Naturgeschichte des Berliners. Zugleich ein Spaziergang durch alte Berlin von 1789 ; für Einheimische und Fremde [Nachdruck ed.]
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G.LANGENSCHEIDT

WN

NATURGESCHICHTE л с DES BERLINERS

1878

Nelze

Wollen Sie einen feinenBerliner geniessere? VERLAG RICHARD SEITZ U CO BERLIN "

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Naturgeschichte des

Berliners.

Bugleich ein Spaziergang durd das alte Berlin von 1789.

Für Einheimische und Fremde

DON

G. Langenscheidt.

Berlin. Langenscheidt'sche Verlags- Buchhandlung (Prof. G. Langenscheidt). 1878.

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DD

871 , L3 1980

ISBN 3-922005-08-9 Nachdruck Richard Seitz & Co, 1000 Berlin 61 Druck: W. Hildebrand , 1000 Berlin 65

I.

In einer so schnelllebigen Zeit, wie der unſrigen, wo ein Jahrzehnt oft die Ereignisse und Umgestaltungen eines sonstigen Jahrhunderts bringt, - in einer solchen Zeit lohnt es sich wohl, einen Blick zurück zu thun in die Vergangenheit und auf dem weiten Felde uns überlieferter Erinnerungen irgend einen festen Punkt zu eingehender Umschau zu wählen. Einen solchen Ruhepunkt werden wir, als Kinder, Bewohner oder Besucher dieser Stadt, natürlich zunächſt hier in dem Bewußtsein zu suchen haben, daß hier gerade ein wenig Kunde vom Damals uns nicht ſchaden kann, daß hier die eben erwähnte Schnelllebigkeit im grellsten Lichte zu Tage tritt, und daß hier die Kenntniß von Dem, was war, das Verſtändniß und die Würdigung Deſſen fördern wird, was iſt - und entsteht. Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts eine Kurfürstlich Brandenburgische Residenz mit 28,000 Ein. wohnern, ist Berlin heute -36 Mal so groß und der Sit eines deutschen Kaisers ! ― Eine an Aufschwung und

Berlin.

1

1

Wechselfällen so reiche Epoche, wie sie wohl niemals in der Geschichte eines Gemeindewesens vorgekommen ist, noch schwerlich wieder vorkommen wird. Dieses Anwachsen, dieser Wechsel in der Erscheinung macht sich heutzutage besonders fühlbar.

Häuser, Straßen,

Menschen vergehen und machen neuen, fremdartigen Bauten, neuen schnell auftauchenden Persönlichkeiten Plaz ; kaum giebt es noch ein Wohnhaus in Berlin, das seine Stirn. seite hundert Jahre lang unverändert erhalten hätte, kaum giebt es ein Kind dieser Stadt (geschweige einen Zugezogenen), das jede Straße Berlins kennt. Wie oft hört man nicht scherzweise von Berlinern äußern: sie seien hier selber fremd.

Um Berlin kennen zu

lernen, bliebe ihnen kein anderes Mittel, als ihren Koffer zu packen, einen Gasthof aufzusuchen und für einige Zeit den Fremden zu ſpielen. Wie wäre es, wenn wir es ähnlich machten und eine folche, etwa 140 Jahre zurück zu denkende Reise im Geiste durchführten ? Warum auch nicht ? Sagt doch ein bekanntes Dichterwort: „ O, könnten wir mit Träumen nicht Die Gegenwart durchweben : Wie arm an Freude, Glanz und Licht

War' unser armes Leben." Träumen also auch wir uns einmal zurück in jene Zeit, in welcher wir Berlin und Preußen noch gewissermaßen im Zustande des Schlafes und der Ruhe finden, einer Ruhe,

der allerdings bald ein Erwachen zu großen, welterschütternden Thaten folgen sollte,

in eine Zeit, die den Schluß einer von

Finsterniß und Vorurtheil umnachteten Epoche bildet, in die aber schon das Morgenroth einer neuen Zeit hinein dämmert. Ich meine die Zeit gegen Ende der Regierung König Friedrich Wilhelm's des Ersten , etwa das Jahr 1739. Nehmen wir an, wir seien Reisende, die um diese Zeit Berlin besuchen, um dieſe Stadt und ihre Bewohner kennen zu lernen. Unser Reisewagen kämpft sich langsam und mühsam in der Gegend des Weddings durch jenen hiſtoriſchen Sand, der Dank der Produktion Berlins an Dungstoffen nun auch zu den faſt verſchwundenen Eigenthümlichkeiten des früheren Berlins gehört. Berlin, schon damals eine schöne, freundliche Stadt, freundlicher wie heute —, liegt vor unsern Augen. Gönnen wir den vier schweißtriefenden Pferden einige

Ruhe und halten wir an, um uns die Gegend vor dem Oranienburger Thore etwas näher anzusehen. Viel ist allerdings nicht zu erblicken .

Derselbe Boden,

auf dem heute Tausende von feurigen Schloten rauchen, auf welchem heute gegen 100,000 thätige Arbeiter wirken und schaffen - er war noch lange Zeit später ein unfruchtbarer Acker, dessen Hintergrund die damals bis an den Unterbaum hin ſich erstreckende Jungfernhaide bildete. Sonst freies Feld ; ab und zu ein Gärtnerhäuschen. Links das Hochgericht oder der Galgen.

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Was sind das für weiße Plakate, die an demselben zu sehen ? Wir lesen darin Namen solcher Berliner Einwohner, die ohne Erlaubniß ausgewandert sind : In einer Zeit, wo es stets an Soldaten fehlte, wo ein einigermaßen langer Kerl seine 1000 Thaler unter Brüdern werth war, aller: dings ein schweres Verbrechen, das laut Edikt vom 19. Februar 1718 mit Ehrloserklärung und Anheftung des Namens an den Galgen bestraft wurde. Zwischen dem Galgen und der erſt vor einigen Jahren verschwundenen Stadtmauer würden wir, kämen wir etwa 15 Jahre später , alſo um 1753 , lange Reihen niedriger Häuschen mit Gärten erblicken : das Voigtland .

König

Friedrich II. ließ es 1752 erbauen, um jenen zahlreichen, aus dem sächsischen Voigtlande stammenden Bauhandwerkern ein Heim zu geben, die den Sommer über hier arbeiteten und sonst jeden Winter wieder die sächsische Heimath aufsuchen mußten.

Das Voigtland, von jeher und zum Theil

heute noch das Proletarierviertel Berlins, mit eigenem, dem Berliner der Friedrichsstadt 2c. leicht erkennbarem Dialekte, 3. B.:,,Laaßen S ' mir sind ! " für : Lassen Sie mich zufrieden ! " ― „Kommen S ' rinter oder gehn S'

raußer!" u. s. m. Ein auf der Landstraße entstehender Lärm zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich.

Von allen Seiten kommen Neu-

gierige herbei und die übliche Frage : Wat is'n hier los ?" ertönt von allen Seiten. Hökerweiber sind es, die sich mit einer auch heute noch nicht verloren gegangenen

Zungenfertigkeit mit Gaffenmeistern und Bauern herumzanken.

Es handelt sich um eine sogenannte Aufkäuferei

von für den Markt bestimmten Lebensmitteln ; ein Unweſen, gegen welches eine ganze Reihe von Verordnungen sich als machtlos erwies. Es dauert gar nicht lange, so entwickelt sich eine allgemeine Prügelei. Bei der Virtuoſität, mit der dieſes Geſchäft hierorts augenscheinlich betrieben wird, halten wir es für rathsam, weiter zu fahren. — Wir halten am Oranienburger Thor, wo wir ebenfalls noch freies Feld finden. (Die beiden noch heute dicht am Thor liegenden Kirchhöfe wurden erst 1777 eingerichtet). wie heute Sie denken nun wohl, wir könnten so - ohne Weiteres in die Stadt eintreten ? Weit gefehlt! Sie sollen gleich hören, daß der Eintritt in Berlin damals ein gar kritischer Augenblick war. Vor Allem brauchen wir einen Reise- und (kommen wir von weit her) einen Gesundheits-Paß.

Ob letterer

dafür sorgen sollte, daß Berlin nach wie vor nur „ geſunde oder ob die zwölf gute

Jungen" beherbergen möge,

Groschen, die er koſtete, das Hauptmotiv waren, dies laſſe ich dahingestellt. Die allergrößte Achtsamkeit haben wir auf unseren Anzug zu richten. Hier in Berlin regiert ein gar geſtrenger Herr, der jeden Prunk und namentlich die französischen Moden haßt, der sich Allerhöchstselbst darum kümmert, daß die von ihm erlaſſenen Kleider-Verordnungen befolgt werden.

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Die Damen wollen ja darauf achten, daß sie keinen Kattun an fich haben : dies würde uns eine empfindliche Geldstrafe kosten. — Um nämlich die heimische, von ca. 5000 Arbeitern im Lagerhause betriebene Wollen-Induſtrie zu heben, hatte Friedrich Wilhelm I. die Einfuhr und Benuzung aller Stoffe verboten , welche den vaterländischen Wollen-Erzeugnissen Konkurrenz machen könnten. — Seide dürfen, wie es wörtlich heißt, geringere Frauenzimmer nicht tragen " . Schminke ist untersagt. Kleider dagegen ganz nach Belieben.

Schnitt der

An der Taille kann,

der herrschenden Sitte gemäß, ſo viel Stoff erspart werden, als gefällig ist. Niemand nimmt Anstoß an ſehr niedrigen Taillen. Die ungeheuren Steifröcke wurden, beiläufig gesagt, erst unter Friedrich II. eingeführt, wo überhaupt Alles in das Gegentheil umschlug und Glanz, Pracht und Nachäfferei französischer Moden an Stelle der früheren fast übertrie benen Einfachheit trat. Die Berliner Chronik , die an einer anderen Stelle noch über das Vorkommen falscher Waden klagt, schreibt über diese Steifröcke, die stattlichen Vorläufer der Krinoline, wörtlich :

" Man kann sich leicht vorstellen, wie mühsam es war, wenn ein Frauenzimmer mit einer dergleichen Maschine angethan in eine Karosse stieg, und wie nicht weniger schwer es hielt, geschickt wieder auszusteigen. " Spigen und Kanten sind ein zwar nicht gern gefe= hener, bei der herrschenden Vorliebe für feine Wäsche aber tolerirter Luxus. Sonst aber, so will es die Sitte, ist größte

Einfachheit im Anzuge anzurathen. Auffälliger Pug kann selbst der ehrbarsten Dame falsche Beurtheilung und Un annehmlichkeiten aller Art zuziehen. Sollte Ihnen, meine Damen, Majestät begegnen, was leicht vorkommen kann, da Allerhöchstdiefelben sehr häufig die Straßen, ja die Wohnungen in Perſon inspiziren, so rathe ich dringend, nicht still zu stehen, sondern raſchen, aber nicht übereilten Schrittes weiter zu gehen, und ― wo dies nicht thunlich, - eine Handarbeit in Bereitschaft zu haben, denn: laut Allerhöchster Kabinets-Ordre vom 14. Juni 1723 ſoll „Niemand Maulaffen feil halten, sondern fleißig sein ! " Unverheirathete Damen , welche zufällig den Vorzug. einer hohen Figur haben, wollen dem Könige möglichst fern bleiben. Sie haben es sich sonst selbst zuzuschreiben, wenn sie nolens volens einen Mann kriegen. Ich erinnere an folgende bekannte, wahre Geschichte : Friedrich Wilhelm I. sah einſt auf der Straße ein sehr großes hübsches Mädchen ; er ließ der selben ein Billet einhändigen, welches sie sofort in die Kommandantur zu tragen habe. Unrath witternd, ging sie nicht selbst, sondern schickte eine alte bucklige Hökerfrau. Im Briefe stand:

Ueberbringerin sofort mit dem langen Mac Doll

(dem Flügelmann des Riesen-Regimentes ) zu kopuliren. “ Troß aller Einrede unseres langen Irländers fand dieTrauung wirklich sofort statt, die allerdings später durch königliches Machtwort für ungültig erklärt wurde. Ein merkwürdiger König, dieser Friedrich Wilhelm I. ! Seine gewaltige Persönlichkeit überragte Alles, was ihn um-

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gab. Streng, ja böſe, war er von allen Berlinern gründlich gehaßt.

Dennoch war er ganz der Mann , wie ihn die da-

malige Zeit brauchte : mit eiserner Hand hat er Ordnung geschaffen in dem unter Friedrich I. in mancher Hinsicht aus den Fugen gegangenen Staatshaushalte ; die preußische Oberrechnungskammer ist sein eigenstes Werk. Seinem Ordnungsfinn verdankt Preußen viel.

Ohne Friedrich Wilhelm's I.

Sparsamkeit wäre ein Friedrich der Große unmöglich geweſen. Nun zur Kleidung der Männer. Alles, was Gentleman sein will, trägt eine AllongenPerrücke, oder einen sogenannten Muffer , eine kleinere kürzere Perrücke mit Locken. Gute Leibwäsche mit den bekannten Jabots und großen Manschetten ist bei Wohlhabenden allgemein üblich. Auf gute Wäsche hielten alle Männer, das muß man sagen. Im Sommer in Hemdsärmeln zu gehen und mit dem schönen schneeweißen Hemde zu prunken, war sehr üblich.

Heute

möchte dieser Gebrauch zuweilen sehr " verschnupfen “ .

Personen von Bedeutung tragen rothe Mäntel, wie überhaupt fast jeder Stand äußerlich erkennbar ist.

Adlige

3. B. tragen bei geeigneten Gelegenheiten eine weiße, Bürgerliche eine schwarze Feder am Hute.

Der rosa Domino

bei Maskeraden kommt nur Adligen zu. Die Weste mit langen Schößen, der historische Dreimaster, die eng anliegenden Beinkleider, die hohen Stiefel oder Strümpfe mit Schnallenschuhen, die hohen Aufschläge 2c.

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brauche ich wohl nicht weiter zu beschreiben : so manches Bild aus jener Zeit ruft uns die damalige Mode zurück. Vor zu langen Röcken ist zu warnen.

Majestät können

dergleichen nicht leiden. Es könnte uns sonst so ergehen wie jenem Lieutenant, dem der König eigenhändig den ihm zu lang erscheinenden Rock mit der Scheere kürzte.

II. Nachdem wir nun über den in Berlin üblichen Anzug unterrichtet sind, haben wir bei unserm geträumten Eintritt in die Stadt nur noch Folgendes zu beachten: 1) Wir dürfen keinen Toback (wie es damals hieß) bei uns -führen, wenigstens nicht mehr als 1 Pfund, — sonst 10 Thlr. Strafe pro Pfund ! (Der Staat hat das Tabacks -Monopol.) - Soldaten erhalten ihren Taback für den eigenen Gebrauch geliefert. Ein Zivilist, der von Soldaten Taback kauft, zahlt 30 Thlr. pro Pfund Strafe. 2) Dürfen wir nicht bei uns führen : fremde Spielkarten (100 Thl. Strafe), keine fremden Waaren und Sachen, ,,die in den Königlichen Landen auch verfertiget werden," - endlich keine fremden Kalender und keine versiegelten Briefe oder Packete.

Leşteres wäre eine, uns 10 Thlr.

kostende Postkontravention. Unser Reisewagen passirt nach überstandener Untersuchung glücklich die „ Acciſe “ und die Thorwache, -- nach.

dem wir hier noch Namen, Stand, Ort woher ?, Zweck des Herkommens 2c. angegeben haben. Diese Notizen gehen von allen Thorwachen, nachdem sie auf der Schloßwache zu einem Rapporte zusammengestellt sind, Abends an den König. (Heutzutage würde ein solcher Rapport ein gut Stück Arbeit ſein !) — Durch das Thor gelangen wir zunächst in die Dammstraße, d. h. in denjenigen Theil der Friedrichsstraße, der vom Oranienburger Thor bis zur Brücke geht. Schon wieder stört ein Tumult unsere Fahrt; wir be kommen den Eindruck, daß Krakehlen und „ Aufmucen “ wohl hier nicht selten seien.

Einige Bettler sind von den

„Gaſſenmeiſtern“ aufgegriffen worden ; das Volk aber jagt ihnen ihre Beute wieder ab.

Die Scene wirkt um so ko-

miſcher , als wir den einen Strolch in einem zerlumpten Königsmantel, den anderen in einer zerrissenen Toga erblicken. Derartige Kostüme rührten her vom königlichen Theater, das gegen Ende der Regierung König Friedrich I. geschlossen und dessen Garderobe den Armen geschenkt wurde.

Die Noth

der Berliner Gaſſenmeiſter mit dem Bettlervolk schildert die erwähnte bei Nicolai herausgekommene Chronik (Th. V, I B. , S. 22) wie folgt:

Indessen wurden dieſe Leute mehrmalen

bei Ausübung ihres Amtes vom Volke, welches sich durch ein unzeitiges Mitleid bemeistern ließ, gestöret, das ihnen sehr oft die aufgegriffenen Bettler abjagte und dabei Tumult und Lärmen erregte." Als bestes Gasthaus ist uns die „ Stadt Paris " in der Brüderstraße empfohlen.

Hier steigen wir ab.

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Aus den in den Zimmern aushängenden Taren ents nehmen wir folgende Preise :

Gasthöfe : I. Klaffe II. RI. III. RI. Für ein Zimmer mit Bett und • Licht, vorn heraus •

1 Thlr.

8 Gr.

Mittagessen, fünf gute Gerichte .

16 Gr.

8 Gr.

Eine Quart-Bouteille Franzwein . Rheinwein oder Champagner . •

10 Gr. 1 Thlr.

16 Gr.

1 Portion ,, Coffee" von 12 Loth 1 vereideter Lohnlakei täglich . .

4 Gr. 12 Gr.

6 Gr.

(Man sieht, daß die Preise merkwürdig hoch sind ; heute könnten wir zur Noth auch dafür logiren, Rheinwein und Kaffee sogar billiger haben ; indessen kostete Kaffee damals das Loth einen Groschen.) In den zahlreichen Speisehäusern kann man zu 3, 4, 5 und 6 Gr. zu Mittag effen; im Englischen Hause für 12, Abends für 8 Gr. Garküchen , wo man für geringes Geld, 1 Gr. 6 Pf. bis 2 Gr., Syppe, Gemüse, Fleisch, auch Braten, holen lassen kann, find in fast allen Straßen. Für jeden Groschen, den der Wirth über die Taxe berechnet, zahlt er einen Thaler Strafe : eine Einrichtung, die auch heute noch manchem Harzer Gastwirth gegenüber prächtig wäre. Der Staat könnte dabei viel Geld verdienen ! Der Wirth hat

jedem ankommenden Fremden mit Be-

scheidenheit zu eröffnen “, daß das Führen eines falschen Namens 50 Thaler kostet.

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Weiter finden wir aufliegen die Droschtentare : die Tour 4 Gr., die Stunde 8 Gr.,

1-4 Personen ; Sänftentaren (die Sänften werden bedient von geschworenen Trägern, meist Franzosen) : Tour in einem Viertel 2 Gr., durch mehrere Viertel 4 Gr.; Nachts die Hälfte mehr. Sollte einer unserer Mitreisenden wider Erwarten Etwas versehen wollen (bei Reisenden kann ja so etwas wohl vorkommen !) so dient ihm das „ Adreßhaus " auf dem Werder, gegenüber dem Fürstenhauſe (wo die heutige Bank steht). Wer einen Hund hat , beachte, daß der Scharfrichter alljährlich im Juli seine Leute umherschickt, um Hundezeichen zu verkaufen. Hunde, die in den Hundstagen (im Juli) ohne dieses Zeichen betroffen werden , sind einzufangen und abzuschlachten. - (11 Monate im Jahre hatten die damaligen Hunde also eine beſſere Zeit, als ihre Nachkommen von heute) . 1 Hierbei sei gleich noch erwähnt, daß seit 1765 bis zum Ableben Friedrich II. folgender Unsinn in Berlin Gesezeskraft hatte : Man nahm an, die Wuthkrankheit der Hunde komme von einem Tollwurm her, der unter der Zunge fäße. Jeder mußte seinem Hunde, bei 50 Thlr. Strafe, von einem amtlich bestellten Wurmschneider den Wurm ausschneiden Laſſen. Noch finden wir eine Posttare. 1 Brief nach Emden, Gumbinnen kostet beispielsweise Bremen, Breslau . ·

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7 Gr., 4 Gr.,

1 Brief nach Güstrow, Hamburg . Dessau, Cottbus

Bernau, Köpnick 2c.



·

3 Gr.,



2 Gr., 1 Gr .



III. So einigermaßen mit dem Nothwendigsten bekannt geworden, gehen wir, nachdem wir uns gestärkt und umge. fleidet haben, zum nahen Schloßplak, um eine Droschke zu nehmen und eine kleine Rundfahrt durch Berlin zu machen. Zwar reisen wir, um vorzugsweise die Berliner kennen zu Lernen, - doch müssen wir zu diesem Zwecke zunächst einige Hauptpunkte des damaligen Berlin ansehen, um einen oberflächlichen Eindruck von der Außenseite der Stadt zu gewinnen; denn eine solche Stadt ist ein lebendiger Organismus ; ihre Straßen sind die Adern, in denen das Leben pulſirt. —

Auf dem Schloßplage befindet sich ein Halteplak für den dritten Theil sämmtlicher Berliner Droschken ( es ist ein ganzes Dugend seit 1668 vorhanden).

Inspektor dieser zwölf Droschten wurde später, unter Friedrich II., Schomer, der

einſtige Gattejener unglücklichen Doris Ritter aus Potsdam, welche mit Friedrich II., als er noch Kronprinz war, ein ganz unschuldiges Liebesverhältniß hatte und, als die Sache herauskam, dafür auf Befehl Friedrich Wilhelm I. öffentlich ausgepeitscht und in ein Spinnhaus geschickt wurde. Es ist Mittags 12 Uhr.

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Eben beim Einsteigen in eine Droschke begriffen, erschrecken uns mächtige Paukenschläge vom Balkon des Schloſſes her, auf dem zwei Paukenschläger ihre Fertigkeit darthun. Der im Gasthofe für 12 Gr. pro Tag als Führer engagirte, bereits neben dem Kutscher sisende Lohnlakai meldet uns, dies sei das Zeichen, daß Se. Majestät sich zur Mittagstafel begeben. Wir nehmen von diesem Ereigniß gebührende Notiz. Bald find wir im Lustgarten , der allerdings diesen Namen nicht mehr verdient. Früher ein paradiesischer Garten, der jeden Besucher entzückte durch seine prächtigen Alleen, schats tigen Gänge, Drangerien, durch farbenreiche Blumenbeete, kostbare Anpflanzungen, Springbrunnen 2c., - jekt, seit 1717, iſt es ein öder Sandplaß, auf dem gerade bei unſerer Anwesenheit eines der Riesen-Regimenter des Königs exer zirt, eines jener Regimenter, deren Errichtung und Unterhaltung Millionen kostete.

Wurden doch einzelne sehr große

Leute mit einem Aufwande

von 8 bis 10,000 Thaler

Ein Theil der Soldaten trägt Eichenlaub an der Kopfbedeckung : ein Abzeichen für Rekruten. angeschafft.

Wir stehen am Schloffe, das Geficht nach Norden. Eine weite, öde Sandfläche stellt sich unserem Blicke dar. Rechts, neben der Schloß-Apotheke, der alte baufällige Dom, der 1750 dem jezigen Plaß machte ; weiterhin rechts das neue, später zur Börse umgewandelte Lusthaus . Geradezu ein freier Ausblick.

Von den jezigen Museen keine Spur.

Wir sehen im Hintergrunde nur ein halbrundes Gebäude, das „ Pommeranzenhaus" , das später, in unseren Tagen,

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als Königl. Gesundheits-Geschirr-Niederlage verwandt und erst vor einigen Jahren abgebrochen wurde.

Rechts von

dieſem Rundbau , hinter der Börse , die große Pommeranzenbrücke (die jeßige Friedrichsbrücke). Vor dem Pommeranzenhauſe, zwischen dem jezigen Alten und Neuen Muſeum, ein (später zugeschütteter) Arm der Spree, über den die kleine Pommeranzenbrücke führt.

Eilen wir weiter : unsere Zeit ist gemessen. Uns links wendend, gelangen wir über die Hunde brücke (der jezigen Schloßbrücke) zu den Linden. Links von der Brücke erinnert uns die Stelle, wo die heutige Kommandantur steht, an die damals für etwas unmenschlich Großes oder für übermäßige Sparsamkeit gebrauchte Redensart : „ wie der Strumpf der Frau von Glasenapp." Dieſe, ___ Gattin des Kommandanten, hatte bei ihrem Tode eine beträchtliche Summe Geldes in einem Strumpf versteckt hinterlassen. Die ausnehmend dicke Dame hat wahrscheinlich auch ein entsprechendes Bein besessen, denn die dem Strumpfe anvertraut gewesene Summe muß außer ordentlich groß gewesen sein, um gedachte Redensart ſprichwörtlich zu machen.

(Heut, wo ja Geldschränke verhältniß-

mäßig billig zu haben sind , können ſparſame Damen sich leicht gegen eine derartige indiskrete Unsterblichkeit schüßen. ) Vor uns liegt die schnurgerade Baumreihe der Linden. Die Straße

Unter den Linden" hatte damals einen faſt

ländlichen Charakter ; Häuſer.

man sah nur vereinzelte ,

Die jeßigen Bauwerke der Linden

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niedrige

entstanden

meiſtentheils erst unter Friedrich II., der allein vierzig der schönsten Häuser auf seine Kosten erbauen ließ. Wir fahren bis an die Kirchstraße (jezige Neustädt'sche Kirchstraße) und gelangen, links einbiegend, in die Lette Straße (so hieß früher die Dorotheenstraße). Bald stehen wir vor dem Minister von Dankelmann'schen Palais ,

der heutigen

Loge Royal York zur

Freundschaft“, ein Bauwerk, das, einige kleine Veränderungen abgerechnet, sich bis auf den heutigen Tag in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten hat. Die 1752 von Freimaurern französischer Nationalität gestiftete Loge ,, de l'Amitié" erwarb dieses Grundstück im Jahre 1779. Mit welcher Scheu und Befangenheit der Berliner aus dem Volke dieses Gebäude später betrachtet haben mag, können wir uns denken, wenn wir in König's Chronik von Berlin lesen:

Jeder Vater, jede Mutter zitterte vor dem Gedanken, daß es möglich werden könnte, daß ihre Söhne

einst in diese Gesellschaft gerathen und Seele und Seligkeit mit jeder irdischen Glückseligkeit verlieren möchten". (Chronik von Berlin, 1798, Theil V, I, S. 15.) Nicolai, in seiner Beschreibung von Berlin (1786), sagt über die Geschichte dieses Hauses wörtlich (S. 176) : ,,Der Präsident von Dankelmann baute 1679 (also vor 200 Jahren) hier ein Haus . Oberhofmeister von Kamece, an den es hernach kam, ließ es 1712 von dem berühmten Schlüter so wie es jezt ist bauen.“

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S. 924: ,,Es ist, wie alle Werke dieſes großen Mannes, für Kenner sehenswürdig ; besonders ist in demselben ein Gartensaal von eleganter Proportion. Deckenstücke von Belau.

Man sieht darin die

Ueber den vier Thüren sind die

vier Welttheile, von Schlüter in Gyps vorgestellt.

An

der Wand stellen vier kleine Basreliefs die Wachsamkeit, Weisheit, Vorsicht und Verschwiegenheit , als die vier Haupttugenden eines Ministers, vor." — Db Schlüter mit einer Art Seherblick die einstige Bestimmung dieses Gebäudes geahnt hat ?

Hätte er die

Hauptpflichten Derjenigen, die heute darin hauſen, darstellen wollen, - er hätte kaum eine andere Dekoration gewählt. Leider ist in diesem Saale an der schönen Schöpfung Schlüter's im Laufe der Jahre mit wenig Glück Vieles moderniſirt worden, - doch blieben die Grundzüge der inneren Ausschmückung respektirt. - Zweierlei ist es noch, woran uns diese Räume vorzugsweise erinnern, nämlich an den Wechsel des Geschickes der Menschen und an den der Dinge. Der seiner Zeit allmächtige Staatsminister von Dankelmann, der dieses Haus zuerst erbaute, die rechte Hand König Friedrich's I., ein treuer Diener seines Fürsten er mußte, unschuldig verleumdet und gestürzt, in vierzehnjähriger Gefangenschaft schmachten, - und der er: wähnte Gartensaal, von dem die alten Beschreibungen von Berlin mit Begeisterung sprechen , der unter dem ersten Preußenkönige oft aufnahm, was Berlin an Macht, Glanz

Berlin.

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und Schönheit aufzuweisen hatte , er dient heute, Raummangels halber, von Zeit zu Zeit als Garderobe ! Von dem Garten der Loge heißt es in Nicolai's Berlin, S. 935 : der Spree.

„ Derselbe hat eine angenehme Lage an

Es ist darin ein großer Salon von hohen

Kastanien und Ulmen und ein artig angelegter buschigter Hügel merkwürdig, und die Aussicht auf die gegenüberliegenden , mit Bäumen umpflanzten Wiesen , welche die Aussicht ländlich reizend machen, ist sehr angenehm .“ Das will ich glauben.

Angenehmer gewiß als der

heutige, durch hohe Brennholzhaufen abgesperrte Ausblick.

IV.

Wie dieser Garten, -

so die ganze Stadt.

freundlicher, ländlicher, als heute.

Fast Alles

Noch keine Spur von den

hohen Miethskasernen der Jehtzeit, vielmehr freundliche, nur ein bis zwei Stockwerke hohe Häuser, ab und zu mit dem Giebel nach vorn, grünende Bäume vor den Thüren, Bänke, worauf sich die Einwohner des Abends gemüthlich unter halten, an der Stirnseite der Häuser fast durchweg rankende Weinreben. (Diese Weinstöcke waren - so sagt die Ueber Lieferung -

durch ein hartes Gesetz gegen Plünderung ge-

schüßt : Wer eine Weintraube ſtahl, verlor die rechte Hand.) Zuweilen sah man auch in den entlegeneren Stadttheilen noch ein Stroh oder Schindeldach mit Lehmschornsteinen.

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Was nun aber die Erleuchtung und Reinigung betrifft, so sind wir jest allerdings etwas besser daran. Man erleuchtete damals

nach einer außerordentlich

einfachen

Methode : Immer das dritte Haus, der Reihe nach abwechselnd, mußte eine Laterne heraushängen ; jeder Eigenthümer mußte ferner wöchentlich zweimal vor seinem Hause kehren Lassen. Zuwiderhandelnden wurde vom „ Gaſſenmeister" der Unrath in die Häuſer geworfen. Indessen: Jedes Ding hat zwei Seiten, und auch dem

eben entworfenen friedlichen Bild fehlt die Schattenseite nicht: wir finden noch viel ungepflasterte Straßen. 1740, ſo erzählt die Chronik als eine besondere Errungenschaft , seien die Hauptstraßen mit Pflaster versehen worden !

Daß es mit

diesem Pflaster auch fast ein halbes Jahrhundert später (1788) noch sehr traurig aussah, schildert uns ein damaliger Zeitgenosse in dem " Schattenriß von Berlin" : ,,So breit und schön die Straßen auch dem ersten Anblicke nach sind, so weiß doch der Fußgänger zuweilen nicht, wie er sich für schnellfahrenden Wagen, für Koth und Goßen hüten soll.

Der eigentliche Gang für Fußgänger sollte, ſo

wie in allen übrigen polizirten Städten, längs den Häusern hingehen, allein dieſes hat man durch die hohen Auffarthen vor den Häusern fast unmöglich gemacht.

Der Fußgänger

wird alle Augenblick aufgehalten und ist gezwungen , über die Goßen weg, auf den so genannten Damm zu schreiten. Nirgends ist diese Unbequemlichkeit sichtbarer , als in der Leipziger Straße, einer der schönsten von ganz Berlin. Außer-

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2*

dem find vor den Häusern auch hohe steinerne Treppen angebracht. In der Mitten der Straße oder auf dem Damme ist es , bei schlechter Witterung, außerordentlich kothig und in dem Steinpflaster selbst giebt es unzählige Löcher, welches theils von dem sandigten Boden , theils von der unverantwortlichen Nachläßigkeit der Steinseher und ihrer Aufpaßer herrührt.

Die übermäßige große Steine, die zwischen einer

Menge kleiner und spißer Kieselsteine gelegt sind, verursachen, daß man alle Augenblick Gefahr läuft anzustoßen und zu Boden zu stürzen.

Die Goßen sind zwar, wie es ſich gehört,

an beiden Seiten des Dammes angelegt, jedoch so, daß sie dem Fußgänger eine neue und gefährliche Fallbrücke werden. Ein Theil dieser tiefen Goßen ist nur eben vor den Hausthüren mit Brettern überlegt.

Sobald man also des Abends

längs der Häuſer weggehet, stößt man alle zehn bis funfzehn Schritte an eine steinerne Treppe oder Auffarth , die noch wohl, zu größerer Gefahr, mit einer kleinen Rönne umgeben ist ; gehet man auf den Brettern, womit die Goßen bedeckt find, herzhaft fort, ſo ſtürzt man, ehe man es ſich verſiehet, mit einem male, drei bis vier Fuß tief in die Goße hinunter; gehet man aber in der Mitte des Dammes , so weiß man bei der geschwinden Annäherung eines oder gar mehrerer Wagen, nicht wo man sich hinwenden soll ; denn an den Goßen liegen hohe und schlammigte Drekhaufen ; über sie hinüber zu springen ist gefährlich, weil sie abschüßig und tief sind ; dennoch muß man auf das gerathewohl einen Entschluß faßen , um nicht von den Wagen überfahren zu werden.

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Die eingebohrnen Berliner ſind an dieſe Unbequemlichkeiten gewöhnt, kennen auch diese Seitenwege beßer, als der Fremde, der dergleichen Fallbrücken gar nicht vermuthet.

Es stekt

selbst etwas menschenfeindliches in einer solchen Anlage der Straßen, weil man dabei blos auf die Reichen, die in Kutſchen fahren, gedacht zu haben scheint. Man spreche ja nicht von der nächtlichen Erleuchtung, denn die ist bis hierher herzlich elend gewesen, ohnerachtet Laternen genug brennen . Leßtere find so beschaffen und gesezt, das sie nur eine Art von hellen Schatten verbreiten , der zu nichts hilft. Eine andere Art von Unbequemlichkeit für die Fußgänger ist die, daß die Bürger oft Schutt, Lehmhaufen, Bohlen und sogar Misthausen vor ihren Häusern liegen laßen.

Das sollte entweder gar nicht geduldet oder wenigs

stens bei Strafe anbefohlen werden, eine Laterne dabei zu sehen.

Dergleichen mag in kleinen Städten und Flecken

hingehen, aber in einer großen Reſidenzſtadt iſt es unverzeihlich. Zwar sind die sogenannten Patrouillen vorhanden, die für die Ruhe der Sicherheit bei der Nacht sorgen sollen, allein diese gehen nur zu gewißen Stunden und in gewißen Gegenden, auch werden ſie ſich, bei dem größten Lerm, sehr bald zurükziehen, wenn junge Officiere daran Theil nehmen . Man hat heufige Beispiele , daß dergleichen junge Leute, bei trunkenem und nüchternen Muthe, friedfertige Bürger gemißhandelt haben , ohne daß man diesen , bei erhobener Klage, die geringste Genugthuung hat wiederfahren laßen. Selten werden sie erkannt und alsdann mag der beleidigte

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Theil nur zusehen , wie er sich selbst Recht verschafft, oder sich sonst aus dem Handel herausziehet. Das Geschrei, was dergleichen Nachtſchwärmer aber auch ganze Rotten ungesitteter Handwerksburschen, oft bei nächtlicher Zeit auf den Straßen machen , störet die Einwohner in der Ruhe und gereicht der Polizei einer großen Residenzstadt zur Schande.

Ein Glück ist es, daß man wenige Bei-

spiele von offenbaren diebischen Anfällen hat, denn mit dem Beistande und der Hülfe sähe es in einigen Gegenden der Stadt kläglich aus.

Keine Schildwache darf ihren Poſten

verlaßen und die Wachen sind oft weit entfernt.

Daher

kommt es denn auch, daß zuweilen sogar Einbrüche im Angesicht der Schildwache geschehen sind, ohne daß selbe vom Fleck gegangen wären, wie z. B. an der kleinen Brüke, die nur funfzehn Schritte von der Kanonierwache beim Zeughause entfernt ist, und wo allenthalben Schildwachen stehen."

Ein annäherndes Bild von damals bieten uns heute noch einige wenige, bisher von der Alles verändernden Bau. und Umbau-Luſt verschont gebliebene Straßentheile ; so die Mittelstraße nach der Schadowstraße zu, ferner der zwischen der Friedrichs- und Mauerstraße belegene Theil der Kronen. straße 2c. Die Leste Straße weiter hinausfahrend , kommen wir an die Schlachtgasse, wo man heute noch eines der früheren drei großen Schlachthäuser Berlins in der Gestalt eines großen Pferdestalles findet.

In gedachten Schlachthäusern

wurde alles Vieh unter sanitärer Aufsicht geschlachtet.

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— so zu sagen Die Gegend sieht hier aus, als hätte die Welt ein Ende.

Geradeaus können wir nicht fahren,

denn die Neue Wilhelmsstraße sowie der von hier nach dem Thiergarten durchgehende Theil der Dorotheenstraße exiſtirten noch nicht. Es ist noch, wie der Berliner sagt , Alles mit Brettern vernagelt. Rechts, in der Fortseßung der Schlachtgaffe, liegt aber eine Brücke , die nach dem Schiffbauerdamm führt. [Die jeßige Marschallsbrücke befindet sich einige Hundert Schritt weiter stromabwärts, nach dem Thiergarten zu.] Über die Neustädt'sche Brücke gelangen wir hinüber zu dem mit nur wenigen Häusern beseßten Schiffbauerdamm. Von der Höhe der Brücke ist der Ausblick auf die von uns bereits vom Logengarten aus gesehenen Wiesen, dem heutigen Grund und Boden der Louiſenſtadt, fast ganz frei. Im Hintergrunde des grünen Planes erhebt sich in weiter Ferne die bereits 1710, mit Absicht recht weit von der Stadt, erbaute Charité. Unser Führer schlägt vor, den sehenswerthen Fickert'schen (später Graf Voß'schen , jezt eine Brauerei enthaltenden ) Garten zu besichtigen , der nicht allzuweit , in der Kirchhofstraße (jezigen Johannisſtraße) liegt. Mangel an Zeit läßt uns darauf verzichten. dem Viered zu.

Wir kehren um und wenden uns

Sie errathen gewiß, welcher Plaß hiermit gemeint iſt, nämlich der jeßige Pariser Plak. Der Benennung ,,Viereck" entsprechend, hieß der jeßige Leipziger Plaß das Achteck, der Belle Alliance-Plag, unſer nächſtes Ziel, das Rondeel. Schade, daß diese so hübschen, bezeichnenden Namen abgekommen sind !

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Die lange, damals noch von keiner Voß-, Anhalt- oder Hedemannstraße durchbrochene Strecke der Stadtmauer vom Achteck bis zum Rondeel wird uns nicht wenig langweilig ; ebenso die Strecke der Friedrichsstraße bis zur Leipzigerstraße. Wer sich erinnert, daß noch vor wenigen Jahren dieses Stück der Friedrichsstraße eine unheimlich ruhige Gegend war, wird dieser Versicherung Glauben schenken.

Als Vater

Wrangel 1848 ſein zum geflügelten Wort gewordenes „ In den Straßen wächst das Gras “ aussprach, hat ihm gewiß dieſer Theil der Friedrichsstraße und das benachbarte Ende der Lindenstraße, ſowie jenes meiſt von Webern und Zeugmachern bewohnte Stück der Wilhelmsstraße vorgeschwebt, das noch heute im Volksmunde die Wallachei genannt wird. Die jest so blühende , 1725 von Friedrich Wilhelm I. begonnene Friedrichsstadt , war übrigens lange Zeit eine Art Voigtland , die Herberge der größten Armuth. Heute hat sich der Mittelpunkt der Stadt und der Brennpunkt des Verkehrs vom alten Berlin nach hierher verschoben.

(Geht

dieses Vorrücken der Stadtmitte nach Westen allmählich weiter, so haben wir das Centrum nach zwei , drei Jahrhunderten etwa auf der jeßigen Schöneberger Feldmark zu fuchen).

V. Vor der Böhmischen Kirche angelangt, bezeigen wir Luſt, dem

eben stattfindenden Gottesdienste beizuwohnen.

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Zu

unſerem Erstaunen hören wir , daß in einer ganz fremden Sprache, und zwar böhmisch, gepredigt wird.

Die böhmische

Kirche, in der man lange Zeit erst böhmisch, dann böhmisch und deutsch predigte , wurde 1735 für einen Theil der aus Böhmen vertriebenen Protestanten erbaut.

Ein anderer

Theil derselben gründete zahlreiche Kolonien in der Nachbarschaft Berlin's, so Nowaweß , Böhm. Rigdorf, einen Theil von Schöneberg , ganz Friedrichshagen, 2C. Es fällt uns auf, daß wir hier , in einer protestantischen Kirche , doch noch viele Äußerlichkeiten des katho lischen Gottesdienstes (z.B. weißes Chorhemd des Geistlichen, das Kreuzschlagen 2c.) finden , ebenso die Privatbeichte. Man sagt uns, daß es in vielen anderen proteſtantiſchen Kirchen noch ebenso sei, jedoch nicht in allen. Eine Gleichmäßigkeit hierin trat erst durch die spätere allgemeine Abschaffung dieser Gebräuche ein. Die Mauerstraße entlang fahrend, gelangen wir in die Leipzigerstraße. Wir bemerken, daß dieselbe von hier aus bis zum Achteck noch fast ganz unbebaut ist. (Das alte Leipziger Thor stand bis 1738 auf der Stelle des Grundstückes Niederwallstr. 12 ; das jeßige Potsdamer Thor wurde 1735 erbaut.) Die Leipziger und die Charlottenstraße verfolgend, kommen wir auf den

„Friedrichsstädtischen Markt " den heutigen Gensdarmenmarkt. - Ein großer, aber noch ziemlich unansehnlicher Plaß, hauptsächlich eingenommen

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von zwei großen viereckigen Stallgebäuden , welche dem Gensdarmen-Regimente gehören. links und rechts

Die beiden , noch heute

des später erbauten Schauspielhauses

ſtehenden kleinen Kirchen erst 1773.

erhielten

ihre jezige Gestalt

Eine Menge unansehnlicher Buden und Scharren bes Leidigen hier und faſt überall, wo wir sonst hinkommen, das Auge.

Diese damalige Plage Berlin's, die dem Laſter und

Verbrechen oft in unter den Buden angelegten, verborgenen Kellern als Zufluchtsstätte diente, ist glücklicherweise jest vers schwunden. Schon Friedrich II. bahnte die Entfernung dieser Buden an, indem er Arkaden errichten ließ, die noch heute eine Zierde Berlin's ſind.

(Königskolonaden , Spittelbrücke,

Jägerbrücke [Jägerstraße No. 27 und 50] 2c.) Vor einigen dieser Buden machen wir Einkäufe.

Das

Zahlen geht rasch und ohne ärgerliche Abzüge von Statten ; denn noch war jene heillose Zeit nicht eingetreten , wo die verrufenen Ephraimiſten und Grünjacken umliefen, oft nur zur Hälfte des Nennwerthes und darunter. - Von diesen, von Friedrich II. aus Noth im fiebenjährigen Kriege unter Beistand des bekannten Juden Ephraim geschlagenen falschen Münzen sagte später der Volkswig : ,,Don außen schön, von innen schlimm, Draußen Sriß, drinn Ephraim." „ Grünjacken“ hießen diese angeblichen Silbermünzen, weil deren großer Kupfergehalt sich durch angefeßten Grünspan verrieth.

6

26

VI. Bei der Rückkehr nach unserem Gasthofe fallen uns junge Leute auf, welche rothe Halsbinden tragen.

Schon früher

bemerkten wir diese Binden, selbst bei Knaben. Wir erfahren, daß die Träger solcher Binden zur Aushebung bestimmte, aber noch nicht eingestellte Militärpflichtige seien , die dieſe Abzeichen tragen mußten. Nach den damaligen Gesezen waren meiſtentheils nur der jüngste von 3 oder 4 Brüdern aus dem Bauern- und Handwerkerſtande geſtellungspflichtig. Alle sonstigen Stände, Kaufleute, Beamte, Künstler 2c. und Jeder, der 6000 Thaler Vermögen nachweiſen konnte, brauchten nicht zu dienen, da der sonst nöthige Heeres-Ersaß durch das bekannte Werbesystem gedeckt wurde.

In Berlin durfte Niemand weder ausgehoben noch angeworben werden.

Man war zu dieser Begünstigung der

Hauptstadt gezwungen. Friedrich Wilhelm brauchte für seine zahlreichen Neubauten Handwerksgesellen.

An diesen war

aber erheblicher Mangel, so lange die Furcht vor Einstellung in das Heer die Handwerker von Berlin fern hielt ; denn Soldat zu sein, galt bei der damaligen grausamen Behandlung derselben als ein Unglück, als eine Schmach.

VII. Der nächste Tag unseres Aufenthaltes in Berlin ist schön und sonnig.

Wir bekommen Lust, einen Ausflug zu

machen.

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Unsere Frage nach der Umgebung Berlin's aber erhält eine wenig tröstliche Antwort.

Die umliegenden Ortschaften

feien arm und ohne historische Erinnerungen ; sie seien nicht nur

oft abgebrannt, sondern auch im 30jährigen Kriege

von kaiserlichen Truppen , Schweden 2c. wiederholt ausgeplündert.

Oft habe Berlin den, zur Stadt fliehenden, ihre

Habe und ihr Heim preisgebenden Landleuten Schuß gewähren müssen. Sehenswerth sei nur der Thiergarten und seine Umgebung.

Wir besuchen also diesen. Der Thiergarten , der um 1650 noch bis an die Hundebrücke (die jeßige Schloßbrücke) reichte, war noch bis Anfang des 18. Jahrhunderts, seinem Namen entsprechend, ein viel benußtes Jagdrevier, in dem oft das Jagdhorn lustig ertönte. Jeßt, gegen Ende der Regierung Friedrich Wilhelm I. sind bereits die Thiere entfernt. ―― Aus einem Walde hat man einen schönen Lustpark geschaffen. Wir gelangen zunächst nach dem Kurfürstenplag , den heutigen Zelten , damals ebenso der Sammelplag des Hofes und der eleganten Welt wie die heutige Sieges-Allee. Musikkorps spielten an den Korfotagen, und zwei Franzosen, Dortu und Thomaſſin, boten in Leinwand zelten Erfrischungen aus : daher der Name.

(Die bis zu den 1848er Jahren vor

den Zelten auf Kosten der Zeltenbeſißer unterhaltenen GratisKonzerte,,,Schneider-Konzerte" genannt, scheinen eine Überlieferung aus jener Zeit gewesen zu ſein.)

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Bald sind wir im Großen Stern.

Jede Seite der

auslaufenden Alleen war damals noch mit Standbildern geziert, welche das Volk „die Puppen" nannte. Daher die Berliner Redensart ,,bis in die Puppen" für weitgehende Dinge; denn wer damals , wo der Mittelpunkt der Stadt noch beim heutigen Rathhause lag, bei seinem Spaziergange bis zu den Puppen vordrang, konnte sich schon eines anſehnlichen Marsches rühmen. Eine gute Viertelstunde Weges westwärts führt uns nach Liezen oder Ließenburg, das auch Charlottenburg genannt wurde, nach der zweiten Gemahlin König Friedrich I., der Mutter Friedrich Wilhelm I. Die schöne, wohlthätige, vom Volke allgemein geliebte Königin Charlotte war es, die in unserem Vaterlande, wenn auch nur zunächst in den höheren Kreisen, geistige Bestrebungen anregte und förderte.

Ihr Einfluß auf Berlin in dieser Be-

ziehung ist unvergessen. Namentlich machte sie sich um_Hebung des Geschmackes an guter Musik verdient und mit folchem Erfolge, daß sie im Ließenburger Schloßtheater ganze Opern durch Dilettanten aufführen lassen konnte. Unsere Zeit erlaubt es uns nicht , das Schloß nebst Garten anzusehen.

Wir müssen vielmehr die nächste , uns

nach Berlin schaffende Gelegenheit benußen , wenden uns dem Spree-Ufer zu und beſteigen, in der Gegend der heutigen Flora, eine der regelmäßig zwischen hier und dort kursirenden Trecksch uten. Diese Vorläufer der späteren Leierkasten-Gondeln wurden von Pferden, die das Ufer entlang

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trabten, gezogen oder getreckt.

Das frische Grün der die

Flußufer umgebenden Wiesen, deren waldiger Hintergrund, der vergnügte Ton der mitfahrenden Gesellschaft und ein, heute verschwundener Verkehr von hunderten von Fahrzeugen aller Art machen diese Fahrt zu einer sehr angenehmen. Unsere Spree muß übrigens früher einen impoſanteren Eindruck gemacht haben als heute; dafür spricht das Zeugniß des Italieners Gratian , der 1632

in seiner Reise-

beschreibung die Spree und deren Breite mit dem großen Kanal in Venedig vergleicht.

Daß Wasserfahrten

spreeauf und spreeab zur damaligen Zeit ein Hauptvergnügen der Berliner bildeten, liegt nahe. Sind doch auch noch heute viele Berliner leidenschaftliche Ruderer und Segler. -

VIII. Am Kurfürstenplage (den Zelten) steigen wir aus und machen, zur Stadt zurückkehrend , noch einen Spaziergang, indem wir die belebten Spree-Ufer am Schiffbauerdamm 2c. verfolgen. Ein vereinzeltes , mit „ Freyhaus “ bezeichnetes Gebäude erinnert uns daran, daß wir diese Bezeichnung schon vielfach in der Wilhelmstraße , im Karree

oder

Viereck, an der Stechbahn , in der Oranienburger straße 2c. bemerkten. Wir erfahren auf Befragen, daß dies Häuser sind, die entweder früher zum Schloffe gehörten oder auf königlichem Grund und Boden erbaut wurden. Die Freiheiten der Besizer solcher Häuser waren folgende :

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1) zahlten sie keine Abgaben ; 2) waren sie von Einquartierung frei ; 3) konnten sie sich begraben lassen - d. h. wo sie wollten, ohne daß [wie sonst bei jedem Anderen] Gebühren an die eigene Parochie zu entrichten waren. Dafür hatten sie aber die Verpflichtung ,

wenn fremde

Herrschaften nach Berlin kommen " das Gefolge derselben zu logiren oder Betten dafür zu liefern.

Diese Einrichtung

ermöglichte es dem sparsamen Friedrich Wilhelm I. , seinen Hofstaat sehr zu beschränken ; wer ihn besuchte , mußte sich seine Bedienung mitbringen. IX. Wir nähern uns dem Spandauer Thor und paſſiren zunächst die Stelle der alten Kontre- Eskarpe, auf welcher 1751 der Haak'sche Markt angebaut wurde, benannt nach dem riesengroßen Grafen von Haak, den das Volk gern mit dem Beinamen " Schweinereiter " bezeichnete. Diese Benennung rührt her von folgendem Vorfalle : Graf von Haake wollte einst bei der Saujagd einen Keuler auflaufen lassen ; doch das Fangeisen brach beim Anprall des Schweines , das nun dem Grafen zwischen die langen Beine gerieth. ― Haake, sich am Schwanze des Thieres festhaltend, mußte jezt einen sonst nicht gerade üblichen Ritt machen, bis seine Jagdgenossen ihn befreiten. — Von dem nachmaligen Haakschen Markte gelangen wir bis zur Spandauer Brücke, an welcher bis 1751 das oft

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genannte Spandauer Thor lag.

Zufällig werden wir die

unfreiwilligen Zeugen eines traurigen Schauspieles : soeben wird, unter dem Zulauf einer ungeheuren Menschenmenge, eine Kindesmörderin gesackt " , d. h. in einen Sack gesteckt und von der Brücke herab in's Wasser gestürzt. In die " Stadt Paris " zurückgekehrt, ersuchen wir unſeren freundlichen Wirth um Belehrung , wie wir den Rest des Tages am besten verwenden könnten.

Der Mann hat aber

Eile; er steht im Begriffe auszugehen und entschuldigt sich höflich , uns jeßt nicht dienen zu können ; er ſei Stadtverordneter und müsse sich sogleich an das Hallesche Thor zur Viehwache begeben.

Ein uns vorgezeigter Befehl des

Magistrats, der die untergeordnete Stellung illuſtrirt, welche die Stadtverordneten damals dem Magistrat gegenüber einnahmen, lautet wörtlich : „ Den Stadtverordneten wird aufgegeben, ſich ſofort an das Lands. berger und Hallesche Thor zu verfügen , um bei dem jeßigen Viehsterben wegen des einpaſſirenden Rindviehes Wache zu halten und bei schwerer Ver. antwortung nichts dabei zu verabsäumen .“ Heute brauchen die Stadtverordneten keine Rindviehwache mehr zu halten - wenigstens nicht mehr an den Thoren und nicht mehr in des Wortes eigentlicher Bedeutung. Wir begleiten Herrn Dake, da wir sonst nichts vorhaben, ein Stück Weges , und drücken dabei unser Erstaunen über die eben erfahrene sonderbare Verpflichtung der Stadtver ordneten aus. Unsere Theilnahme verschafft uns das Zutrauen des Herrn Dake und preßt ihm das Geständniß

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ab, daß jezt die Stadtverordneten nur noch eine Art Diener des Magistrates seien.

Alle alten , republikanischen Rechte

der Bürger und die ganze, jahrhundertelang ausgeübte Selbstverwaltung seien nach und nach einfach wegdekretirt worden. Verschiedene, oft mit den Waffen in der Hand hiergegen versuchte Auflehnungen der Bürger seien alle gescheitert und hätten nur noch den Verlust des legten Restes der alten Rechte herbeigeführt. Da wir mit dem pflichteifrigen Vater der Stadt nicht gleichen Schritt halten können , überlaſſen wir es ihm , den weiteren Weg zur Viehwache allein zu machen.

Die uns

noch verfügbare Zeit benußen wir, um, unsern Führer zur Seite, die dem Gasthause zunächst belegenen Straßen zu durchwandern. Zunächſt besichtigen wir das Fürstenhaus. Hier war der bekannte „ starke Mann ", von Eggenberg, eine ArtÖkonom und Wirthschafter jener " Assambleen ", welche die hohe Gesellschaft Berlins vereinigte. - Jeder General und Hofherr, den die Reihe traf, hatte zu den Kosten 30 Thaler beizutragen, Gäste zahlten 8 Gr. Trinkgeld und 16 Gr. Kartengeld. Lieutenants - frei. Auf unserem weiteren Spaziergange hält unser Führer vor dem Hauſe Brüderstraße 10 an, uns erzählend, hier sei ein Diener aufgehängt worden, der seinen Herrn, den Kriegsminister von Happe, bestohlen hatte.

In Berlin wird jeder

Dienstbote, der mehr als 3 Thaler Werth stiehlt, vor dem Hause seines Herrn aufgehängt ", fügte er hinzu.

[Gut, daß

dieses Gesez heute nicht mehr exiſtirt : Holz und Stricke

Berlin.

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3

würden sonst entseßlich theuer und die Dienstboten in Berlin sehr rar werden. ] - Unweit der Betrikirche finden wir Brunnenmacher beschäftigt, einen Brunnen zu graben.

Aus

der Tiefe fördern sie unzweifelhafte Spuren eines alten Pflasters. Man sagt uns, Berlin's Lage sei früher bedeu tend niedriger gewesen, - was auch Nikolai in seiner Be schreibung von Berlin von 1786 bestätigt.

Für heute können

wir annehmen, daß unsere Straßen weit höher liegen als im 16. Jahrhundert. Unsere Betrachtung über diese merkwürdige Veränderung, welche tiefliegende, stark bewohnte Orte in der Regel erfahren, wird gestört durch plöglichen Trommelschlag und durch Trompetengeschmetter. Ein, den Schweif des Pferdes als Zaum benugender Hanswurst verkündet für heute Abend eine großartige „ Komödien-Vorſtellung " , wie es damals hieß.

X. Der kommt uns wie gerufen, denken wir, und beschließen hinzugehen.

Weit haben wir es ja nicht; das Theater be

findet sich in der Breitenstraße im Marſtalle, über der jeßigen Reitbahn. Der wörtlich wie folgt lautende Theaterzettel verspricht Großartiges : ,,Mit gnädigster Bewilligung einer hohen Obrigkeit wird heute auf geführt werden:

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Eine mit fächerlichen Scenen, ausgesuchter Luftbarkeit, luftigen Arien und Verkleidungen wohl versehene , dabei aber mit ganz neuen Maschinen und Dekorationen artig eingerichtete, auch mit verschiedenen Flugwerken aus. gezierte und mit Schmerz, Luſtbarkeit und Moral vermiſchte, durch und durch auf lustige Personen eingerichtete , gewis sehenswerthe grosse Maschins . komödie unter dem Titel: „ Banswurſts Reiſe in die Hölle und wieder zurück!“ Wir können versichern , daß die heutige Maschinskomödie die Krone affer Maschinskomödien ist.“ (Man sieht, daß die Reklame schon damals ganz passabel ausgebildet war.) Daß diese „ Maschins-Komödie “ uns besonders erbaut hätte, können wir nicht sagen. Ließ sich doch von dem ganzen damaligen Theaterweſen überhaupt nur wenig Rühmenswerthes berichten.

Abgeschmackte Schäfer

und Singspiele,

alberne Possenreißerei bildeten das Repertoir. Was bei der unter Friedrich Wilhelm I. herrschenden Sittenſtrenge unbe greiflich erscheint , ist der zotige, unfläthige Ton der meisten dieser Stücke, aus welchen hier beim besten Willen nichts zitirt werden kann. Unter solchen Umständen war es nicht zu verwundern, wenn die damalige Geistlichkeit gegen das Theater eiferte und Schauspieler nicht zum Abendmahle zuließ. Erst unter Friedrich dem Großen begann das deutsche Theater sich neben dem französischen zu entwickeln.

1742

wurde das Opernhaus, 1776 das Schauspielhaus eröffnet. Die Logenreihen gehörten hier ausschließlich dem Hofe, Adel und Beamtenstande, das Parquet und die Galerie war den

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Bürgerlichen angewiesen.

Neben den Königlichen Theatern

florirte dreiunddreißig Jahre lang, bis 1799, das Schuch'sche, Behrenstr. 55 belegen, das 800 Pläge enthielt und später in den Besiz des Direktor Döbbelin überging. Das von Berger erbaute, 1000 Personen fassende französische Theater am Monbijou Plaz beherrschte lange den Geschmack des Berliner Publikums, der sich erst dem deutschen Theater zuwandte, als Leffing's „ Minna von Barnhelm " mit einem Schlage eine Wendung zum Bessern erzielte.

XI. Von dem Aeußern Berlins haben wir nun wohl genug gesehen. Obwohl der intereſſanten, besuchenswerthen Punkte noch hunderte wären, so geht es uns wie allen Reisenden. Kein Fremder wird eine große Stadt besuchen, um Alles sehen zu wollen.

Man begnügt sich eben mit den haupt-

sächlichsten und solchen Punkten, welche die äußere Erscheinung der Stadt am treffendsten zum Ausdruck bringen. Wie mag es aber wohl aussehen in der inneren Häuslichkeit der Berliner ?

Dies kennen zu lernen , soweit ein dazu Fremder dies überhaupt im Vorbeigehn vermag giebt uns unser Führer Gelegenheit, indem er uns in die

bescheidene, aber freundliche Wohnung des Gasthofbesizers Herrn Dake führt, der mit seiner Familie zur Zeit in der (später abgebrannten) Petrikirche weilt.

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Wir treten in Räume ein, denen man es ansieht, daß - wie fie zum behaglichen Wohnen hergerichtet sind, nicht — vielfach heute zum bloßen Dickthun und Staatmachen. Große Sauberkeit heimelt uns an.

Auf den Betten

schneeweiße Decken, die weißen Dielen mit Sand bestreut. An den Fenstern überall die, leider jezt faſt verschwundenen, Blumen.

Ein Sopha finden wir nicht, wohl aber den heute

auch abhanden gekommenen mächtigen Großvaterstuhl mit verstellbarer Lehne. - Die Wände der Zimmer zeigen wenig leere Stellen. stiche, oft

Überall, zum Theil recht schlechte Kupfer-

ladkirt", d.h. ausgetuscht und mit Lack überzogen.

Was hängt hier für ein Buch an der Wand ?

Es ist

das Salzbuch, wie man uns belehrt, in welches die laufende Entnahme eines bestimmten Quantums Salz amtlich bescheinigt wurde.

Jede Familie mußte den Verbrauch einer

gewissen Menge Salzes nachweisen, da der Salzhandel dem Staate gehörte und man durch die Einrichtung des Salzbuches der fremden Einfuhr entgegen zu wirken suchte. In die sogenannte gute Stube dürfen wir nicht hinein ; Frau Dake hält dieselbe vorsorglich verschlossen.

Geöffnet

wird diese Stube in der Regel nur zweiundfünfzig Mal im - zu reinigen. (Auch heute noch soll es einige Jahre um Berliner Hausfrauen geben, die es ebenso machen. ) So sah eine bürgerliche Wohnung aus : Alles bescheiden, zwar behaglich, aber mit augenscheinlicher Sparsamkeit eingerichtet. Sparen war bei Arm und Reich eine ſelbſtverständliche Sache.

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Wenn selbst der König beim Schreiben Leinwandärmel überzog und eine grüne Schürze vorband, um seinen groben Tuchrock zu schonen, so kann man auf die Sparsamkeit schließen , die

in dieser Beziehung in bürgerlichen

Familien herrschte.

Niemand hätte damals ahnen können,

daß diese Tugend später unter Friedrich II. in das Gegentheil

umschlagen , daß kaum zwei Jahre nach Friedrich

Wilhelm's Tode ein bisher unbekannt geweſener Glanz und Luxus sich entfalten würde.

Zunächſt bei Hofe, dann auch

bei den Einwohnern, denen damals der Hof in allen Dingen ein Vorbild war.

Wie hoch es bei Hofe herging, darüber

giebt uns Stredfuß in seinem U Berlin vor 500 Jahren" S. 407 ein Bild, indem er nach den Aufzeichnungen eines Herrn v. Bielfeld die Beschreibung der Vermählung des damaligen Prinzen August Wilhelm mit der Prinzessin Luise von Braunschweig-Wolfenbüttel schildert wie folgt : ,,Sämmtliche Zimmer des Schlosses waren am Hochzeitstage erleuchtet, im weißen Saale hatte man unter einem Thronhimmel von karmoisinrothem , mit Gold verziertem Sammet den Altar errichtet. Die Festgäste waren im höchsten Schmuck, von allen Seiten sah man Silber, Gold, Perlen und Diamanten glänzen. ,,Der König trug ein von Silber gewebtes Kleid. Weste und Aufschläge von Gold- und Silberstoff; er sah so jugendlich und schön aus, daß Bielfeld sagt, er hätte nicht umhin ge fonnt, sich in ihn zu verlieben, wenn er kein Mann gewesen wäre.

Auch die Königin erschien im höchsten Schmuck ; sie

3S

trug ein Prachtkleid von grünem Sammet, ganz beſäet mit Bouquets von Brillanten, die Schleppe war gleichfalls mit den kostbarsten Steinen bedeckt.

Ihre ganze Frisur war

mit Federn von Brillanten geschmückt, in der Mitte derselben einer, der wie die Sonne zwischen Sternen funkelte und als der drittgrößte Diamant in Europa unter dem Namen der fleine Sanci' bekannt war. „ In ähnlicher Pracht erschien auch das Brautpaar. Nach der Trauung wurde eine wahrhaft königliche Mahlzeit ge= halten und dann der übliche Fackeltanz getanzt, bei dem die Musiker auf dem silbernen Chor saßen. Nach der Beendigung des Tanzes führte der König den Prinzen von Preußen, die Königin die Prinzeſſin in ihre Zimmer.

Die Neuvermählten

legten ein zierliches und

studirtes Negligé an, dann öffneten sie die Thür des Schlafzimmers und der Hof trat in dasselbe. „Die Prinzessin lag auf einem Bett von karmoiſinrothem Sammet, welches reich mit Perlen verziert war, der Prinz faß im Schlafrock und mit einer Nachtmüße versehen auf dem Kopfkissen.

Die vertrauten Freunde des Prinzen über-

boten sich an Wig und in nicht gerade zarten Scherzen, die aber ein Ende hatten, als der Prinz das Strumpfband seiner jungen Gemahlin zerschnitt und unter die Umſtehenden vertheilte, dann den König umarmte und die Gesellschaft verabschiedete.

,,Die Hofherren blieben noch bis 3 Uhr Morgens zusammen bei einer Abendmahlzeit, bei der man, wie Bielfeld

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sagt, mehr als ein gestrichenes Glas auf das Waffenglück der Neuvermählten trank.

,,Am folgenden Tage versammelte sich der Hof gegen 6 Uhr Abends in der großen Galerie, die Damen und Kavaliere erschienen im Domino, aber ohne Gesichtsmasken ; Bielfeld allein trug ein reiches geschmackvolles Kostüm , denn ihm war eine eigenthümliche Rolle zuertheilt : die, der Prinzessin den Strohkranz zu überreichen und dazu eine Rede zu halten, in welche er - so war nach Bielfelds Mittheilung des Königs ausdrücklicher Befehl — einige schlüpfrige Scherze einfließen lassen sollte. ,,Die Feierlichkeit der Strohkranz-Ueberreichung fand nach 9 Uhr, nach dem Abendtische, statt.

Zwölf junge Kavaliere

gingen, jeder eine angezündete Fackel in der Hand tragend, Bielfeld voran; ihnen folgte ein schlesischer Edelmann, der Baron v. Modrach, der auf einer goldenen Schüſſel einen kunstreich verfertigten und mit mehreren kleinen Wachskindern geschmückten Strohkranz trug. ,,Der Hof hatte sich in einem Halbzirkel aufgestellt, Bräutigam und Braut standen in der Mitte, der König und die Königin ihnen zur Seite. Die 12 Kavaliere führten einenFackeltanz auf, eine Pantomine, welche auf die Vermählung Bezug hatte, dann hielt Bielfeld seine Rede und da der König sehr mit derselben zufrieden war und stark in die Hände klatschte, so mag sie wohl der schlüpfrigen Scherze genugsam enthalten haben. ,,NachBeendigung der Rede seßte der Baron v. Modrach

der Prinzessin den Strohkranz auf das Haupt, dieſe indeſſen

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war damit wenig zufrieden, sie riß ihn schnell ab und warf ihn dem Prinzen zu. ,,Ein großartiges Feuerwerk, dem der Hof aus den Fenstern zusah, eine glänzende Beleuchtung Berlins, bei der fich die guten Bürger nach Kräften bemühten, ihren Patriotismus durch zierliche Flammen - Inschriften zu zeigen, ein prächtiger Ball bis tief in die Nacht hinein beschloffen das Fest des Tages."

XII. Unsere geträumte Reise hat ihren Zweck nun wohl ers füllt. Kehren wir daher zur Wirklichkeit zurück und ergänzen in aller Kürze Das, was wir bisher in Beziehung auf Bers lin's Zustände, auf Lebensweise und Charakter der damaligen Berliner kennen lernten. Die

Lebensweise der Berliner unter Friedrich Wilhelm I. war, was Essen und Trinken betrifft, wie wir zum Theil schon bemerkten und wie es bei den damaligen mangelhaften Verkehrsverhältnissen nicht anders sein konnte, ziemlich einfach. Viele Seeprodukte, wie Austern, frische Heringe, Hummern, die heute zum Theil selbst den weniger Bemittelten zugänglich find, waren damals noch ein seltener Luxus, sogar an der

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Königlichen Tafel, wo z. B. ein Hummer für 30 Personen ausreichen mußte. Kaffee war ebenfalls ein theures Genußmittel.

Der Staat hatte den Allein-Verkauf und verab-

folgte nur gebrannten Kaffee in Büchsen à 24 Loth, die Büchse zu einem Thaler. Ungebrannter Kaffee war also Schmuggelwaare, wenn nicht ein besonderer Brennschein vorgelegt werden konnte. Kontraventionen dieser Art wurden durch besonders angestellte ,,Kaffeeriecher" festgestellt, welche in den Häuſern nach dem Geruch röstenden Kaffee's umherschnüffelten. Dieses Amt war nicht ganz gefahrlos .

Gelang es einmal, einen

folchen ,,Kaffeeriecher" in einen Hinterhalt zu locken, so konnte er davon erzählen, was es auf sich hat, den Zorn und Haß einer Berliner Hausfrau aus dem Volke auf sich zu laden. (NB. Reisbesen, Feuerhaken, Reibekeulen 2c. bildeten schon damals das Arsenal jeder Berliner Küche !)

Bei der er

wähnten Kostbarkeit des Kaffee's ist es nicht zu verwundern, wenn Aermere meist Roggen oder Cichorienkaffee tranken, mit dessen Verkauf sich allein 6 Kaufleute in Berlin faſt ausschließlich befaßten. Etwas Aehnliches, wie unsere jezigen Volksküchen, bestand schon damals, wenn auch nicht als Wohlthätigkeitsanstalt.

Aus verschiedenen Garküchen, z. B. bei Ambroſius

in der Wallstraße , konnte man für 1 Gr. 6 Pf. „ Suppe, Zugemüse, Fleisch und Braten" holen lassen. Bemerkenswerth ist der bedeutende Bierverbrauch

des damaligen Berlins.

1723 wurden allein an eingeführten

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Bieren 32 verschiedene Sorten verbraucht, in einem Quantum von über 28,500 Tonnen - vorzugsweise Ruppiner und Bernauer Bier; vom Ruppiner allein gegen 20,000 Tonnen. Einige Billards waren auch schon vorhanden, doch durfte nur an Wochentagen gespielt werden.

Einen hübschen Einblick in die Kosten eines damaligen Haushaltes giebt folgende, wahrscheinlich an König Friedrich II. gerichtete Petition eines königlichen „ Sekretarius “, die mithin einer etwas späteren Periode angehört: ,,Großmächtigster Monarch! Ich rechne Tag und Nacht und quäle mich mit Brüchen, Doch ist vom Monath noch die Hälfte kaum verſtrichen, So ist der 4. Theil von 100 schon verzehrt Da doch so Frau und Magd faft täglich Geld begehrt. Wo nehm ' ich dieses her? Ich fürchte mich zu Borgen, Indeffen soll ich doch das ganze Haus versorgen; Ich theile wie ich will 300 Thaler ein, So will mein Tractament noch nicht hinlänglich seyn ; Vor 40 Thaler Holk, damit ich nicht verfriere, 2 Thaler wöchentlich zu Coffee, Wein und Biere. Dor Butter, Fleisch und Brodt, Dor Grüße, Salz und Licht - sek' ich 4 Gulden an, Sie reichen öfters nicht. -- Dor Cnafter und Spaniol, Vor Zucker und Thee-boa , Peruquen und Wäscher-Lohn, Vor Hembde, Strümpf' und Schu, 4 Thaler den Barbier, Wo aber bleibt der Schneider? Ich rechne monathlich 2 Thaler nur auf Kleyder, Doch leyder dieses macht 400 Thaler aus,

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Und dennoch habe ich noch Dieses nicht im Hauß. Was kostet nicht die Fran! Was kosten Band und Spißen! Was Adrienen's Schmuck, Pantofeln, Haußen, Müßen ! Was kostet nicht der Domino, mit Spißen ausgezieret, Wenn man sie Winterszeit nach der Redouten führet ! Und wenn man Sommerszeit in einen Garten fährt So feynd 6 Groschen bald verzehrt. Wie ofte muß man nicht allhier zur Hochzeit gehen, Wie ofte muß man nicht auch zu Gevattern stehen, Und - läft man öftermahls den eignen Zuwachs taufen, So muß man alsobald mit Geld zur Rirche laufen. Was kostet Rinderzeug, Was kostet Ammensohn ! Stürbt etwan gar der kleine Sohn, So wird man nimmermehr das Kind umsonst begraben, Warum ? Die Kirche will zuvor das Ihre haben. Rurt, es kostet alles Geldt, Und eh' ich's recht bedacht, War mir die Cassa leer gemacht; Wie kann nun in ein Jahr 300 Thaler reichen ?? Darum, o großer König, Laß Dich mein' Noth erweichen, Seh' 100 Thaler zu! Bekomm' ich nur ein Blatt, Das Deine Gnaden Hand Selbst unterzeichnet hat, so ist mein Wunsch erhört ; Ich sterb' in tiefstem Danke, Mein Rönig, Fürſt und Herr, Dein Pflicht verbundener Hancke.“

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Hier ist von der Hand Deſſen, der uns dieſes Schriftſtück im Manuskript hinterlaſſen hat, hinzugefügt : „ Es ſind gedachtem Secretarius von Sr. Majeſtät 300 Thaler Zulage accordiret worden, daß er also 600 Thaler zu ſeinem Auskommen jährlich zu genießen gehabet.“ *) Da unter Friedrich Wilhelm I. den Berlinern fast keine Vergnügungen mehr erlaubt waren, so flüchtete sich der nun einmal nicht auszurotten gewesene Trieb nach Erholung und Erheiterung meist in die Familienfeste, Hochzeiten, Laufen, Geburtstage.

Ja, Beerdigungen mußten als Ventile für

die Ausgelassenheit der Berliner dienen.

Aber auch hier

ſuchte man Dämpfer aufzufeßen durch mancherlei Vorschriften, welche die Zahl der Gäste, Schüsseln 2c. bestimmten. Ein weiteres Vergnügen, welches den Berlinern nicht gegönnt wurde, waren die Schüßenfeste.

Die drei Berliner

Schüßenpläße, der deutsche in der Lindenstraße, der fran zöſiſche in Cölln und der noch heute vorhandene berlinische wurden 1727 ſuſpendirt. Musik und

In den Bierschenken wurde keine

anderes üppiges Wesen" geduldet.

Die wenigen Zerstreuungen, welche außer den Familienfesten noch übrig blieben, waren die Märkte, zu denen LandLeute in Schaaren herbeiſtrömten, ferner das Fischstechen auf der Spree, die Manöver der Truppen und endlich die zahlreichen Hinrichtungen, bei welchen sich oft soviel Schaulustige einfanden, daß, um ihnen Plaz zu verschaffen, die Dächer der Umgebung abgedeckt wurden.

Der Vicepräsident

*) Aus einem Tage- und Notizbuche, betitelt : „Kurzweilige Gedanken. Zum Zeitvertreib geführet von J. L. Langenscheidt. 1769. "

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der Akademie, Faßmann, schließt die Schilderung einer Hinrichtung mit folgenden Worten : ,,Wie Clement gehangen war, wurden die vier Theile des Lehmann'ſchen Körpers an den vier Ecken des Galgens aufgehangen, der Ropf aber mitten am Galgen aufgesteckt, welches Alles schrecklich genug anzusehen war. Der Anblick war aber um so viel abschenlicher, weil auch sonst noch verschiedene Körper an dem Gafgen gehangen, absonderlich Runck und Stief mit dem Clement oben an dem eisernen, wie denn auch unten bei dem Gerichte herum viele Räder gestanden, auf welchen Körper gelegen." (Stredfuß, Berlin v. 500 Jahren, S. 288.) *) Eine allgemein übliche Sonntags-Erholung bildeten, wie beim echten Spreekinde noch heut, die Landparthieen , bei denen wieder der scherzhaft „ Freßkober" genannte Speisekorb eine Hauptrolle spielte. Die Ziele der Ausflüge unserer Altvordern waren ziemlich dieſelben wie heute, nur um vieles angenehmer. Man hatte Feld und Wald näher und brauchte nicht, wie jest, Stunden, um überhaupt erſt hinauszukommen. XIII. Bezüglich der Religion läßt sich nur sagen, daß Berlin unter Friedrich Wilhelm I. äußerlich eine fromme Stadt war.

An Sonn- und Festtagen die tiefste, feierliche Stille !

Während der Predigt verschlossene Thore, kein Spazierengehn oder Fahren ! Wie wenig es aber den Berlinern zusagte, ihre Gottesverehrung äußerlich zur Schau zu tragen, *) Das Hochgericht befand sich, seit 1702, in der Dranienburger Str. (No. 24—27). Auf dem Neuen Markte befand sich nur noch der „Soldatengalgen" - bis 1825,zulest als Schandpfahl zum Anheften von Namen u. Bildniffen der Deſerteure dienend.

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zeigte sich bald: Unter Friedrich II., einem Könige, der überhaupt nur neunmal und nur in Folge äußerlicher zwingender blieben die Veranlassung, die Kirche besucht haben soll sonst vollen Kirchen leer.

Toleranz aber, das muß man

fagen, herrschte auch unter Friedrich Wilhelm I. allgemein, der Jedem seinen Glauben ließ.

Nur verlangte er Gottes-

verehrung , gleichviel in welcher Form. Die Katholiken waren geduldet, durften aber kein Staatsamt bekleiden. Der Monarch meinte:

Leute, die dem Pabst mit heiligen

Eiden mehr verpflichtet sind , als mir , kann ich nicht brauchen!" Berühmt ist der große Streit, der sich bei Abschaffung des ― alten Porst'schen Gesangbuches unter Friedrich II. erhob ein Buch, das heute noch in vielen Berliner Familien als ein Schaß und eine liebe Erinnerung an die Vorfahren aufbewahrt wird. Ob aber die erfolgte Abschaffung zu beklagen ift, darüber wolle der Lefer urtheilen nach folgender Probe, deren sich noch viele andere bringen ließen.

Lied No. 731. 1. Herr, ich will gar gerne bleiben, wie ich bin, dein armer Hund, will auch anders nicht beschreiben mich und meines Herßens Grund, denn ich fühle, was ich sey, alles Böße wohnt mir bey : Ich bin aller Schand ergeben, unrein ist mein ganzes Leben.

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2. Händisch ist mein 3orn und Eyfer, hündisch ist mein Neid und Haß, hündisch ist mein 3orn und Geifer, hündisch ist mein Rauß und Fraß, ja, wenn ich mich recht genan, als ich Billig soll, beschau, haft ich mich in vielen Sachen ärger als die Hund es machen. Viele von uns haben trok alledem das Porst'sche Gesangbuch und manche andere verschwundene Dinge von unsern Großeltern loben und deren Abkommen bedauern hören.

XIV. Ja!

Die gute, alte Zeit !

Gott hab' fie felig.

Unsere Generation, glaube ich, kann sich Glück wünſchen, nicht in ihr geboren zu sein ! Sehen wir uns diese gute , alte Zeit boch einmal näher an. Wem würde es heute wohl paſſen, nicht ohne beſondere Erlaubniß außer Landes reisen zu dürfen, und zwar bei Verlust von „Hab ' und Gut“ ? Wer von uns möchte täglich für sein Leben, seine Freiheit, seinen Besit , wie damals, zittern ? Unter Friedrich Wilhelm I. konnte man leicht darum kommen. Wer's nicht glauben will, höre folgende hiſtoriſche Thatsachen ; nur je ein Beispiel unter vielen.

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Das Leben. Man wird vom ersten Besten des Diebstahls oder Mordes angeklagt ; man leugnet, gesteht aber unter den Qualen der, erst 1740 theilweiſe, 1754 ganz aufund man ist für den Henker reif. Oder,

gehobenen Folter,

man macht Bankrott. Die Bücher sind nicht ganz in Ordnung; es wird Betrug festgestellt - man baumelt. Geht es dabei ohne Staupbesen, ohne vorheriges Brennen und Kneipen mit glühenden Zangen ab, so kann man noch von Glück ſagen. Eine Zeit, in der ein zehnjähriger Knabe aufgehängt wurde, ―― weil er Straßenlaternen bestohlen oder gestohlen hatte, eine Zeit, wo einem Deserteur 1730 thatsächlich durch den Scharfrichter Nase und Ohren abgeschnitten wurden, eine solche Zeit eine gute, eine goldene ? Die Habe.

Ist der Fleiß unserer Hand gesegnet ge-

wesen, so dürfen wir dies ja nicht merken lassen ; sonst kommt eines schönen Tages ein königlicher Erlaß , der uns eine Baustelle auf der Friedrichsstadt schenkt mit dem Befehl, daselbst ein Haus binnen so und soviel Zeit bauen zu laffen.

Dies war gleichbedeutend mit Nuin ; Häuser , die

12,000 Thaler zu bauen kosteten , konnte man , sobald sie fertig waren, oft für 2000 Thaler kaufen, denn für Miethezahlen konnten sich die damaligen Trockenwohner der Friedrichsstadt nicht recht erwärmen ; auch ſtanden viele Häuser ganz leer. Die Freiheit.

Eingesperrt wurde bisweilen ohne Ver-

hör und Urtheil, wer das Unglück hatte, dem Könige oder vielmehr seinen Günſtlingen zu mißfallen ; - und was

Berlin.

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Prügel betrifft, so konnte man im Umsehen dazu kommen, 3. B. durch zu schnelles Fahren, was nicht unter einer Strafe von 25 Stockschlägen abging.

(Unwillkürlich entſteht Einem

hierbei der boshafte Wunsch , die durch ihr unsinniges Schnellfahren berüchtigten Berliner Schlächtergesellen von heutzutage einmal in die gute alte Zeit zurückverſeßen zu können.) Die Allerhöchſteigenhändig ausgetheilten Prügel , die so Mancher ganz unverhofft mit dem historischen Langen Knotenstock von Weißdorn zu kriegen die Ehre hatte (die Königlichen Prinzen und Prinzeffinnen nicht ausgenommen) find eine allbekannte Thatsache. Flüchten und Ausreißen beim Erblicken des Königs nugte gar nichts, wie jener arme Jube zu seinem Schaden erfahren mußte, der beim Erblicken des Königs schleunigst das Haſenpanier ergriff. Seine Majestät fonnten auch nicht schlecht laufen, und das Ende der Hezjagd war das Erpacken des Wildes. „ Warum läuft er davon, Kerl! " --- "Ich fürchte mich, Majestät." - „Was! fürchten ? Jhr sollt mich lieben! " - Und diese Liebe wurde nun in einer Weise eingetränkt, daß der arme Jude zeitlebens daran gedacht haben wird.

Wie der Herr, so der Diener.

Alles ahmte dem Könige nach. In ganz Berlin war allgemeine Prügelei.

Die Offiziere prügelten die Unteroffiziere,

die Unteroffiziere die Soldaten. Daneben für die geringſten Dienstvergehen ein 10-20maliges Gaffenlaufen: eine Grausamkeit, die oft ärger als der Tod war und dieſen zuweilen herbeiführte.

Ebenso prügelte der Meister seine Gesellen,

die Gesellen die Burschen, der Hausherr die Knechte und

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Mägde, und diese prügelten sich unter einander. Ich glaube, die notorische Vorliebe für das „ Hauen“ haben die Berliner von damals her. - Trog aller dieser Strenge und Prügel waren fie aber doch nicht „ klein zu kriegen " . Tumulte, Aufläufe, Schlägereien gab es alle Tage. Damals, wie heute, kein Vergnügen ohne Keile." und ohne Meffer.

Doch im ganzen harmlos

Ein Hauptspaß war es, einen der gründ-

lich gehaßten Polizisten durchhauen zu können.

Ein Polizist

galt für unehrlich, und selbst seine Kinder konnten nur durch königliches Machtwort in irgend eine Zunft, Gilde 2. aufgenommen werden.

Erzeugt auch heute noch die blaue

Schußmanns-Uniform gerade kein Herzklopfen der Liebe in der Brust des echten Berliners, so ist es doch auch hierin anders und - besser geworden.

XV. Bei all' dieser Unsicherheit von Leben, Besiß und Freiheit hat dennoch Mancher unter Friedrich Wilhelm Karrière gemacht.

Sogenannte Streber konnten damals leichter zu Amt und Würden gelangen, als heute; vorausgesetzt, daß

fie dem Könige zu gefallen wußten oder auch nur Geld hatten, um sich Titel 2c. kaufen zu können. Es existirte für dergleichen Würden und Titel ein ordent. licher Tarif und Kurs.

Geheimräthe z . B. sehr gefragt

und billigst mit 500 Thlr. notirt, ein gewöhnlicher Rath

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nicht unter 300 Thlr. zu begeben ; kleinere Titel, wie Geheimsekretär 2c. flauer, doch billigst zu 200, noch geringere wenig gefragt und 150 Thlr. Brief. Das waren aber Alles nur Titel, die Nichts einbrachten.

Stellen, mit denen ein

Gehalt verbunden, erheblich höher, z. B. die mit nur 10 Thlr. monatlich dotirte Stelle eines Sackträgers billigst 600 Thlr. Aus jener Zeit stammt auch der leider heute noch im Volke anzutreffende Glaube, mit Geld lasse sich Alles machen und jedes Verbrechen fühnen. Indessen -tein Rauch ohne Feuer. Dieser Volksglaube hatte damals in einigen Fällen wirklich seine Berechtigung. Die ,,Rekrutenkasse", aus welcher die bekannten langen ,,Kerle" beschafft wurden, und in welche alle oben erwähnten Gelder flossen, brauchte ja immer Geld! Um das glänzende Bild der guten alten Zeit zu vollenden, darf nicht verschwiegen werden, daß der Bürger oft unter den Uebergriffen der Offiziere und des Militärs, das damals ausschließlich bei Bürgern einquartirt war, zu leiden hatte, was oft bittere Klagen und traurige Auftritte herbeiführte. Daß Kunst und Wissenschaft in dieser Epoche keine großen Fortschritte, keine Tage des Ansehens und Glanzes zu verzeichnen hatten, verstehtsich wohl von selbst. Alles, dessen Nußen Friedrich Wilhelm nicht mit Händen greifen konnte, wurde von ihm verachtet . Am Hofe, und deshalb überall, hielt man in einer Zeit, wo nur Körperkraft und Körperlänge als das Ideal eines vollkommenen Menschen

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galten, einen Gelehrten für ein unnüßes Möbel, das höchstens als Spaßmacher und Hofnarr zu brauchen war.

Allerdings

trug ein großer Theil der damaligen Gelehrten hieran selbst die Schuld; durch ihr pedantisches Wesen, ihr Umherwerfen mit griechischen und lateinischen Zitaten, durch ihr ungehobeltes Auftreten gaben sie sich oft der Lächerlichkeit Preis . Was soll man sagen, wenn eine ganze Reihe zum Theil sehr begabter Gelehrter, wie Gundling , Faßmann 2 . fich dazu hergiebt, unter dem leeren, nur als Spott anzufehenden Titel eines Kammerherrn oder Vice-Präsidenten der Akademie den Hofnarren und Hanswurſt des Tabackskollegiums abzugeben ?

Was denken von einer Zeit, wo es dem Könige sogar für einen hübschen Uk galt, die Akademie der Wissenschaften (ein damals recht unscheinbares Institut, das für einige Zimmer im Marstallgebäude dem Könige noch Miethe zahlen sollte) -so zu sagen - zu „ ußen“ und ihr Fragen vorzulegen, wie folgende : „ Warum brauſt der Champagner ? " - welcher Hieb übrigens von der Akademie ganz gut durch die Aufforderung an den König parirt wurde, erſt 50 Flaschen behufs eingehender Versuche zu schicken , worauf einzus gehen dem sparsamen Friedrich Wilhelm I. natürlich nicht einfiel. Was soll man von einem Gelehrten wie dem VicePräsidenten der Akademie Graben zum Stein halten, der es nicht verschmähte, ſich mit einer ihn verspottenden Beſtallung anstellen zu laſſen, in der ihm die Ausrottung der

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„ Nachtmähren,

Bergmännlein , Drachenkinder, Irrwiſche,

Nixen, Wehrwölfe “ 2c. zur Pflicht gemacht und 6 Thlr. für jebes Stück ausgesetzt wird, welches er lebendig oder todt hiervon abliefert? Was denken von einer Zeit und einem Hofe, dem es ein Hauptspaß war, den genannten Gundling , der einſt in einer Spelunke seinen Kammerherrnschlüffel verloren hatte, acht Tage lang mit einem ellenlangen, vor der Bruſt befestigten hölzernen Schlüffel umherlaufen zu laſſen, „ damit er das Zeichen seiner Würde immer vor Augen habe " ? Hier ein Lied und Beſchreibung von Gundling's Begräbniß, wie ich es wörtlich dem schon erwähnten Tagebuche meines Urgroßvaters entnehme :

"Potsdam den 14. Aprill 1731. 11„Am vergangenen Donnerſtag waren hier die Exequien des H. Geheimbte Rath Gandlings, welches remarquabel anzusehen war, nemlich, ſo bald er gestorben, wurde ſeine in ſeiner Krankheit hier geweſene Frau alsbald wieder verwiesen ; darauf lies der König selbigen seinen or dentlichen Habit anziehen, auf ein Bette legen und so öffentlich über den Mardt von 2 Kerls in ein Bürgers Haus tragen, da wurd' er in einen Sarg, so ein ordentliches Wein-faß mit ſeinen Reifen und Zapfen präsentirte, geleget und 2 Tage zu jedermanns Schau geseket; das Wein-faß war mitten durchgeschnitten, da die eine Helfte den Dedel abgeben muste. Auf dem Dedel stund folgendes sauberes Epithaphium: ,,Hier liegt in seiner Haut Halb Mensch, halb Schwein, ein Wunderding In seiner Jugend klug, in ſeinem Alter toll Des Morgends voller Witz, des Abends immer voll. Beim Wein ruft Bachus laut Dies theure Kind ist Gundeling.

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,,Um Freytag Nachmittag ging die Proceſſion um 2 Uhr vor sich, da nemlich dieſes faß auf eine Bahre geleget und von 20 Schneidern · getragen worden ; vorher ging die gange Schule, ſein Laquài, vor dem Sarge in tefter Trauer; nach dem Sarge folgten der Caſtellan und Rector als leydtragende ; darauf folgten alle Generals, Staabs-Officier von Regiment und alle Anwesende Geheimbte-Räthe, Doctores, Regtments-Feldscherer. Alsdann folgte der ganze Magistrat und dann die gange Bürgerſchafft nach ihren Künſten ; dieſes alles hat der König alſo geordnet, und wurde denen Bürgern bei 5 rthllr. Strafe gebothen, daß keiner ausbleiben solte. Der Zug ging vor den Schlos und der Garnison-Kirche vorbei nach den Brandeburger Thore, da dan die Begleiter zurück gingen, und der Sarg oder vielmehr das faß auf einen Bier-Wagen geladen u. nach Bornſtädt ins Begräbniß bey ġefetet ist. So viel von dieſem remarquablen Begräbniß. Epithaphium. „ Bundling hat nun ausgesoffen Und hinfort nichts mehr zu hoffen Von den Wein in diesem Faß Auch beym Abschied schmerzt ihm das Drum war das ſein letter Wille Daß doch ja in aller Stille Sein mit Wein gemästeter Bauch Käme eben in diesen Schlauch Woraus er sich unverdroßen Oft die Nase hat begoßen Sage Leser? wer du bist Ob daß nicht ein Schwein-pelt ist. " Wie kommt Einem eine Zeit vor, in der ein anderer Vice -Präsident der Akademie, Faßmann, sich dazu hergiebt, dem feft schlafenden Könige die ganze Nacht vorzuleſen und sich unter Umständen hauen zu laſſen.

Diese Haue

erfolgte unvermeidlich, wenn Faßmann , von Müdigkeit

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übermannt, zu lesen aufhörte und der König, gleich dem schlafenden Müller, deſſen Mühle plöglich still steht, durch dieses Schweigen erwachte. Daß die öffentliche Preſſe damals noch keinen Anspruch auf Beurtheilung ihrer Vergehen durch Geschworene machte, werden Sie mir glauben. -War auch nicht nöthig. Die Rüdiger'sche Zeitung sowohl (aus der ſpäter die Voffische Zeitung entſtand), als das Intelligenz - Blatt, beides kümmerliche Blättchen, brachten nur einige Hof- und unschuldige Klatsch-Nachrichten, sowie Annoncen, die Zeile von 90 Buchstaben laut Tarif 2 Gr .,,,halb soviel 1 Gr." — Wie es mit der Pflege der deutschen Sprache stand, können wir uns lebhaft denken, wenn wir das Deutsch des eigenen Sohnes des Königs, des einſtigen Großen Friedrich, betrachten. Sagte doch letterer später von sich selbst in einem Gespräche mit Gottsched , als dieser sich über das Französeln an deutschen Höfen beklagte : „ Das ist wohl wahr. Ich habe von Jugend auf kein deutsches Buch gelesen und spreche das Deutsche wie ein Fuhrmann ; jezt bin ich aber leider ein alter Kerl und habe keine Zeit mehr, es zu lernen. “

XVI. Haben wir bisher von dem geistigen Leben Berlin's einen im Ganzen traurigen Eindruck empfangen, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf, wie der spätere schnelle

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Aufschwung möglich war, den Berlin gerade auf diesem Gebiete nahm ; wie es möglich sein konnte, daß die Wiſſenſchaft gerade hier - wo sie mit Füßen getreten worden - ihre glänzendsten Triumphe feiern konnte, daß gerade diese Stadt fich später den Beinamen der „ Stadt der Intelligenz " erringen konnte ?

Gewiß waren es eine Menge günstiger äußerer

Umstände, welche hierzu beitrugen ; gewiß waren später Luft, Licht und Sonne gegeben, um den Baum des Wiſſens und des geistigen Fortschrittes wachsen zu lassen.

Was aber

den Ausschlag gab, das war der Grund und Boden dieses Baumes, das war der

Charakter und die Eigenart der Bevölkerung. Wo unter einem großen Kurfürsten soviel Aufklärung und Freiheit des Denkens und Glaubens eine Stätte gefunden hatte, - da konnte das Streben nach Vorwärts zwar niedergehalten, aber nicht ausgerottet werden. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme - und Art läßt nicht von Art. Sehen wir uns den Berliner des vorigen Jahrhunderts an wie wir wollen, wir finden ihn genau aus demselben Holze geschnigt als den von heute, - mit allen seinen Vor zügen und Schwächen. Die Charakteristik des Berliners von damals ist die des heutigen , - und umgekehrt. (Was ich in dem Nachfolgenden hierüber anführe, will und kann keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit machen. Selbst

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Berliner und einer seit mehr als 200 Jahren in Berlin heimischen Familie entstammend, bin ich ein wenig Partei in der Sache und habe troß vielfachen Aufenthaltes im Auslande für Manches gewiß einen weniger scharfen Blick, ein weniger glückliches Urtheil als der Eingewanderte, der von Hauſe aus auf einem anderen Standpunkte steht. In dieſem Sinne bitte ich mein nach bester Ueberzeugung und mit möglichster Objektivität gebildetes Urtheil aufzunehmen.) Ueberall, wo es sich um die Eigenart einer Bevölke

rung handelt, tritt die Frage der Abstammung in den Vordergrund. Es giebt nun schwerlich eine zweite Stadt, deren Bevölkerung von Hause aus einen so gemischten Ursprung hat, als Berlin. Holländische Kolonisten waren unter Albrecht dem Bären die erſten Anbauer des, rechts der Spree belegenen, ,,der Berlin" genannten Wiesengrundes.

Die daraus ver-

triebenen Wenden fanden auf den Spree-Inseln und dem linken Spree Ufer in den buschigen Moräften Cölln's eine Zufluchtsstätte.

(Col heißt auf Wendisch ein im Waffer

stehender Pfahl; Collne im Waffer auf Pfählen ruhende Häuser.) Nach und nach vermischten sich Holländer und Wenden. Dazu kamen im 14. Jahrhundert Germanen , zu denen unter dem Großen Kurfürsten faſt ebenso viele Franzosen hinzutraten, als Berlin überhaupt Einwohner zählte. Der zur Zeit des GroßenKurfürſten von Rom ausgehende Geist der Unduldſamkeit und Finsterniß, der damals auf faſt

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ganz Europa lastete , wollte das Böse und schaffte das Gute. Dieser Geist, der das ihm verderblich erſcheinende Licht zu vernichten trachtete, hat Berlin und damit ſeinen mächtigstenFeind augenscheinlich selbst geschaffen. Berlin, dassage man, — seiner eigensten Natur nach stets nur der was man will Gegensatz aller Verbummungsbestrebungen sein kann , war damals die Zuflucht jedes irgendwo verfolgten Protestanten. Nicht nur Frankreich schickte uns seine beſten und klügſten, charaktervollsten Bürger, die Gut und Blut für ihre Uebers zeugung einseßten (Dummen und Mittelmäßigen passirt so Etwas wohl kaum), sondern auch die Schweiz, besonders Bern, Italien (Waldenser), die südlichen Provinzen der Niederlande (Wallonen), die Pfalz, das Bisthum Salzburg, Holland, und endlich, weit ſpäter ( 1732), auch Böhmen, 2c. Wo nach und nach auf solche Weise die bedeutendsten Charaktere der verschiedensten Nationen sich festseßten, da konnte ein ungeheurer Aufschwung in den verschiedensten Richtungen nicht ausbleiben, da mußte sich ein begabtes, betriebsames Geschlecht entwickeln.

Zählt man doch allein

43 verschiedene, bisher in Berlin unbekannt geweſene Künste, Gewerbe und Hantierungen,

welche jene Märtyrer der

Überzeugung hier einführten. Aus Allem geht hervor, daß der Berliner, was ſeine Abstammung betrifft, eigentlich nirgendwo unterzubringen ist, und als ein deutsch sprechendes internationales Neutrum betrachtet werden kann. — Berlin hatte schon im Jahre 1580 circa 12,000 Einwohner.

Diese Zahl ſank ſpäter im 30jäh.

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rigen Kriege und nachher, im Verlaufe von ca. 80 Jahren, Langsam herab.

Um 1661 zählte man nur noch 6000 Ein-

wohner. In dem darauf folgenden Vierteljahrhundert ( 1661 bis 1685) verdreifachte sich aber diese Zahl, natürlich faſt ausschließlich durch den erwähnten Zuzug. Hätten wir einen Vollblut-Berliner, der, seit etwa 700 Jahren direkt von den ersten holländischen Koloniſten ab stammend, in seinen Ahnen die verschiedenen eingewanderten Nationalitäten in richtiger, dem Verhältniß entsprechender Mischung aufweisen könnte, so würde nach der ſtatiſtiſchen Ueberlieferung in ſeinen Adern pulſiren : Germanisches Blut (darunter viel süddeutsches) · " (Franzosen [Wallonen], ItalieRomanisches

39 %

ner [Waldenser]) Slavisches

"

(Wenden, Böhmen) •



Summa: Wir fänden also

37 %

24 % 100 %-

in ihm vereinigt die guten und

schlechten, oft einander widerstreitenden Eigenschaften dieser Völker : die Ausdauer, Zähigkeit und Zutraulichkeit der Germanen - aber auch ihr Phlegma, ihre Träumerei ; - die Bravour, Wißigkeit und Leichtlebigkeit der Gallier sowie die Heißblütigkeit der Romanen überhaupt, aber auch ihre Groß- die Nachahmungskunst rednerei, Eitelkeit und Raufluſt ; — und Sprachfertigkeit der Slaven - aber auch ihren Durſt — und was man sonst noch allen diesen Nationen an Vorzügen und Schwächen mit Recht oder Unrecht beilegen mag.

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Zu dieser eigenartigen, wohl nur noch in einigen Städten Amerika's wieder zu findenden Verschiedenheit der Abstam mung kommt noch der Einfluß, den das Leben und Treiben jeder großen Stadt hat.

Er ist selbstverständlich ein außer-

ordentlich bildender, - aber auch ein die Oberflächlichkeit insofern fördernder, als innere Sammlung und Gründlichkeit der Bildung aus hundert nahe liegenden Ursachen hier schwerer zu erreichen sind als in einer kleinen Stadt.

Ich erinnere

an die übervollen Klassen in der Schule, an die weiten Entfernungen, an die vielfache Gelegenheit zu Vergnügungen und an die Leichtigkeit, Alles (und darum Nichts gründlich) fennen zu lernen. Berlin ist ein Abzugskanal für die Provinzen.

Alle ihre

Auswüchse nach unten und oben, Alles, was sie Bestes und Schlechtestes haben [der Mittelmäßige bleibt in der Regel daheim und nährt sich redlich] ergießt sich nach hier. Hier also, wo Handel, Induſtrie, Intelligenz, kurz Alles was die Seele eines Volkes ausmacht, sich fortwährend anhäuft, entweder untergeht oder hoch kommt, - hier müssen zwar, nach den Gesezen der Abstammung, immerhin bedeutende Menschen erzeugt werden, aber der Nachwuchs findet ſchwer die zur gesunden Entwicklung erforderliche Ruhe. In einem ewig erregten Strudel wächst der junge Berliner auf; früh gelangt er zur Ausübung und Bildung aller seiner Geisteskräfte — und wenn er trok der erwähnten vielfachen, seine körperliche Entwicklung beeinträchtigenden Einflüsse dennoch mit 12 Jahren in der Regel so groß und

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stramm, wenn auch schmächtiger, ist als ein Bauernfind von 15 Jahren, so beweist das nur den urgefunden Kern, der von Hause aus in ihm stedt. (Ich möchte bei dieſer Gelegenheit gleich den vielfach verbreiteten Irrthum berichtigen, Berlin liefere einen schlechten Militär-Ersag. Berlin gewiß, aber nicht die geborenen Bers liner.

Diese stellen einen sehr günstigen Prozentſaß ſchön

gewachsener, zur Garde geeigneter Leute !

Die Legion der

hier zur Gestellung gelangenden unbrauchbaren Schwächlinge liefert uns meist die Provinz , die vorzugsweise nur für kräftige, zur Feld- und Handarbeit geeignete Leute Verwen dung hat. Was hierzu zu schwach, geht nach Berlin, um in den tausendfältigen, häufig leichteren Beſchäftigungen, welche eine große Stadt bietet, ihren Unterhalt zu finden.)

XVII. Ich komme auf oben geſchilderte Entwickelung und Erziehung der Berliner zurück, die manche Fehler derselben ers flärlich machen. Zunächst eine gewiſſe Neigung zum Widersprechen und Aufbegehren, zum " Aufmuden", wie es der Berliner selbst nennt. Wo ein Anderer fich einen geringen Widerspruch, einen nicht der Aeußerung werthen Tadel nur denkt und ihn herunterschlußt, da plagt der Berliner ſchon damit heraus, oft

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in recht verlegender Weise.

„ Nischt gefallen lassen" ist

seine Parole, wie die seiner rebelliſchen Voreltern, von deren Widerspenstigkeit die Kurfürsten erzählen können. Dann finden wir Etwas, das wir bei der sonst vorherrschenden Aufklärung kaum vermuthen sollten , nämlich eine gewisse Portion Aberglauben.

Sogenannte Traum.

und Punktirbücher, Planeten 2c. werden hier immer gekauft; Wahrsager und Wahrsagerinnen sind hier noch nie verhungert.

Daß sich unsere Damen sogar noch heute

ab und zu gern die Karten legen lassen, weiſe ich als eine abscheuliche Verleumdung weit zurück. vor ! -

Kommt . gar nicht

Weiter ist eine zu große Vergnügungssucht und Neigung zum Aufwande zu erwähnen.

Des Vergnügens

halber wurde vor 100 Jahren gerade so wie heute der lezte entbehrliche Rock verſeßt, so lange ein Friedrich Wilhelm I. nicht einen eisernen Druck ausübte.

Und wie es vor und

nach ihm mit dem Aufwande stand - darüber giebt eine Verfügung aus damaliger Zeit, wonach Begräbnisse Unbemittelter nicht mehr als 150 Thaler kosten sollen, Stoff zum Nachdenken. Eine recht schlimme, nicht genug zu tadelnde Schattenseite des Berliners, die allerdings jezt auch in kleinen Städten zu finden sein soll, ist das Scheinenwollen , namentlich des Unbemittelten. Dieser Schwäche wird Jahr aus Jahr ein das Glück zahlreicher Personen, ja ganzer Familien zum Opfer gebracht.

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Hier, wo schon eine gewiſſe Uebung im Blick erforderlich ist, um zuweilen den Grafen von seinem Barbier, den Ge heimrath vom Kellner zu unterscheiden, hier ist Scheinen. und Sein oft gleichbedeutend.

Kann der Berliner nur

wohlhabend und vornehm scheinen, so ist er schon zufrieden. Daher die zwar nicht immer, aber häufig genug, be= sonders bei beschränkten Naturen auftretende besondere Acht auf die Schaale, den äußeren Aufput. Mir und mich. Zum Lehrer derdeutschen Sprache möchte ich den Berliner im Allgemeinen nicht empfehlen. Schreibt auch der gebildete Berliner in der Regel richtig, so muß es ist er hier Straßenjunge gewesen, doch verziehen

ihm

werden, wenn ihm mit Dativ und Akkuſativ beim Sprechen, sobald er sich gehen läßt, einmal ein Malheur paffirt. Er unterliegt einer Fatalität, die nun einmal in der Berliner Luft steckt, und der auch der Nachwuchs Eingewanderter, ja mit der Zeit dieſe ſelbſt, häufig zum Opfer fallen. Mögen sehr richtig sprechende Zuzügler ihre Kinder auch noch so sehr hüten : eines schönen Tages, sobald Spielgenoffen ihren Einfluß ausgeübt haben, kommen Dinge, wie „ Vater, der hat mir gehauen ", häufig zum Vorſchein, oft in ganz neuen, faſt nur von Zugezogenen bevölkerten Stadttheilen, in denen der Einfluß der Berliner fast gleich Null ist. Es ist dies ein alter Berliner Schaden.

Als Beweis

führe ich aus dem erwähnten Tagebuche ein kleines Gedicht an.

(Leider kann ich nur den ersten Vers wiedergeben ; die

übrigen Verse, sowie manches andere darin Enthaltene, zeugen

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zwar von einem kostbaren Humor, sind aber augenscheinlich nicht für Töchterschulen bestimmt.

Die damalige Sprache

war oft mehr als derb.) Dieses, „Bittschrift eines Müllhaufens an die hohe Policey“ überschriebene Gedicht lautet im ersten Verse :

„Ich armes Häuſlein Dreck Lieg, wie Du ja befohlen, 3u warten auf das Holen Und keiner holt mir ( !) weg.“ .Bei dieser Gelegenheit möchte ich rügen, daß in hiesigen humoristischen Blättern und fast überall, wo der Berliner Dialekt im Druck nachgeahmt wird (Glaßbrenner's Schriften ausgenommen), derselbe falsch dargestellt ist. Ohne ein falsch angebrachtes „ mich " geht es selten ab. Nun aber sagt der Berliner aus dem Volke nie " mich" . Dies fällt ihm gar nicht ein: er sagt immer und immer mir. Nur wenn er den feinen Mann herauskehren will, kommt mich, dies alsdann fast ausschließlich, zum Vorschein. Nach dieser Aufzählung so vieler Fehler und Schwächen des Berliners muß dem Unbefangenen ein gewisses Gruseln vor dem Umgange mit ihm ankommen. Es iſt indeſſen nicht ganz so schlimm, als es den Anschein hat.

Glücklicherweise

werden viele Schattenseiten durch andere gute Seiten gemildert, bisweilen sogar stecken in seinen Fehlern auch gewisse Tugenden so daß eine Scheidung in gut und schlecht bei manchen seiner Eigenschaften schwer durchzuführen ist.

Berlin.

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5

XVIII. (Wenn ich nun von den guten Seiten des Berliners spreche, so nehme ich die Hefe Berlin's aus ; jede Stadt hat ihren Auswurf.

Dieser kann hier nicht in Betracht kommen.)

Vor allem müssen wir dem Berliner eine große Offenheit zugestehen.

Wer mit Spreewaſſer getauft iſt, hat ſo

zu sagen kein falsches , hinterlistiges Haar am Kopfe : das Herz sizt ihm auf der Zunge. Wo ſeine ſarkaſtiſch-humoriſtiſche Natur eine Schwäche oder eine Gelegenheit zu einem guten oder schlechten (nicht immer so harmlos aufgenommenen, als gemeinten) Wize findet, kann er diesen nicht unterdrücken, und ist darum auch wenig beliebt. Handelt es sich hingegen um einen Freundschaftsdienst , so ist der Berliner da : für seinen Freund läßt er sich todtschlagen.

Hier kennt er

kein Opfer, es ist ihm Alles „ janz ejal " und Niemand wird ihm nachsagen können, den Freund im Augenblicke der Gefahr feige im Stich gelaſſen zu haben. Bravour.

Man rühmt an dem Berliner, daß er als

Soldat im Kriege vorzügliche Dienste leiste, theils durch seine Unerschrockenheit und Findigkeit, theils durch seinen Humor, der oft im Momente der größten Gefahr eine schon kopfhängerische und darum weniger leiſtungsfähige Truppe zum Lachen bringt und sie so wieder auffrischt. Jm Frieden dagegen ist er oft eine Plage der Vorgesezten : der nothwendige Respekt und das Nichtaufmuckendürfen geht ihm sehr wider die Haare.

Respekt hat er überhaupt vor Niemand,

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der ihm nicht sehr imponirt und ihm durch große Tüchtigkeit Achtung abzunöthigen weiß . Wit. Allen Lebenslagen die humoristische Seite abzugewinnen, erheitern und anregen zu wollen, - das ist des Berliners angestammtes, beneidenswerthes Privilegium. Das Hervorthunwollen.

Kaum ließe sich diese,

der Eitelkeit entstammende Eigenschaft unter die guten Seiten aufzählen, wenn sie nicht insofern eine heilsame Wirkung hätte, als das bekannte „ noblesse oblige" den Berliner oft zwingt, eine in zu großem Selbstvertrauen gemachte Prahlerei einzulösen, was ihm denn auch oft gelingt und ihn leiſtungsfähig macht. Eine Art Anständigkeit steckt in jedem Berliner. Wer an diese Eigenschaft appellirt und sie zu benußen weiß, kann sehr leicht mit ihm auskommen.

Die „ ruppigsten “ Naturen,

mit denen kein Mensch etwas anzufangen wußte, schlugen oft ein, wenn man es mit Anerkennung und Aufmunterung ſtatt mit Schimpf und Strafe versuchte.

Man behandle den

armseligſten Lump mit Achtung, rede ihn mit „ mein Herr" an - er wird sich dann sicher auch als Gentleman zu bes nehmen suchen. Gastfreiheit und Geselligkeit ist bei Arm und Reich eine selbstverständliche Sache; Nicolai schreibt hier. über vor etwa hundert Jahren: „Einem Fremden, der gesellschaftlichen Umgang fiebt, wird es, wenn `er nur einige Adreſſen hat, eben nicht schwer werden, in Familien Bekannt zu werden und an den Vergnügungen derselben Theil zu nehmen. Die Lebensart

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5*

in Berlin ist gesellig und ungezwungen. Von unnöthigem Zeremoniell hält man wenig, und bei Mahlzeiten findet man den guten Muth der Tisch. genossen vorzüglich.“ So ist es auch noch heute, - wenngleich der auf das Materielle gerichtete Zug der Zeit nicht ohne schädigenden Einfluß geblieben ist. Wohlthätigkeit. Dieſe ſprichwörtliche Eigenschaft des Berliners datirt nicht von gestern : für wahre Noth hatte der Berliner immer ein Herz.

Die ausschließlich von Bürgern

ausgeübte Armenpflege war von jeher eine vorzüglich organisirte. Hierfür von tausend Beiſpielen nur eins : Im Jahre 1732 flüchteten sich bekanntlich circa 25,000 Protestanten aus dem Bisthum Salzburg in die preußischen Lande, wo sie in Preußen und Litthauen fünf Städte und über dreihundert Dörfer gründeten.

Die Noth dieſer armen Leute, von denen

viele nach und nach durch Berlin kamen, war entseglich. Was aber von Berlinern gesunde Beine hatte, lief, wenn die Kunde von der Ankunft eines solchen Transportes nach hierher drang, ihnen entgegen, und da gab es einen herrlichen Wetteifer im Helfen. Vornehme Bürgerfrauen sah man da Erquickungen hinaus und heimwärts die schweren Ranzen kranker Bauern tragen; Groß und Klein, Vornehm und Gering zog die Wagen der vielen Kranten u. s. w. ― Dieser Geist hat sich, Gott sei Dank, unverändert erhalten. Und nicht nur der Bemittelte ist wohlthätig. Wer von uns weiß, wie es in den Stätten der Armuth von heute zugeht, der wird auch wiſſen, daß von zwei armen

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Nachbarn der eine selten hungert, hat der andere noch ein Stück Brod wegzugeben.

XIX. Das glänzendste Zeugniß aber, welches man den Berlinern in Bezug auf ihren sittlichen Werth, auf ihre Achtung der Geseze geben kann, ist der statistisch nachge. wiesene Umstand, daß die begangenen Verbrechen größtentheils von Eingewanderten herrühren. Schon Pauli schreibt in seiner Chronik über die hiesigen Zustände 1740-1786 : ,,Selten werden hier Verbrechen begangen, die mit dem Tode Bestraft werden, und die Ruhe, welche im Ganzen herrscht, iſt eine Folge des guten Betragens der Berliner. Wenn nicht Gelegenheiten gegeben werden, ist der große und gemischte Haufen , der sich in der Residenz befindet , ruhig und zufrieden." (Wenn in dem Vorstehenden der hinzugezogenen Bevölkerung gewissermaßen ein großer Theil des Bösen zugeschrieben wurde, das Berlin enthält und begeht, so darf auch nicht verschwiegen werden , daß andrerseits es der Zuzug von außerhalb ist, dem Berlin einen großen Theil seiner besten und hervorragendsten Bürger verdankt. ) Nicolai sagt in seinem ,,Berlin" von 1742 :

11 Die öffentliche Sicherheit ist so vollkommen , als man es in einer so großen und volkreichen Stadt kaum vermuthen sollte.“ Trog ihres im Ganzen guten Verhaltens waren die Berliner beim Könige Friedrich Wilhelm I. sowohl als bei

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Friedrich II. keineswegs gut angeschrieben. Beweis folgender Erlaß des Letteren vom Jahre 1782 : „ Da die unruhigen, querufirenden Einwohner von Berlin Meine Gnade zu sehr mißbrauchen und sie Mir sogar mit Undank befohnen und sie mit Verdruß verbittern , so habe ich beschlossen , für sie nicht mehr bauen za faffen und dieser Beschluß soll ihnen bekannt gemacht werden.“ An älteren Urtheilen über die Berliner möchten folgende einiges Interesse bieten : Patin, ein französischer Reisender, urtheilt in einem Briefe an den Herzog von Braunschweig ( etwa 1700) : „ Alles in Berlin erscheint so schön, daß ich mir eine Öffnung im Himmel denke, durch welche die Sonne alle ihre Huld gerade diesem Lande zuwendet." Der Chroniſt König schreibt (Theil V. , Bd . II., S.314) : „ Wer Berlin nie verlassen hat , kann sich den Abstand nur schwer be greiflich machen, der in Anſicht der mannigfaltig eigenthümlich guten und aus. gezeichneten Eigenschaften seiner Bewohner, gegen die in andern Städten wirk. lich vorhanden ist. Ihre Geschliffenheit , Liebe zur Geselligkeit , Freiheit im Umgange , ihr scharfer Blick auf die Gegenstände, welche sie umgeben , und besonders ihr Hang zum Mitleiden und Wohlthun giebt ihnen eine gewiſſe Würde, die man froß denen bei ihnen herrschenden Fehlern nie verkennen darf." Die Königin Sophie Charlotte fühlte sich sehr wohl in Berlin ; sie äußerte sich, nach Varnhagen von Ense, hierüber wörtlich so: „ Ich freue mich, an der Spree meine schönen Erinnerungen aus Paris wiederzufinden." So wechseln Lob und Tadel, und namentlich mit Tadel ist Berlin reichlich überschüttet worden . Heute ist es kaum anders .

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XX. Die schlimmsten und strengsten Beurtheiler Berlins und seiner Kinder findet man gegenwärtig merkwürdigerweiſe unter den Adoptivkindern Berlins , d . h. unter jenen früheren Zuzüglern, die hier ein zweites Heim gefunden haben. Oft gehen dieſe indeſſen in ihrem Tadel zu weit. Nicht selten ist es geradezu widerlich, wenn man Leute über Berliner Zustände schimpfen, und über großstädtiſche Verhältnisse absprechend urtheilen hört, die kaum hier warm geworden sind, die kaum ihr heimathliches Landstädtchen verlassen haben, oft ein Städtchen, das leer stehen würde, müßten alle Bauern hinaus. Möchten solche Leute doch bedenken, daß sie durch derartiges Schimpfen den Berliner an seiner empfindlichsten Stelle treffen.

Die Liebe zur engern Heimath hat etwas gemein

mit der Liebe zu Vater und Mutter : dieses Gefühl verdient Schonung; namentlich aber bei den Kindern dieser Stadt. Ich will auch sagen, warum.

Dem Berliner fehlt in der Regel das engere Heim. Heute wohnt er in dieser, morgen in jener Straße.

Die

Stätten seiner Jugend, seines Manneswirkens , die der dahingeschiedenen Seinen liegen meist weit auseinander.

Selten,

fast nie steht sein Sarg unter demselben Dache, das seine Wiege beschirmte.

Ihm ist natürlicherweise die ganze

Stadt das Vaterhaus.

Daß er dieses nicht lieben sollte,

dazu ist er einfach nicht schlecht genug, und daß er jeden

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ungerechtfertigten Tadel Berlins mehr oder weniger wie eine Verunglimpfung des Vaterhauses empfindet, darf hiernach nicht befremden. Oft muß der Berliner, wenn er in einer Gesellschaft Lange genug über Berlin und seine Verhältnisse hat den Stab brechen hören, sich die Bemerkung ,,verkneifen": ,,Ja, Rinder, warum bleibt Ihr denn eigentlich doch hier? Warum geht Ihr denn nicht weg ? Wie könnt Ihr es denn hier bei solchen Zuständen aushalten? “ Prof. Paulus Caffel giebt hierauf in einem Werkchen ,,Berlin, sein Name 2c. Berlin, Güller & Co." eine treffende Erklärung : Er theilt mit , wie Alexander von Humboldt, wahrscheinlich unter dem Eindrucke einer üblen Laune an Varnhagen von Ense schreibt : ,,von der Schlechtigkeit der Gesellschaft, in der man hier lebt"; wie Humboldt Berlin ,,eine kleine, unliterarische, und dazu überhämische Stadt“ nennt und sich dann „ Paris" lobt. Troß dieser wenig schönen Gesinnung gegen eine Stadt, die ihn, so zu sagen, immer auf Händen getragen hat, ist Humboldt und tausend andere Tadler doch in Berlin geblieben, obwohl sie frei über ihre Person verfügen konnten. Es muß also doch wohl hier auszuhalten sein. Paulus Cassel fährt weiter fort : ,,Aber diese geschmähte ‚kleine' Stadt hat eine Anziehungskraft, die Reinen fooläßt, der ſie kennt. Sie läßt ſich tadeln, aber freiwillig aufgeben läßt sie sich nicht."

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„War denn Humboldt nicht frei ? Welche Hauptstadt Europa's, welcher Hof würde nicht stolz gewesen sein , ihn bei sich zu ſehn ? Warum ging er denn nicht ? Gerade wenn man böse darauf ist, wie er, dann verläßt man Berlin nicht. Stärker als die Sehnsucht fesselt die Neigung zu unzufrie denen Raisonnements. Berlin sind am treuesten geblieben, die sich am meisten darüber aufgehalten haben. Der Correspondent Humboldt's , Varnhagen , gesteht dies selber ein. Als er einft vom Bade zurückkam , wo er Huldigung empfing, von Fürstinnen umschmeichelt ward, - wie er wenigstens aufnotirte - vom ſtillen ſchönen heilkräftigen Bade, ſchreißt er nieder, 13. Auguſt 1842 : ,,,,Ich freute mich beim Hereinfahren ; es ist meine Stadt , meine Heimath. Ich verkenne die Mängel nicht , die Entbehrungen , zu denen Mancher ver. แแ urtheilt ist, aber das Gute überwiegt, das mir Gute hauptsächlich. “ “ In den " Berliner Bildern“ von W. v . Dünheim (Über Land und Meer, 1877, S. 476) lesen wir :

,,Mit Spreewasser getauft !" -

Das Wort hat seine

Bedeutung. ,,Der Fremde, der Berlin auf einer Reise kennen lernt, wird es freilich nicht begreifen , wie man an dieser Stadt hängen kann, wo der Samum durch die schattenloſen Straßen weht, wo Staub und Kohlendampf die Strahlen der Sonne brechen, daß sie wie der Mond mit einem Hof am Himmel steht. Doch wenn man erſt akklimatiſirt iſt und Stadt und Leute kennt , liebt man sie auch.

Wer es einmal so weit

gebracht hat, den fesselt Berlin unwiderstehlich und ſein Lebtag wird er das Heimweh nicht los, wie der Römer nicht die Sehnsucht nach den Albanerbergen. ,,Berlin hat keine Boulevards wie Paris, keine Parks wie London ; es ist nicht so lachend und heiter wie Wien,

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nicht so schön wie Stockholm oder Neapel ; aber - es ist doch immer Berlin! ,,So liegt der Reiz wohl in den Verlinern selbst, trok der Unausstehlichkeit , um derentwillen sie im Ausland so verschrieen sind. ,,Drieſte und jottesfürchtig !" ſind des echten Berliners Eigenschaften,,,Bescheidenheit ist eine Zier, doch kommt man weiter ohne ihr," sein Wahlspruch. Und doch mag man, wenn man es näher kennt, das Völkchen leiden, mit seinem unerbittlichen Sarkasmus, seiner frischen Thatkraft, seiner Gemüthsstärke, mit der es über die härtesten Schläge hins wegkommt, wenn es sich tröstet : ,,Det liegt mal so drin!" ,,Die Gassenrohheit, die Todtschlaglaune und die frechen Diebsgelüfte, die sich jüngst so reichlich breit gemacht haben und die der zartnervigen Menschheit unserer Tage oft den Schrecken vor dem rothen Gespenst, vor Petroleurs und Petroleusen in die Glieder jagen, ist zum großen Theil importirt. Seit zwanzig Jahren hat sich die Bevölkerung von Berlin verdoppelt ; und wie nach allen Weltstädten hat sich auch hierher heimathloses, unnüßes Gesindel aus aller Herren Länder in Fülle zusammengefunden. Das ist einer der Schäden, den das schnelle ueberwuchern der Großindustrie mit sich gebracht hat und der freilich nicht leicht mehr geheilt werden wird.

Viel von der alten wißelnden Gemüthlichkeit und ge-

müthlichen Wigelei hat sich dabei in Frechheit und Frivolität umgesetzt.

Aber die Alt-Berliner sind doch noch ein kräftiger

Schlag und werden gewiß, wenn die heranströmenden Fluthen

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sich erst einmal gestaut haben, der neuen Elemente Herr werden und sie sich amalgamiren." Der Reichstagsabgeordnete Löwe ſagte in der Sizung des Reichstags vom 19. März 1877 : „Berlin ist die beſtverleumdete Stadt der Welt und dies um so mehr, als es sich diese Verleumdung durch seine eigenen Organe meist selbst besorgt. (Sehr wahr !)

Die

Berliner Presse schwärmt so sehr für ein Uebermaß der Selbstkritik, daß sie fast tagtäglich in ihren Feuilletons und in den Wigblättern , dem ,,Kladderadatsch“ , den „ Wespen" und dem ,,ulk" der Welt verkündet, wie keine andere Stadt der Welt noch so unendlich weit in der Kultur und in den Ansprüchen an großartiges Leben zurück sei als gerade Berlin ; während es doch in Wirklichkeit sehr viel Dinge in Berlin zu rüh:nen giebt und Einrichtungen, in denen Berlin alle anderen Hauptstädte überstrahlt.

Es giebt keine Stadt,

die so billig verwaltet wird wie Berlin, keine, die so viel für ihre Unterrichtsanstalten und für die Krankenpflege thut als Berlin.

Selbst in London und Newyork , deren Ver-

hältnisse ich persönlich kenne , wird mit größeren Mitteln in dieser Beziehung das nicht geleistet, was in Berlin dafür geschieht." Wenn Löwe dem Sinne nach sagt, Berlin's eigene Organe find Vögel, die ihr Neſt beſchmußen, so hat er nur allzusehr Recht. Giebt es doch unter den humoristischen Blättern Berlin's kaum eines , das nicht wenigstens jeden Mondwechsel

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einmal einen jener tausendmal aufgewärmten Wiße über schlechtes Pflaster, stinkende Panke, Magistrats-Weisheit 2c. in irgend einer Form wieder auftiſcht — und daß keine Lokalposse ohne das stereotype Couplet hierüber denkbar ist, versteht sich von selbst.

Nur kommt als Reserve. und

Knall-Effekt noch hinzu der unvermeidliche Berliner Hauswirth, der - natürlich stets ein ehemaliger Hausknecht oder Budiker - immer ein schlechter Kerl ist. Einzige Variante : ein sehr schlechter Kerl !

Ihm gegenüber steht immer ein

engelreines Opferlamm: der Miether.

Daß der Berliner sich Derartiges - so zu sagen im eigenen Hause gefallen läßt und gern zuerst lacht, wird der alte Kohl nur in einigermaßen erträglicher Weise aufgewärmt, - dies beweist am Besten die Gutmüthigkeit der Kinder dieser Stadt. Gute oder schlechte Wiße zu machen, wie es eben gelingt, zu sein. - und Vielen

dazu braucht man nicht mit Spreewaſſer getauft Aber einen Wiß und überhaupt Spaß verstehen gemüthlich" aufnehmen - darin ist der Berliner über". —

Die Möglichkeit der üblichen ſyſtematiſchen Verhunzung Berlins in Berlin bezeugt Dies. Man versuche es doch einmal, einen andren Ort Deutsch lands, gleichviel ob Dorf oder große Stadt, im Orte selbst so in Wort und Schrift zu bekritteln, als Dies hier alle Tage geschieht.

Ich riskire es nicht ; wer noch ?

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XXI. Ich komme von dieser Abschweifung zurück, die Frage aufwerfend, wie es möglich ist, daß bei den angeführten, immerhin glücklichen Eigenschaften des Berliners, derselbe so wenig beliebt ist, - wie es möglich geworden, daß im ganzen deutschen Vaterlande die Begriffe : „ Berliner“ und „Windbeutel" fast gleichbedeutend ſind, und daß auswärtige Urtheile über die Berliner fast durchweg ungünstig lauten ? Ich glaube, diese Frage zum Theil auf Grund einer vieljährigen, mit Vorliebe angestellten eigenen Beobachtung beantworten zu können. - Daß die Berliner auswärts in schlechtem Kredite stehen, dafür können sie sich zum Theil bei jenen, meist dem Stande der Geschäftsreisenden angehörigen Leuten bedanken, die aus Neutomysl, Meserit , Birnbaum , Tirschtiegel oder sonst einem Landstädtchen hier eingewandert sind.

Im Nu

eignen Viele derselben, um thunlichſt „ forsch “ zu erscheinen, sich grade die Schattenseite des Berliners an ; das ist allerdings leicht und das kriegen sie auch schnell fertig.

Aber

jene, den Berlinern eigene Gutmüthigkeit , Offenherzigkeit und inſtinktive Anſtändigkeit , jenes savoir-vivre, welches die Schwächen des Berliners erträglich macht , will angeboren und anerzogen sein und ist nicht nachzuahmen. Diese Pseudo- Berliner nun überschwemmen das ganze Land. Wer von ihnen ein paar Jahre hier gelebt hat, giebt sich gern für einen Berliner aus.

Auf meinen Reiſen

ist es mir mehrfach begegnet, daß man mich einem angeb

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lichen Landsmann zuführte, der sich nach einem Gespräch von wenigen Minuten auf meine Frage : „ Sie sind doch kein Berliner ? " als einer jener, mit Berliner Lack schlechtester Sorte übermalten Kleinstädter entpuppte. — Zuweilen hört man auswärts auch jene alberne Geschichte aufwärmen, nach der ein Berliner beim Anblick des Rigi doch seinen Kreuzberg " vorgezogen habe. Wenn Derartiges wirklich paſſirt iſt, so mag man sich darauf verlassen, daß es von einem PseudoBerliner herrührt :

Der echte Berliner ist wohl nicht dumm

genug hierzu ! Erwähnte falsche Berliner werden aber selbst in Berlin von dem Einwanderer, der ja Eingeborne und Fremde selten unterscheiden kann, für Berliner gehalten. Man findet in Berlin alles Mögliche , aber nur sehr wenige Berliner.

Treffend schildert dies schon die

König'sche Chronik, (S. 285) vom Jahre 1740-86: „ Man spricht viel von Berliner (sic!) — und ihrem Charakter, das heißt doch wohl nichts mehr, als von den Bewohnern Berlins, denn die echten Ber liner find sparsam zu finden, und diese Stadt ist mehrentheils mit Ausländer gefüllt, die ein buntes Eemiſch ausmachen. Um dies zu erfahren, darf man nur von einer hiesigen Gesellschaft Erkundigung einzichen , wie viel davon wohl würkliche Berliner find." Dies wurde zwar vor mehr als hundert Jahren geschrieben, es paßt aber auch genau auf den heutigen Tag. Die Ursachen liegen nahe.

Einmal der ſtarke Zuzug von auswärts, zum

andern ein Stück Schwalbennatur des Berliners : die Neigung, sich in weitentlegenen Ländern aufzuhalten ; meiſtentheils aber nur, um später zurückzukehren. Auf fast jedem Punkte der Erde,

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wohin überhaupt nur ziviliſirte Menschen dringen, finden sich immer Spree-Athener, deren man allerdings in den Landstädten der Umgebung Berlins vergeblich suchen würde; sie gehen entweder sehr weit weg oder bleiben ganz hier. Der emigrirte Berliner trifft in weiter Ferne Landsleute an Orten, wo er nicht einmal Europäer, geſchweige denn Berliner zu finden hofft, bisweilen unter recht spaßhaften Umständen. Folgendes wahre Geschichtchen mag dies illustriren : Einer meiner Jugendbekannten sieht in einer abgelegenen Bucht Neuseelands auf seinem, den Meeresstrand hinführenden Reiſemarsche einige farbige Eingeborene baden, schließt sich ihnen an und badet auch.

Plöglich hört er die Laute:

,,Wat det Wasser hier scheene warm is !" und findet neben sich in der kühlen See einen bisher garnicht bemerkten. Weißen, über dessen Nationalität nach dem Gehörten wohl ein Zweifel unmöglich.

Ein anderer Grund der erwähnten Mißliebigkeit des Namens ,,Berliner" ist folgender. Was hierher kommt, strebt, der Berliner aber lebt. in

dem Eingewanderten

Dieses Streben erzeugt bisweilen eine ſtete Wachsamkeit ,

einen

steten Aufwand von Schlauheit und Zugeknöpftheit, eine Art von Mißtrauen.

In fast jedem, selbst länger gekannten.

Menschen hier vermuthen sie eine Art Bauernfänger - oder auch ein auszunußendes Werkzeug für ihre Zwecke.

Nichts

aber „ verſchnupft“ den Berliner mehr, als wenn seiner Offenheit, seinem getragen wird.

Sich - Gehenlassen" nicht Gleiches entgegenEr hat für jede Zurückhaltung dieser Art

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feine Nerven und fühlt sich durch ein etwa bemerktes, speku lirendes Ablauern tief verlegt ; alsdann hat man es für immer mit ihm verdorben.

So stoßen der strebende Ein-

wanderer und der lebende Berliner zuweilen einander ab. Dieses eben erwähnte Streben auf der einen, Leben auf der andern Seite erklärt auch zugleich die merkwürdige Erscheinung, daß der Hergezogene hier in der Regel mehr vor sich bringt und weiter kommt, als der Hiergeborene.

XXII. Sprach ich bisher nur vom Berliner , nie von der Berlinerin, so hatte das seine guten Gründe. Was man immer gern bis zulegt läßt, -es ist das Beste. Und wirklich, alle Eigenschaften, welche man dem Berliner beilegen kann, finden sich in der Berlinerin in geläuterter Form wieder:

Die Schwächen milder, das Gute besser. Eine, bei den sonstigen hiesigen Verhältnissen kaum zu erwartende Einfachheit der Berlinerin in der äußern Er-

scheinung muß zunächst hervorgehoben werden.

Unter jenen

Damen, deren Kleidung anscheinend nur den Zweck hat, zu zeigen , wieviel Geldeswerth eine Figur an und auf sich unter solchen wandelnden Arnheim's hängen kann, findet man schwerlich eine Tochter dieser Stadt. Neben erwähnter Einfachheit ist es ein offener, kluger Kopf, ein heiteres, immer unverzagtes Gemüth, Sinn für

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Alles, was das Leben verschönt, das wir an der Berlinerin zu rühmen haben, - der übrigens keineswegs, troß aller scheinbaren Gegengründe, eine große Anstelligkeit für den Haushalt und häuslicher Sinn mangelt. ,,Aber"

wird der Fremde sagen

,,in jenem Punkte,

in welchem jede Großstadt, alſo auch Berlin, ihre schwache Seite hat, werden Sie gewiß ein weniger freundliches Bild zu entwerfen haben?" Daß Sie sich nur nicht gewaltig irren ! Wer bei den Töchtern Berlins etwas Anderes sucht, als eine von jeder Zimperlichkeit freie, unnahbare weib liche Würde, der hat sich gewaltig getäuscht ! 1 Man glaube sicherlich, das Heer jener 20 bis 30,000 unglücklichen Frauenzimmer, die hier ihren Unterhalt gewinnen, ohne zu arbeiten, es enthält ſo gut als gar keine Berlinerinnen ! ,,Wie kommt es aber", hören wir weiter einwenden, „daß von den Töchtern der ärmeren Klaſſe fast keine als Magd 2c. dient, keine sich auf diese Weise eine feste Brodstelle sichert?" Ja, das ist allerdings eine eigenartige Erscheinung. Eine arme Berlinerin sucht wohl unter Darben und Entbehren ihren kärglichen Unterhalt durch aufreibende weibliche Handarbeit aller Art, durch Schneidern, Ausbessern, durch aber sie dient nun Arbeit in Fabriken 2c. zu gewinnen einmal nicht.

Ich glaube, diesen Umstand auf Das, bei der

männlichen Bevölkerung schon erwähnte Scheinenwollen

Berlin.

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zurückführen zu müssen, das aber immerhin hier eine Entschuldigung findet : das Streben nach persönlicher Unabhängigkeit hat an und für sich nichts Tadelnswerthes. Nun den Hut ab, meine Herren ! Ich komme zu den Berliner Müttern. - Ich spreche nicht zu Denen, deren Erinnerung an die Mutter mit der Erinnerung an Berlin zusammenfällt :

Diesen brauche ich Nichts zu erzählen.

An Jene wende ich mich, die als Erwachsene von auswärts hierher gekommen sind, die nicht Gelegenheit gehabt haben, einen Blick in die mannigfachen Aufgaben einer hier wohnenden Mutter zu thun. Wollen Diese ein Bild von Lezterer gewinnen, so mögen fie alle schönen und lieben Erinnerungen, die sie von der hehren Gestalt der eigenen Mutter haben, sich ganz und voll zurückrufen und die noch folgenden Ergänzungen hinzudenken: Dann haben sie ungefähr eine Vorstellung von einer Berliner Mutter.

Jede Mutter hat ihre Sorgen, jede Mutter läßt sich die Erziehung ihrer Kinder gewiß sauer werden, auch die in der Provinz lebende. - Gleichwohl ist die Aufgabe einer hier wirkenden Mutter eine weitaus schwerere.

Welcher

oft unbewußte Aufwand von Scharfblick , Klugheit und Muth gehört dazu, die Kinder seitwärts des betäubenden Strudels der Berliner Verhältnisse in der stillen Bucht des Familienlebens zu erhalten, oder - je nach Umständen, fie schon früh eintreten zu laſſen in die reißende Strömung und dabei doch so zu lenken , daß sie nicht untergehen! Was

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gehört dazu, sie zu bewahren vor den hundertfältigen, an fie zu stählen gegen fie herantretenden Anfechtungen, Alles, was verderbendrohend und lauernd von ihrer frühesten Jugend an hier, und nur hier auf sie eindringt ? An den Früchten sollt Ihr sie erkennen! Wenn, wie die Statistik bewiesen hat , von den hier Erzogenen verhältnißmäßig Wenige verloren gehen, wenn der eingeborene Berliner im Punkte der Sittlichkeit und Achtung des Gesezes sich nicht zu schämen braucht, ja wenn er auch in dieser Beziehung nach allen zugänglichen Ermittelungen im ganzen Lande am allergünstigsten dasteht, so ver danken wir es Denen, die hier, wie überall, den Menschen vorzugsweise erziehen, - den Müttern! Fast ausnahmslos wird dies hier von den Kindern auch empfunden und gewürdigt:

,,Mutter" bleibt hier immer, so lange ihre Augen offen stehen, der segenbringende, begütigende, ausgleichende und anregende Mittelpunkt der Familie, selbst wenn schon alle Kinder einen eigenen Herd gegründet haben.

Die Zahl der Lumpe, denen das vierte

Gebot abhanden gekommen ist, welche die Mutter nicht ehren, ist verhältnißmäßig klein.

Richten wir nach dieser Betrachtung unsern, bisher der Vergangenheit und Gegenwart zugewendet geweſenen Blick in die Zukunft, so nimmt das sich uns darbietende Gesichtsfeld

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eine riesige Ausdehnung an. Was man auch sagen möge, wir leben in einer werdenden Weltstadt. Die Lage Berlins in. mitten der großen norddeutſchen Ebene, im Knotenpunkte vieler Waffer- und Schienenstraßen, die mächtige Industrie, die große politische Bedeutung der Stadt, Alles dies macht eine derartige Entwickelung Berlins zur naturgemäßen, inneren Nothwendigkeit *).

Bei der bisherigen Zunahme Berlins

um jährlich mindestens 4 % würde dessen Einwohnerzahl nach 12 Jahren 1½ Million, im Jahre 1900, also nach nur 24 Jahren, über dritthalb Millionen betragen, wovon allerdings viele der westlich belegenen, mächtig aufblühenden Vororte, wie Stegliß **), Friedenau 2c. einen Theil an fich ziehen werden, sofern sie alsdann nicht schon örtlich mit Berlin verschmolzen find. Wünschen wir, daß dieser äußerlichen Zunahme auch das innerliche Erſtarken und Gedeihen nicht fehle. *) In der Woche vom 21. bis 28. April 1877 hatte die Bevölkerungszahl Berlins eine Million überschritten. Berlin hatte demnach in noch nicht 18 Jahren seine Einwohnerzahl in denselben Weichbildgrenzen mehr als verdoppelt. Rechnet man nämlich zu der durch die Volkszählung von 1858 ermittelten Zahl von 458,637 die Zahl der Bevölkerung der 1861 dem städtischen Territorium einverleibten, das heutige Weichbild bildenden Theile hinzu, so betrug die da malige Einwohnerzahl 488,588, also nicht eine halbe Million. Diese Schnellig. keit der Zunahme übersteigt die aller auderen europäischen Hauptstädte ſehr bedeutend, die Londons um mehr als das Doppelte, indem dieselbe dort durch. schnittlich jährlich 1½, hier 4 % beträgt. **) Im Jahre 1865 beförderte die Potsdamer Bahn auf der Strede BerlinSteglig und umgekehrt 20,000 Paffagiere; im nächsten Jahre 40,000. 10 Jahre später, 1876, betrug die Zahl der im ganzen Jahre beförderten Baffagiere nahezu drei Millionen!

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Bat diese flüchtige Rückschau dazu beigetragen, das Intereſſe des fremden Lesers für die Geschichte und das Geſchick Berlins anzuregen, manchen über deffen Bevölkerung verbreiteten Irrthum zu berichtigen und dem Thatsächlichen zu seinem Rechte zu verhelfen, so ist der Zweck diefes Schriftchens erreicht. Freuen sollte es mich, wenn außerdem der hier geborne Leser in diesen Zeilen eine Anregung fände, sich ein wenig mehr um die Kunde von seiner Heimath zu kümmern, als dies in der Regel geschieht. So manche Stätte, an der wir bisher theilnahmlos vorübergingen, wird alsdann durch eine neu entdeckte hiſtoriſche Erinnerung einen gewiffen Werth gewinnen, manche uns ohnehin liebe Stätte unserer Jugendträume uns noch theurer werden. So lange wir auf der Höhe des Lebens stehen, empfinden wir Dies weniger. Wenn aber das Alter naht, wenn Vieles an Werth verliert, was uns das Leben draußen geboten haben mag, kommen wir mit Vorliebe zurück auf die Tage unſerer Jugend und Alles was daran erinnert. Dann kommt es uns zu Gute, wenn wir von unserer Vaterstadt etwas mehr wissen, als jeder Neuankommende sehen kann: Dann empfinden wir, daß Gottes Sonne doch da am Schönsten scheint, wo unsere Wiege gestanden hat !

G. Langenscheidt's Buchdruckerei, Berlin. 85

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