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German Pages 194 [196] Year 2015
Jürgen Kramer, Anette Pankratz, Claus-Ulrich Viol (Hg.) Mini & Mini
2009-11-04 14-01-07 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0330225240496830|(S.
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Jürgen Kramer, Anette Pankratz, Claus-Ulrich Viol (Hg.) Mini & Mini. Ikonen der Popkultur zwischen Dekonstruktion und Rekonstruktion
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INHALT
Einleitung. Minis zwischen Zirkeltraining und Code-Flügel JÜRGEN KRAMER, ANETTE PANKRATZ & CLAUS-ULRICH VIOL 7
MATERIALITÄTEN & MENTALITÄTEN Der Mini und der Anfang vom Ende der britischen Autoindustrie JÜRGEN KRAMER 21 Their own teenage look? Der Minirock als Gegenstand von Jugendmode, Modeindustrie und historischer Rekonstruktion VIOLA HOFMANN 35 Talking shop. Was die 1960er mit der Arbeit gemacht haben CHRISTIAN WERTHSCHULTE 51 Moral außer Mode? Der Minirock und die permissiveness der 1960er CYPRIAN PISKUREK 63
ZEICHEN & ZIRKULATIONEN Der Mini im Rock. A transatlantic track record HANS PETERS 77 Mini conquers Hollywood. Der Imagewandel des Minis im Film IRIS-AYA LAEMMERHIRT 89
Mr. Bean und sein Auto. British humour im Mini-Format HEINRICH VERSTEEGEN 103 Maximising minimisation. Der große Reiz des Kleinen in der Werbung MARTINA KREBS & PETER OSTERRIED 115
RETRO & APPROPRIATIONEN Vom Machen und Mögen des Minis. Die kulturellen Bedeutungen der Autoliebhaberei CLAUS-ULRICH VIOL 127 Vom Mini zum Mini. Eine Podiumsdiskussion 143 Du bist Retro! Über den Kult des Erinnerns STEFAN SCHLENSAG 151 Der Minirock und seine Folgen. Eine Podiumsdiskussion 165 Mini memoirs. Zeitzeuginnen erinnern sich INGRID VON ROSENBERG 173
Abbildungen 187 Beiträgerinnen & Beiträger 189
Einleitung Minis zwischen Zirkeltraining und Code-Flügel JÜRGEN KRAMER, ANETTE PANKRATZ & CLAUS-ULRICH VIOL
Geist ist geil. Wir Menschen können nicht anders: Wir müssen, wenn wir handlungsfähig sein wollen, den Dingen, Vorgängen, Ereignissen, Beziehungen, die uns umgeben und in die wir eingebunden sind, Bedeutung und Perspektive geben, einen Sinn zuschreiben. Hierfür gibt es Regeln, die man normalerweise in der Kindheit lernt. Was man auch lernt, ist, dass keine Regel ohne Ausnahme existiert, ja, mehr: dass es zwar Regeln gibt, sie aber – nimmt man es genau – im Prinzip zwar von den meisten verstanden, im Detail jedoch von jedem anders interpretiert werden. D.h. es wird den Dingen und Ereignissen immer ein (mal mehr, mal weniger) anderer Sinn zugeschrieben. Dies gilt auch für die in diesem Band im Zentrum stehenden Minis. Sie werden von Fans gefeiert, von Liebhabern gepflegt und von der Industrie beworben. Zahlreiche Bücher, Artikel und Fernsehdokumentationen zelebrieren Rock und Auto als geniale Schöpfungen von Mary Quant und Alec Issigonis bzw. als Ikonen der Swinging Sixties und stellen Kausalzusammenhänge her zu permissiveness, Mobilität, nationaler Identität und Aufmüpfigkeit. In diesen Rekonstruktionen erlangen Frauen infolge von Miniröcken ihre Emanzipation, Briten erfahren sich dank des Mini Coopers als moderne Nation. Die Beiträge im vorliegenden Band versuchen den bereits vorhandenen Sinnzuschreibungen weitere, – vielleicht – neue, präzisere und komplexere Bedeutungen zu geben und bisher unbeachtete Facetten der Minis zu präsentieren.1 Mythologisierungen und Stereo-
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Dies war auch das Ziel der Tagung Mini meets Mini, die im Januar 2009 im Kulturbahnhof Langendreer stattfand und deren Vorträge und Podiumsdiskussionen die Basis für den vorliegenden Band lieferten. Was hier nicht dokumentiert werden kann, sind der spielerische, lustvolle und kreative Umgang mit der Kultur der 1960er und der rege Austausch mit Zeitzeugen und Fans. Wir hoffen, dass dies indirekt und implizit in die Beiträge eingeflossen ist und danken Ute Pipke, den TeilnehmerInnen des Seminars „The
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Jürgen Kramer, Anette Pankratz & Claus-Ulrich Viol type werden mit kulturwissenschaftlichem Instrumentarium hinterfragt und rekontextualisiert. Die beiden Minis fungieren dabei auch als Prismen, die den Blick auf die Kultur der 1960er schärfen und die Bausteine für ein revidiertes Bild der Dekade wie auch für einen Einblick in unseren Umgang mit ihr liefern. Das klassische, bei einem Großteil der Beiträge implizit eingesetzte Modell für die kulturwissenschaftliche Analyse ist der so genannte circuit of culture (vgl. du Gay/Hall/Janes et al. 1997). Kultur erscheint als Geflecht von miteinander vernetzten und sich gegenseitig beeinflussenden fünf Dimensionen: Repräsentation, Produktion, Konsumption, Identität und Regulierung. Repräsentation schafft Bedeutung: Mentale Konzepte ordnen das Chaos der Welt; Sprache schafft Wirklichkeit und macht sie zudem kommunizierbar (vgl. Hall 1997: 19). Bedeutungs- bzw. Sinnzuschreibungen werden nicht nur im individuellen und kollektiven Austausch vorgenommen, sondern auch von gesellschaftlichen Institutionen – insbesondere den Massenmedien – produziert und zirkuliert. Eine Kultur produziert und konsumiert überdies auch materielle Objekte, deren Zirkulation bestimmten ökonomischen, sozialen und politischen Regeln unterliegt. Bedeutungen wie Objekte leisten einen Beitrag zur (individuellen wie kollektiven) Identitätsbildung. Sie können herrschende, veraltete und neue Vorstellungen repräsentieren (vgl. Williams 1977: 121-127); sie können akzeptiert, abgelehnt oder auch umgedeutet, (tatsächlich wie metaphorisch) umgebaut werden. In jedem Falle werden hierbei Normen und Werte angeboten, gesetzt, durchgesetzt oder zurückgewiesen, umgestürzt. Ausgehend von diesem Modell analysieren, dekonstruieren und rekonstruieren die folgenden Beiträge die mit Minirock und automobilem Mini verbundenen Sinngeflechte auf zwei unterschiedlichen, miteinander in Beziehung stehenden Ebenen: Zum einen sind Rock und Auto materielle Artefakte, die einen hohen Gebrauchswert im Alltag hatten und in veränderter Form noch immer haben und die in der kulturellen Praxis mit immer neuen Sinnproduktionen belegt werden. Zum anderen unterliegen sie den Codes der medialen Repräsentation, welche die Sinnzuschreibungen nicht nur vermitteln, sondern auch überlagern, sie relativieren, kritisieren und mythisieren.
Sixties“, den Organisatorinnen der Ausstellung zum Minirock sowie der Band Without a Name Yet.
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Einleitung
Die Minis und die materielle Kultur Als Produkte aus Stoff, Blech und Synthetik, die konsumiert werden können und sollen, sind die beiden Minis Gegenstand einer in den letzten Jahren immens gewachsenen Forschungsrichtung, dem Studium der materiellen Kultur, welche spürbaren Einfluss auf die Disziplinen nicht nur der Ethnologie, Geschichte und Archäologie, sondern auch der Kunstgeschichte, Soziologie und Kulturwissenschaften genommen hat. Die so genannten material culture studies gehen davon aus, dass die Formulierungen materieller Kultur keine banalen, nachrangigen oder äußerlichen Aspekte einer Gesellschaft sind, sondern kulturelle Sinnstiftungen und soziale Ordnungen wesentlich mitbestimmen (vgl. Hahn 2005: 11). Gesellschaftliche Bedeutungen, so wird z.B. argumentiert, sind nichts, was selbständig vorhanden, in einem überpersönlichen semiotischen System immer schon vorstrukturiert ist oder ausschließlich durch immaterielle Handlungen und Gedanken produziert wird. Ausgehend vom (zunächst außersprachlich gedachten) Objekt nimmt die Forschungsrichtung der materiellen Kultur die Sinn und Strukturen produzierende Interaktion von Materiellem und Immateriellem in den Blick. Hans Peter Hahn weist darauf hin, dass die in einer Gesellschaft verwendeten materiellen Dinge stets aus dem Kontext des Handelns heraus zu verstehen sind. Gesellschaftlicher Alltag wird nicht nur von materiellen Dingen geprägt, aber auch nicht allein vom Handeln und Wissen. Erst in der Verbindung der beiden Dimensionen ergibt sich ein Zugang zum Verstehen des Alltags. (9)
Der Blickwinkel der materiellen Kultur fügt zudem durch die Akzentverschiebung aufs Objekt dem oben beschriebenen Kreislauf eine wichtige Dimension hinzu. Nicht nur erfahren die einzelnen abstrakten Momente des circuit of culture eine notwendige Konkretisierung in Zeit-, Raum- und Handlungskontexten, sondern gewisse kulturelle Phänomene werden überhaupt erst sicht- und lesbar. Dies wird deutlich, wenn man die drei großen Forschungsansätze der materiellen Kultur betrachtet und sie mit den beiden Minis in Verbindung bringt: Ein Fokus liegt hier, erstens, auf der Erforschung der Wahrnehmung der Dinge aus der Perspektive des Subjekts; in diesem Zusammenhang geht es um die wahrgenommene Materialität der Gegenstände, ihren sich z.T. dem Verständnis nicht direkt offenbarenden ‚Eigensinn‘ sowie ihre Rolle in der Erinnerung und Lebensgeschichte einzelner Personen (vgl. 26-49). Ein weiterer Schwerpunkt liegt, zweitens, im Bereich des Umgangs mit Dingen. Darunter versteht man neben ihrem primären Gebrauch
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Jürgen Kramer, Anette Pankratz & Claus-Ulrich Viol auch die soziale Formationen (wie z.B. Lebensstile oder Gruppen) hervorbringenden Konsum-, Aneignungs- und Tauschpraktiken der Benutzer. Ein dritter Ansatz konzentriert sich schließlich auf die Bedeutungszuschreibung von Objekten durch soziale Gruppen, womit ihre kommunikative Rolle im Geflecht der Zeichen gemeint ist, ihre wandelbaren Symbolfunktionen, die spezifische Gruppen und Kulturen durch die Zuordnung von Signifikaten zum Gegenstand hervorrufen (vgl. 15-16). Wie fruchtbar diese Systematisierung für eine Betrachtung der beiden Minis ist, zeigt sich, wenn wir die Ergebnisse der einzelnen Ansätze zueinander in Beziehung setzen: Betonen z.B. die heutigen kollektiven Bedeutungszuschreibungen des Minirocks seine bahnbrechende historische Rolle in den 1960er Jahren (vgl. Lang/ Schraml/Elster 2009: 10-12), so tritt der Rock in der persönlichen Erinnerung oft hinter weitaus wichtigere Inhalte zurück. Die Bedeutung des Minis wird als eher marginal eingeschätzt bzw. wurde er bereits damals schon nicht ausnahmslos positiv aufgenommen, sondern von mancher Trägerin eher als einengend denn als befreiend gesehen. Wird der Mini heute als Ikone gerne in Dimensionen des Glamours dargestellt und auch kulturell so erinnert, so ergibt ein genaues Hinsehen auf den Gebrauch in den 60er Jahren das Bild einer weniger glamourösen denn aktiven Kultur des Sparens, Änderns, Passendmachens. Ähnliche Brüche ergeben sich für den automobilen Mini. Hier stehen selbst die subjektiven Wahrnehmungen dessen, was als klein gelten darf, und ob klein per se positiv ist, im Gegensatz zu den symbolischen Wertungen des Minis, die durch Werbung, Filme und kulturelle Erinnerung zementiert werden. In Letzteren erscheinen sowohl der alte als auch der neue Mini als das Sinnbild für kleine Autos – obwohl es natürlich schon immer eine Menge ebenfalls kleiner oder gar kleinerer Autos gab. Die Sympathiewerte für das niedliche Auto nehmen jedoch ab, wenn man die Frage nach dem möglichen Gebrauch des Wagens im Alltag stellt. Viele von denen, die die soziale Bedeutung des Minis als netter „kleiner Brite“ (Stein/Pfahl 2007: 114) teilen, scheuen davor zurück, ein derart unpraktisches (und auch noch ausländisches) Auto als Gebrauchsgegenstand in Erwägung zu ziehen. Das Kleine, das als abstrakter Wert geschätzt wird, wird im konkreten Gebrauchsfall plötzlich zu klein. Diese Diskrepanz wird noch verstärkt in der teils subjektiven, teils gruppenspezifischen Meinung vieler Classic-Mini-Liebhaber, der neue BMW-Mini sei zu groß. Die Verbindung der drei Perspektiven der material culture studies löst somit die Gewissheit darüber, was ein großes und ein kleines Auto ist, auf und macht deutlich, dass kulturelle Sinnzuschreibungen und Gebrauchspraktiken in
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Einleitung hohem Maße kontextabhängig, schwer generalisierbar und häufig auch gegenläufig sind.
Die Minis als Mythen Das Materielle wird erst als Zeichen wahrnehmbar und kommunizierbar. Die kulturellen Bedeutungen der beiden Minis, so zeigen bereits der circuit of culture und die Ansätze der material culture studies, erschließen sich größtenteils über ihre Repräsentationen: Aus Blech, Stoff und Plastik werden Kultobjekte, wie an den Veränderungen der jeweiligen Sinnzuweisungen ablesbar ist: Der Wandel des Minirocks vom Ausdruck spielerisch-kindlicher Jugendlichkeit, über ein Symbol von Emanzipation und Gegen-Emanzipation bis hin zum Alltagskleidungsstück oder toughen Statement heutiger Business-Frauen mag hier als ein Beispiel dienen, der Bedeutungswandel des Wagens vom praktischen und billigen Nutzfahrzeug zum umkämpften Kultobjekt als ein weiteres. Und da ist auch die rekonstruierende (manche mögen sagen: deformierende) Erinnerung derer, die, beeinflusst durch die Mechanismen des kulturellen Gedächtnisses, dem Rock oder Auto eine revolutionäre historische Bedeutung zuschreiben, die teilweise im Widerspruch steht zu der Rolle, die den Objekten in der vergangenen Epoche tatsächlich zukam oder zugeschrieben wurde. Vor allem die massenmedialen Repräsentationen der Minis stilisieren sie zu kulturellen Ikonen, oder, mit Roland Barthes formuliert: Rock und Auto fungieren in der Werbung, im Film oder in der Historiographie als Mythen, als zentrale Elemente eines komplexen „Mitteilungssystem[s]“ (1964: 85), das den im Dreieck von Zeichen, Signifikat und Signifikant produzierten Sinn parasitär reduziert und mit ideologisierten Bedeutungen füllt, die selbstverständlich, natürlich und depolitisiert wirken: Der Mythos leugnet nicht die Dinge, seine Funktion besteht im Gegenteil darin, von ihnen zu sprechen. Er reinigt sie nur einfach, er macht sie unschuldig, er gründet sie als Natur und Ewigkeit, er gibt ihnen eine Klarheit, die nicht die der Erklärung ist, sondern die der Feststellung. (131)
Die Materialität der Minis – Zündkerzen und bunter Lack auf der einen, Schnitt und Stoff auf der anderen Seite – verschwinden nicht. Im Gegenteil: Sie dienen dazu, klare und vermeintlich einfache Wahrheiten greifbar zu machen. So werben Modefotografien des Minirocks nicht nur für die Produkte der Textil- und Wirkwarenindustrie, sie mythisieren Schönheitsideale, Geschlechterrollen und die Notwendigkeit des Konsums (vgl. Abb. 3, 5, 15). Ebenso verkau-
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Jürgen Kramer, Anette Pankratz & Claus-Ulrich Viol fen BMC und später BMW nicht nur ein Auto, sondern ein mit Dynamik, Mobilität und Konsum verbundenes Lebensgefühl. Die MiniMythen sind hierbei durchaus erfolgreich. Gewiss, das Auto mag noch so niedlich, der Rock noch so kurz, das Begehren der Konsumenten noch so groß sein, all dies löst keinen unmittelbaren Kaufreiz aus. Doch die durch die Mythisierungen transportierten vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, mit der Mode zu gehen, ein Auto zu fahren, jung und attraktiv sein zu wollen, als Konsument rationale Entscheidungsmöglichkeiten zu haben, bleiben in der Regel blinde Flecken in unserer Wahrnehmung, opakisiert durch die Strategien der Massenmedien (vgl. Luhmann 2004: 87). Die Kleinheit des Minis wie auch sein Design suggerieren paradoxerweise, dass man durch den Kauf Geld sparen kann. Die designten Oberflächen von Rock und Auto sowie deren ästhetisierenden Repräsentationen (hierzu gehören durchaus auch die Stilisierungen der technischen Details in den Hochglanzpublikationen zum Mini – glänzender Chrom, blinkende Zylinderköpfe, polierte Armaturen) dienen dazu, die Produkte als Selbstverständlichkeiten zu präsentieren, deren Kauf aufgrund der attraktiven Form keiner weiteren Rechtfertigungen mehr bedarf (vgl. ibid.).
Die Minis im Code der Simulation Barthes korreliert die Prozesse der Mythisierung mit dem „Regime […] des Eigentums“ (1964: 124), mit der Ideologie des Kapitalismus und des sich selbst als universell setzenden Bürgertums. Was Barthes – seinerseits mythisierend – als Signatur der Neuzeit seit der Französischen Revolution beschreibt, lässt sich in Bezug auf Mini & Mini präziser fassen als eine spezifische Form der Zirkulation von Zeichen, die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg virulent wird. Die Mythisierungen der Minis resultieren aus der banalen Tatsache, dass sie kommerzielle Produkte sind und damit den Zyklen der Vermarktung und Vermodung unterliegen. Jeder kann und soll am Konsum partizipieren, kann und soll – dem circuit of culture gemäß – Individualität und Distinktion gewinnen, was in der um die 1950er einsetzenden Phase des materiellen Wohlstands und der Massenproduktion durch den Konsum von Aktuellem und Modischem erreicht wird (vgl. Jameson 1991: xx, 3-4). Dadurch erlangt die „Neomanie“ (Barthes 1964: 76), die zwanghafte Suche nach Neuem, eine zentrale Stellung, und die Mode mit ihren institutionalisierten schnellen Wechseln avanciert zum einzigen „universalisierbaren Zeichensystem“ (Baudrillard 1991: 140; vgl. Luhmann 2004: 90-91). Das Neue wird systematisch veraltet, um es durch noch Neueres ersetzen zu können. Dieses System gewinnt in der Zeit der
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Einleitung affluence an Tempo und Dynamik und ergreift alle Bereiche der Kultur. Gekoppelt ist dies an die Zirkulation von Zeichen in den Massenmedien. Sie sind ebenfalls eingestellt auf „schnelles Erinnern und Vergessen“ (Luhmann 2004: 35, Hervorhebung im Original) und veralten sich selbst durch die permanente Verwandlung von Information in Nicht-Information (vgl. 41-42). Vor allem die Werbung operiert dabei mit der „Erzeugung der Illusion, Dasselbe sei gar nicht dasselbe, sondern etwas Neues“ (94). Einerseits gilt: Ein Auto ist ein Auto ist ein Auto. Andererseits erscheint der BMW-Mini innovativ und aufregend. Dazu kommt die neue Qualität der elektronischen Medien Fernsehen, Radio und Film. Die technisch gegebene Aufhebung von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen führt zu einer „eigendynamischen Explosion von Kommunikationsmöglichkeiten“ (Luhmann 1997: 302). Vor allem die Bilder der audiovisuellen Medien geben überdies vor, die Wirklichkeit transparent wiederzugeben und schaffen dadurch eine „Alibi-Realität“ (306). Das Spiel von Varietät und Redundanz, der schnelle und institutionell gesicherte Wechsel der Moden, die Sättigung des Marktes mit immer neuen, altbewährten Produkten und vor allem die Realitätsdoppelung durch die neuen Medien führen zu einem Flottieren der Zeichen, unabhängig von ihrem realen und referenziellen Gebrauchswert. Im dadurch erzeugten Code der Simulation verschwindet laut Jean Baudrillard die Realität. Sie geht im Hyperrealismus unter, in der exakten Verdoppelung des Realen, vorzugsweise auf der Grundlage eines anderen reproduktiven Mediums – Werbung, Photo etc. – und von Medium zu Medium verflüchtigt sich das Reale, […] es wird zum Realen schlechthin, Fetischismus des verlorenen Objekts – nicht mehr Objekt der Repräsentation, sondern ekstatische Verleugnung und rituelle Austreibung seiner selbst: hyperreal. (1991: 114)
Im Geflecht medialisierter Zeichen werden auch Mini & Mini und die mit ihnen assoziierten Bedeutungen zu hyperrealen Simulakren. Modedesigner bemühen sich um die authentischsten CourrègesKopien (vgl. MfdF Heft 7, 1965: 20-23). Die Britishness des Autos, zunächst prosaisch den Produktionsbedingungen geschuldet, wird durch medialisierte Zeichen überhöht bzw. in den Code der Simulation überführt. Wenn Michael Caine in The Italian Job (1969) mit Minis in rot, weiß und blau durch Italien jagt, nimmt dies die bereits vorhandenen medialisierten Bilder des Minis mit Stilikonen, Popstars und Prominenten sowie die in den 1960ern erfolgte Appropriierung des Union Jack als modisches Accessoire auf, perpetuiert und potenziert sie (vgl. Sandbrook 2007: 305). Bereits hier geht es nicht mehr um die Repräsentation herkömmlicher nationaler „RuleBritannia-God-Save-the-Queen“-Identität. Diese löst sich vollends auf in zeitgenössischen postmodernen Parodien und Remakes. 13
Jürgen Kramer, Anette Pankratz & Claus-Ulrich Viol Wenn in Austin Powers in Goldmember (2002) ein BMW-Mini mit Union Jack vom sichtlich verwitterten Michael Caine per Armbanduhr gesteuert wird, verweist dies auf The Italian Job und dessen spektakulären Einsatz des Minis. Der Mini als Gadget sowie Protagonist Austin Powers zitieren und parodieren darüber hinaus die glamouröse Britishness von James Bond. Durch die meta-medialen Rahmungen, Inserts und durch die virtuosen Mehrfachauftritte des kanadischen Komikers Mike Myers als Agentenheld Powers und die multi-nationalen Bösewichte Dr. Evil, Fat Bastard und Goldmember verflüchtigt sich authentische oder auch nur ansatzweise reale Britishness im Flottieren der Zeichen. Gut und Böse, real und fiktiv, primitiv und sophisticated werden in fröhlicher Hyperrealität zerspielt. Im Code der Simulation beginnen sich ungefähr am Ende der 1950er die Grenzen zwischen Kunst und Massenware, Trash und Wertvollem aufzulösen. Neben den offiziellen Diskursen entwickeln sich pop- und subkulturelle Gegendiskurse, die die Zeichen des Mainstreams unterwandern, und die ihrerseits durch Medien und Markt angeeignet und kommerzialisiert werden. Der Minirock gehört ebenso zur Haute Couture wie zur Streetwear. Mary Quant orientiert sich mit ihrem Look an der Jugendkultur der Mods. Sie setzt mit ihren Designs und ihren Vermarktungsstrategien gleichzeitig Impulse für Subkultur und Kunst der 60er. Und nicht nur dies: Quant verkörpert auch die neue Subjektivität im postfordistischen Produktionsregime, in der sich Arbeit wie Freizeit anfühlt und die Ausbildung lustbetonter Subjektpositionen ermöglicht. Umgekehrt ergreift „die Arbeit (auch in der Form der Freizeit) das ganze Leben als fundamentale Repression, als Kontrolle, als permanente Beschäftigung an festgelegten Orten und zu festgelegten Zeiten“ (Baudrillard 1991: 28).
Die Minis und Retro Die Verwischung von Grenzen, die durch die neomane Prozessierung von Zeichen ausgelöst wird, gilt auch für die Unterscheidung zwischen Alt und Neu, und zwar sowohl in den 1960ern selbst als auch im retrospektiven Umgang mit der Dekade. Das von den beiden Minis symbolisierte Modisch-Moderne war bereits in den 60ern gekoppelt an Zeichen des Traditionellen. Michael Caine als einer der Protagonisten des jungen britischen Films agiert in The Italian Job neben Altmeister Noel Coward. Der Gegensatz zwischen der Norm des Althergebrachten und dessen Abweichung dient der Betonung von Neuheit und Innovation. Mary Quants Modelle erscheinen „wackier than they are because they come from England, stronghold
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Einleitung of the court gown, the sturdy tweed and the furled umbrella“, wie das Magazin Life im Jahr 1960 erklärt (zitiert in Sandbrook 2007: 302). Doch der Kontrast zwischen Alt und Neu ist eine strategische Setzung, die ein dialektisches Verhältnis und keine unüberbrückbare Opposition definiert. Retro und die Appropriation vergangener Stile gehörten in den 1960er Jahren zu den Praktiken von Kunst, Mode und Pop, sie waren Teil des massenmedial produzierten und zirkulierten Zeichenrepertoires. Neuheit entstand gerade durch den geschickten Einsatz des Alten. Bereits die Teddy-Boys hatten sich Ende der 1950er, wie schon der Name andeutet, am edwardianischen Stil orientiert. Ende der 60er kehrt dies als noch dezidierter rückwärtsgewandter Trend zurück. Nicht von ungefähr tragen die Beatles auf dem von Peter Blake entworfenen Cover von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (1967) Phantasie-Uniformen und signalisieren dadurch „Victorian revivalism and English nostalgia“ (Sandbrook 2007: 439). Selbst der vermeintlich so progressive Minirock und die neue Androgynität lassen sich bis zu den Flapper Girls der 20er Jahre wenn nicht gar ins alte Ägypten der Pharaonen zurückverfolgen (vgl. Abb. 4, 15). Der Prozess des Flottierens setzt sich bis heute fort. Die 1960er werden in immer kürzeren Abständen wiederentdeckt (vgl. Braham 1997: 131): Punk, New Wave und Britpop appropriierten auf ihre je eigene Art die Mode und die Musik der Sixties inklusive diverser Renaissancen des Minirocks. Der alte Mini durchlebt mehrere Metamorphosen als sorgsam und liebevoll gepflegter Oldtimer, als qualitativ hochwertiger BMW-Mini wie auch als wohlfeiler Daihatsu Trevis. Baudrillard interpretiert diese Retro-Zeichen als Fetischisierung der Vergangenheit, als Reaktion auf die hyperreale Gegenwart: „When the real is no longer what it was, nostalgia assumes its full meaning“ (1994: 6). Die zeitgenössischen Repräsentationen der Vergangenheit, seien sie perfekte Kopien oder Teil einer ironischen postmodernen Pastiche, signalisieren einen Zustand der Entropie, der Sinnentleerung und der glatten Oberflächen (vgl. Baudrillard 1994: 45; Jameson 1991: 17-19). Gleichzeitig entwickelt sich in der Retrospektive ein Repertoire an Bildern der 1960er, die durch ihre Qualität als „Alibi-Realitäten“ (Luhmann 1997: 306) sowie ihre vermeintliche Transparenz und Unmittelbarkeit das kulturelle Gedächtnis prägen. Zudem illustrieren und personalisieren sie die Interpretationen der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung. Die Populärkultur liefert hier „Kompakteindrücke und Kompaktformeln“ (Zorn 2007: 79) zur anschlussfähigen und inklusiven Selbstbeschreibung der Gesellschaft. Es ist einfacher, über nackte Beine zu reden, als die patriarchalen Machtstrukturen im Spätkapitalismus zu analysieren. Die Kom-
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Jürgen Kramer, Anette Pankratz & Claus-Ulrich Viol paktformel Minirock=Frauenbefreiung perpetuiert gleichzeitig auch althergebrachte Geschlechterstereotype, die Mode ausschließlich Frauen zuschreiben. Dabei wird geflissentlich ausgeblendet, dass auch männliche Konsumenten sich in den 1960ern an Modetrends und Schönheitsidealen orientierten. Die männlichen Mods, die Körperpflege und Modebewusstsein zu einer Kunst- und Lebensform erhoben, waren die eigentlichen „Dedicated Followers of Fashion“. Männer wie Frauen avancierten in den 60ern gleichermaßen zu Trendsettern. Was für Twiggy und Jean Shrimpton gilt, gilt in ähnlicher Form auch für Michael Caine, die Beatles, Sean Connery und Mick Jagger: Ihr Stil und ihr Äußeres setzten globale Modemaßstäbe (vgl. Marwick 1998: 421). Durch die nachträgliche einseitige Korrelierung vestimentärer Freizügigkeit mit permissiveness und Feminismus lenkt man den Aspekt des Revolutionären und Unerhörten wieder in sichere, mythisierte Bahnen. Minirock und Mini-Auto verfügen über einen hohen feel-goodFaktor und erscheinen durch ihren Neuigkeitswert als emblematisch. Die relative Gleichzeitigkeit von Swinging Sixties, permissiveness, Feminismus, der Popularität des Minirocks und des automobilen Minis erscheint in dieser Hinsicht nur logisch und zwangsläufig. Der anarchische Witz der Beatles wird kongenial vom Mini als dem „cheeky little icon of Britain’s new spirit“ (Marr 2007) reflektiert; der Minirock repräsentiert die veränderte Mentalität der Freizügigkeit und signalisiert den revolutionären Sieg im „Kampf um die Beinfreiheit der Frauen auf der Straße“ (Lang/Schraml/Elster 2009: 12). Doch warum finden sich dann keine Beat-Songs über den Minirock? Warum tritt das kleine Auto nicht in Richard Lesters frischinnovativen Beatles-Filmen A Hard Day’s Night (1964) und Help! (1965) auf oder zumindest in einer der erfolgreichen Fernsehserien wie z.B. The Avengers (1961-1969)?2 Weil diese Bilder nicht die Essenz der Dekade vermitteln und auch nicht zeigen, „wie es gewesen“ (Ranke), sondern lediglich ‚wie es uns gefällt‘. Die Kontingenz historischer Entwicklungen und die Fülle von unterschiedlichen Kontextualisierungsmöglichkeiten werden stabilisiert durch attraktive, einprägsame Bilder in Farbe und Schwarz-Weiß. Die kreischenden Fans in A Hard Day’s Night, die Posen von Twiggy und die Verfolgungsjagd in The Italian Job sind hyperreale mediale Inszenierungen, die wegen ihrer vermeintlichen Authentizität in Zeitungen, Zeitschriften, in Filmen und Fernsehserien reproduziert, adaptiert oder parodiert werden. Diese Zeichen aus den 1960ern wurden durch ihren Neuheitswert von den damaligen Massenmedien seligiert und kommuniziert. Verbunden waren 2
In der psychedelischen Renn-Szene in Magical Mystery Tour (1967) ist zwar ein Mini mit von der Partie, aber lediglich als Kleinstdarsteller; die automobile Hauptrolle spielt dort wie im gesamten Film der Reisebus.
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Einleitung diese Novitäten dadurch, dass sie auf dem Markt reüssierten und sich verkauften. Zusätzlich erschienen die Markterfolge als kontroverse Medienereignisse sui generis: durch die Fangemeinden und Popularisierungen einerseits, durch die Skandalisierungen und moral panics konservativer Kritiker wie Mary Whitehouse andererseits. Die Minis passen als Massenprodukte und medialisierte Zeichen in dieses Strukturschema und werden daher heutzutage analog zu den Veränderungen der Mentalitätsstrukturen (vgl. Williams 1961: 48) gesetzt, obwohl Frauen in Hosen eine noch unerhörtere Provokation darstellten und der Mini in Karikaturen oft in Beziehung gesetzt wurde zur maroden britischen Wirtschaft sowie zu den Schwierigkeiten der damaligen Labour-Regierung unter Wilson. Die Hyperrealisierung von Geschichte, Retro-Trends und die Ästhetik der postmodernen Nostalgie sind aber kein Grund, sich nostalgisch nach den Zeiten festgefügter Wirklichkeiten und Wahrheiten, oder klaren Trennlinien zwischen Populärem und der echten Kunst zu sehnen. Zeichen, Diskurse und Sinngebungen sind fluide und verhandelbar. Und was Fredric Jameson als sinnentleerte „random cannibalization of all the styles of the past“ (1991: 18) kritisiert, kann genauso gut als postmoderne Parodie gelesen werden, die gerade durch die Dekontextualisierungen und Rekontextualisierungen neue, oft auch gegenläufige Bedeutungen schafft und der es dadurch gelingt, „to ‚de-doxify‘ our cultural representations and their undeniable political import“ (Hutcheon 2002: 3). Denn: Wir Menschen können nicht anders. Wir müssen den Dingen, Vorgängen, Ereignissen, Beziehungen Sinn, Unsinn, Widersinn zuschreiben. Wir müssen Zeichen kreieren, verbreiten, uminterpretieren und in neue Zusammenhänge bringen.3
Literaturverzeichnis Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags (11957), übers. Helmut Scheffel, Frankfurt/Main: Suhrkamp. Baudrillard, Jean (1991): Der symbolische Tausch und der Tod (11976), übers. Gerd Bergfleth/Gabriele Ricke/Ronald Voullié, München: Matthes und Seitz. – (1994): Simulacra and Simulation (11981), übers. Sheila Faria Glaser, Ann Arbor: The University of Michigan Press.
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Und wir müssen danken: den Beiträgerinnen und Beiträgern für ihre Kooperationsbereitschaft und vor allem Anna Billmann und Sebastian Kurtenbach für die akribische, engagierte und [könnten Sie hier bitte noch einen Superlativ einfügen?] Redaktionsarbeit.
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Jürgen Kramer, Anette Pankratz & Claus-Ulrich Viol Braham, Peter (1997): „Fashion. Unpacking a Cultural Production“, in Paul du Gay (Hg.), Production of Culture/Cultures of Production, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage, S. 119-165. Gay, Paul du/Hall, Stuart/Janes, Linda et al. (Hg.) (1997): Doing Cultural Studies. The Story of the Sony Walkman, London/ Thousand Oaks/New Delhi: Sage. Hahn, Hans Peter (2005): Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin: Reimer. Hall, Stuart (1997): „The Work of Representation“, in S.H. (Hg.), Representation. Cultural Representations and Signifying Practices, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage, S. 13-74. Hutcheon, Linda (2002): The Politics of Postmodernism (11989), London/New York: Routledge. Jameson, Fredric (1991): Postmodernism or the Cultural Logic of Late Capitalism, London: Verso. Lang, Bianca/Schraml, Tina/Elster, Lena (2009): Der Mini. Die Revolution, die Macher, die Ikonen, Hamburg: edel entertainment. Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft, Band 1, Frankfurt/Main: Suhrkamp. – (2004): Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Marr, Andrew (2007): Andrew Marr’s History of Modern Britain, Episode 2: The Land of Lost Content, BBC 2, 29. Mai. Marwick, Arthur (1998): The Sixties. Cultural Revolution in Britain, France, Italy, and the United States, c.1958-c.1974, Oxford/New York: Oxford University Press. Mode für die Fachwelt (1965): 15 (7). Sandbrook, Dominic (2007): White Heat. A History of Britain in the Swinging Sixties (12006), London: Abacus. Stein, Michael/Pfahl, Thomas (2007): Mini. The Car, the Cult, and the Swinging Beats, Hamburg: edel entertainment. Williams, Raymond (1961): The Long Revolution, London: Chatto and Windus. – (1977): Marxism and Literature, Oxford: Oxford University Press. Zorn, Karsten (2007): „Die Simpsons der Gesellschaft. Selbstbeschreibungen moderner Gesellschaft und die Populärkultur“, in Christian Huck/K.Z. (Hg.), Das Populäre der Gesellschaft. Systemtheorie und Populärkultur, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 73-96.
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MATERIALITÄTEN & MENTALITÄTEN
Der Mini und der Anfang vom Ende der britischen Autoindustrie JÜRGEN KRAMER
Den Fokus für die folgende Geschichte des Minis liefern zwei Thesen, die allerdings, kaum sind sie formuliert, immer auch alternative Lesarten herausfordern: (1) Man kann den Mini als möglichen (aber nicht realisierten) Weg aus der Krise der britischen Autoindustrie lesen. Das kleine Auto entstand zu einem Zeitpunkt, als Großbritannien noch zu den Großen in der weltweiten Produktion von Automobilen gehörte. Wäre es gelungen, die bei der Konzeption des Minis spürbare Kreativität auch in die Bereiche von Produktion, Management und Marketing zu transferieren, wäre nicht nur der Mini zum zeitweise erfolgreichsten Auto geworden, sondern auch der gesamten britischen Autoindustrie möglicherweise mehr Erfolg beschieden gewesen. So einsichtig und durch die historische Entwicklung bestätigt diese These auch scheint, die unübersehbar ökonomischen Argumenten folgt, denen die Logik des Marktes selbstverständlich ist – sie kennt das Ende der Geschichte schon und erklärt die Entwicklung des Minis dadurch nur zum Teil. Wenn es zutrifft, dass in den 1960er Jahren der Übergang vom Fordismus zum Postfordismus erfolgte1, so bedeutet das nicht, dass eine Form der Produktion aus dem Stand durch eine neue ersetzt wurde, sondern dass schrittweise neue Elemente an die Stelle von alten traten, die erprobt werden mussten, um entweder übernommen oder wieder ausgemustert und durch andere ersetzt zu werden. In der Entwicklung des Minis gab es viele einzigartige Elemente (wie z.B. im Design das Kindchenschema2), die in der Automobilentwicklung seither eine Rolle gespielt haben, auch wenn sie in ihrer Gesamtheit für den Mini zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht (mehr) trag- bzw. konkurrenzfähig waren. Zudem ist die Interaktion von Marktgesetzen und Käuferwünschen komplizierter, als gemeinhin angenommen wird: Gelegentlich müssen Kunden erst ihre neuen
1 2
Vgl. den Beitrag von Christian Werthschulte im vorliegenden Band. Vgl. den Beitrag von Heinrich Versteegen im vorliegenden Band.
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Jürgen Kramer Bedürfnisse entdecken bzw. entwickeln; manchmal akzeptieren sie die Ablösung eines Modells durch ein neues (VW Käfer durch VW Golf), manchmal nicht, wie die folgende Geschichte des Minis zeigt. (2) Der Mini war offensichtlich ein Auto, das mehr war als ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand – und das gilt auch für seine gegenwärtige Existenz. Nun waren Autos immer schon mehr als das: Vor allem waren sie komplexe Statussymbole, die soziale (keeping up with the Joneses), politische (buy British!) und sexuelle Komponenten (a hot car) miteinander verbanden. Der Mini machte (und macht immer noch bzw. immer wieder) zusätzliche Identifikationsangebote, indem er sich zuallererst durch seine damalige Unkonventionalität offen für Erwartungen und Lebensgefühle zeigte, die mit der allgemeinen, wenn auch diffusen Aufbruchsstimmung der swingenden 1960er Jahre zusammenhingen. Das lag vor allem an seinem Anderssein: Unter den Kleinen war er der Größte, unter den Großen der Kleinste. Das machte ihn im Grunde in beiden Gruppen subversiv. Weder hatte man dem Großen die Fahreigenschaften der Kleinen zugetraut, noch dem Kleinen, dass er Rennen gewinnen könnte. Heute macht der neue Mini vergleichbare Angebote, in denen Momente der Nostalgie zwar augenzwinkernd noch geduldet werden, aber im Grunde durch andere Ansagen abgelöst worden sind. Mittlerweile sind wir durch die small-is-beautiful-Phase hindurchgegangen, die uns gelehrt hat, dass ‚klein‘ nicht mehr das Andere, sondern Teil des Mainstreams ist – unter der Bedingung, dass es auch Leistungsstärke zeigt. Umgekehrt ist der jüngste Ausstieg von BMW aus der Formel 1 vielleicht auch eine Demonstration dessen, dass Größe aus einer Vielzahl unterschiedlichster Elemente besteht, deren Kombination erst die gewünschte Qualität erbringt. Schnelle Rennwagen zu konstruieren und im Kreis fahren zu lassen, bedeutet eben nicht mehr, auch leistungsstarke und umweltschonende Autos bauen zu können. Today small is only beautiful if it combines efficiency with sustainability. Auch dies hat der Mini – in Ansätzen – vorgedacht/-gemacht.
Rahmendaten zur britischen Autoindustrie im 20. Jahrhundert Von den größeren Industrienationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Großbritannien die letzte, die eine ihrer wirtschaftlichen Größe entsprechende Automobilindustrie entwickelte. Sie war aber auch die erste, die deren Zusammenbruch als nationales Wirtschaftsunternehmen zur Kenntnis nehmen musste. Während die Produktionskapazitäten der ersten zwei Dekaden zunächst gering waren, überholte Großbritannien seine europäischen Konkurrenten
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Der Anfang vom Ende in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Diese Führungsposition konnte es noch bis in die 1950er Jahre halten. Danach begann ein spektakulärer Verfall: Von der Position als zweitgrößter Autohersteller der Welt (nach den USA) fiel Großbritannien 1960 auf Platz 3, 1966 auf Platz 4 und 1974 auf Platz 6 zurück (vgl. Whistler 1999: 2-7). Der Anteil der britischen Autoproduktion am Weltexport stieg von 15% im Jahr 1937 auf 52% im Jahr 1950. Nachdem die USA in der zweiten Hälfte der 50er Jahre das Monopol auf ihrem heimischen Markt zurückerobert und die europäischen Industrienationen sich von den Kriegsfolgen erholt hatten – Westdeutschland überholte Frankreich auf dem Gebiet der Automobilproduktion 1953 und Großbritannien 1956 –, fiel Großbritanniens Anteil am Welthandel in Automobilen zwischen 1957 und 1962 auf durchschnittlich 24%, zwischen 1963 und 1967 auf durchschnittlich 19% (vgl. Church 1995: 47). 1950 produzierten die Big Six – Austin, Ford, Nuffield (ursprünglich u.a. Morris Motors), Rootes, Standard-Triumph und Vauxhall – 90% des britischen Outputs und Exports. Von diesen sechs Firmen waren zwei nicht-britisch: Ford hatte seine Arbeit in Großbritannien bereits 1911 aufgenommen, während General Motors die britische Firma Vauxhall 1925 aufgekauft hatte, als diese in finanziellen Schwierigkeiten war. 1952 fusionierten Austin und Nuffield und wurden zur British Motor Corporation (BMC); aus den Big Six waren Big Five geworden. Die BMC deckte ca. 40% des heimischen Marktes ab, Ford ca. 20%, die restlichen drei je 10%. Ein paar kleinere Firmen, wie z.B. Rover und Jaguar, produzierten effektive „niche products“ (Whistler 1999: 3). Im Zeitraum zwischen 1955 und 1968 erfolgte der erste meltdown. Die Gründe waren vielfältig und sind in den letzten 50 Jahren immer wieder diskutiert worden. Neben arbeits- (und damit: kosten)intensiven Produktionsmethoden wurde auf eine zu große Produktpalette, zu wenig professionelles/kreatives Management, geringe Produktqualität, mangelndes Kunden- bzw. Marktbewusstsein sowie verkrustete mentale wie institutionelle Strukturen (im Sinne von ‚das haben wir immer schon so gemacht, das muss gut sein‘) verwiesen. Durchgreifende Reformen, die der britischen Automobilindustrie durch die Zeiten knappen Sprits – während der Suezkrise 1956 oder der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre – und gegen die parallel zunehmende globale Konkurrenz hätten helfen können, wurden versäumt. Von der wachsenden internationalen Konkurrenz bekommt man eine Vorstellung, wenn man bedenkt, dass 1974 zum ersten Mal seit 60 Jahren der Wert importierter Autos den der exportierten überstieg (vgl. Church 1995: 47). Die Reformen scheiterten vor allem an mangelnden (und wenn vorhanden: ungezielten) Investitionen, der Angst vor Belastungen des Arbeits-
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Jürgen Kramer marktes durch Rationalisierungen bzw. Schließungen und an schlechten Beziehungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften. (Dies ist die Logik des Kapitals als „Wert heckender Wert“ [Marx 1971: 84]. Folgt man ihr nicht, kann man entweder den Erhalt von Arbeitsplätzen, der starken Gewerkschaften und ihrem Einsatz geschuldet war, begrüßen, oder die spezielle Form der britischen Konsenspolitik bewundern – oder beides.) Stattdessen fand eine horizontale Integration jeweils stärkerer mit schwächeren Unternehmen statt. Paradebeispiel: die Fusion zwischen Leyland Motors (stark wegen der Lastwagenproduktion) und Standard-Triumph, die sich gerade bei einem Modernisierungsversuch völlig übernommen hatten. Dadurch wurde das schwache Unternehmen am Leben gehalten und das starke so geschwächt, dass es keine übermäßige Konkurrenz mehr sein konnte – und alles ging im Prinzip so weiter wie bisher. (Auch diese Argumentation, die Kapitallogik mit Sozialdarwinismus verbindet, hat eine Kehrseite: Wenn ökonomisch schwache Unternehmen erhalten werden, gehen keine Arbeitsplätze verloren. Die Sicherung von Arbeitsplätzen dient nicht nur dem Erhalt des sozialen Netzes, sondern ermöglicht auch identitätsstiftende Beschäftigungsverhältnisse.) So kamen 1966 die British Motor Holdings (BMH), 1967 die Leyland Motor Corporation (LMC) und 1968 schließlich die British Leyland Motor Corporation (BLMC) zustande. 1968 gab es also im Wesentlichen vier Akteure auf dem britischen Automobilsektor: die drei Amerikaner Ford, Vauxhall (General Motors) und Chrysler (die Rootes 1967 gekauft hatten) sowie BLMC, den national champion, der zwar der viertgrößte Autohersteller Europas war, dessen Anteile am heimischen Markt jedoch zwischen 1971 und 1973 von 40 auf 32% fielen. 1974 war Großbritannien nur noch – wie eingangs bereits erwähnt – sechstgrößter Autoproduzent der Welt. Als BLMC im selben Jahr die Regierung um finanzielle Hilfe bat, ließ diese zunächst eine Kommission unter Lord Ryder ein Gutachten erarbeiten, das allerdings den Status quo kaum ernsthaft und kritisch in Frage stellte, um dann die Existenzgarantie für die Firma zu übernehmen – was einer stillen Verstaatlichung gleichkam. Man hatte errechnet, dass an der Automobilproduktion ca. 835.000 (mit den Zulieferbetrieben sogar 1,3 Millionen) Jobs hingen; das waren 5% aller Arbeitskräfte (vgl. Whistler 1999: 6). Diese in der damals laufenden Rezession in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, hätte, neben den finanziellen Kosten, auch soziale Unruhe zur Folge haben können, die die Labour-Regierung unbedingt vermeiden wollte. Allerdings erholte sich BLMC, nunmehr (1975) British Leyland (BL), nicht. 1977 wurde Ford der größte Produzent auf dem heimischen Markt und die Importquote lag bei knapp 50%. 1979 begann BL, mit Honda zu kooperieren. Honda lieferte vor allem die Motoren
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Der Anfang vom Ende und die Schaltgetriebe, während BL die Karosserien baute; zusammengesetzt wurden die Autos in Cowley (Oxford) und Longbridge (Birmingham). 1986 wurde BL aufgeteilt: Die Lastwagen- und BusProduktion wurde abgestoßen, der Rest (Austin Rover und Land Rover) in Rover Group umbenannt. Diese wurde 1988 reprivatisiert und an British Aerospace verkauft, die sie bereits 1994 an BMW weiterverkaufte. Damit war Großbritannien – ein Jahrhundert nach dem Entstehen seiner Autoindustrie – zum ersten Mal ohne einen eigenen Automobilhersteller, der Autos in großer Anzahl produzierte. Auch BMW konnte trotz millionenschwerer Investitionen die Gruppe nicht profitabel weiterführen, behielt lediglich die MiniProduktion, verkaufte Land Rover an Ford. Ford reichte Land Rover später an TATA weiter. TATA Motors of India gehören heute neben Land Rover auch die Marken Rover und Jaguar: the Empire buys back, strikes back. Abb. 1: Fusionen britischer Automobilhersteller vor 1968
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Jürgen Kramer
Wie ein cheeky little icon zuerst Räder des Kapitalismus in Gang setzte und dann unter sie geriet Der Mini von Alec Issigonis wird oft in einem Atemzug mit Henry Fords Model T und Ferdinand Porsches VW Käfer genannt. Alle drei Autos, so heißt es, seien von Ingenieuren konstruiert worden, die sich den gängigen Moden verweigert und eigene Trends hervorgerufen hätten. Auch wenn dies – in Bezug auf die Konstrukteure – zutrifft, wird leicht übersehen, dass diese Automobile auch die Antworten auf bestimmbare gesellschaftliche Bedürfnisse darstellten: Fords Model T ermöglichte die individualisierte und gleichzeitig massenhafte mobile Erschließung des nordamerikanischen Kontinents nach dem Ersten Weltkrieg. Der VW Käfer offerierte die entsprechende Variante für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Beide Autos waren dabei einer Ideologie verpflichtet, die Praktikabilität, Funktionalität und Ökonomie hochhielt. Das galt auch zunächst für den Mini. Er war ein Kind der Suezkrise und der mit ihr einhergehenden Spritknappheit: Petrol rationing had persuaded the British Motor Corporation they could sell a new, smaller, less thirsty car. They turned to one of the immigrants […], the son of a Greek engineer and a German brewer’s daughter. Alec Issigonis was a temperamental genius, who quickly came up with a revolutionary squat tenfoot box on wheels. (Marr 2007)
Das angestrebte Ziel war der kleinste vollwertige Viersitzer. Der Akzent lag dabei auf beiden Adjektiven, und nicht, wie etwa beim Fiat Nuova 500, nur auf einem (‚kleinste‘). Wenn man sich ansieht, wie dieses Auto konstruiert wurde, kann man erkennen, dass die Konstrukteure ihrem Anspruch gerecht wurden (vgl. Abb. 2), obwohl man im Grunde alles vergessen muss, was man als Autofahrer der Gegenwart für selbstverständlich hält. Der Mini hat im Laufe seines langen Lebens nicht einen einzigen Crashtest absolvieren müssen (vgl. Robson 2007: 18); Europa-Normen wurden für ihn umgangen bzw. außer Kraft gesetzt. Aber der Mini war gleichzeitig schon ein Teil des age of affluence, in dem höhere Löhne, weniger Arbeits- und mehr Freizeit und insgesamt höhere und bessere Lebenserwartungen sich in der Natur der Waren – und folglich auch der Automobile – widerspiegelten. Der britische Premierminister Harold Macmillan hatte bereits 1957 behauptet: „most of our people have never had it so good“ (zitiert in Kramer 2007: 179). Auch ein massenhaft produziertes Auto
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Der Anfang vom Ende
Abb. 2: Konstruktionsskizze eines Minis
musste neben Praktikabilität und Funktionalität nunmehr einen Spaßfaktor bieten. Das beste Beispiel hierfür war der jeepähnliche Mini Moke, der zwischen 1964 und 1968 in Großbritannien, zwischen 1966 und 1981 in Australien und zwischen 1980 und 1993 in Portugal produziert wurde. Ein solches Auto musste vor allem im Kontext eines mehr und mehr erwachenden Konsumbewusstseins, gerade auch, wenn es massenhaft produziert und gekauft werden sollte, in mehr oder weniger bescheidenem Umfang individuelle und kollektive Identifikationsprozesse ermöglichen. Hier machte der Mini sein entscheidendes Angebot und avancierte so zu einem „cheeky little icon of Britain’s new spirit“ (Marr 2007). Zuerst aber war der Mini gewöhnungsbedürftiger als Issigonis und seine Auftraggeber angenommen hatten: To start with: the Mini was a commercial flop. Issigonis had talked about creating a car for the charwoman, but the poorer families this was aimed at didn’t much like the unconventional shape. Also, the early Minis were riddled with faults: brilliant in conception, but second rate in manufacture. The trim was ropy, the clutch was dodgy, and they leaked so badly people talked about everyone needing to be sold with a pair of Wellington boots, and one journalist brought his back to complain that he was able to keep goldfish in the door compartment. (Ibid.)
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Jürgen Kramer Statt der ursprünglich angepeilten Käufergruppe fand sich jedoch bald eine andere – jene, die sich einen Zweitwagen leisten konnte: Ironically, the charwoman’s car was about to be rescued by the glittering new world of 1960s celebrity. When Princess Margaret married Anthony ArmstrongJones, Issigonis gave the new royal couple a Mini as a wedding present. Soon, they were seen everywhere in it. Others followed from Peter Sellers to the Beatles, Marianne Faithful to Charlotte Rampling. The Mini was a cheap and cheerful symbol of modernity and youth: a four-wheel two fingers to tradition. It was soon outselling every other small car in Europe. (Ibid.)
Diese Glamourisierung des Minis begann 1961. Der Rennfahrer und Konstrukteur John Cooper machte sich daran, den Mini schneller und für den Motorsport wettbewerbsfähig zu machen, und so entstanden der Mini Cooper und der Mini Cooper S. Zu den frühen Rallyesiegen gehörten: Tab. 1: Die frühen Mini-Rallyesieger 1962
1963
Tulpenrallye
Pat Moss
Mini Cooper 997
Deutschlandrallye
Pat Moss
Mini Cooper 997
Französische Alpenrallye
Rauno
Cooper 1071S
Aaltonen 1964
Rallye Monte Carlo
Paddy
Cooper 1071S
Hopkirk Tulpenrallye
Timo Mäkinen
Cooper 1071S
(Vgl. Robson 2007: 59)
Der Gewinn der Rallye Monte Carlo (1964) war sicher der prestigeträchtigste von allen. Von 1964 bis 1967 war der Mini Cooper 1275S der erfolgreichste Rennsportwagen Europas (vgl. 79-80). Aber der Mini war weit mehr. Wenn Andrew Marr von ihm als einem „cheeky little icon of Britain’s new spirit“ (2007) spricht, so muss man viele Faktoren zusammen sehen (vgl. Kramer 2007: 179-180): Der wirtschaftliche Aufschwung Ende der 1950er Jahre ermöglichte (wie bereits angedeutet) der britischen Bevölkerung insgesamt einen höheren Lebensstandard und den Jugendlichen, ihre Freizeit ausgiebiger und intensiver zu gestalten und u.a. eigene Jugendkulturen zu bilden. Gleichzeitig waren die 60er Jahre eine Zeit der Reformen, die nicht nur der 1964 an die Macht gekommenen Labour Party zu verdanken waren. Die Zensur wurde ebenso abgeschafft (1959, 1968) wie die Todesstrafe (1965, 1969), Homosexualität zwischen
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Der Anfang vom Ende männlichen Erwachsenen und Abtreibungen waren nicht länger strafbar (1967), Scheidungen wurden einfacher (1969). Das Lebensgefühl einer ganzen Generation veränderte sich oder – mit den Worten von Raymond Williams – eine neue „structure of feeling“ (1961: 48) bildete sich heraus. Die Jugendproteste, Swinging London mit Popmusik und Mode sowie die Vorstellung befreiter Sexualität waren lediglich die Spitze des Eisbergs. Und der Mini in seinem Anderssein war das Zeichen und Antizeichen seiner Epoche: cheeky, also: frech, vorwitzig, dreist, kess, flott, unverschämt. In einer Zeit, in der gesamtgesellschaftlich das Bestreben dominierte, größere Autos und Flugzeuge sowie höhere Häuser und längere Brücken zu bauen, ja immer größere Projekte zu planen und durchzuführen (Weltraumerkundung, Fahrt zum Mond usw.), setzte der Mini ein Zeichen der Differenz, das diejenigen, die sich von diesem Trend – aus welchem Grunde auch immer – absetzen wollten, begeisterte. Rasanter Rennwagen und freches Zweitauto vs. mit Mängeln behafteter, von den potenziellen KundInnen misstrauisch beäugter Kleinwagen: Die Paradoxien des Minis manifestieren sich auch in Produktionsbedingungen, Absatzzahlen und Managementstrategien. Der Mini entstand in zwei Fabriken „mit unterschiedlichen Markenzügen und voneinander abweichenden Kühlergrillformen […] einmal als Austin Seven, zum anderen als Morris Mini-Minor“ (Robson 2007: 22-23). Die Austin-Modelle wurden bis 1968 in Longbridge, die Morris-Modelle in Cowley gebaut und auch durch getrennte Händlernetze vertrieben. Erst 1962 folgte BMC dem Willen der Kundschaft und ließ die getrennten Bezeichnungen fallen – „[v]on nun an hießen alle Fahrzeuge der Serie einfach nur Mini“ (60) – auch wenn es bis 1969 weiterhin beide Versionen gab. „Allerdings war die Trennung in Austin und Morris nicht gänzlich strikt; je nach Auftragslage, Materialbeständen und Notwendigkeit entstanden nicht wenige Austins in Cowley und nicht wenige Morris in Longbridge“ (23). Dazu kamen noch Idiosynkrasien wie die berühmt-berüchtigten Überkopf-Förderanlagen in Birmingham, die zwei Werksteile über die A38 miteinander verbanden. Natürlich kann man diesen Verhältnissen auch positive(re) Lesarten abgewinnen. Sie erforderten, dass die MitarbeiterInnen nicht stur nach Schema F vorgingen, sondern mitdachten und ein Maß an Flexibilität in Bezug auf ihre Arbeitsprozesse entwickelten, was sich gewinnbringend auf den gesamten Produktionsprozess auswirken konnte (sprich: dass sie im fordistischen System tendenziell Elemente der postfordistischen Produktionsweise zu entwickeln lernten). Konnte, aber nicht musste: Ein zu hoher Grad an Improvisation zeugt vielleicht von einem hohen Einsatz an Humankapital, widerspricht aber der notwendigen Rationalität bei der Produktion von Massengütern. Die beschriebenen Idiosynkrasien als liebenswerte Exzentrizitäten
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Jürgen Kramer oder gar als Formen des (bewussten oder unbewussten) Widerstandes gegen die Logik kapitalistischen Wirtschaftens zu lesen, wäre meines Erachtens seinerseits eine ausgesprochen exzentrische Form des Romantisierens. Während die Sondermodelle boomten, stagnierte die Weiterentwicklung des ‚normalen‘ (oder Ur-)Minis in den 1960er Jahren. Das lag u.a. an bereits eingangs genannten Problemen, die die Profite im Sinne der Logik des Kapitals – in der britischen Automobilindustrie allgemein, aber auch im besonderen Fall des Minis – klein hielten und damit auch nur einen geringen Spielraum für Re- bzw. Neuinvestitionen erlaubten. Es blieb bei zu kostenintensiven Produktionsmethoden, einer zu großen Produktpalette, zu wenig professionellem Management, mangelndem Kunden- bzw. Marktbewusstsein. Ein immer wieder genanntes Beispiel für schlechtes Management sind die Kosten des Ur-Minis. 1959 stand der Mini im Vergleich zu seinen Konkurrenten scheinbar gut da: Tab. 2: Die Preise des Minis und seiner Konkurrenten 1959 Marke und Modell
Nettopreis in
Preis inkl.
£
Steuer in £
Austin Seven/Morris Mini-Minor
350
496
Austin Seven/Morris Mini De Luxe
378
537
Citroën 2CV
398
564
Fiat 600
432
613
Ford Popular 100E
348
494
Ford Popular 100E De Luxe
363
515
Morris Minor 1000
416
590
Morris Minor 1000 De Luxe
436
618
VW Käfer
435
617
VW Käfer De Luxe
505
716
(Vgl. Robson 2007: 30)
30
Der Anfang vom Ende Die anderen Hersteller wollten nicht glauben, dass BMC einen Wagen zu dem Preis liefern und noch Profit machen konnte. Konnte sie auch nicht. Sie war lediglich „incredibly slapdash about the figures“ (Marr 2007). Mitarbeiter der Firma Ford kauften ein Exemplar des Minis, zerlegten es und berechneten die Kosten. Es stellte sich heraus, dass BMC mit jedem Modell, das für 496 £ (inklusive Steuern) verkauft wurde, einen Verlust von 30 £ machte (vgl. Church 1995: 86). Das entsprach 2007 etwa 500 £ oder 750 €. Ein anderes Beispiel, diesmal für mangelndes Kunden- bzw. Marktbewusstsein, war die Entscheidung im Jahre 1969, den Mini Cooper, und zwei Jahre später die Produktion des Mini Cooper S trotz großer Proteste der Käufer einzustellen (vgl. Robson 2007: 124). Erst 20 Jahre später wurde er wieder zum Leben erweckt. Dazu kamen die oben skizzierten strukturellen Veränderungen. 1968 fand die letzte große Fusion der britischen Autoindustrie statt: Aus der Verschmelzung der 1966 gebildeten British Motor Holdings mit dem Leyland-Konzern entstand British Leyland. Mit dieser Fusion endete nicht nur der Einfluss von Alec Issigonis auf die Entwicklung des Minis, sondern auch die Mini-Produktion in Cowley. Von da an war Longbridge für die nächsten 32 Jahre der ausschließliche Produktionsort. Für einen Teil der potenziellen wie tatsächlichen Käufer war British Leyland der „Mini-Mörder“ (99). Neben der umfassenden Renovierung des Minis im Jahre 1969 und der Einstellung des Mini Coopers, schaffte der Konzern die Austinund Morris-Embleme ab (der Mini wurde zur eigenständigen Marke) und, was am allerschlimmsten war, führte neue Versionen wie u.a. den Clubman ein, der mit seiner ungewöhnlich langen Nase nicht mehr wie ein echter Mini aussah, wie viele Kunden bemängelten. Wenngleich die Verkaufszahlen in den folgenden Jahren stiegen – 1971 war das Jahr, in dem das gesamte Mini-Programm sich am besten verkaufte – fielen sie ab Mitte der 1970er Jahre stetig, und viele Sondermodelle wie auch die Einführung des Austin Mini Metro (Ende 1980) konnten daran ebenso wenig ändern wie die großen Erfolge im Ausland (z.B. in Italien, wo mit Innocenti kooperiert wurde, und Japan). Im ersten vollen Produktionsjahr 1960 entstanden vom Mini insgesamt 116.677 Stück, 1971 (dem besten Jahr überhaupt) waren es 318.475, doch 1978 fiel die Stückzahl auf unter 200.000, 1981 dann unter 100.000, 1993 unter 25.000. Angesichts von knapp 15.000 Exemplaren im Jahr nach der [letzten] großen Modellpflege von 1996 war die Mini-Herstellung zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als ein luxuriöses Hobby. Das Ende kam im Oktober 2000, nachdem in jenem Jahr bis dahin gerade einmal 7.070 Wagen von Band gelaufen waren. (7)
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Jürgen Kramer Eine andere Art, die ‚Mini-Meilensteine‘ zu verorten, ist die folgende: Der erste Serien-Mini lief im April 1959 vom Band. Im Februar 1965 wurde der millionste Mini produziert, die zweite Million im Mai 1969, die dritte im Dezember 1972 erreicht. Waren bis hierher die Abstände zwischen den Millionen geschrumpft, wuchsen sie nun wieder. Die vierte Million war im November 1976, die fünfte im Februar 1986 erreicht; der letzte Mini lief im Oktober 2000 vom Band (vgl. 149). Insgesamt sind zwischen 1959 und 2000 „5.378.776 Minis aller Art“ (148) produziert worden. An den größer werdenden Abständen nach 1972 kann man allerdings deutlich den Verfall des Minis in der Käufergunst erkennen. 1974 bat BLMC die Regierung (wie bereits erwähnt) um finanzielle Hilfe. Die Regierung garantierte die Existenz der Firma, aber sie erholte sich wirtschaftlich keineswegs – übrigens auch nicht unter den ab 1979 einsetzenden ökonomischen und politischen Gewaltkuren der konservativen Regierung von Margaret Thatcher. Das Ende der Entwicklung ist bekannt: BMW kaufte sich ein, warf nach sechs Jahren das Handtuch, behielt lediglich die Rechte am Mini, den es prompt in anderer, aber erkennbarer Form 2001 neu herausbrachte. Aber diese Geschichte erzählen andere.3 Vielleicht könnte man abschließend überspitzt formulieren: Der Mini passte nicht in den Kapitalismus, dem er sich verdankte. Der Sprit war noch zu billig, die Straßen der Städte noch nicht verstopft genug; small was not yet beautiful. Die Prinzipien der Warenproduktion ermöglichten zwar seine Entstehung (die Krisen, auf die er eine Antwort sein sollte, zeigten sich bereits in Ansätzen), verhinderten aber seine Entfaltung, weil sich zuviel – vor allem in Bezug auf die Mentalität der Autobauer – hätte ändern müssen. (Der Bericht des Club of Rome The Limits to Growth kam 1972 heraus und wurde von der Industrie und der Politik belächelt.) Zum 50. Geburtstag des Minis kann man sagen: Er kam zu früh. Und käme er heute, wäre er ein Anderer.
3
Vgl. den Beitrag von Iris-Aya Laemmerhirt und die Podiumsdiskussion zum Auto im vorliegenden Band.
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Der Anfang vom Ende
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Their own teenage look? Der Minirock als Gegenstand von Jugendmode, Modeindustrie und historischer Rekonstruktion VIOLA HOFMANN
Der Minirock steht für das Modeleitbild der 1960er Jahre. Obwohl er mit seinen Revivals immer wieder große Aufmerksamkeit erzeugt1, definiert er von seiner Genese bis zum Einsickern in die alltägliche Bekleidungskultur besonders die Dekade der 60er und dient gewissermaßen als ihre öffnende und schließende Klammer. In einem einzelnen Bekleidungselement scheint im historischen Rückblick die Haltung einer ganzen Epoche zu verschmelzen. Nigel Cawthorne beschreibt dementsprechend den Minirock als zentralen materiellen impact der 1960er Jahre: One of the most enduring images of the 1960s is undoubtedly the miniskirt. Not merely a new fashion trend, but a true icon of the 60s, the miniskirt epitomised the attitudes of the era. (1999: 108)
Mode, Zeit und Gedächtnis, dies lässt sich an dieser Stelle ablesen, stehen offenbar in einem besonderen Verhältnis zueinander. Wie die Kulturanthropologin Gabriele Mentges anführt, ist die Mode „in der
1
Der Mini ist seit den 1990er Jahren konstitutives Element einer weiblichen Attitüde, die mit Girl Power beschrieben wird. Die Hauptprotagonistinnen, die Spice Girls, trugen dazu bei, den Mini neu zu beleben. Ebenso prägen Punk seit den 70ern und davon ausgehende urbane post-punk-styles das Bild der modernen und zähen Großstadtkriegerin im Micro-Mini mit Boots und grobmaschigen Strümpfen. Diese Figur wurde nicht zuletzt durch Manga-Comics, Tank Girl und Lara Croft popularisiert. Darüber hinaus wird der Mini seit den 80ern ins chice Business-Kostüm integriert und soll die Durchsetzungsfähigkeit und Selbstbestimmtheit von jungen Karrierefrauen demonstrieren. Auf den Laufstegen findet sich regelmäßig eine Gemengelage dieser verschiedenen Stile wieder, und in diversen Retro-Wellen wurde der Sixties-Stil des Minis periodisch revitalisiert (vgl. Cawthorne 1999: 118).
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Viola Hofmann modernen Gesellschaft ein Zeitmesser par excellence“ (2005: 31). Ähnlich argumentiert der Kunst- und Designhistoriker Christopher Breward, der feststellt, dass gerade wechselnde Modestile als „kulturelle Uhr“ fungieren (1995: 185). Abb. 3: Mantel im Miniformat, 1965
Die rasche Abfolge von Moden ist demnach und ex aequo an der Erzeugung und Fühlbarkeit einer eilig voranschreitenden Zeit beteiligt. Dies macht sie nicht nur zu einem tragenden Versinnlichungselement von Schnelligkeit, die laut des Geschwindigkeitsphilosophen Paul Virilio zum bestimmenden und positiv besetzten Lebensgefühl des 20. Jahrhunderts avancierte (vgl. 1989: 156). Darüber hinaus tritt der modische Wandel als kulturelle Referenz- und Ordnungskategorie von vergangener Zeit auf. Sobald sie ihren Zenit als soziale Lebensform überschritten, sie gewissermaßen den Weg vom to be in zum to be out durchlaufen hat, werden Gegenwart und Vergangenheit als Differenz spürbar (vgl. Loschek 2007: 170-176).
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Their own teenage look? Wie die Kulturanthropologin Heike Jenß unterstreicht, sind Moden und Kleidung, eben da sie zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden sind und der Vergänglichkeit unterliegen, Zeitzeichen. In Bezugnahme auf Maurice Halbwachs weist sie nach, dass besonders die Kleidung erhebliches Potenzial für die Erinnerung birgt und somit „als wesentliches Moment unseres ‚kulturellen Gedächtnisses‘“ fungiert (2001: 234).2 Voraussetzung ist, dass die ehemals modischen Elemente einen hohen Wiedererkennungswert besitzen, als Zeitzeichen identifizierbar sind und permanent als solche bildlich reproduziert werden. Das eine bedingt das andere und trifft insbesondere für den Minirock zu. Seit dem 20. Jahrhundert, in dem die Dekade die geschichtliche Zeiteinteilung prägte, gehört es zu den gängigen Praktiken der Chronologie, stereotypisierte ästhetische Konturen einem bestimmten Zeitabschnitt zuzuordnen. Konsensfähige Stilisierungen machen Vergangenheit handhabbar und ermöglichen die eingängige Verwertung und Konsumierbarkeit von Geschichte. Das Begriffspaar Mini und Sixties zum Beispiel demonstriert, wie sehr die Art unseres Wahrnehmens, Speicherns und Abrufens mit der (Re-)Konstruktion von Geschichte vernetzt ist. Unwillkürlich entstehen gedanklichbildliche Assoziationsketten, die sich aus unserer Schulung am „Universum technischer Bilder“ (Flusser zitiert in Jenß 2001: 240) speisen. Damit wird jedoch die „Substanz, respektive die reale vergangene Zeit, immer stärker aufgeweicht […] und immer stärker von dieser abrufbaren Reproduktion der Vergangenheit bestimmt“ (ibid.). Ein Beispiel dafür ist der jüngst erschienene Band Der Minirock. Die Revolution, die Macher, die Ikonen, der – das macht schon sein Titel klar – als Ausdruck eines gegenwartskompatiblen Zeitgeistes zu bewerten ist (vgl. Lang/Schraml/Elster 2009).3 Nach Einschät-
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Wie die diesem Band vorausgehende Konferenz vor allem in der Podiumsdiskussion und bei der Vorbereitung der Begleitausstellung zum Thema Minirock gezeigt hat, sind die Erinnerungen sowohl sehr individuell als auch sozial geprägt. Aufbewahrte Originalkleider, die der Ausstellung zur Verfügung gestellt wurden (mit Dank an Fr. Bartsch, Fr. Bonenkamp, Fr. Hunzinger, Fr. Kaufmann, Fr. Kühntopf und Collection Siekmann), wurden meist sehr genau nach Kauf- oder Herstellungsdatum und Ereignissen, zu denen das Kleid getragen wurde, eingeordnet. Ähnlich verhielt es sich mit persönlichen Kleidungsfotos. Auf Nachfragen wurde der ‚Erinnerungsradius‘ vom Persönlichen auf die allgemeinen Gegebenheiten erweitert. Die Autorinnen setzen auf eingängige Effekte, die an die Ästhetik eines Modemagazins erinnern. Knappe Textmodule, dichte Bildfolgen, wechselnde Typografien, prägnante Losungen und Interviews, die sie „Small Talk“ nennen, füllen den Band. Das präsentierte Material wird jedoch kaum im Zusammenhang und wenig erschöpfend kulturwissenschaftlich diskutiert,
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Viola Hofmann zung Christopher Brewards ist ein solcher Umgang mit Geschichte kein methodologisches Verbrechen an sich, denn „chronology has to be dealt with in one way or another“ (1995: 185). Jedoch sollte man sich dessen bewusst sein und die Mitteilungsformen von Geschichte auch als eine ökonomische und mediale Strategie begreifen (vgl. 184-185). Folglich sollte man den Bezug zu den Ereignissen wiederherstellen, Schablonisierungen aufspüren und hinterfragen. Zu diesem Zweck ist auch das vorliegende Buch angetreten, um das ambivalente Wechselspiel zwischen Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion zweier Mythen der Sixties zu beleuchten. In diesem Sinne kann ein Aufsatz zum Minirock darauf aufmerksam machen, dass der Mini als Bekleidungselement vielfältig semantisch aufgeladen ist, jedoch unser Bild von ihm lediglich eine stereotype Version von Vergangenheit darstellt. Es soll daher in aller Kürze der Minirock ergründet werden als materielle Formulierung viel weiter gespannter sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Wandlungen. Mit dem Fokus auf die Verwertung des kurzen Rocks in der Mode der 1960er und seine Verbreitung als Ideal wird der Mini als nachhaltiges modisches Phänomen beleuchtet und hinterfragt.
Die ‚Erfindung‘ des Minirocks Wer sich mit dem Minirock beschäftigt, wird in mehr oder weniger einschlägiger Literatur zwangsläufig auf die Namen André Courrèges und Mary Quant stoßen. Beiden Modedesignern, mal dem Franzosen, mal der Britin, wird die Erfindung des Minirocks zugeschrieben. Sucht man nach Indizien, die darauf hinweisen, wer den kurzen Rock zuerst entworfen hat, wird man zu keiner eindeutigen Lösung des Problems kommen (vgl. Seeling 1999: 348). Courrèges experimentierte angeblich erstmals 1961 mit der neuen Rocklänge. Von Quant existieren Modeskizzen, die auf die Saison 1959/1960 datiert sind (vgl. Abb. 4). Ihre Entwürfe von Hängerkleidern in A-Linie sehen eine deutlich sichtbare, kniefreie Saumlinie vor (vgl. Loschek 1984: 256-257). Beide Modemacher wurden mit ihren Stilen und dem kurzen Rock in etwa zur gleichen Zeit bekannt. Die britische Vogue wurde 1962 auf Quants Mode und ihre Londoner Boutique aufmerksam und flankierte ihre Entdeckung mit einem Artikel. Im selben Jahr startete Quant eine fulminante USA-Tour, um ihren miniskirt in einer Musik-Tanz-Inszenierung vorzuführen.
wenngleich dies auch nicht das erklärte Ziel der Autorinnen war. Für sie war es vielmehr an der Zeit, den Mini in einem eigenen Buch zu feiern.
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Their own teenage look? André Courrèges, ehemaliger Assistent im führenden Pariser Modehaus Balenciaga, arbeitete seit 1962 als selbständiger Couturier im eigenen Salon. Als „Paukenschlag des Jahrzehnts“ bejubelte die Constanze Courrèges’ Weltraum-Look Mitte der 1960er Jahre und in der französischen Vogue wurde ihm 1965 ein Artikel gewidmet (Loschek 1998: 53). Abb. 4: Quant-Entwürfe 1959/1960
Zur Urheberschaft des Minis befragt äußerten sich die Designer auch persönlich. Von Courrèges ist die Behauptung überliefert, er alleine habe den Minirock erfunden, Quant habe ihn lediglich kommerzialisiert (vgl. Cordbrüning 2006: 17). In einem aktuellen Interview antwortete seine Ehefrau und Geschäftspartnerin Coqueline Courrèges auf Mary Quant und die Autorschaft angesprochen noch nach über 45 Jahren reichlich verstimmt. Sie sagte, Quant habe sich lediglich bei dem Modeschöpferpaar bedient, um auf sich aufmerksam zu machen (vgl. Lang/Schraml/Elster 2009: 98). Eine frühere Reaktion von Quant, die sich ebenfalls auf diese andauernde Diskussion bezieht, stellt sich spöttisch gegen eine Vereinnahmung des Minis durch den Couturier und durch eine einzelne Person überhaupt: That’s how the French are […]. I don’t mind, but it’s not as I remember it […]. It wasn’t me or Courrèges who invented the miniskirt anyway – it was the girls in the street who did it. (Quant zitiert in Steele 1997: 52)
Was an dieser Stelle lediglich kurz angerissen als amüsanter Schlagabtausch erscheint, entpuppt sich auf den zweiten, tiefer gehenden Blick als Kampf um Wettbewerbsvorteile mit durchaus kulturpolitischer Note, mitten in einer markanten Umbruchphase der Modebranche. Besonders seit den 1960er Jahren in Folge der Aus39
Viola Hofmann differenzierung von Lebensstilen und Milieus beeinflussen sich unterschiedliche Modesysteme gegenseitig; das deutet auch Quant an. Straßenlooks, das ist ein Novum, gelangen in die Haute Couture und werden nahezu synchron von der industriellen Produktion aufgenommen und flächendeckend verbreitet. Der vergleichsweise kurze Rock, der auch im Zusammenhang weiblicher Stilschöpfung jugendkultureller Bewegungen zu entdecken ist (vgl. Jenß 2007: 7280), wurde überdies von Modemachern und Medien systematisch verwertet und unter dem Schlagwort Mini-Mode oder Minirock popularisiert. Die noch heute brisante Frage nach der Erfindung folgt der im Modesystem immanenten Hierarchisierung von Vorreiter- und Nachahmertum. Von dieser Art der Rangfolge des Originären bis zur Kopie hingen nicht nur der wirtschaftliche Erfolg und die Reputation von Modehäusern und Bekleidungsanbietern ab, sondern der ganzer Wirtschaftszweige. Die Haute Couture mit Sitz in Paris befand sich seit den 1960er Jahren in einer Krise. Viele Häuser boten neben teuren, exklusiven und handgearbeiteten Einzelstücken auch industriell hergestellte Kleinserien als neuartige Prêt-à-porter-Kollektionen an, um sich neue Marktchancen zu erobern. Courrèges galt zu dieser Zeit neben Yves Saint Laurent als einer der innovativsten Erneuerer der Couture. Während sich andere wie Balenciaga gegen die als Banalisierung empfundene Demokratisierung der Mode sträubten (vgl. Lehnert 2000: 62-69), war Courrèges mit seiner Linie sehr erfolgreich. Sein Look wurde weltweit beachtet, imitiert und kopiert. Selten waren die Modelle à la Courrèges jedoch autorisiert. Das Branchenblatt Mode für die Fachwelt stellte 1965 kurioserweise die „echtesten courrèges-kopien“ mit Angabe der internationalen Hersteller vor (MfdF Heft 7, 1965: 20-23). In Paris selbst, so das Magazin, sei der Einfluss von Courrèges kaum zu übersehen. Der „astronautic-look“ werde längst von allen Couturiers interpretiert bzw. kopiert (MfdF Heft 8, 1965: 3). Trotz der internationalen Anerkennung, die man der Haute Couture und Paris als Modestadt, angeschoben auch durch Courrèges, weiterhin schenkte, übte der Industrialisierungsschub in den 1960er Jahren enormen Druck auf das etablierte System aus. Nicht nur, dass die Konfektion sich durch verbesserte Qualität auszeichnete, das Selbstverständnis und das Diktat der alten Mode wurden durch die Dynamik der Mode von unten erschüttert (vgl. Vinken 1993: 56-59). Die Haute Couture als bedeutender Kulturexport Frankreichs verlor an Attraktivität und Einfluss. Die britische Modebranche, deren Ruf sich ebenfalls aus hervorragender Schneidertradition speiste, schlug in den 1960er Jahren einen neuen Weg ein. Zwar erhielt sich das britische Schneider-
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Their own teenage look? handwerk, das vornehmlich gehobene Männergarderoben herstellte, weiterhin seine traditionelle Prägung. Daneben expandierte jedoch die einheimische Modeindustrie. Bekleidungs- und Faserstoffhersteller wie etwa ICI Fibres Ltd. lancierten regelrechte ModenschauTourneen. In der Werbung sowie in einigen Schauen trugen die Models Bärenfellmützen, um das Verkaufsargument made in Britain visuell zu unterstützen (vgl. MfdF Heft 3, 1965: 13, 15, 27; Heft 11, 1965: 43, 45, 47, 49, 57). Die Trendsetter Mary Quant, Ossie Clark und Barbara Hulanicki standen in persona für neue modische Impulse aus London, die sehr erfolgreich von der Massenproduktion aufgenommen wurden. Quant selbst lancierte mit der Ginger Group ein günstiges Sortiment an Kleidung, Accessoires und Kosmetik. Sie erhielt im Jahr 1966 für den Triumph des Minirocks als britischer Exportschlager den O.B.E., den Order of the British Empire (vgl. Loschek 1984: 256). Mit der Personalisierung des Minis durch einzelne Kreative konnte die neue, massenhaft produzierte Mode authentifiziert und popularisiert werden. Diese Praxis wird heute durch Celebrities, Stars und Designer, die für Bekleidungsketten entwerfen oder dies zumindest vorgeben, durchaus erfolgreich multipliziert. Sowohl Quant als auch Courrèges können unter den Aspekten von Marketing und Medialisierung als moderne Modestars bezeichnet werden, mit denen die Einführung des Minis als Neuheit eventisiert wurde. Wie Quant tourte auch Courrèges mit tanzenden Mini-Mädchen durch die USA. Der enorme Bekanntheitsgrad der Britin und des Franzosen bot neue Optionen, Aufmerksamkeit für die Mini-Mode zu erzeugen. Ihre Rolle als Erfinder des Minis stellte einen vielschichtigen kulturellen Referenzrahmen her. Der Modeartikel Minirock konnte damit alters- und milieuübergreifend sowohl als erschwingliches, jugendliches Produkt des Swinging London als auch als avantgardistisches Kleidungsstück mit dem Hauch der Perfektion von Pariser Haute Couture vermarktet werden.
Der Look Kleider- und Körperbilder als „Geschlechtertopoi“ liefern laut Mentges „einen zentralen Schlüssel zum Verständnis von Kultur“ (2005: 27). Wie Jennifer Craik festgestellt hat, lässt sich Mode als Körperarchitektur und Körpertechnologie fassen (vgl. 1994: 1-69). Die Art der Gestaltung von Mode, ihr Zugriff auf den Körper, konfiguriert zeitspezifische, ideale Körperbilder. Gleichzeitig ermöglicht die Kleidung die konstruktive Annäherung an vorherrschende geschlechtlich determinierte Körperbilder (vgl. Mentges 2005: 26-27). Der Look ist in diesem Zusammenhang als ein modernes Phänomen zu ver-
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Viola Hofmann stehen, der typisierte weibliche Geschlechterbilder in Umlauf bringt. Er suggeriert darüber hinaus die Erreichbarkeit und Nachahmbarkeit von Schönheitsidealen. Die Bedingungen dafür wurden spätestens seit den 1920er Jahren in der Verbindung von Konfektions-, Kosmetik- und Bilderindustrie geschaffen (vgl. Devoucoux 2007: 280-281). Wechselnde Looks, veränderte Schönheitstechniken und -mittel sind im Zusammenspiel mit Bekleidungsmoden Faktoren der Modernisierung, die den weiblichen Körper selbst als ein Verhandlungsfeld von „Modernisierungsanstrengungen“ umbilden (Mentges 2005: 27). Die 1950er Jahre waren noch bestimmt durch das Ideal einer femininen, die weibliche Gestalt betonenden Linienführung. Der New Look aus Paris akzentuierte durch einschnürende Korsetts und Mieder die so genannte Wespentaille, schmale, abfallende Schultern und den Busen. Das Bein und vor allem das Knie sollten züchtig bis zur Wade bedeckt sein. Die jederzeit perfekt geschminkte, frisierte und anspruchsvoll gekleidete Frau demonstrierte nichts anderes als saubere Eleganz und Akkuratesse (vgl. Lehnert 2000: 43-45). Diese stereotyp weiblich konnotierte Stilisierung der Frau band nicht nur Ressourcen, sie machte auch das Vorhandensein jeglicher Fähigkeiten außer der des Schönseins gleichsam unsichtbar. Wie die Modeund Kostümhistorikerin Valerie Steele betont, war besonders das tonangebende Modebild der Couture der 50er Jahre weitestgehend losgelöst von den tatsächlichen sozialen und politischen Bewegungen der Zeit (vgl. 1997: 49). Stilistisch besehen verhält sich die neue Mode der 1960er völlig konträr zum Idealbild der 50er Jahre. Über stark vereinfachte Schnitte, gerade und geometrische Linienführungen wurde der weibliche Körper neu konstruiert. Taille und Busen wurden durch körperferne A- und Trapezlinien aus dem Blick genommen. Mit den kürzeren Rocksäumen lenkte sich das Interesse auf Beine und Knie. Kleider und Röcke wurden mit flachen Halbschuhen oder Stiefeln kombiniert und komplettierten mit blickdichten Strumpfhosen oder Kniestrümpfen das Outfit. Ohne die Strumpfhose, ein Produkt technologischer Errungenschaften in der Wirkwarenindustrie, wäre der Mini nicht denkbar gewesen (vgl. Seeling 1999: 399). Bisher trugen Frauen Nylon-, Perlon- oder Seidenstrümpfe, die mit Haltern an Strumpfgürteln befestigt wurden oder durch eingearbeitete Gummibänder ein Rutschen verhinderten. Der transparente Strumpf, der zwischen Verhüllen und Enthüllen changierte, war das Zeichen von Weiblichkeit und fetischisierte das Bein (vgl. Stiftung Haus der Geschichte 1999: 3845). Die Verbindung der Einzelstrümpfe mit dem verstärkten Leibteil war, wie die flachen Schuhe und kaum noch formende Wäsche, nicht nur relativ praktisch und bequem, sondern vermittelte ein
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Their own teenage look? anderes Körpergefühl der Bewegungsfreiheit und Sicherheit. Dies lässt sich unter anderem an den Posen der Mini-Mädchen in der Modefotografie ablesen (vgl. Abb. 5). Die Models stehen auf weit auseinander gestellten Füßen, vollführen Sprünge, positionieren sich im Schneidersitz oder mit zum Kinn gezogenen Beinen. Posen und im Bild fixierte, scheinbar spontane Bewegungen werden zu Signalen, die Dynamik und Unkompliziertheit vermitteln. Gleichzeitig lässt sich das Modebild als eine Mischung von kindlich, androgyn und sexualisierend beschreiben. Abb. 5: Die Kindfrau als Ideal
Die kurzen Röcke und Hängerkleidchen erinnerten an Schulmädchen-Kittel. Die kurzen Haare oder Zopffrisuren erweckten jeweils einen jungen- oder mädchenhaften Eindruck. Toupiertes Haar am Hinterkopf betonte und vergrößerte optisch das Haupt. Blasses Make-up, ein kräftig aufgetragener Lidschatten, künstliche Wimpern und ein mit zartem Gloss betonter Mund unterstützten das puppenhafte und kindliche Erscheinungsbild. Inspiriert vom Roman Nabokovs setzte sich die Bezeichnung ‚Lolita‘ durch. Lesley Hornby, die als Twiggy (Zweiglein) zum ersten Supermodel avancierte, war die Personifikation eines Körperideals, das eine kaum gerundete Figur und lange, dünne Glieder ohne Muskeln favorisierte. Sie war 43
Viola Hofmann das Gegenmodell zur Sexbombe der 1950er und der distanzierten, statuarischen Weiblichkeit der Pariser Modewelt. Mit dem MiniMädchen wurde ähnlich wie mit dem Flapper Girl in den 20ern die Kindfrau als Ideal aufgerufen. Beide Figuren verharren im ästhetischen Spiel mit kindlich-androgynen Attributen in einem Entwicklungsfreiraum. Lotte Rose beschreibt das Gebot dieses „Prä-Phänomens“ als ein Ausweichmanöver: „Es erscheint ein Frauenkörper als schön, der die Statur der Pubertät aufweist und keinerlei Zeichen von erwachsener Fraulichkeit trägt“ (1997: 139). Diese Fraulichkeit galt es offensichtlich zu vermeiden, denn sie habitualisierte das soziale Erwachsenenalter mit seinen „Individualisierungsrisiken“ und dem Verlust an Freiräumen (ibid.).
Neue Konsumenten, neue Konsummöglichkeiten In den 1960ern veränderte sich das Verständnis von Jugend grundlegend. Das zahlenmäßige Anwachsen des jugendlichen Bevölkerungsanteils in Europa, verbesserte Ausbildungschancen, neue Arbeitsmöglichkeiten und die Verbreitung mittelständischer Lebensstandards haben mittel- und unmittelbare Effekte auf die Wahrnehmung junger Menschen (vgl. Jenß 2007: 88-92). Die entscheidende Lebensphase des Erwachsenwerdens wurde lange als Durchgangsstadium bewertet. Jugendlichkeit wurde als Zustand des Unfertigseins verstanden, auf den die Phase des Gereiftseins mit entsprechenden Wissens- und Erfahrungsvorsprüngen folgte. Dieser als negativ verstandene Entwicklungszeitraum sollte am besten schnell überwunden, seine Effekte unterdrückt oder versteckt werden, damit man als tragfähiges Mitglied der Gesellschaft gelten konnte (vgl. Fend 2000: 93). Äußerlich wurde dieser Übertritt in die gesellschaftliche Verantwortung durch die Kleidung markiert. Das Sich-Kleiden war keinesfalls eine persönliche Angelegenheit, sondern unterlag der sozialen Kontrolle, die den Status quo festlegte und stabilisierte. Viele Verhaltensratgeber der 1950er und 60er Jahre beschäftigen sich in peinlich genauen Anweisungen damit, wann und zu welcher Uhrzeit welche Kleidung getragen werden durfte. Junge Mädchen und Frauen wurden über Bekleidungsfragen auf ihre spätere soziale Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet. Ein Moderatgeber aus dem Jahr 1962 etwa leitet unter dem Motto „junge Damen und solche, die es werden wollen“ in Bekleidungsfragen an. Im Zweifelsfall sollten die ältere Schwester oder die Mutter konsultiert werden (vgl. Tietgen-Simon 1962: 11). Das Kleidungsangebot für Jugendliche war ein unwesentliches Subthema
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Their own teenage look? der Mode. Es orientierte sich weitgehend an der Erwachsenenkleidung. Während der 1950er und 60er Jahre begannen sich mit Rockern, Teds oder Mods eigene jugendkulturelle Stile auszubilden. Der Habitus dieser neuen Generation setzte sich deutlich von dem der Eltern ab. Deren Lebens- und Ausdrucksweisen wurden offensichtlich als einschränkend und unattraktiv empfunden. Auch mit dem Erscheinungsbild verbanden sich noch immer die Erfahrungen der Nachkriegszeit. Wie Farid Chenoune für die Männermode belegt, war der 50er-Jahre-Stil mit der schwierigen Zeit nach dem Krieg verhaftet (vgl. 1993: 242-250). Mary Quant bringt dies rückblickend so auf den Punkt: To me adult appearance was very unattractive, alarming and terrifying, stilted, confined, and ugly. It was something I knew I didn’t want to grow into. (Zitiert in Steele 1997: 51)
Die möglicherweise daraus resultierende Motivation, eine junge, dynamische und tragbare Mode zu entwerfen, steht beispielhaft für ein alternatives Unternehmertum in Großstädten und Metropolen.4 In London etwa entwickelte sich Chelsea (Kings Road) von einem rückständigen Quartier zum In-Viertel. Dort trafen sich Künstler, Musiker, Schriftsteller, Theaterleute und dort gab es die ersten Boutiquen wie etwa Quants 1955 eröffnete Boutique Bazaar. Anders als in herkömmlichen Geschäften verfolgten die Läden neue Konzepte und richteten sich an die junge Klientel. Man konnte sich die Kleidung selbst aussuchen und im Angebot stöbern, ohne dass ein Kaufzwang bestand. Es gab Accessoires wie Schuhe, Brillen und Kosmetik im Sortiment. Es bediente junges Personal, mit dem man sich als gleichgesinnt identifizieren konnte. Die Verkäufer wirkten als Berater glaubhaft und waren Modevorbilder. Die Einrichtung der Läden war unkonventionell, die Schaufenster ständig neu und aufsehenerregend dekoriert. Dadurch veränderten sich die Einkaufspraktiken und -erfahrungen. Einkaufen wurde zum Erlebnis und zu einer zentralen Freizeitbeschäftigung von Jugendlichen (vgl. Jenß 2007: 91-92). Die Mischung freizeitlicher, kultureller und modischer Angebote übte eine starke Faszination aus. Darüber hinaus entstanden nicht nur in London neu definierte Routen und Zielorte, die nicht mehr ausschließlich von der üblichen Klientel der Angestellten, Einkäufer und Touristen frequentiert, sondern zunehmend auch von erklärten jugendlichen Modekonsumenten erschlossen wurden. Diese dynamischen Szenarien im urbanen Raum begannen, das Image von Städten zu verändern. Durch Berichte moderner Chronisten und in 4
Vgl. den Beitrag von Christian Werthschulte im vorliegenden Band.
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Viola Hofmann unterschiedlichen Medien wurden die Vorstellungen wie etwa die des Swinging London dirigiert (vgl. Breward/Gilbert/Lister 2007: 821). In diesem Zusammenhang wurde besonders die Straße zu einem Ort, Mode dingfest zu machen und zu inszenieren. Modefotografen wie David Bailey und Terence Donovan nutzten sie, um ihren Objekten einen attraktiven Straßenlook zu verleihen. Mehr oder weniger zufällig abgelichtete Mini-Mädchen und junge Männer im Mod- oder Peacock-Stil erwiesen sich als die physischen Zeichen einer modernen und pulsierenden Stadt.
Resümee In den 1960er Jahren zeigte sich das öffentliche Interesse an neuen Moden geradezu als gierig, und es wurde mit Argusaugen nach aufregenden Neuerungen gespäht, um sie kommerziell verwerten zu können (vgl. Cawthorne 1999: 114). Die amerikanische Vogue vermeldete 1965 im Telegrammstil dringender Nachrichten: „People are talking about […] Vietnam and the Negro revolution […] and Youthquake […]. The eruption of the young in every field“ (zitiert in Steele 1997: 49). In anderen Schlagzeilen, die auf die Entwicklungen der neuen Mode reagieren, ist u.a. die Rede von „Youthquake Fashion“, „The Quant Revolution“, „The New Leg“ und „Girls-Girls“ (zitiert in Steele: 54). Wenn man in diesem Zusammenhang Nigel Cawthorne folgen möchte, ist der Minirock inmitten der anwachsenden Vielfalt jugendkultureller Stile aufgrund einer zunehmenden Sensationslust in den Rang des modischen Ereignisses aufgestiegen. Ohne Zweifel wurde sein polarisierendes Potenzial genutzt, um ständig neue Schlagzeilen zu produzieren. Und dies weiterhin, obwohl er schon vor 1965 als Element der Massenmode und allgemeinen Bekleidungskultur seinen Zenit überschritten hatte. Frauen aller Altersklassen und Milieuzugehörigkeiten trugen den Rock.5 Das Blatt Mode für die Fachwelt reagierte schon Mitte der 1960er in kritischer Innenrevision reichlich abgeklärt auf die Allgegenwart des MiniLooks. So seien in der Saison die Säume zwar wieder nach oben gerutscht (drei bis fünf cm oberhalb des Knies), jedoch ohne nennenswerte Begleitdiskussionen. Jeder wisse, dass es sich bei knie-
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Frau Hunzinger, die der diesem Band vorausgegangenen Ausstellung ein Konvolut an Mini-Kleidern ihrer Mutter zur Verfügung stellte, datierte die Kleider auf Ende der 1960er Jahre. Ihre Mutter war zu diesem Zeitpunkt um die 40 Jahre alt, Hausfrau und lebte auf dem Lande. Die Stoffe wurden in der nächsten großen Stadt gekauft und von der örtlichen Schneiderin nach einem Grundschnitt variiert.
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Their own teenage look? frei ebenso wie bei den busenlosen Modellen um Vorführelemente handle (vgl. Jentzsch 1965: 6). Ab 1966 wurde der Mini jedoch zusehends kürzer und reichte nur noch bis knapp über das Gesäß. Damit lieferte er der Aufmerksamkeitsmaschinerie neuen Stoff für Diskussionen. Davon profitierte nicht zuletzt und einmal mehr die Modeindustrie. Die Journalistin Bettina Weiguny beschreibt pikanterweise, dass „ausgerechnet die stockkonservativen Katholiken […] des Brenninkmeyer Konzerns (C&A) das Potenzial des gewagten Kleidungsstücks erkannten. Nur die Verkäuferinnen durften es nicht wagen, im Mini im Geschäft aufzutauchen“ (2005: 88-89). Abb. 6: Auszubildende in der Mittagspause, 19686
Aufgrund solcher Fokussierungen wird der Mini im historischen Rückblick mit den Emanzipationsbestrebungen der Frau und dem Prozess der sexuellen Befreiung in Verbindung gebracht. Richtig ist, dass die Einflussnahme auf den Dresscode und das formulierte Recht auf den Mini zeitimmanente geschlechtliche Rollenverständnisse und gesellschaftliche Moralvorstellungen reflektieren. Andererseits kann mit dem ‚Super-Mini‘ im Vergleich zum Look der frühen 1960er eine neue Phase der Sexualisierung beschrieben werden. Gerade in der erlebten Realität wird der Mini sehr ambivalent eingeschätzt (vgl. Cordbrüning 2006: 44-45). Obwohl er von vielen Frauen als antihierarchisch und antielitär empfunden wurde, wurde er ganz im Gegensatz dazu auch als ein vestimentärer Zwang 6
Abb. 6 zeigt angehende Technische Zeichnerinnen der Firma Pfaff. Die etwa 17-jährigen Auszubildenden wurden in einer Arbeitspause im Jahr 1968 fotografiert. Die jungen Frauen in den sehr kurzen Minis mussten darauf achten, ‚richtig‘ zu sitzen.
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Viola Hofmann beschrieben. Vor allem ruft der besonders kurze Rock unangenehme Erinnerungen auf oder er wird als Einschränkung beschrieben. Dies gilt vor allem dann, wenn die Figur nicht dem Ideal entsprach oder sich die Trägerin den Blicken oder Kommentaren anderer ausgeliefert sah.7 Der Mini als populäres Zeitzeichen enthüllt sich auf den zweiten Blick als ein ausgesprochen ambivalentes Kleidungsstück. So ist er zunächst als ein Ausdruck adoleszenter Identitätsfindung zu bewerten. Vor allem aber ist er verbunden mit dem Vordrängen und dem Einfluss von Jugendlichen als neue Konsumgeneration. Ihre Ausdruckswünsche wurden von der Kultur- und Modeindustrie aufgegriffen und in einen breiteren Markt eingespeist, mit nachhaltigen Folgen. Mit der industriellen Massenproduktion entstanden neue Sachzwänge und Handlungsmuster, die über den Körper kultiviert wurden. Das Ereignis Mini leitet einen Prozess ein, der Jugendlichkeit als zentrales gesellschaftliches Leitbild propagiert. Der Rock verdeutlicht, wie sehr ein zeitimmanentes, bestimmendes Lebensgefühl von der Art des Kleidens, des Aussehens und Konsumierens produziert wird. Er diktiert den mädchenhaften, ewig jungen und sportlichen Körper, der keine Widersprüche zulässt. Auch hier suggeriert er, dass Jugendlichkeit machbar ist. Möglicherweise ist sein Bild auch deshalb aus der heutigen Warte und einer Zeit, in der Jugendlichkeit als Versprechen für Individualität gilt, eine für uns so attraktive Verbindung in die Vergangenheit, mit der wir uns scheinbar identifizieren können. Faszinierend erscheint im Rückblick, dass sich der Gedanke der Freiheit und Jugend über die Alltagskultur und besonders eine vermeintlich autonome Jugendmode ausgebreitet hat. Dahinter verschwinden die Spannungsverhältnisse wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Lebensumstände zwar nicht. Aber durch das schon in den 1960er Jahren erzeugte Sinnbild Mini werden Kontroversen nach unterschiedlichen Interessenlagen einseitig als Revolutionen, Emanzipationsbestrebungen und Individualisierungsschübe stilisiert.
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Vgl. den Beitrag von Ingrid von Rosenberg im vorliegenden Band.
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Talking shop Was die 1960er mit der Arbeit gemacht haben CHRISTIAN WERTHSCHULTE Today, everyone without exception is a ‚bourgeois sellout‘, because being such is a minimum requirement for survival. Steve Shaviro
Der ikonische Zeichenvorrat der 1960er Jahre in Großbritannien ist begrenzt. Wann immer in den turnusmäßigen Erinnerungszyklen diese Dekade erneut in den Mittelpunkt des Interesses rückt, liefert das Speichergedächtnis eine Reihe allseits bekannter Bilder: die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, die Verhaftung von Mick Jagger als Pop-Art-Gemälde, die Beatles in Schwarz-Weiß auf der Bühne oder als bunte Zeichentrickfiguren im gelben Unterseeboot. Auch die beiden icons of British design, der Mini und der Minirock, fehlen auf dieser Liste nicht und fügen sich problemlos in die Verschlagwortung aus Aufbruch, Emanzipation, Kapitalismuskritik und neugewonnenen sexuellen und lebensweltlichen Freiheiten ein. Fredric Jameson bietet eine andere Lesart an, die dieses emplotment ergänzt: [T]he 60s, often imagined as a period when capital and First World power are in retreat all over the globe, can easily be conceptualized as a period when capital is in full dynamic and innovative expansion, equipped with a whole armature of fresh production techniques and new means of production. (1989: 186)
Jameson rückt damit einen gemeinhin vernachlässigten Aspekt der 1960er in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen: die Arbeitswelt. Diese ist durch einen Wandel von einem fordistischen hin zu einem postfordistischen Produktionsregime1 gekennzeichnet, den ich in 1
„Der Begriff des Produktionsregimes bzw. Fabrikregimes zielt auf überbetrieblich institutionalisierte Interpretations- und Verhaltensmuster, die die Gestalt betrieblicher Produkt- und Produktionskonzepte (in den Dimensionen Technik, Organisation, Personalpolitik) und die Konflikt- und Kooperationsbeziehungen zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen und
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Christian Werthschulte diesem Text skizzieren möchte. Als Beispiel für den Fordismus soll hierbei die britische Autoindustrie mit ihrem wohl bekanntesten Modell, dem Mini, dienen. Im Mittelpunkt wird dabei stehen, wie sich in Bezug zum und der gleichzeitigen Abgrenzung vom dominanten fordistischen Regime widerständige Formen von Subjektivität herausbilden. Spuren finden sich sowohl in der zeitgenössischen politischen Theorie, den Gegen- und Subkulturen sowie der britischen Kunst- und Designszene.
Der Mini: Fordismus in klein Als der Mini 1959 erstmals auf den Markt kam, war es in Großbritannien rein quantitativ um den Faktor Arbeit gut bestellt. Ein Jahr zuvor waren die letzten Rationierungen der Nachkriegszeit aufgehoben worden, die kennzeichnend für die Periode der post-war austerity waren, und die Wirtschaft zeichnete sich durch eine hohe inländische Konsumnachfrage aus, die nur durch einen erhöhten Import von Waren befriedigt werden konnte (vgl. Mergel 2005: 4546). Diese ist zu einem erheblichen Teil dem fordistischen Produktionsregime zu verdanken, das Lars Kohlmorgen wie folgt definiert: Zusammenfassend bestand der Fordismus ökonomisch aus einer intensiven Akkumulation, die durch eine tayloristische Arbeitsteilung und die Massenproduktion von Konsumgütern gekennzeichnet war. Er basiert auf einer Reihe von Kompromissen (so dem zentralen Kompromiss zwischen den Klassen, weiter zwischen dem Industrie- und Finanzkapital und zwischen den Geschlechtern) und einer diese Kompromisse stabilisierenden Regulation. (2004: 112-113)
Des Weiteren sind ein hohes Produktionsvolumen der einzelnen Automobilfirmen sowie ihrer Modelle, weitgehend standardisierte Fahrzeugkomponenten, kapitalintensive integrierte Fabriken, eine Verwissenschaftlichung der Ingenieurstätigkeit sowie eine strenge Überwachung der Arbeit durch das Management weitere Kennzeichen des Fordismus. Die Bezahlung erfolgt in der Regel durch einen ausgehandelten und festgesetzten Tages- oder Stundenlohn. In Großbritannien wich die Automobilproduktion teilweise von dieser Norm ab2, der fordistische Klassenkompromiss ist jedoch als post-war consensus Teil des kulturellen Gedächtnisses geworden. Zwar war die Automobilindustrie von den Verstaatlichungsprogrammen der Nachkriegszeit ausgenommen, während des Zweiten Welt-
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dem Management vorstrukturieren. Produktionsregime können auf der Ebene von Betrieben, Konzernen, Branchen, Regionen, Staaten und Staatengruppen institutionalisiert sein“ (Heidenreich 1997: 305). Vgl. den Beitrag von Jürgen Kramer im vorliegenden Band.
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Talking shop kriegs war ein Teil der Automobilfirmen aber im Auftrag der Regierung für das Management von Schattenfabriken verantwortlich, die die Rüstungsproduktion unterstützen sollten und deren Maschinen nach Kriegsende die Kapazitäten der Autoindustrie erhöhten (vgl. Church 1995: 46; Owen 2000: 217). Um die Produktivität zu steigern und das Risiko von Produktionsunterbrechungen durch Streiks zu minimieren, übte die Regierung Druck auf die Automobilfirmen aus, damit diese eine weitergehende Mitbestimmung der Arbeiter in diesen Betrieben zuließen. Gleichzeitig stieg während des Krieges der Organisationsgrad in der Automobilindustrie, allerdings wurden die meisten Verhandlungen nicht auf der offiziellen Gewerkschaftsebene geführt, sondern direkt mit den Betriebsräten im jeweiligen Unternehmen (vgl. Owen 2000: 217-218). Im Verbund mit der Abkehr der Arbeitgeber vom fordistischen Prinzip des Stunden- oder Tageslohns hin zur Akkordarbeit3 wuchs der Einfluss der Gewerkschaften, was an der Häufigkeit von Streiks deutlich wird. Zwischen 1959 und 1970 stieg die Anzahl der Streiks von 100 auf 336 pro Kalenderjahr, nach Schätzungen waren in den späten 1960er Jahren 90% der gesamten Automobilproduktion in der einen oder anderen Form von Arbeitskämpfen betroffen (vgl. Whistler 1999: 211). Trotz dieser Abweichungen vom fordistischen Normalzustand etablierte sich auch in England ein Normalarbeitsverhältnis, das in charakteristischer Weise eine Erweiterung der Märkte durch vermehrten Konsum „insbesondere der Mitglieder der ArbeiterInnenklasse und die zunehmende Befriedigung von deren Lebensbedürfnissen durch industrielle Produktion“ (Kohlmorgen 2004: 153) mit sich brachte, was sich u.a. am niedrigen Kaufpreis des Minis zeigen lässt. 1964 verdienten gelernte männliche Arbeiter in der Autoindustrie durchschnittlich ca. 20 £ in der Woche, wenn sie im Akkord arbeiteten, sowie ca. 18 £, wenn sie nach Stundenlohn bezahlt wurden (d.h. ein Mini kostete einen halben Jahreslohn) (vgl. Whistler 1999: 214).4 Dieses Produktionsregime war eindeutig vergeschlechtlicht, da „Frauen von Diskriminierungen und Schließungsprozessen innerhalb der Klassen betroffen“ (Kohlmorgen 2004: 107) waren und z.B. viel schlechter entlohnt wurden. Bereits 1955 erhobene Forderun3
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Ursprünglich stellte die Akkordarbeit eine Idee zur Verknüpfung von Arbeitseinsatz und Lohnhöhe dar, die zusammen mit einem ausgeprägten Paternalismus der Einhegung von innerbetrieblichen Konflikten dienen sollte. Gleichzeitig gab der Akkord der Arbeiterschaft jedoch auch ein Mittel, um ihren eigenen Einfluss auf den Produktionsprozess beziffern zu können (vgl. Whistler 1999: 193). Dieser Trend zeigt sich auch bei angelernten und ungelernten Arbeitern (vgl. Whistler 1999: 214).
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Christian Werthschulte gen nach einem Mindestlohnniveau für Frauen, das dem eines ungelernten männlichen Arbeiters entsprechen sollte, waren 20 Jahre später nicht flächendeckend eingelöst (vgl. Whistler 1999: 213). Dies lässt sich mit der geringen Akzeptanz von arbeitenden Frauen in der britischen Nachkriegsgesellschaft erklären, die durch das Rollenbild in Magazinen wie Woman oder Woman’s Realm weiter fortgeschrieben wurde (vgl. Pugh 1999: 303-304).
Arbeit und Freizeit in 45 Umdrehungen Dieses Produktionsregime war soweit hegemonial, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung auf breite Zustimmung stieß – auch bei dem Teil, der sich Platten kaufte. Am 25. Juli 1964 erreichte ein Song den Spitzenplatz der britischen Charts, der das Subjekt des fordistischen Alltags in zweieinhalb Minuten zusammenfasst: ein Mann, der in der Arbeit außer sich und außerhalb der Arbeit bei sich ist und nach einem anstrengenden Arbeitstag in den Armen seiner Liebsten Kraft tankt: It's been a hard day's night And I've been working like a dog It's been a hard day's night I should be sleeping like a log But when I get home to you I find the things that you do Will make me feel all right You know I work all day To get you money to buy you things And it's worth it just to hear you say „You're gonna give me everything“ (The Beatles 1964)
Die Beatles formulieren in diesem Stück keine Gegenposition zum hegemonialen Produktionsmodell. Die körperlich zehrende Lohnarbeit ist eindeutig männlich besetzt, während die weibliche Subjektposition sogar noch hinter real erreichte Fortschritte zurückfällt und die besungene Frau nicht am Erwerbsleben teilnimmt. Sinn erhält dieser Lebensstil durch den Konsum. Die Interpreten von „A Hard Day’s Night“ waren eben trotz ihrer künstlerischen Position keineswegs so autonom, dass sie in ihren Texten antihegemoniale Inhalte hätten verbreiten können, sondern
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Talking shop sie waren Teil der Kulturindustrie.5 Als solcher mussten sie auf einem Markt konkurrieren, der in großer Stückzahl mit Bands bedient werden konnte, die mit einer ähnlichen „composite pop star life story“ (Marr 2008: 270) aus Fantum, ersten Schritten in einer Skiffle-Band und einem Kunsthochschulabschluss aufwarteten.6 Gleichzeitig waren sie einer starken Kontrolle7 durch Plattenfirmen und Management unterworfen, bevor mit wachsendem Erfolg die künstlerische und persönliche Unabhängigkeit wuchs (vgl. ibid.). So sehr der Text auch inhaltlich konservativ scheint, musikalisch kann „A Hard Day’s Night“ dennoch befreiend gewirkt haben und lässt auf dieser Ebene die Richtung erkennen, in die sich das fordistische Subjekt im Laufe der 1960er bewegen würde. Auch die politische Linke bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Nach einer enttäuschend verlaufenden Parteinahme für Harold Wilson (vgl. Frei 2008: 180-181) wurde die soziale Frage durch die relative Steigerung des Wohlstands stärker in ihrer qualitativen Dimension im Begriff der entfremdeten Arbeit debattiert, anstatt die Verelendungstheorie der wertkritischen Lesart der Schriften von Karl Marx zu betonen, die eine wachsende Kluft zwischen dem armen und dem wohlhabenden Teil der Gesellschaft postuliert. Dies wird besonders im Denken des damals in den USA lehrenden Philosophen Herbert Marcuse und seiner Kritik am fordistischen Kreislauf von Produktion und Konsum deutlich: Im Austausch gegen die Bequemlichkeiten, die sein Leben bereichern, verkauft [der Arbeiter] nicht nur seine Arbeitskraft, sondern auch seine freie Zeit. [...] Die Ideologie unserer Zeit besteht darin, daß Produktion und Konsum die Beherrschung des Menschen durch den Menschen rechtfertigen und ihr Dauer verleihen. Ihr ideologischer Charakter ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß ihre Vorteile reale sind. [...] Der Einzelne zahlt dafür mit dem Opfer seiner Zeit, seines eigenen Bewusstseins, seiner Träume, die Kultur zahlt dafür mit der Preisgabe ihrer eigenen Versprechungen von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden für alle. (1978: 101-102) 5
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Im Zusammenhang dieses Aufsatzes ist besonders die von Adorno und Horkheimer vertretene These der „Kulturindustrie“ als „Standardisierung und Serienproduktion“ (1988: 129) von Bedeutung. Laut Mike Jones wird dabei das künstlerische Material transformiert, bevor es als Ware auf den Markt gelangen kann. Aus einem Musikstück wird so eine Ware, die als „sound, print and vision“ vermarktbar ist, um die potenziellen Profite zu maximieren (2003: 149-150). Andrew Marr nennt die Kinks und die Who als zeitgenössische Konkurrenten der Beatles und betont die Wichtigkeit der englischen Kunsthochschulen für die Popmusik (vgl. 2008: 270-274). Mike Jones weist auf das Bedürfnis von Plattenfirmen hin, eine weitgehende Kontrolle über alle Facetten von Popmusik-Acts zu haben, um die Chancen zu vergrößern, dass sich ihre Produkte verkaufen (vgl. 2003: 150).
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Christian Werthschulte In Anlehnung an Sigmund Freuds Theorie von Arbeit als Sublimierung entwickelt Marcuse eine Idee von Arbeit, die befriedigend anstatt entfremdend ist. Grundvoraussetzung dafür ist, dass sie über die bloße Notwendigkeit hinausweist und dadurch einen starken Eros hervorbringt, weil sie frei gewählt ist. Der privilegierte Ort dieser Form von Arbeit ist die künstlerische Tätigkeit. Vielleicht gerade weil Marcuse den Warencharakter jeglicher Kunst nicht verneinte, stand er den diversen Pop- und Subkulturen der 1960er generell offen gegenüber. Das entscheidende Kriterium für eine emanzipative Kunst war für ihn, ob ihr Spiel mit Formen eine „Freiheit des Ausdrucks“ hervorbringt, „die sich gegen die etablierten Lebensweisen, Sprach- und Verhaltensformen richtet“ (Marcuse 2001a: 106), ohne dabei das Formprinzip an sich aufzulösen, da nur seine Erhaltung es dem Individuum ermöglicht, durch die Kunsterfahrung den „Automatismus der Wahrnehmung“ (Marcuse 2001b: 77) zu durchbrechen. Im Juli 1967 hielt Marcuse auf dem Londoner Congress on the Dialectics of Liberation einen Vortrag mit dem Titel „Liberation from the Affluent Society“, in welchem er seine Kritik des Wohlfahrtsstaats erneuerte (vgl. 2005: 80) und eine „‚aesthetic‘ reality – society as a work of art“ einforderte (83). Marcuse benennt hier Mitglieder von Subkulturen wie die der Hippies als Subjekte eines gesellschaftlichen Wandels: There is in the Hippies [...] an inherently political element […]. It is the appearance of new instinctual needs and values. [...] There is a new sensibility against efficient and insane reasonableness. There is the refusal to play the rules of a rigid game, a game which one knows is rigid from the beginning, and the revolt against compulsive cleanliness of puritan morality and the aggression bred by the puritan morality. (85-86)
Das Politische an Subkulturen verblieb jedoch in Großbritannien in erster Linie im Zeichenhaften.8 Dort fehlte ein Ereignis, das in der Lage gewesen wäre, eine Generationenerfahrung ‚1968‘ so zu prägen, wie es der Pariser Generalstreik vom Mai 1968 in Frankreich oder der Schahbesuch 1967 in der Bundesrepublik taten. Stattdessen ist, wie Norbert Frei betont, in Großbritannien die counterculture relevant, die am 11. Juni 1965 mit der International Poetry Convention ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit rückte. In der ausverkauften Royal Albert Hall traten Dichter aus dem Umfeld der Beatbewegung wie Allen Ginsberg oder Lawrence Ferlinghetti,
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Jakob Tanner merkt dazu an, dass „die subkulturellen Impulse erstaunlich leicht in jene universelle Kommerzialisierungsspirale zu integrieren“ waren, „welche die Konsumgesellschaft vertiefte“ (2008: 276).
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Talking shop der kontinentaleuropäischen Avantgarde wie Ernst Jandl, oder der britische Marxist Adrian Mitchell auf (vgl. Frei 2008: 185). Allen Ginsberg trug dort sein Gedicht „The Change“ vor, in dem er seine Vorstellung einer unvermittelten Form von Subjektivität beschreibt: My own Identity now nameless neither man nor Poet nor dragon nor God But the dreaming Me under Physical stars with tender red moons in my belly (1965: 23)
Ginsbergs Denken zeigt sich in diesen Zeilen als ein Zurückweisen aller subjektivitätsstiftenden Interpellationen durch den Staat oder andere Institutionen. Es ist damit eine Form von widerständiger Subjektivität, die auch von anderen artikuliert wurde. Die Erfinderin des Minirocks, Mary Quant, weist ebenfalls als bad subject zu Beginn ihrer Karriere formale Formen von Bildung, wie sie in der Generation ihrer als Lehrer arbeitenden Eltern geschätzt wurden, zurück: The fashion world was far too chancy for them. [...] [T]heir outlook on careers is, perhaps, a little narrow. They recognize only professional qualifications; they worship the qualifications that come from the passing of exams. To them these are a sort of insurance against the future [...], something permanently behind you to fall back on if need be. (Quant 1966: 5)
Die Kunst der Arbeit Quant äußert die Kritik an dieser Lebensauffassung auf mehreren Ebenen: zum einen in ihrer Tätigkeit als Designerin, zum anderen in ihrer Vorstellung eines als Unternehmerin erfolgreichen Subjekts. Dieses zeichnet sich weniger durch Fähigkeiten aus, die formaler Bildung entstammen, sondern durch diejenigen, die man im ‚wirklichen‘ Leben erwirbt. Bei Quant war dies die Zeit, in der sie offiziell am Goldsmiths College eingeschrieben war, aber ihre Zeit lieber auf Partys verbrachte und ein finanziell prekäres, aber weitgehend selbstbestimmtes Leben führen konnte – ein Lebensstil, den sie auch in den Anfängen ihrer Boutique Bazaar beibehielt: A designer has got to be able to keep her feet well and solidly on the ground if she is going to be tuned in to the fast-moving changes of fashion. She has got to be able to [...] deal with all sorts of creative and emotional people [...], see
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Christian Werthschulte cloth from all over the world [...], make quick decisions which may well involve thousands of pounds [...], visit mills and factories to keep in touch with what's new [...] and at the end of all this, find some quiet corner where she can get down to her real work and produce designs to a deadline. This last – for me – represents hours of agony [...]. It is absolute hell at first and it is only when I am beginning to come to the end of a collection that I discover it's all been rather fun and I'm enjoying myself. (168)
Hier zeigt sich ein Unterschied zur widerständigen Subjektivität wie sie Ginsberg artikuliert hat. Er erträumte sich naiv einen Zustand, in dem er ein reines „physical me under the stars“ (1965: 23) darstellt, an dem er von weltlichen Institutionen, ja sogar von der Sprache, unbehelligt ist. Dass ein solcher Ort nicht existiert, wird in Quants Darstellung deutlich. An die Stelle der zurückgewiesenen Subjektivierung durch die Bildungsinstitutionen des stark regulierten Englands der Nachkriegszeit muss eine andere Form der Subjektivierung treten, die durch den ungeregelten Markt bzw. Quants Londoner Nische in eben jenem hervorgebracht wird. Diese ermöglicht ihr zwar erst nach einigen Anlaufschwierigkeiten ein finanzielles Auskommen, hält aber eine immaterielle Entlohnung in Form von persönlicher Gratifikation und Selbständigkeit als Kontrast zum fordistischen Modell der Lohnarbeit bereit, die der von Marcuse geforderten Sinnhaftigkeit von Arbeit zumindest dem Anschein nach nahekommt. Dieses Modell des „Für-sich-Arbeitenden“ (Diederichsen 2008: 182) fand in der Folgezeit als eine Form der Gouvernementalität9 Einzug in eine postfordistische Unternehmenskultur. Als Vorstellung von autonomer und selbständiger Arbeit stellt sie eine Form von Subjektivität für die „leidenschaftliche Verhaftung“ der ArbeitnehmerInnen an ihre Lohnarbeit bereit (Opitz 2004: 183184). Bei Quant ist die Verhaftung noch stark an die Subkulturen der späten 1950er und frühen 60er Jahre gebunden: It is the Mods [...] who gave the dress the impetus to break through the fastmoving, breathtaking, uprooting revolution in which we have played a part since the opening of Bazaar. We had to keep up with them. We had to expand. (Quant 1966: 76-77)
Quant bewunderte an den Mods weniger ihre Fähigkeit zur kreativen Umdeutung des fordistischen Zeichenvorrats, die besonders Dick Hebdige als politische Qualität von Subkulturen schätzt (vgl. 1976), sondern ihr selbstbewusstes Auftreten als early adopters,
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Michel Foucault fasst unter dem Begriff der Gouvernementalität eine Form des Regierens, die nicht mehr auf die klassischen Disziplinartechniken angewiesen ist, sondern sich vermehrt der Produktion einer bestimmten Innerlichkeit, der gouvernementalité bedient (vgl. 2003).
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Talking shop mit denen sie und ihr Partner Alexander Plunket-Greene Schritt halten mussten, um als Geschäftsleute erfolgreich zu sein. Dafür sind allerdings weniger die traditionellen Fähigkeiten zur Geschäftsführung sowie Startkapital und ein Geschäftsplan entscheidend, über die Quant freimütig erklärt: „We really had no idea how to do it“ (1966: 58). Stattdessen speist sich der Erfolg ihres Unternehmens aus der Übersetzung eines subkulturellen Wertes von Authentizität, den ihre Produkte durch ihre Popularität im Chelsea der 1960er erwarben, in Warenform. Der Wert dieser Authentizität wird dabei außerhalb der gewöhnlichen Zirkulationssphäre als Gebrauchswert im persönlichen Verhältnis des Benutzers zu einem Gegenstand gebildet (vgl. Boltanski/Chiapello 2007: 443). So konnte z.B. der Minirock verschiedene Funktionen für seine Trägerinnen haben, die nicht durch den Preis des Produktes oder seine Neuheit zu bestimmen sind, wie z.B. eine Abgrenzung gegenüber der Elterngeneration.10 Genau diese Funktionen werden durch Kodifikation in eine ‚authentische Ware‘ übersetzt, ein Prozess, der sich von der Standardisierung dadurch unterscheidet, dass Differenz Teil der in großen Stückzahlen hergestellten Ware werden kann, obwohl das an die Ware geknüpfte Authentizitätsversprechen nicht von dieser alleine eingelöst werden kann (vgl. 445-447). Hier schließt sich der Kreis zwischen dem Minirock und dem automobilen Mini. Das Auto konnte durch seine prominenten Fahrer eine popkulturelle Authentizität erwerben. Später kam dann die Authentizität als Liebhaberstück dazu, die von einer Subkultur aus Hobbybastlern erzeugt wurde.11 Die Neuauflage des Kleinwagens war genau deshalb erfolgreich, weil sie sowohl an die popkulturellen Referenzen12 und durch eine breite Palette an Ausstattungen auch an die Bastlerkultur anknüpfte und bewerkstelligte, die so gebildete Authentizität in eine Ware zu übersetzen. „When is he going to get a proper job?“ lässt Mary Quant am Ende ihrer autobiographischen Erfolgsgeschichte als Geschäftsfrau eine Tante ihres Partners Alexander Plunket-Greene fragen (1966: 196). Es ist eine ironische Geste des Triumphs gegenüber dem allgegenwärtigen Misstrauen, das ihr wegen ihrer Herkunft, ihres Geschlechts und ihres selbstbestimmten Lebenswegs entgegengebracht wurde und das sie durch ihren Erfolg widerlegt hat. Dennoch haben ihr Widerstand und ihre dadurch erworbenen Fähigkeiten Einzug in neue Formen der Subjektivierung für postfordistische Modelle der abhängigen Lohnarbeit Einzug gehalten, in denen die Arbeitnehmer als „teamfähige Einzelkämpfer“ konzipiert 10 Vgl. den Beitrag von Ingrid von Rosenberg und die Podiumsdiskussion zum Rock im vorliegenden Band. 11 Vgl. den Beitrag von Claus-Ulrich Viol im vorliegenden Band. 12 Vgl. den Beitrag von Iris-Aya Laemmerhirt im vorliegenden Band.
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Christian Werthschulte sind (vgl. Opitz 2004: 150-154). Quant ist damit ein Beispiel für die 1960er als einer Zeit des Unternehmertums, die einen Aspekt der Thatcher-Ära vorwegnahm (vgl. Marwick 1998: 802). In beiden Minis, dem Auto wie dem Rock, verdichtete sich in den Industrienationen ein einschneidender Wandel im Verständnis von Arbeit, die als postfordistisch bezeichnet werden kann. Die Subjektformen der Gegenkultur, die in Subkulturen gebildete Authentizität, stehen nicht mehr außerhalb der Kapitalakkumulation13, sondern sind erfolgreich in das Verhältnis von Kapital und Arbeit integriert. Ein proper job hat heute ebensoviel mit dem Lebensstil von Mary Quant wie mit der im Mini immer noch teilweise verkörperten und von den Beatles besungenen Arbeit im Fordismus gemeinsam, die Tugenden der (sub)kulturellen Bewegungen der 1960er sind zur neuen Norm geworden.
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13 Lars Kohlmorgen weist darauf hin, dass der Wandel zu einem postfordistischen Produktionsregime maßgeblich von den Kapitalverwertungsschwierigkeiten der USA im eigenen Land abhing, sich aber in der Folge internationalisierte und seit Beginn der 1970er durch neoliberale Theorien gerechtfertigt wurde (vgl. 2004: 162-164). Der Regierungsantritt Margaret Thatchers 1979 stellt den „Durchbruch“ neoliberaler Theorieansätze dar (165).
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Moral außer Mode? Der Minirock und die permissiveness der 1960er CYPRIAN PISKUREK
Schenkt man der populären Berichterstattung über die britischen 1960er Glauben, war der Geist der Swinging Sixties vor allem einer Agenda oder gesellschaftlichen Haltung geschuldet, die gemeinhin als permissiveness bezeichnet wird. Ins Deutsche übersetzt wird hieraus ‚Freizügigkeit‘, und das naheliegende Bild, das mit diesem Konzept immer und immer wieder verknüpft wird, ist das durch den Minirock ‚freigelegte‘ Bein. Allerdings handelt es sich beim abstrakten Begriff der permissiveness um sehr viel mehr als etwas, das in Bildern sichtbar gemacht werden kann. Es darf also angenommen werden, dass der Mini lediglich ein Symbol darstellt, auf das eine sehr komplexe Geisteshaltung reduziert und projiziert wird. Raymond Williams hat den Begriff der „structure of feeling“ (1961: 48) zur Beschreibung von Kulturen eines bestimmten historischen Moments geprägt. John Storey fasst diesen Begriff noch genauer als „a cross between a collective cultural unconscious and an ideology“ (2006: 35). Die Gefühlsstruktur der britischen 60er Jahre hat in diesem Sinne den Mini hervorgebracht und er wurde wiederum fester Bestandteil dieser Struktur; allerdings eben nur ein Teil. Die Annahme, gesellschaftlicher Wandel oder die Debatte um Werte und Moral haben sich in den 60ern vornehmlich am Minirock festgemacht, beruht jedoch auf einem Mythos, den es im Folgenden zu dekonstruieren gilt.
Die permissive society Eine semantische Annäherung an den Begriff permissiveness beginnt mit dem englischen Verb to permit, welches mit ‚erlauben‘ übersetzt wird. In der Tat wurde den britischen Bürgern in den 1960ern einiges erlaubt, was ihnen zuvor lange verboten war. Bei-
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Cyprian Piskurek spielsweise durfte man ab 1960 auch abseits der Rennbahn auf Pferde wetten, 1961 wurde Selbstmord nicht mehr als Straftat gewertet, und 1965 stand auch auf Mord nicht mehr die Todesstrafe. Ab 1967 standen Homosexualität unter Männern und Abtreibung nicht länger unter Strafe; ebenso hing der Zugriff auf Verhütungsmittel nicht mehr davon ab, ob man verheiratet war oder nicht. 1968 wurde als letzte Bastion der britischen Nachkriegszensur auch das Theater zumindest auf dem Papier von dieser befreit, und im Jahr darauf machte es der Divorce Reform Act den Briten leichter, sich voneinander scheiden zu lassen (vgl. Collins 2007: 2). Solche Gesetzgebung geschieht nicht im luftleeren Raum: Das Ideal einer Demokratie ist, dass gesellschaftlicher Wandel Änderungen in der Legislative anstößt und bedingt, und dann in der Folge wiederum gesellschaftlicher Wandel als Konsequenz dieser neuen Gesetze entsteht. Es ergibt sich also die Frage, ob die britische Kultur sich diesen Wandel selber erlaubte. Außer Frage steht, dass es sich bei den oben angeführten Beispielen vornehmlich um eine Liberalisierung von Normen und um ein neu zu verhandelndes Verständnis von Moral, insbesondere bezüglich Sexualität, handelte. Dies ist der Grund, dass permissiveness gerade im Kontext der 1960er Jahre fast ausschließlich mit Freizügigkeit gleichgesetzt wird. Tatsächlich finden wir in Bildern und Romanen, in Filmen und Erinnerungen sowohl aus der damaligen Zeit, wie auch, und es scheint noch viel mehr, in heutigen Re-Präsentationen der 60er Jahre, den Eindruck einer sich von Moralzwängen befreienden Zeit.
Visuelle Kultur und der Mini Was wir heutzutage nur schwer nachvollziehen können, ist welch großer und vor allem neuer Stellenwert der visuellen Kultur in den 1960ern beigemessen wurde. Durch den endgültigen Durchbruch des (Farb-)Fernsehens, durch einen neuen Typus von Fotograf und Fotografie und durch eine auf vielen Feldern massiv gestiegene Verbreitung von Bildern, lässt sich erkennen, dass die 60er allein schon quantitativ mehr als jede Epoche zuvor in ihren Bildern zu uns sprechen. Zudem erheben Fernsehen und Fotografie ihre visuellen Zeichen gleichsam zu einer neuen Kommunikationsform. Es ist naheliegend, dass die Gefühlsstruktur der Dekade deshalb eng mit solchen Bildern verbunden ist. Weil permissiveness und Freizügigkeit vor allem auch eine neue Körperlichkeit beschreiben, sind die visuellen Symbole dieser abstrakten Begriffe an den Körpern dieser Zeit zu finden. Es ist somit sicher kein Wunder, dass der Minirock zum Sinnbild wurde: als Kleidungsstück, das zwar immer noch mehr verbarg als in den spä-
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Moral außer Mode? ten 1960ern durchsichtige Kleider oder die mit dem Begriff Woodstock verknüpfte Nacktheit selbst, aber dennoch mehr als nur andeutete, welchen neuen Stellenwert das Zeigen nackter Haut bekommen hatte. Allerdings rankten sich um den Minirock und seine revolutionäre Neuigkeit schnell Mythen, die man differenziert betrachten sollte. So hatten Mary Quant, John Bates und André Courrèges schon eine Weile mit Miniröcken experimentiert, bevor das Model Jean Shrimpton 1965 den Mini ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit brachte. Bei diesem ersten weltöffentlichen und medial verbreiteten Auftritt des Minis handelte es sich nicht einmal um einen Minirock, sondern um ein Minikleid, dessen Kürze Shrimpton noch dazu auf den Geiz des Stofffabrikanten schob (vgl. Sandbrook 2006: 244). Dass das Tragen dieses Kleidungsstückes solches Aufsehen erregte, war aber vor allem dem Ort und dem Anlass geschuldet. Es war der Melbourne Derby Day auf dem Flemington Racecourse, und diese konservativ modebewusste Veranstaltung war auf Shrimptons Auftritt nicht vorbereitet: ohne Hut, ohne Handschuhe und ohne Strümpfe, dafür mit einem Rocksaum, der fünf Inches (etwa 12,5 cm) über dem Knie endete. Die feine Gesellschaft war empört, aber in Großbritannien konnte diese Empörung auch als verknöcherte und staubige Haltung der früheren Kolonie Australien gesehen werden (vgl. ibid.). Denn gerade im Zuge des endgültig implodierenden Abb. 7: Jean Shrimpton beim Melbourne Derby Day
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Cyprian Piskurek Empires musste das Vereinigte Königreich unbedingt etwas tun, um jung, dynamisch und nicht rückwärtsgewandt zu wirken. Selbstverständlich wurde die Kürze des Minis auch in England vielerorts zunächst als Schock empfunden, aber gleichzeitig war vielen Beobachtern bewusst, welche Dynamik und Kraft dies symbolisierte. Britische Bands bewiesen in jenen Beat-Jahren ohnehin, welch dynamischer Geist und welch treibende Kraft wieder von der Insel ausgingen; solche Signale nun auch auf dem Gebiet der Mode auszusenden, passte gut ins Bild. Und auch auf einem weiteren wichtigen Feld der Populärkultur zeigten sich ähnliche Strömungen, nämlich auf dem Fußballplatz. Im Jahre 1962 fuhr die englische Nationalmannschaft wie so oft mit großen Hoffnungen und Erwartungen zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Chile. Im Viertelfinale von Brasilien geschlagen, musste die Nation zum wiederholten Male die schmerzhafte Erfahrung machen, dass andere Teams die Engländer eindeutig überholt hatten auf einem Gebiet, das man immer noch als urenglische Domäne ansah. Der Journalist Arthur Hopcraft fasst das Bild, das die englische Mannschaft lieferte, prägnant zusammen: Far from knowing all there was to be known about the game we found that we had been left years behind it. We even looked old. Our shorts were longer, thicker, flappier than anyone else’s, so that our players looked like Scoutmasters struggling to keep pace with the troop. (1971: 185; meine Hervorhebung)
Tatsächlich sieht man auf den Bildern der englischen Nationalmannschaft von 1966 kürzere Shorts als auf den Bildern von 1962. Dies mag nur eine Randerscheinung sein, und der Weltmeistertitel von 1966 ist mit Sicherheit nicht auf die Hosen der englischen Spieler zurückzuführen, aber Hopcrafts Kommentar und die kürzeren Hosen zeigen: So wie das Hochkrempeln von Hemdsärmeln Energie und Tatkraft symbolisiert, setzte sich die Erkenntnis durch, dass Kürze auch in der Kleidung eine Dynamik vermittelte, die einem England im Umbruch ein treffendes Bild gab. Zumindest indirekt darf dies auch für die Kürze des Minirocks gelten.
Die Vorkämpferin der Moral Als visuelles Symbol ist der Mini nur das sichtbare Emblem der Freizügigkeit; die Geisteshaltung der permissive society und ihrer Gefühlsstruktur greift tiefer. In der Untergrundzeitschrift IT (kurz für The International Times), welche sich als revolutionäres Sprachrohr der neuen jungen Kultur positionierte, definierte der Herausgeber, Dramatiker und Poet Tom McGrath die neu zu gewährende
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Moral außer Mode? Freiheit und Freizügigkeit 1967 wie folgt: „Permissiveness – the individual should be free from hindrances by external Law or internal guilt in his pursuit of pleasure so long as he does not impinge on others“ (zitiert in Collins 2007: 2). Was diese Definition außer Acht lässt, ist, wie leicht sexuelle Freizügigkeit des einen schon die Moralvorstellungen des anderen verletzen kann, ohne dass dieser andere körperlich seiner Freiheit beschnitten wird. Der permissive society wurde von ihren Kritikern nämlich insbesondere vorgeworfen, anti-social zu sein. Anti-social meint hier nun vornehmlich abstraktere Verletzungen von Moral. Derart Verletzte gab es in nicht geringer Zahl und teilweise wehrten sie sich, zum Beispiel in den englischen Ablegern der weltweiten Moral-Rearmament-Vereinigung oder indem sie sich hinter eine Frau scharten, die einen lebenslangen Kampf gegen die permissive society führen und zum Gesicht der Hüter der Moral werden sollte: Mary Whitehouse. Die Lehrerin begann ihren öffentlichen Kampf im Jahr 1963 und hatte sich als ärgsten Gegner für den Rest der Dekade niemand Geringeres als die BBC und insbesondere deren liberalen Programmdirektor Hugh Carleton Greene (den Bruder des Autors Graham Greene) auserkoren. In den 1950ern noch der Inbegriff des konservativen Establishments, war die Fernsehanstalt in Whitehouses Augen hauptverantwortlich für die fortschreitende Sittenlosigkeit des Landes, ein Sinnbild für die um sich greifende säkulare, humanistische, marxistische Philosophie, von der Whitehouse Werte und Moral bedroht sah (vgl. Whitehouse 1977: 58). Sie gründete deshalb erst die Kampagne Clean-Up TV und ersetzte diese dann 1965 durch die National Viewers’ and Listeners’ Association, welche heute noch als Mediawatch UK existiert. Sexy innuendoes, suggestive clothing and behaviour; cruelty, sadism and unnecessary violence; no regret for wrong-doing; blasphemy and the presentation of religion in a poor light; excessive drinking and foul language; undermining respect for law and order (Whitehouse zitiert in Tracey/Morrison 1979: 46)
… und noch einiges mehr standen auf der Liste der moralischen Vergehen, derer sich laut Whitehouse die BBC schuldig machte. Nach ihrer Auffassung schaute das Fernsehpublikum Programme der BBC „at the risk of serious damage to their morals, their patriotism, their discipline and their family life“ (zitiert in Tracey/Morrison 1979: 44). Gegen Ende der 1960er entschied Whitehouse, dass ihre Kritik sogar noch weiter oben ansetzen müsse als bei Hugh Carleton Greene, und bombardierte fortan Premierminister Harold Wilson mit Protestbriefen, in denen sie sich auf die Royal Charter berief und den Premier für das Programm der BBC verantwortlich machte. Es ist überliefert, dass die Bediensteten in der Downing Street Nr.
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Cyprian Piskurek 10 Whitehouses Briefe im Laufe der Zeit absichtlich verloren (vgl. Collins 2007: 30). Abb. 8: Die Sittenwächterin Mary Whitehouse
Während Mary Whitehouse mit ihrer Kritik omnipräsent war und sicher auch für einen beachtlichen Teil der Briten sprach, schafften es doch weder ihre diversen Kampagnen, noch das von ihr unterstützte evangelikale Festival of Light im Jahre 1971 oder die im selben Jahr einberufene Commission on Pornography ihres Mitstreiters Lord Longford, wirklich eine öffentliche Rückbesinnung auf die traditionelle Moral zu erreichen. Das lag auch daran, dass Whitehouses Positionen derart radikal erschienen und von ihr selbst eigentlich ad absurdum geführt wurden, da sie offenbar von allem und jedem die Moral angegriffen sah. Dadurch fokussierte sie ihre Kritik nicht auf einige wirklich kontroverse Programme, sondern schien automatisch selbst gegen Sendungen, die niemand sonst als schlimm empfand, zu wettern. Doctor Who bringe Kindern „just for a little variety“ bei, „how to make a Molotov Cocktail“ (Whitehouse zitiert in Tracey/Morrison 1979: 85), und eine die Moral untergrabende Anspielung reichte aus, um eine komplette Sendung zu diskreditieren: „Certain composite programmes, though containing some good features, we had to classify as objectionable because they also included such items as a discussion of whether a relationship was homosexual or not“ (zitiert in Tracey/Morrison 1979: 46). In gewisser Weise dürfte Whitehouse sogar dazu beigetragen haben, dass der Begriff permissiveness den Geist der 1960er zu benennen begann, denn indem sie die Kritik an teils äußerst diversen und in keinem Zusammenhang stehenden gesellschaftlichen Phänomenen in ihrer Person vereinte, generalisierte sie auch, dass all diese Lo68
Moral außer Mode? ckerungen der Moral einer einzigen Agenda entsprängen. Dies war aber schlichtweg nicht immer der Fall. So bedeutete die Lockerung der staatlichen Kontrolle von Literatur und Theater gar nicht ein völliges Verschwinden der Zensur, sondern nur eine vor dem Hintergrund der in den 50ern und 60ern eingeführten Gesetze zum Schutz von Kindern oder der Ahndung von rassenfeindlichen Äußerungen notwendig gewordene Neuausrichtung der Zensurbehörde. Die betreffende Theatergesetzgebung von 1968 galt plakativ schnell als liberale Reform, obwohl die Zensur 1955 durch den Children and Young Persons (Harmful Publications) Act und 1965 durch den Race Relations Act angemessen verlagert, aber nicht ersatzlos gestrichen wurde (vgl. Davies 1975: 48).
Die permissiveness des britischen Films Wie der Konflikt zwischen Mary Whitehouse und der BBC zeigt, sind die visuellen Medien Film und Fernsehen in vorderster Front sinnstiftend für die 1960er, und Produktion und Konsumption dieser Medien Spiegelphänomene herrschender Werte. Vor dem Hintergrund der gelockerten Zensur ist es naheliegend, dass viele Produktionen sich von der viktorianischen Prüderie lösten und beispielsweise mehr Haut präsentierten; Matthews kommt sogar zu der Erkenntnis, dass der britische Film in den 60ern von Sex-Komödien beherrscht war (vgl. 1999: 114). Hier erscheint eine Trennung verschiedener Strömungen wichtig: Während Filme wie The Italian Job (1969), Alfie (1966) oder insbesondere Antonionis Blow-Up (1966) jede Menge Minis und ein neues Maß an Sexualität präsentieren, haben sie vor allem etwas Elitäres an sich, eine Fokussierung auf die trendsettende, promiskuitive Mikrogesellschaft des Swinging London. Blow-Up repräsentiert eine sich drastisch artikulierende Sexualität und Freizügigkeit, allerdings innerhalb der versiegelten Welt von Carnaby Street, sowie Fotografen und Models in einer Metropole, deren Mythos sich in den 60ern überraschend schnell selbst überholte. Wenn man sich jedoch die Filme anschaut, die Matthews als dominierende Sex-Komödien identifiziert, landet man direkt bei den populären Carry-On-Filmen, einer der beliebtesten britischen Filmserien mit 29 Filmen zwischen 1958 und 1978. Kurz und prägnant: „It was comedy in its simplest form: low brow and unassuming but speaking directly to the average person in the street“ (Ross 1996: 10). Die Carry-Ons scheinen keine Gelegenheit für einen schmutzigen Witz, eine sexuelle Andeutung auszulassen; dies geschieht jedoch auf eine sehr traditionelle, fast schon rückwärtsgewandte Art. Der Humor dieser Filme basiert auf den Stereotypen der Music-
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Cyprian Piskurek Hall-Sketche und könnte geradewegs Donald McGills berühmten Seaside Postcards aus den 1930er Jahren entspringen. Indem dieser sexuelle Humor sich auf Zweideutigkeiten verlässt, hält er sich immer ein Schlupfloch offen, mit einem Augenzwinkern doch als moralisch einwandfrei und nicht tabubrechend durchzugehen. Die Carry-Ons nutzen somit gerne die neu gewonnene Freiheit durch weniger Zensur, bearbeiten aber ein Humorfeld, welches der Komödiant Max Miller und andere in den 30ern und 40ern bereits ausgelegt haben (vgl. Sandbrook 2006: 408). Ihre Popularität zeigt dann auch zuvorderst, dass – Miniröcken und sexueller Freiheit zum Trotz – große Teile der Bevölkerung in ihren kulturellen Vorlieben nach wie vor sehr konservativ waren und dachten. Filme wie die Carry-Ons bedienten zwar einen Typus von Voyeurismus, allerdings einen in der Struktur noch sehr wertkonservativen. Filme wie BlowUp profitierten von ihrer Zugehörigkeit zu einer gewissen Avantgarde, deren Neuartigkeit schnell als stellvertretend für neue Entwicklungen gesehen wurde, die zahlenmäßig aber nicht repräsentativ waren. Für eine Einschätzung der britischen Kultur der 60er ist es essenziell, diese nicht als monolithisch zu betrachten; deshalb ist es wichtig, für ein Verständnis von permissiveness ein solch komplexes Bild der Gesellschaft und ihrer Vorlieben zu zeichnen.
Zentrum und Peripherie Diese Diskrepanz zwischen Avantgarde und Durchschnitt gilt auch für die generelle Verbreitung von Symbolen der permissive society. „Everything reaches Hull about five years after it reaches everywhere else“, besagt ein alter Witz: Dies bewahrheitete sich in den 1960er Jahren, und es ist kein Wunder, dass es vor allem Swinging London als Unterbegriff der Swinging Sixties war, der Bedeutung erlangte. So vorsichtig die Ergebnisse von Internetsuchmaschinen zu behandeln sind, ein Vergleich der Treffermenge bei einer GoogleSuche für Swinging London und Swinging Britain oder Swinging England spricht Bände; Ersteres erreicht nämlich etwa die 100fache Treffermenge. In Cecile Landaus Growing Up in the Sixties finden sich hierzu einige Zeitzeugenberichte. So erzählt eine Befragte namens Susan: „It was about 1967 and everywhere else girls were wearing miniskirts, but in Hull I’m sure they’d never heard of them“ (zitiert in Landau 1991: 135), und eine andere Befragte erzählt: It took six months or more for anything fashionable to reach the North-East. London was well into minis, it was splashed everywhere that this revolution in
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Moral außer Mode? dress had taken place, before any of it reached us […]. It was a long time before minis made it up North. (Zitiert in 34)
Bezeichnend ist hier natürlich, dass es Bilder sind, die den Norden erreichen und die den jungen Menschen vermitteln, dass London nur so vor Miniröcken wimmelt, was in der Carnaby Street auch sicher Wirklichkeit war. Vor allem fungiert der Mini aber als visuelle Projektion eines frischen Geistes von Dynamik, der in diesem sichtbaren Symbol verbreitet werden kann. Denn die zweite Zeitzeugin erzählt weiter, dass von der ländlichen Rückschrittlichkeit nicht nur der Rock betroffen war: „I don’t think the Pill had even reached our village by the mid-sixties. I’d never even heard of a condom“ (37). Auch wenn es also einige Zeit dauerte, bis der Minirock alle Ecken des Vereinigten Königreichs erreicht hatte, und auch wenn die neue Mode nicht auf Anhieb überall bewundert wurde, so erlangte das Kleidungsstück doch innerhalb weniger Jahre breite gesellschaftliche Akzeptanz. Besonders aussagekräftig ist das Ergebnis einer landesweiten Meinungsumfrage aus dem Jahre 1970, in der die Teilnehmer nach ihrer Zustimmung oder Ablehnung zu 16 Phänomenen befragt wurden, die man in direktem Zusammenhang mit der permissive society sah (vgl. Collins 2007: 20). So wurde nach Kaffee-Bars, Stripclubs, Discos oder Glücksspiel gefragt. Die Liste der Zustimmung führt ausgerechnet der Minirock an: 83% befinden den Mini an sich für gut, lediglich 9% halten ihn für etwas Schlechtes (vgl. ibid.). Außer dem Mini finden sich nur vier weitere Symbole der permissiveness, die überwiegend Zustimmung erfahren (auf dem zweiten Rang folgt mit dem Bikini direkt das nächste freizügige Kleidungsstück), die 11 übrigen werden teilweise mit erdrückender Mehrheit abgelehnt. Während dies bei Marihuana (2% Zustimmung/92% Ablehnung) oder Stripclubs (22%/61%) ein sicher nicht unerwartetes Ergebnis darstellt, ist das Resultat für Unisex-Kleidung, gerade im Vergleich zum Minirock, doch bezeichnend: Hier sind es nur 27% Zustimmung, aber 47% Ablehnung (vgl. ibid.). Auch wenn der Anteil der Unentschlossenen oder Meinungslosen bei dieser Frage ein Viertel der Befragten ausmacht, so ist es doch beeindruckend, dass Frauen in Minis das Dreifache an Zustimmung erfahren gegenüber Frauen, die Hosen tragen. Negative Einstellungen zur permissiveness manifestieren sich also nicht in einer Ablehnung von Freizügigkeit, die Haut zeigt, sondern von einer, die überwiegend Haut verdeckt, aber, und dies scheint mir essenziell, die Grenzen zwischen den Geschlechterrollen verwischt. Egal wie kurz der Mini sein mag, er ist immer noch ein Rock und somit ein Symbol von Weiblichkeit. Wenn wir uns vor Augen führen, dass gerade gegen Ende der 1960er die Debatte um die Bewertung von Homosexualität zu einem vorherrschenden Thema
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Cyprian Piskurek wurde und die zweite Welle des Feminismus an bestehenden Konzepten rüttelte, scheint es, als wäre es wichtig gewesen, die alten Kategorien von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ nicht weiter zu verwischen und zu vermischen. Ein ebenso passendes Beispiel findet sich in der bundesdeutschen Geschichte: 1970 trat die SPD-Abgeordnete Lenelotte von Bothmer in einem Hosenanzug ans Rednerpult des Bundestags, um gegen eine Aussage des Vizepräsidenten Jaeger zu protestieren, der zuvor erklärt hatte, Frauen in Hosen den Zutritt zum Plenum verweigern zu wollen. Die Abgeordnete sah sich teils heftigen Protesten aus der Bevölkerung ausgesetzt; ihr Auftritt und die Reaktionen belegen, wie ideologisch beladen Kleidungsstücke sein können.
Fazit Auch wenn Mary Whitehouse und ihre Mitstreiter im Endeffekt die zunehmende Sexualisierung und die sich wandelnden Moralvorstellungen der Gesellschaft und der Medien nicht aufhalten konnten, spiegelt sich in ihrem Einfluss und ihrer Präsenz wider, dass sich die Briten nicht ohne Reibung von alten Normen abwandten und dem Geist der permissiveness das Feld überließen. Im politischen Erfolg von Margaret Thatcher Ende der 1970er kann man sogar einen späten Sieg von Whitehouses Programm über den Liberalismus der permissive society sehen; denn in Bezug auf ihre konservativtraditionellen Werte und ihre Ablehnung aufgeweichter Moralvorstellungen waren Whitehouse und Thatcher sicherlich Schwestern im Geiste (vgl. Sandbrook 2006: 580). Der Minirock aber ist nur in seiner Anfangsphase ein wirkliches Symptom der permissiveness, als er bestehende Normen zur Länge von Röcken hinterfragt. Schnell ist klar, dass der Mini nicht ansatzweise einen solchen Angriff auf konservative Wertvorstellungen ausübt wie beispielsweise Frauen in Hosen. Konservative mögen den Mini, egal ob er für die Emanzipation der Frau oder für fortschreitende Sexualisierung steht, nicht heiß und innig geliebt haben.1 Dennoch funktioniert der Mini wie eine Versicherung, dass die alten Werte noch greifen und eine Frau sich ‚wie eine Frau‘ mit einem Rock kleidet. In den wenigen Jahren von seiner Einführung bis 1970 hat sich der Minirock in der britischen Gesellschaft also nicht nur etabliert, er scheint für Teile der Bevölkerung trotz seiner Innovation und Modernität sogar eine gewisse konservative Struktur zu bestätigen. Seine stetige Wiederkehr in der Mode bis heute leistet dies vielleicht auch.
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Vgl. die Beiträge von Viola Hofmann und Ingrid von Rosenberg im vorliegenden Band.
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Moral außer Mode?
Literaturverzeichnis Collins, Marcus (2007): „Introduction“, in M.C. (Hg.), The Permissive Society and Its Enemies. Sixties British Culture, London: Rivers Oram Press, S. 1-40. Davies, Christie (1975): Permissive Britain. Social Change in the Sixties and Seventies, London: Pitman. Hopcraft, Arthur (1971): The Football Man. People and Passions in Soccer, Harmondsworth: Penguin. Landau, Cecile (1991): Growing Up in the Sixties, London: Optima. Matthews, Nicole (1999): „Comedies“, in Peter Childs/Mike Storry (Hg.), Encyclopedia of Contemporary British Culture, London/ New York: Routledge, S. 114-115. Ross, Robert (1996): The Carry On Companion, London: Batsford. Sandbrook, Dominic (2006): White Heat. A History of Britain in the Swinging Sixties, London: Abacus. Storey, John (2006): Cultural Theory and Popular Culture (11993), Athens: University of Georgia Press. Tracey, Michael/Morrison, David (1979): Whitehouse, London: Macmillan. Whitehouse, Mary (1977): Whatever Happened to Sex?, Hove: Wayland. Williams, Raymond (1961): The Long Revolution, London: Chatto and Windus.
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ZEICHEN & ZIRKULATIONEN
Der Mini im Rock A transatlantic track record HANS PETERS
Wer immer heute etwas über die britische Kultur der 1960er Jahre schreiben möchte, kommt nicht ohne die Begriffe Beatles und Minirock aus. Wer etwas von der Historie der Popmusik versteht, muss außerdem den Beat erwähnen. Auf den Mini, nämlich das Auto, kommen zusätzlich noch die Fans und Kenner der britischen Kultur. In der Rückschau auf eine Epoche neigt man zu einer gewissermaßen homogenisierten Konstruktion der Zielkultur. Der Gipfelpunkt eines solchen Prozesses könnte in der Erwartung liegen, die Popmusik hätte sowohl das Auto als auch die Mini tragenden Mädchen fortwährend (oder doch in relevantem Maße) thematisiert; wäre dies so, würde man die für maßgeblich gehaltenen Symbole der Jugendkultur aus den Dimensionen der Mode und der Motorisierung in der musikalischen Dimension wiederfinden, womit gewissermaßen die drei Ausdrucksebenen oder Modalitäten vereint wären. Was bleibt von solchen Annahmen, wenn wir einen näheren Blick auf die Texte werfen?
Rock ’n’ Road Wenn man vom „Mini im Rock“ spricht, so ist das im Grunde genommen ein dem Wortspiel geschuldeter kleiner Anachronismus, denn sowohl das Auto als auch das Kleidungsstück kamen im England der Beat-Ära in Mode. In den 1960er Jahren sprach man fast ausschließlich von Beatmusik, während der Begriff Rock erst später aufkam und bald zu einem Oberbegriff wurde, der den Beat einschloss. Der englische Beat gehört ebenso zur britischen ‚PopHegemonie‘ wie die beiden Minis. Die Antwort auf die Frage: Welche Minis kann man im Rock finden? werde ich also zunächst bei den Beatbands zwischen 1963 und 1967 suchen. Es stünde zu erwarten, dass beide eine prominente Rolle spielen, denn zumindest die frühen Songs der britischen Bands han77
Hans Peters deln sowohl von Mädchen als auch von Mobilität. Und es gibt eine Verbindung zwischen beiden, die ein Songtitel der Merton Parkas, allerdings aus dem Jahre 1979, auf den Punkt bringt: „You Need Wheels“. Fast alle Beatbands haben einige amerikanische Standards in ihrem Repertoire, insbesondere den Chuck-Berry-Song über das Wettrennen zwischen Jaguar und Thunderbird (Wayne Fontana & The Mindbenders, The Who, The Troggs). Auch der Cadillac kommt vor, auf den die Kinks aber gar keinen Wert legen: „I don’t want no Cadillac / The one I got I’m gonna take it back.“ Doch all dies ist eine kulturelle Anleihe bei der viel stärker und expliziter von der motorisierten Mobilität geprägten amerikanischen Rockmusik; bei „Cadillac“ handelt es sich um das Cover eines Songs von Bo Diddley, das die Kinks für ihr erstes Album (The Kinks, 1964) aufnahmen. Das Auto ist aus der Kultur der USA nicht wegzudenken. Den geographischen Raum erschloss zwar zunächst die Eisenbahn, mit deren Hilfe die Grenze (frontier) immer weiter nach Westen verschoben wurde. Für den Individualisten boten aber erst das Auto und die Highways die Freiheit, ohne die Bindung an Fahrpläne und ohne Mitreisende eine persönliche Mobilität zu genießen. Mit dem Übergang vom schwarzen Rhythm and Blues zum sehr bald von Weißen dominierten Rock ’n’ Roll in den 1950ern tritt deshalb das Auto an die Stelle der Eisenbahn, in den Songtexten ebenso wie im Nachkriegsamerika, in dem die Zahl der Autobesitzer rasant anstieg. Wiederum hat Chuck Berry für die populärste musikalische Schilderung der Freiheit auf den Highways gesorgt, nämlich in seiner Coverversion des ursprünglich von Nat King Cole gesungenen „Route 66“: Well it winds from Chicago to L.A. More than 2,000 miles all the way Get your kicks on Route 66
Diese Faszination der Highways fehlt im kleinen Großbritannien; die Entfernungen zu den Clubs sind viel kürzer, das Auto als Erfahrungsraum in der Bewegung wird nicht so sehr benötigt wie in den USA. Deswegen ist wohl auch die Menge der driving songs britischer Herkunft sehr überschaubar. Wer im England der 1950er und frühen 60er Jahre in seiner Stadt unterwegs ist, hat die U-Bahn, den Bus (wenn nötig, muss man wie Herman’s Hermits den „Last Bus Home“ erwischen) und die Tram. Der Lebensraum ist städtischer als das weit ausgedehnte suburbia der USA, in dem die weißen Rock ’n’ Roller leben. In den USA offeriert das eigene Auto komplementär zum Erlebnis der nur durch den Tank begrenzten Mobilität zudem einen pri-
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Der Mini im Rock vaten Raum, der schon dem 16-jährigen Führerscheininhaber die ersehnte Abgeschiedenheit von einer prüden Öffentlichkeit bietet. Wiederum weiß Chuck Berry davon ein Lied zu singen, nämlich in seinem späten Hit „No Particular Place to Go“ (1964); hier spielt das Umherfahren mit der Freundin eine herausragende Rolle, vor allem allerdings ein nicht zu öffnender Sicherheitsgurt. „Can you imagine the way I felt? / I couldn’t unfasten her safety belt! / […] Riding along in my calaboose / Still tryin’ to get her belt a-loose.“ Vergeblich – so endet der Song in einer gewissen Frustration. So suggestiv sind allerdings wenige Texte im amerikanischen Rock, und Chuck Berry hatte zu dieser Zeit bereits einen völlig ruinierten Ruf. Und während die englischen Beatbands nahezu jeden seiner Songs coverten, ließen sie diesen aus. Wenn die private und individuelle Mobilität sich in den britischen Texten nicht wiederfindet, bliebe als Motivation noch das Auto als Statussymbol. Hier tummeln sich Thunderbird, Jaguar und Cadillac. Warum nicht der Mini? Nun, die britischen Rockstars, etwa die Beatles, ließen sich gern mit dem Kultauto fotografieren; doch dürfte dies eher Teil einer Imagekampagne gewesen sein als das aufrichtige Bedürfnis nach dem besten Auto der Welt. Man könnte auch formulieren: Zwei Symbole der neuen britischen Kultur kamen zusammen; statt der Musiker konnte zudem der Mini auf der visuellen Ebene wesentlich attraktivere Partnerinnen finden, nämlich solche britischen Mode-Ikonen wie Mary Quant, Jean Shrimpton oder Twiggy. Der Mini taugte eben nicht zum Statussymbol – zu wenig Luxus, zu wenig Glamour. Aber einen Aston Martin sucht man ebenfalls vergebens. Die Statussymbole hat man offenbar, aber man singt nicht darüber. Noch einmal zu den Kinks, diesmal jedoch in ihrer 1966 einsetzenden, vom Sänger, Komponisten und Texter Ray Davies getragenen Metamorphose zu einer sozialkritischen Band, in deren Songs das Leben der verschiedensten englischen Gesellschaftsschichten kommentiert wird. In „Sunny Afternoon“ (1966) geht es um einen ehemals wohlhabenden Mann, dem nun aber die Mittel ausgegangen sind: „The taxman’s taken all my dough / And left me in my stately home / […] And I can’t sail my yacht / He’s taken everything I’ve got.“ Auch das Statussymbol Auto ist ihm abhanden gekommen: „My girlfriend’s run off with my car / And gone back to her Ma and Pa / Telling tales of drunkenness and cruelty.“ Was für ein Auto hat die abtrünnige Freundin unserem gepfändeten Rockstar entführt? Wir erfahren es nicht, aber der von einem gewissen Frank Smyth verfasste Text auf der Rückseite des LP-Covers deutet an, dass es sich nicht um einen am Ende doch biederen Mini handeln dürfte:
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Hans Peters You have become a well-respected personage ere you know it […]. Next? Country house, yacht, powered by sail and/or steam, with the motor car in lurid colour and with white walls to its wheels smiling in the golden gravel drive. Ladies, of course. Ladies with long legs and little bosom, hair the colour of corn.
Fazit: Der Mini passt weder zum amerikanischen Rock oder Rock ’n’ Roll noch zum britischen Beat oder den Soul-orientierten Mods. Erst Madness, anfangs eine Ska-Band, besingen Anfang der 1980er ein Gefährt, das ein Mini sein könnte und schon recht alt und klapprig ist: „it’s not quite a Jaguar.“ Mit dem Kultstatus ist es offenbar zumindest in den Liedtexten auch dort noch nicht weit her. So bleibt nur die Hoffnung auf eine vielfache, kulturell bedeutsame Erwähnung des Kleidungsstücks.
Rock ’n’ Roll? Warum sollte man in den Texten des englischen Beats erwarten, Bezüge auf den Minirock zu finden? Diese Frage führt zu einer anderen: War der Mini nicht ein eindeutiges Symbol für eine neue sexuelle Freiheit bzw. für neue Promiskuitätserwartungen? Lassen wir zunächst Mary Quant zu Wort kommen: The way girls model clothes, the way they sit, sprawl or stand is all doing the same thing. It’s not „come hither“, but it’s provocative. She’s standing there defiantly with her legs apart saying, „I’m very sexy. I enjoy sex. I feel provocative, but you’re going to have a job to get me. You’ve got to excite me and you’ve got to be jolly marvellous to attract me. I can’t be bought, but if I want you, I’ll have you.“ (Zitiert in Sandbrook 2006: 225)
Diese Betonung einer neuen, auch sexuellen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, einer neuen Rolle für die jungen Frauen traf allerdings auf ein ganz anderes Verständnis bei den männlichen Beobachtern: „Young English girls take to sex as if it’s candy and it’s delicious“ (Weekend Telegraph, 16. April 1965 zitiert in 226). Die Kontroverse um den Auftritt des bereits berühmten Models Jean Shrimpton unter den konservativen Gästen beim australischen Derby im Oktober 1965 fügte eine weitere Facette zur Rezeption des Minirocks hinzu: die Indignation der ehrbaren Gesellschaft.1 Gleichwohl gilt dieses publicityträchtige Ereignis weithin als der Durchbruch des Minirocks (oder genauer: des Minikleids); doch es war wohl eher so, dass der schon laufende Trend noch verstärkt wurde. Und während Mary Quant weiterhin (und noch 30 Jahre 1
Für eine ausführlichere Beschreibung des Auftritts vgl. den Beitrag von Cyprian Piskurek im vorliegenden Band.
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Der Mini im Rock später) das Positive betonte („It was young, liberated and exuberant […]. ‚Look at me. Isn’t life wonderful‘“; zitiert in 233), gab es doch ganz offensichtlich auch eine Kehrseite der Medaille: „Some women, however, felt that it only encouraged men to think of dolly birds as little more than sex objects. ‚It made you look like a little girl‘, one woman later insisted, ‚just there to please men‘“ (ibid.). Das wären, in aller Kürze, die proklamierten oder rezipierten Bedeutungen des revolutionären Kleidungsstücks.2 Was sa(n)gen die Männer des britischen Beats dazu? War die neue Mode eine der Ausdrucksformen des swingenden England der 1960er Jahre, so war die britische Rock- bzw. Beatmusik eine andere, die als britische Invasion wahrgenommen für einige Jahre auch den amerikanischen Markt dominierte. Diese Adaption und Weiterentwicklung des Rock ’n’ Roll lieferte den Soundtrack für das vom allgegenwärtigen Postulat der nicht endenden Jugendlichkeit geprägte Lebensgefühl der Jahre um 1965. Ganz traditionell waren zunächst die Themen der Beatbands. Es ging um die Liebe und das Suchen nach ihr, mitunter hymnisch gestaltet, nicht selten jedoch auch vor dem Hintergrund des ewigen Themas der teenage angst. Aber kam es auch zu Thematisierungen von Sexualität und Kleidung? Die Beatles sind in ihrer Frühzeit absolut familienverträglich, was ihre Texte angeht. Von den Girls weiß man nur eins mit Sicherheit: dass sie zumindest eine Hand besitzen, die man halten kann. Ansonsten sind sie natürlich wunderschön („The way she looked was way beyond compare“, in „I Saw Her Standing There“, 1963). Die Beatles haben über das Äußere der in ihren Songs Besungenen kaum etwas zu sagen; eher wird man bei der Beschreibung von männlichen Charakteren fündig („And the banker never wears a mac / In the pouring rain / Very strange“ heißt es in „Penny Lane“; da schrieb man jedoch bereits das Jahr 1967, und die Beatles hatten die romantischen Liebeslieder längst hinter sich gelassen). Was die Dame in „She Came in Through the Bathroom Window“ (1969) trägt, erfahren wir nicht. Nicht zu vergessen allerdings: „Lady Madonna“ von 1968 („Thursday night your stockings needed mending“). Keine Minis bei den Beatles. Was immer sie über ihre Song-Frauen sagen, liegt auf anderen Ebenen. Erwartungsvoll hören wir die Texte der großen Rivalen: der Rolling Stones. Deren Management verpasste der Band ein rebellisches Image mit genüsslich ausgekosteten lasziven Elementen. Die Presse nahm dieses (anfängliche) Konstrukt nur zu gern auf. Der Melody Maker fragte: „Would you let your sister go with a Rolling Stone?“
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Vgl. die Beiträge von Cyprian Piskurek, Ingrid von Rosenberg und Viola Hofmann im vorliegenden Band.
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Hans Peters Aber dies geschah noch mit einem deutlichen Augenzwinkern. Im Evening Standard vom 14. April 1964 widmete sich die Journalistin Maureen Cleave dem Ärgernis mit vollem Ernst: BUT WOULD YOU LET YOUR DAUGHTER MARRY ONE? Parents do not like The Rolling Stones. They do not want their sons to grow up like them; they do not want their daughters to marry them. (Zitiert in Sandbrook 2006: 144)
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Stones waren ziemlich genau das Gegenteil der frühen Beatles, die bald zu Trägern des O.B.E. (Order of the British Empire) werden sollten. Dürfen wir also freizügige sexuelle Kommentare in den Texten von Mick Jagger und Keith Richard (wie er sich damals noch nannte) erwarten, vielleicht sogar lüsterne Blicke auf Mini-Trägerinnen? Weit gefehlt. Dass die Mädchen in den Songs der Stones Kleider tragen, kann man belegen, aber welcher Art sie sind, bleibt ungewiss. In den oft als misogyn kritisierten Songs „Under My Thumb“ und „Stupid Girl“ heißt es: „The difference in the clothes she wears / Is down to me / A change has come / She’s under my thumb“ und: „I’m not talking about the kind of clothes she wears / Look at that stupid girl.“ Für die von Mary Quant (1966 ebenfalls mit dem O.B.E. ausgezeichnet) propagierte positive Symbolkraft des Minis haben die Stones nicht das geringste Interesse; man muss bei ihnen ohnehin lange suchen, um irgendeine positive Aussage über Frauen und ihr Erscheinungsbild zu finden. Durchaus an der Mode interessiert ist Ray Davies mit seinen Kinks. Ein vielversprechender Titel dieser Band ist „Dedicated Follower of Fashion“ – allerdings nur bis zur ersten Textzeile: „They seek him here, they seek him there / In Regent Street and Leicester Square.“ Auch die Carnaby Street findet hier Erwähnung, aber der Modefanatiker trägt keinen Minirock. Mit dieser Single vom März 1966 verabschiedeten sich die Kinks endgültig von ihrer brachialen Frühphase mit Krachern wie „You Really Got Me“ und „All Day and All of the Night“. Davies beobachtet in seinen Texten von nun an humorvoll, ironisch oder sarkastisch die Szenerien und Charaktere im post-imperialen England. Oft geht es um das Bemühen der kleinen Leute, einen bescheidenen sozialen Aufstieg zu bewerkstelligen, heraus aus der Enge der Reihenhäuser mit ihren Hinterhoftoiletten. Sexuelle Leidenschaft wird in den Kinks-Songs von nun an recht rar; die modischen Vorlieben seiner Protagonisten kommentiert Davies meist ironisch: „One week he’s in polka-dots, the next week he’s in stripes / He’s just a dedicated follower of fashion.“ Wiederum ist es der schon oben zitierte Frank Smyth, der sich an gleicher Stelle konkreter über die erotischen Lebensumstände des plötzlich vom Ruin Bedrohten in „Sunny Afternoon“ auslässt:
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Der Mini im Rock Ladies, of course. Ladies with long legs and little bosom, hair the colour of corn, very mini, very skinny dresses. […] The trouble being that the perfect woman becomes a bore, like having Venus de Milo [sic] constantly upon one’s hands. So angry words are spoken, and she of golden hair and mini skirt, half woman, half thighs leaves. With car. Back to ma and pa. With tales of drunkenness and cruelty.
Die Vierten im Bunde der großen englischen Bands waren (aus heutiger Sicht) die Who, die sich keineswegs nur Sorgen über ihre Generation machten, sondern auch die Freuden (und die Ärgernisse) der Liebe besangen. Miniröcke? Leider Fehlanzeige. In „La La Lies“ (1965) gibt es ein „girl with eyes like gems“; die „Pictures of Lily“ (1967) mögen zwar reizvoll genug sein, doch stammen sie aus den 1920er Jahren. Möglicherweise ist darauf ein kurzes Kleid zu sehen, aber wir erfahren es nicht. Auch bei den ‚kleineren‘ Bands im britischen Beat ist von Röcken kaum die Rede. Bei Manfred Mann lockt der „Pretty Flamingo“ (1966) im „crimson dress that clings so tight.“ Die Troggs sind expliziter in „I Can’t Control Myself“ (1966): „Your slacks are low and your hips are showing.“ Von diesem Stück schreibt Richie Unterberger: „‚I Can’t Control Myself‘ had such an open-hearted lust that it encountered resistance from conservative radio programmers all over the globe“ (k.D.). Diese „open-hearted lust“ sollte auch später die Texte der Band kennzeichnen, was die BBC nicht goutieren mochte. Vielleicht hätte die Band ihr Abrutschen in den Underground vermeiden können, wenn sie ein paarmal ganz unschuldig den Minirock erwähnt hätte? Sie tat es zumindest nicht explizit, und ihre (britische) Charts-Karriere endete schon Anfang 1968.
The mini-skirt abroad Nach diesen Enttäuschungen wird man überraschenderweise auf der anderen Seite des Atlantiks fündig, allerdings nicht im Rock, sondern bei der Country-Sängerin Jeannie C. Riley, die 1968 in ihrem Welterfolg „Harper Valley P.T.A.“ das Sittengemälde einer amerikanischen Kleinstadt zeichnet. Inhaltsangabe: Die halbwüchsige Tochter einer alleinerziehenden Mutter kommt mit einem Brief der Parent-Teacher Association nach Hause, in der das Verhalten der Mutter streng gerügt wird: „you’re wearing your dresses way too high.“ So kann man sie nicht als die geeignete Erzieherin ihres kleinen Mädchens akzeptieren, sie ist ja geradezu eine wandelnde Einladung zur Unmoral. Es folgt der Minirock-Auftritt der Mutter beim gerade stattfindenden Treffen der P.T.A., bei dem sie den anwesenden Mitgliedern die Leviten liest und deren eigene moralische Fragwürdigkeit offen legt. Hier wird also deutlich, dass der Mini in der 83
Hans Peters konservativen Atmosphäre des ländlichen Amerika keineswegs gern gesehen war. Frauen, die ihn trugen (und dazu noch alleinerziehende Mütter waren), waren missliebig und konnten sozial stigmatisiert werden. Der Mini galt als Symbol der Promiskuität. Drastischer als bei Jeannie C. Riley wird es im Soul bei Wilson Pickett. Dieser hatte 1969 einen kleineren Hit mit „Mini-Skirt Minnie“, und hier wird das erotische Potenzial explizit thematisiert: Mini-skirt Minnie, you know you really come on strong, yeah You got a hold on me chasin' after you, baby […] You know you wear your dresses so high You stop the traffic when you walk by And the way you twist and carry on, you know what? You're gonna break up a lot of happy homes You got me slippin' around, chippin' 'round, sneakin' 'round, peepin' 'round Oh baby, ow! The taste of your love Mini-skirt Minnie, yeah, you know I'm gonna pull your mini-skirt down.
Bezeichnenderweise erreichte der Song Platz 50 in den Billboard Hot 100, aber Platz 19 in den R&B-Charts. Picketts Plattenfirma war allerdings Atlantic, für heutige Maßstäbe zu den Independents bzw. damals zum Underground zu zählen. Hier gab es textlich andere Möglichkeiten. Die deutschen 1960er Jahre sahen den Mini anfangs eher so wie die weiße amerikanische Provinz. Kurze Röcke waren durchaus ein Wagnis, zugleich unmoralisch-provokativ und ein Augenschmaus für männliche Blicke: der zu erwartende Zwiespalt. Ansonsten herrschte ein breiter Konsens: Das konnte doch wohl nur eine weitere kurzlebige Modetorheit sein, die alsbald wieder verschwinden würde. Nicht der deutsche Beat, sondern der Schlager nahm sich des Themas gern an, und zwar zunächst eher parodistisch: Die Goosies besangen 1967 den Minirock halb spöttisch, halb begeistert, und das Cover ihrer Single „Mini Mini Rock“ mit den nach den nackten Beinen der Rockträgerin schnappenden Gänsen spricht für sich (vgl. Abb. 9). Musikalisch lehnte sich der Song an den gezähmten amerikanischen Mainstream-Rock der frühen 1960er an. Es ist ein Novelty-Song, wie er im Buche steht, und war im von Psychedelia und Summer of Love geprägten Jahr 1967 ein musikalischer Anachronismus.
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Der Mini im Rock
Abb. 9: Cover der Single „Mini Mini Rock“ von den Goosies
Die musikalisch anspruchsvollste Bearbeitung des Themas stammt wohl von Jacques Dutronc, der 1968 in „Mini mini mini“ – durchaus minimalistisch – keineswegs ein Loblied auf den Mini anstimmt. Er mokiert sich in seinem Text darüber, dass im Leben alles nur noch in Mini-Versionen zu haben ist: minimum, minibus, terminus, sogar le ministère und le docteur Schweitzer. Er bevorzugt maxi, allerdings nicht nur bei den Röcken: maxistère, maxibus, termaxus. Sieht man sich die zugehörige TV-Version an (vgl. Abb. 10), in dem ein MiniDutronc zu einem überdimensionalen blonden Mini-Mädchen aufschaut wie Gulliver zu einer Riesin, so kommen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der behaupteten Maxi-Präferenz. Oder symbolisiert das Größenverhältnis das im Chanson thematisierte Gefühl der Bedrohung?3
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Bei der Dame handelt es sich übrigens um Dutroncs Ehefrau, Françoise Hardy.
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Hans Peters
Abb. 10: Jacques Dutronc im Musikclip zu „Mini mini mini“
To cut it short Die Suche nach dem Mini im Rock hat uns also aus dem erwarteten Umfeld des britischen Beats der Swinging Sixties in die amerikanische Provinz, in die blühenden Landschaften des deutschen Schlagers und die kulturkritische Welt des französischen Chansons geführt. Hier finden sich offenbar die Motivationen für eine Thematisierung des Kleidungsstücks, während der Rock bzw. Beat nicht an den Minis interessiert scheint. Die britischen Beatbands propagieren ihren modischen Stil nicht in ihren Songs. Stil hat man, und solange er noch ein Symbol der Minderheit gegenüber der Mehrheit ist, scheint Werbung über die Musikindustrie und innerhalb der Songs offenbar nicht angebracht. Ohnehin sind andere Themen wichtiger für die Identifikation mit dem Publikum, auch wenn dabei nicht selten althergebrachte Muster perpetuiert werden. Die neue Jugendkultur Mitte der 1960er war zudem so multimodal wie wenige vor ihr, und Johan Fornäs sieht diese Multimodalität als zentrales Merkmal seiner Definition des Begriffes youth: „Something which is culturally determined in a discursive interplay with musical, visual and verbal signs that denote what is young in relation to that which is interpreted as respectively childish or adult“ (Fornäs 1995: 3).
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Der Mini im Rock Der entgegen verbreiteter Klischees durchaus sozialkritische Country-Song lehnt sich gegen die Enge der kleinstädtisch-puritanischen Moralvorstellungen auf und macht den Mini zum Symbol für die Rebellion. Jacques Dutronc dagegen bevorzugt die ironische Halbdistanz, die man von einem französischen Intellektuellen erwartet. Wenn der Mini im Schlager besungen wird, kann man dies als Argument dafür werten, dass dieser Musikform zu Unrecht Regressivität vorgeworfen wird? Mir erschiene dies zu simpel. Seit seinen Ursprüngen kommentiert der Schlager die Mode; auch die Goosies greifen volkstümliche Reaktionen auf. Das erinnert doch sehr direkt an die Elisabeth der 1920er Jahre, die ihr „altes kurzes Kleid“ nun im Schrank lässt (in dem Schlager „Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt’“). Hier zeigt sich auch eine deutliche Kontinuität der Schlagertexte, die gern modische Trends aufgreifen und propagieren wie den Bubikopf, den Petticoat und die Blue Jeans. Auch bei den Protagonisten des deutschen Schlagers, eigentlich bei ihren Textern, sollte der Mini bald vergessen sein. Später, im Jahre 1970, besang noch Howard Carpendale „Das schöne Mädchen von Seite eins“ des Versandhauskatalogs, allerdings ein „Girl im Pulli und roten Hosen.“ Wencke Myhre trägt schon 1968 das „Flower-PowerKleid“; ich meine mich gar zu erinnern, dass C&A damit warb. Damit begann eine neue Ära, in der die Hippiemode, der Maxi und der Midi den Mini für einige Zeit verdrängten.
Literaturverzeichnis Fornäs, Johan (1995): „Youth, Culture and Modernity“, in J.F./ Göran Bolin (Hg.), Youth Culture in Late Modernity, London/ Thousand Oaks/New Delhi: Sage, S. 1-11. Sandbrook, Dominic (2006): White Heat. A History of Britain in the Swinging Sixties, London: Abacus. Unterberger, Richie (k.D.): „The Troggs Biography“, http://www. allmusic.com (9. Juli 2009).
Songverzeichnis Berry, Chuck (1960): „Jaguar and the Thunderbird“, Chess Records. – (1964): „No Particular Place to Go“, Chess Records. Carpendale, Howard (1970): „Das schöne Mädchen von Seite eins“, EMI. Cole, Nat King (1942): „Route 66“, Capitol. Dutronc, Jacques (1968): „Mini mini mini“, Jacques Dutronc, Vogue. Herman’s Hermits (1967): „Last Bus Home“, Blaze, Columbia. 87
Hans Peters Madness (1982): „Driving in My Car“, Stiff Records. Mann, Manfred (1966): „Pretty Flamingo“, HMV. Merton Parkas (1979): „You Need Wheels“, Beggars Banquet. Pickett, Wilson (1969): „Mini-Skirt Minnie“, Atlantic. Riley, Jeannie C. (1968): „Harper Valley P.T.A.“, Harper Valley P.T.A., Sun Entertainment. The Beatles (1963): „I Saw Her Standing There“, Please Please Me, Parlophone. – (1967): „Penny Lane“, Magical Mystery Tour, Parlophone. – (1968): „Lady Madonna“, Parlophone. – (1969): „She Came in Through the Bathroom Window“, Abbey Road, Apple. The Goosies (1966): „Mini Mini Rock“, Cornet. The Kinks (1964): „Cadillac“, The Kinks, Pye Records. – (1966): „Dedicated Follower of Fashion“, Face to Face, Pye Records. – (1966): „Sunny Afternoon“, Face to Face, Pye Records. The Rolling Stones (1966): „Stupid Girl“, Aftermath, Decca. – (1966): „Under my Thumb“, Aftermath, Decca. The Troggs (1966): „I Can’t Control Myself“, Fontana. The Who (1965): „La La Lies“, My Generation, Universal. – (1967): „Pictures of Lily“, Polydor.
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Mini conquers Hollywood Der Imagewandel des Minis im Film IRIS-AYA LAEMMERHIRT
Seit seiner Entwicklung in den 1960er Jahren avancierte der Mini zu einem Symbol der dynamischen Jugend und verkörperte wie kein anderes Automobil Britishness und den Geist des Swinging London. Dies hat sich mit dem neuen Mini geändert. Ausgerechnet in den USA, dem Land, in dem Autos nicht groß genug sein können, erfreut sich der neue Mini besonderer Beliebtheit. In Mini. The Book, 2006 herausgegeben vom Mini Brand Management der Firma BMW, erklärt man sich den internationalen Erfolg des Autos wie folgt: Der Mini sei „weltumspannend, unabhängig von Sprachen, Kulturen, Breitengraden, Hautfarben, Herkunft“ (27). Folglich können sich unterschiedliche Kulturen mit diesem ursprünglich britischen Automobil identifizieren. Diese globale Popularität wird auch in Hollywood-Filmen reflektiert, in denen immer öfter das kleine Automobil zu sehen ist. Im Folgenden soll anhand von Filmanalysen gezeigt werden, wie der Mythos Mini kreiert wird. In diesem Kontext wird Mythos im Sinne von Roland Barthes als ein semiotisches System zweiter Ordnung verstanden, das kulturelle Bedeutungen vermittelt, indem es sich mit dem primär linguistischen Sinn von Zeichen verbindet und als deren Konnotation häufig latent und unbewusst wirksam ist (vgl. 1964: 90-96). Barthes argumentiert, dass eine derartige Mythologisierung von Zeichen in der Regel dazu beiträgt, Werte und Interessen einer dominanten Mehrheit in der Gesellschaft zu bewerben und zu verfestigen, um somit vorherrschende Machtstrukturen aufrechtzuerhalten (vgl. Storey 2001: 65). Vor allem die semiotische Eigenart von Bildern kann komprimiert und schnell am Bewusstsein vorbei sekundäre, mythologische Bedeutungen erzeugen, die ihren Gegenstand depolitisieren und naturalisieren. Im Falle der Abbildung eines Minis wäre eine Standard-Mythologie die oben erwähnte Konnotation von Britishness. In Filmen wie The Heartbreak Kid (2007), Austin Powers in Goldmember (2002) und der Neuauflage des Filmklassikers The Italian Job (2003) erfüllt der Mini unterschiedli89
Iris-Aya Laemmerhirt che narrative und wie im oben beschriebenen Sinne mythologische Funktionen. Vor allem konnotiert das Zeichen des Minis nicht mehr nur Britishness, sondern steht auf den ersten Blick vor allem für eine internationale jugendliche Wohlstandskultur sowie unabhängige Weiblichkeit. Diese neue Codierung des Minis deckt sich mit der Imagekampagne des BMW-Konzerns für dieses Auto und wirft daher die Frage auf, inwieweit dieser neue Mythos auf der Leinwand vor allem den Interessen des Automobilbauers dient.
Vorspann: Das Automobil im Film Das dynamische Potenzial des Automobils wurde bereits in den Anfängen des Filmes entdeckt. Aus frühen Komödien von Laurel und Hardy, Buster Keaton oder Charlie Chaplin ist das Auto, das oft der Ungeschicklichkeit oder Zerstörungswut der Charaktere zum Opfer fällt, nicht wegzudenken. Doch nicht nur als komödiantisches Element oder Transportmittel sind Autos im Film unverzichtbar. Rasante Verfolgungsjagden mit spektakulären Stunts gehören ebenfalls zum festen Repertoire Hollywoods und ziehen ein großes Publikum an. Die Handlung der Action-Filmreihe The Fast and the Furious (2001-2009) beschränkt sich fast ausschließlich auf illegale Autorennen in der amerikanischen Tuning-Szene. Hierbei stehen eindeutig die frisierten Fahrzeuge im Mittelpunkt und machen die menschlichen Darsteller zu Nebenfiguren. Eine noch größere Bedeutung haben Autos in Filmen wie Christine (1983) oder The Love Bug (1968), in denen sie tatsächlich zu Hauptdarstellern avancieren. In der Verfilmung des gleichnamigen Stephen-King-Romans ergreift ein dämonischer Oldtimer, der auf den Namen Christine hört, Besitz von seinem neuen Eigentümer und beginnt, Menschen zu töten. Bereits das Design des Wagens, eines roten 1958er Plymouth Fury, personifiziert die Aggressivität des Vehikels und visualisiert die Bedrohung durch die fortschreitende Technologisierung der Gesellschaft. Während Christine ein Auto mit einer boshaften Persönlichkeit ist, verkörpert der VW Käfer Herbie ein freundliches Automobil mit ungewöhnlichen Fähigkeiten. Das kleine Fahrzeug erfreute sich auf der Leinwand so großer Beliebtheit, dass in der Folgezeit eine ganze Reihe Filme und eine TVSerie mit ihm gedreht wurden. Besonders seine ungewöhnliche runde Form, seine Frontpartie, die ihm ein freundliches ‚Gesicht‘ verleihen, sowie sein Spitzname bug (Käfer) hatten den kleinen VW in den 1950er Jahren in Amerika beliebt gemacht (vgl. Krause 2001: 92). Automobile, die nicht als personalisierte Hauptdarsteller im Mittelpunkt einer Handlung stehen, werden oft zur Figurencharakteri-
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Mini conquers Hollywood sierung eingesetzt. Filmfiguren werden nicht nur durch ihre Kleidung, Frisur oder Wohnungseinrichtung für das Publikum näher definiert, sondern durch das Auto, das sie besitzen. Daher sind Autos im Film nicht nur Transportmittel, sondern Mittel der Identitätskonstruktion und damit auch Teil des Mythos, dass man ist, was man fährt und dass Autos ein Stück Lebensqualität bedeuten. In den Worten des Mini Brand Managements sind Autos „Ausdruck einer Lebenseinstellung, Lebensräume, fahrbare Erweiterungen unserer Wohnungen, die Werkzeuge unserer Mobilität“ (2006: 27). Folglich fährt der smarte britische MI6-Agent und Frauenschwarm James Bond immer stilsicher schicke Autos, die seinen Lebensstil und sein Image als Charmeur und Gentleman unterstreichen. Seine zumeist hochgerüsteten Autos spiegeln darüber hinaus seine rasante und riskante Lebensführung und somit auch seine Maskulinität wider. Bei weniger spektakulären Filmfiguren verweisen Autos ebenfalls oft auf einen bestimmten Charaktertypus oder einen bestimmten Lebensstil. So fahren bodenständige Lehrer oder Hausfrauen im Film oft einen soliden Wagen, wie z.B. die Lehrerin Lovanne Johnson (Michelle Pfeiffer) in Dangerous Minds (1995) einen Volvo 264 oder die Hausfrau Amy (Maria Bello) in Secret Window (2004) einen Saab 9-3. Dagegen nennen lockere Polizisten in Filmen wie Bad Boys II (2003) einen Ferrari 550 Maranello oder einen Porsche 911 Turbo ihr Eigen. In der Komödie The Family Man (2000) visualisiert Regisseur Brett Ratner den Wandel seines Protagonisten ebenfalls mit Hilfe von Autos. Jack Campbell (Nicholas Cage) fährt als erfolgreicher Werbedesigner, Yuppie und Junggeselle am Anfang des Filmes einen Ferrari 550 Maranello, den er später als Familienvater gegen einen weniger aufregenden, dafür praktischen Dodge Grand Caravan eintauscht. Autos sind demnach nicht nur ein Symbol für Freiheit und Mobilität, sondern auch ein wichtiger Teil der persönlichen Identität. Sie definieren ihre Besitzer und spielen nicht zuletzt als Statussymbole eine zentrale Rolle. Wenn man also ist, was man fährt, so stellt sich die Frage, was für Charaktere im Film einen Mini fahren.
Der Mini in Hollywood Betrachtet man Besitzer eines Classic-Minis in Filmen, wie etwa Bridget Jones, Mr. Bean, oder Scarlett aus Four Weddings and a Funeral (1994), so wird deutlich, dass der Mini eingesetzt wird, um Figuren als typisch britisch darzustellen. Es wird eine explizite Verbindung zwischen der nationalen Identität der Mini-Besitzer und dem Auto hergestellt (vgl. Edensor 2005: 105). Dabei verkörpert der
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Iris-Aya Laemmerhirt Mini den ihm für gewöhnlich zugeschriebenen Mythos eines selbstbewussten Großbritanniens und einer Auflockerung der strikten Klassenherrschaft in den 1960er Jahren hier nur zum Teil. In den genannten Filmen betonen die Minis – wie auch die Filme selbst – Klassenunterschiede nicht, sondern verwischen sie eher, heben sie aber auf keinen Fall auf. Und mit dem Selbstbewusstsein Bridgets oder dem reibungslosen Funktionieren der Minis von Scarlett und Mr. Bean als Ausdruck der stolzen britischen Dynamik ist es ebenfalls nicht so weit her. Die Minis wirken eher als Signal einer leicht rückschrittlichen und nicht ernst zu nehmenden Englishness für ein internationales, vor allem amerikanisches, Publikum. Überdies haben diese Mini fahrenden Filmfiguren, neben der Tatsache, dass sie Engländer sind, noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie sind chaotische, exzentrische und dennoch liebenswerte Individualisten. Abb. 11: Der verspätete Mini auf dem Weg zur Hochzeit in Four Weddings and a Funeral
Dies trifft ebenfalls auf die Deutsche Marie Kreutz (Franka Potente) in The Bourne Identity (2002) zu. Sie ist eine sympathische, abenteuerlustige Weltenbummlerin, die im Film explizit als „Zigeunerin“ und „absolut chaotisch“ bezeichnet wird. Sie hat ihr gesamtes Leben in ihren alten, verbeulten Mini gepackt, der ihr Hippie-Image widerspiegelt. Zufällig trifft sie den männlichen Protagonisten Jason Bourne (Matt Damon), einen ehemaligen Auftragsmörder der CIA, der sein Gedächtnis verloren hat und eine Mitfahrgelegenheit sucht. Marie willigt ein, ihn gegen ein Entgelt nach Paris zu fahren. Am Ende einer Verfolgungsjagd durch Paris, bei der die beiden dank
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Mini conquers Hollywood des wendigen Minis und Jasons Fahrkünsten der Polizei entkommen können, muss sie das Auto und damit symbolisch ihr bisheriges Leben zurücklassen. Es wird explizit eine Verbindung zwischen Marie und ihrem Auto hergestellt. Der Mini könnte sie verraten, deshalb muss sie ihn in einer Pariser Tiefgarage zurücklassen. Mit der Entscheidung, Jason Bourne zu folgen, gibt Marie einen Teil ihrer Unabhängigkeit, aber auch ihre Ziellosigkeit, auf. Sie verändert ihr Äußeres und nimmt buchstäblich eine andere Identität an. Ist zuerst Jason auf ihr Auto und ihre Hilfe angewiesen, so ändert sich ihr Verhältnis in dem Moment, in dem sie ihren Mini aufgibt. Für den Rest des Filmes ist es Marie, die auf Jasons Hilfe und seine Fähigkeit, Autos zu stehlen, angewiesen ist, um zu überleben. Somit unterstreicht in The Bourne Identity der alte Mini die Unabhängigkeit einer jungen deutschen Frau und steht für ihre selbständige und unabhängige Lebensweise. Diese scheint aber angesichts der Komplexität des (post)modernen Lebens obsolet und wird letzten Endes von ihr aufgegeben.
Vom alten zum neuen Mini Wurde der Classic-Mini bisher auf der Leinwand noch immer vor allem eingesetzt, um die nationale Identität der Besitzer zu unterstreichen, so wurde anhand des Films The Bourne Identity jedoch sichtbar, dass er auch unabhängig von nationalen Identitäten Indikator für eine alternative Lebensweise sein kann. Diese Loslösung des Minis von Britishness verdeutlicht sich bei der Inszenierung des neuen Minis auf der Leinwand. Dieser wird in Hollywood-Filmen meist als charmantes, modisches Vehikel inszeniert, dessen Besitzer modern, unabhängig und risikofreudig sind. Diese neue Bedeutungsgebung des Autos wird besonders bei einem Vergleich der Filme The Italian Job von 1969 und 2003 deutlich. Die erste Version zementierte den Kultstatus ihrer motorisierten Hauptdarsteller in den 1960er Jahren, die zweite half, diesen Status auf den neuen Wagen zu übertragen. Die legendären Verfolgungsjagden des Originalfilms wurden als Achterbahn-Attraktionen in einem amerikanischen Vergnügungspark (King’s Island) nachgestellt sowie in einem Werbespot der Marke Martini und dem Musikvideo „Pick a Part That’s New“ (1999) der Gruppe Stereophonics visuell zitiert. Die neue Version macht deutlich, wie BMW Filme für ein Product Placement der Marke Mini nutzt, um diese durch eine nachhaltige, positive Imagebildung in den USA zu etablieren.1 Die
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BMW war sich nicht ganz sicher, ob es ihnen gelingen würde, den Mini in den USA überhaupt zu etablieren, da bereits 35 Jahre vergangen waren,
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Iris-Aya Laemmerhirt Minis, die von BMW für den Film gestellt wurden, werden geschickt in die Handlung eingebunden und avancieren selbst zu Helden, die ihre Fahrer aus vermeintlich ausweglosen Situationen retten, indem sie eine Fahrweise erlauben, die anscheinend nur in einem Mini möglich ist. Des Weiteren wird bei einem Vergleich der beiden Filme klar, wie sich das Image des Minis in den letzten Jahren verändert hat. In der älteren Version plant der britische Gauner Charlie Croker (Michael Caine) mit seinem Komplizen Mr. Bridger (Noel Coward) einen Goldraub in Turin. Der Plan sieht vor, sowohl die italienische Polizei als auch die örtliche Mafia durch ein Verkehrschaos zu irritieren und zu behindern, so dass die Gauner in drei eigens dafür präparierten Minis mit dem Gold entkommen können. Die siebenminütige Verfolgungsjagd durch die Straßen Turins und über das Dach des Turiner Flugzeugmuseums in einem roten, blauen und weißen Mini schrieb Filmgeschichte. Die Minis spielen eine zentrale Rolle im Film; sie spiegeln im Weitesten das neue Selbstbild Großbritanniens in den 1960er Jahren wider: selbstbewusst, erfinderisch, energetisch und sich selbst nicht immer zu ernst nehmend. Das Auto unterstreicht dabei auch britisches Understatement, da es z.B. weniger protzig als der Alfa Romeo erscheint, der von den Italienern gefahren wird. Analog dazu erscheinen die britischen Ganoven im Vergleich zur italienischen Mafia ebenfalls eher drittklassig und provinziell. Dennoch beweisen die kleinen Autos wie auch die kleinen Gauner, dass sie nicht zu unterschätzen sind. Die Wahl der Mittel ist bewusst begrenzt, um maximalen Profit zu erreichen. Da die Automarken in der Originalversion noch eng mit der Konstruktion eines nationalen Selbst durch Abgrenzung von anderen verknüpft sind, gelang es dem Automobilhersteller Ferrari trotz aller Bemühungen nicht, die britischen Filmproduzenten davon zu überzeugen, den italienischen Rivalen des Minis, den Fiat 500, für den Film zu verwenden. Ferrari hätte die Fiats kostenlos zur Verfügung gestellt, wohingegen alle 30 verwendeten Minis von den Proseit der letzte Mini offiziell zum Verkauf importiert wurde. Zudem befürchtete die Firma, dass auf dem amerikanischen Markt kein Interesse an einem kleinen Auto bestehen würde (vgl. Paternie 2002: 60). So stellte die BMWGruppe den Paramount Studios 32 Minis für die Dreharbeiten zur Verfügung (vgl. BMW Group 2003). In Japan war der Mini aufgrund seines ‚niedlichen‘ Äußeren und seiner Größe schon immer sehr beliebt, da man selbst im verkehrsreichen Tokio mit diesem Auto einen Parkplatz finden konnte (vgl. Laverick/Johnston 1997). Diese Popularität des Minis führte sogar dazu, dass der Film The Italian Job 2003 in Japan mit dem Titel Mini Mini Daisakusen (Die Mini-Mini-Operation) anlief, um so japanische Mini-Fans in die Kinos zu locken. Hier half nicht der Film, den neuen Mini auf dem japanischen Markt einzuführen, sondern das Auto bewarb den Kinofilm.
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Mini conquers Hollywood duzenten käuflich erworben werden mussten. Diese Entscheidung verortet den Mini als eindeutig britisches Automobil, das im Film die Cleverness und Überlegenheit der Briten gegenüber den Italienern unterstreicht und somit signifikant zur britischen nationalen Identitätsbildung beiträgt. Visuell wird dies unterstrichen, indem die britischen Ganoven Minis in den Farben des Union Jack durch Turin, den Hauptsitz des italienischen Autoherstellers Fiat, fahren. Ein weiterer Verweis auf die Rivalität zwischen Italien und Großbritannien ist ein Fußballspiel zwischen den beiden Nationen, das zeitgleich zur Flucht stattfindet. Diese Rivalität zwischen Nationen spielt in der amerikanischen Version des Filmes keine Rolle mehr. Sowohl der Mini als auch sein direktes Handlungsumfeld sind hier zum einen klar amerikanisiert, tragen zum anderen aber auch deutlich transnationale Züge. Der Plot unterscheidet sich ebenfalls wesentlich von der ursprünglichen Version. Es gelingt dem Meisterdieb Charlie Croker (Mark Wahlberg), in diesem Film ein Amerikaner, mit seinem Team ein großer Coup in Venedig, bei dem sie Gold im Wert von 35 Millionen $ erbeuten. Jedoch beschließt einer von ihnen, Steve (Edward Norton), die Gruppe zu hintergehen und ermordet dabei Charlies Freund und Mentor John Bridger (Donald Sutherland). Ein Jahr später ruft Charlie erneut das Team zusammen, um gemeinsam mit Bridgers Tochter Stella (Charlize Theron) dessen Tod zu rächen und das Gold zurückzuholen. Der Mini Cooper S spielt – wie schon im Originalfilm – eine entscheidende Rolle, diesmal bei einer rasanten Verfolgungsjagd durch Los Angeles. Obwohl die Ganoven ebenfalls Minis in Rot, Weiß und Blau fahren, werden die Farben in diesem Film heute von einem globalen Publikum vermutlich eher als Anspielung auf die amerikanische Flagge verstanden. Der Mythos Mini verändert sich, da das Auto heute anstatt mit Britishness mehr mit einem dynamischen Lebensgefühl junger Menschen, insbesondere Frauen, in den USA verbunden wird. Stella fährt betont selbstbewusst einen roten Rover Mini Cooper Mk VII, mit dem sie sich problemlos auf einem überfüllten amerikanischen Highway zügig fortbewegen kann und mit dem sie in der Stadt selbst in die kleinste Parklücke passt. In einem Closeup sieht der Zuschauer die dem gängigen weiblichen Schönheitsideal entsprechende Stella im Fahrersitz, und ein Lächeln zieht über ihr Gesicht, während sie zahlreiche SUVs überholt. Man sieht der jungen Frau deutlich an, wie gerne sie ihr Auto fährt. Ihr rasanter Fahrstil sagt nicht nur etwas über ihre Persönlichkeit aus, sondern charakterisiert gleichzeitig das Auto. Obgleich Stella privat einen alten Mini fährt, ist ihr Auto nicht Ausdruck von Britishness, sondern unterstreicht ihren Wunsch, sich bewusst von der Masse abzuheben. Während in ihrer Straße nur große, schwarze Autos parken,
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Iris-Aya Laemmerhirt die sich kaum voneinander unterscheiden lassen, fährt sie einen kleinen roten Wagen mit einem ungewöhnlichen Design. Stella wird im Film als unabhängige, selbstbewusste, extrovertierte Frau dargestellt, die ihren männlichen Kollegen in nichts nachsteht. Anders als Marie in The Bourne Identity gibt sie nie das Steuer ihres Wagens aus der Hand und fährt auch während der Verfolgungsjagd souverän den Mini zum Ziel. Nur mit ihrer Hilfe gelingt es dem Team, das entwendete Gold zurückzustehlen. Im Gegensatz zu Marie, die vermutlich in erster Linie aus Kostengründen einen sehr lädierten Mini fährt, besitzt Stella ein gepflegtes altes Modell, das bei ihr mehr wie ein wertvolles Retro-Schmuckstück wirkt. Die durch den Film vorgenommene Aufwertung des alten Minis von einem leicht mangelhaften Automobil zu einem geschmackvollen Wertobjekt bereitet den später vollzogenen Übergang zum neuen Mini vor. Denn für den Coup gegen Steve werden umgebaute neue Mini Cooper S verwendet, die sogar noch mehr Raum für den Transport des Goldes bieten. Der Mini unterstreicht die Individualität, Spontaneität, Cleverness und Lebensfreude der jungen, amerikanischen Protagonisten. Die Art und Weise, wie sie ihren Plan, das Gold zurückzuholen, umsetzen zeigt, wie innovativ, risikofreudig und intelligent sie sind. Im Gegensatz dazu wird der Antagonist immer wieder als starrsinnig und phantasielos bezeichnet. Bereits am Anfang des Filmes, nach dem geglückten Diebstahl in Venedig, tauschen sich alle darüber aus, welche Träume sie sich mit dem Gold erfüllen möchten. Lediglich Steve hat keine eigene Idee und so kauft er sich nach dem Betrug an seinen Freunden all die Dinge, die diese eigentlich erwerben wollten. Der Mini wird damit eindeutig des alten Nationalitätenschemas enthoben – denn alle Konfliktparteien sind amerikanisch – und in einen neuen Kontext des Lifestyle-Konsums gesetzt. Die Gruppe um Stella zeichnet sich nicht zuletzt durch ihre legitimen Arten des Konsums und ihren sicheren Stil aus.2 Die Konstruktion von Britishness hat in diesem Film keine Bedeutung, da der Mini mit einer jungen und kreativen Lebensweise assoziiert wird. Die Neuverortung des Minis auf der Leinwand unterstützt BMWs Ambitionen, diesen Autotyp für eine bestimmte Zielgruppe (junge, kosmopolitische Mittdreißiger mit Geld) interessant zu machen und dessen neues Image zu verbreiten. Stellas problemloser Wechsel vom alten zum neuen Wagen innerhalb des Films reflektiert die Absicht des BMW-Konzerns, die identitäre Kontinuität zwischen bei2
Der Wagen ist auch ein wichtiger Sympathieträger im Film, da ihn sein Äußeres (große ‚Augen‘/Scheinwerfer und breites ‚Lächeln‘/Kühlergrill) freundlich aussehen lässt und es so dem Publikum möglich ist, eine emotionale Verbindung zu dem Auto (und seinen kriminellen Fahrern) aufzubauen. Vgl. den Beitrag von Heinrich Versteegen im vorliegenden Band.
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Mini conquers Hollywood den Fahrzeugen zu betonen. Die Art der Darstellung des Objekts – obwohl vordergründig amerikanisiert – unterstützt die eingangs bereits zitierte, auf Transnationalität abhebende Strategie BMWs, den Mini als weltumspannendes, kulturübergreifendes und herkunftsunabhängiges Produkt anzubieten.
Mine is smaller: Austin Powers In Austin Powers in Goldmember, einer postmodernen Persiflage auf britische 1960er-Jahre-Spionage-Filme à la James Bond, spielt der Mini eine nicht minder interessante Rolle und verweist auf die semantische Vielschichtigkeit dieses Automobils. Der Protagonist, der britische Spion Austin Powers (Mike Myers), repräsentiert ein völlig überstilisiertes Stereotyp der 60er Jahre. In schillernden Anzügen und mit seiner free-love-Mentalität jagt der psychedelische Superagent in mittlerweile drei Filmen seinen Gegner Dr. Evil (ebenfalls Mike Myers) über alle Zeit- und Raumgrenzen hinweg. Obwohl sich sonst sämtliche üblichen Klischees einer 60er-Jahre-Britishness an Austin finden lassen, von seiner Kleidung, den schlechten Zähnen bis zu seiner Swinger-Attitüde3, und trotz seines Vornamens, der vermutlich von der Automarke, die auch den Mini herstellte, inspiriert wurde, fährt er doch keinen Mini, sondern einen auffälligen 1961er Jaguar E-Type in den Farben des Union Jack. Der Mini tritt erst im letzten Teil der Austin-Powers-Trilogie auf, hier zunächst eng verknüpft mit dem gespannten Verhältnis zwischen Austin und seinem Vater Nigel (Michael Caine). Austin eifert ihm als Spion und Lebemann nach. Doch bei jedem seiner Triumphe glänzt Nigel Powers durch Abwesenheit und gibt so den Sohn der Lächerlichkeit preis: in der Schule ebenso wie bei der Erhebung in den Ritterstand durch die Queen. Die gestörte Beziehung zwischen Vater und Sohn manifestiert sich auf den ersten Blick auch in den Autos der beiden. Nigel Powers fährt nämlich einen Mini One und entgegnet dem erstaunten Kommentar des Sohnes „Your spy car is a Mini?!“ gelassen mit den Worten „It’s not the size, mate, it’s how you use it.“ Das Auto ist kein gewöhnlicher Mini, sondern ein wahres Wunderwerk der Technik, das mit der Armbanduhr ferngesteuert werden kann und über eine Unterwasser-Funktion verfügt. 3
So trägt Austin die für die 1960er typischen Hosen und Rüschenhemden in unorthodox grellen Farben. Mark Donnelly erläutert, dass diese Zeit besonders dadurch geprägt war, dass sie Hedonismus über Selbstdisziplin, Freizeit über Arbeit stellte und die eigene sexuelle Erfüllung der Zurückhaltung vorzog (vgl. 2005: 2). Diese Einstellung verkörpert Austin Powers, der ohne Unterlass seine Sexualität in den Vordergrund stellt und auch seine Arbeit als Geheimagent nur sehr selten ernst zu nehmen scheint.
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Iris-Aya Laemmerhirt Allerdings ist in diesem Fall die Größe des Autos tatsächlich signifikant, da es nur einem kleinen Auto wie dem Mini gelingen kann, bei einer Verfolgungsjagd zwischen zwei Bussen hindurchzufahren oder sich als Wanze ungesehen an ein feindliches U-Boot zu heften. Überhaupt scheint es, dass kleine Figuren in diesem Film überlegen sind: Nigel Powers’ Mini ist ein besseres Agentenauto als Austins Jaguar. Der kleine Klon des Antagonisten Dr. Evil, Mini-Me (Verne Troyer), ist intelligenter und kräftiger als sein (körperlich) größeres Ebenbild. Er ist eine niedlich-sympathische Kopie von Dr. Evil und sagt sich im Verlauf des Filmes auch von diesem los, um ihn gemeinsam mit Austin Powers zu bekämpfen. Somit verwandelt sich der Dr.-Evil-Mini zu einem Austin-Mini und profitiert von seiner geringen Körpergröße, die ihn als Spion besonders effektiv macht. Doch am Ende lösen sich all diese Oppositionen vollkommen auf. Nigel Powers entpuppt sich als der Vater sowohl von Austin Powers als auch von Dr. Evil (und damit indirekt auch von MiniMe). Nach der tränenreichen Versöhnung, bringt die vereinte Familie Powers den wahren Bösewicht des Films, den grindigen Holländer Goldmember (in einer weiteren Rolle Mike Myers), zur Strecke. Letztlich ist auch das Happy Ending die Parodie medialisierter Hollywood-Klischees. Nach dem Showdown sehen wir Austin Powers, Dr. Evil und Mini-Me im Kino. Sie beklatschen die mit HollywoodStars besetzte Version ihres Abenteuers mit John Travolta als Goldmember, Tom Cruise als Austin Powers, Kevin Spacey als Dr. Evil und Danny de Vito als Mini-Me. Dieses Spiel mit Realität und Repräsentation wird durch die vielen intertextuellen Verweise u.a. auf die Bond-Serie, die Zoten der alten Carry-On-Reihe, japanische Katastrophenfilme, Blaxploitation und Disco-Welle potenziert. Dazu kommen Kurzauftritte von realen Medienpersönlichkeiten wie dem Talkshow-Gastgeber Jerry Springer oder den Osbournes. Die Besetzung von Nigel Powers mit Michael Caine ist hier ebenfalls signifikant. Einerseits fuhr er als Gangster in der 1969er-Version von The Italian Job einen Mini; andererseits verkörperte er in den 1960ern den Cockney-Spion Harry Palmer, eine rauere Variante von Bond. Im Kontext dieser Verweisketten mutiert der Mini zu einem hyperrealen Simulakrum. Wie der Jaguar schmückt den Mini zwar auch ein Union Jack und signalisiert so Britishness, doch in einem Film, in dem Hauptdarsteller Mike Myers einen britischen Spion sowie Bösewichte aus Schottland, Amerika und Holland verkörpert und in dem London, Tokio und Hollywood im Studio nachgestellt bzw. per Computer generiert werden können, und dies auch innerhalb des meta-medialen Rahmens als Konstrukt markiert ist, erscheinen nationale Identitäten als performative und medialisierte Effekte. Der relativ unmotivierte Auftritt des neuen Minis und des-
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Mini conquers Hollywood sen phantastische technische Aufrüstung parodieren die Gadgets und das unsubtile Product Placement der Bond-Filme. Die im Remake von The Italian Job mithilfe des neuen Minis in den Vordergrund gestellten Werte Mobilität, Konsum und Dynamik als Teil des modernen Lifestyles können in einem solchen Rahmen ebenso wenig ernst genommen werden wie der nostalgische Blick zurück auf die Swinging Sixties.4 Abb. 12: Der Mini in Austin Powers
Abspann Die neue Version des Italian Job trug maßgeblich dazu bei, den Mini als sexy, charmantes, modisches Auto in den USA zu etablieren. Zudem wird der Mini in Hollywood-Filmen wie The Italian Job oder auch The Heartbreak Kid, in dem ein frisch vermähltes Paar in einem Mini Cooper in die Flitterwochen fährt, mehr und mehr als Teil des amerikanischen Lifestyles verstanden. Diese kulturelle Semantisierung des neuen Minis wird auch in Madonnas Song „American Life“ (2003) deutlich, in dem sie kritisch den amerikanischen Lebensstil hinterfragt, zu dem der Mini Cooper genauso gehört wie Soja Latte Macchiato und Pilates. Madonna argumentiert in diesem Song, dass in einer globalisierten Welt nationale Grenzen in der Konsumkultur verschwimmen und wie selbstverständlich Autos, Getränke, oder Sportarten anderer Kulturen inkorporiert und somit klare nationale Bedeutungszuordnungen nahezu unmöglich werden.
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Vielleicht tritt deshalb BMW auch nicht als offizieller Sponsor von Goldmember auf.
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Iris-Aya Laemmerhirt Madonna codiert den Mini jedoch nicht als positives Zeichen einer global vernetzten Gesellschaft, sondern sieht ihn eher als Vehikel einer ignoranten, nur an Mode und Konsum interessierten Generation. „I drive my Mini Cooper and I’m feeling super-dooper“, singt sie kurz nachdem sie einige Zeilen zuvor die zeitgenössische amerikanische Lebensweise als sinnentleert und kalt beschrieben hat. Die Künstlerin geht in ihrem provokanten Video zu dem Song (das sehr schnell durch eine entschärfte Version ersetzt wurde) sogar noch einen Schritt weiter. Darin verdeutlicht sie ihre Anti-Irak-KriegHaltung, indem sie auf einem Laufsteg Models und Kinder in Militäruniformen inszeniert, während im Hintergrund auf einer Leinwand amerikanische Raketen abgeschossen werden. Zum Ende des Clips fährt sie in einem neuen Mini Cooper in Camouflage-Optik, umgerüstet zu einem Mini-Panzer, auf die Bühne und attackiert Fotografen sowie Besucher der Modenschau mit einem Wasserwerfer. Mit den breiten Reifen, einer tiefergelegten Karosserie und einem Rammschutzbügel wirkt das Auto trotz seiner geringen Größe bedrohlich und aggressiv. Somit schreibt Madonna den USA, hier repräsentiert durch den Mini, eindeutig militärisch-imperialistische Absichten zu. Er mutiert von einem Automobil, das für Spaß und Freiheit steht, zu einer ernsten Bedrohung, und die Spaßmentalität des Konsums wird verantwortlich gemacht für Aggression und Gewalt. Der Wagen wird gewissermaßen als US-Objekt re-nationalisiert und zur Kritik an dem der Globalisierung und transnationalen Ökonomie zugrundeliegenden Machtstreben benutzt. Der Mini lenkt den (amerikanischen) Konsumenten nicht nur vom Krieg ab, sondern er ist selbst Instrument der Kriegsführung. Der Mini hat es geschafft, von den 1960ern bis heute aktuell zu bleiben. Jedoch hat sich der Mythos Mini mit der Zeit verändert. Der Classic-Mini symbolisierte im Film vor allem das Britische der Figuren – besonders deren Individualität und Exzentrik –, repräsentierte eine gewisse 60er-Jahre-Dynamik und suggerierte, dass seine Besitzer finanziell nicht gut gestellt sind und sich daher nur ein kleines, sparsames Auto leisten können. Er bleibt damit stets verhalten glanzvoll und signalisiert einen verbleibenden Mangel. Im Gegensatz dazu verweist sein Nachfolger auf die Lebensfreude einer globalisierten, finanziell wohlsituierten Generation, die das Auto vor allem als chices Modestatement fährt. Sympathischer Mangel wird durch attraktive Fülle ersetzt, Außenseitertum durch coole Zugehörigkeit. Glaubt man Filmen wie The Italian Job von 2003 oder The Heartbreak Kid, so verkörpert der Mini noch immer „Understatement, Frechheit, Lebensfreude und Energie“ (Mini Brand Management 2006: 103) – eine Semantisierung, die von BMW nur zu gerne unterstützt wird. Provokante Darstellungen des Minis wie z.B. in Madonnas Musikvideo zeigen jedoch Möglichkeiten einer alternati-
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Mini conquers Hollywood ven Lesart des Minis auf und dekonstruieren die depolitisierende Mythologisierung des Minis als Nationenlosigkeit, Klassenlosigkeit, Geschlechtergleichheit und internationalen Wohlstand versprechendes Konsumobjekt. In diesem Kontext ist es heutzutage möglich, filmische Repräsentationen des Autos auch als Symbol einer ignoranten Konsumgesellschaft sowie des amerikanischen Imperialismus zu verstehen.
Literaturverzeichnis Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags (11957), übers. Helmut Scheffel, Frankfurt/Main: Suhrkamp. BMW Group (2003): „Mini Goes Hollywood in The Italian Job“, http://www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm? aktion=jour_pm&r=138782 (10. Juli 2009). Donnelly, Mark (2005): Sixties Britain. Culture, Society and Politics, Harlow: Pearson Longman. Edensor, Tim (2005): „Automobility and National Identity. Representation, Geography and Driving Practice“, in Mike Featherstone/ Nigel Thrift/John Urry (Hg.), Automobilities, London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage, S. 101-120. Krause, William (2001): Hollywood, TV and Movie Cars, St. Paul: MBI. Laverick, Stuart/Johnston, Kevin (1997): „The Marketing of a Consumer Icon. Mini Cooper into Japan – Coals to Newcastle?“, Marketing Intelligence and Planning 15 (4), S. 179-184. Madonna (2003): „American Life“, Maverick/Warner Bros. Mini Brand Management (2006): Mini. The Book, Hamburg: Hoffmann und Campe. Paternie, Patrick (2002): Mini, St. Paul: MBI. Stereophonics (1999): „Pick a Part That’s New“, V2. Storey, John (2001): Cultural Theory and Popular Culture (11993), Athens: University of Georgia Press.
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Iris-Aya Laemmerhirt Gray, Gary (2003): The Italian Job, Paramount Pictures. Koepp, David (2004): Secret Window, Columbia Pictures. Liman, Doug (2002): The Bourne Identity, Universal Pictures. Newell, Mike (1994): Four Weddings and a Funeral, PolyGram. Ratner, Brett (2000): The Family Man, Universal Pictures. Roach, Jay (2002): Austin Powers in Goldmember, New Line Cinema. Smith, John (1995): Dangerous Minds, Hollywood Pictures. Stevenson, Robert (1968): The Love Bug, Walt Disney Productions.
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Mr. Bean und sein Auto British humour im Mini-Format HEINRICH VERSTEEGEN
Als sich der britische Komiker Rowan Atkinson Anfang der 1990er Jahre entschied, seine neue Kunstfigur, den kauzigen Mr. Bean, ausgerechnet in einem Mini auf die Reise zu den Schauplätzen seiner absurden Possen zu schicken, da war der kleine Flitzer mit seiner mehr als 30-jährigen Geschichte bereits als Stilikone der Swinging Sixties fest etabliert und mit kulturellen Bedeutungen aufgeladen. Mehr als bloß ein etwas mickrig geratenes Transportmittel, war der Mini schon damals ein Modeaccessoire, welches Coolness und Lifestyle signalisierte, und stand insofern im gewollt komischen Kontrast zu seinem Besitzer, jenem „spillrige[n] Durchschnittsmann im braven grauen Anzug“ (Dick 1997: 8), der vom Scheitel bis zur Sohle oder, genauer gesagt, vom Tweed-Sakko samt aufgenähten Ellbogenschonern bis zur Feinripp-Unterhose spießigste Konventionalität verströmte. Dass aber schließlich nach 14 halbstündigen Fernsehfolgen dieser Mini sogar zu einem der bekanntesten Requisiten dieses „Katastrophen-Kleinbürger[s]“ (ibid.) avancierte, ist allein mit dem Gegensatz von cool und spießig noch nicht erschöpfend erklärt, zumal der Wagen in den Sketchen nur kleine Nebenrollen spielte (in insgesamt ca. sieben Stunden Fernsehunterhaltung beläuft sich seine physische Präsenzzeit auf gerade mal 20 Minuten). Wie fast alle Komiktheorien betonen, können nur bestimmte Gegensatzpaare als komische Inkongruenz wahrgenommen werden, z.B. müssen darin unvereinbare allgemeine Eigenschaften aufeinander prallen, nach Bergson etwa das Lebendige auf das Erstarrte (vgl. Stott 1996: 96), nach Freud das Verbotene auf das Erlaubte (vgl. 139). Wer also bereit ist, das Spießige als erstarrt/erlaubt und das Coole als lebendig/verboten wahrzunehmen, wird den Kontrast zwischen Mr. Bean und seinem Auto sicherlich schon deshalb zum Schmunzeln finden. Doch auch für Betrachter, in deren Augen der Kontrast spießig/cool Anfang der 90er Jahre nur noch geringe gesellschaftliche Brisanz hatte, birgt das semantische Potenzial des Minis noch ge103
Heinrich Versteegen nug weitere Anschlussmöglichkeiten. Denn der Mini wird als ein veritabler Klassiker der britischen Autoindustrie ja beispielsweise auch als Zeichen von Britishness wahrgenommen (vgl. Hebdige 2004: 125-126) und bringt in dieser Funktion alle weiteren britischen Stereotype der Serie erst richtig zur Geltung: Harrods, die Queen, blaue Baked-Beans-Dosen, rote Briefkästen etc. verbinden sich erst über den Mini als einziges in der Serie beständig wiederkehrendes Zeichen von Britishness zu einem Gesamtbild, welches im Verbund mit den absurden Späßen des Protagonisten leicht als jene britische eccentricity identifizierbar wird, die weltweit Lacherfolge erzielt. Insofern hat der Mini sicherlich auch indirekten Anteil am internationalen Erfolg der Serie gehabt, die immerhin in 82 Länder verkauft wurde (vgl. Dessau 1998: 105). Andererseits wird in Großbritannien dieses Auto tendenziell aber auch mit der bürgerlichen Mittelschicht assoziiert – ironischerweise, möchte man sagen, da es nach seiner ursprünglichen Konzeption eher als erschwinglicher Kleinwagen für Einkommensschwache entwickelt worden war1 – und diese Eigenschaft des Minis betont wiederum die soziale Identität der Hauptfigur und mag erklären, warum gerade im eigenen Land die Serie bei der britischen Arbeiterschicht ihren größten Zuspruch erhielt (vgl. ibid.): Offenbar stieg das Vergnügen mit zunehmender sozialer Distanz zwischen Betrachter und Hauptfigur. Aber auch all diese Eigenschaften zusammen hätten wohl noch nicht ausgereicht, um den Mini zu dem augenfälligen Markenzeichen der Comedy-Show zu machen, das er geworden ist. Seine volle Wirkung erzielt er, wie im Folgenden gezeigt werden soll, erst dadurch, dass er gleichsam en miniature eines der tragenden Grundkonzepte der Bean’schen Komik verkörpert, nämlich die Komik des Kleinen. Erst auf der Basis dieses Prinzips entfalten auch die anderen semantischen Gegensätzlichkeiten ihr volles komisches Potenzial und erlauben Atkinson, an bewährte Grundmuster des British humour anzuknüpfen sowie diesen zugleich um eine interessante Variante zu erweitern.
Die Komik des Kleinen Da die geläufigsten Formen der Komik immer auf einem Kontrast zwischen Norm und Abweichung basieren, welcher auf Seiten des Rezipienten ein Gefühl der Überlegenheit hervorruft (vgl. Stott 1996: 131-137), eignet sich das Kleine hervorragend für humoristische Zwecke. Kleinwüchsige Darsteller (z.B. Woody Allen und Danny de Vito) verstehen es, aus ihrer Körpergröße komisches Kapital zu
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Vgl. den Beitrag von Jürgen Kramer im vorliegenden Band.
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Mr. Bean und sein Auto schlagen, und Figuren wie Asterix, die Peanuts oder der kleine Calvin aus der Comic-Serie Calvin and Hobbes sind Beispiele für komische Winzlinge aus dem Reich der Cartoons. Insofern als in dem Groß/Klein-Kontrast das Große üblicherweise als die Norm und das Kleine als die Abweichung begriffen werden, ist die Entstehung eines Gefühls der Überlegenheit bereits strukturell vorprogrammiert. Der Begriff der Überlegenheit ist hier übrigens nicht ganz in demselben Sinne gemeint, wie er oft in Anlehnung an Thomas Hobbes in Abhandlungen zu Komiktheorien angeführt wird, nämlich als selbstgefällige Überheblichkeit, die sich in Satire, Spott oder Minderheitenwitzen entlädt (vgl. 134). Vielmehr soll Überlegenheit hier in einem moralisch weniger anrüchigen Sinne, nämlich als schlichte Distanzierung verstanden werden. Denn wenn Leser darüber lachen, wie ein sechsjähriger Egomane (Calvin) seine kindlichen Phantasien in der klischeehaften Sprache von Politikern oder Comic-Helden artikuliert oder wie kleine Schulkinder (die Peanuts) reden wie depressive Erwachsene, dann verhilft ihnen das Gefühl der Überlegenheit über diese Knirpse zu der emotionalen Distanz, die sie brauchen, um amüsiert statt betroffen zu reagieren. Aus dieser Distanz schmunzelt man über eine komische „Verkehrtheit“, welche darin besteht, „dass ein Kleines aussieht, wie ein Grosses, und doch nicht gross ist wie dieses“ (Lipps 1889: 23).2 In genau derselben Weise kann auch der Mini als ein Objekt betrachtet werden, welches Eigenschaften des Großen und des Kleinen in sich vereint und schon dadurch ein immanent komisches Potenzial besitzt. Zur Zeit seiner Konzeption war der Mini der erste Kleinstwagen, der nicht einfach nur winzig war, sondern zugleich bereits alles besaß, was auch normale Autos hatten: Motorhaube, Kühlergrill, seitliche Türen, Kofferraum. Herkömmliche Kleinstwagen kamen bis dato vor allem aus Deutschland (z.B. Goggomobil, BMW Isetta, Messerschmitt Kabinenroller) und waren unter dem abschätzigen Begriff Asphaltblase (engl. bubble car) bekannt geworden – einem Namen, den sie angesichts ihrer Formen und ihrer Größe nicht ganz zu Unrecht trugen. Mit ‚richtigen‘ Autos hatten sie nicht viel gemein: Sie hatten merkwürdig runde Formen, manche hatten nicht einmal vier Räder, oder es fehlten Seitentüren für einen würdevollen Einstieg, stattdessen zwängte man sich von vorn (BMW Isetta) oder durchs Dach (Messerschmitt Kabinenroller KR 200) vor das Lenkrad. Für das Goggomobil brauchte man nicht einmal einen PKW2
Etwas anders liegt der Fall bei der Komik des übermäßig Großen. Wenn z.B. der Riese Gargantua mit seinem Urin die Straßen von Paris flutet oder die Glocken von Notre Dame wie Schellen an den Hals seiner Stute hängt (vgl. Rabelais 1968: 85-89), dann wirkt dies komisch, weil das Normale im Kontrast mit dem übermäßig Großen nun lächerlich klein erscheint.
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Heinrich Versteegen Führerschein, was das Fahrzeug in bedenkliche Nähe zum Moped rückte. Im Gegensatz zu diesen Knirpsen war der Mini, wie der Name schon sagt, eine echte Miniaturausgabe eines ausgewachsenen Autos. Unter den ganz Kleinen war er ein Großer. Andererseits war der Mini, wenn man ihn an seinen größeren Vorbildern maß, aber auch ein Kleiner. Im Vergleich zu einer Limousine ist er nämlich nicht nur im direkten Größenvergleich klein, sondern auch im Vergleich der relativen Abmessungen. Die Scheinwerfer liegen beim Mini niedriger und sind vergleichsweise größer, die Windschutzscheibe ist höher gezogen als bei der Limousine; kleiner als beim großen Auto sind dagegen die Räder und die Schnauze (vgl. Abb. 13). Dieser Kontrast zwischen Groß und Klein, der sich über die Proportionen erschließt, ist ursprünglich aus der Natur bekannt und wird als Kindchenschema (engl. cuteness, also Niedlichkeit) bezeichnet. Die Merkmale sind: großer Kopf, große, niedrig gelegene Augen, hohe Stirn, Stupsnase, kurze Extremitäten und tollpatschige Bewegungen (vgl. Lorenz 1943: 275). Als Schlüsselreiz sorgt dieses Schema dafür, dass die Kleinen durch ihr Aussehen die Sympathie der Großen erlangen. Eine ähnliche Sympathiewirkung wie in der Natur kann unter Umständen auch von technischen Objekten ausgehen, und beim Mini sind die Voraussetzungen dafür besonders günstig, setzten doch die Hersteller schon bei seiner Vermarktung auf eine besondere Gefühlsbindung zwischen Auto und Verbraucher, z.B. in dem Slogan: „Mini. It’s like falling in love.“ Da außerdem Analogiebeziehungen zwischen Objekten und menschlichem Körper lang etablierte kulturelle Praxis sind, kann der Mini (das Original wie das moderne Remake) allein anhand seiner Proportionen als klein, niedlich und sympathisch wahrgenommen werden. Wenn Beobachter also finden, das Auto sei „so cute you just want to pinch its cheek“ (Carney 2007), dann lesen sie die Frontpartie des Autos als Gesicht, die Windschutzscheibe als Stirn und die Räder – anatomisch etwas unlogisch – als Beine. Prinzipiell ist diese Metaphorisierung zwar auf alle Autos anwendbar, doch da der Mini die Proportionen sowohl normaler Autos als auch des Kindchenschemas am genauesten nachahmt und insofern ästhetisch zugleich als klein und als groß betrachtet werden kann, ist er ein besonders starker Sympathieträger mit unterschwellig komischen Nebenwirkungen. Wenn ein Mini also inmitten einer langen Reihe größerer PKWs wie ein selbstbewusster Gernegroß die Straße entlang fährt – aufgrund seines besonders kurzen Achsstands noch dazu mit tollpatschig wirkenden Lenkbewegungen –, dann kann dies für den Betrachter durchaus auch ein Anlass zum Schmunzeln sein. „Wenn neben einem Palast ein kleines Gebäude stände, das in seiner Form den Palast getreu nachahmte, so könnte dies überaus
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Mr. Bean und sein Auto komisch wirken“, befand schon 1889 Theodor Lipps (22). Und was damals für Mini-Paläste galt, liegt heute auch für Mini-Fahrzeuge klar auf der Hand. Abb. 13: Kindchenschema in Tierreich und Technik
Erwachsene Kinder Die Komik des Kleinen entsteht nicht nur, wo Kleine agieren wie Große. Genauso komisch ist das Kleine, wenn es von Großen dargestellt wird. Die ersten Leinwandkomiker, deren Erfolg auf diesem Prinzip beruhte, waren vermutlich Stan Laurel und Oliver Hardy. Sie waren Erwachsene mit dem Benehmen von Kindern. Die Missgeschicke ihrer Filmfiguren waren von der Art, wie sie Kindern unterlaufen, die sich vorwitzigerweise an Erwachsenentätigkeiten versuchen, und kindlich waren auch ihre Bemühungen, den Schaden zu richten, oder ihre Art, Freude, Ärger oder Angst auszudrücken. Doch während Laurels und Hardys Komik sich an Kindern orientiert, denen man eigentlich nicht böse sein mag – also niedlichen Kindern –, steckt in dem Tweed-Sakko des Mr. Bean ein kleiner Junge mit ganz anderem Potenzial, nämlich, laut Atkinson, „that strange combination of innocence and vindictiveness which only children can really exhibit. They seem very sweet and innocent, until they don't get their own way. Then, suddenly, they turn into unbelievably nasty individuals“ (zitiert in Mann 1992: 32). Für Mr. Bean ist allerdings auch diese Beschreibung noch schmeichelhaft, denn eigentlich ist das Kind im Manne Bean nur dann lieb, wenn es schläft, und zwar ganz kindgemäß mit Kuscheltier und unter einer Bettdecke mit bunten Comic-Motiven. Kindlich-niedlich geht es auch noch zu, wenn es Mr. Bean im Schwimmbad zu den bunten Spielzeugrutschen zieht oder wenn er zu seiner Freundin Irma ein 107
Heinrich Versteegen rein asexuelles Verhältnis pflegt. Weniger niedlich, aber immer noch kindlich, ist es, wenn er aus einer Wärmflasche Wasser verspritzt oder mit Exkrementen aus seiner Nase spielt, letzteres pikanterweise auch noch im Gottesdienst. Dies sind kindliche Formen von Komik, mit denen er bereits „gesellschaftlich eingespielte Ekelgrenzen“ überschreitet (Kotthoff 2005: 73). Doch vieles an der Bean’schen Komik ist nicht einfach bloß geschmacklich grenzwertig, sondern schlichtweg grausam: Um sich z.B. in der Sprechstunde beim Arzt vorzudrängen, schreckt Bean vor nichts zurück; er stiehlt einem Kind die Puppe, provoziert zwischen zwei jungen Männern einen Streit, schnappt einem gebrechlichen Greis einen Sitzplatz vor der Nase weg und entwendet schließlich einer wehrlosen Patientin, die von Kopf bis Fuß im Gipsverband steckt, das Ticket mit ihrer Nummer in der Warteschlange. Außerdem starrt er die Ärmste ungehemmt an (ein weiterer Tabubruch) und führt ihr schließlich hämisch grinsend die Beweglichkeit seines eigenen Körpers vor Augen (vgl. Atkinson 2007a). Mr. Beans Tabubrüche sind nun freilich nicht frei erfundene absurde Komik, sondern in den verborgenen Tiefen der menschlichen Psyche verankert. Wenn Bean z.B. angesichts der bandagierten Patientin seine eigene Beweglichkeit ausprobiert, dann visualisiert er ja nur, was in derselben Situation die meisten Menschen zumindest denken würden. Und seine gefühllosen Grausamkeiten gegen Alte, Schwache, Behinderte oder Kinder sind völlig plausible Elemente jeder kindlichen Seele, die höchstens von realitätsresistenten Idealisten geleugnet werden dürften. Von Philip Larkin gibt es ein Gedicht, das in emotionsloser Knappheit beschreibt, wie Kinder ein lebendiges Haustier zum Spielen bekommen, Pflege und Fütterung vernachlässigen und mit dem Tierkadaver Beerdigung spielen: „Living toys are something novel / But it soon wears off somehow. / Fetch the shoebox, fetch the shovel – / Mum, we’re playing funerals now“ (Larkin 1964: 26). Die beklemmende Wirkung dieses Gedichts entsteht aus der Gewissheit, dass wir ‚unschuldigen‘ Kindern diese Gefühllosigkeit sehr wohl zutrauen dürfen. Genau dasselbe erkennen wir auch in der Komik des Mr. Bean. Während der Klamauk mit den „deeper or even unspeakable taboos“ (Stratmann 2008: 11) längst zum Markenzeichen britischen schwarzen Humors geworden ist, sattelt Atkinson also noch drauf und treibt Schabernack mit den Abgründen der kindlichen Seele.
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Mr. Bean und sein Auto
Tabubruch und Komik Nun hat auch diese Sorte Humor in Großbritannien durchaus Tradition. Sie findet sich z.B. in Cartoons des Punch-Karikaturisten Norman Thelwell, an denen sich genau studieren lässt, wie für eine optimale komische Wirkung der Kontrast zwischen Groß und Klein immer deutlich herausgearbeitet wird: Ein Cartoon etwa zeigt eine sehr große Freitreppe eines englischen Landhauses, auf der ein sehr kleines Mädchen ein sehr großes Gewehr hinab schleppt und dem verwunderten Butler freudestrahlend zuruft, es sei auf dem Weg, einem sehr kleinen Pony, welches sich gerade ein Bein gebrochen hat, den Gnadenschuss zu geben (vgl. Thelwell 1963). Das KindlichGrausame kann nur amüsieren im Kontrast mit dem Niedlichen, welches die emotionale Distanz des Betrachters erst erzeugt, aus der das normverletzende Verhalten nicht mehr schrecklich, sondern komisch wirkt. Und genau hier kommt bei Atkinson der Mini ins Spiel. Da Mr. Bean mit seinen 1,80 Meter Körpergröße nicht in das sympathiebringende Schema eines niedlichen Kleinen passt, übernimmt diese Funktion das tollpatschige Auto. Es erscheint fast regelmäßig zum Auftakt eines Sketches und legt bereits dort den Ton der im Weiteren entwickelten Komik fest. Bevor sein Besitzer die Regeln menschlichen Anstands zu brechen beginnt, bricht der Mini – meist reifenquietschend – zunächst die Regeln des Straßenverkehrs. In der Episode „Do It Yourself, Mr. Bean“ fährt er munter in Gegenrichtung in eine Einbahnstraße, um direkt vor dem Eingang des Einrichtungshauses Arding & Hobbs zu parken (vgl. Atkinson 2007c). Doch statt wenigstens den kürzesten Weg zum Ziel zu wählen, beschreibt er ohne Not eine Schlangenlinie über alle Fahrspuren, umkurvt noch eine Telefonzelle auf dem Gehweg und verschreckt ein paar Fußgänger, bevor er neben einer wartenden Menschenschlange zum Stehen kommt. Der Mini imitiert hier die ungelenken Bewegungen eines Welpen, der freudig und ungestüm seinen Weg zum Fressnapf sucht. Dabei wird dann auch schon mal eine Mülltonne krachend beiseite geschoben (so wie ein junger Hund in seinem Ungestüm schon mal eine Vase umstößt), ein Verkehrszeichen abgeknickt oder ein Trupp marschierender Soldaten reifenquietschend (in Analogie zum Kläffen) umfahren. Immer wird dabei der Groß/KleinGegensatz optisch in Szene gesetzt, entweder durch den Kontrast zwischen kleinem Auto und großem Gebäude, oder durch eine niedrige Kameraposition, manchmal auch durch eine überdimensionale Dachladung. Atkinson nutzt also die Sympathiewerte des Minis, und zwar nicht nur sein niedliches Aussehen, sondern auch das komische
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Heinrich Versteegen Potenzial, das darin liegt, wenn ein Kleines etwas Großes imitiert. Komische Überraschungseffekte erzielt der Mini nämlich auch, wenn er immer wieder beweist, dass er zu viel mehr taugt, als man ihm zutrauen würde. Er ist klein genug, um die Induktionsschleife vor einem Parkhaus zu überlisten, sodass Bean – ohne Bezahlung – durch die Einfahrt ausfahren kann, er dient als rollendes Badezimmer, in dem der Fahrer seine Morgentoilette erledigt, und als Transportmittel für sperrige Güter scheint er überhaupt keine natürlichen Grenzen zu kennen. Auf sein Dach passt problemlos ein Fernseher, sogar ein Fernsehsessel, ja notfalls sogar ein vier Meter hoher Weihnachtsbaum komplett mit Beleuchtung. Wer könnte diesem Tausendsassa von Winzling wirklich ernsthaft böse sein? Durch den Mini erhält die Komik des Mr. Bean also ihr dringend nötiges Niedlichkeitsfundament. Doch ist der Mini nicht nur klein und tapsig. Genauso wie sein Besitzer, ist er auch klein und gemein. Sinnbildlich für diese fast immer gegen Schwächere gerichtete Gemeinheit ist der als running joke in fast jeder Folge wiederkehrende Kräftevergleich zwischen dem Mini und einem hellblauen Reliant Robin. Ob Mr. Bean diesen noch kleineren Kleinstwagen (für den man seinerzeit nur einen Mopedführerschein brauchte und der oft von Gehbehinderten benutzt wurde) zum Rückwärtsfahren zwingt, ob er ihn aus seinem Parkplatz bugsiert oder ob er ihn einfach nur mal überholen möchte, immer behält der Mini in der Hackordnung der Winzlinge die Oberhand, während der dreirädrige Reliant zumeist das Gleichgewicht verliert und auf die Seite kippt. Auch in dieser Hinsicht also legt der Mini den Ton der Bean’schen Komik fest: klein und gemein.
Bean’sche Komik als ‚kleine Form‘ Die Welt des Mr. Bean, in der das Erwachsene und das Kindliche, das Private und das Öffentliche vertauschbar sind, wo eine Einfahrt zur Ausfahrt und ein Kleinstwagen zum Großtransporter werden können – diese karnevaleske, „umgestülpte Welt“ (Bachtin 1990: 48) funktioniert ästhetisch freilich nur unter den Bedingungen der kleinen Form. Insofern ist der Mini für Atkinson nicht nur Requisit, sondern zugleich auch Metapher. Nur in den kurzen TV-Episoden lässt sich die Bean’sche Komik darum in Reinform beobachten, in den beiden Langfilmen (Bean. The Ultimate Disaster Movie, 1997, und Mr. Bean’s Holiday, 2007), funktioniert sie nicht mehr (vgl. Scuderi 2000: 152), denn der komplexere Handlungszusammenhang der Langform, die sich an den Strukturen des HollywoodKinos orientiert, verlangt erstens schlüssige Interaktionen zwischen den Figuren und zweitens die Beachtung der Gesetze von Plausibili-
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Mr. Bean und sein Auto tät und Logik. Beides ist, wie im Folgenden gezeigt werden soll, der Kurzform mit seinen karnevalesken Elementen nicht zuträglich. Die Nebenfiguren der Mr.-Bean-Sketche dürfen mit dem normverletzenden Verhalten der Hauptfigur nicht realistisch interagieren. Dies ist unabdingbar für die Komik, denn um die befreiende Wirkung des Lachens zu ermöglichen, muss die Normabweichung ohne fatale Folgen bleiben. Man darf z.B. nicht um das Baby im Kinderwagen bangen, welcher vom Mini versehentlich abgeschleppt wird – auch dann nicht, wenn Mr. Bean den Säugling in ein Spielzeugauto sperrt (vgl. Atkinson 2007b). Auch von den anderen Figuren des Sketches darf diese Illusion der Folgenlosigkeit nicht durchbrochen werden. Darum ist es im Sinne der Komik nur schlüssig (obschon nicht realistisch), wenn niemand auf die Idee kommt, die Polizei zu rufen, und Mr. Bean, nachdem seine Tat entdeckt wurde, mit einem Rüffel davonkommt. Im Gegensatz dazu finden sich in den beiden Langfilmen ständige Bemühungen der anderen Figuren, den von Bean angerichteten Schlamassel auszubügeln, um die Handlung zu einem glücklichen Ende zu bringen. Der Klamauk bleibt dort nie Selbstzweck, sondern wirkt immer zugleich auch handlungsmotivierend. Die TV-Folgen sind nicht ohne Grund lediglich Sequenzen von kürzeren „Vignetten“ (Scuderi 2000: 151), die nicht logisch und plausibel, sondern rein episodisch durch Aneinanderreihung von Schauplätzen miteinander verwoben sind. Ihre Plots sind karnevalesk im Bachtin’schen Sinne, nämlich „exzentrisch und deplaziert vom Standpunkt der Logik des gewöhnlichen Lebens“ (Bachtin 1990: 48). Darum ist es auch unerheblich, ob für einen kurzen Parkhausaufenthalt wirklich 16 £ Gebühren anfallen könnten, und anders als in den realistischeren Langfilmen ist es den Sketchen überhaupt nicht abträglich, wenn der Protagonist nicht all seine Possen völlig unbeschadet übersteht. So endet Mr. Bean auch schon mal in einem Briefkasten, im Postzug nach Moskau oder in einem elektrischen Wäschetrockner, aber immer taucht er in der nächsten Folge wohlbehalten wieder auf. Denn Bean ist eine rein funktionale Figur, die nur zum Zweck der komischen Wirkung existiert und zu diesem Behuf zu Beginn jeder Folge neu vom Himmel fällt.3 Und genauso eine Kunstfigur bar jeglicher Logik ist auch der Mini. Auch er wird mehrfach zerstört, ohne dass dies seine Existenz für die Serie gefährdet. Einmal zerschellt er nur hörbar (ins Bild rollen allein ein paar Wrackteile), einmal zermalmt ein Panzer ihn auch sichtbar (vgl. Abb. 14) und in Anwesenheit seines Besitzers, der dies aber nicht bemerkt, da er dem Werk der Zerstörung, wel3
Man hat in ihm schon eine moderne Version des arlecchino aus der commedia del’ arte gesehen und ihn mit dem von Charlie Chaplin verkörperten heimatlosen Tramp verglichen (vgl. Scuderi 2000: 152).
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Heinrich Versteegen ches er im Übrigen durch Vertauschen zweier identisch aussehender Fahrzeuge selbst verschuldet hat, den Rücken zukehrt, um ausgiebig seinem kindlichen Naschbedürfnis zu frönen. Die Komik des Kleinen ist in dieser Szene mehrschichtig angelegt. Der im Hintergrund entstehende Groß/Klein-Kontrast zwischen dem niedlichen Mini und dem sich bedrohlich ins Bild schiebenden großen Panzer braucht nicht nur den mit dramatischer Ironie inszenierten weiteren Kontrast mit dem kindlich-unschuldigen Genuss des im Vordergrund schlemmenden Helden, sondern er braucht auch die typischen Erwartungshaltungen der kleinen Form und des Karnevalesken. Unbeschwertes Lachen wird den Zuschauern nur möglich sein, wenn ihnen klar ist, dass die Zerstörung des Minis nicht endgültig war. Ähnlich wie während der Verbrennung des Prinz Fasching im Karneval wissen wir: In der nächsten Folge bzw. der nächsten Saison beginnt der ganze Spaß von vorn. Abb. 14: Dekonstruktion à la Mr. Bean
Schluss Es gehört mit zu Atkinsons karnevalesker Komik des Kleinen, dass auch das Subjekt der Komik gelegentlich dekonstruiert wird. So wie sich die typische kindlich-grausame Schadenfreude des Mr. Bean am Ende gegen ihn selbst richtet, ist analog auch der Mini nicht immer bloß Träger der Komik; auch er muss gelegentlich zum Opfer des Possenspiels werden. Und auch hierin zeigt sich eine Spielart britischen Humors, nämlich die Fähigkeit zur Selbstironie und zum Klamauk mit den Sympathieträgern der eigenen Sketche. Diese anarchische Komik funktioniert nicht in Langfilmen, die publikumswirksam – im Sinne eines storyline-orientierten Hollywood-Kinos – 112
Mr. Bean und sein Auto sein sollen. Monty Python mit ihrem ganz ähnlichen Humor verzichteten in ihren Langfilmen denn auch entweder ganz auf konventionelle Plots, wie z.B. in And Now for Something Completely Different (1971), oder sie verwendeten lediglich lockere Handlungsgerüste auf der Basis tradierter, gut bekannter Erzählstoffe, z.B. in The Life of Brian (1979). Denn zur vollen Entfaltung kommt diese Komik made in Britain nur in den kleinen Vignetten. Atkinson braucht dazu den Mini als Requisit (sowohl als Sympathieträger wie als Opfer) und die Miniatur als Form. Mr. Bean und sein Auto repräsentieren insofern British humour im Mini-Format.
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Heinrich Versteegen Scuderi, Antonio (2000): „Arlecchino Revisited. Tracing the Demon from the Carnival to Kramer and Mr. Bean“, Theatre History Studies 20, S. 143-155. Stott, Andrew (1996): Comedy, London/New York: Routledge. Stratmann, Gerd (2008): „The Grass Roots of British Humour“, Hard Times Nr. 84, S. 8-11. Thelwell, Norman (1963): „Sandra’s Pony’s Broken a Leg“ (Cartoon), Punch 245, S. 846.
Mr.-Bean-Episodenverzeichnis Atkinson, Rowan (2007a): „Good Night, Mr. Bean“, The Mr. Bean Collection, Disk 1, Universal Pictures. – (2007b): „Mind the Baby, Mr. Bean“, The Mr. Bean Collection, Disk 1, Universal Pictures. – (2007c): „Do It Yourself, Mr. Bean“, The Mr. Bean Collection, Disk 2, Universal Pictures.
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Maximising minimisation Der große Reiz des Kleinen in der Werbung MARTINA KREBS & PETER OSTERRIED
Zum Einstieg in unser Thema bietet sich ein kurzer Exkurs ins Genre des gehobenen Psychothrillers an. In dem mittlerweile zum Klassiker gewordenen Film The Silence of the Lambs (1991) stellt der inhaftierte Dr. Hannibal Lecter, die faszinierend-gefährliche Mischung aus Massenmörder, Psychopath und Ausnahmepsychologe mit beträchtlichen akademischen Meriten, der jungen Polizeiagentin Clarice Starling eine entscheidende Frage, mit der er ihr helfen will, den Verbrecher zu finden. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel: Halb will er ihr helfen, weil er sie liebt, halb will er sie provozieren, weil sie auf der anderen Seite des Gesetzes steht. Der vorherige Kontext ist für unsere Belange nebensächlich, nicht dagegen die Schlüsselfrage, die Lecter Clarice stellt, nämlich danach, was die Natur des Mörders sei. Sie antwortet profan: „Er bringt Frauen um und häutet sie ab.“ Darauf entgegnet Lecter: „Das ist von sekundärem Interesse!“ Er fügt hinzu: „Wichtig ist, dass er als Mensch begehrt. Und was begehren wir? Wir begehren das, was wir jeden Tag sehen, und diejenigen Menschen, die wir jeden Tag sehen.“ Dies führt Clarice zu der Erkenntnis, dass der Mörder die Mädchen, die er quält und tötet, kennen und gesehen haben muss und dass er im direkten Umfeld der Opfer zu suchen ist. Der Exkurs führt auf einem Umweg zum Thema des vorliegenden Beitrags, der einen weiteren Mosaikstein zum Mini liefert. Während sich die anderen Beiträge unter anderem mit den historischen Voraussetzungen für den Mini-Boom von Auto und Rock in den Swinging Sixties befassen, dabei sowohl soziale Rahmenbedingungen wie technische Neuerungen, aber auch Rückschritte als Bedingungen des Mini-Phänomens enthüllen und die Frage aufwerfen, was der kleine Wagen und das Röckchen in und mit uns bewirken, interessiert uns primär die Frage, wie das Begehren des Kleinen in uns geweckt wird. Folgen wir Hannibal Lecters These, geschieht dies dadurch, dass wir es sehen. Menschen sahen und sehen Minis und Miniröcke. Sie konsumieren Bilder und Repräsentationen der 115
Martina Krebs & Peter Osterried kleinen Kaufobjekte und wollen Minis benutzen und/oder besitzen, um ihre Vorstellungen von sich selbst und ihren Lebensentwürfen mit ihnen zu bereichern. Jean Aitchison erinnert uns: „Advertisers […] write it large, they make it short, [… though] not all advertising is so straightforward“ (1995: 109). Es wird sich zeigen, dass die Beeinflussung durch die Werbung über psychoanalytische und linguistisch-strukturalistische Deutungsansätze begriffen werden kann. Eine klassische und simple Wahrheit, wenn subtil eingesetzt oder verpackt, kann durchaus Rätsel aufgeben, aber auch ihre Lösung anbieten. In Werbung eingesetzte psychologische Raffinesse sowie die verwendete Sprache, die des Wortes und des Bildes, zielen immer darauf ab, uns begehren zu lassen.
Die Lust auf Mini Doch wie und warum entscheiden wir uns für bestimmte Güter und damit gegen andere (abgesehen von finanziellen Einschränkungen), und was sagen diese über uns und unsere Identitäten aus? In den 1960er Jahren, der Hochzeit der beiden in diesem Band thematisierten Minis, veränderte sich der öffentliche Umgang mit Körper und Reiz: Schmerzvermeidung nach dem Zweiten Weltkrieg und ein toleranterer Umgang mit der Lust charakterisierten diese Epoche. Drei visuelle und auch akustische Beispiele (sprachlich sowie cinematographisch) belegen dies. Beide setzen in dieser Zeit das weibliche Bein ins Zentrum des Blicks. Georges Moustaki besingt in „Un Jupon d’Italie“ das metonymische italienische Röckchen einer Geliebten. Dass es sich dabei nicht um einen verhängenden Liebestöter handelt, ist klar. Es wird kurz, mini sein, über Hüften wie über Hügel gleitend und die Hoffnung auf einen Liebesakt in der Natur weckend: „Un jupon qui se froisse / Lorsque mes bras l’enlacent / […] Nous allons nous étendre / Sur un lit d’herbe tendre“ (1961).1 Nicht minder interessant ist neben diesem männlichen Blick das weibliche Selbstbewusstsein, das sich in der körperlichen Darstellung zeigt und das zutage tritt, wenn etwa Silvana Mangano den Schmerz von Armut und Arbeit im Film Riso Amaro (1949) überwunden hat oder in Anna (1951) mit dezenter Erotik, die alles verheißt und nichts verspricht, ihre Anna-Rumba singt und alle Männer bezaubert, kokettierend mit dem nicht gar zu entblößten Bein.
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„Ein Rock, der zerknittert / Wenn meine Arme ihn umfassen / […] Wir werden uns ausstrecken / Auf einem Bett aus zartem Gras“ (unsere Übersetzung).
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Maximising minimisation So ist es nicht nur das Bein, sondern auch die Frau, die wir sehen und die den Reiz ausmacht. Wie auch Coco Chanel die gelungene Mode definiert: „Si une femme est mal habillée, on remarque sa robe, mais si elle est impeccablement vêtue, c’est elle que l’on remarque“ (zitiert in Marcié 2006).2 Mit dem Bein reizt die Frau als einem ‚tertiären Sexualorgan‘, und der Rock ist das Produkt, das dieses Sexualorgan zur Schau trägt, betont, ansatzweise verhüllt und somit noch reizvoller macht.
Mini readings Vom Sex zum signifier: Die Werbung arbeitet mit Zeichen und den Bedeutungen, die wir – meist unbewusst – mit diesen Zeichen verknüpfen. Sie benutzt Farben, Formen und Gegenstände, die in der Kultur, in der sie rezipiert wird, mentale Konzepte repräsentieren. Diese Bedeutungen werden auf der Basis des kulturellen Wissens encodiert und decodiert. Ausgehend von diesem ursprünglich sprachwissenschaftlichen Ansatz überträgt Roland Barthes die Zeichentheorie auch auf das Lesen nicht-linguistischer Objekte, z.B. auf Kleidung. So, wie eine bestimmte Kombination von Buchstaben oder Lauten uns eine Bedeutung mitteilt und ein mentales Konzept aufruft, so können auch Objekte bestimmte Nachrichten übermitteln und Assoziationen wecken. Dadurch entwickelt sich eine eigene „Sprache der Mode“, wie Barthes es nennt (vgl. Hall 1997: 37), die in verschiedenen Kulturen unterschiedlich verankert ist und auf kulturelle Kontexte angewiesen ist, um erfolgreich benutzt und verstanden zu werden. Der Repräsentationsprozess funktioniert nach Barthes und Hall auf zwei Ebenen: Auf der ersten Ebene findet das Erkennen des Kleidungsstückes, also des Zeichens, statt. Auf der zweiten Ebene folgt die Deutung auf der Grundlage von Konventionen und kulturellem Wissen: Das Kleidungsstück wird einem Konzept (etwa von Eleganz oder Sportlichkeit) zugeordnet. Beim Beispiel des Abendkleides wäre das Kleidungsstück auf der Konnotationsebene also der Signifikant und das mentale und kulturell bedingte Konzept der Eleganz das Signifikat (vgl. 37-38). Dies soll mit Hilfe eines Mango-Promotion-Bildes verdeutlicht werden (vgl. auFeminin.com 2009). Es zeigt ein Model auf dem Laufsteg in einem schwarzen Mini-Outfit. Auf der Denotationsebene lassen sich der glänzende schwarze Stoff beschreiben, die verschiedenen Lagen des Minirocks und die passenden schwarzen Pumps,
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„Wenn eine Frau schlecht gekleidet ist, bemerkt man ihr Kleid, aber wenn sie makellos angezogen ist, bemerkt man sie selbst“ (unsere Übersetzung).
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Martina Krebs & Peter Osterried Handtasche und Strumpfhose. Dies führt zur Interpretation der Kleidung auf der Konnotationsebene, die mit Eleganz, aber auch mit Schlichtheit verbunden wird, was durch eine strenge Frisur der Frau und ein schnörkelloses Oberteil unterstützt wird. Die Kleidung ist hier also Zeichen für einfache Eleganz und Weiblichkeit – eine Weiblichkeit, die zwar durch das Zeigen von viel Haut sinnlicherotischen Charakter hat, aber durch die Frisur und die verdeckende Strumpfhose nicht offensiv zur Schau gestellt wird. Abb. 15: Haute Couture aus dem Hause Dior
Bei einem 1960er-Jahre Mini aus dem Hause Dior (vgl. Abb. 15), in diesem Fall nicht auf dem Laufsteg, sondern im Tageslicht öffentlich in Position gebracht, zeigen der extravagantere Schnitt (vor allem die auffällige Kopfbedeckung als Teil des Minikleides) und die Stoffauswahl, dass es sich um ein Stück Haute Couture handelt, das nicht für jede Frau gleich zugänglich und erschwinglich ist und das sich auch in den folgenden Jahrzehnten in dieser Form nicht durchsetzen konnte. Die Körperhaltung des Models signalisiert,
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Maximising minimisation dass es sich um keine spontane Situation handelt, sondern um eine stilisierte Inszenierung der Kleidung, was zu der Inszenierung der Frau selbst passt und deutlich macht, dass Kleidung längst nicht mehr nur funktional sein muss, sondern dass diese Mode vor allem auch Ausdruck von Konsumalternativen und somit von Identitätskonzepten ist. Denn darauf läuft es hinaus: Das Anschauen, Begehren und eventuelle Befriedigen des Begehrens durch Kauf ist Teil eines Konsumprozesses, in dem die Identitäten sowohl der die Mode Präsentierenden als auch die der Konsumierenden immer wieder neu verhandelt werden. Die Zeichen dieser Mode können unterschiedlich codiert und gelesen werden und zudem kann sich, was sich auf den ersten Blick als transparentes Zeichen versteht, nach Barthes verselbständigen und zu einem neuen Signifikanten in einem Mythos werden, der die erste Bedeutungsebene appropriiert und seiner ursprünglichen Inhalte entleert. Historische Prozesse, Kontingenzen und Widersprüche werden unsichtbar, der Mythos lässt alles natürlich und selbstverständlich erscheinen: Myth does not deny things, on the contrary, its function is to talk about them; simply, it purifies them, it makes them innocent, it gives them a natural and eternal justification, it gives them a clarity which is not of an explanation but that of a statement of fact. (Barthes 1999: 58)
Diese Naturalisierungen durch den Mythos weisen eine deutliche soziale und politische Dimension auf. So verkauft Werbung z.B. nicht nur ein Produkt, sondern naturalisiert mittels Barthes’scher Mythen den Konsum als notwendigen Teil menschlichen Lebens, persönlicher und nationaler Identitätskonstitution. Weibliche Kleidung kann in ihrer Bedeutung von formalen Inhalten befreit und stattdessen im Sinne politisch-gesellschaftlicher Aussagen begriffen werden, die etwa den Umgang von Frauen mit ihren körperlichen Reizen und dessen gesellschaftliche Bewertung betreffen. Die Gründe für das Produzieren und Konsumieren von Mode und Modebildern sind vielfältig und gehen über die Befriedigung der alltäglichen Grundbedürfnisse hinaus, liegen manchmal sogar eher in der reinen Ablenkung von anderen Herausforderungen des Lebens (vgl. Abercrombie et al. 1995: 444). Was auch immer sie sein mögen, so haben sie doch gemein, dass dieser Prozess identitätsstiftend wirkt, wie Gardner und Sheppard betonen: People have increasingly turned to commodities to differentiate themselves as individuals, to imbue themselves with a distinctive style and create for themselves an identity perceived as lacking elsewhere. Products of all kinds – particularly clothes, but also electrical appliances, cars, beverages and food – have come to signify who their wearers are. (1989: 45; Hervorhebung im Original)
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Martina Krebs & Peter Osterried Obwohl, oder vielleicht gerade weil, ein Minirock wie der von Dior auf den ersten Blick weder besonders bequem noch überall tragbar erscheint, erfüllt er den Anspruch des Besonderen und verleiht seinen Betrachterinnen und Betrachtern das Empfinden des besagten „distinctive style“ und des Außergewöhnlichen, einen Hauch von einer Welt, die vielleicht zu ihrer wirklichen Welt in Kontrast steht und die dadurch erstrebenswert erscheint.
Mini und Mini Auch das Auto, vor allem der Mini, kann dieses Empfinden wecken, wie Gardner und Sheppard andeuten, und wenn Miniröcke und Mini-Autos miteinander kombiniert werden, so sind ihnen sowohl männliche als auch weibliche Blicke sicher. Vor allem Männer identifizieren sich mit ihrem Auto. Auch hier liegt eine Metonymie vor wie beim Rock. Der Rock berührt das pars pro toto des Beines jedoch mehr, während die Metonymie des Autos für stolze Männlichkeit mittelbarer, also weiter vom Körper entfernt ist. Damit wird das Vehikel im Gegensatz zum tertiären Sexualorgan des Beines zu einem quartär entrückten Ersatzorgan. Dass dies auch für den Mini, der wohl eher auf Umwegen mit großer Potenz in Einklang gebracht wird, gilt, amüsiert. Ist der Mini inzwischen zum gut bezahlten Kultobjekt avanciert, so brauchte er in den 1960er und 70er Jahren noch weibliche Starthilfe, um für männliche potenzielle Käufer attraktiv zu wirken: Man findet häufig Repräsentationen des kleinen Autos in Kombination mit attraktiven, kurzberockten Frauen – Mini meets Mini (vgl. Hübner 1989: 10-11, 50). Solche Bilder verbinden nicht nur die herkömmliche weibliche Erotisierung mit dem Auto generell, wie wir es von Porsches, Bentleys und Aston Martins kennen, sondern werten durch den Minirock das Mini-Auto zu einem männlichen MaxiLustobjekt auf. Verschiedene Konnotationen werden ins Spiel gebracht. So wird der Mini z.B. auf einem Tennisplatz als Stütze einer attraktiven Tennisspielerin inszeniert, deren Haar und Minirock, vom Winde verweht, in Kombination mit dem Auto männliche Blicke auf sich lenken (vgl. 10-11). Sportlichkeit und Erotik verbinden sich hier zu einem attraktiven Ganzen. Andere Bilder ersetzen die Sportlichkeit durch die Assoziation des oft stark männlich geprägten Geschäftslebens: Eine Frau im sehr knappen Mini wirkt einerseits sexy, andererseits businesslike-seriös, was in einem weiteren bei Hübner abgedruckten Bild durch Aktenkoffer und Zeitung unterstützt wird (vgl. 50). Auch sie berührt den Mini (das Auto), wie die Tennisspielerin, mit ihrem Körper und verleiht dem kalten Metall dadurch einen Hauch von die Phantasie anregender Sinnlichkeit.
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Maximising minimisation Körper und Karosserie übertragen gegenseitig ihre Anziehungskraft, die so verschiedene Betrachter anspricht und auch für das begeistert, was zuerst vielleicht nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, aber mit Hilfe des anderen an Reiz gewinnt.
Mini-Sex? Ein weiteres Beispiel verdeutlicht das Spiel mit Ambivalenzen, MiniReizen und sexuellen Andeutungen in der Werbung (vgl. Williamson 1981: 95). In einer Mini-Werbung aus den 1970er Jahren sieht man ein Foto eines entspannt lächelnden Paares. Die Frau steht an der geöffneten Fahrertür des britischen Minis, der Mann steht an der Beifahrertür und blickt sie an.3 Beide stützen ihre Arme auf dem Auto ab, das dadurch wie ein Verbindungselement zwischen ihnen wirkt. Im unteren Teil des Bildes springt den BetrachterInnen der Slogan „Sex has never been a problem for us“ ins Auge, der auf den ersten Blick davon ablenkt, dass unterhalb des Fotos noch ein längerer Text und abschließend das Mini-Logo die Anzeige abrunden. Die LeserInnen der Anzeige werden den Slogan zunächst auf das sex life der jungen Leute beziehen, das anscheinend so gut ist, dass es – entweder ob ihrer Gelenkigkeit oder ob der doch größer als vermuteten Bequemlichkeit des Minis – auch in diesem Vehikel ausgelebt werden kann. Im Werbetext unter dem eyecatcher werden wir auf die zweite Bedeutung von ‚Sex‘ im Sinne von Gender gestoßen, und zwar durch den Kontext der Gleichberechtigung: „6 out of every 10 British Minis on the road are […] driven by women“, heißt es. Damit wird der Wagen vom in den 1960er Jahren immer noch durch den männlichen Blick dominierten Lustobjekt zum Vermittler zwischen den Geschlechtern, wenn auch vielleicht erst auf den zweiten Blick. Der männliche, politisch nicht ganz korrekte Blick bleibt der erste, die Gleichberechtigung kommt erst auf dem Umweg eines buchstäblichen Subtextes, ja klein gedruckten Untertextes daher. Wie komplex dieses Geflecht der Bedeutungen ist, zeigt sich noch genauer, wenn wir Roland Barthes’ Idee des Signifikats, das zum Signifikanten werden kann, berücksichtigen (vgl. Kramer 1997: 100-102). Wir würden dann, je nach Lesart, je nach Geschlecht, sexueller Orientierung und Blick, zu folgendem Mythos, oder folgenden Mythen, gelangen: Bildteil und eyecatcher würden dem Mann (vielleicht auch der Frau) suggerieren, dass ein Mini sexy macht. Im Zusammen-
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Für den britischen Betrachter wird das Spiel mit etablierten Geschlechterrollen unmittelbar manifest, wogegen der Betrachter vom europäischen Festland zuerst übersehen mag, dass die Frau an der Fahrerseite steht.
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Martina Krebs & Peter Osterried spiel mit diesem ersten Mythos würde der Untertext der modernen Frau andeuten, dass sie in einem solchen Wagen, egal bei welcher Aktivität, immer auch ihre Unabhängigkeit bewahren könnte. Dem einfach strukturierten ‚Automann‘ würde dieser Mythos nichts bedeuten, er kann ja aufhören zu lesen, sich weiter am ersten Mythos und an der Naturalisierung heteronormativer Paarbeziehungen erfreuen. Trotz oder gerade wegen der amüsanten Wortspiele ist diese Werbung ein vortreffliches Beispiel für das Spiel mit sich an das Auto knüpfenden Geschlechtsidentitäten.
Mini und Maxi Das Spiel mit den Reizen von Groß und Klein führte bereits in der ersten Zeit des Mini Coopers zum Pressegag vom Maxi-Mini, der die Illusion einer erweiterten Mini-Power konstruierte, auf deren Kosten Aussehen und Charme des Minis jedoch nicht verloren gehen sollten (vgl. Hübner 1989: 59): „In Wirklichkeit hatte man nur zwei Minis im Abstand einer Wagenbreite nebeneinandergestellt und mit einer geschickt gefertigten Abdeckung zu einem optischen Ganzen verbunden“ (ibid.). Heute bieten der Mini Clubman und seine Varianten schon andere Alternativen zur Verstärkung von Potenz bzw. Potenzial – eben ‚der andere Mini‘ wie die Werbung verspricht, anders, und doch getreu der Tradition mit allen bewährten MiniQualitäten. Eine Reizverlagerung vom Klein-Offenbarenden zu einer verdeckten, aber ausgedehnten Erotik ist auch bei der Gegenbewegung zum Minirock, dem Maxi, zu beobachten, wenn dieser nicht alles verhüllt, sondern reizvolle Einblicke bis zur Grenze des ehemaligen Mini-Saums gewährt. Brav erscheinen langberockte Mädchen und Frauen heute also oft nur auf den ersten Blick; die Ambivalenz schwingt mit. Maximising minimisation – ein letzter Gedanke soll der Inszenierung des Mini-Autos in Zeiten von Energiepreiserhöhungen und Wirtschaftskrise gelten. Gerade seine Kleinheit und die damit verbundenen (relativ) niedrigen Verbrauchswerte und Anschaffungspreise versuchen Marketingstrategen als des Minis größte Stärke zu verkaufen: Energieeffizienz, Mut zu neuen Wegen und Wertstabilität werden dem Käufer suggeriert, um den Mini auch nach vorgeblich objektiver Betrachtung maximal attraktiv erscheinen zu lassen. Der Wert des Minis bleibt also auf verschiedenen Ebenen maxi. Fazit: Trotz aller modischen Veränderungen zeigen Vergleiche zwischen damals und heute, dass die Lust am Mini ungebrochen ist, nicht zuletzt weil sich das Kleine als Accessoire besonders dazu eignet, einer Identität eine neue Facette hinzuzufügen: Diese kann humorvoll, exklusiv oder auch provozierend sein, immer jedoch wird
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Maximising minimisation sie in Produktions- und Konsumprozessen in Szene gesetzt und ausgehandelt. Das Glück des Weges liegt hier also im Kleinen. Der Mini scheint maximale Aufmerksamkeit und Befriedigung zu versprechen und verleiht seinen Fahrer- und TrägerInnen vorübergehend den Glanz des Besonderen, des in mehrerlei Hinsicht Aufreizenden und Aufregenden. Wer Minis besitzt und/oder benutzt, erscheint dadurch selbst als besonders reizend und zu all dem fähig, was die Werbung so verlockend repräsentiert, und das Glück wird greifbar – wenn auch wohl nicht dauerhaft.
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RETRO & APPROPRIATIONEN
Vom Machen und Mögen des Minis Die kulturellen Bedeutungen der Autoliebhaberei CLAUS-ULRICH VIOL
Für viele ist der Mini Kult. Doch schauen wir etwas genauer auf das Phänomen, so zeigt sich, dass nicht das Objekt an sich den Kult ausmacht, sondern die es umschreibenden sozialen Handlungen und kulturellen Bedeutungsgebungen. Das Auto an sich, könnte man naiv behaupten, ist im Grunde nur ein Ensemble von Gummi, Blech und Polsterstoff. Und es ist klar, dass erst die Bedingungen der Kultur die Stoffe zu einem Auto formen, so, wie das Auto seinerseits die Kultur zu prägen hilft. Der Mini ist also weit mehr als bloße Materie, und er ist auch weit mehr als bloßer Kult, als eine der schillernden Pop-Ikonen, auf die sich aus leicht schleierhaften Gründen plötzlich eine große Zahl (sich meist für ‚hip‘ haltende) Menschen einigen können. In diesem Beitrag soll gezeigt werden, wie der Wagen zu einem besonderen Instrument dessen geworden ist, was Kultur ausmacht: des ständigen Konflikts zwischen gesellschaftlichen Gruppen um Macht, Status, Wertungen und Bedeutungen, der ständigen Wechsel- und Austauschbeziehungen im sozialen Raum. So ist eine zentrale These, dass die Liebhaber des Minis durch produktive Aneignung im Konsum dominante und alternative gesellschaftliche Werte miteinander verhandeln und sich zum Teil subversiv gegen herrschende Vorstellungen wenden. Der Beitrag wertet die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zur Beliebtheit des Minis aus und analysiert die kulturelle Arbeit, die von Liebhabern, Fahrern und Restauratoren des Autos, zumeist im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in Mini-Clubs, geleistet wird.1 Um die in den Interviews beschriebe1
Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle den Ansprechpartnern in der Mini-Szene, die so freundlich und geduldig waren, meine Fragen zu ihrem Hobby ausführlich zu beantworten: Philipp Babel (Mini-Club München 1980), Andreas Hohls (Mini Mania), Dietmar Riese (Ruhrpott Mini-IG), Andreas Schubert (Die Bean-Family Dresden), Stefan Sellin (Mini-IG Nord), Jörg
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Claus-Ulrich Viol nen Haltungen und Praktiken, die sich um das Auto formiert haben, besser verstehen zu können, werden zunächst einige theoretische Überlegungen zum Konsum von Alltagsgegenständen, speziell zum Konsum von Autos, vorangeschickt.
Konsum und Widerstand Kulturhistoriker gehen davon aus, dass in den Konsumgesellschaften der hochindustriellen Länder seit Anfang des 20. Jahrhunderts zwei Grunderfahrungen typisch sind: zum einen ein weitgehend selbstverständliches Verhältnis der Menschen zu den industriellen Gegenständen ihres Alltagslebens, zum anderen eine zunehmende Austauschbarkeit dieser Gegenstände im „Strom der technischen und gestalterischen Neuerungen […]. Die radikale ‚Vermodung‘, das Veralten und der Bindungsverlust gegenüber dem einzelnen Objekt“, so Wolfgang Ruppert, „sind Tendenzen des Zivilisationsprozesses von erheblichem Gewicht“ (1993a: 27). Gemeinhin wird an dieser Stelle eine „ständig an Rasanz zunehmende Umwälzung der Alltagsdinge“ (28) postuliert, die den modernen Individuen nur noch ein zweckrationales, versachlichtes und flüchtiges Verhältnis zu ihren Gebrauchsgegenständen zugesteht und von der häufig angenommen wird, dass sie in totalen Austausch- und Wegwerfgesellschaften zu enden droht. Das geplante Vermoden von Autotypen durch die Industrie und das zeitige Verkaufen eines Wagens – ‚bevor er zu viel an Wert verliert‘ – durch manchen Autobesitzer mögen hier als Beispiele dienen. Es scheint nur logisch, dass mit der quantitativen Zunahme der massenindustriell produzierten Güter sich auch das qualitative Verhältnis der Menschen zu den Dingen verändert hat. Und dennoch kann man kaum übersehen, dass es sich bei der obigen um eine Große Erzählung handelt, deren nicht zu verhehlende Brüche und Widersprüchlichkeiten am Beispiel des Automobilkonsums und speziell der Mini-Leidenschaft deutlich werden. Hier ist zunächst die offensichtliche Feststellung zu treffen, dass aller vermeintlichen Rationalisierung zum Trotz die Mythen und Irrationalitäten, die ums Objekt gestrickt werden, nicht verschwunden sind. Im Gegenteil: Der Verkauf und Kauf eines Autos haben heute zweifellos mehr mit Emotionalität denn mit Rationalität zu tun als vor 100 Jahren (eine Tatsache, die auch die Automobilindustrie nicht leugnet). Außerdem kann davon ausgegangen wer-
Wonneberg (Mini-Club München). Außerdem danke ich Eva Kohnke, Alexandra Kollek und Christoph Witte für die Durchführung der Passantenbefragung.
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Vom Machen und Mögen des Minis den, dass die von uns beim Kauf als rational wahrgenommenen Kriterien wie ‚gesteigerte Mobilität‘, ‚mehr individuelle Freiheit‘ oder ‚schnellere Überwindung des Raumes‘ selbst nicht mehr und nicht weniger sind als Modernitätsmythen, d.h. Werte und Funktionen, die uns heute natürlich und absolut erscheinen, dies aber erst durch die kultürlich produzierten Bedingungen der Moderne und nicht zuletzt deren Symbole – wie z.B. das Auto – geworden sind.2 Für Roland Barthes war das Auto bereits in den 1950er Jahren nicht so sehr ein durchrationalisiertes Fortbewegungsmittel als vielmehr ein „magisches Objekt“, eine Mythologisierungsmaschine vergleichbar den gotischen Kathedralen des Mittelalters (1964: 76). Zum besseren Verständnis der Prozesse, die beim modernen Konsum von Massengütern ablaufen, bietet es sich an, einige grundlegende kulturwissenschaftliche Theorien zu Rate zu ziehen. Hier wird das Konsumieren nicht primär als eine Subjekt-ObjektBeziehung verstanden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Mensch bestimmte Dinge konsumiert, weil er sie lebensnotwendig braucht oder weil sie besondere wesensmäßige Eigenschaften besitzen. Vielmehr erscheint der Konsum als eine Art von SubjektSubjekt-Beziehung, da er stets in sozial strukturierten Situationen stattfindet und immer auch einen Akt der Kommunikation und des Austausches mit anderen darstellt (vgl. Sabean 1993: 38; Ruppert 1993b: 122). Warum und wie Menschen einen bestimmten Gegenstand zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort konsumieren hängt zentral davon ab, warum und wie andere Menschen den gleichen oder einen anderen Gegenstand zu gewissen Zeiten und an gewissen Orten konsumieren und auch davon, warum und wie der Gegenstand von wiederum anderen Menschen produziert wird. Hinzu kommt, dass in der modernen Konsumgesellschaft die konsumierten Objekte selbst so stark mit Subjektivierungen, mit sozial konstruierten Bedeutungen codiert sind, dass sich ihr vermeintlich objektiver Gebrauchswert bisweilen vollständig in sozialen Funktionalisierungen und kulturellen Mythologisierungen aufhebt. Wir fahren ein bestimmtes Auto nicht primär, weil es uns bequem von A nach B bringt, sondern weil es für uns produziert wurde, weil wir meinen, es benutzen zu müssen in unserer auf Individualver2
Zur Zunahme von emotiven, identitären und (primär)zweckfreien Faktoren im Design und in der Verkaufspolitik von Automobilen vgl. Schefer (2008: 127-133). Schefer verweist in diesem Zusammenhang auf die gesteigerte Bedeutung von markenbetonenden Elementen wie Kühlergrill, Logo und Stilkontinuität der Hersteller – bei gleichzeitiger Abnahme tatsächlicher funktionaler Alleinstellungsmerkmale der Wagen – und zitiert Designer und Werber, die sich sicher sind, dass die Entscheidung beim Kauf eines Autos emotional motiviert ist, auch wenn bei der Kaufbegründung zumeist rationale Argumente in den Vordergrund gestellt werden.
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Claus-Ulrich Viol kehr ausgerichteten Gesellschaft, weil wir es uns leisten können und das auch zeigen wollen, weil es den aus unserem sozialen Habitus entstandenen Geschmacksvorstellungen entspricht, weil es uns zu unserem Lebensstil und unserer Identität passend erscheint.3 Der Konsum ist damit eindeutig eine soziale Praktik. Dass er auch eine politische oder zumindest mikropolitische Dimension hat, ergibt sich aus einer zweiten Grundannahme kulturwissenschaftlicher Theorien zum Verbrauch. Hier gilt der Konsum schon lange nicht mehr als etwas rein Passives, etwas, das von den wirtschaftlichen Produktionsinstanzen vollständig determiniert wird. Zwar wird die strukturelle Dominanz der Produktionssysteme – allen voran die manipulative Macht ihrer Werbemaschinerie – nicht geleugnet, doch wird dem Konsumenten ein mehr oder minder hohes Maß an Handlungsspielraum zugesprochen (vgl. Ruppert 1993a: 33-34; Sabean 1993: 48). Im Akt des Konsumierens wird der Konsument selbst zum Produzenten. Er eignet sich ein Objekt an, passt es und seine Verwendung den subjektiven Bedürfnissen an. Mehr noch: Er produziert mit anderen Angehörigen seiner sozialen Gruppe oder Schicht den Sinn der Objekte. Gemeinsam mit ihnen schafft er um die Objekte herum auch soziale Handlungen und Formationen. Zu derartigen Aneignungspraktiken gehören im Bereich des Automobilkonsums z.B. die früher oft gesehene umhäkelte Toilettenpapierrolle auf der Rückablage, der immer noch beliebte SyltAufkleber am Heck, das Tieferlegen, das Abdunkeln der hinteren Scheiben und das personalisierte Nummernschild, aber natürlich auch die persönliche Fahrweise, das gemeinsame Im-Stau-Stehen oder die ADAC-Mitgliedschaft. Diese Formen der Aneignung und Produktion mögen von uns belächelt oder beklagt werden, aber unsere Reaktion macht deutlich, wie sehr wir den sozial produzierten Sinn im Konsum sehr wohl verstehen und uns direkt zu ihm positionieren. Für einige Kultur- bzw. Konsumtheoretiker liegt in konsumerischer Aneignung und Produktion sogar ein progressives politisches Moment, das den Konsumenten nicht nur hilft, x-beliebigen neuen sozialen Sinn zu produzieren, sondern auch sich direkt gegen die bestehenden Markt- und Produktionsideologien zur Wehr zu setzen, durch die ihnen die Objekte verkauft werden sollen – sprich: sich zu ermächtigen. Diese Theoretiker bringen vor, dass die Verwendung von Gebrauchsgegenständen häufig außerhalb ihres geplanten Gebrauchs oder ihrer schon vorcodierten Bedeutung abläuft. De Certeau sagt in einer vielzitierten Passage dazu:
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Vgl. die Beiträge von Jürgen Kramer und Martina Krebs & Peter Osterried im vorliegenden Band.
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Vom Machen und Mögen des Minis Das Gegenstück zur rationalisierten, expansiven, aber auch zentralisierten, lautstarken und spektakulären Produktion ist eine andere Produktion, die als „Konsum“ bezeichnet wird: diese ist listenreich und verstreut, aber sie breitet sich überall aus, lautlos und fast unsichtbar, denn sie äußert sich nicht durch eigene Produkte, sondern in der Umgangsweise mit den Produkten, die von einer herrschenden ökonomischen Ordnung aufgezwungen werden. (1988: 13; Hervorhebungen im Original)
Für de Certeau wirkt die Macht der herrschenden Produktionsverhältnisse strategisch, global und dominant-hegemonial. Dagegen offenbart sich im Konsum die Möglichkeit zur Ausübung taktischen und lokalen Widerstands. Diese reicht zwar nicht so weit, dass potente Gegenstrategien herausgebildet werden könnten, aber es verflüchtigt sich zumindest die dominante Macht im Akt des Konsumierens (vgl. Sabean 1993: 49-50) und wird (nach noch optimistischeren Konsumforschern wie John Fiske) durch subversive Kreativität und Lustgewinn ersetzt, denen sozial und mikropolitisch progressive, wenn auch nicht makropolitisch radikale, Wirksamkeit attestiert wird (vgl. Fiske 1989: 1-2, 8). Betrachten wir die Mini-Liebhaberei im Licht der genannten Konsumtheorien, so wird schnell klar, dass sich am Beispiel des kleinen Wagens wie bei kaum einem anderen Fahrzeug zeigen lässt, wie konsumerische Aneignung in zum Teil unvorhergesehenen Dimensionen abläuft; wie dem Objekt im Konsum durch veränderte Subjekt-Subjekt-Konstellationen immer wieder neuer sozialer Sinn zugeschrieben wird; wie im Konsum des Objekts dominante gesellschaftliche Werte mit alternativen Werten verhandelt werden und sich zum Teil sogar die Möglichkeit ergibt, einige der Aneignungspraktiken im Sinne von de Certeau und Fiske als Formen zwar begrenzter, aber produktiver Widerständigkeit zu lesen.
Produktive Aneignungen des Minis Der Mini, der ab 1959 in Birmingham und Oxford vom Fließband rollte, war zunächst ein Produkt arbeitsteiliger industrieller Serienproduktion. Mit seiner optimalen Raumausnutzung, seiner angestrebten Wirtschaftlichkeit und seinem geringen Preis war er geradezu der Inbegriff für die von Ruppert verzeichneten Modernisierungsprozesse (vgl. 1993a: 23-26), die mit der industriellen Rationalisierung, Massenmotorisierung und generellen Demokratisierung der Alltagsdinge in der Nachkriegszeit einhergingen (vgl. Robson 2006: 10-24).4 Hierauf folgte allerdings eine Reihe von großen An4
Vgl. die Beiträge von Jürgen Kramer und Christian Werthschulte im vorliegenden Band.
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Claus-Ulrich Viol eignungsmomenten, in denen sich der ursprünglich vorcodierte Gebrauch des Wagens radikal veränderte. Der familienfreundliche Kleinwagen wurde zunächst Anfang der 1960er Jahre für den Rennsport entdeckt, dann von Angehörigen gesellschaftlich bessergestellter Schichten, für die er nicht gebaut worden war, später von den Mini-Liebhabern, die sich noch immer aufopferungsvoll um seinen Erhalt kümmern. Schließlich kam es in den 90er Jahren zur kommerziellen Rückaneignung des Minis durch BMW. All diese großen Momente – und sicherlich auch unzählige kleinere neben ihnen – verweisen auf bestimmte Sinn-Produktionen im Konsum und auf den Mini als Kristallisationsobjekt sozialer Bedürfnisse und Konflikte. Ich möchte im Folgenden vor allem auf die beiden letzteren Formen der Aneignung näher eingehen: die Mini-Liebhaberei und die Umwandlung des alten in den neuen Mini durch BMW. Die Mini-Leidenschaft kann in vielerlei Hinsicht als eine Form der Gegenbewegung zu Modernisierung und Konsumismus gelesen werden. Zunächst ist festzuhalten, dass die Beziehung der Menschen zum Mini alles andere als selbstverständlich ist; der Wagen wird häufig entdinglicht und vermenschlicht. Gängige Kommentare sind: „der Mini ist mehr als nur ein Auto“, „er guckt sympathisch“, „der Kleine“ hat „Charakter“, er ist „frech“, „ein Star“ oder „eine Legende.“5 Man kann behaupten, der angenommene moderne Bindungsverlust zu den Gegenständen kehrt sich in der Auto- und Mini-Liebhaberei geradezu um. Betrachten wir die Produktion sozialer Bindungen und Bedeutungen, wie sie sich in den über 100 deutschen Mini-Clubs, -Interessengemeinschaften und -Stammtischen manifestiert, so stellen wir fest, dass auch dies eine Praxis ist, die dem normalen Autokonsum zuwiderläuft. Das Kaufen, Reparierenlassen und Fahren von Autos ist heutzutage eine weitgehend anonyme Angelegenheit. Dem Auto wird gemeinhin attestiert, dass es zu einem gesellschaftlichen Individualisierungsschub beigetragen hat (vgl. Ruppert 1993b: 145146), zu dessen negativen Begleiterscheinungen auch die zunehmende Vereinzelung des Individuums gerechnet werden kann. Für die Mini-Clubs und -IGs stehen soziale und gemeinschaftliche Aspekte dagegen weit im Vordergrund. Mini-Fahrer betonen, welch großen Stellenwert der Zusammenhalt, die gemeinsamen Unternehmungen und das Sich-gegenseitig-Helfen in der Szene haben. „Das Fahrzeug ist der Aufhänger für eine soziale Einrichtung“, heißt es z.B. in einer Stellungnahme eines Münchner Mini-Clubs. Diese 5
Diese Reaktionen finden sich sowohl beim allgemeinen Publikum (vgl. die unten näher besprochene Umfrage) als auch in den Mini-Publikationen, die sich an Liebhaber und Eingeweihte richten, wie z.B. bei Mini Brand Management (2006: 75, 133), Robson (2006: 7, 28), Schneider (2004: 5, 107, 110) oder Stein/Pfahl (2007: 4-9, 34).
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Vom Machen und Mögen des Minis sei eine Ansammlung von Individualisten aus verschiedensten gesellschaftlichen Schichten und Gruppen; auch andere betonen das Familiäre und Offene der Mini-Gemeinschaften und verweisen auf die sich hier bietende Alternative zu gewöhnlichen Alltagserfahrungen. Der erste ostdeutsche Mini-Club nennt sich bezeichnenderweise gar „die Bean-Family.“ Hier verweist die Metapher der Familie, die im Grunde Ausdruck von Konventionalität ist, auf den eher unkonventionellen organischen Zusammenhalt in der Interessengemeinschaft; sowohl der Familiengedanke als auch der Interessengemeinschaftsaspekt werden darüber hinaus ironisch distanziert: Der Mini-Club ist eine Familie der anderen, leicht verrückten Art. Die soziale Praktik des Mini-Konsums setzt an die Stelle der in der Gesellschaft vorherrschenden Anonymisierung, Hierarchisierung und Zentralisierung die persönliche Beziehung, das lokale Netzwerk, die Erfahrung organischer Gemeinschaft – ganz im Sinne von de Certeaus Überlegungen zum taktischen Widerstand im Konsum. Ihre Unabhängigkeit scheint vielen der Mini-Zusammenschlüsse ein hoher Wert zu sein: Auf der Internetseite des Mini-Registers von Deutschland steht zu lesen, dass sich bereits 1980 die regionalen Clubs mehrheitlich gegen die Gründung eines deutschen Dachverbandes wandten (vgl. Mini-Register von Deutschland k.D.). Aber auch das Schrauben an sich, die geforderte handwerkliche Geschicklichkeit, kann als das Ausüben eines weiteren gegenläufigen Wertes gesehen werden. Soziologen und Sozialhistoriker verweisen auf die mit zunehmender Arbeitsteilung und Mechanisierung einhergegangene Entfremdung des Menschen von den Produkten seiner Arbeit. Das fortwährende Basteln am Wagen verwandelt das massengefertigte Ausgangsauto hingegen in ein Einzelstück, in ein Produkt nicht-entfremdeter, meist gemeinschaftlicher Arbeit. Die klassischen Minis sind heute nur noch auf der Straße, weil in sie jede Menge Arbeit und Emotionen investiert wurden. Die meisten gewöhnlichen Autokonsumenten würden dies als lästig empfinden, es scheint aber für Liebhaber gerade das Wesen ihrer Minis auszumachen. Hier sehen manche auch einen der zentralen Unterschiede zwischen dem alten und dem skeptisch beäugten neuen Mini: der alte verlange „kundige Schrauberhände“, der neue „einen Diagnoserechner“, so der Mini-Experte Stefan Sellin. Ein weiteres Merkmal der Classic-Mini-Leidenschaft ist das hohe Maß an Produktion von Originalität im Konsum. Das Basteln am Mini geschieht in unterschiedlichsten Formen. Einige Fans machen es sich zur Aufgabe, die klassischen Modelle möglichst originalgetreu zu erhalten bzw. wiederherzustellen, anderen geht es hauptsächlich um die Sicherung der Fahrtüchtigkeit, wiederum andere modifizieren Technik und Design in spektakulärer Weise; sie motzen auf, formen um und färben ein. Bedingt durch die geringe Zahl
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Claus-Ulrich Viol der verbleibenden Minis führt diese (Re-)Produktionspraxis dazu, dass jeder heute noch existierende Wagen mehr oder weniger einzigartig ist. Damit wird die dem Mini als Massenmodell von Automobilhistorikern bereits zugeschriebene Einzigartigkeit und Originalität im tatsächlichen Konsum noch zusätzlich verstärkt. Dagegen stehen die von Herstellerseite gemachten vielfältigen Konfigurationsoptionen beim BMW-Mini, die zwar das Konzept der Einzigartigkeit fortschreiben wollen, momentan aber nichts weiter sind als massenhaft vorgefertigte Individualisierungsversprechen (welche produktiven und widerständigen Elemente der Konsum des neuen Minis hervorbringen wird, ist heute noch nicht abzusehen; angesichts der aktuellen wohlhabenden Käuferschichten sowie vielleicht gerade der austauschbaren vorproduzierten Vielfalt, scheint es momentan eher unwahrscheinlich, dass es in seinem Fall überhaupt zu einer derartig kreativ-produktiven Bewegung kommen wird). Das Hauptanliegen der meisten Besitzer des alten Minis ist „der Erhalt und die Pflege“ des Wagens oder wie es ein Fahrer ausdrückt: „eines automobilen Kulturguts.“ Der Erhalt des alten Blechs entzieht sich der allgemeinen Tendenz zur Verschrottung und zum Neukauf von Autos, dem, was Ruppert „geplante[s] Veralten“ (1993b: 136) nennt und was zur Zeit der Drucklegung dieses Beitrages in der staatlichen Abwrackprämie einen neuen Höhepunkt offizieller Legitimation findet. Es ist hierbei zu betonen, dass dieser Erhalt des Alten im Falle des Minis bereits im Konsumobjekt selbst angelegt war, denn in seiner 41-jährigen Geschichte wurde das Fahrzeug baulich kaum verändert. Was aber in Zusammenhang mit dem darüber hinausgehenden Erhalt des Minis besonders interessieren muss, ist, dass die Kultur- und Geschichtspflege nicht von offiziellen Experten oder öffentlichen Institutionen betrieben wird und dass sie nicht in den abgeschiedenen Räumen des Museums oder der Lehranstalt stattfindet, sondern – von selbstorganisierten Gruppen getragen – die für erhaltenswert befundenen Alltagsgegenstände im alltäglichen Raum belässt oder in diesen direkt wieder einführt. Laut Angaben der Clubs wird mehr als ein Drittel der alten Minis auch im Alltag gefahren. Auch in dieser lebensweltlichen Geschichtsarbeit von unten kann ein im zuvor beschriebenen Sinne alternatives, mikropolitisches Element des Aneignungskonsums gesehen werden. Die Lesarten und Bedeutungsproduktionen des Populären zeichnen sich laut Fiske dadurch aus, dass sie alltagsnah und praxisrelevant sind, einer Distanzierung von Konsumobjekt/ Text und Leben entgegenwirken (vgl. 1989: 6). Die von den Minifahrern gepflegte kulturelle Erinnerung steht außerhalb offizieller Geschichtsschreibung, aber auch außerhalb dominanter wirtschaftlicher Interessen. Die Geschichte und Identität des Minis wurde von den Fahrern des Wagens gepflegt, da hatte die Industrie ihn schon
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Vom Machen und Mögen des Minis längst aufgegeben. Hierbei ist hervorzuheben, dass die von den Mini-Enthusiasten erhaltene bzw. konstruierte Geschichte nicht nur ihrer eigenen gruppenspezifischen Identitätsbildung dient, was alleine schon alternativ zu nennen wäre, sondern darüber hinaus mit der Darstellung des Minis in der Öffentlichkeit auch der Allgemeinheit einen mobilen kulturellen Erinnerungsort bereitstellt. Üblicherweise wird derartiges inoffizielles Treiben mit dem Begriff ‚Liebhaberei‘ bezeichnet. Der Universal-Duden definiert sie als „meist künstlerische od. wissenschaftliche Tätigkeit, die jmd. als Autodidakt mit Freude und Eifer in seinen Mußestunden ausübt“ (Duden 2001: 1018). Diese Definition legt indirekt das subversive Potenzial der Liebhaberei offen. Liebhaberei arbeitet durchaus auf wissenschaftlichem Niveau, ihr fehlt aber die offizielle Anerkennung als Wissenschaft, da sie außerhalb der Zweckrationalität dominanter Kultur- und Ökonomie-Instanzen stattfindet und diesen gleichermaßen die Anerkennung verweigert: Sie will kein Geld, sie will keine Bildungsabschlüsse, sie macht Spaß und stiftet zum Teil quer zur kapitalistisch-ökonomistischen Lebensordnung liegenden Sinn. Wie ernst allerdings den Mini-Liebhabern ihr selbstgegebener, alternativer kultureller Bildungsauftrag ist und wie sehr sie sich durch die aktive Aneignung des Objekts in seinem rechtmäßigen Besitz sehen, zeigt sich in ihrer Haltung zum neuen Mini und dem bei seiner Entwicklung entstandenen Geschichtskonflikt mit BMW. Dietmar Riese von der Ruhrpott Mini-IG erinnert sich an seine Reaktion auf das von BMW vorgestellte Remake- und Marketingkonzept als ein Gefühl der drohenden Enteignung: „Die nehmen uns das Auto weg!“ In der Tat spaltet die Haltung zum neuen Mini die klassische Mini-Szene. Einige Clubs grenzen sich komplett ab, andere nehmen Fahrer des neuen Minis auf, allerdings überwiegt auch bei den Sprechern der offiziell toleranten Clubs persönliche Skepsis gegenüber dem neuen Fahrzeug. Nicht wenige Fahrer finden, dass der neue Mini zwar ein interessantes Auto sei, aber eigentlich nicht Mini heißen dürfe, da er zu groß, zu schwer und zu teuer sei. Andere sehen ihn als „gemachtes“, „künstliches LifestyleFahrzeug“ und beklagen, dass sowohl das Erbe des Minis als auch die klassische Mini-Szene bei der Vermarktung des neuen Wagens vom bayrischen Automobilbauer missbraucht wurden. Die Abgrenzungsbewegungen der Fahrer des klassischen Minis zum BMW verdeutlichen wie wohl kaum eine andere ihrer Praktiken die der Mini-Leidenschaft zugrundeliegende Akkumulation von populärkulturellem (vgl. Fiske 1992) oder subkulturellem (vgl. Thornton 1995) Kapital.6 Wie andere Subkulturen konstituiert sich auch 6
Was die der Mini-Szene zugrundeliegenden Distinktionsmechanismen betrifft, so lassen sich Analogien herstellen sowohl zu Fiskes Überlegungen zur populärkulturellen Schattenökonomie der Fans als auch zu Thorntons
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Claus-Ulrich Viol die Mini-Gemeinde über differenzierten Objekt- und Wissensbesitz, und zwar in Abgrenzung zu den Objekt- und Wissenshierarchien der offiziell anerkannten gesellschaftlichen Strukturen bzw. dem kulturellen Mainstream. Der Distinktionsgewinn des einzelnen Mitglieds leitet sich aus dem Kapitalumfang ab, den es im Vergleich zu anderen Mitgliedern der Szene besitzt (z.B. durch außerordentliches technisches Know-how oder ein besonders gut erhaltenes Modell). Der Distinktionsgewinn entsteht aber vor allem in Abgrenzung zu den außerhalb der Subkultur liegenden Wertvorstellungen und Praktiken. Interessanterweise sind die von den Classic-Fahrern ins Feld geführten Argumente identisch mit den Kriterien anderer Fanund Enthusiastengruppen: Es geht um die Authentizität, die Originalität, das Nicht-Kommerzielle und die stärkere organische Verbundenheit des Liebhaber-Objekts mit der es umgebenden Kultur. Der neue Mini wird wahrgenommen als Teil des Kommerzes und als Repräsentant herrschender, aber nicht unproblematischer Werte. Gleichzeitig wird die bestehende Verbindung zwischen beiden Gegenständen und sozialen Gruppen in einem Diskurs der Eigentlichkeit überdeckt. Das Argument, dass erst der neue Mini den alten zu einem Klassiker mache – was sich auch sprachlich in dem neu entstandenen Begriff ‚Classic-Mini‘ widerspiegelt –, wird von Classic-Fahrern weit zurückgewiesen: Der alte Wagen brauche den neuen nicht, der neue den alten aber sehr wohl.7
Populäre Lesarten des Minis Wie reagieren die anderen, gewissermaßen unfreiwilligen (Sekundär-)Konsumenten auf den Mini, d.h. die Otto-Normalverbraucher, die ihn auf der Straße sehen? Würdigen sie die von den Mini-
7
Untersuchung der subkulturellen Formationen rund um die britischen Musik-Clubs. Was die soziale Zusammensetzung der Mini-Szene betrifft, so wird deutlich, dass sich die Mini-Leidenschaft nur schwer mit der Fiske’schen Erklärung des Fantums als einer Praktik der aus der offiziellen Status-Ökonomie Ausgeschlossenen begreifen lässt. Die Mini-Szene vereint Mitglieder unterschiedlicher sozialer Provenienz. Sie zielt eher, wie bei Thorntons Clubgängern, auf eine Verwischung der sie umgebenden sozialen Stratifikationen. Hier liegt ihr alternatives Potenzial. Die hier vorliegende Überbetonung des Unterschieds zwischen altem und neuem Mini wird besonders deutlich, wenn man die Einschätzungen des allgemeinen Publikums berücksichtigt. Ein Ergebnis der unten näher besprochenen Passantenbefragung war, dass zwei Drittel der Classic-MiniBefürworter auch an dem BMW-Mini Gefallen finden sowie dass ein nicht unerheblicher Teil der Befragten keinen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Autos machte bzw. sie sogar miteinander verwechselte.
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Vom Machen und Mögen des Minis Liebhabern geleistete Erinnerungsarbeit? Durchaus. Zwar operiert die Mini-Liebhaberei im Bereich des Inoffiziellen und Gegenläufigen, doch gibt es in der Bevölkerung ein hohes Maß an Sympathie für die durch das Auto repräsentierten Werte. Auf die Frage, welches Auto ihnen am meisten Freude bereite, wenn sie ihm begegneten, entschieden sich 58% der 160 Teilnehmer einer für diesen Beitrag durchgeführten Befragung für den Mini.8 Auf die Frage, welches Auto sie besitzen wollten, waren es nur noch 25%. Gründe für die Beliebtheit waren in Reihenfolge der Häufigkeit: das niedliche, witzige Aussehen; das Klassisch-Nostalgische; das Individuelle, Besondere; das Britische, Stilvolle des Wagens.9 Gründe für die Ablehnung waren hingegen meist praktischer, rationaler Art: zu klein, unwirtschaftlich, unpraktisch, reparaturanfällig, unsicher, ungefällig und unkomfortabel waren hier die meistgegebenen Antworten. Bei der Frage nach dem Besitzwunsch spielte auch der höhere ökonomische Wert des Porsche Cayenne eine wichtige Rolle. 39% gaben an, den Porsche besitzen zu wollen, nicht wenige von ihnen mit der unverhohlenen Absicht, ihn direkt wieder gegen Bares einzutauschen. Es ist außerdem signifikant, dass mehr als ein Drittel der Befragten in ihren Äußerungen sowohl die positiven als auch die ablehnenden Haltungen gegenüber dem Mini vereinten. Damit ergibt sich ein interessantes Paradox: Der Mini wird zugleich wertgeschätzt und abgelehnt, weil er sich modernen Rationalisierungs- und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen nicht unterwirft. Tab. 3: Welches Auto macht Ihnen am meisten Freude? Mini
Cayenne
Corsa
Kangoo
58%
28%
13%
1%
8
9
Die den Befragten zur Auswahl vorgelegten vier Bilder zeigten neben einem Mini Cooper aus den frühen 1990ern ein luxuriöses Porsche-Modell des Typs Cayenne, einen familienfreundlichen Renault Kangoo und einen Opel Corsa als moderne Variante eines Kleinwagens. Befragt wurden mehrheitlich Personen im Alter von unter 30 (45%) bzw. über 50 Jahren (27%). Die Befragten waren zu etwa gleichen Teilen weiblich (55%) und männlich (45%) und repräsentierten einen sozialen Querschnitt der Bevölkerung. Interessanterweise zeigten sich keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die Präferenz des Minis. Ein Teil der positiven Reaktionen ist sicherlich der von Heinrich Versteegen im vorliegenden Band vorgestellten Wirksamkeit des Kindchenschemas geschuldet. Jedoch zeigen die Beschreibungen der Interviewten, die das Niedliche zumeist in Zusammenhang mit einem der anderen Deskriptoren erwähnten, dass die Attraktivität des Konzepts des Kleinen eine große kulturelle – und nicht nur biologische – Dimension hat. Kurz: dass der Mini als kleiner Klassiker einfach ein ‚anderes‘ Auto ist.
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Claus-Ulrich Viol
Tab. 4: Welches Auto möchten Sie besitzen? Mini 25%
Cayenne
Corsa
Kangoo
39%
26%
10%
Tab. 5: Die häufigsten Reaktionen Warum Mini?
Warum nicht Mini?
niedlich, schnuckelig
zu klein
klassisch, nostalgisch
unwirtschaftlich, unpraktisch
individuell, besonders
ungefällige Form
britisch
reparaturanfällig
stilvoll
unsicher
sportlich, jugendlich
unkomfortabel Frauenauto
Der Mini und die Mini-Liebhaberei erfüllen damit eine kulturell wichtige, aber ambivalente Funktion. Sie sind Ausdruck dessen, was Menschen eigentlich mit ihrem Konsum erreichen wollen: Individualität, Originalität, soziale Distinktion, Erfahrung von Ursprünglichkeit, Lustgewinn. Gleichzeitig sind sie aber auch Ausdruck der Erkenntnis, dass dies unter den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen nicht so leicht möglich ist. Der Massenkonsum des Autos hat das Autofahren zu einer Unlust, zu einer ökologischen Belastung gemacht und liefert mit seinen Millionen von gleichartig designten Fahrzeugen – trotz individueller Aneignung im Gebrauch – allenfalls die Möglichkeit zur Scheinindividualisierung.10 In seinem utopischen Entwurf eines Automobilkonzeptes, das diesen Erfahrungen entgegenwirken kann, plädiert Schefer für die Schaffung einer alternativen Ästhetik und Produktionsethik, die echte Differenzierung und Individualisierung, schöpferische Autonomie, das Kleine und das Sparsam-Verantwortliche in den Vordergrund stellen. Er sieht hier eine notwendige Gegenbewegung zum vorherrschenden „Schneller, Weiter, Globaler, Größer“ im gegenwärtigen Automobildesign (Schefer 2008: 189). Den Mini liebzuhaben bedeutet zweifelsfrei, eben jene Ästhetik des Kleinen, des Verzichts und der Autonomie zu bevorzugen und mit regressiven, nostalgischen Vorstellungen über den ursprünglichen, unschuldigen Kon10 Die vielfältigen negativen persönlichen und gesellschaftlichen Begleiterscheinungen des zunehmenden Automobilkonsums besprechen z.B. Schefer (2008: 184-188) und Volti (2006: 155-156).
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Vom Machen und Mögen des Minis sum der Einfachheit zu verbinden. Diese Vorstellung ist durchaus als eine, wiederum paradoxe, Funktion des tatsächlichen Konsums zu verstehen: denn am Ende fährt der durchschnittliche Autofahrer den Opel Corsa (von dem bis 2007 weltweit über zehn Millionen Modelle verkauft worden waren) oder den Renault Kangoo (bis 2004 über eine Million verkaufte Exemplare), die beide nicht besonders wertgeschätzt werden, und nicht etwa den Porsche Cayenne (bis 2007 ca. 170.000 verkaufte Exemplare) oder gar den alten Mini (von dem im Jahr 2009 in Deutschland noch etwa 20.000 fahrtüchtig sind) (vgl. „Silberne Hochzeit“ 2007; „Erfolgsmodell“ 2004). Abb. 16: Die Verhandlung von Werten durch den Mini
Der Mini als Konsens- und Subversionsmaschine So ist der Mini ein Objekt, durch dessen Gebrauch dominante gesellschaftliche Werte mit alternativ-widerständigen Werten in Konflikt treten und vom Konsumenten miteinander verhandelt werden können. Es ist wichtig zu beachten, dass die dominanten Werte hierbei nicht so sehr in Gänze zurückgewiesen werden, als vielmehr seitlich versetzt (oder eingeklammert) in der Liebhaber-Praxis bestehen bleiben, gleichzeitig aber eine Überarbeitung erfahren. Nehmen wir die dominanten Werte wie Funktionalität, Fortschrittsglaube und Markenloyalität, so zeigt sich, dass sie für Mini-Liebhaber einen hohen Stellenwert genießen, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie gewissermaßen anachronistische Projektionen sind, die sich im Rahmen von Funktionalitätsstandards der 1960er Jahre bewegen oder die Markenloyalität exzessiv – über den wirtschaftlichen Bestand der Marke hinaus – wirken lassen. Andere systemstützende Strukturen werden überkreuz verkehrt, wie z.B. in der Praxis, den gesellschaftlichen Bedingungen des Individuums 139
Claus-Ulrich Viol (gekennzeichnet durch einen hohen Grad an sozialer Isolation und Gleichförmigkeit in den Alltagspraktiken) gruppenspezifische Bedingungen entgegenzusetzen (gekennzeichnet durch einen hohen Grad an sozialem Zusammenhalt bei gleichzeitiger Individualisierung im Konsum). Ein weiteres Beispiel für die Mischung aus Komplizität und Subversion, die sich in der Mini-Leidenschaft ergibt, ist die Umcodierung (aber eben auch generelle Beibehaltung) sozialer Hierarchisierung, die in der Mini-Szene nicht mehr nach Maßgabe des Einkommens oder der beruflichen Qualifizierung, kurz: des ökonomischen, sondern eher des subkulturellen Kapitals erfolgt (vgl. Fiske 1992: 30-32). Weder der Autokonsum an sich, noch die oben beschriebenen Praktiken der Clubs sollen hier romantisiert werden. Die persönlichen Motive der Mini-Liebhaber sind vielfältig. Die besonderen Fahreigenschaften des Wagens werden z.B. immer wieder genannt; der oben herausgestellte soziale Zusammenhalt der Fahrer wird von diesen selbst z.T. als Zweckgemeinschaft erklärt, die notwendig ist, um Teile- und Wissensknappheit gemeinsam zu kompensieren; der privat-persönliche Distinktionsgewinn mag auch ein großer Faktor sein.11 Und sicher kann das Liebhaben von Autos nicht generell als Kritik an gesellschaftlichen Grundideologien wie dem Glauben an den Autoverkehr, den technischen Fortschritt und den Markenkonsum gelesen werden, doch in dem demonstrativen Konsum all jener, die den Mini mögen, offenbaren sich taktische Gegenpositionen zu anderen ideologischen Setzungen der Gesellschaft wie Funktionalitätszwang, Anonymisierung, Vermodung und Expansionismus.
Literaturverzeichnis Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags (11957), übers. Helmut Scheffel, Frankfurt/Main: Suhrkamp. Certeau, Michel de (1988): Kunst des Handelns (11980), übers. Ronald Voullié, Berlin: Merve. Duden. Deutsches Universalwörterbuch (2001): 4. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Mannheim et al.: Dudenverlag. „Erfolgsmodell Renault Kangoo“ (2004): Die Welt Online, 7. August, http://www.welt.de/printwelt/article332674/Erfolgsmodell_ Renault_Kangoo.html (5. Juli 2009). Fiske, John (1989): Reading the Popular, London/New York: Routledge.
11 Vgl. die Bemerkungen zur persönlichen Attraktivität, die der Mini verleiht, in der Podiumsdiskussion zum Auto im vorliegenden Band.
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Vom Machen und Mögen des Minis – (1992): „The Cultural Economy of Fandom“, in Lisa A. Lewis (Hg.), The Adoring Audience. Fan Culture and Popular Media, London/ New York: Routledge, S. 30-49. Mini Brand Management (2006): Mini. The Book, Hamburg: Hoffmann und Campe. Mini-Register von Deutschland (k.D.): „Die Geschichte“, http:// www.miniregister.org (29. Juni 2009). Robson, Graham (2006): Mini. A Celebration of Britain’s Best-Loved Small Car, Sparkford: Haynes. Ruppert, Wolfgang (1993a): „Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge“, in W.R. (Hg.), Fahrrad, Auto, Fernsehschrank. Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge, Frankfurt/Main: Fischer, S. 14-36. – (1993b): „Das Auto. ‚Herrschaft über Raum und Zeit‘“, in W.R. (Hg.), Fahrrad, Auto, Fernsehschrank. Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge, Frankfurt/Main: Fischer, S. 119-161. Sabean, David (1993): „Die Produktion von Sinn beim Konsum der Dinge“, in Wolfgang Ruppert (Hg.), Fahrrad, Auto, Fernsehschrank. Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge, Frankfurt/Main: Fischer, S. 37-51. Schefer, Niklaus (2008): Philosophie des Automobils. Ästhetik der Bewegung und Kritik des automobilen Designs, München: Fink. Schneider, Hans J. (2004): Mini. Technik und Typen, Elmgrove: Schneider Text Editions. „Silberne Hochzeit für eine Marke mit Blitz“ (2007): http:// www.motorvision.de/news/classic/artikel/silberne_hochzeit_fuer _eine_marke_mit_blitz-3552.html (5. Juli 2009). Stein, Michael/Pfahl, Thomas (2007): Mini. The Car, the Cult, and the Swinging Beats, Hamburg: edel entertainment. Thornton, Sarah (1995): Club Cultures. Music, Media and Subcultural Capital, Cambridge: Polity. Volti, Rudi (2006): Cars and Culture. The Life Story of a Technology, Baltimore: The Johns Hopkins University Press.
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Vom Mini zum Mini Eine Podiumsdiskussion TeilnehmerInnen: ANDREAS HOHLS (AH), Mitbegründer des MiniRegisters von Deutschland, Inhaber der Firma Mini Mania, passionierter Mini-Rennfahrer und mehrfacher Tourenwagen-Champion; CHRISTIAN LENZ (CL), Kulturwissenschaftler an der TU Dortmund; ANNE URBAUER (AU), unabhängige Journalistin und Publizistin, Chefredakteurin von MINI International. CL: Herzlich willkommen. Dieses Podium wird sich mit Fragen rund um den klassischen, von Alec Issigonis entwickelten Mini und den neuen, von BMW hergestellten Mini beschäftigen. Meine erste Frage geht an Herrn Hohls: Wann haben Sie Ihren ersten Mini gekauft und warum? AH: Ich habe den ersten Mini Ende 1975 angeschafft. Ich bin eigentlich Motorradfahrer, aber als ich dann das Studium im 150 km entfernten Oldenburg aufgenommen habe, wollte ich ein Gefährt mit einem Dach über dem Kopf. Daher musste es ein Auto sein, und das einzige Motorrad auf vier Rädern, das ich finden konnte, war der Mini. Es musste die Fahreigenschaften eines Motorrads haben, und das war beim Mini gegeben, hat mir sehr zugesagt und ist bis heute so geblieben. CL: Frau Urbauer, wie sind Sie zum Mini gekommen? AU: Meine erste Fahrt in einem Mini war, als der neue Mini herauskam und ich ihn testfahren durfte. Und ich habe eine total Minibegeisterte Freundin, die den alten Mini fährt, dort bin ich oft mitgefahren. Ich kenne also auch das Fahrgefühl des alten Minis. CL: Warum sollte man überhaupt Mini fahren? Wir haben gehört, dass er oft in Hollywood-Filmen vorkommt und dass Mr. Bean Mini fährt1 – aber heißt das auch, dass wir Mini fahren sollten?
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Vgl. die Beiträge von Iris-Aya Laemmerhirt und Heinrich Versteegen im vorliegenden Band.
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Eine Podiumsdiskussion AH: Wir müssen konkretisieren, um welchen Mini es geht. Den klassischen oder den neuen BMW-Mini? Für beide gibt es ganz unterschiedliche Motive. CL: Welchen Mini würden Sie denn bevorzugen? AH: Das kann ich ganz einfach beantworten: Ein BMW-Mini käme mir nicht ins Haus. Nicht, dass ich etwas gegen BMW hätte – überhaupt nicht –, sondern, weil ich einen ganz speziellen Anspruch an das Fahrzeug habe, und den kann BMW nicht erfüllen. Ich habe glücklicherweise einmal die Möglichkeit erhalten, ein ChallengeS-Auto zu fahren, da MINI Deutschland mich eingeladen hatte, ein Rennen mitzufahren – mit dem E-Mini (einem mit Akkus betriebenen Auto). Das war aber etwas anderes, als wenn ich mit meinem historischen Mini Cooper S fahre; das sind zwei völlig verschiedene Autos. Ich glaube, der BMW-Mini ist genau das richtige Auto für die Kunden, die ihn kaufen und fahren. Aber ich will einen BMW-Mini nicht haben, weil er Eigenschaften hat, die mir nichts bedeuten: Ich brauche keine Klimaanlage, ich würde sie ausbauen, weil sie unnötiges Gewicht bedeutet. Umgekehrt würde ein BMW-Mini-Fahrer nie im Leben das Geräuschniveau meines Minis ertragen wollen. Von daher würde ich sagen, es gibt keine Konfrontation zwischen den beiden Fahrzeugen, sondern vielmehr eine Parallelität. Zwei unterschiedliche Benutzergruppen mit vollkommen unterschiedlichen Wünschen und Zielen. CL: Sie würden also immer den alten bzw. den selbst auseinandergebauten und dann wieder zusammengesetzten Mini bevorzugen, im Gegensatz zu dem neuen, der bereits fertig ist? AH: Nein, ich muss den Wagen nicht zwangsläufig auseinandernehmen. Lassen Sie mich ein Vorurteil aus der Welt räumen: Es heißt oft, der Mini sei ständig kaputt gewesen. Das ist völliger Unsinn. Der Mini ist ständig kaputt gewesen, weil ihn die Leute kaputtgeschraubt haben, meine Person inklusive. Das heißt, ich habe am Auto das Schrauben gelernt, weil ich mir als Student eine Werkstatt nicht leisten konnte, und ich habe dementsprechend das Auto selbst reparieren müssen oder wollen. Dieses Auto ist technisch nicht anfälliger als andere Autos. Es ist ein Klassiker, ein Produkt der 1950er Jahre, das im Jahr 2000 das Flair eines Klassikers hat und die Pflege eines Klassikers braucht. AU: Ich glaube, man hat auch mit anderen Autos Probleme bekommen. Das Interessante ist ja, dass das alles nichts ändert. Darauf kommt es ganz offensichtlich nicht an. Den alten Mini fährt man, weil man alte Autos liebt und mit dem neuen nichts anfangen kann. Den neuen Mini fährt man, weil man das Flair des alten Minis haben möchte, aber auch den technischen Standard von heute.
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Vom Mini zum Mini Alec Issigonis hat während der Suezkrise ein Auto entworfen, das nicht viele Rohstoffe verbrauchen sollte. Außerdem sollte es gut auf der Straße liegen. Die Konstruktion erlaubt sogar langbeinigen Menschen, im Innenraum Platz zu finden. Es ist innen größer als außen. Es ist aus reiner Mangelwirtschaft entstanden und zu einem Objekt geworden, mit dem Leute ein bestimmtes Lebensgefühl verbinden – und zwar nicht das des Mangels oder des Verzichts, sondern eher des Gegenteils. Die Nachkriegsjahre waren ökonomisch eine schwere Zeit in England, die bis in die 1960er Jahre reichte. Der Mini vermittelte das Lebensgefühl der Leichtigkeit und war auch ein kleiner Aufstand gegen bestimmte Konventionen. Beim neuen Mini war das Hauptproblem, zu vermeiden, dass die Liebhaber des alten Minis den neuen Mini ablehnen oder ihn als RetroAuto empfinden. Es gibt übrigens sehr viele Leute, die das neue Auto lieben und das alte nie gefahren sind. Und somit markiert der neue Mini auch ein neues Lebensgefühl. CL: Kann man auch sagen, dass mit dem Mini Britishness gekauft und gefahren wird? Es ist schließlich eins der Autos, welches man sofort mit Großbritannien identifizieren würde. Warum fahren Deutsche Mini? AU: Es ist eine Teilhabe an einem Londoner Lebensgefühl, das man ganz klar von anderen abgrenzen kann. Das Entscheidende beim BMW-Mini ist die Qualität im Vergleich zum alten Mini. Es ist ein gewisses Understatement damit verknüpft, das heißt: Man könnte fürs gleiche Geld ein größeres Auto kaufen. Dennoch entscheide ich mich für den Mini und tue nicht so, als hätte ich mehr PS oder als würde ich ein riesiges Auto fahren. AH: Ich glaube, eine Sache müssen wir noch hervorheben: Wir müssen die Frage stellen, was ist Aktion, was ist Reaktion? Es besteht ein ganz großer Unterschied zwischen den Jahren von 1960 bis 1970 und den Jahren von 2000 bis 2010. Die Aktion damals war, ein Auto zu bauen, welches eine gute Raumökonomie hat. Der Vorteil, mit dem man argumentieren konnte, war, dass man sagte: „Kauf’ dieses Auto, weil es für dich einen Gebrauchsvorteil hat.“ Parallel dazu hat der Konsument diesem Produkt, das nach vorgegebenen Mustern und mit vorgefertigten Konnotationen gekauft werden sollte, neue, persönliche Bedeutungen gegeben. So entwickelte sich eine neue Kultur. Ab Mitte der 1960er Jahre reagierte das Werk und bot von Kunden inspirierte Cooper- und Cooper-S-Versionen an. BMW hat seine Hausaufgaben sehr gut gemacht. Sie haben ein Produkt und waren sich bewusst, dass sie es sich als ehemaliger Premiumhersteller nicht mehr erlauben konnten, ein Segment nicht zu besetzen. Sie haben ein ‚Jackett‘ geschneidert, das heißt, wenn 145
Eine Podiumsdiskussion ich einen neuen Mini kaufe, bekomme ich nicht (nur) ein Auto, das eine bestimmte Fahreigenschaft besitzt, sondern ein Gefährt, das mich zu dieser oder jener Persönlichkeit macht. Durch entsprechendes Marketing, TV-Spots und Anzeigenkampagnen hat BMW den Kunden dieses Jackett hingehalten, und die Kunden konnten, einer nach dem anderen, elegant hineingleiten und denken: „Passt!“ Und das ist der Unterschied: In den 1960er Jahren wurde das Jackett vom Kunden selbst entworfen, heute wird das Jackett von BMW gemacht. AU: Daran sieht man auch den Bedeutungswandel, den die Konsumenten durchmachen. Zu den Charakteristika des Autos – mit den kleinen Rädern oder der Art und Weise, wie der Motor eingebaut wird – kommt vor allem hinzu, dass es einfach riesig Spaß gemacht hat, den Mini zu fahren. Der Mini wird von einem Vernunftobjekt zu einem Spaß- oder auch Genussobjekt umgedeutet. Inzwischen hat sich die Konsumgesellschaft ebenfalls sehr gewandelt. Hersteller gehen viel mehr auf Bedürfnisse ein, weil Konsumenten durch die größere Auswahl auf dem Markt und ihre überlegten Kaufentscheidungen mehr Macht ausüben können. AH: Ich möchte noch einen Aspekt hinzufügen: Es war für alle gesellschaftlichen Schichten in Ordnung, Mini zu fahren und in ihm gesehen zu werden. Dieses Auto war (und ist) klassenlos. Chef und Lehrling konnten gleichermaßen mit dem Mini zur Arbeit fahren. Das war der VW Käfer zu großen Teilen auch. Und das ist ein wesentlicher Gesichtspunkt, wenn man ein Produkt vermarkten möchte. Es ist wichtig, ein klassenloses Produkt zu haben und sich somit nicht um potenzielle Käufer zu bringen. CL: Wenn wir auf die sozialen Schichten zu sprechen kommen, würde ich gerne auch auf die Unterschiede zwischen Mann und Frau eingehen. Kann man in Bezug auf den Mini Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen und vielleicht auch zwischen verschiedenen Generationen? AH: Ich fange vielleicht mit der historischen Komponente an. Die erste Frau, die große Erfolge im Rallye-Rennwagensport erzielen konnte, war Pat Moss, und sie konnte 1961 viele Siege mit einem Mini einfahren. Sie war jedoch eine Ausnahmeerscheinung. Allerdings kann man anmerken, dass das Besitzen und Fahren eines Minis den weiblichen Sex-Appeal erhöht hat. CL: Aber dann stellt sich die Frage, ob Frauen wissen, dass Männer es sexy finden, wenn eine Frau im Mini aus einem Mini steigt. Oder war es so, dass Frauen sich attraktiver fühlten, weil sie ein solches Auto fuhren – ohne primär an den Mann zu denken?
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Vom Mini zum Mini AH: Da kann ich nur Vermutungen anstellen. Ich denke, Frauen haben sich nicht nur wegen ihres Sex-Appeals einen Mini gekauft, sondern die Attraktivität war vielmehr ein Nebenprodukt, die durch das Fahren eines Minis entstanden ist. Männer haben aus unterschiedlichen, auch praktischen Gründen den Mini gefahren. Aufgrund der Rollenverteilung in den 1960er Jahren sind Frauen eher zu Hause geblieben. Sie mussten eher die Einkäufe machen und der Mini war einfach eine tolle fahrbare Handtasche. Er passte überall hin, den konnte man auch mal quer in eine Parklücke stellen. Einige Männer hingegen haben ihn gefahren, weil die Standard-Ausführung ein sehr preiswertes Auto war; andere wiederum, weil sie das sportliche Potenzial schätzten. Und genau wie bei den Frauen wird auch bei den Männern die Individualität des Autos eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Es gefällt einem – mir auch –, wenn jemand sagt: „Tolles Auto!“ CL: Wie viele Frauen sind denn im Mini-Register? AH: Ich denke ca. 30 bis 35%. CL: Wie reagieren wir heute? In dem Remake des Filmklassikers The Italian Job fährt Charlize Theron einen Mini. Denken sich Männer: „Diese Frau weiß, was sie möchte. Sie fährt Mini, sie ist sexy“? AU: Es ist natürlich sehr hilfreich, wenn man aussieht wie Charlize Theron. Wenn sie Mini fährt, signalisiert sie: „Ich bin anders, ich bin nicht Durchschnitt, nicht gewöhnlich – ich bin nicht so leicht einzuschätzen.“ Sie erhält sich die Aura des Rätsels. Allgemein demonstriert man mit dem Mini, dass man ein bisschen anders ist. Das ist per se schon interessant. Ein Mini erregt immer Aufmerksamkeit, er zieht die Blicke auf sich. Hier ist auch eine erotische Komponente feststellbar. Ich glaube, dass Frauen – damals wie heute – sich im Mini sehr sexy fühlten und noch immer fühlen, weil es sich um ein Auto handelt, das eine ganz bestimmte Power hat. Das ist etwas, was mit Frauen-Autos nicht in Verbindung gebracht wird. Frauen, die Männer-Autos fahren (wie beispielsweise den Porsche 911), merken auch, dass das sexy ist. Den Wagen zu fahren, ist ein richtiges Statement, das Männer anzieht. Aber auch Männer fühlen sich sexy. Denn dadurch, dass ein Mann Mini fährt, ist er kein 08/15-Macho, sondern beweist Humor, was Frauen wiederum sehr sexy finden. Der Mini ist kein Auto für Langweiler. CL: Ich würde gern auf die Fans zu sprechen kommen. Wenn man Mini fährt, muss man sich dann spezialisieren? Wenn ja, kann es in der Mini-Gemeinde zu Spannungen kommen? AU: Das war ein großes Thema, als der neue Mini auf den Markt gekommen ist. Letztendlich hat man eine zweigleisige Kommunikationsstrategie gefahren: Man wollte sich nicht mit den Fans des 147
Eine Podiumsdiskussion klassischen Minis anlegen und baute den BMW-Mini als einen neuen Wagen auf – er wird ja auch groß geschrieben im Gegensatz zum alten Mini. Damit wollte man einen Neuanfang machen. Die zweite Idee war es, das Magazin MINI International zu gründen und über das Heft mit einer designorientierten, internationalen Zielgruppe zu kommunizieren. Das Heft erscheint auf Japanisch, Französisch, Englisch – zwischendurch auch mal auf Italienisch und Arabisch. In ihm geht es jedoch nicht vorrangig um das Auto, sondern das Heft wendet sich vornehmlich an Personen, die sich für Design und ein modernes Lebensgefühl interessieren und durch ihre Lektüre daran teilhaben wollen. Wir sind der Meinung, dass es uns gelungen ist, diese gemischte Adressatengruppe anzusprechen. AH: Die klassische Variante des Minis ist nicht nur ein Auto, sie besteht aus vielen verschiedenen Spielarten. Es gibt beispielsweise eine Fan-Gruppe, die sich speziell in den letzten Jahren entwickelt hat: Das sind Leute, die entsprechend vermögend sind, um sich ein besonderes Auto, in einem besonders hochwertigen Zustand oder auch ein besonders rares Modell höheren Alters zu erlauben. Die fahren dann Rallyes oder einfach nur durch die Natur. Andere spezialisieren sich und akkumulieren ein ungeheures Fachwissen in Bezug auf ein bestimmtes Modell oder einen bestimmten BauJahrgang. Ich könnte noch viel mehr Beispiele aufzählen, aber jede Variante hat für sich ihren Anspruch und ihre Berechtigung. CL: Ich bitte nun um Fragen oder Beiträge aus dem Publikum. FRAGE AUS DEM PLENUM: Ich würde gerne von Herrn Hohls wissen, wie lange es den alten Mini noch geben wird. Gibt es da in absehbarer Zeit ein Problem bezüglich der Ersatzteile? AH: Ja, und die Probleme sind wirtschaftlicher Natur. Wir haben heute nur noch ca. 20.000 angemeldete Fahrzeuge auf den Straßen. Das heißt, wir haben in den Jahren von 2000/2001 bis heute um die 60% an zugelassenen Fahrzeugen in Deutschland verloren. Das bedeutet bei Fahrzeugen, die nicht mehr hergestellt werden und von denen viele Kunden wegbrechen, dass sich die Preisniveaus bezüglich der Ersatzteile ändern. Von daher würde ich sagen, dass – auch aus der Sicht von jemandem, dessen Hobby zum Beruf geworden ist und der davon heute lebt – man sich neu positionieren, neue Alternativen erschließen muss. Zusätzlich muss man davon ausgehen, dass die 20.000 Autos in den kommenden Jahren noch weniger werden. Wir haben das beim VW Käfer beobachten können, und nun betrifft es auch den alten Mini. Der klassische Mini wird aus dem alltäglichen Straßenbild verschwinden. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern.
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Vom Mini zum Mini FRAGE AUS DEM PLENUM: Frau Urbauer, haben Sie vor der Veröffentlichung ihres Magazins eine Zielgruppenanalyse durchgeführt oder geprüft, welche Inhalte auf jeden Fall vertreten sein müssen? AU: Nein, es gab keine Vorabmarktforschung. Wir haben ein Konzept erarbeitet und dieses BMW vorgestellt und daraufhin grünes Licht erhalten. Jede Ausgabe beschäftigt sich mit einer anderen Stadt. Allerdings soll das Magazin kein Reiseführer sein, sondern eher die kulturelle Seite von Metropolen aufzeigen und damit sein Publikum ansprechen. Die Verantwortlichen haben sich damals für mich als Chefredakteurin entschieden, weil ich bereits für andere renommierte Lifestyle-Magazine gearbeitet habe. Wir sind bei der Konzeption des Magazins von uns ausgegangen: Was würde uns interessieren? Weil wir uns auch als die Zielgruppe verstanden haben. Das Magazin soll neue Seiten einer Stadt aufzeigen, die erstmal gar nichts mit dem Mini zu tun haben. BMW wollte ein Signal senden, bevor das Auto überhaupt in den Verkauf gegangen ist. Das Heft ist ein modernes Feuilleton für den kulturell interessierten Menschen. Der Mini ist den anderen Themen eher untergeordnet. Das Konzept wird sich zum Herbst 2009 jedoch verändern. AH: Da kommen wir zurück auf das Bild, welches ich vorhin gezeichnet habe. MINI International wurde wie das Jackett konzipiert: BMW wusste nicht, ob der Konsument den neuen Mini so annehmen würde und hat mit Hilfe des Magazins eine Identität geschaffen, die der Käufer einfach anziehen kann. Der Mini sollte zum Magazin passen und umgekehrt, der Kunde würde sich dann schon angleichen. AU: Das Heft war zunächst ein Kulturschock. Es gab wilde interne Diskussionen, weil die vorgestellte Stadt der ersten Ausgabe Antwerpen war. Wir wollten eine Stadt, die so war wie der Mini: Viel zu klein für das, was sie an Einfluss und Ausdruck hat. Antwerpen war eine kleine, aber große Stadt – genau wie der Mini. Aber wir haben an unserem Konzept festgehalten. Der Erfolg und Kritikerpreise haben uns weltweit Recht gegeben. FRAGE AUS DEM PLENUM: Welches Auto wird in Zukunft die Rolle des neuen Minis übernehmen? AH: Ich glaube, dass es keinen Nachfolger für den Mini geben wird. Für den englischen Mini hat es auch keinen Nachfolger gegeben. Jeder Fahrer ist individuell und möchte dementsprechend sein Gefährt wählen, aber die Realität sieht anders aus. Der Individualverkehr wird sich aufgrund der Wirtschaft und Globalisierung über kurz oder lang dem Massengeschmack beugen müssen, und so etwas wie den Mini wird es nicht mehr geben.
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Eine Podiumsdiskussion AU: Es besteht immer eine Notwendigkeit, kleine Autos zu planen, weil sie immer gebraucht werden. Der Mini hatte sich in über 40 Jahren nur sehr marginal verändert. Und das ist eine echte Seltenheit. FRAGE AUS DEM PLENUM: Ich würde gerne noch mal auf einen Aspekt zurückkommen. Frau Urbauer, Sie hatten ja gesagt, dass es nicht klar war, ob der BMW-Mini ein Erfolg werden würde. Aber durch die Erfahrung mit dem alten Mini und dessen Siegeszug hätte das doch klar sein müssen, oder nicht? AU: Die Qualität der Minis, die zuletzt produziert wurden, ist als sehr unzureichend und problematisch eingestuft worden. Obwohl es auch durchaus positive Entwicklungen gegeben hat, war der Mini bereits dem Untergang geweiht. Der neue Mini sollte daher mit einer Technik ausgestattet werden, die die beste ihrer Klasse ist. CL: Eine letzte Bitte: Sagen Sie in einem Satz, warum man Mini fahren sollte. AU: Weil man sich super dabei fühlt?! AH: Weil man es sich wünscht, denn nur dann sollte man es auch tun. CL: Herzlichen Dank Ihnen auf dem Podium und Ihnen im Saal für die Fragen, Antworten und anderen Beiträge!
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Du bist Retro! Über den Kult des Erinnerns STEFAN SCHLENSAG
Schaut man derzeit auf die Landschaft der Konsumkultur, ist eines sehr augenfällig: Die Frequenz und die Möglichkeiten, mit denen auf die unterschiedlichsten Diskurse der jüngsten Vergangenheit zurückgegriffen werden kann, ähneln dem Blick durch ein Kaleidoskop. Dem Konsumenten bieten sich viele bunte Versatzstücke aus den vergangenen Jahrzehnten, die zwar immer ein fragmentarisches Ganzes bilden, das allerdings je nach Haltung oder Perspektive veränderbar ist und neu zusammengesetzt werden kann. Ob nun die Wiedervereinigung von Pop-Bands wie ABBA oder Kiss; Mode und Accessoires wie der pseudo-hawaiianische TikkiKitsch der 1950er Jahre, Schlaghosen, Kordjacken oder das Palästinensertuch; die unzähligen Remakes von Filmklassikern oder die Aufbereitung politischer Geschichte wie beispielsweise die der 70er Jahre in der Bundesrepublik durch Uli Edels Film Der Baader Meinhof Komplex (2008; schicke Stiefel die Damen, authentische Bärte die Herren!) – es scheint so, als seien verschiedenste Sparten der Konsumgesellschaft damit beschäftigt, die Vergangenheit ökonomisch zu verwerten und auf diese Weise in die Gegenwart zu holen. Die hohe Dichte, mit der hier die Vergangenheit bei gleichzeitiger Verkürzung der Zyklen (es gibt bereits Partys, auf denen man die Errungenschaften der Popkultur der 90er Jahre recycelt) zitiert wird, provoziert einige Fragen über den Umgang mit der Vergangenheit: In welchem theoretischen Rahmen lassen sich diese Phänomene kulturwissenschaftlich beschreiben? Welche Bedeutungen werden hier auf unterschiedlichsten ökonomischen Stufen produziert, und auf welche Art und Weise werden sie durch die Rezipienten reproduziert? Und vor allem: Wie verhält es sich überhaupt mit der Historiographie in einer Gesellschaft, in der man vielleicht etwas vorschnell aufgrund der Vielfältigkeit der Zeichensysteme das Verschwinden der Geschichte postuliert? Bedroht ist die Geschichte
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Stefan Schlensag bedauerlicherweise als akademische Disziplin.1 Retro-Trends weisen darauf hin – so meine These –, dass die Geschichte außerhalb der Akademien lebendiger ist als jemals zuvor. Was also genau lässt sich unter dem Begriff Retro fassen und verstehen? Elizabeth Guffey definiert in ihrer Studie Retro. The Culture of Revival den Begriff und schlägt in ihrem theoretischen Ansatz vor: „Retro“ has been dismissed as a fashionable novelty and fodder for popular culture’s relentless appetite, but its most potent connotation is often overlooked: „retro“ suggests a fundamental shift in the popular relationship with the past. Beyond presenting older forms with an Indian summer of novelty, „retro“ ignores remote lore and focuses on the recent past. It ignores, for instance, the Middle Ages or classical antiquity. Half-ironic, half-longing, „retro“ considers the recent past with an unsentimental nostalgia. It is unconcerned with the sanctity of tradition or reinforcing social values; indeed, it often insinuates a form of subversion while side-stepping historical accuracy. (2006: 11)
Elizabeth Guffey trifft hier vier wichtige Aussagen: Erstens sollte das Phänomen Retro von anderen Formen des Rückgriffs auf die Vergangenheit – beispielsweise Neo-Classical Revival oder Gothic Revival – unterschieden werden. Retro-Trends orientieren sich tatsächlich stärker an der jüngeren Vergangenheit. Zumeist sind die Originale (wenn auch manche einen gewissen Seltenheitswert besitzen) und die dazugehörigen Diskurse noch relativ präsent. Sie befinden sich, bildlich gesprochen, im Keller oder auf dem Dachboden des kulturellen Gedächtnisses der Gesellschaft: Kopfhörer, Kassetten und die dazugehörenden Abspielgeräte, Trainingsjacken, obsolete Computerspiele, der Sony-Walkman und Retro-Science-Fiction aus der optimistischen Zeit des Wirtschaftswunders – all diese Dinge lassen sich verhältnismäßig einfach sammeln. Werden sie als Imitat auf dem Markt angeboten – und auch das unterscheidet Retro von anderen Formen des Revivals –, geht es zumeist nicht um eine detailgetreue Nachahmung, sondern um das stilistische Zitat. Der zweite wichtige Punkt wäre: All diesen Objekten ist eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit der Vergangenheit eigen und ihre Rezeption geschieht oftmals mit einem Augenzwinkern. Ich betrachte daher Guffeys Ansatz für meine Untersuchung zweier RetroObjekte und deren Vermarktungsstrategien als anschlussfähig: Zum einen soll es um den japanischen Daihatsu Trevis und zum anderen um das Gizeh-Zigarettenpapier aus Gummersbach gehen. Beide Objekte beziehen sich auf die jüngere Vergangenheit und stel-
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So ist z.B. die Geschichtswissenschaft an der TU Dortmund ohne wirklich nennenswerte Proteste geschlossen worden.
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Du bist Retro! len ironische Bezüge dar, die es mit historischer Sorgfalt nicht allzu genau nehmen. Den zwei weiteren Punkten, die Elizabeth Guffey anführt, soll jedoch zunächst genauer nachgespürt werden. Warum ist es nämlich zum einen so, dass Retro-Trends von der wissenschaftlichen Kritik entweder abgelehnt oder ausgeblendet wurden, wenn sich zum anderen gleichzeitig behaupten lässt, dass Retro-Trends auch immer eine neue Definition des Verhältnisses von Gegenwart und Vergangenheit ankündigen? Diese zwei Punkte erscheinen mir deshalb so wichtig, weil ihnen eine starke politische Bedeutung zukommt, die meines Erachtens in der Ambivalenz von Retro-Trends begründet liegt. Zum einen lässt sich Retro als das Sammeln von originalen Objekten der jüngeren Vergangenheit beschreiben, zum anderen bedeutet Retro aber auch ironischer Umgang mit der Geschichte, spielerisches Zitat und Imitation. Gemeinsam ist beiden Varianten, dass aus der Gegenwart heraus eine Verknüpfung mit der Vergangenheit hergestellt und auf diese Weise immer eine Aussage über das Selbstverständnis der Gesellschaft getroffen wird. Doch gerade das Imitieren mittels Ironie und Zitat legt die Vermutung nahe, dass hier Geschichte und Vergangenheit im zeitgenössischen Kontext eingeebnet werden. Dies lässt sich beispielsweise an den Produktions- und Rezeptionsweisen des neuen Minis ablesen: BMW greift gewisse Stilelemente auf (und somit einen bereits vorhandenen historischen Kontext – oder mit Roland Barthes gesprochen einen Mythos; vgl. 1964: 85-96), stattet das alte Gewand jedoch mit Technik auf dem neuesten Stand der Automobilproduktion aus. Dies scheint mir ein wichtiger Grund für die Ablehnung des Produktes in Sammlerkreisen zu sein, aber auch den Erfolg bei breiten Schichten der Gesellschaft zu erklären. Die Analyse zweier Retro-Objekte – des Daihatsu Trevis (und dessen Vermarktung) und des Zigarettenpapiers der Firma Gizeh – sollen diese Ambivalenz mit Bezug auf den theoretischen Rahmen, innerhalb dessen sich Retro beschreiben lässt, verdeutlichen.
Play it again, Sam Für die postmoderne Theorie, schreibt Elizabeth Guffey, ist Retro charakteristisch für den Übergang vom ‚authentischen‘ Zugriff auf die Vergangenheit hin zum medialisierten Trugbild (vgl. 2006: 15). Sie verweist auf Jean Baudrillard und dessen Verwendung des Begriffes in „History. A Retro Scenario“, einem Kapitel aus Simulacra and Simulation (1994). Im Anschluss an seine Kernthesen führt Baudrillard den Begriff an dieser Stelle seines Werkes ein, um einmal mehr das Verschwinden der Differenz zu verdeutlichen. Diese
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Stefan Schlensag These macht Baudrillard anhand der Analyse historischer Filme deutlich und geht dabei vor allem auf Roman Polanskis Chinatown (1974), Stanley Kubricks Barry Lyndon (1975) und Peter Bogdanovichs The Last Picture Show (1971) ein (vgl. Baudrillard 1994: 4348). Retro bedeutet Baudrillard in Anlehnung an den amerikanischen Medientheoretiker Marshall McLuhan ein mediales, oder noch genauer, kinematographisches Abbild der Vergangenheit, das aufgrund seiner übersteigerten Perfektion ein Abbild eben jener Vergangenheit darstellt, das sowohl beunruhigend als auch eigentümlich kalt wirkt.2 Im Kino wird Retro aufgrund dieser Eigenschaften zur inhaltslosen Doppelung: Take The Last Picture Show: like me, you wouldn’t have had to be sufficiently distracted to have thought it to be an original production from the 1950s: a very good film about the customs in and the atmosphere of the American small town. Just a slight suspicion: it was a little too good, more in tune, better than the others, without the psychological, moral, and sentimental blotches of the films of that era. Stupefaction when one discovers that it is a 1970s film, perfect retro, purged, pure, the hyperrealist restitution of 1950s cinema. (45)
Demzufolge ist Retro ein mediales Phänomen, das sich auf der Kinoleinwand ereignet und sich durch seine Perfektion der Abbildung auszeichnet. Retro-Filme übersteigern durch die präzisen und realitätsähnlichen medialen Möglichkeiten die ‚wirkliche‘ Vergangenheit und stellen eine zweite Vergangenheit dar, die zwar fiktiv ist, aber aufgrund ihrer Wirkung die ‚wirkliche‘ oder ‚authentische‘ Vergangenheit verdrängt und an deren Stelle tritt. Oder mit McLuhan gesprochen: Das Medium ist die Botschaft, und da das Medium lediglich unheimliche Doppelung ist, ist die Botschaft als solche leer. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist Retro folgerichtig eine Nullstelle, die die Wirklichkeit im Medienzeitalter zunehmend verdrängt. Betrachtet man Retro-Objekte von diesem letztlich medientheoretischen Standpunkt aus, geht es in der Analyse nicht um die Bedeutung der Objekte, sondern um den Verlust von Bedeutung in einer sich nur noch selbst zitierenden Gesellschaft. Dies erklärt auch den Umstand, weshalb Retro-Trends von der Forschung bisher kaum bzw. meist pejorativ beurteilt wurden. Hier möchte ich nochmals auf den neuen Mini eingehen, denn es erscheint mir problematisch, allzu achtlos den medientheoretisch gedachten Ansatz von Baudrillard auf alle Retro-Objekte zu transferie2
Mehr als bei Bogdanovich oder Polanski scheint mir das Adjektiv ‚kalt‘ bei Kubrick aus einem ganz anderen Grund sehr zutreffend, denn gerade die Präzision, Genauigkeit und Kälte, mit der der Regisseur seine Bilder entworfen hat, sind der Grund, warum er von vielen Kritikern geschätzt bzw. gemieden wird. Dies gilt keineswegs nur für Barry Lyndon.
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Du bist Retro! ren. Viele von ihnen, die die Vergangenheit lediglich ironisch zitieren wollen, zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass ihre Imitation alles andere als vollkommene Täuschung ist. Sie sind eher Mittler zwischen Geschichte und Gegenwart. So verhält es sich auch beim neuen Mini, der den klassischen Look nur andeutet und mit allerlei Technologie dem Massengeschmack anzupassen weiß. Was bei einem solchen analytischen Transfer vor allen Dingen übersehen wird, sind die Vielfältigkeit der möglichen Rezeptionsweisen und die daraus resultierenden Aussagen zum Selbstverständnis der Gesellschaft. Eine andere Perspektive auf das Phänomen Retro findet sich bei dem Historiker Raphael Samuel. Der 1996 verstorbene langjährige Herausgeber des History Workshop Journal veröffentlichte zwei Jahre vor seinem Tod Theatres of Memory. Past and Present in Contemporary Culture, in dem er sich ausgiebig mit Retro als Auftauchen der Vergangenheit in der Gegenwart beschäftigt. Die Stärke von Theatres of Memory liegt darin begründet, dass Samuel den Leser bei der Hand nimmt und auf einen Flohmarkt führt: Kunst, Musik, Fotografie, Architektur und Retro-Chic. Samuel betreibt Quellenforschung und dies oftmals im Abseitigen: Samuel nudged „retro“ down from the cinema screen and fashion catwalk, prowling instead around flea-market stands and shelter magazines, trendy gift shops and upscale diners to survey its impact. (Guffey 2006: 16-17)
Was wir bei Samuel über Retro erfahren, lenkt die Perspektive von Baudrillards Vorstellung der übersteigerten Perfektion medialer Wiederholung auf Divergenz, Unebenheiten und Vielfältigkeit. Samuel geht es um den dialektischen Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart, durch den Gesellschaften immer Aussagen über die eigene Identität treffen. Moderne Industriegesellschaften, so Samuel weiter, tun dies vor allem durch den Rückgriff auf die jüngste Vergangenheit (vgl. 1994: 139-140). Ein Schlüsselbegriff ist unofficial knowledge. Den Begriff des inoffiziellen Wissens möchte ich im Folgenden kurz erläutern, da dieser für das Denken Samuels maßgeblich ist.3 Samuel stellt die Wichtigkeit der unterschiedlichen Rezeptionsweisen von Retro-Objekten in den Vordergrund. Er folgt hier der Idee der reader-response theory aus der Literaturwissenschaft: Erst durch die unterschiedlichen Lesarten erhält der Text seine volle Be3
Raphael Samuels Denken – vor allem die Vorbehalte, mit denen er großen Theorien begegnet – ist dem Postmodernen, das im Falle von Retro hier anhand von Jean Baudrillard dargestellt wurde, diametral entgegengesetzt. Es verbindet ihn allerdings stark mit E.P. Thompson (vgl. hierzu Thompson 1980).
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Stefan Schlensag deutung. Samuel stellt so die These auf, dass geschichtliches Wissen immer im Alltag produziert wird. Welche Art von Wissen produziert wird, steht dabei weniger im Vordergrund als die Tatsache, dass erst einmal überhaupt Wissen produziert wird. Es sind oftmals Laien, die über das, was Samuel als unofficial knowledge bezeichnet, verfügen. Dieses findet er auf unzähligen Flohmärkten, Sammlerbörsen, aber auch in den Beiträgen der oral history, der Arbeit von Biographen und den Sammlungen der britischen antiquarians. Zwar wird und wurde den Sammlern von akademischen Kollegen die notwendige Objektdistanz vorgeworfen, doch wären, fragt Samuel, ohne ihre Beiträge beispielsweise die Kenntnisse zum spätelisabethanischen Zeitalter vollständig (vgl. 4)? Die Produktion von inoffiziellem Wissen ist somit ein wichtiger Teil der Dialektik von Vergangenheit und Gegenwart, durch die sich eine Gesellschaft definiert. Historiographie ist für Samuel mehr soziale und kulturelle Praxis als die Analyse einer Auswahl historischer Quellen durch Einzelne und ihre Theorie: It is, rather, a social form of knowledge; the work, in any given instance, of a thousand different hands. If this is true, the point of address in any discussion of historiography should not be the work of the individual scholar, nor yet rival schools of interpretation, but rather the ensemble of activities and practices in which ideas of history are embedded or the dialectic of past-present relations is rehearsed. From this point of view textual exegesis, of the kind practised by Hayden White in Metahistory or Stephen Bann in The Inventions of History, i.e. the close reading of a limited number of well-thumbed books, would be less germane than a study of readership, or what is called in literary criticism „reception theory“. (8)
Und hier möchte ich noch einmal zum Anfang meiner Überlegungen zum Umgang mit der jüngsten Vergangenheit zurückkehren: Wir blicken durch das Kaleidoskop und sehen die Bruchstücke der Vergangenheit. Unser Handeln und unsere Perspektive bestimmen, wie sich das Bild zusammensetzt. Die Untersuchung von Retro-Trends bedeutet, sich mit einer Vielzahl der Fragmente, möglichen Fragestellungen und Lesarten zu beschäftigen. Denn der Blick durch das Kaleidoskop zeigt uns deutlich, dass die Vergangenheit nicht verschwindet. Im Gegenteil: Retro-Trends sind ein Indiz für die Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart. Das inoffizielle Wissen, das durch die Produktion und Rezeption solcher Trends produziert wird, ist Bestandteil gesellschaftlicher Diskurse, die zu gegenwärtigen Wertvorstellungen beitragen. Dies soll nun an zwei Beispielen verdeutlicht werden.
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Du bist Retro!
Cars … Der japanische Kleinwagen Daihatsu Trevis wurde 2006 vorgestellt. Er basiert auf der Plattform des Daihatsu Cuore. Sein Name ist laut Auskunft des Herstellers in Werbeprospekten vom Trevi-Brunnen in Rom abgeleitet, was Konnotationen wie ‚klassisch‘ oder ‚zeitlos‘ beim Rezipienten hervorrufen mag. Die Bauart des Trevis greift diese Konnotationen auf und erinnert in einzelnen Teilen an den ebenfalls mittlerweile klassischen Mini der 1960er Jahre: Die Formgebung der Karosserie, die hohe Windschutzscheibe und die verchromten Einzelteile – wie z.B. die Griffe an den vier Türen sowie am Kofferraum, vor allem aber der chromähnliche Kühlergrill und die Einfassung der Scheinwerfer und Heckleuchten – wären hier zu nennen. Das Retro-Design ist keineswegs auf detailgetreue Nachbildung ausgerichtet, sondern ist spielerisches Zitat. Bis auf die Türgriffe, die für einen Aufpreis tatsächlich aus Chrom hergestellt werden, sind alle ‚Chromteile‘ lediglich Imitate, die aus Kunststoff gefertigt werden. Dies ist ganz typisch für Retro: Das oberflächliche Zitat reicht aus, um die klassischen Konnotationen zu evozieren. Man könnte hier im Sinne von Baudrillard argumentieren, dass das Imitat an die Stelle des ‚Echten‘, des ‚Authentischen‘ tritt. Doch ist es eben nicht die perfekte Doppelung, die hier die Spielweise von Retro ausmacht, sondern gerade die offensichtliche Imitation, die dann an Gewicht gewinnt, wenn die Rezeptionsweisen und Lesarten des Objektes im Kontext seiner Vermarktung in Augenschein genommen werden. Der Retro-Aspekt zieht sich nämlich durch alle Vermarktungsstrategien, die von der Firma Daihatsu um das Produkt Trevis herum aufgebaut wurden. Als Beispiel für eine Lesart des Produktes soll hier Christian Beckmann aus der Auto Bild zitiert werden. Er schreibt unter der Überschrift „Japaner im Mini-Kleid“ am 17. August 2006 Folgendes: Was für eine Zielgruppe könnte wohl ein Auto haben, das schon in der Pressemappe als „Frauenversteher im trendigen Retro-Design“ angepriesen wird? Die Antwort und damit die Marktpositionierung dürfte nicht besonders schwer fallen: Der brandneue Trevis soll vor allem das weibliche Geschlecht ansprechen und dort seine Fans finden. So sagte es auch Marketing-Leiter Rainer Koch bei der Vorstellung des Autos.
Auch weitere Ausstattungsmerkmale des Trevis sind auf eine weibliche Käuferschicht zugeschnitten. Zahlreiche Vorrichtungen für Kindersitze, Verzicht auf aufwendige Technologie (wie z.B. einen Bordcomputer), geringe Motorleistung und die damit zusammenhängende maximal zu erreichende Geschwindigkeit machen den 157
Stefan Schlensag Trevis zum idealen Stadtwagen, Zweit- und Einkaufsfahrzeug im urbanen Retro-Schick. Dieser Eindruck ist, wie das obige Zitat belegt, ja auch vom Hersteller erwünscht: Der Trevis ist ein ‚Frauenversteher‘ im Mini-Kleid. Dem Individualisierungstrend der Konsumgesellschaft folgend, hat man für die erfolgreiche Vermarktung des Trevis eine eigene Homepage angelegt (vgl. Abb. 17). Auf dieser Seite sind drei männliche Pin-up-Models dargestellt. Die unterschiedlichen Typen – Cowboy, Soldat und Baseball-Spieler – werden in einem Kontext verortet, der wiederum Retro-Elemente als verspieltes, ironisches Zitat enthält. Die Pin-ups tanzen per Mausklick zu instrumentaler SurfMusik, die Quentin Tarantino in seinen Retro-Filmen einem breiten Publikum bekannt gemacht hat. Allerdings handelt es sich – anders als bei Tarantino – nicht um die historischen Originale eines Dick Dale, der Surfaris oder Sentinals, sondern um Neueinspielungen, deren Komprimierung und Abmischung der Klangverhältnisse den Vorlieben einer an MP3-Formate gewöhnten Hörerschaft entsprechen. Der pastellfarbene Hintergrund – Rosa mit hohem Weißanteil – vermittelt eine freundliche, offene und leichte Stimmung, die abermals den Geschmack der weiblichen Kundschaft treffen soll. Eine ähnliche Farbgebung lässt sich in der Werbung oftmals bei Hygieneartikeln für Frauen (Binden oder Tampons) oder bei Konsumgütern für Kinder finden (Stichwort: Infantilisierung des Konsumenten!). Im Sinne einer postmodernen Kritik könnte man hier ein weiteres Beispiel für die sich selber zitierende Konsumgesellschaft sehen und den damit einhergehenden Verlust historischer Referenzialität beklagen. Doch blieben hier, und darin folge ich Raphael Samuel, einerseits die vielfältigen möglichen Lesarten solcher Rückgriffe auf die Vergangenheit genauso unbeachtet wie der spielerische und ironische Umgang mit dem historischen Material. Meines Erachtens liegt das subversive Potenzial von Retro in dieser Unseriosität begründet. Dies zeigt der Blick auf die historischen Quellen und deren Aneignung durch Produzenten und Konsumenten. Als Vorlage für die Pin-ups dienen die so genannten Mutoscope Cards. Es handelt sich dabei um Karten im Format 13,3 x 8,25 cm, die seit den 1940er Jahren von der International Mutoscope Reel Company in den USA veröffentlicht und vertrieben wurden. Die Motive, die für die Sammelkarten verwendet wurden, richteten sich deutlich an ein männliches Publikum. Es gab zwar auch Karten, die Autos, Sportler oder Filmstars abbildeten, doch was die Pin-upMotive betrifft, stellten diese Frauen in sexuellen Posen und Kontexten dar, die den vorhandenen Geschlechterrollen der Gesellschaft entsprachen: spärlich bekleidete Hausfrauen, Gärtnerinnen, Krankenschwestern und Soldatinnen waren an den Phantasien eines
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Du bist Retro! männlichen Publikums ausgerichtet (vgl. „Mutoscope Pin-up World“ k.D.). Abb. 17: Internetpräsenz des Daihatsu Trevis
Die Mutoscope Cards wären wohl in Vergessenheit geraten, wenn nicht in den Subkulturen seit Ende der 1970er Jahre das Interesse an den 50er und 60er Jahren gestiegen wäre. Im Zuge des Punkrocks blickte man plötzlich vermehrt auf die Geburtsjahre des Rocks und vor allem auf die Nischen, die noch nicht von der Musikindustrie erfasst worden waren: obskurer Rockabilly, US-TeenageGarage, Surf4, aber auch Filme (von Russ Meyer beispielsweise) und andere Konsumobjekte wie Pin-ups. Man huldigte einer Musik, die, ähnlich wie der Punk, einfach und eher unter- als überproduziert war. Man umgab sich mit Objekten, die das wachsende Bewusstsein für die Political Correctness subversiv unterwanderten. Dies geschah beispielsweise durch das Aufgreifen fetischisierender Bilder wie die der Mutoscope Cards und deren Aneignung als Original oder durch das Zitat. Im Falle des Zitates wurde die Darstellung häufig noch überspitzt, so dass die für Subkulturen typischen Abgrenzungsmechanismen von Massengeschmack und Mainstream deutlicher zum Vorschein traten. Als Pionier dieser Entwicklung kann die US-amerikanische Band The Cramps gesehen werden. Die Leistung der Band für die Wiederentdeckung fast schon vergessener Objekte der amerikanischen Rockkultur und ihr Einfluss auf Musikschaffende ist mit der Wirkung der Filme von Quentin Tarantino einige
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Als Beispiele wären hier die Reihen Back from the Grave (1983-1992) und Las Vegas Grind (1992-2000) auf Crypt Records zu nennen.
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Stefan Schlensag Jahre später zu vergleichen (vgl. Porter 2007).5 Inspirierten die Filmarbeiten Tarantinos die Diskurse der Popkultur weit über das eigentliche Medium des Films hinaus – beispielsweise durch die Filmmusik oder Tanz- und Kleidungsstile –, so haben auch die Cramps nicht nur ganze Divisionen von Bands an fast vergessene Musik aus der Vergangenheit herangeführt, sondern haben vor allem dabei geholfen, einen Lifestyle für Musikfans zu etablieren, der sich aus Abseitigem und Marginalien der Geschichte des Rock ’n’ Roll zusammensetzt. Die Werbung für den Daihatsu Trevis zeigt, dass die Retro-Zitate aus der Subkultur mittlerweile für den Massengeschmack aufbereitet werden. Doch sind Inhalte und Aufmachung bei der Werbung für den Trevis trotz der vielen stilistischen Aneignungen in wesentlichen Aspekten verändert: Die sexuellen Posen werden hier nicht von Frauen, sondern von spärlich bekleideten und auf Knopfdruck hin und her tanzenden Männern eingenommen. Laut Auskunft des Herstellers sind Frauen ja auch die gewünschte Zielgruppe. Vielleicht ist es die moderne kosmopolitische Frau von 25 Jahren aufwärts (berufstätig, karriereorientiert, weltoffen, unabhängig), die sich hier zu ihren Wurzeln in ökonomisch optimistischeren Zeiten – sprich: Adenauer und Wirtschaftswunder – bekennen soll? Vom Kalten Krieg mal ganz zu schweigen, wird hierbei schnell vergessen, dass dies auch Zeiten waren, in denen Homosexualität tabuisiert war und man zum Küssen besser in den Wald fuhr. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Darstellung der Körper selbst. Es handelt sich hierbei ganz dezidiert um ‚modern‘ gedachte Körper: perfekt, muskulös und durchtrainiert. Vom sleaze des Originals bzw. der Reproduktion im subkulturellen Feld ist nichts mehr zu sehen. Ähnlich wie die Imitation der instrumentalen Surfmusik sind die Körper eher repräsentativ für den Massengeschmack einer an die virulenten Medienbilder männlicher Körper gewöhnten Klientel. Retro hätte dann die Funktion der Glättung der Geschichte bei gleichzeitiger Verharmlosung gegenwärtiger gesellschaftlicher Widersprüche. Allerdings sind auch andere Lesarten möglich und vorhanden. Ein Beispiel ist die französische Internet-Seite Gay World, die unter dem Titel „Schaut euch die deutschen Schwulen an!“ nicht der ideologisch dominanten Lesart folgt, sondern subversiv im Trevis ein Sinnbild für den modernen queer Lifestyle sieht (vgl. Abb. 18). Die Ambivalenz der Lesarten ist auf die stilistische Übernahme bei gleichzeitiger Veränderung der Pin-up-Motive zurückzuführen. Es zeigt sich, dass Retro durchaus mehr als eine bloße Nullstelle
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Sammler haben der Band eine eigene Reihe unter dem Titel Born Bad. Songs The Cramps Taught Us (1986-1992) gewidmet.
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Du bist Retro! und Doppelung der Vergangenheit sein kann. Die Analyse des historischen Materials und der Vergleich mit der Nachahmung zeigt uns, auf welche unterschiedliche Art und Weise Diskurse, die zum Selbstverständnis der Gesellschaft beitragen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart oszillieren. Abb. 18: Die Internetseite Gay World
… and girls Das Prinzip der Mutoscope Cards wurde im Sommer 2007 ebenfalls von Gizeh aufgenommen (vgl. Abb. 19). Die Firma aus Gummersbach stellt Blättchen zum eigenhändigen Drehen von Zigaretten her. Gizeh fügte kleine Bilder in jede Packung Zigarettenpapier ein, die den Mutoscope-Sammelbildern nachempfunden sind. Die Pin-upMotive erschienen in jedem gelben Heftchen, in der blauen Marke Gizeh-Special und der Collectors Edition jeweils nach dem 15. Blättchen. Augenfällig ist zunächst die kräftige Farbgebung im Stil der Mutoscope Cards, die von Gizeh übernommen wurde. Gleiches gilt auf den ersten Blick für die Motivwahl. Die weiblichen Models sind in Posen abgebildet, die uns bereits von den Mutoscope Cards bekannt sind: u.a. die aufreizende Hausfrau, die sexy Krankenschwester. Ähnlich wie bei der Werbung für den Trevis hat Gizeh ebenfalls männliche Pin-up-Models verwendet: Anton, Adam, Luis und Olivier. Allerdings sind auf den insgesamt 24 Motiven 20 weibliche und lediglich vier männliche Models dargestellt. Auch in diesem Fall zeigen die Reaktionen der Konsumenten, dass Retro-Objekte dazu einladen, aktiv mit der Vergangenheit umzugehen und Gebrauchsgüter gegen die von ihnen vorgegebene Struktur zu benutzen. So ist einer offiziellen Pressemitteilung zu entnehmen: 161
Stefan Schlensag Kaum waren die Pin-ups in den Kiosken und im Handel erhältlich, bekamen die Blättchen-Produzenten ganz ungewöhnliche Post von ihren Kunden: Junge Frauen schicken per E-Mail ihre Maße, outen sich als Fans der fünfziger Jahre und bewerben sich als Pin-up-Model. Der Handel freut sich über die positive Resonanz der Stammkunden und über Nichtraucher, die vor lauter Begeisterung über die Pin-ups Blättchen kaufen. Ein Kiosk in Frankfurt meldete einen Einbruch, bei dem die Diebe einen lebensgroßen Gizehla-Aufsteller und Zigaretten, nicht aber die Kasse hatten mitgehen lassen. Weibliche Kundschaft schätzt die männlichen Modelle, Männer grübeln, warum man nur bei Anton, Adam, Luis und Olivier die Brustwarzen sehen kann, während die zwanzig weiblichen Pin-ups sich dagegen bedeckt halten. Gizehla wird als Thekenaufsteller und Pappkameradin in Lebensgröße bereits auf Ebay versteigert. („Gizehla und Adam“ 2007)
Eine mögliche Lesart der Handlungen wäre, dass es trotz der Virulenz aller möglichen Arten der Pornographie ein Erfolg versprechendes Konzept ist, wieder auf traditionelle, um nicht zu sagen konservative Darstellungen erotischer Körper zurückzugreifen. Doch ähnlich wie bei den männlichen Pin-ups, die für den Daihatsu Trevis werben, sind die dargestellten männlichen und weiblichen Körper auf dem Zigarettenpapier von Gizeh ‚modern‘ gedachte Körper. Wären die KonsumentInnen dann Fans der 1950er Jahre? Oder Fans von hybriden Bildern, die ein Gefühl der 50er Jahre vermitteln wollen, aber eigentlich Gegenwart und Geschichte mischen. Vielleicht sogar konservativ? Denn zumindest die Rollen-Klischees der dargeAbb. 19: Pin-up-Tauschbörse
stellten weiblichen Pin-ups entsprechen, da sie auf Vorlagen und erotischen Vorstellungen der 40er und 50er Jahre beruhen, dem neo-konservativen Zeitgeist, der selbst nur Zitat einer eben durch diesen Geist geglätteten Version der Geschichte ist. Waren die Pin162
Du bist Retro! up-Motive im Retro-Stil bis in die 80er Jahre hinein noch Bekenntnis zu Subkulturen wie Rockabilly, Psychobilly oder Garage, sind sie mittlerweile im Mainstream angekommen. Und das ist es auch, was Retro im Sinne der Produktion von inoffiziellem Wissen interessant macht: Vergangenheitskonstruktionen werden ständig neu verhandelt und in einen gesellschaftlichen Kontext gesetzt, an dem sich gegenwärtige Wertvorstellungen ausrichten.
Kurzschluss Du bist Retro! Auf irgendeine Weise sind wir das ganz sicherlich. Und das ist nicht schlimm. Es bedeutet keineswegs, sich so fühlen zu müssen, als sei man ein geklontes Schaf. Retro ist ein Beitrag gegen das Verschwinden der Dinge. Retro ist eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die im Alltag stattfindet. Letztlich ist es schwierig, zwischen den verschiedenen Spielformen zu unterscheiden: Wann wird Geschichte bewahrt? Wann wird Geschichte verharmlost, eingeebnet und kommerzialisiert? Wichtiger als eine genaue Grenzziehung erscheint mir die Tatsache, dass, wann immer man mit Retro-Trends konfrontiert wird, Aussagen über Diskurse der gegenwärtigen Gesellschaft gemacht werden. Die Aufgabe einer kritischen Kulturwissenschaft mit historischer Ausrichtung sollte die Herausarbeitung der resultierenden Widersprüche im Selbstverständnis einer Gesellschaft mit Bezug zur jüngsten Vergangenheit sein.
Literaturverzeichnis Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags (11957), übers. Helmut Scheffel, Frankfurt/Main: Suhrkamp. Baudrillard, Jean (1994): Simulacra and Simulation (11981), übers. Sheila Faria Glaser, Ann Arbor: The University of Michigan Press. Beckmann, Christian (2006): „Japaner im Mini-Kleid“, Auto Bild, 17. August, http://www.autobild.de/artikel/test-daihatsu-trevis_56 963.html (8. Juli 2009). Guffey, Elizabeth E. (2006): Retro. The Culture of Revival, London: Reaktion. „Mutoscope Pin-up World“ (k.D.): http://www.mutoworld.com/ home.htm (19. Januar 2009). „Gizehla und Adam lassen Sammlerherzen höher schlagen“ (2007): http://www.gizeh-online.de/content/press/presse_070718.html (10. Juli 2009). 163
Stefan Schlensag Porter, Dick (2007): The Cramps. A Short History of Rockabilly Psychosis, London: Plexus. Samuel, Raphael (1994): Theatres of Memory. Past and Present in Contemporary Culture, London: Verso. Thompson, E.P. (1980): The Poverty of Theory and Other Essays (11978), London: Merlin.
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Der Minirock und seine Folgen Eine Podiumsdiskussion Teilnehmerinnen: VIOLA HOFMANN (VH), Kultur- und Textilwissenschaftlerin an der TU Dortmund; MARIE HOLOGA (MH), Kulturwissenschaftlerin an der TU Dortmund; INA KÖHLER (IK), Chefredakteurin x-ray, Leitung Modejournalismus/Medienkommunikation an der Akademie Mode und Design Düsseldorf; GABRIELE SCHLAWIN-PISKUREK (GSP), Zeitzeugin und Mini-Fan. MH: Ich begrüße Sie ganz herzlich zur Podiumsdiskussion zum Thema Minirock und Design. Wir möchten den Bogen von der Bedeutung des Minis in den 1960er Jahren zu den heutigen Erscheinungsformen des Minirocks schlagen. Viola Hofmann hat bereits darauf aufmerksam gemacht, dass der Mini zur Materialisierung eines bestimmten Lebensgefühls beigetragen hat.1 Als erstes würde ich deshalb gern wissen: Wofür stand der Minirock bei Ihnen in den 60er Jahren, Frau Schlawin-Piskurek, haben Sie damit bestimmte Werte verbunden oder war es für Sie einfach ein beliebiges Kleidungsstück? GSP: Im Grunde beides: Einerseits war er nur ein Gegenstand unter anderen, aber andererseits auch Ausdruck von Freiheit und Individualität, der Ausdruck des Anders-als-andere-Aussehen-Wollens. Ich war auch immer eine Vertreterin des sehr kurzen Minis und wollte mich damit noch ein bisschen mehr abheben von den vielen anderen. MH: Und wie sehen Sie das aus der Retrospektive, Frau Köhler? Wofür stand der Mini in den 1960er Jahren? IK: Der Mini stand meines Erachtens für ein bestimmtes Frauenbild, das mit Elementen von Infantilisierung verbunden wurde. Das lässt sich u.a. am Typus des Models festmachen, der in den 1960ern gefragt war. Man nehme nur Twiggy: Sie war ein ganz anderer Typ Frau als wir ihn z.B. aus den 50er Jahren kennen, als eher die reife Frau um die 30 mit erkennbar mehr Hüfte und Busen 1
Vgl. den Beitrag von Viola Hofmann im vorliegenden Band.
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Eine Podiumsdiskussion dem Idealtyp entsprach. Der Minirock stand demgegenüber mehr für Jugendlichkeit und die Abgrenzung von den Erwachsenen. VH: Auf Kinderfotos aus dieser Zeit sieht man oft kurze Kleidchen mit Schürze. Das kennzeichnete die damalige Kinderkleidung, die zwar an die Erwachsenenkleidung angelehnt war, aber durch Spangenschuhe und Kniestrümpfe das Infantile betonte. Diese Elemente wurden in den 1960er Jahren in die neu entstehende Teenagermode aufgenommen. Zunächst hatte dieser Stil noch etwas Ungefährliches, er war nicht offensichtlich sexuell konnotiert. Erst später wurden dann kürzere Röcke und Kleider mit der Emanzipation der Frau in Verbindung gebracht. Daher kann man streng genommen nicht von dem Minirock sprechen – er hat sich tatsächlich vom Anfang der 60er bis in die 70er Jahre extrem gewandelt. MH: Würden Sie zustimmen, dass die 1960er Jahre eine Zeit waren, in der Modetrends schnelllebiger wurden? Könnte man sagen: Sobald der Mini von der Subkultur in den Mainstream übergegangen war, wurde er relativ bald uninteressant und man wollte sich Neuem zuwenden, wie z.B. Hosen zu tragen? GSP: Das war schon Anfang der 1970er zu bemerken. Erst kam der Mini, dann der Maxi, dazwischen gab es noch die Hot Pants, das war schon ein spürbar schneller Wandel. IK: Plötzlich kam auch ein ausgesprochen vielfältiges Angebot in die Warenhäuser. Anders als in den 1950er Jahren gab es in den 60ern ein vergleichsweise größeres Warenangebot in den Boutiquen, die den Trend zur Jugendlichkeit relativ schnell aufgriffen und eigene Abteilungen speziell für Teenager einrichteten. Möglicherweise wurden deshalb die Trends schneller aufgesogen und direkt umgesetzt. MH: Mary Quant hat einmal betont, dass der Mini in den Anfängen einem eher urbanen Lifestyle entsprach und dass man im Mini auch hinter einem Bus herlaufen konnte. IK: In Kleinstädten wurde man im Mini auch in den 1980er Jahren noch öffentlich angegafft oder Autofahrer haben gehupt. Die 80er waren eine Dekade, in der der Mini ein Revival erlebte. Er war damals immer noch auffallend – und ist es heute noch. Gehen junge Frauen heute in solchen kurzen Röcken auf die Straße? Ich höre von vielen 20-Jährigen, dass Minis ihnen – zumindest tagsüber – zu kurz sind. MELDUNG AUS DEM PLENUM: Es kommt stark darauf an, ob man eine Strumpfhose dazu trägt oder nicht. Ich trage gern Minirock. Man muss sich erst daran gewöhnen, wie die Leute darauf reagieren. Gerade in größeren Städten ist es aber kaum ein Problem.
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Der Minirock und seine Folgen IK: Das stimmt! Aber ich denke auch, dass heute der Stadt-LandKonflikt nicht mehr so groß ist, denn durch viele neue Möglichkeiten der Information kann man sich schneller mit Trends und Entwicklungen vertraut machen. GSP: In der Mode gibt es heute aber auch alles gleichzeitig: Miniröcke, halblange italienische Länge, oder auch noch längere Röcke. Das war früher einseitiger, weniger vielfältig. VH: Man muss dabei vor allem das Wirtschaftssystem in Betracht ziehen, das die Moden und ihren ständigen Wechsel antreibt. Die Textilindustrie ist die drittgrößte Schlüsselindustrie der Welt. Schon in den 1950er und 60er Jahren war zu beobachten, dass die Textilproduktion – wegen ihrer starken Bindung an die menschliche Arbeitskraft und wegen der steigenden Löhne in Europa – in andere Länder und auf andere Kontinente verlagert wurde. Parallel dazu entstanden neue Produktionsmethoden, die durch technologische Entwicklungen wie z.B. die Produktion synthetischer Fasern ermöglicht wurden. Beide Entwicklungen zusammen führten zu einem größeren und schnelleren Warenumschlag, der wiederum nur erfolgen konnte, wenn auch die Entwicklung und Abfolge von Modetrends sich vervielfachte und beschleunigte. Mittlerweile gibt es nicht mehr nur zwei Saisons im Jahr, sondern mitunter schon vier. Die großen Ketten bieten sogar Kollektionswechsel innerhalb weniger Wochen an. MH: Angeblich soll ja die Saumlänge der Röcke eine Reflektion der wirtschaftlichen Situation sein. Gibt es in den 1920er Jahren, den 60ern und den 80ern modische Parallelen zu wirtschaftlichen Rezessionen oder Booms? IK: Das ist eine Theorie, die mittlerweile überholt ist. In Zeiten, in denen die Emanzipation der Frau einen großen Sprung macht, kann man durchaus eine größere modische Freizügigkeit feststellen. In den 1960er Jahren hängt diese Entwicklung eng mit der Erfindung der Pille zusammen. In den 20er Jahren gab es auf breiter Front die Abschaffung des Korsetts. Dazu kamen die Kurzhaarschnitte der Frauen, die sich nach Jahrhunderten von ihren langen Zöpfen trennten. Bedingt durch den Tod vieler Männer im Ersten Weltkrieg, mussten Frauen in und nach dem Krieg Männerrollen übernehmen und waren deshalb als Versorgerinnen in der Gesellschaft mehr akzeptiert. Das hat sich auch in der Mode manifestiert. Es sind also eher komplexe gesellschaftliche Prozesse, die man an der Saumlänge ablesen kann, aber auch an vielen anderen Dingen. VH: Zum Beispiel an der Höhe der Absätze. Es wird gelegentlich behauptet, dass in unsicheren Zeiten die Absätze höher oder die Hüte schräger getragen werden. Auf ästhetischer Ebene kann man solche
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Eine Podiumsdiskussion Assoziationen haben, aber das lässt sich wissenschaftlich nicht nachweisen. MH: Frau Schlawin-Piskurek, haben Sie im Deutschland der 1960er Jahre den Minirock als spezifisch britisch wahrgenommen? GSP: Ja. Es war mir immer klar, dass es sich dabei um ein britisches Produkt handelte. Selbst in Kleinstädten waren Mary Quant und Twiggy sehr populär. Auch Swinging London war allen ein Begriff. VH: Hatten Sie auch den Wunsch, nach London zu fahren, um dort vor Ort einzukaufen, weil man wusste, dass es dort entsprechende Läden gab? GSP: Das war einfach zu teuer. Freundinnen von mir haben eine Sprachreise nach England gemacht. Aber sie haben sich darauf beschränkt, Kleinigkeiten mitzubringen. MH: Kleidung wurde doch oft auch selbst genäht, oder? GSP: Meine Mutter war in diesen Dingen sehr talentiert und sehr offen gegenüber neuen Trends. Sie hat unsere modischen Ideen sofort für uns Kinder umgesetzt. So hatten wir das Glück, der Mode entsprechen und unsere eigene Individualität ausleben zu können. VH: Das Schneidern oder die Fähigkeit, Kleidung ausbessern zu können, gehörte in den 1960er Jahren zur guten Ausbildung einer Hausfrau. Die meisten jüngeren Frauen heutzutage hatten sicherlich keinen Handarbeitsunterricht mehr in der Schule, während er damals zur Vorbereitung auf die Hausfrauen- und Mutterrolle diente. Darin zeigte sich ein anderer Umgang mit Kleidung, im Gegensatz zum heutigen schnellen Verbrauchen und Neukaufen. IK: Diese Entwicklung hängt mit der Omnipräsenz der großen Modefilialisten und Materialienhersteller zusammen, die jegliche Form von aktuellen Trends innerhalb weniger Wochen in die Läden bringen können. Diese Form der Verfügbarkeit von Kleidung und Trends gab es früher nicht. Also hat man ausgefallene Kleidungsstücke entweder selbst genäht oder sich nähen lassen, bis dann große Ketten wie H&M, Esprit oder Zara entstanden und diese Trends jederzeit verfügbar gemacht haben. Dieses Marktangebot bremst verständlicherweise das Selbstanfertigen von Bekleidung, denn es ist oft günstiger, sich Kleidung zu kaufen. Erst, wenn man sich mit der Produktion von Bekleidung beschäftigt hat und weiß, wie viel Mühe es macht, eine Jacke oder ein Kleid zu nähen, dann kann man wirklich hochwertige Arbeit von Billigproduktion unterscheiden. Der Durchschnittspreis und auch die Qualität von Bekleidung sind in den vergangenen Jahrzehnten durch die hohe Verfügbarkeit und günstigere Produktion beispielsweise in Asien ge168
Der Minirock und seine Folgen sunken; diese Produktionsformen haben u.a. die Haltbarkeit der Bekleidung sehr reduziert. MH: Ich würde gerne noch eine Frage stellen, bevor ich die Diskussion für das Plenum freigebe. Umfragen während der 1960er Jahre belegen, dass die Zustimmung zum Tragen des Minirocks weitaus größer war als zu Frauen in Hosen.2 Inwiefern ist der Minirock immer noch ein weibliches Kleidungsstück und möglicherweise sogar konservativer als Hosen? Und ist er vielleicht doch eher sexualisierend als befreiend? Frau Schlawin-Piskurek, haben Sie sich im Minirock stärker als Schauobjekt gefühlt? GSP: Nein, überhaupt nicht. Aber es ist richtig: Die Akzeptanz im Umfeld war sogar eher schlechter bei Hosen. An bestimmten Orten, wie z.B. in der Schule oder in der Kirche, war die Reaktion auf kurze Röcke nur teilweise negativ. VH: Der Minirock ist ein weibliches Kleidungsstück, obwohl man bestimmte Grenzen verletzen kann, was Moral und Sitte betrifft. Rock und Hose sind Zeichen für die Geschlechterdichotomie: Die Hose gehört dem Mann und der Rock gehört der Frau. Es lässt sich historisch zurückverfolgen, dass es immer wieder Auseinandersetzungen um Rock und Hose gab. Der Geschlechterkampf wird direkt über diese beiden Kleidungsstücke geführt bzw. an ihnen abgearbeitet. Z.B. hatte der damalige Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger verkündet, dass eine Frau im Plenum keine Hosen tragen dürfe. Eine Abgeordnete im Bundestag [Lenelotte von Bothmer, SPD] hat 1970 dieses Verbot unterlaufen und ist zur Sitzung in Hosen erschienen. Das war ein riesiger Skandal! Die Abgeordnete hat viele Drohbriefe, ja sogar Morddrohungen bekommen, in denen behauptet wurde, sie trete die Ehre des deutschen Volkes mit Füßen. MELDUNG AUS DEM PLENUM: Meiner Meinung nach sollte die Rolle der Kriege stärker beachtet werden. Viele Frauen trugen im Zweiten Weltkrieg Hosen und hatten deswegen in den 1950er Jahren schon keine Lust mehr dazu. Da war man froh, dass man wieder einen Rock anziehen durfte. Nach dem Ersten Weltkrieg war es ähnlich: Die 20er Jahre haben sich ja nicht aus dem Nichts entwickelt; es gab schon seit den 1890er Jahren die so genannten neuen Frauen, die Rad fuhren, weitere Röcke trugen und das Korsett abgelegt hatten. IK: Da haben Sie absolut Recht! Alle Stile und Trends entwickeln sich nicht aus dem Nichts heraus, sondern werden zunächst nur von einer kleinen Gruppe getragen.
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Vgl. den Beitrag von Cyprian Piskurek im vorliegenden Band.
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Eine Podiumsdiskussion VH: Um zwischen den beiden Standpunkten ein wenig zu vermitteln: Das Problem vieler Historiken ist es, dass nur bestimmte Höhepunkte innerhalb größerer Entwicklungen wahrgenommen werden. Dagegen wäre es wichtig, Dokumente der Alltags- und Sozialgeschichte zu berücksichtigen. Für vorhergehende Jahrhunderte ist das leider nur bedingt möglich, da man sich lediglich auf Artefakte oder Schriftquellen stützen kann. Es ist natürlich stichhaltiger, wenn man Leute direkt befragen und deren Erfahrungen wie in einem Puzzle neu zusammensetzen kann. Die Modegeschichtsforschung hat sich lange einseitig mit dem Medialen und dem, was von der Mode plakativ übrig geblieben ist, beschäftigt. MELDUNG AUS DEM PLENUM: Ich würde gern wissen, welche Rolle Jugendzeitschriften bei der Durchsetzung des Minirocks gespielt haben. IK: Es gab immer wieder Bestrebungen bei Zeitschriften, junge Generationen einzubeziehen. In den 1960er Jahren gab es auf dem Markt eine regelrechte Explosion von neuen Zeitschriften, die sich ganz explizit der Jugend annahmen. Da die Medialisierung noch nicht so weit fortgeschritten war wie heute, haben diese Zeitschriften damals eine größere Rolle gespielt. Es gab z.B. in der twen viele Themen für junge Leute; es ging nicht nur um Mode, sondern auch um Musik und Gesellschaftliches. Natürlich wurden junge Frauen auf dem Cover gezeigt, die Miniröcke trugen. Auch wenn man sich die Cover des Stern aus dieser Zeit ansieht, kann man beobachten, dass sie von Jahr zu Jahr freizügiger wurden. MELDUNG AUS DEM PLENUM: Wir haben gehört, dass der Minirock durchaus mit der Befreiung der Frau verbunden wird und auch als befreiend empfunden wurde. Wie beurteilen Sie modische Folgeerscheinungen, wie z.B. Hüfthosen oder den Bauchfrei-Trend? Würden Sie sagen, da ist irgendwann ein Punkt erreicht, wo es nicht mehr um den Ausdruck einer weiteren Befreiung geht, sondern vielleicht eher um eine Einengung? Würden Sie sagen, auch Hüfthose und bauchfrei und das Zeigen von Tattoos dienen alle noch der Befreiung des eigenen Geschlechts? VH: Diese Erscheinungen sind Fragmentierungen des Körpers, bei denen ein bestimmter Körperteil im Fokus steht. Es handelt sich um eine Art Spiel mit dem Körper, eine Inszenierung und das Ausprobieren des Körpers. Gerade Teenager neigen dazu, sehr stark zu probieren. Wie diese Form der Selbsterfahrung verstanden, be- und manchmal auch verurteilt wird, ist dann Sache des moralisch-sittlichen Diskurses, d.h. es kommt wiederum zu einer Vereinnahmung des Körpers durch andere gesellschaftliche Kreise.
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Der Minirock und seine Folgen IK: Möglicherweise geht es modethematisch gar nicht so sehr um das Thema Sexualisierung, sondern eher um Abgrenzung. Jugendliche wollen sich nach wie vor von den Erwachsenen abgrenzen. Sie finden es nicht gut, dass ihre Väter und Mütter mittlerweile die gleichen Jeans tragen wie sie selbst. Eine Hüfthose oder ein bauchfreies T-Shirt sind Mittel, um zu zeigen: Ich bin anders als meine Mutter oder mein Vater. Wie viele Möglichkeiten haben junge Menschen zwischen 12 und 20 heute noch, sich visuell gegen Erwachsene abzugrenzen? MELDUNG AUS DEM PLENUM: Man könnte ja auch wallende Gewänder tragen, die alles verhüllen! IK: Das könnte man auch! Es gab diesen Fall in Bonn. Dort sind zwei junge Frauen zum Unterricht in einer Burka erschienen, die auch das Gesicht verhüllte. Das war nicht unbedingt Ausdruck einer religiösen Überzeugung, sondern es ging darum, den Lehrer zu provozieren. Der Erfolg kam prompt: Sie wurden vom Unterricht ausgeschlossen. Es wäre spannend zu untersuchen, inwiefern die neue Prüderie, die man bei der jüngeren Generation feststellen kann, eine Form des Protests gegen unsere übersexualisierte Gesellschaft ist. Wenn man sich dieses Themas annähme, käme man möglicherweise zu dem Schluss, dass auch Verhüllung eine Art von Protest sein kann. Kostümgeschichtlich betrachtet gab es immer wieder Phasen, in denen nach Perioden von sehr großer Offenherzigkeit wieder ein stärkerer Konservativismus in der Mode aufkam. Man hat immer versucht, als neue Generation eine neue Form der Bekleidung zu finden. Vielleicht finden wir uns in 20 Jahren in einem sehr viel konservativeren Rahmen wieder, als das heute der Fall ist. MH: Vielen Dank an alle hier auf dem Podium und im Publikum für Ihr Interesse, Ihre Fragen und Antworten!
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Mini memoirs Zeitzeuginnen erinnern sich INGRID VON ROSENBERG
Im folgenden Beitrag geht es um den Minirock im privaten Milieu. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob dieses in den kulturwissenschaftlichen und modehistorischen Darstellungen als revolutionär gepriesene Kleidungsstück von den frühen Trägerinnen ebenso empfunden wurde, d.h. ob sie in der Retrospektive meinen, das Röckchen habe ihr Lebensgefühl entscheidend verändert. Die Erkenntnisfrage lautet also: Welchen Stellenwert nimmt der Minirock im Gedächtnis von Frauen meiner Generation tatsächlich ein? Um das herauszufinden, habe ich, außer meine eigenen Erinnerungen heranzuziehen, Freundinnen und Bekannte aus dem damaligen West- und Ostdeutschland sowie Frauen aus Großbritannien, bekanntlich dem Ursprungsland des Minis, schriftlich und mündlich befragt und deren Antworten ausgewertet. Die Befragung erfüllte nicht die Kriterien einer systematischen sozialwissenschaftlichen Untersuchung, sondern erfolgte vielmehr nach dem Zufallsprinzip: Wer sich von meiner Frage animiert fühlte, bemühte sich, Auskunft zu geben. Es kamen so viele Antworten zusammen, dass man wohl dennoch von relevanten Ergebnissen sprechen darf. Es ergaben sich überraschende und aufschlussreiche Übereinstimmungen. Besonders fiel auf, dass in allen Fällen die persönliche Erinnerung abwich von dem, was die kulturwissenschaftliche Forschung für gewöhnlich zum Mini sagt. Zur Bewertung dieser Diskrepanz wird das von Aleida Assmann entwickelte Modell von den vier Gedächtnisformen helfen. Es unterscheidet die subjektiven Formen des Erinnerns, nämlich das individuelle Erfahrungsgedächtnis und das kommunikative oder soziale Gedächtnis, in dem Menschen sich über gemeinsam Erlebtes austauschen, vom kollektiven Gedächtnis, über das Gruppen ihre Identität stützende Ikonen und Mythen schaffen, und vom kulturellen Gedächtnis, das epochenübergreifend, selektiv und
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Ingrid von Rosenberg mediengestützt ist.1 Während die Gedächtnisforschung sich bisher vor allem auf das kollektive und das kulturelle Gedächtnis konzentriert hat, besonders in Bezug auf ihre Bedeutung für die nationale Identität, steht in diesem Beitrag das individuelle Gedächtnis im Vordergrund. Da es aber mit dem Minirock dabei um ein Kleidungsstück geht, das auch im kollektiven und kulturellen Gedächtnis als Ikone einer Epoche eine Rolle spielt, bieten sich einige vergleichende Gedanken zu den Erinnerungsformen an, die ich am Schluss dieses Artikels zumindest streifen möchte. Über das Funktionieren des individuellen Gedächtnisses haben sich überraschend Erkenntnisse ergeben, die man als kleinen Beitrag zur Gedächtnisforschung werten könnte. Meine Ergebnisse weisen nämlich darauf hin, dass die Inhalte des Erfahrungsgedächtnisses nach ihrer Bedeutung für das Individuum offenbar hierarchisiert sind. Mode erscheint in der persönlichen Erinnerung weniger wichtig als z.B. Familienereignisse wie Heirat und Geburt, Einzelheiten der Berufsausbildung oder politische Aktivitäten. Schließlich zeigt sich, dass das Auftauchen der Mini-Mode von keiner Frau als der entscheidende Anstoß zu einer neuen, freieren Lebensform empfunden wurde, sondern eher beiläufig als ein zufällig auf dem Markt vorhandenes Ausdrucksmittel eines sich aus vielen Gründen verändernden Lebensgefühls. Meine Ausführungen sind insofern begrenzt gültig, als sie sich nicht auf Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten und jeden Alters beziehen. Ich selbst wie auch alle Befragten gehören nicht nur einer gewissen Generation, sondern auch einer bestimmten sozialen Schicht an. Wir stammen alle aus der bürgerlichen Mittelklasse und waren, als der Mini Ende der 1960er Jahre Deutschland erreichte, zwischen 15 und 30 Jahre alt. Von den gewagten Experimenten in der Modebranche und im Showbusiness waren wir ebenso weit entfernt wie von den Kleidungsgewohnheiten der jungen Frauen aus der Arbeiterklasse, die aber, so weit ich mich erinnere, nicht so sehr von den unseren abwichen, wie es z.B. heute in England der Fall ist.
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Aleida Assmann hat sich in Anlehnung an die Forschungen von Maurice Halbwachs und z.T. in Zusammenarbeit mit Jan Assmann mehrfach mit den verschiedenen Formen des Gedächtnisses auseinandergesetzt. Nützliche Begriffsdefinitionen finden sich u.a. in zwei im Internet veröffentlichten Aufsätzen (Assmann 2006 und 2008). Eine ausführliche Darstellung findet sich in Assmann (1999).
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Mini memoirs
Hierarchie der Erinnerungen Der Titel meines Aufsatzes „Mini memoirs“ ist ein Wortspiel, denn es geht nicht nur um Erinnerungen an den Minirock, sondern auch um die überraschende Erfahrung, dass viele der Erinnerungen sich als minimal entpuppten. Ich begann die Befragungen mit Neugier und Eifer und erhoffte aufregende Geschichten von plötzlichen Befreiungsgefühlen, Leichtlebigkeit und Scharen von Bewunderern, aber auch von erbitterten Auseinandersetzungen mit moralisch entrüsteten Eltern, Lehrern, Vorgesetzten oder anderen Obrigkeiten. Aber nichts dergleichen. Nur mit Mühe erinnerten sich die Frauen. Hier zwei Kostproben aus E-Mails englischer Freundinnen. Die eine schrieb: „Miniskirts – alas, no, nothing interesting. I got married in one. They were just there, I suppose. Felt a bit daring. Just like growing-up. Sorry.“ Und die andere: „Oh dear, I have to say that on the subject of miniskirts my mind is a complete blank. I liked them; I wore them; I can’t remember the first time. I am useless to your purpose. I wish I could help, but […].“ So erhielt ich immer nur kleine Bruchstücke von Erinnerungen, eben mini memoirs.2 Diese Erfahrung führte mich zu einigen allgemeinen Überlegungen zum Phänomen der Erinnerung. Es scheint so, als ob es im persönlichen Erfahrungsgedächtnis eine Hierarchie der Erinnerungen gibt und dass Mode nicht auf einem der ersten Plätze rangiert – ganz im Gegensatz zum kulturellen Gedächtnis, das sich nach Assmann vorrangig mit den „materiellen Trägern“ einer vergangenen Kultur beschäftigt (1999: 15). Der bescheidene Platz der Mode in der persönlichen Erinnerung steht in auffälligem Kontrast zu der wichtigen Bedeutung, die sie in unserem alltäglichen Gegenwartsbewusstsein einnimmt. Wie häufig und wie intensiv denken wir nicht darüber nach, was die neueste Mode ist, ob wir sie tragen können, beziehungsweise kaufen sollen, was uns steht, ob wir es uns leisten können? Wie unwichtig wird das offenbar in der Rückschau. Natürlich erinnern wir uns an besonders geliebte Stücke oder wichtige Auftritte, wie z.B. bei einem Fest oder einer Konferenz, wo wir uns in unserer Aufmachung besonders wohl oder im Gegenteil unwohl fühlten. Aber mit Mode hat das wenig zu tun; das Element der Neuheit verflüchtigt sich in der Retrospektive. Ob der 2
Bianca Lang, die als Erste dem Minirock ein ganzes (eher unterhaltsames als wissenschaftlich fundiertes) Buch gewidmet hat, ist sich dagegen ganz sicher über die wichtige Rolle des Minis im Leben ihrer Mutter, ebenso wie über die Motive der Modemacher: „Die Modemacher wollten die Frauen befreien und die Gesellschaft verändern. Meine Mutter, damals Sekretärin, wollte ihre Eltern schockieren und an einem neuen Lebensgefühl teilhaben“ (Lang/Schraml/Elster 2009: 8).
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Ingrid von Rosenberg Rock kurz oder lang war, welche Farbe er hatte und ob er der letzte Schrei war oder nicht, ist nicht entscheidend für das Gefühl, das die Erinnerung prägt. Vielmehr sind das die Reaktionen der Umwelt: bewundernde Blicke, Missachtung oder gar ein mitleidiges Lächeln. Mindestens ebenso wichtig wie die Kleidung für das erinnerte Gefühl ist dabei die körperliche und psychische Erinnerung. War ich locker, habe ich gut getanzt, souverän vorgetragen oder fühlte ich mich linkisch bzw. schüchtern? Jedenfalls war ich verblüfft, dass der Mini offenbar bei keiner meiner Gesprächspartnerinnen tiefe Spuren im Gedächtnis hinterlassen hatte, etwa eine Sternstunde markierte, in der sie schlagartig zu einem neuen Selbst gefunden hätte, angeregt von diesem neuen Kleidungsstück. Es scheint vielmehr, dass da etwas parallel lief, dass wir uns tatsächlich als Pioniergeneration in einem langsamen, aber rückblickend betrachtet, deutlichen Prozess der Veränderung gegenüber den damals älteren Frauengenerationen der Mütter und Großmütter fühlten in Richtung auf mehr eigene Lebensgestaltung und sexuelle Freiheit und dass der Mini – ebenso wie die Jeans und Dreiviertelhosen, später die Hot Pants – zufällig gerade auf dem Markt war und sich anbot, eben das auszudrücken. Ein glückliches Zusammentreffen sozusagen, das vielleicht doch nicht ganz so zufällig war, sondern dem modischen Erfindungs- und Unternehmergeist von Frauen wie Mary Quant zu danken ist, die ebenfalls zur neuen Generation gehörte und gleich das passende Kleidungsstück dazu erfand und vermarktete. Denn wie John Berger beobachtet hat, drücken Frauen ihre gesellschaftliche Präsenz – im Gegensatz zu Männern, die mit Macht- und Kraftgehabe beeindrucken wollen – unwillkürlich durch ihre Erscheinung aus: A man’s presence is dependent upon the promise of power which he embodies […]. By contrast, a woman’s presence expresses her own attitude to herself, and defines what can and cannot be done to her. Her presence is manifest in her gestures, voice, opinions, expressions, clothes, chosen surroundings, taste – indeed there is nothing she can do which does not contribute to her presence. (2008: 39-40)
Die Kulturwissenschaftlerin Jennifer Craik bestätigt seine Erkenntis: „Whereas techniques of femininity are acquired and displayed through clothes, looks and gestures, codes of masculinity are inscribed through codes of action, especially through the codes of sport and competition“ (2000: 13). Berger fasst seine Beobachtungen in einem griffigen Satz zusammen: „Men act and women appear“ (2008: 41). Und wir damals erschienen auf unseren ganz persönlichen gesellschaftlichen Bühnen, und waren sie auch noch so klein und marginal, durchaus mit Vergnügen im Mini.
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Mini memoirs Dass sich meine Gesprächspartnerinnen nur so schwach erinnerten, mag übrigens noch einen weiteren Grund haben, der mit der Klassenlage zu tun hat. Hilary Fawcett, Soziologin aus Nordengland, hat kürzlich in einem Artikel für Hard Times die Vermutung geäußert, dass die heutige notorische Freizügigkeit der Kleidung und das ungebremste Konsumverhalten junger Frauen aus der nordenglischen Arbeiterschicht eine Art Ausgleich für ihre soziale Aussichtslosigkeit ist: For young women from middle-class backgrounds who engage in the prevailing consumer culture, it is a very strong but not exclusive part of their experience. For young women without professional aspirations who live in poorer areas, the identity gained through consumption can be read as all important. (2007: 6)
Tatsächlich hatten für uns privilegierte Mittelklassemädchen in den 1960er und 70er Jahren andere Dinge Priorität als das Zur-SchauStellen unserer Beine durch den Mini: nämlich Studium, Auswahl und Anfang eines Berufswegs und auch schon Heirat und Mutterschaft. Entsprechend drängen sich auch in der Erinnerung andere Dinge als die Mode in den Vordergrund.
Einstellungen junger Frauen zum Mini Wenn ich nun die Antworten der Befragten auszuwerten beginne, dann scheinen zunächst die Einstellungen der einzelnen Frauen zum Mini, d.h. ihre Zustimmung oder Ablehnung, von Interesse. Wie reagierten sie auf das neue aufregende Kleidungsstück, das wie die Kulturwissenschaftler festgestellt haben, zugleich kindlich und sexuell aufreizend wirkte, ähnlich wie schon die Charleston-Mode der 1920er Jahre?3 Das Zitat meiner einen englischen Freundin,
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Jennifer Craik z.B. weist besonders auf die kindlichen Anklänge in Mary Quants Mode hin: „Her clothes were ‚fun‘ clothes that recreated childhood and teenage fantasies: tunics, knee-high boots, leggings, short skirts“ (2000: 81). Twiggy mit ihrer Aura von „precious innocence“ und ihrem „immature body“ gilt ihr daher als das perfekt passende Model (84). Historiker Arthur Marwick dagegen sieht den Mini vor allem als Signifikanten der sexuellen Befreiung in der permissiven Gesellschaft der 1960er Jahre: „liberation, in a very non-political sense, showed itself in the fashion, first, for mini-skirts, and then for hotpants. This sort of liberation, as many steelier feminists grumbled, might well mainly mean a picnic for men. Quite simply, as, of course, the Victorians had always known, a girl scantily dressed was a good deal easier to seduce than one more voluminously clad“ (1996: 149). Van Versendaal in einer Rückschau 40 Jahre später betont das Doppelgesicht der Mini-Mode. Einerseits stellt er fest: „Beim Mini ging es da-
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Ingrid von Rosenberg das erwähnt wurde, lässt zwei Motive, den Mini zu tragen, erkennen: „They [the miniskirts] were just there, I suppose. Felt a bit daring. Just like growing-up.“ Darin steckt ein deutlicher Hinweis, dass die Möglichkeit, alte Grenzen zu überschreiten und ein bisschen herausfordernd zu wirken, durchaus lockte. Das passt zu den Ausführungen jener professionellen Interpreten, die den Mini vor allem als Symbol der sexuellen Befreiung sehen (vgl. Marwick 1996: 149). Andererseits steckt aber auch ein Hinweis auf Konformität mit dem, was der Markt bot und was gängig war, in dem knappen Text: „They were just there.“ Dieses Motiv habe ich auch immer wieder in Gesprächen gehört. „Keine Ahnung warum, man trug sie eben, und da ich hübsche Beine hatte, zeigte ich sie gern“, sagte eine deutsche Freundin. Auch das zweite hier genannte Motiv, einen natürlichen Vorzug zur Geltung zu bringen, kam häufig vor. Was eine bewusst revolutionäre Bedeutung des Minis angeht, so wurden eher selbstironische Zweifel geäußert. So schrieb mir eine Freundin: „Dem züchtigen deutschen Mustermädchen entsprachen wir damals natürlich nicht mehr. Aber ganz so überzeugend – in ihrer Rolle, den enormen Wandel des Zeitgeists zu dokumentieren – finde ich meine Bilder der 1960er Jahre nun auch nicht.“ Tatsächlich wirkten wir wohl eher brav und verlegen trotz unserer kurzen Röcke und einer verruchten Zigarette, wie das Bild einer Freundin aus dieser Zeit beweist (vgl. Abb. 20). Jedoch bei weitem nicht alle jungen Frauen waren vom Mini begeistert. „Eine Katastrophe“, seufzte eine Freundin, die ihre Beine zu dick und hässlich fand. Sie erinnerte sich, wie sie auf einer Englandreise einen Rock brauchte und es in den Läden nur noch Minis gab. Also blieb ihr nichts übrig, als einen zu kaufen und tapfer zu tragen. Aber schnell fand sie einen Ausweg: lange Hosen. Eine weitere englische Freundin, klein, schlank, zierlich, aber ebenfalls mit kräftigen Beinen ausgestattet, stimmte dasselbe Lied an: „I hated them. But you wore them because they were fashion. I was greatly relieved when the Maxi came along.“ Übrigens gibt es eine kleine Anekdote, die Coco Chanel betrifft und in diesen Kontext passt. Sie soll gesagt haben, wer den Mini erfunden habe, müsse die Frauen hassen, denn „der hässlichste Teil eines Frauenkörpers“ seien die Knie (Chanel zitiert in Encke 2004).
rum, so kindlich wie möglich zu wirken“ (2007). Aber er registriert auch die moralische Entrüstung über die sexuelle Verlockung: „Kritiker werteten den Mini als Zeichen einer durch und durch exhibitionistischen Zivilisation“ (ibid.). Vgl. die Beiträge von Viola Hofmann und Cyprian Piskurek im vorliegenden Band.
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Abb. 20: Mustermädchen mit Mini
Wie kamen wir zu unseren Minis? Die Läden waren schnell voll mit den neuen Blickfängern. Aber viele von uns, da wir noch im Studium oder am Anfang des Berufslebens standen, hatten wenig Geld zur Verfügung. Und so wurden zunächst vorhandene lange Röcke gekürzt, was eigentlich nur gut mit schmalen Bleistiftröcken funktionierte. Das ging so lange gut, bis ganz am Ende der 1960er Jahre die so genannten Schockfarben Mode wurden; statt gedämpftem Dunkelblau gab es nun electric blue, statt bravem Dunkelrot shocking pink, tollkühn zusammengestellt mit Zitronengelb und Lila. Da musste man dann sehen, ob man sich so ein Sommergewand leisten konnte oder Stoff kaufen und selber nähen musste.
Reaktionen der Umwelt Eines der interessantesten Kapitel sind die Reaktionen der Umwelt. Da waren einmal die Mütter und Schwiegermütter, die selten begeistert waren, vielmehr oft aus einer pikanten Mischung von Besorgnis, Vorurteilen und Neid direkt oder indirekt davon abrieten, so etwas zu tragen. Meine erste Schwiegermutter sagte spitz zu mir, als sie mich zum ersten Mal im Mini sah: „Ist das nicht nur etwas für ganz junge Mädchen?“ Ich war Ende 20 und fühlte mich durchaus noch nicht alt. Eine meiner ungefähr gleichaltrigen Freundinnen hatte – hat noch immer – eine offenbar schlagfertige Schwie-
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Ingrid von Rosenberg germutter, die bei dem kühnen Anblick ihrer Schwiegertochter ausrief: „Das ist ja das reinste Gleisdreieck!“ Und die Männer? Auch von dieser Seite gab es Bremsversuche ängstlicher, besitzergreifender Partner, obwohl vermutlich der größere Teil sich an den neuen An- und Ausblicken erfreute. Ein Ehemann verbot erst seiner Frau, den Mini zu tragen, verfiel dann aber, als sie sich durchsetzte, ins Gegenteil. Nun verlangte er maximale Kürze, knapp über dem Po. Dies wiederum verweigerte seine Frau als zu anstößig und blieb bei ihrem bürgerlich akzeptablen gemäßigten Mini, der ihrem Selbstverständnis entsprach. Eine weitere Freundin, damals 18 Jahre alt, erzählte, wie der Mini zum Testfall ihrer Beziehung wurde. Ihr Verlobter verbot, den Mini zu tragen, zusammen mit Schminke und auffälligem Modeschmuck. Doch dann kam ihre Abiturfahrt nach Paris, wo überall die flottesten Minis in den Schaufenstern lockten. Entschlossen stürzte sie sich auf und in die Minis, und als sie nach Hause kam, löste sie die Verlobung. Da veränderte der Mini tatsächlich mal ein Leben und befreite von der Gefahr einer drohenden oppressiven Ehe. Dann gab es noch die meist wenig freundlichen Reaktionen der Öffentlichkeit. Eine Freundin wurde von einer älteren Dame angepöbelt: „Wegen Euch werden die kleinen Mädchen vergewaltigt!“ Dies deckt sich mit einem Generalverdacht der britischen Polizei, über den Arthur Marwick berichtet. Er referiert eine Pressemitteilung: 98 per cent of the [British] police officers agreed that perfectly normal but emotionally immature boys are sometimes goaded into criminal attacks by the sensory arousal resulting from feminine attire that offers a tantalising striptease view of intimate areas. (1998: 467)
Und eine englische Freundin, die 1967 sozusagen als Pionierin des Minis nach Berlin kam und eine aufregende Kollektion spazieren trug, berichtete, dass sie in Ostberlin von giftigen Blicken durchbohrt worden sei. Sie war Fernsehjournalistin und hatte unter anderem einen sehr berühmten alten Herren zu interviewen, einen Vertreter der Bekennenden Kirche, der unter den Nazis tapferen Widerstand geleistet hatte. Das Interview geriet zu einem diskreten Zweikampf, denn einerseits wollte sie ihn unbedingt reden lassen, andererseits aber musste sie ständig seine Hand abwehren, die sich immer wieder auf ihrem verlockenden Oberschenkel niederließ mit der deutlichen Tendenz, unter den Saum vorzudringen.
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Miniröcke in der DDR Die Reaktionen auf Miniröcke in der DDR verdienen besondere Beachtung, denn sie riefen nicht nur Empörung hervor, wie man aus dem Erlebnis meiner englischen Freundin schließen könnte und wie es einige nachträgliche Beobachter aus dem Feuilleton behaupten: In der DDR galten Ringelsocken, Kreppsohlen und Jeans wie Mini und ‚Hot Pants‘ als Symbole westlicher Unkultur. Die knappen Kleidungsstücke wurden bei DDR-Ideologen zu „Waffen im Kalten Krieg“ und verdächtigt, westliche Weltanschauung „bestehend aus Pop und Sex“ in das Arbeiter- und Bauernparadies zu exportieren. (Van Versendaal 2007)
Von einer generellen Ächtung kann jedoch keine Rede sein. Die Bilder in der Chronik der Klosterschule Roßberg bei Leipzig, die mir eine Freundin zur Verfügung stellte, beweisen ziemlich genau das Gegenteil. Auf den verschiedenen Klassenfotos und Bildern von Abiturbällen aus den 1970er Jahren ist zu sehen, dass der Mini in dieser Zeit ganz selbstverständlich getragen und offenbar von der Obrigkeit geduldet wurde. Man sieht die gleiche kuriose Mischung aus kurzem Rock und bravem Habitus wie auf Bildern aus dem Westen. Zur Anschauung möge ein Foto von der Schulfeier zum 53. Jahrestag der Oktoberrevolution 1971 dienen: Die jungen Mädchen haben problemlos die FDJ-Blusen mit dem Mini kombiniert. Abb. 21: Schulfeier zum 53. Jahrestag der Oktoberrevolution 1971
Das Foto dokumentiert einen ganz ähnlichen, wenn auch inhaltlich natürlich ganz anderen, hübschen ideologischen Widerspruch wie 181
Ingrid von Rosenberg westliche Fotos von Konfirmationen aus der Zeit: hie sozialistische Linientreue in holder Eintracht mit frivoler westlicher Mode – da christliche Frömmigkeit und die gleiche Frivolität. Auch die DEFA-Filme aus den 1970er Jahren, in denen die jungen Schauspielerinnen wie selbstverständlich Mini trugen, können als Beleg einer weitgehend stillschweigenden Akzeptanz gewertet werden. In dem Erfolgsfilm Die Legende von Paul und Paula (1973) zeigten Angelica Domröse und Heidemarie Wenzel beide ihre schönen Knie. Eine in der DDR geborene und aufgewachsene Freundin, selbst einst begeisterte Trägerin des Minis, hatte eine plausible Erklärung dafür, warum zwar lange Haare bei jungen Männern verfolgt wurden, kurze Röcke aber nicht. „Ganz einfach“, meinte sie, „die Funktionäre und Polizisten waren doch meistens Männer, und die genossen lieber stillschweigend den Anblick junger Mädchenbeine, als sich ideologiefromm zu verhalten.“ Womit sie den Finger auf den wunden Punkt der Mini-Mode legte, den Feministinnen in den 60er und 70er Jahren entdeckten und bemängelten: Diese mochte zwar von den Trägerinnen als progressiv empfunden werden, bediente aber natürlich zugleich auch Männerphantasien im Sinne der traditionellen Rollenverteilung. Die zwiespältige Einstellung zur weiblichen Emanzipation in der DDR ist hinlänglich bekannt. Frauen waren zwar in der Arbeitswelt gleichberechtigter als im Westen, doch im Privatleben galten weitgehend die alten Verhältnisse. Hausarbeit blieb Frauensache, und dass Frauen sich sexuell attraktiv herrichteten, war eine Selbstverständlichkeit, die noch weniger hinterfragt wurde als in der westlichen Gesellschaft.
Eine persönliche Modegeschichte Die Geschichte meiner eigenen Erfahrungen mit der Mode dient im Folgenden als ein Beispiel, wie sich die modische Entwicklung von den 1950er Jahren bis zu den 70ern und 80ern für die Betroffenen, sozusagen ‚von innen‘, angefühlt hat. Als ich in den 50ern ein Teenager war, gab es überhaupt keine jugendliche Mode. Wir trugen die gleichen reizlosen Sachen wie die ältere Generation, eine Fortsetzung der Mode der 30er und 40er Jahre: wadenlange, mäßig weite oder Bleistiftröcke, Blusen, Pullis oder Hemdblusenkleider, alles in gedeckten Farben. Ost und West waren kulturell noch nicht so weit auseinandergedriftet wie später, sodass wir Mädchen aus beiden Teilen Deutschlands auf den Abiturfotos von 1957 ziemlich ähnlich langweilig aussehen. Verzweifelt durchsuchte man die Kaufhäuser und Läden nach wenigstens etwas Farbe, und ich war selig, als ich immerhin einen schottisch-rot-karierten Regenmantel und ein rosa Hemdblusenkleid für den Sommer fand, natürlich immer noch wa-
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Mini memoirs denlang. Dann kamen plötzlich fülligere, weite Röcke auf, wahrscheinlich, weil die Modeindustrie gelernt hatte, steife Plastikmaterialien herzustellen, aus denen die chic englisch genannten Petticoats gefertigt wurden, die die Röcke wie einst die Krinolinen stützten. Leider fielen sie meist nach der ersten Wäsche in sich zusammen. Dazu trug man breite Gürtel, oft elastisch, die die jugendliche Taille betonten. Das war schon ein Fortschritt, zumal die Farbskala bunter wurde. Und dann, Ende der 60er kam der Mini, für mich persönlich – abgesehen von Bildern in den Medien – in erster Linie durch meine englische Journalistenfreundin Annie, von der schon die Rede war. Sie schwebte 1967 aus London in Berlin-Tempelhof ein, um einen Beitrag für die Fernsehreihe Cities of War. London, Leningrad, Berlin zu drehen, und ich arbeitete für sie als Dolmetscherin. Sie war eine Sensation mit ihren schwarzen langen Locken, aufregend kurzen Röcken und vor allem einem unvergesslichen flauschigen Stinktiermantel, braun mit weißen Flecken, der knapp bis zum Knie reichte. Natürlich habe ich mindestens die Rocklänge nachgeahmt, indem ich vorhandene Röcke kürzte, aber original Minikleider, gar einen Pelzmantel konnte ich mir nicht leisten. In der Folgezeit wurden mäßig kurze Röcke immer mehr zur Selbstverständlichkeit und Alltagskleidung, nicht nur in der Bundesrepublik und Westberlin, sondern, wie gezeigt, auch in der DDR. Im Westen reagierte die Modebranche schnell und produzierte die leicht taillierten Kleidchen und kurzen Röcke en masse in allen möglichen Preislagen, dazu die passenden Stiefel und für den Winter warme Strumpfhosen, während im Osten weiter selbst genäht oder auf Westpakete gewartet wurde. Wir dachten uns bald nicht mehr viel dabei, es sah halt flott aus, wenn die Beine gut geformt waren, und war auch bequem. Eigentlich gehörten auch die praktischen, aber raffiniert geschnittenen Schüttelfrisuren nach Vidal Sassoon zur Vervollständigung des Mini-Outfits, aber die deutschen Friseure brauchten einige Zeit, um sie zu lernen, und manche lernten sie nie, so dass sie eher vereinzelt blieben. Übrigens war der Mini nie das einzige favorisierte Kleidungsstück – Hosen, besonders Jeans in allen möglichen Materialien, waren genauso beliebt. Es dauerte ja auch gar nicht so lange, bis der Mini als modisches Leitbild abgelöst wurde, denn bekanntlich ist die Mode im Zeitalter der Postmoderne angetrieben vom ständigen Drang nach Veränderung, sei es in Form von ganz Neuem, als Pastiche älterer Moden oder als Bricolage aus allen möglichen Stilen. Auf den Mini folgte zunächst Anfang der 1970er Jahre kurz der Maxi – ich hatte einen sehr eleganten, wenn auch unpraktischen langen, schwarzen Tuchmantel (man trat besonders auf Treppen ständig drauf), am liebsten kombiniert mit einem noch längeren lila Schal. Bald folgten bis in die 80er hinein die Jahre der von den
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Ingrid von Rosenberg Hippies angeregten Mode: Wir trugen lange Haare, afghanische Zottelmäntel aus bestickten und streng riechenden Ziegenfellen, lange, lose und bunte Folklorekleider oder indische Blusen aus Cheesecloth über Jeans mit Schlag. Aber der Mini verschwand nie ganz oder wenn, dann nur für kurze Zeit. Wir trugen ihn immer wieder gern zwischen anderen Moden als Alltagsrock. Und schließlich lernten wir auch, ihn mit einer gewissen Eleganz zu tragen. Da war er weit weg von seiner vermeintlich ursprünglichen Bedeutung als Zeichen der Emanzipation und sexuellen Befreiung. Wie Malcolm Barnard in seinem Buch Fashion as Communication in Anlehnung an Derridas Theorie von der Unentscheidbarkeit eines einsamen Zeichens schrieb: „It is not the case that, always and everywhere, the miniskirt is just one thing“ (1996: 158). Die semiotische Bedeutung des Minis wechselte und wechselt immer noch in Beziehung zu anderen modischen Zeichen. Neben den Bedeutungen, die ihm die Kulturwissenschaftler für sein Anfangsstadium zugewiesen haben, nämlich als Zeichen weiblicher Befreiung oder aber – im diametralen Gegensatz dazu – als „an item that reflects a woman’s identification with, a submission to, patriarchy’s rules of sexual display“ (ibid.), ist ihm im Laufe der Zeit noch eine weitere zugewachsen. Der Minirock ist zum potenziell stets verfügbaren Objekt im bunten Archiv unendlich variier- und kombinierbarer Modeartikel der Postmoderne geworden.
Der Mini im individuellen und kulturellen Gedächtnis: Versuch eines Vergleichs Bleibt am Schluss noch einen Blick zu werfen auf die unterschiedlichen Rollen, die der Mini im individuellen sowie im kulturellen Gedächtnis spielt. Denn obwohl er, wie gezeigt, im individuellen Gedächtnis nur einen relativ bescheidenen Platz einnimmt, kommt ihm in kulturwissenschaftlichen Abhandlungen zu den 1960er Jahren eher eine prominente Stellung zu, sei es in Büchern oder visuellen Darstellungen in den Medien, z.B. in historischen Sendungen des Fernsehens, wie u.a. in der 2007 von ARTE produzierten Summer-of-Love-Reihe.4 Tatsächlich ist der kurze Rock aufgestiegen zu
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Im Rahmen der TV-Reihe wurden 1.000 Zeitzeugen nach ihren persönlichen Erinnerungen an die späten 1960er Jahre befragt, und ganz im Gegensatz zu den Ergebnissen der von mir durchgeführten Umfrage, die ausgehend vom Minirock in die Tiefe des Gedächtnisses vorzudringen suchte, erinnerte sich eine Mehrheit der Befragten direkt an die Musik, Mode und Kunst der Zeit. Persönliche und gesellschaftliche Ereignisse traten dagegen in den Hintergrund. Dies mag bereits ein Resultat der oben beschriebenen
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Mini memoirs einer der bekanntesten Ikonen der Zeit. Wie lässt sich das erklären? Dass auf dem Weg vom individuellen und kommunikativen Gedächtnis zum kulturellen eine Selektion und Verfestigung in ausgewählten Symbolen und Erzählungen stattfindet, betont Aleida Assmann immer wieder in ihren Schriften und Vorträgen. Warum aber ist gerade der Mini eine Lieblingsikone der 60er geworden? Darüber lässt sich nur spekulieren. Mir will scheinen, dass die relative Harmlosigkeit, ja, die positive Aura eines modischen Kleidungsstücks, das einen emanzipatorischen Fortschritt und zugleich ein Verwischen der Klassenschranken und der nationalen Grenzen signalisiert, die Beliebtheit des Röckchens im offiziellen Erinnern der 60er und 70er Jahre erklären könnte. Schließlich gibt es auch andere Ikonen dieser Zeit, die gesellschaftliche Brüche, Konflikte und Katastrophen symbolisieren, wie z.B. das Foto eines halbnackten vietnamesischen Jungen, der vor einer Napalm-Feuerfront flieht, Bilder von fixenden Jugendlichen, Fotos von Polizisten, die auf Demonstranten einschlagen, oder das des toten Benno Ohnesorg. In unserer Gesellschaft, die Konflikte lieber verdrängt und unstillbaren Hunger nach Konsum und Spaß hat, haben Bilder vom Mini offenbar einfach mehr Appeal. Wir erinnern die 60er lieber als eine heitere, frivole Epoche, sozusagen als eine ‚gute, alte Zeit‘, denn als eine, die genau wie die jetzige auch von Krisen, Kriegen und Konflikten geschüttelt war.
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Abbildungen Abb. 1: Church, Roy (1995): The Rise and Decline of the British Motor Industry, Cambridge: Cambridge University Press, S. 81. Abb. 2: Rose, Michael (2003): Faszination Auto. Mini Cooper, MIB, Screenshot. Abb. 3: Mode für die Fachwelt 15, Heft 8 (1965): S. 10. Abb. 4: Loschek, Ingrid (1984): Mode im 20. Jahrhundert. Eine Kulturgeschichte unserer Zeit, München: Bruckmann, S. 257. Abb. 5: Mode für die Fachwelt 15, Heft 12 (1965): S. 24. Abb. 6: Privatbesitz. Abb. 7: http://www.brisbanetimes.com.au/ffximage/2008/11/04/ mcup354_gallery__291x400_gallery__291x400.jpg (17. August 2009). Abb. 8: http://www.brisbanetimes.com.au/ffximage/2008/11/04/ mcup354_gallery__291x400_gallery__291x400.jpg (17. August 2009). Abb. 9: The Goosies (1966): „Mini Mini Rock“, Cornet. Abb. 10: http://www.youtube.com/watch?v=PTLrFi2fe8M (26. August 2009), Screenshot. Abb. 11: Newell, Mike (1994): Four Weddings and a Funeral, PolyGram, Screenshot. Abb. 12: Roach, Jay (2002): Austin Powers in Goldmember, New Line Cinema, Screenshot. Abb. 13: Grafik Heinrich Versteegen. Abb. 14: Atkinson, Rowan (2007): „Back to School, Mr. Bean“, The Mr. Bean Collection, Disk 3, Universal Pictures, Screenshot. Abb. 15: WDR 2 (2008b): „Bildergalerie. Die Mode der 60er“, http://www.wdr.de/radio/wdr2/bildergalerie/index.phtml?gal= 978&kap=1&img=7#anker (9. Januar 2009). Abb. 16: Grafik Claus-Ulrich Viol. Abb. 17: http://www.mytrevis.de (13. Januar 2009). Abb. 18: http://gayworld-yon.blogspot.com/2007/11/daihatsuvise-les-gays-allemands.html?zx=85feccb4f5155ae2 (10. Juli 2009). Abb. 19: http://www.pin-up-tausch.de (10. Juli 2009). Abb. 20: Privatbesitz. Abb. 21: Privatbesitz.
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BEITRÄGERINNEN & BEITRÄGER VIOLA HOFMANN. Wissenschaftliche Angestellte am Institut für Kunst und Materielle Kultur an der TU Dortmund mit dem Schwerpunkt Technologie, Produktion und Textilwirtschaft. Ausbildung zur Herrenschneiderin, Studium der Vergleichenden Textilwissenschaften, Geschichte und Kunstgeschichte. 2009 Doktorarbeit zum Thema Kleidung und Politik abgeschlossen. ANDREAS HOHLS. Mitbegründer des Mini-Registers von Deutschland, Inhaber der Firma Mini Mania, passionierter Mini-Rennfahrer und mehrfacher Tourenwagen-Champion. MARIE HOLOGA. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für anglistische Kulturwissenschaft an der TU Dortmund. Sie lehrt und forscht u.a. zu den Themen Scottish and Postcolonial Literature, Gender Studies und Popular Culture und arbeitet an ihrer Dissertation mit dem Arbeitstitel „Scotland the Brave? The Deconstruction of Scottish Nationalism in Contemporary Scottish Fiction“. JÜRGEN KRAMER. Professor für anglistische Kulturwissenschaft an der TU Dortmund. Forschungsgebiete British Cultural Studies, Robert Louis Stevenson und Joseph Conrad. MARTINA KREBS. Ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für anglistische Kulturwissenschaft an der TU Dortmund. 2008 Dissertation zum Thema Hotel Stories. Seit Februar 2008 Studienreferendarin am Studienseminar für Lehrämter in Düsseldorf. INA KÖHLER. Chefredakteurin x-ray, Leitung Modejournalismus/ Medienkommunikation an der Akademie Mode und Design in Düsseldorf. IRIS-AYA LAEMMERHIRT. Lehrbeauftragte in der Amerikanistik der TU Dortmund und Mitarbeiterin am Cluster of Excellence: Asia and Germany in a Global Context am Carl Jaspers Institut der Universität Heidelberg. 2008 Promotion an der Ruhr-Universität Bochum
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Beiträgerinnen & Beiträger mit der Arbeit Embracing Differences. Transnational Flows of Cultural Commodities and Images between Japan and the United States. CHRISTIAN LENZ. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für anglistische Kulturwissenschaft an der TU Dortmund. Arbeitet an seiner Dissertation zum Thema „Personalised Space and Spatial Units in Contemporary Chick and Lad Lit“. PETER OSTERRIED. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anglistik und Amerikanistik der TU Dortmund. Forschungsschwerpunkte Studien zur Metapher und D.H. Lawrence, Prosa und Lyrik des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Männerbilder und Gay Studies. ANETTE PANKRATZ. Professorin für British Cultural Studies an der Ruhr-Universität Bochum. Veröffentlichungen zur Kultur der englischen Restaurationszeit, dem zeitgenössischen Drama und britischen Medien. HANS PETERS. Professor für Sprachwissenschaft des Englischen an der TU Dortmund. Erstes Auto (1970): kein Mini, sondern ein VW 1200, Baujahr 1964. Musikalische Vorlieben: mittlerweile recht vielfältig, aber der Beat ist in der Tonträger-Sammlung noch immer zahlreich vertreten. CYPRIAN PISKUREK. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anglistik und Amerikanistik der TU Dortmund. Arbeitet an seiner Dissertation zum Thema „Representations of Football and Its Fan Cultures“. INGRID VON ROSENBERG. Professorin für British Cultural Studies (Emerita) an der TU Dresden. Ihre akademischen Publikationen umfassen Arbeiten zur Arbeiter- und Frauenliteratur, Geschlechterforschung, postkoloniale Literatur, Film und visuelle Kunst, Populärkultur. Zahlreiche Übersetzungen aus dem Englischen umfassen klassische und modernistische Texte sowie zeitgenössische Romane. GABRIELE SCHLAWIN-PISKUREK. Zeitzeugin und Mini-Fan. STEFAN SCHLENSAG. Dozent für Englische Literatur- und Kulturwissenschaft an der TU Dortmund. Forschungsschwerpunkte Literatur und Kultur des 19. Jahrhunderts, Landschaftstheorie, Filmanalyse und Subkulturen. Gegenwärtiges Projekt über die „Medway Poets“ – eine Gruppe von Malern, Musikern, Dichtern und Filmschaffenden,
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Beiträgerinnen & Beiträger die aus der Punk-Szene der 1970er Jahre in England hervorgegangen ist. ANNE URBAUER. Journalistin und Publizistin, Chefredakteurin von MINI International. HEINRICH VERSTEEGEN. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Englischen Seminar der Ruhr-Universität Bochum. Promotion 1988 mit einer Arbeit zu den Übersetzungen von James Joyces Ulysses ins Deutsche und ins Niederländische. Er lehrt auf den Gebieten Englische Literaturwissenschaft, British Cultural Studies und Fachsprachen. Forschungsinteressen Esskultur, Rechtskultur und Übersetzungswissenschaft. CLAUS-ULRICH VIOL. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der britischen Kulturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Er arbeitet zur Populärkultur, politischen Kultur und nationalen Identität und ist u.a. Ko-Autor des Studienbuches Introduction to the Study of British Culture (2007). CHRISTIAN WERTHSCHULTE. Lehrkraft für besondere Aufgaben am Englischen Seminar der Ruhr-Universität Bochum. Er schreibt für Zeitungen und Magazine. Arbeitet an seiner Dissertation zum Thema „Rezeption des Ersten Weltkriegs in der kanadischen Gegenwartskultur“.
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Kultur- und Medientheorie Erika Fischer-Lichte, Kristiane Hasselmann, Alma-Elisa Kittner (Hg.) Kampf der Künste! Kultur im Zeichen von Medienkonkurrenz und Eventstrategien März 2010, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-89942-873-5
Barbara Gronau, Alice Lagaay (Hg.) Ökonomien der Zurückhaltung Kulturelles Handeln zwischen Askese und Restriktion März 2010, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1260-8
Jürgen Hasse Unbedachtes Wohnen Lebensformen an verdeckten Rändern der Gesellschaft Juni 2009, 254 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1005-5
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3) ANZ1261.p 224715085494
Kultur- und Medientheorie Thomas Hecken Pop Geschichte eines Konzepts 1955-2009 September 2009, 568 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-89942-982-4
Christian Kassung (Hg.) Die Unordnung der Dinge Eine Wissens- und Mediengeschichte des Unfalls Juni 2009, 476 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-721-9
Karlheinz Wöhler, Andreas Pott, Vera Denzer (Hg.) Tourismusräume Zur soziokulturellen Konstruktion eines globalen Phänomens Februar 2010, ca. 330 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1194-6
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3) ANZ1261.p 224715085494
Kultur- und Medientheorie Cristian Alvarado Leyton, Philipp Erchinger (Hg.) Identität und Unterschied Zur Theorie von Kultur, Differenz und Transdifferenz
Insa Härtel Symbolische Ordnungen umschreiben Autorität, Autorschaft und Handlungsmacht
Dezember 2009, ca. 450 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1182-3
April 2009, 326 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1042-0
Moritz Csáky, Christoph Leitgeb (Hg.) Kommunikation – Gedächtnis – Raum Kulturwissenschaften nach dem »Spatial Turn« Februar 2009, 176 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-8376-1120-5
Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva, Daniel Stein (Hg.) Comics Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums August 2009, 366 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1119-9
Gunther Gebhard, Oliver Geisler, Steffen Schröter (Hg.) Von Monstern und Menschen Begegnungen der anderen Art in kulturwissenschaftlicher Perspektive Dezember 2009, 258 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1235-6
Kristiane Hasselmann Die Rituale der Freimaurer Zur Konstitution eines bürgerlichen Habitus im England des 18. Jahrhunderts Januar 2009, 376 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-803-2
Rebekka Ladewig, Annette Vowinckel (Hg.) Am Ball der Zeit Fußball als Ereignis und Faszinosum Juli 2009, 190 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1280-6
Susanne Regener Visuelle Gewalt Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts Februar 2010, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-89942-420-1
Sacha Szabo (Hg.) Kultur des Vergnügens Kirmes und Freizeitparks – Schausteller und Fahrgeschäfte. Facetten nicht-alltäglicher Orte Oktober 2009, 334 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1070-3
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ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften
Sebastian Gießmann, Ulrike Brunotte, Franz Mauelshagen, Hartmut Böhme, Christoph Wulf (Hg.)
Politische Ökologie Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2009 Oktober 2009, 158 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-1190-8 ISSN 9783-9331
ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent: Neben innovativen und qualitativ hochwertigen Ansätzen besonders jüngerer Forscher und Forscherinnen steht eine Masse oberflächlicher Antragsprosa und zeitgeistiger Wissensproduktion – zugleich ist das Werk einer ganzen Generation interdisziplinärer Pioniere noch wenig erschlossen. In dieser Situation soll die Zeitschrift für Kulturwissenschaften eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über Kultur und die Kulturwissenschaften bieten. Die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur, historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus kann so mit klugen interdisziplinären Forschungsansätzen fruchtbar über die Rolle von Geschichte und Gedächtnis, von Erneuerung und Verstetigung, von Selbststeuerung und ökonomischer Umwälzung im Bereich der Kulturproduktion und der naturwissenschaftlichen Produktion von Wissen diskutiert werden. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften lässt gerade auch jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die aktuelle fächerübergreifende Ansätze entwickeln.
Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen die Ausgaben Fremde Dinge (1/2007), Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft (2/2007), Kreativität. Eine Rückrufaktion (1/2008), Räume (2/2008), Sehnsucht nach Evidenz (1/2009) und Politische Ökologie (2/2009) vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected] www.transcript-verlag.de
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