentieren, die Republik stehe in der direkten Nachfolge der Monarchie und habe damit auch alle Rechten und Pflichten der Krone übernommen, andererseits konnte man argumentieren, trotz dieser Rechtsnachfolge bestehe kein Automatismus in Bezug auf die Gültigkeit der Verträge. Beide Positionen ließen sich offenbar plausibel verargumentieren, und zwar – wie das Beispiel der englisch-französischen Beziehungen gezeigt hat – sowohl innerhalb als auch außerhalb des englischen Gemeinwesens und sowohl als Selbst- wie als Fremdzuschreibung.
56 Anschaulich dafür sind auch die Einschätzungen Mazarins zu den Absichten Cromwells in Relation sowohl zum englischen Gemeinwesen auf der einen Seite als auch in Relation zu den monarchischen Gemeinwesen Europas auf der anderen Seite, siehe Mazarin an Le Tellier, 28. September 1650 in: Lettres du cardinal Mazarin 1883, Bd. 3, S. 824: „Je suis en grande affliction de la disgrace d’Escosse, tant pour l’interest du roy de la Grande Bretagne que pour celuy de l’Estat, contre lequel Cromvel a tres-mauvaise volonté“; Mazarin an Le Tellier, 13. Oktober 1650, in: Lettres du cardinal Mazarin 1883, Bd. 3, S. 865: „Je scais aussy certainement qu Cromvel a dit, aprez la bataille d’Escosse, que, si on pouvoit venir à bout de ce royaume-là, il falloit s’applicquer à reduire toutes les monarchies en republiques“; Mazarin an Le Tellier, 4. Dezember 1650, in: Lettres du cardinal Mazarin 1883, Bd. 3, S. 923: „[L]es ennemis de l’Estat et qui haissent le gouvernement monarchique, designant Cromwel en ces termes seulement sans le nommer.“ 57 Vgl. Venning 1995, S. 110-112. 58 Zit. nach. Korr 1974, S. 65.
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III. Das Commonwealth und die neuen Verträge, 1649-1660 Nach der Konsolidierung des Commonwealth und der Errichtung des Protektorats trat das republikanische England, wie eingangs bereits erwähnt, ab 1654 in zahlreiche vertragliche Verbindungen mit anderen europäischen Gemeinwesen, wobei – mit Ausnahme der russischen Zaren – die Vertragspartner der englischen Monarchie auch Vertragspartner der englischen Republik wurden.59 Bereits für die sehr grundlegende Ebene der Vertragsschlüsse selbst lässt sich damit also die Zuschreibung durch die englischen Vertragspartner greifen, dem Commonwealth den Status eines geschäftsfähigen Akteurs im völkervertragsrechtlichen Bereich zuzuschreiben und, entsprechend, an die bestehenden vertraglichen Beziehungen anzuknüpfen. Tatsächlich zeigt ein Blick auf die formale und inhaltliche Ausgestaltung der Vertragstexte, dass man das Commonwealth nicht als einen „dangerous pariah state“60 behandelte, sondern in die bestehenden Konventionen bzw. Werte- und Normenordnungen europäischer Vertragsschlüsse integrierte. Einen offensichtlichen Bruch mit der monarchischen Vergangenheit bildete in den Verträgen zunächst die Bezeichnung des neuen politischen Gebildes sowie die Anrede Oliver Cromwells; Punkte, die im Council of State selbst Gegenstand von Debatten waren und die auf den von Regina Dauser detailliert untersuchten Aspekt von Herrschertitulaturen als Ausdruck von Ehr- und Rangvorstellungen verweisen.61 An Stelle des Königs bzw. der Krone wurde auf englischer Seite nun eine neue Vertragspartei genannt: Die Republica Anglia62 bzw. „Remp. Angliae, Scotiae et Hiberniae“63 mit Oliver Cromwell als „Dominum Protectorem praedictamque
59 Zwischen 1649 und 1660 schloss das Commonwealth folgende Verträge im völkerrechtlichen Bereich, die hier jeweils aus Parrys Consolidated Treaty Series (CTS) zitiert werden: Englischportugiesische Friedenspräliminarien, 29. Dezember 1652, in: 2 CTS 463; Englisch-niederländischer Friedensvertrag von Den Haag, 5. April 1654, in: 3 CTS 225; Englisch-schwedischer Friedensvertrag von Uppsala, 11. April 1654, in: 3 CTS 257; Englisch-portugiesischer Friedensvertrag von Westminster, 20. Juli 1654, in: 3 CTS 281; Englisch-dänischer Friedensvertrag von Westminster, 15. September 1654, in: 3 CTS 355; Englisch-französischer Friedensvertrag von Westminster, 3. November 1655, in: 4 CTS 1; Englisch-schwedischer Friedensvertrag von London, 17. Juli 1656, in: 4 CTS 127; Englisch-französischer Bündnisvertrag von Paris, 9. Mai 1657, in: 4 CTS 347; Englisch-französischer Bündnisvertrag von Westminster, 3. Februar 1659, in: 5 CTS 227; Englisch-französisch-niederländischer Bündnisvertrag („Konzert von Den Haag“), 21. Mai 1659, in: 5 CTS 265. 60 Venning 2020, S. 209. 61 Dauser 2017. Zur Debatte über die Bezeichnung des Commonwealth siehe Sitzung des Council of State vom 20. April 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 113-117, zur Selbstbezeichnung als „Reipublicae Angliae ordines“ siehe Sitzung des Council of State vom 26. Januar 1649 (A.S.), in: CSPDI, Bd. 1, S. 494. 62 Englisch-niederländischer Friedensvertrag von Den Haag, 5. April 1654, in: 3 CTS 225. 63 Englisch-französischer Friedensvertrag von Westminster, 3. November 1655, in: 4 CTS 1, Art. 1.
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Remp.“64 bzw. – in Verbindung – „Protectorem & Rempublicam Angliae.“65 Diese veränderte Bezeichnung machte also deutlich, dass als Vertragspartei nicht länger die Könige bzw. die Krone agierten, sondern die Republik und Cromwell. Trotz dieser veränderten Bezeichnung behandelte man das Commonwealth dann aber faktisch wie seinen monarchischen Vorgänger, wobei insbesondere Cromwell in den Verträgen als ‚Ersatzmonarch‘ fungierte, der die während der Monarchie in die Zuständigkeit des Königs fallenden Aufgaben im völkervertragsrechtlichen Bereich übernahm, etwa was die Ratifikation betraf.66 Eine weitere Kontinuität zwischen Monarchie und Republik zeigt sich auch für die Ebene der Präambeln sowie der einleitenden Artikel, die – in der Tradition der mittelalterlichen Diplomatik – als Arengen fungierten und den Vertragstext narrativierten. Hier führte man die „amicitia“-Semantik fort, die im 16. und 17 Jahrhundert als zentraler Modus zur ostentativen Kommunikation der Verbindung zwischen monarchischen Akteuren fungierte.67 Auch in den Verträgen des Commonwealth, und zwar sowohl mit monarchisch als auch mit republikanisch verfassten Gemeinwesen, formulierte man diese Zielperspektive: Die Verträge zielten demnach auf „bona imposterum, sincera, firma, atque perpetua sit maneatque Pax, Amicitia, benevolentia & correspondentia“68, „inviolabilis Pax, Amicitia sincerior, intimior atque arctior Affinitas, Confoederatio & Unio“69, „firma, integra & sincera Amicitia, Pax & Confoederatio“70 oder „firma Pax, Amicitia, Societas, atque Foedus“71. Diese ostentative Betonung der Freundschaft und engen Verbundenheit zwischen den Vertragsparteien diente als Modus zur Kommunikation und Festigung von Netzwerken und verweist, als Anknüpfen an monarchische Traditionen europäischer Vertragsschlüsse, also auf die Behandlung der Republik in der Tradition der Monarchie. Als Modus zur Kommunikation und Festigung von Netzwerken sowie als vertrauensbildende und -stabilisierende Maßnahme griffen frühneuzeitliche Akteure in Friedensverträgen auch auf die Einbeziehung von Verbündeten zurück. Einbeziehungsklauseln wurzelten in den Vertragspraxis des 15. Jahrhunderts und hatten die Funktion, verbündeten Akteuren zu signalisieren, dass neue Verträge mit Dritten den bestehenden Verpflichtungen nicht zuwiderliefen. Vor der systematischen Veröffent64 Englisch-schwedischer Friedensvertrag von London, 17. Juli 1656, in: 4 CTS 127, Präambel. 65 Englisch-dänischer Friedensvertrag von Westminster, 15. September 1654, in: 3 CTS 355, Art. 1. 66 Siehe dazu erneut das bereits erwähnte Instrument of Government, in: Gardiner 1899, Nr. 87, S. Art. 5, S. 314 mit den hier für den Lordprotektor festgelegten Zuständigkeiten und Befugnissen im vertraglichen Bereich. 67 Dazu Lesaffer 2002; zu den mittelalterlichen Hintergründen und Bezugsrahmen Garnier 2000. 68 Englisch-schwedischer Friedensvertrag von Uppsala, 11. April 1654, in: 3 CTS 257, Art. 1. 69 Englisch-niederländischer Friedensvertrag von Den Haag, 5. April 1654, in: 3 CTS 225, Art. 1. 70 Englisch-dänischer Friedensvertrag von Westminster, 15. September 1654, in: 3 CTS 355, Art. 1. 71 Englisch-französischer Friedensvertrag von Westminster, 3. November 1655, in: 4 CTS 1, Art. 1.
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lichung von Friedensverträgen im Zuge der frühneuzeitlichen Medienrevolution bildeten diese Einbeziehungsklauseln einen wichtigen Kommunikationskanal zwischen monarchischen Akteuren.72 Entsprechende Klauseln lassen sich auch für die Verträge des Commonwealth greifen, anschaulich für den englisch-französischen Vertrag von Westminster 1655, in den die Generalstaaten – mit denen das Commonwealth 1654 Frieden geschlossen hatte73 – aufgenommen wurden: „[L]es Etats Generaux des Provinces Unies des Pais-bas seront compris & enclos au Traité de Paix.“74 Darüber hinaus wurde allen weiteren Vertragspartnern Englands und Frankreichs die Möglichkeit eröffnet, innerhalb einer Frist von drei Monaten den Beitritt zum Vertrag von Westminster zu erklären.75 Diese Kombination aus einer spezifischen und einer offenen Einbeziehungsklausel war durchaus typisch und griff, so wie die „amicitia“-Bezüge, langfristige Traditionen europäischer Friedensverträge auf, in die man auch das Commonwealth stellte. Die im Vorfeld so intensiv diskutierte Frage, inwiefern die Republik an die Verträge der Monarchie gebunden sei oder nicht, wurde auf der Ebene der Verträge nur selten explizit thematisiert. Die sonst übliche Bestätigung älterer Verträge zwischen den Vertragsparteien fehlt im Großteil der Verträge des Commonwealth, sodass hier tatsächlich eher von Diskontinuitäten als von Kontinuitäten ausgegangen werden kann und von der weitgehenden Neuaushandlung der inhaltlichen Vertragsinhalte.76 Eine explizite Bestätigung älterer vertraglicher Verbindungen findet sich tatsächlich nur in Einzelfällen, wie etwa im englisch-französischen Friedensvertrag von 1654.77 Dieser Vertrag erweist sich dabei auch als aufschlussreich für die Frage nach der Gültigkeit von Verträgen im Moment des Herrscher- bzw. Regierungswechsels, der – wie gesehen – für und durch das Commonwealth selbst 1649 intensiv diskutiert werden war. Nach der Abdankung Christinas von Schweden und dem Regierungswechsel zu Karl X. Gustav bestätigte man durch einen neuen Vertrag, dass der von 1654 weiterhin als gültig betrachtet werden sollte.78 Hier sahen die Vertragsparteien 72 Lesaffer 2002, S. 87-88; ders. 2011, S. 235-238. 73 Zum Hintergrund dieser Vereinbarung siehe englisch-niederländischer Friedensvertrag von Den Haag, 5. April 1654, 3 CTS 225, Art. 15. 74 Englisch-französischer Friedensvertrag von Westminster, 3. November 1655, in: 4 CTS 1, Art. 1, Separatartikel. Später erklärte Cromwell die Funktion dieses Artikels in Bezug auf seine eigene Vertragstreue, wie Whitelock 1860, Bd. 4, S. 240: „[T]he protector was as careful to preserve his own honour and the faith of the nation in those treaties which he had made with other princes and states, and that was the reason which caused him to be so careful that the Dutch might be included in such treaties as he should make with others, because there was an article to that purpose in the late treaty made with them, which he was careful to observe as all other treaties.“ 75 Englisch-französischer Friedensvertrag von Westminster, 3. November 1655, in: 4 CTS 1, Separatartikel. 76 Zur Bestätigung älterer Verträge Kampmann 2021. 77 Englisch-französischer Friedensvertrag von Westminster, 3. November 1655, in: 4 CTS 1, Art. 5. 78 Englisch-schwedischer Friedensvertrag von London, 17. Juli 1656, in: 4 CTS 127.
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also offenbar keinen Automatismus, was die Gültigkeit von Verträgen über den Tod des vertragsschließenden Akteurs hinaus betraf; eine Frage, die im Übrigen auch durch völkerrechtliche Autoren intensiv diskutiert wurde. Auch im Vertrag mit den republikanischen Generalstaaten adressierte die politische Führung des Commonwealth diese Thematik 1654, in dem jeder neue Stadtholder und damit jede neue Regierung darauf verpflichtet wurde, die Gültigkeit dieses Vertrags und seine Einhaltung zu bestätigen und zu beschwören, offenbar vor dem Hintergrund des scheinbar denkbaren Szenarios, eine neue Regierung sei nicht zwangsläufig an die Verträge ihrer Vorgänger gebunden.79 Für das Commonwealth selbst finden sich solche Klauseln bemerkenswerterweise nicht.
IV. Das Commonwealth und die Garantie Wie der formale und inhaltliche Längsschnitt durch die Vertragspraxis des Commonwealth gezeigt hat, behandelten die Vertragspartner der englischen Republik sie nicht als einen „dangerous pariah state“, sondern betteten sie in die etablierten Strukturen der europäischen Vertragspraxis ein, sodass hier vor allem Momente der Kontinuität zwischen Monarchie und Republik überwogen und man die veränderte Staatsform bzw. politische Neustrukturierung weder implizit noch explizit zum Gegenstand größerer Problematisierungen machte. Die damit verbundene Integration des Commonwealth in die während der Monarchie etablierten Netzwerke und die damit verbundene Zuschreibung von ‚Geschäftsfähigkeit‘ manifestierte sich auch in einer Garantie, die die Republik 1660 übernahm und die, kurz vor der Restauration, als Höhepunkt der vertraglichen Außenbeziehungen interpretiert werden kann. Zusammen mit Frankreich und den Generalstaaten garantierte das Commonwealth den Frieden von Kopenhagen, der 1660 den Großen Nordischen Krieg zwischen Schweden und Dänemark beendete.80 Für Vorstellungen von Staatlichkeit im völkervertragsrechtlichen Bereich, sowohl als Selbst- wie als Fremdzuschreibung, bildet diese Garantie einen wichtigen Zugangspunkt. Bereits im April 1656 hatte die schwedische Krone versucht, das verbündete Commonwealth in eine Bündniskonstruktion einzubeziehen, die auf die Garantie des Westfälischen Friedens abgezielt hätte. Der schwedische Botschafter Christer Bonde schlug gegenüber dem englischen Diplomaten Bulstrode Whitelock „a league defensive, contra omnes gentes, and offensive as to the maintenance of the treaty
79 Englisch-niederländischer Friedensvertrag von Den Haag, 5. April 1654, 3 CTS 225, Art. 32. 80 Schwedisch-dänischer Friedensvertrag von Kopenhagen, 27. Juni 1660, 6 CTS 111. Siehe zur englischen Rolle im Großen Nordischen Krieg sowie zum Bündnis zwischen dem Commonwealth und Schweden, das den unmittelbaren Kontext sowohl für die Mediation als auch für die Garantie bildete, Roberts 1961; und Ailes 2005.
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of Augsburgh“ vor.81 Die englische Seite zeigte sich zurückhaltend angesichts einer solchen Verpflichtung und problematisierte die Einbeziehung Englands in einen Vertrag „not concerning the English nation.“82 Bonde elaborierte daraufhin die zu Grunde liegende Überlegung einer englischen Garantie vor dem Hintergrund des angestrebten protestantischen Bündnisses: „[T]he maintenance of the peace of Osnabrück must be the basis of the alliance against the catholics, since it unambiguously binds them to concede to the protestants their due rights and liberties, and if, moreover, it is broken, it gives us justification before God and men for any bloodshed that may ensue.“83 Wenngleich aus dieser vorgeschlagenen Garantie des Commonwealth für den Friedensvertrag von Münster letztlich nichts wurde, erweist sich der schwedische Vorschlag doch als ein aufschlussreiches Diskursfragment: Offenbar sah man hier keine grundsätzlichen Hindernisse für eine Garantie durch die Republik. Zugleich herrschte auf Seite der republikanischen Akteure weitgehende Klarheit über die Möglichkeiten, aber auch Folgen einer Garantie. Diese Hintergründe gilt es für die Garantie in Rechnung zu stellen, die das Commonwealth – inzwischen unter Olivers Cromwells Sohn und Nachfolger Richard Cromwell – für den schwedisch-dänischen Friedensvertrag von Kopenhagen am Ende des Großen Nordischen Kriegs 1660 übernahm. Bereits der vorhergehende Friede von Roskilde war 1658 durch französische und englische Mediation zu Stande gekommen, hatte aber nur zu einer kurzlebigen Suspendierung des Konflikts geführt.84 Diese defizitäre Einhaltung des Friedens von Roskilde problematisierten die französische und englische Seite während des „Konzerts von Den Haag“ 1659 und verwiesen auf les differents & difficultez pretendues dans l’execution du Traité fait à Rotschild […] dont ils avoient esté les Médiateurs, ont creu estre obligez par les interests de l’honneur & du devoir, de presser & de chercher toutes sortes de voyes et de moyens, pour faire finir au plustost cette Guerre.85
81 Zum Zitat siehe Whitelock 1860, Bd. 4, S. 238 (Kursivsetzung im Original). Tatsächlich ging es hier nicht um den Augsburger Religionsfrieden von 1555, sondern um den Friedensvertrag von Osnabrück von 1648, wie Christer Bonde an Karl X. Gustav, 18. April 1656, in: Roberts 1988, Nr. XLVI, S. 277-278, zeigt. Asch 1998, S. 431-432, hat anhand dieser Verwechslung deutlich gemacht, dass sich hier eine erhebliche Unkenntnis englischer Akteure über die Inhalte und Modaltäten der Westfälischen Friedensschlüsse ablesen lässt. 82 Whitelock 1860, Bd. 4, S. 238. 83 Christer Bonde an Karl X. Gustav, 25. April 1656, in: Roberts 1988, Nr. XLVII, S. 281. 84 Ailes 2005. 85 Englisch-französisch-niederländischer Bündnisvertrag, 21. Mai 1659, in: 5 CTS 265, Präambel. Zentraler Akteur von englischer Seite in Den Haag, das als Zentrum der diplomatischen Verhandlungen zur Beilegung des Großen Nordischen Kriegs fungierte, war George Downing; siehe zu seiner Rolle und damit zu den Details der Aushandlung Downing/Rommelse 2011.
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Diese Absicht, alle denkbaren Möglichkeiten zur Schaffung von „bonne & seure Paix“86 zwischen Schweden und Dänemark auf der Basis des Friedens von Roskilde in Betracht zu ziehen, manifestierte sich in der vertraglich vereinbarten Bereitschaft Frankreichs, Englands und der Generalstaaten zu einer bewaffneten Mediation: „[L]esdits trois Estats & chacun d’iceux cesseront d’assister celuy qui se trouvera refusant d’accepter la Paix ou accommodement sous des conditions justes & raisonnables“.87 Sollte diese Mediation – die ebenfalls auf Zuschreibungen von ‚Geschäftsfähigkeit‘ und Zugehörigkeit verweist – schließlich erfolgreich sein, so vereinbarten die drei Vertragsparteien die Übernahme der Garantie dieses Friedens: Et si, comme l’on doit esperer, les soins des trois Estats sont favorisez du succes d’une Paix, lesdits trois Estats se joindront ensemble pour demeurer garents en la meilleure, plus authentique & plus seure forme qui se pourra, de cette Paix ou accommodement qui aura esté traité & conclu entre lesdits Rois, en vertu des presentes Conventions.88
Auf der Grundlage dieser Übereinkunft zur Friedensvermittlung zwischen Schweden und Dänemark wurde dann tatsächlich am 27. Juni 1660 der Friedensvertrag von Kopenhagen unterzeichnet, der – wie vorab von den Mediatoren erklärt – unter die Garantie Englands, Frankreichs und der Generalstaaten gestellt wurde.89 Damit erhielt das Commonwealth also das Recht und die Pflicht zur notfalls bewaffneten Durchsetzung der Vertragsinhalte, falls eine der Vertragsparteien sich vertragsbrüchig verhalten sollte. Exakt darauf zielte die Aufgabe der „Guarandi ac Fidejussores“ ab. Der Friedensvertrag von Kopenhagen sowie die in ihm enthaltene Garantie fallen interessanterweise mit dem Beginn jener spezifischen normativen Auseinandersetzung mit dieser Praktik der Vertragssicherung zusammen, die Mitte des 17. Jahrhunderts einsetzte und die im Verlauf des 18. Jahrhunderts jene Deutung der Garantie als Indikator staatlicher Entwicklung formulierte, die oben bereits beschrieben worden ist. Tatsächlich nahm der Straßburger Jurist Ulrich Obrecht, dessen 1675 veröffentlichter „Sponsor Pacis“ eine der ersten systematischen Auseinandersetzung mit dem Sein und Sollen von Garantien bildet, die hier beschriebenen Vorgänge um den „Pacis Sueco-Danica Rotschildiae“ von 1658 und den „Pace 86 Englisch-französisch-niederländischer Bündnisvertrag, 21. Mai 1659, in: 5 CTS 265, Präambel. 87 Englisch-französisch-niederländischer Bündnisvertrag, 21. Mai 1659, in: 5 CTS 265, Art. 4. 88 Englisch-französisch-niederländischer Bündnisvertrag, 21. Mai 1659, in: 5 CTS 265, Art. 5. 89 Schwedisch-dänischer Friedensvertrag von Kopenhagen, 27. Juni 1660, CTS, Art. 34: „R. M. Christianissimi Regis Franciae & Navarrae, ut & et Celcissimae Reipub. Angliae. & Praepotentium D. Generaliu Ordinum Foederatae Belgicae respectivè ordinarii Legati, Commissarrii ac Deputati Plenipotentiarii pariter nomine suorum sublimium Dominorum ac Principalium, in eo majorem securitatem & confirmationem horum, promiserunt, & universè tres Status junctim, mediante generale Guarantigio, ut & singuli separatim speciali Guarantigio se obligarunt, veluti se hoc ipso optimo modo, & in amplissima ac tutissima forma, qua fieri potest, se invicem obligant & obstringunt, quod velint esse Guarandi ac Fidejussores pro omnibus hîc peractis, quod omnimodo & in omnibus suis Clausulis haec integrè teneri & in aeternum observari, ut & in caso contraventionibus ex alteruta parte decenter vindicari debeant.“
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Haffniensi“ von 1660 zum Anlass für seine normativen Perspektiven auf die Rechte und Pflichten von Garanten im völkerrechtlichen Bereich.90 Auffällig ist dabei, was Obrecht – so wie die an der Garantie selbst beteiligten Akteure des „Konzerts von Den Haag“ – nicht thematisierte: Die Frage der Staatsform des Commonwealth als Republik, die zusammen mit anderen monarchischen, aber auch republikanischen Akteuren einen Vertrag zwischen zwei monarchischen Gemeinwesen garantierte. Wie bereits auf der Ebene der englischen Verträge allgemein spielte die Revolution von 1649 in Bezug auf die Zuschreibungen von Staatlichkeit, mit denen man die englische Republik in diesem spezifischen Bereich behandelte, offenbar keine große Rolle und wurde auch nicht explizit thematisiert. Tatsächlich handelte das Commonwealth in formaler Hinsicht überwiegend wie sein monarchischer Vorgänger und wurde auch wie sein monarchischer Vorgänger behandelt.
V. Fazit und Ausblick Die Frage der Staatlichkeit des Commonwealth im völkerrechtlichen Bereich wurde – wie dieser Beitrag zu zeigen versucht hat – von den historischen Akteuren situativ und variabel behandelt. Einerseits ließ sich die Vorstellung kommunizieren, dass der Übergang von der Monarchie zur Republik Folgen für die bestehenden Verträge Englands sowie für die Möglichkeiten neuer Verträge haben könnte und dass damit ein enger Zusammenhang zwischen der ‚Geschäftsfähigkeit‘ der neuen Regierung und ihrer Vertragspraxis bestehe. Andererseits handhabte man diesen Zusammenhang dann durchaus flexibel und bettete das Commonwealth in die bestehenden Konventionen und letztlich auch in die bestehenden Vertragskontexte ein. Hier überwogen, wie der Längsschnitt durch die Vertragspraxis gezeigt hat, in formaler Hinsicht die Kontinuitäten zwischen Monarchie und Republik, losgelöst von der inhaltlichen Neuausrichtung der englischen Außenbeziehungen während des Protektorats. Vorstellungen und Zuschreibungen von Staatlichkeit waren also mit der Vertragspraxis verknüpft, wurden aber nur dort thematisiert, wo es in argumentativer Hinsicht nützlich erschien und konnten – auch das ist ein wichtiger Befund – auch plausibel nicht zum Thema gemacht werden. Gleichwohl verweist die Thematik dieses Beitrags auf zwei Frageperspektiven, die weiterer Forschungen bedürfen: Die eine ist die Frage nach der Behandlung Karls II. während des Commonwealth und Protektorats – wie handhabte man diesen sich als legitimen Nachfolger Karls I. darstellenden Akteur, der, etwa mit Spanien, durchaus in völkerrechtliche Verträge eintrat? Letztlich existierte hier in royalistischer Perspektive ein Ansprechpartner der abgesetzten Monarchen, der sich, auch 90 Obrecht, Sponsor Pacis 1675, Kap. 2, § VII. Zur Stilisierung Obrechts als Initialzündung dieses Diskurses siehe Ompteda 1785, S. 594-595.
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darauf hat die Argumentation Prynnes hingewiesen, durchaus auch als Rechtsnachfolger der Monarchie präsentieren konnte. Die andere Frage verweist auf die Handhabung der republikanischen Verträge durch die restaurierten Monarchen nach 1660: Wie behandelte man hier die vertraglichen Verpflichtungen, die das Commonwealth eingegangen war, und zwar sowohl in Bezug zur republikanischen Phase auf der einen als auch in Bezug zur vorherigen Monarchie auf der anderen Seite? Diese beiden Frageperspektiven könnten weiteren Aufschluss über die hier nur holzschnittartig zu beantwortende Frage liefern, wie man die Staatlichkeit des Commonwealth sowohl im Vergleich zu zeitgenössischen Parallelakteuren als auch im Rückblick einschätzte.
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Erinnerung und Aneignung
Sarah Covington Die Erinnerung an den Cromwellschen Staat im Irland des siebzehnten Jahrhunderts*
Die Erinnerung an Oliver Cromwell war in Irland immer mit dem kolonialen Staatssystem verbunden, das das Land von seinem Einmarsch 1649 bis zu seinem Tod 1658 prägte. Man sollte jedoch weder die Besonderheit dieses Staates noch die Rolle Cromwells in diesem System überbewerten. Die Staatsbildung in Irland – oder die koloniale Staatsbildung – hatte lange vor Cromwell begonnen, denn Irland hatte Jahrzehnte der Kolonialisierung, der Besiedlung, der Gewalt und der rechtlichen und erzieherischen Zwangsmaßnahmen hinter sich.1 Cromwell selbst verbrachte nur acht Monate im Land und überließ den Abschluss der Eroberung seinen Generälen; in den folgenden Jahren überließ er die Regierungsgeschäfte seinen beiden lord deputies, die jeweils ihre eigene wechselnde Politik verfolgten, sowie Untergebenen, die die Geschicke des Landes aktiver bestimmten. Was die Art von Cromwells Regierung betrifft, so wird in der neueren Forschung argumentiert, dass er tatsächlich einen mäßigenden Einfluss auf die Landkonfiskationen ausübte, dass seine Invasion durch Realpolitik und nicht durch Religion ausgelöst wurde und dass er eine religiöse Toleranz praktizierte, indem er sich zur Gewissensfreiheit bekannte (auch wenn die Priester weiterhin verbannt werden sollten). Obwohl sein Regime eine Ausweitung der früheren englischen Politik darstellte, vollendete es diese nicht. Es war das Regime Wilhelms III., das den Abschluss der Konfiszierung und des Landtransfers darstellte, indem es Methoden des Regierens etablierte und die Strafgesetze formell einführte, die das Schicksal Irlands bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein bestimmten. Es wäre jedoch falsch, die Bedeutung Cromwells in Irland herunterzuspielen, vor allem in den bleibenden sozialen Erinnerungen des Landes. Schon lange vor seiner Ankunft im Jahr 1649 war sein Ruf in Irland bekannt, der sich vor allem auf seine Taten auf dem Schlachtfeld, seinen politischen Radikalismus und nicht zuletzt auf seine Rolle bei der Hinrichtung des Königs gründete. Er brachte nicht nur eine neue Art von Armee ins Land, sondern auch eine, die besser mit Artillerie ausgerüstet war als je zuvor. Vielleicht wollte Cromwell einfach nur die royalistische Bedrohung zerschlagen, die nach den Bürgerkriegen in England immer noch in Irland bestand, * Übersetzung aus dem Englischen: Ulrich Niggemann. 1 Vgl. Barnard 2000, S. x-xii; Canny 1976; Bradshaw 1979; Brady 1994; Lennon 1994; Ellis 1986.
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aber wir sollten es ernstnehmen, wenn er die Eroberungen – einschließlich der Massaker von Drogheda und Wexford – in einen religiösen Bezugsrahmen stellte. Tatsächlich erlangte der Protestantismus in Irland, oder besser gesagt, bestimmte protestantische Eliten in Irland, zu seiner Zeit neue wirtschaftliche und politische Stärke. Vor allem aber band seine Unterwerfung Irlands das Land mehr denn je an das imperiale System der britischen Inseln; wie T.C. Barnard geschrieben hat, wurde mit Cromwell „ein erobertes Irland (zusammen mit Schottland) in einen ‚britischen‘ Staat eingegliedert“ – und so sollte es für die nächsten 250 Jahre bleiben.2 Auch wenn er nicht direkt für einige der unter seiner Aufsicht in Irland durchgeführten Maßnahmen verantwortlich war, wurde „Cromwell“ oder „Cromwellian“ doch zu einer Art Synonym für eine größere Reihe von Veränderungen oder Tragödien, die Irland heimsuchten und den Verlauf seiner Geschichte bestimmten. Je nachdem, welche Gruppen in Irland sich seiner erinnerten, verkörperte Cromwell – zu Recht oder zu Unrecht – eine bestimmte Vorstellung und Politik des Staates, die dazu diente, den nationalen Hass zu bündeln oder eine brauchbare Vergangenheit für jeweils aktuelle Debatten zu bieten. Die Erinnerung an Cromwell wucherte in einer enormen Bandbreite von Diskursen, von politischer Polemik, religiösen Schriften, Literatur und Folklore. Es wäre daher unmöglich, in einem einzigen Aufsatz die Gesamtheit von Cromwells „Nachleben“ in Irland oder das Erbe des von ihm geleiteten Staates zu erfassen. Dieser Aufsatz wird jedoch einen Einblick in das größere memoriale Bild geben, indem er sich auf drei verschiedene Kanäle konzentriert, durch die Cromwell und die Cromwell-Zeit in den Jahrzehnten nach seinem Tod von einer Reihe gesellschaftlicher Gruppen erinnert und manchmal „vergessen“ wurden. Im ersten Teil dieses Aufsatzes wird untersucht, auf welche Weise irische Republikaner und Royalisten am Ende des Jahrhunderts an das Wesen des Cromwellschen Staates in Irland erinnerten und dazu beitrugen, wie dieser Staat in parteipolitischen Erzählungen dargestellt wurde. Der zweite Teil dieses Aufsatzes befasst sich mit den realen Erscheinungsformen der Staatlichkeit in Irland, insbesondere mit den Erinnerungen an die Landpolitik und die Akteure, die im Namen des Cromwellschen Staates handelten, um dessen konfiskatorische Ziele zu erreichen. Schließlich waren Religion und Staat im Cromwellschen Irland eng miteinander verbunden, zumindest bei den Versuchen, weitere Anglisierungen und Reformen durchzusetzen. Die katholischen Erinnerungen an die religiöse Verfolgung dienten den protestantischen Eliten jedoch als Ansatzpunkt für den Widerstand und veranschaulichten so die Macht der Erinnerung als Gegenmittel zu den herrschenden Erzählungen. Bei der Erforschung dieser drei Erinnerungskanäle stellen sich verschiedene Fragen: Was genau stellte der Cromwellsche „Staat“ in seinen verschiedenen Formen für die Gruppen in Irland dar? Zeigen solche Erinnerungen eine Besonderheit des Cromwellschen Staates
2 Barnard 2000, S. xx.
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Irland im Gegensatz zu dem in Schottland oder England? Und wie haben diese Erinnerungen die späteren politischen Entwicklungen im Land beeinflusst?
I. Cromwell unterschied sich von den Tudor-Eroberern dadurch, dass er im Namen einer neuen Staatsform und nicht eines Monarchen nach Irland kam. Natürlich warf er jeden Anschein von Republikanismus schnell wieder über Bord, vor allem als er das Parlament auflöste und sich 1653 zum Lord Protector erklärte.3 Nichtsdestotrotz wurde Cromwell mit dem Import neuer politischer und religiöser Ideen in das Land in Verbindung gebracht, auch wenn das Land diese Ideen in der Praxis nicht umsetzte. Für den Herzog von Ormonde war Cromwell „the proudest rebel in the pack“, der sich selbst als „Lord of the new Republick“ stilisierte.4 Für diese Gegner Cromwells war das Regime von Anfang an illegitim gewesen und hatte Unruhe ausgelöst. Das Wort, mit dem er in England wie in Irland am häufigsten angegriffen wurde, war „usurper“, was auch von denjenigen aufgegriffen wurde, die ihre Klagen vor den Court of Claims brachten und von Verwandten berichteten, die als „murdered by the tyrant Oliver Cromwell at Drogheda“ oder „slain at Drogheda in his majesty’s service against the usurper Oliver Cromwell“ dargestellt wurden.5 Während viele dieser abfälligen Ausdrücke in England und Schottland verwendet wurden, nahmen sie im irischen Kontext besondere Wendungen an. Im frühen 19. Jahrhundert beschrieb Jonathan Swift beispielsweise „that whiggish or fanatical Genius so prevalent“ unter den Engländern dieses Königreichs, in Form von „Cromwell‘s Soldiers, adventurers established here, who were all of the sourest Leven, and the meanest birth“.6 Diese Erben von Cromwells Hinterlassenschaft waren in den englischen Diskursen ebenfalls von „niedrigster Geburt“, aber in Irland waren sie Außenseiter, die mit Invasion und Landnahme in Verbindung gebracht wurden.7 Was Swift nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass die Familie Swift in den 1650er Jahren nach Irland – in dieses „wretched kingdom“ – gekommen war, und obwohl sie nicht gerade repräsentativ für die Neuankömmlinge der Cromwellschen Zeit war, profitierte sie sicherlich von der Politik des Regimes.8
3 Vgl. Worden 1974, S. 86-102. 4 Für Ormond, siehe „Ormond to Bischof of Clogher“, 16. Februar 1649, Bodl. Lib. Carte MS 23; HMC, Report of the Pepys Manuscripts 1911, S. 299. 5 Tallon 2006, Court of Claims, Donnerstag, 30. April 1663, Nr. 225, „Randall Fleming, Lord Baron of Slane“, S. 80-81; Nr. 272, „John Bourke und Joane [sic], seine Frau“, S. 96-97. 6 Damrosch 2013, S. 128. 7 ‚A Letter from Dr Swift to Mr Pope‘, Swift, Works 1859, S. 337. 8 Swift, Works Bd. 20, 1813, S. 124; ders., Works Bd. 13, 1801, Works of the Rev. Jonathan Swift, S. 429; ‚Anecdotes of the Family of Swift‘, ders., Works Bd. 1, 1801, S. 520-521.
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Ein Großteil der Sprache, mit der die Erinnerungen an Cromwell geprägt wurden, war auch Teil dessen, was Imogen Peck als republikanische Erinnerungskultur in England bezeichnet hat, auch wenn sie in Irland wiederum andere Bedeutungen annahm.9 Am Ende des Jahrhunderts schrieb der anglo-irische Politiker und Schriftsteller Robert Molesworth, ein überzeugter commonwealthman, dass das politische System unter Cromwell zu einer „calumny thrown upon us“ geworden sei, „associated as it now was with the anarchy and confusion which these nations fell into near sixty years ago“. In der Tat seien die Worte „commonwealth“ oder „republic“ falsch verwendet worden, so Molesworth weiter, da sie dazu dienten, „[to] frighten [people] out of the true construction of the word“, zumal es von Elisabeth I. und „other of our best princes“ verwendet worden sei. 10 Als Synonym für „Cromwellian“ seien diese Worte zu einer „calumny thrown upon us“ geworden, von Gegnern, die Molesworth und seine Mitstreiter als „haters of kingly government“ ansahen. Dies ärgerte vor allem die Republikaner in Irland, denn nur wenige von ihnen waren vor den 1770er oder 1790er Jahren antimonarchisch oder gar separatistisch eingestellt, und die Begriffe konnten in jedem Fall vage und falsch angewendet werden.11 William Molyneux beispielsweise wurde als Republikaner bezeichnet,12 obwohl er in Wirklichkeit ein Patriot war, der für die Unabhängigkeit des irischen Parlaments eintrat und gleichzeitig anerkannte, dass die Könige und Königinnen von England „by undoubted Right ipso facto Kings and Queens of Ireland“ waren.13 Wie Algernon Sidney und andere lehnte Molesworth – der Republikaner war – Cromwell ab. Als „true“, „old“ oder „Real“ Whig vertrat er Ideen über Herrschaftsverträge, die ancient constitution und Widerstandstheorie, die alle durch das in Irland (und England) durch das Protektorat auferlegte Regime verletzt worden waren.14 In seinen „Principles of a Real Whig“ vertrat Molesworth jedoch wie Sidney die Auffassung, dass der Widerstand gegen Karl I. gerechtfertigt gewesen sei. Ähnlich argumentierte der in Donegal geborene Freidenker John Toland (1670-1722), dass Cromwell und seine Anhänger „were not, properly speaking, guilty of rebellion; for he, whom they beheaded, was not properly speaking their king; but a lawless tyrant“. Toland, der die Memoiren von Edmund Ludlow, dem Erzrepublikaner und Oberbefehlshaber der Cromwellschen Truppen in Irland, herausgab,15 folgte jedoch 9 Peck 2021, S. 13. 10 Molesworth, Principles of a Real Whig 1775. Siehe auch Worden 2012, S. 311. 11 Molesworth, Principles of a Real Whig 1775, S. 5-7. Siehe auch Small 2002, S. 7, 13, 19; Ohlmeyer 2000, S. 4. 12 Small 2002, S. 15. 13 Molyneux, Case of Ireland Stated 1977, S. 26-35, 46, 47-50, 115f.; Kelly 1988, S. 135; zu Molyneaux siehe Kelly 1988, S. 133-148. 14 Champion 2011, S. xx-xxi; Stewart 1987, S. 89-102. 15 McGuinness 1997, S. 261-292. Für eine brillante Analyse von Tolands Bearbeitung von Ludlow und Sidney siehe Worden 2001, insbesondere S. 97-121, 131-132, 139-141; siehe auch ebd. S. 63, 131.
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Sidney und anderen in der Überzeugung, dass Cromwell die Sache verraten habe. Toland beklagte auch, dass „commonwealth“ oder „Republik“ als Verleumdung verwendet und mit der „Time of our last civil Wars and even the Tyrannical Usurpation of OLIVER CROMWELL“ in Verbindung gebracht wurde.16 Für Toland hatte Cromwell tatsächlich die Prinzipien des Commonwealth usurpiert, aber die Verleumdung – die Assoziation von republikanischer Regierung mit Chaos – blieb bestehen, sowohl in Irland als auch in England. Das Ende des 17. Jahrhunderts erlebte auch das Erwachen des politischen Jakobitismus in Irland, der durch die Niederlage Jakobs II. nach der Schlacht am Boyne verstärkt wurde. Diese Bewegung blickte auch auf Cromwell zurück, und zwar in einer Weise, die sie in einen eindeutig irischen Kontext stellte.17 Für die Jakobiten war die dynastische Linie der Stuarts, die 1649 und dann 1689 unterbrochen wurde, in Irland ‚heimisch‘, da die Iren von der alten Rasse der Milesier abstammten.18 Cromwells Staat stellte wie der von William III. den (vorläufigen) Triumph der ‚Emporkömmlinge‘ dar,19 während Wilhelm selbst auf seine Weise mit „that accursed Rebellion, and Tyrannical Usurpation, which in the last Age laid waste our Government and Constitution“, verbunden war.20 Wie Cromwell erlangte Wilhelm die Macht durch Eroberung und Usurpation, „[having] filch[ed] a crown from the owner’s brow“. 21 Auch Schottland teilte natürlich diese Ansichten. Charles Leslie, der in Dublin geboren wurde, aber schottische Vorfahren hatte, sprach für beide Königreiche, als er „a Thirteen Years Rape from Oliver and the Rump“ beschrieb.22 Leslies Vater war auf Raphoe Castle von Cromwells Truppen belagert worden, was seine Abneigung noch verstärkt haben dürfte. 23 Bei aller feindseligen oder wohlwollenden Behandlung Cromwells durch die Menschen in Irland am Ende des Jahrhunderts konnte das Zwischenspiel seiner Herrschaft auch ausgelöscht oder ganz ‚vergessen‘ werden. Wie in England hing dies zum Teil mit dem allgemeinen Bestreben zusammen, den Anordnungen Karls II. in der Act of Oblivion zu folgen, „to put an end to all Suits and Controversies“ und eine Fortsetzung der „long and great Troubles Discords and Warrs that have for many Years past beene in this Kingdome“ zu verhindern.24 Für den Earl of Clarendon sollte jeder, der die Erinnerung an die früheren Differenzen („the memory of the late differences“), zu denen auch das Cromwellsche Irland gehörte, wieder
16 17 18 19 20 21 22 23 24
Toland 1702, S. 146. Ó Buachalla 2003, S. 77, 95. Ders. 2014, S. 11; Morley 2018, S. 24. Morley 2017, S. 37-47. Wilson, A Sermon preach’d at Christ-Church 1713, S. 1. Leslie 1885, S. 394. Leslie, A Catalogue of Books 1694, S. 8. Siehe auch Higgins 2009, S. 151-152. Leslie 1885, S. 9. The Statutes at Large 1770, S. 166.
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aufleben lassen wollte, ernsthaft gerügt und offiziell getadelt werden.25 Wie Toby Barnard hervorgehoben hat, betonten die Geschichten Irlands des 17. Jahrhunderts stattdessen den Aufstand der Katholiken gegen die Protestanten im Jahr 1641 oder die endgültige Regelung von Wilhelm III. und nicht Cromwell.26 Der irische Anwalt und Richter Richard Cox (1650-1733) brachte diese Haltung in seiner Geschichte Irlands gut zum Ausdruck, als er schrieb, dass „[t]he Interval between the end of the War and Cromwell’s Death, affords but little matter for an Historian“. Cox, der ein enger Verbündeter Wilhelms III. und kein Freund der Katholiken war, beharrte dennoch darauf, dass der Cromwellsche Staat in Irland „a time of profound Peace“ dargestellt habe, und dass sie damit verbracht worden sei „in setting out of Lands, settling of Titles, in Building and Improvements, and in transplanting the Irish into Connaught“.27 Der jakobitische Historiker Hugh Reily war anderer Meinung und schrieb, dass Cromwell, „the tyrant“, von den Militärs und Landnehmern profitierte, da sie dazu beitrugen, „[to raise] him from a mean condition to be absolute master of three kingdoms, for which service he gave twelve entire counties of Ireland, to be divided among them“. Schlimmer noch, indem sie „John Calvin‘s new system of divinity“ folgten, betrachteten sie sich selbst als „babes of grace, because no sin can be imputed to them“, selbst wenn sie „engaged […] in the blackest treason imaginable“ waren.28
II. Die Bezugnahme von Cox, Reilly und anderen auf die Landfrage spielte auf das größte Vermächtnis Cromwells in Irland an, zumal die Politik der Konfiszierung durch die Zwangsgewalt des Staates unterstützt wurde. Cromwell wiederum mag zwar keine direkte Rolle bei den Veränderungen in der irischen Eigentumsordnung gespielt haben, aber er hat diese Veränderungen auch nicht gerade verhindert. Obwohl es seit der elisabethanischen Zeit Landbeschlagnahmungen gab und die endgültige Regelung erst unter Wilhelm III. in Kraft trat, unterschied sich der Cromwellsche Staat in Irland dadurch, dass Land an eine Reihe von Soldaten und adventurers vergeben werden sollte, die in den Feldzug in Irland investiert hatten und erwarteten, für ihre Spenden entschädigt zu werden. Infolgedessen wechselten unter dem Cromwellschen Regime mehr als zwei Drittel der irischen Landfläche den Besitzer, und obwohl diese Besitztümer schließlich von Cromwellianern wie Lord 25 Seaward 2003, S. 74; Scott 2000, S. 394. 26 Barnard 1993, S. 188, 191; für historische Abhandlungen über 1641 siehe zum Beispiel Darcy 2013, S. 48-76; zu Predigten und Erinnerungen an 1641 siehe Barnard 1991, bes. S. 891-892, 896-914. 27 Cox, Hibernia Anglicana 1689, S. 1, 2. 28 Reilly, Impartial History 1810, S. 38-39, 61.
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Broghill oder Charles Coote konsolidiert wurden, war das Ergebnis laut William Smyth, dass Irland die „[most] monumental transformation of Irish life, property, and landscape that the island had ever known“ erlebte.29 Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass Cromwells berüchtigtes Erbe vor allem in den Massakern in Drogheda und Wexford bestand, war es in Wirklichkeit das Schicksal des Landes, das das kollektive Gedächtnis beherrschte, insbesondere bei der mehrheitlich katholischen Bevölkerung. Richard Cox erkannte die Ressentiments an, die durch diese Erinnerungen an den Verlust geschürt wurden. „Too many of them think we [the protestant elites] are incorrigible rebels and have no title to our lands nor much to our goods“, schrieb Cox, „and consequently if they had the opportunity would think it meritorious to deprive us of both“.30 Die Tatsache, dass einige dieser Ländereien in der inzwischen in Verruf geratenen Cromwell-Zeit erworben worden waren, bereitete vielen der neuen Landbesitzer noch mehr Unbehagen. John Cunningham zufolge litt die protestantische Gemeinschaft an „Amnesie“, wenn es darum ging, sich an die Landschulden zu erinnern, die sie den Usurpatoren der Cromwellianer schuldete und die die Grundlage für ihre aktuelle Macht und ihren Reichtum bildeten.31 Einige von ihnen behaupteten, ihr Land sei in der früheren elisabethanischen Zeit oder in den späteren wilhelminischen Siedlungen erworben worden; rechtlich spielte dies jedoch keine Rolle, da die Restauration viele (wenn auch bei weitem nicht alle) dieser Beschlagnahmungen legalisierte. Wie der ansonsten wohlwollende Historiker J.A. Froude 200 Jahre später schreiben sollte: „Cromwell was to be disowned with execration; yet his work was to be legalized.“32 Es überrascht vielleicht nicht, dass die ehemaligen Cromwellianer, die seit der Restauration legitimiert waren, bequeme Erinnerungslücken aufwiesen. Wie Barnard schreibt, waren die Landerwerbungen der Cromwellianer „not foundations of which to boast“.33 In seinen umfangreichen Schriften erwähnte Lord Broghill, jetzt Lord Orrery unter Karl II., nie die territorialen Vorteile, die ihm sein Dienst für den Cromwellschen Staat eingebracht hatte.34 Da er nun Karl II. gegenüber loyal war, spielte er seine Beziehungen zu Cromwell herunter und schrieb die Geschichte um, durch die er dazu gekommen war, für ihn zu kämpfen.35 Sein Zeitgenosse Charles Coote hatte ebenfalls Land erhalten, da er in Cromwells Ausschüssen saß, die über katholische Ländereien entschieden. Aber auch er erfand sich später als Royalist neu, und seine Nachfolger spielten die Verbindung zu Cromwell herunter.36
29 30 31 32 33 34 35 36
Smyth 2006, S. 196. Zitiert in Trench 1997, S. 55. Cunningham 2010, S. 935. Froude 1872, S. 149. Barnard 2012, S. 202. Ders. 1990, S. 74; Dickson 2005, S. 48. Morrice 1742, S. 11. Ohlmeyer 2012, S. 338-339; zur Familie Coote siehe McCullum 1856, S. 235-261.
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Interessanter ist vielleicht der Fall des bereits erwähnten Robert Molesworth, dessen eigene familiäre Wurzeln in Irland begannen, als sein Vater in Cromwells Invasionsstreitkräften diente und sich bis zu seinem Tod 1656 in Dublin niederließ.37 Auch in Molesworths persönlicheren Schriften wurden die Landverbindungen der Familie zu Cromwell nicht erwähnt, obwohl er die Verfahren, nach denen Land vergeben wurde, philosophisch zu rechtfertigen schien. In seinen „Principles of a Real Whig“ argumentierte Molesworth, dass Offiziere Landzuteilungen in feindlichen Gebieten verdienten, nachdem sie „so glorious a Service to their country“ geleistet hätten. „The Romans used to content [officers] by a Distribution of […] Enemies Lands“, schrieb er, „and I think their Example so good in every thing, that we could hardly propose a better“. Mehr noch: „Oliver Cromwell did the like in Ireland, to which we owe that Kingdom’s being a Protestant Kingdom at this Day, and its continuing subject to the Crown of England“.38 Keiner dieser Landerwerbe wäre möglich gewesen, wenn Irland nicht so umfassend vermessen worden wäre. Einer der bedeutendsten Beiträge des Cromwellschen Staates war die Down Survey39, die von dem großen Mann der ‚neuen Wissenschaft‘, William Petty, durchgeführt wurde. Pettys Bemühungen führten dazu, dass Irland zu einem der am umfassendsten kartierten Länder der Welt wurde.40 Die detaillierte Aufzeichnung aller Moor- und Townland-Grenzen bildete die Grundlage für die koloniale Umgestaltung des Landes in einer Weise, die sich frühere Vermesser nicht vorstellen konnten. Die Down Survey machte Petty auch zu einem reichen Mann, denn er erhielt einen lukrativen Vertrag, der es ihm ermöglichte, 164.000 Acres in Kerry zu besitzen und in sie zu investieren. Anders als Molesworth oder Broghill bemühte sich Petty nicht, das Regime, das ihm das Land gewährte, zu verschleiern; andererseits wurden seine Pläne, das Land in ein wirtschaftliches Boomgebiet für Eisenherstellung, Holz und Fischerei zu verwandeln, zunichte gemacht, was ihn dazu veranlasste, rückblickend „the swing swang of my Kerry business“ zu beschreiben, „which for this 15 years hath keeled from side to side like a drunken man“.41 Nichtsdestotrotz brachte Petty quantitative Präzision und Bürokratisierung in das Kartierungsunternehmen und damit auch in den Cromwellschen Staat, und auch dafür sollte er in Erinnerung bleiben.42 Im 19. Jahrhundert formulierte der irische Nationalpolitiker und Journalist John Mitchel, Petty sei „the most successful land pirate […] and voracious land-shark who ever appeared in Western Europe“.43
Zu Molesworth siehe Barnard 1992, S. 833. Molesworth, Preface, S. 187. Andrews 1985, S. 157-158; Harley, Maps, Knowledge and Power, S. 292. Smyth 2006, S. 173, 189. Sir W. Petty an J. Ellis, 21. April 1683, McGill UL, Osler MS 7612; Barnard 2008, S. 58; Barnard 1979, S. 64-69. 42 Whelan 2004. 43 Mitchell 1873, S. 53.
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Mitchel schrieb in einer Zeit, in der die Frage nach dem Land und nach den Grundbesitzverhältnissen einen Höhepunkt erreichten, wobei Cromwell oft als Urheber der gegenwärtigen Ungerechtigkeiten angesehen wurde. Doch die Verbitterung kam von Anfang an zum Ausdruck. Im Jahr 1671 beschrieb der irische Franziskanermönch und Schriftsteller Anthony Bruodin, wie „there are hundreds of high-ranking Irish nobles who had huge estates in Ireland before they were defeated by Cromwell’s forces and unjustly deprived of all their possessions“; sie lebten im Ausland oder „wretchedly in their own country“ und „lamentably see the English heretics enjoy the rightful possession of their estates“. „How can one draw the conclusion that they are not the rightful lords of their possessions?“, fragte Bruodin.44 Ein anderer Autor bemerkte, dass „No one can enter into the cabin of an Irishman and converse with him familiarly in his own language“, ohne sein „point[ing] to the ruins of the castle which was once the habitation of his own prince of the Milesian race“.45 Sogar von der anderen Seite her beschrieb der in England geborene Diplomat und neue Landbesitzer von Kinsale, Robert Southwell, in den 1680er Jahren, wie „Old proprietors evermore haunt and live about those lands whereof they were dispossessed, and cannot forbear to hope and reckon a day of repossession“.46 Aus den Erinnerungen derjenigen, deren Land an die Cromwellianer verloren ging, entwickelte sich eine Art Gegenerinnerung, die Foucault als alternative und inoffizielle Konstruktion der Vergangenheit bezeichnet hat.47 In Familienbüchern, mündlichen Überlieferungen und Testamenten wurde beispielsweise weiterhin Anspruch auf den Besitz der Vorfahren erhoben, der von den ‚Cromwellianern‘ genommen worden war. In der Genealogie der Familie Keating wird Thomas Keating (geboren 1600) so beschrieben, dass er nach der Beschlagnahmung seines Besitzes „by Oliver Cromwell“ auf den Kontinent floh. 48 Vor allem für irische Exilanten im Ausland waren Genealogien strategische Dokumente, die Ehre und Titel, gute Ehen oder zumindest Positionen als Offiziere in ausländischen Armeen sichern sollten.49 Genealogien stellten aber auch eine Verbindung zur Heimat dar und boten die Möglichkeit, das Land dort eines Tages wiederzuerlangen.50 Tatsächlich konnten Genealogien auch von juristischen Nachlassdokumenten begleitet werden, die vor einem zukünftigen Gericht von Nutzen sein konnten oder die zumindest die mangelnde Akzeptanz der neuen Eigentumsordnung widerspiegelten. So fügte Thomas Wadding, dessen Familie mit den Normannen gekommen war, einem Brief an seinen Sohn „copies of all known deeds, wills, and legal documents from the late medieval 44 45 46 47 48 49 50
O'Mollony 1671 [Anthony Bruodin], Anatomicum examen, S. 41-43. Dewar, Observations 1812, S. 61-62. Southwell, Some general hints 1684. Foucault 1977, S. 146, 160; Lipsitz 1990, S. 213. Siehe Cullen 1994, S. 122-126, 133-139. Hayes 1941, S. 593. Fannin 2013, S. 310, 304. Ich möchte Dr. Kevin Whelan für diesen Hinweis danken.
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period on“ bei. Er beschrieb die „ancient inheritance“ der Waddings of Ballycogley und schrieb, dass er „the lawful heir“51 eines Anwesens sei, das „my forefathers enjoyed for many years till the usurpation of the tyrant Oliver Cromwell“. Diese Vorfahren „had been ever loyal to the king“, doch nun war ihr Land „in the possession of Cromwellian rebbles“. Interessanterweise – und das ist nicht ungewöhnlich – wohnten Mitglieder der Familie Keating weiterhin auf einem Teil ihrer alten Ländereien. In Wexford überlebten die enteigneten Familien laut Kevin Whelan sogar als „underground gentry“, der als Mittelsmann oder Vermittler für die neuen Eigentümer von Besitz, der ihnen einst gehört hatte, eine gewisse Macht ausübte.52 Erinnerungen an Cromwell waren allgegenwärtig: 1732 bescheinigte Ambrose O'Callaghan, Bischof von Ferns in Wexford, dass Sir Peter Redmond und seine Frau Anne in direkter Linie von den Normannen abstammten und dass sie zwar nicht „wrongfully by the usurper Cromwell of the sumptuous houses, patrimonies and estates“ beraubt worden waren, aber nun „in decency and respect and in good repute among the best Catholic gentry of the kingdom“ lebten. Dennoch hielt das Gefühl der Verdrängung an und führte zu den Landkonflikten und dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts. Diese Missstände erlaubten es Männern wie Isaac Butt von der Land League (mit einer gewissen Übertreibung) festzustellen, dass „Every Irish father knows that the great bulk of the Irish proprietors […] were held under patents conferred by Oliver Cromwell“.53 John Walshe fragte seinerseits: Did [the people] believe that any man who held ove a title from Oliver Cromwell, who came to the country and butchered their fathers and mothers because they were Irish – did they believe that any man hold land by that title had a first title to the land?54
III. Die Erinnerungen an das Cromwellsche Regime in Irland konzentrierten sich auch auf seine Religionspolitik, auch wenn diese Politik in den 1650er Jahren nicht völlig neu war. Wie Toby Barnard geschrieben hat, wurde seit der Annahme der Reformation durch Heinrich VIII. die Verbreitung des englischen Protestantismus „as a method of securing English rule“ angesehen, nach dem Prinzip ciuis regio, eius religio. Nicht zuletzt würde ein protestantisches Irland die Gefahr eines Bündnisses des Landes mit katholischen Mächten wie Spanien und Frankreich ausschließen.
51 Ich möchte Dr. Clare Carroll für diesen Hinweis danken. Zu Testamenten im Allgemeinen siehe Tait 2006, S. 179-198. 52 Whelan 1996, S. 12; MacCurtain 1979, insb. S. 130-133; Corish 1985, S. 114. 53 Isaac Butt, „Land Tenure in Ireland“, zitiert bei Clancy 1881, S. 13. 54 Freeman's Journal, 30. Aug. 1880; siehe auch Bew 2007, S. 313.
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Die Gründe für das letztendliche Scheitern der Reformation in Irland sind in der Wissenschaft umstritten, wobei die starke Präsenz der Gegenreformation und die Verbindung des Protestantismus mit der englischen Herrschaft sicherlich eine Rolle spielten.55 Was den Cromwellschen Staat auszeichnete, waren neben der Abschaffung der offiziellen Kirche von England und Irland erneute Versuche, das Reich zu evangelisieren, kirchliche Reformen durchzuführen, Bündnisse mit konservativen Geistlichen zu schmieden (insbesondere unter der späteren Gouverneurschaft Henry Cromwells) und sich an Bildungsprogrammen und Übersetzungen des Evangeliums zu beteiligen.56 Dem Cromwellschen Staat gelang es nicht, diese Reformen durchzusetzen. Vielmehr sorgten die nachfolgenden Erinnerungen dafür, dass der Protestantismus von den meisten als eine fremde Zumutung empfunden wurde. Diese Erinnerungen wiederum verstärkten einen bereits bestehenden katholischen Nationalismus, der sich im 19. Jahrhundert durchsetzen und sogar das Wesen des modernen irischen Staates bestimmen sollte. Im Laufe der elisabethanischen und frühen Stuart-Zeit hatte es in Irland sowohl Verfolgungen als auch katholische Märtyrer gegeben, und auch hier könnte Cromwell toleranter gewesen sein, als die traditionelle Geschichtsschreibung behauptet. Dennoch wurden „Cromwell“ und der von ihm geleitete Staat im katholischen sozialen Gedächtnis als Inbegriff englischer Missherrschaft und religiöser Unterdrückung angesehen. Schon früh wurden die Massaker von Drogheda und Wexford als religiös motiviert dargestellt, sogar in Augenzeugenberichten. Ironischerweise wurde einer der berühmtesten dieser Berichte von dem Hauptmann der New Model Army, Anthony Wood, verfasst, der Drogheda in religiösen Begriffen beschrieb, einschließlich der Beschreibung eines Opfers, einer „most handsome virgin“, die die Soldaten mit „tears and prayers“ anflehte, ihr Leben zu verschonen, und deren Keuschheit in der Tradition der Heiligen Dorothea stand.57 Auch der Duke of Ormonde schrieb zu dieser Zeit über die Plünderung von Drogheda als einem Ereignis, das „as many several pictures of inhumanity as are contained in the Book of Martyrs or the Relation of Amboyne“ darbiete – eine Anspielung auf den englischen Märtyrologen John Foxe bzw. auf den Bericht über die Gräueltaten der Niederländer gegen die Engländer in Ostindien.58 Flugschriften und Traktate aus der Zeit der Restauration und darüber hinaus lieferten auch eine grundlegende Erzählung – eine Art kulturelles Skript –, das die Grundlage für spätere Erinnerungen an diese Zeit bilden sollte. Es handelte sich dabei auch um nützliche Erinnerungen, die im Interesse heutiger Anliegen eingesetzt werden sollten. Peter Walshs „A continuation of the Brief Narrative and the 55 56 57 58
Bradshaw 1978, S. 475-502; Canny 1979, S. 423-450; Jefferies 2010. Barnard 2000, Kapitel fünf und sechs. Wood 1891, S. 172; Wolf 1996, S. 41-72. Carte, History 1736, S. 84.
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Sufferings of the Irish under Cromwell“ (1660) war ein solches Beispiel: Als Franziskaner und treuer Verbündeter von Ormonde schrieb Walsh seine Abhandlung, um die Rechte der Katholiken in Irland durchzusetzen und die Remonstrance von 1661 zu verteidigen, die sich zur Loyalität gegenüber dem neuen protestantischen König bekannte und damit die päpstliche Autorität aufhob.59 Die Remonstrance spaltete die Katholiken; ihr allgemeines Ziel war es jedoch, so Anne Creighton, „to rehabilitate Irish Catholicism“ und auch die ‚Sektierer‘, die im Namen Cromwells kämpften, zu verunglimpfen.60 So beschrieb Walsh, wie die Protestanten, die sich derzeit zur königlichen Treue bekannten, einst an den „inhumane designs“ des alten Regimes mitgewirkt hatten, zu denen das „executing so many“ in „Cromwell’s slaughterhouses“ gehört habe, ihre Verpflanzung in den Westen, „sending them to Barbados and other Plantations“ und „squeez[ing] them like Oranges“ durch Steuern und andere willkürliche Maßnahmen der „Tyranny“.61 Doch nun verkündeten sie plötzlich ihre „natural affection to their Sovereign and the English interest thereon involved“, während die „Cahtolick Subjects of Ireland“ seit langem „their faitfulness to his Majesty“ bewiesen hätten.62 John Lynch, der gelehrte anglonormannische Priester aus Galway, sollte die katholische Erinnerung an die Cromwell-Jahre in ähnlicher Weise prägen, und obwohl seine Position sich von der Walshs unterschied, versuchte er dennoch, die Katholiken in Irland zu unterstützen und zu erlösen, insbesondere in der Zeit nach dem Cromwellianismus.63 Sein „Cambrensis Eversus“ (1662) versuchte, das Land im Allgemeinen von der Art englischer Vorurteile zu befreien, die Geraldus Cambrensis im zwölften Jahrhundert vorgebracht hatte; Lynch wandte sich aber auch an einen wiederhergestellten König, der den Katholiken möglicherweise das von den Cromwellianern beschlagnahmte Land zurückgeben könnte.64 Cromwell und seine Zeit tauchen in dieser langen Geschichte eigentlich nur relativ kurz auf, obwohl sie zu einem epischen Ausmaß vergrößert werden: „All the cruelty inflicted on the city of Rome by Nero and Attila, by the Greeks on Troy, by the Moors on Spain or by Vespasian on Jerusalem – has been inflicted on Ireland by the Puritans“, schrieb Lynch. Zwar hätten protestantische Extremisten in Irland schon vor Cromwell „plundered our cities, destroyed our churches, [and] laid waste our lands“, aber er führte auch neuere und spektakuläre Cromwellsche Episoden an. In Drogheda Cromwell „instantly issued the savage order for that most atrocious of massacres“.65 In der
59 Walsh, A Continuation of the Brief Narrative 1660, S. 4; Creighton 2004, S. 16-41; Barnard, S. 13-14; Connolly 1992, S. 18-20. 60 Creighton 2004, S. 18. 61 Walsh, A Continuation of the Brief Narrative 1660, S. 8-9. 62 Ebd., S. 7. 63 Cunningham 2000, S. 131-154; Leersen 1986, S. 319-321. 64 Canny 2021, S. 101-106. 65 Lynch, Cambrensis Eversus 1848, Bd. 3, S. 187.
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Zwischenzeit seien 1652 (nachdem Cromwell Irland verlassen habe) dreihundert Männer und viele Kleinkinder in einem Haus in Wexford eingesperrt worden, und dann sei das Haus auf Befehl der Cromwellianer in Brand gesetzt worden, wobei alle in den Flammen verbrannt seien.66 Lynch berichtete über die Gräueltaten der Cromwell-Zeit, aber er bediente sich auch einer martyrologischen Sprache, wenn es um die Opfer des Regimes ging. Zu Lynch gesellten sich andere Berichte, die das Schicksal von Priestern in offenkundig religiösen Begriffen beschrieben. Der Dominikaner Daniel O‘Daly, der in den 1650er Jahren in Portugal im Exil lebte, versuchte in „The Geraldines, Earls of Desmond and the Persecution of the Irish Catholics“ (1655) eine Bestandsaufnahme der 1640er und 1650er Jahre; indem er die unter dem Regime getöteten Priester beschrieb, ordnete er seine Erzählung in ein größeres Raster sakraler Erinnerungsarbeit ein.67 Indem er von seinem Dominikanerkollegen Terence Albert O'Brien berichtet, beschreibt O‘Daly einen Mann, der durch sein Handeln unter Zwang zum Heiligen erhoben wurde. Wie andere Märtyrer hält auch O‘Brien eine letzte Sterbensrede, in de8r er eine höhere Gerechtigkeit anruft („although I am denied mercy here on earth, yet I doubt not but to receive it in heaven“), während er in seinem Todeskampf betet, „that this cup might pass away from me“.68 Vor allem beteuert O‘Brien, dass er „for the ancient Catholique Religion“ und die „preservation of this poor Church in her truth, peace, and patrimony“ gestorben sei.69 Wunder und göttliche Gerechtigkeit begleiten seinen Tod, denn Henry Ireton, der Befehlshaber der New Model Army nach Cromwells Abreise aus Irland, wird von der Pest heimgesucht und stirbt zur Strafe für das, was er dem Heiligen angetan hat, einen grausamen Tod. Solche Schilderungen stärkten nicht nur die Moral der zeitgenössischen Katholiken, sondern gaben auch Hoffnung auf eine künftige Erlösung und die Rückkehr des Glaubens an die Macht eines Tages. An die Märtyrer der Cromwellianer erinnerte sich vor allem der Exil-Franziskaner Anthony Bruodin70, dessen Werk „Propugnaculum Catholicæ Veritatis“ aus dem Jahr 1669 angeblich eine Darstellung der Häresien seit Anbeginn der Zeit enthielt, auch wenn es mehr Erzählungen über Priester enthielt, die in der Cromwell-Zeit getötet oder deportiert wurden. Wie seine Zeitgenossen wandte sich Bruodin einer Vergangenheit zu, die sich für aktuelle Probleme als nützlich erweisen konnte; in diesem Fall versuchte er, eine wirksame Propaganda zu schaffen, um ausländische
66 Ebd., S. 193. 67 Ford 2001, S. 51-52. 68 Zu Terence Albert O’Brien, O’Daly, The Geraldines 1847, S. 197; Corish/Millet 2005 S. 157-164; O'Reilly 1868, S. 232-238; Meehan 1864, bes. S. 246-258. 69 Fenning 1996, S. 52-58. 70 Zu Bruodin siehe Millett 1964, S. 245-248; zu Bruodin in Prag siehe Kuchařová/Pařez 2015, S. 76-85, insb. S. 80-83; Jennings 1939, S. 210-222; McInerney 2017, S. 214; Pařez 2003, S. 108-109; Kelly 1922, S. 169-174.
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monarchische Unterstützung für Irlands Katholiken zu gewinnen und Material zu bieten, das seine Priester heiligsprechen könnte. Das Werk war auch persönlich: Zu den Opfern, die er beschrieb, gehörte sein eigener Verwandter, Dermot Bruodin of Moynoe, ein Mann edler Herkunft, der laut Bruodin von den Truppen Cromwells lebendig verbrannt wurde.71 Cromwell selbst erscheint in dem Werk als „archtraitor“ und „regicide“, als „rebel“ und „tyrannus“, der einen Haufen von Sekten beaufsichtigt.72 Es wird über Drogheda und Wexford berichtet, einschließlich eines Vorfalls, in den Bruodin einen Priester verwickelt sieht, der von Cromwell dazu verleitet wurde, seinem Glauben abzuschwören; im Allgemeinen sei Irland unter Cromwell entirely subjugated, and scourged by God with pestilence, famine, and the sword, the churches […] everywhere profaned, the altars overthrown, the sacred images broken to atoms, the crosses trampled underfoot, the priests banished or led to the scaffold.
„No words“, fuhr er fort, „can express how many and how great were the evils which the Catholics that survived were compelled to endure“.73 Bruodin’s Darstellung wurde im 19. Jahrhundert von Schriftstellern wie Kardinal Francis Moran oder Thomas D‘Arcy McGee zitiert und vergrößert, die diese Erzählungen an die politischen und religiösen Erfordernisse einer neuen Zeit anpassten. In der Tat wurden die Grundlagen des späteren irischen Nationalismus und der irischen Staatsauffassung erstmals im späteren 17. Jahrhundert gelegt, als die Menschen versuchten, sich an die Erfahrungen der 1650er Jahre zu erinnern und sie manchmal auch zu vergessen. Das Cromwellsche Irland wurde durch noch vielfältigere Prismen betrachtet als die in diesem Aufsatz vorgestellten. Das spiegelt die große Bandbreite derer wider, die von dem von Cromwell geleiteten Kolonialstaat betroffen waren. Für die Enteigneten brachte Cromwell eine utilitaristische Welt mit Neuankömmlingen, Sektierern und Radikalen mit sich; für die Royalisten stellte sein Staat einen Bruch und für die Republikaner letztlich einen Verrat dar. Das größte Vermächtnis des Staates – die Neuordnung des gesamten Territoriums durch Konfiszierung und Eigentumsübertragung – wurde von Anfang an in bitterer Erinnerung behalten und sollte nie vergessen werden. Die katholischen Erinnerungen an die Verfolgungen Cromwells wurden von Generation zu Generation weitergegeben, wobei spätere Polemiker aus den früheren Quellen zitierten und gleichzeitig versuchten, Veränderungen in der Gegenwart zu bewirken. Ob diese Erinnerungen an Cromwell sachlich korrekt waren oder nicht, ist nebensächlich. Cromwell diente als emotional starker Aufhänger, mit dem Erinnerungen an den englischen Kolonialstaat wachgerufen und polemisch aufbereitet werden konnten. Während sie manchmal ein gemeinsames Vokabular mit den Erinnerungen an Cromwell in England und
71 Bruodin, Propugnaculum Catholicae 1669, S. 717; McInerney 2017, S. 215-216. 72 Bruodin, Propugnaculum Catholicae 1669, S. 679, 719. 73 Moran, Historical Sketch 1866, S. 262.
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Schottland teilten, erinnern sie uns auch daran, dass die Erinnerung vor allem an einen Ort gebunden ist, und in diesem Fall an das besondere Schicksal, das Irland durch die englische Herrschaft widerfuhr.
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Ulrich Niggemann Welcher Cromwell? Perspektiven auf Staatsverständnisse der Cromwell-Zeit
Die Publikation von „Oliver Cromwell’s Letters and Speeches“ durch Thomas Carlyle 1845 gilt bis heute als eine Art Zäsur in der Rezeption und wissenschaftlichen Erforschung Oliver Cromwells.1 Hatte Samuel Johnson im 18. Jahrhundert noch eine Biographie Cromwells ad acta gelegt, in der Annahme, dass „all that can be told of him is already in print“2, so nahm mit der Edition Carlyles eine quellenbasierte Cromwell-Forschung im 19. und 20. Jahrhundert erst richtig Fahrt auf. In den „authentic utterances of the man Oliver himself“ sahen Carlyle und viele Biographen den eigentlichen Schlüssel, um Cromwell zu verstehen, ihn als „the soul of the Puritan Revolt“ zu erfassen und um damit eben auch die Geschichte des 17. Jahrhunderts neu zu schreiben.3 Man wird heute einem solchen Zugang sicher skeptisch begegnen müssen.4 Die Reden und Briefe Cromwells bedürfen – wie alle anderen Quellen auch – einer Kontextualisierung, sie sind nicht einfach als Spiegel innerer Überzeugungen zu lesen, sondern als situationsbedingte, rhetorische, ja inszenierte Äußerungen, denen folglich zu unterstellen ist, dass sie auf eine bestimmte Wirkung angelegt waren. Aus einer philosophischen, politiktheoretischen oder auch rechtshistorischen Perspektive mag es durchaus legitim erscheinen, Texte der Vergangenheit in einer textimmanenten Lesart als Ausgangspunkt der Reflektion gegenwärtiger und aktueller Problemlagen zu nutzen und darin nach Lösungsansätzen zu suchen, solange man dabei in dem Bewusstsein agiert, sich selbst in eine lange Kette von Rezeptionen und Aneignungen einzureihen, die dem Text neue Bedeutungen geben und ihn somit aus seinen historischen Kontexten lösen. Für die Historikerin und den Historiker hingegen geht es darum, nicht nur den Text aus seinen Entstehungszusammenhängen heraus zu verstehen, ihn als Teil vergangener Debatten und Diskurse zu lesen, sondern auch die vielfältigen Rezeptionen und Brechungen zum Gegenstand wissenschaftlicher Reflektion zu machen. Universell gültigen Bedeutungen und Wahrheiten hingegen steht die historische Wissenschaft als empirisch, und eben nicht normativ ausgerichtete Disziplin skeptisch gegenüber. Das gilt vielleicht umso mehr, wenn 1 2 3 4
Carlyle 1845. Ansonsten die stark erweiterte Fassung der Edition Carlyle 1902-1903. Zitiert nach Gaunt 1996, S. 7. Carlyle 1845, Bd. 1., S. 15. Vgl. etwa Hutton 2021, S. 3f.
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die historische Äußerung nie als Versuch einer Systematisierung vorhandener Debattenstränge gedacht war, sondern – wie die Reden und Briefe Cromwells – ganz auf Tagesaktualität und politisch-situative Wirkung angelegt war. Damit aber stellt sich noch einmal das Problem, ob die Frage nach einem „Staatsverständnis“ Oliver Cromwells überhaupt richtig gestellt ist. Welche Art von Einsichten gewinnen wir also, wenn wir uns mit den Ordnungs- und Herrschaftsvorstellungen Cromwells und seiner Zeitgenossen befassen? Um eine solche Frage überhaupt adäquat beantworten zu können, gilt es, sich der Tradition zu vergewissern, in der jede Beschäftigung mit Cromwell, der Englischen Revolution und dem Interregnum steht. Es geht also darum, sich die Kontexte unterschiedlicher historischer Phasen der Befassung und Auseinandersetzung mit diesen Themenkomplexen zu vergegenwärtigen, um die jeweilige Zeitgebundenheit vergangener Äußerungen zu verstehen und die eigene Lesart darin zu verorten. Dabei wird zu differenzieren sein zwischen dem Umgang mit Cromwell und der Aneignung zeitgenössischer systematischer Texte – nicht zuletzt weil letztere durchaus auch in Abgrenzung von oder gar Kritik an ersterem zu verstehen sind.5
I. Cromwell-Erinnerungen im 17. und 18. Jahrhundert In der Folge der Restauration der Monarchie im Mai 1660 wurde die Zeit der Bürgerkriege und des Interregnum horrifiziert. Zwar galt eine weitgehende Amnestie, von der nur die unmittelbar am Regizid von 1649 beteiligten Akteure ausgenommen waren6, doch sowohl die wiederhergestellte Anglikanische Kirche als auch das von cavaliers beherrschte Parlament betrieben eine Erinnerungspolitik, die die Phase ab 1642 ausgesprochen negativ auflud und ein alternatives Narrativ nicht zuließ. Mehr noch: Große Teile der Landbevölkerung schienen die Rückkehr zur Erbmonarchie zu begrüßen, während Bürgerkrieg, Commonwealth, puritanische Herrschaft und Protektoratsregime mit Instabilität, stehendem Militär und hohen Steuern assoziiert wurden. Cromwell erschien in dieser Phase als hinterlistiger, ambitionierter und skrupelloser Königsmörder, Usurpator und Tyrann.7 Der 29. Mai wurde als jährlicher Freudentag, als Thanksgiving für die Rückkehr Karls II. nach England fest im Book of Common Prayer etabliert. Und ebenso wurde der 30. Januar als jährlicher Gedenk-, Buß- und Fastentag eingeführt, so dass das Kirchenjahr um zwei Feiertage erweitert wurde, die in enger Übereinstimmung zwischen Thron und Altar den Gläu5 Dazu u.a. Ronald G. Asch im vorliegenden Band. 6 Niedergelegt etwa schon der Deklaration von Breda Karls II. vom 4. April 1660 sowie schließlich in der Act of Indemnity and Oblivion vom 29. August 1660; vgl. Miller 2000, S. 161-164; Keeble 2002, S. 68-76; Harris 2006, S. 44, 47f. 7 Vgl. Neufeld 2013, S. 17-54; Sharpe 2010, S. 534; Worden 2001, S. 215f.; Knoppers 2000, S. 173-193; Gaunt 1996, S. 9f.
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bigen die Pflicht zum Gehorsam gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit sowie die Sünde des Widerstands und der Rebellion vor Augen führen sollten.8 Gerade die jährlichen Predigten zum 30. Januar, die an den Regizid, die Hinrichtung Karls I. im Jahr 1649 erinnerten, waren eine regelmäßig wiederkehrende Mahnung, den von Gott eingesetzten Obrigkeiten gegenüber gehorsam zu sein und die nationale Schuld des Königsmords sich niemals wiederholen zu lassen.9 Die „cruelty of the bloudy rage“ der Rebellen wurde der Milde des Königs gegenübergestellt, der Regizid als „the most horrid murther that ever the Sun saw“ angeprangert.10 Eine andere Predigt argumentierte, dass das Christentum die Obrigkeit nicht zerstöre, sondern stärke und dass folglich die Rebellen sich nicht auf die christliche Religion hätten berufen können, ja dass sie gar keine Religion gehabt hätten.11 Auch außerhalb Englands wurden die Revolution und die Person Cromwells vielfach reflektiert. Der unmittelbare Zeitgenosse Maiolino Bisaccioni (1582-1663), der mit seiner „Historia delle Guerre civili di questi ultimi tempi“ von 1653 eine Deutung der zahlreichen Revolten und Revolutionen der 1640er Jahre bot, ging detailreich und ausführlich auch auf die Ereignisse in England ein.12 Bisaccioni deutete die Englische Revolution vor allem als religiösen Konflikt, wobei er die Schuld eindeutig bei den Calvinisten sah. Insbesondere die Independenten, zu denen er explizit auch Cromwell rechnete, kamen nicht gut weg: Sie lehnten jede Ordnung in der Kirche, ja Kirche überhaupt ab und legten allein Wert auf die persönliche „Meinung“ („opinione di credenza“) des Einzelnen.13 Cromwell selbst erschien als ambitionierter Militär, der seine Macht allein auf seine Soldaten stützte.14 Als „Usurpateur“ firmierte Cromwell auch in der „Histoire des Revolutions d’Angleterre“ des französischen Jesuitenpaters Pierre Joseph d’Orléans (1641-1698).15 Unter dem Deckmantel und Namen einer Republik habe Cromwell eine Herrschaft errichtet, die weitaus absoluter gewesen sei als die Monarchie, und er habe gezielt auf die Beseitigung letzterer hingearbeitet.16 Damit sind nur zwei Beispiele aus einer vielfältigen, insgesamt aber verurteilenden Rezeption Cromwells und des Commonwealth in Europa angedeutet. Wenn in der Folge der Glorious Revolution von 1688/89 Vergleiche mit der Cromwell-Ära gezogen wurden, so stets zum Nachteil der eigenen Gegenwart. 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. zu den Feiertagen Cressy 2004, S. 171f.; Lacey 2002; ders. 2003; ders. 2007; Sharpe 2000. Zur politischen Wirkung Kenyon 1977, S. 65-82. King, Sermon on the 30th of January 1661, S. 61f., 81. Meriton, Curse not the King 1661, S. 24. Bisaccioni, Historia 1653, S. 1-217. Vgl. zur Person und zum Werk Rachum 1999, S. 49f. Bisaccioni, Historia 1653, S. 123f. Ebd., S. 216f. D‘Orléans, Histoire 1724, Bd. 4, S. 1. Vgl. Lutaud 1990, S. 594f.; Troxler 1993, Sp. 1274-1276; Niggemann 2017, S. 91f. D‘Orléans, Histoire 1724, Bd. 4, S. 1-4.
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Und für König Wilhelm III. waren gelegentliche Parallelisierungen mit Cromwell, wie sie in französischen und bisweilen auch in revolutionskritischen englischen Medien vorgenommen wurden, stets als Angriff auf die Person des 1689 gekrönten Monarchen gedacht, stellten sie ihn doch als Usurpator und Tyrannen dar.17 Die Bürgerkriege und die Revolution der 1640er Jahre sowie das folgende Interregnum waren stigmatisiert. Wer die Glorious Revolution oder die Hannoversche Thronfolge 1714 verteidigen wollte, der sah sich genötigt, sie strikt von den Ereignissen der 1640er Jahre abzugrenzen. Auch die um 1671 fertiggestellte, aber erst während des intensiven Parteienstreits unter Königin Anna ab 1702 posthum veröffentliche „History of the Rebellion and Civil Wars in England“ von Edward Hyde, Earl of Clarendon (1609-1674), wirkte als toryistische Geschichtsinterpretation und stellte eine wirkmächtige Verurteilung der Revolution dar.18 Wie kaum eine andere Publikation verfestigte dieses Buch das Bild von der negativen Rebellion, die sich deutlich von der positiv besetzten Glorious Revolution von 1688/89 unterschied.19 Diese ‚Tory-Interpretation‘ der englischen Geschichte wirkte freilich weit ins Whig-Lager hinein. Es waren ja auch moderate Whigs, die in den frühen Jahren nach der Glorious Revolution sowie während der langen Whig Supremacy in der Regierungszeit der ersten beiden Hannoveraner-Könige die „rebellion“ der 1640er und 1650er Jahre ablehnten, Cromwell als Usurpator verurteilten und das Revolution Settlement der Jahre nach 1689 als legitimen Akt des Widerstands gegen eine tyrannische Herrschaft und als Wiederherstellung der guten alten Verfassung bewerteten.20 Eine solche moderate Whig-Position vertrat etwa der Bischof von Salisbury, Gilbert Burnet (1643-1715), der als Kaplan Wilhelms III. direkt an der Glorious Revolution beteiligt war und später eine umfangreiche „History of His Own Time“ schrieb, die 1724 posthum veröffentlicht wurde.21 Auch für Burnet waren der Bürgerkrieg und das Interregnum eine negativ besetzte Phase der jüngeren englischen Geschichte, die deutlich zu unterscheiden war von der positiv konnotierten Revolution von 1688/89.22 Zu Cromwell äußerte Burnet sich ausführlich: Mit Dissimulation und Hinterlist habe Cromwell das Parlament manipuliert und von royalistischen Kräften gereinigt. Er habe sich gegen Episkopalisten, Presbyterianer und sogar gegen die Republikaner durchsetzen müssen und habe dies einzig durch seine Autorität über die Armee bewerkstelligen können. Schließlich habe er geschickt die Parteien
17 Vgl. Sharpe 2010, S. 534; Niggemann 2017, S. 154, 207-210; ders. 2018b, S. 152f. 18 Clarendon, History 1969. Vgl. Kenyon 1977, S. 80f.; Okie 1991, S. 21f.; Richardson 1998, S. 28-36; Knights 2006, S. 350f.; Neufeld 2013, S. 158-160. 19 Niggemann 2017, S. 331f.; ders. 2018a. 20 Vgl. Kenyon 1977, S. 110-113; Worden 2001, S. 7-10. Zu den verschiedenen Varianten der Erinnerung besonders an die Glorious Revolution vgl. Niggemann 2017. 21 Zu Burnet vgl. Clarke/Foxcroft 1907; Greig 2013; und speziell zum Geschichtswerk ders. 2007. 22 Burnet, History 1969, Bd. 1, S. 9-164.
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gegeneinander ausgespielt.23 Freilich gesteht Burnet ihm einen ernstgemeinten Eifer für den Protestantismus zu.24 David Humes (1711-1776) Urteil, in seiner „History of England“ fiel noch negativer aus: Cromwell sei ein Mann der Extreme gewesen, ungezügelt zunächst in Vergnügungen und später in religiösem Fanatismus, hasserfüllt gegenüber dem König, aber fähig, das Militär für seine Zwecke zu nutzen.25 Überzeichnungen und bisweilen geradezu hysterisch wirkende Verzerrungen eines angeblichen republikanischen Untergrunds, der sich im Calves-Head Club treffe, zur Erinnerung an den Regizid Kälber enthaupte, um dann den Kopf zu verspeisen und sich mit Toasts auf Cromwell und die ‚Königsmörder‘ zu betrinken26, trugen sicher mit dazu bei, dass Whigs sich deutlich von Cromwell und dem Commonwealth zu distanzieren versuchten und jeden Verdacht, sie planten einen solcherart antimonarchischen und republikanischen Umsturz, weit von sich wiesen. Vereinzelte Stimmen wie diejenige von William Stephens (1649/50-1718), der im Jahr 1700 die Abschaffung des 30. Januar als nationalen Bußtag forderte, lösten dementsprechend mediale Empörung aus.27 Vor diesem Hintergrund lässt sich nur leicht überspitzt die These formulieren, dass die Figur Cromwell in ihrer Funktion als Negativfolie viel stärker als ‚konservatives‘ Leitbild diente denn als revolutionäres Vorbild. Ängste vor einem erneuten Angriff auf die Monarchie artikulierten sich nicht selten über die Figur Cromwells, die damit eben auch der Diskreditierung von Whig-Positionen diente. Bis in die bildlichen Symbole hinein verbanden sich mit der Henkersaxt und der Figur Cromwells diese Assoziationen mit Königsmord, Anarchie und republikanischer Tyrannei als Gegensätze zur hergebrachten Monarchie und Mischverfassung, die als Garanten von Freiheit und Stabilität wahrgenommen wurden. Im sogenannten „rage of party“28, dem intensivierten Parteienstreit der Regierungszeit Königin Annas, wurden Low-Church-Kleriker und Whigs wie Benjamin Hoadly (1676-1761) durch die unterstellte Verbindung mit Cromwell diskreditiert. So zeigt ein satirisches Flugblatt mit dem Titel „Guess att my Meaning“ Benjamin Hoadly beim Verfassen eines Pamphlets, und hinter ihm steht Cromwell mit der Henkersaxt, wohl um ihm den Text einzuflüstern. Im Bücherregal sind unter anderen die Werke von James Harrington, Algernon Sydney, John Milton und Thomas Hobbes zu erkennen.29
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Ebd., S. 82-86, 119-135. Ebd., S. 140-142. Hume, History 1983, Bd. 6, S. 55-64. Vgl. Wexler 1979; Okie 1999, S. 195-204; Wootton 2005. Vgl. etwa Orihell 2011; Knights 2006, S. 357-366. Orihell 2011, S. 442f. Begriff bei Plumb 1982, S. 129-158. Vgl. zur Parteienentwicklung auch Hill 1996. Guess att my Meaning 1709. Vgl. dazu Niggemann 2017, S. 376-381.
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Abb. „Guess att my Meaning“ – satirischer Kupfersticht auf Benjamin Hoadly (London, British Museum 1870,1008.1044) In diesem Sinne mochte der Cromwell-Rekurs eher Staats-, Herrschafts- und Ordnungsvorstellungen stützen, die auf eine Bewahrung des politischen und sozialen Status Quo der Restaurationszeit und auch noch der Ära nach der Glorious Revolution zielten. In der in der Folge der Revolution von 1688/89 sich allmählich etablierenden politischen Parteienstruktur, in der die Narrative über die Revolutionen der Vergangenheit Zugehörigkeiten und Identitäten definierten, war eine negative Haltung zu Cromwell Ausweis eines Bekenntnisses zur hergebrachten Ordnung, während eine affirmative Position kaum bezogen werden konnte, auch nicht von jenen Kräften, die im Laufe des 18. Jahrhunderts weitere Reformen forderten. Erst allmählich und nur vereinzelt äußerten sich Autoren auch positiv über Cromwell. Die „History of Puritanism“ von Daniel Neal (1678-1743) etwa lobte Cromwells Regierung als „carried on with the most consummate wisdom, resolution and suc-
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cess“.30 Freilich hieß das nicht zwingend, dass Cromwells Handeln oder der aus der Revolution hervorgegangene Staat damit gutgeheißen wurden. Es liegt auf der Hand, dass eine solche breite Verurteilung Cromwells sich nicht auf dessen überlieferte Äußerungen stützte, ja ihn selbst kaum zu Wort kommen ließ. Vielmehr diente die Figur Cromwell als Verkörperung des Rebellen und Tyrannen, als Symbol all dessen, was sowohl Anhänger einer starken Monarchie und eines High-Church-Anglikanismus als auch einer parlamentarischen Monarchie und eines breiteren Kirchenverständnisses ablehnten. Und ähnliches gilt auch für die europäischen Wahrnehmungen und Deutungen Cromwells und der CromwellZeit. Als Träger eines revolutionären oder republikanischen Staatsverständnis taugte Cromwell daher weder im 17. noch im 18. Jahrhundert. Wer versuchen wollte, republikanische Ideen in den Diskurs einzubringen, berief sich lieber auf Texte, die möglichst nicht aus der Bürgerkriegszeit und dem Interregnum stammten oder, falls doch, nicht unmittelbar mit Cromwell und dem Regizid verbunden waren. So publizierte der Republikaner Robert Molesworth (1656-1725), als auf einem der Höhepunkte des „rage of party“ 1710 eine Tory-Regierung gewählt worden war, eine Übersetzung der „Franco-Gallia“ von François Hotman als Stellungnahme gegen eine ausschließlich erbrechtlich begründete Monarchie.31 Dagegen wagte es der radikale Whig und Deist John Toland immerhin bereits im Jahr 1700, „The Commonwealth of Oceana“ von James Harrington wiederzuveröffentlichen und damit einen der zentralen republikanischen Texte der Cromwell-Ära wieder in die Debatte einzubringen.32 Es waren aber gerade auch die radikaleren Whigs mit republikanischen Neigungen, die Cromwell wegen seines Protektorats ab 1653 und der damit zerstörten republikanischen Idee verurteilten, die sich also, gerade wenn sie sich auf Harrington, Milton oder Nedham beriefen, von Cromwell distanzierten.33 Nonkonformisten und Dissenters hingegen bemühten sich vielfach eher darum, den Puritanismus der Regierungszeit Karls I. von der Beteiligung an Revolution und Regizid reinzuwaschen, wie etwa noch die schon erwähnte zwischen 1732 und 1738 in vier Bänden erstmals erschienene „History of the Puritans“ von Daniel Neal.34 Zwar ist es richtig, wenn Blair Worden in seiner Studie zum Umgang mit der Erinnerung an das Commonwealth auch auf positive Darstellungen seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert hinweist35, doch handelt es sich dabei eben doch um eine Minderheit von zumeist einem politisch radikalen Spektrum zuzuordnenden Schriften. 30 Zitiert nach Seed 2005, S. 57. 31 Hotman, Franco-Gallia 1711. Der Text war ursprünglich in lateinischer Sprache 1574 während der Französischen Religionskriege erschienen, vgl. Bermbach 1985, S. 112-114. Zu Molesworth Hayton 2008; und zum Publikationskontext Kenyon 1977, S. 156f. 32 Toland, Oceana 1700. Vgl. zu Toland Daniel 2008; und zu seiner Harrington-Edition Champion 1992, S. 198-210. 33 Vgl. Worden 2001, S. 219f. 34 Vgl. Seed 2005, S. 54-57. 35 Beispiele bei Worden 2001, S. 222-225.
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II. Cromwell im 19. Jahrhundert Zu Beginn des 19. Jahrhunderts und vor dem Hintergrund der Französischen Revolution diente Cromwell weiterhin oft als abschreckendes Bild von Rebellion und Tyrannei. Nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den USA wurde dieses Negativbild Cromwells gepflegt und verargumentiert. Trotz gelegentlicher positiver Bezugnahmen im Umfeld der Amerikanischen Revolution, überwog nach dem Unabhängigkeitskrieg das Negativbild einer auf dem Militär gestützten Tyrannei. So wurde George Washingtons republikanisches Ethos, seine „disinterestedness“ und sein den Verlockungen der Macht widerstehender Charakter, der ihm den Beinamen eines amerikanischen Cincinnatus einbrachte, mit den diktatorischen Ambitionen eines Julius Caesar und eines Oliver Cromwell kontrastiert.36 Noch 1877 griff der Journalist und Freidenker Charles Bradlaugh (1833-1891) diesen Vergleich auf, um George Washington in ein positives Licht zu rücken, freilich ohne dabei in der Tradition des 17. und 18. Jahrhunderts Cromwell komplett zu verwerfen. Durchaus mit Bewunderung für Cromwells militärische Fähigkeiten und für seine Willenskraft, mit der er die englische Nation unterworfen habe, hielt er Washington doch für den ehrenvolleren Mann, der sich dem Willen seiner Nation untergeordnet habe.37 Zugleich hat die Forschung bereits seit den 1960er Jahren vermehrt darauf hingewiesen, in welchem Maße sich gerade in den nordamerikanischen Kolonien republikanische Vorstellungen auf der Grundlage von Denktraditionen entwickelt hätten, die wesentlich auf zentrale Schriften der Commonwealth-Zeit, nicht zuletzt James Harringtons „Commonwealth of Oceana“ gegründet gewesen seien.38 Das 18. Jahrhundert hindurch habe es in England – etwa im Rahmen der sogenannten Country-Opposition gegen die als Court Whigs diffamierte Clique herrschernaher Whig-Familien – eine implizite Bezugnahme auf das Gedankengut des englischen Commonwealth gegeben. Dieses sei also durchaus positiv rezipiert und weitergeführt worden, ohne dass dabei explizit Bürgerkrieg und Interregnum eine Neubewertung erfahren hätten.39 Eine solche Neubewertung entwickelte sich erst allmählich gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als radikale, auf tiefgreifendere Reformen drängende Whigs wie Catherine Macaulay (1731-1791) das Negativbild der Bürgerkriege relativierten. Im Rahmen dieser Reformdebatten, in die auch das Jubiläum der Glorious Revolution 1788 fiel, wurde allmählich Kritik am nun als ‚konservativ‘ gedeuteten Charakter der Ereignisse von 1688/89 deutlich. Richard Price (1723-1791), Catherine Macaulay, William Godwin (1756-1836) und andere forderten, dass die revolutionären Errungenschaften weitergeführt werden müssten und blickten nun, 36 Vgl. Niggemann 2009, S. 127f.; außerdem Hill 2019, S. 228. 37 Bradlaugh, Cromwell and Washington 1877. Zu Bradlaugh vgl. Royle 2011. 38 Insbesondere Robbins 1961; Wood 1998; Bailyn 1977; Pocock 2003, S. 462-552. Zusammenfassend auch Shalhope 1972; Rodgers 1992. 39 Vgl. etwa Worden 2001.
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auch vor dem Hintergrund der Ereignisse der Französischen Revolution positiver auf den fundamentaleren Umsturz von 1649, ohne indes die Person Cromwells in ein günstigeres Licht zu rücken. Teilweise wurde er gerade bei diesen Autoren als Verräter an den Idealen der Revolution präsentiert.40 Vergleiche mit Danton und Robespierre in der Französischen Revolution stützten sich ebenfalls vor allem auf das Negativimage Cromwells und dienten der Diskreditierung der Terrorherrschaft der Jahre 1793/94, und ähnliches gilt zumeist auch für Vergleiche mit Napoléon Bonaparte.41 Dies änderte sich in den Jahren nach den napoleonischen Kriegen, in der Phase der heftigen Debatten um eine Parlamentsreform in England und im Zuge der sozialen Verwerfungen der Hochindustrialisierung. Im viktorianischen Zeitalter erschien Cromwell als Liberaler, als Reformer, der einerseits für die Freiheit und gegen eine ‚absolutistische‘ Monarchie gekämpft habe, zugleich aber radikale und sozialrevolutionäre Umbrüche verhindert habe. In diesem Sinne galt er auch als Verkörperung der entstehenden englischen Mittelschicht, die um ihre Aufstiegschancen in einer liberalisierten sozialen Hierarchie bemüht war.42 Enorm einflussreiche Historiker wie Thomas Babington Macaulay (1800-1859) oder John Richard Green (1837-1883) nahmen in ihren großen Gesamtdarstellungen der englischen Geschichte eine besonders kritische Haltung gegenüber den Stuart-Königen ein und rechtfertigten damit mehr oder weniger offen die Revolution und das Commonwealth.43 Insbesondere der schon erwähnte Thomas Carlyle betrieb eine nachträgliche Heroisierung Cromwells, die dann von Samuel Rawson Gardiner (1829-1902) und Charles H. Firth (1857-1936) in ihren biographischen Arbeiten fortgeführt wurde.44 Bei Carlyle verband sich die Hochschätzung Cromwells auch mit seiner Bewunderung für den Puritanismus des 17. Jahrhunderts, den er weitgehend gleichsetzte mit nonkonformistischen religiösen Bestrebungen seiner eigenen Zeit und den er für ein Gegenmittel gegen moralischen Verfall und Verlust von Religion seit dem 18. Jahrhundert hielt. Anders als bei einigen Autoren des 18. Jahrhunderts, die eine positive Bewertung Cromwells und der Revolution mit radikalen Reformideen verbanden, bediente also 40 Vgl. Worden 2001, S. 226f.; Richardson 1998, S. 63-69; Ludwig 2003, S. 68-79. 41 Hier besteht durchaus noch Bedarf für eine quellennahe Untersuchung. Vgl. immerhin die knappen Hinweise bei Hill 2019, S. 228; Pennington 1973, S. 225; und zu den Einflüssen und Rezeptionsprozessen zwischen der Englischen und der Französischen Revolution Lutaud 1990. 42 Zum Cromwell-Bild der viktorianischen Ära vgl. Gaunt 1996, S. 10f.; Worden 2001, S. 243-263. 43 Thomas Babington Macaulay konzentrierte sich zwar stärker auf die Glorious Revolution und positionierte sich als Kritiker einer gewalttätigen Revolution, wie er sie als Zeitgenosse der 1848er Revolutionen auf dem Kontinent beobachtete, hatte aber in frühen Jahren durchaus Sympathien für das Commonwealth gezeigt; deutlicher noch wurde J.R. Green; vgl. dazu Richardson 1998, S. 80-82; Worden 2001, S. 228f. 44 Zu Gardiners und Firths Sicht auf Cromwell und die Englische Revolution Pennington 1973, S. 227f.; Richardson 1998, S. 91-96, 101-104; Hill 2019, S. 223-225; Worden 2001, S. 259-261.
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bei Carlyle die Heroisierung Cromwells und des Puritanismus auch einen antimodernen, antiaufklärerischen Reflex.45 Wie umstritten Cromwell freilich noch am Ende des 19. Jahrhunderts war, zeigt die Kontroverse um eine Statue vor dem Palace of Westminster, also direkt vor dem Parlamentsgebäude. Angesichts des dreihundertjährigen Geburtstags Cromwells schlugen Abgeordnete die Errichtung einer Statue vor. Der Vorschlag löste heftige Debatten aus – im Parlament wehrten sich konservative Abgeordnete ebenso wie die irische Parlamentsfraktion gegen eine solche Ehrung Cromwells, und auch in der Presse wurde die Kontroverse leidenschaftlich ausgefochten. Am Ende konnte – finanziert durch den ehemaligen Premierminister Archibald Primrose, Earl of Rosebery (1847-1929) – die Statue von Hamo Thornycroft (1850-1925) direkt an der Westminster Hall enthüllt werden.46 Das 20. Jahrhundert brachte dann Vergleiche Cromwells mit den neuen Diktatoren und totalitären Regimen hervor und führte zur Debatte über das Cromwell-Regime als Militärdiktatur.47 Schwieriger war das Verhältnis des Marxismus zu Cromwell und zur Englischen Revolution. Tatsächlich gab es innerhalb der englischen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert Ansätze einer Vereinnahmung Cromwells als Kämpfer für die Freiheit des Volkes gegen Monarchie und Aristokratie.48 Auch Karl Marx hatte vereinzelt auf die Englische Revolution Bezug genommen und sie in die bürgerlichen Revolutionen eingeordnet, die gewissermaßen als Vorläufer der Französischen Revolution den Übergang von der Feudalgesellschaft zur kapitalistischen Gesellschaft führen sollten. Zu Cromwell hatte er indes wenig zu sagen.49 Insgesamt aber zeichnete sich die englische marxistische Revolutionsforschung ab dem 20. Jahrhundert stärker durch eine Perspektive aus, die weniger einzelne Personen als vielmehr die langfristigen Prozesse und Konjunkturen in den Blick nahm – von Richard Tawneys These vom „rise of the gentry“ bis hin zu den Deutungen der Revolution als einem Klassenkampf, der langfristige, bis mindestens ins 16. Jahrhundert zurückreichende Ursachen hatte.50 Es waren somit eher die revisionistischen Ansätze seit den 1960er Jahren, die nicht nur den Akteuren in der Geschichte wieder stärkere Bedeutung beimaßen und dabei die langfristigen Prozesse für unwichtiger hielten, sondern mit dieser Perspektive auch zu einer gewissen Entideologisierung der Englischen Revolution und Cromwells beitrugen.51
45 Vgl. Pennington 1973, S. 226f.; Richardson 1998, S. 85f.; Worden 2001, S. 264-295; Zagorin 2001; Hill 2019, S. 223; und allgemein zu Carlyle auch Fasbender 1989; Morrow 2006. 46 Zum Statuenstreit Worden 2001, S. 296-315; und ganz knapp Gaunt 1996, S. 8. 47 Vgl. Gaunt 1996, S. 11; Gentles 2011, S. 201. 48 Worden 2001, S. 248. 49 Vgl. Pennington 1973, S. 228f.; Ludwig 2003, S. 267-304. 50 Vgl. Richardson 1998, S. 113-140; und zum Marxismus in der britischen Geschichtswissenschaft Kaye 1995. 51 Zum Revisionismus Hellmuth 1989; Burgess 1990; Asch 1995; Richardson 1998, S. 1162-238.
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III. Cromwell, der Republikanismus und der moderne Staat Eine echte Auseinandersetzung mit Cromwell, mit seinem Denken und seinem Herrschaftsverständnis wurde tatsächlich erst möglich mit dem erleichterten Zugang zu seinen eigenen Äußerungen. Carlyles „Letters and Speeches“ legten dafür die Grundlage, die Editionen von Wilbur C. Abbott (1869-1947) und Charles L. Stainer führten diesen Ansatz fort und lieferten weiteres Material. Dass diese Quellengrundlage alles andere als unproblematisch ist – insbesondere die Reden basieren auf Notizen von Hörern und sind zudem stark situationsabhängig – soll hier nicht weiter erörtert werden.52 Vielmehr steht am Ende dieses Bandes noch einmal die Frage nach dem Erkenntnisinteresse und den Erkenntnismöglichkeiten einer Auseinandersetzung mit Staatsverständnissen Cromwells und der Akteure der Englischen Revolution. Der Überblick über die wechselnden Rezeptions- und Aneignungstraditionen zeigt deutlich, dass ein unverstellter Zugang zu Vorstellungen und Verständnissen, womöglich gar den inneren Überzeugungen Cromwells und seiner Zeitgenossen kaum möglich ist. Wohl aber lassen sich diese Traditionen und Perspektiven selbst als Forschungsgegenstand fruchtbar machen. Debatten über die Ereignisse der 1640er und 1650er Jahre rissen im Laufe der folgenden Jahrhunderte nie ab, sondern beschäftigten Intellektuelle ebenso wie Politiker und weitere Teile der Bevölkerungen. Sie dienten als Mahnung, als Negativfolien widerständigen Handelns oder als Inspirationsquelle. Einige der in der Bürgerkriegsphase und im Interregnum verfassten Texte erhielten mit der Zeit den Status kanonischer Äußerungen zur politischen Theorie und wurden somit immer wieder – vor dem Hintergrund jeweils aktueller Fragen – gelesen und diskutiert, als Antworten auf Fragen nach Staatlichkeit, staatlicher Macht und der Begrenzung und Kontrolle derselben („checks and balances“). Sie erhielten also Wirkmacht ebenso wie die immer neue Betrachtung einzelner Akteure, darunter insbesondere Oliver Cromwell selbst. Die sich verändernden Aneignungen und kontroversen Auseinandersetzungen mit Cromwell und seiner Zeit sagen also durchaus manches über jene späteren Debatten aus. Es lohnt folglich, den kritischen und wissenschaftlich-empirischen Blick auf diese Aneignungsprozesse zu richten, wie beispielhaft der Beitrag von Sarah Covington mit seinem Fokus auf Irland und die irische Nationsbildung zeigt. Freilich wird sich ein solcher auf Traditionsbildung und Rezeptionsphänomene gerichteter Forschungsansatz nicht sinnvoll umsetzen lassen, ohne dabei immer wieder auch die kommunikativen Akte der Cromwell-Zeit selbst in den Blick zu nehmen, die Untersuchung von Aneignungsprozessen gleichsam zu erden. Dabei geht es nicht darum, strikt zwischen richtigen und falschen Aneignungen zu unterschei-
52 Vgl. nur Gaunt 1996, S. 12-17; Morrill 1990.
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den, sondern vielmehr darum, die jeweils zeitgenössisch zur Verfügung stehenden Wissensbestände zu eruieren und mit späteren Erkenntnissen abzugleichen. Zugleich sollte die Auseinandersetzung mit historischen Aneignungsprozessen davor warnen, zu ungebrochen in einen Dialog mit der Vergangenheit zu treten. Allzu leicht werden dann Kontinuitätslinien gezogen, der New Model Army, dem Republikanismus der Cromwell-Zeit oder der Staatsverwaltung des Protektorats eine Modernität unterstellt, die zwangläufig nur ein Konstrukt aus der Perspektive der Moderne sein kann.53 Vor dem Hintergrund einer solcherart sorgsam gewonnenen Einschätzung der unterschiedlichen Traditionsschichten werden dann auch vorsichtige Aussagen nicht primär über innere Überzeugungen, wohl aber über kommunizierte Standpunkte und Positionen möglich. Nicht Cromwells Staatsverständnis, aber die in seiner Zeit rhetorisch inszenierten und propagierten Perspektiven auf einen wünschenswerten Staat, die Strategien der Legitimation politischer Macht jenseits eines auf Erbfolge und Divine Right beruhenden Königtums lassen sich durchaus sichtbar machen. Ein solcher auf Kommunikation gerichteter Zugang macht deutlich, dass innerhalb einer historisch neuartigen Situation Kontroversen über Zielvorstellungen und Herrschaftsverständnisse ausbrachen, die in intensiven Debatten ausgehandelt wurden. Cromwell lässt sich dabei als ein Akteur unter vielen verstehen, die politischpraktisch, aber auch kommunikativ-theoretisch an diesen Aushandlungsvorgängen beteiligt waren. Republikanische Ideen und religiöse Mobilisierung spielten dabei ebenso eine Rolle wie die Gewinnung ökonomischer Ressourcen und politisch-militärischer Machtbasen – auch außerhalb der britischen Inseln – sowie schließlich auch die praktische Anerkennung durch auswärtige Mächte. Das Funktionieren des neuen Staates, die Autorität eines principe nuovo basierten nicht nur auf der theoretischen Begründung eines republikanischen Staatswesens, sondern mindestens ebenso auf der Übernahme hergebrachter Ordnungsvorstellungen und Praktiken der Herrschaftsausübung, der Sicherung von Wohlstand und der Partizipation an einem internationalen System. So verwundert es auch nicht, dass Cromwells Regime nach dessen Etablierung weit weniger revolutionär agierte als vielmehr nach außen und innen Formen und Praktiken der traditionellen Herrschaft übernahm. In gewisser Hinsicht steht Cromwell somit weniger für die skrupellose Usurpation königlicher Macht, wie ältere Cromwell-Bilder suggerierten, als vielmehr für den Versuch, zwischen den widerstreitenden Kräften der hergebrachten politischen und sozialen Ordnung auf der einen und den revolutionären Prozessen und Dynamiken auf der anderen Seite die Balance zu halten, dem weiteren Voranschreiten der Revolution gewissermaßen einen Riegel vorzuschieben, das Utopische einzuhegen. Ein Staatsdenker, dessen Ideen sich im 21. Jahrhundert aktualisieren ließen, war er indes nicht.
53 Eine Tendenz in diese Richtung zeigt Hill 2019, S. 215-221.
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Prof. Ronald G. Asch, Jahrgang 1953, war bis 2021 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Freiburg. Seine Spezialgebiete sind die britische und irische Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts, der Dreißigjährige Krieg und die Geschichte von Monarchie, Hof und Adel im Europa der Frühen Neuzeit. 2020 publizierte er eine Monographie über die Vorgeschichte des 30jährigen Krieges: Vor dem Großen Krieg. Europa im Zeitalter der spanischen Friedensordnung 1598-1618, Darmstadt (WBG). Prof. Dr. Sarah Covington ist Professorin für Geschichte an der City University of New York, wo sie auch als Leiterin des Irish Studies program tätig ist. Zu ihren Büchern zählen The Devil from over the Sea: Remembering and Forgetting Oliver Cromwell in Ireland, Oxford University Press 2022, und als Mitherausgeberin Early Modern Ireland: New Sources, Methods, and Perspectives, 2019. PD Dr. Georg Eckert, Jahrgang 1983, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg / Privatdozent für Neuere Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. Forschungsschwerpunkte: Ideengeschichte der Neuzeit, Geschichte Großbritanniens. Zu den wichtigsten Publikationen zählen: „True, Noble, Christian Freethinking“: Leben und Werk Andrew Michael Ramsays (1686-1743), Münster 2009; Popularität als Prinzip: Die Neuerfindung der englischen Monarchie unter Karl I. und Karl II., in: Zeitschrift für Historische Forschung 42 (2015), S. 591-627; Zeitgeist auf Ordnungssuche: Die Begründung des Königreiches Württemberg 1797-1819, Göttingen 2016; Populismus: Varianten von Volksherrschaft in Geschichte und Gegenwart, Münster 2017 (Hrsg.). Prof. Dr. Ulrich Niggemann, Jahrgang 1974, ist Direktor und Geschäftsführender Wissenschaftlicher Sekretär am Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Britische und westeuropäische Geschichte der Frühen Neuzeit, Erinnerungskulturen und Historiographiegeschichte, Revolten und Revolutionen, Migrationsgeschichte. Publikationen: Revolutionserinnerung in der Frühen Neuzeit. Refigurationen der ‚Glorious Revolution‘ in Großbritannien (1688-1760), Berlin/Boston 2017; Toleranz, in: Handbuch Frieden im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. v. I. Dingel u.a., Berlin/Boston 2021, S. 589-608.
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Prof. Dr. Andreas Pečar, Jahrgang 1972, ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er forscht zur Adelsgeschichte mit Schwerpunkt auf dem höfischen Adel, zur Herrschaftsrepräsentation in den europäischen Monarchien, zur politischen Ideengeschichte sowie zur Aufklärungsforschung. Als Monographien sind von ihm erschienen: Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (2003), Macht der Schrift. Politischer Biblizismus in Schottland und England zwischen Reformation und Bürgerkrieg (2011), in englischer Übersetzung unter dem Titel: Power of Scripture. Political Biblicism in the Early Stuart Monarchy between representation and Subversion (2022), (zusammen mit Damien Tricoire): Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne? (2015), Die Masken des Königs. Friedrich II. von Preußen als Schriftsteller (2016), sowie (zusammen mit Marianne Taatz-Jacobi): Die Universität Halle und der Berliner Hof (1691-1740). Eine höfisch-akademische Beziehungsgeschichte (2021). Prof. Dr. Peter Schröder ist ordentlicher Professor für die Geschichte des politischen Denkens im History Department am University College London. Gastprofessuren in Paris, Rom und Seoul. Forschungsinteresse: politische Ideengeschichte, insbesondere Souveränitätskonzeptionen, Naturrecht und internationale Beziehungen der frühen Neuzeit. Auswahl neuerer Publikationen: Trust in Early Modern International Political Thought, 1598-1713, Cambridge 2017 (paperback 2019); als Herausgeber: R. Filmer, Patriarcha, Hamburg 2019; T. Hobbes, Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Common Law, Hamburg 2021, und Concepts and Contexts of Vattel‘s Political and Legal Thought, Cambridge 2021. Dr. Christian Wenzel, Jahrgang 1989, ist Akademischer Rat auf Zeit an der PhilippsUniversität Marburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Garantien in der Frühen Neuzeit, die Französischen Religionskriege und die Historische Sicherheitsforschung. Publikationen: Die Reputation des Garanten. Die Intervention Karls I. in La Rochelle, 1627-1628, in: Christoph Kampmann/Julian Katz/Christian Wenzel (Hrsg.), Recht zur Intervention – Pflicht zur Intervention? Zum Verhältnis von Schutzverantwortung, Reputation und Sicherheit in der Frühen Neuzeit, Baden-Baden 2021; „Ruine d’estat.“ Sicherheit in den Debatten der französischen Religionskriege, 1557-1589, Heidelberg 2020.
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PD Dr. Cornel Zwierlein lehrt und forscht zur frühneuzeitlichen Geschichte auf einer Heisenberg-Stelle am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Von 2008 bis 2017 Jun.-Prof., Ruhr-Universität Bochum, dort 2011 Habilitation. Von 2001 bis 2008 lehrte er Frühneuzeitgeschichte an der LMU München, dort 2003 Promotion in cotutelle mit dem Centre d´Études Supérieures de la Renaissance in Tours. Fellowships und Auslandsforschung u.a. am Harvard History Department und Cambridge/UK (CRASSH, Wolfson College). Monographien: Discorso und Lex Dei. Die Entstehung neuer Denkrahmen im 16. Jahrhundert und die Wahrnehmung der französischen Religionskriege in Italien und Deutschland, Göttingen 2006; The Political Thought of the French League and Rome, 1585–1589. De justa populi gallici ab Henrico tertio defectione and De justa Henrici tertii abdicatione (Jean Boucher, 1589), Genf 2016; Imperial Unknowns. The French and the British in the Mediterranean, 1650–1750, Cambridge 2016; Politische Theorie und Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2020; Prometheus Tamed. Fire, Security and Modernities, 1400 to 1900, Leiden 2021.
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