Monster im Mittelalter: Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen [2 ed.] 9783412514051, 9783412514037


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Monster im Mittelalter: Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen [2 ed.]
 9783412514051, 9783412514037

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Rudolf Simek

MONSTER

IM MITTELALTER Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen

2. verbesserte Auflage

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

1. Auflage 2015

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildungen: Aus: Hartmann Schedel: Liber chronicarum. Nürnberg 1493.

Lektorat: Elena Mohr, Köln; Claudia Holtermann, Bonn Umschlaggestaltung: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Satz: büro mn, Bielefeld

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-412-51405-1

5

INHALT

01

DIE ZEITLOSEN MONSTER: WUNDERVÖLKER UND FABELRASSEN VON DER ANTIKE BIS ZUR GEGENWART   . . . . . . . . 

9

1.1. Monster allerorten   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

9

1.2. Monster im Mittelalter   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  17

02

DIE LANGE GESCHICHTE DER MONSTER IN DER EUROPÄISCHEN KULTUR   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  25 2.1. Antike Monster   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  25 Der Durchbruch zu universeller Bekanntheit: Die Fabelrassen bei Plinius  . . .  29 Die Popularisierung der Wundervölker durch Solinus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  31 Die Alexanderdichtung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  32 Was sahen die antiken Autoren in den Monstern?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  35

2.2. Monster im Mittelalter   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  38 Wundervölker und christliche Theologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  38 Naturkunde und Monster  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  39 Wissenssammlungen bis zur Frühen Neuzeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  41

03 DIE MONSTER UND DIE WELT IM MITTELALTER  

. . . . . . . . . . . . . . . . . .  49

3.1. Die Erde im Mittelalter   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  51 3.2. Die drei Kontinente und die Weltkarten   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  57 3.3. Die Monster und der vierte Kontinent   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  64

6

04 ARTEN DER WUNDERWESEN

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  69

4.1. Kriterien der Wunderlichkeit   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  69 4.2. Was ist ein menschlicher Körper und was ein monströser?   . . .  69 4.3. Diäten als Ausgrenzungskriterium   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  80 4.4. Sexualphantasien als Mittel der Ausgrenzung   . . . . . . . . . . . . . . .  81 4.5. Gegenwelten und Sozialutopien   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  84 4.6. Exotische Wohnorte   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  86 4.7. Die Sprachlosigkeit der Monster   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  86

05 SONDERFORMEN DER MONSTER   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  89 5.1. Halbwesen der antiken Mythologie   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  90 5.2. Drolerien, Grillen und Chimären   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  92 5.3. Die Wilden Menschen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  100

06

MONSTRA MARINA – DIE MEERWUNDER

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  113

6.1. Animalische Meermonster   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  113 6.2. Männliche menschliche Meermonster   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  117 6.3. Meerfrauen, Meerfeen und Sirenen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  122

07 MITTELALTERLICHE ERKLÄRUNGEN FÜR URSACHEN UND BEDEUTUNGEN DER MONSTER   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  133 7.1. Die Frage nach der Menschlichkeit der Wundervölker   . . . . . . . .  133 7.2. Woher kamen die Monster nach mittelalterlicher Ansicht?   . . . .  140 Die menschlichen Monster als kollektive Missgeburten  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  140 Die Fabelrassen als verfluchtes Geschlecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  141 Medizinisch-genetische Erklärungen von Wundervölkern und Missgeburten  . 144

7.3. Deutungen und Bedeutungen der monströsen Menschen im Mittelalter   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  146

7

08

WARUM GLAUBTE MAN IM MITTELALTER AN MONSTRÖSE WESEN?   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  167 8.1. Ethnologische Aspekte   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  168 8.2. Medizinische Aspekte   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  173 8.3. Mythologische Aspekte   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  177

09 MONSTER IN DER NEUZEIT   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  181 9.1. Die Wundervölker in der Frühen Neuzeit   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  181 9.2. Die literarischen Wunderwesen der Neuzeit: Von der Utopie zur Science Fiction   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  189

10

LEXIKON DER MENSCHLICHEN MONSTER IM MITTELALTER   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  199

ANMERKUNGEN   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  279 ANTIKE UND MITTELALTERLICHE QUELLEN FÜR DIE MONSTER   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  293 LITERATUR   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  311 ABBILDUNGSVERZEICHNIS   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  335 NACHWORT   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  345

9

01

DIE ZEITLOSEN MONSTER: WUNDERVÖLKER UND FABELRASSEN VON DER ANTIKE BIS ZUR GEGENWART

1.1. Monster allerorten Wenn es in ­diesem Buch um Wundervölker (auch als Wundermen­ schen, Fabelrassen, Fabelvölker oder einfach Monster bezeichnet) geht, die uns aus den Illustrationen mittelalter­licher Handschriften über die zeit­liche Distanz anblicken, dann ist die erste Reaktion darauf wohl die der befremdeten Verwunderung, bestenfalls des herablassenden Interesses für ein Phänomen, das uns ganz beson­ ders »mittelalter­lich« anmutet. Der offenbar vorhandene Glaube an exotische Menschen mit ins Bizarre verzerrten Körperteilen, aufs Unwahrschein­lichste verdrehten Gliedmaßen oder gar Tierköpfen erscheint uns als eine derjenigen Geisteshaltungen, die den Men­ schen des 12. oder 14. Jahrhunderts deut­lich von dem des 20. oder 21. unterscheidet. Die auch nur theoretische Annahme der Existenz von hundsköpfigen Menschen, s­ olchen mit bis zum Boden reichenden Ohren oder anderen, die keinen Mund haben und daher ausschließ­lich vom Geruch der Äpfel leben, scheint uns von einer Weltsicht geprägt, die wir gerne als typisch mittelalter­lich, jedenfalls aber als äußerst archaisch, ungebildet und auch weitgehend unverständ­lich kennzeichnen. Dennoch ist bei einer derartigen Beurteilung Vorsicht geboten, denn einerseits waren es gerade die wissenschaft­lichen Werke (was immer man für das Mittelalter darunter ver­ stehen mag), die sich mit Wundervölkern beschäftigten, andererseits verweist schon die mittelalter­liche Terminologie darauf – etwa »wunderleich läut« bei Konrad von Megenberg im 14. Jahrhundert –, dass man auch damals die Wundermenschen, die monstra, unter die mirabilia und prodigia (»Wunder und ­Zeichen«), also Wunder im Sinne unerhörter oder sogar unglaub­licher Phänomene einstufte. Das Auftreten von Fabelmen­ schen in wissenschaft­lichen Werken kann man zwar auch auf den mittelalter­lichen Eifer zurückführen, alles Wissenswerte zu sammeln

Blemmyae in einem lateinisch-­ altenglischen Wundervölkerverzeichnis, 11. Jahrhundert

10

und zu bewahren, allerdings tau­ chen die Wundermenschen auch außerhalb der großen Wissens­ kompendien und umfassenden Wissenssammlungen so oft auf, dass mit der Sammelleidenschaft allein das offenbar Faszinierende dieser Fabelrassen nicht erklärt werden kann. Bevor jedoch die Frage wei­ ter erörtert werden soll, warum Wundermenschen im Mittelalter so populär und warum sie daher offenbar psycholo­gisch notwen­ dig waren, sollte man einen Blick darauf werfen, ob es nicht in der Neuzeit und selbst in der Gegenwart vergleichbare Erscheinungen gibt. Die Vorliebe des Renaissancekaisers Rudolf II. (1552 – 1612) für Absonder­lichkeiten ist bekannt: Nicht nur errichtete er in Prag mit seiner Wunderkammer eine Vorform des moder­ nen Museums, sondern beschäftigte sich auch selbst mit Kabbala, Wunderglauben und Alchemie. Schon sein Onkel Erzherzog Ferdinand II. (1529 – 1595) hatte sich gerne mit Zwer­ gen umgeben, wie eine in dessen älterer Wunderkammer in Innsbruck aufbewahrte Rüstung zeigt, die eigens für einen Kleinwüchsigen angefertigt wurde. Im Barock entwickelte sich das Interesse für zwergwüchsige und andere missgebildete Menschen geradezu zu einer Kunst­ form, wie die zahlreichen Statuen in den sogenannten Zwergengärtlein illustrieren, so zum Beispiel aus dem ältesten seiner Art, dem Salzburger Mirabellgarten von 1690. Nicht nur Zwerge erregten die Neugier späterer Jahrhunderte, selbst den in Wien zu seiner Zeit hoch geschätzten nigerianischen Prinzenerzieher Angelo Soliman ließ der ansonsten so auf­ geklärte Kaiser Josef II. (1741 – 1790) nach dessen Tod 1796 ausstopfen und bis 1806 im Kaiser­lichen Naturalienkabinett aufstellen, obwohl die Tochter des längst zum Christentum konvertierten und hohe Ämter bekleidenden »Hofmohren« den Kaiser inständig bat, davon Abstand zu nehmen. Auch die medizinische Wissenschaft des späten 18. und 19. Jahrhunderts weist noch eine erstaun­liche Vorliebe für Missbildungen auf. Die in Formalin eingelegten Präparate von Missgeburten in den Sammlungen der medizinischen Fakultäten belegen einen ausge­ prägten Hang zum Abnormalen,

Zwerg mit Holzfuß aus dem Salzbur-

Johann Nepomuk Steiner, Angelo

ger Mirabellgarten

Soliman um 1750, Stich aus dem

selbst wenn sich die Dokumen­

18. Jh. von Gottfried Haid

tation von Missgeburten nicht

11

direkt mit dem mittelalter­lichen Glauben an Wundervölker ver­ gleichen lässt. Aber auch unsere eigene Zeit hat sich keineswegs von einem Interesse an exotischen mensch­ lichen oder menschenähn­lichen Wesen losgesagt. Nicht nur die eigentüm­lichen Sitten »primi­ tiver Stämme« in abgelegenen Gegenden unseres Erdballs, von denen uns Fernsehdokumenta­ tionen und Farbbilder in populä­ ren geographischen Zeitschriften aufs Genaueste berichten, erfreuen sich großer Beliebtheit bei Zuschauern und Lesern der zivilisierten Länder. Selbst ernsthafte Publikationen überliefern schon seit Jahrzehnten immer wieder Sichtungen der sogenannten Bigfoots in Nordamerika, und erst in jüngerer Vergan­ genheit hat der Südtiroler Extrembergsteiger Reinhold Messner mit einem Buch über den Schneemenschen Yeti im Himalaja diesen und sich selbst wieder in die Schlagzeilen gebracht.1 Nicht nur in der Populärwissenschaft, auch in der Unterhaltung spielen fremdartige Menschenwesen noch immer eine wesent­liche Rolle. Zu den Publikumslieblingen – beson­ ders bei Kindern und Jugend­lichen – der zahlreichen Außerirdischen, die uns in den letzten Jahrzehnten durch die Science-Fiction-Literatur, noch wirksamer aber durch den Science-­ Fiction-Film nahegebracht wurden, zählen interessanterweise nicht die metal­lisch-technischen Heroen mancher dieser Filme, sondern die meist ebenfalls wunder­lichen Völkerschaften der Star-Wars- und Star-Trek-Serien sowie die harmloseren und verwundbareren der extrater­ restrischen Wesen wie Alf und E. T. Danach gefragt, was denn eigent­lich diese beiden letztgenannten unfreiwilligen Erdenbe­ sucher von einem normalen mensch­lichen Erdenbürger unterscheide und sie als Außerirdische kennzeichne, fällt jedoch auch guten Kennern der Fernsehserie über Alf kaum mehr als die etwas exotische Behaarung und die große Nase sowie die – für west­liche Begriffe geschmack­ lose – Vorliebe für Katzen auf dem Speisezettel des schlagfertigen Bewohners von Melmac ein. Bei dem rührenden Wesen E. T. ist es nur der verletz­liche Körperbau, der es außer der relativ geringen Größe von Normalmenschen unterscheidet, und gerade diese ist es vielleicht, die auch Alf seinem jungen Publikum noch sympa­

ALF aus der gleichnamigen

thischer macht. Doch auch Erwachsene verspüren eine gewisse Sympathie

Fernsehserie

12

für die kleinen Fremdlinge, wenn diese auch von Herablassung für die Schwächen dieser außerirdischen Wesen durchsetzt ist. Klein sind auch die meisten der anderen außerirdi­ schen Völker, die Comics ebenso wie Kinoleinwände und Fernsehbildschirme bevölkern, von den schon sprichwört­lichen »kleinen grünen Männchen« vom Mars aus der Mitte des 20. Jahrhunderts bis zu den Gremlins und den Critters; und selbst beim hilfreichen Roboter R2-D2 aus den Star-Wars-Filmen ist es nicht zuletzt dessen geringe Größe, die bewirkt, dass der Mensch sich ­diesem Wesen im Film überlegen fühlen oder ihm wenigstens gönnerhaft be­schützend gegenübertreten kann. Die Beherrschung derartiger Wesen ist offenbar ein zentrales Anliegen des Menschen, und dies durchaus nicht nur im Rahmen kriegerischer illusionistischer Sternenkriege, son­ dern auch im häus­lichen Zusammenleben mit dem neuen Familienmitglied Alf, vielleicht auch noch in einem viel allgemeineren Sinn, dass mit der Beherrschung und Kontrolle ­solcher Wesen auch das Begreifen ihres Wesens einerseits und die Distanzierung von ihren ­Schwächen andererseits einhergeht. Es ist ein gemeinsames Merkmal aller modernen wunder­lichen Wesen, dass sie von fremden Welten in unsere Wirk­lichkeit eindringen oder eher: dass wir sie in unerreichba­ rer Ferne sowohl erwarten als auch erwünschen und sodann erdenken. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die »kleinen grünen Männchen« vom Mars ein denkbar weit hergeholtes Völkchen, aber schon heute wissen wir aufgrund der Marsmissionen seit den 1970er-Jahren zu viel über diesen uns benachbarten Planeten und seine unwirt­lichen Bedingungen, um auf ihm auch nur in leid­lich realistischer Weise Bewohner ansiedeln zu können. Ebenso erging es unserem Trabanten, dem Mond, auf dem man schon seit dem Mittelalter den »Mann im Mond« vermutete 2 und noch zu Jules Vernes Zeiten phantastische Bewohner postulierte, was aber schon lange vor der erfolgreichen Apollo-Mission 1969 in den Bereich des völlig Unrea­ listischen verwiesen werden konnte. So muss heute zwangsläufig die Herkunft der Fremd­ linge immer weiter an die Grenzen unseres Kosmos verlegt werden, je mehr sich irdische Forschungssonden in dessen Tiefen vortasten. In Antike und Mittelalter war dies zunächst das geringste Problem bei der Ansiedlung von Wundervölkern durch die mensch­liche Phantasie: Die Erde war weitgehend unerforscht und selbst auf den drei bekannten Kontinenten Asien, Afrika und Europa gab es so viele weiße Flecken, dass auch hier genug Platz für alle Arten wunderbarer Wesen war. Die zunehmende Kenntnis der Erde verschob jedoch die Grenzen des Erfahrbaren und damit die mög­lichen Wohnorte der Wundervölker immer weiter an den Rand der bekannten Welt. Bildeten in der Antike Indien, Albanien und Libyen ausreichend abgelegene Gegenden, um in ihnen Wunder­völker ansiedeln zu können, so rückten schon im Hochmittelalter die Fabelrassen weiter an die Grenzen von Cathay (China) im äußersten Osten, Äthiopien (damals im tiefen

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Süden Afrikas) und Skythien im äußersten Norden Europas und Asiens. Von diesen Gegenden waren wohl die Namen und die ungefähre Lage bekannt, sie riefen aber nichtsdestoweniger durch ihre Entfernung und Fremdheit ein fasziniertes Staunen hervor. Ein weiterer beliebter, da völlig unbekannter Ort für Wundervölker war der erahnte, aber noch auf Jahrhunderte unentdeckte austra­lische Kontinent auf der Südhalbkugel der Erde, der sich immer wieder auf mittelalter­lichen Weltkarten eingezeichnet oder angedeutet findet und für den die Darstel­ lung von Wundermenschen, zum Beispiel eines Skiopoden, sogar eine ausreichende Legende zur Identifikation bilden konnte. In der Frühen Neuzeit schließ­lich rückten zwar Indien und Afrika näher, aber besonders die Entdeckung Amerikas eröffnete neue, im wahrsten Sinne des Wortes ungeahnte Mög­lichkeiten für die Heimat von Fabelmenschen, sodass für die beiden amerikanischen Kontinente vom 16. bis zum 18. Jahrhundert noch zahlreiche Sichtungen nicht nur von Kannibalen, sondern auch von Kopflosen und Hundsköpfigen publiziert wurden.3 Dennoch gibt es immer noch s­ olche Wundervölker, heute eben üb­licherweise in der Form von außerirdischen Besuchern, und sie dienen – wie die genannten Beispiele Alf und E. T. – einem breiten Publikum von Literatur und Film zur Unterhaltung oder Rührung. Darauf angesprochen, ob er oder sie an die Existenz derartiger Wesen denn glaube, wird aber wohl fast jedes Mitglied dieses unterhaltenen oder gerührten Publikums mit einem entschiedenen Nein antworten. So groß der Unterhaltungswert der modernen Wundervölker sein mag, in der Welt der harten Realität haben sie jedenfalls nach Meinung der meisten unserer Zeitge­ nossen nichts zu suchen, und man nimmt sie für das, was sie scheinbar sind: illusionistische Fiktionen der Unterhaltungsmaschinerie, wie sie humanoide Killermaschinen, Killerspinnen, Killertomaten und Killerhaie der Filmindustrie auch darstellen. Diese nervenkitzelnden, im günstigsten Fall unterhaltsamen Erfindungen der mensch­lichen Phantasie sind aber so neu nicht, wie man im Zeitalter Hollywoods gerne glauben möchte. Bei den fiktiven Monstern tierischen Ursprungs ist es in erster Linie das Bedrohende, für den Menschen überdurchschnitt­lich Gefähr­liche, was daran zu faszinieren scheint, und diese Tendenz lässt sich von der Antike bis zur Gegenwart, vom Leviathan über den Mino­ taurus, von Drachen über Basilisken, von den Gremlins bis zu Alien und all den anderen vielfältigen Monstern des fiktiven Universums verfolgen. Auffällig ist, dass im Mittelalter rein tierische Monster nur unter den Meereslebewesen existierten (monstra marina), während echte Landtiere oder gar irgend­welche Säugetiere, die nicht auch mensch­liche Elemente auf­ wiesen, nie als Monster klassifiziert wurden: So wären nach mittelalter­lichem Verständnis weder Drachen noch Einhörner, weder Greife noch Trolle zu den Monstern gezählt worden. Allerdings besteht ein wesent­licher Unterschied zwischen den mittelalter­lichen Wunder­ völkern und den Fabelwesen der Gegenwart: Heute werden die meisten Wunderwesen als Vertreter einer gestrandeten oder zeitweilig in Schwierigkeiten geratenen Zivilisation

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betrachtet, die üb­licherweise der unseren wenigstens technisch überlegen ist – wir sprechen oft von weiterentwickelt. Denselben anthropozentrischen Blickwinkel wenden wir dort an, wo wir die fremdartigen Gebräuche »primitiver«, das heißt archaischer Völker und Stämme bestaunen, die wir als unterentwickelt klassifizieren. Diese Art der Geschichtsbetrachtung einer Menschheit, die sich von einem niedrigeren zu einem höheren zivilisatorischen oder gar kulturellen Niveau entwickelnd fortschreitet, war dem Mittelalter aber völlig fremd. Im Gegenteil: Das von der christ­lichen Heilsgeschichte geprägte Geschichtsbild des europäischen Mittelalters sah den paradie­sischen Urzustand von Adam und Eva als den Höhepunkt mensch­lichen Daseins; mit dem Sündenfall, der Sintflut und den welt­lichen Reichen der Antike ging es ständig bergab. Zwar stellte das Erlösungs­ werk Jesu Christi – etwa zeitgleich mit dem Goldenen Zeitalter der römischen Geschichte angesetzt – die Befreiung des Menschen in Aussicht, aber bis zur endgültigen Wiederkehr des Messias war mit einem weiteren Niedergang der Menschheit zu rechnen. Dementspre­ chend wurden auch die Deformationen der Wundervölker gedeutet: Ihre körper­lichen und ­sozialen Unzuläng­lichkeiten – verformte Gliedmaßen oder das Fehlen der Sprache – erklärte man sich zumindest im theolo­gischen Bereich mit der Ferne vom paradie­sischen Urzustand, mit dem Sündenfall und dem Ungehorsam gegenüber Gottes Geboten. Dies schließt nicht aus, dass man daneben in wissenschaft­lichen Kreisen auch noch intensiv über phy­sische Ursachen der Deformationen, wie etwa Klimaeinflüsse oder gene­ tische Degeneration, nachdachte. Aber während wir nach dem heutigen Geschichtsbild an einen Fortschritt und Aufstieg der Menschheit glauben, der uns trotz mög­licher Rückschläge immer neue kulturelle, wissenschaft­liche, technische und selbst medizinisch-physiolo­gische Verbesserungen beschert – was sich nicht zuletzt darin äußert, dass wir landläufig davon über­ zeugt sind, wir seien heute nicht nur gesünder und langlebiger, sondern auch größer als etwa im Mittelalter –, so galt für den mittelalter­lichen Menschen das Gegenteil: Ihm erschienen die Menschen im Altertum gebildeter, größer und auch mora­lischer als in der »verderbten« eigenen Gegenwart, in der sich die Anzeichen der kommenden Endzeit scheinbar immerfort häuften. Daraus folgt natür­lich, dass sich viele Wundervölker in ihrer Degeneration offenbar schneller vom paradie­sischen Urzustand wegentwickelt hatten als der Mensch im christ­lichen Abendland, gleichgültig ob nun mora­lische oder äußere Gründe an ihrer Unvollkommenheit Schuld trugen. Daraus ergab sich wiederum, dass die Wundervölker wenigstens zum Teil als Beispiele für äußer­lich erkennbare Konsequenzen innerer Verderbtheit dienten, die man dem sündigen Menschen als abschreckendes Beispiel vor Augen hielt. Auf der typolo­gischen Ebene geschah dies in der Folge der Physiologus-Literatur, in der nicht nur Tiere, sondern auch Wundermenschen in allegorischer Deutung verschiedene mensch­liche Verirrungen und Sünden symbolisierten.

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Trotz der unterschied­lichen historischen Einstellung lassen die Gemeinsamkeiten doch wenigstens eine überzeit­liche Definition der Wundermenschen von der Antike bis zur Gegen­ wart zu. Ganz allgemein ist zu definieren, dass Wundervölker fabelhafte Völker in fernen Ländern sind, die sich in einer noch näher zu bestimmenden Weise von »normalen« Men­ schen unterscheiden, und zwar nicht auf eine einmalige Art, wie bei den Missgeburten, sondern auf eine für das ganze Volk gültigen Weise. Dadurch sind wunderbare Einzelwesen der Antike und des Mittelalters, Minotaurus und Scylla ebenso wie Rübezahl und Werwolf, aber auch einheimische, in unmittelbarer Umgebung der Menschen lebende Völker der nie­ deren Mythologie wie Alben, Elfen, Trolle, Heinzelmännchen, Wichtel und (einheimische) Zwerge ausgeschlossen. Es ist ohnehin ein deut­liches Kennzeichen der Fabelrassen, dass sie fast nie aus der Mytho­ logie – ob germanisch, keltisch oder antik-mediterran – stammen, sondern aus der angeb­lichen Erfahrung von Reisenden, die ferne Länder besuchten. Damit ist eine unterschied­liche Ebene der Wahrheit angesprochen: Alben, Zwerge und Riesen weisen deut­liche Reminiszenzen an eine heidnische Vergangenheit auf; sie hatten zwar alle Religionswechsel mehr oder weniger unbeschadet überstanden, waren aber dennoch im Mittelalter nicht nur theolo­gisch, sondern auch naturwissenschaft­lich suspekt; dagegen sah man in den Wundervölkern zwar vielfach unglaubwürdige, aber dennoch theoretisch denkbare alternative Formen mensch­lichen Lebens. Bei den Fabelvölkern handelt es sich also um Menschen bzw. menschen­ähn­liche Geschöpfe, bei den Völkern der niederen Mythologie um Wesen von deut­lich geringerem Realitätsgehalt. Nur selten fließt Mytholo­gisches auch in die Beschreibung wunder­licher Menschen ein, wie etwa bei den Faunen, Satyrn oder Hermaphroditen, aber im Großen und Ganzen wurde den Wundervölkern eine größere Nähe zu den Missgeburten zugesprochen als zu den Wesen der niederen Mythologie. Dabei löste die Menschenähn­lichkeit noch lange nicht alle Probleme: Denn wie man sich auch im Mittelalter bei Missgeburten mit zwei Köpfen fragte, ob es sich nun um einen Menschen oder zwei handelte und ob daher beide oder nur einer zu taufen seien, so bereiteten vor allem die tierischen Züge mancher Fabelrassen der mittelalter­lichen Theologie Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage nach der Mensch­lichkeit. Dieses Problem stellte sich bei verschiedenen Fabelvölkern in unterschied­licher Form: den hunds­ köpfigen Cynocephales, den mund- und damit sprachlosen Astomes, den winzigen Pygmäen oder den auf allen vieren herumlaufenden Artibatirae. Die Zuordnung war aber im Mittelalter deswegen so wichtig, weil es theolo­gisch relevant war, ob es sich bei Wundermenschen um Tiere oder um Menschen mit einer unsterb­lichen Seele handelte, die man bekehren und taufen musste. ­Diesem Aspekt soll deshalb später ein eigener Abschnitt gewidmet werden, wenn es um die Relevanz der Wundervölker in der Frühen Neuzeit geht.

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Die Frage nach der Beseeltheit Eine kleine Auswahl von

und damit nach der Missionierbar­

Kinderbüchern:

keit eines Wesens spielt heute eine

Wilfried Blecher: Das Müll-Monster. München 1991;

wesent­lich geringere Rolle als im

Doris Brett: Anna zähmt die Monster. Therapeutische

Mittelalter. In unserer Zeit, in der

Geschichten für Kinder. Hamburg 1993; Thomas

im Gefolge verwaschener panthe­

Brezina: Alle meine Monster. 8 Bde. München

istischer New-Age-Theorien sogar

1994 –  1 998; Nortrud Boge-Erli/Pia Eisenbarth:

Theologen scheinbar ernsthaft die

Monster mögen Makkaroni. München 2002; Edith

Beseeltheit der Tierwelt postulieren,4

Schreiber-Wicke/Carola Holland: Immer diese

ist es naturgemäß gleichgültig, ob

Monster. Stuttgart/Wien 2009; Marjane Satrapi:

der mensch­liche Anteil eines Lebe­

Marie und die Nachtmonster. Berlin 2006; Maurice

wesens größer ist als der tierische.

Sendak: Wo die wilden Kerle wohnen. Zürich

Aber für mittelalter­liche Theologen

1967; Jutta Bauer und Kirsten Boie: Juli und das

war diese Frage zentral, auch wenn

Monster. Weinheim 1995; Jürgen Banscherus/ und

bei den modernen Wundermen­

Ralf Butschkow: Das Monster in der Badewanne.

schen die Seele als Kennzeichen

Würzburg 2001.

der Mensch­lichkeit üb­licherweise durch einen scharfen Intellekt und/

oder eine hohe Stufe des technischen Verständnisses ersetzt wird; Alf und E. T., aber auch die destruktive Intelligenz der Gremlins sind hierfür wiederum gute Beispiele. Trotz der geänderten Einstellung zur Beseeltheit und damit der exakten Definition von Mensch­lichkeit hat sich kein prinzipieller Wandel im Bedarf nach Wundervölkern eingestellt. Die schon angesprochene psycholo­gische Notwendigkeit dieser humanoiden Wesen mani­ festiert sich einerseits in der erwähnten Tendenz, diese Völker beherrschen oder wenigstens domestizieren zu wollen. So ist der Skiapode, der zu einem treuen Gefolgsmann des fiktiven Helden im mittelhochdeutschen Epos Herzog Ernst aus dem späten 12. Jahrhundert wird, das mittelalter­liche Pendant zu den nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer fiktiven amerika­ nischen Familie zur Domestizierung Alfs im späten 20. Jahrhundert. Andererseits zeigt sich immer wieder auch die Absicht, diesen ja doch in irgendeiner Weise defizienten Fabelmen­ schen zu helfen. Im Mittelalter konnte dies durch konkrete Militärhilfe geschehen, wenn etwa Herzog Ernst dem einäugigen Volk der Einsterne gegen die Riesen und dem kleinwüchsigen Volk der Prechami gegen die Kraniche beistand. Die eigent­liche Hilfe sah man aber wohl in der Missionierung, die üb­licherweise jedoch nur einzelnen Individuen eines Volkes zuteil wurde, wenn sie in Kontakt mit Europäern traten. Bei den modernen Wundervölkern kann es sich ebenfalls um praktische Hilfe handeln, die man ihnen zukommen lässt, um ihnen entweder das Überleben auf unserer Erde oder die Rückkehr in ihre Heimat zu ermög­lichen.

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Als größte Hilfe wird jedoch heute offenbar die mensch­liche Zuneigung und Liebe gesehen, die man sie erleben lässt. Die Formel der Akzeptanz von Andersartigen hat sich offenbar gewandelt vom mittel­alter­lichen »So anders und dennoch ein Geschöpf Gottes wie wir« zum modernen »So anders und dennoch liebenswert«. Was aber bedeutete das Wort Monster ur­ sprüng­lich? In unserer Zeit ist ebenso wie im Mittelalter die Verwendung der Begriffe »Mons­ ter« und »monströs« durchaus geläufig, aber eine genaue Definition dessen, was auf diese Weise zu bezeichnen wäre, ist damals wie heute keineswegs einfach. Dabei gilt es noch zu unterscheiden, dass inzwischen neben der gängigen Definition von monströs als »missgebildet« oder »ungestalt« der Begriff »Monster« selbst eine massive Be­ deutungsveränderung erfahren hat. Dies geht vor allem auf eine Flut von Kinderbüchern des letzten halben Jahrhunderts zurück, die sich – zum Teil mit dezidiert pädago­gischen Absichten – mit kind­lichen Ängsten und deren Bewältigung auseinandersetzen und die zu einer Veränderung unserer Vorstellungen von Monstern geführt haben, hin zu etwas, das a priori als gefähr­lich, bedroh­lich, häufig auch groß und mächtig einzustufen sei. Erst sukzes­ sive – am Ende des jeweiligen Buches – werden diese Monster vermensch­licht, verharmlost und damit entmythologisiert. Damit schließt sich aber wieder der Kreis zum Mittelalter, denn mittelalter­liche Monster im engeren Sinn waren zwar wunder­lich, fremd, ja schaurig und mitunter auch äußer­lich abstoßend, aber fast niemals wurden sie dem Menschen gefähr­lich.

1.2. Monster im Mittelalter Wenn die mittelalter­lichen Monster also nicht – oder nicht in erster Linie – gefähr­lich sind, im Regelfall auch keineswegs übermäßig groß oder stark, was charakterisierte sie dann? Eine Antwort darauf kann nur gegeben werden, wenn man betrachtet, ­welche Wesen man im Mittelalter selbst als monströs bezeichnete. Dieser Begriff wurde ausschließ­lich für zwei Gruppen von Lebewesen verwendet: Einerseits waren dies Menschen oder menschenähn­ liche Wesen mit körper­lichen oder anderen Abweichungen, also auch s­ olche, die Mischwesen zwischen Menschen und Tieren darstellten, und andererseits fasste man darunter phantasievolle Meereslebewesen, etwa Meerkühe oder

Monster im modernen Kinderbuch

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Meermönche, zu denen man aber auch durchaus reale Tiere wie Wale, Krokodile oder Schwert­ fische gesellte. Dagegen werden etwa Drachen oder andere (fabelhafte) Landtiere nie zu den Monstern gezählt. Zwar können die Meermonster auch potenziell gefähr­lich sein, aber da der normale Mittel- und Westeuropäer kaum in eine Situation gerät, ihnen auf den Ozeanen zu begegnen, bleibt dies eine rein theoretische und auch fernliegende Gefahr.Die mensch­ lichen Monster hingegen wurden fast nie als gefähr­lich eingestuft oder zumindest – wie die indischen Cynocephales, die Alexander dem ­Großen bewaffnet gegenübertraten – nicht als gefähr­licher als andere feind­liche mensch­liche Völker. Auch hier gilt allerdings, dass es kaum eine Chance für Europäer gab, mit s­ olchen humanoiden Monstern zusammenzutreffen, weil sie prinzipiell in entlegenen Gegenden angesiedelt wurden. Alle Monster hatten gemein, dass sie weit entfernt lebten und fremd wirkten – auch wenn sich das nicht immer äußer­lich, sondern durch andere Gewohnheiten manifestierte – und sich somit von den Mitmenschen der täg­lich erfahrbaren Umwelt unterschieden. Damit dient das Monströse also nicht der Darstellung von Bedroh­lichkeit, sondern in erster Linie der Definition des Anderen, des Fremden, und zwar vorrangig des Fremden in großer Ferne. Die Abgrenzung des Eigenen vom Fremden ist gerade bei den ja immer noch mensch­ lichen humanoiden Monstern am leichtesten zu bewerkstelligen, wenn man ihre Mängel beschreibt: »Die Anderen« haben keine verständ­liche Sprache (wie wir), sie haben keine manier­lichen Sitten (wie wir), sie haben kein geordnetes Sozialwesen (wie wir), keine raffi­ nierten Speisen (wie wir) und vor allem kein normales Aussehen wie wir, die Europäer. All das führt dazu, dass wir »den Anderen« auch die Vernunft als Grundlage der mensch­lichen Natur leicht absprechen – so unvernünftig scheint näm­lich oft das Verhalten »der Ande­ ren« –, denn gerade diese Vernunft gilt seit Augustinus als das Kennzeichen des Menschen als eines animal rationale mortale (»vernünftigen und sterb­lichen Geschöpfes«).5 Das scheinbar unvernünftige Verhalten rückt »die Anderen« damit in die Nähe des Anima­lischen, also der unbeseelten, nichtmensch­lichen Kreatur. Diese Argumentationslinie führte am Ausgang des Mittel­alters zu einer der gefähr­lichsten und bedenk­lichsten Konsequenzen des mittelalter­lichen Glaubens an Monster, näm­lich den andersartigen Menschen der neu entdeckten Kontinente ihre Mensch­lichkeit abzusprechen, um sie dann versklaven zu können, statt sie zu bekehren. Denn ungeachtet der erwähnten Meermonster handelt es sich von der Antike über das Mittelalter bis weit in die Neuzeit beim Begriff »Monster« in erster Linie um eine Bezeich­ nung für Menschen, die zwar mitunter von beträcht­licher Andersartigkeit sein konnten, aber immerhin Mitglieder der mensch­lichen Rasse waren. Dies konnte, wie gesagt, auch Misch­ wesen einschließen, w ­ elche man sich aus unterschied­lichen Komponenten von Menschen und (auch mehreren verschiedenen) Tieren bestehend vorstellte. ­solche Mischwesen gehen zwar vereinzelt auf die Darstellungen oder Beschreibungen von mytholo­gischen Wesen der

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verschiedensten nah- und fernöst­lichen Mythologien zurück, konnten aber auch immer wie­ der ergänzt und variiert werden. Im Folgenden wird zwar die gebräuch­lichste mittelalter­liche Verwendung von »monströs« im Sinne von homines monstruosi (»monströse Menschen«) verwendet, aber auch die teilweise tierischen Wesen sollen behandelt werden, für die ich die Bezeichnung Mischwesen bevorzuge, weil die Begriffe »Hybride« oder »Hybridbildungen« heutzutage unter Umständen falsche Assoziationen wecken könnten. Dass man auch im Mittelalter bei den nichttierischen Monstern die Konnotationen mit dem Tierischen nicht ganz vermeiden konnte, zeigt die Verwendung der mittelhochdeut­ schen Bezeichnung viehisch lewt (»viehische Leute«) für den Begriff homini monstruosi in seinem um 1400 entstandenen Predigtwerk des Wiener Franziskaners Johannes Bischoff,6 wogegen der Regensburger Domherr Konrad von Megenberg zwei Generationen früher den Begriff wunder­liche leut vorzog und dabei auf die tiefere Bedeutung des lateinischen Begriffs monstrosus abzielte. Monstrum (»Monster«) und monstrosus (»monströs«) stammen beide aus dem recht ausdifferenzierten mittelalter­lichen Wortschatz des Wunderglaubens. Demzufolge ist von et­lichen ganz unterschied­lichen Bedeutungen des heutigen deutschen Wortes »Wunder« auszugehen: Zum einen ist hier das Heiligen- oder Heilungs-Wunder gemeint, ein übernatür­ licher Vorgang durch direktes gött­liches Eingrei­ fen, üb­licherweise aufgrund der Interzession durch einen Heiligen; diese Art von Wunder wird als

Frühmittelalterliche Sirenen in der klassischen Tradition lateinischer Bestiarien in einer englischen Handschrift, um 1300

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miraculum bezeichnet, was sich noch heute im Ausdruck »Mirakelbild« für ein wundertä­ tiges Heiligenbild erhalten hat. Zum anderen zählte man zu den Wundern auch wunderbare oder erstaun­liche Dinge, ob nun Bauten, Artefakte oder Naturphänomene, die man als »wunderbar« erachtete und als mirabilia bezeichnete; dementsprechend heißen mittelalter­liche Romführer, die die »Wunder der Stadt Rom« behandeln, eben Mirabilia urbis Romae. Diesen Wundern haftete meist nichts Übernatür­ liches an, aber etwa bei den Beschreibungen der »wunder­lichen Quellen« – also Gewässern mit eigentüm­lichen Eigenschaften – reicht das Spektrum sehr wohl ins Phantastische hinein. Zum Dritten verstand man unter Wundern auch wunderbare Vorzeichen, die auf künf­ tige Ereignisse hindeuteten, und diese Vorzeichen waren üb­licherweise unabhängig vom gött­lichen Eingreifen, sondern manifestierten sich vor allem in eigentüm­lichen, eben »wun­ derbaren« Vorkommnissen in der Natur, etwa dem Auftreten von Kometen als Vorzeichen für den Tod von Herrschern oder für Kriege, dem wunder­lichen Verhalten verschiedener Tiere wie den Pferden vor Erdbeben oder den ungewöhn­lichen Niederschlagsarten – wie blutigem Regen – als Vorzeichen von Seuchen. Solche Wunder wurden als portenta (»Vor­ zeichen«) bezeichnet. Das Wunderbare daran lag nicht in ihrer Natur, sondern in der Tat­ sache, dass sie Zukünftiges ankündigten, und sie wurden dann mitunter als ostenta, als Vorzeichen auf Zukünftiges bezeichnet. Zu diesen Vorzeichen zählte man auch die prodigia, also Wunderkinder, die auf Großes vorausdeuten, und die monstra, die auf eine (verbor­ gene) Bedeutung hinweisen. Dies ist nun der eigent­liche Sinn des Begriffs »Monster«, wobei der gängige mittelalter­ liche Gebrauch von monstr(u)osus heute am besten mit »wunder­lich« wiederzugeben wäre, wie es eben schon beim genannten Konrad von Megenberg der Fall ist. Aber das latei­nische Wort selbst ist vom Verb monstrare, »zeigen, herzeigen, deutend vorweisen« (vgl. etwa dt. Monstranz), abgeleitet, und die ursprüng­liche mittelalter­liche Definition ist bei aller »Wunder­lichkeit« der monströsen Menschen die bei Isidor von Sevilla zu findende von portentis (»Vorzeichen«): Von den Vorzeichen. Vorzeichen sind das, sagt Varro, was gegen die Natur geboren zu sein scheint. Sie sind aber nicht gegen die Natur, weil sie nach gött­lichem Willen entstehen, weil der Wille des Schöpfers und die von ­d iesem erschaffenen Dinge eben die Natur sind. Daher nennen selbst die Heiden Gott einmal Natur und einmal Gott. Ein Vorzeichen geschieht daher nicht gegen die Natur, sondern gegen das, was die uns bekannte Natur ist. Vorzeichen und Zeichen aber, Monster und Wunderkinder werden deswegen so genannt, weil sie Künftiges zu tragen und zu zeigen, vorzuzeigen und vorauszusagen scheinen. 7

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Bereits bei dem für das ganze Mittelalter richtungs­ weisenden Enzyklopädisten Isidor von Sevilla zu Beginn des 7. Jahrhunderts – der dem K ­­ irchenlehrer Augustinus und dem antiken Rhetoriker Cicero folgt – wird also eine für die mittelalter­liche Wun­ dertheorie zentrale Frage angesprochen: ob es sich bei den portenta und monstra um widernatür­liche Phänomene handelt oder ob sie einem gött­lichen und somit natür­lichen Schöpfungsplan entstam­ men. Dabei hält Isidor für das ganze Mittelalter definitorisch fest, dass diese Wundermenschen nicht gegen die Natur seien, obzwar es so aussehen könnte, da der mensch­lichen Vernunft die Gründe für ihre Entstehung nicht einsichtig seien. Dieser Ansatz öffnete dann im Laufe der nächsten 1000 Jahre Tür und Tor für zahlreiche Interpretationsmög­lichkeiten, die von rein natür­ lichen bis hin zu rein theolo­gischen Theorien reich­ ten – aber immer unter der Prämisse, dass die Wundervölker uns nach Gottes Heilsplan etwas zeigen wollten, dass ihnen also eine sozusagen gött­lich-pädago­gische Intention zugrunde lag. Dass dabei je nach persön­licher Einstellung der Autoren eine strikt mora­lische bis rein ethnographisch-sammelnde Deutung mög­lich war, wird noch zu zeigen sein. Eine weitere etymolo­gische Deutung des Monster-Begriffs bezieht sich nicht auf das latei­ nische monstrare, sondern auf monere (»warnen«). Monster wären demzufolge eine Warnung für den Menschen vor den Folgen des Sündenfalls und vor den Konsequenzen ihres eigenen sündhaften Handelns, auch wenn man im Mittelalter sonst eher eine mahnende Funktion darin gesehen haben mag. Ein entscheidender Faktor für die Abgrenzung der hier zu behandelnden mensch­lichen Monster von anderen Arten der Vorzeichen, wie etwa tierischen oder mensch­lichen Miss­ geburten, ist die schon erwähnte Tatsache, dass die humanoiden Monster seit der Antike als Völker oder Rassen gedacht werden. Sie sind also immer als große Gruppen ­solcher Wesen angelegt, die damit allein ihren festen Platz in Gottes Schöpfungsplan innehaben und die ganze Regionen, Länder, ja Teile von Kontinenten für sich beanspruchen. Hier sei vorerst festgehal­ ten, dass es sich bei den mensch­lichen Monstern empfiehlt, von Fabelrassen oder Wundervölkern zu

Wundervölkergalerie am Südrand der Weltkarte von

sprechen, um deut­lich zu machen, dass es sich auch

Ebstorf, 13. Jh., zerstört 1944

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Dämonen

Monster

bei extremen körper­lichen Missbil­

körperlos

körperlich

dungen nicht um isolierte Einzel­

transzendental

irdisch

phänomene handelt.

luftig bzw. unterirdisch

menschliches Lebensumfeld

Thema der Theologie

Thema der Ethnographie

Bereich der Ethik

Bereich der Naturkunde

unzählig

beschränkte Zahl an Rassen

Diese Verwechslung von Dämonen und Monstern ist bis in die Gegenwart ein fast durchgängi­ ges Problem der Forschung.8 Aber selbst wenn aus unserer heutigen Sicht der mittelalter­lichen Bildwerke

aufgrund der phantasievollen und oft abgewandelten ikonographischen Darstellung eine genaue Zuordnung nicht immer mög­lich sein mag, so besteht doch ein ganz prinzipieller Unterschied zwischen den beiden Arten von Wesen:

1  Wundervölker sind reale, (theoretisch) phy­sisch erfahrbare Wesen, die als Bewohner der zentrumsfernen Gebiete der Erde zuerst in den Bereich der Geographie und Ethnogra­ phie, also der mittelalter­lichen Naturkunde im weitesten Sinn gehören, und nur sekundär aufgrund ihrer diversen Deformitäten, so wie etwa durchaus reale Tiere auch, zur allego­ rischen Interpretation herangezogen werden können. Trotz vereinzelter Gefähr­lichkeit die­ ser Geschöpfe (wie etwa der hundsköpfigen Cynocephales) sind sie im Prinzip wertneutrale, beseelte irdische Wesen.

2  Dämonen sind übernatür­liche Wesen, die schon aufgrund ihrer Natur als gefallene Engel nicht körper­lich, sondern geistig sind und aufgrund ihrer Gegnerschaft zu den wahren, nicht gefallenen Engeln als böse und für die Menschen schäd­lich angesehen werden. Ihre Wohnorte sind nicht reale Bereiche der Erde, sondern das Jenseits, wo sie gemeinsam mit Satan die Hölle bewohnen, als dessen Gefolgschaft sie angesehen werden, so wie die Engel als Gefolgschaft des dreieinigen Gottes gedacht werden. Es ist ihre Aufgabe, als Erfüllungsgehilfen des Teufels die Menschen im Diesseits vom gottgefälligen rechten Weg abzubringen und ihnen noch dazu phy­sischen Schaden – etwa in Form von Krankheiten oder Naturkatastrophen – zuzufügen und im Jenseits dann die mensch­lichen Seelen im Fegefeuer und in der Hölle zu quälen. Nichts von diesen Funktionen der Dämonen trifft auf die monströsen Rassen zu, und im Mittelalter weiß man genau zwischen beiden zu unterscheiden, auch wenn als Resultat aus der Vereinigung von Menschen mit Dämonen ein Monster hervorgehen könnte, wie ein anonymer Enzyklopädist schreibt.9 Im Gegensatz zu den die Menschen quälenden und verführenden Dämonen sollten die Monster aufgrund ihrer Verweisfunktion in den allegorischen Deutungen den Menschen helfen, ihre eigenen Verfehlungen einzusehen (sie zu warnen oder zu mahnen) und sich dadurch zu bessern. Darüber hinaus dienten sie immer auch als anschau­licher Beweis für die

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Vielfältigkeit der Schöpfung Gottes und damit seiner Allmacht, anders gesagt als mittelalter­ liches ethnographisches Anschauungsmaterial im weitesten Sinne. »Wir wissen näm­lich, dass alle Werke Gottes wunderbar sind«, schrieb Jacobus de Vitriaco, 10 womit gemeint ist, dass auch die monströsen Menschen Teil der Schöpfung Gottes seien und als ­solche ob ihrer Schönheit oder wenigstens ihrer Vielfalt Bewunderung verdienten. Die mensch­lichen Monster sind aber eindeutig Menschen und werden von den mittelalter­ lichen Autoren meist als s­ olche definiert, auch wenn Konrad von Megenberg, der sich in sei­ nem Puoch von den naturleichen dingen um 1350 sehr intensiv mit der Frage des Monströsen auseinandersetzte, versuchte, noch genauer zu unterscheiden: nu sprich ich Megenbergær, daz die wunder-

Nun sage ich, [Konrad von] Megenberg, dass

menschen zwaierlai sint: etleich sint gesêlet

es zweierlei Wundermenschen gibt, näm­

und etleich niht. die gesêlten wundermen-

lich beseelte und unbeseelte. Als beseelte

schen haiz ich die ain menschleich sêl habent

bezeichne ich diejenigen, die zwar eine

und die doch geprechen habent. die ungesêl-

mensch­liche Seele, aber doch [körper­liche]

ten haiz ich die etswaz ain menschleich gestalt

Gebrechen haben, als unbeseelte diejeni-

habent an dem leib und doch kain menschleich

gen, die zwar mensch­liche Form, aber keine

sêl habent. die gesêlten wundermenschen sint

mensch­liche Seele haben. Auch von den

auch zwaierlai. etleich habent geprechen an

beseelten Wundermenschen gibt es zweierlei,

Dämonen, Kirche von Gjerrild,

Monster, Kirche von Dalbyneder,

Jütland, Dänemark, um 1500

Jütland, Dänemark, 1511

24 dem leib und etleich an der sêl werk, und die

näm­lich die mit körper­lichen und die mit see­

koment paideu von Adam und von seinen sün-

lischen Gebrechen, aber beide stammen von

den, wan ich glaub daz: hiet der êrst mensch

Adam und seinen Sünden ab, weil ich glaube,

niht gesünt, all menschen wæren ân gepre-

dass alle Menschen ohne Gebrechen geboren

chen geporn.

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worden wären, wenn der erste Mensch nicht gesündigt hätte.

Nimmt man diese Stellungnahme eines spätmittelalter­lichen Klerikers, aber auch Naturphilo­ sophen und sehr kritischen Wissenschaftlers ernst, dann ergibt sich daraus eine enorm große Bandbreite für dasjenige, was man im Mittelalter als monströse Menschen bezeich­ nen konnte: ­solche an sich normalen Menschen, die aber an körper­lichen oder psychischen Abnormitäten leiden, wie auch ­solche (fast-)mensch­lichen Wesen, die aber aufgrund ihrer Misch­natur dem Tierreich zuzuordnen sind und zu denen Konrad sicher­lich auch Misch­ wesen wie Kentauren, Sirenen und Meermönche zählte, vielleicht sogar die Cynocephales, die er wohl als unbeseelt einschätzte. Monstrosität ist somit – auch – eine Frage des Grades der Abweichung und eine höchst subjektive Angelegenheit: Das war im Mittelalter nicht anders als in der Gegenwart, auch wenn sich unser Monsterbegriff deut­lich gewandelt hat.

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02

DIE LANGE GESCHICHTE DER MONSTER IN DER EUROPÄISCHEN KULTUR

2.1. Antike Monster Die Geschichte der Fabelrassen in der europäischen Kultur ist so lang wie die Geschichte dieser Kultur selbst, auch wenn man nur die im Mittelalter als Monster bezeichneten mensch­lichen Monstrositä­ ten heranzieht und die diversen mytholo­gischen Fabelwesen wie Zerberus und Hydra vorerst bei­ seitelässt, weil sie im Mittelalter ebenso wie Sphinx oder der Minotaurus eine eher untergeordnete Rolle spielten. Währenddessen nahmen einzelne andere mytholo­gische Mischwesen, etwa Sirenen, Kentauren und Satyrn, eine durchaus prominente Stellung unter den mittelalter­lichen Monstern ein. Daher sollen weiter unten Sphinx und Minotaurus als Mischwesen zwischen Mensch und Tier nur kurz erwähnt werden, auch weil sie nur ver­ gleichsweise schmale Spuren in der mittelalter­lichen Kunst und Literatur hinterlassen haben. Offensicht­lich war die Tatsache, dass diese Wesen nur Einzelerscheinungen darstellten und nicht als Völker auftraten, für das Desinteresse der Autoren an ihnen verantwort­lich. Dies hätte eigent­lich auch für die Sirenen gelten können – immerhin dachte man sich mindestens drei von ihnen –, doch man verbuchte sie meist nicht unter den humanoiden Fabelwesen, sondern unter den Meeresungeheuern. Schon bei der berühmtesten aller frühen griechischen Dichtungen, in der Odyssee des Homer im 8./7. Jahrhundert v. Chr., zählt die Begegnung des Helden mit Monstern zu den wesent­lichen Elementen in der Ausgestaltung der Heldenbiographie, und auch in der Ilias werden Wunderwesen erwähnt. Von da an gehö­ ren diese Konfrontationen mit den Monstern als Vertretern des Fremden zum Standardinventar der europäischen Literaturgeschichte und dies ganz

Pygmäen im Kampf mit den Kranichen in einer Handschrift des Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais, um 1475, links ein Elefant

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Wundervölker (Volk ohne Feuer, Mann auf Krokodil (!), Kentaur und Satyr) aus einem Bestiarium, nach 1277

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unabhängig von den theolo­gischen Deutungsmög­ lichkeiten. Bei Homer ist es noch nicht der körper­ liche oder geistige Mangel, der die Andersartig­ keit ausmacht, denn weder bei den sogenannten Lotusessern (die in Wirk­lichkeit wohl nicht Lotus­ blüten aßen, sondern die dattelähn­liche Frucht eines Ziziphus-Lotus, die bis heute in Nordafrika gegessen wird) noch bei den stutenmilchtrinken­ den Nomaden der nordasiatischen Völker, die Zeus mit Staunen betrachtet, findet sich irgendeine nega­ tive Wertung. Im Gegenteil: Diese Hippomolgi (Pferde­melker) werden in der Ilias geradezu als ein besonders gerechtes Volk beschrieben. Auch bei den dort ebenfalls schon behandelten Pygmäen an Afrikas ozeanischen Gestaden, deren Kampf mit den Kranichen für die nächsten 2000 Jahre fester Bestandteil der Ethnogra­ phie werden sollte und die wegen dieses Kampfes von Homer zu Vergleichszwecken für eine Schlacht zwischen den lauten Trojanern und den ruhig den Kampf erwartenden Griechen herangezogen wurden, nannte Homer als einzigen Mangel ihre Kleinheit: Aber nachdem sich geordnet ein jeg­liches Volk mit den Führern, Zogen die Troer in Lärm und Geschrei einher, wie die Vögel: So wie Geschrei hertönt von Kranichen unter dem Himmel, ­w elche, nachdem sie dem Winter entflohn und unend­lichem Regen, Dort mit Geschrei hinziehn an Okeanos strömende Fluten, Kleiner Pygmäen Geschlecht mit Mord und Verderben bedrohend; Und aus dämmernder Luft zum schreck­lichen Kampfe herannahn. (Homer: Ilias III , 1 –  9 , übers. von Johann Heinrich Voß)

Ebenfalls bereits durch Homer eingeführt wurden die in der Odyssee genannten behaarten Frauen sowie die dann in die Mythologie übernommenen Zyklopen und Sirenen,1 wovon die Letzteren bis ins Spätmittelalter einen sowohl äußer­lichen als auch semantischen Wand­ lungsprozess durchmachten. Doch Homer ist nicht der Einzige in der griechischen Tradition, der derartige eher wunder­liche als wunderbare Völker erwähnt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Ver­ ständnis der antiken Griechen diejenigen Völker, die sich (nur) durch eigenartige Essgewohnheiten

Ichthyophagus aus einem englischen Bestiarium von der

auszeichneten, noch in den Bereich der Realität

Mitte des 12. Jahrhunderts

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gehörten, da die Griechen die Bewohner von Inseln und Landstrichen nicht mit deren Eigenbezeich­ nungen, sondern durch ihre Essgewohnheiten zu kennzeichnen pflegten. Die griechische literarische Gattung des Periplus (eigent­lich: »Herumsegeln«), einer sachbezogenen Reisebeschreibung, schil­ dert nicht nur Städte und Häfen, sondern auch die typischen Gebräuche der Einheimischen. So beschreiben Skylax von Karyanda, Nearchus von Amphipolis, Agatharchides von Knidos, Hanno von Karthago und Pytheas von Marseille eigentüm­ liche Völker in ihren Werken nach deren Essge­ wohnheiten.2 Noch der heilige Hieronymus um 400 n. Chr.3 und der byzantinische Reisende Moses von Chorene im 10. Jahrhundert folgten dieser Tra­ dition und erwähnten Troglodyten, Skythen und Ichthyophagi (Fischesser) sowie die Rhizophagi (Reis­esser), Strutophagi (Straußenesser), Anthro­ pophagi (Menschenfresser) und Galactophagi (Milch­esser).4 Dass die Essgewohnheiten ganzer Völker bis zum heutigen Tag selbst innerhalb Europas für die Außenbetrachtung identitäts­ stiftend sind, darüber wird noch ausführ­licher zu sprechen sein. Besonders aus Indien und Äthiopien, das schon damals mit Ostafrika gleichgesetzt wurde, wussten die Reisenden häufiger etwas über wunder­liche Menschen zu berichten. Der Grieche Ktesias von Knidos, Leibarzt des per­sischen Königs Darius II., berichtete um 400 v. Chr. in seinen Erinnerungen an seine angeb­lichen Erlebnisse im Osten, die er Indika nannte,5 von Pygmäen, von den hundsköpfigen Cynocephali und den Macrobii in Indien; seine Pygmäen sind nur drei Spannen groß, die Macrobii (die er Pandorai nennt) dagegen werden mit w ­ eißen Haaren geboren, die im Alter aber nachdunkeln; alle drei Völker erfreu­ ten sich noch im Mittelalter größter Beliebtheit. Sein Zeitgenosse Megasthenes war Gesandter in Indien und wusste wohl im Gegensatz zu Ktesias eine ganze Menge von den tatsäch­lichen Gebräuchen der Inder, bestätigte aber dennoch die Existenz der Pygmäen, die ja eigent­lich in Afrika beheimatet waren, und nannte auch die Astomi, die nur vom Geruch der Äpfel lebten, die im hintersten Indien gediehen.6 Megasthenes erwähnte auch als Erster die Bragmani, die damit zu den ältesten Wundervölkern gehören und auf überlieferte Informationen über die Brahmanen, die Indische Brahmanen aus Bombay, um 1900, Fotografie

oberste hinduistische Kaste der Priester, zurückgehen.

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Die griechischen Reisenden mit ihren Berichten über Fahrten um das Mittelmeer, das Schwarze Meer, die afrikanische Ostküste und bis nach Indien hinterließen eine dauerhafte Spur in der späteren antiken und somit auch in der mittelalter­lichen Literatur. Zum einen fanden ihre Erfahrungen und Beobachtungen in die spätantike Enzyklopädik Eingang – wobei sie für uns am besten durch die umfangreiche Naturkunde des Plinius greifbar werden. Zum anderen war es die teils sagenhafte, aber auf jeden Fall weltberühmte Geschichte von Alexander dem Großen und seinem Feldzug nach Indien im 4. Jahrhundert v. Chr., über dessen fiktive Bio­ graphie die wunderbaren Erkenntnisse der Reisenden in Romanform popularisiert wurden. Der Durchbruch zu universeller Bekanntheit: Die Fabelrassen bei Plinius

Gaius Plinius Secundus, auch Plinius der Ältere genannt, der 23 n. Chr. in Como geboren und in Rom erzogen wurde, kämpfte sowohl in Gallien als auch in Germanien als Offizier und wurde nach Neros Tod 69 n. Chr. unter Kaiser Vespasian Prokurator, wodurch er selbst weite Teile des römischen Reiches bereiste. Seine letzten Tage verbrachte er als Befehlshaber einer Flotte in der Nähe von Pompeji. Als er sich am 24. August 79 während des Vulkanaus­ bruchs des Vesuvs von Misenum aus dem Katastrophengebiet näherte, starb er beim Versuch, die Stadt Stabiae zu evakuieren. Seine Naturalis historia (Naturgeschichte), die aus 37 Bänden besteht und laut Verfasser über 20.000 Einträge enthält, hatte er bereits um das Jahr 76 voll­ endet. Sie war von breiter Nachwirkung auf alle folgenden Enzyklopädisten, im Gegensatz zu seinen anderen Werken (wie einer Geschichte der Germanischen Kriege), die weitgehend verloren gingen. Für seine Naturgeschichte hat Plinius angeb­lich 2.000 ältere Werke genutzt, die er in sehr unterschied­licher Weise ausschrieb, exzerpierte oder zitierte, aber er brachte auch sein eigenes, auf Reisen erworbenes Wissen ein. Die Naturalis historia handelt von weitgefächerten, jedoch durchweg naturkund­lichen Themen: von der Organisation agrari­ scher Betriebe über geographische, biolo­gische und zoolo­gische Themen bis hin zu s­ olchen der Geologie und Mineralogie. Da die Naturgeschichte in geographischer Anordnung aufgebaut ist, behandelte Plinius die Wundervölker in den Büchern fünf, sechs und sieben im Rahmen der Beschreibung außer­ europäischer Regionen, wobei er sich hier besonders auf die erwähnten Reisebeschreibun­ gen älterer griechischer Reisender stützen konnte. Eine große Zahl der später im Mittelalter verbreiteten monströsen Rassen findet sich bereits bei ihm. Selbst die durch Verwechslungen, orthographische Abweichungen und Spezifizierungen später häufig zu beobachtende Tendenz zur Doppelung von Monsterrassen kommt schon bei ihm vor und ist durch die geographische Vorgehensweise zu erklären. So erwähnt Plinius sowohl in Äthiopien als auch in Indien ein Volk von Acephalen, also kopflosen Menschen: Im ersten Fall nennt er sie Blemmyae, im zweiten Fall bleiben sie namenlos. Die Blemmyae hat er von dem oben genannten Indienreisenden

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Alexander trifft auf die nackten und in Höhlen lebenden Gymnosophisten/Oxydraken im altfranzösischen Roman d’Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45

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Ktesias von Knidos aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. übernommen. Allerdings werden diese dann im Mittelalter als Epiphagi rezipiert. Um sie von den Blemmyae zu unterscheiden, die Mund und Nase auf dem Bauch und die Augen auf der Brust haben, schreibt man ihnen Augen an den Achseln und mitunter verschiedene andere Eigenschaften zu. In byzantinischen Quellen heißen sie Omopthal­ mes, sind am ganzen Körper behaart oder aber von goldgelber Farbe. Die große Zahl von Wundervölkern, die sich bei Plinius findet, gepaart mit seiner knap­ pen und übersicht­lichen Darstellungsweise, führte dazu, dass er für alle folgenden enzyklo­ pädischen Werke zur Hauptquelle wurde, entweder auf direktem Wege oder über den Römer Solinus, der die exotischeren Elemente aus Plinius exzerpierte. Die Popularisierung der Wundervölker durch Solinus

Gaius Iulius Solinus dürfte Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. gelebt haben, jedoch sind bio­ graphische Fakten über ihn nicht bekannt. Seine Collectanea rerum memorabilium (Sammlung von merkwürdigen Dingen) können nur im weitesten Sinn als Naturenzyklopädie auf­ gefasst werden. Zwar beruft er sich darin vorwiegend auf die Naturalis historia des Plinius, übernimmt daraus aber hauptsäch­lich die Merkwürdigkeiten und Absonder­lichkeiten: Die Wundervölker des Plinius fasst er in den Kapiteln 30 und 31 zusammen. Solinus bringt kaum Neues, sein Werk war dennoch im Mittelalter aufgrund des über­ schaubaren Umfangs in breiter handschrift­licher Überlieferung vorhanden, wobei sich im Hochmittelalter auch illustrierte Solinus-Handschriften finden.7 Solinus wurde dabei nicht nur exzerpiert und zur Anreicherung anderer mittelalter­licher (Natur-)Enzyklopädien ver­ wendet, wie etwa bei Honorius Augustodunenis in der Kosmographie seiner Schrift De imagine mundi, sondern auch vollständig entweder in volkssprach­liche oder in lateinische Verse übertragen, wie im Gedicht De monstris Indie aus dem 12. Jahrhundert. Die selbst noch gegen Plinius knappe Art der Darstellung und das recht simple Latein machten Solinus’ Collectanea rerum memorabilium zum bevorzugten literarischen Stein­ bruch für mittelalter­liche Autoren, wenn es um Wundervölker ging. Auch die mehr als trockene Art der Beschreibung, die den meisten Fabelvölkern kaum mehr als einen Satz widmete, findet sich in den meisten mittelalter­ lichen Werken bis hin zu den volkssprach­lichen

Alexander und die Oxydraken aus dem französischen

des Spätmittelalters wieder:

Alexanderroman, Handschrift des frühen 14. Jahrhundert

32 Die Gamphasantes meiden den Kampf, fliehen den Handel, sie lassen keine Vermischung [mit Menschen] von außerhalb zu. Von den Blemmyae glaubt man, dass sie mit Rümpfen ohne Kopf geboren werden und den Mund und die Augen auf der Brust haben. Die Satyren haben nichts Mensch­liches außer der Gestalt. Die Aegipanes sind so, wie wir sie gemalt sehen. 8

Die Alexanderdichtung

Neben diesen beiden lateinischen enzyklopädisch-naturkund­lichen Werken war es besonders die Dichtung über Alexander den Großen, durch die die Monster in Spätantike und Mittel­ alter popularisiert wurden. Im Gegensatz zu den Enzyklopädien finden wir darin zwar eine deut­lich geringere Anzahl an Wundervölkern – ein Mangel, den hochmittelalter­liche Bear­ beitungen dann teilweise durch Ergänzungen zu beheben suchten –, aber die Informationen über die einzelnen Völker, denen Alexander auf seinen Feldzügen begegnete, sind deut­lich ausführ­licher als in den antiken Naturenzyklopädien, weil sie durchweg eine erzählerische Funktion im epischen Kontext haben. Der Makedonier Alexander, 356 v. Chr. geboren, unternahm ab 334 v. Chr. einen groß angelegten Feldzug gegen die Perser, den er bis zu seinem Tod 323 v. Chr. zur Eroberung der gesamten damals bekannten Welt ausweitete und 326 bis an den Indus vordrang. Das brachte Alexander dem Großen nicht nur bleibenden Weltruhm als größter Feldherr aller Zeiten ein, sondern gab auch Anlass zu einer Reihe von literarischen Ausgestaltungen des Lebens dieser Heldengestalt, die im Mittelalter zur populärsten der Antike avancierte. Die bald nach seinem Tod einsetzende Sagen- und Mythenbildung wurde in schrift­ licher Form allerdings erst über ein halbes Jahrtausend später, näm­lich um 200 n. Chr., in einem wohl in Alexandrien verfassten Alexanderroman greifbar. Bekannt wurde dieser unter dem Namen des Kallisthenes, eines Neffen des Aristoteles und Begleiters Alexanders, den dieser später hatte hinrichten lassen. Kallisthenes war aber sicher nicht der Autor, son­ dern seine Autorität als Augenzeuge wurde erst im Nachhinein herangezogen. Der heute als Pseudo-­Kallisthenes bezeichnete Roman, in den über die Jahrhunderte viel Wunderbares und Sagenhaftes über den Alexanderfeldzug eingeflossen war, bildete in der Folge die wichtigste Grundlage für zahlreiche mittelalter­liche Texte über Alexander den Großen, wobei der Stoff durch zwei lateinische Übersetzungen bekannt wurde, die in vielen abweichenden Versionen in Westeuropa zirkulierten. Die erste dieser lateinischen Übersetzungen war die um 300 durch den vermut­lich aus Nordafrika stammenden Julius Valerius Alexander Polemius entstandene Res gestae Alexandri Macedonis, die zweite die des neapolitanischen Archipresbyters Leo, die als Nativitas et victoria Alexandri Magni (nach 945) bezeichnet wird. Beide wurden im Mittelalter nicht durch

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Originalübersetzungen wirksam, sondern die des Julius Valerius durch eine stark verkürzte Version des 9. Jahrhunderts (Epitome), die des Leo dagegen durch eine im 11. Jahrhundert verfasste, interpo­ lierte (also mit späteren Ein­schüben versehene) und als Historia de preliis bekannte Fassung.9 Der Text ist deswegen wichtig, weil er einen Dialog zwischen Alexander und Dindimus, dem König der Bragmani (Brahmanen), über ihre unterschied­lichen Lebensformen enthält, der vermut­lich auf die stoische Philosophenschule zurückgeht. Dieser philosophische Diskurs wurde in der Folge auch auf Latein in Briefform bearbeitet und erfreute sich im Mittelalter ebenso wie der die Wunder Indiens beschreibende, fiktive lateinische Brief Alexanders des Großen an seinen Lehrer Aristoteles ausgesprochen großer Beliebtheit. In Letzterem werden ebenfalls Wundervölker genannt, etwa die Ippo­ tami (aber als Kentauren beschrieben), behaarte, neun Fuß große Wasserbewohner, sowie die hundsköpfigen Cynocephales. Neben dem Roman des Pseudo-Kallisthenes war in der Antike ein weiteres (pseudo-) historisches Werk über Alexander den Großen entstanden, die wohl Ende des 1. Jahrhun­ derts n. Chr. verfasste Historia Alexandri Magni Macedonis des Curtius Rufus. Sie zirkulierte im Mittelalter zwar ebenfalls in interpolierten Fassungen, war aber weniger einflussreich als der Roman, obwohl sie eine recht ausführ­liche Version der Sage über die Amazonen und deren Königin Thalestris enthielt. Die wichtigste Fassung des Romans im Mittelalter war dann die lateinische Alexandreis des Walter von Châtillon (auch Gualterus de Castellione, um 1135 in Lille geboren), ­welche die Basis für viele der westeuropäischen volkssprach­lichen Versionen bildete.10 In der Alexanderdichtung finden sich die Monster in einem ganz anderen Kontext als in den Enzyklopädien: Hier werden sie – obwohl Alexander 326 v. Chr. tatsäch­lich Indien erreicht – nicht etwa konzentriert auf Indien als Elemente einer Reisebeschreibung referiert, sondern treten an ganz bestimmten Stellen der Erzählungen auf, um diesen ein exotisches wie auch ein mora­lisches Element zu verleihen. Alexander »sammelt« in den Texten keine Wunderwesen (so wie später manche mittelalter­lichen Romanhelden, die Exemplare dieser Rassen als Souvenir mit nach Hause nehmen), sondern er wird unterwegs mit ihrem Aus­ sehen, ihren ­sozialen Gewohnheiten und ihren Ansichten konfrontiert, auf die er reagieren muss. Dies kann einerseits auf militärische Art sein, wenn er (wie im altfranzö­sischen Alexanderroman) auf die schwer bewaffneten Cynocephales trifft, die

Alexander und die Cynocephalen aus dem französischen Alexanderroman, Handschrift des frühen 14. Jahrhunderts

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Alexander trifft auf die Amazonen im altfranzösischen Roman d’Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45.

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ihn zur Schlacht herausfordern, was gerne bild­lich in den Handschriften dargestellt wird. Eine derartige Begegnung kann aber auch als Herausforderung an sein Selbstverständnis als Eroberer gerichtet sein, wenn er etwa mit den indischen Bragmani konfrontiert wird. Sie treten ihm nicht wie die meisten anderen Völker mit Waffen entgegen, sondern mit philoso­ phischer Argumentation; der erwähnte Briefwechsel ihres Königs Dindimus mit Alexander weist auf ihre Gewaltlosigkeit, Bedürfnislosigkeit und Askese hin, Eigenschaften, die Alexan­ der in seinem grenzenlosen Machtstreben nach Meinung von Dindimus und wohl auch der mittelalter­lichen klerikalen Verfasser des Werks gut anstünden.11 Was sahen die antiken Autoren in den Monstern?

Die Alexanderdichtungen haben die monströsen Menschenrassen zwar nicht selbst hervor­ gebracht, sondern ledig­lich aus den Reiseberichten und Enzyklopädien übernommen, waren aber für ihre Übertragung ins Mittelalter und die endgültige Popularisierung mitverantwort­ lich. Dabei stellt sich jedoch die Frage, was die antiken Autoren überhaupt zur Behandlung dieser Monster bewegte, und vielleicht noch darüber hinaus, was sie denn in ihnen sahen. Abgesehen von den tatsäch­lichen Erfahrungen des erwähnten Indienreisenden Megas­ thenes, der die Brahmanen ebenso wie die Praktiken indischer Yogis aus eigener Erfahrung kannte, oder Ktesias, der von den indischen Völkern zumindest durch die Schilderungen per­sischer Reisender wusste, gehörten eigentüm­liche Völker schon lange zur griechischen Ethnographie außereuropäischer Küstengebiete. In der Spätantike konnte jedoch längst nicht mehr davon die Rede sein, dass es sich um alleinige, allenfalls missverstandene Sichtungen tatsäch­licher Völker einzelner Reisender han­ delte. Zu sehr zeigt schon Plinius eine auffallende Tendenz, in Randbereichen der erfahrbaren Welt systematisch eine Reihe von mehr als nur exotisch anmutenden Völkern anzusiedeln. Zu sehr erweist sich schon bei ihm, dass diese Völker fast ausschließ­lich durch körper­liche Mängel, wunder­liche Diäten und – seltener – abweichende Sozialgewohnheiten gekennzeichnet sind. In die älteste Schicht der Alexanderdichtung wurden vorwiegend die andersartigen ­sozialen Ver­ haltensweisen übernommen. Nur sie boten ja die Gelegenheit, Alexander in seiner Hybris mit alternativen Moral- und Sozialvorstellungen zu kontrastieren und diesen Kontrast literarisch zu einer Begegnung zwischen dem mazedonischer Eroberer Alexander und dem vermeint­lich Fremden zu stilisieren, wobei sich Letzteres in erster Linie als eigene Sozialutopie oder wenigstens moralisierende Position entlarven lässt. Alexanders reale Begegnungen mit dem Fremden sind jedoch nicht die, die sich in der legendenhaften Literatur über ihn finden lassen – was bei dem immensen zeit­lichen Abstand von einem halben Jahrtausend zwischen Alexanderfeldzug und Alexanderroman auch überraschend wäre. Seine angeb­lichen Begegnungen mit dem Fremden in der Romanliteratur sollten nicht die historische Wahrheit wiedergeben, sondern dem Autor

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und Leser der Spätantike und noch mehr des christ­lichen Mittelalters als ethisch und sozial relevant für die politische und gesellschaft­liche Situation der eigenen Epoche erscheinen. Ob sich nun Alexander militärisch gegen die ihm Furcht einflößenden Hundsköpfigen beweisen muss oder den bedürfnislosen Gymnosophisten argumentativ unterliegt – dahinter könnte für Verfasser und Publikum nicht zuletzt die notwendige Konfrontation einer aristokratischen Elite mit erschreckend unbekannten Heeren wie dem der Mongolen ebenso wie die monastische Herausforderung der zisterzien­sischen Klosterreform stehen. Über den erwähnten fiktiven Brief Alexanders an Aristoteles fanden et­liche der Wunder­ völker Eingang in die mittelalter­liche volkssprach­liche Alexanderdichtung, selbst dort, wo sie im jeweiligen Original noch nicht ausführ­lich behandelt worden waren. Nicht nur in der Enzy­ klopädik, sondern auch in der Alexanderdichtung fanden sich dann Völker mit aus griechischer Sicht eigentüm­lichen Diäten (also ganz spezifischen Essgewohnheiten), so etwa die Fischesser (Ichthyophagi), denen Alexander – wohl in Sorge um den Fischbestand – den Genuss von rohem Fisch verbot. In den interpolierten Fassungen erscheinen auch Völker mit fremdartigen Aussehen wie etwa sechshändige Menschen, Kopflose (Blemmyae oder Acephales) und die Hundsköpfi­ gen (Cynocephales), die jedoch in erster Linie den Wunsch nach Exotismus bedienen sollten. Als Alexander auf die Gymnosophisten (auch Oxydraken) stößt, diese nackten oder nur mit Blättern bekleideten indischen Weisen, deren Alexanders Luftfahrt am Torbogen von Remagen am

Kenntnis wohl auf die Begegnungen des Megas­

Rhein, vor 1200

thenes mit indischen Yogis zurückgehen dürfte,

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entwickelt sich angesichts der kriegerischen Bedrohung durch Alexander ein Dialog oder in einigen Fassungen ein Briefwechsel zwischen Alexander und ihrem König Dindimus. Dieser macht Alexander auf die Sinnlosigkeit seines Eroberungsfeldzuges aufmerksam, da auch er nur ein sterb­licher Mensch sei und sein Werk daher mit ihm zu Ende gehe. Alexander beruft sich in der Diskussion zwar auf seinen Platz im Schöpfungsplan, doch die Kritik an seinem Machtstreben wird, obwohl ursprüng­lich von den Stoikern der Antike formuliert, von den klerikalen Verfassern des Mittelalters bereitwillig aufgegriffen. Eine ähn­liche Funktion als s­ oziales Korrektiv hat die angeb­liche Begegnung ­Alexanders mit dem Volk der Amazonen, auf die er im nörd­lichen Asien stößt. Sie senden einen Brief an ihn, in dem sie ihm die wohldurchdachte Struktur ihres Staatsgefüges erklären, und selbst der fiktive Alexander kann nicht umhin, die Klugheit und Umsicht ihrer s­ ozialen Organisa­ tionsform zu bewundern, obwohl dieses Reich nur von Frauen bewohnt und gelenkt wird – ein im mittelalter­lichen Westeuropa zweifellos höchst exotischer Zustand. In den Alexanderromanen, die die Kenntnis von den Amazonen weithin verbreiteten, heißt die Königin der Amazonen Thalestris. Sie tritt Alexander selbstbewusst gegenüber und schlägt ihm vor, statt eines für ihn wenig aussichtsreichen Kampfes gegen ihr kriegerisches Volk mit ihr ein Kind zu zeugen – zu einer Begegnung der beiden kommt es dann allerdings nicht. Einen Amazonenstaat, Themiskyra, soll es bis um 1200 v. Chr. am Schwarzen Meer gegeben haben. Alexander trifft jedoch in den literarischen Werken die Amazonen am Kas­ pischen Meer an und auch sonst werden sie in der mittelalter­lichen Literatur häufig weit im Norden verortet. Auffällig an den Amazonen wie den Gymnosophisten ist, dass sie es sind, die mit ihren Briefen die Initiative ergreifen und Alexander zu sich einladen und somit die üb­lichen Verhaltensmuster des Eroberers konterkarieren. Neben anderen Großtaten Alexanders, wie zum Beispiel seinem Flug in einem von Adlern gezogenen Korb oder seiner Tauchfahrt im Meer, ist seine nach mittelalter­licher Auffassung weit­ reichendste Tat der Sieg über die sogenannten schreck­lichen Nordvölker Gog und Magog. Von diesen wurde nicht nur behauptet, dass sie Menschenfleisch äßen, sondern sie wurden schon in den Prophezeiungen des Alten Testaments zu den größten Bedrohungen der zivilisierten Völker gezählt.12 Alexander jedoch kann sie besiegen und hinter einer von ihm errichteten Mauer am Kaspischen Meer einschließen, womit die Gefahr dieser apokalyptischen Völkerschaften für die Menschheit bis zum Jüngsten Tag gebannt ist: Erst dann werden sie aus ihrem Gefängnis aus­ brechen und zum Untergang der Welt beitragen. Die beiden Völker und die sie einschließende Mauer gehören in der Rezeptionsgeschichte der Alexanderdichtung, die hier einen bib­lischen Anknüpfungspunkt findet, zum Standard­inventar mittelalter­licher Ethnographie, soweit davon überhaupt gesprochen werden kann, und werden häufig auf den Mappae mundi, den Weltkar­ ten, dargestellt.13

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2.2. Monster im Mittelalter Wundervölker und christ­liche Theologie

In der Verbindung von bib­lischer Geschichte mit den Abenteuern Alexanders des Großen in Gog und Magog verdichtet sich auch das, was den Monstern an Gefähr­lichem anhaftet, nicht zuletzt, weil sie in der Bibel zu den apokalyptischen Gefahren gerechnet werden. Ihre Einkerkerung hinter der kauka­sischen Mauer durch Alexander macht zwar die Bedrohung nur zu einer unterschwelligen Gefahr, doch wo immer Gog und Magog auftreten, kann man davon ausgehen, dass sie die dunkle Seite der mittelalter­lichen Monster repräsentieren. Als Menschenfresser und Endzeitvölker haben sie nicht den harmlosen Charakter, den andere defiziente indische Wundervölker aufweisen. Es ist aber nicht das Vorkommen der Monster im Alten Testament, das dazu führte, dass die Monster in die theolo­gische Diskussion Eingang fanden, sondern die im Mittelalter vor­ rangige Frage nach dem Sinn und dem Stellenwert der Monster in Gottes Schöpfungsplan, die uns durch das ganze Mittelalter hindurch begleiten wird und gleichzeitig helfen kann, das Vorkommen der Monster in Literatur, Kunst und Wissenschaft zu erklären. Am Beginn der theolo­gischen Tradition steht der heilige Augustinus, der allein aufgrund seiner enormen Wirkmächtigkeit für das Mittelalter von größter Relevanz ist. Es mag überraschen, dass sich der afrikanische ­­Kirchenlehrer und Bischof von Hippo in Numidien in seinem nach 410 n. Chr. entstandenen De civitate Dei (Vom Gottesstaat) mit Monstern beschäftigte, aber diese Diskussion entspringt direkt der Reflexion über das Wesen der Menschen. Dazu gehört nicht zuletzt die Erweiterung auf Formen mensch­lichen Lebens, die als monströs erscheinen – gemeint sind Missgeburten und Missbildungen. So wie es diese »monströse[n], unter uns Menschen Geborene[n]« als Einzelwesen gäbe, so fänden sich auch »Arten von monströsen Menschen« unter den Menschenrassen. Diese Art der Erklärung werden wir auch bei mittelalter­lichen Theo­ logen und Enzyklopädisten wiederfinden, doch Augustinus gibt gleichzeitig die theolo­gische Interpretation der Monster vor, wenn er im selben Kontext von Gottes Schöpfungsplan sagt: Gott ist der Schöpfer von Allem, und er weiß selbst, wo und wann etwas geschaffen werden soll oder geschaffen worden ist, wissend, aus ­w elchen Elementen und Ähn­ lichkeiten und Unterschieden er die Schönheit des Universums webt […] 14

Daraus ergibt sich schon für Augustinus, dass er die Monster als unvermeid­liche oder sogar gewollte Teile der Schönheit von Gottes Schöpfung ansah. Nicht alle mittelalter­lichen Denker folgten ihm darin, wenn es darum ging, was die Monster »zeigen« oder bedeuten sollten, aber selbst wenn man Isidors alternative Etymologie des Begriffs im Sinne von »warnen« aufgreift,

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so bleibt es doch eine Tatsache, dass Monster ihren festen Platz in Gottes Schöpfungsplan haben und deswegen als Produkt des Willens Gottes gesehen werden müssen. Naturkunde und Monster

Eine auf den ersten Blick ganz eigene Tradition bildet das spätantike, frühchrist­liche Werk Physiologus (»der Naturforscher«, genauer »Naturphilo­ soph«), als dessen Verfasser man lange Zeit fälsch­ licherweise Aristoteles vermutete. Ursprüng­lich auf Griechisch an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhun­ dert n. Chr. unter Verwendung zahlreicher Quellen verfasst – darunter Homer, Herodot, Aristoteles, Plutarch, Ovid und Plinius –, wurde das Werk zwi­ schen dem 4. und 6. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt und erlangte bald ungeheure Populari­ tät. Dies bestätigen die über 250 mittelalter­lichen Handschriften in den verschiedenen Sprachen, von denen die ältesten erhaltenen lateinischen bis ins 8. Jahrhundert zurückreichen. Während die sogenannte y-Fassung mit ursprüng­lich 48 Kapiteln (die auch wunder­ bare Steine und wenige Pflanzen umfassen) dem griechischen Original am nächsten steht, ist es die b-Fassung, die für die Beschäftigung mit den Monstern relevanter wurde. Diese Handschrift mit ihren 36 Tieren in den mittelalter­lichen erweiterten Fassungen gab auch zur Aufnahme mensch­licher Monster Anlass, wenngleich nur die Kapitel über den Phoenix, das Einhorn sowie über die Sirenen und Kentauren »wunderbare« Wesen zum Inhalt haben. In diesen als Bestiarien bezeichneten mittelalter­lichen Texten, die sich zusehends von der ursprüng­lich naturkund­lichen Ausrichtung mit typolo­gischen Auslegungen des Physiologus entfernten, spielte die geist­liche (tropolo­gisch-mora­lische) Deutung der einzelnen Tier- und Wundermenschenrassen eine dominante Rolle. Diese Allegorese wurde im Laufe der Textge­ schichte immer mehr erweitert, sodass der naturkund­liche Teil zurücktrat und der tropolo­ gisch-mora­lische Aspekt die Oberhand gewann; zusätz­lich wurde der Text mit Zitaten aus der Bibel und der Patristik gespickt. So wurde die im Mittelalter gut bekannte Stelle aus dem Propheten Jesaja (13,22) über Babylon – »und ihr Haus ist voller Drachen, und dort wohnen Strauße, und Behaarte springen dort

Sirene und Kentauren in einem Bestiarium, um 1230

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Wundervölker in einem Bestiarium, nach 1277.

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herum; und es heulen die Eulen in den Gebäuden, und Sirenen in den Tempeln der Lüste« – meist etwas verunstaltet als »Sirenen und Dämonen springen in Babylon, und Igel und Honokentauren wohnen in ihren Häusern« wiedergegeben, worauf der Physiologus in der allegorischen Auslegung erklärte: »­solche [Tiere] wie Sirenen und Honokentauren verweisen auf die Gestalt der Dämonen.« Dabei gehörten sowohl Sirenen als auch (H)Onokentauren, Mischwesen aus Mensch und Esel, zu den Monstern, wobei interessant ist, dass im Text der Vulgata statt von Sirenen, Honokentauren, Igeln und Dämonen nur von Drachen, Straußen und nicht näher definierten Behaarten oder Stacheligen die Rede ist. Der Physiologus deutet die beiden Mischwesen so, dass sie diejenigen Christen symbo­ lisieren, die sich zwar einen gottgefälligen Anschein geben, aber in Wirk­lichkeit ketzerische Ansichten vertreten. Interessant ist auch der Hinweis, dass sie sich in der Gemeinde wie Men­ schen benehmen würden, sich aber allein gelassen wie die wilden Tiere aufführten:15 Schon die älteste Schicht des Physiologus insinuiert also für Mischwesen auch eine tierische Cha­ rakterseite, wie sie spätmittelalter­liche Autoren dann sprach­lich als viehisch lewt umsetzten. Im Deutschen zählt eine (fragmentarische) Übersetzung des Physiologus aus dem 11. Jahr­ hundert zu den ältesten längeren althochdeutschen Texten; es folgen weitere Übersetzungen in Prosa um 1120 und später im 12. Jahrhundert sogar in Reimform. Während sich diese deut­ schen Übersetzungen auf die Tierwelt konzentrieren und nur maximal 28 Kapitel umfassen, wurden in der angelsäch­sischen Tradition, die schon in volkssprach­lichen Übertragungen des 10. Jahrhunderts greifbar wird, die exotischen Tiere bald um Anhänge zu Fabeltieren und -rassen erweitert. Daraus entwickelten sich dann die sogenannten Bestiarien im engeren Sinn. Diese konnten im Gegensatz zu dem recht knappen Physiologus umfangreiche Ausmaße annehmen und Hunderte von Tieren und Wundermenschen behandeln, wobei in s­ olchen Fällen die Allegorese auch wieder reduziert wurde oder ganz entfiel. Wissenssammlungen bis zur Frühen Neuzeit

Obwohl neben den antiken Wissenssammlungen die Dichtungen um Alexander den Großen in der mittelalter­lichen Literatur weiterhin eine eigene Traditionsschiene bildeten, kam es dennoch zwischen den Enzyklopädien und den Alexandertexten zu einer intensiven gegen­ seitigen Befruchtung, besonders was den Austausch und die Sammlung der »Wunder Indiens« betraf, zu denen natür­lich auch die Wundervölker zählten. So wurden schon im 10. Jahrhun­ dert die Fabelrassen geradezu zum Synonym für die »Wunder des Ostens«, zu denen ja auch die Kunde von exotischen Tieren und Pflanzen sowie wunderbaren (Edel-)Steinen gehörte. Aber schon bald nach der Mitte des ersten christ­lichen Jahrtausends gab der bedeutendste Sammler des Wissens seiner Zeit, der Bischof Isidor von Sevilla im Westgotenreich, in seiner mächtigen Enzyklopädie, den Etymologiae oder auch Origines, dem Mittelalter nicht nur den

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Umfang der Wundervölkerverzeichnisse, sondern auch die anwendbaren Deutungsmuster vor. Isidor war dem antiken Ideal der enkyklios paideia (»der umfassenden Bildung«) auch im gotischen Spanien verpflichtet und erklärte in seinen Etymologiae fast die ganze bekannte Welt, ausgehend von den Begriffen und ihren etymolo­gischen Bedeutungen. Kein anderer spätantiker Autor wurde für das Mittelalter so wirksam wie Isidor, dessen Enzyklopädie mit gutem Recht als »das Grundbuch des Mittelalters« bezeichnet wurde. Es verbreitete sich nicht nur rasch in Zentral- und Südeuropa, sondern erreichte schon im 7. Jahrhundert auch die britischen Inseln. Isidor folgte in der oben gegebenen Definition der portenta im weiteren Sinn, unter die er auch die Monster zählt, ausdrück­lich dem römischen Enzyklopädisten Varro, dessen Werk allerdings heute verloren ist. Varro, den auch der heilige Augustinus sehr schätzte, hatte schon lange vor Isidor wie andere römische Denker versucht, die verschiedenen Wunder­ begriffe zu definieren. Doch gerade für die Monster wurde Isidor die Autorität schlechthin, weil er ein für lange Zeit gültiges Verzeichnis erstellte, das zunächst folgende Formen von Missgeburten auflistete: Sechsfingrige Menschen, Riesen, Pygmäen, Zweiköpfige, Dreiarmige, Cynodontes, Hermaphroditen.

Dann sprach Isidor dezidiert davon, dass es vergleichbar den Missgeburten unter den Men­ schen auf der Erde auch ganze Völker mit entsprechenden Deformitäten gäbe und führte folgende Monster an: Giganten, Hundsköpfige (Cynocephales), Zyklopen (Cyclopes), Agriophagiten (Wildfresser), Blemmyae, Flachgesichter, Großlippler, Kleinmündige, Zungenlose,

43 Panotier (Großohren), Artibatirae (nacktes wildes Volk), Satyrn, Feigenfaune, Skiopoden (Schattenfüßler), Antipoden (Gegenfüßler), Hippopoden (Pferdefüßige), Macrobii (langlebige Riesen), Pygmäen (Zwergwüchsige), Mädchenvolk.

Von diesen unterschied er ausdrück­lich die »erfundenen« portenta, die mit den mytholo­ gischen Mischwesen zu identifizieren seien: Gorgonen und Sirenen, Scylla, Zerberus, Hydra und Chimäre, Kentauren, Minotaurus, Onokentauren.

Die von Isidor so sorgfältig unternommenen Differenzierungen wurden in der verbreiteten Rezeption seines Werkes keineswegs beibehalten, sondern die meisten der genannten Wesen zählte man dann im Mittelalter in gleicher Weise zu den Monstern. So wurden die Völker der Kentauren und Onokentauren meist tatsäch­lich neben dem Minotaurus genannt, von dem es jedoch nur ein Exemplar gab und den Isidor im Gegensatz zu den meisten anderen genannten Wesen aus Ovids Ars amatoria übernommen hatte, während eine Reihe von anschließend aufgezählten »verwandelten Wesen« aus Ovids Metamorphosen stammten. Dazu gehören die in Schweine verwandelten Gefährten des Odysseus, die in Vögel verwandelten Begleiter des Diomedes, die Strigae und eine Reihe von nach antikem Glauben aus verdorbenem Fleisch geborenen Insekten. Diese Wesen wusste man im Mittelalter sehr wohl von den eigent­lichen Monstern zu trennen, sodass weiterhin selbst bei Mischwesen ein erkennbares mensch­liches Element zum Kennzeichen eines Monsters gehörte. Bei aller Systematik des Werkes werden aus wissensorganisatorischen Gründen die Fabel­ rassen bei Isidor zweimal abgehandelt: Zusätz­lich zu dem schon behandelten Kapitel über die Vorzeichen tauchen sie auch im geographischen Teil über Ägypten und Äthiopien auf. Neben Isidor übernahmen auch andere Enzyklopädisten, allerdings in wesent­lich gerin­ gerem Ausmaß, teratolo­gisches Material aus Plinius und Solinus. Isidor benannte 19 Wun­ dervölker im engeren Sinn, aus denen mittelalter­liche Autoren noch weitere kreierten.

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Auch Martianus Capella und Macrobius, beide an der Schwelle zwischen spätantiker Bildung und Enzyklopädik des frühen Mittelalters stehend, führten Monster auf. Das Werk des aus Karthago stammenden Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii (Die Hochzeit der Philologia mit Merkur) aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., kann trotz seines allego­ rischen Rahmens zur Naturphilosophie gezählt werden. Es enthält ein geographisches Kapi­ tel, in dem bei der Behandlung Äthiopiens und Indiens die dort ansässigen Wundervölker aufgezählt werden. In Äthiopien kannte Martianus die Trog(l)odyten, die ohne Ehe lebenden Garamantes, die Augilae und die Gamphasantes (auch Campasantes) sowie die Blemmyae, die Satyrn, die Aegipanes und die dünngliedrigen Himantopodes (Riemenfüßler). Zu Indien werden die Ichthyophagi genannt, im Norden der Welt, in der Nachbarschaft der Ripheischen Berge, noch die Arimaspi und die Amazones.16 Martianus wurde im Mittelalter nicht annähernd so ausgiebig rezipiert wie Isidor, was nicht nur am Mangel an Reflexion über das Monströse an sich, sondern auch an der etwas unorganisierten Aufbereitung des Materials lag. Dennoch bezog ein eigenwilliger Sammler wie Lambert von St. Omer in seinem Liber floridus im 12. Jahrhundert ein ganzes Kapitel über die Wundermenschen aus Martianus’ Werk, das er auch ausdrück­lich als Quelle angibt.17 Bei Macrobius, einem Anfang des 4. Jahrhunderts tätigen römischen Philosophen, stellte sich die Lage in seinem Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis, des letzten Abschnitts der De re publica, anders dar: Er ging zwar im Rahmen der Kosmologie ebenfalls auf die Antipo­ den ein, fasste diese aber keineswegs als Wundervolk auf, sondern sah in ihnen – ähn­lich den Antöken (Menschen auf der gegenüberliegenden Halbkugel, aber auf demselben nörd­lichen Breitengrad) – Menschen, die auf der anderen Seite der Welt wohnten.18 Da er sich um klare Sprache und verständ­liche Ausdrucksweise bemühte und in d ­ iesem Abschnitt eine relativ systematische Darstellung der Sieben Freien Künste lieferte, wurde er trotz seiner offenbar heidnischen Grundhaltung im Mittelalter häufig rezipiert, vor allem im Bereich der Musik, Astronomie und Kosmologie. Dabei war vor allem seine Haltung zu den Antipoden äußerst kontrovers, weil sie in letzter Konsequenz bedeutete, dass diese Wesen, obwohl mensch­lich, für den christ­lichen Missionsauftrag nicht erreichbar seien. Isidor blieb aber trotz der Rezeption dieser beiden Verfasser die maßgeb­liche Quelle für das Mittelalter. So übernahm der fränkische Benediktinermönch Hrabanus Maurus (um 780 – 856), später Erzbischof von Mainz, die Monsterbeschreibungen der geographischen Kapitel des Isidor fast unverändert in seine eigene Naturenzyklopädie De universo (XVI, 2), das eigent­liche teratolo­gische Kapitel über die Ursachen der portenta fehlt bei ihm allerdings. Weder Martianus Capella noch Hrabanus Maurus spielten jedoch bei der literarischen Vermittlung der Wundervölker im weiteren Mittelalter eine große Rolle. Erst zwei Ver­ fasser des frühen 12. Jahrhunderts wurden recht ausgiebig rezipiert, wie sowohl die Zahl

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der Handschriften als auch die Intensität der Übernahmen aus ihren Werken zeigen: der wohl im süddeutschen Raum tätige Honorius Augustodunensis (auch: Honorius von Autun) und der schon erwähnte flämische Mönch Lambert von St. Omer. Honorius Augustodunensis ist von besonderer Bedeutung für die Angaben über Wun­ dervölker, weil er innerhalb eines kosmographischen Abschnitts seines naturkund­lichen Kompendiums De imagine mundi zwar vor allem Isidors Etymologiae und Augustinus’ De civitate Dei ausbeutete, seine Informationen über mensch­liche Monster dagegen direkt aus den Collectanea des Solinus bezog. Honorius, trotz seines Beinamens »von Autun« wahrschein­lich ein süddeutscher Kleriker des frühen 12. Jahrhunderts, hatte im Gegensatz etwa zu ­Hrabanus Maurus sein Material neu aufbereitet, und vielleicht war es diese sich nunmehr deut­lich von Isidor unterscheidende Neuorganisation, die ihn vor allem für volkssprach­liche Werke zu einer beliebten Quelle machte, im Mittelhochdeutschen, Altfranzö­sischen und Altnor­ dischen in Skandinavien.19 Weniger häufig rezipiert, dagegen in einem Autographen aus der Zeit um 1120 und wei­ teren 15 mehr oder weniger vollständig erhaltenen Handschriften bestens überliefert, ist eine der originellsten und umfangreichsten Enzyklopädien des 12. Jahrhunderts, der Liber floridus des Lambert von St. Omer mit einer deut­lich naturkund­lich-historischen Ausrichtung. Das reich illustrierte Werk bietet zwar keine Abbildungen zu den Monstern, dafür aber eine ganze Reihe von Weltkarten, auf denen die Monster verortet werden konnten. Verzeichnisse von Wundervölkern finden sich dann nahezu im gesamten mittelalter­ lichen enzyklopädischen Schrifttum vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, das hier jedoch nicht vollständig behandelt werden kann. Einen Sonderfall unter diesen Werken bildet die umfang­ reichste mittelalter­liche Enzyklopädie, das Speculum majus des am Pariser Hof tätigen Domi­ nikaners Vinzenz von Beauvais. In d ­ iesem vierbändigen Werk werden Monster im Speculum naturale wie im Speculum historiale genannt. In Letzterem werden sie in der chronolo­gischen Darstellung der Weltgeschichte behandelt, wobei Vinzenz von Beauvais zuerst das entspre­ chende Kapitel bei Isidor leicht bearbeitend exzerpierte und anschließend direkt auf Solinus zurückgriff. Im Speculum naturale werden die Monster an zwei Stellen erwähnt: Im Rahmen des 17. Buchs, das von den Fischen handelt, werden ab Kapitel 100 auch eine Reihe von ausge­ falleneren Wasserbewohnern, Meermonstern und Meerungeheuern aufgeführt, darunter neben Delphinen, Krokodilen und Nilpferden ebenso Sirenen, Meermönche und Meerritter. Das 31. Buch dagegen,

Meermönch im Liber de natura rerum von Thomas von Cantimpré, 1417

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das vom Menschen handelt, enthält relativ ausführ­liche Abschnitte über die humanoiden Monster, wobei wiederum ab Kapitel 119 bei Isidor abgeschrieben wurde, dessen Angaben in den verbleibenden 13 Kapiteln durch Informationen aus Augustinus, Solinus, Varro, Jaques de Vitry und wiederholt dem Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré ergänzt wur­ den. Wie in den meisten anderen Naturenzyklopädien – mit Ausnahme der von Thomas von Cantimpré – verzichtete Vinzenz von Beauvais fast völlig auf allegorisierende Deutungen. Eine der Hauptquellen für Vinzenz von Beauvais dürfte die erst kurz vorher fertiggestellte Enzyklopädie De natura rerum (auch: Liber de natura rerum) des Thomas von Cantimpré (1201 – 1263/72) gewesen sein, der den fabelhaften Menschenrassen ein ganzes, wenn auch knappes Buch seines Werks gewidmet hatte. Seine ausführ­liche Behandlung der Wundervöl­ ker wie auch sein Abschnitt über die monstra marina hatte im Mittelalter nicht nur auf die Enzyklopädik großen Einfluss, sondern wurde auch separat tradiert, wie eine volkssprach­ liche franzö­sische, moralisierende Reimfassung zeigt. Für den deutschen Sprachraum gewann Thomas’ Werk durch die mittelhochdeutsche Bearbeitung durch Konrad von Megenberg besondere Bedeutung. In dieser ersten großen Naturkunde in deutscher Sprache, dem Puoch von der Natur, eigent­lich Puoch von den naturleichen dingen, des Konrad von Megenberg von circa 1350, trifft man erstmals eine umfangreiche Darstellung der Arten und Typen der Wundervölker an. Konrad von Megenberg, ein Regensburger Kanoniker, der in Paris studiert und in Wien unterrichtet hatte, bezog zwar sein Material aus einer der Fassungen des Liber de natura rerum von Thomas von Cantimpré, aber in seinen Überlegungen zu den Ursachen und der Entste­ hung der Wundervölker, ihrer Rolle im Schöpfungswerk und den kritischen Kommentaren ging er weit über seine Vorlage hinaus. Er beginnt seine Darstellung zunächst mit der Frage: Ain vrâg ist, von wannen die wundermenschen kömen, die ze latein monstruosi haizent, ob sie von Adam sein komen?  20 »Eine Frage ist es, woher die Wundermenschen kommen, die man auf Latein Monster nennt, ob sie näm­lich von Adam abstammen.« Obwohl Konrad von Megenberg mit seinem Werk ebenso wie seine Vorlage auf Kleriker abzielte, denen er damit eine Predigthilfe an die Hand geben wollte, ersparte er sich und seinen Adressaten keine unbequemen Fragen, unterbrach sich auch oft, um diese zu formulieren, und stellte schon am Anfang des Abschnitts über die Wundermenschen höchst selbstkritisch fest: nu vant ich ain puoch ze latein der selben lai,

Ich fand ein lateinisches Buch desselben

daz hât noch ains/ stucks mêr, daz sagt von

Inhalts, das hatte noch ein zusätz­liches Kapitel

den wunderleichen menschen. daz wil ich in

über die wunder­lichen Menschen, das ich aus

freuntschaft auch her zuo setzen, wan zwâr, ich

Freundschaft ebenfalls hier wiedergeben will,

gæb gern, hêt ich iht. 21

obwohl ich das lieber nicht getan hätte.

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Offenbar stand Konrad von Megenberg den Monstern und mirabilia zwiespältig gegenüber: Einerseits war es wegen des hier direkt ange­ sprochenen Interesses seines Publikums und seines noch typisch mittelalter­lichen Respekts vor seinen Quellen naheliegend, auch einen für ihn mehr als zweifelhaften Abschnitt aufzunehmen. Andererseits machte es die für ihn als Naturkundler greifbare mytholo­gische und phantastische Komponente vieler der Wunderwesen schwierig, sie in seinem Naturbuch zu erwähnen. Dennoch wies er auch eine poten­ zielle Kritik an den in den Quellen zu findenden Monstern schon von Anfang an zurück, indem er – anläss­lich einer sagenhaften Geschichte über den Delphin – auf die noch viel größere Unglaubwürdigkeit von Sagen über Riesen und Helden Bezug nahm: Nu sprechent manig zuo mir, daz diu wunder

Nun sagen viele zu mir, dass diese Wunder

lugen sein, und hœrent doch von türsen und

Lügen seien, aber gleichzeitig hören sie sich

von recken die grœsten lugen, die ich ie gehôrt.

über Riesen und Helden die größten Lügen an,

und dâ von, daz si der wunder niht gesehen

die ich je gehört habe. Dann sagen sie, dass

habent, sô gelaubent si ir niht. waz wil ich der?

sie die Wunder nicht glauben würden, weil

ich schreib daz ich weiz und dem ich wil und

sie sie nicht gesehen hätten. Was soll ich mit

dem der ez wil.

22

denen? Ich schreibe, was ich weiß und für den ich will und für den der es lesen will.

Interessant ist auch der recht modern wirkende Verweis darauf, dass seine Kritiker deswe­ gen nicht an Monster und mirabilia glaubten, weil sie noch keine gesehen hätten, sowie der Hinweis, dass er als Wissenschaftler sein Wissen eben so und nicht anders wiedergäbe.23 Konrad war aber keineswegs der Einzige, der sich in volkssprach­lichen Werken mit Monstern beschäftigte. Schon der Verfasser der sogenannten Wiener Genesis hatte sich 300 Jahre zuvor zumindest über die Herkunft der monströsen Menschen Gedanken gemacht, und auch die mittelhochdeutschen Weltchroniken versäumten es nicht, aus Anlass der Erzählung von der Besiedlung der drei Kontinente durch Noahs Söhne ebenfalls auf die »Wundermenschen« einzugehen: So wird sowohl in der Christherrechronik (um 1240 – 1280) als auch in der eng verwandten und ihr zugrunde liegenden Weltchronik des Rudolf von Ems (vor 1250) ein ganzer Katalog von Wundervölkern genannt, der mit Gog und Magog beginnt und auch sonst eher schauer­liche Beschreibungen, wie »die wilden Arimaspî und ouch die vinstern Cyclopes« enthält. Die Tradition der Chroniken und Historienbibeln – Bibeln, die mit welt­lichen Chroniken zu umfangreichen Geschichtswerken

Zyklopen in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480

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erweitert wurden – wirkte bis ins Zeitalter des Buchdrucks nach. So haben wir in der Chronica universalis des Hartmann Schedel aus Nürnberg, die 1492 auf Latein und 1493 auf Deutsch erschien, ein gutes Beispiel für die wissenschaft­liche Positionierung der Wundermenschen an der Wende zur Neuzeit: Auch hier tauchten sie in geographisch-kosmographischem Kon­ text auf, in der deutschen Ausgabe mit dem Titel Das buch der Croniken vnnd geschichten mit figuren vnd pildnussen von Anbeginn der Welt bis auff dise vnsere Zeyt sogar direkt in der Randleiste zu einer weitestgehend modernen, weil bereits genordeten Weltkarte. Hier waren die wichtigsten Wundervölker katalog­artig zusammengestellt: die Sechsarmigen, die behaarten Frauen, die Sechsfingrigen, die Kentauren, die Großlippler, die Vieräugigen und die Kranichhälse. Im Text wurden zwar noch weitere monströse Völker genannt, aber die Anordnung der oben Genannten direkt neben der Weltkarte verfehlte nicht ihre Wirkung: Wundervölker waren hier ohne Zweifel Teil der wissenschaft­lich erfassten Welt. Die wunderbaren Menschenrassen wurden aber das ganze Mittelalter hindurch, im Gegensatz zu anderen Gruppen enzyklopädischer Wissensinhalte, auch außerhalb über Hand­ bücher, Chroniken und kosmographische Zusammenstellungen weitervermittelt, und zwar in einzelnen Texten, die sich ausschließ­lich mit s­ olchen teratolo­gischen Fragen befassten. Zu diesen zählten etwa eine lateinische Versfassung von Isidors Kapiteln über Wundervölker und Fabeltiere, ein weiteres lateinisches Lehrgedicht über De monstris Indie, das auf Solinus und Honorius beruht, oder ein mög­licherweise schon aus dem 10. Jahrhundert stammendes Liber monstrorum (Buch der Monster), der die monströsen Menschen nicht nur aufzählt, sondern dazu auch ihre Herkunft behandelt. Diese zumeist natür­lich lateinischen Spezialtexte zeigen, dass über die historische und geographische Zuordnung der Monster in bestimmten Kontexten der Weltchronistik und Kosmographie hinaus offenbar ein spezialisiertes Sammlerinteresse an Monstern bestand, dem ­solche Texte entsprachen. Jedenfalls kann ohne Abstriche konstatiert werden, dass die monströsen Menschenrassen im Mittelalter von den Anfängen bis in die frühe Neuzeit ein wesent­licher Bestandteil des Wissens um die Welt waren.

03

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DIE MONSTER UND DIE WELT IM MITTELALTER

Wundervölker sind ein fester Bestandteil des mittelalter­lichen Bildes von der Erde mit ihren Kon­ tinenten und Ländern, im weiteren Sinn des christ­lich-abendländischen Weltbildes. Als dessen Teil treten sie besonders auf den mittelalter­lichen Weltkarten in Erscheinung, die gleichzeitig eine der Hauptquellen für unsere Kenntnis von den Monstern sind. Sie werden auf den Karten, im Unterschied zu den Wundervölkerverzeichnissen, nicht nur bild­lich dargestellt und häufig mit Legenden versehen, sondern auch bestimmten Ländern und historischen Ereignissen zugeordnet. Umso wichtiger ist es also, einen Blick auf die mittelalter­lichen Weltkarten zu werfen und das zugrunde liegende Weltbild zu beleuchten, und zwar – wenn es um die Wundervölker geht – besonders in geographischer und völkerkund­licher Hinsicht. Da auf den Weltkarten die Wundervölker fast durchweg geographisch zugeordnet werden und als Teil der Beschreibung bestimmter exotischer Länder auftauchen, sind sie Gegenstand der mittelalter­lichen Länderkunde (Chorographie). Werden sie dagegen als »real existierende« Völker neben anderen als Bewohner bestimmter Regionen aufgeführt, sind sie ein Teil der Ethnographie. Die Ethnographie, also die Beschreibung oder wenigstens Aufzählung der Völker der Welt, nimmt in der lateinischen abendländischen Enzyklopädik im Vergleich zur Länder­ kunde im engeren Sinn nur geringen Raum ein und beschränkt sich noch im Hochmittelalter auf die Völkertafeln mit den drei Söhnen Noahs – den sogenannten Noachiden – und ihren Nachkommen. In der Genesis wird davon erzählt, dass die Söhne Noahs, Sem, Cham (oder Ham) und Japhet, die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa besiedelt hätten, womit alle Menschen nicht nur von Adam, sondern auch von Noah abstammen müssten. Damit war aber nach Ansicht der meisten Theologen ausgesagt, dass alle Nachkommen Noahs – und somit auch Adams – nur auf den drei an dieser Stelle genannten Kontinenten lebten und Menschen auf einem vierten Kontinent, auch wenn dieser existieren sollte, nicht denkbar seien.1 Auf diese Stelle bezieht sich die chronika­lische Geschichtsschreibung, ebenso wie die Wundervölkerverzeichnisse in der enzyklopädischen Literatur. Im Folgenden soll daher zunächst ein Überblick über die mittelalter­lichen Vorstellungen von den Grundlagen der Kosmographie und der Geographie, dann über die der Ethnogra­ phie gegeben werden.

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Weltkarte mit Wundervölkergalerie im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493

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3.1. Die Erde im Mittelalter Trotz der heute immer noch weitverbreiteten Auf­ fassung, die Menschen hätten im europäischen Mittelalter an eine flache Erdscheibe geglaubt, las­ sen sich keinerlei Belege für eine s­ olche Vermu­ tung beibringen. Im Gegenteil, die Kenntnis der Kugelgestalt ging in Westeuropa seit ihrem ers­ ten Auftreten bei Pythagoras im 6. Jahrhundert v. Chr. bis zur Gegenwart nie verloren, obwohl es in der Spätantike ganz vereinzelt abweichende und zweifelnde Stimmen gab, die aber nie eine Rolle im wissenschaft­lichen Diskurs spielten. Das gän­ gige Konzept von der Erde als Kugel wurde nie in Frage gestellt. Sowohl Platon (427 – 347 n. Chr.) als auch Aristoteles (384 – 322 n. Chr.) sowie später Claudius Ptolemäus (2. Jh. n. Chr.) und schließ­ lich Macrobius (5. Jh. n. Chr.) vermittelten es dem frühen Mittelalter. Alle kosmographischen und geographischen Diskussionen über die Erde konzentrierten sich nicht auf ihre Form, sondern auf die Größe dieser Kugel, auf ihre Stel­ lung im Weltall und nicht zuletzt auf die Verteilung der Landmassen auf ihrer Oberfläche. Bis zur sogenannten Kopernikanischen Revolution des 16. Jahrhunderts herrschte seit der Antike durch das ganze Mittelalter die Meinung vor, dass sich die Erde im Mittelpunkt des Kosmos befinde. Um sie herum lagen dem damaligen Weltbild zufolge in konzentrischen – aber nur gedachten, nicht phy­sischen – Schalen die anderen Elemente, zuerst das Wasser, dann die Luft und schließ­lich der Äther, der für das Feuer stand. Die Erde als das schwerste der vier Elemente lag unten, also im Zentrum. Dass die Erdkugel – wenn auch nicht vollständig – von einer Wasserhülle in Form der Weltmeere umgeben ist, war offensicht­lich, auch wenn man sich über den Grad der Bedeckung der Erde durch Wasser, also die Größe der Weltmeere im Verhältnis zur Landfläche der Kontinente, uneins war. Die Lufthülle und der Äther dagegen waren weitgehend unerforscht und gaben daher Anlass zu zahlreichen Spekulationen über die Ursachen meteorolo­gischer Phänomene, die dort ihren Ursprung hatten – und zu denen auch Erscheinungen wie Sternschnuppen und Kometen gezählt wurden. Insgesamt wurden die Bereiche der vier Elemente als der sogenannte Sublunare Bereich zusammengefasst, weil sie unter der Sphäre des Mondes lagen. Diese bildete gemeinsam mit der

Weltallbild im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel,

Sphäre der Sonne und denen der fünf damals

lat. Ausgabe von 1493

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bekannten Planeten Merkur, Venus, Die Erde als Scheibe im mittelalter­

Mars, Jupiter und Saturn die sieben

lichen Denken?

Sphären des Kosmos. Nach außen

Niemand im Mittelalter stellte sich die Erde als

war dieser Teil des Kosmos durch

Scheibe vor. Zwar gab es in der Spätantike

das Firmament, an dem die Fix­

den Versuch des griechisch schreibenden

sterne lagen, und durch den soge­

ägyptischen Mönchs Kosmas, die Erde als

nannten Ersten Beweger, der auch

altarförmig zu beschreiben, doch er blieb

mit der Macht Gottes gleich­gesetzt

ohne jede Wirkung. Erst seit der Renaissance

wurde und von ihm ausgehen

und vor allem seit der Aufklärung versuchte

sollte, bzw. durch das Reich Gottes

man, das mittelalter­liche Weltbild lächer­

begrenzt. Somit lag das ganze Uni­

lich zu machen, indem man nicht nur die

versum in Gottes Hand, was auch

alleinstehende Aussage des Kosmas, sondern

immer wieder bild­lich dargestellt

die mittelalter­lichen Weltkarten (mappae

wurde, und die Erde geschützt im

mundi) heranzog, die in den Illustrationen

Zentrum desselben.

die bekannten drei Kontinente in der

Dieses im Prinzip eher einfache

Idealform des Kreises präsentieren. Diese

Weltbild erschien den mittelalter­

sollten allerdings nur die bewohnte Seite der

lichen Astronomen und Gelehrten

Erdkugel darstellen, während die Rückseite

aber ganz offensicht­lich unzuläng­

nach damaliger Sicht mit Wasser bedeckt

lich, da es eine ganze Reihe astro­

war. Das Verhältnis von Wasser und Land

nomischer und natür­licher Phäno­

stellte man sich mit etwa 1:3 relativ genau

mene nicht ausreichend erklären

vor. Mittelalter­liche Astronomielehrbücher

konnte. Deswegen wurde das Bild

bieten eine ganze Reihe von Beweisen, warum

des sphärischen Aufbaus der Welt

die Erde kugelförmig ist. So ist die abstruse

schon seit Claudius Ptolemäus in der

Vorstellung von einer scheibenförmigen Erde

Spätantike immer mehr erweitert,

offensicht­lich eine neuzeit­liche Erfindung,

um die Stillstände und Rückläufe

um die Rückständigkeit der mittelalter­lichen

von Planetenbahnen – die sich heute

Menschen belegen zu wollen.

leicht aus der ebenfalls elliptischen Umlaufbahn der Erde selbst erge­

ben – näher zu bestimmen. Diese Erweiterungen führten schließ­lich ab dem Hochmittelalter zu dem relativ komplexen Exzenter-Epizykel-Modell, bei dem die Planeten auf Kreisbah­ nen laufen, deren Mittelpunkte sich erst auf den eigent­lichen sphärischen Bahnen bewegen. Ebenfalls im 12. Jahrhundert erkannte man, dass Merkur und Venus offenbar nicht direkt um die Erde, sondern um die Sonne kreisen. Dennoch ging man weiterhin von einem geozen­ trischen Weltbild mit kreisförmigen Planetenbahnen aus, die sich auch in den vereinfachten

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Weltallbildern wiederfanden. Darin fand sich allerdings kein Platz für die Darstellung der komplizierten Planetenbewegungen von Merkur und Venus, ­welche die Astronomen durch­ aus korrekt errechneten. Selbst Mond- und Sonnenfinsternisse wurden über Jahrhunderte im Voraus auf wenige Minuten genau ermittelt, obwohl den Berechnungen ein aus heutiger Sicht völlig falsches Weltbild zugrunde lag. Anders stellten sich die Dinge dagegen bei dem bereits erwähnten, während des ganzen Mittelalters durchweg akzeptierten Bild von der Erde als Kugel dar. Hier beschäftigte sich die wissenschaft­liche Diskussion, wie gesagt, nurmehr mit ihrer Größe, Zahl und Lage der Kontinente sowie dem Verhältnis zwischen Landmasse und Wasser. Schon im 3. Jahrhun­ dert v. Chr. hatte der Alexandriner Eratosthenes Berechnungen des Erdumfangs angestellt, die mit einem Wert von 41.750 Kilometern dem tatsäch­lichen Äquatorialumfang von 40.075 Kilometern sehr nahe kommen. Seine These konnte sich aber nicht völlig durchsetzen, weil Strabo im 1. Jahrhundert v. Chr. einen Umfang von nur 27.000 Kilometern und dann ­Claudius Ptolemäus von 28.350 Kilometern errechnete. Beide Werte waren um gut ein Viertel zu gering, wodurch sich Folgen für die Umschiffbarkeit dieser kleiner berechneten Erdkugel ergaben, etwa die viel länger als erwartet dauernden Schiffsreisen der Entdecker wie Kolumbus. Die Kugelform der Erde wird in der Spätantike vereinzelt auch bei den Kirchenvätern ­­ wie Clemens (2. Jahrhundert) und Origines (185 – 254) erwähnt und dann natür­lich in Naturenzyklo­pädien wie denen des Macrobius und des Martianus Capella. Im wichtigsten Gott als Pantokrator in einer Bible moralisé, um 1250

Emblem der Welt in Gottes Hand

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Handbuch des frühen Mittelalters, den Etymologiae des Isidor von Sevilla, findet sich zwar die Eintei­ lung der Erde in Klimazonen, die eine kugelförmige Erde voraussetzen, doch keine Erläuterungen oder dezidierte Aussagen dazu. Diese hatte hingegen der heilige A ­ ugustinus bereits zuvor geliefert, indem er aus theolo­gischen Gründen die Existenz von Antipoden, also Menschen auf der Rückseite der Erdkugel, ausdrück­lich ablehnte und festhielt, dass diese Rückseite der Erdkugel ausschließ­lich von Wasser bedeckt sei. Den vierten Kontinent stellte man sich jedoch, falls überhaupt von Menschen besiedelt, von den Antipoden bewohnt vor – was nichts anderes als Gegenfüßler bedeutet und damit wertfrei die Bewohner der Erdrückseite bezeichnet. Diese aber zählte man aufgrund häufiger Verwechs­ lungen mit den Antipedes (also »Gegenfüßler« in einem anderen Sinn, näm­lich Menschen mit nach hinten stehenden Zehen!) schon früh zu den Monstern. Im Gegensatz zu Isidor sprach der große eng­lische Gelehrte und Benediktinermönch Beda Venerabilis (»der Verehrungswürdige«) um 700 die Kugelgestalt mehrfach ausdrück­ lich an und befasste sich sowohl mit ihrem Beweis als auch mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen: So etwa in seinem Werk zur Zeitrechnung, De temporum ratione,2 in dem er die Kugelform der Erde (terræ rotunditas) als Grund für die unterschied­liche Länge der Tage auf den verschiedenen Breitengraden behandelte. Er ist auch der erste mittelalter­liche Autor, der die Erdrundung genau beschrieb: Die Erde (orbis terræ) sei nicht rund wie ein runder Schild (scuti rotundus), sondern wie ein Ball von gleichmäßiger Rundung (pilæ undiqueversum æquali rotunditate persimili), womit er dem Begriff der Rundung jede Zweideutigkeit nahm. Diesen Vergleich hatten bereits in der Antike Seneca der Jüngere,3 Platon und auch Plinius der Ältere getroffen. Bedas Argumente wurden in der Folge sowohl von anderen nament­lich bekannten Autoren aufgegriffen als auch von ­solchen, deren anonyme Werke dann unter Bedas Namen überliefert wurden.4 In die Zeit kurz nach Beda fiel eine theolo­gische Kontroverse zur Antipodenfrage, die in der Neuzeit fälsch­licherweise als Beleg für eine Ablehnung der Kugelgestalt durch den heiligen Bonifatius angesehen wurde. In Wirk­lichkeit ging es jedoch um die schon von Darstellung zur Krümmung der Hydrosphäre in Johannes

­Augustinus angesprochene Frage nach der Existenz

von Sacrobosco Liber de Sphära. Übersetzung des Konrad

von Antipoden, die in der Bibel nicht erwähnt wird

von Megenberg: Deutsche Sphaera, Mitte 14. Jahrhundert

und die daher von vielen Klerikern des Mittelalters

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bezweifelt wurde. Die Frage ist in der Tat theolo­gisch heikel und wird uns noch ausführ­lich beschäftigen, wenn es um die Mensch­ lichkeit etwaiger Bewohner eines Antipodenkontinents geht. Im Jahre 748 schloss sich Papst Zacharias I. (741 – 752) in einem Schreiben an Bonifatius – damals Bischof von Mainz – dessen ablehnendem Urteil gegenüber dem irischen Missionar Virgil von Salzburg (um 700 – 784) an, der die Existenz von Antipoden befürwortete. Dar­ aus hat man auf eine formelle Verurteilung Virgils geschlossen, da dieser jedoch 749 zum Bischof von Salzburg ernannt wurde, dürfte kein grundsätz­licher Zweifel an seiner Rechtgläubigkeit bestanden haben und seine Auffassung vermut­lich von vielen seiner gelehrten Zeitgenossen geteilt worden sein. Auf den Glauben an die Kugelform der Erde hatte diese Ausei­ nandersetzung jedenfalls keinen Einfluss, und neben dem sehr viel populäreren, vor allem für die Predigtliteratur geeigneten Vergleich des ganzen Kosmos mit einem Ei – die Erde wäre darin der Dotter oder sogar nur der Samentropfen, die Schale das Firmament – blieb sie auch weiterhin gültig. In der Predigt Saelic sint die reines Herzens sint des deutschen Minoriten Berthold von Regensburg (um 1210 – 1272) kommen sowohl das Ei als auch der Ball vor. Daneben findet sich seit dem 13. Jahrhundert auch der Apfel als Symbol für die Erde, was bis zu Martin Behaims Erdapfel, dem ersten erhaltenen Globus aus dem Jahre 1492, der die Erde noch ohne die amerikanischen Kontinente zeigt, fortwirkt. Auch der Reichsapfel in der Hand des Herrschers symbolisiert unter anderem die Erde als Ganzes, insbesondere wenn Gott als Himmelsherrscher die Erde in seiner Hand trägt. Die Kugelgestalt der Erde wurde schließ­lich ebenso wie die Geozentrik des Weltalls bis in die Neuzeit hinein durch das vor 1220 verfasste mittelalter­liche Standardlehrbuch der Astronomie, den Liber de Sphæra des nordeng­lischen Klerikers Johannes von Sacrobosco, festgeschrieben. In d ­ iesem finden sich nicht nur mehrere astronomische Beweise für die Kugelform der Erde, sondern auch als Beleg für die gekrümmte Form der Hydrosphäre der schon bei Plinius erwähnte anschau­liche Hinweis, dass das Land von der Mastspitze eines Schiffes früher zu sehen ist als vom Deck. Dies wurde von Johannes von Sacrobosco meist auch illustriert, und sein lateinisches Büchlein wurde schließ­lich zum Lehrbuch des Astrono­ mieunterrichts an mittelalter­lichen Universitäten. Da es aufgrund seiner enormen Popularität auch in die Volkssprachen übersetzt wurde, darunter ins Deutsche – neben zwei anderen Übertragungen auch in einer des Konrad von

Der Erdapfel des Michael Beheim

Megenberg –, erlangte es offenbar ab Mitte des 14. Jahrhunderts auch

von 1492

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weite Verbreitung außerhalb der Gelehrtenkreise, etwa im städti­ schen Bürgertum. Die Akzeptanz der Kugel­ form der Erde hatte, da ihre Umrundbarkeit somit theore­ tisch mög­lich erschien, direkte Auswirkungen auf den Glau­ ben an die Monster im Mittel­ alter. Allerdings vermutete man eben auch, dass die Erdkugel zum allergrößten Teil von Was­ ser bedeckt sei, und demzu­ folge blieb die Mög­lichkeit ihrer Umrundung vorerst tatsäch­lich theo­retisch. Wenn man aber die schon seit der Antike immer wieder auftauchenden Hin­ weise auf die Existenz eines vierten Kontinents akzeptierte, des Süd- oder Australkontinents, der ab dem 6. Jahrhundert durch die Weltkarten des spanischen Mönchs Beatus von Liébana Eingang in die Kartographie fand, dann begann die Mög­lichkeit der Erdumrundung und damit auch die Entdeckung dieses Kontinents auf der Rückseite der Erdkugel Wahrschein­ lichkeit anzunehmen. Geht man zudem von einem um ein Viertel zu kleinen Erdumfang aus, der von Strabo und Ptolemäus errechnet worden war und noch von großen Gelehrten wie dem Dominikanergeneral Albertus Magnus und dem franzö­sischen Kardinal Pierre d’Ailly (1352 – 1420) im Hochmittelalter übernommen wurde, dann schien die Erreichbarkeit des Australkontinents durchaus realistisch. Ab dem Hochmittelalter spekulierte man dann konkret über die praktische Umrundbar­ keit der Erde, etwa in der Image du monde des Walter von Metz (um 1245 entstanden), in der er davon spricht, dass zwei Männer, die Europa in gegensätz­licher Richtungverlassen würden, auf der Rückseite der Erdkugel wieder aufeinandertreffen müssten. Diese lo­gische Folgerung wird in manchen der Handschriften auch durch eine Illustration erläutert, in der zwei Pilger oben auf dem Erdball einander den Rücken zukehren, um unten wieder aufeinanderzutreffen. ­solche Beschreibungen wurden spätestens ab der Mitte des 14. Jahrhunderts auch literarisch verwertet, so etwa in dem verbreitetsten, wenn auch fiktiven Reiseroman der damaligen Zeit Skiopode auf dem Südkontinent einer Weltkarte zum

von John of Mandeville (wohl um 1360 in Flandern

Apokalypsenkommentar des Beatus von Liebana, Hand-

verfasst). Darin spielt nicht nur die Kugelgestalt der

schrift von 1068, Burgo de Osma

Erde eine ganz selbstverständ­liche Rolle, sondern

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auch die Anekdote über einen Mann, der versehent­lich so weit geht, dass er wieder in seiner Heimat ankommt. Zwar widerspricht diese Geschichte den sonstigen Aussagen des Autors, nach denen sich hinter China auf der Rückseite der Erdkugel ein riesiger Ozean befinde, in dem zunächst noch Japan liege – aber um ­solche sach­lichen Details geht es dem Verfasser gar nicht, sondern eher um die theoretische Mög­lichkeit einer Umrundung des Erdballs. Dass ­Kolumbus 1492 auf seiner ersten Reise nach Amerika zwei der genannten Bücher, näm­lich das des Pierre d’Ailly und das des John of Mandeville mit sich führte, überrascht daher nicht. Sowohl die portugie­sischen als auch die spanischen Entdeckungsfahrten des späten 15. Jahrhunderts beruhten somit auf dem antiken und mittelalter­lichen Modell von der Kugelgestalt der Erde.

3.2. Die drei Kontinente und die Weltkarten In der Antike war der Horizont auf den das Mittelmeer umgebenden Raum beschränkt, der von den antiken Geographen als Oikomene (Ökumene), als Lebensraum der ihnen bekannten Menschheit beschrie­ ben wurde. Bereits in den Jahrhunderten vor Christi Geburt verbreiteten sich Nachrichten über entferntere Gegenden: Kaufleute, Diplomaten, Söldner und andere Reisende berichteten über Indien, aus den sagenumwobenen, im Alten Testament erwähnten Gebieten Arabiens und Nordafrikas (Ägypten und das Reich Seba im heutigen Jemen) sowie von den Küsten und Inseln West- und Nordeuropas.5 Asien, Europa und Afrika (meist in dieser Reihenfolge ihrer Bedeu­ tung!) waren somit bis weit in die Frühe Neuzeit hinein die relevanten drei Kontinente. Sogar im 19. Jahrhundert lebte noch diese Dreiteilung der Welt in der formalen Weltbeschreibung in Hand- und Schulbüchern weiter, obwohl man seit dem Ende des 15. Jahrhunderts Nord- und Südamerika, seit Ende des 18. Jahrhunderts dann auch Australien entdeckt und erforscht hatte.6 Mittelalter­liche Weltkarten, die als Mappae mundi bezeichnet werden, hatten im Gegen­ satz zu den schrift­lichen geographischen Beschreibungen der Erde, die eher als situs orbis bekannt sind, eine andere Intention als heutige Karten und dürfen nicht nach heutigem Verständnis als richtig oder falsch bewertet werden. Zwar haben die mittelalter­liche und die moderne Kartographie ein gemeinsames Anliegen, näm­lich die Welt wirk­lichkeitsgetreu darzustellen, doch die Auffassungen darüber, wie sich diese Wirk­lichkeit konstituiert, sind gänz­lich andere.

Illustration zur Umrundbarkeit der Erde in der altfranzösischen Prosa­ fasssung der L’Image du monde des Walter von Metz, Handschrift um 1245

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Moderne Kartographie basiert auf der Annahme, dass die Erdoberfläche mithilfe von geometrischen Projektionen einigermaßen maßstabgerecht und somit realistisch darstellbar ist. Die verschiedenen Methoden der Gradprojektion können Verzerrungen bei der bild­ lichen Wiedergabe zwar nicht völlig aufheben, aber doch s­ olchermaßen ausgleichen, dass die ganze Erdoberfläche entweder in zwei Kreisen oder einem läng­lichen ellipsoiden Bild­ streifen abgebildet werden kann. Mittelalter­liche Weltkarten gehen ebenfalls von einer wahrheitsgetreuen Darstellungsform aus, aber sind nicht maßstabgerecht, sondern orientieren sich in der Darstellung entweder an der idealen Kreisform oder den Vorgaben des rechteckigen Pergamentblatts und folgen bei der inneren Organisation der Karte der Wichtigkeit der entsprechenden Informationen. Insofern ist die Größe Asiens, die das doppelte jener von Europa und Afrika ausmacht, nicht nur auf die damals bekannte Größe der Landmasse zurückzuführen, sondern beruht vor allem auf der Bedeutung Asiens als Anfangs- und Endpunkt der christ­lichen Heilsgeschichte, mit dem Paradies im äußersten Osten (auf der Karte oben!) als Anfang und Jerusalem als Erfül­ lungsort der Heilsgeschichte im Zentrum der Karte und damit zugleich im Schnittpunkt der drei Kontinente gelegen. Nur als Umrahmung der drei bekannten Kontinente kommt der – für die Menschheitsgeschichte weitgehend irrelevante, weil unbekannte – Ozean ins Bild. Die Inseln, soweit bekannt und erwähnenswert, rücken allesamt nahe an den Rand der Kontinente, um darstellbar zu bleiben. Zwar nahm man auch im Mittelalter – aus naheliegenden Beobachtungen – an, dass der Großteil der Erdoberfläche von Wasser bedeckt sei (heute gehen wir von 71 % aus), aber das genaue Verhältnis zwischen Wasser und Erde und nicht zuletzt deren Verteilung blieben bis an die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, näm­lich bis zur endgültigen Entdeckung und Erforschung Australiens durch James Cook ab 1768, Gegenstand von Spekulationen. Der an kosmographischen Fragen äußerst interessierte franzö­sische Kardinal Pierre d’Ailly besprach in seiner Naturenzyklopädie Imago mundi verschiedene Thesen zum Ver­ hältnis von Wasser zu Land auf der Erdoberfläche, näm­lich die des Ptolemäus (5:1 bzw. 3:1), Aristoteles und Averroes (3:1), Esdras (1:6) und Al-Battani (11:1), stellte aber fest, dass seiner Meinung nach ein Viertel der Erdoberfläche bewohnbar sei, was nicht allzu weit von unseren heutigen Kenntnissen entfernt ist. Es ist ein Missverständnis der Forscher seit der Frühen Neuzeit, anzunehmen, die kreis­ förmigen Ökumenekarten mit ihren drei oder vier Kontinenten setzten ein scheibenförmiges Weltbild voraus. Die auf den Mappae mundi bei der Integration von drei oder vier Konti­ nenten in die Kreisform entstehenden Verzerrungen tat­säch­licher Größenverhältnisse waren ebenso irrelevant wie die Entfernungen der Orte voneinander. Während es eines der Haupt­ anliegen moderner Karten ist, die relative Lage von geographischen Punkten zueinander zu

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bestimmen und diese Entfernungen maßstabge­ treu wiederzugeben, war dies für die mittelalter­ liche Universalkartographie völlig nebensäch­lich. Die Einträge auf mittelalter­lichen Weltkarten sind auch nicht auf die im heutigen Sinn geographischen oder topographischen beschränkt, sondern konn­ ten alle Bereiche des Lebens und der Geschichte umfassen: Auf größeren Karten wurden die wich­ tigsten Punkte der Topographie, der Ethnographie und der Naturkunde wie der Heilsgeschichte und selbst der Literatur- oder wenigstens der Sagen­ geschichte eingezeichnet, und zu diesen zählten die Wundervölker als Teil der Welt- und Heilsge­ schichte selbstverständ­lich auch. Es gibt mehrere Typen von mittelalter­lichen Mappae mundi, die uns verschiedene Aspekte des mittelalter­lichen Weltbildes überliefern. Die soge­ nannte Zonenkarte zeigt mit ihrem Eintrag temperata australis (»gemäßigter [das heißt bewohnbarer] Südkontinent«) zwar die Kugelform der Erde mit den klimatischen Bedin­ gungen, enthält jedoch außer den Namen der Kontinente nur wenige Legenden. Für ausführ­lichere Informationen sind wir auf die sogenannten T-O-Karten angewiesen, die die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa als T in einem Kreis darzustellen versuchen. Von den drei Erdteilen war Asien flächenmäßig der größte und theolo­gisch der bedeutendste. Hinzu kam auch eine wirtschaft­liche Relevanz, denn alles, was man in Europa seit Beginn der Pilgerfahrten nach Palästina und dann in verstärktem Ausmaß durch die Kreuzzüge ab dem Ende des 11. Jahrhunderts an Luxusgütern kennenlernte, stammte aus Asien: Gewürze und exotische Früchte ebenso wie Baumwolle, Seide oder Weihrauch. Das, was sich von Norden über die ganze Osthälfte nach Süden erstreckt, wird Asien genannt. In ­d iesem Teil der Welt gibt es überall Schönheit und Pracht, gibt es Länder mit reichen Ernten, Gold und Edelsteinen. Dort ist auch die Mitte der Welt, und so wie dort die Erde in jeder Hinsicht schöner und besser ist als in anderen Gegenden, so waren auch die Menschen dort mit allen Gaben am ausgezeichnetsten, mit Klugheit und Stärke, mit Schönheit und Fähigkeiten aller Art.

Zonenkarte im Liber floridus des Lambert von St. Omer,

(Snorri Sturluson: Edda, Prolog 2)

Handschrift des 12. Jahrhunderts

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So euphorisch wie der Isländer Snorri Sturluson um 1225 äußerten sich auch andere euro­ päische Autoren des Mittelalters, wenn es um das sagenhafte Asien im Vergleich zu Europa ging. Nur Asienreisende zeichneten ein differenzierteres Bild. Zu dem religiösen und dem ökonomischen Aspekt kam als dritter der sagengeschicht­liche hinzu: Fast alles, was auf die­ ser Erde als wunderbar galt und man aus der antiken Literatur wie dem Alexanderroman, dem Trojaroman und den bib­lischen Schriften kannte, kam aus Asien: die vier Paradiesflüsse, die aus dem mit einem Flammenwall umschlossenen Paradies strömten, die wundersamen Gewächse Südostasiens, die Elefanten Indiens neben anderen wundersamen Tieren und eben auch die Wundermenschen. Jenseits des Paradieses im äußersten Osten Asiens lag nur der Ozean, an Inseln wurde dort allein Cipangu (Japan) jenseits von Cathay (China) verzeichnet. Die südöst­liche Küste Asiens wurde dagegen von einer Reihe vorgelagerter Inseln bekränzt, etwa die sagenhafte Insel Tile – die häufig mit der im Nordatlantik liegenden und wohl mit Island zu identifizierenden Insel Thule verwechselt wurde, aber wohl Sri Lanka bezeichnete – und die angeb­lich an Gold und Silber überaus reichen Inseln Crysen und Agiren. Im Südwesten endete Asien am Roten Meer; die Grenze zwischen Afrika und Asien verlief von dort entlang des – noch lange nicht erforschten – Verlaufs des Nils zum Osten des Mittelmeeres, wo sich an der Schnittstelle der drei Kontinente das Zentrum der bewohnten Welt befand, die Stadt Jerusalem als umbilicus mundi (»Nabel der Welt«). Vom Heiligen Land verlief die Grenze zwischen Asien und Europa nach Norden über die Dardanellen und das Schwarze Meer am Fluss Tanais (Don) entlang nach Norden, wo dieser im äußersten Norden der bekannten Erde in den Ripheischen Bergen am nörd­lichen Ozean entsprang. Auch nörd­lich von Asien lagen Inseln, diese noch fabelhafter als die des Indischen Ozeans, da sie – wie die geheimnisvollen Inseln Bizes und Crisolida – dem Alexanderroman entnommen und meist auch mit Fabelmenschen besiedelt waren. Ebenfalls im kalten Nordwesten Asiens stellte man sich die menschenfressenden Völker Gog und Magog vor. Während also Asien die ganze Osthälfte der bewohnten Erde einnahm, teilten sich Afrika und Europa den Westen der Ökumene, wobei Europa das nordwest­liche, Afrika das südwest­liche Viertel einnahm. Afrika, in den älteren Quellen auch als Libyen bezeichnet und später oft als Ganzes mit Mauretanien oder Äthiopien gleichgesetzt,7 war der mit Abstand am wenigsten bekannte Erdteil der alten Welt. Zwar waren die in der Spätantike christianisierten Provinzen an der nordafrikanischen Mittelmeerküste den antiken und noch den frühmittelalter­lichen Schrift­ stellern wohl vertraut, das Vordringen des Islam ab dem 7. und 8. Jahrhundert schob jedoch der europäischen Erkundung Afrikas über Jahrhunderte einen Riegel vor und dementspre­ chend spär­lich waren auch die hochmittelalter­lichen Kenntnisse über diesen »Erdteil«. Abge­ sehen von den nörd­lichen Landstrichen am Mittelmeer galt vor allem das Innere Afrikas

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als Wohnort fabelhafter Völker und Tiere, den Südteil des Kontinents hielt man wegen der starken Sonneneinstrahlung am Äquator für unbewohnbar. Als entscheidendes Merkmal für die Lokalisierung der Monster auf der gedachten Karte der Erde kann ihre Verdrängung an den Rand der bewohnten Ökumene gelten. Diese Mar­ ginalisierung betraf nicht nur Indien oder einen imaginierten weiteren Kontinent süd­lich von Afrika, sondern auch alle anderen Randbereiche: Dafür boten sich in erster Linie die von Europa mög­lichst weit entfernten Küstenli­ nien Afrikas und Asiens an, wobei sich durch die

Wundervölker im äußersten Süden auf der Ebstorfkarte,

Ausdehnung Asiens über die ganze Osthälfte des

13. Jahrhundert, zerstört 1944

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Erdkreises die Mög­lichkeit ergab, Monster dort vom Süden bis in den äußersten Norden anzusiedeln, wie die wenigen großformatigen Weltkarten belegen. Die Lokalisierung von Monstern in Gegenden Westasiens, die wir heute als Sibirien identifizieren würden, führte aufgrund des mittelalter­lichen Kartenbildes – und geographi­ schen Konzepts überhaupt! – dazu, dass diese Monster in die Nähe Skandinaviens rückten, das den extremen Norden Europas darstellte. So werden monströse Menschenrassen wie etwa die Hornfinnen (cornuti Finni) tatsäch­lich in den unbekannteren Gegenden des öst­ lichen Skandinavien, wie Finnland und Karelien, lokalisiert. Schon die älteste bekannte Beschreibung Skandinaviens, die kurz nach 1070 verfasste berühmte ­­Kirchengeschichte der Hamburger Bischöfe (Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum), liefert im ausführ­lichen vierten Buch nicht nur recht aufschlussreiche Beschreibun­ gen von Dänemark, Norwegen und Schweden, sondern erwähnt auch zahlreiche monströse oder teilweise monströse Völker.8 In dieser Darstellung verband der Historiker Adam von Bremen antike Überlieferungen – vorwiegend aus Solinus und Isidor entnommen – mit sagenhaften, zum Teil mytholo­gischen Geschichten aus Skandinavien zu einer umfangrei­ chen Schilderung der entlegeneren Gebiete Nord- und Nordostskandinaviens, die jenseits der baltischen Gebiete lagen und für Reisende mehr oder weniger unerreichbar waren: IV.19: Auch sonst gibt es noch viele Inseln in ­d iesem Meer, alle voller wilder Barbaren; die Seefahrer meiden sie deshalb. Auch sollen an diesen Küsten des baltischen Meeres Amazonen leben, heute heißt es ›Frauenland‹. Man erzählt, sie sollen durch einen Schluck Wasser Kinder empfangen. Andere berichten, sie würden von vorbeifahrenden Händlern schwanger, von Gefangenen, die sie bei sich haben oder von anderen, seltsamen Wesen, die dortzulande häufig sind, und das halte ich auch für glaubwürdiger. Geboren würden alle männ­lichen Wesen als Hundsköpfe, alle weib­lichen als wunderschöne Mädchen. Sie leben zusammen und verachten den Umgang mit Männern, die sie sogar mannhaft verjagen, falls sich ­w elche nähern. Hundsköpfige haben das Haupt an der Brust. In Rußland sieht man sie oft als Gefangene, und sie bellen die Worte heraus. Dort gibt es auch Alanen oder Albanen, die sich selbst ›Wes‹ nennen, sehr grausame Ambrones. 9 Grauhaarig werden sie geboren. Der Schriftsteller Solinus erwähnt sie. Ihr Land ­s chützen Hunde. Wenn es zum Kampfe kommt, stellen sie eine Heerordnung von Hunden auf. Auch bleiche und grüne Menschen leben dort, sowie Macrobii, das sind lange, die Husos genannt werden. Nach ihnen kommen die, ­w elche Anthropophagi genannt werden und Menschenfleisch essen. Auch gibt es dort noch viele andere merkwürdige Wesen, die Seefahrer nach ihren Erzählungen oft gesehen haben wollen. Doch halten das unsere Leute für unwahrschein­lich.

63 IV, 20: Soviel kann ich über das Baltische oder Barbarenmeer aussagen, das bis auf den oben genannten Einhard, soweit ich weiß, kein Gelehrter erwähnt hat. Aber vermut­ lich meinten die alten Römer dieses Meer unter so andersartigen Bezeichnungen wie Skythen- oder Mäotisches Gewässer, Getenwüste oder Skythenküste, von der Martianus sagt, sie sei dicht bewohnt von allerlei verschiedenen Barbaren. Er nennt hier die Geten, Daker, Sarmaten, Alanen, Neutrer, Gelonen, Anthropophagen und Troglodyten.

IV, 25: […] Im Osten end­lich reicht es [Schweden] bis an die Ripheischen Berge, wo weite, öde Räume, Schneemassen und Horden mensch­licher Ungeheuer ein Weiterkommen unmög­lich machen. Dort leben Amazonen, Hundsköpfe, Cyclopen mit einem einzigen Auge auf der Stirn, ferner Leute, die Solinus Himantopoden nennt, weil sie auf einem Fuße hüpfen, und Menschenfresser, die man deshalb meidet und zu Recht mit Schweigen übergeht. 10

Diese Beschreibungen wurden in der Forschung der letzten beiden Jahrhunderte häufig fehl­ interpretiert, indem sie als ethnographische Berichte statt als Auszüge aus der klas­sischen Literatur über die Nordvölker angesehen wurden. Zwar stimmt die Darstellung Adams von Bremen nicht völlig mit dem von ihm zitierten Solinus überein, seine Intention war jedoch, die antike Tradition mit der skandinavischen Überlieferung in Überstimmung zu bringen. Am anschau­lichsten wird dies in seinen Beschreibungen der Amazonen, in denen er ausge­ hend von den Schriften des Solinus und des Martianus Capella, der einen Amazonenstaat 11 in Skythien zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer erwähnte – also dem äußersten Nordwesten Asiens –, diese mit dem aus der skandinavischen Literatur bekannten Kvennaland verband, das öst­lich des Bottnischen Meerbusens liegen sollte. Davon ausge­ hend, dass das altnordische kvenna »Frau« bedeutet, gaben die mittelalter­lichen lateinischen Autoren in Skandinavien dieses dann als terra foeminarum, also Frauenland, wieder. Dass es seinen Namen eigent­lich vom kare­lischen Stamm der Kvenir oder Quenir ableitete,war dabei irrelevant.12 Dies schlug sich auch auf den Mappae mundi nieder, die die Amazonen an der Grenze von Asien zu Europa im Norden und nicht wie in den antiken Quellen am Schwarzen Meer ansiedelten.13 Auch die europäischen Inseln – und selbst Festlandskandinavien stellte man sich teilweise als Insel vor – wie Thule (Island), Irland und die Britischen Inseln lagen an den äußersten Rändern des Kartenbildes und waren daher nicht davor geschützt, zu Wohnstätten der Mons­ ter erklärt zu werden. Dennoch waren selbst eng­lische Gelehrte aufgrund der randständigen Lage ihrer Insel unsicher, ob nicht doch Monster dort vorkommen könnten, und die von Geoffrey von Monmouth überlieferte Geschichte, dass Stonehenge ursprüng­lich von Riesen

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aus Afrika auf dem Mount Killaraus in Irland errichtet worden sei, verdeut­licht die Nähe der im Ozean situierten Inseln zu den afrikanischen Wohnorten der Monster.14 Noch auffälliger ist die Annahme der Existenz von Monstern im äußersten Westen Euro­ pas in einem isländischen Text des 13. Jahrhunderts, der Eiríks saga rauða (Saga von Erik dem Roten), die sich mit der Entdeckung und Besiedlung Grönlands sowie mit einigen Expedi­ tionen von dort nach Amerika nach dem Jahr 1000 beschäftigt. Das neu entdeckte Vinland wird heute aufgrund archäolo­gischer Funde mit der Insel Neufundland vor der kanadischen Ostküste identifiziert,15 doch selbst auf frühneuzeit­lichen Karten aus Island wird Vinland noch immer als Teil von Grönland und somit von Nordeuropa dargestellt, mit dem Grönland nach mittelalter­licher Ansicht verbunden war. Dort also, in Vinland, begegneten die auf einer Expedition nach Westen befind­lichen grönländischen Wikinger einem mit Pfeil und Bogen bewaffneten Einfoeting (Einfüßigen), dessen Beschreibung ihn als Skiopoden kennzeichnet. Wie aber kommt dieser nach Amerika? Die Antwort darauf gibt uns – und wohl auch dem Sagaschreiber des 13. Jahrhunderts – ein isländischer Text aus demselben Jahrhundert, der beschrieb, dass Vinland mit Afrika zusammenhängen könne.16 Wenn Vinland west­lich des Atlantiks im Süden irgendwo mit Afrika – und vielleicht sogar dem Südkontinent – verbun­ den sei, konnte es für einen mittelalter­lichen Reisenden wenig überraschend, ja sogar zu erwarten sein, dort auf Skiopoden zu treffen.

3.3. Die Monster und der vierte Kontinent Nicht nur im Süden Afrikas glaubte man Wundervölker gefahrlos ansiedeln zu können, son­ dern auch noch weiter süd­lich, auf dem imaginierten Südkontinent. Die Südhalbkugel war nach allgemeiner Ansicht zwar überwiegend von Wasser bedeckt, allerdings nahm man einen süd­lich von Asien oder Afrika gelegenen vierten Kontinent an. Schon Isidor erwähnte den vierten Kontinent mitsamt den dort angeb­lich lebenden Antipoden, und im 12. Jahrhundert wurde dann auf den meisten ausführ­licheren Weltkarten ein Sektor im Süden Asiens durch einen symbo­lischen Äquatorialozean von der übrigen Landmasse abgetrennt und als terra australis incognita bezeichnet. Der Existenz von Antipoden auf einem derartigen Australkontinent wurde vor allem deswegen widersprochen, weil man nach dem Alten Testament die Nachkommen Noahs vermeint­lich auf die drei bekannten Kontinente beschränkte und den Australkontinent zudem wegen der angenommenen Hitze der Äquatorialzone für die Menschen der Nordhalbkugel für unerreichbar hielt. Trotz der geographisch-kosmographischen und theolo­gischen Pro­ bleme fehlte der Australkontinent auf keiner der ausführ­licheren mittelalter­lichen Weltkar­ ten. Diese wollten die bewohnbare Erdoberfläche in der idealtypischen Form eines Kreises

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darstellen, auch wenn die bewohnbaren Flächen auf der Südhalbkugel lagen. Deswegen wird der unbekannte Südkontinent als Streifen oder Kreissegment süd­lich von Afrika und Asien, jedoch innerhalb der Kreisform abgebildet. Da man über ihn nichts wusste, blieb er unaus­ gefüllt oder es wurden dort die Wundervölker und Fabelrassen angesiedelt. Als mög­liche Bewohner kamen die schon von Isidor erwähnten Antipoden infrage, die oft als Antipedes missgedeutet, oder die auf den Karten des Beatus von Liébana schon erwähnten Skiopoden. Diese Schattenfüßler schienen für das (Über-)Leben in der heißen süd­lichen Sonne beson­ ders geeignet zu sein, aber da sie als eines der häufigsten und typischsten Wundervölker auch Pars pro Toto für alle Wundervölker verstanden werden konnten, stand der »Ansiedlung« weiterer Fabelrassen am Südrand der Karten nichts mehr im Wege. Die Wundervölkergalerien im süd­lichsten Bereich der Ebstorfkarte und der Hereford­ karte können als Zusammenfassung aller Monster Afrikas und des Südkontinents interpre­ tiert werden; die dadurch entstandene Platznot auf d ­ iesem Landstreifen behebt die Ebstorfer Weltkarte, indem sie die Wundervölkergalerie in zwei Reihen abbildet. Für ihre Lokalisierung auf dem Südkontinent spricht auf beiden Karten ein dünner, nur symbo­lisch zu verstehender Wasserlauf im Süden Afrikas, der den Äquatorialozean symbolisiert und die bekannte Welt vom Südkontinent trennt. Als die Portugiesen auf ihren Fahrten im Südatlantik im Jahre 1500 auf die brasilianische Küste stießen, dachten sie selbstverständ­lich, den Südkontinent entdeckt zu haben – und sahen keinen Zusammenhang mit den erst wenige Jahre zuvor gemachten Entdeckungen des Kolumbus in Mittelamerika. Folg­lich wurden die Reiseberichte über Brasilien der nächs­ ten 250 Jahre mit Darstellungen mittelalter­licher Wundervölker illustriert. Dies entsprach durchaus dem Vor-Ort-Erlebten, wie etwa der Bericht des hes­sischen Südamerikareisenden Hans Staden über hundsköpfige Menschenfresser (Cynocephalen) aus dem Jahre 1557 zeigt. Warum aber bildete die Frage, ob auf der Rückseite der Erdkugel ein Kontinent exis­ tierte, einen so wichtigen Aspekt in der mittelalter­lichen Diskussion? Erörtert wurde dabei weniger das Vorhandensein der Landmasse selbst – deren Existenz konnte meistens unwider­ sprochen postuliert werden –, sondern vor allem die Frage, ob auf ­diesem Kontinent auf­ grund der klimatischen Bedingungen überhaupt Menschen leben könnten und ob es dort tatsäch­lich Menschen gäbe. Seit Augustinus fasste man die nach der Sintflut in der Genesis zu findende Aufzählung von Völkern und Ländern meist als vollständiges Verzeichnis auf, das keine Erweiterungen zuließ. Die Besiedlung der genannten drei Kontinente durch Noahs Söhne wurde von vielen Wissenschaftlern im Mittelalter so missverstanden, als seien damit alle existierenden Kon­ tinente genannt.17 Hinzu kam, dass die Nachkommen Noahs die Südhemisphäre wegen der Unüberwindbarkeit der Äquatorialzone nicht hätten erreichen können, den Gegenbeweis

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lieferten erst die portugie­sischen Vorstöße 1472.18 Diese Vermutung zog noch eine weitere theolo­ gische Konsequenz nach sich: Wenn auf dem Süd­ kontinent nach der Sintflut jemals Menschen gelebt hätten oder noch leben würden, dieser Kontinent aber nicht erreichbar war, dann wäre der Missi­ onsauftrag Christi, »Gehet hin und lehret ALLEN Völkern« (Mt. 28,19), undurchführbar. Damit wäre das Erlösungswerk Christi grundsätz­lich infrage gestellt, denn wie könnte er Menschen erlösen, die von dieser Erlösung nicht erfahren konnten? Da man an dem christ­lichen Heilsversprechen kei­ nen Zweifel hatte und die Unüberwindbarkeit des Äquators nicht infrage stellte, konnten nach Auffas­ sung der K ­ irche keine Antipoden existieren. Den­ noch verstummte die mittelalter­liche Kontroverse über Existenz und Bewohnbarkeit des Australkon­ tinents, die bis ins 20. Jahrhundert fälschlicher­ weise als Diskus­sion über die Kugelform der Erde interpretiert wurde, nicht. Einer der Auswege aus dem Dilemma war, die betreffende Bibelstelle nicht als vollständig aufzufassen und den Lehrsatz des Ptolemäus von der Unüberwindbarkeit der Äquatorialzone zu verwerfen. Diesen Schritt wagten in der Tat ­et­liche mittelalter­liche Verfasser und keines­ wegs nur ­solche mit ketzerischen Intentionen: Die schon genannten kirch­lichen Würdenträger Virgil von Salzburg und Pierre d’Ailly seien nur als offensicht­liche Beispiele herausgegriffen. Dass es aber auch Verurteilungen dieser Lehrmeinung durch weniger gebildete Bischöfe gegeben haben mag, wie wir aus dem vernichtenden Urteil gegen den Florentiner Gelehrten Brunetto Latini (um Wundervölker im äußersten Süden auf der Ebstorfkarte,

1220 – 1294) ablesen können, braucht nicht ver­

13. Jahrhundert, zerstört 1944

schwiegen zu werden.

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Die kontinuier­liche Spekulation über die Existenz des Südkontinents im Mittelalter und die fortgesetzte Suche nach ­diesem durch die Seefahrer an der Wende zur Neuzeit, die erst 1803 mit der Umsegelung Australiens durch Matthew Flinders abgeschlossen sein sollte, zeigen aber, dass vereinzelte Gegenpositionen die Überzeugung nicht grundsätz­lich unter­ drücken konnten: So zeigt der flämische Kanoniker Lambert von St. Omer in seinem um 1120 entstandenen Liber floridus den Australkontinent auf der Südhalbkugel seiner zahlrei­ chen Weltkarten mit der verschiedent­lich abgewandelten, aber inhalt­lich immer gleichen Aussage: »gemäßigte bewohnbare Zone, aber uns unbekannt«, zona temperata habitabilis – sed nos non cognita. Ein zweiter Lösungsansatz der theolo­gischen Kontroverse war auch denkbar, jedoch, wie sich viel später herausstellen sollte, wesent­lich gefähr­licher: Wenn der Südkontinent tatsäch­ lich existierte und dort die Antipoden zu finden wären, die man zu den monströsen Menschenras­

Kannibalen in Brasilien, Werkstatt de Bry, 3. Teil der

sen zählte, dann könnte man daraus folgern, dass

Grands Voyages, Léry-Text, 1. Kupferstich, 1592

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alle dort lebenden Wesen keine Menschen waren. Diese Schlussfolgerung lehnten zwar die meisten mittelalter­lichen Verfasser ab; sie sollte jedoch in der Neuzeit als Rechtfertigung missbraucht werden, neu entdeckten Völkern ihre Mensch­lichkeit abzusprechen und diese somit als seelenlos angesehenen Wesen zu versklaven.

04

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ARTEN DER WUNDERWESEN

4.1. Kriterien der Wunderlichkeit Neben den reinen Mischwesen lassen sich bei den Wundermenschen zwei wesent­liche Gruppen ausmachen, einerseits jene, die durch körper­liche Mängel oder Eigenheiten gekennzeichnet sind, andererseits ­solche, die sich von den »normalen« Menschen durch ­soziale Eigenschaften unterscheiden. Demgegenüber spielen etwa intellektuelle Fähig­ keiten oder Defizite in den Auflistungen traditioneller mittelalter­licher Fabelrassen so gut wie keine Rolle. Letztere sind aber durchaus in die theoretischen Reflexionen über die Natur der Monster im Mittelalter mit eingeflossen, und zwar dann, wenn es um die Frage nach der vorhandenen oder nicht vorhandenen Vernunft und somit Mensch­lichkeit dieser Völker geht. Daneben führten im Mittelalter die Überlegungen zu den rein körper­lichen Mängeln beim Fehlen bestimmter mensch­licher Körperteile und Organe zur Frage der Mensch­lichkeit, die auch in heutiger Zeit wieder neue Aktualität bekommen hat, wenn es darum geht, inwie­ weit Transplantationen, Geschlechtsumwandlungen und schönheitschirur­gische Eingriffe Veränderungen der mensch­lichen Identität zur Folge haben. Allerdings ist die mittelalter­liche Argumentation – wie auch bestimmte Aspekte der gegenwärtigen – nicht immer leicht nachzuvollziehen, denn während man den hunds­ köpfigen Cynocephales mitunter die Mensch­lichkeit absprach,1 so scheinen die immerhin völlig kopflosen Blemmyae, die Mund und Nase auf dem Brustkorb und die Augen an den Achseln tragen, nie Gegenstand dieser Debatte gewesen zu sein.

4.2. Was ist ein menschlicher Körper und was ein monströser? Mit der Frage nach einer rein körper­lich definierten Monstrosität bewegen wir uns auf der einfachsten Ebene der Diskussion um die Mensch­lichkeit der Monster. Auf dieser fällt und fiel es leicht, rein phänomenolo­gisch zu argumentieren, wodurch sich die Monster von den »normalen« Menschen unterscheiden, näm­lich durch:

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Blemmyae im altfranzösischen Roman d’Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45

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•• fehlende Körperteile, •• zusätz­liche Körperteile, •• hypertrophe Körperteile, •• vertauschte Körperteile, •• tierische Körperteile, •• unüb­liche Größenverhältnisse, •• unüb­liche Oberflächenbeschaffenheit des Körpers, •• andere Hautfarbe. Zu den offensicht­lichsten Wundervölkern der ersten Gruppe gehören die Acephalen, die kopflosen, in Afrika lokalisierten Völker. Ganz gleich, ob die Behauptung ihrer Existenz auf die Sichtung von Berbervölkern mit den auf mannshohen Schildern gemalten Gesich­ tern zurückgeht oder auf die Erfahrung mit angeborenen acephalen Missbildungen: Die Acephalen zählen zu den ältesten genannten monströsen Rassen und finden sich bereits bei Autoren der Spätantike.2 Für die erste These spricht, dass Evagrius Scholasticus 3 zufolge nordafrikanische Stämme namens Blemmyae (die zu den Acephalen gezählt wer­ den) zwischen dem 3. und 5. Jahrhundert wiederholt christ­liche Siedlungen des Impe­ rium Romanum angegriffen hätten. Im Laufe der Jahrhunderte traten die Epiphagi, die sich von den Blemmyae dadurch unterscheiden, dass ihre Augen auf den Achseln und nicht auf der Brust sitzen, fast ganz zurück, und die Blemmyae blieben im Mittelalter die typischen Acephalen. Ebenfalls durch einen fehlenden Körperteil sind die Astomes (ohne Mund/Mundlose) charakterisiert, die entweder gar keinen Mund haben und sich dann nur vom Geruch von Äpfeln ernähren, oder aber einen so kleinen, dass sie nur flüssige Nahrung durch einen Strohhalm zu sich nehmen können. Obwohl im ersten Fall von mundlosen Mons­ tern gesprochen werden könnte, im zweiten nur von kleinmündigen Menschen, wurden beide Gruppen im Mittelalter dennoch häufig zusammengefasst, auch wenn der Begriff »­Astomes« nur selten verwendet wurde. Beide eigneten sich außerordent­lich gut für eine Allegorese, indem wie in den Gesta Romanorum ihre Genügsamkeit hervorgehoben wurde. In der altfranzö­sischen Versbearbeitung des Liber de monstruosis hominibus ­orientis wurde hingegen das Riechen am Apfel allein als unzureichend angesehen, während der volle Genuss des Apfels, gemeint ist das Wort Gottes, zum ewigen Leben führen solle. Eine andere allegorische Deutung findet sich um 1400 bei dem Wiener Prediger Johannes Bischof, der die Kleinmündigen – die er ausdrück­lich aus Isidors Etymologiae bezieht – mit den Zun­ genlosen gleichsetzt:

Astomi (Apfelriecher) im Liber de natura rerum des Thomas von ­C antimpré, Handschrift von 1417

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Frühneuzeitliche Afrikakarte mit Darstellung eines Vertreters der Monoculi im Inneren, aus Sebastian Münster: Geographia, Basel 1540: AFRICA XVIII NOVA TABULA

74 Von den Newnten daz sind auch vichleich lewt

Von den Neunten, das sind auch viehische

alz Ysidorus spricht Die habent alz eng und

Leute, von denen Isidor spricht, die haben

chlain mund Daz si die spiez nemen durch

einen ganz engen und kleinen Munde, sodass

einen haberhalben und samleich under den

sie die Speise durch einne Strohhalm zu sich

chain tzungen habent davon sy nicht gere-

nehmen und ebenso die, ­w elche keine Zunge

den mugen.

haben, wodurch sie nicht sprechen können.

Diese deutet er als Heuchler, die zwar wenig sagen, aber andere mit tzaichen verratent. Eng verwandt mit den Astomes sind die Arhines und Sciritae (Nasenlose), die schon von Plinius genannt werden. Bei ihm gibt es allerdings gleich drei unterschied­liche Traditionen nasenloser Menschen: Einmal erwähnt er unter Hinweis auf Megasthenes das indische Volk der Sciritae, das nur Nasenlöcher, aber keine Nasen habe (dieses Volk nennt Strabo A ­ mycterae). Ein weiteres mundloses, nasenloses und völlig flachgesichtiges Volk verortet Plinius in Äthio­ pien, das wie die zweite Gruppe der Astomes seine Nahrung nur durch einen Strohhalm auf­ nehmen könne. Das dritte Volk wird ebenfalls ohne eigenen Völkernamen angeführt, aber näher charakterisiert und ebenfalls in Äthiopien lokalisiert: »Es soll auch im inneren öst­lichen Teil Völker ohne Nasen und mit völlig flachem Gesicht geben.«4 Da die Nasenlosen wiederholt mit Indien assoziiert werden, stellt sich die Frage, ob sich nicht bereits die ältesten Nennungen eher auf Ostindien beziehen, das im Mittelalter stellvertretend für Ostasien steht und mit den Flachgesichtigen die dort lebenden Menschen gemeint sein könnten. Diese bezeichnen ja ihrer­ seits – und zwar bis zum heutigen Tag – die Europäer als Langnasen, wodurch die Größe der Nase zum wesent­lichen Unterscheidungsmerkmal zwischen Europäern und Ostasiaten wird. Ein weiteres Volk mit einem ganz augenschein­lichen Mangel sind die Arimaspi, die nur ein Auge haben (auch Monoculi). Gewiss haben auch die Zyklopen nur ein Auge mitten auf der Stirn, diese scheinen jedoch als Riesen ihren eingeschränkten Sehsinn wenigstens teil­ weise durch die Hypertrophie ihres Körperbaus wettzumachen. Dass die bei Plinius (VII, 10) und Solinus getrennt von den Zyklopen vorgestellten Arimaspi im Mittelalter nicht mehr klar unterschieden werden, zeigen verschiedene Autoren, am deut­lichsten vielleicht Thomas von Cantimpré in seinem Liber de natura rerum (Buch 3, 13): »Andere Menschen sind einäugig, die Ari[s]maspi oder Zyklopen genannt werden, ein Auge mitten auf der Stirn habend.«5 Eine andere Version bietet der mittelhochdeutsche Roman Herzog Ernst (Vers 4505), der das Land der Einsterne »Arimaspi« nennt und die Bewohner »Cyclopes«, also für ein Volk drei verschiedene Bezeichnungen als Ländernamen, lateinischen Terminus und deutsche Übersetzung präsentiert. Obwohl die allegorische Deutung der Wundervölker bisweilen zur Beliebigkeit neigt – so bringt der altfranzö­sische Liber de monstruosis hominibus orientis die Arismaspi eher unpassend mit der Gefräßigkeit des hohen Klerus in Verbindung –, wählt

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Johannes Bischof bei d ­ iesem Wundervolk eine recht passende Allegorese, selbst wenn der Name von ihm völlig verunstaltet wird: Auch haissent ett­lich Patbari, die scholten

Einige heissen Patbari, die zwei Augen haben

haben tzway augen, ains damit sie an sehen

sollten, um mit einem das Himmelreich, dem

daz himmelreich mit dem anderen sehen an die

anderen die Erde betrachten zu können. Aber

Erden. Aber das erst haben sie verlorn […].

das erstere haben sie verloren […].

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Nicht durch fehlende, sondern durch zusätz­liche Körperteile zeichnen sich diejenigen Wunder­ völker aus, die mit überzähligen Händen, Fingern oder Zehen geschildert werden. Auch wenn die sechsarmigen Menschen gerade in der bild­lichen Darstellung in Hartmann S­ chedels Weltchronik zu den einprägsamsten der Wundervölker mit körper­lichen Abweichungen gehören, werden sie in der Literatur außerhalb der Alexanderdichtung nur selten genannt. Selbst dann ist nicht sicher, ob eigent­lich Menschen mit sechs Armen oder mit sechs Händen gemeint sind, so etwa bei Konrad von Megenberg, von dem sie zudem als wild bezeichnet werden: Ez sint auch wild läut, der hât iegleichz sehs hend. 7 Wie in der Schedelschen Weltchronik fin­ den diese Wesen auch in den Drucken Konrads von Megenberg Buch der Natur Eingang in die bild­lichen Darstellungen. In der west­lichen Tradition ohne Wirkung bleiben dagegen die Menschen mit sechs Füßen (griechisch: Hexapodes) aus den Fassungen des Pseudo-Kallisthenes. Auch Menschen mit sechs Fingern an jeder Hand kommen nicht häufig vor. Sie stammen ebenfalls aus der Alexander­ dichtung, werden aber auch von Augustinus im De Civitate Dei sowie im Liber monstrorum aufgegriffen, in dem sie zudem als riesig und kriegslustig beschrieben werden. In den Gesta Romanorum und in der Schedelschen Weltchronik haben sie konsequenterweise auch sechs Zehen. Die ausgefallenste Steigerung der Anzahl von Körperteilen findet sich in einer Fassung des Briefes des Priesterkönigs Johannes, in der ein indisches Volk mit zwölf Füßen, sechs Armen, zwölf Händen, vier Köpfen sowie zwei Mündern und drei Augen genannt wird. Selbst die Menschen mit zwei Köpfen, die sich in Darstellungen der Wundervölker in den D ­ rucken von Konrads von Megenberg Buch der Natur finden, gehen auf Konrads Erwähnung von zwei­ köpfigen Missgeburten zurück, nicht etwa auf ein Wundervolk. Die Mehrköpfigkeit ist somit eher ein Kennzeichen mythischer Wesen – wie der 900-köpfigen Riesin in der Hymiskviða (Hymirlied) der Edda oder dem dreiköpfigen Höllenhund Zerberus der antiken Mytholo­ gie – und nicht der humanoiden Monster. Anders verhält es sich mit hypertrophen Körperteilen, die zwar keine große Vielfalt aufweisen, aber trotzdem als ein Kennzeichen mensch­licher Monstrosität im Mittelalter angesehen werden können. An der Grenze zwischen Defizienz und Hypertrophie bewegen

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Diverse Wundervölker in dem Buch der Natur des Konrad von Megenberg, Druck von 1475

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sich die einbeinigen Skiopoden, die zu den beliebtesten Fabelrassen des Mittel­alters gehören und geradezu als Paradigma für humane Monstro­sität gelten dürfen, wie ihr prominenter Platz auf den Welt­ karten des Beatus von Liébana aus dem frühen Mittelalter zeigt. Im Gegensatz zu einer Reihe anderer süd­licher Wundervölker – die Skiopoden werden entweder auf dem unbekannten Südkontinent oder in Äthiopien verortet – werden sie keineswegs nur negativ gezeichnet: Schon Plinius spricht von ihrer »wunderbaren Behändigkeit im Sprin­ gen«, und auch die Tatsache, dass sie ihren einzigen riesigen Fuß gegen die Sonne als Schattenspender verwenden, wird eher positiv kommen­ tiert. Die Skiopoden machen aber gerade in der mittelalter­lichen deut­ schen Literatur eine Wandlung durch. Während in der Antike demnach die hohe Laufgeschwindigkeit und der Sonnenschutz im Vordergrund stehen, verlagert sich in der volkssprach­lichen deutschen Literatur des Mittelalters der Schwerpunkt auf den Schutz vor Regen und Unwetter, wobei der Fuß zumeist als Schwanenfuß und nicht wie noch von Ktesias als Entenfuß wiedergegeben wird. Geradezu funktionslos erscheint der Fuß in einer Darstellung in der schwedischen ­Kirche von Tensta in Uppland, in der dem höfisch gekleideten Skiopoden mit seinem runden und unpraktisch wirkenden Fuß ein Stock in die Hand gegeben wird, um so sein Fortkommen zu erleichtern. Eine eigene nordeuropäische Tradition um die Schnelligkeit der Skiopoden dürfte es den­ noch gegeben haben, wenn in der altisländischen Eiríks saga rauða aus dem 13. Jahrhundert den grönländischen Wikingern auf Erkundungsfahrt an der nordostamerikanischen Küste just ein schnelllaufender Einfoeting (d. h. Einbeiniger, also Unipede) begegnet, der sie mit Pfeil und Bogen beschießt. Anders gestaltet sind die Ciclopedes (Radfüßler) der Historia Mongo­ larum,8 die in der davon abhängigen Historia Tartarorum als Unipedes auftreten, in allen drei Fällen mit dem Hinweis auf ihre Schnelligkeit. Diese Umgestaltungen und Neuinterpre­ tationen sind wohl durch den besonders hohen Bekanntheitsgrad der Skiopoden erklärbar. Weitverbreitet und in der Literatur ebenso wie in der bildenden Kunst des Mittelalters häufig anzutreffen sind die Panoti, die Großohren. Zwar besteht offensicht­lich keine Über­ einstimmung, wie man sich jene großen Ohren vorzustellen habe, mit denen sich diese äthio­ pischen Menschen wie mit einer Bettdecke zudecken und gegen Kälte s­ chützen, dennoch erfreuen sie sich großer Beliebtheit. Weniger verbreitet und offenbar schwieriger bild­lich umsetzbar waren die Amycterae (Großlippler), die ihre riesige Unterlippe zum Schutz gegen die Sonne kapuzenförmig von vorne nach hinten über den Kopf ziehen kön­ nen. Diese Form der Lippenhypertrophie ist auf den Mappae mundi

Panoti in einem lateinisch-altenglischen Wundervölkerverzeichnis, 11. Jahrhundert

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Satyren, Oxydraken und kamelfüßige Frauen im altfranzösischen Roman d’Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45

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nur schematisch dargestellt. In den Drucken von ­Konrads von Megenberg Buch der Natur findet sich dagegen eine lappenartige Vergrößerung, was zwar nur bedingt den Beschreibungen entspricht, aber ein wenig realistischer wirkt, vor allem im Hinblick auf die uns heute bekannten kosmetischen Lippenver­ größerungen polyne­sischer Völker. Eine originelle mondsichelförmige Unterlippe hat der Illustrator eines hochmittelalter­lichen Bestiariums aus dem Jahr 1277 erfunden. Zur Gruppe der Menschen mit übersteiger­ ten Körperteilen lassen sich auch die behaarten Frauen rechnen, die ursprüng­lich nur als besonders langhaarig gedacht waren, aber in einer der Fassungen der Epistola Premonis und in der Folge als am ganzen Körper behaart verstanden wurden. Diese wohl auf die Lamiae zurückgehenden Frauen wurden nur sehr selten genannt, haben jedoch über den anonymen Liber monstrorum Eingang in diverse Bestiarien gefunden, denen zufolge sie am Roten Meer leben, 13 Fuß (etwa 4,3 m) groß sind und nicht nur bodenlanges Haupthaar, sondern auch einen Schwanz und Kamelfüße haben. Als Sonderform dieser Gruppe sind schließ­lich die verschiedenen Arten der Riesen zu betrachten, von denen die meisten allerdings noch andere körper­liche Abweichungen besaßen. Ebenfalls im Liber monstrorum tauchten die Anthropophagi auf, 18 Fuß (etwa 6 m) große, schwarzhäutige Monster. Mitunter wurden sogar die Faune als 9 Fuß (3 m) groß beschrieben, und schon Plinius berichtete von den 12 Fuß großen äthiopischen Serbotae. Darüber hinaus erwähnte Thomas von Cantimpré 12 Fuß große, magere Menschen mit leuchtendem Körper, die im Liber monstrorum sogar 15 Fuß maßen. Neben den einheimischen Riesen und den anti­ ken Giganten sind es besonders die Macrobii und die Zyklopen, die in den mittelalter­lichen Wundervölkerverzeichnissen den Status von Riesen innehatten. Die seit Plinius immer wieder genannten Macrobii galten ursprüng­lich als besonders langlebiges Volk, das erst mit der Zeit auch als 12 Fuß groß beschrieben wurde, so etwa im Liber floridus des Lambert von St. Omer. Dagegen sind die einäugigen Zyklopen aus der klas­sischen Literatur seit Homers Odyssee gut bekannt. Ihre Größe wird meist nicht genau angegeben, auch werden sie – wohl wegen der Erzählung über Odysseus – als Menschenfresser 9 angesehen. Ihr wesent­lichstes Kennzeichen ist aber ihre Einäugigkeit. Von ihrer Rolle in den antiken Mythen wird im Mittelalter hinge­ gen kaum erzählt – weder von ihrer Herkunft als Söhne von Uranos und Gaia noch von ihrer Rolle

Cyclope im Liber de natura rerum des Thomas von

als Schmiede der Blitze des Zeus. Im Spätmittelalter

Cantimpré, Handschrift von 1417

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bei John of Mandeville werden sie immer noch als riesig und einäugig geschildert, aber in erster Linie durch ihre Essgewohnheiten charakterisiert, bei denen dem Europäer vor allem das Fehlen von Brot verwunder­lich erscheint: und essent núntz wann flaisch und visch, und hond nit brot. »und essen nichts als Fleisch und Fisch und haben kein Brot.«

4.3. Diäten als Ausgrenzungskriterium Schon in den Schriften des Plinius sind et­liche Fabelrassen durch ihre Diätgewohnheiten gekennzeichnet und in der mittelalter­lichen Teratologie nehmen sie neben denen mit körper­ lichen Deformationen weiterhin den wichtigsten Platz unter den Wundervölkern ein. Dazu zählen nicht nur die Menschenfresser (Anthropophagi, Patrophagi, Gog und Magog, Zyklo­pen), die Panphagi (Allesfresser) oder die sich ausschließ­lich von Fischen ernährenden Ichthyo­ phagi, sondern auch die beiden Gruppen der Astomi, die schlangenfressenden Troglodyten, die hundemelkenden Cynomolgi und die pferdemelkenden Hippomolgi. Wie in den antiken griechischen Periploi, den Reisebeschreibungen, so bestand offen­ bar im Mittelalter weiterhin die Tendenz, die eigentüm­lichen Sitten und Essgewohnhei­ ten ­fremder Völker als Identifikationsmerkmale zu gebrauchen. Viele der mittelalter­lichen Wundervölker unterscheiden sich von den als »normal« angesehenen Völkern nicht durch körper­liche Absonder­lichkeiten, sondern durch Abweichungen im ­sozialen Verhalten oder ihrer Essgewohnheiten. Letztere spielen bei der gegenseitigen Einschätzung der Völker noch heute eine wesent­liche Rolle, so werden nationale Vorurteile gerade durch die Einschätzung der jeweils anderen kulinarischen Kultur verbalisiert, sodass die Franzosen als »Frogs« oder »Froschfresser«, die Deutschen als »Krauts« und die Italiener als »Spaghettis« apostrophiert werden. Die pauschale Ablehnung fremder Essgewohnheiten führt nicht selten zur grundsätz­ lichen Ablehnung der jeweiligen Kultur, da die implizit niederere Form anderer Gebräuche die Legitimation eigener Wertvorstellungen umfasst. Die erwähnten pferdemelkenden Hippomolgi und hundemelkenden Cynomolgi im nörd­lichen Asien zeigen, wie die faktischen Gewohnheiten eines Volkes – die Tartaren ver­ wendeten tatsäch­lich Stutenmilch – zu den fiktiven Bräuchen eines anderen gesteigert werden konnten. Grundsätz­lich wird bei dieser Gruppe von Wundervölkern der historische Kern der Fiktion greifbarer als bei anderen: Menschenfresser und Fischfresser entstanden aus der Absolutsetzung dominanter Essgewohnheiten durch die antiken Reisenden, und selbst bei den Apfelriechern kann man den tibetanischen Gebrauch von Kampfer als Prophylakti­ kum gegen Krankheiten als Grundlage der Fabel sehen.10 Die Frage nach dem historischen oder dem ethnolo­gischen Wahrheitsgehalt ist dennoch bei den Völkern mit abweichender Ernährung ebenso nebensäch­lich wie bei ­solchen mit auffälligem Sozialverhalten. In beiden

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Fällen sagt die Form, in der ein Wundervolk charakterisiert wird, mehr über das Weltbild des Autors aus als über die tatsäch­lichen oder fiktiven Völker selbst. Im Mittelalter werden, wie erwähnt, interessanterweise mehrere Formen von Anthropo­ phagie (Kannibalismus) unterschieden. Zum einen handelt es sich dabei um die Form, die man im Spätmittelalter mit dem aggressiven Verhalten der Cynocephali assoziierte, was sich darin äußerte, dass die Hundsköpfigen Fremde überfielen und (roh) auffraßen. Diese Aggres­ sivität wird nicht allen menschenfressenden Völkern unterstellt, aber dennoch ist auffällig, dass sich eine ganze Reihe von Fabelrassen auch durch Anthropophagie auszeichnet: Dazu gehören nicht nur die furcht- und schreckenerregenden Endzeitvölker Gog und Magog, die schon im Alten Testament erwähnt werden, sondern auch die Zyklopen und die Donestre, alle diese sind ausgesprochen aggressiv. Zum anderen gibt es jedoch die Patrophagen – mitunter auch als Essedones oder als Bewohner von Dondin bezeichnet –, die zwar den aus der Sicht des mittelalter­lichen Abend­ landes verabscheuenswürdigen Brauch der Anthropophagie pflegen, dies aber aus hochmora­ lischem und gut nachvollziehbarem Grund tun: Sie lassen die Eltern nicht einfach vor Altersschwäche sterben, sondern mästen sie sogar noch vor dem Tod, schlachten sie dann und verzehren sie im Freundeskreis im Rahmen eines Festmahls. Sie halten es für pietätlos, ihre eigenen Eltern mager sterben und von Würmern auffressen zu lassen. Dass hier eine Kritik an den christ­lichen Bestattungsritualen mitschwingt, ist nicht sehr wahrschein­lich, aber es zeigt, dass man sich andere Formen der Bestattung zumindest als Gedankenspiele mit einem gewissen Exotismus vorstellen konnte, auch wenn dem keine realen Gebräuche zugrunde lagen.

4.4. Sexualphantasien als Mittel der Ausgrenzung Unter den Völkern mit einem von dem der mittelalter­lichen Menschen abweichenden ­sozialen Verhalten lassen sich nicht nur ­solche identifizieren, deren Leben als ideale Gegenwelt zur ­sozialen Wirk­lichkeit des Mittelalters gewertet werden kann, wie das der Amazonen, der Gymnosophisten und Brahmanen. Auch sexuelle Praktiken gehören zu den Exkursen der Verfasser, die sich den Normen ihrer eigenen Lebenswirk­lichkeit durch Ausflüge in fiktive antike oder asiatische Lebenswelten entziehen wollten. Am wenigsten exotisch unter den Beschreibungen abweichenden Sexualverhaltens erschien der Hermaphrodismus, der aus der antiken Mythologie bekannt gewesen sein dürfte und bei dem man sich auf die Quellen berufen konnte, auch wenn die antike Legende von Hermaphroditos, dem Sohn von Hermes und Aphrodite,11 nicht explizit ausgeführt, sondern mit Verweis auf Isidor der Begriff als Völkername etymolo­gisch gedeutet wurde. So erklärte

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Frühneuzeitliche Asienkarte mit Skythien und Indien, mit Darstellungen der Skiopoden und Pygmäen links des Kartenbilds, Blemmyae und Cynocephalen rechts davon und Anthropophagen oben im Kartenbild; aus Sebastian Münster: Geographia, Basel 1540: TABULA ASIAE VIII

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man organische Zweigeschlecht­lichkeit mit der Vermutung, dass die Hermaphroditen in der Lage seien, sowohl Kinder zu zeugen als auch zu empfangen: Und hond ir geschefft als ain man und ain wib, und ­welches sie wellen, daz nútzent sie und bruchent es, und machent kind und tragent kind.12 »Und haben ihr Geschäft wie Mann und Frau, und verwenden das, was sie gerade wollen, und zeugen und tragen Kin­ der.« Auffällig ist, dass die Hermaphroditen in einem Teil der Quel­ len in Frankreich und nicht nur im fernen Indien verortet wurden. Viel eher den sexuellen Phantasien ihrer Verfasser zuzuordnen sind die in Varianten bei Mandeville und Marco Polo zu findenden Berichte von den Sexual­ praktiken asiatischer V ­ ölker. Sie fürchteten sich vor Jungfrauen und böten deswegen Vorüber­ reisenden ihre Töchter an. Die unverheirateten Mädchen würden auf diese Weise die verpönte Jungfräu­lichkeit los und könnten außerdem noch Geschenke anhäufen, an deren Zahl sich ihr ­sozialer Status orientiere. So schildert es zumindest Marco Polo, während M ­ andeville das Geschehen auf einer Insel ansiedelt und die Entjungferung durch ausgewählte Männer statt durch zufällig Durchreisende vornehmen lässt. Marco Polo erwähnt zudem für eine Provinz des ­Großkhans mit dem Namen Caraam eine P ­ raxis, bei der die Ehemänner ihren Frauen volle sexuelle Freiheit außerhalb der Ehe gewährten. Wesent­lich stärker an europäische Sozialnormen erinnernd ist der Brauch der afrika­ nischen Psilli an der Großen Syrte, dem Nachbarstamm der Garamantes, die die Neugebo­ renen den Schlangen aussetzen, um zu überprüfen, ob die Kinder ehe­lich gezeugt worden seien (Plinius VII , 14). Während sich die ehe­lichen Kinder gegen den Biss der Schlangen immun zeigten, würden die unehe­lichen von deren Gift getötet; auch diese Art von natur­ verbundenem Vaterschaftstest zeigt Elemente sexueller Phantasien, weist aber gleichzeitig durch männ­liches Denken geprägte Züge von Sozialutopien auf, wie sie sich auch bei einer Reihe von asiatischen Fabelvölkern manifestieren.

4.5. Gegenwelten und Sozialutopien Solche Gegenentwürfe zu den abendländischen Vorstellungen ­sozialer Gefüge finden sich kaum in den enzyklopädischen Texten, sondern haben ihren Ursprung in den fiktiven Reise­ beschreibungen der Alexanderepen. Durch die Form oder das Fehlen ihrer s­ ozialen Organi­ Hundsköpfige Menschenfresser in Sir John Mandevilles Reisebeschrei-

sation unterscheiden sich auch die nachfolgend beschriebenen Völker. Dazu zählen unter anderem drei, die im Gegensatz zu den meisten

bungen, Übersetzung von Otto von

Wundervölkern eher eine Vorbildfunktion haben, was in den Tex­

Diemeringen, Druck Basel 1480/81

ten auch moralisierend angedeutet wird, ohne es als Sozialkritik zu

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formulieren. Nur in den Stimmen der Anderen, der Protagonisten dieser fremden Völker, wird die Kritik deut­lich. Den größten Bekanntheitsgrad besitzen noch heute die Amazonen mit ihrem kriege­ rischen und wohlorganisierten Staat, während die Gymnosophisten und Brahmanen durch die Alexanderdichtung Eingang in die enzyklopädische Tradition gefunden haben. Die Bragmani werden als nackte, weise Höhlenbewohner beschrieben, wohingegen die Gymnosophisten laut Plinius den ganzen Tag im glühenden Sand stehen und in die Sonne starren. Bei Thomas von Cantimpré werden diese knappen Angaben dahingehend erweitert, dass die als nackte Weise bezeichneten Menschen namens Oxydrakes seu Gymnosophistae ihre bis zur völligen Nackt­ heit reichenden Armut und Bedürfnislosigkeit auch noch argumentativ verteidigen, worauf es zum berühmten Dialog zwischen Alexander dem Großen und den Gymnosophisten kommt. In ­diesem bietet der große Feldherr den Weisen an, ihnen einen Wunsch zu erfüllen. Sie bit­ ten ihn um die Unsterb­lichkeit, die er ihnen als Sterb­licher jedoch nicht geben kann. Darauf­ hin fragen sie ihn, warum er die ganze Welt erobern wolle, wenn er doch sterb­lich sei. Diese seit Plutarch tradierte Kritik an welt­lichen Eroberungsgelüsten wird als beispielgebend in die Wundervölkertradition übernommen, allerdings nicht so häufig, wie zu erwarten wäre. Die altfranzö­sische, auf Thomas von Cantimpré basierende allego­rische Versbearbeitung nutzt die Episode jedoch als Warnung vor Reichtum, weil dieser den Weg ins Himmelreich behindere. Dieser in den Quellen als Briefwechsel oder Gespräch überlieferte Disput Alexanders mit Dindimus, dem König der Bragmani, macht deut­lich, dass es sich um eine sprach­liche Verballhornung der indischen Brahmanen handelt, die gegenüber Alexander ihre Gewalt­ losigkeit (Verweigerung des Kampfes), Bedürfnislosigkeit (Nacktheit), Askese (Fleisch- und Besitzverzicht) und Gütergemeinschaft hervorheben. Kenntnisse von dieser hinduis­tischen Priesterkaste dürften also schon vor dem vierten vorchrist­lichen Jahrhundert nach Europa gedrungen sein und einen Eindruck hinterlassen haben. In der spätantiken und mittelalter­ lichen Wundervölkerliteratur erhalten dann auch die Gymnosophisten Züge der Brahmanen. Das dritte Volk, dessen andersartige Gesellschaftsform schon von frühester Zeit an fas­ zinierte, ist das der Amazonen. Auch hier stand den Griechen, wie es in der Legende von der Begegnung Alexanders des Großen mit der Amazonenkönigin Thalestris deut­lich wird, ein Gegenbild ihrer eigenen Gesellschaft gegenüber, das ihnen sowohl ethisch wie auch militärisch Respekt abverlangte. In der griechischen Historiographie ging der Amazonen­ staat Themiskyra am Schwarzen Meer allerdings schon etwa gleichzeitig mit Troja, also um 1200 v. Chr., unter. Das Treffen zwischen Alexander und der Amazonenkönigin fand zwar angeb­lich nicht am Schwarzen Meer, sondern am Kaspischen Meer statt, es ist aber durch­ aus denkbar, dass Reminiszenzen an matriarcha­lische Gesellschaften am Schwarzen Meer während der Bronze­zeit den Ursprung der Amazonensage bilden könnten.13

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4.6. Exotische Wohnorte Durch ihre eigentüm­lichen Wohnorte zeichnen sich die Maritimi und die Troglodyten aus. Erstere werden zwar bei Plinius auch als vieräugig beschrieben, womit er aber nur ihre beson­ dere Scharfsichtigkeit hervorhebt, was von Solinus und den mittelalter­lichen Interpreten ­Elucidarius, Gervasius von Tilbury, Bartholomäus Anglicus allerdings nicht mehr übernom­ men wird. Dies spiegelt sich auch in den Handschriftenillustrationen wider. Tatsäch­lich war für die äthiopischen Maritimi ihr Wohnsitz am oder im Meer namengebend, zudem lebten sie wie die Ichthyophagen von Fischen. Auch die im Brief Alexanders erwähnten Pirolopi, die sich gerne im Wasser verstecken, meist aber mit den Ichthyophagen in einen Topf geworfen werden, zeichnen sich durch sonderbare Wohnorte aus. Dies gilt in geringerem Maße eben­ falls für die afrikanischen Troglodyten, die in der mittelalter­lichen Enzyklopädik wesent­lich öfter vorkommen. Sie sind stumme oder nur zischelnde Höhlenbewohner, die aufgrund ihrer Schnelligkeit mit einer Keule dem Wild nachjagen.

4.7. Die Sprachlosigkeit der Monster Eine offenkundig monströse Abweichung von der Norm tritt ein, wenn einem Volk wie den Troglodyten das mensch­liche Sprachvermögen abgesprochen wird, sei es wegen phy­sischer Mängel wie bei den zungenlosen Aglosses und den mundlosen Astomes, sei es aufgrund tie­ rischer Elemente wie bei den Cynocephales. Die unmensch­liche Sprache der Cynocephales, die sich aufgrund ihrer Hundsköpfigkeit nur durch Bellen miteinander verständigen können, führt von vorneherein dazu, dass man sie in die Nähe der Tiere oder wenigstens Mischwesen rückt.14 Dies ist aber nicht notwendigerweise der Fall, denn für den Verfasser des mittelhoch­ deutschen Epos Herzog Ernst stellt es offensicht­lich kein großes Problem dar, seine höfischen Kranichschnäbler mensch­lich reden zu lassen. Der enge Zusammenhang zwischen Sprache und Vernunft wie bei Albertus Magnus einerseits, Sprache und Gesellschaftsordnung ande­ rerseits lässt sich daran ablesen, dass die äthiopischen Troglodyten, denen fast alle Aspekte einer mensch­lichen Zivilisation zu fehlen scheinen, wie Häuser, Ackerbau und Waffen außer Knüppeln, seit Plinius als Volk ohne Sprache beschrieben werden.15 In den mittelalter­lichen Abhandlungen ist es nicht die Sprachlosigkeit, die sie kennzeichnet, sondern ein schlangen­ artiges Zischen, das sie aber noch näher an die Tierwelt heranrückt.16 Obwohl die Sprachlosigkeit eher noch als die Essgewohnheiten eine Mög­lichkeit bot, neben der Andersartigkeit den geringeren zivilisatorischen Stand der fremden (Wunder-) Völker hervorzuheben, waren es doch die Mängel körper­licher Art und die als drastisch erach­ teten Abweichungen im Sozialverhalten, die in aller Regel zur Kennzeichnung von Monstern dienten. Dabei ist festzuhalten, dass für die Frage nach der Mensch­lichkeit das Sozialverhalten

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nur eine Rolle spielte, wenn es sich um Anthropophagie handelte. Dennoch wird bei den menschenfressenden alttestament­lichen Völkern Gog und Magog deren mensch­liche Natur nie infrage gestellt. Es war und ist ohnehin offensicht­lich, dass die Entscheidung für oder wider die Mensch­lichkeit von Wundervölkern nicht eindeutig ausfallen konnte, da bei jeder einzelnen Fabelrasse zu viele Unwägbarkeiten bestanden. Trotzdem mag es überraschen, dass sich die verschiedenen Autoren des Mittelalters nur in wenigen Ausnahmefällen gegen die Mensch­lichkeit der Wundervölker aussprachen. Zu deut­lich war ihnen bewusst, dass selbst die exotischsten der Wundervölker den Menschen in ihrem eigenen Wesen nahestanden, näher jedenfalls als den Primaten des Tierreichs. Dementsprechend verlagerte sich die Diskussion eher auf die Frage, wie die Entstehung dieser Abweichungen von der Norm denn eigent­lich zu erklären sei, worüber Kapitel 7 handeln soll.

Gog und Magog in der Weltkarte von Ebstorf, 13. Jahrhundert, zerstört 1944

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SONDERFORMEN DER MONSTER

Im Folgenden sollen einige Sonderfälle mittelalter­licher Monster betrachtet werden. Dies sind zum einen diejenigen aus der antiken Mythologie hervorgegangenen Wesen, die im Mittel­ alter – eben weil sie keine Einzelwesen, sondern ganze Völkerschaften (wie die Kentauren) oder wenigstens Gruppen (wie die Sirenen) bildeten – mitunter zu den homines monstrosi gezählt werden konnten. Zum anderen werden hier die teils mythischen, teils humanoiden, teils anima­lischen Mischwesen in der mittelalter­lichen Kunst zu erfassen versucht, bei denen es sich um nicht näher definierte Völker handelt und die von den Drolerien der mittelalter­ lichen Handschriften über die Figuren der Kapitelle romanischer Klöster bis hin zu den Wasserspeiern der gotischen Kathedralen reichen. Schließ­lich soll ein zwar als wundersam angesehenes Völkchen behandelt werden, das man im Gegensatz zu den anderen Fabelrassen jedoch in den heimischen Wäldern ansiedelte und das mög­licherweise ebenfalls mythischen Ursprungs ist: die Wilden Menschen. Unberücksichtigt bleiben die Monster, die als singuläre Erscheinung auftreten, wie die Sphinx oder der Minotaurus, oder auch s­ olche, die aus verschiedenen tierischen Elementen ­ onstra bestehen, aber gar nichts Mensch­liches aufweisen und daher im Mittelalter nie als m bezeichnet wurden. Sie gehören allerdings zu den ältesten in der Literatur erwähnten Misch­ wesen: Bereits in der Ilias wird der Kampf Bellerophons gegen die Chimäre geschildert, die aus Körperteilen eines Löwen, einer Ziege und einer Schlange zusammengesetzt ist, zumeist mit den drei Köpfen dieser Tiere ausgestattet, und die schon in Skulpturen und auf Reliefs des 5. Jahrhunderts v. Chr. abgebildet wird. Auch andere tierische Mischwesen wie die neunköpfige Wasserschlange Hydra von Lerna, der für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen, bis Herakles diese ausbrennt, wurden im Mittelalter nicht zu den Monstern gerechnet. Den mittelalter­lichen Gelehrten war der Mythos dennoch bekannt, wie Isidors Zitat einer Textstelle von Ambrosius zeigt, in dem dieser die Häresie mit der Hydra verg­lich. Ebenfalls zum Tierreich gezählt wurde die Manticora, trotz ihres bis auf drei ­haiartige Zahnreihen mensch­lichen Hauptes. Sie findet sich nie in den Aufzählungen humanoider Monster. Das dürfte in erster Linie an ihrer Gestalt liegen, die aus dem Körper eines Löwen

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und dem Schwanz eines Skor­ pions besteht. Hinzu kommt, dass sie sich am liebsten von Menschenfleisch ernährt – ihr Name dürfte auf ein altper­ sisches Wort für Menschenfres­ ser zurückgehen – und darüber hinaus ganz offensicht­lich ein Einzelwesen ist. Während wir diese Fabel­ wesen des klas­sischen Alter­ tums, zu denen man auch den Höllenhund Zerberus mit ­seinen drei schlangenbedeckten Köpfen zählen könnte, heute eindeutig als Monster bezeichnen würden, sah man in ihnen im Mittelalter offenbar nichts »Monströses«. Zwar behandelte Isidor sie im Anschluss an die humanoiden Monster unter den portenta, trennte sie aber deut­lich von diesen, indem er sie als völlig fiktive Monster bezeichnete und dafür rationale Erklärungen anbot: Der Zerberus stehe für die drei Lebensphasen, in denen der Tod die Menschen am häufigsten trifft; die Hydra sei ein mehrfacher Murenabgang oder eine Überflutung; die Chimäre eigent­lich ein wegen der vielen Löwen und Schlangen unbewohnbarer Berg in Kilikien, den Bellerophon aber von d ­ iesem Ungeziefer gesäubert habe.

5.1. Halbwesen der antiken Mythologie Unter ­solchen hybriden Wesen verstehen wir in ­diesem Zusammenhang monströse Krea­ turen, die aus tierischen und mensch­lichen Elementen zusammengesetzt sind und die im Mittel­alter auch als »Halbmenschen« bezeichnet werden – etwa die semihomines bei Bernhard von Clairvaux oder die healfhundingar für Cynocephalen in frühmittelalter­lichen angelsäch­ sischen Bestiarien. Dasselbe rationale bzw. naturmytholo­gische Deutungsmuster wie bei den mytholo­ gischen Einzelwesen wurde von Isidor von Sevilla auch auf die in Kunst und Literatur des Mittelalters am häufigsten vorkommenden gemischten Fabelrassen angewendet, die Sirenen und die Kentauren. Isidor deutete die Sirenen als Hafendirnen, die durch ihre Tätigkeit zum Untergang der Seeleute beitrügen, und die Kentauren als thessa­lische Reiterkrieger, die ihren Feinden wie mit dem Pferd verwachsen vorgekommen seien. Ursprüng­lich besaßen die Sirenen wie die Manticora in einem Bestiarium, 13. Jahrhundert

­Harpyien den Kopf und Oberkörper einer Frau,

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aber den Unterleib und die Beine eines Vogels. Bereits in der Antike wurden sie bisweilen mit einer Schwanzflosse ausgestattet, seit dem Mit­ telalter dominierte dann diese Darstellungsweise. Da sie in den enzyklopädischen Aufzählungen der mittelalter­lichen Literatur meist zu den Meeres­ monstern und nicht zu den monströsen Menschen gezählt wurden, sollen ihre zahlreichen Erschei­ nungsformen, ebenso wie die ihnen verwandten Meermänner, auch hier unter den Meermonstern behandelt werden. Viel geringere Veränderungen erlebten die Kentauren, die in der mittelalter­lichen Kunst häufig gemeinsam mit den Sirenen dargestellt wurden, aber auch allein erscheinen konnten. In der Enzyklopädik wird meist zwischen Onokentauren, Mischwesen aus Mensch und Esel, und Hippokentauren, ­solchen aus Mensch und Pferd, unterschieden, und überraschen­ derweise sind die Kentauren in der Literatur selten unter den Wundervölkern anzutreffen. Nur in zwei in der Literatur wie der Ikonographie geradezu standardisierten Szenen aus der antiken Mythologie scheinen sie Verbreitung erlangt zu haben: In der ersten werden sie als Volk des Cheiron (Chiron) dargestellt, des kentaurischen Erziehers von Achilles, der durch die Trojasage Eingang in die mittelalter­liche Literatur 1 gefunden hat und der als äußerst gelehrt und wohlerzogen, aber gleichzeitig als wild, von fremdartigem Aus­ sehen und wie alle Kentauren als ausgezeichneter Schütze geschildert wird. In der zwei­ ten aus der mytholo­gischen Tradition geschöpften Szene wird die anima­lische Seite der Kentauren noch stärker betont. Dabei handelt es sich um die sogenannte Kentauromachie, den Krieg der Kentauren gegen den thessa­lischen Stamm der Lapithen. Bei der Hochzeit des Laphitenfürsten Peirithoos hatte sich der betrunkene Kentaur Eurytion an der Braut Hippodameia vergriffen. Im sich ­daraufhin ergebenden Kampf versuchten die Kentau­ ren, die Frauen der Laphiten zu rauben, wurden aber besiegt und mussten sich in die Berge zurückziehen. Die Kentauren mit ihrer wilden, aggressiven männ­lichen Sexualität eigneten sich somit ebenfalls zur Darstellung als Monster im Sinne einer Ermahnung. Neben Sirenen und Kentauren gehörten Faune und Satyrn zu den meistgenannten Mischwesen der Literatur des Mittelalters, allerdings traten sie zu dieser Zeit wenig in bild­lichen Darstellungen und nur selten im kirch­lichen Kontext auf. Nur in enzyklopä­ dischen Handschriften und auf Weltkarten wur­ den sie häufiger verbild­licht, da man sie auf Grund

Sirene und Kentauren in einem Bestiarium, nach 1277

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ihrer Hörner und Hufe leicht identifizieren konnte. Die Faune gehen auf den latinischen Hirtengott Faunus zurück. Man stellte sie sich als kleine, behaarte und gehörnte Waldbewohner vor. Sie stehen damit den Satyrn, dem Gefolge des Gottes Pan, nahe, mit denen sie immer wieder gleichgesetzt wurden. Ursprüng­lich galten die Satyrn als Mischwesen zwischen Mensch und Pferd, worauf ihre Pferdeohren und -schwänze sowie ihre Hufe hindeuten, während die Faune eher als ziegengestaltig erscheinen. Die Satyrn wurden in der Antike, wie die weib­lichen Nymphen, als lüsterne und bacchantische Anhänger des Dionysos betrachtet. Satyrn und Faune sind bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. nachweisbar, wobei schon zu dieser Zeit die terminolo­gische Trennung höchst unscharf ist. Im Mittel­alter behielten Faune und Satyrn ihre dämonisch-mytholo­gischen Züge, wodurch sie in die Nähe der Teufel und Dämonen rückten.2 Mitunter wurde der anima­lische Cha­ rakter wie bei Lambert von St. Omer und Bartholomäus Anglicus, die in ihnen eher Tiere mit Menschengesicht sehen, stärker herausgestellt. Es überrascht nicht, dass die geist­liche Allegorese die Faune und Satyrn, die schon im antiken Griechenland gerne mit einem ­Phallus dargestellt wurden, als Inkarnation der Unkeuschheit betrachtete: Bey den mussen wir erchenen die posen lewt die unkäuschleich lebent und unmässleich sind in allen iren tuen und lebent sam das vieh und tier.3 Da nach dem mittelalter­lichen Verständnis manche Tiere bestimmte Eigenschaften, Tugenden oder Laster symbolisierten – so galten etwa Ziegenböcke als besonders lüstern –, boten sich die Mischwesen wie Faune, Satyrn und auch Kentauren wegen der Kombination der einzelnen Eigenschaften eher als die mensch­lichen Fabelrassen für die Allegorese an.

5.2. Drolerien, Grillen und Chimären Als Drolerien, vom franzö­sischen drôle, »lustig«, abgeleitet, bezeichnet man heute die meist humorvollen, immer aber phantastischen Szenen an den Rändern der Handschrif­ ten, oft von absurder Natur oder eine verkehrte Welt zeigend, wenn etwa ein Hase einen Ritter jagt. Im Deutschen hat man das Phänomen mit dem Begriff »Groteske« zu fassen versucht, der für malerische und bauplastische Ornamentmotive der Antike und Renais­ sance verwendet wird, in denen mensch­liche und tierische Wesen sowie pflanz­liche und architektonische Elemente verwoben sind. Er hat sich jedoch für die Motivik der Hand­ Satyr aus der Übersetzung des Mandeville durch Michael Velser, Erstdruck Augsburg von 1480

schriften nicht durchgesetzt. Sowohl in den Drolerien als auch bei den Grotesken treten jedoch die Monster nur selten in Erscheinung, sie dienen auch nicht

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als Grundlage für die dort zu findenden Neuzu­ sammensetzungen mensch­licher und tierischer Körperteile. Zwar kommen auch Wundervölker, besonders Skiopoden, in den Drolerien vor, und einzelne von ihnen werden auch in den kleinen Szenen eingesetzt. In der Regel jedoch handelt es sich bei den Protagonisten der Drolerien um hybride Wesen, wobei diese meist aus mensch­ lichen Köpfen und Körpern von Kleintieren, vor allem Vögeln, zusammengesetzt sind. Eine Variante, die wohl als mittelalter­liche Erweiterung des Kanons der Wundervölker gelten kann, besteht aus einem mensch­lichen Körper und einem Vogelkopf auf einem langen Kranichhals. Beide Ausformungen werden auch vereinzelt in der volkssprach­lichen Literatur aufgegriffen, in der man sie mit den eigent­lichen Wundervölkern des antiken Kanons ver­ bindet: So stehen beispielweise die Kranichschnäbler des Herzog Ernst neben den als »Ein­­ sternen« bezeichneten Zyklopen und den »Prechami« genannten Pygmäen. Auch der gefähr­liche Kopffüßler, den der sich »Stricker« nennende Dichter des 13. Jahr­ hunderts in seinem Artusroman Daniel vom blühenden Tal beschrieb, belegt, dass man nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Literatur mit den Wundervölkern nach Art der Drolerien spielerisch umgehen konnte: Er wird einfach als »Bauchloses Ungeheuer« bezeichnet – was diesen Kopffüßler recht treffend schildert –, der noch dazu ein Gorgonen­ haupt besitzt. In der Literatur wie in den Drolerien findet sich ein Spiel mit Versatzstücken der Monster als künstlerische Variation mit bekannten Motiven. Ebenso gehört aber die kompi­latorische Kombination unterschied­lichsten Wissens über einzelne Aspekte der ­Monster in der wissenschaft­lich-enzyklopädischen Literatur zu d ­ iesem spielerischen Umgang mit dem Monströsen im weitesten Sinn. Dies ist ein Aspekt der mittelalter­lichen Buch- und Wissenskultur, den man mit der treffenden Phrase »Buchwissen und Sinnen­ freude« umschrieben hat.4 Damit ist gemeint, dass der geradezu sinn­liche Umgang mit dem Medium Buch im Mittelalter sich nicht nur auf die Illuminationen erstreckte oder auf die Qualitäten literarischer Werke, sondern dass auch das darin enthaltene Wissen von scheinbar nebensäch­lichen Illuminationen eine ähn­liche Funktion hatte – von der rein haptischen Attraktivität von Pergamentcodices, der man sich auch heute keineswegs ent­ ziehen kann, einmal ganz zu schweigen. Zu diesen Inhalten zählen Beschreibungen, Ver­ ortungen, literarische Umgestaltungen, Illustra­ tionen und selbst die spielerischen Variationen in

Skiopode wird vom Pfeil eines Blemmyae getroffen,

den Drolerien der Seitenränder gleichermaßen.

Handschrift um 1260

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Bisweilen erscheinen in den Drolerien auch nicht-hybride, affenartige Wesen, die den komischen Effekt verstärken und sich auch in der kirch­lichen Plastik wiederfinden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass zwischen Affen und Pygmäen nach mittelalter­lichem Ver­ ständnis nur ein schmaler Grat verläuft, sodass nicht immer festzustellen ist, worum es sich bei einzelnen Darstellungen handelt. Sie führten übrigens dazu, dass im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit derartige Drolerien ebenso wie die richtigen Affen im Franzö­sischen mitunter als babuin, babouin, im Eng­lischen als babewyn, babwin,5 heute baboon, bezeichnet wurden, das heißt als »Affereien«. Im Mittelalter wurden die Mischwesen in den Drolerien im Deutschen gryllus, »Grille«, genannt, ganz in dem Sinn, wie man noch heute eine abstruse Idee oder Laune als Grille bezeichnen kann. Noch im 16. Jahrhundert war die Rede von seltsamen fantastischen thieren und grillen.6 Der gryllus ist ein Mischwesen aus Tier und Mensch, meist mit Elementen des Schweins, aber auch von Insekten, und wurde nicht nur in den Handschriftendrolerien und ­­Kirchenräumen aufgegriffen, sondern auch in der spätmittelalter­lichen und frühneuzeit­lichen Literatur. Erst aus dieser erfahren wir, dass ein s­ olches Wesen als gryllus bezeichnet wurde und dass dabei am liebsten Elemente des Schweins verwendet wurden. Wenn wir in mittelalter­lichen Darstellungen Schweine in mensch­licher Gewandung – oder umgekehrt Menschen mit schwei­ nischen Körperteilen – und Mischwesen aus Mensch, Insekt/Vogel und Schwein vor uns haben, so handelt es sich offenbar um einen gryllus, der für die grobianischen, das heißt ungehobelten Sitten steht. Der gryllus – hier stellvertretend für alle Drolerien, also auch s­ olche ohne schweini­ sche oder insektenhafte Elemente – geht aber weit über die rein grobianische Funktion hinaus, Buckliger (?) Pfeilschütze schießt auf einen Affen, der

denn die Verbindung von ausschließ­lich mensch­

auf einer Manticora (?) reitet, flämische Handschrift um

lichen Körperteilen mit den unterschied­lichsten

1300

tierischen Elementen erlaubte es, auch ganz neue

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Kombinationen als Illustrationen bestimmter mensch­licher Eigen­ schaften oder Schwächen zu schaffen. Verwies etwa ein Ringelschwanz allein auf die sprichwört­lichen »schweinischen Sitten«, so konnte ein Hundekopf als Verweis auf das Bellen, das als gottesläster­liches oder ketzerisches Reden gedeutet wurde, gelten. Zusammengesetzte Tiergestalten eignen sich vortreff­lich zur allegorischen Auslegung. Wenn man die Gestalt in ihre Bestandteile zerlegt, so bekommt man gleich mehrere Sprungbretter, von denen aus man bequem zu jeder significatio gelangt, die man braucht. […] Schließ­lich muß man auch bedenken, daß zusammengesetzte Wesen eigens zu allegorischer Veranschau­ lichung konstruiert worden sind. So gibt es seit dem 11. Jahrhundert die Darstellung eines aus sieben Teilen zusammengefügten Scheusals, das eine Allegorie der Laster darstellt. 7

So zeigen einige mit hybriden Tieren illustrierte Verse im Hortus deliciarum der deutschen Äbtissin Herrad von Landsberg (1125/30 – 1195), ­welche verschiedenen Kombinationsmög­lichkeiten aus Tieren und Menschen es gab und w ­ elche Eigenschaften sie verkörperten bzw. worauf sie hindeuteten: Eine Abbildung in einer Handschrift der Bayerischen Staats­ bibliothek zeigt als Beispiel für die Möglichkeiten der Zusammenset­ zung ein solchen – hier hirschartig dargestellten – Hybridwesens, drei darüber stehende Verse geben Auskunft über die verwendeten Tiere, deren Körperteile und der Art des Kampfes, während die Beschrif­ tungen des Wesens selbst über die Bedeutungen der entsprechenden Körperteile bzw. Eigenschaften informieren: 8

Kopffüßler als groteske Marginal­ illustration im sogen. Luttrell Psalter, um 1325  –   3 5

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Latrans (als) Bellender

Vir (als) Mann

Cervus (als) Hirsch

equus (als) Pferd

ales (als) Vogel

scorpio (als) Skorpion

cattus (als) Katze

dente mit den Zähnen

manu mit der Hand

cornu mit dem Horn

pede mit den Fuß

pectore mit der Brust

retro rückwärts

vel ungue oder mit der Kralle

mordeo beiße ich

cedo töte ich

peto greife ich an

ferio schlage ich

trudo stoße ich

neco töte ich

scindo zerreisse ich

(=) detractio Diebstahl

(=) violentia Gewalt

(=) arrogantia Anmaßung

(=) rebellio Auflehnung

(=) venter Bauch (= Völlerei?)

(=) perfidia Verrat

(=) rixa Streit

Dieses System war dann offensichtlich mehr oder weniger beliebig erweiterbar, wobei hier angegeben, durch welchen Körperteil das jeweilige Tier gekennzeichnet werden kann: bos Stier

lepus Hase

ales Vogel

equus Pferd

homo Mensch

serpens Schlange

pavo Pfau

leo Löwe

grus Kranich

pes Fuß/ Huf

caput Haupt

os Mund

pectus Brust

manus Hand

ilia Flanken

cauda Schwanz

juba Mähne

crus Bein

Die zum Teil humoristisch angelegten Darstellungen von mensch­lich-tierischen Misch­wesen rücken teilweise durch Bekleidung und Accessoires nahe an das mittelalter­liche Narren­tum heran, was aber in ­ irche durchaus keinem Gegensatz zum religiösen Kontext steht, da im Mittelalter der Humor in der K einen Platz hatte. So gab es kirch­liche Feste wie das Fest der Narren, das Fest des Esels oder den Tag der heiligen Unschuldigen, an denen Narretei, Verkleidung und Ulk Teil kirch­licher Zeremonien waren, in denen Mönche als Narren agierten. Den Ursprung dieser erst mit der Reformation endenden und für uns heute befremd­lichen kirch­lichen Festivitäten hat man in den römischen Saturnalien sehen wollen.9 Selbst in mittelhochdeutschen Gedichten konnten ­solche Kompositionen verschiedener Tierele­ mente verbalisiert werden, wie die Beschreibung eines idealen Ritters durch den Minnesänger Reinmar von Zweter (um 1200 – nach 1246) zeigt: Unt solt ich mâlen einen man,

Sollte ich einen Mann malen,

dêswâr, den wolt ich machen

der sollte wahr­lich wunder­lich aussehen,

harte wunderlîch getân,

obwohl er doch ein Mann zu nennen wäre,

daz er doch hieze ein man:

würde ich ihn nicht so malen,

ich mâlte sîn nicht als man manegen siht.

wie viele aussehen:

Er müeste strûzes ougen haben

er müßte die Augen eines Straußen haben,

unt eines cranches hals,

und einen Kranichhals

97 dar inne ein zunge wol geschaben

mit einer glatten Zunge darin

unt zwei swînes ôren;

und zwei Schweineohren;

lewen herze des vergæze ich niht.

auch das Herz eines Löwen vergäße ich nicht.

Ein hant wolt ich im nâch dem arne mâlen;

Eine Seite würde ich ihm wie bei einem Adler

an der andern wolt ich niht entwâlen,

gestalten, bei der andern nicht zögern,

ich wolt sî bilden nâch dem grîfen,

sie dem Greifen nachzubilden,

dar zuo die vüeze als einem bern: sus wolt ich ganzes mannes wern […].

dazu die Füße wie bei einem Bären: so wollte 10

ich den ganzen Mann ausstatten […].

Dabei darf nicht vergessen werden, dass es sich bei dieser auf den ersten Blick absurd anmu­ tenden Kombination – die sicher­lich auch humorvoll gemeint ist – um die Darstellung einer Idealgestalt handelt, nicht etwa um eine Figur mit negativen Eigenschaften. Es ist ein verbreitetes Vorurteil, dass mittelalter­liche Monster und Drolerien in allererster Linie der Darstellung von Lastern und Sünden dienen – darüber wurde schon zu Anfang des Buches gesprochen – oder dass man zur Erklärung ihres häufigen Auftretens auf psycholo­gische Muster zurückgreifen muss. Es ist daher sinnvoll, sich bei der Betrachtung der bild­lichen Darstellungen die Polyvalenz der Monster immer wieder vor Augen zu halten: Aber wir wollen getreu unserer Beschränkung auf ikonographische Fragen nicht psychol­o ­g isieren, sondern nur für unsere Belange festhalten: Die formal so ähn­lichen zusammen­g esetzten Wesen haben im Bewußtsein der ­Z eit verschiedenen Stellenwert (Bild einer Vision, ­Z eichen der Versündigung, didaktisches Ziel, spielerische Kombi­ natorik), was bei der Deutung berücksichtigt werden will. 11

Diese Polyvalenz zeigt sich auch in einer Sonderform der Groteske, die man in den Miserikor­ dien des Chorgestühls mittelalter­licher Kathedralen findet: Das Schnitzwerk dieser kleinen Holzvorsprünge, die den Mönchen als Gesäßstütze dienen, eröffnet eine ganze Bilderwelt des Mittelalters, die neben selteneren bib­lischen Themen auch viel Unterhaltendes enthält, wie es der versteckten Unterseite der Klappsitze des Chorgestühls entspricht: Monster trifft man mit Ausnahme der Sirenen nur selten, doch von der »verkehrten Welt« bis hin zu Mischwe­ sen sind auch hier viele Spielarten des Grotesken verewigt.12 Anders sieht es mit Form, Funktion und Begriff der Chimäre aus, denn der Name dieses dreiteiligen Mischwesens wurde ab dem Hochmittelalter immer mehr zu einer allgemein­ gültigen Bezeichnung für Fabelwesen, wohl weil im Frühmittelalter der Bezug auf das kon­ krete Fabelwesen der Antike verloren gegangen war. Im 12. Jahrhundert gebrauchte man den

98

Begriff generell für etwas Phantastisches, wie ein Brief des Abts von Cluny, Petrus Venerabilis (1092/94 – 1156), an Bernhard von Clairvaux belegt: Ich habe, ich weiß nicht wieviele von den Schwarzen [Mönchen = Benediktiner] gesehen, die bei der Begegnung mit einem Weißen [Mönch = Zisterzienser] lachen wie über ein Monster, oder über eine Chimäre oder einen Kentaur oder irgendein anderes wanderndes Portentum, das ihnen vor die Augen kommt, und sich durch ihre Augen und Gesten davon überrascht zeigen. 13

Monster, portenta und Chimären wurden somit weitgehend gleichgesetzt und zudem als lächer­lich und erstaun­lich bewertet. Bernhard von Clairvaux bezeichnete sogar sich selbst in einem übertragenen Sinn als Chimäre, wobei er den Begriff ebenfalls in Bezug zum Mon­ strösen setzte, jedoch in abstrakter Weise: Mein monströses Leben, mein trübseliges Gewissen schreit zu euch. Ich bin näm­lich eine Chimäre meines Zeitalters, benehme mich weder wie Kleriker noch wie Laie. 14

Eine Nähe zum Monströsen besteht insofern, dass auch die als Chimären bezeichneten Mischwe­ sen über die alltäg­liche Naturerfahrung hinaus verweisen und damit jenseits der natür­lichen

Kranichsschnäbler aus Aldrovandi:

Menschliches Monster, einen Hammel schleppend, Kapitell im Kreuzgang

Monstrorum historia, 1642

des Großmünsters, Zürich

99

Welt eine Bedeutung erhalten, die demonstrativen, also hinweisenden, mahnenden Charakter hat. Im Gegensatz zu den eigent­lichen Monstern, also den humanoiden Fabelvölkern, scheinen die Chimären in keiner Weise einem Kanon zu unterliegen, sondern ihre Attraktivität dürfte im Gegenteil in einer mög­lichst großen Vielfalt der Formen gelegen haben. Ansonsten wäre der unge­ heure Reichtum an Formen, der sich weniger in der romanischen, sondern verstärkt in der gotischen Bauplastik herausbildet, nur schwer zu erklären. Man hat in der grotesken Bauplastik des Mittelalters eine Entwicklung von einer überwiegend religiö­ sen Bildsprache im 12. und 13. Jahrhundert hin zu einer von der Volkserzählung geprägten im 14. und 15. Jahrhundert erkennen wollen. Eine s­ olche Deutung ignoriert aber völlig, dass gerade die aus der geographisch-enzyklopädischen Literatur bekannten Monster des Ostens die Bauplastik der Spätromanik von Frankreich bis Skandinavien prägen. Während des gesamten Mittelal­ ters sind offenbar die unterschied­lichsten Einflüsse wirksam geworden. Die Formensprache der Romanik scheint viel enger einem inhalt­lichen Kanon unterworfen zu sein, der sich uns nicht auf den ersten Blick erschließt. Monströses wie die Wundermenschen, Dämonisches wie die Teufel und Groteskes wie Fabeltiere sind nicht einfach zu unterscheiden. Gleichermaßen rätselhaft sind die tierischen Mischwesen, die vor allem in der Gotik als phantasievolle Kombinationen unterschied­lichster Tierkörper und mensch­licher Fratzen als Außenelemente mittelalter­licher Bauplastik auftauchen. Über das Eng­lische hinaus ist für diese als Wasserspeier dienenden Figuren der Name »Gargoyles« inzwischen recht gebräuch­lich. Er leitet sich ursprüng­lich vom altfranzö­sischen gargoule ab, das wiederum auf gargariser, »gurgeln«, zurückgeführt werden kann 15 und somit von ihrer Funktion als Wasserableiter von den ­­Kirchendächern herrührt.16 Wie die Chimären sind diese, obschon sie als Wasserspeier eine konkrete Funktion besitzen, nicht auf eine einzige festzulegen. Man hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die drachenartigen und bestia­lischen Fratzen unter den Gargoyles nicht allein apotropäischen – also schaden- und dämonenabwehrenden – Charakter haben können, weil sich ganz ähn­liche Darstellungen auch im ­­Kirchenraum und in den Kreuzgängen wiederfinden. Zudem hat man richtigerweise angemerkt, dass sich diese Abwehrfunktion auch

Chimera in einem Bestiarium,

in mittelalter­lichen religiösen Prozessionen manifestiert, während

13. Jahrhundert

100

derer man drachenartige Untiere herumtrug, die in Frankreich als gargouille bezeichnet werden, was in ­diesem Fall aber eher auf den Ausdruck grand goule, »Großmaul«, zurückzuführen ist.17 Ähn­lich multifunktional sind auch die huma­ noiden hybriden Monster: Ihre mahnende Funk­ tion, die sowohl innerhalb des ­­Kirchenraumes – denkt man etwa an die auf weib­liche und männ­ liche Schwächen verweisenden Darstellungen der Sirenen und Kentauren – als auch außen auf den Tympana über den Westportalen verbild­licht wird, widerspricht weder der unterhaltenden Funktion des Motivs in den Handschriftenillustrationen noch ihrem wissenschaft­lichen Wert als Teil der Erdbeschreibung in den Enzyklopädien. Der im Mittelalter offenbar so unkomplizierte spielerische Umgang mit Formen und Inhalten auch über Gattungsgrenzen hinweg macht deut­lich, wie fließend der Übergang von echten humanoiden Monstern zu hybriden Drolerien, von Grotesken zu Chimären und Gargoyles ist, auch wenn der Ursprung für alle vorwiegend in den aus der Antike stammenden mythischen Monstern zu suchen ist.

5.3. Die Wilden Menschen Ein ausgesprochener Sonderfall unter den Wundervölkern sind die Wilden Menschen, die aufgrund des Fehlens antiker Vorbilder auf einheimische mythische Quellen zurückgehen dürften, auch wenn sich dies nicht mit letzter Sicherheit nachweisen lässt. Im Mittelalter ­wurden sie mit einigen keineswegs klar definierten Bezeichnungen versehen: Meist bezeichnete man sie als homines agrestes, homines silvestres, verkürzt als Agrestes, Silvestres oder ­Silvani, was eher den volkssprach­lichen »Waldmenschen« als den »Wildmenschen« entspräche. Ihre Verortung in der unberührten Natur stellt jedoch nur ein Merkmal ihres Volkes dar, in dem Begriff »Agrestes« deutet sich zudem eine Ungezähmtheit und Unkultiviertheit an, mit der sie sich der mensch­lichen Gemeinschaft verschließen. Auch durch ihr Aussehen unterscheiden sie sich von anderen Menschen: Sie sind nackt, am ganzen Körper behaart, und insbesondere die männ­liche Vertreter haben struppige Bärte und ungekämmte Haare als ­Zeichen mangelnder zivilisatorischer ­Praxis. Die Wilden Menschen gehören zu den weni­ Gargoyle, Kathedrale Santa Creu i Santa Eulalia,

gen Fabelrassen, die in beiderlei Geschlecht auf­

Barcelona, 14./15. Jahrhundert

treten, was durch Hervorhebung sekundärer

101

Geschlechtsmerkmale – oft unbehaarte und deswegen auffällige Brüste bei den Frauen, starker Bartwuchs bei den Männern – kennt­ lich gemacht wird. Das ist umso bemerkenswerter, da sie auch auf die Figur des »Wilden Mannes« zurückgehen dürften, d. h. dem Brauchtum und vielleicht sogar der niederen Mythologie entstammen, zumindest aber in der Vorstellung von Naturgeistern als Repräsen­ tanten der ungezähmten Natur wurzeln. Der Wilde Mann ist, obwohl im Gegensatz zu den Monstern der antiken Tradition innerhalb der bekannten Welt in Europa und nicht in fernen Gegenden beheimatet, eine außer­soziale Figur mit unzivilisiertem, naturnahem, mitunter tierähn­lichem Äußeren, die sich in der Mythologie und Folklore zahlreicher europäischer, aber auch außereuropäischer Völker nachweisen lässt. Der älteste Beleg findet sich vermut­lich im sumerischen Gilgamesch-Epos, in dem ein Wesen namens Enkidu mit langen Haaren, behaartem Körper und enormen Kräften geschildert wird, das sich schließ­lich zum Men­ schen entwickelt.18 Es gibt aber auch näherliegende mytholo­gische Vorbilder, wie Faune, Satyrn und Pan der klas­sischen griechischen Mythologie, mit denen der Wilde Mann die Naturnähe, die Behaarung und sogar die erotische Konnotation teilt, wobei ihm jedoch das Bacchantische und Exzessive der antiken Figuren fehlt. Dessen ungeachtet gehört der Wilde Mann mehr als alle anderen Wundervölker des Mittelalters zu einer vorchrist­lichen, ursprüng­lich auch volksnahen und nicht etwa gelehrten Tradition. Die Wilden Menschen aus der europäischen Ethnologie sind jedoch nicht zu den Fabel­ rassen im engeren Sinne zu zählen, sondern Repräsentanten verschiedenster Verkleidungskulte und -bräuche. Wesent­liche Züge all dieser Verkleidungen sind Behaarung bzw. Fellverklei­ dung, Masken und tierische Elemente wie Hörner, Geweihe oder hypertrophe Zahnreihen. Die Tradition ­solcher Verkleidungen ist bis heute ungebrochen, ein Höhepunkt sowohl des Brauchtums als auch der literarischen und bild­lichen Belege zum Wilden Mann ist aber im europäischen Spätmittelalter zu konstatieren. Dies ist auch die Phase, in der sich die Gestal­ ten der antiken Wildnisbewohner, eben der Agrestes oder Silvestres, mit den einheimischen Gestalten aus den Verkleidungsbräuchen zu überlagern scheinen und für wenige Jahrhunderte zu einer einzigen, aber dann sehr populären Gestalt verschmelzen. Bis zum heutigen Tage widersetzen sich die Nachfahren des Wilden Mannes in Form der Perchten und Schembart­ gestalten im Maskentreiben der österreichischen und Schweizer Alpentäler einer eindeutigen Definition oder gar Klassifikation. In mittelalter­lichen Quellen lassen sich drei Kategorien von Wil­ den Menschen unterscheiden: Zum einen handelt es sich dabei um die

Wilder Mann in einer Renaissancehandschrift

102

Agrestes und Silvestres der wissenschaft­lichen Literatur, die Thomas von Cantimpré auflistet und die noch nicht als Wildmenschen im späteren Sinn des Wortes aufgefasst werden, sondern sch­licht als Land- bzw. Waldbewohner oder eben »Wilde«.19 Thomas greift dabei zweifellos auf die Pilosi (Behaarten) der älteren Tradition zurück. Diese tauchen als Monomates auch bei dem Byzantiner Johannes Tzetzes (um 1110 – um 1180) auf und gehen vermut­lich auf ein unbenanntes, von Strabon aus dem Indienbericht des Megasthenes übernommenes Volk von einäugigen, hundsohrigen Menschen mit behaarten Brüsten und struppigen Haaren zurück. Aus der Verbindung von zyklopischen und cynocephalen Zügen mit den eigent­lichen Wilden Menschen entsteht im Mittelalter wiederum eine Reihe weiterer Wunderrassen.20 Obwohl die Agrestes unter d ­ iesem Namen bei Isidor von Sevilla und seinen direkten wissenschaft­lichen Nachfolgern nicht unter den Wundervölkern genannt werden, geht die Namensgebung zum Teil auf Isidor zurück, der bei der Darstellung der Wildschweine auch die Etymologie des Begriffs thematisiert: Der Eber ist nach seiner Wildheit benannt, unter Wegfall des Buchstabens F und Ergänzung von P; weswegen man bei den Griechen Wildsau sagt, das heißt wild. Wir nennen näm­lich alles, was wild und feind­lich ist, herabsetzend agreste.

21

Im Hochmittelalter blieb also der Bezug zur Wildheit und zu den Wildschweinen erhalten, und das Zitat bei Isidor zeigt, dass der Begriff abwertend und nicht nur rein beschreibend gemeint war. Vinzenz von Beauvais übernahm dieses Zitat dann um 1250 fast wört­lich, wobei er diese Menschen mit einer in seiner Quelle direkt davor genannten, allerdings namenlosen Gruppe von Wildmenschen zusammenführte: Es gibt auch Menschen, die beiderlei Geschlechts nackt herumlaufen und einen behaarten Körper wie die wilden Tiere haben und gleichermaßen im Wasser wie am Land leben: ­w elche, wenn sie Menschen von außerhalb kommen sehen, sich im Wasser untergetaucht verstecken. Da gibt es auch Landbewohner, sehr groß und behaart wie die Wildsäue und gleich wilden Rindern. 22

In der altfranzö­sischen Versfassung des Wundervölkerkapitels 23 bei Thomas von ­Cantimpré kommt das Volk ebenfalls ohne Nennung des Namens aus, was zeigt, dass mittelalter­liche Auto­ ren den Begriff agrestes noch nicht als Eigennamen eines Volkes, sondern als Charakte­risierung dieser Wilden verstanden. Die Allegorese des altfranzö­sischen Verstextes – die einzige, die ich für dieses Volk bislang überhaupt finden konnte – deutet sie als die Neidischen, die aus lauter

103

Geiz die Gesellschaft verlassen. Diese Deutung geht darauf zurück, dass die Agrestes auch hier mit dem in den Versen zuvorgenannten Volk zusammenge­ fasst werden, deren Fremdenfeind­lichkeit allego­ risch – etwas abwegig – als Geiz interpretiert wird. Der zweite Vorläufer, auf den die Wildmen­ schen zurückgehen, ist der einheimische Wilde Mann, eine Figur, die sich nicht nur aus dem Volks­ brauchtum speisen dürfte, sondern auch durch eine ganze Reihe dem Wahnsinn verfallener und dann in der Wildnis hausender Einzelfiguren der mittelalter­lichen Literatur repräsentiert wird, die sich vom Nahen Osten bis zum insularen keltischen Bereich verorten lassen. Zu Letzteren zählt der schottische Krieger Lailoken – aus dem die Gestalt des Myrddin, später Merlin, hervorging –, der angeb­lich aufgrund des entsetz­lichen Gemetzels in der Schlacht von Arf­ derydd in Cumberland (um 573) dem Wahnsinn verfiel und dann jahrelang in der Wild­ nis von Südwestschottland lebte – so stellt es jedenfalls die Vita des heiligen Kentigern von Joceline of Furness aus dem 12. Jahrhundert dar. Schon das Buch Daniel im Alten Testament berichtet von dem per­sischen König Nebukadnezar II., der für seine Hybris sieben Jahre als Wildmensch mit den Tieren im Wald leben musste. Mit Wahnsinn bzw. Torheit anstatt einer Form angeborener mentaler Defizienz bringt offenbar auch Konrad von Megenberg die Wildmenschen in Verbindung. Zwar nennt er bei den Wundermenschen diejenigen mit »Gebrechen der Seele«, also Schwachsinnigkeit, nach denen mit zu kleinen oder zu großen Köpfen und dann erst die Wildmenschen, erwähnt aber, dass damit diejenigen gemeint seien, di in den wælden erzogen werdent, verr von den vernuftigen laeuten, und lebent sam das vih,24 weshalb er sie im weiteren Kontext von den naturleichen torn behandelt. Im Gegensatz zu den eher farblosen, nur durch den Vergleich mit den Wildsäuen etwas plastischer wirkenden Beschreibungen der Agrestes hat die einheimische europäische Tradi­ tion des halb wahnsinnigen, halb naiven Naturbewohners, der in der volksprachigen Litera­ tur des Mittelalters allenthalben anzutreffen ist, die bekannteste literarische Ausformung in der Figur des Waldmenschen im Iwein ­Hartmanns von Aue gefunden, den der Artusritter Kalogrenant am Wunderbrunnen vorfindet und der sich als »Herr der Tiere« bezeichnet. Er repräsentiert die Gegenwelt zur Gesellschaft am Hofe Arthurs und wird dann im Wahnsinn des Iwein selbst gespiegelt, der aufgrund der Enttäuschung über den Verlust seiner Frau Lunete den Verstand verliert und ebenfalls eine

Nebukadnezar als Wilder Mann,

Zeitlang wie ein wildes Tier im Wald lebt.

um 1400

104 418 do gesach ich sitzen einen man

Da sah ich einen Menschen

in almitten under in

mitten unter den Tieren sitzen

[…]

[…]

425 sîn mensch­lich bilde

Seine mensch­liche Gestalt

was anders harte wilde:

war überraschend wild,

er was einem môre glîch,

er g­lich einem Mohren,

michel und als eislîch

war groß und schreck­lich,

daz ez nieman wol geloubet.

daß es ganz unglaub­lich ist.

430 zewâre im was sîn houbet

Wahrhaftig, sein Kopf

grœzer danne einem ûre.

war größer als der eines Auerochsen,

ez hâte der gebûre

der Kerl hatte

ein ragendez hâr ruozvar,

struppiges, rußschwarzes Haar,

daz was im vast unde gar

das war ihm

435 verwalken zuo der swarte an houbet unde an

an Haupt und Bart

barte.

an der Haut ganz und gar verfilzt,

sîn antlütze was wol ellen breit

sein Gesicht war ellenbreit und

mit grôzen runzen beleit.

von tiefen Runzeln durchfurcht.

ouch wâren im diu ôren

Dazu waren ihm die Ohren

440 als einem walttôren

wie einem Waldschrat

vermieset zewâre

vermoost mit

mit spanne langem hâre,

spannenlangem Haar

breit alsam ein wanne.

und waren groß wie ein Futtertrog.

dem ungevüegen manne

Der ungeschlachte Mann

445 wâren granen unde brâ lanc, rûch unde grâ,

hatte lange, zottige und graue

diu nase als einem ohsen grôz,

Barthaare und Augenbrauen.

kurz, wît, niender blôz,

Die Nase war dick wie bei einem Ochsen,

daz antlütze dürre und vlach,

kurz, breit, überall behaart;

450 (ouwî wie eislîche er sach)

das Gesicht dürr und platt

diu ougen rôt, zornvar.

– ach wie schreck­lich sah er aus –

der munt hâte im gar

die Augen rot und zornfunkelnd.

beidenthalp diu wangen

Der Mund reichte

mit wîte bevangen.

weit bis

455 er was starke gezan,

zu beiden Wangen.

als ein eber, niht als ein man:

Er hatte mächtige Zähne

ûzerhalp des mundes tür

wie ein Eber, nicht wie ein Mensch,

rageten sî im her vür,

sie ragten ihm

lanc, scharpf, grôz, breit.

lang, scharf, groß und breit

105 460 im was daz houbet geleit

aus dem Tor des Mundes heraus.

daz im sîn rûhez kinnebein

Der Kopf war ihm so aufgesetzt,

gewahsen zuo den brüsten schein.

daß sein borstiges Kinn

sîn rüke was im ûf gezogen,

an die Brust angewachsen schien.

hoveroht und ûz gebogen.

Sein Rücken wölbte sich nach oben,

465 er truoc an seltsæniu cleit:

bucklig und verkrümmt.

zwô hiute hât er an geleit,

Seltsame Kleider trug er:

die hât er in niuwen stunden

Er hatte zwei Felle angelegt,

zwein tieren abe geschunden.

die er eben erst

er truoc einen kolben alsô grôz

zwei Tieren abgezogen hatte.

470 daz mich dâ bî im verdrôz.

Er trug eine so riesige Keule,

dô ich im alsô nâhen kam

daß mir in seiner Nähe ziem­lich

daz er mîn wol war genam,

unbehag­l ich war.

zehant sach ich in ûf stân

Als ich ihm so nahe gekommen war,

unde nâhen zuo mir gân.

daß er mich bemerken konnte,

475 weder wider mich sîn muot

sah ich ihn plötz­lich aufstehen

wære übel ode guot,

und sich mir nähern.

desn weste ich niht die wârheit,

Ob seine Gesinnung gegen mich

und was iedoch ze wer bereit.

böse oder freund­lich sei,

weder erne sprach noch ich.

wußte ich nicht,

480 do er sweic, dô versach ich mich

aber ich hielt mich kampfbereit.

daz er ein stumme wære

Weder er noch ich sprachen.

und bat mir sagen mære.

Da er schwieg, nahm ich an,

ich sprach ›bistu übel ode guot?

er sei ein Stummer,

er sprach ›swer mir niene tuot,

und sprach ihn um Auskunft an.

485 der sol ouch mich ze vriunde hân.‹

Ich sagte: ›Bist Du böse oder gut?‹

›mahtu mich danne wizzen lân,

Er sagte: ›Wer mir nichts tut,

waz crêatiure bistû?‹

soll auch mich zum Freund haben.‹›Kannst Du

›ein man, als dû gesihest nû.‹

mir dann erklären,

›nû sage mir waz dîn ambet sî.‹

welch ein Geschöpf du bist?‹

490 ›dâ stên ich disen tieren bî.‹

›Ein Mensch wie du siehst.‹

›nû sage mir, tuont sî dir iht?‹

›Nun sage mir, was machst du hier?‹

›sî lobetenz, tæte ich in niht.‹

›Ich hüte diese Tiere.‹

›entriuwen vürhtent sî dich?‹

›Nun sage mir, tun sie dir was?‹ ›Sie sind froh, wenn ich ihnen nichts tue.‹

›ich pflige ir, und s1i vürhtent mich 495 als ir meister und ir herren.‹

25

›Wirk­lich fürchten sie dich?‹ ›Ich hüte sie, und sie fürchten mich als ihren Herrn und Meister.‹

106

Hartmann folgt in seiner Schilderung des Waldmenschen bereits der des vilain im Yvain des Chrétien de Troyes, schmückt diese aber wesent­lich mehr aus. Beiden gemein ist jedoch die bewusste Herausstellung der mensch­lichen Natur des Wilden Mannes. Obwohl er als geradezu grotesk häss­lich und groß beschrieben wird und seine Kleidung aus zwei frisch abgezogenen Tierhäuten den Eindruck abstoßender Wildheit noch verstärkt, beantwortet er die Frage des Kalogrenant nach seiner Mensch­lichkeit doch eindeutig bejahend: waz crêatiure bistû? – ein man, als dû gesihest nû. Es handelt sich also keineswegs um ein mytholo­gisches Wesen – wie etwa bei den äußer­lich ähn­lich beschriebenen Trollen der skandinavischen Tradition – oder um einen Dämon, sondern um einen der Wundermenschen. Diese Erscheinungsform des Wilden Mannes führt die Gestalt auf ein entweder dauer­ haftes oder nur zeitweiliges Sich-Entfernen eines ansonsten normalen Menschen von der Gesellschaft zurück. Als (literarische) Einzelschicksale sind diese Fälle des temporären Wahn­ sinns und Waldlebens aber nicht direkt mit den Wundervölkern in Verbindung zu bringen. Auf die Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen dem Monströs-Humanen und dem Dämonischen bei den Wilden Menschen auch im Mittelalter weist der Liber Corrector hin, das Bußbuch des Burchard von Worms (um 965 – 1025). Er beschäftigte sich in einer sei­ ner Fragen zu den ma­gischen Praktiken mit dem Umgang der Christen mit agrestes feminae quas silvaticas vocant (»wilden Frauen, die Waldfrauen genannt werden«), womit er zwei­ fellos eine Gruppe ihm offenbar dämonisch erscheinender, halbmytholo­gischer weib­licher Wesen bezeichnete.26 Aus den weiteren Ausführungen geht dann jedoch hervor, dass er von verführerischen weib­lichen Dämonen und nicht von Mitgliedern eines Wundervolkes sprach. Die Schilderung des Wilden Mannes bei C ­ hrétien und Hartmann zeigt darüber hinaus, dass beide in einer literarischen Tradition der Beschreibung des Häss­lichen stehen, die sich in zahlreichen mittelalter­lichen Werken der Literatur manifestiert: Man denke etwa an die Darstellung der häss­lichen Gralsbotin Cundrie in Wolframs von Eschenbach Parzival. Diese literarische Form hat jedoch schon antike Wurzeln,27 auch wenn in dieser Figur eher die einheimische Tradition zum Tragen gekommen sein dürfte. Offenbar handelt es sich gerade im Yvain/Iwein um eine Überlagerung derartiger Vorstellungen, die noch dazu künstlerisch vollendet ausgestaltet wurden. Bei aller schaurig-faszinierten Abscheu, die auch in den knappen Erwähnungen der enzy­ klopädischen Beschreibungen durchscheint, ist es nicht in erster Linie die Häss­lichkeit, die die Monstrosität der Wildmenschen ausmacht, sondern der an ihrer vollständigen Behaarung nur äußer­lich manifest werdende Aspekt der Wildheit: Die Tatsache, dass sich diese Menschen auf Feldern und Wäldern unstet und ohne Behausung herumtreiben und sich ausschließ­lich von der Jagd auf wilde Tiere ernähren, dürfte für die Zuschreibung der Monstrosität wich­ tiger gewesen sein als ihre Behaarung.

107

Die Wilden Menschen als Sonderfall der humanoiden Monster weisen eine ganze Reihe von Merkmalen auf, die sie vor allem im Spätmit­ telalter zu einem beliebten Bildthema ­werden lie­ ßen, dessen Verbreitung deut­lich über das anderer Wundermenschen hinausgeht. So verweist etwa die Darstellung der Wildmänner der mittelhoch­ deutschen Epen mehr auf die Naturverbundenheit und Zivilisationsferne der Eremiten – die häufig auch als Wildmänner dargestellt werden – statt auf Bedroh­lich-Dämonisches. Reizvoll für die bild­liche Darstellung war aber gewiss auch die erotische Konnotation, die den Wilden Menschen, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sie in beiden Geschlechtern auftreten, zugeschrieben wird, und die sich in ihrer weitgehenden Nacktheit und dem paarweisen Auftreten manifestiert. Die erotischen Bezüge äußern sich in sehr unterschied­lichen Ausformungen: So verweist die fried­liche Natur sicher­lich auf ein Goldenes Zeitalter, in dem vorzivilisatorisches Leben auch durch die primitive Form der Waffen – näm­lich Keulen – und das Leben in der Natur dargestellt werden. Sie bilden damit m. E. ein sehr diesseitiges Pendant zum Leben von Adam und Eva im Garten Eden, und die primitive Bewaffnung stellt nur einen Teil des außerparadie­sischen Lebens nach der Vertreibung dar. Die Wildmänner und -frauen auf den Basler Bildteppichen des 15. Jahrhunderts veranschau­lichen dies in geradezu vorbild­lichem Verhalten, wilde Tiere zähmend, mit Umwerben, Ehe und Familie ganz wie in der mensch­lichen Gesellschaft, für die sie als exotische Folie dienen und wohl unterschwellig auf die doch jedermann innewoh­ nende sexuelle Wildheit rekurrieren. Von anderer erotischer Natur ist die vor allem literarisch, aber selten bild­lich darge­ stellte Rolle des Wilden Mannes als Frauenräuber. Die Entführung von adeligen Damen und ihre nachfolgende unerläss­liche Befreiung von den Nachstellungen der Wilden Män­ ner stellt ein verbreitetes Motiv sowohl in der Artusepik als auch in der Heldenepik dar.28 Obwohl gerade dieser Rolle des Wilden Mannes mög­licherweise auch der Antagonismus zwischen Wildem Mann und Ritter zugrunde gelegen haben mag, kommt darin das Bild des gezähmten Wilden Mannes zum Ausdruck, das dann im Mittelalter am häufigsten Verbreitung finden wird. In den erhaltenen literarischen und bild­lichen Verwirk­lichungen bedienen sich Ritter oder Bürger des bereits etablierten Topos, indem

Eremit als Wilder Mann in englischer

sie sich selbst als durch die Liebe zu einer Frau gezähmte Wilde Männer

Handschrift, um 1340

108

bezeichnen. Diese erst seit dem 14. und 15. Jahrhundert greifbare Tradition dürfte auf ein verlo­ renes literarisches Werk zurückgehen, in dem der zuerst als Frauenentführer auftretende Wilde Mann durch die Liebe zu dieser Frau gezähmt und – wie in handschrift­lichen Illustrationen mit­ unter dargestellt – geradezu abgeführt werden kann, wenn sie nicht ohnehin seine Liebe erwidert. Obwohl diese Sage nur mehr verzerrt in dem niederländischen Gedicht Van der Wilden Man des 14. Jahrhunderts überliefert ist, belegen schon ältere Verweise auf die gezähmte Wildheit des Wilden Mannes den Bekanntheitsgrad der Geschichte, auf die man sich leicht und verständ­lich beziehen konnte, und zwar nicht zuletzt in Liedern der Minnesänger aus dem 12. Jahrhundert. ich waz wilde, swie viel ich doch gesanc;

Ich war wild, wieviel ich auch immer dichtete.

ir schoeniu ougen daz wâren die ruote,

Ihre schönen Augen waren die Peitsche,

dâ mite si mich von êrste betwanc. 29

mit der sie mich sofort überwältigte.

So stilisiert sich der Minnesänger Ulrich von Gutenburg in seinem Lied Ich hôrte ein merlikîn wol singen selbst indirekt zum Wilden Mann, und auch Dietmar von Aist gesteht: Nu ist ez an ein ende kommen, daz mich ein

Nun hat mich eine edle Frau in ihre Gewalt

edeliu vrowe hât genomen in ir getwanc […] si

genommen und nimmt mir jeg­liche Wildheit.

benimet mir mange wilde tât.

30

Wie auf den Wandteppichen des 15. Jahrhunderts erkennbar wird, entwickelt sich die gezähmte Wildheit geradezu zu einem zentralen Motiv des Minnediskurses, und wenn sich schließ­lich ganze Höfe und Heere von Wilden Menschen in Burgen gegen einen Angriff der Minne – wie aus den Rosen als Wurfgeschossen geschlossen werden kann – wehren, dann ist der verliebte und gezähmte Wilde Mann vollends zum literarischen und künstlerischen Topos geworden.31 Die vielzitierte Stelle bei Geiler von Kaysersberg, die Straßburger Bürgersfrauen würden ihre Männer wegen deren Virilität als »Wilde Männer« bezeichnen,32 zeigt uns jedenfalls die ­Wilden Männer in ihrer gezähmtesten Form: als Ehemänner. Es ist daher nicht verwunder­lich, wenn sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts selbst ein König als verliebter Wildmensch stilisierte. So ließ der böhmische König Wenzel IV. (1361 – 1419) sowohl in der prachtvoll ausgeschmückten Wenzelsbibel als auch im sogenannten Wenzels­ psalter nicht nur die berühmten, leichtgekleideten Bademädchen als Objekt seiner Zunei­ gung, sondern auch sich selbst – deut­lich durch seine Initiale W gekennzeichnet – als einen ihnen nachstellenden Wilden Mann darstellen. Eine dritte, aber spätere Traditionslinie, in der die Wildmenschen stehen, ist die erst Ende des Spätmittelalters auftretende Funktionalisierung als Schildhalter in bild­lichen Darstellungen

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von Wappen oder Ähn­lichem. Hier werden die Wildmenschen auch erstmals eindeutig in ihrer jeweiligen Geschlecht­lichkeit gekennzeichnet und darüber hinaus durch ihre Attribute eng mit ihrem natür­lichen Umfeld verbunden. Mit ihren behaarten Körpern, pflanz­lichen Girlanden im Haar, mitunter sogar Fellbekleidung und hölzernen Keulen als Waffen stehen sie den verkleideten Wildmenschen im Brauchtum nahe. Allerdings besteht keine Überein­ stimmung in dem Sinne, dass sie als Darstellungen von tatsäch­lichen Brauchtumsformen gedeutet werden sollten. Neben dem für alle Wunderwesen konstitutiven Exotismus, der den Wappenführenden ein entsprechendes Flair verlieh, eigneten sie sich wohl durch ihre Wildheit und Ursprüng­ lichkeit besonders gut als Wappenträger. Daneben war es vermut­lich ihre ungebändigte Kraft, die am besten in der Gegenüberstellung mit der zivilisierten höfischen Stärke zum Ausdruck kommt, etwa wenn statt einem Pärchen von Wildmenschen ein Ritter auf der einen und ein Wildmann auf der anderen Seite den Wappenschild stützt. In der folkloristischen Tradition spielen Kämpfe zwischen Wildmännern und Rittern ebenfalls eine Rolle, wie 1515 bei den Weihnachtsfestivitäten am Hofe des eng­lischen Königs Henry VIII ., wo Eight wyldemen, all apparayled in green mosse with sleved sylke, with ugly weapons and terrible visages […] there foughte with eight knyghtes.33 Es kann also sein, dass die Verbindung von Wildmann und Ritter zu Schildträgern auch den Frieden zwischen den Wilder Mann, von tugendreicher Frau gezähmt; die Bild­

Wildleute auf dem Wappen des Kornmesseramts,

umschrift im Spruchband lautet: Nie mehr will ich’s trei-

1468, Gent

ben wild, wenn mich zähmt ein weiblich Bild / Ich trau mich ­D ich zu zähmen wohl, so gut und billig als ich soll, Teppich, 1470, Basel

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beiden kämpferischen Aspekten, dem ritualisierten Ritterzweikampf einerseits und der unge­ bändigten Kraft der Natur andererseits, andeuten sollte. Neben diesen unterschied­lichen Bezugnahmen auf die Tradition des Wilden ­Mannes war es schließ­lich diese heraldische Bedeutung, die den Wilden Menschen wie keinem anderen Wundervolk ein Überleben bis ins 16. Jahrhundert sicherte. So wurden sie in einen streng definierten Bildtypus eingefügt, in dem sie in weitgehend starrer Haltung nicht nur die Attri­ bute ihres Volkes beibehalten, sondern auch ein Wappenschild in Händen tragen. Dieses kann von einem oder zwei Wildmännern gehalten werden, von einem Wildmann und einer Wildfrau oder aber von einem standes­gemäß bewaffneten Wildmann und einem Ritter. Die

Wilder Mann von der Achterkastelldekoration des

Wilder Mann als Gargoyle, Kathedrale

schwedischen Zweideckers Vasa, gesunken beim Sta-

von Moulins, 15. Jahrhundert

pellauf im Stockholmer Hafen am 10. August 1628. Er zeigt, dass im 17. Jahrhundert Wilde Männer nicht immer mit Ganzkörperbehaarung dargestellt wurden, ihre Nähe zur Natur jedoch durch die Pflanzen­g irlanden hergestellt wurde.

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Wappen reichen von den Hauszeichen städtischer Wirtshäuser über s­ olche privater Häuser und städtischer, bündischer oder amt­licher Wappen bis hin zu denen von Herrscherfamilien. Die Gründe für diese heraldische Funktionalisierung dieses Wundervolks sind nicht offensicht­lich. Neben ihrem Naturbezug und ihrem vorzivilisatorischen Charakter dürfte auch die ihnen zugeschriebene ungebändigte Kraft und Energie zu ihrer Popularität beige­ tragen und sie als Projektionsfläche für die Selbstinszenierung der Wappen­träger attraktiv gemacht haben. Haus- und Wirtshausnamen wie »Zum Wilden Mann«, die dann von den Hauszeichen abgeleitet wurden, deuten ebenfalls an, dass eine negative Konnotation eher auszuschlie­ ßen ist. Auch der Beiname »Wildeman« deutscher Ritter und der Künstlername »Der wilde Mann« eines Minnesängers (um 1170/80) deuten auf positive Konnota­tionen, die mit den Wilden Menschen verknüpft wurden. Ganz offensicht­lich spielt hier die Vorstellung vom »edlen Wilden« schon eine gewisse Rolle, denn von den Agrestes des Thomas von Cantimpré, der die Wildmenschen als schweinsborstig, grunzend und im Walde lebend beschrieben hat, sind die Assoziationen bei den Wappenträgern, Beinamen und Hausnamen weit entfernt.

06

113

MONSTRA MARINA – DIE MEERWUNDER

6.1. Animalische Meermonster Seit Isidor von Sevilla um 600 in dem Kapitel über Fische seiner Enzyklopädie, den Etymo­ logiae, nicht nur Wasserlebewesen wie Nilpferd und Krokodil, sondern auch einige ihm unwirk­lich erscheinende Arten wie Schwertfisch und Sägefisch aufgenommen hatte, kehr­ ten die eigentüm­lichen Seewesen auch in der mittelalter­lichen Literatur und Kunst immer wieder. Die im Mittelhochdeutschen als »Meerwunder« und im Lateinischen als monstra marina bezeichneten Meermonster waren wie alle Wundermenschen langlebig und fanden sich noch in der Frühen Neuzeit häufig in Reisebeschreibungen, Enzyklopädien und nicht zuletzt als dekorative Elemente auf Seekarten, wodurch ihre Ikonographie weite Verbreitung erlangte. Isidor hielt sich in seiner Beschreibung relativ eng an die Naturalis historia des ­Plinius und übernahm von ­diesem auch Sagen wie die vom Verhalten der Delphine, wenn sich ein Unwetter ankündigt: Die Delphine haben ihren Namen davon, dass sie den Stimmen der Menschen folgen oder in Scharen zum Konzert zusammenkommen. Nichts im Meer ist schneller als sie, denn oft überfliegen sie springend die Schiffe. Es scheint jedoch Sturm zu bedeuten, wenn sie in den Fluten spielen und sich springend in die Wellenberge stürzen. Diese heißen genauer Simones. Im Nil gibt es auch eine Art vom am Rücken gezackten Delphinen, die Krokodile töten, indem sie sie an weichen Stellen aufschlitzen. Die Meerschweine nennt man üb­licherweise Suilli, weil sie nach ihrer Art den Meeresboden durchwühlen, wenn sie Futter suchen. 1

Die weniger eigenartigen Wasserwesen, die mehr dem Namen als ihrer Natur nach unwahr­ schein­lich wirkten (wie equus fluviales, Flusspferd; equi marini, Seepferde; porci marini, Meer­ schweine, d. h. Haie; aber auch vitulae marinae bzw. vituli marini, Meerkälber) und deren Fragwürdigkeit durch ihre ungeheure Größe – etwa die des Wales, der Jonas verschluckt haben soll – noch weiter gesteigert wurde, hatte man in der Folge in der enzyklo­pädischen Tradition sukzessive um ähn­liche Namenskompositionen erweitert. Im Liber de natura rerum

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des Thomas von Cantimpré wurde den monstra marina dann bereits ein ganzes Kapitel gewidmet, von demjenigen über die Fische getrennt und teilweise mit Allegoresen versehen, die für die eigent­lichen Wundermenschen fehlen. Zu den monströsen Meereswesen zähl­ ten nicht mehr allein die Seepferde, Krokodile, Riesenschildkröten und alle Delphinarten, sondern auch neu hinzugetretene Monster wie der draco maris (Meerdrache) und der canis maris (Seehund). Auch die zahlreichen mit dem Meer assoziierten mytholo­gischen Gestalten der Antike wurden hier aufgegriffen, wie die Scylla, die Nereiden und die allgegenwärtigen Sirenen.2 Noch einen Schritt weiter ging der aus Thomas und anderen Quellen schöpfende Doktor Paulerinus de Praga (auch Pavel Židek) in seiner Naturenzyklopädie Liber viginti arcium aus der Mitte des 15. Jahrhunderts,3 der die Meeresfische und Meermonster mischte und ergänzte, wobei er – noch unter Ausschluss der eigent­lichen Fische wie dem vitulus marinus (Meerkalb) oder dem vulpis marinus (Seefuchs) – eine Reihe von Mischwesen dem Namen nach auflistete: equus maris (See­pferd), vacca maris (Seekuh), cervus marinus (Meerhirsch), canis marinus (Seehund), der Delphin als porcus marinus (Meerschwein), onos oder asinus marinus (Meer­esel), foca oder bos marinus (Meerrind), lepus marinus (Seehase), cattus marinus (Seekatze) und mus marinus (Seemaus). Mit Ausnahme der Letztgenann­ ten bezeichnete man sie alle als monstra oder wenigstens belua marina (Meerungeheuer), woran ersicht­lich ist, dass dieses fast unerschöpfliche Bildungsmuster zur Kreation neuer maritimer Wunderwesen auch tatsäch­lich genutzt wurde. Eine knappe, aber dafür allumfassende Deutung der Meermonster hat Thomas von ­Cantimpré im Liber de natura rerum anzubieten, die folgendermaßen beginnt: Die Meermonster sind vom allmächtigen Gott zur Bewunderung der Welt gegeben. Darin ist näm­lich mehr Bewundernswertes zu sehen, was durch einen seltenen Anblick dem Menschen geboten wird. Was kann man denn Wunderbareres unter dem Himmel ­ elche zweifellos mit der Größe von sehen als monströse Meerungeheuer und Wale, w Bergen und sehr weiten Ebenen vergleichbar sind? 4

Hier werden also die Meermonster – stellvertretend für alle Monster – als bestaunenswerte Ergänzung der Schöpfung Gottes angesehen. In den wenigen Allegoresen, die Thomas vor­ nahm, führte er die Monster üb­licherweise als positives Beispiel an, wenn er etwa den Zedrosus, eine (angeb­lich) arabische Walart mit riesigen, vier Ellen langen Knochen, die für Bauwerke Verwendung gefunden haben sollen, mit den Heiligen der ­Kirche verg­lich, deren Knochen ­ irche seien. als Reliquien, die für die Tugenden stehen und die Stütze der K Über Thomas von Cantimpré gelangten die merwunder auch zu Konrad von ­Megenberg, der im Gegensatz zu dem Abschnitt über Wundermenschen anscheinend keine Bedenken hegte,

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das Kapitel in seine mittelhochdeutsche Übertragung von Thomas’ Enzyklopädie aufzuneh­ men. Der Grund dafür mag in den Allegoresen gelegen haben, die Konrad jedoch gegenüber seiner Vorlage deut­lich erweiterte.5 Während die Langfassung des Liber de natura rerum nur wenige Allegoresen und die deut­lich kürzere Fassung, auf die sich Konrad bezog, nur eine Allegorese für die etwa 20 angeführten Meermonster enthält,6 versah er alle 20 übernom­ menen monstra marina mit Allegoresen und ging zudem im Prolog auf die Deutungsmög­ lichkeiten dieser Wesen ein. Von den Merwundern

Von den Meerwundern

Nu ist zeit, daz wir sagen von den merwun-

Nun wollen wir von den Meerwundern reden,

dern, dâ pei wir verstên auch oft guot und übel

unter denen wir auch Gut und Böse bei den

an dem menschen. wan wie daz sei, daz der

Menschen verstehen. Denn zwar ist der

mensch von nâtûr edler sei denn kain ander tier,

Mensch von edlerer Natur ist als alle anderen

iedoch wenn er niht leben wil nâch menschlei-

Tiere, wenn er aber nicht nach mensch­licher

cher art und nâch vernunft, sô macht er sich

Natur und der Vernunft lebt, so macht er sich

pœser wan kain ander tier ist und lebt an ets-

schlechter als ein Tier und gleicht in einigen

leichen siten eim pfärd geleich, an etsleichen

seiner Verhaltensweisen einem Pferd, in ande-

eim hund oder eim vogel, und dar umb dürf wir

ren einem Hund oder einem Vogel. Deswegen

niht auz dem land laufen durch merwunder ze

braucht ihr auch nicht ins Ausland reisen, um

sehen: wir haben ir pei uns genuog. Des êrs-

­s olche Meerwunder zu sehen: Wir haben davon

ten well wir sagen von den merwundern, der

bei uns genug. Am Anfang wollen wir von den

namen sich ze latein an ainem A anhebent, und

Meerwundern sprechen, deren lateinischer

dar nâch an ainem B, als unser sit vor gewe-

Name mit A beginnt, darnach die mit einem B,

sen ist. 7

wie wir es vorher gemacht haben.

Es wird deut­lich, dass es Konrad von Megenberg in ­diesem Abschnitt eher um die Allego­ resen als um die Beschreibung der Tiere selbst geht, äußert er doch, dass man keine Reise unternehmen müsse, um s­ olche merwunder zu sehen, weil es unter den Menschen genug davon gebe. Damit kann nur gemeint sein, dass es unter uns genug Sünder gibt, die sich wie die genannten maritimen Mischwesen aus Fisch und Pferd, Fisch und Hund oder Fisch und Vogel verhalten. Mit Letzteren bezieht er sich auf die merweib, das heißt die Sirenen, »die eine […] Stimme wie die Vögel haben. Wenn die Seefahrer diese Stimme vernehmen, so schlafen sie wegen der Süße des Gesangs sofort ein und werden von den Sirenen zerrissen«. Darunter versteht Konrad untugendhafte Frauen, die die Männer zu Sünden verführen. Neben diesen verführerischen Frauen nennt er als Zweite die Meerhunde (merhunt, canis maris), die er mit Teufel oder Dämonen gleichsetzt, die uns wie Hunde jagen, aber uns durch ihr Gebell nicht

116

Meerkälber und Meerpferd Zidrathus im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417

117

warnen, sondern uns sofort fangen. An dieser Allegorese ist besonders interessant, dass der die anderen Fische jagende Meerhund nicht die sündigen Menschen, sondern tatsäch­lich den Teufel selbst symbolisiert, der den mensch­lichen Seelen nachstellt. Diese direkte religi­ öse Deutung hebt sich deut­lich von den eher theoretischen Aufzählungen der enzyklopädi­ schen Literatur ab. Die bemerkenswerteste seiner Beschreibungen der Meermonster aber lieferte Konrad von Megenberg mit dem im Prolog erstgenannten Mischwesen zwischen Fisch und Pferd (Equus fluminis haizt ain wazzerpfärt), bei dem er gar keine eigene Deutung gab, sondern am Ende der exotisch wirkenden Beschreibung des Flusspferdes – von der Größe eines Esels mit dicker Haut, gespaltenen Hufen und einem Schweineschwanz – ausrief: dâ mach auz waz dû wellest! Damit hielt er fest, dass die von ihm gebotenen Allegoresen keine festen Werte darstellen, sondern die Eigenschaften der Tiere bzw. Monster beliebig variierbar für die alle­ gorischen Deutungen einsetzbar sind. Doch sollte man die Meerwunder nicht allein auf die Allegoresen reduzieren, denn ihre Rolle ist ebenso wie die der eigent­lichen Wundervölker deut­lich vielfältiger: Zum einen verkörpern sie genauso wie Fische und andere Meerestiere die exotischen Wesen des Meeres, die in der enzyklopädischen Tradition gesammelt, beschrieben und kate­ gorisiert werden. Zum anderen wird ihnen gerade in der epischen Literatur ein sowohl positiv als auch negativ interpretierbarer Einfluss auf das Leben eines Helden zuge­ schrieben. Solche Annahmen speisen sich wohl aus den Vorstellungen von der Tiefe des Meeres als geheimnisvollem, ja ma­gischem Ort und werden auch von den zahlreichen Sagen über das Verhältnis von Sterb­lichen zu halbmytholo­gischen – meist weib­lichen – Wasserwesen genährt.

6.2. Männliche menschliche Meermonster Männ­liche Meermonster kommen sowohl in der mittelalter­lichen Literatur als auch in der Kunst vor. Während Letztere auf antike Traditionen zurückgeht, wobei Tritonen ebenso wie fischschwänzige Sirenen als Quellen gedient haben mögen, sind die literarischen Meermonster der mittelhochdeutschen Epik schwerer zu fassen. Mitunter entsteht der Eindruck, es handle sich bei einem dieser nicht näher beschriebenen merwunder einfach um einen grundsätz­ lichen Begriff für ein Monster. Auch die Kenntnis der Größe, Stärke und Gefähr­lichkeit von Seelöwen, Walrössern und anderen Meereswesen durch Seeleute, die im Nordatlantik praktische Erfahrungen mit diesen großen Meeressäugern sammeln konnten, mag eine Rolle für derartige Schil­ derungen gespielt haben.

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Besser vorstellbar als die »Meerwunder« der Dichtung sind die Meermonster der enzyklopä­ dischen Werke, da sie knapp definiert und ver­ einzelt sogar illustriert werden. Dafür kann eine besonders schön illustrierte Handschrift des Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré aus der Jagiellonischen Bibliothek in Krakau als Bei­ spiel dienen, in der 60 Meermonster verzeichnet und zum Großteil auch dargestellt werden.8 Diese Fassung von Thomas’ Werk enthält somit dreimal so viele Beschreibungen von Meermonstern als die Handschriftengruppe, die Konrad von Megenberg für seine deutsche Fassung als Vorlage verwenden konnte. Dabei ist auffällig, dass es sich bei den meisten Wesen dieser Handschrift vorwiegend um monströse Mischwesen zwischen Land- und Meerestier oder zwischen Mensch und Fisch handelt oder um s­ olche, deren lateinischer Name eine Verbindung zwischen Land- und Meerestier andeutet; es finden sich sogar Bezeichnungen s­ ozialer Stände, die auf die Meeresbewohner übertragen und unter die monstra marina eingeordnet werden. Zu Letzteren zählen der Zitiron, der als maris milites (Meerritter) gedeutet und dem­ entsprechend mit einem typischen ritter­lichen Topfhelm des 13. Jahrhunderts abgebildet wird, und der monachus maris (Meermönch), den man als Fisch mit mensch­lichem Kopf mit Tonsur darstellt. Besonders diese populären, von der antiken naturkund­lichen Tradition weit entfernten Mischwesen aus Mensch und Fisch mögen dazu geführt haben, dass die Meerwunder mehr noch als die rein anthropomorphen Wunderwesen Spuren in der deutschen Literatur des Mittelalters hinterlassen haben. Auch wird der Zitiron relativ häufig beschrieben, etwa in der ausführ­lichsten Schilderung des Meerritters im Speculum major des franzö­sischen Domini­ kaners Vinzenz von Beauvais (um 1250): Zitiron ist ein Ungeheuer, das in der Volkssprache Ritter genannt wird, und ist ungeheuer groß und sehr stark. Im vorderen Teil zeigt er gleichsam die Form eines bewaffneten Kriegers, und das Haupt gleichsam mit einer Stahlhaube behelmt aus runzeliger und sehr harter und fester Haut. Von seinem Hals hängt ein großer, langer und breiter und innen gewölbter Schild, so daß er sich mit ihm auf Art der Kämpfer gegen Schläge verteidigen kann. Er ist von dreieckiger Form, an Stärke und Härte so brauchbar, Meermönch in einem Bestiarium, Mitte 13. Jahrhundert

daß er kaum von einem Wurfspieß durchdrungen

119 werden kann. Von seinem Hals reichen bestimmte Adern und Nerven in die Schultern, von denen der genannte Schild bis über die Schulterblätter hängt. Er hat auch sehr starke Arme, und sozusagen zweigezackte Arme, mit denen er auf das Tapferste durchbohrt, und daher ist er nur schwer von Menschen zu fangen, und wenn er gefangen wurde, auch schwer zu töten, wenn man es nicht mit einem Hammer kann.9

Ob dieser Zitiron die alleinige Quelle der männ­lichen, kriegeri­ schen merwunder in der mittelalter­lichen erzählenden Literatur war oder ob der Wille zur Variation des Monströsen bei einzelnen Autoren eine noch größere Rolle spielte, sei dahingestellt. Doch scheint Ersteres der Fall zu sein, denn in den literarischen Werken scheinen fast immer Elemente des Zitiron der enzyklopädischen Beschreibungen durch. Dies lässt sich vor allem ab dem 13. Jahr­ hundert verfolgen, während für das 12. Jahrhundert noch kein Interesse an den maritimen Monstern in der epischen Literatur zu konstatieren ist. Gleichwohl ist die enzyklopädi­ sche Tradition offensicht­lich schon lange vor den deutschen Übersetzungen des Liber de natura rerum – durch Konrad von Megenberg um 1350, Peter Königsschlaher 1472 und Michael Bauer 1478 – in der volkssprach­lichen Literatur wirksam geworden. Offenbar war es ein s­ olcher aus der enzyklopädischen Tradition modellierter Meerritter,10 der im um 1250 entstandenen mittelhochdeutschen Artusepos Wigamur auftauchte, in dem er trotz der recht abschreckenden Beschreibung als mensch­lich, männ­lich und zudem höfisch erscheint: So wird der Held in seiner Jugend von einem namenlos bleibenden männ­lichen ­merwunder aus der Obhut der ebenfalls als Meermonster konzipierten Frau Lespia entführt, das merwunder lässt ihm aber eine durchaus brauchbare und ausreichende Erziehung in den ritter­lichen Tugenden zukommen, was darauf schließen lässt, dass es sich bei ­diesem merwunder um einen meerritter handelt.11 Dass man sich den Meerritter als höfisches Wesen vorstellen konnte und dass er als Erzieher von Knappen geeignet war, illustriert auch die Darstellung der zwei Sirenen und zwei Meerritter im altfranzö­sischen Alexandre, die in voller Rüstung, aber mit Fischspeeren bewaffnet, im Wasser turnieren. Hierbei mag auch die Vorstellung von aquatischen König­ reichen eine Rolle gespielt haben, über die unterseeische Könige wie König Priure in dem höfischen mittelhochdeutschen Epos Diu Crône von Heinrich von dem Türlin herrschen, der einen höfischen Fischritter als Boten an den Artushof sendet. Dieser Fischritter entspricht dem miles marinus

Meermönch aus Conrad Gessner: Historiae Animalium, Liber 4, Cv, Zürich 1551–  8 7

120

Meerritter im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417

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des Thomas von Cantimpré, doch für den Meerkönig oder Meerriesen als Herrscher der Meerwunder könnten Götter wie Poseidon, Neptun oder ­Proteus aus der antiken Mythologie ebenso wie der Meerriese Aegir aus der nordischen Erzähltradition, aber auch einheimische Sagen von Wasser­männern als Vorbild gedient haben. Keineswegs positiv konnotiert ist demgegenüber das merwunder Vulgan im Garel von dem Blühenden Tal des Pleier.12 Dieses gefähr­ liche Wesen besitzt kentaurenartige Züge, ist mit einer unverwund­ baren Fischhaut bedeckt sowie mit einem Schild mit Gorgonenhaupt bewaffnet, weshalb der Held es nur mit Mühe besiegen kann. Hier ist eine Verbindung aus Meermonstern und aus Motiven der antiken Mythologie geschaffen worden, die zwar in der enzyklopä­dischen Tradition steht, aber dennoch einen funktionalen Platz im Werk hat und nicht nur der gelehrten Dekoration dient; da das Meermonster der Besitzer des Gorgonen­ haupts ist, entfiele ansonsten ein wesent­licher Handlungsstrang. Für den Reichtum der literarischen Varianten des Meerritters lassen sich noch weitere Beispiele finden. Allein durch seine Herkunft als Meereswesen definiert ist das Bauchlose Ungeheuer im Daniel von dem Blühenden Tal des Stricker, das mit seinem Heer das Land des Grafen vom Lichten Brunnen verwüstet.13 Auch dieses Monster und sein ihm gleichendes Gefolge besitzen Gorgonenhäupter und benötigen daher keine Waffen, um ihre Gegner zu töten – der Held Daniel aber besiegt sie mithilfe eines Spiegels. Eine Mischung aus feind­ lichem, monströsem Meerritter und Wildem Mann findet sich dagegen in der Gestalt des Wilden Wassermanns in der erwähnten Crône,14 der mit einem Wilden Weib zusammen in einer Höhle lebt, bis er von Gawein mit einem Speer getötet wird, weil er ein Mädchen entführt hat. Trotz der vagen Parallelen könnte hierbei auch die germanische Tradition des alteng­lischen Beowulf Pate gestanden haben, in dem das Monster Grendel mit seiner Mutter in einer Höhle unter einem Wasserfall wohnt und für den Helden nur durch das Wasser erreichbar ist. Bei der Entstehung der männ­lichen Wasserwesen, die wenig mit den antiken Vor­ stellungen zu tun zu haben scheinen, flossen sicher­lich auch einheimische Sagenge­ stalten wie Wasser­männer, Nöcken, Necken und männ­lichen Nixen ein. Worin jedoch ihre Funktion in der kirch­lichen Bauplastik bestand, in der sie drohend und fried­lich, einschwänzig oder zweischwänzig, ernst oder spielerisch auftreten, ist schwieriger zu beurteilen als bei den Sirenen, deren Allegorese zumeist die weib­lichen Laster und Sün­ den zum Ziel hat.

Meerritter in Der Naturen Bloeme des Jakob von Maerlant, Handschrift 13. Jahrhundert

122

6.3. Meerfrauen, Meerfeen und Sirenen Sirenen und andere Meerfrauen finden sich in der mittelalter­lichen Kunst und Literatur wesent­lich häufiger als ihre männ­lichen Pendants, besonders in der kirch­lichen Bauplastik. Zurückführen lassen sich die weib­lichen Meermonster des Mittelalters vor allem auf die durch mittelalter­liche Wissen­ schaft und Theologie gleichermaßen überlieferte Gestalt der antiken Sirene, wenngleich auch einhei­ mische Vorstellungen von Nixen und Meerfrauen eingeflossen sein dürften. Das griechische Wort seirenes bedeutet die »Bestrickenden«, »Fesselnden« und dürfte sich ursprüng­lich auf vampirartige Totengespenster bezogen haben, die sich vom Blut der Leichen ernähren, also dem Ursprung nach den nordischen Walküren vergleichbar sind, die als Totendämo­ ninnen die Leichen vom Schlachtfeld ins Jenseits führen. Die Sirenen waren zunächst – den Harpyen ähn­lich – Mischwesen aus Frau und Vogel und sind auch noch in mittelalter­lichen Handschriften in dieser Form überliefert. Daneben finden sich bereits in der Antike Sirenen, bei denen der vogelartige Unterleib durch einen Fischschwanz ersetzt wird, vorwiegend wohl aufgrund der Tatsache, dass die Sirenen Odysseus und seinen Gefährten auf ihren Schiffen gefähr­lich werden. Wegen ihres Bezugs zum Tod stellte man sie zudem schon auf antiken Sarkophagen als weib­liche Halbwesen mit einem oder zwei Fischschwänzen dar. Bei ­Heraklit von Ephesos (um 520 – um 460 v. Chr.) sind die Sirenen, die in der ikonographi­ schen Tradition meist mit entblößten Brüsten dargestellt werden, einfach »hübsche Dirnen«. In der Folge entwickelte sich aus diesen frühen Anfängen ein Strang der Tradition vom Bild der Sirenen als lieb­lich, aber auch »gotterfüllt« und weise, sodass Homer sie in der Odyssee schon im 8. Jahrhundert v. Chr. sagen lassen konnte: »Denn hier steuerte noch keiner im schwarzen Schiffe vorüber; Eh’ er dem süßen Gesang aus unserem Munde gelau­ schet; Und dann ging er von hinnen, vergnügt und weiser wie vormals.«15 Bis ins Mittelalter blieb die Geschichte vom listenreichen Odysseus, der dem betören­ den Gesang der Sirenen nicht erliegt, indem er sich Zwei Meerritter mit Fischspeeren im Turnier, englische

am Mast des Schiffes festbinden lässt, aber sich die

Handschrift, vor 1290

Ohren nicht mit Wachs verschließt, die wichtigste

123

Quelle für die literarischen und künstlerischen Darstellungen der Sirenen im Mittelalter. Musik, Verführungskünste und Gefahr sind die vorherrschenden Assoziationen; neben der Betonung sinn­lich-erotischer Weib­lichkeit werden ihnen daher Musikinstrumente und die Schiffe der Seefahrer als zen­trale Attribute beigegeben. Dass sie bereits im Altertum auf eine lange Tradition zurückblicken, verdeut­licht eine Stelle des Alten Testamentes, in der der Prophet Jesaja sie zusammen mit wilden Tieren als Symbol der Verwüstung des verlassenen Babylons anführt (Jes. 13,21 f.): Nun hausen dort Bestien, und in den Häusern tönt leerer Hall. Dort wohnen jetzt Sirenen und Dämonen tanzen dort. Eselskentauren hausen dort und Igel brüten in den Hallen.

Meermann am Torbogen von Remagen am Rhein,

Zwei Sirenen aus der Abtei La Sauve-Majeure, Frank-

vor 1200

reich, vor 1130

124

Während sich die Sirenen in der spätantiken Literatur eher zu Symbolen für töd­liche Lust und gefähr­liches Wissen entwickel­ ten, wurde das Jesajazitat für die mittelalter­liche enzyklopädische Tradition offenbar bedeutsam, da man die Sirenen dort häufig in Verbindung mit Kentauren bild­ lich darstellte. In der Übernahme dieses Motivs in den Physiologus bildete sich dann eine eigene Ikonographie heraus, in der ent­ weder eine einzelne oder drei Sirenen mit Musikinstrumenten – eine singend, eine Flöte und eine Harfe spielend – und zwei mit Pfeil und Bogen nach Wild – oder Menschen! – jagenden Kentauren zu sehen sind. Das ursprüng­lich in leicht abgewandelter Form in den Physiologus übernommene Jesaja­ zitat wurde in den jüngeren Physiologus-Fassungen deut­lich erweitert: Und sie singen bestimmte Musik und Lieder von so süßer Melodie, so daß sie durch die Süße ihrer Stimmen die zuhörenden Menschen auf den Schiffen schon von weither verwirren und zu sich ziehen, und durch die noch größere Süße ihrer Stimmen und schläfern sie so ihre willigen und verführten Ohren und Sinne ein. Dann aber, wenn sie sie in den tiefsten Schlaf gefallen sehen, greifen sie an und reißen ihr Fleisch in Stücke, und so betören sie durch die Verführung ihrer Stimmen unwissende und unvorsichtige Menschen und töten sie.

Durch die doppelte Vermittlung über das Buch Jesaja in der Vulgata und den Physiologus gewannen die Sirenen, die – neben Gog und Magog – auch eines der wenigen in der Bibel vorkommenden Wundervölker sind, vor allem im kirch­lich-monastischen Bereich als Vertre­ ter der Wundervölker an Bedeutung. Ihre Darstellung in den Handschriften des Physiologus und der Bestiarien ließen sie auch für die Interpretation der – vorwiegend mit dem Weib­ lichen assoziierten – Laster der luxuria (Faulheit), voluptas (Sinn­lichkeit) und avaritia (Hab­ sucht) besonders geeignet erscheinen.16 Als Symbol Sirene mit Spiegel, Chorgestühl von St. Etienne in Caen,

für die vanitas (Eitelkeit), die ebenfalls vornehm­

Frankreich, 17. Jahrhundert

lich als weib­liche Untugend galt, war den Sirenen

125

traditionell ein Kamm beige­ fügt, der in der Frühen Neuzeit um einen Spiegel erweitert oder durch diesen ersetzt wurde. Viel allgemeiner und nicht auf weib­liche Wesen beschränkt ist die eingehende Allegorese in den lateinischen Gesta Romanorum (Kap. 237). Hier werden die drei Sirenen im Meer der Bitterkeit als die drei Faktoren gedeutet, die den Menschen zum Sündigen verführen, näm­lich das Fleisch, die Welt und der Teufel. Der Gesang der Sirenen symbolisiert dann die Versu­ chung durch Vergnügungen, Reichtümer und welt­liche Ehren. Nur selten findet man dagegen Sirenen ganz ohne allegorische Bedeutung als Symbol für gefähr­liche Seeungeheuer dargestellt, d. h. für Gegner, die dann auch getötet werden. So wird in einer Illumination in einer isländischen Prachthandschrift aus dem 14. Jahrhundert, die als Flateyjarbók bekannt ist, eine ­solche margýgr (Meerweib, Seeungeheuer), die durch ihre Brüste aber deut­lich als Sirene gekennzeichnet ist, von einem behelmten Bewaffneten mit dem Schwert erschlagen. Nicht annähernd so negativ wie in den Allegoresen der theolo­gischen und enzyklopä­ dischen Literatur wurden die zahlreichen Meerfrauen in der epischen Literatur des Mittel­ alters gezeichnet. Diese in den mittelhochdeutschen Werken eher ungenau als merfeine oder merminne (Meerfee) und mervrouwe oder merwip (Meerfrau) bezeichneten Wesen übten vorwiegend eine Rolle als Ziehmutter oder Erzieherin in der Kindheit des Helden aus, erschienen aber auch als Helferin und Heilerin.17 Ein Beispiel für Letzteres schildert das Anfang des 14. Jahrhunderts entstandene mit­ telhochdeutsche Romanfragment Abor und das Meerweib, das von der Heilung des Helden Abor durch ein merwip an einem Jungbrunnen und den wunderbaren Geschenken dieser Meerfee für den Protagonisten erzählt; ihre ephemere Rolle äußert sich darin, dass sie ihren Helden nach sechs Wochen und zwei Tagen wieder verlassen muss.18 Sie gehört damit wie viele andere Wasserfrauen der ­epischen Literatur zum Motiv der sogenannten gestörten Marthenehe. Darunter versteht man die zumeist unglück­lich endende Beziehung zwischen einem Sterb­lichen und einem überirdischen weib­ lichen Wesen, am bekanntesten ist wohl die Saga

Margýr (Meerweib) aus der isländischen Handschrift

von Melusine.

Flateyjarbók (1387–90)

126

Nicht ausdrück­lich als Wasserreich wird das unterirdische Reich Gibel einer Fee im provenza­lischen Roman Jaufré (entstanden zwischen 1170 und 1225) beschrieben, in das der Held durch den Abstieg in eine Wunderquelle gelangt. Die Fee, bei der es sich vermut­lich um eine merfeine handelt, zeichnet sich durch ihre Großzügigkeit gegenüber dem Helden aus und kommt ihm mit einem ganzen Heer zur Hilfe. Mitunter bedürfen aber die Meerfeen selbst des Beistandes, wie die Tochter des Königs Kursami in Konrads von Stoffeln Gauriel von Muntabel, die von Gauriel und seinen Gefährten gegen König Geldipant verteidigt werden muss.19 Eine tragende Rolle als Ziehmutter eines Helden nimmt die merfeine im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven (um 1200) ein, auch die Meerfrau Lespia im Wigamur entführt den Helden als Kleinkind der leib­lichen Mutter und zieht ihn gemeinsam mit ihren eigenen Töchtern in einer Höhle unter dem Meer auf. Als ihr das Kind wiederum wie oben erwähnt von einem Meerwunder geraubt wird, bringt sie sich vor Kummer um. Die Monstrosität dieser Meer­ frauen manifestiert sich in den genannten Werken in ihrem unterseeischen Wohnort sowie in der brutalen Entführung der Helden im Kindesalter, ihre Rolle im Leben derselben wird darüber hinaus jedoch positiv gezeichnet. Das trifft auch auf die Meerfrau im Daniel vom blühenden Tal des Stricker zu, die als Königin der Meerwunder vorgestellt wird und dem Grafen von der Grünen Aue ein wunderbares Netz, die vor Verwundungen ­schützende Haut eines Meerwunders und eine Zaubersalbe schenkt. Falls man die Meerfrauen und Meerfeen in den enfances und aventiuren der Helden wirk­lich mit den Sirenen identifizieren darf, dann verkörpern sie am ehesten den weib­lichen Aspekt in der Erziehung. Sirenen und Scylla aus einer Handschrift des Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais von ca. 1475

Obwohl die Meerfeen und Meerfrauen in der mittelalter­lichen Epik trotz ihrer Monstrosität als

127

Wasserwesen eher positiv konnotiert waren und auch die Sirenen in der naturkund­lichen mittelhochdeutschen Literatur mit merwip gleichgesetzt wurden, fand das gelehrte Mittel­ alter an ihnen nur wenig Gefallen: Sie standen in der christ­lichen Auslegung ihrer antiken Rolle für die allgegenwärtige Versuchung des Mannes. Die Wasserfrauen jedoch, die wir im kirch­lichen Kontext und auch in den Handschriften dargestellt finden, gehörten durchweg in den gelehrt-religiösen Kontext und hatten mit den volkstüm­lichen Vorstellungen von Nixen wenig zu tun, sondern leiteten sich vielmehr von den antiken Sirenen ab. Es mag daher überraschend wirken, wie präsent die Figur der durchgehend mit Fisch­ schwanz dargestellten Sirene in der Kunst des religiösen Raumes ist: Ihre Darstellungen rei­ chen von den Kapitellen im Innenraum und Skulpturen an den Außenfassaden romanischer ­­Kirchen im 11. Jahrhundert über die gemalte oder plastische Wiedergabe im ­­Kirchenraum des Hochmittelalters zu den Miserikordien im Spätmittelalter und darüber hinaus. Alle diese Darstellungen der Sirenen mit entblößten Brüsten, langem, wallendem Haar und musika­lischen Verlockungen wie Gesang oder Leierspiel sollten wohl als Abschreckung und Warnung vor den vielfältigen Gefahren weib­licher Reize dienen und wurden nicht nur den ­Mönchen, sondern auch den Frauen vor Augen geführt. Insofern sind die Sirenen monstra im wahrsten Sinne des Wortes: den Männern als ständige Verdeut­lichung der von den Frauen ausgehenden Gefahr, den Frauen als Hinweis auf die nötige Abkehr von Eitelkeit, Faulheit und Sinn­lichkeit. Diese Mehrdeutigkeit der Sirenen könnte auch ein Grund für die Viel­ zahl ihrer Darstellungen, etwa im Vergleich zu den Kentauren, sein. Selbst Nonnen werden von dem Zisterzienser Thomas von Froidmont im 13. Jahrhundert vor der Verführung durch welt­

Musizierende Sirenen aus einem Bestiarium aus dem

liche Frauen warnt:

13./14. Jahrhundert

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So wie die Sirene durch süße Gesänge die Seeleute verwirrt, so verwirren die welt­lichen Frauen durch verführerische Reden die Diener Christi. 20

Allerdings ist auch für die Sirenen die in Predigten verwertbare Allegorese keineswegs so konstant, wie man das erwarten würde. Statt als Symbol weib­licher Versuchung interpretiert sie Petrus Damianus (um 1006 – 1072) als Sinnbild der antiken welt­lichen Literatur, die die Mönche von der Lektüre religiöser Schriften ablenken und verderben würde.21 Die vielfältige Einsetzbarkeit und die weite Verbreitung der Sirenen in der Buchkunst und der kirch­lichen Plastik führten in der letzten Phase der Spätromanik zu einem spie­ lerischen, kri­tischen, bisweilen sogar ironischen Umgang mit dem Motiv der welt­lichen Verführung und zu einer noch größeren Formenvielfalt und Präsenz der Darstellungen. Es ist also meines Erachtens eine unzulässige Verkürzung, in den Sirenen vorwiegend eine Mög­lichkeit der Darstellung weib­licher Sexualität zu sehen – dafür bot etwa die Erschaf­ fung der Menschen, ihr Leben im Paradies und der Sündenfall mit der Figur Evas ungleich reichere Mög­lichkeiten. Die Gefahr der Verführung Paddelnde und fischende Sirenen am Torbogen von

durch die Sirenen wird in der ikonographischen

Remagen, vor 1200

Umsetzung vielfältig und mit unterschied­lichen

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Schwerpunkten ausgeführt: die sexuelle Verfüg­ barkeit durch die erhobenen, winkenden, empfan­ genden Arme; die verführerische Schönheit durch die langen, meist gewellten Haare, oft noch betont durch das Kämmen des Haares, um auf dessen Schönheit hinzuweisen, oder einfach das Halten eines Kammes; die entblößten Brüste für eine offen und unverschämt zur Schau getragene Sexualität; der betörende, die Sinne einschläfernde Gesang; die Musikinstrumente, die für die diesseitigen Freu­ den des Lebens stehen. Dennoch erweist sich dies alles – darauf verweist der Fischschwanz der Sirenen und das ist auch den Texten abzule­ sen – nur als Illusion, als falsche Versprechung, ­welche die aus Sicht der Mönche ohnehin nur leeren Verheißungen sexueller Erfüllung mit sich bringen. Damit bekamen die Sirenen eine Dimension, die weit über die mitunter allzu platte Allegorese der Prediger hinausging: »Pei dem tier verstên ich diu untugenthaften weip, diu weipleicher zuht verlaugent habent, diu lockent mangen man ze pôshait.«22 Es sei nur vermerkt, dass Konrad von Megenberg mehr als andere Autoren auf die antike Tradition rekurriert, wenn er die Sirenen in seiner Darstellung als halb vogelartig und mit Krallen bewehrt – und somit mehr todbringend als verführerisch darstellt. Schwierig zu erklären ist die unterschied­liche Ausstattung der Sirenen mit einem oder mit zwei Schwänzen, die vor allem in der bild­lichen Darstellungen übermittelt wird. In den schrift­lichen Quellen wird dieses Phänomen meines Wissens nicht erläutert. Bei der selte­ ner auftretenden Variante mit zwei Schwänzen mag die antike Tradition eine Rolle gespielt haben, da die ältesten Darstellungen von Meerfrauen und ­-männern ebenfalls zwei Fisch­ schwänze besitzen. Doch auch die bewusste Wahl dieser Darstellungsart als Mög­lichkeit einer zusätz­lichen Allegorese sollte nicht außer Acht gelassen werden. So kann, wie bei der Deutung des Meermonsters Cricos durch Konrad von Megenberg, eine derartige Spaltung des Schwanzes auf die Zwiespältigkeit der Erscheinung, auf die implizite Unwahrheit des Gezeigten, auf die Duplizität des Bildes hinweisen. Gegen eine eindeutige negative Interpre­ tation der verschiedenen Schwanzformen der Sirenen spricht die folgende Variante: So ist die Sirene mit zweischwänzigem Fischunterleib auf dem Wappen des Titelhelden im Apollonius von Tyrlant des Heinrich von Neustadt im 13. Jahrhundert als harmloses, ja liebenswürdiges Wesen gekennzeichnet (v. 5153 ff.). Ihre mutmaß­ liche Vorlage hingegen, die einschwänzige Sirene

Sirene, die sich das Haar kämmt, aus der Kirche von

auf Hectors Wappenschild im Trojanerkrieg des

Råby, Jütland, Dänemark, ca. 1505–15

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Konrad von Würzburg (v. 3740) wird wiederum als ausgesprochen gefähr­liche Gestalt bezeichnet.23 Da der Trojanerkrieg wohl nur wenige Jahrzehnte vor dem Apollonius entstanden ist, wird man wesent­ liche Veränderungen in der allgemeinen Wahrneh­ mung des Motivs vermut­lich ausschließen können. Es kann jedoch festgehalten werden, dass die einschwänzige Sirene meist im Profil und mit Attributen wie Musikinstrumenten oder Fischen dargestellt ist, während die zweischwänzige Sirene notwendigerweise in Frontalansicht gezeigt wird. Aufgrund der Erwähnungen des Unterschieds in den literarischen Werken kann aber zumin­ dest ausgeschlossen werden, dass es sich nur um verschiedene Ansichten einer zweischwänzigen Sirene handelt. Ein Plädoyer für die bild­liche Umsetzung der Sirenen als Bedeutungsträgerinnen formulierte man genau zu der Zeit, als der Höhepunkt der Darstellung des Monströsen in der kirch­ lichen Bauplastik erreicht wurde. Mitte des 12. Jahrhunderts beschrieb Honorius von Autun in der folgenden Predigt nicht nur den antiken Mythos mit der allegorischen Ausdeutung, sondern auch die allgemeine Intention der Darstellungen des Monströsen, und unterstrich so die Bedeutung der Sirenen als Teil der homines monstruosi: Denn es geziemt sich, daß wir zur Erbauung der ­K irche auch das verwenden, was wir in den Büchern der Heiden Nütz­liches gefunden haben. Die Weisen dieser Welt erzählen, daß auf einer Insel im Meere drei Sirenen wohnten, die auf verschiedene Weise gar süße Lieder sangen: die erste mit ihrer Stimme, die zweite mit einer Flöte, und die dritte mit einer Leier. Die hatten ein Angesicht wie Frauen, aber Flügel und Krallen wie Vögel. Alle Schiffe, die vorbeifuhren, hielten sie mit der Süße ihres Gesanges an, die Schiffer schliefen ein, dann kamen die Sirenen und zerrissen sie und versenkten das Schiff in die Meerestiefe. Aber da mußte einmal ein gewisser Herzog, namens Ulixes, an der Insel vorbeifahren. Der befahl, man solle ihn an den Mastbaum anbinden, den Gefährten aber ließ er mit Wachs die Ohren verstopfen. So entrann er ohne Harm jener Gefahr, ja Sirenen, Kirche von Gjerrild, Jütland, Dänemark um 1500

er versenkte die Sirenen in die Fluten. Das sind,

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Geliebte, mystische Bilder, auch wenn sie von den Feinden Christi geschrieben sind: Das Meer bedeutet diese Erdenwelt, die da immer aufgewühlt wird durch die Stürme der Trübsal. Die Insel ist Bild für die Freuden der Welt, die drei Sirenen, die durch ihren süßen Gesang die Schiffer umschmeicheln und in Schlaf versinken lassen, sind die drei Lüste, die das Herz der Menschen fürs Böse weich machen und uns in den Schlaf des Todes versenken.

Sirene von einem Kapitell im Großmünster in Zürich, spätes 12. Jahrhundert

07

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MITTELALTERLICHE ERKLÄRUNGEN FÜR URSACHEN UND BEDEUTUNGEN DER MONSTER

7.1. Die Frage nach der Menschlichkeit der Wundervölker In der Antike waren die Fabelmenschen Teil der Völkerbeschreibungen der Reiseberichte, und es ist bezeichnend, dass Solinus sie unter den Eigentüm­lichkeiten dieser Welt verzeichnete. Den christ­lichen Gelehrten des Mittelalters aber reichte ein solch rein deskriptiver Zugang nicht aus. Sie wollten die Stellung der sonderbaren Wesen im gött­lichen Schöpfungsplan bestimmen. Auch war es wichtig zu wissen, ob man diese fremden und fernen Rassen zu bekehren und zu taufen hatte – was durch die Asienreisenden des hohen und späten Mittel­ alters zusehends virulenter wurde. Zuvor musste man Gewissheit erlangen, dass es sich auch bei den scheuß­lichsten der humanoiden Monster tatsäch­lich um Menschen handelte. So musste geklärt werden, ob die Wundermenschen von Adam bzw. Noah abstammen und warum sich diese Wesen so von anderen Menschen unterschieden (vgl. Kap. 3). Ob ein bestimmtes Wundervolk tatsäch­lich eine Seele besaß und somit mensch­lich sei, konnte man von zwei Blickwinkeln her betrachten, einem theolo­gischen und einem anthropolo­gischen. Wenn sich anhand der theolo­gischen und autoritativen Quellen nach­ weisen ließ, dass ein Volk von einem der drei Söhne Noahs abstammte, so war dies nach mittelalter­licher Ansicht ein Beweis für ihre Mensch­lichkeit. Dies traf etwa bei den grimmi­ gen und menschenfressenden Völkern Gog und Magog zu, die als Einzige der Wundervölker schon im Alten Testament als Nachkommen von Noahs Sohn Japhet genannt werden und die auch in die Alexanderdichtung aufgenommen wurden.1 Diese Herleitung von Japhet wurde dann für einige der Wundervölker übernommen, deren Wohnorte in Indien oder Afrika in der Tradition lange festgeschrieben waren. Doch auch die meisten Völker mit nur geringfü­ gigen körper­lichen Deformationen wie Albani, Pandae oder Sciritae und selbst die Panoti und Amycterae erkannte man problemlos als von Noah abstammend und somit als mensch­lich an. Zudem wurde, aus anthropolo­gischer Perspektive, überlegt, w ­ elche Faktoren den phy­sisch deformierten Wundermenschen zum Menschen mache und ­welche zu einem anderen Wesen. Die Problematik wird offensicht­lich, wenn man die Vielfalt der körper­lichen Abweichungen mittelalter­licher Wundermenschen berücksichtigt, wie sie etwa in den frühmittelalter­lichen Aufstellungen bei Isidor von Sevilla und Martianus Capella vorkommen. Die meisten der

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Wundervölker in der sogenannten Arnstein-Bibel, um 1172

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Wunderwesen unterschieden sich im Wesent­lichen durch körper­liche Merkmale vom Normal­ menschen. Gerade die hundsköpfigen Cynocephalen und die winzigen Pygmäen wurden besonders häufig zum Anlass genommen, sich mit der Abgrenzung der eigenen Normalität von der fremden Monstrosität und damit mit den vagen Grenzen zwischen Mensch­lichkeit und Nicht-Mensch­lichkeit auseinanderzusetzen. Auch heute setzen wir das eigene Aussehen als Norm fest. Das »Andere« manifestiert sich oft in Hautfarbe oder Hauttyp, sogar dann, wenn keine bewussten pejorativen Assozia­ tionen dahinterstecken, die aber latent vielfach vorhanden sind. Im Mittelalter wurde das Fehlen von Körperteilen, wie es bei den kopflosen Blemmyae, den mundlosen Astomes, den ohrenlosen Anothites, den nasenlosen Arhines und Sciritae sowie den einbeinigen Skiopo­ den auftrat, nicht als bemitleidenswerter Mangel, sondern viel häufiger als fremdartige und abzulehnende Eigenschaft aufgefasst. Mehr als Kuriosa im Sinne der »verkehrten Welt« waren dagegen andere durch körper­liche Eigenschaften gekennzeichnete Völker zu verstehen, etwa die grauhaarig Geborenen, deren Haar mit dem Alter dunkler wird. Ähn­liches galt sicher­lich auch für die Antimanes mit ihren nach hinten gewandten Händen, die zweifellos nach dem Vorbild der Antipedes entstanden waren, die wiederum aus dem Unverständnis des Wesens der Antipoden hervorgingen. Der Ethnozentrismus, den man für die Griechen des klas­sischen Altertums konstatiert hat, ist übrigens weder bei den Römern noch im Mittelalter oder heute wesent­lich geringer. ­Welche geradezu bemitleidenswert pein­liche Form er im Mittelalter annehmen konnte, zeigt der franzö­sische Verfasser von De Monstruosis hominibus (um 1290), wenn er von der abstoßenden Häss­lichkeit der Wundervölker spricht und im Gegensatz dazu meint, dass wir Gott danken sollten, dass er uns nach seinem Bild schöner als alle anderen Lebewesen geschaffen habe.2 Mit dem abstoßenden Äußeren hängt auch die häufige Darstellung der Nacktheit der Fabel­ menschen zusammen. Es darf nicht vergessen werden, dass die fehlende Bekleidung in den Illustrationen nicht zuletzt die Funktion hatte, die körper­lichen Eigentüm­lichkeiten überhaupt erst sichtbar zu machen, wie es etwa bei Blemmyae, Hermaphroditen oder Amazonen notwen­ dig ist. Allerdings wurden et­liche Wundermenschen als nackt beschrieben, etwa die Bragmani, die afrikanischen Artibatirae und Campasantes sowie die indischen Ichthyophagi, während die Nacktheit bei den Gymnosophisten schon über den Namen vermittelt wurde; bei Faunen, Satyrn, Pilosi, manchen Epiphagi (II), den Monommates und den behaarten Frauen ist die Nacktheit durch die Körperbehaarung gar zwingende Voraussetzung. Die Handschriftenillustrationen, in denen bis zum 13. Jahrhundert Wundermenschen fast durchweg nackt abgebildet wurden, wirkten dann wieder zurück auf die Texte, sodass in Wundervölkerverzeichnissen die Nacktheit für weitere Völker zusätz­lich ergänzt wurde. Erst ab dem Hochmittelalter begann man allmäh­ lich, Wundermenschen auch bekleidet, ja sogar höfisch gekleidet abzubilden:3 Zuerst treten in

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den Handschriften der Alexanderepik bekleidete Fabelmenschen auf, dann auch in Reiseberichten und Bestiarien; im Spätmittelalter lassen sie sich schließ­lich in der sakralen Bildkunst nachweisen. So zeigen etwa die skandinavischen K ­­ irchenmalereien des 15. Jahrhunderts ausgesprochen höfisch oder wenigstens städtisch-bürger­lich gekleidete Monster. Während eigentüm­liche Essgewohnheiten häufig als Argument für die Ausgrenzung ande­ rer Völker dienen, spielen sie für die Zuschreibung der Mensch­lichkeit hingegen eine untergeordnete Rolle. Schon die ältesten überlieferten Wunder­ menschen, die Lotusesser und die Hippomolgi bei Homer, sind an der Grenze zwischen Ethnographie und Teratologie angesiedelt, und selbst eine Auf­ listung so e­ xotischer Diäten wie die von Wurzel-, Fisch-, Straußen-, Menschen- oder Milch­essern wie bei dem armenischen Pseudo-Moses von Chorene führt nur bei den Menschenfressern zu Zweifeln an ihrer Mensch­lichkeit. Sie stellen indes einen Son­ derfall der Völker mit abweichenden Diäten dar, weil dieser Brauch in der Regel bei den Euro­ päern Abscheu erregte. Allerdings wird nicht einmal in den mittelalter­lichen ethnographischteratolo­gischen Beschreibungen der Wundervölker behauptet, dass sie sich vorwiegend von Menschenfleisch ernährten, sondern im Gegenteil mitunter vorgegeben, dass es sich um gut gemeinte und – im Falle der Patrophagi – sogar fromme und argumentativ nachvollziehbare Bräuche handelt. Die fremden Essgewohnheiten konnten im Extremfall, und dafür ist die Anthropophagie ein gutes, wenn auch drastisches Beispiel, oft zur völligen Ablehnung der Fremdkultur führen, da die implizit niederere Form fremder Speisegebräuche die eigenen Wertvorstellungen legitimierte und verstärkte. Das ging dann so weit, dass Formen extremer Abweichung wie der Kannibalismus zum Gradmesser der Mensch­lichkeit wurden, besonders wenn »erschwerende« Elemente hinzutraten, wie etwa bei den Cynocephalen oder den sich auf vier Füßen fortbewegenden Artibatirae, denen man nachsagte, sie lebten wie wilde Tiere. Für die Abgrenzung des Fremden spielte natür­lich auch das Sozialverhalten eine Rolle. ­Daraus scheint man aber selten auf fehlende Gutgekleideter höfischer Zyklop, Kirche von Råby,

Mensch­lichkeit geschlossen zu haben. Selbst den

Jütland, Dänemark, um 1505—15

äthiopischen Troglodyten, die nicht nur durch das

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Essen von Schlangen charakterisiert wurden, sondern durch die fehlende Kleidung, das Hausen in Erdlöchern und die effiziente, wenn auch primitive Jagdpraxis mit Keulen, wird die Mensch­ lichkeit nicht abgesprochen. Dagegen wird die Fähigkeit zur ­sozialen Selbstorganisation, zur Bildung von Dorfgemeinschaften und Staaten sehr wohl als Argument für die Mensch­lichkeit von Wunderwesen angeführt. Thomas von Cantimpré spricht in der Einleitung zu seinem Liber de natura rerum über Wundermenschen davon, dass diese seiner Meinung nach keine Seele hätten, da ihnen die geistigen Kräfte zur vernünftigen Erkenntnis und zur Organisation fehlten. Eine gegenteilige Ansicht vertrat im 9. Jahrhundert der Benediktiner Ratramnus von Corbie, der sich an Rimbert, den Skandinavien-Missionar und späteren Erzbischof von Hamburg-Bremen, um Auskunft über die angeb­lich in Nordeuropa vorkommenden Cynocephalen gewandt hatte. In der Antwort fragt Rimbert zurück, ob Ratramnus diese Wesen für Menschen hielte, und dieser bejahte mit der folgenden Argumentation: Obwohl sie aufgrund ihrer Köpfe eher Tiere als Menschen zu sein schienen, so lebten die von Rimbert beschriebenen Geschöpfe doch in Dörfern, betrieben Ackerbau und trügen gewebte Gewänder, was sie als Menschen auszeichne.4 Wesent­licher als alle bisher genannten Punkte für die Anerkennung der Mensch­lichkeit ist dagegen der Aspekt der mensch­lichen Sprache. Für die Griechen bildete die Kenntnis der Sprache, genauer gesagt ihrer eigenen Sprache, ein so grundlegendes Unterscheidungsmerkmal zu anderen Völkern, dass für sie alle des Griechischen nicht mächtigen Völker als barbaroi (Fremde) und dadurch als Barbaren in unserem heutigen Sinn gekennzeichnet waren. Noch gravierender ist selbstverständ­lich das völlige Fehlen der Sprache, wie es bei den Aglosses, aber auch bei den Astomes und verschiedent­lich auch bei den Troglodyten als Volk ohne Sprache auftrat, weil man es als Fehlen der mensch­lichen Vernunft interpretieren konnte. Genauer führte dies Albertus Magnus aus, der den Pygmäen zwar nicht die Veranlagung zum Sprechen, aber die Fähigkeit der lo­gischen Auffassungsgabe und somit des vernünftigen Sprechens absprach,5 was dazu führte, dass er sie auf eine niedrigere Entwicklungsstufe stellte und nur zum Teil als mensch­lich anerkannte. Diese Aspekte der Abgrenzung des Bekannten vom Fremden einerseits, des Mensch­lichen vom Nicht-Mensch­lichen andererseits, führten zur Frage nach einem essenziellen Bereich der mensch­lichen Natur, nach bestimmten Eigen­ schaften, die bei einem Wundervolk vorhanden sein müssten, damit man es als mensch­lich, als beseelt und somit als missionierbar einstufen konnte. Wie sehr dabei gerade die Frage nach der Abstammung der Wundervölker von Adam noch im 14. Jahrhundert die Gelehrten beschäftigte, zeigt das bedeutendste deutsche Natur­ buch des Mittelalters, näm­lich Konrads von Megenberg Buch der Natur, das diese Frage im ersten Satz über die Wundervölker anspricht. Die Abstammung blieb auch noch im Spät­ mittelalter das wesent­lichste Kriterium für die Mensch­lichkeit, auch wenn uns das heute anachronistisch erscheinen mag.

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Frühneuzeitliche Afrikakarte mit Eintragungen für die Ichthyophagen im Westen, den Garamantes im Inneren, und den Troglodyten im Osten, aus Sebastian Münster: Geographia, Basel 1540: TABULA AFRICAE IIII

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7.2. Woher kamen die Monster nach mittelalterlicher Ansicht? Die mensch­lichen Monster als kollektive Missgeburten

Die früheste Erklärung der Existenz der Wundervölker stammt von Augustinus (um 400), der sie als kollektive Monstrositäten parallel zu einzelnen Missgeburten wertete, beginnend bei geringen Abweichungen wie zusätz­lichen Fingern bis hin zu Wesen mit zwei Köpfen. Alle nahmen seiner Auffassung nach einen der mensch­lichen Vernunft zwar verborgenen, doch von Gott gewollten Platz in der Schöpfung ein. Derselbe Grund aber, der für mensch­liche Mißgeburten bei uns vorgebracht wird, läßt sich auch für diese mißgestalteten Völker anführen. Gott ist der Schöpfer von Allem, und er weiß selbst, wo und wann etwas geschaffen werden soll oder geschaffen worden ist, wissend, aus ­welchen Elementen und Ähn­lichkeiten und Unterschieden er die Schönheit des Universums webt. Wer aber das Ganze nicht überblicken kann, der wird durch die Mißgestalt eines Teiles beleidigt, weil er nicht erkannt, was zusammengehört und sich aufeinander bezieht. Wir wissen, dass Menschen mit mehr als fünf Fingern an Händen und Füßen geboren werden; und diese Abweichung ist noch leichter als andere; aber man soll nicht glauben, der Schöpfer habe sich hier in der Zahl der mensch­lichen Finger geirrt, gleichsam als wisse er nicht, was er da geschaffen habe. Auch wenn größere Unterschiede auftauchen, weiß er, was er tut, und niemand kann rechtens seine Werke tadeln.6

Damit gab Augustinus die Richtschnur vor, nach der die Monster künftig zu beurteilen waren: nicht als abschreckende Fehlentwicklungen der Natur, sondern als Teil eines Ganzen, zu dessen Vollkommenheit sie beitragen. Diese Theorie wurde von Isidor von Sevilla ver­ einfacht und damit zu einer für das Mittelalter gültigen Erklärung: »Monster und Wunder­ völker nennt man etwas, das gegen die Natur zu sein scheint; nichts aber in der Schöpfung ist widernatür­lich, da es Gottes Wille entspringt: Sie sind aber nicht gegen die Natur, weil sie durch den gött­lichen Willen sind.« Isidors Deutung der Wundervölker als Spielarten der Schöpfung ist zwar nicht wertfrei, sieht die Entstehung dieser Völker aber nicht in erster Linie durch einen Fluch begründet – womit die Fabelvölker zu einem abschreckenden Beispiel würden. Trotz ihrer Einordnung in den gött­lichen Schöpfungsplan durch Augustinus, wie schon erläutert, verstummte im Mittelalter nie die Frage nach der Herkunft und der Bedeutung der Monster, und das Problem ihrer fragwürdigen Mensch­lichkeit führte immer wieder zu der Annahme, diese Defizienz verweise auf irgendeine Art von Strafe – auch wenn es dafür dann unterschied­liche Antworten gab.

141 Die Fabelrassen als verfluchtes Geschlecht

Die Vorstellung, die Wundervölker ließen sich auf die Schuld eines einzigen Menschen zurück­ führen, hielt sich im Mittelalter hartnäckig, und der erste infrage kommende Kandidat war nicht etwa Adam – selbst durch die Erbsünde gezeichnet, aber immerhin der Stammvater aller Menschen –, sondern der erste Mörder der Heilsgeschichte, Adams erstgeborener Sohn Kain.7 Zwar berichtet die Genesis nur wenig über dessen Schicksal nach der Tötung seines Bruders Abel, dafür finden sich jedoch ergänzende Informationen in apokryphen Schriften, die im Mittelalter teilweise die Akzeptanz der bib­lischen Schriften erreichten. So erfahren wir aus dem Buch Die Schatzhöhle neben Details von der Ermordung Abels auch von der unmittelbar darauf erfolgten Verbannung Kains in das Land Rod, in dem er wie ein wildes Tier lebte und schließ­lich von seinem eigenen Nachkommen, dem blinden Lamech, mit einem Pfeil erschossen wurde. Berichtet wird dort auch vom Verbot Adams gegenüber den Kindern Seths, sich mit denen von Kain zu verbinden. Als Seths Söhne sich schließ­lich doch mit Kains weib­lichen Nachkommen paarten, entstanden daraus die Riesen, die im mittelalter­lichen Verständnis als Ursprung der Wundervölker betrachtet wurden: »Und es vermischten sich die Kinder Seth’s, die Männer, mit den Töchtern Cain’s, und die wurden schwanger und gebaren von ihnen riesenhafte Männer, ein Geschlecht von Riesen wie Türme.«8 In der jüdischen Tradition wurden Kain und seine Nachkommen wegen Kains Untat auch äußer­lich gekennzeichnet, wodurch sie bereits in die Nähe der Wundervölker rückten. Als ­solche »Kainszeichen« galten ein Horn auf der Stirn sowie Beulen im Gesicht oder an den Gliedmaßen.9 Die Deutung der Monster als Nachkommen Kains übernahm auch der alteng­lische Beowulf-Dichter, der von dem unter einem Wasserfall hausenden Monster Grendel sagte: wæs se grimma gæst Grendel haten,

Der üble Gast wurde Grendel genannt, der

mære mearcstapa, se þe moras heold,

starke Waldläufer lebte im Moor und Sumpf.

fen ond fæsten; fifelcynnes eard wonsæli

Dieses unglück­liche Wesen hatte lange im

wer weardode hwile, siþðan him Scyppend

Land der Monster gelebt, seit der Schöp-

forscrifen hæfde

fer sie verstoßen hatte als Kains Geschlecht.

in Caines cynne – þone cwealm gewræc

Diese Tat rächte der ewige Herr, dass dieser

ece Drihten, þæs þe he Abel slog. 10

Abel erschlug.

Auch Grendels Mutter wird ausdrück­lich als aus Kains Geschlecht stammend bezeichnet (v. 1261).

142

Noch im Hochmittelalter wird die Ableitung der Wundervölker von Kain auf W ­ eltkarten verbreitet; auf der Herefordkarte werden beispielsweise die Anthropophagen als »Kains ver­ fluchte Söhne« eingetragen: »Dies sind äußerst unfreund­liche Menschen, die Menschenfleisch verzehren und Blut trinken, die verfluchten Söhne Kains.«11 Obwohl diese Vorstellung von der Entstehung der Monster sogar in die volkssprach­ liche Dichtung des Frühmittelalters Eingang gefunden hatte, reichte sie als Erklärung für die Existenz von zeitgenös­sischen Wundervölkern offenkundig nicht aus, da man davon ausging, dass auch die Riesen bei der Sintflut umgekommen waren. Frei­lich stellt schon eine altnor­ dische Handschrift in dem eigenständigen Anfangssatz zu einer Liste von Wundervölkern lapidar fest: »Riesen gab es sowohl vor als auch nach der Sintflut.«12 Als Stammvater der Wundervölker eignete sich Cham (oder Ham), derjenige der drei Söhne Noahs, der Afrika besiedelt hatte, besser. Sein Name bedeutet laut Isidor von Sevilla »warm«, was dieser von dem heißen Klima des afrikanischen Kontinents ableitete. Auch Cham wurde von einem Fluch getroffen, als er seinen betrunkenen Vater Noah entblößt daliegen sah und, statt diesen zu bedecken, darüber lachte und es seinen Brüdern erzählte. Dafür wurden er und sein Sohn Chanaan von Noah verflucht und zu Knechten der anderen Noachiden gemacht (Gen. 9,20 – 25). Mit dieser bib­lischen Geschichte wurde noch bis ins 18. Jahrhundert die niedrigere Stellung und damit die Versklavung der Afrikaner gerechtfertigt.13 Auch einen weiteren Nachfahren Chams, Nimrod, den ersten Jäger, der in Mesopotamien die Stadt Babylon gegründet haben soll, schilderte man als Riesen mit dunkler Hautfarbe und somit ebenfalls als Angehörigen eines Wundervolkes. Eine eingängige Begründung der Ursachen von individuellen wie kollektiven Missbil­ dungen, d. h. von Missgeburten und Monstern, bietet die sogenannte Adamstöchter-Theorie, die erstmals in der Wiener Genesis, einer frühmittelhochdeutschen Bibeldichtung aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts aus dem bayerisch-österreichischen Raums zu finden ist: Adam verbot seinen Töchtern während ihrer Schwangerschaft den Genuss bestimmter giftiger Kräuter. Sie missachteten jedoch das Verbot – eine Wiederholung des Sündenfalls – und bekamen daraufhin missgebildete Kinder, von denen sechs, näm­lich Cynocephalen, Blemmyae, Panoti, Skiopoden, Arimaspi und Schwarzhäutige als Wundervölkerkatalog wiedergegeben werden.

143 Frühmittelhochdeutsche sogenannte Wiener Genesis (um 1050  –   1 100), Vers 644  –   6 60:

duo wurten die scuzlinge glîch deme stamme:

Da wurden die Schößlinge wie der Stamm:

ubel wuocher si bâren, dem tivele vageten.

Sie trugen üble Frucht, die dem

Adam hiez si mîden wurze, daz si inen

Teufel gehorchten.

newurren an ir geburte.

Adam hieß sie Kräuter vermeiden, damit sie

sîn gebot si verchurn, ir geburt si flurn.

ihren Kindern nicht schadeten,

dei chint si gebâren dei unglîch wâren:

aber sie ignorierten sein Gebot und verloren

sume­liche hêten houbet sam hunt; sume­liche

ihre Kinder: die Kinder die sie gebaren waren

hêten an den brusten den munt,

sehr verschieden:

an den ahselun die ougen, dei muosen sich des

Einige hatten Häupter wie Hunde, einige den

houbtes gelouben;

Mund auf der Brust und die Augen auf den

sume­liche hêten sô michel ôren daz si sich dâ

Schultern, sodass sie den Kopf vermissten.

mite dachten.

Einige hatten so große Ohren, dass sie sich

Et­licher hêt einen fuoz unt was der vile grôz:

damit zudeckten.

dâ mite liuf er sô balde sam daz tier dâ ze

Mancher hatte nur einen Fuß, aber der war sehr

walde.

groß: damit lief er so schnell wie die Waldtiere.

Et­lichiu bar daz chint daz mit allen vieren gie

Einige brachten Kinder zur Welt, die wie Rinder

sam daz rint.

auf allen Vieren liefen.

Sume­liche flurn begarewe ir scônen varwe:

Einige verloren völlig ihre schöne Farbe und

si wurten swarz unt egelîch, den ist nehein liut

wurden schwarz und eklig, denen sah niemand

gelîch.

ähn­lich: Ihre Augen blitzten, die Zähne glänz-

die ougen in scînent, die zeni glîzent.

ten, und wenn sie sie fletschten, so erschreck-

swenne si si lâzent blecchen sô mahten si

ten sie sogar den Teufel.

jouch den tiufel screchen.

Die Nachkommen erwiesen, was die Vorfahren

die afterchomen an in zeigten waz ir vorderen

geerntet hatten:

garnet hêten:

So wie diese innen waren, so waren jene außen.

also­lich si wâren innen, so­lich wurten diese ûzzen. 14

An dieser Erklärung ist bemerkenswert, dass sie die Auffassung tradiert, die Sünden der Eltern würden an den Kindern sichtbar, mehr noch, deren monströses Äußeres entspräche dem sündhaften Wesen »der Eltern«. Damit wird den Monstern eine weitere Funktion, den Ungehorsam der Menschen gegenüber Gott aufzudecken, zugeschrieben. Durch die Abstammung von Kain, Cham oder den Adamstöchtern erschienen die Wundervölker in erster Linie als Strafe für die Sünden ihrer Stammeltern und waren somit

144

eindeutig negativ konnotiert. Diese Deutung war bis zum 13. Jahrhundert weit verbreitet, wobei sich auch die theolo­gisch interessante Ergänzung findet, dass Wundervölker wegen der Sündhaftigkeit der Menschheit ständig neu entstünden. Diese Meinung, allerdings mit einer überraschenden Schlussfolgerung, vertrat auch der in Paris wirkende Franzis­ kanerprior Alexander von Hales (um 1185 – 1245) in seiner ausgefeilten Argumentation zur mensch­lichen Natur der Wundervölker: Gerade weil die Sündhaftigkeit der Grund für die Entstehung der Wundervölker sei, müsse man diese als Menschen ansehen, da Tiere nicht sündigen könnten; außerdem seien bei aller Monstrosität die körper­lichen Abweichungen nur relativ, denn selbst bei extremen Beispielen wie den Cynocephalen oder den Blemmyae bilde immer noch der Mensch den Ursprung. Er wies als einer der wenigen Autoren zudem darauf hin, dass diese extremen Fälle selten und die meisten der Wunderrassen zweifellos von mensch­licher Natur seien. Medizinisch-genetische Erklärungen von Wundervölkern und Missgeburten

Weit anspruchsvollere Versuche, die Entstehung der Wundervölker zu erklären, wie sie schon Aristoteles unternommen hatte, nahmen dann im 13. und 14. Jahrhundert Albertus Magnus und besonders Nicolaus von Oresme vor. Der franzö­sische Universalgelehrte, ab 1377 Bischof von Lisieux, entwickelte um die Mitte des 14. Jahrhunderts in seinem Werk De causis mirabilium eine ausführ­liche Theorie der Teratologie, die sich auch mit Monstern, Missgeburten und dergleichen beschäftigte. Seiner Auffassung nach waren diese innerhalb des gött­lichen Schöpfungsplans keine Vorzeichen für kommende Ereignisse, sondern beruhten auf einer Defizienz bei der Zeugung oder der Entwicklung des Embryos, die ihre Ursachen in der phy­sischen Umgebung hatte, die etwa zu trocken, zu feucht oder zu karg war.15 Den Einfluss ungünstiger klimatischer Bedingungen auf Aussehen und Sozialverhalten hatten die Enzy­ klopädien schon lange als Grund angeführt. Ausgehend von der Defizienz oder Verformung des männ­lichen Spermas als Ursache für bestimmte Missgeburten oder Wunderrassen ordnete Nicolaus von Oresme diese als Vorstufe zur vollkommenen Mensch­lichkeit ein. Damit standen die Pygmäen, die der Gelehrte als bei­ spielhaft für die Wundermenschen ansah, für ihn auf einer Entwicklungsstufe zwischen Affe und Mensch – eine überraschend modern und fast darwinistisch anmutende Einschätzung: Als Beispiel und Erklärung: Sag, was bei der Entwicklung des Menschen abläuft: Zuerst kommt der Samen, 2. ist ein pilzartiges Gewächs, 3. etwas wie das sozusagen ungeformte Tier, wie Aristoteles im Buch über die Tiere sagt, wo es unsicher ist, ob es sich um eine Pflanze oder ein Tier oder sonst etwas handelt, 4. etwas wie ein Affe, 5. etwas wie ein Pygmäe, 6. schließ­lich der perfekte Mensch. 16

145

Die Vermutung, es handele sich bei den Wundermenschen um eine Erscheinungsform zwi­ schen Mensch und Affe, äußerte bereits Albertus Magnus, der die Defizienz von ­Monstern und Affen nicht für eine körper­liche hielt, sondern auf die fehlende geistige Kontrolle über den Körper (disciplinabilitas) zurückführte. Hierfür stellte er eine dreistufige Hierarchie auf, gegliedert nach Menschen, Pygmäen – die auch stellvertretend für andere Wunder­ menschen stünden – und Affen.17 Albertus Magnus war allerdings der Ansicht, dass man­ che Wundervölker, besonders die Cynocephalen, zu den Menschenaffen zu zählen seien,18 womit er eine schon von Solinus geäußerte Erklärung aufgriff: »Hundsköpfige und ­solche zählen zu den Affen.« Diese rationalisierende Einstufung der Hundsköpfigen dürfte eine populäre Ansicht gewesen sein, wie die Ebstorfkarte vermuten lässt, die die Cynocephalen neben den Satyrn und Faune unter den sechs Arten der Menschenaffen anführt.19 Diese anspruchsvollen Deutungen des Spätmittelalters boten zwar ebenso wie die etwas simpleren dem mittelalter­lichen Menschen Erklärungsversuche, ­welchen Platz die Monster im Schöpfungsplan einnahmen, doch vermögen sie nicht, uns heute die Herkunft des antiken und mittelalter­lichen Glaubens an Monster überzeugend zu vermitteln.

Affen auf einem Kapitell des Kreuzgangs im Großmünster, Zürich

146

7.3. Deutungen und Bedeutungen der monströsen Menschen im Mittelalter Eine der wesent­lichsten Fragen bei der Beschäftigung mit Wundervölkern ist die nach ihrer Bedeutung im mittelalter­lichen Denken: Was hat man in den Monstern gesehen, warum wurden sie so häufig dargestellt und wozu wurden sie verwendet? Wenn es nicht nur um Definition, Aussehen oder Darstellungsformen, sondern um die Bedeutung der Fabelrassen, aber auch die anderer Monster wie der Meerwunder geht, stehen uns zur Klärung nur wenige deutende Texte zur Verfügung. Weder die Auflistung und Beschreibung in Enzyklopädien noch die vereinzelte Schilderung in naturkund­lichen Handbüchern, Bestia­ rien, den Randspalten anderer Handschriften und auch nicht die Reise­literatur geben darüber Auskunft. Aufgrund der vielfältigen bild­lichen Darstellungen in K ­­ irchen und Klöstern lässt sich nur vermuten, dass sie vor allem eine religiöse Bedeutung im mittelalter­lichen Weltbild besaßen. Wenn man sich zunächst auf die Positionierung der Wunderwesen im sakralen Raum beschränkt, ergibt sich ein verwirrendes Bild: Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts finden wir die Wundervölker wie in Vézelay an den Tympana der Westportale, aber auch an den Tympanon des Hauptportals mit Wundervölkern rechts

Kapitellen des Kirchenschiffs ­­ der franzö­sischen

im untersten Register, Sainte Marie-Madeleine in Véze-

Kathedralen. Insgesamt beschränken sie sich jedoch

lay, Frankreich, um 1130

keineswegs auf die Portale oder die Fassaden der

147

­­Kirchen, auch wenn sie dort häufiger auftreten. Um 1300 tauchen sie beispielsweise am Tor eines spätromanischen Pfarrhofs in Remagen am Rhein auf, und im 15. Jahrhundert sind sie in den Kalkmalereien an den Decken dänischer und schwedischer ­­Kirchen zahlreich vertre­ ten. Viele der Werke sind heute verschwunden, denn zahlreiche Wandmalereien fielen dem reformatorischen Bildersturm zum Opfer,20 und die wunderbare Bauplastik der franzö­sischen Kathedralen wurde später durch die antireligiöse Wut der Franzö­sischen Revolution zerstört. ­Diesem geradezu organisierten Vandalismus gingen schon im 18. Jahrhundert gewisse iko­ noklastische Tendenzen innerhalb der katho­lischen ­Kirche voraus, die sich allerdings noch nicht in gewaltsamen Schändungen der mittelalter­lichen Gotteshäuser manifestierten. Trotz dieser und der später durch die Weltkriege verursachten massiven Verluste an mittelalter­ lichen Bildwerken zeigt der noch immer beträcht­liche Anteil fabelhafter Wesen an dem erhaltenen ­­Kirchenschmuck, wie sehr diese neben den religiösen Themen und Motiven Teil einer mittelalter­lichen Wirk­lichkeit bei der Betrachtung sakraler Räume gewesen sein müssen. Dennoch hat man sich – sofern sich die historische oder kunstgeschicht­liche Wis­ senschaft mit der Frage nach ihrer Bedeutung für das geist­liche wie welt­liche Publikum auseinandergesetzt hat – in früheren Zeiten für eine rein dekorative Funktion der Wunderwesen

Cynocephales und Panoti, Tympanon des Hauptportals,

ausgesprochen.21 Eine s­ olche Reduzierung wird

Sainte Marie-Madeleine in Vézelay, Frankreich, um 1130

148 Blekker, Zanner und Sheela-na-Gigs

aber weder der prominenten Rolle

Die Figuren der mittelalter­lichen kirch­lichen

im ­­Kirchenraum noch den wenigen

Bauplastik überraschen uns häufig durch ihre

Deutungen in den mittelalter­lichen

abstoßenden und oft sogar ausgesprochen

Texten gerecht. Auch ist eine noch

obszönen Gesten. Die – aus heutiger Sicht –

weitergehende Interpretation dieser

harmlosesten davon sind die Zanner, das

Annahme, nach der es sich bei der

sind Gestalten, die sich mit den Fingern die

Darstellung von Monstern um eine

Mundwinkel auseinanderziehen und ihre

völlig bedeutungslose, der spieleri­

Zähne fletschen, dabei mitunter auch die

schen Phantasie der Bildhauer ent­

Zunge herausstrecken. Als Blekker bezeichnet

sprungene Ausgestaltung handeln

man diejenigen, die mit heruntergelassener

soll, mit der Bedeutung, die man

Hose oder ganz ohne Hose dem Betrachter

­­ im Mittelalter dem Kirchenraum

ihren Hintern entgegenstrecken, wobei

zumaß, nicht zu vereinen.22

sie tief gebückt zwischen den eigenen

Ein weiterer Ansatz deutet

Beinen nach hinten blicken. Die ursprüng­

die Darstellungen aus der Pers­

lich irische, in ihrer Herkunft nicht sicher

pektive der volkskund­lichen For­

geklärte Bezeichnung Sheela-na-Gig meint

schung als späte Reflexionen

nackte Frauendarstellungen mit übergroßer

heidnisch-mytholo­gischer Vorstel­

Vulva, wobei die sitzende Frau häufig zusätz­

lungen vorchrist­licher Religionsstu­

lich ihre Schamlippen mit den Händen weit

fen. Diese seien durch angeb­liche

geöffnet hält. Zwar hat man diese vor allem

Repressionen der Missionare und

in Irland und Großbritannien vorkommenden

der kirch­lichen Institutionen ver­

Skulpturen einerseits als Relikte eines alten

drängt worden und erst in Romanik

Fruchtbarkeitskultes, andererseits als christ­

und Gotik wieder ans Licht gekom­

liche Warnung vor den Gefahren der Lust

men, indem sie in den marginalen

deuten wollen, viel wahrschein­licher ist

Bereichen der K ­­ irchenbauten ebenso

aber wie bei den Blekkern und Zannern eine

wie an den Rändern der Handschrif­

apotropäische, also Schaden und Dämonen

ten hervortraten. Diese Interpreta­

abwehrende Funktion, da die meisten dieser

tion lässt wiederum außer Acht, dass

Darstellungen über Toren und ­­Kirchentüren

die kirch­lichen Bauskulpturen auf

zu finden sind.

einen expliziten Auftrag der bischöf­ lichen oder monastischen Bau­

herren zurückgehen, was gegen ein spontanes oder intui­tives Wiederaufgreifen vorchrist­ licher, heidnischer Formensprache, etwa durch Eigeninitiative der Künstler, spricht. Auch liegt zwischen der in England, Frankreich und den deutschspra­chigen Gebieten im 7. und 8. Jahrhundert vollzogenen Christianisierung und den romanischen Skulpturen ein halbes

149

Jahrtausend, was zwar das Über­ leben von heidnischen Traditio­ nen nicht völlig ausschließt, aber ein plötz­liches massives Auf­ tauchen eher unwahrschein­lich macht. Zudem weisen zumindest im germanischen Bereich die Monster in aller Regel wesent­ lich mehr Gemeinsamkeiten mit den gelehrten antiken Fabelras­ sen des Plinius als mit einheimisch-germanischen mytholo­gischen Vorstellungen auf, wenn man von Drachen und vereinzelten Trollen einmal absieht. Man hat die Darstellungen der Monster ferner in erster Linie als Mittel kirch­licher Katechese angesehen, mit dem man die Gläubigen in Schrecken versetzen wollte, um sie noch stärker zu einem Leben nach den Regeln der christ­lichen Lehre zu veranlassen. Die erschreckende Wirkung dürfte sich aber nicht so leicht eingestellt haben, wenn man bedenkt, wie viele der Drolerien und Chimären geradezu das Lächer­liche betonen und wie viele der Wunder­völker eher Mitleid als Furcht erwecken. Noch abwegiger scheint mir ein psychologisierender Deutungsansatz, der in den M ­ onstern in erster Linie einen legitimen oder wenigstens kirch­lich geduldeten Ausdruck für unter­ drückte Ängste und Phantasien der Kleriker erkennen und den bauplastischen Darstellun­ gen der Kreuzgänge und den farbigen Illuminationen der Handschriften eine in erster Linie unbewusste psycholo­gische Motivation unterstellen will. Auch hier wird wieder der Schrecken betont, den die Monster auslösen sollen, indem sie die vermeint­lichen oder echten »Ängste des mittelalter­lichen Menschen« verbild­lichen. In ­diesem Zusammenhang rächt es sich, wenn Monströses und Dämonisches gleichgesetzt oder wenigstens gleich behandelt werden: Es ist unbestritten, dass zahlreiche Verbild­lichungen der Wundervölker wie die des Dämonischen, sogar im ­­Kirchenraum, auch eine erschreckende Wirkung gehabt haben mögen, doch eine Deutung aller uns fremdartig erscheinenden Skulpturen in ­diesem Sinne erscheint überzogen. Wahrschein­licher ist, dass die gefähr­licheren Monster, noch mehr aber die Chimären und Wasserspeier an den Außenseiten der K ­­ irchen, eine Unheil abwehrende Funktion hatten. Wir wissen in der Tat, dass nicht nur die Fratzen, Bestien und Drachen unter diesen, sondern auch die uns fälsch­licherweise als obszön erscheinenden Zanner, Blekker und Sheela-­na-Gigs Dämonen abwehren sollten – und zwar nicht nur in der kirch­lichen Bauplastik. Auch im Volksglauben half es gegen die angeb­lich durch sie verursachten

Mönch und Blekkerin, Breviar des Metzer Bischofs Renaud de Bar, vor 1304

150

Gewitter, wenn alte Frauen gebückt ihr Gesäß ent­ blößten, um so die Dämonen zu verjagen oder zu bannen. Neben dem angeb­lich furchteinflößenden Aspekt hat man in den Monstern oft nur die symbo­ lische Darstellung bestimmter Sünden und Lastern sehen wollen, wie sie in der Spätgotik in Form alle­ gorisierender Gestalten in erster Linie für Tugen­ den, seltener auch für Laster zu finden sind. Die Fabelrassen aber sperren sich einer ­solchen ein­ seitigen Zuordnung, mit Ausnahme der Sirenen und Kentauren, die jeweils auf eine Bündelung von weib­lichen und männ­lichen Schwächen hinweisen sollen: auf Putzsucht, Eitelkeit und Verführungs­ künste bei den Frauen sowie Rohheit, Trunksucht und Geilheit bei den Männern. Eine vereinfachende Interpretation der Wun­ dervölker innerhalb des Bildprogramms sakraler Räume greift aber zu kurz, dem steht schon der Unterschied zwischen den Dämonen und den Monstern entgegen. Zudem ist der auf einzelnen ikonographischen Übereinstimmungen basierende Versuch, sie als bild­liche Realisationen von Dämonen zu erklären, grundlegend falsch. Es ist auch nicht hilfreich, rein allegorische ­­ zu findenden femme Darstellungen wie die der in frühromanischen franzö­sischen Kirchen aux serpents – einer nackten weib­lichen Gestalt, an deren Brüsten und Genitalien Schlangen und Kröten saugen und die für die Todsünden der Habgier (avaritia) und der Lust (luxuria) steht 23 – mit den Wundermenschen zu vermengen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Umschreibungen für die Monster vom lateinischen portentum und mirabilium über homines monstruosi bis zum deutschen »wunder­liche Leut« reicht, also keineswegs in erster Linie negative Konnotationen auf­ weist, auch wenn der Begriff »viehische Lewt« auf körper­liche und ­soziale Parallelen zum Tierreich verweist. Im Gegensatz zu so anachronistischen Interpretationsansätzen wie dem genannten psycholo­gischen scheint es notwendig, die wenigen erhaltenen mittel­alter­lichen Texte zu befragen, die sich mit der Bedeutung der Wunder­ Sheela-na-Gig, Kirche in Kilpeck, Herefordshire,

völker beschäftigen. Dabei handelt es sich in erster

England, um 1140

Linie um latei­nische Werke, im Folgenden sollen

151

aber auch die spät­mittelalter­liche volkssprach­liche Predigt und die mittelhochdeutsche Literatur zum Vergleich herangezogen werden. Was aber sollen die Wundermenschen den Menschen sagen? Der irische Seefahrermönch Saint Brandan meinte, dass Gott ihn auf eine lange Irrfahrt geschickt habe, um ihn damit wegen seines Unglau­ bens an die Vielfalt und die Wunder der gött­lichen Schöpfung zu bestrafen; er berichtete von zahlrei­ chen Wundern, darunter auch die Meerwunder, die er auf seiner Seereise »angetroffen« habe. Die Bildwerke tragen folg­lich auch zur Beleh­ rung des Menschen bei, so wie noch – in durchaus augustinischer Tradition – der mittelhochdeutsche Dichter, der sich »Der Stricker« nannte, in seinem kleinen Lehrgedicht Der pfaffen leben sagte: Das erste Buch, aus dem die Menschen lernen könnten, sei die Welt und der Himmel, das zweite das der von Menschenhand geschaffenen Bilder und das dritte das Vorbild der guten Geist­lichen. Im Buch der Bilder jedoch könnten die Laien am ehesten und »vil sanfte« erkennen, was für ihr Seelenheil nütz­lich sei: Da sicht man vbel vnd gvt was got hat getan

Da sieht man Gut und Böse, und was Gott

vnd tvt

getan hat und noch immer tut, und daran kann

Da mac man sich wol bi verstan. was man tvn sol

man gut erkennen, was man tun und las-

oder lan.

sen soll.

24

Somit dient die Anschauung der Welt nicht nur der Neugierde oder dem Wissenserwerb, sondern auch der mora­lischen Unterweisung. Schon der heilige Augustinus betrachtete die Wundervölker als Beweis für Gottes All­ macht und die unbeschreib­liche Vielfalt der Schöpfung, aber auch als Instrument, mit dem Gott unseren Sinn für das Wunderbare erwecken wollte, und schließ­lich sogar als Mög­lichkeit, einen Sinn in problematischen Aspekten der Schöpfung zu erkennen: »[…] es ließe sich annehmen, Gott habe manche Völker deshalb so geschaffen, dass wir nicht irre zu werden glauben

Femme aux serpents (rechts) mit Dämon, Klosterkirche

wegen der Missgeburten, die bei uns von Menschen

in Moissac, Frankreich

152

ans Licht befördert werden müssen, oder an seiner Weisheit, w ­ elche die Natur des Menschen geschaffen hat, wie an der Kunst eines vielleicht weniger begabten Künstlers.« An den Monstern konnte man also »zeigen«, wie Gott seine Schöpfung angelegt hatte, und diese Funktion des Zeigens, des Vorweisens von Erklärungsmodellen, wurde besonders in der Predigt genutzt. Es erscheint daher nicht verwunder­lich, dass Augustinus angeb­lich auch Monster in seinen Predigten erwähnt haben soll: Er, als Afrikaner, soll in einer ihm zugeschriebenen Predigt die kopflosen Äthiopier mit Augen auf der Brust, also die Blemmyae, und die einäugigen Äthiopier, also Zyklopen, als vorbildhafte Beispiele für priester­liche Ent­ haltsamkeit und Zurückgezogenheit von der Welt angeführt haben, auch wenn diese Beispiele weit hergeholt erscheinen mögen.25 Ungeachtet der Zweifel an der Echtheit der Predigt deutet dieses Beispiel an, wie vielfältig einsetzbar die Wunderwesen waren: Einerseits erweckten sie aufgrund ihres Äußeren oder ihrer Gewohnheiten die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft, andererseits konnten sie mangels Nachprüfbarkeit als Folie für alle mög­lichen Geschichten, Exempel oder Allegoresen dienen. Das »(Vor-)Zeigen« der Monster war aber keineswegs nur als Aufruf zu mora­lischem Handeln des Einzelnen, sondern als Gebot für die ganze K ­ irche aufzufassen, den Missions­ auftrag des Neuen Testaments ernst zu nehmen und den Glauben an Gott allen Völkern nahezubringen. Wenn etwa auf dem untersten Fries des Tympanons von Vézelay ein äthio­ pischer Pygmäe, der mit einer Leiter sein Pferd besteigt, und zwei Paare, das eine fast nackt und gestikulierend als Astomes oder Aglosses, das andere mit riesigen Ohren als Panotier, dargestellt werden, dann ist dies nur vor d ­ iesem Hintergrund zu verstehen. Dass sie hier, mit­ ten in Burgund, auf dem Tympanon zu finden sind, mag den Missionsauftrag schon mit den Vorhersagen des Propheten Jesaja in Verbindung bringen: »Seht her: Sie kommen von fern, die einen von Norden und Westen, andere aus dem Land der Siniter« (Jes. 49,12),26 »Völker, die du nicht kennst, wirst du rufen; Völker, die dich nicht kennen, eilen zu dir, um des Herrn, deines Gottes, des Heiligen Israels willen, weil er dich herr­lich gemacht hat« (Jes. 55,5). Und: »Die Inseln sehen es und geraten in Furcht, die Enden der Erde erzittern; sie nähern sich und kommen herbei« (Jes. 41,5).27 Es ist erstaun­lich, dass wir trotz dieser doch recht diffusen heilsgeschicht­lichen Bedeu­ tung der monströsen Völker sowohl in der Bauplastik als auch in den Enzyklopädien ein relativ konstantes Inventar an Wundervölkern vorfinden. Dennoch entstand während des Mittelalters kein echter Kanon an allegorischen Deutungen dieser doch relativ kleinen Gruppe von Monstern. Im Gegenteil, alle bekannten Allegoresen in der Predigtliteratur und den Enzyklopädien zeichnen sich dadurch aus, dass sie offenbar ad hoc gebildet wurden, also spontane Interpretationen der Autoren waren. Wie das Buch der Natur des Konrad von Megenberg zeigt, gilt dies für die Wundermenschen ebenso wie für die Meerwunder.

153

Konrad führte bei dem offenbar nur gegen seine Absicht und auf Wunsch von Freunden aus dem Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré aufgenommenen Buch Von den Wundermenschen keine Allegoresen ein, bei den Meerwundern dagegen nahm er sie, zum Teil sogar ausführ­lich, auf. In der Mehrzahl fallen seine Deutungen negativ aus, in einem Fall überlässt er sogar dem Leser die Interpretation. Dass Konrad auch eine positive Ausle­ gung der Interpretationen der Natur und ihrer »Wunder« in Betracht zog, zeigt sein Aus­ ruf angesichts der häufig allegorisch gedeuteten Vögel im dritten Buch:28 Ach got, wie hâst dû uns alsô vil lêr geben an den unvernünftigen crêatûren, dâ mit wir gemant werden zuo tugentleichen werken! Hier, an dieser »großen Lehre durch die unvernünftigen Geschöpfe« verdeut­licht sich der ganze »Sinn« der unvernünftigen Kreatur, näm­lich als Ermahnung zu tugendhaftem Handeln. Dies gilt sicher­lich zu einem gewissen Grad auch für die Monster. Wie bereits in dem Zitat des Stricker wird deut­lich, dass in dem »Buch der Welt« auch die Monster ihre Rolle als Exempel haben. In dem Fall, in dem Konrad die Deutung jedoch dem Leser überließ, erwies er sich durchaus als Kind seiner Zeit: ­solche Kommentare kamen auch in der Erzähl- und in der Predigt­literatur vor. In den Gesta Romanorum gibt es et­liche beispielhafte und zugleich abschreckende Interpretationen, in der Mehrheit der Fälle aber werden die Monster dort positiv ausgelegt: Es befinden sich in Indien auch einige Leute, ­w elche sechs Hände haben, nackt und behaart sind und sich an einem Strome aufhalten. Die Menschen mit den sechs Händen bedeuten aber die Eifrigen, ­w elche arbeiten, auf daß sie das ewige Leben erringen, wie Petrus [tatsäch­lich: Psalm 118,109] sagt: meine Seele ist immer in meinen Händen. Unter den nackten Menschen muß man sich die der Tugend beraubten Sünder denken, ­w elche im Strome dieser Welt wohnen. 29

Auch ein Vergleich zwischen den Gesta Romanorum und drei anderen allegorisierenden Wunder­völkerverzeichnissen belegt die Beliebigkeit der Interpretationen. Das umfangreichste dieser Verzeichnisse stammt aus der Zeit um 1300 von einem Mönch aus Enghien in der Diözese Cambrai. Dieser gereimte altfranzö­sische Liber de monstruosis hominibus orientis basiert auf Thomas von Cantimpré, stellt aber einen nur die Wundermenschen behandeln­ den Auszug aus dessen Liber de natura rerum dar, den der Mönch in wortreiche Reime gießt und mit so ausführ­lichen Allegoresen versieht, dass er mög­lichweise trotz der Reimform als Grundlage für Predigten verwendet worden sein könnte.30 In seiner Ausführ­lichkeit schil­ dert der Text ein Sittenbild des franzö­sischen Adels seiner Zeit, in dem Standesdünkel, Stolz, Hartherzigkeit und Verleumdungen gegeißelt werden.

154

Ein Jahrhundert später, um 1400, ist die bislang unedierte deutschsprachige Wiener Predigt des Franziskaners Johannes Bischof entstanden.31 Er verwendet die zehn von ihm in einer Predigt zum Sonntag Quinquagesima (= Faschingssonntag) herangezogenen Wundervölker ausschließ­lich als Exempel für Sünden und Laster, nennt aber keineswegs dieselben Wunder­ völker wie in den anderen uns zur Verfügung stehenden Texten. Ebenfalls unediert ist das Werk eines anonymen Verfassers in einer Handschrift der Oxforder Bodleian Library, das in der Tradition frühmittelalter­licher eng­lischer Bestiarien steht. Seine allegorisierenden Deutungen orientieren sich nur scheinbar an Isidors von Sevilla Kapitel über die portenta, entfernen sich jedoch davon und geben mithilfe bib­lischer Paralle­ len Deutungen et­licher Wundervölker. Diese werden aber in allen Fällen in malo interpretiert, also durchweg als Z ­ eichen für Sünden und Laster gesehen.32 Der genannte Franziskanerpater Johannes Bischof ist der einzige der Autoren, der am Beginn seiner Predigt einen kurzen, einleitenden Überblick über die zehn von ihm vorge­ stellten Arten von Sündern gibt, interessanterweise decken sich diese Angaben jedoch nicht mit seinen in der Predigt etwas ausführ­licher dargelegten Allegoresen. So werden etwa die Antipedes – die sich aufgrund ihrer »verkehrten« Füße besonders für eine negative Ausle­ gung anbieten – von ihm zuerst als »die Geilen« gedeutet, dann aber mit Bezug auf ihre acht Zehen an jedem Fuß als diejenigen, die von den Acht Seligkeiten 33 direkt in die Hölle sprin­ gen würden. Im altfranzö­sischen Liber de monstruosis hominibus orientis dagegen findet sich für sie – hier ebenfalls mit acht Zehen – folgende moralisatio: »Statt­lich auftretende Herren sind oft Räuber und Diebe, denn unrecht Gut beherrscht ihren verkehrten Sinn. Anderseits ist ein Ehrenmann mit starkem Charakter in der Lage, sich der Versuchungen übler Bera­ ter zu erwehren. Er beraubt nicht seine Mitmenschen und kommt nicht zu Fall, so wie jene Menschen mit sechzehn Zehen besonders fest auftreten können.«34 Es wird deut­lich, dass das einzige relevante Stichwort für die beiden grundverschiedenen Auslegungen zu den ­Antipedes das Wort »verkehrt« ist, ­welches sich aus der Position der Füße dieses Volkes ergibt. Ansonsten haben die beiden Deutungen keinen Bezug zueinander, es ist aber auffällig, dass der altfranzö­sische Text sogar eine positive Interpretation zulässt. Ähn­lich verhält es sich mit anderen geist­lichen Deutungen der Wundervölker. In der Predigt des Johannes Bischof werden die Cynocephalen wegen ihres als Sprache verwendeten häss­lichen Gebells als Verleumder bezeichnet, und auch der Liber de monstruosis hominibus orientis interpretiert sie deswegen als Sünder, die sich fortgesetzter Verleumdung schuldig machen. Als durchweg negative Gestalten beschreibt sie auch der oben erwähnte eng­lische Anonymus, der sie ebenfalls aufgrund ihrer Sprache zu Verleumdern und Zwietrachtstiftern erklärt.35 Demgegenüber fällt die Deutung in den Gesta Romanorum positiv aus, die nicht vom Gebell, sondern vom Hundefell ausgehen: »Plinius erzählt uns, daß einige Menschen

155

Hundsköpfe haben, w ­ elche mit Gebell reden und in Thierfelle gekleidet sind. Darunter sind aber die Priester zu verstehen, w ­ elche alle mit Thierfellen bekleidet seyn sollen, das heißt mit strenger Buße, um Andern ein gutes Beispiel zu geben.«36 Es sei nur beiläufig angemerkt, dass diejenigen geist­lichen Texte, die nicht wie Konrads mittelhoch­ deutsches Buch der Natur und der altfranzö­sische Liber de monstruosis hominibus orientis direkt auf Thomas von Cantimpré zurückgehen – ob sie nun Allegoresen aufweisen oder nicht –, keinerlei litera­ rische Abhängigkeit von dessen doch sehr verbrei­ teten und in verschiedenen Fassungen zirkulieren­ den Liber de natura rerum erkennen lassen. Daraus folgt, dass es kein einzelnes hochmittelalter­liches Werk gab, das neben Auswahl und Reihenfolge der monströsen Menschen auch die Allegorese hätte vorgeben können. Man schöpfte vielmehr aus älte­ ren Quellen wie der I­ sidors von Sevilla und den von ihm abhängigen Enzyklopädien – wie der des Hrabanus Maurus oder des Vinzenz von Beauvais – oder gar direkt aus Solinus und Plinius. Nur sechs der Wundervölker tauchen in praktisch allen im geist­lichen Bereich relevanten Texten auf, die Cynocephalen, die Antipedes, die kleinmündigen Astomes, die Zyklopen, die Blemmyae und die Skiopoden. Doch auch bei diesen wenigen konstanten Beispielen für die geist­lichen Wundervölker­beschreibungen weichen die Allegoresen drastisch voneinander ab. So erfahren die Skiopoden, die neben den Pygmäen und den Hundsköpfigen zum allerengsten Kern der Wundervölker gehören, in den Gesta Romanorum die durchaus positive Auslegung, es handele sich dabei um »die Leute, ­welche nur das eine Bein der Vollkommenheit gegen Gott und ihren Nächsten haben, d. h. das Bein der Liebe. Diese laufen schnell dem Himmelreich zu«.37 Der altfranzö­sische Liber de monstruosis hominibus orientis hat dagegen die folgende moralisatio: »­Diesen Einfüßlern gleichen die Reklusen (cil renclus), die ihr früheres Gelübde durch teuf­lische Eingebung miß­ achten, sodaß sie bei d ­ iesem Sturm übler Gedanken und der Glut der Versuchungen sich auf ihre Nachlässigkeit verlassen, mit der sie sich zudecken.«38 Johannes Bischof schließ­lich sah in seinen durchweg negativen Deutungen in den Skiopoden diejenigen, »bei denen wir die nach

Skiopode mit riesigem Fuß, Kirche von Råby, Jütland,

irdischen Dingen sehr Gierigen verstehen sollen,

Dänemark, um 1505—15

156

­welche aus Gier dauernd den irdischen Dingen hinterherlaufen«.39 Auch hier ist wieder fest­ zustellen, dass sowohl Johannes Bischof als auch die Gesta Romanorum die Laufgeschwindig­ keit der Sciopoden als tertium comparationis nutzten, wenngleich sie sie in unterschied­licher Weise deuteten, während der altfranzö­sische Text die Schirmfunktion des großen Fußes für seine allegorische Auslegung heranzog. Ähn­liches gilt für das aus der antiken Mythologie bekannte Volk der Zyklopen. Diese einäugigen Riesen wurden jedoch keineswegs mithilfe der antiken Literatur interpretiert – obwohl die Episoden des Steine werfenden, geblendeten Polyphems bei Homer und Ovid sich wohl hätten anbieten können –, sondern in höchst origineller Weise neu, wenn auch durchweg negativ ausgelegt. Die Gesta Romanorum schildern sie als Menschen, »die nur das eine Auge der Vernunft besitzen, w ­ elches sie auf der Stirn tragen, aber nicht freien Willen haben«.40 Der altfranzö­sische Liber nutzt sie für einen »Ausfall gegen die geist­lichen Würdenträger, ihr ungeregeltes Trinken an Fasttagen, Habsucht und Hartherzigkeit statt Almosenspenden, auf der anderen Seite Fleischeslust, da dem Priesterliebchen für Unterhalt und Vergnügen das letzte an Habe und Einkommen geopfert wird. Für ­solche Personen hat Christus umsonst sein Blut vergossen, die sein Erbe verprassen«.41 Johannes Bischof schließ­lich, am Ausgang des Mittelalters stehend, meinte über die Zyklopen: pey den wir versten die viehleichen lewt die

Darunter verstehen wir die Wundermenschen,

ain aug habent allen mitten am stirn. Daz ist dy

die ein Auge mitten auf der Stirne haben. Das

verstandichait der sele die sehen zu irdischen

ist die Vernunft der Seele; und die schauen alle-

Dingen alltzeit und erachten der him­lischen

zeit nur auf die irdischen Dinge und ignorieren

nichtes […] alz alle tir tuent die verstentichait

die himm­lischen […], so wie es alle tun, die kei-

nicht habent und die erde an sehent. 42

nen Verstand haben und nur die Erde ansehen.

Während die moralisatio sich in der Regel auf die Einäugigkeit der Zyklopen stützt, löst sich dagegen die altfranzö­sische Auslegung in ihrer Tirade gegen die hohe Geist­lichkeit davon und beruft sich auf die Gefräßigkeit der Riesen. Hier wird erneut deut­lich, dass der eigent­ liche Auslöser der Assoziationskette für die Allegorese weder durch ein bestimmtes Element der Fabelrasse hervorgerufen noch in irgendeiner Weise in der Tradition kanonisiert wird, sondern weitestgehend beliebig ist. Aufzeigen lässt sich diese Beliebigkeit durch die schon oben erwähnte Allegorese der Meermonster Konrads von Megenberg in seinem Buoch von den naturleichen Dingen, bei der er – nur scheinbar von der für ihn grotesken Gestalt des Nilpferds überfordert – die Verantwortung für die mora­lische Interpretation an den Leser abgab: Equus fluminis haizt ain wazzerpfärt. daz ist ain merwunder gegen der sunnen aufganch […] dâ mach auz waz dû wellest.43 »Equus fluminis heißt Flusspferd, das ist ein Meerwunder

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Im Osten […], das deute wie Du willst.« Die Allegorese steht dem Leser frei und ist somit ausdrück­lich nicht ursäch­lich oder direkt mit dem beschriebenen Geschöpf verbunden. Ganz ähn­lich wird man die Bemerkung in dem erwähnten allegorisierenden Bestiarium der Oxforder Handschrift deuten dürfen, in der der Autor nach einer Reihe von Allegoresen zu den Wundervölkern dann über den Rest zusammenfassend meint: »Die rest­lichen Rassen kann sich der aufmerksame Leser selbst entweder mit roten [?] oder mit prächtigeren golde­ nen Buchstaben beschreiben.«44 Auch bei ­diesem Beispiel gibt der Autor die Verantwortung für die Allegorese aus der Hand und scheint zudem vorauszusetzen, dass der »aufmerksame Leser« nicht nur der Allegorese selbst mächtig, sondern auch mit den bei Isidor von Sevilla erwähnten Wundervölkern ausreichend vertraut ist. Wie weit der Autor in Ironie verfällt, wenn er den Leser ersucht, sich den Rest »selbst auszumalen«, aber eben in »goldenen Buch­ staben«, sei dahingestellt. Die Fähigkeit dazu gesteht er seinem Publikum jedenfalls zu, sodass wir davon ausgehen können, dass man kein Standardwerk der Monsterallegorese benötigt, um sich »selbst seinen Reim« auf die Wundervölker zu machen. Es entsteht der Eindruck, als sei die Beliebigkeit das einzig Konstante an den Interpreta­ tionen und Allegoresen der Wundervölker in der mittelalter­lichen geist­lichen Literatur und als sei die – dem einzelnen Prediger überlassene – Assoziation mit jedweden Eigenschaften der Wundervölker frei verfügbar. Das erklärt gleichzeitig die Mög­lichkeiten der bild­lichen, durch keinen mora­lischen Wertekanon – in Bezug auf diese Völker – festgelegten Darstel­ lungen: Dadurch können die einzelnen Eigenschaften jeweils neu hervorgerufen oder betont, aber auch jeweils neu gedeutet werden, ohne dass der Hinweis auf die bild­liche Darstellung ­­ notwendigerweise zu Wiederholungen der Kapitelle oder Wandmalereien im Kirchenraum führen muss. Das bedeutet, dass die dargestellten Wundervölker in einer münd­lichen Pre­ digt positiv, in einer anderen negativ, in einer dritten aber auch ganz wertfrei als Beispiele für Gottes unermess­liche Schöpfung interpretiert werden konnten. Dabei befand sich jeder Prediger dennoch auf dem sicheren Boden der antiken Autori­ täten und ihrer mittelalter­lichen wissenschaft­lichen Rezeption, was Konflikte mit der Lehr­ meinung kirch­licher Autoritäten vermied. Wenn man in der neuzeit­lichen Forschung fälsch­ lich gemeint hat, dass von den Monstern »vor dem 13. Jahrhundert nur die unmittelbar der Naturgeschichte des Plinius entnommenen Blemmyae und die vielköpfigen mytholo­gischen Genien dem Abendland einigermaßen geläufig«45 waren, dann zeugt dies von einer völligen Unkenntnis der literarischen und ikonographischen Traditionen in Spätantike und Frühmittel­ alter, denn schon im Frühmittelalter war ein fester Kanon von mindestens sechs, meist aber doppelt so vielen Monstern in Aufzählungen zu finden, von den Bestiarien ganz zu schweigen. Meine Deutung der Beliebigkeit der Allegoresen stützt sich in erster Linie auf die Predigt­ literatur und die ihr verwandten Texte, wird aber auch der reichen Bildtradition der Monster

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im monastischen und kirch­lichen Kontext gerecht. Sie gilt nicht in demselben Maße für die Darstellung des Monströsen in Handschriften; schon die berühmte Kritik des Bernhard von Clairvaux von 1125 an der üppigen Ausstattung der Kirchen ­­ und Klöster, als der Höhepunkt der Darstellung des Monströsen in der kirch­lichen und monastischen Skulptur noch gar nicht erreicht war, richtet sich gegen die Monster des Kirchenschmucks ­­ und nicht gegen die der Initialen oder Marginalien theolo­gischer Schriften: Übrigens auch im Kloster, mitten unter den lesenden Mönchen, was sollen da diese lächer­liche Monstrosität, diese wunderbare verformte Schönheit, diese schöne Verformtheit? Was die unreinen Affen? Was die wilden Löwen? Was die monströsen Zentauren? Was die Halbmenschen? Was die gestreiften Tiger? Was die kämpfenden Ritter? Was die ins Horn blasenden Jäger? Du siehst unter einem Haupt viele Körper, und andererseits viele Häupter auf einem Körper. Hier kann man an einem Vierbeiner einen Schlangenschwanz erkennen, dort auf einem Fisch den Kopf eines Vierbeiners. Dort hat ein Tier den Vorderteil eines Pferdes und schleppt den Hinterteil einer Ziege mit; dort hat ein gehörntes Tier den Hinterteil eines Pferdes. Kurzum, so vielfältig, so wunderbar erscheint dieser Reichtum verschiedener Formen, dass man eher an den Marmorskulpturen als in den Büchern lesen will, und den ganzen Tag sich über jede davon wundern will, anstatt das Gesetz Gottes zu meditieren. Oh Gott! Wenn man sich schon nicht ­s olcher Albernheiten schämt, warum vermeidet man nicht die Kosten? 46

Die Kritik des Zisterzienserabts Bernhard an der opulenten Lebensweise der Benedik­tiner, genauer gesagt an den in Dekadenz umschlagenden Folgen der innerbenediktinischen Reformbewegung des 910 gegründeten burgundischen Klosters Cluny ist kennzeichnend für den 1098 von Robert von Molesme gegründeten Zisterzienserorden. Die Cluniazenser hatten aufgrund eines im 10. Jahrhundert im Niedergang befind­lichen Mönchtums zur Kon­ zentration auf den Gottesdienst aufgerufen, bei dem die Vollständigkeit und Schönheit der Liturgie ebenso wie die Ausstattung der Gotteshäuser eine große Rolle spielten. Dies brachte ­­ und Klosterbauten hervor, denen die Zis­ jedoch vor allem die reich ausgestatteten Kirchenterzienser sch­lichte Bauwerke in unwegsamen Gegenden entgegensetzen. Wenn Bernhards Kritik in erster Linie vor d ­ iesem Hintergrund zu verstehen ist, so zeigt sie geradezu beiläu­ fig auch die Rezeption der Monstrositäten im monastischen Kontext, wenn der Mönch »die Marmorskulpturen lesen will«, als Lesestoff, der auch auszulegen ist und der durch seine Schönheit die Sinne anspricht. In Bernhards Tirade, die in den geschliffenen Worten des geschulten Rhetorikers vor allem den Reichtum und die Verschwendung im ­­Kirchenbau anprangert, tritt in der Kritik

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an der mög­lichen Ablenkung der Mönche von den geist­lichen Schriften aber auch deut­lich die Faszi­ nation für die Schönheit und Formenvielfalt der kirch­lichen Plastik hervor. Auch wird gleich mehr­ fach das Monströse erwähnt: bei den Mischwesen zwischen verschiedenen Tieren in der kirch­lichen Bauplastik, bei den vor allem an Kapitellen vorkom­ menden Verschmelzungen von mehreren Körpern unter einem Kopf und umgekehrt oder eben bei den Fabelrassen und Hybridwesen. Von Letzteren werden die Kentauren nament­lich genannt, die Wundermenschen dagegen unter den semihomines (Halbmenschen) zusammengefasst, was einerseits eine passende Umschreibung für die aus tierischen und mensch­lichen Elementen zusammengesetzten Wundervölker ist, andererseits deren Stellung in der mittelalter­lichen Hie­rarchie der Lebewesen angibt. Die Forschung hat sich bislang viel zu sehr mit dieser weitgehend alleinstehenden Kritik des Bernhard von Clairvaux und nicht ausreichend mit den Formen und Mög­lichkeiten der dargestellten Monstrositäten im litur­gischen Raum des Hochmittelalters beschäftigt. Darü­ ber hinaus hat man das Auftreten von Monstrositäten als Ausnahme und nicht als Teil des theolo­gischen Programms der Innenraumgestaltung verstanden. Wenn man die Monstrositä­ ten als »Einbruch des Welt­lichen«, also als unpassendes Element im K ­­ irchenraum betrachtet, dann ergibt sich in der Tat ein Interpretationsnotstand, den man durch verschiedene, meist recht anachronistische Ansätze aufzulösen versucht. Vor allem von kunstgeschicht­licher Seite hat man sich aufgrund des reichen Materials der franzö­sischen Klöster und Kathedralen dem Problem zu nähern versucht, wobei aber die Herleitung der monströsen, als »grotesk« bezeichneten Formen als Variation mensch­licher, tierischer, pflanz­licher und auch architek­ tonischer Elemente viel zu kurz greift. Neben der Dominanz der Bildtraditionen und den interpretativen theolo­gischen Mög­ lichkeiten, die die aus den gelehrten Werken übernommenen Monster eröffneten, wollte die Dichtung des 12. Jahrhunderts nicht nur belehren, sondern auch erfreuen. Wenn Bernhard von Clairvaux die Schönheit der steinernen Skulpturen mehrfach betont, dann entspricht das einem dem mittelalter­lichen Kunstschaffen eigenen Willen zum prodesse et delectare, »Nützen

Dreifacher Kopf, Kapitell der ehem. Zisterzienserabtei

und Erfreuen«, was zur Auf- und Übernahme von

Rievault, Yorkshire, England, 12. Jahrhundert

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Monstern führte und sowohl für die Literatur als auch für die bildende Kunst gilt: Wenn sich also die Mönche an der Schönheit der Skulpturen erfreuen und noch dazu in ihnen »lesen«, dann ist das ganz im Sinne mittelalter­licher Kunstauffassung, die keineswegs nach einer Unterscheidung in geist­liche und welt­liche Elemente verlangt. Trotz der Beliebigkeit der Deutungen erlauben die immer wieder auftretenden Laster und Tugenden, für die die Wundermenschen stehen sollen, eine gewisse Klassifizierung, auch wenn die unterschied­lichen Schwerpunktsetzungen der einzelnen Autoren keinen direkten Vergleich zulassen. Bemerkenswert ist, dass die in der welt­lichen Literatur einheit­lich als vorbildhaft gedeu­ teten Fabelrassen – die Gymnosophisten und die Brahmanen als nackte Weise sowie die Amazonen als vorbild­lich organisierte Frauengesellschaft – in den Allegoresen nur selten aufgegriffen werden. Eine Ausnahme bildet die altfranzö­sische moralisierende Fassung des Liber de natura rerum, in der genau diese Völker dem Leser durchweg als beispielhaft vorge­ führt werden: Die Amazonen stehen für die tugendhaften Frauen und Jungfrauen, die sich Ehebruch und Verführung widersetzen; die Oxydraces seu Gymnosophistae zeigen durch ihre Ablehnung von Üppigkeit in Kleidung, Wohnung und Nahrung, dass Reichtum und Luxus den Weg ins Himmelreich versperren, und die Bragmani schließ­lich bringen durch ihre Ver­ achtung für die üb­lichen mensch­lichen Vergnügungen zum Ausdruck, was das letzte Ziel des Menschen wahr­lich ist: das Reich Gottes. Abgesehen von diesen vorbild­lichen Völkern, für die sich eine negative Allegorese bei­ nahe verbietet, gibt es trotz der Beliebigkeit der theolo­gischen Deutungen doch auch einige Konstanten. Diese lassen sich aber eher darauf zurückführen, dass sich einzelne Merkmale für eine bestimmte Interpretation geradezu anbieten, als auf etwaige Traditionslinien inner­ halb der Allegoresen, die sich schon aufgrund der geringen Zahl von Textbelegen nicht fest­ stellen lassen. Beispiele für derartige Übereinstimmungen finden sich bei den Wundervölkern, bei denen die Zahl der Augen abweicht, etwa den vieräugigen Maritimi. Ihre Vieläugigkeit symbo­lisiert jedoch wie schon erwähnt nur ihre Scharfsinnigkeit: »[D]ie am Meer lebenden Äthiopier sol­ len vier Augen haben, aber ein anderer Glaube ist es, daß sie einfach Vieles sehen und ganz offensicht­lich den Flug ihrer Pfeile bestimmen.«47 In den Gesta Romanorum ist die Fähigkeit der Scharfsichtigkeit dann verloren gegangen: »In Antiochien sind auch Leute mit vier Augen: das sind die, ­welche Gott, die Welt, den Teufel und das Fleisch fürchten. Ein Auge richten sie auf Gott hin, um recht zu leben und wie sie ihm gefallen sollen, das zweite auf die Welt, wie sie dieselbe fliehen müssen, das dritte auf den Teufel, wie sie ihm Widerstand leisten können, das vierte auf das Fleisch, wie sie es kreuzigen sollen.« Hier werden die Maritimi nicht in Äthiopien, sondern in Antiochien angesiedelt und ihre Vieräugigkeit immerhin sinnvoll allegorisiert. Bei

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Johannes Bischof dagegen sind Name, Beschreibung und auch Allegorese vollständig missver­ standen worden, nur die Tendenz der Allegorese stimmt noch mit der in den Gesta Romanorum überein, sodass gar nicht mehr wirk­lich klar ist, ob er die Mari­ timi oder nicht doch die Zyklo­ pen meint: Auch haissent ett­lich Patbari, die scholten haben tzway augen, ains damit sie an sehen daz himmelreich mit dem anderen sehen an die Erden. Aber das erst haben sie verlorn, mit dem anderen muchten sy das irrdisch […]. 48

Man würde auch annehmen, dass die aus der antiken Mythologie bekannten Halbwe­ sen wie Kentauren, Sirenen, Zyklopen, Faune und Satyrn sowie die seltener genannten Aegipanes in ihrer Allegorisierung vorgeprägt gewesen seien, doch das ist nur teilweise der Fall. Faune und Satyrn etwa, die sich meist zu einer Gruppe zusammengefasst fin­ den, wurden in der Tat schon in der Antike wegen ihres Aussehens und ihrer Nähe zum Gott Pan, dessen Gefolge sie bilden, als Symbole männ­licher Wollust und Sinnesfreude betrachtet. Für eine negative Allegorese eigneten sich die dem Teufel ähnelnden Hörner und der Unterleib des als besonders triebhaft geltenden Ziegenbocks natür­lich vorzüg­ lich. In den Gesta Romanorum werden dann gleich drei Elemente verbunden, näm­lich Hoffart, Mangel an Besonnenheit und Wollust: »Ebenso sind auch Leute allda mit Hörnern, kleinen Nasen und Bocksbeinen. Das sind die Hochmüthigen, ­welche überall die Hörner des Hochmuths zeigen, zu ihrem persön­lichen Heil die Spürnase der Besonnenheit sehr klein, im Rennen nach der Wollust die Beine eines Bockes haben. Denn die Ziege ist sehr schnell im Laufen und geschickt zum Klettern: dies wende auf die Hoffährtigen an.«49 Der Aspekt der Unkeuschheit und Unmäßigkeit wird auch, wenngleich viel knapper, bei Johannes Bischof angesprochen:

Vieräugige Maritimi und Satyr im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel mit Verweis auf die Antoniuslegende: Item ettlich haben hoerner. lang nasen vnd gayßfuess das findest du in sand Anthonius gantzer legend, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12v

162 Von den funfften die haissen Vauni und satiry von den geschriben stet in liber de proprietatibus rerum […] Bey den mussen wir erchenen die posen lewt die unkäuschleich lebent und unmässleich sind in allen iren tuen und lebent sam das vieh und tier. 50

Die Satyrn und Faune mussten nicht unbedingt mit diesen Lastern gleichgesetzt werden, selbst wenn sie wirk­lich durchweg negativ interpretiert wurden. Dies beweist die altfranzö­ sische moralisierende Bearbeitung des Liber de monstruosis hominibus orientis, die ein Volk von Menschen mit Hörnern, Schwänzen und Stimmen wie Hundegebell erwähnt, das aber fälsch­lich aus drei verschiedenen Völkern in der Vorlage bei Thomas von Cantimpré kom­ piliert wurde. »In der Antike gab es, wie man liest, Menschen, die Schwänze hatten, andere mit Hörnern, wieder andere sehen wir als Hundegebell hervorbringend.« Der franzö­sische Verfasser dürfte den Hinweis auf das Altertum jedoch auf die antike Mythologie bezogen und deswegen auf die gehörnten und geschwänzten Satyrn geschlossen haben. Allerdings ist seine moralisatio insofern überraschend, als hier Wollust und Unkeuschheit keine Rolle spielen, sondern die Hörner als mora­lische Auswüchse mensch­licher Überheb­lichkeit inter­ pretiert werden, die Schwänze als ­Zeichen der Sünde gelten und das Hundegebell auf Ketzer und Irrlehrer verweist.51 Es ist auffällig, wie häufig die negative allegorisierende Interpretation mit den tierischen Elementen der behandelten Wesen zusammenfällt, noch öfter als mit der in der frühneuzeit­ lichen Diskussion so wichtig gewordenen Menschenfresserei der Anthropophagen und anderer Monster wie Zyklopen, Cynocephalen, Gog und Magog. Daher ist es auch bezeichnend, dass Naturenzyklopädien, wie die lateinische des Thomas von Cantimpré und die deutschsprachige des Konrad von Megenberg, zwar bei den Wundermenschen keinerlei Allegoresen anführen, diese aber bei den monstra marina recht ausführ­lich anbringen und sich damit in die Tradition des Physiologus und der vorwiegend angelsäch­sischen Bestiarien mit Allegoresen stellen. Die Werke, die zu Tieren oder Wundervölkern s­ olche allegorischen Deutungen anführen, sind jedoch im Vergleich mit den rein naturkund­lich ausgerichteten in der Tradi­tion des Plinius und des Isidor von Sevilla eher gering an Zahl.52 Bei aller Fabelhaftigkeit mancher Wesen und bei aller Kritik an falschen Begründungen für natür­liche Phänomene ist festzuhalten, dass der Naturkunde auch im Frühmittelalter – ganz zu schweigen von den an Überprüfung der Fakten noch stärker interessierten Autoren des späteren Mittelalters – an der Erkenntnis der Natur gelegen war, auch wenn diese in erster Linie als »Gottes Lehrbuch« und als Beleg für die Vielfalt seiner Schöpfung gesehen wurde. Gleichwohl unterscheidet sich die Erfor­ schung von immer neuen – eigentüm­lichen, darunter dann auch rein fabelhaften – Wesen im Mittelalter nur wenig von den naturkund­lichen Traditionen der Renaissance oder von den naturwissenschaft­lichen Forschern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts.

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Abschließend sei nochmals festgehalten, dass es im Mittelalter nicht von Bedeutung war, mit ­welchen Sünden, Lastern oder gar Tugenden ein bestimmtes Volk identifiziert wurde, sondern dass die Fabelrassen ebenso wie die Meerwunder als portenta (Vorzeichen) fungierten. Sie konnten den Menschen zwar nicht die Zukunft, aber den richtigen Weg dorthin weisen, sei es mit gutem oder mit schlechtem Beispiel. Das belegt auch eine Stelle in dem Kapitel über die Wundermen­ schen bei Hrabanus Maurus. Der Benediktinermönch kam ausgerechnet bei der Behandlung der Onokentauren (Eselsmenschen) und Hippokentauren (Pferdemenschen, Kentaur) darauf zu sprechen, dass »bemerkenswert ist, dass einst irgendein prophetischer Akt als Vorzeichen bezeich­ net wurde, wenn er irgendetwas Zukünftiges vorhersagt«. Er zitierte dann recht frei den Prophe­ ­ eichen und Vorzeichen.«53 ten Hesekiel: »Menschensohn, ich gebe dich dem Hause Israel als Z Diese Assoziation der Vorzeichen mit Christus in einem Kapitel über die Wunder­ wesen ist offenbar der Verweis auf Zukünftiges in der Heilsgeschichte. Damit griff Hrabanus Maurus seinen am Eingang des Kapitels formulierten Gedanken wieder auf, dass prodigia, portenta und monstra – alle drei Begriffe sind im Deutschen mit »Wunder« zu übersetzen – Vorzeichen seien, die etwas bedeuten oder anzeigen. Was das sein könnte, schien ihm weni­ ger wichtig zu sein, denn kein einziges der Wundervölker wurde von ihm mit einer eigenen moralisatio versehen. Eine andere Interpretation, die zwar auf dem Prinzip der Allegorese beruht, aber eigent­ lich als rationale Deutung der Monster verstanden werden kann, wurde von Isidor von Sevilla bis hin zu Vinzenz von Beauvais versucht: Hier setzte eine prinzipielle Kritik an den portenta ein, indem ihnen in bestimmten Fällen die reale Existenz abgesprochen wird: Es werden auch andere fabelhafte Vorzeichen unter den Menschen genannt, die es nicht gibt, aber erdichtet und aufgrund von Dingen interpretiert werden, wie König Geryon in Spanien, der in dreifacher Gestalt geboren worden sei. 54

Es folgt dann bei Isidor die Deutung der Hydra (lateinisch: cedra) als neunköpfiger Drache, bei dem für jeden abgeschlagenen Kopf drei neue nachwachsen. Bereits der heilige ­Ambrosius hatte diese aus der antiken Herkulesfabel entnommene Kreatur mit der Häresie gleichgesetzt, die immer wieder auflebe und die wie die Hydra nur durch Feuer auszurotten sei. Daneben wurden die Sirenen, die bei Isidor noch nach der antiken Tradition als Frauen mit Vogelkörpern erscheinen, als Huren gedeutet, die durch ihre Versuchungen den Untergang der Seeleute zu verantworten hatten. In ähn­licher Manier wurden auch die Kentauren behandelt, die Ambrosius als die fast zu einer Einheit mit dem Pferd verschmolzenen thessa­lischen Reiterkrieger deutete. Hier ist die Allegorese versach­licht, das Monster steht nur mehr als Symbol für bestimmte historische Mythen, Völker oder Personen und nicht ausschließ­lich für Sünden oder Laster.

164 Gesta Romanorum (nach 1300)

Mönch von Enghien: Liber de monstruosis hominibus orientis (um 1300)

Johannes Bischof: Predigt zum Sonntag Quinquagesima (um 1400)

Heran­­ gezogene Eigenschaft

Deutung

Heran­ gezogene Eigenschaft

Deutung

Heran­ gezogene Eigenschaft

Deutung

Große Lippe

Wachsame

Anthropophagen

Grausamkeit

Große Herren

Antipedes

Falschheit

Große Herren, die eigentlich Räuber sind

Verkehrter Fuss

Unkeusche, die direkt in die Hölle springen

Antipoden

Verkehrtheit

Halsstarrige Sünder

Fehlendes 2. Auge

Verdammte

Blick auf Irdisches gerichtet

Geizige

Bitterkeit

Übel­wollende

Amycterae

Arhines

Nasenlosigkeit

Toren

Arimaspi Artibatirae

Tierisches

Unvernünftige Sünder

Astomes (I) Apfelricher

Zu große Genügsamkeit

Die nur am Evangelium riechen

Astomes (II)/Arpeleus/ Strohhalmtrinker

Genügsamkeit

Asketische Klosterleute

Flinkheit

Flinke und bescheidene Fromme

Bärtige Frauen

?

Gerechte

Kampfesmut

Freche Frauen

Blemmyae/Epiphagie

Kopflosigkeit

Demütige

Augen am Bauch

Gierige Advokaten

Bragmani

Geringschätzung der Witterungseinflüsse

Gottvergessene Menschen

Burgundische Frauen mit Kropf

Ungeheuerlichkeit

Frauen mit spitzen Zungen

Comani

Rohes Fleisch

Die nach ihren fleischlichen Genüssen leben

Cornuti (Satyrn, Faune?)

Moralischer Missbrauch

Meineidige, Selbstüberschätzer etc.

Tierisches Leben

Unkäusche

Gebell

Verleumder

Gebell

Verleumder

Unentschiedenheit

Männer mit weibischem Sinn Pferdefüße ?

Rachsüchtige

Cynocephalen Hermaphroditen

Hippopoden

Tierfell

Bußfertige Priester

165 Gesta Romanorum (nach 1300)

Mönch von Enghien: Liber de monstruosis hominibus orientis (um 1300)

Homodubii

Doppel­ gesichtigkeit

Skeptiker

Ichthyophagi

Seltenes Auftauchen

Falsche Verwalter

Onokentauren

Tierischer Anteil

Ehebrecher

Oxydraken oder Gymnosophisten

Genügsamkeit

Weg ins Himmelreich

Pandae/Albani

Verkehrter Lebenslauf

Kurzfristig Fromme

Kranichschnäbler

Langer Hals

Richter

Maritimi

Vier Augen

Gottes­ fürchtige

Panoti

Zudecken mit Ohren

Die sich durch Gottes Wort schützen

Patrophagi

Falscher Eifer

Falsche Frömmigkeit

Schwäche

Selbstüberschätzung

Religiöse. Selbstverbrenner am Ganges

Übereifer

Wucherer

Riesen

Anfälligkeit

Weltliche Herren

Schöne Flussfrauen im Brixantes

Hundezähne

Böse Ehefrauen

Schöne Frauen im Indus

Wachsamkeit

Keusche Frauen

Zudecken mit Fuß

Reklusen, die ihr Gelübde vergessen

Sechshändige

Hände

Almosengeber

Wildmenschen

Gierige Tiere

Weltliche Fürsten

Zwerge

Schwäche

Narren

Gefräßigkeit

Geistliche Herren

Pygmäen

Satyrn

Kleinwüchsigkeit

Bocksbeine

Inkonsequente

Geschwindigkeit

Nächstenliebe

Sechsfingrige

Sechs Finger

Halten den Sonntag heilig

Einäugigkeit

Große Ohren

Geheimnisverräter; heiml. Horcher

Geschwindigkeit

Macht- und Besitzgierige

Blick auf Irdisches gerichtet

Unfromme

Hochmütige

Sciopoden

Zyklopen/Arimaspi

Johannes Bischof: Predigt zum Sonntag Quinquagesima (um 1400)

Nur Vernunft ohne Glaube

166

Es herrscht übrigens in den Enzyklopädien von Isidor bis Vinzenz, obschon sich Letzterer sonst in seinen Kapiteln über mensch­liche monstra und monstra marina jeg­licher mora­lischen Bewertung enthält, nicht dieselbe Beliebigkeit wie in den anderen genannten Texten, weil sie durchweg auf ältere antike oder patristische Deutungen zurückgreifen. Eine feste Zuordnung von einzelnen Monstern zu bestimmten Eigenschaften ist aber auch hier nicht zu konstatieren. Die geist­liche Deutung nähert sich somit der allgemeinen, aus der enzyklopädischen Tradition hervorgegangenen Interpretation der Wundervölker als integralem, wenn auch exotischem Teil der Schöpfung. Der hochgelehrte Franziskaner ­Alexander von Hales (um 1185 – 1245) urteilte in seinen Ausführungen zur mensch­lichen Natur der Wundervölker über ihre Bedeutung: »Daher dienen die Gegensätze von jenen, von denen die vernünftigen Geschöpfe empfehlenswerter sind und von größerer Schönheit, hauptsäch­lich zur Zierde des Universums.«55 Für ihn, wie für die meisten seiner Zeitgenossen, waren die Wundervölker in augusti­ nischer Tradition in erster Linie Bereicherung und Zierde von Gottes Schöpfung.

Kentaurin, Kapitell des Kreuzgangs im Großmünster,

Unüblicher zweibeiniger Kentaur, Kirche von Råby,

Zürich

Jütland, Dänemark, um 1505—15

08

167

WARUM GLAUBTE MAN IM MITTELALTER AN MONSTRÖSE WESEN?

Die wissenschaft­liche Reflexion der mittelalter­lichen Gelehrten über die Herkunft der Wunder­ völker schloss weitgehend die Akzeptanz einer Existenz dieser Völker ein. Bei einer ­Beurteilung des damaligen Glaubens an Wundervölker aus heutiger Sicht darf nicht vergessen werden, dass es sich dabei nicht um theolo­gische Glaubenssätze handelt, allein deswegen, weil die monstra eher ein Problem der Naturphilosophie und weniger der Theologie darstellten, auch wenn sich die Theologen um Deutungen im Rahmen des christ­lichen Weltbilds bemühten. Doch selbst, wenn man die Wundervölker auf ein geographisch-ethnographisches Phäno­ men reduziert, stellt sich immer noch die Frage, ob sie als Teil einer rationalen Wahrheit oder eher einer Verbindung von tradiertem und dann literarisiertem Bildungsgut, das sich von vorneherein einer Überprüfung entzog, angesehen wurden. Dies ist auch eine Erklärung für das zahlreiche Auftreten der Fabelrassen in literarischen Werken wie dem Herzog Ernst, in denen die Wundervölker keineswegs auf reale ethnographische Beschreibungen zurück­ gehen, sondern eine vorwiegend literarische Funktion innehaben. Dennoch kann bei der Betrachtung der Wundervölker neben der Rolle in der antiken und mittelalter­lichen Tradition und ihrer Funktion in der Literatur die Frage nach faktischen Ursachen für den Glauben an bestimmte Wunderrassen in Antike und Mittelalter nicht außer Acht gelassen werden. Im Folgenden sollen daher systematisch die realen Grundlagen der verschiedenen Gruppen von Wundervölkern beleuchtet werden. Dabei soll weniger nach historischen Erklärungen für den Ursprung des Glaubens an Wundervölker gesucht werden, als vielmehr durch exemplarisches Aufzeigen von Über­ bleibseln des Erfahrungswissens bei real existierenden Bedingtheiten die faszinierenden Metamorphosen der Fabelrassen in der Tradition deut­licher gemacht und leichtfertig geäußerten Vorurteilen oder pauschalen Verurteilungen mittelalter­licher Geisteshaltun­ gen vorgebeugt werden.

168

8.1. Ethnologische Aspekte Als Keimzelle der meisten Wundervölkererzählungen wird man Berichte von Reisenden über eigentüm­liche Gebräuche und körper­liche Eigenschaften fremder Völker betrachten können, wobei das Aussehen von besonderer Bedeutung gewesen sein dürfte, wenngleich etwa die Hautfarbe weniger distinktiv als heute wahrgenommen wurde. Hinzu treten kultu­ rell geprägte Facetten des Äußeren wie Kleidung, Haartracht und Bemalung. Neben diesen »körper­lichen« Merkmalen sind es bis heute vor allem das Sozialverhalten und besonders die Essgewohnheiten, durch die sich Völker voneinander abgrenzen und die den Reisenden als auffällig erscheinen. Bis in die griechische Antike lässt sich, wie gesagt, dieses Interesse an den Lebensformen anderer Völker zurückverfolgen. Die Relevanz, die die Griechen der Sprache beigemessen haben, ist von späteren Generationen jedoch nicht mehr übernommen worden. Wichtiger für die Abgrenzung scheint neben der Nahrung offenbar der durch die Kleidung symbolisierte Grad der Zivilisierung geworden zu sein, weshalb die Wundervölker in Illustrationen des Frühmittelalters fast durchweg in einem Zustand der Nacktheit dargestellt wurden. Erst ab dem 13. Jahrhundert rang man sich dazu durch, auch körper­lich deformierten Wundermen­ schen einen Grad der Zivilisation zuzubilligen, indem man sie in höfischem Stil einkleidete. Am zentralsten für die Charakterisierung der Wundervölker waren jedoch tatsäch­liche oder angedichtete Abweichungen in Körperbau oder phy­sischem Aussehen. Auf konkrete ethnolo­gische Erfahrungen zurückgehen dürften viele Wundervölker, die hypertrophe, aber nicht medizinisch-patholo­gisch zu erklärende Körperteile aufweisen. Gerade für diese Gruppe, die durch die Amycterae (Großlippler), die Panoti (Großohren) und wohl auch durch die einfüßigen Skiopoden (Schattenfüßler) repräsentiert werden, bietet die Ethnographie bis ins 20. Jahrhundert Belege, die die entsprechenden, auf den ersten Blick grotesk erscheinenden Deformationen erklären können. Für die übergroße Unterlippe der Amycterae, die sie sich angeb­lich zum Schutz vor der Sonne kapuzenar­ tig über den Kopf ziehen konnten, können Lippendehnungen der Ubangi in Afrika 1 und verschiedener polyne­sischer Stämme als Vorbild herangezogen werden. Diese können für europäische Vorstellungen enorme Ausmaße annehmen, in der Unterlippe selbst werden oft tellergroße Aussparungen mit Schmuckteilen gefüllt. Auch für die Panoti lassen sich ethnolo­gische Beispiele finden: Zwar ist die Darstellung von mehr als bodenlangen Ohren übertrieben, von Bewohnern der Salomoninseln wird jedoch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts berichtet, dass ihre von zahlreichen Öffnungen durchbrochenen Ohrläppchen in einer Weise gedehnt wurden, dass manche Eingeborene einen beträcht­lichen Teil ihres Hab und Guts in diesen Öffnungen hängend mit sich tra­ gen konnten. »Thrust through holes in his ears were a can opener, the broken handle of a

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toothbrush, a clay pipe, the brass wheel of an alarm clock, and several Winchester rifle cartridges.«2 Derartige Bräuche sind auch für andere Bewohner der Neuen Hebriden und des Bismarck-Archipels in Melanesien belegt.3 Angeb­lich waren sie schon im Indien der Antike bekannt, wo man sie für ein ­Zeichen besonderer Barbarei hielt, und kamen dadurch Megasthenes zu Gehör.4 Neben den sich mit ihren Ohren bedeckenden Karnapravarana gab es in der altindischen Epik weitere Arten von Panoti, etwa ­solche mit Kamelohren und andere mit handförmigen Ohren,5 für die sich noch in mittelalter­lichen Handschriften Illustrationen fin­ den, auch wenn hier kein direkter Zusammenhang bestehen dürfte. Dass man noch im 16. Jahrhundert an die Existenz von Großohren glaubte, zeigt eine Instruktion an Hernán Cortés vom 23. Oktober 1518 bei der Eroberung Mexikos, in der er aufge­ fordert wurde, sich nach den in dieser Gegend zu erwartenden Menschen mit großen und breiten Ohren umzusehen.6 Weniger einfach gestaltet sich die Suche nach ethnolo­gischen Vorbildern für die Skiopoden, wenn man sie nicht von den oben erwähnten Missbildungen ableiten will. In den mittelalter­ lichen Texten wurden ihnen aufgrund ihres einzelnen übergroßen Fußes zwei wesent­liche Eigenschaften, Schnelligkeit im Laufen und Schutz vor der Sonne, zugeschrieben. Man hat daher vermutet, es handele sich bei den Skiopoden mit ihrem hochgereckten Bein um Beschrei­ bungen von Yogapraktiken im Hinduismus, die Indienreisende als kuriose Darstellungen für ein ganzes Volk gewählt hätten.7 Ob eine ­solche Deutung allerdings sehr wahrschein­lich ist, mag dahingestellt bleiben. Es wäre auch denkbar, dass sich dahinter die Darstellung von »echten Einbeinigen«, also Amputationsopfern, verbirgt, die gleichzeitige Erwähnung ihrer Schnelligkeit bei der Jagd macht dies aber eher unwahrschein­lich. In dem großen Fuß nur ein ikonographisches Motiv für Geschwindigkeit erkennen zu wollen, ist insofern wenig schlüs­ sig, da man diese gerade in der frühmittelalter­ lichen Kunst eher durch Vervielfachung der ent­

Großlippler (Amyctyrae) und Panoti in der sogen.

sprechenden Glieder darzustellen suchte: Als

Arnstein-Bibel, um 1172

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Beispiele dafür mögen Odins achtbeiniges Pferd Sleipnir in der germanischen Mythologie in der Darstellung gotländi­ scher Bildsteine des 8. Jahrhun­ derts 8 oder die achtflügeligen Bienen aus einer Exultet-Rolle des 11.  Jahrhunderts dienen.9 Die Hervorhebung einer beson­ ders ausgeprägten Eigenschaft durch Vervielfältigung der ent­ sprechenden Organe äußert sich bei den Monstern etwa in den als vieräugig abgebildeten, sehr scharfsichtigen Maritimi. Die auffälligste körper­liche Deformation ist das Fehlen des Kopfes, wodurch sich die unter verschiedenen Namen beschriebenen Acephalen auszeichnen. Dabei ist die mittelalter­ liche Unterscheidung in Blemmyae, mit den Augen auf der Brust, und Epiphagi, mit den Augen an den Schultern, zu vernachlässigen. Gerade das Extreme dieser Deformation lässt an eine mög­liche historische Erklärung denken. Bereits Evagrius Scholasticus berichtete, dass christ­liche Siedlungen in Nordafrika vom 3. bis zum 5. Jahrhundert n. Chr. von einem Stamm namens Blemmyae angegriffen wurden.10 Man hat vermutet, dass diese als kopflos angesehen wurden, weil ihre Schilde maskenartig mit Gesichtern bemalt waren, was aus der Perspektive der Angegriffenen den Eindruck erweckte, als besäßen die Angreifer keine Köpfe. Von dieser Erzählung bis zur Ausgestaltung und Aufgliederung in verschiedene Gruppen von Acephalen scheint es dann nur ein kurzer Weg gewesen zu sein. Allerdings sind bereits auf prähistorischen nordafrikanischen Höhlenzeichnungen neben hundsköpfigen auch kopflose Götter dargestellt und auch in der ägyptischen Mythologie ist Azephalie belegt, also geraume Zeit vor dem Eindringen in die Wundervölkerkataloge. Eine allzu rationale Erklärung wie die Schildbemalung setzt dann vielleicht erst an einem sekundären Phänomen an und geht mög­licherweise auf dieselben mytholo­gischen Wurzeln zurück wie der Glaube an kopflose humanoide Wesen.11 Nasenlose Völker (Sciritae) haben höchstwahrschein­lich ihren Ursprung in den Beob­ achtungen von frühen Reisenden, die über die flachen Gesichter der chine­sischen und tata­ rischen Völker in Ost- oder Zentralasien berichteten. Ebenso wie die Europäer von den Chi­ nesen als Langnasen bezeichnet Lippendehnung bei den Mursi in

Ohrdehnung bei den Einheimischen

werden, so scheint umgekehrt

Äthiopien

auf Owa Raha, Salomoninseln

die asiatische Physiognomie für

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Angehörige indoeuropäischer sowie semitischer Völker auffälliger gewesen zu sein als die früher landläufig betonte »gelbe« Hautfarbe. Es ist durchaus denkbar, dass diese Beobachtungen durch Über­ treibungen auch zur Entstehung mundloser Völker (Astomes I) führ­ ten. Dennoch hat man gerade für ein unwahrschein­liches Volk wie die Astomes (Apfelriecher), die allein vom Geruch der unterhalb des Paradieses wachsenden Äpfel leben, eine realistische Erklärung gefunden: Es soll sich dabei um Reminiszenzen des tibetanischen Gebrauchs von Kampfer als Prophylaktikum gegen gewisse Krank­ heiten, besonders gegen die Höhenkrankheit, handeln.12 Für die Strohhalmtrinker (Astomes II ) mit ihrem winzigen Mund dagegen hat man einen anderen Brauch als historischen Hintergrund herangezogen: Die barbarischen Völker des Nordens und des Ostens tranken Bier wegen der unreinen Gärungsrückstände an der Oberfläche häufig durch Strohhalme. Dies mag für die Griechen, die weder das Bier noch derartige Sitten schätzten, Anlass genug gewesen sein, zu vermuten, dass die Münder dieser Menschen für die normale Nahrungsaufnahme zu klein waren. Extrem kleine und extrem große Menschen werden aufgrund der geringen Anzahl mög­ licher Varianten in den enzyklopädischen Texten nur wenige genannt, gerade bei den Pygmäen bietet sich jedoch die Ableitung von kleinwüchsigen zentralafrikanischen Buschmännern an. Eine durchaus nachvollziehbare Theorie für den von Homer beschriebenen Krieg zwischen den Pygmäen und den Kranichen, der sich in der Antike und im Mittelalter großer Bekannt­ heit und Beliebtheit erfreute, hat Richard Hennig vorgelegt: »Immerhin waren gerade die Nilsümpfe der vermut­lich einzige Ort der Erde, wo Kämpfe zwischen Pygmäen und Kranichen tatsäch­lich jemals beobachtet worden sein können, denn die Akka machen gern Jagd auf die in ihren Winterquartieren eingetroffenen Vögel und die Kraniche, die in den Negerzwergen [!] nicht die von ihnen gefürchteten und respektierten Menschen, sondern irgend­welche Tiere vor sich zu haben glauben, setzen sich ihnen gegenüber in der Tat zuweilen ener­gisch zur Wehr.«13 Die Kenntnis von ­diesem Kampf sei laut Hennig über die Ägypter zu den Griechen gelangt, was allerdings nicht problemlos zu beweisen ist. Auch wenn sich die Entstehung der homerischen Legende aus dem Kranichkampf der zentralafrikanischen Akka nicht schlüssig beweisen lässt, so zeigt der Erklärungsversuch doch, dass selbst die eigentüm­lichsten Aspekte der Wundervölker historisch-realistische Vorlagen besitzen könnten. Da die kleinwüchsigen Pygmäenvölker – die Männer sind durchschnitt­lich 140 cm groß – der tropischen äquato­rialen Waldgebiete (im heutigen Kamerun, Kongo und Ruanda) zu den ältesten Bevölkerungsgruppen Zentralafrikas gehören und schon im 2. Jahrtausend v. Chr. in ägyptischen Quellen

Astomi in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Otto von Diemeringen, Druck Basel 1480/81

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auftauchen, ist das Wissen über sie in den antiken Texten über die Vermittlung der süd­lichen Mittel­ meerregion nicht unwahrschein­lich. Auch den Glauben an Riesen hat man auf afri­ kanische Stämme wie den der Watusi zurückführen wollen, wobei mangels näherer Charakterisierung dieser großwüchsigen Völker ­solche Hypothesen noch schwieriger zu beweisen sind: Manche Rie­ sen der Wundervölkerverzeichnisse weisen neben ihrer Körpergröße keine weiteren Attribute auf. Die Gleichsetzung mit den menschenfressenden Zyklo­ pen scheidet nicht nur aufgrund der Tatsache aus, dass diese nur ein Auge besitzen, sondern auch, weil in Afrika keine kanniba­lischen Stämme bekannt sind. Die ebenfalls als riesenhaft beschriebenen Macrobii werden erst in späten Quellen im Zuge der literarischen Ausgestal­ tung als kanniba­lisch dargestellt. Da die Riesen zudem sowohl in der germanischen als auch in der griechischen mytholo­gischen Tradition zahlreich vertreten sind, kann die Annahme einer realen ethnolo­gischen Vorlage für dieses Wundervolk wohl entfallen. Wie schon gesagt, spielt die Hautfarbe bei den mittelalter­lichen Fabelrassen eine rela­ tiv geringe Rolle. Bei schwarzhäutigen Menschen ist die Herkunft von Schwarzafrikanern so offensicht­lich, dass nach unserem Empfinden kaum von Wundervölkern gesprochen werden kann. Bei Menschen mit roter, grüner oder gar goldener Hautfarbe wird man dagegen nur von konkreten Vorbildern ausgehen können, wenn man die Bemalung der Haut in Betracht zieht. Interessanterweise hat die bei Naturvölkern häufig belegte weiße (Schlamm-)Bemalung des Körpers anscheinend keinen Niederschlag gefunden, da weiß­ häutige Völker nicht erwähnt werden. Die Albani werden nur als weißhaarig beschrieben, die Hvitramenn (Weiß-Männer) der altnordisch-irischen Tradition als in weiße Gewän­ der gekleidet. Der Grund für das Fehlen weißhäutiger Wundermenschen könnte darin liegen, dass im Mittelalter die weiße Hautfarbe zum Schönheitsideal zählte 14 und daher zu positiv konnotiert war. Trotz aller ethnolo­gischen Grundlagen für bestimmte Wundervölker ist es wahrschein­ lich, dass selbst Mischwesen wie die Cynocephalen mit Menschenkörpern und Hunde­köpfen auf Sichtungen von Menschenaffen zurückzuführen sind. Schon Solinus hatte sie, wie erwähnt, dezidiert unter die Affen eingereiht, und Albertus Magnus griff im Hochmittel­ alter diesen Gedanken wieder auf.15 Eine wei­ Riesen im altfranzösischen Roman d’Alexandre en

tere Mög­lichkeit für ihre Entstehung könnte auf

prose, Handschrift um 1444/45

Begegnungen mit Völkern mit sehr ausgeprägter

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Kieferpartie wie den zentralafrikanischen Akka im nordöst­lichen Kongo zurückgehen. Nicht vergessen darf man allerdings, dass die körper­liche Deformation der Cynocephalen sekundär sein könnte und vielmehr fremde Sprachen anderer Völker – mit ihren mehr einem Bellen als einer Sprache ähnelnden Lauten – zur Erfindung von Hundsköpfigen veranlasst haben mögen. Eine weitere überzeugende Begründung zur Klärung des Ursprungs der indischen Cynocephalen verweist auf ihre erste Erwähnung bei Ktesias zurück: Er nennt in Verbindung mit den Cynocephalen den indischen Völkernamen Kalustrioi, der sich vermut­lich auf das Volk der Kuruksetra bezieht. Das totemistische Ethnonym Kukura bedeutet »Hund«, sodass die beiden für griechische Reisende ähn­lich klingenden Namen leicht zur Vorstellung von einem Hundevolk geführt haben könnten.16

8.2. Medizinische Aspekte Für auffällig viele der körper­lichen Deformitäten mittelalter­licher Fabelrassen lassen sich Parallelen zu den Fehlbildungen mensch­licher Missgeburten nachweisen. Daher ist es auch nicht überraschend, dass Augustinus die Wundervölker als kollektive Formen wirk­lich vor­ kommender Missgeburten auffasst, also die Umdeutung von einzelnen missgestalteten Kin­ dern als Beispiel für ganze Völker mit ­solchen körper­lichen Abweichungen. Dies liegt umso näher, als in früheren Zeiten auch die allgemeine Bevölkerung durchaus mit ­solchen Wesen in Berührung kam, während heute bei gravierenderen Fehlbildungen die meist nicht lebens­ fähigen Föten im Rahmen der Früherkennung abgetrieben oder diese bei der (Fehl-)Geburt zwar medizinisch-patholo­gisch untersucht, aber niemals den Eltern übergeben werden. Noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren missgebildete Föten Gegenstand wissenschaft­licher Forschung und vor allem der Sammlung, sodass heute in den großen medizinisch-patholo­ gischen Sammlungen in Wien und Berlin der Forschung Zehntausende von Exponaten zur Verfügung stehen.17 Dabei ist in der Regel zwischen rein embryonalen Missbildungen und pathogenen Veränderungen des mensch­lichen Körpers zu unterscheiden. Zur Gruppe der »echten« Missbildungen zählen u. a. Kopflose, Einäugige, Mundlose, Hermaphroditen, Anti­ pedes, Einbeinige, Zwerge, Riesen, Albinos und Behaarte. Die Kopflosen, die mit den azephalen Blemmyae und Epiphagi der mittelalter­lichen Enzyklopädik gleichzusetzen wären, sind Fälle sogenannter kongenitaler Azephalie; meist fehlen nur Teile des Schädeldaches und des Gehirns, echte Azephalie kommt selten vor. In die Gruppe der Kopflosen gehören zudem die Anencephalen, also Halslose, bei denen der Schädel zwischen den Schultern sitzt, sowie die Ancardien, eine Form der Missbildung ohne Kopf und Herz. Beide Formen sind nicht lebensfähig, aber der Anblick eines (scheinbar oder tatsäch­lich) kopflosen Fötus könnte durchaus den Anstoß für Vorstellungen von den

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Blemmyae gegeben oder zumindest den Glauben an die tatsäch­liche Existenz s­ olcher von der antiken Tradition für Nordafrika bezeugten Völker bestärkt haben. Auch die einäugigen Zyklopen (wenngleich ohne den in Antike und Mittelalter beschrie­ benen Riesenwuchs) sind als Missgeburten mit Zyklopie, meist in Verbindung mit Arhinenc­ ephalie (Nasenlosigkeit), ausgesprochen häufig auftretende Missbildungen. Sie haben ein Auge in der Mitte der Stirn, mitunter sogar zwei verwachsene Augäpfel in nur einer Augenhöhle. Mundlose wie die mittelalter­lichen Astomes, die ebenfalls zu den Missbildungen des Schä­ dels zu zählen sind, treten in einer Reihe von Varianten auf: Am häufigsten ist die sogenannte Agnathie, bei der der Unterkiefer fehlt, auch in Verbindung mit Arhinencephalie, bei der Mund und Nase missgebildet sind oder ganz fehlen; auch diese Missbildung, auf die die Vorstellung von den Arhines (Nasenlosen) zurückgehen könnte, tritt in Verbindung mit Zyklopie auf. Im Gegensatz zu den genannten Fehlbildungen, bei denen kaum Überlebenschancen über die ersten Wochen nach der Geburt hinaus bestehen, handelt es sich bei allen folgenden genetischen Wachstumsstörungen um Formen, die auch noch bei Menschen im Erwachse­ nenalter zu beobachten sind. Davon sind die Hermaphroditen vermut­lich die Bekanntesten, Acephalus als Missbildung. Pathologisch-anatomische

Zyklope als Missbildung. Pathologisch-anatomische

Sammlung im Narrenturm, Wien

Sammlung im Narrenturm, Wien

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da sie aufgrund der Lebensfähigkeit der Betroffenen und der damit einhergehenden psycholo­ gischen, ­sozialen und kulturellen Probleme ein relativ gut erforschtes Phänomen darstellen. Ebenfalls durchweg lebensfähig sind die Formen von Riesen- und Zwergwuchs, die von der Antike bis zur Gegenwart ausführ­lich dokumentiert sind. Die Gründe für den Riesen­ wuchs (Akromegalie) einerseits und die kongenitale Kleinwüchsigkeit andererseits sind unterschied­licher Art: Der Riesenwuchs ist eine sich an den Epiphysenfugen manifestierende Wachstumsstörung während der Pubertät aufgrund der Überproduktion eines Wachstumshor­ mons. Dies verursacht zunächst besondere Langgliedrigkeit an den äußersten Extremitäten sowie dem Kinn, der Nase und den Augenbrauenwülsten und resultiert dann insgesamt in einem sogenannten Gigantismus oder hypophysären Riesenwuchs. Klein- oder Minderwüchsigkeit, auf der wohl die Vorstellung von der Existenz von Zwergenvölkern beruht, lässt sich dagegen auf eine als Achondroplasie bezeichnete Wachs­ tumsstörung zurückführen, die sich zwar ebenfalls in der Störung des Epiphysenwachstums, in ­diesem Fall durch frühzeitige Verknöcherung manifestiert, aber auf einer Genmutation beruht, die teilweise über die männ­liche Linie vererbbar ist. Sie tritt sowohl bei Menschen als auch bei Tieren auf und äußert sich in einem deut­lich zu kurzen Rumpf oder verkürzten unteren Extremitäten. Die heute gültige Grenze für das Vorliegen von Kleinwüchsigkeit liegt bei Erwachsenen bei unter 147 cm. Die im Mittelalter als Albani oder weißhaarige Skythen bezeichneten Wundermenschen mögen auf Albinoformen, d. h. Formen kongenitaler Leukodermie, zurückgehen, wobei die in der mittelalter­lichen Enzyklopädik den Albani zugeschriebene Nachdunkelung der Haut oder der Haare im Alter bei diesen jedoch nicht auftritt. Noch auffälliger sind Formen der vollständigen Behaarung, wie sie nicht nur für die Wild­ menschen, sondern auch für die Pilosi unter den Wundervölkern tradiert werden. Derartige Einzelfälle von Haarmenschen mit einer als Hypertrichosis (Werwolfsyndrom) bezeichne­ ten Anomalie erregen auch heute noch die öffent­liche Aufmerksamkeit, wie der Fall des 1981 geborenen Jesus Fajardo Manuel Aceves – auch bekannt als »Chuy der Wolfsmensch« – zeigt, in dessen Familie diese kongenitale Störung bereits seit 1938 auftritt. Eine medizinisch weniger extreme, wenn auch selten auftretende und die Mythenbil­ dung anregende Fehlentwicklung ist ein schwanzartiger Wirbelsäulenfortsatz aus wenigen zusätz­lichen Wirbeln, die über das embryonale Stadium hinaus erhalten bleibt und zumin­ dest historisch dokumentiert ist.18 Eine Grundlage für die Antipedes wie für die einfüßigen Skiopoden könnten Fehlbildun­ gen der unteren Extremitäten darstellen, im ersten Fall durch nach hinten verdrehte Füße, im zweiten durch eine Verwachsung beider Beine zu einer einzigen unteren Extremität, dem soge­ nannten Sympus. Letzterer ließe sich aus der kongenitalen Anomalie der Sirenomelie (griech.

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seiren, Sirene, und melos, Glied) erklären, die vielleicht sogar den Ursprung der Sirenen begrün­ det hat, wenn das Fehlen beider Füße bei Verschmelzung beider Beine (apodale Symmelie) vor­ liegt. Mehr noch dürfte aber die Vorstellung von den Skiopoden davon beeinflusst sein, da das zusätz­liche Verschmelzen der Füße bei der sogenannten mono­ podalen Symmelie »einen« großen Fuß an »einem« Bein suggeriert.19 Die nur von Konrad von Megenberg erwähnten, nicht zu den Wundermenschen gezähl­ ten Missgeburten zweiköpfiger Menschen gehören zu den bekannten Anomalien. So wie bei den Tieren sind Föten mit dieser Missbildung üb­licherweise nicht lebensfähig, doch es ist durchaus denkbar, dass man im Mittelalter auch die – tatsäch­lich lebensfähigen – siame­ sischen Zwillinge zu dieser Gruppe gerechnet haben mag, die auch heute noch aufgrund der mitunter mög­lichen chirur­gischen Trennung der beiden Körper für Aufsehen sorgen. Die verschiedenen Wundervölker mit sechs bzw. acht Fingern oder Zehen gehen zwei­ fellos auf die Polydaktylie zurück, eine harmlose und relativ verbreitete Form kongenitaler Missbildung, wobei besonders die Formen mit sechs Fingern oder Zehen häufig auftreten. Von dieser Anomalie, die heutzutage üb­licherweise noch im Kleinkindalter durch chirur­ gische Eingriffe korrigiert wird, sind die äußeren Gliedmaßen wie Daumen und kleiner Fin­ ger sowie große und kleine Zehe betroffen. Ebenfalls eher harmlos sind die deut­lich seltener in äußer­lich erkennbaren Extremfor­ men und an lichtexponierten Körperteilen, etwa dem Kopf, auftretenden Hauthörner. Unter einem ­solchen cornu cutaneum versteht man einen aus Horngewebe (Keratin) bestehenden Auswuchs der Haut, der gutartige oder bösartige Ursachen haben kann und durchaus die Grundlage für die gehörnten Wundermenschenrassen wie Cornuti, Faune oder Hornfinnar gebildet haben mag, auch wenn ein paarweises Auftreten auf dem Stirnschädel meines Wis­ sens medizinisch-historisch nicht belegt ist. Nicht auf kongenitalen Missbildungen, sondern auf krankhaften Deformationen des Skeletts beruhen die Vorstellungen von den Artibatirae, den gebückt oder auf allen vieren Gehenden. ­solche massiven Verformungen, die mitunter zu einer extremen Form der Kyphose (Buckligkeit) mit einem Gippus führen, können durch Rachitis, Osteoporose oder Knochentuberkulose her­ vorgerufen werden und sind weitgehend irreparabel. Skiopode im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417

Dagegen führen, ähn­lich wie bei Riesen- und Zwergwuchs, vor allem Knorpelfehlbildungen im

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Wachstumsalter zur Weichgliedrigkeit, die die Vorstellungen von den sich wie Schlangen fortbewegenden Himantopodes ebenso wie von knochenlosen Menschen beflügelt haben. Davon zu unterscheiden sind natür­lich die sogenannten Schlangen- oder Gummimenschen, die aufgrund bestimmter anatomischer Voraussetzungen und durch langjähriges Training den Körper akrobatisch verformen können. Selbst ein so unwahrschein­liches Volk wie die pferdefüßigen Hippopoden lässt sich durch genetische Deformationen afrikanischer Völker erklären. Im Sambesital lebt ein Stamm, des­ sen Mitglieder eine Veränderung des Vorfußes aufweisen, an dem sich jeweils nur zwei große Zehen befinden, und diese Mutation könnte den Anlass zur Entstehung von Pferdefüßigen, eventuell sogar für die kamelfüßigen, langhaarigen Frauen gegeben haben.

8.3. Mythologische Aspekte Schwieriger als die Begründung der Wundermenschen durch ethnolo­gische oder medizin­ historische Aspekte ist die Bestimmung der Ursachen derjenigen mittelalter­lichen Fabel­ menschen mit tierischen Körperteilen, die eher der Phantasie ihres Schöpfers entsprungen sind als auf tatsäch­lichen Beobachtungen zu basieren. Dabei muss eher der Einfluss der mytholo­gischen Tradition berücksichtigt werden, die bereits im Alten Orient tierköpfige Götter und Dämonen sowie im alten Ägypten und im antiken Griechenland Mischwesen hervorbrachte. Satyr der Wundervölkergalerie am Südrand der Welt-

Hundsköpfiger, Kathedrale von Rouen, Frankreich,

karte von Ebstorf, 13. Jahrhundert, zerstört 1944

15. Jahrhundert

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Tierköpfige Wesen entstammen einerseits dem archaischen Kult totemistischer Reli­ gionen, in dem sie durch tierartige Maskierungen umgesetzt werden, und sind andererseits im Dämonen- und Götterglauben späterer Religionen anzutreffen. So finden sich in der altägyptischen Mythologie hundsköpfige Gottheiten wie Anubis; selbst in der Ostkirche hat sich das Motiv des hundsköpfigen heiligen Christopherus bis ins Mittelalter gehalten. Ungeachtet der äußer­lichen Verwandtschaft zwischen Anubis und den Cynocephalen ist die Wirkung der zahlreichen altägyptischen tierköpfigen Gottheiten auf die Fabelrassen darüber hinaus eher gering: Weder die widderköpfigen Schöpfergottheiten Chnum und Harsaphes, die falkenköpfigen Götter Month, Asch und Ra, die löwenköpfigen Göttinnen Mafdet und Sachmet, die kuhköpfige Göttin Bat oder der krokodilköpfige Wassergott Sobek scheinen nachweis­lich Einfluss auf die Entstehung der Fabelrassen gehabt zu haben. Offenbar waren es vor allem die niederen Wesen der griechisch-römischen Mythologie, die zu W ­ undervölkern umgedeutet oder mit diesen verschmolzen wurden. Bei den bocksfüßigen Satyrn und Faunen wie auch den Kentauren waren bestimmte Arten von Fußdeformationen durch die Mythen und Kunst der Antike vorgeprägt. Zwar stimmt die religionsphänomenolo­gische Beobachtung, dass Wesen der niederen Mytho­ logie auch einschneidende Veränderungen der Hochreligion weitgehend unbeschadet überstehen, demgegenüber kann man nur vereinzelt Monster mit Dämonenvorstellun­ gen nahöst­licher vorchrist­licher Völker in Zusammenhang bringen. Teilweise zoomor­ phe Wundermenschen wie die Satyrn, Faune und Hippopoden hat man auf dämonische Ursprünge zurückführen wollen. Am überzeugendsten ist eine ­solche Verbindung bei dämonischen oder mytholo­gischen Gestalten, die – wie in ägyptischen Texten – bild­lich dargestellt wurden und somit seit den Berichten griechischer Reisender zu einer christ­ lichen Umdeutung führen konnten. Die Tatsache, dass das äußere Erscheinungsbild von Wundervölkern dabei flexibler war als die Funktion in Erzählungen, scheinen die Sirenen zu belegen, die ursprüng­lich – wie die Harpyen – weib­liche Wesen mit Vogelkörpern waren, aber im Mittelalter nurmehr, ent­ sprechend ihrer Funktion in der Odyssee, in der sie Seeleute verführen und zerreißen, als fischschwänzige Frauen auftreten. Dass antike Erklärungsmuster für mensch­liche Deformationen als Folge einer durch die Götter bewirkten Metamorphose noch im Mittelalter bekannt waren und sie dann als Grund­ lage pseudo-mytholo­gischer Exempel fungierten, zeigt die kurze Geschichte in den Gesta Romanorum (Kap. 239), nach der eine Missgeburt auf den Zorn der Götter zurück­zuführen ist: Diese rächen sich für ein beleidigendes Opfer dadurch, dass ein Kind mit dem Kopf eines Affen, den Händen und Armen einer Gans, ohne Haut und Haarwuchs und noch dazu schie­ lend geboren wird. Offenbar war dieses Muster auch direkt ins Christentum übertragbar. Von

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dem eng­lischen Heiligen Tho­ mas Becket wird erzählt, dass er sich an den Bewohnern Corn­ walls dafür gerächt habe, dass sie seinem Pferd den Schwanz abge­ schnitten hatten, indem seit­ her alle ihre Nachkommen mit Schwänzen geboren würden.20 So vielfältig wie die heute denkbaren Deutungen ethnolo­gischer, medizinischer, mytholo­gischer oder sonstiger Art auch sein mögen, so dürfen einzelne durchaus wahrschein­liche Theorien nicht darüber hin­ wegtäuschen, dass monokausale Erklärungen für Vorstellungen von Monstern, die über 2000 bis 3000 Jahre gewachsen sind, nie den Kern der Sache treffen. Die wahren Hintergründe für die Konzepte von den Wundermenschen können nicht nur sehr unterschied­licher Art sein, sondern et­liche der Wundervölker sind auch auf Vermischungen von Namen, literari­ schen Traditionen oder – viel banaler – falsche Lesarten in Handschriften zurückzuführen. Deswegen wäre ein Versuch, für alle Fabelvölker reale Wurzeln finden zu wollen, nicht nur unmög­lich, sondern letzt­lich auch sinnlos.

Cynocephale im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417

09

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MONSTER IN DER NEUZEIT

9.1. Die Wundervölker in der Frühen Neuzeit Jahrhunderte lang wurde die Diskussion über Existenz, Wohn­ orte oder Mensch­lichkeit der Wundermenschen auf theoretischer Ebene geführt. Die meisten kosmographischen oder enzyklopädi­ schen Werke listeten die Monster, in antiker Tradition, als Teil der landeskund­lichen Beschreibungen ferner Erdteile nur auf. Wenn doch angeb­liche Begegnungen mit wunder­lichen Menschen beschrieben wurden, wie etwa diejenigen Alexanders des Großen mit den Ama­ zonen, Brahmanen und Gymnosophisten, fanden diese nicht nur weit weg in den Weiten Asiens, sondern noch dazu in ferner Vergan­ genheit statt und waren schon deswegen nicht überprüfbar. In den Fällen, in denen dann im Mittelalter das Aufeinandertreffen von Europäern und Fabelrassen geschildert wurde – wie etwa von Herzog Ernst, der im gleichnamigen Werk des 12. Jahrhun­ derts auf die Kranichschnäbler des Orients trifft, oder von den grönländischen Entdeckern, die in den Vinlandsagas des 13. Jahrhunderts den Einfoetingar Nordamerikas begegnen –, handelt es sich bei diesen exotischen Begegnungen durchweg um ein stilistisches Mittel der Verfremdung in literarischen Werken. Nur in der fiktiven Welt der mittelalter­lichen Romane und Epen schien eine echte Begegnung mit den mensch­lichen Monstern mög­lich, und selbst der berühmt-berüchtigte Armchair-traveller John of M ­ andeville berichtete in seinen Travails zwar von vielen asiatischen Wundervölkern, verstieg sich aber nie zu der Behauptung, mit ihnen persön­lich Kontakt gehabt zu haben. Diese rein theoretische oder literarische Beschäftigung der Europäer mit den Monstern änderte sich schlagartig mit der Rückkehr des Kolumbus aus der Neuen Welt. Schon im Bordtagebuch und dann noch wirksamer in seinem Ersten Brief, der sich rasch in ganz Europa verbreitete – die deutsche Fassung erschien bereits 1494 –, erwähnte er unter der Bevölkerung von Hispaniola, von ihm »La Isla Española« genannt, einen Stamm namens Cariba oder Caniba. Diese bezeich­ nete er als Anthropophagen, also als Menschenfresser; später wurde

Anthropophagen in Sir John ­M andevilles Reisebeschreibung in deutscher Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480

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der Name »Isla de Carib« auf die ganze Insel Puerto Rico übertragen, die ursprüng­lich von Kolumbus San Juan Bautista getauft worden war. Der Begriff Caniba wurde jedoch innerhalb weniger Jahre zum Synonym für Menschenfresser und selbst im Deutschen ist das Wort Canibales bereits 1508 belegt.1 Selbstverständ­lich hatte Kolumbus in Ostasien beziehungsweise Indien – wo er zunächst glaubte, sich zu befinden – Anthropophagen, also Menschenfresser, erwartet, da sie in den Enzyklopädien unter den Wundervölkern fast durchgängig als indisches Volk verzeichnet wur­ den. Selbst der aus heutiger Sicht wesent­lich glaubwürdigere Marco Polo berichtete von Menschenfressern auf den Inseln Java und Sumatra, dort besonders in einem Reich namens Dagroian – offenbar auf Nordsumatra –; in dem von ihm nicht bereis­ ten Japan siedelte er allerdings weniger edel motivierte Anthropophagen an, die die Reisende überfallen, kochen und aufessen würden, wenn sie kein Lösegeld für sie bekommen könnten.2 Der Bruch mit der Tradition in Bezug auf die menschenfressenden Wundermenschen, der durch die Reise des Kolumbus eintrat, hatte mehrere Gründe: Zum einen hatte er nicht nur vereinzelt Anthropophagen getroffen, wie man sie aus den Beschreibungen über die asia­tischen Provinzen kannte und die in den Augen der Europäer grauenhaft genug waren, sondern er war auf ganze Stämme von Menschenfressern gestoßen. Zum anderen konnte man den auch Menschen zum Verzehr mästenden Caniba keinerlei höhere mora­lische Inten­tionen zuschreiben, wie etwa den von Mandeville erwähnten sagenhaften Eltern­ mästern Suma­tras. Darüber hinaus schienen die Caniba den Reisenden offensicht­lich von mensch­licher Natur zu sein und nicht nur sagenhafte halbmensch­liche Mischwesen wie die hunds­köpfigen Cynocephalen oder gar apokalyptisch-abseitige Wesen wie Gog und Magog. Die Mensch­lichkeit der westindischen Ureinwohner, die Kolumbus und andere frühe Amerika­reisende mit nach Europa brachten, wurde meines Wissens nie angezweifelt. Christoph Kolumbus selbst beschrieb die Bevölkerung der ersten Insel, die er bei seiner frühesten Expedition antraf, die Guanahani, ausdrück­lich als Menschen. Er verwendete zunächst die Bezeichnung gente (»Volk«) und schildert sie dann genauerer als mugeres, hōbres, moça und mancebos (»Männer, Knechte, Burschen« etc.).3 Am Anfang des Koloni­ alismus gab es demnach trotz der – tatsäch­lichen oder unterstellten – Menschenfresserei keine Zweifel an der vollen Mensch­lichkeit der indigenen Bevölkerung auf dem neu ent­ deckten amerikanischen Kontinent. Anthropophagen im Liber de natura

Dennoch entwickelte sich in der Neuen Welt langsam, und von

rerum des Thomas von Cantimpré,

den europäischen Universitäten vorerst völlig unbemerkt, aus der

Handschrift von 1417

kolonialistischen ­Praxis heraus unterschwellig eine Debatte über die

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Mensch­lichkeit der indigenen Bevölkerungen. Mit der Einführung des Kommendensystems (encomienda) auf den Westindischen Inseln und in Mit­ telamerika unter den spanischen Konquistadoren und Siedlern wurden diese zu einem wichtigen Fak­ tor. Die encomienda beruhte auf dem mittelalter­ lichen Prinzip der Leibeigenschaft, nach dem die encomenderos, d. h. die Landwirtschaft betreiben­ den Kolonialisten, unter Zuteilung von einheimi­ schen, unfreien Arbeitskräften die Ausbeutung der landwirtschaft­lichen Flächen und der Bergwerke betrieben. Die encomienda war somit ein Verteilungssystem der Produktionsverhältnisse und Arbeitskräfte auf Kosten der eingebore­ nen Bevölkerung, das es den Spaniern ermög­lichte, auch nach der offiziellen Aufhebung der Sklaverei weiterhin sklavereiähn­liche Produktions- und Abhängigkeitsverhältnisse bestehen zu lassen.4 Erst der Bedarf an billigen Arbeitskräften brachte die Frage nach der Mensch­ lichkeit der indigenen Bevölkerung auf. Zuerst war die encomienda durchaus im Interesse der spanischen Krone, denn sie ermög­lichte durch eine feudale hierarchische Struktur eine rasche Landnahme in den neuentdeckten Ländern und diente der Festigung der spanischen Kolonialherrschaft sowie einer Mög­lichkeit der Erschließung des wirtschaft­lichen Potenzials. Das System diente auch der Etablierung der spanischen Herrschaft in der indigenen Gesell­ schaft, wobei die politischen Aspekte nicht so nachhaltig wie die wirtschaft­lichen waren. Mit der Zeit entwickelten die Kolonialisten und der Staat allerdings unterschied­liche und konkur­ rierende Interessen. Dies hing vor allem damit zusammen, dass sich für die Krone bei nicht versklavten Indigenen sukzessive die Mög­lichkeit der Erhebung von Steuern und Tributen ergab. Es war also für die spanischen Kolonialherren mit einem wirtschaft­lichen Interesse an billigen Arbeitskräften auf ihren Plantagen von wesent­licher Bedeutung, nachweisen zu können, dass es sich im Einzelfall bei den Indigenen um Anthropophagen handelte, weil nur dadurch die Mög­lichkeit zur Aufrechterhaltung der Sklaverei gegeben war. Anfäng­lich wurde dieses System offenbar sogar von den verschiedenen kirch­lichen Orden mitgetragen, von Franziskanern und Dominikanern, die im 16. Jahrhundert die meisten Missionare stellten, und von Jesuiten, die im 17. Jahrhundert zahlreicher vertreten waren.5 Der Eklat, der die Alte Welt auf die miss­liche Situation der ausgebeuteten indigenen Bevölkerung erstmals aufmerksam machte, fand am 21. Dezember 1511 statt, also noch nicht einmal zwei Jahrzehnte nach der Landung des Kolumbus in San Salvador am 12. Oktober 1492

Anthropophagen aus einem Bestiarium,

und nicht viel mehr als ein Jahr nach Ankunft der

nach 1277

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ersten vier Dominikaner in der Neuen Welt im September 1510. Es war die berühmte Predigt des Dominikaners Antonio de Montesinos, die er am vierten Adventssonntag in der K ­ irche der Insel Hispaniola, heute im Staat Haiti, im Namen der dominikanischen Kongregation passenderweise zum Schriftwort Ich bin die Stimme des Rufers in der Wüste hielt. Darin beschuldigte er seine Landsleute, die welt­lichen spanischen Kolonialherren, aufgrund ihrer Tyrannei und Grausamkeit alle in Todsünde zu leben, weil sie beim Umgang mit den Ein­ heimischen keinerlei Gerechtigkeit walten ließen und teilte ihnen mit, dass sie dadurch de facto exkommuniziert wären. Wer hat euch Vollmacht gegeben, so verabscheuungswürdige Kriege gegen diese Menschen zu führen, die ruhig und fried­lich ihre Heimat bewohnten, von denen ihr unzählige durch Mord- und Gewalttaten ausgelöscht habt? […] Was tut ihr, um sie zu lehren, daß sie Gott, ihren Schöpfer, erkennen, getauft werden, Messen hören, Feiertage und Sonntage halten? Haben sie nicht vernunftbegabte Seelen? Seid ihr nicht verpflichtet, sie zu lieben wie euch selbst? Das versteht ihr nicht? Das fühlt ihr nicht? Was für ein tiefer Schlaf, ­w elche Lethargie hält euch umfangen? 6

Nach großem Aufruhr und massiven Protesten hielt Antonio de Montesinos eine Woche später eine weitere Predigt, in der er – anstatt wie erwartet seine vorherige Rede zu wider­ rufen – erneut Vorwürfe gegen die Kolonialisten erhob. Aufgrund der heftigen Reaktio­ nen auf die Anschuldigungen gelangte dieser Vorfall innerhalb weniger Wochen König ­Ferdinand II . in Spanien zu Ohren, der angeb­lich ob der Zustände in den Kolonien entsetzt war. Zur Beruhigung der Lage setzte er eine Kommission ein, die dann den Franziskaner Alonso de Espinal nach Hispaniola schickte, um die Klagen zu überprüfen und sicher­lich auch in der Hoffnung, dass der Franziskaner die Anschuldigungen des Dominikaners ent­ kräften würde. Entgegen den Erwartungen des spanischen Adels bestätigte er jedoch alle Vorwürfe und lieferte einen erschreckenden Bericht ab. Der König beauftragte daraufhin das Kollegium, Richtlinien zur Behandlung der indigenen Bevölkerung zu erlassen: Schon am 27. Dezember 1512 traten die Gesetze von Burgos (Leyes de Burgos) in Kraft, die dann am 28. Juli 1513 um vier weitere Gesetze, darunter eines über die vollständige Freilassung der Einheimischen nach zwei Jahren in einer encomienda, erweitert wurden, die sogenannten Leyes Complementarias de Valladolid. Angeb­lich bewirkten die Gesetze zunächst nur wenig, doch die Grundlage für eine Gleichstellung der indigenen mit der spanischen Bevölkerung war immerhin gegeben,7 auch wenn die Verordnungen natür­lich vor dem Hintergrund der europäischen Gesetzge­ bung der Zeit zu sehen sind. Zwei der Gesetze sind hier von besonderer Bedeutung, weil sie

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eindeutig nicht nur auf die Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die christ­liche Erziehung abzielten, sondern sich in klaren Worten mit der Mensch­lichkeit der indigenen Bevölke­ rung auseinandersetzten: § 11 Die Indios […] dürfen nicht als Lasttiere zum Transport […] von Gegenständen zu den Indios in den Bergwerken verwendet werden.

§ 12 Alle Spanier, ­w elche Indios in einer encomienda haben […], haben für die Taufe von Kindern [der Indios] innerhalb einer Woche nach der Geburt zu sorgen […].

Damit wurde auch der indigenen Bevölkerung eine Seele zugesprochen, sodass sie nach der früheren Definition die Voraussetzung für die Anerkennung der Mensch­lichkeit erfüllten. Zwei Gruppen waren jedoch von der Aufhebung der Sklaverei ausgenommen: zum einen die politisch Widerständigen, die die spanische Oberhoheit ablehnten – was immer sich die Urbevölkerung darunter hätte vorstellen können; zum anderen die Anthropophagen, was natür­lich dazu führte, dass es ganz wesent­lich vom Nachweis der praktizierten oder nicht praktizierten Menschenfresserei abhing, ob Sklaven freizulassen waren! Nach der Umrundung Afrikas durch Bartolomeu Diaz 1488, der Entdeckung eines neuen Kontinents durch Kolumbus ab 1492 und der Entdeckung Brasiliens auf der Südhalbkugel durch die Portugiesen im Jahre 1500 scheint die Argumentation über eine Beseeltheit von fremden und wunder­lichen Menschen ihre Bedeutung verloren zu haben. Stattdessen wird nun die Anthropophagie das beherrschende Thema, indem man – in einem klas­sischen Zirkel­ schluss – die angeb­liche Nicht-Mensch­lichkeit der Fremden durch ihre Menschenfresserei belegen und ihnen deswegen Mensch­lichkeit und Seele absprechen will. Die Argumentation der spanischen Kolonialisten hatte natür­lich rein ökonomische Gründe, denn dass die Grund­ herren sich für die mittelalter­lichen theolo­gischen Implikationen des Diskurses interessierten, kann wohl ausgeschlossen werden. Aber unbeseelte – weil menschenfressende – Indigene hätten ohne weiteres als Lasttiere verwendet und unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht werden können, was die Versklavung der Indios vollständig gemacht hätte. Dem hatten die Gesetze von Burgos 1512 immerhin einen recht­lichen Riegel vorgeschoben. Dass sich auch unter den Mönchen einzelne auf die Seite der Kolonialherren und der sie teilweise unterstützenden Amtskirche stellten, wie der 1503 von Ferdinand II . für die Westindischen Inseln eingesetzte Bischof Juan Rodriguez de Fonseca, und diesen theolo­ gische Argumente lieferten, zeigt der Fall des Dominikaners Domingo de Betanzos. Dieser übergab am 13. September 1549, nach einem langen Leben auf den Westindischen Inseln, auf seinem Totenbett im spanischen Valladolid einem Notar ein Schriftstück, in dem er seine

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früher geäußerte Behauptung bereute, die indigenen Einwohner seien nur »wilde Tiere« (bestias) und von Gott verstoßen. Diese Meinung, so bekannte er, habe er »aus Unkenntnis ihrer Sprache oder sonstiger Unwissenheit« vertreten.8 Das Dokument, das sicher­lich auf Drängen seines Ordens zustande kam, ist besonders wegen des Ausdrucks bestias interessant, den Domingo de Betanzos für die Indigenen bereits einige Jahre zuvor in einem Gutach­ ten für den Indienrat der spanischen Krone (Real y Supremo Consejo de Indias) verwendet hatte, um ihre angeb­lich naturgegebene Stellung als Sklaven zu untermauern. Damit stand er offenbar keineswegs allein: »Es gab Leute und nicht ohne Bildung, die Zweifel erhoben, ob die Indianer in Wahrheit Menschen waren, von der selben Natur wie wir [Europäer]; und es fehlte nicht die Behauptung, daß sie es nicht seien und darum unfähig wären, die Heili­ ­ irche zu empfangen«, obwohl Papst Paul III . in einer Bulle von 1537 gen Sakramente der K schon längst festgestellt hatte, dass die Indianer »wahrhafte Menschen« seien.9 Allerdings darf nicht vergessen werden, dass bis zur Entdeckung Amerikas die Diskussion über die mög­liche Taufe der Wundervölker im Mittelalter im Wesent­lichen rein theoretisch geführt worden war, während sie dann in der Frühen Neuzeit als Argumentation der Kolonialher­ ren genutzt wurde, Der Streit war aber auch nach der Bulle von 1537 keineswegs vorbei: Ein Jahr nach dem Tod von Betanzos, 1550, kam es im sogenannten Disput von Valladolid (Junta de Valladolid) zu der berühmten Auseinandersetzung zwischen Bischof Bartolomé de Las Casas und dem spanischen Dominikaner und Humanisten Juan Ginés de Sepúlveda (1490 – 1573) über die Frage der Versklavung der indigenen Bevölkerung. Bartolomé de Las Casas war seit 1544 Bischof in Chiapas im süd­lichen Mexiko, und er Menschenfresser, Werkstatt de Bry, 3. Teil der Grands

ist zweifellos die wichtigste Persön­lichkeit, wenn es

Voyages, Staden-Text III, 5. und 6. Kupferstich, 1592

um die Gleichstellung der indigenen Bevölkerung

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mit den Kolonisatoren im 16. Jahrhundert geht. Um 1484 geboren und nach einer kurzen militärischen Karriere wahrschein­lich noch vor 1506 zum Priester geweiht, kam er als Kaplan von Diego de Velasquez nach Kuba, wo er selbst eine encomienda besaß. Nach einem spiritu­ ellen Erlebnis im Jahre 1514 ließ er seine Sklaven frei, trat unter Einfluss des oben genannten Domingo de Betanzos – gegen den er sich später wandte – 1522 dem Dominikanerorden bei und widmete den Rest seines Lebens den Rechten der indigenen Bevölkerung, weswegen er auch »Apostel der Indios« genannt wird. Nur durch seine zahlreichen Schriften kennen wir auch die oben zitierte »Skandalpredigt«. Sein Einsatz für die indigenen Völker in der Neuen Welt wie in Spanien ist legendär. Auf dem Höhepunkt der Kontroverse um die Sklaverei im Jahre 1550, die er selbst in dem 1555 an Prinz Philipp – den späteren spanischen König Philipp II. – dedizierten Werk Apologia de los Indios contra Sepulveda zusammenfasste, spielte die mittelalter­liche Wunder­ völkerdiskussion keine Rolle mehr in der Argumentation. Nun ging es um die aristote­lische Auffassung von der naturgesetz­lichen Sklaverei bestimmter Menschen, die im Mittelalter– schon mangels praktischer Anwendungsmög­lichkeiten – im Umgang mit Fabelrassen keine Rolle gespielt hatte.10 Doch Las Casas war es immerhin gelungen, die Diskussion weg vom mittelalter­lichen Diskurs über Beseeltheit und Mensch­lichkeit bestimmter Völker, auf das Niveau der universitären Lehre der Rechtswissen­schaften und Theologie des 15. und 16. Jahr­ hunderts zu heben. Im Bewusstsein der encomienderos, aber auch der europäischen Reisenden des 16. Jahrhunderts war dieser Diskurs allerdings noch nicht angekommen, wie etwa das Buch des deutschen Südamerikareisenden Hans Staden zeigt. Dieser, ein einfacher Soldat, rekurrierte schon im Titel seines 1557

Anthropophagen in einem Bestia-

in Frankfurt gedruckten Reiseberichts Warhafftige Historia vnnd

rium, nach 1277

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beschreibung einer Landtschafft der Wilden/Nacketen/Grimmigen Menschfresser Leuthen/ in der Newen Welt America gelegen auf spätmittelalter­ liche Vorstellungen und iko­ nographische Traditionen. Auch sonst stellte die Anthro­ pophagie ein wichtiges Ele­ ment der Reiseberichte über Amerika in den Texten und in den von diesen abhängigen Abbildungen dar.11 Das galt pri­ mär für von ethnographischem Interesse geprägten, ausführ­ licheren Reisebeschreibungen, besonders für sensationshei­ schende Einblattdrucke und die sogenannten Neuen Zeitungen, die nun gerne über Ereig­ nisse und Beobachtungen aus der Neuen Welt berichteten. Mit der Abkehr von der unglückseligen Instrumentalisierung des mittelalter­lichen Wundervölkerdiskurses über Beseeltheit und Mensch­lichkeit hin zu dem in erster Linie ikonographischen Rekurs auf mittelalter­liche Wundervölker in Reiseberichten, allein aus Gründen des Exotismus, war die rein mittelalter­liche Tradition der Wundervölker jedoch an ihr Ende gelangt. Wenn im 18. und 19. Jahrhundert weiterhin Fabelwesen genannt wur­ den, geschah dies als gelehrter Verweis auf die antike Mythologie, allenfalls als abwertender und missverstandener Hinweis auf mittelalter­lichen Aberglauben. Eine politische Relevanz besaßen die Wundervölker für lange Zeit nicht mehr, mit Ausnahme der Frage nach »poli­ tical correctness« in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Zur-Schau-Stellung von Monstrositäten.

Fabelwesen in einem Schulbuch, 19. Jahrhundert

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9.2. Die literarischen Wunderwesen der Neuzeit: Von der Utopie zur Science Fiction Nach vereinzelten Ansätzen in der Literatur im 18. Jahrhundert und 19.Jahrhundert erleben die Wundervölker erst wieder in Literatur und Film des 20. Jahrhunderts mit den Gattungen Science-Fiction und Fantasy eine Renaissance. Vorläufer für diese neuen literarischen Fabelrassen gibt es nur wenige in der utopischen Literatur im 18. und 19. Jahrhundert. Im weitesten Sinne sind schon die eigentüm­ lichen Völker in Jonathan Swifts fiktivem Reiseroman, der Satire Gulliver’s Travels (»Gullivers Reisen«) von 1726, Wundervölker: Die Liliputaner, die Bewoh­ ner von Brobdingnag, Laputa, Balnibarbi, Luggnagg, Glubbdubdrib und Japan sowie die ­Houyhnhnms haben in erster Linie satirischen Charakter und lassen sich am ehesten an die Allegoresen der spätmittelalter­lichen geist­lichen Literatur anschließen. Die Liliputaner und die Bewohner der Nachbarinsel Blefuscu sind winzig und entsprechen somit den mittelalter­ lichen Pygmäen. Auch stehen sie in einem endlosen Streit miteinander, vielleicht als Rekurs auf den ewigen Kampf der Pygmäen mit den Kranichen. Dagegen sind die riesigen Bewoh­ ner der Insel Brobdingnag außerordent­lich vernünftig und unterwerfen sich einfachen, exekutierbaren Gesetzen. Die Bewohner der fliegenden Insel Laputa dagegen sind zwar in technischer Hinsicht hochgebildet und unterdrücken damit die Bewohner von Balnibarbi, versagen aber völlig in alltäg­lichen Dingen und bilden damit eine Gegenwelt für eine wohl­ organisierte Gesellschaft. Im Gegensatz zu dieser technokratischen Gesellschaft praktizieren die Bewohner von Glubbdubdrib Magie und ihre ganze Technologie beruht auf Zauberei. Die Struldbrugs auf der süd­lich von Japan gelegenen Insel Luggnagg sind zwar unsterb­lich, aber keineswegs vor dem Alterungsprozess geschützt – dies mög­licherweise eine ironische Variante der mittelalter­lichen Macrobii. Das einzige Volk mit tierischen Elementen bei Swift sind die Houyhnhnms, pferdeähn­liche, aber eloquente und vernunftbegabte Wesen, die sich wohltuend von den Yahoos in ihrem Land abheben, die zwar völlig menschengestaltig sind, sich aber unvernünftig und unzivilisiert verhalten. Noch weiter geht die Kreation von humanoiden Wesen in Ludwig Holbergs Roman ­Nicolaii Klimii iter subterraneum, 1741 zuerst auf lateinisch, aber dann schon 1742 auf Dänisch als Niels Klims reise til den underjordiske verden erschienen. Darin präsentiert Holberg in der fiktiven Unterweltreise des Helden die Vorstellung einer unterirdischen Hohlkugelwelt, in der bestimmte Fabelvölker die Eigenschaften der überirdischen Menschen satirisch spiegeln. Dazu gehören die Baummenschen des Planeten Nazar, die affengesichtigen und geschwänzten, aber außerordent­lich vernünftigen Martinianer, die den einbeinigen Skiopoden ähnelnden

Pygmäen in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480, fol. 66r

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musika­lischen Bürger von Musica sowie die geschwätzigen, aber mundlosen Pyglossianer, deren Worte aus dem Hinterteil kommen. Auch Holberg bedient sich für seine Fabelrassen in Plinius’ Naturalis historia, tut dies aber mit ausschließ­lich satirischer und nicht enzyklo­ pädischer Absicht. Bemerkenswerterweise greifen die Autoren des 18. Jahrhunderts ebenso wie der Moderne eher als diejenigen des Mittelalters auf tierische Elemente als Kennzeichen von Wundervölkern zurück, was sich dann auch in den filmischen Umsetzungen der zweiten Hälfte des 20. Jahr­ hunderts manifestiert. Ein Film wie Planet of the Apes (»Planet der Affen«) von Franklin J. Schaffner aus dem Jahr 1968 erzeugt ähn­liche Assoziationen wie die Houyhnhnms in Swifts Gulliver’s Travels: Wesen mit tierischem Aussehen, aber völlig mensch­lichem Verhalten halten durch ihre ideale Gesellschaftsstruktur oder durch vernünftiges Sozialverhalten der weitgehend unvernünftigen Menschheit einen Spiegel vor – nicht unähn­lich der Funktion der asiatischen Fabelrassen in der mittelalter­lichen Alexanderdichtung. An der Wende zum 20. Jahrhundert bahnte sich, angeregt von der Entdeckung der angeb­ lichen Marskanäle durch den italienischen Astronomen Giovanni Schiaparelli im Jahre 1877, eine wesent­liche Veränderung an. Von da an werden die Außerirdischen auf Jahrzehnte in der kreativen Phantasie der Romanautoren von fiktiven Teilen der Erde oder dem Mond auf den Mars verlegt, sodass Marsianer, Marsmenschen oder Kleine Grüne (Mars-)Männchen geradezu zu einem Synonym für s­ olche – nunmehr außerirdischen – Fabelrassen werden. Den größten Anteil daran hatten The War of the Worlds von Orson Wells (1898; deutsch 1901: »Krieg der Welten«), der ab 1897 als Fortsetzungsroman erschien, und im deutschen Sprach­ raum, allerdings nicht ganz so wirksam, der Roman Auf zwei Planeten von Kurd ­Laßwitz aus demselben Jahr. Bei Letzterem sahen die Marsianer wie Menschen aus, bei Wells dagegen erschienen sie als hypertrophe Gehirne mit Greifarmen – dies ist eine Form von humanoi­ den Monstern, die im Mittelalter nicht zu finden war.12 Auch C. S. Lewis, der vor allem für seine Jugendromane des Narnia-Zyklus bekannt ist, publizierte 1938 einen Science-­FictionRoman über den Mars unter dem Titel Out of the Silent Planet (deutsch 1957: »Jenseits des ­ iesem erfand er für den Mars – unter dem Namen Malacandra – schweigenden Sterns«). In d drei humanoide Fabelvölker: die Hrossa, Mischwesen zwischen Mensch und Seehund, die Séroni oder Sorns, 15 Fuß große, gefiederte und siebenfingrige Menschen, und die eher zoo­ morphen Pfifltriggi mit Froschkörpern und Tapirschädeln. Als Mediävist war Lewis natür­ lich mit den mittelalter­lichen Fabelrassen vertraut, sodass seine Anleihen bei diesen nicht überraschend sind. Der wesent­liche Unterschied zwischen den modernen und den mittelalter­lichen Wun­ dervölkern ist der, dass Erstere kaum auf die antiken Traditionen Bezug nehmen und dass es keinen festen Kanon von immer wieder auftretenden humanoiden Monstern mehr gibt: Die

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hundsköpfigen Cynocephalen oder die Schatten­ füßler finden sich heute nicht mehr, und selbst rie­ senhafte oder pygmäische Völker sind selten gewor­ den. Dennoch ist auffällig, dass auch bei heutigen Wundervölkern bestimmte Aspekte zutage treten, die schon bei den antiken und mittelalter­lichen Fabelwesen gattungskonstituierend sind: Heute dominieren allerdings in erster Linie die körper­ lichen Abweichungen und weniger die Diäten oder das Sozialverhalten, auch wenn der uns bekannte Vertreter der Bewohner eines Planeten Melmac namens ALF in der gleichnamigen Fernseh­ serie 13 eine ausgesprochene Vorliebe für Katzen zeigt – mit dem entsprechend komischen Effekt, den die Diskrepanz zwischen dieser Essgewohnheit und dem normalen Verhalten amerikanischer Familien gegenüber Katzen hervorruft. Dieser raumschiffbrüchige Außerirdische von einem entfernten Planeten eignet sich übrigens ausgezeichnet, um das Fortleben der Konstruktionsprinzipien mittelalter­licher Wundervölker zu demonstrieren: Er stammt aus einem in (Raumfahrt-)Technologie und schlagfertiger Intelligenz den Menschen offenbar überlegenen Volk, weist aber in körper­ licher Hinsicht eindeutig Defizienzen auf – geringe Körpergröße, oranges Fell – und besitzt zu dem ausgesprochen tierische Züge: Aufgrund von Fell, Ohren, Schwanz und großer Schnauze würde man ihn eher dem Tierreich als den Menschen zuordnen. Noch ausgeprägter sind diese Aspekte bei anderen Monstern wie den Gremlins 14 oder Critters 15, die neben ihrer geringen Größe und dem offenkundig tierischen Aussehen zusätz­lich kein auf den ersten Blick gefähr­liches Wesen oder destruktives Sozialverhalten aufweisen. Während die Hervorhebung einzelner tierischer Körperteile heute kaum mehr vor­ kommt, ist die phy­sische Defizienz weiterhin ein dominantes Thema bei der Kreation von Fabelrassen in der literarischen und filmischen Fantasy und Science-Fiction. So ist es etwa bei dem außerirdischen Wesen E. T., das ebenfalls einem Volk auf einem entfernten Planeten angehört, die außerordent­liche Zartheit, ja geradezu Zerbrech­lichkeit, die Sympathie für das gestrandete Wesen weckt. Trotz des hohen Technisierungsgrades seines Volkes ist das Wesen auf der Erde ziem­lich verloren und sogar auf die Hilfe von Kindern angewiesen, was durch die geringe Körpergröße von E. T. auch filmisch ausgenutzt werden kann. Sowohl ALF als auch E. T. – beides Akronyme, wobei ALF für »Alien Life Form«, E. T. für »Extra-Terrestrial«16 steht – haben auch über ihre Defizienzen hin­ aus etwas mit den mittelalter­lichen Wundervölkern gemeinsam: den

ALF, die »Alien Life Form« der

Wohnort außerhalb oder an der Grenze des erfahrbaren Kosmos der

gleichnamigen Fernsehserie

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Erdbewohner. Im Mittelalter lagen die Ränder der Ökumene an den fernen Küsten Indiens oder Afri­ kas, heute hingegen auf irgend­welchen – offenbar bewohnbaren – Himmelskörpern. Beide Bereiche sind der alltäg­lichen Erfahrung der Menschen ent­ zogen, doch die Grenzen haben sich in den letzten 1.000 Jahren deut­lich verschoben. Aber auch die besonders in der Antike und noch im Mittelalter wirksamen hybriden Wesen sind nicht verschwunden. Waren es ursprüng­lich Mischwesen sehr unterschied­licher Herkunft, von denen im Mittelalter nur die Hundsköpfigen sowie die Sirenen und Kentauren in den Kanon über­ nommen wurden, während die Kranichschnäbler neu hinzukamen, so gehören gegen Ende des 20. Jahrhunderts dazu Mischwesen aus Mensch und Reptil oder Insekt, Menschen mit verschiedenen, aber durchweg zoomorphen Köpfen sowie diverse kleine, behaarte Wesen. Dazu kommen in zunehmendem Ausmaß sogenannte »bionische« Mischwesen, also der Natur (teilweise) nachgebildete technische Wesen, und Mischwesen aus Mensch und Maschine, sogenannte Cyborgs. Eine 1997 erschienene Zusam­ menstellung extraterrestrischer Lebewesen mit eigentüm­licher körper­licher Gestalt – und die besitzen alle Wundervölker des 20. Jahrhunderts – zeigt, dass die aus dem Mittelalter bekannten Elemente der Wundervölker fast durchweg auch in der jüngsten Vergangenheit zur Schaffung von fabelhaften humanoiden Wesen verwendet werden:

•• Riesenwuchs •• Zwergwuchs •• Ganzkörperbehaarung •• Hypertrophe Körperteile (vor allem Ohren, Augen, Nasen/Rüssel, Bärte und Köpfe) •• Zusätz­liche Körperteile (3. Auge, 3. Arm) •• Kopflosigkeit •• Mischformen zwischen Mensch und Tier Offenbar ist die mensch­liche Phantasie nur geringfügig über die mittelalter­lichen Vorstel­ lungswelten hinausgekommen. Zudem gibt es natür­liche Grenzen für die Kombinationsmög­ lichkeiten mensch­licher und tierischer Körperteile – die jedoch auch heute keineswegs völlig ausgeschöpft werden. Insofern wirkt es sehr naiv, E.T., der »Extra-Terrestrial« des gleichnamigen Filmes

wenn Überlegungen zur Gestalt von (mög­lichen)

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Außerirdischen angestellt werden und selbst Wissen­schaftlern vom US -amerika­nischen National Astronomy Center in Corell, USA, nichts ande­ res dazu einfällt, als dass den Aliens – so die im Eng­lischen gängige Bezeichnung seit Ridley Scotts Roman Alien von 1979 – die Nase fehlen könnte: Frank Drake vom National Astronomy Center in Corell, USA, zweifelt nicht an der Existenz intelligenter Geschöpfe auf anderen Sternen. Die

ETs, so glaubt er, hätten wahrschein­lich eine Hand, mit deren Hilfe sie ›Werkzeuge und Waffen bedienen‹ könnten; man könne ferner einen Kopf am oberen Körperende vermuten (weil das die beste Sicht gewährleistet), dazu zwei Augen (weil das räum­liche Sehen sehr wertvoll sei) und einen Mund dicht bei den Augen (was die Nahrungsaufnahme erleichtere). Drake: ›Nur die Nase könnte fehlen.‹ 17

Damit wäre man bei den mittelalter­lichen Astomes beziehungsweise Arhines, den angeb­lich nasenlosen Menschen eines ostasiatischen Volkes – wenig Neues also bei den Fabelrassen. Die »Alien Time Line« – die Entwicklung des Bildes von Außerirdischen in der Literatur, im Film und in den publizierten »Entführungsberichten«, in denen vorwiegend Amerikaner erzählen, wie sie von Außerirdischen entführt wurden – führt deut­lich vor Augen, dass nur wenige moderne Außerirdische nicht bereits in ähn­licher Weise im Mittelalter dargestellt wor­ den sein könnten.18 Allerdings werden dort die Unmengen von galaktischen Fremdvölkern der Star-Wars- und Star-Trek-Serien nicht berücksichtigt. Auffällig bleibt auch bei den Fabelwesen der Gegenwart, wie wenig die Hautfarbe eine Rolle spielt: Von den goldhäutigen indischen Epiphagi des Mittelalters über die Kleinen Grünen (Mars-)Männchen der 1950er-Jahre bis zu Herbert Rosendorfers außerirdischen Goldenen Heiligen – in seinem dystopischen Roman Die Goldenen Heiligen oder Columbus entdeckt Europa von 1992 – ist es eine nur sehr schmale Tradi­ tionsschiene, die die Variationsmög­lichkeit der abweichenden Hautfarbe nutzt – mög­licherweise ist diese Art der Variation zu nahe an den realen Merkmalen der mensch­lichen Völker? Insgesamt kann auch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts das festgestellt werden, was eine Untersuchung über Mars-Utopien schon für das 19. und frühe 20. Jahrhundert konstatiert:

Wundervölker, Fresko, St. Jakob in Kastelaz bei Tramin, nach 1200

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Formen von extraterrestrischen Monstern im 20. Jahrhundert: Alien Time Line von Joe Nickell, 1997

195 Schaut man sich aber die Marsianer an, so stellt man nach einer summarischen Statistik fest, daß der mensch­lichen Vorstellungskraft doch recht enge Grenzen gesetzt sind, denn diese imaginären Wesen sehen mehr oder weniger mensch­lich aus. […] Oft sind unsere kosmischen Brüder kleiner, was dem irdischen Besucher von vornherein zumindest eine körper­liche Superiorität verleiht. Man findet aber auch Marsriesen […]. Ansonsten kann bei den Marsianern die Zahl der Gliedmaßen variieren oder die Zahl der Finger und Zehen (vier oder sechs) […]. 19

Gelingt es hin und wieder einem Autor bei der Beschreibung der Marsianer den Anthropomorphismus zu überwinden, dann werden tierische und mensch­liche Formen miteinander kombiniert oder zoomorphe Formen gewählt. 20

Die Autoren können als Beleg für die Gründe dieser relativ geringen Abweichungen vom mensch­lichen Normalmaß einen der interessanteren deutschen Science-Fiction-Verfasser des frühen 20. Jahrhunderts zitieren, den bereits erwähnten Kurd Laßwitz, der in einem theo­ retischen Aufsatz zum Thema »Unser Recht auf Bewohner anderer Welten« von 1910 meint, »daß es ästhetische Rücksichten sind, die den Dichter dazu zwingen, den Bewohnern frem­ der Planeten mensch­liche Gestalt und mensch­liche Sinne zu geben. Seiner Meinung nach muß Dichtung anthropomorphisieren, damit Persön­lichkeiten und Charaktere den Lesern verständ­lich bleiben.«21 Diese Interpretation von Laßwitz ist für die in Utopien funktionalisierten Fremdvölker – ob in den utopischen Romanen des 19. Jahrhunderts, der Science-Fiction des 20. Jahrhunderts oder den Alexanderepen des Mittelalters – wohl zutreffend, erklärt aber nicht ausreichend, warum auch in den katalogartigen Listen oder den Nebenrollen der Science-Fiction-Filme des ausgehenden 20. Jahrhunderts so viele anthropomorphe Außerirdische zu finden sind. Offensicht­lich ist es wirk­lich so, dass bei der Beschäftigung mit anderen Lebensformen eine den Wesen zugeschriebene Vernunft nur schwer in Lebensformen vorstellbar ist, die sich allzu weit von der mensch­lichen Form entfernen. Die Untersuchung der verschiedenen Kombinationen mensch­licher und tierischer Kör­ perteile – ganz abgesehen von den medizintechnischen Mög­lichkeiten, die jedoch in den künstlerischen Bearbeitungen trotz entsprechender Fortschritte nur eine untergeordnete Rolle spielen – in den Völkerschaften der Science-Fiction-Serien wäre eine lohnende Aufgabe, um etwaige Konstanten zu dem im Mittelalter genutzten Formenreichtum festzustellen, sprengt aber den Rahmen des vorliegenden Buches, sodass nur vereinzelte Beispiele für das Fortleben mittelalter­licher in den neuzeit­lichen Fabelrassen herausgegriffen werden sollen. Zudem wer­ den diese Wesen heutzutage weder als Monster bezeichnet noch als s­ olche wahrgenommen,

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sodass die Bedeutungsverschie­ bung bei dem Begriff »Monster« auf jeden Fall zu einer veränder­ ten Wahrnehmung geführt hat. Das Aussehen der in der Gegen­wart als Monster bezeich­ neten Wesen der Kinder- und Jugendliteratur ist gegenüber den mittelalter­lichen Monstern erschreckend eintönig: Den Großteil dieser Monster machen große, tierisch behaarte Wesen mit ausgeprägtem Gebiss und Krallen aus. Sind sie ausnahmsweise klein, so dient dies am ehesten der ironischen Brechung des heutigen Monsterbegriffs und der Relativierung kind­ licher Ängste. Die sogenannten Monster der Gegenwart haben ihren Schrecken nicht nur spätestens am jeweiligen Ende der sie behandelnden Kinderbücher verloren: Die Tatsache, dass es meist einsame Wesen sind, die noch nicht einmal unter ihresgleichen an entfernten Rändern der bewohnten Welt leben und demnach jenseits der eigent­lichen Erfahrung hausen, hat ihnen neben dem Schrecken – der ihnen auch im Mittelalter meist fehlte – auch noch den Exotismus genommen. Hinzu kommt, dass eine so wesent­liche Unterscheidung wie die mittelalter­liche zwi­ schen Monstern und »einheimischen« mytholo­gischen Wesen – und dazu gehören Riesen, Trolle, Zwerge und alle anderen Gattungen wichtelartiger Wesen, von denen man sich in heimischen Gegenden umgeben fühlte und vielleicht noch fühlt – inzwischen weitgehend aufgehoben ist. Trolle werden immer wieder als Monster bezeichnet oder nahezu identisch dargestellt, denn auch diese Wesen der autochthonen Mythologie dienen wie die Monster der fernen Gebiete höchstens noch als Kinderschreck. Dagegen stellten im Mittelalter die Riesen und Trolle – zumindest in der Literatur – eine tatsäch­liche Bedrohung dar, während die Wundermenschen eher das ethnographische Interesse befriedigten als Ängste schürten. Insofern erscheint es mir bemerkenswert, dass vielfach dort, wo in der Fantasy- und Science-Fiction-Literatur des 20. Jahrhunderts bewusst Ängste hervorgerufen werden, nicht die Wundervölker zum Einsatz kommen, sondern gerade diese mytholo­gischen Wesen oder deren phantasievolle Weiterentwicklungen. J. R. R. Tolkiens Orcs sind dafür ein gutes Ängstliches angelsächsisches

Ängstliches norwegisches Monster

Monster (Blemmyae) in einem Bes-

(Troll), 20. Jahrhundert

tiarium, Mitte des 12. Jahrhunderts

Beispiel, hat er doch aus einem rätselhaften alteng­lischen Wort für irgend­welche Wesen der

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niederen Mythologie ein Volk geschaffen, dass den Mächten des Bösen dient und den vor­ rangigen Zweck erfüllt, Ängste aufzubauen. Das gilt auch für die bei ihm etwa den phantasie­ volleren Werken der mittelalter­lichen nordischen Literatur entlehnten Trolle: Sie sind ebenfalls gefähr­lich, stark und mit Zauberkraft begabt, aber autochthoner Herkunft und keineswegs zu den ethnischen Fabelrassen gehörig: Orcs were multiplying again in the mountains. Trolls were abroad, no longer dull-witted, but cunning and armed with dreadful weapons.22 Jedoch ist bei Tolkien generell festzustellen, dass er nur in Ausnahmefällen seine Wesen neu erfindet. Vielmehr sind sie in aller Regel von einheimischen Wesen der Mythologie und der Sagenwelt geprägt, anstatt von ethnischen Völkerschaften vom Rande der mittelalter­lichen Ökumene: Hobbits, Zwerge und Elfen entsprechen zwar nicht genau den Gestalten der einheimischen, ob nun keltischen oder germanischen Mythologie, aber sie basieren auf ­solchen Wesen. Selbst mit den eher ausgefallenen Ents, den langlebigen Baummenschen, bei denen man am ehesten an den spätmittelalter­lichen Wildmenschen denken könnte, hat er ein Volk geschaffen, das sich an der Grenze zwischen Wundervolk und einheimischen Naturgeistern bewegt. Ganz ähn­liche Beobachtungen lassen sich am Chronicles-of-Narnia-Zyklus (1950 – 1956) von C. S. Lewis machen: Der typische Angehörige eines Wundervolks ist der Faun, der aber einen ausgesprochen harmlosen Eindruck erweckt und schließ­lich wie die Kentauren zu den Helfern der Protagonisten gehört, während der Zwerg ebenso wie der Wolf Maugrim – eigent­lich der Fenriswolf der germanischen Mythologie – eindeutig zum antagonistischen Gefolge der White Witch gehören. Auch hier ist die Unterscheidung in Wundervölker und einheimische Fabelwesen perpetuiert.23 Betrachtet man dagegen die Science-Fiction-Literatur und ihre Verfilmungen Ende des 20. Jahrhunderts, so lässt sich wie bei den angeb­lichen »echten« Aliens auch bei den literari­ schen oder filmischen Völkerschaften, von denen es alleine in den Star-Trek- und Star-WarsSerien Hunderte gibt, feststellen, dass es Defizienzen vom Normal-Mensch­lichen und einzelne tierische Elemente sind,24 aus denen diese Völker konstruiert werden. Wenn demnach die Vulkanier und Romulaner der Star-Trek-Serien 25 sich äußer­lich vorerst nur durch ihre spitzen Ohren auszeichnen, dann kennen wir diese harmlose Form der Distinktion schon von den mittelalter­lichen Panotiern, und auch die echsenrückenartige Stirn der Klingonen ist ebenso wie die Schnauze der Tallariten nicht sehr weit von den Hundsköpfigen der Fabelvölkertra­ dition entfernt. Noch auffälliger sind die Parallelen bei weniger prominenten Völkerschaften dieser Serie: Die Antikaner entsprechen mit ihrer Größe und völligen Behaarung sowohl den Wildmenschen als auch den Agrestes und den Macrobii, die fischartig humanoiden ­Antedeaner leben wie die indischen Pirolopi im Wasser und verstecken sich dort, und die gehörnten, blauhäutigen und weißhaarigen Andorianer erinnern an Cornuti oder Fauni ebenso wie an die weißhaarig geborenen Pandae des Mittelalters. Doch auch s­ oziale Merkmale werden

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aufgegriffen, wie etwa bei den ehemals pazifistischen Cardassianern, deren fried­liche und spirituelle Gesellschaft wohl mit den Oxydraken oder Gymnosophisten gleichgesetzt werden kann. Die weißhaarig geborenen und nachdunkelnden Pandae der antiken Tradition finden ihr Gegenstück schließ­lich in den Drayanern der Star-Trek-Filme, die erwachsen geboren, dann aber immer kind­licher und naiver werden. Diese Parallelen müssen nicht unbedingt auf Entlehnungen bei den mittelalter­lichen Fabelrassen zurückgehen, sondern verweisen auch auf ähn­liche kreative Muster bei der Erschaffung von Wundervölkern. Außerdem besteht offenbar der Wunsch, die humanoiden Monster nicht übermäßig von der mensch­lichen Norm abweichen zu lassen, um einerseits die Frage nach ihrer Mensch­lichkeit nicht zwingend aufzuwerfen und andererseits den Umgang der Menschen mit diesen Völkern nicht völlig unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Wenn diese Grenzen dann doch überschritten werden – man denke an das als Küchenschaben auftretende außerirdische Volk der Science-Fiction-Komödie Men in Black 26 –, dient dies vor allem der ironischen Brechung: Denn dass diese Wesen, die man allenfalls wie Insekten zertritt, vernunftbegabt sein sollen, will der Leser oder Zuschauer dann doch nicht wissen. So lässt sich konstatieren, dass zum einen die gestalterischen Prozesse bei der Neu­ erschaffung von Fabelwesen ähn­lich geblieben sind und dass zum anderen die wesent­lichen Aspekte der mensch­lichen Existenz, die früher für die Abgrenzung von vermeint­lichen oder literarisch geschaffenen Fremden herhalten mussten, immer noch zum Einsatz kommen: das mensch­liche Äußere, in auffälliger Weise immer noch auf das Gesicht konzentriert, dann das Sozialverhalten der ganzen Gruppe und schließ­lich die Essgewohnheiten. Es ist wohl tatsäch­lich nur der Abstand vom Zentrum an die Peripherie einer sich zumindest in Theorie und Phantasie ständig vergrößernden Ökumene, der im letzten Jahrtausend in Bezug auf die Wundervölker zugenommen hat.

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LEXIKON DER MENSCHLICHEN MONSTER IM MITTELALTER

Abarimon, Volk mit nach hinten gedrehten Füßen. A. ist eigent­lich das Land bzw. das Tal,

und nicht der Völkername eines bei Plinius VIII,11 aus Megasthenes entnommenen Volkes, das eine skythische Version der Antipedes darstellt, d. h. ihre Füße sind nach hinten gedreht. Hartmann Schedel 12r dürfte das Volk direkt aus Plinius übernommen haben: Item in scithia in einem tal des bergs Tunani ist ein grosse gegent abarimon genant. darinn leben waldtmenschen mit hindersichgekerten fersen vnglewp­licher schnelligkeit mit den wilden thiern schwaiffende. die leben in kainen andern lufft darFmb sind sie auch weder vnder die vmbligenden k=nig noch vnder den grossen Alexandrum gezogen worden. LIT: Friedman, 9. Acephales (griech., »Kopflose«) ist der Oberbegriff für alle kopflo­

sen Fabelmenschen. Dazu gehören etwa die ➻ Blemmyae und die ➻ Epiphagi; beim byzantinischen Historiographen Johannes Tzetzes (12. Jh.) wird im Griechischen außerdem der Begriff ➻ Sternophtal­ mes für die Blemmyae und Omophtalmes für die Epiphagi verwendet. Laut Shafer geht das Konzept von kopflosen Menschen auf ­Ktesias zurück, der das indische Volk der Asāra, was eig. »ohne Häupt­ ling« bedeutet, offenbar als »ohne Haupt« und damit als Acephales wiedergegeben hatte, ähn­lich wie Ktesias auch die Hunds­köpfigen (➻ Cynocephales) aus einer falschen Übersetzung aus dem Sanskrit geschaffen hatte. Eine gängigere Herleitung führt dagegen die Herkunft der Acephales in ihrer populärsten Spielart, den Blemmyae, auf einen nordafrikanischen Stamm zurück, dessen Krieger offenbar ihre Schilde oder Brustpanzer mit Gesichtern dekorierten (Friedman 25) und deshalb von den Römern für kopflos gehalten worden waren. QU: Tzetzes, Johannes: Chiliades.Theophil Kiessling (Hg.): Ioannis Tzetzae Historiarum variarum Chiliades. Leipzig 1826, Nachrduck Hildesheim 1963. LIT: Shafer, 491 – 503; Friedman, 25.

200 Aegipanes (auch Egypanes, Egipani, Aegypani, griech., »Ziegen-

Pan-Leute«), ziegenfüßiges Volk. Die Ae. sind ein Volk von nicht näher definierten, aber mit den ➻ Satyrn offenbar eng verwandten Westafrikanern am Atlantik. In keiner der Belegstellen (Solinus 31,6; Martianus Capella VI,667 und 673; Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50r; Anonymi de situ orbis libri duo II,1 und 3 aus Martianus übernommen) treten die Aegipanes ohne die Satyrn auf. Interessant ist der Hinweis bei Solinus (und von da bei Lambert etc. zitiert), dass die ­Egipanes quales pinguntur existunt, »so sind, wie sie gemalt wer­ den«, d. h. dass sie Ziegenbeine haben. Da allerdings auch die Satyrn auf den Karten mit Bocksfüssen dargestellt werden, ist ohne Legende nicht feststellbar, wer gemeint ist. Auf der Ebstorfkarte etwa kom­ men diese Fabelwesen gleich dreimal vor, einmal nur als Legende Hic Satyri nascuntur, nichil aliud hominbus preferentes nisi figuram, einmal korrekt als geschwänzter Satyrus mit Tierohren und noch einmal als gehörnte und bocksbeinige Satyrn, fälsch­licherweise mit der Legende Singes (d. h. wohl Sphinges, eine Affenart) versehen – hier sollten wohl entweder Fauni oder Aegipanes dargestellt werden. QU: Miller V,61. LIT: Lecouteux: Les Monstres, III,25. Äthiopier (Aethiopes), schwarzhäutige Afrikaner. Die Ä. wurden im Mittelalter wegen ihrer

schwarzen Hautfarbe mitunter zu den Monstren gezählt, etwa im Liber monstrorum I,9. Sie wurden zwar üb­licherweise nur als Produkt der klimatischen Einflüsse der heißen Äquato­ rialzone, d. h. Äthiopiens, angesehen, waren dennoch auf Grund der »unheim­lichen« Farbe gefürchtet und wurden trotz des realen Vorkommens als Wundervolk eingestuft, vgl. etwa die sehr sach­liche Beschreibung be Mandeville 31,18 f: Und die von in dem land das da haissent Nubia, sind cristen lút. Sie sind aber schwartz als die Moren. Daz machet die gros hitz die da ist. Nur vereinzelt wird diese schwarze Hautfarbe auch gewertet, dann durchaus als Indi­ kator ihrer grundsätz­lichen Bedeutung, wie in der frühmittelhochdeutschen Wiener Genesis 656 und der Millstädter Genesis 26,11 ff (um 1150), in der über nicht näher lokalisierte missge­ staltete Nachfahren Adams gesagt wird: Sume­liche flurn begarewe ir scônen varwe: si wurten swarz unt egelîch, »Einige verloren völlig ihre schöne Farbe und wurden schwarz und eklig.« Da hier alle Missbildungen als Strafe Gottes für den Ungehorsam der Kinder Adams beim Verbot bestimmter Kräuter gedeutet werden, ist die schwarze Hautfarbe als Strafe Gottes nur Teil des Systems.

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Als Resultat der Mischehen zwischen Weißen und Schwarzen erwartete man schwarz/ weiß gefleckte oder karierte Menschen, wie den Halbbruder Parzivals, Feirefiz, den der euro­ päische Ritter Gahmuret mit einer »Mohrenkönigin« gezeugt hatte: Parcival 317,8 – 10; 747,26; 748,7; vgl. dazu auch Heinrichs von Neustadt Appolonius von Tyrland v. 14282 ff und Ulrichs von Eschenbach Alexander v. 12073. QU: Solinus 52,14; Beatuskarte: Miller I,56; Johannes de Hese: Itinerarius. In: Gustav Oppert: Der Presbyter Johannes in Sage und Geschichte. Berlin 1864, 180 – 193: 182. LIT: Ebenbauer, 16 – 42. Affenmenschen erwähnt nur der mhd. Marco Polo (66: Do sint oucgh affin g­lich den lutin),

aber er dürfte hier wohl nur Menschenaffen meinen; im Original (vgl. Marco Polo 182) ist davon nicht die Rede. [Aglosses] (griech., »Sprachlose«), Menschen ohne Sprache oder

Zunge. Dies sind Bewohner des Orients oder Äthiopiens ohne Sprach­ vermögen, die sich nur durch Gebärden verständigen können; auf der Wundervölkergalerie der Ebstorfkarte (vgl. Miller V,60) werden sie daher gestikulierend dargestellt. In der west­lichen Literatur sind sie m. W. nirgends unter d ­ iesem griechischen Namen zu finden, son­ dern schon seit Plinius wird für sie die Kurzbeschreibung alias sine linguis o. ä., »andere gibt es ohne Sprache/Zunge«, verwendet , wobei offenbleibt, ob es sich um einen phy­sischen Mangel – wie bei den mundlosen Astomi, mit denen sie aber nie gleichgesetzt werden – oder um einen s­ ozialen Mangel handelt. Gegen Letzteres spricht, dass die Ebstorfkarte mit einer Gebärdensprache darzustellen versucht, was dem Zusatz bei Isidor entspricht: Nonnulli sine linguis esse dicuntur, invicem sermonis utentes nutum sive motum, »… die abwechselnd Winken oder Gesten als Sprache nützen«, wogegen sie im mhd. Mandeville (übersetzt durch Velser 118) zudem als Zwerge beschrieben werden: Item in der ynsel fint man als clain lút als e

die zwerge sind. Und da sie den mund hond so llent, da hond sie ain claines loch, und hond kain zungen und redent núntz. QU: Plinius VI,188; Solinus 30,13; Isidor XI,3,18; Hrabanus Maurus VII,7; Summarium Heinrici III,9,342; Lambert von St. Omer fol. 53r; Vinzenz: Speculum naturale XXXI,127 (ohne Namen.) u. Speculum historiale I,92; Bartholomäus Anglicus XVIII,46; Psalterkarte: Miller III,42; Ebstorfkarte: Miller V,60; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,105, Volksbuch Lucidarius 109,33 f. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 794; Lecouteux: Les Monstres, II,7.

202 Agrestes (lat. homines agrestes, »Wilde Menschen«) ➻ Wildmenschen; nur bei Ulrich von

Eschenbach, Alexander v. 21669 f., werden die ➻ Menschen mit sechs Armen so bezeichnet. Agriophagite (griech., »Wild-Fresser«) ist ein bei Isidor XI ,3,16 für die ➻ Cyclopes gebrauch­

ter griechischer Name, der ihm zufolge verwendet würde, weil sie ausschließ­lich das Fleisch wilder Tiere äßen; Isidor wird dann auch ausdrück­lich von Vinzenz im Speculum naturale XXXI ,127 zitiert: Cyclopes […] Hi & Agriophagitæ nuncupatur, propter hoc quod solas fera-

rum carnes edunt, im Summarium Heinrici III ,9,318 f werden die beiden Völker zu einem zusammengezogen und die Agriophagite ohne nähere Erklärung als Synonym für die Cyclopen aufgeführt. QU: Gervasius von Tilbury II,3. Agrippiner ➻ Grippianer Agroctas nennen Honorius: Imago mundi I,11, und Gervasius von Tilbury: Otia imperialia

II,3, in einem Atemzug mit den ➻ Bragmani, als wären auch jene im Feuer stehende Weise

in Indien, sind also offenbar ein Name für die Gymnosophisten oder sogar ein Synonym für die Brahmanen. Albani (lat., »Weiße«), weißhaarige oder sehr hellhäutige Menschen, sind ein Wundervolk,

dessen Name in verschiedenen Quellen unterschied­lich gedeutet wird. Bei Solinus 15,5 ist es ein skythisches Volk, das mit weißen oder grauen Haaren geboren wird und bei Nacht bes­ ser als am Tag sehen kann; ➻ Pandae. Bei Mandeville (übersetzt durch Velser 93) sind diese Menschen weißer (also wohl von hellerer Haarfarbe) als anderswo, in der Epistola Premonis XVI ,5 und zahlreichen davon abhängigen Texten wird zwar ihr Name nicht genannt, aber

bei den hier beschriebenen Menschen mit leuchtenden Augen könnten die Albani gemeint sein, so auch im von Thomas abhängigen altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1591 – 1662, in dem sie als Heuchler interpretiert werden. Die klas­sische Stelle bei Isidor XIV,3,34, derzufolge das zwischen den Hyperboreischen Bergen und Armenien gelegenene Albania nach seinen mit weißen Haaren geborenen Bewoh­ nern benannt ist, findet in die meisten mittelalter­lichen Enzyklopädien Eingang: Alabani a colore populi nuncupata, eo quod alba crine nascantur. QU: Honorius I,19. [Amanes] (lat., »Handlose«) sind Menschen ohne Hände, die aber weder ausdrück­lich diesen

Namen tragen noch zu den Wundervölkern im engeren Sinn gehören; nur Isidor: Etymo­logiae

203 XI,3,8, und Hrabanus Maurus VII,7, nennen Menschen, die ohne Hände geboren werden, als

Beispiele für mensch­liche Missgeburten. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,7. Amazonen (Amazones griech., »ohne Brust«) sind ein seit der Antike

bekanntes Volk kriegerischer Frauen, die keine Männer in ihrem Staat dulden und die von einer Königin regiert werden. Die Amazonen werden folgendermaßen beschrieben (so ­Quintus Curtius Rufus: Historia Lib.VI ,5,24 – 32): Das Gewand der Amazonen bedeckt nicht den ganzen Körper, vielmehr ist die linke Seite bis zur Brust nackt, das Übrige dann verhüllt; doch fallen die Falten des Gewandes, das sie in einen Knoten zusammenknüpfen, nicht über die Knie hinab. Die eine Brust bleibt unversehrt, die rechte wird ausgebrannt, um leichter den Bogen spannen und Geschosse schleudern zu können. In der Alexandertradition, die die Kennt­ nis von den Amazonen am effektivsten verbreitet hat, heißt die Königin Thalestris. Statt sich wie andere Völker dem Eroberer zu unterwerfen, tritt sie Alexander selbstbewusst gegenüber und schlägt ihm vor, statt Krieg zu führen, mit ihr ein Kind, mög­lichst natür­ lich eine Tochter, zu zeugen. Einen Amazonenstaat, Themiskyra, soll es bis um 1200 v. Chr. am Schwarzen Meer gegeben haben. Alexander trifft jedoch in den literarischen Werken über seinen Feldzug am Kaspischen Meer auf die Amazonen; und auch in der mittelalter­lichen Literatur werden sie im Norden, jenseits der Kaspischen Berge auf einer Insel angesiedelt, etwa von Vinzenz: Speculum naturale XXXI,124) und auch von Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50r, wobei nicht ganz sicher ist, ob er sie an dieser Stelle mit der Insel Thule verbindet. Auch Adam von Bremen siedelt die Amazonen auf einer Insel in Skandinavien an, was aber wie in der hochmittelalter­lichen skandinavischen Literatur auf eine Identifizierung des Frauen­ volks der Amazonen mit dem (finnischen) Stamm der Quennir (von den Skandinaviern als kvennir, »Frauen«, interpretiert) zurückgeht. Diese falsche Gleichsetzung führt dann in der frühneuzeit­lichen ptolemäischen Kartographie noch oft zur Lokalisierung der Amazonen im Norden Europas. Isidors nur knappe Beschreibung der Amazonen (Isidor IX ,2,64) hat die mittelalter­ liche Phantasie aber kaum so angeregt wie das aus den Alexanderdichtungen bekannte Auf­ einandertreffen zwischen Thalestris und Alexander dem Großen, denn im Mittelalter sah man in d ­ iesem reinen Frauenstaat anscheinend eine alternative Gesellschaftsform, die auch jenseits des reinen Exotismus mit den weib­lichen Kriegerinnen auf Grund ihrer Ordnung, Selbständigkeit sowie der weitgehenden Keuschheit der Bewohnerinnen des Staats nicht der

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Attraktivität entbehrte. Mandeville kommt insgesamt dreimal (übersetzt durch Velser 93, 99 f., 152) auf die Amazonen zu sprechen; die mhd. Übersetzung spricht von einem Frauenland und behandelt es ausführ­lich (Velser 93): Und da ist ain mer, daz haissent sie Calippe; zwúschent dem mer und ainem wasser, daz haisset Conay, da sind Amazones, daz ist der Frowen Land, und da wonat kain man nit. Die allegorische Auslegung im altfrz. Liber de monstruosis hominibus Orientis (v.  55 – 104) sieht in den Amazonen standhafte Jungfrauen, die die Verführung meiden, also selbst hier sind sie positiv konnotiert. QU: Plinius VI,35; Solinus 17,2, 38,12, 40,2; Pseudo-Augustinus PL 34, col 2357; Orosius I,15 (Hg. Zangemeister 27 f.); Martianus Capella VI,665; Hrabanus Maurus IV; Honorius I,19; Brief des Priesterkönigs Johannes (Zarncke 917); Jacobus de Vitriaco 92, 197; Thomas von Cantimpré III,2; Walter von Metz II,2; Vinzenz: Speculum historiale I,96; Brunetto Latini I,30 u. I,122. LIT: Brinker-von der Heyde, 399 – 424; Deluz; Friedman, 24; Röhl. Ambari heißen auf der Herefordkarte, auf der sie jedoch als Antipedes und als ➻ Anothites

beschrieben werden, die ➻ Psambari, cf. auch ➻ Sesambri. Ambrones, so werden die Anthropophagen im Summarium Heinrici III ,9,343 genannt:

Ambrones vel antropofagi populi homines comedentes: »Die Ambronen oder Antropophagen sind ein menschenfressendes Volk.« Wie der Name des historischen Volkes, das im 2. Jh. v. Chr. mit den Kimbern und Teutonen durch Europa zog, in die ansonsten vorwiegend aus Isidor übernommene Stelle des Summarium Heinrici gelangte, ist ebenso unklar wie die ursprüng­liche Bedeutung des germanischen (oder gal­lischen?) Stammesnamens. Die Hauptquelle für die Ambronen ist ­Plutarchs Leben des Marius (cap. 19), demzufolge Marius den Stamm 102 v. Chr. in der Schlacht von Aquae Sextiae (Aix-en-Provence) vernichtete. Von Menschenfresserei ist hier nicht die Rede, doch im 11. Jahrhundert beschreibt Adam von Bremen die Ambrones als grausames, menschenfressendes Volk im Norden, crudelissimi ambrones; cum canicie nascuntur; er beruft sich dabei auf Solinus, der aber die Ambrones nicht wie Adam im nörd­lichen Russ­ land, sondern in Umbrien ansiedelt; dagegen werden sie in einer angelsäch­sischen Quelle als Sachsen bezeichnet. LIT: Wenskus, 252 (ohne jede Erwähnung des Anthropophagismus).

205 Amycterae (auch Amyctyrae, Amycteres; griech., »ungesellig«) sind

Großlippler, die ihre riesige Unterlippe zum Schutz gegen die Sonne kapuzenförmig über den Kopf ziehen können, wie die Ebstorfkarte (Miller V,60 u. 125) beschreibt: Item da ist ain ander ynsel, da sind unsuber lút, die hond die lefftzen [Lippen] als lang und gros, wann sie ligend an der sunnen, so deckent sie daz andlit mit den lefftzen. Die Amycterae dürften auf tatsäch­liche Bräuche der Lippendeh­ nung in Polynesien zurückgehen, die antiken und mittelalter­lichen Beschreibungen haben dann allerdings das Phänomen bis ins Absurde übertrieben, indem sie angeben, diese Menschen könnten sich mit der Unterlippe den Kopf bedecken. Diese Eigenschaft wird im Mittelalter im Profil schematisch dargestellt, an der Schwelle zur Neuzeit wird die Unterlippe dagegen nur als schüsselförmig gedehnt dargestellt. Als allegorische Deutung wird in den Gesta Romanorum (cap. 175) vorgeschlagen, dass sich die Gerechten »mit der Lippe der Wachsamkeit« durch fortwährende Betrachtung ihres Lebenswandels gegen Versuchungen ­schützen. QU: Isidor XI,3,18; Hrabanus Maurus VII,7; Summarium Heinrici III,9,339 f. (ohne Namen); Lambert von St. Omer fol. 53r; Vinzenz XXXI,127, Speculum historiale I,92 (ohne Namensnennung); Bartholomäus Anglicus XVIII,46. LIT: Friedman, 9 f. und 24; Lecouteux: Les Monstres, II,8; Wittkower, 159 – 197: 162; Zajadacz-Hastenrath, 791 f. Andfoetingar (altnord., Antipodes, Antipedes), Gegenfüßler. Dieses Volk ist in der altnor­

dischen Bibelkompilation Stjòrn als Übersetzung der Antipedes zu finden, nicht aber in den altnordischen Wundervölkerverzeichnissen. In einer altnordischen Predigt dagegen ent­ sprechen die Andfoetingar eindeutig den Antipoden. Was richtig ist, kann nicht entschieden werden, da and- (»gegen«) sowohl auf die nach hinten ausgerichteten Füße der Antipedes als auch auf die »Gegenfüßler« bezogen werden konnte. LIT: Simek: Wunder, 69 – 90. Androgynes (griech., »die Zweigeschlecht­lichen«), allgemeiner für ➻ Hermaphroditen. Anothites (griech., »Ohrenlose«) sind ein äthiopisches Volk ohne Ohren. Das Volk wird nur

selten genannt, aber auf einigen Mappae mundi bild­lich dargestellt. Ob Plinius VI,192 mit den am Nil lebenden Sesambri, bei denen alle Säugetiere keine Ohren haben, ebenfalls die­ ses Volk meint, ist ungewiss. Solinus 146,16 hat es als Psambaris übernommen, was auf der Ebstorfkarte dann zu der verschmolzenen Form Gens Impersibares Ethyopes (Miller V,60)

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führt, auf der Herefordkarte, auf der sie auch mit den Antipedes zu einem Volk verschmol­ zen sind, heißen sie Ambari (Miller IV,38). QU: Solinus 30,5; Psalterkarte: Miller III,42; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,105. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,8 f. Anthropophagi (griech., »Menschenfresser«) ist

der antike u. mittelalter­liche Begriff für die seit der Frühen Neuzeit als »Kannibalen« bezeichne­ ten Menschenfresser. A. treten in einer Reihe von Varianten auf. Einerseits handelt es sich dabei um in Indien (laut Mandeville in Nacameran, übersetzt durch Velser 124) lebende nackte Völker, die Men­ schenfleisch essen und Blut trinken, andererseits um die ➻ Patrophagi, die ihre Eltern verspeisen. Als riesige, 18 Fuß große schwarzhäutige Monster, die das Fleisch gefangener Menschen roh verzehrten, beschreibt sie der Liber monstrorum I,33. Auch den Völkern Gog und Magog wird zugeschrieben, dass sie Menschenfleisch essen, aber diese hatte Alexander der Große hinter einer Mauer am Kaspischen Meer eingeschlos­ sen und sie waren daher bis zum jüngsten Tag ohne Gefahr für den Rest der Menschheit. Als Menschenfresser werden auch die ➻ Zyklopen, die ➻ Cynocephales und in den Bestiarien besonders die ➻ Donestre, ebenso wie vereinzelt die Satyren der skandinavischen Tradition (➻ Hornfinnar) bezeichnet. Als besonders aggresiv werden sie bei Konrad von Megenberg geschildert: Auch sint ander läut, die ezzent menschleich flaisch und volgent der menschen fuoztriten sô lang, unz daz si in etswâ über ain wazzer enpfliehent (Buch der Natur 490). Der Anthropophagismus erscheint als deut­lichstes Kennzeichen der Wildheit fremder Völker; der Terminus »Kannibalismus« geht auf Kolumbus zurück: Er erwähnt im Bordtage­ buch seiner ersten Reise, dass die Bewohner von Kuba die menschenfressende Bevölkerung von Porto Rico Caniba nannten. Der Begriff »Canibales« verbreitet sich im Gefolge der Ent­ deckungsberichte rasch, schon 1508 wird im Deutschen von Canibali gesprochen und Mitte des 16. Jahrhunderts wird er in ganz Europa für die Anthropophagen verwendet. Die Ptolemäus-Karte vom Nordteil Afrikas aus der Cosmographia (Ulm: Lienhart Holle 1482) führt die Antropophagi ethiopes im Osten des äquatorialen Afrika knapp jenseits der Grenze von Etiopia subegipto in Etiopia interior an, und noch in der Reiseliteratur des 18. Jahr­ hunderts werden sie wiederholt in Brasilien erwähnt. Im Norden (im Anschluss an Adam von Bremen?) werden sie hingegen im Summarium Heinrici III,9,343 angesiedelt, der sie mit den ➻ Ambronen gleichsetzt.

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Die umfäng­liche Allegorese im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis vergleicht die Menschenfresser mit den ungerechten Reichen, die die Armen aussaugen und dafür dann in der Hölle selber gefressen werden. QU: Plinius VI,53 u.195, VII,11 f.; Solinus 15,4 u.13, 30,7; Martianus Capella VI,663; Adam von Bremen IV,19 u. 25; Priesterkönig Johannes: Zarncke 911; Pseudo-Ovid Nr. 12; Jacobus de Vitriaco 92, 213); Volksbuch Lucidarius 11,2 f; Bartholomäus XV,74; Thomas von Cantimpré III,5,12; Liber de monstruosis hominibus orientis v.  549 – 718; Psalterkarte: Miller III,42; Ebstorfkarte: Miller V, 55 u. 60; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,105. LIT: Becher, 248 – 253; Frank, 199 – 225; Kuber, 36 – 45.; Lecouteux: Les Monstres, II ,9 f. u. III,15,30; Simek: Erde, 105 – 107; Thomsen 1983. Anticaudae (»Gegenschwänze«), geschwänzte Menschen? A. ist ein nur bei Ratramnus von

Corbie, Epistola de Cynocephales als Synonym für die Pygmäen oder Cubitales (»Ellengroße«) genannter Begriff, ohne dass sich dies auf geschwänzte Menschen zu beziehen scheint, viel­ mehr erwähnt er unter diesen Kleinwüchsigen ­solche mit nach hinten gekehrten Fussohlen und acht Zehen und scheint den Ausdruck wohl auf die Achtfingrigen zu beziehen (PL 121, Sp. 1155): …vel alia plura, quae longum est commemorare, ut Pigmei, Anticaudae, quorum aliis cubitalis dicitur inesse statura corporis, aliis plantarum convenio post crura, et in plantis octoni digiti, »…andere mehr, die es lange zu erinnern gilt, wie Pygmäen, Gegenschwänze, von denen einige eine Körpergröße von einer Elle haben sollen, andere die Fußsohlen hinter den Rücken gewandt haben, und an jedem Fuß 8 Zehen.« LIT: Thallner, 25; als Antipoden und mit achtfingrigen Blättern auf dem Rücken falsch gedeutet bei Schade, 51. Anticti finden sich nur im mittelhochdeutschen Summarium Heinrici III ,9,345, in dem sie

äußerst knapp als Anticti sunt populi subterranei, »Anticti sind ein unterirdisches Volk«, beschrieben werden. Antimanes (lat., »Verkehrt-Händer«), Menschen mit nach hinten gewandten Händen und acht

Zehen an den Füßen. Das Volk beruht auf der Vermischung von ➻ Antipedes und ➻ Polydac­ tyles, aber nicht erst bei Jacobus de Vitriaco 92, 213, sondern schon bei Plinius VII,22 und Soli­ nus 52,26 und daher im Mittelalter weit verbreitet; Konrad von Megenberg 409 beschreibt sie in Mittelhochdeutsch: Auch sint läut, die hinder sich gekêrt hend habent und an iedem fuoz aht zêhen, und gibt damit Thomas‘ von Cantimpré Liber de natura rerum III,5,8 recht genau wieder. QU: Honorius I,12. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,10.

208 Antipedes (lat., »Verkehrt-Füßer«) sind Menschen mit nach hinten

gekehrten Füßen. Sie werden häufig auch als vielzehig, meist mit acht Zehen pro Fuß (Plinius VII,22: In monte, cui nomen est Nulo, homines esse aversis plantis octonos digitos in singulis habentes auctor est Megasthenes) beschrieben (vgl. dazu aber die ➻ Polydactyles) und im Mittelalter sehr oft mit den ➻ Antipoden vermischt und verwechselt. Ez sint auch läut, die habent die versen an den füezen her für gekêrt, beschreibt sie Konrad von Megenberg 490, ohne sie beim Namen zu nennen, aber Hartmann Schedel bezeichnet sie nach Plinius als ➻ Abamiron. Die altfrz. Allegorese deutet sie als falsche Ehrenmänner, die in Wirk­lichkeit Diebe sind (Liber de monstruosis hominibus orientis v. 401 – 52), Johannes Bischof (ÖNB Cod. 2827, f. 252rb) dagegen erkennt in ihnen, wenn auch ohne Namensnennung, diejenigen, die von den acht Seligkeiten direkt in die Hölle springen: Von den ersten spricht ysidorus di °vj daz in lybia lewt sind, die haben hinderwertes fuezz Nach den waden und haben acht tzehen. QU: Solinus 52,26 ; Liber monstrorum I,29 (ohne Namensnennung); Thomas von Cantimpré III,5,9; Jacobus de Vitriaco 92, 213; Rudolf von Ems: Weltchronik v.  1574 – 78. Antipodes (Antipoden, Gegenfüßler), sind eigent­lich die Bewohner der Europa gegenüber

liegenden Bereiche der Erdkugel. So werden sie seit Macrobius (Commentarius in Somnium Scipionis II,5, ohne Namensnennung), Isidor IX,ii,133, dem Liber monstrorum I,53 und später immer wieder korrekt wiedergegben, selbst bei Jean de Mandeville und seinen Übersetzern e

e

(etwa bei Velser 114 f.: die da sind ge­lich in dem mittemtag die halten it fu ß wider fu ß die da sind in septemtrione.) Andererseits werden die Antipoden – und dafür ist eine andere Stelle bei Isidor XI,iii,24 verantwort­lich – immer wieder als Antipedes missverstanden, so etwa im Summarium Heinrici III,9,331 und in Vinzenz’ Speculum naturale 31,127: Antipodes in Lybia plantas versas habent post crura, & octonos digitos in plantis. Die moralisatio im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 453 – 482 deutet sie (wegen der »Verkehrtheit«) als ver­ stockte Sünder, deren Leben völlig verkehrt läuft. QU: Plinius VII,11; Augustinus XVI,8; Isidor XI,3 u. 24, XIV,5,17; Hrabanus Maurus VII,7; Lambert von St. Omer fol. 53r; Honorius I,12; Gervasius III,45; Bartholomäus Anglicus XVIII,46; Thomas von Cantimpré III,5,9; Vinzenz: Speculum historiale I,92 u. Speculum naturale XXXI,127; Mappa Mundi des Ranulph Higden: Miller III,105; Konrad von Megenberg, 490. LIT: Boffits, 583 – 601; Flint, 65 – 80; Gilbert, 478 – 503; Lecouteux: Les Monstres, II,11 u. III,15,31; Simek: Erde, 14,53,71,114. Apfelriecher ➻ Astomes (I)

209 Arhines (griech., »Nasenlose«) sind ein asiatisches Volk ohne Nasen.

Mög­licherweise geht die Vorstellung auf die flachgesichtigen Men­ schentypen der Monogolei und Chinas zurück. Seit Plinius gibt es drei Traditionen von Nasenlosen: einmal erwähnt er (VII,25) unter Hinweis auf Megasthenes das indische Volk der ➻ Sciritae, das nur Nasenlöcher, aber keine Nasen hat; es heißt bei Strabo auch ➻ Amyc­ terae; ein weiteres nasenloses und völlig flachgesichtiges Volk, das wie die ➻ Astomes (II) seine Nahrung nur durch einen Strohhalm aufnehmen kann, führt Plinius in Äthiopien (VI,188) auf; das dritte Volk, ebenfalls in Äthiopien (VI ,187), wird nicht weiter charakterisiert. Ohne Namennen­ nung kommen sie bei Mandeville vor, der allerdings das Bild variiert: den ist daz andlit aller e

ding flach, und hond kain mund, wann da in der mund sol sin, da hond sie zway klaine lo cher. (übersetzt durch Velser 125). In den Gesta Romanorum werden die Arhines allegorisch als Menschen ohne Unterscheidung für Gut und Böse gedeutet (cap. 175). QU: Solinus 30,12; Isidor XI,3,18; Hrabanus Maurus VII,7; Summarium Heinrici III,9,338; De monstris hominum v. 13 f; Vinzenz: Speculum naturale XXXI,127 (ohne Namensnennung), Speculum historiale I,92; Bartholomäus Anglicus XVIII,46; Psalterkarte: Miller III,42; Ebstorfkarte: Miller V,60; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,105; Hartmann Schedel, Bd. 11 u. 12. LIT.: Zajadacz-Hastenrath, 793; Lecouteux: Les Monstres, II,12 u. III,7. Arimaspi sind ein Volk von Einäugigen. Sie wohnen im Norden Asiens am Ripheischen

Gebirge (Plinius VII,9 f.; Solinus 15,20 u. 23; Martianus Capella VI,663, bei Letzterem ganz ohne Eigenschaften) und sind im Gegensatz zu den ➻ Cyclopes keine Menschenfresser. Doch bereits bei Thomas von Cantimpré werden sie zugleich mit den Cyclopen behandelt (Liber de natura rerum III,5: Hominum alii sunt ibi monoculi, qui Arismaspi et Cyclopes nominantur, in media fronte unum oculum habentes). Laut Solinus kämpfen sie mit Steinen gegen die dort wohnenden Greife, ihr Land ist der Herkunftsort der Smaragde. Nur im Herzog Ernst v. 4505 wird der Name Arimaspi für das Land (statt das Volk) verwendet, dessen Bewohner dann genauer als Cyclopes (oder deutsch ➻ Einsterne) bezeichnet werden, vgl. auch Vin­ zenz: Speculum naturale XXXI,127: Arimaspi gens circa Cliteleon posita, monoculi gens est. Die Thomas von Cantimpré folgende altfranzö­sische Versbearbeitung des Liber de monstruosis hominibus orientis (v. 719 – 776) nutzt einen eigenständigen Zusatz über die Gefräßigkeit dieses Volkes zu einer Allegorese, in der sie mit dem hohen Klerus verg­lichen werden, der sich ebenfalls durch Völlerei hervortue. Ob die ebenfalls einäugigen ➻ Patbari bei ­Johannes Bischof nur eine Verbalhornung der Arimaspi sein soll, ist unsicher, seine Allegorese verweist

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darauf, dass das fehlende Auge auf das Himmelreich gerichtet sein sollte, sie aber sehen nur die irdischen Dinge. QU: Plinius VII,9 f; Solinus 15,20 u. 23; Pomponius Mela II,2; De situ orbis 57u. 60; Adam von Bremen IV,19; Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50r (Arismaspy); Pseudo-Ovid Nr. 61; Gervasius von Tilbury II,3; Vinzenz: Speculum historiale I,93; Volksbuch Lucidarius 109,17 f. LIT: Szklenar, 165 ff; Lecouteux: Les Monstres, II,18. Arimphäi werden bei Plinius als Anwohner der Riphaeischen Berge, also im äußersten Norden

Asiens erwähnt (Plinius VI,19), daher scheinen sie auch mit den Hyperboräern gleichgesetzt zu werden (vergleichbar den Ariphaei bei Martianus Capella VI,665). Ob es sich dabei um ein wild lebendes Wundervolk handelt, ist nicht ganz klar, jedenfalls hausen sie im Wald und ernähren sich von Beeren (Plinius VI,34 f ). Auch Solinus erwähnt ihre Friedliebigkeit und dass sie alle Zierde so verschmähen, dass sich Männer wie Frauen das Haupthaar scheren (Solinus 17,3), wie Martianus Capella VI,665 beschreibt er sie ausschieß­lich als Nachbarn der Hyperboräer; Martianus ergänzt noch, dass sie so friedliebend seien, dass alle mög­lichen Menschen zu ihnen fliehen würden. LIT: Thallner, 9. Arpeleus heißen die ➻ Astomes (II ) nur im altfrz, Liber de monstruosis hominibus orientis. Artibatirae (auch Artabatites) sind ein äthiopisches Volk, dessen Mitglieder wie wilde Tiere und

nackt auf allen Vieren dahinkriechen und nicht älter als 40 Jahre werden. Sie gehören seit Pli­ nius VI,195 zum Kanon der Wundervölker (Arthabatitae quadrupedes, ferarum modo vagi, »die vierbeinigen, nach Art wilder Tiere herumschweifenden Arthabatitae«), über Solinus 30,8 und Isidor XI,3,20 werden sie dem Mittelalter vermittelt. Erst dann tritt die beschränkte Lebensdauer von 40 Jahren hinzu, vgl. Vinzenz: Speculum naturale XXXI,127: Hirthabacitæ in Æthiopia proni vt pecora ambulare dicuntur. Quadragesimum enim annum nullus supergreditur, »Die Hirtata­ bacitae sollen in Äthiopien wie das Vieh herumziehen, und keiner überschreitet das 40. Jahr.« Mandeville (übersetzt durch Velser 118) trennt sie deut­lich von den Ichthyophagi, doch in der Druckfassung werden die beiden Völker miteinander vermischt: Und do ist auch ein ander volck daz gat auff hend und auff füssen. Und einest in dem iar alle die visch die in dem wasser seind die gangen an das gestadt und das volck mag jr nehmen als vil sy wöllent. Mit Allegorese und ausnahmsweise fast korrekter Namensnennung kommen sie um 1400 bei Johannes Bischof vor: Die sind in Ethiopia und sie hezzent Arthabatire Sie sind chlain und gent auf allig vieren als daz vieh […] die mit welt­lich und irdisch sach ir herz beschwerent, wie sie reichtum und ander ding erwerben, ob mit recht oder mit unrecht (ÖNB Cod. 2827, fol. 252va-b). QU: Hrabanus Maurus VII,7; Lambert von St. Omer fol. 53r (Artobagyte); Summarium Heinrici

211 III,9,325; Ebstorfkarte: Miller V,55; mhd. Wiener Genesis 654, Millstädter Genesis 26,10 (beide ohne Namensnennung), Reinfried von Braunschweig 19689 ff. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,13 f.; Friedman, 11. Artobagyte werden die ➻ Artibatirae bei Lambert von St. Omer, Liber floridus (fol. 53r, auf

50v Artopagite) genannt. Assipiti (oder Ussipetes), Hundsköpfige, waren laut Paulus Diaconus (Historia Langobar-

dorum I,11) ein Volk von ➻ Cynocephales in Europa. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,22. Astomes (I) (griech., »Mundlose«, auch Astomi), auch Apfelriecher

genannt, sind ein Volk ohne Mund. Die Astomes sind wohl ursprüng­ lich aus griechischer Umdeutung des Namens des indischen Volkes der Asthami entstanden (vgl. Plinius VII,25) Auch in der ma. Tradi­ tion sind sie ein mundloses indisches Volk, das am Ganges lebt und sich vom Geruch von Äpfel ernährt, wobei oft nur in Reduktion der Stelle bei Plinius gesagt wird, dass sie von durch die Nase eingeat­ meten Gerüchen leben; bei Mandeville (übersetzt durchVelser 169), sind sie namenlos, von pygmäischem Wuchs und leben in Puthany/ Puchany. Die Allegorese im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis deutet das Riechen am Apfel als unzureichend für alle Sünder, wogegen der Genuß dieses Apfels (d. h. das Gotteswort in der Predigt) zum ewigen Leben führt. QU: Plinius VII,25; Solinus 52,30; Liber Monstrorum (I,21) (ohne Namensnennung); Thomas von Cantimpré III,5; altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  851 – 902; Vinzenz:Speculum naturale XXXI,128 (ohne Namen); Volksbuch Lucidarius 109,26 ff. LIT: Bohlen, I, 265; Hosten, 291 – 301; Lecouteux: Les Monstres, II,12 u. III,17,29; Friedman, 11 pass. Astomes (II), Strohhalmtrinker, sind Menschen mit so kleinem Mund,

daß sie sich nur mittels eines Strohhalms von Flüssigkeiten ernäh­ ren können: Ez sint auch läut, di sô klein münd habent, daz si neur mit aim klainen halm saufendz dinch in sich ziehent und anders niht ezzent (Konrad von Megenberg 490). Wie die Apfelriecher (➻ Asto­ mes I) werden auch sie von John of Mandeville (Diemeringen II,14: Hg. Bremer u. Ridder 311) als zwergwüchsig beschrieben, leben auf

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der Insel Dondin, haben keine Sprache und verständigen sich mit Gesten. Die Gesta Romanorum deuten sie als Beispiele für Genügsamkeit, ebenso die altfrz. Versbearbeitung im Liber de monstruosis hominibus orientis v. 521 – 548, die außerdem noch wesent­lich erweitert: Das (nur hier) Arpeleus genannte Volk ist stark und flink und fromm, in Büffelfelle gekleidet und wird 200 Jahre alt. Die Allegorese bei Johannes Bischof (ÖNB Cod. 2827, fol. 254rb), der keinen Namen für sie nennt, sondern sie nur beschreibt, interpretiert sie etwas kryptisch als die jeni­ gen Sünder, die zwar schweigsam sind, aber andere dennoch durch ­Zeichen andere verraten. QU: Plinius VI,188; Isidor XI,3,18; Hrabanus MaurusVII,7 Augustinus XVI,8; Liber monstrorum I,21; Summarium Heinrici III,9,340 f.; Jacobus de Vitriaco 92, 213; Bartholomäus XVIII,46; ­Thomas von Cantimpré III,5,11; Psalterkarte: Miller III,42; Ebstorfkarte: Miller V,60; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,105; Konrad von Megenberg, 490; Volksbuch Lucidarius 109. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 789 f. Atgyle (bei Plinius V,26 f. und Solinus 31,4: Augyle, Augilae) sind afrikanische Teufelsanbe­

ter (Augile inferos tantum colunt). Sie werden äußerst selten erwähnt und leben laut Plinius zwischen Äthiopien und der Großen Syrte (V,26 f.) sowie zwischen Garamanten und Trogo­ dyten (V,45). Im Anonymi de situ orbis libri duo (II,1 und 3) wird im Anschluss an Solinus ergänzt: feminas suas primis noctibus nuptiarum adulteris cogunt patere, mox ad perpetuam pudiciciam legibus stringunt severissimis, »Während sie ihre Frauen die erste Nacht der Ehe für ehebrecherisches Treiben offenzustehen zwingen, binden sie sie bald durch sehr strenge Gesetze zu dauernder Keuschheit.« QU: Martianus Capella VI,673; Lambert von St. Omer fol. 50v. LIT: Lecouteux: Les Monstres, III,25. Atlantes sind nur bei Martianus Capella VI ,673 ein zentralafrikanische Volk, das eine son­

nenverbrannte Wüste bewohnt; als Wundervolk werden sie nur deswegen bezeichnet, weil sie keine Namen tragen und die Sonne verfluchen. Attageny sind nur bei Lambert von St. Omer, Liber floridus (fol. 50v), ein Wundervolk des

hohen Nordens und werden den Farusi nahegestellt, die bei Martianus Capella noch in Afrika hausen (VI,674). Lambert verwechselt sie seiner Beschreibung nach, derzufolge sie Großohren sind, offenbar mit den Panoti. Da seine Quelle aber Martianus Capella ist, stellt sich die Frage, ob er die Attageny aus dem skythischen Attacenus sinus (oder Attacorus sinus (VI,693) des Martianus gebildet hat oder aus dem näher an den Pharusi genannten Volk der Aegipanes (VI,674). LIT: Lecouteux: Les Monstres, III,25.

213 Augyle ➻ Atgyle Azachaei sind offenbar Elefantenesser. Bei Solinus 30,5 sind sie ein Volk in Äthiopien, das

die bei der Jagd erlegten Elefanten (roh?) isst, wohingegen Plinius VI,192 nur sagt, dass sich die Asachae von Elephanten ernähren, sodass hier wohl nicht von einem echten Wundervolk zu sprechen ist; auch finden sich keine mittelalter­lichen Quellen dafür. Bärtige (lat. barbosi homines) nennt der Liber monstrorum (I,18) die Fischesser und Wasser­

trinker im Osten, die mit Bärten bis zu den Knien beschrieben und die in De rebus in Oriente mirabilibus als ➻ Homodubii bezeichnet werden. Bärtige Frauen ➻ Frauen mit Bart Bauchlose ➻ Kopffüßler Behaarte ➻ Pilosi Behaarte Frauen ➻ Frauen mit Behaarung Berbioletes sind fabelhafte indische Wesen. Sie kommen nur bei Chrétien de Troyes (Erec et

Enide 6732 ff.) vor, der sie wohl selbst erfunden hat. Sie leben von Fisch, Zimt und Gewürznel­ ken und sind noch dazu vielfarbig: Die Köpfe sind hell, der behaarte Körper auf der Bauch­ seite schwarz, der Rücken aber rot und der Schwanz blau. Daraus könnte man schließen, dass sie tierischer und nicht mensch­licher Natur sind, aber das wird nicht ganz klar. Jedenfalls scheint sich hier Chrétien über die Fabelwesen lustig zu machen. Bithiae nennt Plinius (VII ,16 – 17, unter Berufung auf Isigonus, Apollonides und Phylarchus)

ein Volk von Frauen, die in jedem Auge zwei Pupillen und daher offenbar einen durch­ dringenden Blick haben. Von Solinus, der es übernimmt, wird es im Mittelalter wenn auch nur vereinzelt rezipiert, etwa bei Vinzenz: Speculum historiale I,93 und Speculum naturale (XXXI ,124: Solinus: Appollonides perhibet in Scythia foeminas nasci, quæ Bithiæ vocantur, hasque in oculis pupillas habere geminas, & perimere visu, si forte iratæ aliquem aspexerint, hæ sunt & in Sardinia, »Solinus [schreibt:] Appollonides behauptet, das in Skythien Frauen geboren werden, die in den Augen doppelte Pupillen haben und einen stechenden Blick, wenn sie wen zornig anblicken, und die gibt es auch in Sardinien.«). LIT: Zajadacz-Hastenrath, 739 – 816.

214 Blemmyae sind die wichtigste Gattung der Acephales (Kopflosen);

sie haben Nase, Mund und Augen auf der Brust (auch Sternophtal­ mes: Lecouteux: Les Monstres, II,5), während andere von ihnen, die auch ➻ Epiphagi genannt werden, die Augen auf den Schultern tragen (auch Omophtalmes). Die Blemmyae treten von der Antike bis zur Frühen Neuzeit auf und gehören zu den beliebtesten mittelalter­lichen Wundervölkern; ihr Name wird auch als Blemmiae, Blemyes, Lem­ niae, Lempnatae, Leucani, Lemne, Lamane und Belenni wiederge­ geben. Schon Ktesias und Megasthenes erwähnen Acephales, wenn auch Strabo: Geographica I,2,35 u. VII,2,6, sowie Aulus Gellius: Noctes Atticae IX,4,9, Zweifel an ihren Berichten anmelden. Auf Plinius geht die feinere Unterscheidung der Acephalen in Blemmyae (V,44 u. 46) und Epiphagi zurück, Erstere siedelt er in Äthiopien an, Letztere, die er Ktesias von Knidos entnommen hat, ohne ihren Namen zu nennen, in Indien (VII,23). Darin folgen ihm Solinus: Collectanea 31,5, und Pomponius Mela: De situ orbis I,8,48, dage­ gen werden bei Martianus Capella VI,673, Augustinus, Isidor XI,3,17 und Hrabanus Maurus zwar beide beschrieben, aber als Blemmyae in Libyen zusammengefasst. Ihr Aussehen wird trotz des geringfügigen Unterschieds zwischen Epiphagi und Blemmyae ziem­lich stereotyp beschrieben und dargestellt, nur bei John of Mandeville werden sie mit dem interessanten Zusatz versehen, einen hufeisenförmigen Mund zu haben, und diese Information wird auch in den Abbildungen rezipiert: In dem land Dondin vindet man lüte die kein houpt hand vnd stand inen die ougen an den achslen vnd der vff der brust hand sie einen mund der ist gestalt als ein roß ysen. (Diemeringen II,14: Bremer und Ridder 310; vgl. auch Michel Velser 125) Die phantasievollste Ausgestaltung erfahren sie in der Otia imperialia des Gervasius von Tilbury (III,75; etwas nüchterner auch II,3), in der sie 12 Fuß groß und 7 breit sind und einen goldfarbenen Körper haben. Obwohl die Blemmyae zu den verbreitetsten Wundervölkern gehören und wiederholt auch in den Kalkmalereien dänischer und schwedischer ­­Kirchen vorkommen, findet sich nur bei Johannes Bischof eine einzige Allegorese für diese kopflosen Wesen, die sich doch leicht angeboten hätte. Aber nur bei Johannes Bischof finden sie tatsäch­lich Erwähung, obgleich er ihren Namen schwer verbalhornt wiedergibt (ÖNB Cod. 2827, fol. 254ra): Von den sibenden die haissent Lamphitie und sind viehleich lewt Als der lerer spricht […] Die habent chain haubt nicht noch chainen hals und habent iere augen an den achseln und iren mund an dem hertzen, und sie ausschließ­lich als die Verbitterten deutet, die darüber die vernünftige Ein­ stellung verlieren und nur mehr schlecht denken. Trotz mehrerer Mög­lichkeiten für eine Herleitung der Acephalen aus realen Gebräuchen, etwa aus den bemalten Schilden nordafrikanischer Berberstämme, wenn nicht gar aus den

215

acephalen Missgeburten, darf nicht übersehen werden, daß Mythen und Sagen von kopflosen Menschen in Europa und dem nahen Osten seit der Antike weit verbreitet sind. Diese gehen wenigstens zum Teil auf den Glauben an Wiedergänger zurück, dieser wiederum manifestierte sich in zahlreichen archaischen Kulturen (nicht zuletzt im germanischen Bereich) im Brauch, Verbrecher, aber auch andere Tote, mit getrenntem Schädel zu bestatten bzw. den Rest des Körpers zu verbrennen. Ursache für den Volksglauben von kopflosen Menschen im Wilden Heer dürften Funde derartig diskriminierend bestatteter Leichen sein.- In der germanischen Mythologie findet sich zwar kein kopfloser Gott, aber ein Kopf ohne Körper (Mímir), und Parallelen in der altägyptischen Religion lassen hier Vergleiche mit dem kopflosen Gott Osiris zu, der alljähr­lich durch einen schwimmenden Kopf wiederbelebt wurde. QU: Solinus 31,5; Martianus Capella VI,673; Honorius I,12; Lambert von St. Omer fol. 50v; Thomas von ­Cantimpré III,5; Vinzenz von Beauvais I,92; Bartholomäus Anglicus XV,52; Jacobus de Vitriaco 92, 217; Isidor versificatus II,1 u. 3; Ulrich von Eschenbach v. 25091 ff.; Armer Seyfrit v.  6829 – 43. LIT: Friedman, 12,145 f.,178 f.; Dieck, 7 – 9; Lecouteux: Les Monstres, II,5 – 7u. III,25; Petzold, 13 f. u. Abb. 1; Pradel, 37 – 41; Preisendanz. Brachystomi (griech., »Kleinmündler«) ist ein erst bei Aldrovandi und Schott belegter

neuzeit­licher Begriff für die ➻ Astomes (II). LIT: Zajadacz-Hastenrath, 790. Bragmani (auch Bragmanes, Bragmani, Brahmanes) sind in der gesamten Überlieferung

nackte weise Höhlenbewohner mit einem König und gehen auf die indischen Brahmanen zurück. Die Bragmani gehören zu den ältesten Wundervölkern und werden wie die Gymno­ sophisten durch Megasthenes an Plinius (VI ,64: Bragmanae) vermittelt, der als Erster die Bezeichnung dieser hinduistischen Priesterkaste in Europa überliefert. Frühe Begegnungen mit den Brahmanen liegen vermut­lich ihrer Beschreibung in den Alexanderdichtungen zu Grunde. In der Alexandertradition sind die Bragmani eines der wenigen Völker, das Alexander nicht militärisch, sondern mit philosophischer Argumentation gegenübertritt; der Briefwech­ sel Alexanders mit dem König Dindymus weist auf ihre Gewaltlosigkeit, Bedürfnislosigkeit und Askese hin. In einigen Texten werden die Bragmani mit den ➻  Gymno­sophisten gleich­ gesetzt als im Feuer stehend sowie in die Sonne starrend beschrieben.Tatsäch­lich sind die Brahmanen im indischen Kastensystem die Angehörigen der obersten, priester­lichen Kaste. Von ihnen werden in den hinduistischen religiösen Schriften besondere Charaktereigenschaf­ ten gefordert, darunter Glaube, Wissen und Weisheit, aber auch heitere Ausgegeg­lichenheit, Selbstbeherrschung, Askese, Reinheit, Nachsicht und Aufrichtigkeit (Bhagavadgita 18. 42).

216 QU: Thomas von Cantimpré III,4; Julius Valerius 120,6; Historia de Preliis (Kap.  98 – 102: Briefwechsel Alexanders mit Dindimus, König der Brahmanen); Jacobus de Vitriaco 92, 213, altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  153 – 192; Honorius, Imago mundi (I,11, hier gemeinsam mit den Agroctas); Gervasius von Tilbury II,3; Ulrich von Eschenbach v. 22394 ff. LIT: Becker, 3; Friedman, 164 – 177; Steinmann. Bucanheafdum (altengl., »Bauchköpfige«), Kopflose, werden im alteng­lischen Codex Cotton

Tiberius B. V aus dem 11. Jahrhundert die Blemmyae bezeichnet. LIT: McGurk, 88 – 103. Bucklige (Bucklige Zwerge) kommen in Thomas‘ von Cantimpré Liber de natura rerum III ,5

und den auf d ­ iesem beruhenden Texten vor, etwa dem altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1281 – 1318, vor. Hier wird das Ducart genannte Volk zudem als wild und kämp­ ferisch beschrieben, dennoch ist es in Kämpfen gegen normale Menschen unterlegen. Von Thomas wird dieses Volk auch in das Speculum naturale XXXI,127 des Vinzenz von Beauvais übernommen: Sunt & homines quidam tantas in dorso strumas habentes, quod quicquid in augmentum corporis cedere debet gibbus absorbeat, & ob hoc parui sunt velut nani, »Es gibt auch Menschen, die haben einen ­solchen Buckel, dass sie von der Nahrung des Körpers ­diesem Buckel soviel abgeben müssen, dass sie davon klein sind wie Zwerge.« In der Über­ tragung des Thomas durch Konrad von Megenberg, dem ein kürzerer Text vorlag, werden sie nicht angeführt. Nur die altfrz. Fassung bietet eine Allegorese (v. 1301 – 18), und zwar mit der interessanten These, dass Überheb­lichkeit und Unterdrückung meist von den häss­licheren Menschen herrührt, die vielleicht von diesen Ducart abstammen. LIT: Hilka, 18. Burgundische Frauen mit Kropf finden sich erstmals im Liber de natura rerum III,26 des

Thomas von Cantimpré: In quibusdam regionibus et maxime in extremis Burgundie partibus circa Alpes quedam sunt mulieres, guttur magnum usque ad ventrem protensum tanquam amphoram seu cucurbitam amplum habentes, »In dieser Gegend und besonders in den nahe den Alpen gelegenen Regionen Burgunds gibt es Frauen, die einen großen Kropf bis zum Nabel wie eine Amphore oder einen großen Kürbis haben.« Ganz ähn­lich zitieren Vinzenz im Speculum naturale XXXI,124 in Latein und und Konrad von Megenberg 493 f. in Deutsch diese Stelle, überraschenderweise ohne jeden Kommentar, obwohl dieses Wundervolk das einzige ist, das Konrad für eine bekannte Gegend Europas verzeichnet und das zudem auf einer rea­ len körper­lichen Missbildung beruht: Ez sint in etleichen landen und allermaist an dem end in Burgunden pei dem geperg etleich frawen, die sô grôz kröpf habent, daz si sich streckent unz auf

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den nabeln, und der kropf ist samt ain kruog oder sam ain kürbiz. Die Allegorese im altfranz. Liber de monstruosis hominibus orientis (v. 1263 – 80) deutet sie als Frauen mit böser Zunge. Die Überlieferung von den Kröpfen der Savoyer oder der Alpenbewohner findet sich bereits im Homo bene figuratus des Vitruv (1. Jh. v. Chr.) und den Satiren XIII,15 des Juvenal: Quis tumidum guttur miratur in Alpibus, »Wer wird über der Kropf in den Alpen sich wun­ dern?« (1. Jh. n. Chr.) Die Vorstellung geht auf tatsäch­liche Erscheinungen von Jodmangel bei den Alpenbewohnern zurück, wird aber in der Antike auf Eigenschaften des getrunke­ nen Wassers zurückgeführt. QU: Jacobus de Vitriaco 92, 217; Walter von Metz p.134. Campasantes (Gamphasantes; auch Iampasantes) sind seit Plinius V, 44 f. ein Volk von

nicht näher spezifizierten nackt kämpfenden Menschen in (West-)Afrika: Gamphasantes, nudi proeliorumque expertes, nulli externo congregantur, »Die Gamphasantes, nackt und an Kämpfe gewohnt, haben keinen Umgang mit anderen.« Die ohnehin wenig aussagekräftige Stelle, an der Plinius die Gamphasantes in eine Reihe mit Aegipanas semiferos et Blemmyas et Gamphasantas et Satyros et Himantopodas stellt – ohne diese Einordnung wären sie kaum als Fabelrasse zu apostrophieren –, hat Martianus Capella zwar übernommen, sein mittelalter­ licher Kommentator Bernardus Silvestris findet die Stelle jedoch keines Kommentars für wür­ dig; Martianus Capella VI,674 beschreibt sie ebenfalls als nackt, fried­lich und abgeschieden lebend (Gamphasantes nudi et imbelles externis nunquam miscentur). QU: Lambert von St. Omer fol. 50v; Isidor versificatus II,3. LIT: Lecouteux: Les Monstres, III,25. Canaan (mhd., nach dem Land Canaan in Palästina) ist im Herzog Ernst ein riesenhaftes

Volk (auch einfach als Risen bezeichnet), das das Volk der Einsterne bedroht und dem Ernst beisteht (v. 5013 ff ). Da die Einsterne, also die einäugigen Zyklopen der antiken Tradition, als normalwüchsig beschrieben werden, dürfte der Verfasser die Attribute der traditionellen Zyklopen auf die beiden hier miteinander verfeindeten Volker aufgeteilt haben, Einäugigkeit einerseits, Riesenwuchs und Bewaffnung andererseits, das Volk mit d ­ iesem Namen kommt nur bei ihm vor. LIT: Szklenar, 168. Canafales, heidnische Hundsköpfige. So heißen in der mittelhochdeutschen Übertragung

des Mandeville (Velser 121) die Cynocephales; sie wohnen auf der Insel Vacanera und ver­ e

ehren einen Stier: Die lút in der selben ynsel, wib und man, hond alle hundes ho pter, und sie e

haissent sich do rt Canafales, und ist beschaiden volck und wol verstandes. Und die bettent ainen

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ochsen an als iren gott. In den Druckfassungen finden sich davon kleinere Abweichungen, so heißen sie bei Velser auch Canocephalos und leben auf der Insel Macameron (Hg. Bremer u. Ridder 124), in der Übertragung des Diemeringen Cenophali auf Macamerion (Hg. Bremer u. Ridder 314 – 6). LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,26. Candiae ➻ Ophiophages Cannibalen ➻ Anthropophages Caudatae oder Caudiferes (I) (lat., »Schwanzträger«, aber im Mittelalter nicht als Name ver­

wendet) sind seit Plinius VII,30 ein indisches Volk von Menschen mit (behaarten) Schwän­ zen und von außerordent­licher Behändigkeit. Im Mittelalter werden sie offenbar meist mit den gehörnten Menschen, den Cornuti, gleichgesetzt und sind dann kaum mehr von Faunen und Satyrn zu unterscheiden. Im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  1141 – 1210 werden ausführ­lich die Hörner als mora­lische Auswüchse, die Schwänze als Sündhaftigkeit und das Hundegebell dieser Menschen – sie werden mit dem bei Thomas darauffolgenden bellenden Menschen verbunden – als ihre ketzerischen Ansichten interpretiert. Nicht zu verwechseln mit den geschwänzten Menschen sind die bei Mandeville zu fin­ denden Bewohner der indischen Insel Agnes, die auf den Holzschnitten wie Schwanzträger aussehen, aber de facto ihren Darm bis zu den Knien aus dem After heraushängen lassen, und zwar wegen der großen Hitze dort: vnd do ist als grosse hitz das den lewten der arschdarm außgat vnd un hanget biß auf die knye von grossen fluß wegen den sy gewinnen das sy von hücze als offt zestuol müssen geen. (vgl. auch Velser 104). QU: Plinius VII,30; Thomas von Cantimpré III,5; Ulrich von Eschenbach v. 22108 – 124 (ohne Namensnennung); Jacobus de Vitriaco 217; Vinzenz: Speculum naturale XXI,128. LIT: Baring-Gould, 146 f.; Zajadacz-Hastenrath, 791; Thallner, 15; Lecouteux: Les Monstres, II,14. [Caudiferes] (II) sind ein Volk von geschwänzten Frauen, das üb­licherweise in Indien, aber bei

Jacobus de Vitriaco (Historia Orientalis 92,217) auch in England (!) verortet wird. Die Epistola Premonis XXII erwähnt dagegen die Frauen im Osten, die 7 oder 13 Fuß groß sind und Schwänze haben, aus ­diesem Werk entlehnt auch Gervasius von Tilbury (Otia imperialia III,77) seine Informationen, zu der er noch die Behaarung und Eberzähne ergänzt; ➻ Frauen mit Behaarung. QU: Liber Monstrorum I,28. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,14.

219 Cenocephales, also Hundsköpfige, auch Cenocefales, Nebenform zu ➻ Cynocephales bei

Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50v, und auf der Ebstorfkarte. Cenodopes ➻ Skiapodes Cenodubii ➻ Homodubii, eig. ➻ Ichthyophages Cenonuli ➻ Healfhundingas Cenophali ist die Namensform der ➻ Cynocephales (Cenocephales) im Brief des Priester­

königs Johannes, als Cenofali finden sie sich in der mhd. Übersetzung des Jean de Mande­ ville durch Otto von Diemeringen, gedruckt in Basel 1481 (II,14), als Bewohner des indischen Landes ➻ Macameron, die ein Rind anbeten, sehr gottesfürchtig und zudem noch äusserst streitbar und tapfer sind; ➻ Canafales. Centauren ➻ Kentauren Chelenophagi ➻ Colonophagi Choromand(ar)es sind ein Volk von behaarten Waldbewohnern mit grünen Augen und

Hundezähnen (deswegen z. T. mit den ➻ Cynodontes gleichgesetzt), dessen Mitglieder keine richtige Stimme besitzen, sondern sich durch Kreischen verständigen (Plinius VII,24: Choromandarum gentem vocat Tauron silvestrem, sine voce, stridoris horrendi, hirtis corporibus, oculis glaucis, dentibus caninis). QU: Isidor XI,3,7 (ohne den Namen). LIT: Zajadacz-Hastenrath, 773; Thallner, 14. Ciclopides ➻ Cyclopedes. Cimmerii werden nur bei Martianus Capella VI ,665 als Bewohner des äußersten Nordens

der Welt genannt, ohne dass er irgend etwas über sie aussagt. Allein wegen ihres Wohn­ orts zwischen den Arimphäi und den Amazonen könnte man sie allenfalls als Wunder­ volk betrachten. Côâtras, ein indisches Volk, wird in der Weltchronik des Rudolf von Ems bei der Besprechung

Indiens als Wundervolk gemeinsam mit den Garmanen und Orestas, aber ohne Nennung bestimmter Eigenschaften, erwähnt. In der von Rudolf abhängigen Christherrechronik werden

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sie Takas oder Taackas bezeichnet, dabei dürfte es sich um einen Schreibfehler handeln, da ein ­solches Volk sonst nirgendwo aufgeführt wird. Als Quelle für diese Völker dient die Imago mundi I,11 des Honorius von Autun, der sie (ebenfalls gemeinsam mit den Garmanos und Orestas) offenbar in bewaldeten Hochgebirgen Nordindiens ansiedelt. LIT: Simek: Wundervölker, 37 – 44: 38 f. Collitrices werden in einer Auflistung von Wundervölkern in einer Marginale bei Lambert von

St. Omer: Liber floridus fol. 50v genannt, auf ­welches Volk sich der Name bezieht, ist jedoch unklar. Dass es sich um einen Schreibfehler handelt (Collatrices, der weibl. Pluralform von Kollator, einem Pfründeinhaber), ist in dem Zusammenhang eher auszuschließen. Mit den Collitriches aus der Biologie dürfte jedenfalls kein Zusammenhang bestehen. Colonophagi (eig. wohl Chelenophagi), Schildkrötenesser, kommen schon bei Plinius V,138

u. VI,38 vor, der diese Information vermut­lich von Agatharchides von Knidos (4. Jh. v. Chr.) bezieht, und werden über Solinus im Mittelalter nur im Speculum naturale XXXI ,132 des Vinzenz rezipiert: Colonophagi non alia quam testudinum carne viuunt, »Sie leben von nichts anderem als dem Fleisch der Schildkröten«. Comani sind ein Volk, das sich von rohem Fleisch und Pferdeblut ernährt, erscheinen aber

nur bei Thomas von Cantimpré III ,5 und den auf ihm beruhenden Texten: Ez sint läut, die haizent Comani, die ezzent rôhz flaisch und trinkent pfärdspluot (Konrad von Megenberg 492). Im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1403 – 40 werden sie einerseits als Menschen, die ihren fleisch­lichen Gelüsten ausleben, andererseits als diejenigen, die unter den eigenen Freunden Zwietracht säen (Letzteres wegen der Unnatür­lichkeit des Verhal­ tens), interpretiert. LIT: Thallner, 24. Conopoenas, Hundsköpfige, heißen die ➻ Cynocephales in einer Fassung der Epistola

Premonis XIV und in der altengl. Fassung im Codex Cotton Tiberius B. V des 11. Jh., dabei werden sie mit den Kentauren verwechselt und ihnen werden Pferdemähnen angedichtet; ➻ Healfhundingar. In anderen Fassungen (Hs A und C) der Epistola Premonis heißen sie ➻ Equinocephali oder Quinocoephali. Cornuti (lat., auch homines cornuti, »Gehörnte«), sind Menschen mit kleinen Bockshörnern

auf der Stirn, die laut Mandeville im indischen Reich des Priesterkönigs Johannes leben (Vel­ e

ser 155 ff.): Item in der selben wu stin da sind vil vilder lút, die redent núntz, die grinent als ain

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ber, und et­lich hond horn und sind gar ungeschaffen. Im Gegensatz zu diesen gehörnten wil­ den Cornuti werden die ebenfalls gehörnten ➻ Faune als klein und behaart, die ➻ Satyrn noch dazu als bocksfüßig beschrieben; Hörner haben auch die Menschen mit Schwänzen ➻ Caudiferes (I). Vgl. auch ➻ Hornfinnar, ➻ Gegetonen. QU: Priesterkönig Johannes: Zarncke 911, 950; Jacobus de Vitriaco 92, 217); Walter von Metz 134; Thomas von Cantimpré III,5; Vinzenz: Speculum naturale XXXI,128 (vgl. oben unter Caudatae); Konrad von Megenberg 493 (ander läut, die heten hörner); Reinfried von Braunschweig v. 19338 ff.; Göttweiger Trojanerkrieg v. 16069 ff. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,90 f.; Friedman, 16 f. Cornuti Finni ➻ Hornfinnar. Cubitales (lat., »Ellenlange«) ist eine abweichende Bezeichnung für die ➻ Pygmäen, die

zudem acht Zehen an den Füßen haben. Der Name erscheint nur bei Ratramnus von C ­ orbie im Zusammenhang mit den ➻ Anticaudae »Gegenschwänzler« in seiner Epistola de Cynocephalis: vel alia plura, quae longum est commemorare, ut Pigmei, Anticaudae, quorum aliis Cubitalis dicitur inesse statura corporis, aliis plantarum convenio post crura, et in plantis octoni digiti, »oder noch andere langen Angedenkens, die als Pygmäen, Anticaudae, anders von ellenlanger Körpergröße bezeichnet werden, andere, die Fussohlen hinter die Schenkel gewandt, und an den Sohlen acht Zehen« (PL 121, Sp. 1155). Cyclopedes oder Cyclopides (»Radfüßler«) sind aus einer Vermischung von Zyklopen

und Skiopoden entstanden, bei Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50v sind sie Ciclopides verschrieben. So beschreiben Thomas von Cantimpré und die auf ihm beru­ henden Texte die Cyclopedes als menschenfressende, einäugige Riesen, die Blut trinken; nach Konrad von Megenberg 492 leben sie in dem land Sicilia, dâ der perch Ethna prinnet, wodurch sie eindeutig mit den Zyklopen zu identifizieren sind. Der altfranzös. Liber de monstruosis hominibus orientis ergänzt, dass sie Lenden- und Bruststücke beim Menschen bevorzugen und schwere Waffen und Schilde führen. In Ulrichs von Eschenbach Alexander v. 25073 – 90 haben sie nur eine Hand, ein Bein und ein Auge. Von einer tatsäch­lichen Sichtung dieser Melange zweier Wundervölker berichtet Johann de Plano Carpini in seiner Historia Mongalorum VI ,274, in der er sich auf ruthenische Kleriker am Hof des mongo­ lischen Großkhans beruft. Auf einem Kriegszug zwischen Kirgisen und Armeniern »tra­ fen sie, wie uns als gewiß versichert wurde, auch einige sonderbare Geschöpfe an, ­welche zwar Menschengestalt, aber nur einen Arm mit einer Hand mitten auf der Brust und nur einen Fuß hatten; immer zwei von ihnen zusammen waren im Stand, mit einem Bogen zu

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schießen und sie liefen so schnell, daß kein Pferd ihren Spuren folgen konnte. Ihr Laufen bestand näm­lich darin, daß sie auf ­diesem einen Bein hüpften, und wenn sie durch diese Gangart ermüdet waren, so liefen sie auf Hand und Fuß, indem sie gewissermaßen ein Rad schlugen; Isidor nannte sie deswegen Cyclopeden (Radfüßler). Und wenn sie müde waren, liefen sie wieder in der früheren Weise (auf einem Fuß).« Dazu ist zu vermerken, dass sie weder von Isidor erwähnt noch vor dem 12. Jahrhundert an anderer Stelle belegt sind, Vinzenz: Speculum historiale XXXI ,16 aber diese Episode wiedergibt und somit in die enzyklopädische Literatur aufnimmt. QU: Lambert von St. Omer fol. 53r; Thomas von Cantimpré III,5; altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1441 – 74; Gervasius von Tilbury II,3; Johann de Plano Carpini, 155 f. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,19 (s. v. Monomanes); Thallner, 48; Zajadacz-Hastenrath, 773. Cyclopes (lat., griech. Kyklopes, Zyklopen, »Rundaugen«) sind die

einäugigen Riesen der antiken Tradition. In der griechischen Mytho­ logie sind sie die drei Söhne von Uranos und Gaia, die von Uranos in den Tartaros geworfen, aber von Zeus befreit werden, für den sie als Schmiede Donnerkeile und Blitze herstellen. In die erzählende Literatur finden sie Eingang durch den Cyclopen Polyphem, der seit der Odyssee des Homer (VI ,4 – 6, IX ,105 – 115, IX ,363 – 413) bekannt und durch Ovids Metamorphosen 13,750 – 897 weiter popularisiert wird. In der mittelalter­lichen Tradition werden sie – anknüpfend an die Odyssee – als menschenfressende Riesen angesehen und bei Isidor XI ,3,16 sogar als Agriophagiten, »Wildfleischfresser«, bezeichnet, wenngleich ihre Einäugigkeit das wesent­ lichere Kennzeichen bleibt. Darüber hinaus wird nur selten auf die antiken Mythen rekur­ riert, die von Isidor vorgegebene Ansiedlung in Indien ersetzt die ursprüng­liche in Sizilien und wirkt bis in die Enzyklopädik des Hochmittelalters nach: Cyclopes eadem India gignit, dictos Cyclopes, eo quod vnum habere oculum in fronte media perhibentur. Hi & Agriophagitæ nuncupatur, propter hoc quod solas ferarum carnes edunt, »Indien bringt auch die Cyclopen hervor, die deswegen Cyclopen genannt werden, weil sie ein einziges Auge auf der Stirn haben. Diese werden auch Agropagite genannt, weil sie nur das Fleisch von Wildtieren fressen« (Vinzenz: Speculum historiale I, 92 und Speculum naturale XXXI ,127 nach Isidor). Allerdings erwähnt Vinzenz wenigstens andernorts ihre sizilianische Herkunft (Speculum historiale I,82; Speculum naturale XXXI ,126 u. XXXII ,20) und beschreibt sie als Volk in den Wäldern am Fuße des Ätna, das größer gewachsen als die höchsten Bäume ist und sich vom Blut nährt. Isidor bleibt auch für das Spätmittelalter dominant, in dem die Cyclopes in Indien angesiedelt werden, laut Mandeville auf einer südasiatischen Insel namens Sandin

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(Velser 126, in der Übersetzung des Diemeringen heißt sie Dondin): Wann da ist ain ynsel, da sind rysen inn, und die sind gar grú­lichen ze senhen, und hond nun ain oug an der stirnen, und essent núntz wann flaisch und visch, und hond nit brot. Dagegen siedelt Konrad von Megenberg die Cyclopes (bei ihm fälsch­licherweise als Cyclopedes) in Sizilien an (492): Ez sint ainerlai läut in dem land Sicilia, dâ der perch Ethna prinnet, die habent neur ain aug under ainer gar scharpfen stirn ains schilts prait oder aines puklers prait, die haizent cyclopedes, die sint sô lanch, daz si über hôch päum aufgênt, die ezzent pluot. Nur im Summarium Heinrici III ,9,318 werden sie mit den ➻ Agriophagiten gleichgesetzt. Im Herzog Ernst treten die Cyclopes unter der deutschen Bezeichnung ➻ Einsterne auf (v. 4520) und werden als höfisches Volk von normaler Größe bezeichnet, nicht als menschenfressende Riesen. In der spätmittelalter­lichen isländischen Sagaliteratur erscheint zwar wiederholt ein menschenfres­ sender einäugiger Riese, der Polyphem entspricht, nicht aber sein Volk (Egils saga einhenda, Sigurðar saga þögla, Vilhjálms saga sjóðs). Die Allegorese sieht in den menschenfressenden Riesen hohe kirch­liche Würdenträger, die auch kein Erbarmen mit denen hätten, die ihre Macht beeinträchtigen wollten; für ­Johannes Bischof, der ihren Namen ausnahmsweise richtig wiedergibt, sind sie weniger konkret alle diejenigen, die ihren Blick nur auf Irdisches richten und das Himm­lische missachten (ÖNB Cod. 2827, f. 253ra). Andere Name für die Cyclopes in der mittelalter­lichen Literatur sind Arimaspes und Monoculi, in der mittelhochdeutschen Fassung des Briefs des Priesterkönig Johannes heißt das Volk sogar Mux (Zarncke 911,957,960: v. 311 ff, 997: v. 218 ff ). QU: Aulus Gellius IX,4; Pomponius Mela: Chorographia II,2; Lucan: Pharsalia II,280 ff.; Augustinus II,43 u. XVI,8; Mythographus Vaticanus I,33,46,176,202 u. II,128 u.185; Liber Monstrorum I,11; Aethicus Ister: Cosmographia II,3; Hrabanus Maurus VII,7; De monstris hominum v. 11 f.; Adam von Bremen IV,41 u. IV,25; Historia de preliis J2 235,28 ff.; Honorius I,12; De monstris Indie v. 26 – 29; Jacobus de Vitriaco 92, 214; Rudolf von Ems: Weltchronik v.  1615 ff.; Thomas von Cantimpré III,5; Gervasius von Tilbury II,3 u. 12 (Monoculi); Walter von Metz 112 u.132 f.; und ausführ­lich Vinzenz:Speculum naturale XXXI,126; Bartholomäus XV,150 u. XVIII,46; Mappa mundi des Ranulphus Higden (einmal in Indien, einmal in Äthiopien): Miller III,103 u. 105; Annolied XXII,347 ff.; Herbort von Fritzlar: Liet von Troye v. 17571 f.; Ulrich von Eschenbach v. 25073 ff. (ohne Namensnennung); Konrad von Megenberg 492; Volksbuch Lucidarius 17,12 ff. u. 132. LIT: Hunger; Lecouteux: Les Monstres. II,18 f.

224 Cynocephales (griech., lat. Cynocephali, »Hundsköpfige) sind eine in

Antike und Mittelalter häufig erwähnte Rasse von Menschen mit Hun­ deköpfen, die sich durch Bellen verständigen. Sie werden vor allem in Indien lokalisiert, seltener in Äthiopien (vgl. auch das verwandte Volk der ➻ Cynomolgi), aber auch in Europa, besonders Nordeu­ ropa, wo eine eigene Tradition des Glaubens an ein skandinavisches Volk von Hundsköpfigen enstanden ist (vgl. ➻ Hundingjar). Man hat in den Cynocephales daher wiederholt Reminiszenzen an kulti­ sche Kriegerbünde in Tierverkleidung wie bei den skandina­vischen Ulfheðnar (Wolfshäutern) und Berserkern (Bärenhäutern) erkennen wollen, die aber nicht zu belegen sind. Der Glaube an hundsköpfige Menschen ist viel verbreiteter und keineswegs auf den germanischen Bereich beschränkt, wenngleich er durchaus auf germanische Vor­ stellungen zurückgehen könnte. Darauf lässt eine Stelle in der Historia Langobardorum des Paulus Diakonus I,11 aus dem 8. Jahrhundert sowie der aus dem Frühmittelalter stammende Geschlechtsname der Hundingas im altengl. Widsith und in der altisl. Liederedda schließen. Auch die Hundsköpfigen in Russland bei Johann de Plano Carpini dürften auf die nordeuro­ päischen Cynocephalen zurückgehen. Das mittelhochdeutsche Summarium Heinrici III,9,317 f. v

führt für die Cynocephali den deutschen Namen, Hunthobite, also »Hundshäupter«, an. Was die Cynocephali bei Ktesias angeht, so hätte dieser laut Shafer einfach das Volk der Kurukşetra falsch aus dem Sanskrit übersetzt und als Hundeköpfige interpretiert. Aufgrund des fehlenden Sprachvermögens haben die mittelalter­liche Autoren die Mensch­ lichkeit der Cynocephales in Frage gestellt (Isidor: Etymologiae XI,3,15: Cynocephali appellantur eo quod canina capita habeant, quosque ipse latratus magis bestias quam homines confitetur); es ist denkbar, dass die fremdartige Sprache eines real existierenden Volkes einer der Gründe für die Entstehung des Glaubens an hundsköpfige Menschen ist. In der antiken Literatur wird die Bezeichnung »Cynocephales« jedoch häufiger für Affen verwendet (Aelian: De natura animalium VI,10; Aristoteles: Historia animalium II,8; Plinius VIII,216; Solinus 27,58; u. a. m.). Das im Mittelalter so gängige Volk findet sich auch in Skulpturen an kirch­lichen Gebäuden, so etwa am Tympanon von Vezelay. Bis in die Frühe Neuzeit werden die Hundsköpfigen häufig auch zu den Anthropophagen gerechnet (vgl. Marco Polo 173, mhd. Marco Polo 58; Hans Staden (1557)). Die mittelalter­liche enzyklopädische Tradition der Cynocephales war äußerst langlebig. In den Drucken von Mandevilles Reisen aus dem 15. Jh. werden sie mehrfach dargestellt (als Götzenanbeter, als Menschenfresser, ➻ Canafales) und noch 1518 findet sich in einer In­ struktion für Cortes bei der Eroberung Mexikos die Aufforderung, nach großohrigen und hundsköpfigen Menschen Ausschau zu halten.

225

In den allegorischen Auslegungen werden die Cynocephalen entweder als streitsüchtige Menschen, als Verräter, als hartnäckige Verleumder (altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis) oder aber – wegen des Fellkleids – als bußfertige Prediger (Gesta Romanorum, Kap. 175) gedeutet. Die Deutung als Verleumder findet sich aufgrund ihrer hündischen Reden, von ihm zudem als Cebnophali verbalhornt, auch bei Johannes Bischof (ÖNB Cod. 2827, f. 252vb). Interessanterweise wird in der ostkirch­lichen Ikonographie der zumeist als Riese dar­ gestellte Hl. Christophorus zudem als hundsköpfig verbild­licht. Diese Tradition ist für das abendländische Mittelalter ikonographisch nicht belegbar, kann aber als bekannt ange­ nommen werden, wie der Traktat des Ratramnus von Corbie zeigt, der anhand der Vita des Hl. Christophorus nachweist, dass das Volk der Cynocephalen mensch­lich sein muss, wenn an der Mensch­lichkeit des Hl. Christophorus kein Zweifel besteht (Ratramnus: Epistola de Cynocephalis PL 121, 1153 – 6: 1154 f.). Es steht zu vermuten, dass Christophorus als Angehöriger eines asiatischen, exotischen Volks im Osten zum Hundsköpfigen geworden ist. QU: Ktesias; Augustinus XVI,8; Liber Monstrorum I,16; Isidor XI,3,15; Aethicus Ister: Cosmographia; Liber monstrorum I,16; Hrabanus Maurus VII,7; De monstris Indie v.  16 – 18; Adam von Bremen: Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum Lib 4,19 u. 25; Historia de preliis J1 218,11 ff; Honorius I,12; Lambert von St. Omer fol. 50v; De monstris hominum v.  3 f.; Pseudo-Ovid Nr. 33; Gervasius von Tilbury II,3; Jacobus de Vitriaco 92, 213 u. 222; Brief des Priesterkönig Johannes; Thomas von Cantimpré III,5,10; altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 483 – 520; Walter von Metz 112; Vinzenz: Speculum naturale XXXI,128 u. Speculum historiale IV,55; Bartholomäus XVIII,46 u.73; Brunetto Latin: Tresor I,122,21; Gesta Romanorum cap. 175; Mappa mundi des Ranulphus Higden (einmal in Indien, einmal in Äthiopien): Miller III,103 u. 105; Psalterkarte: Miller III,42; Ebstorfkarte: Miller V,49; Rudolf von Ems: Weltchronik v. 1583 ff.; Konrad von Megenberg 490; Volksbuch Lucidarius 109,15 ff.; Ulrich von Eschenbach v. 25091 ff. (ohne Namensnennung); Mandeville (Michel Velser 121); Rolandslied v. 2656; Karl der Große v. 3121 ff.; Wolfram von Eschenbach 25,12; Parzival 313,21; Konrad von Würzburg: Der trojanische Krieg v. 25008 ff. Nach der Alexandertradition: Historia de preliis J1 218,11 ff; Epistola Alexandri Magnis ad Aristotelem § 40; Lambert von St. Omer fol. 159r. LIT: Höfler, 1934; Klinger, 119 – 123; Katzenellenbogen, 141 – 151; Ameisenowa, 21 – 45; Avanzin, 140 – 144; Hutter, 68; Shafer, 491 – 503; Kretzenbacher; Zajadacz-Hastenrath 766 – 773; Petzold, 117 f.; Blaney, 144 – 147; Dickerhof, 41 – 71; Marrow, 33 und Fig. 6; Thallner 30 f.; Lecouteux: Les Monstres, II,20 – 28; Kästner, 215 – 237; Pochat, 56 – 58; Dutton, 452 – 455. Cynodontes (griech., »Hundszähnige«) sind Menschen mit doppelten, offenbar hauerartigen

Eckzähnen (Isidor: Etymologiae XI,3,7: cynodontes, quibus gemini procedunt dentes), meist identisch mit den ➻ Choromandes und dann als behaarte Waldmenschen beschrieben, die

226

sich nur durch Brüllen verständigen können (Plinius VII,24; Vinzenz: Speculum historiale I,93). Bei Jacobus de Vitriaco und Walter von Metz hingegen erscheinen sie als schöne Wasser­ frauen in Asien; so schildert sie auch Thomas von Cantimpré im Liber de natura rerum III,5, der ihnen silberne Waffen zuschreibt, weil sie kein Eisen kennen, aber keinen Namen nennt, und ähn­lich werden sie von Konrad von Megenberg 490 beschrieben: Auch sint auz der mâzen schœn frawen, die wonent in aim wazzer in dem land India, aber sie habent grausam zend sam die hund und sint über al an dem leib weiz sam der snê. Lit.: Zajadacz-Hastenrath 773. Cynomolgi (auch Cynamolges, griech., »Hundemelker«) sind laut Plinius (VI,195: Cynamolgi

caninis capitibus) eine Gruppe der ➻ Cynocephales, also der Hundsköpfigen, die sich nur durch ihre spitze Schnauze unterscheidet (so Solinus 30,8: Cynomolgos aiunt habere caninos rictus et prominula ora, »Die C. sollen einen Hunderachen und eine vorstehende Schnauze haben«). Mög­licherweise gehen Volk und Name auf ein indisches Volk, die Cuna-mukha (Hundegesichter) zurück, aber Plinius siedelt sie in Afrika an; dass er keinen Unterschied zwischen den Hundemelkern und anderen Cynocephalen vornimmt, zeigt sich daran, dass er deren Milch als Lebensmittel mehrfach erwähnt. QU: Strabon XVI,771; Ebstorfkarte: Miller V,55. LIT: Lecouteux, Les Monstres, II,22. Cynopides stehen bei Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50v, wohl fälsch­licherweise,

für ➻ Skiopodes. Ein Mann mit Hundefüßen kommt auch zwar in der altnordischen Hrólfs saga kráka vor, aber er gehört nicht zu einem Wundervolk, sondern zu einer Familie, in der drei Brüder durch den Fluch einer Sami-Frau mit verschiedenen Tierelementen (Bär, Elch, Hund) gekennzeichnet sind. Decacephales (griech., »Zehnköpfige«) erwähnt nur der byzantinische Autor Johannes

Tzetzes (12. Jh.) in seiner Siebten Chiliade neben den Acephalen und den Tetrachiropoden. LIT: Lecouteux: Les Monstres, III,16. Derbices (sg. Derbix) heißen die elternverspeisenden ➻ Patrophagi bei Lambert von St. Omer:

Liber floridus fol. 50v. LIT: Lecouteux, Claude: Les Monstres II,9.

227 Dondin ist in der mittelhochdeutschen Mandeville-Übersetzung des

Otto von Diemeringen, gedruckt in Basel 1481 (I,14), ein offenbar als Teil von Indien gedachtes Land. In Dondin siedelt er zahlreiche Wunder­ menschen an, von den Patrophagi über die Cyclopes und die Blemmyae, die Amyctyrae und die Astomi, die Wildmenschen, die Hermaphrodi­ ten und die Hiantopedes bis zu den Cynocephali, ohne einen einzigen Namen dieser Völker anzugeben. Ein ansonsten nicht genanntes fußlo­ ses Volk, das auf den beiden Beinstummeln so schnell laufen kann wie Pferde, lässt sich auf eine Fehlübersetzung der Skiopoden zurückführen. In der Mandeville-Übersetzung des Michel Velser 124 ff. ist die geographische Anordnung anders, hier leben die Anthropophagen auf der Insel Sandin, die anderen Wundervölker auf diversen Inseln, die zum Reich von Sandin gehören. Donestre (Zweigeteilte) kommen in der Epistola Premonis XVI ,3 und in deren altengl. Über­

setzung im Codex Cotton Tiberius B. V vor; sie sind mög­licherweise mit den Tritonides (Geschlecht des Meeresgottes Triton) in verwandten Texten identisch, aber wie Tritonides zu Donestre abgewandelt worden sein soll, ist nur schwer vorstellbar. Eine parallele Handschrift (D) erklärt den Namen sogar als Donestre, quasi diuine, »D., wie gött­lich«, sie werden hier als nur halb mensch­lich, halb unmensch­lich beschrieben, auch das dürfte Resultat einer Konfusion sein; die zugehörige Illustration, die vermut­lich auf die ursprüng­liche Bedeutung zurückgeht, zeigt sie als Mischung aus Löwe und Mensch. Mög­licherweise liegt eine Verwechslung mit anderen, allerdings vertikal zweigeteilten Menschen vor. Die Donestre werden zumeist als vielsprachig beschrieben, weshalb sie fremde Reisende ansprechen, sie so leichter überfallen und verzehren können (➻ Anthropophages), so im Liber monstrorum I,40. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,10; Gibb, 159 – 161. Doppelmenschen ➻ Homodubii, Homo duplex Dracontopodes (griech., auch Dracontopedes, »Drachenfüssler«) werden im Liber mons-

trorum I,49 als Riesen mit mensch­licher Gestalt, aber mit Drachenschwänzen beschrieben, wobei sich der Autor auf griechische Fabeln beruft. Sonst werden sie als Schlangen oder Dra­ chen mit Mädchengesicht beschrieben und abgebildet, gehören somit zu den tierischen Fabel­ wesen, worauf auch die mhd. Übersetzung drachenkopp für das als Dracontocopes bezeichne­ ten Volks hindeutet (Konrad von Megenberg 270 f.). Konrad identifiziert die Schlange jedoch mit dem Teufel, der Eva verführt, und zählt sie nicht zu den Fabelvölkern. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 774 f.; Thallner, 15, Anm. 91.

228 Dracorde ➻ Ophiophages Dreiköpfige kommen nur im Liber monstrorum (I,34) vor und werden wie die Nymphen in

Sümpfen und tiefen Gewässern verortet. Ob es sich bei diesen tatsäch­lich um ein Wunder­ volk oder eher mytholo­gische Monster handelt, bleibt unklar, allerdings wird ausdrück­lich gesagt, dass es sich um drei mensch­liche Köpfe handelt. Ducart ➻ Bucklige Egipani, Egypanes, Egypani ➻ Aegypanes Einbeinige ➻ Skiopodes, Einfoetingar. Einfoetingar (altnord., äußer­lich identisch mit den ➻ Skiopodes), einfüßige Menschen. In

der altnord. erweiterten Übersetzung von Isidor in der Handschrift AM 194 (8vo, fol. 21r: »Die Griechen nennen die Einbeinigen Skiopoden«) wird die Bedeutung von Schatten­ füßler auf Einfüßler verändert, dennoch stimmt die Definition mit der lateinischen über­ ein. Die bekannteste literarische Stelle über einen fabelhaften Einbeinigen stammt aus der am Anfang des 13. Jh. entstandenen Eiríks saga rauða (Kap. 12), in der vom Vinland­ fahrer Thorfinn karlsefni berichtet wird, dass er zwischen Markland und Vinland, d. h. Labrador und Neufundland, bei einem Landfall auf einen Einfüßigen gestoßen sei, der einen der wikin­gischen Seefahrer mit einem Bogenschuss töd­lich verletzt. Der Autor ist offenbar der Meinung, dass Vinland und Afrika durch eine Landbrücke verbunden sind, und kann so einen der in der altnordischen enzyklopädischen Literatur als Bewohner des tiefsten Afrika betrachteten Skiopoden nach Vinland verlegen. Dieser wird dann auch in der Þjálar-Jons saga rezipiert. QU: Eyrbyggja saga […] Eiríks saga rauða. Sveinsson, Einar Ólafur u. Thorðarson, Matthías (Hgg.) Reykjavík 1935 (= Íslenzk fornrit. 4), 231 f.; Eiríks saga rauða. Texti Skálholtsbókar. Halldórsson, Ólafur (Hg.) Reykjavík 1985 (= Íslenzk fornrit 4. Viðauki), 431 f. LIT: Simek: Kosmographie; Simek: Wunder, 69 – 90. Einmalgebärende ➻ Pandae Einsterne (dt., »Einäugige«, lat. Cyclopes). Im mhd. Herzog Ernst v. 4505 wird der Name

­Arimaspi für ein Land verwendet, dessen Bewohner dann genauer als Cyclopes (oder Einsterne) bezeichnet werden, es handelt sich aber um Einäugige, die von normaler

229

Größe und von höfischem Verhalten sind, keine menschenfressende Riesen wie in der antiken Tradition. LIT: Szklenar, 165 f. Elternmäster ➻ Patrophagi Enotokoitai ➻ Panotii Epiphagi (I) (auch Epifugi oder ähn­lich, auch Omophtalmes), sind Kopflose, die Augen an

den Schultern haben, wobei dieser Name nur in der Tradition des Liber monstrorum I,24 vorzukommen scheint (so auch im Speculum naturale 31,128) und sonst die Bezeichnung ➻ Blemmyae dominiert (vgl. Friedman, 15). Allerdings gibt es insofern einen Unterschied zwischen den Epiphagi und den Blemmyae, als Erstere die Augen an den Schultern haben, Letztere auf der Brust. Erst in den Illustrationen zu Mandeville wird dieser Unterschied iko­ nographisch greifbar, aber bei den Epiphagi durch die Erwähnung eines hufeisenförmigen Mundes auf dem Bauch deut­licher gemacht. Die Allegorese im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis vergleicht sie den geldgierigen Advokaten, die Mund und Nase ebenfalls am Bauch trügen, um sich so zu bereichern. QU: Isidor XI,3,17; Liber monstrorum I,24; Summarium Heinrici III,9,322 f. (ohne Namen); Lambert von St. Omer fol. 53r; Wiener Genesis 649 f.; Millstädter Genesis 26,5 f.; Lucidarius 12,10 ff.; Jacobus de Vitriaco 92, 214; Thomas von Cantimpré III,5; altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  821 – 850; Bartholomäus Anglicus: De proprietatibus rerum XVIII,46; Brunetto Latini: Tresor I,122,21; Reinfried von Braunschweig v. 19320 ff., 19668, 20076 ff.; Vinzenz: Speculum naturale XXXI,127 (ohne Namen) u. Speculum historiale I,92; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,103. LIT: Friedman, 10 – 15; Lecouteux: Les Monstres, I,6 f.; Poppe. Epiphagi (II) sind Kopflose, die Augen an den Schultern haben und vollständig behaart sind:

Auch sint läut ân haupt, die habent ir augen an den ahseln und habent für munt und für nasen zwai löcher an der prust und sint über al rauch mit hertem hâr, sam diu wilden tier (Konrad von Megenberg 490). QU: Honorius I,12; De monstris Indiae v. 42 – 44; Jacobus de Vitriaco 92, 214; Thomas von Cantimpré III,5; Walter von Metz 112; Rudolf von Ems: Weltchronik v. 1637 ff. Epiphagi (III) sind Kopflose mit Augen an den Schultern, 12 Fuß groß und von goldfarbener

Haut; sie sind eine Variante der ➻ Blemmyiae, für die Gervasius von Tilbury: Otia imperialia

230 III,75, Informationen aus der Epistola Premonis XVII,5 entnommen haben dürfte. Der Name

wird bei Gervasius aber nicht erwähnt und in der Epistola nur in Handschrift B. QU: Liber monstrorum I,24 (Epistigi); Historia de preliis J2 236,14 ff.; Priesterkönig Johannes: Zarncke 911; Thomas von Cantimpré III,5,37; Ulrich von Eschenbach v. 23279 ff. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,6 f. Epistigi ➻ Epiphagi (III ) Equinocephali (lat./griech., auch Hippocephales, Konocefâli, Conopoenas, Cenocephali, »Pfer­

deköpfige«) treten im Gegensatz zu den wohl dieser Variante zugrunde liegenden Hundeköpfigen (➻ Cynocephales) nur selten auf, der Name findet sich überhaupt nur in der Epistola Premonis XIV und von dort in den Otia imperialia III,73 des Gervasius von Tilbury. Er beruht wohl auf

einer Verwechslung von Hundeköpfigen (Cynocephales) mit den Pferdeköpfigen (Hippocephales). QU: Liber monstrorum (II,13); Jacobus de Vitriaco 88, 185; Historia de preliis J2 234,7 ff; J3 182,15 ff; Ulrich von Eschenbach v. 23082 ff (als Konocefâli); Adambuch 26. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,27 u. 88 f. Ermaphrodite ➻ Hermaphroditen Essedones sind ein asiatisches Volk von Elternessern (➻ Patrophages), das schon bei Solinus

in seltener Ausführ­lichkeit beschrieben wird, obwohl bei Plinius die Essedoner nur zweimal ohne Zusatz unter den skythischen Völkern genannt hatte. Woher also Solinus (15,13) seine Informationen über diese nordasiatischen Elternfresser hatte, ist unklar: Inter Anthropophagos in Asiatica parte numerantur Essedones qui et ipsi nefandis funestantur inter se cibis. Essedonum mos est parentum funera prosequi cantibus et proximorum corrogatis coetibus corpora ipsa dentibus lancinare ac pecudum mixta carnibus dapes facere: capitum etiam ossa auro incincta in poculorum tradere ministerium, »Zu den Menschenfressern in Asien zählen die Essedoner, die sich selbst durch ihre Speise selbst frevelnd besudeln. Es ist der Brauch der Essedoner, das Begräbnis ihrer Eltern mit Liedern zu begleiten, und nachdem sie ihre Nachbarn versammelt haben, die Leichen mit ihren eigenen Zähnen zu zerreißen und, mit dem Fleisch von Rindern vermischt, zum Mahl zu bereiten: Die Schädelknochen aber ver­ wandeln sie als Dienst [an den Eltern], in Gold gefasst, zu Trinkschalen.« Nur die Herefordkarte hat diesen Namen für die Anthrophagen offenbar direkt aus Soli­ nus übernommen (vgl. Miller IV,25), ohne Namen oder als ➻ Patrophagi tauchen sie sehr häufig auf, sogar in altirischen Texten als Dreuices. LIT: Poppe, 2013.

231 Ethiopi maritimi ➻ Maritimi (Ethiopi) Exydraces (Thomas von Cantimpré: Liber de natura rerum III ,3) ➻ Oxydraces Fanesii ➻ Panotii Farbige Menschen ➻ Goldfarbene Menschen, ➻ Grüne Menschen, ➻ Rote Menschen,

➻ Schwarze Menschen Farusi sind (laut Plinius V,46: in der Form Pharusi; Martianus Capella VI ,673; Lambert

von St. Omer: Liber floridus fol. 50v) ein aus Persien stammendes Volk, das Herkules nach Afrika begleitet und dort mit anderen Wundervölkern, wie den Blemmyae, den Satyrn, den Aegipanes und den Himantopedes am äußersten (west­lichen) Ende Afrikas wohnt; über ihre Eigenschaften wird nichts berichtet. LIT: Lecouteux: Les Monstres, III,25. Faune (lat. Fauni, auch Fauni ficarii, »Feigengötter«), sind ein Volk

von kleinen, behaarten, manchmal gehörnten Waldbewohnern. Seit Augustinus (De civitate dei XV,33) werden sie häufig mit den ➻ Satyrn verwechselt. Der Liber Monstrorum I,4 u. 5 behandelt die Faune zwei­ mal; an der zweiten Stelle (unter Berufung auf den Dichter Lucan) werden sie als Waldbewohner (silvicolae) mit mensch­lichem Ober­ körper, aber gekrümten Hörnern auf dem Kopf und Ziegenbeinen beschrieben. Die Fauni ficarii wurden wurden nach lateinischer Tradition für das nächt­liche Albdrücken (als incubus) verantwort­lich gemacht (vgl. Faunos, Satyros et Incubos: Thomas von Cantimpré: Liber de natura rerum III,5). Bei Martianus Capella II,167 werden sie nur beiläufig erwähnt, erst Lambert von St. Omer fol. 50v beschreibt die Faune, männ­liche und weib­liche, zwar ebenfalls als behaart und nackt, aber neun Fuß groß (auf 53r dagegen als kleine Waldbewohner). Ausdrück­lich als Synonym für Satyri werden die Fauni ficarii im Summarium Heinrici III,9,329 genannt. Mit Namen und Allegorese finden sie sich bei Johannes Bischof (ÖNB Cod. 2827, f. 253rb-253va [Fauni et Satyri]): Von den funfften die haissen Vauni und satiry von den geschriben stet in liber de proprietatibus rerum […] Bey den mussen wir erchenen die posen lewt die unkäuschleich lebent und unmässleich sind in allen iren tuen und lebent sam das vieh und tier. Als kleine Tiere mit mensch­lichem Antlitz kommen die Faune bei Bartholomäus Anglicus XVIII,46 vor. QU: Isidor XI,3,22; Hrabanus Maurus VII,7; Liber monstrorum I,16; Gervasius von Tilbury I,18; Bartholomäus Anglicus XVIII,50; Thomas von Cantimpré III,1; Vinzenz: Speculum naturale

232 XXXI,127 (im Zusammenhang mit Satyri: faunos, satyrosque & incubos) u. Speculum historiale I,92. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,29 f. Femynina bezeichnet nur der mhd. Marco Polo 67 f. das Reich bzw. die Insel der Amazo­

nen, ohne deren kriegerische Natur zu erwähnen. Die entsprechende Männerinsel nennt er naheliegenderweise Masculina; im Original wird das Land wie üb­lich als regnum Amazonum bezeichnet (Marco Polo 190). Frauen, die mit fünf Jahren gebären und mit acht Jahren sterben , finden sich schon

seit Augustinus (De civitate Dei XVI,8) und dann im Liber Monstrorum I,17 fast überall in der enzyklopädischen Literatur, haben aber keinen eigenen Völkernamen. ­Solche Frühge­ bärende und Kurzlebige fanden Eingang in die skandinavische volkssprach­liche Literatur, ➻ Smámeyjar. Ob die Übertragung der geringen Größe der Pygmäen und Zwerge auf ein geringes Lebensalter ursäch­lich für die Entstehung dieses Volkes ist oder ob sie ein Pendant zu den langlebigen Macrobii darstellen, lässt sich wohl kaum sagen. Ganz missverstanden ist dieses Volk in Gervasius Otia imperialia II,3, bei dem die Frauen fünfmal gebären, aber die Nachkommen nicht älter als 7 Jahre werden. QU: Plinius VII,30; Solinus 52,31; Isidor XI,3,27; De monstris hominum v.  23 f.; Summarium Heinrici III,9,335 f.; Thomas von Cantimpré III,5,6; Honorius I,12; Lambert von St. Omer fol. 53r. Frauen mit Bart sind aus der Alexandertradition in einige mittelalter­liche Enzyklopädien

übernommen worden. Die Epistola Premonis XXI schildert die am Roten Meer lebenden Frauen als kahlköpfig und langbärtig; sie tragen Felle und jagen mit wilden Tieren, darauf beruhend beschreibt der Liber monstrorum I,22 die Bärte bis an die Brüste reichend, siedelt sie aber bei den armenischen Bergen an; und auch Gervasius von Tilbury (Otia imperialia III,76) übernimmt sie so: Circa eadem loca sunt mulieres horrende, barbare usque ad mamillas; caput habent planum, pellibus uestiuntur, uenatrices sunt, pro canibus bestias nutriunt ad uenandum, ad instar ac quantitatem leopardorum, »In der selben Gegend [d. h., am Roten Meer] gibt es auch schreck­liche Frauen mit Bärten bis zu den Brüsten, sie haben einen flachen Kopf und tragen Felle. Sie sind Jägerinnen und ziehen sich wilde Tiere als Hunde zur Jagd heran, von der Form und Größe von Leoparden«. Laut Walter von Metz 123 und Thomas von Cantimpré wohnen sie in Indien, ebenso bei Vinzenz im Speculum naturale XXXI,124: Sunt & alii in syluis Indiæ barbas habentes vsque ad mamillas …, »Es gibt noch andere in den Wäldern Indiens, die haben Bärte bis zu den Brüsten.« Dass Adams von Bremen Erwähnung eines bärtigen Frauenvolks im Norden von der lateinischen Tradition völlig unabhängig gewesen sei, wie

233

Claude Lecouteux meint, ist unwahrschein­lich, mischt er doch vielfach einheimisch-skandi­ navische mit lateinischen Wundervölkertraditionen (➻ Kvennir, ➻ Amazonen). Die allegorische Auslegung ist unterschied­lich: Der altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis verweist darauf, dass der Bart ebenso wie Kampfeslust nicht zu Frauen passt. Dagegen legen die Gesta Romanorum 576 die Kahlköpfigkeit als ­Zeichen der offensicht­lichen Gerechtigkeit aus. QU: Historia de preliis J1 217,26 f, J2 177,16 ff., J3 126,19 ff.; Liber monstrorum I,22; Brief des Priesterkönigs Johannes: Zarncke 911; Jacobus de Vitriaco 92, 214); Walter von Metz 123; Thomas von Cantimpré III,5; Liber de monstruosis hominibus orientis (altfranz.) v.  929 – 956; Wernigeroder Alexander v. 3987 f.; Ulrich von Eschenbach v. 22071 – 92; Volksbuch Lucidarius 116,12; Hartmann Schedel, Liber Chronicarum; Isidor versificatus 108, v. 25 f.; LIT: Zajadacz-Hastenrath, 778 f.; Lecouteux: Les Monstres II,30 f. Frauen mit Behaarung am ganzen Körper oder nur langen Haaren bis zu den Füßen und

Eberzähnen finden sich im Liber monstrorum I,28 sowie in einer Fassung der Epistola Premonis XXII und von dort bei Gervasius von Tilbury (Otia imperialia III,77): Sunt er uicini montes in quibus nascuntur mulieres que dentes habent aprinos, capillos usque ad talos, et in lumbis caudas bouinas; alte sunt pedibus septem, corpus pilosum ut camelus, »Dort sind Berge, in ­welchen Frauen mit Eberzähnen geboren werden, mit Haaren bis zu den Knöcheln, und mit einem Kuhschwanz am Steiß; sie sind 7 Fuß groß und am Körper behaart wie ein Kamel.« Nach der anderen Fassung sind sie 13 Fuß groß und haben Kamelfüße. Sie sind wohl mit den ➻ [Caudiferes] (II) zu identifizieren. Frauen mit riesigem Kropf in den Alpen ➻ Burgundische Frauen mit Kropf Frauen mit weißem Leib und scharfen Zähnen können auch mit den ➻ Lamien ver­

mischt sein, finden sich aber im Speculum naturale XXXI,124 jenseits der indischen Wälder recht ausführ­lich beschrieben: Sunt & quædam ibi speciosissimæ mulieres in flumine habitantes, albæ sicut nix, sed hoc pulchritudinem vitium habent, quod dentibus humanis carent, & caninis horrent, »Es gibt auch sehr schöne Frauen, die im Fluss leben, weiß wie Schnee, aber diese Schönheit hat einen Mangel, denn sie entbehren mensch­liche Zähne und fürch­ ten sich vor Hunden«. Konrad von Megenberg 490 versteht den zweiten Teil der Beschrei­ bung bei ­Thomas III,22 offenbar anders: Auch sint auz der mâzen schœn frawen, die wonent in aim wazzer in dem land India, aber si habent grausam zend sam die hund und sint über al an dem leib weiz sam der snê.

234 Frauenanbieter finden sich in der Reisebeschreibung des Marco Polo 116 von einem asia­

tischen Land, dessen Bewohner Angst vor der Jungfräu­lichkeit haben und daher die Jung­ frauen vor der Ehe durchreisenden Fremden zur Entjungferung anbieten (mhd. Marco Polo 31: […] di han dy gewonheit das sy keyne juncvrowin nehmen czu der e. Unde dorumme haldin sy uf dy markt lute dy do wandirn, unde bittin dy das sy do sumen wy lange sy wollin, und nehmen ir tochtir czu yn unde gebruchin ir noch iren willin.) Er ergänzt, dass die Mädchen bei den anschließenden Festen die kleinen Geschenke ihrer Liebhaber um den Hals tragen und dass diejenige mit den meisten Geschenken das höchste Ansehen genießt. Ein wenig abwei­ chend und recht ausführ­lich wird dieses Volk bei Mandeville (übersetzt durch Velser 165) beschrieben, bei dem die Menschen glauben, dass der Beischlaf mit Jungfrauen den Tod bringt, weil eine Schlange in ihnen wohnt und sie daher Narren vor der Hochzeit als professionelle Defloratoren arbeiten lassen; danach werden die Frauen jedoch sehr abgeschieden gehalten. Frühgebärende ➻ Frauen, die mit fünf Jahren gebären und mit acht Jahren sterben Galactophagi (griech., »Milchesser«) sind ein nur durch seine Diät gekennzeichnetes Volk

in Scythia, allerdings nur laut der armenischen Geographie (5. Jh.?) des Pseudo-Moses von Chorene (vgl. Friedman, 27). Gamphasantes sind ein äthiopisches Volk »ohne mensch­liche Gebräuche« (Plinius V,44 u.

V,45: Gamphasantes nudi proeliorumque expertes nulli externo congregantur, »Die Gampha­ santes, nackt und an Kämpfe gewohnt, haben keinen Umgang mit anderen«); ganz ähn­lich Solinus 31,5 und Martianus Capella VI,674, bei Lambert werden sie zu ➻ Campasantes. LIT: Thallner, 10. Garamantes (griech./lat.) sind ein (west)afrikanisches Volk, das die Ehe nicht kennt (bereits

bei Plinius V,26 u. V,45 und Solinus: Garamantici Aethiopes 30,2, sowie Martianus Capella VI,674 und Lambert von St. Omer: Liber floridus 50r). Als Garmanen werden sie in der Welt­

chronik des Rudolf von Ems bei der Besprechung Indiens gemeinsam mit den Côâtras und Orestas als Wundervolk ohne jeg­liche Nennung der Eigenschaften erwähnt. Quelle für diese Völker in der volkssprach­lichen Literatur ist die Imago mundi des Honorius von Autun (I,11), der diese Völker offenbar in bewaldeten Hochgebirgen ansiedelt, aber nichts über ihre sons­ tigen Eigenschaften aussagt. QU: Isidor versificatus II,1. u. 3. LIT: Lecouteux, Les Monstres, III,25; Simek, Wundervölker, 37 – 44: 38 f.

235 Gegetones heißen die ➻ Cornuti mitunter in der Tradition der angelsäch­sischen Bestiarien. LIT: Friedman, 16 f. Gehörnte ➻ Cornuti; vgl. auch ➻ Faune und ➻ Satyrn Getulier (lat. Getulii) sind ein gegen Gift immunes Volk in Afrika. In der röm. Geschichts­

schreibung gehören sie zu den barbarischen Völkern Zentralafrikas, werden aber nicht als Fabelvolk angesehen. Laut Sallust (Bellum Jughurtinum Kap. 18: Africam initio habuere Gaetuli et Libyes, asperi incultique, quis cibus erat caro ferina atque humi pabulum uti pecoribus. Ii neque moribus neque lege aut imperio cuiusquam regebantur: uagi palantes quas nox coegerat sedes habebant) wird »Afrika am Anfang von den Getuliern und Libyern besiedelt, sie sind aber roh und ungebildet, leben von wilden Tieren und Gräsern, und ziehen als Nomaden, ungebunden durch Gesetze oder Gebote, ohne stete Wohnsitze durch die Wüsten«. Isidor ergänzt (Etymologiae IX,2,118 f.), dass sie ursprüng­lich zu den europäischen Getae zählten, von denen auch ihr Name abgeleitet sei, und zu Schiff nach Afrika in die Syrten gekommen seien, von Schlangen ist bei ihm nicht die Rede; und erst auf der großen isländischen Mappa mundi des 13. Jahrhunderts findet sich der Eintrag: Getulia ibi infantes ludunt serpentibus: »Getulia, wo die Kinder mit Schlangen spielen« (Simek: Kosmographie, 422), dem zwar Erwähnungen in zwei anderen altnordischen Wundervölkerverzeichnissen entsprechen, aber keine lateinische Quelle. Für das giftunempfind­liche äthiopische Volk sind bislang außer bei Plinius und Solinus keine Vorlagen bekannt, und dort wird dieses Volk, ebenso wie auf der Ebstorfkarte und Herefordkarte, als Psilli bezeichnet. Auf dem unbekannten Vermittlungs­ weg muss es also zu einer Vermischung des afrikanischen Volks der Getulier mit dem der Psilli gekommen sein, die in der Darstellung der Ebstorfkarte am Südrand der Karte eben­ falls mit Schlangen zu spielen scheinen (Miller V,60); auf der Herefordkarte (Miller IV,45) sind sie als Philli verschrieben, doch dort wird deut­lich ein Kind vor die Schlange gehalten. QU: Isidor versificatus II,1. LIT: Simek: Kosmographie; Simek: Wunder , 69 – 90. Gigantes (griech., lat.), die Riesen der antiken Mythologie, entstanden durch die zur Erde

fallenden Blutstropfen des Uranus aus der Erdgöttin Gaia. Im Gegensatz zu den Titanen sind sie nicht unsterb­lich, lehnen sich aber in der sogen. Gigantomachie gegen die Götter auf und werden von diesen mit Hilfe des Helden Herakles besiegt; in der germanischen Mytho­ logie sind die Riesen zwar älter als die Götter, gelten aber als deren ewige Widersacher. Im Mittelalter werden sie jedoch meist als mensch­lich gedacht und in verschiedenen Wunder­ völkerverzeichnissen genannt, meist ohne Angaben näherer Details außer ihrer Größe. Nur

236

vereinzelt wie im Liber monstrorum I,54 werden sie im Anschluss an Isidor XI ,3,13 mit den Vorzeitriesen identifiziert, deren Knochen man an den Ufern und in der Erde finden kann. Diese Angabe aus Isidor übernimmt das Summarium Heinrici III ,9,315, ergänzt das lat. gigas aber mit dem deutschen riso, während Vinzenz (Speculum naturale XXXI ,126) Isidor wört­lich übernimmt, allerdings mit einem Zusatz aus den Glossa super Genesim: Sunt autem gigantes homines potentes, immanes corporibus, superbi viribus, inconditi moribus. »Es gibt auch Riesen, starke Menschen, mit riesigen Körpern, enormen Kräften, aber ungeregelten Sitten.« Abweichend davon werden bei Thomas von Cantimpré: Liber de natura rerum III ,5,3 ausdrück­lich nicht Riesen, sondern riesenhafte Menschen geschildert, die sogar leicht über einen Elefanten steigen können; und auch bei Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50v werden sie in einer Marginalie zu den nicht nament­lich genannten Macrobii angeführt und somit vermut­lich mit diesen identisch als Menschen aufgefasst. Ausführ­lich fasst Gervasius in den Otia imperialia I, 23 das zeitgenös­sische Wissen um die Riesen zusammen: Sie seien aus der Verbindung der Söhne Seths mit den Töchtern Kains hervorgegangen oder das Produkt dämonischer Incubi; dem Unmaß ihrer Körper entspreche auch eine unmäßige Gesinnung. Obwohl die Riesen bei der Sintflut umgekom­ men seien, seien auch danach in Hebron noch Riesen geboren worden, die später in der ägyptischen Stadt Tanis wohnten und daher Titanen genannt worden seien. Von ihnen stammen Goliath und andere Riesen ab, darunter der 12 Ellen große Gogmagog (➻ Gog und Magog), der nur von dem Trojaner Corineus, einem Weggefährten des Brutus, der Britannien besiedelt, besiegt werden könne. Als den Arimaspi feind­lich gesinntes, aber eindeutig zu den Wundermenschen zu zäh­ lendes Volk treten die Gîgantes im Herzog Ernst v. 5039 – 5264 auf. LIT: Schulz. Gog und Magog sind die einzigen Wundervöl­

ker, die schon im AT genannt werden (Genesis 10,2; Ezechiel 38,1 – 39, 29). Diese apokalyptischen Völker werden in der Alexandertradition zu Men­ schenfressern, die Alexander der Große jenseits des Kaspischen Meers in einem Tal hinter einer Mauer einschließt, hinter der sie erst am jüngsten Tag hervorbrechen werden. Sogar diese Mauer wird auf den großen Mappae mundi wie der Ebstorfkarte eingezeichnet. Über die Alexanderdichtung haben sie Eingang in die mittelalter­liche Enzyklopädik

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gefunden, so nennt sie Isidor: Etymologiae XIV,3,31 in Skythien, und die Informationen blei­ ben auf wenige wiederkehrende Fakten beschränkt, vgl. etwa Honorius: Imago mundi, III,11: In India est mons Caspius, a quo Caspium mare vocatur. Inter quem et mare Gog et Magog ferocissimae gentes, a magno Alexandro inclusae feruntur. Quae humanis carnibus vel crudis bestiis vescuntur, »Der Berg Caspius, von dem das Caspische Meer seinen Namen hat, ist in Indien. Dazwischen und dem Meer sind Gog und Magog, sehr wilde Völker, [von ihnen] wird berichtet, dass sie von Alexander dem Großen eingeschlossen wurden. Diese ernähren sich vom Fleisch der Menschen oder der wilden Tieren.« Gog und Magog kommen darüber hinaus nur selten vor, etwa im um 1300 verfassten mhd. Roman Apollonius von Tyrlant des Heinrich von Neustadt (v. 2939, 3175, 3341 ff, 3990 ff, 10953); zwar ohne ausdrück­liche Namens­ nennung, aber mit der üb­lichen Beschreibung in dem mitteleng­lischen Gedicht The Owl and the Nightingale v. 1005 – 14. Nur bei Johannes de Hese: Itinerarius 193 scheinen die Menschen dieser beiden Völker zudem als zweigesichtig aufgefasst worden zu sein. Ein anderer Umgang mit diesen beiden apokalyptischen Völkern ist mit dem Eintritt der Mon­ golen in den europäischen Gesichtskreis im 13. Jahrhundert zu konstatieren, als man beginnt, die beiden wilden Völker gleichzusetzen, und hofft, sie gegen den vordringenden Islam in Stellung zu bringen. Die Prophezeiungen, die die 22 Könige von Gog und Magog über ihr Losbrechen haben, werden im Mandeville (Velser 152) in einem stark apokalyptisch geprägten Exkurs behandelt. QU: Ezechiel 38,39; Offenb. Joh. 20,7 – 10; Flavius Josephus; Hieronymus; Vinzenz: Speculum historiale IV,43 (ohne Namensnennung). LIT: Uhlemann, 265 – 286; Anderson 1932; Lauha 1943; Lecouteux: Les Monstres, I,293 f.; Manselli, Bd. 2, 487 – 517; Burnett, 153 – 168. Goldfarbene Menschen, ➻ Epiphagi (III ), die Augen an den Schultern und goldfarbene

Haut haben. Grauhaarig Geborene ➻ Pandae Grippianer (➻ Kranichschnäbler, vielleicht abgeleitet von lat. gryphus, »Greif«). Im Herzog

Ernst v. 2206 ff. und 2859 ff. bewohnen die Kranichschnäbler ein Land namens Grippîâ, das als orienta­lisches Märchenland beschrieben wird. LIT: Szklenar, 164 – 176; Lecouteux: Kranichschnäbler, 100 – 102; Wade. Großlippler ➻ Amyctyrae Großohren ➻ Panotii

238 Grüne Menschen von Adam von Bremen IV ,19 als Bewohner Nord­

europas mit dem Namen Husi aufgeführt, die er außerdem als bleich und langlebig beschreibt und auf nicht klar ersicht­liche Weise von den Macrobii des Solinus hergeleitet haben dürfte. Vermut­lich hat er den Namen Grönlands auf diese Menschen übertragen. Ein grünes Volk am Indus nennt Brunetto Latini I,122,20 in einem ganz anderen Kontext, und grün ist auch ein Volk von ➻ Hornhäuti­ gen in Wolframs Willehalm 395,22 ff., doch sonst spielt Grünhäutigkeit im Mittelalter eine viel geringere Rolle als bei den Fabelmenschen des 20. Jahrhunderts. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,92 u. 98; Simek: Monstra. Gygates (Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 53r) ➻ Gigantes Gymnetes sind wie die ➻ Macrobii ein langlebiges Volk in Afrika, das nur bei Plinius V,43 und

VI,190 als nackt geschildert wird, während man im Mittelalter dieses Volk offenbar nicht als

monströs empfunden und daher nicht in den Wundervölkerverzeichnissen aufgenommen hat. LIT: Thallner, 15. Gymnosophisten (griech., »nackte Weise«; vgl. auch die mit ihnen meist gleichgesetzten ➻ Oxy­

draken). Die Gymnosophisten sind nackte indische Weise und verbringen laut Plinius VII,22 ihre Zeit damit, in die Sonne zu starren: philosophos eorum, quos gymnosophistas vocant, ab exortu ad occasum perstare contuentes solem inmobilibus oculis, ferventibus harenis toto die alternis pedibus insistere, »Diese Philosophen, die man Gymnosophisten nennt, stehen vom Aufgang bis zum Untergang und starren mit unbeweg­lichen Augen in die Sonne, den ganzen Tag abwechselnd auf einem Fuß im glühenden Sand stehend.« Dies erinnert an Initationsriten asiatischer Schamanen sowie an Übungen indischer Yogis; und Plinius zitiert in der Tat Megasthenes, der diese Bräuche wohl in Europa bekannt gemacht hat. Wirksamer wird jedoch Plutarch, der die Kenntnis von den Gymnosophisten in der ersten seiner Parallelbiographien (Alexander der Große und Caesar in den Bíoi parálleloi) verwertet. Darin wird Alexander von den Weisen, genauer vom greisen Spines, den die Griechen Kalanos nennen, in einem philosophischen Streitgespräch besiegt: er kann Alexander zeigen, dass die Länge des Wegs von der Erde zum Himmel (und das heißt, zur Erleuchtung) tatsäch­lich weiter ist als der von Alexanders irdischem Eroberungsfeldzug. Dieser Dialog mit den Gymno­sophisten findet dann Eingang in die spätantike Alexanderliteratur, sei­ nen Ursprung hat man in hellenistischen jüdischen Kreisen sehen wollen, die sich dadurch mit philosophischer Argumentation gegen judenfeind­liche Kreise wandten.

239

Die mit Abstand ausführ­lichste mittelalter­liche Stelle zu den Gymnosophisten fin­ det sich bei Thomas von Cantimpré, der sie aber in der Kapitelüberschrift den Exydraken (➻ Oxydraken) zuweist und Gymnosophisten nur als alternative Bezeichnung anführt (De exydracibus hominibus, qui et nudi sapientes dicuntur: »Von den Exydraken, die auch nackte Weise genannt werden«). QU: Thomas von Cantimpré III,3; Ulrich von Eschenbach v. 22233 (als Gîmôsophistês). LIT: Wallach, 47 – 83; Friedman, 24 u. 168 ff. Halfhunt ➻ Kentauren Hanesii ➻ Panotii Harpyen, die Vogelfrauen der antiken Mythologie, werden im Mittelalter im Gegensatz zu

den ➻ Sirenen nicht als Fabelwesen rezipiert, doch in der Darstellung der Sirenen teils mit Fischschwanz, teils mit Vogelkörper ist es seit der Antike zu einer Vermischung mit den Harpyen gekommen. In der altnordischen Literatur werden sie aus unbekannten Gründen als tronur bezeichnet (so in der Úlfhams saga). Healfhundingas (altengl., »Halbhunde«) heißen die hundsköpfigen ➻ Cynocephales in der

altengl. Fassung der Epistola Premonis XIV im Codex Cotton Tiberius B. V aus dem 11. Jahr­ hundert und stehen damit für die Conopoenas, Cenonulli oder Quinocephali des lat. Tex­ tes, wobei sie die Verbalhornung dieser Formen sinngemäß korrigieren; vgl. ➻ Hundingjar. LIT.: Lecouteux: Les Monstres, II,27; Simek: Wunder, 69 – 90. Hemikynes (griech., »Halbhunde«) lautet bei Johannes Tzetzes (12. Jh.) die abweichende

griechische Bezeichnung für die ➻ Cynocephales, also hundsköpfige Völker. LIT: Lecouteux: Les Monstres, I,20 f. u. III,14. Hermaphroditen (griech., »Zwitter«), allgemeiner auch ➻ Andro­

gynes, »Zweigeschlecht­liche«. Die Vorstellung von zweigeschlecht­ lichen Menschen und den so bezeichneten Wundermenschen geht vermut­lich einerseits auf zwitterähn­liche Fehlbildungen bei Menschen zurück, andererseits auf die griech. Legende von Hermaphroditos, dem Sohn von Hermes und Aphrodite, der die Liebe der Nymphe Salmakis nicht erwidert und auf ihren Wunsch mit ihr zu einem Körper verschmilzt.

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Die Kenntnis der tatsäch­lich auftretenden Zweigeschlecht­lichkeit bei Missbildungen liegt nicht immer zugrunde, wie der Liber monstrorum I,19 zeigt, in dem sie als homines commixti bezeichnet und als vertikal geteilt beschrieben werden: die rechte Seite ist männ­lich, die linke weib­lich. Bei Thomas von Cantimpré und den auf ihm beruhendenTexten sind die Hermaphroditen in Frankreich zu finden. Für die mittelalter­lichen Darstellungen typisch ist dagegen die Beschreibung in der mittelhochdeutschen Übersetzung des Mandeville (119): Item da ist ain ander ynsel, da sind lút die sind baydú wib und man mit ain ander, und hond an ainer sitten ain brust als ain frou, und an der andern sitten núntz. Und hond ir geschefft als ­ elches sie wellen, daz nútzent sie und bruchent es, und machent ain man und ain wib, und w kind und tragent kind. Die Moralisatio im altfranzös. Liber de monstruosis hominibus orientis sieht in ihnen wankelmütige, weibische Menschen. QU: Plinius VII,15; Isidor XI,3,11; Augustinus XVI,8; Liber monstrorum I,2; Hrabanus Maurus VII,7; Ratramnus von Corbie: Epistola de Cynocephalis col 1155; Summarium Heinrici III,9,319 ff.; Lambert von St. Omer fol. 53r; De monstris hominum 27 – 30; Thomas von Cantimpré III,5; altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  1383 – 1402; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,103; Vinzenz: Speculum naturale 31,120 u. 128; Mandeville 119,16 – 20; Frauenlob: Minneleich 9 ff.; Volksbuch Lucidarius 109. LIT: Ferckel, 205 – 211; Delcourt 1958; Keller, 870 – 900; Lecouteux: Les Monstres, III,8; Thallner,12. Hexachires ➻ Menschen mit sechs Armen, ➻ Menschen mit sechs Händen an jedem Arm Hexapodes ➻ Menschen mit sechs Füßen Hictiophagi ➻ Ichthyophagi Himantopodes (griech., auch Himantopedes, »Riemenfüßler«, und ➻ Himantosceles »Rie­

menbeiner«) sind ein äthiopisches Volk mit dünnen weichen Gliedern, die nicht gehen, son­ dern sich schlängelnd fortbewegen, etwa bei Martianus Capella VI,674: Himantopodes debilitate pedum serpunt potius quam incedunt, »Wegen der Unfähigkeit ihrer Füße kriechen die ­ iesem übernommen in Anonymi de situ orbis Himantopoden mehr als sie gehen«, und aus d libri duo II,1 und 3. Auf der großen Mappa mundi von Ebstorf werden sie als Hymandrope­ des (Miller V,59) bezeichnet und als auf allen Vieren gehend mit den Artabatirae verwechselt, die wiederum als Artobatitis vorkommen; auf der Mappa mundi aus Hereford ist ebenfalls ein auf allen Vieren Kriechender als Himantopode bezeichnet. QU: Pomponius Mela: Chorographia III,103; Plinius V,44 u. 46; VII,25; Solinus 31,6; Adam

241 von Bremen IV,25; Lambert von St. Omer fol. 50v; Pseudo-Ovid Nr. 11; Vinzenz: Speculum historiale I,93; De situ orbis 60 u. 64. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 782; Lecouteux: Les Monstres, II,87 u. III,17. Himantosceles (griech., »Riemenbeiner«) finden sich unter ­diesem Namen nur beim Byzan­

tiner Johannes Tzetzes im 12. Jh. (Lecouteux: Les Monstres, III,17), in der westeuropäischen Literatur dagegen unter dem weniger korrekten, aber verbreiteteren Namen ➻ Himantopodes. Hippocentauris nennt der Liber monstrorum I,7 Mischwesen aus Pferd und Mensch, die

trotz mensch­licher Zunge nur unzureichend Wörter formen können. QU: Gervasius I,18 nach einer Antonius-Legende bei Hieronymus: Vita Pauli, Kap.  7 – 8 (PL 23, cols. 22 – 23). Hippocephales (griech., »Pferdeköpfige«) ➻ Equinocephali, Konocefâli Hippomolgi (griech., »Pferdemelker«) treten in der Ilias 13 des Homer auf, sind eher als

fried­liches Volk denn als Wundervolk zu bezeichnen und werden auch im Mittelalter nicht als ­solches rezipiert. Hippopodes (griech., »Pferdefüßler«) treten schon bei Plinius IV,95

(aliae in quibus equinis pedibus homines nascantur Hippopodes appellati;»andere Menschen werden mit Pferdefüßen geboren und Hip­ popodes genannt«) und Solinus 19,7 als asiatisches Volk auf, stam­ men aber vorwiegend aus der Alexandertradition und gehen mög­ licherweise auf einen falsch übertragenen Hinweis in der Epistola Premonis XXII über kamelfüßige Frauen zurück. Die pferdefüßigen Frauen leben im Mittelalter als selten erwähnte ➻ Lamiae weiter. Die allgemeine Vorstellung der Hippopodes ist aus Plinius und Solinus weitgehend unverändert in die enzyklopädische Literatur vorgedrungen, wobei Vinzenz sie im Speculum naturale XXXI,127 in Skythien im Norden Asiens ansiedelt und ausdrück­lich ihre bis auf die Hufe mensch­liche Form betont. Bei Mandeville (Velser 118) wohnen sie wie die meisten anderen Wundermenschen auf einer südasiatischen Insel: Item da ist ain ander e

ynsel, da sind lút die hond fu ß als die pfærde. Die Allegorese bei Johannes Bischof interpre­ tiert die lewt die wonent in Ethiopia Und habent gestalt alz die menschen und habent fuezz als die pherd etwas unmotiviert als diejenigen, die sich selber rechent, zählt sie aber wegen ihrer ungespaltenen Hufe zu den guten Menschen.

242 QU: Isidor XI,3,25; Hrabanus Maurus VII,7; Ratramnus von Corbie: Epistola de Cynocephalis col. 1155; Lambert von St. Omer fol. 53r (Ypopodes); Pseudo-Ovid Nr. 25; Vinzenz: Speculum historiale I,92; Bartholomäus XVIII,46; Ebstorfkarte: Miller V,53; Herbort von Fritzlar: Liet von Troye v. 14260 (Yppopodes); Volksbuch Lucidarius 110. LIT: Friedman, 16; Lecouteux: Les Monstres, II,89 f; Zajadacz-Hastenrath, 782 f. Hirsuti (latein., »die Haarigen«) werden erst bei Vinzenz: Speculum naturale XXXI,132: Hirsuti

nisi facie tenus, quæ sola lenis est, als Volk genannt; im Original bei Solinus 54,11 dient der Ausdruck noch zur näheren Beschreibung der ➻ Chelonophagi in der Nähe des Roten Meers. Hirthabacitae werden die ➻ Artabatirae bei Vinzenz im Speculum Naturale XXXI,127 genannt:

Hirthabacitæ in Æthiopia proni vt pecora ambulare dicuntur. Quadragesimum enim annum nullus supergreditur, »Die Hirthabacitae sollen in Äthiopien auf allen Vieren wie das Vieh herumziehen. Niemand übersteigt das 40. Lebensjahr«; warum er diese Umbennenung vor­ nimmt, ist unklar. Homodubii (lat., »zweifelhafte Menschen« oder »doppelte Menschen«) werden in der Epis-

tola Premonis XVI,1 in der Hs. D zweimal erwähnt, beim ersten Mal (8) fälsch­licherweise für Ichthyophagi gehalten, beim zweiten Mal als Rasse von Onocentauren (XXIV ,2), d. h. Mischwesen zwischen Mensch und Wildesel, mit Vogelbeinen wiedergegeben, die bei der Begegnung mit Menschen rasch flüchten. Erklärt wird der ansonsten nicht vorkommende Name nicht, die altengl. Übersetzung des Texts übernimmt ihn jedoch an erster Stelle (BL Cotton Vitellius A XV, Cotton Tiberius B. V), allerdings handelt es sich wohl nur um eine Verbalhornung durch Verschreibung, vgl. die Form Cenodubii in Hs. B. LIT: Bergenthal, 100; Gibb, 144 u. 156 f.; Mittman, 95 u. 98. Homines commixti ➻ Mischmenschen Homo duplex (»doppelter Mensch«) wird im Liber monstrorum I, 8 unter den Monstren

erwähnt, gehört aber als alleinstehende Missgeburt nicht zu den Fabelrassen. Diese mit zwei Beinen und einem Unterleib, aber zwei Oberkörpern und Köpfen sowie vier Händen geborene Gestalt wird schon bei Augustinus: De civitate Dei XVI,8 als Missgeburt im Osten existierend erwähnt. Hornfinnar (altnord., lat. cornuti Finni, ➻ Satyri) sind gehörnte Finnen. Ihre Beschreibung als

Menschenfresser mit einem Horn auf der Stirn in den altnord. Wundervölkerverzeichnissen

243

entspricht etwa dem der Satyri in lat. Texten. In der anonymen Historia Norwegiae findet sich zudem eine Rückübersetzung ins Lat., die cornuti Finni, die der Autor im Nordosten Skandinaviens in der Nähe von Permland (lat. Permia, an. Bjarmaland) ansiedelt, weshalb sie nachfolgend mit den Lappen/Finnen identifiziert werden. LIT: Storm, 75; Simek: Elusive Elysia; Simek: Kosmographie, 471; Simek:, Wunder, 69 – 90; Simek: Monstra. Hornhäutige treten nur in der mhd. Epik auf und sind nicht als Wundervölker der lat. Tra­

dition, sondern als literarische Folgen von Siegfrieds Drachenhaut gekennzeichnet; sie fin­ den sich daher auch nirgendwo in der enzyklopädischen Literatur: Sowohl in Wolframs von Eschenbach Willehalm 395 als auch in Albrechts Jüngerem Titurel 3363 C (hier im Lande Kanias) finden sich hornhäutige und noch dazu grüne Menschen. QU: Ulrich von Türheim: Rennewart v.  30407 – 11; Reinfried von Braunschweig v.  19636 – 46. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II.98. Hostes (lat., »Feinde«) wird im Brief des Faramanes 13 ein Volk von ➻ Anthropo­

phages genannt. Humantopodes werden nur bei Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale I,93 fälsch­licher­

weise die ➻ Himantopodes genannt. Hundemelker ➻ Cynomolgi Hundingar (altengl., ➻ Cynocephales), Hundemenschen, im altengl. Gedicht Widsith 23

u. 81 sind sie die angelsäch­sische Entsprechung der altnord. ➻ Hundingjar (vgl. aber auch altengl. ➻ Healfhundingjar). Hundingjar (altnord., ➻ Cynocephales, Hundemenschen). Das altnord. Volk der Hundsköp­

figen entspricht wie das altengl. Hundingar der lateinischen Tradition, nur das auf der Brust festgewachsene Kinn in der altnord. Beschreibung ist bei Isidor und der ihm folgenden lat. Enzyklopädik nicht belegt. Von Cynocephales öst­lich des Baltikums, die das Gesicht auf der Brust haben, spricht auch Adam von Bremen in seinen um 1075 entstandenen Gesta Hammaburgensis Ecclesiae pontificum IV,18; dies ist entweder eine Vermischung von Cynocephales und Blemmyae oder sowohl Adam als auch der altnordische Kompilator des Wundervöl­ kerverzeichnisses haben eine gemeinsame Quelle benutzt, in der diese etwas sonderbare Charakteristik der Cynocephales zu finden ist.

244 Hundsköpfige ➻ Cynocephales, ➻ Hundingjar v

Huntho bite ➻ Cynocephales Husi ➻ Grüne Menschen Hvítramenn (altnord., »Weißmänner«, ➻ Albani?). Die Übereinstimmung mit den Albani

ist keineswegs gesichert. Die Hvítramenn sind auch nicht als eigenständiges Ethnonym überliefert, sondern nur in dem Ländernamen Hvítramannaland, »Weißmännerland«, in der alt­isländischen Eiríks saga rauða, Kap. 12, in dem die Bewohner als weiß gekleidet geschildert werden. Hvítramannaland wird in der Landnámabók 162 erwähnt, in der es in der Nähe von Vinland und sechs Segeltage west­lich von Irland lokalisiert wird und könnte eine der von den Grönländern um das Jahr 1000 entdeckten Küsten Nordameri­ kas bezeichnen. LIT: Pálsson, 48 – 54; Simek: Wunder, 69 – 90. Hydrophagi (griech., »Wasseresser«) werden bei Gervasius von Tilbury: Otia imperialia

III,73 fälsch­licherweise die ➻ Ichthyophagi genannt, womit er der Hs C der Epistola Premo-

nis XVI,1 folgt, während Hs D sie noch stärker verballhornt als Homodubii. Hylobii werden bei Megasthenes die ➻ Gymnosophisten bezeichnet, die sich mit Blättern

kleiden und in Höhlen leben. LIT: Friedman, 167. Hymandropedes werden auf der Ebstorfkarte (Miller V,55) fälsch­licherweise die ➻ Himan­

topodes (»Riemenfüßler«) genannt. Hyperboräer sind nach ältesten griechischen Reiseberichte und Geographen wie Megas­

thenes, Strabo, Herodot ein Volk im äußersten Norden der Erde nahe der Erdachse. Laut Megasthenes werden die Bewohner 1000 Jahre alt, was in der Folge auf ihre glück­ lichen und fried­lichen Lebensumstände im fernen Norden zurückgeführt wird. Bei Pindar und Ovid: Metamorphosen 2,324 u. 2,365 nehmen sie geradezu mytholo­gischen Charakter an; im Gegensatz dazu erscheinen sie bei Plinius 4,88 – 91 u. 6,34 eher in rea­ lem geographischem Kontext; bei Martianus Capella VI ,664 f. sind sie kaum noch als Wundervolk zu erkennen, er beschreibt sie als langlebig, gläubig, von bemerkenswerten Bräuchen und in angenehmem Klima im Bereich der Mitternachtssonne lebend. Im 19.

245

und 20. Jahrhundert wurden die Hyperboräer sprichwört­lich für in Genügsamkeit glück­ liche und fröh­liche Menschen. LIT: Wittkower, 162; Bridgman; Strohmeyer; Van Windekens, 164 – 169. Iampasantes werden nur im anonymen De situ orbis (II ,1 u. 3) genannt, und sicher­lich

fälsch­lich für ➻ Campasantes oder Gamphasantes. LIT: Friedman 30. Ichthyophagi (griech., »Fischesser«) sind ein indisches Volk, das nur vom Genuss von

Fischen und salzigem Meerwasser lebt. Alexander der Große habe ihnen das Fangen von Fischen verboten (Plinius VI ,95: Ichthyophagos omnes Alexander vetuit piscibus vivere; Martianus Capella VI ,699). Laut Martianus Capella VI ,702 dagegen sind sie nahe von Babylon zu Hause, das er, da er das kleine und das große Babylon verwechselt, in Äthio­ pien lokalisiert; Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50v rezipiert nur die erste Stelle des Martianus als Yctiofagi, bei Gervasius von Tilbury: Otia imperialia II ,3 u. III ,73 wer­ den sie an der zweiten Stelle fälsch­lich als Hydrophagi, »Wasseresser«, bezeichnet. Im Brief Alexanders an Aristoteles werden ebenfalls Wassermenschen beschrieben, aber noch nicht als Fischesser deklariert; die Wassermenschen werden üb­licherweise als stark behaart und nackt dargestellt. Thomas von Cantimpré nennt die Ichthyophagi im Liber de natura rerum III ,5,7 Pirolopi; die Allegorese des auf ihm beruhenden altfrz. Liber de monstruosis hominibus deutet sie als falsche Verwalter. Mandeville bringt (Velser 169) insofern eine neue Variation ins Spiel, als sie bei ihm Fisch und Fleisch, aber beides nur roh essen: Das volck vermag sich als wol in dem mer als uff dem land, und essend visch und flaisch alles roches. Claude Lecouteux erklärt schlüssig den Weg des vielfach falsch überlieferten Namens Ichthyophagi bis zu einer Verwechslung mit den Faunen, wobei Zwischenformen wie Ictifans, Ictifauos, Ictiifaunos, Fagos, Faunos die Überleitung bilden. QU: Solinus 52,21 u. 54,3 (nur an der zweiten Stelle mit Namensnennung); Aethicus: Cosmographia 77 (Hictiophagi); De situ orbis 82; Honorius I,11; Jacobus de Vitriaco 92, 213 u. 222; Gervasius von Tilbury II,3 (ohne Namensnennung); Lucidarius 11,25 f.; Walter von Metz 112; altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  355 – 400; Liber monstrorum I,15; Lambert von St. Omer fol. 50v (faunos); Vinzenz: Speculum historiale VI,55; Ebstorfkarte: Miller V,49. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,109; Zajadacz-Hastenrath, 808. Ipsabari ➻ Psambari

246 Jung gebärende Frauen ➻ Smámeyjar Kannibalen ➻ Anthropophages Kentauren sind Mischwesen mit dem Kopf und Oberkörper

eines Mannes sowie dem Leib und den Beinen eines Pferdes (Hip­ pocentaur) oder Esels (Onocentaur). Die schon bei Homer erwähn­ ten (Ilias 2,742 ff.; Odyssee 21,295 ff.) und auf Amphorenbildern des 5. Jahrhunderts vor Chr. bild­lich dargestellten Kentauren gelten in der Antike gemeinsam mit den Satyrn als zum bacchantischen Gefolge des Dionysos gehörig und werden wie diese mit Wild­ heit, Trunkenheit und sexueller Aggressivität, aber auch noch mit Kampfeslust und Treffsicherheit mit dem Bogen assoziiert. Im Mit­ telalter werden die Kentauren häufig in der kirch­lichen Kunst und in Buchillustrationen, oft in Verbindung mit Sirenen, dargestellt und stehen für Trunksucht, männ­liche Sexuali­ tät und Unbeherrschtheit überhaupt und bilden somit das Pendant zur Eitelkeit und den Verführungskünsten der weib­lichen Sirenen. Während in der Antike et­liche Mythen zu den Kentauren existieren – etwa von der Begegnung des Herakles mit dem gastfreund­ lichen, aber dem Wein zugetanen Kentauren Pholos –, sind im Mittelalter nur zwei der antiken Mythen weiter rezipiert worden. Der erste Mythos handelt von Cheiron (Chiron), dem kentaurischen Erziehers des Achilles, der durch die Trojasage in die mittelalter­liche Literatur bis hin zu den mhd. Trojaromanen eingeht (dem Lied von Troye v. 17853 ff. des Herbort von Fritzlar vor 1210, dem Reinfried von Braunschweig v. 22574, dem unvollendeten Trojanerkrieg v. 5850 ff. des Konrad von Würzburg vor 1287, dem sogen. Göttweiger Trojanerkrieg v. 16487 ff. um 1280). Darin wird Cheiron als gelehrt, wohlerzogen und als talentierter Harfenspieler sowie als ausgezeichneter Schütze bezeichnet. Der andere Mythos schildert die sogen. Kentauromachie, die auch den mittelalter­lichen deutschen Autoren Konrad von Würzburg: Trojanerkrieg v. 6265 ff. und Rudolf von Ems: Weltchronik, v. 20134 ff. bekannt ist. Auch die übrige volkssprach­liche Literatur skizziert die Kentauren eher als Gegner denn als Erzieher, so im Daniel des Stricker v. 4279 ff., im Garel des Pleier v. 7658 ff. und im Wigalois v. 6931 ff. Nur im mittelhochdeutschen Summarium Heinrici III ,9,353 findet sich ein deutscher Ausdruck für »Centaurus homo equo mixtus«, näm­lich Halfhunt, »Halbhund«, aber das dürfte sich eher auf die Cynocephales beziehen, vgl. das entsprechende altengl. ➻ Healfhundingas für die Hundsköpfigen. QU: Fulgentius II,14; Mythographus Vaticanus I,154 u. 162, II,106 ff., III,4,6. LIT: Hunger; Lecouteux: Les Monstres, II,14 – 18.

247 Kleine Mädchen ➻ Smámeyjar Komani ➻ Comani Konocefali (falsch überliefert für Hippocephali) heißt ein pferdeköpfiges Volk in Ulrichs von

Eschenbach Alexandreis v.  23080 ff. mit hals und houbet als die phert, die Greifenfüße haben, Feuer speien und mit Stangen bewaffnet sind. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,27. Kopffüßler, bauchlose Menschen treten in der lat. Tradition gar nicht und in der mhd. Lite­

ratur nur selten auf. Nur in Ulrich von Eschenbach: Alexander bilden sie ein (Wunder-)Volk, das an den Grenzen Persiens lebt, wogegen im Daniel von dem Blühenden Tal v. 1882 ff. des Strickers das Bauchlose Ungeheuer ein Einzelwesen ist, dessen Herkunft nicht geklärt ist; Lecouteux hat zu Recht darauf verwiesen, dass keine Stelle in der Literatur, sondern eine der zahlreichen »Kopffüßler« unter den Drolerien als Quelle wahrschein­lich ist. LIT: Lecouteux: Ungeheuer, 272 – 276; Birkhan, 219 – 221. Kopflose ➻ Acephales, ➻ Blemmyae, ➻ Epiphages, ➻ Omophtalmes, ➻ Sternophtalmes Kranichschnäbler, im Herzog Ernst auch ➻ Grippianer, Menschen

mit Kranichköpfen und -hälsen, sind ein Wundervolk, das zwar lite­ rarisch und ikonographisch (sowohl in der Buchmalerei wie in der ­­Kirchendekoration) greifbar wird, aber keinen festen Platz unter den Fabelrassen der enzyklopädischen Literatur hat. Im Herzog Ernst v. 2206 ff. u. 2859 ff. werden sie als stolzes, höfisches Volk geschildert, das sich nur durch die Kranichköpfe und das Kranichgeschrei von einer höfisch-ritter­lichen Gesellschaft unterscheidet. Insofern gehö­ ren sie wie die im selben Werk genannten Einsterne (oder Arimaspi, Cyclopes) zu denjenigen Wundervölkern, die sich von den besuchenden Europäern nur durch ihre körper­liche Abweichung und allenfalls ihre orienta­lische Bewaffnung absetzen; höfische Lebensart ist demzufolge auch bei körper­lich Andersartigen mög­lich. Die Gesta Romanorum (Kap. 175) deuten die Kranichschnäbler (homines formosi sed capite et collo gruico cum rostris) in ihrer Allegorese als gute Richter, die sich ihr Urteil gründ­lich überlegen. Obwohl Lecouteux eine Stelle aus einem Brief des Petrus Damianus (ca. 1007 – 1072) anführen kann, in der einer inzestuösen Ehe ein »Sohn mit Gänsehals- und Kopf entspringt«

248

(PL 145, col. 580), scheint es mir wahrschein­licher, dass wie bei den ➻ Kopffüßlern ikono­ graphische Vorlagen zu ­diesem Wundervölk geführt haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Darstellungen der Kranichhälse keinen Kranichkopf, sondern einen mensch­lichen Kopf auf dem Vogelhals aufweisen. QU: Ulrich von Eschenbach v. 25163 ff. (ohne Namensnennung); Reinfried von Braunschweig v.  19834 – 401, 19665, 20280 – 342; Göttweiger Trojanerkrieg v.  15945 ff.; Diu Mörin 418 ff.; Hartmann Schedel 12r (Eripia, von Grippia des Herzog Ernst); Brendan v. 905 ff. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 798 f.; Lecouteux: Kranichschnäbler, 100 – 102; Lecouteux: Les Monstres, II,94 – 98; Szklenar, 165 f. Kurzlebiges indisches Frauenvolk ➻ Frauen, die mit fünf Jahren gebären und mit acht

Jahren sterben, ➻ Smámeyjar Kvennir (»Frauen«) ist die altskandinavische Bezeichnung für diverse Frauenvölker des

europäischen Nordens, darunter in erster Linie die ➻ Amazonen. Die im Mittelalter als Übersetzung von Terra Feminarum oder Insula Feminarum »Frauenland, Fraueninsel« (so bei Adam von Bremen IV,19) verbreitete Bezeichnung geht auf den Ländernamen Kvenland/ Kvænland zurück, der sich zwar eigent­lich vom kare­lischen Stamm der Kvenir/Quenir ablei­ tet, aber im Mittelalter (falsch) etymologisiert wurde, indem man den Plural des Wortes für Frau kona/kvinna/kvenna, näm­lich kvennir, heranzog. So fiel dieses angeb­liche Frauenland mit dem Land der Amazonen zusammen und erreichte in der hoch- und spätmittelalter­ lichen isländischen Literatur sogar mythischen Status als Heimat der Riesinnen (Fundinn Noregr; Barðar saga Snæfellsáss). LIT: Wiklund, 103 – 17; Krabbo, 37 – 51: 49; Vilkuna; Simek: Elusive Elysia; Thallner, 47; Simek: Kosmographie.; Simek: Wunder, 69 – 90; Simek: Monstra. Kynocephales ➻ Cynocephales Laeraces sind ein als eselsköpfig dargestelltes Volk, das ausschließ­lich in der Epistola ­Premonis

XXI, fol. 78v-87v in der Fassung des Codex Cotton Tiberius B. V aus dem 11. Jahrhundert so

benannt wird und wohl den pferdeköpfigen Völkern der Equinocephali der anderen Versio­ nen entsprechen soll, die auch als Hippocefali, Konocefali u. ä. erscheinen. Lästrygonen (griech. Laistrygones), riesige Menschenfresser. Die L. sind in Homers Odyssee

10,80 – 132 ein Volk menschenfressender Riesen, an die Odysseus im fernen Westen vor seiner Begegnung mit Circe 11 seiner 12 Schiffe verliert, weil sie mit Felsen nach seiner Flotte werfen.

249

Später wurden sie mit den sizilianischen Cyclopes am Fuß des Ätna identifiziert, aber trotz Erwähnungen in der römischen Literatur (Ovid: Metamorphosen 14,233 – 240; Plinius: Naturalis historia 3,59 u. a.) scheinen die Lästrygonen von mittelalter­lichen Autoren nicht rezipiert worden zu sein. Lamiae heißen in den Wundervölkerverzeichnissen Frauen, die Pfer­

defüße und fersenlanges Haar haben, sieben Fuß groß, aber wunder­ schön sind; wohingegen in der griechischen Mythologie vampirhafte weib­liche Dämonen als Lamien bezeichnet werden. Ob ein direkter Zusammenhang zwischen beiden besteht, ist unsicher; Letztere gehen auf Lamia, eine Geliebte des Zeus zurück, die von der eifersüchti­ gen Hera in den Wahnsinn getrieben ihre eigenen Kinder tötet und dann aus Rache die Kinder anderer Menschen entführt und tötet. Im mittelalter­lichen Volksglauben scheinen Lamiae nach der Beschrei­ bung des Gervasius von Tilbury (Otia imperialia III,85 u. 86) eine ähn­liche Funktion gehabt zu haben: es sind Frauen, die nachts ins Haus einbrechen, Sachen in Unordnung bringen, die Menschen (wie ein Alp) im Schlaf quälen, aber auch kleine Kinder töten. Als Lamiae wird diese Untergruppe der ➻ Hippopodes in der Historia de preliis J2 179,11 ff. oder I2, Kap. 95 und, ohne diesen Namen, in der Epistola Premonis XXI (vgl. die Illustration im Codex Cotton Tiberius B. V, fol. 85r) aufgeführt. Der Name dieser ursprüng­lich als dämonische Succubi oder Furien verstandenen Frauen stammt zwar bereits aus dem AT (Jes 34,14), die Interpretationen sind aber sehr verschieden, wobei die Vorstellung von Frauen mit einer Art Tierkörper den gemeinsamen Nenner abgeben dürfte. Vinzenz von Beauvais (Speculum Naturale XIX,65) beschreibt diese Tiere (Lamia … est animal magnum & crudelissimum) mit Ziegenkörper und Pferdebeinen und beruft sich ausdrück­lich auf den Liber de natura rerum des Thomas, in dem ebenfalls eindeutig ein Tier gemeint ist. Die meisten mittelalter­lichen Enzyklopädisten rechnen sie ebenfalls eher zu den Tieren als zu den Wundermenschen, nur die deutsche Übersetzung des Briefs des Priesterkönigs Johannes (Zarncke 950) schildert sie so ausgeprägt als mensch­lich wie die genannte Epistola Premonis: Sie seien schöne Frauen mit langen Haaren, aber Kamelfüßen (vgl. ➻ Frauen mit Behaarung), allerdings nennen beide keinen Namen, sodass es sich mög­licherweise nicht um dasselbe Volk handelt. Wie bei Thomas von Cantimpré werden sie auch bei Konrad von Megenberg (ed. Pfeiffer 145) nicht unter den Menschen, sondern den Tieren angeführt und deshalb auch mit einer allegorischen Ausdeutung versehen, die in beiden Fällen die Grausamkeit betont. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 783 f; Lecouteux: Les Monstres, II,89 f.; Mode, 248.

250 [Lamorianer]. Im Land Lamori in Indien, das der Apostel Thomas

bekehrt haben soll, gehen laut Mandeville (Velser 112 f.; Diemerin­ gen II,10) die Menschen beiden Geschlechts immer nackt, weil sie es für Sünde halten, den von Gott geschaffen Leib zu verstecken. Auch haben sie kein Konzept der Ehe, sondern jeder paart sich mit jedem, wodurch Erbstreitigkeiten vermieden werden, da niemand seinen Vater kennt, und alle gleich reich sind. Obwohl das Volk als Menschenfresser beschrieben ist, wird es ausdrück­lich tugendhaft genannt, allerdings folgt dann der Nachsatz, dass sie Kinder mästen und an Kaufleute verkaufen würden, die sie wiederum an andere Menschenfresser verkauften. Lamphitie kommen nur bei Johannes Bischof als verballhornte Bezeichnung der

➻ Blemmyae vor. Lânîch werden in Ulrichs von Eschenbach Alexander v.  22108 – 137 die ➻ Lamiae genannt

und als langhaarige, geschwänzte Frauen mit Pferdehufen beschrieben, wobei ihr Körper zusätz­lich wie ein Strauß gefiedert ist. Lapphite (nur bei Johannes Bischof) ➻ Skiopodes Latori ist in den mhd. Mandeville-Übersetzungen (z. B. Velser 125)

die Hauptstadt einer Insel, die zum indischen Inselreich Sandin gehört, und in der ein Volk lebt, dessen Frauen zwar wunderschön sind, dessen Männer aber Bärte haben, die kaum 40 oder 60 Haare zählen und wie Katzenschnurrbärte aussehen.

Lemanae ist die bei Bartholomäus Anglicus: De proprietatibus rerum XV ,52 zu findende

Form der ➻ Blemmyae. Lemne, Lemme, wird im Summarium Heinrici III,9,321 f. als Namensform für die ➻ Blemmyae

verwendet, vgl. auch Lemanae, Lempnates, Lennates, Leucani, Lamphitie u. v. a. m. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,5.

251 Lempnates nennt Lambert von St. Omer: Liber floridus, fol. 53r die ➻ Blemmyae und Len­

nates an anderer Stelle (Liber floridus fol. 50v). Lennates ➻ Lempnates Leucani sind offenbar eine verballhornte Form der ➻ Blemmyae bei Vinzenz (Speculum

naturale XXXI,127: Leucanos in Lybia credunt truncos sine capita nasci, & os, & oculos habere in pectore: »Man glaubt, dass die Leucani in Lybien ohne Köpfe geboren würden und Mund und Augen auf der Brust hätten.«), wofür aber eine fehlerhafte Isidor-Handschrift verantwort­ lich sein könnte, da sie sich bei der von Vinzenz vorwiegend verwendeten Vorlage nur als Blemmyae finden. Luistuzen heißt ein Volk in einer mhd. Fassung des Briefs des Priesterkönigs Johannes: an

dem hirn ein auge sy hant, luistuzen sint sy genant (Zarncke 960, v. 311 f.), bei dem es sich offenbar um ➻ Cyclopes handelt. Lycophagi (griech., »Wolfsesser«) finden sich nur im mhd. Summarium Heinrici III ,9,344 f.,

in dem sie äußerst knapp als Licofagi populi lupos commendentes, »Das Volk der Lycophagen verzehrt Wölfe«, beschrieben werden, offenbar als stimmige Ergänzung und fast wört­lich nachgebildet zu den direkt vorangehenden Anthropophagi: Ambrones vel antropofagi populi homines comedentes, »Das Volk der Ambronen oder Anthropophagen verzehrt Menschen.« Macameron ist in der mhd. Übersetzung des Mandeville durch Otto von Diemeringen

(gedruckt in Basel 1481; Buch II ,14) ein Land, das offenbar als Teil von Indien gedacht ist und als dessen Bewohner er die Hundsköpfigen beschreibt, denen er aber im Gegensatz zu all den Wundervölkern des Nachbarlandes ➻ Dondin dieses Mal doch einen Namen, ver­ ballhornt als Cenofali, gibt. Die ausführ­liche Schilderung des Reichs zeigt die Cenofali als gottesfürchtig, ein Rind anbetend und äusserst streitbar und tapfer. Macrobii (griech., »Langlebige«), langlebige Riesen. Die M. sind ursprüng­lich ein lang­

lebiges Volk (so Plinius VII,27 f.; Solinus 30,9 – 10: Macrobii Aethiopes), deren Untergruppe, die ➻ Pandae, mit weißen Haaren geboren wird, die im Alter nachdunkeln. Im Mittelalter hat man ihnen zudem die Eigenschaften von Riesen zugewiesen, sodass sie meist als 12 Fuß groß oder wie bei Ratramnus von Corbie von doppelter mensch­licher Größe (Epistola de Cynocephalis col. 1155) beschrieben werden. Vinzenz liefert im Speculum naturale XXXI,127 die bei Isidor fehlende (weil offensicht­lich?) griechische Etymologie mit: Macron enim græci

252

longum dicunt, »macron nennen die Griechen näm­lich lang.«, was auf Größe statt Lang­ lebigkeit bezogen wird. Meist wird eng an Isidor XI,3,26 anschließend (wie bei Hrabanus maurus VII ) nur mehr die Größe, nicht mehr die Langlebigkeit erwähnt; und die Größe kann Steigerungen erfahren, wie bei Mandeville (Velser 164), der ohne Namensnennung von 40 Fuß große Riesen auf einer Insel in Indien berichtet, die sich in Tierhäute kleiden, kein Brot kennen, sich von Milch und rohem Fleisch, am liebsten Menschenfleisch, ernähren und keine Häuser besitzen. Bei Honorius: Imago mundi I,11 werden sie ebenfalls als 12 Fuß groß und gegen löwenartige Greifen kämpfend beschrieben, vergleichbar mit dem im Text zuvor geschilderten Kampf der Pygmäen gegen die Kraniche. QU: Lambert von St. Omer fol. 53r; Summarium Heinrici III,9,333 f.; Gervasius von Tilbury II,3; Vinzenz von Beauvais: Speculum Historiale I,93; Bartholomäus Anglicus XV,73; Rudolf von Ems: Weltchronik v.  1524 – 30; Apollonius von Tyrland v. 10982. Magog ➻ Gog und Magog Mandes, kurzlebiges Frauenvolk. Laut Plinius VII , 29, der Megasthenes als Quelle anführt,

sind die Mandes ein kurzlebiges Volk von Frauen, die mit sieben Jahren gebären und nicht älter als 40 Jahre alt werden; sie leben in 300 Dörfern und ernähren sich von Heuschrecken; eine Steigerung der Eigenschaften dieses Fabelvolks könnte zur Entstehung des mit 5 Jahren gebärenden und acht Jahre nicht überlebenden Frauenvolks geführt haben, ➻ Smámeyjar. LIT: Thallner, 15. Manticora gehört eigent­lich nicht zu den Wundervölkern, sondern ist ein in Indien leben­

des Mischwesen aus dem Körper eines Löwen, dem Schwanz eines Skorpions und dem Kopf eines Menschen, aber mit drei Zahnreihen. Es wird nichts darüber ausgesagt, ob es in einem oder mehreren Exemplaren existiert. Es ist blutrot, ernährt sich von Menschenfleisch und zischt wie eine Schlange. Das Fabelwesen geht auf Vergil: Aeneis VI,646 zurück und ist im Mittelalter in der Enzyklopädik häufig zu finden, wird allerdings trotz des Menschenhaupts nicht zu den humanoiden Fabelwesen gezählt; auch wenn die Quellen darüber nichts aus­ sagen, scheint es ein Einzelwesen zu sein und gehört somit nicht zu den Wundervölkern. QU: Gervasius von Tilbury II,3. Maritimi Ethiopi (lat., »am Meer lebende Äthiopier«) sind ein scharfäugiges Volk im äußersten

Süden Afrikas – dort grenzt Äthiopien nach ma. Auffassung an den Äquatorialozean –, dessen wesent­liches Merkmal seine besondere Scharfsichtigkeit ist (Plinius VI,194, nur Namen, auch als Nisicathas oder Nisitas, ohne Eigenschaften), die es beim Bogenschießen unter Beweis

253

stellt und die in der Folge als Vieräugigkeit ausgelegt wird (Solinus 30,6). Ursprüng­lich war der Verweis auf das doppelte Augenpaar nur ein Gleichnis für ihre Sehkraft. In den Gesta Romanorum 576 und in den bild­lichen Darstellungen (so bei Hartmann Schedel) scheint dagegen eine tatsäch­liche Vieräugigkeit angenommen worden zu sein, wobei bei Gautier de Metz die Augenpaare wie in den Handschriften der eng­lischen Bestiarien übereinander, bei Schedel jedoch nebeneinander angeordnet werden. Bei Gervasius von Tilbury hat dieses in der Gegend von Mesopotamien angesiedelte Volk nicht nur vier, sondern sogar acht Augen und acht Beine (Otia imperialia III,81, nach der Epistola Premonis X,2). Nur auf der Welt­ karte von Ebstorf heißen sie fälsch­licherweise, doch wegen ihrer Verortung im Süden nicht völlig fernliegend, Mauritani Ethyopes. In der allegorischen Auslegung der Gesta Romanorum sind sie positiv konnotiert, da je eines der vier Augen auf Gott, Welt, Teufel und Fleisch gerichtet ist, um allen Übeln zu entgehen. QU: Solinus 30,6; Bartholomäus Anglicus XV,52; Psalterkarte: Miller III,42; Ebstorfkarte: Miller V,60; Volksbuch Lucidarius 113. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 761 f.; Friedman, 17; Lecouteux: Les Monstres, II,117 s. v. Polyphtalmes. Maritimi Indi sind wilde, am Meer lebende Inder und erscheinen nur in der Historia Alexandri

Magni Macedonis IX,10,8 – 10 des Quintus Curtius Rufus: Hic pervenit ad maritimos Indos. Desertam vastamque regionem late tenent ac ne cum finitimis quidem ullo commercii iure miscentur. (9) Ipsa solitudo natura quoque immitia efferavit ingenia: prominent ungues numquam recisi, comae hirsutae et intonsae sunt. (10) Tuguria conchis et ceteris purgamentis maris instruunt. Ferarum pellibus tecti piscibus sole duratis et maiorum quoque beluarum, quae fluctus eiecit, carne vescuntur. »Von hier gelangt man zu den Indern, die am Meer leben. Sie bewohnen in weiter Ausdehnung eine öde und wüste Gegend und stehen mit ihren Nach­ barn nicht einmal durch irgend­welche Handelsbeziehungen in Kontakt. Ihre Nägel ragen weit vor, ohne jemals geschnitten zu werden, ihr Haar ist struppig und ungeschoren. Ihre Hütten bauen sie aus Muscheln und anderen Dingen, die das Meer auswirft. Sie sind mit Tierfellen bekleidet und nähren sich von an der Sonne getrockneten Fischen und größeren vom Meer angeschwemmten Walen.« QU: Quintus Curtius Rufus 2, 244 f. Mauritani Ethiopi ➻ Maritimi Ethiopi Menschen, deren Kinder mit Kröten geboren werden, und bei denen das Fehlen einer

­solchen Kröte bei der Geburt als Z ­ eichen für den Ehebruch der Mutter gewertet wird. Dieses

254

nur bei Thomas von Cantimpré: Liber de natura rerum III,5 genannte Volk wird in der alle­ gorisierenden altfrz. Übersetzung des Thomas im Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1211 – 52 als Argument gegen die Sexualität in der Ehe als reine Lustbefriedigung angeführt, da diese zu einem häufigeren Auftreten von Missgeburten führen soll – eine mir sonst aus dem Mittelalter nicht bekannte Theorie. Menschen, die Jungfrauen fürchten ➻ Frauenanbieter Menschen, die nur rohes Fleisch und Honig essen. Ein derartiges Volk von großen Menschen,

die am Ozean wohnen und sich durch ihre etwas eigenwillige Diät auszeichnen, findet sich seit der Epistola Premonis und daran anschließend im Liber monstrorum I,25 sowie bei Thomas von Cantimpré III,5 und den auf ihm beruhenden Liber de monstruosis hominibus orientis v.  1663 – 80; die Allegorese im altfrz. Text deutet sie als Materialisten, die sich welt­lichen Vergnügungen hin­ geben und in deren falscher Freund­lichkeit (= Honig) ihre Falschheit und Eitelkeit sichtbar wird. Menschen, die sich selbst verbrennen. Menschen, die sich aus religiösem Eifer selbst

verbrennen, werden bei Thomas von Cantimpré: Liber de natura rerum III ,5,1 genannt, so auch im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 193 – 214, in dem die Allegorese allen Menschen, die sich aus übergroßer Liebe verzehrten, das Höllenfeuer androht. Menschen mit doppeltem Gesicht ➻ Menschen mit leuchtendem mageren Körper, 12 Fuß

groß und mit doppeltem Gesicht und langer Nase Menschen mit Buckel ➻ Bucklige Menschen mit Drachenschwänzen ➻ Dracontopodes Menschen mit dünnen Gliedmaßen (»Riemenfüßler«) ➻ Himantopodes Menschen mit Hörnern ➻ Cornuti, ➻ Faune, ➻ Satyrn Menschen mit einem Arm und einem Bein ➻ Ciclopedes Menschen mit farbiger Haut ➻ Goldfarbene Menschen, ➻ Grüne Menschen, ➻ Rote

Menschen, ➻ Schwarze Menschen

255 Menschen mit großem Fuß ➻ Skiopodes Menschen mit großen Ohren ➻ Panotii Menschen mit heraushängendem Darm kommen nur bei Mande­

ville (Velser 104) auf einer indischen Insel namens Arygnes/Agnes vor; Mandeville erklärt das Phänomen so, dass die Menschen wegen der großen Hitze ihren Darm herausstülpen und zur Kühlung in einen Fluss hängen. Sie sehen auf den Holzschnitten wie Schwanz­ träger (➻ Caudiferes) aus, werden aber folgendermaßen beschrieben: vnd do ist als grosse hitz das den lewten der arschdarm außgat vnd un hanget biß auf die knye von grossen fluß wegen den sy gewinnen das sy von hücze als offt zestuol müssen geen (so die Mandeville-Über­ setzung von Otto von Diemeringen). Menschen mit Hundeköpfen ➻ Cynocephales Menschen mit Hundezähnen ➻ Cynodontes Menschen mit je acht Zehen an jedem Fuß ➻ Antipedes Menschen mit Kranichschnäbeln ➻ Kranichschnäbler Menschen mit kriechendem Gang ➻ Artibatirae Menschen mit leuchtendem mageren Körper, 12 Fuß groß und mit doppeltem Gesicht und langer Nase, in einigen Texten auch als Menschenfresser bezeichnet, stammen mög­

licherweise aus derselben Tradition wie die ➻ Donestre, bei denen die horizontale Zweitei­ lung sekundär sein könnte. Andere Zweigesichtige tauchen bei Johannes de Hese auf, schei­ nen aber auf Gog und Magog bezogen zu sein. In Thomas‘ von Cantimpré Liber de natura rerum III,5,38 (Homines quidam in Brixanti fluvio habitant, corpora miri candoris habentes, altitudinis duodecim pedum, facie bipertita et naso longo et corpore macilento, »Menschen, die im Fluss Brixantus wohnen und einen wunderbar strahlenden Körper haben, 12 Fuß groß sind, ein zweigeteiltes Gesicht, eine lange Nase und einen mageren Körper«) gleichen sie ein wenig den ➻ Schönen Frauen im Fluss Indus; und als Frauen wird dieses Volk auch in der moralisatio des altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  1085 – 1112 so interpretiert:

256

Sie gleichen jenen Frauen, deren trügerischer Mund mit üblem Atem zur Vorsicht mahnt, gar oft schaden sie dem Ehegatten. Kein doppeltes Gesicht, aber dafür eine Größe von 15 Fuß und einen wie Marmor leuchtenden Körper haben sie im Liber monstrorum I,43 und ähn­lich auch in den verschiedenen Fassungen der Epistola Premonis XXVI,4. Die Allegorese sieht in ihnen arrogante Skeptiker, die die Lehren der K ­ irche anzweifeln, ihren kirch­lichen Zehnten nicht bezahlen und ketzerische Reden führen. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 788. Menschen mit leuchtenden Augen , die wie Laternen leuchten, werden in der Epistola

Premonis XXVI,5 erwähnt (Est in alia insula in qua nascuntur homines quorum oculi sicut lucerna lucent), so auch im Liber monstrorum I,36 und bei Thomas von Cantimpré; und noch im 13. Jahrhundert verwendet Vinzenz von Beauvais ähn­liche Worte (Speculum naturale 32,128: Homines quidam Orientis sunt statura mediocri, quorum vt lucernæ lucent oculi, »Es gibt Menschen im Osten von mittlerer Größe, deren Augen wie Laternen leuchten«). Kon­ rad von Megenberg 493 übersetzt Thomas von Cantimpré: Liber de natura rerum III,5, 35: Ez sint auch etleich läut gegen der sunnen aufganch, die sint ebenmæzig an dem leib, niht ze grôz noch ze klain, der augen läuhtent sam ain lieht in ainer lucern. Ob wegen des Leuchtens ein Zusammenhang mit den ➻ Albani bestehen könnte, ist unsicher. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,108. Menschen mit Löwenhaupt, die sehr groß gewachsen sind und bei der Flucht Blut schwitzen,

kommen nur in der Fassung D des Briefs des Farasmanes XVII,4 vor, während die anderen Fassung einen ➻ Equinocephalen mit Löwenfüßen erwähnen. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 789. Menschen mit nach hinten gekehrten Füßen ➻ Antipedes Menschen mit Pferdefüßen ➻ Hippopodes Menschen mit Schwänzen ➻ Caudatae Menschen mit riesiger Unterlippe ➻ Amycterae

257 Menschen mit sechs Armen (griech. Hexachires, allerdings wird

dieser Begriff m. W. nicht als Name verwendet), werden häufig mit Menschen mit sechs Händen an jedem Arm verwechselt, und selbst die Beschreibung bei Konrad von Megenberg 490 (Ez sint auch wild läut, der hât iegleichz sehs hend), der sie zudem als wild bezeichnet, weicht von den ikonographischen Darstellungen der Drucke seines Werkes ab, in denen durchweg sechs Arme abgebildet sind. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,87. Menschen mit sechs Fingern an jeder Hand finden sich schon bei

Augustinus: De Civitate Dei XVI,8, sowie im Liber monstrorum I,5, in dem sie auch als riesig und kriegslustig beschrieben werden. In den Gesta Romanorum und bei Hartmann Schedel: Buch der Chroniken Bl. 12 haben diese Menschen auch 6 Zehen. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 761 f.; Thallner, 16, Anm. 93. Menschen mit sechs Füßen (griech. Hexapodes, wird nicht als Name verwendet) finden sich

nur in den Fassungen des Pseudo-Kallisthenes, haben aber keinen Eingang in die mittelalter­ liche westeuropäische Literatur gefunden. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,87 f. Menschen mit sechs Händen an jedem Arm oder insgesamt 6 Händen (Konrad von

Megenberg 490: Ez sint auch wild läut, der hât iegleichz sehs hend) sind ein wildes Volk aus der Alexanderdichtung und von dort nur ausnahmsweise in die Enzyklopädik übernom­ men worden, wohl wegen der Unwahrschein­lichkeit einer ­solchen Existenz. Thomas von Cantimpré zufolge sind sie ein Waldvolk, die Allegorese im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis deutet sie positiv als mit Almosen freigiebige Menschen, ebenso in den Gesta Romanorum, in denen sie als Menschen interpretiert werden, die sich Schätze fürs Himmelreich schaffen. QU: Pfaffe Lambrecht v. 5005 ff.; Basler Alexander v. 3380 ff.; Ulrich von Eschenbach v. 21669 ff. (als Agrestes); Jacobus de Vitriaco 92, 214; Thomas von Cantimpré III,5; altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  903 – 28; Volksbuch Lucidarius 110; Hartmann Schedel. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 788 f; Lecouteux: Les Monstres, I,87. Menschen mit verwachsenem Mund (Strohhalmtrinker) ➻ Astomes (II )

258 Menschen mit vier Augen ➻ Maritimi Menschen mit zwei Gesichtern, ➻ Menschen mit leuchtendem mageren Körper, 12 Fuß groß

und mit doppeltem Gesicht und langer Nase, ➻ Homodubii, ➻ Donestre, ➻ Gog und Magog Menschen mit zwei Köpfen werden nur bei Konrad von Megenberg 487 erwähnt, aber

ausdrück­lich nicht als Teil der Wundervölkerbeschreibung, sondern als Beispiel für Missge­ burten. Dennoch wurde von den Illustratoren der Druckfassungen gerade eine ­solche Miss­ geburt als eines der Wundervölker dargestellt, was erst auf ­diesem Umweg zur Annahme zweiköpfiger Menschen als Völker führte. Menschen mit zwei Pupillen in jedem Auge ➻ Bitiae Menschen mit zweigeteiltem Gesicht ➻ Menschen mit leuchtendem mageren Körper,

12 Fuß groß und mit doppeltem Gesicht und langer Nase Menschen mit 12 Füßen, 6 Armen, 12 Händen, 4 Köpfen und je zwei Mündern und drei Augen finden sich nur in einer Fassung des Briefes des Priesterkönigs Johannes (Zarncke

911) und stellen wohl die extremste Form rein numerischer Übertreibung bei der Beschrei­ bung von Wundervölkern dar. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,119. Menschen ohne Kopf ➻ Acephales, ➻ Blemmyae Menschen ohne Mund ➻ Astomes (I) Menschen ohne Nase ➻ Arhines Menschen ohne Oberlippe kommen nur bei Plinius (VI ,187: alias superiore labro orbas) in

Äthiopien vor; es ist allerdings nicht unwahrschein­lich, dass dabei ein Zusammenhang zu den ➻ Amycterae besteht. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 791. Menschen ohne Ohren ➻ Psambari Menschen ohne Zunge ➻ Aglosses

259 Menschenfresser ➻ Anthropophagi, ➻ Patrophagi Mischmenschen (homines commixti) nennt nur der Liber monstrorum I,19 die ➻ Herma­

phroditen. Monocoli (griech., »Einbeinige«) ➻ Skiopodes Monoculi (griech., »Einäugige«), ist eine neutrale Bezeichnung für

alle Arten von Einäugigen, vgl. ➻ Arimaspi und ➻ Cyclopes. Im Itinerarius 182 f. des Johannes de Hese werden sie als kleine und dicke, aber tapfere Menschenfresser in der Nähe Äthio­piens beschrieben. Auf der Herefordkarte (Miller IV ,33) sind die Monoculi zwar eingetragen, aber als Monocoli (also ➻ Skiopodes) deklariert. QU: Gervasius von Tilbury II,3. Monomates (➻ Cyclopes?) sind Strabo XV ,1,57 zufolge bei Megasthenes ein Volk von einäu­

gigen, hundeohrigen Menschen mit behaarten Brüsten und struppigen Haaren, die später noch beim byzantinischen Verfasser Johannes Tzetzes vorkommen. LIT: Wittkower, 159 – 97: 162; Lecouteux: Les Monstres, III,17 u. 20. Monopedae ➻ Skiapodes Mux heißt ein Volk in einer mhd. Fassung des Briefs des Priesterkönigs Johannes: ein Volkh

haizzt mux sunder wanch, ein aug im an der stirn stet (Zarncke 997, v. 218 f.), es handelt sich dabei offenbar um die ➻ Cyclopes. Nisicathas oder Nisitas heißen nur bei Plinius VI,194 die vieräugigen äthiopischen Maritimi. Nyctalopes (griech.) sind bei Plinius VIII ,203 einerseits ein Volk, das in der Nacht ebenso

gut sieht wie bei Tag, werden aber andernorts (VII,12) offenbar mit den Albani gleichgesetzt. QU: De monstris hominum (Isidor versificatus) v. 21 f. LIT: Lecouteux:, Les Monstres, II,117 u. III,7. Onocentaurus ➻ Kentauren

260 Ophiophages (griech., »Schlangenfresser«), ein selten genanntes

afrikanisches Volk. Die Schlangenfresser werden bei Plinius (VI,169: quos Opiophagos vocant, serbentibus vesci adsueti) auch unter dem Namen Candiae oder Panchaei und bei Solinus 169,5 als eine Gruppe von Troglodyten genannt; die Ebstorfkarte kennt sie als Ofiofagis, doch das Bild eines geschwänzten, gehörnten Menschen mit Hun­ dekopf passt nicht dazu. Mandeville, der sie auf einer Inseln namens Tracorde (Velser 121, Diemeringen II,14: Dracorde) platziert, lässt sie in Erdlöchern wohnen und rohe Schlangen essen, zudem sind sie e

bei ihm stumm: Da ist volck die wonent in den holern in der erd und hond kein huß. Und die essend schlangen rohe und die redent núntz. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,117; Miller, V,60; Friedman, 27. Ôren (mhd., »Ohren«, für ➻ Panotii), ein im Herzog Ernst als wild und kriegerisch beschrie­

benes Volk (v. 4852 ff ), dessen einzige Bekleidung aus ihren übergroßen Ohren besteht und das mit Speeren bewaffnet ist. LIT: Szklenar, 168. Orestas, unter ­diesem Namen wird in der Weltchronik des Rudolf von Ems bei der Bespre­

chung Indiens ein Wundervolk (?) gemeinsam mit den Garmanen und Côâtras, aber ohne jeg­liche Nennung der Eigenschaften, erwähnt. Quelle für diese Völker ist die Imago mundi I,11 des Honorius von Autun, der sie offenbar in bewaldeten Hochgebirgen ansiedelt. LIT: Simek: Wundervölker, 37 – 44: 38 f. Otoliknoi ➻ Panotii Oxydraken (auch ➻ Gymnosophisten) sind ein Volk von indischen Weisen. Die O. galten

ursprüng­lich bei den griechischen Historikern als starkes, wehrhaftes Volk; in der Historia de Preliis I1, Kap. 90 werden sie offenbar mit Brahmanen (ausführ­lich dann Kap. 98 – 102: Brief­ wechsel Alexanders mit Dindimus, dem König der Brahmanen) ➻ Gymnosophisten vermischt, die Alexander einen Brief schreiben, weil sie mit niemandem Krieg führen. Die mit Abstand ausführ­lichste mittelalter­liche Quelle zu den Oxydraken bietet Thomas von Cantimpré, der sie als Exydraken bezeichnet, aber Gymnosophisten als alternative Bezeichnung anführt und damit ebenfalls zur Vermischung beiträgt. Hier sind sie nicht nur von einer bis zur völligen Nacktheit reichenden Armut und Bedürfnislosigkeit gekennzeichnet, sondern diese Askese wird in dem Dialog zwischen Alexander dem Großen und den Oxydraken untermauert. Dabei

261

bietet Alexander den nackten und armen Weisen an, ihnen zu geben, worum sie ihn auch bitten mögen, und sie bitten ihn daraufhin um die Unsterb­lichkeit, die er ihnen jedoch als ebenfalls sterb­licher Mensch nicht geben kann. Das gibt ihnen die Gelegenheit, den Sinn seiner Erobe­ rungszüge zu hinterfragen, wenn er selbst sterb­lich und daher mit seinem Tod alles hinfällig sei. Die altfrz. Versallegorese Liber de monstruosis hominibus orientis v.  105 – 152 interpretiert dieses Volk als Warnung vor Üppigkeit in Kleidung, Wohnung und Nahrung, weil Reichtum den Weg ins Himmelreich verstelle. QU: Res gestae Alexandri Macedonis 119,21 (Oxydracontes); Historia de Preliis (Zingerle 214). Pandae (auch Pandarae) sind ein langlebiges Volk. Die P. sind eine von Ktesias eingeführte

Untergruppe der langlebigen ➻ Macrobii; an anderer Stelle werden sie nur als Volk von Frauen beschrieben; sie werden mit weißen (oder grauen) Haaren geboren, die im Alter nachdunkeln, und gebären nur einmal im Leben Kinder, wie in der einfachsten Form bei Mandeville (Velser 101): Item in dem land wenn ir kind jung sind, so hond sie gräwes har; wenn sie gros werdent, so ist in daz har schwartz. Die Allegorese im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  287 – 320, deutet sie als Menschen, die im Alter ihre Frömmigkeit vergessen. Laut Shafer geht der Name auf die altindische Völkerschaft der Pāņdavas zurück, da sie neben den Kurukşetra leben, die Ktesias aus dem Sanskrit übersetzend fälsch­licherweise als Hunde­köpfige interpretiert hatte. QU: Plinius VII,28; Solinus 15,28; De monstris Indie v. 20 – 25; Jacobus de Vitriaco 92, 222; Volksbuch Lucidarius 12,3 f.; Gervasius II,3; Vinzenz: Speculum historiale I,93; Bartholomäus XV,73; Thomas von Cantimpré III,5,5; Brunetto Latini I,122,21; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,105; Konrad von Megenberg 489. LIT: Shafer, 491 – 503: 499 – 502. Panotii (griech., »Großohren«) sind Menschen mit riesigen Ohren,

mit denen sie sich bedecken können. Die P. treten in der antiken und mittelalter­lichen Literatur unter verschiedenen Namen (außer Panotii meist Panathios, aber auch Pharesii, Fanesii und Hanesii, Phaneses auf der Herefordkarte vor der Küste Chinas) und in unterschied­lichen Formen auf. Während Ktesias und Megasthenes die beschriebene Rasse von Großohren nicht nament­lich benennen, unterscheidet der byzant. Autor Johannes Tzetzes im 12. Jahrhundert Otoliknoi (»Fäch­ erohren«) und Enotokoitai, wobei Letztere die großen Ohren verwen­ den, um sich darin einzuwickeln und sich so vor der Sonne zu s­ chützen; Erstere haben wie Fächer geformte Ohren, die den Rücken bis zum Ellenbogen hinabreichen (so schon Ktesias). Etwas abweichend berichtet Plinius IV,95 von den nackten Fanesii im Norden Skythiens, dass

262

sie sich in ihre Ohren hüllen und so vor der Kälte s­ chützen; und als skythisches Volk tauchen sie auch im Summarium Heinrici III,9, 323 ff.: Panathios apud Scithiam ferunt esse […], »Die Panoti sollen bei Skythien sein«, sowie bei Vinzenz: Speculum Naturale 31,127 auf: Panothios apud Scythiam esse ferunt tam diffusa magnitudine aurium, vt omne corpus ex eis contegant. Eine andere Beschreibung liefern die Epistola Premonis XXVI,4 sowie daraus abgeleitet die Otia imperialia III,77, in denen die Großohren als großköpfig und 15 oder 16 Fuß groß und 7 breit beschrieben werden, einen weißen Körper und Ohren wie Segel haben, sodass man glauben könnte, sie würden davonfliegen. Ikonographisch sind in dieser Tradition auch Panotii belegt (London, Cotton Vitellius A XV), deren Ohren zwar nicht übermäßig groß, aber wie handförmige Fächer geformt sind. Bei diesen könnte außer den genannten Fächer­ ohren ein direkter Einfluss altindischer Epen vorliegen (vgl. dazu Wittkower: Marvels, 164). Mit streifenartig über die Arme drapierten langen Ohren zeigt die untypische Abbildung in der Handschrift BL, Cotton Tiberius B V., fol. 83v die Panotii. Die Gesta Romanorum deuten die Langohren als Menschen, die das Wort Gottes anhören, um sich dadurch vor Versuchungen zu ­schützen (S. 575), während moralisierende Bestiarien die großen Ohren als zugäng­lich für böse Einflüsterungen versteht (Zajadacz-Hastenrath, 795) und Johannes Bischof (ÖNB Cod. 2827, f. 254ra) die in Sizilien angesiedelten Panoti als indiskrete Horcher interpretiert, die gehaim sagent, also Geheimnisse verraten. QU: Plinius IV,95 u. VII,30; Solinus 19,8; Isidor XI,3,19; Hrabanus Maurus VII,7; Liber monstrorum I,43; Lambert von St. Omer fol. 50v u. 53r; Pseudo-Ovid Nr. 72; Gervasius III,78; Vinzenz: Speculum historiale I,92 f. ; Bartholomäus XVIII,46; Ebstorfkarte: Miller V,35; Hartmann Schedel 12v; Volksbuch Lucidarius 109; Wiener Genesis v. 646; Millstädter Genesis 26,7; Reinfried von Braunschweig v.  19412 f. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 794 – 796; Lecouteux: Les Monstres, II,147, III,7. Panphagi (griech., »Allesfresser«) sind ein Wundervolk von Allesfressern bei Plinius VI ,195

(Pamphagi omnia mandentes). LIT: Friedman, 27. Panthios, Pantheos ➻ Panotii Parossiten werden als reales nordasiatisches Volk bei Johannes de Plano Carpini (Risch

153) beschrieben, entsprechen aber weitgehend den Astomi, da sie einen sehr kleinen Mund haben und sich deshalb vorwiegend vom Geruch und weniger vom Genuss des von ihnen gekochten Fleisches ernähren, das sie nur in ganz weicher Form einsaugen können. LIT: Thallner, 12 u. 14, Anm. 67 u. 84.

263 Patbari, damit sind die einäugigen Arimaspi gemeint, die sich unter d ­ iesem verballhornten

Namen nur bei Johannes Bischof finden: ÖNB Cod. 2827, f. 253rb: Auch haissent ett­lich Patbari, die scholten haben tzway augen, ains damit sie an sehen daz himmelreich mit dem anderen sehen an die Erden. Aber das erst haben sie verlorn, mit dem anderen muchten sy das irrdisch, das mag leicht sein der chnecht der ain phu[n]d hat, daz ist ein gute verstendichait di er in der Erden verpirgt, worauf er empfiehlt, sie mögen auch das verbliebene (irdische) Auge ausrei­ ßen. Da die Arimaspi nicht bei Isidor vorkommen, wohl aber bei dem im darauffolgenden Abschnitt von Johannes Bischof genannten Liber de proprietatibus rerum des Bartholomäus Anglicus, dürfte er das Volk von dort bezogen haben. Patrophagi (oder Patrophages, griech., »Elternesser«, auch Elternmäster genannt) sind ein

indisches Volk, das die Eltern vor dem Tode durch Altersschwäche mästet, dann schlachtet und im Freundeskreis im Festmahl verzehrt, da sie es als unrühm­lich ansehen, die Eltern von Würmern fressen zu lassen; »sie denken schlecht zu handeln, wenn sie sie alt werden lassen, ohne sie zu erschlagen, und sie mager sterben« (nach einem altisl. Wundervölkertext; Simek: Kosmographie, 468). Von diesen Elternmästern berichtet auch Jean de Mandeville (Velser 124: auf einer Insel namens Sandin, bei Diemeringen II,14: Dondin: Und da ist volck von wunder­licher natur, wann der vatter isset den sun, und der sun den vatter, und daz wib den man, und der man daz wib), wobei er weiter ausführt, dass dieses Wundervolk bei Erkran­ kung eines Familienmitglieds den Medizinmann befragt, ob dieses eine Überlebenschance habe; falls nicht, so wird es erstickt, gesotten, gebraten und im Rahmen eines Festmahls von allen Freunden und Verwandten verzehrt. Diese Form des von ihm sehr negativ gezeichne­ ten Kannibalismus (Endokannibalismus) erwähnt auch Marco Polo (169; mhd. Marco Polo 55 f.) in seinem Reisebericht für die Inseln Java und Sumatra und besonders für ein Reich namens Dagroian/Dagrayam im nörd­lichen Sumatra. Konrad von Megenberg hebt vor allem die religiösen Motive der Patrophagi hervor: Ez sint auch läut, die vater und muoter toetent in dem alter und beraitent ir flaisch zuo ainer wirtschaft und ezzent daz mit irn freunden und ahtent daz für ain hailigz guotz werk, und wer daz mit in niht tuot, den prüefent si ainen ungötleichen menschen (489). Einen verlorenen Aristoteleskommentar zu Buch 5 des Liber Topicorum des Ranulphus Niger (ca.1146-ca. 1200) zitiert Gervasius von Tilbury: Otia imperialia II ,3 zum Thema Pat­ rophagen: Sunt loca, sunt gentes, quibus est mactare parentes, cum mors aut pietas aut longa supervenit etas (MGH , SS 27, 370), »Länder gibt es und Völker, bei denen es üb­lich ist, die Eltern zu schlachten / wenn der Tod droht, die Liebe es gebietet oder sie ein hohes Alter erreicht haben.« Dieser einprägsame Vers mag durchaus zum hohen Bekanntheitsgrad der Patrophagen im Mittelalter beigetragen haben, auch wenn er m. W. nur bei Gervasius und

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als unvollständiges Zitat bei Roger of Wendover in dessen Flores historiarum belegt ist. Die allegorische Auslegung im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  215 – 254 sieht in ihnen Menschen mit falscher Religiosität, denen in Wirk­lichkeit der wahre Glaube fehle. QU: Solinus 32,4 u. 52,22; Honorius I,11 ohne Namensnennung; De monstris Indiae v.  9 – 13; Walter von Metz 111; Lambert von St. Omer fol. 53r (Derbix); Bartholomäus XVIII,46; Brunetto Latini: Tresor I,122,21; Thomas von Cantimpré III,5,2; altfrz. Liber de monstruosis hominibus ­orientis v. 215 – 226; Heinrich von Neustadt: Apollonius von Tyrland v.  10990 ff.; Lucidarius 11,22 ff. LIT: Lecouteux: Les monstres, I,9. Phanesii oder Pharesii ➻ Panotii Pigmei ➻ Pygmäen Pilosi (lat., »Behaarte«) sind am ganzen Körper behaarte Menschen auf einer Insel im indi­

schen Ozean. Grau wie Hunde behaarte, häß­liche Menschen erwähnt Thomas von Cantimpré ebenso wie der altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1025 – 50, der in der Allegorese demgegenüber die Schönheit nach Gottes Ebenbild der normalen Menschen preist. Ganz ver­ ballhornt als setosi homines nennt sie auch der Liber monstrorum I,15, der sie mit den an den Ufern des Indischen Ozeans lebenden Ichthyophagen gleichsetzt; als böse dagegen beschreibt e

sie Mandeville (Velser 115): da sind lút von bo ser natur, und ziehent gros hund und lerent sy e

die lút erwúrgen […] Und sind ruch und stigent als bald uff die bom als die katzen. Dass dabei die spätmittelalter­lichen Vorstellungen von Wildmenschen eine Rolle gespielt haben, scheint mir wegen der stark negativen Zeichnung weniger wahrschein­lich. Pirolopi ➻ Wassermenschen, ➻ Ichthyophagi Platfüeze (mhd.) werden die ➻ Skiopodes nur in der Weltchronik des Jansen Enikel

v. 25080 genannt. Plathüeve (mhd., lat. Skiopodes, »Platthufe«) werden die ➻ Skiopodes im Herzog Ernst

v. 4671 ff. genannt, die Beschreibung folgt jedoch der für die deutschsprachigen Quellen typischen Umdeutung in der Christherrechronik, derzufolge sie einen großen flachen Schwa­ nenfuß zum Schutz vor Unwettern und nicht vor der Sonne be­nutzen. Allerdings werden die Skiopdes hier noch weiter zu einem zweibeinigen, kriegerischen Volk verändert, das die benachbarten Arimaspi (= Cyclopes) bedroht; im Verhältnis zur antiken Tradition stellt dies

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eine Rollenumkehr dar, da die menschenfressenden und riesenhaften Cyclopes zu Opfern der ansonsten immer als fried­lich geschilderten Skiopodes werden. LIT: Szklenar, 167 f.; Gerhardt, 13 – 87. Polyphtalmi (griech., »Vieläuger«) ➻ Maritimi Prechami (mhd., lat. Pygmaei) wird im Herzog Ernst v. 4898 ff. das zwergenhafte Volk aus

dem Land Arimaspi genannt, dem Ernst im Kampf gegen die benachbarten Kraniche beisteht; allein wegen dieses Krieges ist die Identifikation mit den Pygmäen gesichert, auch wenn die Herkunft ihres Namens und ihres Perkamêren lant (v. 5324) unklar ist. LIT: Szklenar, 169. Prosumbari ➻ Psambari Psambari (auch Psambares, Prosumbari, Ipsabari, Sambri, Sesambri, Ambari), ohrenloses

Volk in Afrika. Sie werden auf einigen mittelalter­lichen Mappae mundi (Weltkarte des Ranul­ phus Higden: Prosumbari, Ebstorfkarte: Ipsabares oder Impersibares) und in der Folge auch in Sebastian Münsters Cosmographia (Basel 1544) als ohrenloses Wundervolk dargestellt, auf der Herefordkarte dagegen als Ambari mit den ➻ Antipedes vermischt. Als Vorlage für das ohrenlose Volk dienen Vermerke bei Plinius VI,192 (hier als Sesambri oder Sambri: apud quos quadropedes omnes sine auribus etiam elephanti, »bei ihnen haben die Vierfüßer alle keine Ohren, auch die Elephanten«) und bei Solinus 30,5 (als Psambari), dass im Gebiet dieses äthiopischen Volkes alle vierfüßigen Tiere ohne Ohren seien, wobei Plinius das Volk selbst eigent­lich nicht einschließt (so auch ohne Namensnennung Bartholomäus Anglicus XV,52). QU: Ebstorfkarte: Miller V,60. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 753. Psilli (Psylli), ein gegen (Schlangen-)Gift unempfind­licher afrikanischer Stamm. Die P. sind

ein äthiopisches Wundervolk, das Plinius V,27 in Afrika zwischen Garamantes und Augilae anführt und das teilweise auch mit den Garamantes verwechselt wird. Es hat die Phantasie mittelalter­licher Autoren besonders angeregt, da diese Immunität als Vaterschaftstest genutzt werden konnte, vgl. die Mappa mundi von Ebstorf (Miller V,60): Psilli populi in hoc loco fuerunt. Gens scilicet incredibilis nature, contra serpentum virus munita. Soli namque inter homines ad morsus serpentum non interibant. Denique nuper natos parvulos serpentibus offerebant; qui si degeneres essent et adulterio concepti, continuo matrum adulteria morte sua prodebant; si vero generosi essent, a serpentibus non ledebantur. »Das Volk der Psylli lebte hier, Menschen von einer unglaub­lichen Natur, gegen Schlangengift gefeit. Es waren die einzigen Menschen,

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die vom Schlangenbiß nicht starben. Neugeborene hielten sie den Schlangen vor; wenn sie kränk­lich waren und im Ehebruch gezeugt, so bewies ihr Tod den Ehebruch der Mutter. Wenn mit ihnen alles in Ordnung war, wurden sie von den Schlangen nicht verletzt.« In der Literatur und den Mappae mundi Skandinaviens werden dafür die ➻ Getuli mit ähn­lichen Eigenschaften eingesetzt. Ptonebari oder Ptoemphani nennt nur Plinius VI,192 ein afrikanisches Volk, das einen Hund

als König hat, dessen Bewegungen sie als Befehle deuten: at ex Africae parte Ptonebari, Ptoemphani, qui canem pro rege habent, motu eius imperia augurantes. Pygmäen, kleinwüchsige Menschen. Sie sind nach antiker und ma.

Tradition ein Volk von Menschen, die nur eine Elle messen und in den indischen Bergen wohnen, womit aber (schon bei Plinius V,108; VI ,70; VI ,188; VII ,26 f.) Äthiopien gemeint ist, was dann in den meisten jüngeren Quellen selbstverständ­lich wird. Nur verein­ zelt werden sie zusammen mit den Amazonen und Cynocephales in Skythien verortet, wobei in der nordeuropäischen Tradition zum Verständnis der Pygmäen die Begegnung mit Sami, Inuit und ande­ ren nordsibirischen Ethnien eine Rolle gespielt haben mag. Bereits zu Zeiten Martianus Capellas im 4. Jahrhundert ist der Begriff so eingeführt, dass er nicht mehr ihre geringe Größe anzuführt, sondern nur mehr ihre Wohnorte in Bergen nahe dem Ozean erwähnt (Martianus Capella VI,695). Schon in der ältesten Tradition, bei Homer (Ilias III ,3), in der verlorenen Indika des Ktesias sowie bei Megasthenes, ist ihr Kennzeichen der Kampf mit Kranichen (Solinus 52,15 u. 19; Liber monstrorum I,23; Gervasius II,3; De monstris hominum v. 17 f.; Vinzenz: Speculum historiale I,55 u. 93 und Speculum naturale XXXI,128; Gesta Romanorum Kap. 175). Selbst in bild­lichen Darstellungen wie der Ebstorfkarte (Miller V,50) und in angeb­lichen Sichtungen in Reiseberichten wie dem Itinerarius (182) des Utrechter Priesters Johannes de Hese von 1489 ist dieses Faktum erwähnt, das erklärt, weshalb die Pygmäen häufig mit Schwertern und Schilden oder mit Pfeil und Bogen bewaffnet dargestellt werden. Im Mittelalter erfährt die Legende diverse Ausgestaltungen. Die Pygmäen und ihr Krieg mit den Kranichen bleiben zwar im Zentrum, hinzu kommt, dass sie auf Ziegenböcken oder Hirschen reiten und ihren Frauen bzw. ihnen selbst Eigenschaften des kurzlebigen Frauen­ volks (➻ Smámeyjar) zugeschrieben werden, das nicht länger 12 Jahre lebt. Noch zusätz­lich übertrieben wird dies bei Mandeville (Velser 127 f.), der die Lebenszeiten der an der Grenze zum tartarischen Großkhan lebenden Pygmäen drastisch verkürzt: Von dem land so kumpt

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man in ain ander Land, das haisset Ducham. Und das grösß wasserr gät mitten durch das land. Item in dem land da ist das klainest volck das ich ye gesach von mannen und von frowen, wan e

sie sind kum dryer spang lang, und sie sind gar schon und kúnnent wol mit den luten sich begön. Wen sie aines halben jårs alt werdent, so måchland sie sich, und in dem andern jär tragent sie kind, und lebent nit lenger den sechs oder súben jär; und welhes súben jär alt wird, das ist gar alt. […] Item sie hond och garr grössen strytt mit denn vogeln von dem land, wann sie vähend und essend sie. Die hier nur mehr drei Spannen langen Pygmäen heiraten mit einem halben Jahr, ein Jahr später bekommen sie Kinder, und sie sterben mit sechs oder sieben; ein Sieben­ jähriger gilt als sehr alt, sie kämpfen mit nicht näher bezeichneten Vögeln, die sie auch essen. Trotz des hohen Bekanntheitsgrades des Volkes wird ihr Name häufig verballhornt wie­ dergegeben, etwa in Handschriften des Briefs des Priesterkönigs Johannes als Pigrei oder Piceni, im Herzog Ernst (bewusst?) als ➻ Prechami. Während der bewaffnete Kampf gegen die Kraniche ikonographisch im Vordergrund steht, spielen die Pygmäen stellvertretend für alle Wundervölker eine ganz andere Rolle im mittelalter­lichen wissenschaft­lichen Diskurs über die Mensch­lichkeit der monströsen Ras­ sen. Eine Allegorese im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  1113 – 40 deutet die kleinen schwachen Pygmäen dahingehend, dass es falsch sei, auf die eigene Stärke zu bauen, weil die durch Krankheit oder Tod schnell vorbei sein könne. QU: Augustinus XVI,8; Aulus Gellius IX,4; Isidor XI,3,7 u. 26; Hrabanus Maurus VII,7; Ratramnus von Corbie col 1155; De situ orbis 78 u. 81; Summarium Heinrici III,9,335; Lambert von St. Omer fol. 50v u. 53r; Priesterkönig Johannes: Zarncke 911; Jacobus de Vitriaco 92, 214; Gervasius von Tilbury II,3; Vinzenz: Speculum naturale XXXI,127 (u. 130?); Bartholomäus XV, 21 u. XVIII,84; Konrad von Megenberg 489; Mappa mundi des Ranulphus Higden: Miller III,103).

Mit Erwähnung der Kurzlebigkeit: Lucidarius 11,8; Jacobus de Vitriaco 92, 215; Rudolf von Ems: Weltchronik 1503 ff.; Thomas von Cantimpré III,5,4; altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1113 – 24; Walter von Metz 111; Vinzenz: Speculum naturale XXX,124,128,130; Brunetto Latini I,122,21; Apollonius von Tyrland 10964; Mandeville 128; Ulrich von Eschen­ bach v. 25059 ff.; Reinfried von Braunschweig v. 18374, 23993, 25019. LIT: Hennig, 20 – 4; Szklenar, 169; Pietro: Etnografia; Janni: I Pigmei, 113 – 23; Janson, 718 – 35; Gusinde: Kenntnisse; Lecouteux: Les Monstres, II,153 u. III,7, 17, 26, 28, 30, 43; Münkler, 229 – 250. Pygmäen ohne Gehör, die nur einmal im Jahr essen, werden nur im altfrz. Liber de mon-

struosis hominibus Orientis v. 277 – 286 erwähnt, der die knappen Angaben zu den Pygmäen des Thomas von Cantimpré im Liber de natura rerum III,5,4 deut­lich erweitert und sie alle­ gorisch als Narren deutet, die auf niemanden hören.

268 Quinocoephali (wohl statt Equinocephali) ➻ Conopoenas, ➻ Healfhundingas Rhizophagi (griech., »Wurzelesser«) sind ein nur durch seine Diät gekennzeichnetes Volk in

Libya, d. h. Afrika, in der armenischen Geographie (5. Jh.?) des Pseudo-Moses von Chorene. LIT: Friedman, 27. Riemenfüßler ➻ Himantopedes Riesen gehören einerseits zu den Wundervölkern, insofern sie auch in fremden Ländern und

von wunder­licher Größe geschildert werden, andererseits weichen sie ebenso wie Zwerge und Alben/Elfen als einheimische Wesen und mythische Urwesen fast aller Kulturbereiche von der Definition eines Wundervolks ab. Sie entstammen sowohl der altjüdischen Tradition des AT (vgl. auch ➻ Canaan, ➻ Gigantes), der homerischen und sonstigen antiken Literatur (vgl. ➻ Cyclopes) wie auch der germanischen Mythologie und werden in den mittelalter­ lichen Enzyklopädien ebenso häufig behandelt wie in der Literatur. Das Bild des gewaltigen, destruktiven, aber auch tölpelhaften Riesen der einheimischen Mythologie wird vor allem für die literarischen Beschreibungen der Riesen im Mittelalter konstitutiv, während das rein destruktive Element am ehesten bei den ➻ Cyclopes integriert und die (theolo­gischen) Erklä­ rungsversuche zur Herkunft von Riesen mit den ➻ Gigantes verbunden werden. LIT: Hartmann: Trollvorstellungen; Lecouteux: Les Monstres, II,32 – 82 (stellt über 150 Riesenna­men der ma. Literatur zusammen); Motz, 70 – 84; Motz, 216 – 36; Schulz; Simek: Lexikon, 346 – 348: Riesen als Höhlenbewohner und Menschenfresser finden sich nur im altfrz. Liber de

monstruosis hominibus orientis v. 1553 – 90, während in der Vorlage dieser Übersetzung bei Thomas von Cantimpré an dieser Stelle von Herkules die Rede ist. Die dazugehörige Allego­ rese warnt die Starken davor, allzu hochmütig zu sein. Riesen mit kurzer Lebensdauer werden nur in der Allegorese des altfrz. Liber de monstruo-

sis hominibus orientis v. 255 – 276 genannt, der ihnen außerdem Tod bei Zornesausbrüchen andichtet und in ihnen die unsichere Macht welt­licher Herrscher sieht. Dagegen werden in der Vorlage bei Thomas von Cantimpré: Liber de natura rerum III,5, 3 die Riesen wie in der Tradition üb­lich als so groß bezeichnet, dass sie über Elefanten steigen können. Rote Menschen kommen nur im Göttweiger Trojanerkrieg v. 15290 – 15388, sind aber kein

echtes Wundervolk, sondern eher eine poetisch-exotische Ausschmückung dieser Stelle. LIT: Lecouteux: Les monstres, II,92.

269 Sambri ➻ Psambari Satiri ➻ Satyrn Satyrn (griech./lat. Satyri) sind hakennasige, gehörnte und ziegen­

füßige Menschen (Isidor: Etymologiae XI,3,21), die aus der niederen Mythologie des antiken Griechenland stammen, in der sie, gleich den Silenen, die lüsternen Anhänger des Dionysos bilden und den weib­ lichen Nymphen verwandt sind; Satyrn sind in der antiken Tradition noch vorwiegend hippomorph, durchweg männ­lich und durch ihren Phallus zusätz­lich auch charakter­lich gekennzeichnet. Die sexuelle Komponente dürfte noch im Frühmittelalter dominant gewesen sein, denn der Liber monstrorum I,46 setzt sie mit den Incubi, den männ­ lichen Nachtdämonen, gleich, erwähnt aber, dass man sie in mensch­ licher Form und ähn­lich den Faunen darstellt, und unterscheidet sie somit von echten Dämo­ nen. Nach Martianus Capella VI,674 und Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50v ist nur ihr Gesicht mensch­lich, der Körper ist der eines Ziegenbocks. Seit A ­ ugustinus (De civitate dei XV,33) werden die Satyrn häufig mit den ➻ Faunen verwechselt, die nach lateinischer Tradition für das nächt­liche Albdrücken (also als incubus) verantwort­lich gemacht werden, auch die Allegorese bei Johannes Bischof setzt Faune und Satyrn gleich (ÖNB Cod. 2827, f. f.  253rb-253va). Ganz untypisch und offenbar von der antiken Tradition weitgehend abgelöst sind die sprachlosen Satyrn bei Mandeville (Velser 32) als merwunder bezeichnet, die in der ägypti­ e

schen Wüste leben und so beschrieben werden: »… in der wu stin ain mer wunder. Das waz von dem houbt byß zů dem nabel geschaffen als eáin mensch, wann daz es zway scharpffen horn hett an der stirnnen. Und von dem nabel hin dan was es geschaffen als ain gaiß. Nur das mhd. Summarium Heinrici III,9,326 – 329 nennt m. W. für die Satyrn (hier Satiri) einen deutschen Namen, waltscherekken, was jedoch eher ihre Funktion erklärt. Allerdings ist dieser Waldschrecken, »Walddämon«, als Übersetzung von fauni, silvestres homines, waltscrechel (zudem schrat, schretel, waltscraze, waltschretel) in den ahd. Glossen belegt (Steinmeyer/ Sievers 3, 273, 44), wenn auch nicht ausdrück­lich für die Satyrn. Dies ist umso interessanter, da wegen der fehlenden Übereinstimmung der Eigenschaften abgesehen vonRiesen und Zwergen Wundervölker kaum mit Wesen der einheimischen niederen Mythologie gleichgesetzt werden, sodass wir u. U. von einheimischen Vorbildern bei den Satyrn und Faunen ausgehen müssen. QU: Plinius VII,24; Solinus 31,5 f.; Anonymi de situ orbis libri duo II,1 u. 3; Hrabanus Maurus VII,7; Priesterkönig Johannes: Zarncke 911; Pseudo-Ovid Nr. 61; Walter Map: De nugis

270 curalium I,11; Vinzenz: Speculum naturale XXXI,127 u. Speculum historiale I,92 f.; Gervasius I,18; Bartholomäus Anglicus XV,52; Ebstorfkarte: Miller V,61; Reinfried von Braunschweig v. 19692; Volksbuch Lucidarius 110. LIT: Grimm, Bd. 14, Sp. 1192; Lecouteux: Les Monstres, I,157 u. II,156; Friedman, 30. Schafsgesichtige Langhälse finden sich nur im mhd. Marco Polo 57, während das Original

von langhälsigen Hundsköpfigen spricht und eine Art von Cynocephales meint (Marco Polo 170). Es handelt sich vermut­lich um einen unabsicht­lichen Fehler, denn noch die Überschrift des Abschnitts lautet hundischin lutin. Schattenfüßler ➻ Skiopodes Schnabelkrägen ➻ Kranichschnäbler Schöne Frauen im Indus ➻ Wasserfrauen, ➻ Lamiae, ➻ Cynodontes, ➻ Frauen mit

­weißem Leib und scharfen Zähnen Schöne Menschen im Brixantes sind ein von den Schönen Frauen im Indus (➻ Wasser­

frauen, ➻ Lamiae, ➻ Cynodontes, ➻ Frauen mit weißem Leib und scharfen Zähnen) zu unterscheidendes Fabelvolk bei Thomas von Cantimpré III,5,38; ➻ Menschen mit leuchten­ dem mageren Körper, 12 Fuß groß und mit doppeltem Gesicht und langer Nase. Schöne Menschen , die im Osten am Ozean wohnen, werden ohne Namen bei Thomas

von Cantimpré: Liber de natura rerum III ,5,36 genannt; der Grund für ihre Schönheit sei der Genuss von rohem Fleisch und bestem Met. Im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.1663 – 96 wird der Akzent anders gesetzt, ➻ Menschen, die rohes Fleisch und Honig essen. Schwarze Menschen ➻ Äthiopier Scinodopes ➻ Skiopodes Sciopodes ➻ Skiopodes Sciritae (lat., auch Sciratas, »Nasenlose«), flachgesichtige Asiaten, kommen bereits bei

Megasthenes vor, auf den sich Plinius VII,25 beruft, und dürften höchstwahrschein­lich auf

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die flachen Gesichter chine­sischer oder zentralasiatischer Völker zurückzuführen sein; dass ein nasenloses Volk bei Plinius VI ,187 ohne Namen in Äthiopien erwähnt wird, braucht kein Widerspruch zu sein, da Indien und Äthiopien seit der Spätanktike verwechselt werden. LIT: Wittkower, 159 – 197: 162; Zajadacz-Hastenrath, 793 f; Thallner, 14 f.; Friedman, 184. Sechsfingrige ➻ Menschen mit sechs Fingern an jeder Hand Sechshänder ➻ Menschen mit sechs Händen Serbotae (lat., Syrbotae, Sorbete), afrikanische Riesen, sind seit Plinius und Solinus

ein äthiopisches Volk, dessen Mitglieder bis zu 12 Fuß groß werden (Serbotae longi sunt ad pedes duodecim, Solinus 30,4; Syrbotae qui octonum cubitorum esse dicuntur, Plinius 6,190). Sie werden zwar nur selten erwähnt, da in Westafrika mit den Macrobii schon ein anderes übergroßes Volk existierte, finden aber Eingang in die Ebstorfkarte: Hic sunt Sorbete Ethyopes. QU: Ebstorfkarte: Miller V,60. Sesambri ➻ Psambari Setosi homines, behaarte Menschen, ➻ Pilosi Silhearwan (altengl., auch Sigelwara, »Sonnen-bewohner«) finden sich nur in der alteng­

lischen Übersetzung der Epistola Premonis XXIV ,1 (Codex Cotton Tiberius B V) für lat. ➻ Äthiopes. LIT: Gibb, 175. Silvestres (lat., »Waldmenschen«) finden sich bei Thomas von Cantimpré: Liber de natura

rerum III,5,29 als homines silvestres, vermut­lich als Variante der ➻ Wildmenschen; die Alle­ gorese im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1363 – 82 deutet sie als die Neidi­ schen, die die Gesellschaft fliehen. Singes (wohl statt Sphinges) wird auf der Ebstorfkarte fälsch­licherweise als Legende für

einen Satyrn, Faun oder ➻ Aegipanen eingetragen. Die Sphingen sind bei Plinius VIII,72 und Isidor 12,2,32 jedoch eine Affenart und zählen nicht zu den Wundervölkern. QU: Ebstorfkarte: Miller V,60 f.

272 Sirenen sind in der antiken Mythologie singende oder musizierende

weib­liche Wesen, die durch ihren Gesang die vorbeifahrenden See­ leute in den Tod locken. Seit Homer: Odyssee 12, 39 – 55 und 166 – 200 treten erst zwei Sirenen, später dann meist drei Sirenen zusammen auf. Ihre Gestalt wird in der Antike noch meist wie die der Harpyen als Mischwesen zwischen Mensch und Vogel und erst seit dem Mittelalter auch zwischen Mensch und Fisch dargestellt. Auch das Summarium Heinrici III,9,346 ff. spricht von drei Sirenen, die unter wört­lichem Zitat aus Isidor XI,3,30 f. noch als Vogelfrauen beschrieben werden. Im Liber monstrorum I,6 werden sie als Meerweiber (marinae puellae) bezeichnet, die durch die Schönheit ihrer Gestalt und ihren süßen Gesang verführen, aber unterhalb des Nabels Fischschwänze haben – über ihre Zahl wird hier nichts ausgesagt. Trotz ihrer ungemeinen Verbreitung in bildender Kunst und Literatur gibt es seit Isidor eine Tradition, die die Sire­ nen euhemeristisch als Hafen­huren deutet, die durch ihr Gewerbe im metaphorischen Sinn zum Untergang der Seeleuten werden (Isidor XI,3,30 f.; Vinzenz: Speculum naturale XVII,129). Die unüb­lich ausführ­liche Allegorese in den Gesta Romanorum (Kap. 237) deutet die drei Sirenen als die drei Dinge, die den Menschen zu Sünden verführen, das Fleisch, die Welt und der Teufel, ihre drei Gesänge aber sind die Vergnügungen, die Reichtümer und die welt­lichen Ehren. LIT: Courcelle, 33 – 48. Skiopodes (griech., auch Skiapodes, Skinopodes, »Schattenfüßler«,

mhd. ➻ Plathüeve, altnord. ➻ Einfoetingar, lat. auch Unipedes nach griech. Monoculi oder Monocoli) sind einfüßige Menschen. Sie sind üb­licherweise ein Volk von Menschen mit einem Bein und einem gro­ ßen Fuß, den sie auf dem Rücken liegend zum Schutz vor der Sonne verwenden; zumeist werden sie in Äthiopien bzw. in Afrika, manchmal in Indien oder, noch seltener, in nörd­lichen Gegenden angesiedelt. In der Ikonographie der Mappae mundi dienen die Skiopodes vereinzelt zur Illustration des Antipodenkontinents im Süden. Formativ ist hier­ für eine Stelle bei Isidor: Etymologiae XI,3,23: Sciopodum gens fertur in Aethiopia singulis cruribus et celeritate mirabili: quos inde skiopodas Graeci vocant, eo quod per aestum in terra resupini iacentes pedum suorum magnitudine adumbrentur, »Das Volk der Skio­ poden in Äthiopien soll nur einen Fuß und wunderbare Geschwindigkeit haben; die Griechen nannten sie Schattenfüßler, weil sie sich in der Sonnenhitze auf den Rücken auf den Boden leg­ ten und sich durch die Größe ihres Fußes beschatteten.«; ebenso Konrad von Megenberg 490:

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Läut sint, die habent neur ainen fuoz und laufent gar snell, und der fuoz ist sô prait, daz er ainen grôzen schaten gibt gegen der sunnen, und ruoent si under irm fuoz reht sam under aim obdach. Während in der lateinischen Literatur und der volkssprach­lichen Enzyklopädik die Skio­ podes mit ihrem großen Fuß durch ihre große Geschwindigkeit beim Laufen und Jagen sowie die schattenspendende Funktion charakterisiert werden, verlagert sich in der volkssprach­ lichen deutschen Literatur der Schwerpunkt auf den Schutz vor Regen und Unwetter; dabei wird die schon bei Ktesias bezeugte Entenform des Fußes als Schwanenfuß wieder aufge­ nommen, was natür­lich zu Lasten der Schnelligkeit geht, vgl. die Plathueve im Herzog Ernst, sowie die Abbildung im Rutland Psalter: British Library, Add. 62925, f. 87v. Auffällig ist aus zwei Gründen die Erwähnung von Einfüßigen (hier Unipedes genannt) in der Historia Tartarorum: Erstens werden sie im Norden Asiens lokalisiert, und das in einer Weise, die dem Auftreten des als Einfoeting bezeichneten Unipeden auf dem neuentdeckten amerikanischen Kontinent in der altnord. Eiríks saga rauða entspricht (auch sie schießen mit Pfeil und Bogen und verschwinden blitzartig), zweitens ist der hier verwendete Begriff Unipedes in der älteren Literatur nicht üb­lich. Die Historia Tartarorum ist eine direkt von der Historia Mongalorum, die der Franziskaner Johann de Plano Carpini 1247 auf der Rückreise von seiner Mission nach Zentralasien verfasste, abhängige Beschreibung der Mongo­lischen Völker, dieser hatte das Wundervolk allerdings noch als Ciclopedes (vermengt aus Cyclopes und Scipodes) bezeichnet. Die nordeuropäische Tradition klingt auf den ersten Ptolemäus­ karten des 15. Jahrhunderts nach, auf denen sich im äußersten Norden Skandinaviens unter anderen Wundervölkern und Fabeltieren die Legende Vnipedes maritimi verzeichnet findet. Die Gesta Romanorum (Kap. 175) deuten die Schnelligkeit als ­Zeichen der Liebe, die den Menschen schnell ins Himmelreich bringt. Dagegen hat die nordwesteuropädische Umdeutung, nach der sich die Skiopoden mit ihrem Fuß vor Wind, Wetter und Sturm s­ chützen, auch in der Allegorese des altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v. 777 – 820 ihren Niederschlag gefunden, der diese Tatsache für seine Allegorese nützt, in der er die Skiopoden mit schlechten Einsiedlern oder unsteten Mönchen vergleicht, die die Regel der stabilitas loci nicht einhalten und dem Sturm der Versuchungen nicht standhalten. Eine dritte Allegorese für die Skiopoden (unter der falschen Bezeichnung Lapphite) findet sich bei Johannes Bischof (ÖNB Cod. 2827, f. 253va-b), der in ihnen die ewig Gierigen sieht, die nur dem irdischem Besitz nachlaufen. QU: Plinius VII,23; Solinus 52,29; Aulus Gellius IX,4; Augustinus XVI,8; Isidor XI,3,23; Liber monstrorum I,17; De monstris hominum v.  15 f.; De monstris Indie v. 30 – 34; Hrabanus Maurus VII,7; Summarium Heinrici III,9,329 ff.; Honorius I,12; Jacobus de Vitriaco 92, 214); Lambert von St. Omer fol. 53r (Cynopides); Pseudo-Ovid Nr. 56 (Scenopoda); Thomas von Cantimpré III,5; Gervasius von Tilbury II,3; Vinzenz: Speculum naturale XXXI,127 u. Speculum historiale I,92; Bartholomäus Anglicus XVIII,46; Psalterkarte: Miller III,42; Mappa mundi des Ranulphus

274 Higden: Miller III,105 (Monocollus); Jans Enikel: Weltchronik v. 25080 (platfüeze); Hartmann Schedel Nürnberg 1493,12r; Mandeville 101; Volksbuch Lucidarius 110; Ulrich von Eschenbach v. 25176 – 180 (ohne Namensnennung); Rudolf von Ems: Weltchronik 1618 ff. (Cenodopes); Reinfreid von Braunschweig v. 19370; Weltkarte des Andreas Walsperger; Wiener Genesis 650; Millstädter Genesis 26,8; König Rother v. 1862; LIT: Zajadacz-Hastenrath, 800 – 804; Gerhardt, 13 – 87; Lecouteux: Herzog Ernst, 1 – 21; Simek: Wunder, 69 – 90; Björnbo, 130; vgl. auch Storm: Studier, 317, Anm. 1. Smámeyjar (altnord., »Kleine Mädchen«) ist eine Bezeichnung, die nur in der altnordischen

Literatur (Samsons saga fagra Kap. 17) für ➻ Frauen, die mit fünf Jahren gebären und mit acht Jahren sterben zu finden ist. Dieses Volk scheint aus einer Vermischung von Pygmäen und dem genannten Volk von ➻ Frauen, die mit fünf Jahren gebären zu sein. Dieses ansonsten ohne Namen verbuchte Volk wird in der Allegorese des altfranzö­sischen Liber de monstruosis hominibus orientis (v. 321 – 354) als Mütter, die ihre Kinder verziehen, gedeutet. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,116; Simek: Elusive Elysia, 259 f. Sorbete ➻ Serbotae Sternophtalmes ist eine Bezeichnung der ➻ Blemmyae, die sich nur bei Johannes ­Tzetzes findet. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,5 u. III,17. Storchenmenschen erwähnen die Epistola Premonis XVII ,3 und Gervasius von Tilbury als

ein ägyptisches Volk am Flusse Briso, das 12 Fuß lange Schenkel hat; ihre Arme sind bis zu den Schultern weiß, ihre Waden schwarz, die Füße rot, der Kopf ist rund mit langer Nase. (Hii homines certis temporibus in ciconias transformantur, et apud nos quotannis fetum faciunt, »Zu bestimmten Zeiten des Jahres verwandeln sie sich in Störche, aber gebären ihre Jungen jähr­lich bei uns«, Gervasius: Otia imperialia II,73). Struthophagi (griech., »Straußenesser«) sind ein nur durch ihre Diät gekennzeichnetes

Volk in Libya, d. h. Afrika, in der armenischen Geographie des Pseudo-Moses von Chorene (angeb­lich 5. Jh.?, vermut­lich 7. Jh. oder später). LIT: Friedman, 27. Struthopoden (lat., »Straußenfüßer« oder »Sperlingsfüßler«) erwähnt nur Plinius VII ,2, sie

werden jedoch im Mittel­alter nicht als Wundervolk rezipiert. LIT: Thallner, 14 f.

275 Strohhalmtrinker ➻ Astomi II Syrbotae ➻ Serbotae Taackas oder Takas wird in der Christherrechronik bei der Besprechung Indiens ein Wun­

dervolk gemeinsam mit den Garmanen und Orestas, doch ohne Nennung der Eigenschaften genannt. Da die Christherrechronik von der Weltchronik Rudolfs von Ems abhängig ist, in der dieses Volk wie in der lateinischen Quelle, der Imago mundi des Honorius von Autun (I,11), Côâtras heißt, handelt es sich bei Taackas um einen offensicht­lichen Schreibfehler. LIT: Simek: Wundervölker, 38 f. Tetrachiropodes (griech., »Vierhändige und -füßige«) erwähnt nur der byzantinische Autor

Johannes Tzetzes neben den Acephalen und den Decacephales in seiner Siebten Chiliade. LIT: Lecouteux: Les Monstres, III,16. Titanes, wie die ➻ Gigantes, Riesen der griechischen Mythologie Tracorde ➻ Ophiophages, Troglodyten Tracotidi ➻ Troglodyten Trispithames (griech., »Drei-Spannen-Lange«) sind eine Gruppierung von Pygmäen, die

Plinius VII,26 in den indischen Bergen am Ursprung des Ganges erwähnt, wogegen Solinus 52,15 an der entsprechenden Stelle den Namen weglässt, der vermut­lich als nähere Spezifi­ zierung dieser Pygmäen zu verstehen ist. Tritonides (lat., »Geschlecht des Triton«) ➻ Donestre Troglodyten (griech./lat., auch Troglodite, Trogoditae, Triogodite;

»Höhlenbewohner«, eig. Trogodytai) sind seit Plinius (V,34 u. 45, VI,28, VI,33, VI,176: Juba zitierend, VII,23) ein in Höhlen wohnendes

wildes Volk in Afrika und gehören zum festen Wundervölkerinven­ tar Afrikas (vgl. Trogodytis in Aethiopia bei Quintus Curtius Rufus, Historia Lib. IV,7,18). Im Verzeichnis der äthiopischen Fabelrassen (V,45) ergänzt Plinius weitere Informationen wie das Fehlen von Sprache. Solinus 31,3 erweitert aber die trockenen Stellen bei Plinius

276

beträcht­lich, von da an sind sie äthiopische Höhlenbewohner, die aber wunderbar schnell laufen können (vgl. auch Isidor IX,2,129) und ­solcherart selbst die wilden afrikanischen Tiere mit ihren primitiven Knüppeln erlegen können, außerdem verehren sie einen wunderbaren Stein namens Hexecontalithon – Letzteres ein Aspekt, der in den mittelalter­lichen Beschrei­ bungen dann überraschenderweise keine Rolle mehr spielt. Martianus Capella (VI,674 auch VI,663 u. VI,702) und Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50r erzählen von ihnen, dass

sie in Erdhöhlen leben, sich von Schlangen ernähren, zischen statt zu sprechen und so schnell laufen, dass sie wilde Tiere mit Knüppeln erlegen können. Laut Mandeville, der sie offenbar wegen ihrer Ernährung in Form von Schlangen mit den ➻ Ophiophages vermischt, leben sie auf Tracorde (Velser 121, bei Diemeringen II ,14: Dracorde), in die Ebstorfkarte haben sie ebenfalls als Tracotidi Eingang gefunden, in die Herefordkarte jedoch traditionskonfor­ mer als Trogodite. Bei Albertus Magnus: De animalibus 22,2,1 sind die Trogodytae dagegen Tiere mit bis auf den Boden gebogenen Hörnern, über deren sonstiges Aussehen und ihren Lebensraum er kein Wort verliert. QU: Anonymi de situ orbis libri duo II,1 u. 3 (als Trocoditae und Trocotides); Vinzenz: Speculum naturale XXXII,130. Unipedes ➻ Skiopodes Vieräugige Menschen ➻ Maritimi Vierhänder sind nur als Riesen in der mhd. Heldenepik belegt (so im Rosengarten: Das deut­

sche Heldenbuch, Bd. 1, 619), nicht aber in der lateinischen mittelalter­lichen Literatur, in der nur Menschen mit sechs Händen bzw. Armen vorkommen. LIT: Lecouteux: Les Monstres, II,115 f. Waldmenschen ➻ Silvestres, ➻ Wildmenschen Wasserfrauen kommen in unterschied­licher Gestalt vor, wobei nicht immer zwischen

Wundervolk und Sagengestalten zu trennen ist. Wasserfrauen, deren Schönheit durch Hun­ dezähne entstellt ist (➻ Cynodontes), finden sich bei Jacobus de Vitriaco und Walter von Metz ebenso wie bei Thomas von Cantimpré: Liber de natura rerum III ,5,22 und seiner altfrz. Bearbeitung Liber de monstruosis hominibus orientis v. 1077 – 1112, der sie in der Allegorese mit bösen Ehefrauen vergleicht. Daneben finden sich bei Thomas noch andere Wasser­ frauen ohne Hundezähne, aber mit silbernen Waffen und häß­lichen Kleidern; diese deutet die altfrz. allegorisierende Fassung als tugendhafte Frauen, die ihre Schönheit verstecken;

277

ihre silbernen Waffen verwenden sie zur Verteidigung ihrer Tugend: es sind die Worte und Blicke keuscher Frauen. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 807 f. Wassermenschen (➻ Pirolopi, ➻ Ichthyophagi) werden in der mittelalter­lichen Literatur

zumeist mit den Ichthyophagi gleichgesetzt, obwohl sie im Brief Alexanders an Aristoteles nicht als Fischesser beschrieben werden, sondern als riesenhafte Fischmenschen, die sich vor Fremden durch Untertauchen verbergen, ➻ Pilosi. LIT: Zajadacz-Hastenrath, 808. Weißhaarig Geborene ➻ Pandae Wildmenschen (lat. homines agrestes, homines silvestres, teils mit

den ➻ Pilosi gleichgesetzt) sind nicht immer zu den Wundervöl­ kern zu zählen, da sie häufig als Einzelwesen auftreten, soweit es sich nicht ohnehin um den temporären Zustand handelt, die eine Person zum Wildmenschen macht (vgl. Merlin, Iwein). Bei Thomas von Cantimpré und den von ihm abhängigen Texten werden die Wildmenschen als schweinsborstig, grunzend und im Wald lebend beschrieben (vgl. dazu die Waldmenschen, ➻ Silvestres). Der alt­ frz. Liber de monstruosis hominibus orientis ergänzt ihre Freßgier, an der er die Allegorese knüpft, dass sie den welt­lichen Herrschern gleichen, die ebenfalls alle ausplündern. Bei Vinzenz: Speculum naturale XXXI ,128 werden zwei Traditionen der Wildmenschen, die Pilosi und die Agrestes direkt hintereinander zusammengeführt: Pilosi: Sunt & homines quidam vtriusque sexus nudi incedentes, corpus pilosum in modum bestiarum habentes, & æque in flumine, & in terra habitantes: qui cum extraneos homines superuenire vident, in flumine submersi non apparent, »Es gibt Menschen, bei denen beide Geschlechter nackt sind, weil sie einen behaarten Körper wie wilde Tiere haben und die gleichermaßen im Wasser und auf der Erde leben; wenn sie Menschen von außen kommen sehen, tauchen sie im Wasser unter und zeigen sich nicht.« Agrestes: Sunt agrestes magni valde, & pilosi sicut porci, & quasi fere mugientes, »Die Agrestes sind sehr groß und behaart wie Schweine und ziehen wie das Vieh umher«. QU: Jacobus de Vitriaco 92, 214. LIT: Bernheimer; Salmon, 520 – 28; Wells; Hufeland, 1 – 19; Tinland; Lecouteux: Les Monstres, II,98 – 107

278 Ydriien ist eine nur im altfrz. Liber de monstruosis hominibus orientis v.  105 – 52 für ➻ die

Oxydrakes verwendete Namensform (v. 135), die moralisatio verweist hier auf die Tatsache, dass eine üppige Lebensweise den Weg in den Himmel versperrt. Ymantopodes (lat., ➻ Skiopodes), entsteht aus Verwechslung von ➻ Himantopodes mit

den Skiopodes. Der ­­Kirchenhistoriker Adam von Bremen im 11. Jahrhundert nennt bei der Beschreibung Skandinaviens im vierten Buch seiner Gesta Hammburgensis ecclesiae pontificum (468, 458) in den Einöden öst­lich des Botnischen Meerbuses bis zu den Ripheischen Bergen im Norden an der Grenze zu Asien einige Wundervölker, zu denen neben Amazonen, Cyclopes, Menschenfressern und Cynocephales ein weiteres Volk von Menschen, quos Solinus dicit Ymantopodes, uno pede salientes: »die Solinus Ymantopodes nennt, die mit einem Bein hüpfen«, gehört. Bei Solinus und anderen sind die Himantopodes jedoch Dünnfüßler, während Adam hier doch offenbar die auf einem Fuß dahinhüpfenden Skiopodes meint. Yctiophagi ➻ Ichthyophagi Yppopodes, auch Ypopodes, eine vor allem in volkssprach­lichen Werken (Herzog Ernst,

Herbort von Fritzlar) häufige sprach­liche Form für die ➻ Hippopodes, zuerst jedoch bei Lambert von St. Omer: Liber floridus fol. 50v und im Summarium Heinrici III,9,332 belegt. Zweigesichtige ➻ Menschen mit leuchtendem mageren Körper, 12 Fuß groß und mit dop­

peltem Gesicht und langer Nase, ➻ Gog und Magog Zweiköpfige ➻ Menschen mit zwei Köpfen Zwerge fügt nur das mhd. Summarium Heinrici III,9,316 f. in seine ansonsten eng an Isidor XI,3

angelehnten Angaben ein, indem es sie über Isidor hinausgehend ergänzt und dann sogar den deutschen Ausdruck gitwerch, »Zwerg«, neben eine ganze Reihe von lateinischen Syno­nymen stellt: Pumilio vel nanus, homuncio, homunculus homullus, homullulus gituerch. Dies zeigt, dass mit gitwerch nicht die später nachgetragenen und nicht übersetzten Pygmaei gemeint sind, sondern die »einheimischen« Zwerge, die sonst nicht zu den monströsen Rassen gezählt werden, deren Nennung hier aber wohl durch die vorhergehenden Riesen provoziert wurde.

279

ANMERKUNGEN

01  Die zeitlosen Monster: Wundervölker und Fabelrassen

von der Antike bis zur Gegenwart 1  Zu den Bigfoots siehe Myra

hout 1955 (= Corpus Christianorum

Dämonen. Unfälle der Natur; eine

Shackley: Und sie leben doch. Big-

Series Latina 48), 508.

Kulturgeschichte. Berlin 1993; Ul-

foot, Almas, Yeti und andere ge-

6  Johannes Bischoff: Predigt

rich Müller und Werner Wunder­lich:

heimnisvolle Wildmenschen. Mün-

zu Sonntag Quinquagesimo [=

Dämonen, Monster, Fabelwesen.

chen 1983; zum Yeti: Reinhold

Faschingssonntag]. Wien ÖNB

Konstanz 1998 (= Mittelalter-Mythen

Messner: Yeti – Legende und Wirk-

Cod. 2827, fol. 252r–257v.

2); und auch in der anglophonen

lichkeit. Frankfurt 1998.

7  DE PORTENTIS. Portenta esse

Forschung, vgl. Asa Simon Mittman:

2  Die ältesten Belege für den Mann

Varro ait quae contra naturam nata

Maps and Monsters in Medieval

im Mond im engeren Sinn stam-

videntur: sed non’sunt contra na-

England. New York/London 2006

men von Alexander Neckham, Abt

turam, quia divina voluntate fiunt,

(= Studies in Medieval History and

von Cirencester, vom Ende des 12.

cum voluntas Creatoris cuiusque

Culture), 150 f f., wo die angelsäch­

Jahrhunderts (Alexander Neckham:

conditae rei natura sit. Vnde et

sischen Elfen der frühmittelalter­

De naturis rerum. Hrsg. von Tho-

ipsi gentiles Deum modo Naturam,

lichen Segen (also christianisierter

mas Wright. London 1883, xviii) und

modo Deum appellant. Portentum

Zaubersprüche) und Beschwörun-

aus der Edda des Snorri Sturluson

ergo fit non contra naturam, sed

gen den Monstern zur Seite gestellt

(Island um 1220) (Finnur Jónsson

contra quam est nota natura. Por-

werden, obwohl sie eindeutig dä-

[Hrsg.]: Edda Snorri Sturlusonar.

tenta autem et ostenta, monstra

monischer Natur sind.

Kopenhagen 1900). Vgl. dazu die

atque prodigia ideo nuncupantur,

9  Experimentator, Kurzfassung I,

Materialsammlung bei Sabine Ba-

quod portendere atque ostendere,

22, 291.

ring-Gould: Curious Myths of the

monstrare ac praedicare aliqua fu-

10  Scimus enim quod omnia dei

Middle Ages. London 1884, 190–

tura videntur. Isidorus Hispalensis:

opera mirabilia sunt. Jacques de

208. Schon 1638 erschien der Ro-

Etymologiae, Buch XL, iii: De port-

Vitry: Libri duo. Quorum prior Ori-

man Der Mann im Mond (The Man

entis; Übersetzung nach Lenelotte

entalis, sive hierosolymitanae: al-

in the Moone, or a Discourse of a

Möller: Die Enzyklopädie des Isidor

ter, Occidentalis historiae nomine

Voyage thither) von Francis Goldwin

von Sevilla. Wiesbaden 2008, 441

inscribitur. Hrsg. von Francis Mo-

(1562–1633).

(mit eigenen Korrekturen).

schus. Douai 1597. Repr. Farnbo-

3  Hugh Honour: Wissenschaft

8  Vgl. z. B. Herbert Schade: Dämo-

rough 1971; zit. nach Scott D. Wes­

und Exotismus. Die europäischen

nen und Monstren. Gestalten des

trem: Broader Horizons: A Study of

Künstler und die außereuropäische

Bösen in der Kunst des frühen Mit-

Johannes Witte de Hese’s Itinera-

Welt. In: Mythen der Neuen Welt.

telalters. Regensburg 1962; Heinz

rius and Medieval Travel Narratives.

Hrsg. von Karl-Heinz Kohl. Berlin

Mode: Fabeltiere und Dämonen in

Hrsg. und übers. von Scott D. We-

1982, 22–47: 23f.

der Kunst. Stuttgart 1983; Leander

strem. Cambridge, Mass., 2001 (=

4  Eugen Drewermann: Über die Un-

Petzold: Kleines Lexikon der Dämo-

Medieval Academy Books, 105), 29.

sterblichkeit der Tiere. Olten/Frei-

nen und Elementargeister. München

11  Konrad von Megenberg: Buch

burg im Breisgau 1990.

1990 (= Beck’sche Reihe 427); Gert-

der Natur. Hrsg. von Franz Pfeiffer.

5  Augustinus: De Civitate Dei. Turn-

Horst Schumacher: Monster und

Stuttgart 1861, 486.

280

02  Die lange Geschichte der Monster in der europäischen Kultur York 1971 – 1977.

1  Odyssee VI 5 & 6, IX 105 – 165, IX

9  Vgl. dazu George Cary: The Me-

255 – 5 22.

dieval Alexander. Hrsg. von D. J. A.

17  Lamberti S. Avdomari cano-

2  Vgl. dazu John Block Friedman:

Ross. Cambridge 1956, 9 f f.

nici Liber Floridus. Hrsg. von Al-

The Monstrous Races in Medie-

10  Marvin L. Colker (Hrsg.): Galteri

bert Derolez. Gent 1968, 101 – 103;

val Art and Thought. Cambridge,

de Castellione: Alexandreis. Padua

im Autographen Cod. Ghent UB 92,

Mass./London 1981, 27 u. 215.

1978; vgl. dazu ausführ­lich und sys-

fol 50r–51r; vgl. dazu auch Claude

3  Adversus Jovinianum 2, 7. In: PL

tematisch: Herwig Buntz: Die deut-

Lecouteux: Les monstres dans la

23, 294 – 2 97.

sche Alexanderdichtung des Mittel-

littérature allemande du Moyen Age.

4  Arsène Soukry: Géographie de

alters. Stuttgart 1973.

Contribution à l’étude du merveil-

Moise de Corène. Venedig 1881,

11  Heinrich Becker: Die Brahmanen

leux médiéval. Bd. 1 – 3 , Göppingen

4.7 – 8 , 28 f.

in der Alexandersage. Königsberg

1982 (= GAG 330), Bd. 3, 24 – 27.

5  Obwohl er selbst nie in Indien

1889, 3.

18  Macrobius. Hrsg. von Franz Eys-

war. Wie die anderen Schriften des

12  Erwähnt schon in Gen. 10,2; als

senhardt. Leipzig 1893, Buch II,

Ktesias sind die Indika verloren,

Gefahr Hes. 38,1 f f.; Apg. 20,7.

Kap. 5, 605; William Harris Stahl:

wurden aber in der Bibliotheka des

13  Vgl. dazu bes. Andrew Runni

Macrobius: Commentary on the

byzantinischen Theologen Photios

Anderson: Alexander’s Gate, Gog

Dream of Scipio. New York 1952, 206.

(9. Jahrhundert) ausgewertet und

and Magog, and the Inclosed Na-

19  Rudolf Simek: Altnordische Kos-

teilweise exzerpiert; vgl. dazu John

tions. Cambridge, Mass., 1932. Zur

mographie. Studien und Quellen zu

Block Friedman: The Monstrous Ra-

mittelalter­lichen deutschen Rezep-

Weltbild und Weltbeschreibung in

ces in Medieval Art and Thought.

tion Claude Lecouteux: Les Mons-

Norwegen und Island vom 12. bis

Cambridge, Mass./London 1981, 5,

tres dans la litterature allemande

zum 14. Jahrhundert. Berlin/New

und Robert Shafer: Unmasking Kte-

du Moyen Age. Bd. 1, Göppingen

York 1990 (= Ergänzungsbände zum

sias’ Dog-headed People. In: Histo-

1982, 293 f.

Reallexikon der Germanischen Al-

ria 13 (1964), 491 – 5 03.

14  Deus enim creator est omnium,

tertumskunde 4), 13 f f.

6  Vgl. dazu besonders H. Hosten:

qui ubi et quando creari quid opor-

20  Konrad von Megenberg: Buch

The Mouthless Indians of Megas-

teat vel oportuerit, ipse novit, sci-

der Natur. Hrsg. von Franz Pfeiffer.

thenes. In: Journal and Proceedings

ens universitas pulchritudinem

Stuttgart 1861, 486.

of the Asiatic Society of Bengal.

quarum partium vel similitudine vel

21  Konrad von Megenberg: Buch

New Series 8 (1912), 291 – 3 01.

diversitate contexat […].De Civitate

der Natur. Hrsg. von Franz Pfeiffer.

7  Z. B. Solinus-ms., ital., 13. Jahr-

Dei 16, 8.

Stuttgart 1861, 485 f.

hundert. Mailand, Ambrosiana, cod.

15  Vgl. Otto Seel: Der Physiologus.

22  Konrad von Megenberg: Buch

C 246, inf. fol. 57r.

Tiere und ihre Symbolik. Zürich/

der Natur. Hrsg. von Franz Pfeiffer.

8  Gamphasantes abstinent proeliis,

München 1960, 6. Aufl. 1992, 23 f.

Stuttgart 1861, 236.

fugiunt commercia, nulli se extero

16  Martianus Capella: De nuptiis

23  Vgl. dazu auch Georg Steer:

misceri sinunt. Blemyas credunt

Philologiae et Mercurii. Hrsg. von

Das „Buch von den natür­lichen Din-

truncos nasci parte qua caput est,

Franz Eyssenhardt. Leipzig 1866

gen“ Konrads von Megenberg – ein

os tamen et oculos habere in pec-

(= Bibliotheca Scriptorum Grae-

„Buch der Natur“? In: Die Enzyklo-

tore. Satyri de hominibus nihil aliud

corum et Romanorum Teubne-

pädie im Wandel vom Hochmittel-

praeferunt quam figuram. Aegipa-

riana), 227 – 244; William Harris

alter bis zur frühen Neuzeit. Hrsg.

nes hoc sunt quod pingi videmus.

Stahl, Richard Johnson und Evan

von Christel Meier-Staubach. Mün-

Solinus: Collectanea rerum me-

L. Burge: Martianus Capella and

chen 2002 (=Münstersche Mittelal-

morabilium, Kap. 31.

the Seven Liberal Arts. 2 Bde., New

ter-Schriften, 78), 181 – 188.

281

03  Die Monster und die Welt im Mittelalter 1  Augustinus: De civitate Dei XVI, 9.

Reiches. Darmstadt 1973 (= Ausge-

id est longi, quos appellant Husos;

2  Von d ­ iesem sind noch über 125

wählte Quellen zur deutschen Ge-

postremo illi, qui dicuntur antropo-

Manuskripte erhalten.

schichte des Mittelalters. Freiherr

fagi, et humanis vescuntur carnibus.

3  Quæstiones naturales IV, 11.

vom Stein-Gedächtnisausgabe, 11),

Ibi sunt alia monstra plurima, quae

4  Dazu gehört die wohl im süd-

137 – 4 99; Skandinavien gehörte da-

recitantur a navigantibus sepe in-

deutschen Raum entstandene

mals noch komplett zum Erzbistum

specta quamvis hoc nostris vix cre-

Schrift De mundi celestis terrest-

Hamburg-Bremen.

dibile putetur.

risque constitutione (»Vom Bau der

9  Hier, bei den Macrobii und bei

himm­lischen und irdischen Welt«),

den Husos, weiche ich von der

aber selbst das Werk eines bekann-

Übersetzung der zweisprachigen

mentionem audivi quempiam fe-

ten Autors, wie Wilhelm von Con-

Ausgabe ab.

cisse doctorum nisi solum, de

IV. 20: Haec habui, quae de sinu illo Baltico dicerem, cuius nullam

ches Philosophia mundi, wurde ver-

10  IV, 19: Sunt et aliae in hoc ponto

quo supra diximus, Einhardum. Et

einzelt Beda zugeschrieben.

insulae plures, ferocibus barbaris

fortasse mutatis nominibus arbitror

5  Ein gewisser Himilco soll bereits

omnes plenae, ideoque fugiuntur a

illud fretum ab antiquis vocari palu-

im 5. Jahrhundert v. Chr. die Briti-

navigantibus. Item circa haec littora

des Scithicas vel Meoticas, sive

schen Inseln erreicht haben (Plinius:

Baltici maris ferunt esse Amazonas,

deserta Getharum, aut litus Scithi-

Naturalis historia II, 169), Pytheas

quod nunc terra feminarum dicitur.

cum, quod Martianus ait confer-

bereiste vor 300 v. Chr. die europäi-

Eas aquae gustu dicunt aliqui con-

tum esse multiplici diversitate bar-

sche Westküste bis nach Skandi-

cipere. Sunt etiam qui referant eas

barorum. Illic, inquit, Gethae, Daci,

navien; seine von Zeitgenossen als

fieri praegnantes ab hiis qui prae-

Sarmatae, Alani, Geloni, Antropo-

unglaubwürdig verworfenen, jedoch

tereunt negociatoribus, vel ab hiis

fagi, Trogoditae.

nach späteren Erkenntnissen größ-

quos inter se habent captivos, sive

tenteils richtigen Angaben in seiner

ab aliis monstris, quae ibi non rara

montes attingit, ubi deserta ingen-

Reisebeschreibung sind jedoch nur

habentur. Et hoc credimus etiam

tia, nives altissimae, ubi monstruosi

in Auszügen bei Herodot erhalten.

fide dignius cumque pervenerint ad

hominum greges ultra prohibent

6  Vgl. noch Anton Benedikt Rei-

partum, si quid masculini generis

accessum. Ibi sunt Amazones, ibi

chenbach: Neuester Orbis Pictus,

est, fiunt cynocephali; si quid femi-

Cynocephali, ibi Ciclopes, qui unum

oder die sichtbare Welt in Bildern,

nini, speciosissimae mulieres. Hae

in fronte habent oculum; ibi sunt

ein Universalbilderbuch. Leipzig

simul viventes, spernunt consortia

hii, quos Solinus dicit Ymantopodes,

1851, Bd. 2, 17: »Der Kontinent der

virorum; quos etiam, si advenerint,

uno pede salientes, et illi, qui hu-

öst­lichen Halbkugel bildet die drei

a se repellunt viriliter. Cynocephali

manis carnibus delectantur pro cibo,

Erdtheile Asien, Afrika und Europa.«

sunt, qui in pectore caput habent;

ideoque sicut fugiuntur, ita etiam

Erst im nächsten Abschnitt wird

in Ruzzia videntur sepe captivi, et

iure tacentur. Adam von Bremen,

nachgetragen: »Dazu kommt noch

cum verbis latrant in voce. Ibi sunt

456 – 4 61 u. 468 f., mit einzelnen Kor-

Australien […] und Amerika.«

etiam qui dicuntur Alani vel Albani,

rekturen bei der Übersetzung.

7  Isidor: Etymologiae, XIV, 4, 1: Li-

qui lingua eorum wizzi dicuntur,

11  Martianus Capella: De nuptiis

bya, id est Africa.

crudelissimi ambrones; cum canicie

Philologiae et Mercurii. Hrsg. von

8  Magister Adam Bremensis: Ge-

nascuntur; de quibus auctor Soli-

Franz Eyssenhardt. Leipzig 1866 (=

sta Hammaburgensis Ecclesiae

nus meminit. Eorum patriam canes

Bibliotheca Scriptorum Graecorum

Pontificum. In: Quellen des 9. und

defendunt. Si quando pugnandum

et Romanorum Teubneriana), VI,

11. Jahrhunderts zur Geschichte

est, canibus aciem struunt. Ibi sunt

665, 542; William Harris Stahl, Ro-

der Hambur­g ischen ­K irche und des

homines pallidi, virides et Macrobii,

bert Johnson und Evan L. Burge:

IV. 25: ab oriente autem Ripheos

282 Martianus Capella and the Se-

1895 – 1898, Bd. II, Tafel 13).

setzung bei Rudolf Simek: Altnor-

ven Liberal Arts. 2 Bde., New York

14  Vgl. dazu u. a.: Asa Simon Mitt-

dische Kosmographie. Berlin/New

1971 – 1977: Bd. 2, 248.

man: Maps and Monsters in Medie-

York 1990, 429 – 4 35.

12  Vgl. Hermann Krabbo: Nord-

val England. New York/London 2006

17  Vgl. Isidor: Etymologiae IX, 2;

europa in der Vorstellung Adams

(= Studies in Medieval History and

Martianus Capella: De nuptiis Phi-

von Bremen. In: Han­s ische Ge-

Culture), 43 f. und 117 f. Die Stelle

lologiae et Mercurii VI, Hrsg. von

schichtsblätter 15 (1909), 37 – 51

findet sich sowohl bei Geoffrey of

Franz Eyssenhardt. Leipzig 1866

49; ebenso K. B. Wiklund, »Om kvä-

Monmouth: Historia regum Britan-

(= Bibliotheca Scriptorum Grae-

nerna och deras nationalitet« In:

niae, Buch 8, Kap. 10 (Ausgabe in

corum et Romanorum Teubneriana),

ANF 12 (1896), 103 – 117, und Kustaa

Penguin Classics übers. von Lewis

227 – 244: 227 f f.

Vilkuna: Kainuu – Kvänland. Upp-

Thorpe. Harmondsworth 1978, 196)

18  Günther Hamann: Der Eintritt

sala 1969.

als auch bei Gerald of Wales: Topo-

der süd­lichen Hemisphäre in die eu-

13  Z. B. auf der Mappa mundi

graphia Hiberniae, Buch 2, Kap. 51.

ropäische Geschichte. Die Erschlie-

von Heinrich von Mainz aus dem

15  Helge Ingstad: Westward to

ßung des Afrikaweges nach Asien

12. Jahrhundert (vgl. Konrad Mil-

Vinland. London 1969, 133 f f.

vom Zeitalter Heinrichs des Seefah-

ler: Mappae mundi. Die ältes-

16  Handschrift AM 736 I, 4to, 1r

rers bis zu Vasco da Gama. Wien

ten Weltkarten. Bd. 1 – 6 , Stuttgart

(von ca. 1300); Edition und Über-

1968, 98 – 103.

04 Arten der Wunderwesen 1  Vgl. Isidor: Etymologiae XI, 3, 15:

ahmen, indem die rohes Fleisch es-

der Natur. Hrsg. von Franz Pfeiffer.

Cynocephali appellantur eo quod

sen, nicht Menschen, sondern wilde

Stuttgart 1861, 490.

canina capita habeant, quosque

Tiere selbst nach.« Ganz anders

8  Giovanni di Pian di Carpini: Sto-

ipse latratus magis bestias quam

äußert sich später Mandeville, der

ria dei Mongoli, 274 u. 458 f.

homines confitetur. »Hundsköpfige

den Cynocephales nicht nur Ver-

9  Bei Isidor, Etymologiae XI, 3, 16,

nennt man die, ­w elche Hundeköpfe

nunft, sondern auch eine Religion

werden sie zudem als Agriophagi-

haben, und die sich selbst durch ihr

zuschreibt.

ten, also »Wildfleischfresser«, be-

Gebell mehr als wilde Tiere denn als

2  So bei Plinius (Naturalis historia

zeichnet.

Menschen erweisen.« Dieser Argu-

V, 8), Solinus (Collectanea XXXI, 5)

10  Vgl. dazu H. Hosten: The

mentation folgen noch 800 Jahre

und Pomponius Mela (De situ or-

Mouthless Indians of Megasthenes.

später der Wiener Prediger Bern-

bis I, 8).

In: Journal and Proceedings of the

hard Bischof – »weist das sy vich

3  Historiæ ecclesiasticæ 1, 7.

Asiatic Society of Bengal. New Se-

sind mer denn lewt« (Wien, ÖNB

4  Ferunt certe ab orientis parte in-

ries 8 (1912), 291 – 3 01.

Cod. 2827, fol. 252vb) – und schon

tima gentes esse sine naribus, ae-

11  Ovid: Metamorphosen, 4, 285 f f.

im Frühmittelalter der Text Liber

quali totius oris planitie.

12  Mandeville (Velser 119,16 – 2 0);

Monstrorum 1, 16: […] omne uer-

5  Hominum alii sunt ibi monoculi,

vgl. Thomas von Cantimpré: De

bum quod loquuntur intermixtis cor-

qui Arismaspi et Cyclopes nomi-

natura rerum III, 5, 30; Walter von

rumpunt latratibus, et non homines,

nantur, in media fronte unum ocu-

Metz: Image du Monde, 134; Vin-

crudam carnem manducando, sed

lum habentes.

zenz von Beauvais: Speculum na-

ipsas imitantur bestias. »[…] verder-

6  Hs Wien ÖNB Cod. 2827,

turale XXXI, 120. Dazu weitere

ben jedes Wort, das sie sprechen,

fol. 253rb.

zahlreiche Erwähnungen in der en-

durch eingestreutes Bellen, und

7  Konrad von Megenberg: Buch

zyklopädischen Literatur. Über Her-

283 maphroditen und Androgynismus

and Thought. Cambridge, Mass./

canina capita habeant, quosque

allgemein vgl. Hermann Baumann:

London 1981, 24; Klaus Rainer

ipse latratus magis bestias quam

Das doppelte Geschlecht. Ethnolo­

Röhl: Aufstand der Amazonen. Ge-

homines confitetur.

gische Studien zur Bisexualität in

schichte einer Legende. Düssel-

15  Naturalis historia V, 45.

Ritus und Mythos. Berlin 1955.

dorf/Wien 1982.

16  Vgl. Lambert von St. Omer:

13  John Block Friedman: The

14  Isidor: Etymologiae XI, 3, 15:

Liber floridus, fol. 50r.

Monstrous Races in Medieval Art

Cynocephali appellantur eo quod

05 Sonderformen der Monster 1  Etwa in die deutschsprachigen

5  Das zugrunde liegende mittella-

New York 1930, xi.

Fassungen der Trojanererzählung

teinische papio ist jedoch ungeklär-

10  Vgl. ebenda, 77 f. Der Text bei

bei Herbort von Fritzlar (Liet von

ten Ursprungs; vgl. Eduard Müller:

Gustav Roethe (Hrsg.): Die Ge-

troye, um 1190/1200), in den Troja-

Etymolo­g isches Wörterbuch der

dichte Reinmars von Zweter. Leipzig

nerkrieg des Konrad von Würzburg

eng­lischen Sprache. Bd. 1, 2. Aufl.

1887, Nachdruck Amsterdam 1966,

(1220/30 – 1287) und noch am Ende

Cöthen 1878, 39 f.; The Oxford Eng-

Nr. 99, 460 f.

des 13. Jahrhunderts in den Rein-

lish Dictionary. Bd. 1, Oxford 1933,

11  Paul Michel: Tiere als Symbol

fried von Braunschweig.

Reprint 1970, 606: »babewyn ›a gro-

und Ornament. Wiesbaden 1979,

2  Vgl. Faunos, Satyros et Incubos

tesque figure‹«.

78.

bei Thomas von Cantimpré: Liber de

6  Vgl. dazu Friedrich Kluge:

12  Vgl. den enormen Formenreich-

natura rerum III, 5, ebenso wie bei

Etymolo­g isches Wörterbuch der

tum bei Francis Bond: Wood Car-

Vinzenz von Beauvais: Speculum

deutschen Sprache. 21. Aufl. Ber-

vings in English Churches. I. Miseri-

naturale XXXI, 127.

lin/New York 1975, 271; Jakob und

chords. London etc. 1910.

3  Johannes Bischof, ÖNB

Wilhelm Grimm: Deutsches Wörter-

13  Vidi plurimos, non recordor

Cod. 2827, f. 253rb–253va.

buch. Bd. 9, Leipzig 1899, Sp. 318 f.;

quoties, de nigrorum numero, oc-

4  Katrin Kröll: Der schalkhaft be-

The Oxford English Dictionary.

currentem quempiam album quasi

redsame Leib als Medium verbor-

Bd. 4, Oxford 1933, Reprint 1970,

monstrum ridentes, et velut si chi-

gener Wahrheit. In: Dies. und Hugo

420.

maera vel centaurus, vel portentum

Steger (Hrsg.): Mein ganzer Körper

7  Paul Michel: Tiere als Sym-

aliquod peregrinum oculis ingerere-

ist Gesicht. Groteske Darstellun-

bol und Ornament. Mög­lichkeiten

tur, voce vel gestu corporis se stu-

gen in der europäischen Kunst und

und Grenzen der ikonographischen

pere signantes. Bernhard von Clair-

Literatur des Mittelalters. Freiburg

Deutung, gezeigt am Beispiel des

vaux, PL 182, 409.

1994, 239 – 2 94: 294: »Buchwissen

Zürcher Großmünsterkreuzgangs.

14  Clamat ad vos mea monstruosa

und Sinnenfreude bilden eine kos-

Wiesbaden 1979, 77.

vita, mea aerumnosa conscientia.

mische Einheit.« Aufgegriffen bei

8  André Utzinger: Lasterallegorien.

Ego enim quaedam chimaera mei

Albrecht Classen: Gargoyles – Was-

In: Paul Michel: Spinnenfuss und

saeculi, nec clericum gero nec lai-

serspeier. Phantasieprodukte des

Krotenbauch: Genese und Symbolik

cum. Bernhard von Clairvaux: Epis-

Mittelalters und der Moderne. In:

von Kompositwesen. Zürich 2013,

tula 250, PL 182, 449.

Ulrich Müller und Werner Wunder­

297-302: 298.

15  Maria Ulrike Grün: Figurale

lich (Hrsg.): Dämonen – Monster –

9  Lester Burbank Bridaham: Gar-

Bauplastik an der Chorfassade von

Fabelwesen. St. Gallen 1999 (= Mit-

goyles, Chimeres, and the Grotes-

St. Stephan in Wien. Wien: Dipl.-­

telalter-Mythen 2), 127 – 134: 132.

que in French Gothic Sculpture.

Arb. 2008 6.

284 16  The Oxford English Dictio-

habentes, & æque in flumine, & in

31  Allerdings ist die Deutung

nary. Bd. 4, Oxford 1933, Reprint

terra habitantes: qui cum extraneos

der Belagerung der Burg und

1970, 57.

homines superuenire vident, in flu-

ihre Verteidigung gleicherma-

17  Lester Burbank Bridaham: Gar-

mine submersi non apparent. Sunt

ßen durch Wildmenschen auf den

goyles, Chimeres, and the Grotes-

agrestes magni valde, & pilosi sicut

spätmittelalter­l ichen Bildteppichen

que in French Gothic Sculpture.

porci, & quasi fere mugientes.

aus Basel und Straßburg trotz der

New York 1930., ixf.

23  Liber de monstruosis homi-

erklärenden Spruchbänder in deut-

18  Richard Bernheimer: Wild Men

nibus orientis v.  1363 – 1382 bzw.

scher Sprache nicht unumstritten:

in the Middle Ages. A Study in Art,

v.  957 – 1024.

Einerseits wird der Kampf als trans-

Sentiment, and Demonology. Cam-

24  Konrad von Megenberg: Das

poniertes höfisches Spiel im Sinne

bridge, Mass., 1952, 3 f f., der schon

»Buch der Natur«. Hrsg. von Robert

des Minnediskurses und damit als

auf die Parallelen zum Filmhelden

Luft; Georg Steer: Kritischer Text

Allegorie des Minnewerbens ange-

Tarzan des 20. Jahrhunderts hinge-

nach den Handschriften. Bd. 2, Tü-

sehen, andererseits als Kampf zwi-

wiesen hat, die offensicht­lich sind

bingen 2003 (= Texte und Textge-

schen Tugenden und Lastern inter-

und hier nicht weiter ausgeführt

schichte 54), 524.

pretiert. Weiterhin wollte man den

werden.

25  Hartmann von Aue: Iwein. Text

stark naturgeprägten Kampf zwi-

19  Thomas von Cantimpré, Liber

der siebenten Ausgabe von Georg

schen den Wilden Leuten als Kampf

de natura rerum III, 5 und IV, 90:

Friedrich Benecke und Karl Lach-

zwischen Frühling und Herbst in der

Homines etiam agrestes sunt ibi,

mann. Übersetzung und Nachwort

Tradition mittelalter­licher altercatio-

magni valde et pilosi sicut porci et

von Thomas Cramer. 4., überarb.

nes (allegorischer Streitgespräche)

velut fere mugientes. »Da gibt es

Aufl. Berlin 2001, 10 f.

sehen, vgl. Christian Müller: Studien

auch Landbewohner, sehr groß und

26  Bei Richard Bernheimer: Wild

zur Darstellung und Funktion »wil-

behaart wie die Wildsäue und gleich

Men in the Middle Ages. A study in

der Natur« in deutschen Minnedar-

wilden Rindern.«

art, sentiment, and demonology.

stellungen des 15. Jahrhunderts.

20  Rudolf Wittkower: Marvels of

Cambridge, Mass. 1952 zit. nach

Diss. Tübingen 1982, 19 – 24.

the East, a Study in the History of

Grimm, Deutsche Mythologe I 359.

32  Vgl. dazu Christa Harbi-

Monsters. In: Journal of the War-

27  Vgl. dazu Paul Salmon: The

ger-Tuczay: Wilde Frau. In: Ul-

burg and Courtauld Institute (1942)

Wild Man in »Iwein« and Medieval

rich Müller und Werner Wunder­

159 – 197: 162.

Descriptive Technique. In: MLR 56

lich (Hrsg.): Dämonen – Monster –

21  Aper a feritate vocatus, ablata F

(1961), 520 – 5 28.

­Fabelwesen. St. Gallen 1999 (=

littera et subrogata P. Vnde et apud

28  So in der mittelhochdeutschen

Mittelalter-Mythen 2), 603 – 615: 611.

Graecos σγύαγροϛ, id est ferus, di-

Crône des Heinrich von dem Türlin

33  Aus: Thomas Hall’s Chronicle,

citur. Omne enim, quod ferum est

im 13. Jahrhundert oder dem floren-

zit.bei Richard Bernheimer: Wild

et inmite, abusive agreste vocamus.

tinischen Gismirante des Antonio

Men in the Middle Ages. A study in

Isidor: Etymologiae XII, 1, 27.

Pucci im 14. Jahrhundert.

art, sentiment, and demonology.

22  Sunt & homines quidam vtri-

29  Minnesangs Frühling, 38. Aufl.

Cambridge, Mass. 1952, 71.

usque sexus nudi incedentes, cor-

1988, 163.

pus pilosum in modum bestiarum

30  Ebd., 65.

285

06 Monstra marina – die Meerwunder 1  Delphines certum habent voca-

36 – 6 3: 60; dies.: Ain puoch von la-

18  Vgl. Heinrich Meyer-Benfey

bulum, quod voces hominum se-

tein. In: ZfdA 123 (1994), 309 – 3 33;

(Hrsg.): Mhd. Übungsstücke. 2. Aufl.

quantur, vel quod ad symphoniam

Manfred Günter Scholz: Quellenkri-

Halle an der Saale 1920, 180 – 183.

gregatim conveniunt. Nihil in mare

tik und Sprachkompetenz im Buch

19  Vgl. Siegfried Christoph

velocius istis; nam plerumque sa-

der Natur Konrads von Megenberg.

(Hrsg.): Konrad von Stoffeln, Gau-

lientes naves transvolant. Quando

In: Johannes Janota u. a. (Hrsg.):

riel von Muntabel. Cambridge 2007,

autem praeludunt in fluctibus et

Festschrift Walter Haug und Burg-

v.  4670 – 5169.

undarum se molibus saltu praeci-

hart Wachinger. 2 Bde., Tübingen

20  Sicut sirena per dulces cantus

piti feriunt, tempestates significare

1992, Bd. 2, 925 – 9 41.

decipit marinarios, ita saecularis

videntur. Hi proprie simones no-

6  In der gedruckten Fassung ist

femina per suos deceptorios ser-

minantur. Est et delphinum genus

das nur bei fünf von 60 Wesen der

mones decipit Christi servos. Tho-

in Nilo dorso serrato, qui crocodil-

Fall, davon allerdings vier in bono:

mas von Froidmont: De modo bene

los tenera ventrium secantes inte-

vgl. Boese, 232 – 249.

vivendi. In: PL 184, 1285A–1286B:

rimunt. 12 Porci marini, qui vulgo

7  Konrad von Megenberg: Buch

1285.

vocantur suilli, quia dum escam

der Natur. Hrsg. von Franz Pfeiffer.

21  Petrus Damianus: De per-

quaerunt, more suis terram sub

Stuttgart 1861, 231.

fectione monachi, 11. In: PL 145,

aquis fodiunt. Isidor: Etymologiae

8  Krakau, Biblioteka Jagiellońska,

306C; vgl. dazu Pierre Courcelle:

XII, 6, 11 – 16

Cod. 795.

L’interpretation evhémériste des

2  Thomas von Cantimpré III,

9  Vinzenz von Beauvais: Speculum

Sirènes-courtisanes jusqu’au XIIe

65 – 6 9.

naturale XVII, 139.

siècle. In: Karl Bosl (Hrsg.): Gesell-

3  Alena Hadravová: Kniha Dvaca-

10  Zitiron, quod vulgus vocat ma-

schaft, Kultur, Literatur: Rezeption

tera umění mistra Pavla Židka část

ris militem. »Zitiron, das das Volk

und Originalität im Wachsen einer

Přírodovědná. Prag 2008, 140 – 148.

Meerritter nennt«.

Europäischen Literatur und Geistig-

4  Monstra marina sunt ab omni-

11  Claude Lecouteux: Le »mer-

keit. Stuttgart 1975, 33 – 4 8.

potente deo in ammirationem orbis

wunder«. In: Etudes germaniques 32

22  Konrad von Megenberg: Buch

data. In hoc enim magis ammiranda

(1977), 1 – 11.

der Natur. Hrsg. von Franz Pfeiffer.

videntur, quia raro conspectibus

12  Um 1240 – 1270; v. 8165.

Stuttgart 1861, 240.

hominum offeruntur. […] Quid enim

13  Um 1210 – 1225; v. 2026 f f.

23  Alfred Ebenbauer: Apollonius

mirabilius videri potest sub celo

14  Um 1230; v. 9237.

und die Sirene. Zum Sirenenmo-

monstro ceti atque balene, quod in

15  Homer: Odyssee, XII, 185 – 187,

tiv im »Apollonius von Tyrlant« des

magnitudine montibus ac vastissi-

nach der Übersetzung von Johann

Heinrich von Neustadt – und an-

mis campis proculdubio compara-

Heinrich Voß.

derswo. In: Irene Vaslef und Hel-

tur? Boese, 232.

16  Werner von St. Blasien:

mut Buschhausen (Hrsg.): Classica

5  Zu den Fassungen von Thomas

Liber deflorationum. In: PL 157,

et Medievalia. Studies in Honor of

de Cantimpré und dem Verhältnis zu

848A–849B: 848C–849B.

J. Szövérffy. Washington/Leyden

Konrad von Megenberg vgl. Helm-

17  So finden sich alle diese Be-

1986, 31 – 5 6: 36 f.

gard Ulmschneider: Ain puoch von

zeichnungen ohne erkennbare Un-

latein … daz hât Albertus maister­

terscheidung im Wigamur: Nat-

lich gesamnet. Zu den Quellen von

hanael Busch (Hrsg.): Wigamur.

Konrads von Megenberg »Buch

Kritische Edition – Übersetzung –

der Natur« anhand neuerer Hand-

Kommentar. Berlin/New York 2009,

schriftenfunde. In: ZfdA 121 (1992),

v. 112, 134, 168, 360.

286

07

Mittelalterliche Erklärungen für Ursachen und Bedeutungen der Monster

1  (Gen. 10,2; Hes. 38,1 – 3 9,29)

6  Qualis autem ratio redditur de

Altnordische Kosmographie. Stu-

und vgl. zu Alexanderdichtung bes.

monstrosis apud nos hominum par-

dien und Quellen zu Weltbild und

Andrew Runni Anderson: Alexan-

tubus, talis de monstrosis quibus-

Weltbeschreibung in Norwegen und

der’s Gate, Gog and Magog, and

dam gentibus reddi potest. Deus

Island vom 12. bis zum 14. Jahr-

the Inclosed Nations. Cambridge,

enim creator est omnium, qui ubi

hundert. Berlin/New York 1990 (=

Mass., 1932. Zur mittelalter­lichen

et quando creari quid oporteat vel

Ergänzungsbände zum Reallexikon

deutschen Rezeption Claude Le-

oportuerit, ipse novit, sciens univer-

der Germanischen Altertumskunde

couteux: Les Monstres dans la lit-

sitatis pulchritunem quarum partium

4), 470.

terature allemande du Moyen Age.

vel similitudine vel diversitate con-

13  Vgl. dazu James Pope-Henessy:

Bd. 1, Göppingen 1982, 293 f.

texat. Sed qui totum inspicere non

Geschäft mit schwarzer Haut. Wien/

2  De Monstruosis hominibus

potest, tanquam deformitate partis

München/Zürich 1970, 18; Alexan-

(v. 1031 – 1050), hrsg. von Alfons

offenditur; quoniam cui congruat,

der Perrig: Erdrandsiedler oder

Hilka: Eine altfranzö­s ische morali-

et quo referatur, ignorat. Pluribus

die schreck­lichen Nachkommen

sierende Bearbeitung des Liber de

quam quinis digitis in manibus et

Chams. Aspekte der mittelalter­

Monstruosis Hominibus Orientis

pedibus nasci homines, novimus;

lichen Völkerkunde. In: Die andere

aus Thomas von Cantimpré De Na-

et haec levior est quam illa distan-

Welt. Studien zum Exotismus. Hrsg.

turis Rerum. In: Abhandlungen der

tia: sed tamen absit ut quis ita desi-

von Thomas Koebner und Ger-

Gesellschaft der Wissenschaften

piat, ut existimet in numero human-

hard Pickerodt. Frankfurt/M. 1987,

zu Göttingen: Phil.-hist. Kl. 7. Berlin

orum digitorum errasse Creatorem,

31 – 87: hier Anm. 77 u. 96. Vgl. dazu

1933, 1 – 73: 50, dt. Zusammenfas-

quamvis nesciens cur hoc fecerit.

noch den Eintrag in Johann Hein-

sung 17; vgl. John Block Friedman:

Ita etsi major diversitas oriatur, scit

rich Zedler: Grosses vollständiges

The Monstrous Races in Medie-

ille quid egerit, cujus opera juste

Universal-Lexicon Aller Wissen-

val Art and Thought. Cambridge,

nemo reprehendit.Augustinus: De

schafften und Künste. Halle/Leipzig

Mass./London 1981, 128.

Civitate Dei 16, 8 – 9

1732 – 1754, Bd. 24, Sp. 887 f.; vgl.

3  Dies geschah vielleicht unter

7  Vgl. dazu Friedman, 31.

Thallner, 37.

dem Einfluss der Drolerien, in denen

8  Carl Bezold: Die Schatzhöhle;

14  Kathryn Smits: Die frühmittel-

auf den leeren Flächen von prunk-

aus dem syrischen Texte dreier un-

hochdeutsche Wiener Genesis. Ber-

vollen Handschriften Wundermen-

edierten Handschriften. Leipzig

lin 1972 (= Philolo­g ische Studien

schen in der Tracht der Narren als

1883, 18.

und Quellen, 59), 134 – 137: 135; vgl.

dekorativ-amüsante Füllelemente

9  Vgl. Friedman, 98 f f.

Friedman, 93.

auftauchten.

10  Charles Leslie Wrenn und W. F.

15  Isidors portenta, zu denen Wun-

4  Ratramnus von Corbie: Epistola

Bolton (Hrsg.): Beowulf with the Fin-

dermenschen ebenso zählten wie

de Cynocephalis. In: PL 121, cols.

nesburg fragment. Revised edition.

Kometen (siehe Kap. 1.2.). Dage-

1153 – 5 6.; vgl. Thallner, 28.

Exeter 1992, v. 102 – 108, 42.

gen Nicolaus von Oresme: »Daraus

5  Albertus Magnus: De animali-

11  Hic sont homines truculenti ni-

folgt, dass, wenn eine Missgeburt

bus XXI (Hermann Stadler [Hrsg.]:

mis, humanis carnibus vescentes,

in einem Dorf oder einem Land auf-

Albertus Magnus. De animalibus li-

cruorum potantes, filii Caini male-

tritt, sie nichts Schlechtes oder et-

bri XXVI. Nach der Kölner Urschrift.

dicti. Konrad Miller: Mappae mundi.

was anderes anzeigt.« (De causis

2 Bde., Münster 1916 – 1920 [= Bei-

Die ältesten Weltkarten. Bd. 1 – 6 ,

mirabilium 3, 719f.

träge zur Geschichte der Philoso-

Stuttgart 1895 – 1898, Bd. IV, 25.

16  Exemplum et gratia exempli: dic

phie des Mittelalters, 15 – 16]); vgl.

12  AM 194, 4to fol. 21r (geschrie-

quod in generatione hominis ista se

auch Friedman, 192 und Thallner, 27.

ben 1397); ediert von Rudolf Simek:

sequuntur: primo est sperma, 2° est

287 ut fungus terre, 3° ut animal quasi

exotische Elemente der Kunst der

ganzer Körper. Freiburg 1994, 218.

non figuratum ut narrat Aristoteles

Gotik. 2. Aufl. Berlin 1994; Jurgis

25  (Pseudo-)Augustinus: Sermones

in 7 animalium quod est quoddam

Baltrusaitis: La stylistique orne-

ad fratres in eremo commorantes,

quod dubium est utrum sit planta

mentale dans la sculpture romane.

­ XXVII: PL et quosdam alios: Sermo X

vel animal et cetera, 4° ut symeus,

Paris 1931; Meyer Schapiro: Über

40, col. 1303 f.

5° ut pigmeus, 6° est homo per-

den Schematismus in der romani-

26  Hier ist die Abweichung zwi-

fectus et cetera. De causis mirabi-

schen Kunst. In: Kritische Berichte

schen der als Übersetzung zitierten

lium 3, 592ff.; Bert Hansen: Nicole

zur Kunstgeschichtlichen Literatur

deutschen Einheitsübersetzung und

Oresme and the Marvels of Nature.

1932–1933, 1–21; Ernst Hans Josef

der lateinischen Vulgata interessant,

Toronto 1985, 238.

Gombrich: Ornament und Kunst.

da Letztere ausdrück­lich die terra

17  Vgl. Horst Woldemar Janson:

Schmucktrieb und Ordnungssinn

australis, also den (von Monstern

Apes and Ape Lore. London 1952,

in der Psychologie des dekorati-

bewohnten) Südkontinent erwähnt!

88ff.

ven Schaffens. Stuttgart 1982, 276;

27  Vgl. dazu Adolf Katzenellenbo-

18  Simia autem habens caput ca-

Conrad Rudolph: Bernard of Clair-

gen: The Central Tympanon of Véze-

nis, vultus quidem similis est cani,

vaux’s Apologia as a Description of

lay. Its Encyclopedic Meaning and

sed totum residuum corpus maius

Cluny and the Controversy over Mo-

its relation to the first Crusade. In:

est fortius quam canis: et haec sunt

nastic Art. In: Gesta 27 (1988), 125–

Art Bulletin 26 (1944), 141 – 151.

quae in Mappa mundi canini homi-

132; Thomas E. A. Dale: Monsters,

28  Pfeiffer, 203; vgl. dazu Georg

nes vocantur. Facies enim illarum

Corporeal Deformities, and Phan-

Steer: Das »Buch von den natür­

symiarum similes sunt faciebus ca-

tasms in the Cloister of St-Michel-

lichen Dingen« Konrads von Megen-

num (De animalibus XXVI 2.1.4. In:

de-Cuxa. In: The Art Bulletin 83, 3

berg – ein »Buch der Natur«? In: Die

Hermann Stadler [Hrsg.]: Albertus

Sept. 2001, 402–436.

Enzyklopädie im Wandel vom Hoch-

Magnus. De animalibus libri XXVI.

22  Zu diesem und den folgenden

mittelalter bis zur frühen Neuzeit.

Nach der Kölner Urschrift. 2 Bde.,

Deutungsansätzen vgl. ausführ-

Hrsg. von Christel Meier-Staubach.

Münster 1916–1920 [= Beiträge zur

lich den Forschungsabriss bei Peter

München 2002 (= Münstersche Mit-

Geschichte der Philosophie des

Dinzelbacher: Monster und Dämo-

telalter-Schriften 78), 181 – 188.

Mittelalters, 15–16], 247).

nen am Kirchenbau. In: Ulrich Mül-

29  In India eciam sunt sunt aliqui

19  In hoc latifundio et inter Egyp-

ler und Werner Wunderlich (Hrsg.):

homines sex manibus habentes,

tum et Ethyopiam et Libiam sunt

Dämonen, Monster, Fabelwesen.

nudi et pilosi in flumine morantes.

genera simiarum silvestria, quorum

Mittelalter Mythen. Bd. 2., St. Gal-

Homnies cum sex manibus desig-

primum genus generaliter simias di-

len 1999, 103–126: 111–121.

nant studiosos, qui laborant, ut vi-

cimus, secundum genus cirofitici,

23  Vgl. die Darstellungen in Saint-

tam eternam obtineat. Psalmista:

tertium cynocefali, quartum synges,

Pierre in Moissac, ca. 1120 – 1135:

Anima mea in manibus meis sem-

quintum satiri, sextum fauni dicun-

Silke Büttner: Die Körper verweben:

per. Per homines nudos intelliguntur

tur. Nach Konrad Miller: Mappae

Sinnproduktion in der franzö­s ischen

peccatores virtutibus spoliati, qui

mundi. Die ältesten Weltkarten. Bd.

Bildhauerei des 12. Jahrhunderts.

morantur in flumine istius mundi.

1–6, Stuttgart 1895–1898, Bd. V, 61.

Bielefeld 2010, 183.

Gesta Romanorum. Hrsg. von Her-

20  Vgl. dazu Cécile Dupeux u. a.

24  Stricker: Der Pfaffen Leben.

mann Oesterley. Berlin 1872, Nach-

(Hrsg.): Bildersturm: Wahnsinn oder

In: Franz Pfeiffer: Altdeutsches

druck Hildesheim 1963, 575 f. Über-

Gottes Wille? Ausst.-Kat. Berni-

Übungsbuch zum Gebrauch an

setzung frei nach: Gesta Roman-

sches Historisches Museum, Bern,

Hochschulen. Wien 1866, 27 – 2 9:

orum, das älteste Mährchen- und

Straßburg. München 2000.

27, v. 31 – 3 2; zit. auch bei Hannes

Legendenbuch des christ­lichen Mit-

21  Dazu von kunsthistorischer

Kästner: Kosmographisches Welt-

telalters. Übers. von Johann Georg

Seite: Jurgis Baltrusaitis: Das phan-

bild und sakrale Bildwelt. In: Katrin

Theodor Gräße. Bd. 2, Leipzig 1905,

tastische Mittelalter. Antike und

Kröll und Hugo Steger (Hrsg.): Mein

119 – 122, Kap.  175.

288 47  Solinus 30, 6.

30  Alfons Hilka (Hrsg.): Eine

zig 1905, Bd. 2, 119.

altfranzö­s ische moralisierende Be-

37  Gesta Romanorum, das älteste

48  Johannes Bischof: ÖNB

arbeitung des Liber de monstruo-

Mährchen- und Legendenbuch des

Cod. 2827, fol. 253rb.

sis hominibus orientis aus Thomas

christ­lichen Mittelalters, übers.

49  Gesta Romanorum, das älteste

von Cantimpré, De naturis rerum.

von Johann Georg Theodor Gräße.

Mährchen- und Legendenbuch des

In: Abhandlungen der Gesellschaft

Bd. 2, Leipzig 1905, 121.

christ­lichen Mittelalters, übers.

der Wissenschaften zu Göttingen:

38  v. 793 – 8 20, Alfons Hilka: Eine

von Johann Georg Theodor Gräße.

Phil.-hist. Kl. 3. Folge, Nr. 7, Berlin

altfranzö­s ische moralisierende Be-

Bd. 2, Leipzig 1905, 119.

1933, 1 – 73; laut Hilka muss der Text

arbeitung des Liber de Monstruosis

50  Johannes Bischof: ÖNB

zwischen 1290 und 1315 entstan-

Hominibus Orientis aus Thomas von

Cod. 2827, fol. 253rb–253va.

den sein, aber Friedman vermutet

Cantimpré De Naturis Rerum. In:

51  (v.  1141 – 1150), (v.  1151 – 1210),

(126 – 128 und 244), dass die luxuriös

Abhandlungen der Gesellschaft der

Alfons Hilka: Eine altfranzö­s ische

ausgestattete und illustrierte Hand-

Wissenschaften zu Göttingen: Phil.-

moralisierende Bearbeitung des Li-

schrift, die kaum Benutzungsspuren

hist. Kl. 7. Berlin 1933, 15.

ber de Monstruosis Hominibus Ori-

zeigt, ein Auftragswerk für ein adeli-

39  Wien, ÖNB Cod. 2827 (von

entis aus Thomas von Cantimpré De

ges Publikum darstellten.

1449), fol. 253v.

Naturis Rerum. In: Abhandlungen

31  Wien, ÖNB Cod. 2827 (von

40  Gesta Romanorum, das älteste

der Gesellschaft der Wissenschaf-

1449), fol. 252r–257v.

Mährchen- und Legendenbuch des

ten zu Göttingen: Phil.-hist. Kl. 7.

32  Zu Oxford, Bodleian Library, Ms

christ­lichen Mittelalters, übers.

Berlin 1933, 53.

Douce 88 II, vgl. John Block Fried-

von Johann Georg Theodor Gräße.

52  Vgl. dazu Grover Cronin: The

man: The Monstrous Races in Me-

Bd. 2, Leipzig 1905, 119.

Bestiary and the Medieval Mind –

dieval Art and Thought. Cambridge,

41  So die Zusammenfassung der

Some Complexities. In: Modern

Mass./London 1981, 124 – 126

ausführ­lichen Allegorese bei Alfons

Language Quarterly 2 (1941),

u.  242 f.

Hilka: Eine altfranzö­s ische morali-

191 – 198.

33  Gemeint sind damit die acht

sierende Bearbeitung des Liber de

53  Rabanus Maurus: De universo.

Seligpreisungen der Bergpredigt bei

Monstruosis Hominibus Orientis

In: Patrologia Latina. Bd. 111, Paris

Mt.  5,3 – 12.

aus Thomas von Cantimpré De Na-

1854, Col. 9 – 614; Buch VII, Kap. 7:

34  Liber de monstruosis homini-

turis Rerum. In: Abhandlungen der

De portentis, col. 198D. Das kor-

bus orientis, v. 411 – 4 52, Zusam-

Gesellschaft der Wissenschaften

rekte Bibelzitat (Hes. 12,6) lautet

menfassung bei Alfons Hilka: Eine

zu Göttingen: Phil.-hist. Kl. 7. Berlin

gerade an entscheidender Stelle ein

altfranzö­s ische moralisierende Be-

1933, 15.

wenig anders: quia portentum dedi

arbeitung des Liber de Monstruosis

42  Wien, ÖNB Cod. 2827 (von

te domui Israhel »Denn ich habe

Hominibus Orientis aus Thomas von

1449), fol. 253r.

dich zum Mahnzeichen für das Haus

Cantimpré De Naturis Rerum. In:

43  Pfeiffer, 236 f.

Israel gemacht.«

Abhandlungen der Gesellschaft der

44  John Block Friedman: The

54  Isidor, Etymologiae XI, 3, 28,

Wissenschaften zu Göttingen: Phil.-

Monstrous Races in Medieval Art

zit. bei Vinzenz im Speculum natu-

hist. Kl. 7. Berlin 1933, 13.

and Thought. Cambridge, Mass./

rale (Buch XXXI, 121).

35  John Block Friedman: The

London 1981, 243 u. 125.

55  Alexander von Hales: Summa

Monstrous Races in Medieval Art

45  Jurgis Baltrusaitis: Das phan-

Theologica. Hrsg. von Bonaventura

and Thought. Cambridge, Mass./

tastische Mittelalter. Antike und exo-

Marrani. Florenz 1928, Lib. 2, Inqui-

London 1981, 124 u. 243.

tische Elemente der Kunst der Gotik.

sitio 4, Tractatus 2, Sectio 2, ques-

36  Gesta Romanorum, das älteste

Frankfurt/Berlin/Wien 1985, 62.

tio 1, Titulus 1, membrum 2, caput

Mährchen- und Legendenbuch des

46  S. Bernardi abbatis apologia ad

3 (452): Ostenditur autem quod hui-

christ­lichen Mittelalters, übers. von

Giullelmum Sanct-Theoderici abba-

usmodi monstra sunt propagata de

Johann Georg Theodor Gräße. Leip-

tem, Kap. 12. In: PL 182, col. 915 f.

corpori primi hominis, 574 – 577: 576.

289

08

Warum glaubte man im Mittelalter an monströse Wesen?

1  John Block Friedman: The Mons-

10  Vgl. Evagrius Scholasticus: Ec-

15  De Animalibus Libri XXVI, 2.1.4.

trous Races in Medieval Art and

clesiasticae historiae libri VI, I, 7

In: Hermann Stadler (Hrsg.): Alber-

Thought. Cambridge, Mass./London

(PG 86, col. 2438); vgl. dazu John

tus Magnus. De animalibus libri

1981, 24.

Block Friedman: The Monstrous Ra-

XXVI. Nach der Kölner Urschrift.

2  Jack London: The Terrible So-

ces in Medieval Art and Thought.

2 Bde., Münster 1916 – 1920 (= Bei-

lomons. In: South Sea Tales. New

Cambridge, Mass./London 1981, 25.

träge zur Geschichte der Philoso-

York 1911.

11  Vgl. Fritz Pradel: Kopflose

phie des Mittelalters, 15 – 16, 247;

3  Vgl. z. B. Friedrich Ratzel: Völker-

Menschen und Tiere in Mythe und

vgl. John Block Friedman: The

kunde. Bd. 2, Leipzig 1886, 236 f.;

Sage. In: Mitteilungen der Schle­

Monstrous Races in Medieval Art

vgl. Abb. 6, 7, 17 u. Ä. in: Hugo

sischen Gesellschaft für Volkskunde

and Thought. Cambridge, Mass./

Adolf Bernatzik: Südsee. Ein Rei-

6 (1904), 37 – 41; Karl Preisendanz:

London 1981, 25.

sebuch. Neue, völlig umgearb. und

Akephalos. Der kopflose Gott. Leip-

16  Robert Shafer: Unmasking Kte-

erw. Aufl. Innsbruck 1949.

zig 1926; Thallner, 45 f f.

sias’ Dog-headed People. In: Historia 13 (1964), 491 – 5 03.

4  Vgl. Thallner, 49; Ludwig Tobler:

12  Vgl. dazu H. Hosten: The

Über sagenhafte Völker des Alter-

Mouthless Indians of Megasthenes.

17  Für die folgenden Informati-

tums und Mittelalters. In: Zeitschrift

In: Journal and Proceedings of the

onen und Bilddokumente bin ich

für Völkerpsychologie und Sprach-

Asiatic Society of Bengal. New Se-

dem Medizinisch-Patholo­g ischen

wissenschaft 18 (1888), 225 – 254:

ries 8 (1912), 291 – 3 01; vgl. hier und

Bundesmuseum in Wien und seiner

239.

im Folgenden auch John Block Frie-

Leiterin, Frau Dr. Beatrix Patzak, zu

5  Wittkower, Marvels, 164.

dman: The Monstrous Races in Me-

besonderem Dank verpflichtet; vgl.

6  Richard Konetzke: Entdecker

dieval Art and Thought. Cambridge,

dazu auch Beatrix Patzak: Faszi-

und Eroberer Amerikas. Frankfurt

Mass./London 1981, 24 f.

nation und Ekel. Das Patholo­g isch-

1963, 40.

13  Richard Hennig: Der kultur-

anatomische Bundesmuseum im

7  Partha Mitter: Much Maligned

historische Hintergrund der Ge-

Wiener Narrenturm. Graz 2009.

Monsters: History of European Re-

schichte vom Kampf zwischen Pyg-

18  Barton Cooke Hirst und George

actions to Indian Art. Oxford 1977,

mäen und Kranichen. In: Rheini-

A. Piersol: Human Monstrosities. 4

1 – 16; John Block Friedman: The

sches Museum für Philologien N. F.,

Bde., Edinburgh/London 1892/93,

Monstrous Races in Medieval Art

81 (1932), 20 – 24: 21; kritisch Pietro

Bd. 1, 73.

and Thought. Cambridge, Mass./

Janni: Ethnografia e mito. La storia

19  Barton Cooke Hirst und George

London 1981, 24.

dei Pigmei. Rom 1978, 107 – 136.

A. Piersol: Human Monstrosities. 4

8  Vgl. dazu Rudolf Simek: Lexi-

14  John Block Friedman: The

Bde., Edinburgh/London 1892/93,

kon der germanischen Mythologie.

Monstrous Races in Medieval Art

Bd. 1, Abb. VII.

Stuttgart 1984, 365.

and Thought. Cambridge, Mass./

20  Sabine Baring-Gould: Curious

9  Cod. Vat. Barb. Lat. 592, Abb.

London 1981, 24; sehr populär: Kay

Myths of the Middle Ages. London

in: Bibliotheca Apostolica Vaticana.

Eastwood: Women and Girls in the

1884, 146 f.

Liturgie und Andacht im Mittelalter.

Middle Ages. St. Catherines, Onta-

Köln 1992, 166.

rio, 2003, 26.

290

09

Monster in der Neuzeit

1  W. Neuber: »garriebat philo-

6  Aus: Bartolomé de Las Casas:

11  Elisabeth Luchesi: Von den

mena«. Die erste Columbus-Reise

Historia de las Indias. Buch III, Kap.

Wilden/Nacketen/Grimmigen Men-

und ihre narrative Tradierung in

III–V. Madrid 1957, 174 – 179; hier zi-

schfresser Leuthen/in der Newen-

Deutschland bis zum Jahr 1600. In:

tiert nach: Eberhard Schmitt (Hrsg.):

welt America gelegen. Hans Staden

Columbus zwischen zwei Welten.

Dokumente zur Geschichte der eu-

und die Popularität der »Kanniba-

Hrsg. von Titus Heydenreich. Frank-

ropäischen Expansion. Bd. 3: Mat-

len« im 16. Jahrhundert. In: K.-H.

furt/M. 1992, 125 – 142; W. Neuber:

thias Meyn u. a. (Hrsg.): Der Aufbau

Kohl: Mythen der neuen Welt. Berlin

Fremde Welt im europäischen Hori-

der Kolonialreiche. München 1986,

1982, 71 – 74; vgl. dazu auch Wolf-

zont. Zur Topik der deutschen Ame-

494.

gang Neuber: Fremde Welt im eu-

rika-Reiseberichte der Frühen Neu-

7  Vgl. Eberhard Schmitt (Hg.), Do-

ropäischen Horizont. Zur Topik der

zeit. Berlin 1991 (= Philolo­g ische

kumente zur Geschichte der euro-

deutschen Amerika-Reiseberichte

Studien und Quellen, 121); F. Kluge:

päischen Expansion 3: Der Aufbau

der Frühen Neuzeit. Berlin 1991 (=

Deutsches Etymolo­g isches Wör-

der Kolonialreiche. München 1987,

Philolo­g ische Studien und Quel-

terbuch. 22. Aufl. Berlin/New York

490 sowie Horst Gründer: Wel-

len 121

1989, 352.

teroberung und Christentum. Ein

12  Hans D. Baumann: Unsere fer-

2  Marco Polo, mhd., ed. Tscharner,

Handbuch zur Geschichte der Neu-

nen Nachbarn. Wie sich die Erd-

55 f. und 52.

zeit.Gütersloh 1992.112 – 114.

bewohner die Außerirdischen vor-

3  luego se ayunto alli mūcha gente

8  Lewis Hanke: The Spanish Strug-

stellen. Hamburg 1990, 45 f f.; Helga

dla Isla […] – Christopher Colum-

gle for Justice in the Conquest of

Abret und Lucian Boia: Das Jahr-

bus: The Diario of Christopher Co-

America. Philadelphia 1949, 12.

hundert der Marsianer – Der Planet

lumbus’s First Voyage to America

9  R. Konetzke: Entdecker und Er-

Mars in der Science Fiction bis zur

1492 – 1493. Zusammengefasst von

oberer Amerikas. Von Christoph Ko-

Landung der Viking-Sonden 1976.

Fray Bartolomé de las Casas. Über-

lumbus bis Hernán Cortés. Frank-

München 1984; Dieter Hasselb-

tragen und übersetzt ins Eng­lische,

furt 1963, 41 u. 40.

latt: Grüne Männchen vom Mars.

mit Anmerkungen und einem Nach-

10  Obwohl man durch den Beginn

Science Fiction für Leser und Ma-

weis des Spanischen von Oliver

der Verschleppung von Afrikanern

cher. Düsseldorf 1974.

Dunn und James E. Kelley, Jr. Lon-

nach Portugal 1441 und regelmä-

13  Eine Sitcom nach Ideen von

don 1989, 64 – 6 8.

ßig ab 1444 zumindest erste Erfah-

Paul Fusco und Tom Patchett,

4  Horst Pietschmann: Staat und

rungen gesammelt hatte; allerdings

1986 – 1990 in den USA in vier Staf-

staat­liche Entwicklung am Beginn

waren zu d ­ iesem Zeitpunkt an der

feln mit insgesamt 102 Folgen pro-

der spanischen Kolonisation Ameri-

Humanität der Afrikaner keine Zwei-

duziert, der 1996 der Kinofilm Pro-

kas. Münster 1980, 78 f f.

fel geäußert worden, was sich da-

ject: ALF (USA/Deutschland 1995,

5  Vgl. Michael Sievernich u. a.

rin zeigt, dass sie selbst den geist­

Regie: Dick Lowry) folgte.

(Hrsg.): Conquista und Evangelisa-

lichen Beruf ergreifen konnten; vgl.

14  Gremlins. USA 1983, Regie: Joe

tion. Mainz 1992, 469 f.

J. Pope-Henessy: Geschäft mit

Dante, Produzent: Steven Spielberg.

schwarzer Haut. Wien/München/Zü-

15  Critters. USA 1986, Regie:

rich 1970, 18.

Stephen Herek.

291 16  E. T. – The Extra-Terrestrial.

Fiction bis zur Landung der Vik-

24  Vgl. dazu auch die et­lichen de-

USA 1982, Regie: Steven Spielberg.

ing-Sonden 1976. München 1984,

tailreichen Abbildungen bei Judith

17  Stefan M. Gergely: Die Nase

204.

und Garfield Reeves-Stephens: Star

könnte fehlen. In: Profil 24 (1993),

20  Ebd., 205.

Trek Design. München 1997.

Nr.  2, 56 – 5 9.

21  Ebd., 205 f.

25  Insgesamt 726 Episoden und

18  Aus: John F. Moffitt: Picturing

22  J. R. R. Tolkien: The Fellow­

11 Kinofilme, deutsch: Raumschiff

Extraterrestrials. Alien Images in

ship of the Ring: Being the First Part

Enterprise, 1966 bis zum vorerst

Modern Mass Culture. Amherst,

of The Lord of the Rings. London

letzten Film 2009.

New York, 2003, Abb. 8.

1954, 53.

26  Men in Black. USA 1997, Regie:

19  Helga Abret und Lucian Boia:

23  C. S. Lewis: The Lion, the Witch

Barry Sonnenfeld.

Das Jahrhundert der Marsianer –

and the Wardrobe. London 1950.

Der Planet Mars in der Science

293

ANTIKE UND MITTELALTERLICHE QUELLEN FÜR DIE MONSTER

Abor und das Meerweib (Fragment eines mhd. Romans aus dem 14. Jh.) Heinrich Meyer-Benfey (Hg.): Mittelhochdeutsche Übungsstücke. Halle an der Saale 2

1920, 180 – 83.

Adam von Bremen (dt. Kleriker und Historiker des 11. Jh.): Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum Magister Adam Bremensis: Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum. In: Quellen ­ irche und des Reiches. des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der Hambur­gischen K Darmstadt 1973 (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Frei­ herr vom Stein-Gedächtnisausgabe 11), 137 – 499. Aelianus, Claudius Sophista (röm. Autor, ca. 170 – nach 222 n. Chr.): De natura animalium Rudolf Hercher (Hg.): Claudius Sophista Aelianus: De natura animalium libri XVII . 2 Bde. Leipzig 1864 – 66 (= Bibliotheca scriptorum græcorum et romanorum Teubneri­ ana.). A. F. Schoolfield (Übs.): Aelian: On the characteristics of animals. London 1958. Aethicus Ister (fiktiver lat. Verfasser des 7./8. Jh.): Cosmographia H. Wuttke: Die Kosmographie des Istrier Aithikos im lateinischen Auszuge des Hiero­ nymus. Leipzig 1853; T. A. M. Bishop (Hg.): Aethici Istrici Cosmographia Vergilio Sa­ lisburgensis Rectius Adscripta. Amsterdam 1966; Otto Prinz (Hg.): Die Kosmographie des Aethicus. München 1993 (= Monumenta Germaniae Historica, Quellen zur Geis­ tesgeschichte des Mittelalters 14). Albertus Magnus (dt. Universalgelehrter, Dominikaner und Bischof, ca. 1200 – 80, 1931 hei­ liggesprochen) Hermann Stadler (Hg.): Albertus Magnus. De animalibus libri XXVI . Nach der Köl­ ner Urschrift. 2 Bde. Münster 1916 – 20 (= Beiträge zur Geschichte der Philo­sophie des Mittelalters. 15 – 16); August Borgnet (Hg.): B. Alberti Magni […] Opera Omnia. Bd. 12: Animalium Lib. XXVI . Paris 1891. Albrecht (mhd. Dichter, um die Mitte des 13. Jh.): Jüngerer Titurel. Werner Wolf, Kurt Nyholm (Hgg.): Albrecht: Jüngerer Titurel, 5 (in 3) Bde., Berlin 1955 – 92 (= Deutsche Texte des Mittelalters 45. 58. 61).

294

Alexander von Hales (engl. Scholastiker, Franziskaner, ca. 1185 – 1245): Summa Theologica Doctoris irrefragabilis Alexandri de Hales Ordinis Minorum Summa theologica. ed. Bonaventura Marrani. Florenz, Quaracchi 1924 – 48. Bd. 2, 1928. Petrus Martyr von Angleria (ital. Kleriker und Historiker, 1457 – 1526): De Orbe Novo. Petrus Martyr de Anghiera: De Orbe Novo. Sevilla 1511. Annolied (frühmhd. Reimpaargedicht, vor 1100) Martin Opitz (Hg.): Das Anno-Lied. Diplomatischer Abdruck besorgt von Walther Bulst. Heidelberg 21961. Apokryphen Otto Fridolinus Fritzsche (Hg.): Liber Apocryphi veteris testamenti graece. Leipzig 1871. Carl Bezold: Die Schatzhöhle; aus dem syrischen Texte dreier unedirten Handschrif­ ten. Leipzig 1883. Aristoteles (griech. Philosoph und Gelehrter, 384 – 322 v. Chr.) David M. Balme (Hg.): Aristotle: Historia animalium. Bd. 1: Books I-X: Text. Cambridge 2002 (= Cambridge Classical Texts and Commentaries 1). Arnoldus Saxo (niederdt. Geist­licher und Gelehrter des frühen 13. Jh.): De finibus rerum naturalium Emil Stange (Hg.): Die Enzyklopädie des Arnoldus Saxo, zum ersten Mal nach einem Erfurter Codex herausgegeben. (= König­liches Gymnasium zu Erfurt. Beilage zum Jah­ resbericht 1904/05, 1905/06, 1906/07). Augustinus Hibernicus (Pseudonym eines anon. irischen Gelehrten, um 655): De mirabilibus sacræ scripturæ Augustinus Hibernicus: De mirabilibus sacræ scripturæ. In: Sancti Augustini Opera om­ nia. Paris 1845 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 35), 2149 – 2200. Augustinus von Hippo (­­Kirchenvater, 354 – 430, Bischof und schon früh als Heiliger verehrt) Sancti Aurelii Augustini Episcopi De civitate Dei Libri XXII . Rec. Emanuel Hoffmann. Vol. I-II . Prag, Wien, Leipzig 1899 – 1900 (= Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Lati­ norum. 40). Sancti Aurelii Augustini Opera Omnia. Septimus Tomus. Paris 1846, Ed. nova Reprint 1969 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 41). Au­ gustinus: De Civitate Dei. Turnhout 1955 (= Corpus Christianorum Series Latina 48). Augustinus: De fato ➻ Pseudo-Augustinus Aulus Gellius (röm. Schriftsteller des 2. Jh. n. Chr.): Noctes Atticae Gellii Noctium Atticarum libri XX . Noctes Atticae ex recensione Martini Hertz. Leipzig 1861 – 71 (= Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana).

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Bacon, Roger (engl. Gelehrter und Franziskaner, 1214 – 1292/94): Opus Majus Fr. Rogeri Bacon Opera quædam hactenus inedita. Vol. I. Ed. by J. S. Brewer. London 1859 (= Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores 15). John Henry Bridges: The »Opus Majus« of R ­ oger Bacon. 2 Vols. Oxford 1897 – 1900. Bartholomäus Anglicus (engl. Scholastiker und Franziskaner, ca. 1190- nach 1250): De Proprietatibus Rerum Bartholomäus (de Glanvilla) Anglicus: De Proprietatibus Rerum. Frankfurt 1601, Nach­ druck Frankfurt 1964. Baudouin van den Abeele, H. Meyer : Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum. Prohemium, Libri I-IV.Texte latin et réception vernaculaire – Lateinischer Text und volkssprachige Rezeption. Turnhout 2007 (= De diversis artibus 74). Iolanda Ventura (Hg.): Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum, vol. VI : Liber XVII . Turnhout 2007 (= De diversis artibus 79). Baumann, Michael (süddt. Zisterzienser und Enzyklopädist, vor 1460 geboren): Buch von der natür vnd eÿgenschafft der dingk Klara Berzeviczy (Hg.): Michael Baumanns Naturbuch: Abdruck der Unikathandschrift und Begleitstudie. Berlin 2011. Beatus von Liebana (span. Mönch, gestorben vor 798): Commentarius in Apocalipsin Beatus von Liebana: Commentarius in Apocalipsin In: Sanctorum Hildefonsi, Leode­ garii, Juliani, Toletani, Augustodunensis et iterum Toletani episcoporum opera omnia. Paris 1851 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 96), 893 – 1030. Henry A. Sanders (Hg.): Beati in Apocalipsin Libri Duodecim. Rom 1930 (= Papers and Monographs of the American Academy in Rome 7). Beda Venerabilis (ags. Benediktiner und Universalgelehrter, 672/673 – 735) Venerabilis Bedæ Opera omnia. Paris 1850, Reprint Turnhout 1968 (= J. P. Migne: Patro­ logiae Cursus Completus. Series Latina 90). Beowulf (ags. Heldenepos aus dem 8. Jh.) Charles Leslie Wrenn; W. F. Bolton (Hgg.): Beowulf with the Finnesburg fragment. Re­ vised edition. Exeter 1992. Bernardus Silvestris (frz. Gelehrter, Philosoph und Dichter des 12. Jh.) Haijo Jan Westra (Hg.): The Commentary on Martianus Capella’s De nuptiis Philolo­ giae et Mercurii attributed to Bernardus Silvestris. Toronto 1986 (= Studies and Texts. 80). Bernardus Silvestris: Cosmographia. Edited with introduction and notes by Peter Dronke. Leiden 1978 (= Textus minores 53). Berthold von Regensburg (Regensburger Prediger, um 1210 – 72) Franz Pfeiffer (Hg.:) Berthold von Regensburg. Vollständige Ausgabe seiner Predigten. Bd. 1. Wien 1862.

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Nikolaus Oresme (norman. Gelehrter und Bischof, vor 1330 – 82): De causis mirabilium Bert Hansen (Hg.): Nicole Oresme and the Marvels of Nature. A Study of his De causis mirabilium with Critical Edition, Translation, and Commentary. Toronto 1985 (= Stu­ dies and Texts 68). Notker der Deutsche (aleman. Benediktinermönch und Gelehrter, ca. 950 – 1022) Petrus W. Tax (Hg.): Notker der Deutsche: Boethius, »De consolatione Philosophiae«. Buch I,II . Tübingen 1986 (= Altdeutsche Textbibliothek. 94). Odorico von Pordenone (ital. Franziskaner und Chinareisender, ca. 1265/86 – 1331) Anastasius van den Wyngaert (Hg.): Itinera et relationes fratrum minorum saeculi XIII et XIV. Quaracchi, Florenz 1929 (= Sinica Franciscana. 1), S. 413 – 495. Gilbert Strasman (Hg.): Konrad Steckels deutsche Übertragung der Reise nach China des Odorico von Pordenone. Berlin 1968 (= Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 20). Owl and the Nightingale, The (mittelengl. Gedicht des 12./13. Jh.) J. H. G. Grattan; G. F. H. Sykes (Hgg.): The Owl and the Nightingale. Oxford 1935 (= Early English Text Society. E. S. 119). Paulus Orosius (span. Kleriker und Historiker, ca. 385 – ca. 418): Adversus Paganos Carl Zangemeister (Hg.): Paulus Orosius: Historiarum adversos paganos libri VII. Wien 1882 (= Corpus der Lateinischen Kirchenväter ­­ 5). Paulerinus de Praga (auch Paulirinius, Paulus de Praga, Pavel Židek, böhmischer Priester und Gelehrter, 1413 – nach 1471): Liber viginti arcium Alena Hadravová: Kniha Dvacatera umění mistra Pavla Židka část Přírodovědná. Praha 2008. Paulus Diakonus (langobard. Benediktinermönch und Historiker, ca. 725/730 – ca. 797/799): Historia Langobardorum Ludwig Bethmann; Georg Waitz (Hgg.): Pauli historia Langobardorum. In: Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum saec. VI–IX . Hannover 1878, 12 – 219 (= Monu­ menta Germaniae Historica). Petrus Abaelardus (auch Pierre Abélard, frz. Scholastiker, 1079 – 1142) Petri Abælardi Expositio in Hexaemeron. In: Petri Abælardi Abbatis Rugensis Opera Om­ nia. Paris 1855 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 178), 731 – 784. Petrus Alliacus (auch Pierre d’Ailly, frz. Gelehrter, ab 1411 Kardinal, ca. 1350/51 – 1420): Ymago mundi Edmund Buron (Hg.): Ymago mundi de Pierre d`Ailly. Texte latin et traduction française des quatre traités cosmographiques de d`Ailly et des notes marginales de Christophe Colomb. 3 Bde. 1 – 3, Paris 1930.

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Petrus Damiani (ital. Benediktiner, später Bischof, ca. 1006 – 72) Petrus Damiani: De bono religiosi status et variarium animantium tropologia. In: S. Pe­ tri Damiani S. R. E. cardinalis […] opera Omnia. Paris 1867 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 145), 763 – 792. Petrus Comestor (frz. Theologe und Historiker, ca. 1100 – 1278): Historia Scholastica Eruditissimi viri magistri Petri Comestoris Historia Scholastica. Paris 1855 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 198). Physiologus (urspr. griech. Naturlehre aus dem 2. Jh.) Friedrich Maurer (Hg.): Der altdeutsche Physiologus. Die Millstätter Reimfassung und die Wiener Prosa (nebst dem lateinischen Text und dem althochdeutschen Physiologus). Tübingen 1967 (= ATB 67). Otto Seel (Übs.): Der Physiologus. Tiere und ihre Symbolik. München 1960, 1987. Pīrī Re’īs (osman. Admiral, 1470 – 1554/5) Paul Kahle: Piri Re’is und seine Bahrîje. In: Hans von Mžik (Hg.): Beiträge zur histo­ rischen Geographie, Kulturgeographie, Ethnographie und Kartographie, vornehm­lich des Orients. Leipzig, Wien 1929, 60 – 76. Plinius Caius Secundus (genannt der Ältere, röm. Offizier und Gelehrter, ca. 23/24 n. Chr. -79): Naturalis Historia Ludovicus Ianus; Carolus Mayhoff. (Hgg.): C. Plini Secundi Naturalis Historiae Libri XXXVII , Bd. 1 – 6, Leipzig 1854 – 65. (= Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum

Teubneriana). Detlef Detlefsen: Die geographischen Bücher (II ,242-VI Schluss) der Na­ turalis Historia des C. Plinius Secundus. Berlin 1904 (= Quellen und Forschungen zur alten Geschichte und Geographie 9). Pseudo-Aristoteles: De mundo William Laughton Lorimer: Some Notes on the Text of Pseudo-Aristotle »De mundo«. Together with an appendix containing the text of the medieval Latin versions. Oxford 1925 (= St. Andrews University Publications 18). Pseudo-Augustinus: De fato In: J.-P. Migne (Hg.): Sancti Aurelii Augustini Opera Omnia. Paris 1846, Nachdruck Turnhout 1969 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 35), 2347 – 59. Pseudo-Beda: De mundi celestis terrestrisque constitutione Charles Burnett (Hg. und Übs.): Pseudo-Bede: De mundi celestis terrestrisque constitutione. A Treatise on the Universe and the Soul. London 1985 (= Warburg Institute Surveys and Texts 10).

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Pseudo-Clementinus In: S. Clementis I. Opera Omnia. Paris 1857 (= J.-P. Migne: Patrologiae cursus comple­ tus. Series Graeca 1). Pseudo-Hugo von St. Viktor: De Bestiis [Pseudo-Hugo von St. Viktor]: De Bestiis. In: Hugonis de S. Victore Opera Omnia. Ed. J.-P. Migne. Paris 1854 Pseudo-Ovid: De mirabilibus mundi Mantague Rhodes James: Ovidius De mirabilibus mundi. In: Studies and Essays presen­ ted to William Ridgeway. Cambridge 1930, 286 – 298. Raimundus Lullus (katalan. Theologe, ca. 1232 – 1316) Raimundus Lullus: Opera ea quae ad inventam ab ipso artem universalem scientiarum artiumque omnium brevi compendio […] pertinet. Argentiae 1598. Ranulphus Higden (engl. Benediktiner und Historiker, ca. 1280 – 1364): Polychronicon Churchill Babington; J. R. Lumby (Hgg.): Polychronicon Ranulphi Higden, together with the English Translation of John Trevisa and of an unknown writer of the fifteenth century. Bd. 1 – 9, London: 1865 – 86 (= Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores). Ratramnus von Corbie (Benediktionermönch, gest. ca. 868) Ratramni Corbeiensis monachi Epistola de Cynocephalis ad Rimbertum Presbyterum scripta. In: Ratramni corbeiensis monachi, Aeneae, Sancti Remigii […] Opera Omnia tomus unicus. Paris 1852 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 121), cols. 1153 – 56. Reinfried von Braunschweig (anon. mhd. Abenteuerroman, nach 1291) Karl Bartsch (Hg.): Reinfried von Braunschweig. Stuttgart 1871 (= Bibliothek des Litte­ rarischen Vereins in Stuttgart 109). Reinmar von Zweter (dt. Dichter, ca. 1200 – nach 1248) Gustav Roethe (Hg.): Die Gedichte Reinmars von Zweter. Leipzig 1887, Nachdruck Amsterdam 1966. Remigius von Auxerre (frz. Benediktiner, ca. 841 – ca. 908) Cora E. Lutz (Hg.): Remigii Autissiodorensis Commentum in Martianum Capellam. Leiden 1962 – 65. Rosengarten (mhd. Versepos, 13. Jh.) In: Adelbert von Keller (Hg.): Das deutsche Heldenbuch. Bd. 1. Stuttgart 1867, Nachdruck Hildesheim 1966, 594 – 692. Rudolf von Ems (dt. Dichter und Historiker aus Hohenems, ca. 1200 – ca. 1254) Rudolf von Ems: Weltchronik. Hg. v. Gustav Ehrismann. Berlin 1915, Dublin, Zürich 1967 (= Deutsche Texte des Mittelalters 20).

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Schatzhöhle (apokr. bibl. Text zum Alten Testament) Carl Bezold: Die Schatzhöhle; aus dem syrischen Texte dreier unedirten Handschrif­ ten. Leipzig 1883. Schedel, Hartmann (Nürnberger Arzt und Gelehrter, 1440 – 1514): Liber Chronicarum Liber Chronicarum. Nürnberg 1493. Seifrit (mhd. Dichter des 14. Jh.): Alexander Paul Gereke (Hg.): Seifrits Alexander: aus der Strassburger Handschrift. 2., unveränd. Aufl. Berlin 1932, Nachdr. Hildesheim: Weidmann, 2005 (= Deutsche Texte des Mittelalters 36). Sidrach (anon. Predigerhandbuch aus dem 13. Jh. in verschiedenen westeuropäischen Sprachen) Hermann Jellinghaus (Hg.): Das Buch Sidrach. Nach der Kopenhagener mittelnie­ der-deutschen Handschrift v. J. 1479. Tübingen 1904 (= Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 235); Gunnar Knudsen (Hg.): Sydrak. Efter Haandskriftet Ny kgl. Saml. 236, 4to. København 1921. Snorri Sturluson (isl. Politiker und Dichter, 1178/9 – 1142) Finnur Jónsson (Hg.): Edda Snorri Sturlusonar. Kopenhagen 1900. Solinus, Caius Iulius (röm. Schriftsteller, 3. oder eher 4. Jh. n. Chr.): Collectanea rerum memorabilium Theodor Mommsen (Hg.): C. Ivlii Solini Collectanea rervm memorabilivm. Berlin 1895, Nachdruck Zürich/Hildesheim 1999. Strabon (griech. Historiker und Geograph, ca. 63 v. Chr. – nach 23 n. Chr.): Geographica Stefan Radt: Strabons Geographika. 10 Bände. Göttingen 2002 – 11. Stricker (mhd. Dichter des früheren 13. Jh.) Gustav Rosenhagen (Hg.): Stricker: Daniel von dem blühenden Tal ein Artusroman von dem Stricker. Breslau 1894 [Nachdr. Hildesheim 1976]. Stricker: Der Pfaffen Leben. In: Franz Pfeiffer: Altdeutsches Übungsbuch zum Gebrauch an Hochschulen. Wien 1866, 27 – 9. Summarium Heinrici (lat.-ahd. Kompendium des 11. Jh.) Reiner Hildebrandt (Hg.): Summarium Heinrici, 2 Bde., Berlin 1974 – 82. Sydrach, Sydrak ➻ Sidrach. Tartar Relation ➻ Descriptio terrarum. Theodoricus Monachus (norw. Benediktinermönch und Historiker des spätere 12. Jh.): Historia de antiquitate regum Norwagiensium Gustav Storm (Hg.): Monumenta Historica Norvegiæ. Latinske Kildeskrifter til Norges Historie i Middelalderen. Kristiania 1880, 1 – 68. Thomas von Aquin (ital. Dominikaner und Gelehrter, 1224/25 – 1274) Divi Thomae Aquinatis […] Summa Theologica. Editio Altera Romana. 6 Bde. Rom 1894.

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Thomas von Cantimpré (fläm. Dominikaner und Enzyklopädist, 1201 – 1270/72): Liber de Natura Rerum Helmut Boese (Hg.) : Thomas Cantimpratensis Liber de Natura Rerum. Teil I: Text. Berlin, New York 1973; Thomas von Cantimpré: Liber de naturis rerum: Redaktion III (Thomas III); Text der Handschrift M1 (München BSB , Clm 2655), verbessert nach den Handschriften C1 (Cambridge, Mass. U. L., Riant 19), Me1 (Melk, Stiftsbibl., 1707), Li ­(Lilienfeld, Stiftsbibl., 206) und Kl2 (Klosterneubug, Stiftsbibl., 1060). Erarb. von der Projektgruppe B2 des SFB 226 Würzburg-Eichstätt unter der Leitung vom Benedikt Konrad Vollmann. [Eichstädt 1992] Alfons Hilka (Hg.): Liber de monstruosis hominibus Orientis aus Thomas von Cantim­ prè: De natura rerum. In: Festschrift zur Jahrhundertfeier der Universität Breslau am 2. August 1911. Breslau 1911, 152 – 67. Thomas von Froidmont (engl. Zisterzieneser und Historiker des 12./13. Jh.): Liber de modo bene vivendi Liber de modo bene vivendi, ad sororem. In: S. Bernardi Opera omnia. Vol. 3: S. Bernardi operum tomum V complectens. Paris 1854 (= J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 184), 1199 – 1306. Ulrich Boner (Schweizer Dominikaner des frühen 14. Jh.): Der Edelstein Franz Pfeiffer (Hg.): Ulrich Boner: Der Edelstein. Leipzig 1844. Ulrich von Eschenbach (oder Etzenbach, dt. Dichter vom Ende des 13. Jh.): Alexander Wendelin Toischer (Hg.): Alexander von Ulrich von Eschenbach. Tübingen 1888 (= Bi­ bliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 183). Ulrich von Türheim (dt. Dichter, ca. 1195 – ca. 1250) Alfred Hübner (Hg.): Ulrich von Türheim, Rennewart, aus der Berliner, Heidelberger und Münchner Handschrift, Berlin1938, Berlin, Zürich: 2. Aufl. 1964 (= Deutsche Texte des Mittelalters 39). Varro, Marcus Terentius (röm. Universalgelehrter, 116 – 27 v. Chr. Geb.) Georg Goetz (Hg.): Varro, De re rustica. Leipzig 1912, 21929 (= Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Roma­norum Teubneriana). Vinzenz von Beauvais (frz. Dominikaner und Enzyklopädist, ca. 1184/94 – 1264) Vincentius Bellovacensis: Speculum Quadruplex. Douay 1624, Nachdruck Graz 1964. Volksbuch Lucidarius (Überarbeitung des ➻ Lucidarius aus dem 16. Jh.) Franz Podleiszek (Hg.): Eyn newer Elucidarius. In: Volksbücher von Weltweite und Aben­ teuerlust. Darmstadt 1969 (= Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen 12.2), 99 – 149. Walter von Chatillon (auch Gualterus de Castellione, frz. Dichter, ca. 1135 – ca. 1190/1201) Marvin L. Colker (Hg.): Galteri de Castellione: Alexandreis. Padua 1978.

Walter von Metz (auch Gautier de Metz, frz. Dichter um die Mitte des 13. Jh.): L`Image du Monde Oliver H. Prior (Hg.): L`Image du Monde de Maitre Gossouin. Redaction en prose. Texte du Manuscrit de la Bibliothèque Nationale Fonds Français 574. Lausanne, Paris 1913. Werner von St. Blasien (Benediktiner aus dem Schwarzwald, gest. 1178): Liber deflorationum Liber deflorationum sive excerptionum sanctorum partum. In: Historia Nigrae Silvae. In: Goffridi Abbatis Vindocinensis opera omnia […]. Tomus unicus. (= J. P. Migne: Pa­ trologiae Cursus Completus. Series Latina 157), 719 – 1256. Paris 1854. Wiener Genesis (mhd. Bibeldichtung, 11. Jh.) Kathryn Smits: Die frühmittelhochdeutsche Wiener Genesis. Kritische Ausgabe mit ei­ nem einleitenden Kommentar zur Überlieferung. Berlin 1972 (= Philolo­gische Studien und Quellen 59). Wigamur (mhd. Artusroman von der Mitte des 13. Jh.) Nathanael Busch (Hg.): Wigamur. Kritische Edition – Übersetzung – Kommentar. Ber­ lin, New York 2009. Wilhelm von Conches (norman. Gelehrter, ca. 1080/90 – nach 1154) Philosophia mundi. In: J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 90, 1127 – 78, und J. P. Migne: Patrologiae Cursus Completus. Series Latina 172, 39 – 102. Guillaume de Conches: Glosae super Platonem. Texte critique avec introduction, notes et tables par ’douard Jeauneau. Paris 1965. Philosophia mundi. Ausgabe des 1. Buchs von Wilhelm von Conches’ »Philosophia«. Mit Anhang, Übersetzung und Anmerkungen von Gregor Maurach. Pretoria 1974. Wilhelm von Rubruk (fläm. Franziskaner und Asienreisender, ca. 1215/20 – ca. 1270) Anastasius van den Wyngaert: Itinera et relationes fratrum minorum saeculi XIII et XIV. Quaracchi, Florenz 1929 (= Sinica Franciscana. 1), 164 – 332. Wolfram von Eschenbach (mhd. Dichter am Anfang des 13. Jh.) Karl Lachmann (Hg.): Wolfram von Eschenbach. Berlin 1833, 7. Aufl. 1952. Dieter Kart­ schoke (Hg. und Übs.): Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Berlin 1968.

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS

(Die Ziffern verweisen auf Seitenzahlen.)

Kapitel 1 9

Blemmyae in einem lateinisch-altenglischen Wundervölkerverzeichnis, 11. Jh. London, British Library, Cod. Cotton Tiberius B V, fol. 82r

10 Zwerg mit Holzfuß aus dem Salzburger Mirabellgarten, Foto von Matthias Kabel 10 Johann Nepomuk Steiner, Angelo Soliman um 1750, Stich aus dem 18. Jh. von Gottfried Haid 11 ALF aus der gleichnamigen Fernsehserie 17 Monster im modernen Kinderbuch, Maurice Sendak, Wo die wilden Kerle wohnen, Zürich: Diogenes Verlag 1967 19 Frühmittelalterliche Sirenen in der klassischen Tradition lateinischer Bestiarien in einer englischen Handschrift, um 1300. Oxford, Bodleian Library, Ms. Douce 88, fol. 138r 21 Wundervölkergalerie am Südrand der Weltkarte von Ebstorf, 13. Jh., zerstört 1944 23 Dämonen, Kirche von Gjerrild, Jütland, Dänemark, um 1500, Foto des Verfassers 23 Monster, Kirche von Dalbyneder, Jütland, Dänemark, 1511, Foto des Verfassers

Kapitel 2 25 Pygmäen im Kampf mit den Kranichen in einer Handschrift des Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais, um 1475, links ein Elefant. Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig X III 5, vol. 1, fol. 55 26 Wundervölker (Volk ohne Feuer, Mann auf Krokodil (!), Kentaur und Satyr) aus einem Bestiarium, nach 1277. Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig XV 4, fol. 119r 27 Ichthyophagus aus einem englischen Bestiarium von der Mitte des 12. Jahrhunderts. Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig XV 4, fol. 119r 29 Indische Brahmanen aus Bombay, um 1900, Foto: Koninklijk Instituut voor taal-, landen volkenkunde (KITLV)

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30 Alexander trifft auf die nackten und in Höhlen lebenden Gymnosophisten/Oxydrake­ nim altfranzösischen Roman d’Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45. London, British Library, Ms. Royal 15 E VI , fol. 17v. 31 Alexander und die Oxydraken aus dem französischen Alexanderroman, Handschrift des frühen 14. Jh. London, British Museum, Ms. Harley 4979, fol. 56r 33 Alexander und die Cynocephalen aus dem französischen Alexanderroman, Hand­ schrift des frühen 14. Jh. London, British Museum, Ms. Harley 4979, fol. 72r 34 Alexander trifft auf die Amazonen im altfranzösischen Roman d´Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45. London, British Library, Ms. Royal 15 E VI , fol. 16v 36 Alexanders Luftfahrt am Torbogen von Remagen am Rhein, vor 1200, Foto des Ver­ fassers 39 Sirene und Kentauren in einem Bestiarium, um 1230. Oxford, Bodleian Library, Ms. Bodley 602, fol. 10r 40 Wundervölker in einem Bestiarium, nach 1277. Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig XV 4, fol. 117v 45 Meermönch im Liber de natura rerum von Thomas von Cantimpré, 1417. Krakau, Bi­ bliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r 47 Zyklopen in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480

Kapitel 3 50 Weltkarte mit Wundervölkergalerie im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12v 51 Weltallbild im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 5v 53 Gott als Pantokrator in einer Bible moralisé, um 1250. Wien, ÖNB , Cod 2554, fol. 1v 53 Emblem der Welt in Gottes Hand. Aus: Gabriel Rollenhagen: Nucleus emblematum selectissimorum. Arnheim 1611, Nr. 928 54 Darstellung zur Krümmung der Hydrosphäre in Johannes von Sacrobosco Liber de Sphära. Übersetzung des Konrad von Megenberg: Deutsche Sphaera, Mitte 14. Jh. Graz, Universitätsbibliothek, Ms. 470, fol. 137r 55 Der Erdapfel des Michael Beheim von 1492, Foto: Archiv des Verlags 56 Skiopode auf dem Südkontinent einer Weltkarte zum Apokalypsenkommentar des Beatus von Liebana, Handschrift von 1068, Burgo de Osma

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57 Illustration zur Umrundbarkeit der Erde in der altfranzösischen Prosafasssung der L´Image du monde des Walter von Metz, Handschrift um 1245. London, British Library, Ms. Royal 19. A IX ., fol. 42 59 Zonenkarte im Liber floridus des Lambert von St. Omer, Handschrift des 12. Jh. Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève, Ms. 2200, fol. 34v 61–66 Wundervölker im äußersten Süden auf der Ebstorfkarte, 13. Jh., zerstört 1944 67 Kannibalen in Brasilien, Werkstatt de Bry, 3. Teil der Grands Voyages, Léry-Text, 1. Kupferstich, 1592. Aus: Anna Greve: Die Konstruktion Amerikas. Bilderpolitik in den Grand Voyages aus der Werkstatt de Bry, Köln 2004, Abb. 37

Kapitel 4 70 Blemmyae im altfranzösischen Roman d´Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45. London, British Library, Ms. Royal 15 E VI , fol. 21v 71 Astomi (Apfelriecher) im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Hand­ schrift von 1417. Krakau, Bibliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r 72 – 73 Frühneuzeitliche Afrikakarte mit Darstellung eines Vertreters der Monoculi im In­ neren, aus Sebastian Münster: Geographia, Basel 1540: AFRICA XVIII NOVA TABULA 76 Diverse Wundervölker in dem Buch der Natur des Konrad von Megenberg, Druck von 1475 77 Panoti in einem lateinisch-altenglischen Wundervölkerverzeichnis, 11. Jh. London, The British Library, Cod. Cotton Tiberius B V, fol. 83v 78 Satyri, Oxydraken und kamelfüßige Frauen aus dem altfranzösischen Roman d´Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45. London, British Library, Ms. Royal 15 E VI , fol. 18r 79 Cyclope im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417. Krakau, Bibliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r 82 – 83 Frühneuzeitliche Asienkarte mit Skythien und Indien, mit Darstellungen der Skio­ poden und Pygmäen links des Kartenbilds, Blemmyae und Cynocephalen rechts da­ von, und Antrhropophagen oben im Kartenbild; aus Sebastian Münster: Geographiea, Basel 1540: TABULA ASIAE VIII 84 Hundsköpfige Menschenfresser in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Überset­ zung von Otto von Diemeringen, Druck Basel 1480/81 87 Gog und Magog in der Weltkarte von Ebstorf, 13. Jh., zerstört 1944

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Kapitel 5 90 Manticora in einem Bestiarium, 13. Jh. London, Westminster Abbey Library, Ms 22 91 Sirene und Kentauren in einem Bestiarium, nach 1277. Malibu, J. Paul Getty Trust, Ms. Ludwig XV 3, fol. 78r 92 Satyrn in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung in deutscher Übersetzung von Mi­ chel Velser, Erstdruck Augsburg 1480 93 Skiopode wird vom Pfeil eines Blemmyae getroffen, Handschrift um 1260. London, British Library, Additional Ms. 62925, fol. 87v 94 Buckliger Pfeilschütze schießt auf einen Affen, der auf einer Manticora (?) reitet, flä­ mische Handschrift um 1300. London, British Library, Ms. Stowe 17, fol. 223v-224r 95 Kopffüßler als groteske Marginalillustration aus dem sogen. Luttrell Psalter, um 1325 – 35. London, British Library, Add. Ms. 42130, fol. 192v 98 Kranichsschnäbler aus Aldrovandi: Monstrorum historia, 1642 98 Menschliches Monster, einen Hammel schleppend, Kapitell im Kreuzgang des Groß­ münsters, Zürich 99 Chimera in einem Bestiarium, 13. Jh. London, Westminster Abbey Library, Ms. 22 100 Gargoyle, Kathedrale Santa Creu i Santa Eulalia, Barcelona, 14./15. Jh. 101 Wilder Mann in einer Renaissancehandschrift. Vatican, Cod. Vat. Urb. Lat. 899, fol. 85r 103 Nebukadnezar als Wilder Mann, um 1400. Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms 33, fol. 215v 107 Eremit als Wilder Mann in englischer Handschrift, um 1340. London, British Library, Ms. Royal 10 E IV, fol. 117v 109 Wilder Mann, von tugendreicher Frau gezähmt; die Bildumschrift im Spruchband lautet: „Nie mehr will ich´s treiben wild, wenn mich zähmt ein weiblich Bild / Ich trau mich Dich zu zähmen wohl, so gut und billig als ich soll“, Teppich, 1470, Basel; Aus Anna Rapp Buri, Monica Stucky-Schürer: Zahm und wild. Basler und Straßburger Bildteppiche des 15. Jahrhunderts. Mainz, 1990 109 Wildleute auf dem Wappen des Kornmesseramts, 1468, Gent, Foto des Verfassers 110 Wilder Mann von der Achterkastelldekoration des schwedischen Zweideckers Vasa, gesunken beim Stapellauf im Stockholmer Hafen am 10. August 1628. Er zeigt, dass im 17. Jahrhundert Wilde Männer nicht immer mit Ganzkörperbehaarung dargestellt wurden, ihre Nähe zur Natur jedoch durch die Pflanzengirlanden hergestellt wurde. Foto des Verfassers 110 Wilder Mann als Gargoyle, Kathedrale von Moulins, 15. Jh., Archiv des Verlags

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Kapitel 6 116 Meerkälber und Meerpferd Zidrathus im Liber de natura rerum des Thomas von Can­ timpré, Handschrift von 1417. Krakau, Bibliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r 118 Meermönch in einem Bestiarium, Mitte 13. Jh. Oxford, Bodleian Library, Ms. Bodley 533, fol. 26r 119 Meermönch aus Konrad Gessner: Historiae Animalum, Liber 4, CV, Zürich 1551 – 87 120 Meerritter im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417. Krakau, Bibliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r 121 Meerritter in Der Naturen Bloeme des Jakob von Maerlant, Handschrift 13. Jh. Den Haag, Koninklijke Bibliotheek, KA 16, fol. 111r 122 Zwei Meerritter mit Fischspeeren im Turnier, englische Handschrift, vor 1290. London, British Library, Ms. Royal 10 A V, fol. 71v 123 Meermann am Torbogen von Remagen am Rhein, vor 1200, Foto des Verfassers 123 Zwei Sirenen aus der Abtei La Sauve-Majeure, Frankreich, vor 1130, Foto des Verfassers 124 Sirene mit Spiegel, Chorgestühl von St. Etienne in Caen, Frankreich, 17. Jh., Foto des Verfassers 125 Margýgr (Meerweib) in der isländischen Handschrift Flateyjarbók, 1387 – 90 126 Sirenen und Scylla im Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais, Handschrift um 1475. Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig XIII 5, vol. 1, fol. 68v 127 Musizierende Sirenen in einem Bestiarium, 13./14. Jh. Oxford, Bodleian Library, Ms. Douce 88, fol. 138 v 128 Paddelnde und fischende Sirenen am Torbogen von Remagen, vor 1200, Foto des Ver­ fassers 129 Sirene, die sich das Haar kämmt, Kirche von Råby, Jütland, Dänemark, um 1505 – 15, Foto des Verfassers 130 Sirenen, Kirche von Gjerrild, Jütland, Dänemark, um 1500, Foto des Verfassers 131 Sirene, Kapitell im Kreuzgang des Großmünsters in Zürich, spätes 12. Jh., Foto des Verfassers

Kapitel 7 134 Wundervölker in der sogenannten Arnstein- Bibel, um 1172. London, British Library, Ms. Harley 2799, fol. 243r 136 Gutgekleideter höfischer Zyklop, Kirche von Råby , Jütland, Dänemark, um 1505 – 15, Foto des Verfassers

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138 – 139 Frühneuzeitliche Afrikakarte mit Eintragungen für die Ichthyophagen im Westen, den Garamantes im Inneren, und den Troglodyten im Osten, aus Sebastian Münster: Geographia, Basel 1540: TABULA AFRICAE IIII 145 Affen, Kapitell des Kreuzgangs im Großmünster, Zürich, Foto des Verfassers 146 Tympanon des Hauptportals mit Wundervölkern rechts im untersten Register, Sainte Marie-Madeleine in Vézelay, Frankreich , um 1130, Foto des Verfassers 147 Cynocephales und Panoti, Tympanon des Hauptportals, Sainte Marie-Madeleine in Vézelay, Frankreich, um 1130, Foto des Verfassers 149 Mönch und Bleckerin, Breviar des Metzer Bischofs Renaud de Bar, vor 1304. Verdun, Bibliothèque Municipale 150 Sheela-na-Gig , Kirche in Kilpeck, Herefordshire, England, um 1140, Foto des Verfas­ sers 151 Femme aux serpents (rechts) mit Dämon Klosterkirche in Moissac, Frankreich, Foto des Verfassers 155 Skiopode mit riesigem Fuß, Kirche von Råby, Jütland, Dänemark, um 1505 – 15, Foto des Verfassers 159 Dreifacher Kopf, Kapitell der ehem. Zisterzienserabtei Rievault, Yorkshire, England, 12. Jh., Foto des Verfassers 161 Vieräugige Maritimi und Satyr im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel mit Ver­ weis auf die Antoniuslegende: Item ettlich haben hoerner. lang nasen vnd gayßfuess das findest du in sand Anthonius gantzer legend, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12v. 166 Kentaurin, Kapitell im Kreuzgang des Großmünsters in Zürich (spätes 12. Jh.), Foto des Verfassers. 166 Unüblicher zweibeiniger Kentaur, Kirche von Råby, Jütland, Dänemark, um 1505 – 15, Foto des Verfassers

Kapitel 8 169 Großlippler (Amyctyrae) und Panoti in der sogen. Arnstein- Bibel, um 1172. London, British Library, Ms. Harley 2799, fol. 243r 170 Lippendehnung bei den Mursi in Äthiopien, Archiv des Verlags 170 Ohrdehnung bei den Einheimischen auf Owa Raha, Salomoninseln, Foto aus Hugo Adolf Bernatzik: Südsee. Wien 1944. 171 Astomi in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Otto von Die­ meringen, Druck Basel 1480/81

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172 Riesen im altfranzösischen Roman d´Alexandre en prose, Handschrift um 1444/45. London, British Library, Royal 15 E VI , fol. 19r 174 Acephalus als Missbildung. Pathologisch-anatomische Sammlung im Narrenturm, Wien, Foto des Museums 174 Zyklope als Missbildung. Pathologisch-anatomische Sammlung im Narrenturm, Wien, Foto des Verfassers 176 Skiopode im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417. Krakau, Bibliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r 177 Satyr der Wundervölkergalerie am Südrand der Weltkarte von Ebstorf, 13. Jh., zerstört 1944 177 Hundsköpfiger, Kathedrale von Rouen, Frankreich, 15. Jh., Foto des Verfassers 179 Cynocephale im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417. Krakau, Bibliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r

Kapitel 9 181 Anthropophagen in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung in deutscher Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480 182 Anthropophagen im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417. Krakau, Bibliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r 183 Anthropophagen in einem Bestiarium, nach 1277. Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig XV 4, fol. 117r 186 Menschenfresser, Werkstatt de Bry, 3. Teil der Grands Voyages, Staden-Text III , 5. u. 6. Kupferstich, 1592. Aus: Anna Greve: Die Konstruktion Amerikas. Bilderpolitik in den Grand Voyages aus der Werkstatt de Bry, Köln 2004, Abb. 35+36 187 Anthropophagen in einem Bestiarium, nach 1277. Malibu, J. Paul Getty Museum, Ms. Ludwig XV 4, fol. 117v 188 Fabelwesen in einem Schulbuch, 19. Jh. Friedrich Justin Bertuch: Bilderbuch für Kin­ der, Weimar 1801, Bd. 1. S. 172 189 Pygmäen in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480, fol. 66r. 191 ALF, die »Alien Life Form« der gleichnamigen Fernsehserie, Archiv des Verlags 192 E. T., der »Extra-Terrestrial« des gleichnamigen Filmes, Archiv des Verlags 192 Wundervölker, Fresko, St. Jakob in Kastelaz bei Tramin, nach 1200, Archiv des Verlags 193 Formen von extraterrestrischen Monstern im 20. Jh.: Alien Time Line von Joe Nicke, 1997

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196 Ängstliches angelsächsisches Monster (Blemmyae) in einem Bestiarium, Mitte des 12. Jh. Oxford, Bodleian Library, Ms. Bodley 614, fol. 41r 196 Ängstliches norwegisches Monster (Troll), 20. Jh. Jan Bergh Eriksen: Troll og trollslekt. Ill. von Per Aase. Stavanger 1992, S. 5

Kapitel 10 (alphabetisch sortiert): 199 Acephales im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 200 Aegipanes und Satyrn der Wundervölkergalerie am Südrand der Weltkarte von Eb­ storf, 13. Jh., zerstört 1944 201 Aglosses der Wundervölkergalerie am Südrand der Weltkarte von Ebstorf, 13. Jh., zer­ stört 1944 203 Amazonenkönigin im altfranzösischen Roman d´Alexandre en prose, Handschrift von 1444/45. London, British Library, Royal 15 E VI , fol. 15v 205 Amycterae im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 206 Anthropophagi, TABULA ASIAE VIII in der Geographia des Claudius Ptolemaeus in der Bearbeitung von Sebastian Münster, Basel 1540 208 Antipedes im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 209 Arhines im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 211 Astomes (I) in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Otto von Diemeringen, Druck Basel 1480/81 211 Astomes (II) im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 214 Blemmyae in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480 222 Cyclopes im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 224 Cynocephales im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 227 Dondin, vermutlich eine Fehlübersetzung für die einfüßigen Skiopoden, im Land Dondin in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Otto von Die­ meringen, Druck Basel 1480/81 231 Faun im Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré, Handschrift von 1417. Kra­ kau, Bibliotheca Jagiellona, Cod. 794, fol. 1r-256r 236 Gog und Magog in der Weltkarte von Ebstorf, 13. Jh., zerstört 1944 238 Grüne Menschen in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480

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239 Hermaphroditen im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12v 241 Hippopedes im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 246 Kentaur im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 247 Kranichschnäbler im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 249 Lamiae in einem lateinisch-altenglischen Wundervölkerverzeichnis, 11. Jh. London, British Library, Cod. Cotton Tiberius B V, 85r 250 Lamorianer in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Otto von Diemeringen, Druck Basel 1480/81 250 Das Volk der Latori in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Mi­ chel Velser, Erstdruck Augsburg 1480 255 Menschen mit heraushängendem Darm in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Michel Velser, Erstdruck Augsburg 1480 257 Menschen mit sechs Armen im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Aus­ gabe von 1493, fol. 12r 259 Einäugiger afrikanischer Monoculi, AFRICA XVIII NOVA TABULA in der Geographia des Claudius Ptolemaeus in der Bearbeitung von Sebastian Münster, Basel 1540 260 Opiophages in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Michel Vel­ ser, Erstdruck Augsburg 1480 261 Panoti im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 266 Pygmäen im Liber Chronicarum des Hartmann Schedel, lat. Ausgabe von 1493, fol. 12r 269 Satyrn in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung in deutscher Übersetzung von Mi­ chel Velser, Erstdruck Augsburg 1480 272 Sirene aus einer Initiale einer Bibelhandschrift, Manchester, Ryland Library, Cod. La­ tin 16 fol. 136r 272 Skiopode in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Otto von Die­ meringen, Druck Basel 1480/81 276 Äthiopien als Wohnort der Troglodyten, TABULA AFRICAE IIII in der Geographia des Claudius Ptolemaeus in der Bearbeitung von Sebastian Münster, Basel 1540 277 Wildmenschen in Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, Übersetzung von Otto von Diemeringen, Druck Basel 1480/81

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NACHWORT ZUR 2. AUFLAGE

Das erstaunlich große Echo, das meine mittelalterlichen Monster bei Lesern und Presse aus­ gelöst haben, macht schon nach 3 Jahren eine Neuauflage notwendig, und bietet damit die Chance, einige unschöne, sogar sinnstörende Druckfehler zu verbessern. Darüber hinaus habe ich den zahlreichen, ganze Mappen füllenden Rezensionen viele kleine Anmerkungen und Verbesserungen zu verdanken, welche in diese Neuauflage ein­ fließen konnten. All diesen Lesern und Rezensenten, die mich durch solche Korrekturen unterstützt haben, auch unter meinen Studenten, sei hiermit herzlich gedankt, auf ihre Auf­ zählung muss aber aus Platzgründen verzichtet werden. Abgesehen von den Verbesserungen und kleineren Nachträgen wurde auf eine vollstän­ dige Umarbeitung und auf eingehendere Zusätze verzichtet, um die Neuauflage nicht allzu­ sehr hinauszuzögern. Eine solch ausführlichere Erweiterung hätte sich etwa zum Verhältnis von Monstern und Wesen der niederen Mythologie angeboten, wozu ich in den vergange­ nen Jahren durch die Arbeit an meinem Buch über Trolle einiges dazulernen konnte. Auch zu dem Verhältnis zwischen der wissenschaftlichen mittelalterlichen Tradition der Monster und dem theologischen Verständnis des Dämonischen wäre einiges zu sagen, aber dies muss weiteren, zukünftigen Forschungen vorbehalten bleiben. Auf zusätzliche Abbildungen von mittelalterlichen Monstern, wie sie mir auch weiterhin ständig begegnen, musste ebenfalls verzichtet werden. So ist nur zu hoffen, dass diese verbesserte Auflage ebensoviel oder noch mehr Freude und Interesse hervorruft wie die erste Ausgabe!

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NACHWORT ZUR 1. AUFLAGE

Meine Beschäftigung mit den Monstern reicht weit zurück in die 1980er Jahre, als ich mich mit mittelalterlicher Kosmographie und Geographie zu beschäftigen begann. Die Monster sind, obwohl fester Bestandteil dieses mittelalterlichen Weltbilds, uns heute so fremd und befremdlich, dass es mir angemessen erschien, ihnen eine eigene Monographie zu widmen. Durch zahlreiche andere Projekte musste ich dieses immer wieder verschieben, sodass nun erst ein Vierteljahrhundert später die Monster zu ihrem Recht kommen. Dank gebührt somit vor allem meiner Familie, die dieses »monströse« Projekt über Jahrzehnte begleitet hat, und besonders meinem Sohn Koloman für anregende Diskussionen über die frühen Menschenrechtsbestimmungen im Rahmen seiner eigenen B. A.-Arbeit, für lateinische Zitate und für zahlreiche Photographien aus dänischen Kirchen. Großer Dank gilt auch Jennifer Wieczorek, die im Rahmen einer Projektarbeit immense Arbeit in die Besorgung und Anordnung des Bildmaterials investiert hat und darüber hinaus an der Entstehung des Buches Anteil genommen hat. Für die Bereitschaft zur Überlassung von Bildmaterial bin ich zahlreichen Bibliotheken zu Dank verpflichtet, besonders aber Dr. Michael Herkenhoff von der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn für wertvolle Hinweise auf mir noch unbekanntes Bildmaterial der Frühen Neuzeit. Dank gebührt auch Dr. Beatrix Patzak, Direktorin des seinerzeitigen Patho­ logisch-anatomischen Bundesmuseums im Narrenturm, die mir wiederholt Einblicke in die Sammlung gewährt hat. Nicht zuletzt gilt mein Dank auch Elena Mohr vom Böhlau Verlag, die den Text über das übliche Maß hinaus redigiert und kritisch kommentiert hat.