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German Pages 626 [630] Year 2019
Mission Afrika: Geschichtsschreibung über Grenzen hinweg Festschrift für Ulrich van der Heyden Herausgegeben von Michael Eckardt
Geschichte Franz Steiner Verlag
Missionsgeschichtliches Archiv – 29
missionsgeschichtliches archiv Studien der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes von Andreas Feldtkeller, Irving Hexham, Ulrich van der Heyden, Klaus Hock und Gunther Pakendorf Band 29
Mission Afrika: Geschichtsschreibung über Grenzen hinweg Festschrift für Ulrich van der Heyden
Herausgegeben von Michael Eckardt
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft und der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte e.V.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12315-0 (Print) ISBN 978-3-515-12325-9 (E-Book)
INHALTSVERZEICHNIS Tabula gratulatoria ......................................................................................... 11 Michael Eckardt Die Festschrift als Medium und ihr Adressat: Der Wissenschaftler Ulrich van der Heyden .............................................................................................. 15 BEITRÄGE ZUR MISSIONSGESCHICHTE Jürgen Becher Der „Schulstreit“ von Madschame ................................................................ 33 Dagmar Bechtloff Christliche Mission als Agens kultureller Transformationsprozesse im 19. Jahrhundert am Beispiel der Tagebuchaufzeichnungen eines hohen Regierungsbeamten ........................................................................................ 49 Mariano Delgado Der Verstehenshorizont der Missio antiqua der Kapuziner im KongoReich (1645–1835) ........................................................................................ 59 Irving Hexham Creating community in a time of crisis: Mission and development among members of the Reformed Church in South Africa ...................................... 73 Jensz Felicity „Als der Krieg ausbrach“: Die persönlichen Erinnerungen deutscher Missionare in Kamerun um 1914................................................................... 87 Hermann Mückler Engagiert, kompromisslos, erfolgreich: Die Anfänge der protestantischen Mission auf den Marshall-Inseln ................................................................ 105 Gabriel K. Nzalayaimisi Artifacts on Berlin Mission Society Stations in Eastern Tanzania ca. 1887–1949.............................................................................................. 117
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Inhaltsverzeichnis
Gunther Pakendorf Sekotho und Thema: Zwei Lebensbilder aus der Mission auf dem Weg „Von der Barbarei zur Zivilisation“............................................................. 135 Jobst Reller Mission und Religion in der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts am Beispiel von Missionsgründer Ludwig Harms (1808–1865) ................. 153 Walter Sauer Marengo und Malinowski: Die französisch-österreichische Mission im Süden Namibias ........................................................................................... 169 Wolbert G. C. Smidt Two divergent biographies in 19th century Ethiopia................................... 181 Martin Tamcke Die Anfänge der „lutherisch-nestorianischen“ Bewegung im Iran ............. 191 Helge Wendt Vergleichende Missionsgeschichte als Globalgeschichte........................... 197 KOLONIALISMUS – KOLONIALGESCHICHTE – POSTKOLONIALISMUS Veit Didczuneit „Wilde Menschen haben keine Posten“: Das Reichspostmuseum im Dienst der Kolonialidee .......................................................................... 207 Katharina von Hammerstein „Grüsst mein Kind, wenn’s noch lebt“: Kinder des Deutsch-Herero Kolonialkriegs .............................................................................................. 219 Klaus Hock Wo ist das „Postkoloniale“?: Ein Versuch .................................................. 233 Volker Langbehn The Visual Legacy of Friedrich Ratzel’s The History of Mankind............. 241
Inhaltsverzeichnis
Bernd Lemke Der Nahe bzw. Mittlere Osten im Zeitalter der Weltkriege 1914–1945 .... 257 Bea Lundt Steine erzählen Geschichte(n): Die ‚Castles‘ in Ghana und ihre schwierige Rezeption ................................................................................... 273 Siegfried Prokop Die DDR in der Transformationsperiode 1945–1965 unter Berücksichtigung der beginnenden Beziehungen zu afrikanischen Ländern ................ 285 Thomas Schwarz The Sokehs Rebellion: History and Commemoration ................................. 299 Harald Sippel Der deutsche Beitrag zur Separation und zur Vereinigung von Sansibar und Tanganjika ............................................................................................ 323 Klaus Storkmann Westdeutsche Militärhilfe und Rüstungsexporte in das subsaharische Afrika am Beispiel Kameruns...................................................................... 341 Ulrich Thiel Die Bergakademie Freiberg und das koloniale Montanwesen .................... 353 Joachim Zeller „Koloniale Schatzkammer“ oder „Weltkulturmuseum“?: Das Berliner Humboldt Forum in der Krise ...................................................................... 361 Jakob Zollmann Zankende Amtsschimmel und andere koloniale Herausforderungen ......... 373 GESCHICHTE UND GEGENWART DES SÜDLICHEN AFRIKA Klaus Freiherr von der Ropp Ist das südafrikanische „Wunder“ gescheitert? ........................................... 387
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Inhaltsverzeichnis
Tilman Dedering “Prophet of Air Power”: Jan Smuts and the History of Aviation ................ 401 Claude-Hélène Mayer Zu den Herausforderungen an südafrikanischen Hochschulen.................... 417 Ian Liebenberg Religious Struggles, Ethics, Praxis and Fundamental Social Transformation............................................................................................. 429 Jörg Roesler Die Transformation der DDR im Rückblick und im Vergleich zum Transformationsprozess in Südafrika .......................................................... 451 Berthold Unfried Verflochtene Dreiecksbeziehungen: Ostdeutsche und Kubaner in Angola ... 463 POSITIONEN – SITUATIONEN – REGIONEN Peer Pasternack Jargon und Decodierung: Gesellschaftswissenschaftliche Texte aus der DDR als Lektüreherausforderung ................................................................ 485 Marlies Coburger Provenzienzforschung zu NS-Raubgut im Land Brandenburg.................... 499 Mario Keßler Deutsche Historiker im Ersten Weltkrieg .................................................... 509 Joachim Kundler Totgesagte leben lang: Das Konsistorium zu Greifswald nach 1815 im Spiegel der Berliner Ministerialbürokratie .................................................. 519 Alexander Pust „Neolithische Revolution“ am Stettiner Haff .............................................. 535 Stephan Theilig Entwicklungslinien der afrikanischen Diaspora in Brandenburg-Preußen im 17. und 18. Jahrhundert .......................................................................... 551
Inhaltsverzeichnis
ESSAYS Elke Scherstjanoi „Wenn ich groß bin, werd’ ich Neger“: Sprachexkursion in eine fiktive Kindheit in der DDR .................................................................................... 563 Stefan Bollinger Die DDR – ein normaler Staat? Außenpolitik als Bestandssicherung des anderen Deutschlands .................................................................................. 573 Rea Brändle Hoongoo Rhyhoo bis Bamba Zambora: Figur und Geschichte des „Wilden Aschanti“ ................................................................................ 583 Hans Heese Veranderende Persepsies van ’n Afrikaner 1945–2018: ’n Persoonlike Lewensreiservaring ...................................................................................... 599 Michael Eckardt Afrika-, kolonial-, missions-, global- und heimatgeschichtliche sowie politikwissenschaftliche Publikationen von Ulrich van der Heyden (Stand Juni 2019) ......................................................................................... 607 Autorenverzeichnis...................................................................................... 625
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TABULA GRATULATORIA Martin Albrecht (Berlin) Frank Althoff (Berlin) Martin Baer (Berlin) Hans Martin Barth † (Wardenburg) Jürgen Becher (Potsdam) Dagmar Bechtloff (Bremen) Judith Becker (Berlin) Bodo Berwald (Berlin) Cornelia Beyer (Berlin) Stefan Bollinger (Berlin) Willem Boshoff (Pretoria) Anne-Lore Bramley (Pretoria) Jorge Freitas Branco (Lissabon) Rea Brändle (Zürich) Eric Burton (Wien) Anna Maria Busse Berger (Berkely) Nils Büttner (Stuttgart) Konrad Canis (Neuenhagen) Marlies Coburger (Berlin) Gerd Decke (Berlin) Tilman Dedering (Johannesburg) Ulrich Dehn (Hamburg) Mariano Delgado (Freiburg/Schweiz) Oumar Diallo (Berlin) Veit Didczuneit (Berlin) Stefan Eick (Kiel) Jürgen Elvert (Köln) Kai Falkenberg (Bremen) Alan Faulcon (Berlin) Ines Fiedler (Berlin Martin Frank (Berlin) Helgard Fröhlich (Berlin & Wien) René Frischkorn (Berlin) Ming Frischkorn (Berlin) Christoffer H. Grundmann (Tübingen) Horst Gründer (Münster i. W.) Katharina von Hammerstein (Storrs/Connecticut) Immanuel R. Harisch (Wien) Dieter Hecker (Berlin) Hans Heese (Sommerset West & Stellenbosch) Rainer Hering (Hamburg & Schleswig)
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Tabula gratulatoria
Viktor Hesse (Plettenberg Bay) Irving Hexham (Calgary) Hermann Hiery (Bayreuth) Klaus Hock (Rostock) Bärbel Holtz (Biesenthal) Veit D. Hopf (Berlin) Kai Hu (Shanghai) Walter Hundt (Potsdam) Felicity Jensz (Münster) Reinhard Kees (Berlin) Mario Keßler (Berlin & NewYork) Otto Kohlstock (Kapstadt) Angelika Königseder (Berlin) Klaus Koschorke (München) Joachim Kundler (Berlin) Karl Markus Kreis (Bonn) Lize Kriel (Pretoria) Ode Krige (Stellenbosch) Johan Krige (Stellenbosch) Wolfgang Krogel (Berlin) Matteo Landricina (Berlin) Volker Langbehn (San Francisco) P. Werner Lange (Teltow) Katharina Lange (Berlin) Ernst-Günter Lattka (Berlin) Martin Lehmann-Habeck (Walsleben) Bernd Lemke (Potsdam) Mechthild Leutner (Berlin) Heike Liebau (Zossen) Ian Liebenberg (Stellenbosch) Katrin Liebich (Berlin) Margret Liepach (Berlin) Tanya Lieske (Düsseldorf) Bea Lundt (Berlin & Winneba/Ghana) Hans Luther (Parsberg) Carlotta von Maltzan (Stellenbosch) Peter Martin (Hamburg) Claude-Hélène Mayer (Pretoria) Stefan Menzel (Weimar) Gudrun Miehe (Berlin) C. S. Mohanavelu (Chennai/Indien) Hermann Mückler (Wien) Stefan Müller (Berlin) Detlef Nakath (Potsdam) Tshimangadzo Israel Nemaheni (Pretoria)
Tabula gratulatoria
Hans Neumann (Greven) Jörg Nicklaus (Tannenberg) Gabriel Nzalayaimisi (Morogoro/Tanzania) Nils Ole Oermann (Schäplitz) Barbara Offenhaus (Eichwalde) Adjaï Paulin Oloukpona-Yinnon (Lomé) Achim von Oppen (Bayreuth) Gunther Pakendorf (Kapstadt) Peer Pasternack (Wittenberg) Uwe Pfullmann (Gornsdorf) Karla Poewe (Calgary) Christian Pohl (Bayreuth) Siegfried Prokop (Bernau bei Berlin) Alexander Pust (Marburg) Hagen Pust (Ueckermünde) Katharina Pust (Ueckermünde) Brigitte Reineke (Berlin) Jobst Reller (Hermannsburg) Klaus Roeber (Berlin) Jörg Roesler (Berlin) Klaus Freiherr von der Ropp (Potsdam) Adolf Rüger (Falkensee) Hans Saar (Maputo) Walter Sauer (Wien) Anja Schade (Hannover) Elke Scherstjanoi (Berlin) Friedhelm Schimanowski (Matema/Tansania) Manfred Schulz (Berlin) Wolfgang G. Schwanitz (Browns Mills/New Jersey) Thomas Schwarz (Tokyo & Berlin) Sybille Sebald (Berlin) Andreas-Martin Selignow (Berlin) Wolfgang Semmler (Bernau bei Berlin) Valentina Serra (Cagliari) Harald Sippel (Bayreuth) Wolbert G. C. Smidt (Mekelle/Äthiopien) Gerd-Rüdiger Stephan (Berlin) Holger Stoecker (Berlin) Klaus Storkmann (Potsdam) Ralf Straßburg (Berlin) Helmut Strizek (Bonn) Martin Tamcke (Göttingen) Stephan Theilig (Bernau bei Berlin) Gerhard Tiedemann (London) Claudia Thiel (Bobritzsch-Hilbersdorf)
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Ulrich Thiel (Bobritzsch-Hilbersdorf) Mathias Tullner (Magdeburg) Berthold Unfried (Wien) Karleen Vesper (Berlin) Friedrich Veitl (Berlin) Klaus Vetter (Wuhden) Matthias Voss (Potsdam) Helge Wendt (Berlin) Reinhard Wendt (Hagen) André Wessels (Bloemfontein) Joachim Zeller (Berlin) Uta Zeuge-Buberl (Wien) Reinhold Zilch (Berlin) Fritz Zimmermann (Berlin) Jakob Zollmann (Berlin) Fei Zhang (Shanghai)
DIE FESTSCHRIFT ALS MEDIUM UND IHR ADRESSAT: DER WISSENSCHAFTLER ULRICH VAN DER HEYDEN Michael Eckardt Bemüht man sich, ohne größeren Aufwand etwas über die Herkunft des scheinbar typisch deutschen Wortes „Festschrift“ herauszufinden, stellt sich recht schnell die paradoxe Situation ein, dass man dafür die deutsche Sprache verlassen und einen Umweg einschlagen muss. Nimmt man etwa ein beliebiges jüngeres Rechtschreibwörterbuch zur Hand und schlägt an der entsprechenden Stelle nach, verliert sich die Recherche schon bald irgendwo zwischen „Festrede“ und „Festspiel“, einen eigenen Eintrag sucht man jedoch meist vergebens. 1 Gänzlich anders stellt sich die Situation dar, sobald man die internationale „Scientific Community“ um Rat fragt und – um nur ein Beispiel zu nennen – zum Concise Oxford Dictionary of Current English greift. Dort heißt es kurz und knapp: „Festschrift [...] (also festschrift) (pl. -schriften or -schrifts) a collection of writings published in honour of a scholar. [German, from Fest ‚celebration‘ + Schrift ‚writing‘].“ 2 Aufschlussreich ist an dieser Stelle das Wort ‚scholar‘, steht es doch in der englischsprachigen Welt zuerst für „a learned person, esp. in language, literature, etc.; an academic.“ 3 Es ließe sich demnach aus den obigen Einträgen ableiten, dass das Wort „Festschrift“ als Lehnwort aus dem Deutschen in den Wortschatz des Englischen aufgenommen wurde, weil es treffend eine Sache bezeichnet, für die es im Englischen keine ähnlich passgenaue Entsprechung gibt. Aus diesen beiden Gegenüberstellungen könnte man nun schlussfolgern, dass das Wort „Festschrift“ aus der deutschen Alltagssprache weitgehend verschwunden ist, im Englischen – der „Lingua franca“ der „Scientific Community“ – hingegen aufs engste mit dem akademischen Bereich verbunden ist und über einen sprachlichen Eigenwert verfügt, der durch seine hochangesehene Herkunft in die Alltagssprache ausstrahlt. Dies wäre zumindest eine Erklärung dafür, warum sich ein so typisch deutsches zusammengesetztes Substantiv wie „Festschrift“ im Concise Oxford Dictionary of Current English finden lässt. Unerklärlich bleibt hingegen, warum eine so treffende Bezeichnung in ihrer angestammten Sprache fast schamhaft versteckt wird, während sich das Verbreitungsgebiet des Wortes von der Nationalsprache bereits auf die ganze Sprachfamilie ausgedehnt und sogar in der internationalen „Scientific Community“ Karriere gemacht hat. Die Geschichte 1 2 3
Göttert, Karl-Heinz: Neues Deutsches Wörterbuch, Köln 2011, S. 275. Thompson, Della (Hrsg.): The Concise Oxford Dictionary of Current English, Oxford 1998, S. 497. Ebenda, S. 1235.
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dieser Karriere ist eng mit dem Status der deutschen Sprache als Verkehrssprache innerhalb der „Scientific Community“ verbunden, den Deutsch – gleichberechtigt mit Französisch und Englisch – zum Ende des 19. bis etwa in die Mitte des 20. Jahrhunderts innehatte: An deutschen Universitäten hatte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert die gute Tradition entwickelt, anläßlich von Geburtstagen oder Dienstjubiläen den Nestor einer Fachdisziplin mit einer solchen Ehrengabe zu erfreuen. Seitdem fand dieser Brauch in vielen Ländern Nachahmung. Die deutsche Bezeichnung ‚Festschrift‘ setzte sich allmählich auch im angelsächsischen und nordischen Sprachgebrauch mit leicht abgewandelter Schreibung durch und erinnert an ihr Herkunftsland, das statistisch die weiteste Verbreitung nachweisen kann. ‚To be festschrifted‘ gilt auch heute als eine besondere Auszeichnung für einen erfolgreichen und beliebten Wissenschaftler, sei er nun als Hochschullehrer oder Mitarbeiter einer wissenschaftlichen Institution tätig. 4
Die Hinweise zur Herkunft – oder besser zur Ankunft – des Wortes „Festschrift“ in den Wissenschaften lassen bereits etwas vom Wesen dieses Gattungsbegriffes erahnen. Insofern ist es gut nachvollziehbar, dass es die mit dem Kategorisieren von Druckwerken bestens vertrauten Praktiker des Bibliothekswesens sind, bei denen sich eine definitorische Umschreibung des Begriffes finden lässt. So heißt es beispielsweise im Lexikon des Bibliothekswesens: Festschrift. Publikationsform von hohem Quellenwert für alle Forschungsgebiete, insbesondere für Wissenschaftsgeschichte. 2 Hauptgruppen: 1. Ff, die dem Jubiläum einer gesellschaftlichen Institution gewidmet sind (Jubiläumsschriften von Firmen, Gelehrtengesellschaften, Städten usw.); 2. Ff zu Ehren einer bedeutenden Persönlichkeit, wie sie seit der 2. Hälfte des 19. Jh. besonders in Deutschland beliebt sind. Die F trägt meist den Charakter eines Sammelwerkes, dem häufig die thematische Einheit fehlt. Oft enthält sie auch eine Teilsammlung aus Schriften des Jubilars. In Bibliotheken den Gelegenheitsschriften zugeordnet, deren Erscheinen zu einem festlichen Anlaß erfolgt, wird sie selten analytisch erschlossen. 5
Ähnliches führt auch das Lexikon Information und Dokumentation zum Begriff „Festschrift“ aus: Anläßlich der Jubiläen von Persönlichkeiten oder Institutionen herausgegebene Informationsquelle [...], die in ihren Beiträgen mehr oder weniger Bezug auf das Jubiläum, das wissenschaftliche Gesamtwerk des Geehrten oder die Geschichte der Institution nimmt. […] Da die Beiträge von führenden Wissenschaftlern und Schülern des Geehrten verfaßt werden, können sie durchaus einen hohen wissenschaftlichen Wert aufweisen. Durch den teilweise interdisziplinären Charakter ist eine umfassende bibliothekarische und dokumentarische Erschließung Voraussetzung für ihre breite Nutzung [...]. 6
Nimmt also ein Leser, dem lediglich der definierte Gattungsbegriff etwas sagt, die vorliegende Festschrift in die Hand, weiß er bereits ohne den Namen Ulrich van der Heyden je gehört zu haben, dass damit „eine bedeutende Persönlichkeit“, ein 4 5 6
Krause, Anneliese: Die Festschrift – ein bibliographisches Stiefkind?, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Nr. 5, Leipzig 1977, S. 229–232, hier S. 229. Krause, Anneliese: Festschrift; in: Kunze, Horst/Rückl, Gotthard u. a. (Hrsg.): Lexikon des Bibliothekswesens, Bd. 1, Leipzig 1974, S. 551. Freytag, Jürgen: Festschrift; in: Rückl, Steffen/Schmoll, Georg (Hrsg.): Lexikon Information und Dokumentation, Leipzig 1984, S. 128.
Die Festschrift als Medium und ihr Adressat
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„erfolgreicher und beliebter Wissenschaftler“, vielleicht sogar ein „Nestor einer Fachdisziplin“ geehrt wird und der Band „Bezug auf das Jubiläum, das wissenschaftliche Gesamtwerk des Geehrten oder die Geschichte der Institution nimmt“. Jenseits des konkreten Inhalts wird dieser imaginäre Leser allein durch das Medium „Festschrift“ darüber informiert, dass „die Beiträge (i. d. R. – M. E.) von führenden Wissenschaftlern und Schülern des Geehrten verfaßt“ sind, „einen hohen wissenschaftlichen Wert aufweisen“ können und dass in solchen Sammelwerken ein versteckter Fundus an Informationen enthalten ist, die oft die Grenzen eines Faches überschreiten sowie die Vielseitigkeit des Jubilars repräsentieren. 7 Neugierig geworden, könnte sich der erdachte Festschriften-Leser nun fragen, wozu dieser begriffsgeschichtliche Umweg nötig war, in welchem Zusammenhang das Wesen des Mediums „Festschrift“ mit der konkret vorliegenden Festschrift steht und wie wohl die zitierten Definitionen zur wissenschaftlichen Leistung des Geehrten passen. Der Schlüssel zur Beantwortung der beiden ersten Fragen ist in der Vita des Geehrten zu finden. Soll Letztere aber nachvollziehbar die angedeuteten Zusammenhänge erklären, muss sie ausführlich sein. Wird der Leser deshalb an dieser Stelle auf einen neuerlichen Umweg geschickt? Die Antwort lautet ja, denn in das Labyrinth des wissenschaftlichen Lebenslaufs werden mit den beiden vorangestellten Fragen zwei Orientierungsschneisen geschlagen, die immer dann an Bedeutung gewinnen, wenn das Ziel offensichtlich aus den Augen gerät. Der Hinweis auf die augenscheinliche Verbannung des Begriffes „Festschrift“ aus den allgemeinen Rechtschreibwörterbüchern des Deutschen, kontrastiert mit der ehrenden Aufnahme als Lehnwort in ein englisches Standardnachschlagewerk, kann als eine Parabel verstanden werden. Warum nicht als ein Gleichnis dafür, dass mancher im Ausland hochangesehene deutsche Wissenschaftler in seiner Heimat nur deswegen einen schweren Stand hat, weil seine deutsch-deutsche Biografie ihn zu Beginn seines akademischen Weges nicht ausschließlich nach Westen blicken ließ und er deshalb keine seiner Qualifikation angemessene Position im nur noch bundesdeutschen Wissenschaftsbetrieb erlangen ließ? Es fällt ohnehin schwer, zu glauben, dass nach 1990 für die Zukunft einer bestimmten Gruppe deutscher Wissenschaftler deren nicht-bundesdeutsche akademische Herkunft eine größere Rolle gespielt haben soll als ihre wissenschaftlichen Leistungen. Da es zum Wesen einer Gelehrtenfestschrift gehört, dass damit das wissenschaftliche Gesamtwerk eines Gelehrten – „in honour of a scholar“ wie es im Concise Oxford Dictionary of Current English heißt – gewürdigt wird, macht eben dieses Gelehrtsein die Haupteigenschaft dessen aus, der geehrt wird, und nicht seine Position im hierarchisch gegliederten Universitätssystem. Der Adressat einer Festschrift ist deshalb ein doppelter: Zum einen würdigt die „Scientific Community“, vertreten durch den Beiträgerkreis, den Geehrten und sein Werk, zum anderen adressiert die Festschrift als Medium die Gesamtheit aller Wissenschaftler, für die die in der Festschrift veröffentlichten Forschungsergebnisse bestimmt sind. 7
Vgl. Krause, Anneliese: Die Festschrift…, a.a.O., S. 229.
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Vor dem Hintergrund der vorauseilend angedeuteten biografischen Details soll auch darauf hingewiesen werden, dass die zu definitorischen Zwecken herangezogene Sekundärliteratur zum Bibliotheks- und Dokumentationswesen keine Zufallsauswahl darstellt. Ihnen entnommen sind die folgenden Hinweise von bibliothekarischer Seite, die sich an Herausgeber von Festschriften richten und 1977 im Leipziger Zentralblatt für Bibliothekswesen veröffentlicht wurden: Es wird vorgeschlagen: 1. Erhöhung des Aussagewertes von Festschriften durch eine wissenschaftliche Redaktion, die entbehrliche Specialissima ausscheidet und möglichst nur Erstveröffentlichungen zu einem übersehbaren Themenkreis aufnimmt. Das Hauptthema sollte auch in der Titelfassung Ausdruck finden, desgleichen der festliche Anlaß. […] Die Beiträge sind zweckmäßig durch eine Kurzbiographie, ein Porträt des Gefeierten und vor allem durch eine exakte Personalbibliographie zu ergänzen, in der auch unselbständig erschienenen Arbeiten zur Primär- und Sekundärliteratur enthalten sind. 2. Bevorzugung der Erscheinungsweise von Festschriften als Sonder- oder Supplementband von Zeitschriften, wie sie besonders für Naturwissenschaften üblich ist. Der feste Abonnentenkreis einer Fachzeitschrift sowie die große Anzahl ihrer Leser in Informationseinrichtungen garantieren den Einzelbeiträgen ein ungleich stärkeres Echo als eine in geringer Auflagenhöhe teure Festschriftenmonographie, die zwar meist ansprechender aussieht, aber bibliographisch schwerer erschließbar und damit in der Wirkungsbreite eingegrenzt ist. 8
Diese Hinweise wurden auch bei der Konzeption der vorliegenden Festschrift berücksichtigt, sie haben nichts von ihrer Aktualität verloren und dienen zielgerichtet dem wissenschaftlichen Auftrag jeder Gelehrtenfestschrift, „Aussagewert und Nutzungsradius einer Publikationsform zu erhöhen, die seit ihrem Bestehen eine wichtige Rolle in der wissenschaftlichen Welt spielt“ 9. Wie dieses Beispiel zeigt, kann auch ein Blick in nicht-bundesdeutsche, aber dennoch deutsche Fachveröffentlichungen aus den diversen Geisteswissenschaften überaus lohnend sein. Die pauschal-abwertende Unterstellung einer ideologischen Verengung dieser Fachliteratur ist in jeden Fall fehl am Platze und bedarf stets einer Einzelfallprüfung. 10 Die vorstehenden Gedanken sind bei der Lektüre der Vita Ulrich van der Heydens zu berücksichtigen, die in den folgenden Abschnitten dieser Einführung ausgebreitet wird. Der am 7. September 1954 in Ueckermünde und damit im zur DDR gehörenden Teil Vorpommerns geborene und daselbst aufgewachsene Ulrich van der Heyden interessierte sich schon während seiner Schulzeit für Geschichte. Erzählungen über den Zweiten Weltkrieg sowie dessen regionale Spuren im äußersten Nordosten Deutschlands waren Teil seines Alltags. Es war allerdings nicht die einschüchternd große „Deutsche Geschichte“, die sein Interesse hervorrief, sondern vielmehr – wie wohl bei vielen heranwachsenden Jungen – die Geschichte der nordamerikanischen Ureinwohner oder „Indianer“, die ihn besonders faszinierte. Diese Faszination war offensichtlich so stark, dass er sich auf der Suche 8 Krause, Anneliese: Die Festschrift…, a.a.O., S. 231. 9 Ebenda. 10 In diesem Zusammenhang sei auf Peer Pasternacks Aufsatz in diesem Band hingewiesen, der einen Werkzeugkasten zum Erschließen von gesellschaftswissenschaftlicher Literatur aus der DDR enthält.
Die Festschrift als Medium und ihr Adressat
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nach einem Thema für seine Diplomarbeit wieder darauf besann und letztere über den Freiheitskampf der nordamerikanischen Prärieindianer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schrieb. 11 Nebenprodukt dieser ersten akademischen Qualifikationsschrift waren einige Aufsätze 12 sowie das mehrfach aufgelegte „Indianer-Lexikon“ 13, das als Nachschlagewerk bei den Freunden der nordamerikanischen Ureinwohner – den sogenannten „Indianisten“ oder „Hobbyisten“ – als Standardwerk gilt. In überarbeiteter Form wurde seine Diplomarbeit in der weit verbreitenden Reihe Illustrierte Historische Hefte veröffentlicht und zwei Auflagen mit insgesamt 100.000 Exemplaren 14 machten schon damals deutlich, wie viel Potenzial in diesem Absolventen steckte. Diese erste Monografie ist bis heute diejenige unter seinen zahlreichen Publikationen, die die höchste Auflage erreichte. Selbst wenn er nicht mehr aktiv dazu forscht, ist er seinem Hobby noch immer verbunden; dreistellig ist die Zahl der Besprechungen von Büchern zur Geschichte und Völkerkunde der indianischen Bevölkerung Nordamerikas bzw. über die Eroberung des „Wilden Westens“. Fast in jeder Ausgabe des „Magazins für Amerikanistik“ kann man seine Rezensionen finden. Wer Ulrich van der Heyden kennt, ahnt, dass sich dahinter nicht einfach nur das Streben eines Akademikers verbirgt, der mit dem Stand der Forschung vertraut bleiben möchte. Sicher würde es niemanden wundern, wenn er einige Zeit nach seiner Pensionierung eine voluminöse komparatistische Studie über den Siedlerkolonialismus in Nordamerika und Südafrika aus der Schublade holen würde. Neben der Geschichte der nordamerikanischen Ureinwohner hatte vor allem die Heimatgeschichte seines Geburtsortes und damit eben auch die Geschichte Vorpommerns das Interesse des jugendlichen Schülers geweckt. Davon zeugt beispielsweise sein Engagement beim Aufbau des Ueckermünder Heimatmuseums, in dem er mindestens jeden Sonntagvormittag ehrenamtlich arbeitete. 15 Seine ersten Artikel zur Heimatgeschichte veröffentlichte er bereits als Schüler seit 1972 in regionalen Tageszeitungen. Erst in den letzten Jahren war es ihm wieder möglich, hier-
11 van der Heyden, Ulrich: Der Freiheitskampf der nordamerikanischen Prärieindianer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Humboldt-Universität zu Berlin 1981 (unveröffentlicht, Betreuer: Wallace Morgan). 12 Vgl. z. B. van der Heyden, Ulrich: Die Indianerschlacht am Little Big Horn im Juni 1876, in: Militärgeschichte, Nr. 5, Berlin 1985, S. 433–434; ders.: Little Big Horn – ein amerikanisches Waterloo, in: Visier, Nr. 6, Berlin 1986, S. 24–26; ders.: Einige Bemerkungen zur Entwicklung der indianischen Bewegung im 20. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Ametas, Nr. 2, Sebnitz 1987, S. 38–50; ders.: Das Nationalheiligtum der weißen Amerikaner wurde umbenannt, in: Das Indianermagazin, Nr. 2, Meinhard 1993, S. 20–26. 13 van der Heyden, Ulrich: Indianer-Lexikon. Zur Geschichte und Gegenwart der Ureinwohner Nordamerikas, Berlin 1992; 2. Aufl. Wiesbaden 1996; 3. Aufl., Göttingen 1997 bzw. ergänzt und korrigiert unter dem Titel „Das neue Lexikon der Indianer Nordamerikas“, Erfurt 2008. 14 van der Heyden, Ulrich: Kampf um die Prärie. Der Freiheitskampf der nordamerikanischen Prärieindianer (=Illustrierte Historische Hefte, Nr. 47), Berlin 1988, 2. Aufl. 1990. 15 Vgl. den Aufsatz von Alexander Pust in diesem Band.
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zu neben seinen globalhistorischen Untersuchungen mehrere Publikationen zu veröffentlichen. 16 All dies gelang jedoch nur dadurch, dass neben familiären und beruflichen Verpflichtungen auch die Wochenenden, Urlaube und Nächte zum Forschen und Schreiben verwendet wurden. Manch einen wird dies an das Bonmot des Leipziger Universalhistorikers Walter Markov (1909–1993) erinnern, dass der Tag zwar nur 24 Stunden hat, aber man notfalls, wenn diese nicht ausreichen, die Nacht hinzunehmen kann. Sicherlich hat das Leben nach diesem Motto nicht immer die Zustimmung seiner Gattin und seiner beiden Töchter, die er nach dem Tod seiner Frau allein aufziehen musste, gefunden. Bevor es aber so weit war, mit akademischem Anspruch schreiben und damit ein Leben als Wissenschaftler beginnen zu können, hatte er 1976 nach seinem Wehrdienst das Studium der Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin aufgenommen, spezialisierte sich im Rahmen der studentischen Ausbildung auf Allgemeine Geschichte und schloss 1981 als Diplom-Historiker ab. Noch vor Beendigung des fünfjährigen Geschichtsstudiums nahm Ulrich van der Heyden 1980 ein Forschungsstudium an der Sektion Asienwissenschaften der Humboldt-Universität auf. 1984 verteidigte er dort am Bereich Afrikanistik und betreut vom Kolonialhistoriker Helmuth Stoecker (1920–1994) seine Dissertation zum Thema „Die letzten kolonialen Eroberungskriege in Südafrika. Die Unterjochung der Pedi und Venda Transvaals in den Jahren 1876–1898; vornehmlich anhand deutschsprachiger Quellen“. Da es unter den damaligen Bedingungen ungleich schwieriger war als heute, eine Dissertation als Verlagspublikation zu veröffentlichen, plant der Jubilar, eine überarbeitete und ergänzte Fassung dieser bisher unveröffentlichten Promotionsschrift in englischer Sprache nach seinem Renteneintritt herauszugeben, was vor allem die südafrikanischen Fachkollegen begrüßen werden. Während seiner Recherchen im Archiv des damaligen Ökumenisch-Missionarischen Zentrums/Berliner Missionsgesellschaft in Berlin-Friedrichshain wurde er sich der Bedeutung der missionarischen Schriften für die Geschichte der verschiedenen Völkerschaften in den außereuropäischen Regionen bewusst. Das Gleiche gilt für die Notwendigkeit der rigorosen Anwendung der Quellenkritik als geschichtswissenschaftliche Methode, die er für seine weiteren Arbeiten verinnerlichte. Seitdem hat er nicht nachgelassen, sich für die wissenschaftliche Nutzung der Überlieferung der deutschen Missionare als historische Quellenkategorien und des sachbezogenen Literaturbestands für die verschiedensten Disziplinen der
16 Vgl. z. B. van der Heyden, Ulrich: Die Einbeziehung Ueckermündes in den Dreißigjährigen Krieg, Milow 2001; ders. (Hrsg.): Max Schröder-Greifswald: Tagebuchblätter des Marinemalers Schröder-Greifswald, Bremen 2015; ders.: Die erste preussische Seeschlacht auf dem Stettiner Haff im Jahre 1759, in: Baltische Studien. Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte, N. F., Bd. 103, Kiel 2018, S. 105–135; ders.: Lokales in der Weltgeschichte. Vorpommersche Lokalgeschichte – dänisch-deutscher Kolonialismus – Globalgeschichte, in: Pommern. Zeitschrift für Kultur und Geschichte, Nr. 2, Lübeck 2013, S. 8–15 und weitere Artikel in dieser Zeitschrift.
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überseeischen Geschichtsschreibung einzusetzen. 17 Eine lange Liste von Vorträgen, Konferenzreferaten, Lehrveranstaltungen und Publikationen – vor allem zum Wirken der Berliner Missionsgesellschaft im Süden Afrikas – legen Zeugnis seiner dahingehenden Bemühungen ab. 18 Ulrich van der Heydens Promotionsschrift war 1984 die erste akademische Arbeit in deutscher Sprache, die mithilfe archivalischer Quellen von protestantischen Missionsgesellschaften spezielle Themen der „säkularen“ Geschichte des antikolonialen Widerstandes in Südafrika aufgearbeitet hat. Das, was später die US-Amerikaner Jean und John Comaroff mithilfe englischer Missionsquellen zur Neubewertung der Sozialgeschichte Südafrikas durch ihre Forschungen bei den Tswana beigetragen haben, hat Ulrich van der Heyden mit ähnlichen Ansätzen bereits Jahre vorher unter Zuhilfenahme deutschsprachiger Missionsquellen über die Northern Sotho und Venda geleistet. Nach seiner ersten Dissertation verfasste er eine Reihe von Publikationen, in denen Archivmaterialien und Druckschriften der Berliner Missionsgesellschaft die wichtigste Quellengrundlage bildeten. 19 Damit konnte er immer wieder von Neu17 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Missionsgeschichte im heutigen Verständnis multi- und interdisziplinärer Forschung, in: Scheunpflug, Annette (Hrsg.): Missionspädagogik im Diskurs. Eine Ausstellung in der Kritik , Hamburg 2000, S. 64–83. 18 Beispielsweise van der Heyden, Ulrich: Unbekannte Geschichtsquellen in Berlin. Das Archiv und die Bibliothek der Berliner Missionsgesellschaft, Berlin 1991; ders.: Die wissenschaftliche Nutzung von Archiv und Bibliothek der Berliner Missionsgesellschaft. Eine Bibliographie, Berlin 2010; ders.: Das Archiv und die Bibliothek der Berliner Missionsgesellschaft – eine kaum bekannte Quelle für Ethnologen und Überseehistoriker, in: Archivmitteilungen. Zeitschrift für Archivwesen, archivalische Quellenkunde und historische Hilfswissenschaften, Nr. 1, Potsdam 1993, S. 1–11; ders.: Das Schrifttum der deutschen Missionsgesellschaften als Quelle für die Geschichtsschreibung Südafrikas. Dargestellt vornehmlich anhand der Berliner Missionsgesellschaft, in: ders./Liebau, Heike (Hrsg.): Missionsgeschichte – Kirchengeschichte – Weltgeschichte. Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien, Stuttgart 1996, S. 123–138; ders.: Missionsarchive in Deutschland – unbekannte Quellen für die Historiographie Südafrikas. Dargestellt vornehmlich an Hand der Berliner Missionsgesellschaft, in: Archivalische Zeitschrift, Bd. 82, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 127–148; ders.: German Mission Archives and the Political History of South Africa. The Example of the Berlin Mission Society, in: Missionalia. Southern African Journal of Missiology, Nr. 2, Pretoria 2003, S. 334–354; ders.: Bedeutende Quellen. Die Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte, in: WeltBlick. Magazin der Berliner Mission, Nr. 2, Berlin 2018, S. 50. 19 Vgl. z. B. van der Heyden, Ulrich: Die Berliner Missionsgesellschaft und die letzten kolonialen Eroberungskriege in Südafrika, in: Stoecker, Helmuth (Hrsg.): Die koloniale Aufteilung Afrikas und ihre Folgen, Berlin 1985, S. 37–45; ders.: Rassistische Motivationen der Missionare der Berliner Missionsgesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und ihre politischen Konsequenzen, in: Wagner, Wilfried/ders./Kubitschek, Hans-Dieter/Rüger, Adolf/Scharf, Kurt/ Stoecker, Helmuth (Hrsg.): Rassendiskriminierung – Kolonialpolitik und ethnischnationale Identität. Referate des 2. Internationalen Kolonialgeschichtlichen Symposiums 1991 in Berlin, Münster/Hamburg 1992, S. 533–542; ders.: Zu den politischen Hintergründen der Njassa-Expedition von Alexander Merensky, in: Brose, Winfried/ders. (Hrsg.): Mit Kreuz und deutscher Flagge. 100 Jahre Evangelium im Süden Tanzanias. Zum Wirken der Berliner Mission in Ostafrika, Münster/Hamburg 1993, S. 89–95; ders.: Der Berliner Missionar Klaas
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em belegen, dass die missionarischen Quellen sich dadurch auszeichnen, nicht nur wichtige Elemente für eine Geschichtsschreibung der christlichen Missionstätigkeit in Übersee zu liefern, sondern dass darüber hinaus mit ihrer Hilfe verschiedene Themen der außereuropäischen Christentumsgeschichte erarbeitet werden können. 20 Durch die Auswertung der missionarischen Quellen konnte er zudem Publikationen zur Vorgeschichte und Geschichte der Bapedi Lutheran Church in Transvaal, 21 zur antikolonialen Widerstandsgeschichte, 22 zur Geschichte der europäischen geografischen Entdeckungen im südlichen Afrika, 23 zur Geschichte der deutsch-südafrikanischen Beziehungen 24 sowie zur Geschichte verschiedener afrikanischer Ethnien in Transvaal 25 vorlegen.
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Koen zwischen der Macht des Versprechens und Resignation vor der Realität, in: ders./Stoecker, Holger (Hrsg.): Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften und ihre Tätigkeit in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945 in politischen Spannungsfeldern, Stuttgart 2005, S. 87–100. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang seine Biographie des Gründers der ersten African Independent Church in der damaligen Südafrikanischen Republik (Transvaal) Martinus Sewushan, die als Habilitationsschrift anerkannt wurde. van der Heyden, Ulrich: Martinus Sewushan – Nationalhelfer, Missionar und Widersacher der Berliner Missionsgesellschaft im Süden Afrikas, Neuendettelsau 2004. Vgl. z. B. van der Heyden, Ulrich/Poewe, Karla: Berlin Mission Society and its Theology. The Bapedi Mission Church and the Independent Bapedi Lutheran Church, in: South African Historical Journal, Nr. 40, Pretoria 1999, S. 21–50; ders.: Undank oder Emanzipation? Der Beitrag Martinus Sewushans zur Entstehung der Lutheran Bapedi Church in Südafrika am Ende des 19. Jahrhunderts, in: Thiesbonenkamp, Jürgen/Cochois, Helgard (Hrsg.): Umwege und Weggefährten. Festschrift. Heinrich Balz zum 65. Geburtstag, Erlangen 2003, S. 281– 293; ders.: Die Berliner Missionsgesellschaft und die Entstehung der unabhängigen Lutheran Bapedi Church, in: Bogner, Artur/Holtwick, Bernd/Tyrell, Hartmann (Hrsg.): Weltmission und religiöse Organisationen. Protestantische Missionsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Würzburg 2004, S. 666–687; ders.: Missionare als Paten bei der Entstehung Afrikanischer Unabhängiger Kirchen in Südafrika. Das Beispiel der Pedi-Nationalkirche in Transvaal, in: ders./Becher, Jürgen (Hrsg.): Mission und Moderne. Beiträge zur Geschichte der christlichen Missionen in Afrika anläßlich der Jahrestagung der VAD und des 12. Afrikanistentages vom 3.–6. Oktober 1996 in Berlin, Köln 1998, S. 99–120. Vgl. z. B. van der Heyden, Ulrich: Der militärische antikoloniale Widerstand in Südafrika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Militärgeschichte, Nr. 3, Berlin 1987, S. 242– 247; ders.: The Fighting Tradition of the Venda People, in: Sechaba. Official Organ of the ANC, Nr. 1, London 1986, S. 8–12. Vgl. beispielsweise ders.: Carl Mauch’s Aufenthalt im südlichen Afrika und seine Suche nach dem sagenumwobenen Land Ophir, in: van Ryneveld, Hannelore/Wozniak, Janina (Hrsg.): Einzelgang und Rückkehr im Wandel der Zeit. Unknown Passages – New Beginnings. Festschrift für Gunther Pakendorf, Stellenbosch 2010, S. 35–64; ders./Glaubrecht, Matthias/Pfullmann, Uwe: Die Reise des deutschen Forschers Karl August Möbius nach Mauritius und zu den Seychellen 1874/75, Wiesbaden 2012. Vgl. van der Heyden, Ulrich: Diplomasie en Politiek. Die Pers, die Boererepublieke en Duitsland tydens die Anglo-Boere-Oorlog, Pretoria 2002; ders./Stassen, Nicol: German Publications on the Anglo-Boer War, Pretoria 2007; ders.: Deutsche – Afrikaner – Südafrika. Das Verhältnis der Deutschen zu Südafrika, ihre kognitiven Interaktionen und die Forschungslücken, in: Acta Germanica. Jahrbuch des Germanistenverbandes im südlichen Afrika, Nr. 32,
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Nach dem Ende seines Forschungsstudiums 1984 übernahm Ulrich van der Heyden zunächst eine Verwaltungsaufgabe im Außenamt der Humboldt-Universität. Nach einem halben Jahr erhielt er am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Obwohl er an dieser Institution die Gelegenheit hatte, seine erworbenen Kenntnisse zur südafrikanischen Geschichte zu erweitern und darüber zu publizieren, beschäftigte er sich jedoch hauptsächlich mit wirtschaftshistorischen Fragestellungen der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit in den 1920er und 1930er Jahren. Als 1987 an der Akademie der Wissenschaften der DDR das Institut für Allgemeine Geschichte gegründet wurde, konnte er an den dort angesiedelten Forschungsbereich „Geschichte der Entwicklungsländer“ wechseln. Damit einher ging die Möglichkeit, sich wieder ganz der Allgemeinen Geschichte zu widmen, die damals als Synonym für Welt- und Globalgeschichte verstanden wurde, für Ulrich van der Heyden aber vor allem aus deutscher Kolonial- sowie Missionsgeschichte und politischer Geschichte vornehmlich Südafrikas bestand. Mit der Auflösung der Akademie der Wissenschaften der DDR nach der deutschen Wiedervereinigung wurde er zu Beginn des Jahres 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt Moderner Orient der Förderungsgesellschaft Wissenschaftliche Neuvorhaben mbH. Diese Gesellschaft war speziell für die vom Wissenschaftsrat mehrfach positiv evaluierten Geisteswissenschaftler der DDR-Akademie unter der Schirmherrschaft der Max-Planck-Gesellschaft gegründet worden. An dieser Institution konnte er bis Ende 1995 seine Forschungen zur Geschichte Afrikas vertiefen und in jene afrikanischen Länder reisen, mit denen er sich bislang nur theoretisch beschäftigt hatte. Darüber hinaus erschloss er sich weitere Themenfelder neu, etwa zur Geschichte der internationalen Beziehungen, zur deutschen Missionsgeschichte und zur Geschichte des außereuropäischen Christentums sowie zur Geschichte der europäischen kolonialen Expansion vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. In diesen Jahren veröffentlichte er vor allem Studien und Sammelbände zur Kolonialgeschichte Afrikas und zu globalhistorischen Problemstellungen. 26 Zu den sich daraus ergebenden akademischen Fragen konnte Frankfurt am Main/Berlin et al. 2004, S. 105–114; ders.: Der Dakar-Prozess – Der Anfang vom Ende der Apartheid in Südafrika, Kiel 2018. 25 Vgl. z. B. van der Heyden, Ulrich: Untersuchungen zum sozialökonomischen Entwicklungsstand und zur Stammesorganisation der Pedi in Transvaal (Südafrika) am Vorabend ihrer kolonialen Unterjochung, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift, Nr. 4, Berlin 1986, S. 569–594; ders.: Der sozialökonomische Entwicklungsstand und die Stammesorganisation der Venda in Transvaal (Südafrika) am Vorabend ihrer kolonialen Unterjochung, in: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig, Bd. 38, Berlin 1989, S. 248–268; ders.: Hopeful Beginning – abrupt ending. The mission attempt of the Berlin Mission Society amongst the Bakopa, in: Missionalia. Southern African Journal of Missiology, Nr. 1, Pretoria 2008, S. 121–138. 26 Z. B. van der Heyden, Ulrich/Heine, Peter (Hrsg.): Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald, Pfaffenweiler 1995; ders./von Oppen, Achim: Tanzania. Koloniale Vergangenheit und neuer Aufbruch, Münster/Hamburg 1996; ders.: Südafrikanische „Berliner“. Die Kolonial- und die TransvaalAusstellung in Berlin und die Haltung der deutschen Missionsgesellschaften zur Präsentation
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er im Rahmen nationaler und internationaler Konferenzen sowie bei Gastvorträgen an Universitäten des In- und Auslands referieren. Die anfängliche Zuversicht, mit der sich viele aus der DDR-Wissenschaftsakademie stammende Historiker – und so auch Ulrich van der Heyden – an den Projekten der Förderungsgesellschaft Wissenschaftliche Neuvorhaben mbH beteiligten, wich Mitte der 1990er Jahre jedoch einer gewissen Fassungslosigkeit: Anders als erwartet, stellte sich die im Zuge der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten vollzogene Reorganisation des ostdeutschen Wissenschaftsbetriebes im Falle der Geschichtswissenschaft weniger als eine Angleichung auf Augenhöhe, sondern eher als ein Kahlschlag zuungunsten des gewachsenen und nach 1990 positiv evaluierten Personalbestands dar. Die Mitarbeiter des Zentrums Moderner Orient hatten in der internationalen „Scientific Community“ einen guten Namen errungen, 27 was bei den etablierten Lehrstuhlinhabern der relevanten Fächer in der Alt-Bundesrepublik jedoch ein gewisses Unbehagen gegenüber den „Neuankömmlingen“ nach sich zog. Fortan wurde danach getrachtet, die neugeschaffenen Stellen mit dem eigenen akademischen Nachwuchs zu besetzen. In Ermangelung der entsprechenden administrativen Erfahrung oder des institutionellen Rückhalts wurden die Projekte der DDRsozialisierten Historiker zum Spielball im System der westdeutschen Wissenschaftsförderung. Nicht selten wurden wissenschaftsfremde Begründungen herangezogen, Gegensätze herbeigeredet oder absurde Denkfiguren zur Degradierung und Verdrängung der nunmehr als Konkurrenten betrachteten Akademiker verbreitet (z. B. alte Kader = Führungspositionen = Betonköpfe = Inkompetenz vs. Jugend = Reformwillen = einstige Benachteiligung = Sachkompetenz). Diese Verdrängung hatte Folgen, für Ulrich van der Heyden bedeutet dies bis heute befristete Arbeitsverträge, Lehraufträge, Drittmittelprojekte oder Gastprofessuren im Ausland. Hinzu kommen über einhundert abschlägig beschiedene Bewerbungen. Am Beispiel der wissenschaftlichen Leistungen Ulrich van der Heydens bleibt es ein Rätsel, wie Dieter Simon (geb. 1935) als Vorsitzender des Wissenschaftsrats und Evaluierungsbetrauter sich zunächst zu der sinngemäßen Behauptung hinreißen ließ, die DDR-Wissenschaft hätte nichts, was sie in das neue Gesamtdeutschland mit einbringen könnte. 28 Im Zusammenhang mit der Abwicklung des Zentralinstituts für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR bemerkte der einstige Forschungsbereichsleiter und ab 1992 am LeibnizZentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin als Projektleiter tätige Romanist Karlheinz Barck (1934–2012):
fremder Menschen und Kulturen, in: Höpp, Gerhard (Hrsg.): Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 1945, Berlin 1996, S. 135–156. 27 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Anspruch und Wirklichkeit beim Umbau der außeruniversitären Forschung nach der Wende. Das Beispiel des Forschungsschwerpunkts Moderner Orient, in: Leviathan. Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaften, Nr. 4, Baden-Baden 2013, S. 511–527. 28 Simon, Dieter: Kader auf Lebenszeit? Zur Zukunft der DDR-Wissenschaftler, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.1990, S. 21–22.
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Wenn aus konstatierten und nicht zu leugnenden ‚gravierenden wissenschaftsfeindlichen Folgen der Unterwerfung unter die Macht‘ ebenso ‚vage wie unspezifisch‘ moralische Kriterien abgeleitet würden, wie die ‚Erneuerung und Modernisierung der Wissenschaften in den neuen Bundesländern‘ herbeigeführt werden müsse, etwa mit einem ‚einfachen Anschluß an das westdeutsche Wissenschaftssystem‘ oder durch ‚personelle Durchmischung an den ostdeutschen Lehr- und Forschungsstätten‘, würde damit ‚eher ein Karussell in der Besetzung von Positionen in Gang‘ gesetzt werden, ‚statt eine von politischer Verantwortung getragene Reform.‘ 29
Dieter Simons am Anfang seiner „Abwicklungsaufgabe“ ohne Sachkenntnis der ostdeutschen Wissenschaft geäußerten Ansichten waren für Karlheinz Barck ein ebenso pragmatischer wie die Zukunftschancen einer gesamtdeutschen Wissenschaftsunion verfehlender Standpunkt. Wie die Praxis der gegenwärtig laufenden ‚Abwicklungen‘ an den Universitäten und Akademien schon jetzt zeigt, erweist sich die Verquickung von Wissenschaftspolitik und Moral als unheilvoll. Es wird unter den Wissenschaftlern ein Rechtfertigungsdruck erzeugt, der viele in die Identitätskrise treibt, wenn sie erfahren, daß der abstrakte Maßstab wissenschaftlicher Kompetenz die eigene Sozialisation und die anderen Bedingungen wissenschaftlicher Arbeit nicht deckt. 30
Immerhin waren Dieter Simon seine einstigen Fehleinschätzungen und deren Folgen schon bald so peinlich, dass er 1995 mit einer kaum zu überbietenden Bitterkeit, ja einem Zynismus, die Effekte einer Wissenschaftspolitik benennt, die den ‚Fußkranken‘, ‚Wiederkäuern und Uninspirierten‘ des westdeutschen Nachwuchses den Weg zu einer sonst kaum in Gang gekommenen Hochschulkarriere im Osten geebnet hat. Allerdings nennt er sich selbst nicht als Beteiligten dieser Wegbereitungen. 31
Der für die Evaluierung der ostdeutschen geisteswissenschaftlichen Institutionen Verantwortung tragende Jürgen Kocka bedauerte in einem Brief vom 9. März 2013 an den Jubilar „die frustrierende Diskrepanz zwischen Ihren auch für den Nicht-Fachmann eindrucksvollen Leistungen einerseits, der bisher scheiternden Stellungssuche andererseits“. Man kann nur bedauern, dass sich die Stellungnahme von Karlheinz Barck aus dem Jahr 1991 als zutreffend, aber folgenlos erwiesen hat, ebenso, dass Dieter Simon mehrere Jahre gebraucht hat, um sich seiner Fehleinschätzung bewusst zu werden. Da es in Festschriften gemeinhin um Gewissheiten geht, diese sich aber für viele Wissenschaftler mit einer ähnlichen Biografie wie der des Jubilars über die Jahre hinweg verflüchtigt haben, dürfte auch die folgende, entweder noch zu verifizierende oder falsifizierende Behauptung am rechten Platz sein: Ulrich van der Heyden hält unter den deutschen Wissenschaftlern zwei Rekorde. Zum einen war er der erste Geisteswissenschaftler nach dem Mauerfall 1989, der von einer OstUniversität (Humboldt-Universität zu Berlin, HU) und einer West-Universität 29 Vgl. Barck, Karlheinz: Ein notwendiger Rückblick auf die deutsche ‚Stunde Null‘. Beobachtungen und Anmerkungen zur ‚Abwicklung‘ und zur Konstruktion einer neuen Wissenschaftsunion, in: Frankfurter Rundschau, 14.02.1991, S. 15. Zitiert in: Boden, Petra: Soviel Wende war nie. Zur Geschichte des Projekts „Ästhetische Grundbegriffe“. Stationen zwischen 1983 und 2000, Bielefeld 2014, S. 83–84. 30 Ebenda. 31 Ebenda, S. 130–131.
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(Freie Universität Berlin, FU) auf historisch-politikwissenschaftlichem Gebiet in der deutschen Hauptstadt promoviert wurde. Zum anderen ist er vermutlich der einzige deutschsprachige habilitierte Geisteswissenschaftler, der dreimal promoviert wurde, und zwar zum Dr. phil. (HU), Dr. rer. pol. (FU) und PhD (Rhodes University, Südafrika). Dass derartige Beweise oder Gegenbeweise sehr zeitintensiv sind, weiß auch unser Jubilar, somit könnte es in ein paar Jahren zu folgender Szene kommen: Bei Ulrich van der Heyden meldet sich ein deutschsprachiger habilitierter Geisteswissenschaftler, der dreimal promoviert wurde und ihm mit Verweis darauf den Rekord streitig macht. Daraufhin zieht der vermeintliche Nicht-Mehr-Rekordhalter eine weitere Promotionsurkunde nebst umfangreicher Dissertation aus der Schublade und bemerkt eher beiläufig, dass der Zweifler wohl nicht mehr ganz auf den aktuellen Stand sei. Neben Forschungen zur Missionsgeschichte hat sich Ulrich van der Heyden in den vergangenen Jahrzehnten auch intensiv mit der Geschichte der Afrikapolitik der DDR befasst, woraus die Herausgeberschaft der Buchreihe „Die DDR und die Dritte Welt“ sowie von 1994 bis 1996 die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Wissenschaften und Wiedervereinigung“ bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften entstanden sind. 32 Dadurch ist sein Interesse für die Entstehung, die Entwicklung und die Abwicklung der Afrikawissenschaften in der DDR geweckt worden. Weil er selbst ein Betroffener der „Abwicklungen“ geworden ist und weder er noch mit ihm in Kontakt stehende ausländische Kollegen verstehen konnten, warum das Personal dieser Wissenschaftsdisziplin fast vollständig im sogenannten Transformationsprozess aus dem Wissenschaftsbetrieb herausgedrängt worden ist, verfasste er 1997 eine Studie mit dem Titel „Die Afrikawissenschaften in der DDR. Eine akademische Disziplin in der DDR zwischen Exotik und Exempel“. 33 Diese Arbeit wurde von Franz Ansprenger (geb. 1927), Nestor der deutschen Afrika-Politikwissenschaft, betreut, im Oktober 1997 vom Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen und mit „magna cum laude“ bewertet. Damit war sein Ehrgeiz herausgefordert, sich auch mit der Geschichte der DDR-Afrikapolitik intensiver zu befassen. Es hatte mit zwei Sammelbänden begonnen 34, weitere Publikationen folgten 35, und es endete bislang in einem über 700 Druckseiten umfassenden Buch über die Beziehungen Mosambiks und der DDR anhand der Geschichte des Einsatzes von Vertragsarbeitern in der DDR32 van der Heyden, Ulrich: Die Afrikawissenschaften in der DDR. Das Beispiel südliches Afrika, in: Krauth, Wolf-Hagen/Wolz, Ralf (Hrsg.): Wissenschaft und Wiedervereinigung: Asienund Afrikawissenschaften im Umbruch, Berlin 1998, S. 371–442. 33 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Die Afrikawissenschaften in der DDR. Eine akademische Disziplin in der DDR zwischen Exotik und Exempel, Münster/Hamburg/London 1999. 34 van der Heyden, Ulrich/Schleicher, Hans-Georg/Schleicher, Ilona: Die DDR und Afrika. Zwischen Klassenkampf und neuem Denken, Münster/Hamburg 1993; dies.: Engagiert für Afrika. Die DDR und Afrika II, Münster/Hamburg 1994. 35 Vgl. beispielsweise van der Heyden, Ulrich/Benger, Franziska (Hrsg.): Kalter Krieg in Ostafrika. Die Beziehungen der DDR zu Sansibar und Tansania, Münster/Hamburg 2009.
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Wirtschaft. 36 Vor allem an diesem Beispiel demonstriert er die Stärken seiner faktenbasierten, quellenkritischen Herangehensweise in Bezug auf das Bild über Ausländer in der DDR und ihrer Afrikapolitik. Die Mahnung, die Geschichtsschreibung über die DDR nicht auf Halbwahrheiten, Missdeutungen und phantasievolle Verdrehungen zu stützen, könnte aus keinem berufeneren Munde kommen. Im Januar 2002 schloss er sein Habilitationsverfahren am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin ab. Die Habilitationsschrift befasste sich mit der Entstehung einer neuen schwarzafrikanischen Elite im Süden Afrikas am Ende des 19. Jahrhunderts, die vor allem aus den Kreisen der von europäischen Missionaren geschulten christlichen Afrikaner hervorging. Mit der Habilitation einher ging die Erteilung der Lehrbefähigung für das Fachgebiet „Historische Grundlagen der Politikwissenschaften“. Der Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU erteilte ihm daraufhin die Lehrbefugnis und ernannte ihn zum Privatdozenten. Seinen dritten Doktorgrad erlangte er 2013 an der Rhodes University im südafrikanischen Grahamstown mit einer von Alan Kirkaldy betreuten Promotionsschrift zum Thema „GDR Development Policy towards the Third World with special Reference to Africa, c. 1960–1990“. 37 Ulrich van der Heyden hat seine historischen Forschungen nicht nur in Bibliotheken und Archiven durchgeführt, sondern seine theoretisch gewonnenen Erkenntnisse mit praktischen Feldforschungen untersetzt. So hat er in den ehemaligen südafrikanischen Arbeitsgebieten der Berliner Missionsgesellschaft, insbesondere im Vendaland und bei den Bahananwa in den Blue Mountains sowie bei den Pedi und Bakopa im nördlichen Transvaal mehrfach Feldforschungen durchgeführt, Methoden der Oral History angewandt und damit seine durch Archiv- und Bibliotheksstudien gewonnenen Erkenntnisse überprüft und erweitert. Außerdem hat er fast alle Orte der Handlungen in seinen Publikationen, d. h. vor allem die alten Stationen der Berliner Missionsgesellschaft im südlichen Afrika, aufgesucht und dabei die seit 1877 nicht mehr von einem Europäer bzw. europäischstämmigen Südafrikaner betretene Siedlung im sogenannten Dinkoanyan’schen Kloof im Nordosten Transvaals wiederentdeckt. 38 Ähnlich handelte er in Bezug auf eine andere Thematik, die in der deutschen Kolonialhistoriographie überdurchschnittlich starke Beachtung fand und worüber er bis in die jüngste Vergangenheit publiziert, auf Konferenzen spricht, Lehrveranstaltungen dazu abhält, Medienbeiträge verfasst sowie als Experte vor parlamentarischen Gremien der Stadt Berlin und einiger Stadtbezirke sowie im Brandenburger Landtag seine Meinung als Fachmann vorträgt. Es geht um die Geschichte der frühen Kolonisationsversuche von Friedrich Wilhelm von Brandenburg, genannt der „Große Kurfürst“. Dieser bemühte sich, 1681 im heutigen 36 van der Heyden, Ulrich: Das gescheiterte Experiment. Vertragsarbeiter aus Mosambik in der DDR-Wirtschaft (1979–1990), Leipzig 2019. 37 van der Heyden, Ulrich: GDR International Development Policy Involvement. Doctrine and Strategies between Illusions and Reality 1960–1990. The Example (South) Africa, Münster 2013. 38 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Wo Dinkoanyane die Buren schlug. Auf den Spuren der Afrikanischen Unabhängigen Kirchen im südafrikanischen Transvaal, in: Afrika-Post. Magazin für Politik, Wirtschaft und Kultur Afrikas, Nr. 9–10, Bonn 1996, S. 17–21.
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Ghana eine Handelskolonie zu errichten. Dazu veröffentlichte der Jubilar eine einschlägige Monografie, 39 die zweimal aufgelegt wurde und auf deren Basis eine TV-Dokumentation der ARD entstanden ist. Nicht zuletzt durch die Beschäftigung mit dem brandenburgisch-preußischen Kolonialabenteuer wurde sein Interesse an der Geschichte der afrikanischen Diaspora in Deutschland geweckt. Als Ergebnis seiner diesbezüglichen Forschungen entstand unter anderem der Sammelband „Unbekannte Biographien“. 40 Wegen dieses Forschungsthemas geriet er in einen typisch deutschen Disput im Zusammenhang mit der Umbenennung der „Mohrenstraße“ in Berlin, in dessen Verlauf er wegen seiner strikt wissenschaftlichen Sichtweise angefeindet wurde. Da für ihn die historische Kenntnis wichtiger ist als jedwede Betroffenheitsideologie, behält nach seiner Auffassung auch in der Jetztzeit – die oftmals als postfaktisches Zeitalter missverstanden wird – das von Humanisten der Frühen Neuzeit stammende Motto „Ad fontes“ („Zu den Quellen“) nach wie vor seine Gültigkeit. In allen seinen Schriften und Vorträgen versucht der Geehrte, quellengestütztes politisches Handeln einzufordern und macht damit die Notwendigkeit des Wissens um die historischen Fakten nicht nur für seine eigene Arbeit zum Prinzip jeder um Ernsthaftigkeit bemühten Kommunikation. Dabei spielt es für ihn keine Rolle, ob es sich um Kontroversen mit Studierenden handelt oder der französische Präsident Emmanuel Macron wegen populistischer Äußerungen über die französische Afrikapolitik und seiner unbedachten Äußerungen über die Restitution von afrikanischen Objekten in europäischen Museen zu kritisieren ist. 41 Die Publikationen zur Geschichte der afrikanischen Diaspora in Deutschland sowie über die Entstehung des Namens und die Geschichte der Berliner Mohrenstraße, 42 aber vor allem die drei Sammelbände über die kolonialen Erinnerungsorte in Berlin und darüber hinaus, die er zusammen mit Joachim Zeller herausgab, 43 haben dazu geführt, dass er zu einem der Begründer der Postcolonial Studies in Deutschland gezählt werden kann. Die Bearbeitung von Themen zur Geschichte des deutschen Kolonialismus hat er während seiner gesamten beruflichen Laufbahn nicht aus den Augen verlo39 van der Heyden, Ulrich: Rote Adler an Afrikas Küste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg an der westafrikanischen Küste, Berlin 1993; 2. Aufl.: Berlin 2001. 40 van der Heyden, Ulrich (Hrsg.): Unbekannte Biographien in Deutschland. Afrikaner im deutschsprachigen Raum vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Berlin 2008. 41 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Emmanuel Macrons afrikanisches Erbe, in: Kunstgeschichteejournal, http://www.kunstgeschichte-ejournal.net/518/vanderHeyden-Macron_26.04.2018.pdf; ders.: Restitution afrikanischer Kulturgüter. Macrons kulturpolitisches Verwirrspiel, in: Welttrends. Das außenpolitische Journal, Nr. 148, Potsdam 2019, S. 58–63; ders.: Viele unbeantwortete Fragen, in: Das Blättchen. Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, Nr. 12, Berlin 2019, S. 13–14 [Online-Journal]. 42 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Auf Afrikas Spuren in Berlin. Die Mohrenstraße und andere koloniale Erblasten, Berlin 2008. 43 Vgl. van der Heyden, Ulrich/Zeller, J. (Hrsg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002; dies.: „...Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005; dies.: Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 2008.
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ren, selbst wenn die Zeit kaum dazu ausreichte, mit dem gebotenen Tiefgang zur Geschichte des deutschen Kolonialismus zu arbeiten. Dennoch bleiben die preußisch-afrikanischen Beziehungen eines seiner bevorzugten Publikationsthemen, ebenso das weite Feld der Postcolonial Studies. Weil er davon überzeugt ist, dass die in europäischen Missionsarchiven und Bibliotheken vorhandenen Quellen für die verschiedensten historiografischen Fragestellungen der außereuropäischen Welt von außerordentlicher Bedeutung sind, versucht er seit Anfang der 1990er Jahre, vornehmlich die in deutschen Archiven lagernden Quellen der Fachwelt bekannt zu machen. Dazu begründete er die Editions-Reihe COGNOSCERE HISTORIAS, in der bislang sechsundzwanzig Bände erschienen sind. 44 In der Buchreihe wurden beispielsweise bislang unveröffentlichte, ältere oder weithin vergessene Publikationen wie die Tagebücher des Berliner Missionars Christoph Sonntag 45 oder die im 19. Jahrhundert erschienenen Lebenserinnerungen von Alexander Merensky 46 publiziert, ebenso der auf den Missionar Albert Kropf zurückgehende Band „Das Volk der Xosa-Kaffern“, 47 welcher als „Tacitus der Xhosa“ in Südafrika angesehen wird. Ulrich van der Heyden begründete gemeinsam mit Christfried Berger (1938– 2003), dem damaligen Direktor des Ökumenisch-Missionarischen Zentrums/Berliner Missionsgesellschaft, unmittelbar nach der politischen Wende 1989 die Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte (BGMG). Die BGMG stellte sich von Anfang an die Aufgabe, die über Jahrzehnte gewachsenen „Fronten“ zwischen traditionellen Missionshistorikern und „Säkular-Historikern“ zu beseitigen. Damit einher ging die Überzeugung von der Notwendigkeit, die sich mit Fragen der außereuropäischen Geschichte befassenden Historiker dazu zu bewegen, ihren kritisch-negativen Standpunkt zur christliche Missionierung in Übersee sowie die darüber Auskunft gebenden Dokumente zu überdenken. Diese Aufgabe ist inzwischen weitgehend erfüllt. Fünf internationale wissenschaftliche Konferenzen, die Ulrich van der Heyden im Auftrag der BGMG in Berlin organisiert hat, belegen, dass Religions- und Missionshistoriker und Missionspraktiker durchaus produktiv im Interesse des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts mit anderen Histori44 Bde. 1–11 bei Edition Ost (Berlin); Bde. 12–20 beim Trafo-Wissenschaftsverlag Dr. Weist (Berlin); ab Bd. 19 (2012) bei der Edition Falkenberg (Bremen). 45 Vgl. van der Heyden, Ulrich/Sontag, K. (Hrsg.): Christoph Sonntag: Mein Freund Maleboch, Berlin 1999. 46 Vgl. van der Heyden, Ulrich (Hrsg.): Alexander Merensky: Erinnerungen aus dem Missionsleben in Transvaal (Südafrika) 1859–1882, Berlin 1899, Berlin 1996. 47 van der Heyden, Ulrich/Kundler, Joachim (Hrsg.): Albert Kropf: Das Volk der Xosa-Kaffern im östlichen Südafrika nach seiner Geschichte, Eigenart, Verfassung und Religion. Ein Beitrag zur afrikanischen Völkerkunde, Berlin 1889, hrsg. und aktualisiert auf Grundlage von Albert Kropfs Korrekturen und Ergänzungen, Bremen 2017. Darüber hinaus vgl. dies.: Quellenkritisch-wissenschaftliche Edition von Albert Kropf: Das Volk der Xosa-Kaffern im östlichen Südafrika nach seiner Geschichte, Eigenart, Verfassung und Religion. Ein Beitrag zur afrikanischen Völkerkunde, Berlin 1889, hrsg. und aktualisiert auf Grundlage von Albert Kropfs Korrekturen und Ergänzungen [Online-Ausgabe]: (https://bgmgonline.com/kropf-dasvolk-der-xosa-kaffern-im-oestlichen-suedafrika/).
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kern, Ethnologen, Literatur-, Politik- und Erziehungswissenschaftlern zusammenarbeiten können. Die letzte dieser Konferenzen fand im Oktober 2017 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin statt. 48 Alle Konferenzen sowie bescheidenere Tagungen und Vortragsreihen sind Ergebnisse der Arbeit der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte, in der er seit ihrer Gründung stellvertretender Vorsitzender ist, deren Büro er leitet und die vierteljährlich erscheinenden „Mitteilungen“ verantwortet. Gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland, Kanada und Südafrika gibt er die beim Steiner-Verlag in Stuttgart erscheinende BGMGStudienreihe „Missionsgeschichtliches Archiv“ heraus, in der bislang 30 Bände erschienen sind. Die Themen, die von der BGMG bearbeitet und gefördert werden, haben in Deutschland bereits Nachahmer gefunden. Auch Forscher, die keinen Kontakt zur BGMG unterhalten, beschäftigen sich zur Beantwortung komplexer säkulargeschichtlicher Fragen zunehmend mit den missionarischen historischen Quellen, dies gilt ebenso für die außereuropäische Christentumsgeschichte. Wenngleich heute fast von einem Aufblühen dieser Art von Forschungen in Deutschland gesprochen werden kann, verdient das wissenschaftliche Werk von Ulrich van der Heyden auf diesem Gebiet besondere Beachtung, stammt es doch von einem in der DDR sozialisierten Geisteswissenschaftler, dessen Wahrnehmung innerhalb der deutschen „Scientific Community“ all jenen unsinnigen Ballast zu schultern hatte, der sich systembedingt in den Jahren der deutschen Zweistaatlichkeit auf beiden Seiten aufgebaut hatte. Da Ulrich van der Heyden nicht zu den etwa fünf Prozent derjenigen ostdeutschen Sozial- und Geisteswissenschaftlern zählt, die im vereinten Deutschland einen Lehrstuhl oder eine Festanstellung erhielten, wurden seine Forschungen vornehmlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie von anderen Stiftungen zeitlich befristet gefördert. Seit Juni 2003 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter vornehmlich in Drittmittelprojekten am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität, den Andreas Feldtkeller innehat. Lehrveranstaltungen zu den verschiedensten Aspekten der Geschichte Afrikas sowie zur Geschichte der Beziehungen Europas zur kolonialen Welt von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart hat er an der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Universität der Bundeswehr in Hamburg durchgeführt. Im Sommer 2006 erhielt er als einer der ersten Wissenschaftler das Harry Oppenheimer Visiting Fellowship, das es ihm erlaubte, ein viertel Jahr in der Brenthurst Library im südafrikanischen Johannesburg zu arbeiten. Im Wintersemester 2006/2007 lehrte er als Gastprofessor auf dem Alfred Grosser-Lehrstuhl am Institut d’Etudes Politiques de Paris (Science Po) in Nancy. Die University of South Africa (Pretoria) ernannte ihn 2013 zum VisitingProfessor, wo er am Department of Biblical and Ancient Studies zusammen mit dem Biblischen und Missionsarchäologen Willem Boshoff zum Ethnozid am Volk 48 van der Heyden, Ulrich/Wendt, Helge (Hrsg.): Mission und dekoloniale Perspektive. Der Erste Weltkrieg als Auslöser eines globalen Prozesses, Stuttgart 2019.
Die Festschrift als Medium und ihr Adressat
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der Bakopa forscht, deren Mitglieder ehemals zur Gemeinde der Berliner Mission gehörten. Der Jubilar besitzt vom Berliner Senat die Prüfungsberechtigung für das Fach Sozialkunde in Ersten Staatsprüfungen für Lehrämter. Neben seiner Lehrtätigkeit hat er mehrere Doktoranden in Berlin, Stellenbosch und Pretoria betreut, für dutzende Bachelor-, Diplom-, Magister- und Masterarbeiten fungierte er als Gutachter. Außerhalb der universitären Verpflichtungen wären seine Mitgliedschaften in verschiedenen Wissenschaftsorganisationen wie z. B. der Historical Publications Southern Africa (ehemals Van Riebeek Society), der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft, der Deutschen Afrika Stiftung, der Gesellschaft für Überseegeschichte oder der Historical Association of South Africa anzuführen. Im Jahre 2005 wurde er zum Ordentlichen Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin gewählt. Was wäre noch zum Wissenschaftler Ulrich van der Heyden zu sagen? Vielleicht, dass er unter anderem weltweit als Gutachter für Verlage, Redaktionen und Universitäten tätig ist, wenn es um Fragen der Kolonial- und Missionsgeschichte Afrikas geht? Oder dass er als Rezensent Buchbesprechungen in allen erdenklichen Fachorganen des In- und Auslandes publiziert und sogar in exotischen Journalen wie „Neue Blumenbindekunst“, „Die Sportlaube“, „Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin“ oder in der „Apothekerzeitung“ Spuren hinterlassen hat? Zeitungsartikel in dreistelliger Zahl gehen ebenfalls auf sein Konto, seit 2007 ist er Mitglied des Editorial Board der südafrikanischen Fachzeitschrift „Missionalia“ und neben den bereits genannten Herausgeberschaften gehört er – in den meisten Fällen als Begründer – zu den Editoren der „Berliner Beiträge zur Missionsgeschichte“, den „Schlaglichtern zur Kolonialgeschichte“, den „Studien zur Kolonialgeschichte“ sowie der entwicklungspolitischen Schriftenreihe „SPEKTRUM. Berlin Series on Society, Economy and Politics in Developing Countries“. Nicht unerwähnt sollte in diesem Zusammenhang bleiben, dass die einzelnen Bände der genannten Buchreihen insgesamt mehr als 150-mal in deutschen und internationalen Periodika durch Rezensionen – in der Regel mit positiven Bewertungen – ein aufmerksames Fachpublikum gefunden haben. Als Rezensent hat Ulrich van der Heyden mehrere Hundert Bücher zur Geschichte Nordamerikas und Afrikas, zur Missions-, Kolonial- und Globalgeschichte in Fach- und Publikumszeitschriften vorgestellt und in den Forschungsstand eingeordnet. Aufgrund seiner direkten Verwicklung in den Transformationsprozess der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft hat sich Ulrich van der Heyden als Betroffener auch damit intensiv beschäftigt und entsprechende Aufsätze verfasst. 49 49 Vgl. beispielsweise ders.: Geht die Abwicklung weiter? Eine Antwort auf den Beitrag von Norman Adler, in: Hochschule Ost. Politisch-Akademisches Journal aus Ostdeutschland, Nr. 2, Leipzig 1996, S. 191–202; ders.: Wie die Afrikawissenschaft in Ostdeutschland durch eine „späte Abwicklung“ beseitigt wurde, in: Bollinger, Stefan/ders. (Hrsg.): Deutsche Einheit und Elitenwechsel in Ostdeutschland, Berlin 2002, S. 113–154; ders./Bollinger, Stefan/Kessler, Mario: Ausgrenzung oder Integration? Ostdeutsche Sozialwissenschaftler zwischen Isolierung und Selbstbehauptung, Berlin 2004.
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Michael Eckardt
Zu seinen diesbezüglichen Aktivitäten zählt auch die Gründung der „Initiative Sozialwissenschaftler Ost“, von der er einer der drei Initiatoren war. Sollte noch erwähnt werden, dass er durch zahlreiche Interviews im Fernsehen und Radio sowie als Experte bei Fernseh-Dokumentationen zur Popularisierung historischer Forschungsergebnisse – einer seiner wichtigsten Punkte seines Selbstverständnisses als Wissenschaftler – beigetragen hat, insbesondere über das Wirken deutscher Missionare in Südafrika? Dass er als eine wichtige Voraussetzung für innovative Geschichtsforschung und deren glaubwürdige Vermittlung erkannt hat, wie bedeutsam die Kenntnis der Wissenschaftsgeschichte ist, worüber er in Lehrveranstaltungen und Publikationen zur Afrikawissenschaft 50 und zur Geschichte der geografischen Entdeckungen 51 berichtete? Fast hat man das Gefühl, diese Aufzählung könnte noch endlos weitergehen, wäre da nicht der brennende Wunsch des eingangs imaginierten Festschriften-Lesers, endlich direkt etwas aus dieser Publikationsform zu entnehmen, „die seit ihrem Bestehen eine wichtige Rolle in der wissenschaftlichen Welt spielt“. 52 Dem Herausgeber und dem Verlag ist es ein Bedürfnis, sich bei einer Reihe von Förderern und Kollegen zu bedanken, ohne die der aktuelle Band des „Missionsgeschichtlichen Archivs“ nicht zustande gekommen wäre. Zu danken ist der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft für ihren Druckkostenzuschuss, ebenso der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte. Worte des Dankes gehen weiterhin an Dr. Klaus Freiherr von der Ropp (für die Übersetzungen der Abstracts und die ideelle Unterstützung), PD Dr. Felicity Ann Jensz und Prof. Ian Liebenberg (für das Korrekturlesen der englischen Beiträge), Dr. Peet van Aardt (für das Korrekturlesen des auf Afrikaans verfassten Essays), Cornelia Beyer (für die druckvorlagengerechte Formatierung des ganzen Bandes) sowie den Gutachtern des Gesamtmanuskriptes. Zu guter Letzt dankt der Herausgeber an dieser Stelle nochmals allen Beiträgerinnen und Beiträgern für die Mitarbeit an dieser Festschrift. Michael Eckardt Stellenbosch im Juni 2019
50 Etwa van der Heyden, Ulrich: Afrika im Blick der akademischen Welt der DDR. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Überblick zur afrikabezogenen Völkerkunde, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. History of Science and Humanities, Nr. 1, Weinheim 2019, S. 83–105; ders.: Africanist Anthropology in the German Democratic Republic, in: Hann, Chris/Sárkány, Mihály/Skalník, Peter (Hrsg.): Studying Peoples in the People’s Democracies. Socialist Era Anthropology in East-Central Europe, Münster 2005, S. 303–330. 51 van der Heyden, Ulrich: Heinrich Barth in Zentralafrika, 1850–1855, in: Deutsche Geschichte in Dokumenten, hrsg. von H. Pleticha, Braunschweig 2005, S. 1–4. 52 Krause, Anneliese: Die Festschrift…, a.a.O., S. 231.
DER „SCHULSTREIT“ VON MADSCHAME Eine Episode kolonialer Bildungspolitik im Spannungsfeld zwischen Mission, Kolonialadministration und einheimischer Bevölkerung Jürgen Becher Die Missionsstation Madschame (heute Maschame) der Evangelisch-Lutherischen Mission zu Leipzig war in den Jahren 1906/07 Schauplatz und Auslöser einer Auseinandersetzung zwischen der kaiserlichen Militärstation bzw. dem Bezirksamt in Moschi und den Missionaren der Station. Ausgetragen wurde der Streit über das Evangelisch Lutherische Missionsblatt zu Leipzig auf der einen Seite und dem Kaiserlichen Gouvernement sowie dem Reichskolonialamt in Berlin auf der anderen Seite. Ausgangspunkt war ein deutlich spürbarer Rückgang des Schulbesuches der afrikanischen Bevölkerung im Verlauf des Jahres 1906. Die Kinder aus den Dörfern im Einzugsgebiet der Missionsstation und ihrer Außenstellen blieben zunehmend der Schule fern. Diese scheinbar unbedeutende und lokal begrenzte Episode wirft ein Schlaglicht auf die Rolle des Missionsschulwesens bei der Bildung und Erziehung der afrikanischen Bevölkerung in Deutsch-Ostafrika. Im folgenden Beitrag wird diese Thematik näher untersucht. Dabei wird auch auf die durchaus unterschiedlichen Ziele und Methoden der agierenden Institutionen im Kolonialstaat – hier die Mission auf der einen und dort die Kolonialadministration auf der anderen Seite – eingegangen. Auch das Agieren der einheimischen Bevölkerung wird einer näheren Betrachtung unterzogen. Im Jahr 1884 wurde mit der kolonialen Annexion in Ostafrika durch die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft der Grundstein für die deutsche Kolonialherrschaft im späteren Tansania gelegt. Vor allem das auf Gewalt setzende Agieren dieser privaten Kolonialgesellschaft führte zu erheblichem Widerstand der einheimischen Bevölkerung und hatte 1888 den Ausbruch des sogenannten Araberaufstandes zur Folge. Nach dessen Niederschlagung wurde Deutsch-Ostafrika am 1.1.1891 unter die direkte Schutzherrschaft des Deutschen Reiches gestellt. Damit wurde das Festland des heutigen Tansania endgültig Teil des deutschen Kolonialreiches. Bis kurz nach der Jahrhundertwende waren die militärische Unterwerfung und „Befriedung“ des Landes die hauptsächlichen Aktivitäten der Kolonialmacht. Die wirtschaftlichen Interessen und das Engagement deutscher bzw. anderer europäischer Unternehmen blieben in dieser Zeit noch sehr begrenzt. Dies
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Jürgen Becher
zeigte sich neben dem geringen Anwachsen der europäischen Bevölkerung vor allem am sehr langsam voranschreitenden Eisenbahnbau. 1 Diese Phase war darüber hinaus geprägt durch eine extensive Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung. Das zeigte sich in straffer militärischer Verwaltung, der Einführung von harten Steuern wie der Hütten- und später Kopfsteuer sowie in der Durchsetzung von Zwangsarbeit zugunsten der Kolonialmacht in Form von sog. Kommunalschamben. Gewalt in Form von Strafexpeditionen, Abbrennen der Siedlungen widerständiger oder steuerverweigernder Dorfgemeinschaften oder harte Gerichtsurteile gegen „aufsässige Eingeborene“ – eine immer wiederkehrende Formulierung in den Akten dieser Zeit – waren der zweite prägende Faktor dieser Phase der militärischen Befriedung der Kolonie. Disziplinierung und Erziehung beruhten vonseiten der Kolonialadministration in der frühen Kolonialisierungsphase, also in der Zeit bis zum Maji-Maji-Aufstand, noch überwiegend auf militärischer Gewalt und repressivem Vorgehen bei Verstößen gegen die von den Europäern aufgestellten Regeln. Das kolonialstaatlich betriebene Regierungsschulwesen entwickelte sich bis Anfang des 20. Jh. sehr schleppend. Unstrittig ist dagegen, dass in der deutschen Kolonialzeit die christlichen Missionen eine Hauptrolle bei der Erziehung, Bildung und Disziplinierung der kolonisierten Bevölkerung spielten. 2 Tatsächlich waren die evangelischen und katholischen Missionsgesellschaften von Beginn an aktiv und bildeten das Rückgrat des kolonialen Schulwesens während der deutschen Kolonialzeit. 3 Dies belegen auch die hier exemplarisch zusammengestellten Schülerzahlen während der gesamten deutschen Kolonialherrschaft: 4
1 2
3
4
Becher, Jürgen: Dar es Salaam, Tanga und Tabora. Stadtentwicklung in Tansania unter deutscher Kolonialherrschaft (1885–1914), Wiesbaden 1995, S. 18 Vgl u. a. Iliffe, John: A modern history of Tanganyika, Cambridge 1979; Koponen, Juhani: German colonial policies in mainland Tanzania, 1884–1914. Development for exploitation, Diss. Helsinki 1993 sowie Wright, Marcia: German missions in Tanganyika 1891–1941. Lutherans and moravians in the southern highlands, London 1971. Ganz allgemein zum Wirken der Mission in DOA siehe u. a.: Eggert, Johanna: Missionsschule und sozialer Wandel in Ostafrika, Bielefeld 1970; Triebel, Johannes: Evangelische Mission in Tansania im Kontext von Kolonialismus und afrikanischer Tradition, in: van der Heyden, Ulrich/von Oppen, Achim (Hrsg.): Tanzania. Koloniale Vergangenheit und neuer Aufbruch, Münster 1996, S. 102–117; Wright, Marcia: German missions in Tanganyika 1891–1941, Oxford 1971; Altena, Thorsten: „Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils“. Zum Selbst- und Fremdverständnis protestantischer Missionare im kolonialen Afrika 1884–1918, Münster 2003; Muson, Robert B.: The Nature of Christianity in Northern Tanzania. Environmental and Social Change 1890–1916, Lanham/Maryland 2013. Quellen für 1905: Jahrbuch über die Entwicklung der Deutschen Schutzgebiete. Beilage zum Deutschen Kolonialblatt (DKB/JB) 1904/05, A.IV, S. 33–55; für 1911: Schlunk, Martin: Die Schulen für Eingeborene in den Deutschen Schutzgebieten, Hamburg 1914, S. 249; für 1913: DKB/JB 1912/13, A.IV, S. 63–65.
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Der „Schulstreit“ von Madschane
Jahr
Schüler an Missionsschulen
Schüler an Regierungsschulen
1905
23.341
3.726
1911
62.335
4.312
1913
108.551
6.100
Im Jahr 1906, als die Schülerzahlen im Gebiet von Madschame dramatisch zurückgingen und den Streit um die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Kolonialbeamten und Missionaren auslösten, tobte im Süden und in den zentralen Regionen des Landes der Maji-Maji-Aufstand. Zwar war die Region am Kilimandscharo nicht unmittelbar davon betroffen und es waren hier keine Kämpfe zu verzeichnen, aber der Aufstand war Höhe- und zugleich Endpunkt der ersten Phase der deutschen Kolonialherrschaft in der gesamten Kolonie. Das nahezu apokalyptische Ende des Maji-Maji-Aufstandes und dessen Niederwerfung durch die Kolonialmacht führten zu einer Neuorientierung der Verwaltungs- und Wirtschaftspolitik in Deutsch-Ostafrika. In deren Folge wurde auch der Bildung der afrikanischen Bevölkerung vonseiten des Staates höheres Gewicht beigemessen. DER „SCHULSTREIT“ VON MADSCHAME – AUSLÖSER, VERLAUF UND HINTERGRÜNDE Die Station Madschame wurde im Oktober 1893 von der Evangelisch Lutherischen Mission zu Leipzig gegründet. Sie hatte das Gebiet am südlichen Kilimandscharo von der Church Missionary Society übernommen, die von der deutschen Kolonialregierung aus dem Gebiet gedrängt wurde, weil ihr unterstellt wurde, für Unruhen der Tschagga mitverantwortlich zu sein. 5 Sie lag im Kerngebiet der sog. Tschaggamission. Ausgangspunkt des Konfliktes mit der Kolonialverwaltung war ein Bericht des Leipziger Missionars Bruno Gutmann im Evangelisch Lutherischen Missionsblatt vom 15. Januar 1907 über seine Arbeit in der neuen Außenstation Masama und den Rückgang der Schülerzahlen im Gebiet von Madschame im Jahr 1906. Darin hieß es: Von dem letzten Stationschef der Militärstation Moschi, der inzwischen von einem Zivilbeamten abgelöst ist [gemeint war der Oberleutnant Abel, er war von Juli 1905–Okt. 1906 Chef der Militärstation Moschi, Anm. d. Verf.], war nämlich seit eineinhalb Jahren wiederholt die Bekanntmachung erlassen worden, daß es ganz und gar freier Wille der Kinder sei. Wenn sie zur Schule kommen wollten und daß sie nicht im Geringsten dazu gezwungen werden dürften. Diese fortge-
5
Altena, Thorsten: „Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils“…, a.a.O., S. 67–68.
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Jürgen Becher setzten Erlasse sind von der Bevölkerung natürlich so aufgefasst worden, als wenn der Schulbesuch und überhaupt die Missionsarbeit von der Regierung nicht gern gesehen werde. 6
Parallel dazu hatte sich die Missionsgesellschaft offenbar mit einer Eingabe an das Reichskolonialamt gewandt und den Rückgang des Schulbesuches thematisiert. Auch darin hat sie auf die Ursachen hingewiesen, die sie in der wiederholten Betonung der Freiwilligkeit des Schulbesuches durch die Beamten des Bezirksamtes sah. 7 Vom Reichskolonialamt um eine Äußerung zu den Anwürfen gebeten, schrieb daraufhin der in dem Bericht erwähnte letzte Militärchef des Bezirksamtes Moschi, Oberleutnant Abel, zwei mehrere Seiten umfassende Briefe an das Reichskolonialamt und stellte klar: Einen Zwang zum Besuch der Missionsschulen habe ich nie auf die Eingeborenen ausgeübt. Diesen meinen Standpunkt habe ich auch mehrfach in mündlicher Besprechung den Missionaren gegenüber vertreten. Jedoch habe ich durch Belehrung und Zureden angestrebt die Häuptlinge und Eingeborenen zu veranlassen, ihre Kinder in die Missionsschulen zu schicken. Hierbei wurde stets betont, dass die Regierung den Missionsbesuch gern sähe.
Die Ursachen des Rückgangs der Schülerzahlen sah er zum einen in der starken Konkurrenz und hohen Dichte der Missionsstationen verschiedener Missionsgesellschaften in dem Gebiet und ganz konkret dadurch, weil bis dahin Kindern bzw. deren Eltern … Bananen und Brennholz weggenommen [wurden] um sie zum Schulbesuch zu zwingen. Dass nach Abstellung dieser unerhörten Zwangsmassregel der Schulbesuch um 30–50 % zurückging, ist erklärlich. Die Schuld dafür aber der Regierung in die Schuhe zu schieben ist die höhere Naivität (sic!).
Schließlich bat er darum, bei der Leipziger Missionsgesellschaft eine Richtigstellung zu erwirken, und machte keinen Hehl daraus, was er von den Missionaren der Leipziger Mission hielt: „Ich bemerke noch, dass die Leipziger Mission, sobald es sich um ihre Interessen handelt, vor Lüge und Verleumdung nicht zurückschreckt.“ 8 Daraufhin trat das Reichskolonialamt an die Direktion der Leipziger Missionsgesellschaft mit der Bitte um Aufklärung heran, die wiederum von ihren Missionaren vor Ort entsprechende Stellungnahmen einholte. Im Bericht des Missionars Emil Müller, 1893 Mitbegründer und langjähriger Leiter der Station Madschame, erklärte dieser, dass durch einen Dolmetscher des Bezirksamtes falsche Informationen an die Häuptlinge der Stationsumgebung gegeben wurden. Demnach sollen einige Missionshilfslehrer Strafen wegen fehlenden Schulbesuchs bei anderen Kindern angewandt haben, die aber vom Bezirksamt ausdrücklich verboten wurden („Schlagen mit dem Kiboko, Wegnahme von Hühnern oder Ziegen“ etc.) Die Missionare stellten dies in Abrede. Außerdem hätte der Dolmetscher wiederholt betont, dass es keinen Zwang gäbe, zur Schule zu gehen.
6 7 8
Evangelisch Lutherisches Missionsblatt, Dresden 1907, S. 35. Bundesarchiv (BArch) R1001, RKA 996, Bl. 69–70: Vermerk an Staatssekretär Dernburg v. 13.12.1906. Ebenda, Bl. 73–82: Brief Oberleutnant Abel an RKA vom 15.01 und 21.01.1907.
Der „Schulstreit“ von Madschane
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Bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1906 klagte mir gegenüber Miss. Jessen, dass der Nsanu [das war der Dolmetscher, Anm. d. Verf.] die Kinder seines Bezirks belehrt habe, sie brauchten nicht in die Schule zu gehen, und dass die Folge davon schlechter Schulbesuch und besondere Frechheit der Säumigen war.
Bei einem Besuch des Oberleutnant Willmann, einem Offizier der Militärstation Moschi, in Madschame Anfang September 1906 belehrte dieser die Bewohner (ohne Wissen des abwesenden Missionars, wie Müller betonte) in ähnlicher Weise: Die zahlreichen versammelten Madschameleute samt ihrem Häuptling Nkulelo wurden endlich noch belehrt, dass die Schule ganz freiwillig und niemand gezwungen sei, es sei aber sehr schön, wenn ihre Kinder in die Schule gingen. Diese Hinzufügung, vielleicht ganz gut gemeint, ist von den Eigeborenen als eine Art der Wahrung des Dekorums aufgefasst und gar nicht beachtet worden. Für sie hatte nur der erste Teil der Belehrung Wert, und sie legten ihn sich so aus … als ob ihnen … gesagt werden solle, sie möchten ihre Kinder überhaupt nicht mehr in die Schule schicken.
Weiter schreibt Müller: Unmittelbar nach jenen Vorgängen [gemeint ist der Besuch Willmanns in Madschame sowie zwei Treffen mit einem Offizier des Bezirksamtes und die ihm von Missionshelfern berichteten Aussagen des Dolmetschers, Anm. d. Verf.) begann der Rückgang unserer Schulen und zwar zunächst dem Lyamango anstoßenden Bezirk Nkun. 250 schulfähige Kinder sind vorhanden, 100 waren bisher erschienen, jetzt waren es manchmal nur 5. Die entlegenen Bezirke zeigten zunächst noch die alten hohen Zahlen, bis die Kunde auch dorthin gedrungen war. Nur Weihnachten, wo jedes Kind eine Schachtel Streichhölzer und 2 Nähnadeln …. geschenkt erhält, besserte sich der Besuch vorübergehend. 9
Bruno Gutmann, der sich insgesamt ähnlich äußerte, schrieb in seiner Stellungnahme vom 8. Juli 1907 vorwurfsvoll mit Blick auf die Kolonialverwaltung in Moschi: Wenn den Regierungsvertretern Bedenken gegen unseren Schulbetrieb kamen, wäre es ein guter Brauch gewesen, wenn sie uns davon verständigt und Gelegenheit zur Verantwortung gegeben hätten. Stattdessen sei ausdrücklich festgestellt, dass in dieser ganzen Zeit an uns niemals eine Frage über unsere Schulpraxis oder die Mitteilung eingelaufener Beschwerden ergangen ist, noch auch eine Andeutung darüber, dass man die Bevölkerung über unbedingte Freiwilligkeit des kindlichen Entschlusses die Schule zu besuchen aufklären wolle oder nicht. 10
Die Vorgänge selbst schildert Gutmann in allen Einzelheiten. Hier sei nur ein Teil wörtlich wiedergegeben: An einem Sonnabend Nachmittag im Mai oder Juni 1905 erschien der Oberleutnant Willmann von Schira kommend als Vertreter des Bwana mkub[w]a [Kiswaiuhili für Bezirksamtmann, Anm. d. Verf.] auf der Aussenstation Usaa in Westmadschame. … In seinem Gefolge befanden sich … Vertreter des Häuptlings, sodann erschien der Häuptling selbst mit seinen Leuten und einigen Akiden von Westmadschame. Außerdem aber sammelten sich sonst noch Leute und sonderlich auch Kinder auf dem Platze vor der Kapelle um zu hören, was der Herr Leutnant (sic!) bekannt machen wollte. Er teilte mir vorher mit, was er zu sagen gedenke, und lud mich ein, neben ihm vor der Kapellentür Platz zu nehmen. Um so erstaunter war ich daher, als der Herr Leutnant nach Erledigung der mir bekannt gegebenen Punkte unvermittelt begann den Eingeborenen auseinanderzusetzen, dass es freier Wille der Kinder sei, wenn sie 9 BArch, R1001, RKA 996, Bl. 116–120: Auszug aus dem Bericht des Missionars Müller. 10 Ebenda, Bl. 104: Auszug aus dem Bericht des Missionars Gutmann vom 8. Juli 1907.
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Jürgen Becher zur Schule kämen oder nicht und dass sie nicht gezwungen werden dürften. Er hat mindestens dreimal das entscheidende Wort wiederholt: Kazi yakwe, das heisst im Sinne des Sprechenden: seine eigene Sache und Angelegenheit. Diese starke Betonung der Freiwilligkeit des kindlichen Entschlusses zur Schule zu gehen oder nicht, konnte psychologisch gar nicht anders auf die Hörer wirken, denn nur als Stellungnahme des Vertreters des großen Herren gegen die Schularbeit. … Allerdings hat der Leutnant nach so scharfer Betonung der unbedingten Freiheit des Kindes gegenüber der Missionsschule auch von einem Nutzen der Schule gesprochen. Er sagte es sei gut, wenn sie zur Schule gingen, denn dann lernten sie Lesen und Schreiben und könnten dann bei den Indern viel Geld verdienen. Dies ist der einzige Punkt, den der Herr Leutnant hervorhob, um eine wohlwollende Stellung zur Schule erkennen zu lassen. Ich musste die Wirkung dieser Begründung schon in den folgenden Tagen spüren. Denn die Mädchen erklärten, sie wollten nun nicht mehr zum Lesen kommen. Es nütze ihnen ja nichts, sie könnten nicht zu den Indern gehen und Geld verdienen. 11
Derart vorgeführt und aufgrund der „Gegenwart auch vieler Kinder“ konnte Gutmann die Sache nicht sofort mit dem Oberleutnant klären. Stattdessen teilte er den Vorfall dem damaligen Geschäftsführer der Leipziger Mission im Kilimandscharogebiet, Missionar Fassmann, mit, der deshalb mit dem Chef der Militärstation (Hauptmann Fonk) darüber sprach. Fonk hatte dann „in dankenswerter Weise … dazu Stellung genommen“ und die Missionare mussten „über keine weitere Störung in unserem Schulbetriebe klagen“ 12. Letzteres bezog sich offenbar auf die zweite Jahreshälfte 1905. Ab Anfang 1906 wurden dann in dem Gebiet Swahili Dolmetscher eingesetzt, vor allem mit dem Ziel, der nicht Swahili sprechenden Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, die Verhandlungen/Schauris am Bezirksamt besser zu verstehen. Zugleich aber verbreiteten sie auch Bekanntmachungen des Bezirksamts in der Region. Missionar Gutmann stellt dazu fest: Im Januar und Februar 1906 setzten nun die Bekanntmachungen dieser schwarzen Vermittler in Westmadschame ein. Sie teilten den Leuten mit, wie (sic!) der bwana mkubwa nicht wolle, dass die Kinder zur Schule gezwungen würden. Man darf wohl sagen, dass sie in dieser Zeit geradezu eine Agitation von Hof zu Hof entfaltet haben. Eines Tages haben sie meine beiden Hülfslehrer, welche nach Westmadschame gingen, auf dem Wege aufgehalten und ihnen gesagt: wenn sie es wagten, die Kinder zur Schule zu zwingen, so würden sie gebunden und nach Moschi geliefert. Nun sei gleich bemerkt, dass die von den Schülern aus eigener Initiative geübte Schuldisziplin auch von ihnen selbständig geübt wird. Unseren Hülfslehrern ist verboten, daran teilzunehmen. 13
Gutmann meinte hier eine Tradition unter den Tschagga, die einer Art gemeinschaftlicher, autochthoner Gerichtsbarkeit gleichkommt. Das heißt, dass die Tschagga bestimmte Sachen untereinander seit jeher selbst geregelt und auch disziplinarisch geahndet hätten. Dazu zählte er auch, dass Kinder, die nicht zur Schule kamen, von den eigenen Leuten in der Weise bestraft wurden, dass ihnen z. B. Bananen o. Ä. weggenommen wurden. Hier handelt es sich offenbar genau um jenes Verhalten, das vom Bezirksamt gerügt und schließlich unterbunden wurde (s. o.). Gutmann schreibt dazu: 11 Ebenda, Bl. 105–106. 12 Ebenda, Bl. 107: Auszug aus dem Bericht des Missionars Gutmann vom 8. Juli 1907. 13 Ebenda, Bl. 108.
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Der „Schulstreit“ von Madschane
Jener Dolmetscher namens Nsanu wo Kyada hat … dieses Thema in freierer Weise behandelt: dass der große Herr nicht wolle, wenn die Kinder lesen gingen. Ganz gewiss ist das nun nicht der Inhalt seiner auf der Boma gegebenen Anweisung und Belehrung gewesen, aber ebenso gewiss musste es doch für mein persönliches Urteil sein, dass eine Anweisung in dieser Richtung von neuem ergangen war, sonst wäre das Verhalten der Dolmetscher undenkbar gewesen.
Außerdem sollen sich die Kinder in einigen Gegenden … recht frech und herausfordernd gegen die Lehrgehülfen benommen und z. B. gesagt haben: wenn sie geschlagen werden wollten, sollten sie nur auf die Boma kommen. 14 Der Missionar unterstellte also hier den Vertretern der Kolonialadministration ganz offensichtlich, dass sie durch ihre Äußerungen oder Anweisungen den Schulbesuch der Kinder der Gegend bei den Missionsstationen torpedierten. Er glaubte offenbar fest daran, dass das Bezirksamt die Freiwilligkeit des Schulbesuches betont und die Versuche der Missionare, im Alltag eine Art Schulpflicht durchzusetzen, unterbinden wollte. Dabei sah er durchaus keine Anzeichen von absichtlichem Widersetzen gegen die Schule bei den Afrikanern, „sondern die objektiv gewiss falsche aber sehr erklärliche Meinung, der Regierung sei der Schulbesuch unangenehm, oder, wie die Leute sich äusserten: der grosse Herr liebe es nicht, dass die Kinder lesen.“ 15 In der Tat wurde diese Interpretation seitens der örtlichen Bevölkerung offenbar dadurch verursacht, weil die Vertreter der Kolonialregierung diesbezügliche Äußerungen offenbar wiederholt vor den Afrikanern kundtaten. Dies geht jedenfalls aus beiden Berichten der Missionare hervor. Egal ob dies nun den Tatsachen entsprach oder nicht – es zeigt doch, dass die unterschiedlichen Ansätze von weltlicher und missionarischer Schulpolitik und -praxis nach wie vor latent waren. Letztendlich waren es aber oft rein ökonomische Gründe, die die Kinder von den Missionsschulen fernhielten. Auch Gutmann war dies offenbar durchaus bewusst, so berichtete er davon, dass die Kinder in der Tschaggaregion gewöhnlich das Gras für die Viehhaltung holten, 16 wodurch sie eben keine Zeit zum Schulbesuch hatten. Die nachfolgende Tabelle verdeutlicht noch einmal den Rückgang des Schulbesuches in den Gebieten um Madschame und Moschi. 17 Ende 1905 Christl. „Heidn.“ Schüler Schüler Schüler Gesamt Madschame 15 1.599 1.614 Mamba 9 308 317 Moschi 31 845 876 Ort
14 15 16 17
Christl. Schüler 23 20 53
Ende 1906 „Heidn.“ Schüler 313 113 375
Schüler Gesamt 336 133 428
Ebenda, Bl. 107: Auszug aus dem Bericht des Missionars Gutmann vom 8. Juli 1907. Ebenda, Bl. 109. Ebenda, Bl. 110. Die Tabelle wurde zusammengestellt auf Grundlage der im Evangelisch Lutherischen Missionsblatt abgedruckten Statistiken. Für 1905: Ev. Luth. MB, Dresden 1906, S. 342–343; für 1906: Ev. Luth. MB, Dresden 1907, S. 278–279.
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Die Statistik zeigt die Schülerzahlen in den drei wichtigsten Stationen am Kilimandscharo, einschließlich ihrer Außenstationen. Die „christlichen Schüler“, das waren in der Regel Kinder der direkt auf dem Stationsgelände lebenden Familien und sog. Kostschüler, die in einem Internat auf der Station lebten, waren dabei verschwindend gering und vernachlässigbar. Die sog. heidnischen Schüler waren in der Regel die Kinder der im Einflussgebiet der Stationen lebenden Tschaggafamilien, die nicht zum christlichen Glauben übergetreten waren. Sie bildeten im Wesentlichen die Gesamtschülerzahl. Der Rückgang von 1905 zu 1906 war dabei im Einflussgebiet der Station Madschame besonders dramatisch. Bezogen auf Ende 1905 (1.614 Schüler) kamen Ende 1906 nur noch etwa 20 % nach Madschame und seinen Außenstationen zur Schule. Diese Zahl ist noch dramatischer als der in den veröffentlichten Berichten genannte Durchschnittswert, wo von einem Rückgang um 30–50 % die Rede war. Es sei denn, man rechnet noch einige Außenstationen wie Masama hinzu. Wie sehr der wirtschaftliche Zwang und später insbesondere die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, die wirklichen Hemmnisse eines Schulbesuches waren, lässt sich auch an einer Schilderung der Situation in Masama von 1908/1909 ablesen: Das Jahr 1908 ist für Masama ein Jahr der Dürre nach Außen und innen gewesen, und dieser Zustand hielt auch noch das erste Halbjahr 1909 an. Gottesdienst und Schulunterricht wurden nicht mehr so gut besucht wie zuerst. Der Häuptling ließ in seinem anfänglichen Eifer nach, die Kinder zum Schulbesuch zu nötigen und die Säumigen oder vielmehr deren Eltern zu bestrafen. Viele Kinder zogen es vor, auf den Pflanzungen der Europäer in der Nähe sich zu verdingen und Geld zu verdienen. 18
Gegenüber 1906, als der Konflikt zwischen Mission und Bezirksamt um den zurückgehenden Schulbesuch kulminierte, kam nun noch ein wichtiger Faktor hinzu, der sich nachteilig auf die Bestrebungen der Missionsgesellschaften auswirkte und von denen nur hingenommen werden konnte: die zunehmende wirtschaftliche Entwicklung einhergehend mit der vermehrten Etablierung von europäischen Unternehmen in der Kolonie und die damit verbundene Verbreitung der Ware-GeldBeziehungen. SCHULWESEN UND ERZIEHUNGSSYSTEM IN DEUTSCH-OSTAFRIKA Eine wesentliche Säule der kolonialen Herrschaftspraxis war die Erziehung und Disziplinierung der kolonisierten Bevölkerung. Auch in Deutsch-Ostafrika trug das Schulwesen dazu bei. Dies galt besonders für die Missionsschulen. Sie bildeten neben den Gottesdiensten den Kern der missionarischen Erziehung. Neben der Kirche, dem Missionar und der Möglichkeit zu arbeiten gehörte die Schule zu den wichtigsten, für die Afrikaner täglich sichtbaren und erfahrbaren Orten der Missionstätigkeit. 18 Adolphi, Heinrich: Am Fuße der Bergriesen Ostafrikas. Geschichte der Leipziger Mission am Kilimanjaro und in den Nachbargebirgen. Neu bearb. und bis auf die Gegenwart fortgeführt von Johannes Schanz, Leipzig 1912, S. 118–119.
Der „Schulstreit“ von Madschane
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Praktisch jede Missionsstation hatte ein oder mehrere (in den Außenstationen) ‚Schulgebäude‘. Auch wenn es mancherorts nur ein überdachter Platz, ausgelegt mit Matten und ausgestattet mit einer großen Tafel war. … Die Missionsschulen repräsentierten eine in Raum und Zeit sich vollziehende Verselbständigung des Lernens in planmäßigen Unterrichtsprozessen sowie die Allgemeinheit der Institution Schule und ihres zunehmenden Monopols auf dem Sektor Bildung. 19
Diese zunehmende Monopolstellung zeigt sich u. a. darin, dass im Jahr 1913 den 108.551 Missionsschulen in der Kolonie ganze 6.100 Regierungsschulen gegenüberstanden. 20 Die Missionsstationen und die von ihnen betriebenen Schulen spielten also eine herausragende Rolle im Bildungswesen der Kolonie. Sicher war es vor allem das religiöse Ziel der „Bekehrung der Heiden zum Christentum“, wie es damals im allgemeinen Sprachgebrauch hieß. Dabei grenzten sich die Missionsgesellschaften durchaus in ihren Zielen deutlich von den damaligen gesellschaftlichen und staatlichen Kolonialzielen ab. So betonte die Generalversammlung der Leipziger Missionsgesellschaft anlässlich der Übernahme der Stationen der des Landes verwiesenen anglikanischen Missionare der Church Missionary Society am Kilimandscharo, „dass man sich nicht in den Dienst der kolonialen Bewegung in Deutschland stellen, nicht statt dem Reiche Gottes dem Deutschen Reiche dienen wolle“ 21. Ihr Hauptziel war vor allem der Aufbau einer Volkskirche und die Etablierung einer Volksbildung. 22 Johanna Eggert schrieb dazu in ihrer grundlegenden Studie über das evangelische Missionsschulwesen in DOA bezogen auf die Leipziger Missionsgesellschaft: […] die Schule [war] nach Leipziger Auffassung eine eminent wichtige Voraussetzung für die Errichtung einer Volkskirche, in der jeder Christ auf Grund einer gründlichen Volksbildung nicht nur zum besseren Verständnis des Evangeliums, sondern auch zur optimalen Entfaltung seiner Fähigkeiten und damit zu gewissem materiellen Wohlstand gelangen könne. 23
Tatsächlich lag das primäre Missionsziel, gerade in den ersten Dekaden der Kolonialherrschaft in der Verbreitung des Christentums in den Kolonien. Die Auffassungen über die Rolle des Missionsschulwesens und seiner Ausgestaltung waren diesem Ziel untergeordnet. Dementsprechend wehrte sich der überwiegende Teil der evangelischen Missionen vor allem zu Beginn der Kolonialisierung Tansanias dagegen, als Instrument der Kolonialpolitik, die in der Regel eine nationalistische war, funktionalisiert zu werden. Das traf insbesondere für die Leipziger Missionsgesellschaft zu. Schon allein um ihre Unabhängigkeit zu untermalen und nicht in den Ruf zu geraten, „eine kritiklose Kolonialmission zu betreiben“, war sie grund19 Adick, Christel: Historisch vergleichende Bildungsforschung und die Entwicklungslogik der „langen Wellen“ der Schulgeschichte, in: dies./Krebs, Uwe (Hrsg.): Evolution, Erziehung, Schule. Beiträge zur Anthropologie, Entwicklungs-Psychologie, Humanethologie und Pädagogik, Erlangen 1992, S. 251–267. 20 DKB/JB 1912/13, A.IV, S. 63–65. 21 Fleisch, Paul: 100 Jahre Leipziger Mission, Leipzig 1936, S. 267; zit. in: Triebel, Johannes: Evangelische Mission…, a.a.O., S. 107. 22 Triebel, Johannes: Evangelische Mission…, a.a.O., S. 112. 23 Eggert, Johanna: Missionsschule…, a.a.O.
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sätzlich kritisch gegenüber der Kolonialadministration eingestellt und geriet mit dieser immer wieder in Konflikte. 24 In dieser ständigen Reibung ist möglicherweise auch eine Ursache zu sehen, warum die Frage des sinkenden Schulbesuches gerade 1907 eine an den Akten ablesbare umfassende „Beschäftigung“ der übergeordneten Kolonialbehörden in Dar es Salaam und vor allem in Berlin nach sich zog. Denn wie oben bereits angerissen, fiel der „Schulstreit“ gerade in jene Umbruchphase, als in Berlin Staatssekretär Bernhard Dernburg und in Dar es Salaam der neue Gouverneur Freiherr von Rechenberg das Ruder übernahmen und eine neue Kolonialpolitik in die Praxis umsetzten, bei der auch die Missionen eine kooperativere Rolle als bisher spielen sollten. Das Selbstverständnis der Mission in der frühen deutschen Kolonialperiode brachte Gustav Warneck, Theologe und Missionstheoretiker, zum Ausdruck: So würde auch die Mission ihre Aufgabe verfehlen, wollte sie nur oder wollte sie an erster Stelle den Heiden helfen aus dem mannigfachen Nöten ihres irdischen Lebens. Ja, sie bringt auch diese Hilfe, aber sie bringt sie durch Leute, welche zuerst Boten des Evangeliums sind und die es als ihre Hauptaufgabe ansehen, das Evangelium in die Herzen der Heiden zu pflanzen. 25
Allerdings durchlief die Haltung der Missionsgesellschaften, so auch der Leipziger Mission, hinsichtlich der Aufgaben ihrer Bildungs- und Erziehungsarbeit während der deutschen Kolonialzeit einen Prozess der Entwicklung in Richtung zunehmendem Gleichklang mit den Zielen des kolonialstaatlichen Bildungswesens. Dabei waren die Auffassungen der verschiedenen Missionen bezüglich des Grades der weltlichen Bildung und der über das Missionsziel hinausgehenden weltlichen Aufgaben der Missionsschulen durchaus unterschiedlich. So schrieb noch 1906 der Missionsdirektor der Herrnhuter Brüdergemeine, O. Hennig, über die Bildungsziele seiner Gesellschaft: Wozu bilden und erziehen wir? Die Besprechung der A.M.K. [Allgemeine Missions Konferenz, Anm. d. Verf.] hat uns die Antwort bereits gegeben. Um das Volk für den Empfang des Christentums vorzubereiten und es zur Mitarbeit an seiner Ausbreitung heranzuziehen. [handschriftl. Randbemerkung: „Nur Dazu?“!!!, Anm. d. Verf.] Daraus ergibt sich unser Bildungsideal. Es kann und darf nicht ein europäisches sein. Der ganze Betrieb des Schulwesens ist also nicht anzulegen auf ein möglichst großes Wissen von vielen und fremden Dingen, für die der Afrikaner heute noch gar keinen Bedarf hat, sondern es gilt, die für die Aufnahme des Christentums notwendigen Grundlagen zu schaffen. 26
Allerdings standen die Herrnhuter mit dieser ausgeprägt evangelisierenden Haltung in der evangelischen Missionsbewegung schon recht isoliert da. So konnten selbst Vertreter der befreundeten Berliner Missionsgesellschaft dieses Ideal offenbar nicht mehr ohne Einschränkungen teilen. Denn bei dem hier zitierten Memorandum Hennigs handelt es sich um eine Abschrift, die sich in den Akten der Berliner Missionsgesellschaft befindet. Die oben zitierte handschriftliche Randbe24 Altena, Thorsten: „Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils“…, a.a.O., S. 68. 25 Warneck, Gustaf: Die Aufgaben der Heidenmission und ihre Trübungen in der Gegenwart, in: Allgemeine Missions Zeitschrift, Berlin 1891, S. 105. 26 Berliner Missionswerk, Archiv, I,5,57, Bd. 1: Abschrift eines „Memorandum betr. das Schulwesen in D.O.A. von MD O. Hennig“, Herrnhut, S. 2.
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merkung „Nur dazu?“ stammt also ohne Zweifel aus der Feder eines Berliner Missionars, wahrscheinlich des damals sehr einflussreichen Missionsinspektors Karl Axenfeld. Dabei verfolgte auch die Berliner Missionsgesellschaft bis ins erste Jahrzehnt des 20. Jh. eine Linie, die sie mit dem Leitgedanken „Die Schule folgt der Gemeinde“ umschrieb und dabei ebenfalls in der Evangelisierung ihre wichtigste Aufgabe sah. 27 Die Schule sollte vor allem als Elementarschule Grundlagen für die religiöse Bildung schaffen. Weltliche Bildung wurde noch als sekundär eingestuft. Auch Hennig selbst relativiert das von ihm proklamierte Bildungsziel noch in demselben Text, als er nämlich auf die praktische Ausgestaltung der Schulziele zu sprechen kommt. So sollte neben Lesen und Schreiben bereits in der untersten Stufe des Missionsschulsystems Rechnen unterrichtet werden. Eine Fähigkeit, die in erster Linie auf Verwaltungs- oder wirtschaftliche Aufgaben hinweist, also die Missionsschüler in die Lage versetzen sollte, auch im weltlichen Sektor zu arbeiten. Wobei er betonte, dass „dem Volk eine wirklich gute, sich immer erweiternde Bildung zugänglich“ gemacht werden müsse. 28 Dies deutet ebenfalls auf das o. g. maßgebliche Ziel der Missionsgesellschaften hin, eine allgemeine Bildung im Sinne einer Volksbildung unter den Afrikanern zu etablieren. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sahen die Missionen in der weltlichen Bildung eine zunehmend wichtigere Aufgabe. Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Bericht des Regierungslehrers Krumm aus dem Jahr 1911 über seinen Besuch bei englischen Missionsstationen in Wagogo. Dort wurde, um der Bevölkerung entgegenzukommen, sogar zum Teil völlig auf Religionsunterricht verzichtet und in den Dörfern lediglich Rechnen und Lesen gelehrt. 29 Wie sehr dieser Sinneswandel auch mit dem Grad der kolonialen Durchdringung und der wirtschaftlichen wie verwaltungsmäßigen Inbesitznahme der Kolonie verbunden war, zeigt auch die Tatsache, dass im Inland der Kolonie, wo es fast ausschließlich Missionsschulen gab, noch längere Zeit lediglich Schreiben und Lesen von biblischen Texten in der jeweiligen „Volkssprache“ sowie Singen und religiöse Unterweisung den Lehrplan bestimmten. 30 Der Berliner Missionar Ludwig Weichert brachte diese Entwicklung in einem Rückblick auf die evangelische Missionsarbeit während der deutschen Kolonialzeit sehr treffend zum Ausdruck: Wohl alle Missionen strebten aber besonders nach Charakterbildung ihrer Schüler und fanden darin – namentlich nach der Jahrhundertwende – in wachsendem Maße die moralische und auch vielleicht die gesetzgeberische Unterstützung der Regierungen und in den Kolonialbehörden die tatkräftige Hilfe einzelner Persönlichkeiten. Erziehung zu systematischer geordneter Arbeit war das gemeinsame Ziel. 31
27 Eggert, Johanna: Missionsschule…, a.a.O., S. 130. 28 Berliner Missionswerk, Archiv, I,5,57, Bd.1: Abschrift eines „Memorandum betr. das Schulwesen in D.O.A. von MD O. Hennig“, Herrnhut, S. 4. 29 Tanzania National Archive, G 55/10: Bericht des Lehrers Krumm über seine Reise nach Mpapua und Kilimatinde v. 29.5.1911, Abschn. 3: Missionsschulen, S. 5–10. 30 Vgl. Lehrplan der Missionsschule Ipole, der Brüderunität, ebenda S. 42. 31 Weichert, Ludwig: Kehre Wieder Afrika, Berlin 1927, S. 135.
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Tatsächlich waren die im Alltag immer wieder auftretenden Spannungen und Differenzen zwischen Missionaren und Kolonialadministration, insbesondere auf Bezirksebene, mit zunehmender Entwicklung der Kolonie eher Ausdruck kleinerer Differenzen und nicht strukturell oder gar systematisch bedingt. Zusammenarbeit auf dem Feld der Erziehung bestimmte zunehmend die Aktivitäten sowohl der Missionsgesellschaften als auch der Kolonialadministration. In diese Kategorie ist wohl auch der Streit um den sinkenden Schulbesuch in Madschame im Jahr 1906 einzuordnen. Die Kolonialadministration hatte jedenfalls kein Interesse daran, den Konflikt eskalieren zu lassen. So empfahl der zuständige Beamte in einem abschließenden Vermerk an den Chef des Reichskolonialamtes Staatssekretär Dernburg, darauf zu verzichten, im Evangelischen Missionsblatt eine Berichtigung zu erwirken und „die Sache jetzt einfach nicht weiter zu verfolgen“, zumal „Die Öffentlichkeit … an der fraglichen Stelle im Missionsblatt vorübergegangen ist, ohne davon Notiz zu nehmen.“ Der Vermerk endet mit dem Vorschlag: Wenn der Regierung mit einer Erklärung der Mission gedient sein sollte, wonach die Äußerungen der Militärstation offenbar von den Eingeborene, die durch Agitation aufgehetzt seien, missverstanden wären, oder durch eine Erklärung ähnlicher Art, so würde ich gern bereit sein, in solchem Sinne auf die Missionsdirektion einzuwirken. 32
Diesem Vorschlag wurde am Ende entsprochen und auf eine Berichtigung verzichtet. Staatssekretär Dernburg bat den Gouverneur in Dar es Saalam, dies den beteiligten Offizieren und Beamten entsprechend mitzuteilen, womit die Angelegenheit dann endgültig zu den Akten gelegt wurde. 33 Der Administration war klar, dass die Missionsschulen letztendlich einen wesentlichen Beitrag zum Transfer der kulturellen und sozialen Werte und Muster der europäischen Herrscher auf die afrikanische Bevölkerung leisteten. Disziplinierung, also Unter- und Einordnung in das System des Kolonialstaates, war das weltliche Ergebnis der missionarischen Erziehung, auch wenn es nicht unbedingt das eigentliche Ziel der Bemühungen der Missionare war. Die Missionsgesellschaften leisteten damit einen Beitrag zur Entwicklung einer kolonisierten Bevölkerung, die den Anforderungen eines kolonialen Staatswesens und einer Kolonialwirtschaft gerecht werden konnte. Dieser Beitrag wurde mit zunehmender Entwicklung der Kolonie immer größer und wichtiger. In den küstennahen Gebieten, einschließlich der Kilimandscharoregion, wo sich die Station Madschame befand, war die zahlenmäßige Dominanz der Missionsschulen gegenüber den Regierungsschulen während der deutschen Kolonialzeit besonders stark. Die am stärksten mit dem Kolonisierungsprozess konfrontierten Bevölkerungsteile wurden also während der deutschen Kolonialzeit überwiegend in den Missionsschulen europäischer Bildung und Erziehung unterzogen. Die folgende Schulstatistik der in diesem Gebiet tätigen Missionsgesellschaften mag dies verdeutlichen: 34 32 BArch, R1001, RKA 996, Bl. 102: Vermerk an Staatssekretär Dernburg vom 22.9.1907. 33 Ebenda, Bl. 123: Schreiben Dernburgs an den Gouverneur in Dar es Salaam vom 28.9.1907. 34 Quellen: 1905: DKB/JB 1904/05, A.IV, S. 33–55; 1911: M. Schlunk 1914, Die Schulen für Eingeborene in den deutschen Schutzgebieten, Hamburg, S. 192–231, S. 289–290.
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Der „Schulstreit“ von Madschane
1905
1911
Nr. Schulträger
Schulen Schüler Schulen Schüler
9.
196
15.650
382
23.587
10. Regierungsschulen Küste/ Kilimanjaro
43
3.519
64
2.875
11. Schulen Küste/Kilimandscharo
239
19.169
446
26.462
27.067
1.001
66.647
Missionsschulen (ev. und kath.)
12. Kolonie Gesamt
1905 besuchten ca. 70 % aller Schüler der Kolonie Schulen in der im Verhältnis zur Gesamtkolonie vergleichsweise kleinen Küsten- und Kilimandscharoregion. Von diesen erhielten über 80 % ihren Unterricht in einer Missionsschule. Im Jahre 1911 war dieser Anteil sogar weiter gewachsen: Während sich die Zahl der Schüler nunmehr stärker auf die gesamte Kolonie verteilte – nur noch etwa 40 % aller Schüler konzentrierten sich in der Küsten- und Kilimandscharoregion –, betrug der Anteil der Missionsschüler in diesem Teil der Kolonie nunmehr fast 90 %. DAS FERNBLEIBEN VOM SCHULBETRIEB ALS MOMENT DER WIDERSTÄNDIGKEIT? Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, ist der Konflikt um den mangelnden Schulbesuch im Gebiet von Madschame in den Kontext eines bereits ausgeprägten und gut entwickelten Missionsschulwesens in der Region am Kilimandscharo einzuordnen. Das Fernbleiben vom Schulbetrieb der Missionsstation war sicher weniger ein Ausdruck von bewusstem Widerstand, sondern vielmehr des Beharrens und des Wahrens eigener Werte und Positionen. Die Missionare deuteten dieses Verhalten hingegen als Widerständigkeit oder zumindest ablehnende „halsstarrige“ Haltung. Der Soziologe Alf Lüdtke hat für dieses Verhalten bezogen auf deutsche Fabrikarbeiter im 19./20. Jh. das Konzept von „Eigensinn“ oder „Eigen-Sinn“ entwickelt: Eigensinn zeigte viele Ausdrucksformen: Herumgehen, Sprechen ... Neckereien – kurz, Eigensinn war ein ‚Bei-sich-selbst-sein‘ und ein ‚Mit-anderen-sein‘. Dadurch missachteten die Arbeiter die laufenden Arbeitsprozesse bzw. die Fabrikordnungen, wie sie von der Leitung ersonnen waren, wenn sie sie auch nicht unmittelbar stören wollten. 35
Übersetzt auf die Verhältnisse in Deutsch-Ostafrika war das Fernbleiben von der Schule also keine prinzipielle Ablehnung der Autorität der Missionare. Eher war dieses Verhalten wohl ein Austesten der Grenzen, wie weit die Afrikaner sich den Missionaren im Alltag widersetzen und ihren eigenen selbstbestimmten Alltag 35 Lüdtke, Alf: Eigen-Sinn, Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993, S. 140.
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leben konnten. „Eigen-Sinn“ kam im Bereich der Schule vor allem darin zum Tragen, dass die Eltern ihre Kinder nicht, wie es die Missionare wünschten und wie es z. T. in den Stationsordnungen festgelegt war, zum Unterricht schickten. Hiervon waren nicht nur die Leipziger Missionsstationen betroffen. Der Konflikt in Madschame war nämlich keinesfalls ein Einzelfall. Bereits 1893 schrieb der Missionar der Berliner Missionsgesellschaft Wangemannshöh in sein Tagebuch: […] seit einigen Tagen habe ich wieder eine kleine Anzahl von Knaben zum Besuch des Schulunterrichts bewegen können, so dass sie fast regelmäßig erscheinen, aber die Zahl ist noch sehr gering. Es ist doch zu schwer Kinder an regelmäßigen Unterricht zu gewöhnen, so lange sie nicht von den Eltern dazu gezwungen werden. 36
Einen vergleichbaren Vorfall wie den in Madschame gab es 1908 auch im Gebiet der Berliner Missionsgesellschaft. Dabei war das Vorgehen des Berliner Missionars Priebusch in Lupembe Ausgangspunkt eines Konfliktes mit der örtlichen Militärstation. 37 Dieser hatte „eigenmächtig“, wie seine Berliner Vorgesetzten gegenüber dem Reichskolonialamt betonten, die für Deutsch-Ostafrika gültige Platzordnung der Berliner Missionsgesellschaft, die bei Nichtbefolgung der Regeln – unter anderem gehörte dazu ein Schulzwang für Kinder – Verwarnungen vorsah, mit seinen eigenen Vorstellungen ergänzt, indem er „solche Verwarnung unter Umständen in die Form der Beschlagnahme einiger Hacken bei den Eltern hartnäckig säumiger Schüler gekleidet“ hat. 38 Doch die Stationsbewohner waren über ihre Rechte und offenbar auch über vorhandene Spannungen zwischen Missionar und Bezirksamt informiert. Also beschwerten sie sich über Priebusch bei der Militärstation Ndzombe, die „die Beschlagnahme für rechtswidrig erklärt[e] und den Schülern eröffnet hat, daß ‚es Schulzwang für die Regierung nicht gibt‘“. 39 Damit war die Sache aber noch nicht erledigt. Im Gegenteil, sie nahm für den Missionar noch einen ziemlich unglücklichen Verlauf. Sein Widerspruch führte nämlich zu einer nochmaligen, öffentlichen Demütigung. 40 Damit hatten es die afrikanischen Stationsbewohner fertiggebracht, ohne direkten Widerstand, ja sogar unter Einbeziehung der Kolonialmacht, Widerständigkeit gegenüber dem Missionar zu praktizieren. Die Haltung der Afrikaner zur Schule, resp. zur europäischen Bildung war aber eine durchaus differenzierte. Es gab offenbar ein deutliches Gefälle in der Bereitschaft zur Adaption des europäischen Bildungsangebots, das mit der kolonialen Durchdringung und der Präsenz der kolonialen Gesellschaft korrelierte. So war auch die 1904 geäußerte Klage der Herrnhuter Brüderunität, dass hinsichtlich des Besuches ihrer Schulen im Umfeld von Rungwe und Rutenganjo (Nyassaprovinz, Bez. Langenburg) „von einem Eifer zu lernen leider immer noch nicht gere-
36 37 38 39 40
BMG, III,8,1, Bd.1 Stat.akte Wangemannshöh, TB G.Hübner, 1.Q. 1893, Bl. 146. Vgl. BArch, R1001 RKA 862. BArch, R1001, RKA 862, Bl. 88, Komitee der BMG an RKA, vom 2.4.1909. Ebenda. Ebenda.
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det werden“ kann 41, durchaus typisch für die lange Zeit skeptische Haltung der Bewohner in den peripheren Regionen der Kolonie zur europäischen Schule. In krassem Gegensatz dazu steht die etwa zeitgleiche Bemerkung der Leipziger Missionare, dass in ihren Schulen im Bezirk Moshi „Auch manche Männer und Jünglinge ... in die Schule“ kommen und dort „mit Eifer“ lernen. 42 Das Pendeln der Afrikaner zwischen Widerständigkeit und Anpassung im Umgang mit den Vertretern der Kolonialherrschaft war selbst ein dynamischer Prozess und änderte sich insbesondere nach 1907 mit der Umsetzung der neuen kolonialpolitischen Grundsätze. Die durch die europäische Kolonialgesellschaft initiierte gesellschaftliche Transformation führte zunehmend dazu, dass die afrikanische Bevölkerung sich dem ökonomischen und sozialen Druck der kolonialen Verhältnisse anpassen musste, um in dieser Gesellschaft zu überleben. Das heißt, die afrikanische Bevölkerung wurde nicht allein mittels repressiver und administrativer Methoden beherrscht. Gedrängt durch soziale und ökonomische Zwänge, ergriff sie auch zunehmend selbst die Initiative, sich in die koloniale Gesellschaft zu integrieren. Eine ihrer Möglichkeiten war die Akzeptanz der europäischen Bildung als Mittel sozialer Mobilität und Lebensbewältigung unter den Bedingungen einer zunehmend auf Ware-Geld orientierten Gesellschaft. Die in diesem Aufsatz geschilderte Episode im Alltag der Kolonie DeutschOstafrika wirft ein Schlaglicht auf die oben beschriebene Rolle des Schulwesens im kolonialen Staat. Dabei zeigte sich, dass das gemeinsame Ziel von christlichen Missionsgesellschaften und staatlichen Institutionen und den dabei Handelnden nicht spannungsfrei verlief und vor allem hinsichtlich der Methoden durchaus zu Differenzen, aber auch Missverständnissen führen konnte. Gerade Letzteres wurde von der Bevölkerung auch genutzt, um dem ihnen aufgedrückten System der Bildung und Erziehung zumindest in Teilen zu widerstehen oder ihre eigenen Interessen zu vertreten. Letztendlich waren die Missionsstationen und ihre Schulen Teil der kolonialen Infrastruktur und wichtige Orte der Interaktion zwischen Europäern und Afrikanern. Allein aufgrund ihres Engagements in allen Regionen der Kolonie war sie ein Hauptpfeiler der kulturellen Durchdringung der afrikanischen Gesellschaften mit europäischem Ideen- und Gedankengut. Sie trug dabei – gewollt oder ungewollt – auch zur Begründung und Reproduktion der politischen Hegemonie der europäischen Kolonialmacht bei. In den Schulen, im Gottesdienst und im Stationsalltag wurden die afrikanischen Bewohner nach europäischem Modell geformt, oder es wurde zumindest versucht. 43
41 DKB/JB 1904/05, A.V, S. 40. 42 Ebenda, S. 44. 43 Becher, Jürgen: Die deutsche evangelische Mission. Eine Erziehungs- und Disziplinierungsinstanz in Deutsch-Ostafrika, in: Wirz, Albert et al. (Hrsg.): Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im kolonialen Tansania (1850–1960), Köln 2003, S. 143.
CHRISTLICHE MISSION ALS AGENS KULTURELLER TRANSFORMATIONSPROZESSE IM 19. JAHRHUNDERT AM BEISPIEL DER TAGEBUCHAUFZEICHNUNGEN EINES HOHEN REGIERUNGSBEAMTEN Dagmar Bechtloff Ulrich van der Heyden kenne und schätze ich seit einem Vierteljahrhundert. Wir luden ihn seitens der Universität Bremen zu einem Vortrag innerhalb einer Ehrenvorlesungsreihe zu Ehren von Wilfried Wagner ein. 1 Ulrich van der Heydens Eigenschaften: Großes Sachwissen und eine spannende Vortragsweise gepaart mit unkompliziertem, überaus freundlichem und hilfsbereitem Wesen wirkten auf mich, die als junge Assistentin gerade mit einem post-doc-Projekt aus Madagaskar zurückgekommen war, ungemein beruhigend und herzlich. Dieser erste Eindruck wurde mit den Jahren durch den großen Respekt vor seiner persönlichen und wissenschaftlichen Lebensleistung vertieft. Ich wünsche ihm von Herzen alles erdenklich Gute! Aus dem post-doc-Projekt zu Madagaskar entstand die Habilitationsschrift, die sich mit technischen und zivilisatorischen Transfers in der Früh- und Endphase europäischer Expansionsbestrebungen beschäftigt. Von zentraler Bedeutung war hierbei immer das Missionswerk der christlichen Kirchen. 2 Fragen nach der Dynamik transkulturellen Wandels und der Bedeutung des christlichen Missionswerkes während dieses Prozesses innerhalb der madagassischen Gesellschaft haben mein Forschungsinteresse seither mitgeprägt. Für das 19. Jahrhundert haben wir das große Glück, über die Tagebuchaufzeichnungen des Christen und hohen Regierungsbeamten Rakotavao zu verfügen. Sie geben uns sehr persönliche Einblicke, ob und wie christliche Mission innerhalb des kulturellen Transformationsprozesses im 19. Jahrhundert den Einzelnen bewegte. 3 Um einen Vergleich der Bedeutung der Mission zwischen Mittel- und Oberschicht 1 2 3
Vgl. van der Heyden, Ulrich: Martinus Sewushan – Gründer einer Afrikanischen Unabhängigen Kirche in Südafrika, in: Rothermund, Dietmar (Hrsg.): Grenzgänge. Festschrift zu Ehren von Wilfried Wagner, Hamburg 2004, S. 171–191. Vgl. Bechtloff, Dagmar: Madagaskar und die Missionare. Technisch-zivilisatorische Transfers in der Früh- und Endphase europäischer Expansionsbestrebungen, Stuttgart 2002. Siehe hierzu auch meinen Beitrag „Königin und Kirche. Protestantische Mission und Modernisierung der madagassischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert. The Queen and her Church. Protestant Mission and Modernization of the Malagasy Society in 19th Century“, in: Fuchs, Martin/Linkenbach, Antje/Reinhard, Wolfgang (Hrsg.): Individualisierung durch christliche Mission?, Wiesbaden 2015, S. 572–581.
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zu ermöglichen, werden diese Aussagen mit denen eines anderen, aus dem Hochadel stammenden Christen ergänzt. Im Folgenden soll die Frage, inwiefern die christliche Mission Agens kultureller Transformationsprozesse innerhalb der madagassischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war, anhand folgender Aspekte untersucht werden: Wie verhielt sich der Einzelne 1. hinsichtlich Monogamie, d. h. wurden mehr als eine Gattin geheiratet? 2. hinsichtlich Liebe und Barmherzigkeit, die über den Familienverband hinausging, d. h. welche Haltung wurde gegenüber Sklaven/Sklaverei eingenommen? 3. bezüglich des monotheistischen Glaubens, beispielsweise wurden Teile des vorchristlichen Kultes beachtet, übernommen, abgelehnt oder uminterpretiert? 4. letztlich: Welche Rolle spielten Bildung (Lektüre), Wahrheit und Freiheit, beispielsweise wenn nicht der Rang der Familie, sondern die freie Entscheidung des Einzelnen den Lebensentwurf bestimmten. Dese Punkte werden eingebettet in die biografischen Aussagen Rakotavaos und dann mit jenen verglichen, die über das Leben des zehn Jahre älteren, berühmten Hofbeamten und Historikers Raombana bekannt sind. Dieser entstammte dem Hochadel und lebte von 1809 bis 1854 und soll bis an sein Lebensende protestantischer Christ gewesen sein. Zunächst jedoch zur Lebensgeschichte Rakotovaos. Er kam 1829, also ein Jahr nach Regierungsabtritt Königin Ranavalonas I., in Antananarivo zur Welt, verbrachte seine Kindheit jedoch zum größten Teil außerhalb der Hauptstadt im Fianarantsoa. Als junger Mann ließ er sich taufen. 4 Bereits zu diesem Zeitpunkt war ihm bewusst, dass ihn seine Entscheidung für den christlichen Glauben das Leben kosten könnte. 1847 notierte er in seinem Tagebuch, dass er sich mit einer kleinen Gruppe von Gläubigen zu einem nächtlichen Gebet in den Hügeln um die Hauptstadt versammelt hätte. Hätte man sie, so schreibt er, dabei überrascht, so wären sie verhaftet und vor die Königin gebracht worden. Diese hätte sie, ohne zu zögern, hinrichten lassen. 5 Zwei Jahre später kam es zur ersten großen, landesweiten Welle der Christenverfolgung. Vordergründig richtete sich der königliche Zorn, wie die Königin in einer öffentlichen Ansprache an ihr Volk zum Ausdruck brachte, gegen den verderblichen Einfluss der christlichen Religion auf die Sitten des Landes. Hierzu gehörte nach Auffassung der Königin der von den Christen praktizierte rituelle Genuss von Alkohol sowie deren Missachtung der eigenen Eltern und Ahnen. Stattdessen hätten die christlichen Missionare ihre Untertanen angehalten, fremde Ahnen zu verehren. Dieser schändliche Glaube und seine Vorschriften, so Ranavalona I., brächten zwangsläufig eine Verrohung eigener Sitten und Traditionen mit sich. Im Anschluss an die königliche Rede wurden achtzehn Christen hinge4 5
Vgl. Cohen-Bessy, Annick (Hrsg.): Journal d’un malgache du xix siècle. Le livre de Rakotovao, Bd. 1, Paris 1991, S. 26. Vgl. ebenda, Bd. 1, Nr. 11, S. 95.
Christliche Mission als Agens kultureller Transformationsprozesse
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richtet, indem sie teils bei lebendigem Leib verbrannt, teils die schroffen Abhänge beim Königspalast zu Tode gestürzt wurden. 6 Die Abneigung der Königin gegen die christliche Religion und ihren negativen Einfluss auf Moral und Sitte wurde durch ihre Erfahrungen mit dem eigenen Sohn und Nachfolger Radama verstärkt. Der junge Mann verstand die christliche Religion vor allem als Freibrief für seine Ausschweifungen. Insbesondere der erste Teil der Feststellung des Paulus, dass dem Christen zwar alles erlaubt sei, doch nicht alles nütze, müssen ihn überzeugt haben. Seine Trinkgelage führten rasch zu einer Alkoholabhängigkeit. Jährlich feierte der Prinz mit seinen Freunden das Weihnachtsfest mit einer ausschweifenden Orgie. 7 Abgesehen von diesen persönlichen Gründen, die die Königin in ihrem Widerwillen gegen christliche Einflüsse bestärkten, befand sie sich in einem politischen Dilemma, denn sie war durchaus gewillt, von europäischen Errungenschaften zu profitieren. Kriegstechnische Innovationen benötigte sie, um die Macht der Imerina über die gesamte Insel auszudehnen. Gleiches galt für ziviltechnische Neuerungen und die Einrichtung einer effizienten (Steuer)Verwaltung. Letzteres setzte Beamte voraus, die mindestens Lesen, Schreiben und Rechnen konnten. Gleichzeitig beherrschten jedoch nur Absolventen der Missionarsschulen diese Kenntnisse. Das Leitinteresse der britischen Missionare, die christliche Religion zu verbreiten, war zwar nicht deckungsgleich mit den Zielen der britischen Madagaskarpolitik, die vorsahen, zu möglichst geringen Kosten dauerhafte verbündete Fürsprecher auf Madagaskar zu gewinnen. Doch beides hatte letztlich dazu geführt, dass während der Regierungszeit Ranavalonas I. die Mehrheit der administrativen, militärischen und technischen Fachleute der mittleren Ebene der christlichen Religion nahestanden. So brachte Rakotovao seine besondere Begabung für Zahlen und Rechnen die erste Stellung ein: Sekretär der Imerinaverwaltung in Fianarantsoa. 8 Von klein auf faszinierten ihn Zahlen, Münzen und alles, was damit zusammenhing. Dieses Interesse und die mathematische Begabung wurden während seiner Schulzeit an einer Missionsschule besonders gefördert. Bereits als Jugendlicher zeigte er großes Geschick darin, Geld gewinnbringend zu verleihen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren dies für Madagassen höchst seltene und seltsame Leidenschaften. Ein eigenes Münzwesen gab es auf der Insel nicht, stattdessen basierte die Wirtschaft bis zum Ende der Kolonialzeit auf dem mexikanischen Silberpeso, der für kleinere Geschäfte in Stücke gebrochen und abgewogen wurde. Kaufleute mochten sich für eine solch profane Verwendung von Münzen begeistern, der Adel tat es nicht. Für den 275 kg schweren Silbersarg des Königs Radama I. wurden 1828 ohne wirtschaftliche Bedenken die nötige Anzahl Silberpesos eingeschmolzen. 9
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Ebenda, Bd. 1, Nr. 18, S. 103. Ebenda, Bd. 1, Nr. 36 u. 37, S. 123–124. Ebenda, Bd. 1, S. 25. Cameron, James: Recollections of Mission Life in Madagascar during the Early Days of the LMS Mission, Antananarivo 1874, S. 7.
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Nach zeitgenössischen Schätzungen erlitten zwischen 1835 und 1861 mehr als zehntausend Menschen im Reich der Imerina mit der Begründung, sie würden als „Christen“ den Umsturz der Regierung anstreben, den Tod. 10 Voller Entsetzen und Furcht hatte sich Rakotovao ab 1849 nach außen hin dem christlichen Glauben abgewandt, 11 doch äußerte er sich in seinem Tagebuch umso deutlicher. An einem Sonntag des Jahres 1854 notierte er „Ich bin der tiefen Überzeugung, dass ... man nur Ihm (Gott) allein vertrauen kann“ und führte weiter aus, es sei für ihn ein unverständlicher Widerspruch zwischen dem tiefen Hass der Königin auf das persönliche Gebet an den unsichtbaren Gott und der Tatsache, dass sie Steine und Bäume als Gottheiten verehre. 12 Genau diese Einstellung war es, die christliche Madagassen zu Staatsfeinden der Königin machte, denn dergleichen Haltung bedrohte unverhüllt die traditionelle politische Legitimation des Staatsoberhauptes. Diese lag in seiner Rolle als Verbindungsglied zwischen der Welt der Ahnen und jener der Lebenden. Erst dadurch wurde er zum obersten religiösen und damit auch politischen Führer seines Volkes. Wenn aber für die Verbindung zwischen Mensch und Gott nur das persönliche Gebet nötig war, erwies sich die Legitimation der königlichen Macht, so wie sie die Königin begründete, als hinfällig. Diese Erkenntnis brachte Rakotovao in einen Dauerkonflikt mit den ihn umgebenden starren Strukturen traditioneller Herrschaftslegitimation der Königin. Vor die Wahl gestellt, diesen Konflikt zu benennen und getötet zu werden oder zu schweigen, zog er Schweigen vor – auch wenn er seinem Tagebuch deutliche Sätze anvertraute. Erst mit dem Tod der Herrscherin waren die Jahre der inneren Emigration für Rakotovao vorbei. Nun konnte er sich öffentlich zu seinem christlichen Glauben bekennen. Zum Zeitpunkt des Regierungsantritts des neuen Königs Radama II. im Jahr 1862 gab es noch schätzungsweise zweitausend Gläubige in etwa dreißig Gemeinden. 13 Die Tatsache, dass es neben der protestantischen noch eine katholische christliche Kirche gab, wurde Rakotovao erst mit der Verkündigung des Gesetzes der Religionsfreiheit im Jahr 1862 bewusst. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang seine Tagebucheintragung, in der er sich zum staatstragenden Selbstverständnis der eigenen protestantischen Gruppe äußert. So habe, schreibt er, König Radama II. bei einem Treffen mit Vertretern der katholischen und der protestantischen Kirche gesagt, die katholische Kirche solle den Schulunterricht jener Kinder übernehmen, deren Eltern sie zur Schule schicken wollten, sowie Sklaven ein 10 Bei den Zahlenangaben handelt es sich um sehr allgemeine Schätzungen, da Unterlagen fehlen. Micheline Rasoamiaramanana schreibt in ihrem Aufsatz, im Anschluss an die öffentliche Ansprache der Königin im Februar 1835 seien allein in der Hauptstadt 2.400 Personen verfolgt worden, siehe Rasoamiaramanana, Micheline: Le rejet du christianisme au sein du royaume de Madagascar (1835–1861), in: Hübsch, Bruno (Hrsg.): Madagascar et le Christianisme, Antananarivo 1993, S. 227. 11 Cohen-Bessy, Annick (Hrsg.): Journal d’un malgache…, a.a.O., Nr. 218, S. 201. 12 Eintrag vom Sonntag, alakaosy 1854, veröffentlicht in ebenda, Nr. 29, S. 116. 13 Raison-Jourde, Françoise: Dérives constantinienne et querelles religieuses (1869–1883), in: Hübsch, Bruno (Hrsg.): Madagascar et le Christianisme…, a.a.O., hier S. 278–279. Sie bezieht sich auf Quellen der LMS. Heute leben ca. dreizehn Millionen Menschen auf Madagaskar.
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Handwerk lehren, wenn deren Besitzer es wünschte. Hingegen sollten adlige Familien, Offiziere, alle Reichen, letztlich alle Einwohner der Hauptstadt, Protestanten sein. 14 Die Unterscheidung zwischen einer katholischen christlichen Kirche für die körperlich arbeitende Bevölkerung und einer protestantischen für die gebildete Elite fand Rakotovaos Zustimmung. Nach der spektakulären Taufe von Radamas II. Witwe, Königin Ranavalonas II., im Jahr 1869 stieg die Zahl der Christen rasch auf schätzungsweise 153.000 Personen, die in 463 Gemeinden organisiert waren, und erreichte 1880 sogar die Zahl von 225.460 Gläubigen, die in insgesamt 1.024 Gemeinden strukturiert waren. Genaue Zahlen zur damaligen Gesamtbevölkerung gibt es nicht, doch wird vermutet, dass rund zwei Drittel der Madagassen ihrer Königin folgten und sich taufen ließen. 15 Im Anschluss an die Taufzeremonie errichteten die Königin und ihr Premier umgehend die sogenannte Palastkirche als eigenständige madagassische Kirche. Vorbild ihres hierarchischen Aufbaus war die Anglikanische Kirche. Dies bedeutete, dass die Herrscherin an der Spitze der Kirche stand, die sich gleichzeitig als typisch nationale Kirche verstand. Die Tatsache, dass das britische Weltreich von einer Frau, Queen Victoria, geleitet wurde, die ebenfalls höchste Repräsentantin der nationalen protestantischen Kirche war, wurde zwar nicht explizit als Argument für die Gründung der madagassischen Palastkirche gebraucht, doch verstand sich die Madagaskars Königin als „Schwester“ Viktorias. Wie sehr Queen Victoria Vorbild für Ranavalonas II. Bemühen um Modernität war, drückte sich bildhaft in Habitus einschließlich Figur, Kleidung und Frisur der madagassischen Monarchin aus. Unter Ranavalona II. begann Rakotovaos zweite Karriere. 16 Die Königin machte ihn zum christlich-geistlichen Berater der Regierung. 1864 zum Pastor ordiniert, vertrat er eine vehement protestantische Position und wurde so zu einer der zentralen Persönlichkeiten, die im Auftrag seiner Königin missionierten und tauften. Später ernannte die Königin Rakotovao zum Regierungsvertreter bei der Neuübersetzung des Buches der Sprüche, 17 die er gemeinsam mit James Cameron durchführte. 18 14 „Chez vous les catholiques, ceux qui prient sont les enfants envoyées par leurs parents ou des serviteurs dont les proprietétaires veulent qu’ils apprennent un travail d’artisanat. En maintenant, regardez qui font partie des protestants: Ce sont les Adriana, les officiers, les riches, tous les fils et toutes les filles d’Antananarivo“, Cohen-Bessy, Annick: Journal d’un malgache…, a.a.O., Bd. 1, Nr. 60, S. 131. 15 Raison-Jourde, Françoise: Dérives constantinienne et querelles religieuses (1869–1883), in: Hübsch, Bruno (Hrsg.): Madagascar et le Christianisme…, a.a.O., hier S. 278–279. Sie bezieht sich auf Quellen der LMS. Heute leben ca. 13 Millionen Menschen auf Madagaskar. 16 Er machte bis zum Ende des souveränen Madagaskars eine beeindruckende Karriere. Neben seinen Aufgaben als Militärberater wurde er 1881 in den ‚Rat der 13 Experten‘ berufen, die den Gesetzeskodex der 305 Artikel vorbereiteten. Nach dem Sieg der Franzosen über Madagaskar zog er sich von allen Ämtern zurück und gründete ein Waisenhaus. 17 Cohen-Bessy, Annick: Journal d’un malgache…, a.a.O., Bd. 1, S. 27. Auf eine poetische Psalmenübersetzung wurde größter Wert gelegt. Die madagassische Sprache und Kultur ist
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Die soziale Zwittergruppe, zu der Rakotovao aufgrund seiner Herkunft gehörte, führte dazu, dass ihm die Zulassung zu einem Amt am Hof Königin Ranavalonas I. sowie ihrer beiden Nachfolger verwehrt wurde. 19 Dank seiner erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen im Kreditwesen gelang es ihm gleichwohl, im Staatsdienst zu verbleiben und die 26 Jahre der Terrorherrschaft Ranavalonas I. relativ unbehelligt zu überleben – ja sogar einen gewissen Wohlstand zu erlangen. 20 So zählte er aufbauend auf eigene Lebensleistungen das eigene Haus, Nahrung und Kleidung zu den Grundbedürfnissen des Menschen, wobei ein gewisser Komfort sowie ein Besitzstand, der vererbt werden könne, zu den Grundvoraussetzungen eines gelungenen Lebens zähle. 21 Mit seiner Herkunft haderte Raombana hingegen nie, entstammte seine Familie doch dem Hochadel. Er war Zeit seines Lebens stolz auf seine familiäre Herkunft, die ihm zwar einerseits die Verpflichtung vorgab, einer Vorbildfunktion innerhalb der Gesellschaft gerecht zu werden, andererseits freilich mit Privilegien verbunden war, die er gerne für sich in Anspruch nahm. Radama I. hatte ihn und seinen Zwillingsbruder ausgewählt, Teil einer kleinen Gruppe Madagassen zu sein, die in England eine Schul- und Berufsausbildung erfuhr. Die beiden Zwillinge sollten eine höhere Ausbildung durchlaufen und zu zukünftigen Hofbeamten erzogen werden. 22 Zunächst, in den ersten beiden Jahren (1821–1823) blieb die Gruppe in London und erhielt an der British and Foreign School Society sowie der Borough Road School, die von der LMS ausgewählt worden waren, Unterricht. Im Anschluss wurden sie getrennt auf ihre jeweilige berufliche Zukunft vorbereitet, wobei die Ausbildungszentren die modernsten in Großbritannien waren. Einer der Jugendlichen wurde in die Waffenfabrik von Woolwich geschickt, die anderen drei Jungen gingen nach Manchester, wo sie als Interne der Leaf Square Academy unterrichtet wurden. Zwei von ihnen besuchten die technisch-naturwissenschaftliche Abteilung. Zu den drei in London verbliebenen Jugendlichen gehörten auch die Zwillinge Ravoalavo und Tatotozy, die für die Entstehung des modernen Merina-Staates eine bedeutende Rolle spielen sollten. Ravoalavo, der später den Namen Rahaniraka annahm, wurde nach seiner Rückkehr einer der höchsten Hofbeamten Ranavalonas I. sowie später auch Radamas II. Sein Bruder, der seinen Namen in Raombana änderte, diente seinen Herrschern ebenfalls als Ratgeber. Er gilt als
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überaus reich an Sprichwörtern, Rätseln, Gedichten und Gesängen, siehe hierzu Razafindramiandra, M. N.: Reichtum und Probleme der madagassischen Literatur, Bonn 1983. Cohen-Bessy, Annick: Journal d’un malgache…, a.a.O., Bd. 1, S. 166–167. Erst unter Ranavalona II., die sich demonstrativ taufen ließ und die christliche Religion zur Staatsreligion erklärte, stand seiner Familie die Ämterlaufbahn im Dienste der Krone offen, ebenda, Bd. 1, S. 27. Ebenda, Bd. 1, S. 32–38. Ebenda, Bd. 1, Nr. 110, S. 177–179. Ayache, Simon: Le voyage de Rahaniraka en Angleterre et son retour à Madagascar (1820– 1829), in: BAM Nouvelle Série 31, 1953, S. 37–40 und ders.: Radama I et les Anglais. Les négociations de 1817 d’après les surces malgaches, in: Omaly sy Anio, 1976, S. 9–104. Ravarika kehrte 1826 in die Heimat zurück und die Zwillinge im Jahr 1828.
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erster Historiker seines Landes, wobei er die Geschichte der Merina, die er 1853 schrieb, bezeichnenderweise in englischer Sprache verfasste. 23 Die Zwillinge verbrachten acht Jahre in Europa, doch obgleich sie in dieser Zeit ihre Muttersprache verlernt hatten und Raolombelona, der bereits 1826 nach einer Ausbildung zum Weber und Maschinisten nach Madagaskar zurückgekehrt war, für sie dolmetschen musste, lebten sie sich bald wieder ein. Gerade die Zwillinge fühlten sich ihrer akademischen Ausbildung auch nach ihrer Rückkehr in die Heimat verbunden, gründeten sie doch eine Schule, auf der auch u. a. die beiden späteren Premierminister der Merina (Rainilaiarivony und Rainandriamampandry) ihre Ausbildung erhielten. 24 Wie ihre Reisegefährten hatten sie neben der guten Schulausbildung eine intensive christliche Unterweisung erhalten. Letztere legten sie, zurückgekehrt nach Madagaskar, rasch ab. Wie Simon Ayache ihn charakterisierte, war er der Seigneur-Adrianasinnavalona (= Fürst) – d’Anosy, der „Gentleman von Madagaskar“ und der „Palastsekretär der Königin“. Die Heimkehr der letzten jungen Männer fiel in das Jahr der Thronbesteigung Königin Ranavalonas I. Sie offerierte den Zwillingen, beide Verwaltungsfachleute, sogleich hohe Regierungsposten und Zuwendungen, die ihnen die Eingewöhnung erleichterten. Jeder von ihnen erhielt 300 Pesos, um Pferde zu kaufen, sowie je 600 Pesos für den Erwerb eines standesgemäßen Hauses. 25 Im Gegenzug erwiesen sie sich ihrerseits als loyale Beamte und der Tradition verpflichtete Untertanen. Sie besaßen mehrere Ehefrauen und verblieben auch in den Jahren heftigster Christenverfolgung in ihren Stellungen. Kommen wir abschließend nochmals zu den vier Aspekten, die zu Beginn genannt wurden. 1. Wie verhielten sich die beiden Persönlichkeiten Rakotavao und Raombana hinsichtlich Monogamie? Heirateten sie mehr als eine Frau, hatten sie mehr als eine Familie? Ließen sie oder ihre Gattinnen sich scheiden?
23 Die von ihm benutzte Sprache zeigt, an wen sich dieses Werk in erster Linie richtete: an die Europäer, denen nahegebracht werden sollte, dass die eigene Geschichte und Kultur jenen Europas durchaus ebenbürtig seien. Sie verstanden sich, dies zeigen auch die Berichte der madagassischen Diplomaten während der Europareise 1836/37, als gleichberechtigte Partner der britischen und französischen Regierungen, die Kenner beider Welten, der europäischen und der madagassischen, waren. Ihr Interesse war hierbei weniger die Vermittlung europäischer Vorstellungen an ihre Königin, als die Demonstration eigenen Selbstverständnisses und -bewusstseins gegenüber, als arrogant empfundenen, fremden Mächten. Aufschlussreich ist seine Beschreibung des kindlichen Kulturschocks, den er bei seiner Ankunft in Großbritannien erlitt. In seinen Erinnerungen schreibt er, dass nicht nur sie als kleine Kinder die Engländer für Kannibalen hielten, sondern auch umgekehrt, die Engländer Madagassen als „schwarze, kannibalische, kraushaarige Hottentoten“ betrachteten, vgl.: Ayache, Simon (Hrsg.): Raombana, Histoires Bd. 2: Madagascar sous Radama 1er. Vers l’unification de l’île et la civilisation nouvelle (1810–1828), Antananarivo 1994, A1, S. 779–781. 24 Ayache, Simon: Raombana l’historien…, a.a.O., S. 78–87. 25 Valette, Jean: Le voyage de Rahaniraka en Angleterre et son retour à Madagascar (1820– 1829), in: BAM, Nouvelle Série, Bd. 31 (1953), S. 40.
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Rakotavao heiratete als junger Mann. In seinem Tagebuch finden sich zu den persönlichen Gründen für die Eheschließung und die Ehe nur karge Hinweise. Sein Vater habe diese Ehe gewünscht. 26 Andererseits schreibt Rakotavao im Tagebuch, seine Gattin habe materielle Ansprüche auf seinen Besitz u. a., weil sie ihn gegen den Wunsch ihrer Familie geheiratet habe. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor. Insgesamt ist Rakotavao bezüglich dieser Ehe und Familie überaus wortkarg. Er legte Wert darauf, die Gattin sowie die gemeinsamen Kinder materiell angemessen zu versorgen. Sie erhielten ein Drittel der während der Ehe erwirtschafteten Güter. Damit entsprach Rakotavao allerdings nur der Gesetzeslage, da die Ehefrau grundsätzlich Anspruch auf ein Drittel des während der Ehe erwirtschafteten Vermögens hatte. 27 Obgleich im protestantisch christlichen Glauben eine Scheidung möglich war, verzichtete das Ehepaar darauf. Man einigte sich auf eine Trennung. Mit Raketaka fand Rakatavao schließlich sein Lebensglück. Gleichwohl verzichteten die beiden auf eine kirchliche Eheschließung. Anders als bei den Kindern der ersten Familie wurde der stolze Vater nicht müde, Anekdoten über sie in seinem Tagebuch zu notieren. Die Regelmäßigkeit, mit der jede Geburt freudig begrüßt und jeder Kindestod beklagt wurden, spricht für eine glückliche Gemeinschaft des Paares. 28 Auch Raombana hatte Kinder von mehr als einer Frau. Im Gegensatz zu Rakatavao, dessen Haltung deutlich zwischen erster und zweiter Gemeinschaft unterschied, wählte Raobana bewusst drei Gattinnen: Rasihantra, Rabodo und Raketakan, von denen die erstgenannte ihn überlebte, die zweite sich von ihm trennte und die dritte Lieblingsgattin und Mutter eines der insgesamt elf Kinder Raombanas wurde. 29 2. Wie verhielten sich Rakatavao und Raombana hinsichtlich Liebe und Barmherzigkeit, die über den Familienverband hinausging, d. h., welche Haltung wurde gegenüber Sklaven/Sklaverei eingenommen? Liebe und Barmherzigkeit nicht nur gegenüber der eigenen Familie bzw. dem Familienclan, sondern auch gegenüber Fremden auszuüben, gehört zu den grundlegenden Merkmalen des Christentums. Innerhalb der madagassischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts berührten die Gesetze gegen Sklavenstatus und Sklavenhandel den größten Teil der Untertanen des Reiches persönlich, sei es, weil sie Sklave waren oder Sklaven hatten, auf deren Dienste sie nun verzichten mussten. Dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl der Besitzenden entsprechend, galt Raktavaos Mitgefühl ganz den Besitzern der ‚Mozambikaner‘ 30, dies war das Synonym für Sklaven auf Madagaskar, die ohne ihre Sklaven hilflos der Verarmung ausgesetzt sein würden. 31 Raombana erlebte die Zeit der Sklavenbefreiung auf Madagaskar nicht mehr. Zu seinen Lebzeiten war zwar der Sklavenhandel nicht mehr möglich, wohl aber 26 Cohen-Bessy, Annick: Journal d’un malgache…, a.a.O., Vol. 1, S. 31. 27 Im Jahr 1868 wurden im Kodex der 101 Artikel, dem 1885 der Kodex der 305 Artikel folgte, Gesetze schriftlich fixiert und veröffentlicht. 28 Cohen-Bessy, Annick: Journal d’un malgache…, a.a.O., Vol. 1, Nr. 81 u. Nr. 120. 29 Ayache, Simon: Raombana l’historien…, a.a.O. S. 100–101. 30 Zeitgenössisches madagassisches Synonym für Sklaven. 31 Cohen-Bessy, Annick: Journal d’un malgache…, a.a.O., Bd 1, Nr. 106.
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der Besitz von Sklaven. Insgesamt übernahm er die Haltung, die seinen König Radama I. bewogen hatten, auf das englische Angebot – Aufgabe des Sklavenhandels gegen englische Waffen, militärische Ausbildung und Erziehung der Jugendlichen in England – einzugehen. 32 Hiervon unbetroffen blieb der Sklavenstatus der bisherigen Sklaven, d. h., für Raombana stellte sich nicht die Herausforderung, der sich Rakatavao gegenübersah, tatsächlich auf die familieneigenen Sklaven verzichten zu müssen. 3. Wie verhielten sich die beiden bezüglich des monotheistischen Glaubens, beachteten sie beispielsweise den vorchristlichen Kult, wurden Teile übernommen, abgelehnt oder uminterpretiert? Die religiöse Vorstellungswelt des vorchristlichen Madagaskars wurde durch den Ahnenkult geprägt. Für die Verbindung zwischen Dies- und Jenseits war die Verehrung der toten Ahnen, die Kenntnis der Wünsche der Götter hatten und diese den Lebenden mitteilen konnten, zentral. Damit verbunden waren die Kenntnis der eigenen Familie und Abstammung; sie waren grundlegend für ein glückliches und erfolgreiches Leben. Beide, Rakatavao wie Raombana, verstanden sich als Christen. Raombana starb, obwohl er sich in den Jahren, die er in England verbrachte, nicht taufen ließ, im Schoß der christlich-protestantischen Kirche. 33 Gleichwohl war sein Verhältnis zur christlichen Religion komplex. Er wurde weder vor noch während seines Englandaufenthaltes getauft. Doch bedankte er sich nach seiner Rückkehr nach Madagaskar überschwänglich bei seinen englischen Lehrern der LMS, die ihm das Wort Gottes gezeigt hätten, und wünschte sich, alle madagassischen Kinder könnten – wie er – anhand der Texte der Heiligen Schrift Lesen lernen. 34 4. Bildung (Lektüre), Wahrheit und Freiheit (nicht der Rang der Familie, sondern die Gnade Gottes bestimmt Platz im Ewigen Leben). Rakatavo besuchte die Missionsschule in Madagaskar, Raombana gehörte zu der ersten handverlesenen Gruppe der Jugendlichen, die Radama I. zur Ausbildung nach England schickte. Bildung war für beide Persönlichkeiten ein sehr hohes Gut. Rakotovao besuchte in Fianarantsoa eine Missionarsschule, wo er nicht nur Rechnen, sondern auch Lesen und Schreiben erlernte. Zu den Obliegenheiten, die Radama I. den protestantischen Missionaren der London Missionary Society zugewiesen hatte, gehörte die Verschriftlichung der madagassischen Sprache; den Missionaren galt die Übertragung der Bibel ins Madagassische als drängendster Auftrag. Lesen und das Schreiben lernte der kleine Rakotovao also mithilfe der Bibel. Schon als Schüler hatte sich sein Interesse an allem, was mit Zahlen, Münzen und Geld zusammenhing, gezeigt. Diese Begabung wurde während seiner Schulzeit an einer Missionsschule besonders gefördert. Diese Bedeutung, die Schulbildung zugesprochen wur-
32 Ayache, Simon: Raombana l’historien…, a.a.O., S. 232. 33 Ebenda, S. 29. 34 Ebenda, S. 94.
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de, spiegelt sich auch in Rakotovaos Tagebuchnotizen wider, in denen er voll väterlichem Stolz von den schulischen Erfolgen der Töchter und Söhne berichtet. 35 Die zwiespältige Haltung der Königin gegenüber der mittleren Führungsschicht, deren Stellung primär auf ihren Fachkenntnissen und weniger auf ihrer adligen Herkunft beruhte, zeigte sich im Falle von Rakotovao während der Verfolgungswelle des Jahres 1849. Er bekannte sich schuldig und schwor der christlichen Religion öffentlich ab, im Gegenzug durfte er weiterhin seinen Posten im Gefolge der Königin behalten. Als Truppensekretär war er vor allem mit logistischen Aufgaben betraut. Die Bedeutung dieses Postens wird angesichts der insularen Eroberungsfeldzüge der Königin deutlich. Der wohl wichtigste und dauerhafte Beitrag der christlichen Mission zur Veränderung der madagassischen Gesellschaft war Förderung bei der Entstehung einer Mittelschicht für die Gesellschaft des Landes. In den Tagebüchern Rakotovaos tritt uns eine individuelle Persönlichkeit entgegen, die nicht zum Hochadel, sondern zur neu entstandenen Mittelschicht technisch-administrativer Fachleute gehört. Bereits die Tatsache, dass Rakotovao ein Tagebuch führte, in dem er nicht nur Ereignisse notierte, sondern über sich, sein Handeln und die Beweggründe für sein Tun reflektierte, hob ihn aus dem traditionellen gesellschaftlichen Selbstverständnis heraus. Zwar mögen beide Königinnen versucht haben, eine Modernisierung unter Beibehaltung des konservativen Herrschaftsmodells zu erreichen, doch lag ein wesentlicher Unterschied in dem Selbstverständnis der neuen Elite. Ihre Mitglieder bestanden darauf, als Individuen wahrgenommen und beurteilt zu werden. Rakotovaos Ergebenheit gegenüber seinen Königinnen stand nicht im Widerspruch zu seiner persönlichen Unabhängigkeit. Er verstand sich während der Zeit der Christenverfolgung unter Ranavalona I. als individueller Gläubiger dem Allmächtigen gegenüber. Für ihn reduzierte sich die Legitimation königlicher Macht Ranavalonas I. auf Aberglaube und sinnentleerte Rituale. Ranavalona II. besaß Rakotovaos Respekt und Gehorsam, weil er sie als Repräsentantin der christlichen Kirche und als eine von Gott eingesetzte Herrscherin sah. Er verehrte sie aber nicht als existenziell notwendiges Verbindungsglied zwischen dies- und jenseitiger Welt. Obgleich sie aus unterschiedlichen sozialen Sphären stammten und zudem unterschiedlichen Generationen angehörten, hatte sich Raombanas Weltbild verändert. Die Schuljahre und die Erziehung, die er in England genossen hatte, machten ihn grundsätzlich skeptisch gegenüber religiösen Allmachtsansprüchen weltlicher Herrscher.
35 Cohen- Bessy, Annick: Journal d’un malgache…, a.a.O., Bd. 1, Nr. 138.
DER VERSTEHENSHORIZONT DER MISSIO ANTIQUA DER KAPUZINER IM KONGO-REICH (1645–1835) Mariano Delgado Die Missio antiqua der Kapuziner im Kongo-Reich (1645–1835) gehört zur dritten Phase in der Missionsgeschichte, 1 die mit den Entdeckungsfahrten begann und durch den Eifer geprägt ist, mit dem Europa, zunächst das katholische Europa unter der Führung der iberischen Monarchien, seine Religion und Kultur in Übersee verbreiten wollte. Verglichen mit dem Interesse an Amerika und Asien spielt dabei Afrika missionarisch nur eine Nebenrolle. Die Stunde Afrikas kommt erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Schatten des westlichen Imperialismus, also in der vierten Phase der Missionsgeschichte. Und das Erwachen Afrikas in der Kirche und der Weltgemeinschaft findet um die Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Entkolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Diese Ereignisse, verbunden mit der Gründung des Weltkirchenrats und dem Zweiten Vatikanischen Konzil schließen dann die vierte Phase der Missionsgeschichte ab und eröffnen zugleich die fünfte, in der wir uns heute befinden, die Phase der Globalmission mit Schwerpunkt in der südlichen Weltkugel und mit Religionsfreiheit, Interkulturalität und interreligiösem Dialog als prägenden Merkmalen. 2 Man hat die Missio antiqua der Kapuziner „the most important mission sent to Africa by Rome before the middle of the nineteenth century“ 3 genannt. Ein ausführliches Kapitel darüber fehlt in keinem wichtigen Werk über die Kirchengeschichte Afrikas. 4 Dank des Quellenführers von Teobaldo Filesi und Isidoro de Villapadierna sind wir heute über die vielen Quellen (Dekrete, Instruktionen der Propaganda fide sowie Berichte, Briefe, Chroniken, Katechismen und linguistische Werke der Kapuziner), die in den Archiven schlummern und von denen nur
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Vgl. z. B. Sievernich, M.: Epochen der Evangelisierung. Ein kurzer Blick auf eine lange Geschichte, in: Krämer, K./Vellguth, K. (Hrsg.): Evangelisierung. Die Freude des Evangeliums miteinander teilen (ThEW 9), Freiburg 2015, S. 21–39; Schmidlin, J.: Die Missionsunterschiede der drei kirchlichen Zeitalter (Altertum, Mittelalter und Neuzeit), in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, Nr. 1, St. Ottilien 1923, S. 12–20. Vgl. Sievernich, M.: Epochen der Evangelisierung…, a.a.O., S. 38. Gray, R.: Christianity, the Papacy and Mission in Africa, ed. with an Introduction by Lamin Sanneh, Maryknoll/New York 2012, S. 27. Vgl. dazu u. a.: Hastings, A.: The Church in Afrika 1450–1950, New York 1994; Baur, J.: Christus kommt nach Afrika. 2000 Jahre Christentum auf dem Schwarzen Kontinent. Aus dem Englischen übersetzt, überarbeitet und ergänzt von B. Muth-Oelschner, Fribourg/Stuttgart 2006, S. 59–87.
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ein kleiner, aber wichtiger Teil bisher Gegenstand von Studien und Editionen wurde, gut informiert. 5 Als die Kapuziner, zunächst Spanier und dann Italiener, durch die Propaganda-Kongregation 1645 ins Kongo-Reich entsandt wurden, hatte die missionarische Expansion der katholischen Kirche in der genannten dritten Phase bereits 150 Jahre Lernerfahrung nach dem Prinzip von ,Trial and Error‘. Und dabei hatte die Franziskanerfamilie einen besonderen Protagonismus, besonders in Mexiko und auf den Philippinen. Es gab auch eine theoretische Reflexion über den Modus operandi, natürlich immer unter der Voraussetzung, dass die Missionare Kinder ihrer Zeit waren, was ihre Theologie und Ekklesiologie und auch ihre Wahrnehmung des Anderen, seiner Kulturen und Religionen prägte. Dies alles bildet das, was ich den Verstehenshorizont oder die Apriori nennen möchte, die die Missionstätigkeit der Kapuziner in der Missio antiqua des Kongo konditionierte – ebenso wie solche Voraussetzungen die Mission in anderen Epochen und auch in der unseren bedingen. Die Apriori wechseln, aber es bleibt das Prinzip, das Josef Schmidlin betont hat, dass es in der Geschichte der Mission immer „eine Strategie und ein Akkomodationsprinzip“ 6 gibt, was bereits in den Anfängen des Christentums der Fall war: Der neue Volk-Gottes-Begriff, in dem es weder Juden noch Griechen mehr gibt, sondern alle eins in Christus sind (vgl. u. a. Gal 3,28), konvergiert mit dem römischen Universalismus und stellt die Strategie des Urchristentums dar, die zu seinem Erfolg in der Antike beitrug. Dazu kommt die Translations-, Akkomodations- oder Inkulturationsfähigkeit, die man nicht nur beim Jerusalemer Konzil merkt, als man darauf verzichtet, die Neuchristen aus dem Heidentum auf die Beschneidung zu verpflichten, sondern auch bei der Wahl des Griechischen, der Lingua franca der antiken Ökumene, als Kommunikationsvehikel für die Schriften des neuen Testamentes. 7 Sehen wir nun die wichtigsten Apriori (Religions- und Götzendienstverständnis, missionarische Haltung zu den anderen Religionen, Notwendigkeit und Dringlichkeit der Taufe) der Missio antiqua und wie die Missionspraxis der Kapuziner davon geprägt war. Diese hermeneutische Anstrengung ist wichtig, ja unverzichtbar. Wenn wir nämlich in der Missionsgeschichte den jeweiligen Verstehenshorizont der Missionare nicht berücksichtigen, laufen wir Gefahr, uns in den vielen Quellen zu verlieren und keine Gesamtschau zu finden. In diesem Beitrag sollen die Apriori der Missio antiqua der Kapuziner mit der Missionserfahrung in Spanisch-Amerika im 16. Jahrhundert verglichen werden.
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Vgl. Filesi, T./de Villapadierna, I.: La ‚missio antiqua‘ dei Cappuccini nel Congo (1645– 1835). Studio preliminare e guida delle Fonti, Roma 1978. Schmidlin, J.: Die Lehren der Missionsgeschichte, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, Nr. 3, St. Ottilien 1932, S. 217–224, 221. Vgl. Delgado, M.: Das Christentum – die historische Konstruktion seiner Identität, in: Hoff, G. M./Waldenfels, H. (Hrsg.): Die ethnologische Konstruktion des Christentums. Fremdperspektiven auf eine bekannte Religion, Stuttgart 2008, S. 64–83.
Der Verstehenshorizont der Missio antiqua der Kapuziner
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1. DER RELIGIONSBEGRIFF DER RENAISSANCE Religion war für die Europäer der Renaissance eine Strukturkonstante der Geschichte. Der Mensch war nur als ‚homo religiosus‘ denkbar. Mit Cicero im Kopf, dachte man, dass kein Stamm so wild oder zahm unter den Menschen wäre, „der nicht wusste, daß man einen Gott haben müsse, selbst wenn er in Unkenntnis lebt, was für ein Gott zu haben sich ziemt.“ 8 Aber man unterschied zwischen dem Christentum als vera religio und dem Rest als falsa religio oder teuflischem Götzendienst. Es genüge hier Martin Luther zu zitieren: „Extra Christum omnes religiones sunt idola“. 9 Mit dem Axiom „Extra ecclesiam nulla salus“, durch das Konzil von Florenz (1442) zu Beginn des Entdeckungszeitalters und des neuen missionarischen Eifers zum Dogma erhoben, 10 formulierte die katholische Kirche dasselbe exklusive Prinzip in ekklesiozentrischer Form. Aber unter Religion verstanden sie eine öffentliche Gottesverehrung mit deutlich identifizierbaren Kultdienern und Kultstätten oder Tempeln. Wo diese Zeichen jedoch auf den ersten Blick fehlten, hatten die Europäer Schwierigkeiten, die Religiosität der Indianer überhaupt wahrzunehmen. So dachten Katholiken und Protestanten, dass die als Halbnomaden ohne feste Kultstätte und ohne die anderen sichtbaren Zeichen einer öffentlichen Religion lebenden Tupi-Indianer Brasiliens keinen Gott und keine Religion hätten. Für eine Schamanenreligiosität, bei der Rauschkräuter, Zauberer und Tanz eine zentrale Rolle spielten, hatten die Europäer der Renaissance keinen Blick. Manoel da Nóbrega (1517–1570), Oberer der ersten Jesuitengemeinschaft in Brasilien, vermerkt 1549 über Land und Leute: Dieses ganze Heidenvolk betet weder etwas an, noch kennt es Gott. Lediglich den Donner nennen sie Tupã, was bedeutet: Der sagt etwas Göttliches. So haben wir kein treffenderes Wort, um sie zur Kenntnis Gottes zu bringen, als ihn Vater Tupã zu nennen. 11
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts kamen auch französische Hugenotten nach Brasilien, und zwar im Windschatten der kurzlebigen Versuche (1555–1558), in der Bucht von Rio de Janeiro die Kolonie France Antarctique zu errichten. 14 Glaubensgenossen entsandte Calvin, darunter Jean de Léry (1534–1613), der sich 1557 dort aufhielt und uns die Geschichte dieser frühen Mission tagebuchartig erzählt hat: Cicero sagt, keine Völker wären so roh, keine Nationen so barbarisch und wild, daß man nicht bei ihnen das Gefühl, daß es irgendeine Gottheit gibt, feststellen könnte. Jeder macht sich diesen Ausspruch zu eigen und hält ihn für einen unbezweifelbaren Grundsatz. Denke 8
Cicero, Marcus Tullius: Über die Rechtlichkeit (De legibus), übers. von K. Büchner, Stuttgart 1989, S. 16 (I,24). 9 Feil, E.: Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation, Göttingen 1986, S. 241 (s. dort auch das Zitat Luthers). 10 Vgl. Denzinger, H.: Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum/Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Lateinisch-Deutsch, hrsg. v. P. Hünermann, Freiburg 2009, n. 1351. 11 Delgado, M. (Hrsg.): Gott in Lateinamerika. Texte aus fünf Jahrhunderten. Ein Lesebuch zur Geschichte, Düsseldorf 1991, S. 124.
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Mariano Delgado ich aber an unsere Tupinambaúlts in Amerika, so möchte ich doch auf sie diesen Grundsatz nicht anwenden. Zunächst einmal haben sie keinerlei Kenntnis des einzigen und wahren Gottes. Außerdem bekennen sie sich zu keinem Gott – sei es ein himmlischer oder irdischer. Das steht im Gegensatz zu allen alten Heiden, die eine ganze Reihe von Göttern hatten. Es steht ferner im Gegensatz zu den Götzendienern von heute, und sogar die Indianer Perus, deren Land an das ihre grenzt, wenn es auch etwa fünfhundert Meilen entfernt ist, opfern der Sonne und dem Mond. Infolgedessen haben die Tupinambaúlts auch keine Gottesdienstordnung, geschweige denn irgendeinen Ort, an dem sie sich versammeln, um eine Art von Andacht abzuhalten. Sie kennen keine Form religiöser Gebete, sei sie öffentlicher oder privater Art. 12
Ähnlich fällt Anfang des 17. Jahrhunderts das Urteil des französischen Kapuziners Claude d’Abbeville (†1616) über die Einwohner des brasilianischen Nordostens aus: Ich bin nicht der Ansicht, dass es irgendeine Nation auf der Welt gibt, die ohne eine Spur von Religion gewesen wäre, es sei denn die Tupinambá-Indios, die bisher keinen Gott angebetet haben, weder einen himmlischen noch einen irdischen, weder aus Gold noch aus Silber, weder aus Stein noch aus Holz noch aus sonst irgendetwas, was es auch sei. Bis heute haben sie weder Religion noch Opfer und folglich auch keine Priester und Kultdiener, keinen Altar und keine Tempel noch irgendwelche Kirchen. Sie wissen nichts von Gelübden oder Fürbitten, von Andachten oder Gebeten, seien sie öffentlich, seien sie persönlich. 13
Im Kongo-Reich war es offenkundig, dass alle Stämme Götzen, Opfer und Zeremonien kannten, aber die Kapuziner reservierten sich die besonders negative Wahrnehmung für den Stamm der Jagas, die als Menschenfresser galten und von denen Giovanni Antonio Cavazzi da Montecuccolo in seinem Werk Istorica Descrizione de Tre Regni Congo, Matamba e Angola (Bologna 1687) sagt, dass sie „mehr als andere Götzendiener unmenschliche und grausame Zeremonien zu tun pflegten“, 14 außerdem „glauben sie an keinen Gott …, denn sie sind nicht fähig, aus der Kenntnis der materiellen Dinge die Existenz von spirituellen und körperlosen Substanzen zu schließen. Daher“, so Cavazzi, „sollte man sie eher Atheisten als Götzendiener nennen“. 15 Von den anderen Kongolesen sagt er uns, indem er aus ihnen – wie vorher schon die Franziskaner Mexikos mit den Azteken 16 – eine Art genus angelicum machte, dass, „wenn der Glaube sie zum wahren Gott führen würde“, kaum ein anderes Volk „ihnen bei der Kummulierung spiritueller Schätze und dem sicheren Eingang ins Paradies voranginge“. 17 Die Kapuziner nehmen wahr, dass die Kongolesen an einen Gott glauben, den sie „Nzambi-a-mpungu oder ‚den Gott von oben‘“ 18 nannten, oder „Nzambi-caca, d. h. ‚den einzigen Gott‘“ oder „Nzambi-a12 de Léry, J.: Brasilianisches Tagebuch 1557, Tübingen 1967, S. 276. 13 Delgado, M. (Hrsg.): Gott in Lateinamerika…, a.a.O., S. 125–126. 14 Ich konnte in Fribourg nur die hier zitierte portugiesische Übersetzung konsultieren: Cavazzi de Montecúccolo, J. A.: Descrição histórica dos três reinos do Congo, Matamba e Angola. Tradução, notas e índices pelo P.e G. M. de Leguzzano. Introdução biobibliográfica por F. L. de Faria, 2 Bde, Lisboa 1965, Bd. 1, S. 128 (Buch I, Nr. 268). 15 Ebd., Bd. 1, 193 (Buch II, Nr. 37). 16 Vgl. Delgado, M.: Die Franziskanisierung der Indios Neu-Spaniens im 16. Jahrhundert, in: Stimmen der Zeit, Nr. 210, Freiburg 1992, S. 363–376. 17 Cavazzi de Montecúccolo, J. A.: Descrição histórica…, a.a.O., Bd. 1, S. 83 (Buch I, Nr. 157). 18 Ebenda, Bd. 1, S. 88 (Buch I, Nr. 169).
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diulu, d. h. ‚den Gott des Himmels‘“. 19 Aber die Kapuziner vermochten nicht, die Logik der traditionellen afrikanischen Religion zu verstehen, die in der dreifachen Verehrung der Ahnen, der Geister im Himmel und der Geister der Erde oder der Fruchtbarkeit bestand. Sie unterschieden auch nicht zwischen den Nganga oder einfachen Zauberern, die das Volk oft für Betrüger hielt, und den Quitome, den Herren der Erde, die für die Fruchtbarkeitsriten verantwortlich waren und vom Volk sehr geachtet wurden. Ausgehend vom Apriori, dass allerlei Magie und Zauberei aus einem Teufelspakt herrührte, und ohne die interne Logik der afrikanischen Riten für die Ahnen und die Fruchtbarkeit zu verstehen, unterschieden die Kapuziner nicht „zwischen nützlicher und schädlicher Magie, zwischen Heilern und Zauberern“ 20. Sie haben die einen wie die anderen radikal bekämpft, weil sie sie für Teufelsdiener hielten, nachdem sie die afrikanische Religiosität insgesamt als falsa religio oder unentschuldbaren teuflischen Götzendienst nach dem Römerbrief 1,18-21 eingestuft hatten. Wir werden bis ins 20. Jahrhundert hinein warten müssen, bis ein anderer Kapuziner, der Belgier Placide Tempels, die Logik der Philosophie und Ethik der Bantu-Völker angemessen verstanden hat. 21 2. DER GÖTZENDIENST ALS FALSA RELIGIO ODER TEUFLICHSCHE RELIGION Auch für die Beurteilung des Götzendienstes als etwas Teuflisches hatten die Kapuziner Modelle in der kirchlichen Tradition und in der jüngsten Mission unter den Indios Amerikas. Die Franziskaner Mexikos stuften die indianischen Götter allesamt als „schwarze“, „schmutzige“ und „übelriechende“ Teufel, 22 die von den gefallenen Engeln abstammten, ein. Der Jesuit Acosta sah in den andinen Religionen nur „Idolatrie, Pest, Lues und Erbkrankheit“, hervorgerufen durch die „Täuschungen des Teufels“. 23 Sogar die Riten, die auf den ersten Blick eine Ähnlichkeit mit den kirchlichen Sakramenten zu haben schienen, waren für Acosta nichts anderes als eine „teuflische Nachäffung der wahren Religion“ 24. Damit folgten die Franziskaner und Acosta dem augustinischen Weg.
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Ebenda, Bd. 1, S. 88 (Buch I, Nr. 171). Baur, J.: Christus kommt nach Afrika…, a.a.O., S. 73. Vgl. Tempels, P.: Bantu-Philosophie. Ontologie und Ethik, Heidelberg 1956. Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft: Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524. ‚Coloquios y doctrina cristiana‘ des Fray Bernardino de Sahagún aus dem Jahre 1564. Spanischer und mexikanischer Text mit deutscher Übersetzung von W. Lehmann. Aus dem Nachlaß hg. von G. Kutscher (Quellenwerke zur alten Geschichte Amerikas aufgezeichnet in den Sprachen der Eingeborenen, III), Stuttgart 1949, S. 87, 88, 90, 93, 122, 129, 131, 134. 23 Vgl. Sievernich, M.: Missionstheologien nach Las Casas, in: B. de Las Casas. Werkauswahl, Bd. 1: Missionstheologische Schriften, hrsg. von M. Delgado, Paderborn 1994, S. 71. 24 de Acosta, J.: De procuranda indorum salute, 2 vols. (CHP 23, 24), Madrid 1984–1987, Bd. 2, 424–429 (Buch VI, Kp. 12).
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Nur der eher thomistisch denkende Bartolomé de Las Casas versteht in der dritten Phase der Missionsgeschichte die Logik der indianischen Religionen und verteidigt eine nicht-dämonologische Sicht des Götzendienstes: Die wahre Absicht (communis et finalis intentio) der Götzendiener bestehe nicht darin, Steine anzubeten, sondern in ihnen und durch gewisse Erscheinungen der göttlichen Macht den Weltenschöpfer und -beweger zu würdigen, gemäß der fragmentarischen Kenntnis, die sie von ihm besäßen. So bestehe die wahre Absicht der Götzendiener letztlich darin, den wahren Gott anzubeten, von dem sie mit dem Licht der bloß natürlichen Vernunft wissen, ‚dass‘ es ihn gibt, ohne wirklich sagen zu können, ‚was‘ er in seinem Wesen letztlich sei. Im ‚Götzendienst‘ haben wir es also mit einer authentischen Religiosität der recta intentio und nicht mit einem diabolischen Phänomen zu tun. 25 Die Kapuziner der Kongo-Mission wandeln eher auf der augustinischen Spur der Franziskaner Mexikos als auf der Spur des Las Casas. Für Cavazzi ist der Götzendienst der Kongolesen eine „Tyrannei des Teufels“. 26 Diese Wahrnehmung des Götzendienstes führte zu einer allgemeinen negativen Einstufung der Kongolesen, auch wenn die Kapuziner anfangs geneigt waren, sie als eine Art genus angelicum zu betrachten. Im Werk Cavazzis werden die Afrikaner oft als Götzendiener, ‚perfide‘ und abergläubische Menschen bezeichnet, besonders die Zauberer. 27 Und auch im noch unveröffentlichten Werk des spanischen Kapuziners Antonio de Teruel, der zu den ersten Kongo-Missionaren gehörte, kommen Bezeichnungen wie „Heiden, Götzendiener und Zauberer“ häufig vor. 28 In der dritten Phase der Missionsgeschichte folgte der modus operandi gegen den Götzendienst dem Modell des ‚politischen Augustinismus‘. Wenn die Missionare auf die Unterstützung des weltlichen Armes zählen durften, um die Zeugnisse anderer Religionen zu zerstören und deren Vertreter zu verfolgen, zögerten sie auch nicht, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen. 29 Dies gilt für Spanisch- und Portugiesisch-Amerika, für die Philippinen und auch für die Missio antiqua im Kongo-Reich, die, obwohl sie organisatorisch von der Propaganda-Kongregation abhing, auf die Gunst der Kongo-Könige zählen durfte. Nachdem die Franziskaner Mexikos, wie Jerónimo de Mendieta erzählt, eingesehen hatten, „dass es verlorene Zeit war und sie sich vergeblich um die Evangelisierung mühten, solange die Tempel und die Götzen vor ihren Augen stünden“, 30 begannen sie, diese mithilfe der Kinder und Jugendlichen ihrer Schulen im 25 Vgl. Delgado, M.: Religion in der Renaissance und die Innovation des Bartolomé de Las Casas, in: ders./Waldenfels, H. (Hrsg.): Evangelium und Kultur. Begegnungen und Brüche. Festschrift für Michael Sievernich, Fribourg/Stuttgart 2010, S. 397–410. 26 Cavazzi de Montecúccolo, J. A.: Descrição histórica…, a.a.O., Bd. 1, S. 87 (Buch I, Nr. 166). 27 Vgl. Guerrero Mosquera, A.: Espejo cultural africano. imágenes de los reinos del Congo y Angola en la Costa Caribe del reino de Nueva Granada, in: Memorias. Revista digital de historia y arqueología desde el Caribe colombiano, Nr. 23, 2014, 153–179, 163. 28 Ebenda, S. 164. 29 Vgl. Augustinus, Sermo 62: De Verbis domini, in: Patrologia Latina, Bd. 38, S. 420 ff. 30 de Mendieta, J.: Historia eclesiástica indiana, 2 vols., hrsg. von F. Solano y Pérez-Lila, Atlas, Madrid 1973, Bd. 1, S. 138 (Buch III, Kap. 20).
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Rahmen einer Politik der tabula rasa zu zerstören und durch christliche Bilder und Zeichen zu ersetzen. Acosta, der ein wenig vorsichtiger war, verteidigt zunächst das ideale Vorgehen: Dass die Indios selbst nach ihrer Bekehrung ihre alten Götzen und Tempel zerstören; sollte dies aber nicht geschehen, dann zögert Acosta nicht, Zwangsmaßnahmen gegen die götzendienerischen Priester und Zauberer sowie die systematische Substitution der heidnischen Zeremonien durch christliche zu verlangen. Nur Las Casas hat stets die gute Lehre verteidigt, dass die bekehrten Indios selbst ihre Götzen zerstören sollten und dass die Substitution der heidnischen durch die christlichen Zeremonien das Ergebnis der Überzeugung des Verstandes ohne jeden Zwang sein sollte. Und er hatte dazu diese guten Argumente: weil niemand aus freiem Willen und gern das verlässt, was er viele Jahre für seinen Gott gehalten, was er mit der Muttermilch eingesogen hat und was ihm durch seine Vorfahren bezeugt wurde, ohne zuvor verstanden zu haben, dass das, was er erhält oder wofür er seinen Götzen eintauscht, der wahre Gott ist. 31
Die Kapuziner handelten mit einer ähnlichen Ungeduld, wie sie vorher schon die Franziskaner Mexikos gezeigt hatten. Am 19.9.1648, kaum im Kongo angekommen, erreichten sie vom König García II. ein Dekret, das seinen Untertanen anordnete, die Predigten der Kapuziner zu hören und auf keinem Fall die Zerstörung „der letzten Spuren des Götzendienstes“ zu behindern. 32 Am 2.3.1653 bekräftigte der König das Dekret, nachdem er gehört hatte, dass P. George de Geel tödlich verletzt worden war, als dieser die Fetische zu verbrennen versuchte. Mithilfe der als Katechisten, Übersetzer und Lehrer ausgebildeten Jugendlichen unternahmen die Kapuziner einen wahren Kreuzzug gegen die Polygamie und den Götzendienst. Nach zwei Generationen Kapuzinermission bedauert aber Cavazzi, dass man noch „überall irgendeinen versteckten Teufelsdiener“ findet. 33 Ähnliches kann man in den Chroniken des 18. Jahrhunderts lesen. Giuseppe Monari da Modena, der zwischen 1713–1723 in Kongo und Angola war, sagt in den avvertimenti oder Empfehlungen seines Werkes Viaggio al Congo, dass man alles „senza rispetto di chi si sia“ 34 zerstören solle; natürlich um die heidnischen Götzen und Riten durch christliche zu ersetzen. Ähnlich wie es bereits in Amerika der Fall gewesen war, traf der Wille der Missionare, keinerlei Form einer falsa religio neben der vera religio zu dulden, auf eine afrikanische Mentalität, die bereit war, das Christentum neben der eigenen Religion und Lebensart zu dulden und sogar anzunehmen. In einer Versammlung, die um 1680 in Soyo stattfand und in der die Kongolesen zu wählen hatten zwischen den Gesetzen des Christengottes und ihren götzendienerischen Zeremo31 Las Casas, B. De: Historia de las Indias, in: ders.: Obras completas, hrsg. von Paulino Castañeda, Bd. 5, Madrid 1994, S. 2264 (Buch III, Kap. 117). 32 Baur, J.: Christus kommt nach Afrika…, a.a.O., S. 71. 33 Cavazzi de Montecúccolo, J. A.: Descrição histórica…, a.a.O., Bd. 1, S. 87–88, (Buch I, Nr. 168). 34 Monari da Modena, Viaggio al Congo… . Biblioteca Estense de Modena, mss ital. 1380 (V. A. 37) = Alfa n. 9.7., ff. 142, Avv. 16, f. 297, hier zitiert nach Almeida, J. C.: Entre gente ‚aspra e dura‘. Advertências de un missioário no Congo e Angola (1713–1723), in: Revista lusófona de Ciéncia das Religiões, Nr. 13/14, Lissabon 2008 , S. 463–483, 479.
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nien, wollten diese beides miteinander kombinieren: „Wir glauben fest an den Christengott und an alles, was man uns gelehrt hat; aber wir glauben auch an unsere Zeremonien und Sitten“. 35 Es gab aber keinen Platz für solche Kompromisse: Die Kongolesen hatten zu wählen zwischen Himmel und Hölle, dem Reich Gottes oder des Teufels. Das Ergebnis war, dass die Afrikaner versuchten, im Verborgenen die Riten weiterhin zu praktizieren, die sie öffentlich nicht mehr vollziehen durften; so mussten sich die Kapuziner sehr anstrengen, um diese Haltungen aufzuspüren. Der Eifer, den die Kapuzizer bei der Zerstörung der Fetische an den Tag legten, auch gegen den Willen ihrer Besitzer, wurde von der Propaganda-Kongregation um 1715 kritisiert: devon guardarsi li Missionaij di farsi trasportare tanto del desiderio e zelo di salvar l’anime, che facciano qualche attione che mostri forza, come minacciarli di levare alcuna cosa dalle loro case, o di fargli perdere a gratia delli loro Signori […] dicendo que sono gente rotta e bestiale, e se non si fa con qualche timore, mai daranno rimedio alle anime loro, né si leveranno mai dal peccato, perché questo seria fare espressamente contro la mente della Sacra Congregatione e del Pontifice, quale manda alli Ministri Ecclesiastici a predicare la parola di Dio, ad imitatione di Christo. Minaccino lo castighi di Dio, le pene dell’inferno, e l’allettino con la speranza de’ premij eterni, ma mai si servano di cose temporali, che indichino violenza. 36
Mit der Zeit fehlte bei diesem Substitutionsprozess nicht die praktische Klugheit. In seinem Werk Missione in practica (1747) unterscheidet Bernardino d’Asti die schlechten Sitten, die man ausrotten, von den indifferenten Bräuchen, die man dulden, und von den guten, die man übernehmen solle. 37 Heute kennen wir in der katholischen Missionswissenschaft das klare Inkulturationsprinzip von Nostra aetate Nr. 2: Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.
Aber die Kapuziner der Missio antiqua hatten abgesehen von ihrer praktischen Klugheit nicht eine Instruktion erhalten, wie sie die Propaganda-Kongregation 1659 an die apostolischen Vikare gab, die nach China und Indochina gesandt wurden: „Verwendet keine Mühe und ratet keinesfalls jenen Leuten, ihre gewohnten Riten und Sitten zu ändern, es sei denn, sie widersprächen offensichtlich der Religion und den guten Sitten“. 38 Die Propaganda-Kongregation hat sorgsam vermieden, den Afrikamissionaren des Entdeckungszeitalters eine ähnliche Instruktion zu geben. Auch dies hat mit den Apriori in der dritten Phase der Missionsgeschichte zu tun, die der Jesuit Acosta klar formulierte und die Propaganda-Kongregation 35 Baur, J.: Christus kommt nach Afrika…, a.a.O., S. 76. 36 Saccardo, G.: Congo e Angola. Con la storia dell’antica missione dei cappuccini. A cura di E. da Cavaso, 3 Bde., Venezia-Mestre 1982–1983, S. 155. 37 Vgl. Baur, J.: Christus kommt nach Afrika…, a.a.O., S. 74. 38 Koschorke, K./Ludwig, F./Delgado, M. (Hrsg.): Außereuropäische Christentumsgeschichte. Asien, Afrika, Lateinamerika 1450–1990, Neukirchen-Vluyn 2012, S. 28.
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übernahm. Für Acosta gab es im Entdeckungszeitalter drei verschiedene Klassen von Heiden oder Barbaren, und die Missionsmethode musste entsprechend angepasst werden. Zur ersten Klasse gehören die Chinesen, die Japaner und die Mehrzahl der ostindischen Völker, die fast so zivilisiert sind wie die Europäer; denn sie haben „in Recht gegossene Regierungsformen. Staatsgesetze, befestigte Städte, sehr geschätzte Regierungsbeamte, einen blühenden Handel und – was am wichtigsten ist – eine allgemeine Kultur der Schriftlichkeit“. 39 Zur zweiten Klasse gehören die Indios der amerikanischen Hochkulturen der Maya, Azteken und Inka, die, obwohl sie die Kultur der Schriftlichkeit nicht kannten, über ein gut organisiertes politisches Regiment und einen glänzenden religiösen Kult mit Priestern und Tempeln verfügten. Zur dritten Klasse gehören schließlich die Guaraní und die Mehrzahl der amerikanischen Völker, die ohne Gesetz und König, ohne Verträge und staatliche Verwaltung und auch ohne einen gut organisierten religiösen Kult leben. Acosta sprach nicht von den Schwarzafrikanern, aber es ist klar, dass er diese eher zwischen der zweiten und der dritten Klasse einstufen würde, wie es die Propaganda-Kongregation schließlich tat. Für Acosta sind all diese Heidenklassen des Glaubens fähig, weil sie ja aus Menschen bestehen, aber die Missionsmethode sollte der Kulturentwicklung angepasst werden, und bei den Heiden der zweiten und dritten Klasse können Formen des Paternalismus und des sanften Zwangs dazugehören. 3. NOTWENDIGKEIT UND DRINGLICHKEIT DER TAUFE Um die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Taufe in der dritten Phase der Missionsgeschichte zu verstehen, muss man nicht nur das bereits erwähnte Dogma des „extra ecclesiam nulla salus“ des Konzils von Florenz (1442) berücksichtigen, sondern auch, dass das Trienter Konzil 1547 die Heilsnotwendigkeit der Taufe bekräftigte. 40 Man dachte, dass die Nicht-Getauften kaum eine Heilschance hatten. So argumentiert z. B. Juan Ginés de Sepúlveda in der Kontroverse von Valladolid (1550–1551), um die rasche Eroberung und Evangelisierung der Neuen Welt durch die Spanier zu rechtfertigen. 41 Ebenso muss man bedenken, dass viele Missionare sich von einer eschatologischen Ungeduld tragen ließen: Ausgehend von Mk 16,16 versuchten sie, so viele Menschen wie möglich zu taufen und damit zu ‚retten‘; und im Sinne von Mt 24,14 sahen sie in der raschen Evangelisierung der Welt eine Möglichkeit zur Beschleunigung der ersehnten Parusie oder Wiederkunft des Herrn. Dies erklärt, warum sich viele Missionare, wie etwa die Franziskaner der MexikoMission, beeilten, die neu-entdeckten Völker zu taufen, auch mit Massentaufen, bei denen der individuelle Taufritus nicht vollzogen wurde und die katechetische Vorbereitung mangelhaft war. Und dies erklärt auch, warum viele von ihnen um die 39 de Acosta, J.: De procuranda..., a.a.O., Bd. 1, Proemium, S. 60 ff. 40 Denzinger, H.: Enchiridion…, a.a.O., Nr. 1618 (vgl. auch Nr. 1524). 41 Vgl. Las Casas, B.: Obras competas..., a.a.O., Bd. 10, S. 143, 145. Vgl. Delgado, M.: Glaubenstradition im Kontext. Voraussetzungen, Verdienste und Versäumnisse lascasianischer Missionstheologie, in: Las Casas, B.: Werkauswahl…, a.a.O., Bd. 1, S. 35–58, 56.
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Mitte des 16. Jahrhunderts nach der Taufe der Azteken davon träumten, nach China zu fahren, um dort ihre apostolische Tätigkeit fortzusetzen. 42 In seinem Brief an Kaiser Karl V. vom 2.1.1555 berichtet der in Mexiko tätige Franziskaner Toribio de Benavente (Motolinía) von einem Zwischenfall mit Bartolomé de Las Casas, dem er vorwirft, ohne jedes „Mitleid“ das Taufsakrament einem Indio verweigert zu haben, der seit drei Tagen unterwegs gewesen war und, so Motolinía, auch sehr gut auf die Taufe vorbereitet war. 43 Las Casas bezog sich auf die Bulle Altitudo Divini Consilii von Papst Paul III. am 1.6.1537 und auf die darin enthaltenen Maßnahmen für die Kirche in Mexiko. 44 Der Papst entschuldigt darin die anfängliche Praxis der Massentaufen ohne den individuellen Ritus, sofern dies aus der Not heraus und bona fide geschah. Von nun an aber sollte man den Taufritus bei jedem einzelnen einhalten, wie die Kirche immer angeordnet hatte. Aufgrund dieser Bulle entstand in Mexiko die Frage, ob man den Erwachsenen das Taufsakrament ohne die angemessene katechetische Vorbereitung spenden dürfte. Auf dieses dubium antworteten mit einem Gutachten vom 1.7.1541 der Dekan und sieben Professoren der Theologischen Fakultät Salamancas, darunter die Dominikaner Francisco de Vitoria und Domingo de Soto sowie der Franziskaner Andrés Vega. 45 Nach einer Darlegung der Argumente dafür und dagegen im Stil einer scholastischen quaestio fällt die Antwort im Sinne der Kirchenlehre aller Epochen deutlich aus: Die Heiden der Neuen Welt dürfen nur getauft werden, wenn sie vorher ausreichend unterwiesen wurden, nicht nur in den christlichen Glauben, sondern auch in die christliche Moral und Lebensführung sowie in allem, was zu ihrem Heil nötig ist; und man müsse auch sich vergewissern, dass sie es gut verstehen und respektieren sowie dass sie wirklich die Taufe empfangen und in der christlichen Religion leben und bleiben wollen. 46
Trotz dieses Gutachtens und ähnlicher Entscheidungen der Provinzialsynoden in Mexiko und Lima war die Taufvorbereitung in Spanisch-Amerika nicht immer so, wie man es sich gewünscht hätte, zumindest bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Besonders bei den schwarzen Sklaven waren Massentaufen häufig, bei denen eher pro forma der individuelle Taufritus schnell vollzogen wurde. Am Ende des 16. 42 Vgl. Beckmann, J.: China im Blickfeld der mexikanischen Bettelorden im 16. Jahrhundert, Schöneck/Beckenried 1964. 43 Vgl. Carta de Fray Toribio de Motolinía al Emperador Carlos V (Enero 2 de 1555), in: de Benavente, T.: Historia de los indios de la Nueva España. (Crónicas de América 16), hrsg. von C. Esteva, Madrid 1985, S. 299–326, 306. 44 Vgl. lat. Wortlaut in: America pontificia primi saeculi evangelizationis 1493–1592. Documenta pontificia ex registris et minutis paresertim in Archivo Secreto Vaticano existentibus. (Collectanea Archivi Vaticani 27/1), hrsg. von J. Metzler, Vatikanstadt 1991, S. 361–365. 45 Vgl. den lateinischen Text des Gutachtens in: de Vitoria, F.: Relectio de Indis o Libertad de los indios, hrsg. Von L. Pereña e.a., Madrid 1967, S. 157–164. 46 Ebenda, S. 158: „Barbari illi infideles non antea sunt baptizandi, quam sint sufficienter instructi, non solum in fide, sed etiam in moribus christianis, saltem quantum necesarium est ad salutem, nec priusquam sit verisimile eos intelligere quid recipiant, aut respectent, et profiteantur in baptismo, et velint vivere et perseverare in fide et religione christiana“.
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Jahrhunderts überliefert uns der Jesuit Acosta ein desolates Bild. Er betont, dass zum Empfang der Taufe drei Dinge nötig seien, wie die Kirche immer gesagt habe: die freie Entscheidung, der Glaube und die Bekehrung, wobei man die Kandidaten eine lange Zeit im Katechumenat behalten sollte, „damit sie besser ausgebildet sind und nach und nach das Geheimnis des Heils besser verstehen“ 47. Acosta fügt dieses vernichtende Urteil hinzu: In dieser Neuen Welt hat man die traditionelle Praxis der Kirche derart missachtet, dass meiner Meinung nach an keinem anderen Ort man so viel und so fahrlässig gegen das Evangelium gesündigt und dem Heil der Menschen so viel Schaden angerichtet hat. 48
Man muss natürlich dieses Urteil Acostas mit Vorsicht lesen, denn er bezieht sich einerseits auf die Andenregion, in der die erste Evangelisierungsphase große Schwierigkeiten hatte, nicht aber auf Mexiko, wo die Franziskaner alles in allem eine bewundernswerte Arbeit leisteten; andererseits neigten die Jesuiten, die nicht gerade bescheiden waren, zur Meinung, dass die wahre Evangelisierung erst mit ihnen begann. 49 Das Urteil Acostas ist jedenfalls ein Symptom dafür, dass es in der dritten Phase der Missionsgeschichte nicht einfach war, eine systematische Taufvorbereitung einzuführen, die dem Katechumenat der alten Kirche vergleichbar wäre. Bei der Missio antiqua der Kapuziner finden wir einerseits in den Instruktionen der Propaganda eine Lehre im Sinne der Bulle von Paul III. und der Theologen Salamancas, während wir andererseits bei den Missionaren vor Ort eine Taufpraxis feststellen, die die gute Theorie mit den praktischen Möglichkeiten und der eschatologischen Ungeduld in Verbindung zu bringen versuchte. Besonders für die ersten Jahre werden riesige Zahlen von Taufen angegeben, die sehr schwer zu kontrastieren sind, weil es keine Taufregister gibt. Heutzutage geht man davon aus, dass es im Kongo-Reich damals etwa eine halbe Million Menschen gab, von denen ca. 150.000 im 16. Jahrhundert von den Portugiesen und weitere 150.000 von den Kapuzinern getauft wurden. Um 1800 wäre also die Hälfte der Bevölkerung getauft gewesen. Als realistisch gelten die Zahlen, die Bernardino d’Asti nennt. Er sagt, dass er ausnahmsweise an einem einzigen Tag mehr als 200 Taufen gespendet habe, aber meistens wären es etwa 50 gewesen. Daraus schließt Teobaldo Filesi, dass – wenn D’Asti diese Zahlen für außerordentlich hält – der normale Tagesdurchschnitt deutlich „unter solchen Zahlen liegen müsste“. 50 Die Kapuziner teilten die Taufkandidaten in drei Klassen auf: die Kinder, die Jugendlichen zwischen 13 oder 14 Jahren und die Erwachsenen. Graziano Saccardo, der die Kapuziner gegen Verleumdung und Pauschalkritik zu verteidigen versucht, schreibt folgendes darüber: I primi venivano battezzati senz’altro. I secondi dovevano essere esaminati, se fossero capaci d’istruzione. In Tal caso sidovevano istruire, secondo le loro capacità, mentre gl’incapaci 47 de Acosta, J.: De procuranda…, a.a.O., Bd. 2, 362–363 (Buch VI, Kap. 3). 48 Ebenda, Bd. 2, S. 362–363 (Buch VI, Kap. 3). 49 Vgl. z. B., was ein Jesuit Ende des 16. Jahrhunderts über die Evangelisierung Perus sagt, in: Koschorke / Ludwig / Delgado, Außereuropäische Christentumsgeschichte… S. 321f. 50 Filesi, T.: Studio preliminare, in: ders./de Villapadierna, I.: La ‚missio antiqua‘…, a.a.O., S. 9–133, 44.
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Mariano Delgado d’istruzione venivano battezzati come bambini. Gli adulti dovevano essere istruiti, secondo al loro capacità, prima d’essere battizzati. 51
Die Erwachsenen, wenn sie mit mehreren Frauen zusammenlebten, mussten eine einzige daraus auswählen und auf die Polygamie verzichten, aber auch auf jedweden Aberglauben, indem sie versprachen, ihre Amulette zu zerstören. Für die Erwachsenen, die sich für das christliche Leben mehr interessierten, schufen die Kapuziner von Anfang an Bruderschaften, fast nach Art eines dritten Ordens. Aus den Statuten, die der Spanier Antonio de Teruel entworfen hat, kann man ein Programm christlichen Lebens entnehmen, das dem der Bruderschaften im europäischen posttridentinischen Katholizismus ähnlich war: Il confrattelo doveva osservare la Legge di Dio e i Precetti della Chiesa con detestazione dei concubinati e dei riti pagani. Doveva ascoltare la Messa ogni giorno e fare l’esame di coscienza a mezzogiorno e a sera. Ogni giorno doveva applicarsi all’orazione mentale, almeno per un quarto d’ora, recitando poi il piccolo rosario, cioè 12 Ave Maria e tre Padre Nostro. Infine doveva visitari i malati, recando loro consolazine spirituale e anche materiale con qualche regalo, specialmente se poveri. In caso di morte, doveva participare ai loro funerali. 52
Das war ein ambitioniertes und kaum zu quantifizierendes Programm, das jedenfalls nur in den wenigen Zentren funktionieren konnte, in denen die Präsenz der Kapuziner mehr oder weniger stabil war und sie dort ihre Spitäler (in jeder der acht Provinzen gab es jeweils nur eines) hatten, aber nicht in den weitläufigen Gebieten, die sie mit ihren „tragbaren Missionen“ nur von Zeit zu Zeit besuchten. Die hier Getauften wie die Kinder im Allgemeinen, die aus Angst, dass sie ohne Taufe sterben konnten, schnell getauft wurden, wuchsen in einer heidnischen Umwelt auf und kehrten praktisch zum Heidentum zurück. Die Taufe fand normalerweise im Rahmen einer Feier statt, die bei den Kongolesen Assoziationen mit einigen traditionellen Riten ihrer Zauberer hervorrief. Vor der Wassertaufe bekamen die Kandidaten ein Salzkorn auf die Zunge. Daher nannten die Einheimischen die Taufzeremonie Kulia Mungwa oder „Salz essen“; obwohl die Kapuziner die Bezeichnung Lusukulu Langwisi oder „heilige Waschung“ einführten, nannten sie sie weiterhin wie vorher, weil sie darin eine „starke und beschützende Medizin“ sahen, mit der sie die Religion des weißen Mannes, die auch die Religion ihres Königs war, beschützte. 53 4. AUSBLICK In den Publikationen über Missio antiqua der Kapuziner im Kongo-Reich fehlt manchmal nicht die Kritik der Vergangenheit im Lichte der Gegenwart. Man wirft dann den Kapuzinern ihren Eifer gegen die Fetische, ihre schlechte Interpretation der Werte der afrikanischen Religion und Kultur vor oder dass sie eine Stütze des Kolonialismus waren. Es fehlt auch nicht der Blick für die Dialektik von Mission 51 Saccardo, G.: Congo e Angola…, a.a.O., Bd. 3, S. 147. 52 Ebenda, Bd. 3, S. 139. 53 Vgl. Baur, J.: Christus kommt nach Afrika…, a.a.O., S. 77.
Der Verstehenshorizont der Missio antiqua der Kapuziner
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und Kolonialismus. Denn die Missionare waren nicht nur Teil des kolonialen Systems: Mit ihren Schulen und Spitälern sowie mit der Verbreitung des Evangeliums, das in sich immer auch die Saat der Freiheit und die Kraft zur Befreiung trägt, 54 haben die Missionare, ohne es zu beabsichtigen, die Basis für die spätere Emanzipation Afrikas geschaffen. 55 Es ist kein Zufall, dass die meisten Anführer der schwarzafrikanischen Unabhängigkeit aus den Missionsschulen kamen – nämlich aus der neuen Afrika-Mission ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die dritte Phase der Missionsgeschichte ist von einem Missionseifer geprägt, den man heute schwer verstehen kann. Nicht zuletzt aufgrund des politischen Augustinismus waren die Kapuziner der Kongo-Mission nicht immer imstande, den irenischen Fußspuren ihres Vaters Sankt Franziskus zu folgen. Uns, die wir durch die Gnade der späten Geburt vieles ‚besser‘ wissen, steht nicht zu, über die Glaubensapostel des Entdeckungszeitalters moralisch zu urteilen. Verglichen mit diesen ‚Riesen‘ ist uns von der Geschichte lediglich die Rolle jener Zwerge vorbehalten, die zwar weiter sehen als sie, aber vergessen, dass sie auf deren Schultern sitzen. Sie waren einfallsreiche Pioniere der frühneuzeitlichen Missionsmethoden sowie waghalsige, mutige und eifrige Verbreiter des Evangeliums auf der ganzen Welt, damit der Herr wiederkomme und diese Welt zu Ende gehe (vgl. Mt 24,14). Wir hingegen sind oft nur bequeme Verwalter des Erbes der Vorfahren, die sich im Diesseits eingerichtet haben. Wir reisen auch um die Welt, aber mit Krankenversicherung und Rückflugticket im Gepäck. Die frühneuzeitlichen Missionare lebten hingegen in einer anderen Zeit: Wer in die Mission ging, verabschiedete sich zumeist für immer von der geliebten Scholle; und er musste damit rechnen, dass man Opfer von Schiffbrüchen, Krankheiten oder wilden Tieren werden konnte. Zanobi Maria da Firenze schrieb am 18.04.1820 an die Propaganda: Di 434 cappuccini venuti in queste missioni, e di cui trovo alcuna memoria, 228 lasciarono la presente vita, e quasi tutti dopo ben poca dimora, in queste parti; gli altri per la maggior parte si ritirano di quà attaccati da varie malattie, e ben pochi ritornarono vivi e sani in Italia. 56
In einer anderen Bilanz aus dem Jahr 1708 heißt es über die Jahre zwischen 1673 und 1701, dass in dieser Zeit in Angola und im Kongo 49 Kapuziner gestorben waren; sechs starben bereits unterwegs und 38 kamen am Ende ihrer Arbeit nach Italien zurück, viele davon mit unheilbaren Krankheiten. 57
54 Vgl. Instruktion Libertatis nuntius, in: Acta Apostolica Sedis, Nr. 76, Vatikanstadt 1984, 876 (Prolog). 55 Delgado, M.: Die Missionsgeschichte auf der Anklagebank? Zum religionspädagogischen Umgang mit der Verquickung von Mission und Kolonialismus, in: Gross, E./König, K. (Hrsg.): Religiöses Lernen der Kirchen im globalen Dialog. Weltweit akute Herausforderungen und Praxis einer Weggemeinschaft für Eine-Welt-Religionspädagogik, Münster 2000, S. 311–321. 56 Filesi, T.: Studio preliminare…, a.a.O., S. 23. 57 Vgl. ebenda, S. 31.
CREATING COMMUNITY IN A TIME OF CRISIS: MISSION AND DEVELOPMENT AMONG MEMBERS OF THE REFORMED CHURCH IN SOUTH AFRICA Irving Hexham Zusammenfassung: Dieser Beitrag beginnt mit einer kurzen Übersicht zu Ulrich van der Heydens herausragenden akademischen Leistungen, danach erweitert er die Diskussion im Anschluss an dessen Sammelband “Mission und Macht im Wandel politischer Lebensform” (Stuttgart 2005). Dort wurde die Arbeit des niederländischen Missionars Dirk Postma (1818–1890) in Südafrika in Bezug auf seine Auswirkungen auf die Buren und die Schaffung der “Dopper” (“Täufer”)Gemeinschaft der Gereformeerde Kerk diskutiert. Die vorliegende Arbeit führt die Geschichte einen Schritt weiter durch eine Untersuchung des Selbstverständnisses von Postmas Konvertiten und in welcher Art und Weise er die armen, überwiegend ländlich geprägten und häufig verachteten Menschen dazu inspirierte, ein Gefühl von Identität und Selbstvertrauen zu entwickeln, das sie zu einer kraftvollen, religiösen, sozialen und politischen Kraft in Südafrika werden ließ. INTRODUCTION This chapter is dedicated to Professor Ulrich van der Heyden who is one of the leading German experts on Africa. He is a prolific writer both on the history and impact Christian missions and of former East German economic development programs. Tragically, he has received far more respect outside of his native land than in the united Germany where he lives today. This is because he has held firm to his academic ideals that are inspired by the great nineteenth century historian Leopold von Ranke (1795–1886). What this means is that he has concentrated on archival research rather than theorizing or playing academic politics. As a result, he has published far more solid works than many of his former West German contemporaries who sadly got carried away by an emphasis on theory that led them to neglect archival work. The problem here is that those who hold most of the key chairs in history, politics, and African studies, in Germany today had the good fortune to be born in former West Germany. Professor van der Heyden, however, was born in the Communist East Germany known as the German Democratic Republic or GDR (Deutsche Demokratische Republik ). Before the fall of the Berlin Wall his work received the recognition it deserved. Therefore, he gained entry to the prestigious Academy of Sciences. De-
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spite the Communist commitment of his East German teachers he was taught not to pre-judge Christian missionaries and impose ideological frameworks that ignore the benefits that they brought with them such as modern education. Nor did he or his teachers ignore the personal sacrifices many missionaries made. Rather they accepted missionaries for what they were, as the English say, “warts and all.” In other words, despite the Academy’s commitment to Marxism it did not prejudge Christian missionaries and impose an ideological framework that ignored the benefits, such as education, that the brought with them. Nor did it ignore the personal sacrifices many missionaries made. His work on the history of Christian missions, as well as other publications on African politics, and even a book on North American Native peoples, placed him in line to become one of the country’s leading academics, an internationally recognized expert on Africa, and the chair of an important university department like that of the Humboldt University. He also had the good fortune to marry a very intelligent and beautiful woman who encouraged and participated in his work. To an extent his marriage was also his undoing. This was because his father-in-law was a high-ranking officer in the army of the Communist German Democratic Republic. Having such a family connection did not bode well for any former East German after re-unification in 1991. Therefore, like so many of his colleagues he found himself in an academic wilderness. THE ACHIEVEMENT OF ULRICH VAN DER HEYDEN What is remarkable about Ulrich van der Heyden is that instead of giving up and becoming an insurance agent or car salesman like so many of his former East German contemporaries he completed a second doctorate at the Freie Universität Berlin that proved he was as good as any West German scholar. This was followed by an Habilitation thesis, which at the time in Germany was the required second doctorate necessary to become a university Professor. This was also completed at the Freie Universität. These achievements alone ought to have led to a permanent academic job at a German university. In addition, he also helped found the Berlin Society for the Study Mission History (Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte) in 1994 and has organized around a dozen international conferences as well as editing the prestigious Missionsgeschichtliches Archiv (History of Missions Archive) series for the Stuttgart publisher the Franz Steiner Verlag. But we are talking about German academia where contacts count and who you know is far more important than it is in the English-speaking world. Following the unification, or re-unification, of former East and West Germanies the task of purging former East German universities of communist academics was given to their West German colleagues. Therefore, whether or not you were a dissident in the GDR, as Dr. van deer Heyden was, did not count. 1 The most important thing 1
He showed me his thick STASI file.
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was for former West German academics to appoint their own students to newly available university positions regardless of the expertise of any former East German candidates for the same job. As a result, Dr van der Heyden fell through the cracks and began the life of an academic nomad continually fighting for his existence. Fortunately, members of the Theological Faculty at the Humboldt University, particularly Professor Andreas Feldtkeller, recognized his abilities and helped him find temporary employment. But it was always a struggle to obtain research grants and keep on publishing. Thus, a German professorship eluded him. Fortunately, things were different in South Africa where leading academics recognized the value of his work and he was eventually awarded the title of Professor. With this background in mind we will now turn to a consideration of the Reformed community in South Africa. CREATING A REFORMED IDENTITY IN SOUTH AFRICA Unlike many studies of Christian missions in Southern Africa the following deals with a Dutch mission to White South Africans who lived in relatively remote, often isolated, areas where they had lost contact with the established church and were thought to be slowly losing their Christian faith. As a group they spoke their own form of Dutch, which eventually became recognized as the new language of Afrikaans and were known as Boers. In 1858 the Reverend Dirk Postma (1818– 1890), was sent by the Dutch Separated Reformed Church (Afgescheiden Christelijke Gereformeerde Kerk) as a missionary to such people in South Africa. Once there he made contact with a largely rural, often very poor, and frequently despised people, who were given the nickname “Doppers”. 2 In the process of forming them into an organized church he installed in them a sense of community and new self-confidence that eventually turned them into a powerful, religious, social, and political, force in South Africa. 3 The South African Reformed Church (Gereformeerde Kerk van Suid Afrika), whose members are popularly known as “Doppers,” is the ecclesiastical expression of the community Postma helped create and sustain within its own symbolic uni-
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Postma, Willem: Doppers, Bloemfontein 1918; Spoelstra, Bernard: Die Doppers in SuidAfrika, 1760–1899, Johannesburg 1963. The origin of the term “Dopper” is disputed and may be a reference to views about baptism, the wearing of a small cap, or, as is commonly believed, to the drinking habits of people where a “dop” meant an alcoholic drink. More details about Postma’s early work are found in my chapter “Dirk Postma and Jan Lion Cachet’s Mission to South Africa: The Creation of Afrikanerdom”, in: van der Heyden, Ulrich/Stoecker, Holger (eds.): Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften und ihre Tätigkeit in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945 in politischen Spannungsfeldern, Stuttgart 2005, pp. 605–620.
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verse. 4 This universe was based on that of traditional Calvinism and is the one into which members of the community are initiated as part of their primary socialisation. 5 The very name “Reformed Church” identifies members of the community with the Genevan Reformation led by John Calvin (1509–1564). This sharply distinguishes them from other Protestant Christian groups. 6 As such they claim to base their actions on the Bible which is their only source of authority in matters of religion. 7 While recognizing the importance of Martin Luther they claim that the fullest expression of Biblical truth is to be found in John Calvin’s monumental work Institutes of the Christian Religion (1536–1560) and the later formulation of his teachings by the international church council known as the Synod of Dort which was held in Dordrecht, in the Netherlands, between 13 November 1618 and 7 May 1619. 8 In South Africa the Reformed tradition was established from the Netherlands by the Dutch East India Company and its early settlers. Things changed after 1795 when a new Dutch State, the Batavian Republic initiated liberal reform of both society and the Church in the Netherlands and South Africa. In South Africa these reforms were initiated by the Batavian Commissioner-General Jacob Abraham de Mist (1749–1823). In South Africa he abolished the old Church Order derived from the Synod of Dort and instituted a new one based on the thinking of the Enlightenment. 9 When the British took over the administration of the Cape in 1806, they upheld the “reforms” of de Mist and began to use the Church as an instrument to further the policy of Anglicising the Afrikaner population. To fulfil this policy, Lord Charles Somerset introduced Scottish ministers into the Church who would appear as true Calvinists to their congregations but who were loyal British subjects influenced by Methodism who served the ends of the colonial rules. In Reformed thinking, the Great Trek of 1834 was in part brought about by this liberal
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Berger, Peter: The Social Reality of Religion, Harmondsworth 1973, pp. 128–129 & 138. Berger, Peter/Luckmann, Thomas: The Social Construction of Reality, Harmondsworth 1967, pp. 149–157. Members of the church claim that Calvin was simply restoring the essence of Christianity which had previously existed in the early Church. See: du Toit, J. D./Hamersma, T./Los, S. O.: De Hervorming, Potchefstroom 1917, pp. 15–19; Kerkenordening, Potchesfstroom 1913, pp. XI–XIII; Kruger, L. S.: 1956, Waarom is u Lid van die Gereformeerde Kerk, Benoni 1957, p. 9–10. du Toit, J. D./Hamersma, T./Los, S. O.: De Hervorming…, op. cit., pp. 4–7, 16–30, 32–34; Kerkenordening…, op. cit., pp. XI–XII. McNeil, John T.: Institutes of the Christian Religion, London 1960, See: Hammersma, T./du Toit, J. D.: Johannes Calvyn, Potchefstroom 1909, pp. 1–76; du Toit, J. D.: Versamelde Werke, vol. VII, Johannesburg 1961, pp. 295–303. du Toit, J. D.: Vesamelde…, op. cit., vol. VII, pp. 245–328; Hanekom, T. N.: Die Liberale Rigting in Suid-Afrika, Stellenbosch 1951, pp. 79–122; Walker, Eric A.: A History of Southern Africa, London 1964, pp. 133–138; Hinchliff, Peter: The Church in South Africa, London 1968, pp. 16–18.
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revolution that changed the nature of the existing Dutch Reformed Church (Nederduitse Gereformeerde Kerk) and White South African society as a whole. 10 PRESERVING THE REFORMED TRADITION IN SOUTH AFRICA Before the arrival of Postma, the Doppers saw themselves as a small remnant of true Calvinists who rejected the Enlightenment and its rationalism by tenaciously holding to the Faith of their fathers. As a group these people were found in the more remote and isolated areas of the Eastern Cape, the Orange Free State, and the South African Republic commonly known as the Transvaal. They tested all things in light of the Calvinist dogmas which they had kept alive through mutual encouragement and the reading of trusted eighteenth century Dutch divines such as Wilhelmus á Brakel (1635–1711) as well as the old Dutch Bible with its numerous annotations and helpful references. 11 Yet they lacked a church organization of their own. Therefore, they were loosely affiliated with the Dutch Reformed Church which they increasingly saw as falling into apostacy. In 1853 the hopes of the Doppers were raised by the arrival from the Netherlands of a missionary the Reverend Dirk van der Hoff (1814–1881) who began work among scattered White communities and established the Dutch Re-Formed Church (De Nederduits Herformde Kerk) in the Transvaal. Their enthusiasm for van der Hoff was soon lost when he promoted evangelical hymns and liberal theology. 12 Six years later another Dutch missionary, the Reverend Dirk Postma (1818– 1890), arrived from the Netherlands and in 1859 helped the Doppers create their own denomination on what they believed were historic Calvinist principles. As such the Reformed Church (Gereformeerde Kerk), which Postma founded, was based on the standards of the Synod of Dort. His actions were seen as restoring Calvinism to its rightful place in South Africa, 13 complete with a strong church organization and self-understanding that gave its members an identity as the last remnant of true Calvinism and the Reformed tradition in South Africa. 14
10 du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol VII, pp. 328–347, 357–363; Hanekom, T. N.: Die Liberale Rigting in Suid-Afrika…, op. cit., pp. 123–190; Hinchliff, Peter: The Church…, op. cit., pp .13–28, 36–42; Walker, Eric A.: A History…, op. cit., pp. 143–144, 204–205. 11 Spoelstra, B.: Die Doppers…, op. cit., pp. 1–62; Postma, W.: Doppers, Bloemfontein 1918, pp. 11–43. 12 du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol. VII, pp. 364–367; Spoelstra, B.: Die Doppers…, op. cit., pp. 112–141; Walker, Eric A.: A History…, op. cit., pp. 298–299; Hinchliff, Peter: The Church…, op. cit., pp. 56–64. 13 Spoelstra, B.: Die Doppers…, op. cit., pp. 169–193; See p.43, 80 14 Kuyper, Abraham: Lectures on Calvinism, Princeton 1898, pp. 5–45; Weber, Max: The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism, London 1971 pp.108 –114; Troeltsch, Ernst: The Social Teaching of the Christian Churches, vol. II, London 1931, pp. 576–581, 610 & 652–655.
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ORGANIZING A TRUE CHURCH The ecclesiastical organisation of the Reformed Church in South Africa was characterized by a principle of church government that found its justification not in an ecclesiastical hierarchical organisation, like the Roman Catholics, nor in a national church like the Lutherans, but in the life of local congregations that encouraged the growth of an independent and democratic spirit. 15 This emphasis of the Reformed church on the importance of the local congregation may seem inconsistent with the enthusiasm of the Reformed Community for the use of Afrikaans as a language and Afrikaner Nationalism but it was not. The congregational aspect of their church organisation was balanced a strong bond with fellow Calvinists in affiliated congregations and churches in America, the Netherlands, and occasionally Britain. 16 Importantly, membership of the new Reformed Church spanned all of the different South African territories such as the South African Republic, the Orange Free State, the Cape, and to a limited extent Natal. In doing so, it united its members in one organization with a common identity for members living all over Southern Africa. The system of church government was representative in that office bearers were elected by the local congregation and exercised a delegated authority for the congregation vested in the symbolic authority of God. As a result, the day to day running of the church rested with its elected officers and not directly with individual members. 17 A careful balance existed between the local congregations and the denomination as a whole. Although ultimate power resided with each local congregation, the latter did not regard themselves as independent, but rather as part of one church. Yet in forming this union the Reformed were not investing the governing bodies of their church with the power to create permanent organisational and bureaucratic structures to control their ecclesiastical life. Instead, they created symbols of unity which acknowledged their limited authority in the formulation of church policy, its life, and doctrine. 18 This meant each individual member of the church had an incentive to become involved in local congregations which looked beyond themselves to a greater whole.
15 Kerkenordening…, op. cit., pp. XI–XII; du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol.VI, pp. 391–399; Bavinck, Herman: Our Reasonable Faith, Grand Rapids 1956, pp. 514–543; Hill, Christopher: Century of Revolution, London 1966, pp.78–86; Geertsems, P. G.: The Reformed Church in South Africa, Potchefstroom 1969, pp. 24–25. 16 Het Kerkblad, 1/7/1903, 15/6/1904, 15/10/1904; General Synod, 1904, art. 17, 106, 133, 134, 213, etc.; 1920 Bylaag P. 17 Kerkenordening…, op. cit., art. II–XXVIII; du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol. VI, pp. 400–427. 18 Kerkenordening…, op. cit., art. 29–52.
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THE OFFICES AND ASSEMBLIES OF THE REFORMED CHURCH The church recognised four offices in its Church Order. These were ministers of the word, 19 professors of theology, 20 elders, 21 and deacons. 22 The task of the ministers and professors of the church was to study and expound the Bible as the Word of God. They were to instruct in true doctrine and warn the people under their charge, be they students at the Theological School or members of their congregations, against error. In this way, they were believed to fulfil the prophetic function of the Christian ministry. Professors at the Theological School were always chosen from practising ministers with years of congregational experience to ensure that their teaching would be geared to training men for work in congregations and not based on theoretical abstractions. 23 The task of the elders was in many ways the key to the whole structure of the church. They were charged with the supervision of office bearers in local congregations over whom they also exercised special powers. Together with the minister, the elders formed the local Session, or Church Council, which governed local congregations. Elders were appointed to their position by the congregation with the approval of existing members of the Church Council. In this way church members participated in a form of direct democracy. In the course of their duties Elders were required to carry out regular visits to the homes of Church members in districts allotted to their charge. On such visits they were expected to inquire into the spiritual state of the family concerned and admonish, comfort, or encourage, them according to their discretion. They also observed the material state of families noting such things as evidence of poverty and the need for practical help. Such issues were then reported to the deacons. These visits were carried out as often as possible and always prior to the celebration of Communion which was held every quarter. 24 To an outsider, the regular visits by church elders to people’s homes probably seeme intrusive. But, this is not how it was seen by members of the Reformed Church. Rather, it was evidence of the congregation’s care for its members. As informants often told me such visits were anticipated and welcomed because “members of the congregation knew they were not alone.” As a result, whatever their difficulties, “people knew that help was at hand” and they “did not have to beg for it.” Rather, the deacons recognized needs and organized assistance. Sometimes this meant financial or other help, but often it simply meant someone to talk to knowing that “they could be trusted to share one’s burdens.” 25 19 20 21 22 23 24 25
Ibidem, art. 3–17. Ibidem, art. 18–21. Ibidem, art. 22–24. Ibidem, art. 25–28. Ibidem, art. 18–21. Ibidem, art. 22–24; du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol. VI, pp. 427–454. These comments are based on interviews with church members in the early 1970’s largely conducted in Potchefstroom, but also in places like Burgersdorp and sometimes on farms.
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Deacons fulfilled the important function of administering the welfare programme of the Church and were required to collect and distribute aid to the needy. In their charge were widows, orphans, the poor and sick. The whole social ministry of the Church rested upon its deacons who were in effect unpaid lay social workers. Through their efforts a bond was created between the members of the local congregation which gave the Church’s communal life a reality. Thus, through the deacons, wealthier members provided care for those unable to help themselves. At the same time, a real sense of a caring community and affinity between the better off and poorer members was created. 26 Once again, my informants related many examples of the type of assistance provided by local congregations through its deacons. This ranged from simple things like providing shoes for children in cold winters, to gifts of food and sometimes money. It also involved helping people get bank loans and warding off the foreclosure of mortgages. The range of assistance was considerable, but it was always personal even though sometimes the source of the help remained anonymous. What it did was to prove that talk about things like “fellowship” and “community” within the church were real and very practical experiences. Local congregations were linked together by a system of recognised authorities which were consulted on matters of doctrine and questions of practice. These bodies also organised those matters requiring the co-operation of several congregations or the attention of the entire Church. Such things as special collections to aid the needy in poor congregations, the support of missionaries and ministers in poor congregations, as well as the establishment and running of the Theological School, came under their jurisdiction. Above the local congregation was the Classis or regional gathering of Churches. The Provincial Synods (Algemene Vergadering) stood over the Classis and above these bodies was the General Synod of the Church. Classis met fairly regularly, Provincial Synods every year and the General Synod every three years. 27 A number of informants who served as congregational representatives on church bodies told me that the experience widened their vision as they were able to share what they learnt from other congregations with their own people. As a result, provincial and national meetings created a sense of a shared identity linking people facing similar situations in farms, villages, towns and cities accrpss South Africa. In turn, Church Synods selected for discussion issues that affected most members of the Dopper community wherever they lived. This enabled those who attended to see local problems in a wider context that that created shared insights about their resolution. Participation in Synods also reinforced the democratic element in church government, because individual members were allowed to question
26 Kerkenordening…, op. cit., art. 25–27; du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol. VI, pp. 454–468. 27 Kerkenordening…, op. cit., art. 29–52; du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol. VII, pp. 110–113.
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the decisions of all of the church’s governing bodies up to the highest council of the Church provided they could justify their arguments on the basis of the Bible. 28 CHURCH CEREMONIES AND DISCIPLINE The ceremonies of the Reformed Church centred on the worship service which was normally held every Sunday. At this service the preaching of God’s Word was the central element. The whole service was therefore built around the exposition of the Bible. Actual services varied from congregation to congregation throughout this period but generally they contained the following a pattern involving an opening scripture reading, the singing of psalms, the reciting of the Apostle’s Creed, congregational prayer and an exposition of scripture in the sermon. Sermons were intended to emphasize understanding the message of the Bible. Amusing anecdotes, entertaining stories, and anything that might detract attention from biblical truth was to be avoided. 29 Expounding scripture in this way left no room for ifs and buts. Rather it presented hearers with clear guidelines intended to shape their interaction with others whoever they might be. The two sacraments recognised by the church were those of the Lord’s Supper, or communion, and baptism. In addition to these they held special services for the solemnization of marriages and the confirmation of children who had reached the age of discretion and wished to take upon themselves the vows made on their behalf at their baptisms. Baptism usually took place during a regular worship service, but communion was part of a special service. 30 As a Calvinist church, the Reformed Church justified the practice of infant baptism by reference to God’s covenant that embraced families as well as individuals. As such baptism symbolized entry into the Christian community that the Reformed Church sought to create among its members. At the baptismal service parents accepted the obligation of raising their children in the fear and knowledge of God. In later years, when they were deemed to have reached the age of discretion, usually in their early teens, children, were expected to confirm their parent's faith by taking upon themselves the promises made on their behalf at their baptism to live a consistent Christian life in accordance with the Reformed worldview. 31 Importantly, at baptismal services the whole congregation was encouraged to participate in the upbringing of the child leaving no doubt about it being part of a greater community which provided the practical help this implied. 28 Hill, Christopher: Century of Revolution…, op. cit., pp.78–86; du Plessis, J. A.: Op die Spore van die Calvinisme in ons Maatskappelike en Stgaatkundige Lewe, Potchefstroom 1917, pp. 8, 10–15, 20–29. 29 du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol. VII, pp. 69–108. 30 Kerkenordening…, op. cit., art. 55–64; Bavinck, Herman: Our Reasonable…, op. cit., p. 541; du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol. VII, pp. 99–108, 232–268. 31 Kuyper, Abraham: Lectures on Calvinism…, op. cit.
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Church discipline, known as “censure,” played an important role in the practice of the church and was based on the right of the minister, through his Church Council, to exclude members from the communion service, that is the community of believers. The intention was clear. The Church should strive to retain its character as an uncorrupted body undefiled by known sinners who were making a mockery of true religion. In practice censure was a powerful means of cementing the unity of congregations and assuring members that when they gave their time and money to help the poor they were helping deserving cases not people who brought their problems on themselves by spending their income on alcohol or prostitutes. 32 Discipline also allowed church leaders to reconcile conflicting parties and maintain a sense of a shared community where everyone respected God and their neighbour. 33 The censure process was carefully controlled. When an elder became aware of a problem he would approach the erring member and seek a solution. If this was a minor offence it could be confessed and repented and there the matter would rest. But for more serious offences reconciliation had to be achieved between those involved in the presence of two or three elders. 34 When an offender refused to remedy their ways, then the matter was taken before the Church Council and the guilty party placed under the first step of discipline. This involved public prayer for the sinner to members of the Church Council and others directly involved with the case. A second step followed which involved the naming of the offender and a public confession. Finally, the third step of censure could be invoked if repentance was not forthcoming, the guilty party was publicly condemned and excluded from Communion. 35 In practice censure meant that the Church Council exercised considerable control over the congregation as a whole and through the congregation the local community. 36 The elders of the Church Council preserved the unity of the congregation and strengthened its self-identity against outsiders who might present a threat to its existence. 37 So great was this power that only on rare occasions did members allow matters to proceed to the stage of final excommunication and expulsion. In fact, in the seven representative congregations examined in detail only two cases occurred 32 In the archives of the Reformed Church most of the serious censure cases I read involved Black prostitutes and in one case an individual who was expelled for running a brothel. 33 Bavinck, Herman: Our Reasonable…, op. cit., p. 542; du Toit, J. D.: Versamelde…, op. cit., vol. VI, pp. 445–454. 34 Kerkenordening, 1913, art. 74–79; Gereformeerde Kerk Archives, Potchefstroom (GKA), Middleburg Church Council Minutes (GKA-MCC), 3/1/1903 art. 3; 3/4/1903 art. 4; Rustenburg Church Council Minutes (GKA-RCC), January 1903, art. 22; October 1903, art. 3. 35 Kerkenordening, Potchefstroom, 1913, art. 74–79; GKA-MC, 29/9/1905, art. 16 & 18; 5/1/1906 art. 11; Burgersdorp Church Council Minutes (GKA-BCC), 14/10/1908 art. 8; 5/3/1909 art. 3; 16/4/1909 art. 5. 36 The Friend, Bloemfontein, correspondence on the influence of the Reformed Church in Reddisburg, 4/9/1916 – 27/11/1916, 37 Berger, Peter/Luckmann, Thomas: The Social Construction…, op. cit., pp. l77–182; Berger, Peter: The Social Reality…, op. cit., p. 56.
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during the entire period of seventeen years studied and both involved criminal activities. 38 CHURCH AFFAIRS GENERALLY During the early period, until at least 1920, a minister’s status was held in very high regard. In many cases he was the most educated member of the community and looked up to as its natural leader. 39 Once ordained, a minister was given a free house and an above average salary. 40 In addition to these payments it was usual for congregations to keep their minister’s larder well stocked and to cover most of his expenses. 41 Each congregation made its own arrangements with its minister and was responsible for finding him his house and salary. 42 Poorer congregations, however, were aided by a fund set up for the purpose of the Provincial Synods (Algemene Vergaderinge ). 43 In addition to supporting the minister, congregations paid a small sum to the organist, lead singer, and verger or caretaker. Catechists were paid a set fee by the parents of the children they prepared for confirmation. In the case of very poor children the congregation would pay the catechist. 44 One of the longer-term effects of the high status of clergy was the development of great respect for education. Encouraged by the minsters themselves and the seriousness with which the Reformed Church regarded higher education many people came to see obtaining an education as a goal. This was accompanied by an egalitarianism that taught church members that anyone who had the ability and worked hard could become a leader in society As a result, young people in the church began to aspire to become doctors, lawyers, and ministers which were professions their parents and grandparents had considered beyond their abilities. Once again, many informants from all age groups told me how the example of a particular minister inspired them to get an education and become a professional.
38 Cf. Cronje, G. (ed.): Kerk en Huisgesin, Pretoria, 1958. Here an exact reference is not given because decedents of the people involved in criminal acts are still alive and could be traced. 39 Krige Uys (ed.): Olive Schreiner. A Selection, Cape Town 1968, pp. 149–151. 40 GKA-MCC 19/8/1912, art. 10; Kerkenordening…, op. cit., art. 30 & 31; Potchefstroom Church Council Minutes, (GKA-PCC), 2/7/1902 art. 33; Algemeene Vergadering Transvaal (AVT), 1920, Bylae 1. 41 Information gained in conversation with elderly members of the Church. 42 GKA-MCC, 27/2/1904. 43 GKA-Algemene Vergadering Cape (GKA-AVC), 1902, art. 29, 1904, art. 1; GKA-Algemene Vergadering Orange Free State (GKA-AVO), 1904, art. 75. 44 GKA-MCC, 16/5/1918 art. l3; when the amount paid was £50 per annum; MC July, 1902 art. 9, when the amount paid was ten shillings a month; GKA-MCC, 12/5/1905, art. 7, £5 per month was paid. GKA-BCC, 8/4/1910 art. 6, children paid 5/or 2/- per month depending on their means. The total amount a catechist received £1 per month. GKA-MCC, 6/11/1908 art. 10.
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Congregations were also expected to raise money to assist the poor and needy, 45 contribute to general Church funds, 46 support the Theological School, 47 its Literary Department, Christian schools, and any other worthy causes which might arise. Monies for all of these activities were raised by congregational collections, the hiring of Church pews, sales and special appeals. 48 To encourage members to support such fund-raising activities elders visited members in their homes to discuss with them their ability to support the Church. Those members who refused to give their fair share were then censured by the Church Council. In times of economic depression payment in kind was accepted instead of cash. A fixed scale was laid down by which cattle and other gifts could be valued. 49 Here again it is important to note that the system of elders and deacons who were elected by local congregations meant that congregation members knew that their donations were always well spent. Therefore, they were “cheerful givers” because they could see how their money was used for the good of the community. HISTORY AND IDENTITY: MAKING SENSE OF THE DOPPER COMMUNITY How are we to understand the achievement of Postma and the Dopper Community in South Africa? The Reformed Church was founded as a mission to relatively poor whites who were mainly farmers living in a vast and sparsely populated area of South Africa. These included parts of the northern Cape Province, the Orange Free State and the Transvaal. From the beginning, the Dutch mission, led by Dirk Postma and his close associate Jan Lion Cachet (1838–1912), who was a converted Jew, concentrated on uplifting the people through education. Insight into the process of community creation that groups practice is found in Peter Berger and Thomas Luckmann’s book The Social Construction of Reality. They argue that every individual, just like every society, continually faces the threat of chaos and death. 50 Within society the individual finds a refuge from the terror of meaninglessness through a shared reality that authenticates his existence. 51The individual's identity, and as a result his or her sanity, is preserved within society by meaningful communication with significant others who confirm his identity through the creation of an inter-personal objectivity. 45 46 47 48
GKA-MCC, 10/11/1910, art. 16. GKA-MCC, 17/11/1916, art. 7. GKA-MCC, 21/2/1919, art. 10. GKA-AVT, 1919, art. 15; GKA-MCC, 15/11/1907 art. 4 & 9; 14/9/15 art. 2, 10/8/1917, art. 5, 17/5/1907, art. 8; GKA-Bl.CC., 3/7/1908 art. 15; GKA-MCC, 27/11/1903 art. 7; at that time the fee was four shillings a month. In April 1913 the poor were exempt from pew fees; GKA-MCC, 18/4/1913 art. 5; 11/S/1906 art. 11; GKA-PCC, 13/5/1905 art. 13; GKA-MCC, July 1903 art. 31. 49 GKA-MCC, 11/11/1910 art. 3; 15/1/10, art. a. 50 Berger, Peter/Luckmann, Thomas: The Social Construction…, op. cit., p. 121. 51 Ibidem, pp. 118–120.
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Ultimately, however, the reality of this identity is legitimated by placing it within the context of a socially accepted symbolic universe. When this is done the threat of chaos and death is averted and the individual can live at peace. The symbolic universe is able to achieve this result because it locates all collective events in a cohesive unity that includes past, present and future. With regard to the past, it establishes a “memory” that is shared by all the individuals socialized within the collectively. Thus, the symbolic universe links people with their predecessors and their successors in a meaningful totality, serving to transcend the finitude of individual existence and bestowing meaning upon the individual's death. 52 In this way history, or rather the received history of a group, functions to maintain the continuity and identity of that group and in doing so provides the individual within the group with significance and meaning. 53 In the case of the Reformed Church its beliefs and preaching based on the Bible provided its members with the symbolic universe they needed. The ever-present existential threat of chaos and death and the terror of meaninglessness was countered with Biblical promises of God’s care and protection in this life and the next. Importantly, the organizational activities of the Reformed Church communicated a message of hope. Through them congregants were given a practical vision of the future where education and the improvement of their lives and those of their children were seen to be a real possibility. Thus, the church’s “organizational activities” communicated an ethos 54 that changed the behaviour of members by pointing to glimpses of a better future realized in practical assistance in the present. Thus, these activities based on precise rules and a complex organization can create a strong sense of identity. In the process they enabled people to escape ignorance and poverty, and despite looking back in history for the origins of their faith, grasp the realities of life in the late nineteenth and early twentieth century. Consequently, the community as a whole was able to move forward as the century developed to become a prosperous and well-educated group of people. CONCLUSION Looking in detail at the structure of the Reformed Church shows a carefully planned organization that located decision making and power in the hands of the individual members of each congregation. Of course, at the time that meant the 52 Ibidem, pp. 120–121. 53 Ibidem, pp. 115–122. 54 Cf. Reed, Mike: Is Communication Constitutive of Organization?, in: Management Communication Quarterly, no. 1, Newbury 2010, pp. 151–157; Schoeneborn, Dennis: Organization as Communication: A Luhmannian Perspective, in: Management Communication Quarterly, no. 4, Newbury 2011, pp. 663–689; Schoeneborn, Dennis/Sandhu, Swaran: Where Birds of Different Feather Flock Together. The Emerging Debate on ‘Organization as Communication’ in the German-Speaking Countries, in: Management Communication Quarterly, no. 2, Newbury 2013, pp. 303–313; Hexham, Jeremy: An exploration of the communication strategies of three early think tanks, unpublished PhD Thesis, University of Calgary, Calgary 2018, pp. 92–99.
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male members of each congregation, but it is a mistake to think that the women were powerless. Other evidence shows that women wielded considerable influence. The main point though is that because members of each congregation were expected to make decisions and see them realized in action, they developed a remarkably democratic spirit and distinct identity that valued education and enterprise. By any standards this was a remarkable achievement that offers insight into the mechanics of successful economic and social development in Africa and other places.
„ALS DER KRIEG AUSBRACH“ 1: DIE PERSÖNLICHEN ERINNERUNGEN DEUTSCHER MISSIONARE IN KAMERUN UM 1914 Felicity Jensz
EINLEITUNG Als im August 1914 die Nachricht in Kamerun verbreitet wurde, dass der Krieg in Europa ausgebrochen war, befanden sich um die 100 europäische Personen der Basler Mission dort, unter denen auch Phillip Hecklinger und seine Frau waren, die schon fast 19 Jahre in Kamerun als Missionare gearbeitet hatten. 2 Laut der deutschen Interpretation der Kongokonferenz (Berlin Konferenz), die 1884/85 zwischen den europäischen Kolonialmächten abgehalten wurde, sollte der europäische Krieg nicht in den afrikanischen Kolonien durchgeführt werden. Dies teilte Staatssekretär Dr. Solf im Jahre 1914 den Missionaren mit. 3 Trotz des Abkommens waren die Missionare bald vom Kriegsausbruch betroffen. 4 Alle Basler Missionarinnen und Missionare in Kamerun wurden ausgewiesen, auch die Schweizer unter ihnen. Für die Basler Mission war der Verlust des Missionsgebietes Kamerun nur eines von fünf Missionsgebieten (von denen es ehemals sechs gegeben hatte), die durch die Folgen des Krieges verloren gingen. Der Krieg war ein Erlebnis unter vielen, die die Missionsgesellschaften stark mit Gewalt und Kolonialherrschaft konfrontierten. Ulrich van der Heyden erläutert in seinen zahlreichen Beiträgen zu Missionsgeschichte die schwierige Beziehung zwischen Mission und Macht, Mission und Gewalt und Mission und Kolonialismus. Dass die deutschen Missionsgesellschaften zusammen mit der deutschen Kolonialherrschaft arbeiteten und dass „ihr […] Wirken[...] für die Gewinnung, Aufrechterhaltung und Durchsetzung der jeweiligen Kolonialmacht“ genutzt wurde, ist, so van der Heyden, unumstritten. 5 In seiner Arbeit erläuterte van der Hey1 2 3 4 5
Stutz, Jb.: Blätter aus den Kriegstagen der Basler Missionsstation Sakbayeme in Kamerun, Stuttgart o. J., S. 6. Ich möchte hier Anna Möllers besonders für die Hilfe in der deutschen Sprache danken. Stutz, Jb.: Blätter aus den Kriegstagen…, a.a.O., S. 5. Allerdings sicherte die Kongokonferenz nur die Neutralität des Kongoflusses. Vgl. Murphy, Mahon: Colonial Captivity during the First World War. Internment and the Fall of the German Empire, 1914–1919, Cambridge 2018, S. 41. van der Heyden, Ulrich: Das Schrifttum der deutschen Missionsgesellschaften als Quelle für die Geschichtsschreibung Südafrikas. Dargestellt vornehmlich anhand der Berliner Missionsgesell-
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den, wie die Geschichte protestantischer Missionsgesellschaften eng mit Gewalt, Machtauseinandersetzungen und Imperialismus verbunden war, aber auch, wie die hinterlassenen schriftlichen Quellen von Missionaren zu wissenschaftlichen Kenntnis der Länder und Regionen, in denen die Missionarinnen und Missionare tätig waren, beisteuern konnten. 6 In diesem Beitrag werden Themen wie Gewalt, Machtverhältnisse und Kriegserinnerungen anhand von persönlichen Erinnerungen deutscher Missionare erarbeitet. Dabei sollen besonders die Erinnerungen der Basler Missionars Phillip Hecklinger und seiner Frau, die als Kriegspropaganda gelten, untersucht werden. Der Beitrag nimmt die Frage nach der Verflechtung von europäischer und außereuropäischer Geschichte in Bezug auf die Kriegsgefangenschaft in den Blick, die auch von Mahon Murphy jüngst in seiner Monografie bearbeitet wurde. 7 Aber der Fokus dieses Beitrags liegt nicht auf der Kriegsgefangenschaft oder auf der Frage, wie das Schrifttum als Quelle für die Geschichtsschreibung Kameruns verwendet werden kann. Vielmehr soll analysiert werden, wie die Berichte als Propaganda eingesetzt worden sind und wie die Rahmenbedingungen für das Verhalten der Basler Missionarinnen und Missionare gegenüber der Regierung und den Bewohnern Kameruns dargestellt worden waren. Damit möchte ich die sozialen, politischen und auch religiösen Beziehungen in dieser schwierigen Zeit aus dem Blickwinkel der Basler Missionare, und besonders aus der Perspektive der Hecklingers in Kamerun, untersuchen, um der Frage nachzugehen, was der Krieg für die Mission und die Kolonie im Ganzen bedeutete. KAMERUN, MISSION UND DEUTSCHE HERRSCHAFT Im Dezember 1886 übernahm die Basler Mission die Missionsarbeit von den Englischen Baptisten in Kamerun, die schon seit 1843 vor Ort waren. Die Baptisten hatten schon das Neue Testament ins Duala, die Sprache der gleichnamigen Bevölkerung, übersetzt und konnten einige Hundert Konvertitinnen und Konvertiten vorweisen. Mit dem Anfang der Basler Mission wuchs die Zahl von Stationen rasch, teilweise weil die Mission viel Unterstützung von der Kolonialregierung bekam. 8
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schaft, in: ders./Liebau, Heike (Hrsg.): Missionsgeschichte – Kirchengeschichte – Weltgeschichte. Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien, Stuttgart 1996, S. 123–138. van der Heyden, Ulrich/Feldtkeller, Andreas (Hrsg.): Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen, Stuttgart 2012; van der Heyden, Ulrich/Liebau, Heike (Hrsg.): Missionsgeschichte…, a.a.O.; van der Heyden, Ulrich/Stoecker, Holger (Hrsg.): Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945, Stuttgart 2005; van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus! Antikoloniale Haltungen in der Deutschen Geschichte von Mitte der 1880er-Jahre bis zum Beginn der 1930er-Jahre – Ein Überblick, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Nr. 3, Leiden 2018, S. 224–253. Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O., S. 3. Zur Geschichte der Basler Mission in Kamerun siehe: Dah, Jonas N.: Missionary Motivations and Methods. A Critical Examination of the Basel Mission in Cameroon 1886–1914. Doctor
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Im Jahr 1898 wurde eine dritte Hauptstation, Bonaberi bei Duala, gegründet, 9 die Station, wo Hecklinger normalerweise tätig war, obwohl er zur Zeit des Ausbruchs des Krieges bei der Missionsstation Bonaku beschäftigt war. 10 Auf den Stationen wurde in den Schulen der Basler Mission Deutsch gelehrt, 11 und viele Kamerunerinnen und Kameruner wurden als Lehrer und Gehilfen der Mission eingestellt. Kamerun wurde schon im Jahre 1868 in das deutsche koloniale Denken einbezogen. Kamerun wurde eine Handelskolonie teilweise durch die Wirkung des Hamburger Handelshauses Woermann, das im gleichen Jahr eine Niederlassung in Kamerun errichtete. Andere deutsche Handelshäuser kamen über die nächsten Jahrzehnte dazu. Um ihre Interessen zu schützen, wandten sich die Handelshäuser an das Deutsche Reich. Reichskanzler Otto von Bismarck kam den Forderungen der Handelshäuser nach, indem er den ‚Afrikaforscher‘ Dr. Gustav Nachtigal im März 1884 zum „kaiserlichen Kommissar für die Westküste Afrikas“ ernannte. Bald danach wurden „Schutzverträge“ mit den Herrschern der Volksgruppe der Duala unterzeichnet. 12 In Kamerun war die deutsche Schutzherrschaft zuerst auf das Küstengebiet begrenzt, wo die Hafenstadt Duala als Wirtschaftszentrum der Kolonie lag. Erst ab 1911 wurde die Kolonie durch den Besitz von Neu-Kamerun erweitert, das von Frankreich als Folge des Marokko-Kongo-Abkommens an Deutschland abgegeben wurde. Dadurch galt Kamerun als die drittgrößte deutsche Kolonie im Hinblick auf ihre geografische Größe. Sie war aber auch bis 1913 die deutsche Kolonie mit den im Durchschnitt meisten Exporten. 13 Umgeben von spanischen, britischen, französischen und belgischen Kolonien war der Anfang der Kolonie nicht ohne politische Konflikte, die sich auf einer internationalen Ebene abspielten. 14 Kamerun blieb eine Handelskolonie unter deutscher Herrschaft. Von der Gründung einer Siedlungskolonie wurde abgesehen, da das Klima für Weiße als ungeeignet galt. 15 Demzufolge arbeiteten die Basler Missionare mit der indigenen Bevölkerung. Es gibt keine konkreten Zahlen für die indigenen Einwohner in Kamerun in der Kolonialzeit. Der Schätzung nach lag die Zahl zwischen einer halben und drei Millionen. 16 Die Zahlen der Europäerinnen und Europäer sind dagegen sehr klein: Laut einer Studie von 1913 wohnten im Jahr 1911 in Kamerun 1.455 Europäer, davon 156 Frauen und 66 Kinder. Die Mehrzahl waren deutsche Reichsangehörige (1.311). Zwei Jahre später stieg die Zahl auf 1.871. 17 Die
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of Theology, University of Basel 1983; Schlatter, Wilhelm: Geschichte der Basler Mission, 1914–1919, Bd. 4, Basel 1965. Ebenda, S. 46. 28. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter über Krieg und Kriegsgefangenschaft in Kamerun und England, Stuttgart 1916, S. 15. Schlatter, Wilhelm: Geschichte…, a.a.O., S. 49. Schulte-Varendorff, Uwe: Krieg in Kamerun. Die deutsche Kolonie im Ersten Weltkrieg, Berlin 2011, S. 10. Gründer, Horst: Geschichte der Deutschen Kolonien, 4. Aufl., Paderborn 2000, S. 139–140. Seidel, S.: Deutschlands Kolonien, Erftstadt 2004, S. 144. Gründer, Horst: Geschichte der Deutschen Kolonien…, a.a.O. Seidel, S.: Deutschlands Kolonien…, a.a.O., S. 144. Gründer, Horst: Geschichte der Deutschen Kolonien…, a.a.O., S. 139.
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Europäer waren meistens Händler, Beamte oder Missionare, die alle verschiedene Interessen gegenüber der Bevölkerung Kameruns vertraten, die sich kaum zugunsten der lokalen Bevölkerung auswirken. Um die Interessen der deutschen Unternehmen zu fördern, wurde Land beschlagnahmt und Dörfer wurden zwangsumgesiedelt. Die Kamerunerinnen und Kameruner wurden gezwungen zu arbeiten, um deutsche Interessen zu begünstigen. Zum Beispiel kaufte die deutsche Regierung im Sommer 1891 370 Männer und Frauen von dem Dahomey-König Behanzin ab. Diese hatten in den Plantagen harte Arbeit ohne Lohn zu leisten. Solche Maßnahmen machten die deutsche Regierung unter den Dahomey unbeliebt. Dagegen pflegten die Duala eine durch Handelsinteressen geleitete bessere Beziehung mit den Deutschen. 18 Die deutsche Kolonialpolitik gegenüber den in Kamerun lebenden Afrikanerinnen und Afrikanern war teilweise sehr grausam. Die Konflikte um die brutalen Arbeitsbedingungen der Kamerunerinnen und Kameruner blieben nicht nur zwischen den Missionaren und Plantagenbesitzern vor Ort, sondern wurden zum Thema in Deutschland. Trotz der immer regulierten Arbeitsverhältnisse beschrieben die Basler Missionare die Arbeit in den Plantagen als „eine neue Art der Sklaverei“. 19 Die Basler Mission hat sich, wie einige sowohl evangelische als auch katholische deutsche Missionsgesellschaften der Zeit, für die Interessen der Bevölkerung eingesetzt, was manchmal zum Konflikt mit der Regierung führte. 20 Der Einsatz der Mission für die Bevölkerung Kameruns sollte aber nicht den Widerstand und Protest seitens der lokalen Bevölkerung ausblenden. Wie Andreas Eckert für die Duala festgestellt hat, haben sich die Duala-Proteste und -Aufstände gegen die deutsche Herrschaft in verschiedensten Arten und Weisen geäußert. 21 Nichtdestotrotz trugen im Allgemeinen deutschsprachige Missionsschriften dazu bei, ein Bild von Afrikanerinnen und Afrikanern aufrechtzuerhalten, das sie als kindlich darstellt, was sowohl einer Verharmlosung der Kolonialisierung Afrikas gleichkam, als auch den Versuch kennzeichnet, die Missionsarbeit zu legitimieren. 22 Neben der evangelischen Basler Missionsgesellschaft befanden sich in Kamerun auch die Baptisten und die amerikanische Mission der Presbyterianer. 23 Die katholische Mission wurde durch die Gesellschaft der Pallottiner vertreten (voll-
18 Eckert, Andreas: Die Duala und die Kolonialmächte. Eine Untersuchung zu Widerstand, Protest und Protonationalismus in Kamerun vor dem Zweiten Weltkrieg, Münster/Hamburg 1991, S. 130–135. Zur allgemeinen deutschen Herrschaft in Kamerun vgl. Schulte-Varendorff, Uwe: Krieg in Kamerun…, a.a.O. 19 Gründer, Horst: Christliche Mission und Deutscher Imperialismus, 1884–1914, Paderborn 1982, S. 160. 20 Dah, Jonas N.: Missionary Motivations…, a.a.O., S. 146–158. 21 Eckert, Andreas: Die Duala und die Kolonialmächte…, a.a.O., S. 10. 22 Loosen, Livia: Arme Heiden oder Individuen? Darstellungen der Indigenen Bevölkerung durch weibliche Deutsche Missionsangehörige in der ehemaligen Deutschen Kolonie Neuginea, in: Fuchs, Martin/Linkenbach, Antje/Reinhard, Wolfgang (Hrsg.): Individualisierung durch Christliche Mission?, Wiesbaden 2015, S. 237–49. 23 Seidel, S.: Deutschlands Kolonien…, a.a.O., S. 155.
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ständiger Name: Gesellschaft des Katholischen Apostolates). 24 Unter diesen Missionsgesellschaften waren die Basler Mission und die Pallottiner Mission hinsichtlich der Infrastruktur, des Personals und der Mitgliederzahlen die größten. 1908 hatten die beiden zum Beispiel jeweils um die zehn Hauptstationen und über 8.000 Mitglieder. 25 Die Zahl der Mitglieder der Basler Mission wuchs rasch weiter und bis 1913 gab es 15.112 christliche Kamerunerinnen und Kameruner, die in über 400 Gemeinden an Nebenstationen der Basler Mission angesiedelt worden waren. 26 Wie in vielen anderen Missionsgebieten waren nicht unbedingt alle Gemeindemitglieder wegen des Christentums zu den Missionsstationen gekommen, sondern, wie Jonas Dah in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Basler Mission in Kamerun von 1983 feststellte, haben viele Menschen in erster Linie einen sicheren Ort innerhalb der wechselnden politischen Verhältnisse in Kamerun gesucht. 27 Als der Kriegszustand in Kamerun zu spüren war, war die Kolonie nur von wenigen Truppen geschützt. Zwar gab es eine Schutztruppe, allerdings waren die 1.650 afrikanischen und 205 deutschen Soldaten nicht in der Lage, den britischen und französischen Truppen Widerstand zu leisten. Auch wenn man die Polizei und Freiwillige dazu zählt, wird die Höchstzahl der Männer, die Kamerun im Krieg verteidigten, auf 6.550 Afrikaner und 1.460 Deutsche geschätzt. Diesen standen circa 18.000 britische, französische und belgische Truppen gegenüber, obwohl diese Zahl umstritten ist. 28 Über die Situation berichtet Hecklinger Ende September 1914: „Wir sind im Schutzgebiet menschlich gesprochen ohne Schutz.“ 29 Nachdem Duala von den britischen und französischen Truppen im September 1914 besetzt wurde, wurden die Basler Missionare interniert und später ausgewiesen. Kamerun war nicht der einzige Ort, an dem Basler Missionarinnen und Missionare inhaftiert wurden, auch in Indien und China machten Missionarinnen und Missionare ähnliche Erfahrungen. 30 Die Inhaftierung der in den Kolonien wohnenden europäischen Zivilbevölkerung war eine zuvor noch nicht ausgeübte Maßnahme, die den Ersten Weltkrieg als besonderen Kriegsschauplatz kennzeichnet. 31 Bis Ende 1919 mussten 166 Basler Missionare und 20 Schwestern von knapp über 600 ihre Arbeit aufgeben und fünf von sechs Arbeitsgebiete wurden ihnen genommen. 32 Ähnliche Erfahrungen machten andere deutsche Missionsgesellschaften, sowohl auf evangelischer als auch auf katholischer Seite und nicht nur in 24 Zur Geschichte der Pallottiner in Kamerun, vgl. Vieter, Heinrich (Hrsg.): Herz-Jesu-Provinz der Pallottiner. Chronik der katholischen Mission Kamerun, 1890–1913, Friedberg 2011. 25 Dah, Jonas N.: Missionary Motivations…, a.a.O., S. 121. 26 Kellerhals, E. (Hrsg.): Ich will sie mehren und nicht mindern. Fünfzig Jahre Baseler Missionsarbeit in Kamerun, Stuttgart/Basel 1936, S. 100–101. 27 Dah, Jonas N.: Missionary Motivations…, a.a.O. 28 Schulte-Varendorff, Uwe: Krieg in Kamerun…, a.a.O., S. 19. 29 19. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 12. 30 Im Tiegel der Trübsal, in: Evangelischer Missions-Kalender, Basel 1916, S. 62 ff. 31 Vgl. Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O. 32 Die sechs waren Goldküste, Indien, China, Nordborneo, Kamerun und Togo. Vgl. Schlatter, Wilhelm: Geschichte…, a.a.O., S. 17, S. 297–298.
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deutschen Kolonien, sondern ebenso in Kolonien unter Fremdherrschaft. 33 Die Arbeit der Basler Mission wurde nach dem Krieg von der Société des missions évangéliques de Paris (auch unter dem Namen Mission de Paris bekannt) übernommen. Infolge des Vertrags von Versailles im Jahr 1919 wurde Kamerun zum Mandat Typus B des Völkerbunds und wurde teils von Frankreich und teils von Großbritannien regiert. Erst im Jahr 1925 durften Deutsche wieder in die ehemaligen Kolonien zurückkehren. In diesem Jahr nahm die Basler Mission wieder ihre Arbeit in dem britischen Teil von Cameroon, der neue Name für Kamerun, auf. KRIEGSERINNERUNGEN UND PROPAGANDA Die Erfahrungen von Phillip Hecklinger und seiner Frau sind im Kontext der Deutschen in Kamerun zwar nicht außerordentlich, aber nichtsdestotrotz von Interesse. Wie Hecklinger berichtete, waren nicht alle Missionare gleich vom Krieg betroffen. Nicht nur die Staatsangehörigkeit spielte bei dem Kriegserlebnis einer Missionarin oder eines Missionars eine Rolle, sondern auch die Lage ihrer jeweiligen Missionsstation. Hecklinger berichtete zum Beispiel, dass andere Landsleute bis Ende September 1914 „gar nichts von den welterschütternden Ereignissen“ im Inneren der Kolonien merke. 34 In dem Fall des Missionarsehepaars Hecklinger waren beide Deutsche und arbeiteten auf einer Missionsstation nicht allzu weit von Duala entfernt, was dazu beitrug, dass sie sofort von dem Kriegsausbruch betroffen waren. Seine Erinnerungen wurden unter dem Titel „Tagebuchblätter über Krieg und Kriegsgefangenschaft in Kamerun und England“ von der Missionsagentur Stuttgart in einer Reihe von „Missionsschriften über die Kriegsnöte der Mission“ veröffentlich (genaues Veröffentlichungsjahr unbekannt). 35 Die Texte in dieser Reihe waren gefühlsgeladene und patriotische Berichte über die Ausweisung der Deutschen, die die deutsche Missionsarbeit als unschuldiges Opfer internationaler Politik darstellten. Die Erinnerungen seiner Frau, deren Name aus den Quellen nicht hervorgeht, wurden 1916 in dem „Evangelischen Missions-Kalender“ veröffentlicht, einer Gattung, die christlichen Familien gewidmet und ebenso gefühlsgeladen war. 36 Über diese gedruckten Quellen hinaus ist auch ein Bericht von Phillip Hecklinger unter den 13 maschinengeschriebenen deutschsprachigen Berichten von deutschen und schweizerischen Basler Missionaren, die von britischen und französischen Truppen im Oktober 1914 festgenommen worden waren, vorhanden. 37 Diese 13 maschinengeschriebenen Berichte beinhalten Aussagen, wie die 33 Pierard, Richard V.: World War I, the Western Allies, and German Protestant Mission, in: van der Heyden, Ulrich van der/Liebau, Heike (Hrsg.): Missionsgeschichte…, a.a.O., S. 361–72. 34 19. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 12. 35 Ich möchte hier Matthew Fitzpatrick besonders für den Hinweis auf diese Quelle danken. 36 5. Dezember 1915, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 27; vgl. auch: Evangelischer Missions-Kalender, Basel 1916, S. 49–62. 37 Missionary Research Library Archives [MRL]: Section 1. Finding Aid for German Missionaries in Cameroon Reports, 1914–1915 [German Missionaries], The Burke Library at Union Theological Seminary [BL/UTS], Columbia University [CU] in the City of New York [NYC].
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Missionare vonseiten der Briten als Kriegsgefangene behandelt worden waren, und werden nicht im Archiv der Basler Mission, sondern in der Burke Library am Union Theological Seminary in New York aufbewahrt. Wie und wann genau diese Berichte dorthin kamen, ist nicht bekannt. In diesem Aufsatz dienten in erster Linie die gedruckten Schriftstücke der beiden Hecklingers als Quellen, die in den Schriften der Basler Mission veröffentlicht worden waren. Die Veröffentlichungen der Hecklingers sind zwar nicht als offizielle Aussage der deutschen Regierung zu verstehen, trugen aber auch zur Kriegspropaganda gegen die Engländer bei. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde allerdings die Beziehung zwischen deutschen Missionsgesellschafen und der Kolonialherrschaft nicht infrage gestellt, sondern die Beziehung zwischen deutschen und englischen Missionsgesellschaften. Der Erste Weltkrieg wurde bis dato als die größte Krise, die die protestantischen Missionsgesellschaften erlebten, wahrgenommen. 38 Die im Jahr 1910 stattgefundene Edinburgher Weltmissionskonferenz war noch frisch in den Erinnerungen vieler deutscher Missionsarbeiterinnen und -arbeiter. Mit dem Krieg fand die Hoffnung der protestantischen Zusammenarbeit, die bei der Missionskonferenz aufgekommen war, ihr Ende. 39 Allerdings gab es schon vorher Spaltungen zwischen den Theologien der britischen und deutschen evangelischen Missionsgesellschaften. Vielen deutschen Missionsgesellschaften warfen die Briten vor, einen unreflektierten Glauben an die Verknüpfung zwischen Missionierung und westlicher Modernität zu vertreten. 40 Als der Krieg ausbrach, gewann die Spannung zwischen deutschen und britischen Missionsgesellschaften durch Kriegspropaganda und gegenseitige Vorwürfe an Brisanz. 41 In den Berichten der Hecklingers kommen theologische Debatten nicht vor, die Vorwürfe gegen England wurden auf politischer Ebene dargestellt. Die Berichte von Missionaren in Kamerun dienten nicht nur der Mission selbst, sondern auch dem Staat. Mehrere Berichte aus Kamerun und von der Kriegsgefangenschaft wurden als Propaganda seitens des Reichskolonialamtes gesammelt und veröffentlicht, um die Grausamkeit der Alliierten gegenüber den deutschen Kriegsgefangenen zu illustrieren. Die Alliierten führten ihren eigenen Propagandakrieg gegen Deutschland und besonders gegen die brutale deutsche Besatzung des neutralen Staates Belgien. 42 Da alle deutschen Kriegsgefangenen, die
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online verfügbar unter https://library.columbia.edu/content/dam/libraryweb/locations/burke/ fa/mrl/ldpd_4492532. pdf (25.05.2018). Die Berichte sind von den folgenden 13 Missionare: Friedrich Bärtschi, J. Bührer, Chr. Gehr, J. Gutbrod, Philipp Hecklinger, Johannes Ittmann, Johannes Köngeter, Johannes Leiberspeiger, G. Lorch, Johannes Georg Meier, Robert Schwarz H. Stahl und Karl Wittwer. Pierard, Richard V.: World War I…, a.a.O., S. 361–372. Vgl. Schlatter, Wilhelm: Geschichte…, a.a.O., S. 59. Pierard, Richard V.: World War I…, a.a.O. Pierard, Richard V.: Shaking the Foundations: World War I, the Western Allies, and German Protestant Missions, in: International Bulletin of Missionary Research, Nr. 2, London 1998, S. 13–19. Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O.; Wilson, Trevor: Lord Bryce’s Investigation into Alleged German Atrocities in Belgium, 1914–15, in: Journal of Contemporary History, Nr. 3, London 1979, S. 369–383; Gullace, Nicoletta F.: Sexual Violence and Family Honor.
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es zurück nach Deutschland geschafft hatten, entweder bei zivilen Gerichten oder militärischen Untersuchungsstellen eine Aussage zu machen hatten, war eine Fülle von Äußerungen über die Behandlung der Deutschen vonseiten der Alliierten für die Propagandaarbeit des Reichskolonialamtes verfügbar. 43 Fast 20.000 Deutsche wurden während des Krieges entweder als Kriegsgefangene inhaftiert oder repatriiert, darunter Missionare. 44 Die deutsche Kolonialgesellschaft veröffentlichte auch Berichte von deutschen Kriegsgefangenen, die während des Krieges als Kriegspropaganda fungierten und danach die Forderung nach der Rückgabe der Kolonien unterstützten. 45 Allerdings wurden Berichte von inhaftierten Missionarinnen und Missionaren in der Hoffnung, dass die Missionsarbeit noch unbeschadet weiter fortgeführt werden könnte, zuerst vonseiten der Basler Mission verschwiegen. 46 Als der Krieg noch weitergeführt wurde, wurden letzten Endes Berichte der inhaftierten Missionarinnen und Missionare als Beweis für die Grausamkeit Englands veröffentlicht. Die Schilderungen Frau Hecklingers wurden zum Beispiel als Beweis für das „blinde […] Wüten [der Engländer] gegen alles Deutschtum“ in Kamerun dargestellt. 47 Phillip Hecklingers „Tagebücherblätter“ wurden auch als Propaganda eingesetzt, was besonders im Vorwort von Oberhofprediger Prälat D. v. Kolb hervorsticht: Über die Gefangennahme der Deutschen, besonders der Missionare und Missionarsfrauen in Kamerun, die unwürdige[n] Behandlungen, welche ihnen durch schwarze und weiße Engländer widerfuhr, die Leiden der Reise und der Gefangenenlager, haben uns schon früher Männer, die das alles durchgemacht hatten, ergreifende Schilderungen entworfen, welche ebenso die berechtigte Entrüstung über die Urheber wie das tiefe Mitgefühl mit den Opfern wecken mußten. Tagebuchblätter nun, wie sie einer unsrer Kamerunmissionare, Ph. Hecklinger, uns darbietet, haben den besonderen Reiz, daß sie, unter dem frischen Eindruck der Ereignisse entstanden, den Leser auch unmittelbar alles miterleben lassen von den ersten bangen Stunden und Tagen des Krieges an bis zur Heimkehr ins Vaterland und in die Freiheit. 48
Im Vergleich zu vielen anderen Erinnerungsformen, die zum Beispiel als Vortrag oder als Bericht zu lesen waren, wirkte das Tagebuchformat intim und nah am Erlebnis. Seine „Tagebuchblätter“ berichten von der Zeit vom 1. August 1914 bis zum 9. Januar 1915, als er in seiner in den „Tagebuchblättern“ allerdings unbenannten schwäbischen Vaterstadt angekommen war. In Württemberg war er bis zu seinem Tod im Jahr 1931 als Pfarrer tätig. Unbekannt ist, inwieweit seine Schriften editorisch bearbeitet worden sind, bevor sie veröffentlicht wurden. Bekannt ist, dass eine zweite Auflage der Tagebücherblätter in oder nach dem Jahr 1916 veröffentlicht wurde.
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British Propaganda and International Law during the First World War, in: The American Historical Review, Nr. 3, Oxford 1997, S. 714–747. Schulte-Varendorff, Uwe: Krieg in Kamerun…, a.a.O., S. 133. Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O., S. 24. Vöhringer, G.: Meine Erlebnisse Während des Krieges in Kamerun und in Englischer Kriegsgefangenschaft, Hamburg 1918; Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O., , S. 20–21. Schlatter, Wilhelm: Geschichte…, a.a.O., S. 67. Im Tiegel der Trübsal…, a.a.O. Kolb, Prälat D. v.: Vorwort, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 1.
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ABLAUF DER ERINNERUNGEN HECKLINGERS Phillip Hecklingers Erinnerungen folgen grob den sechs „narrative eventscenarios“, die Robert Doyle für das Erlebnis vieler Kriegsgefangenen in Europa festgestellt hat: die Zeit vor der Gefangenschaft; Gefangenschaft; Entfernung von der Front; Alltag in der Kriegsgefangenschaft; die Repatriierung und Reflexion über die verlorene Zeit. 49 In Bezug auf die Kolonien wurde in den Berichten, so Mahon Murphy, nicht die Entfernung von der Front beschrieben, sondern die Ausweisung aus den Kolonien. Dieser Schritt nimmt, so Murphy, eine zentrale Rolle in der Beschreibung ein, was auch im Fall Hecklinger nachzuweisen ist. 50 In den Schriften von Missionarinnen und Missionaren ist auch noch eine Abweichung in Bezug auf die Zeit vor der Gefangenschaft sichtbar. Da stets über die Arbeit von Missionarinnen und Missionaren in Missionsschriften berichtet worden ist, wurde die Vorkriegszeit in den Kriegserinnerungen kaum erwähnt. So wie der erste Satz in dem Tagebuch Hecklingers, der mit einem gefühlgeladenen Tonfall beginnt und wiedergibt, dass die Nachricht von „den ersten politischen Verwicklungen in Europa [uns]“ wie „ein Blitz aus heiterem Himmel trifft“. 51 Dieser erste Satz ähnelt den anderen Missionsberichten der Zeit sehr, unter anderem dem seiner Frau, der in dem „Evangelischen Missionskalender“ von 1916 veröffentlicht wurde: „Die ersten Nachrichten vom drohenden Kriegsausbuch erreichten uns am 31. Juli 1914. Sie berührten uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel.“ 52 Der Kriegszustand galt fast sofort. Trotz des Berliner Abkommens von 1884/85 begann England am 5. August Militäroperationen in den deutschen Kolonien. Zu Kriegsbeginn wurden die Missionsangehörigen zum Einkauf von Essensvorräten aufgefordert. Binnen weniger Tage waren die Preise von Essen, insbesondere von Salz, in die Höhe getrieben. Die drohende Gefahr war durch die ungewöhnliche Zahl von Woermann-Dampfern in der Dualbucht spürbar, über die die beiden Hecklingers berichteten. In Kamerun war die Kommunikation zur deutschen Heimat schon in den ersten Kriegstagen eingeschränkt. Sowohl Telegramme als auch Briefe wurden zensiert, Schiffspost blieb aus, die Verbindungen mit Lomé (Togo) wurden schnell abgebrochen. Die Zensur wurde im zweiten Kriegsmonat noch deutlicher. Briefe mussten „unverschollen und in offener deutscher Sprache verfaßt sein“ 53. Nachrichten aus Europa wurden eifrig erwartet, kamen aber nur unregelmäßig an, was eine große Unruhe unter den Deutschen verursachte. Hecklinger berichtete von den zunehmenden Kriegsvorbereitungen und Maßnahmen wie von der Bildung einer Truppe zur Verteidigung Dualas, von dem Umbau mancher Missionsgebäude in Krankenhäuser oder auch von neuen Verboten, die wegen des Krieges in Kraft getreten waren. Seine Frau berichtete von den zunehmenden gesetzlichen Maßnahmen. 49 Doyle, Robert C.: The Enemy in Our Hands: American’s Treatment of Prisoners of War from the Revolution to the War on Terror, Lexington 2010, S. xiii–xiv. 50 Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O., S. 7. 51 1. August 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 2. 52 [Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England als Kriegsgefangene, in: Evangelischer Missionskalender, Basel 1916, S. 49–62. 53 1. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 7.
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Die ersten Angriffe vonseiten der Alliierten fanden im August statt. Ab diesem Zeitpunkt war Duala im Verteidigungszustand. Anfang September wurde in Duala noch heftig gekämpft und am 25. des Monats forderte England eine „bedingungslose Übergabe des ganzen Schutzgebiets“ 54. Gleich am nächsten Tag, dem 26. September, mussten sich alle Deutschen, unter denen sich auch die Angehörigen der Basler Mission befanden, im Hof der englischen Firma R. &. W. King in Duala sammeln. Dort wurden die verheirateten Männer von den unverheirateten Männern getrennt, die letzte Gruppe wurde gleich danach mit einem Dampfer nach Kontonu ins damalige Dahomey (Benin) transportiert. 55 Hecklinger befand sich an diesem Tag auch im Hof, wurde aber noch nicht abtransportiert. Frau Hecklinger war mit Missionar Solleders nach Mangamba, eine Station der Basler Mission, in Sicherheit gebracht worden. 56 Ihr Wiedersehen sollte erst nach 11 Wochen in der Internierungslage an der Goldküste stattfinden, um danach wieder am 29. Dezember in England getrennt zu werden und endlich Anfang Januar 1915 in Basel wieder vereint zu sein. 57 Diese Ausweisung von Deutschen aus Kamerun nach Britannien wurde heftig kritisiert. Otto Wieneke, ehemaliger Bezirkskommissar von Duala, schrieb eine Petition während seiner Gefangenschaft in England, in der die abrupte Art und Weise, wie die Deutschen abtransportiert worden waren, heftig kritisiert wurde. Seine Klage wurde vonseiten der britischen Regierung in einem offiziellen Bericht abgewiesen, indem ihm gesagt wurde, dass die Sicherheit der Deutschen nicht gewährleistet werden könnte, da die Duala besonders „traitorous and hostile to Germany“ [verräterisch und feindseilig gegenüber Deutschland] waren. Deswegen mussten die Deutschen ausgewiesen werden. 58 Auch das Reichskolonialamt kritisierte die rasche Ausweisung der Deutschen, die in einer „rücksichtslosen und völkerrechtswidrigen Weise … evakuiert“ worden waren. 59 Am 27. September wurde Duala den Engländern übergeben. Obwohl eine Abmachung zwischen England und Deutschland bestand, wonach Missionarinnen, Missionare, Geistliche und Ärzte nicht in Kriegsgefangenschaft festgehalten werden sollten, erlebten Hecklinger und andere Missionare dieses Schicksal. 60 Am 28. September wurde auch Phillip Hecklinger zum Kriegsgefangenen und blieb bis zu seiner Entlassung in England im Januar 1915 in dieser Lage. 61 An diesem Tag wurden 192 Männer, Frauen und Kinder aus Kamerun abtranspor-
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25. September 1914, in: ebenda, S. 13. Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O. [Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England…, a.a.O., S. 50. 29. Dezember 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 30. House of Commons Parliamentary Papers (HC PP), Sessional Papers, Command Papers (CP), Cd. 7974, European war. Correspondence relative to the alleged ill-treatment of German subjects captured in the Cameroons (November 1915). 59 Bundesarchiv (BArch), R1001/877, Staatssekretär des Reichsklonialamtes to Ludendorff, 15 December 1915, in: Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O., S. 188. 60 Schlatter, Wilhelm: Geschichte…, a.a.O., S. 105. 61 28. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 17.
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tiert. 62 Hecklinger wurde erst am 30. September mit circa 200 Leuten nach Lagos (Nigeria) gebracht. Die Beschreibung seiner Gefangenschaft stimmt mit anderen deutschen Aussagen überein, besonders die Passagen, die die Kriegsgefangenschaft beschreiben. Die grobe Umgangsweise der Briten den deutschen Gefangenen gegenüber, die Beschlagnahmung von Geldern über 100 Mark, die unhygienischen Bedingungen an Bord des Schiffes nach England, das Verbot, sogar die nötigsten Gepäckstücke von zu Hause zu holen, sind Erlebnisse einiger Gefangenen. 63 Auch Agenten der Woermann-Linie, die wegen der Entschädigung ihrer im Krieg beschädigten und beschlagnahmten Dampfschiffe stets in Kontakt mit dem Reichskolonialamt waren, meldeten ähnliche Berichte. 64 Am 5. Oktober kam Hecklinger in Lagos an, wo er mit den anderen Basler Missionaren und den Katholiken, die ausgewiesen worden waren, bei der Church Missionary Society (Kirchenmissionsgesellschaft) untergebracht wurde. 65 Zwei Wochen später wurde er mit den ordinierten Missionaren und zwei Schwestern nach Akkra (Accra, Ghana) transportiert, wo er bis zum 14. November zwar frei leben durfte, sich jedoch regelmäßig bei der Polizei melden musste. An dem Tag wurde er „von schwarzen Soldaten per Lastwagen abgeholt und interniert“ 66. Gleich am nächsten Tag wurde er erneut freigelassen, um bald danach wieder interniert zu werden. 67 Frau Hecklinger war bis zum 8. November bei Mangamba, bis sie von englischem Militär und „schwarzen Soldaten“ zum Internierungslager in Duala gebracht wurde. 68 Laut Hecklinger schrieb Missionar Z. am 27. Oktober an das Kolonial-Secretary, um dieses zu bitten, seine und Hecklingers Frau von Kamerun nach Ghana (damals die Goldküste) zu schicken. 69 In ihrer Beschreibung war sie jedoch diejenige, die am 11. November ein Schreiben an die Behörde schickte, um „die Bitte zu richten, man möge uns auf die Goldküste zu unsern Männern verbringen.“ 70 Das Wiedersehen erfolgte am 4. Dezember und gleich ein paar Tage danach wurde das Missionsehepaar mit einem Dampfer nach England abtransportiert. Auf dem Weg zum Dampfer sangen die 60 bis 80 Männer patriotische Lieder. 71 Auf dem Dampfer waren die Frauen und Männer voneinander getrennt untergebracht. Als der Krieg in Afrika noch weiterging, wurden schon im Dezember 1914 ca. 600 Deutsche nach England transportiert. 72 Da das Abtransportieren ohne Vorwarnung geschehen war, hatten die Männer meist nur Klei62 Ebenda. Vgl. auch BArch, R 1001/3922 [Bl. 150–156] An Herrn Staatssekretär Auswärtigen Amts ab Solf, Berlin den 7. Dezember 1914. 63 Schulte-Varendorff, Uwe: Krieg in Kamerun…, a.a.O., S. 130–131. 64 BArch, R 1001/3922, Abschrift zu A. IV.1961, Woermann-Linie A.G. an Woermann-Linie A.G. Hamburg, Las Palmos den 27. Okt. 1914. 65 5. Oktober 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 19. 66 14. November 1915, in: ebenda, S., 25. 67 14. November 1915 und 23. November 1914, in: ebenda, S. 25–26. 68 [Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England…, a.a.O., S. 55–56. 69 27. Oktober 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 34. 70 [Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England…, a.a.O., S. 58. 71 Ebenda, S. 61; 27. Oktober 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 34. 72 BArch, R 1001/3922, [Bl. 76–77 ] Telegram [Dringend] An Westlinie Berlin 31/12/14.
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dung, die für tropisches Klima angepasst war, bei sich, die im Winter in England vollkommen ungeeignet war. Am 28. Dezember erreichten sie Liverpool, England. Von dort durften die Frauen am folgenden Tag nach Deutschland reisen. 73 Die Männer wurden nach Queensferry in ein Internierungslager gebracht. Erst am 6. Januar 1915 durfte Phillip Hecklinger mit anderen ordinierten Missionaren und Ärzten freigelassen werden. 74 Am gleichen Tag erreichte Frau Hecklinger Basel, wo sie nach mehrjähriger Trennung ihre Kinder wiedersah. Das Wiedertreffen mit ihrem Mann geschah wenige Tage später. 75 Die Berichte der Hecklingers entsprechen mit wenigen Ausnahmen den amtlichen Berichten, die in den Reichskolonialakten des Bundesarchivs zu finden sind. 76 Laut vielen Reichskolonialamtsakten wurde zum Beispiel das englische Kanonenboot Dwarf am 11. September von zwei Volltreffern der Deutschen getroffen. 77 Die Beschreibungen der beiden Hecklingers stimmen damit überein. 78 Dies könnte als ein Indikator der Glaubwürdigkeit des Sachgehalts der Berichte gelten. Anders ist es mit den gefühlsgeladenen Abschnitten, die als Propaganda gegen die Engländer angesehen werden. Diese Propaganda wurde nicht nur durch Text, sondern auch durch Bilder verbreitet. Die 32-seitigen Tagebuchblätter von Hecklinger wurden durch nur eine einzige Landkarte geschmückt. Der Bericht von seiner Frau im „Evangelischen Missionskalender“ hingegen wurde durch drei Fotografien illustriert. Allerdings hat nur eines dieser Bilder einen klaren Bezug zu Kamerun, indem es die Missionskirche in Bonaku darstellt, in der ihr Mann gepredigt hatte. Dem Bild von den Basler Missionsarbeiterinnen und -arbeitern von dem indischen Missionsfeld wurde in Frau Hecklingers Beschreibung nicht nachgegangen, sondern im darauffolgenden Artikel, der sich dem Schicksal der Basler Mission als Folge des Krieges widmet. Durch das eingebettete Bild wirkte ihr Text exemplarisch für die Erlebnisse vieler anderer deutschsprachiger Missionarinnen und Missionare in Bezug auf den Feind England. „WAS EIN KRIEG FÜR DIE MISSION UND DIE GANZE KOLONIE BEDEUTE“ 79 Das Verhältnis zwischen den Duala und der deutschen Kolonialregierung war schon vor dem Krieg angespannt, da die Kolonialregierung unter anderem eine Rassentrennungspolitik pflegte. Die Zwangsumsiedlung vieler Duala aus der Hafenstadt wegen Sanierung verschärfte das angespannte Verhältnis ab 1913 noch 73 74 75 76 77 78
[Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England…, a.a.O., S. 61. 5. Januar 1915, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 27. [Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England…, a.a.O., S. 62. BArch, R 1001/3922, Akten betreffend: den Krieg in Kamerun 1914/1918. BArch, R 1001/3922, [Bl. 117–118] Abschrift zu A.IV.1949/14. 1. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 9–10; [Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England…, a.a.O., S. 50. 79 [Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England…, a.a.O., S. 49.
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mehr. 80 Da der Kriegszustand schon im August 1914 herrschte, fielen die Strafen für die Kamerunerinnen und Kameruner härter aus als sonst. Exemplarisch ist die Hinrichtung den Oberhäuptling Duala Manga Bell [Rudolf Duala Manga Bell] und Ngoso Din, seinem Sekretär und Verwandten, am 8. August 1914 wegen Hochverrats. 81 Hecklinger berichtet, dass er am Tag vor Duala Mangas Hinrichtung mit dem Pallotiner Missionar P. M. und dem Vorstand der Baptisten zum Gouverneur gegangen sei, um Gnade für Duala Manga zu erbitten. Auch am Tag der Hinrichtung sei er bei dem Gouverneur gewesen. Die Versuche blieben erfolglos. Eine Deportation des Oberhäuptlings blieb aus, da diese, wie Hecklinger behauptet, „im Blick auf die jetzige politische Lage nicht möglich“ gewesen sei. 82 Duala Manga Bell wurde an dem Tag hingerichtet, an dem der Gouverneur Exzellenz Karl Ebermaier der afrikanischen Bevölkerung Kameruns eine Proklamation bezüglich der Kriegslage verkündigte, in der zu lesen war: Dies sollt Ihr so verstehen, daß wer dem Deutschen treu dient, auch mehr und mehr wie ein Deutscher behandelt werden und an der Vorzugsstellung der Deutschen teilnehmen soll […] Steht alle in der Gefahr treu zu den Deutschen. 83
Die Hinrichtungen von Rudolf Duala Manga Bell und Ngoso Din standen im Gegensatz zu dieser Äußerung, was zur Folge hatte, dass viele Duala die Mission verließen, um ins Innere des Landes zu reisen. Die, die noch geblieben waren, hielten sich wegen der Hinrichtungen von der Mission fern. 84 Hecklinger war sehr betroffen von der Hinrichtung Duala Mangas und bezeichnete dies als „wohl bis jetzt mein[en] schwerste[n] Tag in Kamerun“ 85. Für das Missionarsehepaar Hecklinger, wie für viele andere Deutsche in außer-europäischen Gebieten, bedeutete der Krieg eine Umschreibung der eigenen Identität. Zuvor wurde die Kategorie „Weiße“ oft mit der Kategorie Europäer gleichgesetzt, die als privilegierte Kategorie im Gegensatz zu „Schwarz“ oder Afrikaner galt. Als der Krieg in den Kolonien ausgetragen wurde, wurde die Nationalität der „Weißen“ immer bedeutender, besonders, weil die deutschen Staatsbürger wegen ihrer Staatsbürgerschaft sowohl von den Briten als auch von der indigenen Bevölkerung gedemütigt worden waren. 86 Der Arzt G. Vöhringer, der in seiner Beschreibung, die er als Vortrag in der Abteilung Hamburg der Deutschen Kolonialgesellschaft im Januar 1915 gehalten hat, seine Erlebnisse während des Krieges in Kamerun schildert, deutet darauf hin, wie wichtig es am Anfang des Krieges war, dass „kein Schwarzer davon Zeuge wurde, wie Weiße von Wei80 Oehler, Wilhelm: Geschichte der Deutschen Evangelischen Mission, Bd. 2, Baden-Baden 1950, S. 120–121. 81 Gründer, Horst: Geschichte der Deutschen Kolonien…, a.a.O., S. 153: Eckert, Andreas: Die Duala und die Kolonialmächte…, a.a.O., S. 187–192; BArch, R 1001/3922 Telegramm [Nr. 112], Ebermaier an Reichs-Kol-Amt, Duala den 10. 8/14. 82 8. August 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 4. 83 Schulte-Varendorff, Uwe: Krieg in Kamerun…, a.a.O., S. 23. 84 23. August 1914/6. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 6, S. 8. 85 8. August 1914, in: ebenda, S. 4. 86 Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O.
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ßen inhaftiert wurden“, aber wie auch kurze Zeit später deutsche Kriegsgefangene „durch die johlenden, unsern Kaiser, Deutschland und die Deutschen in der schändlichsten Weise beschimpfenden Dualas“ zum Lager gehen mussten. Für ihn müsste dieses Erlebnis „eine wahre seelische Marter gewesen sein“ 87. Die Beschimpfung und pejorative Behandlung der Deutschen „vor den Schwarzen und durch die Schwarzen“ wurde als wahre „Schmach“ empfunden. 88 Desgleichen beschreibt der Basler Missionar H. Stahl in seinem Bericht über seine Ausweisung aus Kamerun: „Solche Demütigungen von Schwarzen und vor Schwarzen mussten wir Deutschen uns gefallen lassen [Hervorhebung im Original].“ 89 Die Inversion des Machtverhältnisses kollidierte mit der deutschen Identität als Kolonialherren und wurde als sehr schmerzhaft und demütigend wahrgenommen. Hecklinger schreibt stets über die Hautfarbe der Wachen, was implizit die moralische Empörung der Deutschen wiedergibt, die sich mit einem Mal im Machtverhältnis unter den Afrikanern sahen. Er berichtete schon am 28. September von dem Verhältnis der Duala, die zum „Plündern und Rauben“ aufgehetzt wurden, und der Engländer, die nichts an diesem Benehmen auszusetzen hätten. 90 Hecklingers Frau schreibt ebenfalls über diesen Zustand und ihre Bemerkungen über dieses Ereignis sind mit Vorwürfen verbunden, indem sie schreibt: Wir wissen nicht, was wir von den Leuten denken sollten, unter denen wir schon so lange wohnten, und die sich in dieser Weise an unserm Hab und Gut vergreifen konnten. Sie wußten eben, daß wir ihnen gegenüber machtlos seien. Aus der Eingeborenen Munde hörten wir wiederholt Äußerungen, wie: ‚Der Gouverneur ist nicht mehr; nun ist auch die Mission fertig.‘ 91
Die Duala sahen eine klare Verbindung zwischen deutscher Kolonialmacht und Mission. Dass Missionarinnen und Missionare nicht nur in Kamerun, sondern überall auf der Welt im engen Zusammenhang mit den Kolonialregierungen betrachtet wurden, liegt, wie Ulrich van der Heyden jüngst betonte, an der „Beteiligung christlicher Missionare an kolonialen Eroberungen und an dem Machterhalt der europäischen Kolonialherren“ 92. Auch wenn es Beispiele gibt für die kritische Auseinandersetzung zwischen kolonialer Herrschaft und Missionaren, 93 „kann es nicht bezweifelt werden, dass die meisten Missionare im 19. Jahrhundert dem Kolonialgedanken anhingen“ 94. Die Berichte des Missionsehepaars Hecklinger unterstreichen diese Aussage. 87 Vöhringer, G.: Meine Erlebnisse…, a.a.O., S. 13. 88 Ebenda, S. 18. 89 Stahl, H.: Erlebnisse bei und nach der Besitzergreifung Dualas durch die Engländer und Franzosen, und in englischer Kriegsgefangenschaft, o. J, S. 6, in: MRL, 1, German Missionaries, BL/UTS, CU, NYC. 90 28. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 15. 91 [Frau Hecklinger]: Von Kamerun nach England…, a.a.O., S. 51. 92 van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus!..., a.a.O., S. 245. 93 Für Beispiele aus der Britisch Kolonialgeschichte vgl. Porter, Andrew: Religion versus Empire? British Protestant Missionaries and Overseas Expansion, 1700–1914, Manchester/New York 2004; Stanley, Brian: The Bible and the Flag. Protestant Missions and British Imperialism in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Leicester 1992. Für Beispiele aus die Deutschen Kolonien vgl. van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus!..., a.a.O., S. 244–252. 94 van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus!..., a.a.O., S. 250.
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Als Deutschland in den Krieg verwickelt war, gab es noch andere Auswirkungen auf die Mission, zum Beispiel in Bezug auf deren Finanzen, sowohl im Inals auch im Ausland. 95 In Kamerun wurden am 5. August alle Lehrkräfte entlassen, nur diejenigen, die ohne Bezahlung weiterarbeiten wollten, wurden noch beschäftigt. 96 Die Schüler aus den Internaten wurden schon den Tag vorher nach Hause geschickt. 97 Hecklinger beschreibt, wie diese Maßnahmen getroffen werden und viele Schüler und Lehrer nach Hause gegangen sind. Im Gegensatz dazu schildern die Beschreibungen von Stutz, der auch zu der Zeit in Kamerun als Basler Missionar tätig war, wie manche Missionare den Befehl nicht akzeptierten und weiterhin die Gehälter an die indigenen Gehilfen bezahlten, da diese Menschen das Gehalt nötig hatten. 98 Für Hecklinger war der unbezahlte Missionsangestellte ein Zeichen der Treue der Duala sowohl der Mission als auch Deutschland gegenüber. Schon im ersten Eintrag des Tagebuches sprach Hecklinger über die Konsequenzen des Krieges für die „eingeborenen Lehrer“: Seht, dieser europäische Krieg ist nicht etwa ein Krieg wie bei euch zwischen zwei Dorfteilen, sondern er ist eine überaus ernste Sache, die schwere Folgen auch für das Missionswerk haben kann. Heute kann ich euch euer Gehalt noch einhändigen, so das Ende dieses Monats auch noch der Fall sein wird, weiß ich nicht. Geht es uns Deutschen gut, so geht es auch euch gut. 99
Dass viele „Bell-Leute“ [Duala] nichts mehr mit der Mission zu tun haben wollten und darüber hinaus geäußert hatten, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, war laut Hecklinger ein Zeichen der moralischen Schwäche jener Bell. 100 Solche Zuschreibungen von negativen Charakteristika der Nicht-Europäer, wenn diese etwas gegen die Mission geäußert hatten, kommen häufiger in der Kolonial- und Missionsgeschichte vor. Was an diesem Beispiel noch deutlich ist, ist die Homogenisierung einer Sprachgruppe unter dem Begriff „Neger“, wenn es um schlechte Charakteristika geht. „Der Neger“, führt Hecklinger fort, „respektiert den ihm Überlegenen, soweit er muß, den Schwächeren läßt er links liegen.“ 101 Die Kriegssituation wurde von Hecklinger benutzt, um seine eigenen Urteile über ‚den Neger‘ zu äußern. Hecklinger war mit diesen Vorurteilen nicht alleine, die Duala wurden vonseiten der Kolonialregierung wegen ihrer engen Handelsbeziehungen mit den Engländern als nicht vertrauenswürdig eingestuft. Verordnungen verboten den Duala Anfang September das Tragen von ausländischen Uniformen und Uniformstücken, darüber hinaus wurde ihnen auch eine nächtliche Ausganssperre vorordnet. 102 Die Angst war groß, dass die Duala als Verräter der Regierung agierten. Für Hecklinger waren die Duala spätestens Verräter Deutschlands, seit sie den Sieg über Deutschland gefeiert hatten. 95 96 97 98 99 100 101 102
Schlatter, Wilhelm: Geschichte…, a.a.O., S. 60–61. 5. August 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 3. 4. August 1914, in: ebenda, S. 3. Stutz, Jb.: Blätter aus den Kriegstagen…, a.a.O., S. 1. 1. August 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 2. 6. September 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. S. 8. Ebenda. BArch, R 1001/3922, Kamerun-Post, Nr. 71, Duala, Mittwoch 9. September 1914.
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Obwohl Hecklinger selbst keine Verbindung zwischen politischen Ereignissen und göttlicher Strafe herstellt, berichtet er von der Rede des indigenen Pfarrers Josef Ekolo, der in seiner Predigt den Krieg als Strafe Gottes für „Ungehorsam und Widerstreben Gott gegenüber“ bezeichnet. 103 Für Hecklinger waren die Verhältnisse der jungen Kameruner schon am Anfang des Kriegs ein Grund dafür, nachzudenken, ob man die Mission anders fortsetzen sollte. Er schreibt: Mit den Alten unter den Eingeborenen läßt sich’s in dieser schweren Zeit noch reden, sie sind für unsere Belehrung eher zugänglich; dagegen ist die halbwüchsige, europäisch gekleidete, deutschredende Jugend aus Rand und Band. Da haben wir die bittere Frucht, die unter dem Druck der Verhältnisse zur Reise gekommen ist! Sollten wir aus diesem gänzlichen Versagen der deutschredenden Jugend für die Zukunft nicht auch etwas gelernt haben? 104
Zweifel an der Zukunft der Mission deuten auf die tiefe Verzweiflung Hecklingers in Bezug auf seine eigene Zukunft hin, aber auch auf die lange Tradition innerhalb der europäischen Berichterstattung über Nicht-Europäerinnen und Europäer, die der indigenen Bevölkerung die Schuld für ihren eigenen elenden Zustand zuschrieb, was wiederum die Europäerinnen und Europäer von ihrer eigenen Verantwortung an diesem Zustand freisprach. VERHÄLTNIS ZU DEUTSCHLAND Mit der neuen politischen Lage wurde Phillip Hecklingers patriotisches Verhältnis zum Vaterland deutlich. Flugblätter, in denen ein Aufruf des Kaisers an die Deutschen zu lesen war, machten einen mächtigen Eindruck auf ihn und seine Landsleute in Kamerun. 105 Sein Patriotismus spiegelt auch die Einstellung vieler anderer Missionare in Kamerun, unter anderem auch die der Katholiken 106 als auch die der evangelischen Missionare der Zeit, die zwar oft kritisch gegenüber der Kolonialpolitik auftraten, aber immer noch fest an das Vaterland glaubten. Diese Haltung ist schon am Anfang der deutschen Kolonialzeit in Schriften zu finden, wie zum Beispiel in dem von dem Barmer Missionar Friedrich Fabri 1879 veröffentlichten, sehr einflussreichen Buch „Bedarf Deutschland der Kolonien?“, das die Debatte über deutschen Kolonialismus in einer größeren Öffentlichkeit verbreitet hat. 107 In Bezug auf das Verhältnis zwischen Missionsgesellschaft und Administration der kolonialen Herrschaft in Kamerun, wie in anderen Kolonien, lief die Beziehung nicht immer gut, aber der Patriotismus gegenüber Deutschland wurde nicht infrage gestellt.
103 104 105 106 107
1. August 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 2. 6. August 1914, in: ebenda, S. 3–4. 3. August 1914, in: ebenda, S. 2. Dah, Jonas N.: Missionary Motivations…, a.a.O., S. 154–158. Gründer, Horst: Christliche Mission…, a.a.O., S. 24–25; Rohbach, Paul: Die Mission in den deutschen Kolonien, in: Zache, Hans (Hrsg.): Die Deutschen Kolonien in Wort und Bild, Wiesbaden 2004, S. 179–185, hier S. 181.
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In den ersten Kriegstagen war der Gouverneur Ebermaier bei einem deutschsprachigen Gottesdienst der Basler Mission anwesend, nebst Beamten, Offizieren den Schutztruppen und Kaufleuten. 108 Der Kriegszustand brachte die Deutschen im Lande zusammen. An diesem Tag waren diese nicht nur versammelt, um an einem Gottesdienst teilzunehmen, sondern um kurz danach eine bewaffnete EuropäerTruppe der Schutztruppenstammkompagnie zu bilden, zu der sich Basler Missionare freiwillig gemeldet hatten. In den Schriften der Basler Mission war ebenso ein starker Patriotismus gegenüber Deutschland vertreten, obwohl die Mission von der Neutralität der Schweiz profitierte, insofern, dass die Schweizer Missionare nicht überall aus den Kolonien ausgewiesen worden waren. Friedrich Würz als Herausgeber des „Evangelischen Mission Magazine“ [EMM] und Mitglied des Missionskomitees, schrieb im Jahr 1914: Auch der Missionsmann, den sein Beruf dazu erzieht, das Ganze der Menschlichkeit mit Herz und Auge zu umspannen, darf und soll mit Leib und Seele Patriot sein, und wenn das Vaterland in Gefahr steht, gehört auch er mit seiner ganzen Tat und Tragkraft dem Vaterland. 109
Für Würz war Patriotismus ein Muss für Missionare. In seiner Arbeit über den Ersten Weltkrieg und das Verhältnis zwischen deutschen Missionsgesellschaften und den Alliierten betont Richard Pierard die Vorherrschaft von säkularen Nationalismen über ökumenische Zusammenarbeit. 110 Fast alle Missionsschüler, die noch in der Basler Missionsschule waren, wurden einberufen. 111 Viele haben sich freiwillig gemeldet. 112 Innerhalb der Leitung der Basler Mission war ein starker Patriotismus nicht immer vorhanden, aber in den Missionsfeldern war eine enge Zusammenarbeit zwischen Missionaren und der Kolonialregierung ein Muss, um die Missionsarbeit fortzusetzen. 113 Auch während des Krieges wurde diese Zusammenarbeit gefördert. In Kamerun leisteten die Missionare den deutschen Schutztruppen Hilfe. Der Missionar Jb. Stutz zum Beispiel, der auf der Basler Missionsstation Sakbayeme in Kamerun arbeitete, berichtete von der Bereitschaft, auf seiner Station den deutschen Soldaten Hilfe zu leisten. 114 Sie wurden nicht nur versorgt, auch das Schulhaus wurde vorbereitet und zur Unterkunft für deutsches und Militärpersonal und mehrere Hundert Soldaten, u. a. indigene, umfunktioniert. Dort wurden diese in den Kriegsmonaten bei der Durchreise beherbergt und versorgt. Darüber hinaus ließ die Mission das Schulhaus schmücken und Musik für die Truppen spielen. 115 Diese Beispiele unterstreichen die Aussage von Ulrich van der Heyden, dass, obwohl man pauschal keine Bewertung über das Verhältnis zwischen Mission und Kolonialismus machen kann, viele Missionarinnen und Missionare im 108 9 August 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 4. 109 Würz, Friedrich: Der europäische Krieg und die Mission, in: Evangelisches MissionsMagazin, Nr. 9, Basel 1914, S. 377–380, hier S. 377. 110 Pierard, Richard V.: World War I…, a.a.O., S. 372. 111 Schlatter, Wilhelm: Geschichte…, a.a.O., S. 59. 112 Würz, Friedrich: Der europäische Krieg…, a.a.O., S. 377. 113 Dah, Jonas N.: Missionary Motivations…, a.a.O., S. 151–154. 114 Stutz, Jb.: Blätter aus den Kriegstagen…, a.a.O., S. 11. 115 Ebenda, S. 11–12.
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19. und bis ins 20. Jahrhundert nichts dagegen hatten, wenn sie in Kolonialpropaganda „als integraler Bestandteil des Kolonialisierungsprozesses und als wichtigstes Instrument zur Aufrechterhaltung der Kolonialherrschaft angegeben wurden“ 116. Missionarinnen und Missionare ordneten sich nicht nur unter die Kolonialpolitik ein, sondern behielten, wie das Beispiel von Phillip Hecklinger zeigt, einen unreflektierten Patriotismus gegenüber dem Kaiser und Deutschland. Trotz der schwierigen Erlebnisse, die Hecklinger im Krieg gemacht hatte, feierte er als Kriegsgefangener in England zu Silvester mit seinen Mitgefangenen den deutschen Kaiser. 117 FAZIT Die Erfahrungen von deutschen Kriegsgefangenen wurden, so Mahon Murphy, in der Geschichtsschreibung der deutschen Kolonialgeschichte stets vernachlässigt. 118 Diese Bemerkung betrifft auch die Geschichtsschreibung der Basler Mission. Mit wenigen Ausnahmen (hier ist die Arbeit von Ulrich van der Heyden zu nennen) wird Missionsgeschichte in die deutsche Kolonialgeschichte nicht integriert. Dies trägt weiterhin dazu bei, dass die Erfahrungen von deutschen religiösen Kriegsgefangenen vernachlässigt wurden. Allerdings unterstützten die meisten deutschen Missionarinnen und Missionare in der Kaiserzeit, wie van der Heyden herausgearbeitet hat, den deutschen Kolonialismus. 119 Demzufolge wurde wenig Kritik an Deutschlands Rolle im Krieg geäußert, sowohl in den zeitgenössischen Berichten als auch in der Geschichtsschreibung der Mission in der Nachkriegszeit. 120 Auch wenn der Erste Weltkrieg explizit bearbeitet wird, werden die Feindseligkeit und der Propagandakrieg zwischen den Deutschen und den Briten verschwiegen. 121 Die Verschweigung des Propagandakrieges ist in der Nachkriegszeit verständlich, da ein Aufbau der internationalen Zusammenarbeit von evangelischen Missionen im Gange war. Wie dieser Beitrag herauszuarbeiten versucht hat, geht aus den Berichten der Basler Missionarinnen und Missionare stets hervor, dass sie das Missionswerk als unschuldiges Opfer internationaler Politik darstellten. Die Gewalt, die an Missionarinnen und Missionaren vonseiten der Alliierten ausgeübt worden war, war überwiegend nicht physisch, sondern durch Demütigungen geprägt, insbesondere durch eine Inversion des Machtverhältnisses zwischen der Bevölkerung Kameruns und den Deutschen in der Kolonie. Eher als auf eine internationale Gemeinde der internationalen Missionsgesellschaft zu hoffen, bleibt das Missionsehepaar Hecklinger, wie viele ihrer Landesleute, Patrioten, die die Loyalität der Kameruner gegenüber Gott und Staat infrage stellten, um die Missionsarbeit und auch ihre eigenen Loyalitäten nicht hinterfragen zu müssen. 116 van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus!..., a.a.O. 117 31. Dezember 1914, in: Hecklinger, Phillip: Tagebuchblätter…, a.a.O., S. 31. 118 Murphy, Mahon: Colonial Captivity…, a.a.O., S. 32. 119 van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus!..., a.a.O. 120 Vgl. Kellerhals, E. (Hrsg.): Ich will sie mehren…, a.a.O. 121 Oehler, Wilhelm: Geschichte der Deutschen…, a.a.O., S. 275–295.
ENGAGIERT, KOMPROMISSLOS, ERFOLGREICH: DIE ANFÄNGE DER PROTESTANTISCHEN MISSION AUF DEN MARSHALL-INSELN Hermann Mückler Den ostmikronesischen Marshall-Inseln kommt innerhalb der Missionsgeschichte der pazifischen Inseln eine besondere Stellung zu, die daraus resultiert, dass die Inselgruppe innerhalb der ozeanischen Großregion Mikronesien kulturell im Südosten einen Berührungs- und Überlappungsbereich zu den noch weiter östlich liegenden Gilbert- und den südöstlich liegenden Ellice-Inseln und damit zu den weiter südlich liegenden polynesischen Inselgruppen darstellt. Andererseits bilden die Marshall-Inseln den östlichen Anschluss an die sich von Westen nach Osten hin erstreckenden Karolinen-Inseln, die mit Ponape (heute: Pohnpei) und Kusaie (heute: Kosrae) zwei für die christliche Missionierung der Gesamtregion bedeutsame Ausgangspunkte in unmittelbarer geographischer Nachbarschaft aufweisen. Historisch, insbesondere aus kolonialgeschichtlicher Perspektive betrachtet, stellen die beiden Inselketten der Ralik- und der Ratak-Kette der Marshalls’, wie sie auch kurz genannt werden, schon deshalb eine Besonderheit dar, da sie nicht von den Spaniern – so wie die übrigen Teile Mikronesiens (Marianen-, Palau- und Karolinen-Inseln) – aktiv kolonisiert wurden, obwohl diese die Inseln für Europa entdeckt und für sich reklamiert hatten. Erst 1886 wurden formell Hoheitsrechte durch das Deutsche Reich ausgeübt, nämlich durch die Installierung eines ersten Kaiserlichen Kommissars namens Wilhelm Knappe, der auf dem Jaluit-Atoll stationiert war. Erst damit begann auf den Marshall-Inseln eine tatsächliche, folgenschwere koloniale Einflussnahme, die sich in zahlreichen Verordnungen niederschlug, denen die einheimischen Inselbewohner Folge leisten mussten. 1 Die koloniale Einflussnahme insbesondere der Deutschen schlug sich aber auch in einer erstmaligen Erfassung der kulturellen Leistungen der Marshall-Insulaner nieder. 2 Von außen herangetragene „aus1
2
Vgl. dazu Hezel SJ, Francis X.: Strangers in Their Own Land. A Century of Colonial Rule in the Caroline and Marshall Islands, Honolulu 1995; Mückler, Hermann: Die Marshall-Inseln und Nauru in deutscher Kolonialzeit. Südsee-Insulaner, Händler und Kolonialbeamte in alten Fotografien, Berlin 2016. Z. B. Hager, Carl: Die Marshall-Inseln in Erd- und Völkerkunde, Handel und Mission, Leipzig 1886; Grösser, Hermann (Hrsg.): Wörterbuch der Marshall-Sprache nach hinterlassenen Papieren des verstorbenen Stabsarztes Dr. Erwin Steinbach, Hamburg 1902; Erdland, P. A.: Die Marshall-Insulaner. Leben und Sitte, Sinn und Religion eines Südsee-Volkes, Münster/Westfalen 1914; Krämer, Augustin/Nevermann, Hans: Ralik-Ratak (Marshall-Inseln). Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908–1910, Hamburg 1938.
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ländische“ Einflüsse hatten jedoch auch schon davor ab den 1850er Jahren dazu geführt, dass ein schleichender Kulturwandel bei den Inselbewohnern eine stete Beschleunigung erfuhr und sich Akkulturationsdynamiken schrittweise bemerkbar machten. Punktuelle Auslöser dieses Einflusses waren die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in steigender Zahl in den Pazifik gekommenen Walfänger, Sandelholzsucher und zum Teil Arbeitskräftejäger sowie jene Händler, die auf der Suche nach einträglichen Produkten die Inseln durchforsteten und einen sich schrittweise etablierenden Koprahandel aufbauten, der schließlich die Marshall-Inseln flächendeckend einschloss. Ein langfristiger Auslöser und gleichzeitig der nachhaltigste Träger dieses Einflusses waren jedoch die christlichen Missionare, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst auf einzelnen Inseln aktiv wurden und von dort ausschwärmend den gesamten Inselarchipel als ihr Arbeitsfeld auffassten. Mit der Ankunft der ersten protestantischen Missionare des American Board of Commissioners for Foreign Mission (ABCFM), der sogenannten Bostoner Mission, ab dem Jahr 1857 auf Ebon – eingeladen von Chief Kaibuke (Kabuke) von Ralik – und danach schrittweise auch auf anderen Inseln, konnte langsam ein Rückgang des tendenziell sehr häufig vorkommenden gewalttätigen Umgangs der Insulaner untereinander sowie zwischen Fremden und Einheimischen beobachtet werden. 3 Vor allem die unkontrollierte Einfuhr von Alkohol durch die Händler hatte zu Verwerfungen und Konflikten innerhalb der Marshall-Inseln-Gemeinschaften geführt. Darüber hinaus waren durch den Verkauf moderner westlicher Schusswaffen an die Einheimischen – vor allem Gewehre – neue Gefahrenpotenziale entstanden und es veränderten sich die lokalen politischen Kräfteverhältnisse dort, wo es zu hegemonialen Auseinandersetzungen und gleichzeitig (noch) bestehenden waffentechnischen Ungleichheiten kam. PIONIERMISSIONARE IM AUFTRAG DES BOSTON BOARD AUF EBON Die von protestantischer Seite kommenden Initiativen zur Missionierung der Marshall-Inseln entwickelten sich von den Hawaii-Inseln aus. Es waren energische, zielbewusste und häufig charismatische Persönlichkeiten, welche die Missionierung vorantrugen und dabei ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit und Sicherheit (sowie der ihrer sie begleitenden Frauen) „ins Feld“ gingen, um das Wort Gottes in seiner protestantischen Version zu predigen und die Inselbewohner ihrem „Heidentum“ zu entreißen. Auf den Marshall-Inseln bildete das im Süden gelegene Atoll Ebon das Einfallstor für die christliche Mission, die von den östlichen Karolinen-Inseln Pohnpei und Kosrae aus ihren Ausgang nahm. Zu den Pioniermissionaren zählten auf Ebon Edward Toppin Doane, Hezekiah Aea, George Pierson, Benjamin Galen
3
Vgl. dazu Bliss, Theodora Crosby: Micronesia. Fifty Years in the Island World. A History of the Mission of the American Board, Boston 1906.
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Snow und Luther Halsey Gulick. 4 Sie alle waren mit ihren Frauen in die Mission gegangen, und manche der Frauen hatten vor Ort unter schwierigen gesundheitlichen und hygienischen Bedingungen ihren Ehegatten Kinder geboren. Auch wenn manche krankheitsbedingt nach einiger Zeit das Missionsfeld wieder verlassen mussten, so entstanden dennoch ganze Missionarsdynastien, deren Namen sich bis zum heutigen Tag in pastoral tätigen Nachkommen auf den Inseln finden. Hinzu kamen mehrere indigene von den Hawaii-Inseln stammende Missionare im Dienst des ABCFM, die ebenfalls von Ebon aus weitere Inseln der Region missionarisch erschlossen. Die Biografien dieser Pioniere christlicher Glaubensverbreitung lesen sich als hochinteressante Lebensgeschichten, die von großen Herausforderungen und Entbehrungen, Konflikten und oft anfänglich nur mäßigem Erfolg geprägt waren 5, deren Berichte aber für uns heute wertvolle schriftliche und visuelle Quellen über die missionierten indigenen Gruppen zu jener Zeit sind. 6 Edward Toppin Doane war vermutlich jene Person, die in den Gründungsjahren am nachhaltigsten für die Etablierung der protestantischen Mission auf den Marshall-Inseln verantwortlich zeichnete. Er war ein 1820 geborener und aus Tompkinsville, New York, stammender Missionar, der ursprünglich im Auftrag des Boston Board viele Jahre auf Pohnpei eine protestantische Mission aufgebaut hatte. Dabei war er mit den spanischen kolonialen Autoritäten in Konflikt geraten, deren Umgang mit den Einheimischen Doane wiederholt kritisiert hatte. Doane war mit dem Schiff „Casca“ und seiner ersten, 1836 geborenen Frau Sarah Wells Wilbur nur ein Jahr nach ihrer Hochzeit 1855 nach Mikronesien gelangt und in den Jahren 1855 bis 1887 mit Unterbrechungen auf Pohnpei, Karolinen-Inseln, missionarisch tätig. Die hier erwähnte Unterbrechung betraf seinen Aufenthalt auf dem Atoll Ebon in den Jahren 1857 bis 1862. Das landflächenmäßig nur 5,74 Quadratkilometer große Korallenatoll, bestehend aus 22 kleinen, motu genannten, Kleinstinseln, das sich insgesamt über knapp 104 Quadratkilometer Ausdehnung erstreckte, wurde von Doane zum Stützpunkt der ersten protestantischen Mission auf den Marshall-Inseln auserkoren. Doane, der sein eigenes Missionsfeld nach wie vor auf Pohnpei sah, installierte auf Ebon einen aus Hawaii stammenden Missionar namens Hezekiah Aea, den er immer wieder besuchte, nachdem er wieder nach Pohnpei zurückgekehrt war. Dort hatten ihn die Spanier nach seiner endgültigen Rückkehr von den MarshallInseln sogar kurzzeitig inhaftiert und im Juni 1887 nach Manila (von wo aus die Spanier ihre mikronesischen Kolonien verwalteten) deportiert, wo er intensiv über seine Tätigkeiten auf Ponape und sein Verhältnis zu den Einheimischen befragt wurde. Doane war auf Pohnpei nicht nur in die wachsenden Rivalitäten zwischen katholischen und protestantischen Missionaren hineingeraten, sondern auch von 4 5 6
Anderson, Rufus: History of the Missions of the American Board of Commissioners for Foreign Missions to the Sandwich Islands, Boston 1874, S. 359 ff. Vgl. Mückler, Hermann: Missionare in der Südsee. Pioniere, Forscher, Märtyrer. Ein biographisches Nachschlagewerk, Wiesbaden 2014. Vgl. dazu van der Heyden, Ulrich/Liebau, Heike: Vorwort, in: dies. (Hrsg.): Missionsgeschichte – Kirchengeschichte – Weltgeschichte, Stuttgart 1996, S. 11.
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Händlern angeschwärzt worden, dass er die einheimischen Ponapesen sowohl gegen die damaligen bereits vor Ort agierenden deutschen Händler, als auch gegen die (noch) vor Ort agierenden Spanier aufhetzte. Doane wurde in Manila zwar vom spanischen Gouverneur Emilio Terrero pardoniert und kurz danach auch vollständig rehabilitiert, man versuchte aber, Druck auf ihn auszuüben, um weitere Kritik seinerseits an der spanischen Kolonialmacht zu verhindern. Er war Zeuge einer fehlgeleiteten spanischen Kolonialpolitik geworden, die auf Konfrontation und Unterdrückung statt auf Konzilianz und Verständnis setzte; spätestens seit seiner Verhaftung konnte er nur mehr eingeschränkt als Vermittler und Fürsprecher für die Einheimischen agieren, die spanischen Übergriffen ausgesetzt waren. Doanes erste Frau Sarah Wells Wilbur, die ihm drei Kinder geboren hatte, verstarb bei der Geburt des vierten Kindes 1862 auf Ebon. Kurz darauf verließ Doane das Missionsfeld auf den Marshall-Inseln, nachdem er sich überzeugen konnte, dass sich der Stützpunkt auf Ebon mit Hezekiah Aea und George Pierson gut entwickelte. Der um 1835 auf den Hawaii-Inseln geborene Hezekiah Aea war ein typischer Vertreter jener Missionare der Anfangsjahre, die bereits aus einem aufbereiteten Missionsgebiet in Ozeanien, nämlich den Hawaii-Inseln, und nicht mehr aus den USA direkt stammten. 7 Er war ursprünglich ein Missionar der Hawaiian Auxiliary Missionary Society (HAMS), der in Kooperation mit dem ABCFM, dem Boston Board, mit seiner Frau Debora Kimiala im Jahr 1860 mit dem Missionsschiff „Morning Star“ auf Doanes Betreiben hin nach Ebon in den südlichen MarshallInseln entsandt worden war. Dort unterstützte Hezekiah Aea Doane nachhaltig. Aea eröffnete und leitete für und im Auftrag von Doane die erste Missionsstation auf Ebon. Nach seiner Ordination eröffnete er eine weitere neue Station im Jahr 1869 auf Majuro, trotz anfänglichen Widerstands der dortigen einheimischen Bevölkerung, und war damit für eine erste Ausdehnung des Missionsfeldes auf den Marshall-Inseln entscheidend mitverantwortlich. Seine Frau Debora Aea, geboren 1835, die in erster Ehe mit einem anderen hawaiianischen Missionar namens Berita Kaaikaula verheiratet und von der HAMS 1852 ursprünglich zu den KarolinenInseln entsandt worden war, verstarb 1871 auf Majuro, Marshall-Inseln, gefolgt von ihrem Mann Hezekiah im darauffolgenden Jahr. Dass die Missionstätigkeit für das Familienleben der Missionare eine Herausforderung darstellte, wird auch durch das Schicksal von Doanes zweiter Frau sichtbar. Die 1841 geborene Clara Hale Strong aus Monroe, New York, litt, obwohl selbst eine ausgebildete Missionarin, unter den häufigen Abwesenheiten von Doane, der immer wieder verschiedene Inseln im östlichen Mikronesien bereiste und damit länger von Pohnpei fort war. Krankheitsbedingt verließ sie 1872 das Missionsfeld und wollte von Doane die Scheidung, der ihr Mann anfangs jedoch nicht zustimmen wollte. Doane verblieb schließlich alleine im Missionsfeld, bevor er nach Hawaii ging, wo er 1890 in Honolulu auf Oahu verstarb. Neben psychischen Belastungen kamen gesundheitliche Herausforderungen insbesondere dort 7
Vgl. Hawaiian Mission Children’s Society: Portraits of American Protestant Missionaries to Hawaii, Honolulu 1901; Anderson, Rufus: Geschichte der Mission auf den Sandwich-Inseln, Basel 1872.
Die protestantische Mission auf den Marshall-Inseln
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zum Tragen, wo die Frauen der Missionare vor Ort ohne medizinische Grundversorgung Kinder gebaren. Neben Edward Toppin Doane und Hezekiah Aea war der dritte einflussreiche Pioniermissionar auf Ebon anfangs der ebenfalls vom Boston Board entsandte George Pierson. Wie fast alle nicht-hawaiianischen Missionare aus den USA stammend, hatte er eine Ausbildung als Arzt, die er in seine Missionstätigkeit einbringen konnte. Geboren 1826, hatte er zuerst bei den Choctaw-Indianern in Oklahoma missioniert, bevor er 1854 nach Mikronesien berufen wurde und sich zuerst kurz auf Pohnpei und in den Jahren 1855–1857 auf Kosrae der christlichen Glaubensverbreitung widmete. 1857 war er nach Ebon gelangt und hatte dort drei Jahre lang bis 1860 den Aufbau dieser ersten Pioniermissionsstation mitgetragen. Auch er war im Missionsfeld von seiner Frau, der 1828 geborenen Nanny Annette Shaw, begleitet worden; sie hatte ihm im Missionsfeld zwei Kinder geboren, aber auch hier war es die schlechte Gesundheit der Frau, die einen Rückzug des Missionsehepaares aus dem Missionsgebiet nach Kalifornien notwendig machte. Der letzte der Pioniermissionare auf Ebon war Luther Halsey Gulick, geboren 1828 in Honolulu auf Oahu, aber US-amerikanischer Abstammung. Er war in den Jahren 1852 bis 1859 auf Pohnpei missionarisch tätig, bevor er im Dezember 1859 nach Ebon wechselte. Er war mit der aus New York stammenden und 1850 geehelichten Louisa Mitchell Lewis verheiratet, mit der er sieben Kinder hatte. Gulick war bereits auf den Hawaii-Inseln als Hauptverantwortlicher für die Hawaiian Mission Children’s Society in Erscheinung getreten. Zu seinen Leistungen zählt die Adaptierung der Karolinen-Sprache, um Schulbücher sowie Hymnen und Übersetzungen von lokalen Überlieferungen anfertigen zu können. Sein Aufenthalt auf Ebon war krankheitsbedingt nur kurz, denn bereits 1860 musste er den Marshall-Inseln den Rücken kehren und nach Hawaii zurückkehren. Von dort bereiste er nach seiner Genesung die polynesischen Marquesas-Inseln, bevor er nach Kalifornien zurückkehrte. 8 Darüber hinaus war sein Verdienst, dass er sich bei den ABCFM-Verantwortlichen für eine Intensivierung der Mission auf den Marshall-Inseln eingesetzt hatte. Die meisten der zu den Marshall-Inseln gelangten Missionare des ABCFM kamen von jenen geografisch benachbarten Inseln, auf denen es bereits protestantische Missions-Stützpunkte gab. Während Doane und Pierson von Westen von den östlichen Karolinen-Inseln zu den Marshalls’ vorstießen, konnte ein solches Unterfangen auch von der südöstlichen Seite, nämlich von den Gilbert-Inseln her erfolgen. Ein Missionar, der ebenfalls als Pioniermissionar auf Ebon wirkte und auf den dieser Weg zutraf, war Benjamin Galen Snow. 1817 in Brewer, Maine, geboren und im Jahr 1851 sowohl ordiniert als auch mit seiner Frau Lydia Vose Buck verheiratet, gelangte er mit seiner Frau im selben Jahr von Boston mit dem Schiff „Esther May“ nach Honolulu, Oahu. Dort wurde Snow Teil einer ganzen Gruppe von Missionaren, die sich anschickte, nach Mikronesien zu reisen. 1852 verließen Snow und seine Frau, zusammen mit weiteren Missionaren, darunter Lu8
Jewett, Frances G.: Luther Halsey Gulick. Missionary in Hawaii, Micronesia, Japan, and China, Boston 1895.
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ther Halsey Gulick und dessen Frau, sowie vier hawaiianischen Hilfsmissionaren mit dem Schoner „Caroline“ Honolulu, um von dort nach Butaritari, einer Insel im Norden der Gilbert-Gruppe zu segeln. Von dort ging es nach Kosrae und weiter nach Pohnpei. 1864 wechselte das Ehepaar Snow nach Ebon, wo sich die protestantische Mission zwischenzeitig bereits gut etabliert hatte und das Ehepaar mehrere Jahre wirken konnte. Es sei hier angemerkt, dass die Ehefrauen der Missionare nicht nur für ihre Männer eine psychisch stabilisierende Wirkung hatten, sondern auch selbst bei der Vermittlung grundlegender hygienischer Standards, manchmal auch medizinischer Grundkenntnisse sowie bei der Herstellung von Kleidung in Nähkursen und ähnlichen praktischen Initiativen den Kontakt zu den einheimischen Frauen der Inseln aufbauten und damit jenen Teil der Bevölkerung erreichten, der ihren Männer manchmal nur eingeschränkt zugänglich war. 1877 erlitt Benjamin Snow einen Schlaganfall, der seine Rückkehr in die USA notwendig machte und an dessen Folgen er 1880 in seinem Heimatort verstarb. Seine Frau Lydia wirkte nach der Rückkehr von Ebon ab 1880 noch zwei weitere Jahre in der Mission auf Kosrae, bevor sie 1882 endgültig in die USA zurückkehrte. Warum wurde gerade das Atoll Ebon dazu auserkoren, der erste Stützpunkt auf den Marshall-Inseln zu werden? Als Doane und Pierson eine Insel für ihre ersten Missionsschritte in der Marshall-Gruppe suchten, fiel ihnen das Atoll deshalb auf, weil es aufgrund des für die Inselgruppe überdurchschnittlichen Regenaufkommens eine üppige Vegetation aufwies und solcherart als „Garteninsel“ 9 günstige Lebensbedingungen versprach. Hinzu kam, dass das Atoll die Heimat des einflussreichen Häuptlings Kaibuke war, der nicht nur die Kontrolle über „sein“ Atoll hatte, sondern darüber hinaus seine Macht auch auf etliche umliegende Insel und Atolle projizierte. Das bedeutete, dass es den Missionaren möglich war – nachdem es ihnen nach anfänglichen Schwierigkeiten und Konflikten gelungen war, mit Kaibuke ein freundschaftliches Verhältnis und gutes Einvernehmen herzustellen –, alle Inseln der Ralik-Kette als Missionsfeld zu sehen. Ein weiterer günstiger Umstand für die Missionare war die Tatsache, dass eingeführter Alkohol und Kava, aber auch der lokal aus vergorenem Palmsaft hergestellte „toddy“ auf Ebon so gut wie nicht vorhanden war und selbst der Genuss von Tabak nur selten vorkam. DIE WEITERE PROTESTANTISCHE ERSCHLIESSUNG DER MARSHALL-INSELN Von Ebon ausgehend wurden von den Missionaren des ABCFM bald weitere Inseln missionarisch erschlossen. 10 Dieser Schritt wurde von einer ganzen Anzahl 9
Hezel SJ, Francis X.: The First Taint of Civilization. A History of the Caroline and Marshall Islands in Pre-Colonial Days, 1521–1885, Honolulu 1983, S. 202. 10 Vgl. dazu Gunson, Niel: Messengers of Grace. Evangelical Missionaries in the South Seas 1797–1860, Oxford 1978; Garrett, John: Footsteps in the Sea. Christianity in Oceania to World War II, Genf/Suva 1992, S. 277 ff.; Lange, Raeburn: Island Ministers. Indigendous
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von indigenen Missionaren aus Hawaii bewerkstelligt. Es ist vielleicht ein Zufall, dass die meisten Namen dieser Missionare mit „K“ beginnen. Die wichtigsten Pioniermissionare aus dieser Epoche sind beispielsweise David Kapali, der, geboren um 1840, im Jahr 1862 mit seiner Frau Tamara Kealakai nach Ebon gelangte und von dort zwei Jahre später nach Taka wechselte. 1865 wirkte er in Namorik, 1866 auf Jaluit, 1868 wieder auf Ebon und 1873 ein weiteres Mal auf Jaluit. Im Jahr 1880 kehrte er mit seiner Frau nach Honolulu, Oahu, zurück. Kapali war auf Ebon dem ebenfalls indigenen hawaiianischen Missionar und Buchdrucker Simeon Kanakaole und dessen Frau nachgefolgt, der bereits nach einem Aufenthalt auf Pohnpei ab 1857 kurzzeitig auf Ebon missionarisch tätig gewesen war. Ein weiterer Hawaiianer war Samuel W. Kekuewa, geboren um 1850, der zusammen mit seiner Frau Miriama ab 1873 auf Majuro missionarisch tätig war und die dortige Missionsstation entscheidend aufbaute. Simeon Kahelemauna, geboren um 1850, Hawaii-Inseln, war im Jahr 1871 mit seiner Frau Mary Kahelemauna Kaaialii auf das Mili Atoll gekommen und konnte mit ihr dort erfolgreich die Mission etablieren und mehrere Schulen errichten. Nach seinem Tod heiratete seine Frau ihren Schwager Samuel Nawaa und führte die Mission zuerst auf Mili und anschließend auf Ebon weiter. Samuel P. K. Nawaa, geboren um 1855, hatte zusammen mit seiner energischen und sehr engagierten Frau Mary Kaaialii 1877 eine Zeit lang auf Mili und anschließend auf Ebon missionarisch gewirkt. Während seine Frau de facto die Missionsarbeit erledigte und Nawaa nur geehelicht hatte, um nach Mili als Missionarin zurückkehren zu können (Frauen durften keine Missionsstation alleine führen), galt Nawaa bei den Einheimischen aufgrund seines Auftretens als umstritten und musste schließlich vom ABCFM abgezogen werden. Seine Frau hingegen, Mary Kahelemauna Kaaialii, war bei den Inselbewohnern beliebt. Im Jahr 1873 hatte Mary Kaaialii innerhalb der Missionare kurzzeitig Anlass zu Zweifeln an ihrer Sittsamkeit gegeben, da sie sich, leicht erkrankt, in Abwesenheit ihres (ersten) Mannes von einem einheimischen Mann hatte massieren lassen – ein Tatbestand, der in die Missionsberichte Eingang fand, jedoch letztlich ohne Konsequenzen blieb. Kaaialii hatte zwei Kinder auf Mili geboren, wovon eines nach der Geburt verstarb. Sie verbrachte daraufhin kurze Zeit auf Hawaii, wollte aber nach Mili zurückkehren, was die Heirat mit Samuel Nawaa notwendig machte, da sie alleine als Frau keine Mission übernehmen durfte. Sie galt als sehr engagiert und hatte als agierende Frau damals in der traditionellen Marshallese-Gesellschaft, die stark matrilinear organisiert war, eine gute Stellung. Die Einschätzung durch die konservativen protestantischen Missionare war jedoch eine andere, da die Missionarin gleich zwei zur damaligen Zeit entscheidende Nachteile aufwies: Sie war eine Nicht-Weiße und eine Frau! 11 Dennoch konnten auch immer wieder Frauen in der Missionstätigkeit Beachtliches leisten. Eine dieser Frauen, zeitlich deutlich später angesiedelt, war Jessica Rebecca Hoppin aus South Haven, Michigan, stammend und 1865 geboren, die mit dem Missionsschiff Leadership in Nineteenth Century Pacific Islands Christianity, Christchurch/Canberra 2005, S. 217 ff. 11 Mückler, Hermann: Missionare in der Südsee…, a.a.O., S. 223.
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„Morning Star IV“ im August 1890 zur mikronesischen Insel Kosrae gelangte, wo sie in der Folge missionarisch wirkte. Von Kosrae aus betreute sie mehrere Stationen auf den Marshall-Inseln. Unter anderem wirkte sie in Jaluit, das ihre letzte Station war und das sie 1931 verließ, um in ihre Heimat zurückzukehren. Sie hatte sich beachtliche 41 Jahre im Missionsfeld aufgehalten und war in dieser Zeit nur dreimal in den USA auf Heimaturlaub gewesen. Ein anderer „Hawaiianer“ unter den protestantischen Pioniermissionaren war Timoteo Kaehuaea, der aber seinem Beruf(-ung)sstand nicht gerecht wurde. Auf Initiative des berühmten Missionars auf den Hawaii-Inseln, Hiram Bingham II., war er im Jahr 1871 mit seiner Frau nach Mikronesien auf die Insel Nonouti, Gilbert-Inseln, entsandt worden. Dort war er jedoch nur ein Jahr später 1872 mit einem Einheimischen in Streit geraten und hatte diesen getötet. Er wurde daraufhin von der Missionsgesellschaft seiner pastoralen Tätigkeit enthoben und ausgeschlossen. Kaehuaea wechselte daraufhin von Nonouti nach Ebon und wurde Händler für das deutsche Handelsunternehmen Adolph Capelle & Co. Bei dem Missionar Carl Russel Heine war es umgekehrt. Obgleich kein Pioniermissionar im eigentlichen Sinn, arbeitete er zuerst als Agent der neuseeländischen Firma Henderson & McFarlane sowie später für die australische Firma Burns, Philp and Co. Der aus Australien stammende und 1869 geborene Heine ließ sich im Jahr 1892 auf der Insel Namorik nieder und heiratete vor Ort 1892 eine einheimische Frau namens Arbella, die ihm den Weg zur Religion wies. Nach deren frühem Tod bei der Geburt ihres ersten Kindes, eines Sohnes, heiratete er Arbellas Schwester Nenij. Mit seiner ersten Frau hatte er einen Sohn, mit der zweiten vier Töchter. 1906 trat er dem American Board of Commissioners for Foreign Mission bei und organisierte auf seinen Reisen zwischen den Inseln die Arbeit der protestantischen Mission. Mit Ankunft der Japaner, die 1914 die deutsche Kolonie übernahmen, und der Ausweisung der Missionare durch die japanische Verwaltung, wuchs der Druck auf ihn. Er durfte jedoch auf den MarshallInseln bleiben, wirkte überwiegend auf Jaluit und konnte schließlich die Leitung der dortigen Kirche in der kritischen Zeit der Jahre vor Ausbruch des Pazifikkrieges übernehmen. Im Zweiten Weltkrieg wurde er selbst sowie sein Sohn Claude und dessen Frau von den Japanern im Jahr 1944 festgenommen und, der Spionage für den Feind verdächtigt, enthauptet. 12 Einer seiner Vorgänger auf den Marshall-Inseln noch während der deutschen Kolonialzeit war der aus den USA stammende und 1828 geborene Edmund Morris Pease. Er war als Missionar und Arzt nach Mikronesien gelangt. Mit seiner 1877 geehelichten Frau Harriet A. Sturtevant war er nach seiner im selben Jahr erfolgten Ordination nach Mikronesien ausgereist. Er wirkte auf den damals unter deutscher Kolonialverwaltung stehenden östlichen Karolinen- und MarshallInseln in den Jahren 1877 bis 1894. Sein hauptsächliches Missionsgebiet war anfangs Kosrae, später die Marshall-Inseln. Neben seinen medizinischen Tätigkeiten vor Ort verfasste er auch ein Wörterbuch eines indigenen Dialekts der MarshallInseln, mehrere Lehr- und Gesangbücher und übersetzte das Neue Testament in 12 Ebenda, S. 195.
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die Lokalsprache. Ein anderer ebenfalls sehr rühriger Mann war der charismatische Clinton Francis Rife. Geboren 1866 in den USA, leitete er ab 1894 die mikronesische Mission des ABCFM auf den Marshall-Inseln und folgte in dieser Funktion Edmund Pease nach. Rife agierte ebenfalls als Arzt und galt solcherart als „medical missionary“. Er hatte seine medizinische Ausbildung am Rush Medical College in Chicago erhalten, wurde 1894 ordiniert und reiste im selben Jahr über San Francisco nach Kosrae, wo sich das Zentrum der ABCFM-Mission der Region befand. Rife wirkte insbesondere auf den unter deutscher Kolonialverwaltung stehenden ostmikronesischen Marshall-Inseln bis 1901, zusammen mit seiner aus dem US-Bundesstaat Wisconsin stammenden und 1893 geehelichten Frau Isadora („Dora“) Roté, die am Chicago Bible Training Seminary ausgebildet, ebenfalls missionarisch tätig war. Rife weigerte sich, wie ein zeitgenössischer Kommentator vermerkte, auf der Missionsstation die deutsche Flagge zu hissen, und verwendete an deren Stelle die US-Flagge, die damals 48 Sterne im blauen Feld aufwies. Folglich geriet er mit der deutschen Kolonialverwaltung immer wieder in Konflikt. Zur Zeit von Rife betreuten vom ABCFM entsandte Missionare auf folgenden Inseln der Marshall-Gruppe Missionsstationen: Jaluit, Ebon, Namorik, Mile, Arno, Majuro, Aur, Maloelap, Mejit, Ailuk, Wotje, Ailinglaplap, Namu, Kwajalein, Lai, Ujae, Wotho und Rongelap. Im Jahr 1905 wurden insgesamt 28 Schulen mit ebenso vielen Lehrern geleitet, darunter neun Priester von der Bostoner Missionsgesellschaft, die zusammen 1.100 marshallesische Schüler sowie rund 3.100 Kirchenmitglieder umfassten. Mit dem Bau von Kirchen und Schulen war die Konvertierung der Einheimischen zügig vorangekommen. Für die lokalen Häuptlinge bedeutete dies Stück für Stück einen Machtverlust, der nicht überall widerstandslos hingenommen wurde und zu Konflikten zwischen Einheimischen und Missionaren führte. Die zeitlich nach den protestantischen Missionaren auf die Marshall-Inseln gekommenen katholischen Missionare, insbesondere die Hiltruper Herz-JesuMissionare, deren Zentralstation auf Jaluit im Jahre 1899 errichtet wurde, waren mit ähnlichen Problemen vor Ort und umgekehrt die Einheimischen in gleicher Weise von den Auswirkungen der Mission betroffen. 13 Den Ausgangspunkt für die katholische Mission bildete das Jaluit-Atoll, nachdem die Missionare dafür ein Grundstück von der deutschen Jaluit-Gesellschaft erwerben konnten. In den Jahren bis 1905 erweiterten sie diese Station und errichteten auch kleine Stützpunkte auf anderen Inseln der Marshall-Gruppe. Ein schwerer Taifun im Juni 1905 zerstörte jedoch zahlreiche Gebäude auf Jaluit, darunter die Missionskirche und das erst 1902 errichtete Schwesternhaus, sodass danach die meisten Häuser neu aufgebaut werden mussten. Zwischen den protestantischen und katholischen Missionaren auf den Marshall-Inseln bestand eine Rivalität – wie auch in anderen Teilen Ozeaniens –, die 13 Linckens, P. H.: Auf den Marshall-Inseln (Deutsche Südsee). Land und Leute, Katholische Missionstätigkeit, Hiltrup/Münster in Westfalen 1911; Hezel SJ, Francis X.: The Catholic Church in Micronesia. Historical Essays on the Catholic Church in the Caroline-Marshall Islands, Chicago 1991.
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manchmal unter der Oberfläche, d. h. für die deutsche Kolonialverwaltung nicht allzu offensichtlich erkennbar war. Aufseiten der protestantischen Missionare war Rife einer derjenigen, der die eigenen Anliegen vehement auch gegenüber konkurrierenden Glaubensgemeinschaften verteidigte. Ein anderer war Alfred Christopfer Walkup. Geboren 1850 und aus Illinois, USA, stammend war er nach seiner theologischen Ausbildung sowie seiner Ordination im Jahr 1880 zusammen mit seiner im selben Jahr geehelichten Frau Margaret Venie (Lavenia) Barr unmittelbar nach der Eheschließung ins Missionsfeld nach Mikronesien ausgereist. Er wirkte zuerst mit seiner Frau auf der nördlichen Gilbert-Insel Butaritari sowie auf Abaiang. Später wechselten beide zur mikronesischen Karolinen-Insel Kosrae. Walkups Frau gebar ihrem Mann auf Kosrae drei Kinder, wobei sie bei der Geburt des letzten Kindes verstarb. Alfred Walkup verblieb in Mikronesien und war u. a. für mehrere der Missionsschiffe namens „Hiram Bingham“ verantwortlich. Sein Interesse galt der Etablierung einer Vorherrschaft der protestantischen Mission in den Gilbert-Inseln gegenüber dem katholischen Einfluss; aus diesem Grund hoffte er, dass die Inselgruppe unter US-amerikanischen Einfluss käme, was jedoch nicht der Fall war. Als „Captain Walkup“ bekannt, bereiste er die einzelnen Missionsstationen auf den weit verstreuten Inseln Ostmikronesiens und damit auch die Marshall-Inseln. Dabei geriet er mit dem Schiff „Hiram Bingham II“ bei einer am 1. Mai 1909 gestarteten Seereise nach der Abfahrt von Ocean Island (Banaba) Richtung Kosrae zusammen mit neun anderen Begleitern am 4. Mai in einen Sturm, der das Seefahrzeug vom Kurs ab und zum Sinken brachte sowie das überfüllte Rettungsboot zu einer 28-tägigen Irrfahrt verdammte. Dabei verstarb Walkup an Erschöpfung und Wassermangel, kurz bevor das Boot von Fischern in der Gegend um die Insel Ebon, Marshall-Inseln, gefunden und die Besatzung gerettet wurde. 14 ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN Walkups Schicksal zeigt, mit welchen Risiken die Missionsarbeit verbunden sein konnte und gleichzeitig mit welchem unbedingten Einsatz, der sich aus einem festen Glauben speiste, vor Ort von den Missionaren agiert wurde. Nur so wird es verständlich, dass die Selbstdisziplin und Härte gegen sich selbst, die die meisten Missionare im Feld vorexerzierten, manche zu Überreaktionen bei den Erwartungen an die zu Missionierenden verleitete. Ohne auf solche Fehler einzugehen, kann eines mit Bestimmtheit gesagt werden: Die protestantische Mission auf den Marshall-Inseln war von Männern und Frauen vorgetragen worden, die an ihre Aufgabe glaubten und ein klares Ziel vor Augen hatten. Die jeweiligen religiösen Wahrheiten der in der Mission engagierten Konfessionen waren damals ebenfalls nicht gewohnt, mit Bescheidenheit aufzutreten und Kränkungen zu ertragen. Ironie, Zweifel und Relativierungen versagten sich die Missionare. Der Absolutheitsanspruch, mit dem man auftrat, machte immun gegen eine kritische Auseinandersetzung, gegen Selbstreflexion und Distanz zum 14 Mückler, Hermann: Missionare in der Südsee…, a.a.O., S. 406.
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eigenen Tun. Gleichzeitig steckte eine glühende und unbändige Kraft dahinter: ein Glaube, der Kraft verlieh, und Kraft, die für die Verbreitung des Glaubens in einer als hegemonial und expansiv auftretenden Religion rücksichtslos und mit Überzeugung eingesetzt wurde. Ein Glaube als Ziel, für dessen Erreichen man bereit war, die Gesundheit und in letzter Konsequenz das eigene Leben zu opfern. Nur so wird verständlich, dass die Missionare in allen Erdteilen ausharren konnten: Der Wille zum Werk und die dazu nötige Energie speisten sich aus einem, im wahrsten Sinne des Wortes, zweifellosen Glauben.
ARTIFACTS ON BERLIN MISSION SOCIETY STATIONS IN EASTERN TANZANIA CA. 1887–1949 Gabriel K. Nzalayaimisi Zusammenfassung: Die Berliner Missionsgesellschaft nahm 1887 ihre Arbeit in Tansania auf, das erste Missionszentrum wurde in Dar es Salaam gegründet, bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs folgten zahlreiche weitere Zentren. Dort sammelten sowohl die ansässigen Missionare die Daten ihrer Zentren, als auch die Predikanten jene der Außenstationen. Zu diesen gehörten die Jahresberichte der Stationen, die Berichte an die Zentrale der Missionsgesellschaft in Berlin oder für die Kolonialverwaltung, ebenso Tagebücher und Personalakten, Stationsprotokolle oder die Korrespondenz mit der Missionszentrale. All diese Materialien liefern wertvolle statistische und qualitative Informationen über die Entwicklung der Missionsarbeit in den Regionen. Leider fanden die 1925 zurückgekehrten Missionare nur noch sehr wenige dieser Materialien vor, als Ergebnis des Ersten Weltkrieges hatte die Gesellschaft ihre Arbeit 1918 einstellen müssen. Viele Dokumente wurden von den britischen Streitkräften zerstört, eines davon war die von Missionar Martin Klamroth ins Swahili übersetzte Bibel. Der vorliegende Beitrag empfiehlt, die wenigen verzeichneten Materialien an einem zentralen Ort zu sammeln, z.B. an der Iringa University, wo Forscher und die interessierte Öffentlichkeit Zugang zu ihnen haben. INTRODUCTION The history of Christian missions has passed through different periods, with many various forms all referred to and characterized as mission. Mission history was first recorded in oral forms, then pictures and later on in modern written forms and preserved for up to date use at that time. Some histories were documented and stored and those which were not destructed or lost can be seen as records of the life and work of individual missionaries and mission organizations. Many of these documents are held at the headquarters of mission societies. Some of those mission societies, include the Evangelical Mission Society (EMS) and the Berlin Mission Society (BMS), are based in Berlin, Germany. Many of the paper documents and other artifacts were sent to Berlin by the missionaries in the field as part of their work and placed in the offices of the Mission Inspectors, libraries and archival sections of the mission houses. Some were posted to Berlin, Germany though the Post Services. However, there are some documents and artifacts which were sent to the mission stations in Tanzania from Germany and other parts of the
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world which had connections to Tanzania, such as Great Britain. There are volumes and oral histories which speak out about the unsung, and to a large extent untold history, of the stations in the Eastern Tanzania that could enrich the mission history of certain mission stations and more generally of the World. A study of artifacts found at mission stations could bridge what is known and unknown about what existed on the mission stations could also inform us about the life and work of the personnel at the mission stations. This Chapter presents a longitudinal survey undertaken on the history of some of the artifacts and their importance to the Christians at the stations and the missionary societies in Germany. For the purpose of this Chapter, the term ‘mission’ refers to the German Berlin Lutheran Christian organisation which propagated the Good News of Jesus Christ to the Eastern people of Tanzania starting from 1887. The first mission organisation to the area was the EMS, which sent Pastor Johan Jacob Greiner (1842–1905). 1 In 1903, the EMS transferred their mission work in the area to the BMS. 2 Based on this transfer, the BMS is known as the ‘mission’ in this area to the present time. It was the sending agent of all subsequent missionaries, and continued to carry out the missionary activities started by the EMS as well as those they started. Apart from being an organisation, it assumed to be known as an activity, religious culture and civilisation, faith and modernity. In different times in history, especially during the Germany colonial period (1905–1919) and in the period in which German missionaries were once again allowed back to Tanzania (1925–1939), some BMS missionaries and the BMS as a missionary organisation acted as colonial agents to the German Colonial government in the area. 3 The native people in the area continued to be the receiving agent and worked with BMS missionaries and the mission. The BMS set rules and regulations which were written in their language and translated into English and Swahili to be followed by those who wished to live in the created Christian village type, which was started from the initial period of the mission activities at the stations. 4 In this chapter ‘artifacts’ are understood to mean those typed as well as hand scribed by the missionaries as well as the natives to and from the BMS. They include materials like reading materials such as books, newsletters, letters, minutes, ordination and baptismal certificates, contract and agreement document papers, annual and periodic reports and descriptions of trips made by the Mission Inspectors as well as pictures taken to describe specific events which took place in Berlin and in the Mission field in the study area. Also studied were Teaching Aid materials, Bibles, Medical Records, Hymnal Books, Christian Calendar and Exhi1 2 3 4
Cf. von Sicard, Sigvard: The Lutheran church on the Coast of Tanzania 1887–1914 with Special Reference to the Evangelical Lutheran Church in Tanzania, Synod of UzaramoUluguru, Uppsala 1970, p. 58. Cf. Nzalayaimisi, Gabriel K., Missionary Colonial Agriculture in Tanzania up to 1900, in: van der Heyden, Ulrich/Feldtkeller, Andreas (eds.): Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen, Stuttgart 2012, p. 258. Cf. Nyagava, S. I.: The role of missionaries in the colonization of Southern Highlands of Tanzania. The case of the Berlin mission society, Dar es Salaam 1979, p. 81. Cf. von Sicard, Sigvard: The Lutheran Church on Coast Tanzania…, op. cit., pp. 223–229.
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bition Schedules. Other artifacts studied were buildings which included Church buildings, schools and workshops buildings, farms and farm building and tombs. This study was carried out in the present Dar es Salaam, Coast and Morogoro regions of Tanzania. These are the regions where the EMS and BMS started working since entering the country through the Eastern region in 1887. Thus, it excludes the BMS Southern Tanzania sphere which was started by Rev. Dr. Alexander Merensky in 1889, who followed the Shire river water route from South Africa passing via Malawi. The study also took note that the BMS worked in the Southern Tanzania area since 1889 in the present regions of Iringa, Njombe and Mbeya regions, and to a little extent Songwe and Ruvuma regions. Specifically, the sites studied in the area included: Ng’ambo (also referred to as Kigamboni and Magogoni) and Kariakoo in Dar es Salaam region, Kisarawe and Maneromango in Coast region and Kidunda and Towero (also known as Schelesien as well as Visegese) in Morogoro region. The study took a qualitative approach and also was in nature a survey. Data was collected from 1978 to June 2018. Methods for collecting data included faceto-face interviews, Focus Group Discussion, observation and documentary reviews. Interviews were conducted with seven missionaries and mission leaders. For example, interviews were conducted with former missionary and President of the Evangelical Lutheran Church in Tanzania – Synod of Uzaramo – Uluguru, Berlin. Also, interviews were conducted with local Church leaders, pastors, Evangelists, Parish workers, Church members and family members of Church workers who had the opportunity to work with the BMS missionaries. Likewise, Focus Group Discussions were conducted with elders at different parishes. At each parish, a total of five discussions conducted at different times were held with each group composed of ten members. The researcher observed different artifacts found at the stations studied particularly tombs, church buildings, furniture, windows and doors and other materials. Church elders, especially those at rural area stations such as Kisarawe, Kidunda, Maneromango and Towero, greatly assisted the researcher during the observation period. The researcher made a minimum of twelve visits to the sites in order to observe the artifacts. Documents reviewed included minutes of Church elders Councils meetings, letters and documents related to church records containing Sunday collections, special offerings, and other records reviewed as artifacts included missionary diaries of specific periods ending up 1945. Books and scholarly works reviewed included dissertations and thesis submitted at Universities in Europe particularly in Germany and Finland. Journal articles were also included in the review. The researcher had the opportunity to visit the Berlin Mission Archive in Berlin three times and collected some materials related to the study dating from 1887 to 1945. The researcher had chances to interview and discuss with renowned researchers in the fields of missiology, Church History and Sociology. First and foremost, the President and author of the early history of the Eastern and Coastal Synod of Uzaramo – Uluguru the Rev. Professor S. von Sicard of the University of Birmingham, UK, and Professors Cuthbert K. Omari, Seth I. Nyagava and Mlahagwa all of the University of Dar es Salaam, who inspired the author to undertake the study. The author also had the opportunity to
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visit Maneromango Station with PD Dr. Dr. Ulrich van der Heyden to whom this book is dedicated and observed some of the artifacts presented in this chapter. Finally, the author of this chapter had the opportunity to work as an internship student, congregation pastor in Eastern and Coastal Diocese, and General Secretary of Morogoro Diocese at different periods. These and many other contacts and documents shown to the author are reported on in this chapter. STATIONS Dar es Salaam – Immanuelskap Dar es Salaam station was the first Lutheran station to be established on the Coast of Tanzania. It was established on the 2nd of July, 1887 by Rev. Johann Jacob Greiner. Documentary reviews showed that two tents were erected first and three months later three small buildings were built at the place. One building was used by Pastor Greiner and his wife, while the second one was used by the Sisters who accompanied Pastor Greiner. The third one, which was comparatively bigger, was used by African boys and girls and other assistants of the station. 5 The station underwent problems including an Indian Ocean hurricane which blew to the shore and destroyed many buildings including the EMS buildings. Many of the materials owned by the mission were carried away to the sea. Thus, the mission experienced loss of properties at the time. In looking for a permanent and a suitable place for building the station the German colonial authority of the time proposed to the mission two places, namely Kisutu and Azania Front. The German East Africa Company later confiscated the buildings for its own use and it compensated by allocating the Azania Front area for the EMS to use. No artifacts remain to be studied since all the initial buildings were demolished by the Germany East Africa Company, which later built their Headquarters there. Azania Front Station Building was begun at the Azania Front Station before 1910. The first church building was completed in 1913. Scant information is known as to when the first small church was begun to be built. Since its establishment, the second Azania Front Church building is one among the first modern and magnificent buildings in Dar es Salaam. The foundation was laid by strong and hard stones, deep sea stones, clay stones, Kisutu sand and marble cement also known as Indian cement. Water and sand for building the church was carried to the site from the Kisutu area Kwa Shomvi. The doors, benches, furniture, including tables and chairs, roof5
Cf. Menzel, Gustav: Die Bethel Mission. Aus 100 Jahren Missionsgeschichte, Wuppertal 1986, p. 35. See also von Sicard, Sigvard: The Lutheran Church on Coast Tanzania…, op. cit. See also Lehmann, Hellmut: 150 Jahre Berliner Mission, Erlangen 1974, p. 94.
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ing materials and other wood materials were from the hard wood family, including mahogany. Windows were fixed by mahogany timber and were fixed with imported materials from Germany including strong nails and pieces of iron bars. In some places the iron bars also acted as decorations in the building. Inside the church one can even still see today German architectural design of the 18th and 19th centuries. The windows were made and decorated by heavy glass, Christian wall pictures and icons. Among the very noticeable windows are those bearing pictures of Jesus and the Holly Family, the Twelve Apostles and Jesus at the Last Supper. Additionally, one can see the light and candle holders in different shapes and colours which are still in working order. The pulpit is on the left side as one enters the church, the west, that is from the front entrance. It is made of semi hard wood and is approximately four meters high. The altar was built by using stones, Indian cement and fine Kisutu sand. The roof of the church was made of local anti and fungi resistant wood materials and strong tiles. Apart from the main church area used for worship there is a small room used by the parish pastor as well as the general office for the station. In this room you can see pictures of different German and other foreign missionaries as well as local pastors who ministered at Azania Front Church. 6 Some books, files, records and other paper materials belonging to Azania Front station were initially placed in the Berlin Mission House Building. The BMS House was commonly called the Mission House and was located about 100 meters east of the Azania Front Church. The land was later confiscated and the building demolished by the Colonial Government to give way for other city development plans. 7 The Mission House had four living quarters. Three of them each had a separate kitchen, toilet room, two sleeping rooms, verandah and a reading room. The office was also used as the reading and archival room. The fourth one was bigger and was used by the Superintendent of the mission. It had an additional sleeping room which was used as a Guest wing. Many of the artifacts were destroyed during the World War 1 and 11 by the British army. When the Mission House was destroyed all the paper materials and furniture were collected, parked and stored at different congregations within Dar es Salaam district. The study has found that with the exception of very few of them, many of these artifacts have been destroyed by white ants, dust and rain water. Some materials were burnt, possessed by local church workers and/or taken by researchers. During the study a few of the materials were found in the custodian of old and senior pastors, but not at Azania Front nor at the Luther House buildings. They include Church hymnal books, Church Calendars and pictures of missionaries who worked at Azania Front or at Dar es Salaam Church District at different times. Some of them are in the possession of their family members. 8 6 7 8
Interview with Andrea Ndekeja, Kigamboni, 22 June 1979. Interview with Tuungane Mngwamba, 22 December 1978 Maneromango. Also interview with Sister Martha, 31 June 1984, Berlin. Interview with Andrea Ndekeja, 2 June 1985, Kigamboni
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Ng’ambo also known as Kigamboni and Magogoni Ng’ambo Mission station started in the year 1890 as an outstation preaching station of the Dar es Salaam/Immanuelskap. 9 It became independent from Immanuelskap in 1895. The first church building in the form of a hut measured 15x20 feet and building was started on it in the same year, however, it was destroyed by strong ocean winds a year after. Oral history reveals that the BMS started building a bigger stone and marble church in 1904 but the work temporally stopped due to the spread of the Maji Maji War of 1905–1907 10. The missionaries feared losing building materials for a new church since they heard of the burning of mission stations, particularly the buildings at Kwiro and Peramiho Catholic Mission stations by the Maji Maji worriers. News about the arrival of the war at Kisangire in Uzaramo shocked the BMS missionaries, who planned to hide materials for their different construction projects including this one. During WW 1 and WW 11 the second church building to be built was used first by the German army and later by the British army at different times for keeping their soldiers and ammunitions. The resident BMS missionary and those African workers thought to be royal to the German Colonial Administration were removed from the station during the WW 1 and that marked the deterioration of agricultural activities at the station as evidenced by one of the old African pastors who said that: When I was young and later on the first BMS Ng’ambo station pastor after my ordination, I heard from the old Christian members a lot of fearful stories about the WW 1 British soldiers activities at Ng’ambo station. For the first three months we were told that they looted the animal huts and the cows ran to different places in fear of being killed as the soldiers killed some of them and some killed for own use as meat. I confirmed these ruthless actions of the British army done to African Christians and the BMS missionaries, animals and the coconut trees when I was an adult person when the WW 11 occurred. However, one Sunday an old priest of the United Mission for Central Africa (UMCA) came from the town to administer the Holy Communion and Baptism Sacraments here. He invited me to administer the sacraments. At first, I was afraid as could not believe to what he was saying, and then I accepted. During the announcement session this British Anglican Pastor announced that the British Colonial Administration in Dar es Salaam, Tanganyika has agreed that the Church building and the farms owned by the BMS at Ng’ambo will not be destroyed by any of the rivals for the sake of spreading the Gospel of the Messiah to the people of Ng’ambo and its vicinities 11
At Ng’ambo, also called Kigamboni and Magogoni BMS station, the mission bought land for agricultural projects. There they planted coconut trees, cassava, beans and kept cattle and local chicken. The products were sold at the Azania 9
Cf. von Sicard, Sigvard: The Lutheran Church on Coast Tanzania…, op. cit., p. 86. Also interview with Andrea Ndekeja, 2 August 1985 Kigamboni. 10 Interview with Godfrey Mbwana, 5 April 1986, Kigamboni. Also interview with Abrahamu Chuma, 6 April 1985, Kigamboni. See also Nzalayaimisi, Gabriel K.: The Berliners and Violence in Eastern and Southern Tanzania, 1887–1919, in: van der Heyden, Ulrich/Becher, Jürgen (eds.): Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt bei der Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19, Stuttgart 2000, p. 474. 11 Interview with Rhode Chuma, 23 April 1985, Ng’ambo/Kigamboni.
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Front and the Mission House, hotels and European and Indians shops in town. The majority of the farm workers were Nyamwezi and Ngindo. 12 The BMS missionaries allocated land for a grave yard in the land they acquired at Ng’ambo station. The tombs of the early Christians you can see include one of the first ordained African pastors, Martin Nganisya, his wife and others. They are lined on the left side of the road leading to the present Mwalimu Julius Nyerere Memorial University at Ng’ambo. Not all of them bear the names and respective date of burial because of rusting and lack of regular maintenance. Some of the graves do not have the crosses on them either. During the Focus Group Discussion when asked how they identify the graves of their loved ones, one old woman who claimed to have buried her husband there said that: My husband and I walked all the way from Tabora to Dar es Salaam escorting our Moravian missionary and his family who were going back to Holland for their one year holiday. Upon arriving in Dar es Salaam, our missionary arranged with the BMS Father for us to stay in Dar es Salaam and wait for our missionaries to return from Holland or join a group of new Moravian missionaries so that we could go with them to Tabora. This was before the WW 11 started ... the year forgotten. The missionary, neither our missionary nor a new group of Moravian missionaries to Tabora turned on. Instead, another missionary family for the Southern Mission area was sent. After a careful search for us and upon meeting with this family, my husband and I declined to go to Mbeya because we believed that the Nyachusa (Nyakyusa) was a difficult language to learn. Also, the culture, food and the climate were simply different. Instead, we recommended the family of Mr and Mrs Atuganile Mwalimba which was leaving at Kariakowuu (Kariakoo) area to escort this new group to Mbeya. We decided to remain at Ng’ambo BMS land and later found our own piece of land and built this hut with the assistance of our joke friends, the Zaramo. When my husband died in 1951 the Wazaramo buried him at the mission grave yard, Rest In Peace there. The Zaramo planted a cross on his grave but it is no longer to be seen these days. When I was strong enough I used to go there every Easter Week to clean it. Now I am very old, no strength with me, I cannot walk to that far distance and see the cross at my husband’s grave. The Wachuma Zaramo go there every Easter Week but end up telling me that the cross is not there. Mr Philipo Dumba who is the head of the Wazamo at this area has promised to plant a new one there. God bless these Zaramo, nice people though they are not from the land of Chief Milaambo, the Great 13. (Focus Discussion Group statement made by Debora Mihayo – popularly known by the Zaramo given nick names as Magati Mwanachuma, 2 February 1986, Ng’ambo).
Documents for review at Ng’ambo show that all files containing important information regarding baptism, confirmation, marriage, burial and children record books were either destroyed, burnt, stolen or are found in the hands of individuals thus it is difficult to access them. One long time Church Elder said: During both the WW 1 and 11 this BMS station lost almost all the documents. Some of them were taken by the British army leaders while others were sent to Azania Front for safe storage but are no longer to be seen since then. When BMS missionaries were called for Intern they tried to take some of them with them. When some of them came back to Ng’ambo they said that the British army confiscated them when found in their bags, thus never reached Berlin, Germany. Only 12 Cf. von Sicard, Sigvard: The Lutheran Church on Coast Tanzania…, op. cit., pp. 83–84. 13 Focus Group Discussion statement made by Debora Mihayo, 19 February 1985, Kigamboni.
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those few such documents sent to Berlin which reached there are those which were taken to Germany by the missionaries themselves during their vocation trip or sent by post during peace periods in the colony that is the years when there were no wars in the country. Farm and school reports are even not found here. Our grandfathers that is the BMS missionaries have been continuously telling me that the BMS has lost what it accrued regarding artifacts through the great world wars. 14 The above information is confirmed by several church leaders including the Rev. Charles Ally Chuma and Mr Nathaniel Peter Lucas. The Rev. Charles Ally Chuma worked at Ng’ambo Parish at different periods as an evangelist, pastor and later served as the Synod of Uzaramo – Uluguru Vice President. He later studied music at the BMS Centre in Berlin from 1963 to 1964. He stated that: I have worked at the BMS Ng’ambo station for many years, as an evangelist, resident pastor, youth and music director and the Vice President of the Eastern and Coastal Synod. All these positions placed me at a better position to know the place and what artifacts available there. Additionally, I had the opportunity the use and study the materials on the BMS stations including the Ng’ambo station in the Berlin Mission Archive when I was attending the youth and music course offered by BMS at that time in Berlin, Germany. I can state that no materials are available at the parish apart from the land, old church and the grave yard, and some books, hymnal books, Christian Calendar, Bendera ya Kikristo (Christian Flag/Banner) of different years and of course oral history. In German I could find and read some materials written in German language about the station, but they are fewer and incomprehensive. As a student of music from BMS Coast area I expected to read the Nyimbo za Kikristo in Swahili and some in Zaramo or Luguru but I could not find any book. There are few pictures in the archive placed in different boxes one can see there though many of them are labeled to have been taken at Kisarawe and Maneromango. 15
Similar information and sentiment were shared by Mr Nathaniel Peter Lukas who was the former Secretary of the Eastern and Coastal Diocese with the Central Committee of the Synod meeting on 13 May 1987 at Luther House, Dar es Salaam. Mr Nathanael Peter Lucas studied artifacts in the BMS archive in Berlin and reported it as part of the 100 year anniversary celebration of planting the Lutheran Church in the area. He found that there are scanty materials about the station. The few available ones included the history and development of the station at different times. He stated: The BMS archive had few documents on Ng’ambo Stations. Most of them are about the farm and how the work was organised there, the graves, and the church building. There are no much detailed documents informing on the use of the church building by the British army during the dreadful WW 1, in Dar es Salaam, Tanganyika. Further to that, little information about land, personnel and business as planned by Father Johan Jacob Greiner at the area was documented or explained in the documents availed there. Oral interview with the archival personnel reveal that many of them were lost or reached Berlin in bad condition. The only reliable source of information about artifacts to be found at the BMS Ng’ambo station is oral history preserved and passed from generation to generation of the local Christians there. 16
14 Interview with Philipo Dumba, 29 November 1886 and 7 April 1887, Kigamboni. 15 Interview with Charles Ally Chuma, 8 July 1984, Luther House/Dar es Salaam. 16 Interview with Nathanael Peter Lukas, 1 June 1987, Luther House/Dar es Salaam.
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There are however some artifacts to be read about Ng’ambo under the possession of individuals and families of Rev. Martin Nganisya, Rev. Andrea Ndekeja, Philipo Dumba and Abrahamu Chuma. The fourth generation daughter of the Rev. Martin Nganisya called Victoria Ndekeja shared materials kept by the Rev. Martin Nganisya and those of Andrea Ndekeja with the researcher of this Chapter on 18 March 1987 at Kigamboni, but he was not allowed to keep them. They included pictures, maps of the Churches, translated from German to Swahili Bible Chapters of the New Testament and hymnals. Victoria had this to say during the interview: These documents are older than my grandmother as they belong to her father called Martin Nganisya. Martin Nganisya was a teacher, evangelist and the first ordained African pastor of the Berlin Mission. Andrea Ndekeja was the second ordained pastor from the coast area. When I feel I have no strength of keeping them safe, I will hand over them to my son called Ndege. That is how and why you find them still in a good condition’ My grandfather Andrea Ndekeja was a translator and worked for a long time with a certain Bible translation society called Emmaus, but never carried these materials there 17.
Kisarawe (Hoffnungshöhe – Hill of Hope) Kisarawe, also known as Kiserawe, was the third major station started by the BMS along the coast of Tanzania. It was established in 1892 by Missionary Johann Jacob Greiner. The area wash well known in Europe even before the planting of the Gospel into this area, especially in France and Great Britain, through the work of French and British explorers, travelers and missionaries including Speke and Burton who passed through the Zaramoland at different times in history on their way to the interior of Tanganyika. 18 Furthermore, the area and its vicinities was known by the Arabs who from time to time passed through there on their way to the hinterland searching for ivory and slaves which they exchanged for clothes, salts and ocean ornaments they carried from the coast of Tanganyika. Kisarawe town is geographically located about 25 kilometres west of Dar es Salaam City by following Buguruni (Bugulu nini), Gongolamboto (Gongo da Mboto), Pugu and Minaki way. The BMS established this station after being welcomed by the Chief of the area popularly known by one name as Sanze (Mwene Isi Sanze). Speke and other European explorers described the land as having thin trees and shrubs found here and there and as well as being sparsely populated. The majority of the people were poor and agriculturalists while fewer were depending on fishing in the Indian Ocean. Politically, the area was described by them to be divided into many fragmented and weak clans. Because of this, Chief Sanze took the advantage of the presence of the BMS missionaries in Dar es Salaam by inviting them to his headquarters and worked with them. Chiefs in other parts of Uzar-
17 Interview with Victoria Ndekeja 8 April 1987, Kigamboni. 18 Cf. Nzalayaimisi, Gabriel K.: Kutoka Greiner hadi Kitale. Miaka Mia Moja na Kumi ya Ulutheri katika eneo la Morogoro 1889–1997, Dar es Salaam 2019, p. 1.
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amo who were powerful included the Chiefs of Sungwi, Mzenga, Kidunda, Maneromango and Kisangire areas. 19 The BMS started its work by building a small church and a house for a resident African teacher-cum-evangelist at Kisarawe. The BMS’s selection of the name and place at Kisarawe as the Hill of Hope was not accidental but situational in the sense that the mission was viewed by the slaves left there by the German Colonial Officer as hope for them. Therefore, it was hope to the slave’s children who were rescued and placed under the care of the BMS Mission as they were left free and started a new life. Also, the Mission was a hope to those natives who feared the demons which possessed them and destroyed their faculties, it brought hope in their hearts and life. Thus, for the slaves the mission was a sign of freedom from the enslavement of the Arabs. For the native Zaramo the mission signaled hope, security and freedom from the powers of the evil spirits many of them possessed. Food and other human needs soon became scarce. The mission decided to transfer the children to Usambara where another German mission called the Bethel Mission was operating. This gave the opportunity for the BMS to expand its activities at Kisarawe and the surrounding areas. A bigger church that hosted more than 100 people was erected and was followed by building a primary school, a co-education middle school, a teacher training college and a small a dispensary. The Middle School and the Teacher Training College known as Kisarawe Seminary was attended by students from all over the BMS – Eastern Tanzania stations. 20 The Kisarawe Seminary Middle School wing was attended by eleven male and six female students from Kisarawe Mission Station. The male students were: Barnaba Frederick, Sultan Mwinyimkuu, Joshua Fredrick, Daniel Andrew Kirumbi, Daniel Kirumbi, Yona Kirumbi, Andrew Immanuel, Samson Andrew Kirumbi, Samwel Mpelemba, John Tito Mwenda and Huruma Philemon Mdheru. Female students were Tuwageni David, Dorah Andrew Kirumbi, Frida Immanueli, Tusimsahau Tito Mwenda and Martha Tito Mwenda. At Kisarawe Station one can see artifacts including the Mission House which was used by the missionaries as a residence, offices for the Seminary and the Parish, and few reports of the school, which are in a shamble condition. There are ruins of the Seminary buildings such as the classrooms, dormitories, staff houses, kitchen, dispensary and the first church. All official reports were written in German. A few of them were written in the Swahili, English and Kizaramo languages. Those in the German language mostly date from 1892 up to 1940s. As it is common at many of these stations that the documents are not found at single places rather are scattered and many are in possession of individuals, families and some are found in the BMS Archive, Berlin. 21 Many of these materials found at the 19 Cf. Mwaruka, Ramadhani: Masimulizi juuya Uzaramo, Dar es Salaam 1965. 20 Interview with Huruma Philemon Mdeheru, 7 July 1977, Luther House/Dar es Salaam. Also Curriculum Vitae of teacher Yohona Segamba dated November 1963, Mkulazi Primary School Morogoro District. 21 Cf. Observation field notes. 1999 at Berlin Archive. Kisarawe BMS Station File Box 2 and 4.
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BMS Archive have been reviewed by notable researchers including S. von Sicard, Immanuel Bavu, Nathanael Peter Lukas and Gabriel K. Nzalayaimisi. 22 Nathaniel Peter Lukas reported on his intensive study at the Berlin Mission Work in 1886 of the history of the Evangelical Lutheran Church in Tanzania – Eastern and Coastal Diocese. Immanuel Bavu conducted a documentary review and oral interviews on the history of the Eastern and Coastal Diocese from 1887– 1987 and reported it in a book form titled Karne Moja ya Injili katika Pwani ya Tanzania. The last two reports were prepared and presented at the 100 year anniversary celebration of the Lutheran Church in Eastern Tanzania, Kisarawe being part of it. Gabriel K. Nzalayaimisi extensively researched the history of the Morogoro Diocese and showed the connectivity of the diocese with the Kisarawe BMS station in his book: Kutoka Greiner hadi Kitale: Miaka Mia Moja na Kumi ya Ulutheri katika Eneo la Dayasisi ya Morogoro 1887–1997. In these reported materials the authors have documented the history of Kisarawe BMS station based on oral and written information gathered from the inception of BMS work at Kisarawe up to the late 1930s. Additionally, there are maps left by Father Greiner showing the garden and forest plots at Minaki BMS substation in possession of the Kisarawe District Land Office, Head Office of the Ministry of Lands, individuals and families. Oral history informs us that a BMS missionary named Missionary Greiner had a plan to buy a natural forest at Vigama area west of Kisarawe BMS station for timber and wild fruits reserve forest and named it Msitu wa Baba Greiner (Father Greiner’s Forest) but the plan never materialized before he resigned from his BMS employment, he was employed with the German colonial authority, retired and then selfemployed at his garden at Minaki area and finally died in 1905 . People still call the forest area by his name though the district government does not recognize it. 23 At Kisarawe Station there is a grave yard where a number of BMS missionaries were buried including the Rev. Jacob Johan Greiner, his wife Elizabeth, early Christians, and the first national pastors including the Rev. Andrea Kirumbi and Rev. Huruma Philemon Mdheru. Teachers such as Samwel Mpelemba, Enea Mpelemba and Tito Mwenda were buried there too. Besides, there is the tomb of Chief Sanze located just about eight meters west of the Missionary House. Though he never converted to Christianity, he was given respect by the missionaries to be buried at the Mission area for welcoming them on his land (Isi). One old Christian member at Kisarawe had this to say during the Focus Group Discussion session: The fact that our Mwene Isi Sanze never turned to Christianity does not mean that he did not like Christian religion. He loved it, attended Sunday Services and assisted Father Greiner in all land matters, getting children go to school and no one with demons had to build a house at the mission. He therefore worked very closely with the missionaries and those who liked education and modernity as he opened himself to the development of his area knowing that 22 See also von Sicard, Sigvard: The Lutheran Church on the Coast of Tanganyika – the war years 1914–1920, in: Africa Theological Journal, no. 2, Makumira 1986, pp. 91–102. 23 Interview with Godfrey Mbwana, 4 June 1985, Kigamboni Anglican Church, Dar es Salaam.
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Gabriel K. Nzalayaimisi Christianity gave his people new knowledge and economic power. Basing on his decision to work with Father Greiner we got education very early in this Uzaramo area compared to others. Actually, we are told that he was nearing to be baptized and become a member of the Christian Community at Kisarawe Mission but death befell on him before he got admitted to the sacrament of Baptism. If being a Christian is to be baptised, yes he was not but if it is matter of inner search of the heart and soul of accepting the Christian faith then Mwene Isi Sanze was really a Christian. He expressed his being Christian through what we call inner expression and not signal or facial. 24
Apart from these artifacts observed at Kisarawe, it is possible for one to visit the substations which were under Kisarawe station such as Gogo, Minaki and Sungwi. The researcher observed sites of the first church buildings, but no ruins were seen inferring that they have been completely destroyed a long time ago and no attempts to rebuild them were made. At Sungwi there are however five very old tombs built by stones, suggesting that it is from the very first Christians. Of them one seems to be of a child while the others are of adults. Also, an old cross is available, but in possession of one of the sons of the first local Christians at the station. During one of the interviews the parish pastor had this to say more: Sungwi is one amongst the earliest substations of Kisarawe Mission but was transferred to be under Maneromango Station around 1940s. Sungwi was believed to near to Maneromango than Kisarawe but this change made Sungwi to lose its famous and Christian glory in Uzaramo. All the altar vessels for example were taken to Maneromango Station and Sungwi were left with nothing to show researchers like you. 25
Maneromango Station Maneromango Station was established in 1895 by missionary Rev. Bernhard Maasss after visits made by Rev. Greiner and Rev. Gottmann to the Chief of the area called Urembo Hoza. 26 The area received the name Maneromango showing the place where the Chief was living, that is Kwa Mwana Lumango. Observable are ruins of the foundations of the first buildings including those of the church, missionary residence, the regular school (which was attended by the boys and the girls), the special girls’ school, the technical school (carpentry masonry and craft) and the animal house. There are tombs of the first Christians in the Mission grave yard. Three of them are said to be of the BMS, two are of adults and one of a child. The station was the centre for the learning and translation of the Bible from German and Kiswahili to Kizaramo (Zaramo Language) and other literature used to teach the Bible to the people. Between the 1890s to the 1930s, Maneromango Station grew to be the centre of the BMS’s work in Uzaramo, thus Mission materials were kept there. Oral history, which has been confirmed by a documentary 24 Interview with Enea Mpelemba, 27 October 1977, Kisarawe. Cf. von Sicard, Sigvard: The Lutheran Church on Coast Tanzania…, op. cit., p. 131. 25 Interview with Zakaria Lukas Loweza, 15 May 1983, Sungwi. 26 Cf. von Sicard, Sigvard: The Lutheran Church on Coast Tanzania…, op. cit., p. 134, and Bavu, Immanuel: Karne Moja ya Injili, Dar es Salaam 1987.
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review of materials about BMS work in Uzaramo at the Berlin Mission Archive, Berlin, Germany, reveal that very important information on the BMS’s work in Uzaramo were send and kept there and some documents were sent to Berlin as required by the Mission Board. They include minutes, annual station reports, education, medical reports, and land maps, letters written by the Missionaries to the government and the BMS Board in Berlin from 1903 to 1939. There are also letters written by the natives to former Missionaries who returned to Germany following the catastrophic Maji Maji War (1905–1907), World War One (1914– 1918) and World War Two (1939–1945), and famine explaining the condition of Maneromango Station. One of the letters was written by a teacher identified by one name as Fredrick who wrote to former missionary that; This is the second year after your departure you dear Father that the Mission has not paid us our salaries and because of the wide spread famine in Uzaramo for the past four years now, we are starving. The cassava and millet is not well growing and the size of the farms has shrunk because the males are in fear to be recruited to serve in the British army. Only a few of us do the farm work in the nights which is not enough for having enough annual family food. With your usual grace and firm compassion and with the hope that this letter will safely reach you, kindly assist us. The evangelists are partially paid by the Station Sunday collection but we teachers do not have any other source of income other than the salaries. Sincerely and with Christian love to you all as should be to us here at Maneromango Mission. Your son, Fredrick. 27
Findings from series of interviews and visits at Maneromango Station revealed that with the exception of the Mission Office, which can still be observed, all other buildings have been demolished following Church Elders decisions. Some copies of the Gospel according to Saint Mathew in original Zaramo, initially translated by the Rev. W. Gottmann and later on by the Rev. Bernhard Mass, Rev. August Peter and Rev. Arthur Worms and finally completed by the Rev. Dr. Ernest Tscheuschener while working at Maneromango can be seen at the station. Hand written manuscripts for the whole New Testament in Zaramo, Christian Hymnals and Lutheran liturgy in parts are in the possession of different members of the church. Attempts and strategies to obtain them from them haveto date failed. The only place you can read them is at the Berlin Mission Archive, Berlin. Oral history informs us that a number of pre -service teachers at Maneromango Station attended the Kisarawe Seminary. Their descendants possess notes and part of the curriculum used to prepare them to be teachers. These were: Daudi Salehe Mngwamba, Zalumo Tuheri Abrahamu, Yosia Daudi Mwenesano, Seth Isaka, Amon Nehemiah, Levi Zakayo, Fanuel Nehemiah, Riziki Ramadhani, Salumu Kwegezeni, Kondo Kibwana, Fanuel Tito, Samwel Steven Abrahamu, Mtarajie Salumu, Samwel Zalumo Chuma and Muhurumie Steven Abrahamu. 28 Maneromango Station record books of Baptism of Children and Adults, Marriage, Death, Church arms and members of the congregation some are in possession of family church elders … Pambe, Aroni Abrahamu , Yohana Daniel Chuma, Daniel 27 BMS Achieve Maneromango Station. Box File Number 2 read in 1984. 28 Interview with Samweli Samweli Chuma 13 October 2018, Dar es Salaam.
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Mwenesano, Marko Barnabas Chuma, Joseph Barnabas Chuma, Zephania Gongi, Harani Mhangala and Abeli Mweleka. 29 The first cross and bell used by the missionaries are still in use at the church. The Sacrament Vessels believed to be taken by the British army were lost during WW II, and were later found and occasionally used by the pastor when visiting the sick and the infirm at their homes from 1937. Copies of some of the records are in the Berlin Mission Archive in Berlin, Germany and some are in the hands of different researchers. A good number of them are in possession of former BMS Maneromango missionaries who were interned in South Africa during the WW II. 30 There are also tombs of the first Christians to be seen as one gets into the Mission area. Three of them are believed to belong to the first group of the missionaries. One of them is of size of a child and the two remaining are believed to belong to adults. Kidunda Station Kidunda BMS Station was started officially in 1912 after Superintendent Rev. Martin Klamroth was satisfied with the development of the initial mission work since it was first visited in 1910 by some of the native Christians from Maneromango Station. Both Sicard and Nzalayaimisi report that the plan to build it had been temporarily shelved to give room for the Mission to participate in the ecumenical project of establishing a Teachers’ Training College at Visegese Towero – Schelesien around four miles from the Morogoro town in the hills of Uluguru Mountains 31. However, the Maneromango Christians continued to visit and preach, and built a small hut church and a bush school which required pupils to attend it for two years. Due to its good soil fertility and water availability from Ruvu River some Christians including the family of Yohana Chuma from Maneromango migrated there. This move increased the number of Christians and the beginnings of natives to be involved in mission work. It can correctly be stated that this was the beginning of self-support for the Church at Kidunda station 32. The BMS sent two teachers to start the Kidunda Bush School in 1908, namely Yesaya Lukela and Israel Lukoa, who prepared the beginning of the Mission station. Thereafter, the development of evangelical work at Kidunda Station rested in the strong and great hands, innovative mind and the actions of teacher Daudi Salehe Mngwamba, who took the work of the BMS there in 1935 as the first trained teacher and evangelist. By 1939 the first batch of students taught by teacher Daudi Salehe Mngwamba graduated at Kidunda Lower School and joined 29 Interview with Zablon Mfunami Chambago, 22 January 2000, Schelesien/Towero – Visegese. Interview with Tuungane Mngwamba, 5 February 2000, Sinza/Dar es Salaam. Interview with Yona Kirumbi, 12 February 1979, Kisarawe. 30 Interview with Abrahmu Pambe, 4 January 1978, Maneromango. Interview with Philemon Delemu, 2 December 1977. 31 Cf. von Sicard, Sigvard: The Lutheran Church on Coast Tanzania…, op. cit. pp. 192–193; Nzalayaimisi, Gabriel K.: Kutoka Greiner hadi Kitale…, op. cit., pp. 85–89. 32 Interview with Salomon Mghumba, 15 September 1985, Morogoro.
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Maneromango Middle School for middle primary education schooling. Among them were three males, namely Aroni Dilunga, Nasifu Chuma, Ufurahi Chuma and Herman Kinyamasongo Mweyegoha. Herman Kinyamasongo Mweyegoha could not continue with studies at Maneromango Middle School because of advanced age instead he was offered a teaching position at Kidunda Lower School. All the school and church buildings erected at Kidunda station were destroyed by the villagers in 1943 in fear of the British Army to turn it into a military camp, as was the case at Maneromango Station. There are sixteen tombs at the grave yard dating from around 1898 to 1939 indicating that they belong to the first group of Christians. Two more are found at a different place dating from 1941 belonging to those who were only catechumens. All files of the station and record books on birth, death, baptism, confirmation, class attendance and minutes of the station including those of the Church and the school are not there as they were reported to be sent to Maneromango Station, which was the Headquarters of BMS in Uzaramo area at that time. 33 There are a few personal belongings of the first Christians at Kidunda Station. Some of them are in good condition and usable such as the correspondences from the station to Maneromango Station, Missionary, Liturgies, Bibles and old Christian Hymnal books, wall charts and pictures for teaching Bible themes. They are in the possession of the families of Aroni Dilunga at Kidunda Shuleni and family members of the late teacher Herman Kinyamasongo Mweyegoha at Lwina village. 34 A map of the Kidunda Lower School compound is in possession of the family of the teacher Nasifu Nahori Chuma since 1969, when the school was nationalized by the Government. 35 Schelesien Station To ascertain when this station was started is rather difficult. Church history studies however suggest that the station was started even before the year 1908, which is when enough historical evidences could be traced. Other church historians date it 1903, that is the year when the Rev. Sigfried Johannes Wentzel and his assistants visited the place for the first time. 36 At this station one can see Christmas trees, European flowers and vegetable garden plots which were introduced to this area from 1910 and later well taken 33 Interview with Aaron Dilunga. 3 March 1978, Kidunda, Interview with Rev. Tuheni Herman Kinyamasongo. 16 April 1979, Ngerengere. 34 Interview with Nahori Chuma 25 December 1982 Kidunda; Interview with Samweli Hassani Dimwaya (Father D), 16 December 1981, Msasani and interview with Hagai Mwimbe, 14 November 2017, Chanyumba/Mkulazi. 35 Teacher Nasifu Nahori Chuma refused to handle the school compound map to Kidunda congregation as required that all school properties of nationalized schools should be given to the church if they are not at the centre, 36 For a detailed discussion on the history of Schelesien Mission station see Nzalayaimisi, Gabriel K.: Kutoka Greiner hadi Kitale…, op. cit., pp. 72–102.
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care of by Mrs Lydia Krelle. The farm was used by the Mission as a teaching farm by the BMS under Lydia Krelle. In the absence of resident missionaries at Schelesien, agricultural activities were in the hands of the members of the church. There are also buildings still standing like the stone church which was built by the Rev. Herman Krelle, the missionary residence and the grave yard at Kivungu area. There are ruins of buildings built by the Mission such as the Mission school, the Teachers Training College, staff houses and hotel. The German House at Tanana area, which has been always associated with the Mission, could be easily reached from the Stone Church of Schelesien station. No collections of materials are extant at the station office for the period studied. However, there are materials one could read which are believed to be in the hands of different individuals or families dating up to 1945. Oral interviews reveal that the Rev Hermann Krelle these made these individuals swear not to tell, show or give the documents to any person other than him, or unless they had written permission of the BMS Director in Berlin, Germany, otherwise they would be cursed by him and God 37. Some of the materials were reported to be in the possession of the families of long time church elders including Asifu Makunege, Zablon Mfunami Chambago, Mohamed Gogo, Eseli Ambwene, Yohana Mlanzi, Salumu Shika and Onyesha Bundi. There are also letters, reports of the Mission, progress reports, pictures, land boundaries and maps in the BMS Archive, Berlin about the Mission. Many of these documents were written by the Rev. Carl Nauhaus and Hermann Krelle and a few were written by the natives to BMS as was the case at Maneromango Mission. The Church historian the Rev Sicard and Christian Weitnuer have both extensively researched on the history and artifacts about Schelesien Station which reveal that apart from the documents placed in the Berlin Mission Archive, there are a number of documents said to be in the hands of local researchers. 38 CONCLUDING OUTLOOK The studies of artifacts on Mission stations generally reveal that German missionaries documented the history of the mission stations where they were working. Besides from the paper documents there are physical materials such as buildings, lands, tombs and vessels, which show the magnitude of the mission work especially in the area of evangelization. Tombs of the missionaries and those of the first generation of the native Christians, for example, communicate to us the hard work that the BMS missionaries offered to the people of the eastern part of Tanzania. The author has three conclusions based on the evidence presented in this Chapter. First, there existed a unique communication form that has led to the shar37 Interview with Wilage Ambwene, 5 September 1985 Kihonda/kwa Chambo, Morogoro. 38 Cf. Berlin Mission achieve, Box File 1 and 2. The Schlesien Mission Station is one of the extensively researched station in the interior of Tanzania. The researcher includes Weitnauer, Christian: Die Lutherische Gemeinde Schlesien/Morogoro von 1908 bis 1960, Dissertation Augustana-Hochschule Neuendettelsau.
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ing of some of the materials. While it has been possible to find some of the communication made by the Missionaries to preserve them in Berlin Mission achieve, Berlin, yet there are still some in the hands of the natives, the majority of them in bad condition. Second, collective measures need to be taken to preserve the artifacts in safe and public places rather than having them in possession of individuals or families. Third, since the artifacts inform us about the lives and work of both the sender (BMS through the missionaries) and the receiver (native Tanzanians in the eastern Tanzania), they firmly and correctly tell the history about the people involved in it. For that matter, the artifacts write the history of the Churches and the people of the two countries – Tanzania and Germany.
SEKOTHO UND THEMA: ZWEI LEBENSBILDER AUS DER MISSION AUF DEM WEG „VON DER BARBAREI ZUR ZIVILISATION“ Gunther Pakendorf
1. EINFÜHRUNG In seiner ausführlichen Monografie zu Martinus Sewushan äußert sich Ulrich van der Heyden kritisch zu einigen Problemen und Aufgaben der missionsgeschichtlichen Forschung zum Thema der sogenannten Nationalhelfer oder einheimischen Evangelisten im größeren Zusammenhang der europäischen Mission im Zeitraum von ca. 1850 bis zum Ersten Weltkrieg. 1 Unter anderem bemerkt van der Heyden, dass sich die Arbeiten „über die Rolle von afrikanischen Persönlichkeiten als Bestandteil einer intellektuellen Führungsschicht in der Geschichte Südafrikas eher bescheiden“ ausnehmen würden. 2 Ihm geht es in seiner Beschäftigung mit Sewushan (auch Sebushane genannt) vorrangig um die Gruppe von einheimischen Konvertiten der ersten und zweiten Generation im Kontext der Übergangssituation in der Kontaktzone, aus der beispielhaft hervorgehe, „daß die von den europäischen Missionaren für die Übernahme von Hilfsarbeiten in alltäglichen Gemeindeangelegenheiten herangezogenen und späterhin auch zu diesem Zwecke ausgebildeten einheimischen Evangelisten in ihrer weiteren Entwicklung die Ambivalenz und Komplexität der Herausbildung und Etablierung einer neuen, nicht den traditionellen Reproduktionsbedingungen unterliegenden afrikanischen Elite am besten verdeutlichen“ 3. In diesem Prozess wurden die Vertreter der neu entstehenden Bildungselite zu „Vorboten und Akteure[n] der Moderne“ und darüber hinaus zu „Konkurrenten der Vertreter europäischer kirchlicher Institutionen“ 4, ein Hinweis auf die in der Entstehung begriffenen unabhängigen oder ‚äthiopischen‘ Kirchen. Zuletzt beklagt van der Heyden hier, wie in vielen seiner anderen Beiträge zur Missionsgeschichte auch, dass der reiche Schatz an gedruckten wie handschriftlichen Dokumenten in deutschen Missionsarchiven so gut wie gar nicht zur Kennt1 2 3 4
Vgl. van der Heyden, Ulrich: Martinus Sewushan. Nationalhelfer, Missionar und Widersacher der Berliner Missionsgesellschaft im Süden Afrikas, Neuendettelsau 2004. Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 28. Ebenda.
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nis genommen werden, und zwar weder von südafrikanischen noch von deutschen Wissenschaftlern. 5 An diesem Umstand hat sich tatsächlich nach wie vor herzlich wenig geändert und dies betrifft auch die internationale Missionsforschung als Ganze, die sich in zunehmendem Maße der Alleinherrschaft nicht allein der englischen Sprache, sondern auch einer anglophonen Sicht auf historische wie allgemein kulturpolitische Themen ergeben hat, sodass man sich van der Heydens (An-)Klage nur anschließen kann. Dieser Mangel betrifft jedoch nicht nur unzureichende Sprachkenntnisse und Unwissen über Archivmaterialien, sondern auch weitgehende Ignoranz in Bezug auf die vielen, nicht unbedeutenden Erträge der aktuellen deutschsprachigen Missionsforschung sowie den großen Fundus an Veröffentlichungen in deutschsprachigen Publikationen. Ferner ist in den einschlägigen angelsächsischen Publikationen das Wissen über die deutsche Missionstheologie, zumal des späteren 19. Jahrhunderts, oder etwa über den für die (frühere) Missionsgeschichte so eminent wichtigen Pietismus im Großen und Ganzen kaum vorhanden. Der vorliegende Beitrag will Ulrich van der Heydens Ansatz ergänzend und erweiternd aufgreifen und versteht sich als Reaktion auf seine Aufforderung für weitergehende Untersuchungen auf diesem Gebiet. 6 Beschränkt sich nämlich van der Heydens Beschäftigung mit diesem Thema größtenteils auf die deutsche und spezifisch die Berliner Mission, so soll hier der Blick etwas erweitert werden und zum Vergleich den englischsprachigen Raum und die historischen Geschehnisse in jenem bewegten Abschnitt in der südafrikanischen Geschichte zwischen der endgültigen Unterwerfung autochthoner Ethnien in den letzten Jahren der Burenherrschaft und dem Ersten Weltkrieg mit einbeziehen. Diese kontrastive Verfahrensweise soll den Unterschied zwischen einer deutschen und einer englischsprachigen Mission beleuchten, was einmal durch die äußeren Umstände der hier diskutierten Lebensläufe, dann durch das jeweilige Selbstverständnis der Mission und ihre Missionspraxis in beiden Fällen zu Tage tritt und zudem im unterschiedlichen sprachlich-kulturellen Kontext der beiden Biografien evident wird. 2. DIE MISSION UND IHRE HELFER Ulrich van der Heydens oben erwähnte Bemerkung in Bezug auf die geringe Aufmerksamkeit, die die historische Forschung bislang den Nationalhelfern geschenkt hat, scheint auch den Romancier und Historiker Karel Schoeman zu seinen 2005 veröffentlichten Aufsätzen zu verschiedenen Lebensläufen aus der frühen Missionsgeschichte in Südafrika veranlasst zu haben, spricht er doch in seinem Vorwort zu dem Band davon, dass ihm im Laufe seiner Recherchen zu den ersten Missionaren aus Europa bewusst geworden sei,
5 6
Vgl. ebenda, S. 36–37. Vgl. ebenda, S. 32.
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that there was a more neglected and potentially much more interesting aspect of the work waiting to be investigated, namely the role of non-white missionary assistants and ‚native agents‘ in the early activities of the LMS [London Missionary Society]. 7
Es ist Schoemans Verdienst, dass er mit diesem Band etliche beinahe vergessene Namen und Leben aus den verstaubten Akten ans Licht gebracht hat und mit den rekonstruierten Biografien auf ihre Rolle in der Verbreitung der (Londoner) Mission in ihren Anfangsjahren aufmerksam macht. Dies ist eine wichtige Ergänzung des sich erst allmählich aus einem eurozentrischen Fokus loslösenden Vorangehens der Missionsforschung. Bedeutender, nämlich als Korrektur nach wie vor weit verbreiteter Pauschalmeinungen, ist Schoemans Feststellung, in den ersten Jahrzehnten der Tätigkeiten der Mission im südlichen Afrika sei diskriminierende und ungleiche Behandlung ‚Nicht-Weißer‘ kaum vorgekommen: during the first two decades of the work of the LMS in southern Africa, non-whites of various races and nationalities were actively involved, in practice often on a basis of near-equality with the whites, a fact scarcely known or appreciated today. 8
Indessen genießen Konvertiten auch aus der Zeit der frühesten Begegnung von Afrikanern mit Vertretern der Mission seit eh und je die Aufmerksamkeit ihrer von der Aufnahme und Verarbeitung der christlichen Botschaft in der Dialektik dieser Begegnung faszinierten Zeitgenossen hüben wie drüben. Zu ihnen gehört bereits der ca. 1780 geborene ‚Prophet‘ Ntsikana, von dem die Überlieferung behauptet, er habe schon als Kind einer Predigt van der Kemps, des ersten Missionars unter den Xhosa, zugehört. 9 Ntsikana kommt paradigmatische Bedeutung zu, steht er, der von dem Berliner Missionar Albert Kropf als „Erstling“ aus seinem Volk bezeichnet wird 10, doch auf der Schwelle zwischen der traditionellen Kultur der Xhosa und dem neuen, von Christentum und kolonialer Herrschaft gekennzeichneten Zeitalter, sowie zwischen mündlicher Literatur – von der seine berühmte und weit über seine Zeit hinaus wirkende Hymne beredtes Zeugnis ablegt – und den Anfängen einer Schriftkultur. Ist Ntsikana noch unzweifelhaft fest in seiner angestammten Kultur verwurzelt, so hat sich der in der Missionsgeschichte berühmte Tiyo Soga (1829–1871) der neuen Weltsicht, wie es scheint, gänzlich angeglichen und scheint mit seinen Errungenschaften und seinem Lebensweg ganz Prototyp und Künder einer neuen Ära in der Geschichte der Kolonialgeschichte zu sein: Er war, so Donovan Williams,
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Schoeman, Karel: The Early Mission in South Africa. Die vroeë sending in Suid-Afrika 1799–1819, Pretoria 2005, S. 5. 8 Ebenda, S. 154. 9 Siehe dazu Hodgson, Janet: The genius of Ntsikana. Traditional images and the process of change in early Xhosa literature, in: White, Landeg/Couzens, Tim (Hrsg.): Literature and Society in South Africa, Kapstadt 1984, S. 24–40. 10 Kropf, Albert: Ntsikana, der Erstling aus den Kaffern und ein Prophet unter seinem Volk, Berlin 1888.
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Gunther Pakendorf the first [sc. black] ordained minister to be educated overseas; the first black missionary among Africans; the first black translator of an English classic into an African language; and the first to formulate a philosophy of Black consciousness and even negritude. 11
Differenzierter stellt Tolly Bradford Sogas Bedeutung – als Pendant zu dem einheimischen kanadischen Missionar Henry Budd – in Bezug auf den Entwurf einer neuen ‚indigenen‘ Identität vor dem globalen Hintergrund des Britischen Empire dar. 12 Für Bradford ist Soga zweifellos ein früher Nationalist, darüber hinaus „a Xhosa missionary committed to bringing British modernity to his Xhosa community“ 13, das heißt also Vermittler eher denn einseitiger Anwalt. Das Beispiel Tiyo Soga zeigt, dass die Missionen jeder Provenienz großes Interesse an der Förderung ihrer Zöglinge, zumal der sogenannten ersten Früchte, hatten. Bradford erwähnt diesbezüglich die „Native Church Policy“, die seit den 1840er Jahren auf Anregung von Henry Venn, dem Sekretär der Church Mission Society, in vielen britischen Missionsgesellschaften angewandt wurde, um indigene Missionare so weit zu bringen, „to assume leadership of an independent church that was self-governing, self-sustaining, and self-extending“. 14 Wie die meisten europäischen Missionsgesellschaften 15 verfolgte auch die Berliner Mission die Bildung einer Führungsgruppe unter ihrer Gemeinde in Südafrika mit großem Interesse, viel Begeisterung und Stolz, wie allein schon aus den mehrfach aufgelegten und in verschiedenen Publikationsorganen veröffentlichten Lebensläufen deutlich hervorgeht 16, auch wenn es zahllose Fälle gibt, wo dieses Interesse und das Vertrauen wieder schwindet und umgekehrt wird. Zu ihnen gehört auch der von Ulrich van der Heyden untersuchte Martinus Sewushan, dessen Lebenslauf später eine Wendung erfuhr, die von der Missionsleitung in Berlin allerdings streng abgelehnt wurde, wie van der Heyden zeigt. Diese wenigen Beispiele geben einen kleinen Einblick in die vielen unterschiedlichen Möglichkeiten aufseiten der einheimischen Bevölkerung, sich den unerhörten Herausforderungen, Erwartungen wie auch Gelegenheiten der epochalen Umwälzungen, die sich aus der kolonialen Begegnung, den veränderten materiellen Umständen sowie dem christlichen Weltbild und seinen ethischen wie 11 Williams, Donovan (Hrsg.): The Journal and Selected Writings of The Reverend Tiyo Soga, Kapstadt 1983, S. 1 (Vorwort). 12 Bradford, Tolly: Prophetic Identities. Indigenous Missionaries on British Colonial Frontiers, 1850–75, Vancouver 2012. 13 Ebenda, S. 5. 14 Ebenda, S. 6 f.; Zitat S. 7. Stephen Neill zufolge war die Ausführung dieser Methode fast durchgehend katastrophal. Siehe Neill, Stephen: A History of Christian Missions, Harmondsworth 1964, 1977, S. 260. 15 Vgl. z. B. Pirouet, M. Louise: Black Evangelists. The Spread of Christianity in Uganda 1891– 1914, London 1978 oder Volz, Stephen C.: African Teachers on the Colonial Frontier. Tswana Evangelists and Their Communities During the Nineteenth Century, New York et al. 2011. 16 So etwa in Wangemann, Hermann Theodor: Lebensbilder aus Südafrika. Ein Beitrag zur Kirchen- und Culturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Erster Band, 3. Aufl., Berlin 1876. Vgl. auch Pakendorf, Gunther: Form und Funktion von Bekehrungsgeschichten im missionarischen Schrifttum des 19. Jahrhunderts, in: Interkulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaft, Nr. 4, Leipzig 2016, S. 367–390.
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praktischen Folgeerscheinungen ergeben, zu stellen. Freilich handelt es sich hier, wie ja Ulrich van der Heyden auch betont, zunächst um eine zahlenmäßig verschwindend kleine, erst allmählich heranwachsende Bildungselite, die die im traditionellen Lebenswandel nach wie vor fest verankerte Masse der größtenteils ungebildeten und nicht akkulturierten indigenen Bevölkerung im Blick auf Anpassung an die sich rapide verändernden Lebensumstände, geschweige denn auf Akzeptanz der europäischen Kultur, Bildung und Religion, weit hinter sich lässt. Jedes der hier besprochenen Leben steht in diesem Kräftefeld zwischen Tradition und Innovation, das letztendlich die ganze Epoche und darüber hinaus die weiteren politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Südafrikas wesentlich mitbestimmt. Tatsächlich sind in Afrika in der Zeit der Kolonialherrschaft bis zum Zweiten Weltkrieg nahezu alle gebildeten Afrikaner in Führungspositionen, von Tiyo Soga bis Nelson Mandela, von Hendrik Witbooi bis Jomo Kenyatta, Produkte einer Erziehung, die sie an Missionsschulen genossen haben. Das um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erstarkende nationale Bewusstsein, das schon vor dem Ersten Weltkrieg immer mehr auf Gleichberechtigung und Integration mindestens der gebildeten Afrikaner mit den Weißen besteht, ist ohne den prägenden Einfluss der Missionserziehung auf namhafte Führer im politischen Kampf nicht denkbar. 17 Auch die beiden im Folgenden untersuchten Lebensläufe, so verschieden sie sind, entfalten sich vor diesem Hintergrund. 3. ZWEI JUGENDGESCHICHTEN AUS DER ÜBERGANGSZEIT Zwei Leben gilt es hier, genauer ins Auge zu fassen, Andries Sekoto und R. V. Selope Thema, die sich in ähnlichen, zugleich doch unterschiedlichen Umständen abspielen und die verschiedene Spuren hinterlassen und verschiedene diskursive Behandlung 18 erfahren haben. Andries Sekoto, geboren ungefähr 1828 im später sogenannten Sekhukhuneland, im Osten der nachmaligen Burenrepublik Transvaal, wuchs in der vorkolonialen Zeit als Teil der Gruppe der Bakopa unter dem Häuptling Maleo auf. Was wir von seinem frühen Leben wissen, stammt aus der Feder des Berliner Missionars und späteren Superintendenten Heinrich Grützner. Das Einzige, das in diesem nur sechzehn Seiten umfassenden Lebensbericht von seiner Kindheit erwähnt wird, ist die Gegenwart eines „Zauberers“ (S. 2 f.), dessen Versuch, den Jungen mit einem „Wundermittel“ von einer ernsten Krankheit zu heilen, kläglich scheitert. 17 Für die Anfänge des organisierten afrikanischen Nationalismus siehe vor allem Odendaal, André: Vukani Bantu! The Beginnings of Black Protest Politics in South Africa to 1912. Kapstadt/Johannesburg 1984. Die Bedeutung der Missionserziehung in diesem Prozess hat Elphick kürzlich stark hervorgehoben: Elphick, Richard: The Equality of Believers. Protestant Missionaries and the Racial Politics of South Africa, Charlottesville/London 2012. 18 Grützner, Heinrich: Andries Sekóto. Ein Lebensbild, 2. Aufl., Berlin 1888; Thema, R. V. Selope: ‚Out of Darkness‘. The Unfinished Autobiography, in: Cobley, Alan (Hrsg.): From Cattle-Herding to Editor’s Chair. The Unfinished Autobiography and Writings of Richard Victor Selope Thema, Kapstadt 2016.
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Über seine Jugend und frühen Erwachsenenjahre werden vornehmlich etliche Reisen gen Süden genannt – es handelt sich dabei vermutlich um die Zeit ca. 1845 bis 1855 –, die es zum Ziel hatten, den jungen Mann mit der Welt der sich allmählich über große Teile des Landes ausbreitenden weißen Siedler und den Novitäten ihrer Kultur bekannt zu machen, zumal mit handwerklichen Geräten für Bauarbeiten und Landwirtschaft, insbesondere aber mit der Kunde des „wahren Gottes“ der Christen. Die Beschaffung der für den als Brautpreis für eine erhoffte Verehelichung erforderlichen Mittel, seien es Rinder oder auch Geld, war zweifelsohne eine weitere starke, vielleicht sogar die wichtigste primäre Motivation. Diese Reisen des sorglosen und wissbegierigen Burschen – die ihn mal in den Freistaat, mal ins Königreich des Basotho-Häuptlings Moschesch (oder Moshoeshoe), also das heutige Lesotho, dann bis ins südliche Gebiet der Kapkolonie führen – haben, zumindest in Grützners Erzählung, einiges mit den Wander- und Lehrjahren junger Handwerker in Europa gemeinsam. Es sind für ihn Unternehmen, die sein Leben durch seine ersten Begegnungen mit Grundsätzen des Christentums sowie die Anfänge einer Erziehung nach europäischem Vorbild, fundamental und permanent verändern. Er lernt lesen und schreiben, erwirbt die Grundlage der holländischen Sprache, erhält den afrikaans-holländischen Namen Andries – und nimmt sich fest vor, sich künftighin ernsthaft einem christlichen Lebenswandel hinzugeben. Nach seiner dritten Rückkehr in die Heimat, wo er die christliche Botschaft an seine Gemeinschaft auf seine sicher rudimentäre Art verkündet, erlebt er erst die Ankunft der Buren 1859 und dann, im darauffolgenden Jahr, das Erscheinen der ersten – Berliner – Missionare, unter ihnen Heinrich Grützner, das er mit großer Freude begrüßt. In Verhandlungen mit den Buren wie bei den Auftritten der Missionare ist Andries Sekoto allein schon aufgrund seiner Sprachkenntnisse eine wichtige Vermittlerfigur, die mit Dolmetscherdiensten, Sprachunterricht und anderen Hilfestellungen unentbehrliche Arbeit leistet. Er wird katechisiert, Ende 1861 als ‚Erstling‘ getauft und als Hilfsprediger eingesetzt (S. 10 f.). 19 Es folgt eine verhältnismäßig ausführliche Darstellung der Kiegsgeschehnisse im Mai 1864, als ein Heer der Swazi Maleos Hauptstadt überfiel, wobei sowohl der Häuptling als auch zwei Drittel seines Volkes – sowie die Hälfte der Christengemeinde – umgebracht wurden (S. 12). Andries’ Frau und ihr kleiner Sohn Jan werden dabei schwer verletzt, aber sie „leben heute noch, um Gottes Gnade zu preisen, der die liebende Sorge des Gatten und Vaters gesegnet hat, sie vom Tode zu erretten.“ (S. 15) In der Zeit nach dem Krieg scheint Andries auf die schiefe Bahn geraten zu sein, denn „es regte sich in ihm der Wunsch“, wie es der Verfasser diskret formuliert, „das Weib“ seines in der Schlacht gefallenen Bruders „neben dem seinigen zu sich zu nehmen“ (S. 15), eine Handlung, die von den Missionaren trotz der Übereinstimmung mit der alttestamentlichen Leviratsehe als heidnische Sitte verboten war. Grützners Wiedergabe von Sekotos Geschichte, die er nach eigener Aussage 19 Die Anfänge der Arbeit der Berliner Mission unter den Bakopa, auch die wichtige Hilfeleistung Andries Sekotos sowie sein Glaubenseifer werden anschaulich geschildert in Wangemann, Dr. [=Hermann Theodor]: Maléo und Sekukuni. Ein Lebensbild aus Südafrika, Berlin o. J. [1868], bes. S. 64–71.
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Ende 1875 im Gespräch mit ihm erfuhr (S. 16), endet mit der weiter nicht begründeten oder ausgeführten Bemerkung, dass Andries Sekoto auch nach der Übersiedlung auf die neu gegründete Station Botshabelo 1865 „nicht unter die Gemeindediakonen gewählt wurde, obschon er bisher unbestritten und von allen anerkannt der erste der Gemeinde gewesen war“ und seinen früheren Einfluss nie wieder erlangt habe, obwohl er dann „gottlob wieder innerlich zurechtgekommen“ sei (S. 15). Ganz anders verläuft das Leben R. V. Selope Themas (1886–1955), der bereits als junger Mann die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenkt, als beredte Führerfigur des afrikanischen Nationalismus auffällt, zu den Pionieren des South African Native National Congress – aus dem der ANC bald hervorgehen sollte – gehört und als einer der bedeutendsten afrikanischen Journalisten und Intellektuellen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. Er hat ca. 1936 mit der Niederschrift seiner Lebensgeschichte begonnen, die aber nie abgeschlossen und erst vor Kurzem als 96 Seiten umfassendes Fragment unter dem Titel „Out of Darkness“ veröffentlicht worden ist. 20 Hier interessiert im Wesentlichen Themas früher Lebensweg, im Vergleich mit und Kontrast zu den Erlebnissen des jungen Andries Sekoto. Wie Sekoto stammt Thema aus dem Nordosten des damaligen Transvaals; die Sprache, die beide sprechen, ist eine Variante des Nordsotho oder Sepedi. Dies ist das seit 1859 von der Berliner Mission intensiv bearbeitete Missionsfeld, deren Missionare in Themas Worten „eine religiöse Bombe“, die in der friedlichen Gemeinschaft viel Aufruhr verursachte, geworfen hatten. 21 Wie in Sekotos Kindheit ist auch bei Thema von ‚Zauberei‘ die Rede und auch ihm wird wie dem kleinen Sekoto ein Zaubermittel als Amulett um den Hals gebunden (Thema, S. 4 f.). Auch er erwähnt, dass das ‚Wundermittel‘, das man ihm gab, nicht gegen Krankheit oder Unheil half (Thema, S. 5). Auch die Wanderungen, die Andries Sekoto mit seinen Altersgenossen nach Süden unternahm, haben in Themas Geschichte einen Widerhall. Hier geht es um seinen Onkel Jonas Thema, der in seiner Jugend wie Hunderte seiner Landsleute auch auf Geheiß der Häuptlinge in die Kapkolonie und Natal reisten, um dort Feuerwaffen als Vorbereitung zur Verteidigung gegen mögliche Angriffe vonseiten der Zulu, Ndebele oder Buren zu ergattern. Von den Diamantfeldern in Kimberley, wo sie das dazu erforderliche Geld verdienten, zog es sie nach Basutoland (dem heutigen Lesotho), weil sie von den Tätigkeiten der französischen Missionare dort gehört hatten (Thema, S. 6). Auf der dortigen Missionsstation Morija erhalten sie Lese- und Schreibunterricht, beginnen die Bibel zu lesen und kehren mit ihren neuerworbenen Kenntnissen heim: „They returned home with the rifles purchased in Kimberley, and the Bibles bought in Morija. They also brought home with them Christian names, and a new outlook on life.“ (Thema, S. 7) Sechs von diesen Wanderern werden nun, so wie eine Generation vor ihnen schon Andries Sekoto im Bapediland, Laienprediger 20 Nach Angaben des Herausgebers sollte der Titel ursprünglich „Up From Barbarism: From Cattle-Herding to Editor’s Chair“ lauten, wurde aber später von Thema selbst abgeändert. Siehe Cobley, Alan (Hrsg.): From Cattle-Herding…, a.a.O., Vorwort, S. xxxi. 21 „[...] certain missionaries of the Lutheran church and their agents dropped a religious bomb that caused a tremendous upheaval“. Thema, R. V. Selope: ‚Out of Darkness‘…, a.a.O., S. 2.
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unter ihren eigenen Leuten und beginnen auch mit der Erteilung von Elementarunterricht im Lesen und Schreiben. Damit ist der Weg für Vertreter der presbyterianischen Missionskirche (Free Church of Scotland, zu der übrigens auch Tiyo Soga gehörte) aus der damals schon berühmten Station Lovedale im Ostkap gebahnt, ab 1896 mit ihrer Missionsarbeit im Mamabolo-Gebiet, Themas Heimat, zu beginnen (Thema, S. 15). Wenn der Berliner Missionar Grützner in seiner Lebensbeschreibung des jungen Andries Sekoto von dessen Herzensbegierde berichtet, mehr über den Gott der Weißen zu erfahren, so kann man dies leicht als festen, man möchte sagen, schablonenhaften Bestandteil einer typischen Bekehrungsgeschichte aus der Missionsliteratur der Zeit 22, und zwar selbstverständlich aus der Perspektive der europäischen Missionsbewegung, auslegen und durchaus zu Recht, wie schon am Wortlaut abzulesen ist. Man vergleiche zum Beispiel Grützners Äußerung im Zusammenhang mit Sekotos zweiter Rückkehr in die Heimat: „[...] es ließ ihm daheim keine Ruhe, sein Verlangen, mehr von Gott zu hören, trieb ihn noch einmal auf die Reise [...]“ (Grützner, S. 5). Auch bei Selope Thema erwacht jedoch nach seiner eigenen Darstellung recht früh der Wunsch, Christ zu werden, und bei seinem ersten Besuch einer Kirche empfindet er ebenfalls gleichsam den Ruf, sein bisheriges Leben aufzugeben, denn „the little church seemed to urge me to abandon my life of heathenism and come to the White man’s God“ (Thema, S. 16). In Grützners Bericht wird der Vers aus dem Kirchenlied: „Jesus nimmt die Sünder an“ leitmotivartig wiederholt, als rhetorische Untermalung der Botschaft der christlichen Mission an die Heiden und als von Sekoto selbst empfundener Ansporn für seine Bekehrung. Genau dies aber passiert auch Selope Thema, nachdem er zum ersten Mal der Predigt eines Missionars zugehört hat: He talked of how Christ died upon the Cross for sinners. [...] I felt I was standing on the threshold of a new world; that I was in the presence of men who knew something about life. I made up my mind once more that by hook or crook I would become a Christian, because I felt that in the Christian religion there was a message of hope in so far as life was concerned. (Thema, S. 16–17)
Er besucht die Schule und aufgrund seiner guten Leistungen darf er sogar 1904 kurzfristig den ersten Jahrgängen an der kleinen, von ihm mitgegründeten Schule Unterricht erteilen. Vorher muss er aber getauft werden; er nimmt die Namen Richard Victor an, die er jedoch stets als Abkürzung zusammen mit seinem Familiennamen Selope benutzt (Thema, S. 30 f.). Von hier geht es weiter und aufwärts: Besuch am Lovedale College, Auszeichnung durch Förderpreise und Stipendien bis zum sehr guten Schulabschluss (matriculation) 1910. Es ist die Zeit politischer Gärung im Land, großer Hoffnungen und bitterer Enttäuschung für die afrikanische Bevölkerung, die bei der Gründung der Südafrikanischen Union im selben Jahr in Bezug auf politische und sonstige Rechte ausgeschlossen bleibt und ihr Dasein als land- und rechtloses Proletariat ohne bedeutende Aussichten auf Ver22 Vgl. Pakendorf, Gunther: Form und Funktion der Bekehrungsgeschichten…, a.a.O.
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besserung ihrer Lage hinnehmen muss. 23 Thema ist nun entschlossen, seine Bildung in den Dienst seiner geknechteten und rechtlosen Landsleute zu stellen: „I went back to Lovedale [nach einer kurzen Abwesenheit] determined to drink deeper and deeper from the fountain of knowledge so that [...] I would be of some service to my down-trodden people.“ (Thema, S. 37) 4. DAS WEITERE LEBEN Trotz einiger auffallender Unterschiede werden beide hier kurz skizzierten Lebensläufe und ihre schriftliche Wiedergabe von zwei Umständen entscheidend geprägt. Zum einen geht es dabei um den Anbruch der Moderne, die mit der Ankunft der Weißen, ihrer gänzlich anderen Lebensweise sowie der durch sie vertretenen Kolonialherrschaft einhergeht. Die Entdeckung von Diamanten in Kimberley und Umgegend in den 1870er Jahren wie von bedeutenden Goldniederschlägen am Witwatersrand nach 1886 treiben diese Entwicklung rasant und dramatisch voran. Zugleich finden in dieser Zeit etliche militärische Kampagnen und Kriege gegen einheimische Völker statt, die gegen Ende des Jahrhunderts praktisch jeglichen Widerstand gegen die neuen Herren beenden und dem großen südafrikanischen Krieg zwischen Buren und Briten als einem der letzten bedeutenden Machtkämpfe im südlichen Afrika vorangehen. Zum anderen geht es in beiden Fällen um eine Variante der Bekehrungsgeschichte, die sozusagen einer eigenen Regie mit vorgeschriebenem Ablauf unterliegt: Vom Leben im ‚Heidentum‘ über die Begegnung mit neuen Ideen, die an erster Stelle von den Inhalten einer neuen Religion gesteuert zu werden scheinen, und die völlige Hingabe an die von der Mission vertretenen Lebensweise bis zur gehobenen Stellung als Teil einer neuen Führungsschicht unter ihrem Volk, mit Anspruch auf einen Platz in der im Werden begriffenen einheitlichen kolonialen Gesellschaft. Dass dieser Platz ihnen dann verwehrt ist, gehört implizit mit in diese Geschichte. So wenig von dem weiteren Lebenslauf des Andries Sekoto aktenkundig ist, so ist doch belegt, dass er sein weiteres Leben als ‚Nationalhelfer‘ und Evangelist im Dienst der Berliner Mission verbrachte und weiterhin zu jenen ‚ersten Früchten‘ gehörte, die „ihrem Taufgelübde Ehre gemacht [haben] und Salz und Licht für ihr Volk geworden [sind]“, wie es der Gründer und langjährige Vorsteher der Station Botshabelo Alexander Merensky in einem später veröffentlichten Artikel über diese Station rückblickend formuliert. 24 Sekoto wird zusammen mit seinem Landsmann Johannes Maeli namentlich erwähnt, da sie „stets durch ihre Einsicht und ihre christliche Charakterfestigkeit tüchtige Gemeindeälteste“ geblieben seien. 25 Und in Kratzensteins Geschichte der Berliner Mission aus dem Jahr 1893 wird Sekoto als „unbesoldeter farbiger Nationalhelfer“ auf der Station Botshabelo 23 Siehe dazu besonders Odendaal, André: Vukani Bantu!..., a.a.O. 24 Merensky, Alexander: Geschichte der Berliner Missionsstation Botschabelo, in: Geschichte und Bilder aus der Mission, Nr. 18 (1900), S. 11. 25 Ebenda, S. 13.
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aufgeführt 26, wo er um 1890, während unter den Bakopa auf der Station von Abspaltung und Abzug geredet wurde, als Teil der loyalen Partei genannt wird, die „die Absichten ihrer Häuptlinge als unklug [mißbilligte]“. 27 Andries Sekoto ist also auch später Teil der sich schon früh herausbildenden Elite unter den Gläubigen, eine Säule der Gemeinschaft durch seine treue Arbeit und seinen vorbildlichen christlichen Lebenswandel. In ihrer umfassenden Arbeit zur Geschichte der Berliner Mission im Zusammenhang mit der Landfrage spricht Andrea Schultze unter anderem auch von der Bildung sozialer Schichten in der Missionsgemeinde der Station Botshabelo weit über die erste Generation und die Gründerjahre hinaus, deren Mitglieder sowohl gesellschaftlich als auch finanziell eine führende Rolle spielen. Sie erwähnt zum Beispiel eine Gruppe von neun wohlhabenden Familien, die in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts an einem Landkauf beteiligt sind; unter ihnen befindet sich auch ein Andreas Sekoto, vermutlich ein Sohn von Andries Sekoto 28. Dies hatte Andrea Schultze zufolge auch Konsequenzen für den Zusammenhalt der Missionsgemeinde, denn „Sozialstatus, Identifikation und Loyalität gingen [bei der neuen Elite Botshabelos] Hand in Hand“. 29 In dieser Gruppe nimmt die Großfamilie um den Lehrer, Evangelisten, Pastor, Liederdichter und Bibelübersetzer Abraham Serote 30 den führenden Platz ein. In die Serote-„Dynastie“ auf Botshabelo, wie es Andrea Schultze formuliert 31, hat sich auch ein Sohn Andries Sekotos eingeheiratet. In seiner Geschichte der Berliner Mission berichtet ferner der Missionshistoriker Julius Richter, dass 1909 die Leitung der alten – und ersten Transvaaler – Station Gerlachshoop dem Pfarrer Jan Sekoto, höchstwahrscheinlich demselben Sohn (der übrigens schon in Grützners oben diskutiertem Text einen Auftritt hat), übertragen wurde. 32 So wird Andries Sekoto seinerseits zum Patriarchen einer angesehenen Familie. Berühmt unter seinen Nachfahren wurde auch der heute international anerkannte erste bedeutende schwarze Künstler Südafrikas, Gerard Sekoto (1913– 1993), der auf Botshabelo als Enkel von Andries Sekoto und (vermutlich) Neffe von Abraham Serote geboren wurde und zum Teil auch dort aufgewachsen ist. 33 Auch Selope Thema gehört der Elite gebildeter Afrikaner, die eine Missionserziehung genossen haben, an. Für ihn steht sein Leben unmissverständlich im 26 Kratzenstein, Eduard: Kurze Geschichte der Berliner Mission in Süd- und Ostafrika, 4. Aufl., Berlin 1893, S. 434. 27 Ebenda, S. 227. 28 Schultze, Andrea: „In Gottes Namen Hütten bauen“. Kirchlicher Landbesitz in Südafrika: die Berliner Mission und die Evangelisch-Lutherische Kirche Südafrikas zwischen 1834 und 2005, Stuttgart 2005, S. 396. 29 Ebenda, S. 398. 30 Vgl. Trümpelmann, Georg Paul Johannes: Abraham Serote, in: Steyn, C. J./Basson, L. (Hrsg.): Dictionary of South African Biography, Band V, Pretoria 1987, S. 703. 31 Schultze, Andrea: „In Gottes Namen...“…, a.a.O., S. 538, Anm. 1355. 32 Richter, Julius: Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1824–1924, Berlin 1924, S. 401. 33 Siehe Manganyi, N. Chabani: Gerard Sekoto: „I am an African“, Johannesburg 2004. In der Bibliografie dieser Arbeit erscheinen keine Hinweise auf Herkunft und frühes Leben des Malers, sodass die Angaben zu seiner Familie mit Vorsicht zu lesen sind. So spricht er nicht von Abraham, sondern von John Serote, was wohl nicht ganz zutrifft.
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Zeichen des „dramatischen“ Aufstiegs „von der Barbarei zur Zivilisation“ 34, wie ja schon der Titel seiner Autobiografie mit der Anspielung auf die ‚Finsternis‘ des ‚Heidentums‘, aus der er sich erhoben habe, besagt. Allerdings spielt sich sein Aufstieg auf einer weit größeren und bedeutenderen Bühne, ab als es bei Sekoto oder anderen Bekehrten aus der Berliner Mission der Fall ist. 35 Nach seiner Rückkehr aus Lovedale 1911 findet er unter anderem Beschäftigung als Büroangestellter und Dolmetscher am Arbeitsamt in Pietersburg (dem heutigen Polokwane), wo er den täglichen Rassismus, die raue und entwürdigende Behandlung afrikanischer Arbeitsbewerber durch weiße Beamte beobachten und zum Teil auch persönlich erleben muss. So erfährt er früh, dass auch eine gute Erziehung und eine christliche Gesinnung und Lebensführung einen Schwarzen nicht gegen Diskriminierung und Gemeinheiten jeder Art schützt. 36 In Pietersburg hielt er es nur wenige Jahre aus, ehe es ihn 1915 nach Johannesburg zog. Er hatte sich bereits kurz nach der Gründung des South African Native National Congress – seit 1923 African National Congress, oder ANC – im Januar 1912 bereiterklärt, sich an politischer Arbeit für diese Organisation im gesamten Nordtransvaal zu beteiligen. Dieses Engagement nahm nach seiner Ankunft in Johannesburg zu; er übernahm nebenberuflich Schreibarbeiten für den Congress und schrieb auch gelegentlich Briefe und Kommentare für die kurz nach der Gründung von der nationalen Führung als Sprachrohr der Organisation ins Leben gerufene Zeitung Abantu Batho. Diese Zeitung, zu deren Redaktion Thema 1915 bis 1920 gehörte, wurde laut Odendaal mit der Zeit „the most widely read newspaper amongst Africans in South Africa“ 37. Er war danach auch an anderen Zeitungen beteiligt, bis er 1932 die einflussreiche Publikation Bantu World gründete, „the leading organ of the emerging African middle-class“, wie es Cobley formuliert 38, die Thema als Chefredakteur bis zu seiner Pensionierung 1952 herausgab. Während des Ersten Weltkrieges übernahm er kommissarisch das Amt des Generalsekretärs des ANC und 1919 war er Teil einer vierköpfigen Delegation, die in London bei hohen Beamten der britischen Regierung vorsprach, um die Sache der verzweifelten politischen Lage der afrikanischen Bevölkerung Südafrikas in der Hoffnung auf Intervention britischerseits publik zu machen. 39 Selope Thema ist also ohne Zweifel, wie Cobley meint, nicht nur eine einflussreiche Figur in den Gründungsjahren des ANC, sondern er trägt darüber hinaus auch danach wesentlich zu den intellektuellen Grundlagen und Debatten des wachsenden afrikanischen Nationalismus in Südafrika bei. 40
34 „[...] the story of its dramatic transformation [bezieht sich auf das Dorf Donhill] from barbarism to civilisation[...]“ Thema, R. V. Selope: ‚Out of Darkness‘…, a.a.O., S. 28. 35 Die große Ausnahme bildet hier der auf einer Berliner Missionsstation aufgewachsene und gebildete Sol Plaatje. Siehe Willan, Brian: Sol Plaatje. A Biography, Johannesburg 1984, 2001. 36 Vgl. Cobley, Alan: From Cattle-Herding…, a.a.O., Einführung, S. xif. 37 Odendaal, André: Vukani Bantu!..., a.a.O., S. 280. 38 Cobley, Alan: From Cattle-Herding…, a.a.O., S. xxiv. 39 Vgl. Willan, Brian: Sol Plaatje…, a.a.O., S. 233–258. 40 Cobley, Alan: From Cattle-Herding…, a.a.O., S. xxiii.
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Im Vergleich zu gebildeten Zöglingen aus den Reihen besonders deutscher, sprich lutherischer Missionsgesellschaften, fallen bei einer Figur wie Selope Thema einige wichtige Unterschiede auf. Als erstes ist hier die industrielle Großstadt als dynamischer Lokus der Begegnung verschiedenster kultureller, ethnischer und sprachlicher Kräfte und der Sammelpunkt wirtschaftlicher wie politischer Entwicklungen, auch und vor allem unter Afrikanern, zu nennen. So sieht es auch Selope Thema: It was the headquarters of the African National Congress and the home of the Abantu-Batho newspaper [...] it was also the place where the brains of our people congregated.[...] So it was to Johannesburg that the oppressed of [the] Bantu people looked for salvation because of the call for unity had given them hope in spite of their sufferings. The message of unity which came out week by week in the columns of the Abantu-Batho carried with it the vision of a ‚Promised Land‘ and this sent a thrill of hope throughout Bantudom. 41
Diese Kultur der Moderne, wie sie sich in Europa frühestens seit dem späten 18. Jahrhundert zu entwickeln beginnt und dann ab etwa 1890 zu einem ersten Höhepunkt gelangt, erscheint in Südafrika erst seit den 1880er Jahren, und dann an erster Stelle fast nur am Witwatersrand. Die europäischen Missionen, die dagegen samt und sonders aus der vorindustriellen Welt hervorgegangen sind, haben eine starke Abneigung gegen die Großstadt, die sie gerne wegen ihrer angeblichen Sittenlosigkeit, Kriminalität und Gottlosigkeit mit der biblischen „Hure Babylon“ gleichsetzen. Es ist eine kosmopolitische, aber auch internationale und weltoffene Kultur, die hier gedeiht. Dazu gehört als Zweites, dass junge, wissbegierige, intelligente Gemüter in der Großstadt nicht nur durch persönliche Begegnungen oder gelegentliche Reisen, auch nach Übersee, sondern auch vor Ort verschiedenen gedanklichen und politischen Entwicklungen ausgesetzt sind, die sie mit weit mehr Ideen bekannt machen, als was ihnen die Missionserziehung vermittelt. Entscheidend ist dabei ferner das sprachliche Milieu. 5. DEUTSCHE MISSION, ENGLISCHE UMWELT In seiner großen Lobeshymne auf die großartigen Leistungen europäischer Missionare 42 erwähnt Selope Thema auch die Arbeit der deutschen Missionen, wobei er jedoch wenig Schmeichelhaftes über ihre Erziehungspraxis zu sagen hat: The German missionaries, although they did not believe in educating the African people beyond a knowledge of the Bible, taught the adherents of their denominations to adopt civilised
41 Thema, R. V. Selope: ‚Out of Darkness‘…, a.a.O., S. 58. 42 „[...] a recognition that mistakes have been made should not overshadow the fact of the great work they [=die Missionare] have done, and are doing for the African race. It is they who have called the race out of the darkness of Africa’s ancient life, who have lifted the veil of ignorance from its eyes, and have shown it the way of salvation.“ Thema, R. V. Selope: ‚Out of Darkness‘…, a.a.O., S. 27–34; Zitat S. 29.
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modes of living. They taught and encouraged them to build square houses and live in villages with well laid-out streets. 43
Diese impressionistische und recht oberflächliche Darstellung hätte Vertreter der deutschen, an erster Stelle lutherischen, Missionsidee sicher empört. Denn die deutschen evangelischen Missionen waren seit dem späten 19. Jahrhundert fast einstimmig der theoretisch durchdachten und theologisch fundierten Missionsmethode verpflichtet, die Gustav Warneck, der Begründer der Missionswissenschaft, beispielsweise in seinem mehrfach aufgelegten Abriss erörtert. 44 Nach dieser Auffassung habe die Mission an erster und ausschließlicher Stelle der Verbreitung des reinen Evangeliums zu dienen; im Vergleich dazu ist Vermittlung praktischer Fertigkeiten an die Gläubigen oder karitative Arbeit eher nebensächlich und die Verfolgung politischer Ziele ganz ausgeschlossen. Noch bei der großen internationalen Missionskonferenz in Tambaram, Indien, weniger als ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hat die deutsche Delegation darauf bestanden, in einer getrennten Erklärung den deutschen „Sonderweg“ (wenn das Wort hier angebracht ist) zu erörtern und insbesondere zu betonen, dass es nicht Aufgabe der Kirche sei, ein „soziales Programm“ für eine neue Weltordnung oder gar für einen christlichen Staat herbeizuführen. 45 In seiner Ausführung der „missionsmethodischen Konsequenzen“ erwähnt Warneck in erster Linie „eine gesunde Pflege des Volkstums“ als „Christianisierung der Volkssprache, der Volkssitte, der Volksverbände“. 46 So solle denn „eine missionarische Volkserziehung“ entstehen, die „Sammlung einer einheimischen volkstümlichen Christenheit“, was er mit der durch ihn bekannt gewordenen Formel „Volkschristianisierung“ zusammenfasst. 47 Eine andere Konsequenz lässt sich aus Bemerkungen zu diesem Thema von Siegfried Knak (1855–1955), dem langjährigen Direktor der Berliner Missionsgesellschaft in der Zwischenkriegszeit und führenden Mitglied der deutschen Delegation in Tambaram, ziehen. Das „deutsche Ziel der Volkskirche“, sagt Knak wenige Jahre vor Hitlers ‚Machtergreifung‘, setze „die Verschiedenheit der Menschen“ voraus; ihr letztes Ziel sei demnach nicht die Uniformierung der Menschheit [...], sondern vielmehr die immer schärfere Herausarbeitung der Eigenart jeder Nation, oder, wie wir nun hinzufügen müssen, auch jeder Rasse, soweit sie im geschichtlichen Leben zu einer Schicksalsgemeinschaft heraufgeführt wird. 48 43 Ebenda, S. 27. 44 Vgl. Warneck, Gustav: Abriß einer Geschichte der protestantischen Missionen von der Reformation bis auf die Gegenwart, 8. Aufl., Berlin 1905, S. 460–470. 45 „[...] the Church has not to bring into force a social programme for a renewed world order, or even a Christian state.“ Anonym [Chairman of the German Delegation]: A Statement by Some Members of the Meeting in: Mott, John R./Paton, William/Warnshuis, A. L. (Hrsg.): The World Mission of the Church. Findings and Recommendations of the Meeting of the International Missionary Council, Tambaram, Madras, India, Dec. 12–29, 1938, New York o. J. [1938], S. 180–181; Zitat S. 181. 46 Warneck, Gustav: Abriß einer Geschichte…, a.a.O., S. 462. 47 Ebenda, S. 461. 48 Knak, Siegfried: Zwischen Nil und Tafelbai. Eine Studie über Evangelium, Volkstum und Zivilisation, am Beispiel des Missionsproblems unter den Bantu, Berlin 1931, S. 132–133.
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Es ist hier nicht der Ort, auf die Bezüge zwischen der (deutschen) Missionstheologie und der Apartheidideologie einzugehen 49, anzumerken ist jedoch, dass der Stolz der deutschen Missionen – Erlernen und Erforschen der jeweiligen Volkssprachen und -sitten sowie hauptsächlich muttersprachlicher Unterricht an der Schule und Gebrauch der indigenen Sprache im Gottesdienst wie im Alltag – in diametralem Gegensatz zu den politischen Aspirationen der gebildeten Afrikaner im frühen 20. Jahrhundert steht. Nicht die für Knak und die deutsche Missionstheologie so wichtige Vorstellung von der „Verschiedenheit der Menschen“ oder gar Rassen steht demnach auf dem Banner des afrikanischen Nationalismus, sondern „Einheit des ganzen schwarzen Volkes, Überwindung der alten Zerwürfnisse“ (so Franz Ansprenger 50) als notwendige Voraussetzung eines wirksamen Widerstands gegen Rassendiskriminierung und politischen Ausschluss. In seinem Aufruf zur Gründungsversammlung des SANNC schreibt Pixley ka Isaka Seme denn auch am 24. Oktober 1911: Der Teufel des Rassismus, die Verirrungen des Xhosa-Fingo Streits, die Feindschaft zwischen Zulu und Tonga, zwischen den Sotho und allen anderen Schwarzen müssen begraben und vergessen sein; es ist genug Blut zwischen uns geflossen! Wir sind ein Volk. 51
Folgerichtig kann der politische Kampf demnach nur eine Sprache benutzen, und diese Sprache kann wiederum nur Englisch sein. Auch wenn verschiedene afrikanische Nationalisten, etwa D. D. T. Jabavu oder Sol Plaatje, stark auf die Förderung der eigenen Sprache und Kultur bedacht sind und verhindern wollen, dass Sprache und Sitten des eigenen Volkes verloren gehen sollen, so sind sie zugleich von der einigenden Funktion des Englischen stark überzeugt. „Englisch“ ist jedoch nicht nur eine Sprache unter anderen, sondern repräsentiert eine ganze Kultur, eine Lebenswelt, einen Schlüssel zu Bildung und Fortschritt in der modernen Welt. Im kolonisierenden Projekt des 19. Jahrhunderts, in dem die Missionen eine fundamentale Rolle spielen, nimmt die Verschriftlichung indigener Sprachen sowie die Übertragung von Grundwerten der europäischen „Zivilisation“ durch den Unterricht des Englischen laut Leon de Kock einen zentralen Platz ein: „The larger object of literacy was a linguistic colonialism which placed ‚English‘ and the values embedded in it at the apex of ‚civilisation‘.“ 52 Mit welchem Erfolg dieses Projekt seine Ziele erreicht hat, ist leicht an diversen Schriften und Äußerungen der gebildeten afrikanischen Elite dieser Zeit abzulesen, und bei keinem deutlicher als bei R. V. Selope Thema, der, wie seine Zeitungsartikel und persönlichen Äußerungen bezeugen, zeit seines Lebens eine tiefe Bewunderung für Geist und Werte des viktorianischen Liberalismus hatte. Wer sich im 19. Jahrhundert mit dem Britischen Empire und seiner Kultur identifiziert, hat zumindest potenziell Anschluss an progressive Ideen in Politik 49 Zu diesem Thema gibt Elphick, Richard: The Equality of Believers…, a.a.O., Aufschluss. 50 Ansprenger, Franz: Der African National Congress – ANC. Geschichte und aktuelle Politik einer Befreiungsbewegung für die Republik Südafrika, Bonn 1987, S. 8. 51 Zitiert nach der Übersetzung in ebenda. 52 de Kock, Leon: Civilising Barbarians. Missionary Narrative and African Textual Response in Nineteenth-Century South Africa, Johannesburg 1996, S. 65.
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und Verwaltung, an den unerhörten Fortschritt in Wirtschaft und Technik der seinerzeit größten Handelsmacht der Welt und auch, last but not least, an jenes globale Netzwerk christlich-humanitärer Initiativen, das beispielsweise der AntiSklavereibewegung im frühen 19. Jahrhundert zu ihren historischen Erfolgen verhalf und sich dann immer wieder für die Geknechteten und Ausgebeuteten in den Kolonien einsetzte. Es versteht sich von selbst, dass es hier Differenzen und Widersprüche gab, wie Alan Lester überzeugend zeigt 53, dennoch ist die Bedeutung der imperialen Beziehungen für britische Missionen und ihre Angehörige nicht zu unterschätzen, die, wie Tolly Bradford am Beispiel von Henry Budd und Tiyo Soga veranschaulicht, eingebunden sind in „the teachings and networks of the British missionary culture“ 54. Entscheidend für ein Verständnis der neuzeitlichen evangelischen Missionsgeschichte 55 ist der Umstand, dass ihre Geburtsstunde im Zeichen der hehren humanitären Ideale von Aufklärung und Französischer Revolution steht und dann, im Verein mit dem Geist der großen europaweiten Erweckungsbewegungen des 17., aber insbesondere des 18. Jahrhunderts, zu einer vordem ungekannten Form eines christlichen Aktivismus übergeht, der sich erstens in der Agitation gegen den Sklavenhandel und die Sklaverei an sich erst im Britischen Reich, dann in der ganzen Welt äußert und zweitens den Anstoß und die Triebkraft für die große weltweite Missionsbewegung gibt. Ihren Anfang hatte sie unter den Baptisten und anderen christlichen Verbänden, etwa den Methodisten, in Großbritannien, wo die Appelle des Baptistenpredigers William Carey, des „Vaters der modernen Mission“, fanfarenmäßig den Beginn signalisiert, vor allem auch für den Einstieg der anglo-amerikanischen Welt, wie Stephen Neill zu Recht feststellt: [...] his [sc. William Careys] work does represent a turning-point; it marks the entry of the English-speaking world on a large scale into the missionary enterprise – and it has been the English-speaking world which has provided four fifths of the non-Roman missionaries from the days of Carey until the present time. 56
Stephen Neills Erwähnung der frühen Teilnahme amerikanischer Kirchenverbände am missionarischen Projekt der Briten lenkt die Aufmerksamkeit auf einen bislang – zumal von deutschen Missionswissenschaftlern – nicht genügend beachteten Aspekt der kirchlichen Entwicklungen in (Süd-)Afrika ab Ende des 19. Jahrhunderts, nämlich die Gegenwart von Afro-Amerikanern als Prediger und Missionare sowie Anreger separatistischer Impulse unter afrikanischen Christen 57, besonders durch die Tätigkeit der African Methodist Episcopal Church oder AME, 53 Lester, Alan: Humanitarians and White Settlers in the Nineteenth Century, in: Etherington, Norman (Hrsg.): Missions and Empire, Oxford 2005, S. 64–85. 54 Bradford, Tolly: Prophetic Identities, Vancouver 2012, S. xi. 55 Ich richte mich hier weitgehend nach Warneck, Gustav: Abriß einer Geschichte…, a.a.O., S. 88–168. 56 Neill, Stephen: A History…, a.a.O., S. 261. 57 Vgl. dazu Edgar, Robert: New Religious Movements, in: Etherington, Norman (Hrsg.): Missions and Empire…, a.a.O., S. 216–237. Einen guten Überblick über dieses Thema bietet die etwas ältere Arbeit von Walter L. Williams: Black Americans and the Evangelization of Africa. 1877–1900, Madison/London 1982.
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die in den USA unter Nachfahren afrikanischer Sklaven eine eher ‚charismatische‘ und stets latent politische Botschaft von der Freiheit durch das Evangelium verkündete und dem entstehenden afrikanischen Nationalismus wesentliche Anstöße und Schlagwörter weitergab, etwa die Idee der Einheit aller unter Sklaverei, Kolonialismus und Rassismus leidenden Afrikaner – wohlbemerkt auch in der Diaspora der ‚Neuen Welt‘ – und der Slogan „Afrika den Afrikanern!“, was sich bis heute politisch als Pan-Afrikanismus und kirchenentwicklungsgeschichtlich als Separatismus oder auch Äthiopismus 58 niedergeschlagen hat. Es versteht sich von selbst, dass die Sprache dieser Botschaft durchgehend und ausschließlich Englisch ist. Der Einfluss dieser Ideen und vor allem der Status einiger ihrer Vertreter im frühen 20. Jahrhundert unter afrikanischen Nationalisten in Südafrika ist kaum zu überschätzen. Ein Beispiel des einflussreichen Journalisten und prominenten Mitglieds des ANC, Sol T. Plaatje, sei hier schlaglichtartig genannt. Plaatje hatte persönliche Beziehungen zu James Aggrey, dem westafrikanischen Pan-Afrikanisten, Booker T. Washington, dem bedeutenden afro-amerikanischen Pädagogen, dem Aktivisten W. E. B. du Bois und dem bekannten Publizisten Marcus Garvey neben etlichen anderen 59, mit denen er sowohl im regelmäßigen Briefwechsel stand, und die er auch meistenteils auf seinen Reisen nach Übersee kennenlernte. R. V. Selope Thema berichtet seinerseits über den Eindruck, der entstand, als den Zöglingen während seiner Studien am Lovedale College große Figuren aus Geschichte und Gegenwart als Vorbild vorgehalten wurden: One of these was Booker T. Washington, a negro leader who emerged from slavery to eminence in American history. I wanted to be like him in every respect. I wanted to be a great orator as he was, to be able to speak before European audiences on behalf of my people as he did on behalf of the Negroes of the United States. 60
Bezeichnenderweise wollte Thema seiner Autobiografie anfänglich den Titel „Up from Barbarism: From Cattle-herding to Editor’s Chair“ geben, als Anspielung auf den Titel von Booker T. Washingstons Lebensgeschichte: „Up From Slavery“ 61. Einen letzten und entscheidenden Unterschied zwischen den angelsächsischen und deutschen evangelischen Missionen gilt es schließlich zu nennen, und dieser betrifft die vom Pietismus beeinflusste, aber doch grundlegende lutherische Betonung der biblischen Vorstellung der zwei Reiche: dass Gottes Reich nicht von dieser Welt sei (Johannes 18, 36) und dass deshalb jedermann der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, untertan sein solle (Römer 13, 1). 62 Im Rückblick auf seine ersten 58 Mit dem Thema der Unabhängigen Afrikanischen Kirchen bzw. dem Äthiopismus hat sich auch Ulrich van der Heyden verschiedentlich beschäftigt. Siehe dazu besonders van der Heyden, Ulrich: Martinus Sewushan…, a.a.O., S. 267–279. 59 Einige Hinweise auf diese regen Beziehungen finden sich bei Willan, Brian: Sol Plaatje…, a.a.O., S. 110 f., 271, 278 f. 60 Thema, R. V. Selope: ‚Out of Darkness‘…, a.a.O., S. 42–43. 61 Cobley, Alan (Hrsg.): From Cattle-Herding…, a.a.O., S. xxxi. 62 Vgl. dazu Pakendorf, Gunther: „For there is no Power but of God“. The Berlin Mission and the Challenges of Colonial South Africa, in: Missionalia, Nr. 3, Pretoria 1997, S. 255–273.
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Jahrzehnte auf dem Transvaaler ‚Missionsfeld‘ spricht Alexander Merensky sich denn auch ganz deutlich darüber aus, dass Mitglieder der Botshabeloer Missionsgemeinde im Umgang mit Weißen früh spüren mussten, „daß die Buren ihre Herren und zwar ihre harten Herren“ sein wollten. 63 Beispiele der Entrechtung in der Burenrepublik zählt er reihenweise auf, ausgehend davon, „daß Schwarze als solche Rechte überhaupt nicht haben“, höchstens gewisse Rechte „als Dienstleute von weißen Bürgern“, ferner dass kein Eingeborener Land besitzen dürfe. Merenskys Kommentar dazu ist unzweideutig: Es ist klar, daß durch dieses Gesetz auch alle Eingeborenen, die faktisch noch im Besitze des von ihren Vätern ererbten Grund und Bodens waren, enteignet wurden. Bis auf den heutigen Tag darf selbst kein christlicher Schwarzer eine Scholle Landes kaufen und besitzen. 64
Zudem gibt es per Bestimmung der Transvaaler Verfassung grundsätzlich keinerlei Gleichheit zwischen Schwarz und Weiß, „die Gesetze des Landes gelten überhaupt nur für die Weißen, wenigstens soweit diese Gesetze den Unterthanen Rechte geben.“ 65 Die juristische Praxis unterliegt einer Rassenjustiz, kann ein Schwarzer doch nicht vor Richtern des Landes gegen einen Weißen klagen, „er darf sich höchstens über einen Weißen beklagen und zwar bei dem Kommissar für Eingeborene, dem er unterstellt ist.“ 66 Ab 1872 gilt außerdem das sogenannte Passgesetz, das bestimmt, dass jeder Eingeborene einen Pass zu besitzen und ihn jährlich zu erneuern habe und überdies beweisen solle, dass er bei einem Weißen im Dienst stehe. Die Bewohner der Station waren zwar noch willig, die Abgabe zu bezahlen, „aber den Kontrakt, daß sie alle Dienstleute der Buren werden mußten, konnten und wollten sie nicht erfüllen.“ 67 Deutlicher hätten ein knappes Jahrzehnt später die Führer des afrikanischen Nationalismus, unter ihnen R. V. Selope Thema, diese Ungerechtigkeiten nicht aussprechen können. Auf diesen eklatanten Machtmissbrauch reagiert jedoch der Lutheraner mit der bekannten quietistischen Einstellung: Als wir Botschabelo [im Jahr 1865] anlegten, war es uns bekannt, daß wir uns im Machtbereich der Buren niederließen. Ich prägte das auch den Leuten gleich anfänglich ein, damit sie gegebenen Falles dieser ‚bestehenden Macht‘ [Hinweis auf Epheser 1, 17–23] um Gottes Willlen unterthan seien. 68
Nicht Empörung, Protest, Aufbegehren, Widerstand sind nämlich die Sache der deutschen Mission, sondern der Auftrag zum „Gehorsam gegen die Obrigkeit“ 69.
63 Merensky, Alexander: Geschichte der Berliner Missionsstation, in: Geschichte und Bilder aus der Mission, Nr. 18, 1900, S. 24. 64 Ebenda. 65 Ebenda. 66 Ebenda, S. 25. 67 Ebenda. 68 Ebenda, S. 23. 69 Ebenda, S. 25.
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6. ZUSAMMENFASSUNG Die zwei Figuren, deren Leben hier bruchstückhaft vorgestellt worden sind, sollen zwei Hauptrichtungen in der Geschichte der christlichen Mission in Südafrika im Zeitraum von etwa 1860 bis zum Ersten Weltkrieg paradigmatisch vertreten und so das schwierige Verhältnis zwischen Widerstand und Ergebung in einer Situation des Unrechts beleuchten. Trotz der zugestandenermaßen vielen Abweichungen, Ausnahmen und Widersprüche wird jedoch klar, dass in dieser Zeit die Weichen für die späteren verhängnisvollen Entwicklungen in der südafrikanischen Politik und Gesellschaft gestellt wurden, bis hin zur Einführung und Durchsetzung der Apartheidpolitik in der Zeit 1948 bis 1990 und auch für die schwerwiegenden Aufgaben und Probleme in der Ära Post-Apartheid wie Armut, Arbeitslosigkeit und die aktuell noch heiß umstrittene Landfrage.
MISSION UND RELIGION IN DER ERWECKUNGSBEWEGUNG DES 19. JAHRHUNDERTS AM BEISPIEL VON MISSIONSGRÜNDER LUDWIG HARMS (1808–1865) Jobst Reller
I. In der Folge der philosophischen Diskussion um eine allgemeine „natürliche Religion“ gegenüber den „geoffenbarten Religionen“ im 17. und 18. Jahrhundert war der Begriff „Religion“ 1 im Sinne eines Phänomens, das mehr als die eigene vorfindliche religiöse Prägung oder Institution umfasste, hoffähig geworden. Die Reden „über die Religion“ „an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ Friedrich Schleiermachers 1799 hatten die eher rationale Diskussion der Befürworter einer natürlichen Religion bis hin zum theologischen Rationalismus bzw. der Widerlegung aller Gottesbeweise durch Immanuel Kant um die Rousseausche Kategorie des Gefühls erweitert und der Religion „eine eigene Provinz im Gemüt“ 2 zugewiesen. Der letztlich ungeklärte Begriff der „Religion“ forderte auch die je eigenen Stellungnahmen oder Parteinahmen der Erweckungsbewegung heraus. Jedenfalls kehrt er ganz unterschiedlich gefüllt auch in den Äußerungen der Erweckungsprediger wieder, spätestens nach der Bekehrung überboten durch das Bewusstsein, die „Wiedererweckung“ 3 des eigentlichen genuin christlichen Glaubens der Anfänge nach rationalistischer Bestreitung miterlebt zu haben und damit alle anderen religiösen Äußerungen in den Bereich des Aberglaubens verweisen zu können. Aber auch in der theologischen Wissenschaft galt die communis opinio, dass das Christentum als absolute Religion die anderen positiven Religionen überbot. 4
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Gericke, Wolfgang: Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen III/2), Berlin 1989, S. 54 ff, 122, 124. Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion. Reden an die Gebildeten und ihre Verächter (1799), hgg. u. komm. v. Rudolf Otto, Göttingen 1967, S. 48 f. Jung, Martin H.: „Morgendämmerung des Reiches Gottes“. Erweckungsbewegungen in Europa im 19. Jahrhundert, in: Reller, Jobst (Hrsg.): Seelsorge, Gemeinde, Mission und Diakonie. Impulse von Ludwig Harms aus Anlass seine 200. Geburtstages, Berlin 2009, S. 13–27. Vgl. z. B. Birkner, Hans Joachim: Friedrich Schleiermacher, in: Greschat, Martin (Hrsg.): Gestalten der Kirchengeschichte. Bd. 9/1. Mainz 1983, S. 87-115, hier S. 111.
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Der vorliegende Beitrag stellt das Thema von Mission und Religion am Beispiel des Erweckungspredigers 5 der Lüneburger Heide, Pastor Ludwig Harms (1808–1865), in Hermannsburg vor. Er galt dem missionsbewegten Protestantismus des ausgehenden 19. Jh. als ein Neuinspirator evangelischer Mission neben Johann Wallmann (1811–1865), Johannes Jänicke (1748–1827) und Johann Evangelista Goßner (1773–1858) nach Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760) im 18. Jh., wie das folgende Bild zeigt. Zunächst sollen sein Leben und Werk, da sie weithin wenig bekannt sind, skizziert, dann sein Gebrauch des Begriffs Religion vor und nach seiner Bekehrung im Jahr 1830 dargestellt werden. Abschließend wird Harms’ Begriff exemplarisch mit zwei anderen Religionskonzepten konfrontiert, der des Pioniers der dänisch-hallischen Mission Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719) bzw. der der Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910.
Abbildung 1 5
Gedenkblatt für die Freunde der Mission (ca. 1880, Herkunft unbekannt)
Zur Erweckungsbewegung vgl. Wallmann, Johannes: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, 5. Aufl., Tübingen 2000, S. 190–191.
Mission und Religion in der Erweckungsbewegung
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II. Ludwig, von klein auf französisierend Louis genannt, Harms 6 wurde am 5.5.1808 in Walsrode, ca. 60 km nördlich von Hannover gelegen, geboren, wuchs ab 1817 in Hermannsburg auf. Französische Besatzung und Krieg bis 1813 hinterließen tiefe Spuren: Einerseits wurde die Französische Revolution zeitlebens mit Gottfeindlichkeit verbunden und die Absolutsetzung der ratio als Wurzel der Fehlentwicklung identifiziert, zugleich jegliche Form von Demokratie verachtet und gefürchtet. Andererseits trat neben die im supranaturalistisch und panentheistisch eingestellten Elternhaus vermittelten und gelebten Werte von absoluter Wahrhaftigkeit, Fleiß, Hingabe und Wissensdurst das Streben nach Beherrschung des eigenen Körpers und sportlicher Gewandtheit, das auch das Ideal des Fechters einschloss. Alttestamentliche Muster halfen, die Befreiung von französischer Herrschaft als Bewahrheitung eines persönlichen Gottes und seines sein Volk befreienden Handelns zu deuten. 7 Das Interesse an der sächsischen Urgeschichte, der Natur der Lüneburger Heide und aus Tacitus’ „Germania“ geschöpfte Kategorien zur Religion der germanischen Vorfahren taten das ihre hinzu. Nach autodidaktischen Studien und der Vorbereitung durch Vater Christian Harms († 1848) besuchte Louis 1825–1827 die Lateinschule in Celle, studierte dann von 1827–1830 Theologie in Göttingen. Im ersten sog. vorläufigen theologischen Examen wurden ihm beste Kenntnisse bescheinigt. Durch rationale Kritik an der Theologie erlebte Harms 1828 eine Krise. Noch im Examen Ende März 1830 orientierte er sich ganz an der rationalen Theologie und vorbildlicher christlicher Moral. Der Tod des älteren Bruders August (*1806) im März 1830 konfrontierte Harms mit der Frage, wie diese Theologie und die mit ihr verbundene Moral Hoffnung über den Tod hinaus verbürgen konnten. Nach den Abschiedsreden Jesu in Joh 17,3 8 erkannte er neben Christus als moralischen Vorbild diesen auch als Erkenntnis und Quelle ewigen Lebens. Eine Predigt Ostern 1831 bezeugt einen Gedankenfortschritt: Als einziger gewisser Grund für die Wiedergeburt zu einem Leben in christlicher Lie6
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Z. Folg. vgl. Reller, Jobst: Heidepastor Ludwig Harms – Gründer der Hermannsburger Mission, Holzgerlingen 2008. Für die Zeit von 1850–1865 ders./Harms, Hartwig F.: Gelebte Liebe und deutliche Worte. Der Hermannsburger Pastor und Missionsgründer Ludwig Harms, Hermannsburg 2008. Z. Lit. vgl. Reller, Jobst (Hrsg.): Seelsorge…, a.a.O. bzw. Allmann, Rainer/Harms, Hartwig F./Reller, Jobst: Ohne Ansehen der Person. Bleibendes und Vergangenes bei Pastor Ludwig Harms, Hermannsburg 2010. Baur, W.: Geschichts- und Lebensbilder aus der Erneuerung des religiösen Lebens in den deutschen Befreiungskriegen, Hamburg 1893; Holl, Karl: Die Bedeutung der großen Kriege für das religiöse und kirchliche Leben innerhalb des deutschen Protestantismus, in: Gesammelte Aufsätze III: Der Westen, Tübingen 1928. Vgl. schon das Memorial von Blaise Pascal in: Pensées sur la religion, hg. v. L. Brunschvigk, Paris 1904, dt. hg. v. E. Wasmuth: Über die Religion, 1963, S. 248–249. Die Bedeutung der Offenbarungsreden Jesu für Bekehrungsmuster in der Erweckungsbewegung nach Schleiermacher und August Tholuck (1799–1877) ist nicht geklärt. Vgl. aber die Bekehrung des Erweckungspredigers Ludwig Otto Ehlers Ende 1826 bei Reller, Jobst: Die frühe Erweckungsbewegung in den Herzogtümern Bremen-Verden im Spiegel der Publizistik, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, Nr. 104, Hannover 2006, S. 169–225, hier S. 180.
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be gilt nun das Wagnis glaubenden Vertrauens auf das biblische Wort vom stellvertretenden Sühnetod Jesu Christi am Kreuz und seiner Auferstehung. 9 Diakonische Aktivitäten christlicher Nächstenliebe begleiteten diesen Prozess geistlichen Durchbruchs unmittelbar in der Fürsorge für Cholerakranke, Besuchen bei Gefangenen und andern. Harms war wegen mangelnder Bewerbungsfähigkeit angesichts seines Alters von 22 Jahren auf ohnehin knappe Pfarrstellen von 1830 bis 1839 als Hauslehrer in Lauenburg an der Elbe bzw. 1840 bis 1843 in Lüneburg tätig. Am 6.1.1834 gründete er mit Gleichgesinnten einen örtlichen Missionsverein, im symbolischen Jahr 1836 begrüßte er begeistert die Gründung der Norddeutschen Missionsgesellschaft durch andere lutherisch wie auch reformiert geprägte Missionsvereine. Durch das Thema „Mission“ geriet die Auseinandersetzung des christlichen Glaubens mit anderen Religionen vertieft in den Blick. Der Maßstab des praktischen Ethos blieb dabei bestimmend. Rund um Lauenburg und Lüneburg bildete sich durch Harms freies Wirken ein Netzwerk von an Mission und Erweckung interessierten Kreisen. Konflikte des jungen Kandidaten mit staatlichen und kirchlichen Autoritäten führten u. a. zu einem einjährigen Predigtverbot wegen der eigenmächtig abgeänderten Abkündigung für die 1841 verstorbene hannoversche Königin Friederike, des Sammelns von Missionsliteratur- und Bibelkreisen, die ohne Mitwirkung des Pfarrers als kirchenfeindliche Konventikel verboten waren. Harms wirkte an Unternehmungen wie dem Verteilen von Traktaten und Bibeln, Rettungshäusern und Initiativen seiner gleichaltrigen Zeitgenossen Johann Hinrich Wichern († 1881) und Wilhelm Löhe († 1872) mit, um deutsche Auswanderer in den USA mit Predigern und Lehrern zu versorgen. Jede Art von Illoyalität geriet in der Zeit der Restauration nach 1815 leicht in den Verdacht der Staatsgefährdung. Durch Vater Christian Harms († 1848) und den kirchlicher Erneuerung aufgeschlossenen zuständigen Superintendenten Georg Heinrich Wilhelm Bronner (1791–1874) in Winsen an der Aller wurde Harms 1844 als Hilfsprediger in Hermannsburg ordiniert, nach dem Tod des Vaters 1848 1849 durch eine Petition der Hof- und Hausbesitzer Ortspfarrer dort. Harms übernahm das norddeutsche Missionsseminar nach Hermannsburg und gestaltete Hermannsburg als „Missionsgemeine“ um. Der erste Kurs von Zöglingen wurde 1853 im noch selbstständigen Konsistorium Stade geprüft und ordiniert. Der Bau eines missionseigenen Schiffes namens „Kandaze“ aus Spenden 1852/53, um ganze Gemeinden aussenden zu können, machte Harms in großen Teilen Europas bekannt. Missionsfelder wurden 1854 in Natal/Südafrika, 1864 bzw. 1866 in Indien und 1865 in Australien gefunden, nachdem es nicht gelungen war, getreu der Vision des Missionars Krapf (1810–1881) das Kriegervolk der Oromo oder damals Galla, im heutigen Äthiopien, und ein indigenes christliches Imperium in ganz Afrika zu erreichen. Die Privatschule des Vaters wurde weitergeführt und 1860/61 an einen eigenen Lehrer übergeben. Ein eigenes Missionsblatt erschien ab 1854 (1865 16.000 Exemplare monatlich), ab 1856 in einer eigenen Druckerei. 1858 entstand ein Asyl für entlassene jugendliche Strafgefangene, 1863 9
Vgl. Reller, Jobst: Der junge Ludwig Harms 1830–1850, in: ders. (Hrsg.): Seelsorge…, a.a.O., S. 69–85.
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ein zweites Missionsseminar. Auf Predigtreisen von 1849 an erreichte Harms große Teile Norddeutschlands auf Missionsfesten. Das jährliche Missionsfest in Hermannsburg zog ab 1851, normalerweise um den Johannistag gehalten, Tausende von Besuchern an. Schätzungsweise 70.000 Briefe zu Harms’ Lebenszeit knüpften ein Beziehungsnetz mit Missionsfreunden deutschlandweit. 10 Harms Evangelienpredigten erschienen in 100 Jahren in mehr als 100.000 Exemplaren. 11 Er starb körperlich erschöpft und krank im Alter von 57 Jahren am 14.11.1865. Äußerungen von Missionszöglingen und Freunden belegen, dass viele im ländlichen Kontext Norddeutschlands und darüber hinaus den Hermannsburger Pfarrer als charismatischen Prediger, Seelsorger, Leiter und Berater erlebten. III. In diesem Abschnitt soll nun dem Religionsbegriff bei Harms im Einzelnen nachgegangen werden. Harms gewann einen ersten Begriff von Religion intuitiv in der Kindheit romantisch aus dem Erleben der Landschaft der Lüneburger Heide und ihrer archäologischen Altertümer, die ihm auch lange nach seiner Bekehrung noch als Demonstrationsobjekte für die Wende von vorchristlicher Religion zu wahrer christlicher Religion galten. Harms 11 Jahre jüngerer Bruder Theodor, Theologe, Pastor und Missionsdirektor nach dem Tod des älteren Bruders, gibt in seiner klassischen Biografie „Lebensbeschreibung des Pastor Louis Harms“ die Familienerinnerung wieder: Noch ehe er die hohe Schule zu Celle besuchte, las er den Tacitus. Seine Germania zog ihn mächtig an. Er hatte es ja mit der Muttermilch eingesogen, ein Deutscher zu sein, und da Gottes Wort nicht in der Weise auf ihn einwirken konnte, als es hätte sein sollen, so wurde Tacitus' Germania seine Bibel in einem kindischen Sinne. Denselben in der Hand streifte er durch Wald und Heide, verschlang das Buch förmlich unter dem Rauschen der Tannen und Eichen, opferte Wodan sein Butterbrot, und beklagte mit heißen Tränen, daß man nicht den Göttern der Väter mehr dienen könne. 12
Die Gegend um Hermannsburg und Bergen bot viele Spuren alter Besiedlung, Großsteingräber (am bekanntesten sind die sieben Steinhäuser bei Ostenholz), die Harms ganz offenbar angeregt haben. Tacitus’ Schilderung muss dem Jungen die in Augenschein genommene Umgebung gedeutet haben, sodass er in der bei Tacitus beschriebenen, fantasievoll ausgestalteten Religion der Germanen die attraktivere, der eigenen Nation angemessenere Religion als die im Pfarrhaus geübte, aus einem supranaturalistisch gedeuteten Christentum entspringende strenge Moral. 10 Vgl. Reller, Jobst: Ludwig Harms als Briefschreiber, in: Harms, Ludwig: In treuer Liebe und Fürbitte Gesammelte Briefe 1830–1865, Bd. I, Münster 2004, S. 61–69, 11 Vgl. Grafe, Hugald: Die volkstümliche Predigt des Ludwig Harms. Ein Beitrag zur Predigt- und Frömmigkeitsgeschichte im 19. Jahrhundert, 2. Aufl., Göttingen 1974, S. 227. Zur Wirkungsgeschichte vgl. auch Reller, Jobst: Ludwig Harms’ Wirkung in Skandinavien, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, Nr. 103, Hannover 2005, S. 125–172. 12 Hermannsburg 1868, zit. n. 1911 (8. Auflage, Nachdr.), S. 25.
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Religiöse Anschauung entsprang jedenfalls eher aus Tacitus’ 13 Schilderung, die unkritisch für germanisches vorchristliches Leben von der Steinzeit bis auf Karl den Großen verallgemeinert wurde. Man darf vermuten, dass Harms sich ohne großen Bruch mit dieser Anschauung auf Wunsch des Vaters 14 zum Studium der Theologie in Göttingen entschließen konnte. Bruder Theodor nennt als eines der Hauptinteressen dort das Altdeutsche und das Studium des Nibelungenliedes. 15 Das Entscheidende lag offenbar im Handeln, sodass Bildungsinhalte in einem weiten Umfeld in das System eudämonistischer rationaler Religion 16 und Ethik integriert werden konnten. Unter den aus dem Studium im Archiv des ev.-luth. Missionswerkes in Hermannsburg erhaltenen Kollegnachschriften findet sich auch eine von Prof. Karl Otfried Müller (1797–1840) 17 vorgetragene Vorlesung über „Mythologie und Religionsgeschichte“. Von demselben hörte Harms auch zur gleichen Zeit eine Vorlesung über Pindar. 18 Die Vorlesung über „Mythologie und Religionsgeschichte“ aus dem Sommersemester 1829 und Wintersemester 1829/1830 umfasst 228 S. (!) und ist eine der umfangreichsten Nachschriften. Harms scheint das Kolleg durchgehend gehört zu haben. Er hat sie in einer Fülle von Abkürzungen und z. T. in Kurzschrift für Partikel akribisch mitgeschrieben. Das macht das Kolleg schwer lesbar. Es ist z. T. paginiert und gegliedert (allerdings ist die Gliederung nicht einheitlich durchgeführt). 19 13 Vgl. die Rolle von Tacitus bei Wilhelm Löhe als reifer, nicht süßlicher Schriftsteller bei Reller, Jobst: Bekehrung geistlicher Durchbruch bei Löhe, in: Blaufuß, Dietrich (Hrsg.): Wilhelm Löhe. Erbe und Vision, Gütersloh 2009, S. 199–218, 205, Anm. 33. 14 Vgl. Grafe, Hugald: Die volkstümliche Predigt…, a.a.O., S. 23, Anm. 56: Noch im Lebenslauf zum ersten theologischen Examen betonte Harms seine Liebe zur altdeutschen Vergangenheit. 15 Lebensbeschreibung, S. 39. 16 So noch in der Examenspredigt, vgl. Reller, Jobst: Der junge Ludwig Harms…, a.a.O., S. 75. 17 Nickau, Klaus: Karl Ofried Müller, Professor der klassischen Philologie 1819–1840*, in: Classen, Carl Joachim (Hrsg.): Die klassische Altertumswissenschaft an der Georg-AugustUniversität Göttingen. Eine Ringvorlesung zu ihrer Geschichte, Göttingen 1989, S. 27–50, 33, 36: eine fünfstündige Vorlesung über Mythologie und Götterkult im Wintersemester, über einzelne Autoren wie Pindar im Sommersemester, ebenfalls fünfstündig. Vgl. die Veröffentlichung „Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie“ 1825. 18 Vgl. Reller, Jobst: Der junge Ludwig Harms…, a.a.O., S. 73. 19 Einleitung [S. 1] Hauptbegriffe d[er] Rel[igions]wissenschaft [S. 1; „Götterglaube, Pantheis[mus], Reachmatismus (?),Anthropomorphismus, Emanationssystem, Dualismus, Naturdienst, Sternendienst, Thierdienst, Fetischismus, Menschenvergötterung, Todtendienst, Gräberdienst, Theismus, Deismus, Monotheismus, Polytheismus, Heidenthum - Dogma, Myths, Symbol, Cultus, Opfer, Sühne, Bilderdienst, Fest, Mysterien, Mystizismus“] Art d[er] Darstell[un]g und Mittheil[un]g d[er] rel[igiösen] Gefühle [S. 6] Inhalt d[er] Mythologie [S. 11; „I. Rel[igions]gesch[ichte] u[nd] Mytholol[ogie] d[er] Griech[en] Entwickl[ung] u[n]d […] d[er] Gottesdienste d[er] Griech[en] 1. geschichtl., 2. systemat. Theil – dab[ei] Trenn[un]g d[er] äußeren und inneren Gesch[ichte] und d[es] systemat[ischen] Theils im allg[emeinen] und bes[onderen]. II. Rel[igions]gesch[ichte] und Mthol[ogie] d[er] Völker außer Griechenl[and] III. Gesch[ichte] d[es] Heidenthums in d[er] Zeit d[er] Griech[ischen] und Röm[ischen] Weltherrsch[aft]“]
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Zunächst kann festgestellt werden, dass Harms eine analytische Begrifflichkeit für Phänomene der Religion gewinnen konnte, Begriffe wie „Naturdienst, Sternendienst usf.“. Dann fällt auf, wie sehr Müller die charakteristische Religion mit der jeweiligen Nation verknüpfte. Volkscharakter und Religionscharakter – wohl im Gefolge Johann Gottfried Herders (1744–1803) – korrespondieren. Harms konnte aus eigenem Erleben an diesem Gedanken anknüpfen. Harms konnte in Anlehnung an Schleiermacher etwas von der Darstellung der Religion im Gefühl hören, aber auch eine Analyse von Religion am Beispiel der griechischen Mythologie wahrnehmen. Vor der Folie der griechisch-römischen Religion stellte Müller – in Harms Nachschrift auf knapp zwei Seiten (S. 181–183) – auch den israelitischen Jehovahkult vor, der für ihn u. a. als semitische Stammesreligion wie die der Kanaanäer zu sehen war unter der Überschrift „Abweichende Rel[igions]formen b[ei] d[em]selben Stamm, Chaldäism[us] und Jehovahrel[igion]“ (S. 180). Müller intendierte eine rein historische Betrachtung, ohne das Alte Testament als göttliche Ordnung infrage stellen zu wollen. Der Jehovahkult erscheine als Anomalie und fanatischer Kultus. Israel war an sich mit Phöniziern und Kanaanitern als semitischer Stamm eng verwandt und suchte sich doch politisch und religiös in jeder Hinsicht abzusondern. Die Tradition, Philister und Kanaaniter als Chamiten anzusehen, diene nur dem Bestreben, eine Scheidewand zu errichten, obwohl sprachlich sicher nahe Verwandtschaft angezeigt werde. Man denke an die Götternamen El, Eloha. Jehovah (von Jviv abzuleiten). Zwar nicht in Judäa, so finde man doch auf dem Berg Karmel einen bildlosen Kultus. Also: d[er] Kul[tus] d[es] Isr[aelitischen] Volkes od[er] d[er] Eldienst, im Geg[en]satz d[es] Baaldienstes, war ursprüngl[ich] mit d[em] Semit[ischen] Stamm verbündet, auf d[em] nachher als Entart[un]g d[er] Naturdienst als frischmachendes und berauschendes d[ie] meisten Stämme gewann, während d[as] Israel[itische] als ihre strenge Absonder[un]g d[en] alten Eldienst bewahrt. Literatur [S. 11] 1ster H[au]pttheil - […] d[es] Götterdienstes und d[er] Mythol[ogie] d[er] Griech[en S.] 14 Ister Abschnitt – Geschichte d[er] Götterd[ienste] und der Mytholol[ogie] d[er) Griech[en] 1ste Periode Begriff d[er] mythischen Zeit. a. Äußere Geschichte [S.] 14 1ster Abschnitt V[on] d[em] Griech[ischem] Volke und s[einem] Namen [S.] 14 Spätere Hauptgötter [S.] 25 Zeus [S.] 25 b. Innere Relig[ions]gesch[ichte] u[nd] d[ie] myth[ische] Periode [S.] 40 2te Periode 1. Ende d[er] myth[ischen] Zeit, bis z[ur] Zeit d[er ..] und d[er] Perserkönige [S. 69] Systematischer Theil 1ster Abschnitt Götterwelt [S. 111] 2t[er] Haupttheil d[ie] Menschenwelt [S. 165] Oriental[ische] Mythologie [S. 172] 3t[er] Abschnitt Zus[ammen]fass[un]g d[er] Rel[igions]gesch[ichte] i[n] d[en] Zeiten d[er] Weltherrsch[aft] d[er] Griech[en] und Römer [S. 208] Makedon[ien] [S. 208] Röm[ische] Weltherrsch[aft S. 211]
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Harms konnte auch von der universitären Religionswissenschaft her so denken, dass der Glaube an den einen bildlos verehrten Schöpfergott, die Religion des Jehovahkultes, der eigentlich ursprüngliche, nachher verfälschte Gottesglaube der semitischen Völker war, der sich noch dazu ethisch bewähren und zwangsläufig zu einem Partikularismus führen musste. Nach 1834 speiste sich Harms Bild von Religionen vornehmlich aus Missionsblättern, die einschlägig über die religiöse und kulturelle Prägung der den Missionaren gegenüberstehenden Völker berichteten. Als Lektüre bekannt sind u. a. das Barmer Missionsblatt, das Basler Missionsmagazin, die Basler Sammlungen, die neuesten Nachrichten aus dem Reiche Gottes, das Kalwer Missionsblatt, die Nachrichten aus der Heidenwelt. 20 Auch missionsgeschichtliche Monografien wurden studiert z. B. David Crantz: Historie von Grönland, Barby 17782. 21 Im zweiten Lauenburger Missionsbericht vom 08.05.1836 22 wird von Vereinssekretär Harms folgendes religiös-kulturelle Bild der Heidenländer gezeichnet: Im Laufe des vergangenen Jahres wurde auf diese Weise die Missionsgeschichte unter den unglücklichen Negersklaven in Westindien, unter den Negern auf der Westküste von Afrika erzählt und zuletzt die Geschichte der Mission unter den Hottentotten und Kaffern in Südafrika angefangen. [...] Denn wir konnten da die großen Thaten Gottes anschauen und die wunderbare Wirkung der Predigt des Evangeliums von Jesu Christo mitten unter solchen Völkern sehen, welche bisher in fast thierischer Versunkenheit, in den Gräueln der Sündenfinsterniß und den Banden des Satans gelebt hatten ohne Gott in der Welt, und die nun erweckt wurden aus der Grabesnacht der Sünde, unter denen es Licht wurde, als das Wort Gottes erscholl, ihre Herzen erleuchtete, sie um Kirchen und Schulen in Städte und Dörfer sammelte, zu gottseligen und gesitteten Menschen machte, und ihnen nicht nur das ewige Heil der Seele schenkte, sondern alle Künste des Friedens, Lesen und Schreiben, Ackerbau und Handwerke ihnen mitbrachte.
Tierische Sittenlosigkeit (Fluch, Trunksucht, Sabbatschändung) – von Religion gar nicht zu reden – wandele sich unter der Verkündigung des Evangeliums in Glauben und christliche Sitte. Eine christliche, kolonisatorische Zivilisation bilde sich, in der alphabetisiert, Handwerk und Landwirtschaft vermittelt werden. Harms Grundgedanke ist schlicht: Eine Kultur, die diesem Bild europäischer Zivilisation nicht entspricht, lässt im Umkehrschluss auf ihre falsche Gründung in einer falschen Religion schließen bzw. müsste rechte Gründung in Glaube und Gottseligkeit sich auch in leiblichem Gedeihen äußern. Das ethische Handeln wird zum Ausweis der wahren Religion. Im Blick auf Afrika erwartet Harms weder religiös noch ethisch oder rechtlich nennenswerte Kultur, ohne je rassistisch zu argumentieren. 23 Das aus der Urgeschichte der Germanen gewonnene Missionsmotiv wird an den vorchristlichen Sachsen und ihrer Bekehrung zum Christentum interessant variiert. Beim ersten überregionalen Hermannsburger Missionsfest am 16./17.7.1851 20 Brief an die rhein. Missionsgesellschaft in Barmen 24.2.1834 bzw. an das Konsistorium in Ratzeburg am 4.5.1834, in Harms, Ludwig: In treuer Liebe…, a.a.O., Bd. 1, S. 80, 82. 21 An Kand. Köster in Hamburg 14.2.1837, ebenda, S. 110. 22 Bericht über den Missionsverein in Lauenburg Abgestattet am 8. Mai 1836 von Kand. Harms, Hamburg (gedr. b. J. A. Wagener, Jacobi Kirchhof No.29), S. 11 ff. 23 Dieses Urteil hält sich durch, vgl. z. B. Hermannsburger Missionsblatt, Hermannsburg 1859, S. 8–16, 8–9, 12–13.
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gesteht Harms auf dem sog. ländlichen Missionsfest an den sieben Steinhäusern bei Ostenholz den Germanen eine hoch stehende Ethik zu, obwohl an ihrer religiösen Fehlorientierung nicht zu zweifeln ist. In den volkstümlich gewordenen Erzählungen vom in Hermannsburg im 9. Jahrhundert wirkenden Missionar Landolf hält Harms geschickt die alte ideale Zeit der eigenen als Spiegel vor: „[...] wenn sie nur alle die alte, bewährte Treue und Redlichkeit und das männliche Worthalten und die prächtige Keuschheit bewahrten, die an unseren Vorfahren gerühmt werden.“ 24 Die Sachsen an der Oertze hätten über eine funktionierende Rechtsverfassung verfügt, die für die Evangeliumsverkündigung erst „die Erlaubnis […] von der ordentlichen Volkesgemeine“ benötigte. Bei dieser sollte Landolf an den sieben Steinhäusern „Zeuge eines schrecklichen Auftritts sein, der eben so sehr die entsetzliche Wildheit und Grausamkeit dieser Sachsen, als ihre edle Sittenreinheit bezeichnet.“ 25 „Landolf erwiderte: O Billing, ihr seid entsetzliche Leute, aber ihr haßt schon als Heiden die Sünde, die ihr erkennt. Was könnte aus euch werden, wenn ihr Christen würdet und der HErr Jesus euch erleuchtete!“ Am schrecklichen „Teufelswesen des Heidenthums“ bei den Vorfahren lässt Harms keinen Zweifel und schildert doch ein dem Hermannsburger Dorfleben seiner Zeit ethisch weit voraus seiendes sächsisches Volk mit funktionierender Gesetzgebung und Verfassung in der freien Volksgemeine. Kaum zufällig deckt sich seine erweckliche Gesetzespredigt mit dem, was er an Wahrhaftigkeit, Verabscheuung des Ehebruchs an den Vorfahren rühmt. Interessanterweise veredelt das Christentum die natürlich hochstehende Ethik des Sachsenvolkes. Das Bild der sächsischen Religion bildete Harms wohl in einer Synthese aus Schriften aus der Zeit der Germanenmission, in denen er von Schul- und Studienzeiten an belesen war. 26 Es verwundert nicht, dass die germanische Missionsgeschichte auch unmittelbar für das eigene Missionsunterfangen von Hermannsburg aus Pate stand. Harms führte sein Konzept am 28.07.1849 in einem Schreiben an den Verwaltungsausschuss der Norddeutschen Mission aus: 27 Die Hauptsache bei dem Missionswerke ist: es muß Gestalt bildend sein. Daß es das bisher nicht gewesen ist, das ist die Ursache des verhältnismäßig geringen Erfolges. Wir haben nicht mit civilisirten Griechen und Römern, sondern mit wilden Heiden zu thun, selbst die Hindus sind davon nicht ausgenommen. – Das Christenthum muß sie nicht bloß als eine neugebärende, sondern auch als eine neu gestaltende Kraft ergreifen. So haben Willibrord, Winfried etc. in Deutschland gearbeitet und ungeheure Erfolge gehabt. Sie sind mit 12, mit 20 Brüdern erschienen auf dem Kampfplatze, haben dadurch Geistesund leibliche Kräfte gehabt, eine Missionskolonie zu gründen und ohne Zuschuß durch ihre Arbeit zu erhalten. Um ihre Klöster haben sich christliche Dörfer gebildet. Von diesem festen Punkte ging dann die Mehrzahl der Arbeiter nach einem neuen Arbeitsplatz und so wurde 24 Harms, Louis: Goldene Äpfel in silbernen Schalen. Erzählungen, hrsg. v. Harms, Theodor [aus Hermannsburger Missionsblatt 1854–1865], Hermannsburg 1865, zit. n. 1908 (20. Aufl.), S. 14– 17, hier S. 12. 25 Harms schildert dann die Opferung zweier Gefangener, aber auch die Ahndung eines Ehebruchs durch Versenkung im Bruch. 26 Reller, Jobst: Heidepastor…, a.a.O., S. 35, 100. 27 Harms, Ludwig: In treuer Liebe…, a.a.O., Bd. 1, S. 260. Vgl. ders.: Das Missionshaus in Hermannsburg, in: Allgemeineevangelisch-lutherische Kirchenzeitung 1851, S. 85–88.
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Jobst Reller ganz Deutschland von einem Netze von Missionsposten umgeben, von einer Menge von Stätten christlichen Lichtes erfüllt und vom Evangelio erobert. Nur massenhafte Aussendung von Missionaren kann diesem Zwecke genügen.
In der eigenen Mission sieht sich Harms in Afrika und Indien der Zivilisationsund ergo ernst zu nehmenden Religionslosigkeit gegenüber. Dass es eine eigene afrikanische Religions- oder Rechtsüberlieferung geben könnte, kommt ihm nicht in den Sinn, obwohl natürlich mit Zulukönig Mpande wie auch mit Tswanakönig Sechele verhandelt wird. Entsprechend favorisiert er das Modell des Netzwerks einer zivilisatorischen Kolonisationsmission. Nicht die einzig ans „Unterjochen“ denkende europäische Kolonialmacht, sondern „ein selbstständiges, christliches Reich“ bekehrter einheimischer christlicher Krieger soll Ziel und Vehikel der Mission sein. 28 Ostafrikamissionar Johann Ludwig Krapf (1810–1881) hatte das Volk der Oromo oder Galla als eine den alten Germanen analoge Stämmegemeinschaft, weitgehend eins „in Sprache, Religion, Sitten“ beschrieben und damit Harms erstes Missionsziel unter den Oromo im heutigen Äthiopien motiviert: 29 Wie die alten Germanen sind sie in Stämme getheilt, die oft unter sich in blutiger Fehde liegen, deren jeder aber zäh seine Unabhängigkeit und Freiheit schützt. Wie die alten Germanen sind sie stolz auf ihren stattlichen Wuchs. Wie sie vernichten sie unbarmherzig die Stämme, die mit ihnen in Berührung kommen. Nur in der Religion stehen sie ihnen nicht gleich; die Oromos haben ein weit nicht so furchtbares Religionssystem als die Germanen hatten.
Harms entwickelte das Motiv nach seinem Scheitern unter den Oromo 1854 in einem Brief an die Norwegische Missionsgesellschaft am 22.9.1855 30 aber auch weiter als Vision einer gemeingermanischen und gemeinlutherischen Missionswirksamkeit, bei dem die gemeinsame Abstammung aus dem kriegerischen Stamm der Sachsen sich im gemeinsamen Einwirken auf die Kriegerstämme der Oromo, fälschlich Galla, 31 oder die freien Zulu in Afrika erweisen müsste: „[...] sind wir ja doch schon als Norweger und Deutsche stammesverwandt und dazu auch in Glauben und Bekenntniß als Lutheraner. Wie wäre es nur recht schön, wenn wir auch gemeinschaftlich arbeiteten?“ Die Hauptleitung der norwegischen Missionsgesellschaft lehnte Harms’ Vision dennoch ab, weil man an einer selbstständigen norwegischen Kirchpflanzung interessiert war. 32 Harms ließ in seiner Antwort vom 15.12.1855 von seiner Grundüberzeugung der Stammeswurzel von Religion und Zivilisation nicht ab, ohne doch das Menschsein der Gegenüber rassistisch in Zweifel zu ziehen: 33 28 Ebenda, S. 301 (An Kfm. Nagel 10.10.181). 29 Magazin für die neueste Geschichte der evangelischen Missions- und Bibelgesellschaften, Basel 1851, zit. n. Bauerochse, Ernst: Ihr Ziel war das Oromoland. Die Anfänge der Hermannsburger Mission in Äthiopien (QBGHMELM XIV), Münster 2006, S. 43–44. 30 Ar. NMS 1842–1849 Ink. Brev 1855 A-K. 31 Harms, Ludwig: In treuer Liebe…, a.a.O., Bd. 1, S. 242 ff. (11.11.1848), 260 ff. (28.7.1849), 267 (2.3.1850), 431, 555, 563, 589. Vgl. Norsk Misjonstidende Jg. 10, 1855 Nr. 10 + 12; Jg. 11, 1856 (nach dem seit 1854 erscheinenden Hermannsburger Missionsblatt), S. 45. 32 Norsk Misjonstidende, S. 47. 33 Ar.NMS 1842-1919 Ink.Brev 1855 A-K.
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Stehen wir ja doch auf dem gemeinsamen kirchlichen Grunde unseres lutherischen Glaubens und Bekenntnisses und dazu auf dem Grunde gemeinsamer Volksabstammung, da wir miteinander zu dem großen Volksstamme der Sachsen gehören, von welchem Norddeutsche, Norweger, Dänen und Schweden nur verschiedene Abzweigungen sind. [...] Vor allem lassen Sie uns füreinander beten und für das arme, finstre Afrika, daß dort bald der helle Morgenstern aufgehe und Satans Altäre umgestürzt werden. Und hat einer von Ihnen einmal Zeit, uns zu besuchen, so soll er mir herzlich willkommen sein und in meinem Hause wohnen. Gott segne Sie!
Erst in den 1860er Jahren scheint Harms seine Missionsvorstellung pragmatisch geändert zu haben, 34 die imperiale exklusiv koptisch-orthodoxe Politik von Kaiser Thewodros in Äthiopien galt ihm als Missbrauch der Religion zu politischen Zwecken, Afrika auch weiterhin als zutiefst zivilisations-, recht-, gott- und letztlich religionslos. Eigentlich religionswissenschaftlicher oder religionsgeschichtlicher Unterricht fehlte in der Ausbildung am Missionsseminar, wenn nicht in der Darlegung der Weltgeschichte im 3. Studienjahr 1851/52 auch über Weltreligionen gehandelt wurde. 35 In der ersten Entsendung zu den Oromo kam es allerdings an entscheidender Stelle auch zu einer Begegnung mit dem Islam. So schickte Harms 1854 den Missionaren der ersten Aussendung 1853 auf ihren Wunsch anstandslos einen Koran in deutscher Übersetzung nach Sansibar nach, wo sie in Verhandlungen mit dem lokalen muslimischen Herrscher über eine Anlandung in Kenia standen, um zu den Oromo im heutigen Äthiopien zu gelangen. 36 Offenbar waren sie sich erst in der Konfrontation der Erfordernis religionskundlicher Grundkenntnisse über den Islam bewusst geworden. Die eigene biblische Gründung, die Aburteilung Afrikas generell hatte den Blick auf das religiöse Gegenüber in der Ausbildung in den Hintergrund treten lassen. Als die Erlaubnis zur Anlandung verweigert wurde, war Harms geneigt, dies neben apokalyptischer Endzeitdiagnose ganz der religiösen Feindschaft des muslimischen Herrschers zuzuschreiben. 37 Der Imam habe nicht das Recht gehabt, „Predigern des Evangeliums den Durchzug durch sein Land zu verbieten“ 38. 1859 hat er seine Meinung geändert: 39 Der Sultan von San34 An Waldemar Rudin, Johannelund, 27.2.1865, abgedr. b. Reller, Jobst: Ludwig Harms’ Wirkung…, a.a.O., S. 156–157. 35 Tamcke, Martin: Aus der Heide zu den Heiden. Die Missionsanstalt Hermannsburg in Deutschland bis 1859, in: Lüdemann, Ernst August (Hrsg.): Vision: Gemeinde weltweit. 150 Jahre Hermannsburger Mission und Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen, Hermannsburg 2000, S. 125, 63–64. Aber das scheint auch in der Jaenickeschen Missionsschule in Berlin oder in der Missionsbildungsanstalt in Hamburg nicht anders gewesen zu sein. Vgl. Reller, Jobst: Die Anfänge des Missionsseminars der Norddeutschen Missionsgesellschaft in Hamburg, Bremen/Hermannsburg 1837–1850, in: ders. (Hrsg.): Ausbildung für Mission. Das Missionsseminar Hermannsburg von 1849–2012, Berlin 2015, S. 101–137, 119, 121, Anm. 50. 36 An Kaufmann Nagel, Hamburg, 19.6.1854, n. Harms, Ludwig: In treuer Liebe…, a.a.O., Bd. 1, S. 394. Harms rechnet mit der Lieferung des Korans Anfang Juli. Am 15.7. ist der Koran in Nagels Händen (an dens. 15.7.1854, ebd. S. 398). 37 An einen Vorsteher einer luth. Gemeinde in Preußen 25.11.1854 n. Harms, Ludwig: In treuer Liebe…, a.a.O., Bd. 1, S. 421. 38 An die Missionare in Südafrika 6.1.1855, n. Harms, Ludwig: In treuer Liebe…, a.a.O., Bd. 1, S. 431. 39 Hermannsburger Missionsblatt, Hermannsburg 1859, S. 3,
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sibar stehe christlicher Mission nicht feindselig gegenüber, verachte auch die christliche Religion nicht: „Jesus Christus sei ein guter Mann gewesen, der Koran erzähle vieles von ihm.“ Missionar Krapf sah das Scheitern in einem Briefwechsel 1864/65 mit Waldemar Rudin (1833–1921) im Fehlen einer Empfehlung für die Missionare seitens der englischen Handelsmacht, die im Missionsschiff Kandaze Handelskonkurrenz auf dem Seeweg nach Indien sehen musste. 40 Religionskunde des Islam hatte eben doch kein Gewicht im Geflecht macht- und handelspolitischer Taktik. Auch mit der anderen monotheistischen Religion des Judentums war Harms ganz unmittelbar praktisch befasst. Er unterstützte die Arbeit des „Vereins der Freunde Israels in Lehe und Umgegend“. 41 Die beiden Missionare des Vereins Neander und Sehrwald kannte er seit seinen Zeiten als Sekretär des Lüneburger Missionsvereins. 42 Jegliche apokalyptische Spekulation über eine Rangfolge der Judenmission in einem endzeitlichen Heilsplan als verpflichtende Lehre lehnte Harms aber ab. 43 Rakowski bemerkt dabei zurecht: 44 Wie die Bekehrung der Heiden unterstützt werden sollte, so auch die der Juden. Israel steht dabei neben den Heiden auf derselben Stufe der ‚Nichtbekehrten‘. Auch der Ausdruck ‚das Volk Gottes‘ scheint in diesem Zusammenhang in diese Richtung zu weisen. [...] Sind die Juden ein bleibendes Zeugnis für Gottes Gericht oder für sein Gnadenhandeln? Fest steht jedoch, dass hinter dem Aspekt der Bekehrung die ‚Freundschaft‘ mit Israel bzw. ein größeres Verständnis den Juden gegenüber sowie der Aspekt der besonderen Erwählung Israels eher in den Hintergrund treten.
Harms ordnet die Judenmission der Heidenmission nach aufgrund eigener Erfahrung und heilsgeschichtlicher Bibelauslegung: 45 Die Predigt an das Judenvolk hilft nichts, sie sind verstockt, bis die Fülle der Heiden wird eingegangen sein. Die einzelnen, die bis dahin eingehen, kommen von selbst, es ist ihnen ja auch allenthalben Gelegenheit dazu geboten. Sie leben mitten unter der Christenheit und die Kirchen stehen ihnen offen. In der Regel aber wollen sie nicht kommen; selbst da, wo sie in einer geistlich erweckten und bewegten Gemeinde leben, geht das alles so spurlos an ihnen vorüber, daß nicht einmal ihre Neugierde erregt wird, zu fragen, was doch das sein möge! In dieser entsetzlichen Gleichgültigkeit gegen das Christenthum, oder in der bittersten Feindschaft wider das Christenthum offenbart sich klar, daß sie verstockt sind. Dazu ist es bekannt, daß unter 100 Einzelbekehrungen kaum eine aufrichtig ist. Wem also wirklich an der Bekeh40 Beskow, Gustav Emanuel: Den svenska Missionen i Östafrika, Bd. 1, Stockholm 1888, S. 17 (Zit. a. e. Brief v. Krapf an Rudin). 41 Rakowski, Torben: Der Verein von Freunden Israels in Lehe und Umgegend (1839–1859) im Kontext der deutschen protestantischen Judenmission im 19. Jahrhundert, These MTh Missionshochschule, Stavanger 2007 (http://idtjeneste.nb.no/URN:NBN:no-bibsys_brage_12421.), bes. S. 133–147: Exkurs 2: Ludwig Harms und die Judenmission – zugleich ein Beitrag zur Diskussion um die Bedeutung der Eschatologie beim späten Harms. Vgl. den Brief an Sup. Bronner Hermannsburg 23.8.1848, n. Harms, Ludwig: In treuer Liebe…, a.a.O., Bd. 1, S. 237. 42 10. Jahresbericht des evangelischen Missionsvereins in Lüneburg, Lüneburg 1843, S. 26. 43 An Pastor Oster Süd-Australien, Hermannsburg 14.3.1864, n. Harms, Ludwig: In treuer Liebe…, a.a.O., Bd. 2, S. 351. 44 Ebenda, S. 135. 45 Nach Rakowski, Torben: Der Verein von Freunden…, a.a.O., S. 138–139.
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rung Israels gelegen ist, der wende sich mit ganzer Macht auf die Bekehrung der Heiden. Wenn die Fülle der Heiden eingegangen sein wird, dann wird auch Israel noch eingehen, und dann ist das Ende da. Die Träume endlich von der Rückkehr der Juden in das gelobte Land, von einem Wiederaufbau Jerusalems, von einem judenchristlichen Reiche in Kanaan, als Mittelpunkt und Haupt der ganzen Christenheit, sind weiter nichts als Träume und geradezu der hl. Schrift entgegen. Gott bewahre uns vor Träumen und gebe uns ein besonnenes und nüchternes Herz. 46
Harms aus der Bibelauslegung gewonnenes Bild der Heilsgeschichte war ihm Kenntnis genug vom Judentum, eine nähere Kunde von der Religion oder ihrem Selbstverständnis unnütz. Rakowski folgert zurecht: 47 „Besonders aber lehnt er die zionistischen ‚Träume‘ von der Rückkehr der Juden in das gelobte Land, von einem Wiederaufbau Jerusalems, von einem judenchristlichen Reiche in Kanaan, als Mittelpunkt und Haupt der ganzen Christenheit“ ab, da sie der heiligen Schrift geradezu entgegen seien – aber auch hier nennt er nicht die entsprechende Schriftstelle. Harms spielt auf das „Lieblingsprojekts“ vieler Erweckter, das englischpreußische Bistum in Jerusalem, an. Auch die Entgegnung auf Harms Äußerungen in der judenmissionarischen Zeitschrift „Dibre Ämät“ von 1862–1868 48 handelt vom rechten Bibelverständnis und nicht von der Wahrnehmung des Judentums als Solchem. Religionskunde tritt hinter der praktischen Perspektive von rechtem Glauben und Leben beim Erweckungsprediger Harms vollständig zurück. Rechter Glaube und rechtes Leben sind nur im Christentum zu finden. IV. Harms hält Nation, zivilisatorisches Ethos und Religion eng zusammen, ohne je rassistisch auszugrenzen. Dies wirkt sich unmittelbar in seinem Missionsverständnis aus. Gilt ihm die eigene germanische Urgeschichte auch vorchristlich zeitlebens als ethisch hochstehend, hat Afrika weder ethisch, religiös oder gar zivilisatorisch etwas vorzuweisen. Eine eigentliche Auseinandersetzung mit dem Islam oder Judentum als Religionen scheint über eine heilsgeschichtlich biblische Bewertung hinaus nicht stattgefunden zu haben. Im Nachgang ist Harms für religionskundliche Information allerdings durchaus offen, wie die Episode von der Übersendung des Koran zeigt. Von seiner universitären Ausbildung hätte er das Rüstzeug für eine religionswissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Mitteln seiner Zeit gehabt. Hochgestimmte romantische Visionen von einer netzwerkartigen, zivi46 Hermannsburger Missionsblatt, Hermannsburg 1861, S. 126–128. 47 Ebenda, S. 138. 48 Rakowski, Torben: Der Verein von Freunden…, a.a.O., S. 139 ff. Vgl. Adloff, Kristlieb: Ludwig Harms und die Juden, in: Tamke, Martin (Hrsg.): In der Gemeinschaft der Lernenden ermutigen Festschrift zum 65. Geburtstag von Kristlieb Adloff, Hamburg 1999, S. 251 hat in den Epistelpredigten z. B. Zu Röm 15,8 eine differenzierte Wahrnehmung des Judentums feststellen wollen (s. Rakowski, Torben: Der Verein von Freunden…, a.a.O., S. 143). Auch das letzte, von Harms veröffentlichte Gebet (HMB Okt. 1865, S. 145–147, n. ebenda, S. 146) ändert m. E. in dieser Hinsicht kaum etwas.
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lisatorischen, indigenen und imperialen Kolonisationsmission durch Lutheraner germanischen Stamms im Verein mit afrikanischen freien Kriegerstämmen weichen zum Lebensende einem an konkreten Erfahrungen gereiften Pragmatismus. Kurz: In der deutschen Erweckungs- und Missionsbewegung des 19. Jh. tritt das Interesse an Religions- oder Kulturkunde der Missionsländer ganz zurück, wenn man auf einen der Inspiratoren wie Ludwig Harms schaut. Die eigene, Zivilisation stiftende Botschaft von Erlösung oder Verdammnis lässt dieses Interesse vollständig in den Hintergrund treten. Harms erkannte allenfalls für die eigenen Ahnen in Sachsen eine Art natürliche vorbildliche Ethik, aber keinerlei theologische Anknüpfungspunkte. V. Wie verhielt es sich in der Pionierphase evangelischer Mission im 18. Jh. bzw. nach Harms? 1706 begann die erste größere Missionsunternehmung evangelischer Provenienz, die dänisch-hallesche bzw. englisch-hallesche Mission in Indien, geleitet von herausragenden Persönlichkeiten wie Bartholomäus Ziegenbalg (1682/83–1719) und Heinrich Plütschau (1677–1752; bis 1711 in Indien, danach Pfarrer bei Itzehoe). Ohne Vorbilder in der eigenen Konfession wirkten beide auch aus heutiger Sicht vorbildlich: 49 1. Die Mission war weder in ihren Ursprungs- noch in ihren Zielländern provinziell. 2. Die Mission war solidarisch mit den Einheimischen. 3. Die Mission verkündete das Evangelium in der Muttersprache. 4. Die Mission versuchte, die einheimische Kultur und Religion zu verstehen. 5. Die Mission war in den Grenzen der damaligen Zeit auf Dialog aus. Die Mission war ganzheitlich. Die Mission verstand sich als Hebamme einheimischer Kirche.
Vor allem Ziegenbalg wandte große Energie für das Studium tamilischer Kultur und Religion auf und legte somit die Fundamente für ein einheimisches Christentum. Er verfasste ein Buch über die tamilischen Göttersagen, das 2003 herausgegeben und gedruckt wurde. Die einheimische Sprache zu erlernen und die Kultur zu studieren, war Teil der königlichen Instruktion, 50 obwohl diese davon ausging, dass die Tamilen so primitiv waren, dass sie von Natur aus nichts über Gott wissen konnten. 49 Reller, Jobst: Missionarischer Alltag – eine Generation nach Ziegenbalg und Plütschau, in: Wrogemann, Henning (Hrsg.): Indien – Schmelztiegel der Religionen oder Konkurrenz der Missionen? Protestantische Mission in Indien seit ihren Anfängen in Tranquebar (1706) und die Sendung an derer Konfessionen und Religionen, Berlin 2008, S. 43–65, 43–46. 50 Nörgaard, Anders: The Mission’s Relationship to the Danes, in: Oommen George/Iversen, Hans Ravn (Hrsg.): It began in Copenhagen. Junctions in 300 years of Indian Danish Relations in Christian Mission, Dehli 2005, S. 43–100, 53 (abgedr. in: ders./Kumaradoss, Y. Vincent/Liebau, Heike (Hrsg.): Halle and the Beginning of Protestant Christianity in India, Bd. 1, Halle 2006, S. 161–207. 1705, gedr. b. Hornung, Johann Christoph: De conversione Paganorum, Kiel 1717, S. 60 ff.; engl. übers. in: Gross, Andreas/Kumaradoss, Y. Vincent/Liebau, Heike: Halle and the Beginning of Protestant Christianity in India, Bd. 3, Halle 2006, S.
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Nach Daniel Jeyaraj, dem Herausgeber von Ziegenbalgs System der tamilischen Götter, verkünde Ziegenbalg im Traktat „akkiyanam“ (dt. „Geistliche Unkenntnis“; 1713)‚ 51 als Freund, dass der universale Gott, d. h. Christus, ihn gesandt habe, um aus geistlicher Unkenntnis zu helfen und zu erlösen im indischen Sinn, d. h. vom versklavenden Karma-Zyklus der Wiedergeburten. Biblisches Grundschema war die Rede von natürlicher Gotteserkenntnis nach Röm 1, 21-32. Ziegenbalg identifizierte also religionskundlich im indischen Kontext ein Konzept möglicher Versklavung, den Karma-Zyklus, und stellte dem die Befreiung durch das Evangelium von Jesus Christus gegenüber. Das Christentum vertiefte, überbot und entgrenzte eine mögliche indische Erfahrung „natürlicher Theologie“. Ähnliches lässt sich in Bezug auf den Islam feststellen. Sigvard von Sicard 52 erkennt in den als „Conferences“ 1719 herausgegebenen interreligiösen Dialogen der frühen Missionare anstelle von dogmatischen Streitgesprächen einen mystischen Dialog, der den Überschritt zum Christusglauben in der Frage der Sündenvergebung erhofft. Das muslimische Gesetz könnte Weg zur Seligkeit sein, wenn es denn befolgt würde! Selbstverständlich hätten auch Ziegenbalg und Plütschau an der exklusiven Erlösung durch Christus bzw. andernfalls Verdammnis in der Hölle keinen Zweifel gelassen. Hier hätten sie sich mit Harms unmittelbar getroffen. Nichtsdestotrotz ist Ziegenbalg im sensiblen Studium der „natürlichen Theologie vor Ort wie andere Missionare auch ein Vater der modernen Religionswissenschaft. Die kurzen Bemerkungen zeigen eins: Religionskundlich oder gar religionswissenschaftlich fiel die Mission eines Erweckungspredigers wie Ludwig Harms weit hinter Konzepte der Pioniere des 18. Jahrhunderts zurück. In der Fixierung auf die Folie überlegener christlicher Zivilisation und die Selbstverständlichkeit der eigenen universalen Erlösungsbotschaft erscheint diese Mission eigentümlich provinziell. Nichtsdestotrotz vermochte sie im Heimatland breit zur Mission zu motivieren, vor allem in weniger gebildeten Schichten von Handwerkern und Bauern. Um 1880 häuften sich Beobachtungen der Missionare über ein Erlahmen der Missionsdynamik – auch bei den Hermannsburger Missionaren im südlichen Afrika. 53 Das Aufkommen des sog. Äthiopismus 54 1896 mag als Wegscheide gelten. Schwierigkeiten in der Mission korrespondieren Klagen über die Unreife 55 ein-
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1337–1339. Autor war der deutsche Hofprediger Franz Julius Lütkens (1650–1712), seit 1704 am dänischen Hof Fredriks IV. Jeyaraj, Daniel: Bartholomäus Ziegenbalg’s perceptions of Indian society and religions, in: Wrogemann, Henning (Hrsg.): Indien…, a.a.O., S. 9–29. Sicard, Sigvard von: Ziegenbalg and the Muslims, in: Gross, Andreas/Kumaradoss, Y. Vincent/Liebau, Heike: Halle and the Beginning…, a.a.O., S. 125–155, zu 54 Gesprächen auf Tamilisch. Vgl. auch Oommen, George/Iversen, Hans Ravn (Hrsg.): It began in Copenhagen…, a.a.O., S. 101–124 (Interview Jeyaraj), S. 125-131 (Interview v. Sicard). Vgl. Hasselhorn, Fritz: Bauernmission in Südafrika. Die Hermannsburger Mission im Spannungsfeld der Kolonialpolitik 1880–1939, Erlangen 1988, S. 89, 91. Hock, Klaus: Das Christentum in Afrika und dem Nahen Osten (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen IV/7), Leipzig 2005, S. 77, 98, 141–145, 165–166, 168, 174, 181. Rüther, Kirsten: The Power Beyond. Mission Strategies, African Conversion and the Development of a Christian Culture in the Transvaal (Studien zur afrikanischen Geschichte 28), Berlin-Hamburg-Münster-London 2001, S. 37; Hasselhorn, S. 15, 46f, 68.
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heimischer Christen und der Unmöglichkeit eigenständiger Kirchen, aber auch die Entstehung einheimischer „zionistischer“ Kirchen. Die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910, ein Meilenstein der beginnenden ökumenischen Bewegung, hielt einerseits evangelistischen Optimismus von der Gewinnung der Welt „in einer Generation“ (John Raleigh Mott) hoch. Andererseits erschien dieser Optimismus fast wie eine Beschwörung angesichts einer zunehmenden faktischen Missionsskepsis auf den eigentlichen Arbeitsfeldern. Die Botschaft der Weltmissionskonferenz selbst fußte auf einer weltweit durchgeführten Befragung von Missionaren und Missionswissenschaftlern im Vorfeld und der Diskussion der entsprechenden Kommission IV während der Konferenz: 56 „Die missionarische Botschaft in Beziehung auf die nicht-christlichen Religionen“. Neben a) animistischen Religionen wurden b) chinesische, c) japanische, d) islamische Religion, e) Buddhismus und f) Hinduismus abgehandelt. Glaubenskonflikte in den nicht-christlichen Ländern müssten in ihren Auswirkungen auf die Missionare, aber auch auf die Theologie der entsendenden Kirchen bedacht werden. Als geeignetes Herzstück der Befragung erschien die Frage nach den wirklich lebendigen Elementen in den nicht-christlichen Religionen, die Menschen von Christus fernhielten bzw. auch den Weg zu ihm bereiten konnten, andererseits die Elemente des Evangeliums, die die größte Anziehungskraft im Gewinnen und Wandeln menschlicher Herzen haben könnten. 57 Religionswissenschaftliche Kenntnis einheimischer Religionen in ihrem sozialen Kontext und Lebensbezug erschien von nun an unabdingbar für erfolgversprechende Evangelisation.
56 World Missionary Conference, 1910. Report of Commission IV: The Missionary Message in Relation to Non-Christian Religions. With Supplement: Presentation and Discussion of the Report in the Conference on 18th June 1910, Edinburgh/London/New York/Chicago/Toronto o. J. 57 Ebenda, S. 1.
MARENGO UND MALINOWSKI: DIE FRANZÖSISCH-ÖSTERREICHISCHE MISSION IM SÜDEN NAMIBIAS Walter Sauer Im Kontext der Beendigung des deutschen Krieges gegen die Bondelswart (!Gami-#nun) 1 wird in der Literatur üblicherweise die Vermittlungsaktion des katholischen Missionars Johann Malinowski erwähnt. Der biografische Hintergrund des von Kaiser Wilhelm II. zweifach dekorierten Priesters bleibt jedoch meist im Dunklen, ebenso die Geschichte der von Österreich-Ungarn aus koordinierten Mission, die ihn in den namibischen Süden entsandte – letztlich also die Gründungsgeschichte der katholischen Kirche in dieser Region. Beidem möchte der vorliegende Beitrag in gebotener Kürze nachgehen – in Würdigung von Ulrich van der Heydens missionsgeschichtlicher Forschung. 2 DIE GRÜNDUNG DER OBLATENMISSION IN SÜDNAMIBIA Die Anfänge der katholischen Mission unter den Nama gehen auf komplexe strategische Entscheidungen des Heiligen Stuhls zurück. 3 1874 wurde das „KleinNamaland“ in Südafrikas Northern Cape Province zu einer Präfektur mit Sitz in Pella erhoben, einer verlassenen Station erst der Londoner, dann der Rheinischen Mission. Die Obsorge dafür wurde an die Oblaten des heiligen Franz von Sales (OSFS) aus Frankreich vergeben; deren erste Priester und Schwestern trafen 1882/83 unter Leitung von Jean-Marie Simon in Pella ein. 1888 wurde ihnen auch die Seelsorge im „Groß-Namaland“ übertragen, dem südlichen Teil der entstehenden deutschen Kolonie. 1 2
3
Schreibweise nach der Version der namibischen Regierung (Government Gazette of the Republic of Namibia, Nr. 5564, 19.9.2014). Für die Möglichkeit zur Einsichtnahme ins Archiv der Kongregation der deutschsprachigen Provinz der Oblaten des hl. Franz von Sales in Wien danke ich Provinzial P. Thomas Vanek und Br. Hans Leidenmühler sehr herzlich, ebenso Werner Hillebrecht (Windhoek) für seine Unterstützung. Siehe Brown, William Eric: The Catholic Church in South Africa. From its origins to the present day, hrsg. von Michael Derrick, London 1960, S. 137–150; Simon, John M.: Bishop for the Hottentots. African Memoirs 1882–1909, 2. Aufl., Springbok 21997, S. 1–50; Wehrl, Franz: Mission am Oranje. Geschichte der Oblaten-Mission der Vikariate Keimoes und Keetmanshoop nach Briefen, Tagebüchern und Visitationsberichten, Eichstätt 1994, S. 37–58 sowie 145–151; Beris, A. P. J.: Making the desert bloom. Part I: Go and prepare the fields, Keetmanshoop 2001, S. 1–17.
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Dorthin zu expandieren, stieß allerdings auf Probleme. Zum einen lehnte die Führung der Bondelswart die Gründung einer katholischen Mission ab – Südnamibia war ja protestantisch missioniert, die Kapiteine in Warmbad hatten das Christentum vor 1830 übernommen. 4 Zum anderen verhielten sich auch die deutschen Behörden in Windhoek reserviert, waren doch die Sales-Oblaten als ein in Frankreich entstandener Orden im Deutschen Reich nicht zugelassen! 5 Beide Widerstände wurden vorerst umgangen. Der erste durch den Ankauf einer Farm namens Heiragabies (auch Heirachabies), die der südafrikanische Händler Charles Edward William Wheeler 1886 von den Bondelswart erworben hatte. Es handelte sich um mehr als hunderttausend Hektar samt alleinigem Weiderecht und Steuerfreiheit für Bodenschätze. 6 Allerdings hatte das deutsche Gouvernement die erwähnten Schürfrechte nicht bestätigt – sie waren zwischenzeitlich an Firmen vergeben worden –, und möglicherweise war Wheelers Interesse an der Farm deshalb erloschen. Die Oblaten griffen zu – 100.000 Reichsmark wurden von einer ungenannten Spenderin in München aufgebracht – und traten ihr neues Besitztum am 8. Dezember 1896 an. 7 Wenig später erwarb der zum Bischof geweihte Simon auch die benachbarte Farm Nabas, die Wheeler 1888 gekauft hatte; 8 es handelte sich dabei um weitere 52.000 oder mehr Hektar, was die Oblaten zum größten ausländischen Grundbesitzer der Region machte. 9 Der zweite Widerstand gegen die Gründung einer katholischen Mission – jener des Gouvernements – wurde 1897 durch die Registrierung des Ordens in Österreich-Ungarn umschifft. 10 Von Wien aus also organisierte Pater Joseph Lebeau – ein gebürtiger Franzose, der die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hatte – die Ausbildung deutschsprachiger Priester und Schwestern (Oblatinnen des hl. Franz von Sales) für Südwestafrika, was einer Bedingung Gouverneur Leutweins entsprach, sowie eine wirksame Spendenkampagne. 11 Als erste Priester der österreichischen Oblatenprovinz gingen 1899 Johann Malinowski aus Preu4
Dedering, Tilman: Hate the Old and Follow the New. Khoekhoe and missionaries in early nineteenth-century Namibia, Stuttgart 1997, S. 40. 5 Zur Anerkennungsfrage siehe Wehrl, Franz: Mission am Oranje…, a.a.O., S. 156–161. 6 Kaufvertrag und Übertragungsinstrument (beides in Holländisch) vom 1. Mai 1886 erliegen in: National Archives of Namibia (NAN), ZBU U.V.h.2, fol. 2-4. 7 Ausführlich dazu Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 113–115, der von einem Kaufpreis von 6.250 Dollar spricht. 8 NAN, ZBU U.V.n.6, fol. 2–6. 9 In einer Aufstellung von 1906/07 wird das Gebiet von Heirachabies mit 180.000 Hektar angegeben. Abgesehen von einigen Anwesen unbestimmten Umfangs lag der Durchschnitt der Farmen im Distrikt Keetmanshoop damals bei ca. 15.500 ha (Jahresbericht über die Entwickelung [sic] der Schutzgebiete in Afrika und der Südsee im Jahre 1906/07, Berlin 1908, Anlage E. X., S. 74–79). 10 Hehberger, Erich: Die Oblaten des heiligen Franz von Sales in Österreich. Von den Anfängen bis zum Jahre 1930, Wien 1967, S. 13–37. 11 Vgl. Waygand, Magdalena: Fremd- und Eigenbilder in der Missionszeitschrift „Das Licht“ von 1906 bis 1910. Zur Repräsentation von AfrikanerInnen, Kolonialherren und MissionarInnen im kolonialen Kontext, Diplomarbeit, Universität Wien, 2011, online verfügbar unter http://othes.univie.ac.at/14803/ (21. Juni 2018).
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ßisch-Polen 12 und etwas später der Rheinländer August Trüten nach Namibia, zusammen mit vier geistlichen Schwestern. Zunächst kam der Großteil des von der Wiener Ordensprovinz entsandten Missionspersonals aus Deutschland, die ersten Österreicher/innen folgten ab 1905. PATER MALINOWSKI – MITTELSMANN ZU MARENGO Als Großgrundbesitzerin mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland befand sich die Oblatenmission in Heirachabies zwar in einer lokal privilegierten, politisch aber nicht abgesicherten Lage. Es scheint daher plausibel, dass sie ab Beginn des militärischen Konflikts eng mit der Kolonialverwaltung kooperierte, schon im Hinblick auf die übergeordnete Zielsetzung einer Anerkennung der Sales-Oblaten im Deutschen Reich. 13 Ein viel diskutierter Zwischenfall im Oktober 1903, bei dem der Kapitein der Bondelswart sowie der deutsche Distriktchef ums Leben kamen, wurde Auslöser für den Deutsch-Namibischen Krieg insgesamt. 14 Der Bezirkshauptmann von Keetmanshoop richtete in diesem Zusammenhang eine Aufforderung an Malinowski, die !Gami-#nun („Damara“ in seiner Diktion) davon abzuhalten, sich dem Aufstand anzuschließen. 15 Dem kam der Missionar aus voller Überzeugung nach. Die vorliegenden Schilderungen seiner Predigt am 22. November unterscheiden sich allerdings gravierend. Der gedruckte, vorwiegend für kirchliche Kreise in Österreich und Deutschland bestimmte Bericht stellt einen religiösen Zugang in den Vordergrund 16, während Malinowskis interner Rapport eine politische Rede erkennen 12 Malinowski wurde 1872 in Czempiń (heute Polen) geboren. 1890 legte er bei den Sales-Oblaten in Troyes die Erste Profeß ab. Nach Studien in Regensburg und Wien wurde er 1898 als erster „österreichischer“ Missionar nach Südafrika entsandt und erhielt 1899 die Priesterweihe in Pella. Im selben Jahr übertrug ihm Bischof Simon Heirachabies. Trotz seiner erfolgreichen Tätigkeit wurde er 1907 als Superior abgesetzt – als Begründung wurden finanzielle u. a. Eigenmächtigkeiten angegeben – und als Spiritual ins Oblatinnenkloster Chotěšov (heute Tschechische Republik) versetzt. Dort starb er 1929. Eine Biografie liegt bis heute nicht vor. Vgl. das in der Kaasgrabenkirche in Wien erliegende Nekrologium; Wehrl, Franz: Mission am Oranje…, a.a.O., S. 189, 206 und 266–272; Beris, A. P. J.: Making the desert bloom…, a.a.O., S. 75–77. 13 „Ich hoffe, daß die deutsche Regierung unsere Dienste berücksichtigen und unseren Bitten endlich Gehör schenken wird...“ Bischof Simon, in: Das Licht, Nr. 3, Wien 1906, S. 43. 14 Ausführlich zum Kriegsverlauf siehe Drechsler, Horst: Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft. Der Kampf der Herero und Nama gegen den deutschen Imperialismus 1884– 1915, Berlin/DDR 1984, S. 115–119 und 171–220; Nuhn, Walter: Feind überall. Der große Nama-Aufstand (Hottentottenaufstand) 1904–1908 in Deutsch-Südwestafrika (Namibia). Der erste Partisanenkrieg in der Geschichte der deutschen Armee, Bonn 2000; Wallace, Marion: Geschichte Namibias. Von den Anfängen bis 1990, Basel-Frankfurt 2015, S. 258–268; Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia von 1904–1913, Frankfurt-London 2003; Hillebrecht, Werner: Die Nama und der Krieg im Süden, in: Zimmerer, Jürgen/Zeller, Joachim (Hrsg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin 2003, S. 121–133. 15 v. Eschstruth an Malinowski, 10.11.1903 (NAN, ZBU D-IV-K-2_1, fol. 13). 16 Das Licht, Nr. 39, Wien 1909, S. 417.
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lässt, die v. a. Ressentiments zwischen Heirachabies und Warmbad schürte; 17 sie maß – ganz die offizielle Sprachregelung der Deutschen – die Alleinschuld dem Kapitein und seinen Leuten zu. Diese Argumentation war allerdings ziemlich holprig und wurde wenig später sogar von Gouverneur Leutwein desavouiert. 18 Tatsache ist allerdings, dass Malinowskis Aktivitäten eine – wenn auch schwer quantifizierbare – Schwächung der Aufständischen nach sich zogen. 19 Vermutlich spielten auch ökonomische Anreize eine Rolle, da die Mission während der Dürre 1903 bis 1905 Lebensmittel en gros ein- und zum Gestehungspreis weiterverkaufte. 20 Ein Teil der sesshaften Bondelswart wurde weiters „teils als Frachtfahrer, teils als Auskundschafter und Führer bei der Truppe angestellt“. 21 Darüber hinaus besaß Heiragabies für die „Schutztruppe“ logistische Bedeutung: Die in der Station zurückgebliebenen beiden Schwestern sowie Pater Trüten bewirteten die durchmarschierenden Soldaten bzw. versorgten Kranke und Verwundete. 22 Malinowski selbst hatte sich als Feldkaplan den deutschen Soldaten angeschlossen und versuchte, ihre Kampfmoral durch Predigten und Gottesdienste zu heben. 23 Die verfügbaren Quellen zeigen ihn also als absolut linientreu. Offenbar ging er von einem kurz bevorstehenden Sieg der Deutschen aus und reagierte deshalb verblüfft auf die Nachricht, das Militär hätte Verhandlungen mit den Aufständischen begonnen. 24 Diesen Gesprächen, die am 17. Jänner 1904 zum Abschluss des Friedensvertrags von Kalkfontein (heute Karasburg) führten, soll er als Dolmetscher (wohl für Holländisch) beigezogen gewesen sein. 25 Im Anschluss hielt er einen Gottesdienst, der in einem flammenden Appell zur Kaisertreue gipfelte. 17 Malinowski an v. Eschstruth, 26.11.1903: NAN, ZBU D-IV-K-2_1, fol. 16–17. 18 Drechsler, Horst: Südwestafrika…, a.a.O., S. 116; Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand..., a.a.O., S. 97, Anm. 470. 19 1910 wurde davon gesprochen, es habe „keiner von den Bondels, die s t ä n d i g i n H e i r a c h a b i s g e w o h n t h a b e n , an dem Kriege teilgenommen...“ (Das Licht, Nr. 56, Wien 1910, S. 685, Sperrung im Original). Die Anzahl dieser einheimischen Katholik/inn/en für die Zeit vor dem Aufstand wurde rückblickend mit 250 angegeben (ebenda, Nr. 97, Wien 1914, S. 7). Nehmen wir hypothetisch an, dass sich darunter vielleicht 40–50 kampffähige Männer befanden, so wäre das angesichts von 400 „Aufrührern“ nicht wenig. 20 Wehrl, Franz: Mission am Oranje…, a.a.O., S. 192. 21 Jahresbericht über die Entwickelung 1905/1906, Anlage D. III., S. 279. 22 Das Licht, Nr. 3, Wien 1906, S. 41–42. 23 Brief Malinowskis vom Dezember 1905, zit. in: Das Licht, Nr. 3, Wien 1906, S. 41. 24 P. J. G., Das Friedenswerk eines Missionars (Zum dreißigjährigen Gedächtnis) [2], in: Das Licht, Nr. 3–4, Wien 1936, S. 49. Der Text stammt möglicherweise vom Augenzeugen Pater Gineiger und wurde durch einen Bericht von Emil Hoffmann ergänzt, einem deutschen Soldaten, der bei den Friedensverhandlungen anwesend war. Dieser wollte „diese Schilderung ... auch deswegen schreiben, weil er fürchtet, ‚daß in den weiteren Berichten über das Friedenswerk etwas von den Verdiensten des P. Malinowski um die deutsche Kolonie ausgelassen werden könnte‘ und daß ‚P. Malinowski in seiner unbegrenzten Bescheidenheit nicht alles hinterlassen haben dürfte.‘“ (ebenda, S. 50). 25 Leutwein, Theodor: Elf Jahre Gouverneur in Deutsch-Südwestafrika, Windhoek 1997, S. 293 nennt allerdings den evangelischen Missionar Fenchel aus Keetmanshoop in dieser Funktion, was der plausiblen Angabe von Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 179 widerspricht.
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Malinowskis Aktivitäten entsprachen ziemlich genau dem, was Leutwein von den Missionen erwartete – die „Treue“ der „Hottentottenstämme“ zu sichern 26 –, qualifizierte ihn aber nicht unbedingt zum „Vermittler“. In den Augen der Rebellen musste er vielmehr als Angehöriger der feindlichen Streitmacht erscheinen. Dennoch wurde seine diplomatische Rolle später von zumindest einem Teil der !Gami-#nun akzeptiert; seine Persönlichkeit mag also auch über Facetten verfügt haben, die nicht überliefert sind. Weiters ist nicht auszuschließen, dass es auch ein anderes Gesicht der Mission insgesamt gab. So sollen Aufständische in der Nacht zu ihren Verwandten auf die Station gekommen sein – um sich zu versorgen oder sich zu verstecken? Besaß Heirachabies vielleicht auch für die Rebellen logistische Bedeutung? 27 Marengos Rückkehr aus Südafrika löste ab Juli 1904 einen wirksamen Guerillakrieg aus. Als im Oktober auch die mit den Deutschen verbündeten WitbooiNama revoltierten, hatte die Bewegung weite Teile Südnamibias erfasst. Die Fronten gingen über Heirachabies hinweg, die Station lag mitten im Kampfgebiet. Marengo „had often passed through Heirachabies with his troops and he had stopped at the mission which he held in great respect [!]“. 28 Einmal überfielen seine Soldaten eine deutsche Nachschubkolonne in der Nähe 29, ein anderes Mal wurde die Station von deutschen Truppen angegriffen, nur weil der kommandierende Offizier dort Bondelswart gesehen hatte. 30 Einem „neutralen“ Image der Mission konnte das nur dienlich sein. Die wohl gefährlichste Situation entstand Anfang 1906. „Während mehrerer Monate waren wir ganz isoliert in der Wüste“, schrieb Malinowski zum Jahreswechsel nach Wien, aber „eben heute hat man mir erzählt, daß unsere Station Heiragabies von Zerstörung bedroht ist.“ 31 Von welcher Seite die Gefahr drohte, wird nicht überliefert. Marengo hatte nach dem Gefecht vom 5. Jänner am Ham-Rivier drei- bis vierhundert Kämpfer in der Nähe der Station zusammengezogen, offenbar aber nicht mit der Absicht eines Angriffs; Marengo und Malinowski trafen sich zu einem Gespräch, in dem ersterer zur aktuellen Lage Stellung nahm – wohl eine beabsichtigte Botschaft an die deutschen Militärs. 32 Major von Estorff seinerseits setzte eine Kompagnie in Marsch – offiziell, um ein neuerliches Ausweichen der Guerilla auf südafrikanisches Gebiet zu verhindern. 33 Schwester Joseph Alexis jedoch, die vom Feldspital in Warmbad aus die Entwicklung verfolgte, sah 26 Leutwein, Theodor: Elf Jahre Gouverneur…, a.a.O., S. 294–295. 27 Hier liegt vielleicht auch der wahre Kern der extremistischen Anschuldigungen gegen die Station (Beris, A. P. J.: Making the desert bloom…, a.a.O., S. 44 und S. 41). Daß die Aufständischen von den Schwestern Kaffee, Tabak und manch gutes Wort erhielten, wurde später als eine für den Friedensschluß von 1906 wichtige vertrauensbildende Maßnahme interpretiert. P. J. G.: Friedenswerk [4], in: Das Licht, Nr. 7–8, Eichstätt 1936, S. 116. 28 Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 190; ein Beispiel dafür ebenda.: S. 194. 29 Nuhn, Walter: Feind überall…, a.a.O., S. 195–196. 30 Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 195. 31 Das Licht, Nr. 1, Wien 1906, S. 16. 32 von Lettow-Vorbeck, Ursula (Hrsg.): General von Lettow-Vorbeck. Mein Leben, Biberach an der Riß 1957, S. 95. 33 Deutsches Kolonialblatt, Nr. 17, Berlin 1906, S. 71.
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darin eine Maßnahme zur Überwachung der Station, die – wie erwähnt – von extremistischen deutschen Siedlern beschuldigt wurde, mit den Rebellen zu kooperieren. 34 Die Kolonialmacht hingegen schwankte zwischen Konfrontation und Verhandlungen. Nach dem Scheitern eines ersten Gesprächsversuchs mit Marengo 35 hatte Generalleutnant v. Trotha schon Anfang April 1905 Pater Malinowski damit beauftragt, „die aufständischen Bondelswart in den Karras-Bergen ... zur Abgabe der Gewehre aufzufordern und Jakob Marengo zum Frieden zu bewegen“ 36 – ein Ultimatum, das Trothas wenig später erlassener „Proklamation an das Volk der Hottentotten“ entsprach. Ohne Gewehr, nur mit der weißen Fahne, zog er [Malinowski samt lokalen Begleitern] durchs feindliche Gebiet. Am 21. April traf er bei Marengo ein. Er fand ihn in der wilden Paffiansschlucht. Der Hottentottenführer war sehr erstaunt, daß der Missionar es wage, zu ihm zu kommen. 37
Als einer von wenigen Europäern erhielt der Missionar Einlass in Morengas unentdeckte Festung ||Khauxa!nas. 38 Obwohl alle Anführer des Aufstands v. Trothas Intentionen misstrauten, 39 erklärte sich Marengo zur Begegnung mit einem deutschen Gesandten bereit. Diese scheiterte allerdings, nicht zuletzt infolge eines angeblich irrtümlichen Angriffs der „Schutztruppe“ auf die Verhandler, der trotz Waffenstillstand durchgeführt wurde und bei dem Malinowski um ein Haar ums Leben gekommen wäre (der Zwischenfall wird in den Berichten des deutschen Militärs nicht erwähnt). 40 „Not only am I being deceived and made fun of, but the same thing is happening to you, too“, so Marengos Kommentar. 41 Abgesehen davon, war für ihn die Forderung, die Aufständischen hätten ihr gesamtes Vieh abzugeben, unannehmbar. 42 Eine zweite Runde im Juli, bei der es v. a. um die Abgabe der Gewehre ging 43, scheiterte ebenso wie ein weiteres Treffen Malino34 Beris, A. P. J.: Making the desert bloom…, a.a.O., S. 44. 35 Marengo hatte auf Einladung v. Trothas vier Gesandte nach Keetmanshoop geschickt, die jedoch fast wie Gefangene behandelt wurden. Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 188–189. 36 P. J. G.: Friedenswerk [3], in: Das Licht, Nr. 5–6, Wien 1936, S. 77. Zum Kontext vgl. Bridgman, Jon M.: The revolt of the Hereros, Berkeley/Los Angeles/London, S. 144–149; Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand..., a.a.O., S. 249–255 sowie 270–271. 37 P. J. G.: Friedenswerk [3]…, a.a.O., S. 77. 38 Dierks, Klaus: ||Khauxa!nas (online unter: http://www.klausdierks.com/Khauxanas/3.htm, 18.6.2018). 39 „Tell the general that I have no proof of his sincerity and that I do not want to act blindly“, so Marengo. Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O. 40 P. J. G.: Friedenswerk [3]…, a.a.O., S. 78–79; Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand..., a.a.O., S. 250–252. 41 Zit. in Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 191. 42 P. J. G.: Friedenswerk [3]…, a.a.O., S. 78–79. 43 Nuhn, Walter: Feind überall…, a.a.O., S. 155–156. Ein Mitkämpfer Marengos, Wilhelm Sahl, schilderte diese Episode bei einem Verhör durch die „Schutztruppe“ folgendermaßen: „Als Morenga nach 14 Tage [sic] hörte, dass Malinowski mit einem Hauptmann [Salzer] käme, sagte er, jetzt sollen wir also die Gewehre abgeben. Er wollte das jedenfalls nicht gerne tun...“
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wskis mit Marengo im August. Vom Vorschlag des Missionars, in Heirachabies mit den Deutschen zu verhandeln, wollte der Guerillaführer nichts wissen: Er sehe überhaupt nicht mehr ein, was für einen Frieden die Deutschen mit ihm machen wollten. Nach seiner Ansicht beabsichtigten sie ja, ihn und die Hottentotten zu Sklaven zu machen. ... So dauerte der Krieg fort. 44
Nach einer schweren Niederlage der Deutschen am 24. Oktober 1905 bei Hartebeestmund im Süden stießen Morengas Truppen nach Norden vor: Vor einigen Tagen waren wieder mehrere Gefechte hier ganz in der Nähe. Überhaupt spielt sich jetzt der Krieg um Heiragabies ab. Täglich kommen Truppen und ziehen von hier fort. In Heiragabies liegt eine starke Besatzung. 45
Gerade weil Pater Malinowski, der sich neuerlich den deutschen Soldaten anschloss, aus seiner persönlichen politischen Haltung kein Geheimnis machte, ist der Respekt bemerkenswert, den die Aufständischen dem Missionar und der Station Heirachabies entgegenbrachten. Kößler hat darauf verwiesen, daß Missionare als Vermittler in Konflikten einem traditionellen Rollenbild der Nama entsprachen. 46 Hinzu kommt, dass Marengos Familie in einem Naheverhältnis zur katholischen Mission in Pella stand; der junge Jakob hatte unter Pater Rougelot auf ihrer Außenstelle Matijeskloof Arbeit gefunden. 47 Seine für April 1905 überlieferte Aussage gegenüber dem Priester, „If you were the commander I would believe you, for I know that you have a conscience and that you consider it one of your duties to keep your word“ 48, bringt – selbst wenn man sie als taktisches Kompliment einschätzt – ein gewisses Vertrauen zum Ausdruck. Malinowski sollte sich später mit der Aussage revanchieren, Marengo wäre für ihn „ein prächtiger Mensch, einer meiner besten Freunde“ gewesen 49 – Ambivalenzen in einem ansonsten strikt deutschnationalen und kaisertreuen Erscheinungsbild. Insgesamt wird freilich nicht die allfällige Sympathie der Aufständischen für die katholische Mission den Ausschlag zugunsten von Verhandlungen gegeben
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Verhörsprotokoll vom 15.4.1906, NAN, ZBU D-IV-m-2_4, fol. 22. Soweit mir bisher bekannt, ist dies die einzige Erwähnung der Malinowski’schen Aktivitäten von 1905 in einem amtlichen deutschen Dokument. P. J. G.: Friedenswerk [4]…, a.a.O., S. 115. Brief Pater Gineigers vom 10. 7. 1906, in: Das Licht, Nr. 10, Wien 1906, S. 156. Kößler, Reinhart: Land und Mission im Süden Namibias, in: Lessing, Hanns/Besten, Julia/Dedering, Tilman/Hohmann, Christian/Kriel, Lize (Hrsg.): Deutsche evangelische Kirche im kolonialen südlichen Afrika. Die Rolle der Auslandsarbeit von den Anfängen bis in die 1920er Jahre, Wiesbaden 2011, S. 555–568, hier 558. Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 186; Rougelot war 1894–97 dort stationiert gewesen (ebenda.: S. 101–104), was Marengas Beschäftigung in diese Zeit datieren würde. Auch sein 18-monatiger Aufenthalt in Europa (Masson, John: Jakob Marengo. An Early Resistance Hero of Namibia, Windhoek 2001, S. 2) wird durch die katholische Mission vermittelt worden sein; als Destination kommen nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich oder Österreich-Ungarn infrage. Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 190. In einem Interview vom Juni 1908, zit. bei Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand..., a.a.O., S. 317.
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haben, sondern Einsicht in die zunehmende Ausweglosigkeit ihrer militärischen Lage. 50 Seit dem Tod Hendrik Witboois Ende Oktober 1905 51, der Ankunft weiterer deutscher Soldaten und der erzwungenen Verlagerung aller Viehbestände nach Norden geriet der Aufstand der Bondelswart in die Defensive. Während Marengo nach Südafrika auswich – ein Teil seiner flüchtenden Anhänger wurde in Matjieskloof versorgt 52 –, erklärte sich Kapitein Johannes Christian zu Gesprächen bereit. DER „FRIEDEN VON UKAMAS“ Anfang Juni 1906 hatte Gouverneur v. Lindequist einen Unterwerfungsappell an die Bondelswart gerichtet, der im Fall der Abgabe ihrer Waffen allerdings nur die Zusicherung der Schonung ihres Lebens enthielt. Der neue Kommandant der „Schutztruppe“, Berthold v. Deimling, schlug eine andere Strategie ein – gestützt auf einen kaiserlichen Wunsch zum raschestmöglichen Abschluss des Krieges. 53 Mitte August 1906 beauftragte er zunächst die protestantischen Pastoren Wandres, Nyhof und Meisenholl mit der Überbringung eines Verhandlungsangebots an Abraham Morris 54, der mit über 600 seiner Leute nach Südafrika geflohen war, wo sie ebenfalls von der Mission in Matjieskloof versorgt (und zum Katholizismus bekehrt) wurden. 55 Bezüglich Kapitein Christian kam Malinowski ins Spiel, ob geplant (wie Zirkel annimmt), oder zufällig, bleibt offen: „Ende August 1906 veranlaßte mich ein mißverstandenes Telegramm zur sofortigen Abreise nach Warmbad.“ 56 Während die Unterhändler um Wandres relativ leicht Kontakt zu Morris fanden und sich dieser am 19. September schriftlich zum Kriegsverzicht bereiterklärte, 57 suchten Malinowski und seine Boten die Region um Lifdod, wo sich Christian an50 Vgl. hier und im Folgenden Drechsler, Horst: Südwestafrika…, a.a.O., S. 193–197; Bridgman, Jon M.: The revolt of…, a.a.O., S. 155–163; Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand..., a.a.O., S. 296–310. 51 Was die Chancen auf eine Unterwerfung der Aufständischen steigen ließ, wie Malinowski an Hauptmann Salzer schrieb: „Mit Freuden habe ich ihre Nachricht begrüßt. Es tut einem wohl, nach soviel traurigen Nachrichten endlich eine solch gute zu erhalten. Nur jetzt mit Güte vorgehen!“ (P. J. G., Friedenswerk [4]…, a.a.O., S. 117). 52 Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 203. 53 Drechsler, Horst: Südwestafrika…, a.a.O., S. 193. Abgesehen von den Äußerungen Pater Malinowskis stütze ich mich im Folgenden auf v. Estorff: Bericht über die Verhandlungen mit den Bondels 1906/07. Schlussbemerkung über den Aufstand (NAN, ZBU 2367 VIII.E, fol. 81–89). 54 Zirkel, Kirsten: Vom Militaristen zum Pazifisten. General Berthold von Deimling – eine politische Biographie, Essen 2008, S. 64–65; Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand..., a.a.O., S. 297–299. 55 Simon, John M.: Bishop for the Hottentots…, a.a.O., S. 201. 56 Bericht des hochw. P. Malinowski ... über sein Wirken für den Friedensschluß in DeutschSüdwestafrika an seinen Provinzial in Wien, Wien 1907, S. 1. Auf diese Darstellung stützen sich im Wesentlichen Wehrl, Franz: Mission am Oranje…, a.a.O., S. 222–232 sowie Beris, A. P. J.: Making the desert bloom…, a.a.O., S. 39–49. Angeblich hatte Malinowski schon früher vorgeschlagen, mit Johannes Christian zu verhandeln (P. J. G.: Friedenswerk [4]…, a.a.O., S. 118). 57 Zirkel, Kirsten: Vom Militaristen…, a.a.O., S. 65.
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geblich aufhalten sollte, mehrere Wochen lang erfolglos ab. Am 19. Oktober meldeten sich jedoch drei Abgesandte desselben in Heirachabies. Das erste Gespräch zwischen Malinowski und Christian ergab sich am 22. Oktober in Springpütz und war von erheblichem Misstrauen überschattet – kein Wunder, wäre es doch beinahe wieder zum Angriff einer deutschen Einheit gekommen, die über die Verhandlungen angeblich nicht informiert war. 58 Der Kapitein „tischte mir eine Menge Befürchtungen auf, als wäre ich im Komplott mit Verrätern“ 59. Malinowski behalf sich mit persönlichen „Garantien“ für die Sicherheit der Verhandler. Ein besonderes Interesse des Missionars lag offenbar darin, allfällige Verhandlungen mit dem deutschen Militär in Heirachabies abzuhalten – was auch im Licht der Konkurrenz zu den protestantischen Vermittlern zu sehen ist. Malinowski selbst sprach von einer Hoffnung, seine sesshaft gewordenen Katholiken würden entsprechenden Einfluss auf ihre „Stammesgenossen“ ausüben können. 60 Für die Sicherheit der Aufständischen bedeutete das ein erhebliches Risiko, entsprechende Vorkehrungen wurden daher getroffen: v. Deimling ordnete die Einstellung aller Kampfhandlungen an, Christian umstellte Heirachabies großräumig mit Bewaffneten. 61 Zwei deutsche Soldaten und eine Schwester mussten ihm zeitweise als Geiseln gestellt werden. 62 Die Verhandlungen fanden schließlich abwechselnd in Heirachabies und Ukamas statt und wurden auf deutscher Seite von Oberstleutnant v. Estorff und für die !Gami-#nun von Kapitein Christian mit ihren jeweiligen Beratern geführt; der Missionar übersetzte ins Holländische, Unterkapitein Abraham Kaffer ins Nama. Einen ersten Stolperstein bildete die Bedingung des Kapiteins, auch seinen Bruder Josef zu beteiligen, der sich mit seiner Truppe in den Bergen befand. Nach fünfwöchiger Suchaktion, während der die Verhandlungen ruhten, kam der Missionar unverrichteter Dinge zurück. 63 Die Verhandlungen wurden schließlich doch fortgesetzt. Malinowski als „chief negotiator for the German army“ 64 zu bezeichnen, ist zweifellos zu weit gegriffen. Als „intermediary“ 65 jedoch spielte er eine wichtige 58 Bericht des hochw. P. Malinowski…, a.a.O., S. 3–4. 59 Ebenda, S. 5. Genau dasselbe berichtete übrigens Wandres in Bezug auf Morris (Zirkel, Kirsten: Vom Militaristen…, a.a.O., S. 65). 60 So wurde die Brautwerbung des Kommandanten Josef Skyer um ein in Heirachabies erzogenes Mädchen von der Mission nur unter der Bedingung einer Zustimmung zum Friedensvertrag erlaubt (Bericht des hochw. P. Malinowski…, a.a.O., S. 6). 61 Zirkel, Kirsten: Vom Militaristen…, a.a.O., S. 65; Wehrl, Franz: Mission am Oranje…, a.a.O., S. 224. Von einer „Einstellung der Truppenbewegungen“ spricht auch v. Estorff; aus einem Telegramm v. Deimlings vom 15.12.1906 geht jedoch hervor, dass bei einem Scheitern der Verhandlungen ein „rücksichtsloser Angriff“ auf die Bondelswart-Delegierten geplant war (v. Estorff: Schlussbemerkung…, a.a.O., fol. 82 sowie 87–88). 62 P. J. G., Friedenswerk [5], in: Das Licht, Nr. 9–10, Wien 1936, S. 144. 63 v. Estorff: Schlussbemerkung…, a.a.O., fol. 82–83. Bericht des hochw. P. Malinowski…, a.a.O., S. 10 reklamiert einen später eingetroffenen Brief Josef Christians, der dem Friedensschluß zustimmte, als Erfolg für sich; v. Estorff erwähnt diesen Brief nicht. 64 Beris, A. P. J.: Making the desert bloom…, a.a.O., S. 42. 65 Masson, John: Jakob Marengo…, a.a.O., S. 35.
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Rolle. Während er in den deutschen Verwaltungs- bzw. Militärakten kaum erwähnt wird, hebt sein eigener, für die Öffentlichkeit bestimmter Bericht neben der geschilderten „Pendeldiplomatie“ v. a. sein Einwirken auf die Willensbildung der Bondelswart hervor. Intensiv versuchte er, ihre Führer von der „Ehrlichkeit“ der deutschen Forderungen zu überzeugen, und umrahmte entscheidende Phasen der Verhandlungen mit religiösen Zeremonien. Als sich unter den Bondelswart Widerstand gegen die Verhandlungsbereitschaft des Kapiteins abzeichnete, brachte er wieder persönliche Garantien ins Spiel und legte in der Kapelle (!) ein Gelöbnis ab, „ihre Interessen stets zu vertreten und mich stets als ihren Vater zu betrachten“ – was er (wie er wohl wusste) keinesfalls einhalten konnte. 66 Ob er andererseits auch die deutschen Verhandler zu beeinflussen suchte, bleibt in den Quellen weitgehend offen. Sein oben erwähnter Appell zur „Güte“ und sein zweimaliger Protest gegen die Vorgangsweise des Gouvernements in Sachen Marengo 1907 (s. u.) lassen dies jedoch möglich erscheinen. Am 23. Dezember 1906 wurde in Ukamas der sog. Weihnachtsfrieden unterzeichnet. 67 Dieser sah zum ersten die vollständige Entwaffnung der Aufständischen vor; für Zwecke der Jagd sollten ihnen fallweise Gewehre zur Verfügung gestellt werden. Der zweite Hauptpunkt betraf die sog. Ansiedlungsfrage: Der Gouverneur hatte Gefangenschaft und Umsiedlung der !Gami-#nun gefordert. Diesen gelang es in Ukamas jedoch, ihre Deportation in einen anderen Teil der Kolonie zu verhindern. Vielmehr sollte ihnen ein Teil ihres bisherigen Siedlungsgebiets (mit drei Wasserstellen) als Reservat verbleiben. 68 Um ihr dortiges Überleben zu sichern, wurden ihnen 1.500 Ziegen und Schafe leihweise überlassen, nur der Kapitein erhielt 300 Schafe als Geschenk; solange die Bondelswart sich nicht selbst ernähren konnten, sollten sie von der deutschen Regierung verpflegt werden. Weiters sollte das System von Ukamas auch für jene Rebellen gelten, die beim Vertragsabschluss nicht anwesend waren oder noch nicht zugestimmt hatten, „z. B.“ für die Leute von Morris, Josef Christian und Joseph Links. Der Vertrag enthält keinen Bezug auf die Zwangsarbeit, die kurze Zeit später in den Reservaten eingeführt wurde, obwohl sie in den Verhandlungen zweifellos ein Thema war. 69 66 Bericht des hochw. P. Malinowski…, a.a.O., S. 12. Abgesehen davon, daß er keinen wirklichen Einfluß auf die deutsche Kolonialpolitik hatte, dachte er aus gesundheitlichen Gründen schon seit längerem an einen Aufenthalt in Europa. Als ihn die Oblaten 1907 tatsächlich zurückberiefen, erregte dies unter den Bondelswart große Bestürzung (Brief Schwester Paula Hafners vom 1. 11. 1907, in: Das Licht, Nr. 3, Wien 1908, S. 245–246; Beris, A. P. J.: Making the desert bloom…, a.a.O., S. 64–65.) 67 Zusammenfassung bei Bühler, Andreas Heinrich: Der Namaaufstand..., a.a.O., S. 301–304. Eine Abschrift des Originals in NAN, ZBU 2367 VIII.E, fol. 33–34. 68 Diese Reservate wurden ab 1907 in Warmbad, Haib, Gabis, Draihoek und Wortel eingerichtet, umfassten aber nur knapp 175.000 Hektar. Vgl. Werner, Wolfgang: A brief history of land dispossession in Namibia, in: Journal of Southern African Studies, Nr. 1, Abingdon 1993, S. 135–146, hier: 138–140. 69 Vermutlich bezog sich die kryptische Bemerkung der deutschen Verhandler während der Diskussion über die Jagd, „daß die Existenzfrage überhaupt anders gelöst werde“, auf die Arbeitsverpflichtung (Bericht des hochw. P. Malinowski…, a.a.O., S. 13).
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Die folgenden Wochen verbrachten Malinowski und ein deutsches Verhandlungsteam bei den diversen exilierten Bondelswart-Gruppen jenseits der südafrikanischen Grenze, um diese zur Annahme des Vertrags und zur Rückkehr ins deutsche Herrschaftsgebiet zu motivieren. „The terms of Peace were read out in Dutch by Father Malinowski“, heißt es z. B. über die Begegnung mit Josef Christian. 70 Ausgeschlossen aus dem Vertrag von Ukamas wurde von den deutschen Stellen jedoch Jakob Marengo, der sich im Mai 1906 den britischen Behörden gestellt hatte. 71 Hoffnungen des Gouvernements in Windhoek, ihm einen Strafprozess machen zu können, wurden durch Marengos Freilassung im Juni 1907 hinfällig, ebenso die alternativen Vorschläge des Oberstleutnants v. Estorff, ihn durch Verzicht auf gerichtliche Verfolgung zu bewegen, sich freiwillig den Deutschen zu stellen. 72 Interessant ist dabei, dass allfällige Kontakte zu Marengo durch Offiziere oder den deutschen Generalkonsul in Kapstadt hergestellt werden sollten, nicht aber über „allerhand Friedensvermittler (Missionare u.s.w.)“. 73 Das Verschwinden Marengos aus Upington ließ jedoch Vorbereitungen zu einem neuerlichen Aufstand befürchten, weshalb der mit der lokalen Aufklärung betraute Hauptmann v. Hagen den Einsatz Malinowskis empfahl: „Morenga soll selbst geäussert haben, dass dies der einzige wäre, mit welchem er vielleicht wegen des Friedens sprechen würde.“ 74 Bemerkenswerterweise aber war Malinowski, der sich seiner Schlüsselrolle bewusst war, diesmal nicht bedingungslos dazu bereit: Der stellvertr. Gouverneur [Hintrager] nahm dies Anerbieten [des ‚Schutztruppen‘kommandos] nur unter der Bedingung an, dass Morenga sich auf Gnade oder Ungnade ergäbe. Diesen Auftrag lehnte Malinowski als gänzlich aussichtslos ab. Am 21. [August 1907] traf durch das Kommando eine Anfrage des stellvertr. Gouverneurs ein, ob Malinowski bereit sein würde, mit Morenga zu verhandeln, falls diesem das Leben zugesichert würde. Auch diese Grundlage schien Malinowski jedoch für Verhandlung nicht genügend. 75
Erst als Gouverneur v. Lindequist Anfang September Marengo freies Geleit gewährte und ihm „Straflosigkeit und Ansiedlung im Land“ zusicherte, nahm Malinowski den Auftrag an. Marengo hatte jedoch sein Versteck in der Gamsib-Kluft bei Ariams bereits verlassen. 76 Nach Einschätzung von Marion Wallace und anderen verdeutlicht der Vertrag von Ukamas, „wie effektiv der Guerillakampf der Bondelswart gewesen war. Zwar hatten sie keinen einzigen unmittelbaren Sieg davontragen können, aber 70 Bericht Dudley B. Fenns an den deutschen Generalkonsul in Kapstadt, 25.1.1907 (ZBU 2367 VIII.E, fol. 57–59; insgesamt siehe v. Estorff: Schlussbemerkung…, a.a.O., fol. 84–85). 71 Masson, John: Jakob Marengo…, a.a.O., S. 40–41. 72 Kommando der Kaiserl. Schutztruppe an Gouvernement, 20.4.1907 (NAN, GEH-VIII-F_1, fol. 63a). 73 Generalkonsul v. Humboldt an Gouvernement, 13.6.1907 (NAN, GEH-VIII-F_1, fol. 76a). 74 v. Hagen: Bericht über Morenga, 30.7.1907 (NAN, GEH-VIII-F_1, fol. 97). 75 Kommando des Südbezirks (Baerecke): Bericht über die Expedition gegen Morenga, 28.10.1907 (NAN, GEH-VIII-F_2, fol. 87). Der Vorgang ist in den Akten ausführlich dokumentiert, ich zitiere hier der Kürze halber eine Zusammenfassung aus späterer Sicht. 76 Ebenda, fol, 90. Zu den letzten Lebenstagen Marengos siehe Masson, John: Jakob Marengo…, a.a.O., S. 44–48.
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wenigstens eine militärische Pattsituation erreicht.“ 77 Dennoch waren die Ergebnisse ambivalent. Auf der einen Seite wurden die !Gami-#nun nicht deportiert und entgingen – wie wenige andere traditionelle Gemeinschaften – der großflächigen Landenteignung, die die Kolonialmacht mittels der sog. Eingeborenenverordnungen von 1906/07 in Süd- und Zentralnamibia durchzog. 78 Auf der anderen Seite aber war ihnen das Verlassen des Reservat nur mit Erlaubnis (Pass) gestattet und somit dessen Entwicklung angesichts unzureichender agrar- und viehwirtschaftlicher Ressourcen zu einem Reservoir billiger Arbeitskraft vorgezeichnet. Als der junge Wiener Missionar Franz Xaver Lipp die „Werft“ der umgesiedelten Bondelswart in Warmbad besuchte, begegnete er dem Elend dieses armen Volkes. ... Man sagt immer, die Hottentotten sollten arbeiten, wie viele sind aber zur Arbeit unfähig und die Jagd ist ihnen verboten! Ziegen haben sie in geringer Anzahl, wovon sollen sie also leben? 79
Für die katholische Mission im Süden Namibias – nicht aber für Malinowski, wie wir wissen – war die Bilanz positiv. 80 Auf Ersuchen der kolonialen Verwaltung errichtete sie Stationen in der Nähe der Reservate. Die Kaufverträge über Heirachabies und Nabas wurden von Windhoek problemlos genehmigt. 81 Weitere Außenstellen entstanden in den folgenden Jahren u. a. in Lüderitz und Keetmanshoop. Mit September 1912 war die Zahl der Katholiken auf 1.510 Europäer/innen und 1.566 Einheimische gestiegen, nach internen Berechnungen ca. 25 % bzw. 15 % der jeweiligen Bevölkerung im „Groß Namaland“. 82 1907, wenngleich mit Einschränkungen, erfolgte auch die Anerkennung der Sales-Oblaten im Deutschen Reich.
77 Wallace, Marion: Geschichte Namibias…, a.a.O., S. 266–267. 78 Zimmerer, Jürgen: Deutsche Herrschaft über Afrikaner. Staatlicher Machtanspruch und Wirklichkeit im kolonialen Namibia, Münster 2004, S. 57–68. 79 Brief vom 27.11.1907, in: Das Licht, Nr. 26, Wien 1908, S. 209 und 212. 80 Wehrl, Franz: Mission am Oranje…, a.a.O., S. 272–360. 81 NAN, ZBU 1910 U.V.h.2, fol. 21–22. 82 Das Licht, Nr. 86, Wien 1913, S. 22.
TWO DIVERGENT BIOGRAPHIES IN 19TH CENTURY ETHIOPIA An Orthodox priest supporting the Protestant mission and a convert turning against them Wolbert G. C. Smidt Zusammenfassung: Der alte christliche Staat Äthiopien war ein wichtiges Ziel von Missionsarbeit im 19. Jahrhundert. Protestantische Missionen begründeten dies mit der Beobachtung, dass sich die sehr ritualbezogene äthiopische orthodoxe Kirche in ihrer Lehre weit von der Lehre der Bibel entfernt habe. Die Archive, die im Zuge der 1855/56 in Äthiopien eröffneten Handwerkermission der Basler St. Chrischona-Pilgermission entstanden, enthalten reichhaltige Korrespondenzen aus Äthiopien und Protokolle, aus denen sich Biografien afrikanischer Partner rekonstruieren lassen. Zwei solcher Lebensläufe werden hier exemplarisch gegenübergestellt. Beide Persönlichkeiten waren in den 1860er und 1870er Jahren in Äthiopien und den nördlichen Grenzregionen der Rotmeer-Provinz (heute Eritrea) tätig und gehören damit in die Geschichte Äthiopiens ebenso wie in eine Vorphase der Formierung Eritreas. Der erste hier vorgestellte lokale Partner der Mission war ein orthodoxer Priester im traditionellen politischen Zentrum der Provinz Hamasen, Tsecazzega, der aufgrund der von der Mission gelieferten und ins Amharische übersetzten Bibeln eine Bibelleser-Bewegung gründete, die allerdings bald verfolgt wurde. Die andere Persönlichkeit war ursprünglich Muslim, Sohn eines äthiopischen Gesandten und in jungen Jahren von protestantischen Missionaren getauft. Er bekam die Gelegenheit, weit zu reisen, und wurde später ein wichtiger Vertrauensmann des äthiopischen Kaisers Tewodros II., verantwortlich für die geheime Überwachung der Europäer. Beide Lebensläufe stehen für das Spannungsfeld, in dem sich die Mission bewegte: auf der einen Seite aktive lokale Unterstützung für die Reformideen der Mission und auf der anderen Seite eine entschiedene Ablehnung dieser Mission durch einflussreiche politische Kräfte. Verkörpert wurden beide Strömungen in diesem Fall von Missionszöglingen. Ethiopia, even if one the most ancient Christian states of the world, became an object of missionary endeavors starting from the 1820s. 1 Protestant missionary circles believed that the Ethiopian Orthodox Church’s doctrines were too far away from the true teaching of the Bible, which observation strongly animated their rhetorics 1
I thank the CICOPS fellowship programme at Pavia University for providing me space and time which made the writing of this article possible.
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throughout the 19th and 20th centuries. One of the very first important Protestant missionary projects was the idea to cause an internal reform movement, based on Bible reading, which should be initiated by missionaries and caused by the distribution of Bibles in local languages. It has to be noted that the Bible, until then, was only available in the form of parchment manuscripts kept in churches and monasteries, written in Geez, the ancient Church languages, and only accessible to highly learnt priests. There were virtually no translations of the Bible into languages the wider population could understand. Additionally, one hoped that a success of that mission could subsequently allow the missionaries to continue their work further south among the non-Christian Oromo, who were in their great majority living in small states or as autonomous ethnic groups south of the Ethiopian state (nowadays, after the late 19th-century expansion, found almost entirely within Ethiopia), and some of them within the Ethiopian state, these groups located in Shewa and Wollo mainly. Starting from 1855 the St. Chrischona Pilgrim Mission 2 of Basle, Switzerland, sent missionaries to the kingdom of ats’e Tewodros II of Ethiopia, with support by British funders, to establish a lay mission of craftsmen - until the Ethiopian ruler subsequently had them arrested in the 1860s and the Mission broke down. 3 New links, however, were soon established after Tewodros’ fall in 1868, so that missionaries were again active in the region, including in the hinterlands of the Red Sea coast, starting in Tigray in northern Ethiopia and in the southern Ethiopian kingdom of Shewa 4.
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In German: “St. Chrischona-Pilgermission”; it is situated on the St. Chrischona hill near Basle. Cf. for its early history Schlienz, [Christoph Friedrich]: Pilgrim missionary institution of St. Chrischona, near Basle, in Switzerland, [Basel] 1850 and Rappard, [Carl Heinrich]: Fünfzig Jahre der Pilgermission auf St. Chrischona. [Basel] 1890; for the mission in Ethiopia Strebel, Barbara: “... den blinden Abessyniern die Augen aufzuthun”. Chrischona-Pilgermissionare in Äthiopien (1856–1868). Geschichte eines gescheiterten Missionsprojektes, Universität Zürich (ms., Lizentiatsarbeit), Zürich 1999; Smidt, Wolbert: St. Chrischona-Pilgermission, in: Uhlig, Siegbert (ed.): Encyclopaedia Aethiopica, vol. 4 (O–X), Wiesbaden 2010, pp. 730–732. Gräber, Gerd: Die befreiten Geiseln Kaiser Tewodros’ II. Aus dem Photoalbum der Royal Engineers, in: Aethiopica, no. 2, Wiesbaden 1999, pp. 159–182. See on this chapter of early missionary activities at the northern borders of Ethiopia Smidt, Wolbert: The St. Chrischona Pilgrim-Mission’s Private Archives as a Source for Eritrean History: From a Romantic Quest for ‘Ormania’ to the Establishment at the Erythraean Coast, in: Eritrean Studies Journal 2, no. 1/2, Asmara 2003, pp. 39–58. (this was an area called by geographers of that time “Erythraea” – and similar – in reference to the Red Sea, which later would become the Italian Colonia Eritrea), and for the attempts to establish an Oromo mission s. Smidt, Wolbert: Quellenübersicht zur Biographie des ehemaligen Sklaven und ersten Oromo-Bibelübersetzers Christian Rufo, in: Afrikanistische Arbeitspapiere, Nr. 67, Köln 2001, pp. 181–197; idem: The Role of the Former Oromo Slave Pauline Fathme in the Foundation of the Protestant Oromo Mission, in: Böll, Verena/d’Alòs-Moner, Andreu Martínez/Kaplan, Steven/Sokolinskaia, Evgenia (eds.): Ethiopia and the Missions. Historical and Anthropological Insights into the Missionary Activities in Ethiopia, Münster 2005, pp. 77–98.
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Especially the mission among the so-called “Ethiopian Jews” 5 was important for the Protestant missionaries. During the 1860s, quite a number of locals had attached themselves to the missionary’s ideas, and a few of them, most of them young students of the few missionary school in Ethiopia, had even continued a missionary education in St. Chrischona near Basle, starting from around 1869. Later some of them became important figures in the Ethiopian Church and politics, sent as indigenous missionaries (virtually “black brethren” 6, or rather “brown brethren” as their fellow missionaries liked to call them) back to Ethiopia to propagate the Gospel among local Christians and the “Ethiopian Jews”. Until now not much had been done to reconstruct their biographies. 1. SOURCES ON 19TH CENTURY HABESHA 7 BIOGRAPHIES IN MISSIONARY ARCHIVES It is difficult to find documents on them, especially in Ethiopia, after so many wars. The founder of the Pilgrim Mission, however, Spittler 8, established a rich and huge collection of partly private letters of missionaries, which they had sent from Ethiopia or other parts of the world to the Mission or to their families starting from 1856. This collection is today part of the Private Archives of Spittler, which are kept by the State Archive of the Canton Basle. These archives are partly arranged by subjects, partly by persons. In this paper I shall present the results of my research in these documents, which allow to get insights into two quite divergent biographies: One being a close supporter of the Mission, even if once he had been its enemy, an Amhara Christian Orthodox priest, working in Ḥamasen (today’s Eritrea). The other one was a former Muslim from areas, which are located 5
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An Agaw group who in opposition to the Christian rulers of Ethiopia had developed a highly original judaizing religion, rejecting Jesus as the Messias, and strongly relying on typically Ethiopian traditions mixed with ancient Jewish practices. Quirin, James: The Evolution of the Ethiopian Jews. A History of the Beta Israel (Falasha) to 1920, Philadelphia 1992; Kaplan, Steven: The Beta Israel (Falasha) in Ethiopia from Earliest Times to the Twentieth Century, New York 1992. Cf. Smidt, Wolbert: “Schwarze Missionare” im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Bechhaus-Gerst, Marianne/Klein-Arendt, Reinhard (eds.): AfrikanerInnen in Deutschland und schwarze Deutsche – Geschichte und Gegenwart, Münster 2004, pp. 41–56; idem: “Schwarze Missionare” in Äthiopien im Dienst der Errichtung einer Welt-Christokratie, in: van der Heyden, Ulrich/Stoecker, Holger (eds.): Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945, Stuttgart 2005, pp. 485–505. The term Habasha (i.e. “Abyssinian” in European languages) is a self-desgnation of Christian highlanders, speaking Tigrinnya or Amharic. These were the core of the Christian state, which called itself Ethiopia. This explains why the originally ethnic-geographic term Abyssinia is often confused with the state, which was in fact always called Ethiopia (since the medieval period). He is also the founder of the Basle Mission, which, however, never was active in the Horn of Africa, which was completely left to the Pilgrim Missionaries (cf. his biography, Kober, Johannes: Christian Friedrich Spittler’s Leben, Basel 1887).
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also in Eritrea today, originally a close friend of the mission, but later a rather ambiguous figure in the problematic contact between Europeans and the Ethiopian leadership – and a key-figure in the breakdown of the Mission in Ethiopia. 2. THE TWO BIOGRAPHIES: TRAVELS TO SWITZERLAND/ TRAVELS TO BRITISH-INDIA a) Wolde Sellase Kenfu from Semen – a reformer in Ḥamasen One of the St. Chrischona “brown brethren” became very active in Ḥamasen itself: Wolde Sellase Kenfu from Semen, born in 1841. 9 He may serve as an example for the early intended and unitended effects of the Mission. The main aim of Protestant mission was the creation of evangelical movements, as they were aiming at the re-reading and re-discovery of the biblical doctrines and commandments, often deemed to be too readily ignored by the actual doctrines of the Churches – and one can observe, that surprisingly this missionary project was realized in the very person of Wolde Sellase. Later missionary literature (such as Flad, cited below) liked, however, to underline that the movement led by Wolde Sellase started by itself, without missionary involvement. We will see, that even if there was indeed no direct involvement, the indirect involvement was considerable – and soon thereafter became direct. Wolde Sellase’s work then depended on the steady flow of money from Massawa and had started with a secret delivery of Amharic Bibles in Ḥamasen. Wolde Sellase Kenfu, in German sources also called “Selassie Könfu” 10, led a most dynamic life, visiting numerous countries during his contacts with the Mission. Originally he was a young priest at the court of Tewodros II in 1860-61, carrying the tabot on the emperor’s military campaigns, after having received traditional Church education in the monastery of Woldebba until the age of 14 and then in Gonder. In 1861, however, he disagreed with the ats’e and fled to the northern borderlands. He had decided to do a pilgrimage to Jerusalem, but when run out of funds on his way, he instead stranded on the way and entered into the services of the governor of Ḥamasen, dejjazmach Haylu Tewelde-Medhin. During the last years of Tewodros’s reign, two boxes with Amharic Bibles arrived unexpectly by mules in Ḥamasen, brought by local workers paid by missionaries. They were deposited precisely at the training centre for teachers and priests in Tsecazzega, which was led by Wolde Sellase. These boxes had in fact been discovered shortly before by Flad in a store in Massawa - by chance (remnants from an earlier missionary attempt of St. Chrischona and now stored in the consulate of Great Britain), when he came back from his diplomatic journey to Great Britain in 9
See his short biography Smidt, Wolbert: Wäldä Səllase Kənfu, in: Uhlig, Siegbert (ed.): Encyclopaedia Aethiopica, vol. 4 (O–X), Wiesbaden 2010, p. 1110. 10 Debrunner, Hans Werner: Presence and Prestige. Africans in Europe. A History of Africans in Europe before 1918, Basel 1979, pp. 318–319.
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1867 shortly before the outbreak of the Indo-British war against Tewodros. Originally these boxes were destined to go farther inland, but the donkey driver deposited them simply there. 11 Flad himself describes this event in the following way (rough translation) : 12
During my stay in Massawa I had, almost daily, the opportunity to read the word of God and to preach Jesus Christ the Crucified. As I lived in the English Consulate, once I searched the magazine and found a greater number of Amharic Bibles and New Testaments. These had been given to the Consulate by brother Worke, when he came back from Bombay, where he had been educated. As it seems, later there had been no funds to send them to Abyssinia. With the consent of the consular agent Werner Munzinger I freed the books from their captivity, cleaned them and distributed them under the Abyssinians. Four loads were sent by donkey through my servant to the governor Hailu in Hamazin, whom I asked in a letter to distribute them among his subjects, which he did, as long as my servant was with him. He expressed his gratitude to me by letter. Wolda Selassie, a Christian, who later received education at St. Chrischona in Basle, and a number of other Abyssinians from Hamazin were [...] converted by reading these Bibles. Two of them are still today (1886) serving the Swedish mission in M’Kullu.
Students started to read these Bibles in the vernacular language in secret, against the strict interdiction of their chief priest Wolde Sellase, who feared foreign influence and distortion. He himself, however, also started soon to read the Bible during a long lasting illness. This made him change his attitude radically. Vivid religious discussions resulted from this, which was the starting point for religious reform in Ḥamasen. In 1869 he contacted the missionary Maier in Massawa, who helped him now to realize his original plan to carry out his pilgrimage to Jerusalem in 1871. He stayed there at the Ethiopian monastery and at the Anglican Bishop Gobat’s school for one year. This was decisive for his de-factoconversion, and he was invited to come to Switzerland. On May 8, 1872 he arrived in Basel, where he visited the seminary of St. Chrischona: He was now to become a “black missionary” together with a number of Falasha converts, who had arrived there in 1870. 13 However, when one of them died of a lung disease in 1873 14 the Mission decided to stop this experiment and to send all of them back. In Kornthal, a centre of Pietism in Germany, Wolde Sellase helped Krapf in the revision of the Amharic Bible starting from February 1873. But following news on persecutions of the “Bible readers” of Ḥamasen, he returned to Ḥamasen in spring 1874, officially being sent on the account of St. Chrischona as an Evan-
11 Ibidem, p. 318. 12 Flad, Johann Martin: 60 Jahre in der Mission unter den Falaschas in Abessinien, Giessen/ Basel 1922, p. 197. 13 Pankhurst, Richard: The Foundation of Education, Printing, Newspapers, Book Production, Libraries and Literacy in Ethiopia, in: Ethiopia Observer, no. 3, Addis Abeba 1962 p. 250; Smidt, Wolbert: “Schwarze Missionare” im Deutschland…, op. cit.; idem: “Schwarze Missionare” in Äthiopien…, op. cit. 14 Smidt, Wolbert: Eine hebräische Eintragung im Riehener Kirchenbuch: Der Tod des Äthiopiers Hailu Wossen im Jahr 1872, in: Regio-Familienforscher. Zeitschrift der GenealogischHeraldischen Gesellschaft der Regio Basel, no. 2, Basel 2003, pp. 84–90.
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gelist 15. His demand for a Church reform and his wish for an increase of the knowledge of the Bible caused religious unrest, then conflict with the political leadership. Several reports written by him describing in detail the highly difficult situation in Ḥamasen are documented in the Mittheilungen from 1874 to December 1876. Together with devoted followers, now refugees, he stayed in cAylet and Massawa and continued to preach there. He soon came back, however, to Ḥamasen, now assembling an increasing number of followers around him in the political center of the province, Tsecazzega. His life being endangered there, he moved again away and now founded a Bible reading circle at the Egyptian-Abyssinian border, in the border town of Gindac (in today’s Eritrea, located on the road to Massawa). This period was marked by great turmoils in Ethiopia’s international relations and a new aggressive Egyptian policy of expansion. Egypt repeatedly invaded the region in 1875 and 1876, lost the battles, but continued to fund competing provincial leaders, trying to get hold of these borderlands. In 1876, Wolde Sellase did not manage to escape from the bloody battle of Wakki-Debba, a turning point in the regional history. This was a battle between the Egyptian-appointed governor of Ḥamasen, ras Woldenkiel (Wolde Mika’el) of the princely line of Hazzega, and his rival, the Ethiopian-appointed dejjazmach Haylu of the princely line of Tsecazzega – from two competing lineages of one and the same dynasty – and their pro-Egyptian and pro-Ethiopian parties. Woldenkiel destroyed Tsecazzega completely. The priest and religious rebel Wolde Sellase was found among the dead. Hayle-Ab, a Protestant priest, he in turn closely related to the newly arrived Swedish Protestant mission, took refuge together with the Swedish missionary Lager in the church of Tsecazzega. They expected that the traditional right of Church asylum would be respected. A “mercenary soldier” (as the description of the events underlines) who originated from another region, however, felt no obligations towards the pious founders of this church, arrived - and a strange dialogue followed, which illustrates well the basic ideas of Protestantism. This dialogue culminated in the murder of Hayle-Ab and Lager. 16 The soldier remarked, that they could not take refuge in the church, as they didn’t believe in the power of the church’s saint (a Protestant doctrine developed in contrast to the Orthodox and Catholics). Hayle-Ab answered with the words, that - yes, the saint would not be able to protect him from a break of church asylum. But he, the soldier, should respect the law of his land – this was implied by Lager’s answer. These were, reportedly, his last words, before the (Orthodox) soldier killed him together with Lager. Flad notes sadly about Wolde Sellase and Hayle-Ab: Two able workers for Abyssinia are now lost for the Abyssinian mission, and one stands before the Lord and asks: Oh Lord, Why? An obscure providence, at least for me. I believed that Wolda Sellassie was save from the persecutions of the king and his priests. Now he is the 15 Cp. Mittheilungen aus der Correspondenz der Pilgermission, zunächst für deren auswärtige Brüder bestimmt, [Basel] April 1874. 16 C. Arén, Gustav: Evangelical Pioneers in Ethiopia, Origins of the Evangelical Church Mekane Yesus. Stockholm, Addis Abeba 1978, pp. 199–201.
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first to give his life for the Gospel. The extrication of brother Lager from an Abyssinian sanctuary, where [even] murderers are safe, show clearly a diabolic enmity against the Gospel. 17
Repeatedly the missionary correspondences mention Wolde Sellase as a great hope for the mission. Now the Ethio-Egyptian war of 1875-76 turned bad (from the Egyptian and missionary’s point of view). It was foreseen, that the Mission might fail definitely if ras Alula, Yohannes’s general (now Ḥamasen’s new governor, the first of non-Ḥamasen origin since long), might even occupy Keren and later Massawa. The letters of that time predict fearfully that the Swedish missionaries could only save their lives by fleeing over the sea 18. But, as history tells us, Alula didn’t occupy the Egyptian province. Even if weakened, Massawa remained outside his jurisdiction and in 1885 served as a base for a renewal of the province – this time under the Italians und soon receiving a new name – “Colonia Eritrea”. Eritrea continously served as a basis for supplying funds to the missionary work in “Abyssinia”, i. e. Ethiopia, but also became a field for missionary work itself – especially with a consideranle impact on Ḥamasen, where several villages such as Tsecazzega became largely Protestant. When the Italians took over the area, they somehow fulfilled the hopes of the missionaries, which were first connected with the idea of Egyptian colonisation: Western civilisation was hoped, according to many missionaries, to make their work easier. This is illustrated well by the enthusiasm, with which Flad 19 describes his last visit to Massawa and Monkullu in 1894, which were Italian then: “How much had Massawa changed positively, since it had become Italian! Good, clean streets, magnificent shops, well ordered, peaceful conditions.” b) Samuel Ali from Saho – an interpreter at the court of Tewodros Another personality, whose name appears in different letters and reports written by ats’e Tewodros II’ captives, was active only a few years before Wolde Sellase: Samuel Giyorgis (formerly Abdallah cAli) from the Saho region, who had been baptized by the missionary Isenberg, then receiving his Christian name after Samuel Gobat. Judging from the missionaries’ feelings towards him, he, in their view, was an instrument of “the evil”. Different from the above mentioned “black brothers” he didn’t accept to become part of the great missionary project. What we know of his biography, is very incomplete, 20 but due to its contrast to the “norm” it sheds a most worthwhile light on the mission and its ambiguous 17 Staatsarchiv Basel, PA 653, Q1, 1.) Flad; letter of October 4, 1876. 18 “Sollten die Abessinier Keren (Bogos + Mensa) zurück erobert haben, wäre für das Leben der drei schwedischen Missionare in Mensa alles zu befürchten, u. sollten sie gar nach Massua kommen, könnte sich Br. Lundahl nur durch Flucht auf das Meer retten.” Staatsarchiv Basel, PA 653, Q1, 1. Flad; letter of October 4, 1876. 19 Flad, Johann Martin: 60 Jahre in der Mission…, op. cit., p. 417. 20 See his fragmentary biography Smidt, Wolbert: Samu’el Giyorgis, in: Uhlig, Siegbert (ed.): Encyclopaedia Aethiopica, vol. 4 (O–X), Wiesbaden 2010, pp. 511–512.
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relationship to the region. He was a Saho by birth, thus from the Eritrean region. Until today we don’t know much about his youth and family background, except that he was a Muslim, called Abdallah, son of cAli, born approximately in the 1820s. It was a special triumph for the missionaries that they had been able to convert a Muslim to Christianism, especially from the traditionally Muslim Saho areas nearby the Red Sea coastal lands. This might have fit well to the dream of creating a safer border to Abyssinia. After he had been christened “Samuel”, he used his new opportunities and travelled widely. As a youngster he was brought to Egypt by Isenberg in March 1838 and received some education there. He then travelled in Syria and India 21. When the missionaries established themselves at Tewodros’s court in the 1850s, Samu’el was already there as the ats’e’s interpreter, as he knew Arabic, some English 22 and most probably even some German. He is reported to have had a “harmful influence” on Tewodros, nourishing his suspicions about the Europeans. On December 29, 1866 Krapf writes a letter, in which he warned not to baptize an Oromo at Basle “too early”: We have to be extremely careful with Africans before we baptise them and employ them at the ‘Apostelstrasse’ 23. The late Isenberg once took a very promising boy (called Abdalla) with him from Adoa in Tigre [Tigray] to Cairo, were he received instruction and – against my wish – was baptized, but Isenberg and Kruse 24 wished to do so. After baptism the young man was sent to Shoa. On his way, while crossing Mohamedan territories, he claimed to be a Mohamedan, while in Christian Shoa he styled himself a Christian und therefore reached high in the favour of the king. – Later he came to Tigre [= Tigray] and at the court of king Teodros, who gave him great reputation and power, which was misused by Samuel (this was the name of the baptised Abdalla) to the great detriment of the Europeans. It was him, as Flad told me, who brought all the calamities over Stern 25 and the captives by inspiring bad feelings against the Europeans to the king. 26
21 Rassam, Hormuzd: Narrative of the British Mission to Theodore, king of Abyssinia; with notices of the countries traversed from Massowah, through the Soodân, the Amhâra, and back to Annesley Bay, from Mágdala, vol. I, London 1869, p. 258. 22 Tewodros “assigned Samuel, on two occasions, to translate the letters of Queen Victoria, from Arabic to Amharic, the English version first being translated into Arabic by the British representatives”. Quoted from Aleme, Eshete: The Rôle and Position of Foreign-Educated Interpreters in Ethiopia (1800–1889), in: Journal of Ethiopian Studies, no. 1, Addis Ababa 1973, p. 27. Also Pankhurst, Richard: The Foundation of Education…, op. cit., p. 250 mentions him as one of the royal interpreters. 23 This was an ambitious project of the St. Chrischona mission, which was partially realized: The “Apostle’s street” was supposed to join Egypt with Abyssinia through a chain of missionary stations. Each of these stations was supposed to trade and to preach to the local population, but also to secure the way to Abyssinia through services for travelling missionaries. The last station was St. Paul in Metemma at the borders of the Abyssinian kingdom, which assured the contact to the missionaries of Abyssinia. Cf. Strebel, Barbara: “... den blinden Abessyniern die Augen aufzuthun”…, op. cit. 24 The German missionary located in Alexandria. 25 Henry Stern, who was the first missionary to be arrested by Tewodros. 26 “Wir müssen äußerst vorsichtig mit den Afrikanern sein, ehe wir sie taufen und auf der Apostelstraße verwenden. Der selige Isenberg hat einst einen sehr hoffnungsvollen Knaben (namens Abdalla) von Adoa in Tigre mit nach Cairo genommen, wo er unterrichtet u. getauft wurde –
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For which reasons the missionaries believed that he even was the key person who was directly responsible for the arrest of all the Europeans in Abyssinia is not clear any more and remains to be researched by historians 27. After the missionaries left Abyssinia in 1868, we loose him almost totally out of sight – in the missionary records. In political correspondances he still appeared in the 1870s, having become a local governor of a Saho Muslim area in today’s Ethio-Eritrean border area, an area claimed by expanding Egypt in that time. He then addressed appeals to Europeans to help him to avoid Egyptian occupation. One source mentions even that he married “one of the wifes of Tewodros” (i.e. a concubine), which illustrates, if we judge it from the political context of marriages of the time, his great political ambitions. It is interesting to note that he thus continued to be present in international politics, linked with Europeans, even if now on a rather local level. His end was, however, dire: The last time he appears in a missionary account, written by Flad, it is to report about his death in about 1871. He had sided with European enemies of the upcoming Ethiopian ruler Kasa Abba Bizbiz, soon to be crowned as ats’e Yohannes IV. This time Samu’el Giyorgis joined an initiative by the Catholic Lazarist mission. The mission allied itself with Ethiopian ambitious figures (among them the former powerless puppet king Yohannes III) and, in addition, with border peoples whose leaders wished to defend their traditional autonomy. The plan was to topple Kasa Abba Bizbiz and replace him with a new proCatholic government, with Samu’el Giyorgids as the Chief Minister. The Catholic mission thus tried to dramatically gain political influence in the moment of the seemingly final failure of the Protestant mission described above. But they failed. Samu’el Giyorgis was caught and was killed, it seems, instantly by the new ruler of Ethiopia during one of the first “coup d’états” of modern Ethiopia. 28
gegen meinen Willen, aber Isenberg u. Kruse wollten es so haben. Nach der Taufe wurde der Jüngling nach Shoa gesandt. Unterwegs als er durch Muhamedanisches Land reiste, gab er sich für einen Muhamedaner aus, während er im christl. Shoa für einen Christen gelten wollte und deshalb beim König in große Gunst kam. – Später gelangte er nach Tigre u. an den Hof des Königs Theodoros, welcher ihm großes Ansehen u. Macht verlieh, welche Samuel (so hieß der getaufte Abdalla) zum größten Nachtheil der Europäer mißbrauchte. Er ist es ja, der, wie Flad mir sagte, alles Unheil über Stern und die Gefangenen brachte indem er den König gegen die Europäer einnahm.” (Staatsarchiv Basel, PA 653, B7 Nr. 3 “Briefe Dr Krapf, L./Kornthal/ 1857–1870”). 27 Stern, Henry: Wanderings among the Falashas in Abyssinia, together with a Description of the Country and its Various Inhabitants, London 1862, had published a book, considered by Tewodros as defamatory. When he came back to Abyssinia, he had this book in his luggage, searched by Tewodros’ servants. It is very probable, that Samuel translated the relevant passages (and also a number of other private papers of other missionaries, in which they spoke openly about the situation at the court), which was followed by the missionaries' arrest. See the detailed account of these events N. N.: Die Missionsversuche in Abessinien, in: Evangelisches Missions-Magazin, Neue Folge 13, Basel 1869, pp. 177–193, 225–232. 28 Smidt, Wolbert: Samu’el Giyorgis…, op. cit.; idem: Yohannəs III, in: Bausi, Alessandro in cooperation with Uhlig, Siegbert Uhlig (ed.): Encyclopaedia Aethiopica, vol. 5 (Y–Z, Addenda), Wiesbaden 2014, pp. 72–73.
DIE ANFÄNGE DER „LUTHERISCH-NESTORIANISCHEN“ BEWEGUNG IM IRAN Martin Tamcke Missionsgesellschaften der verschiedenen im Iran um Einfluss konkurrierenden Länder waren in der Urmia-Region tätig und suchten, sich dort über ihre Arbeit in der Apostolischen Kirche des Ostens zu etablieren. Die Geschichte der englischen anglikanischen, amerikanischen presbyterianischen, russisch-orthodoxen und französischen lazaristischen Missionen ist vielfältig Gegenstand von Darstellungen und Untersuchungen gewesen. Weniger erforscht ist die deutsche lutherische Mission in dieser Region. Unter diesen deutschen lutherischen Missionen arbeitete keine so lange in Nordwestpersien wie die Hermannsburger Mission. 1 Zugleich war sie die erste, die dort überhaupt eine Arbeit begann. Gerade die Hermannsburger verstanden ihre Arbeit dabei in einem innerlichen Zusammenhang zu ihrem Missionsversuch in Georgien 1869. 2 Auch für neue Aktivitäten diente Tiflis als wichtige Zwischenstation. Und das war nicht auf das Reisen und die Zufuhr von Gütern beschränkt, sondern gilt auch für die Bedeutung der in Tiflis ansässigen syrischen Christen, deren lutherische Gemeindeglieder schließlich von dem Pionier der Hermannsburger Arbeit in der Urmia-Region während seiner Zeit als Migrant unterstützt wurden. Dieser Pionier, Yuhannon Pera, war vor der Vernichtung der Ostsyrer im Nordwestiran im Ersten Weltkrieg nach Tiflis geflohen und ging von dort aus erst 1921 weiter ins Elsass, der Endstation seiner Flucht. 3 Doch diese 1
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Tamcke, Martin: Die Arbeit im Vorderen Orient, in: Lüdemann, Ernst-August (Hrsg.): Vision. Gemeinde weltweit, 150 Jahre Hermannsburger Mission und Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen, Hermannsburg 2000, S. 511–547; ders.: Die Hermannsburger Mission in Persien, in: ders./Heinz, Andreas (Hrsg.): Zu Geschichte, Theologie, Liturgie und Gegenwartslage der syrischen Kirchen, Hamburg 2000, S. 231–273. Groß, Andreas: Missionare und Kolonisten. Die Basler und die Hermannsburger Mission in Georgien am Beispiel der Kolonie Katharinenfeld 1818–1870, Hamburg 1998. Nachrichten aus der lutherischen Mission in Persien 4/2, Hermannsburg 1. Juni 1917, S. 3; vgl. Hermannsburger Missionsblatt, Hermannsburg 1917, S. 168. Über den Aufenthalt in Tiflis berichtet der als Missionar des Schwedischen Missionsbundes in der georgischen Hauptstadt arbeitende armenisch-protestantische Theologe Ter Asaturiantz. Der armenische Missionar gab die Zahl der syrischen Gemeindeglieder in Tiflis auf 5.000 bis 6.000 an. Yuhannon Pera spreche nur hin und wieder auf deren Versammlungen und befinde sich in ökonomisch schwieriger Lage. Erst 1921 konnte Yuhannon Pera über Konstantinopel nach Winzenheim im Elsass übersiedeln und wurde schließlich mit seiner Frau und einer behinderten Tochter im Stift Kronenburg bei Straßburg untergebracht, wo er am 3. September 1924 an Lungenentzündung verstarb. Zu
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Ereignisse stehen ganz am Ende der Blütezeit jener Bewegung, deren Anfänge hier thematisiert werden sollen. Unklar war bislang, wie es zu dieser Beziehung zwischen Urmia und Hermannsburg kam. In der klassischen Darstellung der Geschichte der Hermannsburger Mission von Haccius werden dazu folgende Einzelheiten mitgeteilt: 4 Im Jahr 1877 sei ein Mann namens Yuhannon Pera (in den deutschen Quellen fälschlich in umgekehrter Reihenfolge als „Pera Johannes“ geführt) aus dem Dorf „Ardischei“ bei Urmia nach Russland gewandert, „um dort Arbeit und Bildung zu suchen“. Als bereits vorhandene Qualifikation gab Haccius für diesen Zeitpunkt an, dass Yuhannon Pera zuvor „eine amerikanische Missionsschule besucht“ habe. In Odessa nun habe ihm der dortige deutsche lutherische Pastor Müller geraten, sich mit seinem Ausbildungswunsch nach Deutschland zu wenden. Müller sandte ihn nach Leipzig zur dortigen Leipziger Mission, einer damals in besonderer Weise mit den russischen Lutheranern verbundenen Missionsgesellschaft. Doch deren Direktor Hardeland konnte dem Ansinnen des jungen Syrers nicht entsprechen. Er verwies ihn an die Basler Missionsgesellschaft, die zwar nicht lutherisch war, aber seit langer Zeit Beziehungen zum Orient unterhielt. 5 Ob Yuhannon Pera nach Basel ging, bleibt bei Haccius unklar. Deutlich ist nur, dass er offenbar erfolglos weiterzog und in Straßburg an die Führer der lutherischen Kirche im Elsass geriet und der unter ihnen besonders hervortretende Pfarrer Horning ihn freundlich aufnahm. Horning war gemeinsam mit Pfarrer Magnus in Bischheim der Gründer der konfessionellen lutherischen Missionsgesellschaft des Elsass gewesen und engagierte sich umgehend für den Syrer. Er bot der Hermannsburger Mission (die neben der Leipziger Mission für die Lutheraner Russlands besonders bedeutungsvoll war) den Syrer zur Ausbildung an. Der damalige Direktor der Hermannsburger Mission nahm dieses Angebot unter der Voraussetzung an, dass der norddeutschen Missionsgesellschaft keinerlei Kosten durch die Übernahme der Ausbildung des Syrers entstünden. Tatsächlich fanden sich die Missionsleute im Elsass bereit, die Kosten der Ausbildung für Yuhannon Pera am Missionsseminar in Hermannsburg zu übernehmen. So sei Yuhannon Pera 1877 nach Hermannsburg gekommen. Im Sommer 1880 habe er sein Studium beendet und sei am Tag nach dem Himmelfahrtsfest zum Prediger, zum lutherischen Pastor im Missionsdienst ordiniert worden. Anschließend sei er nach Persien gereist, wo er am 1. September 1880 angekommen sei. Diese bis vor Kurzem einzige umfassendere Darstellung zur Geschichte der sogenannten lutherischen Nestorianer erweist sich nicht nur in der hier gegebenen Darstellung der Anfänge als grundlegend korrekturbedürftig. (Übrigens war es Julius Richter, der diesen mit dem deutschen Hermannsburg verbundenen Pries-
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ihm als erste Orientierung: Tamcke, Martin: Johannes, Pera. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band XVIII, Herzberg 2001, Spalten 1136–1138. Vgl. Haccius, Georg: Hannoversche Missionsgeschichte 3/1, Hermannsburg 1914, S. 412–422, speziell: S. 415. Vgl. Waldburger, Andreas: Missionare und Moslems. Die Basler Mission in Persien 1833– 1837, Basel 1984.
Die Anfänge der „lutherisch-nestorianischen“ Bewegung im Iran
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tern in der Apostolischen Kirche des Ostens den Namen „lutherische Nestorianer“ gab. 6) Nicht nur in Details ist diese Darstellung zu berichtigen: Beispielsweise muss der Zeitpunkt des Eintritts des Yuhannon Pera in das Missionsseminar korrigiert werden. Haccius bietet dafür ohne Angabe einer Quelle das Jahr 1877 an, doch selbst in der offiziellen Berichterstattung im zeitgenössischen offiziellen Organ der Missionsgesellschaft – dem „Hermannsburger Missionsblatt“ – wird das Ereignis des Studienbeginns von Yuhannon Pera eindeutig an einem früheren Zeitpunkt greifbar. Der damalige Missionsdirektor selbst schrieb im Hermannsburger Missionsblatt von 1875, dass bei „der Aufnahme der neuen Zöglinge“ – „einundzwanzig junge Männer mit ernsten Angesichtern“ hätten dabei tief bewegt „vor dem Altare“ gesessen – einer von ihnen eine Besonderheit dargestellt habe: „Stephan Johannes aus Wasyrabad bei Urmia in Persien“. 7 Das Datum des Studienbeginns ist also 1875 und nicht das bei Haccius überlieferte Jahr 1877. Erstmals studierte also ein Nichteuropäer am Seminar, der nicht einmal auf eine Abstammung von europäischen Aussiedlern verweisen konnte. Er repräsentierte in seinem neuen Kontext jenen Staat, zu dem das neu gegründete Deutsche Reich soeben vertragliche Bindungen eingegangen war und dessen Herrscher zwei Jahre zuvor bei seiner Deutschlandreise die erhöhte Aufmerksamkeit seiner deutschen Gastgeber hatte auf sich ziehen können. Yuhannon Pera hatte seine Heimat auch aus ökonomischen Gründen verlassen. Der für Persien demütigende Friedensvertrag mit Russland von 1828 hatte ausdrücklich festgelegt, dass jeder persische Untertan frei in das russische Staatsgebiet auswandern konnte. 8 Darüber wurde zum Beispiel die bereits im Frieden von Gulistan 1813 russisch gewordene Erdölstadt Baku „das Zentrum der iranischen Arbeiterschaft!“ 9 Hunderttausende von Persern – unter ihnen besonders viele Angehörige der Apostolischen Kirche des Ostens – verließen so ihre persische Heimat auf der Suche nach einem Auskommen für sich und ihre oft in der Heimat verbliebenen Familien und wurden dabei angezogen von den Errungenschaften westlicher Zivilisation. 10 In diese Wanderungsbewegung ordnet Haccius eben auch Yuhannon Pera ein. Zu seinen Voraussetzungen weiß der zeitgenössische Bericht des Missionsdirektors Theodor Harms ein wenig mehr mitzuteilen. Wohl unter dem Einfluss seiner Ausbildung an der amerikanischen Missionsschule und aufgrund der Begleitung durch amerikanische Missionare wurde Yuhannon Pera „mit mehreren seiner Verwandten“ schließlich „Protestant“, obwohl er natürlich von Geburt „zunächst 6
Richter, Julius: Mission und Evangelisation im Orient, Gütersloh 1908, S. 232–233. Richter nimmt grundsätzlich eine kritische Stellung zu den lutherischen Nestorianern ein und stellt deren Behauptung, einen der Mutterkirche treueren Weg gegangen zu sein als die amerikanische Mission, den Hinweis auf deren numerisch geringe Zahl und das Fehlen europäischer Leitung gegenüber. Dadurch hätten es die lutherischen Nestorianer leichter als die von der amerikanischen Mission Erfassten gehabt, „ihre Treue gegen die nationale Kirche zu betonen“. 7 Hermannsburger Missionsblatt 1875, S. 186. 8 Zürrer, Werner: Persien zwischen England und Russland 1918–1925, Großmachteinflüsse und nationaler Wiederaufstieg am Beispiel des Iran, Bern 1978, S. 12. 9 Ebenda, S. 11. 10 Bis 1910 hatten ca. 200.000 Personen ihre Heimat auf diese Weise verlassen, vgl. ebenda, S. 14.
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ein nestorianischer Christ“ gewesen sei. 11 Bereits vor seiner Wanderung nach Deutschland hätte er dann seinen Wohnsitz in dem Dorf Wasyrabad bei Urmia genommen. 12 Worüber Haccius sich ausschweigt, darüber informierte die zeitgenössische Berichterstattung durchaus: Pfarrer Horning in Straßburg sei es gewesen, der Yuhannon Pera „klar machte, dass er in der unierten Basler Missionsanstalt lutherische Theologie schwerlich würde studieren können“. 13 Er „bestimmte“ Yuhannon Pera sodann, „nach Hermannsburg zu gehen“. Dem Weg des Yuhannon Pera nach Hermannsburg lag also ein autoritativer Eingriff des Lutheraners aus dem Elsass zugrunde. Das Verhalten des bekenntnistreuen Lutheraners im Elsass verwundert allerdings weniger als das Interesse des Yuhannon Pera selbst an einer Ausbildung in lutherischer Theologie. Denn das war gerade nicht jene Theologie, die er bei den amerikanischen Missionaren kennengelernt hatte. Haccius bietet nur den Hinweis auf den lutherischen Pfarrer von Odessa; aber bei diesem Hinweis muss es nicht bleiben. Längst vor dem Treffen mit Pfarrer Müller in Odessa stand fest, dass Yuhannon Pera eine Ausbildung in lutherischer Theologie erhalten solle. Eigentümlicherweise hat die bisherige Forschung zu der Geschichte der lutherischen Nestorianer noch nie die einschlägigen syrischen Handschriften zur Klärung von Sachverhalten herangezogen, die gleichwohl nicht nur aus Gründen der Sprachgeschichte Aufmerksamkeit verdienen, sondern, wie in diesem Fall, eben auch für die Erklärung von historischen Sachverhalten. Ein syrischer Brief eines Bischofs Joseph, den einige Priester gemeinsam mit ihm unterschrieben, aus dem Jahr 1874 bezeugt hier Sinn und Ziel der Reise des Yuhannon Pera. 14 Der „an die gesamte christliche evangelische Bruderschaft von Europa“ gerichtete Brief belegt zunächst, dass der Diakon Johannes aus dem Dorf Wasyrabad bei Urmia von der dortigen Kirche „nach Europa oder nach Preußen geschickt“ worden ist. Eindeutig ist die Bitte an die Europäer: „Nehmen Sie ihn in der Schule der Missionare auf, damit er die deutsche und eine weitere europäische Sprache erlernen kann“. Ziel war also eine missionarische Ausbildung bei gleichzeitigem Ausbau der Fremdsprachenkompetenz. Es wurde kein Zweifel daran gelassen, dass die künftige Tätigkeit des Syrers eine missionarische sein sollte. Die Briefschreiber hofften, dass er ein kompetenter Prediger werden möge, damit er „den Namen Christi unter den Heiden zu verkünden“ imstande sei. Doch unterließen der Bischof und die mit ihm unterzeichnenden Priester dabei nicht den Hinweis auf die finanzielle Not der Apostolischen Kirche des Ostens: Ihre Kirche sei arm und ohne Geld, zudem herrsche seit drei Jahren Hunger im Lande. In bewundernswerter Weise gelingt dann eine theologische Argumentation, die die Leser motivieren und zur Hilfe bestärken soll: 11 Hermannsburger Missionsblatt 1882, S. 32. 12 Archiv der Evangelisch-lutherischen Mission in Norddeutschland (ELM, so im Folgenden zitiert), Brief des Pera Johannes vom 16.11.1881. 13 Hermannsburger Missionsblatt 1882, S. 32. 14 Archiv der ELM (in der Akte Pera Johannes). Das Manuskript ist schwer lesbar, besonders die Namen der ebenfalls unterzeichnenden Priester (wohl Yakob und Said).
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Nun bitten wir Sie im Namen unseres Herrn Jesus, unseres Erlösers: Meine Lieben! Seien Sie gewiss, Sie haben die Liebe Gottes, wenn Sie für unseren Bruder, der unterwegs ist, Sorge tragen und ihn in die Schule aufnehmen. Er kann Ihnen dafür nichts bezahlen, aber Gott wird Ihnen Ihren Lohn im Himmelreich vergelten.
Den zur Hilfe Aufgerufenen wird also zugesprochen, dass sie Sachwalter göttlicher Liebe seien, wenn sie dem nach einer theologischen Ausbildung Suchenden helfen würden – in Erwartung einer göttlichen Entlohnung im Himmel. Der eigentlich interessante Abschnitt des Briefes folgt aber anschließend: „Wir evangelische Lutheraner haben keine Schule der Missionare“. Die Absender empfanden sich also als Lutheraner. Sie waren an der Errichtung einer Missionsschule interessiert. Und deutlich setzten sie sich von der amerikanischen Missionsarbeit ab, indem sie ausdrücklich darauf verwiesen, dass es bei ihnen keine Arbeit „von den Amerikanern“ gebe. Und natürlich fehlt auch in diesem Zusammenhang nicht der Hinweis auf die fehlenden Finanzen zur Erreichung des gesteckten Zieles: „Auch sind wir nicht imstande, eine einzige Missionsschule zu eröffnen.“ Dass solche Bettelbriefe von Bischöfen mitgegeben wurden, ist keine Besonderheit; schon bald sollte in Deutschland vor den kollektierenden Syrern gewarnt werden, die einzig deshalb nach Deutschland kamen und dort von Gemeinde zu Gemeinde pilgerten, um sich einen Freundeskreis zu ihrer Unterstützung zu erwerben oder einfach nur Spenden einzusammeln. 15 Das hier interessierende Faktum ist vielmehr die Selbstidentifizierung der Briefschreiber als „Lutheraner“; es ist vollkommen unklar, wie es zur Entstehung der frühen lutherischen Regungen vor 1874 innerhalb der Apostolischen Kirche des Ostens gekommen ist. Das Siegel des Bischofs weist ihn aus als Bischof „Mar Joseph, Mutran“, mit der lateinischen Übersetzung „IPISKOP IOSIF“. Dafür kommt für die Zeit der Abfassung des Schreibens nur Bischof Joseph Henanischo’ in Betracht, der Metropolit/Mutran von Schemsdin in den Jahren von ca. 1864 bis 1884 war. 16 Tatsächlich finden sich dessen Suffraganbischöfe in der Folgezeit als besondere Vertraute der mit Hermannsburg kooperierenden Priester der Apostolischen Kirche des Ostens. Besonders der Suffraganbischof Dinha von Tis wird immer wieder als der zum engsten Kreis der kooperierenden Hierarchen benannt und findet sich selbst bei herausragenden Familienfeierlichkeiten bei den lutherischen Nestorianern als Ehrengast ein. 17 Doch weder Dinha noch der Mutran/Metropolit Joseph Henanischo’ können als Lutheraner betrachtet werden. Sollte die Zuordnung des Bischofs stimmen – 15 Vgl. Tamcke, Martin: Pascha, Johannes (1862–1911). Der Leidensweg eines „kollektierenden Syrers“, in: „The Harp“ XI–XII, Kottayam 1998–1999, S. 203–223. 16 Vgl. Wilmshurst, David: The Ecclesiastical Organisation of the Church of the East, 1313– 1913, CSCO 582 (Subs. 104), Lovanii 2000, S. 277 und S. 280. (Joseph Henanischo als Nachfolger des für 1850 von Badger belegten Metropoliten/Mutran Henanischo, zuletzt 1884 von Riley bezeugt, Wilmshurst, S. 365 und S. 825). 17 Das Wirken des Bischofs Mar Dinha bei den Feierlichkeiten zur Silberhochzeit des lutherischen Priesters Pera Johannes dokumentiert dies deutlich: Ein Jubelfest in Wasyrabad in Persien, Hermannsburger Missionsblatt 1906, S. 321–325. In derselben Zeitschrift erschien das Gruppenfoto der Hochzeitsgesellschaft mit Mar Dinha, in: Hermannsburger Missionsblatt 1906, S. 265.
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und alles spricht dafür –, so ergibt sich der Tatbestand, dass sich der Mutran der Apostolischen Kirche des Ostens als Lutheraner ausgab. Dabei ist es bei der Aussendung des Yuhannon Pera durch ihn sicher kein Zufall, dass dieser zunächst Pfarrhäuser der deutsch-russischen Lutheraner ansteuerte. Die waren besonders mit ihrem starken Kirchenbezirk in Georgien tätig, der sich erst in den Jahren 1836 bis 1841 der lutherischen Kirche Russlands angeschlossen hatte und in dem es 1869 zu einem ersten vergeblichen Versuch einer Mission unter Muslimen durch die Hermannsburger Mission gekommen war. 18 Obwohl die Mehrzahl der lutherischen Pfarrer in den deutschen Kolonien in Georgien aus Basel stammte, war es bei der Hochschätzung der Leipziger und der Hermannsburger Mission innerhalb der lutherischen Kirche Russlands naheliegend, dass der Weg der Bewerbungen des Yuhannon dann über die konfessionell lutherischen Werke führte. 19 Damit begann eine Jahrzehnte anhaltende Bemühung um Reform in der Apostolischen Kirche des Ostens im Sinne der lutherischen Reformation, die immer wieder junge Priesterkandidaten der Kirche des Ostens zum Theologiestudium nach Deutschland führte. Die Arbeit endete schließlich im Jahr 1941. 20 Der Brief des Bischofs lässt solch eine Zielgerichtetheit noch nicht erkennen. In ihm wird nur deutlich, dass der Weg zu Lutheranern führen sollte und dass dem Unternehmen das Wissen um die amerikanischen Missionsbemühungen Pate stand.
18 Groß, Andreas: Mission und Kolonisten…, a.a.O. 19 Vgl. St. Petersburgisches Ev. Sonntagsblatt, Nr. 16 (1860), S. 121–126 („Es ist natürlich, dass wir vor Allem die Leipziger und dann die Hermannsburger Mission als die unseren ansehen, weil sie beide im Dienste unserer lieben lutherischen Kirche stehen“). 20 Tamcke 2000 (wie Anm. 1).
VERGLEICHENDE MISSIONSGESCHICHTE ALS GLOBALGESCHICHTE Helge Wendt
GLOBALE MISSIONSGESCHICHTE UND DIE MULTIPLITÄT VERGLEICHBARER PHÄNOMENE In den letzten Jahren hat sich Globalgeschichte in drei Richtungen entwickelt: Erstens wird eine inter-regional oder inter-national vergleichende Geschichtswissenschaft betrieben, die nicht wenig Anleihe aus der vergleichenden Sozialgeschichtswissenschaft nimmt. 1 Zweitens hat die Weltgeschichtsschreibung mit Anleihen aus Erd- und Umweltgeschichte einen Wandel hin zu einer planetaren Big History vollzogen, worin nun – teilweise thematisch durchaus fokussiert – Zeitspannen von 10.000 Jahren und mehr betrachtet werden. 2 Drittens fungiert unter dem Label Globalgeschichte eine Regionalgeschichte „nichtwestlicher“ Länder und Regionen. 3 Missionsgeschichte passt in zwei dieser Spielarten der Globalgeschichte: Ein Zweig der Missionsgeschichte beschäftigt sich besonders mit einem außereuropäischen Gebiet, in dem eine Missionsgesellschaft tätig war. Missionsgeschichte wird hier besonders als eine Regionalgeschichte aufgefasst. Ein anderer Zweig der Missionsgeschichte versucht, in gewisser Art und Weise vergleichend vorzugehen. Dabei stehen besonders eine Missionsgesellschaft oder ein Missionsorden im Vordergrund, dessen Wirken in verschiedenen Weltgegenden vergleichend historisch untersucht wird. Diese Art von Vergleich beleuchtet demnach weniger das Verhältnis von sozialen Entitäten zueinander. Es wird eher wie auch im Fall der „Regionalgeschichte“ angenommen, dass geografische Grenzsetzungen innerhalb einer Organisation Einheiten definierten. Missionsgeschichte hat darüber hinaus ein weiteres Potenzial, global und vergleichend zu arbeiten. Dabei muss sie nicht strikt organisatorische Grenzen beachten, wie sie von den Missionsunternehmungen vorgegeben zu sein scheinen. Wie 1 2 3
Vgl. Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts 2009; Pomeranz, Kenneth: The Great Divergence. China, Europe, and the Making of the Modern World Economy, Princeton 2000. Christian, David: Maps of Time: An Introduction to Big History, Berkeley/London 2011. Beckert, Sven/Sachsenmaier, Dominic: Introduction, in: dies. (Hrsg.): Global History, Globally. Research and Practice Around the World, London 2018, S. 1–18.
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aus den anschließenden Ausführungen deutlich werden soll, sind solche Grenzen zwar für die Akteure durchaus wichtig, jedoch mag in Einzelfällen der historischen Untersuchung ein eher thematisch gewählter Zugang näher liegen. Das Potenzial für eine solche Untersuchungsform besitzt die Missionsgeschichte aufgrund ihrer eigenen Entwicklungsgeschichte. Als Nebenprodukt verschiedener wissenschaftlicher Aktivitäten hat sich die Missionsgeschichte mit eigenen Publikationen und wissenschaftlichen Gesellschaften im Feld zwischen Theologie und Geschichtswissenschaft etabliert. Sie weist einen hohen Grad an regionalhistorischer Expertise auf und hat sich in den letzten Jahrzehnten aktiv mit Ansätzen auseinandergesetzt, die in den Geschichtswissenschaften und den theologischen Wissenschaften diskutiert wurden. Zu denken sind beispielsweise post- und dekoloniale Perspektiven auf die Missionsgeschichte, die deutlich kritischer mit dem kolonialen Erbe von christlicher Missionstätigkeit umgingen, als das vor den 1990er Jahren innerhalb des Feldes möglich war. 4 Außerdem wurde Missionsgeschichte unter den Perspektiven von Interkulturalität und Interreligiösität in Teilen neu ausgerichtet, weil stärker als zuvor die theologische und liturgische Vielfalt innerhalb des Christentums sowie sogar Formen der Zugehörigkeit von Nichtchristen in die Missionsgemeinschaft anerkannt wurden. Im Zuge der Entwicklung von Globalgeschichte hat auch in der Missionsgeschichte das Bewusstsein starken Einfluss gewonnen, dass in der Mission globale Netzwerke entstanden, gebildet innerhalb von Organisationen und zwischen Individuen innerhalb und außerhalb derselben Organisationseinheit. 5 Diese Netzwerke wirkten im globalen Wissenstransfer genauso, wie sie Formen von Kommunikation mitbestimmten, die beispielhaft auch für säkulare Korrespondenznetzwerke wurde. 6 Die Historiografie erkannte an, dass die Mission sich aktiv mit globalen sozialen Fragen auseinandersetzte, beispielsweise Sklaverei oder Krieg oder staatliche Ordnungen. 7 Die Inklusion von anderweitig marginalisierten Gruppen und die Etablierung von Eliten jenseits staatlicher oder tribaler Strukturen sind anerkannter Teil der Missionsgeschichte auch in Bezug auf die Stellung von Frauen innerhalb der Missionsordnung. 8 4
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Vgl. van der Heyden, Ulrich/Feldtkeller, Andreas: Vorwort, in: dies. (Hrsg.): Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung undvermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Stuttgart 2012, Stuttgart 2012, S. 9–12. Clossey, Luke: Salvation and Globalization in the Early Jesuit Missions, Cambridge 2010; Hausberger, Bernd: Für Gott und König. Die Mission der Jesuiten im kolonialen Mexiko, Wien/München 2000; Mettele, Gisela: Weltbürgertum oder Gottesreich. Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft, 1727–1857, Göttingen 2009; Scott, David W.: Mission as Globalization. Methodists in Southeast Asia at the Turn of the Twentieth Century, Langham 2016. Holtwick, Bernd: Licht und Schatten. Begründungen und Zielsetzungen des protestantischen missionarischen Aufbruchs im frühen 19. Jahrhundert, Würzburg 2004, S. 225–247; hier S. 247. Vgl. Hüsgen, Jan: Mission und Sklaverei. Die Herrnhuter Brüdergemeine und die Sklavenemanzipation in Britisch- und Dänisch-Westindien, Stuttgart 2016. Hauser, Julia: German Religious Women in Late Ottoman Beirut. Competing Missions, Leiden 2015.
Vergleichende Missionsgeschichte als Globalgeschichte
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Missionsgeschichtsschreibung hat vielfältig auch das Thema der religiösen Konkurrenz behandelt. Die Konkurrenzstellung wurde besonders zwischen dem europäischen Katholizismus und den europäischen protestantischen Kirchen gesehen, aber auch zwischen den einzelnen protestantischen Organisationen bestand ein Wettbewerb. 9 Zusätzliche Konkurrenzen „innerhalb“ des Christentums bestanden mit den Kirchen im Levante-Raum, dem Mittleren Orient und in Indien. Eine fundamentale Konkurrenzstellung wurde mit anderen Religionen wie dem Islam oder dem Buddhismus gesehen. 10 Die interreligiösen und interkonfessionellen Auseinandersetzungen wurden durchaus als Antrieb für die eigene Missionstätigkeit betrachtet. 11 Diese „driving force“, einer Konkurrenzorganisation ein Missionsfeld nicht zu überlassen und dafür möglicherweise auch auf staatliche Machtinstanzen zurückzugreifen, führte zu globalen Aktivitäten der vielen verschiedenen Missionsorganisationen und verhinderte – auch in schwierigen Situationen – mögliche Kooperationen. Missionsgeschichte konzentrierte sich – bis auf wenige Ausnahmen – eher darauf, die Konkurrenz festzustellen Missionsgeschichtsschreibung hat eine Menge von Möglichkeiten, in vergleichender Weise die Geschichte von Missionsunternehmungen in Verbindung mit der europäischen kolonialen Expansion seit dem späten fünfzehnten Jahrhundert zu untersuchen. Schon Andrew Porter hatte 2004 in seinem Buch „Religion versus Empire?“ einen komparativen Ansatz gewählt. 12 Beschränkt auf die anglikanische Mission innerhalb des britischen Empires, ging er unter anderem der Frage nach, inwieweit die Missionsgesellschaften für die Zerstörung von bisher bestehenden Sozialstrukturen verantwortlich seien. Dazu führte er nun Beispiele aus verschiedenen Teilen des Weltreichs auf und setzte sie in eine direkte Beziehung zueinander. Dabei nahm er eine relative Einheit des Reiches aufgrund einer nationalen Zugehörigkeit an, die selbst dann zu funktionieren schien, wenn nichtbritische europäische Missionare eingestellt wurden. Nicht unähnlich tendierte der Religionssoziologe Hartmann Tyrell zur Bildung von Einheiten aufgrund gewisser Vorannahmen. 13 Er stellte zwar die Konkurrenz von unterschiedlichen Konfessionen und konfessionellen Organisationen fest, nahm aber grundsätzlich eine Trennung von Protestantismus (auf der einen) und Katholizismus (auf der anderen Seite) an. Eine eindeutige Trennung sah er außerdem zwischen Christentum und jeder anderen Religion. Dabei standen die einzelnen Organisationen vor vergleichbaren Herausforderungen. Die Konkurrenz untereinander erhöhte mitunter die Unsicherheit des Weiterbestands. Vergleichbar sind auch das Werben um Spendengelder und politische Unterstützung, die Publikationstätigkeit-
9 Holtwick, Bernd: Licht und Schatten…, a.a.O. 10 Tyrell, Hartmann: Weltgesellschaft, Weltmission und religiöse Organisationen – Einleitung, Würzburg 2004, S. 28. 11 Hsia, Ronnie Po-Chia: The World of Catholic Renewal 1540–1770, Cambridge 1998. 12 Porter, Andrew: Religion versus Empire? British Protestant Missionaries and Overseas Expansion, 1700–1914, Manchester/New York 2004. 13 Tyrell, Hartmann: Weltgesellschaft…, a.a.O.
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en 14 und der Aufbau von lokalen und regionalen Organisationsstrukturen. Diese Vergleichbarkeit deutet jedoch nicht auf die Bildung einer Einheit hin. Zu argumentieren ist vielmehr in die Richtung, dass Vergleichbarkeiten sich aus einer ständigen Beobachtung der Konkurrenten und einer Ähnlichkeit der Probleme in der Missionsarbeit erklären. Die Konkurrenzstellung sowie die Trennung der lokalen Einheiten bleibt jedoch bestehen. Organisationssoziologisch wäre demnach von einer Multiplität von ähnlichen, jedoch nicht gleichen Phänomenen zu sprechen, die eben den globalen und vergleichbaren Charakter von Mission ausmachten. Die Annahme einer Einheit legt zugrunde, dass vernakulare Geschichten 15 einem zumeist in Europa liegenden organisatorischen und dominanten Zentrum zuund untergeordnet werden. Sie sind Teil der Einheit, weil dieses Zentrum (auf welche Weise auch immer) in einen bestimmten Ort hinein expandierte. Im Unterschied dazu legt eine Annahme von vergleichbaren Phänomenen nahe, dass die Einheitlichkeit genauso erst nachgewiesen werden muss wie die untergeordnete Stellung historischer Prozesse in einem lokalen Kontext gegenüber den als global-dominanten Strukturen ein mögliches Ergebnis der Forschung ist. Marc Bloch bezeichnete dies seinerzeit als die Auswahl von Phänomenen, „die scheinbar auf den ersten Blick gewisse Analogien aufweisen, den Verlauf ihrer Entwicklung zu beschreiben, Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen und diese soweit wie möglich zu erklären.“ 16 Letztendlich liegt der Vorteil der global-komparatistischen Methode in der Missionsgeschichtsschreibung also darin, dass die Multiplität von Einheiten und Phänomenen auch dann eine historische Wirksamkeit besitzt, wenn keine direkten Verbindungen zu anderen Phänomenen und Orten bestehen oder Differenzen zwischen Zentrum und Missionsstation eine Einordnung schwierig machen. MISSIONSGESCHICHTE ALS THEMATISCHER VERGLEICH Aus dieser Kritik an einer Vorannahme von Einheiten entsteht die Verpflichtung, weitere Möglichkeiten des Vergleichs aufzuzeigen. Wie oben bereits angedeutet, können diese darin liegen, Missionsorganisationen miteinander zu vergleichen. Ihre Strukturen, Handlungsweisen, auch ihre Beziehungen zu staatlichen Stellen sind miteinander vergleichbar. So wären beispielsweise die österreichisch-italienische katholische Mission im heutigen Südsudan mit der britischen anglikanischen Mission im Osten Kenias vergleichbar. Sie begannen beide in den 1850er Jahren, setzten auf eine von anderen Siedlungen separate Dorfgründung und waren eng mit einer spezifischen Antisklaverei-Politik verbunden. Dieser Vergleich
14 Jensz, Felicity/Acke, Hannah (Hrsg.): Mission and Media. The Politics of Nineteenth-Century Missionary Periodicals, Stuttgart 2013. 15 Zum Begriff Pollock, Sheldon: Cosmopolitan and Vernacular History, in: Public Culture, Nr. 3, Durham 2000, S. 632. 16 Bloch, Marc: Für eine vergleichende Geschichtsbetrachtung der europäischen Gesellschaften, Leipzig 1994, S. 122.
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eröffnet die Möglichkeit, zwei verschiedene konfessionelle Organisationen miteinander in Vergleich zu setzen. Jedoch ist in dieser Form des Vergleichs die Einschränkung gegeben, die unter anderem Michel Espagne bemerkte. Missionsgesellschaften werden zu geschlossenen Einheiten, die in der historiografischen Konzeptualisierung einer Nation ähneln und damit die Untersuchung von Funktionsweisen von sozialen Räumen vernachlässigen. 17 Hinzukommt, dass komparatistische Methodik sich dadurch selbst beschränkt, wenn sie nur bereits präfigurierte soziale und kulturelle Räume als Untersuchungseinheiten akzeptiert. 18 Deswegen ergibt sich eine andere Möglichkeit der komparatistischen Untersuchung der beiden genannten Missionen der CMS im Hinterland von Mombasa und der Comboni-Brüder im Sudan und Südsudan: Diese besteht darin, einen thematischen Fokus zu setzen und zu schauen, wie missionshistorisch an unterschiedlichen Orten vergleichbare Phänomene sich entwickelten beziehungsweise von Akteuren im Missionskontext behandelt wurden. Ein Thema, das zum Vergleich anregt, ist das Missionsdorf oder, genauer gesagt, die räumlich definierte und räumlich konzentrierte feste Lebensweise von Menschen, die als der Mission zugehörig bezeichnet werden können. Zur festen Lebensweise zählte der Wohnraum, das Finden eines Auskommens mitsamt dazugehörigen Räumlichkeiten, die Unmittelbarkeit in der Nachbarschaft und eine grundlegende Infrastruktur, die eine Mission auszeichnete. Diese Infrastruktur bestand aus einem Gebets- und Gottesdienstraum oder einem Kirchengebäude, einem Schulraum oder -gebäude und einem Haus für den Missionar (und seine Hausgemeinschaft oder Familie). Die räumliche Konzentration konnte ein Stadtviertel sein oder ein Dorf. Das Dorf konnte entweder bereits vor der Missionstätigkeit bestanden haben oder als „Missionsdorf“ neu gegründet worden sein. Die Konzentration bestand aus einer Nachbarschaft der Menschen, die in einem direkten Verhältnis zur Mission standen: Gläubige, Taufanwärter, Beschäftigte formierten eine soziale Einheit, die auch als missionarische Gesellschaft bezeichnet werden kann. 19 Das Missionsdorf bestimmt zudem eine Sesshaftigkeit der Personen, weil auch die Tätigkeiten, die mit der Befriedigung der Lebensbedürfnisse zusammenhingen, vor Ort verrichtet wurden: Handwerkliche Tätigkeiten oder Landwirtschaft wurden im selben Ort ausgeübt, wo die der Mission zugehörige Person auch lebte. Mit diesem Ansatz beugten Missionare migratorischen Lebensweisen vor, die entweder in ständiger, saisonaler oder arbeitsabhängiger Migration bestehen konnte. Insofern konnte eine Missionssiedlung in einem Spannungsfeld zu
17 Vgl. Espagne, Michel: Sur les limites du comparatisme en histoire culturelle, in: Genèses. Sciences sociales et histoire, Nr. 17, Paris 1994, S. 112–124. 18 Vgl. Middell, Matthias: Forschungen zum Kulturtransfer, in: Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik, Nr. 1, Leipzig 1994, S. 107–122. 19 Vgl. Wendt, Helge: Die missionarische Gesellschaft. Mikrostrukturen einer kolonialen Globalisierung, Stuttgart 2011.
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vorher und gleichzeitig gelebten Lebensformen stehen, auch weil besondere Weisen der Abgrenzung der „christlichen“ Gemeinschaft ausgeübt wurden. Das Dorf als Ort in der kolonialen Mission war nicht zuletzt der Ort der Bekehrung und der Entwicklung einer christlichen oder missionarischen Gesellschaft. Es entstand eine Lebensgemeinschaft, eine sozio-räumliche Einheit, die aus Nichteuropäern (teilweise unterschiedlicher Herkünfte) und Europäern sowie aus Christen und Nichtchristen bestand. Das Dorf ist in den Berichten von Missionaren deswegen immer sehr präsent, weil sie in Briefen und Berichten geschilderte Ereignisse eindeutig verorten konnten, die Gemeinschaft des Dorfes zudem eine Schlüsselfigur europäischer Sozialimagination war. Vier Formen von „Missionsdörfern“ lassen sich im Vergleich ausfindig machen. Erstens ein Dorf, das nach Anwendung von Gewalt auf eine Gruppe von Menschen entstand. Es handelt sich also um eine Neugründung, die das Ziel hatte, eine gegenüber der Kolonialmacht renitente Gruppe von Menschen festzusetzen, fest anzusiedeln und unter die Beobachtung eines Missionars zu stellen. Zu unterscheiden ist diese Form der Zwangsansiedlung von der, in der ein Missionar versuchte, neue Siedler hinzuzugewinnen, um die Anzahl der (potenziellen) Gläubigen zu erhöhen. Drittens findet sich der Typus von Neugründungen von Siedlungen durch die Auswanderung von bereits Bekehrten aus gemischten Siedlungsformen. Der vierte Siedlungstypus war die Konzentration von mit der Mission verbundenen Menschen in einem Stadtteil. Alle Siedlungstypen hatten eine gewisse Segregation der missionarischen Gesellschaft von der nichtchristlichen Mehrheitsgesellschaft zum Ziel, womit die umfassende Gestaltung der Siedlung besonders wichtig wurde. Zwei Missionsunternehmungen in Ostafrika lassen sich hierbei miteinander vergleichen. Es handelt sich um ein katholisches Projekt im Gebiet des heutigen Südsudans und um ein britisch-anglikanisches Unternehmen im Hinterland der kenianischen Stadt Mombasa. Beide Missionen begannen in den 1850er Jahren und waren mit zwei, wenn auch unterschiedlich „erfolgreichen“ staatlichen Kolonialbestrebungen verbunden. Im Hinterland von Mombasa hatten die beiden, im Auftrag der Basler Missionsgesellschaft und der Londoner Church Missionary Society tätigen deutschen Pfarrer John James (Johannes) Erhardt und John (Johannes) Rebmann die Dörfer Rabai und Kisulutini gegründet. Sie verfolgten wohl ursprünglich das Ziel, die teilweise auf den Plantagen tätigen Wakamba und Rabai zu missionieren. Jedoch veränderte sich das Missionsfeld dahingehend, dass außerdem befreite Sklaven in Rabai leben und von den Missionaren betreut werden sollten. Rebmann setzte sich ausführlich mit dem Problem auseinander, das durch das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen in dem Dorf entstehen konnte. 20 Andere Missionare nahmen weniger Rücksicht auf die ethnische Durchmischung von Missionsdörfern. In der ebenfalls von Rebmann anfangs mitbetreuten Station von Kisulutini lebten Mitte der 1890er Jahre, nun unter Missionar Edmund A. Fitch, rund 1.500 Menschen aus mindestens drei verschiedenen 20 Rebmann, John, Mombasa, 18.8.1874. Archive of the Church Missionary Society at Birmingham University (CMS) CMS G Y A 5 1, 1, S. 2.
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Gruppen zusammen. 21 Kisulutini war schon um 1880 ein Siedlungsplatz für aus Indien nach Ostafrika zurückgeführte ehemalige Sklaven geworden. Diese Unternehmung der in Indien ausgebildeten Missionsfamilien hatten die Missionare Harry Kerr Binns, William Price und Thomas H. Sparshott mit dem Ziel initiiert, einen im Glauben gefestigten Nukleus von „Afrikanern“ inmitten der noch nicht vollständig christianisierten Bevölkerung von Kisulutini zu installieren. 22 Die zweite Mission ist die der österreichischen und italienischen katholischen Missionare im südlichen Sudan, die von der Propaganda Fide 1847 in das Gebiet südlich von Khartum entsandt worden war. Nach einigen personellen Schwierigkeiten und den französischen Lazaristen in Khartum ausweichend, gründete die Mission unter Leitung von Ignacij Knoblehar (in deutscher Schreibweise Ignaz Knoblecher) eine Missionssiedlung namens Gondokoro. Die Mission sollte das Eindringen protestantischer Missionsgesellschaften genauso verhindern, wie einige Anzeichen bestehen, dass österreichische koloniale Fantasien die Entsendung beflügelt hatten. 23 Vergleichbar zu Rabai und Kisulutini ist Godonkoro auch wegen der Ausweitung des Missionsfeldes in der Frühphase der Tätigkeiten. Gondokoro sollte sich zunächst der Mission der Bari widmen. Aber auch diese Station wurde zu einer Anlaufstelle von Sklaven, die entweder ihren „Besitzern“ entlaufen waren oder von Missionaren freigekauft wurden. 24 Anders als die beiden kenianischen Dörfer war Gondokoro jedoch keine längere Tradition als Missionsdorf gegönnt. Aus der ersten Generation von Missionaren verstarben zu viele aufgrund von mit der Lage verbundenen Krankheiten. Die Mission verlegte sich daraufhin weiter südwärts. Vergleichen lässt sich die Infrastruktur der Dörfer: Das katholische Missionsdorf bestand aus einem ringsum mit Häusern besetzten Platz. Die Kirche war, so der Bericht von Knoblehar von 1855, noch nicht vollständig fertiggestellt, sie unterschied sich aber von den üblichen Häusern durch ihre längliche und nicht runde Bauweise. 25 Als nach dem Tod von Knoblehar 1858 Gondokoro aufgegeben wurde und Santa Croce die wichtigste Missionsstation wurde, wuchs die Bedeutung des Schutzes der Gesundheit und von Landwirtschaft erheblich. Neubauten umfassten das große, aus Stein errichtete Missionshaus mit Lager- und Schlafräumen sowie
21 Fitch, Edmund Alexander, Rabai, November 1893. CMS AL.1893–94, S. 15. 22 Binns, Harry Kerr: Annual Letter, Kisulutini, November 1878. CMS C A 5 O 3, 18, S. 1. Sparshott, Thomas Henry, an Sekretär der CMS H. Venn, Kisulutini, 24.4.1868. CMS C A 5 O 26, 3, S. 3. Vgl. zu den sogenannten „Bombay Boys“Strayer, Robert W.: The Making of Mission Communities in East Africa, London 1978, S. 67; Temu, A. J.: British Protestant Mission, London 1972, S. 68–75. 23 Vgl. Wendt, Helge: Central European Missionaries in Sudan. Geopolitics and Alternative Colonialism in Mid-Nineteenth Century Africa, in: European Review, Nr. 3, Cambridge 2018, S. 1–11. 24 Knoblehar, Ignacij, an Präfekten der SCPF F. Fransoni, Karthum, 23.11.1852. Archivio Propaganda Fide (APF) SC Africa Centrale Etiopia Arabia 5, S. 538–539v. 25 Knoblehar, Ignacij, an Präfekten der SCPF F. Franzoni, Karthum, 15.10.1855. APF SC Africa Centrale Etiopia Arabia 5, S. 979–993v.
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einer Kapelle, ein Schulhaus, in dem auch eine Küche und zwei Schlafräume untergebracht waren, und einen teilweise für die Viehhaltung überdachten Hof. 26 Auch die Missionen von Rabai und Kisulutini wurden mit einer Neugründung konfrontiert. Mitte der 1870er Jahre zog es vermehrt Einwohner nach Jilōri, wo nicht nur bessere Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der Missionsstrukturen bestanden, sondern die Fischbestände im nahegelegenen Fluss und die Böden für Landwirtschaft besser waren. 27 Schnell entstanden neue Häuser und besonders unter Aufsicht einiger, der aus Indien übergesiedelten Helfer entwickelte sich auch schnell eine ertragreiche Landwirtschaft. Der Missionar William Salter Price sah genau in der Entwicklung von Landwirtschaft und Handwerk die Möglichkeit zur Stabilisierung der Missionsbevölkerung und schlug deswegen vor, auch den Anbau von Kokosnusspalmen als besonderen Wirtschaftszweig anzugehen. 28 Die Beispiele verdeutlichen, wie wichtig die Errichtung einer grundlegenden Infrastruktur war: Ein Leben in der Mission bedeutete auch eine Beschäftigung der Gläubigen in der Landwirtschaft, als Handwerker oder im Missionsbetrieb. Die Familien gewannen so eine engere Beziehung zur Mission und die Versorgung mit Nahrung wurde sichergestellt. Ein weiteres Thema für einen intensiven Vergleich könnte die Ausbildung der Jugend und die Entwicklung von auch im Kirchendienst selbstständig arbeitenden Missionshelfern, Katecheten, Schullehrern und geweihtem Personal sein. In den Missionsstationen der CMS in Ostkenia nahmen die aus Indien hergeholten Christen eine besondere Position ein. Ihre Lebensführung sollte beispielhaft für die sein, die erst kürzlich sich dem christlichen Glauben zugewandt hatten. Die Männer standen als Lehrer, Stationsleiter in Zeiten der Abwesenheit des Missionars und als Katecheten im mit Geld entlohnten Dienst der Mission. Zudem bestand ein Ausbildungsfonds, von dem Edmund A. Fitch berichtete. Dieser hieß Native Missionary Fund und vier Katecheten konnten mit ihm entlohnt werden, die in der Umgebung von Rabai ihren Dienst taten. 29 Ein ähnliches System von „Vertrauenspersonen“ sah der Plan vor, den der Nachfolger von Ignacij Knoblehar, der Italiener Daniele Comboni, entwarf. Er hatte in Verona eine eigene Ausbildungsstätte für europäische und afrikanische Missionare gegründet und mit dem Piano per la Rigenerazione dell’Africa coll’Africa 1864 einen großen Plan für die Bekehrung Afrikas zum Christentum entworfen. 30 Die Idee dahinter war, dass aus der Kooperation zwischen Verona und Schulen in Afrika ein afrikanisches Leitungspersonal von Männern und Frau26 Kirchner, Matteo, an Kardinal Präfekten der SCPF A. Barnabò, Roma, 29.8.1861. APF SC Africa Centrale Etiopia Arabia 7, S. 183–187. 27 Binns, Harry Kerr, an Sekretär der CMS F.H. Wright, Rabbai, 16.1.1977. CMS C A 5 O 17, 13. 28 Price, William Salter, an Sekretär der CMS E. Hutchinson, Mombasa , 27.2.1875. CMS C A 5 O 23, 15. 29 Fitch, Edmund Alexander, Rabai, November 1892. CMS AL.1892–1893, S. 57. Ein weiterer Fonds, den der CMS-Missionar Lamb für die Priesterausbildung in Ostafrika gegründet hatte, hieß „Native Pastorate Fund“, vgl. Temu, A. J.: British Protestant Mission…, a.a.O., S. 75. 30 Comboni MCCI, Daniel: Piano per la Rigenerazione dell’Africa coll’Africa, Roma, 18.9.1864. APF SC Africa Centrale Etiopia Arabia.
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en gewonnen würde, das auch recht unabhängig die Missionen in verschiedenen Gegenden Afrikas leiten könnte. FAZIT: POTENZIALE EINER VERGLEICHENDEN GLOBALEN MISSIONSGESCHICHTE Die hier vorgestellten Vergleichspartner liegen rund 1.700 km voneinander entfernt. Die Missionen hatten keinerlei direkte Beziehung zueinander, aber die katholische Initiative im Südsudan kann als Reaktion des britischen Vorstoßens in die Seenregion gewertet werden. Dennoch weisen beide Missionsunternehmungen erstaunliche Ähnlichkeiten auf, die hier am Beispiel des Dorfes als fundamentale Infrastruktur illustriert wurden. Das Dorf mit seinen Gebäuden, den sozial differenzierten Funktionen und als Zentrum der Bekehrungs- und Ausbildungsarbeit ist ein möglicher thematischer Fokus für eine vergleichende Missionsgeschichtsschreibung. Der hier vorgestellte Zweiervergleich ist eine Möglichkeit, vielfältiger würde ein stärker transregional und transkontinental konzipierter Vergleich. Die komparatistische Methode wäre durchaus auch für global angelegte Studien einer Missionsorganisation angebracht, wenn nicht die Geschichte dieser Missionsgesellschaft im Vordergrund steht. Denn die Strukturen der Church Missionary Society in Ostafrika waren durchaus unterschiedlich zu denen im westafrikanischen Sierra Leone, in Indien oder Westkanada. Dasselbe ließe sich von den unterschiedlichen Missionsaktivitäten sagen, die in teilweise bemerkenswerter Unabhängigkeit unter dem Dach der Römischen Propaganda Fide in allen Teilen des Globus arbeiteten. So kann die komparatistische Missionsgeschichtsschreibung dazu beitragen, andere organisationale Strukturen ausfindig zu machen, als das Organigramm einer Organisation vorsah. Vergleiche fördern also die Erkenntnis über interne Differenzierungen sowie Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten von Missionsunternehmungen. Besonders befruchten vergleichende Fragstellungen zudem die Forschung eines Untersuchungsobjekts, weil nun die Bedeutung anderweitig auffälliger Phänomene erst überhaupt untersucht werden kann. In den oben skizzierten Beispielen aus Ostkenia und dem Südsudan finden solche komparatistischen Befruchtungen beim Thema des Umgangs mit freien Sklaven statt, der in der CMSMission klar im Vordergrund stand. Das Thema der natürlichen Beschaffenheit ist wiederum stärker in den Quellen zur katholischen Mission am oberen Nil zu finden, weil hier die hohe Sterblichkeit der Europäer eine erhöhte Reflexion über dieses Thema verlangte. Der thematische Zugang zur Missionsgeschichte greift ganz grundlegende Vorgänge in den Missionen auf. Die Rolle des Dorfes wurde kurz angeschnitten: Weitere Themen könnten sein der Umgang mit Nichtsesshaftigkeit, die Beziehung der Geschlechter, der Aufbau einer missionsspezifischen Hierarchie, Vermittlungsformen des christlichen Glaubens und (europäischer) Lehrinhalte, die Umgestaltung von Natur und Umwelt, Veränderungsprozesse in der Sprachkultur, Adaptationsformen (oder auch nicht) von Liturgie, Anerkennung und Ablehnung
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kultureller Vielfalt und Besonderheit(en). Dies ist eine sicherlich unvollständige Liste von Themen, die für einen globalen, gleicherweise inter- wie intraorganisatorischen Vergleich interessant wären. Zu erwarten ist, dass dieses Feld der Missionsgeschichtsschreibung neue und bereichernde Ergebnisse zutage fördert.
„WILDE MENSCHEN HABEN KEINE POSTEN“: DAS REICHSPOSTMUSEUM IM DIENST DER KOLONIALIDEE Veit Didczuneit Anlässlich des Todes von Heinrich von Stephan, Staatssekretär des Reichspostamts und erster Generalpostmeister des Deutschen Reiches, am 8. April 1897 erschien in Berlin eine privat verlegte Gedenk-Postkarte. Sie zeigt sein Antlitz und trägt den als Stephan-Zitat gekennzeichneten Sinnspruch: „Wo man denkt, wird’s Schreiben auch nicht rosten, Wilde Menschen haben keine Posten.“ 1 Von Stephan ist bekannt, dass er gern dichtete. Über seine Einschätzung der Post als zivilisatorische Errungenschaft, als Wirtschafts- und Kulturinstitution hat er vielfach referiert und publiziert. Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturvölkern, des Zivilisierungs- und Modernisierungsgedankens und der Gewissheit, an der Spitze einer universellen Fortschrittsbewegung zu stehen, war er ein Kind seiner Zeit. 2 Darüber hinaus hat Heinrich Stephan, so sein Biograf Krickeberg, „der Colonisierung der neu erworbenen Länder thatkräftig die Wege ebnen helfen“ 3. „Der Grundsatz wird wohl überall anerkannt werden müssen“, argumentierte Stephan 1885 im Reichstag anlässlich der Beratungen über die Schaffung deutscher Postdampfschiffverbindungen nach Übersee, „daß, wer Colonialpolitik will, der muß auch diese Dampfer wollen; denn Colonien einrichten und ihnen keine Brücke schaffen, keine Verbindung mit dem Heimathlande, das ist ein offener Widerspruch.“ 4 Den Ausbau der Postdampfschifflinien begleitete die Schaffung von Kolonialpostämtern in allen deutschen Schutzgebieten. Die postalischen Verhältnisse in den Kolonien waren im Reichspostamt „Chefsache“. Mit den in die Kolonien entsandten Beamten führte Stephan persönliche Bewerbungsgespräche. Die fachlichen und persönlichen Anforderungen waren hoch. 5 Seine Worte bestärkten die Kolonialpostbeamten in ihrer Auffassung von europäischer, westlicher Überlegenheit und wirkten gemeinschafts- und herrschaftsbildend. Daher nimmt es nicht Wunder, dass das Lieblingskind von Stephan, das von ihm 1872 in Berlin zur Dokumentation und Veranschaulichung des Nachrichtenwesens und der Beförde1 2 3 4 5
Siehe Krickeberg, E.: Heinrich von Stephan. Ein Lebensbild, Dresden/Leipzig 1897, S. 176. Siehe Conrad, Sebastian: Deutsche Kolonialgeschichte, München 2008, S. 70 ff. Krickeberg, E.: Heinrich von Stephan…, a.a.O., S. 184. Die Berathungen im Reichstage über den Gesetzentwurf, betreffend Postdampfschiffsverbindungen mit überseeischen Ländern, in: Archiv für Post und Telegraphie, Nr. 7, Berlin 1885, S. 212. Siehe Neutsch, Cornelius: Zeit der kolonialen Verkehrsverbindungen, in: Beyrer, Klaus (Hrsg.): Kommunikation im Kaiserreich. Der Generalpostmeister Heinrich von Stephan, Heidelberg 1997, S. 119 f.
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rungseinrichtungen „aller Zeiten und Völker“ 6 sowie zur Belehrung der Beamtenschaft und des Publikums gegründete Museum, sich engagiert in den Dienst der Kolonialidee stellte. Das erste Postmuseum der Welt entwickelte sich durch eifrige Sammlung und repräsentative Ausstellung aussagekräftiger Objekte der Kolonialpostgeschichte zu einem vielbesuchten Ort kolonialherrschaftlicher Identitätsstiftung und nach dem Ersten Weltkrieg bis 1939 zu einer Stätte kolonialer Erinnerung und des Kolonialrevisionismus. „NEUE AUSGANGSPUNKTE FÜR DIE SAMMELTHÄTIGKEIT“ 7 Wie viele andere Einrichtungen in Deutschland auch sollte das Reichspostmuseum das Interesse an der Kolonialpolitik fördern. 8 Das Kolonialthema war im Museum an vielen Stellen vertreten: in der Dauerausstellung, in den Sammlungen und im Museumsneubau sogar als Architekturbestandteil. Die neuen Aufgaben der Kaiserlichen Reichspost zur Herstellung postalischer Verbindungen zu und in den von Deutschland beanspruchten Territorien in Afrika, Asien und der Südsee beeinflussten den bereits sehr weit gefassten Sammlungsauftrag dahingehend, sich in besonderem Maße um Kommunikationszeugnisse aus den neuen Kolonien und um Objekte der Kolonialpost zu bemühen. 9 Die Erwerbsdokumentation des Museums verzeichnet im ersten Jahrzehnt des Bestehens deutscher Kolonien jedoch nur sehr wenige diesbezügliche Objekteintragungen, 10 obwohl die erste Eintragung schon recht früh am 12. Januar 1886 stattfand. Die Inventarkladde nennt zwei kurz nach der deutschen Flaggenhissung in Angra Pequena in Südwestafrika am 5. Juli 1884 in Nürnberg hergestellte Gedenkmünzen. 1888 folgte ein Modell des Dampfers „Marie Woermann“ im Maßstab 1:48 als Widmung des Hamburger Reeders Adolph Woermann zur Veranschaulichung des Schiffsverkehrs mit Deutsch-Westafrika. In den nächsten beiden Jahren erweiterte sich der Kolonialbestand um einige Fotos aus Kamerun und Togo, die die ersten Postanstalten zeigen, und um zwei Einbaum-Kanus aus Finschhafen in Neuguinea, die der Geheime Oberpostrat Reinhold Kraetke geschenkt hatte.
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Katalog des Reichspostmuseums, Berlin 1897, S. VI. Eine Wanderung durch das Postmuseum, in: Deutsche Verkehrs-Zeitung, Nr. 33, Berlin 1898, S. 382. 8 Siehe Zeller, Joachim: „Das Interesse an der Kolonialpolitik fördern und heben“. Das Deutsche Kolonialmuseum in Berlin, in: van der Heyden, Ulrich/ders. (Hrsg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002, S. 142 ff. 9 Siehe Baumunk, Bodo-Michael: „Übersicht über die Gestaltung des Verkehrswesens aller Zeiten und Völker“. Die Geschichte des Reichspostmuseums und seiner Sammlungen (1872– 1945), in: Randa-Campani, Sigrid (Hrsg.): „einfach würdiger Styl!“ Vom Reichspostmuseum zum Museum für Kommunikation Berlin, Heidelberg 2000, S. 124 ff. 10 Die Erwerbsbücher des Reichspostmuseums gehören zur Sammlung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation. Weitere Erwerbsunterlagen befinden sich im Bundesarchiv (BArch) im Bestand Reichspostministerium R 4701//Reichspostmuseum.
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Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Heinrich Stephan seinen entsandten Beamten Sammlungsaufträge für das Museum mitgegeben hat. Zudem dürfte die Eigeninitiative vieler Beamter eine Rolle gespielt haben. Das Museum war in der gesamten Postbeamtenschaft bekannt. Über dessen Sammlungsauftrag und große Schenkungen an das Museum wurde im Beiheft zum Amtsblatt des Reichspostamts ausführlich berichtet. 11 Darüber hinaus agierte das Kuratorium des Postmuseums im Auftrag des Reichspostamts aktiv in eigener Sache und forderte, Objekte „gefälligst [zu] beschaffen und hierher gelangen zu lassen“ 12. Diese sollten als Original, Modell oder Bild, insbesondere Fotografien, die koloniale Tätigkeit der Reichspost darstellen als auch mittels Ethnografika die Kommunikations- und Verkehrsbedingungen der einheimischen Bevölkerung veranschaulichen. Kraetke war persönlicher Referent des Staatssekretärs und ging 1888 nach Neuguinea, um dort für die Neu-Guinea-Compagnie als Landeshauptmann tätig zu werden. Nach seiner Rückkehr übernahm er 1890 im Reichspostamt die Bearbeitung der Kurs-, Postdampfschiff- und Kolonialangelegenheiten. 13 Seine Büroräume lagen nicht weit entfernt von den allmählich immer voller werdenden Museumsräumen, die sich in den Hintergebäuden des Reichspostamts in der Leipziger Straße 15 befanden. Das Gedeihen der gesamten Museumssammlung – seit 1882 gab es im Postetat einen eigenen Sammlungshaushalt in Höhe von 10.000 Mark, der 1897 zum 25-jährigen Museumsjubiläum erschienene Sammlungskatalog umfasste 576 Seiten mit über 6.000 Objektpositionen – belohnte Staatssekretär Stephan mit einem eigenen Prachtbau für „sein“ Museum, der von 1893 bis 1897 im Ensemble der Erweiterungsbauten des Reichspostamts errichtet wurde. In Vorbereitung der neuen Ausstellung mit annähernd 2.000 Quadratmetern Fläche auf drei Etagen intensivierte sich 1894 und 1895 auch das Sammeln kolonialer Objekte, vor allem aus Togo und Deutsch-Ostafrika. Hervorzuheben sind eine Signal- und Kriegstrommel, diverse Fetische, darunter ein Entenkopf als Mittel gegen Leute, die zu viel sprechen, und gegen das vom Schwingen der Drähte verursachte Geräusch in den Telegrafenstangen, wie der Sammlungskatalog betont. 14 Als besonders eifriger Sammler tat sich in Lome Telegrafen-Assistent Kraft hervor. Er sandte neben den Fetischen einen Haussa-Reitsattel mit Bügel und Zaumzeug sowie zwei Tragekörbe nach Berlin. Nach seiner Rückkehr reichte er 1896 noch vier Brief-Talismane in arabischer Sprache nach. Postinspektor Puche, Kolonialbeamter in Daressalam und von 1908 bis 1919 Kolonialreferent im Reichspostamt, besorgte für das Museum sieben von Afrikanern hergestellte Modelle ostafrikanischer Segelboote. 15 Postsekretär Finster überließ eine Tasche aus 11 Siehe Die Britisch-Indische Sammlung im Reichspostmuseum, in: Archiv für Post und Telegraphie, Nr. 20, Berlin 1880, S. 609 ff. 12 Kuhlmann, Erich: Hamburg und das Reichspostmuseum, Hamburg 1990, S. 57. 13 Siehe Leclerc, Herbert: Reinhold Kraetke (1845–1934), in: Post- und Telekommunikationsgeschichte, Nr. 2, Frankfurt am Main 1995, S. 79 ff. 14 Siehe Katalog, S. 338. 15 Siehe BArch R 4701/9200, 9201 und Puche, W.: Post und Telegraphie in den deutschen Schutzgebieten und bei den deutschen Verkehrsanstalten im Ausland in den Jahren 1903 bis 1914, in: Archiv für Post und Telegraphie, Nr. 10, Berlin 1921, S. 378.
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Ziegenfell für die afrikanischen Postboten auf dem Kurs Kilimandscharo–Tanga sowie die Ausrüstung eines Briefboten der Kilimandscharo-Stationen Moschi und Marangu, bestehend aus einem Massai-Speer, Bogen mit zwei Pfeilen und einem Trinkgeschirr. Vom Postamt in Daressalam erwarb das Museum Bekleidungsgegenstände für die bei den Postanstalten in Deutsch-Ostafrika beschäftigten afrikanischen Personen. Deutsch-Südwestafrika war in der Sammlung mit nur drei Fotos von Ochsenwagen unterrepräsentiert. Daher ließ das Museum 1897 ein Modell eines 16-spännigen Ochsengefährts im Maßstab 1:6 in einer Länge von fünfeinhalb Metern anfertigen. RUHMESHALLE DER POST Am 21. Februar 1898 öffnete der neue Museumsbau seine Pforten für das Publikum. Schon zuvor hatte es Vorbesichtigungen gegeben. Kaiser Wilhelm II. besuchte am 5. Februar das Gebäude und die Ausstellung. Die Pläne für den Museumsbau hatte er bereits 1891 mit „… einfach würdiger Styl!“ 16 für gut befunden und genehmigt. Das Gebäude fügte sich in das repräsentative Erscheinungsbild der Reichspost ein und spiegelte die Autorität des wilhelminischen Deutschlands. Die Ausstellung bot einen historischen Rückblick auf die Entwicklung des Verkehrs und der Nachrichtenübermittlung von der Antike bis zur Neuzeit, legte den Schwerpunkt jedoch auf das 19. Jahrhundert mit seinen neuen Kommunikationstechniken wie Bahnpost, Dampfschifffahrt, Telegrafie, Fernsprechwesen und die Anfänge der Funktechnik. Die deutsche Post stand dabei im Mittelpunkt des Vergleiches mit den europäischen und nordamerikanischen Postverwaltungen und den Verkehrs- und Nachrichtensystemen Afrikas, Asiens und Ozeaniens. Die Dauerausstellung hob den Modernisierungsschub, den die Reichspost im Kaiserreich erfahren hatte, die zunehmende Normierung und Technisierung sowie Internationalisierung der Institution hervor. Der Kaiser stellte bei seinem Besuch viele Fragen und war „in vollem Maße“ 17 von den Darbietungen, insbesondere von den technischen befriedigt. Ein Bildnis von sich in Lebensgröße und ganzer Figur in Admiralsuniform an Bord eines Kriegsschiffes war sein Eröffnungsgeschenk. Zur Popularisierung der Flottenpropaganda fand es bei den Schiffsmodellen der überseeischen Postdampferlinien im ersten Geschoss Aufstellung. „In Erfüllung seiner Aufgabe, das Verkehrswesen im geschichtlichen Werdegang und im Zusammenhang mit der allgemeinen Culturentwickelung zu veranschaulichen“ 18, bildeten im Reichspostmuseum vor allem die Originalstücke, Modelle, Figuren und Zeichnungen aus Russland, Vorder- und Hinterindien, Niederländisch-Indien, Siam, China und Japan neben den ethnologischen Objekten aus den deutschen Kolonien den Hintergrund für die vergleichende Entwicklungs16 Randa-Campani, Sigrid (Hrsg.): „einfach würdiger Styl!“…, a.a.O., S. 4. 17 Der Besuch des Kaiserpaares im Postmuseum, in: Deutsche Verkehrs-Zeitung, Nr. 6, 1898, S. 52. 18 Das Stephan-Denkmal und das Postmuseum, in: Archiv für Post und Telegraphie, Nr. 10, Berlin 1899, S. 478.
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und Fortschrittsdarstellung der Verkehrs- und Kommunikationsmittel vom Niederen zum Höheren. Ähnlich der Präsentation in Völkerkundemuseen zu dieser Zeit wurden die Exponate nach geografischen Regionen geordnet und in Vitrinen dicht an dicht präsentiert. Im Reichspostmuseum waren alle Ausstellungsräume mit Themenüberschriften und die Exponate auch mit kurzen Objektbeschriftungen gekennzeichnet. Dies erhielt in der Öffentlichkeit viel Lob. Einen eigenen Museumsführer zur neuen Ausstellung mit einer Interpretation der geschichtlichen Entwicklung gab es nicht. Diesbezüglich herrschte wie in anderen Museen die Philosophie, dass das Wissen der Besucher durch die Anschauung der Objekte und ihre Zusammenstellung entstehen sollte. 19 KOLONIALE EXPONATE Die Kolonialabteilung befand sich im ersten Geschoss direkt neben dem Auslandssaal, der die zuvor genannten Stücke ausstellte. Schon vom Lichthof aus, in dessen Mitte seit 1899 das von Joseph Uphues geschaffene Stephan-Denkmal stand, sah das Publikum neben der Kolossalbüste des Kaisers Wilhelm II. durch zwei Galerieöffnungen das große Ochsenwagen-Modell aus Deutsch-Südwestafrika und darüber von der Decke hängend zwei Kanus aus der Südsee. Mehr Übersee- und Kolonialexotik boten weiter oben die Glasmalereien der Lichthofkuppel mit floralen und Papageien-Darstellungen und einem züngelnden Strahlenkranz über dem Scheitelpunkt des Hauptportals. In der Höhe des zweiten Obergeschosses schaute im Blindfeld der Glasdeckenvoute der Porträtkopf eines Afrikaners in den Raum. Drei weitere Porträtköpfe zierten die anderen Ecken der Voute: ein Südseeinsulaner, ein Chinese und ein Deutscher in Tiroler Tracht. Die Beschreibungen des Reichspostmuseums aus seiner Entstehungszeit erwähnen diesen Bildschmuck nicht. 20 Die Literatur aus den 1990er Jahren – der Prachtbau wurde nach umfangreicher Sanierung im März 2000 als Museum für Kommunikation Berlin wiedereröffnet – liefert folgende kolonialfernen Interpretationen: Die Darstellungen versinnbildlichen die „Verbindung des Reichs mit der Welt durch die Post“ 21, repräsentieren „jene Gebiete, in denen deutsche Postanstalten ab 1887 eingerichtet wurden“ 22, sind „Allegorien der vier Kontinente bzw. der Reichspostdampferlinien“ 23. Schon eher trifft eine koloniale Deutung der Häupter als Untertanen des Kaisers zu. Krickeberg beschreibt dies 1897 in einer die Kolonialrealität idealisie19 Siehe Ricci, Glenn Arthur: Böser Wilder, friedlicher Wilder. Wie Museen das Bild anderer Kulturen prägen, Oldenburg 2015, S. 10. 20 Siehe Techow, Postbaurath: Der Erweiterungsbau des Reichs-Postamtsgebäudes zu Berlin, in: Archiv für Post und Telegraphie, Nr. 3, Berlin 1898, S. 65 ff. 21 Hübner, Hans: Das Reichspostmuseum in Berlin W 66 an der Ecke Leipziger- und Mauerstraße. Bau und bildkünstlerischer Schmuck, in: Post- und Telekommunikationsgeschichte, Nr. 2, Frankfurt am Main 1999, S. 25. 22 Niebergall, Klaus: Zerstörung und Rekonstruktion. Das Gebäude des Postmuseums der DDR 1945–1991, in: Randa-Campani, Sigrid (Hrsg.): „einfach würdiger Styl!“…, a.a.O., S. 85. 23 Ebenda, S. 216.
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renden Weise: „So genießen also alle unsere deutschen Brüder, ob sie nun weißer, schwarzer, gelber oder brauner Hautfarbe sind, dank Stephans thatkräftigem Vorgehen die gleiche Fürsorge in postalischer Beziehung.“ 24 Während in den ersten Jahren nach der Museumseröffnung noch die ethnologischen und postalischen Neuzugänge aus den Kolonien im Vordergrund standen, füllten mit der Verkabelung der Kolonien zunehmend mehr fernmeldetechnische Objekte die Räume. Viele von diesen Neueingängen wurden umgehend zu Exponaten der Ausstellung, was die Objekte in den Räumen zwar thematisch zusammenfasste, aber keine auf suggestive Wirkung zielenden Ausstellungsarrangements mit Gruppenpanoramen lebensgroßer Figuren lieferte wie etwa im nur wenige Kilometer entfernten Kolonialmuseum oder in den Völkerkundemuseen. 25 Lebendige Anschauung boten die im Kontext der Exponate ausgestellten Fotografien, Grafiken und Bilder. Die zu bewältigenden Schwierigkeiten beim Auf- und Ausbau der Telegrafenlinien veranschaulichten eine von Termiten zerfressene Telegrafenstange aus Togo, eine Kabelprobe aus dem Kamerunfluss sowie Bruchstücke von Kabeln aus Tsingtau. In der Feldpostabteilung des Museums im Erdgeschoss erinnerte eine mobile Feldpoststation an die alliierte Niederschlagung des Boxeraufstandes 1900/01 in China. Im Zeitraum der deutschen Kolonialkriege in Afrika von 1903 bis 1908 gelangten kaum Kolonialobjekte in die Sammlung. 1904 erwarb das Reichspostmuseum, sicherlich im Kontext des vermehrten Einsatzes dieser Nachrichtentechnik im Kolonialkrieg, einen Heliografen aus der Werkstatt von Rudolf Fuess. 1905 ergänzten zwei Fotoalben den Bestand, die den Kabeldampfer „Stephan“ bei der telegrafischen Anbindung der Insel Yap im westlichen Stillen Ozean zeigen. Auf die Aufstände gegen die Kolonialherrschaft wurde im Museum erst nach dem Ersten Weltkrieg eingegangen. Zumal Kommunikationsinhalte wie Briefe, Post- und Ansichtskarten aufgrund der technischen Ausrichtung des Museums nicht gesammelt wurden. Innovativ war dagegen die Objektauswahl nach konkreten Nutzungszusammenhängen und besonderen Objektgeschichten. Hinsichtlich der Briefmarkenausgaben für die Kolonien bestand das Sammlungsziel jedoch in der Vollständigkeit. Mehrfach erließ das Reichspostamt Verfügungen für die Kolonialpostämter, dem Reichspostmuseum in den Kolonien gestempelte Belegstücke zur Verfügung zu stellen. 26 Kolonialbriefmarken des Reichspostamts dienten dem Museum auch als Tauschobjekte für begehrte fehlende Raritäten, wie zum Beispiel 1904 für die Blaue Mauritius.
24 Krickeberg, E.: Heinrich von Stephan…, a.a.O., S. 184. 25 Zeller, Joachim: „Das Interesse an der Kolonialpolitik fördern und heben“…, a.a.O., S. 147–148. 26 Siehe Leclerc, Herbert: Von Apia bis Yap. Ehemalige deutsche Postanstalten in der Südsee, in: Archiv für deutsche Postgeschichte, Nr. 1, Frankfurt am Main 1982, S. 26–27.
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„… EINS DER VOLKSTÜMLICHSTEN MUSEEN“ 27 In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zählte das Reichspostmuseum bei freiem Eintritt jährlich 100.000 Gäste, darunter 96.000 Einzelbesucher im Jahr 1912 und viele Schulklassen, Rekrutengruppen und ausländische Besuchsgruppen. Angesichts der kurzen Öffnungszeiten von jeweils vier Stunden an vier Wochentagen und zwei Stunden am Sonntag eine sehr stattliche Zahl. Beim breiten Publikum veranlasste sicher nicht die Kolonialabteilung den Museumsbesuch. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen die allgemeine Geschichte der Post im In- und Ausland, die Entwicklung des Verkehrswesens, seit 1910 die Zeppelin-Modelle als weltweit erste museale Darstellung der Luftfahrt, und vor allem die größte öffentlich zugängliche Briefmarkensammlung der Welt. Um das Interesse an seinen reichhaltigen Sammlungen in der Öffentlichkeit weiter zu steigern und noch mehr Besucher zu akquirieren, beteiligte sich das Museum vielfach als Leihgeber an großen nationalen und internationalen Ausstellungen. Den Anteil der Reichspost an der Erschließung der Kolonien propagierte es 1907 auf der „Deutschen Armee-, Marine- und Kolonial-Ausstellung in Berlin“ mit etwa 70 Modellen, Originalstücken und Bildern sowie einer eigenen Feldpost-Abteilung. Eine Vielzahl von Fotos dokumentierte ab 1911 in der Sammlung den nach den Kolonialkriegen mit beträchtlichen Aufwendungen betriebenen Ausbau der postalischen Infrastruktur in den Kolonien. Allein im Jahr 1912 kaufte das Reichspostmuseum von den großen Kolonialpostämtern annähernd 250 Fotografien an, die Posthäuser, den Post- und Feldpostdienst, den Telegrafen- und Fernsprechbetrieb, Landbeförderungsmittel (Wagen, Lasttiere, Karawanen, Eisenbahnen), den Schiffs- und Hafenverkehr, Städteansichten und Landschaften abbildeten und schon bald im Museum auf 50 Tafeln an einer Drehsäule gezeigt wurden. Auch die neuen Funkstationen in den Kolonien waren Teil der Darbietung. Die Erneuerung vieler Entwertungsstempel und Dienstsiegel in den Kolonialpostämtern bescherte der Sammlung 1913 einen größeren Zuwachs von außer Dienst gestellten Geräten aus Kamerun, China, Deutsch-Neuguinea und anderen Südseegebieten. Vereinzelt erhielt die Sammlung von der Reichsdruckerei bereits ausgesonderte Briefmarkendruckstöcke. 1913 ließ das Museum das in Daressalam neugestaltete Postgrundstück detailreich für die Ausstellung nachbilden. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte die angekündigte weitere Vergrößerung der Kolonialabteilung durch Beschaffung „bemerkenswerter Gebrauchsgegenstände aus dem Verkehrsleben sowie von Musterstücken“ 28.
27 Das Reichs-Postmuseum, in: Archiv für Post und Telegraphie, Nr. 1, Berlin 1914, S. 15. 28 Neuerwerbungen des Reichs-Postmuseums, in: Archiv für Post und Telegraphie, Nr. 13, Berlin 1914, S. 456.
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VON DEN ZEITLÄUFEN ZIEMLICH UNBERÜHRT Die 1922 vom Postrat Fechner über die Sammlungen des Reichspostmuseums getroffene Feststellung, dass ihre allgemeine Anordnung annähernd die gleiche geblieben ist wie beim Bezug der Räume 1897, traf auch noch 1933 zu. 29 Zwar waren neue Themen und Ausstellungseinheiten hinzugekommen, so 1929 in der zweiten Etage die moderne Funk- und Rundfunktechnik. Die ausgestellten Kolonialobjekte blieben in der Mehrzahl jedoch an ihrem angestammten Platz und kündeten wie schon im Kaiserreich vom Wirken der Reichspost in den Kolonien. Die Hervorhebung einer bisher nicht ausgestellten Waffensammlung aus Südwestafrika in der Zeitschrift „Grüne Sammler-Welt“ im Jahr 1933 deutet indes auf eine Veränderung der Darstellung der Kolonisierten in der Nachkolonialzeit hin. 30 Neben die „zuverlässigen Eingeborenen“ 31, die den Postbotendienst bewaffnet mit Speer, Pfeil und Bogen zur Abwehr von wilden Tieren und Räubern versehen, neben die friedlichen, „naiven“ Einheimischen, die Segelbootmodelle für das Postmuseum oder Fetische zur Abwehr der bösen modernen Kommunikationsgeister fertigen oder im Rahmen der erstrebten „kulturellen Hebung“ schon die neuen Kommunikationsmittel nutzen, traten die „wilden“, kriegerischen Afrikaner, die beherrscht oder besiegt werden mussten. Während die Literatur über das Reichspostmuseum aus der Zeit der Weimarer Republik kaum auf die kolonialen Sammlungen eingeht – Direktor Albert Jacobs erwähnt 1931 in seinem Artikel für die Illustrierte „Die Woche“ die Auslandsaber nicht die Kolonialabteilung 32 – betonte der langjährige Kenner des Reichspostmuseums Müller-Fischer in seinem Museumsführer von 1939 rückblickend, dass der koloniale Gedanke „auch zu einer Zeit im Reichspostmuseum gepflegt [wurde], als man sonst ängstlich vermied, Deutschlands Anspruch auf Kolonien zu erwähnen“ 33. Jacobs war 1929 der Kritik der „Republikanischen Beschwerdestelle“ ausgesetzt gewesen, im Museum wären als Ausdruck monarchistischer Gesinnung zu viele kaiserliche Hoheitszeichen ausgestellt. 34 Die bedeutendste und größte Sammlungserweiterung in der Zeit der Weimarer Republik war Anfang der 1920er Jahre die Übernahme der umfangreichen Restbestände der Kolonialbriefmarken und der dazugehörigen Grafikentwürfe und Druckstöcke von der Reichsdruckerei. Zur Bereicherung trugen auch die Geschenke zurückgekehrter Kolonialpostbeamter bei. So überließ Postsekretär Rotter 1920 Briefe aus Bambusrohr, die während des Weltkrieges in Ostafrika als Papierersatz gedient hatten. Die nach dem Krieg aktualisierte Feldpostabteilung des 29 Siehe Fechner, Postrat: Die Sammlungen des Reichspostmuseums, in: Archiv für Post und Telegraphie, Nr. 4, Berlin 1922, S. 125. 30 Siehe Ein Besuch im Reichspostmuseum, in: Grüne Sammler-Welt, Nr. 4, Niebüll 1933, S. 49. 31 Martell, P.: Das Reichs-Postmuseum zu Berlin, in: Illustriertes Briefmarken-Journal, Nr. 24, Leipzig 1924, S. 374. 32 Siehe Jacobs, Albert: Das Reichspostmuseum, in: Die Woche, Nr. 2, 1931, S. VIII. 33 Müller-Fischer, Erwin: Vom Postpapyrus zum Postflugzeug. Ein kulturgeschichtlicher Streifzug durch das Reichspostmuseum, Berlin 1939, S. 143. 34 Siehe BArch 4701/11349-2.
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Museums präsentierte nun auch die in der Kriegszeit 1916 aus Sammlerhand erworbenen Feldpostbriefe aus China und Deutsch-Südwestafrika sowie dazugehörige Feldpoststempel. In die Ausstellung gelangte weiter ein Geldschrank des Postamts Tientsin, der bei den Kämpfen in China im Jahr 1900 durch mehrere Granateinschläge beschädigt worden war, sowie der Stempel aus dem Postamt Tientsin, mit dem um die Jahreswende 1900/01 während des Boxeraufstandes aus Mangel an Germania-Briefmarken mit maschinellem Aufdruck „China“ provisorische Handstempel-Aufdrucke mit „China“ auf den Marken der Reichspost hergestellt wurden. Für Philatelisten waren besonders die Bogenteile der Notausgabe von Deutsch-Ostafrika interessant. Die Marken wurden während des Krieges 1916 beim Rückzug in der Nähe von Morogoro in der Erde vergraben, um sie nicht den Engländern in die Hände fallen zu lassen. Nach dem Krieg erfolgte die Bergung mit Genehmigung englischer Stellen von Beauftragten der deutschen Reichsregierung. „… ERFÜLLT VOM GEISTE NATIONALSOZIALISTISCHER WELTANSCHAUUNG“ 35 Auf der ersten Wiedersehensfeier der ehemaligen Kolonial- und Auslandsbeamten der Reichspost im November 1935 in Berlin wurde unter Beifall ein Aufruf mit dem Ziel einer Überblickspublikation gestartet, „alles Schrifttum über die Tätigkeit der Deutschen Reichspost in den früheren deutschen Schutzgebieten und im Ausland zu sammeln“ 36. Der Sammelband „Die Geschichte der Deutschen Post in den Kolonien und im Ausland“ erschien noch vor dem Krieg 1939. Im Kontext der propagandistischen Funktion dieses Werkes entstanden der im Verlag von Heinrich Hoffmann 1935 erstellte kleine Bildband über das Reichspostmuseum und 1938/39 der Museumsführer „Vom Postpapyrus zum Postflugzeug“ von Erwin Müller-Fischer. Beide Publikationen würdigen die neue Kolonialabteilung des Reichspostmuseums, die „gewissermaßen als Ehren- und Mahnmal die Erinnerung an die musterhafte Arbeit der deutschen Post in den Tropen wach[hält]“ 37. Die Kolonialabteilung mit ihren ungefähr 75 Quadratmetern war Mitte der 1930er Jahre im Zusammenhang der weiteren Modernisierung der Ausstellungen überarbeitet und umgestaltet worden. Die abgehängten großen Holzboote aus der Südsee waren entnommen. Auch finden sich keine Belege mehr, dass die Uniformen der afrikanischen Postbediensteten noch ausgestellt wurden. Ihre Darstellung fand Eingang in die umfangreiche Fotopräsentation der Kolonialpost in den Drehsäulen. Die neue Ausstellungsgestaltung konstruierte nun viel offensichtlicher den Gegensatz von Natur- und Kulturmenschen, inszenierte ethnologische Exponate von „Primitiven“ oder „bösen Wilden“ im Vergleich mit deutschen „vorbildlichen 35 Ohnesorge, Reichspostminister: Vorwort, in: Schmidt, Willy/Werner, Hans (Hrsg.): Geschichte der Deutschen Post in den Kolonien und im Ausland, Leipzig 1939, S. V. 36 Werner, Hans: Wiedersehensfeier der ehemaligen Kolonial- und Auslandsbeamten der Deutschen Reichspost in Berlin, in: Deutsche Verkehrs-Zeitung, Nr. 49, Berlin 1935, S. 861. 37 Müller-Fischer, Erwin: Vom Postpapyrus zum Postflugzeug…, a.a.O., S. 143.
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Kulturleistungen“. Während an den weißen Galeriewänden in ansprechender Form Tiergehörne mit Hinweis auf den Stifter Kraetke und archaische Waffen wie Speere, Bögen, Pfeile und Äxte als Blickfang hingen, standen die schönen Modelle, die modernen Betriebsmittel und die beeindruckenden Fotos der Kolonialposteinrichtungen, aus NS-Sicht einer höheren, zivilisierten Rasse zugehörig, in Vitrinen und Schauelementen davor. Raum-, Themen- und Objektgruppentexte fehlten weiter im Reichspostmuseum. Aus dem schriftlichen Museumsführer erfuhr die Leserschaft im Sinne der NS-Kolonialpropaganda, dass Deutschland das Recht auf Kolonien besitze, vorbildliche Kolonialarbeit geleistet und keine Kolonialgräuel begangen habe, die anderen Kolonialmächte jedoch ihre Kolonien ohne jegliche Kulturarbeit nur ausplündern würden. Informationen zu den Objekten und Kolonialthemen dürfte auch das Museumspersonal dem Publikum geliefert haben. Gerade die Erläuterungen von technischen Exponaten in öffentlichen Vorführungen – 1935 wurde im Vortragssaal die erste öffentliche Fernsehstube Berlins eingerichtet – zogen Besucherscharen ins Haus. Während in den 1920er Jahren die jährliche Besucherzahl nur zwischen vierzig- und fünfzigtausend lag, sollen es bis zur kriegsbedingten Schließung 1939 bis zu 300.000 Besucher pro Jahr gewesen sein. Daher ließ die Werbestelle der Reichspost für die große Kolonialausstellung in Dresden 1939 auch Repliken von den Modellen der Kolonialposthäuser und des 16-spännigen Ochsengefährts aus Deutsch-Südwestafrika anfertigen, um Ausstellungslücken im Museum für längere Zeit zu vermeiden. Die kleine Schau anlässlich der zweiten Wiedersehensfeier der ehemaligen Kolonialpostbeamten 1937 im Veranstaltungssaal des Berliner Postfuhramtes hatte das Museum vor allem mit kolonialen Erinnerungsgegenständen bestückt. Dies auch zum Zwecke der Sammlungswerbung. 1938 übereignete die Witwe des Oberpostdirektors Hans Bastian dem Museum einen Flusspferdschädel, den er „als größtes Erinnerungsstück“ 38 an seine Tropendienstzeit von 1893 bis 1896 aus Deutsch-Ostafrika mitgebracht hatte. Das Tier war erlegt worden, weil es die Verlegung des Telegrafenkabels durch den Rufiji-Fluss südlich von Daressalam behindert und den Postkahn bedroht hatte. KOLONIALES ERBE Von den kolonialen Objekten des Reichspostmuseums hat glücklicherweise das Gros den Krieg und die Nachkriegswirren leidlich überstanden. Dazu gehören große Bestände an Kolonialpostwertzeichen, über 450 Druckstöcke der Kolonialmarken, über 600 Fotografien und ungefähr 500 Objekte anderer Kategorien, darunter Gemälde, Grafiken, Archivalien, Dokumente und Verkehrskarten, Poststempel und Dienstsiegel, Uniformen und Textilien, Verkehrsmodelle sowie ethnologische Objekte. Die durch Auslagerungen geteilte Kolonialsammlung gelangte nach 1945 in die Obhut der Nachfolgeinstitutionen Bundespostmuseum Frankfurt am Main und 38 Brief von Elisabeth Bastian an den Direktor des Postmuseums, 25.6.1938, in: BArch R 4701/ 25768.
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Postmuseum der DDR. Die allermeisten Kolonialpostwertzeichen und deren Entwürfe erhielt 1955 das Postwertzeichenarchiv des Bundespostministeriums in Bonn. Die Auseinandersetzung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation mit ihrem kolonialen Erbe steht sowohl hinsichtlich der Erforschung der Objektbiografien als auch der musealen Sammlungs- und Ausstellungspraxis erst am Anfang.
„GRÜSST MEIN KIND, WENN’S NOCH LEBT“: KINDER DES DEUTSCH-HERERO KOLONIALKRIEGS Katharina von Hammerstein „Was aus Tapita und Moritz geworden ist, ich weiß es nicht, vielleicht sind sie verhungert, verdurstet oder sonst ums Leben gekommen. Die Treuen müssen leiden um der Sünden der Ungetreuen, ob sie schwarz oder weiß sind“, so sinniert die weiße, deutsche Siedlerin Else Sonnenberg in Wie es am Waterberg zuging. Ein Beitrag zur Geschichte des Herero-Aufstandes (1905) über das Schicksal von zwei schwarzen Herero-Kindern 1, ihren christianisierten Lieblingshausgehilfen, die sie in nachdrücklicher Absetzung von den gegen deutsche Kolonialherrschaft rebellierenden Herero wiederholt als „treu“ charakterisiert und deren „Leiden“ infolge der kombattanten „Sünden“ von Erwachsenen sie bedauert. Sonnenberg selbst zählt ihrerseits zu den Leidtragenden des Deutsch-Herero Kolonialkriegs (1904–1908) 2 in der vormaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia; die Ermordung ihres Ehemannes Gustav im Januar 1904 (Sonnenberg S. 73–74) – zeitgleich mit den Anschlägen der Herero auf 118 weitere männliche, deutsche Kolonisten, während Else als Frau mit ihrem Säugling Werner ausdrücklich verschont wurde –, bildete den Auftakt zu jenem bewaffneten Konflikt, den die deutsche Geschichtsschreibung jahrzehntelang als „Herero-Aufstand“ be1
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Sonnenberg, Else: Wie es am Waterberg zuging. Ein Beitrag zur Geschichte des Hereroaufstandes [1905]. Neudruck: Wie es am Waterberg zuging. Ein Originalbericht von 1904 zur Geschichte des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Uwe Ulrich Jäschke, Wendeburg 2004, S. 114. Seitenangaben zu Sonnenberg erscheinen im Folgenden bei eindeutiger Zuordnung der Einfachheit halber in Klammern im Text. Offiziell endete der Krieg 1907, doch dauerte Gefangenschaft in Konzentrationslagern bis 1908 an. Da Gewalt in diesem Krieg und den Lagern nicht voneinander getrennt werden können, schließe ich mich Joachim Zimmerers Datierung von 1904 bis 1908 an; Zimmerer, Jürgen: Krieg, KZ und Völkermord in Südwestafrika. Der erste deutsche Genozid, in: ders./Zeller, Joachim (Hrsg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin 2004, S. 58. Vgl. zum Deutsch-Herero Kolonialkrieg generell u. a. Drechsler, Horst: Aufstände in Südwestafrika. Der Kampf der Herero und Nama 1904 bis 1907 gegen die deutsche Kolonialherrschaft, Berlin 1984; Hull, Isabel V.: Absolute Destruction. Military Culture and Practices of War in Imperial Germany, Ithaca/London 2005; Kößler, Reinhart: Namibia and Germany. Negotiating the Past, Windhoek 2015; Lau, Brigitte: Uncertain Certainties. The Herero-German War of 1904 [1989], in: dies.: History and Historiographie – 4 Essays in reprint, hrsg. von Annemarie Heywood, Windhoek 1995, S. 39–52; Okupa, Effa: Carrying the Sun on our Backs. Unfolding German Colonialism in Namibia from Caprivi to Kasikili, Berlin 2006; Sarkin, Jeremy: Germany’s Genocide of the Herero, New York 2011.
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zeichnete, wodurch sprachlich die Verantwortung für den Krieg den Afrikanern angelastet wurde, während die Stimmen und damit Perspektiven der Opfer unter den Herero, ihrer Kinder und Kindeskinder marginalisiert wurden. Sonnenbergs Erwähnung der Leiden von Herero-Kindern in ihrer autobiografischen Rückblende deutet darauf hin, dass die Autorin von 1905 bei aller Parteilichkeit für die deutsche, koloniale Sache der Tatsache Rechnung trägt, dass nicht nur weiße Deutsche Opfer von Gewaltakten durch Schwarze wurden, sondern gerade auch – wie wir heute wissen viele Zehntausende – Herero einschließlich unzähliger Kinder durch das grausame Vorgehen der deutschen sogenannten Schutztruppe. 3 Der Machtkampf in Südwestafrika zwischen eingewanderten deutschen Siedlern und einheimischen, nomadischen Herero-Viehzüchtern – und anderen lokalen Ethnien – um die Kontrolle der wertvollen Ressourcen von Land, Vieh und Wasser führte bekanntlich zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, wie Genozid später in der Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (1948) definiert wurde. 4 Die spezifischen Erfahrungen von Kindern in diesem bewaffneten Konflikt sind in der Forschung bislang nur am Rande berücksichtigt worden. 5 Kindheitsforscher Daniel Thomas Cook und John Wall machen darauf aufmerksam, dass „world-historically speaking, there are relatively few [children] 3 4
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Die Bezeichnung „Schutztruppe“ für die Truppen in den deutschen Kolonien bezieht sich auf den Schutz der Interessen der Kolonisten. Während der vormalige deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert und das Auswärtige Amt seit Juli 2015 von einem Völkermord sprechen – als politisch-historischen, nicht als rechtlichen Begriff –, hat der Bundestag nach wie vor nicht positiv über eine offizielle Ankerkennung des Völkermordes an den Herero abgestimmt. Verhandlungen zwischen den deutschen und namibischen Regierungen über eine Aussöhnung im Streit um die kolonialen Verbrechen in Deutsch-Südwestafrika sowie über Entwicklungshilfe einschließlich Zahlungen für infrastrukturelle Projekte in Siedlungsgebieten der Herero und Nama sind – auf deutschen Wunsch unter Aussparung einer Terminologie von „Völkermord“ und „Reparationszahlungen“ – im Gange. Jedoch werden von beiden Seiten die Opferverbände der Herero und Nama von diesen Verhandlungen bislang ausgeschlossen ebenso wie direkte Entschädigungszahlungen an Nachfahren der Opfer unter den Nama und Herero. Aktivisten unter den Herero und Nama setzen sich in Namibia, Deutschland und den USA dagegen zur Wehr, nicht zuletzt durch eine Sammelklage, die Anfang 2017 auf der Grundlage des amerikanischen Alien Tort Claims Act von 1789 beim New York Southern District Court von Vertretern der Herero und Nama eingereicht wurde. Vgl. eingestreute Bemerkungen über Kinder im Deutsch-Herero Kolonialkrieg in Alnaes, Kirsten: Living with the Past. The Songs of the Herero in Botswana, in: Africa. Journal of the International African Institute, Nr. 3, Cambridge 1989, S. 275, 279–284; von Hammerstein, Katharina: The Herero. Witnessing Germany’s ‚Other Genocide’, in: SITES. Contemporary French and Francophone Studies, Nr. 2, London 2016, S. 274, 276–277; dies.: Kriegs-Schau-Platz Omaheke. Multiple Perspektiven auf den Völkermord an den Herero, in: Acta Germanica, Nr. 1, Pretoria 2017, S. 35, 37–38; dies.: ‚Who Owns Hereroland‘? Diverse Women’s Perspectives on Violence in the German-Herero Colonial War, in: dies./Kosta, Barbara/Shoults, Julie (Hrsg.): Women Writing War. From German Colonialism through World War I, Berlin/Boston 2018, S. 47–48, 50; Krüger, Gesine: Bestien und Opfer. Frauen im Kolonialkrieg, in: Zimmerer, Jürgen/Zeller, Joachim (Hrsg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika…, a.a.O., S. 142, 156–157; Ohly, Rajmund: Herero Ecology. The Literary Impact, Warschau 2000, S. 122–139.
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like Anne Frank [in Nazi-occupied Holland, KvH] or Ishmael Beah [in the Sierra Leone Civil War, KvH] who leave traces of their experiences for the rest of us to witness“. 6 Solcherart Spuren geht der vorliegende Beitrag in ausgewählten schriftlichen und mündlichen Zeugnissen über Kinder im und nach dem DeutschHerero Kolonialkrieg nach. Nicht als Historikerin, sondern als Literaturwissenschaftlerin, d. h. Analytikerin von Texten, untersuche ich seltene, aus verstreuten Publikationen und Archiven zusammengetragene, mündliche und schriftliche, unund untererforschte Materialien, die aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Motivationen Bilder der Kriegserfahrungen von weißen und schwarzen Kindern im Deutsch-Herero Kolonialkrieg erstellen. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich insbesondere auf autobiografische Schriften deutscher Siedlerinnen und einer Missionarin (1905–1909) und verweist auf einige Briefe von überlebenden Herero (1906–1909) und Interviews aus den 1970er Jahren, Aussagen von Herero-Gefangenen sowie Militärs und einem Missionar (1904– 1918) und Interviews mit Herero-Nachfahren (2007), d. h. Kindeskindern mehrere Generationen nach dem Völkermord. Unter Bezugnahme auf Berichte der Vereinten Nationen über Kinder in Kriegskontexten in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart gehe ich den Fragen nach, welche differierenden Bilder des Schutzes bzw. mangelnden Schutzes der Menschenrechte von Kindern 7 in diesem Kolonialkrieg in den Zeugnissen vermittelt werden und wie das Konzept von „Rasse“ in diese Textkonstruktionen hineinspielt. Theoretische Grundlagen für die Untersuchung bilden die Konzepte „precariousness“ und „precarity“ der Philosophin Judith Butler für Zustände allgemeiner und individueller Gefährdung im Sinne von Schutzbedürftigkeit und Verletzlichkeit als Grundpfeiler ihrer Kritik an der Praxis, dass „under conditions of war, some human lives are [considered, KvH] worthy of protection while others are not“. 8 Erst seit den 1990er Jahren schenken Sozialwissenschaftler und Politiker dem Los von Kindern als Opfern und Tätern von Menschenrechtsverletzungen in bewaffneten Konflikten gesonderte Aufmerksamkeit. So heißt es 1996 zum Thema „Children in war“ bei UNICEF (United Nations International Children’s Emergency Fund): 6 7
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Cook, Daniel Thomas/Wall, John (Hrsg.): Children and Armed Conflict. Cross-disciplinary Investigation, New York 2011, S. 1. Vgl. Die Universal Declaration of Human Rights (1948) der Vereinten Nationen, die den Schutz von Kindern in Artikel 25.2 gesondert aufführt: „Motherhood and childhood are entitled to special care and assistance. All children, whether born in or out of wedlock, shall enjoy the same social protection“, online verfügbar unter: http://www.un.org/en/universal declaration-human-rights/ (15.8.2018). Eine gesonderte Convention on the Rights of the Child der Vereinten Nationen trat 1990 in Kraft, online verfügbar unter: https://www.ohchr.org/ Documents/ProfessionalInterest/crc.pdf (21.8.2018); sie baute mit Zwischenschritten 1959 und 1989 auf der Genfer Erklärung über die Rechte des Kindes auf, die 1924 im Völkerbund verabschiedet worden war und erstmals die Existenz von spezifischen Kinderrechten sowie die Verantwortung von Erwachsenen gegenüber Kindern anerkannt hatte, online verfügbar unter: https://www.kinderrechtskonvention.info/die-genfer-erklaerung-3336/ (15.8.2018). Butler, Judith: Frames of War.: When Is Life Grievable?, London/New York 2010, S. 18, Hervorhebung KvH.
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Katharina von Hammerstein Children have, of course, always been caught up in warfare. They usually have little choice but to experience, at minimum, the same horrors as their parents – as casualties or even combatants. Children have always been particularly exposed. When food supplies have run short, it is children who have been hardest hit [...]. When water supplies have been contaminated, it is children who have had the least resistance to the dangers of disease. And the trauma of exposure to violence and brutal death has emotionally affected generations of young people for the rest of their lives. 9
Doch gelten die in der Gegenwart alljährlich dokumentierten Feststellungen der Vereinten Nationen, dass eine überproportionale Anzahl an Kindern – insbesondere auch in afrikanischen Staaten – passiv oder aktiv in kollektive Gewalttaten verwickelt seien, die auf maximale Verluste und Terror unter Zivilbevölkerungen abzielten 10, und dass zu den „six grave violations“ gegenüber Kindern in bewaffneten Konflikten „[k]illing and maiming of children; [...] [s]exual violence against children; [...] [d]enial of humanitarian access for children“ zählen 11, bereits für Kinder der Vergangenheit wie jene im Deutsch-Herero Kolonialkrieg. Bekanntlich kamen in dieser militärischen Auseinandersetzung, die der Kommandant der deutschen Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika Generalleutnant Lothar von Trotha als „Rassenkampf“ 12 gegen „Unmenschen“ 13 bezeichnete, insgesamt zwischen 65.000 und 100.000 Herero (ca. 80 %) und Nama (ca. 50 %) 14 sowie Mitglieder anderer südwestafrikanischer Ethnien einschließlich Frauen und Kindern ums Leben. In und nach der sogenannten Schlacht am Waterberg bzw. ovita yOhamakari wurden nicht nur erwachsene, männliche HereroKämpfer, sondern und gerade auch fliehende Zivilisten jeden Alters und Geschlechts von deutschen kolonialen Truppen willkürlich erschossen und niedergemetzelt, verfolgt und immer weiter in die Wüste hineingedrängt. Zeugnis davon legen u. a. Herero-Überlebende ab, die die Flucht als Kinder erlebten und in den 1970er Jahren von der norwegischen Anthropologin Kirsten Alnaes interviewt wurden. 15 Die Mehrzahl der Flüchtenden verdurstete oder verhungerte auf den 9 10 11 12 13 14
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UNICEF: Children in War, in: UNICEF: The State of the World’s Children 1996 (1996), Unterkapitel: Children in War, online verfügbar unter: http://www.unicef.org/sowc96/ 1cinwar.htm (28.9.2018). Vgl. United Nations General Assembly Security Council. Children and armed conflict: Report of the Secretary-General (16. Mai 2018), online verfügbar unter: https://reliefweb.int/ sites/reliefweb.int/files/resources/N1815109.pdf (21.8.2018). Vgl. United Nations Office of the Special Representative of the Secretary-General for Children and Armed Conflict: The Six Grave Violations (2013), online verfügbar unter: https:// childrenandarmedconflict.un.org/six-grave-violations/ (5.8.2018). Lothar von Trotha an Generalstabschef General Alfred von Schlieffen, 4. Oktober 1904, Reichskolonialamt, Bundesarchiv Berlin, R 1001, Nr. 2089, Bl. 5-–6, zit. Hull, Isabel V.: Absolute Destruction…, a.a.O., S. 59. Dannhauer, Otto. Brief aus Deutsch-Südwestafrika, in: Berliner Lokalanzeiger 358, 2. August 1904, S. 1. HistorikerInnen sind sich einig, dass die genauen Zahlen nicht feststehen, vgl. Hull, Isabel V.: Absolute Destruction…, a.a.O., S. 88–90, Lau, Brigitte: Uncertain Certainties…, a.a.O., S. 43–46; Okupa, Effa: Carrying the Sun on our Backs…, a.a.O., S. 191–192; Zimmerer, Jürgen: Krieg, KZ und Völkermord…, a.a.O., S. 52. Alnaes, Kirsten: Living with the Past…, a.a.O., S. 275.
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erschöpfenden Märschen – entlang der wenigen, durch den Andrang von Mensch und Vieh leer getrunkenen oder von den Deutschen vergifteten Wasserlöcher – nach Bechuanaland unter britischer Oberhoheit, dem heutigen Botswana. Aufgegriffene überlebende Herero wurden in Konzentrationslager gezwungen, wo gerade Kinder schnell Opfer der unmenschlichen hygienischen Bedingungen, mangelhaften Ernährung und unzulänglichen Unterkünfte wurden. „The little children and the old people died first, and then the women and the weaker men“, gibt Augenzeuge Samuel Kariko, Lehrer und Sohn des Herero-Häuptlings Daniel Kariko, 1918 laut dem wissenschaftlich umstrittenen, von den Briten im Vorfeld des Versailler Vertrags zusammengestellten Blue Book zu Protokoll. 16 Das Konzept eines Sonderstatus für Kinder in bewaffneten Konflikten und eines Rechts auf „protection and harmonious development of the child“, wie es ein knappes Jahrhundert später in der Convention on the Rights of the Child (1990) formuliert wird, weil „the child, by reason of his [sic!] physical and mental immaturity, needs special safeguards and care“ 17, gehörte zu Zeiten der hier untersuchten Repräsentationen deutscher und Herero-Kinder nicht zu europäischen völkerrechtlichen Denkmodellen und nicht zu Trothas Kriegsführung in Südwestafrika. Letztere entspricht jener von Judith Butler kritisierten Kriegspraxis, nach der im Vorhinein nach festgelegten Kriterien – im Falle Trothas nach ethnischer Zugehörigkeit – bestimmte Menschenleben als schützenswert erklärt werden, während andere straffrei eliminiert werden dürfen. 18 Im eklatanten Unterschied dazu – und lange vor jener 1924 im Völkerbund verabschiedeten Genfer Erklärung über die Rechte von Kindern 19 – vereinbarten und praktizierten die Herero-Führer unter der Leitung des Oberhäuptlings Samuel Maharero eine ausdrückliche Sonderbehandlung von weißen, deutschen Kindern und Frauen, wie oben am Beispiel von Else Sonnenberg erwähnt, sowie von Missionaren, Briten und Holländern. Häuptling Daniel Kariko betont in einer eidesstattlichen Erklärung: We decided that we should wage war in a humane manner and would kill only the German men who were soldiers, or who would become soldiers. We met at secret councils and there our chiefs decided that we would spare the lives of all German women and children. 20
Diese Zeugenaussage aus dem Blue Book wird durch Zeugnisse weißer Siedlerinnen bestätigt: Beispielsweise Hanni Ziegler berichtet, dass bei der Belagerung von Omaruru Häuptling Michael Tjiseseta (auch Tysesita geschrieben) den eingeschlossenen Deutschen durch den ansässigen Missionar habe ausrichten lassen, sie mögen Frauen und Kinder aus der Festung entfernen, da er sie „unter sicherem 16 Vgl. Silvester, Jeremy/Gewald, Jan-Bart (Hrsg.): Words Cannot Be Found. German Colonial Rule in Namibia: An Annotated Reprint of the 1918 Blue Book, Leiden/Boston 2003. 17 United Nations: Convention on the Rights of the Child 1990, online abrufbar unter: https://www.ohchr.org/Documents/ProfessionalInterest/crc.pdf (21.8.2018). 18 Vgl. Butler, Judith: Frames of War…, a.a.O., S. 18; Hervorhebung KvH. 19 Vgl. Völkerbund: Genfer Erklärung…, a.a.O. 20 Silvester, Jeremy/Gewald, Jan-Bart (Hrsg.): Words Cannot Be Found…, a.a.O., S. 100; Hervorhebungen KvH.
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Geleit zur Küste befördern lassen wollte. Er ließ noch sagen: ‚Mit Frauen und Kindern führe ich keinen Krieg, nur mit Männern.‘“ 21 Auffällig an diesen Zitaten von Herero-Führern ist die sorgsame Unterscheidung der feindlichen Deutschen nach Männern, die für die Ausbeutung, Misshandlung und Unterdrückung von Kolonisierten verantwortlich gemacht werden, und Frauen und Kindern, die als schuldlos betrachtet werden, sowie die wiederholte Verwendung von Ausdrücken aus dem Wortfeld „Schutz“ für Letztere: „spare the lives“, „sicheres Geleit“, „safe“, „protection“, „no harm“. 22 Nicht die „Rasse“ der Weißen oder die Nation der Deutschen als Gesamtkategorie werden zu Feinden und zum Ziel tödlicher Angriffe erklärt. Vielmehr werden nachweislich einige Kinder mit ihren Müttern unter dem Schutz der Herero zur jeweils nächsten Missionsstation begleitet. 23 Die „precariousness“ – Schutzbedürftigkeit, Verletzlichkeit, Gefährdung im Sinne Judith Butlers – von allen Kindern wird als Grundsatz unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit respektiert und ihr Leben als wert erachtet, in besonderer Weise geschützt zu werden. Aussagen über das Los von weißen Kindern in diesem bewaffneten Konflikt liegen nicht von den überlebenden Kindern selbst, sondern von ihren Müttern vor. Margarethe von Eckenbrecher empört sich in ihrem autobiografischen Kriegsbericht 24, dass sie – wie andere Siedlerfrauen 25 – durch die Einberufung ihres Mannes zur Schutztruppe ausgerechnet „in der Zeit der Gefahr“ ohne jeden eigenen Schutz auf ihrer entlegenen Farm „meinem Schicksal überlassen, mutterseelenallein mit meinem kleinen Kinde im Haus zurück[blieb]. [...] um des Kindes willen nahm ich mich zusammen. Die Verantwortung, sein Leben zu schützen, lag ja einzig und allein in meiner Hand“ (S. 108–110; Hervorhebung KvH). Gräuelgeschichten über angebliche Schändungen von weißen Kindern und Frauen durch schwarze Herero waren für Verfechter der zeitgenössischen rassistischen Weltanschauung so glaubhaft, dass Margarethe gemeinsam mit ihrem Mann entscheidet, den Schutz für ihr Kind und sich selbst notfalls mit dem Revolver zu sichern (S. 134): Dies blitzende kleine Ding, merkwürdig, wie ruhig es mich machte! Ich war gesonnen, mein Leben und das meines kleinen Sohnes so teuer wie möglich zu verkaufen. Kaltblütig hätte ich erst mein Kind und dann mich erschossen, ehe ich in die Hände dieser Scheusale gefallen wäre. (S. 114)
21 Ziegler, Hanni: Erinnerungen aus dem Herero-Aufstande, in: Daheim, Nr. 42, Leipzig 1906, S. 11, zit. in: Krüger, Gesine: Bestien und Opfer…, a.a.O., S. 148; Hervorhebung KvH. 22 Zu den letzten drei Termini, s. den Bericht einer Holländerin über Michael Tjiseseta, Silvester, Jeremy/Gewald, Jan-Bart (Hrsg.): Words Cannot Be Found…, a.a.O., S. 101. 23 Vgl. Smidt, Karen: „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“. Auswanderung, Leben und soziale Konflikte deutscher Frauen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika 1884–1920. Eine sozial- und frauengeschichtliche Studie, Dissertation, Universität Magdeburg 1995, S. 144. 24 Eckenbrecher, Margarethe von: Was Afrika mir gab und nahm. Erlebnisse einer deutschen Ansiedlerfrau in Südwestafrika 1902–1936 [1907; 8. Aufl., Berlin 1940]. Neudruck: Swakopmund 2000, S. 105–154. Seitenangaben zu Eckenbrecher erscheinen im Folgenden in Klammern im Text. 25 Vgl. Smidt, Karen: „Germania führt die deutsche Frau nach Südwest“…, a.a.O., S. 141.
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Die so verunglimpften Herero nennt sie an anderer Stelle zum gleichen Thema „schwarze[] Teufel“ (S. 134). Der extreme Akt der Kindstötung durch die eigene Mutter wird einem (Über)Leben unter der Vorherrschaft der vermeintlich unmenschlichen Herero vorgezogen und zu einer menschlichen, da schützenden Rettungsmaßnahme umgedeutet. Die Dämonisierung der Herero – oder ihre Animalisierung zu Bestien, wie etwa in Helene von Falkenhausens dramatischen Visionen von Kinder mordenden Herero 26 – kommt einer verbalen Entmenschlichung der Herero gleich, die gegenüber der deutschen Leserschaft in einem Schreibakt der anti-Herero und pro-deutschen Meinungsmache implizit die Verletzung jedweder Menschenrechte der Herero jeden Alters rechtfertigt. Else Sonnenbergs Band Wie es am Waterberg zuging webt bei aller kolonialistischen Weltsicht auch Perspektiven der Herero über Kinder ein. Erwähnung findet beispielsweise die Sorge des Ältesten der Herero-Christengemeinde am Waterberg um die Sicherheit seiner Tochter Tapita vor etwaigen Nachstellungen durch weiße Männer, während sie als sehr junges Hausmädchen bei Sonnenbergs in Dienst gegeben wird (S. 31). Die Erzählerin lobt die „holde Tapita“ als „rechtes Juwel“ (ebenda), das zusammen mit dem zwölfjährigen, ebenfalls getauften Herero-Jungen Moritz der weißen Hausfrau jeden Wunsch „von den Augen ab[gelesen habe]“ (S. 29). In der Tat sind es diese beiden „treuen“, hier eingangs erwähnten Herero-Kinder, die bei Kriegsbeginn Deutsche „beschützten“ (S. 80); insbesondere Tapita haben Sonnenberg und ihr Sohn ihr Leben zu verdanken (S. 74–75). Was Eckenbrecher als untragbare (Über)Lebensvariante unter der Kontrolle von Herero ablehnt, wird laut Sonnenbergs Bericht für sie und ihr Kind zwischen Februar und April 1904 ca. sechs Wochen lang (Über)Lebenswirklichkeit, ohne aber in den eingefügten Tagebuchpassagen – trotz aller Angst – als Albtraum à la Eckenbrecher dramatisiert zu werden. Auf Befehl und unter dem Schutz des örtlichen Herero-Häuptlings David und mithilfe von Zugochsen, die Tapitas Vater Philemon zur Verfügung stellt, muss sich Sonnenberg zusammen mit der örtlichen Missionarsfamilie Eich „mitten im Kriege“ einem Treck von geschätzten „zwanzigtausend“ (S. 108) „Herero mit Weibern, Kindern und Vieh“ (S. 94) zum Herero-Hauptquartier anschließen, denn erst von dort aus könne sie sicher zur nahen, deutschen Festung in Okahandja gelangen. Sonnenberg betont den zweimal erfahrenen, aktiven Schutz durch Samuel Maharero persönlich, der ganz nah an unseren Wagen [kam] und [...] befahl, mir Platz zu machen, als er bemerkte, daß ich nicht an die Seitenkiste des Wagens herankommen konnte, um eine sorgfältig gehütete Dose kondensierter Milch für Werner herauszunehmen. (S. 109)
Anders als Eckenbrecher und Falkenhausen unterstreicht Sonnenbergs Darstellung in diesem Punkt ausdrücklich die Menschlichkeit der Herero-Führung gerade gegenüber deutschen Kindern. Darüber hinaus flicht Sonnenberg Beobachtungen von Herero-Kindern ein, die den aufseiten der Herero ebenfalls angstbesetzten Treck auf hoch bepackten Och26 Falkenhausen, Helene von: Ansiedlerschicksale. Elf Jahre in Deutsch-Südwestafrika 1893– 1904 [1905]. Neudruck: Swakopmund 1995, S. 182, vgl. ferner S. 176–185.
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senwagen oder selbst „bepackt“ zu Fuß unternähmen (S. 106, s. auch S. 94, 97, 108). Im rückblickenden Schreiben erkennt die Autorin die grausamen Kriegsfolgen für die vielen nach Waterberg verwaisten Herero-Kinder an sowie für „jene[] Bastardkinder, d[ie] Frucht der Ehe zwischen Weißen und Schwarzen, von denen der Vater vielleicht [wie Gustav Sonnenberg, KvH] erschlagen und die Mutter im Felde verdorben oder verdurstet“ sei (S. 44). Trotz Sonnenbergs Kritik an Liebesverbindungen über „rassische“ Grenzen hinweg zeigt ihr Text doch Bedauern für das Los der „halbweiße[n] Kinder, [...] deren Väter kaum von der Existenz der Kinder [wüsst]en“ (S. 114); möglicherweise spielt die Verfasserin hier verdeckt auf Schwangerschaften infolge von Vergewaltigungen an. Einige dieser allein in ihrer zerbrochenen Welt stehenden Kinder seien in einer vom Ehepaar Eich improvisierten Unterkunft in Okahandja aufgenommen worden (S. 44). Das eigene Leiden am Krieg und seine Konsequenzen für den halb-verwaisten Sohn Werner werden somit in einen größeren Kontext des Leidens auch der Kinder der Kriegsgegner gestellt, sodass gegenüber der deutschen Leserschaft von 1905 ein übergeordnetes, menschliches Gefühl zumindest für schuldlose Kinder, „ob sie schwarz oder weiß sind“ (S. 114), zum Ausdruck kommt. Jenes von den Eichs geleitete Waisenhaus für Herero- und „Bastardkinder“ kommt auch in Wie ich die Herero lieben lernte (1909) von Hedwig Irle, Ehefrau des Missionars Johann Jakob Irle und Mitglied der protestantischen Rheinischen Missionsgesellschaft, zur Sprache. 27 Irles, die Deutsch-Südwestafrika 1903 verlassen hatten, erfuhren vom Schicksal ihrer 1904 vertriebenen Gemeinde in Otjosazu erst 15 Monate später (S. 76–77, 87–88). Auf der Grundlage von Briefen unter anderem der vormaligen Herero-Missionshelferin Petrine, die nun in Eichs Waisenhaus arbeitete und Hedwig Irle brieflich mit „Mutter“ anredet (S. 74, 77), nutzt Irle ihre eigene Feder, um ihren „lieben LeserInnen“ in Deutschland ein positives Bild von den andernorts „viel geschmähten Herero“ (S. 81) und insbesondere von ihrer christlichen Liebe gegenüber den “mutterlosen Kleinen” vor Augen zu führen (S. 78). Zweifellos ist auch Irle der Vorstellung eines Kulturgefälles zwischen Weißen und Schwarzen verhaftet, denn sie schwärmt begeistert davon, “wie ein lebendiges Christentum aus den tiefstehenden Herero neue Menschen mach[e]” (S. 82; Hervorhebung KvH), doch könnten Menschen jeder Ethnie durch einen festen christlichen Glauben „glückliche Kinder Gottes“ werden (S. 65; Hervorhebung KvH). Der Bericht über ihre Missionstätigkeit in Südwestafrika erstellt das Bild einer Gemeinschaft, für die die Germanistin Cindy Brewer den Terminus „multiracial colonial mission ‚family‘“ entwirft: eine Gemeinde von christianisierten schwarzen, afrikanischen „mission children“ unter der geistlich und kulturell unterweisenden Elternschaft von weißen, deutschen Missionaren. 28
27 Irle, Hedwig: Wie ich die Herero lieben lernte, Gütersloh 1909, S. 76–77. Seitenangaben zu Irle erscheinen im Folgenden in Klammern im Text. 28 Brewer, Cindy: Christian Love and Other Weapons. The Domestic Heroine of the Multiracial Colonial Mission ‚Family‘ as an Antiwar Icon in Hedwig Irles Mission Memoirs, in: Hammerstein, Katharina von/Kosta, Barbara/Shoults, Julie (Hrsg.): Women Writing War…, a.a.O., S. 64.
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Viel deutlicher als Sonnenberg setzt Hedwig Irle ihre Missionsliteratur ein, um gegenüber ihren christlichen, deutschen Leserinnen und Lesern ganz explizit das von Deutschen an Herero begangene Unrecht und verursachte Leiden auszusprechen: [...] als die Herero später [nach der so genannten Schlacht am Waterberg, KvH] von den Deutschen in die wasserlose Wüste gejagt wurden, brach entsetzliches Elend über die Schwarzen herein. Unzählige verhungerten und verdursteten, viele Eltern wußten nicht, wo ihre Kinder geblieben waren, und die Kinder irrten ohne Eltern herum. (S. 86) Diejenigen die herauskamen, sonderlich die Alten, die Frauen und Kinder, waren natürlich schrecklich abgezehrt, viele geradezu nur Haut und Knochen, und so starben hernach noch Tausende. (S. 76–77)
Unter anderem stellt Irle das Schicksal der Familie von Eliphas, Sohn des HereroHäuptlings Kukuri und gewählter Ältester der örtlichen Herero-Gemeinde im Jahr 1906, vor (S. 82–87): „Als die Herero durch die Missionare nach Jahresfrist aufgefordert wurden, sich in die Gefangenschaft der Deutschen zu geben“, wo „denen, die sich am Morden der Weißen nicht beteiligt hatten, kein Leid geschehen“ sollte, schickte Eliphas nur seine Frau mit den Kindern und floh selbst wieder in die Berge [...]. Den zweitältesten [Sohn] Willibald, nahmen die deutschen Soldaten mit, daß er ihnen das Versteck des Vaters zeige. Er führte dieselben irre, um diesen zu retten. Das gelang ihm auch; Eliphas entkam, aber Willibald wurde dafür von den Soldaten erschossen. Als der Vater hörte, daß der Knabe um seinetwillen hatte sterben müssen, zerriß es ihm das Herz. (S. 86–87)
Ich schließe mich Cindy Brewers Interpretation an, dass Irle ohne Ausschmückung und Kommentar states the facts, but her narrative implicates the guilty [Germans, KvH] none the less. The mission family, Irle’s own children in Christ, have been marked for persecution. The promises of protection are a lie. The colonial authority is set on violence and innocent children die for the crime of familial loyalty. 29
Die „precariousness“ (Butler) von Herero-Kindern wird von den Deutschen nicht respektiert, sondern ihr Leben als wertlos erachtet und vernichtet. Aus den Zeugnissen der weißen, deutschen Frauen wird eine Bandbreite von Perspektiven über Kinder im Deutsch-Herero Kolonialkrieg deutlich: von Margarethe von Eckenbrechers und Helen von Falkenhausens Verteufelung der vermeintlich unmenschlichen Herero als Gefahrenquelle für ihre deutschen Kinder über Else Sonnenbergs Anerkennung der „precariousness“ von weißen wie von schwarzen Kindern bis hin zur Liebe zu Herero-Kindern und der Anklage unmenschlicher Grausamkeit seitens der deutschen Schutztruppe bei Hedwig Irle. Alle vier Autorinnen erschreiben sich agency, insofern sie ihre ideologisch unterschiedlich gefärbten Perspektiven publizieren und unter unterschiedlichen Adressatengruppen verbreiten. Alle tragen zur Konsolidierung des kolonial-rassistischen Konzepts von der Suprematie der Weißen und Christen sowie zur „Geschichte des 29 Unveröffentlichte Passage in Brewers Manuskript zu Brewer, Cindy: Christian Love and Other Weapons…, a.a.O.; Hervorhebung KvH. Zur Interpretation von Irles Passage über Eliphas, Brewer, Cindy: Christian Love and Other Weapons…, a.a.O.
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Herero-Aufstandes“ aus weißer, deutscher Perspektive bei. Während aber der Fokus bei Eckenbrecher und Falkenhausen einzig auf der Gefährdung von weißen Menschenkindern liegt, schreiben Sonnenberg und Irle auch den Herero-Kindern menschlichen Wert zu, der sie dazu berechtige, geschützt (Irle) oder zumindest bedacht und bemitleidet (Sonnenberg) zu werden. Selbstverständlich liegen auch Zeugnisse über Kinder in und nach dem Deutsch-Herero Kolonialkrieg aus der direkten Perspektive von Herero und Vertretern anderer Ethnien des südlichen Afrikas vor. Eine ausführliche Analyse dieses kostbaren Materials würde den Rahmen dieser Publikation sprengen. Daher sei an dieser Stelle lediglich auf einige Quellen verwiesen, die Ausgangspunkte künftiger Forschung sein können. Es handelt sich vornehmlich um Verschriftlichungen von mündlichen Überlieferungsformen wie Liedern oder Interviews mit Zeitgenossen des Krieges und deren Kindern und Kindeskindern. Über Generationen hinweg bleiben Bilder des 1904 erfahrenen, kollektiven Traumas erhalten. So berichtet der 1937 geborene Herero Kenavandu Tjoandjo im Rahmen des namibischen Oral History Project „What the Elders Used to Say“ (2007) 30: „After the battle of Hamakari [Waterberg] he [Trotha] ordered any Herero, including children should be annihilated“ (Tjoandjo in Erichsen). Hinlänglich bekannt ist Trothas berüchtigter „Aufruf an die Herero“ vom 2. Oktober 1904, der heute als Beleg für das Kriterium der Absicht des Völkermords gilt: Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. 31
Schon für den Herero-Genozid von 1904 gilt, was der UNICEF Report von 1996 noch ein Jahrhundert später beklagt – mit Bezug auf Ruanda, aber auch generell – bezüglich many contemporary struggles [...] between different ethnic groups in the same country [...]. The escalation from [self-declared, KvH] ethnic superiority to ethnic cleansing to genocide [...] can become an irresistible process. Killings of adults is then not enough; future generations of the enemy – their children – must also be eliminated. 32
Mit einer kolonialpolitischen Agenda aus britischer Perspektive verwendet das Blue Book – unabhängig von der Frage, ob die darin gesammelten eidesstattlichen Erklärungen von afrikanischen Söldnern, die während des Kolonialkriegs aufseiten der Deutschen gedient haben, tatsächliche Begebenheiten wiedergeben, – gerade Darstellungen von an Herero-Kindern verübten Grausamkeiten, 33 um die 30 In diesem Projekt wurden von Alex Kaputu and Casper Wulff Erichsen Interviews mit Repräsentanten verschiedener namibianischer Ethnien durchgeführt und von Erichsen zusammengestellt; die Transkripte sind in englischer Übersetzung in den National Archives of Namibia, Windhoek, einsehbar; Findaid: 2/102 AACRLS.196. Angaben zu diesem Projekt erscheinen im Folgenden mit dem Namen der Interviewten und dem Zusatz „in Erichsen“ in Klammern im Text. 31 Reichskolonialamt, Bundesarchiv Berlin, R 1001, Nr. 2089, Reichskolonialamt: Nr. 2089, Bl. 7, siehe auch Zimmerer, Jürgen: Krieg, KZ und Völkermord…, a.a.O., S. 51. 32 UNICEF: Children in War…, a.a.O., Unterkapitel: Children in war. 33 Vgl. Silvester, Jeremy/Gewald, Jan-Bart (Hrsg.): Words Cannot Be Found…, a.a.O., S. 115–117.
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internationale Leserschaft zum Zeitpunkt der Abfassung des Versailler Vertrags gegen Deutschlands Weiterführung von Kolonien einzunehmen. Unter anderem schildert Henrik Fraser, wie deutsche Soldaten „men, women and children and little girls“, die lebendig und unverletzt, aber halb verhungert gewesen seien, auf einem Holzfeuer bei lebendigem Leibe verbrannt hätten; „The Germans said, we should burn all these dogs and baboons in this fashion.“ 34 Zur Korrelation von entmenschlichender Sprache und Duldung von Gewalt führt Anthropologe, Jurist und Menschenrechtsexperte Richard Ashby Wilson auf Grundlage von psychologischen Tests aus, dass „[d]ehumanizing language (e.g., calling a person an ‚ape‘ or ‚cockroach‘) had significant effects [...] on [test] participants’ willingness to countenance violence“. 35 Die Entmenschlichung von Herero-Opfern einschließlich Kindern in Wort und Tat erschien im rassistischen Diskurs um 1904, in dem Nicht-Weiße öffentlich zu „Unmenschen“ (Trotha) erklärt werden konnten, glaubhaft. Um Butler ein weiteres Mal zu zitieren: „To kill such a [non-, KvH] person, indeed, such a population, thus calls upon a racism that differentiates in advance who will count as a life [worth protecting, KvH] and who will not.“ 36 In ihren Untersuchungen über authentische Perspektiven von Herero auf den Kolonialkrieg deuten Kirsten Alnaes, Gesine Krüger, Raijmund Ohly und Katharina von Hammerstein jeweils am Rande auch einige Stimmen von und über Herero, die den Krieg als Kinder unter traumatisierenden Bedingungen überlebt haben und sich durch ihre Narrationen eine gewisse agency erworben haben. 37 Ferner thematisiert beispielsweise ein Lied mit dem Titel „The Waterhole“, dass die „Frau von Hijakame“ auf und nach der Flucht durch die Omaheke elternlos umherirrende Kleinkinder 38 eingesammelt und ihnen menschliche Wärme und Schutz geboten habe. 39 Im Gegensatz dazu berichtet die Herero-Nachfahrin Jololine Mbahahiza Katjatenja in einem Interview von 2007, dass – nach Erzählungen ihrer Urgroßmutter, die auf der Flucht nach Botswana 18 Jahre alt gewesen sei – in den deutschen Konzentrationslagern die Behandlung der Herero-Kinder in menschenverachtender Weise auf Zerstörung von Menschen und Familien abgezielt habe: „children were separated from their parents, never to see their parents again“ (Katjatenja in Erichsen). Laut UNICEF “[...] one of the most significant 34 Ebenda, S. 120–121. 35 Wilson, Richard Ashby: „When does political discord escalate to incitement? Ask Donald Trump“, in: The Guardian (U.S. edition; December 19, 2017), online verfügbar unter: https:// www.theguardian.com/commentisfree/2017/dec/19/political-discord-incitement-donaldtrump (22.9.2018). 36 Butler, Judith: Frames of War…, a.a.O., S. XXIX–XXX; Hervorhebung KvH. 37 Siehe bei Alnaes, Kirsten: Living with the Past…., a.a.O. und von Hammerstein, Katharina: The Herero…, a.a.O. insbesondere die Deutungen des Herero-Liedes „Flucht“ und bei Ohly, Rajmund: Herero Ecology…, a.a.O. die Zusammenstellung der Äußerungen von Manasae Veseeveta. 38 Vgl. zu „unaccompanied minors“ in Kriegssituationen UNICEF: Children in War…, a.a.O., Unterkapitel Uprooted children. 39 Alnaes, Kirsten: Living with the Past…, a.a.O., S. 281, 283–284; vgl. Krüger, Gesine: Bestien und Opfer…, a.a.O., S. 155.
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war traumas of all, particularly for younger children, is simply separation from parents – often more distressing than the war activities themselves“. 40 Unter diesen Bedingungen vollkommener Machtlosigkeit von Herero-Eltern wie -Kindern sahen sich gerade Mädchen – und junge Frauen – schutzlos sexuellen Übergriffen von deutschen Männern ausgesetzt, die keine Bestrafung dafür befürchten mussten. Gesine Krüger zitiert einen vermutlich von einem Missionar geschriebenen Brief über den sexuellen Missbrauch eines Kindes im Gefangenenlager in Omaruru: [Der Arzt] zeigte mir [...] ein etwa siebenjähriges Hereromädchen, das ein Soldat der Schutzwache des Krankenkraals vergewaltigt hatte, und sagte mir, dass er den Mann scharf vorgenommen [...] hätte [...]; melden wolle er ihn nicht. 41
Zahlreiche Herero-Kindeskinder berichten in „What the Elders Used to Say“ von Erzählungen ihrer Vorfahrinnen über Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten und Siedler (vgl. u. a. Matuipi Uahova Felicity Ruhumba, Kamuhija Constancia Katjimune und Kandupuko Vyaree Obed Hei, Uahejatrjiri Hangero in Erichsen). Die große Anzahl „halbweiße[r] Kinder“, wie Sonnenberg sie 1905 nennt (S. 114), bestätigt die große Anzahl teils freiwilliger, großenteils aber erzwungener sexueller Handlungen zwischen deutschen Männern und Herero-Frauen und -Mädchen. Diese Menschenrechtsverletzungen kommen noch 2018 in der Sammelklage der Herero und Nama gegen die Bundesrepublik Deutschland an einem New Yorker Bezirksgericht zur Sprache. 42 Vor dem Hintergrund dieser Zeugnisse wird auch Johannes Krugers Augenzeugenbericht, dass bereits nach der Schlacht am Waterberg zahlreiche „young Herero women and girls were violated by the German soldiers before being killed“, glaubwürdig. 43 Wie ausgeprägt in diesem Kontext von grausamen Gewaltanwendungen, Entwurzelung, Familientrennungen und Massensterben zwischen 1904 und 1908 das Bedürfnis unter Herero-Eltern und -Kindern ist, familiären Zusammenhalt wenigstens brieflich herzustellen, lässt sich zeitgenössischen Briefen von Herero entnehmen, die sie oftmals Missionaren diktierten. Beispielsweise schickt Franz 40 UNICEF: Children in War, in: UNICEF: The State of the World’s Children 1996, Unterkapitel: The trauma of war, http://www.unicef.org/sowc96/1cinwar.htm (28.9.2018). 41 Vereinte Evangelische Mission (Wuppertal), C/o 5 (2660), Korrespondenz mit den Behörden betr. Fürsorge für die Herero 1901–1907, Brief vom 19.V.1906, ohne Unterschrift, zit. Krüger, Gesine: Bestien und Opfer…, a.a.O., S. 154. 42 Am 14. Februar 2018 wurde laut Theresia Tjihena ein Zusatz in die ursprünglich 2017 eingereichte Sammelklage eingefügt: „Germany and its agents [...] subjected Ovaherero and Nama women and children to widespread and systematic rape“; Tjihena, Theresia: Herero, Nama amend genocide lawsuit, in: The Namibian 15. Februar 2018, online verfügbar unter: https:// www.namibian.com.na/174508/archive-read/Herero-Nama-amend-genocide-lawsuit (29.5.2018); vgl. auch Anonymus: Descendants of Namibia genocide victims seek reparations in New York, in: The Guardian (16.3.2017), online verfügbar unter: https://www.theguardian.com/ world/2017/mar/16/namibia-genocide-reparations-case-germany-new-york (15.3.2018). Zum generellen Thema der Vergewaltigung von Mädchen in Kriegssituationen vgl. UNICEF: Children in War…, a.a.O., Unterkapitel: Torture and rape. 43 Silvester, Jeremy/Gewald, Jan-Bart (Hrsg.): Words Cannot Be Found…, a.a.O., S. 117.
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Mupurua (oder Mupurura) 1906 aus Otjauna „[e]inen sehr herzlichen Gruß meinem Kind und meiner Frau. [...] wo auch immer Du sein magst, Du bist stets meine Tochter“ 44; im historischen Moment des Verlusts persönlicher und kollektiver Sicherheit sowie der Auflösung sozialer, ökonomischer und kultureller Ordnungen werden Familienbande als Versicherung psychisch-emotionaler Nähe angeboten. Mehrfach erkundigt sich der besorgte Vater, welche Familienmitglieder noch „zusammen“ seien, denn durch die Not seien viele „auseinandergekommen“ und gestorben, sodass sich „Kummer und Herzeleid [...] in einem sehr schlechten Lande“ verbreite. 45 Laut UNICEF sind in allen Kulturen die wichtigsten Faktoren für die Verarbeitung der Kriegstraumata von Kindern „the cohesion of the family and community, and the degree of nurture and support that children receive“. 46 Die Psychologen Richard Williams and John Drury heben ebenfalls soziale Vernetzung und Festhalten an „family belief systems“ als Schlüsselfaktoren für die Entwicklung von post-traumatischer „collective resilience“ hervor. 47 In diesem Sinne empfiehlt schon Franz Mupurua seiner Tochter im Einklang mit der Christianisierung vieler Herero um 1900, Trost und Schutz im christlichen Glauben zu suchen: „Denke an den Herrn Jesus[, KvH, ...], dann wird er selbst auf Dich Acht haben.“ 48 Doch impliziert die an die Empfänger seines Briefes gerichtete Bitte des Vaters „Grüßt mein Kind Helene [?] von mir, wenn’s noch lebt“ Zweifel an der schützenden Vorsehung Gottes und die realistische Befürchtung, dass seine Tochter dem Genozid zum Opfer gefallen sein könnte. Die im vorliegenden Beitrag gezogenen Verbindungslinien zwischen Zeugnissen über das Los von Kindern im Deutsch-Herero Kolonialkrieg von 1904 bis 1908 und Berichten der Vereinten Nationen über Kinder in bewaffneten Konflikten der jüngeren Vergangenheit oder Gegenwart machen deutlich, wie erstaunlich wenig sich im vergangenen Jahrhundert in Bezug auf die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern in Kriegssituationen verändert hat und wie konstant ihre „precariousness“ (Butler) geblieben ist. Der Deutsch-Herero Kolonialkrieg brachte zweifellos für Kinder aller beteiligten Ethnien traumatische Erfahrungen mit sich, doch lässt sich eine rass(ist)isch motivierte „differential distribution of precarity“ im Sinne Butlers beobachten. 49 Deutsche Kinder wurden von der Herero-Führung 44 Kaiserliches Gouvernement für Deutsch-Südwestafrika: Kontrolle der Eingeborenen Korrespondenz. „Generalia“, Bd. 1, Angefangen Januar 1909. Dokument 39. National Archives of Namibia: Code ZBU, Unit 2053, File W.III.P.2. 45 Ebenda. 46 UNICEF: Children in War…, a.a.O., Unterkapitel: The trauma of war http://www.unicef.org/ sowc96/1cinwar.htm. 47 Williams, Richard/Drury, John: Personal and Collective Psychosocial Resilience. Implications for Children, Young People and Their Families Involved in War and Disasters, in: Cook, Daniel/Wall, John (Hrsg.): Children and Armed Conflict. Cross-Disciplinary Investigations, New York 2011, S. 61–65. 48 Vgl. ähnlich in dem vermutlich dem gleichen Missionar diktierten Brief von Julius Mbabikika „Mein liebes Kind! [...] Denke mein Kind an den Herrn Jesus [...]. Selig sind die geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihrer“. Dokumentation beider Briefe in Kaiserliches Gouvernement für Deutsch-Südwestafrika: Kontrolle der Eingeborenen…, a.a.O. 49 Butler, Judith: Frames of War…, a.a.O., S. 25.
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als schützenswert, Herero-Kinder von der deutschen Führung dagegen nicht als schützenswert erklärt. Für überlebende Herero-Kinder stand anders als für überlebende deutsche Kinder, die im Heimatland der Eltern eine vergleichsweise heile, funktionierende kulturelle Gemeinschaft vorfanden, kein Ort des Friedens oder der humanitären Hilfe – außer im Exil und in einigen Missionen – bereit. Ihre Familienmitglieder waren großenteils tot oder zumindest entwurzelt, enteignet und so gut wie versklavt. Die Lebensweise und Gruppenidentität ihrer kulturellen Gemeinschaft war auf Jahrzehnte hinaus zerstört, sodass die Herero-Kinder und Kindeskinder ein doppeltes Trauma – das des Krieges selbst und das seines langen Nachspiels unter repressiven Bedingungen des Rassismus – erlebten. Die intensive Verbundenheit der Herero-Nachfahren über Jahrzehnte hinweg mit der kollektiven Erfahrung des Genozids spricht – neben offiziellen Aktionen von Aktivisten und Politikern 50 – unter anderem aus den Interviews von 2007 in „What the Elders Used to Say“. So vermittelt Kaipindwa Veseeivete die körperliche Nähe mit den Kriegstoten – „There were many war-dead who are of my body“ (Veseeivete in Erichsen) – und vereint dabei grammatikalisch auf symptomatische Weise die Tempi von Vergangenheit und Gegenwart. Kamahuja Constancia Katjimune drückt emotionale Verbundenheit mit den Opfern aus: „can’t you see the tears running down my face because of the pain I feel“ (Katjimune in Erichsen). Und Samuel Mahareros Enkelsohn Moses Mbiteza Maharero schlägt einen ökonomischen Bogen zwischen dem vergangenen Völkermord und den Entbehrungen von gegenwärtigen Herero-Kindern: „Our children lost their history just because of this war and we are left on the bottom of this economy just because of this war“ (Maharero in Erichsen). Repräsentativ für eine in den letzten Jahren erstarkte agency der Herero mögen Äußerungen sein, die zum Wohl der Kindeskinder des Deutsch-Herero-Kolonialkriegs und der Verbreitung der Herero-Geschichte über die eigene Kultur hinaus einen Übergang von mündlicher zu schriftlicher Überlieferung vorschlagen und auf eine selbstdefinierte Identität und Zukunft hin ausgerichtet sind, wie die Empfehlung des Anwalts und Nachfahren von HereroFlüchtlingen in Botswana Stephen RauRau: „We must write our own history [...]. Our books must be published endlessly, so that our children can have pride in themselves.“ 51
50 In den letzten Jahren zählen dazu die Aktionen des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht!“ im Kampf um die Anerkennung des Völkermords sowie Entschuldigung und Reparationszahlungen der Bundesregierung, die Rückgaben von Herero- und Nama-Schädeln und Gebeinen aus deutschen Institutionen an die namibische Regierung sowie die Sammelklage der Herero und Nama gegen die Bundesrepublik Deutschland (wie Anm. 4, 42). 51 Gross, Daniel A.: Why the Herero of Namibia Are Suing Germany For Reparations, in: npr. Goats and Soda: Stories of Life in a changing World (May 6, 2018), online verfügbar unter: https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2018/05/06/606379299/why-the-herero-of-namibiaare-suing-germany-for-reparations (8.8.2018).
WO IST DAS „POSTKOLONIALE“?: EIN VERSUCH Klaus Hock Die Anspielung auf den programmatischen Artikel von Stuart Hall aus dem Jahre 1996 – „Wann gab es ‚das Postkoloniale‘?“ 1 – liegt auf der Hand. War es seinerzeit Halls Intention, auf kritische Infragestellungen des Konzepts und Rückfragen an es zu reagieren, geht es im Folgenden um viel weniger und um anderes – eine Verortung der Frage nach dem Postkolonialen, oder besser gesagt: eine VerRäumlichung der Frage. Diese Perspektivverschiebung vom Zeitlichen auf das Räumliche nimmt ihren Ausgangspunkt von Michel Foucaults Feststellung, dass der Raum als Domäne der Beziehung von Wissen und Macht an Bedeutung gewonnen habe und letztlich die Moderne deshalb als „die Epoche des Raumes“, nicht der Zeit, zu betrachten sei, wobei ihr die Dimension des Zeitlichen jedoch als Genealogie in Gestalt einer „alternativen Geschichte“ zur Seite gestellt werden könne. 2 Bei der Formulierung des Titels scheint die zeitliche Dimension auf den ersten Blick ausgeschaltet. So ist es jedoch nicht gemeint. Aber zu fragen „Wo war das Postkoloniale?“ liefe Gefahr, als Suche nach etwas Vergangenem missverstanden zu werden, als Beschreibung eines Gewesenen, Abgeschlossenen, das vorbei ist. Doch nichts wäre unhistorischer, nichts geschichtsvergessener und gegenwartsblinder. Die andere Gefahr, dass das Postkoloniale fälschlicherweise lediglich als etwas Gegenwärtiges aufgefasst werden könnte, wiegt diesbezüglich geringer; denn dass es nicht ohne (Vor-)Geschichte, dass es nicht quasi vom Himmel gefallen ist, dürfte allenthalben evident sein. Wiederum völlig offen ist die Frage, wo das Postkoloniale sein wird. Ob es sein wird? Eigentlich gehört beides zusammen – das Zeitliche und das Räumliche – und wohl niemand wusste das besser als Stuart Hall. Die Formulierung der Frage mit dem Blick auf die räumliche Dimension bedeutet jedoch, in einem ersten Schritt das zu tun, was dem Doyen des Postkolonialismus wohl zunächst sauer aufgestoßen wäre: den Raum mit binären Kategorien zu „vermessen“. Da gibt es etwa die Spannung zwischen Ort und Unort – oder Nicht-Ort, als Heterotopie, in ihren allegorischen Ausweitungen vielleicht sogar Utopie oder Dystopie, wenngleich in
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Hall, Stuart: When was „the post-colonial“? Thinking on the limit, in: Chambers, Iain (Hrsg.): The post-colonial question. Common skies, divided horizons, London et al. 1996, S. 242–259. Foucault, Michel: Andere Räume, in: Barck, Karlheinz et al. (Hrsg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34.
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allen diesen Bestimmungen die räumliche Relationalität zum Ort erhalten bleibt. 3 Aber, noch bedeutsamer: Auch die Entfaltung des Raums scheint nur unter binären Referenzen möglich – zwischen dem Hier und dem Dort, zwischen dem Überall und dem Nirgendwo. Quintum non datur – als solches wäre nur der NichtRaum denkbar. Aber was sollte das sein? Eine Auflösung des Raums in Zeit jedenfalls kann es nicht geben. Oder doch? Falls ja, wäre es jedenfalls bereits mit dem „Nirgendwo“ erfasst oder in seinem ver-orteten Aggregatzustand als NichtOrt markiert. „Hier“ und „dort“ sind relational und relativ. Sie markieren zwei Punkte, deren Binarität selbst nicht aufgehoben werden kann – es sei denn, beide fielen in eins; das wäre, unter Zuhilfenahme der zeitlichen Dimension, zwar denkbar, käme aber einer Ent-Räumlichung gleich. Denkbar wäre auch eine allegorische Aufhebung: Ilé-Ifè ist als orthogenetisches Zentrum 4 der Yoruba das afrikanische Jerusalem, Mekka, Rom oder Benares; aber es wäre bestenfalls ein afrikanisches Jerusalem, Mekka, Rom oder Benares, und die Allegorie markierte, unter Raumaspekten gelesen, ein klares Hier durch Referenz auf viele Dort. Die strikte Binarität wäre in diesem Fall dann durchbrochen. Doch bei genauerem Besehen ist zumindest die Relation ohnehin a priori; denn das Hier kann immer nur in Beziehung zum Dort gesehen werden; ein Standpunktwechsel des Hier mag vielleicht nicht unmittelbar, im wörtlichen Sinn, den Standpunkt des Dort zu verändern, aber die Veränderung der Relation berührt indirekt, qua Wandel in der Relationierung, auch das Dort. Ein entscheidender Faktor, und hierin liegt die Bedeutung des (Post-)Kolonialen, ist die Macht. Sie bestimmt die Raumbezüge. Ist das Postkoloniale „überall“? War es das oder wird es das sein? Die Neigung ist groß, diese Frage zu bejahen, aus Gründen der Differenzierung vielleicht die Dimension des Zeitlichen einzuziehen, dann aber sub specie ubiquitatis zumindest konzeptionell am zumindest potenziellen Überall des Postkolonialen festzuhalten. Aber Vorsicht – die Ubiquität ist per definitionem Allgegenwart, Omnipräsenz; nur unter zeitlicher Perspektive ließe sich also sagen, dass das Postkoloniale „überall“ war, ist oder sein wird. Um eine solche Aussage zu treffen, müssen jedoch weitere Bestimmungen hinzukommen – was ist (war/wird sein) das Postkoloniale? DAS HIER DES POSTKOLONIALEN Das Hier lässt sich qua Zufallsprinzip bestimmen oder dezisionistisch setzen; genau genommen ist jedoch die bewusste Entscheidung, es konkret – sagen wir mal – in Berlin zu verorten, ein Stück weit kontingent. Es wäre auch möglich, eine abgele3 4
Däumer, Matthias/Leidinger, Simone/Wendel, Sarah (Hrsg.): Unorte. Spielarten einer verlorenen Verortung. Kulturwissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2014. Redfield, Robert/Singer, Milton: The Cultural Role of Cities, in: Man in India. An international Journal of Anthropology, Nr. 3, Neu Delhi 1966, S. 161–194; Eck, Diana L.: The City As a Sacred Center, in: Smith, Bardwell/Reynolds, Holly Baker (Hrsg.): The City As a Sacred Center. Essays on Six Asian Contexts, Leiden et al. 1987, S. 2.
Wo ist das Postkoloniale?
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gene Region im Amazonasgebiet als „hier“ festzulegen. Nein – es wäre uns möglich, das zu tun; wir können dies aufgrund unserer Position in Raum und Zeit des globalen Nordens, in den wir „hineingeboren“ sind – darin liegt das Stückweit Kontingenz. Indigene, die in jener Amazonasregion leben, könnten umgekehrt wohl nicht Berlin als „hier“ setzen, zumindest solange nicht, wie sie von Berlin keine Kenntnis haben. Für die Frage nach dem Wo des Postkolonialen ist Berlin schon einmal sehr gut gewählt, und das hat etwas mit der Verortung des Kolonialen selbst zu tun. Denn wenngleich Deutschlands Rolle im Konzert der Kolonialmächte zunächst untergeordnet scheint, war es immerhin die Berliner Kolonialkonferenz, die nicht nur die Aufteilung Afrikas besiegelte, sondern symbolhaft die koloniale Weltordnung annoncierte. Ist damit das Koloniale hier, in Deutschland und Berlin, zu verorten, so ebenso das Postkoloniale. Berlin ist dem Postkolonialen insofern in besonderer Weise zuzuordnen, als die kolonialen und nachkolonialen Weltordnungen (Zerstörung; Teilung; Wiedervereinigung) dort ansichtig werden und in ihren Schichtungen immer noch erkennbar sind. Das Postkoloniale ist „hier“ in Berlin anwesend und fassbar in Straßennamen – und insbesondere in den vorgesehenen Umbenennungen der Straßennamen. Das Postkoloniale verdeckt das Koloniale, das Koloniale wird (im guten Sinne!) eskamotiert und bleibt „vor Ort“, am Ort. Die Archäologie des Postkolonialen zeigt dadurch aber auch Brüche im Hier, indem das Dort hier aufscheint. Wenn die Lüderitzstraße zur CorneliusFrederiks-Straße, der Nachtigal- zum Bell-Platz und die Petersallee zur AnnaMungunda- und Maji-Maji-Allee werden soll, werden die Straten des Dort im Hier „präsent“ – womit sich wiederum die Dimension des Zeitlichen aufdrängt. Auf jeden Fall aber ist das Postkoloniale „hier“. Erst einmal für uns jedenfalls. Eine weitere Verortung des Postkolonialen im Hier und im Dort wird aus der Debatte um die Präsenz außereuropäischer Artefakte aus den früheren Kolonialgebieten (von „dort“) in unseren Museen und Sammlungen („hier“) sowie aus der im Zusammenhang damit geforderten Rückgabe des Raubguts abgeleitet. 5 Würde diese realisiert, hätten wir eine analoge Archäologie des Postkolonialen. So aber scheinen die Objekte, wie wir selbst, zunächst noch vornehmlich im Kolonialen verortet zu bleiben. Damit ist jedoch, quasi auf der Rückseite des Gegebenen, die Perspektive auf die Frage eröffnet, wo das Postkoloniale sein wird. Klar ist: hier. Aber nicht nur hier, sondern auch – dort. DAS DORT DES POSTKOLONIALEN Zurück ins Amazonasgebiet, „unser“ Dort – so, wie das Berlin zunächst nur „unser“ Hier bezeichnen kann. Hier sind zwei Szenarien der Anwesenheit des Postkolonialen denkbar: zum einen seine unmittelbare Präsenz in Gestalt der auf dem Areal des Kolonialen fassbaren Folgeschäden; zum anderen seine Negation, seine Abwesenheit. 5
Binter, Julia T. S.: Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst in der Kolonialzeit, Berlin 2017.
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Für Letzteres ließe sich auf isolierte oder besser „unkontaktierte“ Völker verweisen; das Postkoloniale scheint dort (noch) nicht anwesend, weil auch das Koloniale, zumindest in diesen Territorien selbst, abwesend war und (noch) ist. Doch wir sollten uns keinen Illusionen hingeben; jenseits der territorial gesonderten Einkapselungen gab und gibt es das koloniale Framing, das sowohl als map als auch als territory real ist. Stefan Zweig mag damit recht gehabt haben, dass Brasilien von so katastrophalen Zerstörungen wie die andinen Kulturen deshalb verschont blieb, weil die hohe Zeit der Konquistadoren schon vorbei war, als das Land kolonisiert wurde; 6 und selbst in Schulmaterialien wird der Gestaltwandel der Conquista thematisiert: „Die Konquistadoren hatten ausgedient und verloren ihren Einfluss.“ 7 Doch das historische Kartenmaterial des „Weltatlas“ zeigt auch deutlich, wie die buchstäblich „weißen Flecken“ des Amazonasgebiets „gerahmt“ sind – ein visuelle Erinnerung an das koloniale Framing, das sich, auf die Gegenwart übertragen, im Postkolonialen fortsetzt. Es ist nicht nur eine Frage der Zeit, bis die Völker „ohne Kontakt mit der Außenwelt“ mit dem postkolonialen Kolonialen konfrontiert werden und ihre Auslöschung durch Krankheiten und Landverlust droht – es ist auch und zuvörderst eine Frage des Raums. Fast als Parabel hierfür wäre der Film „Jericó“ des venezuelanischen Regisseurs Luis Alberto Lamata aus dem Jahre 1991 zu schauen: Der Dominikaterpater Santiago wird nach einem Überfall von dem Soldatentrupp, dem er sich angeschlossen hat, um im Amazonasgebiet zu missionieren, getrennt und von Indigenen gefangen genommen. Zunächst hält er an seinem Missionsvorhaben fest und versucht, die „drogenberauschten Nackten“ zum Christentum zu bekehren. Doch tatsächlich „konvertiert“ er und wird Teil der indigenen Gemeinschaft. Das Ganze endet allerdings im Drama eines Genozids – die Spanier kehren zurück. Das erstgenannte Szenario der Anwesenheit des Postkolonialen – in Gestalt der auf dem Areal des Kolonialen fassbaren Folgeschäden – erscheint unmittelbar einleuchtender und auch fassbarer. Seine Negation, seine Abwesenheit bleibt insofern Fiktion, als keine Räume denkbar sind, in denen diese Folgeschäden nicht vorhanden sind. Koloniales, Postkoloniales und Globales finden zwar im „Dort“ ihre Referenz, indem die Transformationen des Öko-Systems dort, im Amazonasgebiet, ihre räumliche Verortung haben und wiederum archäologische Straten erkennbar machen, die in einem Raum greifbar sind. Sie verknüpfen aber das Dort mit dem Hier insofern, als nicht nur diachron, sondern synchron die Amazonasregion mit Berlin, um stellvertretend eine Metropole „hier“ zu benennen, in enger – auch räumlich zu verstehender – Beziehung steht. Dies betrifft nicht nur das Wis-
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Zweig, Stefan: Brasilien, Ein Land der Zukunft, Berlin 2015. Wagener, Dietmar: Infoblatt Die Auswirkungen der Eroberung Mittel- und Südamerikas durch die Spanier im 16./17. Jahrhundert, Leipzig 2012, online verfügbar unter: https://www 2.klett.de/sixcms/list.php?page=infothek_artikel&extra=Haack%20Weltatlas-Online&artikel_ id=104355&inhalt=klett71prod_1.c.139753.de (20.10.2018).
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sen über den Raum beispielsweise im physikalisch-meteorologischen, 8 im technologischen 9 oder im kulturellen Sinn, 10 sondern auch den Raum selbst. Wenn wir nun wiederum die Perspektive auf die Frage eröffnen, wo das Postkoloniale sein wird, muss die Antwort in diesem Fall zunächst heißen: dort. Aber nicht nur dort, sondern auch – hier. DAS NIRGENDWO DES POSTKOLONIALEN Die in Jericó in Szene gesetzte Verwüstung, der verwüstete Raum, hat etwas Raumloses an sich, als Unort oder Nicht-Ort. Was der Geograf Edward Relph als eine Art Theorie der Nicht-Orte in rudimentären Umrissen avant la lettre zu formulieren begann, ließe sich gut drauf anwenden: Die „Nichtbeachtung des Raums“ 11 ist in diesem Falle kolonial induziert und postkolonial aktiviert. Auch hier liegen das Koloniale und das Postkoloniale in archäologischen Straten übereinander. Heterotop und insofern „im Niemandsland“, im Nirgendwo qua crisis heterotopia im Foucault’schen Sinne stellt sich, um am soeben angeführten Beispiel anzuknüpfen, die Situation der Indigenen damals wie heute dar; das Parabelhafte von Jericó metaphorisiert dabei treffend einen markanten Zug des Heterotopen: den beschränkten Zugang. 12 Aber zeichnet sich der Nicht-Ort, das Nirgendwo als das, was dem Ort als Statisches entgegengesetzt ist, nicht als Dynamisches und insofern als Vorübergehendes aus? 13 Kann nicht gerade aus dieser Besonderheit des Nirgendwo des Postkolonialen Handlungsmacht erwachsen, agency? – Der Befund kann nur ambivalent sein, denn Nicht-Orte sind durch Beziehungslosigkeit, Geschichtslosigkeit und fehlendes Identifikationspotenzial gekennzeichnet. 14 Werden Nicht-Orte, wird das Nirgendwo aber nicht genau hierdurch, vermittelt über die Dimension der Ähnlichkeit, zum Paradigma des Postkolonialen im Modus des Globalen? Das Nirgendwo des Postkolonialen ist durchaus denkbar – als Metapher. Das Dystopische, das Heterotope wie die Unorte vermögen dabei allesamt als verräumlichtes Nirgendwo die Beziehungslosigkeit, die fehlende Identität, das Geschichtslose thematisch werden zu lassen. In negativem Bezug auf das Pendant 8 9 10 11 12 13 14
Arregui, Aníbal: Embodying Equivocations. Ecopolitical Mimicries of Climate Science and Shamanism, in: Anthropological Theory 2018, online verfügbar unter: https://doi.org/10. 1177/1463499617753335 (20.10.2018). Ders.: Amazonian Quilombolas and the Technopolitics of Aluminum, in: Journal of Material Culture, Nr. 3, London 2015, S. 149–172. Arregui, Aníbal: Cultivating the Sky, in: ders./Mackenthun, Gesa/Wodianka, Stephanie (Hrsg.): Decolonial Heritage. Natures, Cultures and the Asymmetries of Memory, Münster 2018, S. 257–283. Relph, Edward: Place and placelessness, London 1976, Preface. Foucault, Michel: Andere Räume…, a.a.O., S. 44. De Certeau, Michel: Kunst des Handelns, Berlin 1988. Augé, Marc: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt am Main 1994, S. 121; s. a. ders.: Nicht-Orte, München 2010.
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dieses verräumlichten Nirgendwo – jene Räume, wo Relationen, Identitätsbildung und Geschichte fassbar sind – können sie lediglich die Rückseite dieser Räume beschreiben – als Abwesenheit. Damit werden aber auch keine Ambivalenzen mehr greifbar. Wenn das Postkoloniale nirgendwo ist, dann stellt sich die Frage, was das „Überall“ füllt. Es könnte nur die Negation des Postkolonialen sein. DAS ÜBERALL DES POSTKOLONIALEN In der Tat ist es verlockend, die Frage, ob das Postkoloniale „überall“ ist, mit einem klaren Ja zu beantworten, wie bereits erwähnt. Dieser Verlockung sollte nicht unmittelbar und sofort nachgegeben werden, denn damit ginge der völlige Verlust notwendiger Differenzierung einher, und vor allem geriete das aus dem Blick, was die raison d’être des Postkolonialismus ausmacht: die Frage nach der Macht, die Verräumlichungen strukturiert und Raumbezüge prägt. Der analytische Blick auf den Kolonialismus unter räumlicher Perspektive legt diesbezüglich die Komplexität der Beziehungsstrukturen und der dadurch konstituierten Raumordnungen frei. Für den Kolonialismus war die Dimension des Raums konstitutiv. Er etablierte ein Herrschaftsverhältnis, zu dessen grundlegenden Kennzeichen gehörte, dass es territorial verfasst war. Wenngleich das Postkoloniale auch auf Imperialismus oder Globalisierung referiert, bleibt es doch auf das Koloniale bezogen – und insofern auf verräumlichte Formen der Macht. Dabei ist allerdings weiterhin zu bedenken, dass diese verräumlichten Machtstrukturen äußerst vielschichtig und heterogen – und letztlich sogar flexibel und fluide sein konnten. Wir finden verstreut verortete Siedlerkolonien neben einzelnen Handelsstützpunkten, auf die sich die maritimen Imperien konzentrierten, aber auch (groß)städtische Kolonien neben großflächigen, räumlich diffusen Kolonialgebieten. Entsprechend war das Koloniale im Sinne der Kolonialräume in vielfältigen Gestalten der Machtbeziehung formatiert – von der komplexen Kolonialbürokratie über die Indirect Rule bis hin zur eher formellen kolonialen Administration. Selbst wenn wir sagen, das Koloniale sei überall (gewesen), so wäre es doch überall anders (gewesen); die Macht des Kolonialen formatiert den Raum, wie der Raum die Macht des Kolonialen prägt. Analoges gilt für das Postkoloniale. Mag es auch überall sein, ist es doch überall anders. Insofern kann das Postkoloniale, in der Kategorie des Raumes figuriert, nur immer als Besonderes überall sein. DER RAUM DES POSTKOLONIALEN – DER POSTKOLONIALE RAUM Die binäre (Re-)Konstruktion des Postkolonialen unter räumlicher Perspektive – hier/dort; nirgendwo/überall – führt in Aporien, wenn am Binären festgehalten wird bzw. wenn die jeweiligen Pole des Binären für sich oder im bloßen Gegenüber zum anderen ihrer selbst betrachtet werden. Ist es eine Binsenweisheit, dass das Hier ohne das Dort nicht gedacht werden kann, so erweist sich auch die HierDort-Binarität als prekär – die räumlichen Verflechtungen gehen in dieser Polari-
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sierung nicht auf; und führt das Nirgendwo ebenso wie das Überall in Abstraktes und Diffuses, das lediglich metaphorisch wieder in die Behandlung der Frage nach dem „Wo“ des Postkolonialen eingeholt werden kann, so ergibt sich auch aus dem Spannungsbogen und selbst aus dem Zusammenspiel eines Nirgendwo – Überall keine fassbare Bestimmung, keine Verräumlichung, keine Verortung des Postkolonialen. Die Antwort auf die Frage nach dem „Wo“ des Postkolonialen gleicht der Antwort auf das „Wann“: Eine „Rückkehr zur klar geschiedenen Politik binarer Oppositionen“ 15 ist ausgeschlossen. Auch zu Halls zeitlich konfigurierter Frage nach dem Postkolonialen ergibt die nach dem Räumlichen des Postkolonialen eine weitere analoge Antwort. Wenn Hall feststellt, dass das Postkoloniale (a)ls periodisierender Begriff ... sich ... einiges an Ambiguität [bewahrt], weil er nicht nur die Zeit nach der Dekolonisierung als entscheidende Phase für einen Wandel in den globalen Beziehungen ausweist, sondern auch – wie es jede Periodisierung tut – eine alternative Erzählung anbietet und andere zentrale Ereignisse und Merkmale ins Licht rückt als die klassische Geschichte der Moderne,
dann ließe sich entsprechend feststellen: Das Postkoloniale als raumstrukturierender Begriff vermag sich einiges an Ambiguität zu bewahren und die positiven (Gegen)Entwürfe in Kraft zu setzen, da es nicht nur die Räume der Dekolonisierung als entscheidende Territorien für einen Wandel in den globalen Beziehungen ausweist, sondern auch – wie es jede Raumbestimmung tut – eine alternative Erzählung anbietet und andere zentrale Orte und Regionen ins Licht rückt... Eine gegenüber der Hall’schen Antwort auf die Frage nach dem Wann des Postkolonialen andere Akzentsetzung besteht allerdings darin, dass die vielfältigen komplexen, flexiblen, gar fluiden Beziehungen zwischen den „Räumen der Dekolonisierung“ dort und hier thematisiert werden. Die diesbezügliche Perspektive ist also gleichermaßen totalisierend – indem das Ganze des Erdkreises in den Blick genommen wird – wie partikularisierend – mittels der analytischen Sicht auf bzw. in Mikro-Räume „hier“ wie „dort“ – und relationierend – durch die Fokussierung auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem räumlich figurierten Postkolonialen, das zwischen einem Hier und einem Dort ein unsichtbares, aber machtdurchzogenes Band konstituiert. Durch diese Verschränkung kommt es letztlich zu einer nachhaltigen Aufhebung überkommener Dichotomien. Ist dies alles aber alleine unter der Perspektive des Raumes zu leisten, wie Foucault zu fordern scheint, wenn er die – durchaus auch und insbesondere: postkoloniale – Moderne als „Epoche des Raumes“ bestimmt und lediglich die Genealogie als „alternative Geschichte“ bestehen lassen will? Wohl kaum; denn es geht bei der Dimension des Zeitlichen nicht nur um Vergangenheit (und Gegenwart), sondern auch um Zukunft. Entsprechend kann das Zeitliche nicht auf die Genealogie reduziert werden, so grundlegend diese auch ist, um die Beziehung von Wissen und Macht, deren Domäne Foucault im Raum sieht, kritisch zu durchleuchten. Diesbezüglich gewinnt die Utopie nicht nur als räumliche, sondern auch als zeitli15 Hall, Stuart: Wann gab es „das Postkoloniale“? Denken an der Grenze, in: Conrad, Sebastian/Randeria, Shalini (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2002, S. 219–246.
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che „Verortung“ erneut an Bedeutung. Wie jedoch kann die Utopie so geerdet werden, dass sie nicht nur Traumgesicht bleibt, sondern, im besten Hall’schen Sinne, positive (Gegen)Entwürfe in Kraft zu setzen vermag? Die Antwort ist so banal wie allgemein – aber doch auch prinzipiell: nicht nur durch radikale Historisierung des Wissens, wie sie Foucault fordert, sondern durch geschichtliches Wissen, durch Wissen über Geschichte. Postkoloniale Theorien tun gut daran, sich an ihren eigenen Konstruktionsprinzipien zu orientieren sowie sich kritisch gegenüber diesen zu verhalten bzw. aus ihnen nützliche Impulse zur Selbstkritik zu beziehen. Wie an anderer Stelle als Caveat gegenüber der Gefahr eines kulturalistischen „metropolitanen Postkolonialismus“ 16 formuliert, gilt es, „mit Blick auf die nicht auszuschließende Gefahr der Generierung erneuter oder revitalisierter Essentialisierungen, Marginalisierungen, Ausgrenzungen und Subalternitäten besondere Sensibilität an den Tag legen“ – inklusive der Wachsamkeit gegenüber der Gefahr, „den Verlockungen einer diskursiven Vormachtstellung des eigenen postkolonialen Zugriffs nachzugeben“ 17. Wie könnte dieser Gefahr besser begegnet werden als mit einer Kolonial- (und Missions-) Geschichtsschreibung, die dem Einzelnen im Mikro-Bereich nachgeht und es doch, mit einem geweiteten Blick, in den größeren Zusammenhang der Kolonial- (und Missions-) Geschichte einstellt.
16 So die Mahnung von Kaiwar, Vasant: The Postcolonial Orient. The Politics of Difference and the Project of Provincialising Europe, Leiden 2014, X und passim. 17 Hock, Klaus: Erweitertes Wissen. Afrikanische Divinationssysteme und post-koloniale Perspektiven Interkultureller Theologie, in: Nehring, Andreas/Wiesgickl, Simon (Hrsg.): Postkoloniale Theologien II: Perspektiven aus dem deutschsprachigen Raum, Stuttgart 2018, S. 170.
THE VISUAL LEGACY OF FRIEDRICH RATZEL’S THE HISTORY OF MANKIND 1 Volker Langbehn Zusammenfassung: Arbeiten wie Stefan Kühls “The Nazi Connection: Eugenics, American Racism, and German National Socialism” (1994) und andere konnten untermauern, dass die amerikanische Eugenik-Bewegung als eine Vorstufe zum Holocaust angesehen werden kann und diesen direkt beeinflusste. Die Forschung zu diesem Thema wurde jedoch durch Debatten über die “Einzigartigkeit” oder “Beispiellosigkeit” des Holocaust eingeschränkt und scheint sich seitdem im Kreise zu drehen. Ebenso kann die Debatte über eine mögliche Kontinuität und Diskontinuität zwischen deutschem Kolonialismus und dem Holocaust als eher umstritten angesehen werden. Um beiden Debatten gerecht zu werden, werde ich die Rolle der Fotografie um 1900 untersuchen. In meinem Beitrag beschreibe ich, wie die Fotografie in den spezifischen historischen Kontext aus militärischer Kontrolle und Überwachung, kommerzieller Ausbeutung, Missionsarbeit oder (pseudo-) wissenschaftlicher Dokumentation betrachtet werden muss. Dem letztgenannten Aspekt wird dabei besondere Aufmerksamkeit durch die Zusammenschau von kolonialer Fotografie und der Eugenik-Bewegung in Deutschland zuteil. Meine Analyse der kolonialen Fotografie zielt darauf ab, zu belegen, dass die Eugenik-Bewegung die koloniale Fotografie wesentlich geprägt hat. Um meine Argumentation zu veranschaulichen, werde ich auf eine Detail-Lektüre von Friedrich Ratzels The History of Mankind (Völkerkunde, Bd. 1–3) und die Instrumentalisierung der Fotografien von Richard Buchta durch Ratzel zurückgreifen. Louis Daguerre’s invention of the daguerreotype process of photography in France in 1839 triggered a visual revolution setting the stage for photography to assume in the late 19th century a vital role in the transmission of empirical evidence about race. Ethnologists, anthropologists and expeditionary photographers raced to produce visible evidence to argue for racial differences. The emergence of photography in particular and visual culture in general, as a powerful instrument of scientific inquiries played a key factor in European imperialism. The development of photographic techniques overlapped with the development of a specific science of human racial difference, notably framed in the discussion of ‘nature’ and human similarity and difference. Photography played a key role in the development of biological and
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Ratzel, Friedrich: The History of Mankind, vol. I–III, London/New York 1904.
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human sciences. “Biology”, a word coined in 1802, physiology, and psychology shaped the new division of perceptions of the body. 2 The anthropologist Johannes Fabian has maintained that, for instance, anthropological research defined itself in conjunction with the tradition of ‘natural history’, a tradition that stresses visualization as a means to provide an accurate account of reality. 3 Anthropology’s fixation with pictorial images is text-based and as Johannes Fabian asserts, overtly political, because visual evidence has mutated into a theory of knowledge, and assisted in the construction of exotic Otherness; difference turns into ‘natural’ and reveals the interest of segments of a bourgeois society. As Amos Morris-Reich has noted, photography has a long history in the scientific study of race. Linked to “dominant trends in culture and society”, racial photography has many facets reflecting cultural and political developments in Germany. 4 Needless to write, the analysis of scientific racism as exemplified in racial photography has to consider the larger cultural and institutional context of societies and within the European context, embedded in the contours of various economic, scientific, historical and anthropological traditions. Starting from the mid-eighteenth century onward mass-produced images of colonized people have become a mainstay in popular visual discourse about alterity in Europa. Initially, German explorers, adventures, biologists, ethnologists and later anthropologists provided visual evidence of their explorations. However, as Matthias Fiedler has succinctly argued, without exception, the findings of the many travel writings and publications had very little in common with a genuine scientific interest in and understanding of indigenous cultures. They served for the entertainment of the reader and viewer back home in the Empire; information and images from afar created and fed into the insatiable public hunger for information on exotic people, living habits, and otherness already lured and hooked by European exhibitions and world fairs in the metropolitan centers. Well-known explorers such Heinrich Barth, Gustav Nachtigal, Adolf Bastian, Richard Buchta, 5 Carl Damman, 6 or Leo Frobenius, the latter enshrined in form of Germany’s oldest anthropological research institute the Frobenius Institute at Frankfurt University, displayed a rather secondary interest in a genuine process if scientific exploration and differentiation. 7 2
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See Lowe, Donald: History of Bourgeois Perception, Chicago 1982, pp. 87–88. For an overview of biology as a social theory see Weingart, Peter: Biologie als Gesellschaftstheorie, in: Barsch, Achim/Heijl, Peter (Hrsg.): Menschenbilder. Zur Pluralisierung der Vorstellung von der menschlichen Natur (1850–1914), Frankfurt 2000, pp. 146–166. Fabian, Johannes: Time and the Other. How Anthropology makes its Object, New York 2002, p. 87. See Lowe, Donald: History of…, op. cit., pp. 87–88. Morris-Reich, Amos: Race and Photography. Racial Photography as Scientific Evidence, 1876–1980, Chicago 2016, p. 1. Buchta, Richard: Die oberen Nil-Länder. Volkstypen und Landschaften. Dargestellt in 160 Photographien. Nach der Natur aufgenommen, Berlin 1881b. Damman, Carl: Anthropologisches-Ethnologies Album in Photographien, Hamburg 1872–74. See Joch, Markus: Der Ethnologe als Geschichtenerzähler. Frühjahr 1907: Leo Frobenius berichtet vom Kongo-Kassai, in: Honold, Alexander/Scherpe, Klaus R. (Hrsg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart 2004, pp. 357–366.
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Their primary goal, according to Fiedler, was to popularize interest in Germany’s colonial explorations and not engage in messy historical complexities and ambiguities. 8 Physical anthropology, for example, created tables, curves, or the geometric visualization of skulls and bones. Scientists used the statistical visualization as a verification of results as objectified means to verify race or gender difference. 9 The fascination with typology notably favoured the skull, because the skull housed the brain; anthropologist perceived mental differences between racial types as the most important. 10 The skull around 1900 subsequently became the arbiter of racial distinction or, put differently, the ‘visual’ has become the ultimate sign for racial classification according to mental, moral, and physical differences. 11 To get a better understanding of the role of scientific photography in late 19thcentury Germany, I suggest to delineate the rather fluid matrix of the scientific, ideological, and sociological forces that produced these photographs as tools for the contemporary understanding of race. A substantial amount of studies has delineated the significance of Alphonse Bertillon, the founder of forensic photography in criminal identification, Sir Francis Galton, the founding father of eugenics and composite photography, and anthropologist Rudolf Martin, a key figure in the standardization of anthropometry, especially in German speaking countries. 12 Anthropologists and other social scientists operated within an institutional setting. As David Green observes in the context of England, “photography entered the field of the social sciences at a moment when the demand for modes of empirical observation and documentation and analysis, were uppermost.” 13 The demand coincides with the rise of modern social sciences starting in the mid-nineteenth century, such as sociology, political economy or social psychology, and establishes new scientific disciplines with a corresponding specialized body of knowledge. The rise of modern social sciences in this process of institutionalization, notably observed at the educational level such as universities and scientific societies, transformed their distinctive categories of thought, procedures and analysis to the role of a provider of knowledge across a range of civil institutions, whether medical, educational, legal and penal. In Germany, for example, the German Anthropological Society was an organization focusing on the realization of political goals. According to Andrew Zimmer8 9
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Fiedler, Matthias: Zwischen Abenteuer, Wissenschaft und Kolonialismus. Der deutsche Afrikadiskurs im 18. und 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2005, p. 81. Hanke, Christine: Zwischen Auflösung und Fixierung. Zur Konstituierung von Rasse und Geschlecht in der physischen Anthropologie um 1900, Bielefeld 2007, especially her chapter „Anthropologische Visualisierungen.“ See also Cartwright, Lisa: Screening the Body, Tracing Medicine's Visual Culture, Minneapolis 1995. Stepan, Nancy: The Idea of Race in Science. Great Britain 1800–1960, Houndmills/Basingstroke/London 1982, p. xviii. See also chapter four of Zimmerman, Andrew: Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany, Chicago 2001. Sekula, Allan: The Body and the Archive, in: October, Vol. 39 (1986): S. 3–64. Green, David: Veins of Resemblance: Photography and Eugenics, in: Oxford Art Journal, Nr. 2, Photography, Oxford 1984, p. 6.
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man, natural scientific empiricism and political liberalism informed the beginning of German anthropology. Like their British counterparts, German anthropologists were empiricists, who associated empiricism with republicanism following the model of the British Royal Society. However, the radical empiricism of German anthropology was dismissive of philosophical speculations and accordingly viewed Darwinism in the 1870s and 1880s as unfounded in empirical reality. 14 Instead anthropologists “disseminated a biological national identity” using craniometry inspired speculations about the racial characteristics about Germanness. 15 Guided by a nonevolutionary physical anthropology, scientists focused on the physical traits as ethnological characteristics, and in turn sought to draw conclusions about race. 16 The study of non-Europeans therefore served as the perfect foil to demonstrate general anatomic differences enabling scientists to illuminate the specific anatomical characteristics of a German race. Even though biological evolution was not the dominant informant of the scientific revolution in Germany around the turn of the century, the drive to identify racial differences based on innate qualities took center stage across Europe in the context of European imperialism and by the name of eugenics. The rise of eugenics as a science in the late 19th- century, had assumed a strong influence in the social and political debates across Europe about race, nation, gender, and public policies, such as how to address criminal behaviour and what kind if medical solutions to the crime problem are available. 17 Given the historical background as outlined above, let me now take a closer look at photographs taken by the Austrian photographer Richard Buchta (1845– 1894), who is virtually unknown in the history of photography. Prominent explorers and scientists such as Wilhelm Junker, Gaetano Casati, the botanist Robert Brown, and the missionaries Charles T. Wilson and Robert W. Felkin of the Evangelical Church Missionary Society reproduced his photographs of central Africa with most of them used in wood engraved form. 18 RICHARD BUCHTA – THE PROFESSIONAL PHOTOGRAPHER Buchta published his photographs from his journey into Equatoria Province from 1878–9 (now parts of South Sudan and northern Uganda) in The Upper Nile14 15 16 17
Zimmerman, Andrew: Anthropology…, op. cit., p. 117. Ibidem, p. 135. Ibidem, p. 87. See, for example, Richard Wetzell’s superb book on the origins of modern criminology, idem: Inventing the Criminal. A History of German Criminology, 1880–1945, Chapel Hill/London 2000. 18 Morton, Christopher: Richard Buchta and the Visual Representation of Equatoria in the Later Nineteenth Century, in: Morton, Christopher/Newbury, Darren (eds.): The African Photographic Archive, London/Oxford 2015, p. 19. For Junker Buchta produced many highly sophisticated drawings for his three volume Travels in Africa during the years 1875–1878, London-Chapman/Hall 1890.
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Countries: Types of Peoples and Landscapes (Die Oberen Nil-länder: Volkstypen und Landschaften 1881). 19 For a variety of reasons, scholars and researchers of the history of photography have either ignored or simply forgotten his pioneering work. 20 In the review of one of Buchta’s publications, Robert Hartmann, a co-founder with the anthropologist Adolf Bastian, of the Journal for Ethnology in 1879, praised Buchta for capturing the physiognomical habitus, the physical characteristics of the trunk and limbs of these artistically sophisticated images. 21 Indeed many of his photographs reveal his exposure and knowledge of anthropometry and physical type portraiture reflecting the contemporary debates in the social sciences. Buchta returned to Egypt in 1885 and published a short book on the Sudan. 22 In 1886, he moved to Vienna collaborating with Junker on his first volume on his travels in Africa and completing the edited volume about the correspondence between Dr. Emin-Pascha’s und Lupton-Bey’s to Dr. Wilhelm Junker 1883 – 1885. 23 In his publication of the photographs, Buchta reveals his artistic interest in the physical-type portraits set in plain backdrop and some full-frame images with reference number and the presence of a measuring scale. There is only one known short travel log in Petermanns Mitteilungen from 1881, detailing his impressions of his journey with the arrival on August 22, 1878 in Fashoda, now Kodok in South Sudan, on the White Nile. The travel log shows a photographer who has a good knowledge of anthropometry – he measured height and skull size of some local tribe members – and of local social and cultural customs. Buchta refrained from any stereotypical commentaries of the indigenous people and writes objectively and with a high degree of fascination and fondness about the encounter with the various local indigenous groups. 24 According to Christopher Morton, Buchta’s primary focus on photography suggests that he perceived his contributions as augmentations to the accounts of the explorers and scientists and as providing scientific visual descriptions of the Upper Nile indigenous people. 25 There have many German travellers and explorers before the 1880s. 26 However, they operated on a personal, adventurous or business agenda though some with very clear imperialistic and or professional goals in mind, “[t]heir imaginary waffled between visual romanticism, to which they had been acculturated as consumers, and an equally contrived scientific-realist minimalism which sought to 19 Buchta, Richard: Die oberen Nil-Länder: Volkstypen und Landschaften, Berlin 1881. 20 Morton, Christopher: Richard Buchta…, op. cit., p. 20. 21 Hartmann, Robert: Reise des Herrn Buchta in Central-Africa, in: Zeitschrift für Ethnologie, no. 2, Berlin 1880, pp. 336–338. 22 Buchta, Richard: Der Sudan und der Mahdi. Das Land, die Bewohner und der Aufstand des falschen Propheten, Stuttgart 1884. 23 Buchta, Richard: Der Sudan unter ägyptischer Herrschaft. Rückblicke auf die letzten sechzig Jahre. Nebst einem Anhange: Briefe Dr. Emin-Pascha's und Lupton-Bey's an Dr. Wilhelm Junker 1883–1885, Leipzig 1888. 24 Buchta, Richard: Meine Reise nach den Nil-Quellseen im J. 1878, in: Petermanns Mitteilungen, Nr. 27, Gotha 1881, pp. 81–89. 25 Morton, Christopher: Richard Buchta…, op. cit., p. 35. The photographs were purchased in 1881 and preserved in the Museum für Völkerkunde in Vienna. 26 For an intriguing list of explorer’s see Essner, Cornelia: Deutsche Afrikareisende im neunzehnten Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte des Reisens, Stuttgart 1985.
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reduce a body to the essence of a type of body.” 27 Prior to the formation of the German Reich in 1871 cartographical publishing depended on actual fieldwork and data coming from mostly British sources and German travellers, such as Heinrich Barth, travelling with support from the British government and for British commerce. 28 With the establishment of the Reich, Germany via direct Government support or German businesses, quickly created and fostered a structure for informationgathering enterprises focusing on the success of German travellers as Germans. 29 However, without any financial sponsorship from organizations travellers struggled to achieve their objectives, to produce tangible results. Only through a combination of publicity and sensational exploratory exploits did explorers such as Gustav Schweinfurth or Nachtigal succeeded to make a name for themselves. It is important to note that sponsorship also amounted to questions about its audience. For the majority of explorers and travellers, who had ambitions to become successful at home in Germany, the decision was often between writing a popular account of events and less scholarly on the expense of their reputation as serious and scientifically oriented explorers. 30 The aura of a tense conflict between fulfilling the expectations of the sponsor, the popular market, and the authors own goal raises questions about their true, sincere and unbiased commitment to scholarly research, “the functional infrastructure of geography and anthropology in Germany developed in close connection with the business enterprise of geographical publishing.” 31 The invention of half-tone printing in 1888 increased the opportunities for anthropologists, the publishing industry, and the popular market to propagate the validity of empiricist positivism and the accuracy of truth finding in the civilizing mission. RATZEL’S THE HISTORY OF MANKIND Buchta may be just another photographer forgotten in the history of colonial and racial photography if not for Friedrich Ratzel, the nineteenth-century German geographer and ethnographer, who has drawn extensively on Buchta’s photographs in his illustrated three-volume work The History of Mankind (1896). Like Ratzel in particular, academic ethnology and anthropology in general, sought to professionalize the informal system of data collection from amateurs, such as Buchta, a process that took shape when specialists in different disciplines after the turn of the century entered ethnographic research. 32 Yet as Smith convincingly argues, German anthropology and 27 Krautwurst, Udo: The Joy of Looking: Early German Anthropology, Photography And Audience Formation, in: Visual Anthropology Review, no. 1–2, Berkeley 2002, p. 66. 28 Essner, Cornelia: Some Aspects of German Travellers’ accounts from the second half of the 19th century, in: Paideuma, no. 33, Stuttgart 1987, pp. 197–205. 29 Essner, Cornelia: Deutsche Afrikareisende… op. cit. 30 Essner, Cornelia: Some Aspects…, op. cit., p. 202. 31 Smith, Woodruff: Politics and the Sciences of Culture in Germany 1840–1920, New York/ Oxford 1991, p. 163. 32 Ivano, Paola: Warriors, Conquerors, and Colonizers. Western Perceptions and Azande Historiography, in: History in Africa, no. 29, Cambridge 2002, p. 194.
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the official apparatus of Germany’s colonial empire hardly impacted each other, because [t]heoretical patterns of cultural science were intimately connected to the political and ideological currents that shaped imperialism within Germany, but only tangentially to the actual administration of Germany’s real colonies. 33
In The History of Mankind Ratzel demonstrates his speculative theories about the relationship between biological species and the physical environment best summarized in his concept of Lebensraum (living space) when describing Africa as a terra incognita: But since Africa, both politically and economically, has been brought together nearer to us, the above mentioned idea has had altogether to give way. That continent, the greatest portion of which longest remained a terra incognita, has suddenly been called on to play a great part in the history of the expansion of the European races. 34
He had argued that political entities, such as countries, act similar to that of living organisms; it requires nourishment to gain political power and to survive. This form of aggressive territorial expansion Ratzel had coined Lebensraum or living space. The more territory a country conquers the more the political entity can sustain and preserve itself. Ratzel’s organic theory suggests that a political entity has to conquer as much living space as possible for the purpose of self-preservation. If a political entity fails to gain additional living space for its people, other political entities, who behave in the same way may, conquered it. 35 Closely aligned with his concept of Lebensraum are his ideas about diffusionism, a holistic approach to human geography that has served Ratzel to advocate what he viewed as migrationist colonialism. People have moved over centuries all over the world, and the task of ethnography is to trace the movements of people and their cultural traits in the past and link the patters of these movements to similar developments in the present. In identifying patterns of the diffusion or transmission of cultural characteristics or traits, such as bows and spears, Ratzel sought to identify laws, which he wanted to construct through empirical research. 36 The History of Mankind is such an attempt to systematically compare and identify cultural traits. While Ratzel was a strong advocate of empiricism, he viewed empiricism as a means to observe and to compare and not, for example, testing hypotheses. 37 He distinguishes between natural races, “they are those races who live more in bondage to, or in dependence on, nature than do those whom we call ‘cultured’ or ‘civilized’.” 38 For him, the natural races are in bondage with nature, and the distinction between natural and cultured races emerges through the association with nature. Culture is freedom from nature, meaning becoming less dependent and more 33 Smith, Woodruff: Politics…, op. cit., p. 171. 34 Ratzel, Friedrich: The History…, op. cit., vol. 2, p. 257. 35 Ratzel, Friedrich: Der Lebensraum. Eine biographische Studie, in: Bücher, K./Fricker, K. V. et al. (Hrsg.): Festgaben für Albert Schäffle zur siebenzigsten Wiederkehr seines Geburtstages am 24. Februar 1901, Tübingen 1901, pp. 101–189. 36 Ratzel, Friedrich: The History…, op. cit., vol. 3, p. 32. 37 For a discussion of diffusionism see Smith, Woodruff: Politics…, op. cit., esp. chapter 8. 38 Ratzel, Friedrich: The History…, op. cit., vol. 1, p. 14.
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diverse on how to use nature. The key question for Ratzel is how to determine the position of natural races among the human race. In his review of existing research, he views Darwin “as a great creator of ideas,” unable to “escape the temptation to imagine mankind more various in itself….” 39 Ratzel suggests that “innate physical distinctions” enable us to draw insights into the differences among races. Referencing anatomist, anthropologist, and physiologist Gustav Fritsch (1838–1927) he suggests that the human body has assumed an important aspect in understanding the differences amongst races, because Fritsch “has studied the natural races in their natural state” and “asserts that the shapely development of the human body is only possible under the influence of civilization.” Citing the physician, biologist, and anthropologist Rudolf Virchow (1821–1902) Ratzel links the “skeleton referable in the one case to the influences of civilized, in the other to those of uncivilized, life.” 40 Ratzel seeks to delineate the obvious difference “between us” and the “natural races” ending with the argument, that “the conception of ‘natural’ races involves nothing anthropological or physiological, but is purely one of the ethnography and civilization. Natural races are nations poor in culture.” 41 Civilization means “our civilization and is the product of many generations of men.” 42 Ratzel discusses various aspects such as language, religion, science and art, clothing and ornaments to highlight the differences between civilization and the ‘savage races.’ These few observations should suffice to assess the book more from a scholarly perspective. The huge amount of information and data may easily overwhelm a reader and certainly hinders in understanding the complex and multi-layered book. The book is simply a unique composition. The English translation includes reprints from reviews, a move, so it appears, to provide an additional layer of legitimacy to the English-speaking reader. Described as a “compact storehouse of facts” with portraits “from the very best sources” the reviewer hails the book as “indispensable to American students” and “of the greatest value” to them. The complimentary prefatory chapter by British anthropologist Edward B. Tylor and the additional endorsement by Virchow provide an effective promotion strategy reaching out to a wider English speaking audience. Inserting well-known authorities or academic celebrities such as Virchow and Tylor attract reader’s attention influencing the sale and popularizing Ratzel’s notion of civilization. We may speculate Ratzel had considered the taste of a wider reading public and commercial interests as he addresses his audience directly in the text. His narrative style of writing, however, ends up being consumed by specialists. The significance of a book is not only a matter of letters, but also of all those things that accompany the text, from author’s name, to preface, illustrations, decorations or format. The paratext is a threshold or, as Genette puts it, citing Philippe Lejeune “a fringe of the printed text which in reality control’s one whole reading of the text.” 43 39 40 41 42 43
Ibidem, p. 16. Ibidem, p. 17 Ibidem, pp.18–19. Ibidem, pp. 4–5. Genette, Gérard: Paratexts. Thresholds of Interpretation, Cambridge 1997, p. 2.
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Whether colourful images, plates, drawings, engravings, including their various sizes and shapes, maps or the order of individual chapters, these are narratological devices to direct the readers’ reception of the books. The special cover design enables a first positioning in an ideological or institutional context, we read that Ratzel views the book as a reference work for anthropologists, and as a book for the English-reading layperson interested in the history of humankind seeing from an anthropological perspective. The design of the book with all its individual elements is a constitutive component in the history of knowledge and its sciences. The relationship between representation and production influences consciously or unconsciously the reading experience, and therefore assumes an important role in our understanding of the book. They are persuasive structures guiding the reader at first sight, acting as an agent of knowledge. All media, to follow Marshall McLuhan and Quentin Fiore, is “so pervasive in their personal, political, economic, aesthetic, psychological, moral, ethical, and social consequences that they leave no part of us untouched, unaffected, unaltered. The medium is the message.”44 All narratological elements, or what Genette described as paratext, serve to legitimize the authority of the writer and act as a quasi provocateur of the reader’s autonomy. 45 Ratzel aimed at a broader readership. To succeed on the publishing market, his design, the size of the book and all of its constitutive elements have to produce a distinction in comparison to other similar books. This form of visual marketing invites the reader to embark on a journey with many visual appetizers, such as exotic people, weaponry, or customs. Referencing ethnological collections in the museums of Berlin, Munich, Vienna, Dresden, and Stockholm, and the British museum offers additional authority and credibility. The consistent references to national and international anthropologists and other like-minded scholars and explorers points to the fluidity amongst the scientific community; they signify a network of exchanges of images for the purpose of a comparative knowledge of photography. The History of Mankind symbolizes a wide-reaching scientific and social network that cuts photographs from their own original history reducing them to ahistorical objects. The de-historicized images contradict the anthropologist’s truth claim and evidential power attached to these photographs. The photographs become objects in their own rights by way of being passed around and modified for publication and ideological purposes. Ratzel’s use and abuse of photographic images, their ‚rebuilding‘ and ‚rebranding,‘ reveals more about him in the context of anthropology’s social and historical environment than about the embedded and buried social history of the photos, or in Edwards words, “[t]he study of collection and exchange thus contributes to the understanding of the visual culture that sustained nineteenth-century anthropology.” 46 Ratzel’s book is a compilation of borrowed images and artefacts from all over the world, an archive 44 McLuhan, Marshall/Fiore, Quentin: The Medium is the Message. An Inventory of Effects, New York 1967, p. 26. 45 See also Windgätter, Christof: Blattwerk der Signifikanz oder Auf dem Weg zu einer Epistemologie der modernen Buchgestaltung, in: idem (ed.): Wissen ist Druck. Zur Epistemologie der modernen Buchgestaltung, Munich 2010, pp. 6–50. 46 Edwards, Elizabeth: Raw Histories. Photographs, Anthropology and Museums, Oxford/New York 2001, p. 30.
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build from other archives, accessible to and provided by a specific community eager to spread the gospel of racial differences. The images and artefacts Ratzel assembled follow stylistic conventions to form a complete and coherent rendering of the visible as accessible, thus creating the impression of an encyclopaedia. We notice Ratzel’s rendering of distant cultures and civilizations relies on many contributors in his weaving of a larger racial fabric of modern civilization. The reader encounters many references to like-minded scholars and explorers such as Schweinfurth, Virchow, Theodor Waitz, the British ethnologist Robert Latham, Fritsch, and Julius Falkenstein, who serve as predictable providers of stereotypes or a system of visual equivalence. 47 Yet, the constant cultural re-inscriptions characterize its unpredictability because photographic meaning emerges precisely through these intersections of ethnography, history, and past. The photography becomes an interrogatory tool turning it into an archive itself of a truth-telling device revealing its ideological, political, and cultural inscription and abuse. Within the various different cultural and historical contexts, the signifying qualities of the photograph expose the fissures of its multiple abuses; it exposes the partial nature of historical inscription and understanding; or simply unmasks the user and abuser, in this case Ratzel, as an ideological manipulator. 48 Reading or deciphering photographs therefore requires multiple attempts to decipher meaning, producing different results. As such, it defines its role for anthropology as unpredictable, unstable, and even subversive evidence for scientific racism. The photograph has a life of its own, it is tentative and suggestive, and, in the context of its production, exchange, and consumption, assumes a status of unpredictability. We the reader experience the photograph as revealing and concealing forcing us to know what it cannot show. As framed, constrained and contained images the photographs as engraved images clearly allude to its status as inter- and exchangeable objects for different anthropological purposes. However, the reader starts to become suspicious when reading his chapters, for example, on the “The South and East Africans” “§1. The Negro in General” and his findings in “The Negroes of the Upper and Middle Nile Regions” that include images from Buchta. 49 Ratzel writes about the indigenous people in Africa from the vantage point of a scientist labelling the ‚negro,‘ a conception of ethnology, as “dark skin, so-called wholly hair, thick lips and nose…”. 50 Ratzel reveals his true colours, and his overall inconsistent line of arguments about the origins of race in general and the “negro” in particular. He offers many differential racial markers in his comparison between the ‚natural races‘ vis-a-vis ‚civilized races.‘ His particular focus on the difference of physiognomy stands out because the African skull is “in general higher, the neck thicker, the breadth of thorax and pelvis less than in Europeans.” 51 He observes characteristic peculiarities in the skull’s massive built in contrast to the 47 Ibidem, p. 7. 48 See Kracauer, Siegfried: Photography, in: Classic Essays on Photography, ed. by Alan Trachtenberg, New Haven 1980, pp. 245–268. 49 Ratzel, Friedrich: The History…, op. cit., vol. II, p. 313 ff. 50 Ibidem, p. 313. 51 Ibidem, p. 316.
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other bones, and links the “negro physiognomy” with the lack of intelligence. 52 Ratzel’s discussion of the physiognomy ends with a comparison with the Semitic type, or what he describes as the “Jewish in character” suggesting that the “resemblance to Jews may frequently have been exaggerated […] but none the less there is a germ of truth to it.” Thus when we read about the ‘negro’ we read about the Jew. 53 Ratzel riddles the text with generalities and subjective distortions without any scientific and scholarly proof invoking all kinds of stereotypes such as the pejorative ‚negros‘ are murderer, are lawless, cruel, superficial, prone to sexual excesses, childish, cannibalistic, and low in intelligence. 54 Ratzel along with this corpus of traditions, frequently stereotyped, belongs to the collective memory of a culture, and so its components repeatedly turn up, without their truth being in any way substantiated through reproduction by different sources. 55
Figure 1 Portrait of a Shilluk girl. © Pitt Rivers Museum, University of Oxford (1998.203.1.11.1)
Undifferentiated pre-existing knowledge was the result of rumours, gossip, speculations, oral history, or hearsay, and influence scientific discourse. Travelers, traders, missionaries, local population, explorers, wannabe anthropologists and geographical journals with a demonstrable function such as Petermanns Mitteilungen, a highly influential geographical journal in the late nineteenth and early twentieth centuries, mutually influenced each other playing a decisive role in creating without direct knowledge stereotypes and clichés. 56 When the author’s imagination runs 52 53 54 55 56
Ibidem, p. 317–318 Ibidem, p. 318. See a list of all the stereotypes in the chapter “The Negro In General” in volume II. Ivano, Paola: Warriors…, op. cit., p. 108. Ratzel, Friedrich: The History…, op. cit., vol. II, p. 112.
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wild, as is the case in The History of Mankind, we encounter the typical tropes that characterizes the majority of the late nineteenth century explorations of Africa, summarized by Ivanov, as “cannibalism, incorrigible pagans, nudity, and backwardness, in other words: closeness to the animal world.” 57 RATZEL READS BUCHTA This brings me now back to Richard Buchta. Ratzel incorporated many photographs from Buchta albeit in engraved form or manually created images with decorations. Buchta took his photos in Equatoria, a province of Egypt established by Samuel Baker in 1870, and the latter “with the intention of suppressing slavery and opening up trade routes.” 58 The following picture shows a Shilluk woman described as “an upper body profile vignetted portrait of a Shilluk girl wearing an animal skin and neck ornament. It is possible to just make out a number of dotted cictrices on her left arm.” 59 Buchta had asked her to look aside, in order for the photographer and the viewer to consume her nakedness. Her right breast is uncovered, and we as viewers must conclude that she has been ‚prepared to pose and to reveal.‘ Her facial expression reveals discomfort we speculate that the male photographer makes her feel vulnerable because he consumes her by his scientific and sexual gaze. The photo is overtly dehumanizing, setting up the female body as if to match the requirements of a scientific study. The woman appears to resist through their motionless facial expressions. Already Darwin remarked that nakedness is characteristic of primitive lifestyle, and of course, once the ‚native‘ gets dressed, s/he becomes civilized and concurrently loses his/her (sexual) attraction. Regardless if photographed in naked or semi-naked states or even groups, all photos of indigenous people signify a highly voyeuristic appeal of these images. The images of the naked colonized woman as scientifically objectified signifies to the viewer, sexual availability and shamelessness. The female breast was central to and a key characteristic of racial photography. Seldomly do we encounter images of male genitalia or female genitalia. The raw sexuality forced into anthropometric grids and strange poses, suppose to reveal the absence of civilisation, the primitive identified in his or her state of nature, lacking in shame and propriety. For scientists, the naked body reveals truth, and provides information about human characteristics and emotional and physical developments. Stripped of their individuality, the photographic or anthropologic ‘types’ invited and facilitated the study of peculiarities of contour. The anthropological images thus transformed into a generic quality observed in all the portrayals. The standardized body becomes the scientific laboratory for highly dubious value judgments as exemplified in the experience and 57 Ibidem, p. 92. 58 Morton, Christopher: Peoples of the Upper Nile. Richard Buchta in Equatoria, 1878–1880, online verfügbar unter https://www.prm.ox.ac.uk/buchta.html (23.3.2018). 59 Buchta, Richard: Portrait of a Shilluk girl, online verfügbar unter https://commons.wikimedia. org/wiki/File:Richard_Buchta_-_Portrait_of_a_Shilluk_girl.jpg (23.3.2018). Accession Number: 1998.203.1.11.1.
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views of missionaries. Nakedness of course presented a profound spiritual hazard, after all, Christianity, civilisation and clothing were central components of their educational projects and shame the prerequisite for Christian salvation. But who is the viewer? Buchta may proclaim the uprightness and purity of his interest to represent nude pictures as value-free and as a nonsexual emblem of truth. However, the viewer or the reading public may experience the viewing of the unclothed women differently. The message implied of all the nude photos are clear, the naked state signifies not only rogue women gone astray but also entire indigenous societies. Now imagine yourself as a woman being seen on postcards, picture books, newspaper, and other popular culture outlets. Like in our contemporary world racial erotica in the late nineteenth century secured the success of popular culture based on the high popularity of generic field photographs. Concurrently, while titillation was part of their popularity, the viewer inevitably enjoyed power over the indigenous subject, rendering the images to being an attractive commodity in constant circulation. We see that Buchta’s anthropometric images align with the beginning of physical anthropology in the 1860s. The camera frames a woman without name fully exposed. Buchta’s universalizing approach, the framing of a woman to pose in a certain way, shapes the perception of the image but also the culture in which they originated. Concurrently, while the process of staging follows a scientific script in order to get a desired result, the photograph invites reader to explore and decipher what it cannot show. Their instructed performative response subsequently raises questions about the scientific validity, production and consumption of anthropometric photographs. It is evident that the specific anthropometric approach contaminates the photos by way of its prescribed scientific parameters; the images are prepared for racial identification and documentation. We also notice a clear distance between subject and camera enabling Buchta to objectify the woman following the protocol of the scientific gaze. The image reveals coldness and indifference; abandoning any form of intimacy. The woman appears to be aware of the unequal power relation. Buchta’s photographs follow the visual and anthropometric techniques that have been hugely successful amongst national and international scientists and professional photographers alike in the later part of the 19th century. They illuminate in so many different ways the notion of a typological homogeneity as propagated by Ratzel. The ‚native‘ becomes measurable, controllable, and knowable providing an almost generic quality. Buchta, according to Morton, used measuring devices, such as a measuring scale, however they have been “cropped from the print” to possibly serve multiple audiences. 60 After all Buchta had a job to do, as a freelance photographer he has to meet the demands of his customer. 61
60 Morton, Christopher: Richard Buchta…, op. cit., pp. 25–26. 61 Junker, Wilhelm: Travels in Africa During The Years 1879–1883, London 1891.
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Figure 2 62
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Photograph of “Portrait of a Shilluk girl” in engraved form as presented by Ratzel
In contrast to the actual photograph we notice that she looks to the right, and both breasts are slightly revealed. The artist eliminated the dangers of sexuality making the image available for the consumer, whose interest in indigenous people is not revealed as an interest in pornography. Within Western culture nakedness was a taboo, a danger to the existing morals unless packaged as a work of art and accessible only in the museum or in form of an educational text such as The History of Mankind. The image does not offend because it is a work of art, and more importantly, the respectability was secured because the image shows the naked body of a colonial subject and not of a white European. Ratzel’s books and images were successful because his publication and packaging of the material coincides with the dramatic increase of scientific enthusiasm for having access to the naked body as a means to measure and classify human diversity. 63 Ratzel’s descriptions of indigenous people read like an imaginary anthropological wonderland, where the author beyond the assumed “physiognomic differences, sensory perception, or the connection between perception and cognition,” appeals to what Morris-Reich aptly and correctly describes as the racial imagination. Imagination serves “as a racial characteristic and as the unifier of the social fabric.” 64 If photography of the invisible addresses the imagination by ‘appearing’ real, then The History of Mankind becomes a treasure stove of imaginary surprises feeding the imagined community of an emerging German racial nationalism in need to define and establish itself as German community. Ratzel acts as the story teller of 62 Ratzel, Friedrich: The History…, op. cit., vol. III, pp. 25–26. 63 Levine, Philippa: Naked Truth: Bodies, Knowledge, and the Erotics of Colonial Power, in: Journal of British Studies, no. 1, Cambridge 2013, pp. 7–8. 64 Morris-Reich, Amos: Race and Photography…, op. cit., p. 21.
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speculative racial distinctions. He writes within a framework of preconceived ideas blending his material into the imperative of narrative coherence. The high art images establish his book as a museum seeking a return of traditional values modernity has put into question. While Ratzel’s use of wood engravings may be a result of cost saving consideration, his contribution beautifully shows visual accessibility and didactic efficacy in the promotion of an unfounded biological racism even though the amount of information is overwhelming. Yet, the use of wood engravings alludes to the aforementioned archive, engravings signify archaizing racial historiography. The History of Mankind reads like an ethnological story book based on a combination of art and science, or a marriage of convenience between romantic art on the one hand and of positivistic science on the other. His historical narration of race follows or at least attempts a chronological ordered way resting on false and pretentious assumption such as “[n]atural races are nations poor in culture.” For Ratzel, art and sciences, theology and philosophy inform and shape civilized life striving “to reach the ideal” of civilization and culture lifting “less civilized races” from their savage state to higher civilization. 65 However, as Hayden White correctly notes, notions such as ‘natural races,’ ‘wildness’ or ‘humanity’ are self-authenticating cultural devices: [t]he notion of ‘wildness’ (or, in its Latinate form, “savagery”) belongs to a set of culturally selfauthenticating devices…[t]he terms civilization and humanity might be similarly characterized. They lend themselves to definition by stipulation rather than by empirical observation and induction. And the same can be said of their conceptual antitheses wildness and animality. 66
Following White observation, Ratzel encapsulates what White describes as “the technique of ostensive self-definition by negation,” to present indigenous people from an a priori perspective in order to conceive of civilisation and differences of what it is not “But no doubt the arrival of civilization disturbs society down to its roots. It contrasts the available space, thus altering one of the conditions upon which … the peculiar social and political arrangements of races in a natural state were framed.” 67
65 Ratzel, Friedrich: The History…, op. cit., vol. I, p. 21. 66 White, Hayden: The Forms of Wildness: Archaeology Of An Idea, in: Tropics of Discourse. Essays of Cultural Criticism, Baltimore/London 1978. p. 151. 67 Ratzel, Friedrich: The History…, op. cit., vol. 1, p. 12.
DER NAHE BZW. MITTLERE OSTEN IM ZEITALTER DER WELTKRIEGE 1914–1945 Ein Überblick zur deutschen Forschung aus militärgeschichtlicher Sicht Bernd Lemke Der Orient, hier nicht zuletzt die Region zwischen Mittelmeer und dem Iran 1, hat in den vergangenen 20 Jahren in der historiografischen Forschung erheblich an Bedeutung gewonnen. Dies hängt zweifellos mit den Geschehnissen in der Region seit dem 2. Golfkrieg zusammen, dem Angriff auf die Twin Tower am 11. September 2001 und auch mit den Hunderttausenden Flüchtlingen, die sich vor allem ab 2015 nach Mitteleuropa begeben haben. Eine Rolle spielt gerade für Deutschland auch die Tatsache, dass die Bundeswehr seit 2014 im Irak und seit 2016 in Syrien im Einsatz steht, wenn auch im Vergleich zum Engagement in Afghanistan mit begrenzten Mitteln. 2 Das wohl zentrale Thema bei allen Fragen dieses Problemkreises ist der Einsatz von Gewalt. Damit sind auch Militärhistoriker aufgerufen, sich an Forschung und Diskussion zu beteiligen. Dies nicht allein vor dem Hintergrund der Tatsache, dass deutsches Militär außerhalb Europas eingesetzt wird, sondern auch in Bezug auf die Gefährdung der Heimatgesellschaften durch Islamisten und Terrororganisationen. Die äußere und innere Dimension waren und sind hierbei ohnehin nicht zu trennen. Der immer wieder erhobene Aufruf zum „Heiligen Krieg“ gegen den Westen legt hiervon beredtes Zeugnis ab. Wie noch darzustellen sein wird, ist der Djihad historisch gesehen keineswegs ein ‚rein‘ islamisches Phänomen, sondern war integraler Bestandteil der Kriegsstrategie etwa des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Dieser ging just vor 100 Jahren zu Ende, was in den letzten Jahren, wie bei derlei Jubiläen meist üblich, zu einer Flut von Publikationen geführt hat.
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Es ist an dieser Stelle aus Platzgründen nicht möglich, auch nur ansatzweise auf die terminologischen Fragen in Bezug auf den „Orient“ einzugehen, die genauere Definition „Naher“ bzw. „Mittlerer Osten“ zu diskutieren oder Frage der verschiedenen Disziplinen zu erörtern. Als allgemeine Hinweise mögen hier dienen: Khalil, Osamah F.: The Crossroads of the World. U.S. and British Foreign Policy Doctrines and the Construct of the Middle East, 1902–2007, in: Diplomatic History, Nr. 2, Oxford 2014, S. 299–344 sowie Poya, Abbas/ Reinkowski, Maurus (Hrsg.): Das Unbehagen in der Islamwissenschaft. Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien, Bielefeld 2008, S. 9–18; Schnepel, Burkhard/Brands, Gunnar/Schöning, Hanne (Hrsg.): Orient – Orientalistik – Orientalismus. Geschichte und Aktualität einer Debatte, Bielefeld 2011. Ein Ende dieser Einsätze ist derzeit nicht absehbar.
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Es besteht also genügend Anlass, einmal aus militärgeschichtlicher Perspektive Bilanz zu ziehen. Da der zur Verfügung stehende Platz begrenzt ist, können keine ausgedehnten Diskussionen geführt werden. Vielmehr sollen die wichtigsten Tendenzen und Ergebnisse benannt und wenigstens ansatzweise bewertet werden. 3 Insbesondere soll die Erforschung des militärischen Geschehens vor allem in den beiden Weltkriegen unter Einbeziehung der Hoffnungen und Ansätze zur Instrumentalisierung des „Heiligen Krieges“ dargestellt und kurz kommentiert werden. Anschließend soll die Debatte um die Kontinuitäten zwischen nationalsozialistischer Ideologie und arabischer Unabhängigkeitsbewegung bzw. dem Charakter der arabischen Regime nach 1945 skizziert werden, da dieser Frage grundlegende Bedeutung zukommt. Die Forschung zum Genozid an den Armeniern und die Frage möglicher Kontinuitäten und Vergleiche wird hier nicht diskutiert, da es zu diesem Thema in jüngster Zeit zahlreiche Konferenzen und Forschungsüberblicke inklusive der Diskussion methodischer Fragen gegeben hat. 4 Das Gleiche gilt für die Geschichte der Türkei nach 1918 unter militärgeschichtlicher Perspektive 5 und die Kurden. 6 Abschließend sollen einige For3
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Dieser Aufsatz baut nicht zuletzt auch auf ausgezeichneten Überblickswerken und Studien auf, die nicht gesondert zitiert werden. Zu nennen sind hier insbesondere die Publikationen von Henner Fürtig, Udo Steinbach, Jochen Hippler, Tim Epkenhans, Rolf Steininger u. a. Vgl. dazu die entsprechenden Beiträge und Literaturtitel in Lemke, Bernd (Hrsg.): Wegweiser zur Geschichte Irak und Syrien, Paderborn 2016. Aus der Fülle der entsprechenden Publikationen sei an dieser Stelle nur genannt: Hosfeld, Rolf/Pschichholz, Christin (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Völkermord an den Armeniern, Göttingen 2017. Zu den methodischen Fragen (Komparatistik) aus militärgeschichtlicher Perspektive (insbesondere in Bezug auf die kontroverse Studie von Erickson) vgl. Lemke, Bernd: Militärgeschichte im Vergleich. Imperien, Genozid und Kolonialkriege, circa 1860– 1945. Methodische Ansätze – Forschungsergebnisse – Perspektiven, in: Neue Politische Literatur, Nr. 1, Wiesbaden 2018, S. 47–55. Zu diesem Thema gibt es einen guten Forschungsüberblick an anderer Stelle: Grüßhaber, Gerhard: The ‚German Spirit‘ in the Ottoman and Turkish Army, 1908–1938, Berlin/Boston 2018, v. a. S. 12–22. Weiterhin Mangold-Will, Sabine: Begrenzte Freundschaft. Deutschland und die Türkei 1918–1933, Göttingen 2013. Vgl. ferner Özcalik, Sevil: Promoting an Alliance. Furthering Nationalism, Ernst Jäckh and Ahmed Emin in the Time of the First World War, Berlin 2018. Das Werk Haider-Wilson, Barbara/Graf, Maximilian (Hrsg.): Orient & Okzident. Begegnungen und Wahrnehmungen aus fünf Jahrhunderten, 2. Aufl., Wien 2017 bietet eine gute Einführung in das österreichisch-türkische Verhältnis, ist jedoch gelegentlich (Beitrag Koch zur Zwischenkriegszeit) etwas zu wenig problemorientiert. Das Thema Militärgeschichte und Kurden ist bislang, bis auf einige im Folgenden noch näher zitierte Publikationen, praktisch so gut wie nicht erforscht. Daher an dieser nur der Hinweis auf die wichtigsten allgemeinen Standardwerke (in denen u. a. auch teils Gewalt und Militär behandelt werden): van Bruinessen, Martin: Agha, Scheich und Staat. Politik und Gesellschaft Kurdistans, 2. vollst. neu übers. Aufl., Berlin 2003; McDowall, David: A Modern History of the Kurds, London 2014. Vgl. ferner Jwaideh, Wadie: The Kurdish National Movement, Its Origins and Development, New York 2006 (1960) sowie Kutschera, Chris: The Kurdish National Movement, Paris 1979 (elektronische Ausgabe/kindle, Paris 2012). Für ältere Literatur: Kren, Karin: Kurdistan und die Kurden in der deutschsprachigen Literatur. Kommentierte Bibliographie, in der Reihe: Kurdologie, hrsg. von Chr. Borck, E. Savelsberg und S. Hajo,
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schungsperspektiven präsentiert werden. Die Begrenzung auf die deutsche bzw. deutschsprachige Wissenschaft hat zunächst praktische Gründe. Die Diskussion auch nur der englisch- oder französischsprachigen Forschung würde den Rahmen sprengen. Indes ist es gerade in Zeiten, in denen sich die globale Frage massiv stellt, durchaus einmal geboten, eine Standortbestimmung gerade auch aus nationaler Sicht vorzunehmen 7, ohne natürlich den Blick für die trans- bzw. internationale Forschung auszublenden oder gar eine Verengung auf nationale Perspektiven zu fordern. 8 Hinsichtlich der Forschung zum militärischen Geschehen in der Region insgesamt kann man grob zwei Hauptaspekte unterscheiden: 1. das kriegerische Vorgehen der Streitkräfte und 2. die Pläne und Aktionen zur Aufstandserregung bei den Völkern innerhalb der gegnerischen Herrschaftsgebiete, hier insbesondere die Instrumentalisierung des „Heiligen Krieges“. Zur Kriegsgesellschaft des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg gibt es kaum einschlägige deutsche bzw. deutschsprachige Spezialstudien. 9 Die Gesellschaften der Nachfolgestaaten werden nachfolgend noch näher behandelt.
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Münster/ Hamburg/London 2000. Grundlegende Perspektiven in einer Themenausgabe des Wiener Jahrbuchs für kurdische Studien, Nr. 2, Wien 2014: Die Geschichte von Kurdischen Studien und Kurdologie. Nationale Methodologien und transnationale Verflechtungen. Verwiesen sei an dieser Stelle ferner auf die einschlägigen Studien und Überblickswerke zu einzelnen Ländern in der Region (v. a. Irak, Türkei und Syrien). Vgl. dazu die Auflistung der Standardliteratur in Lemke, Bernd (Hrsg.): Wegweiser zur Geschichte…, a.a.O., S. 279–284. Als gutes Beispiel vgl. hier van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus! Antikoloniale Haltungen in der deutschen Geschichte von Mitte der 1880er-Jahre bis zum Beginn der 1930er Jahre – Ein Überblick, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Nr. 3, Leiden 2018, S. 224–253. Ferner Stassen, Nicol/van der Heyden, Ulrich: German publications on the Anglo-Boer war, Pretoria 2007. Die im Folgenden zitierte Literatur umfasst selbstredend auch englischsprachige Publikationen deutscher Wissenschaftler. Wo nötig und geboten, wird auch internationale Literatur aufgeführt, insbesondere dort, wo entsprechende Standardwerke aus deutscher Feder nicht zur Verfügung stehen. Indes muss sehr fokussiert werden. Ein Überblick über die gesamte Forschung etwa zum Osmanischen Reich bis 1918/22 ist nicht möglich. Im Rahmen der Erforschung des Völkermordes an den Armeniern wurde dieses Thema mitbehandelt. Als Beispiel kann hier die Konferenzserie des seit 2012 aktiven Großprojektes „Ottoman Cataclysm“ in Basel und Zürck dienen, hier v. a. auch im Oktober 2015 unter dem Thema „Total War, Genocide and Distant Futures in the Middle East (1915–1917)“, hier vor allem Panel 1 (The Ottoman World War I and its historiography). Als Einführung für das Osmanische Reich als Kriegsgesellschaft einstweilen: Fawaz, Leila Tarazi: A Land of Aching Hearts. The Middle East in the Great War, Cambridge 2014. Die wichtigsten Studien bislang: Çiçek, Talha: War and state formation in Syria. Cemal Pasha’s governorate during World War I, 1914–17, London/New York 2014. Weiterhin Provence, Michael: The Last Ottoman Generation and the Making of the Modern Middle East, Cambridge 2017 und schließlich noch Besikci, Mehmet: The Ottoman Mobilization of Manpower in the First World War. Between Voluntarism and Resistance, Leiden 2012. Ferner entsteht gerade eine Studie von Mustafa Aksakal, Ottoman Society at War (AT).
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Der unmittelbare Kriegsverlauf inkl. der Schlachten ist eigentlich schon länger bekannt und wurde bereits in gut ausgestatteten Bildbänden dokumentiert. 10 Neuere Überblicksdarstellungen bieten gegenüber den älteren Gesamtwerken zum Ersten Weltkrieg teils etwas aktuellere und reichhaltigere Detailinformationen, können aber keine grundstürzenden neuen Erkenntnisse liefern. 11 Das deutsche Engagement blieb auch im Ersten Weltkrieg begrenzt. Dass deutsche Offiziere, z. B. Colmar von der Goltz bis zu seinem Tod, 12 Führungspositionen in der Armee des osmanischen Reiches innehatten, trug zu dem langen Durchhalten sicherlich bei, bietet indes nicht die alleinige Erklärung. Trotz erheblicher Schwächen gelang es doch, bis 1918 einen gewissen Standard beim Nachschub zu halten. In diesem Zusammenhang weisen neuere Darstellungen immer wieder auf den anatolischen Soldaten hin und loben seine Kämpfereigenschaften bzw. Durchhaltefähigkeit. 13 Man fragt sich, ob hierbei nicht gelegentlich etwas über das Ziel hinausgeschossen wurde; dies insbesondere, weil noch gar nicht näher erforscht ist, ob und inwieweit die ‚deutsche Schule‘ Auswirkungen auf das türkische Militär, insbesondere auch über das Offizierskorps hinaus, hatte. 14 Das Lob des anatolischen Soldaten ist ferner nicht neu, sondern wurde von Prominenten schon in der Epoche geübt, dies im Laufe der Zeit wohl auch vor dem Hintergrund, dass die Türkei zumindest bis Beginn des Zweiten Weltkrieges als Bündnispartner infrage kam. 15 Es bleibt zu diskutieren, ob hier nicht Meinungsbilder ungeprüft über die Zeiten hinweg überlebt haben. Vor allem müsste einmal eine Geschichte gegen den Strich geschrieben werden, d. h. in Bezug auf Resistenz, Desertionen, Brutalitäten. Relativ gut erforscht sind die teils sehr problematischen Beziehungen zwischen den deutschen und türkischen Offizieren, die erhebliche kulturelle Unterschiede manifestieren. 16 Das Gleiche gilt für die Rolle der deutschen Offiziere vor allem als Zeugen und Mitwisser beim Völkermord an den Armeniern. Zahlreiche persönliche Dokumente sind inzwischen ausgewertet worden. Der Forschungs-
10 Hier nach wie vor Standard die beiden Bände des polnischen Historikers Janusz Piekalkiewicz, die bis heute insbesondere vom Bildmaterial her bestechend sind (zuletzt neuaufgelegt 1999 bzw. 2000). Vgl. die entsprechenden Abschnitte in Piekalkiewicz, Janusz: Der Erste Weltkrieg, Augsburg 1999 und ders.: Der Zweite Weltkrieg, Augsburg 2000. 11 Vgl. hier etwa Krethlow, Carl Alexander: Bagdad 1915/17. Weltkrieg in der Wüste, Paderborn 2018 sowie Neulen, Hans-Werner: Feldgrau in Jerusalem. Das Levantekorps des kaiserlichen Deutschland, 2. Aufl., München 2002 sowie ders.: Die Adler des Kaisers im Orient 1915–1919. Unser Freund, der Feind, Aachen 1916. 12 Zu Goltz vgl. die Biografie von Krethlow, Carl Alexander: Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz. Eine Biographie, Paderborn 2012. 13 Krethlow, Carl Alexander: Bagdad 1915/17…, a.a.O., S. 17, 47, 69, u. ö. 14 Grüßhaber, Gerhard: The ‚German Spirit‘…., a.a.O., S. 15 bis 25. 15 Lemke, Bernd: Der Irak und Arabien aus der Sicht deutscher Kriegsteilnehmer und Orientreisender 1918 bis 1945. Aufstandsfantasien, Kriegserfahrungen, Zukunftshoffnungen, Enttäuschungen, Distanz, Frankfurt a. M. 2012, S. 74–75, 164–165, 176, 194 und 291–292. 16 Vgl. dazu den Forschungsüberblick (auch Gang der Forschung und Bedeutung der Arbeit von Jehuda Wallach) bei Grüßhaber, Gerhard: The ‚German Spirit‘…, a.a.O., S. 15–19.
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stand ist relativ klar. 17 Obwohl einige Offiziere im Einzelfall offensiv gegen die türkischen Gräuel vorgingen, hielt man sich meist lieber heraus, dies nicht zuletzt auch wegen der klaren Befehlslage aus Berlin. Der Bündnispartner durfte nicht verärgert werden, da man ihn brauchte. Das Schicksal der Armenier war demgegenüber nachrangig. Ein gewisser, inzwischen ebenfalls gut beleuchteter Sonderaspekt der Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges bildet die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers in Wünsdorf/Zossen. Hier wurde, letztlich mit recht wenig Erfolg, versucht, muslimische Gefangene für die eigenen Kriegsanstrengungen zu gewinnen, zu diesem Zwecke wurde auch entsprechende Propaganda betrieben sowie eine Moschee eingerichtet und Vergünstigungen gewährt. 18 Für die Zwischenkriegszeit gibt es, auch mangels historischer Substanz, nur begrenzte Forschungsergebnisse. Die britischen bzw. französischen Kolonialkriege in den nunmehr als Mandate rangierenden Gebieten wurden inzwischen von den jeweiligen nationalen Historiografien untersucht. Einige deutsche Wissenschaftler haben jedoch unter neuen methodischen Perspektiven geforscht und publiziert. 19 Besonders interessant ist eine Arbeit, die das Vorgehen der Royal Air Force im Irak im Rahmen des Imperial Policing als Vorstufe zum Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg beleuchtet und bewertet. 20 Trotz aller technischen Unterschiede vor allem in Leistungsfähigkeit und Bombenmenge sind doch klare Kontinuitäten zu erkennen. Ein großer Teil der Führungskräfte der RAF im Zweiten Weltkrieg, darunter auch Arthur Harris, der Chef des Bomber Command, haben wesentliche Erfahrungen und erste Karriereschritte im Irak gemacht. Derlei temporale Vergleiche müssen weiterbetrieben werden. 21 Das unmittelbare militärische Geschehen des Zweiten Weltkrieges in der Region ist in den Grundzügen schon länger bekannt und es gibt ebenfalls nur wenig 17 Vgl. neben dem Sammelband von Hosfeld, Rolf/Pschichholz, Christin (Hrsg.): Das Deutsche Reich…, a.a.O. (v. a. Aufsätze von Krethlow und Hull) die nicht publizierte Dissertation von Reichmann, Jan-Christoph: „Tapfere Askers“ und „Feige Araber“. Der osmanische Verbündete aus der Sicht deutscher Soldaten im Orient 1914–1918, Münster 2009, S. 324–333. 18 Die grundlegenden Studien hierzu stammen von dem im Jahre 2003 verstorbenen Gerhard Höpp. Zuletzt Höpp, Gerhard/Reinwald, Brigitte: Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, 1914–1945, Berlin 2000. Vgl. dazu Höpp, Gerhard: Arabische und islamische Periodika in Berlin und Brandenburg. Geschichtlicher Abriß und Bibliographie, Berlin 1994. 19 Lieb, Peter: Suppressing Insurgencies in Comparison. The Germans in the Ukraine, 1918, and the British in Mesopotamia, 1920, in: Hughes, Matthew (Hrsg.): British Ways of Counterinsurgency. A Historical Perspective, Routledge, London/New York 2013, S. 51–72. Inzwischen gibt es Publikationen zum Wirken von Muslimen in Europa und in Deutschland in der Zwischenkriegszeit. Dort liegt indes keine besondere militärgeschichtliche Perspektive an. Agai, Bekim/Ryad, Mehdi Sajid Umar (Hrsg.): Muslims in Interwar Europe. A Trans-cultural Historical Perspective, Leiden 2015 und Nordbruch, Götz/Ryad, Mehdi Sajid Umar (Hrsg.): Transnational Islam in Interwar Europe. Muslim Activists and Thinkers, New York 2014. 20 Böhm, Martin: Die Royal Air Force und der Luftkrieg 1922–1945. Personelle, kognitive und konzeptionelle Kontinuitäten und Entwicklungen, Paderborn 2015. 21 Ein ausgezeichnetes Beispiel auch Feickert, Hauke: Westliche Interventionen im Irak. Die britische Irakpolitik (1914–1922) und die amerikanische Irakpolitik (2003–2009) im Vergleich, Wiesbaden 2012.
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Neues, was den Ablauf angeht. 22 In Syrien, Palästina und im Irak gab es praktisch keine deutsche Präsenz, weswegen sich die Forschung naturgemäß auf die Geschichte des deutschen Afrikakorps unter Rommel konzentrierte. Das kurze, erfolglose Engagement der Luftwaffe im Irak im Mai 1941 wurde nach dem Zweiten und Dritten Golfkrieg wieder etwas stärker in den Fokus gerückt, dies indes eher im anglo-amerikanischen Bereich („Hitlers Gulf War“). 23 Wie im Folgenden noch darzulegen sein wird, geht dies vor allem auf die strategischen Präferenzen Hitlers zurück, die mit dessen ideologischen Überzeugungen zusammenhingen. Diese wiederum reichen in die Zeit vor der Machtergreifung zurück. 24 Hitler war zwar keineswegs ausschließlich darauf festgelegt, den Weltanschauungskrieg gegen die Sowjetunion jederzeit mit allen Kräften zu führen, und hätte, wie etwa im Falle des Balkanfeldzugs, unter günstigen Umständen bzw. Notwendigkeiten den Befehl zu einem temporären Vormarsch über den Kaukasus gegeben. Indes kam es hierzu nicht und es gibt auch keinerlei Hinweise, dass der Diktator dieses Ziel ernsthaft und vor allem nachhaltig verfolgt hätte. Dies betrifft insbesondere vor allem die in der Literatur gelegentlich anzutreffenden Hinweise und Vermutungen über eine angeblich geplante strategische Zangenbewegung gegen den Mittleren Osten vom Kaukasus und vom DAK unter Rommel aus. Die wenigen historisch belegten Hinweise hierauf sind alles andere als belastbar. 25 Dass im Zuge des Vormarsches im Osten bzw. in Afrika Ideen für eine solche Aktion entwickelt wurden, ist kein Ausweis für konkrete Angriffsabsichten oder historische Bedeutung. Das Gleiche gilt etwa für die im OKH vorgenommene und in drei Aktenordnern dokumentierte Erkundung der irakischen Infrastruktur. 26 Derlei Planun22 Die neueste Darstellung (trotz einiger Schwächen) mit Hinweisen und Belegen für den Gang der Forschung seit Heinz Tillmann und Bernd-Philip Schröder bei Motadel, David: Für Prophet und Führer. Die Islamische Welt und das Dritte Reich, Stuttgart 2017 (engl. Orig. 2014), v. a. Kap. II.3. Motadel konzentriert sich im Wesentlichen indes auf den Kriegsschauplatz in Osteuropa und in der Sowjetunion, eine Tatsache, die für die folgenden Bemerkungen noch von Bedeutung sein wird. Zu diesem Thema wird demnächst eine entsprechende Dissertation (Stefan Petke, Muslime in Wehrmacht und Waffen-SS) erscheinen. 23 James, Barrie G.: Hitler’s Gulf War, The Fight for Iraq 1941, Barnsley 2009. Zu den näheren Umständen und Folgen dieses Einsatzes vor allem für die betreffenden Militärs vgl. Lemke, Bernd: Der Irak und Arabien…, a.a.O., Kap. 4.2. In Deutschland wurde in jüngster Zeit eine Anzahl persönlicher Memoiren veröffentlicht, die indes kritisch bewertet werden müssen. Drewes, Martin: Sand und Feuer. Jagdflieger im Irak und über Deutschland, Moosburg 2011; Falck, Wolfgang: Falkenjahre. Erinnerungen 1910–2003, Moosburg 2004 sowie Lagoda, Max: Ein Blick in die Vergangenheit, Kriegserinnerungen eines Fernaufklärers aus Russland und dem Orient, Aachen 2011. 24 Das neueste Standardwerk hier Nicosia, Francis R.: Nazi Germany and the Arab World, Cambridge 2015, Kap. 1 und 2. 25 Sowohl Schwanitz, Wolfgang G./Rubin, Barry: Nazis, Islamists and the making of the modern Middle East, Yale 2014, S. 129–137, S. 142–145, S. 150–151, 162, als auch Nicosia, Francis R.: Nazi Germany and the Arab World…, a.a.O., S. 167–168, 188–189, 203, 209, 219 können trotz einiger Quellenbelege keinen überzeugenden Hinweis bieten, dass eine derartige Operation jemals auch nur in die Nähe einer realistischen Option gerückt wäre. In den Quellen herrscht überwiegend Planen, Hoffen und Versprechen. 26 BA–MA, RH 2/1771–1773.
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gen und Ausarbeitungen gehören zur normalen Stabsroutine und sagen keineswegs aus, dass hier eine konkrete Absicht der Reichsführung vorlag. Die gelegentlichen Aussagen von Hitler gegenüber dem italienischen Bündnispartner oder dem Großmufti von Jerusalem Amin al-Husayni gehören zur diplomatischen Standardvorgehensweise und dürften eher zur Gestaltung bzw. Erhaltung positiver Beziehungen zu Rom bzw. den Arabern gedient haben. Die entsprechenden Annahmen hinsichtlich einer solchen Zangenbewegung gehen wohl sehr stark auf die von einigen Protagonisten ex-post gepflegte Legende von der „verpassten Chance“ im Orient zurück und sind eher in die übliche Kritik gegenüber Hitler und dessen angeblich militärische Unfähigkeit einzuordnen. 27 Dieses Thema leitet über zum zweiten Aspekt, der Aufstandserregung und dem Konzept zur Instrumentalisierung des „Heiligen Krieges“. Hier hat sich in den letzten 10 Jahren in Bezug auf den Ersten Weltkrieg durchaus einiges Neues ergeben. Lange Zeit galt Max von Oppenheim, als „The Kaiser’s Spy“ bezeichnet, als der große Strippenzieher und Aufrührer vor allem gegen das britische Empire etwa in Ägypten. 28 Dahinter stand vielleicht auch ein gewisser Einfluss der Position von Fritz Fischer, der in seinen Arbeiten Max von Oppenheim als Teil der Kriegstreiber darstellte, die, in diesem Fall in Bezug auf den Orient, das Deutsche Reich in den Ersten Weltkrieg gedrängt hätten. 29 Derlei lässt sich heute nicht mehr halten. Die Forschung hat inzwischen herausgefunden, dass Oppenheim zwar tatsächlich versucht hat, arabische Kreise für die deutsche Sache zu gewinnen und im Krieg selbst auch massive Anstrengungen unternommen hat, um die Araber zum Djihad vor allem gegen das Empire aufzustacheln. Indes kam er im Dienst des Auswärtigen Amtes über eine vergleichsweise bescheidende Position nicht hinaus, dies u. a. deshalb, weil er Jude war und deshalb benachteiligt wurde. 30 Seine Dienste wurden zwar im Krieg gerne genutzt, er durfte auch in Berlin eine Nachrichtenstelle für den Orient und eine Propagandaorganisation im Osmanischen Reich aufbauen, indes erlangte er nie be27 Hierzu insbesondere ex-post Grobba, Nicosia, Francis R.: Nazi Germany and the Arab World…, a.a.O., S. 140. Derlei gehört insgesamt in die üppig bestückte Kategorie der angeblich verpassten Chancen, militärgeschichtlich vielleicht vergleichbar mit der Legende über die ME 262, die, so wurde teils behauptet, man frühzeitig als Jäger hätte einsetzen und damit den Luftkrieg über Deutschland gewinnen können. 28 Dazu McKale, Donald: ‚The Kaiser’s Spy‘. Max von Oppenheim and the Anglo-German Rivalry Before and During the First World War, in: European History Quarterly, Nr. 2, London 1997, S. 199–219. Die beste neuere Arbeit zu Max von Oppenheim im politisch-sozialen Gesamtrahmen ist Gossman, Lionel: The Passion of Max von Oppenheim. Archaelogy and Intrigue in the Middle East from Wilhelm II to Hitler, o. O. 2013. 29 Fischer, Fritz: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 2013 (nach der Erstausgabe 1961), Kap. 4. Die Debatte um Fritz Fischer, insbesondere auch die seit einiger Zeit geübte, deutliche Kritik an seiner Position, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. 30 Overhaus, Salvador: „Zum wilden Aufstande entflammen“. Die deutsche Propagandastrategie für den Orient im Ersten Weltkrieg am Beispiel Ägypten, Saarbrücken 2007. Vgl. auch Medrow, Lisa/Münzner, Daniel/Radu, Robert (Hrsg.): Kampf um Wissen. Spionage, Geheimhaltung und Öffentlichkeit 1870–1940, Paderborn 2015 (v. a. Beiträge Medrow und Oberhaus).
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stimmenden Einfluss auf die Strategie und die Politik der Reichsleitung. Weiterhin war er beileibe nicht der einzige Akteur. Es wurde eine ganze Reihe von Leuten tätig, die versuchten, die orientalische Bevölkerung gegen das Empire aufzustacheln, hier vor allem Fritz Klein, Max von Scheubner-Richter, Wilhelm Wasmuss sowie Werner-Otto von Hentig und Oskar von Niedermayer. 31 Dazu kam eine Anzahl von professionellen Orientalisten, insbesondere diejenigen, die sich seit Ende des 19. Jahrhunderts, anders als der Mainstream der deutschen Orientforschung, weniger mit Sprache, Religion oder Altertumskunde auseinandersetzten, sondern begonnen hatten, sich mit den modernen Gesellschaften dort zu beschäftigen: Martin Hartmann, Eugen Mittwoch und Carl Heinrich Becker. 32 Dazu kamen weitere interessierte Gestalten, hier insbesondere der Journalist Ernst Jäckh. 33 Trotz des Aufwandes und der Ausrufung des Heiligen Krieges im Osmanischen Reich zu Beginn des Krieges sollten sich alle Bemühungen als vergeblich erweisen. Es kam nirgendwo im britischen oder französischen Weltreich zu nennenswerten Aufständen. Im Gegenteil – die Briten waren eigentlich erfolgreich. Es gelang T. E. Lawrence, im Hejaz eine Großrevolte arabischer Stämme gegen das Osmanische Reich auszulösen und bis nach Damaskus vorzustoßen. Indes weiß man inzwischen auch, dass dieser Aufstand nicht das entscheidende Gewicht besaß, sondern der militärische Vormarsch der britischen Armee unter Allenby an der Palästinafront. Auch blieb die muslimische Bevölkerung trotz Hungersnot, Unterdrückung und Mobilmachung nach Art des Totalen Krieges durch das Regime der CUP weitgehend loyal. 34
31 Loth, Wilfried/Hanisch, Marc (Hrsg.): Erster Weltkrieg und Dschihad. Die Deutschen und die Revolutionierung des Orients, München 2014; Leverkuehn, Paul: A German Officer during the Armenian Genocide. A Biography of May von Scheubner-Richter [basierend auf der dt. Originalausg. Posten auf ewiger Wache: Aus dem abenteuerlichen Leben des Max von Scheubner-Richter], London 2008; Seidt, Hans-Ulrich: Berlin, Kabul, Moskau. Oskar Ritter von Niedermayer und Deutschlands Geopolitik, München 2002. 32 Hagen, Gottfried: German Herolds of Holy War. Orientalists and Applied Oriental Studies, in: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East, Nr. 2, Durham 2004, S. 145–162; Marchand, Suzanne L.: German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race, and Scholarship, 3. Aufl., Cambridge 2010, Kap. 10; Haridi, Alexander: Das Paradigma der „islamischen Zivilisation“ – oder die Begründung der deutschen Islamwissenschaft durch Carl Friedrich Becker (1876–1933). Eine wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung, Würzburg 2005; Hanisch, Ludmilla: Die Nachfolger der Exegeten. Deutschsprachige Erforschung des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2003, Kap. V und VI; Wokoeck, Ursula: German orientalism. The study of the Middle East and Islam from 1800 to 1945, London/New York 2009, Kap. 1 und 7; Habermas, Rebekka: Debates on Islam in Imperial Germany, in: David Motadel (Hrsg.): Islam and the European Empires. OUP 2014, S. 231–253. Schließlich Erik-Jan Zürcher (Hrsg.): Jihad and Islam in World War I. Studies on the Ottoman Jihad on the Centenary of Snouck Hurgronje´s „Holy War Made in Germany“, Leiden 2016. 33 Özcalik, Sevil: Promoting an Alliance…, a.a.O.. 34 Masters, Bruce: The Arabs of the Ottoman Empire, 1516 – 1918. A Social and Cultural History, Cambridge 2013, S. 217–224.
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Leben und Bedeutung von Lawrence sind inzwischen ganz gut erforscht, auch teils mit deutschsprachigen Publikationen. 35 Schon nach dem Ersten Weltkrieg wurden, obwohl Lawrence vor 1918 der OHL und der deutschen Regierung in Berlin gar nicht bekannt war, 36 Parallelen der deutschen Insurgenten mit Lawrence gezogen, was wohl ebenfalls der Selbstheroisierung diente, indes mit den Realitäten wenig gemein hatte. 37 Wie bereits angemerkt, bleibt zweifelhaft, ob die deutschen Versuche zur Aufstandserregung wirklich größeren Abnutzungseffekt vor allem für das britische Empire hatten. Nachhaltig erfolgreich waren sie ohnehin nicht. Ein Teil der deutschen Literatur ist hier zu unkritisch, nimmt eine vorwiegend nationale Perspektive ein, rezipiert teils auch die britische Forschung nicht. 38 Die Aufstandspropheten, unter denen sich teils auch Abenteurer und unstete Charaktere versammelten, überschätzten ihre Möglichkeiten bei Weitem und, ein wichtiger Aspekt, verfügten über ungenügende Kenntnisse über die Gesellschaften und Stammesverbände, die sie instrumentalisieren wollten. Insbesondere, dies gilt durchgängig, zumindest bis 1945, betrachtete man die verschiedenen Völker und Gesellschaften als in großen Teilen einheitlich, weil islamisch geprägt, unterschätzte auch deren machtpolitisches Gespür. Die Stämme und Machthaber in Mesopotamien, Persien und in Afghanistan durchschauten die Absichten der Mittelmächte zumindest grundsätzlich sehr wohl und weigerten sich, entscheidende Schritte zu unternehmen, solange der militärische Erfolg nicht sicher war. Dies mussten etwa Hentig und Niedermeyer erfahren, als sie den Emir von Afghanistan zu überreden versuchten, einen Aufstand gegen das Empire in Indien vorzubereiten. 39 Das Gleiche galt für Persien, wo die Türken mit teils brutalen Ausschreitungen die Bevölkerung ohnehin gegen die Mittelmächte aufbrachten. Die Stammesführer und Potentaten verfolgten ihre eigenen Interessen, betrieben teils harte ‚Realpolitik‘, ließen sich ihr Interesse und ihre Mitwirkung von Berlin auch teuer bezahlen. Alle Anstrengungen blieben trotz teils spektakulärer Reisen, Märsche und Sabotageaktionen Stückwerk.
35 Herausragend hier Fansa, Mamoun/Hoffmann, Detleff (Hrsg.): Lawrence von Arabien. Genese eines Mythos, Mainz 2010. 36 Eine sehr kritische Auseinandersetzung mit Lawrence bei Thorau, Peter: Lawrence von Arabien. Ein Mann und seine Zeit, München 2010. 37 von Mikusch, Dagobert: Waßmuß, der deutsche Lawrence. Auf Grund der Tagebücher und Aufzeichnungen des verstorbenen Konsuls, dt. u. engl. Quellen u. d. gleichem Titel erschienen Buches von Christopher Sykes, Leipzig 1937 sowie Lührs, Hans: Gegenspieler des Obersten Lawrence, Berlin o. J. (wohl 1936). Dazu Lemke, Bernd: Der Irak und Arabien…, a.a.O., Kap. 3.1.2.5. 38 Hierzu gehört u. a. die Publikation von Veltzke zur Unternehmung Klein. Thorau, Peter: Lawrence von Arabien…, a.aO. besitzt eine breitere Literaturbasis, verlässt in seinem Bemühen, den Lawrence-Mythos zu zerstören, den sachlichen Rahmen allerdings immer wieder. 39 Seidt, Hans-Ulrich: Berlin, Kabul, Moskau, Oskar Ritter von Niedermayer und Deutschlands Geopolitik, München 2002, S. 43–120.
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Das lässt sich im Grunde trotz aller Unterschiede auch für den Zweiten Weltkrieg konstatieren, in dem das direkte Engagement des Deutschen Reiches in der Region erheblich sparsamer ausfiel als noch im Ersten. 40 Nach einer ‚Ruhephase‘ bis Anfang der dreißiger Jahre begannen, mit zunehmender Dauer der nationalsozialistischen Herrschaft, wieder Fantasien bezüglich eines Großaufstandes der Araber gegenüber den westlichen Imperien, die jetzt ja Mandatsmächte in der Region waren, zu blühen. Häufig waren daran alte Protagonisten (Oppenheim, Niedermeyer) beteiligt, teils neue Aufsteiger, die indes auch schon vor 1918 im Orient tätig gewesen waren (Grobba). Indes blieb der große Aufstand ebenfalls Fantasieprodukt, ohne auch nur in die Nähe realer Optionen zu rücken. Zwar kam es, wie beschrieben, 1941 im Irak zu einem Putsch und zum Kampf zwischen der irakischen Armee und den imperialen Truppen der Briten, allerdings erwiesen sich Letztere als derart überlegen, dass der irakische Widerstand in wenigen Wochen gebrochen war. Das deutsche Engagement erscheint hier als ein nur schwacher Abglanz des Kriegseinsatzes 1914–18. Hitler hatte trotz nachhaltiger Bitten ein größeres Engagement abgelehnt und nur die Entsendung einiger Staffeln He 111 und Me 110 als „heroische Geste“ genehmigt. Die Briten rückten dann rasch nach Syrien vor. Trotz der Hoffnungen auf einen Vorstoß der Wehrmacht aus Russland über den Kaukasus hatten sich damit bereits 1941 alle entsprechenden Hoffnungen erledigt. In den nachfolgenden Jahren gab es nur noch nadelstichartige Kommandoaktionen der Abwehr bzw. des SD, die teils ebenfalls von hypertrophen Erwartungen geprägt, indes keineswegs realistisch waren. 41 Die historischen Hintergründe sind auch hier inzwischen recht gut analysiert worden. 42 Hitler hatte, eigentlich bis zum Schluss, gar kein wirkliches Interesse an einem Großaufstand der Araber, der dann möglicherweise zu einer unkontrollierten Staatsgründung gleich welcher Art geführt hätte. Wie berichtet, hatte er überhaupt nur begrenztes Interesse an der Region. Die Aufstände in Palästina 1936–39 betrachtete er eher mit gemischten Gefühlen, was die Araber anging, und war einstweilen eher an der Fortdauer der britischen Herrschaft und der Beruhigung der Lage interessiert, da vor 1940 eine Endlösung zur Vernichtung der Juden noch gar nicht beschlossen worden war und man daher vor allem die Ausreise der Juden nach Palästina goutierte – ein Ansinnen, das den Arabern und ihren Führern 40 Zum Folgenden vgl. grundsätzlich Motadel, David: Für Prophet und Führer…, a.a.O., Kap. II.3. sowie Lemke, Bernd: Der Irak und Arabien…, a.a.O., Kap. 4 (dort jeweils auch in den Anmerkungen die Bewertungen der gängigen Fachliteratur. Zu den Orientwissenschaften im Dritten Reich vgl. auch neben den bereits in Anm. 32 zitierten Werken noch insbesondere Ellinger, Ekkehard: Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933–45, Edingen-Neckarhausen 2006. 41 Dazu Lemke, Bernd/Rosbeiani, Pherset (Hrsg.): Unternehmen Mammut. Ein Kommandoeinsatz der Wehrmacht im Irak 1943, Bremen 2018 sowie Ganzer, Burkhard: Deutsche Agenten bei iranischen Stämmen 1942–44. Ein Augenzeugenbericht, Berlin 2008. Die beste Studie zur Agententätigkeit aus britischer Sicht ist O’Sullivan, Adrian: Espionage and Counterintelligence in Occupied Persia (Iran). The Success of the Allied Secret Services, 1941–45, Houndmills New York 2015. 42 Nicosia, Francis R.: Nazi Germany and the Arab World…, a.a.O., Kap. 5–7.
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überhaupt nicht behagte. Abgesehen von den klaren Prioritäten Hitlers für einen Weltanschauungskrieg gegen die Sowjetunion spielten insgesamt auch die Rücksichten auf Italien und vor allem auch Frankreich die entscheidende Rolle. Hitler nahm letztlich eine genuin imperiale Haltung ein, d. h., er versuchte, die französische Herrschaft weitgehend zu erhalten, soweit sie vom Vichy-Regime ausgeübt wurde und damit letztlich unter seiner Kontrolle stand. Gelegentliche Äußerungen in einer anderen Richtung waren eher taktisch-diplomatischer Natur. Den Einsatz des DAK kann man, vorsichtig formuliert, als ‚Amtshilfe‘ für die schwächelnden Italiener verstehen. Sicherlich hätte Hitler nichts dagegen gehabt, wenn die Araber aus eigener Kraft einen Großaufstand zur Schwächung seiner Kriegsgegner bewerkstelligt hätten, solange dies seinen eigenen Zielen nicht zuwiderlief. Aufstandspropheten wie Grobba hofften dies jedenfalls und versuchten, hier mit allen Mitteln zu wirken. Damit wäre im günstigsten Fall mit geringem Aufwand maximaler Nutzen zu erzielen gewesen. Genau darin liegt aber der Kernaspekt allen Scheiterns. Die Gegenseite, also vor allem die arabischen Nationalisten, erhofften das Gleiche für sich selbst: die Anerkennung und Förderung ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen und am besten den militärischen Vormarsch der Wehrmacht. Es herrschten wechselseitige irreale Hoffnungen auf die jeweils andere Seite anstatt des wirklichen Willens zu handfesten Zusammenarbeit. Es liegt vielleicht am Stellenwert der Region als Nebenkriegsschauplatz, vielleicht auch an dessen exotischem Charakter im Vergleich zur mechanisierten Kriegführung in Europa, dass die Forschung längere Zeit einige Schwierigkeiten hatte, die eigentlichen Hintergründe und Defizite zu erkennen. Es traten einige markante Gestalten auf, die für sich in Anspruch nahmen, anerkannte Führer oder entscheidende Experten zu sein. Inzwischen hat sich ein differenziertes Bild ergeben. Dies betrifft insbesondere den Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, und leitet damit über zu der wohl auch für die Militärgeschichte zumindest im Grundsatz wichtigsten historiografischen Debatte der letzten zehn Jahre. Es geht dabei um die Verbindungen, Kontinuitäten und Beeinflussungen der arabischen Unabhängigkeitsbewegungen, überhaupt der arabischen Gesellschaften, nicht zuletzt auch der Staaten und Regime nach 1945 und durch die nationalsozialistische Ideologie und Politik. Diese Frage hat in den letzten beiden Dekaden, insbesondere seit dem 11. September 2001, erhebliche politische Bedeutung erlangt, was sich auch auf die Forschung ausgewirkt hat. Das ganze Themenfeld ist politisch aufgeladen. Es ist vielleicht zu viel gesagt, dass sich zwei Lager gebildet haben, indes sind zwei konträre Grundpositionen zu unterscheiden, auch wenn von Forscher zu Forscher noch differenziert werden muss. 1. Die Annahme, dass eine unmittelbare und bis heute fortwirkende, direkte Beeinflussung der arabischen Nationalisten bzw. der entsprechenden Regime nach 1945 sowohl durch die nationalistische Propaganda und Ideologie sowie die Interaktion führender arabischer Vertreter mit dem Hitler-Regime bis 1945 stattgefunden hat bzw. immer stattfindet. Quasi als ‚Kronzeuge‘ dient hier der Großmufti, der als Bindeglied und Hauptverantwortlicher für faschis-
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toide Grundausrichtung auch nach 1945 fungiert habe. 43 Teils wird auch behauptet, der Großmufti war zumindest indirekt an der Auslösung des Holocaust beteiligt, u. a. weil er verhindern wollte, dass Juden weiterhin nach Palästina geschickt wurden. Diese Haltung findet man auch bei politischen Hardlinern in den USA und in Israel sowie Wissenschaftlern, die einen direkten Vergleich zwischen Regimen etwa von Saddam Hussein und dem Dritten Reich zogen, um eine Invasion zu legitimieren, die frühzeitig in den dreißiger Jahren auch das NS-Regime hätte stürzen und damit den Zweiten Weltkrieg hätte verhindern können. Schlaglichtartig wird hier häufig von „Islamofascism“ als Bedrohung für den Westen gesprochen. 2. Eine zunehmende Anzahl von Forschern, auch deutschen, widerspricht dieser Auslegung seit etwa 10 bis 15 Jahren. Gerade seit 2010 sind immer wieder Publikationen erschienen, die auf der Basis neuer Forschungsergebnisse hier explizit Position beziehen. 44 Deren Kernargumente lassen sich im Wesentlichen auf die folgenden Punkte fokussieren. Ein genauer Blick auf die arabische Gesellschaft und politischen Kräfte zeigt, dass keineswegs ein monolithisches Meinungsbild vorlag, sondern viele Betrachter, Kommentatoren und politisch Handelnde ein kritisches Bild gegenüber dem Nationalsozialismus und vor allem dessen Bündnispartner Italien hatten, dies auch öffentlich vertraten. Dazu gehörten teils auch ausgesprochen islamistische Verbände wie die Muslimbruderschaft und Hassan al-Banna, der sich trotz aller radikalen Ansätze keineswegs nur positiv gegen Deutschland äußerte. Zweifellos gab es starke und auch öffentlich wahrnehmbare Sympathisanten, dies etwa auch in den uniformierten Bewegungen, wie etwa al-Futuwwa im Irak. Indes ist alles andere als sicher, dass diese sich direkt mit SS oder SA vergleichen lassen. Möglich ist auch eine Art Mimikry (Sprache, Uniform, öffentliches Auftreten), ohne die entsprechende Schlagkraft oder auch nur ähnliche Ziele wie die NSOrganisationen zu haben. Dabei spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass die Region zum großen Teil nicht aus souveränen Nationalstaaten bestand, sondern
43 Vgl. v. a. Schwanitz, Wolfgang G./Rubin, Barry: Nazis, Islamists and the making of the modern Middle East…, a.a.O.; Herf, Jeffrey: Nazi Propaganda for the Arab World, New Haven 2009; Mallmann, Klaus-Michael/Cüppers, Martin: Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006; Gensicke, Klaus: Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin el-Husseinis, Darmstadt 2007; Künzel, Matthias: Jihad und Jew-hatred: Islamism, Nazism and the Roots of 9/11, New York 2007. 44 Wild, Stefan (Hrsg.): „Islamofascism“?, in: Die Welt des Islam, Nr. 3/4, Leiden 2012, S. 225–241; Freitag, Ulrike/Gershoni, Israel (Hrsg.): Arab Encounters with Fascist Propaganda 1933–1945, Göttingen 2011; Gershoni, Israel/Nordbruch, Götz: Sympathie und Schrecken. Begegnungen mit Faschismus und Nationalsozialismus in Ägypten 1922–1937, Berlin 2011; Höpp, Gerhard/Wien, Peter/Wildangel, René (Hrsg.): Blind für die Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus, Berlin 2004; Kamil, Omar: Der Holocaust im arabischen Gedächtnis. Eine Diskursgeschichte 1945–1967, Göttingen 2012; Schumann, Christoph (Hrsg.): Nationalism and Liberal Thought in the Arab East. Ideology and Practice, London/New York 2010.
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unter der Kontrolle von europäischen Imperien, die ihre Sicherheitsapparate entsprechend einsetzten. 45 Ferner wird argumentiert, dass die Rolle des Großmufti und etwa auch von Raschid al-Gailani erheblich überschätzt wird. Beide waren bis 1945 eher nützliche Instrumente des NS-Regimes, weniger eigenständige Akteure. 46 Auch danach blieben dem Großmufti Grenzen gesetzt, obwohl er von den Siegermächten ziemlich milde behandelt wurde. Zwar verfügte er nicht zuletzt auch wegen seiner Abstammung über erheblichen Einfluss, war aber keineswegs der widerspruchslos anerkannte Führer aller muslimischen Araber. Berlin strebte bis 1945 danach, al-Husaini möglichst genau dosiert zu instrumentalisieren. Dies kam u. a. dadurch zum Ausdruck, dass die deutsche Seite trotz anhaltender Forderungen des Großmufti bis zum Schluss keine bindende Erklärung zugunsten eines Aufstandes und des Aufbaus eines arabischen Nationalstaates veröffentlichte. Ein wesentlicher Punkt ist auch die Erkenntnis, dass sich nach 1945 bei der Mehrheit der Araber zumindest zunächst keineswegs unversöhnlicher Judenhass etablierte. Vielmehr fand das Schicksal der Holocaust-Opfer durchaus Verständnis und Solidarität. Dies endete vielfach indes mit der Gründung des Staates Israel 1948, in deren Folge eine weitgehende Radikalisierung Platz griff. Dies, und nicht der Einfluss des NS-Regimes, wird als wesentlicher Faktor bezeichnet. Insgesamt gibt es noch viel zu erforschen, was die arabischen Gesellschaften gerade nach 1945 angeht. Etwa die Frage, was Regime wie das von Assad in Syrien bzw. von Saddam Hussein im Irak recht eigentlich geschaffen, konstituiert und am Leben gehalten hat, liegt noch weitgehend im Dunkeln. Dass sich eine monokausale Kontinuitätslinie Hitler – Großmufti – Arafat – Assad – Saddam ziehen lässt, ist künftig wohl nicht zu erwarten. 47 Zu fragen wird dabei auch nach der Rolle der beiden westlichen Imperien sein, hier vor allem deren Einfluss auf spätere Machtträger bzw. das entsprechende Lernen. Als Arbeitshypothese lässt sich formulieren, dass z. B. das alewitische Regime der Familie Assad sich vor allem hat durchsetzen können, weil dessen Führer von der Herrschaftspraxis der Franzosen (divide-et-impera) profitiert und gelernt, diese quasi unter anderen Vorzeichen fortgeführt haben. Derlei führt indes für einen militärgeschichtlichen Forschungsüberblick bis 1945 zu weit. Als Perspektive wäre die Rolle des Militärs, etwa des Golden Square im Irak, zu erforschen, die in den bisherigen Publikationen nicht im Zentrum 45 Dies wird in den entsprechenden, hier zitierten Werken teils auch betont. Das Standardwerk dazu ist Thomas, Martin: Empires of Intelligence. Security Services and Colonial Control, Berkeley 2007. Zur ökonomischen Dominanz der Westalliierten in der Region vgl. Mejcher, Helmut: Der Nahe Osten im Zweiten Weltkrieg, Paderborn 2017. 46 Nicosia, Francis R.: Nazi Germany and the Arab World…, a.a.O., Kap. 6 und 7. 47 Inwieweit bei der Annahme eines „Islamofascism“ westliche Totalitarismustheorien und vor allem auch die Publikationen von Hannah Arendt eine Rolle gespielt haben, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
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stand. 48 Allerdings spielen hier die Sprachenfrage und der Zugang zu den entsprechenden Quellen in den Ländern eine nicht zu unterschätzende Rolle. Daher soll nun abschließend als eine Art Zwischenperspektive eine komparatistische Forschungsperspektive auf der Basis westlicher Quellen entwickelt werden. Eine wesentliche Rolle in der internationalen Wissenschaft spielt seit Jahrzehnten die postkoloniale Methodik, die gerade durch die Beschäftigung mit dem Orient wesentliche Impulse erhalten hat (Edward Said). In Deutschland findet dies gerade in Bezug auf das Zeitalter der Weltkriege noch zu wenig Beachtung, dies noch mehr in militärgeschichtlicher Hinsicht. Dies mag damit zusammenhängen, dass die entsprechenden Ansätze, hier nicht zuletzt auf der Basis und in Auseinandersetzung mit dem Werk „Orientalismus“ von Said 49, überaus kontrovers betrachtet und auch im politisch-publizistischen Kampf thematisiert werden. Es ist vielleicht an der Zeit, hier weniger unter kritischer Abgrenzung zu anderen Methoden oder mit politisch ambitionierter Agenda vorzugehen, als vielmehr mit pragmatischer Perspektive neue Wege angesichts begrenzter Quellenlage in Erwägung zu ziehen. 50 Hier bietet sich eine Kombination von postkolonialer Methodik und vergleichendem Vorgehen an. 51 Denkbar ist beispielsweise der 48 Wien, Peter: Iraqi Arab Nationalism. Authoritarian, totalitarian, and pro-fascist inclinations, 1932–1941, London/New York 2006 verweist S. 7–13 auf die zentrale Rolle des irakischen Militärs im Machtspiel bei der Ausgestaltung des Staates und den zahlreichen Konflikten, konzentriert sich aber auf die Öffentlichkeit und die generationsübergreifenden Perspektiven bzw. Auseinandersetzungen in der Gesellschaft selbst vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Aufstieges und dessen Einfluss auf den Irak und andere arabische Länder. 49 Als Beispiel für inzwischen auch in deutscher Sprache entstandene Publikationen die wichtigsten deutschsprachigen Grundlagenwerke: Reuter, Julia/Karentzos, Alexandra (Hrsg.): Schlüsselwerke der postkolonial Studies, Wiesbaden 2012; Porra, Véronique/Wedekind, Gregor (Hrsg.): Orient – Zur (De-)Konstruktion eines Phantasmas, Bielefeld 2017 (einige Beiträge in französischer Sprache). 50 Als Beispiel vgl. auch Stein, Oliver: „Orientfahrten“. Deutsche Soldaten im Osmanischen Reich und der Krieg als Reiseerlebnis 1914 bis 1918, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Nr. 2, Berlin 2016, S. 327–358 sowie Krobb, Florian: „Doch das orientalische ist es, was uns ja eben interessiert“. Colonial Desires and Ottoman Space. War Memories als Postcolonial Discourse, in: ders./Martin, Elaine (Hrsg.): Weimar Colonialism. Discourses and Legacies of Post-Imperialism in Germany after 1918, Bielefeld 2014, S. 167–188. Zu militärgeschichtlichen Ansätzen in Verbindung mit Kulturgeschichte gibt es inzwischen einschlägige englischsprachige Publikationen: Lee, Wayne E.: Warfare and Culture in World History, New York 2011; Porter, Patrick: Military Orientalism, London 2009; Barkawi, Tarak/Stanski, Keth (Hrsg.): Orientalism and War, London 2012; Black, Jeremy: Rethinking Military History, London/New York 2004; ders.: War and the Cultural Turn, Cambridge 2012. 51 Als Einstieg bietet sich hier an Chatriot, Alain/Gosewinkel, Dieter (Hrsg.): Koloniale Politik und Praktiken Deutschlands und Frankreichs 1880–1962/Politiques et pratiques coloniales dans les empires allemands et francais 1880–1962, Stuttgart 2010. Zu den methodischen Grundlagen aus militärgeschichtlicher Sicht vgl. Lemke, Bernd: Militärgeschichte im Vergleich…, a.a.O., S. 32–33. Es gibt für die deutsche Geschichte bereits eine Anzahl wichtiger Publikationen zu Kulturgeschichte und postkolonialer Forschung bzw. Methodik: hier insbesondere van der Heyden, Ulrich/Zeller, Joachim (Hrsg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 2007, v. a. die Kapitel „Kolonialismus und Literatur“ sowie „Koloniale Topoi“. Dabei ist natürlich zu beachten, dass Deutschland im Orient nie
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Vergleich britischer und deutscher Texte, etwa von Orientreisenden und Militärs, hier etwa deren Sichtweise zu den Arabern, Kurden, überhaupt die muslimische Welt und den Gläubigen. Gerade in Zeiten europäischer Bewusstseinskrisen infolge der Konfrontation mit der Globalisierung (Flüchtlinge, Brexit) können hier in Auseinandersetzung mit historischen Denk- und Betrachtungsmustern in Bezug auf den Orient interessante Beiträge geliefert werden. Die Untersuchung der primären außen- und diplomatiegeschichtlichen bzw. militärischen Geschichte mit vorwiegend rein nationaler Perspektive dürfte künftig jedenfalls nicht mehr ausreichen. Dies wurde in den letzten Dekaden bereits ausgiebig und erfolgreich beleuchtet.
Kolonialmacht war. Für die entsprechende Erforschung von Themen in Bezug auf den Orient müssten die bisherigen Ergebnisse entsprechend flexibel angewandt werden.
STEINE ERZÄHLEN GESCHICHTE(N): DIE ‚CASTLES‘ IN GHANA UND IHRE SCHWIERIGE REZEPTION Bea Lundt
STEINERNE ZEUGEN EUROPÄISCHER EXPANSION: DAS PHÄNOMEN DER ‚CASTLES‘ „Blick zurück und Du wirst die Zukunft haben“, so die Botschaft des ‚Sankofa‘, der in Westafrika als Symbol für die besondere Werthaftigkeit des historischen Denkens und der Orientierung an der Geschichte steht; im Alltag Ghanas ist die alte Adinkra-Figur allgegenwärtig. Doch ist es nicht einfach, diese Aufgabe zu erfüllen, wenn es um die schmerzhafte Erinnerung an die Kolonialzeit geht. H. Nii-Adziri Wellington, Professor für Architektur an der University of Ghana in Legon bei Accra, spricht von der „proverbial Ghanaian practice of avoiding talking about the history of slavery in the community“. 1 Doch ist es Wellington gelungen, eine angemessene Sprache zu finden, um über dieses dunkle Kapitel in der Geschichte zu sprechen: Sein Buch, in dem er einen weisen alten Fischer Geschichten über die Steine erzählen lässt, die von der Anwesenheit der Europäer zeugen, erschien zuerst 2011 und liegt 2018 in einer neuen Aufmachung in den Buchhandlungen in Ghana aus. Es ist nicht die einzige erfolgreiche Bemühung, das Schweigen zu brechen. Ich möchte im Folgenden einige Beispiele für die Rezeption der kolonialen Geschichte des heutigen Ghana vorstellen; dabei werde ich von der Materialität der ‚Castles‘ ausgehen. Zunächst das Phänomen: Die Küste des heutigen westafrikanischen Landes Ghana ist von beeindruckend großen Bauten gesäumt. Hier landeten seit dem 15. Jahrhundert Europäer mit ihren Schiffen und hinterließen diese massigen Zeugnisse ihrer Anwesenheit. Die Gebäude dienten verschiedenen Zwecken: Zunächst fungierten sie als Stützpunkte für die Entfaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zu den Küstenorten, als Lagerraum für Handelsgüter wie Gold und Elfenbein sowie als Wohnsitz für die mit diesen Geschäften beschäftigten Repräsentanten der europäischen Länder und ihre afrikanischen Bediensteten. Bestückt mit Kanonen und versehen mit Wachtürmen und anderen typischen Merkmalen von Wehrbauten erfüllten sie aber auch militärische Funktionen, vor allem aufgrund der Konkurrenz unter den 1
Wellington, H. Nii-Adziri: Stones Tell Stories at Osu. Memories of a Host Community of the Danish Trans-Atlantic Slave Trade, Accra 2011, Neuaufl. 2018. Mir liegt die erste Auflage vor, hier: S. 281.
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europäischen Mächten: Von dort aus starteten sie Angriffsaktionen gegeneinander, wie auch gegen afrikanische Ethnien, die sich gegen ihre Kolonisierung zur Wehr setzten, sie schützten sich aber auch ihrerseits gegen Angriffe von außen. Autoritäten der indigenen Gruppen setzten sie in Verliesen gefangen. Bald wurde nicht nur mit Waren, sondern auch mit Menschen gehandelt: Der Sklavenhandel entfaltete sich. Die aus dem Norden der Region zusammengetriebenen Sklaven wurden in den Kellerräumen zusammengepfercht, bis Schiffe die Küste erreichten, auf denen sie zur Arbeit nach Übersee deportiert wurden. Der Ausgang zum Meer wurde für sie so eine ‚Door of no Return‘. Auch die ankommenden Europäer gingen hier an Land, zumeist waren es Männer. Neben Kolonialbeamten kamen Handwerker und Arbeiter, Soldaten, Ärzte, Priester, Missionare, die im Hinterland tätig wurden. An der Küste sicherten die monumentalen Gebäude die imperiale Macht: Die Verwaltung der kolonialen Eroberungen wurde von diesen Zentren aus betrieben. Menschen richteten ihr Leben dort ein. In den geräumigen Innenhöfen wurden Kirchen und Schulen gebaut, eine Krankenstation eingerichtet, Verstorbene wurden dort beigesetzt, das Umfeld wurde erschlossen. Die Eigentümer wechselten und gaben ihnen entsprechend ihrer jeweiligen Sprache und Herrschaftskultur unterschiedliche Namen. Seit die von den Engländern beherrschte Kolonie ‚Gold Coast‘ im Jahre 1957 als erste Region in Afrika südlich der Sahara ihre Unabhängigkeit zurückgewann, wurden diese Bauten von dem nunmehr ‚Ghana‘ genannten Land zunächst genutzt als Regierungssitz, Polizeischule, Bibliothek, heute auch als Museum und Gedächtnisstätte. 2 DIE HERAUSFORDERUNG Kein anderes Land verfügt über eine so dichte und schon optisch spektakuläre Ansammlung von Zeugnissen aus der Zeit der Anfänge sowie der Entfaltung kolonialer Beziehungen von Europäern mit Afrika. 3 Schon die Bezeichnung für sie ist uneinheitlich und wegen der jeweiligen Dominanz einer damit verbundenen Sinnzuweisung umstritten: Neben den neutraleren Begriffen ‚Handelsniederlassungen‘ oder ‚Festungen‘ wird auch von ‚Sklavenburgen‘ oder ‚Sklavenfestungen‘ gesprochen; in Ghana verbreitet ist der englische Ausdruck ‚Castles‘, den ich daher im Folgenden benutzen werde; oft wird auch einfach verallgemeinernd von ‚slave dungeons‘ gesprochen. An den Hochschulen wird der historisch korrektere Begriff ‚Forts‘ bevorzugt; zuletzt ging 2018 der Sammelbegriff ‚European Fortifications‘ in den Titel eines Bandes ein, in dem die Erträge einer internationalen 2
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Vgl. die Überblicksdarstellungen: Lawrence, A. W.: Trade Castles and Forts of West Africa, London 1963; van Dantzig, Albert: Forts and Castles of Ghana, Accra 1980 und zahlreiche Neuauflagen bis 1999; Anquandah, Kwesi J.: Castles & Forts of Ghana. Ghana Museums & Monuments Board, Atalante 1999 sowie zuletzt Osei-Tutu, Johan Kwadwo/Smith, Victoria Ellen (Hrsg.): Shadows of Empire in West Africa. New Perspectives on European Fortifications, Cham 2018. Es wird ausgegangen von über 60 Castles auf einer Strecke von 500 km.
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Tagung enthalten sind, die 2012 an der University of Ghana in Legon bei Accra stattfand. 4 In den fünf Jahrhunderten ihres Bestehens sind sie immer wieder neu gestaltet und dabei neu ‚erfunden‘ worden. 1979 nahm die UNESCO die meisten dieser Gebäude, aber auch einige Bauten kolonialen Ursprungs in anderen Teilen des Landes in ihr Programm des ‚World Cultural Heritage‘ auf. 5 Mit dieser Entscheidung bestätigte sie die Bedeutung dieser Bauten, die nicht nur als regionale Relikte einer vergangenen Zeit gelten sollen, sondern authentische Erinnerungsorte in einem globalen Kontext sind. Sie appellierte damit zugleich an die Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, dieses Erbe einer gemeinsamen Vergangenheit in angemessener Weise zu erhalten und als Lernort zur Mahnung zu nutzen. Wie bei anderen Relikten einer Unrechtsgeschichte stellt sich die Frage nach der Ambivalenz und der Vielfalt der Narrationen und Sichtweisen, den offensichtlichen und den verborgenen Botschaften, die mit ihnen verbunden sind oder werden. Welche Geschichten sind es, die über die Rolle der ‚Castles‘ tradiert werden, welche Vorstellungen von der Vergangenheit werden durch die Beschäftigung mit ihnen bestätigt, erzeugt, widerlegt? Wie vor allem wird der Menschen gedacht, die dort gefangen gehalten, von hier aus verschleppt wurden, zugrunde gingen? Werden sie als hilflose Opfer verstanden oder wird ihnen auch eine aktive Rolle zugestanden? Wie werden die Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanern dargestellt, die dort entstanden? Wird durch die Präsentation der Castles ein einschüchternder Mythos von europäischer Macht erhalten oder gar gefördert, wird Angst erzeugt vor einer möglichen Wiederholung? Oder soll gar die schaurige Geschichte immer wieder imaginativ neu durchlebt werden? Fragestellungen dieser Art sind im Zuge der Rezeptionsgeschichte immer wieder aufgetaucht und werden auch in dem soeben erschienenen Tagungsband über europäische Forts diskutiert. 6 Angesichts von Ausstellungen zur kolonialen Vergangenheit in Deutschland 7 sowie der Fertigstellung des ‚Humboldtforums‘ in Berlin besteht zurzeit ein besonders aktuelles Interesse, ja die Notwendigkeit, sich mit Weisen der Bearbeitung der gemeinsamen Geschichte auseinanderzusetzen.
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Vgl. Osei-Tutu, Johan Kwadwo/Smith, Victoria Ellen (Hrsg.): Shadows of Empire…, a.a.O. Vgl. dazu die http://www.ghanamuseums.org/forts/forts-castles.php (letzter Zugriff: 09.03.2019). Vgl. den Überblick in der Einleitung: Osei-Tutu, Johan Kwadwo/Smith, Victoria Ellen: Interpreting West Africa’s Forts and Castles, in: dies. (Hrsg.): Shadows of Empire 2018…, a.a.O., S. 1–32. Der Band entstand aus einem Forschungsprojekt der norwegischen Universität Trondheim mit Wissenschaftlern verschiedener fachlicher Ausrichtung in Ghana sowie den Universitäten Warwick und Wisconsin. (Ich benutze die kürzeste Form für die Bezeichnung aller Geschlechter.) Vgl. die Ausstellungen zur Deutschen Kolonialgeschichte im ‚Deutschen Historischen Museum‘ Berlin und in Hannover mit den entsprechenden Katalogbänden.
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REZEPTIONSGESCHICHTE DER ‚CASTLES‘ IN GHANA In so gut wie allen Werken, die sich mit Kolonialgeschichte beschäftigen, findet man im Register die Namen ‚Elmina‘ und ‚Cape Coast‘ aufgeführt; beide sind von epochaler Bedeutung. An ersterem Ort landeten Portugiesen als die ersten Europäer in Westafrika, der zweite wurde Sitz der englischen Kolonialregierung, die für die Goldküste prägend war. Die Forschung wandte sich dabei vor allem Fragestellungen zu, die auf der Basis der in den europäischen Metropolen befindlichen Archivalien beantwortet werden konnten. Die Materialität, Bedeutung und Entwicklung der ‚Castles‘ selber sowie das ‚Local Knowledge‘ über die koloniale Zeit und die Wirkungen, die von den Castles in das Umland ausstrahlten, gerieten nicht in das Zentrum des Interesses der primär mit Schriftquellen arbeitenden historischen Forschung. Während in Europa die Burgenlandschaften des Kontinents eine Attraktion darstellen, die sie zum beliebten Ziel für Touristen, aber auch für Pflichtexkursionen von Schulklassen machen, werden im populären Gedächtnis und in einschlägigen Darstellungen die Bauten ignoriert, die Europäer im Zeitalter ihrer imperialen Eroberungspolitik in Afrika errichteten. In der Selbstdarstellung norddeutscher Hanse- und Handelsstädte wird stolz auf Ansehen, Reichtum und Entfaltung hingewiesen, den die Rumproduktion ihnen erbrachte. Selten wird bewusst gemacht, dass der für dieses Getränk erforderliche Rohstoff Zucker durch die Arbeit von Sklaven gewonnen wurde, die durch die Tore der ‚Castles‘ in Westafrika auf die Plantagen etwa in der Karibik verschifft wurden, auf denen sie als Zwangsarbeiter die Grundlagen für die in Europa gefragten Genussgüter produzieren mussten. 8 DAS FALLBEISPIEL ‚GROSSFRIEDRICHSBURG‘ Angesichts solcher „kolonialer Anmesie“ 9 und klaffender Wissenslücken über einen so wichtigen Teil der gemeinsamen Geschichte zwischen Europa und Afrika stellt Ulrich van der Heydens Werks „Rote Adler an Afrikas Küste“ eine herausragende Ausnahme dar: Sein Buch ist eine reich mit Bildbelegen ausgestattete, sorgfältige Darstellung auf breiter Quellenbasis über die Festung ‚Großfriedrichsburg‘ an der westafrikanischen Küste im heutigen Ghana. Das Buch erschien 1993, dann 2001 in einer zweiten Auflage. 10 Der Autor beleuchtet darin die Ursachen und Folgen der Aktivitäten des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688), der eine Expedition aussandte, um in Westafrika eine 8
Nach längeren Vorarbeiten verschiedener Initiativgruppen entstand aus deutsch-dänischer Kooperation: Petersen, Marco L. (Hrsg.): Sonderjylland-Schleswig Kolonial. kolonialismens kulturelle arv i regionen mellem Kongreaen og Ejderen, Syddansk 2018. 9 Zimmerer, Jürgen: Kolonialismus und kollektive Identität. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, in: ders. (Hrsg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt/New York 2013, S. 9–40, hier: S. 9. 10 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Rote Adler an Afrikas Küste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg in Westafrika, 2. Aufl., Berlin 2001.
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Handelsniederlassung errichten zu lassen. Später als die Portugiesen, die Niederländer, Engländer und Dänen beteiligten sich damit auch die Brandenburger an dem kolonialen Geschäft. 1682 wurde eine Handelsgesellschaft gegründet, die ‚Brandenburgisch-Africanische Compagnie‘, die ihren Hauptsitz in dem Gebäude bezog. Ausdrücklich forderte der Fürst, man solle ihm ‚Mohren‘ mitbringen, die er zur Schau stellen wollte. Auch eine Beteiligung an dem einträglichen Sklavenhandel war von Anfang an geplant. 11 Allerdings war dieses „Kolonialabenteuer“ 12 nicht von Dauer und scheiterte bereits 1717 an Geldmangel. Der Kurbrandenburger Territorialfürst hatte sich 1701 in Königsberg zum König in Preußen gekrönt; seine Finanzmittel wurden ganz von seinen kriegerischen Ambitionen beansprucht. Das Gebäude an der westafrikanischen Küste wurde an die Holländer verkauft, die es verfallen ließen. Bis heute erschien das Pionierwerk van der Heydens nicht in einer englischen Übersetzung. Daher wurde es wenig in Ghana rezipiert; und auch in der Forschungsliteratur wird zwar verschiedentlich auf spätere Arbeiten van der Heydens zum Thema Bezug genommen, 13 selten aber wird seine Gesamtdarstellung konsultiert. Welche Bedeutung kommt dem ‚Castle‘ heute zu? Großfriedrichsburg, deutlich kleiner, weniger gut erhalten und erschlossen als die beiden anderen genannten ‚Castles‘ Ghanas, ist ein Wahrzeichen brandenburgisch-preußischer Kolonialbestrebungen. Die Signifikanz des Baues widerspricht einer verbreiteten Geschichtsauffassung, die den deutschen Kolonialismus erst 1884 mit der ‚offiziellen‘ Gründung von Kolonien in Afrika beginnen lässt. 14 Mit der Annahme eines solchen späten Einstieges ‚der Deutschen‘ in das koloniale Konzert wird ihnen eine Ausnahmeposition zuerkannt und ihre Verantwortung reduziert. Gegen die deutlichere Berücksichtigung des brandenburgischen Intermezzos wird auch argumentiert, Brandenburg sei eben nicht Deutschland und die zeitlich und räumlich begrenzte Landnahme könne nicht als ‚Kolonie‘ im vollständigen institutionellen Sinne bezeichnet werden. 15 Für die betroffenen Afrikaner allerdings sind begriffliche Spitzfindigkeiten dieser Art bedeutungslos; eindeutig waren zudem Intention wie Umsetzung kolonialer Aktivitäten durch eine deutsche Territorialmacht noch vor der Reichsgründung; diese Ambitionen strahlten auch in die europäischen Nachbarländer aus. „Kolonialismus war ein gesamteuropäisches Phänomen und 11 Vgl. ebenda, S. 15, mit breiten Quellenbelegen: S. 44–58. 12 Ebenda, S. 22. 13 Vor allem auf: van der Heyden, Ulrich: Sklavenfestungen an der Küste Ghanas als Erinnerungsorte. Das Beispiel Großfriedrichsburg – ein Denkmal deutsch-afrikanischer Beziehungen, in: Speikamp, Winfried (Hrsg.): Kommunikationsräume – Erinnerungsräume. Beiträge zur kulturellen Begegnung in Afrika, München 2005, S. 101–120. Auf diesen Aufsatz van der Heydens bezieht sich auch: Zaugg, Roberto: Großfriedrichsburg, the First German Colony in Africa? Brandenburg-Prussia, Atlantic Entanglements and National Memory, in: Osei-Tutu, Johan Kwadwo/Smith, Victoria Ellen (Hrsg.): Shadows of Empire…, a.a.O., S. 33–73, hier: Anm. 83 und 85. 14 „Das Jahr 1884 markiert den eigentlichen Beginn der deutschen Kolonialerwerbungen“, so etwa in dem Wikipedia-Artikel „Deutsche Kolonien“, https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche _Kolonien (letzter Zugriff am 28.10.2018). 15 So argumentiert Zaugg, Roberto: Großfriedrichsburg…, a.a.O.
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als solches waren immer auch Deutsche beteiligt“, so hält etwa Jürgen Zimmerer in dem von ihm herausgegebenen Überblicksband über ‚Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte‘ fest. 16 Großfriedrichsburg wird dort allerdings nur durch einen Artikel gewürdigt, der quasi von Berlin aus gedacht ist: Am Beispiel der Straßenumbenennungen wird die Rolle des preußischen Offiziers Otto Friedrich von der Gröben beleuchtet, der für den Bau des ‚Castles‘ verantwortlich war und damit zugleich auch als Sklavenhändler belastet ist. 17 Man hat sich darauf geeinigt, dass dieser Mann nicht durch eine solche öffentliche Nennung geehrt werden darf: Damit erkennt man aber zugleich auch die erinnerungskulturelle Bedeutung des Festungsbaues an der Küste Westafrikas an. Mit der Herausgabe des Reiseberichtes Otto Friedrich von der Gröbens machte Ulrich van der Heyden eine der wenigen Quellen von Zeitzeugen breiter zugänglich. 18 BEISPIELE FÜR EINE AKTIVE ERINNERUNGSARBEIT Im Zuge der Eroberungen des Großen Kurfürsten in Westafrika kamen zahlreiche Afrikaner nach Berlin, sodass man „von der Geburtsstunde der afrikanischen Diaspora in Deutschland sprechen“ könne, so van der Heyden. 19 In beide Richtungen gab er entscheidende Anstöße für die Bearbeitung der verbundenen Geschichte, etwa im Rahmen der politischen Bildung in Brandenburg. Um ihre Betroffenheit über das Vergangene zu zeigen, schlossen sich dort Bürgergruppen zusammen und leisteten einen Beitrag zur schulischen Entwicklung in dem Ort Princes Town, der am Fuße der Festung Großfriedrichsburg liegt. 20 Innerhalb von Westafrika galt es insbesondere, die Gruppe der Multiplikatoren von morgen zu erreichen: Aus van der Heydens Kooperation mit dem Arbeitsbereich der breit ausgebauten Germanistik an der Universität in Lomé im Nachbarland Togo entstand das Konzept, mit den zukünftigen Deutschlehrern Exkursionen nach Ghana zu veranstalten und am Ort des Geschehens diesen Teil
16 Vgl. dazu Zimmerer, Jürgen: Kolonialismus und kollektive Identität…, a.a.O., hier: S. 22 sowie S. 26. 17 Vgl. Ervedosa, Clara: Das May-Ayim-Ufer in Berlin, in: Zimmerer, Jürgen (Hrsg.): Kein Platz an der Sonne…, a.a.O., S. 425–427. 18 Otto Friedrich von der Groeben: Orientalische Reise-Beschreibung des Brandenburgischen Adelichen Pilgers Otto Friedrich von der Gröben: Nebst der Brandenburgischen Schiffahrt nach Guinea, und der Verrichtung zu Morea. Marienwerder 1694, hrsg. von van der Heyden, Ulrich, Hildesheim/Zürich/New York 2013; van der Heyden, Ulrich: Die erste deutschsprachige Beschreibung der Festung Großfriedrichsburg durch Otto Friedrich von der Groeben und die Rezeption seiner Reisebeschreibung bis in die Gegenwart, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte, Bd. 24, Wiesbaden 2016, S. 11–37. 19 Ders.: Die brandenburgisch-preußische Kolonialgeschichte und die Möglichkeiten zu ihrer Nutzung für die politische Bildung, in: Die Kolonialmacht Brandenburg. Dokumentation der Tagung: Eine „Brandenburg“ in Afrika? Potsdam 2008, S. 21–27, hier: S. 25. 20 Berichte über diese Aktivitäten finden sich in: Die Kolonialmacht…, a.a.O. Dabei werden selbstkritisch auch Fehler diagnostiziert, die aus einer naiven Hilfsaktion resultierten.
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der Vergangenheit kritisch zu rezipieren. Einige dieser Fahrten begleitete er selber; eine jährliche Durchführung stieß an finanzielle und organisatorische Grenzen. 2014 und 2016 konnte ich zusammen mit Kollegen der Universität Lomé und Sprachassistentinnen des DAAD, die an dieser Hochschule arbeiteten, die Gruppen (mit)betreuen, wobei auch Studierende der Europa-Universität Flensburg, die in Ghana ihre Schulpraktika absolvierten, sowie deutschlernende Studierende der University of Education Winneba in Ghana mitfuhren. 21 Daraus ergab sich die Chance, die Beteiligten mit den verschiedenen Perspektiven der unterschiedlichen Gruppen zu konfrontieren und anzuregen, im Sinne des Konzeptes „Globales Lernen“ die jeweils andere Position mit zu durchdenken. 22 Die Studierenden aus Togo trugen in Großfriedrichsburg Referate vor und stellten ein Theaterstück vor. In diesem gestalteten sie die Narration um den afrikanischen Häuptling John Conny, der in den Wirren des Abzugs der Brandenburger einige Jahre lang das ‚Castle‘ beherrschte. Diese quellenmäßig wenig belegte Episode ist unterschiedlich gedeutet worden und sie wird auch weiterhin den Stoff für ambivalente Darstellungen anbieten, die den unterschiedlichen Rezeptionsbedürfnissen entsprechen. 23 Bei Workshops unter Leitung von Schauspielern und Theaterpädagogen der Theaterwerkstatt ‚Pilkentafel‘ aus Flensburg wurde zudem versucht, Hemmschwellen gegenüber dem historisch so belasteten Gebäude abzubauen und die Beteiligten zunächst spielerisch zu motivieren, assoziativ ihr Verhältnis zu dem Ort zu klären: Die Studierenden und Hochschullehrenden sollten zunächst schweigend eine körperlich-gestische Position zu dem Gebäude einnehmen. Diese wurde dann in der Gruppe durchdacht, danach gewechselt, Beziehungen zu den anderen hergestellt usw. Dabei stellte sich heraus, dass die afrikanischen Studierenden mehrheitlich das ‚Castle‘ in Besitz nehmen, neu bewohnen und nutzen wollten, die deutschen sich aber schaudernd von ihm abwandten und Distanz suchten. Die Befürchtung Zauggs, mit der Heraushebung Großfriedrichsburgs werde eine neue Genealogie von Preußens Gloria beschworen 24, erfüllte sich also keineswegs. Eine weitere aktive Herangehensweise an die Herausforderung des Ortes wählte der Konzeptkünstler und Fotograf Philip Kojo Metz, der 2012 eine Ausstellung in Busua und Großfriedrichsburg eröffnete, die ein Austauschprojekt mit dem Dorf Sasbachwalden in Deutschland begründete: „Global art – local view“. Durch verschiedene Arten der kulturellen Kommunikation soll der Gegensatz zwischen regionaler Begrenztheit und unerreichbarer Ferne überwunden werden. Der Aktivist schrieb dazu: „it is interesting for me as an African-German but for all Germans, Africans, and larger society to realize that the world’s structure and 21 Die University of Education Winneba ist die erste Hochschule in Ghana, an der Studierende seit 2009 Deutsch lernen können. 22 „Perspektivenwechsel und Empathie“ sind Kernkompetenzen, die im Rahmen des von KMK und BMZ erstellten Werkes genannt werden: Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung, 2. Aufl., Berlin 2016, etwa: S. 95, 118. 23 Vgl. dazu van der Heyden, Ulrich: Rote Adler…, a.a.O., S. 83–89, ausführlicher: ders.: Jan Conny – Fairy Tale or True Chapter in Prussia’s Colonial History in West Africa? in: Lundt, Bea/Marzolph, Ulrich (Hrsg.): Narrating (Hi)stories in West Africa, Berlin 2015, S. 113–126. 24 Vgl. Zaugg, Roberto: Großfriedrichsburg…, a.a.O., etwa S. 47 f.
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borders are constantly changing.“ 25 Er hob also nicht die statische Historizität von Macht oder die lineare Chronologie von Herrschaft hervor, sondern den Aspekt des Wandels und der neuen Verbindungen, der auch seine eigene Herkunft prägt. Das Projekt wurde auch durch Veranstaltungen in Berlin 2014 fortgesetzt. 26 EINE RÜCKKEHR DER ENGLÄNDER ODER DER SKLAVEN? CAPE COAST CASTLE Auch Cape Coast Castle, entstanden 1637, ist eine Monografie gewidmet, erschienen zuerst 2006, die als Mikrostudie ein Stück bisher vernachlässigter Geschichte der Menschen sozialgeschichtlich erschließen will: Der britische Historiker William St. Clair verfolgt darin die Absicht, „to put the people back into the building“. 27 Er wertet vor allem Korrespondenzen aus. Getragen von einem gewissen Problembewusstsein gegenüber der „greatest forced migration in history“ 28, beschreibt er das Dasein der Engländer in Ghana ausgehend von ihrer Ankunft übers Meer: Leidend am Klima, an Krankheiten, ja mehr noch an der „lonely, friendless, formal, hundrum English reality of life within the walls“ 29 flüchteten viele in den Alkohol, einige von ihnen begingen Selbstmord. Es mag verdienstvoll sein, die als glorreiche Sieger geltenden Imperialisten in ihrer verletzlichen menschlichen Schwäche aufzuzeigen. Doch während so die Vertreter der invasiven Macht als die eigentlichen Opfer einer unseligen Verstrickung erscheinen, ist von dem Leben der Sklaven in dem ‚Castle‘ kaum die Rede; St. Clair beruft sich auf Quellenmangel und das Schweigen der Afrikaner. 30 Während die Perspektive, die Engländer imaginativ in das ‚Castle‘ zurückkehren zu lassen, wenig Sensibilität zeigt, kehren Amerikaner afrikanischer Herkunft an den Ort zurück, von dem ihre Ahnen deportiert wurden: Cape Coast Castle ist heute zweifellos der zentrale Erinnerungsort für einen ‚Pilgrimage Tourism‘. Seit der erste ghanaische Präsident Kwame Nkrumah die Nachkommen versklavter Vertriebener ermutigte, im Sinne einer panafrikanischen Identitätsbildung zurückzukehren, sind dieser Aufforderung über 1.000 Menschen gefolgt. 31 Zahlreiche kulturelle Aktivitäten werden initiiert, um ihnen eine Wiedereingliederung zu erleichtern. Bei dem schwierigen Unterfangen, traumatische Erfahrungen 25 Unterstützt vom Goethe-Institut Accra und anderen deutschen Institutionen. Ein Flyer der Aktion liegt mir vor. 26 http://www.artconnect.com/events/artist-talk-mit-philip-metz-eagle-africa-adler-afrika-mitanschliessender-artist-nigh (letzter Zugriff: 09.03.2019). 27 St. Clair, William: The Door of No Return. The History of Cape Coast Castle and the Atlantic Slave Trade, New York 2006 u. spätere Auflagen, S. 7. Das Buch erschien zuerst unter dem Titel „The Grand Slave Emporium“ in England. 28 Ebenda, S. 3. 29 Ebenda, S. 176. 30 Vgl. ebenda, S. 7, S. 176. 31 Diese Zahl nennt: Adjaye, Joseph K.: Elmina, ‚The Little Europe‘. European Impact and Cultural Resilience, Accra 2018, S. 21.
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über Generationen zu verarbeiten, sind einige dieser Maßnahmen sicher erfolgreich. Erinnerungskulturell gelungen ist die durch symbolische Akte begleitete Umbenennung der ‚Door of no retun‘ zur ‚Door of return‘, die das ‚Castle‘ jetzt als von der Seeseite her betretbar zeigt. Der Fluch der Ausgrenzung wird damit in seiner Endgültigkeit gebrochen und der historisch belastete Ort in der Gegenwart neu „erfunden“. Das scheinbar uneinnehmbare ‚Castles‘ wird dabei selbst als „vulnerable“ erfahrbar gemacht. 32 Oft genug aber scheitern die Bemühungen um eine ‚Rückkehr zu den Wurzeln‘ angesichts der inzwischen verflossenen Jahrhunderte, vor allem auch wegen der oft skrupellosen Kommerzialisierung, die vor Ort betrieben wird. 33 ZWISCHEN EUROPÄISCHEM EINFLUSS UND LOKALER TRADITION: ELMINA CASTLE Während Cape Coast Castle das populärste unter den Forts Ghanas darstellt, ist Elmina Castle das älteste und imposanteste: Das gilt auch für den Ort zu seinen Füßen, der sich seit seinem Bau 1482 zu der ersten florierenden urbanen Ansiedlung Westafrikas entwickelte. Zwei Buchtitel aus afrikanischer Feder belegen das leidenschaftliche Interesse von dort Geborenen, das ‚Castle‘ in eine umfassendere Erzählung über die Community zu integrieren und dabei lokale, mündliche Traditionen zu berücksichtigen. Joseph K. Adjaye, Professor für African Studies in Pittsburgh, forschte sein Leben lang über den Ort, den er als „Little Europe“ bezeichnet. Er hebt aber auch insbesondere die „resilience“, die Widerstandskraft und Zähigkeit der indigenen Bevölkerung hervor, die die Einflüsse der fremden Eroberer auf ihre Weise nutzten, wodurch eine „co-existence of change and continuity“ entstand. 34 Zu den Kontinuitätsfaktoren, die den Lebenszyklus der Bewohner bis heute bestimmen, gehören soziale Organisation, Festkultur, Identitätsbildung durch Erziehung sowie die Religion mit ihren 77 Gottheiten, die sich trotz der Missionserziehung erhielt. Auch die traditionelle Herrschaftsstruktur mit ihren „Chiefs“ widerspreche in keiner Weise einer modernen Entwicklung, so beharrt der Autor. 35 Insbesondere einige der Mulatten, deren Lebensläufe er breit recherchierte, „embraced elements of Europeanism while retaining their Africanity to rise to elite positions and roles in society“. 36 Zu diesen gehörten auch seine Ahnen und nahe Verwandte bis in die Gegenwart. Neben den „guided tours“, die in den ‚Castles‘ angeboten werden, sind dort auch kleinere Schriften erhältlich. Diese enthalten in der Regel eine Narration, die der älteren Fachliteratur folgt, die Geschichte Westafrikas quasi mit den ‚Castles‘ 32 Gefordert in: Osei-Tutu, Johan Kwadwo/Smith, Victoria Ellen (Hrsg.): Shadows of Empire…, a.a.O., etwa in der Introduction, S. 16. 33 Verschiedene Beiträge in ebenda würdigen kritisch dieses Phänomen. 34 Adjaye, Joseph K.: Elmina…, a.a.O., S. 4. 35 Vgl. ebenda, S. 139. 36 Ebenda, S. 113.
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beginnen lässt und Opferaspekte hervorhebt. Doch gibt es auch hier neue Tendenzen: Das 2004 publizierte Büchlein eines der Guides legte dieser 2017 in veränderter Neuauflage vor 37: Ato Ashunt, heute ‚Principal museum Educator‘ sowie ‚officer in charge of the Elmina Castle‘, geht darin von der vorkolonialen Ordnung der Gemeinschaft aus und berücksichtigt breit eigene Erlebnisse aus seinen jahrelangen Touren. Er gibt die Kommentare der Besucher wieder und fügt eigene Überlegungen hinzu. Bis heute sei nicht genug gesprochen worden über den „psychological impact on the Africans being inferior and the Europeans superior“, so klagt er und fordert eine gemeinsame Bearbeitung dieses mentalen Erbes. 38 Diese beiden unterschiedlichen Publikationen haben die subjektive Ebene gemeinsam, reduzieren das ‚Castle‘ zu einem Teilstück der Gemeinschaft und belegen dessen Stärke. DIE SPRACHE DER STEINE VERSTEHEN: OSU-CASTLE Als Einkaufszentrum attraktiv und beliebt ist „Osu“, ein Stadtteil der Hauptstadt Accra. Auch hier befindet sich ein ‚Castle‘: 1652 von Schweden erbaut, erhielt es unter den Dänen den Namen „Christiansborg“. Geboren und aufgewachsen in diesem Stadtteil, zeigt H. Nii Adziri Wellington in einem brillanten Werk, das ich eingangs erwähnte, das Gesamtbild einer „unique cosmopolitan community spiced by the presence of people of divergent origins and family historie“ 39. Auch Wellington hat jahrelang gründlich in Archiven geforscht, will aber sein Buch verstanden wissen als eine Sammlung von Geschichten, die zeigen, wie man die Sprache der Steine versteht. 40 In symbolischen sieben Tagen folgt der Autor der Führung Ataa Forkoyis, einem weisen alten Fischer, und seinen „factual, in part fictional, and absolutely fascinating narrations as interpreted from the Stones of Osu“ (279). Auch er beginnt dabei mit der vorkolonialen Geschichte der indigenen Siedlung, die immer schon „Osu“ hieß. Im Dialog aus Frage, Antwort, Kommentaren zwischen Besuchern und dem Fischer lässt er den Stadtteil aus dem Zusammenwirken von Natur, ethnischer Tradition und den verschiedenen Menschen aufscheinen. Viele Details über Personen werden erzählt, „sung and unsung heroes“ (Kapitelüberschrift) werden geehrt. Dem Buch liegt auch eine Karte bei, die die Stammbäume von vier Familien mit dänischen Stammvätern aufzeigt, die der Autor über bis zu acht Generationen verfolgte. Aus der traditionellen Vertreibungsgeschichte ist eine Beziehungsnarration geworden, die ganz die ‚afrikanische Basis‘ des Ortes hervorhebt: Ein Glossar erläutert die vielen Begriffe in den Landessprachen. Der Autor bezeichnet Osu als 37 38 39 40
Vgl. Ashun, Ato: Elmina, the Castles and the Slave Trade, Cape Coast 2017 (zuerst 2004). Ebenda, S. 96. Wellington, H. Nii-Adziri: Stones Tell Stories…, a.a.O., S. XIV. Zu dem Ansatz, die narrativen Traditionen der „oral historians“ zu nutzen, vgl. auch: Laumann, Dennis: Remembering the Germans in Ghana, New York 2018, in dem es um die Erzählungen über den deutschen Kolonialismus in der Volta-Region geht
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„Host Community“, um die sprichwörtliche ghanaische ‚hospitality‘ den Ankömmlingen gegenüber hervorzuheben. Umso deutlicher tritt die Schuld der Eindringlinge hervor, die diese Gastfreundschaft missbrauchten. Besser als alle Studien an der Universität, so hält der Autor am Schluss fest, vermittelten diese Stories die Botschaft, wie wichtig es sei, die Humanität gegen den Horror zu verteidigen, von dem die Kolonialgeschichte handelt. Sowohl gegen deren Trivialisierung als auch gegen ihre literarische Überhöhung wehrt sich der Autor. Die Aufgabe für die Zukunft weist das Titelblatt: Es zeigt einen weißen Mann in Shorts und Sandalen, der gerade die Steinruine der alten Bastion des ‚Castles‘ in Augenschein nimmt. Er hinterlässt in dem Gemäuer zwei Plastikkanister: Der Respekt, den die europäischen Touristen den Gebäuden entgegenbringen, ist begrenzt; der Ort wird als Sensation konsumiert, anstelle von Steinen wird jetzt Müll hier abgeladen. Das Bild könnte ein neues Buch begründen: eines über die Fortsetzung kolonialer Strukturen durch den Tourismus. FAZIT In den letzten Jahren hat sich eine lebendige und kreative Rezeption der ‚Castles‘ in Ghana entfaltet: Die Relikte der Kolonialzeit werden nicht als Zeugen der Unterwerfung verstanden, sondern als Orte einer selbstbestimmten Gestaltung des kulturellen Erbes. Zentral ist dabei die afrikanische Umgebung wie auch die Diaspora; persönliche Genealogien werden aufgedeckt und dokumentiert. Angesichts ihrer steinernen Realität kommen entscheidende Anstöße dabei aus den Fachkontexten Architektur und Archäologie, orale Überlieferung wird eingebunden. 41 In der Voltaregion stellt sich die Frage nach der Restaurierung von ausgegrabenen Kolonialgebäuden – ein Hinweis, wie wichtig den Menschen der Region die Erhaltung der Relikte ist, die eine historische Realität spiegeln und ein Mahnmal darstellen, das gegenwärtig ist und bleiben soll.
41 Im Rahmen eines Forschungsprojektes der Volkswagen-Stiftung grub der Archäologe und Kulturanthropologe Wazi Apoh (University of Ghana in Legon bei Accra) in der Voltaregion deutsche Kolonialgebäude aus; indigene Initiativgruppen setzen sich massiv für den Wiederaufbau eines von deutschen Kolonisatoren erbauten Hauses in dem Ort Wurupong sowie eine angemessene Präsentation der Begleitfunde ein.
DIE DDR IN DER TRANSFORMATIONSPERIODE 1945–1965 UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DER BEGINNENDEN BEZIEHUNGEN ZU AFRIKANISCHEN LÄNDERN Siegfried Prokop Die Geschichte beider deutscher Staaten bedarf der historisch-kritischen Analyse, deren methodologischer Bestandteil auch der Vergleich beider deutscher Staaten mit dem NS-Regime sein kann, aber auch der Vergleich zwischen der Bundesrepublik und der DDR gehört dazu, ebenso der Vergleich der DDR mit ihren osteuropäischen Nachbarstaaten, die in der jeweiligen historischen Konstellation vor ähnlichen Problemen standen wie die DDR. Wir haben bis jetzt keine tragfähige theoretisch-methodologische Basis für die Erforschung der Geschichte der DDR. Es bedarf dringend der Debatte über theoretisch-methodologische Fragen. Auf diese schmerzliche Lücke wurde schon früher hingewiesen 1, aber eine Debatte darüber kam nicht in Gang, was sicher als Versäumnis gewertet werden muss. Hier können nur einige Aspekte des Themas angesprochen werden. Die DDR war ein Staat vom Typ des realen Sozialismus. Staaten dieses Typs betraten nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in Ost- und Südosteuropa in einer weltpolitischen Konstellation des Kampfes gegen Faschismus und Krieg die Tribüne der Geschichte. Ihre Antriebe erhielten sie auch von der Arbeiterbewegung und von der russischen Oktoberrevolution, deren Bedeutung durch den Sieg der Roten Armee über Hitler in ein neues Licht trat. Es handelte sich jedoch um eine Weltregion, die gemessen an Westeuropa und Nordamerika rückständig war. Vorstellungen, den Arbeiterbewegungssozialismus in diesen Ländern durchzusetzen, gingen wegen der sozial-ökonomischen Rückständigkeit nur auf autoritärem Wege. Ob der Sozialismus als Alternativgesellschaft zum Kapitalismus sich hier überhaupt längerfristig würde halten und endgültig durchsetzen können, stand infrage. Darüber entschied letztlich die Arbeitsproduktivität. Nichts war von Anfang an entschieden.
1
Vgl. Prokop, Siegfried: DDR-Geschichte als Problem der Gegenwart, in: Heuer, Uwe-Jens (Hrsg.): In großer Sorge. Was ist, was denkt, was will das Marxistische Forum, Schkeuditz 1995, S. 133–139; ders.: Möglichkeiten und Grenzen des Sozialismus in der DDR, in: Neuhaus, Manfred (Hrsg.): Fanal und Trauma. Streitschriften zu Geschichte und Politik des Sozialismus. H.1, Leipzig 1997, S. 43–52; ders.: Glanz und Elend des Jahres 1989/90, in: Elm, Ludwig/Keller, Dietmar/Mocek, Reinhard (Hrsg.): Ansichten zur Geschichte der DDR, Bd. IX/X, Bonn/Berlin 1998, S. 248–261.
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Die DDR entstand zwar wie der tschechische Teil der CSR auf einem Territorium, das vor dem Kriege hochentwickelt war, jedoch verfügte sie nur über den territorial kleineren Teil des deutschen Staatsgebiets und hatte infolge der westlichen Spaltungspolitik die Hauptkriegsfolgelast zu tragen. Sie war überhaupt das Land im 20. Jahrhundert, das die größte Reparationslast zu bewältigen hatte. Der Vorzug der DDR im Vergleich zu den anderen Ländern konnte also infolge hemmender Faktoren nicht voll zum Tragen kommen. Jede Etappe der DDR-Geschichte bedürfte einer gründlichen Analyse, die hier nicht geleistet werden soll und kann. Es geht hier lediglich um die Benennung einiger Grundtrends im Zeitraum von 1945 bis Mitte der 60er Jahre, wobei mit Blick auf die Untersuchungen des Jubilars auch die Beziehungen der DDR zu den afrikanischen Ländern beleuchtet werden sollen. 2 Schauen wir auf die Vor- und Frühgeschichte, so fällt auf, dass die sowjetische Zone und die frühe DDR die Entnazifizierung mit tief greifenden sozialen Umwälzungen wie der Bodenreform, der Enteignung der Konzerne und großen Betriebe und der Großbanken verband. Der Vorgang, der sich als Reform ausgab, trug in Wirklichkeit revolutionären Charakter. Mit der Bodenreform verschwand das Junkertum als soziale Kaste, die seit Jahrzehnten als Modernisierungsbarriere gewirkt hatte. Die Inhaber der Konzerne hatten trotz erneut verlorenem Weltkrieg enorme Profite gemacht. Ihr Eigentum zum Nutzen aller in katastrophaler Not zur Verfügung zu stellen, wurde von einer Mehrheit der sächsischen Bevölkerung bei einem Volksentscheid 1946 für richtig befunden. In Hessen, amerikanische Zone, kam es zur gleichen Zeit bei einem Volksentscheid zu einem adäquaten Ergebnis. Jedoch ließ die Besatzungsmacht keine Veränderung zu. Über die Frage der „Nazi- und Kriegsverbrecher“ war im Osten demokratisch entschieden worden. Auch die Entmachtung der Großbanken schien logisch. In der DDR gab es danach keine Bank mehr, die den Bau von KZ finanziert hatte. Die Bildungsreform sicherte, dass die bisher benachteiligten sozialen Schichten ihr Recht auf Hochschulbildung verwirklichen konnten. Dass bei all diesen Umwälzungen revolutionärer Art auch angestammte Rechte der bisher Privilegierten verletzt wurden, liegt in der Natur eines solchen historischen Prozesses. Im Nachhinein stellen sich Fragen: Mussten unbedingt auch die Gutsbesitzer vollständig enteignet werden, die am 20. Juli 1944 beteiligt gewesen waren? Warum führte die Enteignung der Konzerne zum Volkseigentum als einer spezifischen Form des Staatseigentums und nicht zum Gemeineigentum bzw. zum Anteilseigentum der Belegschaften? War es richtig, in der Zeit der knappen Studienplätze Arztkindern einen Studienplatz zu verwehren und damit die Flucht von teuer ausgebildeten Medizinern in Kauf zu nehmen? Die DDR-Gründung erfolgte im Oktober 1949, nachdem mit der separaten Staatsgründung der Bundesrepublik im Mai/September 1949 der Weg zu einem Einheitsstaat versperrt worden war. Bisherige Überbewertungen der DDR-Gründung sollten der Vergangenheit angehören. Dass die DDR der Gipfel in der Ge2
Vgl. van der Heyden, Ulrich/Schleicher, Hans-Georg/Schleicher, Ilona (Hrsg.): Die DDR und Afrika. Zwischen Klassenkampf und neuem Denken, Münster 1993.
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schichte der Arbeiterbewegung war oder aber ein Wendepunkt in der Geschichte Europas gewesen sei, dies kann als Überzeichnung angesehen werden. Zu Recht hatte Wolfgang Harich 1990 festgestellt, dass die DDR von Anfang an eine Notlösung darstellte. 3 Viele Fragen bestehen auch zur Deutschlandpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht, die die Billigung durch die KPD und die SED fand. Bis heute wird die Stalinsche Nachkriegspolitik bisweilen unkritisch dargestellt und verteidigt. Das trifft auch auf die Polenpolitik 4 zu, die unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland hatte. Am Ende seines Lebens scheint Stalin vom Scherbenhaufen seiner Mitteleuropapolitik geahnt zu haben, weshalb er dem Flügel in der KPdSU nachgab, der gegen eine garantierte deutsche militärische Neutralität und zur Begleichung der geforderten Reparationen bereit war, die DDR preiszugeben. Gegen den Ratschlag des erfahrenen Diplomaten Richard Meyer von Achenbach 5 verkannte Bundeskanzler Adenauer die Gunst der Stunde. Er testete nicht die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Note vom März 1952 und verpasste die frühe Chance, die deutsche Einheit schon 1952/53 herzustellen. Praktisch wurde schon damals vom Westen signalisiert, dass die deutsche Einheit erst bei einem Niedergang der Sowjetunion – d. h. in weiter Ferne – angestrebt werde. Walter Ulbricht, der den Ernst der Lage wohl am genauesten erkannte, tat alles, die DDR so schnell wie möglich in die sozialistische Ländergemeinschaft zu integrieren. Er ließ sich vom sowjetischen Gesellschaftsmodell leiten, als er 1952 die 2. Parteikonferenz der SED nach Zustimmung aus Moskau zu einem reichlich frühen Zeitpunkt den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus beschließen ließ. Mit dem sich abzeichnenden Ende des Korea-Krieges ging Josef W. Stalin von der falschen Annahme aus, dass nun in Europa mit dem Beginn eines Dritten Weltkrieges gerechnet werden müsse, kamen auf die junge DDR Mehrfachbelastungen zu, die sie völlig überforderten. Die SED-Führung befleißigte sich nach der Beschlussfassung der 10. Tagung des ZK im November 1952 über den „beschleunigten Aufbau des Sozialismus“ eines wirklichkeitsfremden und sektiererischen Führungsstils. Das Land schlitterte in seine erste Existenzkrise, deren mögliche Konsequenzen eine Kommission des Politbüros unter Leitung von Fred Ölßner nach Moskau signalisierte. Moskau gewährte im April 1953 geringe Erleichterungen und sagte weitere Entlastungen zu. Es ließ sich dabei Zeit. Nach Stalins Tod im März 1953 wurde im KPdSU-Präsidium auf Drängen J. P. Berijas auch der Gedanke erwogen, durch eine Preisgabe der DDR eine militärpolitische und ökonomische Entlastung zu erreichen. Die sowjetische Regierung beschloss am 28. Mai 1953, die Sowjetische Kontrollkommission in der DDR aufzulösen und W. S. Semjonow als Hohen Kommissar zu berufen. Aufgabe des Hohen Kommissars war es, die staatlichen Organe der DDR im Hinblick auf die Verpflichtungen, die sich aus den Potsdamer Be3 4 5
Vgl. Fragen an Wolfgang Harich, in: Kölner Stadtanzeiger, Nr.225, 26.09.1990. Weissenseer Blätter, Nr. 2, Berlin 1997, S. 47. Vgl. Meyer von Achenbach, Richard: Gedanken über eine konstruktive deutsche Ostpolitik. Eine unterdrückte Denkschrift aus dem Jahr 1953, hrsg. von Julius Schoeps, Frankfurt am Main 1986.
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schlüssen der alliierten Mächte über Deutschland ergeben, zu überwachen sowie die Verbindung mit den Vertretern der Besatzungsbehörden der USA, Großbritanniens und Frankreichs in den Fragen gesamtdeutschen Charakters wiederherzustellen. Ausgehend von einem im Parteipräsidium Moskau am 28. Mai 1953 gefassten Beschlusses und der Verfügung des Ministerrates der UdSSR „Über die Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik“ 6 sollte in der DDR im Juni 1953 unter Zurücknahme des Anspruchs auf den sozialistischen Aufbau eine jähe Kurskorrektur Platz greifen. Zu diesem Zweck waren Otto Grotewohl, Walter Ulbricht und Fred Oelßner vom 2.– 4. Juni 1953 nach Moskau bestellt worden. Ulbricht fügte sich nur widerwillig. 7 Im Kommunique des ZK der SED vom 9. Juni 1953 wurde erklärt: Das Politbüro hat bei seinen Beschlüssen das große Ziel der Einheit Deutschlands im Auge, welches von beiden Seiten Maßnahmen erfordert, die die Annäherung der beiden Teile Deutschlands erleichtert. 8
Im Kommunique des Ministerrates der DDR vom 11. Juni wurde die Korrektur von Verordnungen beschlossen, die die Lebenslage der Bevölkerung der DDR verschlechtert hatten. Republikflüchtigen Personen, die sich entschlossen, in die DDR zurückzukehren, wurde die Rückgabe ihres Eigentums zugesagt. Alle Verhaftungen, Strafverfahren und Urteile sollten sofort auf eventuell vorliegende Härten überprüft und korrigiert werden. Das Verhältnis der staatlichen Organe zu den Kirchen sollte auf der Basis von Vereinbarungen verbessert werden. Der Ministerrat der DDR bekannte sich zu den gemachten Fehlern ohne Wenn und Aber und versprach eine sofortige Korrektur. 9 Lediglich die im Mai 1953 erfolgten administrativen Normerhöhungen um 10 Prozent wurden nicht korrigiert. Dies geschah durch das Politbüro der SED erst am 16. Juni 1953, jedoch ohne sofortige Bekanntgabe im Rundfunk und in der Presse. In diese Konstellation hinein platzten am 16./17. Juni Streiks und Demonstrationen in zahlreichen Städten und Gemeinden, in Magdeburg auch aufstandsartige Aktionen, von insgesamt etwa 600.000 Arbeitern und Angestellten der DDR. Rudi Dutschke und Bernd Rabehl, die den 17. Juni in Luckenwalde und Rathenow miterlebt hatten, bewerteten das Ereignis primär als Arbeiterstreik, der einen Abschied der alten deutschen Arbeiterbewegung signalisierte und eine Botschaft für künftige Revolutionäre enthielt:
6 7 8 9
Vgl. Verfügung des Ministerrates der UdSSR vom 2. Juni 1953 „Über Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik“, in: Otto, Wilfriede: Die SED im Juni 1953. Interne Dokumente, Berlin 2003, S. 38–43. Vgl. Knoll, Viktor/Kölm, Lothar (Hrsg.): Der Fall Berija. Protokoll einer Abrechnung, Berlin 1993, S. 67. Dokumentation der Zeit (DdZ), 15. Juni 1953, H. 48, Nr. 2526. Vgl. ebenda, S. 2528–2530.
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Nichtanerkennung des Absolutheitsanspruchs der SED und Ablehnung sowjetischer Herrschaftsstrukturen. 10
Das Ergebnis des 17. Juni ist nicht leicht zu verstehen. Es gleicht eher einer Paradoxie. Die streikenden Arbeiter erreichten einerseits die Rettung der DDR als Arbeiterstaat, das eigentliche Ziel, der Sturz der über den Arbeitern etablierten Verwaltungs-, Partei- und Regierungsbürokratie aber wurde verfehlt. Bedenkenswert sind die Ergebnisse einer Analyse von Konrad Eckhoff: Die Differenz zwischen Rätedemokratie und ‚antifaschistisch-demokratischer Ordnung‘, d. h. zwischen der Zurücknahme der neben und außer der Gesellschaft bestehenden Staatstätigkeit in die Selbsttätigkeit der Massen, einerseits, dem Fortbestehen der Staatsbürokratie andererseits blieb unaufgehoben. Der Aufbau des Sozialismus in der DDR wurde nicht zur Sache der Arbeitermassen, die im Verlaufe dieser Bewegung lernen, die Geschichte mit Willen und Bewusstsein zu machen, er blieb Resultat eines sukzessiven Vorgehens, an dessen Ende die Diktatur über das Proletariat stand. Diese Art der Umwälzung zeitigte folgenreiche Auswirkungen auf das Bewusstsein nicht nur der Arbeiterklasse, sondern der Bevölkerung allgemein. Sie erlebte die Umwälzung mehr als Objekt denn als Subjekt des Geschehens, nicht als Prozess, den sie selbst gemacht hatte, als Resultat eigenen Handelns, als selbst vollzogene Revolution. Die entfremdete Form der Herrschaft des Proletariats in Gestalt einer sie substituierenden Bürokratie bedingte auch eine Entfremdung der Arbeiter vom Staat. 11
Als 1956 der XX. Parteitag der KPdSU die Chance zur allumfassenden Debatte der angestauten Probleme auch in der DDR eröffnete, ergriffen Intellektuelle das Wort, während aus der Arbeiterbewegung kein Impuls mehr zu verspüren war. Wolfgang Harich, der am gesellschaftskritischen Denken in Budapest vor allem über Georg Lukács und in Warschau über Leszek Kolakowski und Adam Schaff teilhatte, arbeitete mit dem „Memorandum“ und der „Plattform“ tief greifende Analysen aus. Schon auf der internationalen Freiheitskonferenz der Philosophen im März 1956 hatte er festgestellt, dass sich in der Geschichte immer nur die Gesellschaften durchgesetzt hätten, die sich gegenüber der vorausgehenden durch ein „Plus an Freiheit“ 12 ausgezeichnet hatten. Deutlicher konnte das Zentralproblem des realen Sozialismus nicht auf den Punkt gebracht werden. In seinem „Memorandum“ an Botschafter Puschkin leistete er die bedeutendste Stalinismus-Kritik nach Leo Trotzki und entwarf in seiner „Plattform“ das Konzept für eine demokratische Überwindung des realen Sozialismus, das in der Entwurfsfassung noch unreif war, aber von Ulbricht für hinreichend angesehen wurde, Harich und seine Diskussionspartner für viele Jahre ins Zuchthaus zu werfen. Die Kritik am realen Sozialismus war von Harich in der radikalsten Version vorgetragen worden. In Harichs Richtung agierten aber auch andere Intellektuelle verschiedener wissenschaftlicher Einrichtungen und Reformkräfte um Karl Schirdewan im SED-Politbüro. Angesichts der 10 Vgl. Rabehl, Bernd: Nationalrevolutionäres Denken im antiautoritären Lager der Radikalopposition zwischen 1961/1980, Berlin 1998. (Manuskript- Kopie im Besitz d. Vf.), S. 3. 11 Eckhoff, Konrad: Nationale Frage. Politische Opposition, 17. Juni 1953, Wirtschaftsreformen, Kulturpolitik, in: Die internationale, Oktober-Heft, Frankfurt/M. 1974, S. 37. 12 Harich, Wolfgang: Das Rationelle in Kants Konzeption der Freiheit, in: Das Problem der Freiheit im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus, Berlin 1956, S. 69.
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Ereignisse in Ungarn, die auch die KPdSU-Führung zur Zurücknahme des ursprünglichen Reformrahmens veranlassten, konnte Ulbricht bis 1961 Kritiker und Oppositionelle zum Schweigen bringen. Im Jahre 1955 erfolgte der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO, der den Weg zur deutschen Einheit im Ergebnis freier Wahlen verschloss. Die DDR beteiligte sich an der Gründung des Warschauer Vertrages. 1955 schlossen DDR und UdSSR den Staatsvertrag, der den Aufstieg der DDR zum Juniorpartner der UdSSR in der zweiten Hälfte der 50er Jahre eröffnete. Schon 1953 schloss die DDR ein Handelsabkommen mit Ägypten ab. Das SED-Politbüro hatte am 17. März 1953 in diesem Zusammenhang beschlossen, dass zur Erleichterung der Durchführung des Handelsabkommens mit Ägypten eine ständige offizielle Vertretung der VEB DIA nach Kairo zu entsenden sei, die faktisch die Funktion einer Handelsvertretung der Regierung der DDR ausübt. Dieser Vertretung sollten angehören: − − − −
Ein Leiter der Vertretung, der die politische und fachliche Gesamtverantwortung trägt Ein Vertreter für Import (möglichst ein Fachmann für Baumwolle) Ein Vertreter für Export (Fachmann für Maschinen oder Feinmechanik/Optik) Ein Mitarbeiter als Sekretär bzw. Dolmetscher
In diesem Politbürobeschluss wurden die Aufgaben der Vertretung fixiert: Zu den Aufgaben der Vertretung gehört neben der Abwicklung des Handelsabkommens mit Ägypten die Anbahnung von Verbindungen zu den anderen arabischen Staaten [...] Es sind alle notwendigen Vorbereitungen für eine Industrieausstellung in Kairo zu treffen, die nach Einholung der Zustimmung der ägyptischen Regierung im November bzw. Dezember unter Federführung der Außenhandelskammer durchzuführen ist. 13
1955 erfolgte schließlich die Einrichtung einer Handelsvertretung in Ägypten und im Sudan. Der sich andeutenden weiteren völkerrechtlichen Anerkennung der DDR schob die Bundesrepublik 1955 bis Ende der 60er mit der Hallstein-Doktrin einen Riegel vor. Die Bundesregierung verweigerte weiterhin die Kenntnisnahme der DDR als eigener Staat und beanspruchte, im Namen des ganzen deutschen Volkes zu reden und zu handeln. Gingen die CDU und CSU davon aus, dass die „soziale Marktwirtschaft“ der Bundesrepublik auf die materiell wesentlich schwächere DDR sehr bald eine kräftige „Sogwirkung“ ausüben werde, stützte sich die SPD auf die ganz ähnliche Vorstellungswelt der „Magnettheorie“. Die DDR erschloss sich gesellschaftspolitischen Spielraum dadurch, dass sie sich von 1956 bis 1960 auch auf Erfahrungen der VR China stützte. Ein wichtiges Ergebnis dieser Orientierung war die Schaffung von Privatbetrieben mit staatlicher Beteiligung, die rasch ein wichtiger Faktor in der Wirtschaft der DDR wurden (vgl. Tabelle 1). 13 Protokoll Nr.16/53, in: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) DY 30/J IV 2/2/270, Bl. 7 f.
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Anzahl der Betriebe 5.314 Tabelle 1
Anzahl der Beschäftigten Arbeiter und Angestellte
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Produktionsarbeiter
313.525 259.208 Betriebe mit staatlicher Beteiligung in der DDR im Jahre 1963 14
Der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, übergab am 27. Juli 1957 in seinem Amtssitz den Chefs und Geschäftsträgern a. i. der bei der Regierung der DDR akkreditierten diplomatischen Missionen eine am 26. Juli vom Ministerrat beschlossene Erklärung über den Weg der deutschen Nation zur Sicherung des Friedens und der Wiedervereinigung Deutschlands. Darin wurde ein Abkommen zwischen den beiden deutschen Staaten vorgeschlagen, das die Lagerung und Herstellung von Atombomben verbietet. Das Abkommen sollte auch das Ausscheiden der beiden Staaten aus der NATO und aus dem Warschauer Vertrag beinhalten, ferner die Aufhebung der Wehrpflicht und ein Übereinkommen über die beiderseitige Truppenstärke sowie das gemeinsame oder einzelne Ersuchen an die vier Mächte auf baldige schrittweise Zurückziehung ihrer Truppen aus ganz Deutschland. Die DDR-Regierung schlug vor, auf der Basis eines völkerrechtlichen Vertrages einen Staatenbund in Form einer Konföderation zu bilden. Zur inhaltlichen Gestaltung der Konföderation wurde ausgeführt: Die Konföderation braucht vorerst keine über den beiden Staaten stehende selbständige Staatsgewalt zu schaffen und würde jedes Herrschaftsverhältnis des einen über den anderen deutschen Staat ausschließen. Ein in beiden Teilen Deutschlands aus Vertretern der Parlamente geschaffener Gesamtdeutscher Rat, der beratenden Charakter hat, könnte solche Maßnahmen empfehlen und beschließen, die der schrittweisen Annäherung der beiden deutschen Staaten dienen. Der Anfang einer deutschen Konföderation wäre ein Abkommen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Deutschen Bundesrepublik über die Durchführung einer gemeinsamen Politik in bestimmten Fragen. 15
Vom Konföderations-Projekt ließ sich die DDR in ihrer Deutschlandpolitik, nach 1961 in modifizierter Form, bis 1966 leiten. 1960 konnten sich 17 afrikanische Staaten aus der Kolonialherrschaft befreien. Bis Ende 1959 hatte es auf dem „schwarzen Kontinent“ erst neun souveräne Nationen. 16 Das Jahr 1960 ging als „afrikanisches Jahr“ in die Geschichtsbücher ein. Die DDR, die den antikolonialen Befreiungskampf seit ihrer Gründung unterstützt hatte, sah in diesen Veränderungen in Afrika eine neue Chance in ihrem Ringen um die völkerrechtliche Anerkennung. 1959 besuchte Ministerpräsident Otto Grotewohl Ägypten. Danach erfolgte in Kairo die Einrichtung eines Generalkonsulats der DDR. Das SED-Politbüro fasste am 4. Januar 1960 den Beschluss:
14 Vgl. Bundesarchiv (BArch) Berlin, DE-1-St 4569 (unpaginiert) 15 Programmatische Erklärung der Regierung der DDR, in: Dokumentation der Zeit, Berlin 1957, 149/4. 16 Loth, Heinrich: Geschichte Afrikas. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Teil II. Berlin 1976, S. 254.
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Siegfried Prokop Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten wird beauftragt, einen Plan zur Entsendung führender Persönlichkeiten der DDR (Mitglieder des Präsidiums des Ministerrats und des Ministerrats u. a.) zur Führung von Gesprächen und zur Erweiterung der bestehenden Kontakte mit der VAR, Guinea, Ghana, Marokko, Nigeria, Kamerun und der Mali-Föderation im Jahre 1960 auszuarbeiten. 17
In diesem Beschluss wurde detailliert aufgelistet, wie die DDR den antikolonialen Befreiungskampf Afrikas unterstützen wollte. Dazu zählten u. a.: − − −
Journalisten aus Ghana, Marokko, Nigeria, Kamerun, der Mali-Föderation, Äthiopien, Togo und dem Sudan sollten in die DDR zu Studienaufenthalten eingeladen werden. Dokumentationen über die Kolonialpolitik des deutschen Imperialismus sollten erarbeitet und in Englisch und Französisch herausgegeben werden. Das Staatliche Rundfunkkomitee wurde beauftragt, eine Afrika-Redaktion aufzubauen, die zunächst Sendungen mit afrikanischen Rundfunkstationen austauscht und später die Sendungen mit dem Richtstrahler für Afrika übernimmt. 18
Ein verfrühter Versuch, die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu vollziehen, erfolgte 1960 durch die Regierung Guineas. Sie schickte Seydou Contés mit der Absicht nach Berlin, die Herstellung diplomatischer Beziehungen mit der DDR einzuleiten. Dabei sollten alle Vorgänge zunächst intern bleiben, damit der Regierung Guineas die Möglichkeit bleibe, die Entwicklung der politischen Lage zu beobachten und den günstigsten Zeitpunkt für die Akkreditierung 19 beider Botschafter und die offizielle Veröffentlichung zu wählen. Allerdings zeigte sich, dass durch den Austritt Guineas aus der Franc-Zone und der Einführung einer eigenen Währung eine komplizierte Situation entstand. Frankreich verhängte eine ökonomische Blockade. Guinea wurde der Vorwurf gemacht, ein „Vorposten des Kommunismus“ zu sein. Guinea befolgte nun eine widersprüchliche Linie. Die unangenehme Situation, in die die DDR geraten war, beschrieb Staatssekretär Peter Florin mit folgenden Worten: einerseits deutet die Regierung Guineas die Absicht an, die Beziehungen zur DDR zu normalisieren, unterstreicht sie ihre Politik der positiven Neutralität und das Recht, mit allen Staaten normale Beziehungen herzustellen und weist jede Einmischung in ihre Angelegenheiten zurück; Andererseits weicht sie taktisch zurück, desavouiert sie faktisch die Aktionen ihres Botschafters in Berlin und unterstreicht sie eine gewisse Distanzierung zur DDR durch die Bekanntgabe der Tatsache, dass Sékou Touré seinen Besuch in der DDR nicht zum vorgesehenen Termin durchführen wird. Dieser Akzent wird durch den Gebrauch der Bezeichnung ‚Ostdeutschland‘ in dem Schreiben Sékou Tourés an Adenauer verstärkt. 20
17 18 19 20
SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/682, Bl. 27. Ebenda, Bl. 34. Karl Nohr war für Conakry vorgesehen. SAPMO-BArch, DY 30/JIV 2/2/696, Bl. 51 Protokoll Nr.15/60
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Die DDR schloss 1960 mit Guinea einen Vertrag über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit ab und gewährte einen Kredit in Höhe von fünf Millionen Dollar. 21 Am 3. Mai 1960 beauftragte das SED-Politbüro die Außenpolitische Kommission, zusammen mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheit einen Plan über die Ausbildung junger Kader für Afrika auszuarbeiten und diesen dem Sekretariat des ZK vorzulegen. 22 Die DDR erreichte in der zweiten Hälfte der 50er Jahre bedeutende ökonomische, kulturelle und politische Fortschritte, die angesichts der Sputnik-Euphorie dazu verführten, den Entschluss zu fassen, die Bundesrepublik einzuholen und zu überholen. Dies misslang 1960. Die DDR drohte, im Ergebnis des brain drain in den Westen auszubluten. Die Großmächte fürchteten, wegen Berlin in einen großen Konflikt hineinzustolpern. Die USA und die UdSSR einigten sich nach dem Scheitern des Gipfels von Paris und angesichts der Ergebnislosigkeit des Treffens von Wien im Juli 1961 intern auf mittlerer diplomatischer Ebene auf einen Kompromiss, dessen sichtbares Ergebnis schließlich der Mauerbau war. Zwei Varianten für die friedliche Lösung der Berlin-Krise zeichneten sich 1961 ab. Die „Land“- (Mauerbau) und die „Luftlösung“ (Flughafen Schönefeld als Flughafen für alle Berliner, Übergabe der Lufthoheit an die DDR im Ergebnis des anvisierten separaten Friedensvertrages). John F. Kennedy erzwang mit einem atomaren Ultimatum den Verzicht auf die „Luftlösung“. Nikita Chruschtschow entschied sich für die „Landlösung“. Der Sonderbotschafter Kennedys John J. McCloy besuchte Nikita Chruschtschow am 26. Juli 1961 in seiner Sommerresidenz in Sotschi am Schwarzen Meer. Am folgenden Tage antwortete Chruschtschow auf Kennedys Note 23. Er nannte sie eine „Kriegserklärung“. Zugleich bat er McCloy, Kennedy zu berichten, „dass wir sein Ultimatum annehmen und entsprechend reagieren werden“. 24 Er habe die Absicht, seine Politik fortzusetzen, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen und sich auf den Krieg vorzubereiten. „Wir werden den Krieg nicht beginnen, aber wir werden nicht davor zurückschrecken, wenn er uns aufgezwungen wird. Wir werden mit gleicher Münze zurückzahlen.“ 25 Damit war der weitere Gang der Dinge vorgezeichnet. Wegen des Konflikts in und um Berlin wollten weder Kennedy noch Chruschtschow einen Krieg riskieren. Erst jetzt, Ende Juli 1961, wurde von Nikita Chruschtschow Kurs auf die Befestigung und Kontrolle der Grenze mitten durch Berlin und um Westberlin genommen. Obwohl Walter Ulbricht auf Unterbindung des unerträglich gewordenen Flüchtlingsstroms drängte, war er gegen die hermetische Schließung der Sektorengrenzen. Es kam zwischen ihm Chruschtschow deswegen vor der Beratung der 21 Ebenda, 692, Bl. 9, Protokoll Nr. 11/60. 22 Vgl. ebenda, 702, Bl. 2, Protokoll Nr. 21/60. 23 Franz-Josef Strauß teilte in seinen Erinnerungen zum Inhalt des Ultimatums mit, dass zum Zwecke des Erzwingens der Zugänge zu Berlin der Abwurf einer Atombombe auf einen russischen Truppenübungsplatz in der DDR vorgesehen war. In: Die Erinnerungen, Berlin 1989, S. 388. 24 Zit. nach Steininger, Rolf: Der Mauerbau. Die Westmächte und Adenauer in der Berlinkrise 1958–1963, München 2001, S. 230. 25 Ebenda.
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Ersten Sekretäre der ZK der kommunistischen und Arbeiterparteien der Staaten des Warschauer Vertrages vom 3.–5. August in Moskau zu einer harten Auseinandersetzung. Ulbricht hielt Chruschtschows Vorschlag „für ein denkbar ungeeignetes Mittel, das für das innen- und außenpolitische Prestige der DDR äußerst abträglich sei und seine Bemühungen um internationale Anerkennung zurückwerfe.“ 26 Dem bundesdeutschen Botschafter in Moskau, Hans Kroll, gestand Nikita Chruschtschow, dass er es war, der den Befehl zum Mauerbau gab: Es gab nur zwei Arten von Gegenmaßnahmen: die Lufttransportsperre oder die Mauer. Die erstgenannte hätte uns in einen ernsten Konflikt mit den Vereinigten Staaten gebracht, der möglicherweise zum Krieg geführt hätte. Das konnte und wollte ich nicht riskieren. Also blieb nur die Mauer übrig. Ich möchte Ihnen auch nicht verhehlen, dass ich es gewesen bin, der letzten Endes den Befehl dazu gegeben hat. 27
Die sechziger Jahre waren die erfolgreichste Periode in der DDR-Geschichte. Nicht mehr mit der offenen Grenze konfrontiert, hatte die DDR ähnliche Bedingungen wie andere osteuropäische Länder. Es kommt hinzu, dass Ulbricht selbst einen Lernprozess durchmachte, junge Leute in die Führung holte und zur Reform der DDR-Wirtschaft und zu einem neuen Umgang mit der Jugend ermutigte, die „sozialistisch frech sein“ sollte. 28 Die wirtschaftlichen Probleme von Anfang der 60er Jahre konnten bis 1964 bewältigt werden, was auch im Alltagsleben spürbar wurde. Fernsehgeräte, die bis dahin nur über Kundenlisten erworben werden konnte, waren nun frei zu kaufen. Auch andere Konsumgüter des gehobenen Bedarfs fanden in relevanter Größenordnung in die Haushalte. Die DDR, die von dieser Zeit an auch von der Erdölleitung „Freundschaft“ und einer immer mehr florierenden Petrolchemie profitierte, erreichte in der zweiten Hälfte der 60er Jahre stabile Zuwachsraten von etwa 5 %. Auch im Westen wurde der ökonomische Fortschritt der DDR gesehen. Medien sprachen vom „zweiten deutschen Wirtschaftswunder“ und vom „Roten Preußen“. Ulbricht gefiel sich in der Rolle eines Anregers des Neuen Ökonomischen Systems als einer „Reform von oben“. Schwieriger gestaltete sich die Gesellschaftsstrategie der SED. Sie begriff zwar im Unterschied zur Euphorie der KPdSU, die glaubte, in der UdSSR bis 1980 den Kommunismus errichten zu können, dass es in der DDR noch lange nicht um den Kommunismus ging und gehen konnte. Jedoch wurde die seit 1945 vollzogene Transformation als Sieg sozialistischer Produktionsverhältnisse angesehen. In der Wertungsskala reichte bei dieser Bestimmung aus, dass die Mehrheit der Betriebe einen genossenschaftlichen oder volkseigenen Status hatte. Nicht beachtet wurde der Unterschied zwischen Volkseigentum und Gemeineigentum. Heute können wir deshalb hinter die Wertung des bis Anfang der 60er Jahre erreichten Entwicklungsstandes ein dickes Fragezeichen setzen. Volkseigentum als Staatseigentum, das nicht der Kontrolle durch die Gesellschaft unterlag, war noch nicht Garant und Ausdruck sozialistischer Verhältnisse. Es konnte auch die Basis 26 Der Spiegel, 29. November 1961. 27 Kroll, Hans: Lebenserinnerungen eines Botschafters, Köln/Berlin 1967, S. 512. 28 Kommunique des Politbüros der SED zu Problemen der Jugend, in: Dokumentation der Zeit, Berlin 1961, 233/43–233/46.
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für einen anders gearteten Staatsmonopolismus sein. Weder in der DDR noch in der Sowjetunion gehörte dem Volke die Hauptmasse der Produktionsmittel. In der UdSSR gehörten (Ende der 80er Jahre) nur 3,4 % des Nationalreichtums dem Volk. 29 In der DDR dürften es reichlich 10 % gewesen sein. Eine genaue Berechnung steht noch aus. Das bedeutet aber eine Entfremdung der Bürger vom Eigentum. Denn über die Masse des Eigentums verfügte der Staat. Das vorhandene Kapital war Staatskapital, das, wie die Geschichte zeigt, privatem Kapital unterlegen ist. Das Grundproblem zeigte sich bei der Bestimmung und Verwirklichung des weiteren Weges. Es gelang nicht, den Schritt von der Übergangsperiode zu einem entwickelten Sozialismus zu vollziehen. Alle Strategien nach der Übergangsperiode, wie sie sich auch immer nannten – „entfalteter Aufbau des Sozialismus“ (1962), „umfassender Aufbau des Sozialismus“ (1963), „Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus“(1967) oder „Gestaltung des entwickelten Sozialismus und Vorbereitung des allmählichen Übergangs zum Kommunismus“ (1971/76) – blieben auf die „Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus“ (1957) fixiert, das aber bedeutete ein sich Bewegen in den Grenzen des realen Sozialismus. Robert Havemann, der mit der anstehenden Demokratisierung den „zweiten Schritt der Revolution“ einforderte, 30 wurde zurückgewiesen und diskriminiert. Im SED-Politbüro konstituierte sich 1964/65 eine reformfeindliche Gruppe unter Erich Honecker, die nach Chruschtschows Sturz die Gunst Leonid I. Breschnews genoss. Der österreichische Kommunist Ernst Fischer sah sich zur folgenden, weitsichtigen Feststellung genötigt: Der jetzige Moskauer Machtapparat hat mit der Idee des Sozialismus gebrochen. Breschnew – das ist der Bruch mit Marx und Lenin [...] Wir sehen mit Besorgnis, wie in der Sowjetunion das schreckliche Erbe des Zarismus allmählich das Vermächtnis der Oktoberrevolution überwuchert. Die entscheidenden Impulse kommen in der nächsten Zeit nicht aus der Sowjetunion, nicht aus dem Ostblock, sondern sie kommen wahrscheinlich aus dem Westen. 31
Dieser Hintergrund mag verdeutlichen, warum in der DDR mit dem „Kahlschlagplenum“ 1965 die Reformbewegung erheblich an Schwung einbüßte. Im Jahre 1961 weitete die DDR ihre Beziehungen zu afrikanischen Ländern aus. Im August richtete sie eine Handelsvertretung in Marokko ein. Vom 15. Februar bis 30. März beteiligte sich die DDR an der Weltlandwirtschaftsausstellung in Gezira (VAR). 32 Im September 1961 fanden Verhandlungen mit den Regierungen des Kongo und von Ghana statt. Im November 1961 besuchte eine Delegation der Algerischen Befreiungsarmee die DDR. Nach dem 13. August 1961 entsandte die DDR Sonderbotschafter in afrikanische Länder. Ende September 1961 besuchte ein Sonderbotschafter des Vorsitzen29 Vgl. Falin, Valentin: Konflikte im Kreml. Zur Vorgeschichte der deutschen Einheit und Auflösung der Sowjetunion, München 1997, S. 43. 30 Vgl. Havemann, Robert: Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg, München 1986. 31 Fischer, Ernst: Schreckliches Erbe des Zarismus. Zit. Nach: , zit. nach Spiegel Spezial, Nr. 4, 1991, S. 68. 32 SAPMO-BArch DY 30/J IV 2/2/376.
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den des Staatsrates der DDR Kairo. Im Januar 1962 besuchte Botschafter Dr. Wolfgang Kiesewetter Kaiser Haile Selassie I. von Äthiopien. Gleichzeitig besuchten Sonderbotschafter des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR die Präsidenten der Republiken Ghana, Mali und Guinea. Im November 1962 nahm die DDR normale Handelsbeziehungen mit der Föderation Nigeria auf. 33 Rückschläge blieben nicht aus. Die Umwandlung der 1964 im unabhängigen Sansibar eröffneten ersten DDR-Botschaft in Afrika nach der Vereinigung Sansibars mit Tanganjika (April 1964) in ein Generalkonsulat in Daressalam und ein Konsulat in Sansibar entsprach zwar den Hoffnungen der DDR nicht optimal, brachte ihr jedoch eine relativ hochrangige Präsenz im vereinigten Tansania. 34 Die bedeutendsten Entwicklungen vollzogen sich im Verhältnis der DDR und der VAR. 1964 residierten in der VAR eine Handelsvertretung, ein Generalkonsulat und die Dienststelle eines „Beauftragten der DDR für die arabischen Länder“, insgesamt 120 bis 130 Diplomaten und Angestellte, während die Bundesrepublik nur etwa 20 Angehörige des höheren Dienstes in ihrer Botschaft hatte. 35 Die Bundesrepublik unterhielt zu den Entwicklungsländern offizielle Beziehungen. Die DDR erhoffte sich aus dem antikolonialen Befreiungskampf der ehemals kolonialen Länder Anknüpfungspunkte für die Aufnahme von Beziehungen. In Anbetracht der Hallstein-Doktrin konzentrierte sich die DDR auf die stufenweise Entwicklung der Beziehungen. Es ging ihr um die Einrichtung der Kammer für Außenhandel, von Handelsmissionen, Generalkonsulaten und Konsulaten mit weitgehenden Rechten bis an die Schwelle der diplomatischen Anerkennung. 36 Die Beziehungen der Bundesrepublik zu Ägypten verdüsterten sich, nachdem durch einen Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 26. Oktober 1964 Details der geheimen Waffenlieferungen an Israel bekannt geworden waren. Die Bundesrepublik lieferte 24.000 Mörsergranatzünder und 150 Panzer-Chassis vom Typ M 48 (ausgediente Bundeswehrpanzer) über den Umweg Italien an Israel. Auf diesem Wege erhielten Panzer neue Kanonen und neue Motoren. 37 Dieser Hintergrund macht erklärlich, warum sich Ägypten zu einer Einladung des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, entschloss. Alle Bemühungen der Bonner Diplomatie, diesen Besuch in letzter Minute doch noch zu verhindern, scheiterten, weil sich Bundeskanzler Erhard nicht entschließen konnte, auf die weitere Belieferung Israels mit deutschen Waffen zu verzichten. Es blieb bei dem Besuch vom 24. Februar bis 2. März 1965. Allerdings verweigerte das NATO-Land Griechenland eine Überfluggenehmigung. Deshalb reiste Walter Ulbricht mit seiner Frau 33 Vgl. ebenda, S. 854. 34 Vgl. Schleicher, Hans-Georg: Vom Höhepunkt zum Ende der Afrikapolitik der DDR. Vortrag im Rahmen einer Vorlesungsreihe Deutsche Afrikapolitik der Deutschen Afrika Stiftung und der Humboldt-Universität zu Berlin am 01.06.2010, online unter: http://www.vip-ev.de/vipev.de/index.htm (22.06.2019). 35 Vgl. Blasius, Rainer A.: „Völkerfreundschaft“ am Nil. Ägypten und die DDR im Februar 1965, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 4, München 1998, S. 759. 36 Vgl. Muth, Ingrid: Die DDR-Außenpolitik 1949–1972. Inhalte, Strukturen, Mechanismen, Berlin 2000, S. 31. 37 Vgl. Blasius, Rainer A.: „Völkerfreundschaft“…, a.a.O.
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Lotte bis nach Dubrovnik in Jugoslawien. Dort bestiegen beide das DDRUrlauberschiff „Völkerfreundschaft“ und fuhren damit bis nach Alexandria. Von dort ging die Reise per Bahn weiter bis nach Kairo. Präsident Nasser wartete am Bahnsteig auf die Gäste aus der DDR. Zur Begrüßung wurden 21 Schuss Salut abgegeben. Nasser und Ulbricht fuhren dann im offenen Cadillac, von der Bevölkerung Kairos begeistert gefeiert, zum Kubeh-Palast. Die Ergebnisse der Beratungen wurden von Walter Ulbricht und Präsident Nasser in einem Gespräch vom 28. Februar 1965 fixiert. Die stenografische Aufzeichnung hielt dazu fest: Walter Ulbricht: Was die Frage der Gemeinsamen Erklärung anbetrifft, Herr Präsident, so haben wir die Bitte, dass die Gemeinsame Erklärung auch gemeinsam unterzeichnet wird. Aus welchem Grunde wäre das wichtig? Bei uns ist es üblich, dass gemeinsame Erklärungen unterzeichnet werden. Bei dieser Gemeinsamen Erklärung wäre das besonders wichtig, um zum Ausdruck zu bringen, dass im Inhalt unserer Beziehungen eine Weiterentwicklung vorhanden ist. Da auf Wunsch der ägyptischen Seite gegenwärtig von der Herstellung diplomatischer Beziehungen abgesehen wird, scheint es uns notwendig zu sein, dass diese Gemeinsame Erklärung unterzeichnet wird. Was die Frage des Generalkonsulates der VAR betrifft: Zwischen den Außenministern wurde besprochen, dass die VAR jetzt ein Generalkonsulat in der Hauptstadt der DDR, in Berlin, errichtet. Wir halten es für zweckmäßig, dass darüber ein Briefwechsel erfolgt, wie das üblich ist. Was heißt, der Außenminister der VAR teilt dem Außenminister der DDR schriftlich mit, dass die VAR ein Generalkonsulat in der Hauptstadt der DDR errichtet 38. Es wäre zweckmäßig, dass dabei ein Hinweis auf die Wiener Konvention von 1963 39 erfolgt. Dort wird gesagt, was die Aufgaben eines Generalkonsulates sind, d. h., dort sind die internationalen Rechte eines Generalkonsulates festgelegt. Das ist die Konvention, die auch von der VAR miterarbeitet worden ist. Herr Präsident, dann darf ich die Bitte aussprechen, Sie zum Besuch der Deutschen Demokratischen Republik einzuladen. Ich möchte die Bitte noch dahingehend erweitern, dass Sie Ihre wichtigen Spezialisten mitbringen, damit sie sich in unserem Lande mit den Problemen vertraut machen können, an denen die VAR besonders interessiert ist. Das wird für beide Seiten sehr gut sein. Das ist alles.
38 Mit Datum vom 1.3.1965 teilte Fawzi Bolz mit: „Im Ergebnis der während des Freundschaftsbesuchs des Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Herrn Walter Ulbricht, in der Vereinigten Arabischen Republik geführten Beratungen wurde Einverständnis darüber erzielt, dass die Vereinigte Arabische Republik entsprechend den getroffenen Vereinbarungen im ersten Halbjahr 1965 ein Generalkonsulat in der Deutschen Demokratischen Republik einrichten wird, und dass die Partnerstaaten den Generalkonsulaten und deren Mitarbeitern gegenseitig alle Erleichterungen, Privilegien und Immunitäten gewähren werden, wie sie in der Wiener Konvention vom 24. April 1963 festgelegt werden, die in der Nationalversammlung der Vereinigten Arabischen Republik zur Ratifikation unterbreitet werden wird. Ich bitte Sie, Exzellenz, den Inhalt des vorliegenden Briefes zu bestätigen.“ Bolz antwortete am selben Tage: „Ich habe die Ehre, den Empfang Ihres Briefes vom 1. März 1965 zu bestätigen, der folgenden Inhalt hat: [...] Ich darf Eurer Exzellenz bestätigen, dass der Inhalt Ihres Briefes mit der zwischen uns erzielten Übereinkunft übereinstimmt.“ In: Politisches Archiv/Auswärtiges Amt (PA/AA) Berlin, Bestand MfAA, Signatur C 177/77. 39 Für den Wortlaut der Wiener Konsularkonvention vom 24.4.1963 vgl. United Nations Treaty Series, Band 596, S. 262–323.
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Siegfried Prokop Präsident Nasser: Ich danke Ihnen für Ihre Ausführung. Was die erste Frage des Handelsabkommens, der kommerziellen Übereinkunft betrifft: Wir danken Ihnen für die Erhöhung des Kredites um 8 Mio. £ Sterling. Mein Stellvertretender Ministerpräsident schlägt vor, den Abschluss der Verträge nicht von 1967 auf 1968 zu verlegen. Walter Ulbricht: Wir sind ebenfalls am baldigen Abschluss interessiert und erklären uns mit 1967 einverstanden. Präsident Nasser: Es ist alles klar, was die kommerziellen Kredite betrifft. Die Schaffung des gemeinsamen Wirtschaftsausschusses und des wissenschaftlichen Rates kann in die Erklärung aufgenommen werden, auch das Kulturabkommen. Mit der Unterzeichnung der Erklärung bin ich einverstanden. Zum Generalkonsulat: Wir sind mit der Errichtung des Generalkonsulates in Berlin einverstandenund haben das beschlossen. Wir haben auch keine Einwände gegen einen Briefaustausch, obwohl wir uns über die Errichtung des Generalkonsulates schon 1959 geeinigt hatten. Was den Besuch in Deutschland betrifft, so danken wir Ihnen sehr für die Einladung und sind auch damit einverstanden. 40
Die DDR hatte also noch nicht die völkerrechtliche Anerkennung durch Ägypten erreicht, aber war ein Stück auf der Strecke dorthin vorangekommen. Ägypten und die DDR verfügten über ein paralleles Interessengefüge. Dieses erwies sich jedoch noch „als zu labil, das außenpolitische Hauptziel – die diplomatische Anerkennung und damit die Durchbrechung der Hallstein-Doktrin – in kurzer Zeit zu erreichen.“ 41 Zwar wurde aus der Reise Nassers in die DDR nichts mehr, aber die völkerrechtliche Anerkennung durch die VAR erfolgte vier Jahre danach. Ägypten gehörte zur Gruppe der Länder, die den Reigen der weltweiten völkerrechtlichen Anerkennung der DDR Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre eröffneten.
40 Gespräch des Staatsratsvorsitzenden Ulbricht mit Präsident Nasser am 28. Februar 1965 von 18,00 Uhr bis 19,40 Uhr, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 4, München, 1998, S. 798 f. 41 Muth, Ingrid: Die DDR-Außenpolitik 1949–1972…, a.a.O., S. 42.
THE SOKEHS REBELLION: HISTORY AND COMMEMORATION Resisting the European Invasion of the Pacific Thomas Schwarz Zusammenfassung: Im Oktober 1910 lehnte sich ein Verband indigener Rebellen der mikronesischen Insel Ponape unter Führung von Soumadau en Sokehs gegen die deutsche Kolonialmacht auf. Folgt man der Einschätzung des australischen Historikers Peter Hempenstall, dann stellte dieser Aufstand nicht nur die imperiale Herrschaft Deutschlands in Mikronesien, sondern potenziell auch in der gesamten pazifischen Region infrage. Doch wertet er die Motive der Rebellen auch als “sture Verteidigung” traditioneller Vorrechte ab. Im Anschluss daran lässt sich der deutsche Geschichtswissenschaftler Hermann Joseph Hiery dazu hinreißen, die Rebellion als eine “sozialreaktionäre, traditionalistische Revolte” gegen eine aufgezwungene Transformation der sozialen Ordnung zu bezeichnen. Aus postkolonialer Perspektive bietet die Feldforschung des amerikanischen Anthropologen Paul Ehrlich wertvolle Erkenntnisse. Er absolvierte 1973/74 einen 16 Monate langen Forschungsaufenthalt auf Ponape und verglich die Aussagen der Einheimischen mit den deutschen Berichten über die damaligen Ereignisse. Hundert Jahre später hat eine Untersuchung aus der Feder von Thomas Morlang auch mit umfangreichem Bildmaterial ein Fenster auf die größte Militäraktion der Marine in den deutschen Pazifikkolonien geöffnet. Um zu erfahren, wie man sich heute an die Rebellion erinnert, reiste der Autor des vorliegenden Beitrags in den Jahren 2016 und 2017 mehrere Wochen lang nach Mikronesien. Im Zusammenhang mit Archivstudien konnte er auch die fotografische Sammlung Morlangs ergänzen. Vor diesem Hintergrund unternimmt seine Studie eine konsequente Neubewertung dieses folgenschweren Akts von Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft. From the very beginning of the European expeditions into the Pacific, autothalassical people resisted these intrusions. In 1521, inhabitants of the Philippine island of Mactan confronted a landing operation lead by Ferdinand Magellan and killed him on the beach. 1 In 1779, Captain Cook tried to abduct a Hawaiian chief. He was stabbed in an act of self-defense. In retribution, the European ships shelled
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Pigafetta, Antonio: Magellan’s Voyage Around the World. Primo viaggio intorno al mondo. The original text of the Ambrosian Manuscript, translated by James Alexander Robertson, vol. 1, Cleveland 1906, pp. 173–179.
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the Hawaiian settlement in Kealakekua Bay and sent in a landing squad, leaving behind a great number of Hawaiians dead on the battlefield. 2 In October 1910, one of the five different groups of people living on the Micronesian island of Ponape (since 1984 Pohnpei) rebelled under the leadership of Soumadau en Sokehs against the German colonial power. This article offers a concise history of the Sokehs Rebellion. Germany had purchased the Caroline Islands from Spain in 1899. The people of Ponape, especially the inhabitants of Sokehs had been ‘unruly’ before, defeating Spanish colonial troops in 1887. After refusing to meet an obligation to work for the colonial masters, a detachment of Spanish soldiers, recruited from the Philippines, invaded the Ponapean offshore island of Sokehs on the 1st of July. In the confrontation at Danipei, they opened fire. In retaliation, the men of Sokehs massacred more than 15 of the attackers. The then young Soumadau en Sokehs took a leading role in the counterattack against the Spanish colony, claiming around 40 victims among the Spaniards. When governor Posadilla tried to flee on July 4, Ponapeans killed and dismembered him. 3 This incident was followed by an uprising of Ponapeans in 1890, restricting the Spanish area of influence on the island to its administrative center. They were beleaguered in the fortified town called ‘la colonia’. New unrest erupted in 1898. This time, Sokehs took side with the Spaniards. Unable to control the island, Spain handed over power to Germany in October 1899. 4 The German newcomers 5 found the Spanish fortification in disrepair and ordered a partial demolition. 6 Ponape’s colonial situation after 1907 was characterized by intensified efforts of the new colonial power to establish a capitalist mode of production, to produce a disciplined workforce and to exercise control over privatized land in an economy largely based on the plantation of coconuts and the
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Zimmermann, Heinrich: Reise um die Welt, mit Capitain Cook, Mannheim 1781, pp. 88 ff. This German source mentions up to 300 casualties among the Hawaiians. Hanlon, David: Upon A Stone Altar. A History of the Island of Pohnpei to 1890, Honolulu 1988, pp. 159–160; cf. Hambruch, Paul: Ponape, vol. 1: Geschichte, Geographie, Sprache, Eingeborene (Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908–1910, edited by Georg Thilenius), Hamburg 1932, pp. 200–202; Bernart, Luelen: The Book of Luelen. Translated and edited by Fischer, John L./Riesenberg, Saul H./Whiting, Marjorie G., Honolulu 1977, p. 120; Müller, Kilian: Zur Missionschronik. Die Geschichte von Ponape seit 1887, in: Aus den Missionen der rheinisch-westfälischen Ordensprovinz. Jahresbericht 1911, Oberginingen 1911, pp. 9–16, here p. 10: “Den [spanischen] Gouverneur zerfleischte die aufgeregte Bevölkerung fast buchstäblich mit den Zähnen”. Cf. Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”. Ponape Island and German Colonial Rule. 1899–1914, New York 1978, p. 71: Soumadau en Sokehs is the title, while Niue would be his name. Hempenstall, Peter J.: Pacific Islanders under German Rule. A Study in the Meaning of Colonial Resistance, Canberra 1978, chapter 3: Ponape: The Pattern of Spanish and German Rule, here pp. 75–79. Hempenstall, Peter J./Rutherford, Noel: Protest and Dissent in the Colonial Pacific, Suva 1984, pp. 114–117. Historical sources of the German colonial administration (Reichskolonialamt) are kept at Germany’s Federal Archives (Bundesarchiv) in Berlin (RKA 3009/3010) and Freiburg. Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter, in: Aus den Missionen der rheinisch-westfälischen Ordensprovinz. Jahresbericht 1911, Oberginingen 1911, pp. 17–35, here p. 19.
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production and marketing of copra. 7 Germany’s approach became primarily utilitarian, however still backed up by the threat of asymmetric warfare. The initial moments of the Sokehs Rebellion in 1910 looked as if history would repeat itself. On the 18th of October, the men of Sokehs stopped working. At Danipei, they killed four Germans, foremost of these a high-ranking official, district administrator Gustav Boeder. Among the victims were also five Micronesians from the low-lying Mortlocks or Nomoi Islands which were hired by the Germans as local staff. Germany’s navy crushed the armed resistance movement by sending four warships. This was the biggest military operation ever conducted by the Germans in their Pacific colonial empire. On the 24th of February 1911, German police soldiers, recruited from Melanesia, executed 15 leaders of the rebellion at Komwonlaid, the northern tip of the island’s capital town Kolonia. 8 The German colonial power collectively punished the rebel community and deported 426 of them, maybe even more, to Palau. 9 Australian historian Peter Hempenstall stresses that these people had become the “most serious threat to imperial domination within Micronesia, perhaps within the whole Pacific.” He assesses the course of action, pursued by Soumadau en Sokehs, as “stubborn defence” of “old ways and traditional prerogatives”. 10 German historian Hermann Joseph Hiery calls the Sokehs Rebellion a “reactionary, traditionalist revolt” against an oppressive transformation of the social system. 11 By any account, the second uprising of Sokehs was a momentous act of indigenous resistance against German colonial rule in the South Seas. 12 In 2010, German historian Thomas Morlang published a comprehensive and detailed monograph about this rebellion in the South Seas. 13 From a postcolonial perspective, the fieldwork of the American anthropologist Paul Ehrlich offers valuable insights. His “primary object” was “to present a perspective which reflects a Ponapean assessment” of the events. He collected his data in 1973 /74 during 16 months of research on Ponape. Ehrlich then checked the “testimony of the Ponapeans” against the “German accounts”. 14 As I wanted to comprehend how 7 8 9
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Hempenstall, Peter J.: Pacific Islanders…, op. cit., pp. 86–89, 218. Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee. Der Aufstand auf Ponape gegen die deutschen Kolonialherren 1910/11, Berlin 2010, pp. 9–10. Telegram from S. M S. Emden. Bundesarchiv Berlin, Reichskolonialamt ( = RKA) 3009, received in Berlin on 4. 3. 1911, sheets 292 f. (426 deportees). Cf. Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., p. 35 (460); Bernart, Luelen: The Book of Luelen…, op. cit., p. 144 (“over four hundred”); Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., p. 137 (426, up to 470); cf. Krug, Alexander: ‚Der Hauptzweck ist die Tötung von Kanaken‘. Die deutschen Strafexpeditionen in den Kolonien der Südsee 1872–1914, Marburg 2005, p. 345. Hempenstall, Peter J.: Pacific Islanders…, op. cit., p. viii. Hiery, Hermann Joseph: Das Deutsche Reich in der Südsee. 1900-1921. Eine Annäherung an die Erfahrungen verschiedener Kulturen, Göttingen 1995, p. 284. Krug, Alexander: ‚Der Hauptzweck....‘, op. cit., p. 313. See my review in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, no. 4, Berlin 2011, pp. 632–633. I follow Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit. in my historical account, however setting my own priorities when summarizing the events and reinterpreting the source materials. Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., pp. iv, 5.
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these events are commemorated, I travelled to Pohnpei in February and March 2016. In February 2017, I visited Palau and the archive of the Micronesian Seminar in Chuuk. The rationale for this chapter is found in the MicSem’s Olaf Halle collection of photographs, covering the events. 15 In Chuuk, I also discussed the Sokehs Rebellion with students of Xavier High School. The issue behind this research is whether Sokehs deserves an official public apology as well as a compensation for the consequences of German colonization. THE UPRISING In 1909, the German colonial administration of Ponape set to work on abolishing what they perceived as the local system of ‘feudal land tenure’. 16 Even today, the documentation, which came along with the introduction of private land ownership, is referred to as the ‘German deed’ in Pohnpei. In exchange for their ‘liberation’, the colonizers forced the Ponapean men in the age group between 16 and 45 to work on road-construction sites for two weeks per year. 17 The German administrator Gustav Boeder demanded in 1910 that Sokehs should work for one month, as its people had not joined the program during the previous year. 18 As they disapproved of the work overload, tensions were already high when the conflict escalated during their compulsory labor period. The German colonial masters wanted them to build a road around Sokehs Island, west of Ponape’s capital town Kolonia. Sections of the German Road are still visible today. Cutting a road through the coastal rainforest must have been exhausting. The Ponapeans rightly suspected that the German rulers had the intention to introduce taxes. Boeder’s predecessor Georg Fritz had declared that this infrastructure work would serve “all natives”. 19 The route of this back road on Sokehs Island provided no immediate benefits for the colonial economy. The compulsory labor however had an end in itself, producing a disciplined workforce.
15 Some of the original photographs of this collection appear in auctions on ebay. 16 Fritz, Georg: Ad majorem Dei gloriam! Die Vorgeschichte des Aufstandes von 1910/11 in Ponape, Leipzig 1912, p. 18. 17 Ibidem, p. 41; cf. Hambruch, Paul: Ponape…, op. cit., vol. 1, p. 285; Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., p. 65. 18 Fritz, Georg: Ad majorem Dei gloriam!..., op. cit., pp. 55, 57. 19 Cf. ibidem, p. 41. When Georg Fritz assumed responsibility for the German colonial administration on Ponape in 1908, he assured his subjects that he had no intention of introducing taxes. He spoke about “Arbeiten […], die der wirtschaftlichen Hebung des Landes dienen und wiederum allen Eingeborenen zugute kommen.” A German newspaper however stressed the compulsory nature of the road construction (“mit Hilfe des Arbeitszwanges”), cf. Anonymous: Die Karolinenrevolte, in: Berliner Tageblatt, no. 650, 28.12.1911, p. 1. A later edition of the same newspaper clearly acknowledged that the Ponapeans were subjected to taxation: “Die Eingeborenen der deutschen Siedelungen der Südsee sind gehalten, eine Kopfsteuer in Gestalt von Arbeit beim Straßenbau zu leisten.” Cf. Anonymous (correspondent from Sydney): Die Ermordung deutscher Beamten auf den Karolinen. in: Berliner Tageblatt, no. 55, 30.1.1912, pp. 1–2, here p. 2.
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On the 17th of October 1910, a German supervisor blamed the worker Lahdeleng for being disobedient and denounced him to the German administration in Kolonia. Boeder ordered punishment with ten cane strokes. 20 The subsequent execution was left to Melanesian police soldiers. The details of their action are disputed. 21 The beating of Lahdeleng was enough reason for the men of Sokehs to go on strike on the morning of October 18. They threatened the German overseers who retreated to the Catholic mission station at Danipei. When Boeder received the news, he took a boat together with his secretary Rudolf Brauckmann and an escort of two Ponapean servants and five Mortlock Islanders. After the boat had landed on Sokehs Island, Lepereren en Sokehs seriously wounded Boeder with a gut shot. His brother Soumadau en Sokehs, the actual leader of the rebellion, then killed Boeder with a gunshot in the head. The rebels mutilated the body and Lap en Matau chopped off Boeder’s left forearm. Brauckmann and the two German supervisors were killed while trying to escape to the boat, together with five of the crew members. The rebels however allowed the two German Capuchin missionaries to get away. 22 When visiting the scene today, people are still able to point out a rock where a woman once found Boeder’s limb. She took care of his wedding ring and later, she handed it over to the colonial administration. In return, the Germans spared her family from deportation and they continued living on Sokehs Island. I visited their house, where I met Tony Martin who told me this story about his great-grandmother. 23 In 1910, just a few months before the events, the German anthropologist Paul Hambruch did fieldwork on Ponape. He ascribes the fact, that the Sokehs rebels were mutilating Boeder’s corpse and urinating on his dead body to Ponapean tradi20 Girschner, Max: Unruhen auf Ponape. Bundesarchiv Berlin, RKA 3009, 20.11.1910, sheets 103-113, here sheet no. 103. Cf. Hempenstall, Peter J.: Pacific Islanders…, op. cit., p. 103; Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., p. 75. Cf. Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., pp. 164–165: German sources claim that Lahdeleng had been lazy and disrespectful, while “the Ponapean story is that Lahdeleng was seeing a young Ponapean girl who was working as a servant at Hollborn’s house on Sokehs. They claim that Hollborn was furious when he learned about it, and that this is why he sent Lahdeleng to Boeder. The woman, who was alive in 1974, claims she visited Sokehs only once at the invitation of Hollborn’s Ponapean mistress. She stated that as she, Hollborn, and his mistress were about to return to Kolonia by canoe, Lahdeleng raced along the shore and jumped into the water. Hollborn laughed at the time, but sent Lahdeleng to the Governor the next day, October 17, 1910.” 21 For a discussion of various controversial topics see Sack, Peter: The ‘Ponape Rebellion’ and the Phantomisation of History, in: Journal de la Société des océanistes, no. 1, Paris 1997, pp. 23–38, here pp. 27–28. 22 Girschner, Max: Unruhen auf Ponape…, op. cit., sheet 104; cf. Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., p. 20. For details see Schönleber, Eduard: Gerichtsprotokoll. Bundesarchiv Berlin, RKA 3010, 22./23.2.1911, sheets 26–102, e. g. sheets 34–35, and Lepereren’s confession on sheet 38; for the ‘hand’ see sheet 56–58. For further details see: Anonymous: Ein starkes Weib, in: Aus den Missionen der rheinisch-westfälischen Kapuziner-Ordensprovinz auf den Karolinen, Marianen und Palau-Inseln in der deutschen Südsee. Jahresbericht 1912, Oberginingen 1912, pp. 20–21. Cf. Hempenstall, Peter J.: Pacific Islanders…, op. cit., pp. 104 f.; Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., pp. 75–79. 23 Cf. Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., p. 206.
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tions of expressing scorn for their enemies (“Verhöhnungen gefallener Feinde nach alter Ponape-Sitte”). 24 The colonizers perceived the events of October 18 as barbaric acts of cruelty and infamous desecration of several of their fellow countrymen’s bodies. 25 From a postcolonial perspective however, these ‘morally objectionable primitive customs’ should be analyzed and reevaluated as imperatives of anticolonial resistance. In a colonial situation, the rebellious group requires that each member should perform an irrevocable action. All those who are personally accountable for public atrocities will not be able to join forces with the colonial oppressors again. Therefore collective violent action forms strong bonds among the members of the resistance movement. Frantz Fanon explains the functions of outbursts of violence in a colonial situation: They are necessary for the colonized to abandon their inferiority complex, and they serve the creation of self-respect among them. 26 The bodies of Boeder and the other Germans killed in the initial confrontation were found drifting in the sea on October 19, 1910. They were buried on the very same day at the German Cemetery of Kolonia. 27
Figure 1
At the German Cemetery of Kolonia, the headstone of Gustav Boeder’s grave is well preserved
24 Hambruch, Paul: Ponape, vol. 2: Gesellschaft und geistige Kultur, Wirtschaft und stoffliche Kultur (Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908–1910, edited by Thilenius, Georg), Hamburg 1936, p. 302. Cf. Peterson, Glenn: Hambruch’s Colonial Narrative. Pohnpei. German Culture Theory, and the Hamburg Expedition Ethnography of 1908–10, in: The Journal of Pacific History, no. 3, London 2007, pp. 317–330. 25 For details see the minutes of the trial, Schönleber, Eduard: Gerichtsprotokoll…, op. cit. 26 Fanon, Frantz: The Wretched of the Earth. Translated by Constance Farrington, New York 1963, pp. 85–86, 94. 27 Girschner, Max: Unruhen auf Ponape…, op. cit., sheet 107.
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The government physician of the German colony, Max Girschner, became in charge of organizing the defense of Kolonia. More than 200 rebels stood against a small number of Germans reinforced by up to 50 Melanesian police soldiers. 28 The sheer numerical superiority of the Sokehs rebels would have allowed them to overpower the German defense forces. However, they hesitated to overrun Kolonia. Paul Ehrlich suggested ascribing the fatalistic approach of the rebels to warfare at least in part to local mythology. 29 Pohnpei is home to an ancient megalithic city by the name of Nan Madol dating back to the 12th century. On the artificial island of Pan Katera, four corners of the islet were reputed to be constructed from boulders by representatives of four different groups of people from Ponape and Kosrae. The legend said if one corner were to fall, so would that group of people. Based on the magic principle of similarity, the power of the Sokehs kingdom was thus magically connected to this wall of stone blocks. The kingdom would stand for so long as this wall will stand. In September 1910, the Sokehs corner spontaneously crumbled. 30 The story may have turned into a self-fulfilling prophecy, demoralizing the people of Sokehs, as they expected their nemesis. It may be possible to support Ehrlich’s thesis by reading documents ‘against the grain’. Finding the German yoke unbearable, the highest chief in Sokehs, the Wasai, fatalistically informed the German medical doctor in a letter that his people would ‘rather die than being treated like pigs’. 31 In this decisive moment of fatal paralysis, the rebels lost their strategic advantage. Their indecision gave Girschner enough time to call in a superior relieve force of hundreds of indigenous warriors from all other districts of Ponape, 32 who united with their colonial masters against the Sokehs rebels. At first, the defendants reinforced the once dismantled parts of the Spanish wall 33 which still stands in the center of Kolonia.
28 Ibidem, sheet 105; Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., p. 18, cf. Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., p. 79. 29 Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., pp. 22, 163, 167, 207; cf. Hempenstall, Peter J.: Pacific Islanders…, op. cit., pp. 104, 215. 30 Hambruch, Paul: Ponape, vol. 3: Die Ruinen. Ponapegeschichten (Ergebnisse der SüdseeExpedition 1908–1910, edited by Georg Thilenius), Hamburg 1936, p. 27; cf. Bernart, Luelen: The Book of Luelen…, op. cit., p. 30. 31 Girschner, Max: Unruhen auf Ponape…, op. cit., sheets 107 ff. 32 Ibidem, sheet 106. District administrator Georg Fritz had offered the chiefs compensation money for their participation in the land reform. Cf. Fritz, Georg: Ad majorem Dei gloriam!..., op. cit., p. 41, and Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., p. 145. Francis X. Hezel suggests that the chiefs outside of Sokehs supported the German government because they might have needed this money “since so many were in debt to Henry Nanpei, among others, for store-bought goods on credit” (Email to Thomas Schwarz, 17.3.2019). 33 Girschner, Max: Unruhen auf Ponape…, op. cit., sheets 106–107.
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COLONIAL TERROR The first German ship to report the news arrived in Kolonia at the end of November. During the first two weeks of December, the Germans managed to bring in a ‘colored police force’ and dismissed most of their Ponapean auxiliary forces. 34 It took the navy until January 10 to concentrate an anti-insurrection taskforce around Sokehs Island. The flotilla included three cruisers (Emden, Nürnberg, Cormoran) and a surveying vessel (Planet). 35 The tropical nature of the Pacific island turned out to be a natural ally of the rebels. 36 A German military report points out that at Ponape, mangrove swamps surrounded the area. These swamps complicated any landing operation. Coral reefs protected the island. Narrow passages made it dangerous to approach the island with vessels. Topographical charts were not available. Surveying and mapping of the area around Sokehs Island were therefore essential tasks for the preparation of the German assault. 37 The German navy carefully planned the fields of fire for each of their vessels. It is this very specific topography of Ponape, which makes the Sokehs Rebellion an exemplary ‘Pacific’ case. Together with the new civilian German government official, Hermann Kersting, the military commander of the vessel Emden, Waldemar Vollerthun, determined the objectives of the operation. First, they wanted to “catch or kill all the leaders of the rebellion and the murderers”. Furthermore, the natives should “be inspired with respect for the German power”. 38 Kersting issued an instruction that gave permission to the German military forces to fire on individuals with firearms. In the wilderness, they should also shoot at the companions of the resisters. In German, the target group was defined as “Träger von Schusswaffen und, in der Wildnis, auch […] ihre Begleiter”. It is important to recognize that this instruction is a general license to shoot at men, women and children alike. Kersting listed the rebels who should be captured or shot down as if they were wild animals. 39 The German punitive expedition aimed at “extermination or capture of all insurgents” (“Vernichtung oder Gefangennahme aller Aufständischen”). The “re34 Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., pp. 27–28; cf. Gartzke, Willy: Der Aufstand in Ponape und seine Niederwerfung durch S. M. Schiffe ‘Emden’, ‘Nürnberg’, ‘Cormoran’, ‘Planet’, in: Marine-Rundschau. Wissenschaftliche Zeitschrift für Marinefragen, no. 6, Berlin 1911, pp. 703-738, here pp. 707–708. 35 Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., pp. 708, 713. Cf. Siemens, Werner: Der Aufstand auf Ponape 1910/11. Bundesarchiv/Militärarchiv (Freiburg) N 420, 1914. 36 Cf. Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., p. 22: “Jokas ist eine von der Natur selbst begünstigte, natürliche Festung. Das weite flache Riff ist einer Landung sehr gefährlich”. 37 Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., pp. 704, 711. Cf. Militärpolitischer Bericht (Emden/ Cormoran), Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg, RM 2/1869, 18.3.1911, sheets 16–17. 38 Ibid., p. 713: “Den Eingeborenen mußte Achtung vor der deutschen Macht eingeflößt werden.” Cf. the English translation by Tilgenkamp, Ivan: The Rebellion on Ponape and its suppression by HMS “Emden,” “Nurnberg,” “Cormoran,” and “Planet”. Typewritten (1970). National Library of Australia, online available at http://nla.gov.au/nla.obj-271457482 (20.11.2016), here p. 18. 39 The wording in the German document reads as “gefangen oder abgeschossen”. Kersting, Hermann, RKA 3009, 24.1.1911, sheets 322 ff., cf. RKA 3010, 27.1.1911, sheet 159.
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bellious tribe” (“aufsässige Stamm”) was destined for expropriation from its land and a permanent banishment. 40 It is symptomatic for the colonial mindset that the language of ‘annihilation’ slips so easily into colonial discourse when the utilitarian agenda of the colonizers is resisted.
Figure 2
Positions of the three German cruisers and their fields of fire 41
On the 29th of December, the first fatal incident in the conflict following the initial confrontation may have claimed between three and ten victims among the rebels, but they also shot the Melanesian police soldier Tombole in the head. The German lieutenant Freiherr Spiegel von und zu Peckelsheim reports in his booklet on the ‘punitive expedition’ that the enemy had atrociously maimed and decapitated the corpse. Hence, he denounces the insurgents as “infamous beasts” (“Bestien, infame”). 42 Michel Foucault once explained that the discourse of power creates monsters. 43 Colonial discourse invests indeed a lot of rhetorical energy into creating a fama of infamy around the rebels. Its mythology conjures up pejorative connotations with the message that these rebellious islanders are unworthy of being included into the collective memory of mankind. 44 Colonial discourse bans the 40 Kersting, Hermann, an das Kaiserliche Gouvernement in Rabaul, RKA 3010, 10.6.1911, p. 2. Cf. RKA 3010, sheet 128. 41 Cf. Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., chart B. Highlighting added by Thomas Schwarz. 42 Spiegel, Edgar Freiherr von und zu Peckelsheim: Kriegsbilder aus Ponape. Erlebnisse eines Seeoffiziers im Aufstande auf den Karolinen, Stuttgart 1912, pp. 93, 96. Cf. Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., p. 712; and Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., pp. 28–29. 43 Foucault, Michel: Das Leben der infamen Menschen, translated by Walter Seitter, Berlin 2001, pp. 26–27. 44 Ibidem, pp. 15–16, 22–23.
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name of the infamous rebel Nanaku, who had disfigured the body of Tombole, to the dusty archive of court records. 45 On the morning of the 13th of January, the methodical bombardment of the position of the rebels on Sokehs Island began. 46 The assault with naval artillery was followed by a landing operation. The German troops, essentially the Melanesian police force, drove the rebels from the ridge of the island. The authoritative German military report mentions three casualties among the rebels. 47 One of them was Noahs Sokehs, a brother of the rebel leader Soumadau. 48 A Ponapean song records the legitimate rhetorical question of a fighter: “What am I,/That I should go against the heavy artillery?” 49 Despite a German blockade, the insurgents managed to withdraw to the main island. There, the Germans continued their campaign by shelling rebel settlements. They pursued a scorched-earth strategy to deprive their enemy of food, “ein systematisches Vernichten der Farmen und damit eine Unterbindung der Ernährung der Aufständischen”. 50 Houses were burnt down and occasionally an insurgent was shot in the bush. 51 Lieutenant Spiegel celebrates the German strategy, addressing his troops: Do you still remember how we raged in the brimming fruit orchards of Ponape, how the wealth of a whole people was squandered and destroyed by you in a few days? [...] Do you remember how we passed through the flowering land, burning and scorching, the fumes of burning villages as a signpost during the day, a glowing torch at night? 52
Spiegel’s memories are marked by a sadistic lust of a proud colonizer who derives pleasure from colonial violence. He pursued his career as a commander of a submarine in World War I and wrote about his ‘adventurous’ erotic experiences on the Marshallese Island of Jaluit. In 1942, he reached the rank of an SS Oberführer. 53 There seems to be a glaring difference between Spiegel’s imposing fiction45 Cf. the interrogation of Nanaku, in: Schönleber, Eduard: Gerichtsprotokoll…, op. cit., sheets 52–53: The German assessors agree that the disfigurement of their enemies’ corpses is common among ‘primitive people’. 46 Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., p. 715. 47 Ibidem, p. 717. 48 Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., p. 177: Soumadau’s “older brother, who held the title Noahs Sokehs, climbed a tree to get a better view of the Germans. But someone noticed him through a telescope, and the naval guns shot at him. One shell hit the tree and exploded; as the tree toppled, Noahs fell dead.” 49 Anonymous: Well-known Song about Sokehs Rebellion, in: Program for the Reception in Honor of Reverend Hugh F. Costigan on the occasion of his Golden Jubilee as a Jesuit (Archive of the Micronesian Seminar in Chuuk), 16.5.1982, verse 7. 50 Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., p. 720. 51 Ibidem, pp. 721–722, cf. Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., pp. 104 ff. 52 Spiegel, Edgar Freiherr von und zu Peckelsheim: Kriegsbilder aus Ponape…, op. cit., p. III: “Wißt ihr noch, wie wir gehaust haben in den strotzenden Fruchtgärten Ponapes, wie der Reichtum eines ganzes Volkes in wenigen Tagen von euch verschleudert und vernichtet wurde? […] Wißt ihr’s noch, wie wir sengend und brennend durch das blühende Land zogen, wehende Rauchsäulen verbrennender Dörfer als Wegweiser des Tags, als leuchtende Fackel des Nachts?” 53 Isphording, Bernd: Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Amtes, edited by Historischer Dienst des Auswärtigen Amtes, vol. 4, Paderborn 2012, pp. 310–311. Cf. Spiegel, Edgar Freiherr von und zu Peckelsheim: Das Mädchen unter den drei Bäumen. Ein Südseero-
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alization of the German campaign and the consequences for German marines in the jungle. The bulk of the rebel forces switched to guerrilla warfare in Ponape. They evaded a direct confrontation and withdrew further inland to a position on Nankiop mountain. 54 When the Germans attacked on January 26, 1911, the rebels killed not only a Melanesian police soldier but also a lieutenant by the name of Otto Erhard and a marine called Josef Kneidel. 55 Their tombstones are still in Kolonia’s German Cemetery. A third tombstone carries the name of Rudolf Günther, a marine, who was deployed to Sokehs Island as a member of the German occupation troops. On the 24th of January, he was shot in the stomach from a thicket and died three days later. 56 On January 27, the three marines were buried 57 A memorial stone was unveiled in July 1911. 58
Figure 3
Tombs of Otto Erhard, Josef Kneidel, Rudolf Günther († 1911) 59
The last mountain hide-out of the rebels was a cave called Impeip. When the German troops arrived there, they found the cave empty. 60 By then the rebels were so starved that they were unable to continue the fight. One group after the
54 55 56 57 58 59 60
man, Berlin 1931; idem: Meere Inseln Menschen. Vom Seekadetten zum U-Bootkommandanten, Berlin 1934. Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., p. 722. Ibidem, p. 724. Ibidem, pp. 726–727. Ibidem, p. 727. Cf. Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., p. 154. Photograph from the archive of the Micronesian Seminar, Chuuk, collection of Olaf Halle ©. Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., p. 731.
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other surrendered. Soumadau en Sokehs turned himself in on February 13, 1911. Ten days later, the Germans had taken the whole populace of Sokehs captive. 61 Hermann Kersting declared the trial against the rebels on February 23 to be a military “Standgericht”. 62 The ‘drumhead court martial’ did not provide any defense lawyers. It condemned 17 to death. Two of these persons were already deported to Yap. They thus escaped execution. On the 24th of January, the German “Strafexpedition”, the punitive expedition, reached its climax. The 15 convicts were bound to trees. According to the German sources, one of the rebel leaders called Samuel shouted ambiguous last words, demanding from the people of Ponape not to follow their example. Then a firing squad of Melanesian police soldiers simultaneously shot the rebels. 63
Figure 4
The marble plate to commemorate the three German marines in 2016
The execution was a well-rehearsed ceremony to instill the utmost fear in the local populace. A telegram from the Emden explains that the quick and “thorough com61 Ibid., p. 734. Cf. Vollerthun, Waldemar: Bericht über die Aktion gegen Ponape (Emden), Bundesarchiv Freiburg. RM 2/1869, 3.5.1911, sheet 41. 62 Schönleber, Eduard: Gerichtsprotokoll…, op. cit., sheets 26ff. 63 Vollerthun, Waldemar: Bericht über die Aktion…, op. cit., sheets 42–43, cf. Schönleber, Eduard: Gerichtsprotokoll…, op. cit., sheet 97, cf. the list on sheets 94–95, and Kersting’s final judgement on sheets 100f. Cf. Gartzke, Willy: Der Aufstand…, op. cit., pp. 735–736. (Samuel: “Nehmt euch ein warnendes Beispiel an uns und lebt besser als wir”; cf. Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., p. 34. Ehrlich ascribes these last words to Soumadau: “You young men, don’t follow our example” (Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., p. 183). Cf. Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., pp. 131–133.
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pletion” had made a “deep impression on the entire population” of Ponape. 64 The effect of this colonial terror was a collective traumatic shock, 65 It represented German colonialism as an emotional regime of shock and awe that was to be collectively remembered for a long time to come. Cultural memory of what the victims endured, should also include the fact that the German colonial power punished the population of Sokehs collectively by deportation into exile. Initially, the main group was forced to work for a German company in the phosphate mines of Angaur in the archipelago of Palau. At the end of 1911, the diasporated people of Sokehs on Yap and Angaur was concentrated in the village of Megér on Palau’s main island Babeltaob, where they fell into poverty. According to a German missionary, they were forced into “dishonest” breadwinning 66 – maybe theft if not prostitution. Underfeeding and diseases took their toll and the birth rate fell sharply. 67 After the Japanese military seized Ponape in the First World War, they allowed the people of Sokehs to return (1917–1927). By that time, the German colonial power had sold their land or settled it with people from the islands of Pingelap, Mokil and Mortlock. The returnees had become strangers in their own land. In 1947, a census recorded a mere 242 residents from this group. 68 This implies a massive decline in population within just 36 years. COMMEMORATIONS AND FURTHER CONSEQUENCES An early example of a lyric commemoration of the events is a Lament, composed by Likonpanui. She was a member of Soumadau’s clan and probably made use of first-hand information. 69 Her song recalls that the rebels defiled and misused the 64 Cf. RKA 3009, sheet 293, received in Berlin on 4.3.1911, cf. sheet 292. Cf. Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., p. 34: “Das Ganze machte einen unheimlich tiefen Eindruck, auch auf die Eingeborenen”. 65 Cf. Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”, op. cit., p. 183: “These details of the execution are regularly described by eyewitnesses who say that all the Ponapeans present were shocked.” 66 Müller, Placidus: Die Jokojleute in Aimeliik. April 1912, in: Aus den Missionen der rheinischwestfälischen Kapuziner-Ordensprovinz auf den Karolinen, Marianen und Palau-Inseln in der deutschen Südsee, Jahresbericht 1912, Oberginingen 1912, pp. 26–29, here pp. 28–29. Cf. Lotte Pechstein, the wife of German expressionist painter Max Pechstein bought products sold by Ponapeans on the 26.7.1914, during their sojourn on Palau. Pechstein, Max/Pechstein, Lotte: Reisetagebücher, in: Soika, Aya (ed.): Der Traum vom Paradies. Max und Lotte Pechsteins Reise in die Südsee, Bielefeld 2016, pp. 108–214, here p. 152. 67 Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., p. 140. 68 Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., p. 191; cf. Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., pp. 9–10, 136–142. See also Hezel, Francis X.: Strangers in their own Land. A Century of Colonial Rule in the Caroline and Marshall Islands, Honolulu 1995, pp. 142, 191. When I visited Palau in February 2017, I met a woman who is a descendant of people from Sokehs, due to an intermarriage into the local Sohl family. She pointed out a catholic cemetery close to the village of Megér in Aimeliik for me, where those, who had died in Palau were buried. 69 Likonpanui (Christian name: Atina): Lament for the Jaumatau of Jokaj, in: Bernart, Luelen: The Book of Luelen…, op. cit., pp. 177–180. For her image see Hambruch, Paul: Ponape…, op. cit.,
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German district administrator Boeder after killing him. 70 The composition also recalls that a “great bombardment” was “causing fear” to the people of Sokehs, so much so that “they were demoralized”. The text turns a critical spotlight on the fact that all the other Ponapean “states have joined with the foreigners” in “hunting” Soumadau. 71 Another Ponapean song re-enacts a last dialogue between Soumadau and his brother. When the new district administrator Kersting notifies the rebel leader that he should prepare for execution, Soumadau asks for permission to “put on good clothes and then die”. Lepereren replies: “What clothes would you have? THESE ARE THE CLOTHES OF MEN THAT WE WEAR.” 72 The 24th of February is a public holiday for Sokehs. I participated in the celebrations of 2016. Its banner proclaimed a “New Rebellion”. That year’s event promoted a healthier lifestyle among pupils. 73 I also visited the graveyard for the insurgents executed back in 1911 in Kolonia. At that time, the enclosure of this location of memory was partly dilapidated. There was a rickety display case propped up with battens. On display was a text written by Etsuko Sato as literature for young people. 74 This text did not live up to the expectations of readers who were looking for reliable historical information. For example, not even the names of the executed rebels were mentioned. In February 2017, I taught students of Chuuk’s Xavier High School about the history of the Sokehs Rebellion. In the ensuing discussion, they critically compared the situation of the German Cemetery and the memorial for the rebels. Those from Sokehs among the students unanimously opposed the idea to celebrate the so far local holiday of the Rebellion Day for the Sokehs community as a public holiday all over Micronesia. Their reason for this was that the other communities of Ponape had not supported the rebellion. 75 In April 2018, the Pohnpei State Government together with the Government of Micronesia invited contractors to hand in proposals for the creation of a Sokehs
70 71 72 73 74
75
vol. 1, plate 17; cf. Fischer, John L./Riesenberg, Saul H./Whiting, Marjorie G. (eds.): Annotations to The Book of Luelen, Honolulu 1977, pp. 135–136. Likonpanui (Christian name: Atina): Lament…, op. cit., p. 178. Ibidem, p. 179. Anonymous: Well-known Song…, op. cit., verses 17–18. Super User: The Sokehs Rebellion – 2016, in: The Kaselehlie Press, 10.4.2016, online availabe at http://www.kpress.info/index.php?option=com_content&view=article&id=250&catid=8 &Itemid=103 (9.3.2019). Sato, Etsuko (assisted by Rice, Howard): The Fire of Kumwunlaid Cape. The Story of Sokehs Rebellion, Pohnpei 1998. Based on Sugimura, Mitsuko (1944–2014): The Fire of Regiman. 杉村 光子: レジマンの火 (1981). A printed version of Sato’s brochure is available in in the library of the College of Micronesia in Palikir. Schwarz, Thomas: Remembering the Sokehs Rebellion: Resistance against Colonial Power in Micronesia (1910/11). Presentation at Xavier High School, Chuuk, Micronesia, February 10, 2017. In 2018/19, Francis X. Hezel completed a video on the Sokehs Rebellion using almost entirely island sources. His informants “argue convincingly at the end of the film that the holiday should be for the entire island, not just Sokehs, because of the significance of the events” (Email to Thomas Schwarz, 17.3.2019)).
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Ridge Park. Part of the project is a “Rebellion Site Trail”. 76 The document contains a development plan, elaborated by Takuya Nagaoka. In an online survey he asked for local opinions about the project. One participant insisted that the Sokehs Rebellion against “unjust colonial rule” should be proudly celebrated. This rebellious act should not be criminalized as embarrassing and wrong. Instead, the heroism of those executed and banished should be remembered and respected. 77 On the 25th of October 2018, an “inauguration celebration of a rehabilitation project of the German Cemetery and Sokehs Mass Grave” took place behind Kepinle Church. The German embassy in Manila had donated a few thousand dollars for the project, a large part meant for fencing. German cultural attaché Thorsten Gottfried brought along a “brand new, powerful weed eater for general maintenance”. Such a present could have easily irritated people who were once uprooted like pest plants by their colonial masters. A euphemistic signboard on the new fence states: “Working for Peace – seeking reconciliation across the graves, this cemetery site serves as a historical reminder of events during the German Administration of 1899 to 1914”. 78 As long as it is necessary to protect tombstones for colonial masters and their bluejackets, who violently suppressed an anticolonial rebellion, with a fence, reconciliation remains in my view, wishful thinking. Furthermore, a string trimmer is a present with dubious connotations for the people of Sokehs whom the German navy once so deeply uprooted from their homeland. When reading about the history of the Sokehs Rebellion, fact and fiction become often indistinguishable. 79 It is impossible to determine how many people died during the German campaign. One can assume that the indiscriminate use of naval artillery, machine guns and insidious shrapnel 80 caused more casualties than the few bodies officially counted. Be that as it may, these ‘events’ must have severely traumatized the people of Sokehs. A German novel of the 1980s, Klaus Modick’s The Greyness of the Caroline Islands, claims that the people of Ponape were cultivating “good memories” about German colonial times. 81 It certainly depends on whom you talk to. When I interviewed Tony Martin in February 2016, he still found the expropriation of the people of Sokehs outrageous. The German Cemetery of Kolonia figures prominently in a key moment of the mentioned novel, 82 but the Sokehs Rebellion is subject to complete historical repression. 76 Weilbacher, Lukner B.: Request for proposal. Sokehs WWII historic site, design, construction and beautification (Government of the Federated States of Micronesia, Department of Transportation, Communications & Infrastructure), Pohnpei, 23.4.2018. 77 Nagaoka, Takuya: Sokehs Ridge Park Development Plan: Final Draft. NGO Pasifika Renaissance, 10.10.2017, p. 53. 78 Jaynes, Bill: German Cemetery and Sokehs Mass Grave restored in Pohnpei, in: The Kaselehlie Press, 23.12.2018, online available at http://www.kpress.info/index.php?option=com_ content&view=article&id=1126:german-cemetery-and-sokehs-mass-grave-restored-in-pohnp ei&catid=8&Itemid=103 (10.3.2019). 79 Peter Sack calls this problem ‘phantomisation’, Sack, Peter: The ‘Ponape Rebellion’…, op. cit. 80 Ruppert, Ignatius: Tagebuchblätter…, op. cit., p. 29. 81 Modick, Klaus: Das Grau der Karolinen. Roman (1986), Hamburg 1991, pp. 325 ff. 82 Ibidem, p. 337.
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Two German novels from the 1990s took up the challenge to deal with the rebellion. 83 Especially noteworthy is the ambitious historical novel of Sibylle Knauss. In it unfolds the story of a German protestant missionary and his wife who both develop sympathies with the rebels during their sojourn on Ponape. However, the most influential missionary of the real German Liebenzeller Mission on the spot was a rabble-rouser. During the court proceedings, Sixtus Hugenschmidt, together with his Capuchin counterpart Gebhard Rüdell, pleaded for hanging instead of shooting those whom he perceived as gruesome savages. 84 These missionaries not only assumed the right to decide on whether the rebels should live or die. They demanded an even more humiliating and degrading form of punishment for the leaders of the anticolonial rebellion. The Christian mission was part of the sadist colonial machine and owes the people of Sokehs not only an apology for historical misdeeds but also indemnities. Back in 1911, a missionary sister believed in the deterrent effect of the execution and more so of the deportation. 85 However, resistance did not disappear from Ponape. It took another form. The wife of the above-mentioned pastor, Elise Hugenschmidt, complained in June 1911 about an occasionally hostile attitude of Ponapeans. She had apparently distressed them with her obtrusive visits. 86 Today the missionaries of Liebenzell suggest that their commitment on the islands had not been in vain, because they had eradicated the traditional religion in Micronesia. They blame animism for instilling fear of the spirits into the islanders. 87 They should better blame themselves for their participation in harassing and terrorizing the island population. As the apostles maintain an archive in Germany’s Black Forest, I asked for admission on May 4, 2018. After much deliberation about data 83 Knauss, Sibylle: Die Missionarin. Roman, Hamburg 1997. Even earlier appeared Grümmer, Gerhard: Ponape im Aufstand. Roman, Berlin 1991. 84 Schönleber, Eduard: Gerichtsprotokoll…, op. cit., sheets 30–31, cf. Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., p. 126. 85 Seibold, Käthe: Etwas über Elias und die Folgen des Aufstands (13.4.1911), in: Der Missionsbote aus der deutschen Südsee, no. 9, Dinglingen 1911, pp. 68–69, here p. 68: “nun werden sich die Ponapeleute ja hüten, wieder so etwas zu tun. Den Verbannten wird ihre Strafe wohl viel saurer als denen, die erschossen wurden, denn die Ponapeleute verlassen ihr Land sehr ungerne”. 86 Hugenschmidt, Elise: Von unserem Missionsfeld. In Japalapap (9.6.1911), in: Der Missionsbote aus der deutschen Südsee, no. 11, Dinglingen 1911, pp. 83–85, here p. 84: “Gar oft merkten wir, daß es den Leuten gar nicht so angenehm ist, wenn wir sie besuchen und dadurch in ihrem alten gewohnten Leben und Treiben stören; man spürte sogar oft eine förmliche, feindselige Gegenströmung. Einmal fragte man uns direkt, warum wir denn eigentlich fortgingen, um Besuche zu machen? Sie wissen es eben nicht, daß wir ihr Elend, ihre Sitten und Gebräuche nur kennen lernen wollen, um ihnen durch Gottes Beistand da, wo es fehlt und mangelt, besser helfen zu können.” Cf. Hugenschmidt, Elise: In Japalapap (4.8.1911), in: Der Missionsbote aus der deutschen Südsee, no. 1, Dinglingen 1912, pp. 6–7, here p. 7: “Sie liebten nicht immer unseren Besuch.” 87 “Die traditionelle Religion ist der Animismus, der mit der Furcht vor Geistern verbunden ist. Missionare der Liebenzeller Mission arbeiteten zunächst auf Pohnpei, dann auch auf den Mortlock- und Chuuk-Inseln, später auf Palau, Yap und schließlich Guam. Ihr Einsatz war nicht vergeblich”. Kiess, Christoph: Die Liebenzeller Mission in Mikronesien, online available at http://www.liebenzell.org/weltweit/arbeitsgebiete/mikronesien/ (9.3.2019).
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protection laws, the brothers finally informed me on June 17, that they grant only internal access. Do they have to hide something? In fact, the clandestine archive provides selective access to researchers only. 88 From what is already known, I expect more frank facts from the archived materials than from the mission’s published propaganda brochures. In her internal report to an inspector, the missionary sister Clara Köster mentions with dismay an alliance provoking the church with a polygamous lifestyle, celebrating “free love” among themselves. She denounces them for being rapists. As the government had deported 21 members of the alliance, the Ponapeans accused among others the missionary: “There are many who hate us.” 89 From this specific context it becomes clear that licentiousness 90 was a form of resistance against colonial power. The perpetrators of this infamy were punished with deportation, the same sentence as for rebellion. It seems as if the missionaries were more obsessed with controlling the sexuality of the islanders than with their animism. At the initiative of Philipp Knauss, a team of filmmakers is planning to produce a film adaptation of the novel of Sibylle Knauss. 91 Through this they are set
88 Loosen, Livia: Deutsche Frauen in den Südsee-Kolonien des Kaiserreichs. Alltag und Beziehungen zur indigenen Bevölkerung, 1884–1919, Bielefeld 2014, p. 129. 89 Ibidem, p. 487. Köster, Clara: Brief an den Missionsinspektor, 26.9.1911: Köster talks about bad alliances (“schlechten Bündnissen”), one of them confessing frankly its intentions: “Alle Schlechtigkeiten, die man sich nur denken konnte waren sie bereit auszuführen besonders auf dem Gebiet der Unzucht. Frauen und Mädchen, die ihnen in den Weg traten, wollten sie vergewaltigen, in ihrer Mitte aber der freien Liebe huldigen, obschon viele verheiratete Männer und Frauen darunter sind.” Obviously, they opposed the imposition of Christian matrimonial monogamy: “Das Bundeszeichen haben sie sich entweder oberhalb des Knies oder auf der Wange eingeschnitten. Sie waren auch an einem gewissen Schmuck erkenntlich, der aus vielen aus Haar hergestellten Schnüren oder Perlen bestand. Nun sind diesen Bündnissen [...] von der Regierung der Garaus gemacht, durch Verbannung auf andere Inseln. [...] Die Kolonie ist voll von Leuten, die das Los ihrer Angehörigen und Freunde beklagen und beweinen [...]. Sie sind sehr aufgeregt und klagen die Häuptlinge, den Missionar und die ältesten aus den Gemeinden darüber an. Sie beklagen den Sünder statt die Sünde. – Es sind viele die uns hassen, weil wir ihnen, in deren Munde so viel Göttliches geführt wird, die Gegensätze von Licht u. Finsternis entgegenhalten müssen, aber zu diesem Zweck hat uns der Herr, wenn es auch in Liebe geschieht, unter diese armen Seelen gestellt.” With many thanks to Livia Maria Rigotti who provided this source for me from her collection. Cf. Hiery, Hermann Joseph: Das Deutsche Reich…, op. cit., p. 286. 90 Köster, Clara: Schwere Arbeit (11.4.1911), in: Der Missionsbote aus der deutschen Südsee, no. 9, Dinglingen 1911, p. 69: “Die Macht der Finsternis ist hier eben sehr groß, und die Sünde der Unzucht ist die schlimmste von allen […]. Unsere Knaben laufen auch immer nach Mejijo […], wo viele schlechte Mädchen wohnen. […] Sie finden überall Gelegenheit, wenn wir auch noch so strenge Maßregeln treffen würden […] Aus dem Jugendbund müssen viele ausgeschlossen werden.” Cf. Syring, Adam: Mancherlei Freudenquellen (14.4.1911), in: Der Missionsbote aus der deutschen Südsee, no. 9, Dinglingen 1911, pp. 67–68, here p. 68: “Unkeuschheit und Unwahrheit sind die meist vorhandenen, oder wenigstens die meist zutagetretenden Zwillingssünden auf Ponape.” 91 Klein, Frank: Dunkle Schatten im Südseeparadies, in: Ludwigsburger Kreiszeitung, 23.8.2016, p. 6; cf. the announcement on the homepage of Film- und Fernsehlabor Ludwigsburg, online available at http://www.ffl.de/de/ (22.9.2018).
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to counterbalance the aggrandized self-promotion of the German missionaries, so that their work of art holds out against postcolonial critique. The minutes of the trial in Berlin’s Bundesarchiv are the most important document dealing with the Sokehs Rebellion. The rules of the interrogation distorted the voices of the accused rebels. At least the transcript recorded these voices to a certain degree. Therefore, a German research institution like the German Academic Exchange Service (Deutscher Akademischer Austauschdienst, DAAD) or the Alexander von Humboldt Foundation should provide a scholarship for a translation of this document. A bilingual edition would enable researchers and students at the College of Micronesia to critically analyze and comment on the text. Colonial terror, exercised by gunboats, and a juridical apparatus, handing down death sentences, were decisive instruments to enforce the utilitarian agenda of the colonial enterprise. During the trial, the rebels had their last chance to give meaning to their death. A case-review, based on an ethics of restitution, 92 may conclude that Sokehs has a right to seek reparations from the German government because of the execution, the land expropriation without compensation and the demographic consequences of the deportation. I would like to finish my contribution with an attempt to put together a list of names from this source as compared to three other reconstructions, comprising those, who were sentenced to death. These names are certainly a product of misunderstandings, misspellings and misreading. Instead of hiding them in a secret archive for lives of infamous men, these names should be included in the cultural memory of the Sokehs Rebellion. 93 I would like to express my sincere thanks for their support of my research to Miller Benjamin (Seventh-Day Adventist School, retired principal), Delihna M. Ehmes (College of Micronesia), John Hagleledam (College of Micronesia, former President of Federated States of Micronesia), Francis X. Hezel (former director of the Micronesian Seminar, Chuuk), Tony Martin (National Historic Preservation Office, retired researcher), Bruce Roberts (librarian at the College of Micronesia), Dr. Rufino Mauricio (Secretary of Education, Office of National Archives, Culture and Historic Preservation, National Government of the Federated States of Micronesia), Melba Velosa (archivist at the Micronesian Seminar, Chuuk). Finally, I want to thank Yukio Toyoda for giving me the chance to join Rikkyo University’s Centre for Asian Area Studies and for holding a supportive hand over the project, financed by the Japan Society for the Promotion of Science (JSPS KAKENHI 15K01894: Pacificism. The Pacific as a Space of Resistance and Hybridity).
92 Cf. Mbembe, Achille: Kritik der schwarzen Vernunft, translated by Michael Bischoff, Berlin 2014, p. 331. 93 The German list in Schönleber, Eduard: Gerichtsprotokoll…, op. cit., sheets 94–95; cf. Morlang, Thomas: Rebellion in der Südsee…, op. cit., pp. 129–130; Bernart, Luelen: The Book of Luelen…, op. cit., pp. 144–145; Ehrlich, Paul Mark: “The Clothes of Men”…, op. cit., p. 247; Nagaoka, Takuya: Sokehs Ridge Park…, op. cit., p. 77.
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Figure 5
The German Road on Sokehs Island in February 2016
Figure 6
The Spanish Wall in Kolonia
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Figure 7
Melanesian troops aboard the ship SMS Nürnberg before their landing on Sokehs Island 94
Figure 8
View of Sokehs Island with a ship off shore 95
94 Photograph from the archive of the Micronesian Seminar, Chuuk, collection of Olaf Halle ©. 95 Photograph from the archive of the Micronesian Seminar, Chuuk, collection of Olaf Halle ©.
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Figure 9
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German troops in launches making their landing 96
Figure 10 German troops posing at the fortifications of the rebels at the top of Sokehs Cliff 97 96 Photograph from the archive of the Micronesian Seminar, Chuuk, collection of Olaf Halle ©. 97 Photograph from the archive of the Micronesian Seminar, Chuuk, collection of Olaf Halle ©.
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Figure 11 German troops and Melanesian auxiliaries pose under the flag 98
Figure 12 German troops guarding some of the condemned prisoners after the Sokehs Rebellion. Soumadau en Sokehs is the handcuffed captive in black trousers in the foreground on the left 99 98 Photograph from the archive of the Micronesian Seminar, Chuuk, collection of Olaf Halle ©.
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99 Photograph from the archive of the Micronesian Seminar, Chuuk, collection of Olaf Halle ©.
DER DEUTSCHE BEITRAG ZUR SEPARATION UND ZUR VEREINIGUNG VON SANSIBAR UND TANGANJIKA Harald Sippel
1. EINLEITUNG Zu den vielfältigen Forschungsschwerpunkten von Ulrich van der Heyden gehören unter anderen die deutsche Kolonialgeschichte, das Verhältnis der Deutschen Demokratischen Republik zu afrikanischen Befreiungsbewegungen und die Geschichte der deutsch-afrikanischen Beziehungen. 1 Der vorliegende Beitrag greift Aspekte dieser Themen auf und führt sie zusammen, indem aus rechtshistorischer Perspektive der deutsche Anteil an den Vorgängen untersucht wird, die einerseits zur Trennung Tanganjikas von Sansibar zwischen 1884 und 1890 führten und andererseits ein dreiviertel Jahrhundert später zum Zusammenschluss dieser gerade in die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Nationalstaaten zur Vereinigten Republik Tansania beitrugen. 2 2. DEUTSCHE INTERESSEN IN OSTAFRIKA Bereits seit geraumer Zeit gilt Sansibar vielen Deutschen als Sehnsuchtsort. Dies begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als der Sansibar-Archipel aufgrund seines Wohlstands infolge des internationalen Handels mit Gewürzen, Elfenbein und Sklaven von europäischen und amerikanischen Kaufleuten und Reisenden als bedeutendstes Wirtschaftszentrum Ostafrikas angesehen wurde. Überschwängliche Beschreibungen dieses „ostafrikanischen Paradieses“ und seines Reichtums in Berichten, Zeitungsartikeln und Büchern lenkten zunehmend das Interesse auf Sansibar und den dort regierenden Sultan, der auch über weite Teile
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Siehe dazu das umfangreiche Schriftenverzeichnis von Ulrich van der Heyden im Anhang zu diesem Buch. Dieser Beitrag beruht auf der erheblich veränderten Fassung meines Vortrags „German Involvement in the Processes of Separation and Unification of Tanganyika and Zanzibar“, den ich im Rahmen des von der Juristischen Fakultät der Universität Daressalam im Nyerere Lecture Theatre ausgerichteten Symposiums anlässlich des 45. Jahrestages der Vereinigung von Tanganjika und Sansibar am 8. Mai 2009 gehalten habe.
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im zu Tanganjika 3 gehörenden ostafrikanischen Küstengebiet herrschte, das sich gegenüber dem Sansibar-Archipel erstreckte. Abenteurer aus Europa wurden auf Ostafrika aufmerksam und versuchten, Zugang zu den Quellen des Reichtums Sansibars zu erhalten, indem sie sich anschickten, das ostafrikanische Küstenhinterland und die dort lebende Bevölkerung unter ihre Kontrolle zu bringen. Das bekannteste und aufgrund seiner unerbittlichen Vorgehensweise zugleich fragwürdigste Exemplar dieser Gattung war der deutsche Gelehrte Carl Peters (1856–1918), 4 der mit seiner Initiative zur Kolonisation Ostafrikas den Grundstein für die Abspaltung des ostafrikanischen Festlandes (Tanganjika) von Sansibar im ausgehenden 19. Jahrhundert legte. 5 3. PROZESS DER SEPARATION ZWISCHEN SANSIBAR UND TANGANJIKA Die Trennung zwischen Sansibar und den vom Sultan von Sansibar beherrschten Gebieten entlang der ostafrikanischen Festlandküste erfolgte zwischen 1884 und 1890 in sieben Schritten. 3.1. Deutsche Gebietserwerbungen in Ostafrika Am 28. März 1884 wurde in Berlin die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ gegründet. Der Gesellschaftszweck bestand darin, im Hinterland der ostafrikanischen Küstenorte Bagamoyo und Pangani Land zur Errichtung eines privaten Kolonialgebiets zu erwerben, zu erschließen sowie wirtschaftlich zu nutzen und dort 3
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Die Bezeichnung „Tanganjika“ für das Areal des heutigen Festland-Tansania entstand allerdings erst nach dem Ersten Weltkrieg mit der Gründung des britischen Mandatsgebiets „Tanganyika Territory“. Siehe dazu Iliffe, John: A Modern History of Tanganyika, Cambridge 1979, S. 247. Vgl. Perras, Arne: Carl Peters and German Imperialism 1856–1918. A Political Biography, Oxford 2004. Siehe zur frühen Kolonialgeschichte Ostafrikas die Werke von Bückendorf, Julia: „SchwarzWeiß-Rot über Ostafrika!“ Deutsche Kolonialpläne und afrikanische Realität, Münster 1997; Büttner, Kurt: Die Anfänge der deutschen Kolonialpolitik in Ostafrika, Berlin 1959; Koponen, Juhani: Development for Exploitation. German Colonial Policies in Mainland Tanzania, 1884–1914, Helsinki/Hamburg 1995, S. 55–85; Müller, Fritz Ferdinand: Deutschland – Zanzibar – Ostafrika. Geschichte einer deutschen Kolonialeroberung 1884–1890, Berlin 1959; Schneppen, Heinz: Sansibar und die Deutschen. Ein besonderes Verhältnis 1844–1966, Berlin 2006, S. 65–395. Zu rechtshistorischen Aspekten in der kolonialen Frühzeit Ostafrikas siehe die Untersuchungen von Richter, Klaus: Deutsches Kolonialrecht in Ostafrika 1885–1891, Frankfurt am Main 2001; Sippel, Harald: Recht und Herrschaft in kolonialer Frühzeit. Die Rechtsverhältnisse in den Schutzgebieten der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (1885– 1890), in: Heine, Peter/van der Heyden, Ulrich (Hrsg.): Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald, Pfaffenweiler 1995, S. 466–494.
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Handel zu betreiben. Noch in den letzten Monaten des Jahres 1884 reiste Carl Peters zusammen mit drei Begleitern nach Ostafrika und erwarb für seine Kolonialgesellschaft im besagten Küstenhinterland innerhalb von 37 Tagen aufgrund juristisch fragwürdiger Verträge mit insgesamt zwölf als „Hoheit“ oder „Sultan“ bezeichneten lokalen Notabeln Gebiete, die sich über eine Fläche von ungefähr 140.000 km² erstreckten. 6 In den Vertragswerken übertrugen die afrikanischen Notabeln sämtliche Souveränitätsrechte und das Grundeigentum ihrer jeweiligen Gemeinschaft an Carl Peters‘ Gesellschaft. 7 Als Gegenleistung erhielten sie vor allem Decken, Gebrauchtkleidung, Glasperlen und Spirituosen. Allerdings zweifelte sogar selbst Carl Peters an der Gültigkeit dieser Verträge, 8 denn es war höchst fraglich, ob die örtlichen Notabeln tatsächlich abtretbare Souveränitätsrechte über die jeweiligen Territorien besaßen und ob sie dazu berechtigt waren, den gesamten von der lokalen Gemeinschaft genutzten Boden an eine deutsche Kolonialgesellschaft zu übertragen. Da die Verträge zudem in deutscher Sprache abgefasst waren, die von der afrikanischen Seite nicht verstanden wurde, eine juristische Terminologie Anwendung fand, deren Bedeutungsgehalt den afrikanischen Notabeln völlig unbekannt war, und sich das von Carl Peters gewährte Äquivalent als lächerlich geringwertig erwies, hätte schon seinerzeit kein seriöser Jurist in Deutschland die zivilrechtliche Gültigkeit dieser Verträge unterstellt. 9 Trotz dieser juristischen Bedenken waren die von Carl Peters und Konsorten gesammelten Vereinbarungen über Gebietserwerbungen im Hinterland des ostafrikanischen Küstenstreifens vor dem Hintergrund der seinerzeit gerade in Entstehung begriffenen völkerrechtlichen Regelungen zur effektiven Besetzung afrikanischer Territorien unabdinglich für die Errichtung eines Kolonialgebiets und stellten somit den ersten Schritt dar, der den Trennungsprozess von Tanganjika und Sansibar einleitete. 3.2. Die Generalakte der Berliner Westafrika-Konferenz vom 26. Februar 1885 Als Carl Peters im Februar 1885 nach Deutschland zurückkehrte, fand dort gerade die Berliner Westafrika-Konferenz statt (15. November 1884 bis 26. Februar 1885), die auch unter der Bezeichnung „Kongo-Konferenz“ bekannt ist. 10 An dieser Veranstaltung nahmen Vertreter von 13 europäischen Mächten sowie der Verei6
Vgl. Kraft, Heinrich Helmut: Chartergesellschaften als Mittel zur Erschließung kolonialer Gebiete, Hamburg 1943, S. 140. 7 Einige der Abtretungsverträge sind im Wortlaut abgedruckt bei Nemec, Heinz-Dieter: Die Verträge zur Erwerbung des Deutsch-Ostafrikanischen Schutzgebietes und ihre völkerrechtliche Bedeutung, jur. Dissertation Universität Wien 1972, S. 104–120. 8 Vgl. Pfeil, Joachim Graf von: Die Erwerbung von Deutsch-Ostafrika. Ein Beitrag zur Kolonialgeschichte, Berlin o. J., S. 72. 9 Vgl. Kurtze, Bruno: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft. Ein Beitrag zum Problem der Schutzbriefgesellschaften und zur Geschichte Deutsch-Ostafrikas, Jena 1913, S. 173. 10 Vgl. Förster, Stig/Mommsen, Wolfgang J./Robinson, Ronald (Hrsg.): Bismarck, Europe, and Africa. The Berlin Africa Conference 1884–1885 and the Onset of Partition, Oxford 1988.
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nigten Staaten von Amerika und des Osmanischen Reiches teil. Sie verständigten sich in der Generalakte 11 der Berliner Westafrika-Konferenz zwar im Wesentlichen auf den Status und die Grenzen des „Kongo-Freistaates“, die Freiheit der Schifffahrt auf dem Kongo und auf dem Niger, die Errichtung der KongoFreihandelszone und den freien Zugang für die christliche Mission in Afrika. Allerdings einigten sie sich auch auf Regeln über die völkerrechtliche Anerkennung der Inbesitznahme von afrikanischen Territorien, die bislang von keinem anderen „zivilisierten“ Staat beansprucht worden waren und folglich als „herrenlos“ angesehen wurden. Kapitel VI der Generalakte enthält die „Erklärung, betreffend die wesentlichen Bestimmungen, welche zu erfüllen sind, damit neue Besitzergreifungen an den Küsten des afrikanischen Festlandes als effektiv betrachtet werden“. 12 Die Artikel 34 und 35 der Generalakte setzen für eine effektive Besetzung bisher herrenloser Territorien in Afrika voraus, dass eine entsprechende Besitzergreifung erfolgt, die den übrigen Signatarmächten der Generalakte anzuzeigen ist, und dass in den jeweiligen Gebieten eine Administration („Obrigkeit“) zur Sicherung der erworbenen Rechte eingerichtet wird. Mit der Unterzeichnung der Schlussakte der Berliner Konferenz durch die Vertreter der beteiligten Staaten wurden die darin enthaltenen Regelungen zur effektiven Besetzung afrikanischer Gebiete Bestandteil des international verbindlichen Völkerrechts. Diese Vorschriften waren für die Pläne der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“, in Ostafrika ein privates Kolonialgebiet zu etablieren, von entscheidender Bedeutung. Damit war der zweite Schritt im Rahmen des Trennungsverfahrens von Sansibar und Tanganjika erfolgt. 3.3. Der Kaiserliche Schutzbrief vom 27. Februar 1885 Der ostafrikanische Gebietserwerb für die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ benötigte zur Gewährleistung seines auf Dauer angelegten Bestands als privates Kolonialgebiet der völkerrechtlichen Absicherung im Einklang mit den Regelungen der Artikel 34 und 35 der Generalakte der Berliner Westafrika-Konferenz. Am 27. Februar 1885, nur einen Tag nach Beendigung dieser Konferenz, gewährte Kaiser Wilhelm I. der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ einen Kaiserlichen Schutzbrief für ihre Besitzungen in Ostafrika. 13 Diese wurden dadurch zwar der Staatsgewalt des Deutschen Reichs unterstellt, zugleich wurde jedoch der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ sowie ihren Rechtsnachfolgern die Be11 Reichsgesetzblatt 1885, S. 215–246. 12 Siehe zu den Vorgängen zur Entstehung der Regelungen über die effektive Besetzung afrikanischer Gebiete Kapitel VI der Generalakte der Berliner Westafrika-Konferenz die Ausführungen von Schildknecht, Jörg: Bismarck, Südwestafrika und die Kongokonferenz. Die völkerrechtlichen Grundlagen der effektiven Okkupation und ihre Nebenpflichten am Beispiel des Erwerbs der ersten deutschen Kolonie, Hamburg 2000, S. 75–135. 13 Vgl. Deutsche Kolonial-Gesetzgebung. Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen, Bd. I, Berlin 1893, S. 323.
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fugnis zur Ausübung sämtlicher aus den Unterwerfungsverträgen mit den ostafrikanischen Notabeln abgetretenen hoheitlichen Rechte einschließlich denen der Rechtsetzung und der Rechtspflege unter Aufsicht der deutschen Regierung verliehen. Die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ war fortan eine juristische Person des Privatrechts, die kraft staatlicher Verleihung über umfassende Hoheitsbefugnisse verfügte. Ihr in Ostafrika erworbenes Territorium wurde durch den Kaiserlichen Schutzbrief zu einem „Gesellschaftsschutzgebiet“. 14 Bei der Gewährung des Schutzbriefs gingen der Kaiser und sein Kanzler Bismarck davon aus, dass die durch Carl Peters erfolgten Gebietserwerbungen im Hinterland von Bagamoyo und Pangani rechtmäßig waren. 15 Daran änderte auch der Protest des Sultans von Sansibar 16 nichts, der vorbrachte, dass die von der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ beanspruchten Gebiete zu seinem Herrschaftsbereich gehörten, und der zur Sicherung seines Anspruchs Truppen in das Gesellschaftsschutzgebiet entsandte. 17 Er änderte allerdings seine Meinung, als am 7. August 1885 vor Sansibar ein Geschwader deutscher Kriegsschiffe erschien und er sich daraufhin veranlasst sah, die deutsche Besetzung anzuerkennen und mit den Deutschen Reich einen sogenannten Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag abzuschließen. 18 In der Zwischenzeit war den anderen Signatarstaaten der Generalakte der Berliner Westafrika-Konferenz mitgeteilt worden, dass die Landnahme in Ostafrika in Übereinstimmung mit den in diesem völkerrechtlichen Abkommen enthaltenen Regelungen über die effektive Besetzung afrikanischer Territorien erfolgt war, und sich die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“, aus der nur wenige Tage nach Erhalt des Kaiserlichen Schutzbriefs die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) als Rechtsnachfolgerin hervorging, 19 anschickte, ihr „Gesellschaftsschutzgebiet“ im Hinterland der ostafrikanischen Küste mit einer Administration auszustatten, um dort Hoheitsrechte auszuüben. Ermöglicht wurde ihr dies erst durch den Kaiserlichen Schutzbrief vom 27. Februar 1885, der somit ein weiterer Schritt auf dem Weg der Trennung Tanganjikas von Sansibar war.
14 Schack, Friedrich: Das deutsche Kolonialrecht in seiner Entwicklung bis zum Weltkriege, Hamburg 1923, S. 253, S. 300 und S. 361. 15 Dies gilt auch für die nach Ausstellung des Kaiserlichen Schutzbriefs bis 1886 erworbenen Gebiete in Ostafrika, die vom Deutschen Reich stillschweigend zum Gesellschaftsschutzgebiet zugehörig anerkannt wurden. Siehe dazu Müller, Fritz Ferdinand: Deutschland…a.a.O., S. 228; Schack, Friedrich: Das deutsche Kolonialrecht…, a.a.O., S. 7. 16 Das war Bargash ibn Said, Sultan von Sansibar von 1870 bis 1888, 17 Vgl. Zimmermann, Alfred: Geschichte der deutschen Kolonialpolitik, Berlin 1914, S. 124. 18 „Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und dem Sultan von Sansibar“ vom 20. Dezember 1885 (Reichsgesetzblatt 1886, S. 261). 19 Zur Firmengeschichte der DOAG siehe Prager, Hans Georg/Frömsdorf, Richard: Es begann auf Sansibar. 100 Jahre DOAG. Eine Bilanz deutsch-überseeischer Wirtschaftsgeschichte, Lübeck 1986.
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3.4. Die Übereinkunft zwischen Deutschland und England zur Abgrenzung der gegenseitigen Interessensphären in Ostafrika vom 1. November 1886 Im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es einen Wettstreit imperialistischer Mächte aus Europa, der die Aufteilung Afrikas zur Folge hatte. In Ostafrika konkurrierten seinerzeit vor allem britische und deutsche Kolonialinteressen. Da dort auch bereits britische und deutsche Kolonialgesellschaften aktiv waren, war es zur Vermeidung künftiger Konflikte angezeigt, dass Deutschland und Großbritannien sich über eine Aufteilung Ostafrikas einigten. Dies geschah mit dem „DeutschEnglischen Übereinkommen, betreffend das Sultanat Zanzibar und die Abgrenzung der deutschen und englischen Interessensphären in Ostafrika“, 20 das nach vierzehntägiger Verhandlung in London am 29. Oktober 1886 und am 1. November 1886 abgeschlossen wurde. 21 Darin vereinbarten beide Seiten, das Land zwischen den ostafrikanischen Flüssen Rovuma und Tana in eine deutsche und eine britische Einflusssphäre aufzuteilen, und dass keine der beiden Mächte Gebietserwerbungen in der Sphäre der anderen vornehmen sollte. 22 Außerdem erkannten beide Seiten die Souveränität des Sultans von Sansibar über die Inseln Sansibar, Pemba, Mafia und Lamu sowie die kleineren Eilande im Umkreis von zwölf Seemeilen um Sansibar an. 23 Auf dem ostafrikanischen Festland wurde dem Sultan von Sansibar im Wesentlichen die Souveränität über einen Küstenstreifen von der Grenze zu Portugiesisch-Ostafrika 24 bis zur Mündung des Tana als zusammenhängendes Gebiet in einer Tiefe von zehn Seemeilen zugesprochen. 25 Im Übrigen einigten sich die Vertragsparteien auf einen Ablaufplan zur weiteren Ausgestaltung der Aufteilung Ostafrikas. So wurde unter anderem das in der englischen Interessensphäre gelegene Gebiet der „Deutschen Witu-Gesellschaft“ anerkannt, 26 die Unterstützung Großbritanniens bei der geplanten Übernahme der 20 Der Wortlaut der Vereinbarung befindet sich im Abdruck in Landesgesetzgebung des DeutschOstafrikanischen Schutzgebiets, herausgegeben vom Kaiserlichen Gouvernement von DeutschOstafrika, 2. Aufl., Tanga/Daressalam 1911, S. 2, versehen allerdings mit der unzutreffenden Jahresangabe 1888. 21 Ausführlich dazu Fröhlich, Michael: Von Konfrontation zur Koexistenz. Die deutschenglischen Kolonialbeziehungen in Afrika zwischen 1884 und 1914, Bochum 1990, S. 66–68; Müller, Fritz Ferdinand: Deutschland…a.a.O., S. 245-266. 22 Nr. 3 des deutsch-englischen Übereinkommens. 23 Nr. 1 des deutsch-englischen Übereinkommens. 24 Die Festlegung dieser Grenzlinie erfolgte durch Artikel 2 der „Erklärung zwischen der kaiserlich deutschen und königlich portugiesischen Regierung, betreffend die Abgrenzung ihrer beiderseitigen Besitzungen und Interessensphären in Südafrika“ vom 30. Dezember 1886, abgedruckt in Landesgesetzgebung des Deutsch-Ostafrikanischen Schutzgebiets…, a.a.O., S. 13. 25 Ebenda. 26 Nr. 5 des deutsch-englischen Übereinkommens. Zu den deutschen Besitzungen an der ostafrikanischen Küste gehörte seinerzeit auch das Gebiet von „Witu“, das der Forschungsreisende Clemens Denhardt 1885 vom Sultan Suahel Achmed von Witu erworben und anschließend an die „Deutsche Witu-Gesellschaft“ abgetreten hatte. Es wurde am 27. Mai 1885 unter deutschen Schutz gestellt. Siehe dazu Bückendorf, Julia: „Schwarz-Weiß-Rot über Ostafrika!“…, a.a.O., S. 242–251; Wagner, Norbert Berthold: Die deutschen Schutzgebiete. Erwerb, Organisation und Verlust aus juristischer Sicht, Baden-Baden 2002, S. 43–45.
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Zollverwaltung in den Häfen von Daressalam und Pangani durch die DOAG zugesichert, 27 das Deutsche Reich verpflichtet, der Erklärung zwischen Frankreich und Großbritannien vom 10. März 1862 über die Anerkennung und Garantie der Unabhängigkeit von Sansibar beizutreten, 28 und vereinbart, den Sultan von Sansibar zum Beitritt zur Generalakte der Berliner Westafrika-Konferenz aufzufordern. 29 Letzteres erfolgte auch in Verfolgung der Absicht, das Sultanat Sansibar in das völkerrechtliche Regelwerk zur effektiven Besetzung afrikanischer Gebiete einzubeziehen und den zulasten des Sultans von Sansibar erfolgten fragwürdigen Gebietserwerb im ostafrikanischen Küstenhinterland durch die Vertreter europäischer Kolonialgesellschaften nachträglich zu legitimieren. Der Sultan von Sansibar war an dem deutsch-englischen Vertrag zur Aufteilung Ostafrikas zwischen den beteiligten europäischen Mächten, 30 die sein Herrschaftsgebiet unmittelbar betraf, nicht beteiligt. Die Übereinkunft zwischen Deutschland und Großbritannien hatte unmittelbar zur Folge, dass das Staatsgebiet des Sultanats Sansibar auf dem ostafrikanischen Festland gemeinhin auf den besagten Küstenstreifen reduziert wurde und es jegliche Ansprüche auf Gebiete im ostafrikanischen Küstenhinterland verlor. Damit war der vierte Schritt zur Teilung von Tanganjika und Sansibar erfolgt. 3.5. Der Küstenvertrag zwischen der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft und dem Sultan von Sansibar vom 28. April 1888 Die DOAG hatte bereits infolge des Kaiserlichen Schutzbriefs vom 27. Februar 1885 als Rechtsnachfolgerin der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ in Erfüllung der Bestimmungen der Generalakte der Berliner Westafrika-Konferenz über die effektive Besetzung afrikanischer Gebiete damit begonnen, eine Administration in ihrem Gesellschaftsschutzgebiet im Hinterland der ostafrikanischen Küste einzurichten, als sie feststellte, dass aufgrund der abgeschiedenen Lage ihrer Besitzung nennenswerte Erträge zur Finanzierung des kostspieligen Kolonisationsvorhabens nicht zu erzielen waren. Da der DOAG bereits im deutschenglischen Übereinkommen von 1886 in Aussicht gestellt worden war, die Zollverwaltung in wichtigen Hafenorten des ostafrikanischen Küstenstreifens zu übernehmen, stieg ihre Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer finanziellen Lage, als ihr nach langen Bemühungen am 28. April 1888 der Abschluss des „Vertrags des Sultans von Zanzibar mit der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft“, des sogenannten Küstenvertrags, gelang. 31 In diesem Übereinkommen übertrug der Sultan
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Nr. 2 des deutsch-englischen Übereinkommens. Nr. 7 des deutsch-englischen Übereinkommens. Nr. 6 des deutsch-englischen Übereinkommens. Vgl. Reinhard, Wolfgang: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415–2015, München 2016, S. 947. 31 Landesgesetzgebung des Deutsch-Ostafrikanischen Schutzgebiets…, a.a.O., S. 3–8.
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von Sansibar 32 an die DOAG gegen Zahlung eines jährlichen Pachtzinses 33 in Artikel I „alle Gewalt“, die ihm in seinen Territorien auf dem ostafrikanischen Festland innerhalb der deutschen Interessensphäre zustand, und ermächtigte sie dort unter anderem in Artikel II zur Verwaltung, zur Rechtspflege, zur Rechtsetzung, zum Erwerb sämtlichen herrenlosen Landes sowie zur Erhebung von Zöllen und Abgaben für einen Zeitraum von fünfzig Jahren. 34 Überdies verpachtete der Sultan von Sansibar an die DOAG die Erhebung von Zöllen in sämtlichen Häfen des Sultanats Sansibar (Artikel IX). 35 Die DOAG erlangte durch den Küstenvertrag vom 28. April 1888 neben ihrem „Gesellschaftsschutzgebiet“ im Hinterland der ostafrikanischen Küste zusätzlich die Stellung einer „Schutzbriefgesellschaft“ des Sultans von Sansibar für das Gebiet des ostafrikanischen Küstenstreifens. 36 Rechtlich verfügte sie damit über zwei verschiedene Schutzgebiete mit unterschiedlichen Schutzherren, dem Deutschen Kaiser und dem Sultan von Sansibar. Indes trug die Übernahme der Administration im zum Sultanat Sansibar gehörenden ostafrikanischen Küstenstreifen durch die DOAG zur Entfremdung dieses Gebiets von Sansibar bei und stellte somit den fünften Schritt zur Separation Tanganjikas von Sansibar dar. 3.6. Das Abkommen zwischen Deutschland und Großbritannien über die Kolonien und Helgoland vom 1. Juli 1890 Die Übernahme der Administration des unter der Souveränität des Sultans von Sansibar befindlichen ostafrikanischen Küstenstreifens durch die DOAG führte aufgrund der unbedachten Vorgehensweise der vor Ort rigoros agierenden Vertreter der Kolonialgesellschaft alsbald zu einem Aufstand großer Teile der dort lebenden Bevölkerung gegen die Fremdherrschaft. 37 Dadurch erwies sich, dass die 32 Das war nunmehr Khalifa ibn Said, Sultan von Sansibar von 1888 bis 1890. Sein am 27. März 1888 verstorbener Vorgänger Bargash ibn Said hatte den Abschluss des Küstenvertrags bis zu seinem Tode hinausgezögert, da er nicht bereit war, seine faktische Entmachtung im ostafrikanischen Küstengebiet zu legitimieren. Dem britischen Gegenstück zur DOAG, der Imperial British East Africa Company, war es allerdings durch ihre Vorgängerinstitution (British East Africa Association) bereits 1887 gelungen, im Hinblick auf das vor dem britisch besetzten Hinterland befindliche Küstengebiet ein dem Küstenvertrag von 1888 vergleichbares Abkommen mit Sultan Bargash ibn Said zu vereinbaren. Siehe dazu Eliot, Charles: The East Africa Protectorate, 2. Aufl., London 1905, S. 181. 33 Gemäß Artikel X des Küstenvertrags sicherte die DOAG dem Sultan von Sansibar die jährliche Zahlung „von ungefähr zehntausend (10.000) Pfund Sterling zu“. 34 Siehe dazu die detaillierten Ausführungen von Kurtze, Bruno: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft…, a.a.O., S. 105–111. 35 Die Privatisierung der Zollverwaltung war in Sansibar seinerzeit durchaus üblich, allerdings über wesentlich kürzere Zeiträume. Zudem geriet dieses Privileg mit dem Küstenvertrag erstmals in europäische Hand. 36 So Kurtze, Bruno: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft…, a.a.O., S. 156. 37 Das war der sogenannte Araberaufstand. Siehe dazu Bückendorf, Julia: „Schwarz-Weiß-Rot über Ostafrika!“…, a.a.O., S. 337–382; Glassman, Jonathon: Feasts and Riot. Revelry, Rebel-
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DOAG nicht in der Lage war, in ihren Gesellschaftsschutzgebieten in Ostafrika eine effiziente Kolonialpolitik zu betreiben. Nur mithilfe einer eilig zusammengestellten und nach Ostafrika entsandten Invasionstruppe, die unter dem Befehl des vom Kanzler Bismarck mit umfassenden Befugnissen ausgestatteten Reichskommissars Herman Wissmann stand, war es möglich, den Aufstand niederzuschlagen. 38 Aufgrund dieser Erfahrungen war die DOAG bestrebt, sich der lästigen hoheitlichen Aufgaben zu entledigen und sich allein auf die ökonomischen Aspekte der Kolonisation zu konzentrieren. Sie bot daher dem Deutschen Reich die Übernahme ihrer Schutzgebiete in Ostafrika an. Dazu bedurfte es aufgrund der anderslautenden „Übereinkunft zwischen Deutschland und England, betreffend das Sultanat Sansibar und die Abgrenzung der gegenseitigen Interessensphären in Ostafrika“ von 1886 jedoch der Billigung Großbritanniens. Diese wurde mit dem am 1. Juli 1890 ratifizierten, als „Helgoland-Sansibar-Vertrag“ 39 bekannt gewordenen „Abkommen zwischen Deutschland und England“ eingeholt, 40 indem in Artikel I zunächst eine detaillierte Abgrenzung des deutschen und des britischen Einflussgebietes in Ostafrika erfolgte. Im Weiteren verzichtete das Deutsche Reich auf seine Ansprüche über das in der britischen Interessensphäre gelegene „Witu-Land“ und andere in der britischen Interessensphäre gelegene Gebiete an der ostafrikanischen Küste (Artikel II) und bestätigte die Ausschließlichkeit britischer Interessen am Sultanat Sansibar und an Uganda (Artikel XI Absatz 2). Da-
lion, and Popular Consciousness on the Swahili Coast, 1856–1888, London 1995; Herold, Heiko: Reichsgewalt bedeutet Seegewalt. Die Kreuzergeschwader der Kaiserlichen Marine als Instrument der deutschen Kolonial- und Weltpolitik 1885–1901, München 2013, S. 128– 184; Müller, Fritz Ferdinand: Deutschland…a.a.O., S. 357–457. Eine wesentliche Ursache für den Aufstand war der Erlass zahlreicher Vorschriften zulasten der einheimischen Bevölkerung des Küstengebiets durch Vertreter der DOAG. Siehe dazu Sippel, Harald: Recht und Herrschaft...a.a.O., S. 474–484. 38 Vgl. Bückendorf, Julia: „Schwarz-Weiß-Rot über Ostafrika!“…, a.a.O., S. 383-409; Müller, Fritz Ferdinand: Deutschland…a.a.O., S. 428-458. 39 Trotz seiner Popularität ist dieser Begriff irreführend. Entgegen einer auch noch heute häufig vertretenen Ansicht tauschte Deutschland Helgoland nicht gegen Sansibar ein, da das Deutsche Reich nie Hoheitsrechte über das Sultanat besessen hatte. Deutschland verzichtete lediglich zugunsten Großbritanniens auf sein gemäß Nr. 7 des deutsch-englischen Übereinkommens vom 29. Oktober bzw. 1. November 1886 eingeräumtes Recht, auf die Unabhängigkeit Sansibars zu bestehen, sowie auf künftige Erwerbsinteressen an diesem Inselreich. Siehe dazu Ipsen, Hans Peter: Helgoland 100 Jahre deutsch, in: Die Öffentliche Verwaltung, Nr. 43, Stuttgart 1990, S. 581–588, hier S. 583. Das Abkommen vom 1. Juli 1890 gewährte zudem in Artikel III Deutsch-Südwestafrika den Landzugang zum Sambesi (sogenannter CapriviZipfel) und regelte in Artikel IV die Grenzlinien von Kamerun und Togo. 40 Deutsche Kolonial-Gesetzgebung. Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen, Bd. I, Berlin 1893, S. 92. Siehe zur Entstehungsgeschichte des Abkommens die detaillierten Ausführungen von Caprivi, Leopold von: Die Ostafrikanische Frage und der Helgoland-Sansibar-Vertrag, phil. Dissertation Universität Bonn 1934, S. 30–49; Fröhlich, Michael: Von Konfrontation…, a.a.O., S. 91–103; Dukes, Jack Richard: Helgoland, Zanzibar, East Africa. Colonialism in German Politics, 1884–1890, Ph. D. Thesis University of Illinois, Urbana 1970, S. 129–185.
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mit konzedierten die Deutschen den Briten das Protektorat über Sansibar. 41 Im Gegenzug verpflichtete sich Großbritannien, seine Souveränität über die Nordseeinsel Helgoland an das Deutsche Reich abzutreten (Artikel XII) und Deutschland bei den Verhandlungen mit dem Sultan von Sansibar im Hinblick auf die Übertragung der Hoheitsrechte über den ostafrikanischen Küstenstreifen zu unterstützen (Artikel XI Absatz 1). Somit war der Weg zu einer Auseinandersetzung zwischen der DOAG und der Reichsregierung im Hinblick auf die Übertragung ihrer ostafrikanischen Gesellschaftsschutzgebiete an das Deutsche Reich bereitet. Das Abkommen zwischen Deutschland und England vom 1. Juli 1890 komplettierte den Prozess der Aufteilung Ostafrikas 42 und stellte den sechsten Schritt zur Trennung von Tanganjika und Sansibar dar. Beide Seiten hatten darauf verzichtet, den Sultan von Sansibar als Partei in den Vertrag einzubeziehen, obwohl sein Sultanat von der deutsch-englischen Vereinbarung unmittelbar betroffen war. Man hatte ihn noch nicht einmal konsultiert. 3.7. Der Vertrag zur Auseinandersetzung zwischen der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft und dem Deutschen Reich vom 20. November 1890 Zur Gründung eines ostafrikanischen Kolonialgebiets des Deutschen Reiches innerhalb der durch das Abkommen mit den Briten vom 1. Juli 1890 vereinbarten deutschen Interessensphäre bedurfte es zunächst der Übernahme der Schutzgebiete der DOAG. Über den Erwerb des von dem „Kaiserlichen Schutzbrief“ vom 27. Februar 1885 umfassten Gesellschaftsschutzgebiets im Hinterland der ostafrikanischen Küste durch das Deutsche Reich gibt es kein schriftliches Übereinkommen. In der Literatur wird vermutet, dass die Reichsregierung den Schutzbrief offenbar „ganz autonom und ohne jede vertragliche Übereinkunft zurückgezogen“ hat. 43 Ungleich schwieriger gestaltete sich die Übernahme des von der DOAG verwalteten ostafrikanischen Küstenstreifens des Sultans von Sansibar. Dieser besaß nach den Bestimmungen des Küstenvertrags vom 28. April 1888 weiterhin die Souveränität über dieses zum Sultanat Sansibar gehörende Gebiet, das aufgrund der Erklärung zwischen Frankreich und Großbritannien vom 10. März 1862 eine Bestandsgarantie erhalten hatte. Dies machte zunächst die „Vereinbarung mit Frankreich über die Erwerbung der festländischen Besitzungen des Sultans von Zanzibar und der Insel Mafia durch Deutschland vom 17. November 1890“ erforderlich, wonach die Regierung der Republik Frankreich auf einen Einspruch ge-
41 Ali ibn Said, Sultan von Sansibar von 1890 bis 1893, sah sich gezwungen, das britische Protektorat über Sansibar anzuerkennen. 42 Vgl. Arnold, David: External Factors in the Partition of East Africa, in: Kaniki, Martin H. Y. (Hrsg.): Tanzania under Colonial Rule, London 1980, S. 51–85, hier S. 82. 43 Kurtze, Bruno: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft…, a.a.O., S. 167.
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gen diesen Gebietserwerb verzichtete. 44 Zuvor hatten Vertreter des Deutschen Reichs in London Repräsentanten der britischen Regierung an das im Abkommen vom 1. Juli 1890 abgegebene Versprechen erinnert, den Sultan von Sansibar zur Abtretung seiner verbliebenen Hoheitsbefugnisse an dem ostafrikanischen Küstengebiet zu veranlassen, und vereinbarten mit ihnen, ohne den Sultan in die Verhandlungen einzubeziehen, eine Abfindungszahlung von vier Millionen Mark. 45 Da das Deutsche Reich aus verschiedenen Gründen nicht selbst ein Abkommen mit dem Sultan von Sansibar zur Abtretung sämtlicher Hoheitsrechte im festländischen sansibarischen Küstengebiet eingehen wollte, 46 zog es hierfür die DOAG heran. Der „Vertrag zwischen der Kaiserlichen Regierung und der DeutschOstafrikanischen Gesellschaft vom 20. November 1890“ 47 verpflichtete die DOAG, diese Hoheitsrechte vom Sultan von Sansibar gegen eine Abfindungszahlung in Höhe von vier Millionen Mark (§ 2) vertraglich zu erwerben und sie zusammen mit ihren Rechten aus dem Küstenvertrag an das Deutsche Reich abzutreten (§ 1 Satz 1, 2). 48 Zudem musste die DOAG im Wege einer Anleihe ein Darlehen über den Betrag von 10,5 Millionen Mark aufnehmen (§ 3 Abs. 1). Als Gegenleistung garantierte die deutsche Regierung die Verzinsung und Amortisation der Anleihe durch eine jährliche Entschädigungszahlung in Höhe von 600.000 Mark an die DOAG aus den Bruttozolleinnahmen der Kolonie (§ 5 Abs. 1). Daneben wurden der DOAG zahlreiche Privilegien als Kompensation für das abgetretene Recht zur Zollerhebung im ostafrikanischen Küstengebiet zugestanden (§§ 7, 8). Der Vertrag sah vor, dass seine Erfüllung mit Zahlung der Abfindung zugunsten des Sultans von Sansibar eintrat (§ 4 Abs. 1). Diese erfolgte am 27. Dezember 1890. 49 Ab diesem Zeitpunkt (§ 4 Abs. 2), spätestens aber am 1. Januar 1891 (§ 1 Satz 2), sollte das Deutsche Reich auch die Verwaltung des Küstengebiets übernehmen (§ 4 Abs. 2). Und so geschah es. Damit war der siebte und letzte Schritt getan, der die finale Abspaltung Tanganjikas von Sansibar zur Folge hatte.
44 Der entsprechende Notenwechsel zwischen dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts und den französischen Botschafter in Deutschland befindet sich im Abdruck in Landesgesetzgebung des Deutsch-Ostafrikanischen Schutzgebiets…, a.a.O., S. 11–12. 45 Vgl. Müller, Fritz Ferdinand: Deutschland…a.a.O., S. 509. 46 Zu den Hintergründen siehe Bückendorf, Julia: „Schwarz-Weiß-Rot über Ostafrika!“…, a.a.O., S. 441; Kurtze, Bruno: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft…, a.a.O., S. 165– 167; Müller, Fritz Ferdinand: Deutschland…a.a.O., S. 508–511. 47 Deutsche Kolonial-Gesetzgebung. Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen, Bd. I, Berlin 1893, S. 382. 48 Dies geschah offenbar unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass die DOAG den in § 1 des Vertrages genannten „Abschluß eines Staatsvertrages“ mit dem Sultan von Sansibar für das Deutsche Reich vornimmt. Siehe dazu Kurtze, Bruno: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft…, a.a.O., S. 167. 49 Deutsche Kolonialblatt 1890, S. 1. Die Abfindungszahlung wurde auf Verlangen von Großbritannien als Protektoratsmacht von Sansibar in England in Verwahrung gegeben, sodass der Sultan von Sansibar lediglich den jährlichen Zinsertrag erhielt. Siehe hierzu Kurtze, Bruno: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft…, a.a.O., S. 169.
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3.8. Die Kolonie Deutsch-Ostafrika und das britische Protektorat Sansibar Am 1. Januar 1891 wurde die Kronkolonie Deutsch-Ostafrika konstituiert, die sich aus den beiden Schutzgebieten der DOAG und weiteren Territorien in Ostafrika zusammensetzte. Das britische Protektorat Sansibar wurde bereits am 4. November 1890 proklamiert. Eine über Jahrhunderte hinweg von gemeinsamen kulturellen, politischen, religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Werten geprägte Gesellschaft war fortan in ein britisches und ein deutsches Kolonialgebiet aufgeteilt. Es fiel auseinander, was bisher zusammengehörte. 4. PROZESS DER VEREINIGUNG VON SANSIBAR UND TANGANJIKA Die Vereinigung von Sansibar und der bereits seit dem 9. Dezember 1961 eigenstaatlichen Republik Tanganjika erfolgte zwischen Dezember 1963 und April 1964 in vier Schritten, deren erster die Erlangung der Unabhängigkeit Sansibars von Großbritannien war. 4.1. Sansibar und die Unabhängigkeit Am 10. Dezember 1963 erhielt das Protektorat Sansibar gut 73 Jahre nach seiner Gründung die Unabhängigkeit von Großbritannien und eine neue Verfassung. 50 Die bisherige Kolonialmacht sah den Fortbestand des Sultanats als konstitutionelle Monarchie und islamisch geprägten Staat unter Führung einer elitären arabischen Minderheit vor. 51 Allerdings stellte sich bald heraus, dass sich ein großer Teil der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit Sansibars mit diesem Modell nicht einverstanden zeigte. Hier war man der Überzeugung, dass die feudale Epoche Sansibars zu Ende gehen müsse. 52 Da der erst wenige Monate zuvor ins Amt gekommene Sultan Dschamschid ibn Abdullah nicht die Autorität besaß, die aufkommende Empörung gegen das von ihm repräsentierte System einzudämmen, wurde es bereits nach wenigen Wochen durch einen gewaltsamen Umsturz, der vor allem bei der arabischen Minderheit Tausende Opfer forderte, beseitigt.
50 The Constitution of the State of Zanzibar, Legal Supplement (Part I) to the Official Gazette of the Zanzibar Government, No. 4320 of 5th December 1963. 51 Vgl. Othman, Haroub/Mlimuka, Aggrey: The Political and Constitutional Development of Zanzibar and the Case Studies of the 1985 Zanzibar General Election, in: Othman, Haroub/Bavu, Immanuel/Okema, Michael (Hrsg.): Tanzania: Democracy in Transition, Dar es Salaam 1990, S. 150–181, hier S. 163. 52 Vgl. Herzog, Jürgen: Geschichte Tansanias. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Berlin 1986, S. 196.
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4.2. Die Volksrepublik Sansibar und Pemba Mit der Ausrufung der Volksrepublik Sansibar und Pemba am 12. Januar 1964 erfolgte zugleich der Sturz des Sultans und die Abschaffung der Monarchie. Der Umsturz wurde als „Revolution von Sansibar“ 53 weltweit bekannt und erlangte umgehend internationales Aufsehen. Die erste Handlung der Revolutionsregierung war die Außerkraftsetzung der Verfassung von 1963 und die Verkündung von Regelungen, die dem Revolutionsrat die umfassende gesetzgebende Gewalt zuerkannten. 54 Zwar dürften die Revolutionäre seinerzeit noch nicht an eine Vereinigung Sansibars mit Tanganjika gedacht haben, jedoch war der Wechsel der Staatsform der notwendige zweite Schritt zur späteren Union. Offizielle Verlautbarungen, in Sansibar ein sozialistisches Regime etablieren zu wollen, führten dazu, dass eingedenk der gerade überstandenen „Kuba-Krise“ Sansibar von der westlichen internationalen Gemeinschaft als mögliches „afrikanisches Kuba“ angesehen wurde, 55 was diese im Umgang mit der neuen Volksrepublik zögerlich werden ließ. 4.3. Die Anerkennung der Volksrepublik Sansibar und Pemba durch ausländische Staaten Solches Zögern war den sozialistischen Staaten indes fremd. Als die sansibarische Revolutionsregierung versuchte, eine offizielle Anerkennung der Volksrepublik Sansibar und Pemba durch andere Staaten zu erlangen, um eine militärische Intervention durch die westlichen Alliierten zu verhindern, handelten sie sofort. Hierbei tat sich insbesondere die Deutsche Demokratische Republik (DDR) hervor. 53 Vgl. Babu, A. M.: The 1964 Revolution. Lumpen or Vanguard? in: Sheriff, Abdul/Ferguson, Ed (Hrsg.): Zanzibar under Colonial Rule, London u. a. 1991, S. 220–247; Clayton, Anthony: The Zanzibar Revolution and its Aftermath, London 1981; Lofchie, Michael F.: Zanzibar. Background to the Revolution, Princeton 1965; Loimeier, Roman: Memories of Revolution. Zur Deutungsgeschichte einer Revolution (Sansibar 1964), in: Africa Spectrum, Nr. 2, Hamburg 2006, S. 175–197; Mapuri, Omar: Zanzibar. The 1964 Revolution. Achievements and Prospects, Dar es Salaam 1996; Martin, Esmond Bradley: Zanzibar. Tradition and Revolution, North Promfret 1978; Mosare, Johannes: Background to the Revolution in Zanzibar, in: Kimambo, Isaria N./Temu, Arnold J. (Hrsg.): A History of Tanzania, Nairobi 1969, S. 214– 238; Okello, John: Revolution in Zanzibar, Nairobi 1967; Prunier, Gérard: La revolution de 1964, in: Le Cour Grandmaison, Colette/Crozon, Ariel (Hrsg.): Zanzibar aujord’hui, Paris 1998, S. 95–112; Wimmelbücker, Ludger: Die sansibarische Revolution von 1964. Widersprüche und Unzulänglichkeiten offizieller Geschichtsschreibung, in: Marfaing, Laurence/Reinwald, Brigitte (Hrsg.): Afrikanische Beziehungen, Netzwerke und Räume, Münster 2001, S. 295–308. Siehe aus verfassungsrechtlicher Perspektive: Ayany, Samuel G.: A History of Zanzibar. A Study in Constitutional Development, 1934–1964, Nairobi 1970; Othman, Haroub/Mlimuka, Aggrey: The Political and Constitutional…, a.a.O., S. 150–181. 54 Vgl. Constitutional Government and the Rule of Law, President Decree No. 5 of 1964. 55 Vgl. Kharusi, Ahmed Seif: Zanzibar, Africa’s First Cuba. A Case Study of the New Colonialism, Richmond 1967; Speller, Ian: An African Cuba? Britain and the Zanzibar Revolution, 1964, in: Journal of Imperial and Commonwealth History, Nr. 2, Abingdon 2007, S. 1–35.
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Bereits am 14. Januar 1964, nur zwei Tage nach dem Umsturz, erfolgte die Anerkennung der Volksrepublik Sansibar und Pemba durch den Ministerrat der DDR als einer der ersten Staaten der Welt, und als erster Vertreter eines ausländischen Staates überreichte Günter Fritsch sein Beglaubigungsschreiben als Botschafter der DDR in der Volksrepublik. 56 Dieses rasche Handeln legte nicht nur den Grundstein für die künftigen engen Beziehungen der DDR zu Sansibar, 57 sondern es trug auch dazu bei, einen neuen Staat zu schaffen und andere ausländische Staaten zu motivieren, die Volksrepublik und die sansibarische Regierung anzuerkennen. Allerdings erfolgte das rasche Handeln der DDR nicht uneigennützig, denn auch sie strebte nach der Anerkennung durch ausländische Staaten. Da sie Anfang 1964 noch von keinem afrikanischen Staat anerkannt war, erhoffte sie sich die Anerkennung durch die junge Volksrepublik Sansibar und Pemba. Diese Rechnung ging auf, als die Volksrepublik als erster Staat Afrikas, als erstes Land der Dritten Welt und als erster nichtkommunistischer Staat am 26. Januar 1964 die DDR anerkannte. 58 Dieser Vorgang forderte jedoch die Bundesrepublik Deutschland heraus, die ihren Alleinvertretungsanspruch in deutschen Belangen, wie er in der sogenannten Hallstein-Doktrin zum Ausdruck kam, 59 durch die Anerkennung der DDR bedroht sah, und dies zum Anlass nahm, die bereits vorbereitete Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Volksrepublik Sansibar und Pemba als „gegenstandslos“ zu bezeichnen. 60 Die rasche Anerkennung der Volksrepublik durch die DDR und andere sozialistische Staaten machten die Ergebnisse des revolutionären Geschehens in Sansibar unumkehrbar und untermauerten den Souveränitätsanspruch des jungen Staates. Sie stellten den dritten Schritt auf dem Weg der Vereinigung von Sansibar und Tanganjika dar. 4.4. Die Union von Sansibar und Tanganjika Der vierte und finale Schritt zur Vereinigung von Sansibar und Tanganjika erfolgte nur 100 Tage nach der Revolution mit der Ratifizierung des Unionsvertrags (Articles of Union) 61 durch die Legislative der Republik Tanganjika sowie der 56 Vgl. Schneppen, Heinz: Sansibar und die Deutschen…, a.a.O., S. 517. 57 Vgl. Wimmelbücker, Ludger: Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und Sansibar in den 1960er Jahren, in: van der Heyden, Ulrich/Benger, Franziska (Hrsg.): Kalter Krieg in Ostafrika. Die Beziehungen der DDR zu Sansibar und Tansania, Berlin 2009, S. 185–212. 58 Vgl. Schneppen, Heinz: Sansibar und die Deutschen…, a.a.O., S. 517. 59 Vgl. Kilian, Werner: Die Hallstein-Doktrin. Der diplomatische Krieg zwischen der BRD und der DDR 1955–1973, Berlin 2001; Schneppen, Heinz: Eine Insel und zwei deutsche Staaten. Sansibar und die Hallstein-Doktrin 1964–1966, in: van der Heyden, Ulrich/Benger, Franziska (Hrsg.): Kalter Krieg in Ostafrika…, a.a.O., S. 111–129. 60 Vgl. Schneppen, Heinz: Sansibar und die Deutschen…, a.a.O., S. 517. 61 Grundlage für die Union von Tanganjika und Sansibar sind die in den „Articles of Union“ zum Ausdruck gekommenen Vereinbarungen, die, in Gesetzesform gegossen, am 25. April 1964 von der Republik Tanganjika (Union of Tanganyika and Zanzibar Act, No. 22 of 1964)
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Volksrepublik Sansibar und Pemba und die damit verbundene Gründung der Vereinigten Republik von Tanganjika und Sansibar am 26. April 1964. 62 Nachdem sich ein ursprünglich von Tanganjikas Staatspräsident Julius Kambarage Nyerere angedachter Zusammenschluss der vier ostafrikanischen Staaten Kenia, Sansibar, Tanganjika und Uganda zu einer Ostafrikanischen Föderation als nicht realisierbar erwiesen hatte, 63 beugte er sich zusammen mit seinen sansibarischen Amtskollegen Abeid Amani Karume trotz erheblicher politischer Bedenken dem zwischenzeitlich entstandenen westlichen Druck zur Vereinigung von Tanganjika und Sansibar. 64 Es kam nun wieder zusammen, was auch zusammengehörte. Bedroht wurde der Bestand der noch jungen Union ausgerechnet durch die Rivalität der beiden deutschen Staaten. Hier wie auch anderswo in Afrika sahen sich Politiker mit dem Umstand konfrontiert, dass die beiden deutschen Staaten ihre untereinander bestehenden politischen Konflikte auch zum Problem afrikanischer Staatenlenker machten. 65 Nach Gründung der Vereinigten Republik von Tanganjika und Sansibar bestand Karume auf die Aufrechterhaltung der diplomatischen Beziehungen zur DDR, der er sich freundschaftlich verbunden fühlte, und machte dies zu einer Bedingung für den Fortbestand der Union. Nyerere, Präsident des neuen Staates, der für die DDR lediglich eine Handelsvertretung vorgesehen hatte, musste daraufhin einlenken und der DDR die Einrichtung eines Generalkonsulats in Daressalam und eines Konsulats in Sansibar zugestehen, räumte allerdings zur Beschwichtigung der auf ihren Alleinvertretungsanspruch in deutschen Belangen bestehenden Bundesrepublik Deutschland ein, dass dieser Schritt nicht mit der diplomatischen Anerkennung der DDR durch die Vereinigte Republik Tansania gleichzusetzen sei. 66 Diese Erklärung genügte der Bundesrepublik Deutschland allerdings nicht. Sie rief ihren Botschafter und Entwicklungsexperten aus Tansania zurück, stellte Hilfsprojekte ein und beendete die Ausrüstungshilfe
62 63 64
65
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und von der Regierung der Volksrepublik Sansibar (Government Notice No. 243, The Union of Zanzibar and Tanganyika Law, 1964) ratifiziert wurden. Diese Dokumente sind im Wortlaut wiedergegeben bei Shivji, Issa G.: Pan-Africanism or Pragmatism? Lessons of the Tanganyika – Zanzibar Union, Dar es Salaam 2008, S. 261–281. Seit 1. November 1964 unter der Bezeichnung Vereinigte Republik Tansania. Vgl. Shivji, Issa G.: Pan-Africanism or Pragmatism?,…, a.a.O., S. 69–76. Siehe zu den Hintergründen Othman, Haroub: The Union with Zanzibar, in: Legum, Colin/Mmari Geoffrey (Hrsg.): Mwalimu. The Influence of Nyerere, London et al. 1995, S. 170– 175; Peter, Chris Maina/Othman, Haroub: Zanzibar and the Union Question, Zanzibar 2006; Shivji, Issa G.: Pan-Africanism or Pragmatism?,…, a.a.O.; ders.: Tanzania. The Legal Foundations of the Union, 2. Aufl., Dar es Salaam 2009, S. 69–99. Darunter litt beispielsweise auch Ghanas Staatspräsident Kwame Nkrumah. Siehe dazu van der Heyden, Ulrich: Kwame Nkrumah – Diktator oder Panafrikanist? Die politische Bewertung des ghanaischen Politikers in der DDR im Spannungsfeld der deutsch-deutschen Konkurrenz in Westafrika, Potsdam 2017, S. 13–26. Vgl. Schneppen, Heinz: Sansibar und die Deutschen…, a.a.O., S. 520–526. Bis 1969 verhinderte die Hallstein-Doktrin die vollständige Anerkennung der DDR in Afrika. Siehe dazu Schleicher, Hans-Georg: Afrika in der Außenpolitik der DDR, in: van der Heyden, Ulrich /Schleicher, Ilona und Hans-Georg (Hrsg.): Die DDR und Afrika. Zwischen Klassenkampf und neuem Denken, Münster/Hamburg 1993, S. 10–30, hier S. 15.
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für die tansanischen Streitkräfte. Die deutsch-deutsche Rivalität konnte die Union zwischen Tanganjika und Sansibar zwar nicht in ihrer Existenz gefährden, belastete sie allerdings in der schwierigen Anfangsphase erheblich durch die Einbußen bundesdeutscher Entwicklungshilfe, die die DDR nicht zu kompensieren vermochte. Änderungen in der Deutschlandpolitik führten erst 1972 zu einer Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Tansania und den beiden deutschen Staaten. 67 An ihrem Konsulat auf Sansibar, obgleich aufgrund des geringen Arbeitsaufkommens eigentlich nicht notwendig, hielt die DDR in Erinnerung an die engen Beziehungen zur sansibarischen Revolutionsregierung bis zur deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 fest. 5. FAZIT Der Beitrag zeigt auf, dass sowohl für die Trennung als auch für die Vereinigung von Sansibar und Tanganjika ein beachtliches rechtliches Regelwerk notwendig war. Der Prozess der Separation der beiden Länder erforderte privatrechtliche Verträge, zwischenstaatliche Abkommen und völkerrechtliche Vereinbarungen, die teils aufeinander aufbauten, sich ergänzten und gleich einem Uhrwerk ineinandergriffen, um das gewünschte Ergebnis der Aufteilung ostafrikanischer Gebiete zu erreichen und formaljuristisch zu legitimieren. Innerhalb von sechs Jahren (1884 bis 1890) wurde die von den imperialistischen Kolonialmächten Deutschland und Großbritannien gestellte politische Aufgabe der Separation Sansibars von Tanganjika und die Koloniewerdung dieser Gebiete auf rechtlichem Wege gelöst. Die Vereinigung von Sansibar und Tanganjika erfolgte ungleich schneller. Sie nahm nur gut fünf Monate in Anspruch. Wichtige politische Fragen zur Bildung einer Union wurden auch hier mithilfe des Rechts beantwortet. Die erfolgreiche Vereinigung von Tanganjika und Sansibar zur Vereinigten Republik Tansania blieb in Afrika ein singuläres Beispiel dafür, dass sich Länder im postkolonialen Afrika nicht nur trennen, sondern auch vereinigen können. 68 Die deutsche Involvierung im Prozess der Trennung von Sansibar und Tanganjika ist in Tansania unvergessen. So sah sich Tansanias Staatspräsident Nyerere in einem Gespräch mit dem deutschen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Carl Carstens, dazu veranlasst, an wenig rühmliche Vorgänge der deutschen Kolonialgeschichte zu erinnern, die auch ein Teil der gemeinsamen deutsch-tansanischen Geschichte sind: „… Gerade wir Deutschen sollten auch nicht vergessen, daß Deutschland die alte Einheit von Tanganjika und Sansibar zerrissen habe, als es die Insel im Tausch gegen Helgoland den Engländern überantwortete.“ 69 67 Die diplomatische Anerkennung der DDR durch Tansania erfolgte am 21. Dezember 1972. 68 Vgl. Sippel, Harald: Staatstheoretische Konzepte im nachkolonialen Afrika, in: Voigt, Rüdiger (Hrsg.): Staatsdenken. Zum Stand der Staatstheorie heute, Baden-Baden 2016, S. 456– 460, S. 457. 69 Ausschnitt aus einem Gespräch, wiedergegeben bei Schneppen, Heinz: Sansibar und die Deutschen…, a.a.O., S. 531. Zur Fehleinschätzung des Begriffs „Tausch“ in Bezug auf Helgoland und Sansibar siehe die Ausführungen in Fn. 39.
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Die deutsche Beteiligung beim Prozess der Vereinigung von Sansibar und Tanganjika war weniger sichtbar, gleichwohl aber durch die umgehende Anerkennung der Volksrepublik Sansibar und Pemba durch die DDR vorhanden und von entscheidender Bedeutung für ihren Fortbestand. Obgleich nur von kurzer Dauer war die Existenz der Volksrepublik Voraussetzung für die anschließende Vereinigung mit Tanganjika. Die Union von Tanganjika und Sansibar, wiederum durch deutsche Einflussnahme zur Zeit des Kalten Kriegs in ihrem Bestand bedroht, überstand die Belastungen durch die deutsch-deutsche Rivalität weitgehend unbeschadet und teilt nunmehr mit Deutschland das Schicksal der Wiedervereinigung nach jahrzehntelanger Trennung. Hier wie dort gilt, dass irgendwann immer das zusammenkommt, was auch zusammengehört.
WESTDEUTSCHE MILITÄRHILFE UND RÜSTUNGSEXPORTE IN DAS SUBSAHARISCHE AFRIKA AM BEISPIEL KAMERUNS Klaus Storkmann Die Auseinandersetzung der Supermächte wurde bekanntermaßen auch in der Dritten Welt geführt. Der Ost-West-Konflikt des „Nordens“ befeuerte somit die Kriege des „Südens“. Die dortigen Konfliktparteien positionierten sich mehr oder weniger eng an der Seite einer der beiden Supermächte. Moskau und Washington gaben im Gegenzug vielfältige materielle und logistische militärische Unterstützung bis hin zu Piloten, Militärberatern und -ausbildern. Odd Arne Westad sah den Ost-West-Konflikt gar primär in der Dritten Welt ausgetragen. 1 Im Kontext der beiden Supermächte agierten auch deren zwei deutsche Verbündete mit durchaus eigenen Interessen und Zielen. Zu hinterfragen wäre, was diese Ziele und Interessen waren und wie groß der eigene Spielraum der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchsetzung ihrer Interessen in Afrika und den übrigen Regionen des globalen Südens waren. Besonders interessant wäre ein direkter Vergleich der Aktivitäten beider deutscher Staaten und ihrer Streitkräfte in Afrika, im Nahen Osten, in Asien und in Lateinamerika. Das militärische Engagement der DDR in der sogenannten Dritten Welt, speziell für den Nahen Osten und Afrika, steht seit Jahren im Brennpunkt der Forschung und des medialen Interesses, prägnant mit dem Schlagwort „Geheime Solidarität“ verbunden. 2 Ägypten, Äthiopien, Angola, Libyen, Sambia, Mosambik, die Volksrepublik Kongo (Brazzaville), Tansania, Simbabwe, Guinea und Guinea-Bissau waren die Empfänger ostdeutscher Militärhilfen in Afrika. 3 Zudem erhielten der bewaffnete Arm der SWAPO aus dem damals von Süd-Afrika besetzten Namibia und der bewaffnete Arm „Umkhonto we Sizwe“ des südafrikanischen ANC versteckte Unterstützung aus der DDR für ihren Kampf. Die militärische Unterstützung von ANC und SWAPO lag aber nicht in den Händen der ostdeutschen Streitkräfte, sondern primär in der Verantwortung des Ministeriums für Staatssicherheit. Für die Bundesrepublik Deutschland fehlt bislang jede spiegelbildliche Forschung. Dabei liegt die Notwendigkeit, die Forschungen zur DDR durch einen Blick auf die Gegenseite zu erweitern und Vergleiche zu ziehen, auf der Hand. 1 2 3
Vgl. Westad, Odd Arne: The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2007, S. 396. Vgl. Storkmann, Klaus: Geheime Solidarität. Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die Dritte Welt, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin 2012. Vgl. ebenda.
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Die vorliegende Studie versteht sich als Pionierleistung und präsentiert erste Ergebnisse des neuen großen Forschungsprojekts zur Militärkooperation der alten Bundesrepublik mit den Staaten des globalen Südens. Sie blickt eingangs allgemein auf den Umfang der militärischen Aktivitäten Westdeutschlands im subsaharischen Afrika und vertieft dann exemplarisch das Engagement für Kamerun. 4 MILITÄRISCHE AUSRÜSTUNGSHILFEN UND WAFFENLIEFERUNGEN DER BUNDESREPUBLIK NACH AFRIKA UND EIN VERGLEICHENDER BLICK AUF DDR-LEISTUNGEN Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) listete im Oktober 1983 die Empfänger von militärischen Ausrüstungshilfen Deutschlands für 1982 bis 1984 auf. Sie umfasste den NATO-Partner Türkei, Nordjemen, Thailand, Honduras und Jamaika. Die große Mehrzahl der Staaten lag in Afrika, deren Liste war deutlich länger als die der ostdeutschen Streitkräfte: Algerien, Benin, Botswana, Burundi, Dschibuti, Kamerun, Kenia, Kongo (Brazzaville), Lesotho, Malawi, Mali, Marokko, Niger, Obervolta (Burkina Faso), Ruanda, Sambia, Simbabwe, Somalia, Sudan, Togo, Tunesien und Zaire. Diese Liste umfasste nur die Empfängerländer von militärischer Ausrüstung und auch nur für die Jahre 1982 bis 1984. 5 Wichtig ist, dass der Begriff Ausrüstungshilfe explizit die Lieferung von Waffen nicht einschloss, diese Listen also Waffenlieferungen nicht berücksichtigten. Geliefert wurden z. B. Funkgeräte, Wasseraufbereitungsanlagen, Ersatzteile, Kfz oder Lkw. Waffenlieferungen wurden extra genehmigt und verbucht. Die Summe der in diesen drei Jahren nach Afrika gelieferten militärischen Ausrüstung betrug insgesamt 111 Mio. DM, davon entfielen 78 Mio. DM auf subsaharische Staaten (ohne Sudan): Benin Botsuana Burundi Dschibuti Kamerun Kenia Kongo Lesotho Malawi Mali Niger 4
5
1,0 1,5 2,5 2,5 5,0 4,5 0,6 1,25 3,75 7,0 10,5
Dazu erstmals vorgetragen 2017 auf dem XLIII. Congres international d´histoire militaire. Douala, Kamerun, publiziert in: Storkmann, Klaus: A Cold War sideshow. Case studies about West and East German military support to Africa: Cameroon, Guinea-Bissau and Mozambique, in: Les guerres mondiales et les colonies das l´histoire, XLIII. Congres international d´histoire militaire. Douala, Cameruun, 2.–8.9.2017, Actes, S. 363–378. Bundesarchiv (im Folgenden BArch) BH1/20611, BMVg FÜ H V 4, 20.10.1983.
Westdeutsche Militärhilfe und Rüstungsexporte am Beispiel Kameruns
Obervolta (Burkina Faso) Ruanda Sambia Simbabwe Somalia Togo Zaire Tabelle 1
343
5,0 6,0 3,0 5,0 10,8 4,0 4,0
Militärische Ausrüstungshilfen der Bundesrepublik Deutschland in das subsaharische Afrika 1982 bis 1984, in Mio. DM 6
Der Blick auf die Zahlen zeigt wenig überraschend große Unterschiede in den militärischen Leistungen der Bundesrepublik für subsaharische Empfängerländer, der Löwenanteil entfiel auf Niger und Somalia. Wird der Sudan mit betrachtet, läge er mit 11 Mio. DM klar an der Spitze der Empfängerstaaten. Die Gegenüberstellung mit den Militärhilfen der DDR zeigt schnell, dass drei subsaharische Staaten, die Volksrepublik Kongo, Sambia und Simbabwe, in den frühen 1980er Jahren aus beiden deutschen Staaten beliefert wurden. Interessant wäre es, die Summe der in diesen drei Jahren aus der Bunderepublik nach Afrika gelieferten militärischen Ausrüstung im Wert von 111 Mio. DM den Leistungen der DDR gegenüberzustellen. Leider liegen hier für den Zeitraum 1982 bis 1984 keine expliziten Daten vor. Werden als Dreijahreszeitraum die Unterlagen für 1986 bis 1988 herangezogen und Empfänger in Afrika destilliert, schlagen 12,9 Mio. Mark der DDR für militärische Ausrüstungshilfe und Waffenlieferungen zu Buche. Das DDR-Verteidigungsministerium differenzierte in seinen Statistiken die materiellen Lieferungen nicht nach Waffen- und anderen Lieferungen. Bei der Bewertung der Summe von knapp 13 Mio. DDR-Mark für die drei Jahre ist zu beachten, dass davon allein knapp 7 Mio. DDR-Mark auf Waffenlieferungen an Äthiopien 1989 entfielen. 7 Bei allen Schwierigkeiten, unterschiedliche Zeiträume Anfang und Ende der 1980er Jahre sowie die in DM und Mark der DDR bezifferten Werte zu vergleichen, so kann vorsichtig festgestellt werden, dass die Bundesrepublik binnen drei Jahren militärische Ausrüstung im Wert von 111 Mio. DM nach Afrika geliefert hat, die DDR binnen drei Jahren militärische Ausrüstung und Waffen im Wert von knapp 13 Mio. DDR-Mark. Wichtig für die Beurteilung dieser Summen und Empfänger ist der erneute Hinweis, dass der westdeutsche Begriff Ausrüstungshilfe Rüstungsexporte nicht berücksichtigte. Zur Beantwortung der spannenden Frage, was denn an Waffen nach Afrika geliefert wurde, müssen andere Quellen herangezogen werden. Die vom Auswärtigen Amt im Dezember 1971 erarbeitete „Studie über die politischen Auswirkungen der Kriegswaffenexporte der Bundesrepublik Deutschland in Nicht-NATO-Länder 1965 bis 1970“ gibt zumindest für diesen Zeitraum 6 7
BArch BH1/20611, BMVg FÜ H V 4, 20.10.1983. Daten in Storkmann, Klaus: Geheime Solidarität…, a.a.O., Anlage, Tabellen 24 bis 26.
344
Klaus Storkmann
Auskunft. Die bereits als Empfänger von militärischer Ausrüstungshilfe benannten Staaten Äthiopien, Ghana, Kenia, Niger, Somalia und Tschad erhielten auch 1965 bis 1970 Waffen aus Westdeutschland; Gabun, Malawi, Nigeria, Sambia, Sierra Leone, Tansania und Uganda waren weitere Empfänger für Waffenlieferungen. 8 Äthiopien Gabun Ghana Kenia Malawi Niger Nigeria Sambia Sierra Leone Somalia Tansania Tschad Uganda Tabelle 2
0,001 0,027 4,1 2,4 0,2 1,1 2,5 2,2 0,001 0,038 10,5 1,2 0,3
Waffenexporte der Bundesrepublik Deutschland in das subsaharische Afrika 1965 bis 1970, in Mio. DM 9
In der Summe bezifferte das Auswärtige Amt für 1965 bis 1970 die Waffenexporte in Nicht-NATO-Länder (weltweit) auf 352 Mio. DM, auf das subsaharische Afrika entfielen davon 24,6 Mio. DM. Den Löwenanteil der Waffen erhielt dabei überraschend Tansania. Wird der Blick weiter nördlich gerichtet, fällt der Sudan mit 22,8 Mio. DM als Empfänger der mit großem Abstand größten Waffenlieferungen auf. Der Blick auf die Forschungen zur DDR zeigt, dass die Waffenlieferungen des anderen deutschen Staats im fraglichen Zeitraum 1965 bis 1970 gerade anliefen und sich neben Vietnam auf die arabischen Staaten Ägypten und Syrien konzentrierten, insbesondere während und nach dem Sechstagekrieg 1967. 10 Nicht zufällig fehlte Ägypten in der Empfängerliste. Unter Gamal Abdel Nasser orientierte sich das Land am Nil in diesen Jahren zunehmend und dann fest an der Sowjetunion und wurde von dieser und ihrem Verbündeten mit umfangreichen Waffenlieferungen bedacht, darunter auch aus der DDR. Als einziger der für 1965 bis 1970 als Empfänger westdeutscher Waffen benannten afrikanischen Staaten erhielt Somalia auch Unterstützung aus der DDR, vor allem aus deren Innenministerium und der Volkspolizei. Unter Mohamed Siad Barre lavier8
BArch, Zwischenarchiv, B 136/27190, Auswärtiges Amt, III A 4, vom Dezember 1971: Studie über die politischen Auswirkungen der Kriegswaffenexporte der Bundesrepublik Deutschland in Nicht-NATO-Länder 1965 bis 1970. 9 BArch, Zwischenarchiv, B 136/27190, Auswärtiges Amt, III A 4, vom Dezember 1971: Studie über die politischen Auswirkungen der Kriegswaffenexporte der Bundesrepublik Deutschland in Nicht-NATO-Länder 1965 bis 1970, Anlage 1. 10 Dazu ausführlich Storkmann, Klaus: Geheime Solidarität…, a.a.O.
Westdeutsche Militärhilfe und Rüstungsexporte am Beispiel Kameruns
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te das Land am Horn von Afrika damals noch zwischen Ost und West und suchte – wie andere afrikanische Staaten auch –, seinen Vorteil aus beiden Seiten zu ziehen. Kamerun schwankte nie. Die Regierung in Yaundé positionierte sich stets an der Seite des Westens, eng waren die Verbindungen zur letzten Kolonialmacht Frankreich. Auf den Listen der westdeutschen Militärhilfen tauchte die alte deutsche Kolonie erstmals 1976 auf. WESTDEUTSCHE MILITÄRKOOPERATION MIT KAMERUN Ausrüstungshilfe Der erste Vertrag über westdeutsche militärische Lieferungen an Kamerun wurde 1976 geschlossen, er umfasste drei Mio. DM. Weitere Vertragsabschlüsse folgten 1978 (eine Mio. DM), 1979 (fünf Mio. DM) und 1982 (wiederum fünf Mio. DM), summa summarum ein Gesamtrahmen von 14 Mio. DM. 11 Bis 1984 übergab die Bundeswehr militärisch nutzbares Gerät im Wert von 11 Mio. DM an Kamerun. Wichtig ist, dass der Begriff Ausrüstungshilfe wiederum explizit die Lieferung von Waffen nicht einschloss. Waffenlieferungen wurden extra genehmigt und verbucht. Was wurde für 11 Mio. DM an Kamerun geliefert? Die Beamten des BMVg fassten 1985 zusammen: − − − − − − − − −
13 BMW Motorräder 55 Lkw Daimler-Benz (darunter 30 Unimog) 17 Feldküchen (darunter eine mobile Feldküche) 70 Funkgeräte SEM 170 50 Funkgeräte SEM 180 15 mobile Funkstationen auf Lkw 16 Stromaggregate 1 Rettungswagen 900 Tarnnetze 12
Die 13 BMW Motorräder waren sicher nicht nur in den Streitkräften begehrt, ob sie jemals in der Truppe ankamen oder die Selbstbedienungsmentalität der Generalität zuschlug, bleibt Spekulation. Wie auch immer: Bereits nach den ersten Lieferungen im Wert von 3 Mio. DM dankte der kamerunische Minister für die Streitkräfte der westdeutschen Botschaft mit der üblichen höflichen diplomatischen Note – verbunden mit der Bitte um fortgesetzte Unterstützung: Das diverse Material, das wir erhalten haben, leistet uns jetzt unschätzbare Dienste. Ich danke Ihnen nochmals herzlich und bitte Sie, sich bei Ihrer Regierung dafür einzusetzen, dass die kamerunischen Streitkräfte weiterhin in den Genuss der großzügigen Hilfe durch die Bundesrepublik Deutschland kommen. [Minister] El Hadj Sadou Daoudou 11 BArch BW1/257442: BMVg, Rü II 4, 31.12.1984. 12 Ebenda.
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Das war die übliche diplomatische Sprache. Diplomatisches Fingerspitzengefühl hatten aber auch Beamte im westdeutschen Verteidigungsministerium. In einem internen Papier der Rüstungsabteilung 1978 hieß es: Ein wesentliches Element für den Erfolg jeder Ausrüstungshilfe ist die Achtung des Empfängers als gleichwertiger Partner. Es gilt den Eindruck zu vermeiden, die Hilfe sei eine Routinesubvention eines reichen Landes an einen armen Staat, mit dem man ansonsten nichts zu tun haben möchte. Partnerschaft bedeutet sichtbares Interesse an den Sorgen und Problemen des anderen Partners. Notwendig ist hierfür das persönliche Gespräch. 13
Daher empfahl die Rüstungsabteilung 1978, eine westdeutsche Delegation möge doch baldmöglichst Kamerun besuchen. 1985 entschied das Bundesverteidigungsministerium, die künftige Ausrüstungshilfe für Kamerun von 5 Mio. auf 6,2 Mio. DM zu erhöhen. In der Vorlage zur Entscheidung im Ministerium findet sich dazu die Bemerkung: „Diese fast 25 prozentige Erhöhung soll den Willen zur verstärkten Zusammenarbeit mit Kamerun verdeutlichen.“ 14 Geliefert wurden u. a. Sanitätsmaterial im Wert von 256.700 DM 15 und Bekleidungsmusterstücke im Wert von 1.300 DM. 16 In den 1980er Jahren konzentrierten sich die Wünsche aus Yaundé zunehmend auf die Luftwaffe. Die kamerunischen Luftstreitkräfte planten Anfang der 1980er Jahre ein eigenes Ausbildungszentrum im Garoua, im Norden des Landes. In Garoua sollte nicht nur ein kleines Luftwaffencamp entstehen, in der tiefsten Provinz war ein überdimensionaler Flughafen für zivile und militärische Nutzung geplant. Was in den Berichten der westdeutschen Diplomaten und Beamten nicht zu finden ist, erfährt man leicht von kamerunischen Gesprächspartnern. Der damalige Präsident Ahmadou Babatoura Ahidjo wollte seiner Heimatstadt einen internationalen Flughafen bescheren, zudem sollte Garoua das neue Zentrum der kamerunischen Luftwaffe werden. Bis heute findet sich im weltweiten Flughafenverzeichnis der Garoua International Airport. Am Aufbau des Luftwaffenschulungszentrums war die westdeutsche Firma Dornier maßgeblich beteiligt. Die westdeutsche Luftwaffe wurde gebeten, mit Ausstattung und Lehrmaterial den Aufbau dieses Ausbildungszentrums zu unterstützen. Konkret bat Yaundé die westdeutsche Luftwaffe, der Firma Dornier ein Flugzeug des Typs Alpha Jet für das Ausbildungszentrum im Garoua leihweise zur Verfügung zu stellen. 17 Die Rüstungsabteilung des westdeutschen Verteidigungsministeriums befürwortete den Antrag. In einer Stellungnahme 1983 hieß es u. a. zur Begründung: Aus Sicht Rü II 4 [Rüstungsabteilung] sollte dem Antrag der kamerunischen Regierung wenn irgendmöglich entsprochen werden. Die kamerunische Regierung hat in den letzten Jahren
13 14 15 16 17
BArch BW1/174094: BMVg, Rü II 4, 30.06.1978. BArch BW1/257442: BMVg, FüS II 5, 10.05.1985. BArch BW1/41/171. BArch BW1/381072. BArch BW1/257442: BMVg, Auszeichnung Arbeitsgespräch in Yaundé Februar 1985.
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die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik beachtlich intensiviert. Der Nutzen für die deutsche Wirtschaft und unsere Außenhandelsbilanz ist spürbar. 18
Die schlauen Beamten der Rüstungsabteilung hatten auch gleich eine Idee, wie die Luftwaffe von der Abgabe an das Dornier-Projekt in Kamerun profitieren könnte. Wenn ein Flugzeug abgegeben würde, das ohnehin zur Industrieinstandsetzung anstünde, könnte dies ohne Kosten für die Luftwaffe direkt bei Dornier in Kamerun erfolgen. Unter Umständen könnte der Wartungsintervall so gewählt werden, dass zwei Flugzeug davon profitieren würden. 19 Rüstungsexporte Waffenlieferungen wurden extra genehmigt und verbucht. Sie wurden von privaten Firmen, den Herstellern, geliefert, nicht wie in der DDR vom Staat, vom Verteidigungsministerium, dem Außenhandelsministerium oder dem Ministerium für Staatssicherheit. Das Bonner Verteidigungsministerium und das dortige Außenministerium wurden aber im Vorfeld der Entscheidung über Waffenlieferungen beteiligt und mussten dem zustimmen. Waffenlieferungen ins Ausland bedürften – übrigens bis heute – in Deutschland der Genehmigung durch die Bundesregierung. In den überlieferten Akten des BMVg finden sich mehrere Anfragen von privaten Firmen für Waffen- bzw. Munitionslieferungen an Kamerun in den 1980er Jahren. Hier einige Beispiele: Die Nürnberger Firma Diehl beantragte 1982 beim Auswärtigen Amt die Ausfuhrgenehmigung für 1.224 Stück Sprengwurfkörper. Das Auswärtige Amt fragte beim Verteidigungsministerium an. Das BMVg erhob keine Bedenken 20. Nahezu zeitgleich lief auch eine Anfrage der Geisenheiner Firma Fritz Werner für eine Ausfuhrgenehmigung für 400.000 Gewehrpatronen nach Kamerun. Das Bundeswirtschaftsministerium legte den Vorgang der Hardthöhe vor. Das BMVg erhob keine Bedenken. 21 1984 beantragte die Düsseldorfer Firma Rheinmetall beim Außenministerium die Genehmigung, 12 Maschinenkanonen 120 mm auf Lafetten an Kamerun exportieren zu dürfen. Das BMVg erhob wiederum keine Bedenken. 22 Ausbildungshilfe Seit 1973 erhielt Kamerun militärische Ausbildungshilfe durch die westdeutschen Streitkräfte. Von 1973 bis 1985 wurden 35 kamerunische Unteroffiziere und Offi18 BArch BL1/31151: BMVg, Rü II 4, 14.07.1983. 19 Ebenda. 20 BArch BW1/259916: Fa. Diehl an Auswärtiges Amt, 14.4.1982 und Stellungnahme BMVg an AA, 19.7.1982. 21 BArch BW1/259916: Bundesministerium für Wirtschaft, 21.7.1982 und Stellungnahme BMVg an Bundesministerium für Wirtschaft, nachrichtlich an AA, 24.8.1982. 22 BArch BW1/259916: Fa. Rheinmetall an Auswärtiges Amt, 14.3.1984 und Stellungnahme BMVg an AA, 18.5.1984.
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ziere in der Bundeswehr ausgebildet. 23 Einer der 35 war ein Leutnant der Artillerietruppe, der vom Juni 1980 bis März 1981 im westdeutschen Heer zum Batteriechef, sprich Kompaniechef, ausgebildet wurde. Sein Schulungsprogramm bestand aus einer dreimonatigen Einweisung im Panzerartilleriebataillon 295 in Immendingen, zwei Lehrgängen an der Artillerieschule in Idar-Oberstein, mehreren Truppenkommandos wiederum in Immendingen und im Feldartilleriebataillon 101, im Raketenartilleriebataillon 102 und im Beobachtungsartilleriebataillon 103, alle in Pfullendorf. 24 Der Schwerpunkt der Ausbildungshilfe lag in der Instandsetzungstruppe, darunter waren ein Hauptfeldwebel und zwei Unteroffiziere, die im Sommer 1975 am Heeresinstandsetzungswerk 800 in Jülich weitergebildet wurden. 25 Im selben Jahr wurde ein kamerunischer Leutnant, der bereits 1970 an der (zivilen) Ingenieurschule für Maschinenbau in Dortmund studiert hatte, in der Instandsetzungstruppe des Heeres weitergebildet. 26 1976/77 wurden zwei Hauptfeldwebel 14 Monate an der Schule der Technischen Truppen in Aachen und im Instandsetzungsbataillon 320 in Koblenz geschult. Zuvor besuchten die beiden einen siebenmonatigen Deutschunterricht am Bundesprachenamt in Hürth. 27 1975/76 wurden zudem zwei Offiziere des kamerunischen Heeres zur Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg zugelassen. 28 In einem internen Bericht der westdeutschen Botschaft in Yaundé an das Außenministerium in Bonn aus dem Jahr 1975 hieß es: Die Gewährung von Ausbildungshilfe an die kamerunischen Streitkräfte hat ausgesprochen positive Auswirkungen für die Arbeit der Botschaft. Durch die ständigen Kontakte mit dem Ministerium für die Streitkräfte für die Vorbereitung der Stipendien ist die Verbindung zu dem zuständigen Minister Sadou Daoudou besonders eng geworden. Dieser Minister ist nach seiner politischen Bedeutung die zweite Person im Staat und einer enger […] Vertrauter des Präsidenten. Er schätzt die deutsche Ausbildungshilfe, die erst im dritten Jahr gegeben wird, sehr […] Die deutsch-kamerunischen Beziehungen allgemein werden durch die Ausbildungshilfe erweitert und intensiviert. In den Streitkräften entsteht durch die Berichte zurückkehrender Stipendiaten ein neues und zutreffendes Deutschlandbild, das wegen des bisherigen Vorherrschens des französischen Einflusses nur unzureichend vorhanden war. 29
Der Bericht der westdeutschen Botschaft in Yaundé klang fast euphorisch. Der Blick auf die nackten Zahlen war ernüchternder: Die Zahl westdeutscher Ausbildungsplätze für Kameruns Armee war aber im Vergleich zu den Angeboten anderer Staaten Mitte der 1970er Jahre sehr gering.
23 BArch BW1/257442: BMVg, FüS II 5, 10.05.1985. 24 BArch BH/10/423: Heeresamt, II 1 (1), Ausbildungshilfe Kamerun, Projekt-Nr. 127/80, 3.6.1980. 25 BArch BH/2/3622: Heeresamt, G3 Ausb, Ausbildungshilfe Kamerun, Projekt-Nr. 102/74, 7.8.1974. 26 BArch BH/2/3622: BMVg Fü S II 5 (H), 23.7.1974 und Heeresamt, G3 Ausb, 15.8.1974. 27 BArch BH/2/3622: BMVg Fü S II 5, 9.1.1976 und Heeresamt, II 1 (1), Ausbildungshilfe Kamerun, Projekt-Nr. 113/76, 14.6.1976. 28 BArch BW1/257442: BMVg, FüS II 5, 10.05.1985. 29 BArch BW1/174094: westdeutsche Botschaft Yaundé, 29.03.1975.
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Frankreich bot jedes Jahr 160 Ausbildungsplätze an, darunter 3 Plätze an der École de Guerre, also der Generalstabsausbildung in Paris, wohlgemerkt 160 jedes Jahr. Griechenland bot 15 bis 30 Plätze für die Ausbildung von Offizieren im griechischen Heer pro Jahr an, die Ausbildung war auf 4 bis 5 Jahre ausgeplant, Kanada bot 3 bis 4 Plätze an, Algerien ebenfalls 3 bis 4 Plätze. 30 Insbesondere im Vergleich zu dem französischen Engagement für Kamerun verblassten die westdeutschen Zahlen. Aber der Bericht der westdeutschen Botschaft in Yaundé war verständlicherweise sehr positiv: Das Herausstellen der eigenen Bedeutung, die Betonung der Wichtigkeit der eigenen Arbeit gehören zum Handwerk der Diplomaten. 1985 bot Westdeutschland Kamerun erstmals die Generalstabsausbildung für einen Luftwaffenoffizier an. Im selben Jahr bat die Regierung in Yaundé Bonn um die Ausbildung von 19 Alpha Jet-Piloten. Die Bundesregierung lehnte diesen Wunsch aus Kapazitätsgründen ab, da dies die Kapazitäten der deutschen Ausbildungseinrichtungen für Piloten für zwei Jahre für 25 Prozent belegt hätte. Yaundé bat daraufhin um 2 bis 3 Plätze in der Alpha Jet-Pilotenausbildung. Das Bundesverteidigungsministerium sagte erneute Prüfung zu. 31 Die Luftwaffe sagte schließlich die Ausbildung zweier kamerunischer Piloten auf dem „Waffensystem“ Alpha Jet zu, aufnehmender Verband sollte noch im Sommer 1985 das Jagdbombergeschwader 49 in Fürstenfeldbruck sein. Nach dreimonatiger dortiger Vorausbildung sollen die zwei Offiziere im November 1985 oder Januar 1986 in die reguläre Alpha Jet-Pilotenausbildung für angehende Bundeswehroffiziere eingeschleust werden. 32 Kamerunische Luftwaffenoffiziere wurden auch an der (rein zivilen) Verkehrsfliegerschule der Lufthansa in Bremen ausgebildet 33. Zudem bot Bonn Kamerun für die Zeit ab 1986 weitere 3 Ausbildungsplätze für Truppenoffiziere zum Bataillonskommandeur an. Die Regierung in Yaundé bat um vier Plätze für Majore zur Ausbildung zu Bataillonskommandeuren der Truppengattungen Flugabwehr, Artillerie, Fernmeldewesen und Sanitätswesen. 34 In einem internen Vermerk des westdeutschen Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 1985 hieß es: Die militärische Ausbildungshilfe für Kamerun stellt wegen ihrer außenpolitischen, wirtschaftspolitischen [und] sicherheitspolitischen […] Wirkungen eine wichtige Ergänzung der […] Außenbeziehungen im Rahmen unserer Afrika-Politik dar. 35
Kamerun positionierte sich im globalen Kalten Krieg auf der Seite des Westens. In einer internen Einschätzung der Außenpolitik des Landes durch das westdeutsche Außenministerium hieß es 1984: Kamerun gehört zum Lager der Blockfreien und bekennt sich zu einer Politik der Äquidistanz zu allen Partnern. […] Die Zusammenarbeit mit den für die Entwicklung des Landes wichti30 31 32 33
Ebenda. BArch BW1/257442: BMVg, Auszeichnung Arbeitsgespräch in Yaundé Februar 1985. BArch BW1/257442: BMVg, Fü L I 6, 29.5.1985. Erfahren im Zeitzeugengespräch mit Colonel (Air Force) Philippe Fangueng Nana, Douala, Septemer 2017; der heutige Oberst wurde 1983 bis 1984 und erneut 1985 in Bremen geschult. 34 BArch BW1/257442: BMVg, Auszeichnung Arbeitsgespräch in Yaundé Februar 1985. 35 BArch BW1/257442: BMVg, FüS II 5, 10.05.1985.
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Klaus Storkmann geren westlichen Partnern genießt einen bei weitem höheren Stellenwert als die Beziehungen zum Ostblock. […] Kamerun ist bislang kaum durch spektakuläre Aktionen aufgefallen und favorisiert eher eine Linie des ‚low profile‘. […] Zu den meisten westlichen Staaten unterhält Kamerun ein freundschaftliches Verhältnis. In besonderem Maße gilt dies weiterhin für Frankreich, noch immer der wichtigste Partner, wenn auch das Bemühen um Diversifizierung unverkennbar ist. […] Erwähnenswert sind die besonders herzlichen Beziehungen zu Kanada, mit dem man such durch gemeinsame Zweisprachigkeit verbunden fühlt und das Kamerun zu einem Schwerpunktland seiner Entwicklungspolitik gemacht hat. […] Die Beziehungen zum sozialistischen Lager sind korrekt, jedoch distanziert. Die DDR hat 1983 eine Botschaft in Yaundé eröffnet. […] Freundschaftlich ist das Verhältnis zur Volksrepublik China. 36
China hatte schon in den 1970er und 1980er Jahren begonnen, sich in Afrika zu engagieren. Abgesehen davon war Kamerun aber ein treuer Partner des Westens. Kleine Episode am Rande: Die westdeutsche Botschaft in Niger bezeichnete 1980 in einer Meldung an das Auswärtige Amt Kamerun zweimal fälschlich als Volksrepublik. Ein Beamter in Bonn machte Fragezeichen an den Stellen. 37 Kamerun war niemals eine Volksrepublik – anders als Kongo-Brazzaville, Guinea oder Angola. Der Ostblock war in Kamerun militärisch de facto nicht präsent. Die Sowjetunion hatte aber bereits 1968/69 erstmals kamerunische Soldaten ausgebildet: zwei Hubschrauberbesatzungen, insgesamt 8 Piloten. Dazu hatte die Sowjetunion 1968 die zwei Helikopter des Typs Mi 4 angeblich gegen Bezahlung an Kamerun geliefert. 38 1975 hieß es dazu in einem Bericht der westdeutschen Botschaft in Yaundé: Da keine Ersatzteile aus der Sowjetunion geliefert wurden, waren die Hubschrauber nicht mehr flugtauglich, die Besatzungen wurden auf französische Fabrikate umgeschult. 39 NOCH KEIN FAZIT Wie die der DDR waren auch die westdeutschen Militärhilfen für Afrika, hier exemplarisch dargestellt am Beispiel Kamerun, maßgeblich von außenpolitischen Interessen bestimmt. Anders als in Ost-Berlin spielte Ideologie in Bonn keine Rolle. An die Stelle der Ideologie trat für Westdeutschland etwas viel Wichtigeres: außenwirtschaftliche Überlegungen. Wie die hier gezeigten und zitierten internen Papiere der Rüstungsabteilung des Verteidigungsministeriums beweisen, waren außenwirtschaftliche Vorteile für die westdeutsche Wirtschaft immer in den Köpfen der Beamten präsent, wenn es um die Entscheidung für Militärhilfen ging. Auch die Genehmigung von Rüstungsexporten bot Chancen. Waffen ließen und lassen sich gut und mit hohem Gewinn verkaufen. Der Bedarf schafft Nachfrage. Aber das ist eine Binsenweisheit. Auch die ostdeutsche Republik lieferte Waffen nach Afrika, zum Teil auch, aber nicht primär als Exportgeschäft, sondern zumeist kostenlos als „solidarische 36 37 38 39
BArch BW1/257436: Länderaufzeichnung Kamerun März 1984. BArch BW1/174094: westdeutsche Botschaft Niamey, 06.03.1980. BArch BW1/174094: westdeutsche Botschaft Yaundé, 28.02.1968. BArch BW1/174094: westdeutsche Botschaft Yaundé, 29.03.1975.
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Hilfe“ an befreundete Regierungen und Befreiungsorganisationen. Ost-Berlin nannte das „aktive Solidarität“. In Bonn war „Solidarität“ kein genutzter Begriff. Hier sprach man nüchtern von Entwicklungshilfe. Es ist kein Zufall, dass – abgesehen von den kommerziellen Waffenlieferungen – auch die militärischen Leistungen so ähnlich wie Entwicklungshilfe klangen: Ausrüstungshilfe und Ausbildungshilfe. Beide deutschen Staaten agierten in Afrika bis 1990 militärisch auf kleiner Flamme. Im Vergleich zum militärischen Engagement der beiden Supermächte USA und Sowjetunion, aber auch im Vergleich zum starken Auftreten Frankreichs waren West- und Ostdeutschland kleine Akteure. Im direkten Vergleich waren die Leistungen der Ostdeutschen nochmals viel geringer als die Westdeutschlands. In Kamerun war auch die Bundesrepublik nur ein kleiner Spieler auf dem Feld der Militärhilfen. Die DDR engagierte sich in Kamerun nicht. Aber auch für Bonn stand die einstige deutsche Kolonie überraschenderweise weit unten auf der Prioritätenliste seiner militärischen Kooperationspartner in Afrika. Die westdeutschen Militärhilfen standen in Quantität und Qualität im Schatten des dortigen Engagements der letzten Kolonialmacht Frankreich. Die deutsche koloniale Vergangenheit hat überraschenderweise weder zu einer Priorisierung Kameruns in Bonn noch zu einer stärkeren Rückorientierung der Regierung in Yaundé an Deutschland geführt. Der französische Einfluss überschattete alles. Paris hatte de facto ein Monopol in Yaundé. Entsprechend klein sind die Summen der westdeutschen Militärhilfen: Auf 14 Mio. DM bezifferten die Beamten des BMVg 1985 das seit 1976 gelieferte militärisch nutzbare Material, darunter Lkw, Motorräder und Funkgeräte. Die in den Quellen zu findenden Rüstungsexporte waren noch geringer, geradezu marginal. Von 1973 bis 1985 wurden 35 kamerunische Soldaten in der Bundeswehr ausgebildet. Ob das geringe Engagement Bonns für die einstige deutsche Kolonie beispielhaft für ein schwaches militärisches Engagement Westdeutschlands im subsaharischen Afrika steht, werden weitere Forschungen zeigen. Als Resümee für die Militärkooperation mit Kamerun bestätigt sich aber die schon 1971 von Beamten des Auswärtigen Amts niedergeschriebene interne Bewertung der westdeutschen Militärhilfen und Waffenlieferungen an afrikanische Staaten: Die Bundesrepublik Deutschland gehört nicht zu den traditionellen Waffenlieferanten der afrikanischen Länder südlich der Sahara. Der Umfang unserer Lieferungen war dementsprechend gering. Ein nennenswerter Einfluss auf unsere Beziehungen zu diesen Ländern kann schon deshalb nicht festgestellt werden. Auch hier gilt wie für die anderen Ländergruppen, dass die deutschen Exporte nicht zu Kräfteungleichgewichten, Spannungen oder kriegerischen Verwicklungen beitragen oder sie gar verursacht haben. Ausfuhrgenehmigungen haben wohl unsere bestehenden guten Beziehungen zu den Empfängerländern unterstrichen, sie jedoch nicht wesentlich mitgestaltet. 40
Künftige Forschung wird zeigen, ob diese Einschätzung auch für andere Staaten und für die 1970er und 1980er Jahre gelten kann. 40 BArch, Zwischenarchiv, B 136/27190, Auswärtiges Amt, III A 4, vom Dezember 1971: Studie über die politischen Auswirkungen der Kriegswaffenexporte der Bundesrepublik Deutschland in Nicht-NATO-Länder 1965 bis 1970, hier Bl. 9.
DIE BERGAKADEMIE FREIBERG UND DAS KOLONIALE MONTANWESEN Ulrich Thiel Im Jahr 1940 brachte man an einer Wand des Hörsaales im Geologischen Institut der Bergakademie Freiberg eine große Karte an, die den Titel „Vorkommen tropischer Rohstoffe und ihre Erschließung durch Freiberger Bergingenieure“ trug, initiiert wohl vom Professor für Geologie Friedrich Schumacher. 1 Sieht man von der kolonialrevisionistischen Zielstellung ab, so sind die vielen Einsatzländer von Absolventen der Montanhochschule, darunter mehrere Kolonien, doch sehr bemerkenswert. Dieser Spur soll hier im Rahmen des prosopografisch angelegten Beitrages nachgegangen werden. Als Zeitrahmen wurden die Aufnahme des Lehrbetriebes an der Bergakademie 1766 und der Beginn des Zweiten Weltkrieges gewählt. 2 Bei bisherigen Arbeiten richtete sich das kardinale Augenmerk dezidiert auf die Ausbildung von Verwaltungsbeamten für verschiedene Bereiche des deutschen Kolonialdienstes. 3 Demgegenüber wirkten jedoch bereits viele Jahrzehnte wissenschaftlich gebildete Montaningenieure auf vielen Einsatzgebieten in Kolonien. Bei deren Ausbildung kam der Bergakademie Freiberg eine ganz erhebliche Bedeutung zu. STUDENTEN AUS UND ABSOLVENTEN IN KOLONIEN Zwischen 1766 und 1940 studierten 2.662 Studenten, Deutsche wie Ausländer, an der Bergakademie Freiberg. Hier erhielten sie eine auf den aktuellen naturwissenschaftlichen Grundlagen basierende Ausbildung als Berg- oder Hütteningenieur 1 2
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Schumacher, Friedrich: Die kolonialen Einrichtungen und Ziele der Bergakademie Freiberg, in: Blätter der Bergakademie Freiberg, Freiberg 1940 Juni, S. 16–19. Basis für die Personendaten bildeten insbesondere das Universitätsarchiv Freiberg (UAF), Kartei der Studenten und Professoren; Schiffner, Carl: Aus dem Leben alter Freiberger Bergstudenten, Band I, Freiberg 1935, Band II, Freiberg 1938, Band III, Freiberg 1940; Wagenbreth, Otfried/Kaden, Herbert E./Pohl, Norman/Volkmer, Roland: Die Technische Universität Bergakademie Freiberg und ihre Geschichte, dargestellt in Tabellen und Bildern, 3. Aufl., Freiberg 2012 sowie Schleiff, Hartmut/Volkmer, Roland/Kaden, Herbert E.: Catalogus Professorum Fribergensis. Professoren und Lehrer der TU Bergakademie Freiberg 1765–2015, Freiberg 2015. Beispielsweise Ruppenthal, Jens: Kolonialismus als „Wissenschaft und Technik“. Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919, Stuttgart 2007, bes. S. 9–13, 161 f.; Stoecker, Holger: Afrikawissenschaften in Berlin 1919 bis 1945. Zur Geschichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes, Stuttgart 2008, bes. S. 117.
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(im Folgenden Bergingenieur). 4 Für einen Teil der Studenten bzw. Absolventen der Bergakademie Freiberg, etwa 200 an der Zahl, lässt sich ein kolonialer Kontext nachweisen. 5 Studenten aus Kolonien Insgesamt waren im Zeitraum von 1766 bis 1920 90 Studenten aus Kolonien an der Bergakademie Freiberg immatrikuliert. Der erste Student aus dieser Gruppe, der Brasilianer José Bonifácio d’Andrada e Silva (1763–1839), schrieb sich 1792 an der Bergakademie ein. Der Zuwachs erlebte zwischen 1881 und 1910 seinen Höhepunkt. Die Studenten stammten aus 16 verschiedenen Kolonien, die meisten aus Australien (26), der Kapkolonie (15), Niederländisch-Indien (12) und Kanada (10). Untergliedert nach den Kolonialmächten gehörten die Studierenden fünf „Mutterländern“ an, insbesondere Großbritannien (71) und den Niederlanden (12). Verglichen mit der Gesamtzahl aller Studenten, bezogen auf den Zeitraum 1861 bis 1910, blieb der Prozentsatz von Studierenden aus Kolonien gering. Er belief sich im genannten Zeitraum bei insgesamt 1.140 Studenten auf 85 Personen, damit auf 7,5 Prozent. Die Kanadier beispielsweise reisten vor allem zwischen 1870 und 1900 an. Aus der Kapkolonie und Niederländisch-Indien kamen die meisten Studenten zwischen 1891 und 1910. Lediglich von einigen der Studenten sind Daten über ihren späteren Berufseinsatz bekannt. Der Australier Alexander Gilfilan (1863–1941) war Hüttenfachmann in Melbourne. James Harcourt Smith (um 1870[?]–1899) aus Tasmanien übte dort zunächst eine Tätigkeit als Probierer aus, ehe er als Regierungsgeologe und Chefinspektor aller Bergwerke wirkte. Rafael Juan Laureano Herrmann (geb. 1868) stammte aus der spanischen Kolonie Philippinen. Er ging zeitweise einer Erwerbstätigkeit im Transvaal nach, bevor er in sein Geburtsland zurückkehrte. Absolventen in den Kolonien In Kolonien lassen sich in Summe 112 berufliche Aktivitäten von Absolventen der Bergakademie Freiberg nachweisen. Bei den Einsätzen kann man grundsätzlich zwei Etappen unterscheiden, einmal den Zeitraum von der Akademiegründung bis um 1830, also bis zur Unabhängigkeit der meisten lateinamerikanischen Kolonien. In diesen reichlich 60 Jahren gingen 12 Absolventen in den Kolonialdienst. Dabei handelte es sich um Spanier, Portugiesen und Deutsche. Außerdem ist dieser Gruppe als Besonderheit Alexander von Humboldt (1769–1859) zuzuordnen, der nach seiner bergfachlichen Ausbildung in Freiberg 1791/92 als Privat4 5
Albrecht, Helmuth: Die Bergakademie Freiberg. Eine Hochschulgeschichte im Spiegel ihrer Jubiläen 1765 bis 2015, Halle 2016. Es wurde nur der jeweils erste Besuch in einer Kolonie gezählt. Einsätze von einer Person in mehreren Kolonien fanden Eingang in die Statistik.
Die Bergakademie Freiberg und das koloniale Montanwesen
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forscher die spanischen Kolonien Lateinamerikas besuchte. Er kritisierte den Kolonialismus grundsätzlich. 6 In dem folgenden Interim 1830 bis 1860 agierten lediglich vier Personen neu im kolonialen Ausland. Unter ihnen befand sich der Aschantiprinz Aquasie Boachi (1826–1904), der aus dem westafrikanischen Aschantireich mit seinem aktiven Goldbergbau stammte. Er studierte von 1847 bis 1849 an der Bergakademie und arbeitete danach mehr als 50 Jahre in Niederländisch-Indien, großenteils als Bergingenieur. 7 Die zweite große Etappe setzte nach 1860 ein. 79 Aktivitäten betrafen den Zeitraum 1861 bis 1920 sowie 17 die Spanne 1921 bis 1940. Den Höhepunkt erlebte diese Migrationsbewegung von Berufs wegen in die Kolonien zwischen 1881 und 1920. Ergo scheint der Bedarf an Montanexperten ausgangs des 19. Jahrhunderts angewachsen zu sein. Von den genannten Einsätzen entfielen 74 auf deutsche Absolventen. Die Tätigkeit der ehemaligen Freiberger betraf 34 unterschiedliche Kolonien in aller Welt. Die meisten arbeiteten in Australien, Britisch-Indien, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Niederländisch-Indien, in der Südafrikanischen Union und im Transvaal. Diese Kolonien lassen sich sieben „Mutterländern“ zuordnen, wobei die überwiegende Mehrheit der Bergingenieure einen Job in britischen Kolonien annahm. Weitaus weniger Einsätze sind in deutschen bzw. niederländischen Kolonien zu zählen. Die Freiberger Bergingenieure beschäftigten sich mit allen in Frage kommenden Bodenschätzen. Während einige Fachleute lediglich in einer Kolonie ihrem Beruf nachgingen, von den deutschen Ingenieuren z. B. Hermann Adrion (geb. 1888), von den ausländischen etwa Roger Fulke Kerrison (Studium an der Bergakademien ab 1904/05), lassen sich weitere Experten in mehreren Kolonien nachweisen, so der Deutsche Johann Carl Friedrich Bunge (1870–1938) und der aus Finnland stammende Birger Barnabas Lindberg (1876–1940). Für die weltweiten Aktivitäten der Freiberger Fachleute steht das berufliche Itinerar von Hans Eugen Stierlin (geb. 1865). Er betätigte sich u. a. in Angola, Australien, Deutsch-Südwestafrika, in den USA und Italien. Als Staatsbeamter agierte beispielsweise Percy Albert Wagner (1885–1930) in der Südafrikanischen Union. Im Auftrag ihrer Firmen arbeiteten u. a. John Hays Hammond (1855–1936) und Richard Robert Pilz (1877–1948). Ein Wechsel zwischen den verschiedenen Arbeitsrechtsformen kann etwa bei Julius Karl Gustav Kuntz (1865–1940) beobachtet werden. Auch nach 1918 arbeiteten Absolventen der Bergakademie in Kolonien, beispielsweise Richard Ibach (Studium 1919–1924). 6 7
Holl, Frank: Alexander von Humboldt – „Geschichtsschreiber der Kolonien“, in: Goethezeitportal, online unter: http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/ahumboldt/holl_kolonialismus. pdf (20.06.2018), S. 2. Arnold, Anne-Sophie: „Lieber in Europa den Tod gefunden, als in Guinea langsam vor Kummer unterzugehen...“. Der Aschantiprinz Aquasie Boachi als Student in Freiberg, in: van der Heyden, Ulrich (Hrsg.): Unbekannte Biographien. Afrikaner im deutschsprachigen Europa vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Werder 2008, S. 23–30.
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Oftmals kamen in den Kolonien auch Ingenieure mit einer anderen staatlichen Herkunft oder einem anderen Qualifizierungsursprung zum Einsatz. So nahmen beispielsweise Bergingenieure aus dem britischen Cornwall und aus Chile im Süden Afrikas eine Tätigkeit auf. 8 Die Spitzenzeiten des Wirkens Freiberger Ingenieure in Kolonien scheinen jedoch nicht in jedem Fall mit dem Beginn eines Berggeschreis verbunden gewesen zu sein. So erlebte der erste australische Goldrausch seinen Gipfel zwischen 1850 und 1860, der zweite Höhepunkt bergbaulichen Geschehens fand in den 1890er Jahren statt. 9 Die Präsenz australischer Studenten in Freiberg erfuhr ihren Höhepunkt zwischen 1890 und 1910. Diese Phasenverschiebung gegenüber dem ersten Boom könnte darauf hindeuten, dass man erst nach dem Eintreten von ernsthaften Schwierigkeiten entsprechend reagierte und verstärkt auf die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse setzte. Im Transvaal wuchs mit der Entdeckung der Goldvorkommen am Witwatersrand 1884 der Arbeitskräftebedarf, darunter an Bergingenieuren, in kürzester Zeit immens. Zugleich dürfte die rassistische Kolonialpolitik im Süden Afrikas der Anwerbung weißer Ingenieure Vorschub geleistet haben. Die Suche nach hochqualifiziertem Personal für den Betrieb in den Goldbergwerken und Schmelzhütten des Transvaals um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stand vermutlich mit den komplizierter werdenden Lagerstättenverhältnissen in einem direkten Kontext. 10 Eine der Lösungen der Bergwerksbesitzer kann in der Einstellung weiteren ingenieurtechnischen Personals zur Verbesserung der Produktionsprozesse bestanden haben. In diesen Zusammenhang lassen sich auch die von Wagner nach der Jahrhundertwende und von Kamillo Förster (geb. 1884) 1909 vor Ort vorgenommenen Forschungen einordnen. BERGAKADEMISTEN IN DEUTSCHEN KOLONIEN Im Ganzen wirkten 24 Absolventen in den deutschen Kolonien bzw. Nachfolgeländern in einem bergbaulichen Umfeld. Das zeitliche Schwergewicht lag auf der deutschen Kolonialära, während der 21 Personen zum Einsatz kamen. Die Mehrzahl, nämlich 13 Personen, betätigte sich in Deutsch-Südwestafrika. 11 In DeutschOstafrika wirkten sechs Ingenieure. Im Kamerun war ein Absolvent tätig, ebenso einer in Kiautschou. Zwei Ingenieure arbeiteten in Deutsch-Neuguinea. Friedrich Schumacher (1884–1975) beispielsweise ging in Deutsch-Ostafrika 1913–1916 einer Tätigkeit nach. Mit Kamerun hatte Ernst Richard Emil Fuchs (Bergakademie 1905– 8
Williams, Gardner F.: The Diamond Mines of South Africa. Some Account of their rise and development, 2 Bde., London 1902. 9 Lee, David: The second rush. Mining an the Transformation of Australia, Redland Bay 2016. 10 Lewin, Günter: Chinesische Arbeiter in den Goldbergwerken des Transvaal 1904 bis 1910, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Nr. 1, Berlin 1981, S. 87–106, hier S. 88 f. 11 Zum Montanwesen beispielsweise Kaulich, Udo: Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (1884–1914). Eine Gesamtdarstellung, 2. Aufl., Frankfurt am Main et al. 2003.
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1908) 1913/14 sein Einsatzland, während in Deutsch-Neuguinea Johannes August Schlenzig (Bergakademie 1890–1894) 1912/13 sowie in Kiautschou Heinrich Eduard Schmiedel (Bergakademie 1897–1902) vor 1918 ihre Betätigungsfelder fanden. Im öffentlichen Dienst als Leiter eines Bergamtes fand z. B. Hermann Nieß (1878– 1949) eine Anstellung. Das Gros der Absolventen nahm eine Tätigkeit in der Industrie wahr. Sie gingen vornehmlich nach der Jahrhundertwende ihrer Tätigkeit nach. Die höhere Zahl Freiberger Bergingenieure kann mit dem Paradigmenwechsel in der Kolonialpolitik im Kontext stehen, die Bernhard Dernburg nach seiner Investitur als Kolonialstaatssekretär im Jahr 1907 einleitete. 12 Andererseits betätigten sich ebenfalls ausländische Ingenieure Freiberger Bildungsprovenienz in den deutschen Kolonien, wovon der britische Staatsbürger Carl Friedrich Wilhelm Krause (geb. 1898) und der Schwede Peter Trotzig (1886–1952) Zeugnis ablegen. Die in Unternehmen tätigen Bergingenieure arbeiteten u. a. für die Adolf Goertz AG, Filiale Berlin, und die British South Africa Company, London. Mancher Bergingenieur kehrte mit der Kassation des deutschen Kolonialreiches nach Deutschland zurück. Nieß und Schumacher gelang es, hier ihre berufliche Karriere voranzutreiben. 13 Bergingenieure, die in Kolonien des Deutschen Reiches tätig wurden, bildete ebenfalls die Bergakademie Clausthal aus. Exemplarisch sei Theodor Gathmann (Studium ab 1890) angeführt. Hans Merensky (1871–1952), der in Breslau und Berlin studiert hatte, entdeckte im Süden Afrikas reiche Lagerstätten an Edelmetallen sowie Diamanten und gelangte zu großem Vermögen. 14 ERGEBNISSE DES WIRKENS FREIBERGER BERGINGENIEURE IN KOLONIEN Der berufliche Einsatz von Absolventen der Bergakademie in den Kolonien zeitigte vielgestaltige Resultate. Im Falle des aus Spanien stammenden Absolventen Fausto Fermin Delhuyar (1753–1833) entfaltete die Arbeit allerdings erst zeitverschoben ihre volle Wirkung. 15 1. Viele der Absolventen beförderten die Montanwirtschaft in ihrem Tätigkeitsbereich. Damit trugen sie zu positiven unternehmerischen Bilanzen bei. 12 Z. B. Ruppenthal, Jens: Kolonialismus…, a.a.O., S. 53–57. 13 UAF, 847, Rektorakte, unpag., Denkschrift Friedrich Schumacher „Die Bergakademie Freiberg und ihre Bedeutung für die koloniale Arbeit“ vom Juni 1937. Zu Schumacher vgl. Thiel, Ulrich: Freiberg in Sachsen: Kolonialgeologische und -bergbauliche Forschungsstätte, in: van der Heyden, Ulrich/Zeller, Joachim (Hrsg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 2007, S. 177–182. 14 Bornhardt, Wilhelm: Ursprung und Entwicklung der Bergakademie, in: Valentiner, Siegfried (Bearb.): Die Preussische Bergakademie zu Clausthal 1775–1925. Festschrift zur 150Jahrfeier, Leipzig 1925, S. 1–39, bes. S. 15, 18; Lüert, Hans: Deutscher Bergbau im Ausland in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Köln 1971, S. 41–49. 15 Ebert, Franziska: Das Wirken spanischsprachiger und deutscher Absolventen der Bergakademie Freiberg im lateinamerikanischen Montanwesen 1766 bis 1933, Magisterarbeit TU Dresden 2010, S. 56, 80, 83–86.
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2. Mit Adolf Goertz (1855–1900) und Moritz Hochschild (1881–1965) gründeten zwei Absolventen der Bergakademie große eigene Firmen. Gardner F. Williams (1842–1922) schafft es als General Manager bis an die Spitze eines weltweit führenden Konzerns, konkret der De Beers Consolidated Mines Ltd. 3. Die Freiberger Bergingenieure sorgten mit dafür, dass die Kolonien teilweise große Mengen an Rohstoffen zur Verfügung stellten. 16 4. Sie leisteten partiell Pionierarbeit als Prospektoren, indem sie neue Lagerstätten auffanden und aufschließen halfen. Mit entsprechenden Aktivitäten tat sich 1884/85 Hermann August Pohle (1829–um 1885) im Südwesten Afrikas hervor. 17 Sie fanden ihre Fortsetzung beispielsweise mit Georges Charles du Bois (geb. 1874), der lange in Britisch-Guayana prospektierte, und Schlenzig, der Vorkommen in Deutsch-Neuguinea untersuchte. 5. Nicht wenige Absolventen waren forschungsseitig aktiv und publizierten ihre Erkenntnisse. Zu den frühesten bergmännischen Wissenschaftspublizisten gehörte Andres Manuel del Rio (1765–1849), der 1795 das wichtige Werk „Orictognosia“ veröffentlichte. In die Phalanx der Forscher reihten sich u. a. James Alexander Leo Henderson (1874–1940) und Förster ein. 18 Eine innovative Aufbereitungstechnologie führte Friedrich Arthur Maximilian Schiechel (1872–1932) ein, während Max Heberlein (1860–1908) ein neues Schmelzverfahren u. a. in Kanada etablierte. 19 6. Von dem erweiterten Wissen profitierten auch Lehre und Forschung an der sächsischen Bergakademie. Geologieprofessor Richard Beck (1858–1919) griff beispielsweise auf die Forschungsergebnisse seines ehemaligen Studenten Rogier Diederick Marius Verbeek (1845–1926) zurück. 20 Außerdem konnte die Bergakademie durch die Zusendung von Mineralien und Gesteinsproben ihre geowissenschaftlichen Sammlungen erweitern. 21 7. Einige der Spezialisten übernahmen nach ihrem kolonialen Engagement temporär oder dauerhaft Lehrverpflichtungen als Hochschullehrer, z. B. d’Andrada e Silva an der Universität Coimbra/Portugal. 8. Lehrkräfte der Bergakademie unternahmen eigene wissenschaftliche Expeditionen in Kolonien. So hielt sich Otto Stutzer beispielsweise ab 1911 für zwei
16 Kaulich, Udo: Die Geschichte…, a.a.O., S. 391. 17 Gustafsson, Heinz: Namibia, Bremen und Deutschland, ein steiniger Weg zur Freundschaft, Berlin 2003, z. B. S. 162, 166–168. 18 Henderson, James Alexander Leo: Petrographical and geological investigations of certain Transvaal norites gabbros and pyroxenites and other South African rocks, Dissertation, Universität Leipzig 1898; Förster, Kamillo: Probenehmen und Erzreservenbeurteilung in den Goldfeldern Transvaals, Dissertation, TU Dresden/Freiberg 1914. 19 Schiffner, Carl: Aus dem Leben…, a.a.O. S. 245, 334. 20 Schreiter: Geheimer Bergrat Professor Dr. Richard Beck, in: Jahrbuch für das Berg- und Hüttenwesen in Sachsen, Freiberg 1919, S. 9–21, 149 f. 21 So durch J. K. G. Kuntz 1906, z. B. TU Bergakademie Freiberg, Lagerstätten-Sammlung, Inventarnummer LaSa32265 Feinkörnig kristalliner Bleiglanz, Tsumeb-Grube, inventarisiert von R. Beck. Frdl. Auskunft von Dr. Christin Kehrer und Andreas Massanek.
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Jahre in Belgisch-Kongo einschließlich Katanga sowie in Süd-Rhodesien auf. Er verarbeitete seine Erkenntnisse in Fachpublikationen. 22 DIE ROLLE DER BERGAKADEMIE FREIBERG IM KOLONIALBERGBAU – EIN FAZIT 1. Die Bergakademie Freiberg bildete im untersuchten Zeitraum keine Bergingenieure speziell für den Einsatz in Kolonien aus, auch wenn sie später dort tätig wurden. Die Professoren wussten um die Tätigkeit ihrer ehemaligen Studenten im Ausland. Ihnen ging es, wie von Rektor Erwin Papperitz 1916 formuliert, um die Verbreitung des deutschen Wesens und der deutschen Kultur in der Welt sowie um die Erschließung neuer Absatzgebiete für deutsche Produkte. 23 2. Die wissenschaftliche Durchdringung der montanen Produktionsprozesse in den Kolonien durch Freiberger Bergingenieure setzte bereits im späten 18. Jahrhundert ein. Seither kam es zu einem kaum mehr abreißenden Wissenstransfer. Die Freiberger Fachleute nahmen bei ihrer Tätigkeit im Kolonialbergbau ebenfalls die Erkenntnisse anderer auf. Das Ausgangswissen wurde so auf eine neue Stufe gestellt. 3. Montanwissenschaften sind keine kolonialen Wissenschaften. Gleichwohl ist der Einschätzung von Holger Stoecker, wonach das koloniale Projekt stets ebenfalls ein Projekt der Wissenschaften war, aus Sicht der Geschichte des Montaningenieurwesens grundsätzlich zuzustimmen. 24 Denn das Wirken der Freiberger- Bergingenieure ging mit einem erheblichen Transport von Kenntnissen und Fähigkeiten von Freiberg in die Kolonien einher. 4. In den Kolonien gehörten die Bergingenieure innerhalb der sozialen Hierarchie zu den Eliten und waren Teil des Kolonialsystems. 5. Die Montanwissenschaften kamen international zur Anwendung. Außerdem betraf die Destination des Wissenstransfers einen bedeutenden Wirtschaftszweig. Mit ihrer Tätigkeit trug die Hochschule zur Etablierung und Festigung des weltweiten Kolonialsystems bei. Die Bergingenieure selbst arbeiteten objektiv gesehen ebenfalls in diesem Wirkungskreis. Dennoch sollte man bei der Bewertung der Aktivitäten der Bergingenieure die Vielschichtigkeit der gesamten Problematik bedenken. 25 .
22 Schleiff/Volkmer/Kaden 2015 (wie Anm. 2), S. 127. Stutzer, Otto: Die Erzlagerstätten von Tsumeb im Otavibezirk im Norden Deutsch-Suedwestafrikas, in: Zeitschrift für praktische Geologie, Nr. 12, Halle 1908, S. 71. 23 Papperitz, Erwin: Gedenkschrift zum Hundertfünfzigjährigen Jubiläum der KöniglichSächsischen Bergakademie zu Freiberg, Freiberg 1916, S. 28–31. 24 Stoecker, Holger: Afrikawissenschaften…, a.a.O., S. 24. 25 Exemplarisch van der Heyden, Ulrich: Deutsche Entdeckungsreisende in Afrika und der Kolonialismus. Das Beispiel Hans Meyer, in: Brogiato, Heinz Peter (Hrsg.): Meyers Universum. Zum 150. Geburtstag des Leipziger Verlegers und Geographen Hans Meyer (1858–1929), Leipzig 2008, S. 117–140.
„KOLONIALE SCHATZKAMMER“ ODER „WELTKULTURMUSEUM“?: DAS BERLINER HUMBOLDT FORUM IN DER KRISE 1 Joachim Zeller Es ist der postkoloniale Ort in Deutschland, der im Entstehen begriffen ist, das Humboldt Forum in Berlin. Sein Domizil soll es hinter der rekonstruierten Barockfassade des wiederaufgebauten Stadtschlosses finden. Für Ende 2019 ist die (Teil)Eröffnung geplant. Geworben wird für das Großprojekt nur im Superlativ. Das Schloss sei ein „Jahrhundertbau“ und das Humboldt Forum ein „Weltkulturmuseum“ neuen Formats. Es soll ein „Kompass für das globale Miteinander“ sein, ein „kulturelles Zentrum von nationaler und internationaler Ausstrahlung“, mit dem sich Berlin im Kreis der „weltweit führenden Kultur- und Museumsstädte“ etablieren will. Selbst die Tourismusindustrie könnte das kommerzielle Branding der Marke Berlin nicht besser betreiben, um die Stadt an der Spree im neoliberalen Standortwettbewerb als Global Player der Kultur in Stellung zu bringen. 615 Millionen Euro sind für die Wiedererrichtung des 1950 von der DDRFührung gesprengten Residenzschlosses der einstmaligen Hohenzollern-Dynastie veranschlagt und 60 Millionen jährlich für den Ausstellungsbetrieb. In den Räumlichkeiten des Humboldt Forums mit seinen insgesamt 40.000 Quadratmetern Nutzfläche sollen die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst mit ihren zusammen rund 500.000 Objekten präsentiert werden, die bisher im Museumszentrum in Berlin-Dahlem zu Hause waren. Seit das Großprojekt auf der Agenda steht, ist es von erregt geführten Debatten begleitet. Folgt man den Verlautbarungen der Verantwortlichen, so handelt es sich bei dem Vorhaben um das „wichtigste kulturpolitische Projekt in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts“. 2 Das Humboldt Forum soll „zur Denkund Erfahrungsschule einer demokratischen Weltgesellschaft“ avancieren. Mit dem „Denkraum für die Zukunft der Welt“ wird ein „Ort des Dialogs der Kulturen der Welt“ angestrebt. Im Humboldt Forum als einem „multiperspektivischen Ort der Weltkulturen“ will man die Objekte der außereuropäischen Kulturen auf Augenhöhe mit denen westlicher Kulturen präsentieren. 1
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Der vorliegende Text ist eine gekürzte und aktualisierte Version des Aufsatzes „Weltkulturmuseum? Koloniale Schatzkammer? Das Berliner Humboldt Forum in der Krise. Plädoyer für eine radikale Ehrlichkeit“, in: Bechhaus-Gerst, Marianne/Zeller, Joachim (Hrsg.): Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2018, S. 547–570. Siehe zuletzt Bredekamp, Horst/Schuster, Peter-Klaus (Hrsg.): Das Humboldt Forum. Die Wiedergewinnung der Idee, Berlin 2016.
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Diesen Bekundungen zum Trotz hagelte es in den vergangenen Jahren Kritik an der inhaltlichen und konzeptuellen Ausgestaltung des geplanten Humboldt Forums, mitunter wird die Legitimation des gesamten Projekts infrage gestellt. Bereits die Schloss-Replik stößt bei den Gegnern auf Ablehnung. Ein solches „vordemokratisches Gebäude“ stehe für Preußentum, Militarismus, Krieg und koloniale Expansion. Als „Schatzhaus der Kolonialvergangenheit“ tituliert, wird zudem Anstoß an der Namensgebung des Forums genommen. Während die Befürworter darauf beharren, der Name der Gebrüder Humboldt stehe für eine Sammlungs- und Begegnungsgeschichte, die nicht vom kolonialen Gedanken des Ausbeutens und Besitzens geprägt sei, sehen das Kritiker ganz anders. Bei allem Respekt besonders auch für Alexander von Humboldt sei dieser doch Teil des kolonialen Systems gewesen. Offensiv in die Öffentlichkeit getragen wurden die Anti-Humboldt-Positionen insbesondere durch das Kampagnenbündnis „No Humboldt 21“, einen Zusammenschluss von mehr als 40 kultur- und entwicklungspolitischen, migrantischdiasporischen sowie internationalen Nichtregierungsorganisationen. Schon früh forderten die Aktivisten und Aktivistinnen des Bündnisses ein Moratorium und eine breite öffentliche Debatte über das Humboldt Forum. 3 Das bisher bekannt gewordene Konzept verletze die Würde und die Eigentumsrechte von Menschen in allen Teilen der Welt und es sei eurozentrisch und restaurativ. Es stehe dem Anspruch eines gleichberechtigten Zusammenlebens in der Migrationsgesellschaft entgegen. Die Kulturschätze aus aller Welt dienten lediglich zur Demonstration von Weltoffenheit der selbsternannten „Kulturnation“. Das Humboldt Forum verharre im kolonialen Blick auf seine Objekte. Die Hegemonien des Kolonialzeitalters würden nicht wirklich aufgebrochen, da die in dem Humboldt Forum versammelten Kulturgüter der Welt auch weiterhin den Privilegierten im Norden vorbehalten blieben. Die von dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Gründungsintendanten Hermann Parzinger ausgesprochene Einladung an „Besucher aus Asien oder die Nachfahren indigener indianischer oder afrikanischer Gesellschaften“ wird als zynisch zurückgewiesen angesichts der Tatsache, dass „tagtäglich Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil ihnen die Einreise nach Europa verwehrt wird“. Nicht nur der Kunsthistoriker Hanno Rauterberg pflichtete dem bei. Er nannte das Humboldt Forum einen „Palast der Verlogenheit“. Gepredigt werde „ein Dialog der Kulturen, gelebt wird eine Politik der Abschottung. Kulturelle Relikte sind wohlgelitten, nicht aber jene Menschen, die diese Kultur hervorbrachten – was für eine Bigotterie!“ 4 Für Aufsehen sorgte der Protest der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die im Juli 2017 aus dem internationalen Expertenbeirat des Humboldt Forums austrat. Die Leibniz-Preisträgerin bemängelte die bisher unzureichende Provenienzforschung der Sammlungsobjekte. In der aktuellen Ausrichtung des Humboldt Forums sieht sie eine unkritische Fortschreibung der über 300-jährigen, kolonial 3 4
Siehe www.no-humboldt21.de; No Humboldt 21!. Dekoloniale Einwände gegen das Humboldt-Forum, AfricAvenir International e. V., Berlin 2017. Rauterberg, Hanno: Palast der Verlogenheit. Das Humboldt-Forum in Berlin feiert Richtfest, in: Die Zeit, 11.6.2015.
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geprägten Sammlungsgeschichte. Zudem betont sie, dass Provenienzforschung und Restitutionen zu unterscheiden sind – ein Unterschied, den manch ein um seine Sammlungsbestände besorgter und deshalb mit einem Abwehrreflex reagierender Museumsbeamter nicht zur Kenntnis nehmen wolle. Von anderer Seite hieß es, die Provenienzforschung könne nicht allein von der Raubkunst-Debatte aus gedacht werden. Nicht immer würden kolonialzeitliche Erwerbszusammenhänge bedeuten, dass es sich auch um Beutegut handeln muss. Die obsessive, gleichwohl überfällige Beschäftigung mit Raubkunst, so der Ethnologe Fritz W. Kramer, verkenne die Tatsache, dass die kolonialisierten Gesellschaften auch Handel mit „Ethnographica“ betrieben und es eine regelrechte Produktion für den Tauschhandel gab. Die Gesellschaften müssten demnach auch als handelnde Subjekte und nicht nur als passive Opfer wahrgenommen werden. Fakt bleibt, die Deutsche Forschungsgemeinschaft ließ sich erst aufgrund des wachsenden öffentlichen Drucks Ende des Jahres 2017 dazu bewegen, das historische Archiv des Ethnologischen Museums bzw. des vormaligen Berliner Völkerkundemuseums zu digitalisieren und öffentlich zu machen. Davon abgesehen, dass es den „Herkunfts-“ bzw. „Urhebergesellschaften“ – wie der hiesigen Diaspora – keineswegs allein um Restitutionen geht, sondern auch um Teilhabe an den Objekten und dem Wissen über sie, den Zugang zu den Archiven bis hin zur Mitbestimmung bei der Museumspräsentation, liegen Rückgabegesuche zu einzelnen Kunst- und Kulturobjekten aus den Beständen des zukünftigen Humboldt Forums teilweise schon seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Darunter zählen die Kultmasken der Kogi (Kolumbien), die berühmten BeninBronzen (Nigeria) oder der Thron des Königs Njoya (Kamerun). Weitere Museen in Berlin und in anderen deutschen Städten sind ebenfalls von Rückgabeforderungen betroffen. Zu den bekanntesten Fällen gehören die Büste der Nofretete (Ägypten), eine der Hauptattraktionen auf der Berliner Museumsinsel, das Tangué (Kamerun) im Münchener Museum Fünf Kontinente oder die Säule von Cape Cross (Namibia) im Deutschen Historischen Museum Berlin. Die Restitutionsdebatte bezieht sich aber nicht nur auf Kunst- und Kulturobjekte in ethnologischen Sammlungen, die aus den ehemaligen deutschen und anderen europäischen Kolonialgebieten stammen. Abgesehen von den bereits laufenden Repatriierungen von Human Remains wird auch um Objekte aus naturkundlichen Sammlungen wie dem zum Berliner Naturkundemuseum gehörenden Skelett des Brachiosaurus brancai diskutiert. Das größte in einem Museum aufgebaute Dinosaurierskelett der Welt stammt aus Tansania, der vormaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“. „Über das Humboldtforum ist alles gesagt. … Die Diskussion bewegt sich seit langer Zeit im Kreise. In diesem Jahr haben die Feuilletons die Regie übernommen, ohne daß dabei neue Gesichtspunkte zur Sprache gekommen wären“, heißt es in dem Blog „Wie weiter mit Humboldts Erbe? Ethnographische Sammlungen neu denken“. 5 Ob nun tatsächlich alle fachlichen Positionen abgesteckt und ausgetauscht sind, sei dahingestellt. Die Aussage lässt den jetzt erst richtig in Gang 5
Schüttpelz, Erhard: Was für ein Wirbel, online verfügbar unter: https://blog.uni-koeln.de/gssc -humboldt (15.10.2017)..
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gekommenen (kultur-)politischen Aushandlungsprozess um das Humboldt Forum unbeachtet, haben doch Museen nicht in erster Linie eine ästhetische oder wissenschaftliche Funktion, sondern einen gesellschaftlichen Zweck zu erfüllen. Betrachtet man daraufhin das Für und Wider der Kontroverse, halten sich seriöse, weil differenzierende Beiträge, und solche unter Niveau die Waage. Und sollte Hanno Rauterberg mit seiner Feststellung richtigliegen, beim Humboldt Forum handle es sich um einen „Palast der Verlogenheit“, bieten sich durchaus erstaunliche Einblicke in das Diskursereignis Humboldt Forum. Unter einigen wenigen Beispielen, die hier aufgegriffen werden können, soll ein Aufsatz von Viola König zur Sprache kommen. König war bis 2017 Direktorin des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen Berlin. Sie gehörte zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mit der Neukonzeption der Ausstellung im zukünftigen Humboldt Forum beauftragt wurden. Ihr Aufsatz „Das Humboldt Forum – Ein Versuch einer Kritik der Kritik“ eignet sich deshalb, da sie darin vor allem auf die „Kolonialismusdebatte“ reagiert, um die sich gegenwärtig vieles dreht. 6 Zunächst verwahrt sie sich dagegen, den Vertretern und Vertreterinnen des Humboldt Forums Unkenntnis kolonialer Geschichte, Geschichtsvergessenheit und eurozentrische Selbstgewissheit zu unterstellen. Solche pauschalen Behauptungen, die lediglich der wohlfeilen „Selbstprofilierung“ dienen würden, weist sie mit aller Entschiedenheit zurück. In diesem Punkt ist ihr beizupflichten. Bei aller notwendigen Kritik zeugt es nicht nur von Unkenntnis, sondern es ist auch unredlich, dem Gegenüber unisono jegliches (kolonial)historische Bewusstsein und Gespür für globale Ungleichheitsstrukturen abzusprechen, nur um die eigene Anti-Humboldt-Position zu untermauern. Zudem wird außer Acht gelassen, dass die Ethnologie einerseits und die Museumsethnologie andererseits in den letzten Jahrzehnten Gegenstand heftiger postkolonialer Kritik gewesen sind. Die damit verbundene „Krise der Repräsentation“ hat ein einfaches Sprechen über „andere Gesellschaften“ längst hinter sich gelassen. 7 Die Ethnologie selbst weist eine lange Geschichte anti-hegemonialer politischer Kritik auf – seit Jahrzehnten hat sie immer wieder die koloniale Prägung ethnologischer Museen angeprangert –, wenn auch die Debatten um die Verstrickungen der Ethnologie in das koloniale Projekt hierzulande in der Öffentlichkeit erst verspätet angekommen sind. Die Ausstellungsprojekte des Humboldt Lab, die in den Jahren von 2011 bis 2015 in Dahlem gezeigt wurden und als Probebühne zur Vorbereitung der Ausstellungen im Humboldt Forum dienten, dokumentieren, dass ein Umdenken in Gang gekommen ist. Bleibt nur die Frage, was davon später tatsächlich ins Programm des Humboldt Forums übernommen werden soll. 8 6 7 8
König, Viola: Das Humboldt Forum – Ein Versuch einer Kritik der Kritik, in: Bredekamp, Horst/Schuster, Peter-Klaus (Hrsg.): Das Humboldt Forum…, a.a.O., S. 220–241. Dies ändert aber nichts daran, dass die Ethnologie immer noch an den selbst konstruierten „Anderen“ festhält, die dann Gegenstand ihrer Untersuchungen sind. Die Disziplin der Ethnologie legitimiert sich aus dem Vorhandensein eines „Anderen“. Zu erwähnen wären weitere Ausstellungen wie „Die Tropen. Ansichten von der Mitte der Weltkugel“ im Berliner Martin-Gropius-Bau (2008) und „Unvergleichlich – Kunst aus Afrika
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Bei alledem ist es aufschlussreich, auf welche Kritikpunkte Viola König nicht eingeht. Dazu gehört die Mahnung, man möge doch in Berlin die Zivilgesellschaft, darunter die migrantischen und postkolonialen Gruppen, nicht außen vor lassen, eine Mahnung, die nur allzu berechtigt ist. Denn der an dieser Stelle gerne vorgebrachte Hinweis darauf, man strebe ein partizipatives Arbeiten an und wolle „Deutungsmacht“ abgeben, indem Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus den Herkunftsländern der Objekte in die Projekte eingebunden würden (was eher zögerlich geschieht), kann die aktiv betriebene Marginalisierung der diasporischen Gruppierungen vor Ort kaum überdecken. Aber es scheint so, als wäre man sich unter den Organisatoren des Berliner Humboldt Forums darin einig, die postkolonialen Initiativgruppen auf Distanz halten zu wollen. Die Argumente sind hinlänglich bekannt: Man spricht ihnen schlicht die Expertise ab, außerdem könnten sie ja nur moralisch argumentieren. Die dahinterstehende Strategie, sich auf diese Weise unliebsamer Kritik zu entledigen, ist unschwer zu erkennen. Noch gravierender in der Argumentation von Viola König ist ein anderer Punkt. Sie behauptet, die gegenüber dem Musée du Quai Branly in Paris geäußerten kritischen Stimmen seien nach seiner Eröffnung rasch verstummt. Auch in Berlin, so lässt sie durchblicken, werde dies nach der Fertigstellung des Humboldt Forums der Fall sein. Tatsächlich ist das nationale französische Museum für außereuropäische Kunst ein Publikumsmagnet und erhält großen Zuspruch, aber sie lügt sich hier in die Tasche, wenn sie die bis heute anhaltende Kritik verschweigt. Zudem verwundert die Berufung auf das Musée du Quai Branly, da längst ein Konsens darüber besteht, dass das Pariser Museum – samt seiner Architektur, die dem Prinzip der Re-Exotisierung folgt – nicht als Modell für Berlin herangezogen werden kann. „Die Kunst und nicht Fragen nach dem kolonialen Erbe sollten im Zentrum stehen“, schreibt sie fast beschwörend zu Paris. Doch es führt kein Weg daran vorbei: Das dortige Konzept der Dauerausstellung, die Objekte als Kunstwerke, d. h. nach ästhetischen und nicht nach ethnologischen und (kultur)historischen Kriterien zu präsentieren, ist so nicht auf das Humboldt Forum übertragbar. Der Soziologe Wolf Lepenies war nicht der Einzige, der schon vor Jahren auf das Versagen des Musée du Quai Branly hinwies, „auf die Frage nach der kolonialen Vergangenheit des Landes eine Antwort“ zu geben. 9 Er vergaß nicht darauf hinzuweisen, „wie sehr die Strategie der Ästhetisierung eine politische Funktion erfüllt“, eben nicht über den – auch im Geschichtsbewusstsein der Franzosen – weithin verdrängten Kolonialismus sprechen zu müssen. Widerstände, den kolonialhistorischen Ballast, der dem Humboldt Forum anhaftet, unvoreingenommen aufzuarbeiten, lassen sich noch an manch anderer Stelle beobachten. So wird argumentiert, große Teile der Sammlungen des zukünftigen Humboldt Forums seien „vorkolonial“, wie dies zuletzt von Horst Bredekamp, einem der drei Gründungsintendanten des Humboldt Forums, zu verneh-
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im Bode-Museum“ (2017), die ebenfalls als Probelauf für das künftige Humboldt Forum verstanden wurden. Lepenies, Wolf: Abschied vom intellektuellen Kolonialismus, in: Die Welt, 1.4.2008.
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men war. 10 Solche Statements werfen die Frage auf, ob da jemand partout nicht zur Kenntnis nehmen will, dass die völkerkundlichen Sammlungen ihr Zustandekommen ganz wesentlich dem Kolonialismus und vor allem dem Hochimperialismus im späten 19. Jahrhundert verdanken. Haben wir es hier nicht, so ließe sich fragen, mit einem „intellektuellen Kolonialismus“ zu tun, „der immer noch einzig von Europa aus den Blick auf die nicht-westlichen Kulturen richtet“? 11 Fakt bleibt, nicht alle, aber doch viele (die meisten?) Artefakte in den ethnografischen Sammlungen sind im kolonialen Unrechtskontext „erworben“ worden. Ob der Gründungsintendant Bredekamp mit seinen nur krude zu nennenden Ansichten auch für die übrigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Humboldt Forums spricht, wird sich nach dessen Eröffnung zeigen. Wer sich aber derart äußert, der setzt bewusst oder unbewusst auf eine Strategie der „Entinnerung“ der Kolonialgeschichte, wie dies die Kultur- und Politikwissenschaftlerin Lilia Youssefi genannt hat. 12 Das habe, so Youssefi, „nichts mit einem Nicht-Wissen über die kolonialen Implikationen des Humboldt Forums zu tun. Es handelt sich nicht um eine Ignoranz im Sinne einer Nicht-Wahrnehmung, sondern einer aktiven Ent-Wahrnehmung.“ 13 Zwar dürfe die koloniale Provenienz eines Großteils der außereuropäischen Sammlungen nicht verschwiegen werden, heißt es, doch beeilt man sich hinzuzufügen, nichts wäre verfehlter, als das Humboldt Forum in ein „kolonialhistorisches Museum zu verwandeln, um damit einen weiteren Teil der historischen Schuld Deutschlands abzutragen“, so der Ethnologe Karl-Heinz Kohl. Dies zu tun, käme einer erneuten Vereinnahmung der künstlerischen Hervorbringungen der indigenen Kulturen gleich. Sie stellen autonome Werke dar, die dasselbe Recht haben, um ihrer selbst willen ausgestellt zu werden, wie die großen Kunstwerke des klassischen Altertums, Ägyptens und Mesopotamiens auf der benachbarten Museumsinsel. 14
Und wieder ein Argument, das nur verlogen genannt werden kann. Tatsächlich stellt niemand ernsthaft infrage, die betreffenden Sammlungsobjekte als autonome Kunstwerke wertzuschätzen und sie – auch, aber eben nicht nur – als solche zu präsentieren. Der Vorwurf einer vermeintlich „erneuten Vereinnahmung“ übergeht aber vor allem die Kehrseite der Medaille. Denn werden die Objekte europäischer Ausbeutung im Humboldt Forum nicht zu Objekten kosmopolitischen Verstehens gemacht, wie oft genug betont wurde? Auf nichts anderes als eine Vereinnahmung läuft es hinaus, sie ins nationale Schaufenster zu stellen, wo sie der Tourismusindustrie und der Selbstverklärung Deutschlands als weltoffenes Land zu Diensten sind. Wiederholt beklagten sich die Vertreter des Humboldt Forums, nicht „die Wertschätzung der Exponate fremder Kulturen, sondern die hypostasierte Schuld, 10 Bredekamp, Horst: Von Schiller lernen. Lasst uns zu Indianern werden. Dankesrede zur Verleihung des Schillerpreises in Marbach, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11.2017. 11 Lepenies, Wolf: Abschied vom intellektuellen Kolonialismus…., a.a.O. 12 Youssefi, Lilia: Zwischen Erinnerung und Entinnerung. Zur Verhandlung von Kolonialismus im Humboldt-Forum, in: No Humboldt 21!, S. 42–61. 13 Ebenda, S. 59. 14 Kohl, Karl-Heinz: Dies ist Kunst, um ihrer selbst willen, in: Die Zeit, 7.9.2017.
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diese zu besitzen“, stehe gegenwärtig im Mittelpunkt der Debatten. 15 Man solle das Humboldt Forum „nicht den Bedenkenträgern“ überlassen, raunt es aus der konservativen Presse. Statt „freudloser und hyperkorrekter KolonialismusDebatten“ sollte doch eigentlich „Glamour und Magie“ angesichts der sensationell schönen Kunstschätze vorherrschen. Solchen aus der Defensive kommenden Formulierungen ist der Unwille anzumerken, zur notwendigen Aufarbeitung des deutschen und europäischen Kolonialerbes beizutragen. Die wenigen Beispiele verdeutlichen, wie schwer man sich mit dem Kolonialismus-Thema tut, über das der Kulturwissenschaftler Thomas Thiemeyer sagt, es sei mittlerweile massentauglich und national relevant geworden. 16 Was das Humboldt Forum betrifft, so komme ihm ein zentraler Platz in der heutigen deutschen, zunehmend kosmopolitisch und integrativ geprägten Erinnerungskultur mit ihrem exemplarischen Schlachtfeld „Berlin, (Post)Kolonialismus und Museum“ zu. Neben den öffentlichkeitswirksamen Debatten um das Berliner Humboldt Forum sieht Thiemeyer drei weitere Gründe für das neu erwachte Interesse: die Transformation Deutschlands hin zum Einwanderungsland, eine sich hierzulande im Wandel befindende Erinnerungskultur und die Diskussionen um Kulturbesitz aus „Unrechtskontexten“ namentlich der Raubkunst aus dem Nationalsozialismus und der Kolonialzeit. So wie der Kolonialismus eine Chiffre ist, über die größere Themen wie Rassismus oder der Umgang mit dem Fremden verhandelt werden, so ist das Humboldt Forum zu einem symbolischen Ort geworden, der den Anlass bietet, über das Selbstverständnis der bundesdeutschen Gesellschaft als Migrationsgesellschaft nachzudenken. Stimmt man dem zu, geht es um nicht weniger als die Suche nach einer modernen kulturellen Identität und um globale Kulturvielfalt im Zeichen des Postkolonialismus. Nicht zuletzt deshalb sollte, ja muss das Humboldt Forum die verschiedenen (zivil)gesellschaftlichen Akteure, darunter eben auch die Migranten und Migrantinnen im Lande ansprechen und in den Gestaltungsprozess einbinden, um die notwendige „Dekolonialisierung der Bundesrepublik“ voranzubringen. 17 Noch vor seiner Eröffnung steckt das zu einem zentralen Ort nationaler Staatskultur avancierte Humboldt Forum in der Krise. Dies kann kaum verwundern angesichts des universalen Anspruchs, das „Fremde“ und das „Eigene“ neu verhandeln zu wollen. Unübersehbar ist Deutschlands größte Kulturbaustelle in die Turbulenzen einer postkolonialen Dynamik geraten, die sich hier wie andernorts, ob gewollt oder ungewollt, an der Kolonialvergangenheit abarbeitet. Das Berliner Humboldt Forum als der postkoloniale Ort Deutschlands muss auf die im Zuge des „postcolonial turn“ aufgeworfenen Grundsatzfragen über rassistisch motivierte Forschungspraxen und den Umgang mit kolonialzeitlichen Mu15 Bredekamp, Horst: Ein Ort radikaler Toleranz, in: Die Zeit, 31.8.2017. 16 Thiemeyer, Thomas: Deutschland postkolonial. Ethnologische und genealogische Erinnerungskultur, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Nr. 7, Stuttgart 2016, S. 33–45. 17 Vgl. Schwarzer, Anke: Das verdrängte Verbrechen. Plädoyer für eine Dekolonialisierung der Bundesrepublik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 6, Bonn 2018, S. 85– 92, hier 92.
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seumsbeständen, diesem „heiklen“ und „schwierigen Erbe“, überzeugende Antworten geben. Einstweilen wird viel spekuliert über die tatsächliche Ausgestaltung des geplanten „Universalmuseums“, über das bisher – außer einer gönnerhaften Symbolpolitik – kaum mehr in die Öffentlichkeit gedrungen ist, als dass unter Berufung auf Humboldt europäische und „außereuropäische“ Kulturen miteinander in Verbindung gebracht werden sollen. Herkulesaufgaben sind zu lösen, denkt man etwa an das Versprechen, nur diejenigen „Ethnographica“ im Humboldt Forum auszustellen, deren Herkunft geklärt ist. Selbst Befürworter geben zu bedenken, dass es dann im Schloss ziemlich leer aussehen dürfte. Nicht so schnell beendet sein werden auch die Auseinandersetzungen um das viel bemühte geteilte Erbe, das den Menschen der Herkunftsländer zur Verfügung steht, im Humboldt Forum lediglich seinen Verwahrungsort hat und als Besitz der ganzen Welt gilt. Das Humboldt Forum als große „Leihbibliothek“ 18 zu verstehen (viele Afrikaner sprechen dagegen von einer gut gepflegten Räuberhöhle), ob ein solches Konstrukt auf die Zustimmung aller Beteiligten treffen wird, darf bezweifelt werden. Die Forderung etwa des Historikers und Museologen Ciraj Rassool aus Kapstadt ließe sich damit nur schwer in Übereinstimmung bringen. Er mahnt einen anderen Blick auf die Sammlungen an: Sie müssten nicht nur „post-kolonial“ ausgerichtet sein, sondern in ihren Strukturen „entkolonisiert“ werden. 19 Ob der im Mai 2018 vom Deutschen Museumsbund herausgegebene „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ für diese Herausforderung ausreicht, bleibt abzuwarten. Der Leitfaden, so die Kritik, gehe kaum über museale Selbstverständlichkeiten hinaus und laufe auf das bloße Beharren auf Eigentumsrechten hinaus. 20 Für Aufregung in der Museumswelt sorgte die Initiative des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Auf einer Afrikareise versprach er Ende November 2017 an der Universität Ouagadougou in Burkina Faso, geraubte Kulturgüter aus Afrika zeitweilig oder endgültig zurückgeben zu wollen. Er sehe das Thema im größeren Rahmen der „kolonialen Vergangenheitsbewältigung“. Ergänzend verlautete es aus dem Élysée-Palast: „Das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein.“ 21 Die Erklärung Macrons ist geradezu 18 MacGregor, Neil: Welterbe und Besitz, in: Der Tagesspiegel, 16.10.2017. 19 Zit. n. Bernau, Nikolaus: Berliner Blamage. Dresden weist den Weg zum Welt-Museum, in: Berliner Zeitung, 19.9.2017. 20 In Deutschland gilt das 2016 verabschiedete Kulturgutschutzgesetz, das hohe rechtliche Hürden für eine Restitution von Objekten aus der Kolonialzeit beinhaltet. Und was das derzeit geltende Völkerrecht betrifft, so lassen sich damit kaum regelrechte Rechtsansprüche auf Rückgabe solcher Objekte belegen. Vonseiten der postkolonialen Kritik wird deshalb eine gegenhegemoniale Auslegung des geltenden Rechts verlangt. Dazu gehört, sich von der sogenannten Intertemporalität (Was damals Recht war, kann heute nicht als Unrecht behandelt werden) zu verabschieden – ein juristischer Grundsatz, der in der internationalen Rechtsprechung schon länger infrage gestellt wird. Den politischen Willen vorausgesetzt, muss ein entsprechendes gesetzliches Regelwerk durch den Gesetzgeber, das Parlament, erst noch geschaffen werden. 21 Zit. n. Savoy, Bénédicte: Die Zukunft des Kulturbesitzes. Ende der kolonialen Amnesie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.1.2018. Das Museum als Gefängnis zu betrachten, dieses Bild bemühte bereits der Philosoph Michel Foucault.
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revolutionär, da das Prinzip der Unveräußerlichkeit, der Unverjährbarkeit und der Unpfändbarkeit, mit denen Museen in Frankreich Restitutionsforderungen stets abwehren, ernsthaft infrage gestellt wird. Macron regte zudem die Gründung einer Kommission an, die die französische Regierung bei der Rückführung von Kunstwerken an afrikanische Länder beraten soll. Ihr gehören Bénédicte Savoy und der senegalesische Wissenschaftler Felwine Sarr an. Ende November 2018 überreichten sie dem französischen Präsidenten ihren Bericht. 22 Schon der Titel des Reports „Die Restitution afrikanischen Kulturerbes. Für eine neue Ethik der Beziehungen“ schließt nahtlos an die radikale Auffassung an, die die beiden Wissenschaftler bereits vorab vertraten, als sie davon sprachen, „dass alle Formen des Erwerbs unter Kolonialbedingungen keine Gültigkeit“ besitzen. In diesem Sinne empfehlen sie, dass ausnahmslos alle Sammlungsobjekte an die Herkunftsländer zu restituieren sind, für die keine eindeutig nicht-kolonialen Herkunftsnachweise vorliegen. Auf die Provenienzforschung und die wissenschaftliche Aufarbeitung von Objektbiografien könne verzichtet werden. Die damit einhergehende Umkehr der Beweislast gibt – auch und gerade im Zweifelsfall – der Rückgabe den Vorrang und stellt den Gedanken der Besitzstandswahrung hintan. Nach Sarr und Savoy sollen die Artefakte an ihren Herkunftsorten „resozialisiert“ werden. Es gelte, afrikanische Gesellschaften zu ermächtigen, autonom über ihr kulturelles Erbe verfügen zu können. Restitutionen würden nicht zuletzt dabei helfen, „Berlin abzuschaffen“, wie dies die Fachleute verschiedener afrikanischer Länder formulierten. Das bedeutet, zurückgeführte Objekte würden Bezüge zwischen den Territorien wiederherstellen, die durch die berüchtigte Berliner Kongokonferenz von 1884/85 getrennt wurden. Wie Präsident Macron auf den Bericht reagieren wird, bleibt einstweilen abzuwarten. Europaweit stieß er auf ein sehr geteiltes Echo. Zwar erhielt der Bericht viel Zuspruch, doch ist eine Widerrede insbesondere von Museumsfachleuten zu vernehmen. So sagte Stéphane Martin, Direktor des Pariser Musée du Quai Branly, die Museen dürften nicht in Geiselhaft für den schmerzvollen Kolonialismus genommen werden. Er wolle die Werke seines Museums gerne ausleihen und mit allen kooperieren, doch sollten die Eigentumsrechte unangetastet bleiben. Obwohl es in der Debatte um staatliche Sammlungen geht, ließ eine Reaktion auch aus den Kreisen französischer Privatsammler nicht auf sich warten. Ganz unverhohlen die eigenen wirtschaftlichen Interessen vertretend, werden Befürchtungen geäußert, dass deren Sammlungsbestände zunächst ihren moralischen und dann ihren pekuniären Wert verlieren könnten. An dem Prinzip der Unveräußerlichkeit staatlichen Besitzes in Frankreich dürfe nicht gerüttelt werden. Frankreich habe im Übrigen auch nicht die Unidroit-Konvention von 1995 zum Umgang mit gestohlenen und illegal ausgeführten Kulturobjekten unterschrieben. Welche Folgen der Report von Sarr und Savoy für die Museumslandschaft in Deutschland haben wird, kann noch nicht abgesehen werden, zumal sich die Situ22 www.restitutionreport2018.com. Aus Platzgründen wird hier, was die Debatte über den Bericht betrifft, auf Quellennachweise verzichtet. Vgl. Sarr, Felwine/Savoy, Bénédicte: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Berlin 2019.
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ation in Deutschland mit seinem föderalen System anders darstellt als im zentralistisch regierten Frankreich. Während postkoloniale Aktivisten und Aktivistinnen den Bericht begrüßten und etwa Nanette Snoep – sie wird ab 2019 das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln leiten – feststellte, die Museumspraxis müsse neu gedacht werden, erhob der vormalige Gründungsintendant des Humboldt Forums Horst Bredekamp Einspruch. Er fordert für den Umgang mit den Sammlungen in Deutschland ein „Ende der Gleichsetzerei“ und beharrt auf die nach seiner Auffassung eklatanten Unterschiede zwischen den Sammlungen in Deutschland und denjenigen der anderen großen Kolonialmächte Europas. Viele der Sammlungen der großen deutschen ethnologischen Museen seien in einem aufklärerischen Geist entstanden, der koloniale Bestrebungen abgelehnt habe. Der Forderung nach einer generellen Rückgabe von Sammlungsobjekten auch ohne weitere Provenienzforschung erteilte Bredekamp eine Absage. Die Umkehrung der Unschuldsvermutung hinsichtlich der Sammelpraxis habe mit einem modernen oder aufgeklärten Rechtssystem wenig zu tun. Eine solche Position könne freilich nur vertreten, hielten Kritiker Bredekamp wiederum entgegen, wer den Unrechts- und Gewaltkontext des Kolonialismus ignoriere. Wie immer der Bericht von Sarr und Savoy sich auf die weitere Debatte zum Umgang mit kolonialen Objekten hierzulande auswirken wird, reicht es in Anbetracht des Dilemmas und der gegenwärtig kaum zu überbrückenden Gegensätze nicht – und riecht es nach Selbstbeweihräucherung sich liberal gebender Weißer –, das Humboldt Forum als „einen Ort radikaler Toleranz“ (Horst Bredekamp) auszurufen. Dass hier die Tugenden der Toleranz und der Weltoffenheit zu Hause sind, was sonst, möchte man fragen. Mit einer solchen allzu harmlosen Konsensformel ist der Preis für das Humboldt Forum nicht zu begleichen, er wird sehr viel höher ausfallen. Angemessener wäre es, einen Ort radikaler Ehrlichkeit zu fordern. Wenn das Humboldt Forum ein Haus mit einem experimentellkosmopolitischen Charakter werden soll, eine „internationale Dialogplattform für globale kulturelle Ideen“, wie es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom März 2018 formuliert ist, dann gilt es, die Kontroversen nicht akademisch verpackt im Kleingedruckten der Katalogtexte zu verstecken, sondern sie ohne Abstriche in die Ausstellungskonzeption zu übernehmen. Und dazu gehört nun mal die Kolonial- und Eroberungsgeschichte, von der Deutschland und ganz Europa eingeholt wird. Am Ende der Debatte muss ein verwegener Schritt gemacht werden, und zwar hin zu einer vollständigen Neustrukturierung der Sammlungen im geplanten Humboldt Forum einschließlich derjenigen auf der Museumsinsel. Man wird um einen ganz neuartigen Museumsverbund in Kooperation mit den Herkunftsländern der Objekte nicht herumkommen. Von einem „Preußischen Kulturbesitz“ oder von einem „Erbe“ des Kolonialzeitalters zu sprechen, wird dann nicht mehr zeitgemäß sein. Einer der führenden Theoretiker des Postkolonialismus, der Kameruner Politikwissenschaftler Achille Mbembe, spricht von einem „grenzenlosen Zirkulieren von Kunstgegenständen“ und dem Aufbau und Unterhalt von Museen in Afrika, die von den ehemaligen Kolonialmächten zu bezahlen
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seien. 23 Man dürfe die Objekte aus der Kolonialzeit und die afrikanischen Flüchtlinge nicht getrennt betrachten, so die auch schon von anderen geäußerte Forderung Mbembes. Was wäre unter (radikaler) Ehrlichkeit zu verstehen? Im Humboldt Forum sollte auf eine Inszenierung der Objekte verzichtet werden, jedenfalls in einigen Ausstellungsräumen. Stattdessen könnten die Objekte den Besuchern und Besucherinnen wie im Depot aufgetürmt in den Regalen dargeboten werden, um ihnen einen ungefilterten Eindruck von deren schieren Masse zu bieten. Eine solche Präsentation ließe einen ungestörten Genuss der Kunst- und Kulturschätze gar nicht erst zu, sondern würde Fragen provozieren, unbequeme Fragen, denen wir uns in unserem postkolonialen Zeitalter zu stellen haben. Einen Fingerzeig gab jüngst das nach langen Jahren des Umbaus wieder eröffnete Weltmuseum in Wien, auf dessen Internetseite zu lesen ist: „Jahrzehnte postkolonialer Debatten und Kritiken konfrontierten die Museen mit der Notwendigkeit zu handeln.“ 24 Demzufolge entschied man sich, das europäische – und ziemlich paternalistische – Master-Narrativ, die Welt zu erklären und zu deuten, für obsolet zu erklären. Es sei gelungen, so hieß es lobend in der Presse, einen kritischen Blick auf die Geschichte des eigenen Hauses und die Geschichte der Ethnologie zu werfen. Angestrebt werde, die Letztgültigkeit beanspruchenden Großerzählungen durch persönliche Stimmen von Vertretern der Herkunftsländer und der Kuratoren und Kuratorinnen zu ersetzen. Ebenso bemerkenswert ist die Aussage der am Wiener Museum arbeitenden Ethnologin Claudia Augustat. Sie berichtet davon, wie sie 2005 im Auftrag des Museums in Surinam bei den Saamaka, Nachfahren entflohener Sklaven, Schnitzereien, Textilien und Alltagsgegenstände kaufte. Im Rückblick bereue sie den Erwerb der Objekte, die sie kaum beurteilen könne, zu kurz sei der Aufenthalt gewesen. Außerdem hätten die Menschen ihre Objekte deshalb so günstig und willig herausgegeben, da sie sonst kaum die Möglichkeiten hätten, an Bargeld zu kommen. „Es war ein Verhältnis der Ungleichheit, eigentlich der reine Kolonialismus“, gab sie zu Protokoll. „Ich würde das heute nie wieder machen.“ Eine solche Ehrlichkeit – oder ethisch basierte Wissenschaftlichkeit – ist auch Berlin zu wünschen. Und sollte eine solche Äußerung der Kuratorin auch noch auf den Ausstellungstafeln im Museum auftauchen – was nicht der Fall ist! –, gesellt sich zur Ehrlichkeit die Transparenz. Sich selbst und die Praxis der Weltaneignung zur Diskussion zu stellen, ist und bleibt unabdingbar für Museumsfachleute. Nur so kann die Institution des Museums zur „Schnittstelle zwischen aufgearbeiteter Kolonialgeschichte und gelebter Kultur“ 25 werden.
23 Mbembe, Achille: „Sie gehören uns allen“ (Interview), in: Die Zeit, 8.3.2018. 24 www.weltmuseumwien.at/wissenschaft-forschung/sharingstories/ (25.11.2017). 25 Brusius, Mirjam: Zerstörung des Lebens, in: Süddeutsche Zeitung, 24.1.2018.
ZANKENDE AMTSSCHIMMEL UND ANDERE KOLONIALE HERAUSFORDERUNGEN Über die Streitkultur in Deutsch-Südwestafrika, 1890–1915 Jakob Zollmann Verwaltungsgeschichte ist auch Streitgeschichte. Für die deutsche Kolonialgeschichte, die zu großen Teilen als Verwaltungsgeschichte analysiert werden kann, gilt dies insbesondere. Denn mit den vielbeschriebenen trial and error-Methoden hoher und subalterner Kolonialbeamter in Berlin wie in den Kolonien ging oft intensiver Streit zwischen den beteiligten Institutionen und Beamten darüber einher, mit welchen Mitteln die anvisierten Ziele zu erreichen seien – so man sich auf diese Ziele einigen konnte. Kritik kam darüber hinaus von den deutschen Siedlern und Beobachtern in Deutschland. Kolonialverwaltungskritik war dabei keinesfalls gleichzusetzen mit einer generellen Kolonialkritik, konnte diese aber durchaus – so bei sozialdemokratischen oder missionarischen Stimmen – einschließen. Im Folgenden sollen anhand des Beispiels der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ (DSWA, heute Namibia) die Streit- und Kritikkultur mit und innerhalb der deutschen Kolonialverwaltung untersucht 1 und damit der freundlichen „Aufforderung“ Ulrich von der Heydens gefolgt werden, sich verstärkt mit der Kritik am Kolonialismus zu beschäftigen. 2 In seinem wegweisenden Werk Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung (1908) vermutete Georg Simmel im Kapitel über „den Streit“: es [dürfte] keine soziale Einheit geben, in der die konvergierenden Richtungen der Elemente nicht von divergierenden unablöslich durchzogen wären. Eine Gruppe, die schlechthin zentri1
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Vgl. zum Begriff der „Streitkultur“ und seinem Bezug auf die Kolonialgeschichte: Delgado, Mariano: Die Kontroverse De Indis als Paradigma für den Wandel von Streitkultur und Öffentlichkeit im Spanien des 16. Jahrhunderts, in: Henning P. Jürgens, Thomas Weller (Hrsg.): Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 2013, S. 129–146. Van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus! Antikoloniale Haltungen in der deutschen Geschichte von Mitte der 1880er-Jahre bis zum Beginn der 1930er-Jahre – Ein Überblick, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Nr. 3, Leiden 2018, S. 224–253, hier S. 252; vgl. Short, John Phillip: Magic Lantern Empire. Colonialism and Society in Germany, Cornell 2012; Stuchtey, Benedikt. Die europäische Expansion und ihre Feinde. Kolonialismuskritik vom 18. bis in das 20. Jahrhundert, München 2010; Schwarz, Maria-Theresia: „Je weniger Afrika, desto besser“. Die deutsche Kolonialkritik am Ende des 19. Jahrhunderts. Eine Untersuchung zur kolonialen Haltung von Linksliberalismus und Sozialdemokratie, Frankfurt am Main 1999.
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Jakob Zollmann petal und harmonisch, bloss ‚Vereinigung‘ wäre, ist nicht nur empirisch unwirklich, sondern sie würde auch keinen eigentlichen Lebensprozess aufweisen; die Gesellschaft der Heiligen, die Dante in der Rose des Paradieses erblickt, mag sich so verhalten, aber sie ist auch jeder Veränderung und Entwicklung enthoben. 3
Streit wurde somit für Simmel sozial funktional und dies unabhängig vom „Inhalt“ des Streits und den eventuell sozialschädlichen Intentionen eines oder aller am Streit Beteiligten. Der „Streit“ erfuhr als Teil des „eigentlichen Lebensprozess[es]“, als Vergesellschaftungsform seine auf zukünftige Veränderungen und Entwicklungen gerichtete soziologische Bedeutsamkeit. In der integrativen „Wechselwirkung“ zwischen Individuen konnte Simmel die positiven Folgen von sozialen Antagonismen postulieren. „Streit“ und „Konkurrenz“, so lässt sich Simmels Argument zusammenfassen, gehören nicht nur zu einer funktionierenden Gesellschaft, sie sind auch wichtig für ihren Fortbestand. Zentral in dieser Analyse Simmels ist der Rechtsstreit, den er charakterisiert sieht durch den Fokus auf Sachlichkeit. 4 Es ist sicher kein Zufall, dass ein deutscher Soziologe um 1900 der rechtsförmigen Austragung von Streitigkeiten zwischen Einzelpersonen ein solches Gewicht für die moderne Gesellschaft als Ganzes beimaß. Der Historiker Fritz Stern nannte später „Theologie und Zivilrecht – … die Säulen des damaligen bürgerlichen Lebens“ 5. Die rechts- und regelförmige Streitbeilegung zwischen Individuen durch staatliche Zivilgerichte war mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches zum 1.1.1900 in eine neue Phase – so sahen es viele juristisch versierte Zeitgenossen – auch wissenschaftlicher Präzision eingetreten. 6 Im Vergleich weit weniger dogmatisch durchdrungen und damit im Wortsinn weniger fortgeschritten war die Streitbeilegung im Deutschen Reich zwischen Einzelpersonen und öffentlicher Verwaltung durch staatliche Gerichte. Gleichwohl, eine dafür eingerichtete spezielle Verwaltungsgerichtsbarkeit, die von den Liberalen in Preußen als „freiheitliche Fortführung des Verfassungskompromisses von 1866“ 7 erkämpft worden war, begann Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt, auch die Gesetzesbindung allen Verwaltungshandelns einzufordern. Es waren ne3 4
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Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin 1908, S. 187. Statt vieler vgl. Stark, Carsten: Die Konflikttheorie von Georg Simmel, in: Bonacker, Thorsten (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung, Wiesbaden 2005, S. 83–96. Auf den Zusammenhang mit der Geschichtsphilosophie Immanuel Kants und dessen Begriff von der „ungeselligen Geselligkeit“ soll hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. Kant, Immanuel: Akademie-Ausgabe, AA VIII, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784), S. 20: „Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwickelung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonism derselben in der Gesellschaft“. Stern, Fritz: Max Planck. Größe des Menschen und Gewalt der Geschichte, in: ders.: Das feine Schweigen. Historische Essays, 2. Aufl., München 2000, S. 35–63, hier S. 37. Vgl. Schmoeckel, Mathias/Rückert, Joachim/Zimmermann, Reinhard (Hrsg.): Historischkritischer Kommentar zum BGB, Bd. 1, Tübingen 2003. Stump, Ulrich: Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875–1914. Verfassung, Verfahren, Zuständigkeit, Berlin 1980, S. 27.
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ben den gesetzlichen Grundlagen (z. B. preuß. Verwaltungsgerichtsgesetz, 1875; preuß. Zuständigkeitsgesetz, 1883) solche „der Staatsmacht Fesseln anleg[ende]“ Gerichtsentscheidungen wie das berühmte Kreuzberg-Urteil (1882) 8, an denen der langsame Übergang „vom Gesetzesstaat zum Rechtsstaat“ erkennbar wurde. 9 In einer Entscheidungssammlung zum „Öffentlichen Recht“ hieß es dazu 1874 richtungsweisend: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit soll es als ihre Aufgabe betrachten, gleich oder ähnlich der Privatrechtsgerichtsbarkeit, den Staatsbürgern sowohl als den öffentlichen Körperschaften einen besonderen, unbedingt bindenden und gesicherten Schutz dafür zu gewähren, daß die Verwaltung und das öffentliche Recht streng den Gesetzen gemäß gehandhabt werden. 10
Neben der ersehnten Analogie zum zivilrechtlichen Schutz für den Einzelnen wird hier vor allem deutlich, dass dem Begriff des Rechtsstaats am Ende des 19. Jahrhunderts vorranging ein „programmatischer Charakter“ anhaftete, wie es ErnstWolfgang Böckenförde formuliert hat. Diese Programmatik bezog sich darauf, „was es noch zu erreichen galt“ auf dem Gebiet der Verwaltung: „Unverbrüchlichkeit und Vorrang des Gesetzes auch für die handelnde Verwaltung, ... das Bestehen eines effektiven, gerichtlichen Rechtsschutzes auch gegenüber der Verwaltung“. Dies waren an Gesetzgeber wie Verwaltung gerichtete liberale Anforderungen, die es in der Zukunft durchzusetzen galt. 11 Die gerichtliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen Bürgern und Verwaltung sollte demnach durch die Urteile dazu beitragen, jene – um mit Simmel zu sprechen – „Veränderung und Entwicklung“ herbeizuführen, die den „Vorrang des Gesetzes“ endgültig sichern würden. Galt es doch zeitgenössischen Kritikern der Gesellschaftsordnung des Kaiserreichs als ausgemacht, dass sie in einem „Obrigkeitsstaat“ lebten, der weiterer „Veränderungen“, Reformen, bedurfte. 12 Mit kon-
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Mit seinem Urteil schränkte das Berliner Oberverwaltungsgerichts die Zuständigkeit der Polizei auf den Bereich der Gefahrenabwehr ein, um damit die Gewaltenteilung zu gewährleisten. Damit leitete es die Entpolizeilichung der öffentlichen Verwaltung ein. Vgl. Cordes, Albrecht: Kreuzberg-Urteil, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. III, Berlin 2014, Sp. 230–232; vgl. Kaufmann, Marcel: Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Tübingen 2002, S. 90. 9 von Unruh, Georg-Christoph: Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen, in: Jeserich, Kurt G. A./Pohl, Hans/von Unruh, GeorgChristoph (Hrsg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. II, Stuttgart 1983, S. 399–470, hier S. 469. 10 Stolp, Hermann: Entscheidungen Oberster Deutscher Gerichtshöfe in Streitsachen des Öffentlichen Rechts und der Verwaltung, Bd. 1, Berlin 1874, S. 1. 11 Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: ders.: Recht, Staat, Freiheit, Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt am Main 1991, S. 143–169, hier S. 151. 12 Vgl. Schönberger, Christoph: Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871–1918), Frankfurt am Main 1997, S. 370; Spenkuch, Hartwin: „Es wird zu viel regiert.“ Die preußische Verwaltungsreform 1908–1918 zwischen Ausbau der Selbstverwaltung und Bewahrung bürokratischer Staatsmacht, in: Holtz, Bärbel/ders. (Hrsg.): Preußens Weg in die politische Moderne. Verfas-
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kreter Kritik am Verwaltungshandeln wurde daher nicht gespart. In den Preußischen Jahrbüchern hieß es 1902 gar, die preußische Bürokratie sei „etwas senil“ geworden. 13 Mit dem Inkrafttreten des „Schutzgebietsgesetzes“ 1886 und bald vielen hundert deutschen Gesetzen, Erlassen und Verordnungen mit Bezug auf die „Schutzgebiete“ (allein 256 bis 1893) 14 zog auch eine preußisch-deutsche Verwaltung mit ihren Traditionen und Rechtsverständnissen in die Kolonien ein. Und es sollte nicht lange dauern, bis das dienstliche wie außerdienstliche Agieren der dorthin entsandten Beamten scharfer Kritik ausgesetzt war. In den Grenzboten hieß es 1899 über die Kolonialverwaltung hämisch: „Sie ist reiner Selbstzweck“ 15, wobei die „öffentliche Kritik an kolonialen Missständen … in Deutschland früh vom Reichstag aus[ging]“ 16. Allerdings: Die Klärung dessen, was Verwaltung ausmacht – also die Aufgaben, denen sich die Beamten annahmen, um die ihnen angewiesenen staatlichen Zwecke zu erfüllen –, erscheint für die Kolonien besonders problematisch. Es gilt auch hier die Feststellung Ernst Forsthoffs, dass es die „Eigenart der Verwaltung begründet, daß sie sich zwar beschreiben, aber nicht definieren läßt.“ 17 Eine negatorische Definition der Verwaltung im materiellen Sinne, die sie als vollziehende Gewalt beschreibt und ihr damit alle staatliche Tätigkeit zuspricht, die weder Gesetzgebung noch Rechtsprechung ist, trifft für die deutsche Kolonialverwaltung jedenfalls nicht zu. Die Verordnungskompetenzen des Gouverneurs reichten weit in die Schutzgebietsrechtssetzung hinein; auch die Gerichtsbarkeit und selbst die Aufgaben, die in der Metropole der Verwaltungsgerichtsbarkeit übertragen waren, lagen weitgehend in der Hand der Verwaltung. Georg Meyer, einer der Väter des deutschen Verwaltungsrechts, bemerkte 1888, es fehlte „in den Schutzgebieten an jeder verwaltungsrechtlichen Beschränkung“. Daher hatte „die Befugnis der [kolonialen] Polizei, dem Einzelnen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt gebietend und verbietend gegenüber zu treten, den freisten Spielraum“. 18 Es war gerade diese uneingeschränkte Allzuständigkeit, an der sich die Kritik entzündete. Im Reichstag beschwerte sich Heinrich Rickert von der links-liberalen
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sung – Verwaltung – politische Kultur zwischen Reform und Reformblockade, Berlin 2001, S. 321–356. O. v. Zedlitz u. Neukirch, in: Preußische Jahrbücher 107 (1902), S. 42, zit. in Fenske, Hans: Bürokratie in Deutschland. Vom späten Kaiserreich bis zur Gegenwart, Berlin 1985, S. 12. Vgl. Die deutsche Kolonial-Gesetzgebung. Sammlung der auf die deutschen Schutzgebiete bezüglichen Gesetze, Verordnungen, Erlasse und internationalen Vereinbarungen, mit Anm. und Sachreg. Auf Grund amtlicher Quellen und zum dienstlichen Gebrauch hrsg. von Riebow, Berlin 1893 und Folgebände. Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, Nr. 1, Berlin 1899, S. 346. Bösch, Frank: Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880–1914, München 2009, S. 264. Forsthoff, Ernst: Lehrbuch des Verwaltungsrechts. Bd. 1, Allgemeiner Teil, München, 10. Aufl. 1973, S. 1; wendet sich damit gegen eine Definition auf dem „Subtraktionswege“; ebenda, Fn. 1. Meyer, Georg: Die staatsrechtlichen Verhältnisse der deutschen Schutzgebiete, Leipzig 1888, S. 215.
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Freisinnigen Vereinigung 1898, dass man Bürokraten in die Kolonien geschickt habe, „deren erstes Bedürfnis meist ist, zu reglementieren nach einheimischem Muster.“ Stattdessen sollte doch der Kaufmann „Hauptträger der deutschen Kultur in der Ferne [sein], nicht die Beamten, wie Fürst Bismarck ganz richtig sagte“ 19. Zwar gab es formale Beschwerdemöglichkeiten gegen Anordnungen der Kolonialbehörden in DSWA, wie schon der Jahresbericht der Kolonialverwaltung 1894 hervorhob. Doch waren Klagen stets an die nächsthöhere Instanz zu richten. Eine neutrale Abwägung war für einen Beschwerdeführer also kaum zu erwarten. 20 Theoretisch konnte die langsam wachsende deutsche Kolonialbevölkerung Rechtsschutz gegen Anordnungen der Verwaltung geltend machen. Aber es war schon den Zeitgenossen klar, dass dieser „im Umfang und in seinen Garantien“ nicht mit dem im Mutterland zu vergleichen sei. 21 Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, die dem Ermessen der kolonialen „Staatsmacht“ bei der Anwendung der Vorschriften „Fesseln anlegt[e]“, 22 gab es bis zum Ende der deutschen Kolonialherrschaft nicht. Die Forderung nach besserem Schutz vor staatlicher Willkür einerseits und größerer Freiheit für den Handel andererseits ergab sich daraus wie von selbst. Die Kritik der Kaufleute, die Kolonialverwaltung behindere häufig den effektiven Einsatz wirtschaftlicher Mittel – „natürlich nicht absichtlich, sondern aus Mangel an Verständnis für das Wesen solcher Unternehmungen“ –, häuften sich mit dem Anwachsen der einschlägigen Verordnungen. Ein in der Verwaltung der Schutzgebiete vorherrschender „Formalismus und Schematismus, [die] übertriebene Wertschätzung von Nebendingen“, so die Kritik, führe die Beamten gar zu der Ansicht, dass die Kaufleute dem Gesamtinteresse der Schutzgebiete entgegenstehen. 23 Tatsächlich sahen leitende Kolonialbeamte im rücksichtslosen Handelsgebaren vor allem der Wanderhändler eine konkrete Gefahr für den Frieden in der Kolonie. Die Händler „trekten“ durch das Hereroland und zwangen Afrikanern Warenkredite auf, immer auf der Suche nach Vieh, das sie von Afrikanern „eintauschen“ wollten. Angesichts der Überschuldung und Verarmung vieler Ovaherero, warnte Gouverneur Leutwein wiederholt vor diesem „Kreditunwesen“ und erließ 1903 eine Verordnung, die die Kreditvergabe an Afrikaner beschränken sollte. Doch wie der Kriegsausbruch 1904 zeigte, kam diese zögerliche Einschränkung kolonialer Handelstätigkeit Jahre zu spät. 24
19 Stenographische Berichte des Reichstages (SBRT) 10. L.P. I. Sess. 1898/1900, Bd. 1, 5. Sitzung vom 14.12.1898, S. 78. 20 National Archives of Namibia, Windhoek (NAN) ZBU 146, A VI a 3, Bd. 1, Bl. 67 f., Jahresbericht an Reichskanzler v. Caprivi, 9.10.1894. 21 Hoffmann, Hermann Edler v.: Verwaltungs- und Gerichtsverfassung der deutschen Schutzgebiete, Leipzig 1908, S. 22. 22 Cordes, Albrecht: Kreuzberg-Urteil…, a.a.O., Sp. 230. 23 Ehrenberg, R.: Zur wirtschaftlichen Vorbildung höherer deutscher Kolonialbeamter, in: Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft, Berlin 1899/1900, S. 97–98, hier S. 97. 24 Zollmann, Jakob: Neither the State nor the Individual goes to the colony in order to make a bad business. State and Private Enterprise in the Making of Commercial Law in the German
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Mit dem Kriegsende 1907 und mit der darauf folgenden fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung DSWAs kam es aufgrund von Steuerforderungen des Öfteren zu verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten. Die von Verwaltungsmaßnahmen Betroffenen sahen sich der Situation ausgesetzt, wie der Berliner Rechtsanwalt Georg Wunderlich zuspitzte, dass „in den Schutzgebieten … kein Rechtsschutz der Staatsbürger durch Verwaltungsgerichte gegen die Anordnungen der Obrigkeit gegeben“ 25 war. Im Schutzgebiet wurde dieser Mangel vorrangig von den mit Steuerbescheiden konfrontierten Industriellen und Kaufleuten wahrgenommen. Ihre Interessenvertretung, der Gewerbeverein für Südwestafrika, sprach sich deshalb nachdrücklich für die Einführung eines Verwaltungsgerichtshofs aus. 26 Wunderlichs auf eine zügige Realisierung zielender Vorschlag, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit der Schutzgebiete in die bisherigen Bezirks- und Obergerichte zu integrieren, relativierte zwar die Hoffnung auf eine zügige Einstellung von speziellen Verwaltungsrichtern. Doch war es ihm wichtig genug, auszuführen: „Indessen braucht man noch nicht die Vorzüge der preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit preiszugeben. Es handelt sich [bei seinem Vorschlag] nicht etwa um eine Einführung der Zivilprozeßordnung für die Verwaltungsgerichte.“ Vielmehr seien auch in den Schutzgebieten „die bewährten Grundsätze des preußischen Verwaltungsprozesses anzuwenden.“ 27 Offenbar hielt Wunderlich nicht viel von der Antwort der Kolonialverwaltung auf die Kritik am mangelnden individuellen Rechtsschutz, die darin bestand, die Tätigkeit einzelner Verwaltungszweige einzuschränken und das Beschwerdewesen auszubauen. Maßgeblich war eine Verordnung von 1905, der zufolge als Organe einer Quasi-Verwaltungsgerichtsbarkeit die Behörden selbst oder die ordentlichen Gerichte nach Bestimmungen der Zivilprozessordnung fungierten (§ 2 I). 28 Allerdings wurden mehrere Vorschriften den Bedingungen in den Schutzgebieten angeglichen – so war der Gouverneur befugt, Fristen der Zivilprozessordnung zu verändern (§ 2 II). Gegen den auf Veranlassung des Gouverneurs ausgeübten Gebrauch unmittelbaren Zwangs stand theoretisch die Möglichkeit offen, beim Reichskanzler Beschwerde einzulegen (§ 16). 29 Die Deutschen in DSWA machten von diesem Recht zur Beschwerde bei der höheren Instanz rege Gebrauch. Sie gehörte für sie „zur Tagesordnung“, wie nicht
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Colonies, ca. 1884 to 1914, in: Dauchy, Serge/Cordes, Albrecht (Hrsg.): The Influence of Colonies on Commercial Law and Practice, Leiden 2019. Wunderlich, Georg: Die Notwendigkeit der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in den deutschen Schutzgebieten, Berlin 1913, S. 12. Vgl. Lüderitzbuchter Zeitung, Nr. 42, 17.10.1913; Hauptblatt. Wunderlich, Georg: Die Notwendigkeit…, a.a.O., S. 15; vgl. ders.: Wertzuwachssteuer und Verwaltungsgerichtsbarkeit in den deutschen Schutzgebieten, in: Zeitschrift für Kolonialrecht, Nr. 16, Berlin 1914, S. 1–5; Jahnel, Markus J.: Das Bodenrecht in „Neudeutschland über See“. Erwerb, Vergabe und Nutzung von Land in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, 1884–1915, Frankfurt am Main 2009, S. 169–170; Nolte, Jakob: Die Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Grund und Grenzen der Anwendung des Zivilprozessrechts im Verwaltungsprozess, Tübingen 2015, S. 22–23. Kaiserliche Verordnung v. 14.7.1905. Vgl. Hoffmann, Hermann E. v.: Verwaltungs- und Gerichtsverfassung der deutschen Schutzgebiete, Leipzig 1908, S. 22–24.
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nur der Bezirkschef von Windhoek bedauernd anmerkte. 30 Gleichwohl, gegen derartige Behelfskonstruktionen, die einstweilen den ‚unfertigen‘ Verhältnissen in den Kolonien geschuldet schienen, kamen auch andere Juristen zu dem Schluss, das Ziel der Weiterentwicklung in den Kolonien sei gleich dem, wie es „im Mutterland längst erreicht ist, eine streng durchgeführte Trennung der Justiz von der Verwaltung“ 31. Dass aber auf Reichsebene die Verwaltungsgerichtsbarkeit „auf wenige Gebiete beschränkt“ war 32 und auch in Preußen die Gerichtsverfassung „mannigfache ... Einwirkungsmöglichkeiten der aktiven Verwaltung auf die verwaltungsgerichtliche Entscheidungsfindung“ 33 ermöglichte, blieb bei solchen schematischen Gegenüberstellungen unbeachtet. Die oben erwähnte Kritik in Deutschland an der Kolonialverwaltung nahm – zum Leidwesen der Verwaltungsleiter – in den Kolonien selbst ihren Ausgang. Wenn in der Forschung von der „Ziellosigkeit in der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches“ 34 die Rede ist, dann empfanden schon Zeitgenossen dies als kritikwürdig – wenn sie auch kaum je den Kolonialismus an sich infrage stellten. So beklagte Major Curt von François, 1889 bis 1894 Landeshauptmann von DSWA, in seinen Erinnerungen eine „private Berichterstattung aus DSWA“, die er als verleumderisch und böswillig charakterisierte: „Wie ein starker Regen, nur teilweise Belehrung schaffend, teilweise aber gallig und giftig, strömte beschriebenes Papier aus der Kolonie in die heimischen Bureaus, Redaktionen und die Mappen der Kolonialfreunde und -gegner“. „Tintenspione“ hätten ihre „scheelsüchtigen Pfeile“ verschossen. „Es gab sogar Beamte und Angehörige der [Schutz]Truppe, die durch Briefe an Bekannte … die Oeffentlichkeit suchten“ oder sich anonym „an die Kolonialbehörde der Heimat“ wandten. François zitierte den Fall eines Soldaten der Schutztruppe, der aufgrund seiner Texte „schliesslich wegen verleumderischer Beleidigung mit 35 Monaten Gefängnis bestraft wurde“. 35 Ähnlich erging es zwanzig Jahre später dem Farmverwalter Eichhoff (ein Oberleutnant d. R.), der dem Distriktsamt Gobabis vorwarf, „Eingeborene in ihren Menschenrechten bedroht“ zu haben. Er riskierte wegen dieses „ungehörigen Tons gegen die Behörde“ einen Strafantrag, da das Gouvernement seine „Angriffe auf die Ehre der Dienststelle und ihrer Vorstände nicht mehr länger hinnehmen“ 36 wollte. Nur der Krieg bewahrte Eichhoff vor einer Anzeige.
30 NAN BWI 155, L 2 a, Bd.1, Bezirksamt Windhuk an Gouvernement, 19.3.1909. 31 Florack, F.: Die Schutzgebiete, ihre Organisation in Verwaltung und Verfassung, Tübingen 1905, S. 45; ebenso Köbner, Otto: Die Organisation der Rechtspflege in den deutschen Kolonien, Berlin 1903, S. 5. 32 Nolte, Jakob: Die Eigenart…, a.a.O., S. 12. 33 Stump, Ulrich: Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit…, a.a.O., S. 304. 34 Zurstrassen, Bettina: „Ein Stück deutscher Erde schaffen“. Koloniale Beamte in Togo 1884– 1914, Frankfurt am Main 2008, S. 118. 35 von François, Curt: Deutsch-Südwestafrika: Von der Kolonisation bis zum Ausbruch des Krieges mit Witbooi, April 1893, Berlin 1899, S. 42. 36 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd.2, Bl.76, BA Gobabis an Gouv, 14.12.1914; ebd, Bl.77, Gouv an KdoSchTr, 28.12.1914.
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Der Streit über die Zulässigkeit von Kritik an Fehlentwicklungen in der Verwaltung DSWA wurde hier in obrigkeitsstaatlicher Tradition mit den Mitteln des Strafrechts ausgetragen. Der Einzelne, Beamter oder nicht, hatte also nicht nur keine Möglichkeit, gegen ihm falsch erscheinende staatliche Maßnahmen juristisch zu agieren. Auch die Möglichkeit zur Bürokratiekritik sollte weitgehend eingeschränkt werden. Die Herausforderung der zu kritikfreudigen Beamten beantwortete Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfürst mit einer „Bestimmung, betr. die Wahrung des Dienstgeheimnisses“, nach der Beamten und Schutztruppenangehörige angewiesen wurden, „sowohl im Verkehr mit Vertretern der Presse, wie bei Mittheilungen an Angehörige und Bekannte, die äußerste Vorsicht“ walten zu lassen. „Auch fahrlässige Zuwiderhandlung ist strafbar“, denn es konnte nicht übersehen werden, ob „mit solchen Mittheilungen Missbrauch getrieben wird“ 37. Später musste unter Androhung eines Disziplinarverfahrens jede geplante Veröffentlichung von Beamten dem Reichskolonialamt bzw. dem Gouvernement zur Genehmigung vorgelegt werden. Indiskretionen, gerade auch wenn die Gefahr bestand, ein Gewaltexzess in den Kolonien könne von der Presse aufgegriffen werden, waren aus Sicht der vorgesetzten Behörde unbedingt zu vermeiden. In der Forschung ist daher von „Zensur“ in den Kolonien die Rede: Notwendig erschien eine Zensur auch deshalb, weil die Kolonialbeamten in der Presse und in öffentlichen Vorträgen teilweise massive Kritik gegen die Berliner Zentrale erhoben, der sie die Hauptschuld an den Defiziten in den Schutzgebietsverwaltungen anlasteten. 38
Insbesondere die sozialdemokratischen Blätter verbreiteten skandalträchtige Meldungen über deutsche „Wüstensandpolitik“, über koloniale Gewalttaten und Korruption zugunsten einer kleinen Elite und auf Kosten der steuerzahlenden Arbeiterschaft. 39 Zugleich musste auf die einmal bekannt gewordenen Kritikpunkte doch offiziell reagiert werde. In einem Erlass an das Gouvernement von DSWA, der auf die im Reichstag zur Sprache gekommenen Klagen über den Bürokratismus der Kolonialverwaltung hinwies, betonte Reichskanzler Hohenlohe 1895, dass es die Aufgabe der Kolonialbeamten sei, „den Deutschen und anderen Europäern in der Ausübung ihres Berufs ... mit Wohlwollen entgegenzukommen [und] die Förderung der wirtschaftlichen Verhältnisse den vornehmsten Theil jeder dienstlichen Thätigkeit bildet.“ 40 Über die Art und Weise, wie diese Tätigkeit ausgeführt wurde, hatten die Beamten der Kolonialzentralverwaltung, verstärkt und regelmäßig interne schriftliche Berichte abzuliefern. Diese ungeliebte Berichtspflicht diente vorrangig der Kontrolle. Und sie erinnerte die Kolonialbeamten auch daran, dass
37 NAN GLU 313, Gen F III, Bd.1, Bl.1, Reichskanzler Hohenlohe an LHptm Leutwein, 22.11.1896; vgl. Stuchtey, Benedikt: Die europäische Expansion …, a.a.O, S. 273–274. 38 Zurstrassen, Bettina: „Ein Stück deutscher Erde schaffen“…, a.a.O., S. 220. 39 Short, John Phillip: Magic Lantern Empire …, a.a.O., S. 140. 40 NAN ZBU 108, A III e 2, Bl. 1, Reichskanzler an Landeshauptmann DSWA, 25.3.1895.
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sie vor allem „weisungsgebundene Befehlsempfänger waren“ 41, die in Afrika nicht zu selbstständig als roi(s) de la brousse agieren sollten. 42 Wenn aber Kolonialbeamte in ihren geforderten internen Schreiben Einwände vorbrachten, reagierten Vorgesetzte abweisend. Warnend schrieb das Reichskolonialamt an den Gouverneur von DSWA über das Abfassen der amtlichen Jahresberichte: Bei kritischen Urteilen, die nicht ausgeschlossen sein sollen, ist Vorsicht am Platz. Es ist durchaus nicht notwendig, über eine im Berichtsjahr getroffene[n] Maßnahme auch schon ein abschließendes kritisches Urteil in dem betreffenden Jahresberichte zu fällen. 43
Dass Kritik und sachlicher Streit nicht als sozial funktional und – im Sinne Simmels – als notwendig und selbstverständlich für jedwede „Veränderung und Entwicklung“ zum Besseren gesehen wurden, zeigt auch die empörte Reaktion des Gouvernements in Windhoek auf eine direkte Eingabe an den Gouverneur: Auf das Energischste muß ich aber rügen, daß in dem Bericht vom 31. Oktober eine Kritik an den Anordnungen der vorgesetzten Behörde geübt wird. Eine Entscheidung die vom Gouvernement ausgeht, hat dieselbe Bedeutung, ob sie von dem Gouverneur selbst, oder von seinem Stellvertreter unterzeichnet wird, und wie im vorliegenden Falle getan ist, gegen die Verfügung des Stellvertreters von seiner Exzellenz persönlich zu appellieren, ist mit den Grundsätzen, nach denen sich jeder Beamte zu richten hat, nicht vereinbar. 44
Mit den Jahren stiegen die Anforderungen im Berichtswesen und die Anzahl der zu beachtenden internen Verwaltungsbestimmungen noch. Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass die Kolonialbeamten zu den Ersten gehörten, die „oft … Bürokratiekritik“ übten, was auch dem Versuch „eine[r] Abwehr der Kontrolle“ gleichkam. 45 Denn mit der komplexer werdenden deutschen Kolonialverwaltung mit ihren Spezialverwaltungen und einer kaum mehr zu überblickenden Anzahl von Vorschriften wuchs auch die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Verwaltungszweige miteinander in Streit gerieten. Das war auch den vorgesetzten Stellen bewusst. Daher war es per Dienstvorschrift allen Kolonialbeamten aufgegeben, dass sie mit den Deutschen und sonstigen Europäern [sowie mit] den anderen Beamten und den Schutztruppenangehörigen etc. ein gutes Einvernehmen aufrecht erhalten und sich stets vergegenwärtigen [sollten], dass bei Meinungsverschiedenheiten meist derjenige dem Wohle des Ganzen und auch sich selbst am besten dient, welcher durch rechtzeitige Entgegenkommen einer dauernden Spannung vorbeugt. 46
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Zurstrassen, Bettina: „Ein Stück deutscher Erde schaffen“…, a.a.O., S. 139. Deschamps, Hubert: Roi de la brousse. Mémoires d’autres mondes, Paris 1975. NAN ZBU 145, A VI a 1, Bl.41, Reichskolonialamt an Gouverneur DSWA, 12.4.1911. NAN ZBU 79, A II t, Bd.1, Bl.67, Gouvernement DSWA an Bohrkolonne Süd, 10.11.1906. Zurstrassen, Bettina: „Ein Stück deutscher Erde schaffen“…, a.a.O., S. 139. Bestimmungen für Landesbeamte zit. in.: König, Bernhard v.: Die Beamten der deutschen Schutzgebiete, ihre Rechtsverhältnisse, Bezüge und Auswahl, in: Jahrbuch der internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre, Berlin 1905, S. 217–257, hier S. 239.
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Derartige „dauernde Spannungen“ und die resultierende Kritik an der Organisation und Ineffizienz der Kolonialverwaltung sind im Folgenden am Beispiel der Konflikte der „Landespolizei für DSWA“ mit anderen Verwaltungszweigen zu illustrieren. 1907, im Jahr ihrer Institutionalisierung, sandte das Gouvernement von DSWA einen Entwurf „betreffend die Organisation der Landespolizei“ an alle Bezirksämter in der Kolonie mit der Bitte um Stellungnahme. 47 Die Bezirksamtsleute, die auch den Polizeibeamten ihres Bezirks vorstehen sollten, hatten insbesondere den Abschnitt über das Verhältnis zu den Kolonialbehörden untereinander auf seine Eindeutigkeit hin zu überprüfen, mit dem Ziel, „dass in der Verwaltungspraxis Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten nach Möglichkeit ausgeschlossen sind und jeder nachteilige Dualismus vermieden wird“ 48. Dieses Ziel wurde jedoch verfehlt. Streitigkeiten über und Kritik an den Organisationsformen der Kolonialpolizei in DSWA blieben ein beständiges Ärgernis für das Gouvernement und alle Beteiligten. Insbesondere war die Kompetenzabgrenzung der „Inspektionsoffiziere“ der Landespolizei zu den Bezirksämtern strittig. Eine Verfügung des Gouvernements vom Februar 1911 sprach ausdrücklich von „Meinungsverschiedenheiten“ zwischen Bezirksämtern und Inspektionsoffizieren über die Versetzung von Polizeibeamten, 49 deren Entscheidung schließlich dem Gouvernement vorbehalten wurde. 50 Vorherige Anweisungen etwa an den Inspektionsoffizier Hildebrandt, sich wegen Versetzungsfragen mit dem Bezirksamt Swakopmund „direkt ins Benehmen zu setzen“, waren fruchtlos geblieben. Denn die Bezirksämter selbst erfuhren von der Inspektion der Landespolizei: dem „Offiziersposten [der Landespolizei] ... unterstehen die Polizeibeamten des dortigen Bezirks.“ 51 Dies aber widersprach der Bestimmung, wonach die Bezirksamtsvorstände die Vorgesetzten der in ihrem Bezirk tätigen Polizeibeamten sein sollten. Das schwierige Verhältnis von Inspektionsoffizieren und Bezirksamtschefs führte zu immer neuen Verfügungen des Gouvernements, das damit die strittigen Kompetenzen eindeutiger voneinander abzugrenzen suchte. Eine Verfügung vom April 1911 erklärte, den Offizieren stünde „die Diziplinaraufsicht und Disziplinarstrafgewalt über sämtliche in ihrem Polizeibezirk stationierten Angehörigen der Landespolizei zu“. Da es dennoch zu unterschiedlichen Auffassungen über die Disziplinargewalt des Offiziers an seinem Amtssitz (dem Polizeidepot) gegenüber den afrikanischen Arbeitskräften gekommen war, plante der Gouverneur den Offizieren „für die Ausübung des allgemeinen Polizeiaufsichtsdienstes und die Handhabung der Eingeborenen-Gerichtsbarkeit die Befugnisse eines Distriktsamts zu übertragen“. Der Windhoeker Bezirksamtmann Brill, aus dessen Bezirk das Polizeidepot Kupferberg damit faktisch herausgenommen worden wäre, versprach sich „wenig Ersprießliches“ von dieser „Zweiteilung eines geschlossenen Verwal47 Vgl. Zollmann, Jakob: Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen. Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915, Göttingen 2010. 48 NAN BWI 155, L 2 b, Bd. 1, Gouvernement DSWA an Bezirksamt Windhuk, 25.9.1907. 49 NAN BWI 155, L 2 b, Bd. 2, RVerf Gouvernment an Bezirksamt Windhuk, 24.11.1911. 50 NAN ZBU 747, G I b 1, Bl. 1d, Gouvernement an alle Bezirks- u. Distriktsämter, 24.2.1911. 51 NAN LPO 4,O I c 23, Bl. 1, Inspektion der Landespolizei an Hpt Hildebrandt; ebenda, Bl. 1 Inspektion der Landespolizei an Bezirksämter Swakopmund und Karibib, 19.3.1910.
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tungsbezirks“. Eine solche Maßnahme vergrößere daher die „Reibefläche“ zwischen Amtschef und Offizier. 52 Eifersüchtig wachten die Bezirksämter und Inspektionsoffiziere darauf, dass nicht ihre Autorität durch etwaige „Gegenbefehle“ des jeweils anderen untergraben wurde. So betonte der Distriktschef von Maltahöhe gegenüber einem Inspektionsoffizier, der einen vom Amt angesetzten Fortbildungs-„Kursus“ abgesagt hatte, er sei der „Vorgesetzte der Polizeibeamten im Distrikt“. Er sähe „streng auf militärische Disziplin; [aber] alle Bemühungen in dieser Richtung werden vergebens [sein], wenn der Inspektionsoffizier mit dem Verwaltungschef nicht Hand in Hand arbeitet.“ 53 Im Juni 1911 erließ das Gouvernement dann eine Geschäftsanweisung für die Inspektion der Landespolizei, nach der „die Inspektion in keinem Vorgesetztenverhältnis zu den Lokalverwaltungsbehörden“ stand. 54 Doch trotz aller Bemühungen um juristische Klarheit blieben die Personalangelegenheiten zwischen Bezirksämtern und der Inspektion konfliktreich. Immer neue Paragrafen wurden formuliert. Doch in diesen, modern gesprochen, „Binnenstreitigkeiten“ zwischen unteren Verwaltungsorganen konnte kein Gericht für Klärung der Zuständigkeiten sorgen. Immer wieder mussten stattdessen die Referenten im Windhoeker Gouvernement neue Streitigkeiten zwischen einem Bezirksamtschef und der Inspektion beziehungsweise den Inspektionsoffizieren kraft ihrer Vorgesetztenstellung gegenüber beiden Seiten geradezu abwürgen. Über Personalfragen brach nach einer Revisionsreise des Polizeiinspekteurs Major Heinrich Bethe 1913 erneut ein Streit mit dem Bezirkschef von Grootfontein, Berengar v. Zastrow, auf. Beide Seiten hatten sich schon zuvor heftig kritisiert wegen angeblicher Zuständigkeitsübertretungen. Nun aber hatte der Major, ohne das Einvernehmen mit dem Bezirkschef zu suchen, angeordnet, den langgedienten afrikanischen Dolmetscher Josephat aus dem Polizeidienst zu entlassen, da er „im eigentlichen Polizeidienst nicht verwandt wird“. Ein anderer afrikanischer Polizeidiener wurde versetzt, und ein Polizeidiener aus Grootfontein musste dem Inspekteur als „Führer“ dienen, sodass er mehr als 40 Tage abwesend war. In seiner Beschwerde erschien es dem Bezirkschef „nicht richtig, wenn der Herr Inspekteur autokratisch derartige Anordnungen trifft“. Bethe aber beharrte in seiner Erwiderung gegenüber dem Gouvernement auf seinem „Recht“, über Polizeiangehörige zu verfügen. Er sei nicht „gehalten“, sich „mit den Ämtern hierüber zu verständigen“. Der Referent im Gouvernement aber bemerkte dazu, polizeiliche Personalangelegenheiten müssen „im Benehmen mit den Ämtern“ geregelt werden. Das ist hier nicht geschehen. Ob das Amt gerade zufällig durch einen Assessor [v. Zastrow] etc. oder durch einen Sekretär [den Stellvertreter des Amtschefs] verwaltet wird, ist gleichgültig. Auch der letztere ist der durch das Gouvernement eingesetzte Verwaltungschef, sogar dem Herrn Inspekteur gegenüber. 52 NAN BWI 155, L 2 b, Bd. 2, RVerf Gouv an BA Windhuk, 14.4. 11; ebenda, BA Windhuk an Gouv, 2.5.1911. 53 NAN ZBU 747, G I b 2, Bd. 2, Bl.99, Distriktsamt Maltahöhe an v. Tümpling, Kub, 17.2.1911. 54 NAN BWI 155, L 2 a, Bd. 1, RVerf Gouvernment an Bezirksamt Windhuk, 5.8.1911 [unter Hinweis auf Geschäftsanweisung für InspLP v. 24.6.1911].
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Offensichtlich war v. Zastrow nicht zugegen, als Bethe seine Personalentscheidungen traf, sodass dieser glaubte, ein Einvernehmen mit dem Bezirksamt sei nicht erforderlich. Seine Verfügungsgewalt über die Polizeidiener hielt Bethe, trotz aller vorhergehenden Auseinandersetzungen über die gleiche Frage, nach wie vor für unbegrenzt. Er bat daher das Gouvernement, das Bezirksamt Grootfontein zu belehren, daß die demselben zur Verfügung stehenden Polizeidiener nicht Eingeborene des Amts, sondern Angehörige der Landespolizei sind, deren Uniform sie tragen, über die dem Inspekteur nicht nur Verfügungs-, sondern auch Versetzungsrecht zusteht.
In einem langen Schreiben an den Inspekteur, vom Referenten für „EingeborenenAngelegenheiten“, Hauptmann Kurt Streitwolf, entworfen und vom Regierungsrat Hugo Blumhagen deutlich verschärft, vom stellvertretenden Gouverneur Oskar Hintrager jedoch wieder abgemildert, wollte ihm das Gouvernement deutlich machen, dass eine solche Haltung inakzeptabel sei. In der schärfsten Form des Entwurfs konnte das Gouvernement Bethes „Gepflogenheit“, Änderungen nur mit dem Amtschef persönlich zu besprechen, „nicht richtig heißen“. Auch mit dem Stellvertreter, „gleichgültig, ob er ein höherer oder ein mittlerer Beamter ist“, hatte dies zu geschehen, was „Mißstimmungen“ erspart hätte. Blumhagen fügte die später herausgestrichene Belehrung an: „Die Polizei ist nicht um ihrer selbst Willen da, sondern ein zu integrierender Teil der Verwaltung.“ Es sei daher „unmöglich“, Personaländerungen ohne Rücksprache mit dem Verwaltungschef vorzunehmen. Blumhagen „mißbilligte“ daher den von Bethe konstruierten Unterschied, daß die dem Amt zur Verfügung stehenden Polizeidiener nicht Eingeborene des Amts, sondern Angehörige der Landespolizei seien, ernstlich ... Die Betätigung einer derartigen Auffassung steht im Widerspruch mit § 2 d der Dienstvorschrift vom 24. Juni 1909 und gibt den Gegnern der Organisation der Landespolizei nur willkommenen Anlaß, von einem Dualismus in der Organisation zu sprechen, wie das verschiedentlich im Landesrat geschehen ist. 55
Ärgerlich erschienen solche Streitigkeiten auch deshalb, weil ihre Austragung und Beilegung allen beteiligten Beamten einen erheblichen Zeit- und Energieaufwand abverlangten. Sie widersprachen insofern dem Verständnis einer effizienten Verwaltung, in der sich nicht „wegen [einer] Bagatellsache geringfügigster Art zwei Ämter seit 6 Monaten in den Haaren liegen und Aktenbände schreiben“, so Regierungsrat Blumhagen in einer anderen Polizeiangelegenheit. 56 Anders als die zeitgenössische Interpretation Georg Simmels von der sozialen Funktionalität des Streits erschien der Streit der Behörden untereinander hier als Ausdruck einer hemmenden, dysfunktionalen Eitelkeit Einzelner. Die gegensätzliche Auslegung von Dienstvorschriften war den vorgesetzten Stellen ein Ärgernis, das 55 NAN ZBU 750, G I e 3, Bl. 46, BA Grootfontein an Gouv, 22.9.1913; ebenda, Bl. 48, BA Grootfontein an Gouv, 26.9.1913; ebenda, Bl. 50/1, InspLP an Gouv, 7.11.1913; ebenda, Bl. 53, Gouverneur an Inspekteur LP, 4.1.1914 [Vermerk: „z.B. Sitzg 6. Mai 1913“]. Vorgang auch in BAB R 1002/2718, Bl. 140. 56 NAN ZBU 2045, W III b 5, Bd. 1, Bl. 55/6, Interne Notiz und Gouvernement an BA Lüderitzbucht, 16.4.1912.
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vor „den Gegnern“ zu verbergen war und das vor allem offenkundig machte, dass sie es nicht vermocht hatten, eindeutige Vorschriften zu formulieren. Aus diesem Unvermögen resultierten dann zankende „Amtsschimmel“, über die sich die Presse in der Kolonie wie in Deutschland amüsierte und erboste. In Maximilian Hardens Die Zukunft wurde 1913 der „Amtsschimmel“ definiert als „der dumme, faule Brauch, … die Ehrfurcht der Gehirnweichen vor dem Buchstaben und dem Paragraphen und das Heiligthum der Leute, die überhaupt nicht mehr denken wollen“ 57. Diese „Ehrfurcht“ vor den Paragrafen aber versprach in der Kolonie noch nicht den sprichwörtlichen ruhigen ‚Dienst nach Vorschrift‘. Denn die juristischen Formulierungen luden, wie das Beispiel der Zuständigkeit für Polizeiangehörige zeigt, zu widersprüchlichen Lesarten, zu Streit ein. Das resultierende negative Bild vom „Dualismus in der [kolonialen] Organisation“ gab „der recht großen Anzahl von Skeptikern, Kritikern und Gegnern der kolonialen Expansion“ in Deutschland recht, die nicht müde wurden, die mangelnde Professionalität und Effizienz der Kolonialverwaltung zu rügen. 58 Zwar besaß die „zivile Koloniallaufbahn … keinen Karrierenimbus“ 59, doch diese fortdauernde Kritik am Unvermögen der Kolonialverwaltung widersprach dem „hohen sozialen Ansehen … wie [dem] ‚esprit de corps‘“ des deutschen Beamtentums. 60 Abhilfe hin zu einer „Entwicklung“ im Simmelschen Sinne und damit erhöhter Effizienz der Kolonialherrschaft konnte allein der öffentliche Austausch von Verwaltungsexpertise, auch Streit darüber, schaffen. Doch Konflikte, gerade die verwaltungsinternen, wurden im deutschen Kolonialismus vor allem beschwiegen. 61
57 delle Grazie, Eugenie: Mondkalb, Pechvogel, Amtsschimmel, in: Die Zukunft, Nr. 13, Berlin 1913, S. 425–430, hier S. 429. 58 van der Heyden, Ulrich: Wider den Kolonialismus…, a.a.O., S. 225, 240. 59 Brockmeyer, Bettina: Vom ‚Kolonialschwein‘ zum Konsul. Karrierewege eines deutschen Kolonialbeamten, in: Buchen, Tim/Rolf, Malte (Hrsg.): Eliten im Vielvölkerreich. Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850–1918), S. 107–133, S. 108. 60 Kocka, Jürgen: Obrigkeitsstaat und Bürgerlichkeit. Zur Geschichte des deutschen Bürgertums im 19. Jahrhundert, in: Hardtwig, Wolfgang/Brandt, Harm-Hinrich (Hrsg.): Deutschlands Weg in die Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur im 19. Jahrhundert, München 1993, S. 107–121, S. 115. 61 Vgl. Habermas, Rebekka: Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft, Frankfurt am Main 2016.
IST DAS SÜDAFRIKANISCHE „WUNDER“ GESCHEITERT? Eine deutsche Sicht Klaus Freiherr von der Ropp
„And replace it with what?“ So der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt im Mai 1977 im Gespräch mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Walter Mondale, der geäußert hatte, der Westen müsse alles in seiner Macht Stehende tun, um Pretoria zu zwingen, seine Politik der Apartheid aufzugeben.
1. DAS APARTHEID-SÜDAFRIKA: VOM REGIONALKONFLIKT ZUM WELTBRAND? Seit dem Ende des 2. Weltkrieges haben nur wenige Konflikte die internationale Staatengemeinschaft so intensiv beschäftigt wie das Ringen um die künftige Herrschaftsform Südafrikas (und Namibias). Erinnert sei hier nur an die mit zunehmender Schärfe geführten alljährlichen Debatten der UN-Vollversammlung und die für die westliche Welt immer brenzliger werdenden Streitereien im UN-Sicherheitsrat. Die Letzteren blieben allerdings immer ohne Ergebnis, da westliche Staaten, in der Regel die USA und/oder Großbritannien, die Verurteilung des in Pretoria herrschenden rassistischen Regimes durch Einlegen ihres Vetos verhinderten. Denn groß war in der westlichen Welt die Sorge, das rohstoffreiche und damals mit gut ausgerüsteten See- und Flughäfen bestückte Land könnte in den von der UdSSR beherrschten östlichen Herrschaftsbereich fallen. So war die Sorge berechtigt, das von der übergroßen schwarzen Mehrheit beherrschte neue Südafrika könnte sich mit dem seit 1980 freien Simbabwe und eben der UdSSR bei auch für die westliche Rüstungsindustrie (Stahlveredler) wichtigen Rohstoffen zu Kartellen nach dem Vorbild der OPEC zusammenschließen. Daher vertrat kein Geringerer als der führende deutsche Außen- und Sicherheitspolitiker Egon Bahr in einem Zeitungsinterview die These, der Südafrikakonflikt könne ständig zu einem 3. Weltkrieg führen. 1 Ihren größten diplomatischen Erfolg erreichten die von Vereinten Nationen als solche anerkannten südafrikanischen Befreiungsbewegungen, allen voran der seit Mai 1994 herrschende African National Congress (ANC) und der noch militantere Pan Africanist Congress (PAC), als die UN-Vollversammlung am 30. No1
Bahr, Egon: Ohne Verhandlungslösung ist die Gefahr des dritten Weltkrieges ständig gegenwärtig, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 10.07.1977, S. 8.
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vember 1973 mit einer sehr großen Mehrheit die „Internationale Konvention zur Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid“ verabschiedete. So verstand sich von selbst, dass das federführende Großbritannien 2 und, London folgend, die USA mit Ende des Kalten Krieges mit professioneller Diplomatie daran gingen, die bislang in Pretoria herrschenden weißen Afrikaaner zu zwingen, das in 350 Jahren gewachsene Apartheid-Regime aufzugeben und mit den bislang verbotenen Befreiungsbewegungen eine neue Form staatlichen Herrschens auszuhandeln. Entscheidend war für die Regierung von Margret Thatcher, dass die Sowjets seit der Wahl von Michail S. Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU (1985) nicht länger auf eine revolutionäre Machtumkehr in Pretoria bestanden. Dass Pretoria, jetzt vornehmlich durch Washington mit härtesten Wirtschaftssanktionen bedroht, sich in den späten 1980er Jahren den jetzt britischamerikanisch-sowjetischen Initiativen nicht länger widersetzte, zeichnete sich bereits ab, als Ende 1989 der altersstarre Staatspräsident P. W. Botha durch F. W. de Klerk an der Spitze des südafrikanischen Staates abgelöst wurde. De Klerk war ein ausgeprägt konservativer, aber nicht reaktionärer Politiker. 2. „DEMOCRATIC NICETIES …“ Die Folgen waren die Entbannung des jetzt von der UdSSR im Stich gelassenen ANC und der ihm eng verbundenen South African Communist Party (SACP), des PAC und weiterer Organisationen des ganz überwiegend schwarzen Widerstandes, die Freilassung Nelson Mandelas und der anderen noch inhaftierten politischen Gefangenen und im Dezember 1991 die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, genannt Congress for a democratic South Africa (Codesa). An ihr nahm außer der Regierung de Klerk und dem ANC eine große Zahl kleinerer, manchmal bedeutungsloser Parteien teil. Die Verhandlungen dauerten etwa zwei Jahre. Für sie war zweierlei charakteristisch: Der ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa, seit Anfang 2018 neuer Staatspräsident, war der alles beherrschende und alle anderen Akteure überragende Unterhändler. Turmhoch war er etwa seinen auf Verhandlungen nicht vorbereiteten Gegenspielern um de Klerk überlegen. So konzentrierte sich de Klerk nach dem Scheitern seiner ersten Ehe selbst während der Verhandlungen auf die Neuordnung seines Familienlebens. Die Rolle de Klerks war umso jämmerlicher, als er von dem von 1987 bis 1991 amtierenden britischen Botschafter Sir Robin Renwick („Sir Robin – His Excellent Excellency“) in die Verhandlungen mit der anderen Seite getrieben werden musste. Aus deutscher Perspektive ist zu ergänzen, dass deutsche Diplomaten, Parlamentarier, Vertreter der Kirchen sowie der politischen Stiftungen und 2
Die Federführung Londons war Folge der Tatsache, dass Ende der 1980er Jahre noch zwischen 750.000 und 1.000.000 britische Staatangehörige in Südafrika lebten. Auch verfügte Großbritannien vor allem in den Bergbau- und Bankensektoren über sehr erhebliche Investitionen. Schließlich hatten London und Washington die Sorge, die in Südafrika damals vorhandenen sechs fertiggestellten und eine weitere noch im Bau befindliche Nuklearwaffe vom Typ Hiroshima könnten in die „falschen“ Hände fallen.
Ist das südafrikanische „Wunder“ gescheitert?
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weiterer NROs jetzt wieder als Berater auftreten konnten. Zuvor war das nicht der Fall! Denn London und Washington hatten die Bundesregierung am 17. Oktober 1978 bei einer von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher initiierten Namibia/Südafrika-Konferenz in Pretoria von den entsprechenden Verhandlungsprozessen auf lange Jahre ausgeschlossen. Zuvor hatte der südafrikanische Außenminister Roelof Frederik Botha ihn schallend ausgelacht! Nie wird sich klären lassen, ob London und Pretoria ihre Politik vor dem 17. Oktober 1978 abgestimmt hatten. Das erscheint allerdings sehr wahrscheinlich, da sich beide Regierungen an der dilettantischopportunistischen Politik der Bonner Regierung störten. 3 Allerdings war die Rolle eigentlich aller deutschen Berater eher destruktiv, da sie sich darauf beschränkten, den Südafrikanern die Übernahme des deutschen Grundgesetzes samt dessen politisch-rechtlichen Unterbaus zu empfehlen. Nie wurde von den Deutschen die sich doch aufdrängende Frage gestellt, ob die deutsche Verfassung, die jüngste und daher modernste ihrer Art, sich auf einen Staat eines völlig anderen Kulturraums übertragen lasse. Noch dazu, ganz anders als Deutschland nach 1945, auf einen Staat ohne jede rechtsstaatliche und demokratische Kultur. Einzelne deutsche Berater gingen so weit, die schlicht unsinnige These zu vertreten „You can legislate democracy into existence“. So wurde in der Tat, um den südafrikanischen Verfassungsrechtler L. M. du Plessis zu zitieren, „German Verfassungsrecht under the Southern Cross“ geboren. 4 Warnungen kluger Beobachter, wie etwa die der hervorragend informierten US-amerikanischen Journalistin Patti Waldmeir, im Interesse der Stabilität des neuen Südafrika gelte die Erkenntnis, dass „democratic niceties will have to wait…“ 5, wurden übersehen. Dasselbe galt für die Sorge von keinem Geringeren als Francis Fukuyama, Südafrika laufe Gefahr, sich in seinem künftigen staatlichen Aufbau an den einstigen Lehrmeistern des ANC in der DDR, in Kuba und in der UdSSR zu orientieren. 6 Selbst das Suchen von Egon Bahr nach „einem bislang unbekannten Modell gleichberechtigtem Zusammenlebens mit besonderem Schutz für Minderheiten“ 7 blieb in Südafrika und im Ausland ungehört. Gerade die hoch ausgewiesenen Staatsrechtler aus Deutschland hätten doch wissen müssen, dass ihr Land nach dem 1. Weltkrieg und ein zweites Mal, diesmal mit Er3
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Mit Recht wiesen vor allem die Briten darauf hin, dass Genscher und seine Mitarbeiter die immensen Schwierigkeiten vor allem des in Südafrika zu meisternden Transformationsprozesses gänzlich fremd waren. Detailliert zu dem Versagen der Bonner Politik: von der Ropp, Klaus Frhr.: Die Südafrika-Politik der Bundesrepublik Deutschland, in: van der Heyden, Ulrich/Stephan, Gerd-Rüdiger (Hrsg.): Deutsch-Südafrikanische Beziehungen. DDR – Bundesrepublik – vereintes Deutschland, Potsdam 2009, S. 56–76. Zu alledem zwei Beiträge: von Lucius, Robert: Beraten und Ermüden. Südafrikas Wege zur Verfassungsreform und du Plessis, Lourens Marthinus: German Verfassungsrecht under the Southern Cross. Observations on South African-German Interaction in Constitutional Scholarship in Recent History with particular reference to Constitution-making in South Africa, in: Hufen, Friedhelm (Hrsg.): Verfassungen zwischen Recht und Politik: Festschrift zum 70. Geburtstag für Hans-Peter Schneider. Baden-Baden 2008, S. 513–523 bzw. 524–536. Waldmeir, Patti: A long and winding road, in: Financial Times, 10.09.1993. Vgl. Fukuyama, Francis: The Next South Africa, in: The National Interest, Summer 1991, S. 13–28. Siehe Fn 1.
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folg, 1947–1949 und 1989/1990 nur unter sehr besonderen Umständen den Weg zur Demokratie zurückgelegt hatte. Dies unterblieb aus unerfindlichen Gründen. Es waren offenbar Ideologen am Werk! Aus heutiger Sicht ist festzuhalten, dass die wohlmeinenden Ratschläge aus Deutschland langfristig wohl kaum mehr bewirkten, als dem neuen Südafrika den Weg in die Anarchie zu weisen. Und das, obwohl eine große Zahl deutscher Parlamentarier, Bundes- und Landesbehörden, ungezählte NROs, die Bundeswehr usw. mit enormem Finanzaufwand bemüht waren, in Südafrika das zu wiederholen, was in Deutschland in der Nachkriegszeit unter völlig anderen Umständen gut gelungen war. Aber nicht nur in Deutschland unterlag man grotesken Fehleinschätzungen. Als Beispiel sei nur angeführt, dass namhafte US-amerikanische Sicherheitspolitiker vorschlugen, neben Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea auch Südafrika in die NATO aufzunehmen. 8 Zu später Stunde unternahmen im August 1993 der jetzt federführende USBotschafter Princeton Nathan Lyman und sein britischer Kollege, Sir Anthony Reeve, seit 1991 der Nachfolger von Renwick, eine fatale Lücke in dem verabschiedeten Verfassungsentwurf auszufüllen. Sie vermittelten den am 23. April 1994 im Union Building (Pretoria) von dem späteren Staatspräsidenten Thabo Mbeki (1999–2008), dem hochdekorierten Viersternegeneral Constand Viljoen, dem Anführer der konservativen, nicht aber reaktionären weißen Afrikaaner, und dem blassen Chefunterhändler der Regierung de Klerk, Roelf Meyer, unterzeichneten „Accord on Afrikaner Self Determination“. Seine Unterzeichnung wurde, das sei hier eher beiläufig vermerkt, von dem deutschen Botschafter HansChristian Ueberschaer und seinem Stab boykottiert, von dem hochqualifizierten russischen Botschafter in Pretoria, Jewgeni Petrovich Gusarov, hingegen überschwänglich begrüßt. Obwohl er, allerdings in abgeschwächter Form, mit Artikel 235 in die Verfassung des neuen Südafrika aufgenommen wurde, scheiterte seine Implementierung. Sie scheiterte an der abgrundtiefen Zerstrittenheit des ViljoenLagers. Hätten die Unterzeichner des Accords Erfolg gehabt, so wäre wahrscheinlich die Verdrängung 9 des Afrikaansen an Universitäten und zunehmend auch an Schulen zugunsten des Englischen unterblieben. So aber entstand ein hochgefährlicher weiterer Streitpunkt in einem auf lange Zeit noch höchst fragilen Staat. Der große Erfolg der ersten demokratischen Wahlen, die Ende April 1994 mit einem deutlichen Sieg von ANC/SACP endeten, gaben den zuversichtlichen Beobachtern nur scheinbar Recht. Denn sie übersahen, dass deren Ergebnis nicht an den Urnen ermittelt, sondern von den teilnehmenden Parteien zuvor ausgehandelt worden war. 10 Nur so waren die Verlierer dafür zu gewinnen, sich an dem Wahlgang zu beteiligen. 8
Vgl. Daalder, Ivo/Goldgeier, James: Global NATO, in: Foreign Affairs, Nr. 9/10, New York 2006, S. 105–112. 9 Vgl. Mathee, Heinrich: Taalbelang is stoffelijk belang! – In Südafrika ist die Sprache Afrikaans durch Einheitsenglisch bedroht, in: Deutsche Sprachwelt, Nr. 3, Erlangen 2016, S. 7. 10 Vgl. Waldmeir, Patti/Holman, Michael: Spirit of reconciliation sweeps aside letter of vote. The election was deeply flawed, but nearly everyone likes the outcome, in: Financial Times, 07./08.5.1994.
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Aus heutiger Sicht grenzt es an ein Wunder, dass ganz wesentliche Elemente der Verfassung des neuen Südafrika bis auf den heutigen Tag fortbestehen. Von großer Bedeutung sind hier u. a. die regelmäßige und offenbar weitgehend korrekte Abhaltung von Parlaments- und sonstigen Wahlen, die bislang einwandfreie Rechtsprechung der Obergerichte und des nach deutschem Vorbild eingerichteten Verfassungsgerichts auch zu politisch heiklen Sachverhalten, der sehr erfolgreiche Fortbestand einer gut funktionierenden Zivilgesellschaft, die Medien- und allgemeine Meinungsfreiheit, ein freies Gewerkschaftswesen etc. Eindrucksvoll hat das der frühere ANCAktivist und heutige CEO des Goldförderers Anglo Gold Ashanti, Sipho Pityana, im Oktober 2017 in Oxford in seiner Bram-Fischer Memorial Lecture dargestellt. 11 Die Atmosphäre, in der Nelson Mandela im Mai 1994 als Nachfolger von F. W. de Klerk in das Amt des Staatspräsidenten eingeführt wurde, lässt sich nur mit derjenigen vergleichen, die das Leben in Ost und West mit dem Ende des Kalten Krieges kennzeichnete. Südafrika war in einem Zustand der Trance. ApartheidSüdafrika war scheinbar über Nacht zu einer Regenbogen-Nation geworden. Es war zum bevorzugten Partner ausländischer, vielleicht weniger inländischer Investoren geworden. So gründeten in Deutschland opportunistische Unternehmen die Organisation SAFRI (Südliches Afrika-Initiative der Deutschen Wirtschaft), um Investitionen in die „Löwenstaaten“ des südlichen Afrika zu locken. Hier wurde an die „Tigerstaaten“ in Südostasien angeknüpft. Die Wirtschaft wuchs dann, worauf weiter unten eingegangen wird, – mit wenigen Ausnahmen – bis zur Weltwirtschaftskrise 2008 kontinuierlich. Die immensen Probleme der Transformation eines in 350 Jahren gewachsenen rassistischen Regimes, in den letzten 40 Jahren seines Bestehens Apartheid genannt, hin zu einem demokratischen Rechtsstaat wurden schlichtweg übersehen. In Deutschland gelang das umso besser, als alle Medien eine entsprechende Berichterstattung einstellten. Alle Welt konzentrierte sich stattdessen auf die großen Erfolge u. a. beim Ausbau der Infrastruktur. Nicht selten ließ man sich von ihnen blenden: Tausende von Kilometern inzwischen längst schadhaft gewordener Straßen, vier Millionen des Öfteren vom Tag der Fertigstellung an baufällige Sozialwohnungen, die Elektrifizierung von Wohnungen, deren Bewohner die entsprechenden Kosten häufig nicht aufbringen können, Trinkwasseraufbereitung von nicht selten mangelhafter Qualität, die großzügige Erweiterung von Universitäten und Schulen bei nachlassender Qualität des Unterrichts u. a. 3. „SOUTH AFRICA IS AGAIN AT THE BRINK“ Auch im politisch korrekten Deutschland blieben die fatalen Folgen der von der Regierung verfolgten Politik der affirmative action weitgehend unbemerkt. Affirmative action bedeutet bis heute, dass bewährte, oft weiße, im westlichen Kap auch gemischtrassige Mitarbeiter, in der öffentlichen Verwaltung weitgehend, in der privaten Wirtschaft oft weniger rabiat, entlassen und durch nicht qualifizierte 11 Vgl. Pityana, Sipho: Can South Africa´s constitutional democracy be sustained?, in: Daily Maverick, 20.10.2017.
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schwarze Südafrikaner ersetzt werden. So wurde die Arbeitslosigkeit unter den Schwarzen, eines der existenzbedrohenden Probleme nicht nur dieses afrikanischen Staates, gemindert. Zugleich gab es mit diesem Wechsel jedoch drastische Leistungseinbrüche. Denn das alte Südafrika hatte kaum Schwarze für anspruchsvollere Aufgaben ausgebildet. Soweit das anders war, hatten Jugendliche ANCund PAC-Aktivisten ihre beruflichen Perspektiven dadurch zerstört, dass sie der Parole „liberation first, education later“ anhingen. Und eines der ganz großen Versäumnisse des Post-Apartheid-Südafrika besteht darin, hier die Chancen eines Neubeginns nicht genutzt zu haben. Es gilt nach wie vor, was die in Apartheidzeiten lange Jahre unter Hausarrest stehende Ärztin und Bürgerrechtlerin Mamphela Ramphele in den zurückliegenden Jahren verschiedentlich feststellte. Das heutige Schulwesen ist (noch) schlechter als dasjenigen, für dessen Überwindung bei den Aufständen im Jahr 1976 viele Jugendliche starben. Hier muss der Hinweis genügen, dass das World Economic Forum die Qualität des südafrikanischen Bildungswesens auf Platz 140 von 144 untersuchten Ländern einstufte. Und die Qualität des Unterrichts in Mathematik und Naturwissenschaften gar nur auf den 143. von 144 kam 12. Zurückzuführen ist das nicht auf das Erbe der Apartheid, sondern auf die unter dem Lehrpersonal heute verbreitete Disziplinlosigkeit und Vandalismus. ANC und Regierung dulden das aus Sorge, andernfalls die Unterstützung von dessen Interessenvertretung, der South African Democratic Teacher`s Union (SADTU), zu verlieren. Und ihrer bedürfen die Regierenden, da sie bei der lokalen Bevölkerung großen Einfluss haben. Auch in allen anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung fehlen den neuen Stelleninhabern in der Regel eine berufsgerechte Ausbildung und einschlägige Berufserfahrung. Das gilt u. a. für die Polizei, das Justizwesen, die Einwanderungskontrolle, das Zollwesen, die Krankenversorgung, die Trinkwasseraufbereitung, die Abwasserentsorgung und das Hochschulwesen. In ganzen Regionen findet eine öffentliche Verwaltung kaum noch statt. Das ist nur im ländlichen Raum dort anders, wo sie wie zu Apartheidzeiten weiterhin in den Händen von traditionellen Autoritäten (traditional chiefs) liegt. Das gilt umso mehr, als deren Kompetenz in der Ära Zuma deutlich erweitert wurde. Das Ausbleiben öffentlicher Dienstleistungen führt im neuen Südafrika Woche für Woche zu sog. service delivery stikes. Die Folge ist – vor allem in den Townships – eine weitere Brutalisierung der Gesellschaft. Dort, wo es infolge der faktischen Abschaffung der Polizei keine Ordnungshüter mehr gibt, wird letzteres durch private Sicherheitsgesellschaften oder, in den townships, durch Lynchjustiz kompensiert. Andere Ursachen hatten übrigens die Studentenunruhen, die vor allem Ende 2016 an wohl allen Universitäten des Landes zu beobachten waren und die den Hochschulbetrieb ins Chaos stürzten. Sie weckten Erinnerungen an die chaotischen Zustände während der chinesischen Kulturrevolution in den 1970er Jahren. Unter die revoltierenden Studenten mischten sich häufig Anhänger der militanten 12 Vgl. Ramphela, Mamphele: Tell my people that I love them – and they must continue the struggle. University of Johannesburg, Centre for Education Policy Development, Solomon Mahlangu Memorial Lecture 2012.
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Economic Freedom Fighters (EFF). Die EFF ist eine 2014 unter ihrem begabten Führer Julius Malema entstandene Abspaltung vom ANC. Sie fordert die Übernahme des „Simbabweschen Modells“, d. h. des Zerstörungswerks des langjährigen simbabweschen Staatspräsidenten Robert Mugabe. Hierzu sei angemerkt, dass in der Analyse des Internationalen Währungsfonds Simbabwe zu den fünf afrikanischen Ländern zählt, denen der Staatsbankrott droht. Ähnliche Forderungen wie heute der EFF vertrat immer schon der mit dem ANC rivalisierende PAC. So auch der inzwischen verstorbene Arzt und Bürgerrechtler Nthato Motlana in einem SPIEGEL-Interview 13: „Alles muss zerstört werden“, bevor das neue Südafrika zustande kommen wird. Ihrer aller Programm dürfte auch auf der Linie der Anfang 2018 verstorbenen, unter jugendlichen Schwarzen sehr gefolgschaftstarken früheren Ehefrau des ersten frei gewählten Staatspräsidenten, Winnie Mandela, liegen. Nicht unwahrscheinlich ist, das sei hier beiläufig angesprochen, dass die EFF für die Ermordung von bald 2.000 ganz überwiegend weißer Großfarmer verantwortlich ist. 14 Die rebellischen Studenten und ihre Verbündeten forderten damals und werden weiterhin fordern, nicht nur die Studiengebühren, sondern auch alle Examina abzuschaffen. 15 Darüber hinaus redeten sie der Abkehr von allen Relikten des vor 1994 in Teilen Südafrikas hochentwickelten Bildungswerks als „Teufelswerk“ das Wort. Das seit Jahrzehnten renommierte liberale Johannesburger Institute of Race Relations hatte Recht, als es Anfang 2018 einem Flugblatt den Titel gab „South Afrika is again at the brink“. 4. SÜDAFRIKAS WIRTSCHAFT ZWISCHEN AUFBRUCH UND NIEDERGANG 16 Zum Ende der Apartheid befand sich die südafrikanische Volkswirtschaft in einer desolaten Verfassung. Nach Phasen starken Wachstums in den vorangegangenen Jahrzehnten zeigten die Sanktionen und der innere Widerstand gegen das Apartheid-Regime in den 1980er Jahren Wirkung. So verzeichnete die Wirtschaft im Jahrzehnt vor den ersten demokratischen Wahlen 1994 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von gerade einmal 0,5 %, während in derselben Zeit die 13 Der Spiegel 40/1980, S. 169–173, hier S. 169. 14 Vgl. u. a. Grill, Bartholomäus: Wir ziehen in die letzte Schlacht, in: Die Zeit, 09.2.2012, S. 15–16; Thielke, Thilo: Der blutige Kampf um den Boden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.4.2018, S. 3. Vgl. damit Luig, Benjamin: Die Aufgeschobene Landreform, in: Afrika Süd. Zeitschrift zum Südlichen Afrika, Nr. 5/6, Bonn 2018, S. 16–17. 15 Vgl. u. a. van der Heyden, Ulrich: Spiel mit dem Rassismus, in: Süddeutsche Zeitung, 28.7.2016. 16 Der unter 4. niedergeschriebene Text fußt voll auf den zahlreichen Gesprächen, die ich über Jahre mit dem Wirtschaftswissenschafter Dr. John Endres, Johannesburg, führte. Aus Deutschland sind zu dieser Thematik vor allem die hochinformativen Beiträge von Robert Kappel zu nennen: Südafrika – Die Krisensymptome verstärken sich, in: GIGA-Focus Afrika, Nr. 7, Hamburg 2013. Ders.: Südafrika vor dem BRICS–Gipfel 2018, Berlin 2018, online verfügbar unter https://weltneuvermessung.wordpress.com/2018/03/20/suedafrika-vor-dembrics-gipfel-2018-teil-1-armut-und-arbeitslosigkeit-steigen-deutlich-an/ (02.05.2019).
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Bevölkerung um durchschnittlich 2,1 % p. a. anwuchs. Entsprechend verarmten die Südafrikaner: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen sank von $ 6.360 (1984) auf $ 5.424 (1993), d. h. ein Rückgang um 14 %. Auch die Staatsfinanzen befanden sich in einem maroden Zustand. Die Staatsverschuldung lag 1994 bei 48 % des BIP, die jährliche Teuerungsrate im Jahrzehnt vor 1994 weit über 10 %. In dieser Zeit fielen die ausländischen Direktinvestitionen aus – das insbesondere nach der berüchtigten „Rubikon“-Rede (August 1985) von Staatspräsident P. W. Botha. Denn darin hatte er erkennen lassen, dass seine Regierung sich außer Stande sah, die Apartheid aufzugeben. Die am 27. April 1994 neu ins Amt gewählte Regierung des ANC und seiner „Allianzpartner“ SACP und Cosatu (Congress of South African Trade Unions) sah sich dann mit der großen Herausforderung konfrontiert, die Staatsfinanzen zurechtzurücken und der Wirtschaft des Landes neues Leben einzuhauchen. Im Rückblick auf die zwei Jahrzehnte nach dem demokratischen Wandel erscheint die Bilanz auf den ersten Blick positiv. Denn das BIP Südafrikas betrug 1994 $ 226 Milliarden, 2016 dagegen inflationsbereinigt $ 420 Milliarden, also eine annähernde Verdoppelung in 22 Jahren. Das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 2,7 %. Im selben Zeitraum stieg die Bevölkerung von 41 Millionen auf 56 Millionen, also um 1,4 % pro Jahr. Im Schnitt wurden die Südafrikaner in dieser Zeit wohlhabender: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen stieg von $ 5.747 im Jahr 1994 auf $ 7.489 im Jahr 2016, ein Zuwachs von 37 % (oder Durchschnittlich 1,4 % p. a.). Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild. Der Zeitraum von 1994 bis 2018 lässt sich grob gesprochen in drei Phasen unterteilen, die in etwa mit den Amtszeiten der Präsidenten Nelson Mandela (1994–1999), Thabo Mbeki (1999–2008) und Jacob Zuma (2009–2018) zusammenfallen. Insbesondere bezogen auf die Außenwirtschaft war das charakteristische Merkmal der Mandela-Ära die Wiedereingliederung Südafrikas in die Weltgemeinschaft und -wirtschaft. Beziehungen, die aufgrund von Sanktionen unterbrochen worden waren, wurden wieder aufgenommen. Investoren ließen sich von dem „Wunder am Kap“ und insbesondere von Mandelas Charisma inspirieren, vielleicht blenden. Die ausländischen Direktinvestitionen nahmen Fahrt auf und lagen in der Amtszeit von Mandela um 1 % des BIP p. a., während die Wirtschaft um knapp 2,1 % p. a. wuchs. Die Finanzminister Chris Liebenberg (1994–1996) und insbesondere Trevor Manuel (1996–2009) verfolgten aggressiv und erfolgreich eine Politik der Stabilisierung des Haushalts und der Währung: Das Haushaltsdefizit wurde von 6,6 % des BIP im Jahr 1993 auf 2,1 % im Jahr 1999 gesenkt. Die Inflation wurde unter Kontrolle gebracht und lag von 1994 bis 1999 um 7 %. Dieser Zeitraum stand im Zeichen der staatlichen Entwicklungsprogramme RDP (Reconstruction and Development Programme, 1995) sowie GEAR (Growth, Employment and Redistribution, 1996). Das Hauptaugenmerk dieser Programme lag darauf, die Wirtschaft und das Humankapital Südafrikas zu stärken, Diskriminierung von Rasse oder Geschlecht zu beenden und die Demokratie zu festigen. Im Rahmen des RDP-Programms begann der Aufbau eines sozialen Sicherheitsnetzes, was wohl als der größte Erfolg des Programms zu werten ist
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Nelson Mandela strebte keine zweite Amtszeit an, sondern übergab 1997 den ANC-Vorsitz und 1999 das Amt des Staatspräsidenten seinem Stellvertreter Thabo Mbeki. Dieser beließ Trevor Manuel im Amt und ließ ihn seine konservative Geldpolitik fortführen. Die Teuerungsrate konnte jetzt sogar noch weiter abgesenkt werden, sie lag von 1999 bis 2008 unter 6 % p. a. Die ausländischen Direktinvestitionen verdoppelten sich auf annähernd 2 % des BIP p. a. und das Wirtschaftswachstum beschleunigte sich auf durchschnittliche 3,8 % p. a. In diese Zeit fiel auch die einzige Periode, in der die Arbeitslosigkeit, wohl das größte sozioökonomische Problem Südafrikas, gesenkt werden konnte. Die Rate fiel von 27,1 % Arbeitsstellensuchender auf immer noch erschreckende 22,4 % im Jahr 2008. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen stieg während der Amtszeit Mbekis von $ 5.688 auf $ 7.338, also um 29 % oder 2,6 % p. a. Zugleich wurde die südafrikanische Steuerbehörde (South African Revenue Service, SARS) professionalisiert und so gestärkt. So wurden die Steuereinnahmen gesteigert und für Regierungsvorhaben wie GEAR und dessen Nachfolgeprogramme verfügbar gemacht. In den Jahren 2006 und 2007 erwirtschaftete die Regierung sogar einen Haushaltsüberschuss von 0,3 % bzw. 0,7 %. So fällt das Urteil über Mbekis Wirtschaftsmanagement unter dem Strich positiv aus. Kritisiert wird er aber für seine desaströse AIDS-Politik, die über 300.000 Südafrikaner das Leben kostete, sein Stillhalten gegenüber dem Diktator Robert Mugabe im benachbarten Simbabwe (Stichwort „quiet diplomacy“) und die Zentralisierung der Parteistrukturen unter seiner Führung. Letztlich trug das autokratische Verhalten Mbekis mit dazu bei, dass er in einer Palastrevolte Ende 2007 gestürzt wurde. Jacob Zuma gelang es, ihn als Parteivorsitzenden abzulösen, indem er auf die Unterstützung einer Koalition setzte, in der alle von Mbeki vergrätzten Parteimitglieder zusammenfanden. Neun Monate später konnte Zuma die Parteistrukturen überzeugen, Mbeki zum Rücktritt vom Amt des Staatspräsidenten zu zwingen und Kgalema Motlanthe als Übergangspräsidenten einzusetzen. Im Anschluss an die Parlamentswahlen erlangte Zuma 2009 schließlich das Amt des Staatspräsidenten. Schon zu Beginn seiner Amtszeit wurde klar, dass Zuma die Entwicklung seiner persönlichen Finanzen und der Machterhalt bedeutender waren als das Wohl des Landes. Ein Korruptionsskandal folgte auf den anderen: 2003 befand die Staatsanwaltschaft, dass es stichhaltige Korruptionsvorwürfe gegen ihn gebe, sah jedoch von einer Verfolgung ab. 2005 enthob Staatspräsident Mbeki seinen Vizepräsidenten Zuma des Amtes, nachdem ein Gericht befunden hatte, dass Zumas Finanzberater Shabir Shaik diesen bestochen hatte. Unter Präsident Zuma wuchs die Wirtschaft Südafrikas zwischen 2008 und 2016 (den letzten von der Weltbank zur Verfügung gestellten Daten) um 1,4 % p. a. Das Pro-Kopf-Einkommen kam jedoch kaum von der Stelle. Es stieg von $ 7.338 im Jahr 2008 auf $ 7.489 im Jahr 2016, eine durchschnittliche jährliche Zunahme von mageren 0,2 %. Die Staatsfinanzen verschlechterten sich jedoch von Jahr zu Jahr, die Brutto-Auslandsverschuldung stieg von $ 15,4 Mrd. im Jahr 2009 auf $ 73,6 Mrd. im Dezember 2017. Die Gesamtverschuldung der nationalen Regierung explodierte förmlich und vervierfachte sich in weniger als zehn Jahren.
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Dadurch stieg sie von 26,5 % des BIP (2008) auf 53 % des BIP (2017). Die Arbeitslosigkeit erreichte einen historischen Höchstwert von 27,5 % im Jahr 2017. Noch viel höher ist sie unter den kaum qualifizierten Jugendlichen. So sind viele Townships zu Pulverfässern geworden. Ein weiteres kaum zu lösendes Problem ist die Korruption, die unter Zuma astronomische Höhen erreichte. Nach alldem überraschte es nicht, dass im April 2017 zwei der drei großen amerikanischen Rating-Agenturen, zunächst Standard & Poor´s und dann auch Fitch, die Kreditwürdigkeit des Landes auf Ramschniveau herabstuften. 5. GING ALLE GEWALT VON DEN BRÜDERN GUPTA AUS? Ausgehend von dem im April 2009 ins Amt gewählten Staatspräsidenten Jacob Zuma spannte sich seit seinem Amtsantritt ein Netz der Korruption durch Schlüsselministerien, Staatskonzerne, das öffentliche Fernsehen und andere Medien sowie unzählige weitere staatliche Institutionen. Ein mit großem Können organisiertes kriminelles Netzwerk! Sein Kern war Zuma selbst, enge Familienangehörige, zuvörderst sein Sohn Duduzane und drei Brüder einer 1993 aus Indien eingewanderten Unternehmerfamilie namens Gupta. Durch die Zusammenfassung beider Familiennamen entstand der „Firmenname“ Zuptagate. Mit dem Netzwerk kooperierende Ministerien, vornehmlich das Ministerium für staatliche Unternehmen und das Finanzministerium sowie die zentrale Steuerbehörde (SARS), bildeten die Spitze einer Parallelregierung 17 – mit anderen Worten ein stiller Putsch gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Zuptagate ernannte und entließ faktisch diese Minister. Übrigens war dieses mafiöse Netzwerk vielleicht bereits zum Ende der Amtszeit Mbekis, des zweiten demokratisch gewählten Staatspräsidenten, in Erscheinung getreten. Seit die ebenso fähige wie mutige Ombudsfrau Thuli Madonsela Ende 2016 den Bericht ihrer Behörde unter dem Titel „State Capture“ veröffentlichte, wurde Zuptagate zum alles beherrschenden Thema. Auch schwarze Journalisten berichteten in großer Freiheit eine Fülle von Einzelheiten. Das war sogar der Fall, als Zuptagate sich die SARS quasi einverleibte. Einmal mehr triumphierte die Freiheit der Medien. Dies alles führte bereits Anfang 2018 zum Sturz des Staatspräsidenten Zuma und zu seiner Ablösung durch den Ende 2017 als Nachfolger Zumas zum Vorsitzenden des ANC gewählten Cyril Ramaphosa. Vor seinem Sturz hatte sich Zuma lange Jahre dadurch behauptet, dass er die Spitzen der Generalstaatsanwaltschaft, der Hawks – einer Sondereinheit der Polizei zur Bekämpfung von schwerer Korruption – und des Geheimdienstes u. a. mit Personen seines (kriminellen) Vertrauens besetzte. Auch das war ein Teil von Zuptagate! 17 Zu Zuptagate gibt es inzwischen eine Fülle von Publikationen. Aus Deutschland vor allen anderen: Gottfried Wellmer, in: Afrika Süd. Zeitschrift zum Südlichen Afrika, Nr. 1/2, 7/8 und 9/10, Bonn 2017. Ferner Zick, Tobias: Haarsträubender Niedergang, in: Süddeutsche Zeitung, 4.11.2016. Aus Südafrika siehe vor allem: Swilling, Mark et al. (Hrsg.): Betrayal of the Promise: How South Africa is being stolen (State Capacity Research Project). ), Stellenbosch, May 2017; Pauw, Jacques: The President’s Keepers. Those Keeping Zuma in Power and out of Prison, Kapstadt 2017.
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Mithilfe des Putsches wurden Verfassungs- und Schattenstaat verknüpft, um demokratische Institutionen zu persönlicher Bereicherung zu missbrauchen. Schwierigkeiten bei der Verdrängung der integren und wegen ihrer Kompetenz auch international anerkannten Finanzminister Pravin Gordhan und später Nhlanhla Nene ließen Zuma und seine Helfershelfer hier einen anderen Weg einschlagen: Die Zuständigkeit für den Regierungsentwurf für das kommende Haushaltsjahr und die Vorarbeiten für die folgenden Haushaltspläne wurden dem Finanzminister entzogen und dem Staatspräsidenten zugeschlagen. Über die Fachminister, die sie wie geschildert in der Hand hatten, gelang es den Familien Zuma und Gupta, ihre gleichfalls korrupten Gefolgsleute in allen Führungspositionen der ca. 300 staatseigenen Unternehmen zu platzieren. So war sichergestellt, um hier nur ein Beispiel zu nennen, dass nur solche in- und ausländischen Gesellschaften Lieferverträge u. Ä. erhielten, die häufig horrend hohe Schmiergelder an Zuptagate gezahlt hatten. Selbst international renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Anwaltsfirmen, Wirtschaftsberater und Banken waren bereit, solche Geldtransfers zu vertuschen. Es wurden staatseigene Unternehmen zu „vehicles for looting“. Der frühere Finanzminister Gordhan schätzt, dass so 100 Mrd. Rand (über $ 7,5 Mrd.) 18 oder ein noch höherer Betrag dem Staat gestohlen wurden. Es ist kaum anzunehmen, dass es jemals möglich sein wird, diese Straftatbestände straf- und zivilrechtlich zu ahnden. 6. DIE WAHL VON CYRIL RAMAPHOSA Im Dezember 2017 kamen in Johannesburg über 5.000 Delegierte zum 54. Parteitag des seit Mai 1994 zusammen mit der SACP und Cosatu unangefochten regierenden ANC zusammen. Wichtigster Tagesordnungspunkt war nach dem Verzicht von Zuma auf eine erneute Kandidatur die Wahl eines neuen Vorsitzenden. Kandidaten waren zum einen der stellvertretende ANC-Präsident und zugleich stellvertretende Staatspräsident Cyril Ramaphosa und zum anderen Nkosazana Dlamini-Zuma („NDZ“), ehemals eine der Ehefrauen von Jacob Zuma. Beide Kandidaten hatten zuvor wichtige Partei- und Regierungsämter bekleidet. Nachdem es ihm trotz dessen Unterstützung nicht gelungen war, 1999 die Nachfolge Mandelas an der Spitze des Staates anzutreten, hatte sich Ramaphose aus der Politik zurückgezogen und war in die Wirtschaft übergewechselt. Dort hatte er abermals großen Erfolg und brachte es in kaum mehr als zwei Jahrzehnten zum US-Dollar Millionär. Dennoch gehörten jetzt in Johannesburg ANC-Delegierte, die auch Mitglieder der SACP sind, und viele wichtige Gewerkschaftler zu seinen Unterstützern. Das hinderte ihn nicht, im Streit mit seiner Rivalin einer ausgeprägt wirtschaftsfreundlichen Politik das Wort zu reden. In Abkehr von der Misswirtschaft und Korruption der Ära Zuma versprach Ramaphosa „den ANC zu waschen und zu reinigen“. NDZ, die sich u. a. auf die mächtigen Frauen- und Jugendligen des ANC 18 Vgl. www.fin24.com/economy/sa-may-have-lost-r100bn-or-more-to-state-capture-gordhan-2 0180515 (02.05.2019).
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stützte, redete einer „radikalen Transformation der Wirtschaft“ das Wort. Ein weiteres Versprechen war, das „weiße Monopolkapital zu bekämpfen“. Schließlich forderte sie in Abkehr von der geltenden Verfassung die entschädigungslose Enteignung von weißem Grund und Boden im ländlichen Raum. NDZ und der starke Flügel ihrer Anhänger vertraten ein Programm, das sich kaum von dem Zerstörungswerk des Diktators Robert Mugabe im benachbarten Simbabwe unterschied. Es sollte sich von selbst verstehen, das sei hier am Rande vermerkt, dass die EFF die Vorstellung des NDZ-Flügels im ANC später lautstark unterstützte. Der Ende 2017 noch amtierende Staatspräsident Jacob Zuma unterstützte die Kandidatur von NDZ offenbar auch, um nicht nach dem absehbaren Ausscheiden aus dem Amt des Staatspräsidenten wegen Hunderter Vermögens- und anderer Straftatbestände vor Gericht gestellt zu werden. Aus einer vielleicht korrekten Wahl ging Ramaphosa mit ca. 52 % der abstimmenden Delegierten als Sieger hervor. Wie knapp seine Mehrheit war, zeigte sich dann abermals bei der Wahl der übrigen Mitglieder des Führungsorgans der Partei, des National Executive Committee (NEC) und von dessen sechsköpfiger Spitze („top six“). Anhänger von NDZ eroberten fast 50 % der Sitze im NEC. Und unter den top six sind jeweils drei Anhänger beider Lager, mit dem stellvertretenden Vorsitzenden David Mabuza sogar ein erbitterter Gegner Ramaphosas. Nicht hoch genug kann eingeschätzt werden, dass sich das Zuma-/NDZ-Lager in der Folgezeit zumindest zunächst in seinen weitgehenden Machtverlust fügte, mit anderen Worten selbst in seiner Hochburg KwaZulu/Natal nicht aufbegehrte. Das kann sich, ausgehend vom Elend vor allem in den schwarzen Townships, jederzeit ändern. Nicht undenkbar ist, dass mit einer Abspaltung von KwaZulu/Natal das Zerbrechen des heutigen Südafrika seinen blutigen Anfang nimmt. Es war dann nur noch eine Formsache, dass Jacob Zuma im Februar 2018 vom Amt des Staatspräsidenten zurücktrat und Ramaphosa vom Kapstädter Parlament zu dessen Nachfolger gewählt wurde. Schon die Zusammensetzung seines ersten Kabinetts machte deutlich, wie sehr stark der Zuma-Flügel in der Führung des ANC nach wie vor ist und welche Fesseln Ramaphosa damit angelegt sind. So sah er sich gezwungen, David Mabuza zum stellvertretenden Staatspräsidenten zu ernennen. Ferner betraute er Malusi Gigaba, eine Schlüsselfigur von Zuptagate, NDZ und etliche ihrer Sympathisanten mit wichtigen Ressorts. Auf der anderen Seite gelang es ihm, auch erbitterte Gegner von Zuptagate mit Schlüsselministerien zu betrauen, z. B. kehrte Finanzminister N. Nene in sein altes Ressort zurück und Pravin Gordhan übertrug er die Leitung des Ministeriums für Staatseigene Unternehmen und damit die politische Verantwortung für die Rückabwicklung von Kernbereichen von Zuptagate. Bereits in seiner ersten „Ansprache zur Lage der Nation“ musste Ramaphosa die zuvor erwähnten Fesseln erkennen lassen. So sprach er von der Möglichkeit, die Mitte der 1990er Jahre verabschiedete demokratische Verfassung seines Landes dahingehend zu ändern oder auszulegen, dass künftig weiße Farmen entschädigungslos verstaatlicht werden können. Das allerdings mit den Einschränkungen, dass dadurch weder die Gesamtwirtschaft noch die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln beeinträchtigt werden. Es verstand sich von selbst, dass die EFF diesen Gedanken aufgriff. So konnte das Kapstädter Parlament sein Constitutional Review
Ist das südafrikanische „Wunder“ gescheitert?
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Committee (CRC) beauftragen, mittels landesweiter, teils öffentlicher Anhörungen die Sicht der Bevölkerung zu alledem zu erkunden. 19 Unter den Gegnern dieser möglichen neuen Politik ist die Sorge verbreitet, dass sie sich im Lauf der Zeit nicht nur auf weiße Großfarmen beschränken, sondern, wie vor Jahren schon in Simbabwe, auf alles weiße Eigentum in (noch) privater Hand erstrecken wird. Schon die Möglichkeit einer solchen Änderung der Verfassung führte 2017/18 in allen Sektoren der modernen Volkswirtschaft zu großer Verunsicherung, um nicht zu sagen zu blankem Entsetzen. Der zu erwartende Widerstand der einheimischen und ausländischen Wirtschaft gegen eine solche Neuorientierung der Politik mag erklären, dass die Ergebnisse und Empfehlungen der Arbeit des CRC nicht, wie ursprünglich geplant, Ende August 2018 vorgelegt werden konnten. Das ist auch Anfang Oktober 2018, dem Zeitpunkt des Abschlusses dieses Manuskripts, nicht der Fall. Es kann allerdings bereits jetzt dahingehend spekuliert werden, dass ein Umbruch in der Politik Südafrikas auf Dauer sehr viel wahrscheinlicher ist als sein Ausbleiben. Umso mehr drängt sich die provokante Frage von Robert Kappel – ohne Zweifel der beste deutsche Kenner der südafrikanischen Volkswirtschaft – auf, mit der er seinen im Frühjahr 2018 erschienenen Aufsatz überschrieb. 20 7. WANKT SÜDAFRIKA AUS DER KRISE? Es ist ausgeschlossen, sie bereits heute zu beantworten. Natürlich bleiben außer den Erkenntnissen und Empfehlungen der Arbeiten des CRC die Wahlen von Ende April 2019 abzuwarten. Eines lässt sich bereits heute mit großer Sicherheit sagen: Wenn überhaupt ein Südafrikaner, welcher ethnischen Zugehörigkeit auch immer, die Fähigkeit hat, das eben nicht nur in der Ära Zuma zerstörte Land wiederaufzubauen, so ist das Staatspräsident Cyril Ramaphosa. Außer den angesprochenen Herausforderungen wird sich ihm eine weitere kaum lösbare Aufgabe stellen: Die in den letzten 25 Jahren eingetretene Destabilisierung und wiederum extreme rassische Polarisierung lassen die Stellung der drei ethnischen Minderheiten noch prekärer erscheinen. Dabei sollte, anders als dies nicht nur in Deutschland geschieht, nicht übersehen werden, dass die weiße Minderheit unverändert über Chaosmacht verfügt. Schon deshalb ist ihrer Existenzangst Rechnung zu tragen. In den zurückliegenden 25 Jahren sind die bis 1994 herrschenden weißen Afrikaaner zu Fremden im eigenen Land geworden. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen! In Voraussicht von alledem prognostizierte der Künstler und langjährige politische Häftling Breyten Breytenbach schon vor Jahren in einem Interview
19 Siehe vor allem Jeffery, Anthea: Empowering the State/Impoverishing the People, Johannesburg 2018. 20 Kappel, Robert: Wankt Südafrika aus der Krise?, in: Afrika Süd. Zeitschrift zum Südlichen Afrika, Nr. 2, Bonn 2018, S. 42–43.
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mit der französischen Tageszeitung „Le Monde“ „que l’Afrique du Sud va bientôt explorer les variantes infinies de la barbarie“ 21. Dieselbe Sorge ließ ihn zusammen mit dem liberalen afrikaansen Dissidenten Van Zyl Slabbert den oben bereits erwähnten „Accord on Afrika(a)ner SelfDetermination“ vom 23. April 1994 formulieren. Sie knüpften damit an das von dem Verfasser vermittelte Suchen Egon Bahrs nach einer Lösung sui generis für das Post-Apartheid-Südafrika an. Gleichfalls an Egon Bahr anknüpfend hatte der südafrikaerfahrene FDPPolitiker und spätere Präsident von Liberal International, Otto Graf Lambsdorff, 1986 22 einer „sacrificial particion“ (Slabbert), einer Teilung des Landes auf Kosten der Weißen, das Wort geredet. 23 Seit Jahren schon suchte die Bürgerrechtsbewegung AfriForum/Solidariteit im Verborgenen nach der Schaffung eines selbstständigen Staates für diejenigen weißen und/oder braunen, Afrikaaner, die im schwarzbeherrschten Südafrika eine Zukunft für sich und ihrer Kinder nicht mehr sehen. Gut vorstellbar ist, dass im Rahmen der Auswertung der Ergebnisse der Arbeit des CRC in aller Offenheit über eine solche Teilung debattiert wird. Wer nicht bereit ist, in einem etwa Codesa II genannten Verhandlungsprozess dieses Zugeständnis an die Weißen zu machen, der trägt zur völligen Zerstörung des einst hochentwickelten Landes, mit anderen Worten zu den von Breytenbach vor gut einem Vierteljahrhundert prognostizierten „variantes infinies de la barbarie“ bei.
21 Afrique du Sud/L'écrivain Breyten Breytenbach dénonce „culture stalinienne“ de l’ANC, in: Le Monde, 05.06.1991. 22 Lambsdorff, Otto Graf: Teilung Südafrikas als Ausweg; in: Quick, 31.07.1986, S. 32. 23 von der Ropp, Klaus Frhr.: Ope brief aan ´n oorlede vriend. Het Orania ´n kans?, (mit einem Vorwort von Generaal Constand Viljoen), vgl. http://www.oraniablog.co.za/ope-brief-aan-noorlede-vriend-het-orania-n-kans/, 1. März 2017 im Anschluss an Blenck, Jürgen/von der Ropp, Klaus Frhr.: Republik Südafrika. Teilung als Ausweg?, in: Aussenpolitik. Zeitschrift für internationale Fragen, Nr. 3, Hamburg 1976, S. 308–324.
“PROPHET OF AIR POWER”: JAN SMUTS AND THE HISTORY OF AVIATION Tilman Dedering Zusammenfassung: Das außergewöhnliche Leben von Jan Smuts hat eine große Anzahl biografischer Studien entstehen lassen. Seine facettenreiche Persönlichkeit hat Erzählungen angeregt, die sich auf einer Skala entfalten, die von blauäugiger Bewunderung bis zur strengsten Verurteilung reichen. Trotz erneuter Versuche, Smuts im Paradigma historischer Größe vorzustellen, kann man wohl sagen, dass sich sein Ruf als Staatsmann und Intellektueller von globaler Bedeutung vor dem Hintergrund des historischen Übergangs in eine postkoloniale Welt nicht gut gehalten hat. Anstatt derartige Debatten weiterzuführen, soll dieser Beitrag auf das Erbe eines bestimmten Aspekts seiner politischen Karriere aufmerksam machen, denn Smuts’ Ruf als visionärer Führer hat sich in einer Nische erhalten, die von den Debatten über seine Ansichten über Rassenbeziehungen und Kolonialismus relativ unberührt bleibt. Es handelt sich dabei um seinen Beitrag zur Entwicklung der Luftwaffe. Dieser Aufsatz greift die einschlägige Literatur zum sogenannten Smuts-Bericht von 1917 auf, der seither – ungeachtet einiger Kritiker – als Meilenstein in der Konzeption der Luftwaffe gepriesen wird. Der Smuts-Bericht spiegelte zeitgenössische Ideen zum Luftkrieg wider, die im Ersten Weltkrieg an Bedeutung gewannen. Der vorliegende Beitrag legt nahe, dass die radikale und ungezügelte Art und Weise, in der Smuts in den 1920er Jahren die Luftwaffe in Südafrika einsetzte, nicht nur ein Spiegelbild seiner kolonialistischen Denkweise war, sondern auch davon beeinflusst wurde, wie er selbst die aktuellen Entwicklungen zum Ausbau der Luftwaffe in Europa rezipierte. INTRODUCTION Jan Christiaan Smuts was revered by his friends, and distrusted by his political enemies, for his role in shaping the Union of South Africa as a loyal dominion in the British Empire. During the course of his long career he influenced not only the political development of his own country but his advice was also sought by many leading decision makers in the international arena. His contributions to the founding of the League of Nations, the mandate system and later the United Nations won him the acclaim of his contemporaries. His trajectory from a commando leader fighting the British in the South African War to a member of the British War Cabinet in two world wars endowed his status as a global sage with unquestionable authenticity. His obituaries revelled in the mystique of his multidimen-
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sional personality that embraced the simple farmer who had elevated himself beyond the parochialism of the South African veld to morph into the aloof philosopher-statesman. 1 In view of the reputation that Smuts enjoyed as the first global South African icon – before Nelson Mandela assumed this role from the 1990s – it is remarkable that his star faded quickly after his death in 1950. 2 In a critical analysis of the intellectual influences that shaped the thinking and personality of Smuts, Shula Marks has emphasised that at the core of Smuts’s character were emotional and intellectual contradictions that seem to open an enigmatic gap between his frequent cultured and philosophical utterances on the human condition on the one hand and his careless and sometimes even ruthless actions in the cut-throat world of politics. 3 In the post-colonial world, Smuts’s historical image has been tarnished by his complicity and complacency in the construction of the segregationist South African state. His view of Africans as “happy-go-lucky natives” whose best interests were served by accepting their subservient status as labourers in the colonial economy bluntly resounded with contemporary racist stereotypes. 4 As Marks has pointed out, his intellectual contributions now “frequently appear overblown or even banal, while his philosophy of holism seems less than persuasive.” 5 With the British Empire gone, which Smuts praised as “the greatest political structure of all time”, and with post-apartheid South Africa having established a state that has nothing in common with Smuts’s paternalist view of the blessings of segregation, little seems to be left of his former status as a visionary of global importance. 6 This article suggests, however, that there is one aspect of Smuts’s legacy which has continued to be celebrated, notwithstanding some reservations, in many scholarly studies and popular publications. This is his contribution to the history of air power as the originator of the so-called Smuts Report on the restructuring of the British air force in 1917. At a time of the utmost militarisation of the modern industrial state, Smuts played a prominent role in the shaping of one of the hubs of the development of a new type of military weapon. In many studies on the history of air power Smuts has been mentioned alongside with Giulio Douhet, although it is unlikely that 1 2 3
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Staff Correspondent: Empire loses a great statesman in Jan Smuts, in: Sydney Morning Herald, 13 September 1950, p. 2. See Garland, Gregory: The strange disappearance of Jan Christian Smuts and what it can teach Americans, in: American Diplomacy, June 2010, http://www.unc.edu/depts/diplomat/ item/2010/0406/comm/garland_smuts.html [Accessed 13 October 2018]. Marks, Shula: White Masculinity. Jan Smuts, Race and the South African War, in: Proceedings of the British Academy, no. 111, London 2001, pp. 199–223. For a recent appraisal of Smuts, see Steyn, Richard: Jan Smuts: Unafraid of Greatness, Johannesburg, 2015. See also Du Pisani, Kobus: The Smuts Biographies. Analysis and Historiographical Assessment, in: South African Historical Journal, no. 3, Bloemfontein 2016, pp. 437–463. Smuts, Jan: African Settlement, Part I, in: Journal of the Africa Society, 29, 114 (1930), p. 131. Marks, Shula: White Masculinity…, op. cit., p. 205. National Archives of South Africa, Pretoria [hereafter NASA], Prime Minister [hereafter PM], 51/8/F, Reparations, General Smuts speech, London, 23 October 1923.
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Smuts was aware of Douhet’s ideas when he discussed his report with his colleagues. The Italian officer has been widely acknowledged as the first serious theorist of military air power. 7 Douhet argued that war in the twentieth century would be total and that the destiny of air power would lie in its capacity as a weapon of mass destruction that did not differentiate between military and civilian targets. In order to fulfil its potential, air power had to be released from the strategic and tactical concerns that dominated sea power and land warfare. 8 A corollary of his ideas was the call for an independent air service, led by experts in the field who properly understood the new technology and did not try to restrain its military impact because of inter-service rivalries. 9 The Smuts Report was embedded in similar ideas about the use of air power. This article intends to analyse critically his reputation as one of the “prophets” of air power against the background of the contemporary debates about the military uses of aviation technology. Moreover, I want to argue that Smuts’s inclination to fuse “political and military forms of power”, as reflected in his radical readiness to use air power in the Union in the 1920s, reverberated with the ethical ambiguities of total aerial warfare as they had become ingrained in the theories of air power during the Great War. 10 THE SMUTS REPORT As early as in 1915, there were 55 raids conducted by German airships on Britain, killing or injuring 740 people, “more than half of them” in London. 11 Two air services, attached to the Admiralty and to the Army respectively, were in operation. The main reason why the Admiralty was tasked with air defence, with insufficient weaponry, was that most of the Royal Flying Corps (RFC) had been transferred to France. The first anti-aircraft cannons had been positioned in south-east England in 1915, but a German air raid on 31 January 1916 had exposed the inadequacy of the underequipped British air defences. 12 Consequently this task was transferred to the office of the Commander-in-Chief of the Home Forces at the War Office. This marked the beginning of an improved air defence system, including a telephonic early-warning network, and the installation of anti-aircraft
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See Hippler, Thomas: Bombing the People. Giulio Douhet and the Foundations of Air-Power Strategy, 1884–1939, New York 2013. 8 Douhet, Giulio: The Command of the Air, New York 1972. 9 Meilinger, Phillip S.: The Historiography of Airpower. Theory and Doctrine, in: Journal of Military History, no. 2, Lexington 2000, pp. 471–473; Boyne, Walter J.: The Influence of Air Power upon History, Barnsley 2005, p 104. See also Haslam, Jonathan: Giulio Douhet and the Politics of Airpower, in: International History Review, no. 4, New York 2012, p. 765. 10 Hyslop, Jon: Martial Law and Military Power in the Construction of the South African State. Jan Smuts and the “Solid Guarantee of Force”, 1899–1924, in: Journal of Historical Sociology, no. 2, Oxford 2009, p. 246. 11 Collier, Basil: A History of Air Power, New York 1974, p. 61. 12 Overy, Richard: The Bombing War. Europe 1939–1945, Kindle edition, London 2013, p. 20.
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cannons and searchlights. By the end of 1916, 12 squadrons of fighter planes were on standby. 13 In 1916, the British government founded an Air Board in order to streamline the organisation of the air war, but its chair, Lord Curzon, was not given any real powers under Prime Minister H.H. Asquith. From December 1916, David Lloyd George took over the premiership and quickly saw through a bill that gave the Air Board more executive control. 14 This arrangement also involved the Ministry of Munitions that had been given the responsibility for the design and procurement of aeroplanes, and the Air Board had been assigned with the distribution of aircraft between the army and the navy. 15 With Viscount Cowdray following Curzon as the chair of the Air Board in January 1917, “the air agitation all but petered out” since the German airship attacks seemed to have lost their momentum. 16 Smuts joined the Imperial War Cabinet in London in May 1917, at a time when the temporary lull in the aerial attacks was disrupted again by heavy German Gotha bombers conducting raids on the island. At the moment when the previous Zeppelin scare had subsided, these renewed air raids caused considerable alarm among politicians and the public. The first raid on 25 May became notorious for killing 290 people, including many women and children, near Folkestone harbour. Another raid on 13 June killed 574 people in the Greater London area although a large number of fighter planes were despatched but proved to be helpless due to a lack of coordination. 7 July saw another attack on the centre of London, killing 244 people, some of whom may have died as a result of fragmented anti-aircraft shells raining down on them. These raids led to the founding of the “Prime Minister’s Committee on Air Organization” under Smuts’s chairmanship. The War Cabinet was presented with the first report on 19 July. Smuts proposed a more efficient centralisation of air defence, the deployment of anti-aircraft artillery to cover the air routes to London, and improved training of pilots. Between August 1917 and May 1918, the Germans conducted 284 raids, killing or maiming 1 552 people. 17 During the whole course of the war German air raids killed 1413 Britons and injured 1972 people. 18 Smuts submitted his second report on 17 August 1917. Lloyd George had closely collaborated in its production. 19 A number of individuals who were in favour of the concept of an independent air service had advised Smuts; among them were Viscount Cowdray (the president of the Air Board for most of 1917), 13 Collier, Basil: A History…, op. cit., pp. 61–64. 14 Fredette, Raymond: The Sky on Fire. The First Battle of Britain, 1917–1918. Kindle edition, Tuscaloosa, Alabama, 2007, [1st edition 1966]), loc 2105. 15 Collier, Basil: A History…, op. cit., pp. 72–73. 16 Fredette, Raymond: The Sky on Fire…, op. cit., locs 2105–2121. 17 Collier, Basil: A History…, op. cit., pp. 66–71. 18 Robb, George: British Culture & the First World War, 2nd edition, London 2015, p. 21. Numbers seem to vary. Overy suggests a total figure of 1239 civilians killed in airship and aeroplane raids; Overy, Richard: The Bombing War…, op. cit., p. 21. 19 Sweetman, John: The Smuts Report of 1917. Merely Political Window‐Dressing?, in: Journal of Strategic Studies, no. 2, Abingdon 1981, pp. 154–155.
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Sir John French, Lord Hugh Cecil, Sir David Henderson, and Winston Churchill. Others, such as the air power enthusiast Lord Montagu, may have influenced Smuts indirectly through their confidants. 20 Since the production of aeroplanes had increased by 1917, Lloyd George and Smuts were confident that there would be no further reason for competition between the two services. They assumed that the new independent air force could be equipped with a sufficient number of machines without creating a bottleneck for satisfying the requirements of the naval and army air arms. This arrangement would have resulted, however, in the creation of three different air services instead of one department in an air ministry that could efficiently provide resources to both the naval and army branches of the military. Smuts suggested therefore the founding of an Air Ministry and an Air Staff, as well as merging the two naval and army services into an independent Royal Air Force, which happened “to the amusement of its many detractors”, on All Fools’ Day in 1918. 21 Unsurprisingly, the report elicited an unsympathetic response particularly from the Admiralty, 22 traditionally the custodian of Britain’s security, because Smuts anticipated that “the older forms of military and naval operations may become secondary and subordinate”. 23 Contemporary observers viewed Smuts’s report as “revolutionary” because it acknowledged the fighting capability of aviation at a time when many military leaders were still sceptical about the military potential of aircraft or downright hostile to the idea of having an independent air force. 24 In line with the increasing perception of strategic bombing as the key to air power, the producers of the report argued that an independent air force would be capable of the “devastation of enemy lands and destruction of industrial and populous areas on a vast scale”. 25 The appraisal of Smuts’s visionary leadership in shaping the development of the military doctrine of air power has been reiterated in a substantial number of current publications on the subject. A recent study on British perceptions of military air power in the first half of the 20th century holds that the two Smuts reports are “key documents in the history of British air policy”. 26 Even more dramatic is the assessment by another historian of air power who rates the Smuts Report as 20 Ibidem, p. 163. 21 Omissi, David E.: Air Power and Colonial Control. The Royal Air Force, 1919–1939, Manchester/New York 1990, p. 7. 22 Till, Geoffrey: The Strategic Interface. The Navy and the Air Force in the Defence of Britain, in: Journal of Strategic Studies, no. 2, Abingdon 1978, p. 182. 23 National Archives, Kew, London, UK [hereafter NAUK], Cabinet Minutes [hereafter CAB], 24/22, War Cabinet. Committee on Air Organisation and Home Defence against Air Raids, 17 August 1917, p. 3. 24 Luck, Christopher J.: The Smuts Report: Interpreting and Misinterpreting the Promise of Airpower, unpublished MA, Air University, Maxwell, Alabama 2007, p. 38. 25 NAUK, CAB, 24/22, War Cabinet. Committee on Air Organisation and Home Defence against Air Raids, 17 August 1917, p. 3. 26 Holman, Brett: The Next War in the Air. Britain’s Fear of the Bomber, 1908–1941, Farnham/Burlington 2014, p. 232.
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“the most important document in air power history”. 27 The web magazine of the American Air Force Association (AFA) has called the Smuts report “Airpower’s Magna Carta”, 28 echoing the assessment pronounced by the American military historian, Russel Frank Weighley, in 1973. 29 In 2003, James G. Roche, Secretary of the Air Force in the George W. Bush administration, ranked Smuts among the “great prophets of aviation” and pointedly stated that his “early ideas were instrumental in our nation’s substantial investment in air power”. 30 The recurrent epithet of “prophet” resonates, therefore, with a considerable number of assertions of the historical achievement of the South African statesman. 31 A recent encyclopaedia has even ranked Smuts among “history’s greatest military thinkers”. 32 These elated appreciations of Smuts’s historic contribution have not been equally shared by scholars. Basil Collier doubted whether the main tenets of the Smuts Report had been based on the reality of the military potential of aircraft at the time of the Great War. 33 John Sweetman delivered what may be the harshest criticism of the military value of the report and the expertise of its author. In his judgement, Smuts fell short on almost every count. According to his 1981 article, Smuts’s reports were flimsy in quantity and quality - the more important second report encompassed merely seven pages. 34 Sweetman cited Smuts’s lacking military credentials and claimed that he had never fought “a major campaign nor contributed significantly to military thought and knowledge”. 35 Sweetman also hinted at the geographical isolation of South Africa from the global centres of technological innovation to insinuate that this must have prevented Smuts from becoming sufficiently acquainted with aviation. 36 Apart from appreciating the South African’s appearances as a motivational speaker in wartime England, Sweetman was 27 Mason, Tony: British Air Power, in: Olsen, John Andreas (ed.): Global Air Power, Washington 2011, p. 10. 28 Air Force Magazine: http://www.airforcemag.com/MagazineArchive/Pages/2009/January% 202009/0109keeperfile.aspx [accessed 11 April 2017] 29 Weighley, Russel Frank: The American Way of War. A History of United States Military Strategy and Policy, New York 1973, p. 514, fn.6. 30 Neufeld, Jacob (ed.): A Century of Air Power Leadership Past, Present, and Future. Proceedings of a Symposium, sponsored by the George Bush School of Government and Public Service, and the Air Force History and Museums Program, October 29–31, 2003, College Station, Texas 2007, pp. 5-6. https://media.defense.gov/2011/Feb/17/2001330161/-1/-1/0/AFD110217-034.pdf [accessed 13 October 2018]. 31 Hallion numbers Douhet among the important “air power prophets” whose ideas transformed military strategy, next to the American Billy Mitchell and Britain’s Hugh Trenchard; Hallion, Richard P.: Taking Flight. Inventing the Aerial Age from Antiquity through the First World War. Kindle edition, Oxford/New York 2003, loc. 5100. See also Saint-Amour, Paul K.: Air War Prophecy and Interwar Modernism, in: Comparative Literature Studies, no. 2, Pennsylvania 2005, p. 136. 32 Coetzee, Daniel/Eysturlid, Lee W. (eds.): Philosophers of War. The Evolution of History’s Greatest Military Thinkers. The Ancient to Pre-Modern World, Santa Barbara 2013, p. 252. 33 Collier, Basil: A History…, op. cit., p. 73. 34 Sweetman, John: The Smuts Report…, op. cit., p. 152. 35 Ibidem, p. 154. 36 Ibidem.
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not prepared to grant Smuts “any deep awareness of air power”. 37 At best, therefore, the Smuts Report must be viewed as the product of a gifted amateur, whose lack of understanding made him susceptible to the influence of a number of British decision-makers who had invested unrealistic expectations in the Douhetian fantasy of omnipotent bomber fleets. This made Smuts the unwitting accomplice in Lloyd George’s scheme of using the air committee for propaganda purposes at a time when the British war effort needed a boost in public morale. SMUTS AND AVIATION This view of Smuts as an amateur in matters of aviation is correct. Smuts at the time did not have any personal experience in flying and cannot be said to have been intimately acquainted with the new technology. Whatever Smuts’s expertise in aviation matters may have been, however, his report did not mark the first occasion for him to become involved in the development of air power. His first brush with the organisation of military air power occurred in his capacity as the Union Minister for Defence in 1912. The Defence Act of 1912 provided for the establishment of a South African Aviation Corps. Before the Defence Force set up an aviation school at Alexanderfontein near Kimberley, Smuts sent General C.F. Beyers to Britain in order to investigate the potential of air power at the Central Flying School at Upavon. During his visit he became the first South African general to fly in an airplane, a German Rumpler-Taube model. Beyers strongly recommended the establishment of a South African air force. 38 The Government Gazette of 10 May 1913 called for applications from suitable candidates for pilot training before the airmen would be sent to advanced courses in England. 39 A couple of years later, during the brief campaign in German South West Africa, Smuts was in contact with the commanding officer of the small South African squadron, although it is not clear what kinds of insights into the use of military aircraft Smuts may have extracted from their sorties, which focused mainly on reconnaissance. 40 Occasional references to the use of air reconnaissance during his involvement in the East African campaign also can be found in his correspondence. 41 Smuts can hardly be accused of having been completely ignorant of
37 Ibidem. 38 Maxwell, Kenneth A./Smith, John M. (eds.): S. A. Air Force Golden Jubilee Souvenir Book, Johannesburg 1970, pp. 9–10. 39 The Union of South Africa Government Gazette, no. 764, 10 May 1913, pp. 1300–1301. 40 NAUK, Air Ministry [hereafter AIR], 1/1247/204/7/2, Report of Major Wallace. Officer Commanding South African Aviation Corps in the Campaign in German South West Africa, 1915, 21 January 1916. 41 See, for example, Smuts to S.M. Smuts, 21 December 1916, in: Hancock, W. K./Van der Poel, Jean (eds.): Selection from the Smuts Papers, vol. 3. Cambridge 1966, p. 431.
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some of the important aspects of military air power, particularly if taking into account that aviation was at the time still in its infancy. 42 Pointing to the founding of the Air Battalion of the Royal Engineers in 1911, David Edgerton has somewhat gruffly rejected the stereotyped view that soldiers at the time of the Great War were too narrow-minded to understand the challenges of aviation technology. 43 Conversely, a recent study of air power argues that until the Great War and beyond, ideas of military air power were fertilised more by the civilian imagination than military expertise. 44 Moreover, even among the officers who commanded the Royal Flying Corps, expertise in aviation was acquired in rather haphazard ways. The new technology was in a pioneering stage and subject to rapid bursts of technical advancements. Few data could be extracted from a rudimentary and constantly developing repository of knowledge. This is well illustrated by the career of the first commander of the RFC, Sir David Henderson. Henderson had learned to fly only four years before the Great War, at the age of forty-eight. According to Raymond H. Fredette, “the ultimate use of the aeroplane somehow escaped him”. 45 Until the 1930s, military experts clung to overblown expectations in relation to the destructive potential of strategic bombing as they were encapsulated in the dictum by Prime Minister Stanley Baldwin in 1932 that “the bomber will always get through”. 46 Such statements fired the imagination: the “prevailing wisdom was that the next war would bring a holocaust from the air, under which the civilian population would suffer total collapse”. 47 As stated by numerous historians of air power, ruminations about devastating air strikes that could annihilate the national defences in one “knock-out blow” were motivated by irrational fear rather than the rational evaluation of the real military capacity of air power. 48 These visions of the reputedly unlimited destructive potential of air power were hardly stunted by the rather sobering experience of the Great War even though most casualties by far occurred through artillery and small arms fire, but not through aerial attacks. 49 Partly due to the swift progress in aviation technology, bleak scenarios of all-out aerial assaults continued to be painted after the 42 On the early history of aviation in South Africa before the Great War see Klein, Harry: Winged Courier, Cape Town 1955; van der Spuy, Kenneth Reid: Chasing the Wind, Cape Town 1966. 43 Edgerton, David: England and the Aeroplane. An Essay on a Militant and Technological Nation, Basingstoke/London 1991, web edition, (https://workspace.imperial.ac.uk/humanit ies/Public/files/Edgerton%20Files/edgerton_england_and_the_aeroplane.pdf, 2006), p. 9. 44 Holman, Brett: The Next War…, op. cit., p 5, 19. See also Bialer, Uri: The Shadow of the Bomber The Fear of Air Attack and British Policies, 1932–1939, London 1980; Paris, Michael: Winged Warfare. The Literature and Theory of Aerial Warfare in Britain, 1859–1917, Manchester/New York 1992. 45 Fredette, Raymond: The Sky on Fire…, op. cit., loc 674. 46 Bialer, Uri: The Shadow…, op. cit., p. 14. 47 Deer, Patrick: Culture in Camouflage. War, Empire, and Modern British Literature, Oxford 2009, p. 74. 48 See Bialer, Uri: The Shadow…, op. cit., p. 40; Holman, Brett: The Next War…, op. cit., pp. 23–24. 49 Edgerton, David: The Shock of the Old. Technology and Global History since 1900. Kindle edition, Oxford 2007, loc. 1660.
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Great War. As observed by Richard Overy, even though the predicted level of destruction through bombing was not reached in the Great War, apocalyptic visions “remained dominant tropes”. 50 Phillip Meilinger also has argued that it was only at the eve of the Second World War that observers began to realise that these doomsday scenarios were based on exaggerated assumptions about the terror induced by aerial bombing as “initial panic gives way quickly to mere fear and then to resignation.” 51 The extravagant expectations of air power as the decisive weapon that could even replace land armies and naval forces were somewhat dented by the lessons of the Spanish Civil War due to the obvious inability of the Germans and Italians to decide the war by strategic bombing. 52 The criticism of Smuts as having been particularly ignorant of the fundamental principles and the technical possibilities of air power would therefore also have to be extended to many other vocal proponents of air power at a time when the concept of strategic bombing was still in its embryonic stage. Sweetman’s depiction of Smuts as the mere recipient of other people’s ideas also seems to underrate the considerable administrative challenge in chairing a committee whose task consisted of compiling and distilling recommendations from a wide range of experts and other sources. Sweetman’s view that an uninformed Smuts had already decided on recommending an independent air service before the finalisation of his report seems too strict a verdict, 53 especially because, as Sweetman himself points out, Smuts’s own notes and writings touched on the subject only peripherally. 54 On the other hand, his comments on the various influences that must have shaped Smuts’s decision to argue in favour of an independent air service elucidate the background chorus of voices that had accumulated into a public discourse with explicit utopian tendencies, which may have been difficult to ignore. 55 Undeniably, Smuts was not immune to the anxieties unleashed by the German air raids which reverberated in the British press and the public. When Smuts was busy “thinking, thinking” about his report, he must have been influenced by the mood of revenge that pervaded the British public at the time in response to the German aerial attacks. 56 It is hardly surprising that overblown ideas of strategic bombing nourished the imagination of many enthusiasts at a time when the ugly reality of the trench warfare in the West had percolated back into the public
50 Overy, Richard: The Bombing War…, op. cit., p. 19. 51 Meilinger, Phillip S.: The Historiography…, op. cit., p. 481. 52 Ones, David R.: The Emperor and the Despot. Statesmen, Patronage, and the Strategic Bomber in Imperial and Soviet Russia, 1909–1959, in: Higham, Robin/Parillo, Mark (eds.): The Influence of Airpower upon History. Statesmanship, Diplomacy, and Foreign Policy since 1903, Lexington 2013, p. 133. 53 Sweetman, John: The Smuts Report…, op. cit., p. 166. 54 Ibidem, p. 154. 55 Ibidem, p. 166. 56 J. Smuts to M.C Gillett, 6 August 1917, in: Hancock, W. K./Van der Poel, Jean (eds.): Selection…, op. cit., p. 536.
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spheres in the belligerent countries. 57 The utopian aspects of the Smuts Report therefore may be said to be less of a reflection of his lack of insight but of the prevalent disenchantment with the bloody battles in which tens of thousands perished without bringing victory any closer. John Morrow has hinted at this psychological dimension of the report’s insinuation that “a large powerful air force attacking German lines of communication and industrial centers, and consequently the morale of their civilian inhabitants, might possibly be the “determining factor” in ending the war”. 58 Moreover, if there was an overemphasis of air power’s potential in the report, it may be questioned whether this was as blatantly disproportionate to the impact the air raids made on British society as it has been claimed by some observers. Collier argued that the relative inefficiency of the German air raids should have demonstrated the limits of air strikes that did not cause great damage “apart from inflicting a good deal of anxiety on the British Government and causing some people to stay away from work during and immediately after raids”. 59 The air raids may not have caused fully fledged mass panics, but they attested to the porousness of the British defences, which came as a shock to a nation that for centuries had relied on sea power for the protection of the British Isles. 60 The aerial attacks resuscitated long-standing fears that England was “no longer an island”. 61 Zeppelin raids on Hull had caused residents to flee the city, 62 and up to 300 000 Londoners streamed into the tube stations in response to the German air raids. 63 Beyond the casualties, these air raids had made a huge psychological impression on the public, reinforcing the Douhetian understanding of air power as an instrument of terror in undermining morale. The experience of people getting killed in their beds in air raids was not yet registered with the equanimity, or resignation, that was later perceived to be a hallmark of British resilience during the “Blitz”. Thus the question of improving air defences had kept the British public preoccupied, even though the Zeppelin scare had subsided during the course of 1916. 64 In the wake of the Gotha raids British newspapers raised critical comments about the need to bolster air defences by centralising air services. In contrast to previous statements by some aviation experts, the question of establishing an air ministry with executive powers had gained new urgency. 65 Lord Montagu, 57 Meilinger, Phillip S.: The Historiography…, op. cit., pp. 471–473. 58 Morrow, John H.: States and Strategic Airpower. Continuity and Change, 1906–1939, in: Higham, Robin/Parillo, Mark (eds.): The Influence…, op. cit., p. 42. 59 Collier, Basil: A History…, op. cit., p. 74. 60 Holman, Brett: The Next War…, op. cit., p. 223. 61 Gollin, Alfred: No Longer an Island. Britain and the Wright Brothers, 1902–1909, London 1984. 62 The first Hull Blitz: How Zeppelins brought horror of WW1 to the home front, in: Hull Daily Mail, 5 August 2014. http://www.hulldailymail.co.uk/Hull-Blitz-Zeppelins-brought-horror-W W1-home/story-22054506-detail/story.html [accessed 10 June 2015]. 63 Fredette, Raymond: The Sky on Fire…, op. cit., loc. 2588. 64 See House of Commons: Our Defence against Air Raids, in: The Manchester Guardian, 17 February 1916, p. 8. 65 Lord Sydenham and the Zeppelin Menace, in: The Observer, 20 February 1916, p. 5.
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technophile and member of the precursor of the Air Board, held public meetings on the topic of an independent air service. 66 The Manchester Guardian argued that the bombing of Folkestone had shown that the new phase of the air war needed to be dealt with by a radically new way of organising it: “Great awards await the nation that first realises the possibilities of the new war in the air and sets about realising them in the bold spirit of revolutionary innovation. The aeroplane in the future will change the whole conditions of war.” 67 Other newspapers, such as The Observer, seem to have been more reluctant in calling for an independent air service despite acknowledging that the existence of two different air arms with their own concerns dictated by naval and army traditions respectively were difficult to sustain for much longer. 68 Smuts was aware of these debates, but it may also be assumed that he was cognisant of another aspect of the disruptive effects of the air war on public morale. In the wake of the air raid on London on 7 July, which had caused 57 deaths and injuries to 193 residents, the capital saw an outburst of anti-German street violence. The riots extended for three days, and large crowds of up to 5000 people attacked shops that were thought to be owned by Germans. The police and the Home Office were very worried about these disturbances of the public order. 69 Smuts was aware of the damage done by similar riots that had shaken the Union after the sinking of the Lusitania by a German submarine in May 1915. 70 At the time, Smuts had articulated his concern about the political fallout arising from these disorders to John Xavier Merriman, 71 who had repeatedly conveyed his alarm in relation to “these detestable anti-German riots” to Smuts. 72 As Joel Hayward has pointed out, the unfulfilled potential of strategic bombing fascinated many theorists like Smuts who found the ethically grey area of aerial mass killing “strangely compelling”. 73 The very novelty of this technology seemed to hold promises of swift victory that made ethical concerns irrelevant. As the commander of the East African campaign Smuts had already shown that he had no qualms about requesting the new weapon of poison gas from Britain to bring the Germans to heel; the War Committee in London had talked him out of it. 74 There 66 The War in the Air. The Ambition to Remain Supreme, in: The Manchester Guardian, 2 June 1916, p. 6. See also Flight, 1 June 1916, p. 1. 67 The Air Raid, in: The Manchester Guardian, 28 May 1917, p. 4. 68 Aircraft in the War. A Separate Air Service, in: The Observer, 20 February 1916, p. 6. 69 Panayi, Panikos: Anti-German Riots in London during the First World War, in: German History, no. 2, Oxford 1989, pp. 200–201. 70 Dedering, Tilman: “Avenge the Lusitania!” The Anti-German Riots in South Africa in 1915, in: Panayi, Panikos (ed.): Germans as Minorities during the First World War. A Global Comparative Perspective, Farnham/Burlington 2014, pp. 235–262. 71 Smuts to Merriman, 25 May 1915, in: Hancock, W. K./Van der Poel, Jean (eds.): Selection…, op. cit., p. 285. 72 Merriman to Smuts, 19 May 1915 and 21 May 1915, in: ibidem, p. 275, 276. 73 Hayward, Joel: Air Power, Ethics, and Civilian Immunity during the First World War and its Aftermath, in: Global War Studies, no. 2, Carlsbad 2010, p. 123. 74 NAUK, CAB, 42/21/14, Smuts to C.I.G.S., 14 October 1916; War Office to Smuts, 30 October 1916.
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are indications in Smuts’s correspondence that he was, like most of his contemporaries, extraordinarily fascinated by the unprecedented spectacle of air power. In a letter to his close friend Margaret Gillet written after the submission of his report, he described his impression of a German attack on London: “We had an air raid here last night which I watched curiously from my window. I expect one now every moonlight night. I am sure you will enjoy this excitement almost as much as the lonely raptures of the moon”. 75 In a letter to another friend, he hinted again at the aesthetic allure of the Gotha raids: “…I prefer during the full moon to be in London – for duty no less than for pleasure”. 76 The German air raids provoked discussions about the justification of retributive raids on German civilian targets. Towards the end of the Great War, the new independent Royal Air Force under Hugh Trenchard identified three types of targets in Germany: “her industry; her commerce; her population”. 77 Air power enthusiasts found it difficult to think the implications through to the end. The Hague Convention IV of 1907 forbade the deliberate targeting of civilians, but it did allow for reprisals if they were conducted with the objective of preventing the enemy from repeating acts of illegitimate violence. 78 Hayward argues that the number of British aerial attacks on German targets increased in 1918 mainly in order to satisfy the growing popular resentment to the German air raids. Despite having repeatedly condemned the German air raids as barbaric terrorism because they killed civilians, including women and children, Smuts seemed to condone the political logic of conducting raids on German civilians. 79 One way out of the moral dilemma posed by the unrestrained application of air power was tried in 1918 when the Committee for Imperial Defence argued that rules of naval warfare set the standard for aerial warfare. According to the 1907 Hague Convention it was accepted practice to shell even undefended towns and harbours if the residents would be warned of the impending attack. The clause on warning civilians was dropped, however, partly for technical reasons since the aviators would not have enough fuel to stall their attacks until civilians vacated the targeted town. 80 THE COLONIAL CONTEXT Douhet may have been motivated by abbreviating the slaughter in the trenches in his determination to inflict civilian mass casualties in air raids on industrial centres, but this thinking implied the rejection of international conventions on warfare. To some extent, embarrassing debates about the ethics of using air power 75 Smuts to M.C. Gillet, 25 September 1917, in: Hancock, W. K./Van der Poel, Jean (eds.): Selection…, op. cit., p. 552. 76 According to the editors of his correspondence, this being a reference to the German air raids. Smuts to A. Clark, 17 November 1917, in: ibidem, p. 573. 77 Hayward, Joel: Air Power…, op. cit., p. 116. 78 Ibidem, p. 113. 79 Ibidem, p. 117. 80 Ibidem, pp. 119–120.
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against civilians shifted to the colonial nexus after the Great War. Proponents of imperial air policing, such as Trenchard, emphasised the usefulness of air power in controlling indigenous populations. Dropping bombs on the Nuer in the Sudan or the followers of the so-called Mad Mullah in Somalia were discussed in terms of military efficacy and financial rationale rather than in an ethical context. 81 Smuts showed that he was aware of the military and political implications of air power in his home country. In 1918, he encouraged aerial displays in South Africa with the explicit objective of impressing the power of the colonial state on its African subjects as well as on obstinate fellow Afrikaners who harboured grudges against the government’s pro-Empire course. 82 Smuts, as other proponents of airmindedness, also was acutely aware of the cultural symbolism of aviation technology in a colonial environment. The lines between civil and military aviation were blurred. Thus he was a keen supporter of the first trans-African flight from London via Cairo to Cape Town. 83 Those instances when he invoked military air power to deal with serious political conflict in southern Africa during his premiership in the 1920s are well known. In May 1921, aircraft was ordered to be on stand-by for the bombing of the indigenous community that had gathered under the auspices of a prophetic leader, Enoch Mgijima, near Bulhoek in the Eastern Cape. On this occasion the ensuing massacre was not yet caused by air power, but by the police. 84 More shocking to white South Africans was the use of aircraft against the striking miners in 1922. Women and children were among the victims of the bombing and strafing runs in the Johannesburg area. Using military aircraft to suppress a revolt of white people was viewed as unprecedented, and it considerably damaged Smuts’s reputation among the white electorate. 85 Most white South Africans were less troubled when the Smuts government employed air power against the Bondelswart Nama in the mandate territory of South West Africa in the same year. To Smuts’s consternation, the killing of about 200 Africans generated much negative international publicity for the Union government, which had to justify itself before the League of Nations. 86 The ruthless display of air power did not go unnoticed by African activists. The ANC member, Henry Selby Msimang, was furious when Smuts used the opportunity at a meeting with Africans at Senekal in the Free State to make them watch a demonstration flight to demonstrate the lethal potential of this symbol of white superiority. 87 81 Omissi, David E.: Air Power…, op. cit., pp. 44–48, 54–56. 82 Dedering, Tilman: Air Power in South Africa 1914–1939, in: Journal of Southern African Studies, no. 3, Abingdon 2015, p 454. 83 Dedering, Tilman: “Blues Skies into White Space”. Southern African Responses to the TransAfrican Flight of the Silver Queen, 1920, in: Technology & Culture, no. 2, Baltimore 2018, pp. 289–312. 84 Ibidem, p. 456. 85 Ibidem, pp. 456–457. 86 Ibidem, pp. 457–458. See also Dedering, Tilman: Petitioning Geneva. Transnational Aspects of Protest and Resistance in South West Africa/Namibia after the First World War, in: Journal of Southern African Studies, no. 4, Abingdon 2009, pp. 791–793. 87 Umteteli Wa Bantu, 11 April 1922, p. 4.
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CONCLUSION Marks has ascribed Smuts’s experience of the South African War (1899-1902) as a key episode in “crystallising [his] racial angst”. 88 White supremacy in South Africa had to be defended at all costs. Jon Hyslop also emphasised the African background of Smuts to approach an understanding of his resolve in using force to deal with political conflicts in the Union. This article has argued that his determination “to use maximum force to repel challenges to his rule” may also have been influenced by his involvement in the development towards total aerial warfare in Europe during the First World War. 89 It was the war that had shown, in Smut’s words, the potential of aviation as “one of the greatest developments of future years”, not merely in fighting the “barbarian” Germans but also in promising to consolidate the power of the British Empire. 90 The importance of Smuts as a “prophet” of air power is not located in his exceptional foresight in relation to air power’s potential. He shared the misconceptions of most of his contemporaries who indulged in exaggerated imaginations of the totality of aerial warfare. The Smuts Report did not terminate the political and military debates about the efficiency of air power and strategic bombing, and these disputes continued in the post-war period when Britain demobilised 22 000 RAF pilots. 91 Smuts’s position as a member of the British War Cabinet gave him, however, the opportunity to raise his influential voice in pushing the boundaries of the development of air power at a critical moment in the history of aviation. The Smuts Report articulated “an emerging highly speculative argument”, but it did so in futuristic terms that were fairly typical among advocates of air power. 92 Smuts “leapt ahead to what air power would become”, but he did so in lockstep with contemporary proponents. 93 The sobriquet of a “prophet”, which Smuts has been made to share with other contemporary proponents of air power, such as Douhet and Billy Mitchell, reflects not only the visionary language in which the report was couched. It also expresses the peculiar utopian aspirations that characterised aviation theories in the history of technology. During the Great War, connotations of military power and destruction were for obvious reasons more prevalent. In peacetime, ideas of aviation moved beyond dystopian scenarios of all-out destruction but without ever leaving them totally behind, particularly in colonial societies pervaded by fears of indigenous rebellion. In contrast to many other fields of technological innovation, the history of aviation has been populated not only by researchers, inventors and scientists but also by “prophets”. As Joseph Corn has pointed out in his seminal study, expecta88 89 90 91
Marks, Shula: White Masculinity…, op. cit., pp. 216–217. Hyslop, Jon: Martial Law…, op. cit., p. 240. Aviation in Africa. Speech by Gen. Smuts [in London], in: The Star, 26 June 1917. Pirie, Gordon: Air Empire. British Imperial Civil Aviation, 1919–39, Manchesterr/New York 2009, p. 83. 92 Hayward, Joel: Air Power…, op. cit., p. 112. 93 Builder, Carl. H.: The Icarus Syndrome. The Role of Air Power Theory in the Evolution and Fate of the U.S. Air Force, London/New York 2017, p. 52.
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tions were attached to the development of aviation which focused more on the future than on the actual progress of aviation technology. The airplane was endowed with revolutionary qualities that reached far beyond its present technological capabilities: “it seemed an instrument of reform, regeneration, and salvation, a substitute for politics, revolution, or even religion”. 94 It is beyond the scope of this article to explore these notions in the context of Smuts’s vision of a Greater South Africa that he wanted to build by including other territories of white settlement north of the Union. It may be assumed, however, that he must have agreed with one of his gushing admirers who referred to the Greater South Africa that he saw emerging under Smuts when he opined: “…proper steps have to be taken to protect the white population against the Natives. I make bold to say that with a strong force of aeroplanes and airships as part of our Defence Force, we have nothing to fear”. 95
94 Orn, Joseph J.: The Winged Gospel. America’s Romance with Aviation, New York 1983, p 30. 95 G.C. Olivier to Smuts, 18 November 1918, in: Hancock, W. K./Van der Poel, Jean (eds.): Selection…, op. cit., p. 20.
ZU DEN HERAUSFORDERUNGEN AN SÜDAFRIKANISCHEN HOCHSCHULEN Frauen in Führung aus System-Psychodynamischen Perspektiven Claude-Hélène Mayer
EINLEITUNG Ungefähr ein viertel Jahrhundert nach Ende der Apartheid befinden sich die südafrikanischen Universitäten und Hochschulen in einer Phase des starken Umbruchs. 1 Dabei zeigen neuere Forschungen, dass Ungleichheiten bezüglich Gender, Rasseklassifizierungen 2 und kulturellen Zugehörigkeiten weiterhin an Hochschulen und Universitäten in Südafrika bestehen. 3 Hochschulen, die sich in Südafrika aufgrund von Regierungsstatements als demokratische, nicht-diskrimatorische und offene Institutionen verstehen 4, sollen vorwiegend dem Zweck der Bildung dienen. 5 Dennoch scheint im Kontext südafrikanischer Hochschulen 1
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Newman, K. S./De Lannoy, A: After freedom: the rise of the post-apartheid generation in democratic South Africa. Boston 2014; Mayer, R, C.-H./Barnard, A.: Balancing the scales of gender and culture in contemporary South Africa, in: Safdar, S./Kosakowskan, N. (Hrsg.): The Psychology of Gender through the Lens of Culture. New York 2015, S. 327–353; Van der Heyden, U.: Keine Ruhe an Südafrikas Universitäten, in: Welttrends, Nr. 123, Potsdam 2017, S. 17-19. Bis heute werden im südafrikanischen Kontext und Regierungsverlautbarungen von „Rassekategorien“ gesprochen und Individuen müssen sich beispielsweise bei Einstellungsprozessen weiterhin „rassisch“ klassifizieren, um entsprechend der Einstellungsquoten eingestellt zu werden. Unabhängig davon stellen jedoch auch Forschungen zu Identitätskonstruktionen fest, dass südafrikanische Bürger weiterhin identitäre Zuschreibungen im Blick auf rassische Zugehörigkeit vornehmen (e.g. Mayer, C.-H.: Artificial walls. South African narratives on conflict, difference and identity. An exploratory study in post-apartheid South Africa, Stuttgart 2005; Mayer, C.-H./Mayer, L. J.: “Being Black and gifted?” Ethnographical experiences and observations in schroo contexts in two societies. Poster presentation International Association for Cross-Cultural Psychology Congress, 1.-5. July 2018. The University of Guelph, Guelph 2018). Mayer, R, C.-H./Barnard, A.: Balancing the scales…, a.a.O. South African Government: A Programme for the Transformation of Higher Education. Education, in: White Paper 3, Government Gazette, Pretoria Government Printers, 15 August 1997, No. 18207. Van der Heyden, U.: Spiel mit dem Rassismus, in: Süddeutsche Zeitung, 27.6.2016, https:// www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-spiel-mit-dem-rassismus-1.3097200.
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nicht nur Bildung eine Rolle zu spielen. Vielmehr könnte man meinen, südafrikanische Hochschulen seien zu einem Spielball und zu einem Austragungsort von Politik und politischen Machtkämpfen geworden, die auch die Menschen am Arbeitsplatz nicht unberührt lassen. Entsprechend der gesellschaftlichen Situation sind südafrikanische Hochschulen in den letzten Jahren besonders in den Fokus gerückt, wenn es um Diskurse zu Restrukturierung, Transformation und den Aufbau der neuen, südafrikanischen Bildungselite geht. 6 Diese Diskurse betrachten die Möglichkeiten und Probleme, betrachten Korruption und demokratische Prozesse, Umgang mit Sprachenvielfalt, Diversität sowie Rassekonstruktionen, Gender und die Fragen von Führung und Führungsverhalten. Gerade im Blick auf Führung sind Frauen als die neuen Führungskräfte an Hochschulen besonders in den Blick genommen worden. 7 In diesem Beitrag sollen die unter den bewussten Prozessen liegenden unbewussten psycho-sozialen Dynamiken, den Dynamiken „under the surface“ 8 nachvollzogen und reflektiert werden, die in Hochschulen und Universitäten in Südafrika hinsichtlich Frauen und Führung zu beobachten sind und die in den Transformationsprozessen mitschwingen und diese gar negativ beeinflussen, einschränken oder zum Erliegen bringen. Im Folgenden wird kurz der theoretische Hintergrund des Systempsychodynamiken dargestellt, 9 um anschließend die Einflüsse ausgewählter Dynamiken an Hochschulen und Universitäten zu reflektieren. Dabei sollen besonders Themen wie Gender- und Gendergleichheit, Umgang mit Kultur, Rassekategorisierungen, Autoritäten und Agency reflektiert werden. Vorab wird ein kurzer Einblick in den Kontext der südafrikanischen Hochschulen gegeben. ZUM KONTEXT SÜDAFRIKANISCHER HOCHSCHULEN Seit dem Ende der Apartheidzeit in 1994 befindet sich die südafrikanische Gesellschaft in starken Umbrüchen, die sich an den Hochschulen und Universitäten des Landes widerspiegeln. Während der Apartheidzeit waren Organisationen vorwie6
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Mayer, C.-H./Surtee, S./Mahadevan, J.: South African women leaders, transformation and diversity conflict intersections. Journal of Organizational Change Management, Nr. 4, Bingley 2018, S. 877–894; Van der Heyden, U.: Weit geöffnete Bildungsschere, in: Frankfurter Rundschau, 19.11.2018, https://fr.de/wissen/weit-geoeffnete-bildungsschere-10949310.html. Kinnear, L.: A critical analysis of the emerging models of power amongst South African women business leaders. Unpublished doctoral thesis. University of Kwa-Zulu-Natal, Durban, 2014; O’Conner, P./Carvalho, T./White, K: The experiences of senior positional leaders in Australian, Irish and Portuguese Universities: universal or contingent?, in: Higher Education Research & Development, Nr. 1, Kensington 2014, S. 5–18. Clarke, S./Hogget, P.: Researching below the surface. Psycho-social research methods in practice. London 2009. Motsoaledi, L./Cilliers, F.: Executive coaching in diversity from the systems psychodynamic perspective, in: South African Journal of Industrial and Organisational Psychology, Nr. 2, Durbanville 2012, S. 32–43.
Herausforderungen an südafrikanischen Hochschulen
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gend hierarchisch nach Rasseklassifikationen und sprachlichen Zuordnungen organisiert 10 und Einstellungen in Positionen erfolgten nach diesen Kriterien. Entsprechend waren die Profile der Arbeitnehmer 11 vorwiegend über rassische Zuordnungen definiert und Organisationen je nach Hierarchieebene eher monokulturell geprägt. Erst seit dem Ende der Apartheit zielen Organisationen langsam aber sicher darauf ab, Arbeitnehmerprofile zu diversifizieren und quotengerecht Menschen aus den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen – die weiterhin rassisch definiert sind – hierarchienübergreifend einzustellen. 12 Dennoch zeigt sich bis heute, dass vor allem männliche weiße Führungspersonen auf den Führungsebenen in Organisationen vorherrschen 13 und, dass die Transformation von Organisationen – auch im Bereich der Hochschulen – nur langsam voranschreitet. 14 Zusätzlich zu den eher langsam voranschreitenden Transformationsprozessen in der südafrikanischen Hochschullandschaft zeigen sich immer wieder Formen von (gewalttätigen) Protesten von Studierenden und politischen Aktivisten 15 und es wird kritisiert, dass Transformation zwar diskutiert, aber kaum praktisch umgesetzt wird. Zudem seien Auswirkungen von Kolonialismus im postkolonialen Südafrika weiterhin stark zu spüren 16 und Ressourcen zur Transformation von Organisationen und Gesellschaft nur eingeschränkt vorhanden. 17 Dabei wird vor allem hervorgehoben, dass Transformation Entkolonialisierung, Entmaskulinisierung und die Abschaffung von Rassismus und Genderungleichheiten einbeziehen muss. 18 Untersuchungen an südafrikanischen Hochschulen mit dem Fokus auf Führung haben zudem deutlich an Interesse gewonnen. 19 Dabei haben Studien gezeigt, dass Gender und Rassekriterien an Arbeitsplätzen besonders wichtig geworden sind, wenn es um Auswahlkriterien für bestimmte Positionen und den erfolgreichen Werdegang von Menschen in Organisationen geht. 20 In diesem Zusammenhang ist deutlich geworden, dass besonders Frauen (in Führung) und Minderheiten 10 Naidoo, R./Adriansen, H.-K./Moller Madsen, L.: Creating an African university: struggling for a transformational curriculum in apartheid South Africa, in Adriansen, H. K. /Moller Madsen, L./Jensen, S. (Hrsg.): Higher Education and Capacity Building in Africa. The geography and power of knowledge under changing conditions, New York 2016, S. 193–215. 11 Die männliche Form der Schreibweise schließt der Einfachheit halber die weibliche mit ein. 12 Mayer, R, C.-H./Barnard, A.: Balancing the scales…, a.a.O. 13 CHE: Annual report 2014/2015. Council on Higher Education 2015, online verfügbar unter: http://www.che.ac.za/sites/default/files/publications/CHE%20Annual%20Report%20of%20th e%20Council%20on%20Higher%20Education.pdf (17.6.2018). 14 Mayer, R, C.-H./Barnard, A.: Balancing the scales…, a.a.O. 15 Badat, S.: Deciphering the meanings and explaining the South African Higher Education Student Protests of 2015–16, in: Pax Academica, Nr. 1/2, Dakar 2016, S. 71–106. 16 Masombuka, S.: Varsities down on women, Times Lives, 22 March 2016. 17 Badat, S.: Deciphering the meanings…, a.a.O. 18 Ebenda. 19 Mayer, C.-H./Van Zyl, L. E.: Perspectives of female leaders on sense of coherence and mental health in an engineering environment, in: SA Journal of Industrial Psychology/SA Tydskrif vir Bedryfsielkunde, Nr. 2, Durbanville 2013, S. 1–11. 20 Morley, L.: Lost leaders. Women in the global academy, in: Higher Education Research & Development, Nr. 33, Kensington 2014, S. 114–128.
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in Organisationen Unterstützung und Empowerment benötigen, um weiter voranzuschreiten und Einfluss zu haben. 21 Studien zeigen, dass Führungspersonen kulturelle, gender-orientierte und rassisch bedingte Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren und auf individueller und organisationaler Ebene Strategien fehlen, um diese zu überwinden. 22 Dies mag unter anderem in unbewussten, systempsychodynamischen Prozessen begründet sein, 23 die in diesem Beitrag im Blick auf Frauen in Führung Beachtung finden sollen. Offiziell und auf bewusster Ebene sollen südafrikanische Hochschulen und Universitäten als Schlüssel zur Transformation auf sozialer, politischer, edukationer, kultureller und individueller Ebene dienen. 24 Daher sind rechtliche Prozesse zur Einführung von Inklusion, Diversität und Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlichen Geschlechts, kultureller Herkunft, und Rassezugehörigkeit eingeführt worden, 25 die als „Emplyoment Equity (EE) Plans“, „Black Economic Employment“ (BEE) und „Affirmative Action“ (AA) bezeichnet werden. Zudem werden als EE diejenigen Prozesse bezeichnet, die die Einstellung von Individuen in Arbeitskontexte in einer fairen und gleichberechtigten Weise vorschreiben, 26 während unter AA eher die Programme verstanden werden, die vorgeben, dass per Quota Repräsentanten von Angehörigen bestimmter Rassegruppen in bestimmten Positionen eingesetzt werden. 27 System-psychodynamische Theorien nehmen bestimmte Aspekte und Elemente von systembezogenen Psychodynamiken in den Blick, um die unbewussten Prozesse, die in Organisationen greifen, weitergehend zu ergründen und diese ins Bewusstsein zu bringen. 28 In diesem Betrag sollen ausgewählte Aspekte dieses theoretischen Ansatzes vorgestellt und Ergebnisse aus dieser theoretischen Perspektive im Blick auf Dynamiken bezüglich Frauen in Führung an südafrikanischen Hochschulen vorgestellt werden.
21 Du Plessis, Y./Barkhuizen, N.: Career path barriers experienced by women engineers. Paper presented at the 12th European Academy of Management Conference, Rotterdam, Netherlands, 2012, online verfügbar unter: http://www.optentia.co.za/publications.php. 22 Mayer, C.-H./May, S./Surtee, M. S.: The meaningfulness of work for a diverse group of women working in higher education institutions, in: South African Journal of Higher Education, Nr. 6, Pretoria 2015, S. 182–205. 23 Bayly, S.: We can't go on meeting like this: Notes on affect and post-democratic organization, in: Performance Research, Nr. 4, Cardiff 2015, S. 39–48. 24 Cloete, N./Bunting, I./Maassen, P.: Research Universities in Africa: An Empirical Overview of Eight Flagship Universities, in: Cloete, N./Maassen, P./Bailey, T. (Hrsg.): Knowledge Production and Contradictory Functions in African Higher Education, Cape Town 2015, S. 18–31. 25 CHE: Annual report 2014/2015…, a.a.O. 26 Bendix, S.: Industrial relations in South Africa, 5. Aufl., Cape Town 2010. 27 Saha, S. K./O’Donnell, D./Patel, T./Heneghan, J.: A study of individual values and employment equity in Canada, France and Ireland, in: Equal Opportunities International, Nr. 7, Bradford 2008, S. 629–645. 28 Schruijer, S. G. L./Curseu, P. L.: Looking at the gap between psychological and psychodynamic perspectives on group dynamics historically, in: Journal of Organizational Change Management, Nr. 4, Bingley 2014, S. 232–245.
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SYSTEM-PSYCHODYNAMISCHE PERSPEKTIVEN Die system-psychodynamischen Perspektiven führen zu einem tieferen Verständnis von den Dynamiken zwischen Einzelpersonen und Systemelementen in Organisationen, die vor allem durch unbewusste Prozesse zustande kommen. 29 Durch die Auseinandersetzung mit den unbewussten Prozessen in Organisationen können weiterführend neue Erkenntnisse im Blick auf Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster in Organisationen gefunden werden. Ursprünglich wurden die theoretischen Grundlagen zu System-Psychodynamiken am Tavistock Institut in London entwickelt, 30 wobei sie als Studien bezeichnet wurden, die sich mit unbewussten Verhaltensmustern in Arbeitsbeziehungen beschäftigen und ihren Einfluss auf Führung und Autorität, Aufgabenund Rollenformationen, Konflikt, Grenzen, Beziehungen und Bezugnahme in Führungssystemen ergründen. 31 Dabei beziehen sich die Vertreter der systempsychodynamischen Ansätze auf psychoanalytische Perspektiven, die sie auf die Einzelperson, die Gruppe und die Organisation bzw. das größere Sozialsystem beziehen. 32 Wie bereits in Cilliers und Mayer 33 beschrieben, setzen sich die systempsychodynamischen Theorien aus Ansätzen der Systempsychoanalyse 34, der Object-Relations 35, der offenen Systemtheorien 36, der sozialen Systemtheorien der Gruppen-Beziehungstheorien 37 und der systemischen Transaktionsanalysen 38 zusammen. In ihnen wird grundlegend angenommen, das unbewusste Prozesse und Dynamiken oftmals durch unbewusste Ängste initiiert werden und in ihnen begründet sind. Diese Ängste wirken unbewusst auf die Einzelpersonen und Gruppen in 29 Cilliers, F./Terblanche, L.: The systems psychodynamic leadership coaching experiences of nursing managers, in: Health SA Gesondheid, Nr. 1, Auckland 2010, 9 S. https://doi.org/ 10.4102/hsag.v15i1.457. 30 Brunner, L. D./Nutkevitch, A./Sher, M.: Group relations conferences. Reviewing and exploring theory, design, role-taking and application, London 2006. 31 De Board, R.: The psychoanalysis of organisations. A psychoanalytic approach to behaviour in groups and organisations, London 2014. 32 Gould, L. J./Stapley, L. F./Stein, M.: The systems psychodynamics of organisations: Integrating the group relations ap-proach, psychoanalytic, and open systems perspectives. London 2001. 33 Cilliers, F./Mayer, C.-H.: Systems Psychodynamics in Psychobiography: The individual within the (unconscious) systems' dynamics, in: Mayer, C.-H./Kovary, Z. (Hrsg), New Perspectives in Psychobiography, Cham 2019, (im Druck). 34 Freud, S.: Group psychology and the analysis of the ego. Complete works of Sigmund Freud. London 1921. 35 Klein, M.: Envy and gratitude and other works 1946–1963, London 1997. 36 Cytrynbaum, S./Noumair, D. A.: Group dynamics, organisational irrationality, and social complexity: Group relations reader 3, New York 2004. 37 Bion, W. R.: Experiences in groups, London 1961. 38 Erskine, R. G.: Life scripts: A transactional analysis of unconscious relational patterns, London 2010; Tangolo, A. E.: Psychodynamic Psychotherapy with transactional analysis: Theory and narration of a living experience, London 2015.
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Organisationen ein: auf die Gedanken, das Verhalten und die Gefühle. 39 Weiterhin zeigt das System möglicherweise Abwehrmechanismen gegen die Ängste und es werden Abwehrmechanismen im System selber erzeugt. 40 Wenn Ängste in Organisationen auf unbewusster Ebene ansteigen, z. B. aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungen, Druck am Arbeitsplatz, Angst vor Arbeitsplatzverlust etc., dann suchen sich die Systeme zumeist Menschen in diesen Systemen aus, die als Container dienen, um diese Ängste einzudämmen. 41 Dabei wehren sich normalerweise die Individuen im System, die Ängste der Gruppe anzunehmen, und es kommt zu weiteren systemischen Dynamiken und Abwehrmechanismen, wie beispielsweise zu erhöhten Konflikten und Konfliktpotenzialen, 42 die sich intrapsychisch und inter-psychisch im Organisationssystem manifestieren. 43 Weitere, typische Abwehrmechanismen sind beispielsweise das Splitting, die Projektion oder die Idealisierung. 44 Das Splitting in Organisationen zeigt sich gegebenenfalls im Schwarz-WeißDenken, in der Unterteilung von Verhalten in „gut und böse“, wobei bei der auftretenden Idealisierung bestimmte Personen oder Systemelemente besonders hervorgehoben werden, wie beispielsweise eine besonders verehrte, idealisierte Vateroder Mutterfigur (die Leitungsperson oder ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin). Unter Projektion wird wiederum verstanden, dass beispielsweise negative Gefühle, Gedanken und/oder Verhaltensweisen auf eine Person projiziert werden, sodass sich die Personen im System nicht mehr mit diesen negativen Aspekten auseinandersetzen müssen, da diese dann einer Person – zum Beispiel als Charakteristikum – zugeschrieben und somit leicht dissoziiert werden können. Zudem verhalten sich Menschen in Organisationen so, wie sie aus ihren Kindheitserfahrungen kennen oder gelernt haben, und tragen unbewusste Dynamiken aus Zeiten der Kindheit in den Organisationen aus, ohne sich darüber bewusst zu sein. Lediglich reifere Individuen sind in der Lage, bewusst individuelle und organisatorische Rollen voneinander zu trennen. 45 Führungspersonen in Organisationen sind vielmals Container für Projektionen und tragen entsprechend die Emotionen wie Ärger oder Angst, die aus dem Sys39 Armstrong, D.: Organisation in the mind: Psychoanalysis, group relations and organisational consultancy, London 2005. 40 Sievers, B.: Psychoanalytic studies of organizations. Contributions from the International Society for the Psychoanalytic Study of Organizations, London 2009. 41 Shongwe, M.: Systems psychodynamic experiences of professionals in acting positions in a South African organisation (2014), online verfügbar unter: http://uir.unisa.ac.za/handle/10500/14616 (17.6.2018). 42 Myburgh, H.: The experience of organisational development consultants working in the systems psychodynamic stance 2009, online verfügbar unter: http://uir.unisa.ac.za/handle/105 00/1473 (17.6.20018). 43 Cilliers, F./Koortzen, P.: Working with conflict in teams – the CIBART model, in: HR Future, October 2005, S. 51–52. 44 Stapley, L.: Individuals, groups, and organizations beneath the surface. An introduction, New York 2006. 45 Cilliers, F./Werner, A.: Group behaviour and other social processes in organisations, in: Ziel, B./Geldenhuys, D. (Hrsg.): Psychology in the work context, Oxford 2013, S. 239–269.
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tem kommen oder im System immanent sind. Diese Emotionen fließen so lange durch das System, bis sie aufgefangen und „contained“ werden. Dabei sind die Container meist die Personen, die dem System als am stärksten erscheinen und daher am besten geeignet zu sein scheinen, die Emotion zu tragen. Ist der Prozess der Projektion jedoch zu schmerzhaft, wird die Emotion an eine andere Person im System weitergeleitet, die das Gefühl vermuteterweise wohl am ehesten aushalten kann. Letztendlich werden die Emotionen durch dieses Containment transformiert, sodass es im System betrachtet und optimalerweise ausgehalten werden kann. 46 Diese Transformation erfolgt dabei vorwiegend über die im System stattfindende Kommunikation. 47 Im Folgenden soll die Situation aus system-psychodynamischen Perspektiven an südafrikanischen Universitäten und Hochschulen im Blick auf Frauen in Führung reflektiert werden. SYSTEM-PSYCHODYNAMIKEN UND FRAUEN IN FÜHRUNG AN SÜDAFRIKANISCHEN HOCHSCHULEN Wenn Mitglieder einer sozialen Gruppe wie einer Organisation mit individueller, gruppenbezogener, sozialer oder gesellschaftlicher Unsicherheit und Ambiguität konfrontiert werden, zeigen sich im System Gefühle von Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Unbequemlichkeit, Enttäuschung und Versagensängste. 48 Zudem entstehen eingeschränkte Sinnhaftigkeit, Lähmungsgefühle und Kraftlosigkeit. Damit diese Gefühle ausgehalten werden können, braucht es sogenannte „Container“, das bedeutet aus Systemsicht geeignete Menschen, die mit Gefühlen von Angst umgehen und diese aufnehmen und positiv verändern können. Gendergleichheit ist an Hochschulen in Südafrika seit einigen Jahren ein wichtiges Thema. 49 Dabei zeigt sich, dass sich Gendergleichheit in Familie und Organisation rapide verändern und dass Frauen einerseits mobiler und progressiver im Blick auf ihre eigene Karriere handeln, 50 gleichzeitig jedoch weniger Autorität und Agency im Blick auf Führung in Organisationen inne haben als männliche Kollegen. 51 Neuere Forschung im Blick auf Frauen in Führung an südafri46 Holloway, W./Jefferson, T.: Doing qualitative research differently. A psychosocial approach, London 2013. 47 Mayer, C.-H./May, M.: Of being a container through role definitions: Voices from women leaders in organisational autoethnography, in: Journal of Organizational Ethnography, Nr. 3, Bingley 2018, S. 373–387. 48 Motsoaledi, L./Cilliers, F.: Executive coaching…, a.a.O. 49 Mayer, C.-H.: A ‚Derailed‘ Agenda? Black Women’s Voices on Workplace Transformation, in: Journal of International Women’s Studies, Nr. 4, Bridgewater 2017, S. 144–163, online verfügbar unter: http://vc.bridgew.edu/jiws/vol18/iss4/11. 50 Hawarden, R.: Glass networks. How networks shape the careers of women directors on corporate boards, in: Vinnicombe, S./Burke, R. J./Blake-Beard, S./Moore, L. L. (Hrsg.): Handbook of research on promoting women’s careers, Cheltenham 2013, S. 212–234. 51 Morley, L.: Lost leaders…, a.a.O.
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kanischen Hochschulen zeigt, dass diese oftmals als „Container“ dienen, bestimmte System-Psychodynamiken aufzufangen und Emotionen, die das System Hochschule nicht halten bzw. konstruktiv verarbeiten kann, aufgreifen, um diese zu transformieren. Zudem erfahren Frauen in Führung Exklusion und Marginalisierung, sobald sie eine bestimmte Position in der Organisationshierarchie erreicht haben. 52 Mayer, Oosthuizen Tonelli und Surtee 53 sowie Mayer, Tonelli, Oosthuizen und Surtee 54 zeigen auf, dass Frauen in Führung an Hochschulen mit Charakteristiken von Fürsorgerin (carer), „nurturer“, Mutter (mother), Tochter (daughter) und dem Frau-Sein an sich (being a woman) assoziiert werden, weniger jedoch mit Charakteristika von Professionalität (professionalism), von Leistungsträgerschaft (achievement and endeavour) oder von professioneller Kooperation (collaborator). Zudem scheinen sich diejenigen Rollen, die Frauen im Kontext von Familie zugeschrieben werden, mit denen der zugeschriebenen professionellen Rollen zu vermischen. Weiterhin zeigen die Untersuchungsergebnisse von Mayer, Tonelli, Oosthuizen und Surtee, 55 dass Frauen in Führung ein „Splitting“ im Blick auf sich selber erleben, das heißt ihre persönliche Identität und ihre Familien- und Berufsrollen. Sie erleben sich nicht als ein Teil eines kohäsiven Ganzen und reproduzieren teilweise ihre Familienrollen im Arbeitskontext, die dann entweder von Autorität und Agency getragen sein (als Fürsorgerin und Mutter) oder aber als untergeordnet zugeschrieben werden können (als Tochter beispielsweise). 56 Entsprechend gibt es eine innere (identitäre), aber auch system-psychodynamische Spaltung in Frauen in Führung im Blick auf ihre eigene Rolle und Autorität am Arbeitsplatz, die leicht zu Identitätskonflikten werden können. 57 Zudem idealisieren Frauen ihre Rollen als „Fürsorgerinnen“ und „Mütter“ an Universitäten im Blick auf die Studierenden, die teilweise sogar mit den eigenen Kindern verglichen werden. 58 Dabei werden die professionellen Rollen von Frauen in Führung simplifiziert und reduziert und ihr Wirkungskreis bezieht sich vor allem auf die Sorge um Studierende und Kollegen, die Unterstützung benötigen, nicht aber so sehr auf professionelle Kompetenzen und Fähigkeiten, die Frauen in Führung haben und die sie gegebenenfalls kompetitiv gegenüber männlichen Führungspersonen einsetzen könnten. Gendergrenzen bleiben unangetastet und somit (unbewusst) bestehen. 59 52 Ryan, M. K./Haslam, A.: The glass cliff. Evidence that women are overrepresented in precarious leadership positins, in: British Journal of Management, Nr. 2, Oxford 2005, S. 81–90. 53 Mayer, C.-H./Oosthuizen, L./Tonelli, R./Surtee, S.: „You have to keep your head on the shoulders”. A systems psychodynamic perspective on women leaders, in: South African Journal of Industrial Psychology/SA Tydskrif vir Bedryfsielkunde, 44 (0), Durbanville 2018, a1424. https://doi.org/ 10.4102/sajip.v44i0.1424. 54 Ebenda. 55 Ebenda. 56 Siehe auch Morley, L.: Lost leaders…, a.a.O. 57 Cilliers, F./Koortzen, P.: Working with conflict…, a.a.O. 58 Mayer, C.-H./Oosthuizen, L./Tonelli, R./Surtee, S.: „You have to keep your head on the shoulders”…, a.a.O. 59 Ebenda.
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Weitere Forschung zeigt darüber hinaus, dass, wenn Frauen in Führung diese Grenzen bewusst oder unbewusst überschreiten, sie oftmals mit Ausschluss, Marginalisierung und anderen Herausforderungen zu rechnen haben. 60 Dem ist besonders so im südafrikanischen Hochschulkontext, wenn es sich um Frauen handelt, die von Herkunft aus afrikanischer Abstammung sind, da hier die Intersektionalitäten von Gender und Rasse zusammenkommen und vom System her nicht unbedingt positiv bewertet werden. 61 Schließlich werden auf Frauen in Führung Attributionen projiziert, die das System nicht aushält und für die es keine geeigneten Lösungen im Moment bereithält: Zeigen sich südafrikanische Hochschulen in dynamischen Umbrüchen, politischen Auseinandersetzungen und finanziellen Unsicherheiten gefangen, desto eher werden Frauen in Führung genutzt, um „sichere Häfen“ zu suggerieren, die unbewusst leicht mit dem Mutter- und Fürsorgerin-Sein assoziiert werden und eine Sicherheit vorgeben, die es im Prinzip nicht gibt. Entsprechend dienen Frauen in Führung oftmals dem unbewussten und system-psychodynamischen Ziel, Ängste zu bündeln und zu transformieren, dabei jedoch gleichzeitig Gendergrenzen (unbewusst) zu akzeptieren und unangetastet bestehen zu lassen. Gleichzeitig zeigen sich in der Gruppe von Frauen in Führung „Splitting“Tendenzen, die auf die innere Dynamik der Festschreibung traditioneller Familienrollen und der Konstruktion neuer, post-moderner professioneller Rollen von Frauen in Führung hinweisen: Eine Gruppe von Frauen an Hochschulen nimmt dankend die Rolle der Fürsorgerin und Mutter an, während die andere Gruppe von Frauen „rebelliert“ und eine Erweiterung der Gendergrenzen und Rollenzuschreibungen fordert. Da Frauen aber insgesamt selten professionelle weibliche Vorbilder in Hochschulen haben (auch schon historisch bedingt), an denen sie sich grundlegend professionell orientieren und ausrichten können, greifen sie entweder auf weibliche Vorbilder aus Kindheit und Familie zurück oder aber orientieren sich an den männlichen professionellen Vorbildern, die sie dann gegebenenfalls (unbewusst) dazu bringen, das eigene Verhalten eher „männlich“ zu gestalten, was in der gesplitteten Gruppe der Frauen in Führung wiederum zu Irritationen führt. Blickt man abschließend auf introjektives Verhalten von Frauen von Führung, so kann festgestellt werden, dass Frauen in Führung das Verhalten ihrer Mütter und anderen weiblichen Familienmitgliedern häufig unbewusst replizieren und auf Nachfrage Splitting im Verhalten der eigenen Mütter aufzeigen, die stark in der Öffentlichkeit auftreten bzw. auftraten, jedoch ungehaltene Schwäche im privaten Raum zeig(t)en. 62 Frauen in Führung an südafrikanischen Hochschulen reflektieren diese Dynamiken und versuchen, diese so weit wie möglich auszugleichen, wie durchaus üblich in system-psychodynamischen Zusammenhängen. Dies dürfte jedoch wei60 Stapley, L.: Individuals, groups, and organizations…, a.a.O.; Mayer, C.-H.: A ‚Derailed‘ Agenda?..., a.a.O. 61 Mayer, C.-H.: ‚A Derailed‘ Agenda?..., a.a.O. 62 Mayer, C.-H./Oosthuizen, L./Tonelli, R./Surtee, S.: „You have to keep your head on the shoulders“…, a.a.O.
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tere Herausforderungen bieten, da Frauen in Führung an südafrikanischen Hochschulen nicht nur in ihre familiären und professionellen Rollen im Organisationskontext eingebunden sind, sondern auch in weitere, gesellschaftliche und soziokulturelle Grunddynamiken. FAZIT Frauen in Führung an südafrikanischen Hochschulen und Universitäten spielen eine wichtige Rolle nicht nur im Hinblick auf ihren bewussten, professionellen akademischen und administrativen Beitrag, sondern besonders auch dabei, Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen aus der kollektiven, gesellschaftlichen Vergangenheit und ihre gegenwärtig hervorgerufenen Reaktionen in der Gegenwart des organisationalen Alltags an Hochschulen aufzuarbeiten und zu transformieren. Dabei muss sicherlich anerkannt werden, dass sie eine Schlüsselrolle darin spielen, unbewusste Ängste, die aus gesellschaftlichen Diskursen auf Hochschulen und Universitäten übergreifen, zu „containen“, emotional zu „entladen“ und konstruktiv zu verändern. Die system-psychodynamischen Prozesse, die hier in Kürze anhand von System-Psychodynamiken mit Blick auf Frauen in Führung aufgezeigt wurden, verweisen auf gesamtgesellschaftliche Dynamiken, die es in der südafrikanischen Gegenwart und Zukunft zu bearbeiten gilt. Forschung zu Frauen in Führung gibt daher besonders viele Aufschlüsse über unbewusste Dynamiken, die sich nicht nur in Organisationen abspielen, sondern auch darüber hinaus in anderen gesellschaftlichen Systemen wie Familie, Kirche, Sportclub und auf nationaler Ebene zu finden sind. Dabei zeigt die vorliegende Forschung besonders stark, wie viel Verunsicherung im Blick auf die Transformation der bekannten Rollen bezüglich Gender, Rasse, Identität und Kultur, aber auch hinsichtlich anderer Kriterien vorherrschen und wie wenig die Systeme gewappnet sind, die historisch gewachsenen kollektiven Gedanken und Gefühle von Splitting konstruktiv zu bearbeiten, aktiv anzugehen und in der Gegenwart zukunftsgerichtet zu „containen“ und schließlich aufzulösen. So verweist das Splitting in Gut und Böse, Frauen- und Männerrollen, starke und schwache Studierende und Kollegen, weiblich-familiäre und männlichprofessionelle Vorbilder an der Hochschule, auf das Splitting in der Gesellschaft in traditionelle und post-moderne, historisch gerichtete und zukunftsorientierte Gedanken und Verhaltensweisen, über deren „Richtigkeit“ Verunsicherung herrscht. Gleichzeitig scheinen Frauen in Führung gerne, die Rolle des „sicheren Hafens“ anzunehmen, der Fürsorgerin und Mutterfigur, da diese Rolle unangreifbar, sicher, kollektiv verankert und stimmig erscheint. In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, des Kampfes um Macht, Rasse und Neudefinition und in Zeiten der Verunsicherung durch Ambiguität und Komplexität schafft sie eine Projektion der Sicherheit als auch eine Reduktion und Simplifizierung der eigenen Rolle, Sicherheit, Verstehen, Kraft, Standhaftigkeit und eine ursprüngliche Geborgenheit. An
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Hochschulen, die zwischen lokalen Transformationen und globalen Wettbewerben hin- und hergerissen sind, braucht es „sichere Häfen“, die schützen und fördern, sich sorgen und sich um diejenigen kümmern, die Unterstützung benötigen. Wie lange können Frauen diese Rolle tragen und Gefühle gesellschaftlicher Ängste, Unsicherheiten und Frustrationen „containen“ – bis zu welchem Grad? Bleiben Frauen an Hochschulen in dieser eher traditionellen Rolle aus systempsychodynamischen Gründen gefangen, stellen sich weitere Fragen: Welche Reibungsverluste bedeutet das für ihre Agency, für ihren Einfluss und für ihre inhaltlichen Beiträge in Hochschule und Wissenschaft? Welche Stabilität braucht es in der südafrikanischen Gesellschaft, um Frauen in Führung aus der Rolle der Mütter und/oder der Vorbilder des Vaters zu entlassen, um sich neu zu erfinden und Veränderungen im Bild der Frauen in Führung zuzulassen? Wenn der Druck „von außen“ immer größer wird und die Diskurse zu Afrikanisierung, Wettbewerb, politischen Aktivitäten auf dem Campus sich radikalisieren und dies in einem „Verharren“ oder in einer „Flucht“ der Bildungseliten endet – was geschieht, wenn Frauen in Führung in die Radikalisierung ihrer Rolle gehen? Wenn Frauen sich neu erfinden und die Ängste und Frustrationen nicht mehr in dieser Art und Weise „containen“, wenn sie ihre öffentliche Stärke in eine innere, persönliche Stärke kehren und diese nutzen, um sich öffentlich in Universität und Hochschule neu zu positionieren und ihren eigenen Führungsstil, ihre eigene Führung entwickeln, die sich reflektiert, mit Mindfulness und Bewusstheit zeigt. Weitere system-psychodynamische Forschung kann mit Sicherheit dazu dienen, historische, gegenwärtige, aber auch zukünftige Prozesse besser zu verstehen und individuelle und kollektive Dynamiken vorauszusehen, die sich bereits auf latenter, unbewusster Weise vorab formieren. Kombiniert mit den Erkenntnissen aus dieser Forschung können dann entsprechend Beratung, Trainings und systempsychodynamische Einzel- und Gruppenerfahrungen dazu dienen, bestimmte Rollen, Konfliktpotenziale, Ängste und Verhaltensweisen im Kontext von Systemen bewusst zu machen und diese gezielt in der südafrikanischen Gesellschaft friedvoll zu transformieren. Dazu müssen sich Hochschule und Universität sicherlich neu im gesellschaftlichen Diskurs positionieren und bewusst betrachten und abwägen, was sie als Träger höherer Bildung in Gegenwart und Zukunft weiterhin „containen“ können und wie sie Frauen darin unterstützen können, Führung auf weiteren Ebenen zu übernehmen.
RELIGIOUS STRUGGLES, ETHICS, PRAXIS AND FUNDAMENTAL SOCIAL TRANSFORMATION A Case Study with Implications Ian Liebenberg Zusammenfassung: In Südafrika waren die Kirchen hinsichtlich der Ideologie, der Rolle und der menschlichen Folgen der Apartheid in Südafrika tief gespalten. Die afrikaanssprachigen Kirchen unterstützten den Staat und die Regierung der Apartheid in hohem Maße, während die Mehrheit der anderen Kirchen versuchte, neutral zu bleiben, oder sich unter dem Dach des südafrikanischen Kirchenrates aktiv gegen die Apartheid wehrten. Der vorliegende Beitrag wird einen Blick auf den “Kirchenkampf” werfen, unter anderem auf die Gründung des Belydende Kring (Bekennender Kreis), das Belhar Belydenis (Belhar-Bekenntnis), die KairosBewegung sowie die Rolle der Kirche einst und jetzt in Bezug auf die Schaffung einer gerechten, freien, gleichberechtigten und nicht rassischen Gesellschaft. INTRODUCTION South Africa lived through an extensive era of European colonialism that deeply impacted the original societies in the region. Beginning in 1652 in southern Africa, European settlers expanded their influence over the internal population and took control, in numerous cases through war, over scarce resources such as land, water, and minerals like copper and later diamonds and gold. As in other countries, the influx of settlers under colonialism diminished the living space for those Africans that lived or depended on the land, for agricultural reasons or as nomadic hunter-gatherers. Cape Town acted as a bridge of profit for the trade route between the Far East and Western countries, including the trade in human beings, or what Karl Marx described as a hunt for black skins. In the wake of these frontiersmen/women and traders, Christian missionaries soon joined the triad of Western domination, expanding their influence and in numerous cases enforcing Christianity and, ipso facto, Western culture on the local population. Pioneer frontiersmen, some settling for agriculture, others making regular expeditions (safaris) to hunt and trade in ivory and the skins of game, prepared the land to be taken over by settlers and trades-people, and this settlement by the new arrivals meant the loss of land for others. This was the mentality of Euro-centrism, Western Christianity and apartheid, later to become an ideology of imperialism, imposed upon people without keeping cultural differences and nu-
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ances in mind – and this was particularly true for spiritual orientations. Although some missionaries were openly critical about Western mentality being imposed on African peoples and others (i.e. in Latin-America, the Middle and Far East) and called for reforms, in general there was a co-axial approach by missionaries to expand Christianity and Western culture. The result was a land grab through agricultural activities, growing business and military expansion, where missionary and mercenary conflated. Needless to say, businesses needed to be protected and in the wake of tradespeople, soldiers always followed, to protect colonial interests and later imperial interests. It is rightly argued that the Church was up to its neck in racial politics, and De Gruchy and De Villiers suggest that it was the Church in general (and not only the Dutch Reformed Church) that provided a basis for what was to become known as segregation, apartheid and later as separate development. 1 The toxic triad between business exploitation, enforced Europeanisation and military force projection led to human exploitation, oppression and degradation. The incoming missionaries carried ethnocentric and European chauvinism with them, as well as a lack of understanding of African cultural habitus, knowledge of local communities, and the prevailing traditions and social structures. Christian domination was frequently spread through manipulation; nuances were overlooked, and fault lines developed and worsened, especially around separation or segregation, both between races and between the rich and the poor. Numerous examples exist, and at the southern tip of Africa, South Africa, Namibia and Zimbabwe are telling examples. There were missionaries who resisted the brutal intrusion of others on land, liberty and the right to live as a free people, but there is little doubt that the European mentality intermixed with Christian ideas led to an end result that was disastrous for many people on the continent of Africa. Elphick and Giliomee describe in great detail the formation of a simultaneously divided and integrating society in South Africa between 1652 and 1820. 2 Contributions to their work touch on the disruption of Khoikhoi life, land appropriation by settlers, inter-racial relationships, the relationships between masters, servants and slaves, expanding colonial frontiers, colonial impositions, and the stabilisation of European dominance. 3 This triangle of what I call political Christianity, economic exploitation and Euro-centrism (in a sense perhaps a triangle of social evil?) was successful in “civilising” African people, dislocating them from their cultural roots and successfully turning people into human units of production for profit. Sooner or later, those who were Christianised and who experienced oppression and exploitation started asking critical questions about “God’s justice”. More than 70 percent of South Africans are nominally Christian, and others are deeply religious and involved in various formal church structures that included the African Independent Church (movement) that keeps growing. There was no doubt that questions would 1 2 3
De Gruchy, J./De Villiers, W. B.: The Message in Perspective. A Book about a Message to the People of South Africa, Braamfontein 1968, pp. 8–9. Elphick, R./Giliomee, H.: The Shaping of South African Society, 1652–1820, London 1979. Ibidem.
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arise. Early examples are the Ethiopian Church Movement that broke away from the Methodist Church around 1890 because black people were experiencing the white paternalism in the Methodist Church as alienating, if not insulting. 4 It is therefore no wonder that the critical voice of the church in South Africa in terms of injustice, oppression and “being a human in a clearly unjust society” 5 increasingly penetrated the socio-political discourse around what a just and humane society was meant to be. TELLING A STORY … AND PERHAPS A STORY WITHIN A STORY In this contribution, I tell the story of the church struggle within the context of colonialism, apartheid oppression, racial capitalism and the commitment of South Africans through a variety of resistance organisations, movements, institutions, individuals or groups of individuals. I will relate this struggle to (ecumenical) developments and politics at the time, in South Africa and elsewhere in the world. Use is made of published sources such as books, chapters to books, popular and accredited articles, newspaper reports from the era under discussion, and in some cases material from personal archives. Some personal reflections and perhaps some auto-ethnographic glimpses may enter the narrative, due to my personal involvement at the time. However, it is impossible to recognise everyone that existentially and as compatriots contributed to this story. We shall leave this for later, if time and life allow. In the conclusion of this reflection, I share with the reader some ideas about the ethical questions around violence and the concept of “just revolution” within the then-context in South Africa of oppression and its implications. Some tentative notes will be made on whether there was a debate in South Africa between Christianity and Marxism, as identified by Bentley. 6 References to African Theology 7 and the questions about a just revolution 8 will come up. As a subscript, the ideas of Albert Nolan on “Jesus before Christianity” 9 may creep into our discourse. The reader will notice that I reference sources as far as possible. There are also instances where I only refer to the name of a publication and the author without specific reference, or do not reference at all. These authors/sources deserve full recognition, even if I did not have the time to (re-)trace the specific sources. In the majority of cases, these sources of information are from people that I met back and interacted with in the 1980s, or sources consulted long ago. I do also make 4 5 6 7 8 9
Nel, F. B. O.: Die Stryd om Mens te Wees. Die Storie van Swart Teologie in Suid-Afrika, Bellville 1989, pp. 5–7. Ibidem. Bentley, J.: Between Marx and Christ. The dialogue in German-speaking Europe, 1870–1970, London 1982. Setiloane, G. M.: African Theology, Johannesburg 1986. Liebenberg, Ian: Die Etiese Vraagstuk rondom Rewolusie in Suid-Afrika. Enkele Inleidende Gedagtes, Stellenbosch 1984. Nolan, A.: Jesus before Christianity. The Gospel of Liberation, Mowbray 1980.
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use of a personal memory-track, as some experiences are well ingrained in the memory of this observer, observer participant, participant observer, participant, activist admiring the figure and example of Christ. THE “SOUTH AFRICAN CONDITION” EVOLVES As early as the landing of the first Dutch colonisers in South Africa (or Azania, if you wish), human relations were worsened by Western ethnocentrism. Eurochauvinism caused misunderstanding, as well as influencing the way in which religious and social relationships between churches themselves would evolve from 1652 onwards. These developments, through Dutch and British colonialism and after the Great Trek (Groot Trek) by pioneer Trekboers and Voortrekkers, saw many trials, torturous choices and the interplay between greed, arrogance and pejoratively defining the “Other”. In rough terms, this era covers 1834 to 1880. Separation between cultures and races while living out the Christian way of life in South Africa became contentious, if they were not already so from the beginning. The period from 1829 to 1857 would set problematic precedents that would last into future, and came to a head-on clash after apartheid was enforced under the National Party in 1948. The election victory of the (white Afrikaner) National Party in 1948 led to a barrage of legislation on the separateness of races (apartheid) that permeated every level of society. To be fair, one has to mention that apartheid was but a refinement of European colonisation, and for this reason radical historians referred to it as colonialism of a special type. For the majority of South Africans, apartheid pitched the separateness of people in church and society against the apartheid state as the refinement of colonial and European whiteness. AFRIKANER CIVIL RELIGION The settlers from Dutch-speaking countries, who went on to become Voortrekkers, modeled themselves on the Old Testament. They viewed themselves as a people chosen by God, en route to their Promised Land and freedom from British colonialism. 10 Christian religiousness in this context became what Bosch called a civil religion. 11 However, while moving inland the Voortrekkers moved over and into areas that were inhabited by numerous other groups. Thus, in their quest for freedom, the white Dutch (later Afrikaans-speaking) people transgressed into other peoples’ land. The Voortrekkers and those of the Afrikaner Volk that flowed out of them 10 Bosch, D.: The Roots and Fruits of Afrikaner Civil Religion, in: Hofmeyer, W. G./Vorster, W. S. (eds): New faces of Africa. Essays in Honour of Ben Marais, Pretoria 1984; Liebenberg, I.: Ideologie in Konflik, Bramley 1990; Wright, H.: The burden of the present. Liberalradical controversy over Southern African history, Cape Town 1980; de Klerk, W. A.: The Puritans in Africa. A Story of Afrikanerdom, London 1975. 11 Bosch, D.: The Roots and Fruits…, op. cit.
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became an anachronism in history: they resisted British Colonialism (which was colonising at a faster rate and in a more heavy-handed way than the original Dutch colonisers), but in their “long march to freedom” became a generation of first nomadic and semi-nomadic people, and later permanent settlers on land previously utilised, not necessary owned, by other earlier inhabitants. Ironically, as the Voortrekkers moved inland, others of a different colour who already tried to escape Dutch and British colonialism had to move again, further north across the Orange River (Oranjerivier, Grootrivier, !Xarip River or Groot Gariep). For example, some of these included the Baster community (people of mixed race) or mixed groups of earlier slaves, Khoi people and “non-white” freemen. These groups eventually settled in what is now called Namibia, and one of the fathers of the Namibian liberation struggle, Hendrik Witbooi (1893 onwards), fits in here. So too the Baster community, Jonker Afrikaner, Simon Koper, the Bondelswarts, die Velskoendraers and others that would later fight the German colonisers in German South-West Africa (today Namibia), despite large human losses and what today would be called genocide or volksmoord. There was a difference though: these new white “pioneers” also came to see themselves as part-and-parcel of Africa. They saw no future outside this new homeland and as generations born in Africa viewed themselves as Africans (hence the word “Afrikaner”), their habitus conceived of a world where only white Africans constituted the Afrikaner Volk. With it, separation of races (separatism) and white autonomy over the “Other” (black people or racially-mixed communities) became a social assumption and systemic social structure. Radical historians referred to this gradual evolution and social (re)construction as colonialism of a special type, where people that were white saw themselves as a group (tribe?) of Africa, but in turn took the land of other Africans, settled and later modernized. However, the white Afrikaners themselves would never have agreed that they were and are a “tribe”, as Harrison suggested. They saw themselves as a Volk, or at least a self-defined Volk in the making. 12 Industrialisation as a capitalist mode of production followed the discovery of diamonds and gold, and with industrialisation came the ever-increasing hunt for profit. The political theorist-practitioner and activist, Neville Alexander, referred to it as racial capitalism, and Dan O’Meara referred to the historical economic development during these years as the rise of white Volkskapitalisme, capitalism of and for the minority white elite. 13 The sociologist Heribert Adam referred to ethnic mobilization (of white Afrikaners) by social entrepreneurs and the political elite in search of increasing power for the White Afrikaans-speaking community, and themselves. 14
12 Harrison, D.: The White tribe in Africa. South Africa in perspective, Johannesburg 1981. 13 O’Meara, D.: Volkskapitalisme. Class, Capital and Ideology and the Development of Afrikaner Nationalism, 1934–1948, Johannesburg 1983. 14 Adam, H.: Modernizing Racial Domination. The Dynamics of South African Politics, London 1972.
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In terms of mobilisation within the Afrikaner community, ethnic actors included the National Party (established in 1914), and the Afrikaner Broederbond (AB), a secret all-white, male, protestant Afrikaans organisation, working towards an Afrikaner Nationalist state. The Broederbond was initially established as a cultural movement around 1918 but by 1924 had transformed into a secret brotherhood to attain a whites-only (and more specifically, a white Afrikaner) Republic. The Afrikaans reformed churches followed suit, no doubt because many leading members were Broederbonders, some of whom had earlier belonged to the militant authoritarian white Afrikaans movement called the Ossewa Brandwag that resisted the Smuts regime as dangerously liberal and biased towards reconciliation between the Boer and English races. From the beginning, there was a transition to a social structure of economic exploitation, which included the socio-political phenomenon of land-having and landless (or disowned) classes. Following industrialisation, and with it the migrant labour system, deep differences developed, and this social system would serve as the basis for a future class struggle. In the cases of South Africa, Namibia (previously Suidwes-Afrika) and Rhodesia (today Zimbabwe), class and race coincided. South(ern) African politics are vexed, as are politics and religious affairs, when combined with the economic element (class and race), it becomes even more entangled. An Afrikaner organised interpretation of an ideal future world with a ruling white class took the upper hand. This world view, or Weltanschauung, was to become the dominant ideology. As Smith wrote, “There is a character running through (the land), a furtive malicious character that (was to become) the skunk of the world. His name is apartheid and his influence spreads throughout the land. He pervades every sphere of public life ... He separates families, splitting man from wife and parent from child ... He restricts contact between one race and another … (and) even some of the churches harbor him”. 15 SEPARATENESS IN REFORMED CHURCHES These complexities formed part and parcel of what would become known as the church struggle during the apartheid era. Apartheid as a social engineering experiment touched every inch of people’s lives, living space and right to free movement; and thus, also the living praxis of the unity of people as Divine creations within an organised, structured yet organic and fluid society. No wonder apartheid would lead to a serious differences of opinion, debate and conflict, and in time to outright resistance. South Africa was set to experience its own Kirchenkampf, in some ways similar to Nazi-Germany, but in other ways very dissimilar. For all practical purposes in both structure and attitude, in the (white) Dutch Reformed Church (DRC), or Nederduits Gereformeerde Kerk (NGK), other white Reformed Churches, and the Hervormde Kerk, apartheid be15 Smith, H.-L.: Anatomy of apartheid. Corruption of power, Germiston 1979, p. 1.
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tween Christians had been crystallised since 1857, beginning with earlier attempts in 1829 by some whites who insisted on racial separation in church and society. The white DRC and the Gereformeerde Kerk, as well as Hervormde Kerk, were to both support and advocate the apartheid ideology in the making. The DRC eventually ended up as four churches based on racial separation, namely the white DRC, the DR Mission church (Nederduits Gereformeerde Sendingkerk, for so-called “coloured people”), the Reformed Church in Africa (N G Kerk in Afrika) for blacks, and the Indian Reformed Church. With apartheid in state and apartheid in church, it does not take much imagination to see that there were two fundamental principles at odds: apartheid on the one hand (by implication, inequality based on racism, dovetailing with deepening class differences), and a dream of inclusion and (non-racial and equal) community-in-Christ on the other, what Richard Stevens referred to as the sanctum communion. As apartheid became more entrenched from above by an increasinglyauthoritarian state, concerns began to arise on the receiving side of the system. Unwillingness to accept the divisiveness of apartheid ranged from concern, to critique, to an understanding (and in some cases, support) for fundamental resistance to apartheid. Civil-disobedience and support for the liberation struggle against the modernisation of apartheid, under the executive presidency of PW Botha and the securocrats (high echelon military and police apparatchik), was the natural evolution. Various churches for example expressed their solidarity with conscientious objectors to enforced military service, or national service (Afrikaans: nasionale diensplig) as conscription was known. Over the period from 1972 to 1988, the white state and society became increasingly militarised to bolster apartheid in whatever form, and in response, individuals in churches expressed their fundamental rejection of apartheid in state, society and the church/Christian community. Many explained that they understood why violence against an oppressive and discriminatory state became an option for some. The reader may deduct that I will later refer to the grey areas of ‘just violence’ or ‘just revolution’ in the then South African context. REACTION AGAINST (CHURCH) APARTHEID Churches from various dominations would speak out against apartheid, and VillaVicencio states that, “The debate about apartheid and its rejection as un-Christian has a long history”. 16 Declarations and statements ranged from critical opinions, to tentative questioning of the system of apartheid, to a deep skepticism, to those asking for concrete action against the system of apartheid and its social consequences. Others declared that the church, in its relationship with apartheid, could not but fundamentally reject the system, and that the church as a body and representative of God’s justice found itself in a state of open confession (Status Con16 Villa-Vilencio, C.: Trapped in Apartheid. A Socio-Theological History of the EnglishSpeaking Churches, Cape Town 1983, p. 15.
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fessionus). A state of confession implies openly declaring that the system was unjust (even a heresy), and that those that confessed such should do it in public and in principle, whatever the social or individual costs may be. Some declarations, such as the Kairos Declaration, made it clear that the armed struggle could be understood and should carry the empathy if not solidarity of the church. A few examples of reaction by churches are: In 1957, the South African Catholic Bishop’s Conference spoke out against segregation and discrimination, asked for full justice and rights for all South Africans, and deeply criticised the strict and oppressive apartheid laws. Remember that apartheid, as the official policy of the National Party and its secret cohorts such as the Afrikaner Broederbond, advanced and implemented laws that affected virtually every level of society in South Africa. These included small or petty apartheid, such as access to official buildings through separate entrances, and separate queues in post-offices, shops, stores, recreational spaces such as parks and beaches, waiting rooms at hospitals, etc. Other laws touched people’s living space and privacy. One example is the Group Areas Act (Groepsgebiedewet), implying the creation of separate living or residential areas for people of colour, black and Indian people. These actions resulted in the affected being resettled or forced out of their homes to areas dedicated for such purposes by government 17. The Prohibition of Mixed Marriages Act of 1949 was on the first laws 18 that the National Party government passed and reminded many people of similar laws passed in Nazi-Germany a mere decade or two before. Moreover, the notorious 1913 Land Act was refined under apartheid, further robbing land from black citizens, and ipso facto their South African citizenship. Citizenship was now to be measured by your belonging to an identified “native reserve”, later “Bantustan”, which in the logic of separate development was to become an independent homeland. In the end, there were four “homelands” that achieved “full independence”, namely the Republic of the Transkei, the Republic of Bophuthatswana, the Republic of Venda, and the Republic of Ciskei. 19 In the course of enacting the “Independent Homeland Republic” ideal millions of black South Africans were resettled, with conservative estimates reporting 1.9 million people being resettled. The Surplus Peoples’ Project estimated closer to 2.5 million people involved in forced resettlements – or “removals” 20 . These actions led to overpopulation in the homelands and the implosion of subsistence farming in these rural areas, driving black communities into a vicious circle of poverty. In September 1968, a number of churches came together in Johannesburg with members of the World Council of Churches to deliberate about apartheid. The Cottesloe statement clearly indicated the right of all South Africans to be 17 Dugard, J.: Human Rights and the South African Legal Order, New Jersey 1978, pp. 79 ff. (apart from Dugard, see also Horrel, M.: Race Regulations as Regulated by Law in South Africa: 1948–1979, Johannesburg 1982, pp. 211 ff.). 18 Ibidem, pp. 68 ff. 19 Horrel, M.: Race Regulations as Regulated…, op. cit., pp.17, 18 ff., 20–22, 25 ff. 20 Giliomee, H./Schlemmer, L. (eds): Up against the Fences. Poverty, Passes and Privilege in South Africa, Cape Town 1985, p. 50.
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treated as equal. Thus, “[t]he role of the Church must therefore be to direct (the National Party) towards just and worthy ends and support such movements doing so”. 21 For some, the Cottesloe statement was not enough, while for others it was a bombshell. Members of the White Dutch Reformed Church that signed the statement were put under pressure to retract their statement or disassociate from the Cottesloe resolutions, while the National Party and church leadership deeply criticised participation by its members in this conference. The Broederbond had many members in the DRC in church councils (elders, deacons and dominees), and these members exerted strong pressure to discredit the Cottesloe Statement. Some of the DRC members did recant; others refused to do so and were ostracised for all practical purposes. Some DRC members that attended Cottesloe subsequently resigned from the Broederbond, and for obvious reasons were also ostracized. In 1968, the South African Council of Churches (SACC), in its statement A Message to the People of South Africa, went further in their criticism and made it clear that Christians “should obey God rather than men”. The Message to the People of South Africa demonstrated a clear stance against the National Party policy of apartheid, enforced through a barrage of laws based on strict segregation (compare Villa-Vicencio). 22 South Africans on the receiving side of this avalanche rightly asked: “Whose law? God’s law or man’s law?” The Lutheran World Federation added their statement on Confessional Integrity in 1977, ending the statement with the words, “… in order to manifest the unity of the Church, churches should publicly and unequivocally reject the apartheid system”. 23 In 1981, the Alliance of Black Reformed Churches in Southern Africa (ABRECSA) issued the ABRECSA Charter, after a conference in Hammanskraal near Pretoria, fundamentally rejecting the divisive system of apartheid and the pain it was causing. The United Congregational Church followed suit, rejecting apartheid on a theological and social basis. In 1982, the World Alliance of Reformed Churches (WARC) adopted their statement on Racism and South Africa in Ottawa. Apartheid was declared sinful and apartheid oppression should be countered with Christian unity and solidarity with the oppressed. The Council also suspended the white Dutch Reformed Church from their group, a step strongly criticised by the DRC and the apartheid government. The Methodist Church of Southern Africa, in a Resolution on Apartheid, called on its members and the white Reformed Churches “to reject an ideology which is continuing to cause untold suffering to the majority of South Africans and (thereby) bring discredit to the Church of Christ” (see De Gruchy and VillaVicencio). 24 In 1982, the Church of the Province of South Africa (Anglican Church) added that apartheid was unacceptable due to the suffering it caused, stat21 Villa-Vilencio, C.: Trapped in Apartheid. A Socio-Theological History of the EnglishSpeaking Churches, Cape Town 1983, p. 151. 22 Ibidem. 23 De Gruchy, J./Villa-Vicencio, C. (eds): Apartheid is a Heresy, Cape Town 1983. 24 Ibidem, p.183.
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ing in no uncertain terms that apartheid is un-Christian, evil and should be viewed as a heresy. In 1989, a publication of the South African Council of Churches (SACC) was issued, based on a conference held in 1988 at the Jabavu Lutheran Centre in Soweto attended by various denominations, where groups such as Koinonia and the Council of African Independent Churches appeared. The conference was organised by the Department of Mission and Evangelism of the SACC. It was stated that apartheid is a sin, and also the manifestation of a sin, as well as “…simultaneously a cause and a result of sin”. 25 Resistance to apartheid was to be put at the heart of the future action of the church by designing programs to resist and abolish apartheid practices. 26 Inaction was not an option; Christian action against apartheid was both an obligation and imperative for the Church as a collective and for the individual Christian. There was clearly a growing and deepening consensus that the Churches in South Africa were facing a Status Confessionus in the midst of apartheid oppression, whether in its original or “reformed version”. At this time, the apartheid state preached reform, but state and society were militarised and the autocratic and Executive President and his close militarist associates were centralising power and streamlining oppression. 27 More was to follow. Following consultations between various churches, denominations, concerned Christian groups and theological research centres, the Kairos Document was issued during 1985, amidst a national state of emergency in South Africa. The document reflected a consultative, if somewhat hurried, approach and is described as a “Christian, biblical and theological comment on the political crises in South Africa today”. 28 It acted on the basis of what may be termed a Prophetic Theology, as for the compilers and supporters of the document, a unique moment of truth, a kairos, had arrived in which both crisis and opportunity called for the Church to act decisively against an unjust system. 29 The document strongly criticised “State Theology” (state-captured rationalisations for apartheid and oppression in the name of Christianity) and Church Theology (in which lip-service was offered as critique against an unjust and evil system, but little concrete action taken). In contrast, or as a logical fulcrum, a Prophetic Theology was necessary. Theology in action, Christian praxis to end apartheid, were
25 Masemola, S./Mabuza, W./Finca, B./Botha, J. (eds.): Confessing Guilt in South Africa. The Responsibility of Churches and Individual Christians, Braamfontein 1989, p. 78. 26 Ibidem. 27 Frankel, P. H.: Pretoria’s Praetorians: Civil-Military Relations in South Africa, Cambridge 1984; Grundy, K. W.: The Rise of the South African Security Establishment. An Essay on the Changing Locus of State Power, Johannesburg 1983; idem: The Militarization of South African Politics, Oxford 1988; Liebenberg, I.: Ideologie in Konflikt, Emmerentia 1990. 28 Institute for Contextual Theology (ICT): The Kairos Document. Challenge to the Church – A Theological Comment on the Political Crisis in South Africa, revised second Edition, Johannesburg 1986. 29 Ibidem.
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both obligation and imperative. Calling on others and leading by example should form part of a living transforming praxis. The document called for a Christian attitude and practice (or rather praxis) that inspired Christians to make sacrifices for justice and liberation. The document did not call for a political revolution, but was inspired by radical Christian action to free the country from minority rule and oppression and to enact a just society. The document was also strongly criticised by the government and some rightwing Christian groups, some of which were established to counter “liberation theology and communism” and funded by the South African government or antiCommunist religious groups in the United States of America. These groups indeed reflected Political Christianity of the first order. A reader should by now see a social nexus between the political and the theological. Theology came to earth, and politics was not and could not be avoided. The Church as body of Christ in a real socio-political context had to choose. Christians committed to a just society were to confront apartheid or Political Christianity. In the following months, the document was signed by various churches and denominations from the South (those countries pejoratively referred to in Western literature as “Third World countries”). Among these were signatures from Namibia (then under South African occupation), South Korea, the Philippines, El Salvador, Nicaragua and Guatemala. 30 The Road to Damascus went further than the Kairos Document by not only declaring apartheid in and outside South Africa as idolatry and a heresy, but also criticising exploitation on financial grounds and greed. The critical social theorists and activist Neville Alexander rightly referred to the mix of capitalist exploitation on racial grounds as racial capitalism (rasse-kapitalisme). The Road to Damascus therefore deducted that apartheid was a far wider phenomenon than just in South Africa. Indeed, the authoritarian mentality of the apartheid state was visible elsewhere on the international scene both before and after the demise of apartheid in South Africa in the 1990s. Apartheid in many respects originated much earlier, and continues today as a global phenomenon that dehumanises people. The current context call for a re-evaluation of the figure of Christ, to reflect actively and over the borders of church denominations about doing theology in a revolutionary situation. 31 For a notable author in the South African context, see Albert Nolan. 32 The above needs to include serious reflection on Camilio Torres’s work, Revolution als aufgabe des Christen. 33 By implication, by remaining “objective” or to profess “impartiality” in the face of oppression and exploitation is a betrayal of the justice of God in the broadest sense of the word.
30 Institute for Contextual Theology (ICT): The Road to Damascus. Kairos and Conversion, Johannesburg 1989. 31 Bonino, J. M.: Doing Theology in a Revolutionary Situation, Philadelphia 1975. 32 Nolan, A.: Jesus before Christianity…, op. cit. 33 Torres, C.: Revolution als Aufgabe des Christen, München 1981.
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THE DUTCH REFORMED CHURCH (DRC) AGAINST THE WORLD: TOTAL ONSLAUGHT ON POLITICAL CHRISTIANITY? During the apartheid years, the DRC was frequently referred to as the National Party in prayer. For the white DRC, deeply influenced by and active in constructing the apartheid ideology as God’s Will (Apartheid as God se Wil), ecumenical criticism was seen as an allegoric Total Onslaught against the DRC by other churches and their international peers, namely the international ecumenical community. At the Bloemfontein Congress in 1950, the DRC dealt with the native question (naturelle-vraagstuk). The conclusion of the congress was that the only lasting solution for the race question (and ipso facto the “black problem”) was “total separation between races on political and economic basis”. 34 In 1963, during anti-pass demonstrations, 69 black people would die in Sharpville as result of police shooting into a crowd of protesters. A worldwide outcry followed, and a state of emergency was declared in South Africa. The Cottesloe Conference was called in reaction to this social crisis. Eight Afrikaans- and English-speaking churches met at this platform, facilitated by some members of the World Council of Churches (WCC). The conference took place at the University of the Witwatersrand and stretched over seven days. Some saw the following Cottesloe Declaration, referred to earlier in the chapter, as “dynamite” because of its critical perspective on apartheid. The chief secretary of the WCC described it as “not a particular striking document”, 35 yet it sparked a serious debate inside the DRC group. White Afrikaans leaders and political elite saw the Cottesloe Declaration as an attack on apartheid, and the prime minister at the time, H F Verwoerd, a Dutch naturalized citizen, took umbrage with the document. Verwoerd and his fellow conservatives rejected the Cottesloe Declaration, while the synods of the DRC, dominated by members of the Broederbond, repudiated it. The Cottesloe statement, that ‘NO person that believes in Christ may be excluded from any church’, was notable and extremely irksome to the racist white elite. Politically, the Cottesloe document meant social inclusion and integration, in stark contrast to the ideal, practice and imposed ideology of apartheid, segregation, “separateness” and white domination. Similarly, the statement by the Cottesloe Declaration that people may own property anywhere in the country and that such free ownership should be respected was not well received. This simple statement by the Cottesloe attendees boldly contradicted the Group Areas Act, and the fact that black people were limited to reserves which were to become homelands or Bantustans. The declaration deeply worried the DRC and the National Party/Broederbond elite, as it was a shot at the heart of apartheid. 36 Needless to say, the creation of the Christian Institute (Christelike Instituut) strongly critical of apartheid under the Reverend (Dominee) Beyers Naude (Oom 34 Lückhoff, A./Nicol, W.: ‘n Historiese Perspektief op die Ope Brief, in: Bosch, D. J./Konig, A./Nicol, W. D. (eds.): Perspektief op die Ope Brief, Cape Town 1982, pp. 21–32. 35 Ibidem, p. 23. 36 Ibidem, pp. 29 ff.
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Bey) was not welcomed. The Christian Institute’s mouthpiece, Pro Veritate, was banned in 1977, together with 17 other organisations and newspapers. The Wilgespruit Centre, where anti-apartheid theological discussion and community programs to empower “non-white” South Africans took place, was denounced and restricted. Prominent persons, such as Mandla Seleoane who worked at Wilgespruit, were detained. The mix of the Black Consciousness Movement and the church in search of a qualitatively new society was seen as a danger to the minority state, as the vindictive measures taken by Pretoria illustrated. Later, the release of the so-called Open Letter to the DRC (Ope Brief) took matters further. At heart, the Open Letter simply but determinedly and publicly said that the (DRC) church found itself in a broken state, and that that the Scriptures stipulate that the only measure of membership of community in prayer and action was the witness to and belief in Christ and his relation to human beings. This obviously went against the grain of the National Party, the secret white maleonly Protestant Broederbond, and hence the majority of members in the DRC. The Ope Brief appeared in the DRC newspaper, Die Kerkbode, in June 1982, and was signed by 123 members of the DRC, consisting of pastors (dominees) and theologians. The Ope Brief made an appeal to the (white) DRC (and, by implication, also the government which was largely supported by the DRC) to humbly and critically reflect on the scriptural meaning and spirit of the church, as one-inthe-body of Christ in the South African society. For me, the two most important statements – or at least the strongest implications - came in statements 2.2.2 and 2.2.4. Statement 2.2.2 reads: “(Dat) ‘n bestel waarin onversoenbaarheid tot samelewingsbeginsel verhef word en verskillende dele van die bevolking van SuidAfrika vervreem, onaanvaarbaar is”. Statement 2.2.4 reads: “(Dat) die wette wat simbole van hierdie vervreemding geword het, ondermeer die oor die gemengde huwelike, rasse-klassifikasie en groepsgebiede nie skriftuurlik verdedig kan word nie.” Along with this, statement 2.2.5 clearly states that “justice and not only law and order” (geregtigheid en nie bloot wet en orde) should guide a new (Christian) social order. 37 In doing so, the Ope Brief attempted to play a critical and prophetic role. One has to remind the reader that in apartheid society, we as South Africans lived in an abnormal society of fundamental segregation, protected by Orwellian apartheid- and reform-speak, underpinned by a military-security complex. Someone had to speak out. What the authors of the Ope Brief criticised was an abnormal order, an order that did not exist in the law books in other countries. This does not mean that there was/is no racial discrimination or discriminatory mentalities in other countries, the Trump mentality of building a wall between the USA and Mexico, and apartheid-Israel’s consistent and brutal attempts to curtail Palestinian people’s living space, are but two contemporary examples. The Ope Brief did lead to a series of debates in Die Kerkbode, the mouthpiece of the DRC. However, it did not succeed in changing the leadership’s mind and attitude, and nor did it influence the executive presidency of PW Botha to move away from modernising racial 37 Bosch, D. J./Konig, A./Nicol, W. D. (eds.): Perspektief op die Ope Brief…, op. cit., p. 16.
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domination through sham-reform, while at the same time expanding and deepening a security state. The (white) DRC, due to decisions in its Synods in 1829 and finally 1857, opted to establish separate DRC churches based on race. The Dutch Reformed Mission Church (DRMC) was established in 1881 for people of colour. Decades later, the Dutch Reformed Church in Africa (DRCA) was established in 1951 for black people, two years after apartheid became legally institutionalised in Africa. These separate churches were seen by the “Mother” DRC Church as part of the DRC family, yet, the churches for “nonwhite” people were referred to as “daughter churches” (dogterskerke), and the paternalistic element was clear. Later, in an attempt to soften such obvious paternalism, the DRMC and DRCA were called the “sister churches” (susterkerke). However, apartheid was in place despite talk about a family. A family divided within itself, one may argue and, given arguments already mentioned, a family conceived in the sin of economic inequality and racial separation. THE BELHAR CONFESSION However, the DRC sister churches were growing up, and were ecumenically far more active on the church front in South Africa. As churches consisting of those affected by apartheid, they would develop their own views and social identities away from the (white) Mother Church. The sister churches were there when the World Alliance of Reformed Churches (WARC) called apartheid a heresy and suspended the membership of the white DRC, declaring a status confessionus. The DRMC also declared a status confessionus in 1982, and had witnessed and experienced the removal of hundreds of thousands of people of colour from their homesteads to dedicated living areas for coloureds. The town of Stellenbosch, where the University of Stellenbosch (Universiteit van Stellenbosch) is based, was at the forefront of such a mentality. The Stellenbosch academic and political elite became more “liberal”, advocating Verligtheid of the type that supported the divisive race-based Tri-Cameral Parliament under PW Botha and the securocrats. Later, some of these so-called Verligtes would change from one political order to another, without missing a single goosestep. Some Verligtes later claimed that they were crucial to the negotiated transition to democracy before and after apartheid, an interesting turn-around from apartheid engineering and justification, towards spin-doctoring the role of Stellenbosch as a bastion of apartheid and its modernisations, to a university elite of avant garde democracy-makers. In a sense, the DRMC took its cue from the prophets. Image the consequences of apartheid: Large-scale resettlements of people due to the notorious Group Areas Act, with black people resettled in terms of the policy of bantustans. More than 2 000 000 people were resettled in accordance with this legislation). Add to this inferior education, and the oppression/suppression of those that criticised apartheid or that took action against the apartheid state, first peacefully as in the Defiance
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Campaign in the 1950s, and later through an armed struggle (1963 onward). The DRMC, while working within the broader ecumene, was to take its own stance. Against this background, one can easily understand why the teachings of a prophet like Amos inspired the DRMC in their rejection of apartheid. Consider an example: “Julle haat die wat vir die reg opkom in die howe, jullle verafsku die wat die waarheid praat. Omdat julle die arm mens vertrap en van hom koring afpers, sal julle nie woon in die huise van gekapte klip wat julle bou nie en sal julle nie die wyn drink van die pragtige wingerde wat julle plant nie” (Amos, 5: 10–12). Or, “Maar laat die reg en geregtigheid te voorskyn kom, laat dit aanrol soos watergolwe, soos ‘n standhoudende stroom” (Amos, 5:24). Within the DRMC, a group of socially-conscious pastors started the Confessing Circle (Belydende Kring), modeled on the idea of a Confessing Church, as started by Dietrich Bonhoeffer and others during the times of Nazi-rule under Hitler in Germany. The Belydende Kring played an important role in mobilising support and advocating for action to be taken against apartheid on all levels of society. To a large extent, many of the DRMC leadership took notice of, and were inspired by, the Barmen declaration of 1934 that took a stance against growing Nazism in Germany. Numerous theologians took to the study of the work and life of Dietrich Bonhoeffer, and the work of Karl Barth was well-known and reflected upon with regard to the role of the Christian in a situation of injustice. By 1986, the DRMC would take their status confessionus further by accepting the Belhar Confession (Belhar Belydenis) as fourth confession, along with the Heidelberg Catechism (Heidelbergse Kategismes), the Belgic Confession and the Canons of Dort (Dortmundse Geloofsbelydenis). In no uncertain terms, the Belhar Confession rejected separatism, and the ideology and practice of apartheid in favour of principled Christian unity and equality, and by implication a non-racial life-attitude and social praxis. Several other churches and synods outside South Africa, as far away as Europe, were to adopt the Belhar Confession. The DRMC and DRCA would later actively engage in unification by forming the Uniting Reformed Church in Southern Africa (URCSA). BLACK THEOLOGY AS AN INSTRUMENT OF COLLECTIVE EMPOWERMENT “Black Theology”, or the “Black Theology of Liberation” in South Africa, had numerous roots. The notion of blackness and black power, as used in the United States during their campaigns for equal rights partially informed Black Theology. The realisation that there may be none or very few other actors that would support the struggle for equality, human rights and citizenship for the black person in South Africa was another. Perhaps the ongoing debate about a Pan-African state, as espoused by Marcus Garvey, Leopold Senghor, Nkrumah and others, also played a role. The rise of the Black Conscious Movement (BCM) during the 1970s in South Africa, under Stephen Bantu Biko, Mamphele Ramphele, Barney Pityana, Mandla Seleoane, Stanley Ntwasa and numerous others, played an important role, as BCM
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supporters broke away from the ANC/SACP interpretation of the struggle for liberation. The ANC (established in 1912) moved through a spectrum of political mobilisation that saw the movement start by using liberal appeals to the powers that be, before moving on to defiance campaigns, and later mass action and armed struggle. The Pan Africanist Congress (PAC’s) Pan Africanist ideals were also not attractive to the BCM. 38 For BCM, the struggle was immediate, it touched the black people of South Africa, and no liberation could occur if one did not achieve self-liberation through home-grown strategies and attitudes. Neither was cooperation with white liberals acceptable, as it was distracting from the task at hand. The BCM insisted that black people were on their own and had to reclaim pride and dignity first, and in so doing design action to enable liberation. To an extent, the black theology of liberation had as its feeding ground the liberation theology advanced in Latin America in resistance to the authoritarian and military regimes that ruled by brutal force. From these many sources, a black theology of liberation evolved in South Africa that would play an important role in the struggle for equality and dignity in an apartheid state of imposed separateness and whiteness. The role that black liberation theology played in fomenting debate on justice and a new community of citizens should not be underestimated. Black theologians infused the discourse with new vigour, a grounded approach, and a vision on a radical new South Africa, as did their participation in the activities of the Institute for Contextual Theology (ICT). 39 40 Black theologians, together with other clergy, contributed to significant works and actively lived the vision of a South Africa beyond apartheid. CHOICES: REVOLUTION BY PEACEFUL OR OTHER MEANS South Africans and their churches or religious organisations were faced with stark choices. Resistance to apartheid implied concrete action, a praxis on transforming a deeply divided society. South Africans and their religious communities could choose between (1) top-down state “reform”, a term frequently abused by the ruling government while modernising racial domination, centralizing power in tandem with greater oppression under the states of emergencies and the militarisation of state and society or; (2) to disregard the discourse of reform. Given their past 38 Nel, F. B. O.: Die Stryd om Mens te Wees. Die Storie van Swart Teologie in Suid-Afrika, ongepubliseer, Bellville 1989. 39 Numerous names come to mind here, such as Alan Boesak, Simon Maimela, Bernadette Mosala, Shun Govender, Manas Buthelezi, B Magoba, Desmond Tutu, Masamiza, and others. 40 Works that appeared and contributed to debates and action-orientated reflections (doing theology, rather than theorising theology) included Mosala, I. J./Tlhagale, B. (eds.): The Unquestionable Right to be Free. Essays in Black Theology, Johannesburg 1986; Motlhabi, M.: The Theory and Practice of Black Resistance to Apartheid. A Social-Ethical Analysis, Johannesburg 1985; Boesak, A. A.: Black and Reformed. Apartheid, Liberation and the Calvinist Tradition, Johannesburg 1984; Boesak, A. A.: Farewell to Innocence. A socio-ethical study on black theology and power, New York 1984.
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experience people resisting apartheid or any of its versions of Sham-reform chose to resist “Reforms” as it was equal to more repression. The latter implied South Africans declaring empathy with those in the struggle and further on the spectrum of principled solidarity, and Christian churches and others of strong moral fibre did so actively and bravely. Keeping Dietrich Bonhoeffer in mind, further options included ways to assist the victims of mad and inhuman policies after the damage occurred, or to more forcefully prevent further pain. The latter could imply subversion on a spectrum from fundamentally non-violent but persistent resistance (call it a South African version of satyagraha if you wish), to active collaboration with liberation strategies and movements even if violent. Choosing sides and strategies to follow presented a personal kairos for individual Christians in South Africa and many chose the latter option, understandably so. JUST REVOLUTION? Similar to a just war, it can be argued that a revolution can be justified under certain circumstances. 41 The experience under an unjust, cruel, oppressive and noncaring government fighting its own citizens by dirty means (guerra sucia, or dirty war, as it was called in Latin America) was harsh. Many felt or actively advocated a stronger stance than just confession and principled solidarity. Support for State Theology and Church Theology, as outlined in the Kairos document, was not an option, and more was needed. Inaction was tantamount to support for heresy and idolatry, or more forcefully put, a betrayal of the fundamental values of a Christcentred society with characteristics such as equality, non-discrimination, compassion and love for the other. Needless to say, the DRC, and in particular the white church as loyal follower of the apartheid state, severely criticized any discourse that tended towards this standpoint. Moreover, between the National Party, the state and the DRC, people that advocated liberation were lumped together under a broad banner and labelled subversive, communist, allies of terrorists, useful idiots, “lefties”, traitors, enemies of the state, and so on. Indeed, paradigms, theologies and ideologies were at a crossroads. For some it was civil war, for others the defence of the (white) Christian civilization. Many interpreted the deteriorating situation and deepening civil conflict not only as civil unrest but a proto-civil war. Taking the assumption that the South African social/civil strife was nearing a civil war, meant that the state needed to be actively resisted in ways ranging from peaceful subversion (i.e. objecting to conscription into the apartheid army) and social action, to militant action or support for liberation movements. Hence, if only for a minority, the issue of a “just revolution” entered the discourse in South
41 Liebenberg, I.: Die Etiese Vraagstuk rondom Revolusie in Suid-Afrika. Enkele Inleidende Opmerkings, ongepubliseerde essay, Stellenbosch 1984.
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Africa as it did in Latin-America (compare the writings of Dom Helder Camara with Camillio Torres and Bonino, for example). 42 In struggles for liberation, times of oppression and widespread injustice, the human habitus becomes intricately vexed. “In sulke tye is daar ‘n sterk korrelasie tussen Christelike waardes en norme en die besondere tydsgees vanweë die wisselwerking tussen menslike denke en ervaring, histories-sosiale ontwikkeling en die konkrete konteks”. 43 Kuyper argues: “En bespeurt men dan, dat de overheid, in strijd met die ordinantien des Heeren, zicht aanmatigt wat haart niet toekomt, en voorts verwerpt wat God in het volk ingestel, die doet slechts zijn plich, zo hiertegen in verzet komt”. 44 Referring to Pribilla, Newman argues that in situations of concrete and sustained injustice, tyranny and oppression, “situations can arise in which it is not enough for Christians (and oppressed people) 45 to pray and suffer: it falls to them as a solemn duty to drive back force with force, protecting and shielding themselves, their families and their nation (community of citizens) 46 from untold misery and injustices“. 47 From the Latin-American experience, namely brutal rule by military regimes, amidst oppression and gross human rights abuses by the state, Torres argues: “Wenn eine Macht sich gegen das Volk richtet, dan is sie ungesetzlich, und wir nennen sie tyrannisch”. He continues: “Wir Christen dürfen en müssen gegen die Tirannie zu Felden ziehen”. 48 He further argues that inaction in such a case is morally impossible and that revolution becomes an Christian obligation, so that “die Ausgebeuteten sollen nicht spätter einmal vor ihren kinder sagen lassen, sie hatten ihre geschictliche und revolutionare Aufgaben verraten”. 49 In a similar vein, Jose Miguez Bonino argues that Christians and other actors, i.e. activists, Marxists, and basis communities (local support structures), could and should work together to ensure that on the human dimension they (all are) working for the creation of a new society and a new man. 50 It seems then that, just as we find within the Christian tradition an argument for just war, there is also space for a just revolution argument – and some believers enacted this at various stages in the long history of the oppression of peoples.
42 Torres, C.: Revolution als Aufgabe…, op. cit. See also Bonino, J. M.: Doing theology in a revolutionary situation, Philadelphia 1975. 43 Liebenberg, I.: Die Etiese Vraagstuk rondom…, op. cit., p. 17. 44 Kuyper, A.: De gemeente gratie, vol. III, Amsterdam 1904, p. 83. 45 Author’s insertion. 46 Author’s insertion. 47 Newman, J.: Studies in political morality, London 1962, p. 174. 48 Torres, C.: Revolution als Aufgabe…, op. cit., p. 28. 49 Ibidem, p. 14. 50 Bonino, J. M.: Doing theology…, op. cit., p. 42.
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BRINGING MARX BACK IN? The debate/dialogue between Christianity and Marxism was and is of extreme relevance, even after the wall had crumbled. Perhaps it is time to bring Marx back in … Unfortunately, other than in Europe and Latin-America, the interactive communication and socio-political praxis was somewhat below the radar in South Africa in church circles. This was, and still is, a pity because a fuller picture of what a just and humane society should mean could have been achieved, at least in dialogue, but perhaps also in action. Maybe it is not too late, mainly because injustice and inequality, oppression and mass exploitation on a global scale have not been defeated yet. NEW CHALLENGES, NEW APPEALS AND A NEW PRAXIS Through many trials and tribulations, the religious communities (Christian, Muslim, Hindu and Jew) and greater ecumenism in South Africa, with the support of Christian communities elsewhere, succeeded in living out their status confessionus and grabbed a unique moment of truth, a kairos as both challenge and opportunity for the human race. With the truth came choices. In its own way, despite weaknesses and arguably mistakes, the churches in South Africa succeeded in playing a role to end institutionalised apartheid. In this way, they assisted in creating a pathway to justice and space for (future) equality. In terms of the South African struggle, the Christian churches and the Muslim community, as well as segments of the Jewish community, came together to fight for a just society, thus contributing to cooperation for and a praxis towards a more humane society. In this sense, a unique if not historical example was set, an example that it may be worth reflecting and acting upon, both today and in the years to come. There is no doubt that racism still exists in South Africa and much has yet to be done to break down stereotypes and half-truths advocated by white and black (or whatever the spectrum entails). Built on colonialism and colonialism of a special type, Verwoerdian Apartheid became deeply embedded in the South African psyche. It penetrated state and society, not only at the time, but after transition to democracy as well. Gabriele Reitmeier rightly suggests that: “Rassismus und Apartheid gehoren in Südafrika noch immer nicht der Vergangenheit an. Nelson Mandelas Traum von der “Regenbogennation” is nocht Wirklichhet geworden”. 51 Eliminating the “sin” or injustices of apartheid attitudes in state and society remains a major challenge. As argued by Bishop Seoka recently: “Der Kampf geht welter.” 52 In this sense, the struggle here and elsewhere continues, against the
51 Reitmeier, G.: Online-Rezensionen des Jahrbuchs zur Liberalismus-Forschung of Der Dakar Prozess by Ulrich van der Heyden, Gummersbach 2018. 52 Sekoa, J.: Kirche und Gewerkschaften. Erinnerungen an der Anti-Apartheid Kampf, in: INDABA, Nr. 90, Wien 2018.
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limited boundaries of single-minded religions to broaden the active praxis for a new moral order. What does the above hold for us today, not only in South Africa but globally in a time of (hyper-) globalization, deepening poverty, and war-mongering by the USA and countries in the “Coalition of the Willing”? What does it say about increasing poverty, alienation, polarisation and the myopia of one-sided imposed political “solutions” from self-perceived “leader states”? What does it say about oppressive and arrogant Political Christianity clad in armour and high-tech weaponry? What does it say about self-declared international policemen, megalomaniac states, their leaders and their military industrial complex and the international global rogues that grew out of this? Much indeed. Apartheid as a not-so unique institutional attitude and practice of racism, ethno-centrism, separateness, and paternalism in South Africa was a policy that existed before the word ‘apartheid’ was coined. Apartheid, either by name or practice, reflects (current) mentalities around the globe. The end of apartheid in South Africa did not end the phenomenon of paternalism, power-driven arrogance and the will to exploit and dominate the poor, and the situation in Israel with the Palestinian people is one such example. No wonder some people refer to “Apartheid Israel”, and correctly so. Human rights are still undermined and resistance oppressed on a daily basis in Palestine by the state of Israel, while policymakers in the USA drive their own ideology, deep-seated racist mentality, Political Christianity and structures of apartheid globally. In its treatment of Muslim people, France provides another example. People of other orientations are forced to abide by “French norms”, all based on a basis of “separateness”, the hate of the “Other” and cultural superiority (if not perhaps racial superiority?) Apartheid persists globally in the forceful or tacit separation of peoples, and in the rich-poor gap imposed by the West, responsible for millions of global deaths annually. The global Christian community, and indeed any person or group from whatever cultural and religious background that nurtures the value of human life, human rights and the common core of humanity, should stand together to enact a status confessionus and a kairos on how to resist the global free-market, the outcomes of the Washington Consensus, capitalist exploitation and a widening gap between the super-rich and the poor, as well as the states/governments that keep this intact in word and deed. CONCLUSION The dialogue on global justice and equality needs to go beyond Christianity and extend to other religions and people dedicated to global justice. Such a debate should take note of and critically analyse the dangers of Political Christianity imposing Western dominance on societies that seek a different dispensation for peaceful co-existence. Instead of a clash of civilisations as a political mantra backed up by Political Christianity, it is time to enter a dialogue between civilisations, as Mohammed Khatami suggested back in 2000, and which the UN General
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Assembly ratified in two resolutions. 53 I am convinced that, for people of moral conviction rooted in our contextual experience, to act on such an appeal for global dialogue is more than an ideal; it is a human duty/obligation/imperative underlined by our common core of humanity in search of justice. Such a dialogue and action to bring about a just and equal society should be accompanied by concrete action in terms of our own spiritual orientation and existential choices. Today we are facing global apartheid. Just as prophets, people of various religious and spiritual backgrounds in South Africa did then, this challenge deserves urgent collective attention and action. “Laat die Reg en die Geregtigheid te voorskyn kom, laat dit aanrol soos watergolwe …” 54
53 Khatami, M.: Dialogue among Civilizations as a Paradigm for Peace, in: Bekker, T./Pretorius, J. (eds.): Dialogue among Civilizations. A Paradigm for Peace, Pretoria 2001. 54 Amos, 5:24. Old Testament.
DIE TRANSFORMATION DER DDR IM RÜCKBLICK UND IM VERGLEICH ZUM TRANSFORMATIONSPROZESS IN SÜDAFRIKA Jörg Roesler
1. EINLEITUNG Die Umwandlung Ostdeutschlands aus der DDR in die neuen Bundesländer nahm ihren Anfang, als im März 1990 der Kabinettsausschuss „Deutsche Einheit“ der Bundesregierung in Bonn die DDR-Regierung zur „Währungsunion mit Wirtschaftsreform“ aufforderte und diese unter Ministerpräsident Hans Modrow entsprechenden Verhandlungen mit Kanzler Helmut Kohl zustimmte. 1 Das geschah angesichts einer ernsten Wirtschafts- und Versorgungskrise in Ostdeutschland und eines seit der Grenzöffnung vom November 1989 anhaltenden Stroms von DDR-Bürgern, die ihr Land in Richtung Bundesrepublik verließen. Gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres war die DDR-Bevölkerung Ende 1989 von 16,68 Mill. auf 16,43 Mill. zurückgegangen. Insgesamt belief sich der Aderlass durch Westwanderung auf fast 350.000 Personen, d. h. auf mehr als 2 % der Gesamtbevölkerung. 2 Die nach freien Wahlen in Ostdeutschland im April gebildete Regierung de Maizière trat unverzüglich in Verhandlungen mit der Regierung Kohl, die im Mai in die Unterzeichnung eines Staatsvertrages über die „Schaffung einer WährungsWirtschafts- und Sozialunion“ mündeten. 3 Die Währungsunion begann am 1. Juli 1990 mit der Einführung der DM in der DDR. Die gleichzeitig in raschen Schritten vollzogene Wirtschaftsunion lief, angefangen mit der Privatisierung der Wirtschaftsunternehmen und der Freigabe der Preise, auf die Ablösung der Planwirtschaft ostdeutscher Prägung durch eine Marktwirtschaft neoliberalen Charakters hinaus. Die Sozialunion wurde schrittweise verwirklicht: Begonnen wurde mit der Einführung des bundesdeutschen Arbeitsrechts in der DDR, die im Oktober auf-
1 2 3
Vgl. Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1933– 1990, Bonn 2004, S. 550. Statistisches Amt der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Berlin 1990, S. 1. Vgl. Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Erklärungen und Dokumente, Bonn 1990.
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hörte, als Staat zu bestehen, und seitdem gemäß der föderalen Struktur der Bundesrepublik fünf der insgesamt zwölf Bundesländer ausmachte. 4 Diesen hier kurz skizzierten gesellschaftlichen Umwandlungsprozess, der sich in Ostdeutschland vollzog, mit der Entwicklung in der Republik Südafrika zu vergleichen, die seit der Verständigung von schwarzen Funktionären des African National Congress (ANC) mit oppositionellen Weißen aus Südafrika in Dakar 1987 einsetzte 5, mit dem Rücktritt von Präsident Botha 1989 und der Aufnahme der Verhandlungen des nachfolgenden Regierungschefs de Klerk mit dem Vorsitzenden des ANC Nelson Mandela sich fortsetzte und mit der Wahl Mandelas zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas ihren Höhepunkte erreichte 6, scheint auf den ersten Blick gewagt – jedoch nur auf den ersten Blick. Sobald man die Geschehnisse auf rein staatlicher Ebene – die DDR verschwand als Staat aus der Geschichte, die Südafrikanische Republik ging aus den Verhandlungen von Regierungsparteien und Oppositionsbewegung und der zwischen ihnen vereinbarten „Regierung der nationalen Einheit“ als Staat unverletzt hervor – nicht überbewertet, sobald man sich auf die ökonomischen und vor allem auf die sozialen Auswirkungen der Veränderungen in beiden Ländern seit den 90er Jahren konzentriert, lässt sich die Entwicklung beider Staaten durchaus sinnvoll vergleichen. Denn in beiden Fällen haben die Gesellschaften, zeitlich in etwa parallel, einen grundlegenden Umbruch, eine Transformation, erfahren. Als Transformation hat der Sozialwissenschaftler Rolf Reißig „einen besonderen Typ sozialen bzw. gesellschaftlichen Wandels“ definiert, „der charakterisiert ist durch gesellschaftlichen Pfadwechsel statt bloßer Modifikation des längst eingeschlagenen Pfades“ 7. Eine derartig definierte Transformation hat sich zweifellos seit Beginn der 90er Jahre in der (Ex-)DDR ebenso wie in der Südafrikanischen Republik vollzogen. Und insofern ist es erlaubt, die Entwicklungsprozesse in beiden Ländern miteinander zu vergleichen. Dabei wird im Folgenden so verfahren, dass in einem ersten Abschnitt die Ergebnisse der Transformationsprozesse, wie sie in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts erkennbar sind, für die DDR analysiert werden. In diesem Zusammenhang werden die Ziele, d. h. die erwarteten bzw. versprochenen Ergebnisse des Transformationsprozesses vor allem auf sozialem Gebiet in der Ex-DDR mit den Resultaten verglichen.
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Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands. Einigungsvertrag. Bulletin Nr. 104 des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Bonn, 6.9.1990. Vgl. dazu van der Heyden, Ulrich: Der Dakar-Prozess. Der Anfang vom Ende der Apartheit in Südafrika, Kiel 2018. Einen ersten Überblick vor allem über die politischen Entwicklung Südafrikas erlaubt: Löchel, Christin (Hrsg.): Der Neue Fischer Weltalmanach 2016, Frankfurt am Main 2016. Beitrag Südafrika, S. 430–432. Reißig, Rolf: Gesellschaftstransformation heute – gewonnene Erkenntnisse, neue Herausforderungen und ungelöste Fragen, in: Brie, Michael/Reißig Rolf/Thomas, Michael (Hrsg.): Transformation. Suchprozesse in Zeiten des Umbruchs, Berlin 2016, S. 43.
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Abschließend wird die Frage gestellt, inwieweit die ostdeutschen Transformationsergebnisse – soweit sie ein Vierteljahrhundert später, etwa um 2015 vorangeschritten waren – denen des südafrikanischen Transformationsprozesses gleichen oder sich von ihnen unterscheiden. Es wird überlegt, ob aus dem Gesagten etwas für zukünftige Transformationsprozesse, mit denen Sozialwissenschaftler wie Dieter Klein fest rechnen, 8 gelernt werden kann. 2. ZU DEN ERGEBNISSEN DES 1990 EINGELEITETEN WIRTSCHAFTLICHEN UND SOZIALEN TRANSFORMATIONSPROZESSES OSTDEUTSCHLANDS EIN VIERTELJAHRHUNDERT DANACH Wie Helmut Kohl auf seiner Wahlkampftournee zugunsten des DDR-Spitzenpolitikers Lothar de Maiziere, der wie der Bundeskanzler eine rasche Vereinigung beider deutscher Staaten befürwortete, den ihn begrüßenden Einwohnern der DDR versprochen hatte, waren ab Juli 1990 auch die Ostdeutschen Besitzer von Westmark. Ein zweites seiner Wahlversprechen wiederholte Helmut Kohl am Tage der Unterzeichnung des ersten Staatsvertrages mit der DDR am 21. Juni 1990: Die mit der Einführung der DM gestartete Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft biete die Gewähr dafür, dass auch die zu Ostdeutschland gehörenden Regionen „bald wieder blühende Landschaften in Deutschland sein werden, in denen es sich für jeden zu leben und zu arbeiten lohnt“ 9. Das konnte nur heißen und wurde allgemein auch so interpretiert, dass die Bundesregierung ab 1. Juli 1990, dem Beginn der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, alle Anstrengungen unternehmen würde, das Wirtschafts- und Wohlstandsniveau im Osten Deutschlands dem des Westens so rasch wie irgend möglich anzupassen. Exakte zeitliche Vorgaben für die Erreichung des Zieles wurden seitens der Bundesregierung öffentlich nicht gemacht, jedoch generell mit einem Zeitraum von wenigen Jahren gerechnet. Intern ist eine Befristung aber offensichtlich vorgenommen worden: Gemäß dem Protokoll eines Gesprächs des Bundeskanzlers mit Senatoren des US-amerikanischen Kongresses, die als „Studiengruppe Deutschland“ am 29. Mai 1990 mit dem Bundeskanzler in Bonn zusammentrafen, verkündete Kohl ihnen: „In 3–4 Jahren werde die DDR ein blühendes Land sein.“ 10 Der Kanzler hatte sich bereits in seiner Erklärung anlässlich der Unterzeichnung des Vertrages über die „Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion“ im Palais Schaumburg in Bonn am 18. Mai 1990 beeilt, zu versichern, niemandem in Ostdeutschland würden beim Beitritt der DDR zur Bundesrepublik „unbillige Härten zugemutet“. 11 8
Klein, Dieter: Machteliten und Transformation, in: Brie, Michael/Reißig Rolf/Thomas, Michael (Hrsg.): Transformation…, a.a.O., S. 341–342. 9 Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion…, a.a.O., S. 7. 10 Zitiert in Roesler, Jörg: Das ostdeutsche Paradoxon. Warum die Ex-DDR bei der Transformation der Wirtschaften Osteuropas in den 1990er Jahren vergleichsweise schlecht abschnitt, Berlin 2016, S. 106. 11 Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion…, a.a.O., S. 7.
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Kolportiert worden ist diese Versicherung des Kanzlers von der oppositionellen SPD nahestehenden Kreisen, Kohl habe verkündet, die deutsche Einheit lasse sich „aus der Portokasse“ bezahlen, d. h. ohne zusätzliche Steuern zu erheben oder weitere Schulden zu machen. Denn mit der Einführung marktwirtschaftlicher Strukturen würde es im Osten einen ungeahnten Wachstumsschub geben, würde es zu einem zweiten deutschen Wirtschaftswunder kommen. Dessen waren sich der Kanzler und sein Kabinett offensichtlich sicher. Doch woher nahmen der Bundeskanzler und sein Finanzminister Theo Waigel diese Sicherheit? Offensichtlich aus der Leistungsfähigkeit des bundesdeutschen Wirtschaftssystems, der Marktwirtschaft. In einem vom Bundesministerium der Finanzen ausgearbeiteten Entwurf eines „Angebots zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsgebietes“, das Kohl und Waigel fünf Tage vor dem Kabinettsbeschluss über eine „Währungsunion mit Wirtschaftsreform“ vorlag, hieß es im „Abschnitt II: Die Chancen“: Der notwendige Strukturwandel in der DDR kann dort vorübergehend den Verlust von Arbeitsplätzen verursachen, führt aber gleichzeitig zu zusätzlicher Beschäftigung und zusätzlichen Einkommen. Bei entschlossenem Handeln überwiegen die Chancen bei weitem die Risiken. 12
Andere Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler der Bundesrepublik, weniger an Ministerien gebunden, teilten den Optimismus der Experten des Finanzministeriums allerdings nicht. Die fünf Wirtschaftsweisen des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ hatten bereits Ende Januar 1990 erklärt, die Übergangsphase werde sehr schwierig sein. „Es gibt nirgendwo in der Welt abschließende Erfahrung mit einem Wechsel von der sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft.“ 13 Als Kohls und Waigels Entscheidung für eine rasche Währungsunion aufgrund der Ausführungen im Gutachten der Experten des Finanzministeriums öffentlich bekannt wurde, rief der Vorsitzende des Wirtschaftsrates, Hans K. Schneider, unverzüglich die Wirtschaftsweisen erneut zusammen. Sie diskutierten die nunmehr entstandene Situation. Schneider setzte ein Schreiben an den Bundeskanzler auf, das am 9. Februar per Telefax ans Kanzleramt übermittelt wurde. Darin hieß es: „Mit Besorgnis verfolgt der Sachverständigenrat die jüngsten Überlegungen, die auf die baldige Einführung der Währungsunion mit der DDR hindrängen. Die Währungsunion sollte nach unserer Auffassung nicht am Beginn stehen.“ Und weiter hieß es in dem Brief:
12 Entwurf des Bundesministeriums der Finanzen zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsgebietes v. 9.2.1990, S. 2. (Ein Exemplar befindet sich in Händen des Verfassers). 13 Schreiben des Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Hans K. Schneider, an Bundeskanzler Kohl, Wiesbaden, 9. Februar 1990, in: Küsters, Hanns Jürgen/Hofmann, Daniel (Bearbeiter): Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, München 1998, S. 779.
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Es ist wohl unvermeidlich, dass die Einführung der D-Mark bei den Bürgern der DDR die Illusion erwecken muss, mit der Währungsunion sei auch der Anschluss an den Lebensstandard der Bundesrepublik hergestellt. Davon kann jedoch keine Rede sein. 14
Kanzler Kohl ließ sich von der Intervention des Sachverständigenrates nicht beeindrucken, ebenso wenig sein Finanzminister. Die Wirtschaftsweisen sollten mit ihren Warnungen vor den Folgen einer raschen Währungs- und Wirtschaftsunion Recht behalten. Gelang es in den ersten sechs Monaten des Jahres 1990, d. h. vor der Währungsunion, noch, den Produktionsrückgang in der Industrie zu begrenzen – verglichen mit dem Jahresdurchschnitt von 1989 lag die Industrieproduktion im Juni 1990 immerhin noch bei 86 % –, so stürzte die Erzeugung im ersten Monat nach der Einführung der DMark in der DDR nach den Berechnungen einer Gruppe US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, der auch die spätere Weltbankpräsidentin Janet Yellen angehörte, auf 56 % ab. 15 Die Wirtschafts- und Währungsunion war mit einer Sozialunion, d. h. der Übernahme der spezifischen Sozialleistungen der Bundesrepublik, verbunden worden. Das war auch angesichts einer fast aus dem Nichts hochschnellenden Arbeitslosigkeit dringend notwendig. Die Anzahl der „Arbeitssuchenden“ in der DDR bezifferte sich im Januar 1990 erst auf 7.400 bei 158.600 unbesetzten Stellen. 16 Die Zahl der registrierten Arbeitslosen lag im März 1990, dem letzten Monat der Regierung Modrow, noch bei 38.300 bzw. 0,08 %. Im Juni, dem letzten Monat vor der Währungsunion waren 1,6 % der Erwerbstätigen in der DDR arbeitslos. Im ersten Monat nach der Einführung der Währungsunion verdoppelte sich die Zahl der Arbeitslosen auf mehr als eine Viertelmillionen, stieg dann Monat für Monat weiter an und überschritt im Januar 1991 die Dreiviertelmillion. 17 So sehr auch der Produktionseinbruch in der Wirtschaft Ostdeutschlands 1990–1992 allen Verkündungen der Bundesregierung über eine rasche Annäherung des ökonomischen Leistungsniveaus der neuen an die alten Bundesländer widersprach, so wenig wurde – zumindest offiziell – daran gezweifelt, dass die 1990 initiierte Politik des „Aufbau Ost“ richtig sei und man sich nur hinsichtlich des Angleichungszeitpunktes geirrt habe. Finanzminister Waigel wies wiederholt darauf hin, dass selbst im BMF-Gutachten von einer vorübergehenden Arbeitslosigkeit die Rede war. Man sollte weiterhin optimistisch in die Zukunft schauen. 18 Am Aufholziel hielt der Kanzler fest, wenn er auch die Formulierung „blühende Landschaften“ nicht mehr gebrauchte. Die in den folgenden Jahren sich vollziehende Rekonvaleszenz der ostdeutschen Wirtschaft ließ hoffen: War auch – gemessen an dem als aussagekräftig geltenden Leistungsmaßstab des Bruttoin14 Ebenda. 15 Akerlof, George/Rose, Andrew/Yelle, Janet/Hessenius, Helga: East Germany in from the Colld. The Economic Aftermath of Currency Union. Brookings Papers of Economic Activity, Washington D. C. 1991, S. 6. 16 Ebenda, S. 6–8. 17 Ebenda, S. 8. 18 Entwurf des Bundesministeriums der Finanzen zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsgebietes…, a.a.O., S. 2.
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landsprodukts je Einwohner – das wirtschaftliche Leistungsniveau der DDR bzw. der neuen Bundesländer gemessen an dem der alten unmittelbar nach der Währungsunion regelrecht auf 33 % abgestürzt, so erholte es sich in den folgenden Jahren wieder und überschritt 1995 mit 59 % das zu DDR-Zeiten erreichte Vergleichsniveau von 1989. 19 Das war zwar immer noch viel weniger, als man intern im Bundeskabinett Mitte 1990 erwartet hatte, aber man glaubte sich doch nach Ablauf des ersten Jahrfünfts deutscher Einheit hinsichtlich der angestrebten Angleichung der Wirtschaftsleistung des Ostens an den Westen auf dem rechten Wege. „Aufbau Ost“ bzw. „Aufschwung Ost“, die am weitesten verbreiteten Bezeichnungen für das Aufholprogramm, wurden in der Politik und in den Medien wieder häufiger verwendet und populär. Doch bereits das nächste Jahrfünft (1996–2000) enttäuschte. Die Produktivitätskluft zwischen alten und neuen Bundesländern verminderte sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre nur minimal von 45 auf 41 Prozentpunkte. Fünf Jahre später lag das BIP pro Einwohner in den neuen Bundesländern bei 66 % des Niveaus in den alten, im Jahre 2010 bei 69 %. Das ohnehin geringe Aufholtempo endete zwischen 2010 bis 2014, als das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Osten zeitweise sogar auf 67 % der Wirtschaftsleistung des Westens zurückging. Mit anderen Worten: Es herrscht(e) im Aufholprozess Ostdeutschlands Stagnation. 20 So weit die ökonomische Seite. Wie weit aber sind die 1990 von der KohlRegierung gegebenen Versprechungen, die von ihr nahestehenden Experten geweckten Erwartungen auf sozialem Gebiet bis Mitte des zweiten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts, also ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung, realisiert worden? Es war wohl doch gerade die Angleichung auf sozialem Gebiet, vor allem im Lebensstandard, die die Mehrzahl der DDR-Bevölkerung bei den Märzwahlen 1990 für diejenigen ostdeutschen Parteien hat stimmen lassen, die für die rasche Vereinigung, für die „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ eingetreten waren. Eine der wichtigsten Komponenten, die Auskunft über die soziale Lage geben, ist zweifellos der Bruttostundenverdienst. Setzt man den – für das Jahr 2014 – gleich 100, dann betrug er in den neuen Ländern (ohne Ost-Berlin) nicht ganz vier Fünftel des gesamtdeutschen Durchschnitts (78,1 %). Die Unterschiede zwischen einzelnen neuen Ländern waren demgegenüber vergleichsweise unbedeutend. Der Bruttostundenverdienst lag am höchsten in Brandenburg mit 80,2 % und war am niedrigsten in Mecklenburg-Vorpommern mit 76,0 %. 21 In erster Linie zurückzuführen war die große Differenz zwischen dem Lohneinkommen in den alten und den neuen Bundesländern auf den in Ostdeutschland vergleichsweise
19 Berechnet nach: Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften: Historische Sozialforschung, Bd. 4, 2013, S. 29. Institut der deutschen Wirtschaft: Deutschland in Zahlen 2011, S. 131 u. 2014, S. 129. 20 Ebenda. 21 Statistisches Bundesamt/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Hrsg.): Datenreport. 2016. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2016, S. 143.
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hohen Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnbereich. Dieser lag 2014 in den alten Ländern bei 18,0 %, in den neuen bei 36,8 %, war also doppelt so hoch. 22 Ein zweiter Grund war die in den neuen Bundesländern deutlich höhere Arbeitslosigkeit. Sie hatte Ende 1990 bei einer dreiviertel Million und im Jahresdurchschnitt 1991 bei einer Million gelegen. Die Zahlen waren von den Experten auf die – wie es beschwichtigend hieß – „Anpassung der Wirtschaftsstruktur“ zurückzuführen. „Dadurch wurden zunächst mehr Arbeitskräfte freigesetzt als neue eingestellt.“ 23 Doch die Zahl der Arbeitslosen blieb in den folgenden Jahren nicht nur hoch. Sie stieg bis 1998 auf 1,5 Millionen an, was einer Quote von 17,8 % entsprach, und bewegte sich danach konstant auf relativ hohem Niveau. 24 Als Ursache für die große Anzahl der Niedriglohner benannte Ralf Himmelreicher, Soziologe an der Freien Universität Berlin, die „starke Erosion der Tarifbindung“: „In Ostdeutschland wird nur noch jeder dritte Beschäftigte nach Tarif bezahlt, im Westen mehr als jeder zweite.“ 25 Niedrigere Löhne und höhere Arbeitslosigkeit haben auch den prognostizierten Abbau der Vermögensunterschiede zwischen Ost und West verhindert. Das war enttäuschend, denn die Vermögensangleichung hatte zweifellos im Kalkül der ostdeutschen Wähler gelegen, als sie den Parteien, die die rasche Wiedervereinigung anstrebten, ihre Stimme gaben. Die Vermögensungleichheit 26 belief sich im Jahre 2002 auf 53.000 Euro. 10 Jahre später hatte sich die Differenz nicht verringert. 27 Der höhere Anteil von Niedriglöhnern und von Arbeitslosen führte im Osten zu einer deutlich höheren Armutsquote als im Westen. Sie lag um 2000 mit 15,1 % um 3,4 Prozentpunkte höher. Bis 2012/2014 ist diese Quote weiter angestiegen, auf 18,9 % und damit die Differenz auf 5,8 Prozentpunkte. 28 Sichtbar schlägt sich die höhere Armutsquote im Osten u. a. in der Ausstattung der Haushalte nieder. Annähernd gleich war diese 2015 nur bei Geschirrspülmaschinen und Mikrowellengeräten; deutlich geringer bestückt – zu zwei Dritteln bis zur Hälfte des Westniveaus – waren die Haushalte zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen dagegen mit Gefrierschränken, Wäschetrocknern und Kaffeevollautomaten. 29 Angesichts des Rückstands auf materiellem und finanziellem Gebiet wird die Enttäuschung der Ostdeutschen über das Land, für das sie sich 1990 mehrheitlich erklärt haben, weil sie den Versprechungen westdeutscher Politiker, auch im Osten „blühende Landschaften“ zu schaffen, geglaubt hatten, verständlich. Die Enttäuschung fand vor allem in der Unzufriedenheit mit der bundesdeutschen Demokratie ihren Ausdruck. 37 % der Ostdeutschen verneinten laut Umfragen des Allensbacher Instituts für Meinungsforschung aus dem Jahre 2008 den Satz „Demo22 23 24 25 26 27 28 29
Ebenda, S. 147. Ebenda, S. 135. Ebenda. Ebenda, S. 335. Gemessen als Mittelwert des individuellen Nettovermögens ab 17 Jahre in Privathaushalten. Statistisches Bundesamt/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung…, a.a.O., S. 192. Ebenda. Ebenda, S. 160.
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kratie ist die beste Staatsform“ im Unterschied zu nur 15 % der befragten Westdeutschen. Grundsätzlich änderte sich an diesen Auffassungen im folgenden Jahrzehnt nichts. Ihre „Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland“ äußerten 2015 mit großer Mehrheit (77 %) die Westdeutschen, dagegen nur eine Minderheit (47 %) der Ostdeutschen. 30 Dass es eine bessere Staatsform als die bundesdeutsche Demokratie gäbe, davon waren 22 % der Ostdeutschen überzeugt, dagegen nur 6 % der Bewohner der westlichen Bundesländer. 31 Ein wichtiger Kritikpunkt der Ostdeutschen an der bundesdeutschen Demokratie ist, dass sie offensichtlich nicht in der Lage ist, eine gerechte Verteilung des Wohlstandes im Lande herbeizuführen. Während laut Umfragen zwischen 1996 und 2014 zwei Drittel der Westdeutschen die Verteilung des Wohlstandes, gemessen an ihrer Arbeitsleistung, für gerecht hielten, teilte nur ein Drittel der Ostdeutschen diese Auffassung. 32 Bis in die Gegenwart zu verzeichnende deutliche Unterschiede im Denken der West- und Ostdeutschen haben Befragungen auch hinsichtlich der Rolle, die der Staat in der Gesellschaft spielen soll, erhalten. Während Einigkeit in Ost und West darüber herrscht, dass der Staat dafür sorgen muss, dass man „auch bei Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter ein gutes Auskommen hat“, geht die Meinung zwischen Bewohnern der alten und der neuen Bundesländer bezogen auf die Feststellung „Der Staat sollte Maßnahmen ergreifen und Unterschiede in den Einkommen reduzieren“ deutlich auseinander. Fast neun Zehntel (87 %) der Ostdeutschen bejahten diesen Satz in einer Umfrage 2014, dagegen nicht einmal drei Viertel (70 %) der Westdeutschen. 33 Angesichts dieser Bewusstseinsunterschiede zwischen Deutschen in Ost und West verwundert es nicht, wenn 73 % der Ostdeutschen auch heute der Auffassung sind, „Sozialismus ist eine gute Idee, die schlecht ausgeführt wurde“ – eine Meinung, der deutlich weniger, aber immerhin auch 46 % der Westdeutschen zustimmen. 34 Auch mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung hat die Mehrheit der Ostdeutschen ihren Optimismus von 1990 hinsichtlich der Teilnahme an der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft bzw. Wohlstandsentwicklung nicht wiedergefunden. So erwarteten im Jahre 2012 83 % der Ostdeutschen, dass in der nahen Zukunft eine Verschlechterung der Situation für die einfachen Leute – zu denen sich die große Mehrheit der Ostdeutschen zählt – eintreten wird. 35 Ob die Gegenwart betrachtend oder zukunftsbezogen: Die Ostdeutschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer materiellen Situation und ihres Denkens signifikant von ihren westdeutschen „Brüdern und Schwestern“. Die im ersten Halbjahr 1990 überall in Deutschland verbreitete Losung, dass nun „zusammenwachsen wird, was zusammengehört“, hat sich als tragischer Irrtum erwiesen. Die öko30 31 32 33 34 35
Ebenda, S. 411. Ebenda, S. 408. Ebenda, S. 422. Ebenda, S. 414. Ebenda, S. 411. Ebenda, S. 423.
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nomische Transformation hat zu einer Vereinheitlichung der Eigentumsstrukturen geführt, nicht aber zur Angleichung auf sozialem Gebiet und damit nicht zur gesellschaftlichen Integration der Ostdeutschen in die westdeutsche Gesellschaft, d. h. nicht zur 1990 erwarteten sozialen und geistigen Einheit. 3. EX-DDR UND SÜDAFRIKA ZWEIEINHALB JAHRZEHNTE NACH DEM BEGINN DER TRANSFORMATION: GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE So wie sich die Mehrheit der Ostdeutschen vom mit der Wiedervereinigung eingeleiteten Transformationsprozess eine Angleichung an das „Westniveau“ in allen gesellschaftlich prägenden Bereichen versprach, so hoffte auch die größte Gruppe der südafrikanischen Bevölkerung, die Zulu, die Xhosa und die anderen Schwarzen, zusammen 80 % der Gesamtbevölkerung des Landes 36, vom Transformationsprozess eine Angleichung in Bezug auf politische Rechte, den materiellen Lebensstandard und die sozialen Errungenschaften, die bis 1990 nur die weißen Südafrikaner (9 % der Bevölkerung) genossen hatten. Die regierungsseitigen Voraussetzungen dafür schienen gegeben, als der nach Beendigung des ApartheidRegimes 1990 aus der Haft entlassene Xhosa Nelson Mandela, Haupt des ANC, nach einem überwältigenden Wahlsieg 1994 zum Chef der neuen südafrikanischen Regierung wurde. Mandela wurde zur Integrationsfigur, deren Leitmotiv die Versöhnung zwischen den Rassen war. Er „sah sich nach seiner Wahl stets als Präsident aller Südafrikaner unabhängig von Hautfarbe und politischer Zuordnung.“ 37 Unter Mandela feierte sich das Land als „Regenbogennation“, in der fortan Menschen jeder Hautfarbe gleich gut und würdevoll leben können. Auch Mandelas Nachfolger, die ANC-Politiker Mbeki, Zuma und Ramaphosa, behielten den von Mandela eingeschlagenen Kurs grundsätzlich bei. Doch was von der schwarzen Bevölkerung erhofft wurde, was die Regierungen versprochen hatten und was von den meisten Südafrikanern erwartet worden war, trat innerhalb der folgenden zweieinhalb Jahrzehnte nur auf politischem Gebiet ein, wo seit 1994 auf der Grundlage gleichberechtigter Stimmenabgabe aller Südafrikaner eine schwarze Elite die Macht verwaltet. Auf sozialem Gebiet und im gesamtgesellschaftlichen Kontext aber blieb die Gleichheit aus, kam nicht einmal eine nennenswerte Annäherung zustande. Noch zwei Jahrzehnte nach dem Machtwechsel verdienten hellhäutige Südafrikaner im Schnitt mehr als fünfmal so viel wie dunkelhäutige. Der Anteil des Fünftels der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen am Gesamteinkommen, ganz überwiegend Weiße, belief sich im Jahre 2000 auf 62,7 %. Bis 2011 stieg er weiter auf 68,2 %. Der Anteil des Fünftels der Bevölkerung mit dem geringsten Einkommen, fast ausschließlich Nichtweiße, 36 Angaben nach der Zählung von 2011 in: Löchel, Christin (Hrsg.): Der Neue Fischer…, a.a.O., S. 430. 37 Schleicher, Hans-Georg: Ein Versöhner par excellence, in: Neues Deutschland, 15.– 18.03.2018.
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belief sich auf 3,1 % bzw. 2,5 % des Gesamteinkommens aller Südafrikaner. 38 Arbeitslos sind vor allem Schwarze. Die offizielle Arbeitslosenrate lag in Südafrika 2005 bei 26 %. „Zählte man all jene mit, die die Hoffnung auf einen Job schon aufgegeben hatten“, schätzt Dani Rodrik, Professor für internationale Politische Ökonomie von der Havard-Universität (USA) ein, dann liege die Arbeitslosenrate „nahe an 40 Prozent“. Am stärksten von der Arbeitslosigkeit betroffen, schreibt Rodrik, sind, „wie nicht anders zu erwarten, junge Schwarze ohne berufliche Bildung“. 39 Die Weißen stellen trotz ihres kleinen Bevölkerungsanteils die größte Gruppe Studierender an den führenden Universitäten des Landes. Sie erfreuen sich auch einer um 16 Jahre höheren Lebenserwartung. 40 Mit anderen Worten: Die von den Nach-Apartheid-Präsidenten versprochene Chancengleichheit aller Bürger ist nicht eingetreten. Das hat weitreichende soziale Folgen: Eine davon ist die weiter existierende, sich teilweise sogar noch ausdehnende Gentrifizierung, d. h. das Leben der Rassen voneinander getrennt in gut ausgestatteten (ganz überwiegend die Weißen) und schlechter ausgestatteten Stadtvierteln (die Schwarzen). Diese Trennung war unter dem Apartheid-Regime 1950 im „Group of Areas Act“ administrativ eingeführt worden. Den Bestimmungen dieses Gesetzes gemäß wurden Städte bzw. Stadtviertel nach Hautfarbe aufgeteilt und durch Umsiedlungen „bereinigt“. Das diskriminierende Gesetz wurde mit dem Ende der Apartheid aufgehoben. Die Segregation nach Rassen lebt aber wegen der Wirksamkeit der subtilen Mechanismen von Angebot und Nachfrage, auf Grund der Differenzierung der Einwohner nach Kaufkraft fort. Kein Wunder, dass die schwarze Bevölkerung von „neuer Apartheid“ spricht. 41 Den nach 1994 amtierenden ANC-Regierungen ist der Vorwurf zu machen, dass Geld und Wille fehlten, eine grundlegende Umverteilung der Einkommen vorzunehmen. Selbst für Mandela hatte angesichts zeitweise zurückgehender wirtschaftlicher Wachstumsraten – zwischen 2009 und 2014 lagen sie zwischen 3,2 % und 1,5 % 42 – die Anpassung der südafrikanischen Ökonomie an die Bedingungen weltweiter Konkurrenz Vorrang. Ja, der von den Weißen kontrollierte Sektor der Wirtschaft wurde durch die stärkere Integration Südafrikas in die globale Ökonomie noch gestärkt. Da hilft es wenig, zu wissen, dass eine kleine Gruppe von Schwarzen in Regierungsnähe – teilweise durch Korruption, wie der Vorwurf auch an Präsident Zuma lautete 43 –, reich geworden ist so wie Präsident Ramaphosa, dem es gelang, vom früheren Gewerkschafter und Anti-ApartheidAktivisten zum milliardenschweren Unternehmer aufzusteigen. 44 Im Ergebnis der 38 Matthes, Helmut: Das subsaharische Afrika ein halbes Jahrhundert nach der kolonialen Befreiung, in: Forschungsinstitut der Internationalen Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik (IWVWW) (Hrsg.) Berlin, Bericht Nr. 209, August–Dezember 2015, Berlin S. 57, 75. 39 Rodrik, Dani: Das Globalisierungsparadox. Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft, Bonn 2011, S. 236. 40 Lill, Felix: Smarte Ausgrenzung, in: Neues Deutschland, 24.05.2018. 41 Ebenda. 42 Vgl. Matthes, Helmut: Das subsaharische Afrika…, a.a.O., S. 57. 43 Vgl. Selz, Christian: Korruptionsprozess gegen Zuma, in: Neues Deutschland, 7.–9.12.2017. 44 Ling, Martin: Besser wirtschaften mit Ramaphosa, in: Neues Deutschland, 20.12.2017.
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weiterhin existierenden sozialen Diskriminierung wissen heute viele Schwarze nicht, was für sie schlechter ist: die Apartheid von damals oder die neoliberale kapitalistische Gesellschaft Südafrikas von heute. 45 Die geschilderte Entwicklung macht gewisse Gemeinsamkeiten zwischen der Transformation in Südafrika und Ostdeutschland deutlich: Auch in Südafrika hat es die politische Elite wie in Deutschland zugunsten der Verfolgung neoliberaler Paradigmen in der Wirtschaft versäumt, den sozialen Ausgleich zu fördern. Es ist deshalb keineswegs verwunderlich, dass das seit der Präsidentschaft Mandelas unter dem Slogan „Regenbogennation“ verfolgte Ziel, die gesellschaftspolitische Einheit zwischen Südafrikanern jeglicher Hautfarbe herzustellen, nicht realisiert werden konnte, dass die soziale Angleichung ausblieb und dass von einer angenäherten oder gar prinzipiell einheitlichen Lebens-, Denk- und Handlungsweise dunkel- und hellhäutiger Südafrikaner nicht die Rede sein kann. Die Schlussfolgerung aus beiden Transformationsgeschehen ist m. E. eindeutig: Die Wirtschaftsentwicklung in Transformationsperioden darf im ökonomischen Bereich nicht allein den Gesetzen von Plan und Markt unterworfen sein. Wenn die Politiker halten wollen, was sie zu Beginn des Transformationsprozesses an Angleichung der Lebensweise der Bürger versprochen haben, dann muss der Staat auch im Bereich der Wirtschaft für alle sozialen Gruppen eine Politik der Chancenangleichung verfolgen, darf auf Intervention zugunsten dieses Ziels nicht verzichten.
45 Lill, Felix: Smarte Ausgrenzung…, a.a.O.
VERFLOCHTENE DREIECKSBEZIEHUNGEN: OSTDEUTSCHE UND KUBANER IN ANGOLA Berthold Unfried
1. PROLOG Durch die Aufnahme außereuropäischer Mitglieder – in diesem Beitrag geht es um Kuba (1972) – wurde die europäische ökonomische Organisation der sozialistischen Staatengemeinschaft, der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), zu einer Entwicklungsorganisation. 1 Die Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung hatten 1962, als die Mongolei als erstes außereuropäisches Mitglied aufgenommen war, eine Angleichung des Entwicklungsniveaus der RGW-Länder als Zielsetzung festgelegt. 2 Die Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten liefen auf einer bilateralen, zweiseitigen Ebene ab, d. h., in der Regel traten die einzelnen Staaten, in unserem Fall die Sowjetunion (SU) oder die DDR, als Vertragspartner Kubas auf und nicht der RGW als Organisation. Eine gewisse Ausnahme war Angola, selbst nicht RGW-Mitglied, in dem eine multilaterale, mehrseitige Zusammenarbeit zwischen verschiedenen RGW-Mitgliedsstaaten stattfand und der RGW sogar als Vertragspartner auftrat. Im Fokus dieses Beitrags sollen Dreiecksbeziehungen zwischen der DDR, Kuba und Angola stehen. Dieser Fokus soll nicht die Rolle der SU aus dem Blickfeld fallen lassen. Die SU war neben Kuba der wichtigste Partner Angolas. Die SU war für die Militärhilfe zuständig. Sie sandte Berater und Waffen. Sie war aber auch in einer Reihe von zivilen Sektoren tätig. 1977 befanden sich 500 zivile SU-Spezialisten in Angola, darunter Regierungsberater und Planungsspezialisten. 3 Ihre Rolle in Angola war essenziell. Wenn in diesem Beitrag nicht von Vierecksbeziehungen die Rede ist, so liegt das nur an der Quellengrundlage. Die SU wird in den Archivmaterialien der DDR nur indirekt sichtbar. Die Literatur zum Thema ist umgekehrt proportional zu der Bedeutung Angolas für das Sozialistische Weltsystem. Zwar gibt es mittlerweile eine reiche Litera1 2 3
Dieser Beitrag ist ein Ergebnis des vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), Wien, geförderten Forschungsprojekts „Entsandte Expert/inn/en von Entwicklungshilfe und Sozialistischer Hilfe in Zeiten der Systemkonkurrenz“. Fritsche, Klaus: Sozialistische Entwicklungsländer in der „internationalen sozialistischen Arbeitsteilung“ des RGW. Zum Forschungsstand, Köln 1991, S. 14 Genosse Koschelew auf der 109. EKA-Tagung (1984), BA Berlin DL 2/12798
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tur zu der militärischen Seite dieser Auseinandersetzung der letzten Phase des Kalten Kriegs 4, doch steht dem keine adäquate Literatur zu der massiven zivilen Hilfe von RGW-Ländern für Angola gegenüber. 5 Deswegen muss sich dieser Beitrag über weite Strecken auf Archivmaterial stützen. Dieses Material ist allerdings neu und erlaubt neue Einsichten in das Verhältnis der RGW-Länder Kuba und DDR (sowie indirekt auch der SU) zu Angola. Quellenorientiert ist dieser Beitrag im Sinne des Jubilars: nicht modische Theorien, sondern das Material aus den Archiven zur Grundlage zu nehmen. Damit wird dem Jubilar ein Strauß aus den Archiven präsentiert, dem er selbst einen Platz im Garten seiner Forschungen zu den Beziehungen der DDR zu afrikanischen Staaten 6 geben mag. Dieser Beitrag zur inter-kontinentalen Verflechtungsgeschichte des RGW soll Anstoß zu weiteren Forschungen sein, die dieses weitgehend unbepflanzte Feld erblühen lassen mögen. 2. RAHMENBEDINGUNGEN ZUM ZEITPUNKT DER UNABHÄNGIGKEIT ANGOLAS 1975 Mit dem Abzug der portugiesischen Kolonialverwaltung, der Siedler, Plantagenbesitzer, Spezialisten und Facharbeiter, im Zuge der Entlassung Angolas in die staatliche Unabhängigkeit, brach die Kolonialwirtschaft in der ehemaligen portugiesischen Kolonie zusammen. Außerdem begannen die drei Unabhängigkeitsbewegungen MPLA, FNLA und UNITA einen Krieg um die Macht im Land, der den Rest der Infrastruktur zerstörte und lahmlegte. Angola befand sich in der gesamten Periode der Zusammenarbeit mit den RGW-Ländern im Krieg. Dieser Krieg in mehreren Runden gegen rivalisierende nationale Befreiungsbewegungen, v. a. die von den USA unterstützte UNITA, sowie gegen südafrikanische Interventionstruppen bedrohte die Existenz der MPLA-Regierung und machte sie auf allen Ebenen abhängig von der Unterstützung der RGW-Länder. Die dringlichste Aufgabe in der Zielsetzung, die linksgerichtete Regierung in Luanda am Leben zu erhalten, war neben militärischer Unterstützung die Substituierung des abgezogenen portugiesischen Personals. Die DDR spielte in Angola nur die drittwichtigste Rolle – hinter der SU und v. a. Kuba, das mit Zehntausenden Soldaten und Tau4
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Zuletzt die beiden monumentalen, auf kubanisches Archivmaterial gestützten Bände von Gleijeses, Piero: Conflicting Missions. Havana, Washington, and Africa, 1959–1976, Chapel Hill et al. 2002; ders.: Visions of Freedom. Havana, Washington, Pretoria, and the Struggle for Southern Africa, 1976–1991, Chapel Hill 2013; in letzterem Buch gibt Gleijeses auch einige Einblicke in die zivile Kooperation Cuba-Angola. Eine Ausnahme ist das Buch von Hatzky, Christine: Kubaner in Angola. Süd-SüdKooperation und Bildungstransfer 1976–1991, München 2012; zur DDR und Angola: Husemann, Bettina/Neumann, Annette: DDR–VR Angola. Fakten und Zusammenhänge zur bildungspolitischen Zusammenarbeit von 1975 bis 1989, in: van der Heyden, Ulrich/Schleicher, Hans-Georg/Schleicher, Ilona (Hrsg.): Engagiert für Afrika – die DDR und Afrika II, Münster et al. 1994, S. 158–178. Angola fehlt in der Reihe der von van der Heyden herausgegebenen Bände zur DDR und Afrika als Länderschwerpunkt.
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senden zivilen Helfern den Aufbau des Staats maßgeblich betrieb. In vieler Hinsicht war Kuba die führende Kraft in der Zusammenarbeit des RGW mit Angola. Die Kubaner bildeten das Rückgrat der internationalen Unterstützung der MPLA. Sie waren (1975) die ersten, die nach Angola kamen, und (1991) die letzten, die Angola verließen. Die DDR war der wichtigste sozialistische Wirtschaftspartner Angolas auf der Ebene der Außenhandelsbeziehungen. Sie entsandte zur Stützung der Wirtschaftsbeziehungen ihre ganze Palette von Beratern, Spezialisten und Freundschaftsbrigadisten, allerdings in Hunderten und nicht in Tausenden wie Kuba. Außerdem bildete sie Angolaner in der DDR aus und entfaltete einen, wenn auch kleinen, Teil ihres Vertragsarbeiterprogramms mit Angola. Doch entwickelten sich in Angola auch vielfältige Formen mehrseitiger Zusammenarbeit. Ein Beispiel ist die weiter unter beschriebene dreiseitige Zusammenarbeit Angola-Kuba-DDR im Kaffeesektor. Angola war das einzige NichtMitgliedsland des RGW, in dem der RGW als Organisation (und nicht nur seine einzelnen Mitgliedsländer auf bilateraler Ebene) seit 1987 als Partner eines „Gemeinsamen Wirtschaftsausschusses“ auftrat, wenn dieser auch keine große Aktivität entfaltete. In Angola wurde auf Initiative der großen RGW-„Geber“ zumindest eine Koordinierung der Aktivitäten der einzelnen Mitgliedsländer des RGW versucht. Zwischen einzelnen Ländern fand eine mehrseitige Zusammenarbeit statt. Deswegen ist die Geschichte der DDR in Angola auch die Geschichte ihrer Zusammenarbeit mit Kuba und der SU in Angola. Die MPLA-Regierung lehnte sich eng an das sozialistische Weltsystem an, schaffte es jedoch nicht, in seine wirtschaftliche Organisation, den RGW, aufgenommen zu werden. In dieser Situation einer Systemkonfrontation – durch die Intervention der SU und der USA – ist es bemerkenswert, dass Angola trotz der massiven Hilfe der RGW-Länder den überwiegenden Teil seiner Handelsbeziehungen mit der nichtsozialistischen Welt führte. Die DDR war 1984 der wichtigste Wirtschaftspartner Angolas unter den RGW-Ländern im zivilen kommerziellen Bereich, nahm jedoch insgesamt unter den Wirtschaftspartnern Angolas nur den 6. Platz ein. 7 Zudem befand sich zu jeder Zeit eine beträchtliche Anzahl von Beratern und Spezialisten aus dem (in DDR-Diktion) „Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ (NSW) im Land. Angola bestritt einen Großteil seines Staatshaushalts aus Einnahmen aus Joint Ventures mit US-Erdölförderunternehmen. Nach DDR-Angaben kamen mehr als 2/3 der Haushaltseinnahmen aus dem Ölsektor. 8 Angola war also der klassische Fall einer Extraktionsökonomie. Der zentrale Erdölsektor wurde nicht etwa verstaatlicht, sondern eine Kooperation mit den Förderunternehmen Gulf Oil und Texaco etabliert. 9 Die aus dieser Kooperation generierte externe Rente bildete die 7 8 9
Information über den Stand der ökonomischen Zusammenarbeit der DDR mit der VR Angola, Berlin 20.11.1985, Bundesarchiv (BArch) Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) DY 3023/1464, fol. 294. Stv. des Vorsitzenden der SPK/Dr. Herbert Niederberger, Luanda 4.1.1978, BArch Berlin, SAPMO DY 3023/1463, fol. 173. Ottaway, David/Ottaway, Marina: Afrocommunism, New York/London 1981, S. 118–119.
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finanzielle Existenzgrundlage der „Volksrepublik Angola“, die sich nach Eigendefinition und nach Einschätzung ihrer RGW-Protektoren auf einem „sozialistischen Entwicklungsweg“ befand. Diese seltsame Symbiose sicherte die finanzielle Basis des MPLA-Regimes im Kampf gegen die von den USA unterstützten Konkurrenzbewegungen und auch sein Überleben nach dem Abzug der Kubaner und der sowjetischen Berater sowie dem Ende der DDR. 3. DIE KUBANISCHE INTERVENTION Die ersten, die zur Stelle waren, als der Vormarsch der konkurrierenden Unabhängigkeitsbewegungen FNLA und UNITA der MPLA in der Hauptstadt Ende 1975 die Lebensader abzudrehen drohte, waren die Kubaner. Der massive Einsatz kubanischer Truppen entschied die militärische Situation zugunsten der MPLA. Auf den Fuß der Militärs folgten kubanische Spezialisten: Lehrpersonal, Kaffeespezialisten, Hühnerzüchter, Zitrusfrüchteexperten, Transport- und Bauingenieure und -arbeiter. Ein ziviles Notprogramm sollte die portugiesische Kolonialverwaltung und Experten substituieren und die Wirtschaft wieder in Gang bringen. Der entscheidende Beitrag Kubas bestand in der militärischen Unterstützung, der Unterstützung im Bildungs- und im Gesundheitssektor sowie in der Bildung von mehreren Tausend Angolanern und Angolanerinnen in Kuba. Über Tausend Angolaner/innen erhielten ihre Schul- oder höhere Bildung auf der Isla de la Juventud in Kuba, einige Hundert in der DDR. 10 Nach der militärischen Absicherung der MPLA-Regierung in Luanda (Operación Carlota, November 1975–April 1976) ging es um den Aufbau von Sektoren der Wirtschaft. Alles wurde von Kuba gebracht, erinnert sich Santiago Castro, der 1976 mit dem Aufbau von Hühneraufzuchtbetrieben in Angola beauftragt wurde: Eier im Inkubator sowie das gesamte Personal vom Schlächter über die Fütterungsspezialistinnen bis zu den Hühnerbatteriedirektoren. 11 Das mit Abstand wichtigste Gebiet der kubanischen Zusammenarbeit mit Angola war die Personalentsendung. Neben den kriegsentscheidenden Soldaten schickte der kubanische Staat Tausende zivile „Internationalisten“ (Internacionalistas): 1982 arbeiteten in Angola 5.000 Kubaner/innen, davon 1.500 in der Volksbildung, 400 Ärzte, weitere 180 im Gesundheitssektor, 200 Landwirtschaftsspezialisten, 120 im Hochschulsektor. 12 Während die Experten aus den europäischen 10 Kuba: Gleijeses, Piero: Visions of Freedom..., a.a.O., S. 86; Unfried, Berthold/Martínez, Claudia: El Internacionalismo, la Solidaridad y el interés mutuo. Encuentros entre cubanos, africanos y alemanes de la RDA, in: Estudos Históricos, Nr. 61, Lissabon 2017, S. 425–447, online unter: http://bibliotecadigital.fgv.br/ojs/index.php/reh/article/view/68804/68285 (letzter Zugriff 01.06.2019); zu den angolanischen Studenten in der DDR s. die (durchwegs negativen) Berichte ihrer DDR-Sprachvorbereitungslehrer in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin (PAA), MfAA C 1842. 11 Gespräch mit Santiago Castro Mesa, La Habana 28.10.2015. 12 Vermerk über die Tagung der Handelsräte der ML RGW in der VRA am 22.4.1982, BArch Berlin DL2/10624
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RGW-Ländern meist als Berater oder Ausbildner tätig wurden, arbeiteten die Kubaner/innen auch operativ, d. h., die Lehrerinnen unterrichteten angolanische Kinder an Stelle des fehlenden angolanischen Lehrpersonals. Diese Personalbereitstellung hielt den angolanischen Staat am Leben oder, besser gesagt, half maßgeblich, ihn überhaupt erst aufzubauen. Weniger erfolgreich war der wirtschaftliche Aufbau. Die kubanischen Kaffeeund Zitrusspezialisten konnten die landwirtschaftliche Produktion unter den widrigen Umständen des Kriegs nicht wirklich wieder in Gang bringen. Ein Versuch, die von den portugiesischen Pflanzern zurückgelassenen Kaffeeplantagen als Staatsfarmen unter kubanischer Beteiligung zu führen, scheiterte. 13 Auch kubanische Zuckerspezialisten waren in Angola tätig. 14 Kuba lieferte 70.000 t Zucker zu kommerziellen (also nicht Vorzugs-) Bedingungen und gegen Direktzahlung, gewährte hingegen einen Kredit über 15 Mio. USD für den Schulbuchdruck. 15 In diesem Dokument ist die Rede davon, dass Kuba bis zu diesem Zeitpunkt (1982) keine Importe aus Angola getätigt hatte. In der Literatur finden sich hingegen Angaben, dass Kuba geringe Mengen Kaffee in Angola kaufte – offenbar aus Lagerbeständen – und dafür den Weltmarktpreis zahlte. 16 Jedenfalls waren die kommerziellen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Kuba und Angola in einer vernachlässigbaren Größenordnung. Die massive politischmilitärische Unterstützung Kubas schlug sich nicht auf der Ebene der wirtschaftlichen Beziehungen nieder. Kuba hatte zwar im Rahmen einer eigenen Zivilverwaltung, die ökonomische Strukturen unterhielt (Oficina económica), auch eine Handelspolitische Abteilung (HPA) in Angola und Verträge über wirtschaftliche Handelsbeziehungen. Doch war der Anteil Kubas am kommerziellen Handel (neben der SU) im Verhältnis zu den anderen Aktivitäten in Angola am geringsten unter den RGW-Ländern. Der Handel war sicher nicht die Stärke der Kubaner. Die Dreiecksbeziehung zwischen der SU, Kuba und Angola war alles andere als konfliktfrei. Zwischen den sowjetischen Militärberatern und dem kubanischen Truppenkommando gab es massive strategische Differenzen. 17 Die inneren Fraktionierungen innerhalb der MPLA, die im Mai 1977 in blutigen Auseinandersetzungen explodierten, hatten in der SU und Kuba Verbündete auf unterschiedlichen Seiten. Doch im Großen und Ganzen funktionierte die Zusammenarbeit in einer Weise, die Angola zu einem Schaustück der inter-kontinentalen Assistenzleistung des RGW in Afrika machten. Die Achse Kuba–SU war entscheidend für die politische und personelle Kooperation der RGW-Länder mit Angola.
13 Ottaway, David/Ottaway, Marina: Afrocommunism…, a.a.O., S. 121. 14 Wolfers, Michael/Bergerol, Jan: Angola in the Frontline, London 1983, S. 145. 15 Vermerk über die Tagung der Handelsräte der ML RGW in der VRA am 22.4.1982, BArch Berlin DL2/10624 16 Wolfers, Michael/Bergerol, Jan: Angola…, a.a.O., S. 145. 17 Wie Gleijeses, Piero: Visions of Freedom..., a.a.O., bes. S. 343–378, gezeigt hat.
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4. ANGOLA UND DER RGW Schon 1976 hatte eine RGW-Expertengruppe nach einer ausgedehnten Reise nach Angola die Entsendung von rd. 900 Spezialisten aus den RGW-Ländern programmiert. Die Angolaner hatten um nicht weniger als 10.000 Arbeitskräfte ersucht, die operativ (und nicht nur beratend oder ausbildend) tätig werden sollten. Deren Zahl sollte sich binnen 5 Jahren auf bis zu 30.000 steigern. 18. Bis 1979 wurde zwar nicht diese angeforderte Zahl, aber immerhin mehr als 6.000 Spezialisten entsandt, berichtete der RGW-Generalsekretär Faddejew. 19 In diesem Rahmen war ein Programm für die Zusammenarbeit von RGW-Ländern und Jugoslawiens mit Angola auf dem Gebiet der Landwirtschaft ausgearbeitet worden. Seit 1978 wurden im Rahmen dieses Plans bis 1981 rd. 3.000 Traktoren nach Angola geliefert. 20 Die RGW-Länder sollten also im Wesentlichen die Rolle der portugiesischen Kolonisatoren übernehmen. Das überforderte sie gewaltig. Die Angolaner beschwerten sich, dass die zugesagten RGW-Projekte nicht realisiert würden. 21 Kuba übernahm in der Folge den Hauptteil der personellen Hilfe. Die Kubaner, darunter viele Kubanerinnen, arbeiteten zu Konditionen in Angola, zu denen die Ostdeutschen in der Regel nicht bereit waren. Die „angolanischen Genossen“ seien verwundert über die „hohen Anforderungen an Wohn- und Lebensbedingungen“ für die Freundschaftsbrigaden der FDJ, berichtete der Generalsekretär im Außenministerium der DDR 1977 nicht ohne Sympathie für die angolanische Seite. „Die koreanischen und kubanischen Genossen hätten solche Forderungen nicht gestellt.“ 22 Beschwerden über Essen, eintönige und DDR-unübliche Mahlzeiten, nur Nudeln oder nur gebratenes Wildfleisch oder nur Fisch ohne etwas Anderes dazu, sind bei Freundschaftsbrigadisten wie bei Facharbeitern aus der DDR in Angola 1977 dokumentiert. Die Unzufriedenheit über die kargen Lebensbedingungen führte dazu, dass die Hälfte der Freundschaftsbrigade in Gabela erwog, nach dem Urlaub in der DDR den Einsatz abzubrechen 23 – trotz aller politischer Solidarität und trotz der Möglichkeit, einen Teil des Taschengelds in Devisen ausbezahlt zu bekommen. Die DDR-Verantwortlichen hatten auch andere Vorstellungen von Kaderschutz als ihre angolanischen Kollegen. Sicherheitsprobleme in den Außenkollektiven führten
18 Aktivitäten der DDR im Rahmen der Beziehungen RGW-VR Angola, BArch Berlin DL2/10624. Die Zahl von 900 Spezialisten schloss offenbar die kubanischen Spezialisten, die ja schon vor Ort waren, nicht ein. 19 Niederschrift über ein Gespräch des Sekretärs des RGW, N. Faddejew mit dem Mitglied des Politbüros, dem Sekretär des ZK der MPLA-Arbeiterpartei, dem Minister für Planung der VR Angola, José Eduardo dos Santos, 28.6.1979, BArch Berlin DL2/10624. 20 Min. f. Landwirtschaft Manuel Pacavira an N.W. Faddejew, Luanda 21.3.1981, BArch Berlin DL2/10624. 21 Vermerk über eine Beratung der Handelsräte des RGW am 27.11.1980, Luanda 2.12.1980, BArch Berlin DL2/10624. 22 MfAA/Generalsekretär B. Neumann, Information über die Reise einer Delegation des MfAA in die Volksrepublik Angola, Berlin 1.9.1977, BArch Berlin, SAPMO DY 3023/1463, fol. 37. 23 Wiedergegeben in: BArch Berlin, SAPMO DY 3023/1463.
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zu Spannungen mit dem angolanischen Partner wegen Nichtarbeit. Diese Sicherheitsmaßnahmen würden als Vertragsverletzungen wahrgenommen. 24 An diesen beiden Beispielen zeigt sich das Gefälle zwischen den materiellen Ansprüchen von Ostdeutschen und Kubanern in Angola. Die Kubaner waren anspruchsloser, billiger und in den Augen der Angolaner unkomplizierter, was ihre Sicherheitsansprüche betraf. Der RGW war keine supranationale Organisation, die als eigenständiger Akteur aufgetreten wäre. Er konnte im Idealfall die Tätigkeit ihrer Mitglieder koordinieren, doch blieben das bilaterale Beziehungen SU–Angola, DDR–Angola usw. Die Koordinierung der Zusammenarbeit der ML/RGW mit Angola wurde einer „Ständigen Arbeitsgruppe beim EK des RGW“ übertragen. 25 Die HPA der DDR in Luanda berichtete über monatliche Zusammenkünfte der Vertreter der RGW-Länder in Angola zwecks Informationsaustausch über ihre Tätigkeit auf Initiative der DDR, der SU und Kubas seit April 1978. Eine Abstimmung der Arbeitspläne finde aber „noch nicht“ statt. 26 In der Realität überwog die NichtKoordinierung und im der Koordinierung entgegengesetzten Fall traten RGWLänder sogar als Konkurrenten auf: als Bieter für bestimmte Dienstleistungen, die ihre RGW-Konkurrenten mit dem Ziel, sie auszustechen, unterboten, oder als Bezieher von Kaffee oder Erdöl. Seit Anfang der 1980er Jahre versuchte Angola, den RGW als Organisation zusätzlich zu seinen einzelnen Mitgliedsstaaten als multilateralen Geber zu gewinnen. Angola hatte beim RGW seit Mitte der 1980er Jahre einen Beobachterstatus. 1984 äußerte Angola den Wunsch nach multilateraler Zusammenarbeit mit dem RGW. Angolas Annäherungsversuch an den RGW wurde vermutlich von Kuba als Vorsitzender der RGW-Zitrusfrüchtekommission lanciert. Kubanische Spezialisten kamen 1980 nach Angola, um sich die Zitrusplantagen anzusehen und ein Programm für ihre Rehabilitierung auszuarbeiten. 27 1987 wurde der Leiter der DDR-Delegation, der stv. Leiter der Planungskommission der DDR, Dieter Albrecht, zum Vorsitzenden der Delegation des RGW auf der 1.Tagung der Gemischten Kommission RGW-Angola bestellt. 28 Das zeigt die DDR als Befürworterin einer Kooperation mit Angola. Doch warnten die DDR-Vertreter selbst vor Hoffnungen an den RGW als multilateralen Ak-
24 Jahresanalyse über die WTZ mit der VR Angola im Jahre 1984, Luanda 15.11.1984, BArch Berlin DL2/12797. 25 Aktivitäten der DDR im Rahmen der Beziehungen RGW-VR Angola, BArch Berlin DL2/10624. 26 Botschaft der DDR/HPA in der VR-Angola, Berichterstattung zu den Ergebnissen und Problemen der Zusammenarbeit der ML RGW in der VR-Angola, Luanda 30.10.1978, BArch Berlin DL2/10624. 27 Faddejew an G. Weiss über Gespräch mit Lopo do Nascimento, 19.1.1982, BArch Berlin DL2/10624. 28 Dieter Albrecht, Information über die Ergebnisse der 1. Tagung der Gemischten Kommission für die Zusammenarbeit RGW-VR Angola v. 6.–8.5.1987 in Luanda, SAPMO Berlin, DY 3023/1464, fol. 359.
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teur. Eine Ausweitung der Kooperation über die bilaterale Ebene hinaus hielten sie für wenig realistisch: Aus den Erfahrungen der DDR in der Zusammenarbeit mit dem RGW sollte jedoch deutlich gemacht werden, dass im Interesse der zügigen Realisierung der anstehenden Probleme nicht auf multilaterale Vereinbarungen gewartet werden sollte 29,
war der Ratschlag des Vorsitzenden des Gemeinsamen Wirtschaftsausschusses (GWA) RGW–Angola. Der RGW versuchte, die Spezialistenentsendung der einzelnen Mitgliedsländer zu koordinieren und einheitliche Vergütungssätze festzulegen. Grundlage dafür waren die bilateralen Abmachungen zwischen der SU und Angola: 50 % der Bezahlung sollte in Devisen erfolgen, 50 % in angolanischer Währung. Diese RGW-Vergütungssätze würden „erheblich über den bilateral vereinbarten Vergütungssätzen“ der DDR liegen, meinte die Handelspolitische Abteilung (HPA) der DDR. Kuba schloss sich dieser Regelung nicht an, da es für seine „Internationalisten“ außer der Bereitstellung von Wohnraum und einem bescheidenen Betrag in Landeswährung nichts verlangte. 30 Die SU gewährte Mitte der 1980er Jahre eine Stundung der Zahlungen für ihre Spezialisten 31, was letzten Endes auch darauf hinauslief, dass diese nichts kosteten. Doch konnten die solcherart durch Angola kontrahierten Schulden ein potenzielles Druckmittel sein, falls Angola die politische Orientierung zu ändern versuchen würde. Um eine Regulierung der Personalentsendung durch eine angolanische Kostenbeteiligung kamen auch die RGWLänder nicht herum. Selbst Kuba, das seine Leistungen grundsätzlich kostenlos erwiesen hatte, sah sich 1978 veranlasst, Vergütungssätze in US-Dollars festzulegen. Daraufhin reduzierte der angolanische Partner die Zahl der kubanischen zivilen Spezialisten von fast 7.000 auf 4.000. 32 Schon 1978 wurde die handelspolitische Situation in Angola für die SU durch ihre Handelsvertretung als „kompliziert“ bezeichnet und sie verschlechtere sich. Die angolanischen Partner verzögerten die Prüfung der kommerziellen Angebote. Als Hintergrund vermutete die sowjetische Handelsvertretung verstärkte Kontakte zur EWG – Angola hatte Beobachterstatus nicht nur beim RGW, sondern auch bei Verhandlungen einer neuen Konvention EWG-Entwicklungsländer (Lomé). 33 Die 29 Wolfgang Rauchfuß an Günter Mittag, Hinweise für das Gespräch mit Gen. Lopo do Nascimento, Mitglied des ZK der MPLA-Partei der Arbeit, Minister für Planung der VR Angola und Vorsitzender der VRA-Seite des GWA DDR/VR Angola, Berlin 28.6.1985, SAPMO Berlin, DY 3023/1464, fol. 307. 30 Anlage 1: Beratung konkreter Vorschläge über den möglichen Umfang, die Richtungen und Formen der Zusammenarbeit der ML RGW mit der VR-Angola (1977), BArch Berlin DL2/10624. 31 MAH/Bereich EL, WTZ Angola/DDR April 1981-März 1985, Jahresanalyse 1985, BArch Berlin DL2/12797. 32 Acuerdo Especial, 5.11.1977, Wilson Digital Archive, http://digitalarchive.wilsoncenter.org/ document/117931 (19.2.2015). 33 Informationen über handelspolitische Aktivitäten in Beziehungen zu Entwicklungsländern, 1978–1981, Delegation der SU in der SKAH, o. D., Bericht über 4. Quartal 1978, BArch Berlin, DL 2/20086.
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Außenhandelspolitik Angolas sei „durch eine Erweiterung der Kontakte zu den kapitalistischen Ländern gekennzeichnet“, resümierte der sowjetische Handelsbericht ein Jahr später. EWG und USA zeigten größeres Interesse an einer Zusammenarbeit mit Angola und gewährten finanzielle Hilfe. 34 Zur selben Zeit war eine Entfremdung zwischen Angola und Kuba zu bemerken. Der kubanische Innenminister informierte 1979 Erich Mielke auf der Basis einer guten nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit dort über Angola: Es habe sich eine „antikubanische Tendenz“ entwickelt seitens von Feinden und „nicht so fortschrittlichen“ Elementen. „In einigen Fällen begünstigt durch Fehler von den Kubanern selbst. Diese Fälle sind menschlich.“ 35 Ab 1979 wurde die Bezahlung kubanischer Experten vereinbart, bis sie 1983 wieder sistiert wurde. 36 Nach dem erfolgreichen Abschluss der ersten Runde des angolanischen Bürgerkriegs und dem Tod des Gründungspräsidenten Neto versuchte die neue Führung, auf Wirtschaftsbeziehungen mit der nichtsozialistischen Welt zu orientieren. Das zeigte ein Grundmuster der Beziehungen zwischen den RGW-Ländern und Angola auf: eine politisch-militärische Dominanz, die nicht mit ökonomischer Dominanz einherging. 5. DIE DDR ALS PARTNER Die Lamberz-Initiative 1977 Wie Kuba hatte auch die DDR die MPLA schon in ihrem antikolonialen Kampf unterstützt. 37 Im Unterschied zu den Kubanern, die nach der Unabhängigkeitserklärung im November 1975 sehr schnell in dem aufflammenden Bürgerkrieg zur Stelle waren, brauchte die DDR etwas länger mit der Entsendung von Personal. Erste Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit und ein Handelsabkommen wurden 1976 geschlossen, ein Gemeinsamer Wirtschaftsausschuss erst 1978 eingerichtet. Wie in Äthiopien 38 begann die Zusammenarbeit mit großen Hoffnungen. Wie in Äthiopien gab es starke Fraktionierungen innerhalb der MPLA. Daraus ergaben sich Konflikte, die bewaffnet ausgetragen wurden. Im Mai 1977 putschte ein Flügel der MPLA unter Innenminister Nito Alves gegen den Partei- und Regierungschef 34 Informationen über handelspolitische Aktivitäten in Beziehungen zu Entwicklungsländern, 1978–1981, Delegation der SU in der SKAH, 24.9.1979 (über 1.Halbjahr 1979), BArch Berlin, DL 2/20086. 35 Notiz über ein Gespräch des Gen. Min. Erich Mielke mit dem MdI der Rep. Kuba, Gen. Sergio del Valle, 17.5.1979, 15, BSTU Berlin, Abt. X/1902. 36 Acuerdo Especial, 5.11.1977, Wilson Digital Archive, http://digitalarchive.wilsoncenter.org/ document/117931 (19.2.2015); Gleijeses, Piero: Visions of Freedom..., a.a.O., S. 327. 37 Husemann, Bettina/Neumann, Annette: DDR–VR Angola…, a.a.O., S. 158. 38 Hintergrund des Vergleichs mit Äthiopien ist mein Artikel: Friendship and Education, Coffee and Weapons. Exchanges between Socialist Ethiopia and the German Democratic Republic, in: Northeast African Studies, Nr. 1, 2016, S. 15–38.
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Agostinho Neto und wurde im Anschluss daran liquidiert. Die Kubaner stützten Neto aktiv. Es gab Gerüchte, dass Nito dagegen von der SU unterstützt worden sei. 39 Im Juni 1977 besuchte Werner Lamberz Angola. Lamberz war der Mann für Afrika innerhalb der DDR-Führung. Das war die Zeit der großen Afrika-Offensive, in der Lamberz durch „neue Formen und Methoden“ der Zusammenarbeit Handelsinteressen mit politischem Engagement der DDR in Afrika zu verflechten suchte. Lamberz hatte die Idee, den akuten Kaffeemangel in der DDR durch Lieferungen aus den befreundeten afrikanischen Staaten zu decken. Neben Äthiopien war das Angola. Lamberz verfolgte damit nicht nur ökonomische Interessen der DDR. 40 Der Kaffeebezug war ein Teil der Gesamtkonzeption einer Ausweitung des Afrika-Engagements der DDR. Die ökonomischen Beziehungen „zum gegenseitigen Vorteil“ waren eingebettet in Beziehungen, in denen der ökonomische oder der politische Vorteil eines der Partner überwogen, also auch solche, die man in einer Terminologie des damaligen Konkurrenzsystems als „Entwicklungshilfe“ bezeichnet hätte. Auch in Angola war eine Intensivierung der Beziehung zwischen Angola und der DDR eine Folge dieses Besuchs. Angelpunkt war der devisenfreie Bezug von Kaffee durch die DDR im Tauschhandel. Die Reise von Werner Lamberz vom Juni 1977 nach Angola mündete in einer offiziellen Vereinbarung über die Entwicklung der ökonomischen und der wissenschaftlich-technischen Beziehungen, und eine interne Vereinbarung, die die Bezahlung von 5.000 t Kaffee für die Jahre 1977 und 1978 (diese Menge wurde 1978 für 1979 und 1980 auf jährlich 10.000 t erhöht) durch Waren der DDR vorsah. 41 Die DDR verpflichtete sich, 200 Langzeit-Spezialisten und Facharbeiter sowie FDJ-Brigaden zum Transport der Kaffeeernte nach Angola zu schicken, weitere 50 im Rahmen eines bilateralen Protokolls zur wirtschaftlich-technischen Zusammenarbeit. 42 „In der Absicht, die ökonomischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten zum gegenseitigen Vorteil, dynamisch und langfristig stabil zu entwickeln“ 43, wurden Verträge zur Zusammenarbeit auf Tauschbasis geschlossen und zu ihrer Koordinierung ein Gemeinsamer Wirtschaftsausschuss Angola-DDR gebildet, der seine erste Tagung im September 1977 in der DDR abhielt. 44 Das waren die „neuen Formen und Me39 Hatzky, Christine: Hierarchien? Die Sowjetunion, Kuba und Angola. Ein Fallbeispiel, in: Dülffer, Jost/Loth, Wilfried (Hrsg.): Dimensionen internationaler Geschichte, München 2012, S. 398–399. 40 Wie dies von Döring suggeriert wird, der diese Initiative nach dem Zusammenbruch der DDR erstmals im Auftrag der Enquetekommission des deutschen Bundestags auf breiter Quellenbasis dargestellt hat: Döring, Hans-Joachim: Zur Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Äthiopien und Mosambik unter besonderer Berücksichtigung der Außenwirtschaftsbeziehungen, in: Materialien der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, Bd. VIII/2, Baden-Baden 1999, S. 997–1168. 41 Vorschlag für den ökonomischen Teil der mündlichen Begründung der Ergebnisse der Reise der Partei- und Regierungsdelegation unter Leitung von Gen. Werner Lambertz (sic), BArch Berlin SAPMO, DY 30/IV 2/2.033/87, fol. 32. 42 BArch Berlin, DL2/17255/2. 43 Vereinbarung (gez. Werner Lamberz, Pedro van Dunem), Luanda 23.6.1977, BArch Berlin, DL2/17255/2. 44 BArch Berlin, DL2/17255/2.
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thoden“ der Zusammenarbeit, die einen Tausch von Rohstoffen gegen Fertigwaren und Dienstleistungen vorsahen. Auf der ersten Tagung des GWA wurde ein Abkommen zur Entsendung von FDJ-Brigaden und ein Protokoll zur Zusammenarbeit in der Volksbildung für 1977/78 unterzeichnet sowie Warenlisten für den Tauschhandel festgelegt. 45 1981 waren in Angola einschließlich der FDJ-Brigaden zur Unterstützung des Kaffeetransports und zur Reparatur der Lastwägen aus der DDR schon an die 500 DDRKooperanten tätig. 46 DDR-Spezialisten begaben sich auf Erkundungsreisen, um Informationen über das Land und Wirtschaftssektoren für potenzielle Zusammenarbeit zu erheben. In deren Reiseberichten (1979) findet sich der vorsichtige Hinweis, dass der historische Entwicklungsweg der DDR nicht übersprungen werden könne – das war ein verklausulierter Hinweis darauf, dass die „Entwicklung“ Angolas ein sehr lange dauernder Prozess sein würde. 47 Das waren ernüchternde Einschätzungen nach der enthusiastischen Erwartung zu Beginn des Engagements der DDR, dass Angola auf der Grundlage seines Reichtums an Bodenschätzen und der sozialistischen Orientierung seiner Führung gute Voraussetzungen habe, ein Musterland für den Sozialismus in Afrika zu werden. In kurzer Zeit könne ein „sozialistischer Staat mit Vorbildwirkung für ganz Afrika geschaffen werden. Eine Integration in die Wirtschaft der sozialistischen Staatengemeinschaft erscheint in relativ kurzem Zeitraum möglich“, hatte der Generalsekretär des Außenministeriums der DDR 1977 seine Eindrücke aus Angola zusammengefasst. 48 Die Angolaner hoben noch Anfang der 1980er Jahre die Beispielhaftigkeit der DDR-VRA-Beziehungen hervor. Als der stv. Außenhandelsminister der DDR und Vorsitzende des GWA DDR-Angola, Friedmar Clausnitzer 1982 starb, gedachte der angolanische GWA-Vorsitzende Muteka seiner in bewegten Worten. 49 Die Atmosphäre blieb Jahre lang gut. Die Ostdeutschen fühlten sich – im Unterschied zu Äthiopien – im Allgemeinen willkommen in Angola.
45 Prot. 1 Tagung GWA Angola-DDR, Berlin 14.9.1977, Vorsitzende Rauchfuß und van Dunem, BArch Berlin DL2/17255/2. 46 Vorschlag für den ökonomischen Teil der mündlichen Begründung der Ergebnisse der Reise der Partei- und Regierungsdelegation unter Leitung von Gen. Werner Lambertz (sic), BArch Berlin SAPMO, DY 30/IV 2/2.033/87, fol. 29. 47 VR Angola Reiseberichte, Landanalysen 1976–1979, BArch Berlin, DL2/10651. 48 MfAA/Generalsekretär B. Neumann, Information über die Reise einer Delegation des MfAA in die Volksrepublik Angola, Berlin 1.9.1977, BArch Berlin DY 3023/1463, fol. 33. 49 S. z. B. Vermerk Gespräch Dr. Albrecht mit Gen. Muteka, GWA-Vorsitzender der angolan Seite, Luanda 1.2.1982 und Gespräch Dr. Albrecht mit Gen. Loy, Min. f. Energie und Erdöl, Luanda 1.2.1982, BArch Berlin DL2/10625.
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6. WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN UND AUSSENHANDEL ZWISCHEN DER DDR UND ANGOLA Die DDR und Angola entfalteten Austauschbeziehungen auf mehreren Ebenen: Außenhandel „zum gegenseitigen Vorteil“ zu mehr oder weniger kommerziellen Bedingungen, wissenschaftlich-technische Beziehungen (WTZ), die Ausbildung von Angolaner/innen in der DDR zu Vorzugsbedingungen für Angola sowie ein Arbeitskräfteprogramm mit einem Aspekt der Ausbildung angolanischer Arbeitskräfte und einem anderen Aspekt der Deckung des Arbeitskräftebedarfs in der DDR. Zusätzlich leistete die DDR „Solidaritätslieferungen“ von kostenlosen Hilfsgütern von Babysan über Robur-Busse und Schreibmaschinen bis zu Maschinenpistolen. 50 Zu diesen kostenlosen Leistungen gehörte auch die medizinische Behandlung verwundeter angolanischer Armeeangehöriger in der DDR. Diese Formen von wirtschaftlich-personellem-technischem Austausch und von Hilfeleistungen waren miteinander verbunden, doch ist wichtig, festzuhalten, dass die DDR neben wirtschaftlichen, „wissenschaftlich-technischen“ und Beziehungen im Bereich Bildung und Ausbildung zu Vorzugsbedingungen (die man in der Terminologie des kapitalistischen Weltsystems als „Entwicklungshilfe“ bezeichnet hätte) für Angola auch kommerzielle Beziehungen zu dem Erdölland unterhielt. Den „sozialistischen Entwicklungsweg“ Angolas stärken und gleichzeitig „die Versorgung der DDR mit angolanischem Kaffee, Erdöl und Landesprodukten zu gewährleisten“, so fasste eine Mitarbeiterin Günter Mittags die Ziele der DDREntwicklungspolitik am Beispiel Angolas konzis zusammen. 51 Oder, am Beispiel der Angola vorgelagerten Inselrepublik Sao Tomé e Principe: Die Exporte der DDR sollen zur Lösung der komplizierten ökonomischen Situation der DR Sao Tomé e Principe beitragen und gleichzeitig langfristig und stabil den jährlichen Bezug von mindestens 1.500 t Kakao sichern. 52
Obwohl sich die Volksrepublik Angola offiziell auf dem „sozialistischen Entwicklungsweg“ befand, bestritt sie nur einen kleinen Teil ihres Außenhandels mit RGW-Ländern. Der Anteil der RGW-Länder am Warenumsatz Angolas lag 1979 bei 13,7 %, dagegen mit „kapitalistischen Industrieländern“ bei 44,4 %, mit nichtsozialistischen Entwicklungsländern bei 41,9 %. Es sei „der DDR als einzigem sozialistischen Land gelungen“, „den Außenhandelsumsatz kontinuierlich zu entwickeln und dabei bedeutende Importe zu realisieren“, notierte der Vorsitzende des GWA auf DDR-Seite, Wolfgang Rauchfuß, im Jahr 1983 zufrieden. Die diesem Dokument beiliegende Tabelle zeigt, dass die DDR als einziges RGW-Land 50 So z. B. im Rahmen des Sonderabkommens Lebensmittel gegen Erdöl 14.2.1984, BArch Berlin DL 226/59. 51 Mittags Mitarbeiterin Floßmann zur Vorlage zu: Direktive für die 5. Tagung des GWA DDR/VR Angola, Berlin 14.3.1983, Mittag-Kommission, Sitzung 29.3.1983, fol. 407–408; Vorlage Rauchfuß/Schalck, 3.3.1983, fol. 409–420. 52 Floßmann zur Vorlage zu: Direktive für die 4. Tagung des GWA DDR/DR Sao Tomé e Principe, Berlin 14.3.1983, ebenda, fol. 437.
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einen nennenswerten Import aus Angola hatte, während den weit höheren Leistungen der SU und Kubas keine entsprechenden Importe gegenüberstanden. Das deutet darauf hin, dass im Fall Angolas die DDR ihre kommerziellen Interessen im Unterschied zu anderen RGW-Ländern geltend machen konnte. Die angolanische Seite beschwerte sich über kommerzielle Spezialistenvergütungssätze der DDR von bis zu 9.000 USD/Monat oder Monteurssätze von 4.000 USD/Monat, und forderte eine Herabsetzung auf 2.000 USD. 53 Die Zahlungen Angolas (für Güter und Spezialisten) erfolgten zu 50 % in KD, zu 50 % in Landeswährung, die wenig Kaufkraft hatte. 54 Der Schwerpunkt der DDR-Exporte lag im Transportund Nachrichtenwesen. DDR-seitig wurden vor allem Lkw geliefert. Mitte der 1980er Jahre waren rd. 10.000 Lkw „W 50“ und „Robur“ im Einsatz, und zwar, im Unterschied zu Äthiopien, überwiegend zur Zufriedenheit der Nutzer. Weiters lieferte die DDR Hafenausrüstungen, Nachrichten- und Landwirtschaftstechnik. 55 6.1. KAFFEE Die Produktion von Kaffee, dem Hauptexportprodukt der Kolonialzeit, brach nach der Unabhängigkeit dramatisch ein. Die Exporte erfolgten im Wesentlichen aus Lagerbeständen. 1974 225
1975 150
1976 80
1977 38
Kaffeeproduktion in Tausend t 1978 1979 1980 1981 1982 26 18,7 36,6 23,9 23,5
1983 15,6
1984 10,6
1985 13,6
1986 32
1974
1975
1976
1977 5
1978 7
Rohkaffeeimporte DDR 1979 1980 1981 1982 9,1 10,9 11 14
1983 13
1984 11,3
1985 7,5
1986 7
Tabelle Kaffeeproduktion und DDR-Rohkaffeeimporte, 1974–1986 56
53 Information über den Aufenthalt des Sonderbeauftragten, Genossen Klaus Häntzschel, vom 5.–14.10.1983 in der VR Angola, SAPMO Berlin, DY 3023/1464, fol. 190. 54 Wolfgang Rauchfuß an Günter Mittag, Hinweise für das Gespräch mit Gen. Lopo do Nascimento, Mitglied des ZK der MPLA-Partei der Arbeit, Minister für Planung der VR Angola und Vorsitzender der VRA-Seite des GWA DDR/VR Angola, Berlin 28.6.1985, SAPMO Berlin, DY 3023/1464, fol. 305. 55 Wolfgang Rauchfuß an Günter Mittag, Hinweise für das Gespräch mit Gen. Bernardo de Sousa, Mitglied des ZK der MPLA-Partei der Arbeit und Minister für Transport- und Nachrichtenwesen der VR Angola, 26.9.1985, SAPMO Berlin, DY 3023/1464, fol. 311. 56 Produktionszahlen und Importe DDR aus Plandokumenten und Berichten zur Plandurchführung des Nationalinstituts für Statistik des Min. f. Planung und des Min. f. Außenhandel, AV Luanda/Packeiser, Einschätzung über die Entwicklung der Produktion und des Exports von Kaffee in der VR Angola, Luanda 20.11.1986, Anlage 1, BArch Berlin DL2/13607; vgl. Importe DDR aus: Alexander Schalck an Günter Mittag, Informationen zur Entwicklung der ökonomischen Zusammenarbeit der DDR mit der Volksrepublik Angola und der Demokrati-
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Produktion und Export von Kaffee schrumpften auf 6–7 % der kolonialen Zeit, als Angola der viertgrößte Weltproduzent gewesen war. Die kubanischen Kaffeespezialisten konnten den Niedergang der Produktion nicht aufhalten. Die Lage verschlechterte sich eher: 1988 wurde die niedrigste Kaffeeernte seit 25 Jahren eingefahren. Als Gründe dafür wurden selbst in DDR-internen Berichten neben dem Abzug der portugiesischen Spezialisten und der Vernachlässigung der Plantagen, dem Fehlen von qualifizierten Arbeitskräften auch fehlende materielle Anreize angegeben. 57 Der Großteil des Kaffees war vor der Unabhängigkeit in die USA exportiert worden und das änderte sich auch nach der Unabhängigkeit Angolas nicht. 58 Der Großteil der angolanischen Kaffeeexporte ging über den Weltmarkt in die USA. Die DDR war (neben der SU) das einzige sozialistische Land, das in größerem Ausmaß angolanischen Kaffee bezog. Sie erwarb ungefähr ein Viertel bis zu einem guten Drittel des angolanischen Kaffeeexports. Nachdem der Kaffeetauschhandel seit 1977 gut funktioniert hatte, machte die angolanische Seite ab 1984 zunehmende Schwierigkeiten. Die Lagerbestände hatten den Export trotz sinkender Produktion gewährleistet. Sie erschöpften sich, gleichzeitig sank die Produktion weiter. Das RGW-Land Polen trat als Konkurrent auf. Die staatliche Kaffeeorganisation Caféangol verlange unter diesen Marktbedingungen nunmehr 150 % des Weltmarktpreises, zudem seien 80 % der Lieferung in minderer Qualität. Unter Berücksichtigung der militärischen und ökonomischen Lage und im Interesse einer angestrebten Reduktion des Aktivsaldos der DDR plädierte der Koko-Chef Schalck, die hohen Preise von Caféangol zu akzeptieren, obwohl die DDR in einem rein ökonomischen Kalkül als Nicht-Mitgliedsland des Internationalen Kaffeeabkommens erheblich günstigere Preise auf dem Weltmarkt hätte lukrieren können, allerdings gegen rare Devisen (USD). 59 Das kam einer Gewährung von Präferenzpreisen nahe, die Angola zu dieser Zeit verlangt hatte 60, aber als Nichtmitglied des RGW nicht erreichte. 6.2. Erdöl Das mit Abstand wichtigste Exportgut Angolas war Erdöl. Mit den Einnahmen aus den Konzessionen an die Erdölförderfirmen aus den USA finanzierte der
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schen Republik Sao Tomé und Principe im Zeitraum 1977–1987, Anlage 2, Berlin 29.1.1988, BArch Berlin SAPMO DY 3023/1464, fol. 401. AV Luanda/Packeiser, Einschätzung über die Entwicklung der Produktion und des Exports von Kaffee in der VR Angola, Luanda 20.11.1986, BArch Berlin DL2/13607. Wolfers, Michael/Bergerol, Jan: Angola…, a.a.O., S. 145. Alexander Schalck an Günter Mittag, Entscheidungsvorschlag zum Import von Rohkaffee aus der VR Angola, Berlin 28.5.1984, BArch Berlin, SAPMO DY 3023/1464, fol. 218–220. Wolfgang Rauchfuß an Günter Mittag, Hinweise für das Gespräch mit Gen. Lopo do Nascimento, Mitglied des ZK der MPLA-Partei der Arbeit, Minister für Planung der VR Angola und Vorsitzender der VRA-Seite des GWA DDR/VR Angola, Berlin 28.6.1985, BArch Berlin, SAPMO DY 3023/1464, fol. 306.
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MPLA-Staat sich und den Krieg gegen seine Konkurrenten. Die RGW-Länder konnten von diesem weltmarktfähigen Rohstoff nicht profitieren, mit Ausnahme der DDR. Sie erhielt 1983 erstmalig 100.000 t Erdöl im Wert von ca. 48 Mio. Valutamerk zum Abbau des DDR-Guthabens aus den Handelbeziehungen. Zuvor waren Hauptimportwaren neben Rohkaffee nur geringe Mengen Quarz und Kuhhörner gewesen. 61 Das hatte die Lieferungen der DDR bei Weitem nicht ausgleichen können. Den Koko-Verantwortlichen in Angola (Klaus Häntzschel, Dieter Uhlig), deren Hauptaufgabe die Devisenerschließung war, gelang es, 1984 und 1985 ein vertrauliches Sonderabkommen zur Lebensmittelversorgung der angolanischen Armee gegen Erdöl, das von der DDR gegen konvertierbare Devisen vermarktet wurde, zu schließen. Die Mehrheit dieser Lebensmittel wurde von der DDR gegen Devisen in Drittländern gekauft und die DDR-Vertreter wollten diese Devisenausgaben durch Verkauf von angolanischem Erdöl hereinbringen. Die DDR ließ das Erdöl aus Angola, das für die eigenen Raffinerien nicht geeignet war, im Ausland verarbeiten und vermarkten. 62 Im Dezember wurden mit der Verladung der letzten 100.000 t Öl „die offenen Forderungen aus dem Sonderabkommen vollständig liquidiert“ 63. Eine weitere Exportlinie Angolas wurde 1984 mit dem Arbeitskräfteabkommen DDR-Angola erschlossen. Angola exportierte nun Arbeitskräfte statt Kaffee in die DDR, allerdings vergleichsweise wenige, nämlich an die 1.000. 64 Die Ausbildung angolanischer Arbeitskräfte wurde nun entgegen der früheren Vorstellung der Abteilungsleiterin für die WTZ im Außenhandelsministerium, Dr. Käthe Streber, die Ausbildung in Angola durchzuführen 65, pragmatisch mit dem Programm zur Lösung des Arbeitskräftemangels in der DDR verknüpft. Doch ging der Ausbildungsaspekt nicht verloren: Ende der 1980er Jahre arbeiteten 85 Angolaner an der Fertigung der „W 50“-Lkw im Kombinat Ludwigsfelde. Das sollte sie auch zu Wartungsarbeiten an den gelieferten Fahrzeugen in Angola befähigen. 66
61 Zuarbeit zur 37. RGW-Ratstagung: Zahlenübersicht zum Warenaustausch per 31.8.1983, 30.9.1983, BArch Berlin DL2/10624. 62 Wolfgang Rauchfuß an Günter Mittag, Hinweise für das Gespräch mit Gen. Lopo do Nascimento, Mitglied des ZK der MPLA-Partei der Arbeit, Minister für Planung der VR Angola und Vorsitzender der VRA-Seite des GWA DDR/VR Angola, Berlin 28.6.1985, SAPMO Berlin, DY 3023/1464, fol. 301–303. 63 Information (Sonderbeauftragter) Klaus Häntzschel für Gen. Dr. Schalck, Berlin 29.12.1987, BArch Berlin DL2/11288. 64 Dazu, allerdings auf die Erinnerungen der einzelnen Vertragsarbeiter konzentriert und nicht auf Archivimaterial basierend: Schenck, Marcia: Socialist Solidarities and their Afterlives: Histories and Memories of Angolan and Mozambican Migrants in the German Democratic Republic, 1975–2015, phil. Diss., Princeton 2017. 65 Dr. Streber, Information für den stv. MAH, Gen. Clausnitzer, Berlin 8.2.1977, BArch Berlin DL2/10624. 66 Neues Deutschland 22.2.1989, S. 2.
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7. ÖKONOMISCHES UND POLITISCHES INTERESSE Eine Beratung von Handelsräten des RGW Ende 1981 zeichnete ein ernüchterndes Bild der ökonomischen Beziehungen. Die angolanische Regierung erwarte Verständnis dafür, dass Angola Kreditrückzahlungen primär für NSW-Partner leiste. 67 Der Vertreter der SU führte die Wirtschaftsprobleme Angolas u. a. auf eine unkontrollierte Verausgabung der Devisenreserven zurück. Maßgeblich für die Kreditvergabe seien nicht wirtschaftliche Rationalität, sondern die Beziehungen zur Zentralbank. 68 Er zeichnete damit ein Bild der angolanischen Wirtschaftspolitik, die sich in dieser Hinsicht mit jener nichtsozialistischer postkolonialer Staaten wie etwa Nigeria deckte. 69 Am Beispiel der DDR wird deutlich, wie RGW-Länder die wirtschaftlichen Kosten ihres Engagements in Angola durch kommerzielle Beziehungen zu kompensieren versuchten. Doch war allen Beteiligten klar, dass der politische Einfluss etwas kostete. Auch Wirtschaftsmanager wie Schalck verstanden das (s. o.). Es gab unterschiedliche Auffassungen darüber, wie hoch dieser Preis sein durfte. Die SU und Kuba waren mit ihrem massiven militärischen und zivilen Engagement in Angola die Vorkämpfer für ein verstärktes Engagement anderer RGW-Länder, um die Lasten zu verteilen. Stärker machte die DDR ihr ökonomisches Interesse geltend. Dafür sorgten schon ihre Koko („Kommerzielle Koordinierung“) – Sonderbeauftragten im Lande. Da 50 % der angolanischen Zahlungen an die DDR vertragsgemäß in der Landeswährung Kwanza erfolgten, mit der aber kaum Güter oder Leistungen zahlbar waren, sammelte sich auf dem Konto der DDR (wie auf jenen aller RGW-Länder, am meisten Kubas seit 1978, dann der SU) ein Berg an Kwanzas an, die schwer verwendbar waren, da es nicht genug Waren gab, die man dafür hätte kaufen können. Die DDR verhandelte Möglichkeiten, ihren Exportüberschuss abzubauen. Es war klar, dass ökonomischer Druck ausgeübt werden musste. Die Alternative wäre gewesen, Angola einseitig an den Zuwendungstropf zu hängen. Außerdem bedeutete das den Abfluss von Devisen über die angolanische Kreditrückzahlung an Kreditoren aus dem NSW. Angola würde bei seinen RGW-Gläubigern Devisen einsparen, um sie an Kreditgeber aus dem kapitalistischen Weltsystem zurückzuzahlen, die auf die Nichtbedienung von Krediten empfindlicher (z. B. durch die Verweigerung weiterer Kredite) reagierten als die RGW-Staaten. Die Kaffeelieferabkommen sahen einen Ausgleich durch Warenlieferungen der DDR ohne Aufwendung von konvertierbaren Devisen vor. 70 Allerdings hatte 67 Vermerk über eine Beratung von Handelsräten des RGW am 20.11.1981 in den Räumen der Sowjetischen Handelsvertretung in Luanda, Luanda 24.11.1981, BArch Berlin DL2/10624. 68 Vermerk über die Tagung der Handelsräte der ML RGW in der VRA am 22.4.1982, BArch Berlin DL2/10624. 69 S. dazu das Tagebuch des nigerianischen Wirtschaftsberaters Wolfgang Stolper, Inside Independent Nigeria: Diaries of Wolfgang Stolper, 1960–1962, hrsg. von Clive Gray, Aldershot et al. 2003. 70 Kaffeeabkommen 23.6.1978 für 1979 und 1980; Sonderabkommen 23.6.1977 für 1977 und 1978, BArch Berlin, DL2/17255/2.
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die Linie ökonomischer Rentabilität eine Grenze am politischen Oberziel. Es sei „aus politischen und ökonomischen Gründen“ nicht zweckmäßig, das verbliebene Guthaben der DDR in konvertierbaren Devisen einzufordern, wie es vertragsgemäß möglich gewesen wäre, analysierte die DDR-Seite 1981. 71 Für den sowjetischen Vertreter Koschelew und den kubanischen Vertreter Rafael Rodríguez war klar, dass das politische Oberziel über dem ökonomischen Interesse stand. Der Vertreter Kubas sah die Gefahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs Angolas. Dann nütze auch die Militärhilfe nichts. Ein stärkeres Betonen des ökonomischen Eigeninteresses würde nur einer stärkeren Westorientierung Angolas Vorschub leisten. 72 8. DREIECKSHANDEL UND DREIECKSBEWEGUNGEN Trotz der Koordinierungsschwierigkeiten des RGW entwickelten sich in Angola Formen der drei- und mehrseitigen Zusammenarbeit der RGW-Länder. Im für Angola zweitwichtigsten Exportsektor Kaffee halfen kubanische Kaffeespezialisten, Transportarbeiter und Militärs sowie die Freundschaftsbrigadisten der FDJ, die (karge) Kaffeeernte zu sichern, die dann teils auf den Weltmarkt, teils im Tauschhandel in die DDR exportiert wurde. Mit dem Erlös am Weltmarkt 1979– 1983 wurde ein Teil der kubanischen Leistungen bezahlt. Die DDR bezog ab 1981 als Ersatz für die ausgefallenen äthiopischen Kaffeelieferungen auf Austauschbasis (Barter), die nun mit Devisen bezahlt werden mussten, jährlich 11.000–15.000 t Kaffee auf Austauschbasis aus Angola. Das wurde von DDRSeite als eine „politische Entscheidung der angolanischen Partei- und Staatsführung mit dem Ziel, die Beziehungen mit der DDR noch enger zu gestalten“ und als eine besondere Anerkennung der Rolle der DDR gewürdigt, der als einzigem RGW-Staat eine Ausnahme von der Regel, Kaffee nur gegen Devisen zu verkaufen, gewährt worden sei. 73 Die kubanische Expertise im Zitrussektor und in der industriellen Hühneraufzucht, um nur zwei Beispiele zu nennen, war von der DDR entwickelt worden. Nun kamen kubanische Zitrus- und Hühneraufzuchtspezialisten nach Angola, um diese Expertise weiterzugeben. Vietnam, nach der Mongolei und Kuba seit 1978 das dritte außereuropäische Mitgliedsland des RGW, bot an, 1.000 Reisspezialisten nach Angola zu schicken, um die Selbstversorgung mit Reis zu erreichen. Kuba arbeitete mit der SU und Vietnam in diesem Programm zusammen. 74 Der Koko-Sonderbeauftragte Häntz71 Untersuchung der Zweckmäßigkeit, das derzeitige Guthaben der DDR in der VRA in KD einzufordern (1981), BArch Berlin DL2/10625. 72 109. EKA-Tagung des RGW (1984), BArch Berlin DL 2/12798. 73 Bericht über die 4. Tagung des GWA DDR/VR Angola, Mittag-Kommission, Sitzung 13.5.1981, BArch Berlin SAPMO, DY 30/2679, fol. 77. Ein Abkommen über die Lieferung von 11.000–15.000 t Kaffee wurde für die Jahre 1981–1985 unterzeichnet. 74 109. EKA-Tagung (1984), BArch Berlin, DL 2/12798.
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schel hatte 1983 versucht, einen Dreieckshandel einzufädeln, demzufolge Angola für Reis aus Vietnam zusätzlichen Kaffee an die DDR liefern sollte. 75 Kubanische Soldaten in Angola erhielten als Gratifikation für ihren entbehrungsreichen und gefährlichen Dienst in Angola die Möglichkeit, anschließend als Vertragsarbeiter in die DDR zu gehen. 76 Kubaner/innen gingen zur Ausbildung und als Vertragsarbeiter in die DDR und andere RGW-Länder. Kubanisches Personal zirkulierte also zwischen Afrika und Europa. Diese Dreiecksbeziehungen verflochten die europäischen und die neuen außereuropäischen Teile des Sozialistischen Weltsystems. 9. DESILLUSIONIERUNG UND REORIENTIERUNG ANGOLAS 1983/84 Die zunehmende Desillusionierung der DDR mit dem Tauschhandel „zum gegenseitigen Vorteil“ zeigen Berichte, die sehr kritische Reaktionen der DDRAußenhändler auf angolanische „Scheinbegründungen“ enthalten, der DDR keinen Kaffee mehr zu liefern. Gleichzeitig seien Korruptionserscheinungen in der angolanischen Führung zu beobachten. Ein Bericht von 1988 spricht von „Finten“, die die angolanischen Verhandlungspartner als Begründung dafür verwenden würden, der DDR keinen Kaffee mehr anzubieten. 77 Die einleuchtende Tauschvariante funktionierte längerfristig nicht. Die Produzenten von Kaffee und Kakao zogen in aller Regel früher oder später vor, diese weltmarktfähigen Güter auf dem Weltmarkt gegen frei konvertierbare Devisen zu verkaufen, statt sie gegen Fertigprodukte oder Dienstleistungen sozialistischer Länder zu tauschen. Das war letztlich ein Ausdruck davon, dass es nicht gelang, ein autonomes sozialistisches ökonomisches Weltsystem zu etablieren. Auf der anderen Seite standen Blamagen der DDR in der Nachrichtentechnik. Das (auch militärisch relevante) Projekt des Aufbaus eines Funknetzes durch „Robotron“-Nachrichtentechnik endete in einem technischen Debakel. 78 Das beschädigte das Ansehen der technischen Leistungsfähigkeit der DDR. Der im Auftrag von Günter Mittag zur Rede gestellte Minister für Materialwirtschaft und Vorsitzende des Gemeinsamen Wirtschaftsausschusses (GWA) DDR-Angola Wolfgang Rauchfuß musste als Vorsitzender des GWA die Verantwortung für die Mängel beim Export von Teigwaren, beim Abtransport von Kaffee aus Luanda sowie beim Aufbau des Funknetzes übernehmen. Er musste wegen des schief gegangenen Funknetzprojekts in Angola, das „politisch schwer“ wog, Selbstkritik 75 Information über den Aufenthalt des Sonderbeauftragten, Genossen Klaus Häntzschel, vom 5.– 14.10.1983 in der VR Angola, SAPMO Berlin, DY 3023/1464, fol. 189. 76 Erinnerung eines kubanischen Universitätsstudenten in der DDR (1985–1988), wiedergegeben in Ritschel, Susanne: Kubanische Studierende in der DDR. Ambivalentes Erinnern zwischen Zeitzeuge und Archiv, Hildesheim/Zürich/New York 2015, S. 230–231. 77 ÄABO Luanda/Gerd Queck, Leiterinformation Situation Rohkaffee, Luanda 1.3.1988, BArch Berlin DL2/13607. 78 Mittag-Kommission Sitzung 16.5.1984, BArch Berlin DY 30/2686, fol. 151–160.
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üben. 79 Das mochte für ihn persönlich unangenehm gewesen sein, doch durfte er bis zum Ende der DDR Minister und Vorsitzender des GWA bleiben. 10. RESÜMEE Kennzeichnend für die Zusammenarbeit der RGW-Staaten mit Angola war die paradoxe Situation, dass kubanische Truppen die Ölförderung in Cabinda durch US-Unternehmen schützten. Mit dem durch diese US-Unternehmen (Gulf Oil und Texaco) geförderten Öl finanzierte die MPLA-Regierung ihren Krieg gegen die von der US-Regierung unterstützte UNITA. Allerdings bekam Angola keine staatliche Wirtschaftshilfe der USA. Diese wurde vom Abzug der kubanischen Truppen abhängig gemacht, was wiederum das politische Überleben der MPLARegierung in Frage gestellt hätte. Die HPA der DDR berichtete 1983 von einer „neuen Qualität der Bündnisbeziehungen auf politischem und militärischem Gebiet“. Die ökonomischen Beziehungen und der Außenhandel mit den sozialistischen Ländern aber seien rückläufig. 80 Die angolanische Regierung war sich dieser Asymmetrie bewusst. Der Planungsminister und später Ministerpräsident Lopo do Nascimento betonte, dass kubanische Truppen auf ausdrückliches Ersuchen des Politbüros des ZK der MPLA ins Land gekommen waren. Aber nicht die Kubaner, sondern die USA strichen die Profite in Angola (aus der Ölförderung) ein. Die Kubaner hätten in Angola keine einzige Konzession. Sie seien hier mit sauberen Händen. Wer die Konzessionen in unserem Land hat, das sind die Amerikaner, nicht die Kubaner. Die Profite, die aus Angola weggeschleppt werden, werden nicht nach Kuba gebracht. Sie werden in die Vereinigten Staaten, sie werden in imperialistische Länder gebracht. 81
Die RGW-Länder übernahmen von Portugal eine Kolonie, deren Exportwirtschaft mit Ausnahme der Erdölförderung zusammengebrochen war. Die Hauptlast ihres Unterhalts trugen Kuba und die SU. Kuba bestritt den personellen Teil der militärischen Sicherung Angolas und das Erziehungswesen. Bemerkenswert ist, dass gerade diese Länder den vermutlich geringsten ökonomischen Nutzen aus dem angolanischen Engagement hatten. Während die DDR aus Angola noch Kaffee und in geringerem Ausmaß Erdöl beziehen und damit Devisen sparen bzw. erwirtschaften konnte (womit allerdings die Beziehungen zu Angola insgesamt nicht ökonomisch gewinnbringend wurden), blieben solche kommerziell nutzbringenden Wirtschaftsbeziehungen für die Kubaner marginal. Teile der lokalen kubani79 Vermerk über eine parteimäßige Aussprache mit dem Nomenklaturkader des ZK der SED, Genossen Wolfgang Rauchfuß, Günter Ehrensperger an Günter Mittag, Berlin 20.8.1980, BArch Berlin, SAPMO DY 3023/1464, fol. 34–35. 80 Bericht über die Zusammenarbeit der HPA der DDR mit den HPA der ML/RGW in der VRA im Jahre 1983, Luanda 19.10.1983, BArch Berlin DL2/10624. 81 Informationsmaterial MfAA, Informationsbericht aus Luanda, 23.5. o. J., BArch Berlin, DL2/10651.
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schen Verwaltung versuchten, zur Generierung von Devisen auf den Schwarzmarkt auszuweichen, wie der Prozess gegen den Kommandeur der kubanischen Truppen in Angola, General Ochoa, nach seiner Rückkehr nach Kuba 1989 zeigte. 82 Angola wurde zu einem späten militärischen Erfolg des Sozialistischen Weltsystems, als es sich schon in einer Phase der Auflösung befand. Die kubanischen Truppen erzielten 1988 einen Prestigeerfolg in der direkten Konfrontation mit den südafrikanischen Interventionstruppen in Angola und zeigten damit das Ende der selbstverständlichen Überlegenheit der kolonialen Herrschaft in Afrika auf, eine Dynamik, die später in das Ende der weißen Herrschaft in Südafrika mündete. Doch wenig später brach die politische Führungsmacht des Sozialistischen Weltsystems unter der Last eines nicht konkurrenzfähigen Wirtschaftssystems zusammen. Der militärische Erfolg im südlichen Afrika konnte diesen Prozess nicht beeinflussen. Für die DDR entwickelte sich das Szenario ihrer Beziehungen zur Volksrepublik Angola ähnlich jenem zum „Sozialistischen Äthiopien“. Auf einen großen Auftakt 1977/78 folgte eine Periode der Stagnation und des Niedergangs der wirtschaftlichen und danach auch der politischen Beziehungen. Allerdings waren die Angolaner länger zufrieden mit den Ostdeutschen als die Äthiopier, sie lieferten ihnen länger Kaffee im devisenfreien Tauschhandel und die Atmosphäre war generell besser in den Verhandlungen, „aufgeschlossen, offen, vertrauensvoll“. 83 In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, als aufgrund ökonomischer Schwierigkeiten die RGW-Staaten das Zuschusselement ihrer Hilfe an verbündete afrikanische Länder reduzierten und den „gegenseitigen Vorteil“ in den ökonomischen Beziehungen durch Erhöhung ihrer Rentabilität für sich zu realisieren versuchten, begann die Abwendung dieser afrikanischen Länder vom Sozialistischen Weltsystem – deutlich wurde das in Mosambik und Angola. Ab Mitte der 1980er Jahre wurde die MPLA-Regierung in Angola durch die Logik der Finanzflüsse unwiderstehlich in die Welt der Finanzflüsse in konvertiblen Devisen gezogen. Während sich das Land offiziell noch „auf dem sozialistischen Entwicklungsweg“ befand, suchte es (1987) um Mitgliedschaft beim IWF an und trat ihm 1989 bei. Während kubanische Truppen noch 1988 einen günstigen Ausgang des Kriegs gegen südafrikanische und UNITA-Truppen erkämpften, orientierte sich Angola schon nach Westen, von wo die ökonomische Macht ausging. Die DDR war nach der SU und Kuba der drittwichtigste RGW-Partner Angolas. Wie in Äthiopien machte die Initiative von Werner Lamberz im Jahr 1977 Angola zu einem Schwerpunktland der DDR in Afrika und damit zum wichtigsten RGW-Partner nach den Sowjets und den Kubanern in diesem Land auf dem Gebiet der zivilen Zusammenarbeit. Eine Mischung an neuen Formen der Zusammenarbeit, Kaffeeabkommen, Warenlieferungen (2.000–2.500 Lastwägen „W 50“ und „Robur“ pro Jahr, für deren Wartung rd. 50 Freundschaftsbrigadisten im Einsatz waren, etc.) und Personalentsendungen der DDR sowie die Ausbildung von 82 Gleijeses, Piero: Visions of Freedom..., a.a.O., S. 492–493. 83 Z. B. im Bericht über die 4. Tagung des GWA DDR/VR Angola, BArch Berlin, MittagKommission, Sitzung 13.5.1981, fol. 78.
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angolanischem Personal gab der Intervention der DDR eine Dynamik, die bis zu Beginn der 1980er Jahre anhielt. Wie in Äthiopien gelang es der DDR, 1977 und 1978 Tauschverträge zum Bezug von Kaffee gegen DDR-Waren und Personalentsendungen abzuschließen. Darunter waren auch militärische und Transportgüter, die diese Länder so dringend benötigten wie die DDR den Kaffee. Das waren, wie ein Bericht zu der Lamberz-Reise hervorhob, im Rahmen derer diese Festlegungen getroffen worden waren, politische (nicht prioritär ökonomische) Entscheidungen auf Gegenseitigkeit. 84 Doch in den Folgejahren spießte es sich, allerdings etwas später als in Äthiopien, erst gegen Mitte der 1980er Jahre, als der Verfall der Erdölpreise eine schwere Krise der angolanischen Staatsfinanzen mit sich brachte. Eine politische Abwendung Angolas von den RGW-Partnern konnte allerdings wegen des anhaltenden Kriegs, der eine kubanisch-sowjetische Militärpräsenz erforderlich machte, nicht erfolgen. Die Ähnlichkeit der Sequenz der politisch-ökonomischen Beziehungen der DDR mit Angola und mit Äthiopien zeigt strukturelle Ursachen an. Das „sozialistische Weltsystem“ vermochte keinen eigenen Weltmarkt zu entfalten, die Konkurrenz des kapitalistischen Weltmarkts erwies sich als übermächtig. Ab Mitte der 1980er Jahre wandten sich die Staaten auf dem „sozialistischen Entwicklungsweg“ vom RGW ab und nahmen aktiv „nur“ noch die politische Unterstützung, ökonomisch ausgedrückt in „Solidaritäts“leistungen und Ressourcenflüssen zu Vorzugsbedingungen im Rahmen der WTZ sowie die unentbehrliche militärische Unterstützung in Anspruch. Die RGW-Länder versuchten notdürftig, in Angola einen Staat zu zimmern. Sie machten in Angola keine Industrialisierungspolitik. Dazu war auch gar keine Zeit. Erste Aufgabe war der Staatsaufbau. Zunächst mussten die von den Portugiesen verlassenen Positionen mit Personal ausgefüllt und die Exportproduktion halbwegs wieder in Gang gebracht werden. Den wirtschaftlichen Zusammenbruch, den der Exodus der Portugiesen und der Bürgerkrieg mit sich gebracht hatten, konnten die RGW-Länder nicht kompensieren. Der andauernde Krieg machte ein kontinuierliches Aufbauprogramm unmöglich. Angola blieb ein Rohstoffproduzent und der Anteil der Extraktionsökonomie verstärkte sich noch. Trotz der Bemühungen der kubanischen und ostdeutschen Kaffee- und Transportspezialisten brach die Kaffeeproduktion dramatisch ein. Nur die Erlöse aus der Erdölförderung durch US-Konzerne konnten gesteigert werden. Die Erdölproduktion mehr als verdreifachte sich zwischen 1980 und 1990. 85 Auf der Basis dieser Einnahmen konnte das MPLA-Regime auch nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems und nach dem Abzug der sowjetischen, kubanischen und ostdeutschen Berater die letzte Runde des Krieges überleben und die Transition zu einem Erdölrentenstaat bewerkstelligen. 84 Vorschlag für den ökonomischen Teil der mündlichen Begründung der Ergebnisse der Reise der Partei- und Regierungsdelegation unter Leitung von Gen. Werner Lambertz (sic), BArch Berlin SAPMO, DY 30/IV 2/2.033/87, fol. 29, 33. 85 Statistik Sonangol in: Hodges, Tony: Angola. From Afro-Stalinism to Petro-Diamond Capitalism, Oxford/Bloomington 2001, S. 126.
JARGON UND DECODIERUNG: GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTLICHE TEXTE AUS DER DDR ALS LEKTÜREHERAUSFORDERUNG Peer Pasternack Blättert man die Jahrgänge von gesellschaftswissenschaftlichen DDR-Fachzeitschriften durch, so gerät jenseits inhaltlicher Ähnlichkeiten und Differenzen fortlaufend eine Übereinstimmung in den Blick: Die Überschriften der Artikel sind meist unoriginell, wirken häufig wie die Betitelungen von Verwaltungsvorlagen und lassen mitunter nur notdürftig erkennen, worum es in dem darunter stehenden Beitrag geht. Dabei fällt ein sprachliches Muster auf: Die Artikel sind immer wieder mit Wendungen überschrieben, die so wirken, als versuchten Wissenschaftsnovizen mit noch unterausgeprägtem Selbstbewusstsein ihre Gedanken prophylaktisch tiefzustapeln: „Zu einigen Fragen…“, „Zu Grundproblemen des…“, „Anmerkungen zu…“, „Erste Gedanken über…“, „Zum historischen Gesetz…“, „Überlegungen zu…“, „Bemerkungen zur Auseinandersetzung mit…“, „Einige Aspekte der Auseinandersetzung mit…“ – all dies häufig nicht einmal als Untertitel, sondern als Hauptüberschrift. Selten hingegen finden sich zupackende Titel wie: „Die Grundprobleme des…“, „Das historische Gesetz…“, „Die Theorie … und ihre Probleme“. Es lässt sich daher, liest man nur die Titel, leicht der Eindruck gewinnen, die DDRGesellschaftswissenschaftler hätten überwiegend halbgare Zwischenergebnisse zu Papier gebracht statt auch einmal ein definitives Resultat. Hier zeigt sich ein Grundproblem akademischen Publizierens in der DDR: Sollte eine neue Argumentation präsentiert werden, die auf (politische) Einwände stoßen konnte, so war tunlichst geraten, sie nicht als definitiv, sondern als Zwischenresultat auszuflaggen. Das konnte die Debatte darüber, die sich gegebenenfalls anschloss, entschärfen und ließ den (zeitweiligen) Rückweg offen. Der daraus dominierende Jargon der DDR-Gesellschaftswissenschaften – nicht nur in den Artikelüberschriften – trübt deren Gesamtbild. Auch die Ausnahmen, die den Jargon mehr oder weniger meiden konnten, sind hiervon durch eine Art Nachbarschaftskontamination betroffen: Gesellschaftswissenschaftliche Publikationen aus der DDR gelten insgesamt als schwer les- und verstehbar. Einen Teil dazu trugen zudem die Umstände bei, wie die Texte entstanden. Guntolf Herzberg hat dies, erfahrungsbegründet, plastisch für das Akademie-Zentralinstitut für Philosophie und die Deutsche Zeitschrift für Philosophie geschildert: Artikel und Rezensionen sind in der Regel erst in der Arbeitsgruppe besprochen, dann im günstigsten Falle dem Arbeitsgruppenleiter vorgelegt worden, der ihn verändern, zurückbe-
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Peer Pasternack halten oder weiterleiten konnte. Dasselbe noch einmal beim Bereichsleiter, in schwierigeren Fällen mußte der schon konform gemachte Text noch vom Institutsdirektor genehmigt werden (der im Zweifelsfalle bei der Abteilung Wissenschaft des ZK anrief). Dann ging der so abgesegnete und passförmige Beitrag an die Redaktion, die zu jedem Artikel ein bis zwei Gutachten anforderte. Schließlich haftete der Chefredakteur mit seinem Kopf (lies: mit seinem Posten) für die ideologische Reinheit (und geistige Leere) seines Blattes. Der Autor des Beitrages war auf diese Weise zumeist abgesichert, er war – und das bereitete allerdings wenig intellektuelle Freude – für den Inhalt nicht mehr verantwortlich. Eine Nachzensur war auf diese Weise überflüssig. Das Ergebnis jenes Weges war beeindruckend: über lange Jahre keine ‚Fälle‘, wenig Ärger mit dem ZK. 1
Nicht nur Inhalte, auch der Jargon wurde auf diese Weise vereinheitlicht. Zugleich ging es nicht ohne (neue) Inhalte, da es ja auch Wissenschaft war. Die Frage stellt sich, ob diese erschließbar sind, sei es als zeitgeschichtliche Quellen oder gar als wissenschaftliche Wiederentdeckungen, die die Phase der generellen ‚Nichtzitierbarkeit‘ der DDR-Arbeiten zu einem Ende bringen könnten. Will man die Texte erschließen, bedarf es häufig entsprechender Techniken und einiger Anstrengungen, um sie zum Sprechen zu bringen. 1. TEXTSORTEN Ein Großteil der Texte ist gekennzeichnet durch eine schablonenhafte Sprache, die übermäßige Verwendung von Passivkonstruktionen und Genitivhäufungen, den Einsatz politischer Formeln als wissenschaftliche Argumente, eine eingeschränkte Lexik und verunklarende Formulierungen, um Problematisches zu kaschieren. Diese weitflächige Infektion wissenschaftlicher Texte durch die parteibürokratische Sprache der offiziellen politischen Kommunikation mindert nicht nur den Lesespaß. Sie erschwert auch den Zugang zu den Inhalten. Dringt man zu diesem dennoch vor, wird deutlich, dass weite Teile der DDRgesellschaftswissenschaftlichen Textproduktion durch eine aparte Mischung gekennzeichnet sind: Selbstwidersprüchliche schematisch-dialektische Begriffsarbeit – nebenbei: etwas zutiefst Unmarxistisches – ist verbunden mit Sortierungen des ideengeschichtlichen Erbes und der zeitgenössischen nicht-marxistischleninistischen Theorieproduktion nach deren jeweiligen kognitiven Verfehlungen, die in Scharfrichtermanier zu den Akten gegeben sind. Das ist für den heutigen Leser nicht immer vergnügliche Lektüre (und war es auch schon für den zeitgenössischen Leser nur ausnahmsweise). Innerhalb dieses Teils der Überlieferung lassen sich drei Textsorten unterscheiden:
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Brühl, Reinhard/Herzberg, Guntolf/Mario Keßler/Sabrow, Martin: Vom „Segeln“ nach anderen Landkarten. Aus der Diskussion zu den historischen Fachblättern mit Reinhard Brühl, Guntolf Herzberg, Mario Keßler und Martin Sabrow, in: Barck, Simone/Langermann, Martina/Lokatis, Siegfried (Hrsg.): Zwischen „Mosaik“ und „Einheit“. Zeitschriften in der DDR, Berlin 1999, S. 458–466, hier S. 458.
Jargon und Decodierung
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Zum Ersten ist die realsozialistische Scholastik zu nennen, die historisch und empirisch nicht zu irritieren war. Sie kannte statt forschender Ungewissheit über den Ausgang ihrer Anstrengungen nur die Gewissheit, dass vorfindliche Lehrsätze (meist von Marx, Engels, Lenin, daneben Ulbricht, Hager, Honecker usw.) durch Entfaltung in widerspruchsfreien Argumentationssystemen „bewiesen“ werden können. Verschiebungen gab es hier lediglich dann, wenn es politisch bedingt zu Neuakzentuierungen kam, bspw. Stalin plötzlich kein Klassiker mehr und damit ein Großteil des Zitatenschatzes obsolet geworden war. Zum Zweiten gibt es diejenigen Arbeiten, die bedeutsam innerhalb des systemischen Kontextes des realen Sozialismus bzw. des DDR-Systems waren. Sie zählen in Teilen zu den interessanteren Elementen einer (noch zu schreibenden) DDR-Ideengeschichte. Zum Dritten finden sich die Arbeiten, die auch über ihren gesellschaftlichen Entstehungskontext hinaus anhaltende Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen, weil sie sich kontextüberschreitend in eine Geschichte ihrer Disziplin einordnen lassen, dort wirksam sind oder sein könnten, den Fortgang des fachlichen Denkens irritieren oder stimulieren, als sinnvolle und fruchtbare Referenzpunkte der Debatten zu bestimmten Themen wirksam werden könnten. Manche Thesen, Deutungen oder Erklärungen, die diesem Teil der DDR-Gesellschaftswissenschaften entstammen, könnten wohl durchaus eine Bereicherung auch künftiger Debatten sein. Sie mögen u. U. Gegenstand späterer Wiederentdeckung werden, denn auch davon lebt ja der wissenschaftliche Betrieb zu einem gewissen Teil.
Dass die letztgenannte Gruppe ein sehr kleines Segment innerhalb der gesellschaftswissenschaftlichen Produktion umfasst, ist im Übrigen nicht DDR-typisch: Der größte Teil jeglicher Fachliteratur erfüllt seine wissensgeschichtliche Funktion, indem die jeweilige Publikation eine Meldung im Rahmen einer Diskussion ist, die eine Zeit lang ebendiese Diskussion zu beeinflussen sucht, sie u. U. auch zu prägen vermag, alsbald aber erledigt wird durch nachfolgende Publikationen. Die Ausnahmen von dieser Regel werden nur dadurch zu diesen Ausnahmen, dass die Regel gilt. Hinzu trat nun aber eines: Da jeder professionell nachdenkende Mensch, wie es Wissenschaftler sind, auch zu Denkergebnissen kommt, mussten sich auch in der DDR mindestens gelegentlich Dissonanzen zu Realentwicklungen ergeben. Der daraufhin formulierte Widerspruch war gebremst vorzutragen, wenn er eine Chance auf Veröffentlichung haben sollte – etwa als nuancierte Abweichung von hergebrachten Sprachschablonen, als Frage, die „noch intensiver“ untersucht werden müsse, oder als Antwort, die „noch umfassender“ Anwendung finden müsse. Die sozialwissenschaftlichen und gesellschaftstheoretischen Texte jenseits der realsozialistischen Scholastik pflegten also meist einen Stil der sprachlichen Entschärfung für Mitteilungen, die politisch beunruhigend waren oder hätten sein können. Daher verlangt die Lektüre und angemessene Einordnung dieser Texte häufig ausgeprägte Decodierungsfertigkeiten.
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Dies spiegelt die Umstände und Schwierigkeiten gesellschaftswissenschaftlicher Forschung in der DDR wider. Politisch gefordert war insbesondere handlungsrelevantes Wissen. Dazu mussten Probleme herausgearbeitet werden. Doch die politischen Vorlieben galten einer sozialistischen Gesellschaftswissenschaft, die vor allem darlegte, dass Probleme bereits überwunden seien. Um die Spannungen im Umgang mit Problemen zu handhaben und Veröffentlichungschancen zu sichern, mussten die Ergebnisse der Forschung in der verklausulierten Sprache vorgelegt werden. 2. DEUTUNGSSCHLÜSSEL Die Sprache der gedruckten Texte aus den DDR-Gesellschaftswissenschaften ist in ihrem oft bürokratischen Duktus sehr abweisend. Gelingt es aber, sie zu entschlüsseln, dann gewinnen die Texte nicht selten (wenn auch nicht immer) aufschlussreichen Informationsgehalt. Die Schlüssel zur Deutung sind die folgenden vier: –
–
– –
Zum Ersten war es im offiziellen – politischen wie wissenschaftlichen – Sprachgebrauch der DDR üblich geworden, möglichst nicht Probleme, sondern Lösungen zu benennen. Wo auf Problembenennungen verzichtet wurde, ist der Leser daher genötigt, aus der vorgeschlagenen Lösung das zugrunde liegende Problem herauszupräparieren. Umgekehrt ist dort, wo lediglich etwas beschrieben und auf eine Lösungsbenennung verzichtet wurde, ein bislang ungelöstes Problem zu vermuten. Dieses musste aber von den Autoren verschleiert werden, da bereits der Verzicht auf einen Lösungsvorschlag Renitenzverdacht erzeugen konnte. Zum Zweiten mussten verschleiernde Problembenennungen ebenso wie Lösungsvorschläge immer zum politischen Selbstverständnis des Sozialismus passen. Demnach oblag der Arbeiterklasse die historische Mission, eine Gesellschaft ohne Ausbeutung durchzusetzen. Was diesem Selbstverständnis nicht entsprach, wurde nicht veröffentlicht. Also entspricht ihm alles Veröffentlichte. Zum Dritten hatte der Historische Materialismus bereits die Gesetzmäßigkeiten, denen nach herrschender Meinung die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft folge, bereitgestellt. Zum Vierten waren gesellschaftswissenschaftliche Innovationen in der DDR darauf angewiesen, sich als Entfaltung des Kanonischen zu inszenieren. Die Technik dafür waren verklausulierende Sprachregelungen. So wurden etwa die Formulierungen „immer mehr“ und „noch besser“ benutzt, um negativ bewertete Sachverhalte in positive Nachrichten umzuformulieren. Auch die häufige Vokabel „Weiterentwicklung“ ist als Defizitmarkierung zu lesen: Wo ein Anliegen „weiterzuentwickeln“ war, dort war es bislang ignoriert worden. Ebenso war die Beschreibung, dass man einer Sache noch „nicht voll gerecht“ werde, eine typische DDR-gesellschaftswissenschaftliche Umschreibung für: wurde bisher komplett verfehlt. Wenn dann doch nicht darauf verzichtet wer-
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den konnte, gesellschaftliche Probleme explizit zu thematisieren, dann waren diese Probleme nicht bisher unbearbeitet (wie es meist die zutreffende Beschreibung gewesen wäre), sondern „nunmehr herangereift“ – also genau in diesem Augenblick aufzugreifen. Um es an einem Beispiel zu erproben, können die Texte des Wissenschaftsbereichs Soziologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg herangezogen werden. Sie sind nicht spektakulär, sondern typisch, also unspektakulär. Ihre Themen mögen Außenstehenden wenig spannend erscheinen, aber da Arbeitsund Industriesoziologie im Mittelpunkt der Befassungen stand, betrafen sie einen in der DDR sowohl ideologisch als auch praktisch zentralen Bereich. Liest man die in Halle entstandenen Texte, kann das wie bei anderen Manuskripten aus den DDR-Gesellschaftswissenschaften leicht zu Missvergnügen führen: Die etwas blutleere Sprache wirkt hermetisch und vordergründig wenig informierend. Wird jedoch berücksichtigt, welchen Erfordernissen die Texte zu genügen hatten, um veröffentlicht werden zu können, ändert sich das. Wie oben dargestellt: Aus den formulierten Lösungen müssen die zugrunde liegenden, aber nicht benannten oder verklausulierten Probleme ermittelt werden; in Rechnung zu stellen ist, dass die Texte zum politischen Selbstverständnis des Sozialismus passfähig sein mussten, und die verklausulierenden Sprachregelungen waren standardisiert, können also mithilfe des Decodierungsschemas entschlüsselt werden. Eine derart informierte genaue Lektüre offenbart, dass die hallesche Arbeitssoziologie – im Rahmen ihrer generellen Systemgebundenheit – durchaus kritische Potenziale entfaltete. 1982 wurde etwa, die bisherigen Forschungen des Wissenschaftsbereichs seit 1965 resümierend, formuliert: Anhand des Vergleichs von empirischen Untersuchungsergebnissen aus den Jahren 1967 und 1977 wird anschaulich, daß die Herausbildung sozialistischer Einstellungen und Verhaltensweisen im Arbeitsprozeß kompliziert und widersprüchlich ist. 2
Das klingt zunächst wenig substanziell. Doch decodierend wird man den Satz in zwei Aussagen übersetzen dürfen: (1) Innerhalb der zurückliegenden 15 Jahre habe sich hinsichtlich der Herausbildung sozialistischer Einstellungen und Verhaltensweisen im Arbeitsprozess wenig getan. (2) Die auf Funktionärsebene vorherrschenden mechanistischen Vorstellungen – Volkseigentum führe zu Eigentümermentalität und diese zu entsprechendem Arbeitsverhalten – seien realitätsfern. Beides waren im DDR-Kontext brisante Informationen. Ein anderes Beispiel: „soziologische Forschungsergebnisse … zeigen, daß sich nicht alle Werktätigen als Eigentümer der Produktionsmittel verhalten, was insbesondere in der Arbeitsdisziplin zum Ausdruck kommt.“ 3 2 3
Herter, Detlev: Arbeit und Beruf als Gegenstand soziologischer Forschungen, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Gesellschaftswissenschaftliche Reihe), Nr. 4, Halle 1982, S. 19–29, hier S. 19. Stollberg, Rudhard: Arbeitssoziologie und Weiterbildung von Leitern, in: Sozialistische Arbeitswissenschaft, Nr. 6, Berlin 1989a, S. 413–418, hier S. 417.
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Darin steckt eine zweistufige Botschaft: Stünde der Ausdruck „nicht alle Werktätigen“ für „einige wenige Werktätige“, dann wäre das in dem Text nicht erwähnenswert gewesen – denn die sozialistischen Gesellschaftswissenschaften sollten sich vor allem mit den entwicklungsentscheidenden Sachverhalten befassen, nicht mit Randphänomenen. Daher: Der Ausdruck „nicht alle Werktätigen“ war ein Euphemismus für etwas Gemeintes, das sich zwischen „viele Werktätige“ und „die meisten Werktätigen“ bewegt – und wurde wohl von jedem Eingeweihten seinerzeit auch so gelesen. Wenn aber viele oder die meisten Werktätigen keine Eigentümermentalität in Bezug auf das vermeintliche Volkseigentum entfalteten, dann heißt das im Klartext: Die hallesche Arbeitssoziologie informierte hier die Politik, die ihre offizielle Identität wesentlich aus der vollzogenen Umwälzung der Eigentumsverhältnisse bezog, darüber, dass ein zentraler Legitimationsgrund des Systems bei der vorgeblich herrschenden Arbeiterklasse bislang nicht angekommen sei. Dies zeige sich in deren Verhalten, das durch allgegenwärtige Schlamperei in den Betrieben gekennzeichnet sei – sprachlich sublimiert zu: „was … in der Arbeitsdisziplin zum Ausdruck kommt“. Gemeint war das Gegenteil von Arbeitsdisziplin, nämlich unzulängliche Arbeitsdisziplin. Oder: Die verstärkte Ausrichtung auf außerhalb der Berufsarbeit liegende Lebensbereiche (Familie, Freizeit) … muß angesichts des Postulats, daß die Arbeit das ‚Herzstück‘ der sozialistischen Lebensweise ist, … aufmerksam verfolgt … werden. 4
Ein Postulat, also eine gebietende Behauptung, drohe mithin, durch das Leben dementiert zu werden. Mit anderen Worten: Auch hier entspräche die Realentwicklung kaum den ideologischen Erwartungen. 1984 wurde als „Arbeitshypothese“ extrahiert, daß auf den gesamten Verlauf des Prozesses der Einführung neuer Technologien stärker als die Technik mit ihren veränderten Arbeitsinhalten und -bedingungen das soziale Klima des Betriebes oder Betriebsbereiches wirkt. Vertrauensvolle Beziehungen zwischen den Werktätigen und Leitern aller Ebenen, eine gute Arbeit der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen, erweisen sich für die Entwicklung sozialistischer Arbeitseinstellungen als bedeutsamer im Vergleich mit den technischen Gegebenheiten. 5
Was auf den ersten Blick wenig spektakulär wirkt, formuliert einen Konflikt, der in den Schriften der halleschen Arbeitssoziologie immer wieder thematisiert wurde – und also offenbar immer wieder thematisierungsbedürftig war: den Konflikt zwischen Technokraten, die allein auf die effektivitätssteigernde Wirkung neuer Technik setzten, und soziologisch informierten (häufig gewiss auch: sozialtechnologisch motivierten) Akteuren, die dem handelnden Menschen die Priorität vor der Technik einräumten.
4 5
Herter, Detlev: Arbeit und Beruf…, a.a.O., S. 20. 5. Arbeitssoziologische Konferenz 1984. Zusammenfassende Schlussfolgerungen aus dem Referat von Prof. Dr. sc. R. Stollberg, Halle/S., Oktober 1984, Nachlass WB Soziologie, MLU Halle–Wittenberg: Forschung.
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Als praktische Schlussfolgerungen aus solchen Untersuchungsergebnissen wurden 1982 u. a. formuliert: weitere Gestaltung progressiver Arbeitsinhalte und -bedingungen unter stärkerer Berücksichtigung der subjektiven Voraussetzungen der Werktätigen; Anstreben von Kontinuität und Dauerhaftigkeit in der Entwicklung eines sozialistischen Arbeitsklimas bzw. einer sozialistischen Kollektivatmosphäre und Ausschalten von Hektik, Formalismus, Zahlenhascherei und Kampagnenarbeit; Heben der Autorität der staatlichen Leiter, insbesondere in den unmittelbaren Produktionsbereichen, zur Verwirklichung einer strafferen Ordnung, Sicherheit und Disziplin im Arbeitsprozeß sowie mehr Unduldsamkeit gegenüber Disziplinverstößen. 6
Auch dieser Passage lassen sich decodierend einige wesentliche Informationen entnehmen: Die Arbeitsprozesse seien jenseits der individuellen Voraussetzungen derjenigen, die sie gestalten müssen, organisiert. Diskontinuität, gepaart mit Formalismus und Zahlenfetischismus, kennzeichnete die Betriebsabläufe. Die Autorität der betrieblichen Leitungsebenen lasse zu wünschen übrig. Die Arbeitsprozesse würden erheblich durch fehlendes Engagement der Arbeitenden gestört. Eine solche analytische Durchdringung auf Basis der Decodierung gelingt in der Rückschau ganz unterschiedlich. Autoren, die sich der DDR-Wissenschaftsgeschichte aus einer biografisch und/oder geografisch distanzierten Position als einem ‚interessanten Fall‘ nähern, müssen, um das Feld zu erschließen, die Codes internalisieren, die sie biografisch nicht haben erwerben können. Das fällt naturgemäß schwer, ist aber dennoch als selbstverständliche Anforderung zu notieren: Wer sich der Geschichte widmet, muss sich Kontexte erschließen. Ein charakteristisches Beispiel: In einem ausführlichen Beitrag zur Geschichte der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar (HAB) konstatierte Steffen de Rudder, 7 dass die DDR-Veröffentlichungen zu seinem Thema heute nur bedingt verwendbar seien. Der Grund: Sie „sind häufig gekennzeichnet von einer der DDR-Wissenschaftsauffassung entsprechenden Parteilichkeit“. Belegt wird dies von de Rudder mit einer Arbeit, der er eingangs das Gegenteil attestiert: So leistet der HAB-Architekturhistoriker Christian Schädlich in seinem ‚geschichtlichen Abriss‘ von 1985 … zwar zunächst eine sachliche Dokumentation …, lässt seine Darstellung dann aber im Zitat eines Parteifunktionärs gipfeln: ‚Mit der Umgestaltung unseres Hochschulwesens befinden wir uns nicht nur in vorderster Front der wissenschaftlich-technischen Revolution, sondern auch in ideologischer Auseinandersetzung mit dem Klassengegner.‘ 8
de Rudder verzichtet hier darauf, sich eine Frage zu stellen: Was könnte den deutlichen Kontrast zwischen sachlicher Dokumentation und Funktionärszitat erklären? Demjenigen, der sich zum einen diese Frage stellt und zum anderen mit der DDR-Geschichte vertraut ist, drängt sich eine vergleichsweise naheliegende Auf6 7
8
Herter, Detlev: Arbeit und Beruf…, a.a.O., S. 20. Rudder, Steffen de: Weimar Theaterplatz. Die Architekturausbildung an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar von 1968 bis zur Wende, in: Simon-Ritz, Frank/Zimmermann, Gerd (Hrsg.): „aber wir sind! wir wollen! und wir schaffen!! Von der Großherzoglichen Kunstschule zur Bauhaus-Universität Weimar, 1846–2010, Bd. 2, Weimar 2012, S. 253–274, hier S. 253. Ebenda.
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lösung auf: Schädlich hatte seinerzeit eine sachliche Dokumentation liefern wollen, was ihm – auch nach de Rudder – gelungen ist, aber er hatte eine „politische Einordnung“ integrieren müssen. Da er einen Satz mit dem gewünschten Pathos nicht selbst schreiben wollte, griff er auf ein sprödes Zitat eines Parteifunktionärs zurück. Mithin: Er ließ seine Darstellung nicht in dem Zitat „gipfeln“, sondern pufferte sie damit ab. Er nutzte das Zitat, um seiner sachlichen Dokumentation zur Veröffentlichung zu verhelfen. Indem er kein ‚kluges‘, sondern ein plattes Zitat verwendete, machte er dem zeitgenössischen Leser klar, worin die Funktion des Zitats besteht. Dies auch in der Rückschau verstehen zu können, setzt voraus, zwischen Gesagtem und Gemeintem unterscheiden zu können, also textkompetent zu sein. Eine Fehleinschätzung, wie sie de Rudder erlag, ist nun aber auch kein unentrinnbares Schicksal. Jedenfalls zeigt das in demselben Band 9 ein Beitrag von Max Welch Guerra. Auch Welch Guerra tritt wie de Rudder ohne direkte biografische Anknüpfungspunkte an seinen Gegenstand und dennoch gelingen ihm souveräne Dekodierungen. Wenn die Hochschule nach Ansicht der HAB-Stadtplaner „gegenüber der Praxis“ Stellung zu beziehen habe, wie es 1957 hieß, dann vermag er zu erkennen, dass dies heißt: gegenüber der herrschenden Politik. 10 Wenn die Veränderung des Bauwesens „zwingend“ sei, wie es 1989 hieß, dann weiß es Welch Guerra zu deuten als Forderung nach „Entmachtung der Baukombinate“ 11. Der Leipziger Philosophieprofessor Bernd Okun hat den Mechanismus der verschleiernden Textgestaltung beschrieben. Dabei wird deutlich, dass es um mehr als nur geschicktes Formulieren ging. Ebenso wird deutlich, dass gedruckte Texte „viel Verschleierungsenergien kosteten, über die viel Gehalt verlorenging“ (Okun o. J.: 3). 12 Ganz ohne Einbußen war die Differenz zwischen (gerade noch) systemverträglichem Sagen und (soeben schon) systemunverträglichem Meinen nicht zu haben: Wir bedienten uns, um nicht anzuecken, in unserer Sprache einer Art ideologischer ‚Trägerfrequenz‘, auf die wir die eigentliche Botschaft modulierten. Wir kennen das vom UKWEmpfang, der die eigentlichen Sendesignale auf eine hohe Trägerfrequenz moduliert, um möglichst störungsfrei anzukommen. Als ‚Trägerfrequenzen‘ dienten Ideologismen, derart: ‚Wie schon Erich Honecker sagte…‘; oder ein Lenin-Zitat da und ein Lenin-Zitat dort. Zu DDR-Zeiten war allen Beteiligten klar, was das bedeutete, Sender und Empfänger wußten, was da gemeint und gedeutet werden konnte. 13
Nach 1989 wurde dies – wie auch schon in dem angeführten Beispiel zur HAB Weimar illustriert – für Uneingeweihte unverständlich. Der Zusammenhang zwi9 10 11 12 13
Vgl. Simon-Ritz, Frank/Zimmermann, Gerd (Hrsg.): „aber wir sind! wir wollen! und wir schaffen!!..., a.a.O. Welch Guerra, Max: Räumliche Planung und Reformpolitik an der HAB Weimar, in: SimonRitz, Frank/Zimmermann, Gerd (Hrsg.): „aber wir sind! wir wollen! und wir schaffen!!..., a.a.O., S. 277–301, hier S. 280. Ebenda, S. 294. Okun, Bernd: Gespräch mit Bernd Okun. Termin: 25.09.1997, in: ders.: Bestand Okun, in: Crome, Erhard/Land, Rainer/Kirschner, Lutz/Richter, Gudrun/Meuschel, Sigrid: Der SEDReformdiskurs der achtziger Jahre, Berlin/Leipzig o. J. [1999], 17 S., hier S. 3. Ebenda.
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schen ideologischer Trägerfrequenz und den Signalen, die die eigentliche Botschaft transportierten, ging nun verloren: Wer an dem Spiel nie beteiligt war, las plötzlich die gleichen Texte nicht nur anders, sondern auch mit einer Verschiebung zu den Träger-Ideologismen hin (die ja nun als besonders systemverbissen auffielen). Na klar, wenn so ein ahnungsloser West-Prof … las: ‚wie schon Kurt Hager sagte, müssen wir über unsere Probleme offener reden‘ (das hat er tatsächlich einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt, und das fand ich immer zitierfähig, mit einem leichten Grinsen zwischen den Zeilen), dann war unser West-Prof erschüttert und glücklich, endlich einen hartgesottenen Stalinisten rausgefischt zu haben. 14
Änderte sich das defensive und verschleiernde Formulieren erst nach dem Herbst 1989 oder ließen sich bereits zuvor, im Zeichen der Systemkrise, veränderte Redeweisen beobachten? 3. ZUM ENDE HIN: VERGLEICHSWEISE KLARTEXT Wie in den DDR-Gesellschaftswissenschaften auch formuliert werden konnte, wenn Chance und Wille zusammenfielen, sich über übliche Sprachregelungen hinwegzusetzen, lässt sich vor allem zum Ende der DDR hin besichtigen. Rainer Rosenberg 15 nahm dazu die Jahrgänge 1988/1989 der Weimarer Beiträge in den Blick, indem er sich diese 20 Jahre später daraufhin angeschaut hat, wieweit der anzutreffende Schreibgestus als „Seismograph sich ankündigender Erschütterungen“ wirksam werde. Er identifiziert zunächst doktrinäre Texte, die plötzlich, anders als früher, darauf verzichten, Abweichungen ad personam zu formulieren. Zwar klammere man sich nach wie vor an ZK-Beschlüsse, aber wohl eher, „um über die verworrene Gegenwart hinwegsehen zu können … Der Doktrinär auf der Flucht vor der Gegenwart.“ 16 Interessanter freilich erscheinen ihm andere Texte. Ein Beitrag attackiert das mechanistische Verständnis des Verhältnisses von Technologie und Humanismus: „Man braucht nur die Profitgesetze auszuschalten, und die High Tech entfaltet ihren wohltätigen Segen, ganz so, als wäre sie von Natur aus auf Sozialismus/Kommunismus hin verpflichtet. Leider belehrt uns der reale Sozialismus eines anderen“ (Günther K. Lehmann). In Aussagen verkleidet finden sich Forderungen: „Mit Recht wird erwartet, daß unsere Probleme, Widersprüche, Erfolge und Mißerfolge von unseren Medien, im demokratischen Dialog behandelt werden“ (Helmut Hanke/Thomas Koch). Oder: „Das Phänomen politischer Gläubigkeit in unserem Jahrhundert – aus welch unterschiedlich historischer, gesellschaft14 Ebenda, S. 4. 15 Rosenberg, Rainer: Der Schreibgestus als Seismograph sich ankündigender Erschütterungen. Die Jahrgänge 1988/89 der Weimarer Beiträge, in: Adam, Wolfgang/Dainat, Holger/Ende, Dagmar (Hrsg.): Weimarer Beiträge – Fachgeschichte aus zeitgenössischer Perspektive. Zur Funktion und Wirkung einer literaturwissenschaftlichen Zeitschrift in der DDR, Frankfurt am Main 2009, S. 263–272. 16 Ebenda, S. 265.
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licher oder religiöser Verursachung auch immer … – hat sich stets als ein Phänomen mit den verheerendsten Folgen herausgestellt“ (Horst Nalewski). Rosenberg resümiert seine Wiederholungslektüre, indem er Erstaunen darüber bekundet, „wie viel Unmut, Skepsis, ja auch Verzweiflung in den Weimarer Beiträgen sich damals artikuliert hat und wie resolut zugleich die Forderungen nach einer Liberalisierung und Demokratisierung des politischen Systems vorgetragen wurden“. In Erinnerung an die scharfen Reaktionen, die in den Jahren davor sehr viel schüchternere Einmischungen hervorgerufen hätten, lasse sich daraus schließen, wie groß die Verunsicherung der Regierenden seinerzeit geworden war. 17 Für die empirischen Sozialwissenschaften lässt sich erneut die Arbeitssoziologie in Halle (Saale) heranziehen, um eine veränderte Redeweise zu zeigen. Im Mai 1989 erschien in der Fachzeitschrift Sozialistische Arbeitswissenschaft ein Artikel zum Alltag in den Betrieben, der bemerkenswert wenig beschönigte: „Ständige Plankorrekturen, Hektik, schlechte Arbeitsorganisation und damit ungenügende Effektivität widersprechen dem Bedürfnis, gesellschaftlich Nützliches und Sinnvolles zu tun“ – einerseits. Andererseits: „Das Bedürfnis nach … einem angestrebten Wohlstand wird von einer bestimmten Zahl von Werktätigen aller Beschäftigtengruppen gegenwärtig durch eine mäßige Arbeitsleistung weitgehend befriedigt.“ Zu beachten ist hier der Hinweis auf „alle Beschäftigtengruppen“, was heißt: Mäßige Arbeitsleistungen fanden sich sowohl unter Arbeitern und Angestellten als auch Leitern. Und weiter: Adäquater Mehrverdienst für Mehrleistung „ist nicht nur eine Frage der abstrakten Einkommensrealisierung … Teure Unterhaltungselektronik schöpft zwar Kaufkraft ab, entspricht aber nur den Konsumvorstellungen eines Teils der Bevölkerung.“ Auch verbauten kleinliche Reglementierungen im Arbeitsalltag „häufig die Möglichkeiten, die in Eigeninitiative und Selbstentscheidung liegen“. Beachtenswert ist, dass hier auf die sonst üblichen sprachlichen Euphemismen „noch nicht immer“ oder „mitunter“ zugunsten eines „häufig“ verzichtet wurde. „Es gibt unter sehr hochqualifizierten Kadern häufig Beschwerden darüber, daß ihr Freiraum für leistungsorientiertes Verhalten zu gering ist.“ „Als hemmende Faktoren … erweisen sich Mängel im Leitungsstil, die Arbeit mit generalisierenden Auflagen, wo situationsgebundene Entscheidungen sinnvoller wären.“ Auch die Prognose der operativen Folgen lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Ginge es so weiter, würden sich „auf längere Sicht … Hochmotivierte in mittelmäßig Motivierte verwandeln“. Nicht zuletzt findet sich auch eine Spur Sarkasmus: Richtig sei es, „wenn sich Leiter … mehr Gedanken um die Individualität ihrer Mitarbeiter machen würden“. Dafür gebe es durchaus auch entsprechende Beispiele, „aber es ist bezeichnend, daß dafür der Begriff ‚unkonventionell‘ verwendet wird.“ 18. Der Autor war Rudhard Stollberg, seit 1965 Leiter des Wissenschaftsbereichs Soziologie an der Universität Halle-Wittenberg. Sein Artikel verdeutlicht zweier17 Ebenda, S. 270. 18 Stollberg, Rudhard: Leistung und Bedürfnisbefriedigung, in: Sozialistische Arbeitswissenschaft, Nr. 5, Berlin 1989, S. 364–367.
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lei: Die Arbeiten der halleschen Arbeitssoziologie drangen durchaus zu wesentlichen Schwächen der wirtschaftlichen und sozialen Organisation der DDRGesellschaft vor. Und vor dem Hintergrund der sonst gepflegten sprachlichen Entschärfungen wirkt der Beitrag wie ein Fanal der Frustration. Man wird vermuten dürfen, dass seine Publikation in der eingereichten, also Ursprungsfassung erfolgte. Dies mag einer damals zunehmenden Konfliktbereitschaft der Redaktion zuzuschreiben sein: Sie wollte offenkundig – wie andere Fach- und Publikumszeitschriften auch – im Angesicht der immer unübersehbarer werdenden Systemkrise solche Beiträge nicht mehr sprachlich (und damit inhaltlich) entschärfen. Die Redaktion beließ es bei einer Vorbemerkung, in der legitimierend auf dreierlei hingewiesen wird: die Vorbereitung des XII. SED-Parteitags (geplant gewesen für 1990), einen Aufsatz „Der Sozialismus als Leistungsgesellschaft“ von Otto Reinhold, Direktor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, sowie das Marxsche Grundprinzip des Sozialismus „Jeder nach seinen Fähigkeiten – jedem nach seiner Leistung“. 4. SCHLUSS Gab es gesellschaftswissenschaftliche Innovationen, so mussten sie sich im Rahmen der marxistischen Gesellschaftswissenschaften als Entfaltung des Kanonischen tarnen. Innovation ist jedoch zunächst immer das Noch-nichtMehrheitsfähige, benötigt also eine Umgebung, die gewähren lässt, um testen zu können, ob die Innovation mehrheitsfähig, mithin zum Mainstream werden kann (und dieser erstarrt irgendwann zur Orthodoxie, um damit reif zu sein für die Ablösung durch die nächste Innovation). Gesellschaftswissenschaftliche Innovationen in der DDR aber waren darauf angewiesen, sich mindestens als Mainstream, häufig auch als Orthodoxie zu inszenieren. Die Technik dieser Inszenierung waren die codierten Sprachregelungen, die es dem heutigen Leser oft mühsam machen, das Innovative in DDR-gesellschaftswissenschaftlichen Texten zu erschließen. Externe Vorgabe
wissenschaftsinterne Umsetzung
statt Benennung von Problemen: Benennung von Lösungen Lösungsorientierung neutrale Beschreibung eines Sachverhalts als verschleiernde Problembenennungen
Funktion der Umsetzung
Sicherung der Veröffentlichung
Decodierung
Ermittlung des zugrunde liegenden Problems aus vorgeschlagener Lösung Entschlüsselung des ungelösten Problems
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Passung zum politischen Selbstverständnis des Sozialismus
Einverständnis mit dem normativen Ziel
Prüfung der Argumentation bzw. empirischen Ergebnisse auf Geltung auch jenseits des normativen Ziels
sofern das Zitat nicht argumentationstragend ist: Textabsicherung
Schnellprüfung: Zitat als Ausgangspunkt der Argumentation oder als Textornament ohne inhaltliche Bedeutung?
Inszenierung von Innovativem als Entfaltung des Kanonischen: verklausulierende Sprachregelungen
Übersehbarkeit bei oberflächlicher Lektüre
Prüfung positiv formulierter Mitteilungen auf implizite Problemoder Defizitanzeigen
Tiefstapelung von Innovativem als Zwischenresultat: unverbindliche Artikeltitel
Rückholbarkeit, um etwaige Debatten zu entschärfen
Umformulierung des unverbindlich Wirkenden in verbindliche Sprache
Einordnung in die der Arbeiterklasse zugeschriebene historische Mission: ausbeutungsfreie Gesellschaft
Zitate politischer Autoritäten
Passung zum Historischen Materialismus
Tabelle
Decodierungsschema
Vollends aber ließen sich die subsystemischen Eigenlogiken nicht suspendieren. „Unter der Oberfläche regten sich Kräfte des Wandels und der Kritik, der Entideologisierung und Rationalisierung, der Effektivierung und Reform“. Dies wiederum „nicht, um das System abzuschaffen, sondern um es zu verbessern und zu dynamisieren“ 19, denn Politik und Gesellschaftswissenschaften nahmen sich wechselseitig als einer Weltanschauungsgemeinschaft zugehörig wahr. Die DDR-Gesellschaftswissenschaften standen hier in einem Rollenkonflikt: Wollten sie ernst genommen werden, waren sie den universalistischen Regeln der Wissenschaft unterworfen, mussten aber zugleich die partikularistischen Ansprüche des politischen Systems bedienen. 20 Dies führte zu einer permanenten Spannung zwischen Instrumentalisierung und Homogenisierung der Wissenschaft einerseits sowie Versuchen der Nischenbildung und Teilautonomieerringung andererseits. Doch musste die wissenschaftliche Umsetzung des politischen Auftrags der Gesellschaftswissenschaften auch mit der Doktrin in Konflikte geraten, weil 19 Pollack, Detlef: Auf dem Weg zu einer Theorie des Staatssozialismus, in: Historical Social Research, Nr. 1–2, Köln 2003, S. 10–30, hier S. 16. 20 Ettrich, Frank: Soziologie in der DDR. Hilfswissenschaft zwischen ideologischer Delegitimierung und partieller Professionalisierung, in: Berliner Journal für Soziologie, Nr. 3–4, Berlin 1992, S. 447–472, hier S. 453.
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weder Erkenntnisweise noch Untersuchungsgegenstände sich ohne Weiteres in die Doktrin einfügten. Die politische Reaktion darauf war jeweils die noch stärkere Verpflichtung auf den Marxismus-Leninismus. Sie blieb im Rahmen des Staat gewordenen Sozialismus unaufgebbar. Da sich aber die Forschung nicht ausschließlich normativ und gänzlich empiriefrei betreiben ließ, war ein Großteil der wissenschaftlichen Energien darauf zu verwenden, die vorgegebene Theorie mit der Empirie so zu synchronisieren, dass die Theorie keinen Schaden nahm. Hier waren dann fortwährend Aushandlungsprozesse zu bewältigen. Sich an diesen zu beteiligen, folgte – entgegen heutigen Absurditätswahrnehmungen – einer spezifischen Rationalität: Die DDR und mit ihr ihre Gesellschaftswissenschaften sahen sich, neben den anderen sozialistischen Ländern, als Vollstrecker eines historischen Gesetzes, wonach die Befreiung von Ausbeutung die unabweisbare Aufgabe der Gegenwart darstellte. Da dieses Gesetz – im eigentlichen eine teleologische Annahme – selbst wissenschaftlich hergeleitet wurde, konnte Forschung jenseits dieses Rahmens nur als irrational erscheinen und war daher nicht weiter zu verfolgen. Bestärkend wirkte dabei zweierlei: zum einen die geringe Attraktivität des kapitalistischen Systems außerhalb seiner Prosperitätszonen Westeuropa, Nordamerika, Australien und Japan; zum anderen die Labilität der Kalte-Kriegs-Situation, deren Gleichgewicht des Schreckens nur aufrechtzuerhalten war, wenn (auch) die sozialistische Seite stabil blieb. Beides erzeugte Bindungen an das sozialistische Projekt, die zu kappen einen sehr hohen kognitiven und emotionalen Aufwand erforderte, die also nur in seltenen Einzelfällen gekappt wurden. Allgemein herrschende Mehrheitsüberzeugung hingegen war, dem historischen Gesetz, die Epoche der Ausbeutungsfreiheit zu entfalten, auch im wissenschaftlichen Handeln zu entsprechen. Bemüht man sich um ein Verständnis der Texte aus den DDR-Gesellschaftswissenschaften, ohne diese grundlegende Selbstverortung ihrer Autoren in Rechnung zu stellen, helfen auch Decodierungstechniken nur wenig.
PROVENIENZFORSCHUNG ZU NS-RAUBGUT IM LAND BRANDENBURG Der Erstcheck als Modell Marlies Coburger Brandenburg bietet Einwohnern und Gästen über 400 museale Einrichtungen, von denen 150 dem ältesten regionalen Museumsverband Deutschlands angehören. Als 18 Museumsleiter im Jahr 1912 im Berliner Lokal „Zum Franziskaner“ die „Vereinigung Brandenburgischer Museen“ gründeten, wies das Land eine der dichtesten Museumslandschaften auf 1, nachdem seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts meist auf Initiative von lokalen und regionalen Geschichts- und Altertumsvereinen zahlreiche heimatkundlich orientierte Museen entstanden waren. Im dünn besiedelten Flächenland überwogen und überwiegen die kleinen und mittleren Museen, die sich mit großem Engagement und Einfallsreichtum der Geschichte von Regionen, Orten oder speziellen Themen zuwenden. Ihr Alltag wird von den traditionellen musealen Kernaufgaben, dem „Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen“ bestimmt. Hinzu kommen Herausforderungen wie neue Medien und Digitalisierung, der nicht zu unterschätzende „Bürokram“ und anderes mehr. Personal und finanzielle Mittel stehen oft nur knapp zur Verfügung. Seit der „Washington Conferencier on Nazi-Confiscated Art“ 1998 haben sich auch diese Museen einer weiteren Aufgabe zuzuwenden: der Untersuchung ihrer Bestände auf mögliches NS-Raubgut. 44 Staaten, darunter Deutschland, bekannten sich in den elf „Washington Principles“ vom 3. Dezember 1998 dazu, in der NS-Zeit beschlagnahmte Raubkunst zu identifizieren, ihre Alteigentümer oder Erben zu suchen und gerechte und faire Lösungen zum Umgang mit den Objekten zu finden. 2 Ein Jahr später übernahm Deutschland in der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ 3 eine auf Kulturgut erweiterte Selbstverpflichtung zu den rechtlich nicht bindenden Prinzipien. Im April 2000 ging die Datenbank www.lostart.de 1 2 3
Köstering, Susanne/Lindemann, Arne: Von der Kaiserzeit bis heute. Forschungsstand und Forschungslücken, in: Museumsblätter. Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg, Nr. 20, Potsdam September 2012, S. 4. Online verfügbar unter: http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Grundlagen/Washington erPrinzipien.html (3.10.2018). Online verfügbar unter: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Ge meinsame-Erklaerung/Index.html (3.10.2018).
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online und 2001 wurde eine erste „Handreichung zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung“ 4 mit methodischen Hinweisen zum Umgang mit der Problematik zur Verfügung gestellt. Mit der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste und der Arbeitsstelle für Provenienzforschung sowie seit 2015 mit der neu gegründeten Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, die die Vorgängereinrichtungen ersetzte und der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien zugeordnet ist, wurden strukturelle Voraussetzungen und Ansprechpartner für die finanzielle Förderung der Raubgutforschungen von Museen und anderen Einrichtungen mittlerweile auch von Privatpersonen geschaffen. Während große Museen zunehmend ihre Bestände auf NS-Raubgut untersuchten, führten kleine und mittlere Einrichtungen nur vereinzelt solche Nachforschungen durch. Das war auch in Brandenburg der Fall. Zwar hatten die Museen grundsätzlich Interesse an der neuen Aufgabe. Das hatte die rege Beteiligung von über 40 Zuhörern an einer ersten Veranstaltung des Museumsverbandes zum Thema im Jahr 2008 gezeigt. Allerdings starteten bis 2012 nur vier Brandenburger Museen 5 entsprechende Projekte. Das wollte die Geschäftsführung des Verbandes ändern: „Ein Gespräch mit der Arbeitsstelle Provenienzforschung, die Aufstockung der Mittel und der Ruf gerade auch an kleinere und mittlere Museen machten uns Mut, hier selbst eine Offensive zu starten.“ 6 Diese Offensive sah einen Erstcheck als Unterstützung für die kleinen und mittleren Museen vor, bei dem eine zeitlich begrenzte Fachexpertise von außen feststellen sollte, ob Anhaltspunkte oder Verdachtsmomente für möglicherweise NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut in den Museumsbeständen vorliegen oder nicht. Für den Fall, dass solche festgestellt würden, sollten die Einrichtungen und ihre Träger, die die nachfolgende praktische Umsetzung zu verantworten haben, Empfehlungen zur weiteren Vorgehensweise erhalten, insbesondere zum Beantragen von möglichen Förderanträgen. Das mit Unterstützung der Arbeitsstelle Provenienzforschung entwickelte Pilotprojekt zum Erstcheck startete im September 2012 und fokussierte sich auf Museen mit vor 1945 angelegten Sammlungen, die anfangs als Altbestand bezeichnet wurden. Von den knapp 30 Brandenburger Stadt- und Regionalmuseen, die über solche Bestände verfügen, beteiligten sich sieben am Pilotprojekt. 7 Neben ihrer Bereitschaft mitzumachen, gab es bei ihnen erste Hinweise auf Objekte mit unklarer Herkunft, auf relevante bisher nicht gesichtete Dokumente, auf lokale 4 5 6 7
Online verfügbar unter: http://www.lostart.de/Content/01_LostArt/DE/Downloads/Handrei chung.pdf;jsessionid=1F4AD30270627B81E0DDD991A9864B05.m0?__blob=publicationFi le&v=4 (3.10.2018). Ehm-Welk- und Heimatmuseum Angermünde, Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz/Cottbus, Stadtmuseum im Kulturquartier Mönchenkloster Jüterbog, Potsdam-Museum – Forum für Kunst und Geschichte. Berndt, Iris: Manuskript (unv.) für den Workshop „Provenienzforschung in kleinen und mittleren Museen“ des Museumsverbandes des Landes Brandenburg am 24.10.2013, S. 3. Heimatmuseum Dahme, Museum Fürstenwalde, Heimatmuseum Müllrose, Museum Neuruppin, Kreismuseum Oberhavel Oranienburg, Ofen- und Keramikmuseum Velten, Museum Alte Burg Wittenberge.
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Forschungen zur jüdischen Geschichte und Ähnliches. Für den Erstcheck stellte der Museumsverband bei der Arbeitsstelle für Provenienzforschung einen Antrag auf kurzfristige Förderung und beauftragte nach dessen Bewilligung zwei Wissenschaftlerinnen mit den Autopsien in den Museen. Ihnen standen für jedes Museum knapp zwei Wochen Zeit zum Recherchieren zur Verfügung. Sie hatten sich mit der Geschichte der Museen, vor allem in der NS-Zeit, vertraut zu machen, Inventarbücher, Kataloge, Schriftwechsel und andere Quellen und falls erforderlich auch Museumsobjekte zu sichten, Hinweisen der Museumsleiter nachzugehen, weiterführende relevante Archivalien zu ermitteln, die vorliegende Forschungsliteratur vor allem zur jüdischen Geschichte vor Ort und zu anderen NS-Verfolgten zu erfassen, sog. verdächtige und unklare Objekte zu erfassen, einen Bericht zu schreiben und fundierte Empfehlungen auszusprechen. Bei diesem Pensum war allen klar, dass es nur um eine Erstrecherche gehen konnte. Bereits die Projektvorbereitung zeigte, dass Transparenz bei der Herkunft der Bestände nicht bei möglichem NS-verfolgungsbedingt enteignetem Kulturgut stehen bleiben kann. Auch wenn sich das Hauptaugenmerk des Erstchecks auf die Altbestände und mögliches NS-Raubgut richtete, sollten deshalb auch solche Provenienzen miterfasst werden wie Kulturgut aus Schlössern und Herrenhäusern, das als Schlossbergung oder nach Enteignungen im Zuge der Bodenreform in die lokalen Museen gelangt war, beschlagnahmtes Gut von Republikflüchtlingen, auffällige Ankäufe beim Staatlichen Kunsthandel der DDR und weitere noch unbekannte auffällige Zugänge. Mit mehreren Checklisten des Museumsverbandes versehen, gingen die beiden Bearbeiterinnen die erste Recherche gemeinsam an. Vor Ort im Kreismuseum Oberhavel in Oranienburg waren sie wie später in allen Museen in hohem Maße auf die Unterstützung der Museumsleiter*innen und ihrer Mitarbeiter*innen angewiesen, die dem Blick von außen mit Spannung, manchmal auch mit Skepsis entgegensahen. Dass eine Historikerin und eine Kunstwissenschaftlerin das Pilotprojekt bearbeiteten, erwies sich rasch als vorteilhaft. Unterschiedliche Sichtweisen und berufliche Erfahrungen ergänzten sich produktiv und in Abstimmung mit dem Museumsverband konnten sie ein einheitliches Vorgehen für den Umgang mit den facettenreichen oder spärlichen Informationen und den gesichteten Quellen entwickeln. Auch erwies sich das Oranienburger Museum als Glücksfall für den Start des Pilotprojekts. Hier gab es eine engagierte Museumsleiterin, die bereits erste Nachforschungen zu möglichem NS-Raubgut angestellt hatte. Es gab Anhaltspunkte für unklare und verdächtige Provenienzen in großer Bandbreite und Vielfalt: mögliche NS-Verfolgung, Bodenreform und Schlossbergung, Republikflucht, staatlicher Kunsthandel, auffälliger Privatbesitz und andere. Und es gab große Überlieferungsprobleme, mit denen umzugehen war. Das sensibilisierte und wirkte sich positiv auf die folgenden Erstchecks aus, bei denen diese Vielfalt oft nur partiell gegeben war. Schon in Oranienburg fiel die Entscheidung, die Checklisten für die Berichterstattung in einem Raster zusammenzufassen. Dieses hatte mit gelegentlichen Modifizierungen über die kommenden Jahre Bestand und erlaubte es anderen Museumsverbänden und Museen, sich am methodischen Vorgehen des Erstchecks zu
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orientieren. Am wichtigsten waren die unter Punkt 3 und 4 zu füllenden Objektlisten verdächtige bzw. unklare Provenienz, die mögliches NS-Raubgut („verdächtig“) bzw. alle anderen fragwürdigen Provenienzen („unklar“) abgrenzten. Diese Terminologie diente als Arbeitsmittel für den Erstcheck, um einen ersten Überblick zu erhalten. Der spätere Versuch, in einem Erstcheckprojekt weitere Listen einzuführen oder Untergliederungen vorzunehmen, scheiterte angesichts der Vielfalt der Provenienzen, die nicht immer eindeutig zuzuordnen waren. Das nachfolgend abgebildete Raster fand in allen Brandenburger Museen Anwendung, die an den insgesamt vier Staffeln des Erstchecks teilnahmen. Nur gelegentlich erfolgten örtlich bedingte Modifizierungen. Erstcheck Provenienzforschung – Museumsverband Brandenburg – Raster Museumsbestand 1.1. Anzahl der Objekte und Stand der Inventarisierung 1.2. Bemerkungen zu Inventarisierung, Bestandspflege und Personalsituation 1.3. Lagerung der Bestände 1.4. Inventuren 1.5. Umzüge/Standorte 2. Hausarchiv und durchgesehene Bestände 2.1. Umfang, Art der Bestände und Lagerung 2.2. Liste der durchgesehenen Bestände 2.2.1. Inventare 2.2.2. Kataloge 2.2.3. weitere Archivquellen 2.2.4. nicht durchgesehene Bestände 2.2.5. Nachfragen bei ehemaligen Museumsleitern bzw. Mitarbeitern 3. Objektliste verdächtige Provenienz vor und nach 1945 4. Objektliste unklare Provenienz vor und nach 1945 5. Sichtung von Forschungsergebnissen, eigene Recherchen und Hinweise zu weiteren Nachforschungen 5.1. zum Museumsbestand bei Kriegsende 5.2. zur jüdischen Geschichte vor Ort 6. Zusammenfassung und Empfehlungen 6.1. Altbestand 6.2. Neuerwerbungen ab Kriegsende 6.3. Empfehlung für die Weiterführung der Provenienzforschung Entscheidend für die auszusprechenden Empfehlungen war Punkt 3, die Objektliste verdächtige Provenienz vor und nach 1945. Sie sollte Objekte aufführen, bei denen ein Entzug durch die Nationalsozialisten nicht ausgeschlossen werden kann und die vermutlich aus dem Eigentum von rassisch, politisch und weltanschaulich Verfolgten und Enteigneten des NS-Regimes stammen – von als Juden verfolgten Bürgern, von politischen und weltanschaulichen Gegnern, von aufgelösten Verbänden, Vereinen etc., z. B. von Freimaurern oder Gewerkschaften. Indizien dafür konnten sein: eine auffällige Herkunft zwischen 1933 und 1945 (u. a. Bürgermeis-
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ter, Polizeidienststellen, Landratsämter, Gestapo, Finanzbehörde, NS-Parteiorgane, NS-exponierte Privatpersonen), Hinweise auf Auktionen und den Kunsthandel, insbesondere zwischen 1938 und 1944 (Auktionslos-Nummern), die Namenszusätze Sara oder Israel bei Einlieferern, auffällige Signaturen und Beschriftungen auf Gemälderückseiten, Hinweise auf die Auflösung eines Vereins zwischen 1933 und 1945 oder die außergewöhnliche Kostbarkeit von im NS-Kunsthandel erworbenen Konvoluten. Vor Ort zeigte sich bald, dass solche Objekte auch nach 1945 in Museen gelangten und mittlerweile ist es in den Museen vor allem mit Kunstbesitz gang und gäbe, auch diese Erwerbungen bis in die Jetzt-Zeit zu untersuchen und ihre Herkunft zu überprüfen. Die oft seitenlang gefüllten Objektlisten unklare Provenienz vor und nach 1945 des Pilotprojekts und seiner Nachfolger könnten möglicherweise weitere Gegenstände enthalten, die einst NS-Verfolgten gehörten. Bei Zugängen z. B. von einem Altwarenhändler fehlen Angaben zu den Vorbesitzern und es ist bekannt, dass solche Händler mit Eigentum aus jüdischem Besitz handelten. So bestimmte der Vorsteher des Finanzamtes von Beeskow am 4. Juni 1942 unter dem Betreff Abschiebung von Juden, dass alle nicht an Bombenkriegsopfer gegebenen Einrichtungsgegenstände an die Gebrauchtwarenhändler Puchert, Fürstenwalde und Jäh, Storkow zu verkaufen sind. Über deren Kunden können sie in Museen gelangt sein. 8 Auch bei auffällig erscheinendem Privatbesitz, bei Schlossbergungsgut oder Ankäufen im Kunsthandel nach 1945 ist nicht auszuschließen, dass sich Provenienzen überlagern. In vielen kleinen und mittleren Brandenburger Museen fehlen zudem nicht selten jegliche Provenienzangaben zu den vor 1945 erworbenen Objekten. Bei Kriegsende und in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden nicht nur Sammlungen und Objekte zerstört, gestohlen oder geplündert, sondern auch die Museumsunterlagen. So bezeichnete ein Fürstenwalder Museumsmitarbeiter im September 1945 „die Vernichtung des Museumskataloges und der Museumskartei, die in einem Panzerschrank eines hiesigen großen Industriewerks untergebracht waren und dort zerstört worden sind“, als größten Verlust. 9 Ähnlich blieben auch dem Heimatmuseum Dahme durch geschickte Einlagerungstaktik alle Objekte erhalten, während die Unterlagen sämtlich im Feuer aufgingen. Aus heute nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen wurden in einzelnen Museen nach dem Kriegsende und in den 1950er-Jahren weitere Schriftstücke aus der NS-Zeit kassiert. Gelegentlich kam es vor, dass da, wo sich selten genug alte Inventarverzeichnisse fanden, deren Inhalt nicht weiterhalf, weil sie die Eingänge unzureichend beschrieben: ein Gemälde, 17. Jahrhundert; ein Schrank, Barock; 1 Truhe, 16. Jahrhundert usw. Angesichts fehlenden Fachpersonals wurden die ersten Nachkriegsinventare und Kataloge gelegentlich von Museumsleitern oder -mitarbeitern ohne museologische Ausbildung angelegt. Wissensverluste setzten sich fort, wenn diese Nachkriegsinventare von neuen Inventaren mit geänderten Objektklassifizierungen abgelöst wurden. 8 9
Brandenburgisches Landeshauptarchiv Rep. 36 C Finanzamt Beeskow Nr. 1, Bl. 17. Abschrift (handschriftlich) eines Schreibens vom 14.9.45, in: Hausarchiv Museum Fürstenwalde, Mappe: Gründung des Museums nach 1945. Bemühungen zum Museum [1936], o. P.
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Um die angeführten Defizite in möglichen Folgeprojekten ausgleichen zu können, suchten die Bearbeiterinnen nach Hinweisen auf andere Dokumente und Materialien wie Quellen in Stadt-, Regional- und Landesarchiven, zeitgenössische Veröffentlichungen der lokalen Heimat-, Kunst- und Geschichtsvereine, regionale Tageszeitungen sowie Erinnerungen von Museumsleitern und -angestellten. Deren Auswertung war im Projekt nicht vorgesehen und zeitlich auch nicht möglich. Zur Projektmitte lud der Museumsverband seine Mitglieder im Oktober 2012 zu einem Workshop in das Ofen- und Keramikmuseum nach Velten ein, bei dem erste Projektergebnisse referiert und rege diskutiert wurden. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass der Erstcheck von großem Nutzen sein würde. Das bestätigte sich beim Abschluss des Pilotprojekts Anfang des Jahres 2013, als jeweils vor Ort auswertende Gespräche zwischen den Leiterinnen und Leitern der Museen, einem Vertreter ihrer Träger, der zuständigen Referentin des Museumsverbandes und der jeweiligen Bearbeiterin stattfanden. Die Treffen dienten der Übergabe der Berichte an die Museen und ihre Träger, dem Austausch über die Projektergebnisse und der Verständigung über die Möglichkeiten für das weitere Vorgehen. Dabei war es besonders wichtig, die Träger über die staatlichen Fördermöglichkeiten zu informieren, insbesondere wenn vertiefende Nachforschungen empfohlen wurden. Die Museumsleiter*innen hatten dazu schon beim Workshop in Velten Informationen erhalten. Das Pilotprojekt erwies sich als Erfolg: Es war nicht nur möglich, in kurzer Zeit einen fundierten Erstcheck durchzuführen, dieser offenbarte auch den Handlungsbedarf von kleinen und mittleren Museen. Das Pilotprojekt stieß in fünf von sieben Museen auf Hinweise für die Objektliste verdächtige Provenienz vor und nach 1945, darunter als bedeutendstem Fund im Museum Müllrose Hinweise auf etwa 60 Bücher und 19 historische Landkarten aus dem Besitz von Friedrich Wilhelm Graf zu Lynar, der als Mitwisser des Attentats vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Außerdem fanden sich Objekte, die möglicherweise jüdische Vorbesitzer hatten, sowie Gegenstände von Logen und Vereinen, die von den Nationalsozialisten aufgelöst worden waren. Angesichts der Resultate wiederholte der Brandenburgische Museumsverband das Projekt mit drei weiteren Staffeln. An den vier Projektrunden bis 2016 nahmen insgesamt 22 Museen 10 teil. Damit beteiligten sich fast alle infrage kommenden Museen mit Beständen aus der Zeit vor 1945. Der Museumsverband traf sich in dieser Zeit mehrfach mit den Bearbeiterinnen, zu denen sich zwei weitere Provenienzforscher*innen gesellten, und bildete ein kleines temporäres Brandenburger Netzwerk Provenienzforschung. Mehrere Museen führten ab 2013 Folgeprojekte mit finanzieller Förderung der Arbeitsstelle für Provenienzforschung und des Deutschen Zentrums Kultur10 Neben den sieben Museen des Pilotprojekts nahmen teil, 2013: Oderlandmuseum Bad Freienwalde, Stadtmuseum – Museum im Frey-Haus Brandenburg an der Havel, NiederlausitzMuseum Luckau, Stadt- und Regionalmuseum Perleberg, Dominikanerkloster Prenzlau – Kulturhistorisches Museum, Stadtmuseum Schwedt/Oder; 2014: Stadtmuseum Cottbus, Museum Eberswalde, Museum Viadrina Frankfurt/Oder, Stadt- und Regionalmuseum Lübben, Stadt- und Brauereimuseum Pritzwalk, Wegemuseum Wusterhausen/Dosse; 2016: Brandenburgisches Textilmuseum Forst, Stadtmuseum Strausberg, Stadtmuseum Lenzen/Elbe.
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gutverluste durch. Mit deren Bearbeitung wurden die am Erstcheck beteiligten Forscherinnen und Forscher beauftragt. Noch im Frühjahr 2013 startete das Heimatmuseum Müllrose eine „Vertiefende Provenienzrecherche zu Büchern und Landkarten aus der ‚Gräflich zu Lynarschen Fideikommiß Bibliothek‘ [...] im Hinblick auf ihre Rückgabe an die Eigentümer“ als kurzfristiges Projekt. Das Museum Fürstenwalde legte im selben Jahr nach mit einem damals noch förderfähigen kurzfristigen Projekt zum Thema „Jüdische Einwohner von Fürstenwalde und Museumszugänge 1933–45: Zusammenstellung/Recherche und ein Vergleich und Provenienzrecherche zum Buchbestand“. Zwei langfristige Projekte zu systematischen Bestandsprüfungen auf mögliches NS-Raubgut folgten in Müllrose von 2014 bis Anfang 2017 11 und 2016 bis Anfang 2017 am Stadt- und Regionalmuseum in Lübben 12. Zwischenzeitlich lief am Stadtmuseum Brandenburg an der Havel/Museum im Frey-Haus eine „Vertiefende Provenienzrecherche zu Bildwerken von Karl Hagemeister und Theodor Hosemann u. a. [...]“ in seinen Beständen. Dieses Museum hatte in den 1940er-Jahren Gemälde im Berliner Auktionshaus Hans W. Lange angekauft, von dem bekannt ist, dass es mit Kunst aus jüdischem Besitz handelte. Die als kurzfristiges Projekt geplante Untersuchung weitete sich angesichts des Forschungsbedarfs bis 2015 auf fast ein Jahr aus. Sie steht auch beispielhaft dafür, wie neu erschlossene Quellen und Erkenntnisse aus anderen Projekten Ergebnisse nachträglich präzisieren können. So konnte fast zwei Jahre nach dem Ende des Projekts ein Gemälde der Brandenburger Museumssammlung eindeutig als NS-verfolgungsbedingt entzogen identifiziert werden, während andere aufgrund der schlechten Quellenlage ungeklärt und weiterhin verdächtig blieben. 13 Auch wenn die Anzahl der Folgeprojekte überschaubar scheint, zeigt der Erstcheck Wirkung bei den brandenburgischen Museen. Einige setzen begonnene Nachforschungen mit eigenen Kräften fort. Einzelne planen Folgeprojekte, was angesichts von mittlerweile zu finanzierenden Eigenanteilen schwieriger geworden ist. Insgesamt gibt es eine spürbare Sensibilisierung für die Provenienzen von Objekten. So berichtete der Museumsreferent Alexander Sachse bei einem Symposium 2018, dass sich Museen schon mehrfach bei der Geschäftsstelle des Museumsverbandes erkundigten, ob sie angebotene Objekte in ihre Sammlung aufnehmen können oder es Bedenken wegen ihrer Herkunft gibt. 14 Der Erstcheck hatte und hat eine enorme Außenwirkung. Die Mitarbeiter des Brandenburger Museumsverbandes und die Bearbeiterinnen erhielten Einladungen vom Deutschen Museumsbund, vom Arbeitskreis Provenienzforschung, von den Museumsverbänden der Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen der Kommission für Provenienzforschung in Wien und weiteren Einrichtungen, um ihre Erfah11 „Prüfung der Bestände des Heimatmuseums Müllrose in Hinblick auf den Eingang von NSverfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“, weitere Informationen online verfügbar: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forschungsfoerderung/Projektfinder (3.10.2018). 12 „Langfristiges Projekt zur systematischen Prüfung von Sammlungsbeständen“, Abschrift (handschriftlich) eines Schreibens vom 14.9.45…, a.a.O. 13 Noch nicht veröffentlichte Information von Dr. Gabriela Ivan an die Verfasserin (20.9.2018). 14 „Geraubte Judaica – Die Erforschung ihrer Provenienz in Israel und Deutschland“. Fachsymposium im Jüdischen Museum Berlin, 18.6.2018.
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rungen und Ergebnisse vorzustellen. Eine Weile sprach man vom „Brandenburger Modell“. Mittlerweile entwickelte sich der Erstcheck zu einem Modell, das andere Museumsverbände übernahmen und für sich modifizierten. MecklenburgVorpommern und Sachsen-Anhalt führten z. B. Erstcheckprojekte mit einer zweijährigen Laufzeit durch. Eine Zweijahresfrist bietet den Vorteil, kontinuierlicher zu arbeiten und so möglicherweise verborgene Zusammenhänge eher zu entdecken. Bayern berät seine nichtstaatlichen Museen mittels einer Landesstelle, in Hessen gibt es eine zentrale Stelle für Provenienzforschung mit fest angestellten Mitarbeiter*innen, desgleichen in Nordrhein-Westfalen. Auch Bibliotheken und Sammlungen übernehmen die Idee des Erstchecks. Die spätere Entwicklung hat auch das vorausschauende Vorgehen des Brandenburgischen Museumsverbandes bestätigt, im Erstcheck solche Provenienzen wie Schlossbergung, Republikflucht, staatlicher Kunsthandel und andere zu erfassen. Die gesammelten Daten indizierten die Relevanz des Themas, das mittlerweile auch in den Fokus des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste gelangte. Da die juristischen Fristen verjährt sind, geht es nicht wie bei NS-Raubgut um Restitutionen, sondern um neue Forschungsfelder. Die ersten drei Projekte sind angelaufen. Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung erforscht seit September 2017 „Die MfS-Aktion ‚Licht‘ 1962“ in einem Zwei-Jahres-Projekt, beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR soll bis September 2019 ein „Spezialinventar für ausgewählte Aktenbestände des MfS zu Entziehungen von Kunst- und Kulturgut in SBZ und DDR unter dem Aspekt der Provenienzforschung“ erarbeitet werden. Und auch der Museumsverband des Landes Brandenburg widmet sich dem Thema mit einem Pilotprojekt zur Untersuchung kritischer Provenienzen aus der Zeit der SBZ und DDR in brandenburgischen Museen unter dem Titel „Zwischen Schlossbergung und Kommerzieller Koordinierung.“ 15 Nicht allein zu einem Forschungsfeld, sondern zu einem politisch brisanten, emotional aufgeladenen und noch am Anfang stehenden Thema ist die Aufarbeitung des kolonialen Erbes in deutschen Museen und Sammlungen geworden. Öffentlich fokussiert es sich momentan stark auf die außereuropäischen Objekte aus den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die im wiederaufgebauten Stadtschloss gezeigt werden sollen. Doch Objekte mit möglichem kolonialem Hintergrund befinden sich auch in kleinen und mittleren Museen, in Stadt- und Regionalmuseen. Bei den Erstchecks und im Zwei-Jahres-Projekt am Heimatmuseum Müllrose stieß die Bearbeiterin mehrfach darauf. Das Müllroser Museum besitzt z. B. eine aufwändige Schnitzerei aus Teewurzeln, die einen Hausgötzen darstellen soll und die 1902 von einem Müllroser Bürger aus China mitgebracht wurde. Oder eine Holztafel mit vermutlich japanischer Malerei aus dem Nachlass eines Arztes. Mehr ist nicht bekannt. Dabei lässt sich manches noch immer erschließen. Durch die Befragung einer Angestellten, deren Tante dem Museum „exotische“ Objekte übergab, konnte festge15 Weitere Informationen online verfügbar unter: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/ Forschungsfoerderung/Projektfoerderung-Bereich-SBZ-DDR/Index.html (3.10.2018).
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stellt werden, dass diese Tante lange auf einer Lepra-Station tätig war. Gelangten solche Objekte anfangs vor allem als Kuriositäten oder außergewöhnliche und deshalb erhaltenswerte Kostbarkeiten mit Schauwert in die Museen, so sollten sie heute auch aus der Sicht möglichen kolonialen Erbes befragt werden, das nicht nur in den Metropolen, sondern auch in der Provinz präsent ist. Es wäre begrüßenswert, wenn zukünftige Provenienzforschungen zu kolonialen Objekten die kleinen und mittleren Museen nicht vergessen. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste plant, ab 2019 als neuen Arbeitsschwerpunkt „Kulturgüter aus kolonialen Kontexten“ zu erforschen. 16 Auf das Modell des Erstchecks kann dabei sicher zurückgegriffen werden, wie auch auf andere Erfahrungen der NS-Raubgutforschung und auf die von ihr erschlossenen Quellen.
16 Weitere Informationen online verfügbar: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forsch ungsfoerderung/Projektfoerderung-Bereich-Kulturgut-aus-kolonialem-Kontext/Index.html (3.10.2018).
DEUTSCHE HISTORIKER IM ERSTEN WELTKRIEG Mario Keßler Das als „Weltpolitik“ bezeichnete Großmachtstreben des deutschen Imperialismus fachte nach 1900 die ohnehin starken nationalistischen Stimmungen unter deutschen Professoren noch an. Die Berufungspolitik der Universitäten sorgte für eine immer effektivere Selbstrekrutierung dieser zunehmend illiberalen Elite. Die meisten der um 1900 rund einhundert Professoren für Geschichte in Deutschland waren protestantische Christen. Nur wenige Katholiken und noch weniger – getaufte – Juden erhielten die Chance der Berufung an eine Universität. Von den Juden zu schweigen, schlug auch den Katholiken in Folgewirkung des Bismarckschen Kulturkampfes Misstrauen entgegen. Das elitäre Selbstverständnis der Professoren legte die Axt an die Wurzeln eines neohumanistischen Verständnisses von geistiger und charakterlicher Bildung, so sehr dieses in Sonntagsreden bemüht wurde. Darin liegt auch der Schlüssel für die Tatsache, dass fast alle deutschen Professoren die imperialistische Politik rechtfertigten, die zum Ersten Weltkrieg hinführen sollte. Die folgenden Bemerkungen suchen dies anhand der Historiker zu illustrieren. I. Nach der Niederlage der Revolution von 1848 war die Frage der nationalen Einheit zur Machtfrage zwischen Preußen und Österreich, zwischen den Hohenzollern und den Habsburgern, geworden. Bismarcks diplomatischen und staatsmännischen Fähigkeiten sowie die ökonomische und militärische Überlegenheit Preußens führten zwischen 1864 und 1870 zur kriegerischen deutschen Einigung durch „Blut und Eisen“, wobei der Rest des geeinten Deutschlands in Preußen und seinem militaristischen Geist sozusagen aufging. Die halbabsolutistische preußische Staatsverfassung wurde zur Grundlage der deutschen Staatsordnung. Die Anbetung autoritärer Herrschaft und der Kult des Nationalismus und Militarismus wurden aber nicht nur von oben aufgenötigt, sondern waren Grundlage des Selbstverständnisses breitester Kreise des mittleren Bürgertums. In den 1840er Jahren standen Professoren und insbesondere Historiker in vorderster Linie der Kämpfe um Demokratie, doch zeigten die Jahre ab 1871 den Aufstieg einer neuen akademischen Kaste, die sich der Machtpolitik im Zeichen eines besonderen deutschen Wesens, an dem die Welt genesen solle, verschrieb. Je rücksichtsloser Bismarck mittels seiner Ausnahmegesetze die politischen Akti-
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onen der Arbeiter unterdrückte, desto mehr bewunderte ihn das Bürgertum, und die Professoren bildeten keine Ausnahme. Das neue deutsche Kaiserreich wurde sehr rasch zum hochentwickelten kapitalistischen Staat. Insbesondere die Schwerindustrie profitierte von der Politik der Aufrüstung, für die der Staat eine große Masse an flüssigem Kapital zur Verfügung stellte. Der Staat förderte große Forschungseinrichtungen mit Langzeitprojekten, die der Modernisierung der Armee und der Entwicklung der Infrastruktur im ganzen Land zugutekamen. Dabei spielten die Universitäten eine Schlüsselrolle. Der Staat widmete sich besonders der Förderung der Naturwissenschaften, doch wurden nach 1900 auch die Sozial- und Geisteswissenschaften zu immer wichtigeren Faktoren politischen Handelns im Zeichen eines aggressiven Imperialismus mit dem Anspruch auf weltweite Gestaltungskraft. Die deutschen Universitäten wurden zum Spiegelbild einer Gesellschaft, die sich der kapitalistischen Modernisierung verschrieben hatte. Zum einen waren die Universitäten die Stätten am weitesten fortgeschrittener Forschung, die oftmals von den immer mächtigeren Großunternehmen mitfinanziert wurden. Dabei genossen die Universitäten zum anderen ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit durch das Prinzip der akademischen Selbstverwaltung, was einer unmittelbaren politischen Kontrolle Zügel anlegte. Vom Standpunkt der herrschenden Klasse lag darin keinerlei Risiko, da die übergroße Mehrzahl der deutschen Professoren den herrschenden Wertekanon ohne Einschränkung vertrat. Für die meisten deutschen Gelehrten war das Reichsgründungsjahr 1871 der Höhepunkt einer geschichtlichen Entwicklung, die mit den Kriegen gegen Napoleon 1813–1815 ihren Anfang genommen hatte. Dies galt insbesondere für die Geschichtsprofessoren. Sie bildeten Zehntausende von Gymnasial- und Mittelschullehrern aus, die die Ansichten ihrer Professoren im ganzen Land verbreiteten. Das leitende Prinzip aller historischen Ausbildung in Deutschland um 1900 war, dass große Männer die Geschichte machen. Die Mehrheit der deutschen Historiker sah seit Leopold von Ranke und Heinrich von Sybel den Geschichtsprozess als reines Produkt einer Machtpolitik. So nimmt es nicht wunder, dass politische und diplomatische Dokumente als Geschichtsquellen über allen anderen Zeugnissen standen und fast nur sie in der Ausbildung herangezogen wurden. Wo sich Historiker wie Sybel mit dem Eingreifen der Volksmassen in den Geschichtsprozess auseinandersetzten, taten sie dies ausschließlich, indem sie dieses Eingreifen als störend darstellten. 1 Unter Rankes Schülern propagierte vor allem Heinrich von Treitschke, der Nachfolger auf seinem Berliner Lehrstuhl, das deutschnationale Ideengut. Sein Hauptwerk, die Deutsche Geschichte in fünf Bänden, war eine geschichtspolitische Untermalung der Politik des Kaiserreiches. Als Propagandist der deutschen Kolonialpolitik wurde Treitschke zum erbitterten Feind des mächtigsten kolonialbesitzenden Staates der Welt, des britischen Empire. Doch Treitschke war auch 1
Vgl. Iggers, Georg G.: The German Conception of History. The National Tradition of Historical Thought from Herder to the Present, Middletown 1968, S. 12. Die nachfolgend genannte Literatur stellt nur eine Auswahl zum Thema dar.
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der Universitätsprofessor, der mehr als jeder andere das antisemitische Ressentiment im Hörsaal gesellschaftsfähig machte. Auch deshalb bewunderten ihn die politischen Eliten, das Junkertum und die Spitzen der Bourgeoisie. Hatte Ranke noch das Prinzip der Unparteilichkeit in der Interpretation historischer Ereignisse verfochten, verstanden sich seine Nachfolger ausdrücklich als politische Historiker. Einen milden Widerspruch, was diese Konzeption, doch keineswegs die dahinterstehende Politik betraf, meldeten Sozialhistoriker wie Karl Lamprecht und Max Weber an. Doch auch sie und mit ihnen verbundene Soziologen wie Werner Sombart und Robert Michels sahen die Lösung für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in einer expansiven Außenpolitik. Dafür war ein militaristischer Staat nötig, denn jede staatliche Organisation beruhe, so Otto Hintze, auf militärischer Organisation. 2 Dieser Prämisse folgend, entwarfen die Historiker ein glänzendes Bild von Deutschlands Rolle als Ordnungsfaktor in der Weltpolitik. In ihren Beiträgen zur Geschichte der industriellen Revolution tendierten sie dazu, die positiven Aspekte allzu stark herauszustreichen und das zerstörerische Potenzial des deutschen Imperialismus und Militarismus herunterzubuchen. Sie sahen England und Frankreich als überlebte und im Falle Frankreichs auch als dekadente Gesellschaften, denen sie den innovativen Charakter der deutschen Gesellschaft gegenüberstellten. Sie priesen Deutschland als ein Land der militärischen Disziplin und hoher Arbeitsethik, dem nichts Gleichwertiges an die Seite zu stellen sei. Dabei ging der Nationalismus der deutschen Historiker Hand in Hand mit der Unterstützung von Sozialreformen, sofern diese nur zum erhofften Schulterschluss zwischen der akademischen Elite und den konservativsten Kräften innerhalb der deutschen Sozialdemokratie beitrugen. Da die rohstoffreichsten Gebiete Europas noch immer im Besitz von Deutschlands Konkurrenten und deren Verbündeten waren, unternahm der deutsche Imperialismus vor 1914 große Anstrengungen zur Veränderung des Status quo. II. Die verschiedenen Kräfte der deutschen Herrscherklassen teilten vor 1914 die Überzeugung, dass Deutschland sein Territorium vergrößern müsse. Über das Maß der Vergrößerung herrschte unter den verschiedenen Gruppen indes keine Einigkeit. Auf Anregung des Eisen- und Stahlkönigs Krupp und seines Generaldirektors Hugenberg formulierte Heinrich Glass, Vorsitzender des ultranationalistischen Alldeutschen Verbandes, ein Kriegszielprogramm, das neun Monate nach Kriegsbeginn publik gemacht wurde. Demnach sollten große Teile Nordfrankreichs und der größte Teil Belgiens im Westen sowie ein Großteil der baltischen Provinzen Russlands und die Westukraine annektiert werden. Polen sollte als unabhängiger Staat wieder gegründet werden, der aber unter deutscher Kontrolle 2
Vgl. Hintze, Otto: Staatsverfassung und Heeresverfassung [1906], in: ders.: Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, 2. erw. Aufl., Göttingen 1962, S. 52–83.
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stehen würde. Ein etwas gemäßigter Teil der deutschen Eliten sprach von einem deutsch dominierten Mitteleuropa, das aus formal unabhängigen, doch politisch und wirtschaftlich von Deutschland abhängigen Staaten bestehen solle. Für die deutschen Herrscherklassen kam der Kriegsbeginn nicht unerwartet. Während der Julikrise 1914 unternahm die bürgerliche deutsche Presse große Anstrengungen, um die Massen auf einen Krieg einzustimmen. Der Kriegsbeginn war von einer Orgie des Chauvinismus begleitet, zu der die Professoren ihren Teil beitrugen. Der protestantische Theologe und der Historiker Reinhold Koser entwarfen den Text der Rede Kaiser Wilhelms „An das deutsche Volk“. Diese Rede enthielt den berühmt gewordenen Satz: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche.“ Es folgte eine Welle der Massenmobilisierung. „Im August 1914 waren deutsche Künstler, Schriftsteller, Journalisten und Akademiker unter den ‚Deutschesten aller Deutschen‘.“ 3 So behauptete eine Erklärung von Historikern der Universität Bonn vom 1. September 1914, Deutschland sei berufen, für „die edelsten Güter europäischer Kultur zu kämpfen“, weil in Frankreich die „Prinzipien eines unduldsamen Jakobinertums, die Selbstsucht beutegieriger Parteien und die Beherrschung des politischen Denkens durch eine gewissenlose Presse“ herrschten. Russland wolle die slawischen Völker von germanischer Herrschaft befreien und unter sein Protektorat bringen, das nur „geisttötenden, grausamen und tückischen Despotismus“ biete, und England vertrete den „reinen materiellen Egoismus“. Es wolle die deutsche See- und Handelsmacht vernichten, „damit der Profit des Welthandels den Engländern ungeteilt zufalle“ 4. „Dieser Krieg“, schrieb Max Weber im Oktober 1914 seinem Kollegen Ferdinand Tönnies, „ist bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar, es lohnt sich, ihn zu erleben – noch mehr würde es sich lohnen, dabei zu sein, aber leider kann man mich im Feld nicht brauchen, wie es gewesen wäre, wenn er rechtzeitig – vor 25 Jahren – geführt worden wäre.“ 5 Die Universitäten wurden zu einem bevorzugten Platz von Demonstrationen, die an die Kriegsbegeisterung appellierten, und zum Rekrutierungsfeld für kriegsfreiwillige Studenten und junge Hochschullehrer. An den Universitäten und Hochschulen, besonders in Berlin, wurden die den Krieg rechtfertigenden Argumente ersonnen und verbreitet. 6
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Verhey, Jeffrey: The Spirit of 1914. Militarism, Myth, and Mobilization in Germany. Cambridge [UK]/New York 2000, S. 126. Vgl. auch Maurer, Trude: „… und wir gehören auch dazu“. Universitäten und ,Volksgemeinschaft‘ im Ersten Weltkrieg, 2 Bde., Göttingen 2015. Der Text findet sich in Böhme, Klaus (Hrsg.): Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, 2. Aufl., Stuttgart 2014, S. 50 f. Vgl. auch Niess, Verena: Geistige Mobilmachung für den Ersten Weltkrieg, 28. Oktober 2014, https://www.wsws.org/de/articles/20 14/10/18/kult-o18.html (25.02.2019). Weber, Max an Ferdinand Tönnies, Brief vom 15. Oktober 1914, in: Weber, Max: Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann. , München 1921, S. 458. Zur Berliner Universität vgl. Hoffmann, Dieter: „… im Frieden der Menschheit, im Krieg dem Vaterland“. Universität und Wissenschaft im Ersten Weltkrieg, in: Metzler, Gabriele (Hrsg.): Die Berliner Universität im Ersten Weltkrieg, Berlin 2014, S. 7–31.
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Der Berliner Professor Dietrich Schäfer, ein Spezialist für die Geschichte der Hanse, betonte: „In der Arbeit des Historikers gehen die gründlichste Forschung und der Wille zur Vaterlandsliebe Hand in Hand.“ 7 Konsequenterweise wurde er zu einem der eifrigsten Propagandisten weitreichender deutscher Expansionsziele und des uneingeschränkten U-Bootkriegs. Zusammen mit seinem AlthistorikerKollegen Eduard Meyer gehörte er 1917 zu den Gründern der rechtsextremen Deutschen Vaterlandspartei. Diese war der politische Arm des Alldeutschen Verbandes und vereinte konservative und – avant la lettre – frühfaschistische Elemente in ihren Reihen. Ihre Ideologie war durch eine Mischung aus Antiliberalismus, Antisozialismus und Antisemitismus bestimmt. Werner Sombart, damals Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Berliner Handelshochschule, unterschied in seinem Buch Händler und Helden zwischen den individualistischen, kapitalistischen und oberflächlichen Engländern und den tiefgründigen und heldenmütigen Deutschen. Sombart stellte klar: Deshalb müssen wir uns diesen Gegensatz, der alle Tiefen und alle Weiten der Welt umspannt, zu völlig klarem Bewusstsein bringen. Und dabei mitzuhelfen, ist die Aufgabe dieser Schrift, in der ich erst den englischen, dann den deutschen Geist schlicht beschreiben will, um sie dann gegeneinander abzuwägen und die unvergleichliche Überlegenheit des deutschen Geistes dem deutschen Leser – für einen anderen schreibe ich nicht – vor die Seele zu stellen, auf dass er seiner Deutschheit wieder froh werde. 8
Doch sei, so Sombart, ein beträchtlicher Teil der deutschen Gesellschaft vom englischen seelenlosen Krämergeist und von destruktiver Kritik um ihrer selbst willen vergiftet. Die Folgen lagen auf der Hand – ein Dahinleben ohne höheren Sinn: Zweck- und sinnlos erschien das ganze Leben. Und das Schreckbild der Vereinsamung tauchte vor dem geistigen Blicke Weiterschauender auf. Man sah die Menschheit im Wohlleben verkommen, sich paaren, den Bauch vollschlagen und den Darm entleeren und sinnlos Hinund Wiederrennen. […] Wir häuften Reichtümer auf Reichtümer und wussten doch, dass aus ihnen kein Segen flösse. […] Wir schwärmten für den ,Fortschritt‘, damit das sinnlose Leben noch weiter gesteigert würde: mehr Reichtum, mehr Rekord, mehr Reklame, mehr Zeitungen, mehr Bücher, mehr Theaterstücke, mehr Bildung, mehr Technik, mehr Komfort. Und der Bedächtige musste immer wieder fragen: Wozu? Wozu? 9
Deshalb begrüßte Sombart den Krieg, den er den Deutschen Krieg nannte, als unvermeidlichen Konflikt zwischen dem englischen Händlergeist und dem deutschen Heldengeist. Am 4. Oktober 1914 wurde das sogenannte Manifest der 93 unter dem Titel „Aufruf an die Kulturwelt“ veröffentlicht. Die Dramatiker Ludwig Fulda und Hermann Sudermann schrieben den Text, der vom Marine- sowie vom Außenministe7 8 9
Schäfer, Dietrich, zit. nach Jarausch, Konrad H.: Students, Society, and Politics in Imperial Germany. The Rise of Academic Illiberalism, Princeton 1982, S. 203 (Rückübersetzung). Sombart, Werner: Händler und Helden. Patriotische Besinnungen, München/Leipzig 1915, S. 6. Hervorhebung im Original. Ebenda, S. 106–107.
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rium „abgesegnet“ wurde. 10 Die 93 Signatare, unter ihnen Künstler und Schriftsteller, suchten darin, die deutschen Kriegsverbrechen in Belgien als Kampf um die Behauptung der Kultur zu rechtfertigen. Das Manifest rief erbitterte Reaktionen von Wissenschaftlern aus England und Frankreich hervor, die wiederum die „deutschen Barbaren“ brandmarkten. 11 Zu den Unterzeichnern gehörten herausragende Naturwissenschaftler wie Wilhelm Conrad Röntgen, Max Planck (der seine Unterschrift später zurückzog), Ernst Haeckel, Paul Ehrlich und Emil Fischer. Auch bedeutende Namen aus dem Bereich der Kultur finden sich, so der des Malers Max Liebermann, des Theaterdirektors Max Reinhardt und des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann. Die Mehrzahl aber waren Historiker und andere Geisteswissenschaftler. Zu dieser Zeit hatten deutsche Truppen bereits eine Reihe von (später oft abgeleugneter) Kriegsverbrechen in Belgien begangen, dem Land, das Deutschland trotz dessen erklärter Neutralität überfallen hatte. So zerstörten deutsche Einheiten die Altstadt von Leuven mitsamt ihrer mittelalterlichen Bibliothek, erschossen Geiseln und brannten Dörfer nieder. 12 Dies hielt die Unterzeichner des Manifestes nicht davon ab, den Krieg als Mittel zur Verteidigung der Kultur zu rechtfertigen. Es hieß: Es ist nicht wahr, dass unsere Truppen brutal gegen Löwen [Leuven] gewütet haben. An einer rasenden Einwohnerschaft, die sie im Quartier heimtückisch überfiel, haben sie durch Beschießung eines Teils der Stadt schweren Herzens Vergeltung üben müssen. Der größte Teil von Löwen ist erhalten geblieben. Das berühmte Rathaus steht gänzlich unversehrt. Mit Selbstaufopferung haben unsere Soldaten es vor den Flammen bewahrt. – Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgendjemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen. Es ist nicht wahr, dass unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts missachtet. Sie kennt keine zuchtlose Grausamkeit. Im Osten aber tränkt das Blut der von russischen Horden hingeschlachteten Frauen und Kinder die Erde, und im Westen zerreißen Dumdumgeschosse unseren Kriegern die Brust. Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.
Der Aufruf glorifizierte den deutschen Militarismus: Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Zu ihrem Schutz ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von Raubzügen heimgesucht wurde wie kein zweites. Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins.
10 Für den Text vgl. Böhme, Klaus (Hrsg.): Aufrufe und Reden…, a.a.O., S. 47–49. Hervorhebungen im Original. 11 Vgl. zur englischen und französischen chauvinistischen Intellektuellen-Propaganda u. a. Wallace, Stuart: War and the Image of Germany. British Academics 1914–1918, Edinburgh 1988; Hanna, Martha: The Mobilization of Intellect. French Scholars and Writers during the Great War. Cambridge, MA/New York 1996. 12 Vgl. Horne, John/Kramer, Alan: The German Atrocities of 1914. A History of Denial, New Haven/London 2001, S. 42–53.
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Dieses Bewusstsein verbrüdert heute 70 Millionen Deutsche ohne Unterschied der Bildung, des Standes und der Partei.
Der Aufruf beanspruchte, für ein „Kulturvolk“ zu sprechen, dem „das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle.“ Dem „Aufruf an die Kulturwelt“ folgte am 16. Oktober 1914 die „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“. Darin hieß es: In dem deutschen Heere ist kein anderer Geist als in dem deutschen Volke, denn beide sind eins, und wir gehören auch dazu. Unser Heer pflegt auch die Wissenschaft und dankt ihr nicht zum wenigsten seine Leistungen. Der Dienst im Heere macht unsere Jugend tüchtig auch für alle Werke des Friedens, auch für die Wissenschaft. […] Jetzt steht unser Heer im Kampfe für Deutschlands Freiheit und damit für alle Güter des Friedens und der Gesittung nicht nur in Deutschland. 13
Rund viertausend Hochschullehrer und damit fast alle der an deutschen Universitäten Tätigen unterschrieben die von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff initiierte Erklärung. Eine pazifische Gegenerklärung, der im Oktober 1914 vom Mediziner Georg Friedrich Nicolai verfasste „Aufruf an die Europäer“, fand nur drei Unterzeichner: den Physiker Albert Einstein, den Philosophen Otto Bueck und den Astronomen Wilhelm Foerster (der zuvor den Aufruf „An die Kulturwelt“ unterzeichnet hatte). 14 Im Jahr 1915 distanzierte sich eine Gruppe von Historikern vorsichtig von der Linie eines Siegfriedens mit weitreichenden Annexionen und sprach sich für Friedensverhandlungen mit den Ententemächten aus. Nach dem Friedensschluss sollte nur ein relativ geringer Teil der durch die Armee eroberten russischen Gebiete bei Deutschland bleiben, vor allem das westliche Polen, Litauen und das südliche Lettland. Auf Belgien sollte verzichtet werden. Dieses, nach Ansicht seiner Initiatoren moderate Friedensprogramm sah die Ausweisung des größten Teils der nichtdeutschen Bevölkerung aus diesen Gebieten vor. Einer der Fürsprecher solcher Maßnahmen war Friedrich Meinecke. 15 Er und seine Berliner Kollegen Otto Hintze und Hans Delbrück gehörten zum Kreis jener Gelehrten, die in einer englischen, für den amerikanischen Markt bestimmten Aufsatzsammlung ihre Leser vom „moderaten“ Charakter der deutschen Expansionspolitik zu überzeugen suchten. 16 Die Mehrheit der Berliner Professoren rief das kriegsmüder werdende Volk zum Durchhalten auf. Im Juli 1915 erhoben 352 Professoren die Forderung nach Annexionen, die weiter reichten als jedes bisherige öffentliche oder halböffentliche Dokument. Nach diesem „Seeberg-Memorandum“, das nach seinem Verfasser 13 Böhme, Klaus (Hrsg.): Aufrufe und Reden…, a.a.O., S. 49–50. 14 Der Aufruf konnte jedoch erst nach Kriegsende veröffentlicht werden. Er ist abgedruckt in: Nicolai, Georg Friedrich: Die Biologie des Krieges. Betrachtungen eines Naturforschers, den Deutschen zur Besinnung, Zürich 1919, S. 12–14. 15 Vgl. Conrad, Sebastian: Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich, München 2006, S. 150–151. 16 Vgl. Modern Germany in Relation to the Great War, by Various German Writers, übers. von William Wallace Whitelock, New York 1916. Die dort abgedruckten Aufsätze finden sich z. T. im Original in: Hintze, Otto u. a. (Hrsg.): Deutschland und der Weltkrieg, Berlin/Leipzig 1915.
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benannt war, hatte Belgien keinerlei Existenzrecht. Weite Teile Frankreichs und Russlands sollten Deutschland zugeschlagen werden. 17 Der Militärhistoriker Delbrück schrieb eine zaghafte, an Reichskanzler Bethmann-Holweg gerichtete Entgegnung. 18 Ein Jahr darauf notierte ein ernüchterter Max Weber: „Die Nation ist dieses Treibens überdrüssig.“ 19 Doch publizierte Weber seine Kritik in der liberalen Frankfurter Zeitung nur anonym. 20 III. Das „August-Erlebnis“ 1914, die alles überbordende Kriegsbegeisterung, war teilweise echt und teilweise war sie eine Propagandafigur. Sogar in den letzten Vorkriegstagen nahmen eine dreiviertel Million Arbeiter an Antikriegsdemonstrationen im ganzen Land teil. Der kaiserliche Kriegsaufruf versetzte die Arbeiter eher in Angst denn in Begeisterung. 21 Aber ungeachtet der Antikriegserklärungen der Zweiten Internationalen sprachen sich die Führungen der deutschen und französischen Sozialdemokratie für die Bewilligung der Kriegskredite aus und erklärten gegenüber dem Militarismus einen „Burgfrieden“ (in Frankreich die „Union sacrée“) für die Dauer des Krieges. Dies hatte auf viele Arbeiter eine verderbliche Wirkung. Unter den bekannten deutschen Historikern warnten lediglich die Liberalen Ludwig von Quidde und Gustav Mayer sowie der Sozialdemokrat Franz Mehring vor den Gefahren eines Krieges gegen England und Frankreich. Ludwig Quidde erregte 1894 deutschlandweit Aufsehen mit seiner satirischen Schrift Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn, die – ohne den Namen Wilhelms II. auch nur einmal zu nennen – eine scharfe Attacke auf dessen „persönliches Regiment“ war. Daraufhin verlor Quidde seine Professur. Fortan machte er sich einen Namen als linksliberaler Politiker und Publizist, dem für seinen Einsatz um Völkerverständigung 1927 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. 22 Im Krieg sprach er sich gegen jede Annexion aus, ebenso wie der Historiker und Journalist Gustav Mayer. Nach langer journalistischer Tätigkeit bekam der als Historiker hervorragend ausgewiesene Mayer während des Krieges schließlich die Möglichkeit, sich an der Berliner Universität zu habilitieren. Doch der in der Habilitationskommission sitzende Dietrich Schäfer ließ das Verfahren durch „Fangfragen“ scheitern. Erst nach dem Krieg wurde Mayer außerordentlicher Professor. 23 17 Das vom Berliner Theologen Reinhold Seeberg geschriebene Memorandum findet sich in: Böhme, Klaus (Hrsg.): Aufrufe und Reden…, a.a.O., S. 125–135. 18 Vgl. ebenda, S. 135–136. 19 Weber, Max: Gesammelte politische Schriften, 5. Aufl., Tübingen 1988, S. 157. 20 Der Brief an die Redaktion der Frankfurter Zeitung erschien im Blatt am 28. Juli 1916 („Aus akademischen Kreisen schreibt man uns…“). Ebenda. 21 Vgl. Wegner, Jörn: Die Kriegs- und Kolonialfrage in der britischen und deutschen Arbeiterbewegung im Vergleich 1899–1914, Berlin 2014, bes. S. 284–297. 22 Vgl. zu ihm Holl, Karl: Ludwig Quidde (1858–1941). Eine Biographie, Düsseldorf 2007. 23 Vgl. Prellwitz, Jens: Jüdisches Erbe, sozialliberales Ethos, deutsche Nation. Gustav Mayer im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Mannheim 1998.
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Franz Mehring hatte nie das Bestreben, Eingang in die deutsche Professorenschaft zu finden. Mit seinem Eintritt in die SPD ging er einen Weg, der dies ausschloss. Als glänzender Journalist, produktiver Historiker und Lehrer an der SPDParteischule in Berlin-Friedenau gehörte neben der preußischen Geschichte die Geschichte und Aktualität des deutschen Militarismus zu seinen Hauptthemen. In den letzten Julitagen des Jahres 1914 schrieb er die ahnungsvollen Zeilen: Nicht als ob der deutsche Generalstab befürchtete oder zu befürchten brauchte, dass er auf einen Widerstand stieße, den er gewaltsam brechen müsste! Aber er weiß besser als sonst irgendwer, welche beispiellosen, bisher ganz unerhörten Ansprüche ein moderner Weltkrieg an die moralischen Kräfte der Truppen stellt, und er wird sich auch recht klar darüber sein, dass jener Fonds moralischer Dumpfheit, womit Bismarck und Moltke vor fünfzig Jahren noch wirtschaften konnten, längst aufgezehrt worden ist. Gewiss hat das internationale Proletariat noch nicht die Macht, den Weltkrieg unter allen Umständen zu hindern. Diese Macht kann es erst mit seinem endgültigen Siege gewinnen. Aber es kann dem Weltkrieg heute schon Hindernisse in den Weg legen, die Moloch sehr schwer und nur um den Preis überwinden kann, ein Spiel auf Leben und Tod zu beginnen. Wir dürfen der frohen Hoffnung leben, dass es unsern heldenmütigen Brüdern in Russland gelingen wird, dem zarischen Bären so auf die plumpen Tatzen zu klopfen, dass er sie nicht auszustrecken wagt: Deshalb haben die Arbeiterklassen aller Länder aber nicht weniger die Pflicht, dem Militarismus die Wege zu verbauen. Die deutsche Arbeiterklasse ist dieser Pflicht bisher so eifrig wie wirksam nachgekommen, aber noch ist die Gefahr lange nicht gebannt, und die Agitation gegen den Weltkrieg darf keinen Tag ruhen. 24
Im Krieg blieb Mehring Internationalist. 1915 bildeten er, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg den Kern der Spartakus-Gruppe, die die antimilitaristische Tradition der alten Sozialdemokratie zu bewahren suchte. Mehring war tief erschüttert von der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs durch Freikorps-Banditen am 15. Januar 1919. Nur zwei Wochen später, am 28. Januar, verstarb er. Im Jahr 1927 publizierte der französische Philosoph Julien Benda sein Buch La trahison des clercs (Der Verrat der Intellektuellen). Die europäischen Intellektuellen hätten, schrieb er, oftmals ihre Bestimmung verraten, über Geschichte und Politik vom Standpunkt des Gelehrten zu schreiben. Stattdessen hätten sich viele zu Befürwortern von Nationalismus und Militarismus gemacht. Benda hatte französische radikale Rechte wie Maurice Barrès und Charles Maurras im Blick, aber sein Urteil gilt auch für deutsche Historiker. Sie meinten, ihre patriotische Pflicht zu erfüllen, doch gaben sie stattdessen ihre geistige Freiheit auf. Von den politisch und ideologisch so konditionierten Historikern akzeptierten nur wenige die demokratische Weimarer Republik, darunter Friedrich Meinecke, Hans Delbrück und Hermann Oncken. Die Mehrheit lehnte die Republik ab und wurde Teil der antidemokratischen Rechten. Niemand unter ihnen fand Worte der Selbstkritik für die Unterstützung einer Politik, die Europa in die Katastrophe ge-
24 Mehring, Franz: Die Arbeiterklasse und der Weltkrieg, in: Sozialdemokratische Korrespondenz, 30. Juli 1914. Wiederabdruck in ders.: Zur Kriegspolitik und Militärfrage. Gesammelte Schriften, Bd. 8, Berlin [DDR] 1973, S. 289 f.
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führt hatte. Der Tübinger Historiker Johanns Haller stand für viele Fachkollegen, als er schrieb, die Soldaten im Feld hätten standgehalten gegen dutzendfach überlegene Übermacht und auch den vielfach überlegenen Feind zu schlagen gewusst, bis die politische Gasvergiftung, von der Heimat ausgehend, die Front erreichte und Herzen und Glieder lähmte. Und selbst dann noch wäre das Schlimmste uns erspart geblieben, hätte nicht im gefährlichsten Augenblick wiederum die Heimat den Kämpfern den Dolch in den Rücken gestoßen. 25
Haller reihte sich damit ein in die Schar derer, die die Kriegsniederlage nicht als Katharsis begriffen und stattdessen die Weimarer Republik als Auswurf schändlichen Verrats am deutschen Heldentum denunzierten. Obgleich nur wenige der Historiker zu offenen Parteigängern der Nazibewegung wurden, machten viele ihrer Schüler ab 1933 als willige Unterstützer Hitlers eine akademische Karriere. Aber das ist ein anderes Kapitel der Geschichte des „Verrats der Intellektuellen“ und nicht mehr Gegenstand dieser Studie.
25 Haller, Johannes: Von Tod und Auferstehung der deutschen Nation. Rede des Rektors zur Begrüßung der heimkehrenden Studenten, 16. Februar 1919, zit. nach Hasselhorn, Benjamin: Johannes Haller. Eine politische Gelehrtenbiographie, Göttingen 2015, S. 145.
TOTGESAGTE LEBEN LANG: DAS KONSISTORIUM ZU GREIFSWALD NACH 1815 IM SPIEGEL DER BERLINER MINISTERIALBÜROKRATIE Joachim Kundler Am 24. Oktober 1815 veröffentlichte die Stralsunder Zeitung das Patent Schwedens wegen der Übergabe Vorpommerns nach dem am 7. Juni zu Wien abgeschlossenen Vertrag an Preußen mit Wirkung vom 1. Oktober des Jahres und das entsprechende Besitzergreifungspatent des preußischen Königs. Vollzogen waren diese Rechtsakte am Vortage in Stralsund. Damit war Preußen endgültig in den Gesamtbesitz des Herzogtums Pommern und des Fürstentums Rügen gemäß dem Vertrag von Grimnitz aus dem Jahre 1529 gekommen, in dem Brandenburg das Erbrecht auf Pommern beim Aussterben des pommerschen Herzoghauses zugestanden bekam. Der Erbfall trat mit dem Tode des letzten Pommernherzogs Bogeslaw XIV. am 10. März 1637 ein. Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens von 1648 führten dazu, dass Brandenburg nur in den Besitz eines Teils des Landes kam und der Rest Schweden zugesprochen wurde. Infolge des Nordischen Krieges von 1700–1721 gelang es dem nunmehrigen preußischen Königreich durch den Frieden von Stockholm, große Teile Vorpommern bis zur Peene mit dem wichtigen Hafen Stettin und der Odermündung zu erwerben. 1 Die Möglichkeit durch Erbschaft war nicht mehr gegeben, da Preußen in den Verträgen vom 24. Mai 1715 und 18. Dezember 1715 mit Dänemark und dem Stockholmer Frieden vom 21. Januar 1720 auf sein angestammtes Erbrecht auf die Teile Pommerns nördlich der Peene verzichtet hatte. 2 Übrig blieben als aussichtsreichste Möglichkeiten nur Tausch oder Kauf. Selbst Friedrich der Große hielt den Erwerb zu seiner Zeit für schwierig, als er in seinem Politischen Testament von 1752 schrieb: Das schwedische Pommern ist die Provinz, an der uns nach den eben behandelten am meisten gelegen ist. Seine Erwerbung ließe sich nur durch Verträge bewerkstelligen. Ich glaube, daß ein solches Projekt noch mehr Schimäre ist als die vorhergehenden. 3 1
2 3
Dieser Artikel ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung eines Artikels, der 2016 in dem Buch „Unter neuer Herrschaft“ im Leipziger Universitätsverlag erschienen ist. Vgl. Rassow, Johannes: Die Verhandlungen über die Vereinigung des ehem. Schwedischen Vorpommern und Rügens mit Preußen, in: Pommersche Jahrbücher, Bd. 16, Greifswald 1914, S. 96–99. Vgl. Loewe, V.: Preussens Staatsverträge aus der Regierungszeit König Friedrich Wilhelm I., Publikationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven, 87. Band, Leipzig 1913, S. 111–112, 139, 226–240. Friedrich II. von Preußen, Schriften und Briefe, hrsg. V. I. Mittenzwei, Leipzig 1985, S. 213.
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Die von Friedrich II. von Preußen genannte Chimäre sollte dennoch Realität werden, möglich wurde dies durch entsprechende Verhandlungen im Rahmen des Wiener Kongresses von 1815. Die Regelung der Territorialfragen in Nordeuropa und auch Norddeutschland versuchten die daran Beteiligten, von Beginn an aus dem allgemeinen Kongressablauf herauszuhalten. Man versuchte, die Angelegenheiten im kleinen Kreis, vor allem durch Geheimverhandlungen zu einem Ergebnis zu bringen. Daran hatte Schweden ein großes Interesse. Der schwedische Vertreter Carl Graf von Löwenhielm erhielt Anfang Oktober 1814 eine vom schwedischen Außenminister Graf von Engeströms vom 27. September 1814 datierte Instruktion, nach der er mit Preußen wegen der Übergabe Schwedisch-Pommerns verhandeln und alles unternehmen soll, dass diese Frage nicht ein allgemeiner Gegenstand der Beratungen des Kongresses werde. 4 Trotzdem zogen sich die Verhandlungen in die Länge, erst die Rückkehr Napoleons nach Frankreich im März 1815 und das sich Abzeichnen eines neuen Krieges sollten die Verhandlungen, die nicht offiziell im Rahmen des Wiener Kongresses stattfanden, wieder beschleunigen. Sie wurden zu einem Schulbeispiel, wozu Geheimdiplomatie fähig war und zu welcher Verwirrung diese führen konnte. 5 Preußen hätte am liebsten mit Dänemark allein verhandelt, da aber Schweden im Realbesitz des Landes war, wurde auch mit diesem Land verhandelt. Preußen musste erreichen, dass beide Staaten dem Kauf und der Abtretung des Landes zustimmten und damit auf alle Ansprüche auf Schwedisch-Pommern verzichteten, und dass alle Zahlungen nach Beendigung des Krieges erfolgen sollten, so Legationsrat Jordan in einer Denkschrift an Hardenberg vom 5. Mai 1815. 6 Schweden hatte sich inzwischen bereiterklärt, Preußen das Territorium zu den Bedingungen des Kieler Friedens vom 14. Januar 1814 abzutreten. Preußen sollte aber dafür 4 Millionen Taler zahlen und die Ansprüche Dänemarks gegenüber Schweden übernehmen. Auch sollten Russland und England als Garantiemächte des Vertrages auftreten. Als territoriales Austauschgebiet schlug Preußen das Herzogtum Lauenburg vor, das es im Rahmen von Gebietsveränderungen vom Kurfürstentum Hannover erhielt, das in Personalunion mit Großbritannien verbunden war. Am 29. Mai 1815 wurde in Wien ein Vertrag geschlossen, in dem Preußen zugunsten Hannovers auf ihm zugehörige Gebiete verzichtete. Dafür erhielt es die auf dem rechten Elbufer gelegenen Teile des Herzogtums Lauenburg und auf demselben Ufer gelegene lüneburgische Dörfer und weitere kleine Gebiete in der Altmark und im Harz. 7 Anfang Juni 1815 lagen die Resultate der Verhandlungen vor. Als erstes unterzeichneten Preußen und Dänemark ihren Vertrag am 4. Juni 1815 in Wien, der 10 Artikel umfasste. Danach verzichtet Dänemark auf das ihm im Kieler Frieden zugestandene Herzogtum Pommern und das Fürstentum Rügen zugunsten Preu4 5 6 7
Vgl. Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses 1814/15, Darmstadt 1986, Nr.92. Vgl. Lentz, Therry: 1815. Der Wiener Kongress und die Neuordnung Europas, München 2014, S. 210–213. Vgl. Rassow, Johannes: Die Verhandlungen…, a.a.O., S. 132. Vgl. Gesetzessammlung für die preußischen Staaten (GS f. Pr. St) 1818, Anhang Nr. 2, S. 14 ff.
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ßens, das auch die Erfüllung der Bedingungen gemäß Artikel 8–12, 20, 22–24 und 26 desselben Vertrages übernahm. Dafür trat Preußen die Teile des Herzogtums Lauenburg mit allen Rechten, die es durch den Vertrag mit Hannover vom 28. Mai 1815 erworben hatte, an Dänemark ab. 8 Am 7. Juni 1815 kam es dann zum Abschluss des Vertrages mit Schweden, der von Hardenberg und Humboldt für Preußen und durch Löwenhjelm für Schweden unterzeichnet wurde und 18 Artikel enthielt. Bestimmt wurde u. a., dass Schweden Preußen das Herzogtum Pommern und das Fürstentum Rügen mit allen Zubehörungen, Inseln, Festungen, Städten und Ländern übergab (Art. 1), Preußen übernimmt die Schulden, außer die Schulden des Landes, die von den schwedischen Ständen in schwedische Staatsschulden umgewandelt worden sind (Art. 4), Preußen zahlt Schweden 3,5 Millionen Taler preußisch Kurant, über die Zahlungsmodalitäten wird ein gesonderter Vertrag geschlossen (Art. 5), der König von Preußen versichert den Einwohnern von Schwedisch-Pommern und Rügen ihre bestehenden Rechte, Freiheiten und Privilegien (Art. 8), Erhalt der Begünstigungen und Vorrechte des englischen Handels gemäß Stockholmer Vertrag vom 3. März 1813 und Kieler Frieden (Art. 10), der Handel von Pommern und Rügen bleibt für 25 Jahre auf dem gegenwärtigen Stand (Art. 11), die Einwohner Schwedens und Pommerns können ohne Einschränkung in ihre Heimatländer zurückkehren, über ihr Eigentum frei verfügen, ohne dafür Steuern, Zoll oder eine andere Abgabe zu zahlen (Art. 13), Preußen übernimmt ab dem Tage der Übergabe die Besoldung öffentlicher Beamten und die aus den Kassen des Landes zu zahlenden Pensionen ungekürzt (Art. 15), die Monarchen von Russland und Großbritannien werden eingeladen, die Garantie für den Vertrag zu übernehmen, sowie für die gegenseitige Erklärung der Vertreter Dänemarks und Schweden zu diesem Vertrag (Art. 17). Beigefügt ist eine Erklärung des russischen Vertreters auf dem Wiener Kongress Fürst Rasuumowsky über die Anerkennung des Vertrages und die gegenseitige Erklärung, die als besonderer und geheimer Artikel dem Vertrag beigefügt war. 9 Am 7. September 1815 übergab der schwedische Gesandte in Preußen dem Außenministerium die Ratifizierungsurkunde des schwedischen Königs und teilte mit, dass General Boye av Gännas zum Übergabekommissar ernannt worden sei. Die Urkunde wurde nach Paris weitergeleitet und dort am 16. September gegen die Preußische ausgetauscht. Damit konnte die endgültige Übergabe des Landes vorbereitet werden. Die Einwohner von Schwedisch-Pommern hatten bis dahin keine genaue Kenntnis von dem Besitzwechsel des Landes. Schon das Bekanntwerden des Kieler Friedens hatte Anlass zu Gerüchten und Vermutungen gegeben. In die Verhandlungen waren Vertreter von Schwedisch-Pommern nicht eingebunden. Die Haltung der verschiedenen Stände war differenziert. Ein Übergang an Dänemark wurde abgelehnt und als Fremdherrschaft bezeichnet. Eigentlich wollte man unter der Herrschaft Schwedens bleiben, eine Meinung, die besonders unter den Vertretern des 8 9
Vgl. GS f. Pr. St. 1818, Anhang Nr. 5, S. 35–38. Vgl. GS f. Pr. St. 1818, Anhang Nr. 6, S. 39–46.
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Adels verbreitet war. Sie fürchteten um ihre Privilegien. Ähnlich sahen es auch viele Bürger in den Städten, die Eingriffe in ihren Handel und ihre verbrieften Rechte sahen. Auch auf dem Lande war die Bevölkerung für einen Verbleib bei Schweden, tendierte aber dann doch lieber zu Preußen als zu Dänemark, da man sich von ersterem mehr Rechte und Freiheiten versprach. Anders viele Professoren der Greifswalder Universität, sie vertraten den Gedanken eines deutschen Nationalgefühls und traten offen für einen Übergang zu Preußen ein. 10 Am 19. September 1815 fertigte der preußische König in Paris das von Hardenberg vorbereitete Besitzergreifungspatent aus und ernannte den Staatsminister Karl von Ingersleben, der Oberpräsident von Pommern war, und den Oberst von Steinwehr zu den preußischen Übernahmekommissaren. Am selben Tage erließ Hardenberg eine genaue Instruktion an Ingersleben, in der die Übergabe des Landes auf den 1. Oktober 1815 festgesetzt wurde und die ihm den Inhalt des Vertrages vom 7.6. erläuterte. Am 12. Oktober 1815 begannen zwischen General Boye, dem schwedischen Übergabevertreter, und Ingersleben mündliche Verhandlung über die genaue Übergabe und die entsprechenden Bedingungen, die in einem endgültigen Übergaberezess vom 24. November 1815 festgehalten wurden. 11 Als Übergabetermin wurde der 23. Oktober 1815 festgesetzt, der Termin der Übergabe zurückgesetzt auf den 1. Oktober schon um eine genaue Abrechnung der Finanzen zu erreichen. Am 23. Oktober 1815 erfolgte dann im Regierungsgebäude zu Stralsund die feierliche Übergabe. Am darauffolgenden Tage wurden die Beamten des Landes auf den preußischen König vereidigt. Am 16. Oktober 1815 erfolgte die Erbhuldigung der Einwohner des Landes auf den König von Preußen, der durch Ingersleben vertreten wurde. 12 Territorial war Preußen nun im Besitz von Gesamtpommern, stand aber nun vor der Aufgabe, wie das neu gewonnene Gebiet in den Gesamtstaat eingebunden werden solle. Dies sollte die zentralistisch ausgerichtete Staatsverwaltung vor Probleme stellen, die erst im Laufe von mehreren Jahren gelöst wurden, nicht immer im Sinne der Einwohner des ehemaligen Schwedisch-Pommern, aber auch nicht der preußischen Verwaltung. Ausgangspunkt dafür war die am 30. April 1815 erlassene „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der ProvinzialBehörden“ 13, die die Einteilung des preußischen Staates in 10 Provinzen, die wiederum in Regierungsbezirke aufgeteilt waren, festlegte. An der Spitze jeder Provinz stand der Oberpräsident, der nach §3 Abs. 5 auch die oberste Leitung der Angelegenheiten des Kultus, des öffentlichen Unterrichts und des Medizinalwesens hatte. Am Sitz des Oberpräsidenten sollten dazu entsprechende Behörden eingerichtet werden. Bei der Einteilung Preußens wurde Pommern in zwei Regierungsbezirke gegliedert, in einen für Hinterpommern mit dem Sitz in Köslin und 10 Vgl. Scharping, Karl: Stimmung und Verhalten der Bevölkerung Schwedisch-Pommerns im Wandel der Zeit von 1806–1820, Stettin 1932, Diss. Greifswald 1932, S. 18–25. 11 Vgl. GSTA III. HA I 6790 12 Vgl. GSTA PK, III. HA I 6791, Bl. 25–32. 13 Vgl. GS f. Pr. St., 1815, Nr. 9, S. 85–98.
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einen für Vorpommern mit dem Sitz in Stettin, dem auch Schwedisch-Pommern und Rügen, die durch eine Regierungs-Kommission verwaltet werden sollten, zugeschlagen wurden. 14 Die Verordnung vom 30. April wurde aber erst am 8. Juli 1815 in der Gesetzessammlung veröffentlicht, nachdem alle Verträge unterzeichnet waren und Preußen sich seiner Gebietserweiterungen sicher war. Aber die Umsetzung dieser Verordnung für Schwedisch-Pommern sollte sich dann als problematisch erweisen. Im Vertrag vom 7. Juni 1815 zwischen Preußen und Schweden hatte sich ersteres unter anderem im Artikel 8 zu Folgendem verpflichtet: Seine Majestät der König von Preußen, verpflichtet sich feierlichst, den Einwohnern von Schwedisch-Pommern und der Insel Rügen nebst Zubehörungen, ihre Rechte, Freiheiten und Privilegien zu bestätigen, so wie sie gegenwärtig bestehen, und in den Jahren1810 und 1811. festgesetzt worden sind. 15
Auch in weiteren Vertragsbestimmungen hatte sich Preußen auf die Einhaltung der Privilegien und Vorrechte der Einwohner der Provinz verpflichtet. Dies und auch Rücksichtnahme auf mögliche außenpolitische Auswirkungen hatte Hardenberg veranlasst, in seiner umfangreichen Instruktion an den Staatsminister von Ingersleben für die Übernahme von Schwedisch-Pommern einen Satz einzufügen, der eine sofortige Umsetzung der Verordnung vom 30. April 1815 ausschloss. Der Staatskanzler schrieb: Aus dem Ew. pp. hiernach Mitgetheilten werden Sie sich selbst von der Nothwendigkeit überzeugen, in dem gegenwärtigen Augenblicke keinerlei Veränderungen in der Verwaltung des Herzogthums Pommern vorzunehmen, sondern alle und jede Verwaltungs-Zweige in derselben auf dem bisherigen Fuße fortbestehen zu laßen. 16
Diese Anweisung war für den zum Übernahmekommissar bestimmten Staatsminister und neuen Oberpräsidenten der Provinz Pommern Richtschnur für sein Auftreten gegenüber den Vertretern der bisherigen Regierungsbehörden und anderen offiziellen Vertretern des zu übernehmenden Territoriums, genau wie der Hinweis bei der Erbhuldigung, die bisherige ständische Verfassung zugrunde zu legen. 17 Danach blieb die bisherige schwedische Regierung zu Stralsund, die Kammer, die Justizbehörden und auch die Konsistorien zu Stralsund, die nur für die Stadt zuständig waren, und Greifswald, zuständig für die übrigen Teile des Landes, bestehen. Ebenso wurden die Kreiseinteilung, wie sie 1806 vorgenommen worden war, wie auch die kirchliche Gliederung des Landes in neun Probsteien nicht verändert. Nach der Übernahme des Landes war sich die preußische Staatsführung zu nächst nicht einig, wie man das Gebiet in den Gesamtstaat einfügt, ob es eine selbstständige Provinz werden soll oder gemäß der Verordnung vom 30. April 1815 ein Teil der Provinz Pommern. Die verschiedenen Berichte über den Zustand der Provinz, die im November 1815 angefertigt worden waren, hatte Ingers14 15 16 17
Vgl. GS f. Pr. St. 1815, S. 94. GS f. Pr. St., 1818, Anhang S. 41. GSTA PK, III. HA I, Nr. 6772, Entwurf Bl. 27–36. Vgl. GSTA PK I. HA, Rep. 77 (Ministerium des Innern) Tit. 50 ad 40 8/9, Bl. 2–5.
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leben nicht weitergeleitet und bei sich behalten. Diese kamen erst im November und Dezember 1816 ins preußische Innenministerium, darunter ein umfangreicher Bericht des Generalsuperintendenten Johann Christof Ziemssen vom 11. November 1815 über die kirchlichen und schulischen Verhältnisse in Pommern und Rügen, der vor allem ein historischer und organisatorischer Zustandsbericht war. In diesem Zusammenhang wies er daraufhin, dass die Geistlichkeit seit 1806 zu den Landständen gehörte, dass die Prediger wie auch die Küster völlige Immunität und Freiheit von allen weltlichen und bürgerlichen Lasten besitzen. Ebenso waren die Prediger, Küster und Schuldiener früher ein privilegierter Gerichtsstand und standen in allen Sachen unter dem Konsistorium. Die königlich schwedische Verordnung vom 8. Oktober 1810 änderte dies, indem bestimmt wurde: daß nur Sachen, welche das Amt und die Amtsführung oder die Amts-Einkünfte und Emolimenta der Pfarrer, Prediger und sonstigen Kirchen- und Schul-Beamten betreffen, dem Consistorio die Gerichtsbarkeit zustehen solle und in allen anderen Sachen die Prediger unter die Jurisdiction des Königl. Hofgerichts und die Küster und alle sonstige Kichenbediente unter der ordentlichen Gerichtsbarkeit ihres Aufenthaltsorts sortirt werden. Sachen, welche die Kirchen, Hospitäler, milden Stiftungen, deren Grundstücke und Hebungen so wie überhaupt alle Sachen, welche die Religion, kirchliche und gottesdienstliche Ceremonien betreffen gehören auch noch jetzt vor dem Königl. Consistorio. 18
Da man in Berlin zunächst keine genaue Kenntnis über den Inhalt des mit Schweden abgeschlossenen Vertrages hatte, waren die Aktivitäten in den Ministerien sehr zurückhaltend. Allein der Justizminister von Kircheisen reagierte umgehend, indem er Ingersleben am 10. Oktober 1815 informierte, dass er einen Kommissar vom Oberlandesgericht zu Stettin nach Stralsund entsenden würde, der für die Vorbereitung der Einführung der preußischen Justizpflege in SchwedischPommern sorgen soll. In einer am 4. November 1815 angefertigten Instruktion für den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts zu Stettin von Hempel wird festgelegt, dass er sich umfangreiche Informationen über den Stand der Justiz in der Provinz aneignen soll, besonders welche Zivil- und Kriminalgesetze gelten. Anhand dieser sollte er dann Vorschläge für eine Justizorganisation erarbeiten. 19 Über seine Absicht informierte Kircheneisen den König, der ihn durch eine Kabinettsorder vom 9. November 1815 zurückhielt indem er bestimmte: […] es kann aber mit diesem Geschäft abgesondert nicht sogleich vorgeschritten werden, sondern es muß sich solches, als Theil der übrigen Administrations-Zweige, der Organisation der gedachten Provinz anschließen, da bey der bisherigen Verfassung derselben zuvor noch in Erwägung kommen wird, in wie fern die Administration vorerst auf den bisherigen Fuß zu belaßen seyn dürfte. 20
Trotzdem reiste Hempel nach Stralsund und nahm seine Tätigkeit auf. Ingersleben hatte inzwischen am 15. November 1815 vom Fürsten zu Putbus einen Bericht des königlichen Tribunals in Greifswald über das Justizwesen in Schwedisch-Pommern erhalten. In diesem Bericht wurde darstellt, dass es ein allgemeines Provinzial18 Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 77 Tit. 50, Nr. 40, Bd. 1, Bl. 287–321, hier auch das Zitat. 19 Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 84a (Ministerium der Justiz), Nr. 40585, Bl. 8–11. 20 Vgl. ebenda, Bl. 14.
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und Landrecht nicht gibt. Für kirchliche Angelegenheiten gilt die Kirchenordnung von 1566, 1688 ins Hochdeutsche übersetzt und bestätigt, sowie die Kirchen Agende von 1569. Das geistliche Konsistorium zu Greifswald fungiert als Gerichtshof erster Instanz für alle Ehe-, Kirchen-, Pfarr-, Schul- und milde Stiftungssachen des ganzen Landes, soweit diese als geistliche anzusehen sind. Ausnahme sind die Sachen dieser Art, die in Stralsund vorkommen, da sie unter die Gerichtsbarkeit des Konsistoriums zu Stralsund fallen. Das Konsistorium zu Greifswald ist nicht für die Stadt Stralsund zuständig. Damit ist das Konsistorium in diesen Fragen dem Hofgericht gleichgestellt. 21 Hempel erhielt am 26. November 1815 zusätzliche Informationen auch über die Zusammensetzung der Gerichtsbehörden, bei denen auch die Zusammensetzung des Konsistoriums aufgeführt ist, nämlich Präses Generalsuperintendent Ziemsen, Direktor Prof. Dr. Voigt, als Assessoren Prof. Dr. Parow als geistlicher Beisitzer sowie Prof. Dr. Schildener als weltlicher Beisitzer, die beide an der Universität in Greifswald tätig waren. Als Gerichtsordnungen, Instruktionen und Geschäftsreglements gelten für das Konsistorium die Konsistorialinstruktion von 1681, mit den Visitationsabschieden von 1707 und 1775 sowie den Visitationsrezessen von 1798 und 1810. 22 Zwischenzeitlich hatte Ingersleben den Justizminister auch darüber informiert, die Mitglieder des Konsistoriums und Subalternenbeamten, auch als Justizbeamte vereidigt zu haben, da das Konsistorium auch als Gericht in Ehe-, Kirchen- und Schulsachen fungiere. Ende Januar 1816 fertigte dann Hempel einem umfangreichen Bericht über die Einrichtung der Justiz in Neuvorpommern mit umfangreichen Dokumentenbeilagen, wie Schwedisch-Pommern nun genannt wurde. Bezüglich des Konsistoriums ist sein Vorschlag, die Gerichtsbarkeit desselben den ordentlichen Gerichten abzugeben. Die Gerichtsbarkeit des Konsistoriums war im § 7 der Einrichtung des Justizwesens in den Deutschen Staaten Schwedens vom 8. Oktober 1810 definiert worden. 23 Um sich ein eingehendes Bild zu machen, wurde Anfang 1816 entschieden, zwei Kommissare nach Stralsund und Greifswald zu entsenden, die dann entsprechende Vorschläge für die Organisation des nun in der Ministerialbürokratie Neupommern genannten Territoriums unterbreiten sollten. Es waren dies für das Innenministerium der Geh. Regierungsrat Bethe und für das Finanzministerium der Geh. Obersteuerrat v. Beguelin. Ihre Besprechungen und Beratungen fanden dann Ende April/Anfang 1816 mit den entsprechenden Behörden statt. 24 In diesem Zusammenhang führte Bethe auch Gespräche mit dem Konsistorium in Greifswald. Die Gespräche führte er, da zu diesem Zeitpunkt das Innenministerium für die Kultusangelegenheiten zuständig war. Ein eigenständiges Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten wurde erst En21 22 23 24
Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 74 (Staatskanzleramt), Abt. H II Pommern Nr. 2 adhib Bl. 10–27. Vgl. ebenda, Bl. 42–65 Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 84a, Nr. 40585, Bl. 303–436. Vgl. Wächter, Joachim: Die Bildung des Regierungsbezirks Stralsund 1815–1818, in: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch, Bd. 10, Weimar 1973, S. 130.
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de 1817 eingerichtet. 25 Als Orientierungshilfe diente ihm auch ein Bericht des Oberlandesgerichts Präsidenten in Stettin von Hempel vom 6. Dezember 1815 an den preußischen Justizminister über das Geistliche Konsistorium in Neuvorpommern im Zusammenhang mit einer neuen Justizverfassung für das Gebiet. Er wies daraufhin, dass das Konsistorium, unter Ausschluss von Stralsund, den ordentlichen Gerichtshof erster Instanz in allen Sponsalien und Ehe-, Kirchen-, Schul-, Pfarr- und milde Stiftungssachen für die gesamte Provinz bildet, wie auch die Gerichtsbarkeit über seine Mitglieder und Angehörige ausübt. Hinsichtlich des möglichen Weiterbestehens des Konsistoriums äußerte er sich wie folgt: Die geistliche Gerichtsbarkeit gebühret auch in Pommern und Rügen allein dem Landesherrn als prim. episcopo und zwar so als solche in dem Preußischen Staate mit Ausschluß derjenigen Sachen so Lehre und Wandel der Geistlichkeit betreffen, dem Consistorium längst abgenommen, und den weltlichen Gerichten, in Sponsalien und Ehesachen, aber insbesondere, dem persönlichen Gericht welchem der Beklagte oder Ehemann unterworfen ist, übertragen worden, kann es auch kein Bedenken haben selbige dem Consistorio in Greifswald abzunehmen, und dem weltlichen Gerichte zu übertragen. 26
Dies entsprach der Rechtsauffassung und Rechtsprechung, wie sie mit der Einführung des Allgemeinen Landrechts in Preußen am 1. Juni 1794 getätigt wurde. Hier wurde u. a. die Ehe im Zusammenhang mit dem allgemeinen Gesellschaftsrecht und als Gegenstand der weltlichen Rechtsordnung angesehen. Auch wenn Teile des protestantischen Kirchenrechts übernommen wurde, war man der Auffassung, dass die Konsistorien keine Gerichte sind. 27 Über die Berichte wurde Innenminister von Schuckmann durch den Justizminister informiert; sie waren auch Gegenstand einer Ministerialkonferenz in Berlin, in der es um die Organisation von Neu-Vorpommern ging. Hier wurde auch besprochen, dass die Prozesse, die bisher beim Konsistorium behandelt wurden, an die Justizbehörden überwiesen werden sollen und dass die Fragen der Organisation von Kommissaren des Justiz-, Innen- und Finanzministeriums vor Ort untersucht und von diesen dann Lösungsvorschläge dem Staatskanzler von Hardenberg unterbreitet werden. Am 16. Mai 1816 fand dann in Greifswald eine gemeinsame Beratung des Konsistoriums unter dem Vorsitz des Generalsuperintendenten Ziemssen mit Geh. Regierungsrat Bethe aus dem Innenministerium in Berlin auf der Grundlage von einem von diesem erstellten Fragenkataloges statt. Man einigte sich, dass einige Punkte näher erklärt werden sollten und man sich insgesamt schriftlich äußern wolle. Insbesondere versuchten die Mitglieder des Konsistoriums, mit ihren Darlegungen das mögliche Weiterbestehen des Konsistoriums abzusichern. 28 In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 4. Juni 1816, die sich auf seine Tätigkeit als geistliches Gericht bezogen, äußerte sich das Konsistorium wie folgt. 25 Vgl. Grundriß zur deutschen Verwaltungsgesichte 1815–1945, Reihe A: Preußen, Bd. 12, Marburg 1978, S. 114. 26 GSTA PK I. HA Rep. 77, Tit.50 ad40 15/16, Bl. 2–3. 27 Vgl. Blasius, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794–1945, Göttingen 1987, S. 27–28. 28 Vgl. GSTA PK I. HA Rep.77, Tit. 50, ad40 15/16, Bl. 13–15.
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Was nun vörderst die Ehesachen betrifft, so haben wir bisher den hohen und schönen Beruf gehabt durch die Behandlung derselben auf die Moralität des Volcks und besonders der geringeren Klasse, wohlthätig wirken zu können. Die Ehe, ein für den Staat so wichtiges Institut, ist mit der Religion in eine so genaue Verbindung gesetzt, daß es fast niemanden Wunder nehmen kann, daß die Sorge für die Heiligkeit und Aufrechthaltung der Ehe, einem Collegium übertragen worden, in welchen Männer sitzen, die ausgezeichnete geistliche und weltliche Stellen dieses Landes bekleiden, und die vermöge ihres Amts einen besonderen Einfluß auf die Gemüther der Manschen, durch Zureden und Ermahnungen genießen. Eine vieljährige Erfahrung hat es uns gelehrt, daß Leute aus allen Ständen eine gewiße Scheu vor dem Consistorium haben, und um nicht vor demselben erscheinen zu dürfen, ihre Leidenschaften, ihre Leidenschaften zu zähmen suchen, und verträgliche Ehegatten werden. Die Sorgfalt, womit die Ehesachen von uns behandelt werden, der Ernst und die Feyerlichkeit, die bey diesem Gerichte herrschen, und selbst der Umstand, daß für diese Sache ein eigener Gerichtshof bestimmt ist, der seine Macht über das ganze Land erstreckt, machen einen tiefen und vortheilhaften Eindruck auf die Gemüther der Menschen. Alles dies geht verloren, wenn die Ehesachen den ordentlichen Gerichten übergeben werden; und es sind die Folgen dieser Veränderung, in unserm Lande gar nicht zu berechnen. In den letzten Jahren haben sich die Ehescheidungs Proceße auffallend gemehrt, und wir haben alle möglichen Mittel anwenden müßen, um dem von dieser Seite her drohenden Sittenverderben Einhalt zu thun. Die weltlichen Gerichte können und werden nie einen solchen Einfluß auf das Gemüth der Menschen erlangen. Dem großen Haufen, der im täglichen Verkehr mit diesen, besonders mit den Niedergerichten steht, werden diese gleichgültiger, und die Behandlung der ein bürgerlichen Rechtsgeschäfte vor diesen Gerichten, wird und muß bey ihm die Meinung erzeugen, daß auch die Ehe als ein blos bürgerliches Geschäft zu behandeln sey, und die Menschen noch geneigter machen ihre ehelichen Verbindungen umzustoßen, als jedes andere Rechtsgeschäft. Bey dem mit jedem Tage zunehmenden Leichtsinn der Menschen, womit sie Ehen schließen, und wieder getrennt zu sehen wünschen; bey der Geneigtheit der mehrsten weltlichen Gerichte, Ehen wieder zu trennen, und bey der Erleichterung, die das preußische Gesetzbuch den Gerichten hierinn gegeben hat, wird – wir sagen es vorher – der Ehescheidungen kein Ende seyn; und die nachtheiligen Folgen davon auf die Moralität der Einwohner dieses Landes liegen vor Augen. 29
Mit diesen Äußerung kommt eine Problematik zum Ausdruck, die dann für das Weiterbestehen des Konsistoriums in Greifwald wichtig sein sollte, die unterschiedlichen Auffassungen über die Ehe nach der in Neu-Vorpommern geltenden Rechtsauffassung und der in Preußen geltenden Auffassung im Allgemeinen Landrecht. Hier waren die preußischen Kommissare anderer Ansicht in ihren am 11. Juni 1816 eingesandten Vorschlägen. Sie gingen davon aus, dass eine Regierung in Neuvorpommern nur vorübergehend bestehen sollte und es kein eigenes Konsistorium geben sollte. Zu einer Umsetzung der Vorschläge kam es nicht, da der König in einer Kabinettsorder vom 11. Juni 1816 entschieden hatte, dass die Entscheidung, ob Neuvorpommern überhaupt der Provinz Pommern zugeordnet wird, allein ihm vorbehalten bleibt. Ebenso hatte der König in einer Kabinettsorder vom 13. Juni 1816 an das Staatsministerium festgelegt, dass, da den Einwohnern von NeuVorpommern bei der Übernahme des Landes die Beibehaltung ihres bisherigen Rechte und Privilegien zugesichert worden war, zunächst eine Beratung mit Vertretern der Städte und Kreise stattfinden soll, in denen die Provinzialgesetze gesammelt werden sollten, und dass die preußische Gesetzgebung und Gerichtsverfassung 29 GSTA PK I. HA Rep. 77, Tit. 50, ad 40 15/16 Bl. 25 ff.
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eingeführt werden soll, aber die Lokalitäten berücksichtigt werden sollen. 30 Erst am 23. Oktober 1817 traf Friedrich Wilhelm III. eine Entscheidung, indem er eine Kabinettsorder erließ, dass zum 1. Januar 1818 eine Regierung zu Stralsund zu bilden ist und diese dem Oberpräsidium der Provinz Pommern unterstellt wird. Der Wirkungsbereich des Konsistoriums und des Medizinalkollegiums in Stettin wurde auf den Regierungsbezirk Stralsund ausgedehnt. 31 Im Zusammenhang mit der Einrichtung der Regierung zu Stralsund hat sich der Oberpräsident der Provinz Pommern Sack in einem Schreiben vom 21. Februar 1818 an das Staatsministerium über die Auflösung der Konsistorien zu Greifswald geäußert. Der Präsident der Oberappellationsgerichts zu Greifswald von Mühlenfels hatte in einem Gespräch geäußert, dass ordentliche Gerichte die Justizaufgaben der Konsistorien nicht übernehmen könnten, da sie dafür nicht genügend personell ausgestattet wären und dass die Entbindung derselben von den Ehescheidungen auch die Organisation der Justizbehörden nach preußischer Art und die Publikation der preußischen Ehescheidungsgesetze voraussetze. Sack ist aufgrund dessen dafür, dass die Konsistorien die Instruktion 25.10.1817 umsetzen sollen, sie aber bis zur Organisation der Justiz weiter bestehen zu lassen. 32 Damit blieb das Konsistorium in Greifswald zunächst bestehen, da es nach Ansicht der preußischen Justizverwaltung auch als ein Gericht 1. Instanz anzusehen ist und seine Mitglieder auch 1815 als Justizbeamte vereidigt worden waren. Am 23. Juli 1817 hatte der König auch eine Kabinettsorder über die Einführung der preußischen Justizverfassung in Neuvorpommern erlassen, die aber zunächst mit den Vertretern der Stände der Provinz beraten werden sollte, hinsichtlich der Fragen der Kirche sollten diesen Beratungen zwei Vertreter der Geistlichkeit beigeordnet werden, nach den Bestimmungen der Wahlform des Landtages von 1806. 33 Die abschließenden Beratungen darüber fanden im Staatsministerium auf der Grundlage eines Votums des Ministers für Gesetzesrevision Karl von Beyme vom 13. April 1818 statt, der einen entsprechenden Entwurf für ein Patentes über die Gerichtsverfassung für Neuvorpommern vorlegte. Nach dessen § 3 sollte das Konsistorium als geistliches Gericht aufgehoben werden, nach § 5 würde die bisherige Zuständigkeit an das Oberlandesgericht übergehen. Nach dem § 14 sollen die Kompetenzen vom Stadtkonsistorium zu Stralsund an das Oberlandesgericht in Greifswald und das Stadtgericht zu Stralsund übertragen werden. 34 Damit wäre die Existenz des Konsistoriums zu Greifswald endgültig beendet gewesen. Dies geschah aber nicht, da sich die Verhandlungen über die Einführung einer neuen Gerichtsverfassung hinzogen und Friedrich Wilhelm III. immer weniger ein Interesse daran hatte, bestehende Verhältnisse in Neuvorpommern zu ändern, zumal
30 Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 84a, Nr. 40587, Bl. 59. 31 Vgl. Wächter, Joachim: Die Bildung des Regierungsbezirks Stralsund…, a.a.O., S. 130–131. 32 Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 90 (Staatsministerium, ältere Registratur), Tit. XXXIII B, Nr. 2, Bl. 1–6. 33 Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 90 (Staatsministerium, ältere Registratur), Tit. II, Nr. 1, Bl. 7–8. 34 Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 90, Tit. II, Nr. 1, Bl. 11–33.
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sich auch Widerstand gegen die Reformbestrebungen der preußischen Ministerialbürokratie regte und auch kirchliche Kreise ergriffen. So hatte sich der Generalsuperintendent Ziemssen in einem 30-seitigen Bericht vom 10. Januar 1819 an das Staatsministerium gegen die Aufhebung des Konsistoriums und sein Weiterbestehen als bloßes Spezial-Gericht bis zur Einführung einer neuen Justizorganisation gewandt. Der am 20. Januar eingegangene Bericht wurde dem zuständigen Kultusminister von Altenstein zugeleitet, der diesen zur Kenntnis nahm, aber sich nicht weiter gegenüber dem Staatsministerium äußerte. Ziemssen wandte sich grundsätzlich gegen die beabsichtigten Veränderungen der Kirchenverfassung in Neuvorpommern. Der Generalsuperintendent nahm dabei Bezug auf die Dienstinstruktion des Oberpräsidenten der Provinz Pommern für die Konsistorien und die Regierungen der Provinz vom 23. Oktober 1817, nach der auf Befehl des Staatsministeriums ab dem 1. Januar 1819 die Kirchen- und Schulsachen an das Konsistorium zu Stettin gehen sollen, und die Konsistorien zu Greifswald nur als Spezial-Gerichte bis zu einer neuen Justizorganisation bestehen bleiben sollen. Er schrieb unter anderem: Unsere vortrefliche kirchliche Verfaßung schreibt sich noch aus jener für das Höhere wahrhaft begeisterte Zeit der Reformation selbst her, wo der berühmte Buggenhagen, der Freund und Gehülfe Luthers bekanntlich dazu ins Land gerufen wurde, und nicht nur die Kirchenordnung entwarf, sondern auch aller Orten den Visitationen beiwohnte, und alle kirchlichen Einrichtungen treffen half. So steht sie denn noch da ein ehrwürdiges Denkmahl der Weisheit und Frömmigkeit unserer Vorfahren, und die Fürsten und Könige, die das Land beherrschten, wie die Regierungen und Landstände haben sie die folgenden Jahrhunderte hindurch fast ungerührt bis auf unsere Tage in ihrer alten würdigen Gestalt erhalten und beschützt. 35
Nach seiner Auffassung ist das Konsistorium nicht nur Gerichtshof, sondern steht auch zum Schutze der Kirche wie auch dem Erhalt der Ordnung und Eintracht da. Veränderungen in Kirchenangelegenheiten geschehen durch die Regierung durch Gutachten des Generalsuperintendenten, das heißt Veränderungen in der Kirchenverfassung können vom Staat nur im Einverständnis der Geistlichkeit durchgeführt werden. Er sieht die Kirche als eine unter dem Schutze des Staates stehende innere Verbindung an. Die Zuweisung der Kirchen- und Schulsachen an das Konsistorium in Stettin und die Regierung zu Stralsund würde die bestehende Kirchenverfassung aufheben und die Gerechtsame Einzelner und der Einwohner der Provinz beeinträchtigen. Er zweifelt an dem möglichen Einfluss des Konsistoriums zu Stettin für das Wohl der Kirche von Neuvorpommern; sieht Probleme für die Prüfung der Kandidaten für ein geistliches Amt im Lande. Er ist gegen eine Trennung von Kirche und Schulwesen, was Ausdruck dafür ist, dass der Generalsuperintendent befürchte, die Kirche könnte ihren Einfluss auf die Erziehung der Kinder verlieren. Er weist das Staatsministerium darauf hin, dass bei den Beratungen mit Regierungsrat Bethe vom preußischen Innenministerium 1816 es keine Hinweise auf die Umwandlung der Kirchenverfassung in Neuvorpommern gab. Der Generalsuperintendent bat das Staatsministerium, die bisherige Kirchen- und 35 GSTA PK I. HA Rep. 90, Sepc.-Pommern, Tit. XXVI B, Nr. 7, Schreiben Ziemssen vom 10.1.1819.
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Schulverfassung bestehen zu lassen. Am 31. August 1819 wandte er sich erneut ans Staatsministerium mit der Bitte, die bestehende Kirchenverfassung zu erhalten. Er fühlte sich mit der beabsichtigten Regelung hinsichtlich der Kirchenorganisation in seinem Amte beeinträchtigt. Auslöser war ein Schreiben der Regierung zu Stralsund vom 30. Juli 1819, das die Umsetzung der Dienstinstruktion vom 23. Oktober 1817 forderte. 36 Aber nicht nur der Generalsuperintendent wandte sich gegen die Bestrebungen der preußischen Verwaltung, sich in die Angelegenheiten des Konsistoriums einzumischen. Am 4. November 1819 wandten sich die neuvorpommerschen Synodalvertreter für die in Stettin stattfindende Provinzialsynode mit einer Vorstellung an den König mit der Bitte, für Neuvorpommern eine eigene Provinzialsynode zu schaffen, da sie sich gegenüber den Vertretern Altpommerns in der Minderheit sahen, 10 zu 45, und um den Erhalt der Provinzialrechte der Geistlichkeit von Neuvorpommern fürchteten. Eine ähnliche Eingabe machte auch die Universität Greifswald, die auf die Wahrung ihrer Patronatsrechte über bestimmte Pfarreien bestand. Der Kultusminister von Altenstein hielt dann in einem Schreiben vom 28. Mai 1820 an den Kabinettsrat Albrecht, der das Geheime Zivilkabinett des Königs leitete, diese Beschwerden für unbegründet. Die Beschlüsse der Provinzialsynode sollten nicht ins wirkliche Leben greifen, sondern als Vorschläge für eine Generalsynode dienen. Er ist der Auffassung, die Geistlichkeit in Neuvorpommern habe Vorurteile und klebe am Althergebrachten. In ähnlicher Weise äußerte sich der pommersche Oberpräsident Sack in einem umfangreichen Bericht über die genannten Eingaben. Er hielt sie für den Ausdruck von Kastengeist, den es aber nicht nur in Neuvorpommern gibt. Dieser müsse überwunden werden, sonst komme es zu keiner Veränderung und Fortschritt. Er ist der Meinung, die Bitte sollte abschlägig beschieden werden. Außerdem hält er den Generalsuperintendenten Ziemssen aufgrund seines Alters für überlastet mit all seinen Funktionen. Er könne seinen Verpflichtungen nicht gewissenhaft nachkommen. Er plädiert dafür, die Konsistorien zu Greifswald und Stralsund aufzuheben, wie auch möglicherweise die Aufhebung der Regierung zu Stralsund und des Oberappelationsgericht zu Greifswald. Ebenso sollte die preußische Justizverfassung eingeführt werden. 37 Auch wenn das Konsistorium zu Greifswald als kirchliche Verwaltungseinrichtung, wie man es in Preußen verstand, nach außen hin aufgelöst erschien, so blieb es doch als Spezial-Gericht weiterbestehen, da die neue Justizorganisation für Neuvorpommern sich weiter verzögerte. Betätigt wurde dies durch eine Kabinettsorder Friedrich Wilhelm III. vom 23. April 1821, in der er auf Bitte des Staatsministeriums entsprechende Geldmittel für den Etat der Regierung zu Stralsund für die Arbeit des Konsistoriums bewilligte. 38
36 Vgl. GSTA PK I. HA Rep. 90, Sepc.-Pommern Tit. XXVI B, Nr. 7, Schreiben Ziemssen vom 31.8.1819. 37 Vgl. GSTA Pk I. Rep. 74 Abt. LII Spezialia Pommern Nr. 4. 38 Vgl. GSTA PK I. HA, Rep.89 (Zivilkabinett) Nr. 22713, Bl. 113–114.
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Gewisse Veränderungen traten mit dem Tode Ziemssen am 17. August 1824 ein. Das Amt eines Generalsuperintendenten wurde nicht wiederbesetzt. Der Einfluss des Konsistoriums zu Stettin auf das Gebiet des ehemaligen SchwedischPommern stieg. 39 Trotzdem wurden erledigte Stellen im Konsistorium neubesetzt, da es als Ehegericht eine gewisse Bedeutung behielt und die Ausgaben für dieses Gericht sehr gering waren. Für das Weiterbestehen des Konsistoriums sprachen auch die Auseinandersetzungen über die Einführung der preußischen Justizverfassung und -organisation im vollen Umfang in den dreißiger Jahren. In der Umgebung des Königs gewannen immer mehr Personen an Einfluss, die konservative Auffassungen vertraten und in dieser Hinsicht entsprechende Ansichten Friedrich Wilhelms bestärkten. Gerade im Rahmen der möglichen Einführung des preußischen Strafgesetzbuches, von Teilen des preußischen Allgemeinen Landrechts und den beabsichtigten Änderungen des preußischen Ehescheidungsrechts rückte das Konsistorium zu Greifswald wieder verstärkt in das Blickfeld der Berliner Ministerialbürokratie. 1834 wurde das Militär in Neuvorpommern wieder als eximierter Gerichtsstand durch eine Kabinettsorder des Königs vom 22. September bestimmt, was beim Konsistorium zu Verunsicherungen hinsichtlich seiner Zuständigkeit in Ehesachen führte. In einer Verfügung des Ministeriums vom 12. Dezember 1834 wurde entschieden, dass die Kabinettsorder keine Änderung in der Kompetenz des Konsistoriums in Fragen der Ehesachen in Bezug auf das Militär bedeute. Es bleibt zuständig. 40 Seit 1834 gab es dann auch Bestrebungen einer Revision des in Preußen praktizierten Ehescheidungsrechts, es sollte aus den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts herausgelöst werden und ein eigenes Ehescheidungsrecht erarbeitet werden. Durch dieses neue Gesetz sollte u. a. die Stellung der Geistlichkeit in den Fragen der Ehescheidung gestärkt werden, was als Rückschritt gegenüber dem Allgemeinen Landrecht anzusehen ist. Dies wurde auch in einer Sitzung des Staatsministeriums vom 7. April 1835 zum Ausdruck gebracht, in der Kronprinz Friedrich Wilhelm versuchte, den Widerspruch zwischen Kirche und Bürgerlicher Gesetzgebung zu überbrücken. Hinsichtlich des Strafgesetzbuches hatte das Konsistorium zu Greifswald am 4. Juli 1834 einen Bericht über die Strafen bei Ehebruch verfasst, der Einfluss auf das Privatvotum des preußischen Kronprinzen vom 17. November 1836 bei Beratungen über die Einführung der preußischen Strafgesetze in Neuvorpommern im Staatsministerium gehabt haben wird. Er schrieb: Nach dem gegenwärtig in Neu-Vorpommern geltenden Recht, so namentlich nach der Bruchordnung für Stralsund wird der Ehebruch wenn auch auf eine gelinde Weise, doch von Amtswegen bestraft während das Allgemeine Land Recht Theil II Tit XX § 1061, eine solche Bestrafung nur auf Antrag des beleidigten Theils, der überdieß durch das Rescript vom 1ten July 1801 noch sehr beschränkt ist, zuläßt. Desgleichen wird nach dem dortigen Recht das einfache Stuprum mit Verweis, und im Wiederholungsfall mit gelinder Gefängnißstrafe geahndet, während es nach dem Lagemeinen Land Recht ganz straflos bleibt. Dies Wir sehr angemessen scheinenden Strafen dort, wo sie noch bestehen, jetzt abschaffen, halte ich für umso 39 Vgl. Heyden, Hellmuth: Kirchengeschichte Pommerns, Bd. 2, Köln 1957, S. 176. 40 Vgl. GSTA I. HA, Rep. 84a, Nr. 40458, Bl. 65 ff.
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Joachim Kundler bedenklicher, als es bei den noch schwebenden Verhandlungen über die Ehescheidungen in Frage gekommen ist, ob nicht ähnliche Strafen auch in den anderen Provinzen, in welchen das Allgemeine Land gilt, wieder einzuführen wären. Ich glaube daher allerunterthänigst dahin antragen zu müssen, daß der Königs Majestät nicht nur die Einführung der Bestimmungen des Allgemeinen Land Rechts über den Kindermord, sondern auch die über die beyden obengedachten Vergehen auszusetzen, und das in Neu Vorpommern deshalb geltende Recht, bis zur definitiven Beschlußnahme über die Ehescheidungen, aufrecht zu erhalten geruhen wollen. 41
In einem Votum des Ministers von Kamptz vom 22. Dezember 1836 an das Staatsministerium ist dieser der Auffassung, dass man die Sonderstellung von Neu-Vorpommern aufheben sollte, da die Unterschiede gegenüber dem Allgemeinen Landrecht zu gering sind. Nach einem Votum des Staatsministeriums vom 28. November 1837 war die Majorität der Mitglieder der Meinung, die Strafen für Ehebruch und Stuprum in Neu-Vorpommern aufrechtzuerhalten, bis in Preußen eine allgemeine Strafgesetzgebung eingeführt ist. Nach einer Sitzung des Staatsrates vom 5. Mai 1838 entschied Friedrich Wilhelm III. mit einer Kabinettsorder vom 10. Juli 1838, dass die Einführung der Gesetze ausgesetzt wird. 42 Gerade die Auseinandersetzungen über das in Preußen geltende Ehescheidungsrecht in den Dreißiger- und Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts begünstigten das Fortbestehen des Konsistoriums zu Greifswald. Es waren besonders u. a. die Auffassungen des Richters, seit 1844 auch Gerichtspräsidenten, und konservativen Politikers Ernst Ludwig von Gerlach, die großen Einfluss auf die Ansichten des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV. hatten. Dieser sprach sich für eine strengere Anwendung von Strafen im Ehescheidungsrecht aus, rückblickend auf die Rechtsauffassung der Reformation. 43 Über die Tätigkeit des Konsistoriums zu Greifswald hatte sich Gerlach am 30. September 1840 ein Bild gemacht und sich sehr positiv über die dort ausgeübte Praxis geäußert. Er schrieb u. a. am 9. Dezember 1840 an den Justizminister: Nie ist mir der Ernst, die Würde des Amts der christlichen Obrigkeit in einer ihrer heiligsten Funktionen so erhaben – ja, so erbaulich – entgegen getreten, als in dieser Sitzung. Die Partheien hatten vor Gott gestanden, sein Wort, das von ihm eingesetzte Amt, hatte ihr Gewissen berührt, und das des Weibes erweicht, der Mann hatte sein Herz davor verschlossen. … NeuVorpommern hat Ursach für die Herstellung eines solchen Ehegerichts in hohen Grade dankbar zu sein, welches in meinem nicht zu großen, sondern für seine Bestimmung sehr angemessen abgegrenzten Bezirke der, wie in diesem Falle, die persönliche Bekanntschaft mit den Partheinen erleichtert, diesen hochwichtigen Sachen einen solchen Fleiß widmen kann. Der Preußische Staat kann sich, aber auch glücklich schätzen, ein solches Eherecht und einen solchen Eheprozeß in seinen Grenzen zu haben, worum die Keime einer Reform unserer in dieser Hinsicht so tief gesunkenen Zustände zu finden sind. 44
41 GSTA I. HA, Rep. 84, Abt. II, Tit. 2, Nr. 2. 42 Vgl. GSTA I. HA, Rep. 84, Abt. II, Tit. 2, Nr. 2, Bl. 131–133. 43 Vgl. Röhrmann, Konstanze: Das Ehescheidungsrecht des ALR und die Reformvorschläge im 19. Jahrhundert, Baden-Baden 2017, S. 319 ff. 44 GSTA I. HA, Rep. 84a, Nr. 49016, Bl. 49–50.
Totgesagte leben lang
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Gerlachs Gedanken und die auch anderer Konservativer fanden Eingang in die Revision des preußischen Ehescheidungsrechts in den Vierzigerjahren. Die vor allem von Savigniy vorbereiteten Gesetze kamen aber nicht zur Ausführung. Im Jahre 1845 bestätigte Friedrich Wilhelm IV. am 22. März durch eine entsprechende Kabinettsorder nochmals das Weiterbestehen des Konsistoriums zu Greifswald als Spezialgericht und als Ehegericht in Neu-Vorpommern, nachdem die Stadt Lassan diese Rechte angezweifelt hatte. 45 Die Revolution von 1848 sollte dann aber das Ende des Konsistoriums zu Greifswald bedeuten. Es kam zu einer Änderung der Gerichtsorganisation und zur Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit und der eximierten Gerichtsstände. Nach einer dem Staatsministerium am 28. Dezember 1848 vorgelegten Verordnung sollten nun u. a. das Hofgericht und das Konsistorium zu Greifswald aufgehoben werden. Diese erschien am 2. Januar 1849 im Gesetzblatt für die Preußischen Staaten. 46 Preußen hatte zwar 1815 mit der Erwerbung von Schwedisch-Pommern das gesamte pommersche Erbe wiedervereinigt, stand aber doch vor erheblichen Problemen, das Land in den preußischen Gesamtstaat zu integrieren. Dass man dies nicht auf dem Verordnungswege erreichen konnte, belegt unter anderem die Frage der Aufhebung und des Weitebestehens des Konsistoriums zu Greifswald.
45 Vgl. GSTA I. HA, Rep. 89, Nr. 23206, KO vom 22.3.1845. 46 Vgl. GSTA I. HA, Rep. 90a, Nr. 4482, Bl. 113–120.
„NEOLITHISCHE REVOLUTION“ AM STETTINER HAFF Zur ältesten Besiedlung im Ueckermünder Stadtgebiet Alexander Pust
PROLOG Das Haffmuseum in Ueckermünde ist die städtische Ausstellung zur regionalen Heimatgeschichte, untergebracht im ehemaligen Jagdschloss der pommerschen Herzöge. Sein Inventarbuch vermerkt mit Datum vom 18. April 1983 den Eingang von drei Feuersteinabschlägen (Abb. 1). Sie waren am Strand gefunden worden, bei der alten Weide, die zumindest jedem Ortsansässigen vertraut ist. Und das Verzeichnis nennt auch den Einlieferer der vorgeschichtlichen Funde: „Ulrich v. d. Heyden“.
Abbildung 1
Ueckermünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Mattschwarze, retuschierte Feuersteingeräte, aufgesammelt Anfang der 1980er Jahre von U. v. d. Heyden (Zeichnung: Verf.).
Vielen Kolleginnen und Kollegen ist der Jubilar seit Jahrzehnten als Historiker und Politikwissenschaftler der Neuzeit bekannt, als Erforscher der Ethnografie von Nordamerika sowie der Mission und des Kolonialismus in Afrika. Wenige dürften Ulrich van der Heyden auch als engagierten Heimatforscher und freiwilligen Museumsmitarbeiter seiner vorpommerschen Geburtsstadt Ueckermünde kennen, interessiert an allen menschheitsgeschichtlichen Epochen. Daher ermutigte er auch die jüngsten Untersuchungen zum Urbanisierungsprozess, die den Verfasser in den letz-
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Alexander Pust
ten Jahren beschäftigt haben. 1 Da indes wichtige Schlüsseldokumente zur Ueckermünder Stadtgeschichte bei den Bränden von 1473, 1631 und 1866 verloren gingen, 2 darunter wohl auch das Stadtrechtsprivileg, obliegt es quasi ausschließlich der Archäologie, etwas Neues zum kommunalen Werden herauszufinden.
Abbildung 2
Lage der sicheren (hell) und unsicheren (dunkel) trichterbecherzeitlichen Fundstellen im Ueckermünder Stadtgebiet (Kartengrundlage: Vollack, Manfred [Bearb.]: Der Kreis Ueckermünde..., a.a.O., Beil.).
Zweifellos ist die Hauptbedingung für die Genese einer jeden Stadt die Sesshaftigkeit ihrer Bewohner. Sie ist zwar keine hinreichende, jedoch eine unabdingbare Voraussetzung zur Herausbildung urbaner Strukturen. Es liegt daher die Frage nahe, wann und durch wen die erste Ansiedlung an der Ueckermündung entstand. Eine Antwort darauf lockt, obwohl es keine baulichen oder verwandtschaftlichen Kontinuitäten zu diesen frühen Bewohnern gibt. Es ist die räumliche Deckung der ältesten und jüngsten Siedlung, die identitätsstiftend wirkt, weil sie – im Großen
1
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Pust, Alexander: „Slawen-Burg an dieser Stelle fraglich“, in: Nordkurier (Haff-Zeitung), 3. März 2010, S. 16; ders.: Die Anfänge der Stadt Ueckermünde. Ein Beitrag zur 750-Jahrfeier, in: Ueckermünder Stadtreporter, Nr. 13, 2010, S. 20; ders.: Ueckermünde eine germanische polis? Anmerkungen zur „Laciburgium“-Hypothese, in: Pommern. Zeitschrift für Kultur und Geschichte, Nr. 2, Greifswald 2017, S. 10–18. Bartelt, August: Geschichte der Stadt Ueckermünde, Ueckermünde 1926 (Nachdruck 1997), S. VII.
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und Ganzen – auf den gleichen Motivationen und Lebensweisen der Siedlergemeinschaften beruhen. 3 Die Erörterung beschränkt sich also auf das heutige Stadtgebiet von Ueckermünde, einschließlich seiner Ortsteile Berndshof und Bellin (Abb. 2). Das Territorium dehnt sich jeweils knapp 3,5 km ost- und westwärts der Ueckermündung aus sowie etwa 3,5 km südwärts ins Binnenland hinein. Im Westen markiert der Fluss Zarow die Grenze, im Osten die Linie, die den Ueckermünder Stadtforst vom Vogelsanger Forst trennt. Südlich schließen sich die Gemeinde Liepgarten und der Eggesiner Ortsteil Hoppenwalde an die Stadtmark an. DEFINITION Im Folgenden wird Sesshaftigkeit als zumindest angedachte fortwährende Ansiedlung verstanden. Die implizierte Einschränkung nimmt dabei Rücksicht auf die Realität sich wandelnder Rahmenbedingungen, die nicht jeden Versuch, sich niederzulassen, erfolgreich und unveränderlich machten. Entscheidend war aber die Absicht von Dauerhaftigkeit. Eine derartige Intention fehlt bei einmaligem Durchziehen, kurzzeitigem Rasten und sogar saisonalem Lagern, wie es für Wildbeuter kennzeichnend ist. Der Vorsatz längerfristiger Besiedlung lässt sich erst im Kontext der Neolithisierung feststellen, 4 als Ackerbau und Viehzucht zunehmend Jagen, Fischen und Sammeln ersetzten. Seither wurden ortsfeste Behausungen errichtet, umliegende Wälder gerodet, große Säugetiere domestiziert, ausgesätes Getreide geschnitten und voluminöse Vorratsbehälter angefertigt. Archäologisch fassbare Zeugnisse dieser bäuerlichen Aktivitäten sind Pfostenspuren, Beilklingen, Haustierknochen, Sichelblätter und Tonscherben. In Mitteleuropa wurde die Landwirtschaft etwa 5500 v. Chr. eingeführt durch auswärtige Gemeinschaften, die von Südosten her über die Balkanhalbinsel einwanderten. Mit ihnen, die wegen der linienverzierten Tonware als Bandkeramiker bezeichnet werden, begann in Süd- und Mitteldeutschland das Neolithikum, die Jungsteinzeit. 5 Im Norden dagegen verblieben die Jäger-und-Sammler-Gruppen bis etwa 4100 v. Chr. bei der aneignenden Wirtschaftsweise, also kulturell noch fast anderthalb Jahrtausende in der Mittelsteinzeit. Mit dem Auftreten erster Keramik und noch ungeschliffener Kernbeile in der Ertebølle-Kultur (ca. 5100–4100 v. Chr.), die sich ansonsten durch aufgehäufte Schalen verzehrter Muscheln definiert, deutet sich jedoch auch im Ostseeraum ein Ende des Mesolithikums an. Dabei deuten sporadische Funde von Getreidepollen und Haustierknochen sowie ähnlicher Feuersteininventare in Norddeutschland weniger auf eine Verdrängung als vielmehr auf eine Assimilation der jagenden und sammelnden durch die 3 4 5
Lüning, Jens: Grundlagen sesshaften Lebens, in: von Freeden, Uta/von Schnurbein, Siegmar (Hrsg.): Spuren der Jahrtausende. Archäologie und Geschichte in Deutschland, Stuttgart 2002, S. 110–139, hier S. 111. Schirren, C. Michael: Studien zur Trichterbecherkultur in Südostholstein, Bonn 1997, S. 249. Lüning, Jens: Grundlagen…, a.a.O., S. 112–113.
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ackerbau- und viehzuchttreibenden Gemeinschaften hin. Nach Jahrhunderten des Nebeneinanderlebens wurde die landwirtschaftliche Produktionsweise aber recht schnell und umfassend übernommen. Vermutlich verzögerten zunächst nachteilige Klima- und Bodenverhältnisse ihre Einführung. 6 FORSCHUNGSGESCHICHTE Mit der Geschichte des Menschen beschäftigten sich anfangs v. a. die Historiker, die sich aber auf die genealogischen Verhältnisse und schicksalhaften Ereignisse der Fürstenhäuser konzentrierten. Ein erster Professionalisierungsschub setzte in Mecklenburg und Pommern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, als das Museums- und Archivwesen ausgebaut sowie Geschichtsvereine gegründet wurden. Besonders vorteilhaft für die nachfolgenden Jahrzehnte war es, dass man die leitenden Posten zunehmend mit fachlich geschultem Personal besetzte. Ein zweiter Generalisierungsschub erfasste das ganze Land nach der deutschen Reichsgründung von 1871, denn im patriotischen Überschwang wurde die gemeinsame Vergangenheit entdeckt oder besser beschworen. 7 Im damaligen Kreis Ueckermünde lässt sich eine nennenswerte heimatgeschichtliche Forschung allerdings nicht vor der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts feststellen. Sie nutzte anfangs hauptsächlich die schriftlichen und künstlerischen Quellen, berücksichtigte mitunter aber schon archäologische Funde und Befunde. 8 Das Gleiche gilt für die ideologische Vor- und erinnernde Nachkriegsliteratur. 9 Eine systematische Aufnahme und Bearbeitung archäologischer Quellen nahm erst A. Hellmundt vor, der seine Recherchen und Resultate schließlich in einem Kreisinventar veröffentlichte. 10 Er war es auch, zusammen mit W. Becken, der 6
Vgl. Nilius, Ingeburg: Das Neolithikum in Mecklenburg zur Zeit und unter besonderer Berücksichtigung der Trichterbecherkultur. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg, Bd. 5, Schwerin 1971, S. 77–78; Wechler, KlausPeter: Mesolithikum – Bandkeramik – Trichterbecherkultur. Zur Neolithisierung Mittel- und Ostdeutschlands aufgrund vergleichender Untersuchungen zum Silexinventar. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns, Bd. 27, Lübstorf 1993, S. 50, 59–60; Schirren, C. Michael: Studien zur Trichterbecherkultur…, a.a.O., S. 243–248; Terberger, Thomas: Jäger und Sammler zu Beginn der heutigen Warmzeit, in: von Freeden, Uta/von Schnurbein, Siegmar (Hrsg.): Spuren der Jahrtausende…, a.a.O., S. 94–107, hier S. 104–107. 7 Vgl. von Schnurbein, Siegmar: Archäologie – Wiederentdecken alter Kulturen, in: von Freeden, Uta/ders. (Hrsg.): Spuren der Jahrtausende…, a.a.O., S. 10–31. 8 Lemcke, Hugo (Hrsg.): Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Stettin. Heft III: Der Kreis Ückermünde, Stettin 1900 (Nachdruck 2000); Hantke, Max: Der Kreis Ückermünde. Ein Beitrag zur Heimat- und Jugendpflege, Pasewalk 1914 (Nachdruck 1996); Bartelt, August: Geschichte der Stadt Ueckermünde…, a.a.O. 9 Badstübner, Edgar (Red.): Vorwärts aus eigener Kraft. Kreis Ueckermünde: Das Heimatbuch des Kreises, Magdeburg 1935; Vollack, Manfred (Bearb.): Der Kreis Ueckermünde bis 1945. Ein pommersches Heimatbuch, 2. Aufl., Husum 1992. 10 Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler und Funde des Kreises Ueckermünde. Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler und Funde im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. III, Schwerin 1964, S. 7.
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Anfang der 1950er Jahre ehrenamtlich in Ueckermünde ein Heimatmuseum einrichtete, das heute hauptamtlich als Haffmuseum geführt wird. Die zur 725- und 750-Jahrfeier der Stadtgründung erschienenen Schriften fassen die gesamte Urund Frühgeschichte A. Hellmundts in wenigen Zeilen zusammen. 11 Von akademischer Seite wurden im Hinblick auf die Region und das Thema in den 1960er und 1970er Jahren bedeutende Erkenntnisse gewonnen, durch Forschungen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie des Museums für Ur- und Frühgeschichte Schwerin. Wegweisende Überblicksdarstellungen werden I. Nilius zur Trichterbecherkultur und E. Schuldt zu den Megalithgräbern verdankt. 12 Auf diesen beiden Abhandlungen aufbauend wurden seitdem weitere Studien zu speziellen Fundplätzen, Fund- und Befundgattungen durchgeführt. Letztere konnten Neues hinsichtlich der Genese, Ausbreitung und Datierung der Trichterbecherkultur beitragen. Eine Vielzahl der steinzeitlichen Fundstellen in und um Ueckermünde wurde in den 1970er und 1980er Jahren durch ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger entdeckt, insbesondere bei systematischen Feldbegehungen. Mit der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 werden sie durch bauvorgreifende Untersuchungen in den Städten ergänzt, für die das hiesige Landesamt für Kultur und Denkmalpflege (LAKD) verantwortlich zeichnet. Zudem leitet und organisiert es seit Ende der 1990er Jahre planmäßige Oberflächenprospektionen. 13 TRICHTERBECHERKULTUR Ackerbau und Viehzucht treten im nördlichen Ostdeutschland ab 4100 v. Chr. in Erscheinung. Es sind Menschen der Trichterbecherkultur, 14 die sich vom Skagerrak bis zur Donau und vom Ijsselmeer fast bis zum Dnjepr erstreckte. Dass sich die landwirtschaftliche Produktion überhaupt durchsetzen konnte, dürfte v. a. an den überzeugenden Anfangserfolgen gelegen haben, die Y. N. Harari als „Luxusfalle“ bezeichnet: hohe Erträge, geringer Aufwand, planbare Versorgung, freistellbare Arbeitskräfte und verstärktes Bevölkerungswachstum. 15 Zudem förderte die Kenntnis von Einbaum sowie Rad und Wagen sowohl die Mobilität als auch
11 Rat der Stadt Ueckermünde (Hrsg.): 1260–1985. 725 Jahre Stadt Ueckermünde, Neubrandenburg/Pasewalk 1985, S. 6; Stadt Ueckermünde (Hrsg.): 750 Jahre Stadt Ueckermünde 1260– 2010 – Geschichte & Geschichten, Ueckermünde 2009, S. 3. 12 Nilius, Ingeburg: Das Neolithikum…, a.a.O.; Schuldt, Ewald: Die mecklenburgischen Megalithgräber. Untersuchungen zu ihrer Architektur und Funktion. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg, Bd. 6, Berlin 1972. 13 S. dazu Kurze Fundberichte 1997, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 45, Jahrbuch, Schwerin 1997 (1998) ff. 14 Nilius, Ingeburg: Das Neolithikum…, a.a.O., S. 77. 15 Harari, Yuval Noah: Eine kurze Geschichte der Menschheit, Bonn 2013, S. 109–115.
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den Austausch. Daneben spielten Jägerei, Fischfang und Sammelwirtschaft weiterhin eine wichtige Rolle, um Nahrungsengpässe auszugleichen. 16 Namengebend für die Kultur wurde die handgemachte Tonware, die überall ein bauchiges Unter- und trichterförmiges Oberteil kennzeichnet. Manche Gefäße waren durch Glätten und Polieren sowie Einstiche und Einritzungen besonders reich verziert, die sich u. a. zu Fischgrätenmustern, Gitterschraffuren oder Dreieckgirlanden formieren. Daneben gab es enghalsige, krug- bis flaschenähnliche Gefäße, die, an zwei oder vier Ösen aufgehängt, zum Aufbewahren von Flüssigkeiten dienten. Auf Backtellern, flachen tönernen Platten, ließ sich Fladenbrot backen. Außer der Keramik sind es speziell die Äxte und Beile, die die Sachkultur dominieren. Für sie verwendete man Feuerstein und Felsgestein als Ausgangsstoffe. Diese Schlagwerkzeuge dienten hauptsächlich zum Baumfällen und zur Holzbearbeitung. Besonderen Exemplaren, die größer, seltener oder aufwendiger sind, wird eine Statusfunktion zugebilligt. Da sich die Axt- und Beilformen über die Jahrhunderte veränderten, lassen sie sich zeitlich differenzieren: Demnach stand am Anfang das spitznackige Beil, das dann zuerst vom dünn- und später vom dicknackigen Beil abgelöst wurde. Daneben gab es weitere Steingeräte wie Klingen, Schaber oder Spitzen, die erst durch eine Schäftung als Beil, Sichel, Bohrer oder Pfeil brauchbar wurden. Die hölzernen Griffe sind aber nur ausnahmsweise erhalten, unter günstigen Einlagerungsbedingungen, wie sie eisige, feuchte oder trockene Milieus bieten. Von den damaligen Behausungen sind lediglich die Verfärbungen in den Boden eingetiefter, vergangener Holzpfosten übriggeblieben. Sie belegen eher kleine Häuser von ovalem bis rechteckigem Grundriss, die von einer in Längsrichtung mittigen Pfostenreihe zweigeteilt wurden. Über das Aufgehende gibt es nur spärliche Erkenntnisse. Beeindruckende Zeugnisse der ersten Siedler sind die Erdwerke und Megalithgräber: Unter Erdwerken werden zum einen parallele grabenartige Einhegungen verstanden. Es sind keine Grabensysteme im eigentlichen Sinne, da es sich lediglich um aneinandergereihte längliche Gruben handelt, die weder gleichzeitig noch anbindend ausgehoben wurden. Bei ausreichender Erhaltung konnten ergänzende Palisadenabschnitte registriert werden. Spätere Anlagen weisen bloß Palisaden auf; Gräben fehlen völlig. Mintunter konnten in den Erdwerken deponierte Menschenknochen, niedergelegte Tongefäße oder hitzegeschädigte Flintbeile geborgen werden, die wohl entscheidend für die funktionale Ansprache als Kultstätte oder Versammlungsort verantwortlich sind. Nach einer ersten Konsolidierungsphase begannen die Siedler „Bauten für die Ewigkeit“ zu errichten. Aus großen Findlingen, die senkrecht gestellt und waagerecht aufgelegt wurden, entstanden die Großsteingräber. Die Zwischenräume wurden mit kleineren Steinplatten oder Bruchmaterial ausgefüllt. Die dadurch geschaffene Steinkammer wurde abschließend überhügelt sowie durch eine weitläufige trapezförmige Einfassung umhegt. Es waren Familien- oder Sippengrable16 Nilius, Ingeburg: Das Neolithikum…, a.a.O., S. 77; Schirren, C. Michael: Studien zur Trichterbecherkultur…, a.a.O., S. 249–251.
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gen, in die man mehrere Generationen lang bestattete. Daneben sind einfache Brand- und Körperbestattungen nachgewiesen, wobei letztgenannte in Hockerstellung, d. h. mit angezogenen Beinen und auf der Seite liegend, beerdigt wurden. 17 Ausgehend vom Zeit- und Ressourcenaufwand, den die megalithischen Bauwerke erforderten, wird eine gesellschaftliche Hierarchie postuliert. Insbesondere die technischen, logistischen und koordinativen Erfordernisse sind schwer unter egalitären Gesellschaftsverhältnissen vorstellbar. Zugleich lassen sich soziale Schichtungen unter Bedingungen der Subsistenzwirtschaft kaum materiell beweisen, denn Alter, Können oder eine große Viehherde sind ideelle oder allgemeine Attribute. Als Anführer könnte ein Häuptling oder Schamane fungiert haben. Darüber hinaus sind die monumentalen, generationenübergreifenden Gräber auch ein Statement für die angrenzenden oder durchziehenden Gruppen, nämlich dass der Raum bereits von einer mächtigen Sippe bewohnt ist. 18 Ab etwa 2800 v. Chr. ging die Trichterbecher- in die Einzelgrabkultur über, in der nicht mehr Kollektiv-, sondern Einzelbestattungen üblich waren. ZEUGNISSE An der Ueckermündung sind neolithische Spuren relativ selten. A. Hellmundt konnte 1964 zehn neolithische Fundstellen kartieren. 19 Die verfügbaren Informationen über die Fundumstände, -meldungen und -behandlungen lassen allerdings vermuten, dass durchaus mehr Hinterlassenschaften zutage traten, die aber verloren gingen, übersehen oder nicht angezeigt wurden. Aus diesem Grund sind lediglich vier Fundstellen mit zwei Töpfen, 20 einer Axt 21 und einem Beil 22 gesichert (Abb. 2, grün; 3; 4, 1. 3). Dennoch ist die trichterbecherzeitliche Besiedlung der südlichen Haffküste, trotz der kleinen Fundmenge – schon aufgrund der verstreuten Fundorte und der verschiedenen Fundgattungen – nicht in Zweifel zu ziehen. Demgegenüber stehen alle anderen Funde unter Vorbehalt, da der Auffindungsort ungenau angegeben, die Fundobjekte weit datierbar oder nicht überprüfbar sind. Letzteres ist der 17 Vgl. Nilius, Ingeburg: Das Neolithikum…, a.a.O., S. 10–28, 30–55, 76–77; Schuldt, Ewald: Die mecklenburgischen Megalithgräber..., a.a.O, S. 105–106; Schirren, C. Michael: Studien zur Trichterbecherkultur…, a.a.O., S. 249–250. 18 Schirren, C. Michael: Studien zur Trichterbecherkultur…, a.a.O., S. 249–250. 19 Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler…, a.a.O.; Beil. „Jüngere Steinzeit“. 20 Bartelt, August: Geschichte der Stadt Ueckermünde…, a.a.O., S. 3; Lampe, Willi: Ueckermünde, Lkr. Uecker-Randow, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 43, Jahrbuch, Schwerin 1995 (1996), S. 297. Es sind handgemachte, grob gemagerte, uneinheitlich gebrannte und teilweise tiefstichverzierte Topffragmente mit konischem Oberteil. 21 Weller, Ulrike: Äxte und Beile. Erkennen – Bestimmen – Beschreiben. Bestimmungsbuch Archäologie, Bd. 2, Berlin/München 2014, S. 44 Nr. 2.4: Rundnackige Axt, jung- bis spätneolithisch (oder jünger), 3800–2800 v. Chr. 22 Ebenda, S. 65 Nr. 2.4.2.1: Dickblattiges Rechteckbeil, mittel- bis endneolithisch, 3300–2200 v. Chr.
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Fall, wenn sie nicht aufzuspüren waren und auch keine Fotografie oder Zeichnung vorlag. Bauliche Überreste wurden im Übrigen bisher nicht beobachtet.
Abbildung 3
Ueckermünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Keramikfragmente von Trichterbechern aus dem Stadtgebiet. 1 Kat.-Nr. 1 (aus: Bartelt, August: Geschichte der Stadt Ueckermünde..., a.a.O., S. 3), 2 Kat.-Nr. 3 (aus: Lampe, Willi: Ueckermünde, Landkreis Uecker-Randow..., a.a.O., S. 297 Abb. 81)
Abbildung 4
Ueckermünde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Trichterbecherzeitliche Felsgesteinaxt und Feuersteinbeile aus dem Stadtgebiet. 1 Kat.-Nr. 13 (aus: Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler..., a.a.O., Taf. 35 Nr. 1880 li.), 2 Kat.-Nr. 16 (aus: Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler..., a.a.O., Taf. 35 Nr. 1882), 3 Kat.-Nr. 2 (Zeichnung: Verf.).
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Wird die Suche auf zwar unbestätigte, jedoch wahrscheinliche Fundstellen der Trichterbecherkultur erweitert (Abb. 2, rot), erhöht sich ihre Anzahl auf 14. Berücksichtigt man alle 28 Fundmeldungen dann wurden im Ueckermünder Stadtgebiet wenigstens vier Töpfe, 26 Beile, vier Äxte, zwei Sicheln, zwei Reib- oder Mahlsteine sowie diverse Schab- und Klingenwerkzeuge gefunden, die trichterbecherzeitlich sind oder sein könnten (s. unten, Katalog). Beile, Sicheln, Klingen und Schaber bestehen zumeist aus Feuerstein, wohingegen Äxte, Reib- und Mahlsteine aus Fels- oder Granitgestein gefertigt wurden. Gegenstände aus organischen Materialien fehlen völlig. Vollständige Feuersteinbeile sind durchschnittlich 11,7 cm lang, 4,6 cm breit und 2,3 cm hoch. Beile und Äxte aus Felsgestein fallen dagegen, eventuell verzerrt durch die kleine Zahl, mit 14,8 und 19,0 cm im Schnitt merklich größer aus. Die Kartierung der tönernen und steinernen Hinterlassenschaften zeigt eine weite Fundstreuung, die sich bei näherer Betrachtung zu sechs Schwerpunkten verdichten. Ein Schwerpunkt kann dabei aus einer Fundstelle mit mehreren Funden oder mehreren Fundstellen mit Einzelfunden bestehen. Westlich der Ueckermünder Innenstadt markiert der sog. Geldberg die erste Fundballung (Abb. 2, Kat.-Nr. 1). Von dort stammt auch eine der seltenen Befundbeobachtungen, nämlich die mutmaßliche Einbettung der Scherben in eine Feuerstelle. Vor dem neuzeitlichen Sandabbau war der „Geldberg“ ein kleiner Hügel zwischen den Flüssen Zarow und Uecker gewesen, eine eiszeitliche Flugsanddüne, die sich als geschützter und trockener Wohnplatz anbot. 23 Aus der Eiszeit stammt auch die flache Talsandinsel, auf der sich im späten Mittelalter die Altstadt entwickelte. An vier Stellen auf und nahe der sandigen Kuppe konnten trichterbecherzeitliche Funde geborgen werden (Kat.-Nr. 2–5), die von einer sowohl wassernahen als auch überflutungsfreien Siedlungsstelle künden. Ein dritter Schwerpunkt zeichnet sich im Mündungsgebiet ab, wo zwei Beile aus Felsgestein und verschiedene Gerätschaften aus Feuerstein aufgesammelt wurden (Kat.-Nr. 6– 8). Da es sich um Niederungsgelände handelt, wäre an Verluste beim Jagen oder Holzschlagen zu denken. Allerdings stammt ein Beil aus einer moorartigen Ablagerung und war anscheinend mit schwarzpatinierten mittelsteinzeitlichen Silices vergesellschaftet (Kat.-Nr. 8). Zudem kommt bei einer Fundstelle (Kat.-Nr. 6) ein mittelsteinzeitlicher Kontext in Betracht, sodass die jungsteinzeitliche Einordnung unsicher ist. Auch der vierte Fundschwerpunkt befindet sich am Haffufer (Kat.Nr. 9) und erbrachte dunkelgefärbte Feuersteinartefakte. Lage, Aussehen und Zusammensetzung des lithischen Fundensembles deuten mittelsteinzeitliche Bezüge an. Östlich der Uecker bezeichnen vier benachbarte Fundstellen einen weiteren Siedlungskern (Kat.-Nr. 10–13). Das sandige Terrain liegt etwas höher als die nördlichen und westlichen Haff- und Ueckerwiesen, in denen sich Feuchtigkeit staut und Kaltluftseen bilden. Knapp 2 km weiter südlich, ebenfalls unweit des Flusslaufs, befindet sich die sechste Fundhäufung (Kat.-Nr. 14). Eindrucksvoll unterstreichen die dokumentierten Alltagsgegenstände – zum Ernten, Zermahlen und Zubereiten von Getreide – die eingeführte Landwirtschaft. Bedauerlicher23 S. dazu Deecke, Klara/Pust, Alexander: Der Ueckermünder „Geldberg“ und seine Funde, in: Pommern. Zeitschrift für Kultur und Geschichte, Nr. 2, Greifswald 2013, S. 4–7.
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weise sind alle Utensilien verschollen und damit einer eingehenderen Beurteilung entzogen. Die Häuser standen vermutlich auf der sanften Erhebung, die den Fluss südostwärts begleitet. FAZIT Die weit verstreuten Fundpunkte im Ueckermünder Stadtgebiet sprechen für eine flächendeckende, aber dünne Aufsiedlung im Nordischen Früh- bis Mittelneolithikum. Die spärliche Siedlungsdichte erklärt teilweise auch, warum Hausbaureste bisher nicht wahrgenommen wurden, die aufgrund des sandigen Bodens sowieso schlecht erhalten sind. Zugleich fehlte es an Arbeitskräften, um Findlinge zu den auffälligen Großsteingräbern zu formieren. Von der Menge an Beilen sollte man sich dabei nicht täuschen lassen, denn immerhin ist Stein das beständigste Material. Zudem verteilen sich die Beile auf eine bis zu 1300-jährige Siedlungsdauer, wodurch lediglich ein Exemplar auf ein halbes Jahrhundert entfällt. 24 Gleichwohl werfen die Beile und Äxte ein Schlaglicht auf eine wichtige Vorbedingung des dauerhaften Siedelns: Um Ackerflächen sowie Freiraum und Baumaterial für die Gebäude zu erhalten, mussten die Trichterbecherleute zuallererst den Wald auflichten. Auch späterhin wurde ständig Holz gebraucht, etwa zum Brennen der Keramik oder Kochen der Speisen. Kleinere Töpfe dienten dabei dem Essenmachen, größere der Vorratshaltung. Trug der Acker nach Rodung und Saat gute Ernte, konnte das Getreide, namentlich Weizen und Gerste, 25 mit den Sicheln geschnitten werden. Nach dem Entspelzen wurden die Körner zu Mehl zermahlen, das dann zu Brot oder Brei weiterverarbeitet werden konnte. Zwar fehlen lokale Indizien für die Viehhaltung, die naturräumlichen Gegebenheiten legen jedoch eine relativ intensive Haustierzucht v. a. mit Schwein, aber auch Rind, Schaf und Ziege nahe. Ferner dürfte das Sammeln von Obst, Pilzen, Nüssen, Honig und Kräutern von gewisser Bedeutung gewesen sein. Auch Fisch sollte wichtig gewesen sein, wohingegen Muscheln, Krebse und Wildbret eher eine Abwechslung darstellten. 26 Vermutlich wurde der Alltag der frühen Neolithiker am Stettiner Haff maßgeblich von der Nahrungsbeschaffung und -zubereitung bestimmt. An den widrigen Umstand, dass der gute Boden der Niederungen zu feucht und der trockene Boden der Sanderflächen zu schlecht war, passten sich die Trichterbecherleute an, indem sie sich entfernter voneinander niederließen. Bis in die jüngste Vergangenheit waren die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, sieht man von der später in einer komplexeren Gesellschaft etablierten Eisenindustrie ab, wichtige Erwerbszweige im östlichen Vorpommern. Ihre Erträge und Erlöse sind aber noch immer zu gering, um eine dichtere Besiedlung zu 24 Vgl. Nilius, Ingeburg: Das Neolithikum…, a.a.O., S. 78–79, 208 Kt. II, 213 Kt. VII, 224 Kt. XVIII. 25 Nilius, Ingeburg: Das Neolithikum…, a.a.O., S. 76; Lüning, Jens: Grundlagen…, a.a.O., S. 111. 26 Vgl. Lüning, Jens: Grundlagen…, a.a.O., S. 111.
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rechtfertigen. 27 Damals wie heute war der wald- und wasserreiche Landstrich aber kein ausschließlicher Nachteil, versicherten die natürlichen Nahrungsquellen doch gegen Missernten, Viehseuchen oder auch Wirtschaftskrisen. EPILOG Die drei Feuersteine, die der 28-jährige U. v. d. Heyden zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn ablieferte (Abb. 1), sind eindeutig steinzeitliche Artefakte. Seine Anzeige reiht sich ein in eine Serie von Fundmeldungen, die der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger G. Buse seit Mitte der 1970er Jahre erstattet hatte. 28 Von der Mündung der Uecker bis zum Dorf Bellin wurden an verschiedenen Stellen am Strand obsidianartige Flintgeräte geborgen, darunter Klingen, Bohrer, Schaber, Abschläge, Mikrolithen und eine Pfeilspitze. Auch ein Beil aus Felsgestein gehört zum Fundkomplex; ein eher unübliches Material angesichts naheliegender Feuersteinvorkommen. 29 Die dunkelgraue bis schwarze Färbung der Objekte rührte von der Einlagerung in einer torfigen Schicht her. In einem Zeitungsartikel datierte der Finder sie als mesolithisch. 30 Die vom Jubilar abgegebenen Artefakte lassen sich als Klinge (Abb. 1, 1), Klingenfragment (Abb. 1, 2) und Kratzer (Abb. 1, 3) ansprechen. 31 Sie wurden von einer aus dem Ostseeraum stammenden Feuersteinknolle abgeschlagen. Alle drei Stücke zeigen auf der Dorsalfläche, also auf der vom Kern abgewandten Seite, noch die Negative vorhergehender Abschläge. Auf den gegenüberliegenden Ventralflächen sind die Schlagwellen sowie einmal ein ganzer (Abb. 1, 2) und zweimal ein halber Bulbus (Abb. 1, 1. 3) auszumachen. Zweimal lassen sich noch die Schlagnarben und Überreste der präparierten Schlagflächen erkennen (Abb. 1, 27 Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler…, a.a.O., S. 9; Lüning, Jens: Grundlagen…, a.a.O., S. 110–111. 28 Schoknecht, Ulrich: Bodendenkmalpfleger Buse und Hoffmann entdeckten Feuersteingeräte bei Ueckermünde und Bellin, in: Freie Erde, 18. September 1975; Schoknecht, Ulrich: Bellin, Kr. Ueckermünde, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg, Jahrbuch, Schwerin 1976 (1977), S. 318, 366. Die Funde von G. Buse waren ursprünglich im Müritz-Museum Waren inventarisiert worden, sind aber mit der Umwandlung zum Naturerlebniszentrum Müritzeum ins Magazin des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern gelangt (frdl. Mitt. Dr. M. Küster, Waren, E-Mail v. 13. August 2018). 29 Hahn, Joachim: Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Einführung in die Artefaktmorphologie. Archaeologica Venatoria 10, Tübingen 1991, S. 234; Schirren, C. Michael: Studien zur Trichterbecherkultur…, a.a.O., S. 22. 30 Buse, Günter: Flint, in: Freie Erde, 14. November 1975. Zuvor war im gesamten Stadtgebiet nur der sog. Geldberg als mesolithische Fundstelle identifiziert worden (Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler…, a.a.O., S. 10–11, 72–73, Beil. „Mittlere Steinzeit“). 31 Vgl. Wechler, Klaus-Peter: Mesolithikum…, a.a.O., z. B. Taf. 4, 13; 5, 82; 7, 46. S. auch Hahn, Joachim: Erkennen und Bestimmen…, a.a.O., S. 215–226; Gehlen, Birgit: Mesolithische Silexwerkzeuge in Mitteleuropa, in: Floss, Harald (Hrsg.): Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis in die Neuzeit, Tübingen 2012, S. 581–598.
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1. 3). Ein Artefakt zeigt am proximalen Ende sog. Kortexreste (Abb. 1, 3, punktiert), sodass es einmal an der Knollenaußenseite gesessen haben muss. Alle Stücke sind retuschiert, d. h. an einer oder beiden Längskanten fein überarbeitet worden, hauptsächlich von der Dorsalfläche her. Dieser zweite Arbeitsschritt weist darauf hin, dass es sich nicht um Werkabfall, sondern um bewusst zugerichtete Arbeitskanten oder Nutanpassungen handelt. Über mögliche Funktionen geben mikroskopische Analysen von Gebrauchsspuren an anderen Steingeräten genauere Auskunft: Klingen wurden als Projektile zur Jagd, zum Zerlegen der Beute oder Schneiden von Pflanzenteilen verwendet, wohingegen Kratzer zum Schaben, Glätten, Ritzen oder Schnitzen von Haut, Holz, Geweih oder Knochen dienten. 32 Der Fundort, -habitus und -kontext der Silexartefakte legt eine zeitliche Einordnung ins Mesolithikum nahe. Sie gehören damit wohl nicht in die Epoche der ersten Siedler, zählen aber zu den ältesten Zeugnissen menschlichen Handelns im Ueckermünder Raum überhaupt. KATALOG a. Fundstellennummer, -bezeichnung – b. Katalog-/Inventarnummer – c. Beschreibung – d. Maße – e. Verbleib – f. Nachweis. 1) a. 2, westlicher Abhang des Geldbergs – b. 1870, 1871 – c. zwischen Holzkohle Keramikscherben (teilweise mit Stichverzierung), ferner wohl zwei Feuersteinbeile u. zwei Felsgesteinäxte, d. / – e. verschollen – f. Bartelt, August: Geschichte der Stadt Ueckermünde ..., a.a.O. mit Abb.; Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 2) a. Garten MTS, Rudolf-Breitscheid-Str. (heute MEK, Chausseestr.) – b. IV 40 – c. Feuersteinbeil (hellgrau, dicknackig, geschliffen) – d. L. 12,0 cm, B. 4,7 cm, H. 2,7 cm – e. Haffmus. Ueckermünde – f. Inventar-Buch (Datum v. 19. Januar 1981). 3) a. 36, im Innenstadtbereich – b. 1994/1398, 1 – c. bei der Sanierung der Wasser- u. Abwasserleitungen eine größere Keramikscherbe (verziert) – d. /– e. LAKD – f. Lampe, Willi: Ueckermünde, Lkr. Uecker-Randow ..., a.a.O., S. 297 mit Abb. 81. 4) a. 34, Ortskern, Schulstr. 12 (Hof) – b. 802 – c. bei Erdarbeiten ein Feuersteinbeil (dünnnackig) – d. L. 13,4 cm – e. Haffmus. Ueckermünde – f. Schoknecht, Ulrich: Ueckermünde, in: Bodendenkmalpflege in MecklenburgVorpommern 41, Jahrbuch, Schwerin 1993 (1994), S. 300.
32 Gehlen, Birgit: Mesolithische…, a.a.O., S. 592 Abb. 6.
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5) a. 5, in der Uecker bei der Stadtbrücke – b. 1873 – c. Feuersteinbeil (dicknackig, geschliffen) – d. L. 9,0 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 6295 – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 6) a. 22, Ueckerwiesen nordöstlich des Fischwerks – b. IV/75/148 – c. Feuersteinartefakte (Klingen, Mikrolithen) – d. / – e. LAKD – f. Schoknecht, Ulrich: Bodendenkmalpfleger Buse ..., a.a.O.; ders.: Bellin, Kr. Ueckermünde ..., a.a.O., S. 366. 7) a. 7, am Kanalhaus – b. 1874 – c. Felsgesteinbeil – d. L. 12,5 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 5707 – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 8) a. 20, am Strand südlich der Ueckermündung – b. IV/75/383 – c. bei Niedrigwasser in moorartigen Schicht ein Felsgesteinbeil (schwarzpatiniert, dünnwandig, breitblattrig) – d. L. 17,0 cm – e. LAKD – f. Schoknecht, Ulrich: Bodendenkmalpfleger Buse ..., a.a.O.; ders.: Bellin, Kr. Ueckermünde..., a.a.O., S. 366. 9) a. 2, bei Bellin, Uferzone am Haff – b. IV/75/149 – c. mehrere Feuersteinartefakte (Abschläge, Klingen, Schaber, dunkelgrau bis schwarz) – d. / – e. LAKD – f. Schoknecht, Ulrich: Bodendenkmalpfleger Buse ..., a.a.O.; ders.: Bellin, Kr. Ueckermünde ..., a.a.O., S. 318. 10) a. Gärtnerei Oststr. – b. IV 192 – c. Feuersteinbeil (gelb) – d. L. 9,5 cm, B. 4,0 cm, H. 1,8 cm – e. Haffmus. Ueckermünde – f. Inventar-Buch (Datum v. 9. März 1995). 11) a. 9, beim Friedhof – b. 1875 – c. Feuersteinbeil – d. / – e. verschollen – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 12) a. 19, westlich der Str. nach Neuendorf – b. IV/75/5–7 – c. mehrere Feuersteinartefakte – d. / – e. LAKD – f. Schoknecht, Ulrich: Archäologische Funde in Ueckermünde geben Aufschluß über die Frühgeschichte, in: Freie Erde. 1. Februar 1975; ders.: Bellin, Kr. Ueckermünde ..., a.a.O., S. 366. 13) a. 14, Lorenzsche Ziegelei – b. 1880 – c. Keramikgefäß, Feuersteinbeil, Felsgesteinaxt – d. L. 19,0 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 2258 b – f. Bartelt, August: Geschichte der Stadt Ueckermünde ..., a.a.O., S. 4; Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73 mit Taf. 35 li. 14) a. 10, bei Rochow I – b. 1876–1879 – c. diverse Keramikscherben, Feuerstein- u. Felsgesteinartefakte (wohl Töpfe, Äxte, Beile, Sicheln, Mahlsteine) – d. / – e. verschollen – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73.
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15) a. Unbekannt – b. 1881 – c. Feuersteinbeil (dunkelgrau, dünnnackig, geschliffen) – d. L. 14,5 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 a. IV – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 16) a. Unbekannt – b. 1882 – c. Feuersteinbeil (dicknackig, geschliffen) – d. L. 12,0 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 a. I – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73 mit Taf. 35. 17) a. Unbekannt – b. 1883 – c. Feuersteinbeil (hellgrau, dicknackig, geschliffen, beschädigt) – d. L. 10,5 cm, B. 4,5 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 a. II – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 18) a. Unbekannt – b. 1884 – c. Feuersteinbeil (dicknackig, geschliffen) – d. L. 9,0 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 a. III – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 19) a. Unbekannt – b. 1885 – c. Feuersteinbeil (hellbraun, dicknackig, geschliffen) – d. L. 11,0 cm, B. 4,5 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 b. I – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 20) a. Unbekannt – b. 1886 – c. Feuersteinbeil (dicknackig, geschliffen) – d. L. 10,3 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 c – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 21) a. Unbekannt – b. 1887 – c. Feuersteinbeil (hellgrau, dicknackig, teilgeschliffen) – d. L. 10,7 cm, B. 6,0 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 b. II – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 22) a. Unbekannt – b. 1888 – c. Feuersteinbeil-Nacken (grau, dicknackig, geschliffen) – d. L. noch 8,0 cm, B. 6,0 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 4285 – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 23) a. Unbekannt – b. 1889 – c. Feuersteinbeil (mittelbraun, flach, geschliffen) – d. L. 9,5 cm, B. 3,6 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 b. III – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 24) a. Unbekannt – b. 1892 – c. wohl Feuersteinsichel (beschädigt) – d. / – e. ehem. Landesmus. Stettin 1434 d – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 25) a. Unbekannt – b. 1892a – c. Felsgesteinbeil – d. L. 11,8 cm – e. ehem. Landesmus. Stettin 6150 – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73.
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26) a. Unbekannt – b. 1892a – c. Reibestein (länglich) – d. / – e. Slg. Bratke, Torgelow 71 – f. Hellmundt, Albert: Die vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler ..., a.a.O., S. 73. 27) a. In und um Ueckermünde – b. / – c. 4 Feuersteinbeile – d. L. 17,7 cm – e. Haffmus. Ueckermünde – f. Schoknecht, Ulrich: Ueckermünde, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg, Jahrbuch, Schwerin 1963 (1964), S. 314. 28) a. Ueckermünde – b. / – c. Feuersteinbeil (geschliffen) – d. / – e. / – f. Hantke, Max: Der Kreis Ückermünde ..., a.a.O., S. 14.
ENTWICKLUNGSLINIEN DER AFRIKANISCHEN DIASPORA IN BRANDENBURG-PREUSSEN IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT 1 Stephan Theilig Mit der zunehmenden Bedeutung des Atlantikhandels wie auch den zaghaften Bemühungen Brandenburg-Preußens, sich als Kolonialmacht zu etablieren, wurden ab dem 17. Jahrhundert afrikanischstämmige Menschen als Leibeigene und Sklaven nach Brandenburg-Preußen verschleppt. Sie wurden über die großen Sklavenmärkte Europas, Amsterdam und London, vermittelt. Aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer – für Brandenburger Verhältnisse – exotischen Erscheinung und ihres juristischen Status hatten sie größere Probleme, sich außerhalb ihres direkten Lebensumfeldes, in den meisten Fällen der Höfe oder dem Militär, eine eigene, unabhängige Existenz aufzubauen. Einzelbeispiele sind zwar überliefert, für die Masse jedoch werden sie kaum repräsentativ sein. 2 URSPRÜNGE Während der Türkenkriege zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert wurden Tausende osmanisch-stämmige Menschen als Kriegsgefangene in Territorien des Reiches verschleppt. In den Reihen des Sultans kämpften und dienten Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen dieses multiethnischen und multireligiösen Staatsgebildes, das in seinen Randzonen bis an den Atlantik, den Indischen Ozean und das Kaspische Meer reichte. Den Truppen des Sultans gehörten daher auch dunkelhäutige Menschen aus Afrika, Arabien oder auch Vorderasien an, die im europä1 2
Der hier abgedruckte Text basiert in Auszügen und Passagen auf der Veröffentlichung Theilig, Stephan: Türken, Mohren und Tataren. Muslimische (Lebens-)Welten in BrandenburgPreußen im 18. Jahrhundert, Berlin 2013. Siehe hierzu die differierenden Ansichten von Firla, Monika: ‚Hof‘- und andere ‚Mohren‘ als früheste Schicht des Eintreffens von Afrikanern in Deutschland.“, in: Heller, Hartmut (Hrsg.): Neue Heimat Deutschland. Aspekte der Zuwanderung, Akkulturation und emotionalen Bindung, Erlangen 2002, S. 157–175 sowie Martin, Peter: Schwarze Teufel, edle Mohren, Afrikaner in Geschichte und Bewußtsein der Deutschen, Hamburg 2001. Firla geht aufgrund der Tatsache des Lohnerhalts, der freien Kost und Logis sowie des teilweise hohen Beliebtheitsgrades von „Mohren“ davon aus, dass sie nicht als Beispiele für jedwede Art entstehenden Rassismus herangezogen werden können. Sie vernachlässigt allerdings, dass ein Leben außerhalb des Hofes oder der Armee anderen Voraussetzungen unterlag sowie die Repräsentation des „Mohren“ stets als Exoticum, als „nicht gleich“ und gekennzeichnet als Sklave/Leibeigener war.
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isch-christlichen Horizont weithin als „Mohren“ galten. So wundert es nicht, wenn anlässlich der Einweihung der Mannheimer Konkordienkirche im Jahre 1680 eine kombinierte Juden-, Mohammedaner- und Heidentaufe stattfand, bei der „der muslimische Täufling [...] in den Quellen als ‚Türke‘, ‚geborener Tatarʻ oder ‚Mohrʻ bezeichnet wird“ 3. Gerade hier zeigt sich die schwierige Differenzierung zwischen „Türke“ und „Mohr“ – Maximilian Grothaus nennt dies: Unbeholfenheit [, die] sich auch in den verzerrten und verklärten Vorstellungen, die das Bild über das Osmanische Reich, den Islam und die Türken beherrschten, bemerkbar [machte]. Dies zeigt sich besonders an den verschwommenen ethnographischen Abgrenzungen. Kaum werden Türken von anderen orientalischen Völkern unterschieden. 4
Wenn in den Quellen nicht explizit der Geburtsort angegeben ist, so kann es sich bei den dort angegebenen Orten um die der Gefangennahme oder Versklavung handeln, unabhängig vom Herkunftsland. Daher schließt die Kategorisierung „Mohr“ keinesfalls das Herkommen als Kriegsgefangener aus dem Osmanischen Reich aus, wenn nicht noch andere Quellen zur Verfügung stehen. Denn mit dem Anschwellen des transatlantischen Sklavenhandels versiegte die Quelle osmanischer „Mohren“ keinesfalls, sodass bis weit in das 18. Jahrhundert hinein noch dunkelhäutige osmanische Kriegsgefangene, seien sie Afrikaner, dunkelhäutige Tataren, Osmanen oder Araber, schlichtweg als „Mohren“ bezeichnet wurden. Gleiches gilt für die Bezeichnung „Türke“, die nicht bedeutete, dass der Träger dieser Kategorisierung ein Türke war. Vielmehr subsumierte der Begriff Menschen aus allen Regionen des Osmanischen Reiches, vornehmlich muslimischen Glaubens. Es ist schwierig, den Rechtsstatus von „Mohren“ im 17. und 18. Jahrhundert nachzuvollziehen, da es ihn, ebenso wie eine einheitliche Definition und Praxis für Leibeigenschaft oder Sklaverei im Heiligen Römischen Reich faktisch nicht gab. Martin bezeichnet dies als Praxis eines „formalrechtlichen Sklavenstatus“. 5 Firla widerspricht ihm durch die Angabe zahlreicher Beispiele glänzender Karrieren und gelebter Freiheiten von „Mohren“ im südwestdeutschen Raum vehement, bezieht sich in ihren Ausführungen aber allein auf (von ihr generalisierte) afrikanischstämmige Menschen. Sie lässt den Sklavenstatus allein im Falle von „Afrikanern im Dienst von Ausländern mit einem Sonderstatus“, „Afrikanern im Dienst von Ausländern mit vorübergehendem Aufenthalt im Reich“ sowie von Afrikanern „im Dienst von Deutschen im Ausland“, nicht aber für Afrikaner „im Dienst von deutschsprachigen Inländern“ gelten. 6 3
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Häberlein, Mark: ‚Mohren‘, ständische Gesellschaft und Atlantische Welt. Minderheiten und Kulturkontakte in der Frühen Neuzeit, in: Schnurmann, Claudia/Lehmann, Hartmut (Hrsg.): Atlantic Understandings. Essays on European and American History in Honor of Hermann Wellenreuther, Hamburg 2006, S. 77–102, hier S. 89, Fn. 37. Grothaus, Maximilian: Zum Türkenbild in der Adels- und Volkskultur der Habsburgermonarchie von 1650 bis 1800, in: Heiss, Gernot/Klingenstein, Grete (Hrsg.): Das Osmanische Reich und Europa 1683 bis 1789. Konflikt, Entspannung und Austausch, München 1983, S. 63–88, hier S. 75. Martin, Peter: Schwarze Teufel…, a.a.O., S. 136. Firla, Monika: Afrikanerinnen und ihre Nachkommen im deutschsprachigen Raum, in: Bechhaus-Gerst, Marianne/Klein-Arendt, Reinhard (Hrsg.): AfrikanerInnen in Deutschland und
Afrikanische Diaspora in Brandenburg-Preußen im 17./18. Jahrhundert
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Sie kann jedoch nicht verhehlen, dass „Mohren“ eher gleich einer Ware durch Kauf, als Kriegsbeute oder als Geschenke an die deutschen Höfe gelangten und folgend „in höherem Maße von der Gunst des regierenden Fürsten abhängig waren als andere Mitglieder der ständischen Gesellschaft, die meist über dichtere soziale Beziehungsnetze verfügten“ 7. In Bezug zu dem territorialen Raum Brandenburg-Preußen ist zwar keine Sklaverei an sich als Rechtsstatus überliefert. Das Preußische Landrecht von 1794 betrachtet jedoch die „ehemalige Leibeigenschaft als eine Art persönlicher Sklaverei“ 8. Gleichermaßen ist schwerlich davon auszugehen, dass die „Churfürstliche Afrikanisch-Brandenburgische Compagnie“, die sich für ihren Dienstherren Friedrich III. im atlantischen Sklavenhandel engagierte, ihren Opfern Palmöl auf die Schulter strich und sie wie Vieh mit „C AB C“ kennzeichnete, ihr Herr dagegen die „Mohren“ allein aus christlicher Nächstenliebe freikaufte, wie Firla es behauptet. 9 Zudem sind auf zahlreichen offiziellen Porträts der königlichen Familie, die etwa Antoine Pesne für den Hof in etablierter Bildtradition anfertigte, schwarze Bedienstete im Hintergrund zu sehen, die sowohl Ohrringe als auch silberne Sklavenhalsbänder als Zeichen ihrer Unfreiheit – Leibeigenschaft – tragen. Zum Ausdruck sollte damit der Kontrast von hell – dunkel, zivilisiert – domestiziert, Herr – Sklave kommen. DAS BEISPIEL BRANDENBURG-PREUSSEN Von den in Brandenburg-Preußen überlieferten „Mohren“, die in den Kirchenbüchern verzeichnet sind, ist die Herkunft weitestgehend unbekannt. Nicht überliefert ist zudem die Herkunft der insbesondere im Hofdienst stehenden „Mohren“ zwischen 1685 und 1792, die in den Kirchenunterlagen nicht namentlich genannt werden, derer sind Ludwig Besemann (erwähnt 1685, da er die „Paukenkunst“ erlernen soll) 10, F. de Lusti (erwähnt 1693), Statius Frieso (erwähnt 1710), Friedschwarze Deutsche – Geschichte und Gegenwart, Berlin 2004, S. 9–24. Einen sehr guten Überblick zu diesem Auslegungsstreit bietet Häberlein, Mark: ‚Mohren‘, ständische Gesellschaft..., a.a.O. 7 Häberlein, Mark: ‚Mohren‘, ständische Gesellschaft…, a.a.O., S. 90. 8 Nach Hattenhauer, Hans (Hrsg.): Das Allgemeine Landrecht für die Preussischen Staaten von 1794, Neuwied-Berlin 1996, S. 153; vgl. Blickle, Peter: Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten: eine Geschichte der Freiheit, München 2003, S. 169. 9 Firla, Monika: Afrikanerinnen und ihre Nachkommen…, a.a.O., S. 15: „Die Mitgebrachten waren zudem meist in Afrika aus der Hand von afrikanischen Sklavenhändlern freigekauft worden, die sie wiederum weit entfernt geraubt hatten.“ Zur Afrikanisch-brandenburgischen Compagnie van der Heyden, Ulrich: Roter Adler an Afrikas Küste. Die brandenburgischpreussische Kolonie Grossfriedrichsburg in Westafrika, Brandenburg 1993; Graichen, Gisela/Gründer, Horst (Hrsg.): Deutsche Kolonien – Traum und Trauma. Berlin 2005. Auch wenn in manchen Fällen die gelebte Freiheit nach der Volljährigkeit es so aussehen lässt, dass die Leibeigenschaft aufhörte, so ist dies durch das Fehlen von Freilassungsurkunden im eigentlichen Sinne nicht hinreichend belegbar. Anders dagegen verhielt es sich in Fällen, in denen ein Bediensteter aus seiner Stellung und damit seiner Funktion als „Exot“ entlassen wurde. 10 Sachs, Curt: Musik und Oper am kurbrandenburgischen Hof, Berlin 1910, S. 82.
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rich Christian (erwähnt 1711), Carl Philipp und Philipp Wilhelm (beide erwähnt 1712 und 1713). 11 Allein bei fünf „Mohren“ kann die indirekte Herkunft näher angegeben werden. Der „Guineische Negerknabe“ Ebnu gelangte über einen Hamburger Zwischenhändler nach Berlin. 12 Die beiden dunkelhäutigen Jungen, die am 18. Juli 1717 in der Garnisonkirche in Potsdam getauft wurden, gelangten ebenso über einen Londoner Zwischenhändler nach Brandenburg-Preußen. 13 Fortan trugen die beiden letztgenannten, nun als Mohrenpfeifer Dienenden, die Namen Adrian Pamphiloff und Wilhelm Mercurius. Zwei weitere „Mohren“ mit den Taufnamen Carl Ludwig Prentzlau und Christoph Ludwig kamen nachweislich aus Surinam, allerdings erst 1756 und 1776. 14 Über die Herkunft der vielen anderen als „Mohren“ an den unterschiedlichen Höfen in Brandenburg-Preußen Lebenden kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. So bleibt auch die Herkunft des allseits beliebten Kammermohren von Sophie Charlotte, Friedrich Wilhelm, ungewiss. Gleiches gilt für die sechs jungen „Mohren“, die ebenfalls unter Friedrich Wilhelm I. als Mohrenpfeifer dienen sollten. 15 Ob es sich bei diesen um diejenigen handelte, die 1717 als Ablöse für die Kolonie und Festung Großfriedrichsburg neben einer Summe von 7.200 Dukaten von der „NiederländischWestindischen Compagnie“ verlangt worden waren, ist in Akten nicht überliefert. Zwar wird dies in der Literatur häufig erwähnt, einen Beweis bleiben alle Autoren allerdings schuldig. 16 Vor allem spricht gegen diese Annahme, dass in den Taufmatrikeln keine Rede von der ehemaligen Kolonie ist, was in Anbetracht des Stellenwertes sicher angebracht gewesen wäre. Denn wenn die Herkunft von Mohren bekannt war, wurde diese auch in den Kirchenbüchern, zumindest in Hof- und Garnisonkreisen überliefert. Weiterhin ist die „güldene“ Ausstattung, die in allen Verhandlungen immer eine große Rolle gespielt hatte, nirgends erwähnt. Bereits angeklungen ist, dass zwischen dunkelhäutigen Türken, Tataren, Asiaten oder Afrikanern nur selten differenziert wurde. Das Wort „Mohr“ selbst stammt von der Bezeichnung Maure (lat. mauros, span. moro) ab und bezeichnete im ursprünglichen Sinn die arabisch-berberische Mischbevölkerung des Maghreb (Nordafrika, zu römischen Zeiten als Mauretanien bezeichnet), einschließlich Ägyptens. Der mediterrane Sklavenhandel war bis in das beginnende 18. Jahrhundert hinein 11 Zusammen finden sie sich mit Friedrich Wilhelm und Friedrich Ludwig in den Akten der Hofverwaltung und werden hinsichtlich Gehaltszahlungen etc. erwähnt. GStA, I. HA, Rep. 36, Nr. 304 Acta betr. Die Mohren, inkl. Mohren-Informatoren 1686, 1693–1742. 12 van der Heyden, Ulrich: Auf Afrikas Spuren in Berlin. Die Mohrenstraße und andere koloniale Erblasten, Berlin 2008, S. 14. 13 GStA, VIII. HA, MKB Rep. L, Nr. 570, Bl. 255 Nr. 401 und 401a; über den Ankauf in London GStA, II. HA, Abt. 4 Tit. 42, Nr. 3 vom 6.11. 1714 und 19.1.1715. 14 Taufeintrag vom 8.8.1756 sowie vom 13.10.1776. 15 Sie wurden alle zusammen getauft. Als Taufpaten fungierte die „Spitze“ der hochangesehensten Militärs der damaligen brandenburgisch-preußischen Armee. GStA, VIII. HA, MKB Rep. L, Nr. 570, Bl. 294 Nr. 521. 16 Zu nennen sind insbesondere Graichen, Gisela/Gründer, Horst (Hrsg.): Deutsche Kolonien…, a.a.O., S. 31 und van der Heyden, Ulrich: Auf Afrikas Spuren in Berlin…, a.a.O., S. 35. Van der Heyden schreibt, dass insgesamt zwölf Mohren, davon sechs mit goldenen Ohrringen und goldenen Halsbändern ausgestattet, „mit Sicherheit nach Preußen geliefert“ worden seien.
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eine Quelle für diese als Diener oder Musiker angestellten Leibeigenen. Eine Schlüsselrolle übernahm hier der Sklavenmarkt von Ägypten mit Verbindungen sowohl nach Innerafrika und auf die Arabische Halbinsel sowie nach Griechenland, Italien, Südfrankreich oder auch Spanien. Ob ein dunkelhäutiger Mensch afrikanischer, arabischer oder asiatischer Herkunft war, lässt sich daher nicht genau klären, spielte damals jedoch eine untergeordnete Rolle. 17 Darüber hinaus gelangte eine große Anzahl dunkelhäutiger Soldaten des osmanischen Sultans als Kriegsbeute nach ganz Europa. 18 In seinem Kriegsbericht schrieb der Obrist von Heldenbrand im Kontext der Eroberung von Belgrad 1717: „Inzwischen hat [...] der Obrist-Lieutenant von Streithorst einen schönen jungen Mohren, welcher bis an den Halß in der Donau gestanden, herauß führen lassen, und zu seinem Gefangenen gemacht.“ 19 Der mit der neuen Mode, sich exotischorientalische Diener zu halten, zusammenhängende Mehrbedarf konnte scheinbar nur durch den „zu dieser Zeit rasch expandierenden transatlantischen Handel mit schwarzen Sklaven“ gedeckt werden. 20 Zwar hatte Brandenburg-Preußen mit Großfriedrichsburg an der westafrikanischen Küste eine eigene Kolonie, die als Stützpunkt für den brandenburgischen Sklavenhandel diente, doch scheinen keine Sklaven von hier in den Norden des Reiches als Leibeigene gekommen zu sein. 21 Als Drehscheibe des europäischen Sklavenhandels galten dagegen Amsterdam und London. So zeigen die von Jürgen Kloosterhuis edierten Quellen zur Geschichte des Königsregiments in Potsdam, dass gerade Friedrich Wilhelm I. in den Jahren 1734 bis 1738, also dem Höhepunkt des Exotismus in europäischen Armeen, mehrfach versucht hatte, über seine Mittelsmänner in Amsterdam und London an junge, noch nicht ausgewachsene und kostengünstige Mohren zu kommen. 22 17 So zitiert und schlussfolgert van der Heyden ebenda. S. 15: „Mit ‚Mohr‘ [...] sei eigentlich Außereuropäer im allgemeinen gemeint [...] So sehr man die Bewohner außereuropäischer Kontinente generell als in äthiopischen (paradiesischen) Umständen lebende edle Wilde assoziierte, so wenig war man noch an ‚rassischen‘ Besonderheiten (etwa unterschiedlicher Hautfarben) als Abgrenzungs- und Unterscheidungskriterien interessiert [...] Der Äthiopier konnte schwarz sein, braun oder weiß – wichtig war nur, daß er (im Unterschied von den Europäern) nahe dem Paradies war.“ 18 Martin, Peter: Schwarze Teufel…, a.a.O., S. 117; Firla, Monika: ‚Hof‘- und andere ‚Mohren‘…, a.a.O., S. 162. Zum osmanischen Sklavenhandel Sagaster, Börte: „Herren“ und „Sklaven“. Der Wandel im Sklavenbild türkischer Literaten in der Spätzeit des Osmanischen Reiches, Wiesbaden 1997, S. 11–16. 19 Eintrag vom 13.8.1717, Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 5 Bü 50, zitiert nach Firla, Monika: ‚Hof‘- und andere ‚Mohren‘…, a.a.O., S. 163. 20 Martin, Peter: Schwarze Teufel…, a.a.O., S. 117. 21 van der Heyden, Ulrich: Roter Adler an Afrikas Küste…, a.a.O.; Graichen, Gisela/Gründer, Horst (Hrsg.): Deutsche Kolonien…, a.a.O. Kurze Zeit vor der Ankunft der Hugenotten gab es sogar ein Projektentwurf zur Ansiedlung von 20.000 Westafrikanern, um die Bevölkerungsdefizite in Brandenburg zu kompensieren. Dieses Projekt wurde bekanntlich nie realisiert. Häberlein, Mark: ‚Mohren‘, ständische Gesellschaft..., a.a.O., S. 77–83. 22 GStA, I. HA, Rep. 96 B Geheimes Zivilkabinett äP, Minüten Nr. 1, fol. 24. Zu diesem Vorgang auch fol. 30 (21.6.1728) und fol. 34 (16.8.1728). Hierin auch die Versuche über „Mohrenankäufe“ in Amsterdam und Den Haag in den Jahren 1731–1732 (GStA, I. HA, Rep.
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Insgesamt konnte aber nur ein „Mohr“ ersteigert werden, der nach Potsdam gesandt wurde. Der König bestätigte dessen Ankunft: „Der annoncierte Mohr ist in Potsdam eingetroffen, und recht gut. Von den Pferden sind nur fünf angekommen; die übrigen gestorben. Sainson [der Stallmeister; S. T.] hat wohl noch nie so schlechte Gäule geliefert, wie die jetzt transportierten.“ 23 Aber auch unter der Regierung Friedrichs II. wurde noch vereinzelt versucht, „Mohren“ für den Hofdienst zu kaufen. So werden zwischen März und November 1742 Verhandlungen geführt sowie der abschließende Kauf und Transport zweier junger „Mohren“ von Delft über Xanten, Hannover nach Berlin protokolliert. Die Rechnungen für beide, die Verpflegung und den Transport, inklusive der Kosten für die Händler und Transporteure, beliefen sich auf die nicht unbeträchtliche Summe von etwa 675 niederländischen Gulden. Die Bedeutung der „Mohren als Ware und Investitionsgut“ wird hier deutlich. Vielleicht gerade deshalb wurden sie am Hofe und besonders im Militär in gesonderten und angesehenen Positionen angestellt. AFRIKANER ALS MOHRENPFEIFER UND -TAMBOURE IN BRANDENBURG-PREUSSEN IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT 24 Vor der Existenz der stehenden Heere waren bei den Söldnertruppen zumeist „Spile“ üblich. Dies meinte Trommler und Pfeifer für die Infanterie; Trompeter und Pauker für die „höheren“ Ränge und elitären Truppengattungen wie die Kavallerie. Sie dienten allerdings nicht als Militärmusik im heutigen Sinne, sondern zur Signalübermittlung. In Brandenburg-Preußen setzte diese Entwicklung hin zu einem stehenden Heer und einer etatmäßigen Militärmusik mit dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm ein. Es entwickelten sich neben den Signalbläsern auch eigene Hautboisten (benannt nach der frz. Hautbois oder auch Oboe) und manchmal sogar Trompetergruppen an den Höfen. Diese formten die bisherige (eher einfache) Blasmusik zu den Tafeln zur Signalgabe oder Stundenmitteilung zu einem „repräsentativen Kult“ um. Nunmehr galt: „Je größer die Trompetenbesetzung und je nobler und farbenprächtiger die Bekleidung der Spieler, als desto mächtiger, reicher und angesehener galt der Dienstherr.“ 25 Der Kurfürst beließ es jedoch nicht bei dieser Pracht, sondern suchte, seine „Musicbanda“ mit „exotischen“ Akzenten zu betonen, indem er Mohren als Trompeter, Pfeifer, Hautboisten oder Trommler anstellte. Dem Vorbild des Kurfürsten folgten auch andere brandenburgisch-preußische Regimentsinhaber. Ausgehend 96 B Geheimes Zivilkabinett äP, Minüten Nr. 5, fol. 8v, 391, 403; Nr. 6, fol. 196v. sowie für 1734 GStA, I. HA, Rep. 96 B Geheimes Zivilkabinett äP, Minüten Nr.10, fol. 146, 229v). 23 GStA, I. HA, Rep. 96 B Geheimes Zivilkabinett äP, Minüten Nr. 1, fol. 34. 24 Innerhalb dieses Abschnittes wird hauptsächlich die Militärmusik untersucht. Teilweise wird jedoch auch auf die Hofmusik eingegangen, soweit dies für das Thema notwendig erscheint. 25 Hofer, Achim/Höfele, Bernhard/Probst, Werner: Militärmusik, in: Fischer, Ludwig (Hrsg.): Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel 1997, S. 269–292, hier S. 275.
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von Berlin hatte diese Mode ähnliche Einflüsse auf Feldherren und Armeen in Frankreich und England. 26 Über die Herkunft dieser „Mohren“ geben die Quellen kaum Auskünfte. Allein der 1681 auf den Namen Georg Adolph Christian in Spandau reformiert getaufte „Mohr“ Ebnu kam nachweislich aus dem westafrikanischen Guinea. 27 Auch bei dem „Mohren“ Ludwig Besemann, der nach einem Befehl des Kurfürsten die Paukerkunst bei einem Heerespauker erlernen sollte, ist die Herkunft ungewiss. 28 Am Hofe hatten diese „Mohren“ trotz ihrer ungewissen Herkunft eine hohe Stellung inne, was nicht zuletzt aus ihrer Kleidung abgeleitet werden kann. In der überlieferten Livrée eines Mohrenpfeifers am Hofe Friedrich I. ist zu erkennen, dass dieser keine Perücke oder Puder auf dem Haar trug. Auch fehlen bei ihm das bei Kammermohren später häufig verwendete silberne Sklavenhalsband sowie der Ohrring. Als Hautboisten, Trompeter oder Trommler galten auch sie als zünftig und genossen daher Privilegien, wie sie den niederen Hofbedienten nicht zukamen. In der Hautboistengruppe Friedrichs I. scheinen bereits vereinzelt osmanische Janitschareninstrumente zum Einsatz gekommen zu sein. So ist überliefert, dass die Mehrzahl der „Mohren“ unter seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm I. Beckenschläger gewesen seien. Größtenteils pflegten sie jedoch die barocke Kammermusik ohne den Einsatz rhythmischer Instrumente. Bekannt ist auch, dass die zumeist jungen Mohren mehrere Instrumente erlernen mussten. Die Informationen zu den als Musiker angestellten „Mohren“ werden allerdings erst für die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. reichlicher. Kurz nach seinem Regierungsantritt begann dieser nun, den riesigen Hofstaat seines Vaters umzustrukturieren und teilweise auch zu reduzieren. Für die „Mohrenmusiker“ endete damit vorerst das offizielle Leben am Hof. Sie wurden von dem neuen König in sein Garde-Regiment Nr. 6, die „Langen Kerls“, übernommen. Hier sollten sie als Hautboisten, aber auch im Spielmannszug als Querpfeifer und Trommler dienen. Von nun an trugen sie dieselben Uniformen wie die anderen Spielleute – mit dem Unterschied, dass sie um den Hals ein silbernes, zweifingerbreites Halsband, das bereits erwähnte Sklavenhalsband, sowie einen Ohrring tragen mussten. Auf dem Kopf trugen sie einen Turban, da es zum einen zahlreiche „Mohammedaner“ unter ihnen gegeben haben soll. Wahrscheinlich sollte ihnen dies neben ihrer exotisch dunklen Hautfarbe noch einen zusätzlichen „Hauch von Orient“ verleihen. Ihre Röcke waren: [...] blau, unten gantz weit und rundumb mit Falten, haben hängende Flügel, die Ermel, Aufschläge, Flügel und Fordertheile am Rocke sind mit güldenen Schleifen besetztet, dazwischen
26 Ebenda, S. 275. 27 Gerade in der bisher erschienenen Literatur zu diesem Thema finden sich zahlreiche Verallgemeinerungen und Ungenauigkeiten, was militärische Begriffe, Regierungszeiten aber auch die Mohren selbst angeht, was vermutlich auf tradierten Überlieferungen beruht. So sind mir nach meinen Recherchen keinerlei Belege dafür bekannt, dass die Mohren aus (West-) Afrika stammten. Eine Ausnahme bildet allein der Mohrenpfeifer Ebnu 1681. 28 Sachs, Curt: Musik und Oper…, a.a.O., S. 176.
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Stephan Theilig silberne gepremet, welche an beiden Enden silberne Frantzenhaben. Das Futter ist von Boy und die Knöpfe mit Silberplatten. 29
Friedrich Wilhelm I. hatte vielfach versucht, „Mohren“ für sein Regiment im Ausland zu bekommen, was aber augenscheinlich schwierig war. Denn bereits 1714 scheint der Soldatenkönig versucht zu haben, den Antrag zweier Amsterdamer Kaufleute auf die Erteilung zweier Reisepässe in die damals noch brandenburgisch-preußische Kolonie Arguin 30 für seine Zwecke auszunutzen. Er wollte ihnen diese Dokumente nur unter der Voraussetzung ausstellen, wenn sie ihm im Gegenzug 150 bis 160 Mohren mitbrächten: „[...] weiln Wir Willens sein solche, wann sie vorhero abgerichtet worden, bei Unseren Troupen als Hautbois zu gebrauchen“. 31 Der König vermerkte in einem weiteren Schreiben etwas näher zu den Mohren: „Die Pesse will ich unterschreiben wen die Com. will 150 Mohren mitbringen, die 10. á 12. Jahren alt alsden will ich wohl zu ihre negocie 1200 th. gehben.“ 32 In den Augen der Kaufleute schien dies aber eine unmögliche Forderung: [...] weil die Leute so umb Arguim und Porto Darco wohnen, alle Mohren oder Türken und beinahe so weiß sein, als die deutsche Nation, denn die Negers oder Schwarze halten sich um Senegal auf, welches wohl 180 oder 190 Meilen von Porto Darco ab ist. 33
Aus diesem Geschäft wurde letztendlich nichts. Besonders auffällig in der Antwort ist jedoch die sprachliche Differenzierung zwischen eher „hellen“ oder „dunklen“ Türken und Mohren auf der einen Seite, andererseits wird von den „schwarzen Negern“ gesprochen. Hierin findet sich noch eine frühmittelalterliche Unterscheidung wieder, die Martin passend zu seinem Titel „Schwarze Teufel, edle Mohren“ wählte. 34 Trotz dieses Rückschlages gelang es dem Soldatenkönig, eine Anzahl von Mohren und Türken zusätzlich zu den vom väterlichen Hofe übernommenen zu bekommen. Zwei von diesen waren die „Mohrenknaben“ Pampi und Mercurius, die am 18. Juli 1717 „auf Seine Königliche Majestät allergnädigsten Befehl auch nach vorher geschehenen Unterricht in der christlichen Religion“ in der Garnisonkirche von Potsdam getauft und als Mohrenpfeifer mit den Namen Adrian Pamphiloff und Wilhelm Mercurius in die „Langen Kerls“ aufgenommen wurden. 35 Dass die Taufe der beiden eine gewisse Bedeutung zu haben schien, bezeugt zum einen der Ort der Taufe, die Garnisonkirche als Herz der brandenburgisch-preußischen Ar29 Zitiert nach Martin, Peter: Schwarze Teufel…, a.a.O., S. 124–125. 30 Zwischen 1685 und 1721 war die dicht an der westafrikanischen Küste von Mauretanien gelegene Insel Arguin (port. Arguim) in brandenburgisch-preußischen Besitz. Mauretanien zählte damals zur Einflusssphäre des Osmanischen Reiches und war Sammelort für die aus Ost- und Innerafrika verschleppten Sklaven. 31 Diese Anmerkung wurde im eigentlichen Anschreiben aber wieder gestrichen, zitiert nach Schück, Richard: Brandenburg-Preußens Kolonial-Politik unter dem Großen Kurfürsten und seinen Nachfolgern (1647–1721), Leipzig 1889, S. 566. 32 Nach ebenda, S. 562. 33 Nach ebenda, S. 297. 34 Martin, Peter: Schwarze Teufel…, a.a.O. 35 GStA, VIII. HA, MKB Rep. L, Nr. 570, Bl. 255 Nr. 401.
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mee, zum anderen die Liste der Taufpaten. Unter den Paten fand sich der enge Vertraute und spätere Generalfeldmarschall von Borcke. Weiterhin als Paten standen General Major von Gersdorff wie auch der Obrist von Krummensee zur Seite. 36 Auch bei den Taufen der bereits erwähnten sieben Mohren am 12. Dezember 1722, ebenfalls in der Garnisonkirche Potsdam, waren Vertreter des höheren Offizierkorps als Paten zugegen. 37 Fortan trugen die nun preußischen Mohren die Namen Wilhelm Kurt Hildebrand, Hans Jürgen Adam, Adam Christoph Jürgen, Jochen Conrad, Peter Wunderlich, Christian August sowie Christian Heinrich. 38 Für das Jahr 1724 sollen allein in Potsdam 30 „Mohren“ als Musiker tätig gewesen sein, darunter 15 im Querpfeiferkorps des Königsregiments. Aber auch jenseits der königlichen Umgebung finden sich in den Hautboistengruppen einzelner Regimenter „Mohren“ als Pfeifer oder Tamboure, wenn auch nicht in den Ausmaßen wie in Potsdam. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau beschäftigte unter den Hautboisten seiner Leibkompanie einen Mohrenpfeifer namens „Damm“ oder „Damus“. Auch in den Reihen des Regiments des Kronprinzen Friedrich findet sich mit Carl Mustafa ein Mohrenpfeifer, sogar noch mit orientalischem Namenszusatz. Markgraf Karl Friedrich Albrecht von Brandenburg-Schwedt war ebenso für seine Liebe zur Exoterie bekannt, denn in den Reihen seines Infanterieregiments Nr. 19 dienten ebenso zahlreiche Mohrenpfeifer, die er in Gemälden festhalten ließ. Von einem seiner „Mohren“, dem Mohrenpfeifer Epoli, war bereits weiter oben im Zusammenhang mit seiner Taufe die Rede. Auch in der Leibkompanie des Grenadierregiments Nr. 15 leisteten schwarze Mohrenpfeifer ihren Dienst, ähnlich wie 1741 von vier Grenadierkompanien die Rede war, die mit ihren schwarzen Mohrenpfeifern durch Breslau marschierten. 39 Auch bei der Kavallerie setzte sich diese Mode fort, so waren im preußischen Kürassier-Regiment Markgraf Friedrich Wilhelms von Brandenburg-Schwedt alle Pauker und Trompeter durchweg „Mohren“. Da die Armee des Soldatenkönigs stetig wuchs, mussten reihenweise neue Musiker ausgebildet werden. Zu diesem Zwecke gründete Friedrich Wilhelm I. 1724 am Militärwaisenhaus in Potsdam die erste Hautboistenschule, also Militärmusikschule, im deutschen Sprachkreis. Hier wurden neben den zur Ausbildung überstellten „Mohren“ auch einheimische Jungen zu Hautboisten, Pfeifern, Trompetern und Tambouren ausgebildet. 40 Wobei es, so zumindest die Quellen, keine Unterschiede zwischen „Mohren“ und (Nicht-)„Mohren“ gab. Direktor war der Einzige von der Hofkapelle Friedrichs I. übrig gebliebene Musikus, Gottfried Pepusch, 36 GStA, VIII. HA, MKB Rep. L, Nr. 570, Bl. 255 Nr. 401a. 37 Darunter waren neben dem König Prinz Georg von Hessen-Kassel, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, abermals Generalmajor von Gersdorff, General von Blanckensee, General von Löben sowie die Obristen von der Marwitz, von Kröcher, von Kleist, Oberst Lieutenant von Pini, Major von Weyher, Major von dem Knesebeck sowie Kapitän von Jürgas. GStA, VIII. HA, MKB Rep. L, Nr. 570, Bl. 294, Nr. 521. 38 GStA, VIII. HA, MKB Rep. L, Nr. 570, Bl. 294, Nr. 521. 39 Martin, Peter: Schwarze Teufel…, a.a.O., S. 125. 40 Hofer, Achim/Höfele, Bernhard/Probst, Werner: Militärmusik.., a.a.O., S. 276; diese Schule existierte bis 1869.
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der anfangs unter Friedrich Wilhelm I. die Hautboistengruppe von dessen „Langen Kerls“ geleitet und nunmehr den musikalischen Nachwuchs zu erziehen hatte. Den Jungen selbst scheint es aber, im Gegensatz zu den „normalen“ Waisen, durchaus gut gegangen zu sein. So heißt es, sie seien besser gekleidet gewesen als die anderen Waisenkinder und hätten Stiefelletten, Kolleretten sowie Vorärmel getragen. Innerhalb von zwei bis drei Jahren wurden die Knaben im Spielen von allen bekannten Blasinstrumenten unterrichtet. Danach dienten sie unter den verschiedenen brandenburgisch-preußischen Regimentern, wobei jedes Regiment, in dem ein Hautboistenschüler tätig war, dem Direktor 50 Thaler zu zahlen hatte. 41 Ihr Tagwerk bestand nun in der musikalischen Begleitung des Garnisonlebens. Ihre Dienste wurden aber auch bei der Werbung neuer Rekruten benötigt. Sie spielten bei den Paraden des Regiments oder zu besonderen Anlässen der Offiziere. Sie führten sonntags die Soldaten musikalisch zum Kirchgang. Bekannt ist zudem die Tradition, dass Gruppen von Hautboisten des Morgens und Abends ihrem Regimentsinhaber ein Ständchen darbrachten, „wobei Märsche, Entrées und Menuette zur Aufführung kommen“ 42. Zu hören waren sie aber auch, allerdings in gedämpfter Spielweise, bei Beerdigungen von Offizieren. Dies stellte einen deutlichen Unterschied zu den Bestattungsriten von zivilen Bürgern dar. 43 In zeitgenössischen Possen und Versen finden sich die „Mohren“ des Königsregiments wieder. So beschrieb der sächsische Reisepoet und „lustige Rat“ des Dresdener Hofes, Johann Christian Trömer, in einem kleinen Lied, das um 1730 erschien: 44: [...] Die Uhr sie schlagk just 10, wie ick nach Potsdam komm, Da ahn die Tambours kleick ihr March in Stadt kenomm. Ey, wie die Trommel brumm, daß man kehn Wort versteh, Dabey es war nock was, das ick nock nit keseh: 12 schwarße Teufel-Kind, 12 Mohr seyn mitmarchir, die feiff uff klehne Feiff mit reckte kroß Plaisir. Wenn Regiments-Tambour ock ätth ehn schwarß Visir, Man denck, die Pluto keh mit seine Söhn spaßier. Was ahn die Mohr kefeiff, es klingk mir kar ßu wohl, Ick klaub, daß diese Lied darauf sick reimen soll. 45
Untergebracht waren die Musiker in Bürgerquartieren in Potsdam sowie in einer eigenen Kaserne (oder besser einem Haus) in Berlin in der auch heute noch so benannten Mohrenstraße in Berlin. Diesen Namen hatte der zu Beginn des 18. 41 Gerlach, Karlheinz (Hrsg.): Friedrich Nicolai. Beschreibung der königlichen Residenzstadt Potsdam und der umliegenden Gegend, Berlin 1993, S. 175. 42 Hofer, Achim/Höfele, Bernhard/Probst, Werner: Militärmusik.., a.a.O., S. 276. 43 Ebenda, S. 276. 44 Johann Christian Trömer (1696–1756) schrieb unter dem Pseudonym Jean Chrêtien Toucement über seine Ankunft in Potsdam über die „Langen Kerls“ und ihre Mohrenpfeifer. 45 Trömer nach Kloosterhuis, Jürgen (Hrsg.): Legendäre „lange Kerls“. Quellen zur Regimentskultur der Königsgrenadiere Friedrich Wilhelms I., 1713–1740, Berlin 2003, S. 301, Q516.
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Jahrhunderts noch unbefestigte Sandweg vor den Toren der eigentlichen Residenzstadt Berlin von den Einwohnern erhalten. Hier lag in den 1680er Jahren bereits ein Gasthof, in dem 1684 eine Delegation westafrikanischer Gesandter unter Führung des einheimischen Häuptlings Jan Jancke aus der Umgebung des späteren Fort Großfriedrichsburg residierte, um dem Kurfürsten ihre Unterwerfung „persönlich zu bekräftigen“. 46 Während ihres viermonatigen Aufenthaltes sorgten sie für großes Aufsehen unter den Berlinern. Schnell hatte sich daher der Name „Mohrenstraße“ eingebürgert. Ob es nun Zufall oder Absicht war, dass gerade hier die Mohrenmusiker des Soldatenkönigs untergebracht wurden, ist nicht überliefert. Fest steht, dass sie nicht wie andere Soldaten zum Teil einzeln in Bürgerquartieren untergebracht waren, sondern zusammen kaserniert blieben. Durch ihr Äußeres wie auch ihre bewusste exotische Zur-Schau-Stellung wurde die Aura des Fremden bewusst aufrechterhalten, auch wenn sie am Körper die gleiche Uniform wie andere Musiker trugen. Ihr Halsband wie auch der Ohrring markierten nur allzu deutlich ihre Inferiorität gegenüber den „normalen“ Soldaten.
46 Graichen, Gisela/Gründer, Horst (Hrsg.): Deutsche Kolonien…, a.a.O., S. 28; vgl. van der Heyden, Ulrich: Auf Afrikas Spuren in Berlin…, a.a.O., S. 18–20.
„WENN ICH GROSS BIN, WERD’ ICH NEGER“: SPRACHEXKURSION IN EINE FIKTIVE KINDHEIT IN DER DDR Elke Scherstjanoi Die Sommerferien nach dem zweiten Schuljahr 1963 waren großartig. Gleich am Anfang durfte Ulli ganz allein mit dem Zug von Greifswald zur Tante nach Zwickau in Sachsen fahren. Ins Flachland zurückgekehrt, erwischte Ulli noch Onkel Herbert aus Rostock, der sechs Wochen Landgang hatte und wie immer beim Familientreffen vom Fischfang vor Norwegen berichtete. Aber diesmal konnte eben auch Ulli etwas Spannendes erzählen und seltene Mitbringsel auf den Tisch legen. Unter anderem eine kleine Blechschachtel, die ihm ein Cousin geschenkt hatte. Und weil Mutti immer so lustig die Augen verdrehte, wenn die Verwandtschaft sächselte, äffte Ulli nach, wie die Zwickauer das angeblich aus Pferdeblut hergestellte Naschwerk genannt hatten: Negerfotzeln. Mutti verdrehte diesmal besonders komisch die Augen und Onkel Herbert bekam einen Hustenanfall. Oma nahm die Schachtel und las laut vor: „Salmiakpastillen“, woraufhin Opa verständnisvoll murmelte: „Ischa ´n langes Wort für so ´n lütten Kram“. Dann trat Schweigen ein, unterbrochen nur von des Onkels Reizhusten. – Ulli testete noch einmal die Wirkung der Pastillen, und zwar bei der Pionierleiterin, als er am Schuljahresbeginn die „ABC-Zeitung“ für die Klasse abholte. Von ihr erfuhr er, dass die in Zwickau gebräuchliche Bezeichnung kein anständiges Wort sei, vor allem ihr zweiter Teil. Diesbezüglich verschaffte ein Gespräch mit Udo abschließende Klarheit, der Freund war nämlich zwei Jahre älter… Diese Episode steht Ulli neuerdings immer vor Augen, wenn er in den PC das Wort „Neger“ diktiert. Es war und ist kein viel gebrauchtes Wort, auch beruflich war es das für ihn nie. Dennoch brennt es dem Experten für deutsche Kolonialgeschichte in Afrika natürlich in der Seele, wenn er erfolglos im Gedächtnis zu ergründen sucht, wann genau dieses Wort seinem aktiven Wortschatz entglitt. Das Wort „Neger“ wurde in der DDR zu Beginn der 1960er Jahre wie selbstverständlich für Schwarzafrikaner und Afroamerikaner benutzt. Ähnlich wie in vielen anderen des Rassismus wenig verdächtigen Gesellschaften stand das Wort in der DDR öffentlich für bestimmte menschliche Äußerlichkeiten. Dass „Neger“ beleidigend klingt, ist eine Weisheit von heute, das Wort soll strukturellen Rassismus offenbaren. Aber wenn das so ist, wie steht es dann um nichtafrikanische Sprachgemeinschaften, die die Kennzeichnung schwarz- und dunkelhäutiger Menschen nicht von „negro“ ableiten? „Neger(in)“ heißt im Polnischen beispielsweise Murzyn(ka), im Tschechischen črnec/črnanka, im Albanischen zezak. Die Chine-
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sen sagen hēirén. Sind die Einwohner dieser Länder alle weniger Rassisten als beispielsweise die Russen, die negr/negritjanka sagen, während sie unter „Schwarzen“ eher dunkelhäutige Landsleute wie Kaukasier verstehen? In Ungarn sagte man seit dem späten Mittelalter szerecsen, abgeleitet vom italienischen „saracenes“ (Sarazene, ein nordwestafrikanischer Stamm). Das war dort ähnlich gebräuchlich wie bei uns „Mohren“, bis man im 18. Jahrhundert aus dem Deutschen „Neger“ entlehnte: néger férfi (Negermann) und néger nö (Negerfrau). Das fand bis in die 1960er Jahre wie in ganz Europa wertungsfreien Gebrauch; heute gilt „Neger“ auch im Ungarischen als abschätzig. Einen Neger hatte Ulli als Kind nie gesehen, „Negerküsse“ aber wohl. Selbstverständlich kannte er das Lied „Zehn kleine Negerlein“, das man bei ihm zu Hause in einer weniger grausamen Variante weitergab als anderswo. Es war ein lustiges Zählspiel, man musste sich die Zahlen von Zehn bis Eins rückwärts merken. Dass die „Negerlein“ im Lied sukzessive „futsch“ gingen, war ebenso sinnfrei wie die Tatsache, dass ausgerechnet drei Chinesen auf irgendeiner Straße mit ´nem Kontrabass saßen und sich etwas erzählten, bis die Polizei kam. Nicht bedeutsam. Es gab ja ohnehin einige seltsame Lieder, auf die man sich als Kind keinen Reim machen konnte. Oder sollten etwa alle außer dem kleinen Ulli begriffen haben, warum der Vater des Marienkäfers im Krieg war und die Mutter in einem abgebrannten Pommernland? Unerklärlich – und letztlich nebensächlich. Ullis ältere Schwester Sabine besaß keine Negerpuppe, dafür reichte das Geld der Eltern nicht. Zu Weihnachten bekam sie aber einmal ein 20 cm großes Schokoladen-Babypüppchen, das sie zu Ullis Leid mit ihm nicht teilen wollte. Sie trug es tanzend durch die Wohnküche und sang, Peter Krauss abwandelnd: „SchokoSchoko-Baby, o-o Schoko-Schoko-Baby, sei doch lieb zu mi–ir“. Andernorts soll ein weißer Neger Wumbaba eine liedhafte Kulturintegration in ein friedlichromantisches Europa-Bild vollzogen haben. 1 Da konnte nur noch der dreijährige Bruder Ullis mithalten, der im Sommer auf einen Kondensstreifen am blauen Himmel zeigte und ausrief: „Düsenneger!“ – Na klar, Kinder in der DDR-Provinz kannten vielleicht Jäger, aber die flogen ja nicht; es konnte sich also nur um einen unbekannten Neger handeln. Übrigens, auch an der Bezeichnung „Mohr“ biss sich keiner fest, an einem „Mohrenkopf“ schon eher. Das war etwas Süßes. Tante Betti aus Wien setzte der Familie anlässlich eines Besuchs einen „Mohr im Hemd“ vor – Fragen kamen nur bezüglich des „Hemdes“ auf. Und schließlich schickte Großtante Herta regelmäßig Pakete aus Braunschweig, darin lagen des Öfteren auch Sarotti-Tafeln. Ein bunter kleiner Sarotti-Mohr mit großem Turban zierte die Verpackung. Er erinnerte Ulli an den „Kleinen Muck“ im gleichnamigen Kinderfilm. 2 Warum also sollte „Mohr“ ein böses Wort sein? In der 6. Klasse las Ulli in der Schule das Kinderbuch „Mohr und die Raben von London“ 3; „Mohr“ war darin der liebevolle Spitzname für einen sorgenden, witzigen Vater – Karl Marx. 1 2 3
Siehe Hacke, Axel: Der weiße Neger Wumbaba, München 2004. Die Geschichte vom kleinen Muck, DEFA-Kinderfilm, 1953, Regie: Wolfgang Staudte. Korn, Vilmos/Korn, Ilse: Mohr und die Raben von London, Berlin 1962 (14. Aufl. 1980).
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Einen „kohlpechrabenschwarzen Mohren“ gab es schon im klassischen Kinderbuch „Der Struwwelpeter“, das auch in der DDR mit den Originalzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert mehrfach neu aufgelegt wurde. In einer Geschichte werden drei weiße Jungs dafür bestraft, dass sie einen schwarzen Jungen gehänselt hatten. „Was kann denn dieser Mohr dafür, dass er so weiß nicht ist wie ihr?“, lautete die pädagogische Botschaft. 2001 fragte ein Internetuser: „Gehe ich recht in der Annahme, dass dieser Satz voll rassistisch ist, oder bin ich nur zu empfindlich? Darin steckt doch die Aussage, dass es ein Makel ist, schwarz statt weiß zu sein, aber dass der Schwarze eben nichts dafür kann und er deshalb ein gewisses Mitleid verdient. Oder?“ – Ob Ulli beim Lesen der Struwwelpeter-Verse „nur“ Mitleid entwickelte oder die Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens begriff? Die folgend beschriebene Sequenz einer frühen DDR-Kinderfilmproduktion – Ulli wird sie an einem Samstagnachmittag „bei Professor Flimmrich“ gesehen haben – bezeugt für sich genommen natürlich keine Wertestiftung, weil über die Rezeption des Filmes nichts bekannt ist. Aber dieser heute weitgehend vergessene Film endet mit einer bemerkenswerten Pointe, die trotz Verwendung des heute verfemten Wortes Ausdruck antirassistischer Staatsdoktrin ist. „Der kleine Kuno“, so der Filmtitel 4, ist ein Berliner Junge im Vorschulalter. Er reißt eines Nachts aus, während die Eltern in der Nachtschicht arbeiten. Der Junge möchte wissen, was sich in der Stadt tut, wenn Kinder eigentlich schlafen sollten. Kuno begegnet im nächtlichen Ostberlin unter vielen Menschen einem Gast aus Afrika, einem Sänger, der mit Presserummel empfangen wird. Die nächtlichen Tätigkeiten der Erwachsenen beeindrucken den Fünfjährigen, ihre Berufe scheinen abenteuerlich. Am Ende der aufregenden Nachttour sinkt der kindliche Held in sein Bett und entscheidet: „Wenn ich groß bin, werd´ ich Neger.“ Mehr positive Identifizierung geht eigentlich nicht. „Neger“ sagten am Beginn der 1960er Jahre alle. In Erik Neutzschs Roman „Spur der Steine“ (1958) ließ ein junger Pfarrer in seiner Kirche nicht etwa Gospel, sondern „Negerlieder“ singen. In Vergessenheit geriet das, weil der gleichnamige DEFA-Film (1966) – nach 1990 auch von den nun gesamtdeutschen Medien viel gelobt – diese Szene nicht enthielt. Manfred Krug interpretierte seinerzeit – nach eigener Ankündigung – Neger-Protestsongs. Dies sind nur einige Zeugnisse einer verbreiteten Sprachkultur. Eine feine Unterscheidung von Sagbarem und Nichtsagbarem (weil Beleidigendem) bekamen DDR-Kinder in Öffentlichkeit und Schule damals aber durchaus vermittelt, und zwar zunächst ohne Rassismusverdacht. „Angeben wie zehn nackte Neger“ – so etwas sagte man einfach nicht! Nicht der „Neger“ wegen, sondern weil der Vorwurf, gerade im Nacktsein anzugeben, nur boshaft gemeint sein konnte. Genauso unfein galt es zu sagen: „Hier sieht es ja aus wie bei den Hottentotten!“ Damit würde ein Volk diffamiert! Das geht nicht! Dann schon eher: „… wie bei Hempels unterm Sofa“, und vermutlich konnten sich alle Kinder in Deutschland das auch sehr viel besser vorstellen. Der „Neger“-Begriff als solcher wurde mithin zunächst nicht infrage gestellt, seine Einbettung fand freilich Beachtung. Jedes Kind im DDR-Kinosaal wusste da4
Der kleine Kuno, DEFA-Kinderfilm, 1959, Regie: Kurt Jung-Alsen.
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mals, wenn etwa im Indianerfilm einer „Neger“ sagte, gehörte er zu den Guten; die Bösen sagten immer „Nigger“. Das dürfte auch bei Übersetzungen und Synchronisationen beachtet worden sein. In „Savvy, der Reis-Shopper“, einem DDR-Kinderbuch von Götz R. Richter über einen US-amerikanischen farbigen Jungen 5, bemerkte der Hauptheld diese Unterscheidung sogar selbst. Er wollte nicht „Nigger“ genannt werden, gegen „Neger“ hatte er nichts einzuwenden. Ganz in diesem Sinne differenzierte ja auch die Erwachsenenwelt: Die „Ballade vom Nigger Jim“ von Hanns Eisler, Text David Weber (1931), trug auf einer Ernst-Busch-Schallplatte von 1964 den Titel „Ballade vom Neger Jim“, wie wohl die zitierte und kritisierte Abfälligkeit in der Wendung „schmutziger Nigger“ im Text erhalten blieb. 6 Dass die Begriffe zu Beginn der 1960er Jahre „eine Wandlung durchliefen“, ging von den Bezeichneten selbst aus. Offenbar war das aber – zumindest in den USA – nicht für alle einsichtig. 7 In der DDR entsprach man dem Wandel ohne großes Aufheben wie anderswo auch. Erst die modernen sozialen Medien machten in den 1990er Jahren viel Gewese aus Sprachverwirrung. Soweit das ohne Kenntnis der historischen Sachverhalte bzw. etymologischen Zusammenhänge ablief, fand es die Kritik auch des Afrika- und Kolonialgeschichtsexperten Ulrich van der Heyden. 8 – Strittige Wortsignale finden sich übrigens bis heute im Sprachgebrauch in Deutschland, ohne dass sich jemand öffentlich beschwert. Sie gehen natürlich stärker von Termini aus, die ursprünglich politischer Natur sind. Wenn man Bezeichnungen wie „der Vietcong“ hört, weiß man auch sofort, wessen Geistes Kind die Reportage ist. Die Geschichte der Verwendung des „Neger“-Begriffs als die eines zunehmend politisierten Sprachphänomens enthält eine vage Zäsur. Sie fällt in die Zeit, als Ulli ahnungslos Salmiakpastillen verteilte, Anfang der 1960er Jahre. Eines der meistgelesenen DDR-Kinderbücher liefert mit seiner Editionsgeschichte Hinweise darauf. Autor der Erzählung war Ludwig Renn (eigentlich Arnold Friedrich Vieth von Golßenau, 1889–1979), der neben der in Afrika angesiedelten noch zwei in Mexiko spielende Geschichten für Kinder verfasste (in Mexiko überlebte er als Emigrant die Nazizeit). Sein 1955 erschienenes Büchlein „Der Neger Nobi“ trug seit 1962 (8. Auflage) den korrigierten Titel „Nobi“. Erzählt wird die Geschichte eines Jungen aus dem afrikanischen Urwald und seiner Freunde, der Urwaldtiere, mit denen er spielt und spricht, die ihm helfen und ihm ihre Geheimnisse anvertrauen. Sie kämpfen mit ihm gegen fremde weiße Sklavenhändler und korrupte Einheimische, sie wollen die Weißen vertreiben! 9
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Richter, Götz R.: Savvy der Reis-Shopper. Die Abenteuer eines Negerjungen vom Stamme der Basa-Kru, Berlin 1955 (17. Aufl. 1983, bis zur 7. Aufl. 1962 mit dem genannten Untertitel). Vgl. http://erinnerungsort.de/lied/ballade-vom-nigger-jim-ballade-vom-neger-jim (31.10.2018). Siehe Follett, Ken: Kinder der Freiheit. Die Jahrhundert-Saga, Köln 2014, S. 738. van der Heyden, Ulrich: Auf Afrikas Spuren in Berlin. Die Mohrenstraße und andere koloniale Erblasten, Berlin 2008; ders.: Angedichteter Rassismus, in: Ossietzky, Nr. 9, Berlin 2016, S. 306–308. 1974 in 20. Aufl., die Illustrationen von Hans Baltzer erlangten einen hohen Bekanntheitsgrad in der DDR.
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Die Erzählung begann seit 1962 mit: „Es ist schon lange her, da wurde fern in einem afrikanischen Urwalddorf ein Junge geboren, der den Namen Nobi erhielt.“ In der früheren Ausgabe hieß es, ein „Negerjunge“ wurde geboren. Das Wort „Neger“ kam in der älteren Variante gar nicht so häufig vor, doch seit 1962 fehlte es völlig. Aus „Negern“ wurden „Urwaldleute“, „Dorfleute“, einfach nur „Männer“ oder – situationsbedingt – „Gefangene“ oder „Zuhörer“. Aus „Negerlein“ wurden „Buben“ oder „Kinder“, aus „Neger und Negerinnen“ wurden „Männer und Frauen“. An einigen Stellen wurde der inkriminierte Begriff ersatzlos gestrichen. Der Nachlass des Autors in der Akademie der Künste der DDR gibt keine Auskunft über die Initiatoren und Begründungen der Korrektur. Geschichte und Botschaft der Erzählung blieben ohnehin die gleichen. Aus heutiger Sicht hat die Überarbeitung mit der Tilgung des Begriffes „Neger“ die spröde Sprache des Autors durchaus bereichert. Im Vergleich gelesen ergibt sich für diesen Text, dass der „Neger“-Begriff Distanz geschaffen hatte – bei aller Sympathie des Autors für das Anliegen des Befreiungskampfes und bei allem Respekt für die Eigenheit des afrikanischen Urwaldlebens, für die Natur und für die Kultur der Menschen dort. „Nobi“ war eines der meistgelesenen Kinderbücher in der DDR. 10 Als Ulli das Buch „Nobi“ für gute Leistungen in der Schule anlässlich der Zeugnisausgabe nach der 4. Klasse überreicht bekam, war das nicht sein erstes Buch. Er hatte schon Alex Weddings „Ede und Unku“ in der Reihe „Kleine Trompeterbücher“ gelesen, die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem Berliner Jungen und einem Sinti-Mädchen. 11 Noch mehr begeistert hatte ihn „Blauvogel“, der weiße Junge in einer Irokesenfamilie im 18. Jahrhundert in Amerika. 12 Das Buch „Nobi“ von Ludwig Renn war nicht leicht zu lesen, die Sprache kam ihm ein wenig trocken vor, dafür waren die Episoden mit den Tieren spannend. Ob KlassenlehrerIn, PionierleiterIn oder SchuldirektorIn bemerkt hatten, dass das in der Schule bereits seit Jahren für Geschenke ausgewählte Buch nun einen neuen Titel trug? – Wir wissen es nicht. Das Sprachproblem wurde in der DDR übrigens öffentlich erörtert. Nachweislich in der „Leipziger Volkszeitung“ und im Fachjournal „Sprachpflege“ wurde 1963 unter Nutzung von Leserzuschriften debattiert: „Hat das Wort ‚Neger‘ abschätzigen Sinn?“ und wäre es nicht respektvoller, von „Afrikanern“ und „Afroamerikanern“ zu sprechen? 13 Aktuellen Pressemeldungen des Landes wurde attes10 Siehe Pahlke, Heinz W., in http://www.buchentdeckungen.de/blog/2013/01/31/ludwig-rennsnobi-und-goetz-r-richters-savvy-weckten-meine-sympathie-fuer-menschen-mit-andererhautfarbe/ (13.2.2018). 11 Wedding, Alex [eigentlich Weiskopf, Grete]: Ede und Unku, Roman für Jungen und Mädchen (Erstausgabe 1931), Berlin 1958 (20. Aufl. 1979). 12 Müller-Tannewitz, Anna: Blauvogel, Wahlsohn der Irokesen, Berlin 1950. Das Buch erschien im ersten Jahr gleich in drei Auflagen, es erhielt im gleichen Jahr eine staatliche Auszeichnung für gelungene neue deutsche Kinderliteratur. Die Autorin siedelte wenig später in die BRD über, wo sie auch unter dem Pseudonym Anna Jürgen publizierte. „Blauvogel“ erschien in beiden deutschen Staaten mehrfach, in der DDR 1974 in der 21. Auflage. 13 Hat das Wort „Neger“ abschätzigen Sinn? Mit einer Stellungnahme von Rudolf Richter, in: Sprachpflege. Zeitschrift für gutes Deutsch, Nr, 5, Leipzig 1963, S. 97–100.
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tiert, dass sie trotz Verwendung des Wortes „Neger“ nicht Rassenhass, sondern „Freundschaft und Solidarität mit den Menschen schwarzer Hautfarbe in ihrem schweren Kampf um volle Gleichberechtigung“ transportierten. Als Beispiel erwähnte man „Neger Nobi“, obgleich das Buch bereits neu betitelt war. 14 Selbst Paul Robeson (1898–1976) hätte von „negro People“ gesprochen. Dagegen sei das Wort „Farbige“ „nicht ganz frei von einem etwas zweifelhaften Klang“. Das Resümee lautete 1963: Während der deutsche Sprachgebrauch in Bezug auf Afrika zunehmend zu „Afrikaner“ tendiere, sei in Amerika für die dort lebende schwarze Bevölkerung „Neger“ die überwiegend gebrauchte Bezeichnung. Die Deutsch-Afrikanische Gesellschaft in der DDR schaltete sich ein und erklärte sich erfreut über die Debatte. Aus ihrer Sicht verböte die koloniale Sprachpraxis die Verwendung sowohl von „Weißer“ als auch von „Farbiger“ für Afrikaner. Außerdem: Gleiche Begriffe für nichtweiße Bewohner in Afrika und den USA seien weder richtig noch notwendig, u. a. weil in den Vereinigten Staaten „Neger“ (nicht Nigger) noch immer ein selbstgewählter Begriff sei, oft „mit dem Stolz der Unterdrückten“ getragen. 15 Als 1965 im Berliner Union-Verlag „Warum wir nicht warten können“ von Martin Luther King als Lizenzausgabe des Econ-Verlages Düsseldorf/Wien erschien, nahm niemand Anstoß an der Übersetzung. Das Buch wollte „das Bild des neuen Negers“ vermitteln, und auch der Leipziger Theologe Prof. Emil Fuchs (1874–1971) ließ sich im Nachwort der DDR-Ausgabe auf den Gattungsbegriff „der Neger“ ein. 16 Peter Hacks’ 1965 verfasstes Gedicht auf Patrice Lumumba (1925–1961), in Erinnerung an die Ermordung des kongolesischen Politikers geschrieben, verzichtet auf jeglichen Hinweis auf die ethnische Zugehörigkeit des Geehrten. 17 Für einen Zehnjährigen lag das alles außerhalb seines Urteilsvermögens. Afrika interessierte Ulli fortan aber sehr. In der sechsten Klasse gewann er ein Preisausschreiben in dem Jugendmagazins „Atze“: Das Lösungswort lautete „Bab el-Mandeb“ – eine Kleinigkeit für Ulli, der, Onkel Herberts traumhaften Erzählungen folgend, Berichte über die Seefahrt sammelte. Der Siegerpreis war Götz R. Richters Wälzer über „Schiffe, Menschen, fernes Land. Das Buch einer großen Fahrt“. 18
14 Das zweite genannte Beispiel, Willi Meincks Kinderbuch „Der Neger Jim“ von 1961, erreichte nur eine zweite Auflage im gleichen Jahr. Meinck (1914–1993) war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft gewesen, seine Botschaften waren fern allen Rassismus. 15 Brief der Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft in der DDR an die Redaktion von „Sprachpflege“, 9.7.1963, in Kopie im Archiv van der Heyden. Ich danke für die ermöglichte Einsichtnahme. 16 King, Martin Luther: Warum wir nicht warten können, aus dem Amerikanischen, Berlin 1965 (3. Aufl. 1969). 17 Hacks, Peter: Tod Lumumbas (1965), http://www.peter-hacks-gesellschaft.de/gedichte/ar chiv/95-in-erinnerung-an-die-ermordung-von-patrice-lumumba.html (31.10.2018). 18 Richter, Götz R.: Schiffe, Menschen, fernes Land. Das Buch einer großen Fahrt, Leipzig 1956 (10. Aufl. 1966). In Lizenz erschien es auch in Berlin, ab 1979 unter dem veränderten Titel „Die Männer von der Senegal“.
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Der bekannteste Kinderbuchautor zum Afrika-Thema war in der DDR Götz Rudolf Richter (1923–2016). Er hatte als Schiffsjunge auf Handelsschiffen Afrika gesehen, den Kontinent aber niemals direkt bereist. Die Liste seiner AfrikaBücher ist wohl gerade deshalb beeindruckend. Auf „Najok, der Perlentaucher“ von 1952 folgten 1955 das überaus erfolgreiche Buch „Savvy, der Reis-Shopper“ und 1958 „Die Höhle der fliegenden Teufel“. „Kamau, der Afrikaner“ von 1962 hatte bereits den „Neger“-Begriff vermieden, es erschien 1988 in der 10. Auflage. Es folgten „Trommeln der Freiheit“ (1963), „Kimani“ (1964) und „Kimani in Nairobi“ (1974), „Sado und Apii“ (1967), „Die Löwen kommen“ (1969), „Msuri“ (1977) und „Msuri im Land der Antilope“ (1979). Richters Bücher haben in der DDR Tausende Kinderherzen bewegt und Afrika-Bilder geformt. 19 Sein auf europäische, jugendliche Lesebedürfnisse hervorragend eingehender Stil sorgte für eine nachwachsende Leserschaft. Die dem Genre der Abenteuerliteratur zuzuschreibenden Erzählungen waren zugleich – ohne plakativ zu wirken – dem antikolonialen Befreiungskampf verpflichtet; in der BRD kannte man Richter so gut wie nicht, sein Wikipedia-Eintrag nennt bis heute kein Todesdatum. – Ein AfrikaThema im DDR-Kinderfilm gab es erst elf Jahre später 20, da war Ulli bereits Student der Humboldt-Universität. Das Kinoereignis des Sommers 1966 in der DDR war der Indianerfilm „Die Söhne der großen Bärin“. 21 Aber Afrika rückte näher als jede andere FernUtopie. Schade, dass sich über die FDJ-Tageszeitung „Junge Welt“ nur Briefpartner in Afrika anboten, die portugiesisch oder französisch schreiben wollten. Ulli hatte Englisch als zweite Fremdsprache gelernt, denn seine Schule bot nichts anderes an. In der Stadtbibliothek gab es aber viel über Afrika zu lesen. Ullis Eltern besaßen inzwischen ein Fernsehgerät, freilich veranschaulichte das damals noch mehr die Tier- und Pflanzenwelt. Ullis erste Begegnung mit einem Farbigen ergab sich während einer Ferienarbeit im VEB Fischkombinat Rostock 1969. Martin war zur Facharbeiterausbildung gekommen – aus Kuba. Die Jungs begegneten sich im Jugendclub des Betriebes, als gerade entschieden wurde, dort einen Paul-Robeson-Abend vorzubereiten. Ulli und Martin fuhren nach Berlin (damit war das erreichbare „Ostberlin“ gemeint, aber so sagte man nicht), wo seit 1965 das – lange Zeit einzige in der Welt – Paul-Robeson-Archiv in der Akademie der Künste bestand. Dort bekamen sie Texte und Fotos. Außerdem luden sie den seit 1963 bestehenden Jugendchor „Paul Robeson“ nach Rostock ein. Es war auch 1965, als Louis Armstrong im Rahmen einer Osteuropatour in die DDR kam. Der in 17 Konzerten Gefeierte musste nur den Auftritt im provinziellen Schwerin absagen: Dort waren kaum Karten
19 Bekennende Fans berichten von der Wirkung der Lektüre, siehe: http://www.eckhard-ullrich. de/buecher-buecher/963-goetz-r-richter-kimani und http://www.sz-online.de/nachrichten/derkarl-may-des-ostens--3605044.html?bPrint=true (13.2.2018) 20 Ein Schneemann für Afrika, DEFA-Kinderfilm, 1977, Regie: Rolf Losansky. 21 Die Söhne der großen Bärin, DEFA-Spielfilm, 1966 (nach Motiven der gleichnamigen Buchreihe von Liselotte Welskopf-Henrich), Regie: Josef Mach.
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verkauft worden. 22 Schon wenige Jahre später, da ist sich Ulli sicher, wäre das nicht mehr passiert. – Kurz vor Martins Rückreise in die Heimat fuhren die Freunde im September 1972 noch einmal in die Hauptstadt. Sie wollten Angela Davis (geb. 1944) zujubeln, doch die Straßen Berlins waren von Funktionären verstopft, auch von unbestellt erschienenen jungen Leuten mit Heimvorteil. Selten hat Berlin so aufrichtigen Jubel gesehen. Von Mitte 1970 an war die Dozentin für Philosophie und Soziologie an der Universität in Los Angeles wegen angeblicher Mittäterschaft an einer Terroraktion und unter Mordanklage in den USA in Haft gewesen. Die Jugend- und die Kinderorganisation der DDR starteten im Herbst 1971 eine Protestaktion, mit der sich auffällig viele identifizierten: Postkarten mit Rosen sollten ins Gefängnis geschickt werden, eine Million Rosen für Angela Davis. Die war nun im DDRMedienrummel übrigens keine „Negerin“, sondern Bürgerrechtskämpferin, Friedensaktivistin, Vietnamkriegsgegnerin, nicht zuletzt: Kommunistin oder einfach nur „schwarze Schwester Angela“. In der Presse war nun von „schwarzen Amerikanern“ die Rede. Im Jahr darauf war Angela Davis gefeierter Gast der Weltfestspiele in Berlin. War es Zufall, dass Ulli Anfang August 1973 ausgerechnet während des Auftrittes von Miriam Makeba (1932–2006) auf dem Alexanderplatz zum ersten Mal seiner großen Liebe begegnete – im strömenden Regen? Das Erlebnis der Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin bekräftigte beider Absichten, etwas zu studieren, das die Welt erklären und verändern hilft. „Völkerfreundschaft“ – das war ein aufrichtig gemeintes Anliegen für viele DDR-Jugendliche. Beide wurden an der Humboldt-Universität immatrikuliert, Ulli ging zur „Allgemeinen Geschichte“. Fernweh und Erlebnisdrang mögen eine Rolle gespielt haben, zumal der Kontinent Afrika mittlerweile auch außerhalb diplomatischer Laufbahnen nicht mehr unerreichbar war für DDR-Bürger. Bücher wie die kriminalistisch angelegte Erzählung über ein DDR-Lehrerehepaar in Tansania 23 stellten Grenzüberschreitung in Aussicht, Kontakte weiteten sich aus. 24 Der afrikanische Kontinent spielte seit Mitte der 1960er Jahre eine herausragende Rolle im Bemühen der DDR um diplomatische Anerkennung, die mit der allgemeinen Entspannung in Europa ihren Höhepunkt erreichte. Von den fachinternen akademischen Standortquerelen und Profilierungsproblemen in den Fahrt aufnehmenden Afrikawissenschaften in der DDR, die in den 1960er Jahren als positiver Impuls von der Karl-Marx-Universität Leipzig unter Walter Markov (1909–1993) eine Neuausrichtung weg von der traditionellen Völkerkunde hin zu politik- und gesellschaftsgeschichtlich gewichteter Entwicklungsländerwissen22 Schulz, Stephan: What a Wonderful world. Als Louis Armstrong durch den Osten tourte, Berlin 2010. 23 Harkenthal, Gerhard: Durststrecke, Berlin 1970. Vom gleichen Autor erschien auch „Heiße Safari“, ein Abenteuerroman für Jugendliche, Berlin 1976. 24 Siehe für den Journalismus beispielhaft „Freunde in Freetown“, Reportage aus Sierra Leone von Hans-Dieter Bräuer und Jochen Moll, in: Neue Berliner Illustrierte, 2. Maiheft, Berlin 1972, S. 13–15. Sie handelte von „Menschen mit dunkler Hautfarbe“.
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schaft erfahren hatten, aber erst langsam in Berlin Fuß fassten 25, wusste Ulli anfangs natürlich nichts. Ab 1971 gab es an der Humboldt-Universität zu Berlin innerhalb der Sektion Geschichte eine Arbeitsgruppe zur deutschen Kolonialgeschichte, die Afrikanistik war der Sektion Asienwissenschaften angegliedert. Koloniale Eroberungskriege in Südafrika im 19. Jahrhundert wurden nach Studienabschluss Ulrich van der Heydens erstes großes Forschungsfeld. Die Sache mit dem Wort „Neger“ lässt sich in seinem beruflichen Aufbruch leider nicht klären. Es muss in den späten 1960er Jahren gewesen sein, so zwischen „Neger Nobi“ und „Eine Million Rosen für Angela Davis“, und es fiel ihm gar nicht auf, dass das Wort „Neger“ Schritt für Schritt aus dem Gebrauch kam. War das, bevor oder nachdem sich Ulli für das Forschungsfeld Afrika entschied? Vielleicht bleibt dies unbeantwortet, weil das Wort „Neger“ in Ullis Umgebung nie den gemeinen, rassistischen und chauvinistischen Grundton hatte, den es heute zugeschrieben bekommt. Es barg in der Kommunikation seiner Kreise eben kein Bekenntnis, schon gar kein politisch-ethisches, und war daher unaufgeregt durch andere zu ersetzen oder ganz und gar verzichtbar, so wie seine frühere Verwendung kein Grund für ahistorische Krittelei an alten Texten sein konnte. Die Sprachforschung zählte das Wort „Neger“ noch vor wenigen Jahren zu den „durch gelegentlichen Schimpfwortcharakter belasteten“ Wörtern wie „Zigeuner“, aber auch „Schuster“, „Lehrling“ oder „Putzfrau“. Im Jahr 2000 hieß es, ihre grundsätzliche Ächtung sei noch zu diskutieren. 26
25 Siehe van der Heyden, Ulrich: Die Afrikawissenschaften in der DDR. Eine akademische Disziplin zwischen Exotik und Exempel, Münster u. a. 1999. 26 Müller, Richard Matthias: Gibt es belastete Wörter?, in: Gellhaus, Axel/Sitta Horst (Hrsg.): Reflexionen über Sprache aus literatur- und sprachwissenschaftlicher Sicht, Tübingen 2000, S. 41–59, hier S. 43.
DIE DDR – EIN NORMALER STAAT? AUSSENPOLITIK ALS BESTANDSSICHERUNG DES ANDEREN DEUTSCHLANDS Stefan Bollinger
KANN EIN SOLCHES LAND SO EINFACH VERSCHWINDEN? Knapp drei Jahrzehnte nach ihrem Abschied aus der Politik ist die DDR tatsächlich in einem Dunst der Verleumdungen, gelegentlichen Verklärungen, vor allem aber Unwissenheit verschwunden. Während Trabbi, Rotkäppchen-Sekt und gelegentlich auch noch das grüne Ampelmännchen Gegenstand einer mehr oder minder präsenten Erinnerung sind, erstickt das Verdikt über eine vermeintlich nur totalitäre Diktatur die Wahrnehmung der mannigfachen Facetten der DDRWirklichkeit und ihrer politischen Existenz. Mauer, Stasi und Mangelwirtschaft hätten das Leben dieses Staates und seiner Bürger vier Jahrzehnte lang bestimmt. Seine Bürger und seine Amtsträger haben also ohne höheren Sinn und Zweck gearbeitet, ihre Hoffnungen und Visionen, ihre Wünsche und Sorgen waren es nicht einer differenziert würdigenden Erinnerung, gar wissenschaftlichen Untersuchung wert, die mit diesen Verdikten nichts gemein haben wollen. Vergessen wird, dass die DDR über Jahrzehnte Teil der internationalen Staatengemeinschaft war, seit 1973 Mitglied der Vereinten Nationen, aktiver Mitgestalter der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), verlässlicher Partner der UNESCO, in 139 Staaten mit Botschaften vertreten. Die DDR arbeitete in den internationalen Organisationen und besetzte in ihnen gewählte Führungspositionen, war gern gesehener Gast und Gastgeber ihrer Konferenzen, engagierte sich in der Entwicklungshilfe, wurde schließlich auch Teil internationaler friedensstiftender Operationen unter UNO-Ägide. Der Staat zwischen Elbe und Oder war aber auch zuverlässiger Bundesgenosse in den Ostblockorganisationen Warschauer Pakt und Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Seine Außenpolitik sorgte vermutlich nicht nur aus DDRSicht und sicher nicht nur in ostalgischer Rückschau dafür, dass in Europa zu Zeiten der Blockkonfrontation Frieden herrschte. Und dies, obwohl – oder vielleicht gerade weil – die DDR der gefährlichste, der hochgerüstetste Ort der Konfrontation von Warschauer Pakt und NATO im Osten war, wo sich Sowjettruppen und USTruppen in ihren massivsten Gruppierungen gegenüberstanden. Deren Verbündete in Nationaler Volksarmee und Bundeswehr erfüllten zuverlässig ihre Pflicht. Und
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es war eine Grenze – wie auch der Staat, den sie schützen sollte –, die die bundesdeutsche Seite lange nicht respektierte, deren Undurchdringlichkeit immer wieder getestet wurde, an der Menschen umkamen, die meinten, DDR-deutschen Unliebsamkeiten entrinnen und den bundesdeutschen Verlockungen erliegen zu müssen. Für die Organisationen des östlichen politischen, militärischen und ökonomischen Bündnisses war die DDR als zuverlässiger Verbündeter und im Bedarfsfall Hardliner für die Sowjetunion als Reformgegner besonders zu Zeiten des Prager Frühlings und des Entstehens der Solidarność wichtig. Aber das Überbetonen der DDR als Reformgegner und Eisenfresser verdeckt die weit komplexeren Interessenlagen und politischen Aktivitäten dieses Staates und seiner Führung. Kaum eine Rolle spielt heute die differenzierte Sicht der DDR auf die Entwicklung dieser Blockorganisationen und des gesamten Blocks. Hier erwartete die DDR entsprechend ihrer eigenen politischen Lage, aber auch ihrem vergleichsweise großen ökonomischen, sozialpolitischen und konsumpolitischen Vorsprung mehr Initiative und Entwicklung der Verbündeten. Das war ein Anspruch an die Führungsmacht in Moskau, aber auch der mehr oder minder verdeckte Vorwurf an die sich behäbig entwickelnden, auf nationale Vorrechte pochenden Verbündeten insbesondere in Südosteuropa. Letztlich gelang es der DDR nicht, diese Schrittmacherfunktion im eigenen Bündnis durchzuhalten. Sowjetische Bedenken im Umfeld des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖS) wie auch zwei Jahrzehnte später in den 1980er Jahren korrespondierten mit den ökonomischen Schwächen des eigenen Lagers, der Abschottung der Verbündeten untereinander und vor allem der Sorge der Sowjetunion, dass der Musterschüler DDR sich ihr und ihren Verbündeten gegenüber zu sehr in den Vordergrund dränge. Gleichzeitig stießen auch die DDR-Vorstöße für eine eigene Deutschlandund Abrüstungspolitik immer dann an Grenzen, wenn sie tatsächlich oder vermeintlich die sowjetische Vormachtstellung infrage stellten. Das mussten die beiden Partei- und Staatschefs der DDR, Walter Ulbricht wie Erich Honecker, immer wieder schmerzlich erfahren. Und ihre Widersacher saßen zum Teil am eigenen Politbürotisch und konnten, wie Honecker es selbst als gelehriger Schüler der Moskauer Führung in dem Moment erfuhr, als er Verantwortung trug und eine eigene Politik machte – auch praktisch erleben. Nicht nur der „Schlüssel der Einheit“ lag in Moskau. Das schloss nicht aus, dass die DDR, wenn sie in Übereinstimmung mit Moskau agierte, wichtige Initiativen auf den Weg bringen konnte. Angesichts des neuen Kalten Krieges in den 1980er Jahren suchte die DDR, ihre Spielräume in den Beziehungen zur BRD auszutesten und zu nutzen, um Chancen für ein kernwaffenfreies Mitteleuropa und die strukturelle Nichtangriffsfähigkeit der beiden Blöcke auszuloten und erste Schritte dazu einzuleiten. Die Wende zu einer neuen Entspannungspolitik ab 1987 ist wesentlich von der DDR mitgetragen worden, auch wenn diese Abschwächung der Blockkonfrontation letztendlich auch ihre eigene Existenz gefährden sollte. Leider fanden die Partei- und Staatsführungen der DDR nie die Kraft und die Autorität, sich von dieser Moskauer Bevormundung zu befreien und ähnliche Freiräume
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zu erstreiten wie ihre Genossen in Bukarest oder Budapest. Es waren nicht nur die sowjetischen Vorgaben und das häufige Herrschaftsgebaren „regierender“ sowjetischer Botschafter, die dem Grenzen zogen. Zu stark war die Verwurzelung der Funktionäre vom Generalsekretär bis weit in die untersten Hierarchieebenen in dem sowjetischen Sozialismusmodell, das immer auch ein Machtsystem war. Ohne die sowjetischen Bajonette, ohne den Schutzschirm sowjetischer wirtschaftlicher Überlebensgarantien mochte keine DDR existieren und in dem besonderen deutsch-deutschen Systemkonflikt überstehen. Das wussten die Politiker der DDR wie die Bevölkerung. AUSSENPOLITIK NEUER ART UND DIE SUCHE NACH IHREN SPUREN Völkerrechtssubjekte agieren nicht im luftleeren Raum, sie haben Nachbarn, sie haben militärische, wirtschaftliche, politische Interessenlagen, Bedürfnisse, Verbündete und Gegner. Sie müssen sich diesen stellen, Freundschaften pflegen, Feindschaften kanalisieren, die Interessen des eigenen Landes bedienen. Der alte Grundsatz, dass Staaten keine Freunde haben, sondern nur Interessen, galt offensichtlich auch für die einstigen realsozialistischen Staaten, wenn auch durch ihre besondere politische Dimension überformt. Denn eigentlich traten sie mit dem Anspruch an, die Weltordnung wie die zwischenstaatlichen Beziehungen nach sozialistischen, solidarischen Grundsätzen zu organisieren. Sie wollten im Unterschied zu den bürgerlichen Regimen in Offenheit, ohne Geheimverträge und mit dem Ziel einer friedlichen Koexistenz auch mit den abgelehnten und ideologisch wie politisch bekämpften kapitalistischen Gesellschaften funktionierende Beziehungen verwirklichen. Sie sahen sich als die natürlichen solidarischen Partner, ja Verbündeten der kämpfenden Arbeiterklassen und nationalen Befreiungsbewegungen in den westlichen Metropolen wie in den Ländern der Dritten Welt. Die praktische Politik erwies sich als komplizierter und widersprüchlicher. Ein Ausbruch aus den Regularien politischer Konfrontation und Zusammenarbeit mit Regierungen, aber auch mit den kapitalistischen Wirtschaftsvertretern im Interesse der eigenen Entwicklung forderte immer wieder Zugeständnisse, Kompromisse, ja das partielle Preisgeben eigener unverzichtbarer sozialistischer Positionen oder ihre geschickte Uminterpretation oder Umgehung. Es gehört zu den Verdiensten unseres Jubilars Ulrich van der Heyden, dass er seit Jahrzehnten dem außenpolitischen Wirken der DDR nachgeht, insbesondere als Afrikanist die Aktivitäten der DDR in den Staaten der Dritten Welt, vor allem in Afrika, in ihren unterschiedlichen Facetten aufzeigt. Ob Lebensmittel- und Techniklieferung, ob Waffenexporte und zivile wie militärische Ausbildungshilfe, ob gelegentlich verstörende Handelskontakte wie bei der Beschaffung eines „Traumschiffes“ für die DDR im verhassten Südafrika die Versuche, Freiheitskämpfer wie Nelson Mandela freizubekommen, immer war die DDR präsent und zu vielen dieser Themen hat der Jubilar bemerkenswerte Untersuchungen vorgelegt. Gleichzeitig hat van der Heyden sehr früh begriffen, dass dieses Wirken von DDR-Diplomaten und Entwicklungshelfern nur die eine Seite einer Politik in Zei-
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ten der erbitterten Systemauseinandersetzung darstellt. In fernen Ländern haben DDR-Diplomaten wie Wirtschafts- und Bildungsspezialisten im edlen Zwirn wie im Blaumann für Respekt gegenüber ihrem kleinen, aber stolzen Land gesorgt. Sie haben praktisch bewiesen, dass die DDR ihr Selbstverständnis als solidarische Macht ernst nimmt und dies in Konkurrenz, in Auseinandersetzung und gelegentlich auch subtiler Zusammenarbeit oder respektiertem Nebeneinander mit dem anderen, reicheren Deutschland, der Bundesrepublik Deutschland, praktiziert. Ulrich van der Heyden hat gesehen, dass diese außenpolitischen, außenwirtschaftlichen und bildungspolitischen Aktivitäten in und für die Dritte Welt auch ihre Fortsetzung in der inneren Entwicklung der DDR fanden. Das waren die offenen und verdeckten Aktivitäten zur Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen und der sich herausbildenden neuen Staaten, insbesondere jener mit einem sozialistischen Anspruch. Das konnte medizinische Betreuung von Kämpfern, Schul- und Universitätsbildung für künftige Kader, militärische Qualifizierung befreundeter Befreiungsbewegungen oder das Sicherstellen von Zeitschriften- oder Rundfunkproduktionen sein. Das war aber auch seit den 1970er Jahren die Anwesenheit jeweils Zehntausender „Vertragsarbeiter“ in der DDR, die mit ihrer Arbeit sich selbst wie ihren Staaten wirtschaftlich eine verbesserte Situation schaffen und zu Facharbeitern in einer modernen Volkswirtschaft herangebildet werden sollten. Es war auch von Anfang an ein Beitrag zur Stärkung der DDR-Wirtschaft durch diese Arbeitskräfte, die hauptsächlich in der Leichtindustrie wesentliche Aufgaben übernehmen mussten. Van der Heyden hat dies nicht als einen rein glückseligen Prozess beschrieben, von dem die Dankbarkeit vieler der in der DDR tätig gewesenen Mosambikaner, Angolaner oder Vietnamesen bis heute kündet. Er hat ebenso die Schattenseiten dieser Entwicklungen benannt, ohne die in der heutigen Geschichtsschreibung vorherrschende Schwarz-Weiß-Malerei zu übernehmen. Diese Arbeitskräfte wurden vor allem als Arbeitskräfte behandelt, die im Interesse der Sicherung ihrer späteren Reintegration in der Heimat und im Sinne der Minimierung von möglichen Spannungen mit der DDR-Bevölkerung teilweise separiert leben mussten. Solidaritäts- und Qualifizierungsleistungen, aber auch der individuelle Kontakt mit ihren DDR-Arbeitskollektiven und einzelnen DDR-Bürgern traten im Laufe der Jahre in den Hintergrund so wie auch die erforderlichen und vereinbarten tatsächlichen Qualifizierungsmaßnahmen für diese Menschen. Auch wenn van der Heyden sich gegen Pauschalisierungen und eine unterstellte rassistische Grundtendenz unter DDR-Bürgern gegen diese Ausländer wendet, hat er deutlich die Probleme und Schwierigkeiten, die Konflikte in dieser Entwicklung aufgezeigt. Gleichzeitig kennzeichnet er aber auch die weit größeren Probleme, die mit dem Niedergang der DDR, der Krise ihrer Wirtschaft in den Wendemonaten verbunden waren. Im Zuge der Ausrichtung der Noch-DDR-Betriebe auf die „freie Marktwirtschaft“ waren es gerade die ausländischen Vertragsarbeiter, die als erste unter die Räder kamen, entlassen und ausgegrenzt wurden. Ulrich van der Heydens Forschungen zeigen allerdings auch, dass ein Außenblick auf die DDR oft mehr Einsichten ermöglicht als das Fixieren auf die inneren
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Prozesse dieses Staates und seiner Gesellschaft oder auch nur die besonderen Beziehungen und Verhältnisse zu dem westlichen, kapitalistischen Deutschland. Zumal sich dieses anmaßt, seine Weltsicht einer „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ nicht nur in Zeiten des „Endes der Geschichte“ der DDR überzustülpen. Die Erfahrungen Ulrich van der Heydens bei der Entwicklung der nun gesamtdeutschen Wissenschaftslandschaft belegen das sehr einschneidend. Auch wenn seine Bemühungen im Rahmen der „Initiative Sozialwissenschaftler Ost“ trotz diverser wissenschaftlicher, publizistischer und politischer Vorstöße erfolglos blieben, sie waren notwendig. Sie erinnern wohl auch daran, dass van der Heydens Engagement für die Erforschung der Beziehungen früherer deutscher Staaten und Wirtschaften, aber auch deutscher Religionsgemeinschaften auf dem afrikanischen Kontinent irgendetwas gemeinsam haben mit dem, was van der Heyden und Tausende seiner Wissenschaftskollegen und -kolleginnen ab 1990 am eigenen Leibe erlebten – die Kolonialisierung eines unterlegenen, aber attraktiven Gebietes und seiner Bevölkerung. Nicht Kanonenboote und Tigersprünge entschieden nun mit Kolonialtruppen und Askaris, sondern völlig unblutig harte DM, einseitige Evaluationen, Denunziationen und ein Personaltransfer, der Stammesverbindung, heute Netzwerke genannt, in die neue Zeit transportiert. Den Eingeborenen blieb nur der ihnen zugewiesene Platz, der Versuch, in einer ein wenig widerständigen „zweiten Wissenschaftskultur“ zumindest Elemente der Vergangenheit zu bewahren, intellektuelle Eigenständigkeit und gelegentlich Widerständigkeit zu behaupten. WAS DDR-AUSSENPOLITIK BEDEUTETE Aufgaben und Ziele der Außenpolitik des ostdeutschen Staates ergaben sich aus der objektiven Lage der DDR an der Trennlinie zu einem anderen deutschen Staat und einem westlichen militärischen und politischen Bündnis, der NATO wie der EWG/EU. Wie die Außenpolitik jedes halbwegs souveränen Staates sollte mit politischen, auch wirtschaftlichen, ideologischen und zur Not auch militärischen Mitteln die Existenz des betreffenden Staates gesichert, ein Umfeld von befreundeten oder zumindest tolerierenden Staaten geschaffen, das Bedürfnis nach Sicherheit in den internationalen Beziehungen gewährleistet und vor allem den ökonomischen Interessen des Staates Geltung verschafft werden. Eine solche allgemeine Charakteristik traf natürlich auch auf die DDR zu. Um die konkrete Situation der DDR zu verstehen, müssen aber ihre Besonderheiten genauer erfasst werden. Sie drückten allen Außenaktivitäten (allerdings auch der inneren Entwicklung, wie sich schließlich zeigen sollte mit verhängnisvoller Wirkung) ihren Stempel auf. Nicht vergessen werden darf, dass wie in allen realsozialistischen Staaten die Außenpolitik die Domäne der engeren politischen Führung, der jeweiligen Ersten oder Generalsekretäre der SED, des Politbüros und bedingt des Sekretariats des ZK der SED waren. Die Sekretäre des ZK und die ihnen unterstehenden Abteilungen waren die eigentlichen Macher, der diplomatische Apparat des Außenministeriums letztlich der Erfüllungsgehilfe dieser Ent-
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scheidungen, was dessen eigene Initiative, Widerspruchsgeist und Kreativität nicht ausschloss. Gleichzeitig haben verschiedene andere Bereiche von Wirtschaft und Außenhandel, Militär und Sicherheitsapparat, aber auch Massenorganisationen und Blockparteien, des Sports und der Kultur in unterschiedlicher, oft eigenständiger, aber immer eingebundener Weise die Außenpolitik dieses Staates umgesetzt. Eine Sonderrolle spielten die Kirchen, die oft in Übereinstimmung mit den staatlichen Vorgaben, aber meist auch im Rahmen eigener Initiativen und internationaler Verbindungen agierten. Nicht zu vergessen ist die wichtigste Eigenheit der DDR-Außenpolitik: Die Beziehungen zur BRD – trotz offizieller Anbindung an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, das in der Regel die konkrete Ausgestaltung zu übernehmen hatte – waren ein exklusives Feld der politischen Aktivitäten. Als deutsch-deutsche Beziehungen unterlagen sie der besonderen Aufmerksamkeit der Parteiführung und separater Bereiche des Apparates des Zentralkomitees und sie waren wiederum in besonderer Weise von den Aufträgen, der Zustimmung und dem Wohlwollen der sowjetischen Führung abhängig. Die DDR war in zweierlei Hinsicht geprägt: Einmal war sie die konsequente Verwirklichung der Ziele des radikalen Teils der deutschen Arbeiterbewegung, die sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Endlich konnte auf deutschem Boden Sozialismus verwirklicht werden, wenn auch in einem etatistischen Modell, das basisdemokratischen Aktivitäten wenig Raum ließ und durch eine allwissende, allmächtige, allorganisierende kommunistische Partei neuen Typus, der SED, geprägt und geführt wurde. Dabei waren die Grundzüge dieses Realsozialismus wesentlich durch die sowjetischen Erfahrungen und meist verbindlichen Vorgaben bestimmt, so blieben die Realisierungsmöglichkeiten eingeschränkt. Andererseits war die DDR vom ersten Tag ihres Entstehens ein Produkt des Kalten Krieges und der durch ihn bewirkten Spaltung Deutschlands, Europas und der Welt. Die DDR war von Anbeginn an Teil einer dieser beiden Seiten der System- und Blockkonfrontation, als Besatzungszone, dann als Verbündeter und Einflusszone der östlichen Supermacht Sowjetunion. Dieses Bündnis sicherte den deutschen Kommunisten ihre Chance auf die Verwirklichung ihrer Ideale, sicherte aber auch, dass kein anderes Sozialismusmodell als das sowjetische wirken konnte und der Spielraum zu dessen Ausgestaltung, gar Weiterentwicklung begrenzt blieb. Das hatte Auswirkungen auf die innere Verfasstheit der DDR und ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Die DDR konnte zwar – unter Rückbezug auf sowjetische Überlegungen – nach dem Mauerbau zu Beginn der 1960er Jahre eine eigene Wirtschaftsreform starten, um die wirtschaftliche und soziale Attraktivität zu gewinnen, die auch aus sowjetischer Sicht für das Schaufester des Sozialismus notwendig war. Gleichzeitig setzte aber Moskau auch die Grenzpflöcke, über die eine Reformierung nicht hinausgehen durfte – und dies waren die Sicherung der politischen Macht der führenden Partei und die Unantastbarkeit des Bündnisses mit der Sowjetunion. Die DDR-Außenpolitik – und meist auch die Innenpolitik – war von fünf Machtkonstellationen beeinflusst, die unabhängig vom Selbstverständnis, den Erwartungen und konkreten Aktivitäten das Handeln dieses Landes und seiner
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Politiker prägten: Zuallererst von der Rolle der Führungs- und Schutzmacht Sowjetunion. Zum Zweiten von den Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland. Zum Dritten von der eigenen Stellung im sowjetischen Machtblock und generell im „sozialistischen Weltsystem“ mit seinen eigenen inneren Konflikten. Diese Beziehungen waren wahrlich nicht widerspruchsfrei. Die DDR musste angesichts von Brüchen in der sozialistischen Staatenfamilie, insbesondere mit China, lavieren. Waren die anderen realsozialistischen Staaten nach 1949 noch die einzigen regulären diplomatischen und wirtschaftlichen Partner, so sorgte die erste Lockerung der Blockkonfrontation in den 1960er Jahren und der Beginn der „neuen Ostpolitik“ der BRD für Verunsicherungen. Osteuropäische Staaten waren bereit, auf die wirtschaftlichen Anreize des Westens einzugehen und die bisher strikt durchgesetzte Solidarität mit der DDR zu lockern. Mehr und mehr neideten auch manche Verbündeten der DDR ihre erfolgreiche Wirtschafts- und Konsumpolitik, sie hatten zwar den Krieg mitgewonnen, aber die Deutschen waren wieder obenauf. Viertens von der Stellung zur Masse der kapitalistischen Mächte mit besonderem Platz der drei westlichen Siegermächte. Hier ging es um Anerkennung und Wirtschaftsbeziehungen, oft mussten Sportler und Künstler jenen Boden bereiten, den dann Diplomatie und Außenhandel nutzen konnten. Hier wie in den Beziehungen zu den eigenen Verbündeten konnte die DDR mit ihrer strikt antifaschistischen Ausrichtung ihrer Politik, mit der meist lupenreinen antifaschistischen Vita ihrer politischen Führer und eines Großteils des außenpolitischen Apparats punkten. Das war nicht zuletzt ein Vorteil gegenüber der Bundesrepublik, deren braune Vergangenheit auch bei treuen westlichen Verbündeten immer wieder Skepsis gegenüber den „eigenen“ Deutschen aufkommen ließ. Und fünftens von den Beziehungen zu den Ländern der Dritten Welt mit ihren vielfältigen Ausprägungen und der versuchten engen Nähe zu jenen Staaten und Bewegungen, die aus DDR-Sicht einen „sozialistischen Entwicklungsweg“ eingeschlagen hatten. Hier investierte die DDR viel Kraft, Wirtschaftshilfe, militärischen und Ausbildungsbeistand, aber oft auch solidarisches Herzblut vieler ihrer Bürger. In Kuba, Vietnam, Angola oder Mosambik bewies die DDR, dass sie es mit ihrer Solidarität und dem sozialistischen Bruderbund ernst meinte. Es war immer ein Ringen mit knappen Ressourcen. Politische Ambitionen konnten bei plötzlichen Kurswechseln in den befreundeten und unterstützten Ländern, wie in Ghana oder in Somalia, scheitern. Die Hoffnungen auf Gegenleistungen wirtschaftlicher Art aus diesen Ländern gingen so kurzfristig nicht auf. Und doch verankerte die DDR in diesen Staaten, ob in Nicaragua oder Chile oder anderswo, ihren guten Ruf, der auch über ihr politisches Ende hinaus noch wirkt. MOSKAU GARANTIERT DIE DDR UND HAT DAS LETZTE WORT Die Verwirklichung eines Sozialismus nach sowjetischen Modellvorstellungen, letztlich eines (bei allen Wandlungen im Laufe der vier Jahrzehnte) stalinistischen Sozialismus bzw. eines bürokratisch-administrativen Sozialismus, hatte Konsequenzen für die deutschland- und weltpolitische Stellung der DDR. Ihr Spielraum
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für die Entwicklung eigener außenpolitischer, außenwirtschaftlicher Interessen blieb gering. Zu bedenken ist, dass bis 1954 die sowjetische Militäradministration bzw. der sowjetische Hochkommissar für die politischen Entscheidungen die vorletzte Instanz blieb, an die sich SED-Führung und Regierung zu wenden hatten. Die letzte Instanz bildete das Parteipräsidium bzw. Politbüro der KPdSU in Moskau. Hier musste bis 1953 bei Josef Wissarionowitsch Stalin, danach bei den anderen Ersten bzw. Generalsekretären und dem Politbüro um Entscheidungen zur Innen- wie Außenpolitik nachgesucht werden bzw. diese übernommen werden. Zwar gewann die DDR durch die Staatsverträge von 1954 und dann schon auf vermeintlich völlig souveräner Basis 1965 ihre formal volle Souveränität. Sie blieb aber immer von Moskau definiert und im Zweifelsfall auch einschränkbar. Während die wirtschaftspolitischen Entscheidungen – vorbehaltlich der sowjetischen ökonomischen Interessen, Lieferungen (insbesondere des Erdöls) und der Abnahme von DDR-Produkten – relativ freizügig in Berlin getroffen werden konnten, blieben andere Bereiche von der sowjetischen Interessenlage unmittelbar berührt. Das traf zu allererst die sowjetischen Sicherheitsinteressen einschließlich der Bestandsgarantie für die DDR und bezog sich zugleich auf die Beziehungen zu dem anderen deutschen Staat, der BRD. Auch hier behielt sich Moskau das letzte Wort vor und griff sowohl 1970 (bei den Regierungsverhandlungen DDRBRD in Erfurt und Kassel) als auch in der ersten Hälfte der 1980er Jahre ein, um die deutschen Kommunisten zurückzupfeifen, wenn sie zu weit vorpreschten. Die Sowjetunion ließ nicht daran rühren, dass sie sich selbst in der Rolle des Entscheiders und Verhandlers mit den westlichen Siegermächten und der BRD sah. DIE BRD – KEIN FELD DER AUSSENPOLITIK UND DOCH ENTSCHEIDEND Wie bereits ausgeführt, waren die Beziehungen zur BRD im strengen Sinne kein Gegenstand der allgemeinen Außenpolitik, sondern immer ein besonders sensibles Feld gemeinsamer Vergangenheiten, nationaler wie familiärer Bindungen, politischer Konfrontation und einer permanenten Auseinandersetzung auf den Feldern der Ökonomie, der Sicherheit und der Propaganda. Auch wenn sich seit den 1960er Jahren die ökonomischen Interessen beider Seiten immer weniger von den politischen Zwängen beeinflussen lassen wollten, so blieb die Auseinandersetzung doch permanent. In den 1950er und 1960er Jahren fand sie zwischen beiden deutschen Staaten weltweit statt. Dank der bundesdeutsche „Hallstein-Doktrin“, des Bonner Alleinvertretungsanspruchs, suchten die westdeutschen Institutionen immer wieder, das Fußfassen der DDR in Drittstaaten außerhalb des engeren Ostblocks zu torpedieren. DDR-Außenhändler und -Diplomaten mussten buchstäblich Stück für Stück, beginnend in Staaten der Dritten Welt, diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen aufbauen, vertiefen und gegen bundesdeutsche Störversuche verteidigen. Der Durchbruch war erst möglich, als nach den großen Krisen der 1960er Jahren – 1961, 1962, 1967, 1968, nach den kriegerischen Drohungen und zumindest in
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Vietnam dem blutigen Krieg – sich in den USA und alsbald in der BRD sukzessive die Einsicht durchsetzte, dass „Wandel durch Annäherung“ die langfristigere und risikoärmere Bewegungsform der Blockkonfrontation sein musste als das Balancieren am Rande eines Krieges. Wurde die DDR bei ihren ersten Verhandlungsversuchen mit der BRD 1970 noch von Moskau ausgebremst, so brachte die Übernahme der Verhandlungsverantwortung durch Moskau mit dem Vertragswerk der Jahre 1970 bis 1973 auch für die deutsch-deutschen Beziehungen wie für die weltpolitische Rolle der DDR einen entscheidenden Durchbruch. Das schlug sich in der Aufnahme quasidiplomatischer Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, der Aufnahme der beiden Staaten in die UNO und einem rasanten Aufbau diplomatischer Beziehungen zur Mehrzahl der Staaten der Welt nieder. Damit wurden – bei allen Begrenzungen des weiter wirkenden, oft schwankenden Kalten Krieges und seiner Boykottpolitik – auch günstige wirtschaftliche Beziehungen möglich. GEACHTET UND DOCH PREISGEGEBEN Die DDR konnte sich lange auf den sowjetischen Schutzschirm verlassen, der ihre Existenz – wenn nötig mit Gewalt wie offen 1953 und mittelbar 1961 – garantierte, der ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten abfederte. Das setzte allerdings voraus, dass die DDR die großen außenpolitischen und sicherheitspolitischen Linien der Sowjetunion mittrug, selbst dann, wenn sie zum Objekt dieser Politik wurde, wie es in den deutschlandpolitischen Fragen regelmäßig geschah. Bei aller Kritik an dieser ungleichen Bündnispolitik, die immer dann funktionierte, wenn sich beide Seiten ihrer ideologischen Gemeinsamkeiten sicher waren und beide Seiten die Interessen ihrer Partner beachteten, diese Politik war vier Jahrzehnte lang erfolgreich – auch und gerade für die DDR. Seit den 1970er Jahren konnte sie entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stärke und ihrer verlässlichen politischen Rolle, auch der Solidarität für Entwicklungsländer und Befreiungsbewegungen ihren Platz behaupten. Die DDR stand dann zur Disposition, wenn die Führungsmacht ihr internationalistisch-solidarisches Selbstverständnis beiseitelegte und sich allein ihrer Interessen als Großmacht besann oder besinnen musste. Das war so, als die DDR gegründet wurde und sie 1952 in den Rang eines sozialistischen Bruderlandes aufstieg. Das sowjetische Kalkül war klar: Wenn das eigene Ziel, ein vereintes, friedliebendes, neutrales und gegenüber der Sowjetunion loyales Deutschland angesichts der Konfrontationspolitik der USA, ihrer Verbündeten und der herrschenden Kreise in der frisch gegründeten Bundesrepublik nicht möglich ist, dann kann „unser“ Deutschland ein wichtiges Faustpfand sein. Außer in den innenpolitischen Machtkämpfen des Jahres 1953 in der Sowjetunion wurde diese Option über lange Zeit nicht gezogen. In den folgenden fast vier Jahrzehnten war die DDR als Verbündeter, militärischer Aufmarschraum, potenteste Wirtschaftsmacht und loyaler Partner den wechselnden Führungen in Moskau wichtiger. Das änderte sich erst, als die Sowjetunion in den 1980er Jahren in eine finale Überlebenskri-
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se glitt und die Führung um Michail Sergejewitsch Gorbatschow nach Auswegen suchte und ihr deutsches Faustpfand für westliches Wohlverhalten und Wirtschaftshilfe bereit war einzutauschen. Das war umso makabrer, als die Sowjetunion sich mit ihrer Perestroika selbst spät anschickte, einen modernen, leistungsfähigen, demokratischen Sozialismus zu etablieren. Zudem zu einem Zeitpunkt, an dem sich auch die DDR auf lange Sicht einer solchen Reformperspektive wohl nicht hätte verschließen können. Die Kapitulation der UdSSR vor den USA im Kalten Krieg, vollzogen im Dezember 1989 in Malta, hatte ihren Preis: das Bündnis des Ostblocks und vor allem die staatliche Existenz der DDR!
HOONGOO RHYHOO BIS BAMBA ZAMBORA: FIGUR UND GESCHICHTE DES „WILDEN ASCHANTI“ Rea Brändle Die Vorläufer der klassischen Völkerschau sind noch wenig erforscht. Trotzdem glaubt man Bescheid zu wissen, irgendwo darüber gelesen oder Bilder gesehen zu haben: Dass die fremden Menschen an Ketten vorgeführt wurden. Dass sie tagelang auf einem Podest standen, die Augen rollten, die Zähne fletschten und fürchterliche Schreie ausstießen – aus Wut, aus Angst, aus Verzweiflung. Je genauer man sich mit dem Phänomen beschäftigt, desto vielfältiger wird es. Manchmal wurden einzelne Menschen ausgestellt, manchmal kleine Gruppen. Sehr oft präsentierte man sie zusammen mit sogenannten Abnormitäten – mit Kleingewachsenen etwa oder Albinos. Deshalb werden in der angloamerikanischen Forschung die frühen Völkerschauen zu den Freakshows gezählt. Was Europa betrifft, haben Ausstellungen von Menschen aus anderen Weltgegenden eine lange Tradition. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurden sie vor allem auf Jahrmärkten und in Wirtschaften gezeigt, nicht nur zahlreicher als bisher angenommen, sondern auch erstaunlich professionell, wie die Geschichte des „wilden Aschanti“ nahelegt. 1 „… DER SICH HIER SEHEN LASSEN WIRD“ In den 1830er Jahren wurde in mehreren europäischen Ländern ein junger Mann als „Afrikaner von der kriegerischen Nation der Ashantees“ ausgestellt. Er nenne sich Hoongoo Rhyhoo, stamme von der Goldküste und sei von Kapitän Jansen von Cap Coast Castle nach Amsterdam gebracht worden, verhießen die detaillierten Zeitungsannoncen und die noch ausführlicheren Texte auf den Plakaten aus dünnem Papier. Es gab sie in mehreren Varianten mit geringfügigen Abweichungen, unterzeichnet sind sie alle vom Schausteller Wolfgang Philadelphia, gebürtig aus Iserlohn, wohnhaft in Nordhausen. Von Amsterdam reisten die beiden Männer nach Deutschland weiter. Sie zogen durch Schleswig-Holstein, gaben Vorstellungen in Mainz, Aschaffenburg, Nürnberg, Nördlingen, Bayreuth, Augsburg, Freising und Regensburg. In München wur1
Der nachfolgende Text ist die stark gekürzte Version eines Kapitels aus dem Buchprojekt der Autorin mit dem Arbeitstitel „Völkerschauen und Schaustellerei“. In der ausführlichen Fassung werden auch Fundstücke über den „wilden Aschanti“ in der belletristischen Literatur analysiert: Romanauszug, Erzählung, Kalendergeschichte und deren Illustrationen.
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den sie von der Akademie der Künste eingeladen, waren auch zu Gast bei der bayerischen Königsfamilie in deren Sommerresidenz in Berchtesgaden. Im winterlich-kalten Wien präsentierten sie sich im Haus zum Schwan an der Taborstraße und in der k. & k. Akademie. Im Mai fuhren sie zu Auftritten an die Frühlingsmesse in Zürich, machten Station am Michaelismarkt in Bern, in St. Gallen und Neuchâtel. Weitere Auftritte sind ein paar Jahre später in Kassel, München und Eisenach nachzuweisen. Auf seiner bisherigen Reise sei Hoongoo Rhyhoo von den Professoren Waldmüller, Agricola und Ender in drei verschiedenen Stellungen gemalt worden, ließ Wolfgang Philadelphia auf seinem Plakat das Zürcher Publikum wissen. Ein weiteres Bildnis, eine Farblithografie, erschien als Beilage im „Journal pittoresque“ (und ist 2008 in den Ausstellungskatalog „Zauber der Ferne“ der Wiener Kulturhistorikerin Ursula Storch aufgenommen worden). Hoongoo Rhyhoo hantiert mit Pfeil und Bogen auf einem Podium der Wiener Akademie als Gegenfigur eines schneeweißen Jünglings, der in der Pose eines Speerwerfers verharrt. Im Hintergrund bläht sich ein rotes Tuch. Beide Männer sind jung und weitgehend nackt. Es ist ein befremdliches Bild, eine Interaktion zwischen den beiden ist nicht auszumachen. Die Waffen gaben zu denken. So wird im „Intelligenzblatt für die Stadt Bern“ auf die zahlreichen Narben des Afrikaners hingewiesen und angedeutet, der junge Mann auf dem Jahrmarkt habe sich an den Aschantikriegen beteiligt, jenen gewaltsamen Auseinandersetzungen, die vom englisch besetzten Cape Coast Castle aus gegen die afrikanische Bevölkerung geführt wurden. Die Festung am Atlantik funktionierte auch als eine der Drehschreiben für den Sklavenhandel. 1824 hatten die Aufstände der Aschantis gegen die britische Kolonialmacht einen ersten Höhepunkt erreicht, darüber war in den europäischen Zeitungen viel berichtet worden. Was immer Wolfgang Philadelphia seinem Publikum über die politischen Vorgänge in Westafrika erzählt haben mag, zurückhaltend wird er kaum gewesen sein, nach seinem Werbematerial zu schließen. Hoongoo Rhyhoo gehöre zu einer der kriegerischsten Nationen Afrikas, diese zeichne sich vor allen anderen afrikanischen Völkern durch muskulösen Körperbau und Gewandtheit aus; bekanntlich seien diese Leute mehrmals in die englische Kolonie eingefallen, heißt es einleitend auf den Plakaten. Anschließend wird der junge Mann näher beschrieben. Sein Haar erinnere an spanische Schafwolle, die Haut sei dunkelbraun und weich wie Samt, der Körper muskulös, er verströme einen scharfen Geruch. Wie zu Hause in Afrika üblich, esse Hoongoo Rhyhoo am liebsten alles roh, Früchte und Wurzeln ebenso wie Fleisch und Blut von wilden Tieren sowie ganze Vögel, auch sie ohne große Zubereitung. „Da dieser Ashantee schon einige Zeit europäischen Umgang genossen hat, so ist sein Charakter bereits sehr gemildert und von gutmüthiger Art; auch ist derselbe, so viel es seine Nationalität erlaubt, anständig gekleidet“, heißt es auf dem Zürcher Plakat. Hier gibt es auch einen Holzschnitt zu sehen, dargestellt ist Hoongoo Rhyoo im Bastrock mit Schurz, einer zylinderartigen Kopfbedeckung und umgebundenem Köcher. Er trägt als Zeichen seines Reichtums mehrere Halsketten, auffälligen Schmuck auch an den Handgelenken und über dem rechten Fußknöchel. In der einen Hand hält er Pfeil und Bogen, in
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der anderen eine Keule, im Schurz steckt ein Horn. So beladen scheint er langsamen Schrittes auf die Betrachtenden zuzugehen, als käme er direkt aus Afrika, flankiert von einer Palme und üppig-tropischem Gewächs. ÜBERRASCHENDE VERBINDUNGEN NACH AMSTERDAM Mit zunehmendem Alter litt Wolfgang Philadelphia an der Wassersucht und musste sich deshalb auf seinen Reisen von der Waffelbäckerin Brockmann helfen lassen. Nach seinem Tod am 13. Januar 1838 in Nordhausen führte Ehefrau Friederike das Schaugeschäft weiter. Als auch sie drei Jahre später starb, wurde Hoongoo Rhyhoo von Schwiegersohn Alexander übernommen, einem Menageriebesitzer, der ebenfalls Philadelphia hieß. Er ließ eine achtseitige Broschüre über den Aschanti drucken. Sie enthält neben vielen bekannten Details aus Annoncen und Plakaten einige neue Informationen über das afrikanische Vorleben des Hoongoo Rhyhoo: Dass er aus der Region von Dompas im Aschantireich stamme und während der Gefangenschaft in Cap Coast die englische Sprache erlernt habe; dass er in den Kriegen alle seine Verwandten verloren habe, deshalb an der Küste geblieben sei und von sich aus eine Gelegenheit suchte, nach Europa reisen zu können; dass er von Wolfgang Philadelphia eine Entschädigung bekam und alle Trinkgelder und kleinen Geschenke des Publikums behalten durfte. Erwähnt sind in der kleinen Werbeschrift auch Alexander Philadelphias weiteren Attraktionen: eine Boa Constrictor aus Java, eine Anakonda, ein Krokodil, eine Büffelkuh und ein Zebu aus Westindien. Es gab nicht mehr viele Auftritte. Am 5. April 1843 ist Hoongoo Rhyhoo in Iserlohn gestorben und drei Tage später dort beerdigt worden. Als die Polizei seine Hinterlassenschaft kontrollierte, fand sie nichts Wertvolles, unter den wenigen Dokumenten jedoch ein interessantes Protokoll. Es war eine amtliche Befragung von Hoongoo Rhyhoo, durchgeführt am 6. Januar 1838 in Nordhausen. Da Wolfgang Philadelphia bereits todkrank war, hatte er sich von seiner Frau Friederike vertreten lassen. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt, Realschuldirektor Dr. John übersetzte ins Deutsche. Hoongoo Rhyhoo berichtete, dass er Congori heiße, ein Aschanti sei und freiwillig nach Europa gekommen sei. Von seinem Dienstherrn, dem Wolfgang Philadelphia, bekomme er eine jährliche Entschädigung, die an die Polizei in Amsterdam überwiesen und dort deponiert werde. Einen Vertrag gebe es nicht, auch eine konkrete Summe konnte er nicht nennen. Hingegen wiederholte er entschieden, er wünsche „nicht nach seinem Vaterlande zurückzukehren, sondern wolle lieber in Europa bleiben, wo es ihm besser gefiele“. Diese Information wurde ans königlich-preußische Ministerium der Auswärtigen Angelegenheit nach Berlin geschickt, wo innert zwölf Monaten ein fast fünfzigseitiges Dossier über die Hinterlassenschaft des Hoongoo Rhyhoo entstanden ist, bestehend aus Briefen, Briefkopien, ein paar Beilagen und zahlreichen Übersetzungen. Das Nordhausener Protokoll setzte einiges in Gang. Als Erstes erhielt der königlich-preußische Gesandte in Den Haag den Auftrag, das Depot von Hoongoo Rhyhoo bei den Amsterdamer Polizeibehörden ausfindig zu machen. Zwar blie-
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ben diese Nachforschungen erfolglos, brachten aber weitere Überraschungen an den Tag: Congori – oder eben Hoongoo Rhyhoo – hatte sich in den Niederlanden einen europäischen Namen zugelegt und wurde deshalb als Thomas Roos ins bürgerliche Register der Stadt Amsterdam eingetragen. Auch hinterließ er, wie sich im Zug der Recherchen herausstellte, in den Niederlanden eine Tochter namens Johanna Carolina. Deshalb wurde nun auf mehreren Ebenen weiterermittelt. Der Amsterdamer Bürgermeister bestätigte die Registereinträge. Die Mutter des Mädchens, die vierundvierzigjährige Antje Swall, wurde über ihr Verhältnis zu Hoongoo Rhyhoo befragt. Sie wies anhand von Briefen aus Deutschland nach, dass sie jedes Jahr einen Betrag zwischen mindestens 8 und maximal 42 Golddukaten erhalten habe, nebst 12 Napoleons d’or. Allerdings sei die letzte Zahlung vor drei Jahren erfolgt, ein Betrag von bloß 5 Dukaten und 9 Louis d’or, überbracht von der Waffelbäckerin Brockmann; seither habe sie weder Geld noch Nachrichten von ihrem Mann erhalten. Man müsse davon ausgehen, so der Amsterdamer Bürgermeister, dass Alexander Philadelphia mit seinen Lohnzahlungen in Rückstand sei. Davon wollte dieser nichts wissen. Er habe es mit den Entschädigungen wie seine Schwiegereltern gehalten, allerdings sei Hoongoo Rhyhoo in letzter Zeit oft krank gewesen und nicht mehr häufig aufgetreten, schrieb Alexander Philadelphia nach Berlin und schickte als Beilage eine Zusammenstellung all seiner Auslagen im Zusammenhang mit Hoongoo Rhyhoos Tod. Sie betrugen 69 Gulden und 22 Silbergroschen. Daraus geht hervor, dass während drei Wochen ein Krankenwärter angestellt wurde. Im Weiteren verwies Alexander Philadelphia auf ein Paket mit Wertgegenständen aus der Hinterlassenschaft von Hoongoo Rhyhoo, das er unmittelbar nach dessen Tod dem Magistrat von Amsterdam habe zukommen lassen, mit der Bitte, es an die Familie des Verstorbenen weiterzuleiten: ein silberner Löffel, eine silberne Gabel, eine silberne Uhr, einige silberne Denkmünzen und einige alte Kleidungsstücke, „die das Porto nicht wert sind“. Die silbernen Gegenstände dürften Geschenke der exklusiven Zuschauerschaft von Privatvorstellungen gewesen sein. Über seine Zahlungsrückstände und auch über die Rolle der Waffelbäckerin war Alexander Philadelphia auf Geheiß des Ministeriums noch einmal am 4. Juni 1844 auf dem Polizeiamt in Wesel befragt worden, weil er dort auf dem Jahrmarkt gastierte. Seine Aussagen wurden protokolliert und umgehend nach Berlin geschickt. Wie seine Schwiegereltern habe er dem Hoongoo Rhyhoo monatlich acht Gulden bezahlt, auf freiwilliger Basis, einen Vertrag gebe es nicht, ließ Alexander Philadelphia sich zitieren und setzt dann ein neues Rätsel in die ohnehin verworrene Geschichte: Übrigens muss ich in Betreffs der Witwe Brockmann bemerken, dass diese Frau früher, als mein Schwiegervater noch lebte, mit demselben umhergereist ist, mit mir aber ist diese Frau nicht umhergereist. Sie war aber die ursprüngliche Veranlassung, dass mein Schwiegervater Wolfgang Philadelphia den Afrikaner Hoongoo Rhyhoo in Dienst bekam.
Die Ermittlungen hätten ergeben, dass den Hinterlassenen des Hoongoo Rhyhoo keine weiteren Ansprüche zustehen, befand das Ministerium der Auswärtigen An-
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gelegenheiten in seinem Schreiben vom 11. Juli 1844 an den Gesandten in Den Haag. Damit wurde die Akte geschlossen. „GROSSE HAUPTFÜTTERUNG DES WILDEN MANNES“ Zehn Jahre später war in Europa wieder ein junger Mann aus Westafrika zu besichtigen. „Houngriou, der wilde Aschanti, ein Mann von zwanzig Jahren aus der kriegerischen Völkerschaft der Aschanti aus Cumassia an der Goldküste von Afrika“, wurde er mit gelegentlich kleinen orthografischen Abweichungen in den Inseraten vorgestellt Sein Schausteller hieß Adolph Straßburger, im Dezember 1853 stellte er Houngriou während der Stuttgarter Messetage in einer beheizten Bretterbude auf dem Wilhelmplatz aus, zusammen mit einer Schlafwandlerin, die ihm als Demonstrationsobjekt für elektromagnetische Experimente diente. In dieser Besetzung bereiste er im folgenden Jahr eine Reihe von Schweizer Jahrmärkten in Chur, St. Gallen, Zürich, Bern, Fribourg und Neuchâtel, danach zog er nach Deutschland zurück. Auch diesmal ist auf den Affichen ein dunkelhäutiger Mann abgebildet, wieder mit Bastrock bekleidet, neu ist ein Umhang nach Art der Gladiatoren. Houngriou trägt keine Kopfbedeckung, keinen Schmuck und sehr viel weniger Waffen als der Afrikaner auf der früheren Abbildung. Geblieben ist die prägnante Keule, sie gleicht einem Morgenstern, dem populären mittelalterlichen Kriegsinstrument. Dass der junge Mann aus Kumasi stammt, dem Zentrum der Ashante-Kultur, und damit ein Stück weit aus dem Landesinneren, wird in den Affichen nicht näher thematisiert. In Deutschland begann Adolph sein Angebot beträchtlich zu erweitern. So inserierte er ab dem 3. Juni 1855 im „Karlsruher Tagblatt“, dass er mit Houngriou und einer Doppelseherin zwei Wochen lang auf dem Schlossplatz gastiere und in seiner Bude täglich Vorstellungen einer akrobatischen Gesellschaft zu sehen seien, jeweils um halb fünf nachmittags und acht Uhr abends. Es muss drinnen sehr eng gewesen sein, was zu Spannungen führte, dies gab zu reden bis nach Wien, wo „Die Presse“ am 28. Juni berichtete. Seit einiger Zeit zieht ein Speculant in Deutschland umher und lässt einen wilden Ashantee für Geld sehen. Dieser zeigte sich bereits auf der letzten Frankfurter Messe gegen seinen ‚Eigenthümer‘ widerspänstig und hat nun in Karlsruhe den Schutz der Polizei gesucht und auch gefunden. Er entsprang seinem Herrn wegen Misshandlung, versöhnte sich aber wieder mit ihm; zum Dank dafür verkündet der Herr des andern Tags, dass die ‚Hauptfütterung‘ des wilden Mannes mit lebendem Geflügel usw. stattfinde, worauf die Polizei die Bude zu schließen befahl.
Darüber ist im „Karlsruher Tagblatt“ nichts zu erfahren, weder über die Zensur des Hühnerfressens noch über die vorangegangenen Konflikte. Einzig aus den kurzen Annoncen lassen sich Turbulenzen herauslesen. Am 13. Juni ist Houngriou im Inserat nicht mehr abgebildet, der Schausteller Adolph Straßburger lädt ein zum Zweikampf zwischen dem Akrobaten C. Traber und Herkules Feder, „dem stärksten Europäer“. Der Schauplatz, heißt es weiter, „ist die Bude, wo der wilde
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Mann zu sehen ist“. Tags darauf ist kein Inserat erschienen, am 15. Juni, einem Freitag, ist Houngriou, nach dem Inserat von Straßburger zu schließen, in Aktion: Auf allgemeines Verlangen, große Hauptfütterung des wilden Mannes mit lebenden Hühnern, lebenden Fischen und rohem Fleisch, auch wird er Tabak essen, seine religiösen Zeremonien und Gebete öffentlich verrichten usw. Vorher und sonst noch ganz neue Piecen.
Für den Samstag sind Damenringkämpfe angesagt, sechs Frauen bewerben sich für den Hauptpreis, ein Paar goldene Ohrringe. Auch Herkules Feder, der stärkste Europäer, hat wieder einen Auftritt, desgleichen am Sonntag, dem letzten Ausstellungstag. Von Houngriou, respektive dem „wilden Mann“, ist nicht mehr die Rede. Zu einem weiteren Eklat kam es elf Monate später in Stuttgart. Aus Liebeskummer habe Houngriou sich das Leben nehmen wollen und sei ins städtische Krankenhaus gebracht worden. Da werde sich zeigen, ob etwas dran sei am Gerücht, dass er „kein echter, sondern ein gemachter Wilder sei“, berichtete der „Würzburger Stadt- und Landbote“ am 29. Mai 1856. In den nächsten drei Tagen vermelden das „Augsburger Tagblatt“ und der „Fränkische Kurier“ neue Details zur Geschichte: Im Krankenhaus habe sich herausgestellt, dass Houngriou nicht aus dem Aschantireich stamme; er heiße Franz Brown, sei in New York geboren und in Berlin aufgewachsen, als Sohn einer Deutschen und eines Afroamerikaners. Ein unglückliches Liebesverhältnis zu einer Darmstädterin habe zu seinem Lebensüberdruss geführt, misshandelt worden sei er nicht. Die Enttarnung des „wilden Ashanti“ wurde in der weiteren Region mit lebhaftem Interesse verfolgt. Wortwörtliche Kopien der Nachricht finden sich in den „Augsburger Nachrichten“, der „Pfälzer Zeitung“ oder der „Westricher Zeitung“ von Cusel im Nordpfälzer Bergland. Ohne mediale Resonanz hingegen blieb der Vorwurf an den Schausteller Adolph Straßburger, wie ihn „Der Eilbote“ am 31. Mai 1856 formuliert hat: „Bekanntlich hat dieser Wilde auch schon an andern Orten (Frankfurt, Mannheim etc.) die Gefangenschaft vermittelst seiner starken Fäuste abzuschütteln gesucht, ohne jedoch zum Zweck zu kommen.“ Was danach mit Houngriou passiert ist, muss Spekulation bleiben; in Stuttgart verliert sich die Spur. HERAUSBILDUNG EINER FIGUR Der Name „Houngriou“ ist unschwer als frankophone Variante von „Hoongoo Rhyhoo“ zu erkennen (ein Wort, das in keinerlei Zusammenhang zur AschantiSprache gebracht werden kann). Derselbe Name also, die gleiche Herkunft, identische Merkmale: eine Vorliebe für Waffen und rohes Fleisch, will heißen, für Keulen und lebende Hühner. Auch sind beide von athletischer Statur und sehr jung, um die zwanzig bei ihren ersten Auftritten, sodass niemand auf die Idee gekommen wäre, es könnte sich um dasselbe Individuum handeln. Denn Hoongoo Rhyhoo/ Houngriou ist keine Person, sondern eine Figur: der wilde Aschanti. Es ist dies eine Figur von seltsamer Ambivalenz, ein junger Mann, schön, stark und geschmeidig einerseits, andererseits ekelerregend, wie er die dünnen Hühnerhälse durchbeißt,
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dem zuckenden Tier die Knochen bricht und auseinanderreißt, mit blutverschmiertem Mund, und vieles zu Boden wirft, Federn, Knochen, Fleischstücke. Die Figur war erfolgreich, so sehr, dass innert der nächsten Jahre eine ganze Reihe weiterer „wilder Aschantis“ zu sehen war, alle mit denselben Attributen, fünf allein im deutschsprachigen Raum (ihre Auftritte sind, so weit eruierbar, im Anhang dokumentiert). Die Ähnlichkeit zu den Vorbildern wurde bewusst hergestellt. So benutzte der Schausteller Stephan Wimmer, als er im Sommer 1860 in Baden mit „Portiko, dem wilden Aschanti“ am kantonalen Schützenfest auftrat, ein nahezu identisches Bildsujet, wie es vier Jahre zuvor sein Kollege Adolph Straßburger verwendet hatte. Es ist dieselbe Körperstellung; die prägnante Keule, die Kleidung und die Muskelstränge sind nahezu identisch. Zu unterscheiden ist Portiko nur durch seine Kappe und sein Gesichtsausdruck ist anders: grimmiger. Zudem ist der Text sehr viel kürzer als in den früheren Annoncen, ja, Stephan Wimmer begnügt sich, was den Afrikaner betrifft, mit einem einzigen Halbsatz, einer Schlagzeile, dem Kernstück: Ausgestellt seien „Portiko, der wilde Aschanti, ein Mann von zwanzig Jahren aus der kriegerischen Völkerschaft an der Goldküste von Afrika sowie auch die beiden Heliophobus oder lichtscheuen Menschen aus Panama“. Auf die zwei letztgenannten Albinos bezieht sich anschließend der Annoncentext; das könnte auch bedeuten, dass der „wilde Aschanti“ schon so geläufig war, dass er der Leserschaft nicht mehr vorgestellt werden musste. Irritierender sind die Bezüge zu Houngriou in der Werbung des Schaustellers Franz A. Wolff aus Frankenthal im heutigen Rheinland-Pfalz. Er benutzte zunächst dasselbe Bildsujet wie zuvor Adolph Straßburger – und möglicherweise nicht nur dies! Es ist nicht auszuschließen, dass er den jungen Franz Brown als Schauobjekt übernommen und umbenannt hat: „Bamba, der wilde Ashanti aus Cumassia an der Goldküste von Afrika“. Als zusätzliche Attraktion hatte er „Prinz Colibri“ engagiert, einen Kleinwüchsigen, und bereiste mit den beiden im Herbst 1857 eine Reihe bayerischer Städte, meistens in eigener Regie, in Bayreuth zusammen mit dem arabischen Zirkus des Julius Stark. Hier gab es Probleme. Der Afrikaner wurde von der örtlichen Polizei- und Sanitätskommission mit Weingeist, Seifenwasser und Terpentin traktiert, weil die Gerüchte nicht abreißen wollten, dass er eine Fälschung sei, ein schwarz angemalter Deutscher. Während Wochen machte dieser Verdacht von sich reden und wurde weiterverbreitet, weit über die Region hinaus: am 15. November vom „Tag-Blatt der Stadt Bamberg“ beispielsweise, am 21. November vom „Pesth-Ofner-Locablatt“ in Budapest, am 24. November vom „Liberalen Alpenboten“ in der Schweiz, am 26. November von den „Neuigkeiten“ in Brünn, am 28. November vom „Nordböhmischen Gebirgsboten“ in Rumburg (im heutigen Tschechien), am 3. Dezember von der „Kronstädter Zeitung“ in den Karpaten. Und dies obwohl das „Bayreuther Tagblatt“ bereits am 14. November 1857 die Ergebnisse der Kommission bekanntgegeben hatte: „Es wird uns von zuverlässiger Seite mitgetheilt, daß der Mohr im Circus des Herrn Stark ein wirklicher Sohn Afrikas ist.“ Franz Wolff bediente während der nächsten drei Jahre weiterhin die bayerischen Jahrmärkte, auch wenn er gelegentlich mit Spott zu rechnen hatte. „Der falsche Aschanti oder: Der Wilde vom Stadtamthof und der kleine Prinz Colibri. Gelegen-
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heitsscherz mit Musik und Tanz“, nannte der Regisseur Treumund eine Benefizproduktion, die er Ende Mai 1858 im Anschluss an seine Inszenierung des abendfüllenden Schauspiels „Die beiden Galeerensclaven“ im Regensburger Theater zur Aufführung brachte. Beim Gastspiel in Gmunden wurde der Fälschungsverdacht erneut laut, sodass die Bezirksbehörde eine Untersuchung durch die beiden Ärzte Alexander und Leopold Wagner veranlasste, die beide die Echtheit des Afrikaners bestätigten, wie im „Gmundner Wochenblatt“ vom 23. November 1858 festgehalten ist. Das übernommene Bildsujet benutzte Franz Wolff in seinen Annoncen bald nur noch selten, er bevorzugte reine Textinserate. Hingegen hatte er von Anfang an auf ein eigenes Plakat und damit auf eine neue bildliche Darstellung gesetzt. Sie zeigt einen schwarzhäutigen Mann, damit beschäftigt, ein Huhn an seine Brust zu drücken und es mit beiden Händen zu zerreißen. Er tut dies mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund. Auf dem Rücken trägt er Pfeil und Bogen, auf dem Kopf einen Federbusch, am Hals viele Ketten und als weiteren Schmuck auffällige Ringe an Ohren und der Nase, die überdies von einem langen, dünnen Stäbchen durchbohrt ist. Vor ihm liegt die berühmte Keule. Ein Hinweis auf die „kriegerische Nation der Ashantes“ kommt in der Werbung von Franz Wolff nicht mehr vor. Somit entfällt die politische Erklärung für den Kampfgeist des jungen Aschanti, sein wildes Gebaren wird anders gedeutet, rassistisch: dass das Gewalttätige in seiner Natur liegen muss. Wohl ist der „wilde Aschanti“ nicht der Einzige, der auf den Jahrmärkten lebende Hühner verspeist haben soll. Anlässlich eines Gastspiels „indianischer Buschmenschen“ im August 1824 in München war es ebenfalls zu einem Exzess gekommen. Drei weitere Fälle hat der Wiener Historiker Walter Sauer bei den Recherchen für seinen Aufsatz „Exotische Schaustellungen im Wiener Vormärz“ gefunden, darunter eine Szene im Oktober 1819 in Prag. In Wien hingegen sei das öffentliche Hühnerzerreißen verboten worden, schreibt Walter Sauer. Das erinnert an Houngriou und die Interventionen der Karlsruher Polizei. Vermutlich ließen sich weitere Fälle eruieren, nirgends aber ist die Hühnerfresserei so systematisch zum Thema gemacht worden wie für den „wilden Aschanti“ und nirgends war die Bildgebung derart aggressiv. AUSWEITUNG DER FORMEN Hoongoo-Rhyhoo, ein Afrikaner aus der kriegerischen Nation der Ashantees Houngriou, der wilde Aschanti Portika, der wilde Aschanti Petrillo, ein Mann aus der kriegerischen Völkerschaft der Aschanti Bamba, der wilde Aschanti Der afrikanische Herkules Bamba Hongrio, genannt auch Le Roi des Hercules − Bamba Zambora, der afrikanische Herkules − − − − −
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Die Verbindungslinie zwischen den Namen bleibt sichtbar, selbst im Fall von Bamba Zambora oder Bomba-Zambora, wie er manchmal genannt wurde. Obwohl gerade er es ist, der aus der Reihe tanzt, in verschiedener Hinsicht. Zwar wurde auch er mitunter als Aschanti bezeichnet, in den Inseraten jedoch als „Der berühmte afrikanische Herkules Bamba-Zambora“ oder „Le roi des Hercules“ tituliert. Der Schausteller Thomas Moris bereiste mit ihm Vorarlberg und die Deutschschweiz, in wechselnder Besetzung. In Winterthur beispielsweise waren die beiden zu Gast in einem Affentheater, eine Zeitlang präsentierte Thomas Moris den Afrikaner zusammen mit einer jungen Frau, die er „die Indianerin“ nannte. Er hatte mit den beiden ein Nummernprogramm einstudiert, eine Art Revue, kombinierbar mit den Vorträgen lokaler Orchester. In Baden beispielsweise spielte die Kurkapelle, wie im ausführlichen Inserat vermerkt ist: 1. Vorführung des Afrikaners nebst Biographie. 2. Internatello-Tanz, ausgeführt von Bomba-Zambora. 3. Der Sieg oder Keulentanz, ausgeführt von Bomba-Zambora. Dieser Tanz besteht aus folgenden Abteilungen: a) einem nach der Weise der Afrikaner sehr graziösem Tanze; b) außerordentlichen Waffen-Übungen mit einer 56 Pfund schweren Keule. 4. Der große Keulensprung. 5. Produktion einer jungen Indianerin, bestehend in einem Tanze nach ihrer Landessitte. 6. Pracht-Produktion des Afrikaners mit den Eisengewichten. 7. Noch nie gesehene gigantische Produktion mit einer ungeheuer starken und langen Eisenstange. Zum Schluss: Der Festtanz. Ausgeführt von Bomba-Zambora und der Indianerin.
Im Verlaufe der Vorstellung forderte Schausteller Moris alle Männer im Publikum auf, es Bomba-Zambora gleichzutun und die Stange mit einer Hand hochzustemmen, weit über den Kopf – wer dies schaffe, werde mit 100 Franken belohnt. Mit der Stange ist somit ein zusätzliches Kraftinstrument dazugekommen, die Keule indessen mit ihren 23 Kilo spielte weiterhin eine gewichtige Rolle: Keulentanz, Keulensprung, Keulenkraftübungen. Die Aufführungen begannen jeweils um drei Uhr nachmittags und wurden abends um acht mit Beleuchtung wiederholt, wie es in den Inseraten heißt. Während der spielfreien Stunden durfte sich der junge Mann anscheinend frei bewegen, anders ist nicht zu erklären, wie es zu dem seltsamen Vorfall kommen konnte, der in verschiedenen Zeitungen vermeldet wurde. Am sachlichsten berichtete „Die Botschaft“, das Regionalblatt der Bäderstadt Zurzach: Der Knabe des Fabrikaufsehers Spengler fiel in den Kanal der Limmat; der Neger BombaZambora, welcher gegenwärtig in Baden in verschiedenen Künsten Vorstellungen giebt, geht vorüber, entledigt sich seiner Kleider, stürzt sich dem Knaben nach und holt ihn ein. Zum Dank war abends seine Vorstellung von einer frohen Menge besucht.
Ohne das Eingreifen von Bomba-Zambora wäre der Junge verloren gewesen, schrieb ebenfalls am 26. Juni das „Tagblatt der Stadt Baden“. Keiner der vielen Herumstehenden habe den Mut gehabt, dem Jungen zu helfen, kritisierte „Le Confédéré du Valais“ am 11. Juli. In den „Aarauer Nachrichten“ vom 24. Juni ist eine dramatisierte Version der Lebensrettungsszene zu lesen und am Schluss heißt es:
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„Bomba durfte des Nachmittags und Abends umso fröhlicher seine Künste produziren. Die Stadt Baden oder die Landesregierung wird ihm eine wohlverdiente Prämie wohl zukommen lassen.“ Über eine Belohnung ist in den amtlichen Dokumenten nichts zu erfahren, nur die „Neue Zuger Zeitung“ weiß am 9. Juli 1864zu berichten, die Aargauer Polizeidirektion habe Bamba Zambora eine Prämie von zwanzig Franken zustellen lassen, der Sohn der Wüste soll sich sehr verwundert haben, dass man für etwas bezahle, was sich doch von selbst verstehe. Bilder sind diesmal keine überliefert, weder vom Afrikaner noch von der Indianerin. Inzwischen war der „wilde Aschanti“ als Figur fast vierzig Jahre lang im Einsatz. Danach wurden die Aschantis in größeren Gruppen vorgeführt – im August 1888 etwa von Schausteller Urbach und Kapitän Becker in Wien –, später präsentierte man sie zu Hunderten in mitgeführten Dörfern. ANHANG Die Gastspiele Die in den Anmerkungen mit * gezeichneten Angaben stammen aus der Datenbank von Stephan Oettermann, dem ich an dieser Stelle nochmals herzlich danke. Hoongoo-Rhyhoo, Afrikaner von der kriegerischen Nation der Ashantees Schausteller: Wolfgang Philadelphia (bis 1837); Friederike Philadelphia-Daber (1838–1840); Alexander Philadelphia (1841–1843) um 1830
Ankunft in Amsterdam
1831 2.–4. Dez. 7.–22. Jan.
SchleswigHolstein 2 Nördlingen 3 München 4
29. Jan. Feb.
Freising 5 Nürnberg 6
1832
2 3 4 5 6
Gasthaus zum Bayerschen Hof Gasthof zum Schwarzen Adler Akademie der Künste Gasthaus zu den drey Kronen grüner Markt, Gasthaus zur Gerechtigkeit
Martin, Peter: Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Bewusstsein und Geschichte der Deutschen, Hamburg 1993, S. 172. Intelligenzblatt der Königlich Bayerischen Stadt Nördlingen, 2.12.1831. Münchner Tagblatt, 7. und 21.1.1832 sowie Zürcher Plakat. Stadtarchiv Zürich, V.L. 87. Freisinger Wochenblatt, 29.1.1832. Der Friedens- u. Kriegs-Kurier (Nürnberger Friedens- und Kriegskurier), 25. und 28.2.1832.
Figur und Geschichte des „Wilden Aschanti“
1833
1834
1835 1837 1842
7 8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Mai
Aschaffenburg 7
Aug.
Mainz 8
Nov. Dez.
Bayreuth 9 Regensburg 10
Gasthaus zum goldenen Adler Gasthaus zum Goldenen Ritter
ab 10. März
Burghausen 11
Markttage, bei Gastwirt Lipp
Juli Ende Juli
Augsburg 12 München 13
Gasthof zur Goldenen Traube Jakobi-Dult, beim Karlsthor
Aug.
Mainz 14 Berchtesgaden 15
königliche Sommerresidenz
23. Nov. bis 8. Jan. Mai/Juni Nov. bis 10. Dez. Dez. Anfang Juli Aug. 20.–23. Apr.
Wien 16
Haus zum Schwan
Zürich 17 Bern 18
Unterer Seilergraben Michaelismesse
St. Gallen 19 Neuchâtel 20 Kassel 21 Eisenach 22
Gasthaus zum Schwanen Place d’Armes Karlsplatz Markt
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Markt im Haus des Herrn Haus
Aschaffenburger Zeitung, 19.5.1832. Schmidt, Sabrina: Von „anatomischen Wundern“ und „lebenden Kuriositäten“. Eine volkskundliche Untersuchung zum Umgang mit körperlicher Normabweichung seit dem 18. Jahrhundert am Beispiel der Abnormitätenschauen. Mainz 2009 (Johannes-Gutenberg-Universität, Magisterarbeit, Volkskunde), S. 93, vgl. http://sabschmidt.files.wordpress.com/2011/06/magisterarbeit_sabrinaschmidt1.pdf (23.10.2018). Bayreuther Zeitung: 1832, S. 952. Regensburger Zeitung, 28.12.1832. Wochenblatt der Stadt Burghausen, 10.3.1833. Augsburger Tagblatt, 6., 7., 13. und 16.7.1833. Bayersche Landbötin, 1833, S. 773. Vgl. Schmidt, Sabrina: Von „anatomischen Wundern“…, a.a.O. Wiener Zeitung, 7.12.1833. Wiener Zeitschrift, 30.11.1833 und Wiener Zeitung, 8.1.1834. Stadtarchiv Zürich, V.L. 87. Plakat Hoongoo Rhyhoo. Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 26.11. sowie 3.12.1834. St. Galler Zeitung, 18.12.1834. L’Express, 2.7.1835. Casselische Zeitung, 19.8.1837*. Kahle, Karl: Beiträge zur Geschichte Eisenachs, Eisenach 1907.
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Houngriou, der wilde Aschanti, ein Mann von zwanzig Jahren aus der kriegerischen Völkerschaft der Aschanti aus der Cumassia an der Goldküste von Afrika Zeitweise wurde er zusammen mit „einer modernen Somnambülen“ vorgeführt Schausteller: Adolph Straßburger, zeitweilig mit M. Simoni (1855 und 1856) 1853
Dez.
Stuttgart 23
Messe, Wilhelmsplatz
Mai
Frankfurt 24 Chur 25
Frühlingsmesse Jahrmarkt, am oberen Thor
ab 21. Mai ab 21. Juni
St. Gallen 26 Zürich 27
Messe auf dem unteren Brühl Messe, unterer Seilergaben
27. Nov. bis 5. Dez.
Bern 28
Messe, Waisenhausplatz
Jan. 13.–17. Feb. Frühlingsmesse 3.–12. Juni Aug. Mitte Sept. Okt. Jan. Mai
Fribourg 29 Neuchâtel 30 Nürnberg 31 Karlsruhe 32 Kassel 33 Landau 34 Billigheim 35 Cusel 36 Stuttgart 37
Maison Gottrau, Rue du Pont-Muré Place de Môl
1854
1855
1856
23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
Schlossplatz Messe, beim deutschen Thore Purzelmarkt Saal des Herrn Philipp Koch
Neues Tagblatt, Stuttgart, 21.12.1853.* Würzburger Stadt- und Landbote, 25.6.1855 sowie Fremden-Blatt, Wien, 29.6.1855. Der liberale Alpenfreund, 13. und 16.5.1854. St. Galler Zeitung, 19.5.1854. Tagblatt der Stadt Zürich, 21. und 27.6.1854. Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 5.12.1854. Le Chroniqueur, 6.1.1855. L’express, 15.2.1855. Würzburger Stadt- und Landbote, 25.6.1855 sowie Fremden-Blatt, Wien, 29.6.1855. Karlsruher Tagblatt, 3., 6., 10., 12. und 16.6.1855. Oettermann, Stephan: Fremde. Der. Die. Das. „Völkerschauen“ und ihre Vorläufer, in: Kosok, Lisa/Jamis, Mathilde (Hrsg.): Viel Vergnügen. Öffentliche Lustbarkeiten im Ruhrgebiet der Jahrhundertwende, Essen 1992, S. 89. Der Eilbote, 15.9.1855. Der Eilbote, 20.10.1855. Westricher Zeitung, 18.01.1856. Würzburger Stadt- und Landbote, 29.5.1856.
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Bamba, der wilde Ashanti aus Cumassia an der Goldküste von Afrika Schausteller: Franz A. Wolff aus Frankenthal 1857
1858
1859
1860
38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
Okt.
Fürth 38
Okt.
Bamberg 39
Messe, auf dem Königsplatz 40
Messe, auf dem Schiesshausplatz
Mitte Nov.
Bayreuth
Ende April
Regensburg 41 Altötting 42
Circus Julius Stark Stadtamhof, am Protzenweiher Hofdult
Juni Juli/Aug.
Burghausen 43 München 44
Glücksches Gasthaus Dult, Karlsthor
Aug. bis 29. Aug.
Freising 45 Wasserburg a. Inn 46
Dult, Saal des Franz Xaver Urban im Saal zum Gessnerbräu
Sept.
Salzburg 47
Herbstmarkt
30. Okt.– 1. Nov. Nov. Dez. 4.–15. Aug. Okt. Nov. ab 1. Mai
Wels 48
Theater
Gmunden 49 Ried 50 Landshut 51 Augsburg 52 Ansbach 53 Passau 54
am Paradeplatz Dult Messe, Gasthaus Goldene Krone Maidult
Fürther Tagblatt, 4. und 7.10.1857. Tagblatt der Stadt Bamberg, 17., 20. und 31.10.1857. Deutsche Allgemeine Zeitung, 26.11.1857. Regensburger Tagblatt, 28.4.1858. http://www.innsalzach24.de/innsalzach/region-alt-neuoetting/altoettinger-hofdult/schwarzedicke-baerentreiber-altoettinger-hofdult-jahrhundert-5022267.html (23.10.2018). Wochenblatt für die königlichen Landgerichte Altötting, Burghausen, Mühldorf und Neumarkt, 20.6.1858. Neueste Nachrichten aus dem Gebiete der Politik, 16.7.1858 und Bayerischer Kurier, 4.8.1858. Freisinger Wochenblatt, 22.8.1858. Wasserburger Wochenblatt, 29.8.1858. Fremden-Blatt, 24.9.1858. Gmundner Wochenblatt, 16.11.1858. Gmundner Wochenblatt, 16. und 23.11.1858. Gmundner Wochenblatt, 21.12.1858. Kurier für Niederbayern. 4., 5. und 13.8.1859. Augsburger Anzeigblatt, 4. und 10.10.1859. Ansbacher Morgenblatt, 5. und 8.11.1859. Passauer Zeitung, 9.5.1860.
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Der afrikanische Herkules Bamba Hongrio, genannt auch Le Roi des Hercules zeitweise zusammen mit einem malaischen Mädchen, dem klein gewachsenen Prinz Kolibri sowie Schlangen und Krokodilen Schausteller: Heinrich Frank aus Ulm 1861
1863 1865
April Juli
Nürnberg 55 Würzburg 56
Sept. 30. Sept.– 19. Okt.
Erfurt 57 Leipzig 58
Friedrich-Wilhelms-Platz Michaelismesse, Rossplatz
Jan. Juli
Fürth 59 Landshut 60
Hotel Kuhn
Portiko, der wilde Aschanti, ein Mann von zwanzig Jahren aus der kriegerischen Nation der Aschanti an der Goldküste von Afrika zusammen mit den beiden Heliophobus oder lichtscheuen Menschen aus Panama Schausteller: Stephan Wimmer 1860 1861
ab 19. Juni 1.–8. Juli 28.–31. Sept. Nov.
Zürich 61 Baden 62 Thun 63 Kempten 64
Hirschengraben kantonales Schützenfest beim Bahnhof Circus des F. X. Schwenold
Petrillo, ein Mann von 21–22 Jahren aus der kriegerischen Völkerschaft der Aschanti aus Cummassia an der Goldküste in Afrika Schausteller: G. Wissmann 1861
55 56 57 58 59 60 61 62 63 64
Ende Feb.
Aschaffenburg 65
Markt auf dem Schlossplatz
Nürnberger Kurier, 5.4.1861. Würzburger Stadt- und Landbote, 6.7.1861. Stadtarchiv Leipzig, II. Sekt. S 4128 c, Bd. 8, Bl. 209 und 210. Raritäte seyn su sehn … Leipziger Markt- und Messeattraktionen, hrsg. vom Museum für Geschichte der Stadt Leipzig, Leipzig 1988, S. 81; Der Zwischen-Akt, 22.10.1861. Fürther Tagblatt, 10.1. und 13.1.1863. Amberger Tagblatt, 12,7.1865. Tagblatt der Stadt Zürich, 15. und 19.6.1860. Tagblatt der Stadt Baden, 30.6.1860. Thuner Chronik, 28.9.1861. Kemptner Zeitung, 24.11.1861.
Figur und Geschichte des „Wilden Aschanti“
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Der berühmte afrikanische Herkules Bamba Zambora Schausteller: Thomas Moris 1864
1866
28. Feb.
Bregenz 66
Bierbrauerei Forster
29.–30. März
Feldkirch 67
Saal zum Ochsen
Juni
Zürich
Kornhausplatz
22./23, Juni 26. Juni
Baden 68 Aarau 69
Café Baldinger Biergarten Ernst Merian
10. Juli Ende Juli
Rapperswil 70 Winterthur 71
Volksfest mit einem Affentheater
Mai
Kempten 72
Circus national/G. Blösser
Die schwarze Hipolyta, Mistress Chambora, das Weib eines Aschanti-Häuptlings von der Goldküste Südafrikas, 360 Pfund schwer 1862
Sept.
Magdeburg 73
Miss Zambora. Die schöne 17-jährige Afrikanerin Schausteller: J. Lautermann 1867
Mai
Zweibrücken 74
Marktplatz
65 Aschaffenburger Zeitung, 24.2.1861 sowie Deutsches Volksblatt für das Main- und NachbarLand, 26.2.1861. 66 Vorarlberger Landes-Zeitung, 27.2.1864. 67 Feldkircher Zeitung, 28. und 30.3.1864. 68 Tagblatt der Stadt Baden, 25.6.1864. 69 Aarauer Nachrichten, 26.6.1864. 70 Neues Tagblatt aus der östlichen Schweiz, 14.7.1864. 71 Der Landbote, 27.7.1864. 72 Tag- und Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu, 8.5.1866. 73 Magdeburgische Zeitung, 24. und 27.9.1862. 74 Zweibrücker Wochenblatt, 11. und 12.5.1867.
VERANDERENDE PERSEPSIES VAN ’N AFRIKANER 1945–2018: ’N PERSOONLIKE LEWENSREISERVARING Hans Heese Zusammenfassung: Wandlungen des Selbstbildes eines Afrikaaners (1945–2018) – eine persönliche Lebenserfahrung: Der vorliegende Essay von Hans Heese beschäftigt sich mit seiner Erfahrung als Afrikaaner deutscher Abstammung und der Unsicherheit bei der Identitätsfindung, die er bereits als Kind erlebt. Später als Jugendlicher erkennt er, dass er nichts anderes als ein Afrikaaner sein kann mit jener besonderen Bindung an die lutherische Kirche und deren Glaubensbekenntnis, was ihn den Anschluss an die calvinistisch geprägte Nederduitse Gereformeerde Kerk suchen lässt. Nach einer kurzen Karriere als Lehrer schlägt Heese an der Universität des Westkaps in Bellville die akademische Laufbahn ein und beschäftigt sich mit der Geschichte der Farbigen-Gemeinschaften der Kapprovinz. Dadurch kommt er in Kontakt mit Fragen der ethnischen Vermischung von Europäern, Khoikhoi und Sklaven. Wo Europäer (“Weiße”) in diesen Prozess eingebunden sind, protokolliert er dies 1985 in einer Publikation samt einer Namensliste, die die Rassen-basierte Grundlage der Apartheidsgesetze und den Mythos vom “Ariervolk” bis in seine Grundfesten erschüttert. Mit dieser Veröffentlichung wurde er international bekannt. Seine Begegnung mit Ulrich van der Heyden im Jahre 1992 war zwar mehr oder weniger Zufall, dieser kannte ihn jedoch seit 1985 aus Berichten von jenseits des “Eisernen Vorhangs”. Dieses Zusammentreffen begründete eine bis heute andauernde Freundschaft, in der beide immer wieder Neues gelernt haben und dies auch weiterhin gerne tun. Ihre Gemeinsamkeiten beruhen mehr auf der praktischen als auf der theoretischen Annäherung an die Geschichte als solcher. Und diese geschieht trotz oder gerade wegen des Umstandes, dass der eine nach der Schule eines Leopold von Ranke und der andere gemäß der Tradition von Karl Marx ausgebildet wurde. Hierdie kort artikel word aan die historikus Ulrich van der Heyden opgedra. Die volgende teks is nie soos gewoonlik ’n akademiese artikel oor die geskiedenis van die Berlynse Sendinggenootskap, een van my en Ulrich se gemeenskaplike belangstellingsvelde nie. Dit is geskoei op my persoonlike ervarings as ’n Afrikaner van Duitse afkoms. Ook die persoonlike wisselwerking tussen my en Ulrich sedert 1992 toe ons mekaar leer ken het. Daarom is hierdie artikel ook in Afrikaans geskryf, ’n taal wat hy oor die jare heen goed leer ken het. In 1944, die voorlaaste jaar van die Tweede Wêreldoorlog, is ek op Kamieskroon in Namakwaland gebore. Dis waar my half-Duitse pa die skoolhoof van die sekondêre skool was. Juis in hierdie tyd is my ma se jongste broer deur
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die owerheid weens anti-regeringsoptrede in ’n interneringskamp te Koffiefontein geplaas. Hy was lid van die Stormjaers, ʼn militante groep binne die Ossewabrandwag. Hierdie organisasie het die deelname van Suid-Afrika in die oorlog teen Duitsland aktief teengestaan. Hoewel my eie pa dieselfde menings as sy swaer gehuldig het, het hy nooit by hierdie organisasie aangesluit nie. Hy was pro-Duits maar geen aanhanger van Hitler nie. Hy het in die dertigerjare met ’n kleinneef van hom in Pommere briefwisseling gevoer maar dit later gestaak vanweë die familielid se beheptheid met Hitler en sy anti-Semitistiese optrede; my pa se oupa was immers getroud met ’n dame van Joodse herkoms. Een van die briewe uit Pommere is nog in my besit. Ook was my pa se eie neef met ’n “volbloed” Jodin uit die Klein Karoo getroud. My eerste ervaring van die term “familie” was die pakkies met koffie, sigarette en sjokolade wat my ouers aan Tante Elisabeth Heese en haar seun, Eckart, in Erfurt gestuur het. Wat ek as vyfjarige in 1949 kan onthou is dat my ouers altyd van die “Russiese Sektor” gepraat het as die gesprek oor Tante Elisabeth gegaan het. En hoe hulle teen die einde van die oorlog voor die Russe uit Pommere na Thüringen gevlug het en dat Tante Elisabeth se man in Rusland dood is. Uit latere vertellings het my ouers gesê dat hulle teen 1948 Tante Elisabeth probeer oorreed het om na Suid-Afrika te emigreer. Sy het dit oorweeg maar het aangevoer dat dit vir Eckart te moeilik sou wees om van sy skoolvriende geskei te word. Hy moes toe so 14–15 jaar oud gewees het. Wat ek glashelder onthou uit my eerste skooljaar op Uniondale in die Klein Karoo in 1950 is dat die kunssinige Eckart soms mooi gekleurde sketse gemaak het en dit vir ons gestuur het. Een van die sketse was dié van hulle dubbbelverdiepinghuis wat hulle tot 1945 in die Dramburgerstraße in Schivelbein besit het. ’n Ander skets was dié van ’n klomp voetbalspelers en dit was opgdra aan “Hansi” en nie “Hansie” soos dit in Afrikaans moes wees nie. Met dié dat ek al kon lees, het dit my nogal gepla dat hy nie my naam reg kon spel nie; hy was tog veel ouer as ek. My pa het verduidelik dat die voetbalskets nie regtig “voetbal” was nie omdat die bal wat rondgeskop was, rond was en dat ’n mens dit eintlik “sokker” moet noem. Dit was ’n sportsoort wat daardie tyd nie in die Klein-Karoo bestaan het nie. My visuele beeld van “Duitsland” tot in die middel 1950s was dié wat ek van posseëls op die briewe uit Erfurt leer ken het; posseëls met afbeeldings van Karl Marx en Friedrich Engels en die Leipziger Messe met afbeeldings van nywerheidstoerusting. Van Marx en Engels het ek niks geweet nie behalwe dat ’n mens belangrik moes wees om op ’n posseël te kan pryk! Dit was eers tydens die Desembervakansie van 1950 op Jeffreysbaai, waar my pa se broers en hulle suster almal bymekaar gekom het vir ’n familiefees, dat ek ontdek het dat ek ook Suid-Afrikaanse Heese-familie het. En ’n jaar of drie later het ek ook my ma se Du Toit-familie met ’n kersvakansie in die Strand leer ken. Die pro-Duitse gevoelens van my pa kan ’n mens goed verstaan, hy het as jong student op Stellenbosch gereeld die Duitse Lutherse Kerk besoek en Duits was sy hoofvak op universiteit. By my Du Toit-Le Roux ma was die pro-Duitse sentiment te danke aan haar anti-Engelse gevoelens. Tydens die AngloBoereoorlog is haar swaksiende pa deur die Britse soldate gevang en is hy na ’n
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Britse krygsgevangekampe in Punjab in Indië gestuur. Haar ma, met hul drie jong kinders, is deur die Engelse in die Brandfort konsentrasiekamp geplaas; dit natuurlik nadat die plaashuis afgebrand en al die vee en diere en oeste vernietig is. Ná minder as drie maande het sy die laaste van die drie kinders in die kamp begrawe. Haar man in Punjab het op één dag drie briewe ontvang – elkeen met die tyding dat ’n kind gesterf het. Hierdie nuus het hom geestelik gebreek en hy het as ’n blinde en gebroke persoon in 1903 na Suid-Afrika teruggekeer. Tussen die familieverhale oor my Duitse en my Boere oupas, waarmee ek grootgeword het, het my Afrikaneridentiteit ontwikkel. Vanaf my eerste tot my laaste skooljare was ek ’n entoesiastiese lid van die Voortrekkerbeweging waarin my pa en twee van sy broers leidende figure was. En natuurlik was ek elke Sondag in die N.G. Kerk en het op ouderdom 16 ’n oortuigde lidmaat van die Calvinistiese kerkgenootskap geword met die voorneme om ’n predikant te word. Twee jaartalle staan uit wat tot my breë sosiale en algemene wêreldbeskouing gelei het; 1959 en 1964. In 1959 het die Heese-familie die 100-jarige herdenking van ons Pommerse stamvader as sendeling van die Berlynse Sendinggenootskap na Suid-Afrika gevier. My pa het ’n boek oor sy lewe geskryf en ek was die fotograaf wat die foto’s op Amalienstein en Riversdal geneem het. Vir die eerste keer het ek bewus geword van my Lutherse wortels. Drie jaar later, as jong student op Stellenbosch, het ek in ’n brief aan die N.G. kerkraad op die universteitsdorp uit die kerk bedank weens sy klaklose ondersteuning van apartheid en aangedui dat ek by die Lutherse kerk wou aansluit; ek het immers dienste van die Lutherse kerk bygewoon. Ná ’n gesprek met die N.G.-predikant, het ek egter van besluit verander en my bedanking teruggetrek. Ek het geglo dat verandering van binne die aangewese weg was om ’n meer regverdige sosiale en politieke bestel te verkry. (Op ’n totaal ander noot uit my studentedae oor Wes- en Oos-Duitsland: Ek was van kleins af ’n motorliefhebber en het op universiteit met my pa se (WesDuitse) Borgward aan tydrenne deelgeneem. Maar ek het elke dag vanaf die Strand saam met ’n klasmaat met ’n (Oos-Duitse Wartburg) universiteit toe gery. Ironies het Hendrik Verwoerd jr, ’n studentemaat, dieselfde tyd ook ’n Oos-Duitse P70, in die Westerse wêreld bekend as Zwickau, besit!). In 1964 het my ouers teruggekeer van ’n besoek aan Europa wat Duitsland ingesluit het. My pa was vir een dag in Oos-Berlyn waar hy die argief van die Berlynse Sendinggenootskap besoek het. Hy het aan my vertel hoe groot die kontras tussen Oos- en Wes-Duitsland was: In Wes-Duitsland het hulle met jong, slordige en onbeskofte takhare te doen gekry, in Oos-Berlyn het hy net hulpvaardige jong mense gesien wat deur die bank besonder goed gemanierd en hulpvaardig was! Dit was uiterlike waarnemings van ’n individu, en gebaseer op slegs een dag se ervaring, maar die beeld het my tot nou toe bygebly. Reeds vroeg in my eerste jaar op Stellenbosch het ek besluit om my kursus te verander want Grieks en Hebreeus was twee vakke waarvan ek niks verstaan het en sin in gesien het nie. Die volgende jaar het ek Geskiedenis as vak begin neem om onderwyser te word. Na voltooiing van my studie het ek, in die familie tradisie
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van onderwysers en sendelinge, in 1967 ’n onderwyspos by ’n N.G. Kerkondersteunde hoërskool in Malawi aanvaar. Tot op daardie stadium het ek weens die geografiese en demografiese kenmerke van die Klein Karoo en die Boland slegs met bruin mense te doen gekry. My pa het reeds op Uniondale in 1960 die bruin skoolhoof van die N.G. kerkskool op die dorp in ons sitkamer ontvang en hom as ’n volkome gelyke kollega aanvaar. Vir die tydsgees was dit ongehoord en ’n radikale afwyking van die Verwoerdiaanse beskouings wat oral geheers het. Dit, ondanks die feit dat my pa op daardie stadium hoë aansien in die geheime Broederbond geniet het! Waarskynlik in navolging van my pa se unieke politieke en sosiale lewensbeskouing het ek ook een middag, ná ’n amptelike atletiekoefening, twee keer aan ’n 100-meter wedloop met ’n bruin atleet, wat uit die Boland gekom het en op die dorp messelwerk kom doen het, deelgeneem. Ek het die wedloop gewen met ’n bottel Coca Cola as “prysgeld”! In naskou, na vele jare, het ek besef dat ek as 17-jarige geskiedenis gemaak het met my eerste “nie-rassige” atletiekkompetisie in 1961. My ervaring in Malawi, met ’n swart skoolhoof, kollegas en buurman, het my reeds as 23-jarige blootgestel aan ’n nie-rassige samelewing wat my wit landgenote na amper ’n kwarteeu van ware demokrasie nog nie ervaar het nie. Maar as kind van die tyd was ek destyds ook bewus van my eie rassistiese ingesteldhede. Die dag-tot-dag blootstelling en omgang met swart Malawiërs het enige vorm van rassistiese gevoelens binne maande in die niet laat verdwyn. Die hoofoorsaak was die plaaslike predikant wat spontaan saans kom kuier en gesels het; die rol wat my goeie (wit) studentemaats vroeër vervul het. Malawi het my ook deeglik bewus gemaak dat daar twee Duitslande bestaan. Hoewel daar in Malawi slegs ’n Wes-Duitse ambassade was en daar noue politieke bande tussen die twee lande bestaan het, het ’n familielid vir my ’n OosDuitse stel servette vir my verjaardag gegee – gekoop in Malawi. Aan die ander kant het ek vir die skool, deur bemiddeling van die Wes-Duitse ambassade, gratis eksemplare van Scala ontvang. (En natuurlik ook die Suid-Afrikaanse weergawe van Scala, die South African Digest). Met Amerikaanse Peace Corps onderwysers by die skool was daar natuurlik ook ’n oor-aanbod van Amerikaanse boeke en die tydskrif Ebony in die biblioteek. Ná my terugkeer uit Malawi, en later Namibië, na Suid-Afrika het ek intens bewus geword van die apartheidsborde en kennisgewings wat jou oral in die gesig gestaar het. Die “Koue Oorlog” het egter in die sewentigerjare in Namibië ’n “Warm Oorlog” geword en was die DDR nie meer vir my die neutrale land van vroeër nie. Wat vir my verblydend was in hierdie tragiese tyd was dat die SuidAfrikaanse leër (“Weermag” soos dit amptelik genoem was) na afloop van Operasie Savannah in 1975 ’n nie-rassige karakter aangeneem het. Hierdie wending het my laat hoop dat die Amerikaanse siening, naamlik dat iemand wat vir sy land geveg het, ongeag sy ras, stemreg moet hê, ook van toepassing in Suid-Afrika sou word. In 1979 het ek tydens ’n semesterlange navorsingsbesoek in Den Haag die geleentheid gehad om die fisiese grens tussen Wes- en Oos-Duitsland by Lübeck te ervaar: Doringdraad, landmyne, wagte met AK 47 aanvalsgewere, Duitse herd-
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ershonde en uitkyktorings wat mense van dieselfde taal en kultuur skei. Hierdie harde, fisiese werklikheid het my met ander oë na die realiteit van die DDRpolitieke stelsel laat kyk. Aan die ander kant was ek ook pynlik bewus van die sosiale en politieke onreg, ingebed in ons rasgedrewe politieke stelsel. Die publikasie van my studie oor die ontstaan van die bruin samelewing in die vroeë Kaapse geskiedenis in 1985 was ’n poging om die selektiewe geheueverlies van my mede-Afrikaners te ontbloot. Die wye internasionale dekking deur die pers, ook in Oos-Duitsland, het ook die oog van die jong historikus, Ulrich van der Heyden, gevang. Van die twee apartheidswette wat ek by uitstek as “onchristelik” beskou het, naamlik die Ontugwet en die Wet op die Verbod van Gemengde Huwelike, is gedurende die loop van die jaar afgeskaf. Hiermee is die grondstene gelê vir die ondergrawing van die ander belangrike wet, die Wet op Rasseklassifikasie waarop die hele apartheidstruktuur berus het. (Die apartheidswet wat bruin mense die meeste geraak het, en wat die grootste bitterheid by hierdie gemeenskap gewek het, is waarskynlik die Groepsgebiede Wet waar hulle eiendom onteien is om plek te maak vir wit behuising. Hulle is verskuif na onbeboude gebiede ver buite die “wit” dorpe. Die nuwe bruin woongebied van die dorpie Barrydale was so ver van die kern af dat dit, baie gepas, by bruin inwoners die bynaam “Weggesteek” gekry het). Daar was in 1985 heelwat geraas en geblaas in die kringe van die regse Afrikanergeledere en dreigemente van hofsake oor laster teen my oor die publikasie van Groep sonder Grense maar die hofsake het (gelukkig) nooit materialiseer nie. Na ’n jaar of wat het die storm bedaar en in 1987 kon ek met ’n studiebeurs van DAAD ses maande in Mainz deurbring waar ek ’n vergelyking kon maak tussen rassewetgewing in die NS-periode in Duitsland en die apartheidstydperk in SuidAfrika. Noodwendig het ek die vergelyking uitgebrei om ook Amerikaanse rassewetgewing in te sluit wat tot in die jare negentig nog in sommige state bestaan het. Tydens my verblyf in Wes-Duitsland het ek ’n paar keer Oos-Berlyn besoek om by die argief van die Berlynse Sending uit te kom. Soos my pa ’n paar dekades vroeër, was ek ook werklik met vrees vervul toe ek die eerste keer die OosDuitse grens by Friedrichstraße oorgesteek het. Maar, soos my pa, was die man op straat vriendelik en behulpsaam en het ek ’n warm ontvangs by die argief in Georgenkirchstraße gekry. Hier kon ek onder andere briewe van my oupa en oupagrootjie Heese ook lees en afskryf. Ook my ongeletterde groot-oupagrootjie se testament. Sy ongeletterdheid het my bewus gemaak van die belangrikheid van onderwys en veral sendingonderwys soos deur die Berlynse Sending in Suid-Afrika toegepas. Hierdie onderwerp kan in die toekoms nog verder ondersoek word. In 1992 het ek onverwags ’n faks uit Oos-Berlyn ontvang. Die afsender was ’n Ulrich van der Heyden van die Akademie vir Wetenskap. Die jong historikus het van ’n Kaapstadse akademikus my naam gekry en ook die berig dat die SuidAfrikaanse Kultuurvereniging ’n konferensie beplan het rondom ’n Duitse Feesjaar dieselfde jaar. ’n Besoek aan Suid-Afrika is vir dr Ulrich van der Heyden en die argivaris van die Sendingargief, Berlind Boerner, deur die Suid-Afrikaanse-Duitse Kultuurvereniging gereël en kon ek tydens die konferensie in Pretoria – wat oor die
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bydrae van Duitsers tot ons geskiedenis en ontwikkeling gehandel het – die twee Oos-Duitse gaste ontmoet. Met hierdie ontmoeting het daar vir my weer ’n nuwe akademiese herlewing plaasgevind omdat ek juis op daardie stadium my ingewerk het in die geskiedenis van die Berlynse Sendinggenootskap en sy werk in SuidAfrika. Beide Ulrich en Berlind het my oor die volgende dekade of twee werklik op elke moontlike manier gehelp met die verkryging van dokumentasie en die uitruil van gedagtes en menings en inligting. En ook om Sütterlin op ’n manier te kon lees! Beide het ook hulle harte en huise, saam met hulle gesinne vir my en my gesin oopgemaak. So het ek ook iets van die lewe agter die voormalige “ystergordyn” kon leer ken. Wat my en Ulrich verskillend na geskiedenis laat kyk het was die verskillende skole waarin ons opgelei was. Op Stellenbosch was dit Leopold von Rancke wat uitgespel het hoe die vak benader moes word, vir Ulrich in Berlyn was dit Marx. Van Marx het ek op universiteit bitter weinig geweet, vir Ulrich was von Rancke ook maar net nog ’n naam toe ons een keer oor my Stellenbosch dae gesels het. Tog het hierdie twee “volgelinge” van Marx en von Rancke onderskeidelik mekaar gevind om één eenvoudige rede: Ons het altwee ons bronne met die grootste ontsag behandel en eenvoudig na die waarheid probeer soek tussen soveel as moontlike en ook uiteenlopende bronne. Daar was nooit vanuit ’n ideologiese hoek of vooraf-bepaalde standpunt uitgegaan nie; die feite moes die uiteindelike storie vertel. En hoe méér feite deurgegaan was, hoe beter en meer betroubaar het die storie geword. In elk geval het nog ek, nog Ulrich, ooit probeer voorgee dat ons filosowe of teoretici is nie. Ulrich het by geleentheid aan my gesê dat ek ’n goeie Marxistiese historikus is! Ek was nie dadelik seker of dit ’n kompliment was nie; waarskynlik omdat ek ekonomiese omstandighede in my studies beklemtoon het. Vandag beskou ek sy opmerking van destyds as ’n kompliment. Maar van my kant af kan ek hom ook komplimenteer as ’n goeie Rankiaanse historikus wat elke detail met sorg en interne kritiek benader! Voordat dit mode geword het, het Ulrich opgemerk dat die Wende die fisiese skeidsmuur (of skandmuur?) tussen Oos en Wes in Duitsland in 1990 afgebreek het maar dat die muur nog in die gedagtes van mense bestaan. Niemand kan hieroor stry nie. Dieselfde geld vir wit Suid-Afrikaners wat in ’n vinnig veranderende wêreld moes aanpas maar nog nie kon afskeid neem van hulle vroeëre beleweniswêreld nie. Hulle meganisme om die psigiese omwenteling te verwerk is reeds ’n dekade of langer deur die bekende geskiedenis-egpaar, Leopold en Ingrid Scholtz, as migrasie-na-binne verwoord. In Suid-Afrika is die oorgang na ’n volle demokraties-verkose regering in 1994 dikwels as ’n Wonderwerk van Bo beskryf – om ons Afrikaner Calvinistiese terme te gebruik. In ’n sekere sin het alles verander maar in ’n sekere sin het ook niks verander nie. Politici en hulle troue ondersteuners het, weereens, die kapitalistiese stelsel ten volle uitgebuit ter wille van selfverryking. Die selfverryking vind sy uiting in die duurste Duitse motors, Switserse polshorlosies, eersteklas vliegtuigkaartjies, verblyf in die duurste hotelle en die grootste villa’s in Suid-
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Afrikaanse gholf- of veiligheidslandgoedere. Dit terwyl die meerderheid van die land se inwoners steeds in die grootste armoede lewe. Die argument van hierdie bevoorregte groep is natuurlik dat kapitalisme werk skep en sodoende die lot van die armes verbeter. Ook dat die belasting wat op maatskappye gehef word, aangewend word vir die opheffing van die weerloses. Die alternatief is moontlik sosialisme, ’n gedagte wat nog altyd vir my aantreklik gelyk het. Maar my eie waarneming, hoewel gegrond op gebrekkige kennis van die daaglikse lewe in die DDR, is dat onder ’n sosialistiese bestel daar ook ’n politieke elite was wat met luukse Sweedse motors of spesiaal omgeboude Range Rover jagwaens op reuse landgoedere gery het, in Wes-Mark of Amerikaanse Dollars kon koop wat hulle harte begeer en dat hulle toegang gehad het tot eksklusiewe woongebiede met huise wat grens aan luukse villa’s. Ook spesiale hospitale vir bevoorregte amptenare. Toegegee, werkloosheid het amptelik nie in die DDR bestaan nie en elkeen het toegang gehad tot goeie mediese dienste (soos die situasie in Suid-Afrika vóór 1990) en daar was gratis studiegeleenthede vir studente. Watter kursus aan ’n universiteit gevolg kon word was blykbaar nie ’n vrye keuse nie. Gelukkig is ’n historikus nie ’n regter nie, hy kan slegs die verlede waarneem en die dinge wat dikwels versluier is, aan die lig bring. Aan die einde kan hy ’n goeie storie skryf wat mense gaan lees en opnuut aan die dink gaan sit en laat besef dat die waarheid verskillende kante het. Die historikus Ulrich Klaus Helmut van der Heyden mag, so lank hy kán, navors en skryf en steeds nuwe waarhede ontdek en lesers tot nuwe insigte laat kom.
AFRIKA-, KOLONIAL-, MISSIONS-, GLOBAL- UND HEIMATGESCHICHTLICHE SOWIE POLITIKWISSENSCHAFTLICHE PUBLIKATIONEN VON ULRICH VAN DER HEYDEN (STAND JUNI 2019)
Michael Eckardt (Zusammensteller) MONOGRAPHIEN Die letzten kolonialen Eroberungskriege in Südafrika. Die Unterjochung der Pedi und Venda Transvaals in den Jahren 1876 bis 1898, vornehmlich anhand deutschsprachiger Quellen (unveröffentliche Dissertation, Humboldt Universität zu Berlin, 1984), 326 S. Kampf um die Prärie. Der Freiheitskampf der nordamerikanischen Prärieindianer [=Illustrierte Historische Hefte, Nr. 47], (Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1988), 44 S. Zweite Auflage 1990. Unbekannte Geschichtsquellen in Berlin. Das Archiv und die Bibliothek der Berliner Missionsgesellschaft [=Sozialanthropologische Arbeitspapiere, Nr. 45], (Verlag Das Arabische Buch, Berlin 1991), 49 S. Indianer-Lexikon. Zur Geschichte und Gegenwart der Ureinwohner Nordamerikas (Dietz Verlag, Berlin 1992), 365 S. {ca. 90 % der Lemmata wurden vom Autor und Herausgeber erstellt; die anderen 10 % wurden von anderen Autoren verfasst}. Lizenzausgabe: VMA-Verlag, Wiesbaden 1996. Rote Adler an Afrikas Küste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg an der westafrikanischen Küste (Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin 1993), 103 S. Zweite Auflage unter dem Titel Rote Adler an Afrikas Küste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg in Westafrika (Selignow-Verlag, Berlin 2001), 105 S. Die publizistische Entdeckung Amerikas. Deutschsprachige Publikationen anläßlich des 500. Jahrestages der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus (Edition Berliner Debatte, Berlin 1994), 128 S. Das Indianer-Lexikon (Lamuv Verlag, Göttingen 1997), 400 S. {ca. 90 % der Lemmata wurden vom Herausgeber erstellt; die anderen 10 % wurden von anderen Autoren geschrieben}. Die Begegnung mit dem Fremden in Europa [=Literaturrecherchen, Nr. 8], (Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart 1998], 36 S. Die Afrikawissenschaften in der DDR. Eine akademische Disziplin zwischen Exotik und Exempel. Eine wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung (LIT Verlag, Münster/Hamburg/London 1999), 622 S. Die Einbeziehung Ueckermündes in den Dreißigjährigen Krieg (Schibri-Verlag, Milow 2001), 30 S. Diplomasie en Politiek. Die Pers, die Boererepublieke en Duitsland tydens die Anglo-Boere-Oorlog (Protea Boekhuis, Pretoria 2002), 59 S. Martinus Sewushan – Nationalhelfer, Missionar und Widersacher der Berliner Missionsgesellschaft im Süden Afrikas (Erlanger Verlag für Mission und Ökumene, Neuendettelsau 2004), 454 S. Die DDR und der Handel mit dem Apartheidregime in Südafrika [=Hefte zur DDR-Geschichte, Nr. 88], (Helle Panke Verlag, Berlin 2004), 56 S.
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Zwischen Solidarität und Wirtschaftsinteressen. Die „geheimen“ Beziehungen der DDR zum südafrikanischen Apartheidregime (LIT-Verlag, Münster 2005), 181 S. German Publications on the Anglo-Boer War, mit Nicol Stassen (Protea Boekhuis, Pretoria 2007), 88 S. Das neue Lexikon der Indianer Nordamerikas (Sutton Verlag, Erfurt 2008), 384 S. {ca. 92 % der Lemmata wurden vom Autor und Herausgeber erstellt; die anderen 8 % wurden von anderen Autoren geschrieben}. Auf Afrikas Spuren in Berlin. Die Mohrenstraße und andere koloniale Erblasten (Tenea Verlag, Berlin 2008), 162 S. Aktuelle missionsgeschichtliche Forschungen zu Mission und direkter Kolonialherrschaft im deutschen Kolonialimperium 1884/85–1918/19. Ein Literaturbericht (Wichern Verlag, Berlin 2010), 76 S. Die wissenschaftliche Nutzung von Archiv und Bibliothek der Berliner Missionsgesellschaft. Eine Bibliographie (Wichern Verlag, Berlin 2010), 27 S. DDR in Äthiopien und späte Lügen (Spotless Verlag, Berlin 2013), 95 S. {unter Pseudonym}. GDR International Development Policy Involvement. Doctrine and Strategies between Illusions and Reality 1960–1990. The Example (South) Africa (LIT-Verlag, Münster 2013), 316 S. Seeschlacht auf dem Stettiner Haff im Jahre 1759 (Verlagshaus M & M, Martenshagen 2016), 32 S. Kwame Nkrumah – Diktator oder Panafrikanist? Die politische Bewertung des ghanaischen Politikers in der DDR im Spannungsfeld der deutsch-deutschen Konkurrenz in Westafrika (Potsdamer Wissenschaftsverlag WeltTrends, Potsdam 2017), 86 S. Der Dakar-Prozess – Der Anfang vom Ende der Apartheid in Südafrika (Solivagus Verlag, Kiel 2018), 176 S. Das gescheiterte Experiment – Vertragsarbeiter aus Mosambik in der DDR-Wirtschaft. Die Realität eines entwicklungspolitischen Experiments und dessen Widerspiegelung in der Literatur (Leipziger Universitätsverlag), Leipzig 2019, 715 S.
HERAUSGEBERSCHAFTEN VON SAMMELBÄNDEN 75 Jahre Nationalkongreß von Südafrika – 75 Jahre Kampf gegen Kolonialismus und Rassismus, Bd. I., hrsg. vom Institut für Allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR und dem Solidaritätskomitee der DDR, Berlin 1988, 118 S. 75 Years of the African National Congress of South Africa – 75 Years of Struggle against Colonialism and Racism, Bd. II., ed. by Institute of World History, Academy of Sciences of the GDR and the Solidarity Committee of the GDR, Berlin 1988, 118 S. Rassendiskriminierung – Kolonialpolitik und ethnisch-nationale Identität. Referate des 2. Internationalen Kolonialgeschichtlichen Symposiums 1991 in Berlin, mit Wilfried Wagner, HansDieter Kubitscheck, Adolf Rüger, Kurt Scharf und Helmuth Stoecker (LIT Verlag, Münster/Hamburg 1992), 592 S. Die DDR und Afrika. Zwischen Klassenkampf und neuem Denken, mit Ilona und Hans-Georg Schleicher (LIT Verlag, Münster/Hamburg 1993), 278 S. Mit Kreuz und deutscher Flagge. 100 Jahre Evangelium im Süden Tanzanias. Zum Wirken der Berliner Mission in Ostafrika, mit Winfried Brose (LIT Verlag, Münster/Hamburg 1993), 198 S. Zweite Auflage 1994. Engagiert für Afrika. Die DDR und Afrika II, mit Ilona und Hans-Georg Schleicher (LIT Verlag, Münster/Hamburg 1994), 295 S. Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald, mit Peter Heine (Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1995), 584 S. Tanzania. Koloniale Vergangenheit und neuer Aufbruch, mit Achim von Oppen (LIT Verlag, Münster/Hamburg 1996), 148 S.
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Missionsgeschichte – Kirchengeschichte – Weltgeschichte. Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien, mit Heike Liebau (Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1996), 472 S. Alexander Merensky: Erinnerungen aus dem Missionsleben in Transvaal (Südafrika) 1859–1882, Berlin 1899 (Edition Ost, Berlin 1996), 560 S. Brandenburg und die Dritte Welt (Mitte 1993–Ende 1996), [=Brandenburgische Entwicklungspolitische Hefte, Nr. 18], mit Walter Hundt, Rüdiger Claus, Adina Hammoud et al. (Brandenburgisches Entwicklungspolitische Institut, Potsdam/UNZE-Verlagsgesellschaft, Potsdam 1997), 92 S. Mission und Moderne. Beiträge zur Geschichte der christlichen Missionen in Afrika anläßlich der Jahrestagung der VAD und des 12. Afrikanistentages vom 3.–6. Oktober 1996 in Berlin, mit Jürgen Becher (Rüdiger Köppe Verlag, Köln 1998), 158 S. Christoph Sonntag: Mein Freund Maleboch, mit Konrad Sonntag (Edition Ost, Berlin 1999), 256 S. Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt bei der Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19, mit Jürgen Becher (Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2000), 557 S. Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, mit Joachim Zeller (Berlin Edition, Berlin 2002), 320 S. Deutsche Einheit und Elitenwechsel in Ostdeutschland, mit Stefan Bollinger (Trafo-Verlag, Berlin 2002), 262 S. Ausgrenzung oder Integration? Ostdeutsche Sozialwissenschaftler zwischen Isolierung und Selbstbehauptung, mit Stefan Bollinger und Mario Kessler (Trafo-Verlag, Berlin 2004), 346 S. Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften und ihre Tätigkeit in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945 in politischen Spannungsfeldern, mit Holger Stoecker (Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005), 700 S. „...Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, mit Joachim Zeller (Unrast-Verlag, Münster 2005), 287 S. Border Crossings. Explorations of an interdisciplinary Historian. Festschrift for Irving Hexham, mit Andreas Feldtkeller (Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008), 496 S. Allagabo Tim. Der Schicksalsweg eines Afrikaners in Deutschland. Dargestellt in Briefen zweier deutscher Afrikaforscher, mit Horst Gnettner (Trafo-Verlag, Berlin 2008), 113 S. Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, mit Joachim Zeller (Sutton Verlag, Erfurt 2008), 447 S. Unbekannte Biographien in Deutschland. Afrikaner im deutschsprachigen Raum vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges (Kai Homelius-Verlag, Berlin 2008), 287 S. Kolonialer Alltag in Deutsch-Ostafrika in Dokumenten (Trafo-Verlag, Berlin 2009), 285 S. Kalter Krieg in Ostafrika. Die Beziehungen der DDR zu Sansibar und Tansania, mit Franziska Benger (LIT Verlag, Münster/Hamburg 2009), 407 S. Deutsch-südafrikanische Beziehungen. DDR – Bundesrepublik – vereintes Deutschland, mit GerdRüdiger Stephan (Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg, Potsdam 2009), 112 S. Die Reise des deutschen Forschers Karl August Möbius nach Mauritius und zu den Seychellen 1874/75, mit Matthias Glaubrecht und Uwe Pfullmann (Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2012), 300 S. Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, mit Andreas Feldtkeller (Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2012), 456 S. Otto Friedrich von der Groeben: Orientalische Reise-Beschreibung des Brandenburgischen Adelichen Pilgers Otto Friedrich von der Gröben: Nebst der Brandenburgischen Schifffahrt nach Guinea, und der Verrichtung zu Morea, Marienwerder 1694, Neue Ausgabe (Georg Olms Verlag Hildesheim/Zürich/New York 2013), 593 S. Julius Oelke: Als Missionar in Ostafrika. Erinnerungen aus den Jahren 1905–1959 (Edition Falkenberg, Bremen 2014), 108 S. Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft. Hintergründe – Verlauf – Folgen, mit Wolfgang Semmler und Ralf Straßburg (LIT Verlag, Münster 2014), 352 S.
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Max Schröder-Greifswald: Vom Matrosen zum Künstler. Tagebuchblätter des Marinemalers Schröder-Greifswald (Edition Falkenberg, Bremen 2015), 248 S. Die Entdeckung und Beschreibung der Insel Mauritius in deutschsprachigen Texten, 17. bis 19. Jahrhundert, mit Cornelia Beyer (Edition Falkenberg, Bremen 2015), 201 S. Albert Kropf: Das Volk der Xosa-Kaffern im östlichen Südafrika nach seiner Geschichte, Eigenart, Verfassung und Religion. Ein Beitrag zur afrikanischen Völkerkunde, Berlin 1889, hrsg. und aktualisiert auf Grundlage von Albert Kropfs Korrekturen und Ergänzungen, mit Joachim Kundler (Edition Falkenberg, Bremen 2017), 253 S. Quellenkritisch-wissenschaftliche Edition von Albert Kropf: Das Volk der Xosa-Kaffern im östlichen Südafrika nach seiner Geschichte, Eigenart, Verfassung und Religion. Ein Beitrag zur afrikanischen Völkerkunde, Berlin 1889, hrsg. und aktualisiert auf Grundlage von Albert Kropfs Korrekturen und Ergänzungen, mit Joachim Kundler [Online-Ausgabe]: (https://bgmg online.com/kropf-das-volk-der-xosa-kaffern-im-oestlichen-suedafrika/). Der Burenkrieg in den Neuruppiner Bilderbogen (Bodoni Edition, Neuruppin), 2019 (im Druck). Zwischen Missionierungsauftrag und Afrikanisierung. Der „Missionsdissident“ Johannes Winter in Briefen & Dokumenten, hrsg. mit J. Kundler (Edition Falkenberg, Bremen), 2020 (im Druck). Mission und dekoloniale Perspektive. Der Erste Weltkrieg als Auslöser eines globalen Prozesses, hrsg. mit H. Wendt (Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019) (im Druck).
AUFSÄTZE IN ZEITSCHRIFTEN UND SAMMELBÄNDEN Die Berliner Missionsgesellschaft und die letzten kolonialen Eroberungskriege in Südafrika, in: Stoecker, H. (Hrsg.): Die koloniale Aufteilung Afrikas und ihre Folgen (=Berichte der Humboldt-Universität zu Berlin, Nr. 7, Berlin 1985), S. 37–45. Die Indianerschlacht am Little Big Horn im Juni 1876, in: Militärgeschichte, Nr. 5, Berlin 1985, S. 433–434. Die letzten kolonialen Eroberungskriege in Südafrika, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift, Nr. 4, Berlin 1985, S. 702–711. Die Apartheid – spezifische Form imperialistischer Herrschaft im Süden Afrikas, in: Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde, Nr. 12, Berlin 1985, S. 932–940. Zum Kampf der Völker Afrikas für sozialen Fortschritt, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Nr. 4, Berlin 1985, S. 207–211. Überblick über die Bundesgesetze der USA für die indianische Bevölkerung, in: Wampum, Nr. 6, Cottbus 1985, S. 31–35. Der Kampf der Volkskräfte in Südafrika gegen koloniale Unterdrückung und Apartheid, in: Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde, Nr. 1, Berlin 1986, S. 19–27. The Fighting Tradition of the Venda People, in: Sechaba. Official Organ of the ANC, Nr. 1, London 1986, S. 8–12. Untersuchungen zum sozialökonomischen Entwicklungsstand und zur Stammesorganisation der Pedi in Transvaal (Südafrika) am Vorabend ihrer kolonialen Unterjochung, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift, Nr. 4, Berlin 1986, S. 569–594. Der militärische antikoloniale Widerstand in Südafrika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Militärgeschichte, Nr. 3, Berlin 1987, S. 242–247. Einige Bemerkungen zur Entwicklung der indianischen Bewegung im 20. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten von Amerika, in: Ametas, Nr. 2, Sebnitz 1987, S. 38–50. Feuerwaffen für antikolonialen Befreiungskampf. Pedi mit Feuerwaffen gegen Transvaal-Buren und britische Kolonialtruppen, in: Visier, Nr. 1, Berlin 1987, S. 24–26. Das Streben nach Einheit – wichtigste Lehre aus den antikolonialen Abwehrkämpfen in der Traditionspflege des ANC, in: 75 Jahre Afrikanischer Nationalkongreß von Südafrika – 75 Jahre Kampf gegen Kolonialismus und Rassismus, Bd. I, Berlin (1988), S. 42–51. Uran und Ureinwohner. Über Menschenrechte in den USA, in: Urania, Nr. 4, Berlin 1988, S. 24–27.
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Der sozialökonomische Entwicklungsstand und die Stammesorganisation der Venda in Transvaal (Südafrika) am Vorabend ihrer kolonialen Unterjochung, in: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig, Bd. XXXVIII, Berlin 1989, S. 248–268. Uran und Ureinwohner. Über Menschenrechte in den USA, in: Urania, Nr. 4, Berlin 1988, S. 24–27. Die Rolle der Afrikaner im Südafrikanischen Krieg (1899–1902), in: Militärgeschichte, Nr. 6, Berlin 1989, S. 590–591. Die deutsche Kolonialpolitik in Südwestafrika in Bezug auf die Ansiedlung von Buren während und nach dem Südafrikanischen Krieg von 1899 bis 1902, in: Asien-Afrika-Lateinamerika, Nr. 6, Berlin 1990, S. 1075–1085. Alexander Merenskys Beitrag zur ethnographischen und historischen Erforschung der Völkerschaften Südafrikas, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift, Nr. 2, Berlin 1991, S. 263–268. Jesus – auch rot oder schwarz? Rassistische Legitimation bei der Ausbreitung des Christentums seit Kolumbus, in: Die Entdeckung des Kolumbus – 500 Jahre danach (=Protokolldienst 1/92 der Evangelischen Akademie Bad Boll), Bad Boll 1992, S. 20–43. Zwischen Bevormundung und Kreativität. Die Afrika-Geschichtsschreibung in der DDR, in: Berliner Debatte INITIAL. Zeitschrift für sozialwissenschaftlichen Diskurs, Nr. 4, Berlin 1992, S. 33–46. Die Afrika-Geschichtsschreibung in der ehemaligen DDR. Versuch einer kritischen Aufarbeitung, in: Afrika Spectrum, Nr. 2, Hamburg 1992, S. 207–211. Alexander Merensky und die „Zivilisation“ der Afrikaner, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 6, Berlin 1993, S. 508–512. Die Afrika-Geschichtsschreibung im Osten Deutschlands – langsamer Abbruch und zäher Neuanfang, in: Internationales Afrikaforum, Nr. 2, Köln 1993, S. 181–187. Rassistische Motivationen der Missionare der Berliner Missionsgesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und ihre politischen Konsequenzen, in: Rassendiskriminierung – Kolonialpolitik und ethnisch-nationale Identität. Referate des 2. Internationalen Kolonialgeschichtlichen Symposiums 1991 in Berlin, hrsg. von Wagner, W./van der Heyden, U./Kubitschek, H.-D./Rüger, A./Scharf, K./Stoecker, H., LIT Verlag, Münster/Hamburg 1992, S. 533–542. Der Einfluß der Afrikaner auf die Friedensverhandlungen zum Abschluß des Südafrikanischen Krieges im Jahre 1902, in: Studien zum Südlichen Afrika, Nr. 1, Zur Geschichte Südafrikas I., ed. by Southern African Documentation and Cooperation Centre, Wien 1993, S. 15–20. Das Archiv und die Bibliothek der Berliner Missionsgesellschaft – eine kaum bekannte Quelle für Ethnologen und Überseehistoriker, in: Archivmitteilungen. Zeitschrift für Archivwesen, archivalische Quellenkunde und historische Hilfswissenschaften, Nr. 1, Potsdam 1993, S. 1–11. Die historische Afrika-Forschung in der DDR. Versuch einer Bilanz der Afrika-Geschichtsschreibung, in: van der Heyden, U./Schleicher, I./Schleicher, H.-G. (Hrsg.): Die DDR und Afrika. Zwischen Klassenkampf und neuem Denken, LIT Verlag, Münster/Hamburg 1993, S. 108–130. Das Nationalheiligtum der weißen Amerikaner wurde umbenannt, in: Das Indianermagazin, Nr. 2, Meinhard 1993, S. 20–26. Auswahlbibliographie zur Politik der DDR gegenüber Afrika, in: van der Heyden, U./Schleicher, I./Schleicher, H.-G. (Hrsg.): Die DDR und Afrika. Zwischen Klassenkampf und neuem Denken, LIT Verlag, Münster/Hamburg 1993, S. 266–274. Zu den politischen Hintergründen der Njassa-Expedition von Alexander Merensky, in: Brose, W./van der Heyden, U. (Hrsg.): Mit Kreuz und deutscher Flagge. 100 Jahre Evangelium im Süden Tanzanias. Zum Wirken der Berliner Mission in Ostafrika, LIT Verlag, Münster/Hamburg 1993, S. 89–95. Deutschsprachige Publikationen zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus (=Literaturbericht, Teil 1), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 11, Berlin 1993, S. 1006–1025. Deutschsprachige Publikationen zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus (=Literaturbericht, Teil 2), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 12, Berlin 1993, S. 1091–1113.
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Auswahlbibliographie zur Missions- und Kolonialgeschichte Deutsch-Ostafrikas/Tanzanias, in: Brose, W./van der Heyden, U. (Hrsg.): Mit Kreuz und deutscher Flagge. 100 Jahre Evangelium im Süden Tanzanias. Zum Wirken der Berliner Mission in Ostafrika, LIT Verlag, Münster/Hamburg 1993, S. 167–176. COGNOSCERE – Eine neue Buchreihe will zum Kennenlernen und Verstehen fremder Kulturen und Völker beitragen, in: Archivmitteilungen. Zeitschrift für Archivwesen, archivalische Quellenkunde und historische Hilfswissenschaften, Nr. 1, Potsdam 1994, S. 36–38. Übersicht deutschsprachiger Periodika geschichtswissenschaftlicher und benachbarter Disziplinen (16 Folgen), in: Geschichte-Erziehung-Politik, Berlin, Nr. 11/1993 bis Nr. 7–8/1995. Die südafrikanische Wende. Kommentar eines wendeerfahrenen Ost-Berliner Afrika-Wissenschaftlers, in: Sozialismus, Nr. 6, Hamburg 1994, S. 5–8. Die historischen Afrikawissenschaften in der DDR, in: van der Heyden, U., Schleicher, I., Schleicher, H.-G. (Hrsg.): Engagiert für Afrika. Die DDR und Afrika II, LIT Verlag, Münster/Hamburg 1994, S. 230–252. Sichten auf die historische Afrikawissenschaft in der DDR. Ein Rundtischgespräch, in: AsienAfrika-Lateinamerika, Nr. 5, Berlin 1994, S. 539–571. Rassistische Motivationen bei der Ausbreitung des Christentums nicht nur auf dem amerikanischen Kontinent seit der Entdeckungstat des Christoph Kolumbus, in: Brauer, A. in connection mit Römer, C./Markmann, S./Lutz, H. (Hrsg.): Peoples in Contact: Remembering the Past – Sharing the Future, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1994, S. 41–56. Weltgeschichte – vermittelt in sechs Dimensionen, in: Geschichte-Erziehung-Politik, Nr. 5, Berlin 1995, S. 350–353. Vom innerkirchlichen zum politischen Protest. Die Vorgeschichte der Bapedi-Nationalkirche im südafrikanischen Transvaal, in: Wagner, W. (Hrsg.): Kolonien und Missionen. Referate des 3. Internationalen Kolonialgeschichtlichen Symposiums 1993 in Bremen, LIT-Verlag, Münster/Hamburg 1994, S. 279–293. Bücher zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Geschichte-Erziehung-Politik, Nr. 6, Berlin 1995, S. 418–420. Hilfe durch Entwicklung? Brandenburgische Entwicklungshilfe vor historischem Hintergrund, in: Geschichte-Erziehung-Politik, Nr. 12, Berlin 1995, S. 721–726. Die Entstehung der Unabhängigen Afrikanischen Kirchen in Südafrika – kirchliche Emanzipationsbestrebungen oder Ausdruck eines frühen Nationalismus?, in: Heidrich, J. (Hrsg.): Changing Identities. The Transformation of Asian and African Societies under Colonialism, Verlag Das Arabische Buch, Berlin 1994, S. 225–238. Der Einfluß der Unabhängigen Afrikanischen Kirchen in Südafrika auf den sogenannten Burenkrieg von 1899–1902. Eine Problemdarstellung, in: Bearth, T./Möhlig, W. J. G./Sottas, B./ Suter, E. (Hrsg.): Perspektiven afrikanistischer Forschung. Beiträge zur Linguistik, Ethnologie, Geschichte, Philosophie und Literatur, Rüdiger Köppe Verlag, Köln 1994, S. 451–466. Fragen eines Dritten als Reaktion auf den Disput von Rainer Eckert und Ralf Preuß in „Hochschule Ost“, in: Hochschule Ost. Politisch-Akademisches Journal aus Ostdeutschland, Nr. 4, Leipzig 1995, S. 106–108. Diskussionen und Berichte: Missionsgeschichte – Kirchengeschichte – Weltgeschichte. Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen Afrikas, Asiens und Ozeaniens (Konferenzbericht) (mit Heike Liebau), in: Asien-Afrika-Lateinamerika, Nr. 3, Berlin 1995, S. 289–295. Politisches Kalkül oder doppeltes Spiel? Die koloniale Propaganda als Teil der offiziellen Haltung Deutschlands im Vorfeld des sogenannten Burenkrieges von 1899 bis 1902, in: Heine, P./van der Heyden, U. (Hrsg.): Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald, Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1995, S. 309–330.
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Anstelle eines Vorwortes, in: Heine, P./van der Heyden, U. (Hrsg.): Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald, Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1995, S. 7–16. Geht die Abwicklung weiter? Eine Antwort auf den Beitrag von Norman Adler, in: Hochschule Ost. Politisch-Akademisches Journal aus Ostdeutschland, Nr. 2, Leipzig 1996, S. 191–202. Von der Kolonie Großfriedrichsburg nach Prince's Town – ein Kapitel (aktueller) brandenburgischer Geschichte, in: Brandenburgische Entwicklungspolitische Hefte, Nr. 14, Potsdam 1996, S. 7–15. Nachbetrachtung: Zwei Präsidenten in Berlin, in: Afrika Süd. Zeitschrift zum südlichen Afrika, Nr. 4, Bonn 1996, S. 38–39. Großfriedrichsburg und der Sklavenhandel. Fast vergessene Spuren der bandenburger Kolonialherren aus dem 17. Jahrhundert werden in Ghana gepflegt, in: Afrika-Post. Magazin für Politik, Wirtschaft und Kultur Afrikas, Nr. 5–6, Bonn 1996, S. 34–39. Wo Dinkoanyane die Buren schlug. Auf den Spuren der Afrikanischen Unabhängigen Kirchen im südafrikanischen Transvaal, in: Afrika-Post. Magazin für Politik, Wirtschaft und Kultur Afrikas, Nr. 9–10, Bonn 1996, S. 17–21. The Archives and Library of the Berlin Mission Society, in: Africa in History. A Journal of Method, Bd. 23, Atlanta 1996, S. 411–427. Ein neues Indianer-Lexikon? Erfahrungen und Anforderungen bei der Erarbeitung eines IndianerLexikons, in: Berliner Lesezeichen. Literaturzeitung, Nr. 10/11, Berlin 1996, S. 30–33. Für welche Politik steht der ANC? Hintergründe und Strategien der Politik in Südafrika, in: Sozialismus, Nr. 12, Hamburg 1997, S. 53–56. Das Schrifttum der deutschen Missionsgesellschaften als Quelle für die Geschichtsschreibung Südafrikas. Dargestellt vornehmlich anhand der Berliner Missionsgesellschaft, in: van der Heyden, U./Liebau, H. (Hrsg.): Missionsgeschichte – Kirchengeschichte – Weltgeschichte. Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1996, S. 123–138. Über Alexander Merensky – Einleitung, in: van der Heyden, U. (Hrsg.): Alexander Merensky: Erinnerungen aus dem Missionsleben in Transvaal (Südafrika) 1859–1882, Berlin 1899 (=COGNOSCERE, Bd. 5), Edition Ost, Berlin 1996, S. 6–20. Die Indianistikgruppen der DDR – sinnvolle Freizeitgestaltung oder Nischensuche?, in: GeschichteErziehung-Politik. Magazin für historische und politische Bildung, Nr. 1, Berlin 1997, S. 51–53. Die Begegnung mit dem Fremden im Europa des 19. Jahrhundert. Eine kommentierte Literaturübersicht, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift, Nr. 4, Berlin 1996, S. 517–522. Südafrikanische „Berliner“. Die Kolonial- und die Transvaal-Ausstellung in Berlin und die Haltung der deutschen Missionsgesellschaften zur Präsentation fremder Menschen und Kulturen, in: Höpp, G. (Hrsg.): Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 1945, Verlag Das Arabische Buch, Berlin 1996, S. 135–156. Artikel: Carl F. T. Strehlow [S. 455] & Alexander Merensky [S. 646], in: Anderson, G. H. (Hrsg.): Biographical Dictionary of Christian Missions, William B. Eerdmans Publishing, New York/ London et al. 1997. Die Afrikawissenschaften in der DDR. Das Beispiel südliches Afrika, in: Krauth, W.-H./Wolz, R. (Hrsg.): Wissenschaft und Wiedervereinigung: Asien- und Afrikawissenschaften im Umbruch, Akademie-Verlag, Berlin 1998, S. 371–442. Die Anfänge des Kennenlernens des Fremden. Zur Geschichte der Herausbildung einer Völkerkenntnis in Europa von den Anfängen bis zum Beginn der Aufklärung, in: GeschichteErziehung-Politik. Magazin für historische und politische Bildung, Teil 1: Nr. 2, Berlin 1998, S. 66–70; Teil 2: Nr. 3, Berlin 1998, S. 175–179. Artikel: Berliner Missionsgesellschaft & Bethel-Mission & Albert Kropf, & Alexander Merensky & Leipziger Mission & Martinus Sewushan & Hermann Theodor Wangemann, in: Betz, H. D./Browning, D. S. et al. (Hrsg.): Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4. Auflage, Bd. 1 ff. Verlag Mohr-Siebeck, Tübingen
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1998, passim. Englische Übersetzung: Religion Past and Present. Encyclopedia of Theology and Religion, Brill, vol. 1 ff., Leiden/Boston 2007 ff., passim. Deutsche Missionsarchive aus der Sicht eines Südafrikahistorikers, in: Jones, A./Miehe, G. (Hrsg.): Afrikabestände in deutschen Missionsarchiven: Perspektiven ihrer Erschließung (=University of Leipzig Papers on Africa, Nr. 5), Leipzig 1999, S. 29–35. Die Native American Studies und ihre Rezeption in der DDR, in: Schnoor, R. (Hrsg.): Amerikanistik in der DDR. Geschichte – Analysen – Zeitzeugenberichte, Trafo-Verlag, Berlin 1999, S. 123–151. Gegenwärtige Probleme in der Republik Südafrika bei der Ausgestaltung der Staatlichkeit. Dargestellt an dem Umgang mit den verschiedenen des ANC, in: Afrika hat Zukunft (=Protokolldienst 23/99 der Evangelischen Akademie Bad Boll), Bad Boll 1999, S. 55–64. Missionare als Paten bei der Entstehung Afrikanischer Unabhängiger Kirchen in Südafrika. Das Beispiel der Pedi-Nationalkirche in Transvaal, in: van der Heyden, U./Becher, J. (Hrsg.): Mission und Moderne. Beiträge zur Geschichte der christlichen Missionen in Afrika anläßlich der Jahrestagung der VAD und des 12. Afrikanistentages vom 3.–6. Oktober 1996 in Berlin, Rüdiger Köppe Verlag, Köln 1998, S. 99–120. Programmen Über Christoph Sonntag – Einleitung, in: van der Heyden, U./Sonntag, K. (Hrsg.): Christoph Sonntag: Mein Freund Maleboch (=COGNOSCERE, Bd. 5), Edition Ost, Berlin 1999, S. 7–22. Berlin Mission Society and its Theology: The Bapedi Mission Church and the Independent Bapedi Lutheran Church (mit Karla Poewe), in: South African Historical Journal, Nr. 40, Pretoria 1999, S. 21–50. Missionsarchive – ihre Bedeutung und Erforschung, in: Zeitschrift für Mission, Nr. 2–3, Basel/ Stuttgart 2000, S. 219–220. The Origins and Political-Religious Functions of an Independent Church. The Lutheran Ba-Pedi Church in the 19th Century, in: Missionalia. Southern African Journal of Missiology, Nr. 3, Johannesburg 1999, S. 377–389. Ein vergessenes Kapitel preußischer Geschichte. Die Kolonie Großfriedrichsburg und die Folgen für Brandenburg, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V., Nr. 1, Berlin 2000, S. 4–8. Missionsgeschichte im heutigen Verständnis multi- und interdisziplinärer Forschung, in: Scheunpflug, A. (Hrsg.): Missionspädagogik im Diskurs. Eine Ausstellung in der Kritik (=Beiträge aus dem Fachbereich Pädagogik der Bundeswehruniversität Hamburg, Nr. 2), Hamburg 2000, S. 64–83. Missionsarchive in Deutschland – unbekannte Quellen für die Historiographie Südafrikas. Dargestellt vornehmlich an Hand der Berliner Missionsgesellschaft, in: Archivalische Zeitschrift, hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Bd. 82, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 127–148. Eine vergessen geglaubte Festung in Afrika kehrt ins Bewußtsein der Deutschen zurück. Die Festung Großfriedrichsburg an der westafrikanischen Küste, in: Burgen und Schlösser. Zeitschrift der Deutschen Burgenvereinigung für Burgenkunde und Denkmalpflege, Nr. 2, Braubach 2000, S. 88–100. Verlierer der Einheit. Die Geisteswissenschaften aus der DDR (mit Stefan Bollinger und Mario Kessler), in: Hochschule Ost. Leipziger Beiträge zu Hochschule & Wissenschaft, Nr. 3/4, Leipzig 2000, S. 195–203. Artikel: Albert Kropf; Adolphe Mabille; Alexander Merensky; Wilhelm Posselt; Andreas Riis; Georg Schmidt; Hans P. S. Schreuder; Albert Schweitzer; Johannes Th. van der Kemp, in: Moreau, A. S. (Hrsg.): Evangelical Dictionary of World Mission, Baker Books, Grand Rapids 2000, passim. Vorwort (mit Jürgen Becher), in: van der Heyden, U./Becher, J. (Hrsg.): Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt bei der Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2000, S. 11–14. Der „Burenkrieg“ von 1899 bis 1902 und die deutschen Missionsgesellschaften, in: van der Heyden, U./Becher, J. (Hrsg.): Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt bei
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der Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2000, S. 207–223. Brandenburg-Preußens Streben in die Welt, in: Preußen 1701 – Eine europäische Geschichte. Essays, hrsg. vom Deutschen Historischen Museum und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Henschel Verlag, Berlin 2001, S. 139–146. Wider die geistige Ödnis (mit Stefan Bollinger), in: Bollinger, S./van der Heyden, U. (Hrsg.): Deutsche Einheit und Elitenwechsel in Ostdeutschland, Trafo-Verlag, Berlin 2002, S. 7–10. Standpunkte, Hintergründe und Diskussionen zum Für und Wider der Beseitigung der Afrikawissenschaften aus der DDR, in: Hochschule Ost. Leipziger Beiträge zu Hochschule & Wissenschaft, Nr. 1/2, Leipzig 2001, S. 171–200. Wie die Afrikawissenschaft in Ostdeutschland durch eine „späte Abwicklung“ beseitigt wurde, in: Bollinger, S./van der Heyden, U. (Hrsg.): Deutsche Einheit und Elitenwechsel in Ostdeutschland, Trafo-Verlag, Berlin 2002, S. 113–154. Bibliographie zur Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1951–2001, in: Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft, Nr. 1, Immensee 2002, S. 27–43. Eine unentdeckte Nische der DDR-Gesellschaft: Die „Indianistikszene“ zwischen „antiimperialistischer Solidarität“ und Verweigerung, in: Kultursoziologie. Aspekte – Analysen – Argumente, Nr. 2, Leipzig 2002, S. 153–174. Was ist zu tun? – Müssen sich die Geisteswissenschaftler aus dem Osten Deutschlands mit dem ihnen zugedachten Schicksal zufrieden geben?, in: Bollinger, S./van der Heyden, U. (Hrsg.): Deutsche Einheit und Elitenwechsel in Ostdeutschland, Trafo-Verlag, Berlin 2002, S. 245–254. Artikel: Das brandenburgische Kolonialabenteuer unter dem Grossen Kurfürsten [S. 14–18] & Die Berliner Missionsgesellschaft [S. 63–66] & Der Sarotti-Mohr [S. 93–95] & Die Kolonial- und die Transvaal-Ausstellung von 1896/97 [S. 135–142] & Die Mohrenstraße [S. 188–189] & Das afrikanisches Viertel [S. 261–263], in: van der Heyden, U./Zeller, J. (Hrsg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin Edition, Berlin 2002. Albrecht von Rechenberg, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 21, hrsg. von der Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Duncker & Humblot, Berlin 2003, S. 231–232. Dee Brown: Bury my Heart zu Wounded Knee, in: Müller, H.-P./Schmid, M. (Hrsg.): Hauptwerke der Ungleichheitsforschung, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003, S. 52–53. Afrikaner in der Reichs(kolonial)hauptstadt. Die Kolonialausstellung im Treptower Park 1896 sowie die Transvaal-Ausstellung auf dem Kurfürstendamm 1897, in: Bechhaus-Gerst, M./Klein-Arendt, R. (Hrsg.): Die koloniale Begegnung. AfrikanerInnen in Deutschland 1880–1945 – Deutsche in Afrika 1880–1918, IKO-Verlag, Frankfurt am Main/Berlin/Bern et al. 2003, S. 147–159. German Mission Archives and the Political History of South Africa. The Example of the Berlin Mission Society, in: Missionalia. Southern African Journal of Missiology, Nr. 2, Pretoria 2003, S. 334–354. Vom Seminar für Orientalische Sprachen zum Seminar für Afrikawissenschaften, in: Veit-Wild, F. (Hrsg.): Nicht nur Mythen und Märchen. Afrika-Literaturwissenschaften als Herausforderung, Wissenschaftlicher Verlag, Trier 2003, S. 19–33. Undank oder Emanzipation? Der Beitrag Martinus Sewushans zur Entstehung der Lutheran Bapedi Church in Südafrika am Ende des 19. Jahrhunderts, in: Thiesbonenkamp, J./Cochois, H. (Hrsg.): Umwege und Weggefährten. Festschrift. Heinrich Balz zum 65. Geburtstag, Erlanger Verlag für Ökumene und Mission, Erlangen 2003, S. 281–293. Die „Hottentottenwahlen“ von 1907, in: Zimmerer, J./Zeller, J. (Hrsg.): Völkermord in DeutschSüdwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904–1908) in Namibia und seine Folgen, Christoph Links Verlag, Berlin 2003, S. 97–102. Zweite Auflage 2004. Lizenzausgabe: 2011 (Weltbild Verlag, Augsburg). Englische Übersetzung: The „Hottentot election“ of 1907, in: Zimmerer, J./Zeller, J. (eds.): Genocide in German South-West Africa. The Colonial War of 1904–1908 in Namibia and its Aftermath, Merlin-Press, Monmouth 2008, S. 113–122.
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Kolonialgeschichtsschreibung in Deutschland. Eine Bilanz ost- und westdeutscher Kolonialhistoriographie, in: Neue Politische Literatur. Berichte über das internationale Schrifttum, Nr. 3, Frankfurt am Main 2003, S. 401–429. Martinus Sewushan: Gründer einer Afrikanischen Unabhängigen Kirche in Südafrika, in: Rothermund, D. (Hrsg.): Grenzgänge. Festschrift zu Ehren von Professor Wilfried Wagner, Abera Verlag, Hamburg 2004, S. 171–191. Institutions of the former GDR, in: Ludwig, F./Adogame, A. (Hrsg.): European Traditions in the Study of Religion in Africa, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2004, S. 313–321. Die Berliner Missionsgesellschaft und die Entstehung der unabhängigen Lutheran Bapedi Church, in: Bogner, A./Holtwick, B./Tyrell, H. (Hrsg.): Weltmission und religiöse Organisationen. Protestantische Missionsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Ergon Verlag, Würzburg 2004, S. 666–687. Die Berliner Missionsgesellschaft, in: von Radnoth, C./Reisinger, S. (Hrsg.): Deutscher Kolonialismus in Afrika. Reader, [ohne Verlag], Berlin 2004, S. 31–32. Es muß weitergehen. Die längst überfällige Reintegration der ostdeutschen Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bleibt auf der Tagesordnung, (mit Stefan Bollinger und Mario Kessler), in: Bollinger, S./van der Heyden, U./Kessler, M. (Hrsg.): Ausgrenzung oder Integration? Ostdeutsche Sozialwissenschaftler zwischen Isolierung und Selbstbehauptung, TrafoVerlag, Berlin 2004, S. 7–36. Empfehlung und Realität. Die vergessenen Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Neustrukturierung der außeruniversitären Forschung und deren Umsetzung, in: Bollinger, S./van der Heyden, U./Kessler, M. (Hrsg.): Ausgrenzung oder Integration? Ostdeutsche Sozialwissenschaftler zwischen Isolierung und Selbstbehauptung, Trafo-Verlag, Berlin 2004, S. 117–157. Heinrich Barth in Zentralafrika, 1850–1855, in: Deutsche Geschichte in Dokumenten, hrsg. von H. Pleticha, Archiv Verlag, Braunschweig 2005, S. 1–4. Das Schicksal der DDR-Entwicklungshilfeprojekte am Beispiel Afrika. Was brachte die DDR an entwicklungspolitischem Engagement in Afrika südlich der Sahara mit in die deutsche Einheit?, in: Lühr, V./Kohls, A./Kumitz, D. (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Afrika. Festschrift für Manfred Schulz, LIT Verlag, Münster/Hamburg 2004, S. 91–114. Deutsche – Afrikaner – Südafrika. Das Verhältnis der Deutschen zu Südafrika, ihre kognitiven Interaktionen und die Forschungslücken, in: Acta Germanica. Jahrbuch des Germanistenverbandes im südlichen Afrika, Nr. 32, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main/Berlin et al. 2004, S. 105–114. Ostdeutschland braucht eigene Intellektuelle. Deutsche Emigranten mahnen fehlende Chancen für Ostwissenschaftler an – bislang ohne Konsequenz, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Nr. 3, Berlin 2004, S. 418–420. Africanist Anthropology in the German Democratic Republic, in: Hann, C./Sárkány, M./Skalník, P. (Hrsg.): Studying Peoples in the People's Democracies. Socialist Era Anthropology in EastCentral Europe, LIT-Verlag, Münster 2005, S. 303–330. Es darf nichts passieren! Entwicklungspolitisches Engagement der DDR in Mosambik zwischen Solidarität und Risiko, in: Voß, M. (Hrsg.): „Wir haben Spuren hinterlassen!“ Die DDR in Mosambik. Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse aus drei Jahrzehnten, LIT Verlag, Münster/Hamburg 2005, S. 278–313. Die Reintegration der ostdeutschen Sozialwissenschaftler ist überfällig (mit Stefan Bollinger und Mario Kessler), in: Berichte des Forschungsinstituts der Internationalen Wissenschaftlichen Vereinigung, Weltwirtschaft und Weltpolitik, Berlin 2005, S. 43–53. Sklavenfestungen an der Küste Ghanas als Erinnerungsorte: Das Beispiel Großfriedrichsburg – ein Denkmal deutsch-afrikanischer Beziehungen, in: Speitkamp, W. (Hrsg.): Kommunikationsräume – Erinnerungsräume. Beiträge zur transkulturellen Begegnung in Afrika, Verlag Martin Meidenbauer, München 2005, S. 101–118. Der Berliner Missionar Klaas Koen zwischen der Macht des Versprechens und Resignation vor der Realität, in: van der Heyden, U./Stoecker, H. (Hrsg.): Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften und ihre Tätigkeit in Afrika und
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Asien zwischen 1800 und 1945 in politischen Spannungsfeldern, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005, S. 87–100. Die Wüsteninsel Arguin, in: van der Heyden, U./Zeller, J. (Hrsg.): „...Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Unrast-Verlag, Münster 2005, S. 55–62. Benjamin Raule und Berlin, in: van der Heyden, U./Zeller, J. (Hrsg.): „...Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Unrast-Verlag, Münster 2005, S. 63–68. Kolonialkrieg und deutsche Innenpolitik, in: http://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/HeydenReichstagswahlen1907.htm (09.05.2007). Großfriedrichsburg – Testimony of Early German-Ghanaian Relations on Unequal Terms, in: Virtuelle Festschrift der Deutschen Botschaft in Accra, Mai 2007. Zur Geschichte der Afrikanischen Unabhängigen Kirchen im südlichen Afrika, in: Leibniz intern. Mitteilungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, Nr. 36, Trafo-Verlag, Berlin 2007, S. 10–11. Otto Friedrich von der Groeben. Gründer von Großfriedrichsburg, in: Die Mark Brandenburg, Nr. 67, Berlin 2007, S. 2–9. Ernst Dammann – ein bürgerlicher Wissenschaftler in der sozialistischen DDR, in: GriefenowMewis, C. (Hrsg.): Afrikanische Horizonte. Studien zu Sprachen, Kulturen und zur Geschichte, Festschrift für Hilde Höftmann, Harrasowitz Verlag, Wiesbaden 2007, S. 29–42. Die Entstehung der Afrikanischen Unabhängigen Kirchen in Südafrika – Ein Beispiel aus dem vormaligen Transvaal, in: Sitzungsberichte. Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Bd. 93, Trafo-Verlag, Berlin 2007, S. 133–154. Irving Hexham – An academic Profile (mit Andreas Feldtkeller), in: van der Heyden, U./Feldtkeller, A. (Hrsg.): Border Crossings. Explorations of an Interdisciplinary Historian. Festschrift for Irving Hexham, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, S. 11–13. Die Inszenierung einer Flucht eines Berliner Missionars vor den Heiden. Der Mythos von Alexander Merenskys Rettung vor den Pedi im Jahre 1864, in: van der Heyden, U./Feldtkeller, A. (Hrsg.): Border Crossings. Explorations of an Interdisciplinary Historian. Festschrift for Irving Hexham, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, S. 67–92. Die brandenburgisch-preußische Kolonialgeschichte und die Möglichkeiten zu ihrer Nutzung für die politische Bildung, in: Klocksin, J./Prüfer, U. (Hrsg.): Die Kolonialmacht Brandenburg. 325 Jahre brandenburgische Landnahme in Westafrika, VENROB, Potsdam 2008, S. 21–26. Artikel: Mission [S. 247–248] & West Africa 17th–18th Century [S. 256–257], in: Poddar, P./Patke, R. S./Jensen, L. (Hrsg.): A Historical Companion to Postcolonial Literatures. Continental Europe and its Empires, University Press, Edinburgh 2008. Forschungen zur afrikanischen Diaspora und die Nutzung eines Briefwechsels. Einige einleitende Bemerkungen, in: van der Heyden, U./Gnettner, H. (Hrsg.): Allagabo Tim. Der Schicksalsweg eines Afrikaners in Deutschland. Dargestellt in Briefen zweier deutscher Afrikaforscher, Trafo-Verlag, Berlin 2008, S. 7–36. Deutsche Entdeckungsreisende in Afrika und der Kolonialismus. Das Beispiel Hans Meier, in: Brogiato, H. P. (Hrsg.): Meyers Universum. Zum 150. Geburtstag des Leipziger Verlegers und Geographen Hans Meyer (1858–1929), Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig 2008, S. 117–140. Artikel: München: Die Großfriedrichsburger Strasse [S. 95–96] & Emden: Geschütze aus der Kolonie Großfriedrichsburg [S. 97–98] & Die geographische Entdeckung Afrikas und der deutsche Kolonialismus [S. 99–103] & Hamburg: Die Heinrich-Barth-Straße [S. 104–106] & Vom brandenburgischen Bad Freienwalde in die deutschen Kolonien [S. 201–202] & Koloniales Gedenken im Blumentopf: Das Usambara-Veilchen und sein „Entdecker“ aus Berlin [S. 220–222] & Berlin: Christliche Missionsgesellschaften in der Reichshauptstadt [S. 223–225], in: van der Heyden/U., Zeller, J. (Hrsg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Sutton Verlag, Erfurt 2008. Lebensgeschichten der afrikanischen Diaspora in Deutschland – einige wissenschaftsgeschichtliche Anmerkungen, in: van der Heyden, U. (Hrsg.): Unbekannte Biographien in Deutschland.
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Afrikaner im deutschsprachigen Raum vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Kai Homilius-Verlag, Berlin 2008, S. 10–22. Anton Wilhelm Amo, der afrikanische Philosoph, in: van der Heyden, U. (Hrsg.): Unbekannte Biographien in Deutschland. Afrikaner im deutschsprachigen Raum vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Kai Homilius-Verlag, Berlin 2008, S. 65–75. „Treue bis in den Tod“. Tragische Folge des Aufenthalts von Klaas Koen in Deutschland in: van der Heyden, U. (Hrsg.): Unbekannte Biographien in Deutschland. Afrikaner im deutschsprachigen Raum vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Kai HomiliusVerlag, Berlin 2008, S. 76–89. Hopeful Beginning – abrupt Ending. The mission attempt of the Berlin Mission Society amongst the Bakopa, in: Missionalia. Southern African Journal of Missiology, Nr. 1, Pretoria 2008, S. 121–138. Die vergessene Kolonie. Frühe Beziehungen zwischen Mauretanien und Deutschland, in: AfrikaPost. Magazin für Politik, Wirtschaft und Kultur Afrikas, Nr. 2, Berlin 2008, S. 64–65. Kolonialer Alltag in Deutsch-Ostafrika in Dokumenten & Einführung zu einem Reisebericht von Hans Paasche nach Ostafrika 1906 & Einführung zu einem Reisebericht von Anna Zeeb von Sansibar bis Chinde, in: van der Heyden, U. (Hrsg.): Kolonialer Alltag in Deutsch-Ostafrika in Dokumenten, Trafo-Verlag, Berlin 2009, S. 7–12, S. 195–198, S. 233–236. Tansania in der DDR-Wissenschaft. Eine paradigmatische Untersuchung der Afrika- und Kolonialgeschichtsschreibung in der DDR, in: van der Heyden, U./Benger, F. (Hrsg.): Kalter Krieg in Ostafrika. Die Beziehungen der DDR zu Sansibar und Tansania, LIT-Verlag, Münster 2009, S. 149–168. Die Haltung der Deutschen in der DDR zur Apartheid in der Republik Südafrika, in: van der Heyden, U./Stephan, G.-R. (Hrsg.): Deutsch-südafrikanische Beziehungen: DDR – Bundesrepublik – vereintes Deutschland, GNN-Verlag, Potsdam 2009, S. 46–55. Literaturauswahl zu den Beziehungen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland ins südliche Afrika, in: van der Heyden, U./Stephan, G.-R. (Hrsg.): Deutsch-südafrikanische Beziehungen: DDR – Bundesrepublik – vereintes Deutschland, GNN-Verlag, Potsdam 2009, S. 103–112. Soweto, 1976: Die Südafrika-Politik der DDR, in: Hilger, A. (Hrsg.): Die Sowjetunion und die Dritte Welt. UdSSR, Staatssozialismus und Antikolonialismus im Kalten Krieg 1945–1991, Oldenbourg Verlag, München 2009, S. 219–237. Wie Südafrika mit der Geschichte umgeht, in: Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, Nr. 20, Berlin 2009, S. 756–758. Was kann Hamburg aus der Kolonialgeschichte lernen?, in: Afrika – Eine nachhaltige Partnerschaft auf Augenhöhe?, hrsg. vom Zukunftsrat Hamburg, Hamburg 2010, S. 40–41. Carl Mauch’s Aufenthalt im südlichen Afrika und seine Suche nach dem sagenumwobenen Land Ophir, in: van Ryneveld, H./Wozniak, J. (Hrsg.): Einzelgang und Rückkehr im Wandel der Zeit. Unknown Passages – New Beginnings. Festschrift für Gunther Pakendorf, African Sun Media, Stellenbosch 2010, S. 35–64. Die Aufteilung Afrikas. 125 Jahre „Berliner Konferenz“, in: Mission. Zeitschrift des Berliner Missionswerkes, Nr. 1, Berlin 2010, S. 24–27. Otto Friedrich von der Gröben – abenteuerlustiger Reisender, Schriftsteller und umstrittener Namenspatron des Gröbenufers an der Spree (mit Joachim Kundler), in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin, Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2010, S. 7–32. Christian Missionary Societies in the German Colonies 1884/85–1914/15, in: Langbehn, V./Salama, M. (Hrsg.): German Colonialism. Race, the Holocaust, and postwar Germany, Columbia University Press, New York 2011, S. 215–253. L’aide militaire accordée par la République démocratique allemande aux mouvements de libération dans le sud de l'Afrique (mit Klaus Storkmann), in: Outre-Mers Revue d'histoire, Nr. 2, Saint-Denis 2011, S. 107–140. Koloniale Erinnerungsorte in Berlin in der Zeitkritik. Was uns Straßennamen über ein verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte sagen können, in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch 2011 des Vereins für die Geschichte Berlins, Westkreuz-Verlag, Berlin/Bonn 2011, S. 73–88.
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Das „Cafe Sabac el Cher“ in Senzig. Eine deutsch-afrikanische Familiensaga, in: Heimatkalender 2012: Königs Wusterhausen und Dahmeland, Königs Wusterhausen 2011, S. 86–88. Diplomaten der Apartheid, in: Welttrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 84, Potsdam 2012, S. 111–115. Die europäische Entdeckung und Kolonialisierung der Insel Mauritius, in: van der Heyden, U./Glaubrecht, M./Pfullmann, U. (Hrsg.): Die Reise des deutschen Forschers Karl August Möbius nach Mauritius und zu den Seychellen 1874/75, Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2012, S. 51–68. Die Anfänge des Lehrerbildungsseminars der Berliner Missionsgesellschaft in Botschabelo, in: van der Heyden, U./Feldtkeller, A. (Hrsg.): Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2012, S. 173–192. Sanktionen oder Vorteilsuche? Die Handelsbeziehungen der DDR zum südafrikanischen Apartheidregime, in: Hardach, K. (Hrsg.): Internationale Studien zur Geschichte von Wirtschaft und Gesellschaft, 2 Bde., Bd 1, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main et al. 2012, S. 351–377. FDJ-Brigaden der Freundschaft aus der DDR – die Peace Corps des Ostens?, in: Unfried, B./Himmelstoss, E. (Hrsg.): Die eine Welt schaffen. Praktiken von „Internationaler Solidarität“ und „Internationaler Entwicklung“, Akademische Verlagsanstalt, Leipzig 2012, S. 99–122. Das Deutsche Kolonialmuseum in Berlin. Ein Unikat im kaiserlichen Deutschland, in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch 2012 des Vereins für die Geschichte Berlins, Gebrüder Mann Verlag, Berlin/Bonn 2012, S. 79–96. Mission in Zeiten der Kolonialisierung, in: Südlink. Das Nord-Süd-Magazin von Inkota, Nr. 162, Berlin 2012, S. 30–32. Zur Editionsgeschichte und zur Bedeutung der Reisebeschreibung von Otto Friedrich von der Groeben, in: Otto Friedrich von der Groeben: Orientalische Reise-Beschreibung des Brandenburgischen Adelichen Pilgers Otto Friedrich von der Gröben: Nebst der Brandenburgischen Schifffahrt nach Guinea, und der Verrichtung zu Morea, Marienwerder 1694, neue Edition, Olms-Verlag, Hildesheim/Zürich/New York 2013, S. 1–47. Mosambikanische Vertragsarbeiter in der Hauptstadt der DDR, in: Zeller, J./Diallo, O. (Hrsg.): Black Berlin. Die deutsche Metropole und ihre afrikanische Diaspora in Geschichte und Gegenwart, Metropol-Verlag, Berlin 2013, S. 133–150. Afrikanische Kirchen und Religionsgemeinschaften in Berlin, in: Zeller, J./Diallo, O. (Hrsg.): Black Berlin. Die deutsche Metropole und ihre afrikanische Diaspora in Geschichte und Gegenwart, Metropol Verlag, Berlin 2013, S. 193–197. „Unsere Regierung hat das im Abkommen gewollt.“ Die Darstellung des Einsatzes von Vertragsarbeitern aus Mosambik in der Literatur, in: Vertragsarbeit in der DDR. Rundbrief der Bundesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus, Nr. 1–2, Berlin 2013, S. 10–38. Lokales in der Weltgeschichte. Vorpommersche Lokalgeschichte – dänisch-deutscher Kolonialismus – Globalgeschichte, in: Pommern. Zeitschrift für Kultur und Geschichte, Nr. 2, Lübeck 2013, S. 8–15. Der Missionar Alexander Merensky als Wissenschaftler, in: Habermas, R./Przyrembel, A. (Hrsg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne, Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2013, S. 49–60. Anspruch und Wirklichkeit beim Umbau der außeruniversitären Forschung nach der Wende. Das Beispiel des Forschungsschwerpunkts Moderner Orient, in: Leviathan. Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaften, Nr. 4, Baden-Baden 2013, S. 511–527. „Besoffen wie ein Deutscher“. Das Deutschlandbild von Afrikanern zur Zeit der direkten Kolonialherrschaft, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Nr. 4, Leiden 2013, S. 357–393. Indianerhobby in (Ost)Deutschland. Vorstellung einiger neuerer Bücher zur Indianistikszene, in: Amerindian Research. Zeitschrift für indianische Kulturen von Alaska bis Feuerland, Nr. 2, Rogeez 2013, S. 109–111.
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Zu den Hintergründen und dem Verlauf des Einsatzes mosambikanischer Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft, in: van der Heyden, U./Semmler, W./Straßburg, R. (Hrsg.): Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft. Hintergründe – Verlauf – Folgen, LIT-Verlag, Münster 2014, S. 50–74. „Gastarbeiter“ in der DDR? Ein Sammelband zur Geschichte von Vertragsarbeitern in der DDRWirtschaft zeigt, wie es (nicht) gewesen ist, in: van der Heyden, U./Semmler, W./Straßburg, R. (Hrsg.): Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft. Hintergründe – Verlauf – Folgen, LIT-Verlag Münster 2014, S. 183–206. Erinnerungen von DDR-Historikern. Ein Literaturbericht, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Nr. 3, Berlin 2009, Teil 1, S. 155–172; Nr. 4, Berlin 2014, Teil 2, S. 161–170. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der sträfliche Umgang mit der Geschichte in der deutschen Hauptstadt, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin, Gebrüder Mann Verlag, Berlin 2014, S. 247–266. Persönliche Vorbemerkungen eines entfernten Verwandten zur Neuherausgabe des Buches, in: Schröder-Greifswald, Max: Vom Matrosen zum Künstler. Tagebuchblätter des Marinemalers Schröder-Greifswald, hrsg. von U. van der Heyden, Edition Falkenberg, Bremen 2015, S. 1–10. Jan Conny – Fairy Tale or True Chapter in Prussia’s Colonial History in West Africa?, in: Lundt, B./Marzolph, U. (Hrsg.): Narrating (Hi)stories. Storytelling in/about West Africa, LIT-Verlag, Wien/Berlin 2015, S. 113–149. Artikel: Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie [S. 122–123] & Buren [S. 141–142] & Burenkrieg [S. 142] & Jan Conny [S. 188] & Deutsche Gesellschaft zur Erforschung Äquatorialafrikas [S. 216] & Edler Wilde [S. 231–232] & Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg [S. 279] & Groeben, Otto Friedrich von der [S. 309] & Großfriedrichsburg [S. 310] & Raule, Benjamin [S. 680] & Staden, Hans [S. 769–770] & Wied-Neuwied, Maximilian zu [S. 862–863], in: Hiery, H. (Hrsg.): Lexikon zur Überseegeschichte, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015. Bücher zur Aufklärung des Rassismus und wie sie das Gegenteil bewirken können, in: Das Historisch-Politische Buch, Nr. 3, Northeim 2015, S. 225–230. Geschichtswissenschaft und Historiker in der DDR in (Selbst)-Zeugnissen, in: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur, Nr. 2, Madison 2015, S. 284–310. Ursachen und Auswirkungen des Einsatzes mosambikanischer Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft und die verzerrte Widerspiegelung in der Literatur, in: van der Heyden, U./Straßburg, R./Bollinger, S.: Solidarität oder Eigennutz? Die mosambikanischen Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft (=Hefte zur DDR-Geschichte, Nr. 40), Helle Panke Verlag, Berlin 2015, S. 9–27. Dekolonisierungsprozesse. Wie Staaten entstehen – Prozesse und Argumente der Dekolonisierung, in: Kollmer, D./Konopka, T./Rink, M. (Hrsg.): Wegweiser zur Geschichte. Zentrales Afrika, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2015, S. 99–105. Zur Geschichte der europäischen Entdeckung und Besiedlung der Insel Mauritius, in: Die Entdeckung und Beschreibung der Insel Mauritius in deutschsprachigen Texten, 17. bis 19. Jahrhundert, hrsg. von van der Heyden, U./Beyer, C., Edition Falkenberg, Bremen 2015, S. 17–36. Secret Solidarity. The Military Support provided for the Liberation Movement in Angola by East Germany (mit Klaus Storkmann), in: Liebenberg, I./Risquet, J./Shubin, V. (Hrsg.): A Faraway War. Angola, 1975–1989, Sun Press, Stellenbosch 2015, S. 101–109. Multiculti – (Anti-)Racism during my life in East Germany and a united Germany, in: Mayer, C.H./Wolting, S. (Hrsg.): Purple Jacaranda. Narrations on transcultural identity development, Waxmann, Münster/New York 2016, S. 126–135. Hermann Theodor Wangemann as illustrating Traveller. Holy Land Drawings from Egypt and Palestine, 1867 (mit Willem Boshoff), in: South African Journal of Art History, Nr. 2, Pretoria 2015, S. 155–170. HMHS Llandovery Castle. Ein ungesühntes Kriegsverbrechen 1918, in: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung, Nr. 2, Potsdam 2016, S. 22–23. Kwame Nkrumah im deutsch-deutschen Spannungsverhältnis, in: Berliner Debatte INITIAL. Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal, Nr. 3, Berlin 2016, S. 117–132.
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Die erste deutschsprachige Beschreibung der Festung Großfriedrichsburg durch Otto Friedrich von der Groeben und die Rezeption seiner Reisebeschreibung bis in die Gegenwart, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte, Bd. 24, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2016, S. 11–38. Quellen zur Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft in Togo gesichert, in: Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte, Bd. 15, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2016, S. 225–228. Wenn sich ein Afrikahistoriker in die Erinnerungskultur in Berlin einmischt. Einige politikwissenschaftliche Bemerkungen – in Personalunion, in: Jähne, A. (Hrsg.): Philologie & Philosophie. Welt und Region in der Wissenschaft, Trafo Wissenschaftsverlag, Berlin 2016, S. 161–183. Der Besuch eines „West-Ministers“ in Ueckermünde, in: Pommern. Zeitschrift für Kultur und Geschichte, Nr. 4, Greifswald 2016, S. 27–29. Spiel mit dem Rassismus. Über die Unruhen an den südafrikanischen Universitäten, in: Forschung & Lehre, Nr. 9, Bonn 2016, S. 797–798. U 86 und die Torpedierung eines Lazarettschiffes im Ersten Weltkrieg, in: Pallasch. Zeitschrift für Militärgeschichte, Nr. 59, Salzburg 2017, S. 138–148. Keine Ruhe an Südafrikas Universitäten, in: Welttrends. Das außenpolitische Journal, Nr. 123, Potsdam 2017, S. 17–19. Anfang vom Ende der ANC-Regierung? Die Misere des südafrikanischen Universitätssystems, in: INDABA. Das SADOCC-Magazin für das Südliche Afrika, Nr. 93, Wien 2017, S. 3–8. Die brandenburgisch-preußische Handelskolonie Großfriedrichsburg, in: Gründer, H./Hiery, H. (Hrsg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick, be.bra Verlag, Berlin 2017, S. 26– 44. Sonderausgaben für die Landeszentralen für politische Bildung, so für Berlin-Brandenburg, Sachsen und Rheinland-Pfalz 2017. Zweite Auflage 2018. Handling GDR Colonial Historiography, in: Fair-Schulz, A./Kessler, M. (Hrsg.): East German Historians since Reunification. A Discipline Transformed, Suny Press, New York 2017, S. 203–220. Ein Versuch zur Befreiung Mandelas, in: INITIAL. Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal, Nr. 2, Berlin 2017, S. 86–95. Albert Kropfs Verdienste bei der Erforschung der Xhosa, in: Albert Kropf: Das Volk der XosaKaffern im östlichen Südafrika nach seiner Geschichte, Eigenart, Verfassung und Religion. Ein Beitrag zur afrikanischen Völkerkunde, Berlin 1889, hrsg. und aktualisiert auf Grundlage von Albert Kropfs Korrekturen und Ergänzungen von van der Heyden, U. und Kundler, J., Edition Falkenberg, Bremen 2017, S. 11–26. Kunstwerke über das Heilige Land in Südafrika. Provenienzrecherche in umgekehrter Richtung? (mit Willem Boshoff), in: Zeitschrift der Deutschen-Morgenländischen Gesellschaft, Nr. 2, Wiesbaden 2017, S. 265–287. Eine vertane Chance. Bemerkungen zu Ausstellung und Katalog des Deutschen Historischen Museums zur deutschen Kolonialgeschichte, in: Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte, Bd. 17, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2017, S. 245–249. Die Erinnerung an die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg in der deutschen Hauptstadt, in: Berliner Protokolle. Philatelie und Postgeschichte der deutschen Kolonien und Auslandspostämter, Nr. 147, Berlin 2017, S. 22–28. Neue Funde zur Ergänzung der Editionsgeschichte von Otto Friedrich von der Gröbens „Orientalische Reisebeschreibung“, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte, Bd. 25, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2018, S. 269–272. Einführung: Quellenkritisch-wissenschaftliche Edition von Albert Kropf: Das Volk der XosaKaffern im östlichen Südafrika nach seiner Geschichte, Eigenart, Verfassung und Religion. Ein Beitrag zur afrikanischen Völkerkunde, Berlin 1889, hrsg. und aktualisiert auf Grundlage von Albert Kropfs Korrekturen und Ergänzungen, mit J. Kundler [Online-Ausgabe], 14 S., in: https://bgmgonline.com/kropf-das-volk-der-xosa-kaffern-im-oestlichen-suedafrika/. Die erste preussische Seeschlacht auf dem Stettiner Haff im Jahre 1759, in: Baltische Studien. Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte, N.F., Bd. 103, Kiel 2018, S. 105–135. Emmanuel Macrons afrikanisches Erbe, in: Kunstgeschichte-ejournal, 26.04.2018 [URL: http:// kunstgeschichte-ejournal.net/518/], 11 S.
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Michael Eckardt
Die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz Anfang der 1960er Jahre in Afrika, dargestellt am unabhängigen Ghana und seines Präsidenten Kwame Nkrumah, in: Yigbe, Dotsé/Assemboni, Amatso O./Akakpo, Kuassi A. (Hrsg.): L’Afrique post/coloniale. Enjeux culturels des études littéraires et historiques, LIT Verlag, Berlin 2018, S. 123–144. Admiral Aernoult Gijsels van Liers Einfluss auf die außereuropäischen Interessen des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, in: Edelmayer, F./Fröhlich, H./Grandner, M. (Hrsg.): Zwischen Ost und West. Festschrift für Klaus Vetter zum 80. Geburtstag, Aschendorff Verlag, Münster 2018, S. 93–108. Die Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte und ihre wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit, in: Evangelische Missiologie, Nr. 2, Nürnberg 2018, S. 87–96. Wider den Kolonialismus! Antikoloniale Haltungen in der deutschen Geschichte von Mitte der 1880er Jahre bis zum Beginn der 1930er Jahre – Ein Überblick, in: Zeitschrift für Religionsund Geistesgeschichte, Nr. 3, Leiden 2018, S. 224–253. Kurländer in Afrika und in der Karibik, in: Lemke, B. (Hrsg.): Wegweiser zur Geschichte: Baltikum, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2018, S. 48–49. Gedanken zum Tod von Peter Sebald, in: Dr. Peter Sebald 15.05.1934–05.03.2018. Auditorium du campus universitaire de Lomé, Lomé 2018, S. 27–31. Vom Umgang mit der Wahrheit. Wie mit Un- und Halbwahrheiten Rassismus in der DDR belegt werden soll, in: Afrika Süd. Zeitschrift zum südlichen Afrika, Nr. 5, Bonn 2018, S. 36–38. Antikolonialismus und Kolonialismuskritik in Deutschland, in: Bechhaus-Gerst, M./Zeller, J. (Hrsg.): Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Metropol Verlag, Berlin 2018, S. 143–158. Mit Fake News gegen Rechtspopulismus?, in: https://www.tumult-magazine.net/blog/ulrich-vander-heyden-mit-fake-news-gegen-rechtspopulismus [online-Journal], 10 S. Die preußisch-schwedische Seeschlacht am Repziner Haken, in: Heimatkalender 2019. Anklam und Umgebung, Strasburg 2018, S. 70–79. Die Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft, in: Archivführer. Deutsche Kolonialgeschichte: https://archivfuehrer-kolonialzeit.de/history, hrsg. von der Fachhochschule Potsdam & Auswärtige Amt, Berlin [Online-Ausgabe]. Restitution afrikanischer Kulturgüter. Macrons kulturpolitisches Verwirrspiel, in: Welttrends. Das außenpolitische Journal, Nr. 148, Potsdam 2019, S. 58–63. Afrika im Blick der akademischen Welt der DDR. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Überblick zur afrikabezogenen Völkerkunde, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. History of Science and Humanities, Nr. 1, Weinheim 2019, S. 83–105. Politische und religiöse Voraussetzung für die Dynamisierung der Emanzipationsbestreibungen Afrikanischer Unabhängiger Kirchen in Südafrika nach dem Ersten Weltkrieg, in: van der Heyden, U./Wendt, H. (Hrsg.): Mission und dekoloniale Perspektive. Der Erste Weltkrieg als Auslöser eines globalen Prozesses, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 (im Druck). Christliche Mission und Kolonialismus in den Neuen Welten, in: Wiesenfeldt, C./Menzel, S. (Hrsg.): Musik und Reformation. Politisierung, Medialisierung, Missionierung, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn (im Druck). Der MDR verbreitet Fake News über angeblich fremdenfeindlich motivierte Morde in der DDR, in: Tumult. Vierteljahresschrift für Konsensstörung, Nr. 3, Wien 2019 (im Druck). Spectacular attempt to release Mandela from prison under the Apartheidregime, in: Journal of Intelligence History, London 2019 (im Druck). Buchproduktion mit Hindernissen, in: Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, Nr. 7, Berlin 2019, S. 245–248 {unter Pseudonym}. Schröder, Max Johannes Carl, in: Alvermann, D./Jörn, N. (Hrsg.): Biographisches Lexikon für Pommern, Bd. 3, Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2019, S. 296–300 (im Druck). Islam in Preußen, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Nr. 1, Berlin 2019, S. 1–5.
Publikationsliste
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The ANC and the GDR: Solidarity with the South African Liberation Struggle (mit Anja Schade), in: Dallywater, L./Saunders, C./Fonseca, H. A. (Hrsg.): Southern African Liberation Movements and the Global Cold War ‘East’. Transnational Activism 1960–1990, Verlag De Gruyter, Berlin 2019, S. 77–101. Über die Notwendigkeit einer Revision der DDR-Geschichtsschreibung, in: Das HistorischPolitische Buch, Nr. 3, Berlin 2019 (im Druck). Weltkunst, außereuropäische Kunst, in: Journal für Kunstgeschichte, Nr. 2, Regensburg 2019, S. 93–97.
AUTORENVERZEICHNIS Dr. Jürgen Becher, Leiter des Dokumentations- und Informationszentrums der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam. Dr. Dagmar Bechtloff, Privatdozentin am Institut für Geschichte der Universität Bremen. Dr. sc. phil. Stefan Bollinger, Politikwissenschaftler und Historiker, Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand Die Linke, Stellvertretender Vorsitzender der Hellen Panke e.V. - RLS Berlin, Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. Rea Brändle, freie Autorin, Zürich, eines ihrer Schwerpunktthemen sind Völkerschauen. Dr. Marlies Coburger, seit 2012 freiberufliche Historikerin und Provenienzforscherin. Prof. Dr. Tilman Dedering, Department of History der University of South Africa, Pretoria. Dr. Veit Didczuneit, Abteilungsleiter Sammlungen der Museumsstiftung Post und Telekommunikation am Museum für Kommunikation, Berlin. Dr. Michael Eckardt, Senior Lecturer Extraordinary am Journalism Department der Universität Stellenbosch. Prof. Dr. Katharina von Hammerstein, Professorin of German Studies am Department of Literatures, Cultures and Languages der University of Connecticut in Storrs. Dr. Hans Heese, Research Associate am Department of History der Universität Stellenbosch. Prof. Dr. Irving Hexham, Ordinarius für Religionswissenschaft am Department of Classics and Religion an der University of Calgary und Fellow of the Royal Anthropological Institute und Royal Historical Society. Prof. Dr. Klaus Hock, Professor für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Universität Rostock. Prof. Dr. Mario Keßler, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam. Dr. Joachim Kundler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Prof. Dr. Volker M. Langbehn, Professor am Department of Foreign Languages and Literatures der San Francisco State University. Dr. Bernd Lemke, Leiter des Projektbereichs NATO im Kalten Krieg am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Prof. Dr. Ian Liebenberg, Associate Professor an der Faculty of Military Science der Universität Stellenbosch. Prof. Dr. Bea Lundt, bis 2015 Professorin für Geschichte des Mittelalters und für Didaktik der Geschichte an der Europa-Universität Flensburg, derzeit DAADGastprofessorin an der University of Education Winneba (Ghana). Prof. Dr. mult. Claude-Hélène Mayer, Professorin für Industrial and Organisational Psychology an der Universität Johannesburg.
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Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Hermann Mückler, außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. Prof. Dr. Gabriel K. Nzalayaimisi, Sokoine University of Agriculture, Department of Agricultural Extension and Community Development, Morogoro, Tanzania. Prof. Dr. Gunther Pakendorf, Professor emeritus am Department of Modern and Classical Languages der Universität Kapstadt sowie Professor Extraordinary am Department of Modern Foreign Languages der Universität Stellenbosch. Prof. Dr. Peer Pasternack, Direktor des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an der Universität Halle-Wittenberg. Prof. Dr. Siegfried Prokop, bis 1996 Professor für Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dr. Alexander Pust, freiberuflicher Archäologe, Marburg. Dr. Jobst Reller, bis 2012 Dozent für Kirchengeschichte und Praktische Theologie am Missionsseminar des Evangelisch-lutherischen Missionswerks in Hermannsburg, seit 2014 ist er Evangelischer Militärpfarrer in Munster. Prof. Dr. Jörg Roesler, bis 1991 Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Dr. Klaus Freiherr von der Ropp, freiberuflicher Berater für Fragen des südlichen Afrika, lebt in Potsdam. Prof. Dr. Walter Sauer, Universitätsprofessor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Dr. Elke Scherstjanoi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Privatdozentin an der Technischen Universität Chemnitz. Prof. Dr. Thomas Schwarz, Project Associate Professor für German Studies an der University of Tokyo (Komaba). Dr. Harald Sippel, Privatdozent an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth. Prof. Dr. Wolbert Smidt, lehrt Geschichte und Kulturwissenschaften an der Mekelle University (Äthiopien), seit 2014 ist er zudem Mitglied des Forschungszentrums Gotha der Universität Erfurt. Dr. Klaus Storkmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Militärgeschichte ab 1945 des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Martin Tamcke, Professor für Ökumenische Theologie und Orientalische Kirchen- und Missionsgeschichte an der Georg-AugustUniversität zu Göttingen. Dr. Stephan Theilig, stellvertretender Direktor des Instituts für Caucasica-, Tatarica- und Turkestanstudien (ICATAT) Magdeburg/Berlin. Dr. Ulrich Thiel, Historiker, bis 2018 Leiter des Stadt- und Bergbaumuseums Freiberg. Dr. Berthold Unfried, Universitätsdozent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Dr. Helge Wendt, Research Scholar am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Dr. Joachim Zeller, Historiker, Berlin. Dr. Jakob Zollmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Center for Global Constitutionalism am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
m i s s i o n s g e s c h i c h t l i c h e s a rc h i v Studien der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte
Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes von Andreas Feldtkeller, Irving Hexham, Ulrich van der Heyden, Klaus Hock und Gunther Pakendorf.
Franz Steiner Verlag
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ISSN 1430–1016
Ulrich van der Heyden / Heike Liebau (Hg.) Missionsgeschichte, Kirchen geschichte, Weltgeschichte Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien 1996. 472 S., geb. ISBN 978-3-515-06732-4 Tilman Dedering Hate the Old and Follow the New Khoekhoe and Missionaries in Early Nineteenth-Century Namibia 1997. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-06872-7 Jürgen Becher Dar es Salaam, Tanga und Tabora Stadtentwicklung in Tansania unter deutscher Kolonialherrschaft (1888–1914) 1997. 194 S. mit 13 Ktn. und 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-06735-5 Elfriede Höckner Die Lobedu Südafrikas Mythos und Realität der Regenkönigin Modjadji 1998. 260 S. mit 17 Abb. und 12 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06794-2 Nils Ole Oermann Mission, Church and State Relations in South West Africa under German rule (1884–1915) 1999. 267 S., geb. ISBN 978-3-515-07578-7 Ulrich van der Heyden / Jürgen Becher (Hg.) Mission und Gewalt Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19 2000. 557 S., geb. ISBN 978-3-515-07624-1 Tanja Hemme Streifzüge durch eine fremde Welt Untersuchung ausgewählter schriftlicher Zeugnisse deutscher Reisender im südlichen Afrika unter besonderer Berücksich-
tigung der kulturellen Fremderfahrung 2000. 250 S., kt. ISBN 978-3-515-07563-3 8. Chun-Shik Kim Deutscher Kulturimperialismus in China Deutsches Kolonialschulwesen in Kiautschou (China) 1898–1914 2004. 272 S. mit 23 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08570-0 9. Andrea Schultze „In Gottes Namen Hütten bauen“ Kirchlicher Landbesitz in Südafrika: die Berliner Mission und die EvangelischLutherische Kirche Südafrikas zwischen 1834 und 2005 2005. 619 S. mit 17 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08276-1 10. Ulrich van der Heyden / Holger Stoecker (Hg.) Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945 2005. 700 S., geb. ISBN 978-3-515-08423-9 11. Vera Boetzinger „Den Chinesen ein Chinese werden“ Die deutsche protestantische Frauenmission in China 1842–1952 2004. 305 S. mit 15 Abb. und 1 Kte., kt. ISBN 978-3-515-08611-0 12. Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.) Border Crossings Explorations of an Interdisciplinary Historian. Festschrift für Irving Hexham 2008. 496 S. mit farb. Frontisp., geb. ISBN 978-3-515-09145-9 13. Lize Kriel The ‘Malaboch’ books Kgaluši in the “civilization of the written word” 2009. 377 S. mit 15 Abb., 3 Tab. und 1 Kte., kt. ISBN 978-3-515-09243-2
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Kokou Azamede Transkulturationen? Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika, 1884–1939 2010. 278 S. mit 49 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09669-0 15. Uwe Kaminsky Innere Mission im Ausland Der Aufbau religiöser und sozialer Infrastruktur am Beispiel der Kaiserswerther Diakonie (1851–1975) 2010. 280 S. mit 26 Abb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09687-4 16. Norbert Friedrich, Uwe Kaminsky, Roland Löffler (Hg.) The Social Dimension of Christian Missions in the Middle East Historical Studies of the 19th and 20th Centuries 2010. 252 S., kt. ISBN 978-3-515-09656-0 17. Helge Wendt Die missionarische Gesellschaft Mikrostrukturen einer kolonialen Globalisierung 2011. VII. 321 S., kt. ISBN 978-3-515-09864-9 18. Paul Widmer (Hg.) Europe in China – China in Europe Mission as a vehicle to intercultural dialogue 2012. 147 S mit 20 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10140-0 19. Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.) Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert 2012. 456 S., kt. ISBN 978-3-515-10196-7 20. Felicity Jensz / Hanna Acke (Hg.) Missions and Media The Politics of Missionary Periodicals in the Long Nineteenth Century 2013. 263 S. mit 2 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10304-6 21. Kurt Widmer Unter Zions Panier Mormonism and its Interaction with Germany and its People 1840–1990
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2013. 404 S., kt. ISBN 978-3-515-10419-7 Claudia von Collani / Erich Zettl (Hg.) Johannes SchreckTerrentius SJ Wissenschaftler und China-Missionar (1576–1630) 2016. 446 S. mit 55 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11254-3 Michael Kißkalt Das Tagebuch des Richard Edube Mbene und sein missions historischer Kontext 2015. 289 S. mit 17 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11079-2 Friedemann Walldorf Migration und interreligiöses Zeugnis in Deutschland Die missionarische Begegnung zwischen Christen und Muslimen in den 1950er bis 1970er Jahren als transkultureller Prozess 2016. 532 S., kt. ISBN 978-3-515-11293-2 Jan Hüsgen Mission und Sklaverei Die Herrnhuter Brüdergemeine und die Sklavenemanzipation in Britischund Dänisch-Westindien 2016. 238 S. mit 6 Abb. und 10 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11272-7 Uta Zeuge-Buberl Die Mission des American Board in Syrien im 19. Jahrhundert Implikationen eines transkulturellen Dialogs 2016. 311 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11378-6 Bernhard Ortmann Die Hildesheimer Blindenmission in Hongkong Blinde und sehbehinderte Kinder in Werk und Wahrnehmung einer Frauenmission, ca. 1890–1997 2017. 270 S., kt. ISBN 978-3-515-11765-4 Andreas Feldtkeller / Uta Zeuge-Buberl Networks of Knowledge Epistemic Entanglement initiated by American Protestant Missionary Presence in Nineteenth-Century Syria 2018. 208 S. mit 15 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11968-9
Die Forschungen des Berliner Afrika-, Kolonial- und Missionshistorikers Ulrich van der Heyden sind in vielerlei Hinsicht wegweisend: Ein internationaler Kreis von Fachkolleginnen und -kollegen legt in diesem Band exemplarisch dar, wie anregend sein Schaffen gewirkt hat und wie sich diese Anregungen produktiv weiterführen lassen. Die Autorinnen und Autoren nehmen sich damit der anspruchsvollen Aufgabe
an, die Breite seiner Forschungsthemen möglichst umfassend zu reflektieren. Entstanden ist ein Band, der Aufsätze zur Missionsgeschichte, über den Kolonialismus, die Geschichte und Gegenwart des südlichen Afrika sowie eine vielschichtige Gemengelage aus Positionen und Situationen nebst einiger wissenschaftlicher Essays versammelt, die auf das Schaffen des Jubilars Bezug nehmen.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-12315-0
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