Ni Dieu - Ni Metre : Anarchische Bemerkungen zur Bewusstseins- und Erkenntnistheorie
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Hans Peter Duerr Ni Dieu-ni mètre Anarchische Bemerkungen zur Bewußtseins- und Erkenntnistheorie

Suhrkamp Verlag

Hans Peter Duerr

Ni Dieu - ni mètre Anarchische Bemerkungen zur Bewußt­ seins- und Erkenntnistheorie

Suhrkamp Verlag

Erste Auflage 1974 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main Alle Rechte Vorbehalten Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany

De Diifl is so swart net as’m hum of malt. Ostfriesisdies Sprichwort

Meiner Großmutter Eugénie Sauer, geb. Van Buggenhoudt gewidmet

Inhalt

Vorwort § i Der Grund der Erkenntnis § 2 Selbstbewußtsein und Selbstbeziehung § 3 Das Bewußtsein der Anderen Anmerkungen zu § 1 Anmerkungen zu § 2 Anmerkungen zu § 3 Literaturverzeichnis Personenregister

9 11 37 59 70 117 164 181 228

Vorwort

Dieses Buch handelt vom Teufel und vom lieben Gott. Es versucht einsichtig zu machen, daß der liebe Gott nicht so lieb und der Teufel nicht so böse sind, wie wir seit dem Sündenfall geneigt sind, anzunehmen. Paul Feyerabend und Dieter Henrich haben mich, jeder auf seine Weise, zu ihm angeregt. Beiden verdanke ich mehr, als aus dem Text ersichtlich sein mag. § 2 ist eine überarbeitete und stark gekürzte Fassung meiner Dissertation, die 1971 unter dem Titel >Über die Grundlagen des Zugangs zu eigenem und fremdem Bewußtsein, insbesondere dem der Naturvölker« von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Uni­ versität Heidelberg angenommen wurde. Um den Text einigermaßen lesbar zu halten, habe ich einen großen Teil der Diskussion dessen, was andere Leute zum Thema geschrieben haben, in die Fußnoten rutschen lassen. Al­ lerdings kommt das Buch mir jetzt vor wie ein etwas mickriger Hamster mit überfüllten Backentaschen. Ein Paragraph über marxistische Philosophie und Gesell­ schaftstheorie wurde das Opfer der nagenden Kritik mei­ ner inzwischen verstorbenen Känguruhmäuse Wawa und Wutzi. Er wird demnächst als selbständige Publikation aus den Schnitzeln auferstehen. Meine geduldigen Eltern haben mir ein recht langes Völkerkundestudium ermög­ licht, wofür ich ihnen dankbar bin. Meine Tante Marliese Knopf hat freundlicherweise die erste Version der Arbeit mit der Maschine getippt. Dankenswerterweise haben mich die Heinrich-Heine-Stiftung und insbesondere die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützt, so daß die Abfassung der §§ 1 und 3 möglich wurde. Mag­ dalena Melnikow hat mir trotz aller Wetterstürze der vergangenen Zeit stets geholfen, diese Arbeit zu schrei­ ben. Kent Taylor, Konstantinos Romanos, Wolf Brügge9

mann, Henning Ritter und Maria Juana haben mich in den letzten Jahren auf den verschiedensten Wegen beein­ flußt, so daß sie bis zu einem gewissen Grade dafür ver­ antwortlich zu machen sind, was ich hier geschrieben habe. Der tiefe Eindruck, den die Schriften Wittgensteins und anderer Mystiker und Anarchisten auf mich gemacht haben, ist offenkundig und bedarf kaum der Erwäh­ nung. Im übrigen sehe ich jetzt, wie schwer es ist, sich beim Schreiben nicht in einen Polizisten - welcher Schattierung auch immer - zu verwandeln. Doch die Eule der Minerva schlägt keine Vögel, die flattern, wenn die Sonne hoch steht. Und selbst wenn dies mitunter dennoch vorkom­ men sollte - wie Jemeljan Pugatschow sagte: >Der kleine Rabe ist gefangen. Aber der große fliegt noch!< Heidelberg, im Frühling 1974

Hans Peter Duerr

Der Grund der Erkenntnis Der Sdiüler gewinnt jeden Tag, der Weise verliert jeden Tag. Lao-tse

Nadi der Ansidit einer im Augenblick recht einflußreichen philosophischen Richtung, deren Anhänger sich >Kritische Rationalisten* nennen und die hier als >Szientisten< be­ zeichnet werden sollen, verfängt sich derjenige, der ver­ sucht, seine Auffassungen zureichend zu begründen, in folgendem unentrinnbarem >Trilemmaweil wir so nie das Ziel erreichen können«, sondern weil es hier ein Ziel nicht gibt, so daß es gar keinen Sinn hat, zu sagen >wir können es nicht erreichen«. Wir meinen leicht, wir müßten den Regreß ein paar Stufen weit durchlaufen und ihn dann sozusagen in Verzweiflung aufgeben.«1 Einer, der uns sagte, er habe nach einigen Stunden vergeblicher An­ ii

strengung in einem Laufrad erfahren, daß er so nicht vom Fleck komme, zeigte seine mangelhafte Einsicht in den Mechanismus des Rades. Gleichwohl machte er eine Er­ fahrung. So könnten auch die Seitenstechen für jeman­ den, der auf die Stelle zuliefe, an der Himmel und Erde Zusammenstößen, eine viel wichtigere Erfahrung sein als das Kopfweh für den, der glaubte, dem Unendlichen durch fortgesetztes Zählen näherzukommen.1 Ganz zu Unrecht würde er vielleicht sagen: Ich habe es vergeblich versucht, nun gestehe ich meine Schwäche ein und preise Gott in seiner Größe! Was heißt dies nun, der Versuch einer zureichenden Be­ gründung führe in einen unendlichen Regreß? Die Szientisten gehen offensichtlich von der Voraussetzung aus, in einer Begründung werde gewissermaßen nach einem Grund gegraben, >an dem sich der Spaten zurückbiegtdas für sich selber sorgtoffen daliegt< (weshalb, was etwa verborgen wäre, uns nicht zu interessieren brauchte),4 auf alle Fälle einen Grund, dessen Autorität wir ihm doch erst verleihen müßten. So wittern sie hinter jedem Begründungsversuch die Suche nach einem »archimedischen Punkt der Erkennt­ nis«, der indessen »prinzipiell bezweifelt werden könnte«, da sich eben zeigen ließe, daß »auch die bisher vollkom­ mensten Problemlösungen — z. B. erfolgreiche wissen­ schaftliche Theorien - Schwächen zu haben pflegen, die sich früher oder später herausstellen«.5 Was immer dieser archimedische Punkt sei, so ließe sich diese Argumentation weiterführen, er würde erst durch unsere Legitimation zum Angelpunkt/ Und was wir heute anerkennen, dem können wir schon morgen die Anerkennung verweigern. Freilich: selbst wenn wir bei der Begründung auf einen >harten Grund< stoßen, dann sollten wir unser Augenmerk weniger auf ihn als darauf richten, welche Rolle er in der Begründung spielt. Wir sollten darauf achten, daß wir jetzt unsere Unsicherheit verloren haben und sagen kön­

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nen: Nachdem unsere Befürchtungen gegenstandslos ge­ worden sind, fangen wir an, klar zu sehen. So als ob wir vor wilden Tieren in eine Höhle geflüchtet wären und jetzt erst uns besinnen könnten. Und was der Grund und die Höhle in diesem Falle, das könnte in anderen Fällen das Wort eines alten, erfahrenen Mannes sein, die Hellig­ keit eines Feuers oder der Schutz der Nacht, >in der alle Kühe schwarz sind