Methodik und allgemeine Lehren des europäischen Internationalen Privatrechts 9783161524721, 9783161520747

Mit der Verabschiedung der Rom II-Verordnung ist eine neue Ära für das Internationale Privatrecht (IPR) in Europa angebr

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung: Von der Problemstellung zum Gang der Untersuchung
§ 1 Problemstellung
§ 2 Das Thema und seine Begrenzung
§ 3 Gang der Untersuchung
1. Kapitel: Grundlagen
§ 1 Europäisches Internationales Privatrecht
I. Definitionen
II. Entwicklung im Überblick
III. Fazit
§ 2 Terminologie für das europäische IPR
I. „Terminologie“ als Untersuchungsgegenstand
1) Begriff
2) Eingrenzung
II. Grundsätzliche Möglichkeiten
1) Pluralistische Lösung
2) Autonomer Ansatz
3) Stellungnahme
III. Reichweite der Sprachvereinheitlichung
IV. Folgefrage: Welche Sprache soll es sein?
V. Beispiel: Kollisionsnormstruktur
1) Nationale Methoden- und Systembegriffe
2) Gemeinsamer Inhalt der nationalen Begrifflichkeiten
3) Definition der Konzepte und Zuordnung zu Begriffen aus der Extraktsprache
VI. Fazit
§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR
I. Begriffe und Abgrenzung
1) Begriffe
a) Auslegung
aa) Begriff
bb) Stellungnahme
b) Rechtsfortbildung
aa) Begriff
bb) Stellungnahme
c) Ergebnis
2) Abgrenzung zwischen Auslegung und Lückenschließung
a) Lösungsvorschläge
b) Stellungnahme
II. Befugnis des EuGH zur Rechtsfindung
III. Grenzen der Rechtsfindung
1) Kompetenzrechtliche Grenzen
a) Vertikale kompetenzrechtliche Grenzen
aa) Souveränität der Mitgliedstaaten
(1) Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung
(2) Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip
bb) Schutz des (Unions-)Bürgers
b) Horizontale kompetenzrechtliche Grenzen
aa) Horizontale Grenzen der Auslegung
bb) Horizontale Grenzen der Lückenschließung
2) Inhaltliche Grenzen
a) Anwendbarkeit von Auslegung und Lückenschließung
b) Wortlaut und Unionsordnung
c) Sonstige inhaltliche Grenzen
3) Zeitliche Grenzen
IV. Fazit
§ 4 Auslegung des europäischen IPR
I. Ausgangspunkte
1) Das Problem der Sprachenvielfalt
2) Autonome Auslegung
a) Begriffsinhalt der autonomen Auslegung
b) Autonome Auslegung des europäischen IPR?
3) Ziel der autonomen Auslegungsmethode
a) Subjektive Auslegungstheorie
b) Objektive Auslegungstheorie
c) Gemischte Auslegungstheorien
d) „Einheitsansätze“
e) Zusammenfassung möglicher Auslegungsziele
f) Stellungnahme
g) Ergebnis
II. Die autonome Auslegung des europäischen IPR
1) Bestandsaufnahme
2) Die autonome Auslegung (interpretatio legis communis)
a) Vorprüfung (examinatio ante interpretationem)
aa) Lösungsvorschläge
(1) Grundsätzlich autonome Begriffsbestimmung
(2) Vorgriff auf die autonome Auslegungsmethodik
bb) Stellungnahme
b) Allgemein anerkannte Auslegungskriterien
aa) Grammatikalische Auslegung (interpretatio iuxta verbum)
(1) Wortlaut
(2) Wortsinn
(a) Ausgangspunkte
(aa) Intentionalismus oder Konventionalismus?
(bb) Alltags- oder Fachsprache?
(cc) Maßgeblicher Zeitpunkt?
(dd) Ergebnis
(b) Vom Wortlaut zum Wortsinn
(aa) Bestehende Bedeutung
(bb) Fehlende Bedeutung
(3) Sprachlicher Sinn
bb) Historische Auslegung (interpretatio iuxta historiam)
(1) Objektiv- und subjektiv-historische Auslegung
(2) Mittel der historischen Auslegung
(a) Historische Auslegung i. e. S.
(aa) Unionsrechtliche Vorgängernormen
(bb) Nationale Vorgängerregelungen
(b) Genetische Auslegung
(aa) Maßgeblicher Urheber
(bb) Autoritative Materialien
(3) Grenzen der historischen Auslegung
cc) Systematische Auslegung (interpretatio iuxta systema)
(1) Stellung der Vorschrift im Regelungsgefüge
(a) Stellung der Vorschrift im äußeren System
(b) Stellung der Vorschrift im inneren System
(c) Ergebnis
(2) Grundsätze der systematischen Auslegung
(a) Einheitliche Auslegung identischer Begriffe
(b) Abgrenzung zwischen Rechtsnormen
(c) „Gerechter“ Ausgleich von Zielkonflikten
(d) Enge Auslegung von Ausnahmen?
dd) Teleologische Auslegung (interpretatio iuxta mentem)
(1) Der Zweck als Auslegungsergebnis
(a) Wichtige Aspekte zur Zweckermittlung
(b) Verfahren bei unterschiedlichen Ergebnissen
(2) Der Zweck als Auslegungsmittel
(a) Allgemeine Ausformung
(b) Besondere Ausformungen
c) Kurzer Exkurs: Umstrittene Auslegungsmittel
3) Verfahren bei unterschiedlichen Auslegungsergebnissen
a) Eindeutigkeitsregel
b) Subsidiaritätsthese
c) Vorrang des subjektiven Gesetzgeberwillens
d) Vorrang der primärrechtskonformen Auslegung
e) Vorrang des Zwecks
f) Hierarchisierung nach Normtextnähe
g) Ergebnis
III. Annex: Auslegung sachrechtlichen Sekundärrechts
IV. Fazit (Überblick)
§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR
I. Begriff und Abgrenzung
II. Lückenschließungsmethode
1) Bestandsaufnahme
2) Die Lückenfüllung (completio lacunae)
a) Das Bestehen einer Regelungslücke bzw. lacuna
aa) Lückenbegriff
(1) Übertragung des innerstaatlichen Lückenbegriffs
(2) Kombination der Lückenbegriffe aus dem innerstaatlichen Recht und dem Internationalen Einheitsrecht
(3) Übertragung des Lückenbegriffs aus dem Internationalen Einheitsrecht
(4) Entwicklung eines Lückenbegriffs im Wege wertender Rechtsvergleichung
(5) Stellungnahme
bb) Feststellung einer Regelungslücke bzw. lacuna
b) Die Schließung der Regelungslücke bzw. lacuna
aa) Lückenschließungsansätze
(1) „Ein-Stufen-Modelle“
(2) „Zwei-Stufen-Modelle“
(3) Entwicklung einer Lückenschließungsmethodik durch wertende Rechtsvergleichung
(4) Stellungnahme
bb) Schließung „externer Lücken“ (completio lacunae externae)
(1) Stufe 1: Lückenschließung mittels Unionsrechts
(2) Stufe 2: Lückenschließung mittels nationalen Rechts
(a) Möglichkeiten zur Lückenschließung
(b) Stellungnahme
(3) Ergebnis
cc) Schließung „interner Lücken“ (completio lacunae internae)
(1) Stufe 1: Lückenschließung mittels Unionsrechts
(a) Rückgriff auf einzelne Wertungen
(b) Rückgriff auf eine Wertungssumme
(2) Stufe 2: Lückenschließung mittels nationalen Rechts
(3) Ergebnis
c) Die completio lacunae auf einen Blick
III. Annex: Lückenfüllung im Sekundärsachrecht
IV. Fazit
2. Kapitel: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR
§ 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR
I. Ausgangspunkte
1) Argumentationsstand (Überblick)
2) Stellungnahme
II. Sachlicher Anwendungsbereich
1) Verordnungsübergreifende Grundsätze
a) Sachlicher Anwendungsbereich
aa) „Zivil- und Handelssachen“
bb) „Schuldverhältnisse“
cc) „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“
b) Bereichsausschlüsse
aa) Verordnungsübergreifende Ausschlüsse
bb) Verordnungsspezifische Ausschlüsse
2) „Schnittstellen“ zwischen einzelnen Verordnungen
a) „Vertraglich“/„außervertraglich“
b) Sonstige Schnittstellen
III. Räumlicher Anwendungsbereich und Universalität
1) Ausgangspunkt: Kompetenzgrundlage der EU
a) Kompetenzgrundlage und räumlicher Anwendungsbereich
b) Kompetenzgrundlage und Universalität
2) Räumlicher Anwendungsbereich
3) Universalität
4) Folgerungen
IV. Zeitlicher Anwendungsbereich
1) Verordnungsübergreifende Grundsätze
a) Das Schuldverhältnis begründende Ereignis
b) Berücksichtigung von Dauerschuldverhältnissen
2) Verordnungsspezifische Grundsätze
a) Maßgeblicher Zeitpunkt bei der Rom I-VO
b) Maßgeblicher Zeitpunkt bei der Rom II-VO
3) Folgerungen
V. Fazit (Überblick)
§ 2 Geltungsbereich des europäischen IPR
I. Begriff und Abgrenzung
II. Verhältnis zum autonomen nationalen IPR
III. Verhältnis zum sonstigen unionsrechtlichen IPR
1) Verordnungsübergreifende Konkurrenzregel
a) Regelungsgehalt auf Tatbestandsseite
aa) Anforderungen an die konkurrierende Rechtsquelle
(1) „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“
(a) Primärrechtliche Regelungen
(b) Sekundärrechtliche Regelungen
(aa) Verordnungen
(bb) Richtlinien?
(cc) Richtlinien umsetzendes nationales Recht?
(dd) Ergebnis
(2) „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse in besonderen Bereichen“ bzw. „für besondere Gegenstände“
(a) „Kollisionsnormen“
(b) „Für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“
(c) „In besonderen Bereichen“ bzw. „für besondere Gegenstände“
(3) Ergebnis
bb) Anforderungen an die konkret konkurrierende Norm
(1) „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“
(2) Spezialität der konkurrierenden Regelung
(3) Ergebnis
b) Regelungsgehalt auf Rechtsfolgenseite
2) Folgerungen
IV. Verhältnis zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht
1) Allgemeine Schlussfolgerungen
2) Verordnungsübergreifende Konkurrenzregel
a) Regelungsgehalt auf Tatbestandsseite
aa) Anforderungen an die konkurrierende Rechtsquelle
(1) International vereinheitlichtes Sachrecht
(2) International vereinheitlichtes Kollisionsrecht
(a) „Internationale Übereinkommen“
(aa) „Internationale Übereinkommen“ mit Drittstaaten
(bb) Ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossene internationale „Übereinkommen“
(cc) Ergebnis
(b) „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ bzw. „Bereiche, die in dieser Verordnung geregelt sind“
(c) Spezialität?
(3) Ergebnis
bb) Anforderungen an die konkret konkurrierende Norm
(1) „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“
(2) Spezialität?
(3) Ergebnis
cc) Folgerungen
b) Regelungsgehalt auf Rechtsfolgenseite
3) Folgerungen
V. Fazit
3. Kapitel: Den Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) betreffende Fragestellungen
§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR
I. Funktionaler Oberbegriff
II. Überblick und Beitrag zu den Hauptstreitpunkten im autonomen nationalen IPR
1) Qualifikationsgegenstand
2) Qualifikationsstatut
3) Qualifikationsmethode
4) Ergebnisse im Überblick
5) „Lösungsvorschlag“
III. Qualifikation im europäischen IPR
1) Bestandsaufnahme
a) Erster „Lösungsansatz“
b) Zweiter „Lösungsansatz“
c) Dritter Lösungsansatz
d) Vierter Lösungsansatz
e) Abschließende Stellungnahme
2) Lösungsvorschlag
a) Ausgangspunkt
b) Die qualificatio in lege communi
aa) Drittstaatensachrecht als lex causae
bb) Mitgliedstaatensachrecht als lex causae
(1) Lösungsmöglichkeiten
(2) Stellungnahme
(3) Annex: Subsumtionsmethode
IV. Fazit
§ 2 Vorfragen im europäischen IPR
I. Begriff und Abgrenzung der Vorfrage
1) Begriff (praequaestio)
2) Abgrenzung der praequaestio
a) Abgrenzung auf kollisionsrechtlicher Ebene
aa) Abgrenzung zur Hauptfrage (quaestio principalis)
bb) Abgrenzung zur Teilfrage (quaestio subiecta)
b) Abgrenzung auf sachrechtlicher Ebene
aa) Abgrenzung zur Hauptfrage (quaestio principalis)
bb) Abgrenzung zur Teilfrage (quaestio subiecta)
II. Überblick und Beitrag zur Vorfragenbeantwortung im autonomen nationalen IPR
1) Vorfrage – Problem und Lösungswege
2) Bedeutung des Vorfragenproblems
3) Stellungnahme
4) Beitrag zur Vorfragenbeantwortung
a) Vorfrage und Rechtsanwendung im Kollisionsrecht
b) Vorfrage und Rechtsanwendung im Sachrecht
c) Beispiel
5) Vorfrage und Rechtsanwendung auf einen Blick
III. Vorfragen im europäischen IPR
1) Bestandsaufnahme
a) Sachrechtliche Lösungsansätze
b) Kollisionsrechtliche Lösungsansätze
c) Stellungnahme
aa) Sach- oder kollisionsrechtliche Lösung?
bb) Weitere Stellungnahme
cc) Ergebnis
2) Lösungsvorschlag
a) Grundsätzliche Anknüpfung von praequaestiones
b) Einordnung in den Rechtsanwendungsvorgang
c) Beispiel
3) Bedeutung des Vorfragenproblems
IV. Fazit
4. Kapitel: Die Anknüpfungspunkte (facta conectentia) betreffende Fragestellungen
§ 1 Überblick über die Anknüpfung im europäischen IPR
I. Vorrangige Rechtswahl
II. Objektive Anknüpfung
III. Fazit
§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR
I. Voraussetzungen für eine wirksame Rechtswahl
1) Zulässigkeit einer Rechtswahl
a) Rechtswahlausschlüsse
aa) Entgegenstehende schützenswerte Interessen
(1) Ausnahme in den Fällen des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO?
(2) Stellungnahme
bb) Ausschluss der Teilrechtswahl?
(1) Lückenfeststellung in der Rom II-VO
(2) Lückenschließung in der Rom II-VO
b) Rechtswahlbeschränkungen
aa) Zeitlich bedingte Rechtswahlbeschränkungen
(1) Feststellung des Rechtswahlzeitpunkts
(2) Persönliche Zulässigkeitsvoraussetzungen
(a) Inhalt
(b) Gegenstand der kommerziellen Tätigkeit
(c) Das außervertragliche Schuldverhältnis
(aa) Präzisierung und Verortung der Fragestellung
(bb) Stellungnahme
(3) Sachliche Zulässigkeitsvoraussetzungen
(a) Meinungsstand zum Inhalt
(b) Stellungnahme
(aa) Wortlaut
(bb) Entstehungsgeschichte
(cc) Systematik
(dd) Sinn und Zweck
(ee) Ergebnis
bb) Gegenständliche Rechtswahlbeschränkungen
(1) Materien aus dem Anwendungs- und Geltungsbereich
(2) Staatliches Recht
(3) Weitere Rechtswahlbeschränkungen
(a) Verbindungen zum gewählten Recht
(b) Geltendes Sachrecht
(c) Ergebnis
c) Ergebnisse im Überblick
2) Rechtswahlvereinbarung
a) Statut für Zustandekommen und Wirksamkeit
aa) Lückenfeststellung in der Rom II-VO
bb) Lückenschließung in der Rom II-VO
b) Besonderheiten bei der Prüfung einer Rechtswahl
c) Ergebnis
II. Folgen einer wirksamen Rechtswahl
1) Persönliche Grenzen
a) Schwächerenschutz
b) Rechte Dritter
2) Sachliche Grenzen
a) Reine Inlands- oder Binnenmarktsachverhalte
b) Eingriffsnormen und ordre public
III. Wechselwirkungen zwischen Rom I- und Rom II-VO
1) Problem und Lösungsvorschläge
a) Lösung zugunsten der Rom I-VO
b) Lösung zugunsten der Rom II-VO
c) Differenzierende Lösungen
2) Stellungnahme
IV. Fazit
§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR
I. Überblick über die Anknüpfungspunkte (facta conectentia)
1) Anknüpfungspunkte (facta conectentia) der Rom I-VO
a) Gewöhnlicher Aufenthalt
b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt
c) Sonstige Orte
d) Akzessorische Anknüpfung
e) Ausweichklausel
f) Allgemeine Auffangklausel
2) Anknüpfungspunkte (facta conectentia) der Rom II-VO
a) Orte als Anknüpfungspunkte (ohne den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt)
b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt
c) Ausweichklausel
d) Akzessorische Anknüpfung
3) Verordnungsübergreifender Vergleich
a) Ortsbezogene Anknüpfungspunkte (ohne den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt)
b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt
c) Akzessorische Anknüpfung
d) Mehrpersonenverhältnisse
aa) Unterschiede
bb) Gemeinsamkeiten
e) Ausweichklausel
f) Allgemeine Auffangklausel
II. Wechselwirkungen zwischen Rom I- und Rom II-VO
III. Fazit
5. Kapitel: Die Verweisung (conexus cum lege causae) betreffende Fragestellungen
§ 1 Grundsatz der Sachnormverweisung
§ 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung
I. Ausnahme bei gewähltem IPR?
1) Wortlaut
2) Geschichte
3) Systematik
4) Sinn und Zweck
5) Ergebnis
II. Ausnahmsweise Berücksichtigung des Kollisionsrechts über die Ausweichklausel?
III. Ausnahme bei Drittstaatensachverhalten?
IV. Fazit
§ 3 Verweisung auf Mehrrechtsstaaten
I. Regelung im europäischen Kollisionsrecht
II. Regelungslücken (lacunae) und Probleme
III. Fazit
6. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick
§ 1 Zusammenfassung
I. Terminologie
II. Auslegung und Lückenschließung im Allgemeinen
III. Auslegung im Besonderen
IV. Lückenschließung im Besonderen
V. Anwendungs- und Geltungsbereich
VI. Qualifikation und Vorfragen
VII. Subjektive und objektive Anknüpfung
VIII. Verweisung und Mehrrechtsstaaten
§ 2 Ausblick
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 284 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:

Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann

Timo Nehne

Methodik und allgemeine Lehren des europäischen Internationalen Privatrechts

Mohr Siebeck

Timo Nehne, geboren 1981; Studium der Rechtswissenschaften in Münster; 2010–2012 Mitarbeiter am Institut für Internationales Wirtschaftsrecht, Lehrstuhl für Internationales Privatrecht und Bürgerliches Recht in Münster sowie Rechtsreferendar am Landgericht Essen (Oberlandesgerichtsbezirk Hamm); 2012 Promotion; ab 2013 Mitarbeiter am Institut für internationales und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln.

D6 Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2011/2012. e-ISBN 978-3-16-152472-1 ISBN 978-3-16-152074-7 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2012  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­ tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek­ tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Meinen Eltern

Vorwort Vorwort Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2011 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Januar 2012 berücksichtigt werden. Danach konnten nur ausgewählte Entscheidungen und Beiträge einbezogen werden. Zunächst danke ich Herrn Prof. Dr. Heinrich Dörner, meinem verehrten akademischen Lehrer und Doktorvater. Er hat mich im Internationalen Privatrecht von den „Studentenschuhen“ an bis hin zum Abschluss dieser Promotion begleitet. Als ich noch studiert habe, hat er bereits das Interesse an der Wissenschaft, auch und gerade im kollisionsrechtlichen Bereich, bei mir geweckt. Nach Abschluss meines ersten Staatsexamens hat er es weiter gefördert. Durch seine Betreuung und die mir gewährte wissenschaftliche Freiheit hat er ganz wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Außerdem gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Gerald Mäsch für die Anfertigung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus danke ich den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht (Hamburg) für die Aufnahme dieses Beitrags in die Schriftenreihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“. Weiter gebührt all denjenigen mein Dank, die mich während und nach der Erstellung dieser Arbeit unterstützt haben. Insbesondere danke ich Frau Diplom-Betriebswirtin (FH) Yvonne Heidelk und Herrn Diplom-Kaufmann (FH) Carsten Müller herzlich für die aufwändige und hilfreiche Korrekturlektüre. Außerdem gilt mein Dank Frau Meike Nehne, Herrn Dr. Patrick Baker und Herrn Christian Peters, M.Ed. für die Korrektur der lateinischen termini technici sowie die anregenden Diskussionen über sie. Ganz besonders bedanke ich mich bei meinen Eltern Frau Barbara und Herrn Dr. Jörg Nehne. Sie haben mir stets liebevoll zur Seite gestanden, mich unterstützt und gefördert. Daher widme ich ihnen diese Arbeit. Münster, im November 2012

Timo Nehne

Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht

Einleitung: Von der Problemstellung zum Gang der Untersuchung ...........1 § 1 Problemstellung ..................................................................................1 § 2 Das Thema und seine Begrenzung ......................................................3 § 3 Gang der Untersuchung ......................................................................4 1. Kapitel: Grundlagen ..............................................................................7 §1 §2 §3 §4 §5

Europäisches Internationales Privatrecht ............................................7 Terminologie für das europäische IPR ..............................................11 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR .....................23 Auslegung des europäischen IPR ......................................................40 Lückenschließung im europäischen IPR ...........................................81

2. Kapitel: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR ...106 § 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR .....................................106 § 2 Geltungsbereich des europäischen IPR ...........................................139 3. Kapitel: Den Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) betreffende Fragestellungen ...................................................................170 § 1 Die Qualifikation im europäischen IPR ..........................................170 § 2 Vorfragen im europäischen IPR .....................................................197 4. Kapitel: Die Anknüpfungspunkte (facta conectentia) betreffende Fragestellungen ..................................................................229 § 1 Überblick über die Anknüpfung im europäischen IPR ....................229 § 2 Rechtswahl im europäischen IPR ...................................................231 § 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR ..................................270 5. Kapitel: Die Verweisung (conexus cum lege causae) betreffende Fragestellungen ...................................................................307 § 1 Grundsatz der Sachnormverweisung ...............................................307 § 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung ....................308 § 3 Verweisung auf Mehrrechtsstaaten .................................................316

X

Inhaltsübersicht

6. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick ..........................................319 § 1 Zusammenfassung ..........................................................................319 § 2 Ausblick .........................................................................................332 Literaturverzeichnis................................................................................341 Sachverzeichnis .....................................................................................369

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Von der Problemstellung zum Gang der Untersuchung ...........1 § 1 Problemstellung ..................................................................................1 § 2 Das Thema und seine Begrenzung ......................................................3 § 3 Gang der Untersuchung ......................................................................4 1. Kapitel: Grundlagen ..............................................................................7 § 1 Europäisches Internationales Privatrecht ............................................7 I. Definitionen .................................................................................7 II. Entwicklung im Überblick ...........................................................9 III. Fazit ...........................................................................................11 § 2 Terminologie für das europäische IPR ..............................................11 I. „Terminologie“ als Untersuchungsgegenstand ...........................12 1) Begriff ...................................................................................12 2) Eingrenzung ...........................................................................12 II. Grundsätzliche Möglichkeiten ....................................................13 1) Pluralistische Lösung .............................................................13 2) Autonomer Ansatz .................................................................13 3) Stellungnahme .......................................................................14 III. Reichweite der Sprachvereinheitlichung ....................................16 IV. Folgefrage: Welche Sprache soll es sein? ...................................17 V. Beispiel: Kollisionsnormstruktur ................................................19 1) Nationale Methoden- und Systembegriffe ..............................19 2) Gemeinsamer Inhalt der nationalen Begrifflichkeiten ............21 3) Definition der Konzepte und Zuordnung zu Begriffen aus der Extraktsprache ...........................................................21 VI. Fazit ...........................................................................................22 § 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR .....................23 I. Begriffe und Abgrenzung ...........................................................23 1) Begriffe .................................................................................24 a) Auslegung .........................................................................24 aa) Begriff ..............................................................................24 bb) Stellungnahme ..................................................................24

XII

Inhaltsverzeichnis

b) Rechtsfortbildung ..............................................................26 aa) Begriff ..............................................................................27 bb) Stellungnahme ..................................................................28 c) Ergebnis ............................................................................29 2) Abgrenzung zwischen Auslegung und Lückenschließung ......30 a) Lösungsvorschläge ............................................................30 b) Stellungnahme ...................................................................31 II. Befugnis des EuGH zur Rechtsfindung ......................................33 III. Grenzen der Rechtsfindung ........................................................33 1) Kompetenzrechtliche Grenzen ...............................................34 a) Vertikale kompetenzrechtliche Grenzen ............................34 aa) Souveränität der Mitgliedstaaten ......................................34 (1) Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ......................34 (2) Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip ................35 bb) Schutz des (Unions-)Bürgers ...........................................35 b) Horizontale kompetenzrechtliche Grenzen ........................36 aa) Horizontale Grenzen der Auslegung ................................36 bb) Horizontale Grenzen der Lückenschließung ....................36 2) Inhaltliche Grenzen ................................................................37 a) Anwendbarkeit von Auslegung und Lückenschließung .....37 b) Wortlaut und Unionsordnung ............................................38 c) Sonstige inhaltliche Grenzen .............................................38 3) Zeitliche Grenzen ..................................................................39 IV. Fazit ...........................................................................................39 § 4 Auslegung des europäischen IPR ......................................................40 I. Ausgangspunkte .........................................................................40 1) Das Problem der Sprachenvielfalt ..........................................40 2) Autonome Auslegung ............................................................41 a) Begriffsinhalt der autonomen Auslegung ..........................42 b) Autonome Auslegung des europäischen IPR? ....................43 3) Ziel der autonomen Auslegungsmethode ...............................45 a) Subjektive Auslegungstheorie ...........................................45 b) Objektive Auslegungstheorie .............................................45 c) Gemischte Auslegungstheorien .........................................45 d) „Einheitsansätze“ ..............................................................46 e) Zusammenfassung möglicher Auslegungsziele ..................47 f) Stellungnahme ...................................................................47 g) Ergebnis ............................................................................48 II. Die autonome Auslegung des europäischen IPR .........................49 1) Bestandsaufnahme .................................................................49 2) Die autonome Auslegung (interpretatio legis communis) ......50 a) Vorprüfung (examinatio ante interpretationem) ................50 aa) Lösungsvorschläge ...........................................................51

Inhaltsverzeichnis

XIII

(1) Grundsätzlich autonome Begriffsbestimmung ....................51 (2) Vorgriff auf die autonome Auslegungsmethodik ................52

bb) Stellungnahme ..................................................................52 b) Allgemein anerkannte Auslegungskriterien .......................54 aa) Grammatikalische Auslegung (interpretatio iuxta verbum) ....................................................................54 (1) Wortlaut ...................................................................55 (2) Wortsinn ...................................................................56 (a) Ausgangspunkte .....................................................56 (aa) Intentionalismus oder Konventionalismus? ............56 (bb) Alltags- oder Fachsprache? ................................57 (cc) Maßgeblicher Zeitpunkt? ...................................57 (dd) Ergebnis ........................................................58 (b) Vom Wortlaut zum Wortsinn ....................................58 (aa) Bestehende Bedeutung ......................................58 (bb) Fehlende Bedeutung .........................................59 (3) Sprachlicher Sinn ........................................................63 bb) Historische Auslegung (interpretatio iuxta historiam) ....64 (1) Objektiv- und subjektiv-historische Auslegung ..................64 (2) Mittel der historischen Auslegung ...................................64 (a) Historische Auslegung i. e. S. ...................................64 (aa) Unionsrechtliche Vorgängernormen .....................65 (bb) Nationale Vorgängerregelungen ..........................65 (b) Genetische Auslegung .............................................66 (aa) Maßgeblicher Urheber ......................................66 (bb) Autoritative Materialien ....................................66 (3) Grenzen der historischen Auslegung ................................67 cc) Systematische Auslegung (interpretatio iuxta systema) ...................................................................68 (1) Stellung der Vorschrift im Regelungsgefüge .....................68 (a) Stellung der Vorschrift im äußeren System ..................68 (b) Stellung der Vorschrift im inneren System ...................69 (c) Ergebnis ...............................................................70 (2) Grundsätze der systematischen Auslegung ........................70 (a) Einheitliche Auslegung identischer Begriffe .................70 (b) Abgrenzung zwischen Rechtsnormen ..........................71 (c) „Gerechter“ Ausgleich von Zielkonflikten ...................71 (d) Enge Auslegung von Ausnahmen? .............................71 dd) Teleologische Auslegung (interpretatio iuxta mentem) ...................................................................72 (1) Der Zweck als Auslegungsergebnis .................................72 (a) Wichtige Aspekte zur Zweckermittlung .......................72 (b) Verfahren bei unterschiedlichen Ergebnissen ................73 (2) Der Zweck als Auslegungsmittel ....................................74 (a) Allgemeine Ausformung ..........................................75 (b) Besondere Ausformungen ........................................75

XIV

Inhaltsverzeichnis

c) Kurzer Exkurs: Umstrittene Auslegungsmittel ..................76 3) Verfahren bei unterschiedlichen Auslegungsergebnissen .......76 a) Eindeutigkeitsregel ............................................................77 b) Subsidiaritätsthese .............................................................77 c) Vorrang des subjektiven Gesetzgeberwillens .....................78 d) Vorrang der primärrechtskonformen Auslegung ................78 e) Vorrang des Zwecks ..........................................................78 f) Hierarchisierung nach Normtextnähe ................................79 g) Ergebnis ............................................................................79 III. Annex: Auslegung sachrechtlichen Sekundärrechts ....................80 IV. Fazit (Überblick) ........................................................................80 § 5 Lückenschließung im europäischen IPR ...........................................81 I. Begriff und Abgrenzung .............................................................81 II. Lückenschließungsmethode ........................................................82 1) Bestandsaufnahme .................................................................82 2) Die Lückenfüllung (completio lacunae) .................................83 a) Das Bestehen einer Regelungslücke bzw. lacuna ..............83 aa) Lückenbegriff ...................................................................83 (1) Übertragung des innerstaatlichen Lückenbegriffs ...............83 (2) Kombination der Lückenbegriffe aus dem innerstaatlichen Recht und dem Internationalen Einheitsrecht ............84 (3) Übertragung des Lückenbegriffs aus dem Internationalen Einheitsrecht ..............................................................84 (4) Entwicklung eines Lückenbegriffs im Wege wertender Rechtsvergleichung .....................................................84 (5) Stellungnahme ............................................................85

bb) Feststellung einer Regelungslücke bzw. lacuna ..............89 b) Die Schließung der Regelungslücke bzw. lacuna ..............90 aa) Lückenschließungsansätze ...............................................90 (1) „Ein-Stufen-Modelle“ ..................................................90 (2) „Zwei-Stufen-Modelle“ ................................................91 (3) Entwicklung einer Lückenschließungsmethodik durch wertende Rechtsvergleichung ................................91 (4) Stellungnahme ............................................................91

bb) Schließung „externer Lücken“ (completio lacunae externae) .............................................................94 (1) Stufe 1: Lückenschließung mittels Unionsrechts ................94 (2) Stufe 2: Lückenschließung mittels nationalen Rechts ..........94 (a) Möglichkeiten zur Lückenschließung ..........................95 (b) Stellungnahme .......................................................95 (3) Ergebnis ...................................................................97 cc) Schließung „interner Lücken“ (completio lacunae internae) ..............................................................97 (1) Stufe 1: Lückenschließung mittels Unionsrechts ................98

Inhaltsverzeichnis

XV

(a) Rückgriff auf einzelne Wertungen ..............................98 (b) Rückgriff auf eine Wertungssumme ...........................99 (2) Stufe 2: Lückenschließung mittels nationalen Rechts ........100 (3) Ergebnis .................................................................101

c) Die completio lacunae auf einen Blick ............................101 III. Annex: Lückenfüllung im Sekundärsachrecht ..........................101 IV. Fazit .........................................................................................104 2. Kapitel: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR ...106 § 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR .....................................106 I. Ausgangspunkte .......................................................................106 1) Argumentationsstand (Überblick) ........................................106 2) Stellungnahme .....................................................................107 II. Sachlicher Anwendungsbereich ................................................108 1) Verordnungsübergreifende Grundsätze ................................108 a) Sachlicher Anwendungsbereich .......................................109 aa) „Zivil- und Handelssachen“ ...........................................109 bb) „Schuldverhältnisse“ ......................................................110 cc) „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ ...........115 b) Bereichsausschlüsse ........................................................120 aa) Verordnungsübergreifende Ausschlüsse ........................120 bb) Verordnungsspezifische Ausschlüsse ............................121 2) „Schnittstellen“ zwischen einzelnen Verordnungen .............123 a) „Vertraglich“/„außervertraglich“ .....................................123 b) Sonstige Schnittstellen ....................................................126 III. Räumlicher Anwendungsbereich und Universalität ..................126 1) Ausgangspunkt: Kompetenzgrundlage der EU .....................126 a) Kompetenzgrundlage und räumlicher Anwendungsbereich ........................................................127 b) Kompetenzgrundlage und Universalität ...........................128 2) Räumlicher Anwendungsbereich .........................................129 3) Universalität ........................................................................130 4) Folgerungen .........................................................................130 IV. Zeitlicher Anwendungsbereich .................................................130 1) Verordnungsübergreifende Grundsätze ................................131 a) Das Schuldverhältnis begründende Ereignis ....................131 b) Berücksichtigung von Dauerschuldverhältnissen .............133 2) Verordnungsspezifische Grundsätze ....................................134 a) Maßgeblicher Zeitpunkt bei der Rom I-VO .....................134 b) Maßgeblicher Zeitpunkt bei der Rom II-VO ....................135 3) Folgerungen .........................................................................137 V. Fazit (Überblick) ......................................................................137

XVI

Inhaltsverzeichnis

§ 2 Geltungsbereich des europäischen IPR ...........................................139 I. Begriff und Abgrenzung ...........................................................139 II. Verhältnis zum autonomen nationalen IPR ...............................139 III. Verhältnis zum sonstigen unionsrechtlichen IPR ......................140 1) Verordnungsübergreifende Konkurrenzregel .......................141 a) Regelungsgehalt auf Tatbestandsseite .............................142 aa) Anforderungen an die konkurrierende Rechtsquelle ......142 (1) „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ .........................142 (a) Primärrechtliche Regelungen ..................................143 (b) Sekundärrechtliche Regelungen ...............................145 (aa) Verordnungen ...............................................145 (bb) Richtlinien? ..................................................146 (cc) Richtlinien umsetzendes nationales Recht? ..........147 (dd) Ergebnis ......................................................150 (2) „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse in besonderen Bereichen“ bzw. „für besondere Gegenstände“ .......................................150 (a) „Kollisionsnormen“ ..............................................150 (b) „Für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ ............151 (c) „In besonderen Bereichen“ bzw. „für besondere Gegenstände“ ......................................................152 (3) Ergebnis .................................................................153

bb) Anforderungen an die konkret konkurrierende Norm ....153 (1) „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ ...................................................153 (2) Spezialität der konkurrierenden Regelung .......................154 (3) Ergebnis .................................................................154

b) Regelungsgehalt auf Rechtsfolgenseite ...........................155 2) Folgerungen .........................................................................156 IV. Verhältnis zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht ..................157 1) Allgemeine Schlussfolgerungen ...........................................157 2) Verordnungsübergreifende Konkurrenzregel .......................159 a) Regelungsgehalt auf Tatbestandsseite .............................159 aa) Anforderungen an die konkurrierende Rechtsquelle ......160 (1) International vereinheitlichtes Sachrecht ........................160 (2) International vereinheitlichtes Kollisionsrecht .................160 (a) „Internationale Übereinkommen“ .............................161 (aa) „Internationale Übereinkommen“ mit Drittstaaten ...................................................161 (bb) Ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossene internationale „Übereinkommen“ .....162 (cc) Ergebnis ......................................................162 (b) „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ bzw. „Bereiche, die in dieser Verordnung geregelt sind“ .....................................163

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XVII

(c) Spezialität? .........................................................164 (3) Ergebnis .................................................................164

bb) Anforderungen an die konkret konkurrierende Norm ....165 (1) „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ ...................................................165 (2) Spezialität? ..............................................................165 (3) Ergebnis .................................................................166

cc) Folgerungen ....................................................................166 b) Regelungsgehalt auf Rechtsfolgenseite ...........................166 3) Folgerungen .........................................................................168 V. Fazit .........................................................................................168 3. Kapitel: Den Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) betreffende Fragestellungen ..................................................................170 § 1 Die Qualifikation im europäischen IPR ..........................................170 I. Funktionaler Oberbegriff ..........................................................170 II. Überblick und Beitrag zu den Hauptstreitpunkten im autonomen nationalen IPR ..................................................172 1) Qualifikationsgegenstand .....................................................172 2) Qualifikationsstatut ..............................................................173 3) Qualifikationsmethode .........................................................178 4) Ergebnisse im Überblick ......................................................182 5) „Lösungsvorschlag“ .............................................................183 III. Qualifikation im europäischen IPR ..........................................184 1) Bestandsaufnahme ...............................................................184 a) Erster „Lösungsansatz“ ...................................................185 b) Zweiter „Lösungsansatz“ .................................................187 c) Dritter Lösungsansatz ......................................................187 d) Vierter Lösungsansatz .....................................................188 e) Abschließende Stellungnahme .........................................189 2) Lösungsvorschlag ................................................................189 a) Ausgangspunkt ................................................................189 b) Die qualificatio in lege communi .....................................190 aa) Drittstaatensachrecht als lex causae ...............................191 bb) Mitgliedstaatensachrecht als lex causae .........................192 (1) Lösungsmöglichkeiten ...............................................192 (2) Stellungnahme ..........................................................192 (3) Annex: Subsumtionsmethode .......................................193 IV. Fazit .........................................................................................194 § 2 Vorfragen im europäischen IPR .....................................................197 I. Begriff und Abgrenzung der Vorfrage ......................................197 1) Begriff (praequaestio) .........................................................197

XVIII

Inhaltsverzeichnis

2) Abgrenzung der praequaestio ..............................................199 a) Abgrenzung auf kollisionsrechtlicher Ebene ...................199 aa) Abgrenzung zur Hauptfrage (quaestio principalis) .......199 bb) Abgrenzung zur Teilfrage (quaestio subiecta) ...............200 b) Abgrenzung auf sachrechtlicher Ebene ............................201 aa) Abgrenzung zur Hauptfrage (quaestio principalis) .......201 bb) Abgrenzung zur Teilfrage (quaestio subiecta) ...............202 II. Überblick und Beitrag zur Vorfragenbeantwortung im autonomen nationalen IPR ..................................................203 1) Vorfrage – Problem und Lösungswege ................................203 2) Bedeutung des Vorfragenproblems ......................................205 3) Stellungnahme .....................................................................205 4) Beitrag zur Vorfragenbeantwortung .....................................207 a) Vorfrage und Rechtsanwendung im Kollisionsrecht ........208 b) Vorfrage und Rechtsanwendung im Sachrecht ................209 c) Beispiel ...........................................................................210 5) Vorfrage und Rechtsanwendung auf einen Blick .................211 III. Vorfragen im europäischen IPR ...............................................213 1) Bestandsaufnahme ...............................................................213 a) Sachrechtliche Lösungsansätze ........................................213 b) Kollisionsrechtliche Lösungsansätze ...............................213 c) Stellungnahme .................................................................214 aa) Sach- oder kollisionsrechtliche Lösung? ........................215 bb) Weitere Stellungnahme ..................................................216 cc) Ergebnis ..........................................................................222 2) Lösungsvorschlag ................................................................222 a) Grundsätzliche Anknüpfung von praequaestiones ...........222 b) Einordnung in den Rechtsanwendungsvorgang ................223 c) Beispiel ...........................................................................224 3) Bedeutung des Vorfragenproblems ......................................225 IV. Fazit .........................................................................................226 4. Kapitel: Die Anknüpfungspunkte (facta conectentia) betreffende Fragestellungen ..................................................................229 § 1 Überblick über die Anknüpfung im europäischen IPR ....................229 I. Vorrangige Rechtswahl ............................................................229 II. Objektive Anknüpfung .............................................................230 III. Fazit .........................................................................................231 § 2 Rechtswahl im europäischen IPR ...................................................231 I. Voraussetzungen für eine wirksame Rechtswahl ......................231 1) Zulässigkeit einer Rechtswahl .............................................231 a) Rechtswahlausschlüsse ....................................................231

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XIX

aa) Entgegenstehende schützenswerte Interessen ................232 (1) Ausnahme in den Fällen des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO? .....232 (2) Stellungnahme ..........................................................232 bb) Ausschluss der Teilrechtswahl? .....................................234 (1) Lückenfeststellung in der Rom II-VO ............................235 (2) Lückenschließung in der Rom II-VO .............................236 b) Rechtswahlbeschränkungen .............................................238 aa) Zeitlich bedingte Rechtswahlbeschränkungen ...............239 (1) Feststellung des Rechtswahlzeitpunkts ...........................239 (2) Persönliche Zulässigkeitsvoraussetzungen ......................239 (a) Inhalt .................................................................239 (b) Gegenstand der kommerziellen Tätigkeit ...................240 (c) Das außervertragliche Schuldverhältnis .....................240 (aa) Präzisierung und Verortung der Fragestellung ......241 (bb) Stellungnahme ...............................................242 (3) Sachliche Zulässigkeitsvoraussetzungen .........................243 (a) Meinungsstand zum Inhalt .....................................244 (b) Stellungnahme .....................................................244 (aa) Wortlaut ......................................................245 (bb) Entstehungsgeschichte ....................................245 (cc) Systematik ....................................................248 (dd) Sinn und Zweck .............................................249 (ee) Ergebnis ......................................................250 bb) Gegenständliche Rechtswahlbeschränkungen ................250 (1) Materien aus dem Anwendungs- und Geltungsbereich .......250 (2) Staatliches Recht ......................................................251 (3) Weitere Rechtswahlbeschränkungen ..............................252 (a) Verbindungen zum gewählten Recht .........................252 (b) Geltendes Sachrecht .............................................253 (c) Ergebnis .............................................................254 c) Ergebnisse im Überblick .................................................254 2) Rechtswahlvereinbarung ......................................................255 a) Statut für Zustandekommen und Wirksamkeit .................255 aa) Lückenfeststellung in der Rom II-VO ............................257 bb) Lückenschließung in der Rom II-VO .............................258 b) Besonderheiten bei der Prüfung einer Rechtswahl ...........260 c) Ergebnis ..........................................................................260 II. Folgen einer wirksamen Rechtswahl ........................................261 1) Persönliche Grenzen ............................................................261 a) Schwächerenschutz .........................................................261 b) Rechte Dritter ..................................................................262 2) Sachliche Grenzen ...............................................................262 a) Reine Inlands- oder Binnenmarktsachverhalte .................263 b) Eingriffsnormen und ordre public ...................................263 III. Wechselwirkungen zwischen Rom I- und Rom II-VO ..............264

XX

Inhaltsverzeichnis

1) Problem und Lösungsvorschläge ..........................................264 a) Lösung zugunsten der Rom I-VO ....................................265 b) Lösung zugunsten der Rom II-VO ...................................265 c) Differenzierende Lösungen .............................................265 2) Stellungnahme .....................................................................266 IV. Fazit .........................................................................................269 § 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR ..................................270 I. Überblick über die Anknüpfungspunkte (facta conectentia) .....270 1) Anknüpfungspunkte (facta conectentia) der Rom I-VO .......270 a) Gewöhnlicher Aufenthalt ................................................271 b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt ...........................272 c) Sonstige Orte ...................................................................273 d) Akzessorische Anknüpfung .............................................276 e) Ausweichklausel .............................................................281 f) Allgemeine Auffangklausel .............................................281 2) Anknüpfungspunkte (facta conectentia) der Rom II-VO ......282 a) Orte als Anknüpfungspunkte (ohne den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt) ...............................................282 b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt ...........................285 c) Ausweichklausel .............................................................289 d) Akzessorische Anknüpfung .............................................290 3) Verordnungsübergreifender Vergleich .................................295 a) Ortsbezogene Anknüpfungspunkte (ohne den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt) .....................................296 b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt ...........................296 c) Akzessorische Anknüpfung .............................................298 d) Mehrpersonenverhältnisse ...............................................299 aa) Unterschiede ...................................................................299 bb) Gemeinsamkeiten ...........................................................301 e) Ausweichklausel .............................................................302 f) Allgemeine Auffangklausel .............................................302 II. Wechselwirkungen zwischen Rom I- und Rom II-VO ..............304 III. Fazit .........................................................................................304 5. Kapitel: Die Verweisung (conexus cum lege causae) betreffende Fragestellungen ..................................................................307 § 1 Grundsatz der Sachnormverweisung ...............................................307 § 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung ....................308 I. Ausnahme bei gewähltem IPR? ................................................308 1) Wortlaut ...............................................................................308 2) Geschichte ...........................................................................310

Inhaltsverzeichnis

XXI

3) Systematik ...........................................................................310 4) Sinn und Zweck ...................................................................311 5) Ergebnis ...............................................................................311 II. Ausnahmsweise Berücksichtigung des Kollisionsrechts über die Ausweichklausel? .......................................................311 III. Ausnahme bei Drittstaatensachverhalten? ................................313 IV. Fazit .........................................................................................315 § 3 Verweisung auf Mehrrechtsstaaten .................................................316 I. Regelung im europäischen Kollisionsrecht ...............................316 II. Regelungslücken (lacunae) und Probleme ................................316 III. Fazit .........................................................................................317 6. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick ..........................................319 § 1 Zusammenfassung ..........................................................................319 I. Terminologie ..........................................................................319 II. Auslegung und Lückenschließung im Allgemeinen ................319 III. Auslegung im Besonderen ......................................................320 IV. Lückenschließung im Besonderen ..........................................322 V. Anwendungs- und Geltungsbereich ........................................324 VI. Qualifikation und Vorfragen ...................................................326 VII. Subjektive und objektive Anknüpfung ....................................328 VIII.Verweisung und Mehrrechtsstaaten ........................................332 § 2 Ausblick .........................................................................................332 Literaturverzeichnis................................................................................341 Sachverzeichnis......................................................................................369

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a.a.O. am angegebenen Ort Abb. Abbildung ABl. Amtsblatt Abs. Absatz, Absätze (nach Zusammenhang) AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung Ähnl./ähnl. Ähnlich/ähnlich AJCL American Journal of Comparative Law A. M. / a. M. Anderer Meinung / anderer Meinung Anh. Anhang Anm. Anmerkung, Anmerkungen (nach Zusammenhang) AnwBl Anwaltsblatt Art. Artikel (Einzahl oder Mehrzahl; je nach Zusammenhang) AT Allgemeiner Teil BB Betriebs-Berater bearb. bearbeitet Begr. Begründer, Begründerin, Begründerinnen (nach Zusammenhang) BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt Brüssel I-VO Brüssel I-Verordnung BT Besonderer Teil bzw. beziehungsweise CISG United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods CMLR Common Market Law Review d. der, die, das (nach Zusammenhang) ders. derselbe dies. dieselbe, dieselben (nach Zusammenhang) Diss. Dissertation DÖV Die Öffentliche Verwaltung DVBl Deutsches Verwaltungsblatt Ebda./ebda. Ebenda/ebenda EG Europäische Gemeinschaft EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft endg. endgültig etc. et cetera EuGH Europäischer Gerichtshof EuLF The European Legal Forum EuR Europarecht EUV Vertrag über die Europäische Union

XXIV EuZW EVÜ EWG EWS f. FamRZ ff. Fn. FS GEDIP gem. GPR GS Hab. hrsg. Hrsg. HS ICLQ IECL i. e. S. IHR IPR IPRax IPRG i. w. S. IZVR JA JBl JDI JhJb Jura JuS JZ Kap. lit. LMCLQ LQR MLR m.w.Nachw. nat. NJW NZBau ÖJZ RabelsZ RDC

Abkürzungsverzeichnis Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende (nur die nächste Seite / nur die nächste Vorschrift; je nach Zusammenhang) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht folgende (eine unbestimmte Vielzahl von Seiten / Vorschriften; je nach Zusammenhang) Fußnote, Fußnoten (nach Zusammenhang) Festschrift Groupe européen de droit international privé gemäß Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Gedächtnisschrift Habilitation herausgegeben Herausgeber, Herausgeberin, Herausgeberinnen (nach Zusammenhang) Halbsatz The International and Comparative Law Quarterly International Encyclopedia of Comparative Law im engeren Sinne Internationales Handelsrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPR-Gesetz im weiteren Sinne Internationales Zivilverfahrensrecht Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Journal du droit international. Clunet. Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Juristische Ausbildung Juristische Schulung JuristenZeitung Kapitel litera, literae, Buchstabe, Buchstaben (nach Zusammenhang) Llyod’s Maritime and Commercial Law Quarterly The Law Quarterly Review The Modern Law Review mit weiteren Nachweisen nationaler, nationale, nationales (nach Zusammenhang) Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Österreichische Juristen-Zeitung Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des cours

Abkürzungsverzeichnis Rdnr. rechtl. Rev. crit. dr. internat. privé RIW Rom I-VO Rom II-VO Rom III-VO s. S. Slg. SLR sog. SSL StAZ SZIER/RSDIE TranspR u. a. UN Univ. Unterabs. Unterhalts-VO usw. v. VersR vgl. VO Vol. Vorb. YbPIL ZGR ZEuP ZEuS ZEV ZfRV zugl. ZVglRWiss

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Randnummer, Randnummern (nach Zusammenhang) rechtlich, rechtliche (nach Zusammenhang) Revue critique de droit international privé Recht der Internationalen Wirtschaft Rom I-Verordnung Rom II-Verordnung Rom III-Verordnung siehe Satz, Seite, Seiten oder Siehe (nach Zusammenhang) Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes Statute Law Review so genannter, so genannte, so genannten (nach Zusammenhang) Scandinavian Studies in Law Das Standesamt Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht/Revue suisse de droit international et européen Transportrecht unter anderem United Nations, Vereinte Nationen Universität Unterabsatz Unterhaltsverordnung und so weiter vom, von (nach Zusammenhang) Versicherungsrecht vergleiche Verordnung Volume Vorbemerkung / Vorbemerkungen (nach Zusammenhang) Yearbook of Private International Law Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung zugleich Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

Einleitung

Von der Problemstellung zum Gang der Untersuchung Einleitung

Das Jahr 2009 lässt sich als das „Jahr des europäischen Kollisionsrechts“ bezeichnen. Denn seit dem 11. Januar 2009 ist die Rom II-Verordnung1 und seit dem 17. Dezember 2009 auch die Rom I-Verordnung2 zeitlich anwendbar.3 Damit gilt in der EU4 – abgesehen von Dänemark – erstmals ein einheitliches Internationales Privatrecht der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse.5

§ 1 Problemstellung § 1 Problemstellung

Die Europäisierung des Internationalen Schuldrechts zieht neue Herausforderungen und Probleme nach sich. Will man einen Sachverhalt mit Auslandsbezug lösen, können bereits bei der Prüfung des Anwendungsbereiches der Rom I- bzw. Rom II-VO die ersten großen Fragezeichen auftauchen, zum Beispiel: Wie ist das neue Recht auszulegen?6 Wie sind Regelungslücken zu schließen? Gelangt man zu dem Ergebnis, dass der zu beurteilende Sachverhalt vom Anwendungsbereich einer der ersten beiden Rom-Verordnungen umfasst ist, stellen sich die weiteren Fragen, wie man die einschlägige Kollisionsnorm ausfindig machen soll, was und wie unter sie zu subsumieren ist. Die Aufzählung neuer Fragestellungen ließe sich noch weiter fortführen. __________ 1 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU Nr. L 199 vom 31.7.2007, S. 40 (im Folgenden: Rom II-VO). 2 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU Nr. L 177 vom 4.7.2008, S. 6 (im Folgenden: Rom I-VO). 3 Zur zeitlichen Anwendbarkeit beider Verordnungen vgl. Kap. 2 § 1 IV 1) und 2) (S. 130 ff.). 4 Europäische Union nach den konsolidierten Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU Nr. C 115 vom 9.5.2008, S. 1 (im Folgenden: EUV und AEUV). 5 Vgl. statt vieler Bonomi, YbPIL Vol. 10 (2008), 165 (166). 6 So etwa auch MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 153.

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Einleitung

Sie resultieren daraus, dass der Besondere Teil (BT) des europäischen Kollisionsrechts, also die Regelung der Anknüpfung von Rechtsfragen aus einem bestimmten privatrechtlichen Systembereich, dem Allgemeinen Teil (AT) in der Regelungsdichte weit voraus ist. Dem AT des Internationalen Privatrechts (IPR) werden für gewöhnlich folgende Themen zugerechnet: Aufbau einer Kollisionsnorm, Qualifikation, Einzelaspekte der Anknüpfungspunkte, Rück- und Weiterverweisung, Mehrrechtsstaaten, Vorfrage, Substitution, Anpassung sowie ordre public.7 Im so definierten IPR AT ist die Methodik in Form der Auslegung und Lückenschließung von grundlegender Bedeutung. Wenn man in der Rom I- und der Rom II-VO nach Vorschriften zum Allgemeinen Teil sucht, ergibt sich ein „zweigeteiltes Bild“ 8. Manche Fragen werden ausdrücklich geregelt, andere nicht.9 Das entspricht zwar der Rechtslage in vielen Mitgliedstaaten,10 führt jedoch im europäischen Internationalen Privatrecht zu erheblichen Schwierigkeiten. Es stellt sich nicht nur die Frage, wie die unionsrechtlichen AT-Normen ausgelegt werden müssen, sondern auch, wie die nicht ausdrücklich geregelten Aspekte des Allgemeinen Teils aussehen sollten.11 Eine „Eins-zu-eins-Übertragung“ der nationalen Lehren scheidet jedenfalls aus,12 denn bis heute kann nicht von einem europaweit einheitlichen Gesamtkonzept zum Allgemeinen Teil des Kollisionsrechts gesprochen werden.13 Daher käme es zu Rechtsanwendungsdivergenzen, wenn jeder Mitgliedstaat seine eigene AT-Doktrin unmodifiziert heranzöge.14 Das wäre wiederum der vom europäischen Kollisionsrecht bezweckten15 Rechtssicherheit abträglich. Außerdem sind die einzelstaatlichen AT-Lehren nicht auf die Interaktion zwischen europäischem und nationalem Recht zugeschnitten, die mit fortschreitender Integration zu einem immer stärkeren Zusammenwachsen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen führt. Auch __________ 7 8 9

Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (107) m.w.Nachw. (Fn. 16). So Heinze, ebda. Vgl. nur: Furrer, SZIER/RSDIE 2008, 7 (25); Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (228). Noch weiter gehend Heinze, a.a.O. (Fn. 7). Kritisch: Francq, JDI 2009, 41 (48 f.); Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537 (541). 10 Dazu statt vieler Sonnenberger, ebda. (227 f.). 11 Vgl. Heinze, a.a.O. (Fn. 7). 12 So im Ergebnis auch: Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (58); MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 153. Ebenfalls in diese Richtung tendierend Heinze, a.a.O. (Fn. 7) (126 f.). A. M. Schaub, JZ 2005, 328 (335). 13 Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 9). So im Ergebnis auch: Francq, a.a.O. (Fn. 9) (50); v. Hein, ZEuP 2009, 6 (8); Kreuzer, ebda. 14 Ähnl.: Kreuzer, a.a.O. (Fn. 12); Schaub, a.a.O. (Fn. 12). 15 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Kenfack, JDI 2009, 3 (7). Zur Rom II-VO vgl. statt aller PWW/Schaub, Vor Rom II Rdnr. 5.

§ 2 Das Thema und seine Begrenzung

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dem staatsvertraglichen Kollisionsrecht ist eine solche Dynamik grundsätzlich fremd. Daraus folgt, dass für das europäische Internationale Privatrecht ein eigenständiger Allgemeiner Teil erarbeitet werden muss.16

§ 2 Das Thema und seine Begrenzung § 2 Das Thema und seine Begrenzung

Die Frage, wie der Allgemeine Teil bzw. die allgemeinen Lehren des unionsrechtlichen Kollisionsrechts beschaffen sein sollten, 17 steht im Mittelpunkt der Arbeit. Sie zielt darauf, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Die Breite des Themas würde jedoch den Rahmen einer Dissertation sprengen.18 Daher wird es in inhaltlicher und (rechts-)quellentechnischer Hinsicht begrenzt. Inhaltlich beschränkt sich die Arbeit auf den Teilbereich des Allgemeinen Teils, der auf kollisionsrechtlicher Prüfungsstufe relevant wird. Fragen, die erst bei der Anwendung des berufenen Sachrechts auftreten, bleiben also prinzipiell ausgeklammert. In rechtsquellentechnischer Hinsicht konzentriert sich die Dissertation im Kern auf die Rom I- und die Rom II-VO.19 Andere Rechtsquellen werden im Wesentlichen bei der systematischen Auslegung berücksichtigt. Außerdem ist noch eine weitere quellentechnische Begrenzung erforderlich. Aus sprachlichen und zeitlichen Gründen kann die Arbeit nicht die gesamte Rechtsprechung und Literatur zugrunde legen, die in der Europäischen Union existiert. Vielmehr beschränkt sie sich vornehmlich auf die englische, französische, österreichische, spanische und deutsche Rechtswissenschaft und -praxis. Angesichts der notwendigen Themenbeschränkungen kann und will sich die Arbeit nicht als das letzte Wort zum Allgemeinen Teil des europäischen Kollisionsrechts verstehen. Vielmehr hat sie den Anspruch, einen begründeten und in sich kohärenten Vorschlag zu unterbreiten, wie ein solcher AT beschaffen sein sollte. Auf diese Weise soll sie gleichzeitig einen Beitrag zu der sich anbahnenden20 Diskussion leisten. __________ 16 So im Ergebnis auch Kreuzer, a.a.O. (Fn. 12). Zurückhaltender MünchKomm/Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 12). 17 Diese Frage wird im Kern ebenfalls aufgeworfen u. a. bei: Heinze, a.a.O. (Fn. 7) (106); Kreuzer, a.a.O. (Fn. 12) (1, 5 und 59); Leible, Rom I und Rom II, S. 47; Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (20); MünchKomm/Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 12); ders., a.a.O. (Fn. 9). 18 Zum Umfang eines weit definierten europäischen Kollisionsrechts vgl. nur Kreuzer/Wagner, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch II, R. Rdnr. 43–80. Zu seiner aktuellen Entwicklung vgl. statt aller Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2012, 1–31. 19 Vgl. auch Kap. 1 § 1 (S. 7 ff.). 20 Zu ersten umfangreicheren Beiträgen vgl. die Nachweise bei MünchKomm/Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 12) in Fn. 513.

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Einleitung

§ 3 Gang der Untersuchung § 3 Gang der Untersuchung

Die Dissertation umfasst insgesamt sechs Kapitel. Im ersten Kapitel werden begriffliche und methodische Grundlagen für die weitere Untersuchung gelegt. Nachdem der Begriff „europäisches Internationales Privatrecht“ definiert und die Entwicklung des damit beschriebenen Rechtsgebiets dargestellt wurde (§ 1), widmet sich die Arbeit der Einführung einer EU-weit einheitlichen Terminologie (§ 2). Anschließend werden dogmatische Grundfragen für die Auslegung und Lückenschließung im unionsrechtlichen Kollisionsrecht thematisiert (§ 3). Darauf aufbauend werden Vorschläge zur Interpretation (§ 4) und Lückenfüllung (§ 5) gemacht. Die im ersten Kapitel entwickelten Terminologie-, Auslegungs- und Lückenschließungsmethoden werden in den Kapiteln 2 bis 5 angewandt, um weitere Methoden zum Umgang mit dem EU-IPR zu erarbeiten und dessen Prinzipien zu ergründen. Dabei folgt die Arbeit dem Weg der Rechtsanwendung. Zunächst wird ermittelt, welchen Anwendungs- und Geltungsbereich das europäische Internationale Privatrecht hat (2. Kapitel §§ 1 und 2). Anschließend werden Fragen behandelt, die den Anknüpfungsgegenstand einer Kollisionsnorm betreffen (3. Kapitel). Dabei geht es namentlich um die Qualifikation (§ 1) und die Beantwortung von Vorfragen (§ 2). Letztere stellen sich zwar häufig erst auf sachrechtlicher Prüfungsebene, doch ob eine Vorfrage vorliegt oder nicht, kann nur durch Auslegung der betroffenen Anknüpfungsgegenstände und damit auf kollisionsrechtlicher Stufe entschieden werden.21 Daher wird auch der Problemkreis „Vorfragen“ in der Dissertation erörtert. Hat der Rechtsanwender unter den Anknüpfungsgegenstand einer europäischen Kollisionsnorm subsumiert, kann er auf verschiedene Anknüpfungspunkte treffen (4. Kapitel), über die zunächst ein Überblick gegeben wird (§ 1). Ihm folgt eine ausführlichere Betrachtung der subjektiven (§ 2) und objektiven (§ 3) Anknüpfung. Nach der Erörterung der Anknüpfungspunkte wird der Verweis im unionsrechtlichen IPR besprochen (5. Kapitel). Dabei wird nicht nur der Grundsatz der Sachnormverweisung (§ 1) erläutert, sondern auch die Frage, ob und inwieweit er Ausnahmen zulässt (§ 2). Anschließend befasst sich die Arbeit mit der Anknüpfung bei gespaltenen Rechtsordnungen (§ 3). Im sechsten und letzten Kapitel werden die wesentlichen Ergebnisse thesenartig zusammengetragen (§ 1). Außerdem wird ein Vorschlag unter__________ 21

Dazu näher Kap. 3 § 2 I 2) a) und b) (S. 199 ff.).

§ 3 Gang der Untersuchung

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breitet, welche AT-Regelungen eine Rom 0-Verordnung22 oder ein europäisches IPR-Gesetzbuch23 mindestens enthalten sollte (§ 2).

__________ 22 Vgl. dazu u. a.: Freitag, in: FS Spellenberg, S. 169 (171); v. Hein, in: FS Kropholler, S. 553 (571); Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (33); ders., Rom I und Rom II, S. 47 und 49. 23 Vgl. dazu u. a.: Bariatti/Pataut, in: Fallon/Lagarde/Poillot-Peruzzetto (Hrsg.), Architecture, S. 337 (338 f.); Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (77); v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (465); Jayme, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 63 (63); Kieninger, in: FS von Hoffmann, S. 184 (186); Kreuzer, in: Müller-Graff (Hrsg.), GemPrivR, S. 457 (537); ders., RabelsZ 70 (2006), 1 (30); Lagarde, RabelsZ 75 (2011), 673–676; Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (33); ders., Rom I und Rom II, S. 49 f.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 (1 f.); Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (20); ders., in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 77 (78, 93); Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 55.

1. Kapitel

Grundlagen 1. Kap.: Grundlagen

§ 1 Europäisches Internationales Privatrecht § 1 Europäisches Internationales Privatrecht

I. Definitionen Die Wendung „Internationales Privatrecht“ wird unterschiedlich definiert.1 Der Arbeit liegt ein enges Begriffsverständnis zugrunde. Danach umfasst das Kollisionsrecht bzw. IPR die Summe aller privatrechtlichen Regelungen, die bei einem Sachverhalt mit Auslandsbezug bestimmen, welche der berührten Rechtsordnungen maßgeblich ist.2 Wann das so verstandene Kollisionsrecht als „europäisch“ bzw. „unionsrechtlich“ angesehen werden kann, hängt von der Definition beider Adjektive ab.3 Dabei ist zunächst zu beachten, dass Art. 1 Abs. 3 EUV a. F. durch Art. 1 lit. 2) b) des Vertrages von Lissabon4 dahin gehend geändert wurde, dass die Union an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft tritt und deren Rechtsnachfolgerin ist.5 Daher gibt es seit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages keine „Gemeinschaft“, kein „Gemeinschaftsrecht“, keine „gemeinschaftsrechtlichen (Kollisions-)Normen“ usw. mehr, sondern nur noch die „Union“, das „Unionsrecht“ etc. Aus diesem Grund wird in der Arbeit __________ 1 Statt aller Kreuzer/Wagner, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch II, R. Rdnr. 1. Für England statt aller Collier, CoL, S. 3–7; für Frankreich statt aller Niboyet/de Geouffre de La Pradelle, DIP, S. V–VIII; für Österreich statt aller Schwimann, IPR, S. 1 f.; für Spanien statt aller Fernández Rozas/Sánchez Lorenzo, DIP, Rdnr. 1–10. 2 Vgl. Kreuzer, RabelsZ 70 (2006), 1 (9) m.w.Nachw. (Fn. 11 f.). Für England vgl. statt aller Cheshire, PIL, S. 3 f. und 8 f.; für Frankreich vgl. statt aller Monéger, DIP, Rdnr. 4 und 7; für Spanien vgl. statt aller Esplugues Mota/Iglesias Buhigues, DIP, S. 38 und 39 f. 3 Zur Verwendungsweise des Begriffspaares „europäisches Kollisionsrecht“ vgl. Roth, IPRax 2006, 338 (338) m.w.Nachw. (Fn. 1–10). 4 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU Nr. C 306 vom 17.12.2007, S. 1 (im Folgenden: Vertrag von Lissabon bzw. Lissaboner Vertrag). 5 Zur neuen Rechtslage vgl. u. a.: Barrière Brousse, JDI 2010, 3–34; Basedow/Hopt/ Zimmermann/Colneric, Handwörterbuch I, S. 479; Dutta, EuZW 2010, 530–534. Zu ihrer terminologischen Auswirkung auf das europäisierte IPR vgl. nur Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1 (2).

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1. Kap.: Grundlagen

durchweg die aktuelle Terminologie („Union“, „EU“, „Unionsrecht“, „EURecht“, „unionsrechtlich“ usw.) verwandt. Da die EU die Rechtsnachfolgerin der EG6 ist, lassen sich Rechtsprechung und Literatur zur EG und ihrer Rechtsordnung grundsätzlich auf die neue Lissaboner Union übertragen. Das wird in der Dissertation getan, ohne stets gesondert darauf hinzuweisen. Dies gilt auch für die Definition der beiden Adjektive „unionsrechtlich“ und „europäisch“ im Zusammenhang mit dem Kollisionsrecht. Nach einer im Schrifttum recht verbreiteten, sehr weiten Begriffsbestimmung werden IPR-Normen schon dann „europäisch“ bzw. „unionsrechtlich“ genannt, wenn sie ihren Ursprung im Unionsrecht haben.7 Die Arbeit verwendet demgegenüber eine deutlich engere Definition. Danach bezeichnet das Adjektiv „europäisch“ bzw. „unionsrechtlich“ kollisionsrechtliche Vorschriften in EU-Verordnungen, die auf der Grundlage der Art. 67 Abs. 4, 81 Abs. 2 lit. c) AEUV (ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV) erlassen worden sind, um IPR-Regelungen räumlich (abgesehen von Dänemark) und sachlich (abgesehen von den Bereichsausnahmen der jeweiligen Verordnung) umfassend zu vereinheitlichen, ohne der Umsetzung staatsvertraglicher Verpflichtungen der EU zu dienen. Das sind zum jetzigen Stand der Integration lediglich die Rom I- und die Rom II-VO, weil die Unterhalts-VO8 in ihrem kollisionsrechtlichen Teil der Umsetzung staatsvertraglicher Pflichten der Europäischen Union dient und die Rom III-VO9 räumlich auf vierzehn10 Mitgliedstaaten beschränkt ist. Unter „europäischem Internationalen Privatrecht“ wird also die Gesamtheit aller Rechtsnormen der Rom I- und Rom II-VO verstanden, die bei einem Sachverhalt mit Auslandsbezug unmittelbar oder mittelbar festlegen, welche der betroffenen Rechtsordnungen maßgeblich ist. Diese Definition gilt auch für synonym verwandte Begriffe wie etwa „europäisches Kollisionsrecht“, „europäisches IPR“, „unionsrechtliches Kollisionsrecht“, __________ 6 Europäische Gemeinschaft nach der konsolidierten Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU Nr. C 321 E vom 29.12.2006, S. 1 (im Folgenden: EGV). 7 Zu diesem weiten Begriffsverständnis vgl. statt vieler Jayme, Ideengeschichte, S. 366– 368. 8 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU Nr. L 7 vom 10.1.2009, S. 1 (im Folgenden: Unterhalts-VO). 9 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. EU Nr. L 343 vom 29.12.2010, S. 10 (im Folgenden: Rom III-VO). 10 Vgl. Erwägungsgrund 6 der Rom III-VO.

§ 1 Europäisches Internationales Privatrecht

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„unionsrechtliches IPR“, „EU-Kollisionsrecht“ usw. Die Arbeit verwendet diese Formulierungen selbstverständlich nur dann im oben genannten Sinne, solange sich aus dem Kontext nichts anderes ergibt.

II. Entwicklung im Überblick Der Werdegang des europäischen Internationalen Privatrechts lässt sich in die Abschnitte der völker- und unionsrechtlichen Integration unterteilen.11 In der völkerrechtlichen Integrationsphase wurde in der Zeit von 1967 bis 1978 versucht, das IPR der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse durch einen Staatsvertrag zu vereinheitlichen.12 Dazu wurde 1972 ein Vorentwurf13 vorgelegt,14 der aber nur zu einem Teilerfolg führte;15 denn im Jahre 1978 wurde das Internationale außervertragliche Schuldrecht aus den Vereinheitlichungsbemühungen ausgeklammert.16 Immerhin konnten sich die EWG-Mitgliedstaaten auf das Übereinkommen vom 19.6.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht17 einigen.18 Durch den Vertrag von Amsterdam19, der am 1.5.1999 in Kraft trat,20 erhielt die EG erstmals Kompetenzen zum Erlass von Maßnahmen im Bereich des Kollisionsrechts.21 Damit war der Wendepunkt von der völkerhin zur unionsrechtlichen IPR-Integration erreicht.22

__________ 11 12 13

Vgl. Kreuzer, RabelsZ 70 (2006), 1 (9–30). Vgl. Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (614) m.w.Nachw. (Fn. 3). S. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, RabelsZ 38 (1974), 209–219. Vgl. dazu Staudinger/v. Hoffmann, Vorbem zu Art 38 ff. EGBGB Rdnr. 11 f. m.w.Nachw. 14 Statt aller Kreuzer, in: Müller-Graff (Hrsg.), GemPrivR, S. 457 (487). 15 Vgl. v. Hein, in: FS Kropholler, S. 553 (556) m.w.Nachw. (Fn. 20 f.). 16 Statt aller Cheshire, PIL, S. 770. 17 Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (80/934/EWG), ABl. EWG Nr. L 266 vom 9.10.1980, S. 1 (im Folgenden: EVÜ). 18 Vgl. statt aller Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256 (259). Zu den weiteren Arbeiten an einer IPR-Konvention für außervertragliche Schuldverhältnisse vgl. Dickinson, Rome II, Rdnr. 1.53–1.55 und Rdnr. 1.58. 19 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. EU Nr. C 340 vom 10.11.1997, S. 1 (im Folgenden: Vertrag von Amsterdam bzw. Amsterdamer Vertrag). 20 Zum Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam vgl. statt aller Staudinger/v. Hoffmann, a.a.O. (Fn. 13) Rdnr. 14. 21 Statt aller Kreuzer/Wagner, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch II, R. Rdnr. 17. 22 Vgl. Kreuzer, a.a.O. (Fn. 11) (9).

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1. Kap.: Grundlagen

Mit der unionsrechtlichen Integrationsphase bekam die Europäisierung des Kollisionsrechts wieder neuen Aufwind.23 Noch vor Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages stellten der Rat und die Kommission einen Aktionsplan24 auf, in dem u. a. der Vereinheitlichung des IPR ein zeitlicher Rahmen gesteckt wurde.25 Relativ zeitnah machte sich die Kommission auch an die Planverwirklichung.26 Bereits 1999 erarbeitete sie einen Entwurf27 zu einer Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, der aber wegen interner Differenzen längere Zeit nicht weiter verfolgt wurde.28 Dasselbe Schicksal teilte ein Grünbuchentwurf, den die Kommission im Jahre 2001 erstellte, der aber nie veröffentlicht wurde.29 Ein Jahr später legte die Kommission einen inoffiziellen Vorentwurf 30 einer Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vor.31 Er zog bereits 2003 den ersten32 offiziellen Kommissionsvorschlag zur Rom II-VO nach sich.33 Dieser Vorschlag war der Ausgangspunkt einer langen und wechselvollen Entwicklung, die aber mit dem Verordnungserlass am 11.7.2007 einen erfolgreichen Abschluss fand.34 Auch im Internationalen Vertragsrecht ließen die Vereinheitlichungsbemühungen nicht lange auf sich warten. Die Überführung des EVÜ in die Rom I-VO wurde durch ein Grünbuch aus dem Jahre 200335 und einen __________ 23 24

Vgl. statt vieler Junker, NJW 2007, 3675 (3676). Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vom Rat (Justiz und Inneres) am 3. Dezember 1998 angenommener Text, ABl. EG Nr. C 19 vom 23.1.1999, S. 1. 25 Vgl. statt aller Basedow, RabelsZ 73 (2009), 455 (455). 26 Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (31) m.w.Nachw. (Fn. 3). 27 Abgedruckt bei Staudinger/v. Hoffmann, Vorbem zu Art 38 ff EGBGB Rdnr. 16. 28 Statt aller Palandt(68)/Thorn, Anh zu EGBGB 38–42 (IPR) Rom II Vorbemerkung Rdnr. 2. Zum parallel von der Groupe européen de droit international privé (GEDIP) erarbeiteten Entwurf zu einem EU-Übereinkommen über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vgl. statt aller Staudinger/v. Hoffmann, ebda. Rdnr. 19 f. 29 Vgl. Dickinson, Rome II, Rdnr. 1.61 m.w.Nachw. (Fn. 229–234). 30 Abgedruckt bei Leible (Hrsg.), Bedeutung, S. 181–188. 31 Vgl. Brière, JDI 2008, 31 (32) m.w.Nachw. (Fn. 4). 32 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), KOM (2003) 427 endgültig vom 22.7.2003, S. 1–44 (im Folgenden: KOM(2003)427). 33 Cheshire, PIL, S. 770 m.w.Nachw. (Fn. 44). 34 Vgl. statt aller Leible, Rom I und Rom II, S. 3 f. Ausführlich zum Weg vom KOM(2003)427 bis zur Rom II-VO Dickinson, a.a.O. (Fn. 29) Rdnr. 1.69–1.97. 35 Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemein-

§ 2 Terminologie für das europäische IPR

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Verordnungsvorschlag der Kommission von 200536 vorbereitet.37 Das mit diesem Vorschlag eingeleitete Verfahren verlief im Vergleich zur Rom IIVO relativ kurz.38 Bereits im Jahr 2008 wurde das EVÜ teilweise modifiziert und in die Rom I-VO umgewandelt, nachdem sich während des Rechtsetzungsverfahrens herausgestellt hatte, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten nur an einer Modernisierung des EVÜ interessiert war.39

III. Fazit Für die Arbeit wird der Begriff „europäisches Internationales Privatrecht“ – einschließlich seiner Synonyme – eng definiert. Danach umfasst er die Gesamtheit aller Regelungen der Rom I- und Rom II-VO, die bei einem Sachverhalt mit Auslandsbezug unmittelbar oder mittelbar bestimmt, welche der betroffenen Privatrechtsordnungen maßgeblich ist. Das europäische IPR markiert das vorläufige40 Ende einer Entwicklung, die sich in eine völker- und unionsrechtliche Integrationsphase unterteilen lässt. Erstere hat zum EVÜ geführt, Letztere zu den ersten beiden Rom-Verordnungen.

§ 2 Terminologie für das europäische IPR § 2 Terminologie für das europäische IPR

Die Rom I- und die Rom II-VO sind die ersten Eckpfeiler eines vereinheitlichten europäischen Kollisionsrechts. Mit ihnen wurde eine konvergente, mehrsprachige Gesetzesterminologie eingeführt. Anknüpfungsgegenstand des Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO ist beispielsweise unionsweit der „Vertrag/ contract/contrat/contrato/...“. Dies führt zu der Frage, ob und inwieweit die Terminologie des EU-IPR einheitlich ist bzw. sein sollte.

__________ schaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung, KOM(2002) 654 endgültig vom 14.1.2003, S. 1–55. 36 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005) 650 endgültig vom 15.12.2005, S. 1–26 (im Folgenden: KOM(2005)650). 37 Bonomi, YbPIL Vol. 10 (2008), 165 (166) m.w.Nachw. (Fn. 3 f.). 38 Vgl. Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529). 39 Leible/Lehmann, ebda. Zur Entstehungsgeschichte vgl. statt aller Kenfack, JDI 2009, 3 (5 f.). 40 Vgl.: Art. 27 Rom I-VO; Art. 30 Rom II-VO.

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1. Kap.: Grundlagen

I. „Terminologie“ als Untersuchungsgegenstand Um diese Frage zu beantworten, muss der Begriff „Terminologie“ bestimmt und eingegrenzt werden. 1) Begriff Die Rechtswissenschaft definiert ihren eigenen Terminologiebegriff nur selten.41 Dieser Befund trifft in noch stärkerer Weise für den Diskurs42 über eine „europäische Rechtssprache“ zu. Dort wird „Rechtssprache“ zwar als vielfältig43, normativ44 oder konzeptbezogen45 beschrieben, aber nicht abstrakt definiert. Eine abstrakte Definition juristischer Terminologie ist jedoch erforderlich, um den Diskursgegenstand zu klären. Eine derartige Begriffsbestimmung ist in einem Bereich zu finden, in dem sich Rechts- und Sprachwissenschaft kreuzen, namentlich in der Rechtsvergleichung sowie bei der Übersetzung juristischer Texte. In der Rechtsvergleichung hat man die Rechtsterminologie als eine „sprachliche Hülle eines Kerns aus Rechtsbegriffen und Rechtsauffassungen“46 definiert. Die Forschung zur Übersetzung juristischer Texte hat eine Begriffsbestimmung hervorgebracht, derzufolge juristische Terminologie alle Ausdrücke umfasst, die eine oder mehrere rechtliche Bedeutungen haben.47 Führt man beide Definitionen zusammen, sind unter juristischer Terminologie alle in Rechtswissenschaft und -praxis gebräuchlichen rechtlichen Fachbegriffe zu verstehen, und zwar unabhängig von ihrem Ursprung. 2) Eingrenzung Der gerade erarbeitete Terminologiebegriff eignet sich zwar als Diskussionsgrundlage, aber er vernachlässigt noch eine wichtige Besonderheit der juristischen Fachsprache. Ihre Eigenart besteht nämlich darin, dass sich Rechtsbegriffe in ihrem Ursprung und ihren Definitionsregeln unterscheiden. So arbeiten Rechtswissenschaft und -praxis einerseits mit Ausdrücken, die Gegenstand von Rechtsnormen sind, und andererseits mit Fachwörtern, die sie selbstständig entwickelt haben.48 Während Art. 1 Abs. 1 __________ 41 42 43 44 45 46 47 48

Dazu Schmidt-König, Problematik, S. 4. Dazu eingehend Reichelt (Hrsg.), Sprache, 2006. So Moréteau, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 405 (405). So Pescatore, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 243 (243). So Heutger, Global Jurist Topics, Volume 3, Issue 1, 2003, Article 3, 1 (1). So Constantinesco, RVgl. II, S. 166. Vgl. Schmidt-König, a.a.O. (Fn. 41). Ähnl. Luttermann, in: de Groot/Schulze (Hrsg.), Übersetzen, S. 47 (54). Noch differenzierter de Groot, in: de Groot/Schulze (Hrsg.), Übersetzen, S. 11 (15 und 31).

§ 2 Terminologie für das europäische IPR

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S. 1 Rom II-VO beispielsweise den Begriff der „außervertraglichen Schuldverhältnisse“ als terminus technicus einführt, ist das Fachwort „Anknüpfungsgegenstand“ in keiner Regelung der Rom II-VO enthalten. Dieses Beispiel verdeutlicht aber nicht nur den unterschiedlichen Ursprung rechtlicher Fachbegriffe. Es führt außerdem die verschiedenen Begriffsbildungsregeln vor Augen. Der Ausdruck „außervertragliche Schuldverhältnisse“ ist gesetzlicher Herkunft und durch Auslegung zu konkretisieren. Demgegenüber findet sich das Wort „Anknüpfungsgegenstand“ nicht im Gesetz. Vielmehr ist es das Ergebnis wissenschafts- und praxisinterner Begriffsbildung und wird nicht mithilfe der Regeln juristischer Interpretation definiert. Gesetzlich und nicht gesetzlich eingeführte Begriffe haben also einen unterschiedlichen Ursprung und folgen verschiedenen Begriffsbildungsregeln. Daher sollen sie getrennt voneinander behandelt werden. Gesetzlich eingeführte Ausdrücke und deren Auslegung werden später49 noch erörtert. Im Gegensatz dazu bilden wissenschafts- und praxisintern gebildete Methoden- und Systembegriffe den Gegenstand der weiteren Untersuchung. Sie werden im Folgenden „Methoden- und Systembegriffe“ genannt.

II. Grundsätzliche Möglichkeiten Für das europäische Kollisionsrecht steht die Entwicklung einheitlicher Methoden- und Systembegriffe noch aus. Fraglich ist, ob und wie sie durchgeführt werden sollte. 1) Pluralistische Lösung Zunächst kann man den Standpunkt vertreten, jede nationale Kollisionsrechtsdogmatik solle mit ihren eigenen Methoden- und Systembegriffen arbeiten (im Folgenden: pluralistische Lösung). 2) Autonomer Ansatz Die Alternative zur pluralistischen Lösung besteht in der Einführung europaweit einheitlicher, autonomer Methoden- und Systembegriffe für das unionsrechtliche IPR (im Folgenden: autonomer Ansatz).50 „Autonom“ __________ 49 50

S. Kap. 1 §§ 3 und 4 (S. 23 ff.). Einen autonomen Ansatz für eine „europäische Rechtssprache“ befürwortend: Ajani, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 349 (353); Christensen/Müller, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 9 (14 f. und 20); Ferreri, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilingualism, S. 33 (44); Heutger, Global Jurist Topics, Volume 3, Issue 1, 2003, Article 3, 1 (2); Moréteau, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 405 (411 f. und 414); Schilling, ZEuP 2007, 754 (782–784); Sturm, EuLF 2002, 313 (319).

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1. Kap.: Grundlagen

bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Methoden- und Systembegriffe vom Verständnis eines einzelnen Mitgliedstaates losgelöst und in ein gesamteuropäisches Konzept überführt werden. Zur Verwirklichung dieses Vorhabens lassen sich zwei verschiedene Wege einschlagen: Zum einen kann man die nationalen Methoden- und Systembegriffe beibehalten, sie aber für die Arbeit mit dem europäischen IPR europaweit einheitlich definieren (im Folgenden: mehrsprachig autonomer Ansatz).51 Der Begriff „Vorfrage“ würde beispielsweise im deutschen nationalen und im europäischen IPR existieren, hätte aber unter Umständen in beiden Gebieten eine andere Bedeutung. Gleiches gälte für seine begrifflichen Pendants in den anderen Amtssprachen der EU wie etwa für den Ausdruck „cuestión preliminar/cuestión previa“. Zum anderen kann man eine Sprache auswählen, aus der dann alle Methoden- und Systembegriffe des unionsrechtlichen Kollisionsrechts entnommen werden, um sie EU-weit einheitlich zu definieren (im Folgenden: einsprachig autonomer Ansatz).52 Entschiede man sich etwa für Französisch, wären alle Methoden- und Systembegriffe französische Ausdrücke, die in allen Amtssprachen der EU einheitlich definiert würden. Dann wäre etwa die Wendung „question préalable“ EU-weit mit einem identischen Begriffsinhalt zu versehen und der einzige terminus technicus für die Vorfrage. 3) Stellungnahme Für die pluralistische Lösung spricht, dass jeder Kollisionsrechtler die nationalen Methoden- und Systembegriffe am besten beherrscht. Doch dieses Argument überzeugt nicht. Denn wer die nationale IPR-Terminologie durchdringt, wird auch einen neuen Begriffskanon erlernen können. Ein solcher autonomer Kanon ist aber anders als die nationale Rechtssprache nicht historisch gewachsen.53 Folgt man der pluralistischen Lösung, werden die traditionellen Rechtsbegriffe nicht in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Diese Argumentation verkennt jedoch das Nebeneinander nationaler und autonomer Terminologie. Durch den autonomen Ansatz werden nämlich ausschließlich für das europäische IPR einheitliche Methoden- und Systembegriffe entwickelt. Außerdem spricht die Tatsache, __________ 51 Für eine derartige Vorgehensweise zur Bildung einer „europäischen Rechtssprache“ Christensen/Müller, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 9 (14 f. und 20). 52 Diese Lösung für eine „europäische Rechtssprache“ unterstützend: Ferreri, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilingualism, S. 33 (44); Moréteau, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 405 (411 f. und 414); Schilling, ZEuP 2007, 754 (782–784); Sturm, EuLF 2002, 313 (319). 53 Zur Rechtssprache als Ergebnis einer historischen Entwicklung statt aller Pozzo, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilingualism, S. 3 (7 und 9).

§ 2 Terminologie für das europäische IPR

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dass juristische Ausdrücke das Ergebnis eines langwierigen Prozesses sind, nicht gegen den Beginn einer neuen historischen Entwicklung. Bisher hat der Gang der Geschichte dazu geführt, dass viele juristische Fachbegriffe in den Mitgliedstaaten unterschiedlich besetzt sind.54 Das kann zu Verständigungsproblemen führen.55 Die pluralistische Lösung vermag insoweit keine Abhilfe zu schaffen, denn sie behält die nationalen Fachausdrücke bei. Der mehrsprachig autonome Ansatz erhöht die Kommunikationsschwierigkeiten sogar noch, da ihm zufolge ein und dasselbe Wort – etwa die „Vorfrage“56 – eine völlig andere Bedeutung haben kann, je nachdem, ob es im nationalen oder unionsrechtlichen Kontext gebraucht wird. Anders als die beiden mehrsprachigen Ansätze kann die einsprachig autonome Lösung Verständigungsprobleme wenigstens teilweise bewältigen, da sie ihre termini technici ausschließlich aus einer einzigen Sprache entnimmt und einheitlich definiert. Dem einsprachig autonomen Ansatz könnte man jedoch entgegenhalten, dass sich terminologische Verständigungsprobleme auch durch Glossare lösen ließen.57 Diese können aber das Wissen um die Wortbedeutungen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen bestehen, nicht völlig ersetzen.58 Glossare können demnach Kommunikationsschwierigkeiten nicht genauso effektiv bewältigen wie der einsprachig autonome Ansatz. Dieser fördert des Weiteren das Bewusstsein für die Eigenständigkeit europäischer Kollisionsrechtsquellen, indem er zu Methoden- und Systembegriffen führt, die sich von der nationalen IPR-Terminologie abheben. Die Eigenständigkeit europäischer Rechtsquellen wird vom Unionsgesetzgeber immer wieder betont, indem er eine autonome Begriffsbildung fordert.59 Auf diesen Charakterzug des EU-Rechts weist der einsprachig autonome Ansatz am deutlichsten hin und trägt somit dem gesetzgeberischen Anliegen am besten Rechnung. Alles in allem sprechen die gewichtigeren Argumente für den einsprachig autonomen Ansatz.

__________ 54 55 56 57

Vgl. statt aller Ebers, ZEuP 2003, 185 (185). Dazu statt aller Kaindl, in: Reichelt (Hrsg.), Sprache, S. 37 (37–40). Vgl. auch Kap. 1 § 2 II 2) (S. 14). Inspiriert durch: Kaindl, a.a.O. (Fn. 55) (40); Pescatore, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 243 (248). 58 Kaindl, a.a.O. (Fn. 55) (42). 59 So etwa zu „außervertraglichen Schuldverhältnissen“ im Sinne der Rom II-VO in Erwägungsgrund 11 der Verordnung.

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1. Kap.: Grundlagen

III. Reichweite der Sprachvereinheitlichung Favorisiert man wie hier den einsprachig autonomen Ansatz, stellt sich die Folgefrage, wie weit die Sprachvereinheitlichung gehen soll. Man könnte zunächst die Auffassung vertreten, dass sich die europäische Rechtswissenschaft und -praxis einer einheitlichen Sprache bedienen soll, um Methoden- und Systembegriffe aus ihr zu entwickeln und um ausschließlich in dieser Sprache den Diskurs zu führen (im Folgenden: Diskurseinheitssprache).60 Entscheidet man sich etwa für Englisch, ist die Konsequenz: Alle kollisionsrechtlichen Methoden- und Systembegriffe würden europaweit aus dem Englischen gebildet; der Diskurs fände im unionsrechtlichen IPR nur noch auf Englisch statt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Methoden- und Systembegriffe aus einer bestimmten Sprache zu bilden, sie in jeder Amtssprache der EU einheitlich zu definieren und den Diskurs mehrsprachig zu führen (im Folgenden: Extraktsprachenansatz). Für eine europäische Diskurseinheitssprache lässt sich das Argument der Verständigungserleichterung61 fortführen: Will man die wissenschaftliche Auseinandersetzung durch europaweit einheitliche termini technici vereinfachen, ist es nur konsequent, die Sprache, aus der sie entnommen werden, auch als Diskurssprache einzuführen. Auf diese Weise ließe sich wahrscheinlich auch das Kommunikationsdefizit62 zwischen den europäischen Rechtswissenschaften beseitigen. Diese Argumentation vermag aber aus zwei Gründen nicht zu überzeugen. Erstens lässt sich rechtliches Denken am besten in der Sprache ausdrücken, der es entspringt.63 Zweitens behalten beim Extraktsprachenansatz die Sprachen aller Mitgliedstaaten ihr Gewicht,64 während eine Diskurseinheitssprache kulturelle Verarmung nach sich ziehen könnte, da es sich nicht mehr „lohne“, andere europäische Sprachen als die Diskurseinheitssprache zu erlernen.65 Allerdings könnte die Vermeidung kultureller Verarmung teuer werden. Die Definition eines Begriffes in allen EU-Amtsprachen verursacht möglicherweise Übersetzungskosten, die auf die EU oder die Mitgliedstaaten zurückfallen. Dieses Argument lässt sich auch nicht entkräften, indem man __________ 60

Darauf hinauslaufend: Moréteau, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 405 (412 im Kontext zu 414); Schilling, ZEuP 2007, 754 (782 f.); Sturm, EuLF 2002, 313 (319). 61 Dazu Kap. 1 § 2 II 3) (S. 15). 62 Dazu Jarass, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 371 (371–373). 63 So zum deutschen, englischen und französischen Denken Jarass, ebda. (373). 64 Inspiriert durch Christensen/Müller, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 9 (14). 65 So in der Argumentation gegen das „Einsprachenmodell Englisch“ Sturm, a.a.O. (Fn. 60) (317).

§ 2 Terminologie für das europäische IPR

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auf computertechnische Fortschritte verweist.66 Denn Übersetzungsprogramme werden die Komplexität natürlicher Sprachen nie voll erfassen können, weil sie sich nicht in Algorithmen ausdrücken lässt.67 Kurzum: Das in der Diskussion über eine „europäische Rechtssprache“ häufig gebrachte Argument68 hoher Übersetzungskosten könnte auch gegen den Extraktsprachenansatz sprechen. Das ist jedoch nicht der Fall. Ganz im Gegenteil: Selbst wenn der Extraktsprachenansatz kurzfristig Übersetzungskosten mit sich bringt, führt er langfristig dazu, dass sie sinken. Denn die einmal definierten Methodenund Systembegriffe müssten nach ihrer Begriffsbestimmung nicht mehr übersetzt werden. Außerdem erhält man durch die Absage an eine Diskurseinheitssprache wertvolles Wissenskapital. Jede einzelne europäische Sprache zeichnet sich nämlich durch ihre eigene rechtswissenschaftliche Leistungsfähigkeit aus.69 Im Ergebnis streiten die besseren Argumente für den Extraktsprachenansatz.

IV. Folgefrage: Welche Sprache soll es sein? Hat man sich für den hier bevorzugten Extraktsprachenansatz entschieden, muss man im nächsten Schritt eine Sprache wählen, aus der die termini technici des EU-IPR extrahiert werden. Dazu stehen drei „Sprachgattungen“ zur Verfügung: Die erste „Sprachgattung“ bilden die lebenden Sprachen. Will man der Sprachentwicklung in der internationalen Praxis Rechnung tragen, bietet sich aus den „lebenden Sprachen“ letztlich nur Englisch als Extraktsprache an.70 Eine andere Möglichkeit besteht darin, eine tote Sprache als Extraktsprache auszusuchen. Dabei kommen nach der europäischen Tradition Griechisch und Latein in Betracht.71 Gegen Griechisch spricht, dass es durch sein eigenes Alphabet einige praktische Probleme aufwirft. 72 Demgegenüber lässt sich für Latein anführen, dass es jahrhundertelang die __________ 66 So aber im Rahmen des Diskurses über eine „europäische Rechtssprache“ Robbers, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 419 (420). 67 Christensen/Sokolowski, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 113 (121 f.). 68 Vgl. statt aller Oppermann, ZEuS 2001, 1 (12 f.). 69 Vgl. Flessner, JZ 2002, 14 (23). 70 So in der Argumentation im Rahmen des Diskurses über eine „europäische Rechtssprache“: Moréteau, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 405 (412 und 414); Reichelt, in: dies. (Hrsg.), Sprache, S. 1 (7 f.). 71 So Moréteau, ebda. (415). 72 Ähnl. Moréteau, a.a.O. (Fn. 70).

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1. Kap.: Grundlagen

Sprache des europäischen Rechts war.73 Demnach kommt von den toten Sprachen letztlich nur Latein als Extraktsprache in Betracht. Neben den natürlich entstandenen Sprachen könnte man aber auch auf künstlich geschaffene Verständigungsmodelle wie Volapük oder Esperanto zurückgreifen, um aus ihnen Methoden- und Systembegriffe zu bilden. Wer diesen Vorschlag in der Diskussion über eine „europäische Rechtssprache“ macht, verwirft ihn aber auch gleich wieder.74 Denn zum einen konnten sich diese „Kunstsprachen“ in der Praxis bislang nicht durchsetzen.75 Zum anderen eignen sie sich nicht zur Darstellung abstrakter Konzepte.76 Demnach scheiden „Kunstsprachen“ als Extraktsprachen aus. Nach dem oben Gesagten spitzt sich die Frage „Welche Sprache soll Extraktsprache sein?“ auf „Englisch oder Latein?“ zu. Für Englisch sprechen sein Charakter als „Business Idiom“ und seine Bedeutung als Relaissprache in der EU.77 Außerdem ist es anders als Latein keine tote Sprache, sondern das Verständigungsinstrument einer neuen globalen Kultur.78 Im weltweit verbreiteten Gebrauch des Englischen kann man aber auch eine Schwäche sehen. Denn ihm wohnt als globalem Verständigungsmedium die Gefahr inne, dass Methoden- und Systembegriffe englischsprachiger Rechtsordnungen mit euroautonomen Fachausdrücken vermengt werden. An dieser Vermischungsgefahr ändert auch der Hinweis nichts, dass die Extraktsprache ein internationales und neutrales Englisch sein müsse.79 Denn ein derart internationalisiertes Englisch kann die Vermengungsgefahr nur mindern, nicht aber eliminieren. Allerdings werden auch einige lateinische Ausdrücke und Sätze in den europäischen Kollisionsrechtsordnungen gebraucht. 80 Also besteht bei der Wahl von Latein als Extraktsprache ebenfalls eine Vermischungsgefahr. Sie ist aber deutlich geringer als bei englischen termini technici, da weitaus mehr englische Methoden- und Systembegriffe existieren als lateinische. __________ 73 So im Rahmen der Diskussion über eine „europäische Rechtssprache“ Moréteau, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 405 (408, 415). 74 So etwa: Loehr, Mehrsprachigkeitsprobleme, S. 100 f.; Moréteau, ebda. (412 und 414). 75 Vgl. Martiny, ZEuP 1998, 227 (235) m.w.Nachw. (Fn. 47). 76 Loehr, a.a.O. (Fn. 73) S. 101. 77 Zur entsprechenden Argumentation im Rahmen des Diskurses über eine „europäische Rechtssprache“ vgl. Sturm, EuLF 2002, 313 (316) m.w.Nachw. (Fn. 61 f.). 78 Vgl. Moréteau, a.a.O. (Fn. 73) (412). 79 So aber im Rahmen der Diskussion um eine „europäische Rechtssprache“ Moréteau, a.a.O. (Fn. 73) (416). 80 Vgl. Mattila, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilingualism, S. 21 (29 f.).

§ 2 Terminologie für das europäische IPR

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Außerdem haben lateinische Methoden- und Systembegriffe einen entscheidenden Vorteil: Sie heben sich von Fachbegriffen aller EU-Amtssprachen gleichermaßen ab. Das fördert nicht nur die begriffliche Klarheit, sondern macht auch darauf aufmerksam, dass das europäische Kollisionsrecht dogmatisch nicht unbedingt genauso zu behandeln ist wie das nationale autonome IPR. Demnach kommt Latein als Extraktsprache eine Klarstellungs- und Hinweisfunktion zu. Letztlich sprechen die gewichtigeren Gründe dafür, Latein als Extraktsprache zu wählen. Das bedeutet für das europäische IPR: Alle seine Methoden- und Systembegriffe sollten aus dem Lateinischen gebildet und einheitlich in allen Amtssprachen der EU definiert werden. Im Folgenden werden sie gleichwohl nur auf Deutsch definiert, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen.

V. Beispiel: Kollisionsnormstruktur Mithilfe des hier favorisierten Extraktsprachenansatzes lassen sich beispielsweise die kollisionsrechtlichen Methoden- und Systembegriffe zur Kollisionsnormstruktur durch lateinische termini technici vereinheitlichen. 1) Nationale Methoden- und Systembegriffe Im Moment wird in den Mitgliedstaaten der EU mit Methoden- und Systembegriffen zur Kollisionsnormstruktur gearbeitet, die sich sprachlich unterscheiden. In England wird bei den Elementen einer „choice of law rule“ zwischen „judicial/legal categories“ und „connecting factors“ unterschieden. 81 „Judicial/legal categories“ sind die systematischen Einteilungen, die eine Rechtsordnung für ihre Regeln trifft.82 Der „connecting factor“ ist demgegenüber der Bestandteil einer Kollisionsnorm, der die Verbindung zwischen einer „judicial/legal category“ und der maßgeblichen Rechtsordnung herstellt.83 Die rechtliche Folge einer „choice of law rule“ ist also stets der Verweis auf das anzuwendende Recht. Nach französischem Verständnis setzen sich „règles de conflit“ aus einer „catégorie (de rattachement)“ und einem „(facteur/point de) rattachement“ zusammen.84 Die „catégorie (de rattachement)“ definiert einen Typus von Rechtsfragen, der idealiter einer der großen systematischen Eintei__________ 81 82 83 84

Vgl. Collins (Hrsg.), CoL I, Rdnr. 1-078 m.w.Nachw. (Fn. 4). Vgl. statt aller Cheshire, PIL, S. 42. Vgl. statt aller Collier, CoL, S. 11. Vgl. statt aller Monéger, DIP, Rdnr. 72.

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1. Kap.: Grundlagen

lungen entspricht, unter die eine Rechtsordnung ihre Regeln gruppiert.85 Der „(facteur/point de) rattachement“ ist hingegen der Faktor, der die Verbindung zwischen der „catégorie (de rattachement)“ und dem anwendbaren Recht und damit letztlich auch die Rechtsfolge herbeiführt.86 In Österreich ist die Struktierung einer Kollisionsnorm durch die Ausdrücke „Verweisungsbegriff/Anknüpfungsgegenstand“ und „Anknüpfungsmoment/-merkmal/-punkt“ geprägt.87 Erstere umschreiben die zu beurteilenden Rechtsinstitute typenmäßig, Letztere ordnen sie dem anwendbaren Recht zu.88 Das heißt, mithilfe des „Anknüpfungspunktes“ spricht eine Kollisionsnorm die Verweisung auf das anzuwendende Recht und damit ihre rechtliche Folge aus.89 Die spanische IPR-Terminologie unterscheidet bei „normas de conflicto“ zwischen den „categorías jurídicas“ und den „puntos de conexión“.90 „Categorías jurídicas“ sind weit gefasste Begriffe, die diejenigen rechtlichen Institute umschreiben, für die das anzuwendende Recht bestimmt werden soll.91 Der „punto de conexión“ verbindet eine bestimmte „categoría jurídica“ mit der maßgeblichen Rechtsordnung.92 Er führt zum Verweis auf das anzuwendende Recht und damit zur Rechtsfolge einer „norma de conflicto“.93 In Deutschland differenziert die kollisionsrechtliche Fachsprache beim Aufbau einer Kollisionsnorm zwischen den Ausdrücken „Anknüpfungs-/ Verweisungsgegenstand“ einerseits und „Anknüpfungspunkt/-grund/-merkmal/-moment/-tatsache“ andererseits.94 Der „Anknüpfungs-/Verweisungsgegenstand“ bezeichnet den Systembereich einer Privatrechtsordnung, für den das anzuwendende Recht ermittelt werden soll.95 Der „Anknüpfungspunkt“ stellt die Verbindung zwischen dem „Anknüpfungs-/Verweisungsgegenstand“ und dem anwendbaren Recht her.96 Anders als der „Anknüpfungs-/Verweisungsgegenstand“ ist er kein System- bzw. Sammelbegriff, sondern ein Faktum.97 Es dient zur Verweisung auf die maßgebliche __________ 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97

Dazu ausführlich Niboyet/de Geouffre de La Pradelle, DIP, Rdnr. 158–165. Vgl. statt aller Audit, DIP, Rdnr. 104. Vgl. statt aller Schwind, IPR, Rdnr. 50. Vgl. statt aller Schwimann, IPR, S. 19. Vgl. statt aller Schwimann, ebda. Vgl. statt aller Fernández Rozas/Sánchez Lorenzo, DIP, Rdnr. 85. Dazu statt aller Esplugues Mota/Iglesias Buhigues, DIP, S. 177 f. Vgl. statt aller Esplugues Mota/Iglesias Buhigues, ebda. S. 178. Dazu statt aller Fernández Rozas/Sánchez Lorenzo, a.a.O. (Fn. 90) Rdnr. 85. Dazu ausführlich Kropholler, IPR, § 13 II 1 und 2. Vgl. statt aller v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnr. 5 f. Statt aller v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 Rdnr. 1. Vgl. statt aller Dörner, StAZ 1988, 345 (347).

§ 2 Terminologie für das europäische IPR

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Rechtsordnung und somit auch dazu, die Rechtsfolge einer Kollisionsnorm auszusprechen.98 2) Gemeinsamer Inhalt der nationalen Begrifflichkeiten Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, unterscheidet sich die kollisionsrechtliche Terminologie in den Mitgliedstaaten der EU zwar sprachlich, nicht aber inhaltlich. In allen erörterten Rechtsordnungen werden Kollisionsnormen in drei Elemente unterteilt: (1) Umschreibung einer rechtlichen Kategorie, (2) verknüpfendes Faktum und (3) Verweisung auf das anzuwendende Recht. Die Umschreibung der rechtlichen Kategorie legt den Bereich fest, für den das anzuwendende Recht ermittelt werden soll. Sie wird über das verknüpfende Faktum ihrer Kollisionsnorm mit der maßgeblichen Privatrechtsordnung verbunden. Mit seiner Hilfe wird die Verweisung auf das anzuwendende Recht und damit die Rechtsfolge einer Kollisionsnorm ausgesprochen. 3) Definition der Konzepte und Zuordnung zu Begriffen aus der Extraktsprache Die drei oben behandelten Kollisionsnormelemente müssen aber noch definitorisch präzisiert und einer Formulierung aus der Extraktsprache zugeordnet werden. Das erste Element einer Kollisionsnorm ist die typenmäßige Beschreibung des privatrechtlichen Normbereichs, für den das anzuwendende Recht bestimmt werden soll.99 Dieses Element sollte in einer einheitlichen europäischen Terminologie als res conectenda bezeichnet werden. Die res conectenda von Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist beispielsweise ein „außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung“100. Der zweite Bestandteil einer Kollisionsnorm ist das Faktum, das die Verbindung zwischen der res conectenda und der für sie maßgeblichen Rechtsordnung herstellt.101 Dieses Merkmal sollte im europäischen IPR einheitlich factum conectens genannt werden. Factum conectens von Art. 4

__________ 98 Statt aller Kropholler, IPR, § 13 II 2. 99 Vgl. die entsprechenden Nachweise unter Kap. 1 § 2 V 1) (S. 19 ff.). 100 „Non-contractual obligation arising out of a tort/delict“, „obligation

non contractuelle résultant d’un fait dommageable“, „obligación extracontractual que se derive de un hecho dañoso“. 101 Vgl. dazu auch die korrespondierenden Zitate unter Kap. 1 § 2 V 1) (S. 19 ff.).

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1. Kap.: Grundlagen

Abs. 1 Rom II-VO ist zum Beispiel der Ort, „in dem der Schaden eintritt“102. Das dritte Merkmal einer Kollisionsnorm ist ihre rechtliche Folge, namentlich ihr Verweis auf die Rechtsordnung, die für die res conectenda maßgeblich ist.103 Dieses Kollisionsnormelement sollte im unionsrechtlichen IPR als conexus cum lege causae bezeichnet werden. Bei Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO besteht er beispielsweise darin, für außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung das „Recht des Staates“ 104 zu berufen, „in dem der Schaden eintritt“105. Eine Unionsnorm, die alle drei genannten Bestandteile enthält, sollte EU-weit norma conflictionis legum genannt werden. Allerdings existieren im europäischen IPR nicht nur normae conflictionis legum. Es hält darüber hinaus kollisionsrechtliche Vorschriften bereit, die nicht alle drei Kollisionsnormelemente aufweisen und dazu dienen, den Rechtsanwendungsvorgang bei Sachverhalten mit Auslandsbezug näher auszugestalten. Solche Unionsregelungen sollten als normae auxilii bezeichnet werden. Beispiele für solche Regelungen finden sich etwa in Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO (Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung) oder in Art. 21 Rom I-VO, 26 Rom II-VO (ordre public).

VI. Fazit Unter juristischer Terminologie sind allgemein alle von Rechtswissenschaft und -praxis verwandten rechtlichen Fachausdrücke zu verstehen, und zwar unabhängig von deren Ursprung. Für die Frage nach einer EU-weit einheitlichen Terminologie für das europäische Kollisionsrecht sind nur solche Begriffe behandelt worden, die nicht gesetzlicher Herkunft sind, sondern Ergebnis und Gegenstand wissenschafts- und praxisinterner Terminologiebildung. Für die Entwicklung solcher Methoden- und Systembegriffe ist ein euroautonomer Extraktsprachenansatz vorgeschlagen worden. Danach werden den Inhalten, die hinter kollisionsrechtlichen Methoden- und Systembegriffen stehen, lateinische Begriffe zugeordnet. Auf diese Weise kann man für das europäische Kollisionsrecht unionsweit einheitliche termini technici bilden, so zum Beispiel für die Strukturierung von Kollisionsnormen: __________ 102

„In which the damage occurs“, „où le dommage survient“, „donde se produce el

daño“. 103 104 105

daño“.

Vgl. dazu auch die Nachweise zum nationalen IPR in Kap. 1 § 2 V 1) (S. 19 ff.). „Law of the country“, „celle [la loi] du pays“, „la [la ley] del país“. „In which the damage occurs“, „où le dommage survient“, „donde se produce el

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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Eine norma conflictionis legum besteht aus einer res conectenda, einem factum conectens und einem conexus cum lege causae. Die res conectenda ist die typenmäßige Umschreibung des privatrechtlichen Normbereiches, für den das anzuwendende Recht ermittelt werden soll. Das factum conectens verbindet die res conectenda und das für sie anzuwendende Recht miteinander. Mithilfe dieses Kollisionsnormelements wird der conexus cum lege causae umgesetzt. Das ist der Verweis auf die Rechtsordnung, die für die res conectenda berufen ist. Kollisionsrechtliche Unionsnormen, die nicht all diese Elemente beinhalten, aber den Rechtsanwendungsvorgang bei internationalen Sachverhalten näher ausgestalten, sollten normae auxilii genannt werden.

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR § 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

Nicht nur die Terminologievereinheitlichung steht im europäischen Kollisionsrecht noch am Anfang ihrer Entwicklung,106 sondern auch die Methodik der Rechtsanwendung. Daher lautet die zentrale Frage: Wie sollte die juristische Methodik im unionsrechtlichen IPR beschaffen sein? Zur Beantwortung dieser Frage scheidet der Rückgriff auf eine ausdrückliche Methodenregelung aus. Denn das europäische Kollisionsrecht enthält weder eine dem Art. 18 EVÜ noch eine dem Art. 7 CISG107 entsprechende Rechtsnorm.108 Um eine juristische Methodik für das europäische IPR zu erarbeiten, bleibt deswegen nichts anderes übrig, als die methodischen Grundsätze heranzuziehen, die sich zum (sekundären) Unionsrecht entwickelt haben. Das ist vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass das unionsrechtliche Kollisionsrecht zum (Sekundär-)Recht der EU zählt.109

I. Begriffe und Abgrenzung Wirft man einen Blick auf die methodischen Prinzipien, die sich zum (sekundären) Unionsrecht entwickelt haben, stellt man zunächst fest: __________ 106 107

Dazu ausführlich Kap. 1 § 2 I bis VI (S. 12 ff.). Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980 (BGBI. 1989 II S. 588) (im Folgenden: CISG). 108 Ebenfalls auf das Fehlen einer dem Art. 18 EVÜ entsprechenden Norm hinweisend: Für die Rom I-VO vgl. statt vieler MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 14; für die Rom II-VO vgl. statt vieler MünchKomm/Junker, Vor Art. 1 Rom IIVO Rdnr. 28. 109 So in der Argumentation, inhaltlich allerdings auf das europäische Sekundärrecht beschränkt Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (588).

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1. Kap.: Grundlagen

1) Begriffe Die grundlegenden Ausdrücke „Auslegung“ und „Rechtsfortbildung“ werden in unterschiedlicher Weise gebraucht. a) Auslegung Der Terminus „Auslegung“ wird sowohl im engeren110 als auch im weiteren111 Sinne verwandt. aa) Begriff Unter Auslegung im engeren Sinne versteht man die Methoden zur Interpretation geschriebenen Rechts (im Folgenden: Auslegung i.e.S. oder enger Auslegungsbegriff).112 Die Auslegung im weiteren Sinne umfasst darüber hinaus noch die Rechtsfortbildung (im Folgenden: Auslegung i.w.S. oder weiter Auslegungsbegriff).113 Letztere bezeichnet nach gängigem Verständnis die Rechtsgewinnung, die über die klassischen Auslegungsregeln hinausreicht.114 bb) Stellungnahme Für den weiten Auslegungsbegriff wird vorgetragen, dass die Trennung von Auslegung und Rechtsfortbildung in Deutschland historisch bedingt __________ 110 Den engen Auslegungsbegriff befürwortend: Adrian, Grundprobleme, S. 891–893; Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 2–4; Brandt, Chancen, S. 95; Buck, Auslegungsmethoden, S. 50; Calliess, NJW 2005, 929 (929 f.); Dänzer-Vanotti, RIW 1992, 733 (734); ders., in: FS Everling I, S. 205 (205); Dobler, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (514–521); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 575 f.; Gruber, Methoden, S. 275; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (535); Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, S. 43 f. im Kontext zu S. 49; Hess, IPRax 2006, 348 (361–363); Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (6 und 35); Joussen, Auslegung, S. 50 und 131; Kropholler, IntEinR, S. 258 im Kontext zu S. 292; Mittmann, Rechtsfortbildung, S. 239; Neßler, RIW 1993, 206 (209); Riesenhuber, System, S. 66; ders., in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 20; Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 70; Walter, Rechtsfortbildung, S. 58, 75 f. und 368; Wieland, NJW 2009, 1841 (1843). 111 Den weiten Auslegungsbegriff favorisierend: Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 39 f.; Bieber, in: ders./Ress (Hrsg.), Dynamik, S. 283 (288); Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (401 f.); Dumon, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung III, S. 1 (12); Groh, Auslegungsbefugnis, S. 177 f. und 230; Henninger, Methode, S. 321, 392 f. und 447; HoffmannBecking, Normaufbau, S. 154; Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung I, S. 1 (7); Schroeder, System, S. 63; ders., JuS 2004, 180 (184). 112 Vgl. Anweiler, ebda. S. 25 m.w.Nachw. (Fn. 93 f.). 113 Vgl. Joussen, a.a.O. (Fn. 110) S. 46 m.w.Nachw. (Fn. 171). 114 Vgl. statt aller Franzen, a.a.O. (Fn. 110) S. 575.

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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sei und in der Gegenwart keine Berechtigung mehr habe.115 Der historische Befund ist zutreffend.116 Außerdem ist allgemein anerkannt, dass eine klare Grenzziehung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung unmöglich ist.117 Das rechtfertigt jedoch noch nicht, der Trennung beider Methoden ihre Legitimation abzusprechen. Denn auch im Unionsrecht muss die der Gerichtsbarkeit grundsätzlich übertragene Auslegungsaufgabe von der ihr prinzipiell nicht zustehenden Rechtsetzungstätigkeit unterschieden werden.118 Das verlangen die Prinzipien des Unionsverfassungsrechts, namentlich das institutionelle Gleichgewicht, das Demokratieprinzip, die Rechtssicherheit und der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung.119 Gegen die Unterscheidung von Auslegung und Rechtsfortbildung könnte jedoch der Charakter des Unionsrechts als dynamische Teilrechtsordnung sprechen.120 So argumentiert man teilweise, der EuGH müsse wegen der Lückenhaftigkeit des EU-Rechts dort subsidiär Integrationsarbeit leisten, wo die zuständigen Organe sie nicht bzw. nicht hinreichend erfüllen.121 Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass die Eigenschaft des Unionsrechts als Teilrechtsordnung nicht den weiten, sondern den engen Auslegungsbegriff stützt: Wie auch in anderen Rechtsordnungen geht es im EU-Recht bei der Rechtsfortbildung letztlich darum, ob der Richter die Rechtsfrage beantworten darf oder ob er auf den Gesetzgeber verweisen muss.122 Dabei ist die Besonderheit, dass der Richter die Antwort auf die Rechtsfrage zwei Gesetzgebern überlassen kann: dem der jeweiligen Mitgliedstaaten oder dem der EU.123 Das heißt, bei der Rechtsfortbildung ist nicht nur ein rechtsetzendes Organ vor unbefugten Eingriffen durch die Gerichtsbarkeit zu schützen, sondern sogar zwei. Umso wichtiger ist auch die Warn- und Hinweisfunktion, die von der Trennung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung ausgeht. Diese Unterscheidung bringt nämlich schon begrifflich zum Ausdruck, dass die Rechts-

__________ 115 116 117 118

So Joussen, Auslegung, S. 47 f. Dazu näher Hoffmann-Becking, Normaufbau, S. 150 f. m.w.Nachw. (Fn. 2 f.). Vgl. statt aller Walter, Rechtsfortbildung, S. 75. So ausdrücklich Riesenhuber, System, S. 66. Im Ergebnis ebenso Dobler, in: Roth/ Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (549). 119 Vgl. Riesenhuber, ebda. S. 65 f. m.w.Nachw. (Fn. 83–94). 120 So etwa: Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 39 f.; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 177 f.; Henninger, Methode, S. 299; Joussen, a.a.O. (Fn. 115) S. 48. 121 So ausdrücklich Anweiler, ebda. S. 36. Ihm folgend Henninger, ebda. Ebenso im Ergebnis: Groh, ebda.; Joussen, ebda. 122 Bieber, in: ders./Ress (Hrsg.), Dynamik, S. 283 (288). 123 Vgl. Bieber, ebda. (288 f.).

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1. Kap.: Grundlagen

fortbildung wegen des erhöhten richterlichen Wertungsspielraums gesteigerten Rechtfertigungspflichten unterliegt.124 Die höhere Argumentationslast bei der Rechtsfortbildung ist jedoch nicht der einzige Gesichtspunkt, in dem Interpretation und Rechtsfortbildung voneinander abweichen. Vielmehr bestehen zwischen ihnen methodische Unterschiede, insbesondere hinsichtlich ihrer Grenzen, so dass beide voneinander getrennt werden sollten.125 Allerdings lässt sich eine Tatsache nicht von der Hand weisen: Der EuGH differenziert begrifflich nicht zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung, sondern fasst beide Vorgänge unter den Ausdruck „interprétation“.126 Dies ist jedoch kein zwingendes Argument für den weiten Auslegungsbegriff. Denn die Terminologie des Gerichtshofs ist kein unabänderlicher Fixpunkt. Der weite Auslegungsbegriff könnte aber deshalb überzeugend sein, weil er anders als der enge auch ungeschriebenes Recht umfasst. 127 Das ist aber keine Stärke, sondern eine Schwäche. Denn damit vermengt er die methodische Arbeit im Bereich des geschriebenen und ungeschriebenen Rechts; und gerade in Letzterem ist das Bedürfnis nach Transparenz noch sehr viel größer, um die rechtsetzenden Organe zu schützen und die Rechtsanwendung für den Bürger vorhersehbar zu machen. Im Ergebnis sprechen die besseren Argumente dafür, auch auf unionsrechtlicher Ebene zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung zu unterscheiden. Erstere ist die Interpretation geschriebenen Rechts; von ihr zu trennen ist das Auffinden von Regelungen für solche Bereiche, die nicht ausdrücklich vom geschriebenen Recht normiert werden. Ob diese methodische Arbeit auf europäischer Ebene „Rechtsfortbildung“ genannt werden sollte, ist eine andere Frage. b) Rechtsfortbildung Diese Frage führt zu der Folgefrage, was unter „Rechtsfortbildung“ zu verstehen ist und ob die damit bezeichneten Konzepte auf die Unionsebene übertragen werden sollten.

__________ 124 125 126 127

Dobler, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (514). Vgl.: Metzger, S. 394; Walter, Rechtsfortbildung, S. 58. Vgl. Grosche, Rechtsfortbildung, S. 1 m.w.Nachw. (Fn. 3). So Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 40.

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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aa) Begriff Zum Begriff „Rechtsfortbildung“ existiert weder auf deutscher noch auf europäischer Ebene eine einheitliche, allgemein anerkannte Definition.128 Als „Rechtsfortbildung“ wird aber üblicherweise die Rechtsgewinnung bezeichnet, die über die Anwendung der klassischen Regeln der Auslegung hinausgeht.129 Was die so verstandene Rechtsfortbildung auf Unionsebene angeht, lässt sich eine deutliche Tendenz ausmachen: Die Literatur überträgt ganz überwiegend130 das innerstaatliche131 Modell zur Rechtsfortbildung. Danach wird unterschieden zwischen: gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung praeter legem (Lückenfüllung im Rahmen des ursprünglichen Plans des Gesetzgebers), gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung extra legem (über die Gesetzesgrenze hinaus, aber noch im Rahmen der Gesamtrechtsordnung) und Rechtsfortbildung contra legem (über die Gesamtrechtsordnung hinaus).132 Obwohl die Mehrheit der Autoren dieses Modell heranzieht, ergeben sich in zweierlei Hinsicht Unterschiede zwischen den jeweiligen Ansätzen. Zum einen weichen die Übertragungsversuche darin voneinander ab, welche der drei Kategorien (Rechtsfortbildung praeter legem, extra legem, contra legem) sie ausdrücklich übernehmen.133 Zum anderen unterscheiden sie sich teilweise terminologisch erheblich voneinander.134 Allerdings wendet sich im Schrifttum auch so manche135 Stimme gegen die mehrheitlich vorgenommene Übertragung des innerstaatlichen Modells. Vielmehr sei zwischen zulässiger und unzulässiger Rechtsfortbildung zu differenzieren.136 __________ 128

Statt aller Wank, in: FS Stahlhacke, S. 633 (634). Zur Fülle an Verwendungsweisen des Rechtsfortbildungsbegriffs vgl. Grosche, Rechtsfortbildung, S. 88 f. 129 Vgl. statt vieler Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 575. 130 S. u. a.: Adrian, Grundprobleme, S. 891–893; Borchardt, in: GS Grabitz, S. 29 (31 im Kontext zu 37); ders., in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 3 f.; Calliess, NJW 2005, 929 (932); Franzen, ebda. S. 576 f.; Gruber, Methoden, S. 276; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (5); Neßler, RIW 1993, 206 (209 f.); Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 26; Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 70; Walter, Rechtsfortbildung, S. 76. 131 Vgl. statt aller Larenz, Methodenlehre, Kap. 5. 132 Vgl. Ukrow, a.a.O. (Fn. 130) m.w.Nachw. (Fn. 12). 133 Vgl. nur Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), a.a.O. (Fn. 130) im Gegensatz zu Neuner, a.a.O. (Fn. 130). 134 Vgl. etwa Gruber, a.a.O. (Fn. 130) S. 276 f. im Gegensatz zu Neßler, a.a.O. (Fn. 130). 135 Bieber, in: ders./Ress (Hrsg.), Dynamik, S. 283 (289 f.); Henninger, Methode, S. 410 und 447; Vitzthum, GPR 2009, 129 (130); Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (254). 136 So: Henninger, ebda. S. 410; Vitzthum, ebda.; Vogenauer, ebda.

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1. Kap.: Grundlagen

bb) Stellungnahme Bei genauerer Betrachtung wird zunächst deutlich, dass die Unterscheidung zwischen zulässiger und unzulässiger Rechtsfortbildung keine echte Alternative zum innerstaatlichen Modell ist, sondern nur eine weitere Abwandlung. Zum einen wird der Ausdruck „Rechtsfortbildung“ dem innerstaatlichen Ansatz entlehnt. Zum anderen sind die beiden Kategorien „zulässig“ und „unzulässig“ im Ergebnis nur Oberbegriffe für Rechtsfortbildung praeter legem und extra legem („zulässig“) auf der einen Seite und Rechtsfortbildung contra legem („unzulässig“) auf der anderen. Daher kann sich die Stellungnahme auf die Frage beschränken, ob innerstaatliche Konzeptionen und Begrifflichkeiten auf die unionsrechtliche Ebene übertragen werden sollten oder nicht. Schon der Begriff der „Rechtsfortbildung“ ist in den anderen Mitgliedstaaten keineswegs geläufig und im innerstaatlichen Bereich umstritten. 137 Bereits deswegen ist es bedenklich, den Begriff und die hinter ihm stehenden Konzepte für die Unionsebene zu benutzen. Ein Transfer des innerstaatlichen Modells und dessen Terminologie könnte aber mangels erkennbarer unionsrechtlicher Methodik erforderlich sein.138 Richtig daran ist, dass auf europarechtlicher Ebene kaum umfassende, rechtsmethodische Untersuchungen zur Rechtsfortbildung existieren.139 Daraus ergibt sich aber nicht zwingend, dass ein Rückgriff auf den innerstaatlichen Ansatz und dessen Begriffskanon notwendig ist. Außerdem lassen sich die nationalen Rechtsfortbildungs- bzw. Lückenschließungsregeln nicht ohne weiteres auf die Unionsebene übertragen.140 Denn es ist wegen der Rückgriffsmöglichkeit auf das nationale Recht bereits zweifelhaft, ob Lücken oder „planwidrige Unvollständigkeiten“ im EU-Recht überhaupt existieren.141 Allerdings kann keiner bestreiten, dass das EU-Recht insoweit lückenhaft ist, als dass es bestimmte Sachverhalte ungeregelt lässt. Je nach Kompetenzverteilung und -ausübung obliegt es dann entweder dem supranationalen oder dem nationalen Gesetzgeber, den Sachverhalt rechtlich zu normieren.142 Ob er tätig wird oder nicht, bleibt ihm überlassen. Anders sieht es bei der Gerichtsbarkeit aus. Sie hat einen Fall auch dann zu entscheiden, wenn er im Unionsrecht nicht (vollständig) geregelt ist. Dann muss sie die __________ 137 138 139 140

Statt vieler Schulze/Seif, in: dies. (Hrsg.), Richterrecht, S. 1 (4). So Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 576. Vgl. Walter, Rechtsfortbildung, S. 18 m.w.Nachw. (Fn. 5). Schulze/Seif, a.a.O. (Fn. 137) (5 f.); Bleckmann, ZGR 1992, 364 (367). Zu den Schwierigkeiten bei der Übertragung des innerstaatlichen Rechtsfortbildungsmodells statt vieler Stein, in: FS Uni Heidelberg, S. 619 (628–630). 141 Schulze/Seif, ebda. Noch weiter gehend Henninger, Methode, S. 410. 142 Vgl. Bieber, in: ders./Ress (Hrsg.), Dynamik, S. 283 (288 f.).

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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bestehende Lücke unter Umständen schließen. Dazu kann sie entweder auf nationales oder supranationales Recht zurückgreifen.143 Insofern haben Lücken im EU-Recht eine „Doppeldimension“144, die den traditionellen nationalen Lückenschließungskonzepten und deren Terminologie unbekannt ist. Ein weiteres Argument gegen die Anwendung eines nationalen Rechtsfortbildungsansatzes und seiner Begrifflichkeiten ist noch viel grundsätzlicherer Natur. Die Problematik der richterlichen Rechtsfortbildung ist äußerst differenziert ausgestaltet, weswegen eine allgemein verbindliche Lösung für alle Rechtsgebiete ausscheidet.145 Vielmehr hängt sie entscheidend von den Strukturen und den Anforderungen ab, die ein Rechtsgebiet an die Gerichtsbarkeit stellt.146 Im Ergebnis sollte man davon absehen, einen traditionellen innerstaatlichen Rechtsfortbildungsansatz und seine Terminologie unmodifiziert auf die Unionsebene zu übertragen. Dennoch ist ein Begriff erforderlich, um die methodische Arbeit jenseits der Normauslegung zu bezeichnen.147 Dazu kann der international geläufige Begriff der „Lückenschließung“ bzw. „Lückenfüllung“ verwandt werden. Darunter ist das Ausfindigmachen von Regelungen für Bereiche zu verstehen, die das geschriebene EU-Recht nicht ausdrücklich normiert. c) Ergebnis Im europäischen Kollisionsrecht ist zwischen Auslegung und Lückenschließung bzw. -füllung zu unterscheiden. Dabei umfasst die Auslegung begrifflich die Methoden zur Interpretation geschriebenen Rechts. Die Lückenschließung umschreibt dagegen die methodische Arbeit zum Auffinden von Regelungen für den Fall, dass ein bestimmter Bereich nicht ausdrücklich vom geschriebenen Unionsrecht normiert wird. Die Konzepte, die hinter der Auslegung und Lückenfüllung im unionsrechtlichen IPR stehen sollten, werden später148 noch erarbeitet und lateinischen Begriffen zugeordnet.149

__________ 143 Vgl.: Bieber, in: ders./Ress (Hrsg.), Dynamik, S. 283 (289 f.); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 605 f. 144 So Franzen, ebda. S. 606. 145 Vgl. Schwarze, Befugnis, S. 183 m.w.Nachw. (Fn. 4). 146 Vgl. Schwarze, ebda. S. 184. 147 S. Kap. 1 § 3 I 1) a) bb) (S. 24 ff.). 148 S. Kap. 1 §§ 4 und 5 (S. 40 ff.). 149 Ausführlich zur Terminologievereinheitlichung Kap. 1 § 2 (S. 11 ff.).

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1. Kap.: Grundlagen

2) Abgrenzung zwischen Auslegung und Lückenschließung Die zuvor entwickelten Definitionen der Auslegung und Lückenfüllung haben die Frage offengelassen, wie beide methodischen Arbeitsweisen im europäischen IPR voneinander abzugrenzen sind. a) Lösungsvorschläge Folgt man dem überwiegenden150 Schrifttum, sollten Auslegung und Lückenschließung auf Unionsebene mittels der sog. „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ voneinander abgegrenzt werden. Während die Auslegung noch mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar sei, überschreite die Lückenfüllung diese Grenze.151 Fraglich ist jedoch, wo man bei einer mehrsprachigen EU-Rechtsnorm ansetzen sollte, um die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ zu ermitteln. Theoretisch kommen mindestens elf Anknüpfungspunkte in Betracht,152 von denen im Schrifttum aber bislang nur einige wenige vertreten werden. Für manche153 markiert die weiteste Sprachfassung die Grenze der Auslegung. Andere154 halten die eigene Sprachfassung des Rechtsunterworfenen so lange für maßgeblich, bis Letzterer an der Richtigkeit des Auslegungsergebnisses zweifeln muss. Schließlich kann man auch davon absehen, zur Ermittlung der „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ nur eine einzige Sprachfassung heranzuziehen. Dann ist für die Norminterpretation entscheidend, dass ihr Ergebnis dem Normtext aller Sprachfassungen juristisch-methodisch zurechenbar sein muss.155 Das ist jedenfalls zu verneinen, wenn es sich im Normtext überhaupt keiner Sprachfassung mehr niederschlägt.156 __________ 150

So zur Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung: Adrian, Grundprobleme, S. 301, 304, 374, 855 und 891–893; Bleckmann, in: GS Constantinesco, S. 61 (65); Brandt, Chancen, S. 95; Dänzer-Vanotti, in: FS Everling I, S. 205 (205); Dobler, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (514, 518); Gruber, Methoden, S. 275 f.; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (535); Kropholler, IntEinR, S. 292; Neßler, RIW 1993, 206 (209); Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 17; Riesenhuber, System, S. 66 f.; ders., in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 20; SchübelPfister, Sprache, S. 470; Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 72 f.; Walter, Rechtsfortbildung, S. 72 f. und 75. Ebenso zu staatsvertraglichen Kollisionsnormen Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 107. 151 Dobler, ebda. (514) m.w.Nachw. (Fn. 10). 152 Dazu näher Adrian, a.a.O. (Fn. 150) S. 364–367. 153 So: Adrian, a.a.O. (Fn. 150) S. 374, 939; Walter, a.a.O. (Fn. 150) S. 72 f., 75, 368. 154 So Schübel-Pfister, a.a.O. (Fn. 150). 155 Vgl.: Buerstedde, Methodik, S. 27 und 169; Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 670. 156 Vgl.: Gruber, a.a.O. (Fn. 150) S. 139; Grundmann/Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 150). Ebenso zu mehrsprachigen Gesetzestexten Dölle, RabelsZ 26 (1961), 4 (28).

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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Dann ist die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ von der Auslegung zur Lückenfüllung überschritten. Die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ wird teilweise157 auch völlig abgelehnt. Wo man Alternativen vorschlägt, setzt man zur Abgrenzung zwischen Auslegung und Lückenschließung bei den ursprünglichen Zielen des Gesetzgebers an,158 oder aber man zieht zur Abgrenzung die Interpretation selbst heran:159 Bei der Lückenfüllung gehe es um die Schließung der Lücken, die sich zwischen dem Auslegungsergebnis und den aus der Gesamtrechtsordnung erwachsenden Ansprüchen an den Inhalt des fraglichen Regelungswerkes ergeben. b) Stellungnahme Fraglich ist, welche Grenzziehung zwischen Auslegung und Lückenschließung vorzugswürdig ist. Die Abgrenzung durch die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ sieht sich insbesondere drei grundlegenden Einwänden ausgesetzt. Erstens sei sie wegen der Mehrsprachenauthentizität nicht oder nur schwer möglich.160 Zweitens enthalte der Wortlaut von vorneherein keine festgelegte objektivierbare Bedeutung.161 Drittens werde die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ der Lückenhaftigkeit und Dynamik des EU-Rechts nicht hinreichend gerecht.162 Alle drei Einwände vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Erstens ist die Abgrenzung nach der „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ im Unionsrecht möglich und nicht unzumutbar schwer, da man auf eine einzelne Sprachfassung oder die juristisch-methodische Zurechenbarkeit abstellen kann.163 Zweitens zeigen die Ergebnisse der analytischen Sprachphilosophie, dass der Wortsinn die Auslegungsgrenze darstellt.164 Drittens folgt aus der sog. dynamischen Auslegung165, dass für die Ermittlung der „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ auf den Zeitpunkt der Rechtsanwendung __________ 157 So zur Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung: Borchardt, in: Schulze/ Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 3; Henninger, Methode, S. 296; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (10); Hoffmann-Becking, Normaufbau, S. 297; Wank, in: FS Stahlhacke, S. 633 (634 f.). 158 So zur Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung: Henninger, ebda. im Kontext zu S. 391 f.; Höpfner/Rüthers, ebda. (4 f.). 159 So zur Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung: Borchardt, in: GS Grabitz, S. 29 (37); ders., a.a.O. (Fn. 157). 160 Vgl. statt vieler Höpfner/Rüthers, a.a.O. (Fn. 157) (10 f.). 161 Dazu ausführlich Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 630–641. 162 Vgl. Groh, Auslegungsbefugnis, S. 177. 163 Zu den entsprechenden Abgrenzungsansätzen s. Kap. 1 § 3 I 2) a) (S. 30 f.). 164 Vgl. Walter, Rechtsfortbildung, S. 22 f. m.w.Nachw. (Fn. 11–18). 165 Dazu näher Kap. 1 § 4 II 2) b) dd) (2) (b) (cc) (S. 75 f.).

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1. Kap.: Grundlagen

abzustellen ist.166 Demnach wird die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ auch der Dynamik des EU-Rechts und der mit ihr verbundenen Lückenhaftigkeit gerecht. Alles in allem sind die Einwände gegen die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ nicht überzeugend. Sie kann sich vielmehr auf gute Gründe stützen. Sie ist ein formales und allgemein erkennbares Abgrenzungskriterium.167 Darüber hinaus bildet der Normtext für den Rechtsunterworfenen einen Vertrauenstatbestand, den es zu schützen gilt.168 Kurz: Die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ dient nicht nur der Transparenz, sondern auch dem Vertrauensschutz. Damit wird sie auch den drei großen Zielen des europäischen Kollisionsrechts gerecht, namentlich der Transparenz, der Erhöhung der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts.169 Im Ergebnis sprechen also die gewichtigeren Gründe dafür, die Grenze zwischen Auslegung und Lückenschließung auch im unionsrechtlichen IPR sachlich am Wortlaut der fraglichen Vorschrift festzumachen. Wo aber sollte der Ansatzpunkt für diese Grenze sein? Gegen die generelle Bevorzugung einer bestimmten Sprachfassung ist anzuführen, dass jede Amtssprache im EU-Recht grundsätzlich gleichermaßen verbindlich ist.170 Daher ist das Kriterium der juristisch-methodischen Zurechenbarkeit vorzugswürdig.171 Es muss aber noch weiter präzisiert werden: Damit (noch) Norminterpretation vorliegt, muss sich das Auslegungsergebnis zwischen dem Wortsinn bzw. sprachlichen Sinn der engsten und der weitesten Sprachfassung bewegen. Also darf es nicht enger als die engste Deutungsmöglichkeit sein und nicht weiter als die weiteste. In diesem Rahmen kann nur eine einzige Deutungsmöglichkeit die Grenze zwischen Auslegung und Lückenschließung bilden. Welche das ist, muss sich aus der gesamten Interpretation der fraglichen Vorschrift ergeben. Insofern muss das Auslegungsergebnis dem Normtext aller Sprachfassungen juristisch-methodisch zurechenbar sein. Daraus folgt für das europäische Kollisionsrecht: Auslegung liegt vor, solange das Auslegungsergebnis dem Normtext aller Sprachfassungen juristisch-methodisch zurechenbar ist. Wie die Prüfung dieser Zurechenbarkeit durchgeführt werden sollte, ist im voranstehenden Absatz präzisiert worden. Aus den dortigen Ausführungen ergibt sich, dass eine juristisch__________ 166 167 168

S. dazu ebda. Riesenhuber, System, S. 66. Ähnl. zum Verhältnis von Auslegung und Rechtsfortbildung Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 17. 169 Zu den Zielen der Rom I- und Rom II-VO vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178). 170 Vgl. statt aller Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (10). 171 Zu diesem Kriterium s. Kap. 1 § 3 I 2) a) (S. 30 f.).

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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methodische Zurechenbarkeit jedenfalls ausscheidet, wenn das Auslegungsergebnis außerhalb der engsten oder jenseits der weitesten Deutungsmöglichkeit liegt.

II. Befugnis des EuGH zur Rechtsfindung Nachdem Auslegung und Lückenschließung (im Folgenden als Oberbegriff:172 Rechtsfindung oder Rechtsfindungsmethodik) definiert und voneinander abgegrenzt worden sind, kann man sich nun der Frage annehmen, ob und inwieweit der EuGH zur Rechtsfindung im europäischen IPR berechtigt ist. Aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV (ex-Art. 220 EGV) ergibt sich, dass der EuGH zur Auslegung aller Unionsvorschriften befugt ist.173 Darüber hinaus ist im Grundsatz allgemein anerkannt, dass der Gerichtshof Lücken im Unionsrecht schließen darf.174 Woraus sich diese Berechtigung ergibt, wird aber unterschiedlich beurteilt.175 Sie wird aus dem Rechtsverweigerungsverbot,176 Art. 4 Abs. 3 EUV (ex-Art. 10 EGV),177 Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV (ex-Art. 220 EGV)178 oder auch aus Art. 2 EUV (ex-Art. 6 EUV)179 hergeleitet. Welche Ermächtigungsgrundlage vorzugswürdig ist, kann dahinstehen, da über die Lückenfüllungskompetenz des EuGH als solche Einigkeit besteht. Sie reicht genauso wie seine Interpretationsbefugnis über Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EGV) ins europäische Kollisionsrecht hinein. Im Ergebnis ist der EuGH sowohl zur Auslegung als auch zur Lückenschließung im unionsrechtlichen IPR berechtigt.

III. Grenzen der Rechtsfindung Mithilfe der Interpretation und Lückenfüllung trifft der EuGH als nach Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EGV) zuständiges oberstes Unionsgericht die letztlich verbindliche Entscheidung über die Anwendung des europäischen __________ 172 173

Einen solchen ebenfalls für möglich haltend Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (401). Zu ex-Art. 220 EGV vgl. Joussen, Auslegung, S. 41 f. m.w.Nachw. (Fn. 142). Ausführlich zu den von der Auslegungsbefugnis umfassten Rechtsquellen Adrian, Grundprobleme, S. 247–255. 174 Vgl. Riesenhuber, System, S. 67 m.w.Nachw. (Fn. 97). Kritisch aber Buerstedde, Methodik, S. 144–146. 175 Dazu ausführlich Walter, Rechtsfortbildung, S. 134–145. 176 So Borchardt, in: GS Grabitz, S. 29 (30) m.w.Nachw. (Fn. 2). 177 Zu ex-Art. 10 EGV Walter, a.a.O. (Fn. 175) S. 135 m.w.Nachw. (Fn. 110). 178 So zu ex-Art. 220 EGV Everling, JZ 2000, 217 (221) m.w.Nachw. (Fn. 46). So zu Art. 19 Abs. 1 EUV Roth, RabelsZ 75 (2011), 787 (821) m.w.Nachw. (Fn. 237). 179 So etwa Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 8, der aber darüber hinaus noch auf Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV (ex-Art. 220 EGV) abstellt.

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1. Kap.: Grundlagen

Kollisionsrechts.180 Folgerichtig wird der Rechtsanwender seine Arbeit an den Grenzen orientieren, die der Rechtsfindung des Gerichtshofs gesetzt sind. Um welche Schranken es sich dabei konkret handelt, wird im Folgenden skizziert.181 Zunächst ist einleitend festzuhalten, dass Auslegung und Lückenschließung kompetenzrechtlichen, inhaltlichen und zeitlichen Beschränkungen unterliegen.182 1) Kompetenzrechtliche Grenzen Kompetenzrechtlich sind der Rechtsfindung im Unionsrecht sowohl vertikale als auch horizontale Grenzen gesetzt.183 a) Vertikale kompetenzrechtliche Grenzen In vertikaler Hinsicht sind Norminterpretation und Lückenfüllung durch die Souveränität der Mitgliedstaaten und den Schutz des (Unions-)Bürgers beschränkt.184 aa) Souveränität der Mitgliedstaaten Zunächst darf die Gerichtsbarkeit der EU keine Rechtsfolgen festlegen, die der Unionsgesetzgeber nicht als „Gesetz“ erlassen dürfte.185 Das heißt, auch sie ist an die Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und Subsidiarität gebunden.186 (1) Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Aus dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV, ex-Art. 5 Abs. 1 EGV) folgt, dass die Organe der Union nur __________ 180 Jüngst zur Rolle des EuGH im IPR und IZVR Coester-Waltjen, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 77–100. Zur Vorabentscheidungsvorlage nach Art. 267 AEUV Thode, NZBau 2011, 449 (450 f.). 181 Zu einer ausführlichen Darstellung der Grenzen unionsrechtlicher Rechtsfortbildung vgl.: Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 152–238; Walter, Rechtsfortbildung, S. 227–311. Zu den Grenzen nationaler Rechtsfindung im europarechtlichen Bezugsrahmen eingehend Herresthal, Rechtsfortbildung, S. 289–353. 182 Ebenso in der Strukturierung Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 12. 183 Vergleichbare Gliederung bei: Calliess, NJW 2005, 929 (930); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 581; Joussen, Auslegung, S. 151. 184 Vgl. statt aller Nicolaysen, EuR 1972, 375 (379 f.). 185 Neuner, a.a.O. (Fn. 182) Rdnr. 15 m.w.Nachw. (Fn. 35). 186 Vgl. statt aller Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rdnr. 18.

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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tätig werden dürfen, wenn und soweit hierfür eine Ermächtigungsgrundlage besteht.187 Daraus folgt für die Auslegung, dass die zu interpretierende Unionsvorschrift auf einer ausreichenden Kompetenzgrundlage beruhen muss.188 Auf diese Weise werden die Interessen der Mitgliedstaaten geschützt, die auch im Rahmen der Normzweckermittlung berücksichtigt werden müssen.189 Für die Lückenschließung ergibt sich aus dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, dass sie im Sekundärrecht nur durchgeführt werden darf, soweit die EU eine Rechtsetzungsbefugnis innehat.190 (2) Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip Die Rechtsfindung ist auch am Subsidiaritätsgrundsatz (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 EUV, ex-Art. 5 Abs. 2 EGV) zu messen,191 allerdings nur, wenn und soweit er Anwendung findet.192 Danach ist bei der Auslegung stets darauf zu achten, ob der verfolgte Zweck nicht besser auf mitgliedstaatlicher Ebene verwirklicht werden kann.193 Für die Lückenschließung hat der Subsidiaritätsgrundsatz zur Konsequenz, dass der EuGH sie unterlassen muss, wenn das angestrebte Ziel besser auf mitgliedstaatlicher Stufe erreicht werden kann.194 In engem Zusammenhang zum Subsidiaritätsprinzip steht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den die Unionsgerichtsbarkeit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 EUV (ex-Art. 5 Abs. 3 EGV) beachten muss.195 Danach dürfen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinausgehen. bb) Schutz des (Unions-)Bürgers Eine weitere vertikale Grenze, die der EuGH bei der Rechtsfindung beachten muss, sind die Grundrechte des (Unions-)Bürgers.196 Ihm gegenüber ist __________ 187 Zu ex-Art. 5 Abs. 1 EGV vgl. Walter, Rechtsfortbildung, S. 228 f. m.w.Nachw. (Fn. 82). 188 Zum Erfordernis einer primärrechtlichen Einzelermächtigung für die Sekundärrechtsetzung vgl. statt aller v. Danwitz, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch I, B. II. Rdnr. 3, 28. 189 S. dazu Kap. 1 § 4 II 2) b) dd) (1) (b) (S. 73 f.). 190 Vgl. Henninger, Methode, S. 300 m.w.Nachw. (Fn. 1903). 191 Dazu ausführlich Joussen, Auslegung, S. 153–157. 192 Dazu eingehend Walter, a.a.O. (Fn. 187) S. 259–263. 193 Vgl. statt aller Hummer/Obwexer, EuZW 1997, 295 (303). 194 Vgl. statt aller Borchardt, in: GS Grabitz, S. 29 (33). 195 Zur Bedeutung des ex-Art. 5 Abs. 3 EGV vgl. Dobler, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (537) m.w.Nachw. (Fn. 165). 196 Zum Schutz der Rechte Einzelner vgl. statt aller Zuleeg, JZ 1994, 1 (5 f.).

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1. Kap.: Grundlagen

der Gerichtshof auch aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes verpflichtet.197 b) Horizontale kompetenzrechtliche Grenzen Der EuGH muss bei Auslegung und Lückenfüllung aber nicht nur vertikalen, sondern auch horizontalen Schranken Rechnung tragen.198 Letztere betreffen das Verhältnis zu den anderen Unionsorganen.199 Nach dem sog. „institutionellen Gleichgewicht“ hat jedes Organ bei der Ausübung seiner Befugnisse die Kompetenzen der anderen Organe zu beachten.200 aa) Horizontale Grenzen der Auslegung Was die Auslegung betrifft, folgt aus der Kompetenzverteilung zunächst, dass der EuGH – abgesehen von seiner Normenkontrollfunktion – eine Unionsnorm nicht entgegen dem (in ihr zum Ausdruck kommenden) Willen der Rechtsetzungsorgane korrigieren darf.201 Ferner muss der EuGH die vorrangige Rechtsetzungskompetenz des Unionsgesetzgebers beachten, wenn er den Zweck einer Regelung ausfindig macht.202 bb) Horizontale Grenzen der Lückenschließung Im Hinblick auf die Lückenfüllung wird teilweise203 vertreten, der EuGH sei nicht oder nur sehr begrenzt zur Rechtserzeugung berufen, da dem EUGesetzgeber eine ausschließliche Rechtsetzungskompetenz zustehe. Dem liegt aber ein unzutreffendes Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips zugrunde, da Letzteres von einer konkurrierenden Rechtserzeugungsbefugnis der Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung ausgeht.204 Danach sind die Gerichte subsidiär für die Normsetzung zuständig, wenn der Rechtsetzer seiner Aufgabe aus sachlich ungerechtfertigten Gründen nicht nachgekommen ist.205 __________ 197 198 199

Vgl. statt aller Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 17, 24. S. Kap. 1 § 3 III 1) (S. 34). Vgl. etwa: Calliess, NJW 2005, 929 (930); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 581; Joussen, Auslegung, S. 157. 200 Vgl. Dobler, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (543 f.) m.w.Nachw. (Fn. 200–206). 201 Vgl.: Dänzer-Vanotti, in: FS Everling I, S. 205 (217 f.); Mittmann, Rechtsfortbildung, S. 193. 202 Vgl. dazu auch Kap. 1 § 4 II 2) b) dd) (1) (b) (S. 73 f.). 203 So: Dänzer-Vanotti, RIW 1992, 733 (735); ders., a.a.O. (Fn. 201) (207). 204 Borchardt, in: GS Grabitz, S. 29 (35 und 39); Joussen, a.a.O. (Fn. 199) S. 159. 205 Borchardt, ebda.; Joussen, ebda.; ähnl. Pescatore, in: GS Constantinesco, S. 559 (576 f.).

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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Der EuGH ist zwar subsidiär zur Lückenfüllung berechtigt, doch seine Tätigkeit bleibt grundsätzlich auf den Einzelfall, mithin auf konkretindividuelle Sachverhalte beschränkt.206 Denn der Gerichtshof ist wegen seiner demokratischen Legitimation, seiner Struktur und seines Verfahrens ungeeignet, abstrakt-generelle Rechtsnormen zu setzen.207 Eine weitere Grenze aus der Konkurrenz zum Unionsgesetzgeber besteht darin, dass der EuGH keine spezifischen politischen Entscheidungen treffen darf.208 Wann eine politische Entscheidung in diesem Sinne vorliegt, lässt sich kaum mittels objektiver Kriterien bestimmen.209 Für den politischen Charakter einer Entscheidung lassen sich aber Indizien nennen, etwa die Notwendigkeit, unabschätzbare Tatsachen einzubeziehen, Detailregelungen zu treffen und grundlegende, politisch umstrittene Fragen zu beantworten.210 In allen Bereichen, die durch diese Indizien gekennzeichnet sind, ist die richterliche Lückenschließung unzulässig. Gleiches gilt für Entscheidungen, die erhebliche finanzielle Auswirkungen für das Gemeinwesen haben oder den Bürger grundrechtsrelevant belasten.211 2) Inhaltliche Grenzen Neben kompetenzrechtlichen Beschränkungen unterliegt die unionsrechtliche Rechtsfindungsmethodik auch bestimmten inhaltlichen Grenzen. a) Anwendbarkeit von Auslegung und Lückenschließung Zunächst muss immer geprüft werden, ob und inwieweit die Auslegung bzw. Lückenschließung anwendbar ist. Vor der Interpretation eines unionsrechtlichen Begriffs muss stets die Frage beantwortet werden, ob sich sein Inhalt nach unionsrechtlichen oder nationalen Regelungen richtet.212 Dazu muss man auf alle (allgemein anerkannten) Kriterien der autonomen Auslegung vorgreifen.213 Man ermittelt also mithilfe der autonomen Interpretation den Geltungsumfang des EURechts. Letzterer steckt zugleich den Anwendungsbereich der unionsrecht-

__________ 206 Zur Beschränkung auf den Einzelfall statt aller Everling, RabelsZ 50 (1986), 193 (208). Umfassend zur Abstraktionsbefugnis des EuGH Schwarze, Befugnis, S. 105–236. 207 Vgl. statt aller Dobler, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (544 f.). 208 Vgl. statt aller Adrian, Grundprobleme, S. 205. 209 Statt aller Joussen, Auslegung, S. 162. 210 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 583 m.w.Nachw. (Fn. 62). 211 Vgl.: Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 212 f.; Walter, Rechtsfortbildung, S. 286 und S. 303. 212 Dazu näher Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) und bb) (S. 51 ff.). 213 Dazu Kap. 1 § 4 II 2) a) bb) (S. 52 f.).

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1. Kap.: Grundlagen

lichen Methodik ab, weil sie nicht weiter reichen kann als das Unionsrecht selbst.214 Die autonome Auslegung geht der Lückenfüllung stets vor. Denn Letztere setzt voraus, dass eine Regelungslücke vorliegt, die wiederum durch Interpretation festgestellt werden muss.215 Das heißt, bei der Lückenschließung ist zunächst die Anwendbarkeit der autonomen Auslegung zu ermitteln, bevor ihre Mittel genutzt werden dürfen, um die fragliche Regelung auf ihre Lückenhaftigkeit hin zu überprüfen. Somit ist die Lückenfeststellung bei der Lückenfüllung ein „Mehr“ an inhaltlicher Begrenzung gegenüber der autonomen Auslegung. b) Wortlaut und Unionsordnung Die autonome Interpretation endet beim Wortlaut einer Unionsrechtsnorm, da er die Grenze zur Lückenschließung markiert.216 Allerdings beschränkt nicht nur der Normtext die Auslegung, sondern auch die Unionsordnung. So darf der EuGH geltendes EU-Recht grundsätzlich nicht konterkarieren,217 auch nicht bei der Lückenfüllung.218 c) Sonstige inhaltliche Grenzen Darüber hinaus muss die Rechtsfindungsarbeit stets begründet werden, um ihre Transparenz zu gewährleisten.219 Fehlt eine Begründung oder ist sie nur unzureichend, wird dadurch die Akzeptanz einer EuGH-Entscheidung bedroht.220 Damit ist man schon bei der nächsten inhaltlichen Grenze der Rechtsfindung angelangt: Eine Entscheidung des EuGH muss akzeptanzfähig sein.221 Dies ist durch ihre Ausrichtung auf Gesetz und Recht erreichbar.222 Für die Lückenschließung schlägt man darüber hinaus teilweise eine weitere inhaltliche Grenze vor. Danach soll Richterrecht nur „im Notfall“ bzw. bei Vorliegen eines zwingenden Gebots gebildet werden dürfen.223 __________ 214 215 216 217 218 219

Vgl. statt vieler Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (262). S. Kap. 1 § 5 II 2) a) bb) (S. 89 f.). Zur Grenzfunktion des Wortlauts s. Kap. 1 § 3 I 2) a) und b) (S. 30 ff.). Vgl. statt aller Nicolaysen, EuR 1972, 375 (379). Vgl. Wank, in: FS Stahlhacke, S. 633 (641) m.w.Nachw. (Fn. 71 f.). Vgl. statt aller Dänzer-Vanotti, RIW 1992, 733 (737). Ausführlich zur Begründungspflicht Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 175–177. 220 Vgl. Ukrow, ebda. S. 175 m.w.Nachw. (Fn. 110). 221 Vgl. Dobler, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (552) m.w.Nachw. (Fn. 255). Kritisch aber Dänzer-Vanotti, in: FS Everling I, S. 205 (209–211). 222 Vgl. statt aller Borchardt, in: GS Grabitz, S. 29 (39). 223 Vgl. Adrian, Grundprobleme, S. 206 m.w.Nachw. (Fn. 467).

§ 3 Grundlagenfragen zur Methodik im europäischen IPR

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Das ist jedoch abzulehnen, da der EuGH sonst seiner Aufgabe der „Wahrung des Rechts“ nicht mehr hinreichend gerecht werden könnte.224 3) Zeitliche Grenzen Neben kompetenzrechtlichen und inhaltlichen Grenzen existieren auf Unionsebene auch zeitliche Schranken für Auslegung und Lückenschließung. Aus dem Gebot der Unionsverfassungsorgantreue ergibt sich, dass der EuGH Rücksicht auf noch nicht in Kraft getretenes Sekundärrecht nehmen muss.225 In dessen Anwendungsbereich ist die richterliche Lückenschließung eingeschränkt oder ausgeschlossen.226 Diese „Sperrwirkung“ beginnt, wenn die Sekundärrechtsetzung im Gange oder gerade abgeschlossen ist.227 Neben einer „Vorwirkung“ kennt die Rechtsfindung aber auch eine „Rückwirkung“ von Sekundärrecht, die auf seinem Anwendungsbefehl beruhen kann.228

IV. Fazit Im europäischen Kollisionsrecht muss zwischen Auslegung und Lückenschließung unterschieden werden. Erstere umfasst die Methoden zur Interpretation geschriebenen Rechts; Letztere die methodische Arbeit zum Auffinden von Regelungen für Bereiche, die das geschriebene Unionsrecht nicht ausdrücklich normiert. Die Grenze zwischen Auslegung und Lückenfüllung wird durch den Wortlaut einer Unionsvorschrift markiert. Von Auslegung kann nur die Rede sein, solange das Interpretationsergebnis dem Normtext aller Sprachfassungen juristisch-methodisch zurechenbar ist. Das ist jedenfalls zu verneinen, wenn es sich im Normtext überhaupt keiner Sprachfassung mehr niederschlägt. Der EuGH ist sowohl zur Auslegung als auch zur Lückenschließung im unionsrechtlichen IPR befugt. Während sich Ersteres aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV (ex-Art. 220 EGV) ergibt, streitet man sich darüber, worauf die Lückenfüllungskompetenz beruht, aber im Ergebnis ist sie allgemein anerkannt. Allerdings verfügt der EuGH über keine unbegrenzte Befugnis zur Interpretation und Lückenschließung. Im europäischen IPR sind der Rechtsfindung kompetenzielle, inhaltliche und zeitliche Grenzen gesetzt. Der __________ 224 225

Vgl. Wank, in: FS Stahlhacke, S. 633 (640 f.) m.w.Nachw. (Fn. 65 f.). Vgl. Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 20 m.w.Nachw. (Fn. 45). 226 Vgl. statt aller Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 588. 227 Vgl. statt aller Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 213. 228 Vgl. statt aller Neuner, a.a.O. (Fn. 225) Rdnr. 21.

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1. Kap.: Grundlagen

EuGH muss die Souveränität der Mitgliedstaaten, die Grundrechte der Bürger und das institutionelle Gleichgewicht beachten (kompetenzielle Schranken). Außerdem hat der EuGH den inhaltlichen Anforderungen Folge zu leisten. Sie bestehen in der Feststellung der Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Rechtsfindungsmethodik, der Beachtung der Unionsordnung und des Wortlauts der auszulegenden Norm, der Einhaltung der Begründungspflicht sowie der Ausrichtung einer Entscheidung auf Akzeptanzfähigkeit. Schließlich sind der Auslegung und Lückenfüllung auch zeitliche Grenzen gesetzt, wenn Sekundärrecht vor- oder zurückwirkt.

§ 4 Auslegung des europäischen IPR § 4 Auslegung des europäischen IPR

Nachdem die juristische Methodik des europäischen IPR ihren Grundlagen nach untersucht worden ist,229 kann nun die Folgefrage beantwortet werden, mit welchen Techniken das unionsrechtliche Kollisionsrecht ausgelegt werden sollte.

I. Ausgangspunkte Dazu müssen zunächst die Ausgangspunkte geklärt werden. 1) Das Problem der Sprachenvielfalt Die Auslegung dient der Konkretisierung gesetzlich eingeführter Fachbegriffe.230 Solche Termini finden sich auf europäischer Ebene gegenwärtig in 23 verschiedenen Amtssprachen.231 Über eine Neuerung dieser Sprachenordnung wird vielfach diskutiert.232 Dabei lassen sich im Kern drei unterschiedliche Lager ausmachen. Das erste befürwortet die Einführung einer Einheitssprache für europäische Rechtstexte, wobei eine Mehrheit für Englisch233 und eine Minderheit für Latein234 plädiert. Demgegenüber will eine zweite235 Autorengruppe die __________ 229 230 231 232

S. Kap. 1 § 3 I bis IV (S. 23 ff.). S. Kap. 1 § 2 I 2) (S. 12 f.). Vgl. Henninger, Methode, S. 326 m.w.Nachw. (Fn. 2034). Vgl. Weiler, ZEuP 2010, 861 (874 f.) m.w.Nachw. (Fn. 57–63). Zum Umgang mit der Rechtssprache im EU-IZVR und EU-IPR vgl. Rauscher, IPRax 2012, 40 (41–48). 233 So etwa: Ferreri, in: Pozzo/Jacometti (Hrsg.), Multilingualism, S. 33 (44); Moréteau, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 405 (411 f. und 414); Schilling, ZEuP 2007, 754 (782–784). 234 So Sturm, EuLF 2002, 313 (319 f.). 235 So etwa: Henninger, a.a.O. (Fn. 231); Heutger, Global Jurist Topics, Volume 3, Issue 1, 2003, Article 3, 1 (15); Jayme, in: Reichelt (Hrsg.), Sprache, S. 15 (25); Martiny,

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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Sprachenvielfalt im Grundsatz beibehalten. Schließlich versucht ein drittes236 Lager, durch Mehrsprachenmodelle zu vermitteln. Eine Stellungnahme ist jedoch entbehrlich, da die Frage nach einer Sprachenordnung für die EU rechtspolitischer Natur ist und es für einen präzisen Diskurs genügt, gesetzlich eingeführte Fachbegriffe unter Angabe der Rechtsquelle zu verwenden, aus der sie entnommen worden sind. Termini technici gesetzlichen Ursprungs können nämlich anders als Methoden- und Systembegriffe237 stets unter Verweis auf die Rechtstexte verwandt werden, aus denen sie stammen. Auf diese Weise bilden sie bereits eine EU-weit einheitliche, genaue Terminologie. Wenn ein deutscher Kollisionsrechtler etwa von „Schuldverhältnissen“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO spricht, kann sein spanischer Kollege relativ schnell und unkompliziert ermitteln, dass damit „obligaciones“ in diesem Sinne gemeint sind. 2) Autonome Auslegung „Europagesetzlich“ eingeführte Fachausdrücke bilden zwar eine einheitliche, mehrsprachige Terminologie.238 Die Einheitlichkeit ist aber nichts weiter als eine äußere Hülle, wenn die sprachlichen Platzhalter in den Mitgliedstaaten für unterschiedliche Begriffsinhalte stehen. Um auch inhaltliche Konformität zu erreichen, müssen „europagesetzlich“ eingeführte Fachbegriffe EU-weit dieselbe Bedeutung haben. Damit ist das Ziel gesteckt. Der Weg dorthin ist ebenfalls geebnet. Denn Fachausdrücke „europagesetzlicher“ Herkunft sind wegen ihres Ursprungs im Wege juristischer Auslegung zu konkretisieren.239 Fraglich ist jedoch, wie die Norminterpretation im europäischen IPR aussehen sollte. Einerseits könnte die sog. „autonome Auslegung“ maßgeblich sein; andererseits ist aber auch denkbar, dass jeder Rechtsanwender die Interpretationsgrundsätze heranzieht, mit denen in seinem Mitgliedstaat gearbeitet wird.

__________ ZEuP 1998, 227 (252); Oppermann, ZEuS 2001, 1 (21); Pieler, in: Reichelt (Hrsg.), Sprache, S. 11 (13); Reichelt, in: dies. (Hrsg.), Sprache, S. 1 (9); Robbers, in: Schulze/ Ajani (Hrsg.), GemPrinz, S. 419 (419 und 423). 236 Dazu vgl. statt aller Reichelt, ebda. (8). 237 Zur Unterscheidung von Methoden- und Systembegriffen einerseits und gesetzlich eingeführten Fachbegriffen andererseits s. Kap. 1 § 2 I 2) (S. 12 f.). 238 Vgl. Kap. 1 § 4 I 1) (S. 40 f.). 239 Vgl. Kap. 1 § 2 I 2) (S. 12 f.).

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1. Kap.: Grundlagen

a) Begriffsinhalt der autonomen Auslegung Bevor man sich dieser Frage annimmt, muss jedoch geklärt werden, was unter „autonomer Auslegung“ zu verstehen ist. Der Ausdruck „Auslegung“ beschreibt die Methoden zur Interpretation geschriebenen Rechts.240 Somit umfasst er die Summe aller Arbeitsschritte, die erforderlich sind, um das objektive Recht anwendungsfähig zu machen.241 Wann die so verstandene Auslegung als „autonom“ bezeichnet werden kann, hängt von der Verwendungsweise des Autonomiebegriffs ab. Das Schrifttum bezieht den Ausdruck „autonom“ überwiegend nicht auf die Auslegungsmethodik, sondern auf die zu interpretierende Regelung bzw. auf deren Begriffe.242 Danach bedeutet „autonom“, dass die Begriffsbildung bei Unionsvorschriften unabhängig von einem einzelnen nationalen Begriffsverständnis vorzunehmen ist.243 Umgekehrt lässt sich die Wendung „autonom“ aber auch auf die Auslegungsmethode beziehen.244 Dann wird mit dem Wortpaar „autonome Auslegung“ die selbstständige unionsrechtliche Interpretationslehre bezeichnet, die an die mitgliedstaatlichen Ausle-

__________ 240 241 242

Dazu vgl. Kap. 1 § 3 I 1) a) aa) bis bb) (S. 24 ff.). Vgl. Dumon, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung III, S. 1 (10) m.w.Nachw. (Fn. 2). So etwa: Adrian, Grundprobleme, S. 336–339; Audit, JDI 2004, 789 (790 und 798 f.); BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 9; Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/ Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 32; Buerstedde, Methodik, S. 46 f.; Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.05–3.12; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 475; Gebauer, in: ders./Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 4 Rdnr. 8; Henninger, Methode, S. 279 f.; Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (108 f.); Hess, IPRax 2006, 348 (354); Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (53); Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 118; Palandt/Thorn, (IPR) Vor Rom I Rdnr. 3; Palandt/Thorn, (IPR) Vor Rom II Rdnr. 4; PWW/Schaub, Vor Rom II Rdnr. 8; Rauscher/v. Hein, EuZPR/ EuIPR, Einl Rom I-VO Rdnr. 54–56; Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl Rom II-VO Rdnr. 18 f.; Rauscher, IPRax 2012, 40 (43); Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 37; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 4, Fn. 3; Ringe, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 3; Rushworth/ Scott, LMCLQ 2008, 274 (275); Scheibeler, Begriffsbildung, S. 284; Schmidt, Jura 2011, 117 (117 f.); Scholz, Auslegung, S. 1; Schroeder, JuS 2004, 180 (185); Streinz, ZEuS 2004, 387 (408); Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 16. Kritisch zur Verwendung des Autonomiebegriffs Christensen/Sokolowski, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 113 (126). 243 Vgl. statt aller Buerstedde, ebda. 244 So etwa: Adrian, a.a.O. (Fn. 242) S. 293; Brödermann, NJW 2010, 807 (810); Diedrich, RIW 1995, 353 (355) Fn. 22; Dobler, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Souveränität, S. 509 (514 f.); Gruber, Methoden, S. 80; Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (781); Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (245).

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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gungsmethoden angeknüpft, sie aber an unionsrechtliche Bedürfnisse angepasst hat.245 Die beiden Verwendungsweisen des Begriffs „autonom“ werfen die Frage auf, welcher Bezugspunkt der „richtige“ ist, wenn man von einer „autonomen Auslegung“ spricht. Der Ausdruck „Autonomie“ steht allgemein für Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.246 Folglich lässt die Denotation des Autonomiebegriffs als Bezugspunkt sowohl die Auslegungsmethode als auch die zu interpretierende Regelung bzw. deren Begriffe zu. Insofern gibt es keinen „richtigen“ oder „falschen“ Bezugspunkt. Wichtig ist nur, dass man sich bewusst macht, worauf sich die Formulierung „autonom“ im konkreten Fall bezieht. b) Autonome Auslegung des europäischen IPR? Wenn im Folgenden der Frage nachgegangen wird, ob und inwieweit das unionsrechtliche IPR autonom ausgelegt werden sollte, wird der Ausdruck „autonom“ auf die Auslegungsmethodik bezogen. Es geht also darum, ob die selbstständige Interpretationslehre, die sich zum EU-Recht entwickelt hat, auch das „Werkzeug“ für die Anwendung des europäischen Kollisionsrechts sein sollte. Hält man die autonome Norminterpretation nicht für notwendig, muss man jeden Mitgliedstaat auf seine eigene kollisionsrechtliche Auslegungsmethodik verweisen.247 Das läuft wiederum auf die Anwendung der nationalen248 oder staatsvertraglichen249 Rechtsfindungstechniken der jeweiligen lex fori hinaus. Befürwortet man hingegen eine autonome Auslegungsmethodik für das Unionsrecht250 bzw. europäische IPR251, ist nach ihrer konkreten Ausgestaltung zu fragen. __________ 245 Definition angelehnt an Oppermann, Europarecht, § 8 Rdnr. 18; ähnl. auch in der aktuellen Auflage Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rdnr. 168. 246 Fremdwörterduden, S. 166. 247 So zur Auslegung im Sinne des Art. 36 EGBGB Reinhart, RIW 1994, 445 (447). 248 Inspiriert durch: Diedrich, Auslegung, S. 56; Scholz, Auslegung, S. 3. 249 Angeregt durch Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (106). 250 So etwa: Colneric, ZEuP 2005, 225 (225 f.); Gruber, Methoden, S. 81; Lutter, JZ 1992, 593 (594 und 598 f.); Oppermann/Classen/Nettesheim, a.a.O. (Fn. 245); Schulze, in: ders. (Hrsg.), Auslegung, S. 9 (22); Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (245). 251 Die Anwendung der zum (sekundären) Unionsrecht entwickelten (autonomen) Methodik auf das europäische IPR befürwortend etwa: Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (588); BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom II-VO Rdnr. 4; Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 45; Brödermann/Rosengarten, IPR/IZVR, Rdnr. 69; Cheshire, PIL, S. 772 f.; Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.01; Erman/Hohloch, Band II, Anh. II Art. 26 EGBGB: Vorb. Rom I-VO Rdnr. 20; Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (109); Heiss, JBl 2006, 750 (752); HK-BGB/Dörner, Vor. Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 2; HK-BGB/Staudinger, Vor. Art. 1

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1. Kap.: Grundlagen

Die Auslegung des unionsrechtlichen IPR nach mitgliedstaatlichen Methoden bringt den Vorteil mit sich, dass dies für den Rechtsanwender am einfachsten ist.252 Wer aber die Interpretationsmethodik seines Heimatstaates beherrscht, wird auch eine autonome Auslegungstechnik erlernen können. Ein stärkeres Argument für die Norminterpretation nach den jeweiligen mitgliedstaatlichen Methoden könnte sich jedoch aus folgender Überlegung ergeben: Jede nationale Methodenlehre gehört zu einer bestimmten Rechtsordnung.253 Angesichts der langen Entwicklungsgeschichte der mitgliedstaatlichen Privatrechtsordnungen könnte man argumentieren, die tradierten und bewährten Interpretationsgrundsätze würden völlig bedeutungslos werden, wenn man die autonome Auslegung favorisierte. Dieser Gedankengang überzeugt jedoch nicht, weil die autonome Interpretation auf unionsrechtliche Kollisionsnormen beschränkt ist und somit Raum für die mitgliedstaatliche Methodik lässt. Darüber hinaus spricht die Tatsache, dass die nationale juristische Methodik am Ende einer langen historischen Entwicklung steht, nicht gegen den Beginn eines neuen Zeitabschnitts. Die Rechtsgeschichte hat bisher jedenfalls dazu geführt, dass die Auslegungsmethoden in den mitgliedstaatlichen Traditionen im Detail voneinander abweichen können.254 Das kann zu Unterschieden in der Rechtsanwendung führen, was dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung widerspräche. Kurz: Ohne eine autonome Auslegungsmethodik wäre die einheitliche Anwendung des Unionsrechts nicht gewährleistet. 255 Allerdings ist nicht nur eine einheitliche Anwendung des EU-Rechts notwendig, sondern auch eine sachgerechte. Insoweit gebietet dessen Eigenständigkeit eine autonome Auslegung.256 Denn es weist als selbstständige Rechtsordnung Besonderheiten auf, die den nationalen Methodenleh__________ Rom I-VO Rdnr. 2; Ludwig, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 3, 3a, 4 EGBGB Rdnr. 58; Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (780); ders., IPRax 2010, 27 (28); Morris/McClean/Beevers, CoL, Rdnr. 13-007 und 14-012; MünchKomm/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 28 und 30; MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 14 und 15; MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 532; Nourissat, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 13 (20); Palandt/Thorn, (IPR) Vor Rom I Rdnr. 3; Palandt/Thorn, (IPR) Vor Rom II Rdnr. 4; Plender/Wilderspin, Obligations, Rdnr. 1-088; PWW/Brödermann/Wegen, Vor IntSchVR Rdnr. 12; PWW/Schaub, Vor Rom II Rdnr. 8; Reithmann/ Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 37; Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 59; Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 16. 252 Inspiriert durch Diedrich, Auslegung, S. 56. 253 Vgl. Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 109 m.w.Nachw. (Fn. 204). 254 Vgl. statt aller Gruber, Methoden, S. 80 f. 255 So im Ergebnis auch Colneric, ZEuP 2005, 225 (225). 256 Vgl.: PWW/Brödermann/Wegen, a.a.O. (Fn. 251); Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (245 f.).

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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ren fremd ist. Das gilt etwa für den Umgang mit vielsprachigen Regelungen, der nicht allen Mitgliedstaaten gleichermaßen bekannt ist.257 Außerdem hat sich zum Unionsrecht mittlerweile eine eigene Interpretationslehre mit selbstständigen Grundsätzen entwickelt.258 Sie ist für das europäische Kollisionsrecht maßgeblich, da es zum (sekundären) Unionsrecht gehört.259 Alles in allem sprechen die gewichtigeren Argumente dafür, das europäische Kollisionsrecht grundsätzlich mithilfe der Interpretationsmethode auszulegen, die sich zur Unionsrechtsanwendung entwickelt hat. Diese autonome Auslegungsmethode sollte EU-weit als interpretatio legis communis bezeichnet werden. 3) Ziel der autonomen Auslegungsmethode Fraglich ist, welches Ziel die interpretatio legis communis verfolgt. Bei der Beantwortung der Frage, worauf die autonome Auslegung abzielt, setzt sich der „alte“ Streit260 über das Ziel der Gesetzesauslegung fort. a) Subjektive Auslegungstheorie Nach der subjektiven Auslegungstheorie zielt die Auslegung im Unionsrecht darauf ab, den Willen des historischen Gesetzgebers zum Zeitpunkt der Rechtsetzung zu ermitteln.261 b) Objektive Auslegungstheorie Demgegenüber besteht das Ziel der autonomen Auslegung nach der objektiven Auslegungstheorie in der Ermittlung des objektiven Sinns des zu interpretierenden Normtexts zum Zeitpunkt der Rechtsanwendung.262 c) Gemischte Auslegungstheorien Die gemischten Auslegungstheorien versuchen, zwischen subjektiver und objektiver Auslegungstheorie zu vermitteln. __________ 257 258 259

Vgl. dazu etwa Gruber, a.a.O. (Fn. 254) S. 81. Vgl. statt aller Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rdnr. 168. So in der Argumentation zuerst, inhaltlich allerdings auf das europäische Sekundärrecht beschränkt Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (588). 260 Dazu statt aller Joussen, Auslegung, S. 125–128. Dazu rechtsvergleichend Gruber, a.a.O. (Fn. 254) S. 88–104. 261 Vgl. etwa: Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (7 f.); Neuner, Privatrecht, S. 193; ders., in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 18. 262 Vgl. nur: Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 67 f.; Lutter, JZ 1992, 593 (602 f.). Ebenso zu mehrsprachigen Gesetzestexten Dölle, RabelsZ 26 (1961), 4 (29).

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1. Kap.: Grundlagen

Teilweise geht man von der subjektiven Theorie aus und ergänzt sie um objektive Aspekte. Danach ist primär der Wille des historischen Gesetzgebers zu ermitteln und entsprechend der geänderten (tatsächlichen oder rechtlichen) Umstände fortzuschreiben.263 Zum Teil modifiziert man aber auch die objektive Theorie durch subjektive Gesichtspunkte. Danach ist der normative Sinn des Gesetzes zu ermitteln, wobei der Regelungswille des historischen Gesetzgebers zu berücksichtigen ist.264 Allerdings wird das Auslegungsziel teilweise265 um den Aspekt ergänzt, dass die Interpretation im Unionsrecht auch der Rechtsangleichung dient. d) „Einheitsansätze“ Neben den Vermittlungsversuchen durch die gemischten Theorien gibt es auch Bestrebungen, die Trennung von subjektiver und objektiver Auslegung aufzugeben (im Folgenden: Einheitsansätze). Teilweise266 werden die (modifizierten) Auslegungstheorien generell abgelehnt. Stattdessen wird die gerichtliche Praxis unter dem leitenden Aspekt der methodenbezogenen Unionsnormen wie etwa Art. 19 EUV, Art. 340 AEUV und Art. 55 EUV (ex-Art. 220, 288 und 314 EGV) strukturiert, um eine Rangfolge unter den Auslegungskriterien festzulegen.267 Auf diese Weise gelangt man zu dem Schluss, dass das Gewicht eines Auslegungsarguments umso größer ist, je näher es am Normtext steht.268 Daher kommt beispielsweise der systematischen Auslegung eine größere Bedeutung zu als einer Erwägung, die sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt.269 Andere Autoren270 folgen zwar auch nicht den (abgewandelten) Auslegungstheorien, aber sie legen sich ausdrücklich auf ein Interpretationsziel __________ 263 Diese Form der gemischten Theorie befürwortend etwa: Gruber, Methoden, S. 105; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 12. Ebenso zur Gesetzeszweckermittlung Henninger, Methode, S. 391. Ähnl.: Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (529 im Kontext zu 534); Hager, Rechtsmethoden, Kap. 7 Rdnr. 71–74. 264 Diese Spielart der gemischten Theorie unterstützend u. a.: Henninger, ebda. S. 321 und 376 f.; Joussen, Auslegung, S. 127–129; Kropholler, IntEinR, S. 259 f. 265 So Joussen, ebda. S. 128 f. 266 So Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 271–274. 267 Zu ex-Art. 220, 288 und 314 EGV vgl. Müller/Christensen, ebda. Rdnr. 274 und 707. 268 Vgl. Müller/Christensen, a.a.O. (Fn. 266) Rdnr. 709. 269 Vgl. Müller/Christensen, a.a.O. (Fn. 266) Rdnr. 708. 270 So zum nationalen Recht etwa: Mennicken, Gesetzesauslegung, S. 106; Bydlinski, Methodenlehre, S. 436; ders., Grundzüge, S. 19; (zurückhaltender) Müller/Christensen, Methodik I, Rdnr. 443. Ebenso zum Unionsrecht etwa: Berteloot, in: Müller/Burr (Hrsg.),

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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fest. Ihnen zufolge besteht es in einem Normverständnis, das zu einer gerechten Entscheidung im konkreten Einzelfall führt.271 e) Zusammenfassung möglicher Auslegungsziele Im Ergebnis kommen folgende Auslegungsziele in Betracht: – Ermittlung des subjektiv-historischen Gesetzgeberwillens, – Feststellung des objektiv-geltungszeitlichen Normsinns, – Ermittlung des subjektiv-historischen Gesetzgeberwillens und dessen Fortschreibung, – Feststellung des gegenwärtigen normativen Sinngehalts eines Gesetzes unter Berücksichtigung des historischen Gesetzgeberwillens und ein – Normverständnis, das zur gerechten Entscheidung im Einzelzelfall führt. f) Stellungnahme Für die subjektive Theorie streiten sowohl das Demokratieprinzip als auch das „institutionelle Gleichgewicht“.272 Nach diesen Grundsätzen obliegt die Rechtsetzung grundsätzlich dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament.273 Daraus schließt man, dass ihr Wille bei der Auslegung des gesetzten Rechts ermittelt und umgesetzt werden muss.274 Allerdings kann sich auch die objektive Theorie auf grundlegende Prinzipien stützen. So gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit, das Vertrauen des Bürgers auf den veröffentlichten Wortlaut einer Regelung zu schützen.275 Außerdem berücksichtigt die objektive Theorie, dass sich tatsächliche und rechtliche Umstände nach der Rechtsetzung verändern können, was im Unionsrecht wegen seiner dynamischen Entwicklung besonders wichtig ist.276 Im Ergebnis stehen sich letztlich zwei Argumentationsgrößen gegenüber: Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip einerseits sowie Rechtssicherheit und -entwicklung andererseits.277 Alle vier Aspekte schließen __________ Rechtssprache, S. 179 (183); Hoffmann-Becking, Normaufbau, S. 154. Ähnl. Groh, Auslegungsbefugnis, S. 134. 271 Für das nationale Recht vgl. nur Mennicken, ebda.; für das Unionsrecht vgl. etwa Hoffmann-Becking, ebda. 272 Vgl. Henninger, Methode, S. 278 m.w.Nachw. (Fn. 1745–1747). 273 Vgl. statt vieler Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 10. 274 Vgl. statt vieler Riesenhuber, ebda. 275 Statt vieler Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 273) Rdnr. 11. 276 Vgl. statt vieler Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 66 f. 277 Vgl. Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (529) m.w.Nachw. (Fn. 2 und 3).

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1. Kap.: Grundlagen

einander jedoch nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig.278 Warum streitet man sich dann aber noch über das Auslegungsziel? Die Antwort lässt sich in einem Satz geben: In Wirklichkeit geht es bei der Kontroverse nicht um das Ziel der Auslegung, sondern um die Gewichtung ihrer Kriterien.279 Nach der subjektiven Theorie steht die historische Interpretation im Vordergrund, während der objektive Ansatz die grammatikalische und systematische Auslegung stärker betont.280 Dass die gemischten Theorien alle drei Faktoren berücksichtigen wollen, kann vor diesem Hintergrund nicht verwundern. Damit bleibt aber die Frage offen, was das Ziel der autonomen Interpretation ist. Das Ziel jeder Auslegung folgt aus ihrer Ausgangssituation: Die Frage der Interpretation stellt sich immer erst dann, wenn bei der Rechtsanwendung geprüft wird, ob der Tatbestand einer Rechtsnorm erfüllt ist oder worin ihre Rechtsfolgen bestehen. Auslegungsziel kann daher nur sein, die Reichweite des Tatbestands und der Rechtsfolgen einer Vorschrift zu ermitteln, um die zu interpretierende Norm im konkreten Einzelfall gerecht anzuwenden.281 Der Weg zu diesem Auslegungsziel besteht in der Anwendung der Interpretationskriterien. Gelangen sie alle zu demselben Ergebnis, ist es auch maßgeblich. Wie zu verfahren ist, wenn die Auslegungsmittel verschiedene Resultate stützen, ist keine Frage des Interpretationsziels, sondern der Gewichtung der Auslegungskriterien, die an das Ende der Auslegung gehört.282 g) Ergebnis Das Ziel der autonomen Auslegung ergibt sich aus der Situation der Rechtsanwendung. Es besteht somit in der Bestimmung der Reichweite des Tatbestands und der Rechtsfolgen der zu interpretierenden Rechtsnorm, um sie im konkreten Einzelfall gerecht anzuwenden.

__________ 278 279

Zurückhaltender Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 12. Ebenso zur nationalen Methodenlehre Bydlinski, Methodenlehre, S. 436. A. M. Gruber, Methoden, S. 87. 280 Vgl. Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 270. 281 Ebenso im Ergebnis, allerdings auf nationaler Ebene: Mennicken, Gesetzesauslegung, S. 106; Bydlinski, a.a.O. (Fn. 279); ders., Grundzüge, S. 19; Müller/Christensen, Methodik I, Rdnr. 443. Ebenso im Ergebnis auf unionsrechtlicher Ebene: Berteloot, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 179 (183); Hoffmann-Becking, Normaufbau, S. 154. 282 Ebenso zur nationalen Methodenlehre Bydlinski, a.a.O. (Fn. 279); A. M. Gruber, a.a.O. (Fn. 279).

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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II. Die autonome Auslegung des europäischen IPR Bevor man das europäische IPR mittels der interpretatio legis communis283 auslegen kann, muss man herausfinden, welche Interpretationskriterien sie für die Rechtsanwendung bereithält. Dabei scheidet der Rückgriff auf eine ausdrückliche Methodenregelung aus, da eine solche Vorschrift sowohl in der Rom I-VO als auch in der Rom II-VO fehlt. Mit der Frage nach einer Methodennorm ist zugleich das Problem der Rechtsnatur und der normativen Verbindlichkeit der unionsautonomen Auslegungsmethodik angeschnitten. Dieser Themenkomplex soll im Detail künftigen Arbeiten zur europäischen Methodenlehre überlassen bleiben.284 An dieser Stelle soll vielmehr vertieft werden, wie die (autonome) Auslegung des unionsrechtlichen IPR beschaffen sein sollte, um ein „handhabbares Werkzeug“ für die Rechtsanwendung zu sein. 1) Bestandsaufnahme Wenn man eine Bestandsaufnahme zu der Frage macht, wie das europäische IPR ausgelegt werden sollte, stellt man fest: Das kollisionsrechtliche Schrifttum verweist insoweit auf die zum (sekundären) Unionsrecht entwickelte Methodik.285 Soweit es Ausführungen zu dieser Methodik macht, fallen sie verhältnismäßig kurz aus.286 Um mehr zu erfahren, muss man sich selbst auf die Suche begeben. __________ 283 284

Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 1 § 4 I 2) b) (S. 45). Zu Rechtsnatur und Verbindlichkeit der unionsrechtlichen Methodik vgl. etwa: Adrian, Grundprobleme, S. 272–280; Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 379–381; Groh, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 263–285. 285 Vgl. nur: Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (588); BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom II-VO Rdnr. 4; Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 45 f.; Brödermann/Rosengarten, IPR/IZVR, Rdnr. 69; Cheshire, PIL, S. 772 f.; Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.01; Erman/Hohloch, Band II, Anh. II Art. 26 EGBGB: Vorb. Rom I-VO Rdnr. 20; Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (109); Heiss, JBl 2006, 750 (752); Ludwig, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 3, 3a, 4 EGBGB Rdnr. 58; Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (780); ders., IPRax 2010, 27 (28); Morris/McClean/Beevers, CoL, Rdnr. 13-007 und 14012; MünchKomm/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 28 und 30; MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 14 und 15; MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 532; Nourissat, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 13 (20); Palandt/Thorn, (IPR) Vor Rom I Rdnr. 3; Palandt/Thorn, (IPR) Vor Rom II Rdnr. 4; PWW/Brödermann/ Wegen, Vor IntSchVR Rdnr. 12; PWW/Schaub, Vor Rom II Rdnr. 8; Plender/Wilderspin, Obligations, Rdnr. 1-088; Reiher, Vertragsbegriff, S. 27; Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 59; Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 1 Rom IIVO Rdnr. 16. 286 Vgl. nur: Kropholler, ebda. (590–594); BaRo-III/Spickhoff, ebda. und Art 1 Rom I-VO Rdnr. 8–14; Behrens, ebda. S. 46 f.; Brödermann/Rosengarten, ebda. Rdnr. 69 f.;

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1. Kap.: Grundlagen

Am Ende der Recherchen wird man in den verschiedensten Rechtsgebieten fündig.287 So unterschiedlich wie diese Gebiete sind auch die dort anzutreffenden Erörterungen der unionsrechtlichen Interpretationsgrundsätze. Inhaltlich überschneiden sich die Darstellungen zwar teilweise, aber sie enthalten zum Teil auch verschiedene Ansätze zur Konkretisierung der Auslegungskriterien. Um dieses bunte Bild für die interpretatio legis communis nutzbar zu machen, muss man versuchen, es zu einem einheitlicheren Ganzen zusammenzufügen. 2) Die autonome Auslegung (interpretatio legis communis) Dazu sind die Grundsätze zur Auslegung des (sekundären) EU-Rechts zu strukturieren und weiterzuentwickeln. a) Vorprüfung (examinatio ante interpretationem) Bevor man mit der interpretatio legis communis arbeiten kann, stellt sich die Frage, ob sie für die auszulegende Norm maßgeblich ist. Dabei sind die beiden288 Gebrauchsweisen des Begriffspaares „autonome Auslegung“ streng auseinanderzuhalten: Soweit die „autonome Auslegung“ eine eigene unionsrechtliche Interpretationsmethodik bezeichnet, muss sie, wie zuvor289 dargelegt, herangezogen werden, um das europäische IPR anzuwenden. Anders gestaltet sich der Befund, wenn man mit der „autonomen Auslegung“ beschreiben will, dass die Begriffsbestimmung bei der interpretatio legis communis grundsätzlich unabhängig von einem einzelnen nationalen Verständnis erfolgt. Dann muss der Frage nachgegangen werden, ob der betreffende Ausdruck aus dem Unionsrecht heraus (autonom) zu interpre__________ Cheshire, ebda. S. 772–774; Dickinson, ebda. Rdnr. 3.01–3.36; Heinze, ebda. (109–111); Kropholler, IPR, § 10 III 2 a)–e); Ludwig, ebda. Rdnr. 59; MünchKomm/Junker, ebda. Rdnr. 31–34; MünchKomm/Martiny, ebda. Rdnr. 15 a–15 d; Palandt/Thorn, ebda.; PWW/Brödermann/Wegen, ebda. Rdnr. 13; PWW/Schaub, ebda.; Plender/Wilderspin, ebda. Rdnr. 1-087–1-120; Reiher, ebda. S. 27–33; Staudinger/Magnus, ebda. Rdnr. 59– 63; Wurmnest, ebda. Rdnr. 18–22. 287 Exemplarisch: Zum allgemeinen Europarecht Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rdnr. 165–185. Zur unionsrechtlichen Methodik Buerstedde, Methodik, S. 11–180. Zum Unionsprivatrecht Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, S. 43–49. Zum europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht Kropholler/v. Hein, EU-ZPR, Einl EuGVO Rdnr. 68–81. Zum europäischen Kollisionsrecht Audit, JDI 2004, 789 bis 816. Zum Internationalen Einheitsrecht Gruber, Methoden, S. 79–228. Zu einer rechtsvergleichend gewonnenen europäischen Methodenlehre Henninger, Methode, S. 323–443. 288 Zum Begriffsinhalt der autonomen Auslegung vgl. jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 4 I 2) a) (S. 42 f.). 289 S. Kap. 1 § 4 I 2) b) (S. 43 ff.).

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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tieren ist oder nicht. Ihre Beantwortung wird teilweise 290 der grammatikalischen Auslegung zugeordnet. Davon sollte man jedoch aus zwei Gründen absehen. Zum einen ist die grammatikalische Interpretation auf unionsrechtlicher Ebene ohnehin bereits relativ kompliziert.291 Schon deswegen sollte man ihre Prüfung so weit wie möglich „entzerren“. Zum anderen betrifft die Frage, ob ein Begriff autonom zu interpretieren ist oder nicht, eine andere kollisionsrechtliche Dimension. Denn wenn es darum geht, ob unionsrechtliche oder nationale Regelungen für eine Begriffsdefinition maßgebend sind, trifft der Anwendungsanspruch der Unionsordnung auf den der nationalen Rechtsordnungen. Hierbei handelt es sich gewissermaßen um eine „vertikale Kollision“. Die Normen des europäischen IPR betreffen jedoch in erster Linie das Verhältnis zwischen nationalen Privatrechtsordnungen und regeln somit „horizontale“ Rechtsanwendungskonflikte. Letztere sollten aus den Gründen der Einfachheit und Transparenz prüfungstechnisch von „vertikalen Kollisionen“ getrennt werden. Im Ergebnis muss vor der interpretatio legis communis stets geklärt werden, ob der fragliche Begriff autonom auszulegen ist oder nicht. Diese Vorprüfung sollte unionsweit examinatio ante interpretationem genannt werden. aa) Lösungsvorschläge Fraglich ist, wie die examinatio ante interpretationem292 inhaltlich aussehen sollte. Denn die Frage, wann ein Ausdruck nach unionsrechtlichen oder nationalen Regelungen zu definieren ist, wird methodisch uneinheitlich beantwortet. (1) Grundsätzlich autonome Begriffsbestimmung Zunächst gibt es Lösungsansätze, die eine grundlegende Gemeinsamkeit haben. Ihnen zufolge sind Begriffe des Unionsrechts nämlich grundsätzlich autonom auszulegen.293 Unterschiede bestehen nur, was die Ausgestaltung der Ausnahmen angeht: __________ 290 291 292 293

So etwa Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 14. Dazu ausführlich Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (1) bis (3) (S. 54 ff.). Zum Begriff vgl. jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 4 II 2) a) (S. 50 f.). Grundlegend EuGH, Rs. 64/81 – Corman, Slg. 1982/1, 13 (24). Aus dem Schrifttum etwa: Adrian, Grundprobleme, S. 336 f.; Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 32; Gebauer, in: ders./Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 4 Rdnr. 8; Henninger, Methode, S. 280; Millett, SLR 1989, 163 (177); Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 4, 7 und 14. Schübel-Pfister, Sprache, S. 255 f. So ausdrücklich zum europäischen IPR etwa Heinze, in: FS Kropholler, S. 105

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1. Kap.: Grundlagen

Teilweise294 lässt man Ausnahmen nur bei ausdrücklichen Verweisen auf nationales Recht zu. Das lehnen andere295 ab und greifen stattdessen auf den Sinn der betreffenden Vorschrift zurück, um zu ermitteln, wann vom Grundsatz der autonomen Auslegung abgewichen werden kann. Wieder andere296 ziehen zur Bestimmung solcher Abweichungen sowohl Verweise als auch weitere vom Unionsrecht vorgegebene Aspekte wie etwa den Stand der Integration297 heran. (2) Vorgriff auf die autonome Auslegungsmethodik Ganz anders verfahren die Teile298 des Schrifttums, nach denen der betreffende Begriff vollumfänglich interpretiert werden muss, um herauszufinden, ob er autonom auszulegen ist. Diese Autorengruppe zieht es also vor, mittels eines Vorgriffs auf die unionsrechtliche Interpretationsmethode festzustellen, ob der jeweilige Ausdruck autonom ausgelegt werden muss oder nicht. bb) Stellungnahme Die Frage, ob unionsrechtliche oder nationale Normen für eine Begriffsdefinition maßgeblich sind, stellt sich lediglich bei Ausdrücken, die sowohl dem Unionsrecht als auch den nationalen Rechtsordnungen bekannt sind.299 Anderenfalls überschneiden sich die Unionsordnung und die nationalen Rechtsordnungen begrifflich überhaupt nicht. Für etwaige terminologische Überschneidungen wird teilweise aus dem Gebot der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Unionsrechts gefolgert, dass seine Ausdrücke grundsätzlich autonom interpretiert werden müssen.300 __________ (108 f.). Ebenso zur Rom II-VO u. a.: Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.09; Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 16. 294 So: Adrian, Grundprobleme, S. 338 f.; Millett, SLR 1989, 163 (177). So im Ergebnis auch zum europäischen IPR Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (108 f.) in Fn. 26. Ebenso zur Rom II-VO Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 17. 295 So Schübel-Pfister, Sprache, S. 255 f. 296 Vgl.: Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 32; Gebauer, in: ders./Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 4 Rdnr. 8; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 4 und 8. 297 Beispiel entlehnt aus Riesenhuber, ebda. Rdnr. 8. 298 So etwa: Gruber, Methoden, S. 85 f.; Scheibeler, Begriffsbildung, S. 284; Scholz, Auslegung, S. 44 f.; Streinz, ZEuS 2004, 387 (408). Ebenso für Fälle, in denen „ausdrückliche Anweisungen“ des Unionsgesetzgebers fehlen Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 495. 299 Vgl.: Audit, JDI 2004, 789 (799); Kropholler, IntEinR, S. 265. 300 Vgl. Schübel-Pfister, a.a.O. (Fn. 295) S. 250 m.w.Nachw. (Fn. 398).

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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Die einheitliche Rechtsauslegung und -anwendung sind Ziele des EURechts und somit teleologische Auslegungsargumente. Das heißt, die im vorigen Absatz dargelegte Begründung reduziert den Interpretationsvorgang auf einen seiner Bestandteile. Dasselbe geschieht, wenn man zur Bestimmung von Ausnahmen zur autonomen Auslegung pauschal auf den Zweck der betreffenden Vorschrift zurückgreift.301 Auch wenn man bei einem ausdrücklichen Verweis auf nationales Recht von einer autonomen Begriffsbestimmung absehen will,302 ist das nicht mehr als der Rekurs auf ein grammatikalisches Auslegungsargument. Dagegen wird auf einen systematischen und historischen Aspekt der Interpretation abgestellt, wenn man auf Art. 67, 81 AEUV (ex-Art. 61, 65 EGV) sowie auf die Erwägungsgründe der Rom I-303 und der Rom II-VO304 zurückgreift, um eine grundsätzlich autonome Begriffsbestimmung zu begründen.305 Wie sich aus dem voranstehenden Absatz ergibt, wird der Interpretationsvorgang verkürzt, wenn man mit dem Muster „Regel-Ausnahme“ arbeitet. Das ist aber hinsichtlich der Grenzen der unionsrechtlichen Rechtsfindung unzulässig:306 Zum einen betrifft die autonome Begriffsbestimmung die Grenzziehung zwischen den Anwendungsansprüchen der Unionsordnung und der nationalen Rechtsordnungen.307 Damit ist die Souveränität der Mitgliedstaaten tangiert. Um einen Eingriff in diesen primärrechtlich geschützten Bereich zu rechtfertigen, bedarf es mehr als nur einer verkürzten Argumentation. Zum anderen besteht für die Rechtsfindung auf Unionsebene die Pflicht, Entscheidungen hinreichend zu begründen und auf Akzeptanzfähigkeit auszurichten. Beiden Anforderungen genügt eine reduzierte Auslegungsarbeit nicht. Im Ergebnis sprechen also die besseren Argumente dafür, stets auf alle (allgemein anerkannten) Mittel der unionsrechtlichen Auslegungsmethode zurückzugreifen, um festzustellen, ob ein Begriff aus dem Unionsrecht heraus (autonom) interpretiert werden muss. Diese examinatio ante interpretationem sollte vor der interpretatio legis communis durchgeführt werden.

__________ 301 302 303 304 305 306

S. dazu Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) (1) (S. 52). S. dazu ebda. Erwägungsgrund 6 der Rom I-VO. Erwägungsgründe 6, 13 und 16 der Rom II-VO. So zu ex-Art. 61, 65 EGV Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (108). Dazu jetzt und im weiteren Verlauf der Stellungnahme Kap. 1 § 3 III 1) bis 4) (S. 34 ff.). 307 Vgl. dazu auch Kap. 1 § 4 II 2) a) (S. 51).

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1. Kap.: Grundlagen

b) Allgemein anerkannte Auslegungskriterien Die interpretatio legis communis stellt für die Auslegung des europäischen IPR vier allgemein anerkannte Kriterien zur Verfügung. Denn es herrscht Einigkeit darüber, dass auf europarechtlicher Ebene die „klassischen“ Interpretationsmittel angewandt werden können, mithin die grammatikalische, historische, systematische und teleologische Auslegung.308 aa) Grammatikalische Auslegung (interpretatio iuxta verbum) Die Interpretation geht auch im Unionsrecht von der grammatikalischen Auslegung aus,309 bei der die Bedeutung einer Regelung anhand ihres sprachlichen Sinns ermittelt wird.310 Das hinter diesem Auslegungsmittel stehende Konzept sollte EU-weit als interpretatio iuxta verbum bezeichnet werden. Bei ihr ist zunächst zu beachten, dass eine Unionsvorschrift zwar in verschiedenen Sprachfassungen existiert, aber sie alle nur einen einzigen Inhalt verkörpern, da in ihnen ein einheitlicher Wille ausgedrückt wird.311 Diesen Inhalt gilt es zu ermitteln. Dazu muss man ausgehend vom Wortlaut der unionsrechtlichen Norm den Wortsinn der von ihr verwandten Begriffe herausarbeiten.312 Aus dem Wortsinn ergibt sich im Zusammenspiel mit den Regeln der Grammatik und der Logik der sprachliche Sinn der auszulegenden Unionsregelung.313 Wie im vorstehenden Absatz angedeutet, muss man bei der autonomen grammatikalischen Auslegung zwischen dem Wortlaut, dem Wortsinn und dem sprachlichen Sinn der zu interpretierenden Unionsvorschrift unterscheiden. Der Wortlaut einer unionsrechtlichen Regelung ist nur ihre äußere sprachliche Einkleidung, also die aneinander gereihten Sprach- und Satzzeichen.314 Dagegen beschreibt der Wortsinn einer Unionsvorschrift die Bedeutung ihrer einzelnen Begriffe.315 Schließlich folgt der sprachliche __________ 308 309

Vgl. statt aller Gebauer, in: ders./Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 4 Rdnr. 4. Dazu grundlegend EuGH, Rs. 283/81 – C.I.L.F.I.T., Slg. 1982/4, 3417 (3430). Aus dem Schrifttum vgl. statt aller Paschke/Iliopoulos/Menzel, S. 58. Aus jüngerer Zeit vgl. Weiler, ZEuP 2010, 861–880. 310 Vgl. Buck, Auslegungsmethoden, S. 152 m.w.Nachw. (Fn. 427). 311 So ausdrücklich zu mehrsprachigen Gesetzestexten Dölle, RabelsZ 26 (1961), 4 (27). Seine Argumentation auf Unionsnormen übertragend etwa Schübel-Pfister, Sprache, S. 230 f. 312 Vgl. statt vieler Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (590). 313 Zur Bedeutung grammatikalischer und logischer Regeln vgl. Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 145 f. m.w.Nachw. (Fn. 698–701). 314 Den Wortlaut ebenfalls als „Zeichenkette“ verstehend Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 670. 315 Vgl. statt vieler Kropholler, IPR, § 10 III 2 a).

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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Sinn einer unionsrechtlichen Norm aus dem Wortsinn ihrer Termini unter Zuhilfenahme der Regeln der Grammatik und Logik.316 (1) Wortlaut Der Wortlaut einer unionsrechtlichen Regelung ist Ausgangs- und Endpunkt der autonomen Auslegung.317 Ausgangspunkt der autonomen Interpretation ist der Normtext aller sprachlichen Fassungen, da sie alle autoritativ sind.318 Das ergibt sich für das Primärrecht aus Art. 55 EUV (analog) und für das Sekundärrecht aus Art. 342 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Nr. 1 VO Nr. 1319.320 Aus diesen Bestimmungen folgt zugleich, dass die verschiedenen Textversionen stets miteinander verglichen werden müssen.321 Während dem EuGH die dazu erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, kann der Rechtsanwender in den Mitgliedstaaten nur die Fassungen mit einbeziehen, deren Sprache er beherrscht.322 Der Wortlaut einer Unionsvorschrift ist aber nicht nur der Ausgangs-, sondern auch der Endpunkt der interpretatio legis communis.323 Er markiert insofern die Grenze der Auslegung, als ihr Ergebnis dem Normtext __________ 316 Zur Bedeutung grammatikalischer und logischer Regeln vgl. Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 145 f. m.w.Nachw. (Fn. 698–701). 317 Vgl. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 14 und 20. Ausführlich zur Grenzfunktion des Wortlauts Kap. 1 § 3 I 2) a) und b) (S. 30 ff.). 318 Vgl. statt aller Bailey/Ching/Gunn/Ormerod, Modern System, Rdnr. 6-051. Dazu kritisch Braselmann, EuR 1992, 55 (73 f.). 319 Verordnung Nr. 1 des EWG Rates vom 15.4.1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. Nr. L 17 vom 6.10.1958, S. 385; zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 zur Anpassung einiger Verordnungen, Beschlüsse und Entscheidungen in den Bereichen freier Warenverkehr, Freizügigkeit, Gesellschaftsrecht, Wettbewerbspolitik, Landwirtschaft (einschließlich des Veterinär- und Pflanzenschutzrechts), Verkehrspolitik, Steuerwesen, Statistik, Energie, Umwelt, Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, Zollunion, Außenbeziehungen, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Organe anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABl. EU Nr. L 363 vom 20.12.2006, S. 1. 320 Zu den korrespondierenden Vorgängerregelungen in ex-Art. 314 EGV und ex-Art. 290 EGV vgl. statt aller Groh, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 263 (268 f.). Zu den aktuellen primär- und sekundärrechtlichen Vorgaben vgl. u. a.: Hilpold, EuR 2010, 695 (698 f.); Koch, in: Busch u. a. (Hrsg.), Methodik, S. 51 (54 f.). 321 Vgl. statt aller Groh, ebda. 322 Im Ergebnis ähnl.: Baldus, GPR 3/0304, 114 (114); Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/ Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 36 f.; Groh, a.a.O. (Fn. 320) (270); Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (591); Loehr, Mehrsprachigkeitsprobleme, S. 139 f. Kritisch zur Berücksichtigung aller Sprachfassungen durch den EuGH Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (10). 323 Zur Grenzfunktion des Wortlauts vgl. Kap. 1 § 3 I 2) a) und b) (S. 30 ff.).

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1. Kap.: Grundlagen

aller Sprachversionen juristisch-methodisch zurechenbar sein muss.324 Das ist nicht mehr der Fall, wenn sich das Interpretationsergebnis im Normtext gar keiner Sprachfassung mehr niederschlägt.325 Das heißt, das Auslegungsergebnis muss sich zwischen dem Wortsinn bzw. sprachlichen Sinn der engsten und der weitesten Sprachversion bewegen.326 Welche Deutungsmöglichkeit in diesem Rahmen die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ markiert, folgt aus der gesamten Interpretation der fraglichen Vorschrift. (2) Wortsinn Ausgehend vom Wortlaut ist stets der Wortsinn zu ermitteln.327 (a) Ausgangspunkte Fraglich ist, welche Prämissen man bei der Suche nach der EU-rechtlichen Wortbedeutung zugrunde legen sollte. (aa) Intentionalismus oder Konventionalismus? Angelehnt an die deutsche328 Theorie kann man zur Feststellung des Wortsinns zwei grundsätzlich verschiedene Ausgangspunkte einnehmen: den sog. Intentionalismus329 oder den sog. Konventionalismus330. Ersterer stellt zur Bedeutungsfindung auf die Absicht des Sprechers ab, Letzterer auf die Wortbedeutung, wie sie in der Sprachgemeinschaft verstanden wird.331 Diese Unterscheidung gleicht den Differenzen zwischen der subjektiven und der objektiven Auslegungstheorie, also zwischen Betonung des gesetzgeberischen Willens im Gegensatz zur Bevorzugung der objektiv-geltungszeitlichen Bedeutung des Gesetzeswortlauts. Würde man sich generell für den Intentionalismus oder den Konventionalismus entscheiden, käme dies einer Entscheidung für eine der (modifizierten) Auslegungstheorien gleich. Da aber keine unter ihnen zu überzeugen vermag,332 sollte man __________ 324 Vgl.: Buerstedde, Methodik, S. 27 und 169; Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 670. 325 Vgl.: Gruber, Methoden, S. 139; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (535). So zu mehrsprachigen Gesetzestexten auch Dölle, RabelsZ 26 (1961), 4 (28). 326 Dazu jetzt und im Folgenden s. Kap. 1 § 3 I 2) b) (S. 32 f.). 327 Vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (S. 54). 328 Dazu statt aller Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung, S. 270 (280 f.). 329 So für das Unionsrecht wohl Christensen/Sokolowski, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 113 (120). 330 So für das Unionsrecht etwa: Adrian, Grundprobleme, S. 295, 854; Loehr, Mehrsprachigkeitsprobleme, S. 144 f. unter Verweis auf S. 122 f. 331 Vgl. statt aller Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rdnr. 738. 332 S. Kap. 1 § 4 I 3) f) (S. 47 f.).

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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einen Mittelweg einschlagen. Man kann insoweit darauf abstellen, dass dem Gesetzgeber Mittel und Wege zur Verfügung stehen, um klarzustellen, wie er einen Ausdruck verstanden wissen will. Möchte der Unionsgesetzgeber sicherstellen, dass mit einem Begriff eine ganz bestimmte, besondere Bedeutung verbunden wird, kann er sich einer Legaldefinition bedienen. Dann ist der Intentionalismus vorzuziehen. Sieht er aber von einer Legaldefinition ab, kann darin eine Entscheidung für diejenige Wortbedeutung erblickt werden, wie sie in der Sprachgemeinschaft verstanden wird (Konventionalismus). (bb) Alltags- oder Fachsprache? Für den Fall, dass der konventionelle Sprachgebrauch maßgeblich ist, ergibt sich die Folgefrage, ob unter Sprachgemeinschaft die juristische „Fachsprachgemeinschaft“ oder die bürgerliche „Laiensprachgemeinschaft“ zu verstehen ist. Soll also der fachliche oder gewöhnliche Sprachgebrauch für die Bedeutungsfindung zugrunde gelegt werden?333 Im Schrifttum geht man überwiegend davon aus, dass der gewöhnliche bzw. natürliche Sprachgebrauch als Maßstab anzulegen ist.334 Da ein allgemeiner Sprachgebrauch grundsätzlich nicht über die Sprachgrenzen hinaus existiert,335 kann man dies nur dahin gehend verstehen, dass der Sprachgebrauch eines „hypothetischen“ EU-rechtlichen „native speakers“ ausschlaggebend ist.336 Anders ausgedrückt ist vom Sprachgebrauch einer gedachten Person auszugehen, die den autonomen, mehrsprachigen Sprachcode der Union beherrscht. Diese Perspektive kann praktisch im Wege eines Rechts- und Sprachvergleiches eingenommen werden.337 Dabei muss man beachten, dass Alltagswörter durch die Einbettung in einen juristischen Kontext zu Fachwörtern werden.338 Demnach sollte man grundsätzlich die fachsprachliche Bedeutung vorziehen und erst bei deren Fehlen von der gewöhnlichen ausgehen.339 (cc) Maßgeblicher Zeitpunkt? Zeitlich gesehen stellt sich bei der Ermittlung des Wortsinns die Frage, ob die Begriffsbedeutung zur Zeit der Normentstehung oder der -anwendung __________ 333 334 335 336 337 338 339

Vgl. Buerstedde, Methodik, S. 109. Ähnl. Adrian, Grundprobleme, S. 305. Vgl. Schübel-Pfister, Sprache, S. 128 m.w.Nachw. (Fn. 445). Loehr, Mehrsprachigkeitsprobleme, S. 141 m.w.Nachw. (Fn. 636). Loehr, ebda. S. 145. Ähnl. zu „normativen“ Begriffen Gruber, Methoden, S. 130 f. Im Ergebnis ebenso, aber zu „normativen“ Begriffen Gruber, ebda. S. 131. Buerstedde, a.a.O. (Fn. 333) S. 109 f. Vgl.: Buerstedde, a.a.O. (Fn. 333) S. 110 und 158; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 18. A. M. Adrian, a.a.O. (Fn. 333) S. 306 und 854.

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1. Kap.: Grundlagen

maßgeblich ist.340 Vertritt man eine der (modifizierten) Auslegungstheorien,341 fällt die Antwort relativ leicht. Wenn man wie hier342 keine unter ihnen bevorzugt, muss man eine andere Lösung finden. Dazu kann man sich im Unionsrecht eine Ausprägung der sog. „dynamischen Auslegung“ zunutze machen. Denn diese ordnet in zeitlicher Hinsicht an, dass sich die Interpretation immer auf die Unionsordnung im Zeitpunkt der Rechtsanwendung beziehen muss.343 (dd) Ergebnis Für die Bestimmung einer unionsrechtlichen Begriffsbedeutung gelten drei Ausgangspunkte. Erstens ist der Wortsinn zum Zeitpunkt der Rechtsanwendung zu ermitteln. Zweitens muss man bei fehlender Legaldefinition vom konventionellen Sprachgebrauch ausgehen. Dabei muss man drittens die fachsprachliche und subsidiär die allgemeine Wortbedeutung zugrunde legen. (b) Vom Wortlaut zum Wortsinn Nachdem die Ausgangspunkte geklärt sind, kann man sich der Frage zuwenden, wie man den Schritt vom Wortlaut zum Wortsinn vollzieht. Dabei sollte danach unterschieden werden, ob zum betreffenden Ausdruck bereits eine unionsrechtliche Bedeutung existiert oder nicht.344 (aa) Bestehende Bedeutung Hat sich zum auszulegenden Begriff bereits ein spezieller unionsrechtlicher Wortsinn entwickelt, ist er grundsätzlich maßgeblich.345 Allerdings muss er modifiziert werden, wenn die anderen Interpretationskriterien dies nahelegen. Das bedeutet für das europäische Kollisionsrecht: Wird ein Ausdruck verwandt, der im EU-Recht – insbesondere im unionsrechtlichen IPR und/oder IZVR – bereits existiert, hat er prinzipiell die Bedeutung, die sich in Rechtsprechung und Lehre zu ihm herausgebildet hat.346 Ob die damit __________ 340 341 342 343

Vgl. Adrian, Grundprobleme, S. 855. Dazu Kap. 1 § 4 I 3) a) bis c) (S. 45 f.). S. Kap. 1 § 4 I 3) f) (S. 47 f.). Vgl. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 43 m.w.Nachw. (Fn. 139). 344 Anders Adrian, a.a.O. (Fn. 340) S. 374. 345 Vgl. Lutter, JZ 1992, 593 (599) m.w.Nachw. (Fn. 71). 346 So im Ergebnis zum Auslegungszusammenhang zwischen der Rom I-, Rom IIund Brüssel I-VO auch Leible, Rom I und Rom II, S. 43, 47 und 77. Ähnl. Pfütze, ZEuS 2011, 35 (48 f.). Im Ergebnis ebenso zur Rom I-VO: PWW/Brödermann/Wegen, Vor

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verbundene Definition unverändert übernommen werden kann, richtet sich nach den anderen Auslegungsmitteln.347 (bb) Fehlende Bedeutung Hat der auszulegende Begriff auf unionsrechtlicher Ebene noch keine Bedeutung, bedient man sich zur Wortsinnermittlung aller Kriterien der autonomen Auslegungsmethode.348 (α) Zunächst kann man die sog. „wertende Rechtsvergleichung“ heranziehen, um den Wortsinn einer Unionsvorschrift zu bestimmen.349 Dabei sind die nationalen Rechtsordnungen und -begriffe jedoch keine Rechtsquellen, sondern lediglich Rechtserkenntnisquellen,350 so dass keine Ausnahme zur autonomen Begriffsbildung vorliegt. Der Definitionsvorgang, der als „wertende Rechtsvergleichung“ bezeichnet wird, sollte in zwei voneinander getrennten Schritten erfolgen: (1) Rechtsvergleichung und (2) Wertung.351 (αα) Im ersten Schritt sollte eine Rechtsvergleichung durchgeführt werden. Ihre Maßstäbe sind im EU-Recht zwar nicht genau und abschließend definiert,352 aber sie vermag Ausdrücke zu konkretisieren und präzisieren.353 Sie kann daher genutzt werden, um den Kern einer unionsrechtlichen Begriffsbedeutung zu bestimmen. Dabei sollte man in drei Schritten vorgehen: Im ersten Schritt muss der zu interpretierende Begriff in jeder Sprachfassung aus seinem Kontext herausgenommen werden, da jede Sprachversion gleichermaßen verbindlich ist.354 Während der EuGH wirklich auf alle Sprachfassungen zurückgreifen kann, bleibt dem Rechtsanwender in den Mitgliedstaaten nichts anderes übrig, als sich auf die Versionen zu beschränken, deren Sprache er beherrscht.355 Unabhängig von der Frage, wie __________ IntSchVR Rdnr. 13; Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 62. Vorsichtiger zur Interpretation der Rom I-VO BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 12. Zurückhaltender zur Auslegung der Rom II-VO Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.33 und 3.35. 347 Leible, ebda. Im Ergebnis ebenso Dickinson, ebda. 348 Zur autonomen Wortsinnermittlung vgl. statt aller Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 167. 349 Vgl. Joussen, Auslegung, S. 57 m.w.Nachw. (Fn. 247 f.). Anders Anweiler, ebda. S. 285 f. 350 Vgl. statt vieler Streinz, Europarecht, Rdnr. 616. 351 Inspiriert durch Schulze, ZfRV 1997, 183 (190). 352 Vgl. statt aller Meyer, Jura 1994, 455 (458). Zu methodischen und theoretischen Grundlagen der Rechtsvergleichung vgl. statt aller Basedow/Hopt/Zimmermann/Michaels, Handwörterbuch II, S. 1266. 353 Statt aller Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung I, S. 1 (27). 354 Zur Verbindlichkeit aller Sprachfassungen s. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (1) (S. 55). 355 Vgl. dazu ebda.

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1. Kap.: Grundlagen

vieler Sprachfassungen man sich bedienen kann, zielt die erste Prüfungsstufe darauf, klarzustellen, welche verschiedensprachigen Ausdrücke den Gegenstand der weiteren Arbeit bilden. Im zweiten Schritt muss für jeden Begriff gesondert ermittelt werden, welche Bedeutung er in den Rechtsordnungen hat, zu deren Amtssprache er zählt. Dabei ist zu beachten, dass der Rechts- stets einen Sprachvergleich mit einschließt.356 Hat ein Ausdruck keinen juristischen Inhalt, ist seine gewöhnliche Bedeutung in der jeweiligen Sprache zu ermitteln. In diesem Fall reduziert sich der Rechts- auf einen Sprachvergleich. Hat man die Bedeutung des auszulegenden Begriffs in jeder Rechtsordnung bzw. Sprache herausgearbeitet, muss man im dritten und letzten Schritt den gemeinsamen Minimalinhalt bestimmen. Er besteht in den Inhalten, die von allen Begriffsbedeutungen umfasst sind. Dabei handelt es sich um den Kern des unionsrechtlichen Wortsinns. (ββ) Ob dieser Bedeutungskern ausgedehnt oder eingeschränkt werden muss, bestimmt der „wertende“ Teil der Rechtsvergleichung.357 Danach ist die Begriffsbedeutung vorzugswürdig, die sich am besten in die Ziele und Strukturen des auszulegenden Rechtsakts und des Unionsrechts insgesamt einfügt.358 Welche Definition diese Anforderung erfüllt, kann man nur feststellen, indem man auf sämtliche Kriterien der autonomen Auslegung zurückgreift.359 Das bedeutet: Die unionsrechtliche Begriffsdefinition folgt aus der weiteren grammatikalischen, historischen, systematischen und teleologischen Interpretation des fraglichen Ausdrucks.360 (β) Im Rahmen der autonomen grammatikalischen Auslegung ist der Kern der unionsrechtlichen Begriffsbedeutung weiter zu präzisieren, indem man den Normtext aus sich selbst heraus auslegt, also die Bedeutung nach sprachlich-textlichem Kontext feststellt. Danach ist zunächst der Sinn der verwandten Begriffe im Satzzusammenhang zu ermitteln.361 Die so erarbeitete Bedeutung kann weiter konkretisiert werden, indem man die Stellung des Satzes im Textzusammenhang berücksichtigt.362 Bei der Prüfung „Wort – Text“ und „Text – Kontext“ sind sowohl der Ausgangs- als auch der Endpunkt der grammatikalischen Interpretation __________ 356

Vgl. Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (397). Ähnl. Koch, in: Busch u. a. (Hrsg.), Methodik, S. 51 (59). 357 Im Ergebnis ebenso zu Begriffen in Richtlinien Schulze, ZfRV 1997, 183 (190 f.). 358 Zur „wertenden Rechtsvergleichung“ bei Richtlinien statt aller Bleckmann, ZGR 1992, 364 (365 f.). 359 A. M. Metzger, Rechtstheorie 40 (2009), 313 (332). 360 Zur allgemeinen Auffassung, dass die unionsrechtliche Begriffsbedeutung letztlich durch Anwendung aller Auslegungsmittel bestimmt werden muss vgl. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 16 m.w.Nachw. (Fn. 38–42). 361 Vgl. statt aller Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 9 Rdnr. 170. 362 Vgl. Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 360) Rdnr. 22.

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besonders wichtig. Letztere endet jedenfalls, sobald eine Norm mit anderer amtlicher Überschrift mit einbezogen wird.363 Genauso bedeutsam wie der Endpunkt der grammatikalischen Auslegung ist aber auch ihr Ausgangspunkt, der in der Gesamtheit der Sprach- und Satzzeichen aller Sprachfassungen (Wortlaut) besteht.364 Daraus folgt für die Prüfung des sprachlichtextlichen Kontexts, dass sie grundsätzlich in allen Sprachversionen durchgeführt werden muss. Während dem EuGH dies möglich ist, kann der Rechtsanwender in den Mitgliedstaaten nur auf die Versionen zurückgreifen, deren Sprache er mächtig ist.365 Wie dem auch sei, trifft man bei der Prüfung „Wort – Text“ und „Text – Kontext“ nicht selten auf Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Sprachfassungen. Fraglich ist, wie man sie auflösen sollte. (αα) In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH366 könnte man erwägen, der „präziseren“ bzw. „klareren“ Sprachfassung Vorrang einzuräumen (sog. „Klarheitsregel“).367 Dagegen ist jedoch anzuführen, dass die vollständige Auslegung ebenso gut ergeben kann, dass der offeneren Sprachfassung Priorität zukommt.368 (ββ) Eine weitere Möglichkeit, den Wortsinn bei Divergenzen zwischen den Sprachfassungen zu bestimmen, besteht darin, den gemeinsamen Minimalinhalt aller Sprachversionen als vorrangig anzusehen (sog. „Gemeinsame-Nenner-Regel“).369 Dagegen spricht aber, dass die vollständige Auslegung ergeben kann, dass eine Bedeutung außerhalb der gemeinsamen inhaltlichen Übereinstimmung maßgeblich sein soll.370 Was Letztere demgegenüber leisten kann, ist bereits371 erörtert worden: Sie ist der Ausgangspunkt für die Wortsinnermittlung. (γγ) Teilweise372 wird auch erwogen, sprachliche Abweichungen aufzulösen, indem man der Bedeutung den Vorrang einräumt, die sich aus der Mehrheit der Sprachfassungen ergibt (sog. „Mehrheitsregel“). Dagegen könnte man einwenden, dass der Grundsatz der sprachlichen Gleichbehandlung eine solche Lösung verbiete.373 Da sich dieses Prinzip aber nur __________ 363 364 365 366 367

Vgl. statt vieler Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 58. Vgl. auch Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (1) (S. 55). Vgl. dazu auch Fn. 364. Dazu statt aller Buerstedde, Methodik, S. 42, Fn. 106. So etwa: Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (530); Neuner, Privatrecht, S. 190 und 193. 368 Vgl. Christensen/Sokolowski, in: Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache, S. 113 (115) m.w.Nachw. (Fn. 8). 369 Dazu statt aller Müller/Christensen, a.a.O. (Fn. 363) Rdnr. 22. 370 Vgl. statt vieler Dölle, RabelsZ 26 (1961), 4 (36 f.). 371 Dazu Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (2) (b) (bb) (α) (αα) und (ββ) (S. 59 f.). 372 Vgl. Buerstedde, a.a.O. (Fn. 366) S. 118 m.w.Nachw. (Fn. 407–409). 373 So etwa Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 155.

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1. Kap.: Grundlagen

auf den Wortlaut und nicht auf die Wortbedeutung bezieht, widerspricht es dieser Vorrangregel nicht.374 Gegen die Bevorzugung der Mehrheitsbedeutung ist jedoch einzuwenden, dass aus der Auslegung auch die Maßgeblichkeit eines engeren Wortsinns folgen kann.375 (δδ) Zur weiteren Präzisierung des durch wertende Rechtsvergleichung ermittelten Bedeutungskerns kann demnach auf die Prüfung „Wort – Text“ und „Text – Kontext“ zurückgegriffen werden. Bei Divergenzen in den Sprachfassungen sind alle ersichtlichen Vorrangregeln nicht überzeugend. Vielmehr müssen die anderen Auslegungskriterien herangezogen werden, um Unstimmigkeiten zwischen den Sprachfassungen zu bereinigen und die unionsrechtliche Begriffsbedeutung zu bestimmen.376 (γ) Bei der Ermittlung der (unions)autonomen Bedeutung hält man teilweise377 den Urtext für besonders wichtig. Unter der Ursprungsfassung bzw. dem Urtext versteht man den letzten Regelungsentwurf, der Grundlage der Verhandlungen gewesen ist und zum geltenden Normtext geführt hat.378 Für die besondere Wichtigkeit der Ursprungsfassung führt man an, dass Begrifflichkeiten in den verschiedenen Sprach- und Rechtskreisen voneinander abwichen und nur der Urtext über die ursprünglich gemeinten Inhalte Aufschluss geben könne.379 Dem kann insoweit zugestimmt werden, als alle Sprachfassungen Übersetzungen des Urtexts und damit zugleich Interpretationen desselben sind.380 Die Ursprungsfassung und ihre Übersetzungen verkörpern aber denselben Sinn, so dass man auch umgekehrt die Übersetzungen zum Verständnis des Urtexts heranziehen kann.381 Daher hebt sich der Urtext bei der Ermittlung des Wortsinns nicht von den anderen Sprachversionen ab. (δ) Teilweise382 wird auch vorgeschlagen, die Arbeitssprache als Hilfsmittel zur Konkretisierung des Wortsinns zu bemühen. Unter der Arbeitssprache versteht man diejenige Sprache, derer sich die Organe der EU in__________ 374 375 376 377

Vgl. Buerstedde, Methodik, S. 118 und 21. Inspiriert durch Dölle, RabelsZ 26 (1961), 4 (36 f.). Im Ergebnis ebenso Hager, Rechtsmethoden, Kap. 6 Rdnr. 6. So etwa: Buerstedde, a.a.O. (Fn. 374) S. 21 und 164; Dölle, a.a.O. (Fn. 375) (37 und 39). Im Ergebnis ebenso für die Rom I-VO MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 15 a. 378 Vgl. Buerstedde, a.a.O. (Fn. 374) S. 164. 379 Dölle, a.a.O. (Fn. 375) (37). 380 Vgl.: Braselmann, EuR 1992, 55 (58 f.); Kropholler, IntEinR, S. 269. 381 Vgl. Kropholler, ebda. 382 So etwa Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (530). Von einer besonderen Auslegungsbedeutung der Arbeitssprachen ausgehend auch Erman/Hohloch, Band II, Anh. II Art. 26 EGBGB: Vorb. Rom I-VO Rdnr. 20.

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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tern bedienen, um ihre Funktionen wahrzunehmen.383 Die Heranziehung der Arbeitssprache ist aber vor dem Hintergrund der sprachlichen Gleichberechtigung problematisch.384 Außerdem kann die Arbeitssprache im Verlauf eines Rechtsetzungsverfahrens wechseln, so dass auch sie keine sicheren Anhaltspunkte zu bieten vermag.385 (ε) Möglicherweise überzeugt aber ein anderer Grundsatz. Man könnte bei der Wortsinnbestimmung das für den Normadressaten am wenigsten belastende Auslegungsergebnis wählen (sog. „Günstigkeitsregel“).386 Dagegen spricht aber die Relativität des Günstigkeitskriteriums, die zu Rechtsunsicherheit führt: Was für eine Person günstig ist, muss nicht auch für eine andere günstig sein.387 Darüber hinaus bleibt die Frage nach der rechtlichen Begründung des Günstigkeitskriteriums offen.388 (3) Sprachlicher Sinn Hat man den Wortsinn der auszulegenden Unionsnorm ermittelt, kann man ihren sprachlichen Sinn mithilfe der Regeln der Grammatik und Logik ausfindig machen.389 Da alle Sprachfassungen verbindlich sind,390 muss der sprachliche Sinn in allen Textversionen bestimmt werden. Während dem EuGH die dazu erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, muss sich der Rechtsanwender in den Mitgliedstaaten auf die Textfassungen beschränken, deren Sprache er beherrscht.391 Bei der Ermittlung des sprachlichen Sinns kann es dazu kommen, dass die Ergebnisse der einzelnen Sprachfassungen voneinander abweichen. Um etwaige Divergenzen aufzulösen, sind die Grundsätze ungeeignet, die bestimmten Sprachen bzw. Sprachversionen eine Priorität einräumen.392 Allerdings kommt dem gemeinsamen Minimalinhalt insofern eine Bedeutung zu, als dass er den Kern des sprachlichen Sinns der auszulegenden Unionsregelung darstellt.393 Ob dieser Kern maßgeblich ist, muss mittels der anderen Auslegungskriterien bestimmt werden.394 __________ 383 384 385 386 387 388 389

Vgl. statt aller Reichelt, in: dies. (Hrsg.), Sprache, S. 1 (4). Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 17. Riesenhuber, ebda. Dazu Adrian, Grundprobleme, S. 365 m.w.Nachw. (Fn. 633–636). Vgl. Dölle, RabelsZ 26 (1961), 4 (33). Vgl. Dölle, ebda. (34). Zur Bedeutung grammatikalischer und logischer Regeln vgl. Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 145 f. m.w.Nachw. (Fn. 698–701). 390 Vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (1) (S. 55). 391 Vgl. dazu auch Fn. 390. 392 Zu diesen Grundsätzen s. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (2) (b) (bb) (β) (αα) bis einschließlich (ε) (S. 60 ff.). 393 Vgl. Millett, SLR 1989, 163 (166 f. und 175). 394 So zur Vorgehensweise des EuGH Millett, ebda. (168).

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1. Kap.: Grundlagen

bb) Historische Auslegung (interpretatio iuxta historiam) Bei der Auslegung einer sekundärrechtlichen Regelung werden auch ihre Vor- und Entstehungsgeschichte untersucht.395 Diese Analyse sollte man in einer unionsweit einheitlichen Terminologie als interpretatio iuxta historiam bezeichnen. (1) Objektiv- und subjektiv-historische Auslegung Was das Untersuchungsziel angeht, stehen sich die objektiv- und subjektiv-historische Interpretationsmethode gegenüber.396 Erstere will die Funktion der auszulegenden Vorschrift im Zeitpunkt ihres Erlasses ermitteln,397 Letztere hingegen den Willen des historischen Gesetzgebers.398 Die Trennung zwischen objektiv- und subjektiv-historischer Auslegung steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach dem Auslegungsziel.399 Nach der hier400 vertretenen Ansicht kann insoweit keine der (modifizierten) Theorien überzeugen. Vielmehr gilt auch bei der historischen Interpretation, dass man die Reichweite der auszulegenden Norm ermitteln muss, um ihre gerechte Anwendung im Einzelfall zu erreichen.401 Dazu sind sämtliche historischen Interpretationsmittel zu nutzen. (2) Mittel der historischen Auslegung Zur historischen Auslegung einer Unionsnorm werden ihre Vorgängerregeln und deren Hintergrund (historische Auslegung i. e. S.) sowie die Materialien zur Gesetzgebung (genetische Auslegung) herangezogen.402 (a) Historische Auslegung i. e. S. Vorgängervorschriften, auf die man bei der historischen Interpretation i. e. S. zurückgreifen kann, finden sich sowohl im EU-Recht als auch in nationalen Rechtsordnungen.

__________ 395 396 397 398

Vgl. Henninger, Methode, S. 288 m.w.Nachw. (Fn. 1814). Vgl. statt aller Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung I, S. 1 (22). Vgl. Zuleeg, EuR 1969, 97 (102) m.w.Nachw. (Fn. 54 f.). Vgl. Leisner, EuR 2007, 689 (689 f.) m.w.Nachw. (Fn. 4 f.). Erst jüngst wieder vertreten von Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (16). Im Ergebnis ebenso für die Rom I-VO MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 15 b. Im Ergebnis ebenso für die Rom II-VO MünchKomm/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 32. 399 Dazu ausführlich Kap. 1 § 4 I 3) a) bis e) (S. 45 ff.). 400 S. Kap. 1 § 4 I 3) f) (S. 47 f.). 401 S. Kap. 1 § 4 I 3) f) (S. 47 f.). 402 Vgl. statt aller Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 30.

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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(aa) Unionsrechtliche Vorgängernormen Da das EU-Recht (noch) relativ jung ist, hält es häufig keine Vorgängerregelungen bereit, aber das wird sich mit zunehmendem Alter der Unionsordnung ändern.403 Für das unionsrechtliche IPR existieren schon jetzt Vorgängernormen auf europäischer Ebene, und zwar im EVÜ. Soweit es Vorgängervorschriften zu den Regelungen der Rom I-VO enthält, kann man aus ihnen Rückschlüsse für die Nachfolgenormen ziehen.404 Insoweit sind Rechtsprechung und Lehre zum EVÜ eine wichtige Erkenntnisquelle für die historische Auslegung der Rom I-VO.405 Gleiches gilt für die Vorschriften der Rom II-VO, soweit sie auf das EVÜ zurückgehen. Bei der Argumentation mit Vorgängerregelungen muss man stets folgende Grundsätze beachten: Hat sich der Wortlaut einer unionsrechtlichen Norm geändert, gilt die (widerlegbare) Vermutung, dass sich dadurch auch der Regelungsinhalt wandelt.406 Hat sich der Wortlaut einer Vorschrift hingegen nicht geändert, ist davon auszugehen, dass ihr Sinngehalt gleich bleiben soll.407 (bb) Nationale Vorgängerregelungen Haben nationale Vorschriften als Regelungsvorbild gedient, ist ihre Auslegung nach dem „Herkunftsrecht“ grundsätzlich nicht autoritativ.408 Ausnahmsweise kann eine nationale Regelungssituation aber für die Interpretation einer Unionsvorschrift bedeutsam sein – etwa wenn der europäische

__________ 403 404

Vgl. statt vieler Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 71. Vgl. etwa: BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 12; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (62); Heiss, JBl 2006, 750 (755); Reiher, Vertragsbegriff, S. 33; Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 61. Ähnl.: Magnus, IPRax 2010, 27 (28); MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 15 b; Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO Rdnr. 60. 405 Vgl. Magnus, IPRax 2010, 27 (28); Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 61. Ihm folgend Brödermann, NJW 2010, 807 (810) in Fn. 79. Ebenso zur Bedeutung der zum EVÜ ergangenen Literatur: Heiss, JBl 2006, 750 (755) Fn. 60; Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO Rdnr. 60. Ebenso zum „Giuliano-Lagarde-Bericht“ (ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1–50): BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 12; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (62) Fn. 8; Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (110) Fn. 37; MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 15 b; Reiher, Vertragsbegriff, S. 33. 406 Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 39 m.w.Nachw. (Fn. 25). 407 Gruber, Methoden, S. 182 m.w.Nachw. (Fn. 552). 408 Vgl. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 38 m.w.Nachw. (Fn. 107).

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1. Kap.: Grundlagen

Gesetzgeber auf bestimmte Missstände in den Mitgliedstaaten reagiert oder eine spezifische nationale Rechtslage vorausgesetzt hat.409 (b) Genetische Auslegung Im Rahmen der genetischen Auslegung bedient man sich zur Norminterpretation der Materialien zur Gesetzgebung.410 (aa) Maßgeblicher Urheber Zunächst stellt sich die Frage, wessen Materialien berücksichtigungsfähig sind. Die Antwortet lautet: In die genetische Auslegung können grundsätzlich nur die Äußerungen der Unionsorgane einfließen, denen bei der Rechtsetzung nicht nur ein Initiativ- oder Anhörungsrecht zusteht, sondern deren Zustimmung der betreffende Sekundärrechtsakt tragen muss. 411 Dabei handelt es sich regelmäßig um den Rat und teilweise auch um das Parlament.412 Äußerungen anderer EU-Organe sind hingegen nur autoritativ, soweit sie im Gesetzgebungsverfahren umgesetzt worden sind.413 (bb) Autoritative Materialien Mit der Feststellung, dass grundsätzlich nur die Materialien von Rat und Parlament für die genetische Auslegung bemüht werden dürfen, ist noch nichts darüber gesagt, unter welchen Voraussetzungen sie berücksichtigungsfähig sind. Damit ein Dokument für die genetische Interpretation herangezogen werden darf, muss es zwei Anforderungen erfüllen.414 Zum einen muss es allgemein zugänglich bzw. veröffentlicht sein.415 Zum anderen müssen sich seine Inhalte in der auszulegenden Regelung niedergeschlagen haben.416 __________ 409 410 411

Vgl. statt aller Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 39. Vgl. statt aller Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 64. Vgl. statt vieler Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 409) Rdnr. 31. Im Ergebnis ebenso zur Rom I-VO MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 15 b. Im Ergebnis ebenso zur Rom II-VO MünchKomm/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 32. A. M. zum Unionsrecht Leisner, EuR 2007, 689 (702). A. M. zur Rom I-VO wohl auch PWW/Brödermann/Wegen, Vor IntSchVR Rdnr. 13 und 15. A. M. zur Rom II-VO wohl auch Cheshire, PIL, S. 773 f. 412 Dazu näher Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 11 Rdnr. 43–80. 413 Dazu ausführlich Gruber, Methoden, S. 171–173. 414 Vgl. Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.32 m.w.Nachw. (Fn. 91–94). 415 Vgl. statt aller Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1181). Noch weiter gehend Henninger, Methode, S. 389. Kritisch zum Kriterium der Veröffentlichung Leisner, a.a.O. (Fn. 411) (696 f.). 416 Vgl. Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 42 m.w. Nachw. (Fn. 27).

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(α) Begründungserwägungen bzw. Erwägungsgründe sind integraler Bestandteil jedes Sekundärrechtsakts und werden mit diesem zusammen veröffentlicht, so dass man sie zur genetischen Auslegung heranziehen kann.417 Da sie häufig Aufschluss über die Zielorientierung einer Unionsvorschrift geben, sind sie ein wichtiges Hilfsmittel, um den Normzweck zu ermitteln.418 (β) Dokumente des Rates sind im Rahmen des Art. 15 AEUV (ex-Art. 255 EGV) öffentlich zugänglich.419 Soweit sich ihre Inhalte in der auszulegenden Regelung niedergeschlagen haben, fließen sie also grundsätzlich in die genetische Interpretation ein.420 Für Protokollerklärungen der Mitgliedstaaten und des Rates sind jedoch neue Einschränkungen zu machen. (αα) Protokollerklärungen der Mitgliedstaaten sind nicht berücksichtigungsfähig.421 Denn die allgemeine Geltung von Verordnungen kann nicht durch den Rückgriff auf die Vorbehalte oder Erklärungen der Mitgliedstaaten relativiert werden, die sie bei der Aushandlung einer Verordnung geäußert haben.422 (ββ) Protokollerklärungen des Rates haben für die genetische Auslegung nur Gewicht, wenn sie mit dem für den Rechtsakt erforderlichen Stimmenquorum abgegeben worden sind.423 (γ) Fraglich ist, welche Materialien sich neben Erwägungsgründen und Ratsdokumenten zur genetischen Auslegung heranziehen lassen. Insoweit müssen jedenfalls die Voraussetzungen erfüllt sein, die generell an autoritative Materialien gestellt werden.424 (3) Grenzen der historischen Auslegung Die historische Auslegung endet, wo man aus der Vor- und Entstehungsgeschichte keine konsensfähigen Schlüsse mehr ziehen kann.425

__________ 417 Zum Sekundärrecht vgl. statt aller Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 253. Im Ergebnis ebenso zur Rom I-VO vgl. statt aller HK-BGB/Staudinger, Vor. Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 2. Im Ergebnis ebenso zur Rom II-VO vgl. statt aller MünchKomm/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 32. 418 Vgl. statt aller Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rdnr. 15. 419 Vgl. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 34 m.w.Nachw. (Fn. 95). 420 Vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) bb) (2) (b) (bb) (S. 66). 421 Vgl. Henninger, Methode, S. 288 m.w.Nachw. (Fn. 1818). 422 Vgl. Buck, Auslegungsmethoden, S. 193 m.w.Nachw. (Fn. 571). 423 Gruber, Methoden, S. 173 m.w.Nachw. (Fn. 503). 424 S. dazu Kap. 1 § 4 II 2) b) bb) (2) (b) (bb) (S. 66). 425 Vgl. hierzu Anweiler, a.a.O. (Fn. 417) S. 252 m.w.Nachw. (Fn. 1151).

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1. Kap.: Grundlagen

cc) Systematische Auslegung (interpretatio iuxta systema) Bei der systematischen Auslegung zieht man aus der Stellung einer Unionsnorm im Regelungsganzen Rückschlüsse auf ihren Inhalt.426 Das Regelungsganze ist allerdings nicht als vollumfassende, fixe rechtliche Einheit zu verstehen,427 sondern vielmehr als „Fluchtlinie ständig neuer Beschreibungen“428 bzw. als „Suchbild“429. Anders ausgedrückt: Eine unionsrechtliche Norm ist stets in ihrem Zusammenhang zum gesamten EU-Recht zu sehen, das zum Zeitpunkt der Rechtsanwendung gilt.430 Die damit verbundene Prüfung sollte in einer unionsweit einheitlichen Terminologie interpretatio iuxta systema genannt werden. (1) Stellung der Vorschrift im Regelungsgefüge Bei der systematischen Auslegung lässt sich zwischen der Stellung der zu interpretierenden Vorschrift im äußeren und inneren System des Regelungsgefüges unterscheiden,431 um so Rückschlüsse auf den Norminhalt zu ziehen. (a) Stellung der Vorschrift im äußeren System Unter dem äußeren System der Rechtsordnung versteht man die äußere Gliederung des Rechtsstoffs, also die Einteilung rechtlicher Regelungen in Rechtsakte sowie die Gliederung dieser Rechtsakte in Bücher, Kapitel, Abschnitte, Artikel usw.432 Innerhalb des äußeren Systems kann man entsprechend der „Normenhierarchie“ wiederum zwischen dem horizontalen und vertikalen System differenzieren.433

__________ 426 427 428 429 430 431

Vgl. Langenbucher, in: dies. (Hrsg.), Bezüge, § 1 Rdnr. 10, m.w.Nachw. (Fn. 25). Vgl. statt vieler Schroeder, System, S. 57. So zur Unionsordnung Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 55. So zur deutschen Rechtsordnung Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rdnr. 774. Dazu Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 447 m.w.Nachw. (Fn. 17). In der deutschen Dogmatik zurückgehend auf Heck, Begriffsbildung, S. 142 f. Für die europäische Methodenlehre u. a. vertreten von: Bleckmann, in: ders. (Hrsg.), Studien, S. 41 (47 f.); Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (531); Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882 (896); Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (11–13); Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 23–25; Schroeder, a.a.O. (Fn. 427) S. 58. 432 Zur deutschen Methodenlehre statt vieler Heck, ebda. Zur europäischen Methodenlehre statt vieler Grundmann/Riesenhuber, ebda. 433 Zur Unterscheidung zwischen horizontalem und vertikalem System im Unionsrecht vgl. statt vieler Schübel-Pfister, Sprache, S. 129.

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(aa) Das horizontale äußere System besteht aus gleichrangigen Regelungen und beschreibt ihre äußere Einteilung in Rechtsakte, Abschnitte, Artikel usw.434 (bb) Das vertikale äußere System umschreibt die äußere Einteilung der Rechtnormen, die in der „Normenhierarchie“ auf einer höheren Stufe stehen als die Rechtsquelle, aus der die auszulegende Regelung stammt.435 (b) Stellung der Vorschrift im inneren System Man kann aber nicht nur aus der Stellung einer Vorschrift in der äußeren Ordnung Rückschlüsse auf den Norminhalt ziehen, sondern auch aus ihrer Position im inneren System.436 Letzteres bezeichnet den inneren Aufbau der Rechtsordnung, also die inneren Beziehungen des Rechtsganzen und seiner tragenden Prinzipien, so dass es zu Überschneidungen mit der teleologischen Auslegung kommt.437 Die innere Ordnung lässt sich nach der „Normenhierarchie“ wiederum in ein horizontales und ein vertikales System einteilen.438 (aa) Das horizontale innere System setzt sich aus gleichrangigen Rechtsnormen zusammen und umschreibt ihre innere Teleologie sowie ihre tragenden Rechtsprinzipien.439 (bb) Das vertikale innere System fragt nach der inneren Beziehung der auszulegenden Regelung zu Rechtsquellen, die in der „Normenhierarchie“ auf einer höheren Stufe stehen als der Rechtsakt, aus dem die auszulegende Regelung stammt.440 Als Teil der inneren Ordnung kann grundsätzlich auch auf die allgemeinen Prinzipien der Verträge Rückgriff genommen werden.441 Das sind insbesondere Gleichheit (Verbot aller offenen und verdeckten Diskriminierungen), Freiheit (Wirtschafts-, Personen-, Dienst-

__________ 434 Zum Begriff „horizontal“ vgl. statt vieler Millett, SLR 1989, 163 (169). Zur Formulierung „äußere Ordnung“ vgl. statt vieler Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 24. 435 Zur Wendung „vertikal“ vgl. statt vieler Schübel-Pfister, Sprache, S. 129. Zum Begriff „äußeres System“ vgl. statt vieler Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (531). 436 Vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (1) (S. 68). 437 Zur deutschen Methodenlehre statt vieler Heck, Begriffsbildung, S. 143. Zur europäischen Methodenlehre statt vieler Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 434) Rdnr. 25. 438 Zur Unterscheidung zwischen horizontalem und vertikalem System im Unionsrecht vgl. statt vieler Schübel-Pfister, a.a.O. (Fn. 435). 439 Zum Begriff „horizontal“ vgl. statt vieler Millett, a.a.O. (Fn. 434). Zur Formulierung „inneres System“ vgl. statt vieler Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 437). 440 Zur Formulierung „vertikal“ vgl. statt vieler Schübel-Pfister, a.a.O. (Fn. 435). Zum Begriff „inneres System“ vgl. statt vieler Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 437). 441 Dazu statt vieler Buck, Auslegungsmethoden, S. 177.

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1. Kap.: Grundlagen

leistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit), Solidarität (der Mitgliedstaaten untereinander) und Einheit (Rechts- und Wirtschaftseinheit).442 (c) Ergebnis Im europäischen IPR wird man bei der systematischen Auslegung einer Vorschrift wohl in erster Linie mit ihrer Stellung im horizontalen äußeren und inneren System arbeiten. Das heißt, man wird vorwiegend auf die Systematik der auszulegenden Verordnung abstellen, wobei man jedoch auch den Kontext zu anderen Verordnungen443 bemühen kann.444 Das schließt aber nicht aus, im Einzelfall auch auf das Primärrecht und seine Prinzipien zurückzugreifen.445 In jedem Fall müssen die Grundsätze der systematischen Auslegung beachtet werden. (2) Grundsätze der systematischen Auslegung Die systematische Interpretation zielt darauf, die „Einheit des Rechts“ (verstanden als „Suchbild“ bzw. „Fluchtlinie“)446 zu wahren.447 Deswegen gebietet sie, Widersprüche auszuräumen und Zielkonflikte gerecht auszugleichen.448 (a) Einheitliche Auslegung identischer Begriffe Aus dem Gebot, Widersprüche zu vermeiden, ergibt sich, dass identische Ausdrücke grundsätzlich dieselbe Bedeutung haben müssen.449 Etwas anderes gilt nur, wenn dafür bestimmte, insbesondere funktionale Gründe sprechen.450 Eine Bestimmung kann im Unionsrecht beispielsweise eine andere Bedeutung haben als ihr gleich lautendes Pendant in Staatsverträ-

__________ 442 Statt vieler Oppermann, Europarecht, § 8 Rdnr. 22 unter Bezugnahme auf Pescatore, Miscellanea II, S. 325 ff. 443 Gemeint sind IPR-, IZVR- sowie sachrechtliche Verordnungen. 444 Vgl. Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (591). Ihm folgend Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (110). Im Ergebnis ebenso zur Rom I-VO MünchKomm/Martiny, Vor Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 15 c. Im Ergebnis ebenso zur Rom II-VO MünchKomm/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 33. 445 Vgl.: Kropholler, ebda.; Heinze, ebda. (111). 446 S. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (S. 68). 447 Vgl. Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 173 m.w.Nachw. (Fn. 813–815). 448 Vgl. statt aller Buck, Auslegungsmethoden, S. 177. 449 Zur einheitlichen Auslegung identischer Begriffe statt aller Bleckmann/Pieper, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch I, B. I. Rdnr. 29. 450 Vgl. statt vieler Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 61.

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gen mit Drittstaaten, da die Zwecke solcher Übereinkommen von den unionsrechtlichen Zielen abweichen können.451 (b) Abgrenzung zwischen Rechtsnormen Ein weiterer Grundsatz der systematischen Auslegung ergibt sich aus der Erwägung, dass für dieselbe Sachlage regelmäßig keine verschiedenen Rechtsfolgen angeordnet werden: Derselbe Sachverhalt kann entweder nur der einen oder der anderen Vorschrift zugeordnet werden, was wiederum eine Abgrenzung erforderlich macht.452 (c) „Gerechter“ Ausgleich von Zielkonflikten Außerdem müssen Zielkonflikte „gerecht“ ausgeglichen werden.453 Wie zuvor454 bereits festgestellt, muss man bei der systematischen Auslegung auch die Ziele und Rechtsgrundsätze des Unionsrechts berücksichtigen. Da sie nicht widerspruchsfrei koexistieren,455 stellt sich die Frage, wie man verfahren muss, wenn sich einzelne Prinzipien widersprechen. Als Maßstab wird die Präzision der Zielvorgaben und Zielverwirklichungsanordnungen vorgeschlagen: Je konkreter das Ziel bzw. der Weg dorthin beschrieben wird, desto höher soll die Argumentationskraft sein.456 Diese Lösung vermag zwar Anhaltspunkte für die Lösung von Zielkonflikten zu geben, aber letzten Endes sollte die praktische Konkordanz den Ausschlag für die Konfliktlösung geben, damit alle betroffenen Ziele bzw. Rechtsgrundsätze optimal verwirklicht werden können.457 (d) Enge Auslegung von Ausnahmen? Neben den drei vorstehenden Grundsätzen könnte ein viertes Prinzip bei der systematischen Interpretation zu beachten sein. Nach der Rechtsprechung des EuGH werden Ausnahmen und Vorbehalte grundsätzlich eng ausgelegt.458 Allerdings verbirgt sich hinter dem Argument „Regel-Ausnahme“ stets eine durch Auslegung gewonnene Wertung,459 die von Vor__________ 451

Dazu Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 27 m.w.Nachw. (Fn. 74). 452 Statt aller Buerstedde, Methodik, S. 119 und 160. 453 Vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (2) (S. 70). 454 Vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (1) (b) (bb) (S. 69 f.). 455 Vgl. Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 217 m.w.Nachw. (Fn. 999). 456 Dazu Buerstedde, a.a.O. (Fn. 452) S. 161 m.w.Nachw. (Fn. 628 f.). 457 Vgl.: Anweiler, a.a.O. (Fn. 455) S. 218; Buerstedde, a.a.O. (Fn. 452) S. 163. 458 Statt aller Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 15 Rdnr. 52. 459 Vgl. statt aller Buerstedde, a.a.O. (Fn. 452) S. 120.

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1. Kap.: Grundlagen

schrift zu Vorschrift anders ausfallen kann. Daher sind Ausnahmen nur im Einzelfall eng auszulegen, wenn die gesamte Norminterpretation dies gebietet. dd) Teleologische Auslegung (interpretatio iuxta mentem) Die teleologische Auslegung ist bei der Interpretation im Unionsrecht von entscheidender Bedeutung.460 Sie sollte in einer EU-weit einheitlichen Fachsprache als interpretatio iuxta mentem bezeichnet werden. In ihrem Rahmen ermittelt man den Regelungsinhalt anhand des Normzwecks.461 Er ergibt sich wiederum aus einer Zusammenschau der drei anderen Interpretationsmittel.462 Das bedeutet, der Zweck einer Unionsvorschrift ist Auslegungsergebnis und -mittel zugleich.463 (1) Der Zweck als Auslegungsergebnis Wie oben angesprochen, muss der Zweck einer unionsrechtlichen Regelung erst mithilfe der drei anderen Auslegungsmittel festgestellt werden. Mit ihnen muss man also das spezifische Telos der zu interpretierenden Norm herausarbeiten.464 (a) Wichtige Aspekte zur Zweckermittlung Zur Normzweckermittlung müssen alle drei Auslegungskriterien grundsätzlich gleichermaßen herangezogen werden. Allerdings spielen die Erwägungsgründe der zur interpretierenden Regelung sowie die innere Systematik eine besonders große Rolle. Die Erwägungsgründe geben Aufschluss über die Zielorientierung und Hintergründe des Rechtsetzungsvorhabens.465 Außerdem ist die Stellung der zu interpretierenden Vorschrift in der inneren Systematik bei der Zweckermittlung sehr bedeutsam.466 Zum einen kann die Ermächtigungsgrundlage, auf der die auszulegende Regelung beruht, Rückschlüsse auf __________ 460 461 462

Statt aller Kropholler, IPR, § 10 III 2 e). Vgl. Adrian, Grundprobleme, S. 395 m.w.Nachw. (Fn. 751). Vgl.: Buerstedde, Methodik, S. 149 und 70; Hager, Rechtsmethoden, Kap. 6 Rdnr. 11; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (7 f.); Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 93. 463 Vgl. Müller/Christensen, ebda. Rdnr. 103. A. M. Höpfner/Rüthers, ebda. 464 Vgl. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 41. 465 Vgl. Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rdnr. 15 m.w.Nachw. (Fn. 53). Zur Bedeutung der Erwägungsgründe bei der teleologischen Auslegung im europäischen IPR vgl. Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (111) m.w.Nachw. (Fn. 45). 466 Zur Bedeutung der inneren Systematik bei der teleologischen Auslegung vgl. statt aller Joussen, Auslegung, S. 62.

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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das Normziel zulassen.467 Zum anderen muss bei der Zweckermittlung stets beachtet werden, welche Wirkung die zu interpretierende Norm entfalten muss, um sich sachgerecht und widerspruchsfrei in die innere Ordnung des Unionsrechts einzufügen.468 Zum Schluss bleibt eine Selbstverständlichkeit festzuhalten. Ergeben alle Auslegungskriterien einen identischen Normzweck, ist dieser als Interpretationskriterium maßgeblich. (b) Verfahren bei unterschiedlichen Ergebnissen Schwierig wird es dagegen, wenn die Auslegungsmittel bei der Zweckbestimmung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dann stellt sich die Frage, wie dieser Widerspruch aufzulösen ist. Man könnte der grammatikalisch-systematischen Auslegung Vorrang einräumen (sog. objektiv-teleologische Auslegung)469 oder aber die historische Auslegung vorziehen (sog. subjektiv-teleologische Auslegung). Außerdem lassen sich auch beide Lösungswege derart kombinieren, dass der gesetzgeberische Wille ermittelt und anschließend sein gegenwärtiger Geltungsanspruch anhand objektiver Kriterien bestimmt wird.470 In einem Satz: An dieser Stelle setzt sich abermals der Streit zwischen den (modifizierten) Auslegungstheorien fort.471 Sie können nach der hier472 vertretenen Ansicht nicht überzeugen. Vielmehr besteht das Auslegungsziel darin, die Reichweite des Tatbestands und der Rechtsfolgen einer Rechtsnorm zu ermitteln, um diese Vorschrift im Einzelfall gerecht anzuwenden. Dieses Ziel hilft bei der Auswahl eines Normzwecks auf den ersten Blick nicht weiter; doch der Schein trügt. Ausgangspunkt für die Bestimmung dieses Auslegungsziels ist der Vorgang der Rechtsanwendung. Bei ihm stehen sich im europäischen Privatrecht drei unmittelbar betroffene Akteure gegenüber, deren „EU-verfassungsrechtliche“ Stellung beachtet werden muss: der „Bürger“ (Partei des von der Gerichtsbarkeit zu entscheidenden konkreten Rechtsstreits), die „Judikative“ (das zur Beurteilung dieses Rechtsstreits zuständige Gericht) und die „Legislative“ (rechtsetzende Gewalt der EU und/oder des Mitgliedstaates, deren Rechtsakte in __________ 467 468

Vgl. statt aller Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 40. Vgl. Buck, Auslegungsmethoden, S. 207. Ebenso im Ergebnis etwa: Joussen, Auslegung, S. 133; Lutter, JZ 1992, 593 (603). 469 So etwa: Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 202; Lutter, ebda. (602). 470 So etwa: Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (531); Henninger, Methode, S. 391; Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 467). Ähnl. Gruber, Methoden, S. 188. 471 Dazu ausführlich Kap. 1 § 4 I 3) a) bis e) (S. 45 ff.). 472 S. dazu jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 4 I 3) f) (S. 47 f.).

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1. Kap.: Grundlagen

diesem Rechtsstreit entscheidungserheblich sind). Insoweit kann also dem jeweiligen Prozessrechtsverhältnis entnommen werden, was unter „Bürger“, „Legislative“ und „Judikative“ im Einzelfall zu verstehen ist. Außerdem betrifft die Rechtsanwendung mittelbar immer sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten. Von allen aufgezählten Beteiligten gehen unterschiedliche Vorgaben für die Rechtsanwendung aus:473 Der „Bürger“ darf nicht in seinen Grundrechten verletzt werden. Darüber hinaus muss die rechtliche Position der „Legislative“, insbesondere ihre Stellung als Gesetzgeber beachtet werden. Schließlich ist die „Judikative“ auch zur gerechten Rechtsanwendung im Einzelfall verpflichtet und weiteren rechtlichen Bindungen unterworfen. Handelt es sich bei der „Judikative“ um ein Unionsorgan, muss sie die Interessen der EU und der Mitgliedstaaten berücksichtigen. Gleiches gilt für die „Judikative“ in den Mitgliedstaaten, weil sie bei der Anwendung des EU-Rechts funktional zur Unionsgerichtsbarkeit gehört.474 Insgesamt müssen also fünf Gesichtspunkte beachtet werden, um einen Widerspruch zwischen den Normzweckergebnissen der Auslegungsmittel zu beseitigen: – – – – –

die Grundrechte der Bürger, die rechtliche Stellung der „Legislative“, die rechtlichen Anforderungen an die „Judikative“, die Interessen der Mitgliedstaaten und die Interessen der Union.475

Alle diese fünf Aspekte müssen bei der Normzweckermittlung beachtet werden. Dazu ist eine Abwägung im Einzelfall durchzuführen, anstatt bestimmten Auslegungskriterien generell Vorrang einzuräumen.476 Dabei muss sich die Judikative jedenfalls an die Grenzen der Rechtsfindungsmethodik halten.477 Für die Konfliktlösung sollte letztlich die praktische Konkordanz den Ausschlag geben, so dass alle beteiligten Interessen möglichst optimal verwirklicht werden. (2) Der Zweck als Auslegungsmittel Hat man das Telos einer Unionsvorschrift (notfalls mittels Abwägung) bestimmt, kann man es als Auslegungsmittel heranziehen. Die damit ver__________ 473 474 475 476

Vgl. dazu bereits eingehend Kap. 1 § 3 III 1) bis 3) (S. 34 ff.) m.w.Nachw. Dazu statt aller Zuleeg, JZ 1994, 1 (1 f.). Restriktiver Zuleeg, EuR 1969, 97 (104). So im Ergebnis auch: Adrian, Grundprobleme, S. 500; Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 387; Gruber, Methoden, S. 217 f.; Zuleeg, ebda. 477 Zu diesen Grenzen s. Kap. 1 § 3 III 1) bis 3) (S. 34 ff.) m.w.Nachw.

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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bundene teleologische Interpretation hat im Unionsrecht neben einer allgemeinen noch besondere Ausprägungen erfahren. (a) Allgemeine Ausformung Hat man den spezifischen Zweck der zu deutenden Vorschrift herausgearbeitet, kann er ihre Reichweite entweder eingrenzen oder erweitern.478 (b) Besondere Ausformungen Außerdem besitzt die teleologische Auslegung im EU-Recht besondere Ausformungen. Dazu zählen der Effektivitätsgrundsatz (effet utile), das Prinzip der Funktionsfähigkeit der Union, die „Dynamik“ des Unionsrechts und die formalen Ziele jeder Rechtsangleichung. (aa) Zunächst muss der Effektivitätsgrundsatz (effet utile) bei der Anwendung einer Unionsvorschrift beachtet werden.479 Er verlangt eine Interpretation, die der betreffenden Norm größtmögliche praktische Wirksamkeit verleiht.480 Damit ist eine Auslegung gemeint, die den unionsrechtlichen Charakter einer Regelung ernst nimmt und deren Ziele möglichst effektiv zur Geltung bringt.481 (bb) Neben dem Effektivitätsgrundsatz muss das Prinzip der Funktionsfähigkeit der EU beachtet werden. Es besagt, dass Unionsrecht Vorrang vor nationalem Recht hat und alle Maßnahmen unzulässig sind, die die Anwendbarkeit des Unionsrechts zunichte machen, begrenzen oder verzögern.482 (cc) Darüber hinaus ist die „Dynamik“ des EU-Rechts bei seiner Auslegung zu berücksichtigen.483 Dadurch soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass sich das Unionsrecht stetig weiterentwickelt.484 Diese Dynamik hat zwei Folgen. Erstens bestimmt sie in zeitlicher Hinsicht, dass sich die Auslegung immer auf die Unionsordnung zum Zeitpunkt der Rechtsanwendung beziehen muss.485 Dieser Aspekt spielt bei der Wortsinnermittlung eine wichtige Rolle, indem er den Zeitpunkt der Wortbedeutung fest__________ 478 479

Dazu statt aller Müller/Christensen, Methodik I, Rdnr. 81–92. Vgl. nur EuGH, Rs. 292/82 – Merck, Slg. 1983/4, 3781 (3794). Ausführlich zum effet utile als Auslegungsgrundsatz Potacs, EuR 2009, 465–487. Eingehend zum Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des EuGH König, S. 105–221. 480 Vgl. statt aller Henninger, Methode, S. 289. 481 Vgl. nur Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rdnr. 15. 482 Für ein Beispiel aus der Rechtsanwendung vgl. nur EuGH, Gutachten 1/75, Slg. 1975/3, 1355 ff. (Kritisch) zum Ganzen vgl. Buerstedde, Methodik, S. 74 f. 483 Vgl. nur EuGH, Rs. 148/77 – Hansen, Slg. 1978/3, 1787 (1806). Zum Ganzen vgl. statt aller Meyer, Jura 1994, 455 (457). 484 Vgl. statt aller Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 43. 485 Dazu Joussen, Auslegung, S. 66 f. m.w.Nachw. (Fn. 306–312).

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1. Kap.: Grundlagen

legt.486 Insofern hat die Dynamik des Unionsrechts zwar nicht neben,487 aber innerhalb der grammatikalischen Auslegung eine selbstständige Bedeutung.488 Zweitens wird die dynamische Entwicklung des EU-Rechts berücksichtigt, indem man auf ihr Ziel – die fortschreitende Integration – blickt.489 Daher ist im Zweifel die Lösung zu wählen, mit der die Integration begünstigt wird.490 (dd) Neben dem inhaltlichen Zweck der auszulegenden Regelungen sind subsidiär die formalen Zwecke jeder Rechtsangleichung zu beachten, die im EU-Recht in der Rechtsvereinheitlichung, in der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen und in der Herstellung eines gemeinsamen Binnenmarktes bestehen.491 c) Kurzer Exkurs: Umstrittene Auslegungsmittel Nicht alle Kriterien der autonomen Auslegungsmethode sind allgemein anerkannt. Es herrscht beispielsweise Streit darüber, ob und inwiefern die Rechtsvergleichung492, die ökonomische Theorie493 und Wirklichkeitselemente494 für die Interpretation im Unionsrecht fruchtbar gemacht werden können. Auch die Frage, ob die autonome Auslegung (genauer: Begriffsbildung) ein selbstständiges Interpretationsmittel ist oder nicht, wird unterschiedlich beantwortet.495 Soweit diese Themenkomplexe in der Arbeit bisher unbehandelt geblieben sind, sollen sie an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt, aber nicht weiter vertieft werden. Es bleibt lediglich festzuhalten, dass die vier allgemein anerkannten Auslegungskriterien regelmäßig ausreichen, um eine europäische IPR-Vorschrift zu deuten. 3) Verfahren bei unterschiedlichen Auslegungsergebnissen Ergeben sich aus den vier allgemein anerkannten Interpretationsmitteln unterschiedliche Norminhalte, tritt die Frage auf, wie man weiter verfahren __________ 486 487 488 489 490 491

S. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (2) (a) (cc) (S. 57 f.). So Buerstedde, Methodik, S. 79. Noch weiter gehend Joussen, Auslegung, S. 145. Statt aller Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (593). Vgl. statt aller Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180). Vgl.: Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (531); Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 42. 492 Dazu statt aller Gruber, Methoden, S. 198–201. 493 Vgl. dazu Grundmann/Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 491) (532) m.w.Nachw. (Fn. 50– 52). 494 Dazu statt aller Müller/Christensen, Methodik I, Rdnr. 104–111. 495 Dafür offenbar Gebauer, in: ders./Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 4 Rdnr. 8. Dagegen etwa: Audit, JDI 2004, 789 (798); Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, S. 46.

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sollte. Soweit ersichtlich, will das Schrifttum dieses Problem überwiegend durch die Aufstellung von Vorrangregeln bewältigen. Sie legen eine Rangfolge fest, wenn die Auslegungskriterien zu verschiedenen Ergebnissen gelangen.496 a) Eindeutigkeitsregel Teile der Literatur gewähren der grammatikalischen Auslegung bei einem „klaren“ bzw. „eindeutigen“ Wortlaut generell Vorrang vor den anderen Interpretationskriterien.497 Gegen diese sog. Eindeutigkeitsregel spricht, dass die Klarheit bzw. Eindeutigkeit bereits ein Auslegungsergebnis ist.498 Außerdem sind sprachliche Aspekte gegen diese Vorrangregel anzuführen. Zum einen existieren keine „dauerhaften“ sprachlichen Formulierungen, da sie ihren Inhalt stets mit dem Wandel ihres Umfeldes ändern. 499 Zum anderen besteht im Unionsrecht wegen der Sprachenvielfalt praktisch nie ein „klarer“ bzw. „eindeutiger“ Wortlaut.500 Also ist die Eindeutigkeitsregel abzulehnen. b) Subsidiaritätsthese Nach der sog. Subsidiaritätsthese muss der Rechtsanwender nicht von einem einfachen Auslegungsmittel (Wortlaut, Systematik) zu schwierigeren (Normgenese) übergehen, wenn schon das einfache Auslegungskriterium zu einem teleologisch überzeugenden Ergebnis führt.501 Zu dieser Regel wird auf unionsrechtlicher Ebene angemerkt, sie habe zwar gegenüber der Eindeutigkeitsregel den Vorteil, dass sie ihr Ergebnis durch teleologische Erwägungen absichere, aber sie biete auch nur eine erste Handhabe.502 Die Subsidiaritätsthese ist auf Unionsebene jedoch insgesamt abzulehnen. Denn für die Frage, was ein teleologisch überzeugendes Ergebnis ist, muss der Zweck der auszulegenden Norm bestimmt werden. Dazu muss man aber auf alle drei anderen Interpretationsmittel zurückgreifen. 503 Deswegen hilft die Subsidiaritätsthese nicht weiter, wenn die Auslegungskriterien zu unterschiedlichen Resultaten führen.

__________ 496

Vgl. statt vieler Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 47. Für eine rechtsvergleichende Übersicht s. Gruber, Methoden, S. 205–211. 497 So etwa Leisner, EuR 2007, 689 (701). 498 Statt vieler Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 496) Rdnr. 48. 499Vgl. etwa Buerstedde, Methodik, S. 109 f. 500 Vgl. Buck, Auslegungsmethoden, S. 162 m.w.Nachw. (Fn. 461). 501 So in der nationalen Methodenlehre Bydlinski, Methodenlehre, S. 559–565. 502 Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 496) Rdnr. 48. 503 S. Kap. 1 § 4 II 2) b) dd) (S. 72).

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1. Kap.: Grundlagen

c) Vorrang des subjektiven Gesetzgeberwillens Die Autoren, die der subjektiven Auslegungstheorie folgen oder sie um objektive Aspekte ergänzen, räumen dem Willen des subjektiv-historischen Gesetzgebers Vorrang gegenüber den Ergebnissen der anderen Auslegungsmittel ein.504 Allerdings können die (modifizierten) Auslegungstheorien nicht überzeugen.505 Außerdem ist im Rahmen des Rechtsanwendungsvorgangs nicht nur die rechtliche Stellung der „Legislative“ zu beachten, sondern auch die Grundrechte der betroffenen „Bürger“, die rechtlichen Bindungen der „Judikative“ sowie die Interessen der Mitgliedstaaten und der EU.506 Die ausschließliche Bevorzugung der Rechtsposition der „Legislative“ ist zu einseitig und daher abzulehnen. d) Vorrang der primärrechtskonformen Auslegung Etwas anderes gilt für den Vorrang der primärrechtskonformen Auslegung. Aus der Normenhierarchie folgt die Bevorzugung des Auslegungsergebnisses, das mit dem Primärrecht vereinbar ist.507 Diese Vorrangregel ist zwar weitgehend unumstritten, doch sie stellt keinen Grundsatz für die Interpretationskriterien dar, sondern gibt vielmehr einen äußersten Rahmen zulässiger Auslegungsergebnisse vor.508 e) Vorrang des Zwecks Die Regel des Zweckvorrangs wird unterschiedlich weit gesehen. Manche verstehen sie so, dass der Zweck einer Rechtsnorm ihrem Wortlaut vorgeht.509 Andere meinen, der Zweck habe Vorrang vor allen anderen Auslegungsmethoden.510 Nach dem hier511 vertretenen Ansatz gibt es bei der Zweckermittlung von vorneherein nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Auslegungsmittel sprechen für denselben oder für einen unterschiedlichen Zweck. Im ersten Fall stellt sich die Frage nach den Vorrangregeln überhaupt nicht, da sich die Interpretationskriterien nicht widersprechen. Im zweiten Fall ermittelt man den Zweck durch eine einzelfallbezogene Abwägung der Interessen __________ 504 505 506

Vgl. statt vieler Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (534). S. dazu jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 4 I 3) f) (S. 47 f.). Vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) dd) (1) (b) (S. 73 f.). Ausführlich zu den Anforderungen an die Rechtsanwendung bzw. -findung Kap. 1 § 3 III 1) bis 3) (S. 34 ff.). 507 Eingehend zur primärrechtskonformen Auslegung des Sekundärrechts Höpfner, Auslegung, S. 220–230. 508 Statt aller Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Methodenlehre, § 11 Rdnr. 49. 509 So etwa: Grundmann/Riesenhuber, a.a.O. (Fn. 504); Riesenhuber, ebda. Rdnr. 51. 510 So u. a.: Joussen, Auslegung, S. 115; Kropholler, IntEinR, S. 261. 511 S. Kap. 1 § 4 II 2) b) dd) (1) (a) und (b) (S. 72 ff.).

§ 4 Auslegung des europäischen IPR

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der Rechtssubjekte und Organe, die von der Rechtsanwendung betroffen sind.512 Da das Telos das Ergebnis dieser Abwägung ist, muss es auch Priorität gegenüber den Auslegungsmitteln haben, die bei der Gewichtung der beteiligten Interessen in den Hintergrund getreten sind. f) Hierarchisierung nach Normtextnähe Teilweise will man die Interpretationskriterien nach ihrer Nähe zum auszulegenden Normtext gewichten.513 Darauf aufbauend wird eine ausdifferenzierte Hierarchie erarbeitet,514 von der nur ein Auszug wiedergegeben werden soll. Die grammatikalische und systematische Auslegung haben beispielsweise im Verhältnis zueinander dasselbe Gewicht, aber überwiegen gegenüber der historischen Interpretation.515 Begründet wird die Hierarchisierung nach Normtextnähe relativ pauschal, und zwar mit rechtsstaatlichen Gründen und dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung.516 Warum daraus zwingend eine feste Hierarchisierung folgt, wird offen gelassen. Sicherlich folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip das Gebot der Rechtssicherheit. Warum es gegenüber der Einzelfallgerechtigkeit generell überwiegen soll, bleibt unerwähnt. Im Ergebnis ist die starre Hierarchisierung nach Normtextnähe abzulehnen. Angemessener erscheint die hier517 vertretene Lösung. Danach werden Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit als Teil der rechtlichen Anforderungen berücksichtigt, an die sich die „Judikative“ halten muss. Darüber hinaus werden auch die anderen bei der Privatrechtsanwendung Beteiligten („Bürger“, „Legislative“, Mitgliedstaaten und Union) beachtet. g) Ergebnis Unter den Auslegungskriterien kann keine feste Hierarchie etabliert werden.518 Entscheidend sind ihre Zahl und ihr Gewicht im konkreten Einzelfall.519 Es sind lediglich zwei Grundsätze zu beachten. Erstens muss eine primärrechtskonforme Auslegung gewählt werden; zweitens überwiegt der Normzweck als Abwägungsergebnis gegenüber denjenigen Auslegungskriterien, die im Rahmen des Abwägungsvorgangs zurückgetreten sind. __________ 512 513 514 515 516 517 518

S. Kap. 1 § 4 II 2) b) dd) (1) (b) (S. 73 f.). So: Buerstedde, Methodik, S. 157; Müller/Christensen, Methodik II, Rdnr. 709. Buerstedde, ebda. S. 157–163. Buerstedde, a.a.O. (Fn. 513) S. 158. Buerstedde, a.a.O. (Fn. 513). S. Kap. 1 § 4 II 2) b) dd) (1) (b) (S. 73 f.). Vgl. Gruber, Methoden, S. 217 m.w.Nachw. (Fn. 747). Zurückhaltender dagegen Fleischer, RabelsZ 75 (2011), 700 (719 f.). 519 Vgl. statt vieler Millett, SLR 1989, 163 (173).

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1. Kap.: Grundlagen

III. Annex: Auslegung sachrechtlichen Sekundärrechts Die in diesem520 Abschnitt erarbeiteten Auslegungsgrundsätze gelten prinzipiell für alle privatrechtlichen EU-Verordnungen, da sie aufbauend auf den Grundsätzen erarbeitet worden sind, die sich zum (sekundären) Unionsrecht entwickelt haben. Für zivilrechtliche Richtlinien der Union können diese Interpretationsprinzipien hingegen nur fruchtbar gemacht werden, soweit sich aus ihrer besonderen Rechtsnatur keine Änderungen ergeben. Die Tatsache, dass die interpretatio legis communis grundsätzlich auch auf EU-Sachrecht anwendbar ist, erlangt im unionsrechtlichen IPR bei der Qualifikation und Vorfragenbeantwortung eigenständige Bedeutung.521

IV. Fazit (Überblick) „Europagesetzlich“ eingeführte Fachbegriffe bilden im europäischen IPR als Platzhalter eine einheitliche, aber mehrsprachige Terminologie. Diese Platzhalter sollen grundsätzlich für identische Begriffsinhalte stehen. Letztere sind im Wege der interpretatio legis communis zu bestimmen, um die Reichweite der auszulegenden Rechtsnorm zu ermitteln und auf diese Weise das Auslegungsziel zu erreichen. Der Vorschlag des Schrifttums, das europäische Kollisionsrecht nach den methodischen Grundsätzen auszulegen, die sich zum (sekundären) Unionsrecht entwickelt haben, wurde aufgegriffen und folgendermaßen ausgearbeitet: Vor der Norminterpretation muss man im Wege einer Vorprüfung (examinatio ante interpretationem) herausfinden, ob die Begriffsbildung aus dem Unionsrecht heraus (autonom) zu geschehen hat oder nicht. Wird diese Frage bejaht, kann man auf die autonome Auslegungsmethode (interpretatio legis communis) zurückgreifen, um die betreffende europäische IPR-Norm zu interpretieren. Sie hält vier Auslegungsmittel bereit: die interpretatio iuxta verbum, die interpretatio iuxta historiam, die interpretatio iuxta systema und die interpretatio iuxta mentem. Gelangen die ersten drei Interpretationskriterien bei der Normzweckermittlung zu unterschiedlichen Ergebnissen, muss eine Abwägung vorgenommen werden. Zwei „Vorrangregeln“ können überzeugen. Erstens grenzt die primärrechtskonforme Auslegung die zulässigen Auslegungsergebnisse ein; zweitens genießt der Normzweck Vorrang vor den anderen Auslegungsmitteln, __________ 520 521

S. Kap. 1 § 4 I und II (S. 40 ff.). Dazu Kap. 3 (S. 170 ff.).

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR

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da sie im Rahmen der Abwägung bei der Telosermittlung in den Hintergrund getreten sind. Die hier erarbeitete Interpretationsmethodik gilt grundsätzlich für alle zivilrechtlichen Verordnungen. Demgegenüber kann sie für privatrechtliche Richtlinien nur maßgebend sein, soweit sich aus ihrer besonderen Rechtsnatur keine Änderungen ergeben. Um den hier erarbeiteten Auslegungsgrundsätzen normative Kraft zu verleihen, sollte man in einem Allgemeinen Teil des europäischen Kollisionsrechts eine Regelung aufnehmen, die Art. 18 EVÜ entspricht.522 Auf diese Weise wird der Rechtsanwender gleichzeitig davor gewarnt, vorschnell auf nationale Auslegungsmethoden zurückzugreifen. Eine solche Regelung könnte wie folgt lauten: „Auslegung Bei der Auslegung und Anwendung des europäischen Kollisionsrechts ist seinem internationalen Charakter und dem Wunsch Rechnung zu tragen, eine einheitliche Auslegung und Anwendung seiner Vorschriften zu erreichen.“523

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR § 5 Lückenschließung im europäischen IPR

Das europäische Kollisionsrecht ist nur lückenhaft geregelt. Neben zahlreichen Bereichsausnahmen fehlen Regelungen oder sind unvollständig. Fraglich ist, ob und wie die dadurch auftretenden Lücken geschlossen werden können.

I. Begriff und Abgrenzung Bevor man aber die Lückenschließungsmethodik im europäischen IPR untersucht, ist es sinnvoll, sich den Begriff „Lückenschließung“ und dessen Abgrenzung zur Interpretation zu vergegenwärtigen. Die „Lückenschließung“ bzw. „-füllung“ umschreibt die methodische Arbeit, die erforderlich ist, um Regelungen für Bereiche ausfindig zu machen, die das geschriebene europäische IPR nicht ausdrücklich normiert.524 Diese Arbeit sollte unionsweit completio lacunae genannt werden.525 __________ 522 A. M. Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (53 f.). Im Ergebnis ebenso zur Rom I-VO MPI, RabelsZ 68 (2004), 1 (116). 523 Auf eine Darstellung in anderen Amtssprachen der Union wird verzichtet. Ebenso wird in der weiteren Bearbeitung verfahren, wenn bestimmte Regelungen entwickelt bzw. vorgeschlagen werden. 524 Zum Begriff s. Kap. 1 § 3 I 1) c) (S. 29). 525 Zur Terminologievereinheitlichung im europäischen IPR s. Kap. 1 § 2 (S. 11 ff.).

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1. Kap.: Grundlagen

Ob man sich im Bereich der completio lacunae oder der interpretatio legis communis526 befindet, ist letzten Endes durch Auslegung zu bestimmen.527 Denn Letztere endet jedenfalls dort, wo ihr Ergebnis dem Normtext überhaupt keiner Sprachfassung mehr juristisch-methodisch zurechenbar ist, wo es also enger als die engste oder weiter als die weiteste Deutungsmöglichkeit ist.528 Welche Deutungsvariante in diesem Rahmen die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ zwischen Auslegung und Lückenfüllung markiert, kann nur durch Norminterpretation ermittelt werden.

II. Lückenschließungsmethode Hat man die „Wortlaut-“ bzw. „Wortsinngrenze“ überschritten,529 stellt sich die Frage, welcher Methodik die completio lacunae530 im europäischen IPR folgen sollte. 1) Bestandsaufnahme Zur Lückenfüllung im europäischen Kollisionsrecht sind bislang nur wenige, relativ pauschale Vorschläge formuliert worden. Danach hält sonstiges EU-Recht bessere und systematisch richtigere Möglichkeiten der Lückenschließung bereit als das nationale autonome IPR, das nicht ohne weiteres herangezogen werden kann.531 Damit wird ein zweistufiges Vorgehen angedeutet: Primär sollen Lücken aus dem Unionsrecht heraus geschlossen werden und sekundär aus dem autonomen nationalen IPR. Damit sind dem Rechtsanwender aber noch keine konkreten Techniken zur Lückenfüllung an die Hand gegeben.532 Dies ist aber erforderlich, um eine EU-weit einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen. Um eine einheitliche und konkrete Lückenschließungstechnik für das europäische IPR zu entwickeln, sind mangels ausdrücklicher methodischer Regelung die Grundsätze heranzuziehen, die sich zur Lückenfüllung im (sekundären) Unionsrecht gebildet haben. Die Begründung entspricht der Argumentation, die bereits bei der autonomen Auslegungsmethode ge__________ 526 527 528 529 530 531 532

Zum Begriff s. jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 4 I 2) b) (S. 45). Vgl. Kap. 1 § 3 I 2) b) (S. 31 ff.). Vgl. jetzt und im Folgenden Fn. 527. S. dazu auch Kap. 1 § 5 I (S. 81 f.). Zum Begriff jetzt und im Folgenden Fn. 529. So zur Rom II-VO Erman/Hohloch, Band II, Vor. Art. 38–42 EGBGB Rdnr. 4. Insoweit nunmehr auf die Möglichkeit von Extensionen, Restriktionen und Analogien im Rahmen der ersten beiden Rom-Verordnungen pauschal hinweisend BaRo-III/ Spickhoff, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 15. Von einer Notwendigkeit analoger Normanwendungen ausgehend Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, Einl Rom I-VO Rdnr. 65.

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR

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bracht worden ist:533 Der Rückgriff auf die Lückenschließungsprinzipien des (sekundären) EU-Rechts ist zulässig, da das europäische IPR zum (Sekundär-)Recht der Union zählt. 2) Die Lückenfüllung (completio lacunae) Bisher haben sich viele unterschiedliche Ansätze zur Lückenfüllung im (sekundären) Unionsrecht entwickelt. Diese gilt es zu ordnen und fortzuschreiben, um sie für die completio lacunae fruchtbar zu machen. a) Das Bestehen einer Regelungslücke bzw. lacuna Trotz der Vielgestaltigkeit der Lückenfüllungsansätze herrscht Einigkeit darüber, dass die Lückenschließung das Bestehen einer Regelungslücke voraussetzt.534 aa) Lückenbegriff Doch bereits bei der Frage, was unter einer (Regelungs-)Lücke zu verstehen ist, gehen die Meinungen auseinander. (1) Übertragung des innerstaatlichen Lückenbegriffs Teile535 des Schrifttums übertragen den innerstaatlich geläufigen Lückenbegriff536 auf die unionsrechtliche Ebene. Danach ist unter einer „Lücke“ im EU-Recht eine „planwidrige Unvollständigkeit“ seines Regelungssystems zu verstehen.537 __________ 533 534

Vgl. Kap. 1 § 4 I 2) b) (S. 45). Allgemeine Auffassung zur Rechtsfortbildung im Unionsrecht; vgl. Walter, Rechtsfortbildung, S. 89 f. m.w.Nachw. (Fn. 352 f.). Neutral jedoch Möllers, EuR 1998, 20 (27 f.) in Fn. 50. Ganz anders verfahren diejenigen, die die Lückenschließung in die Auslegung integrieren (so etwa Henninger, Methode, S. 392–395, S. 409–415). Dies ist jedoch grundsätzlich abzulehnen; s. Kap. 1 § 3 I 1) a) bb) (S. 24 ff.). 535 So u. a.: Adrian, Grundprobleme, S. 511, 894, 931 f.; Calliess, NJW 2005, 929 (932); Dänzer-Vanotti, in: FS Everling I, S. 205 (219); Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 104; Wank, in: FS Stahlhacke, S. 633 (641); Zuleeg, EuR 1969, 97 (105). Ähnl.: Kutscher, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung I, S. 1 (10 f.); Mittmann, Rechtsfortbildung, S. 255; Stein, in: FS Uni Heidelberg, S. 619 (632 f.). Am weitesten gehend schließlich Walter, ebda. S. 83–90, der sogar die innerstaatlichen Differenzierungen zum Lückenbegriff auf die Unionsebene überträgt. Vorher (auf S. 82 f.) lehnt Walter zu Recht den Differenzierungsversuch zum Lückenbegriff ab, wie er von Dumon, in: EuGH (Hrsg.), Begegnung III, S. 1 (146–148) unternommen worden ist. Von einer Darstellung Dumons Ansatzes wird daher abgesehen. 536 Dazu statt aller Canaris, Lücken, S. 39. 537 Vgl. statt vieler Wank, a.a.O. (Fn. 535).

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1. Kap.: Grundlagen

(2) Kombination der Lückenbegriffe aus dem innerstaatlichen Recht und dem Internationalen Einheitsrecht Ein anderer538 Lösungsansatz kombiniert die Lückenbegriffe aus dem innerstaatlichen Recht und dem Internationalen Einheitsrecht. Danach liegt eine „interne Lücke“ vor, wenn eine regelungsbedürftige Frage im primären oder sekundären Unionsrecht ungeregelt geblieben ist, obwohl eine sachliche Regelung hierfür nach der Gesamtregelungskonzeption erforderlich ist.539 Demgegenüber sind „externe Lücken“ Probleme, die schon der Regelungsbereich des Unionsrechts nicht umfasst.540 (3) Übertragung des Lückenbegriffs aus dem Internationalen Einheitsrecht Neben den beiden genannten Ansätzen kann noch ein dritter Lösungsweg beschritten werden, namentlich die ausschließliche Übertragung des Lückenbegriffs aus dem Internationalen Einheitsrecht und seine Modifizierung nach unionsrechtlich terminologischen541 Bedürfnissen. Im Internationalen Einheitsrecht wird zwischen „internen“ und „externen“ Lücken unterschieden.542 Unter einer „internen Lücke“ versteht man unvollständige oder fehlende Regelungen zu Gegenständen, die innerhalb des Anwendungsbereiches eines (Einzel-)Rechtsakts des Internationalen Einheitsrechts liegen.543 Demgegenüber ist eine „externe Lücke“ eine Unvollständigkeit, die sich daraus ergibt, dass eine Frage von vorneherein aus dem Anwendungsbereich eines (Einzel-)Rechtsakts des Internationalen Einheitsrechts ausscheidet.544 (4) Entwicklung eines Lückenbegriffs im Wege wertender Rechtsvergleichung Die drei bisher dargelegten Lösungsmöglichkeiten bestehen im Wesentlichen in einer Übertragung nationaler und internationaler Strukturen. Neben einem solchen Transfer ist aber auch denkbar, einen neuen unionsrecht__________ 538 So u. a.: Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 604–609; Gruber, Methoden, S. 286 in Zusammenschau mit S. 280 f.; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (535 f.); Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 27 f.; Riesenhuber, System, S. 68 f. Ebenso zu Richtlinien: Franzen, in: Weber u. a. (Hrsg.), Europäisierung, S. 285 (297 f.); ders., Privatrechtsangleichung, S. 610. 539 Vgl. statt vieler Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 606. 540 Vgl. statt vieler Franzen, ebda. 541 Zur Vereinheitlichung der Terminologie s. Kap. 1 § 2 (S. 11 ff.). 542 Zur Unterscheidung im CISG statt aller Schlechtriem, UN-Kaufrecht, Rdnr. 33. 543 Zum UN-Kaufrecht vgl. Saenger, in: Ferrari u. a. (Hrsg.), InternVertR, Art. 7 CISG Rdnr. 7 m.w.Nachw. (Fn. 31). 544 Zum CISG vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 7 Rdnr. 43 m.w.Nachw. (Fn. 242 f.).

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR

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lichen Lückenbegriff im Wege (wertender) Rechtsvergleichung zu entwickeln. Dafür müssten die Teile der Literatur plädieren, die eine unionsrechtliche Methodenlehre mittels Rechtsvergleichung gewinnen wollen.545 (5) Stellungnahme Die ersten drei546 Lückenbegriffe gleichen sich insofern, als sie „Lücken“ letztlich als „normativ ungeregelte Bereiche“547 begreifen. Dass ein Rechtsvergleich zu einer abweichenden allgemeinen Definition führt, ist kaum vorstellbar. Insofern kann man im europäischen IPR von einer Lücke als einem normativ ungeregelten Bereich sprechen. Fraglich bleibt allerdings, wie der so bestimmte Lückenbegriff konkretisiert werden sollte. Gegen die Übertragung des innerstaatlichen Lückenbegriffes sprechen schon die Argumente, die bereits gegen den Transfer der innerstaatlichen Rechtsfortbildungsmodelle angeführt worden sind, insbesondere die Eigenständigkeit und der Charakter der Unionsordnung.548 Gerade ihr Charakter als Teilrechtsordnung bzw. „Recht im Werden“ widerspricht der Übertragung des innerstaatlichen Lückenbegriffs, da er voraussetzt, dass eine Rechtsordnung auf Vollständigkeit ausgelegt ist.549 Dem könnte man entgegensetzen, dass das Unionsrecht in den von ihm geregelten Bereichen als vollständige Rechtsordnung anzusehen ist. 550 Dieses Gegenargument kann aber zumindest für das europäische IPR entkräftet werden. Denn die Rom I- und die Rom II-VO enthalten zahlreiche551 Bereichsausnahmen, so dass das Unionsrecht insoweit eine Teilrechtsordnung bleibt. Seine Lückenhaftigkeit wird zwar wahrscheinlich mit fortschreitender Integration abnehmen. Allerdings ist es genauso wahrscheinlich, dass einzelne Regelungsbereiche nie vom unionsrechtlichen Kollisionsrecht umfasst sein werden. Dies belegen beispielsweise die politischen Probleme, die zum Fehlen552 einer Kollisionsnorm für außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte geführt haben.553 __________ 545

So etwa: Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 112, 121 f. und 348; Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (246 f. und 253). 546 Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (1) bis (3) (S. 83 f.). 547 So Bieber, in: ders./Ress (Hrsg.), Dynamik, S. 283 (287). 548 Dazu näher Kap. 1 § 3 I 1) b) bb) (S. 28 f.). 549 Ähnl. argumentierend etwa: Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 604 f.; Vogenauer, a.a.O. (Fn. 545) (254). 550 So Ukrow, a.a.O. (Fn. 545) S. 103 m.w.Nachw. (Fn. 174). 551 Vgl. nur Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO und Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO. 552 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II-VO. 553 Dazu ausführlich Joubert, in: dies./Corneloup (Hrsg.), Rome II, S. 55 (58–60).

86

1. Kap.: Grundlagen

Wie geht man nun mit fehlenden Normen im Unionsrecht um? Je nach Kompetenzverteilung und -ausübung obliegt es dem supranationalen oder dem nationalen Gesetzgeber, eine Regelungslücke zu schließen.554 Ob er tätig wird oder nicht, bleibt ihm überlassen. Dagegen muss die Gerichtsbarkeit einen Fall auch dann entscheiden, wenn er im EU-Recht nicht (vollständig) geregelt ist. Dann hat sie die bestehende Lücke gegebenenfalls zu füllen. Dazu kann sie supranationales oder nationales Recht verwenden.555 Insofern haben Lücken im Unionsrecht eine „Doppeldimension“556, für die die traditionellen nationalen Lückenbegriffe nicht ausgelegt sind. Die im voranstehenden Absatz erörterte Doppeldimension unionsrechtlicher Lücken spricht aber nicht nur gegen die unbesehene Übertragung innerstaatlicher Lückenbegriffe, sondern auch gegen die Entwicklung eines neuen Lückenbegriffs im Wege wertender Rechtsvergleichung. Denn Letztere kann nur auf den Bestand der Lückenbegriffe zurückgreifen, wie er sich in den nationalen Rechtsordnungen darstellt. Demgegenüber ist die Doppeldimension normativ ungeregelter Bereiche dem Internationalen Einheitsrecht bekannt. Dort stellt sich auch die Frage, ob Lücken nach dem internationalen oder dem nationalen Regelungsregime geschlossen werden sollten. Außerdem bietet sich ein Rückgriff auf die Unterscheidung des Internationalen Einheitsrechts zur begrifflichen Klarstellung und zur differenzierten Herausarbeitung der Lückenfüllungs- bzw. -schließungskriterien an.557 Diese methodische Transparenz wird aber wieder verwischt, wenn man innerstaatliche Lückenbegriffe mit denen des Internationalen Einheitsrechts vermengt. Darüber hinaus stehen die unterschiedlichen Ausgangspunkte beider Terminologien einer Kombination entgegen. Der innerstaatliche Lückenbegriff ist für eine vollständige, geschlossene Gesamtrechtsordnung konzipiert,558 der internationale hingegen für einen Einzelrechtsakt, um dessen Anwendungsanspruch von demjenigen der nationalen Rechtsordnung abzugrenzen.559 Abbildungen 1 und 2 sollen dieses Argument veranschaulichen.

__________ 554 555 556 557

Vgl. Bieber, in: ders./Ress (Hrsg.), Dynamik, S. 283 (288 f.). Vgl.: Bieber, ebda. (289 f.); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 605 f. So Franzen, ebda. S. 606. Franzen, a.a.O. (Fn. 555) S. 606. Ebenso zu Richtlinien ders., in: Weber u. a. (Hrsg.), Europäisierung, S. 285 (297 f.). 558 Vgl. statt aller Franzen, a.a.O. (Fn. 555) S. 604 f. 559 Vgl. dazu Schmid, Zusammenspiel, S. 27 f.

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR

87

Abbildung 1: Lücke im nationalen Recht

Normativ durch die nationale Gesamtrechtsordnung geregelter Bereich

Lücke im nationalen Recht

normativ ungeregelter Bereich

Abbildung 2: Lücken im Internationalen Einheitsrecht

Normativ durch die nationale Gesamtrechtsordnung geregelter Bereich Einzelakt des Internationalen Einheitsrechts

Externe Lücke

Abgrenzung der Anwendungsansprüche

Interne Lücke

normativ ungeregelter Bereich

Auch im europäischen IPR stehen sich gegenwärtig einzelne Unionsrechtsakte und nationale Rechtsordnungen gegenüber. Daher wird man seinen Bedürfnissen besser gerecht, wenn man ausschließlich die Terminologie aus dem Internationalen Einheitsrecht für einzelne Sekundärrechtsakte übernimmt und sie an unionsrechtliche Anforderungen anpasst.560 __________ 560

Das entspricht der unter Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (3) dargestellten Lösung (S. 84).

88

1. Kap.: Grundlagen

Im Ergebnis sprechen die überzeugenderen Argumente dafür, lediglich den Lückenbegriff aus dem Internationalen Einheitsrecht zu übernehmen und nach unionsrechtlich terminologischen561 Bedürfnissen abzuwandeln. Also kann man von einer Lücke (lacuna) im europäischen Kollisionsrecht sprechen, wenn ein Bereich von der geprüften Verordnung normativ ganz oder teilweise ungeregelt ist. Dabei muss zwischen lacunae internae und externae unterschieden werden. Eine lacuna interna ist ein normativ ganz oder teilweise ungeregelter Bereich, der innerhalb des Anwendungsbereiches der betroffenen Verordnung liegt. Eine lacuna externa ist demgegenüber ein Bereich, der aus dem Anwendungsbereich der geprüften Verordnung ausscheidet und deswegen von ihr ungeregelt ist. Dieser Bereich kann entweder von einer anderen Verordnung normiert sein oder dem nationalen Recht überlassen bleiben.562 Wichtig ist: Der hier favorisierte Lückenbegriff bezieht sich immer nur auf die geprüfte einzelne Verordnung. Abbildung 3 soll dies verdeutlichen. Abbildung 3: Lücken im europäischen IPR (lacunae)

Normativ durch die Unionsordnung geregelter Bereich

Normativ durch die nationale Rechtsordnung geregelter Bereich

Verordnung (1) lacuna externa oder Verordnung (2) ....

lacuna interna

normativ ungeregelter Bereich

__________ 561

Dazu ausführlich Kap. 1 § 2 (S. 11 ff.).

lacuna externa

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR

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In Abbildung 3 ist die „Verordnung (2)“ der Einzelrechtsakt, den der Rechtsanwender auf Lücken hin überprüft, zum Beispiel die Rom II-VO. In ihr fehlen Kollisionsnormen zu außervertraglichen Schuldverhältnissen aus Privatsphären- bzw. Persönlichkeitsverletzungen. Sie sind vom Anwendungsbereich563 der Rom II-VO nicht umfasst und somit lacunae externae. Ihre Regelung soll dem nationalen Recht überlassen bleiben, was sich aus der Entstehungsgeschichte der Rom II-VO ergibt.564 Das ist bei vertragsrechtsrechtlichen Fragen anders. Sie sind zwar auch vom Anwendungsbereich der Rom II-VO ausgeschlossen565 und damit lacunae externae. Ihre Normierung wird jedoch nicht dem nationalen Recht überantwortet, sondern der Rom I-VO, soweit deren Anwendungs- und Geltungsbereich eröffnet ist. Neben den beiden genannten lacunae externae weist die Rom II-VO aber auch interne Lücken auf. Ein Beispiel für eine lacuna interna der Rom II-VO findet sich in ihrem Art. 14, der offen lässt, ob eine Teilrechtswahl zulässig ist.566 bb) Feststellung einer Regelungslücke bzw. lacuna Hat man sich wie hier567 für die Übertragung und Abwandlung des Lückenbegriffs aus dem Internationalen Einheitsrecht entschieden, ist im nächsten Schritt danach zu fragen, wie Lücken festgestellt werden sollten. Soweit die Lückenfeststellung näher erläutert wird, gleichen sich alle Lösungswege unabhängig vom befürworteten Lückenbegriff. Denn letztlich laufen sie alle darauf hinaus, dass man durch Auslegung des betroffenen Regelungswerkes ermitteln muss, ob eine Lücke vorliegt.568 Nichts anderes gilt für die hier vertretene Lösung: Lacunae internae und externae gleichen sich darin, dass sie normativ ungeregelte Bereiche einer bestimmten Verordnung sind.569 Welche Bereiche sie normativ umfasst, kann nur durch ihre Interpretation entschieden werden. Folglich sind lacunae im europäischen Kollisionsrecht durch Auslegung der betroffenen Verordnung zu ermitteln. Dabei ist wie im Inter__________ 562 563 564 565 566 567 568

Dazu näher Kap. 1 § 5 II 2) b) bb) (1) bis (3) (S. 94 ff.). Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II-VO. Dazu ausführlich Joubert, in: dies./Corneloup (Hrsg.), Rome II, S. 55 (58–60). Vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO. Zur Feststellung dieser lacuna interna vgl. Kap. 4 § 2 I 1) a) bb) (1) (S. 235 f.). Vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 85 ff.). S. etwa: Adrian, Grundprobleme, S. 938; Dänzer-Vanotti, in: FS Everling I, S. 205 (219); Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 606; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (535 f.); Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 16; Riesenhuber, System, S. 69; Zuleeg, EuR 1969, 97 (105). 569 Vgl. a.a.O. (Fn. 567).

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1. Kap.: Grundlagen

nationalen Einheitsrecht570 eine bestimmte Prüfungsfolge logisch vorgegeben: Im ersten Schritt muss der Anwendungsbereich der betroffenen Verordnung ausgelegt werden, um zu ermitteln, ob ihm die betreffende Frage unterliegt. Ist dies nicht der Fall, liegt eine lacuna externa vor.571 Wird der fragliche Gegenstand hingegen vom Anwendungsbereich der betroffenen Verordnung umfasst, muss sie im zweiten Schritt durch Interpretation dahin gehend überprüft werden, ob eine lacuna interna vorliegt. Dabei stellt sich die Frage, ob eine schließungsfähige lacuna interna auch vorliegt, wenn der Rechtsetzer bewusst keine Regelung getroffen hat. Dies ist wegen der Grenzen richterlicher Lückenfüllung abzulehnen.572 Denn ob eine Verordnungsregelung bewusst getroffen wird oder nicht, ist eine politische Entscheidung, die zum Aufgabenkernbereich des Unionsgesetzgebers gehört. Daher liegt eine lacuna interna nur dann vor, wenn es sich um einen unbewusst normativ ungeregelten Bereich handelt, der vom Anwendungsbereich der zu prüfenden Verordnung umfasst ist.573 b) Die Schließung der Regelungslücke bzw. lacuna Hat man eine Lücke (lacuna) festgestellt, stellt sich die Frage, wie man sie schließen sollte. Dazu kann jedenfalls auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die sich zur Lückenfüllung im (sekundären) Unionsrecht entwickelt haben.574 aa) Lückenschließungsansätze Diese Grundsätze lassen sich in drei prinzipiell verschiedene Kategorien unterteilen, aus denen ein Ansatz ausgewählt und für die completio lacunae ausgestaltet werden muss. (1) „Ein-Stufen-Modelle“ In die erste Kategorie fallen einstufige Lückenfüllungstechniken: Manche wollen auftretende Lücken ausschließlich unter Rückgriff auf das Uni-

__________ 570 Zur logisch vorgegebenen Prüfungsfolge im CISG Gruber, Methoden, S. 282 m.w.Nachw. (Fn. 39 f.). 571 Für Beispiele einer lacuna externa s. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 89). 572 Zu den Grenzen richterlicher Lückenschließungstätigkeit jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 1 § 3 III 1) bis 3) (S. 34 ff.). 573 Für Beispiele einer lacuna interna s. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 89). 574 Zur Begründung dieses Rückgriffs s. Kap. 1 § 5 II 1) (S. 83).

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onsrecht,575 andere unter bloßer Zuhilfenahme nationalen Rechts576 schließen. (2) „Zwei-Stufen-Modelle“ Darüber hinaus existieren Lückenschließungsansätze, die sich unter ein „Zwei-Stufen-Modell“ fassen lassen. Danach müssen Lücken primär aus dem Unionsrecht selbst heraus und nur sekundär mithilfe nationalen Rechts gefüllt werden.577 Eine logische Umkehrung vertritt im Schrifttum (zu Recht) niemand. Sie bestünde im vorrangigen Rückgriff auf nationales Recht und im subsidiären Rekurs auf EU-Recht. (3) Entwicklung einer Lückenschließungsmethodik durch wertende Rechtsvergleichung Neben den beiden „Stufen-Modellen“ gibt es noch eine dritte Kategorie zur Lückenfüllung im (sekundären) Unionsrecht. Sie umfasst die Ansichten der Autoren578, die eine Lückenschließungsmethodik mittels (wertender) Rechtsvergleichung entwickeln wollen. Danach ist die nationale Lösung vorzugswürdig, die sich am besten in die Ziele des Unionsrechts einfügt.579 (4) Stellungnahme Die Entwicklung einer Lückenschließungsmethodik im Wege wertender Rechtsvergleichung kann der Eigenart des Unionsrechts nicht hinreichend gerecht werden. Denn sein Charakter bedingt, dass Lücken sowohl durch EU-Recht als auch durch nationales Recht beseitigt werden können.580 Ei__________ 575

So zur Vorgehensweise des EuGH bei der Lückenschließung in Verordnungen Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 307. Ähnl. Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, § 13 Rdnr. 31. 576 So für „externe Lücken“, allerdings auf der Grundlage ihrer Lückenbegriffe: Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 637; Riesenhuber, System, S. 72. Eine Lückenfüllung mittels nationalen Rechts im Wege wertender Rechtsvergleichung befürwortend Nicolaysen, EuR 1972, 375 (383). 577 So etwa: Anweiler, a.a.O. (Fn. 575) S. 59 und 305 f.; Buck, Auslegungsmethoden, S. 52; Erman/Hohloch, Band II, Vor. Art. 38–42 EGBGB Rdnr. 4, 7; Gruber, Methoden, S. 307 f.; Hoffmann-Becking, Normaufbau, S. 347; Kropholler, IntEinR, S. 293 in Zusammenschau mit S. 298 f.; Wank, in: FS Stahlhacke, S. 633 (641 f.). So für „interne Lücken“, allerdings auf der Grundlage ihrer Lückenbegriffe: Franzen, ebda. S. 636 f.; Riesenhuber, ebda. S. 70 f. Ebenfalls für ein zweistufiges Verfahren plädiert Mansel, JZ 1991, 529 (532). 578 So etwa: Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 112, 121 f. und 348; Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (246 f. und 253). 579 Grundlegend Zweigert, RabelsZ 28 (1964), 601 (610 f.). 580 Vgl. jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 86).

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1. Kap.: Grundlagen

ne derartige „Lückenschließungskonkurrenz“ zwischen einer supranationalen und einer nationalen Rechtsordnung ist den traditionellen nationalen Methoden unbekannt. Demnach fehlt es der (wertenden) Rechtsvergleichung an einem tragfähigen Methodenbestand, um daraus eine neue, dem Unionsrecht angemessene Lückenfüllungstechnik zu erarbeiten. Darüber hinaus spricht die Gefahr von Wertungswidersprüchen gegen die Entwicklung einer Lückenschließungsmethodik aus dem nationalen Recht. Je schneller man zur Lückenfüllung auf die Quellen einer anderen Rechtsordnung zurückgreift, desto größer ist nämlich die Gefahr von Wertungswidersprüchen.581 Also ist die Erarbeitung eines Lückenfüllungsansatzes im Wege wertender Rechtsvergleichung abzulehnen. Demnach muss nur noch entschieden werden, welcher Ansatz unter den „Stufen-Modellen“582 vorzugswürdig ist: Für die ausschließliche Lückenschließung unter Rückgriff auf das Unionsrecht führt man an, dass der Unionsgesetzgeber vor der Verordnungssetzung durch ausreichende Vorarbeiten zu bestimmten Wertungen gelangt sei, die einen Rekurs auf externe Mittel ausschlössen.583 Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass die Antwort auf die Frage, wie die Lücke in einer Verordnung geschlossen werden sollte, letztlich durch Auslegung derselben beantwortet werden muss. Das führt aber nicht zwingend zu einer Beschränkung auf interne Mittel. Denn es hängt vom Stand der Integration ab, ob die vom Anwendungsbereich ausgenommenen Fragen durch Unionsrecht (interne Mittel) oder nationales Recht (externe Mittel) geregelt werden. Insoweit kann auf die bereits584 angeführten Beispiele für lacunae externae in der Rom II-VO verwiesen werden. Eine Lückenschließung, die zuerst das Unionsrecht und bei dessen Fehlen nationales Recht heranzieht, trägt dem jeweiligen Stand der Integration demgegenüber angemessen Rechnung. Da sich der hier585 vertretene Lückenbegriff nur auf die jeweils zu prüfende einzelne Verordnung bezieht, können lacunae externae allerdings nicht ausschließlich nach nationalem Recht gefüllt werden.586 Schließlich kann die Herausnahme einer Materie aus dem Anwendungsbereich der zu untersuchenden Verordnung auch auf der gesetzgeberischen Entscheidung beruhen, diese Materie in einer anderen Verordnung zu regeln. Dies kann man sich abermals mithilfe der be__________ 581 Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (400). Ihm in der Argumentation folgend Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 306. 582 S. Kap. 1 § 5 II 2) b) aa) (1) und (2) (S. 90 f.). 583 Vgl. Anweiler, a.a.O. (Fn. 581) S. 307. 584 S. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 89). 585 Dazu näher Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 87 ff.). 586 So für „externe Lücken“, allerdings auf der Grundlage ihrer Lückenbegriffe: Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 637; Riesenhuber, System, S. 72.

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reits587 angeführten Beispiele für lacunae externae der Rom II-VO verdeutlichen. Außerdem spricht ein weiteres (kollisionsrechtliches) Argument dafür, das „Zwei-Stufen-Modell“ und keine andere Lösungsvariante als Ausgangspunkt zu wählen, um eine Methodik für die completio lacunae zu entwickeln: Der Rechtsanwender kann Lücken in der zu prüfenden Verordnung durch Unionsrecht oder nationales Recht füllen.588 Mit anderen Worten: Bei der Lückenfüllung kollidieren der Anwendungsanspruch des EU-Rechts und der nationaler Rechtsordnungen. Um diese „vertikale Kollision“ aufzulösen, gibt das Unionsrecht dem Rechtsanwender eine „versteckte“ Kollisionsnorm an die Hand. Sie folgt aus zwei unionsrechtlichen Grundsätzen: aus der unmittelbaren Geltung und dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Nach diesen beiden Prinzipien gelten unionsrechtliche Normen unmittelbar in den Mitgliedstaaten und verdrängen innerhalb ihres Anwendungsbereiches nationale Vorschriften.589 Aufgrund der im vorherigen Absatz aufgezeigten „versteckten“ Kollisionsnorm verbietet es sich auch, das „Zwei-Stufen-Modell“ logisch umzukehren und primär auf nationales Recht zurückzugreifen, um lacunae zu schließen. Lücken einer Rechtsordnung zuerst mithilfe einer anderen zu füllen, ist außerdem nicht nur relativ fernliegend, sondern führt darüber hinaus schneller zu Wertungswidersprüchen.590 Daher wird im Schrifttum völlig zu Recht nicht vertreten, unionsrechtliche Lücken vorrangig durch nationales und subsidiär durch supranationales Recht zu füllen. Im Ergebnis sprechen die gewichtigeren Argumente dafür, das „ZweiStufen-Modell“ zugrundezulegen, um eine Methodik für die Lückenschließung (completio lacunae) im europäischen IPR zu erarbeiten. Lacunae sind also primär durch Unionsrecht und nur sekundär durch nationales 591 Recht zu füllen.

__________ 587 588 589 590

S. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 89). Vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 86). Vgl. statt aller Langenbucher, in: dies. (Hrsg.), Bezüge, § 1 Rdnr. 2 f. Zur Gefahr von Wertungswidersprüchen Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (400). Ihm in der Argumentation folgend Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 306. 591 Mit „nationalem“ Recht, Kollisionsrecht bzw. IPR sind hier und in der weiteren Bearbeitung des Kap. 1 § 5 kollisionsrechtliche Regelungen in nationalen Gesetzen gemeint. Diese können wiederum rein nationalen Ursprungs sein oder EU-Richtlinien bzw. Staatsverträge umsetzen. Die letzten beiden Fälle sind aber nur von der Formulierung „nationales“ Recht, Kollisionsrecht oder IPR umfasst, soweit sie nicht nach Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO bzw. Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO Vorrang haben; dazu ausführlich Kap. 2 § 2 III und IV (S. 140 ff., 157 ff.).

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1. Kap.: Grundlagen

bb) Schließung „externer Lücken“ (completio lacunae externae) Der logischen Prüfungsreihenfolge entsprechend, 592 stellt sich zunächst die Frage, wie eine lacuna externa zu schließen ist. (1) Stufe 1: Lückenschließung mittels Unionsrechts Nach dem „Zwei-Stufen-Modell“593 muss eine lacuna externa zunächst aus dem EU-Recht selbst heraus gefüllt werden. Eine solche Lücke liegt immer dann vor, wenn eine bestimmte Rechtsfrage aus dem Anwendungsbereich der geprüften Verordnung herausfällt.594 Der Bereichsausschluss kann auf zwei verschiedenen Ursachen beruhen: Entweder die Rechtsfrage wird durch eine andere Verordnung geregelt, oder ihre Ausgestaltung bleibt dem nationalen Recht überlassen.595 Was im Einzelfall zutrifft, muss durch Auslegung ermittelt werden.596 Ist die betreffende Rechtsfrage durch eine andere Verordnung normiert, sind deren einschlägige kollisionsrechtliche Regelungen maßgeblich. Wenn diese Verordnung ebenfalls lückenhaft ist, müssen die in diesem597 Abschnitt erarbeiteten Techniken erneut angewandt werden. Ergibt die Auslegung demgegenüber, dass die von der Ausgangsverordnung ungeregelte Materie unter eine Richtlinie fällt, muss ganz anders verfahren werden. Da Richtlinien grundsätzlich nur mittelbar in den Mitgliedstaaten gelten (Art. 288 Abs. 3 AEUV), muss man eine lacuna externa mit den nationalen Vorschriften schließen, die der Richtlinienumsetzung dienen. Dann wird die Lücke also letztlich mit nationalem Recht gefüllt. Gleiches gilt, wenn die Interpretation ergibt, dass die betreffende Rechtsfrage unter gar keine Unionsrechtsnorm fällt. Wie diese Ausführungen zeigen, ist die completio lacunae auf dieser Stufe nur ein Unterfall der systematischen Auslegung.598 (2) Stufe 2: Lückenschließung mittels nationalen Rechts Ergibt die Interpretation, dass die lacuna externa mit nationalem Recht gefüllt werden muss, bieten sich hierzu mindestens fünf unterschiedliche Möglichkeiten an.

__________ 592 593 594 595 596 597 598

Dazu Kap. 1 § 5 II 2) a) bb) (S. 89 f.). Dazu Kap. 1 § 5 II 2) b) aa) (2) und (4) (S. 91 ff.). Vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 88). Vgl. auch Kap. 1 § 5 II 2) b) aa) (4) (S. 92). Ebda. S. Kap. 1 § 5 II 2) b) bb) und cc) (S. 94 ff.). Zur Verdeutlichung vgl. Kap. 1 § 5 II 2) b) aa) (5), Abbildung 3 (S. 88).

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(a) Möglichkeiten zur Lückenschließung Die ersten beiden Möglichkeiten sind dem Kollisionsrechtler aus verschiedenen methodischen Zusammenhängen bekannt und für ihn deshalb sehr naheliegend. So bietet es sich zur Füllung einer lacuna externa an, das nationale IPR der lex fori oder der lex causae heranzuziehen. Außerdem ist als Kombinationslösung eine dritte Möglichkeit denkbar: Man kann zunächst versuchen, eine einheitliche kollisionsrechtliche Regelung aus lex fori und lex causae zu konstruieren.599 Scheitert dieser Versuch, ist entweder das nationale IPR der lex fori oder der lex causae zu bemühen, um die Lücke zu schließen. Ein ähnlicher, aber noch weitergehender vierter Ansatz besteht darin, einen Grundgedanken der sog. „rechtsvergleichenden Qualifikation“600 fruchtbar zu machen. Dann muss versucht werden, nach einer Zusammenschau sämtlicher nationaler Kollisionsrechte eine neue einheitliche IPRRegelung zu schaffen, um die lacuna externa zu beseitigen. Ist dieser Versuch erfolglos, muss man auf das nationale IPR der lex fori oder der lex causae zurückgreifen. Am wenigsten auf eine bestimmte lex fori bzw. lex causae fixiert ist der fünfte Ansatz. Danach muss dasjenige mitgliedstaatliche nationale IPR zur Lückenschließung herangezogen werden, das sich am besten in die Unionsordnung und deren Ziele einfügt.601 Hierfür müssten all diejenigen plädieren, denen zufolge die Lückenfüllung im Unionsrecht auf der zweiten Stufe mittels wertender Rechtsvergleichung durchzuführen ist.602 (b) Stellungnahme Gegen die Konstruktion neuer Kollisionsnormen sprechen bereits die Grenzen der Lückenschließung:603 Die Frage, ob eine vereinheitlichende Regelung erlassen werden soll oder nicht, ist nicht zuletzt wegen der Detailfragen und der möglicherweise nachteiligen Wirkung für den (Unions-) Bürger eine politische Frage. Sie zu beantworten, zählt zum Aufgabenkernbereich des Unionsgesetzgebers. Hat er eine Antwort unterlassen, wird sie je nach Kompetenzverteilung und -ausübung auf die nationale Ebene verlagert, wo sie ebenfalls dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt. __________ 599 600 601 602

Inspiriert durch: Diedrich, RIW 1995, 353 (359); Geimer, IZPR, Rdnr. 317. Hierzu grundlegend Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241–288. Dazu grundlegend Zweigert, RabelsZ 28 (1964), 601 (610 f.). So etwa: Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 59 und 305 f.; Buck, Auslegungsmethoden, S. 52; Hoffmann-Becking, Normaufbau, S. 347; Wank, in: FS Stahlhacke, S. 633 (641 f.). 603 Zu den Grenzen richterlicher Lückenschließung jetzt und in der weiteren Stellungnahme vgl. Kap. 1 § 3 III 1) bis 3) (S. 34 ff.).

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1. Kap.: Grundlagen

Demnach reduziert sich die Entscheidung darauf, ob lacunae externae durch das nationale Kollisionsrecht der lex fori bzw. der lex causae zu schließen sind oder ob dazu das nationale IPR genutzt werden muss, das nach wertender Rechtsvergleichung maßgeblich ist. Für einen Rückgriff auf die lex fori spricht, dass das europäische Kollisionsrecht sie an einigen Stellen ergänzend604 heranzieht bzw. einen Rekurs auf sie ausdrücklich605 gestattet. Demgegenüber wird die lex causae nur unter größeren Einschränkungen bemüht, etwa wenn sie (potenzieller) Erfüllungsort im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ist. Überhaupt keine normativen Anhaltspunkte enthält das unionsrechtliche IPR hingegen für eine Lückenschließung im Wege wertender Rechtsvergleichung. Neben diesen systematischen Erwägungen sprechen vor allem die Ziele des europäischen Kollisionsrechts für eine Lückenfüllung lege fori. Es bezweckt die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts und des Ausgangs von Rechtsstreitigkeiten.606 Greift man zur Lückenschließung auf das nationale IPR der lex causae zurück, werden das anwendbare Recht und damit der Prozessausgang unvorhersehbarer, als wenn man auf das nationale Kollisionsrecht der lex fori rekurriert. Denn zur Ermittlung der lex causae muss eine kollisionsrechtliche Prüfung durchgeführt werden. Dabei ist wiederum ungewiss, welche Regelungen die lacuna letztlich füllen werden. Diese Ungewissheit kann vermieden werden, wenn man das nationale IPR des Forumstaates zur Lückenschließung einsetzt. Noch ungewisser ist das anwendbare Recht und damit der Ausgang einer Rechtsstreitigkeit, wenn man das mitgliedstaatliche nationale IPR zur Lückenfüllung heranzieht, das sich am besten in die Unionsordnung und dessen Ziele einfügt. Dann müssen die Vor- und Nachteile etlicher Kollisionsrechtsordnungen gegeneinander abgewogen werden, bevor feststeht, welches nationale IPR die lacuna schließen darf. Darüber hinaus spricht folgende Erwägung für einen Rückgriff auf die lex fori: Das europäische Kollisionsrecht ist als Teil der Unionsrechtsordnung zum jetzigen Stand der Integration in gewisser Weise noch ein „Fremdkörper“ im nationalen IPR der lex fori. Allein diese Tatsache kann aus Sicht der lex fori zu einer erhöhten Gefahr von Wertungswidersprü__________ 604 Vgl.: Art. 3 Abs. 4, 18 Abs. 2 Rom I-VO sowie Erwägungsgrund 8 der Rom I-VO; Art. 6 Abs. 3 lit. b), 14 Abs. 3, 22 Abs. 2 Rom II-VO sowie Erwägungsgründe 10, 22 und 25 der Rom II-VO. 605 Vgl.: Art. 9 Abs. 2, 21 Rom I-VO; Art. 16, 26 Rom II-VO sowie Erwägungsgrund 32 der Rom II-VO. 606 Vgl. Erwägungsgrund 6 der Rom I-VO bzw. Rom II-VO. Zu den Zielen der Rom Iund Rom II-VO vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178).

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chen führen.607 Diese Gefahr steigt aber noch weiter, wenn man sich zur Lückenfüllung im unionsrechtlichen IPR der lex causae bedient. Denn damit wird ein weiterer „Fremdkörper“ in die lex fori eingeführt. Gegen einen Rekurs auf das nationale IPR des Forumstaates könnte man jedoch ein anderes Ziel der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung anführen. Denn sie will auch forum shopping verhindern.608 Hierfür schafft man aber wieder einen Anreiz, wenn man lacunae externae auf der zweiten Stufe mithilfe der lex fori schließt. Doch das Ziel, forum shopping zu vermeiden, kann nicht weiter reichen als der Stand der Integration. 609 Hält das unionsrechtliche IPR keine Regelungen bereit, muss der Rechtsanwender dem Anwendungsbefehl der Kollisionsnormen seiner Rechtsordnung, der lex fori, Folge leisten. Der Anwendungsbefehl von Kollisionsnormen ist schließlich ein weiteres Argument für die Maßgeblichkeit der lex fori, um lacunae externae auf der zweiten Stufe zu füllen. Aus der Sicht der lex fori darf fremdes Recht nur angewandt werden, wenn eine ihrer Kollisionsnormen einen Verweis ausspricht. Im Ergebnis sprechen die gewichtigeren Gründe dafür, auf das nationale IPR der lex fori zurückzugreifen, wenn sich eine lacuna externa nicht durch EU-Recht schließen lässt. (3) Ergebnis Zunächst müssen lacunae externae aus dem Unionsrecht heraus geschlossen werden. Unterliegt der fragliche Gegenstand einer anderen unmittelbar geltenden Unionsvorschrift, ist diese maßgeblich. Anderenfalls schließt das nationale IPR der lex fori die lacuna externa. cc) Schließung „interner Lücken“ (completio lacunae internae) Die Frage, ob und inwieweit man zur Beseitigung einer lacuna interna nationales Recht heranziehen darf, muss erst beantwortet werden, wenn sich herausstellt, dass eine Lückenfüllung aus dem Unionsrecht heraus ausscheidet.610 __________ 607

Zur Gefahr von Wertungswidersprüchen zwischen Unionsordnung und nationalem Recht Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (399 f.). Ihm in der Argumentation folgend Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 306. 608 Zum europäischen Internationalen Vertragsrecht vgl. statt aller Cheshire, PIL, S. 668 f. Zur Rom II-VO vgl. statt aller Calvo Caravaca/Carrascosa González, Roma II, Rdnr. 48-1. 609 Im Ergebnis ebenso Schwartze, in: FS von Hoffmann, S. 415 (420 f.). 610 Zum vorzugswürdigen „Zwei-Stufen-Modell“ s. Kap. 1 § 5 II 2) b) aa) (2) und (4) (S. 91 ff.).

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1. Kap.: Grundlagen

(1) Stufe 1: Lückenschließung mittels Unionsrechts Zur Lückenschließung mittels Unionsrechts kann man auf einzelne Wertungen, aber auch auf deren Summe rekurrieren.611 (a) Rückgriff auf einzelne Wertungen Bei der Lückenfüllung mittels einzelner Wertungen kann man sich mit drei „methodischen Paaren“ behelfen: Analogie und Umkehrschluss, Umkehrschluss und Größenschluss, teleologische Extension und Reduktion.612 Diese fünf Methoden sind zuerst im Rahmen der Verordnung anzuwenden, in der eine lacuna interna auftritt. Lässt sich aus der „Ausgangsverordnung“ keine Einzelwertung nutzbar machen, müssen andere Verordnungen613 auf solche Wertungen hin überprüft werden. Um einzelne Wertungen zu nutzen, bietet sich zunächst an, eine Analogie (argumentum a simili) zu ziehen.614 Sie ist im europäischen IPR an zwei Voraussetzungen gebunden: Erstens muss eine lacuna interna vorliegen; und zweitens muss eine wertungsmäßige Äquivalenz zwischen dem geregelten und ungeregelten Gegenstand bestehen.615 Die zweite Voraussetzung orientiert sich maßgeblich am Zweck der Regelung, die für die Analogie herangezogen werden soll, und vergleicht ihn mit den Wertungen, die der ungeregelten Frage zugrundeliegen „sollten“.616 Eine Analogie kann hergestellt werden, wenn sich die beiden Gegenstände wertungsmäßig entsprechen.617 Ist dies nicht der Fall, liegt ein Umkehrschluss (argumentum e contrario) nahe.618 Er kann aber nur gezogen werden, wenn die betreffende Rechtsnorm ausschließlich für den geregelten Tatbestand gelten soll.619 Ob sie einen solchen Exklusivitätscharakter hat, ist durch Auslegung zu ermitteln.620 __________ 611 612

Vgl. statt vieler Langenbucher, in: Ackermann u. a. (Hrsg.), Tradition, S. 65 (81). Zur Lückenschließung mittels einzelner Wertungen ausführlich Kropholler, IntEinR, S. 293–298. 613 Verbindliche Einzelwertungen lassen sich grundsätzlich nur aus Verordnungen entnehmen, da sie anders als Richtlinien unmittelbar geltendes Recht darstellen; so zum Analogieschluss auch Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 307. 614 Vgl. statt aller Dänzer-Vanotti, in: FS Everling I, S. 205 (220). Zur Analogiejudikatur des EuGH s. die Nachweise bei Arnold, in: FS Ruppe, S. 19 (36) in Fn. 74 f. 615 Dass eine (unbewusste) Lücke und eine wertungsmäßige Entsprechung vorliegen müssen, ist allgemein erkannt; dazu statt aller Langenbucher, a.a.O. (Fn. 611) (78). 616 Vgl. statt aller Kropholler, a.a.O. (Fn. 612) S. 294. 617 Vgl. statt aller Anweiler, a.a.O. (Fn. 613) S. 309. 618 Vgl. statt aller Kropholler, a.a.O. (Fn. 612) S. 296. 619 Vgl. Walter, Rechtsfortbildung, S. 205 m.w.Nachw. (Fn. 272). 620 Statt aller Kropholler, a.a.O. (Fn. 618).

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR

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Der Umkehrschluss ist nicht nur eine komplementäre Größe zur Analogie,621 sondern auch zum Größenschluss (argumentum a maiori ad minus bzw. argumentum a minori ad maius). Ein argumentum e contrario verengt den Anwendungsbereich einer Norm und damit auch die Möglichkeit, sie zur Lückenfüllung heranzuziehen.622 Ein Größenschluss erweitert hingegen die von einer Vorschrift geregelte Materie und damit auch deren lückenschließende Funktion.623 Denn er dehnt eine Regelung auf eine von ihrem Wortlaut nicht unmittelbar erfasste Materie aus, wenn sie vom Normgehalt wertungsmäßig erst recht erfasst ist.624 Auf einer ähnlichen Wertungsargumentation beruht auch das letzte methodische Gegensatzpaar, das zur Lückenfüllung genutzt werden kann. Teleologische Reduktion und Extension gleichen sich darin, dass sie den Anwendungsbereich einer Norm ohne Überschreitung der Wortlautgrenze nach Zweckgesichtspunkten verändern.625 Nur die Richtungen sind unterschiedlich. Die teleologische Reduktion führt zum Ausschluss einer Materie aus einer Vorschrift, die Extension dagegen zu ihrem Einschluss.626 Alle drei „methodischen Paare“ lassen sich in- und untereinander kaum abgrenzen. Das ist auch nicht entscheidend. Wichtig ist vielmehr, dass der Rechtsanwender sein methodisches Vorgehen in allen Fällen ausführlich und nachvollziehbar begründet.627 Zur intensiven und transparenten Begründung kann er auf die autonome Auslegungsmethode zurückgreifen. 628 (b) Rückgriff auf eine Wertungssumme Kann die lacuna interna nicht mittels einzelner Wertungen geschlossen werden, besteht die Möglichkeit, die Rechtsfrage aus einer Summe unionsrechtlicher Wertungen zu beantworten.629 Diese Wertungssumme kann als Unterfall der sog. „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ angesehen werden.630 __________ 621 Zum Verhältnis von Analogie und Umkehrschluss vgl. statt aller Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 309 f. 622 S. Kap. 1 § 5 II 2) b) cc) (1) (a) (S. 98). Deswegen sieht man es auch teilweise nicht als Lückenschließungsmittel an; vgl. etwa Walter, Rechtsfortbildung, S. 206, 209. 623 Dazu statt vieler Walter, ebda. S. 203–205. 624 Vgl. Anweiler, a.a.O. (Fn. 621) S. 323 f. m.w.Nachw. (Fn. 1441 f.). 625 Vgl. statt aller Kropholler, IntEinR, S. 297. 626 Kropholler, ebda. 627 Zur Begründungspflicht vgl. Kap. 1 § 3 III 2) c) (S. 38). 628 Zur autonomen Auslegung ausführlich Kap. 1 § 4 (S. 40 ff.). 629 Zur Möglichkeit, Lücken im Sekundärrecht mittels allgemeiner Rechtsgrundsätze zu schließen vgl. statt aller Bleckmann/Pieper, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch I, B. I. Rdnr. 72 f. 630 So: Bleckmann, in: ders. (Hrsg.), Studien, S. 83 (85); Metzger, Rechtstheorie 40 (2009), 313 (327). Ausführlich zum Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze Metzger, S. 13–35.

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1. Kap.: Grundlagen

Solche Prinzipien lassen sich durch die Auslegung des europäischen IPR ermitteln. Insoweit kann man zwischen verordnungsübergreifenden und verordnungsspezifischen Grundsätzen differenzieren. Während Erstere für das gesamte unionsrechtliche Kollisionsrecht gelten, beziehen sich Letztere lediglich auf eine bestimmte Verordnung, können aber Ausprägungen verordnungsübergreifender Prinzipien sein. Das markanteste Beispiel für einen verordnungsübergreifenden Grundsatz ist das Prinzip der engsten Verbindung.631 In der Rom I-VO schlägt es sich beispielsweise im Grundsatz der charakteristischen Leistung nieder,632 in der Rom II-VO etwa durch die prinzipielle Maßgeblichkeit des „Schadenseintrittsortes“.633 Bei der Entwicklung solcher allgemeiner Rechtsgrundsätze tritt die Rechtsanwendung in Konkurrenz zur Rechtsetzung. Daher könnte man in diesem Zusammenhang ein ähnliches Argument anbringen wie gegen die Schaffung einheitlicher Kollisionsnormen mittels wertender Rechtsvergleichung:634 Die Frage, ob eine Regelung erlassen werden sollte oder nicht, ist politischer Natur. Daher gehört die Lückenschließung insoweit zum Aufgabenkernbereich des Unionsgesetzgebers. Diese Argumentation kann jedoch bei der unionsrechtlichen Schließung einer lacuna interna nicht überzeugen. Denn der Gesetzgeber hat sich in diesem Fall grundsätzlich für eine ausdrückliche Regelung entschieden, diese aber lückenhaft durchgeführt. Dem Rechtsanwender obliegt es dann, die Norm trotz ihrer Unvollständigkeit „anwendungsfähig“ zu machen. Dabei muss er aber die Grenzen beachten, die ihm die Unionsordnung setzt:635 So ist es ihm etwa untersagt, allgemeine Grundsätze zu entwickeln, die dem unionsrechtlichen IPR zuwiderlaufen. (2) Stufe 2: Lückenschließung mittels nationalen Rechts Gelangt man zu dem Ergebnis, dass die lacuna interna nicht mittels unionsrechtlicher Wertungen beseitigt werden kann, ist dazu auf nationales Recht zu rekurrieren.636 Wie bei lacunae externae bestehen insoweit min__________ 631 632

Vgl. Lein, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 27 (28). Das Prinzip der charakteristischen Leistung findet sich in: Art. 4 Abs. 1 lit. a) und b) Rom I-VO; Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO; Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. und 2. Var. Rom I-VO; Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 2 Rom I-VO und Art. 7 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO. 633 Der Grundsatz des „Schadenseintrittsorts“ schlägt sich nieder in: Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 7, 1. HS Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO und Art. 12 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO. 634 Vgl. dazu jetzt und im Folgenden Kap. § 5 II 2) b) bb) (2) (b) (S. 95). 635 Zur Grenzfunktion der Unionsordnung vgl. Kap. 1 § 3 III 2) b) (S. 38). 636 Zum vorzugswürdigen „Zwei-Stufen-Modell“ s. Kap. 1 § 5 II 2) b) aa) (2) und (4) (S. 91 ff.).

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR

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destens fünf grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten. 637 Aus denselben638 Gründen wie bei lacunae externae ist auch bei lacunae internae das nationale IPR der lex fori heranzuziehen, um die Lücke zu füllen. (3) Ergebnis Lacunae internae sind zunächst durch Unionsrecht zu füllen. Dabei ist im ersten Schritt zu prüfen, ob die Lücke aus einer Einzelwertung der fraglichen Verordnung mittels Analogie, Umkehrschluss, Größenschluss oder teleologischer Reduktion bzw. Extension geschlossen werden kann. Ist dies nicht der Fall, sind andere Verordnungen auf diese Fragen hin zu überprüfen. Enthalten auch sie keine nutzbaren Einzelwertungen, müssen im zweiten Schritt verordnungsübergreifende und spezifische allgemeine Grundsätze zur Lückenschließung fruchtbar gemacht werden. Lässt sich eine lacuna interna nicht mittels unionsrechtlicher Wertungen füllen, muss dazu auf das nationale IPR der lex fori zurückgegriffen werden. c) Die completio lacunae auf einen Blick Im unionsrechtlichen IPR ist bei der Lückenschließung zwischen lacunae externae und internae zu unterscheiden, aber bei beiden Lückenarten erfolgt sie abgestuft. Dies veranschaulicht Abbildung 4 auf der nächsten Seite zusammenfassend.

III. Annex: Lückenfüllung im Sekundärsachrecht Die in diesem Abschnitt639 entwickelte Lückenfüllungsmethodik lässt sich grundsätzlich auch auf sachrechtliche Verordnungen übertragen. Dabei sind folgende Unterschiede zu beachten: Auf der ersten Stufe (Lückenschließung mittels Unionsrechts) muss man stets von der geprüften Sachrechtsverordnung ausgehen und sie bzw. ihre sachrechtlichen „Schwesterverordnungen“ zur weiteren Lückenfüllung heranziehen.640 Auf der zweiten Stufe (Lückenschließung durch das IPR der lex fori) füllt das Kollisionsrecht der lex fori die lacuna einer sachrechtlichen Verordnung nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar. Der Grund hierfür ist einfach. Das IPR kann unmittelbar gar keine sachrechtlichen Lücken schließen, da Kollisionsnormen in ihrer Rechtsfolge nur die jeweils an__________ 637 638 639 640

S. dazu Kap. 1 § 5 II 2) b) bb) (2) (a) (S. 95). Dazu Kap. 1 § 5 II 2) b) bb) (2) (b) (S. 95 ff.). S. Kap. 1 § 5 I bis II (S. 81 ff.). Vgl. Kap. 1 § 5 II 2) b) cc) entsprechend (S. 97 ff.).

102

1. Kap.: Grundlagen

Abbildung 4: Lückenschließung im europäischen IPR (completio lacunae) Lückenschließung (completio lacunae)

lacuna externa

lacuna interna Stufe 1: Heranziehung des Unionsrechts

Anwendung einer anderen IPR-VO (nach systematischer Auslegung)

1) Einzelwertung - aus geprüfter IPR-VO, wenn (-): - aus einer „Schwester-VO“ 2) Ansonsten: Gesamtwertung aus dem europäischen Kollisionsrecht

wenn (-)

wenn (-)

Stufe 2: Heranziehung des nationalen Rechts = Anwendung des IPR der lex fori (mit Ausnahme des unionsrechtlichen Verordnungs-IPR, in dem die lacuna ja besteht)

wendbare Rechtsordnung berufen. Allerdings ist das IPR dazu fähig und imstande, die Sachrechtsordnung zur completio lacunae berufen, zu der aus (unions)rechtlicher Sicht die engste Verbindung besteht. Abbildung 5 gibt einen Überblick über die Lückenfüllung im Sachrecht der Europäischen Union. Ob die hier641 erarbeitete sach- und kollisionsrechtliche Lückenfüllungsmethodik auch für die Arbeit mit privatrechtlichen Richtlinien nutzbar gemacht werden kann, hängt davon ab, ob sich aus ihrer besonderen Rechtsnatur Änderungen ergeben.

__________ 641

Dazu Kap. 1 § 5 I bis III (S. 81 ff.).

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§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR Abbildung 5: Lückenschließung im Unionssachrecht (completio lacunae) Lückenschließung (completio lacunae)

lacuna externa

lacuna interna Stufe 1: Heranziehung des Unionsrechts

Anwendung einer anderen SachrechtsVO (nach systematischer Auslegung)

1) Einzelwertung - aus geprüfter Sachrechts-VO, wenn (-): - aus einer „Schwester-VO“ 2) Ansonsten: Gesamtwertung aus dem europäischen Sachrecht

wenn (-)

wenn (-)

Stufe 2: Heranziehung des nationalen Rechts = Anwendung derjenigen Sachrechtsordnung, die vom IPR der lex fori berufen wird, also vom: - staatsvertraglichen IPR oder - unionsrechtlichen IPR oder - autonomen nationalen IPR.

Die grundsätzliche Anwendbarkeit der completio lacunae auf unionsrechtliches Sachrecht spielt im EU-IPR bei der Qualifikation eine wichtige Rolle.642

__________ 642

Dazu Kap. 3 § 1 (S. 170 ff.).

104

1. Kap.: Grundlagen

IV. Fazit Die Lückenschließung (completio lacunae) erfolgt im unionsrechtlichen IPR in zwei Schritten. Zunächst ist eine Lücke festzustellen, anschließend zu füllen. Die Lückenfeststellung wird in zwei Prüfungsschritten durchgeführt. Zuerst muss durch (autonome) Auslegung festgestellt werden, ob der fragliche Gegenstand dem Anwendungsbereich der geprüften Verordnung unterliegt. Ist dies zu verneinen, liegt eine lacuna externa vor. Anderenfalls muss die betreffende Verordnung weiter auf eine lacuna interna hin überprüft werden. Eine solche Lücke liegt vor, wenn ein Bereich normativ ganz oder teilweise ungeregelt ist, der innerhalb des Anwendungsbereiches der geprüften Verordnung liegt und unbewusst keiner Regelung zugeführt worden ist. Wie die Feststellung einer lacuna ist auch ihre Schließung auf die geprüfte, einzelne Verordnung bezogen und unterscheidet zwischen lacunae externae und internae. Sie erfolgt auf zwei Stufen. Zunächst ist das Unionsrecht zur completio lacunae heranzuziehen; hält es keine Lösung bereit, ist auf nationales Recht643 zurückzugreifen. Lacunae externae sind auf der ersten Stufe aus dem Unionsrecht selbst heraus zu beseitigen. Das bedeutet: Ist der fragliche Gegenstand vom Anwendungsbereich einer anderen Verordnung umfasst, sind deren Regelungen maßgeblich, um die Lücke zu füllen. Ergibt die (systematische) Auslegung, dass sich im Unionsrecht überhaupt keine unmittelbar geltende Norm für die betreffende Rechtsfrage findet, ist das nationale IPR der lex fori heranzuziehen, um die lacuna externa zu schließen. Handelt es sich demgegenüber um eine lacuna interna, muss auf unionsrechtlicher Ebene zunächst geprüft werden, ob sie mithilfe einer Einzelwertung der betroffenen Verordnung durch eine Analogie, einen Umkehrschluss, einen Größenschluss oder teleologische Reduktion bzw. Extension geschlossen werden kann. Ist dies nicht der Fall, sind andere Verordnungen daraufhin zu überprüfen. Lassen sich aus ihnen ebenfalls keine nutzbaren Einzelwertungen ziehen, müssen die allgemeinen Rechtsgrundsätze des europäischen IPR zur Lückenfüllung genutzt werden. Dabei kann man zwischen den (vorrangigen) verordnungsspezifischen und den (nachrangigen) verordnungsübergreifenden Prinzipien unterscheiden. Kann __________ 643 Mit „nationalem“ Recht, Kollisionsrecht bzw. IPR sind kollisionsrechtliche Regelungen in nationalen Gesetzen gemeint. Diese können wiederum rein nationalen Ursprungs sein oder EU-Richtlinien bzw. Staatsverträge umsetzen. Die letzten beiden Fälle sind aber nur von der Formulierung „nationales“ Recht, Kollisionsrecht bzw. IPR umfasst, soweit sie nicht ohnehin nach Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO bzw. Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO Vorrang haben; s. dazu Kap. 2 § 2 III und IV (S. 140 ff.).

§ 5 Lückenschließung im europäischen IPR

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man auch mit ihnen die lacuna interna nicht schließen, muss man dazu auf das nationale IPR der lex fori rekurrieren. Die hier entwickelte Lückenfüllungsmethodik lässt sich auch auf sachrechtliche Verordnungen übertragen. Dabei ergeben sich lediglich zwei Modifikationen: Auf der ersten Stufe ist von der geprüften Sachrechtsverordnung auszugehen und auf sie bzw. ihre sachrechtlichen „Schwesterverordnungen“ zurückzugreifen, um die lacuna zu beseitigen. Auf der zweiten Stufe füllt das nationale IPR der lex fori die Lücke der betreffenden sachrechtlichen Verordnung nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar, indem es diejenige Sachrechtsordnung zur completio lacunae beruft, zu der die engste Verbindung besteht. Hier leistet das europäische IPR (als Teil der lex fori) vereinheitlichende Arbeit, da es die Sachrechtsordnung zur Lückenschließung heranzieht, zu der aus unionsrechtlicher Perspektive die engste Verbindung besteht. Die Frage, ob die hier geschaffene Lückenschließungsmethodik bei privatrechtlichen Richtlinien genutzt werden kann, hängt davon ab, ob aus ihrer besonderen Rechtsnatur ein weiterer Modifikationsbedarf folgt. Genau wie die Auslegung644 sollte die Lückenschließung auf eine normative Grundlage gestellt werden, wenn man den Allgemeinen Teil des europäischen Kollisionsrechts vereinheitlichen will. Dazu bietet sich folgende Regelung an: „Lückenschließung (1) Auftretende Regelungslücken sind durch das europäische Kollisionsrecht selbst zu schließen. (2) Lassen sich solche Lücken nicht auf die in Absatz 1 bezeichnete Weise schließen, ist auf die kollisionsrechtlichen Regelungen des Staates des angerufenen Gerichts zurückzugreifen.“

__________ 644

Dazu Kap. 1 § 4 IV (S. 81).

2. Kapitel

Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR 2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

§ 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR § 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR

Nachdem eine Rechtsfindungsmethodik für das unionsrechtliche Kollisionsrecht erarbeitet worden ist,1 soll sie nun dazu genutzt werden, ausgewählte „europagesetzlich“ eingeführte Fachbegriffe zu konkretisieren und damit Grundsätze zum Anwendungsbereich des EU-IPR zu entwickeln.

I. Ausgangspunkte Beim Anwendungsbereich steht in der bisherigen Diskussion die Frage im Vordergrund, ob und inwieweit die bereits bestehenden Grundsätze der Brüssel I-VO2 auf die ersten beiden Rom-Verordnungen übertragen werden können.3 1) Argumentationsstand (Überblick) Für eine einheitliche Interpretation wird angeführt, dass die Begriffswahl im Anwendungsbereich der Verordnungen fast identisch ist.4 Neben diesem grammatikalischen Aspekt beruft man sich auf die Erwägungsgründe 5 __________ 1 2

Siehe dazu Kap. 1 §§ 3 bis 5 (S. 23 ff., 40 ff., 81 ff.). Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. L 12 vom 16.1.2001, S. 1, zuletzt geändert durch die Berichtigung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 12 vom 16. Januar 2001), ABl. EG Nr. L 307 vom 24.11.2001, S. 28 (im Folgenden: Brüssel I-VO). 3 Ausführlich zum Auslegungszusammenhang zwischen der Rom I-, der Rom II- und der Brüssel I-VO: Haftel, JDI 2010, 761–788; Würdinger, RabelsZ 75 (2011), 102 (113– 122). 4 So etwa: Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), IntVertR, S. 17 (26); Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 1 Rdnr. 4; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 1 Rdnr. 6. 5 Vgl. Erwägungsgrund 7 der Rom I-VO bzw. der Rom II-VO.

§ 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR

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der Rom I- und Rom II-VO, die eine einheitliche Auslegung nahe legen.6 Außerdem führt man für eine parallele Interpretation an, dass das europäische IPR und IZVR die gemeinsamen Ziele der Transparenz, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit verfolgen.7 Darüber hinaus erhöht eine einheitliche Auslegung die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Gleichlauf zwischen zuständigem Gericht und anwendbarem Recht kommt und die Parteien somit Zeit und Kosten sparen.8 Schließlich wird durch eine parallele Interpretation der Verordnungen der Entscheidungseinklang gefördert und forum shopping vermieden.9 Gegen eine einheitliche Auslegung lässt sich hingegen ins Feld führen, dass IPR und IZVR grundlegend unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen.10 Während das IZVR in erster Linie einen Ausgleich zwischen den Parteiinteressen schaffen soll, zielt das IPR auf die Berufung der sachnächsten Rechtsordnung.11 2) Stellungnahme Nach der hier12 vertretenen Auffassung haben identische Begriffe grundsätzlich dieselbe Bedeutung, soweit sich aus der interpretatio legis communis13 nichts anderes ergibt. Das heißt, man muss bei wortgleichen Formulierungen in den Anwendungsbereichen der Rom I-VO, Rom II-VO und Brüssel I-VO zunächst die einheitliche, schon bestehende Bedeutung zugrundelegen.14 Ob man sie

__________ 6

Vgl. nur: Furrer, SZIER/RSDIE 2008, 7 (17); Lein, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 27 (43); dies., YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (194). In der Argumentation weiter gehend Würdinger, RabelsZ 75 (2011), 102 (117–122). Dazu kritisch: Freitag, in: FS Spellenberg, S. 169 (172); Haftel, JDI 2010, 761 (767). 7 Vgl. statt vieler Pertegás, in: Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement, Rdnr. 5-18. 8 Vgl. Bitter, IPRax 2008, 96 (99). 9 Vgl. Bitter, ebda. 10 Vgl.: Lein, a.a.O. (Fn. 6) (45); dies., a.a.O. (Fn. 6) (196). Ebenso zur Übertragung des Vertragsbegriffs der Brüssel I-VO auf die Rom I-VO MPI, RabelsZ 71 (2007), 225 (237); Pertegás, a.a.O. (Fn. 7) Rdnr. 5-4. 11 Vgl.: Lein, a.a.O. (Fn. 6) (45); dies., a.a.O. (Fn. 6) (196). Ebenso zur Übertragbarkeit des Vertragsbegriffs der Brüssel I-VO auf die Rom I-VO etwa: Bitter, a.a.O. (Fn. 8) (98); Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), IntVertR, S. 17 (25). So allgemein zum Verhältnis von IPR und IZVR Mankowski, in: FS Heldrich, S. 867 (868 f. im Kontext zu 871). 12 S. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (2) (b) (aa) (S. 58) und Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (2) (a) (S. 70 f.). 13 Zum Begriff s. jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 4 I 2) b) (S. 45). 14 So im Ergebnis etwa auch Leible, Rom I und Rom II, S. 43, 47 und 77.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

anschließend modifizieren muss oder nicht, ist stets im Wege der Auslegung zu entscheiden.15 Das europäische IPR verwendet im Anwendungsbereich seiner Verordnungen allerdings nicht nur identische, sondern auch gegensätzliche Begriffe wie etwa „vertraglich/außervertraglich“16 in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO, Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO. Solche Formulierungen sind als „Schnittstellen“ zwischen verschiedenen Verordnungen nicht einheitlich, sondern gegensätzlich (komplementär) auszulegen.

II. Sachlicher Anwendungsbereich Beim Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts ist zwischen identischen und gegensätzlichen (komplementären) Begriffen, also zwischen verordnungsübergreifenden Grundsätzen und „Schnittstellen“ verschiedener Verordnungen zu unterscheiden.17 Unter „Schnittstellen“ in diesem Sinne sind aber nicht nur Gegensatzpaare wie die Begriffe „vertraglich/außervertraglich“18 zu verstehen, sondern auch Rechtsfragen, die vom sachlichen Anwendungsbereich der geprüften Verordnung ausgeschlossen sind, weil sie von einer anderen umfasst werden (sollen). Ein Beispiel bieten etwa „Unterhaltspflichten“19 im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO. Sie sind vom Anwendungsbereich der zweiten RomVerordnung ausgenommen, aber von der Unterhalts-VO nach deren Art. 1 Abs. 1 grundsätzlich erfasst. Daher ist die Wendung „Unterhaltspflichten“ aus Sicht der Rom II-VO eine „Schnittstelle“ zum Anwendungsbereich der Unterhalts-VO. 1) Verordnungsübergreifende Grundsätze Wie bereits erwähnt, lassen sich im sachlichen Anwendungsbereich des europäischen IPR identische Formulierungen als verordnungsübergreifende Grundsätze ausmachen. Bei ihnen kann weiter zwischen der verordnungsübergreifenden Regelung des Anwendungsbereiches und solchen Bereichs-

__________ 15

So im Ergebnis etwa auch Leible, Rom I und Rom II, S. 43, 47 und 77; Niboyet/de Geouffre de La Pradelle, DIP, Rdnr. 252. 16 „Contractual/non-contractual“, „contractuelles/non contractuelles“, „contractuales/ extracontractuales“. 17 Vgl. Kap. 2 § 1 I 2) (S. 108). 18 Vgl. Fn. 16. 19 „Maintenance obligations“, „obligations alimentaires“, „obligación de alimentos“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen gemeint.

§ 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR

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ausnahmen unterschieden werden, die keine „Schnittstellen“20 zwischen verschiedenen Verordnungen darstellen. a) Sachlicher Anwendungsbereich Liest man Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO und Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO zusammen, ergibt sich folgende Metaregelung zum sachlichen Anwendungsbereich: „Sachlicher Anwendungsbereich Das europäische Kollisionsrecht ist auf Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen anwendbar, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen.“

aa) „Zivil- und Handelssachen“21 Also muss es sich beim zu prüfenden Sachverhalt zunächst um eine „Zivilund Handelssache“ handeln, damit das europäische IPR auf ihn angewandt werden darf. Im Schrifttum besteht zu Recht Einigkeit darüber, dass der Begriff „Zivil- und Handelssache“ autonom interpretiert werden muss.22 Mit den Worten der hier23 bevorzugten Methodik gesprochen: Die Vorprüfung (examinatio ante interpretationem) ergibt, dass die Wendung „Zivil- und Handelssache“ autonom zu definieren ist. Dazu kann eine bereits bestehende Wortbedeutung herangezogen werden.24 Eine „Zivil- und Handelssache“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO liegt vor, wenn der Rechtsstreit nicht auf der Ausübung hoheitlicher Befugnisse beruht.25 Entscheidend ist dabei, ob ein Privater die betreffende Tätigkeit ausüben könnte oder nicht.26 Die Art des angerufenen Gerichts spielt keine Rolle.27 __________ 20 21

Zum Begriff s. Kap. 2 § 1 I 2) (S. 108) und Kap. 2 § 1 II (S. 108). „Civil and commercial matters“, „matière civile et commerciale“, „materia civil y mercantil“. Mit der deutschsprachigen Formulierung sind im Folgenden auch die entsprechenden Wendungen in den anderen Sprachfassungen des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO gemeint. 22 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (62). Zur Rom II-VO vgl. Sujecki, EWS 2009, 310 (311) m.w.Nachw. (Fn. 10). 23 Dazu näher Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). 24 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529 f.). Zur Rom II-VO vgl. statt aller Calvo Caravaca/Carrascosa González, Roma II, Rdnr. 55-1. Näher zum Begriff „Zivil- und Handelssache“ im Unionsrecht Basedow/Hopt/Zimmermann/ Dutta, Handwörterbuch II, S. 1807–1811. 25 Vgl. nur EuGH, Rs. 29/76 – Eurocontrol, NJW 1977, 489 (490). Vgl. auch Stone, EU PIL, S. 26 m.w.Nachw. (Fn. 47). 26 MünchKomm/Junker, Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 11 m.w.Nachw. (Fn. 16). 27 Statt aller Garcimartín Alférez, a.a.O. (Fn. 22).

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

Die Übertragung des im vorigen Absatz ausgeführten Wortsinns wird auch von der historischen Interpretation mittels der Erwägungsgründe 28 unterstützt.29 Systematisch gesehen, spricht für den Bedeutungstransfer, dass sich die Formulierungen in Brüssel I-VO, Rom I-VO und Rom II-VO wörtlich entsprechen.30 Darüber hinaus wird in allen drei Verordnungen der Ausschluss von öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen bezweckt.31 Demnach liegt im europäischen IPR eine „Zivil- und Handelssache“ unabhängig von der Art des angerufenen Gerichts vor, wenn der Rechtsstreit nicht auf der Ausübung hoheitlicher Befugnisse beruht. Damit sind Tätigkeiten gemeint, die ein Privater nicht ausüben kann, ohne dass ihm zuvor Hoheitsgewalt übertragen worden ist. bb) „Schuldverhältnisse“32 Anders als das Merkmal „Zivil- und Handelssachen“ hat der Begriff „Schuldverhältnisse“ im Schrifttum bisher wenig Beachtung gefunden. Überwiegend wird er gar nicht als selbstständige Voraussetzung des Anwendungsbereiches erläutert, sondern zusammen mit dem Merkmal „vertraglich“ bzw. „außervertraglich“ behandelt, ohne näher auf seine Bedeutung einzugehen.33 Wo der Begriff „Schuldverhältnisse“ selbstständig erörtert wird,34 findet man – von wenigen Ausnahmen abgesehen35 – keine abstrakte Definition. Die Erklärung für dieses Phänomen ist einfach. Bei der Wendung „Zivil- und Handelssachen“ kann man eine existierende unionsautonome Bedeutung zur Begriffsbestimmung zugrundelegen, bei der Formulierung „Schuldverhältnisse“ hingegen nicht. Letztere muss erst noch einer einheitlichen europäischen Definition zugeführt werden. __________ 28 29 30 31

Vgl. Erwägungsgrund 7 der Rom I-VO bzw. der Rom II-VO. Vgl. statt vieler Wagner, IPRax 2008, 1 (2). Ähnl. Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.64 und 3.263. Zur Brüssel I-VO vgl. statt aller Stone, EU PIL, S. 26. Zur Rom I-VO vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (63). Zur Rom II-VO vgl. statt aller Brière, JDI 2008, 31 (37). 32 „Obligations“, „obligations“, „obligaciones“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO gemeint. 33 Vgl. nur: Lein, YbPIL Vol. 7 (2005), 391 (394); dies., YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (189 f.); dies., in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 27 (38 f.). 34 So bei: Cheshire, PIL, S. 778; Dickinson, a.a.O. (Fn. 30) Rdnr. 3.88–3.145; Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), IntVertR, S. 17 (32 f. und 20); Pertegás, in: Meeusen/ Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement, Rdnr. 5-22; Reiher, Vertragsbegriff, S. 41–45; Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (301–303). 35 S.: Reiher, ebda.; Rushworth/Scott, ebda. (301).

§ 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR

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In der Literatur herrscht zu Recht Konsens darüber, dass die Wendung „Schuldverhältnisse“ autonom zu definieren ist.36 Mit anderen Worten: Die Vorprüfung (examinatio ante interpretationem) ergibt, dass die Begriffsbestimmung autonom erfolgen muss.37 Da man auf keine unionsrechtliche Bedeutung zurückgreifen kann, muss sie erst noch ermittelt werden.38 Dazu ist zunächst der Begriffskern im Wege der Rechts- bzw. Sprachvergleichung zu konkretisieren.39 Dabei bilden die Begriffe „obligation“, „obligación“ und „Schuldverhältnis“ den Untersuchungsgegenstand. Ihre Wurzeln reichen bis ins römische Recht hinein. Unter einer „obligatio“ hat man seinerzeit eine rechtliche Beziehung verstanden, die den Gläubiger berechtigt, vom Schuldner eine Leistung zu fordern. 40 Ein ähnliches Verständnis findet sich heute in Frankreich, Spanien, Österreich und Deutschland: Im französischen und spanischen Recht definiert man eine „obligation“ bzw. „obligación“ als rechtliches Band zwischen mindestens zwei Personen.41 Es verleiht einer Person das subjektive Recht, von einer anderen ein bestimmtes Verhalten zu verlangen.42 Dies entspricht dem österreichischen und deutschen Verständnis eines Schuldverhältnisses „im engeren Sinne“.43 Demnach ist der Begriffskern nach kontinentaler Wertung eine Rechtsbeziehung zwischen mindestens zwei Personen, die der einen das subjektive Recht einräumt, von der anderen ein bestimmtes Verhalten zu verlangen. Wenn man diesen Begriffskern mit dem englischen Konzept vergleichen will, sucht man vergebens nach der Bedeutung der „obligation“. Denn aus historischen und methodischen Gründen hat sich zu dieser Wendung in der englischen Rechtsordnung kein abstraktes Konzept gebildet.44 Betrachtet man aber die einzelnen schuldrechtlichen Kategorien, in denen die engli__________ 36 Zum Begriff der vertraglichen Schuldverhältnisse im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (63). Zur Formulierung des außervertraglichen Schuldverhältnisses im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO vgl. statt aller Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 1 Rdnr. 2. 37 Zur examinatio ante interpretationem s. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). 38 S. dazu Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (2) (b) (bb) (α) bis (ε) (S. 59 ff.). 39 S. dazu Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (2) (b) (bb) (α) (αα) (S. 59 f.). 40 Vgl. statt aller Hausmaninger/Selb, RöPR, S. 193. 41 Zum französischen Recht statt aller Malaurie/Aynès, Cours IV, Rdnr. 1. Zum spanischen Recht statt aller Albaladejo, Compendio, S. 165. 42 Zum französischen Recht vgl. statt aller Bénabent, Droit civil, Rdnr. 2. Zum spanischen Recht vgl. statt aller Lasarte Álvarez, Principios II, S. 29 f. 43 Zum österreichischen Recht vgl. statt aller Koziol/Welser, Grundriß I, S. 191 f. Zum deutschen Recht vgl. statt aller Looschelders, SchR AT, § 1 Rdnr. 2 und 7. 44 Vgl. etwa: Samuel, Sourcebook, S. 383; Samuel/Rinkes, Law, S. 185 f.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

sche Jurisprudenz denkt,45 ergibt sich im Wege der Induktion aber ein Verständnis, das dem kontinentalen entspricht. Der in den drei vorigen Absätzen ausgeführte Definitionskern lässt sich weiter durch die autonome historische Auslegung (interpretatio iuxta historiam) konkretisieren. Zu Art. 1 EVÜ – der Vorgängernorm zu Art. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO – wird im Giuliano-Lagarde-Bericht46 angemerkt, dass das Gebiet der dinglichen Rechte und der Immaterialgüterrechte aus dem Anwendungsbereich des EVÜ ausscheidet.47 Das lässt sich auf die ersten beiden Rom-Verordnungen übertragen.48 Folglich schließt der Schuldverhältnisbegriff des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO den Bereich der dinglichen Rechte ebenso aus wie den der Immaterialgüterrechte.49 Mit anderen Worten: Die ersten beiden Rom-Verordnungen vereinheitlichen nicht das Internationale Sachen- und Immaterialgüterrecht.50 Vielmehr müssen beide IPR-Bereiche im Rahmen des Merkmals „Schuldverhältnisse“ zum Anwendungsbereich der Rom I-VO bzw. Rom II-VO abgegrenzt werden. Die im vorherigen Absatz angesprochene Abgrenzung ist nicht immer ganz einfach. Das zeigen schon Art. 8 und 13 Rom II-VO. Während sie Kollisionsnormen für den außervertraglichen Immaterialgüterschutz enthalten, lassen sie die Anknüpfung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Immaterialgüterrechts ungeregelt.51 Das heißt, ein „Schuldverhältnis“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO umfasst auch solche außervertraglichen Rechte, die einer Person gegenüber einer anderen zum Schutz ihrer Immaterialgüterrechte zustehen. Gleiches gilt für dingliche Rechte. Ihr __________ 45 46

Zu diesen Kategorien Samuel/Rinkes, Law, S. 185 m.w.Nachw. (Fn. 23). Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Herrn Mario Giuliano, Professor an der Universität Mailand, und Herrn Paul Lagarde, Professor an der Universität Paris I, ABl. EWG Nr. C 282 vom 31.10.1980, S. 1–50 (im Folgenden: Giuliano-Lagarde-Bericht). 47 S. Giuliano-Lagarde-Bericht, Anm. unter Art.1 Abs. 2 EVÜ. Mit diesem Auszug bereits argumentierend Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.88. 48 Noch weiter gehend zur Rom II-VO Dickinson, ebda. Rdnr. 3.89 f. 49 Ebenso zur „sachenrechtlichen Einigung nach deutschem Recht“ und der Rom I-VO: Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 11; Reithmann/Martiny/ Martiny, IntVertR, Rdnr. 42. So zum Bereich des „property“ und dem Schuldverhältnisbegriff der Rom II-VO: Cheshire, PIL, S. 778; Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (301 f.). Weiter gehend zur Rom II-VO dagegen Dickinson, ebda. 50 So zum Bereich des „property“ und dem Schuldverhältnisbegriff der Rom II-VO Cheshire, ebda. Weiter gehend zur Rom II-VO dagegen Dickinson, a.a.O. (Fn. 48). 51 Überwiegende Auffassung zu Art. 8 Rom II-VO; vgl. PWW/Schaub, Rom II Art. 8 Rdnr. 3 m.w.Nachw. Dasselbe gilt für Art. 13 Rom II-VO. Denn ihm zufolge ist kollisionsrechtlich allein Art. 8 Rom II-VO maßgeblich (vgl. BaRo-III/Spickhoff, Art 13 Rom II-VO Rdnr. 1).

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außervertraglicher Schutz fällt kollisionsrechtlich jedenfalls unter Art. 4, 10 und 11 Rom II-VO, ihr Bestehen dagegen nicht. Festzuhalten bleibt: Die Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich der ersten beiden Rom-Verordnungen einerseits und dem Internationalen Sachen- und Immaterialgüterrecht andererseits ist in den Randbereichen nicht immer ganz einfach.52 Sie ist letztlich eine Auslegungs- und Qualifikationsfrage, die für jeden konkreten Einzelfall gesondert beantwortet werden muss. Für eine unionsautonome Definition des Schuldverhältnisbegriffs folgen aus dem Abgrenzungserfordernis, dass das Forderungsrecht nicht ausschließlich von Fragen abhängen darf, auf die das Sachen- oder Immaterialgüterrecht eine Antwort gibt.53 Für weitere Modifikationen hält die historische Interpretation keine Anhaltspunkte bereit. Anders sieht es bei der systematischen Auslegung (interpretatio iuxta systema) aus. Zunächst bestätigen zahlreiche Regelungen der ersten beiden Rom-Verordnungen, dass ein „Schuldverhältnis“ eine bestimmte Beziehung zwischen mindestens zwei Personen ist. Dazu sei exemplarisch auf die Art. 16 Rom I-VO und Art. 20 Rom II-VO verwiesen. Beide gehen von der „Haftung“54 mindestens eines „Schuldners“55 gegenüber mindestens einem „Gläubiger“56 aus und setzen demnach eine verpflichtende Beziehung zwischen mindestens zwei Personen voraus. Über die Beschaffenheit und den Umfang dieser Beziehung geben Art. 12 Rom I-VO und Art. 15 Rom II-VO Aufschluss. Sie enthalten nicht nur die wichtigsten anwendungsbezogenen Inhalte,57 sondern erhellen gleichzeitig die autonome Bedeutung des Merkmals „Schuldverhältnis“. Denn das anwendbare Recht kann über die in Art. 12 Rom I-VO und Art. 15 Rom II-VO aufgeführten Rechtsfragen nur herrschen, wenn sie sich aus dem „Schuldverhältnis“ im Sinne der Rom I- bzw. Rom II-VO ergeben. Die in Art. 12 Rom I-VO und Art. 15 Rom II-VO aufgezählten Materien verdeutlichen zunächst, dass ein „Schuldverhältnis“ eine Rechtsbeziehung ist. So geht etwa Art. 12 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO davon aus, dass ein Vertrag „Verpflichtungen“58 begründet. Auch Art. 15 lit. a) Rom II-VO setzt voraus, dass außervertragliche Schuldverhältnisse eine „Haftung“59, also __________ 52

Zu solchen Schwierigkeiten im Rahmen der Rom II-VO vgl. Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.92–3.103. 53 So zu Fragen des „property“ und dem Schuldverhältnisbegriff der Rom II-VO Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (302). Ähnl. Dickinson, ebda. Rdnr. 3.99. Anders Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (782). 54 „Liability“, „responsabilité“, „responsabilidad“. 55 „Debtor“, „débiteur“, „deudor“. 56 „Creditor“, „créancier“, „acreedor“. 57 So Ofner, ZfRV 2008, 13 (15) zu Art. 15 Rom II-VO. 58 „Performance“, „obligations“, „obligaciones“. 59 „Liability“, „responsabilité“, „responsabilidad“.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

eine Verpflichtung auslösen. In beiden Fällen handelt es sich aber nicht um außerrechtliche, sondern um rechtliche Pflichten. Nur so lässt sich erklären, dass Art. 12 Abs. 1 lit. d) Rom I-VO und Art. 15 lit. h) Rom II-VO von „Rechtsverlusten“60 sprechen. Also bestätigt die systematische Auslegung den Begriffskern des „Schuldverhältnisses“ insoweit, als es sich dabei um eine Rechtsbeziehung zwischen mindestens zwei Personen handelt, die der einen Person das subjektive Recht verleiht, von der anderen ein bestimmtes Verhalten zu verlangen. Dieses Ergebnis wird auch von den beiden Legaldefinitionen der Art. 15 Rom I-VO, 19 Rom II-VO gestützt. Danach ist ein „Gläubiger“61 eine Person, die aufgrund eines Schuldverhältnisses eine Forderung gegen eine andere Person („Schuldner“62) hat. Allerdings zeigen die Art. 12 Rom I-VO, 15 Rom II-VO, dass der Schuldverhältnisbegriff nicht nur das subjektive Recht auf ein bestimmtes Verhalten einer anderen Person umfasst, sondern eine Vielzahl von Rechten und Pflichten mit einschließt. So ist etwa von den „Bedingungen“63 bzw. „Arten“64 des Erlöschens einer Verpflichtung die Rede. Aus ihnen ergeben sich wiederum bestimmte Rechte und Pflichten. Im Ergebnis ist unter einem „Schuldverhältnis“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO eine Rechtsbeziehung zwischen mindestens zwei Personen zu verstehen, aus der sich eine Vielzahl von Rechten und Pflichten ergibt.65 Das so verstandene „Schuldverhältnis“ muss aber nicht schon bestehen.66 Denn aus Art. 2 Abs. 2 Rom II-VO ergibt sich, dass die Wahrscheinlichkeit seines Entstehens genügt.67 In der Rom I-VO existiert zwar kein entsprechendes Pendant, aber sie umfasst nach ihrem Art. 12 Abs. 1 lit. e) auch die Folgen der Nichtigkeit eines Vertrages.68 Das ist nur möglich, wenn nichtige Verträge nicht schon aus ihrem Anwendungsbereich herausfallen. Also umfasst Letzterer auch „Schuldverhältnisse“, die noch nie bestanden haben bzw. nicht mehr bestehen.69 __________ 60 61 62 63 64 65

„Limitations“, „déchéances“, „caducidad“. „Creditor“, „créancier“, „acreedor“. „Debtor“, „débiteur“, „deudor“. „Manners“, „modes“, „modos“; vgl. Art. 15 lit. h) Rom II-VO. „Ways“, „modes“, „modos“; vgl. Art. 12 Abs. 1 lit. d) Rom I-VO. So zum Schuldverhältnisbegriff des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (301). A. M. Reiher, Vertragsbegriff, S. 45. 66 So zur Rom I-VO Morris/McClean/Beevers, CoL, Rdnr. 13-008. 67 Vgl. Sujecki, EWS 2009, 310 (312) m.w.Nachw. (Fn. 25). 68 Die Argumentation geht zurück auf Morris/McClean/Beevers, CoL, Rdnr. 13-008. Ähnl. Pertegás, in: Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement, Rdnr. 5-22. 69 Vgl. Morris/McClean/Beevers, ebda. Ebenso zum EVÜ Pertegás, ebda.

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Dieses weite Verständnis entspricht auch dem umfassenden Zweck der Anwendungsbereiche der Rom I- und Rom II-VO. Beide zielen nämlich darauf, bestimmte Lebenssachverhalte insgesamt zu erfassen und dabei gleichzeitig ein kohärentes System für grenzüberschreitende Sachverhalte zu bilden.70 Alles in allem hat ein „Schuldverhältnis“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO folgende unionsautonome Bedeutung: Ein „Schuldverhältnis“ in diesem Sinne ist eine Rechtsbeziehung zwischen mindestens zwei Personen, aus der sich eine Vielzahl von Rechten und Pflichten zwischen ihnen ergibt. Diese Rechte und Pflichten dürfen nicht ausschließlich von Fragen abhängen, auf die das Sachen- oder Immaterialgüterrecht eine Antwort gibt. Für die Eröffnung des Anwendungsbereiches der ersten beiden Rom-Verordnungen genügt, dass das Rechtsverhältnis wahrscheinlich entsteht bzw. ohne Eingreifen eines Nichtigkeitsgrundes entstanden wäre. cc) „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“71 Ähnlich wie das Merkmal „Schuldverhältnisse“ führt die Voraussetzung „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ bisher eher ein Schattendasein. Wo man im Rahmen der Rom I-VO näher auf die Formulierung „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ eingeht, greift man zu ihrer Konkretisierung vereinzelt72 auf den Giuliano-Lagarde-Bericht zurück. In ihm heißt es zu Sachverhalten mit Verbindung zum Recht verschiedener Staaten: „Es handelt sich um Sachverhalte, die im Verhältnis zum internen sozialen Leben eines Landes eine oder mehrere Auslandsberührungen aufweisen (zum Beispiel die Tatsache,

__________ 70 Die Ziele der Systemeinheit und -kohärenz der Anwendungsbereiche gehen für die Rom I-VO hervor aus: KOM(2005)650, S. 5, Erläuterungen zu Artikel 1; die dortigen Ausführungen finden ihren Ausdruck in Erwägungsgrund 7 der Rom I-VO sowie im Fehlen einer Liste umfasster Materien im Anwendungsbereich. Für die Rom II-VO dagegen aus: KOM(2003)427, S. 8, Erläuterungen zu Artikel 1; geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), KOM(2006) 83 endgültig vom 21.2.2006, S. 1–25 (im Folgenden: KOM(2006)83), S. 3, Änderung 18; beide Begründungen schlagen sich in Erwägungsgrund 7 der Rom II-VO sowie im Fehlen einer Liste umfasster Materien im Anwendungsbereich nieder. 71 „Situations involving a conflict of laws“, „situations comportant un conflit de lois“, „situaciones que impliquen/comportan un conflicto de leyes“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO gemeint. 72 So etwa: Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (64); Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (789); Staudinger/Magnus, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 11.

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daß eine oder alle Vertragsparteien Ausländer oder im Ausland wohnhafte Personen sind, daß der Vertrag im Ausland abgeschlossen wurde, daß eine oder mehrere der Leistungen der Vertragsparteien im Ausland zu erbringen sind, usw.), so daß die Rechtssysteme mehrerer Länder angewandt werden könnten. [...] Andererseits bedeutet der derzeitige Wortlaut des Absatzes 1, daß die einheitlichen Vorschriften in allen Fällen anzuwenden sind, in denen die Rechtsstreitigkeit zu einer Kollision zwischen zwei oder mehr Rechtssystemen führen würde.“73

Die im vorherigen Absatz zitierten Inhalte können prinzipiell als bestehende unionsautonome Bedeutung zugrunde gelegt werden, da die Formulierung „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO identisch mit derjenigen in Art. 1 Abs. 1 EVÜ ist.74 Auch im Rahmen der Rom II-VO bemüht man die historische Auslegung, um die Wendung „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ näher zu bestimmen. Wo solche Definitionsversuche unternommen werden, greift man auf die Kommissionsbegründung zum ersten Entwurf der Rom II-VO75 zurück.76 In ihr heißt es: „Die vorgeschlagene Verordnung soll für alle Sachverhalte gelten, die im Verhältnis zum internen sozialen Leben eines Landes einen oder mehrere Auslandsbezüge aufweisen und die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen.“ 77

Der Rückgriff auf die Kommissionsbegründung ist als Mittel der interpretatio iuxta historiam statthaft, da sie veröffentlicht worden ist und sich in den auszulegenden Normen niedergeschlagen hat, indem die von der Kommission vorgeschlagene Formulierung „Gesetz“ geworden ist.78 Ein direkter Vergleich zum Giuliano-Lagarde-Bericht zeigt, dass seine Definition in „abgespeckter“ Weise übernommen worden ist. Folglich hat die Formulierung „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ bereits einen unionsautonomen Inhalt, namentlich denjenigen, der im Giuliano-Lagarde-Bericht79 zugrunde gelegt worden ist. Allerdings muss man ihn abwandeln, um eine aktuelle verordnungsübergreifende Definition zu verfassen: __________ 73 74

Giuliano-Lagarde-Bericht, Anm. unter Art. 1 Abs. 1 EVÜ. Zur Übertragung bereits bestehender unionsautonomer Bedeutungen vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) (2) (b) (aa) (S. 58 f.) und Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (2) (a) (S. 70). 75 KOM(2003)427, S. 9. 76 So: Cheshire, PIL, S. 775 f. Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.75; Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (79); Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Art 1 Rom II-VO Rdnr. 3. 77 A.a.O. (Fn. 75). 78 Zur genetischen Auslegung als Teil der interpretatio iuxta historiam vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) bb) (2) (b) (aa) und (bb) (S. 66 f.). 79 Giuliano-Lagarde-Bericht, Anm. unter Art. 1 Abs. 1 EVÜ.

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Die Wendung „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ umfasst Sachverhalte, die im Verhältnis zum internen sozialen Leben eines Landes mindestens eine Auslandsberührung aufweisen (zum Beispiel die Tatsache, dass ein oder alle Betroffenen Ausländer oder im Ausland wohnhafte Personen sind, dass das Schuldverhältnis begründende Ereignis im Ausland eingetreten ist usw.), so dass die Anwendungsansprüche der Rechtssysteme mindestens zweier Länder kollidieren. Die im vorstehenden Absatz vorgenommene Definition nimmt in ihren Beispielen auf bestimmte Anknüpfungspunkte wie Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und Ereignisort Bezug. Eine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ liegt also jedenfalls vor, wenn ein Sachverhaltselement einem kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkt der Rom I- oder Rom II-VO entspricht. Insofern kann man davon sprechen, dass sich der notwendige Auslandsbezug aus den jeweiligen Kollisionsnormen ergibt. 80 Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass es sich lediglich um Beispiele handelt. Prinzipiell reicht jedwedes ausländische Sachverhaltselement, um eine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ herzustellen.81 Die Bedeutung der Formulierung „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ kann durch weitere autonome Auslegung noch präzisiert werden. Teilweise schließt man aus der deutschen Sprachfassung der Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I- bzw. Rom II-VO, dass rein innerstaatliche Fälle außen vor bleiben.82 Dieser Schluss könnte dazu verleiten, die Anwendbarkeit des europäischen IPR bei allen objektiv rein innerstaatlichen Sachverhalten abzulehnen. Das ist jedoch in solchen Fällen unzutreffend, in denen die Parteien in zulässiger Weise von ihrer Rechtswahlmöglichkeit Gebrauch gemacht haben. Denn die bloße Rechtswahl genügt, um eine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ herzustellen.83 Sonst ließe sich die Exis__________ 80 So generell zum Auslandsbezug als Anwendungsvoraussetzung des IPR Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (21). Ähnl. zur Rom I-VO BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 24. Ebenso im Rahmen der Rom II-VO MünchKomm(4)/Junker, Art. 42 Anh. Rdnr. 9 in Fn. 40. Ähnl. BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom II-VO Rdnr. 11. 81 So generell zur Internationalität als Anwendungsvoraussetzung des IPR Siehr, ebda. (20 f.). Ebenso zur Rom I-VO etwa: Erman/Hohloch, Band II, Anh. II Art. 26 EGBGB: Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 4; Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (789); PWW/Brödermann/ Wegen, Rom I Art. 1 Rdnr. 7. So auch zur Rom II-VO etwa: Cheshire, PIL, S. 776; Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 4; Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (79). A. M. zur Rom II-VO wohl Symeonides, 56 AJCL (2008), 173 (178). 82 So ausdrücklich zu Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO Fricke, VersR 2008, 443 (444). 83 Im Ergebnis ebenso zur Rom I-VO etwa: Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (64 f.); Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (789); Nordmeier, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 37 Rdnr. 10; Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 21; Staudinger/Magnus, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 10. Im Ergebnis ebenso zur Rom II-VO u. a.:

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tenz der Art. 3 Abs. 3, Abs. 4 Rom I-VO und Art. 14 Abs. 2, Abs. 3 Rom II-VO nicht erklären.84 Diese weite Auslegung entspricht auch dem überwiegenden Verständnis zum entsprechenden Merkmal des Art. 1 Abs. 1 EVÜ.85 Dort stützt man sich mit einer ähnlichen Argumentation auf Art. 3 Abs. 3 EVÜ.86 Es bleibt also dabei, dass grundsätzlich jedes ausländische Sachverhaltselement genügt, um eine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ im Sinne des europäischen Kollisionsrechts herzustellen. Wenn aber jeder Auslandsbezug ausreicht, um das Merkmal „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ zu erfüllen, ließe sich der Standpunkt einnehmen, dass dieses Merkmal bei der Prüfung des Anwendungsbereiches der Rom I- bzw. Rom II-VO keine selbstständige Bedeutung hat.87 Diese Position ist jedoch unrichtig, da sie eine wichtige Funktion der Voraussetzung „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ außer Acht lässt. Diese Voraussetzung dient dazu, den Anwendungsanspruch des unionsrechtlichen IPR von dem des international vereinheitlichten Sachrechts abzugrenzen.88 Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen: Das europäische Kollisionsrecht zielt darauf, Gesetzeskonflikte zwischen verschiedenen Privatrechtsordnungen zu lösen.89 Dieser Zweck folgt bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I- bzw. Rom II-VO. Denn in der englischen, französischen und spanischen Sprachfassung ist von „situations involving a conflict of laws“ bzw. „situations comportant un conflit de lois“ bzw. „situaciones que impliquen/comportan un conflicto de leyes“ die Rede.90 Auch die Entstehungsgeschichte der ersten beiden Rom-Verordnungen zeigt, dass sie das anwendbare Recht nur __________ Cheshire, PIL, S. 776; Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (79); Plender/Wilderspin, Obligations, Rdnr. 17-034. 84 Ähnl. zur Rom I-VO u. a.: Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (64 f.); Magnus, ebda.; Rauscher/v. Hein, ebda.; Staudinger/Magnus, ebda. Zur Rom II-VO vgl. etwa: Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (79); Plender/Wilderspin, ebda. Ähnl. auch Cheshire, ebda. 85 Vgl. statt vieler Kreuzer/Wagner, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch II, R. Rdnr. 113. A. M. Schwimann, IPR, S. 93. 86 Vgl. Cheshire, a.a.O. (Fn. 83) S. 680 m.w.Nachw. (Fn. 125). 87 So ausdrücklich zur Rom I-VO Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 1 Rdnr. 5. So ausdrücklich zur Rom II-VO Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 1 Rdnr. 8. 88 Ebenso zur Rom I-VO Schilling, EuZW 2011, 776 (779) m.w.Nachw. (Fn. 51). Anders die wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum; vgl. die Nachweise bei Schilling, ebda. (778) in Fn. 35. 89 Ebenso zur Rom I-VO PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 1 Rdnr. 8. Noch weiter gehend MPI, RabelsZ 68 (2004), 1 (20). 90 Vergleichbare Wortlautargumentation zu Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO etwa bei: PWW/Brödermann/Wegen, ebda.; Schilling, a.a.O. (Fn. 88) (779).

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für den Fall einer privatrechtlichen Gesetzeskollision regeln sollen. 91 Gleiches ergibt sich aus den amtlichen Überschriften der Rom I- und Rom IIVO. Verordnungen zur Regelung des „anzuwendenden Rechts“92 setzen einen Gesetzeskonflikt voraus und zielen auf seine Beseitigung. Zu einem solchen Konflikt kommt es aber gar nicht erst, wenn international vereinheitlichtes Sachrecht eingreift.93 Also ist die modifizierte Definition des Giuliano-Lagarde-Berichts94 so zu verstehen, dass es zu einem Gesetzeskonflikt kommen muss. Das heißt, die Anwendungsansprüche der Rechtssysteme verschiedener Staaten kollidieren nicht, soweit international vereinheitlichtes Sachrecht greift. Dann besteht kein Gesetzeskonflikt. Der erforderliche Gesetzeskonflikt erstreckt sich aber nicht nur auf Privatrechtsordnungen verschiedener Staaten. Vielmehr ergibt sich aus Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO und Art. 25 Abs. 1 Rom II-VO, dass bei Mehrrechtsstaaten jede Gebietseinheit als Staat anzusehen ist. 95 Das gilt aber nur, soweit die betreffenden Mitgliedstaaten keine entgegenstehenden Regelungen im Sinne der Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO bzw. Art. 22 Abs. 2 Rom IIVO erlassen haben.96 Im Ergebnis umfasst das Merkmal „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ alle Sachverhalte, die im Verhältnis zum internen sozialen Leben eines Landes mindestens eine Auslandsberührung aufweisen (zum Beispiel die Tatsache, dass mindestens ein Betroffener Ausländer oder eine im Ausland wohnhafte Person ist, dass das Schuldverhältnis begründende Ereignis im Ausland eingetreten ist usw.), so dass die Anwendungsansprüche der Rechtssysteme mindestens zweier Länder in Konflikt geraten. Ein solcher Konflikt besteht nicht, soweit international vereinheitlichtes Sachrecht greift. Mit einem „Land“ im Sinne der vorgenannten Definition sind grundsätzlich auch die Gebietseinheiten eines Staates ohne einheitliche Rechtsordnung gemeint. __________ 91 Hiervon ausgehend etwa: KOM(2003)427, S. 5, unter 2.1; KOM(2006)83, S. 10, Erwägungsgrund 4; Begründungserwägung 6 der Rom I-VO bzw. Rom II-VO. 92 „Law applicable“, „loi applicable“, „ley aplicable“. 93 Vgl. Brödermann, NJW 2010, 807 (809). Ebenso zur Rom I-VO u. a.: PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 1 Rdnr. 9; Schilling, EuZW 2011, 776 (779 f.). Das entspricht auch der überwiegenden Auffassung zum Verhältnis von IPR und international vereinheitlichtem Sachrecht; s. dazu die Nachweise bei Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 85 in Fn. 8. 94 Giuliano-Lagarde-Bericht, Anm. unter Art. 1 Abs. 1 EVÜ. 95 Ebenso im Rahmen der Rom I-VO argumentierend etwa: Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (790); Staudinger/Magnus, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 10. Ebenso im Rahmen der Rom II-VO argumentierend u. a.: Calvo Caravaca/Carrascosa González, Roma II, Rdnr. 54-1; Cheshire, PIL, S. 777. 96 Ebda.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

b) Bereichsausschlüsse Gelangt man zum Ergebnis, dass der sachliche Anwendungsbereich des unionsrechtlichen IPR eröffnet ist,97 stellt sich die Frage, ob der zu beurteilende Sachverhalt ausnahmsweise vom europäischen Kollisionsrecht ungeregelt bleibt. Das ist der Fall, sofern ein verordnungsübergreifender oder -spezifischer Bereichsausschluss greift. aa) Verordnungsübergreifende Ausschlüsse Die Bereichsausnahmen der Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO und Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO sind im Wesentlichen deckungsgleich.98 Also kann man auch für diesen Bereich eine Metaregel aufstellen, indem man die Bereichsausnahmen zusammenführt, für die (noch) keine Vereinheitlichung auf der Basis der Art. 67 Abs. 4, 81 Abs. 2 lit. c) AEUV (ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV) ansteht. Sie lautet wie folgt: „Das europäische Kollisionsrecht gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.99 (1) Von seinem Anwendungsbereich sind ferner ausgenommen: a) Schuldverhältnisse und sonstige Fragen, die sich aus dem Gesellschaftsrecht, Vereinsrecht und dem Recht der juristischen Personen ergeben, wie die Errichtung durch Eintragung oder auf andere Weise, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen sowie die persönliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person sowie die persönliche Haftung der Rechnungsprüfer gegenüber einer Gesellschaft oder ihren Gesellschaftern bei der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen;100 b) Schuldverhältnisse aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren, soweit die Verpflichtungen aus diesen anderen Wertpapieren aus deren Handelbarkeit entstehen;101 c) Schuldverhältnisse und sonstige Fragen, die sich aus rechtsgeschäftlich errichteten „Trusts“ ergeben, wie die Gründung von „Trusts“ sowie die dadurch geschaffenen Rechtsbeziehungen zwischen den Verfügenden, den Treuhändern und den Begünstigten.102 (2) Das europäische Kollisionsrecht gilt nicht für den Beweis und das Verfahren, soweit sich aus den konkret einschlägigen Regelungen nichts anderes ergibt. 103“

__________ 97 Dazu näher Kap. 2 § 1 II 1) a) aa) bis cc) (S. 109 ff.). 98 Vgl. Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (33). 99 Vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO bzw. Rom II-VO. 100 Vereinheitlichung von Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom I-VO und Art.

II-VO.

1 Abs. 2 lit. d) Rom

101 Zusammenführung von Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom I-VO und Art. 1 Abs. 2 lit. c) Rom II-VO. 102 Genese aus Art. 1 Abs. 2 lit. h) Rom I-VO und Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom II-VO. 103 Vereinheitlichung von Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO und Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO.

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Was genau unter die einzelnen Ausnahmen zu fassen ist, soll an dieser Stelle offen bleiben und der juristischen Diskussion überlassen werden.104 Jedenfalls können sie mit dem verordnungsübergreifenden Anwendungsbereich105 zu einer Norm zusammengeführt werden, die am Anfang eines EU-IPR AT steht. bb) Verordnungsspezifische Ausschlüsse An diese Norm könnte man eine weitere Regelung anschließen, die zu den sachlich konkret anwendbaren Verordnungen führt und die verordnungsspezifischen Ausnahmen enthält. Sie könnte wie folgt lauten: „Sachlich konkret anwendbare Verordnung Ist das europäische Kollisionsrecht nach Artikel X anwendbar, bestimmt sich die sachliche Anwendbarkeit einer konkreten Verordnung weiter nach diesem Artikel. (1) Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) (106) gilt für vertragliche Schuldverhältnisse. Sie gilt nicht für a) den Personenstand sowie die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen, unbeschadet des Artikels 13 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“);107 b) Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen;108 c) die Frage, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten kann, oder ob ein Organ einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer anderen juristischen Person diese Gesellschaft, diesen Verein oder diese juristische Person gegenüber Dritten verpflichten kann; 109 d) Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags;110 e) Versicherungsverträge aus von anderen Einrichtungen als den in Artikel 2 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen ( 111) genannten Unternehmen durchgeführten Geschäften, deren Zweck darin besteht, den unselbstständig oder selbstständig tätigen Arbeitskräften eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe im Todes- oder Erlebensfall oder bei Arbeitseinstellung oder bei Minderung der Erwerbstätigkeit oder bei arbeitsbedingter Krankheit oder Arbeitsunfällen Leistungen zu gewähren. 112

__________ 104 Zu den Bereichsausnahmen der Rom I-VO vgl. statt aller Kieninger, in: Ferrari u. a. (Hrsg.), InternVertR, Art. 1 Rom I-VO Rdnr. 9–33. Zu denen der Rom II-VO vgl. statt aller Hohloch, IPRax 2012, 110–119. 105 S. Kap. 2 § 1 II 1) a) (S. 109). 106 ABl. L 177 vom 4.7.2008, S. 6. 107 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom I-VO. 108 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO. 109 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom I-VO. 110 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. i) Rom I-VO. 111 ABl. L 345 vom 19.12.2002, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2008/ 19/EG (ABl. L 76 vom 19.3.2008, S. 44). 112 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. j) Rom I-VO.

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(2) Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (113) gilt für außervertragliche Schuldverhältnisse. Sie gilt nicht für a) außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verleumdung; 114 b) außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus Schäden durch Kernenergie ergeben.115“

Selbstverständlich muss die eben genannte Regelung stets an den Stand der Integration angepasst werden. In diesem Zusammenhang könnte man die Frage stellen, warum die Unterhaltsverordnung nicht mit in die obige AT-Norm aufgenommen worden ist. Die Antwort ist einfach, führt aber zu neuen, schwierigen Folgefragen. Durch die Unterhalts-VO setzt die EU staatsvertragliche Verpflichtungen um. Ein solches „EU-Staatsvertrags-IPR“ ist kollisionsrechtliches Neuland. Wie es methodisch behandelt werden sollte, ist eine Zukunftsfrage, die hier nicht im Detail beantwortet werden kann. Jedenfalls wird man auf die Unterhaltsverordnung nicht einfach die methodischen Regeln eins zu eins übertragen können, die für EU-internes IPR wie für die Rom I- oder Rom II-VO gelten. Sonst würde die staatsvertraglich bezweckte internationale Entscheidungsharmonie gefährdet oder gar zerstört werden. Daher muss die Unterhalts-VO bei der AT-Europäisierung außen vor bleiben. Nicht nur die Unterhalts-VO fehlt in der oben entwickelten Regelung zur sachlich konkret anwendbaren Verordnung, sondern auch das Internationale Familien- und Erbrecht. Der Grund dafür besteht darin, dass die obige AT-Norm nur gegenwärtig geltende, „räumlich umfassende“116 EUVerordnungen und ihre spezifischen Bereichsausnahmen vereinheitlichen soll. Sofern die Europäisierungsbemühungen im Internationalen Familienund Erbrecht vollumfänglich gelingen, muss die AT-Regelung zur sachlich konkret anwendbaren Verordnung geändert werden. Zum jetzigen Stand der Integration müssen das Internationale Unterhalts-, Familien- und Erbrecht jedenfalls aus einem europäischen IPR AT ausgeklammert werden. Auf welche Weise dies geschehen könnte, wird später117 gezeigt werden.

__________ 113 114 115 116 117

ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 40. Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II-VO. Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom II-VO. S. dazu Kap. 1 § 1 I (S. 8). S. Kap. 6 § 2 (S. 332 ff.).

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2) „Schnittstellen“ zwischen einzelnen Verordnungen An dieser Stelle soll es um die „Schnittstellen“ gehen, die der BT des europäischen Kollisionsrechts aufweist. Darunter sind solche Formulierungen im Anwendungsbereich zu verstehen, die der Abgrenzung zwischen den einzelnen Verordnungen dienen.118 Dabei lassen sich zwei Fälle unterscheiden. Zum einen kann die Bereichsausnahme einer Verordnung vom sachlichen Anwendungsbereich einer anderen umfasst sein. Zum anderen können gegensätzliche (komplementäre) Begriffe genutzt werden, um zwei Verordnungen voneinander abzugrenzen. a) „Vertraglich“/„außervertraglich“119 Ein Beispiel für ein solches begriffliches Gegensatzpaar sind die Formulierungen „vertraglich“120 und „außervertraglich“ in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO und Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO. Das europäische IPR hält zu beiden Ausdrücken keine Legaldefinition bereit.121 Was ihre Interpretation angeht, ist sich die Literatur zu Recht einig, dass sie autonom erfolgen muss.122 Mit den Worten der hier123 bevorzugten Methodik gesprochen: Die Vorprüfung (examinatio ante interpretationem) ergibt, dass die Wendungen „vertraglich“ und „außervertraglich“ autonom zu definieren sind. Die Bestimmung des Vertragsbegriffs ist logisch vorrangig.124 Denn nur wenn man weiß, was unter „vertraglich“ zu verstehen ist, kann man festlegen, was unter den Begriff „außervertraglich“ fällt.125 Was den Inhalt des kollisionsrechtlichen Vertragsbegriffs betrifft, herrscht im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass die Bedeutung übertragen werden kann, die sich zu seinem Pendant im unionsrechtlichen IZVR __________ 118 Zum Begriff „Schnittstellen“ jetzt und im Folgenden s. Kap. 2 § 1 I 2) und Kap. 2 § 1 II (S. 108). 119 „Contractual“/„non-contractual“, „contractuelles“/„non contractuelles“, „contractuales“/„extracontractuales“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO gemeint. 120 Zum Vertragsbegriff im EU-IPR jüngst ausführlich Reiher, Vertragsbegriff, 2010. 121 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798 (1799). Zur Rom II-VO vgl. statt aller Calvo Caravaca/Carrascosa González, Roma II, Rdnr. 55-2b. 122 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (63). Zur Rom II-VO vgl. statt aller Sujecki, EWS 2009, 310 (312). A. M. lediglich Haftel, JDI 2010, 761 (779 f.). 123 S. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). 124 Vgl. Mankowski, IPRax 2003, 127 (128). 125 Vgl. Mankowski, ebda. Ebenso im Ergebnis Pertegás, in: Meeusen/Pertegás/ Straetmans (Hrsg.), Enforcement, Rdnr. 5-26.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

entwickelt hat.126 Danach ist ein Schuldverhältnis jedenfalls als vertraglich einzuordnen, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig eine Verpflichtung eingegangen ist.127 Von Freiwilligkeit in diesem Sinne kann gesprochen werden, wenn die Abgabe der verpflichtenden Erklärung auf einer grundsätzlich autonomen Entscheidung beruht.128 Die „klassische“ Angebot-Annahme-Situation ist nicht erforderlich.129 Vielmehr genügt eine Rechtsbeziehung, die auf einem Konsens im weiteren Sinne beruht.130 Darunter ist die Kombination aus dem freiwilligen, autonomen Akt der einen Person und der schlichten Akzeptanz der anderen zu verstehen.131 Die im vorherigen Absatz ausgeführte Begriffsbestimmung ist noch weiter durch die interpretatio legis communis abzusichern und zu konkretisieren. Dazu kann zunächst auf die Vorgängerregelung des Art. 1 Abs. 1 EVÜ und die Gesetzgebungsmaterialien zurückgegriffen werden. Schon zur Auslegung der Ausdrucks „vertraglich“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EVÜ ist der Vertragsbegriff der Brüssel I-VO inhaltlich übertragen worden.132 Ein solcher Einklang zwischen den Regimen von Brüssel und Rom folgt aber nicht nur aus der Vor-, sondern auch der Entstehungsgeschichte des europäischen IPR, da beide Kommissionsvorschläge133 zur Rom II-VO von ihm ausgehen.134 Die Erwägungsgründe135 legen ebenfalls einen Gleichlauf der Anwendungsbereiche der Rom I-, Rom II- und Brüssel I-VO nahe.136 Zur Definition der drei Anwendungsbereiche könnte die äußere horizontale Systematik137 der Rom II-VO einen Beitrag leisten. Aus Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO ergibt sich beispielsweise, dass die Rom II-VO sämtliche Fol__________ 126

Zur Rom I-VO vgl. statt vieler PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 1 Rdnr. 5. Zur Rom II-VO vgl. statt vieler Briggs, CoL, S. 200. Differenzierend Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), IntVertR, S. 17 (30). Ihm für „komplizierte Fälle“ folgend Leible/ Lehmann, RIW 2008, 528 (529). Kritisch Reiher, Vertragsbegriff, S. 64–83. 127Vgl. nur EuGH, Rs. 26/91 – Handte, Slg. 1992/5, 3967 (3982). Vgl. auch Lehmann, ebda. (26) m.w.Nachw. (Fn. 40). Dazu kritisch Magnus, in: FS Kühne, S. 779 (784 f.). 128 Vgl. Mankowski, IPRax 2003, 127 (129) m.w.Nachw. (Fn. 24). 129 Bitter, IPRax 2008, 96 (97) m.w.Nachw. (Fn. 13). 130 Vgl. statt vieler Staudinger/Magnus, Art 1 Rom I-VO Rdnr. 31. 131 Vgl. Mankowski, a.a.O. (Fn. 128) (135). Ähnl. Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.121. 132 Vgl. etwa Martiny, ZEuP 2006, 60 (64). 133 Vgl.: KOM(2003)427, S. 9, Erläuterungen zu Artikel 1; KOM(2006)83, S. 3, Abänderung 18; KOM(2006)83, S. 10, Erwägungsgrund 5. 134 Auf die Inhalte aus KOM(2003)427, S. 9 wird häufiger verwiesen; vgl. etwa: Bitter, a.a.O. (Fn. 129) (98) in Fn. 24; Dickinson, a.a.O. (Fn. 131) Rdnr. 3.106; Lein, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 27 (38) in Fn. 52. 135 Vgl. Erwägungsgrund 7 der Rom I-VO bzw. der Rom II-VO. 136 Vgl. Lein, a.a.O. (Fn. 134) (38); dies., YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (189). 137 Zum Begriff vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (1) (a) (S. 68 f.).

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gen einer unerlaubten Handlung, Geschäftsführung ohne Auftrag, eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen und einer ungerechtfertigten Bereicherung umfasst.138 Der Gesamtregelungszusammenhang139 der Rom IIVO bestätigt dieses Ergebnis.140 Ferner zeigt er, dass Schuldverhältnisse im Sinne der Art. 5 bis 9 Rom II-VO der Verordnung unterliegen.141 Allerdings handelt es sich in den Fällen der Art. 4 bis 12 Rom II-VO lediglich um Normgruppen, die selbst wieder präzisiert werden müssen. Daher ist ihr Beitrag zur Definition des Vertragsbegriffs gering. Anders sieht es bei der inneren horizontalen Systematik142 der ersten beiden Rom-Verordnungen aus: Bei der Rom I-VO stehen die Parteiautonomie und das Recht der charakteristischen Leistung im Mittelpunkt, bei der Rom II-VO hingegen der gerechte Ausgleich von Täter- und Opferinteressen sowie die Vorhersehbarkeit von Verkehrsregeln.143 Um diesen Aspekt muss die Definition des Vertragsbegriffs ergänzt werden. Mit der Auslegung nach der inneren Systematik ist man auch schon an der Schnittstelle zur teleologischen Interpretation angelangt. Das Begriffspaar „vertraglich/außervertraglich“ dient der Abgrenzung zwischen Rom Iund Rom II-VO.144 Um deren Schärfe zu erhöhen, könnte man versuchen, Elemente des ökonomischen Vertragsbegriffs für den autonomen fruchtbar zu machen.145 Dagegen spricht aber, dass es sich dabei um eine nichtjuristische Kategorie handelt, die sich selbst Anleihen aus dem juristischen Vertragsrecht bedient.146 Auch aus den wissenschaftlichen Projekten zum europäischen Vertragsrecht darf man so lange keine verbindlichen Schlussfolgerungen ziehen, wie ihnen der Unionsgesetzgeber keinen verbindlichen Rahmen verliehen hat.147 Im Ergebnis ist ein Schuldverhältnis als „vertraglich“ einzuordnen, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig, also auf der Basis einer grundsätzlich autonomen Entscheidung eine Verpflichtung eingegangen ist, die die andere Partei schlicht akzeptiert hat, und wenn beim Ge__________ 138 139 140

Vgl. statt vieler Brière, JDI 2008, 31 (39). Art. 4 bis 12 Rom II-VO bzw. Kapitel II und III der Rom II-VO. Vgl.: Cheshire, PIL, S. 778; Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Art 1 Rom II-VO Rdnr. 24–28. 141 Statt vieler Wagner, IPRax 2008, 1 (1). 142 Zum Begriff vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (1) (b) (S. 69). 143 Vgl. Lehmann, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), IntVertR, S. 17 (28–30). Dazu kritisch Zoll, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I, S. 17 (22 f.). 144 Vgl. statt aller Junker, NJW 2007, 3675 (3676). Kritisch zu dieser Dichotomie etwa Lagarde, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 201 (203). 145 So etwa Mankowski, IPRax 2003, 127 (131). 146 Vgl. Lehmann, a.a.O. (Fn. 143) (23) m.w.Nachw. (Fn. 25). 147 Vorsichtiger Lehmann, a.a.O. (Fn. 143) (24). A. M. zur Rom I-VO: Brödermann/ Rosengarten, IPR/IZVR, Rdnr. 70; PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 1 Rdnr. 5.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

samtsachverhalt die Parteiautonomie sowie die charakteristische Leistung im Vordergrund stehen.148 Also sind alle Schuldverhältnisse, die allein auf gesetzliche Anordnung zurückgehen, als „außervertraglich“ anzusehen.149 Dem gerade erarbeiteten Begriffsverständnis kann man auch nicht mehr entgegenhalten, dass es zu eng sei.150 Damit ist die erste „Schnittstelle“ im europäischen IPR präzisiert worden. b) Sonstige Schnittstellen Die ersten beiden Rom-Verordnungen haben darüber hinaus mit anderen (geplanten) Verordnungen Berührungspunkte. Letztere findet man in Art. 1 Abs. 2 lit. b) und c) Rom I-VO bzw. Art. 1 Abs. 2 lit. a) und b) Rom IIVO. Sobald die in Aussicht stehenden Verordnungen zum Internationalen Familien- und Erbrecht erlassen werden und soweit sie „räumlich umfassend“151 sind, sollten ihre „Schnittstellen“ mit den ersten beiden RomVerordnungen durch autonome Auslegung in ähnlicher Weise konkretisiert werden wie beim Vertragsbegriff.

III. Räumlicher Anwendungsbereich und Universalität Nicht nur zum sachlichen Anwendungsbereich des unionsrechtlichen IPR lassen sich im jetzigen Stand der Integration verallgemeinernde Aussagen treffen,152 sondern auch zum räumlichen Anwendungsbereich und zur Universalität. 1) Ausgangspunkt: Kompetenzgrundlage der EU Sowohl für die räumliche als auch für die universelle Anwendung sind die ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV bzw. Art. 67 Abs. 4, 81 Abs. 2 lit. c) AEUV von besonderer Bedeutung, weil die EU sie als Kompetenzgrundlage zur IPR-Vereinheitlichung herangezogen hat bzw. noch heranziehen wird.

__________ 148 149

Enger Reiher, Vertragsbegriff, S. 151–156. Vgl. HK-BGB/Dörner, Art. 2 Rom II-VO Rdnr. 2. Ähnl.: Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 2; Thorn, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 139 (144). 150 So zum unmodifizierten Vertragsbegriff der Brüssel I-VO etwa Leible, IPRax 2006, 365 (366). 151 S. dazu Kap. 1 § 1 I (S. 8). 152 Dazu näher Kap. 2 § 1 II 1) bis 2) (S. 108 ff.).

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a) Kompetenzgrundlage und räumlicher Anwendungsbereich Die Wahl der ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV als Kompetenzgrundlage hat wichtige Auswirkungen auf den räumlichen Anwendungsbereich einer Verordnung.153 Nach ex-Art. 69 EGV haben Dänemark, das Vereinigte Königreich und Irland insoweit eine Sonderstellung inne. Rechtsakte, die auf der Grundlage der ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV verabschiedet werden, sind nach ex-Art. 69 EGV in Verbindung mit dem Protokoll (Nr. 5) über die Position Dänemarks154 für Dänemark nicht bindend oder anwendbar. Demgegenüber haben das Vereinigte Königreich und Irland nach exArt. 69 EGV in Verbindung mit dem Protokoll Nr. 4 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands155 die Möglichkeit, an den Maßnahmen teilzuhaben, die auf der Basis ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV erlassen worden sind. An der im vorigen Absatz erörterten Rechtslage hat sich auch nach dem Vertrag von Lissabon nichts geändert. Eine Ermächtigungsgrundlage, die ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV im Wesentlichen entspricht, findet sich nunmehr in Art. 67 Abs. 4, 81 Abs. 2 lit. c) AEUV. Die zuvor ausgeführten Besonderheiten für das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark folgen aus Art. 51 EUV in Verbindung mit den Protokollen Nr. 21156 und Nr. 22157. Das heißt, das europäische IPR ist für Dänemark nicht bindend oder anwendbar und für das Vereinigte Königreich und Irland nur, wenn und soweit sie ihre Teilnahme daran erklärt haben. Darüber hat schon im Rahmen der ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV Einigkeit bestanden.158 Anders sieht es bei der Beantwortung der Frage aus, ob und inwieweit die ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV zur Regelung von Drittstaatensachverhalten ermächtigen.159 In ex-Art. 65 EGV heißt es, dass die EU nur zum Erlass von Maßnahmen berechtigt ist, soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes „erforderlich“ sind. Dieses Merkmal hat __________ 153 Zur Rom I-VO vgl. statt vieler Heiss, JBl 2006, 750 (751). Zur Rom II-VO vgl. statt vieler Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (616). 154 Protokoll (Nr. 5) über die Position Dänemarks (1997), ABl. EU Nr. C 321 E vom 29.12.2006, S. 201 f. (im Folgenden: Protokoll Nr. 5). 155 Protokoll (Nr. 4) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands (1997), ABl. EU Nr. C 321 E vom 29.12.2006, S. 198–200 (im Folgenden: Protokoll Nr. 4). 156 Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. EU Nr. C 115 vom 9.5.2008, S. 295–298 (im Folgenden: Protokoll Nr. 21). 157 Protokoll (Nr. 22) über die Position Dänemarks, ABl. EU Nr. C 115 vom 9.5.2008, S. 299–301 (im Folgenden: Protokoll Nr. 22). 158 Vgl. statt aller Basedow, CMLR 37 (2000), 687 (695 f.). 159 Vgl. MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 151 m.w.Nachw. (Fn. 504).

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

schon kurz nach Inkrafttreten des ex-Art. 65 EGV einen Streit darüber entfacht, ob und inwieweit er zur Normierung von Drittstaatensachverhalten berechtigt.160 Inzwischen sind die unionsrechtlichen Kompetenzen zur IPR-Vereinheitlichung eingehend erforscht;161 und das überwiegende Schrifttum ist zu Recht162 der Ansicht, dass ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV eine Ermächtigungsgrundlage für die EU enthalten, Binnenmarktund Drittstaatensachverhalte zu regeln.163 Dass die EU-Kompetenz zur IPR-Vereinheitlichung neben Binnenmarkt- auch Drittstaatensachverhalte umfasst, muss erst recht nach Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags gelten.164 Denn das Erforderlichkeitsmerkmal des ex-Art. 65 EGV, an dem sich der Streit über die Reichweite der Ermächtiungsgrundlage entzündet hat, ist in Art. 81 Abs. 2 AEUV nur noch ein Regelbeispiel („insbesondere“).165 b) Kompetenzgrundlage und Universalität Die oben ausgeführte Kompetenzfrage wird im Schrifttum üblicherweise im Rahmen derjenigen zu Art. 2 Rom I-VO, 3 Rom II-VO behandelt.166 Diese Regelungen bestimmen im Zusammenhang mit Drittstaatensachverhalten ausdrücklich, dass die Kollisionsnormen beider Verordnungen auch Drittstaatenrecht zur Anwendung berufen können (Universalität). Allerdings kommen Art. 2 Rom I-VO, 3 Rom II-VO nur zur Anwendung, soweit der räumliche Anwendungsbereich der Rom I- bzw. Rom II-VO eröffnet ist. Insofern handelt es sich bei der Frage, ob die Art. 67 Abs. 4, 81 Abs. 2 lit. c) AEUV (ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV) auch Verweisungen auf Drittstaatenrecht zulassen, um eine Folgefrage zum räumlichen Anwendungsbereich.167 Um sie zu beantworten, kann man die kompetenzrechtlichen Argumente übertragen, die im Rahmen des räumlichen Anwendungsbereiches gebracht werden.168 Also gestatten Art. 67 Abs. 4, 81 __________ 160 161

Vgl. Leible/Staudinger, EuLF 2000/01, 225 (230) m.w.Nachw. (Fn. 47). Dazu umfassend Dohrn, Kompetenzen, 2004, zur Regelung von Drittstaatensachverhalten vgl. S. 113–128. 162 Zur Argumentation vgl. Dohrn, ebda. S. 124–128 mit umfangreichen Nachweisen (Fn. 252–264). 163 Vgl. Leible, Rom I und Rom II, S. 24 m.w.Nachw. (Fn. 71). 164 Zur Neuregelung der Rechtsetzungskompetenzen in Art. 81 AEUV vgl. statt aller Roth, EWS 2011, 314 (317–320). 165 Ähnl. Dutta, EuZW 2010, 530 (531) m.w.Nachw. (Fn. 2). 166 S. dazu exemplarisch Wagner, IPRax 2008, 1 (4). 167 Ebenso im Ergebnis zu ex-Art. 61, 65 EGV Wagner, RabelsZ 68 (2004), 119 (139 f.). 168 Ebenso im Ergebnis etwa Wagner, ebda. (147). Zur kompetenzrechtlichen Argumentation im Rahmen des räumlichen Anwendungsbereiches vgl. Dohrn, a.a.O. (Fn. 162).

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Abs. 2 lit. c) AEUV (ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV) der EU, Kollisionsnormen zu erlassen, die auf Drittstaatenrecht verweisen.169 2) Räumlicher Anwendungsbereich Damit es überhaupt zu einer Verweisung kommen kann, muss, wie gesagt, der räumliche Anwendungsbereich eröffnet sein. Bei ihm sind folgende Prinzipien zu beachten: Ein erster (verordnungsübergeifender) Grundsatz ergibt sich aus Art. 51 EUV in Verbindung mit dem Protokoll Nr. 22 (ex-Art. 69 EGV in Verbindung mit dem Protokoll Nr. 5). Danach ist das europäische IPR für Dänemark nicht bindend oder anwendbar.170 Das wird auch in Art. 1 Abs. 4 Rom I-VO bzw. Rom II-VO und den Erwägungsgründen171 deutlich. Das zweite (verordnungsübergreifende) Prinzip folgt ebenfalls aus dem Primärrecht, ist aber nur eine Arbeitsanweisung. Das Vereinigte Königreich und Irland haben nach den Verträgen172 die Möglichkeit eines „optin“. Das heißt, für jede Verordnung muss gesondert ermittelt werden, ob sie für diese Staaten bindend oder anwendbar ist. Diese Frage ist sowohl bei der Rom I-VO als auch bei der Rom II-VO zu bejahen.173 Die Grundsätze zur Anwendbarkeit des europäischen IPR im Hinblick auf Dänemark, das Vereinigte Königreich und Irland lassen sich bereits aus dem Primärrecht174, also aus der inneren vertikalen Systematik ableiten. Daher ist eine ausdrückliche Regelung in einem künftigen Allgemeinen Teil des unionsrechtlichen Kollisionsrechts entbehrlich. Anders sieht es bei der räumlichen Anwendbarkeit für Drittstaatensachverhalte aus. Insoweit sollte wie in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO durch die Formulierung „Staaten“175 klargestellt werden, dass das unionsrechtliche IPR auch für (reine) Drittstaatensachverhalte gilt.176 __________ 169 170

So zu ex-Art. 65 EGV Sujecki, EWS 2009, 310 (312) m.w.Nachw. (Fn. 29–31). Im Ergebnis allgemeine Auffassung, vgl.: für die Rom I-VO statt aller Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (622 f.); für die Rom II-VO statt aller Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.288. Unklar ist die Behandlung Dänemarks im Rahmen des räumlichen Anwendungsbereiches; zur Rom I-VO vgl. statt aller Martiny, RIW 2009, 737 (738–740); zur Rom II-VO vgl. statt aller Staudinger, in: FS Kropholler, S. 691 (692–694). 171 Vgl.: Erwägungsgrund 46 der Rom I-VO; Erwägungsgrund 40 der Rom II-VO. 172 Vgl. Art. 51 EUV in Verbindung mit dem Protokoll Nr. 21 (ex-Art. 69 EGV in Verbindung mit dem Protokoll Nr. 4). 173 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1 (9). Zur Rom II-VO vgl. statt aller Sujecki, a.a.O. (Fn. 169) (312). 174 Vgl. Art. 51 EUV in Verbindung mit den Protokollen Nr. 21 und 22 (ex-Art. 69 EGV in Verbindung mit den Protokollen Nr. 4 und 5). 175 In der englischen, französischen und spanischen Sprachfassung wird die räumliche Anwendbarkeit für Drittstaatensachverhalte durch die Formulierungen „a conflict of

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

3) Universalität Die Universalität ist eng mit der räumlichen Anwendbarkeit verwandt.177 Erstere folgt nicht nur aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO („Staaten“ und nicht „Mitgliedstaaten“)178, sondern auch aus Art. 2 Rom I-VO bzw. Art. 3 Rom II-VO.179 Damit ist klargestellt, dass die Kollisionsnormen der ersten beiden Rom-Verordnungen auch Drittstaatenrecht zur Anwendung bringen können.180 Aufgrund der schwierigen Abgrenzung zwischen Binnenmarkt- und Drittstaatensachverhalten ist davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber den Grundsatz der Universalität künftig beibehalten wird. Daher lässt er sich bereits jetzt als verordnungsübergreifendes Prinzip festhalten. 4) Folgerungen Will man die Aspekte der räumlichen Anwendbarkeit und der Universalität normativ für einen AT des europäischen IPR ausgestalten, ergeben sich Unterschiede. Der räumliche Anwendungsbereich folgt bereits aus dem Primärrecht, so dass seine ausdrückliche Regelung im IPR AT entbehrlich ist. Dagegen sollte die Maßgeblichkeit für Drittstaatensachverhalte explizit dadurch getroffen werden, dass man bei der Normierung des Anwendungsbereiches die Formulierung „Staaten“ wählt. Für die Universalität sollte eine Regelung geschaffen werden, die Art. 2 Rom I-VO, Art. 3 Rom II-VO entspricht. Sie könnte beispielsweise lauten: „Universelle Anwendung Das durch das europäische Kollisionsrecht berufene Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist.“

IV. Zeitlicher Anwendungsbereich Um Grundsätze zum zeitlichen Anwendungsbereich des europäischen IPR zu entwickeln, muss man stärker abstrahieren als in sachlicher und räumli-

__________ laws“, „un conflit de lois“ und „un conflicto de leyes“ zum Ausdruck gebracht, die nicht auf „Member States“, „États membres“ und „Estados miembros“ beschränkt werden. 176 Näher zum Anwendungsanspruch der Rom I-VO auf Drittstaatensachverhalte Rüßmann/Spohnheimer, in: FS Europa-Institut, S. 477 (478–484). 177 Zur Rom I-VO vgl. Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529). Zur Rom II-VO vgl. dies., RIW 2007, 721 (724). 178 Vgl. Fn. 175. 179 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Heiss, JBl 2006, 750 (751). Zur Rom II-VO vgl. Sujecki, EWS 2009, 310 (312) m.w.Nachw. (Fn. 27). 180 Allgemeine Auffassung; vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (188).

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cher Hinsicht,181 weil Art. 28 f. Rom I-VO und Art. 31 f. Rom II-VO in ihrer Formulierung überwiegend voneinander abweichen. 1) Verordnungsübergreifende Grundsätze Die Rom I-VO ist nach Art. 28 f. mit Ausnahme ihres Art. 26 zeitlich anwendbar, wenn der betreffende Vertrag am oder nach dem 17.12.2009 geschlossen worden ist.182 Der zeitliche Anwendungsbereich der Rom II-VO ist gem. ihrer Art. 31, 32 – abgesehen von Art. 29 Rom II-VO – eröffnet, wenn das schadensbegründende Ereignis am oder nach dem 11.01.2009 eintritt.183 Damit haben die ersten beiden Rom-Verordnungen gemeinsam, dass sie auf den Zeitpunkt abstellen, in dem das Schuldverhältnis begründet wird. Demnach könnte eine Metaregel wie folgt aussehen: „Das europäische Kollisionsrecht ist zeitlich anwendbar, wenn das Ereignis, das das Schuldverhältnis begründet, nach dem Zeitpunkt der Gültigkeit der jeweiligen Verordnung eintritt.“

a) Das Schuldverhältnis begründende Ereignis Diese Metaregel muss aber – genau wie ihre Grundlagen in Art. 28 f. Rom I-VO und Art. 31 f. Rom II-VO – noch weiter präzisiert werden. Denn das Schuldverhältnis begründende Ereignis kann die haftungsrelevante Handlung oder aber der vom Schuldverhältnis vorausgesetzte Erfolg sein. Das heißt, es muss im Rahmen des Art. 28 Rom I-VO geklärt werden, ob auf den Zeitpunkt des Konsens184 zwischen den Parteien oder aber auf die Wirksamkeit des Vertragsschlusses abzustellen ist. Eine ähnliche Frage muss man bei Art. 31 Rom II-VO beantworten: Ist die schadensbegründende Handlung185 oder der den Schaden verursachende Erfolg186 für die zeitliche Anwendbarkeit der Rom II-VO ausschlaggebend? __________ 181 182

Zu den bereits entwickelten Grundsätzen s. Kap. 2 § 1 II und III (S. 108 ff.). Vgl. dazu u. a.: Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1 (1); Martiny, ZEuP 2010, 747 (754). 183 EuGH, Rs. 412/10 – Homawoo, NJW 2012, 441. Dazu statt vieler Illmer, GPR 2012, 82–84. Zur überwiegenden Auffassung im Schrifttum vgl. Glöckner, IPRax 2009, 121 (122), m.w.Nachw. (Fn. 10); zur Gegenansicht s. die Nachweise bei Bücken, IPRax 2009, 125 (125) in Fn. 9. 184 So: Magnus, IPRax 2010, 27 (32); Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 28 Rdnr. 2; Schulze, in: Ferrari u. a. (Hrsg.), InternVertR, Art. 28 Rom I-VO Rdnr. 2. 185 So u. a.: Bücken, a.a.O. (Fn. 183) (125); Calvo Caravaca/Carrascosa González, Roma II, Rdnr. 50; Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (81); Erman/Hohloch, Band II, Art. 40 EGBGB Rdnr. 9; v. Hein, ZEuP 2009, 6 (11); Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 (22); dies., IPRax 2010, 1 (24); MünchKomm/Junker, Art. 31, 32 Rom II-VO Rdnr. 6 f.; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 31, 32 Rdnr. 1; PWW/Schaub, Rom II Art. 32

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

Der Wortlaut von Art. 28 Rom I-VO legt ein Abstellen auf die Willenseinigung nahe. Denn in ihm ist von „geschlossenen Verträgen“187 und nicht von „wirksam geschlossenen Verträgen“188 die Rede. Auch bei Art. 31 Rom II-VO ist der Wortlaut sehr aufschlussreich. Er umschreibt das maßgebliche Verhalten mit der Wendung „schadensbegründende Ereignisse“189. Die gleiche Formulierung wird in Art. 4 Abs. 1 und 7 Rom II-VO verwandt, wo sie der Anknüpfung an den Schadenseintrittsort (Erfolgsort) gegenübersteht.190 Also spricht die grammatikalisch-systematische Auslegung des Art. 31 Rom II-VO dafür, auf die Schuldverhältnis begründende Handlung abzustellen. Im Rahmen der teleologischen Auslegung der Rom II-VO lässt sich die Steuerungsfunktion des Deliktsrechts anführen, um das Abstellen auf die deliktische Handlung zu rechtfertigen.191 Außerdem sprechen die Zwecke der ersten beiden Rom-Verordnungen dafür, die Schuldverhältnis begründende Handlung für maßgeblich zu erachten. Sie bestehen in Transparenz, Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit des anwendbaren Rechts.192 Aus Sicht der Betroffenen ist der Konsens bei einem Vertragsschluss und die schädigende Handlung bei einem außervertraglichen Schuldverhältnis sicherer, voraussehbarer und transparenter als die Wirksamkeit bzw. als der schädigende Erfolg. Im vertraglichen Schuldrecht kann die Vertragswirksamkeit beispielsweise vom Verhalten einer Vertragspartei abhängen. Ob und wann sie dieses Verhalten veranlasst, ist für die andere Vertragspartei nicht oder nur schlecht abzusehen. Vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse können auf sachrechtlicher Ebene aber nicht nur durch eine Handlung im Sinne eines positiven Tuns entstehen, sondern auch durch ein Unterlassen. Diesem Umstand trägt die Rom II-VO in ihrem Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 Rechnung. Man __________ Rdnr. 1; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 31, 32 Rom II-VO Rdnr. 1; Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 38 Rdnr. 115; Sujecki, EWS 2009, 310 (313); Wagner, IPRax 2008, 1 (17); Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPKBGB, Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 53. 186 So wohl Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (724) („maßgeblicher Ersterfolg“). 187 „Contracts concluded“, „contrats conclus“, „contratos celebrados“. 188 „Contracts validly concluded“, „contrats validement conclus“, „contratos válidamente celebrados“. 189 „Events giving rise to damage“, „faits générateurs de dommages“, „hechos generadores de daño“. 190 Ebenfalls mit einem Textvergleich zwischen Art. 31 Rom II-VO und Art. 4 Abs. 1, 7 Rom II-VO argumentierend: Bücken, IPRax 2009, 121 (125) in Fn. 6; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 31, 32 Rdnr. 1. Ähnl. Wagner, IPRax 2008, 1 (17). 191 So Wagner, ebda. 192 Dazu statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178).

§ 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR

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sollte also nicht von der haftungsrelevanten Handlung, sondern vom Schuldverhältnis begründenden Verhalten sprechen.193 Im Ergebnis muss die Metaregel wie folgt modifiziert werden: „Das europäische Kollisionsrecht ist zeitlich anwendbar, wenn das Verhalten, das das Schuldverhältnis begründet, nach dem Zeitpunkt der Gültigkeit der jeweiligen Verordnung veranlasst wird.“

Bei einem vertraglichen Schuldverhältnis ist damit die Einigung gemeint, bei einem außervertraglichen das schadensbegründende Tun oder Unterlassen. b) Berücksichtigung von Dauerschuldverhältnissen Die Metaregel zur zeitlichen Anwendung des europäischen Kollisionsrechts muss mit Blick auf Dauerschuldverhältnisse noch näher bestimmt werden. Denn bei ihnen muss man im vertraglichen194 wie auch im außervertraglichen195 Bereich die Frage beantworten, worauf man beim Schuldverhältnis begründenden Verhalten im Sinne der Art. 28 Rom I-VO, 31 Rom II-VO abstellen sollte. Zum einen könnte man dessen erstmaligen Eintritt196 als ausschlaggebend ansehen.197 Zum anderen könnte man aber auch erwägen, die Rom I- bzw. Rom II-VO nur auf Dauerschuldverhältnisse anzuwenden, wenn zum Zeitpunkt des jeweiligen Stichtages kein „abgeschlossener Vorgang“ vorliegt.198 Der Wortlaut der Art. 28 Rom I-VO, 31 Rom II-VO stellt auf das Zustandekommen des Konsenses bzw. auf das schadensbegründende Tun oder Unterlassen ab.199 Er lässt damit ein Abstellen auf den erstmaligen Eintritt des Schuldverhältnis begründenden Verhaltens zu. Demgegenüber __________ 193 Ähnl. HK-BGB/Dörner, Art. 32 Rom II-VO Rdnr. 2 („Vorgang“, der „das gesetzliche Schuldverhältnis auslöst“). 194 Beispiele: Mietvertrag, Arbeitsvertrag (entlehnt aus Martiny, ZEuP 2006, 60 (67)). 195 Beispiel: Immissionsschäden (entlehnt aus Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (724)). 196 Beispiele: bei Miet- oder Arbeitsverträgen das erstmalige Vorliegen des vertragsrelevanten Konsenses, bei Immissionsschäden der erstmalige Eintritt ihrer Ursache. 197 So zu Art. 28 Rom I-VO etwa: Nordmeier, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 37 Rdnr. 153; Staudinger/Magnus, Art 28 Rom I-VO Rdnr. 7; Thode, NZBau 2011, 449 (451). Hiervon ebenfalls (unausgesprochen) ausgehend etwa Kindler, Einführung, S. 9. Ebenso zu Art. 31 Rom II-VO u. a.: MünchKomm/Junker, Art. 31, 32 Rom IIVO Rdnr. 10; Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 38 Rdnr. 115. A. M.: BaRo-III/Spickhoff, Art 31, 32 Rom II-VO Rdnr. 5; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 31, 32 Rom II-VO Rdnr. 2. 198 Zum autonomen deutschen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse vgl. etwa BaRo-III/Spickhoff, ebda. Rdnr. 1 unter Verweis auf Art 40 EGBGB Rdnr. 64 („Art. 220 Abs 1, 236 § 1 EGBGB entspr“). 199 Vgl. Kap. 2 § 1 IV 1) a) (S. 131 ff.).

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

differenziert er nicht zwischen „offenen“ und „abgeschlossenen“ Tatbeständen. Für eine solche Unterscheidung hält er gar keine Anhaltspunkte bereit. Auch die Zwecke der ersten beiden Rom-Verordnungen sprechen eher gegen eine Differenzierung nach „offenen“ und „abgeschlossenen Vorgängen“. Die Rom I- und Rom II-VO zielen auf Rechtssicherheit, Transparenz und Voraussehbarkeit.200 Unterscheidet man bei Art. 28 Rom I-VO, 31 Rom II-VO zwischen offenen und geschlossenen Vorgängen, treten neue Abgrenzungsschwierigkeiten auf, die der Rechtssicherheit abträglich sind. Solche Probleme werden hingegen von vorneherein vermieden, wenn man auf den erstmaligen Eintritt des Schuldverhältnis begründenden Verhaltens abstellt. Folglich sprechen die besseren grammatikalischen und teleologischen Argumente dafür, grundsätzlich auf den erstmaligen Eintritt des Schuldverhältnis begründenden Verhaltens abzustellen. 2) Verordnungsspezifische Grundsätze Neben verordnungsübergreifenden Grundsätzen201 beinhalten die zeitlichen Anwendungsbereiche der Rom I-VO und Rom II-VO auch verordnungsspezifische Prinzipien. a) Maßgeblicher Zeitpunkt bei der Rom I-VO Die Rom I-VO ist gem. ihrer Art. 28 f. mit Ausnahme von Art. 26 Rom I-VO auf alle Verträge zeitlich anwendbar, die am oder nach dem 17.12.2009 geschlossen worden sind.202 Art. 28 Rom I-VO stellt also auf den „Vertragsschluss“ und damit auf einen normativen Zeitpunkt ab. Dies wirft die Frage auf, nach welchem Recht zu bestimmen ist, ob und wann ein Vertrag geschlossen worden ist. Zu ihrer Beantwortung hat das Schrifttum bisher vier Vorschläge unterbreitet. Zunächst will man auf die lex fori zurückgreifen.203 Andere lehnen dies ab und bevorzugen einen Rekurs auf die Rechtsordnung, die nach dem IPR maßgeblich war, das bis zum Inkrafttreten der Rom I-VO anwendbar gewesen ist.204 Wieder andere wollen nicht die „alte“, sondern die „neue“ lex causae heranziehen. Sie wollen also die Frage, ob ein Vertrag ge__________ 200 201 202 203 204

Zu diesen Zielen vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178). S. Kap. 2 § 1 IV 1) a) und b) (S. 131 ff.). Dazu statt aller Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1 (9). Vgl. dazu die Nachweise bei Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531) Fn. 40. So Leible/Lehmann, ebda. (531). Ihnen folgend: Martiny, RIW 2009, 737 (752); MünchKomm/Martiny, Art. 28 Rom I-VO Rdnr. 3; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 79.

§ 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR

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schlossen worden ist oder nicht, nach dem Sachrecht beantworten, das nach der Rom I-VO anzuwenden ist.205 Schließlich möchten wieder andere den Begriff des Vertragsschlusses autonom bestimmen und diesen Maßstab anlegen, um festzustellen, ob im zu beurteilenden Sachverhalt ein Vertrag geschlossen worden ist.206 Bei genauerem Hinsehen wird eines deutlich: Ob ein Vertrag geschlossen wurde oder nicht, ist nichts anderes als die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses, die von einer intertemporalen Kollisionsnorm aufgeworfen wird. Wie man diese kollisionsrechtliche Vorfrage bzw. Erstfrage207 im europäischen IPR lösen sollte, wird an späterer Stelle208 erörtert. So viel kann man aber bereits vorwegnehmen: Jede der genannten Lösungen hat „ein bisschen“ Recht. b) Maßgeblicher Zeitpunkt bei der Rom II-VO Die Rom II-VO ist gem. ihrer Art. 31 f. – abgesehen von Art. 26 Rom IIVO – zeitlich anwendbar, wenn das schadensbegründende Ereignis am oder nach dem 11.01.2009 eintritt.209 Wie bereits erläutert,210 ist das schadensbegründende Verhalten maßgeblich und nicht der Erfolgseintritt. Aus Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 lit. a) Rom II-VO ergibt sich wiederum, dass die Rom II-VO auch Schuldverhältnisse umfasst, deren Entstehen bloß wahrscheinlich ist. Bei ihnen könnte der Zeitpunkt maßgeblich sein, in dem die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses erstmalig bestand.211 Dann wäre die Rom II-VO auf Schuldverhältnisse, deren Entstehen bloß wahrscheinlich ist, zeitlich nicht anwendbar, wenn die Wahrscheinlichkeit der Schadensursache vor Inkraftreten der Verordnung __________ 205 So: Magnus, IPRax 2010, 27 (32); Nordmeier, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 37 Rdnr. 154; Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (622); Schulze, in: Ferrari u. a. (Hrsg.), InternVertR, Art. 28 Rom I-VO Rdnr. 2; Staudinger/Magnus, Art 28 Rom I-VO Rdnr. 8; Staudinger/Steinrötter, JA 2011, 241 (242). 206 So: BaRo-III/Spickhoff, Art 28 Rom I-VO Rdnr. 2; Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 28 Rdnr. 2; PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 28 Rdnr. 2. 207 Zum deutschen Begriffsverständnis vgl. statt aller Kropholler, IPR, § 18 II. 208 Dazu näher Kap. 3 § 2 III 2) c) (S. 224 f.). 209 EuGH, Rs. 412/10 – Homawoo, NJW 2012, 441. Dazu statt vieler Illmer, GPR 2012, 82–84. Zur überwiegenden Auffassung im Schrifttum vgl. Glöckner, IPRax 2009, 121 (122), m.w.Nachw. (Fn. 10); zur Gegenansicht s. die Nachweise bei Bücken, IPRax 2009, 125 (125) in Fn. 9. 210 S. Kap. 2 § 1 IV 1) a) (S. 131 ff.). 211 So Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (618). Ihnen folgend: v. Hein, ZEuP 2009, 6 (11 f.); Sujecki, EWS 2009, 310 (313); MünchKomm/Junker, Art. 31, 32 Rom II-VO Rdnr. 12. Offen gelassen aber von Ofner, ZfRV 2008, 13 (15). Im Ergebnis ebenfalls offen gelassen bei Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 31, 32 Rdnr. 1.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

gegeben war.212 Umgekehrt wäre sie bei nachträglicher Erhöhung dieser Wahrscheinlichkeit (Gefahrerhöhung) zeitlich anwendbar.213 Darüber hinaus wird ein anderer Vorschlag unterbreitet, woran man bei Schuldverhältnissen, deren Entstehen wahrscheinlich ist, anknüpfen sollte. Danach ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem ein Handeln erforderlich gewesen wäre.214 Nach dem Wortlaut des Art. 31 Rom II-VO ist das „schadensbegründende Ereignis“ maßgeblich. Für die Auslegung dieses Begriffspaares ist eine Zusammenschau des Art. 31 Rom II-VO mit Art. 2 Abs. 2 und 3 lit. a) Rom II-VO sehr aufschlussreich. Art. 2 Abs. 2 Rom II-VO spricht von „Schuldverhältnissen, deren Entstehen wahrscheinlich ist“215. Das heißt, das Abstellen auf eine Wahrscheinlichkeit lässt sich am Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 Rom II-VO festmachen, die Maßgeblichkeit der erforderlichen Handlung hingegen nicht. Noch enger wird die Interpretation des Begriffs „schadensbegründende Ereignisse“ in Art. 31 Rom II-VO, wenn man auf Art. 2 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO blickt. In ihm ist von „schadensbegründenden Ereignissen, deren Eintritt wahrscheinlich ist,“216 die Rede. Diese Formulierung legt es nahe, auf eine Wahrscheinlichkeit abzustellen und sie auf das Schulderverhältnis begründende Verhalten zu beziehen. Aus Art. 2 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO kann man des Weiteren ableiten, dass es auf das erstmalige Bestehen der „Verhaltenseintrittswahrscheinlichkeit“ ankommen sollte. Denn Art. 2 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO normiert die Idee einer Gleichbehandlung von schadensbegründenden Ereignissen, die tatsächlich eintreten, und solchen, deren Eintritt bloß wahrscheinlich ist. Wie bereits erörtert,217 gilt für schadensbegründende Ereignisse bei Dauerschuldverhältnissen, dass das erste haftungsrelevante Verhalten maßgeblich ist. Hierzu erreicht man für Schuldverhältnisse, deren Eintritt bloß wahrscheinlich ist, eine Parallele und damit eine Gleichbehandlung, wenn man auf das erstmalige Bestehen der Wahrscheinlichkeit abstellt.

__________ 212 213

Statt vieler Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (618). Heiss/Loacker, ebda. Kritisch MünchKomm/Junker, Art. 31, 32 Rom II-VO Rdnr. 12 in Fn. 20. 214 So: HK-BGB/Dörner, Art. 32 Rom II-VO Rdnr. 2; PWW/Schaub, Rom II Art. 32 Rdnr. 1. 215 „Obligations that are likely to arise“, „obligations susceptibles de survenir“, „obligación extracontractual que pueda surgir“. 216 „Events giving rise to damage that are likely to occur“, „fait générateur du dommage susceptible de se produire“, „hechos que puedan producirse que den lugar a cualquier daño“. 217 Vgl. Kap. 2 § 1 IV 1) b) (S. 133 f.).

§ 1 Anwendungsbereich des europäischen IPR

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Dieses Ergebnis der systematischen Auslegung wird auch von den allgemeinen Zielrichtungen der Rom II-VO getragen.218 Das Abstellen auf die erstmalige „Verhaltenseintrittswahrscheinlichkeit“ ist sicherer und voraussehbarer als die Anknüpfung an das erforderliche Handeln. Denn Wahrscheinlichkeiten sind messbar, die Antwort auf die Frage, wann eine Handlung geboten ist, hingegen nicht. Sie lässt Raum für Diskussionen über den Inhalt des Erforderlichkeitskriteriums und bereitet somit neuen Streitfragen den Weg. Im Ergebnis sprechen die besseren systematischen und teleologischen Gründe dafür, auf die „Verhaltenseintrittswahrscheinlichkeit“ abzustellen. Das heißt, die Rom II-VO ist auf Schuldverhältnisse, deren Entstehen wahrscheinlich ist, zeitlich unanwendbar, wenn die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des schadensbegründenden Verhaltens vor Inkraftreten der Verordnung bereits bestand. Bei nachträglicher Gefahrerhöhung ist die Rom II-VO zeitlich lediglich anwendbar, sofern eine Vergrößerung der „Verhaltenseintrittswahrscheinlichkeit“ konkret messbar ist. 3) Folgerungen Wenn man die gewonnenen Erkenntnisse in eine Regelung für einen Allgemeinen Teil des europäischen Kollisionsrechts fassen will, könnte sie wie folgt lauten: „Zeitliche Anwendung des europäischen Kollisionsrechts (1) Das europäische Kollisionsrecht ist zeitlich anwendbar, wenn das Verhalten, das das Schuldverhältnis begründet, nach dem Zeitpunkt der Gültigkeit der jeweiligen Verordnung veranlasst wird. (2) Was unter dem Schuldverhältnis begründenden Verhalten im Sinne des Absatzes 1 zu verstehen ist, ergibt sich aus der jeweiligen sachlich anwendbaren Verordnung.“

Der erste Absatz dieses Vorschlags konkretisiert die zeitlichen Anknüpfungspunkte der ersten beiden Rom-Verordnungen. Absatz 2 eröffnet die Möglichkeit, verordnungsspezifische Besonderheiten bei der zeitlichen Anwendbarkeit zu berücksichtigen.

V. Fazit (Überblick) Beim Anwendungsbereich des europäischen IPR stellt sich die Frage, ob und inwieweit auf die bestehenden Grundsätze zum unionsrechtlichen IZVR zurückgegriffen werden kann. Nach dem hier bevorzugten Ansatz muss man bei wortgleichen Formulierungen in den Anwendungsbereichen der Rom I-VO, Rom II-VO und Brüssel I-VO zunächst die einheitliche, __________ 218

(178).

Zu den Zielen der Rom II-VO vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

schon bestehende Bedeutung zugrunde legen. Ob sie übernommen werden kann und inwieweit sie zu modifizieren ist, muss jedoch stets im Wege der Auslegung entschieden werden. Der verordnungsübergreifende Anwendungsbereich des europäischen IPR umfasst sachlich Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, sofern für sie keine Bereichsausnahme gilt. Die Merkmale „Zivil- und Handelssachen“, „Schuldverhältnisse“ und „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ sind verordnungsübergreifend definiert worden. Gleiches trifft auf die komplementären Voraussetzungen „vertraglich“ und „außervertraglich“ zu. Allerdings sind nicht nur der verordnungsübergreifende Anwendungsbereich und seine zentralen Begriffe herausgearbeitet worden, sondern auch die Bereichsausnahmen. Darüber hinaus sind Vorschläge zur Regelung des sachlichen Anwendungsbereiches des unionsrechtlichen Kollisionsrechts formuliert worden. Solche Metaregelungen lassen sich auch für den räumlichen Anwendungsbereich aufstellen. Zunächst ergibt sich bereits aus dem Primärrecht219, dass das europäische IPR für Dänemark nicht bindend oder anwendbar ist und für das Vereinigte Königreich und Irland nur, wenn beide Staaten von ihrem „opt-in“ Gebrauch gemacht haben. Insoweit ist eine ausdrückliche Regelung entbehrlich. Demgegenüber sollte explizit klargestellt werden, dass das unionsrechtliche IPR auch für (reine) Drittstaatensachverhalte gilt. Das kann wie in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I- bzw. Rom IIVO durch die Wendung „Staaten“ geschehen. Für die Universalität sollte sogar eine gesonderte Regelung geschaffen werden, die inhaltlich Art. 2 Rom I-VO und Art. 3 Rom II-VO entspricht. Auch zum zeitlichen Anwendungsbereich lassen sich verordnungsübergreifende Grundsätze formulieren. So ist das europäische IPR zeitlich anwendbar, wenn das Verhalten, das das Schuldverhältnis begründet, nach der Gültigkeit der jeweiligen Verordnung eintritt. Für Dauerschuldverhältnisse ist grundsätzlich auf den erstmaligen Eintritt des schuldverhältnisbegründenden Verhaltens abzustellen, für Unterlassungsansprüche auf das erstmalige Vorliegen der Wahrscheinlichkeit des schadensbegründenden Verhaltens.

__________ 219 Vgl. Art. 51 EUV in Verbindung mit den Protokollen Nr. 21 und 22 (ex-Art. 69 EGV in Verbindung mit den Protokollen Nr. 4 und 5).

§ 2 Geltungsbereich des europäischen IPR

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§ 2 Geltungsbereich des europäischen IPR § 2 Geltungsbereich des europäischen IPR

Wenn der Anwendungsbereich des europäischen IPR eröffnet ist,220 folgt daraus nicht automatisch, dass seine Regelungen auf den zu beurteilenden Sachverhalt anzuwenden sind.

I. Begriff und Abgrenzung Der Anwendungsbereich bestimmt nur, dass die Normen einer Verordnung prinzipiell gelten. Er beschreibt damit lediglich den rechtlichen Systembereich, den die Regelungen einer Verordnung grundsätzlich erfassen. Der Anwendungsbereich beantwortet also noch nicht die Frage, ob die Vorschriften des unionsrechtlichen Kollisionsrechts im konkreten Fall anzuwenden sind und nicht durch andere Vorschriften verdrängt werden. Diese Fragestellung zählt zum Geltungsbereich. Darunter wird hier der rechtliche Systembereich verstanden, den eine Verordnung unter Ausschluss anderer prinzipiell einschlägiger Regelungsakte normiert. Damit betrifft der Geltungsbereich die Probleme der Normenkonkurrenz. Für Rechtsnormen, die sich mit der Kollision von IPR-Vorschriften befassen, ist im Schrifttum der Begriff „Meta-Kollisionsnormen bzw. -recht“221 geprägt worden. Auf unionsrechtlicher Ebene bietet sich die Bezeichnung normae antinomiae an.

II. Verhältnis zum autonomen nationalen IPR Das europäische Kollisionsrecht enthält normae antinomiae in Art. 23 bis 26 Rom I-VO und in Art. 27 bis 29 Rom II-VO. Sie lassen aber die Frage offen, in welchem Verhältnis das unionsrechtliche und autonome nationale IPR zueinander stehen. Einigkeit herrscht im Schrifttum darüber, dass das europäische gegenüber dem autonomen nationalen Kollisionsrecht Anwendungsvorrang hat.222 Letzterer ist mittlerweile unionsweit unumstritten und hat allgemein zur Folge, dass entgegenstehendes nationales Recht vom einschlägigen EURecht verdrängt wird, aber gültig bleibt.223 Übertragen auf das unionsrechtliche IPR bedeutet der Anwendungsvorrang: Soweit der sachliche, räumliche und zeitliche Anwendungsbereich __________ 220 221

S. dazu Kap. 2 § 1 I bis V (S. 106 ff.). So Basedow/Drasch, NJW 1991, 785 (787); ihnen folgend Fricke, VersR 2008, 443 (445). 222 Zur Rom I-VO Heiss, JBl 2006, 750 (752) m.w.Nachw. (Fn. 18). Zur Rom II-VO vgl. statt aller Palandt/Thorn, (IPR) Vor Rom II Rdnr. 1. 223 Vgl. statt aller Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rdnr. 32 f.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

des EU-Kollisionsrechts eröffnet ist, verdrängt es das autonome nationale IPR.224 Woraus sich der Anwendungsvorrang ergibt, wird unterschiedlich beurteilt,225 aber über seine Existenz besteht allgemeiner Konsens.226 Daher ist das Verhältnis zwischen nationalem und unionsrechtlichem IPR zu Recht ungeregelt geblieben.227

III. Verhältnis zum sonstigen unionsrechtlichen IPR Demgegenüber ist die Beziehung zwischen dem europäischen IPR und dem sonstigen unionsrechtlichen Kollisionsrecht ausdrücklich geregelt worden. Art. 23 Rom I-VO und Art. 27 Rom II-VO enthalten insoweit die Regel lex specialis derogat legi generali.228 Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO sind vielfach kritisiert worden. Erstens seien sie entbehrlich, da die lex specialis-Regel einen allgemeinen Grundsatz darstelle.229 Zweitens hätten sie ein Nebeneinander des europäischen IPR und des komplexen, auf Richtlinien beruhenden Kollisionsrechts zur Folge;230 beispielsweise könne die E-Commerce-Richtlinie Normen enthalten, die denen der Rom II-VO vorgingen.231 Insoweit bemängelt das Schrifttum, dass „alte“ Streitigkeiten zum Herkunftslandprinzip in EU-Richtlinien aktuell blieben.232 Drittens bestehe die Gefahr, dass sich die Anzahl spezifischer Kollisionsnormen außerhalb des unionsrechtlichen IPR vergrößere, wenn die EU-Institutionen nachträglich zu der Auffassung gelangten, dass es für bestimmte Rechtsfragen keine angemessenen Regelungen bereithalte und deswegen neue Verweisungsvorschriften in gesonderten Rechtsakten einzuführen seien.233 __________ 224 225

Vgl. statt vieler Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (229). Vgl. statt aller Funke, DÖV 2007, 733 (734). Eingehend zu den Begründungen Streinz, Europarecht, Rdnr. 204–218. 226 Vgl. statt aller Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rdnr. 178. 227 Ebenso im Ergebnis Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 224). 228 Vgl. Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 224) (232). Weiter gehend Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (49). 229 So zur Rom II-VO Kreuzer, ebda. (54). A. M. zur Rom I-VO MPI, RabelsZ 68 (2004), 1 (21). 230 Zur Rom I-VO vgl. PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 23 Rdnr. 2 f. Zur Rom II-VO vgl. Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (735). 231 Vgl. Leible/Lehmann, ebda. m.w.Nachw. (Fn. 159). Dazu nunmehr aber EuGH, Rs. 509/09 und 161/10 – eDate Advertising, NJW 2012, 137. 232 Zur Rom II-VO vgl. Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (617) m.w.Nachw. (Fn. 34). 233 Zur Rom II-VO vgl. Brière, JDI 2008, 31 (70). Ähnl. Leible/Lehmann, a.a.O. (Fn. 230).

§ 2 Geltungsbereich des europäischen IPR

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Ob diese Kritikpunkte gerechtfertigt sind, hängt davon ab, welchen Regelungsgehalt der Grundsatz hat, den Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO aufstellen. 1) Verordnungsübergreifende Konkurrenzregel Liest man beide Konkurrenzregeln zusammen, ergibt sich folgende Metaregel: „Soweit im Einzelfall nichts anderes geregelt ist, berührt das europäische Kollisionsrecht nicht die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts 234, die Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse in besonderen Bereichen bzw. für besondere Gegenstände enthalten.“

Der Regelungsgehalt dieser Metaregel ist im Wege der Auslegung der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO zu ermitteln. Vor der interpretatio legis communis muss jedoch festgestellt werden, ob der Inhalt der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO autonom, also aus dem Unionsrecht selbst heraus bestimmt werden muss (examinatio ante interpretationem).235 Art. 22 lit. a) des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zur Rom IVO236 und Art. 23 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zur Rom IIVO237 haben zur Begriffskonkretisierung auf Quellen verwiesen, die sich auf Unionsebene befinden. Folglich indiziert die Normgenese eine autonome Auslegung. Ein ähnliches Bild ergibt sich aus der systematischen Interpretation. Denn für die Parallelvorschriften zu Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO bestimmen Art. 26 Rom I-VO, 29 Rom II-VO, dass die Kommission eine Liste der vorrangigen „internationalen Übereinkommen“238 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Will man das Merkmal „internationale Übereinkommen“ konkretisieren, muss man also die im Amtsblatt der EU veröffentlichte Liste und damit eine unionsautonome Quelle bemühen. Im Sinne der Systemeinheit ist davon auszugehen, dass bei Art. 23 Rom I-VO, __________ 234 In einer Neufassung der Rom I- bzw. Rom II-VO wird man die Wendung „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ durch die Formulierung „Vorschriften des Unionsrechts“ ersetzen müssen, um beide Verordnungen an die Rechtslage nach dem Vertrag von Lissabon anzupassen; zu Letzterer s. Kap. 1 § 1 I (S. 7 f.). Im Folgenden wird nur noch von „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ gesprochen, wenn das Merkmal der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO wörtlich zitiert wird. Gleiches gilt für sonstige wörtliche Zitate aus den ersten beiden Rom-Verordnungen. 235 Dazu näher Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). 236 KOM(2005)650, S. 23. 237 KOM(2003)427, S. 42 f. 238 „International conventions“, „conventions internationales“, „convenios internacionales“. Im Folgenden sind mit der deutschen Wendung auch die entsprechenden Formulierungen der anderen Sprachfassungen der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO gemeint, soweit sich aus dem Kontext nichts anderes ergibt. Gleiches gilt für die in den fünf Folgefußnoten zitierten Merkmale.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

27 Rom II-VO ebenfalls auf unionsautonome Quellen zurückgegriffen werden muss. Das entspricht auch dem Zweck dieser Normen, der sich bereits im Wortlaut der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO niederschlägt. Danach soll die jeweils einschlägige Verordnung diejenigen Vorschriften des Unionsrechts unberührt lassen, die besondere Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Somit sind Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO normae antinomiae, die dazu dienen, Geltungskonflikte zwischen kollisionsrechtlichen Unionsnormen aufzulösen. Diese Konflikte gehen ausschließlich von der Unionsebene aus. Daher sollten sie auch auf ihr gelöst werden. Somit ist sowohl die Tatbestands- als auch die Rechtsfolgenseite der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO autonom auszulegen. a) Regelungsgehalt auf Tatbestandsseite Auf Tatbestandsseite bestimmen Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO, dass sowohl die konkurrierende Rechtsquelle als auch ihre konkret anwendbare Vorschrift bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. aa) Anforderungen an die konkurrierende Rechtsquelle Ausweislich des Wortlauts der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO muss es sich bei den konkurrierenden Rechtsquellen um „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“239 handeln, die „in besonderen Bereichen“240 bzw. „für besondere Gegenstände“241 „Kollisionsnormen für vertragliche/außervertragliche Schuldverhältnisse“242 enthalten. (1) „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ werden in Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO „dieser Verordnung“243 gegenübergestellt. „Diese Verordnung“ kann wiederum nur die Gesamtheit aller Regelungen der Rom I- bzw. Rom II-VO meinen. __________ 239

„Provisions of Community law“, „dispositions de droit communautaire“, „disposiciones del Derecho comunitario“. 240 „In relation to particular matters“, „dans des domaines particuliers“, „en materias concretas“; vgl. Art. 23 Rom I-VO. 241 „In relation to particular matters“, „dans des matières particulières“, „en materias concretas“; vgl. Art. 27 Rom II-VO. 242 „Conflict-of-law rules relating to contractual/non-contractual obligations“, „règlent les conflits de lois en matière d’obligations contractuelles/non contractuelles“, „regulen las normas de conflicto de leyes relativas a las obligaciones contractuales“, „regulen los conflictos de leyes relativos a las obligaciones extracontractuales“. 243 „This Regulation“, „le présent règlement“, „el presente Reglamento“.

§ 2 Geltungsbereich des europäischen IPR

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Wenn aber sämtliche Regelungen der Rom I-VO bzw. Rom II-VO von der Formulierung „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ ausgeschlossen sind, treten zwei Fragen auf: (1) Wonach richten sich die Beziehungen zwischen den einzelnen Normen innerhalb der Rom I- bzw. Rom II-VO? (2) Wie ist das Konkurrenzverhältnis zwischen der Rom I-VO und der Rom II-VO zu lösen? Die Antworten lauten: (1) Die Beziehungen einzelner Normen innerhalb der Rom I- oder Rom II-VO ist durch Auslegung244 der betreffenden Vorschriften und der damit zusammenhängenden Qualifikation245 zu lösen. (2) Das Verhältnis der ersten beiden Rom-Verordnungen zueinander ist durch Interpretation246 der Merkmale „vertraglich“/„außervertraglich“ zu bestimmen, also im Rahmen des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I- bzw. Rom II-VO.247 Nun aber zurück zur Ausgangsfrage: Was ist unter „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ im Sinne der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO zu verstehen? Nach der vorangegangenen248 grammatikalisch-systematischen Auslegung fallen sämtliche Rechtsnormen der anwendbaren Verordnung aus dem Merkmal „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ heraus. Also kann es nur primär- und sekundärrechtliche Normen außerhalb der jeweils einschlägigen Verordnung beinhalten. (a) Primärrechtliche Regelungen Zunächst muss man also die Frage beantworten, ob primärrechtliche Regelungen „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ und somit potenziell vorrangige Rechtsquellen sein können. Ob und inwiefern das Primärrecht überhaupt kollisionsrechtliche Regelungen enthält, wird sehr unterschiedlich beurteilt.249 Sollte es IPR-Normen aufstellen, dürfte über die Folge Konsens bestehen. Denn es herrscht Einigkeit darüber, dass sich aus dem Primärrecht sein Vorrang gegenüber dem Sekundärrecht ergibt.250 Das bedeutet: __________ 244 So zur Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses zwischen Vorschriften innerhalb desselben Regelungsaktes Gruber, Methoden, S. 251. 245 Dazu näher Kap. 3 § 1 (S. 170 ff.). 246 So zur Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses zwischen verschiedenen Regelungsakten desselben Regelungsgebers Gruber, a.a.O. (Fn. 244) S. 253. 247 Im Ergebnis ebenso etwa: MünchKomm/Martiny, Art. 23 Rom I-VO Rdnr. 13; Plender/Wilderspin, Obligations, Rdnr. 2-001–2-055; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR, Art 23 Rom I-VO Rdnr. 8; Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl Rom II-VO Rdnr. 6 und Art 1 Rom II-VO Rdnr. 16 f.; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 71; Sendmeyer, IPRax 2010, 500 (502 f.); Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 31. Zur Auslegung beider Merkmale s. Kap. 2 § 1 II 2) a) (S. 123 ff.). 248 S. Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (1) (S. 142 f.). 249 Dazu statt aller MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 135–145. 250 Vgl. statt aller Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rdnr. 39.

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Sollte das Primärrecht kollisionsrechtliche Normen beinhalten und sollten diese dann unter Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO fallen, haben beide Konkurrenzregeln lediglich deklaratorischen Charakter. Trotzdem wären sie nicht bedeutungslos, weil sie die Voraussetzungen des Primärrechtsvorrangs im EU-IPR präzisieren würden. Fraglich bleibt also, ob Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO primärrechtliche Regelungen umfassen. Die amtliche Überschrift der deutschen Sprachfassungen der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO könnte dazu verleiten, primärrechtliche Bestimmungen als nicht erfasst anzusehen. Denn dort ist vom „Verhältnis zu anderen Gemeinschaftsrechtsakten“ die Rede. Das Primärrecht gehört aber nicht zu den „Gemeinschaftsrechtsakten“, sondern bildet vielmehr ihre Grundlage. Dieses Missverständnis wird aber geklärt, wenn man auf die Ausgestaltung der amtlichen Überschrift in anderen Sprachfassungen blickt und sich die verschiedenen Normformulierungen vor Augen führt. In den englischen, französischen und spanischen Sprachfassungen ist die amtliche Überschrift auf „provisions of Community law“ bzw. „dispositions de droit communautaire“ bzw. „disposiciones del Derecho comunitario“ bezogen. Damit beschränkt sie sich nicht auf Sekundärrechtsakte. Gleiches gilt für die Formulierung der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO, die von „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ und nicht von „Vorschriften in Gemeinschaftsrechtsakten“ spricht. Somit umfassen Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO auch primärrechtliche Regelungen. Dieses Ergebnis wird auch durch die Vor- und Entstehungsgeschichte bestätigt. Art. 20 EVÜ, der die Vorgängerregelung zu Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO ist, hat nur „Rechtsakte der Organe der Europäischen Gemeinschaften“ oder das „in Ausführung dieser Akte harmonisierte innerstaatliche Recht“ betroffen. Damit hat sich Art. 20 EVÜ schon seiner Formulierung nach auf sekundäres Unionsrecht beschränkt. Ähnlich restriktiv ist Art. 22 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zur Rom I-VO251 verfasst gewesen, der aber nicht in die Endfassung der Rom I-VO übernommen worden ist. Demgegenüber hat sich Art. 23 Abs. 1 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zur Rom II-VO252 ausdrücklich auf Primärund Sekundärrecht bezogen. Seine Formulierung ist nunmehr entfallen und geht in „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ auf. Diese Entwicklung vom restriktiven Art. 20 EVÜ über die ursprünglichen Kommissionsvorschläge bis hin zu den extensiv formulierten Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO spricht dafür, dass sie primärrechtliche Bestimmungen umfassen. Dieser Befund steht auch mit dem Zweck der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO im Einklang. Sie sollen als normae antinomiae kollisionsrecht__________ 251 252

KOM(2005)650, S. 23. KOM(2003)427, S. 42.

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liche EU-Regelungen koordinieren.253 Soweit sich solche Normen im Primärrecht befinden, besteht für ihr Verhältnis zum europäischen IPR ein Bedürfnis nach differenzierter Koordination. Dieses Bedürfnis kann der Anwendungsvorrang allein nicht befriedigen. Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO schaffen Abhilfe, indem sie den Anwendungsvorrang präzisieren. Im Ergebnis können also auch primärrechtliche IPR-Normen, soweit sie tatsächlich existieren sollten,254 „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ im Sinne der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO darstellen.255 Allerdings wirken beide Konkurrenzregeln nur deklaratorisch, da dem Primärrecht prinzipiell Anwendungsvorrang vor dem Sekundärrecht gebührt. (b) Sekundärrechtliche Regelungen Innerhalb des Sekundärrechts herrschen hingegen keine bestimmten Vorrangverhältnisse.256 Anerkannt ist insoweit allerdings die Regel lex specialis derogat legi generali257 und ihr Ursprung258 in einem allgemeinen Rechtsgrundsatz. Teilweise wird daraus geschlossen, die Regelung der Art. 23 Rom I-VO bzw. Art. 27 Rom II-VO sei entbehrlich.259 Zuzugeben ist, dass die Spezialitätsregel ohnehin als allgemeiner Rechtsgrundsatz besteht und dass Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO daher das Verhältnis zum Sekundärrecht nur deklaratorisch regeln.260 Sie sind jedoch insofern von Bedeutung, als sie den allgemeinen Grundsatz lex specialis derogat legi generali für das europäische IPR näher ausgestalten. (aa) Verordnungen Das Merkmal „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ beinhaltet jedenfalls kollisionsrechtliche Regelungen in Verordnungen.261 Denn Letztere sind __________ 253 254

Zum Zweck der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO vgl. Kap. 2 § 2 III 1) (S. 142). Dieser Nebensatz dient nur der Klarstellung, dass hier nicht die Frage beantwortet werden soll, ob und inwiefern das Primärrecht kollisionsrechtliche Normen enthält. 255 So im Ergebnis auch zur Rom I-VO Staudinger/Magnus, Art 23 Rom I-VO Rdnr. 15. Im Ergebnis ebenso zur Rom II-VO: Huber/Illmer, Rome II, Art. 27 Rdnr. 11; MünchKomm/Junker, Art. 27 Rom II-VO Rdnr. 7; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 27 Rom II-VO Rdnr. 4. A. M. zur Rom I-VO Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 23 Rdnr. 2. 256 Vgl. statt aller Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rdnr. 24. 257 Vgl. dazu Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rdnr. 13 m.w. Nachw. (Fn. 38). 258 Vgl. statt aller Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (232). 259 So zur Rom II-VO: Kreuzer, in: Reichelt/Rechberger (Hrsg.), EKR, S. 1 (54); ders., ebda. (51). A. M. zur Rom I-VO MPI, RabelsZ 68 (2004), 1 (21). 260 Vgl. Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 258). 261 Im Ergebnis ebenso zur Rom I-VO: BaRo-III/Spickhoff, Art 23 Rom I-VO Rdnr. 3; Erman/Hohloch, Band II, Anh. II Art. 26 EGBGB: Art. 23 Rom I-VO; Kienin-

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nach Art. 288 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 2 EGV) Rechtsakte der Union, die allgemeine Geltung haben, in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Daher können andere Verordnungen ebenso unmittelbar geltende IPR-Normen enthalten wie die Rom I- bzw. die Rom II-VO und sind somit „konkurrenzfähige“ unionsrechtliche Rechtsquellen. (bb) Richtlinien? Schwieriger gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob auch Richtlinien „konkurrenzfähige“ unionsrechtliche Rechtsquellen und damit „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ im Sinne der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom IIVO sein können. Aus Art. 288 Abs. 3 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 3 EGV) lässt sich ableiten, dass Richtlinien zu den Rechtsakten der Union zählen und damit jedenfalls zum Recht der EU gehören. Somit spricht die Formulierung „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ nicht dagegen, dass Richtlinien von ihr umfasst sind. Außerdem geht Art. 23 Rom I-VO davon aus, dass die Rom I-VO in ihrem Art. 7 „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ berührt. Letzterer überführt innerhalb seines Regelungsbereiches das IPR der Versicherungsverträge auf Verordnungsebene,262 das bis dahin aus einem komplexen Zusammenspiel des EVÜ und des auf Richtlinien beruhenden nationalen IPR bestand.263 Insofern berührt Art. 7 Rom I-VO Richtlinien und das sie umsetzende nationale Recht. Wegen dieser Ausnahmeregelung zu Art. 7 Rom I-VO könnte man Art. 23 Rom I-VO dahin gehend verstehen, dass er mit „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ auch Richtlinien und deren nationale Umsetzungsvorschriften meint. Diesen Befund könnte man im Wege einer systematischen Auslegung auf Art. 27 Rom II-VO ausdehnen. Doch bereits ein Blick in die Vorgängerregelung der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO verrät, dass der erste Anschein trügt. Art. 20 EVÜ differenziert zwischen „Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaften“ und dem „in Ausführung dieser Akte harmonisierten innerstaatlichen __________ ger, in: Ferrari u. a. (Hrsg.), InternVertR, Art. 23 Rom I-VO Rdnr. 2; MünchKomm/ Martiny, Art. 23 Rom I-VO Rdnr. 9; Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 23 Rdnr. 2; Rauscher/ Thorn, EuZPR/EuIPR, Art 23 Rom I-VO Rdnr. 6; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 71; Staudinger/Magnus, Art 23 Rom I-VO Rdnr. 15. So im Ergebnis auch zur Rom II-VO: Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 27 Rom II-VO; Huber/Illmer, Rome II, Art. 27 Rdnr. 11; Ludwig, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 27 Rom II-VO Rdnr. 1; MünchKomm/Junker, Art. 27 Rom II-VO Rdnr. 7; Rauscher/Jakob/ Picht, EuZPR/EuIPR, Art 27 Rom II-VO Rdnr. 4. 262 Vgl. statt aller Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 (6 f.). 263 Dazu statt aller Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (538).

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Recht“. Also deutet schon Art. 20 EVÜ an, dass Richtlinien prinzipiell nicht in Konkurrenz zu anderen Rechtsquellen treten können,264 sondern nur die jeweiligen nationalen Umsetzungsnormen. Dies wird durch Art. 288 Abs. 3 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 3 EGV) bestätigt. Danach schaffen Richtlinien als grundsätzlich nur mittelbar geltendes Unionsrecht unmittelbar kein Recht in den Mitgliedstaaten.265 Somit können Normen aus Richtlinien nicht mit den Regelungen der Rom I- bzw. Rom II-VO in Konflikt geraten, da Richtlinien regelmäßig überhaupt kein unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltendes Recht enthalten. Im Ergebnis sind Richtlinien nicht vom Merkmal „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ umfasst.266 Folglich können sie auch nicht nach Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO vorrangig sein.267 (cc) Richtlinien umsetzendes nationales Recht? Teilweise wird vertreten, dass das Richtlinien umsetzende nationale Recht Gegenstand der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO sei und Vorrang vor dem europäischen IPR genieße.268 Dagegen spricht jedoch bereits, dass Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO ihrer Formulierung nach auf „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ beschränkt sind und damit nationale IPR-Normen nicht umfassen. Diese __________ 264 A. M. zu Art. 23 Rom I-VO Nordmeier, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 37 Rdnr. 144. 265 Vgl. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rdnr. 68 m.w.Nachw. (Fn. 208). 266 A. M. Schmidt, Jura 2011, 117 (117). A. M. zur Rom I-VO u. a.: BaRo-III/Spickhoff, Art 23 Rom I-VO Rdnr. 3; Erman/Hohloch, Band II, Anh. II Art. 26 EGBGB: Art. 23 Rom I-VO; Kieninger, in: Ferrari u. a. (Hrsg.), InternVertR, Art. 23 Rom I-VO Rdnr. 2; Magnus, IPRax 2010, 27 (32 und 39); MünchKomm/Martiny, Art. 23 Rom I-VO Rdnr. 10; Nordmeier, a.a.O. (Fn. 264); Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR, Art 23 Rom IVO Rdnr. 6; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 72; Ringe, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 23 Rom I-VO Rdnr. 7; Staudinger/Magnus, Art 23 Rom I-VO Rdnr. 15; Stone, EU PIL, S. 293 f. A. M. zur Rom II-VO etwa: Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 27 Rom II-VO; Huber/Illmer, Rome II, Art. 27 Rdnr. 11; Ludwig, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 27 Rom II-VO Rdnr. 1; MünchKomm/Junker, Art. 27 Rom II-VO Rdnr. 7; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 27 Rom II-VO Rdnr. 4. 267 Anders die wohl überwiegende Auffassung; zur Rom I-VO vgl. Martiny, RIW 2009, 737 (742) m.w.Nachw. (Fn. 64); zur Rom II-VO vgl. statt vieler PWW/Schaub, Rom II Art. 27 Rdnr. 1. 268 So zur Rom I-VO: Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531); PWW/Brödermann/ Wegen, Rom I Art. 23 Rdnr. 2; Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 34. So zur Rom II-VO: Huber/Illmer, a.a.O. (Fn. 266); MünchKomm/Junker, a.a.O. (Fn. 266) Rdnr. 8; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, a.a.O. (Fn. 266). Zur Rom II-VO in diese Richtung tendierend auch Dickinson, Rome II, Rdnr. 16.33.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

grammatikalische Auslegung wird allerdings dadurch relativiert, dass Art. 7 Rom I-VO als Ausnahme zu Art. 23 Rom I-VO Richtlinien umsetzende nationale Regelungen berührt und auf diese Weise das Merkmal „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ für Richtlinien umsetzendes nationales Recht öffnet.269 Die im vorigen Absatz erörterte Relativierung könnte man dadurch unterstützen, dass man die Klausel des Art. 20 EVÜ, die Richtlinien umsetzendem nationalen Recht Vorrang gewährt, in Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO hineinliest.270 Diese Klausel ist aber gerade nicht in die Endfassungen der ersten beiden Rom-Verordnungen übernommen worden. Daher vermag der vorgebrachte historische Schluss nicht zu überzeugen. Außerdem wird er von Erwägungsgrund 40 der Rom I-VO bzw. 35 der Rom II-VO widerlegt, deren dritte Sätze lauten: „Diese Verordnung sollte die Anwendung anderer Rechtsakte nicht ausschließen, die Bestimmungen enthalten, die zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beitragen sollen, soweit sie nicht in Verbindung mit dem Recht angewendet werden können, auf das die Regeln dieser Verordnung verweisen.“

Um festzustellen, inwieweit Binnenmarkt fördernde Rechtsakte „in Verbindung mit dem Recht angewendet werden können, auf das die Regeln dieser Verordnung verweisen“, muss man erst die Kollisionsnormen der Rom I- bzw. Rom II-VO anwenden.271 Hat man auf diese Weise das maßgebliche Sachrecht ermittelt, muss man prüfen, ob die in Frage stehenden Binnenmarkt fördernden Bestimmungen in Verbindung mit dem berufenen Sachrecht angewandt werden können.272 In diesem Zusammenhang stellt Satz 3 des Erwägungsgrundes 40 der Rom I-VO bzw. 35 der Rom II-VO klar, dass die Anwendung der Binnenmarkt fördernden Rechtsakte nicht ausgeschlossen sein sollte. Diese Klarstellung wird durch Satz 4 des Erwägungsgrundes 40 der Rom I-VO bzw. 35 der Rom II-VO wie folgt ergänzt: „Die Anwendung der Vorschriften im anzuwendenden Recht, die durch die Bestimmungen dieser Verordnung berufen wurden, sollte nicht die Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, wie sie in den Rechtsinstrumenten der Gemeinschaft […] ausgestaltet ist, beschränken.“

Das bedeutet: Gelangt man zum Ergebnis, dass die fraglichen Binnenmarkt fördernden Bestimmungen nicht in Verbindung mit dem berufenen Sachrecht anwendbar sind, muss das Ergebnis korrigiert werden, und zwar auf __________ 269 270 271

Vgl. Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (1) (b) (bb) (S. 146). So zur Rom I-VO Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531). Ebenso zur Rom II-VO: v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (477); Wagner, in: FS Kropholler, S. 715 (725). 272 Im Ergebnis ebenso zur Rom II-VO v. Hein, ebda.

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sachrechtlicher Ebene.273 Hierfür sprechen mehrere Erwägungen. Erstens hat man die europäischen Kollisionsnormen bereits ein erstes Mal angewandt, um das berufene Recht zu ermitteln. Würde man sie ein zweites Mal heranziehen, schadete man damit der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts und somit zwei zentralen Zielen der Rom I- und Rom II-VO.274 Zweitens beseitigt man den Konflikt zwischen dem anzuwendenden Sachrecht und den Binnenmarkt fördernden Vorschriften dort, wo er eigentlich erst entsteht – auf sachrechtlicher Ebene. Das heißt, Erwägungsgrund 40 der Rom I-VO bzw. 35 der Rom II-VO geht von einem Dreischritt aus: (1) Verweis durch die einschlägige EUVerordnung, (2) Ergebnisprüfung auf sachrechtlicher Ebene und (3) Ergebniskorrektur (ebenfalls auf sachrechtlicher Ebene), wenn das Ergebnis die Warenverkehrs- oder Dienstleistungsfreiheit verletzt, wie sie in den Rechtsakten der Union ausgestaltet ist.275 Daraus folgt: Die ersten beiden Rom-Verordnungen kollidieren auf kollisionsrechtlicher Ebene nicht mit den nationalen Regelungen, die Binnenmarkt fördernde Richtlinien umsetzen. Sofern Wertungswidersprüche zwischen nationalen Umsetzungsnormen und dem nach dem unionsrechtlichen IPR anwendbaren Sachrecht auftreten, sind sie nicht auf kollisions-, sondern auf sachrechtlicher Ebene zu bewältigen – etwa über die Regelungen zu Eingriffsnormen, über den ordre public oder über eine euroautonome Anpassungsmethodik.276 Erwägungsgrund 40 der Rom I-VO bzw. 35 der Rom II-VO legt somit nahe, Wertungswidersprüche zu Richtlinien umsetzendem nationalen Recht auf sachrechtlicher Stufe zu lösen. Daher besteht auf kollisionsrechtlicher Ebene kein Koordinationsbedarf, der durch Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO befriedigt werden müsste. Darüber hinaus sprechen systematische Gesichtspunkte dagegen, dass Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO Richtlinien umsetzendes nationales Recht mit einbeziehen. In Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO und Art. 14 Abs. 3 Rom II-VO wird ausdrücklich auf die umsetzenden nationalen Regelungen abgestellt. Ein solcher Verweis fehlt in den Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom IIVO. Außerdem bezwecken die Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO die Koordination kollisionsrechtlicher Unionsvorschriften.277 Richtlinien umsetzen__________ 273 A. M. zur Rom II-VO v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (477) [Korrektur auf kollisionsrechtlicher Ebene]. 274 Zu diesen Zielen vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178). 275 Ebenso zu Schritt 1 und 2 im Rahmen der Rom II-VO v. Hein, a.a.O. (Fn. 273) [„two-step procedure“, aber Korrektur auf kollisionsrechtlicher Ebene]. 276 A. M. zur Rom II-VO v. Hein, a.a.O. (Fn. 273) [Korrektur auf kollisionsrechtlicher Ebene]. 277 Vgl. Kap. 2 § 2 III 1) (S. 142).

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de innerstaatliche Vorschriften zählen aber nicht zum EU-Recht, sondern zum nationalen Recht. Zum Schluss soll noch eine wichtige Klarstellung vorgenommen werden, um Missverständnissen vorzubeugen. Anstelle des europäischen IPR kommt nationales Kollisionsrecht – unabhängig davon, ob es EU-Richtlinien umsetzt oder nicht – nur zum Zuge, soweit unionsrechtliche IPRNormen Raum hierfür lassen. Letztere eröffnen dann selbst die dogmatische Rückgriffsmöglichkeit auf nationales Kollisionsrecht. Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. So erlaubt beispielsweise Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II-VO einen Rückgriff auf Art. 38 bis 42 EGBGB und Art. 7 Abs. 4 lit. b) Rom I-VO einen Rekurs auf Art. 46 c EGBGB. Die Möglichkeit, diese EGBGB-Vorschriften heranzuziehen, folgt dogmatisch also aus Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II-VO bzw. Art. 7 Abs. 4 lit. b) Rom I-VO und nicht aus Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO. (dd) Ergebnis Damit eine Rechtsquelle das europäische Kollisionsrecht nach Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO verdrängen kann, muss sie zu den „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ zählen. Das ist bei primär- und verordnungsrechtlichen Regelungen der Fall. (2) „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse in besonderen Bereichen“ bzw. „für besondere Gegenstände“ Wenn eine Rechtsquelle zum Primär- oder Verordnungsrecht gehört, reicht das aber noch nicht aus, damit sie geeignet ist, Vorrang vor dem europäischen IPR zu genießen. Sie muss nach Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO außerdem „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse in besonderen Bereichen bzw. für besondere Gegenstände“ enthalten. (a) „Kollisionsnormen“ Zunächst muss die konkurrierende Rechtsquelle „Kollisionsnormen“ enthalten. Fraglich ist, ob damit lediglich Kollisionsnormen (normae conflictionis legum278) oder auch Hilfsnormen (normae auxilii279) gemeint sind. Während die Formulierung der englischen Sprachfassungen („conflict-oflaw rules“) wenig zur Klärung dieser Frage beiträgt, sind die Wendungen in den französischen und spanischen Sprachfassungen aufschlussreicher. Ihnen zufolge reicht es aus, dass konkurrierende Vorschriften des Unions__________ 278 279

Zum Begriff vgl. jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 2 V 3) (S. 21 f.) und VI (S. 23). Ebda.

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rechts das IPR der (außer-)vertraglichen Schuldverhältnisse „regeln“280. Da nicht nur Kollisions-, sondern auch Hilfsnormen das Internationale (außer-) vertragliche Schuldrecht regeln, sind auch normae auxilii „Kollisionsnormen“ im Sinne der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO. Diese weite Auslegung wird von der horizontalen Systematik gestützt. Rom I- und Rom II-VO enthalten zahlreiche Hilfsnormen, die teilweise erheblich voneinander abweichen. Der wohl eklatanteste Unterschied spiegelt sich in der Berücksichtigung von Eingriffsnormen wider. Während ausländische Eingriffsnormen unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO berücksichtigt werden können, besteht diese Möglichkeit nach Art. 16 Rom II-VO überhaupt nicht. Solche unterschiedlichen Wertungen würde man aushebeln, sähe man normae auxilii nicht als „Kollisionsnormen“ im Sinne der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO an.281 Im Ergebnis umfasst die Wendung „Kollisionsnormen“ im Sinne der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO normae conflictionis legum und normae auxilii.282 Ob eine Regelung zu ihnen zählt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Allerdings genügt es auf dieser Prüfungsstufe, dass das konkurrierende Unionsrecht mindestens eine kollisionsrechtliche Norm enthält. Ob Letztere dann Vorrang gegenüber den Vorschriften des europäischen IPR hat, muss erst auf der nächsten Prüfungsstufe bestimmt werden.283 (b) „Für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ Enthält die konkurrierende Rechtsquelle „Kollisionsnormen“ im Sinne der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO,284 muss es sich bei ihnen um solche „für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ handeln. Diese Formulierung deckt sich wörtlich mit der in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom IIVO und ist somit grundsätzlich identisch auszulegen.285 Daher kann auf die __________ 280 „Dispositions de droit communautaire qui règlent les conflits de lois en matière d’obligations contractuelles/non contractuelles“, „disposiciones del Derecho comunitario que regulen las normas de conflicto de leyes relativas a las obligaciones contractuales“, „disposiciones del Derecho comunitario que [...] regulen los conflictos de leyes relativos a las obligaciones extracontractuales“. 281 Nach der hier vertretenen Ansicht ist das Verhältnis zwischen Rom I- und Rom IIVO durch Auslegung des Merkmals „(außer-)vertraglich“ im Sinne der Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I- bzw. Rom II-VO zu bestimmen. Das in diesem Absatz gebrachte Beispiel (Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen) soll nur der Veranschaulichung von Unterschieden dienen, die sich aus geltendem EU-IPR ergeben können. 282 Im Ergebnis ebenso zur Rom I-VO Staudinger/Magnus, Art 23 Rom I-VO Rdnr. 17. 283 Dazu näher Kap. 2 § 2 III 1) a) bb) (1) bis (3) (S. 153 ff.). 284 Dazu Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (a) (S. 150 f.). 285 Zum Grundsatz einheitlicher Auslegung identischer Begriffe vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (2) (a) (S. 70).

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

bereits erarbeiteten Definitionen zu den Merkmalen „Schuldverhältnisse“286 und „(außer-)vertraglich“287 verwiesen werden. Ob unionsrechtliche IPR-Normen „(außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ regeln, muss durch Auslegung bestimmt werden. Auf dieser Prüfungsstufe reicht es abermals aus, dass die potenziell vorrangige Rechtsquelle wenigstens eine kollisionsrechtliche Vorschrift für „(außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ enthält. Ihr Konkurrenzverhältnis zu der an sich anwendbaren Norm der Rom I- bzw. Rom II-VO ist erst Gegenstand der nächsten Prüfungsstufe.288 (c) „In besonderen Bereichen“ bzw. „für besondere Gegenstände“ Befinden sich in der konkurrierenden Rechtsquelle „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“,289 müssen sie „in besonderen Bereichen“ (Art. 23 Rom I-VO) bzw. „für besondere Gegenstände“ (Art. 27 Rom II-VO) gelten. Die deutsche und französische290 Fassung des Art. 23 Rom I-VO weichen in ihrer Formulierung von Art. 27 Rom II-VO ab. In den anderen Sprachversionen ist hingegen übereinstimmend von Kollisionsnormen „in relation to particular matters“ bzw. „en materias concretas“ die Rede. Inhaltlich wollen alle Sprachfassungen jedoch dasselbe zum Ausdruck bringen: Lex specialis derogat legi generali.291 Der Spezialitätsgrundsatz wirkt sich auf dieser Prüfungsebene dahin gehend aus, dass die konkurrierende Rechtsquelle irgendeine kollisionsrechtliche Regelung für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse enthalten muss, die spezieller als eine Vorschrift des europäischen IPR ist. Dazu müssen sich die Regelungsbereiche beider Normen zumindest teilweise überschneiden; und die kollisionsrechtliche Unionsvorschrift muss sich als Spezialregelung gegenüber der Norm der Rom I- bzw. Rom II-VO darstellen. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach der Auslegung beider Rechtsnormen.292

__________ 286 287 288 289 290

Vgl. Kap. 2 § 1 II 1) a) bb) (S. 110 ff.). Vgl. Kap. 2 § 1 II 2) a) (S. 123 ff.). Dazu näher Kap. 2 § 2 III 1) a) bb) (1) bis (3) (S. 153 ff.). Dazu Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (b) (S. 151 f.). In Art. 23 Rom I-VO heißt es „dans des domaines particuliers“, in Art. 27 Rom IIVO dagegen „dans des matières particulières“. 291 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (66). Zur Rom II-VO vgl. statt aller Brière, JDI 2008, 31 (70). 292 So zur Konkurrenzbestimmung von Vorschriften verschiedener Regelungsakte desselben Rechtsetzers Gruber, Methoden, S. 253.

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(3) Ergebnis Im Ergebnis muss eine Rechtsquelle wie folgt beschaffen sein, um das europäische Kollisionsrecht nach Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO verdrängen zu können: Es muss sich um Primär- oder Verordnungsrecht handeln, das mindestens eine kollisionsrechtliche Regelung für vertragliche bzw. außervertragliche Schuldverhältnisse enthält, die spezieller ist als eine Vorschrift der Rom I- bzw. Rom II-VO. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach der Auslegung der betreffenden primär- oder verordnungsrechtlichen Regelung und der Interpretation der an sich einschlägigen Norm der Rom I- bzw. Rom IIVO. Auf dieser Prüfungsstufe genügt die Feststellung, dass das konkurrierende Primär- bzw. Verordnungsrecht überhaupt eine möglicherweise speziellere Regelung beinhaltet. bb) Anforderungen an die konkret konkurrierende Norm Demgegenüber ist auf der nächsten Stufe die primär- oder verordnungsrechtliche Regelung zu prüfen, die im konkreten Fall Vorrang vor einer bestimmten Norm des europäischen IPR genießen könnte. Dazu muss diese primär- oder verordnungsrechtliche Vorschrift eine bestimmte Beschaffenheit aufweisen. (1) „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ Die erste Beschaffenheitsvoraussetzung ergibt sich aus dem Wortlaut der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO. Danach muss die konkret konkurrierende Vorschrift eine „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ sein. Auf der ersten Prüfungsstufe hat es genügt, dass irgendeine Regelung der konkurrierenden Rechtsquelle diese Eigenschaft hat.293 Auf dieser Stufe muss hingegen die Vorschrift geprüft werden, die eine Regelung des europäischen Kollisionsrechts im zu beurteilenden Sachverhalt verdrängen könnte. Eine Unionsvorschrift muss zunächst eine „Kollisionsnorm“ im Sinne der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO sein, um Vorrang vor einer Norm des europäischen IPR zu genießen. Das ist der Fall, wenn die Auslegung der betreffenden Unionsvorschrift ergibt, dass sie eine Kollisions- oder Hilfsnorm ist.294 Die Folgefrage, ob sie eine Vorschrift „für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ darstellt, muss ebenfalls im Wege ihrer Interpretation ent__________ 293 294

Vgl. Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (a) und (b) (S. 150 ff.). Zur Begründung vgl. Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (a) (S. 150 f.).

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

schieden werden.295 Ein „Schuldverhältnis“ ist eine Rechtsbeziehung zwischen mindestens zwei Personen, aus der sich eine Vielzahl von Rechten und Pflichten zwischen ihnen ergibt, die nicht ausschließlich von Fragen abhängen dürfen, auf die das Sachen- oder Immaterialgüterrecht eine Antwort gibt.296 Ein solches Schuldverhältnis ist als „vertraglich“ anzusehen, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig, mithin auf der Grundlage einer grundsätzlich autonomen Entscheidung eine Verpflichtung eingegangen ist, die die andere Partei schlicht akzeptiert hat, und wenn beim Gesamtsachverhalt die Parteiautonomie sowie die charakteristische Leistung im Vordergrund stehen.297 (2) Spezialität der konkurrierenden Regelung Die zweite Beschaffenheitsvoraussetzung der konkurrierenden Unionsnorm ist ihre Spezialität gegenüber einer bestimmten Regelung des europäischen IPR. Diese Anforderung folgt bereits aus dem Wortlaut der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO. Denn nur kollisionsrechtliche Regelungen „in besonderen Bereichen“ bzw. „für besondere Gegenstände“ bleiben von den ersten beiden Rom-Verordnungen unberührt.298 Damit die konkurrierende Unionsnorm spezieller als die an sich einschlägige Vorschrift des europäischen Kollisionsrechts ist, müssen sich die Regelungsbereiche beider Normen wenigstens teilweise überlappen; und die Unionsvorschrift muss spezieller als die Norm der Rom I- bzw. Rom II-VO sein. Ob beide Anforderungen erfüllt sind, entscheidet die Auslegung der miteinander konkurrierenden Regelungen.299 (3) Ergebnis Letztlich muss die konkret konkurrierende Regelung folgende Beschaffenheit aufweisen, um die an sich einschlägige Norm des unionsrechtlichen IPR zu verdrängen: Es muss sich um eine primär- oder verordnungsrechtliche Kollisionsoder Hilfsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse handeln, deren Regelungsbereich mit dem einer Vorschrift des europäischen Kollisionsrechts zumindest teilweise identisch ist und die sich ihr gegenüber als spe__________ 295 296

Vgl. Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (b) (S. 151 f.). Vgl. Kap. 2 § 1 II 1) a) bb) (S. 115). Zu dem in diesem Zusammenhang relevanten Grundsatz einheitlicher Auslegung identischer Begriffe vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (2) (a) (S. 70). 297 Vgl. Kap. 2 § 1 II 2) a) (S. 125 f.). Zu dem in diesem Zusammenhang relevanten Grundsatz einheitlicher Auslegung identischer Begriffe ebda. 298 Vgl. Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (c) (S. 152). 299 So zur Konkurrenzbestimmung von Vorschriften verschiedener Regelungsakte desselben Rechtssetzers Gruber, Methoden, S. 253.

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ziellere Norm darstellt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, muss durch Auslegung der miteinander konkurrierenden Regelungen ermittelt werden. Aus ökonomischen Gründen wird man diese zweite Prüfungsstufe regelmäßig mit der ersten300 zusammenfassen, indem man die anwendbare Regelung der konkurrierenden Rechtsquelle direkt auf der ersten Stufe mitprüft. Bei komplizierteren Fällen bietet sich allerdings die Trennung beider Prüfungsschritte an. b) Regelungsgehalt auf Rechtsfolgenseite Liegen die Voraussetzungen des Art. 23 Rom I-VO bzw. Art. 27 Rom IIVO vor,301 tritt seine Rechtsfolge ein. Danach „berühren“ die Regelungen der Rom I- bzw. Rom II-VO „nicht“302 die Anwendung speziellerer Normen. Dies wird im Schrifttum einhellig so verstanden, dass die spezielleren Regelungen Vorrang genießen.303 Dabei kann es sich entweder um einen Anwendungs- oder einen Geltungsvorrang handeln.304 Ersterer führt anders als Letzterer nicht zur Nichtigkeit der verdrängten Norm, sondern lediglich zu ihrer Nichtanwendung.305 Für einen Anwendungsvorrang sprechen mehrere Gesichtspunkte. Erstens soll nach der Formulierung der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO die „Anwendung“306 speziellerer Unionsnormen „nicht berührt“ werden. Zweitens wird durch einen Anwendungsvorrang eine Parallele zum Verhältnis zwischen unionsrechtlichen und nationalen Normen erreicht.307 Drittens gehen unionsrechtliche Vorschriften von demselben Regelungsgeber aus, so dass man annehmen kann, dass er Regelungen aufhebt, wenn er sie nicht länger gelten lassen will. Viertens sollen Rom I- und Rom II-VO __________ 300 301 302

Dazu näher Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (1) bis (3) (S. 142 ff.). Dazu Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) bis bb) (S. 142 ff.). In der englischen, französischen bzw. spanischen Sprachfassung ist die Rechtsfolge mit „shall not prejudice“, „n’affecte pas“ bzw. „se entenderá sin perjuicio/no afectará“ beschrieben. Im Folgenden sind mit der deutschen Wendung „berührt nicht“ auch die entsprechenden Formulierungen der anderen Sprachfassungen der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO gemeint, soweit sich aus dem Kontext nichts anderes ergibt. 303 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 23 Rdnr. 1. Zur Rom IIVO vgl. statt aller HK-BGB/Dörner, Art. 27 Rom II-VO Rdnr. 1. 304 Dazu statt aller Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 10 Rdnr. 32 f. 305 Vgl. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rdnr. 45 m.w.Nachw. (Fn. 149). 306 „Application“, „application“, „aplicación“. Im Folgenden sind mit der deutschen Wendung auch die entsprechenden Formulierungen der anderen Sprachfassungen gemeint, soweit sich aus dem Kontext nichts anderes ergibt. 307 Zum Anwendungsvorrang des europäischen Kollisionsrechts vor nationalem Recht vgl. Kap. 2 § 2 II (S. 139 f.).

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

die Rechtssicherheit erhöhen.308 Dafür wäre ein Geltungsvorrang abträglich, weil seine Nichtigkeitsfolge zu Regelungslücken führen kann. Somit sprechen vier überzeugende Argumente dafür, dass die lex specialis-Regel der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO zu einem Anwendungsvorrang führt.309 Danach behalten die verdrängten Regelungen ihre Gültigkeit und „leben wieder auf“, wenn die verdrängende Norm außer Kraft gesetzt wird.310 2) Folgerungen Am Anfang der Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem europäischen IPR und dem sonstigen EU-Kollisionsrecht haben drei wesentliche Kritikpunkte gestanden. Zwei von ihnen konnten relativiert werden. Erstens ist die Kodifizierung der Regel lex specialis derogat generali nicht entbehrlich,311 weil sie den Spezialitätsgrundsatz für das unionsrechtliche IPR näher ausgestaltet. Zweitens führen Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO zwar zu einem Nebeneinander des europäischen IPR und des komplexen, auf Richtlinien beruhenden Kollisionsrechts.312 Allerdings genießen die Regelungen der ersten beiden Rom-Verordnungen auf kollisionsrechtlicher Ebene Vorrang gegenüber dem auf Richtlinien beruhenden IPR. Soweit dies zu Wertungswidersprüchen zwischen Binnenmarkt fördernden Rechtsakten und dem berufenen Sachrecht führt, sind sie auf sachrechtlicher Stufe zu beseitigen – etwa durch den ordre public der lex fori. Die Gefahr, dass sich die Anzahl spezifischer Kollisionsnormen außerhalb des europäischen IPR erhöht,313 lässt sich nicht abschwächen. Insoweit wird man an die Vernunft des Unionsgesetzgebers appellieren müssen. Will er das Verhältnis des europäischen IPR zum sonstigen unionsrechtlichen Kollisionsrecht in einem EU-IPR AT niederlegen, bietet sich nach der obigen Untersuchung folgende Formulierung an: „Verhältnis zu anderen Vorschriften des Unionsrechts Das europäische Kollisionsrecht berührt nicht die Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts, die besondere kollisionsrechtliche Regelungen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten.“

__________ 308 Zu den Zielen der ersten beiden Rom-Verordnungen vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178). 309 Im Ergebnis ebenso zu Art. 23 Rom I-VO Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 23 Rdnr. 1. Im Ergebnis ebenso zu Art. 27 Rom II-VO Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 27 Rdnr. 1. 310 Vgl. statt aller Streinz, Europarecht, Rdnr. 220. 311 So aber zur Rom II-VO Kreuzer, in: Reichelt/Rechberger (Hrsg.), EKR, S. 13 (54). A. M. zur Rom I-VO MPI, RabelsZ 68 (2004), 1 (21). 312 Zur Rom I-VO vgl. PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 23 Rdnr. 2 f. Zur Rom II-VO vgl. Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (735). 313 Zur Rom II-VO vgl.: Brière, JDI 2008, 31 (70); Leible/Lehmann, ebda.

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Diese Norm stellt bestimmte Beschaffenheitsanforderungen an die konkurrierende Rechtsquelle und deren konkret anwendbare Regelung. Sind sie erfüllt, genießt die konkret anwendbare Regelung der konkurrierenden Rechtsquelle Anwendungsvorrang gegenüber der an sich einschlägigen Vorschrift des europäischen Kollisionsrechts.

IV. Verhältnis zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht Nachdem die unionsinternen Normkonkurrenzen erörtert worden sind,314 kann man sich nun der Frage widmen, in welcher Beziehung das europäische IPR zu dem Recht steht, das durch Staatsverträge geschaffen worden ist (Staatsvertragsrecht). Dieses Verhältnis wird in Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO geregelt. Ihr gemeinsamer Nenner lautet: „Das europäische Kollisionsrecht berührt nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der sachlich konkret anwendbaren Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Es hat jedoch in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkommen, soweit diese Bereiche betreffen, die in ihm geregelt sind. Die Beziehung der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (‚Rom I‘)315 zum Übereinkommen von Rom bestimmt sich nach deren Art. 24.“

1) Allgemeine Schlussfolgerungen Diese Metaregelung zeigt zweierlei. Erstens sind nur die zum Zeitpunkt der Verordnungsannahme bestehenden internationalen Übereinkommen erfasst;316 zweitens wird die Kollisionsrechtsharmonisierung zugunsten existierender internationaler Konventionen mit Drittstaaten geopfert.317 In Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO spiegelt sich also folgender Grundsatz wider: Das europäische IPR räumt der internationalen Entscheidungsharmonie Vorrang vor der unionsinternen ein, soweit es sich um Regelungsakte mit Drittstaatenbeteiligung handelt, die bereits zum Zeitpunkt der jeweiligen Verordnungsannahme bestanden haben. Anderenfalls genießt die unionsinterne Entscheidungsharmonie Vorrang. __________ 314 315 316 317

Dazu Kap. 2 § 2 III 1) bis 2) (S. 141 ff.). ABl. L 177 vom 04.07.2008, S. 6. Vgl. statt vieler Kreuzer, in: FS Kropholler, S. 129 (138). Zur Rom II-VO vgl.: Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (82); Garriga, YbPIL Vol. 9 (2007), 137 (144). Kritisch etwa auch: Leible/Engel, EuZW 2004, 7 (17); Rauscher/ Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl Rom II-VO Rdnr. 15.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

Fraglich ist, ob Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO diese Grundsätze konstitutiv niederlegen. Denn das Verhältnis zu bereits bestehenden Staatsverträgen wird schon durch Art. 351 Abs. 1 AEUV (ex-Art. 307 Abs. 1 EGV) geregelt. Deswegen könnten Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO bloß deklaratorischen Charakter haben. Ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossene Übereinkommen unterliegen Art. 351 Abs. 1 AEUV (ex-Art. 307 Abs. 1 EGV) nicht.318 Somit sind Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO insoweit konstitutiv. Anders gestaltet sich der Befund im Hinblick auf die Beziehung des EU-Sekundärrechts zu Staatsverträgen mit Drittstaatenbeteiligung. Art. 351 Abs. 1 AEUV (ex-Art. 307 Abs. 1 EGV) regelt zwar seiner Formulierung nach nur das Verhältnis des „Vertrages“ bzw. der „Verträge“ zu Konventionen mit Drittstaaten.319 Damit umfasst er aber nicht nur das Primärrecht, sondern erst recht das abgeleitete Sekundärrecht.320 Daraus folgt, dass sich die Nachrangigkeit des Unionsrechts aus Art. 351 Abs. 1 AEUV (ex-Art. 307 Abs. 1 EGV), gegebenenfalls in analoger321 Anwendung ergibt.322 Demnach regeln Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO das Verhältnis zu Staatsverträgen mit Drittstaatenbeteiligung nur deklaratorisch, soweit Art. 351 Abs. 1 AEUV (analog) [ex-Art. 307 Abs. 1 EGV (analog)] einschlägig ist. Allerdings gestalten Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO die Beziehung des europäischen Kollisionsrechts zu Staatsverträgen mit Drittstaatenbeteiligung näher aus, so dass sie insoweit von Bedeutung sind. Insgesamt ist festzuhalten, dass Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO das Verhältnis des unionsrechtlichen IPR zum Staatsvertragsrecht konstitutiv regeln, wenn es sich um ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossene Konventionen handelt. Ansonsten sind Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO nur deklaratorisch, soweit Art. 351 Abs. 1 AEUV (analog) [ex-Art. 307 Abs. 1 EGV (analog)] greift.

__________ 318 319 320

Vgl. statt aller Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 351 AEUV Rdnr. 2. Zu ex-Art. 307 EGV vgl. statt aller Klement, DVBl 2007, 1007 (1011). Zu ex-Art. 307 EGV vgl. etwa: Bischoff, Konventionen, S. 159; Klement, ebda.; Petersmann/Spennemann, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 307 EG Rdnr. 4. 321 Zur umstrittenen analogen Anwendung des Art. 351 AEUV auf Staatsverträge, die nach dem relevanten Stichtag geschlossen worden sind und für deren Regelungsbereich die EU erst nachträglich eine Kompetenz erhalten hat, vgl. Schmalenbach, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 351 AEUV Rdnr. 8 m.w.Nachw. (Fn. 22–24). 322 Überwiegende Auffassung zur Rechtsfolge des Art. 351 AEUV; vgl. statt aller Kokott, a.a.O. (Fn. 318) Rdnr. 10. A. M. Petersmann/Spennemann, a.a.O. (Fn. 320) Rdnr. 12.

§ 2 Geltungsbereich des europäischen IPR

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2) Verordnungsübergreifende Konkurrenzregel Wie eine verordnungsübergreifende Regel zum Verhältnis des unionsrechtlichen Kollisionsrechts zu bestehenden Staatsverträgen aussehen könnte, ist bereits323 gezeigt worden. Fraglich ist, ob die Merkmale dieser Metaregelung autonom zu definieren sind. Was unter „internationalen Übereinkommen“ im Sinne der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO zu verstehen ist, ergibt sich aus den Listen, die nach Art. 26 Abs. 1 Rom I-VO, 29 Abs. 1 Rom II-VO im Amtsblatt der EU zu veröffentlichen sind. Insoweit ist also eine autonome Quelle auf Unionsebene maßgeblich. Somit indiziert die grammatikalisch-systematische Auslegung eine autonome Begriffsbestimmung. Für Letztere ist auch die Normgenese anzuführen. Bereits Art. 23 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zur Rom I-VO324 und Art. 25 f. des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zur Rom II-VO325 haben zur näheren Begriffskonkretisierung auf Quellen verwiesen, die sich auf Unionsebene befinden. Der Zweck der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO stützt ebenfalls eine autonome Definition. Er folgt nicht nur aus dem Wortlaut der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte. Danach sollen die Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO dazu dienen, Konflikte zwischen dem europäischen und staatsvertraglichen IPR zu beseitigen.326 Diese Konflikte haben ihren Ursprung auf internationaler Ebene, so dass sie auch mit internationalen Quellen gelöst werden sollten. Neben der unionsautonomen Auslegung käme theoretisch allenfalls ein Rückgriff auf Staatsverträge in Betracht, um die Merkmale der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO zu definieren. Da Letztere aber unionsrechtlicher Herkunft sind, wäre ein Rekurs auf Staatsverträge fernliegend. Also sind sowohl Tatbestands- als auch Rechtsfolgenseite der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO unionsautonom auszulegen. a) Regelungsgehalt auf Tatbestandsseite Abstrahiert man die Voraussetzungen der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom IIVO, lassen sich zwei Merkmale unterscheiden. Erstens kann das europäische IPR nur mit Rechtsquellen in Widerstreit treten, die bestimmte Anforderungen erfüllen; zweitens müssen die einschlägigen Regelungen dieser Rechtsquellen bestimmte Eigenschaften aufweisen, damit die Rechtsfolge der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO eintritt. __________ 323 324 325 326

S. Kap. 2 § 2 IV (S. 157). KOM(2005)650, S. 23 f. KOM(2003)427, S. 43. Von diesem Zweck wird ausgegangen in: KOM(2005)650, S. 10, Erläuterungen zu Art. 23.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

aa) Anforderungen an die konkurrierende Rechtsquelle Bei der Frage, wie „internationale Übereinkommen“ im Sinne der Art. 25 Rom I-VO bzw. 28 Rom II-VO beschaffen sein müssen, um mit den ersten beiden Rom-Verordnungen in Konflikt zu geraten, ist zwischen international vereinheitlichtem Sach- und Kollisionsrecht zu unterscheiden. (1) International vereinheitlichtes Sachrecht Soweit international vereinheitlichtes Sachrecht einschlägig ist, liegt keine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO bzw. Rom II-VO vor, so dass die Regelungen des europäischen Kollisionsrechts sachlich schon gar nicht anwendbar sind. 327 Insoweit kommt es also zu keiner Konkurrenzsituation zwischen dem europäischen IPR und dem international vereinheitlichten Sachrecht.328 (2) International vereinheitlichtes Kollisionsrecht Wegen der vorstehenden Erwägungen zum Anwendungsbereich kommen als „internationale Übereinkommen“ im Sinne der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO nur Staatsverträge mit ausschließlich kollisionsrechtlichem Charakter in Betracht. Diese „internationalen Übereinkommen“ 329 müssen „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“330 enthalten bzw. „Bereiche betreffen“, die von der jeweils einschlägigen „Verordnung geregelt sind“331. Diesen Konventionen müssen entweder „ein oder __________ 327 328

Vgl. Kap. 2 § 1 II 1) a) cc) (S. 118 f.). Ebenso zu Art. 25 Rom I-VO Schilling, EuZW 2011, 776 (779) m.w.Nachw. (Fn. 51). Ebenso zu Art. 28 Rom II-VO etwa PWW/Schaub, Rom II Art. 28 Rdnr. 1 unter Verweis auf Rom II Art. 1 Rdnr. 1. A. M. etwa: Schmidt, Jura 2011, 117 (117); Staudinger/Steinrötter, JA 2011, 241 (243 f.). A. M. zu Art. 25 Rom I-VO u. a.: Kindler, Einführung, S. 73 f.; MünchKomm/Martiny, Art. 25 Rom I-VO Rdnr. 3; Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 25 Rdnr. 2; Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624); Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 78; Thode, NZBau 2011, 449 (452). A. M. zu Art. 28 Rom II-VO wohl Garriga, YbPIL Vol. 9 (2007), 137 (142). Differenzierend Wagner, TranspR 2009, 103 (107 f.). 329 „International conventions“, „conventions internationales“, „convenios internacionales“. Im Folgenden sind mit der deutschen Wendung auch die entsprechenden Formulierungen der anderen Sprachfassungen der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO gemeint, soweit sich aus dem Kontext nichts anderes ergibt. Gleiches gilt für die in den vier Folgefußnoten zitierten Merkmale. 330 „Conflict-of-law rules relating to contractual/noncontractual obligations“, „règlent les conflits de lois en matière d’obligations contractuelles/non contractuelles“, „regulen los conflictos de leyes relativos a las obligaciones contractuales/extracontractuales“. 331 „Matters governed by this Regulation“, „matières réglées par le présent règlement“, „materias reguladas por el mismo“.

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mehrere Mitgliedstaaten angehören“332, oder aber sie müssen „ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossen“333 worden sein. (a) „Internationale Übereinkommen“ Beim Merkmal „internationale Übereinkommen“ muss zwischen kollisionsrechtlichen Staatsverträgen unterschieden werden, die „ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossen“ worden sind (Fälle der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO), und solchen, denen „ein oder mehrere Mitgliedstaaten angehören“ (Fälle der Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO). (aa) „Internationale Übereinkommen“ mit Drittstaaten Das Merkmal „internationale Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten angehören,“ kann zunächst durch folgenden systematischen Schluss präzisiert werden: Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO beziehen sich auf ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossene Konventionen. Deswegen können „internationale Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten angehören“ im Sinne der Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO nur Staatsverträge meinen, an denen auch Drittstaaten beteiligt sind. Welche Konventionen genau unter „internationale Übereinkommen“ im Sinne der Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO fallen, ergibt sich für jeden Mitgliedstaat aus den Listen, die nach Art. 26 Abs. 2 Rom I-VO, 29 Abs. 2 Rom II-VO im Amtsblatt der EU zu veröffentlichen sind.334 Diese mittlerweile publizierten335 Listen fungieren als Legaldefini__________ 332 „One or more Member States are parties“, „un ou plusieurs États membres sont parties“, „sean parte uno o más Estados miembros“; so die Formulierungen in Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO. 333 „Concluded exclusively between two or more of them [Member States]“, „conclues exclusivement entre deux ou plusieurs d’entre eux [États membres]“, „celebrados exclusivamente entre dos o más Estados miembros“ ; so die Formulierungen in Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO. 334 Zur Rom I-VO vgl. statt aller PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 25 Rdnr. 1. Zur Rom II-VO vgl. statt aller Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 28 Rdnr. 1. 335 Vgl.: Mitteilungen nach Artikel 26 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU Nr. C 343 vom 17.12.2010, S. 3; Mitteilungen nach Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), ABl. EU Nr. C 343 vom 17.12. 2010, S. 7.

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

tionen für „internationale Übereinkommen“ im Sinne der Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO. In ihnen geht außerdem der maßgebliche Zeitpunkt der Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO auf, da sie nur die Staatsverträge beinhalten, die zum Zeitpunkt der jeweiligen Verordnungsannahme bestanden haben.336 (bb) Ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossene internationale „Übereinkommen“ Zur Definition des Merkmals „Übereinkommen“337 im Sinne der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO existieren keine Listen im Amtsblatt der EU. Aus dem norminternen Kontext der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO ergeben sich allerdings zwei wichtige Schlussfolgerungen. Erstens sind mit „Übereinkommen“ im Sinne der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO ebenfalls „internationale Übereinkommen“ gemeint. Das folgt nicht nur aus der amtlichen Überschrift der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO, sondern auch aus einem Rückschluss zum entsprechenden Parallelmerkmal in Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom IIVO. Zweitens können „internationale Übereinkommen“ im Sinne der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO durch eine Negativabgrenzung zu den Konventionen bestimmt werden, die von Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO umfasst werden. Alle Staatsverträge, denen auch Drittstaaten angehören, sind auf den Listen im Sinne der Art. 26 Rom I-VO, 29 Rom II-VO zu finden. Das heißt, alle sonst bestehenden „konkurrenzfähigen“ Konventionen sind solche, die ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geschlossen worden sind. (cc) Ergebnis Bei „internationalen Übereinkommen“ muss zwischen Staatsverträgen mit und ohne Drittstaatenbeteiligung unterschieden werden. „Internationale Übereinkommen“, an denen auch Drittstaaten beteiligt sind, fallen unter Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO. Welche Staatsverträge darunter genau zu fassen sind, ergibt sich aus den Listen, die nach Art. 26 Abs. 2 Rom I-VO, 29 Abs. 2 Rom II-VO im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurden. __________ 336 Vgl.: Art. 26 Abs. 1 Rom I-VO in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO bzw. Art. 29 Abs. 1 Rom II-VO in Verbindung mit 28 Abs. 1 Rom II-VO. 337 „Conventions“, „conventions“, „convenios“. Im Folgenden sind mit der deutschen Wendung auch die entsprechenden Formulierungen der anderen Sprachfassungen gemeint, soweit sich aus dem Kontext nichts anderes ergibt.

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Aus diesen Listen ergeben sich darüber hinaus im Wege der Negativabgrenzung die „internationalen Übereinkommen“ ohne Drittstaatenbeteiligung, die unter Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO fallen. In beiden Fällen wird man „internationale Übereinkommen“ entweder als die staatsvertraglichen Regelungen selbst oder die sie umsetzenden nationalen Vorschriften begreifen müssen. Dies hängt wiederum davon ab, ob man den Normbefehl aus den staatsvertraglichen Normen selbst oder aus den sie umsetzenden nationalen Vorschriften herleitet.338 (b) „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ bzw. „Bereiche, die in dieser Verordnung geregelt sind“ Die Eigenschaft als „internationales Übereinkommen“ mit oder ohne Drittstaatenbeteiligung reicht aber noch nicht aus, damit die Rechtsfolgen der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO ausgelöst werden können. Staatsverträge müssen darüber hinaus „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ enthalten bzw. „Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind“. Das Merkmal „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ der Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO ist identisch zur Formulierung in den Parallelvorschriften der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO. Demnach ist es genauso auszulegen.339 Insoweit kann auf die bereits340 angestellten Erwägungen verwiesen werden. Ob der konkurrierende Staatsvertrag „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ enthält, muss durch die Auslegung seiner Regelungen ermittelt werden. Auf dieser Prüfungsstufe genügt, dass der Staatsvertrag überhaupt irgendeine Regelung enthält, die diesen Anforderungen entspricht. Die Ausführungen in den beiden vorstehenden Absätzen gelten auch für das Merkmal „Bereiche, die in dieser Verordnung geregelt sind“ der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO. Es entspricht der Wendung „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ zwar nicht wörtlich. Die einheitliche Auslegung ergibt sich jedoch aus folgender Überlegung: Die ersten beiden Rom-Verordnungen enthalten lediglich Kollisions- und Hilfsnormen, die (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse zum Gegenstand haben. Folglich „regeln“ sie „Bereiche“, die inhaltlich der __________ 338 Ausführlich zum problematischen Verhältnis zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht Kunig, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Abschnitt, Rdnr. 28–42. 339 Zum Grundsatz der einheitlichen Auslegung identischer Begriffe vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (2) (a) (S. 70). 340 Vgl. Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (a) und (b) (S. 150 ff.).

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Wendung „Kollisionsnormen für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ entsprechen.341 (c) Spezialität? Enthält ein konkurrierendes „internationales Übereinkommen“ zumindest eine „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“,342 stellt sich die Frage, ob diese Regelung spezieller sein muss als die an sich einschlägige Vorschrift des europäischen Kollisionsrechts. Dafür ließe sich anführen, dass die Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO in ihren Konkurrenzregeln ebenfalls Spezialität verlangen.343 Gegen dieses systematische Argument spricht aber der Wortlaut der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO. In ihm ist anders als in Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO eben nicht von Kollisionsnormen „in besonderen Bereichen“ bzw. „für besondere Gegenstände“ die Rede.344 Die Vor- und Entstehungsgeschichte der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO widerlegen ebenfalls, dass die beiden Vorschriften in irgendeiner Weise Spezialität voraussetzen. Schon Art. 21 EVÜ hat von diesem Merkmal abgesehen. Seinem Vorbild ist Art. 23 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zur Rom I-VO345 zwar genauso wenig gefolgt wie Art. 25 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags zur Rom II-VO346. In den Endfassungen beider Verordnungen ist das Spezialitätserfordernis jedoch aufgegeben worden. Diese Entwicklungen bestätigen, dass Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO keine Spezialität voraussetzen. Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass sie in keiner Weise Spezialität verlangen.347 (3) Ergebnis Um mit dem europäischen IPR konkurrieren zu können, muss eine staatsvertragliche Rechtsquelle bestimmte Eigenschaften aufweisen: Es muss sich um einen internationalen Staatsvertrag mit ausschließlich kollisionsrechtlichem Charakter handeln, der mindestens eine IPR-Regelung zu (außer-)vertraglichen Schuldverhältnissen enthält. Ob dies zu bejahen ist, richtet sich nach der Auslegung der entsprechenden staatsvertraglichen Vorschriften. Auf dieser Prüfungsstufe genügt die Feststellung, __________ 341 342 343 344

Dazu Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (a) und (b) (S. 150 ff.). Dazu Kap. 2 § 2 IV 2) a) aa) (2) (b) (S. 163 f.). S. Kap. 2 § 2 III 1) a) aa) (2) (c) (S. 152). Ebenso zu Art. 27 und 28 Abs. 1 Rom II-VO MünchKomm/Junker, Art. 28 Rom II-VO Rdnr. 12. 345 KOM(2005)650, S. 23. 346 KOM(2003)427, S. 43. 347 Ebenso zu Art. 28 Rom II-VO Garriga, YbPIL Vol. 9 (2007), 137 (141). A. M. zu Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO offenbar MünchKomm/Martiny, Art. 25 Rom I-VO Rdnr. 3.

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dass das konkurrierende Staatsvertragsrecht überhaupt eine solche Norm beinhaltet. Die Unterscheidung zwischen internationalen Übereinkommen mit und ohne Drittstaatenbeteiligung spielt insoweit eine Rolle, als dass sich danach der einschlägige Absatz der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO und somit die Rechtsfolge richtet. bb) Anforderungen an die konkret konkurrierende Norm Bevor aber überhaupt eine Rechtsfolge der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom IIVO eintreten kann, muss ihre zweite Voraussetzung vorliegen. Danach muss die konkret konkurrierende staatsvertragliche Regelung eine bestimmte Beschaffenheit haben. (1) „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ Die erste Beschaffenheitsanforderung folgt aus dem Wortlaut der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO. Danach muss die konkurrierende staatsvertragliche Regelung eine „Kollisionsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse“ sein oder „Bereiche betreffen“, die von der anwendbaren Verordnung geregelt sind. Auf der ersten Prüfungsstufe hat noch genügt, dass irgendeine Regelung der konkurrierenden Rechtsquelle diese Anforderung erfüllt. 348 Auf dieser Stufe muss aber diejenige Norm auf diese Voraussetzung hin überprüft werden, die gegenüber einer bestimmten Regelung des europäischen Kollisionsrechts vor- oder nachrangig sein könnte. Ansonsten entsprechen die Definitionen und Prüfungsmaßstäbe denen der ersten Prüfungsstufe, so dass insoweit auf die bereits349 angestellten Erwägungen verwiesen werden kann. Insbesondere muss durch Auslegung bestimmt werden, ob sich die Regelungsbereiche der miteinander konkurrierenden Vorschriften zumindest teilweise decken. (2) Spezialität? Gelangt man nach der Interpretation der einschlägigen Normen zu dem Ergebnis, dass sich ihre Regelungsbereiche zumindest teilweise überschneiden, stellt sich die Frage, ob die staatsvertragliche Regelung spezieller sein muss als die an sich anzuwendende Unionsvorschrift. Dies ist aus denselben350 Gründen abzulehnen wie auf der ersten Prüfungsstufe. __________ 348 349 350

Vgl. Kap. 2 § 2 IV 2) a) aa) (2) (b) (S. 163 f.). Dazu s. Kap. 2 § 2 IV 2) a) aa) (2) (b) (S. 163 f.). Dazu s. Kap. 2 § 2 IV 2) a) aa) (2) (c) (S. 164).

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

(3) Ergebnis Im Ergebnis muss die konkret konkurrierende Norm folgende Anforderungen erfüllen, damit eine Rechtsfolge der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO eintreten kann: Es muss sich um eine staatsvertragliche Kollisions- oder Hilfsnorm handeln, deren Regelungsbereich sich zumindest teilweise mit dem einer Vorschrift des europäischen Kollisionsrechts deckt. Spezialität ist nicht erforderlich. Ob die genannten Anforderungen erfüllt werden, ist durch Auslegung der miteinander konkurrierenden Rechtsnormen zu ermitteln. cc) Folgerungen Nach Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO müssen sowohl die konkurrierenden Rechtsquellen als auch deren konkret anwendbare Normen bestimmte Anforderungen erfüllen, um eine Vor- oder Nachrangigkeit im Sinne der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO auszulösen. Die konkurrierende Rechtsquelle muss eine internationale Konvention mit ausschließlich kollisionsrechtlichem Charakter sein, die zum Zeitpunkt der Annahme der jeweiligen Verordnung besteht und die wenigstens eine Vorschrift beinhaltet, die (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse umfasst. Ob dies der Fall ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Auf dieser Prüfungsstufe genügt die Feststellung, dass die konkurrierende Rechtsquelle überhaupt eine kollisionsrechtliche Regelung für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse enthält. Demgegenüber ist auf der nächsten Prüfungsebene eine bestimmte Regelung zu prüfen, namentlich diejenige, deren Verhältnis zu einer Vorschrift des europäischen Kollisionsrechts gefragt ist. Dabei muss es sich um eine staatsvertragliche Kollisions- oder Hilfsnorm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse handeln, deren Regelungsbereich zumindest teilweise identisch mit dem einer Vorschrift des europäischen IPR ist. Ob dies zutrifft, muss durch Norminterpretation festgestellt werden. Aus Effizienzgesichtspunkten bietet es sich an, beide Prüfungsschritte regelmäßig zusammen durchzuführen, indem man die anwendbare Regelung der konkurrierenden Rechtsquelle direkt auf der ersten Stufe mitprüft. Bei komplexeren Sachlagen ist allerdings die Trennung beider Prüfungsschritte vorzugswürdig. b) Regelungsgehalt auf Rechtsfolgenseite Sind die beiden Merkmale der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO erfüllt, tritt ihre Rechtsfolge ein. Hier ist die Unterscheidung zwischen internationalen Übereinkommen mit und ohne Drittstaatenbeteiligung von Bedeutung.

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Sind Drittstaaten an der betroffenen Konvention beteiligt, greifen Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO, nach denen die Anwendung des betroffenen Staatsvertragsrechts „nicht berührt“351 wird. Ansonsten ist die Rechtsfolge der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO einschlägig, nach der die anwendbaren Regelungen der Rom I- bzw. Rom II-VO „Vorrang haben“352. Folglich ist Staatsvertragsrecht nur vorrangig, wenn Drittstaaten an der betroffenen Konvention beteiligt sind. Sonst geht ihr das europäische IPR vor. Fraglich ist, ob die Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO einen Anwendungs- oder Geltungsvorrang auslösen.353 Zur Lösung dieser Frage kann auf drei der Argumente verwiesen werden, die bereits im Rahmen der Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO gebracht worden sind:354 (1) auf die Normformulierung („Anwendung“355), (2) auf die Parallele zum Verhältnis zwischen unionsrechtlichen und nationalen Normen sowie (3) auf die vom europäischen IPR bezweckte Rechtssicherheit. Demnach sprechen auch auf Rechtsfolgenseite der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO gewichtige Argumente für einen Anwendungsvorrang.356 Danach behalten die verdrängten Regelungen ihre Gültigkeit und „leben wieder auf“, wenn die verdrängende Vorschrift außer Kraft gesetzt wird.357 Allerdings begünstigt der grundsätzliche Vorrang internationaler Übereinkommen mit Drittstaaten das forum shopping.358 In diesem Zusammenhang könnte man darüber nachdenken, Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass sie den ersten beiden Rom-Verordnungen ausnahmsweise Vorrang gegenüber Staatsverträgen mit Drittstaaten gewähren, wenn sämtliche Sachverhaltselemente innerhalb des Unionsraumes angesiedelt sind.359 Das ist aber schon aus dem Grund abzulehnen, dass sich ein diesbezüglicher Vorschlag360 des __________ 351 „Shall not prejudice“, „n’affecte pas“, „no afectará“. Im Folgenden sind mit der deutschen Wendung auch die entsprechenden Formulierungen der anderen Sprachfassungen der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO gemeint, soweit sich aus dem Kontext nichts anderes ergibt. Gleiches gilt für die in den Folgefußnoten wörtlich zitierten Merkmale. 352 „Take precedence over“, „prévaut“, „primará frente“. 353 Zu den Begriffen des Anwendungs- und Geltungsvorrangs s. Kap. 2 § 2 III 1) b) (S. 155 f.). 354 Zu diesen Argumenten näher ebda. 355 „Application“, „application“, „ aplicación“. 356 Ebenso im Ergebnis zur Rom II-VO Brière, JDI 2008, 31 (72 f.). Ebenso zu Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO MünchKomm/Junker, Art. 28 Rom II-VO Rdnr. 29. 357 Vgl. statt aller Streinz, Europarecht, Rdnr. 220. 358 Zur Rom I-VO vgl. statt vieler Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 25 Rdnr. 3. Zur Rom II-VO vgl. statt vieler Brière, a.a.O. (Fn. 356) (72). 359 In diese Richtung tendierend Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (233 f.). 360 Vgl. Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6.7.2005 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das

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2. Kap.: Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR

Europäischen Parlaments in der Normgenese der Rom II-VO nicht durchgesetzt hat.361 3) Folgerungen Um die Regelung des Geltungsbereichs des europäischen IPR zu vervollständigen, muss auch ihr Verhältnis zu bereits bestehenden internationalen Übereinkommen in einer „AT-Verordnung“ geregelt werden.362 Dies könnte wie folgt geschehen: „Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen (1) Das europäische Kollisionsrecht berührt nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der sachlich konkret anwendbaren Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten. (2) Das europäische Kollisionsrecht hat jedoch in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkommen, soweit diese Bereiche betreffen, die in ihm geregelt sind. (3) Die Beziehung der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“)363 zum Übereinkommen von Rom bestimmt sich nach deren Art. 24.“

Diese Regelung führt nicht nur Art. 25 Rom I-VO und Art. 28 Rom II-VO zusammen, sondern enthält in ihrem letzten Absatz zugleich eine Vorschrift, die das Verhältnis des EU-IPR zum EVÜ durch einen Verweis auf Art. 24 Rom I-VO bestimmt.

V. Fazit Innerhalb seines Anwendungsbereiches genießt das unionsrechtliche Kollisionsrecht Anwendungsvorrang vor dem autonomen nationalen IPR. Das Verhältnis des europäischen IPR zum sonstigen unionsrechtlichen Kollisionsrecht wird durch Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO geregelt. Danach muss die konkurrierende Rechtsquelle wie auch deren konkret anwendbare Regelung bestimmte Anforderungen erfüllen, um Anwendungsvorrang gegenüber der an sich maßgeblichen Norm der Rom I- bzw. Rom II-VO zu genießen. Jedenfalls muss es sich beim konkurrierenden Recht __________ auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (KOM(2003) 0427 – C50338/2003 – 2003/0168(COD)), P6_TA(2005)0284, S. 21, Art. 25 Abs. 3 (im Folgenden: P6_TA(2005)0284). 361 Ebenso im Ergebnis und in der Argumentation: Staudinger, AnwBl 2008, 8 (15); PWW/Schaub, Rom II Art. 28 Rdnr. 1. Zur Entwicklung dieses Parlamentsvorschlags vgl. Dickinson, Rome II, Rdnr. 16.42. 362 A. M. Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (53). 363 ABl. L 177 vom 04.07.2008, S. 6.

§ 2 Geltungsbereich des europäischen IPR

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um Primär- oder Verordnungsrecht handeln. Während es bei der konkurrierenden Rechtsquelle ausreicht, dass sie irgendeine speziellere kollisionsrechtliche Regelung für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse enthält, muss die konkret anwendbare Norm diese Voraussetzung vollumfänglich erfüllen. Ob dies der Fall ist, muss durch Auslegung festgestellt werden. Schließlich wird auch die Beziehung zwischen unionsrechtlichem und staatsvertraglichem IPR geregelt. Letzterem gebührt nach den Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO Anwendungsvorrang gegenüber Ersterem, wenn die konkurrierende Rechtsquelle und deren maßgebliche Norm bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Bei der konkurrierenden Rechtsquelle muss es sich um ein internationales Übereinkommen mit ausschließlich kollisionsrechtlichem Charakter handeln, das zum Zeitpunkt der Annahme der jeweiligen Verordnung besteht und das mindestens eine Regelung enthält, die (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse umfasst. Ob diese Anforderungen erfüllt sind, muss genauso im Wege der Auslegung festgestellt werden wie die Frage, ob die maßgebliche staatsvertragliche Vorschrift eine kollisionsrechtliche Norm für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse ist, deren Regelungsbereich sich wenigstens teilweise mit dem einer Vorschrift des europäischen Kollisionsrechts deckt. Handelt es sich beim betroffenen Staatsvertrag um ein internationales Übereinkommen mit Drittstaatenbeteiligung, legen Art. 25 Abs. 1 Rom IVO, 28 Abs. 1 Rom II-VO fest, dass das maßgebliche Staatsvertragsrecht Anwendungsvorrang hat. Ansonsten tritt die Rechtsfolge der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO ein, nach der das europäische IPR Anwendungsvorrang genießt. Die Beziehung des europäischen Kollisionsrechts zum nationalen autonomen IPR muss in einer „AT-Verordnung“ nicht ausdrücklich geregelt werden. Anders sieht es beim Verhältnis des europäischen Kollisionsrechts zu unionsrechtlichen und bereits bestehenden staatsvertraglichen Vorschriften aus. Man sollte es zwei Regelungen zuführen, indem man die Art. 23 bis 26 Rom I-VO und die Art. 27 bis 29 Rom II-VO zusammenführt und abwandelt.364

__________ 364

Dazu Kap. 2 § 2 III 2) (S. 156) und IV 3) (S. 168).

3. Kapitel

Den Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) betreffende Fragestellungen 3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR § 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

Sind der Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen IPR eröffnet,1 muss man die richtige Kollisionsnorm (norma conflictionis legum) aufsuchen und anwenden. Dazu dienen die Mittel der Auslegung, Qualifikation und Subsumtion.

I. Funktionaler Oberbegriff Die Qualifikation gehört seit etwa einem Jahrhundert zu den zentralen Problemen im IPR.2 Im Laufe dieser Zeit hat sie in vielen Rechtsordnungen und Sprachen zu umfangreichen Abhandlungen geführt.3 Trotz dieser Vielfalt lässt sie sich auf einen einheitlichen Nenner bringen. Nach englischem Verständnis besteht das Problem der „characterization“ bzw. „classification“ darin, bestimmte Aspekte eines Falles in die maßgebliche „legal category“ einer „conflict of law rule“ einzuordnen. 4 Auch in Frankreich und Spanien versteht man unter „qualification“ bzw. „calificación“ eine Methode, die dazu dient, gewisse, vom zu beurteilenden Sachverhalt aufgeworfene Fragen dem Anknüpfungsgegenstand der anwendbaren Kollisionsnorm zuzuordnen.5 Die österreichischen und deutschen Definitionen lassen sich dahin gehend abstrahieren, dass die „Qualifikation“ ein Mittel ist, mit dem man gewisse Gesichtspunkte bestimmten Merkmalen einer Kollisionsnorm zuweist.6 __________ 1 2 3

Dazu Kap. 2 § 1 und 2 (S. 106 ff., S. 139 ff.). Vgl. statt aller Schwind, IPR, Rdnr. 55. Vgl. statt aller Collier, CoL, S. 14. Zur internationalen Quellenlage vgl. Mistelis, Charakterisierungen, S. 2 f. m.w.Nachw. (Fn. 5). 4 Statt aller Collins (Hrsg.), CoL I, Rdnr. 2-003. 5 Zum französischen Begriffsverständnis vgl. statt aller Mayer/Heuzé, DIP, Rdnr. 148; zum spanischen statt aller Fernández Rozas/Sánchez Lorenzo, DIP, Rdnr. 100. 6 Zum österreichischen Begriffsverständnis vgl. statt aller Schwimann, IPR, S. 22; zum deutschen vgl. statt aller Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR, § 1 Rdnr. 26.

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

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Dem Qualifikationsbegriff liegt also insoweit ein einheitliches funktionales Verständnis zugrunde, als es sich bei der Qualifikation um eine Methode handelt, die der Zuordnung tatsächlicher bzw. rechtlicher Gesichtspunkte zu bestimmten Elementen einer Kollisionsnorm dient. Manche verwenden den Qualifikationsbegriff auch als Synonym für Auslegung.7 Das ist aber schon aus sprachlichen Gründen unrichtig. Die deutsche Formulierung „Qualifikation“ wurzelt im französischen Begriff „qualification“, der Feststellung der Qualität, Beschaffenheit oder Eigenschaft eines Gegenstandes bedeutet.8 Die französische Wendung „qualification“ geht wiederum auf die lateinische Bezeichnung „qualificatio“ bzw. „qualificare“ zurück, was so viel bedeutet wie „eine bestimmte Eigenschaft geben“.9 Mit der Auslegung wird einem Kollisionsnormmerkmal aber keine bestimmte Eigenschaft gegeben. Vielmehr dient sie seiner Definition. Daher wird im Schrifttum zu Recht vielfach darauf hingewiesen, dass es korrekter ist, Auslegung und Qualifikation nicht miteinander gleichzusetzen.10 Obwohl der so verstandene Qualifikationsbegriff die Auslegung sprachlich ausklammert, ist er immer noch relativ weit gefasst. Wie man ihn auf innerstaatlicher und unionsrechtlicher Ebene konkretisieren sollte, wird später11 noch ausführlich behandelt. An dieser Stelle sollte lediglich die Frage beantwortet werden, ob ein funktionaler Oberbegriff für die Qualifikation gebildet werden kann. Ein Rechtsvergleich hat insoweit ergeben, dass sich die Qualifikation dahin gehend definieren lässt, dass sie im nationalen IPR eine Methode ist, die der Zuordnung tatsächlicher bzw. rechtlicher Gesichtspunkte zu bestimmten Elementen einer Kollisionsnorm dient. Da normae conflictionis legum mit ihren drei Bestandteilen ebenso strukturiert sind wie nationale Verweisungsvorschriften,12 also mit derselben Anknüpfungstechnik arbeiten, kann dieser funktionale Oberbegriff auf das EU-Kollisionsrecht übertragen werden.

__________ Zu den unterschiedlichen Verwendungsweisen des Qualifikationsbegriffs Mistelis, Charakterisierungen, S. 29 f. m.w.Nachw. (Fn. 25–27). 7 Vgl. statt vieler Trammer, in: FS Schmitthoff, S. 367 (369 f.). 8 Vgl. statt aller Neuhaus, Grundbegriffe, S. 113. 9 Vgl. Weber, Qualifikation, S. 198 f. m.w.Nachw. (Fn. 12–16). 10 Statt vieler Neuhaus, a.a.O. (Fn. 8) S. 114. 11 Vgl. Kap. 3 § 1 II 5) und III 2) (S. 183 f., 189 ff.). 12 Vgl. Kap. 1 § 2 V 3) (S. 21 ff.).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

II. Überblick und Beitrag zu den Hauptstreitpunkten im autonomen nationalen IPR Der gemeinsame Oberbegriff darf aber über Eines nicht hinwegtäuschen: Eine einheitliche Auffassung zu den Problemen, die im Zusammenhang mit der Qualifikation diskutiert werden, existiert nicht.13 Um die vielfältigen Meinungen zu verstehen und um zwischen ihnen zu vermitteln, muss man im Auge behalten, dass sich die Ausgangspunkte vieler Autoren oft unterscheiden.14 Daher ist es sehr wichtig, in zweierlei Hinsicht zu differenzieren – zwischen Auslegung und Subsumtion einerseits und zwischen den Elementen einer Kollisionsnorm andererseits.15 1) Qualifikationsgegenstand Diese zweifache Unterscheidung ist bereits vor mehr als zwanzig Jahren genutzt worden, um den „alten“ Streit16 über den Qualifikationsgegenstand zu schlichten.17 Ausgehend von der Prämisse, dass Qualifikation und Subsumtion identisch sind, hat man für jedes Merkmal einer Kollisionsnorm seinen Qualifikations- bzw. Subsumtionsgegenstand bestimmt:18 – für den Anknüpfungsgegenstand: (Aussagen über) Rechtsfragen (i.w.S.)19, – für den Anknüpfungspunkt: (Aussagen über) Fakten und – für das Verweisungsziel: (Aussagen über) Rechtsnormen. Während die Begriffe „Fakten“ und „Rechtsnormen“ für sich sprechen, ist die Wendung „Rechtsfragen i.w.S.“ klärungsbedürftig. Darunter ist der „Schnittpunkt zwischen Tatsachen und Recht“20 zu verstehen. Es geht also um das, was sich „auf der Grundlage des faktischen Geschehens mit Blick __________ 13 14

Vgl. nur Keller/Siehr, Allgemeine Lehren, § 34 I 1. Auf die unterschiedlichen Ausgangspunkte hinweisend u. a.: Dörner, StAZ 1988, 345 (348); Keller/Siehr, ebda. 15 Die Idee, zwischen Auslegung und Subsumtion zu unterscheiden, ist inspiriert durch: Dörner, ebda. (348–352); Raape, RDC 50 (1934-IV), 401 (479); Raape/Sturm, IPR I, S. 258, 276–279. Die Idee, zwischen den verschiedenen Kollisionsnormelementen zu differenzieren, ist angeregt durch: Dörner, ebda. (348–351); Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (252 f.). 16 Zum englischen autonomen IPR vgl. Clarkson/Hill, CoL, S. 456 m.w.Nachw. (Fn. 4); zum französischen vgl. statt aller Vignal, DIP, Rdnr. 88; zum deutschen statt aller Kropholler, IPR, § 15 II 1–4 c). 17 S. Dörner, a.a.O. (Fn. 14) (349 f.). 18 Dörner, ebda. 19 Beim Klammerzusatz „i.w.S.“ weicht die hier vorgenommene Darstellung formal von Dörner, a.a.O. (Fn. 14) (349) ab. 20 So Weber, Qualifikation, S. 228.

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

173

auf eine bestimmte Sachnorm (oder bestimmte Sachnormen)“21 ergibt. Im Rahmen des Subsumtionsvorgangs wird die „Rechtsfrage i. w.S.“ so weit zugespitzt, dass die Funktion der (möglicherweise) maßgeblichen Rechtserscheinung bestimmt wird.22 Abbildung 623 veranschaulicht, welcher Subsumtionsgegenstand welchem Kollisionsnormmerkmal zuzuordnen ist. Abbildung 6:24 Kollisionsnormelemente und Subsumtionsgegenstände Kollisionsnorm

Anknüpfungsgegenstand

Anknüpfungspunkt

Verweisungsziel

Rechtsfragen i.w.S.

Fakten

Rechtsnormen

Sachverhalt

An Abbildung 6 lässt sich auch die Zusammenfassung der vorstehenden Ausführungen festmachen: Anknüpfungsgegenstand, Anknüpfungspunkt und Verweisungsziel sind die Gegenstände der Auslegung. Demgegenüber handelt es sich bei (Aussagen über) über Rechtsfragen i.w.S., Fakten und Rechtsnormen um die jeweiligen Subsumtionsgegenstände. 2) Qualifikationsstatut Bevor es zur Subsumtion unter die drei Merkmale einer Kollisionsnorm kommt, müssen sie mittels Auslegung definiert werden.25 An dieser Stelle setzt der „alte“ Streit um das sog. „Qualifikationsstatut“ an.26 Darunter versteht man die Rechtsordnung, die für die „Qualifikation“ maßgeblich __________ 21 22 23

So Weber, Qualifikation, S. 231. Dazu Kap. 3 § 1 II 3) bis 5) (S. 178 ff.). Zur Verdeutlichung der Qualifikationsproblematik ebenfalls Abbildungen einsetzend: Dörner, StAZ 1988, 345 (347–350); Grundmann, Qualifikation, S. 211–216; Mistelis, Charakterisierungen, S. 244, 246; Weber, a.a.O. (Fn. 21) S. 205–213, 219 f. 24 Im Wesentlichen entlehnt aus Dörner, ebda. (350). 25 Zur Auslegung kollisionsrechtlicher Sammelbegriffe als Subsumtionsvoraussetzung vgl. Hoppe, Qualifikation, S. 15 m.w.Nachw. (Fn. 2). 26 Vgl. statt aller Makarov, in: FS Dölle II, S. 149 (159).

174

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

ist.27 Zur Bestimmung dieser Rechtsordnung haben sich etliche Lösungsansätze entwickelt.28 Traditionell stehen sich jedoch nur drei Auffassungen gegenüber, die in verschiedenen Facetten vertreten werden.29 Die „internationalste“ Auffassung will die Merkmale einer Kollisionsnorm im Wege der Rechtsvergleichung definieren.30 Der überwiegend31 vertretene Lösungsansatz unterstellt die „Qualifikation“ hingegen grundsätzlich der lex fori32. Danach befindet prinzipiell die Rechtsordnung des angerufenen Gerichts über die Auslegung ihrer Kollisionsnormen.33 Die dritte Qualifikationsschule34 wird in den meisten Abhandlungen dahingehend verstanden, dass sie die Interpretation bestimmter Elemente einer Verweisungsnorm der lex causae unterstellt.35 Allerdings wird dabei übersehen, dass diese Ansicht nicht auf der Ebene der Auslegung ansetzt, sondern vor und bei der Subsumtion: Sie will die Kollisionsnormen des Forums nach der lex fori interpretieren,36 aber den zu beurteilenden Sachver__________ 27 28

Statt aller Neuhaus, Grundbegriffe, S. 123. Zur Entwicklung der Qualifikationsansätze von 1891 bis 1945 Weber, Qualifikation, S. 24–195. Zur Entwicklung neuer Qualifikationsansätze ab 1945: Mistelis, Charakterisierungen, S. 91–108. Auch in jüngerer Zeit sind wieder Vorschläge unterbreitet worden, vgl. etwa Wendehorst, in: FS Sonnenberger, S. 743 (746–758). 29 Vgl. statt aller Raape/Sturm, IPR I, S. 277. 30 Grundlegend Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (256 f., 267 f., 279, 287). Diese Ansicht hat in vielen Rechtsordnungen Anhänger gefunden; vgl. Makarov, in: FS Dölle II, S. 149 (164) m.w.Nachw. (Fn. 62). 31 So schon: Bartin, JDI 1897, 225 (236); ders., JDI 1897, 466 (468 und 480); Kahn, JhJb 30 (1891), 1 (130). Für das englische autonome IPR vgl. statt aller Clarkson/Hill, CoL, S. 10, 458–460 und S. 464 f.; für das französische vgl. statt aller Loussouarn/Bourel/de Vareilles-Sommières, DIP, Rdnr. 186 und 189; für das österreichische vgl. statt aller Schwimann, ÖJZ 1980, 7 (8 f.); für das spanische vgl. statt aller Esplugues Mota/ Iglesias Buhigues, DIP, S. 186; für das deutsche vgl. statt aller v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rdnr. 12. 32 Ob damit nur das Sach- oder auch das Kollisionsrecht des Gerichtsorts gemeint ist, hängt vom Verständnis des jeweiligen Autoren ab; im ersteren Sinne statt vieler Schurig, Kollisionsnorm, S. 215 und 218; im zweiteren Sinne statt vieler Kropholler, IPR, § 16 I und II 2. Bemerkt wurde diese terminologische Ungenauigkeit bereits von Rabel, a.a.O. (Fn. 30) (249). 33 So schon: Bartin, a.a.O. (Fn. 31) (238 f.); Kahn, a.a.O. (Fn. 31). Aus der jüngeren Zeit vgl. Hoffmann, Koordination, S. 169 m.w.Nachw. (Fn. 15–18). 34 Grundlegend: Despagnet, JDI 1898, 253 (261 und 272); Wolff, IPR(3), S. 54. Der lex causae-Ansatz hat insgesamt nur relativ wenige Anhänger gefunden, vgl. v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnr. 145, Fn. 617 m.w.Nachw. 35 Vgl. exemplarisch Keller/Siehr, Allgemeine Lehren, § 34 II 1 a). Zweifelnd Schurig, a.a.O. (Fn. 32) S. 221. 36 Vgl. Wolff, IPR(3), S. 51 f. in Zusammenschau mit S. 54. Noch deutlicher ders., IPR(1), S. 36: „[…] die Einordnung von Rechtsverhältnissen setzt zunächst eine Auslegung der vom Richter anzuwendenden internationalprivatrechtlichen Norm voraus […] Meist aber macht die Auslegung der internationalprivatrechtlichen Norm keine Schwie-

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

175

halt nach der lex causae „juristisch kennzeichnen“ und ihn entsprechend dieser Kennzeichnung subsumieren.37 Der voranstehende Absatz hat zwei Gesichtspunkte herausgestellt. Erstens wird der Streit um das „Qualifikationsstatut“ überwiegend auf Auslegungsebene geführt, obwohl die Begründer der lex causae-Ansätze bei der Vorbereitung und Durchführung der Subsumtion ansetzen. Zweitens ist genau diese Ungenauigkeit ein zentraler Grund für die Missverständnisse zwischen den lex fori- und den lex causae-Ansätzen. Dies veranschaulicht Abbildung 7 auf der nächsten Seite. Was die Auslegung einer Verweisungsvorschrift angeht, sind sich die lex fori- und lex causae-Schulen, wie gezeigt,38 einig: Die Interpretation von Anknüpfungsgegenstand, Anknüpfungspunkt und Verweisungsziel unterliegt der Rechtsordnung, aus der die anzuwendende Kollisionsnorm stammt. Dieser Befund gilt mittlerweile als europaweit herrschende Meinung.39 Das „Auslegungsstatut“ einer Kollisionsnorm ist demnach stets die Rechtsordnung, der sie angehört.

__________ rigkeiten. Insbesondere darf man für die Auslegung des deutschen EG BGB von der Regel ausgehen, daß die hier vorkommenden Ausdrücke in demselben Sinne gebraucht sind wie im BGB. […] Die Schwierigkeit liegt darin, daß ein Rechtsinstitut in dem einen Lande in eine andere Sammelmappe gefügt wird wie in dem anderen Lande. […] Die entscheidende Frage ist hiernach: hat das internationale Privatrecht eines Landes die Lebensverhältnisse so einzuordnen (juristisch zu kennzeichnen), wie das eigene materielle Recht sie einordnet (die Kollisionsnorm ergibt darüber regelmäßig nichts), oder so, wie dasjenige Recht sie einordnet, das bei solcher Einordnung anwendbar ist?“. Auch Despagnet will wohl am Grundsatz der Auslegung lege fori nicht rütteln; vgl. ders., JDI 1898, 253 (264): „[...] La règle fondamentale, en matière de conflits de lois, est évidemment que le juge doit s’en tenir aux dispositions de sa loi positive, que ces dispositions soient formelles, ou qu’elles résultent clairement de l’esprit de la législation. [...] Le principe fondamental, la saine interprétation de la lex fori, doit évidemment être maintenu [...]“. 37 Wolff, IPR(3), S. 54, 56 in Zusammenschau mit S. 49. Deutlicher in ders., IPR(1), S. 34: „Jede Rechtsordnung gibt den von ihr geregelten menschlichen Beziehungen einen bestimmten rechtlichen Charakter. [...] Solche rechtlichen Kennzeichnungen (man nennt sie seit BARTIN „Qualifikationen“) [...]“, S. 37: „[…] jedes Privatrecht überläßt die rechtliche Zuordnung dem ‚Wirkungsstatut‘, der lex causae. [...] die Frage, wie eine bestimmte Rechtsordnung ein bestimmtes Rechtsinstitut juristisch kennzeichnet. Sie ist aus dem Studium der ausländischen Gesetze, der Rechtsprechung, aber auch der juristischen Literatur zu beantworten. Dabei ist aber der Beobachter weder schlechthin an die Einordnungen der ausländischen Wissenschaft noch an die Stellung einer Norm im Gesetz gebunden.“ Weiter gehend wohl Despagnet, JDI 1898, 253 (272). 38 S. Kap. 3 § 1 II 2) (S. 174 f.). 39 Vgl. Hoffmann, Koordination, S. 169 m.w. Nachw. (Fn. 14–18).

176

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Abbildung 7: Streit um das „Qualifikationsstatut“ und lex causae-Lösung Kollisionsnorm

Anknüpfungsgegenstand

Anknüpfungspunkt

Verweisungsziel

Auslegung (Ebene, auf der man überwiegend über das „Qualifikationsstatut“ diskutiert)

Definition

Definition

Definition

Subsumtion (Ebene, auf der die lex causae-Lösung ansetzt)

Rechtsfragen i.w.S.

Fakten

Rechtsnormen

Rechtliche Einkleidung (Ebene, auf der die lex causae-Lösung ansetzt)

Keine rechtliche Einkleidung erforderlich

Rechtliche Einkleidung (Ansatz der lex causae-Lösung)

Sachverhalt

Mit dem „Kollisionsnormauslegungsstatut“ ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, welche Rechtsordnung die Vorbereitung und Durchführung der Subsumtion beherrschen sollte. Um subsumierbar zu sein, muss der Sachverhalt für den Anknüpfungsgegenstand und das Verweisungsziel „normbezogen zugespitzt“40 werden, da beide Rahmenbegriffe so konzipiert sind, dass sie nur rechtlich eingekleidete Sachverhalte umfassen.41 Eine solche Subsumtionsvorbereitung ist

__________ 40 Formulierung hier und in der weiteren Bearbeitung entlehnt aus Dörner, StAZ 1988, 345 (349). Dort bezieht sie sich nur auf den Anknüpfungsgegenstand. Hier soll sie auch das Verweisungsziel umfassen. 41 Vgl. Dörner, ebda. m.w.Nachw. (Fn. 29), dort allerdings nur auf den Anknüpfungsgegenstand bezogen.

177

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

beim Anknüpfungspunkt hingegen entbehrlich, weil er für die Subsumtion nur (Aussagen über) Fakten verlangt.42 Auf die Frage, welche Rechtsordnung für die Vorbereitung und Durchführung der Subsumtion maßgeblich sein sollte, geben lex fori- und lex causae-Ansätze unterschiedliche Antworten. Erstere ziehen die Rechtsordnung des Forums heran,43 Letztere hingegen die Rechtsordnung, die von der angewandten Kollisionsnorm (eventuell) als Wirkungsstatut berufen wird.44 Abbildung 8 soll dies verdeutlichen. Abbildung 8: Subsumtion und ihre Vorbereitung als Streitpunkte Kollisionsnorm

Anknüpfungsgegenstand

Anknüpfungspunkt

Verweisungsziel

Auslegung nach der Rechtsordnung, der die Kollisionsnorm angehört

Definition

Definition

Definition

Subsumtion: Nach der lex fori oder der lex causae?

Rechtsfragen i.w.S.

Fakten

Rechtsnormen

Rechtliche Einkleidung: Nach der lex fori oder nach der lex causae?

Keine rechtliche Einkleidung erforderlich

Rechtliche Einkleidung lege fori oder lege causae?

Sachverhalt

__________ 42 43 44

Dazu Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 129 f. m.w.Nachw. (Fn. 145). Dazu statt aller v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnr. 167–170. Vgl.: Despagnet, JDI 1898, 253 (272); Wolff, IPR(3), S. 54.

178

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Wenn man sich die Hauptargumente45 für und gegen die jeweilige Auffassung ansieht, wird schnell deutlich, dass viele von ihnen gar nicht die Ebene der Subsumtion, sondern der Auslegung betreffen. Eine der Kernbegründungen für die lex fori als Qualifikationsstatut besteht beispielsweise in der „Auslegungsherrschaft“ des Forumrechtes über seine Kollisionsnormen.46 Um Auslegung geht es aber an dieser Stelle gar nicht. Denn die Kollisionsnorm wird rechtlich nicht näher definiert, sondern der zu prüfende Sachverhalt wird juristisch charakterisiert und danach subsumiert.47 Wie die juristische Charakterisierung und Subsumtion zu erfolgen hat, ist im autonomen deutschen IPR wie in den meisten anderen Rechtsordnungen nicht ausdrücklich geregelt.48 Also könnte sie der lex fori, der lex causae oder der Rechtsvergleichung überlassen werden. Eine Stellungnahme zu den drei Ansätzen wird aber entbehrlich, wenn man die mittlerweile dominierende Qualifikationsmethode genauer analysiert. 3) Qualifikationsmethode Dabei handelt es sich um die sog. „funktionale bzw. funktionelle Qualifikation“. Sie hat sich inzwischen in England, Frankreich, Österreich und Deutschland etabliert, wo sie jeweils mit unterschiedlicher Ausführlichkeit beschrieben wird.49 Die detailliertesten Darstellungen erklären die funktionale Qualifikation wie folgt: Bei ihr wird ein Vergleich vorgenommen zwischen (1) der Funktion, die das geprüfte Kollisionsnormelement voraussetzt, und (2) der Funktion des sachrechtlichen Instituts, das möglicherweise maßgeblich ist.50 Entsprechen sich die Funktionen, wird unter das geprüfte Kollisionsnormelement subsumiert.51 Dieser Funktionenvergleich ist im Rahmen des Anknüpfungsgegenstandes und des Verweisungszieles vorzunehmen.52 __________ 45 Zu den Hauptargumenten vgl. u. a.: Audit, DIP, Rdnr. 206 f.; Collins (Hrsg.), CoL I, Rdnr. 2-009 f.; Mistelis, Charakterisierungen, S. 190 f. und 193. 46 So beispielsweise bereits Kahn, JhJb 30 (1891), 1 (130). 47 Angedeutet bei Weber, Qualifikation, S. 224 [„(charakterisierte) Fälle“]. 48 Vgl. statt aller Siehr, IPR, § 49 II 2. Zu einem rechtsvergleichenden Überblick vgl. Mistelis, a.a.O. (Fn. 45) S. 155–178. 49 Für England vgl. statt aller Briggs, CoL, S. 10 f. Für Frankreich vgl. statt aller Audit, a.a.O. (Fn. 45) Rdnr. 199–202. Für Österreich vgl. statt aller Schwimann, ÖJZ 1980, 7 (9). Für Deutschland vgl. Basedow, in: Schlosser (Hrsg.), MatR und ProzR, S. 131 (134) m.w.Nachw. (Fn. 10). Zur Anerkennung der „funktionalen Qualifikation“ in anderen europäischen Rechtsordnungen vgl. auch Basedow/Hopt/Zimmermann/Metzger, Handwörterbuch II, S. 1220 f. 50 Vgl. statt vieler Kropholler, IPR, § 17 I. 51 Vgl. statt vieler Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rdnr. 210, allerdings mit einem engeren Qualifikationsverständnis (vgl. Rdnr. 208). 52 Vgl. MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 501.

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

179

Wie wird aber ermittelt, welche Funktionen die Rahmenbegriffe voraussetzen? Wie bestimmt man die Funktion des sachrechtlichen Instituts, das möglicherweise einschlägig ist? Und wie entscheidet man über die Funktionsentsprechung? Die Antwort lautet: Die von den Rahmenbegriffen vorausgesetzte Funktion wird durch Interpretation lege fori ermittelt, während die „normbezogene Zuspitzung“ des Sachverhalts bis hin zur funktionalen Auslegung des möglicherweise anwendbaren Rechtsinstituts der lex causae untersteht.53 Ob die so ermittelten Funktionen einander entsprechen, wird durch die Interpretation der geprüften Kollisionsnorm nach der lex fori bestimmt, da es um den Anwendungsbereich dieser Kollisionsnorm geht und sie zur lex fori gehört.54 Die zwei vorstehenden Absätze verdeutlichen: Die „funktionale Qualifikation“ ist nichts anderes als eine dreifache Interpretation im Kontext des Subsumtionsvorgangs. Deshalb sollte man nicht von „funktionaler Qualifikation“ sprechen, sondern besser von „dreifacher funktionaler Auslegung im Rahmen des Subsumtionsvorgangs“. Sie ist wie folgt ausgestaltet: (1) Ermittlung der durch die Rahmenbegriffe der Forumskollisionsnorm vorausgesetzten Funktion durch Interpretation lege fori, (2) „normbezogene Zuspitzung“ des zu beurteilenden Sachverhalts und Auslegung der (potenziell) maßgeblichen Rechtsfiguren zur Bestimmung ihrer Funktion durch die lex causae und (3) Entscheidung über die Funktionsentsprechung durch Interpretation der Rahmenbegriffe gemäß des Forumsrechtes. Wenn beispielsweise mithilfe des deutschen IPR das Recht bestimmt werden soll, das für Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit einer islamischen Morgengabe maßgeblich ist,55 gestaltet sich die „dreifache funktionale Auslegung“ wie folgt: (1) Bestimmung der von den jeweiligen Rahmenbegriffen der möglicherweise anwendbaren Art. 14, 15, 17, 18 Abs. 4 und 25 EGBGB vorausgesetzten Funktion mittels Interpretation nach der deutschen lex fori, (2) juristische Einkleidung der vorliegenden Tatsachen durch das möglicherweise nach Art. 14, 15, 17, 18 Abs. 4 und 25 EGBGB berufene (islamische) Recht und Ermittlung der im zu beurteilenden Sachverhalt einschlägigen Funktion der Morgengabe durch Auslegung nach der __________ 53

So schon angedeutet bei Kahn, JhJb 30 (1891), 1 (130 f.). So zur Lösung der Qualifikationsproblematik schon ausdrücklich Raape/Sturm, IPR I, S. 258 und 278 f. In jüngerer Zeit zur funktionalen Auslegung vgl. MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 501 in Zusammenschau mit Rdnr. 495 f. und 505. 54 So schon angedeutet bei Kahn, ebda. So im Ergebnis schon Raape, RDC 50 (1934IV), 401 (521 und 523 f.). Im Ergebnis ebenso zur Lösung der Qualifikationsproblematik Raape/Sturm, ebda. S. 258 und 279. Aus jüngerer Zeit zur funktionalen Auslegung vgl. MünchKomm/Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 53) Rdnr. 514 in Zusammenschau mit Rdnr. 508 f. und 518. 55 Klassisches Lehrbuchbeispiel, vgl. nur v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rdnr 9 m.w. Nachw. (Fn. 18–25).

180

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

(eventuell) maßgeblichen (islamischen) Rechtsordnung und (3) Entscheidung über die Funktionenentsprechung durch abschließende funktionale Interpretation der Art. 14, 15, 17, 18 Abs. 4 und 25 EGBGB nach deutschem Forumsrecht. Der dritte und letzte Schritt dieser dreifachen funktionalen Auslegung entscheidet darüber, ob unter den geprüften Rahmenbegriff subsumiert wird. Um die insoweit zu ermittelnde Funktionsentsprechung festzustellen, behilft man sich bei ausländischen Rechtsfiguren dadurch, dass man sie mit den Rechtsinstituten der lex fori vergleicht, die von der geprüften Kollisionsnorm umfasst werden.56 Diese Hilfsüberlegung wird in der spanischen IPR-Methodik angestellt, um unbekannte ausländische Rechtsinstitute kollisionsrechtlich einzuordnen.57 In diesem Zusammenhang greift man also auf die funktionale Qualifikation zurück.58 Das heißt, im spanischen autonomen IPR wird bei der kollisionsrechtlichen Einordnung unbekannter ausländischer Rechtsfiguren funktional qualifiziert. Demnach hat sich auch in Spanien insoweit der Ansatz durchgesetzt, der sich bereits in England, Frankreich, Österreich und Deutschland etabliert hat. Die europaweite Dominanz der „funktionalen Qualifikation“ ist nicht verwunderlich. Denn sie vereinigt alle drei „großen Schulen“ der Qualifikation miteinander.59 Sie beruht auf der lex fori-Theorie, weil sie der lex fori die funktionale Definition ihrer (Rahmen-)Begriffe und die Entscheidung über die jeweilige Subsumtion überlässt. Gleichzeitig bezieht sie den lex causae-Ansatz mit ein, indem sie die (eventuell) berufene Sachrechtsordnung bemüht, um den Sachverhalt „normbezogen zuzuspitzen“ und die (potenziell) maßgeblichen Rechtsfiguren funktional auszulegen. An dieser Stelle kommt die rechtsvergleichende Lösung ins Spiel, da die rechtliche Einkleidung des Sachverhalts lege causae und die Funktionsermittlung der einschlägigen Rechtserscheinungen rechtsvergleichende Arbeiten sind. Zur Veranschaulichung dient Abbildung 9.

__________ 56 So schon angedeutet bei Kahn, JhJb 30 (1891), 1 (131). Zur Rolle des Forumssachrechts bei der Prüfung der Funktionsentsprechung eingehend Weber, Qualifikation, S. 232–234. 57 Dazu statt aller Esplugues Mota/Iglesias Buhigues, DIP, S. 187 f. 58 Vgl. statt aller Fernández Rozas/Sánchez Lorenzo, DIP, Rdnr. 102 f. 59 A. M. Reiher, Vertragsbegriff, S. 38 („Verbindung aus lex-fori-Theorie und rechtsvergleichender Methode“).

181

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR Abbildung 9: „Funktionale Qualifikation“ im Rechtsanwendungsvorgang Kollisionsnorm

Anknüpfungsgegenstand

Anknüpfungspunkt

Verweisungsziel

Auslegung nach der Rechtsordnung, der die Kollisionsnorm angehört

Definition

Definition

Definition

„Funktionale Qualifikation“ (besser: dreifache funktionale Auslegung i.R.d. Subsumtionsvorgangs) Vorausgesetzte Funktion nach Auslegung durch die lex fori

Subsumtion bei Funktionsentsprechung (letzte Entscheidung durch Kollisionsnormauslegung nach der lex fori)

Funktion nach Auslegung durch die lex causae

Rechtsfragen i.w.S.

Fakten

Rechtsnormen

Rechtliche Einkleidung

Ohne rechtl. Einkleidung

Rechtliche Einkleidung

Sachverhalt

182

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Neben der „funktionalen Qualifikation“ exisitiert noch eine weitere Qualifikationsmethode, die als „internationalprivatrechtliche Theorie“ 60 bezeichnet wird. Danach entscheidet der Zweck der anzuwendenden Kollisionsnorm darüber, ob sie bestimmte Gesichtspunkte umfasst oder nicht.61 Dieser folgt wiederum aus einer Abwägung der Interessen (Interessen der Beteiligten, Interessen der Allgemeinheit und Ordnungsinteressen), wie sie in der jeweiligen Kollisionsnorm getroffen worden ist.62 Die „internationalprivatrechtliche Theorie“ ist aber kein Gegensatz zur „funktionalen Qualifikation“, sondern vielmehr eine Ergänzung.63 Denn welche Funktion der Anknüpfungsgegenstand bzw. das Verweisungsziel voraussetzt, folgt nicht zuletzt aus dem Zweck der Kollisionsnorm. Dieser wird wiederum ermittelt, indem man die Interessenbewertung untersucht, wie sie der betreffenden Kollisionsnorm zugrunde liegt.64 4) Ergebnisse im Überblick Die vorangegangenen Ausführungen haben ergeben, dass bei der Qualifikation weniger Streit besteht, als es den Anschein hat. Wichtig ist nur, zwischen Auslegung und Subsumtion einerseits und den Elementen einer Kollisionsnorm andererseits zu unterscheiden. Dann wird deutlich, dass sich die Subsumtionsgegenstände je nach Kollisionsnormelement unterscheiden. Der Subsumtionsgegenstand besteht beim Anknüpfungsgegenstand in (Aussagen über) Rechtsfragen i.w.S., beim Anknüpfungspunkt in (Aussagen über) Fakten und beim Verweisungsziel in (Aussagen über) Rechtsnormen. Weiter ist gezeigt worden, dass der Streit um das „Qualifikationsstatut“ in Wirklichkeit eine Scheinkontroverse über das „Kollisionsnormauslegungsstatut“ ist. Denn es besteht im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass eine Kollisionsnorm nach der Rechtsordnung auszulegen ist, aus der sie stammt. Der Streit um die Vorbereitung und Durchführung der Subsumtion ist der eigentliche Brennpunkt zwischen den Qualifikationsansätzen. Er hat allerdings seine Bedeutung verloren, weil sich in der Rechtswirklichkeit

__________ 60

b).

61 62

So ihr Begründer Kegel, Grenze, S. 32. Ihm folgend Kegel/Schurig, IPR, § 7 III 3

Vgl. Kegel/Schurig, ebda. § 7 III 3 b) aa) und § 7 IV. Vgl. Kegel, a.a.O. (Fn. 60) S. 32 f.; konkretisiert durch Kegel/Schurig, a.a.O. (Fn. 60) § 7 III 3 b) aa)–cc). 63 So im Ergebnis auch: Dörner, StAZ 1988, 345 (352); Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 131. 64 Vgl. Dörner, ebda.

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

183

eine funktionale Betrachtungsweise etabliert hat,65 die alle drei großen Schulen der Qualifikation in sich vereint. 5) „Lösungsvorschlag“ Bei der Darstellung der Ergebnisse66 ist bewusst davon abgesehen worden, den Begriff „Qualifikation“ zu definieren und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Der Grund hierfür liegt darin, dass Missverständnissen vorgebeugt werden sollte. An dieser Stelle soll die „Qualifikation“ begrifflich bestimmt und ein „Lösungsvorschlag“ formuliert werden. Dieser Ausdruck ist in Anführungszeichen gesetzt, weil er sich darauf beschränkt, den Qualifikationsbegriff auf das Spezifische zu reduzieren und ihn in den Rechtsanwendungsvorgang einzuordnen. Qualifikation ist genau genommen weder Auslegung noch Subsumtion. Auslegung ist sie nicht, weil sie sprachlich „eine bestimmte Eigenschaft geben“ bedeutet. Subsumtion ist sie nicht, weil sie ihr nur den Weg bereitet. Qualifikation ist vielmehr die Vorbereitung des zu beurteilenden Sachverhalts auf die Subsumtion unter den Anknüpfungsgegenstand bzw. das Verweisungsziel. Sie erfolgt durch die rechtliche Einkleidung des zu beurteilenden Sachverhalts mithilfe des Sachrechts der (möglicherweise) maßgeblichen Rechtsordnung und anschließende funktionale Auslegung durch eben dieses Sachrecht.67 Damit wird dem Sachverhalt „eine bestimmte Eigenschaft gegeben“, wie es der ursprünglichen Bedeutung des Qualifikationsbegriffs entspricht. Wie „dicht“ die damit verbundene „normbezogene Zuspitzung“ erfolgt, hängt von dem Rahmenbegriff ab, unter den subsumiert werden soll. Bei der Qualifikation für den Anknüpfungsgegenstand bildet man eine „Rechtsfrage i.w.S.“68. Dagegen kleidet man den Sachverhalt bei der Subsumtionsvorbereitung für das Verweisungsziel in die (eventuell) maßgeblichen Rechtsinstitute ein, die wiederum aus dem Zusammenspiel verschiedener Sachnormen bestehen. Im Rechtsanwendungsvorgang kommt es erst relativ spät zu der so verstandenen Qualifikation. Alle drei Elemente der (möglicherweise) einschlägigen Kollisionsnorm müssen ausgelegt werden, um sie zu definieren und eine Abgrenzung unter den potenziell maßgeblichen Verweisungsvor__________ 65 Dies gilt uneingeschränkt für England, Frankreich, Österreich und Deutschland; in Spanien gilt es jedenfalls für die kollisionsrechtliche Einordnung ausländischer Rechtsinstitute; dazu näher Kap. 3 § 1 II 3) (S. 178 und 180). 66 S. Kap. 3 § 1 II 4) (S. 182 f.). 67 Genauso verfährt auch die herrschende „funktionale Qualifikation“; vgl. Kap. 3 § 1 II 3) (S. 178 ff.). 68 Zum Begriff vgl. Kap. 3 § 1 II 1) (S. 172 f.).

184

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

schriften zu ermöglichen. Dazu hat man alle drei Kollisionsnormmerkmale aus der Rechtsordnung69 heraus begrifflich zu bestimmen, der die Verweisungsvorschrift angehört. Dementsprechend sind der Anknüpfungsgegenstand und die Verweisung einer Forumskollisionsnorm aus der lex fori70 heraus auszulegen. Das Interpretationsziel besteht in der Feststellung, welche Funktion von „Rechtsfragen i.w.S.“ (Anknüpfungsgegenstand) bzw. von Sachnormen (Verweisung) verlangt wird, damit sie unter die Kollisionsnorm fallen. Dies ist der erste Schritt der „dreifachen funktionalen Auslegung im Rahmen des Subsumtionsvorgangs“. In ihrem zweiten Schritt müssen die vorliegenden Fakten „normbezogen zugespitzt“, also mittels der lex causae in die (potenziell) maßgeblichen Sachrechtserscheinungen eingekleidet werden, um deren Funktion im Einzelfall durch Interpretation lege cause zu ermitteln. Dies ist die Qualifikation. Sie entspricht Punkt (2) des angeführten71 „Morgengabebeispiels“. Auf der letzten Stufe der dreifachen funktionalen Auslegung wird geprüft, ob die herausgefundenen Funktionen einander entsprechen. Ist dies der Fall, wird unter den Anknüpfungsgegenstand bzw. das Verweisungsziel subsumiert. Über die Funktionsentsprechung bestimmt die Auslegung der geprüften Kollisionsnorm, die sich nach der lex fori richtet. Abschließend soll die Position der Qualifikation in der Rechtsanwendung durch Abbildung 10 auf der nächsten Seite verdeutlicht werden.

III. Qualifikation im europäischen IPR Mit der vorangegangenen Betrachtung der Qualifikationsprobleme ist die Ausgangssituation im autonomen nationalen IPR dargelegt worden.72 Sie liegt den meisten Vorschlägen (häufig unausgesprochen) zugrunde, die auf unionsrechtlicher Ebene gemacht werden, um die Qualifikation im IPR zu bewältigen. 1) Bestandsaufnahme Mittlerweile sind schon recht viele Ansätze zur Qualifikation im europäischen Kollisionsrecht vorgeschlagen worden.

__________ 69 70

Mit „Rechtsordnung“ in diesem Sinne sind Sach- und Kollisionsrecht gemeint. Hier und in der weiteren Darstellung unter Kap. 3 § 1 II 5) wird der Begriff „lex fori“ als Synonym für Sach- und Kollisionsrecht verwendet. 71 Vgl. Kap. 3 § 1 II 3) (S. 179 f.). 72 S. Kap. 3 § 1 I bis II 5) (S. 172 ff.).

185

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR Abbildung 10: Qualifikation im Rechtsanwendungsvorgang Kollisionsnorm

Anknüpfungsgegenstand

Anknüpfungspunkt

Verweisungsziel

Auslegung nach der Rechtsordnung, der die Kollisionsnorm angehört

Definition

Definition

Definition

Subsumtion Rechtsfragen i.w.S.

Fakten

Rechtsnormen

Vorbereitung der Subsumtion durch rechtliche Einkleidung sowie funktionale Auslegung = Qualifikation

Keine rechtliche Einkleidung erforderlich

Vorbereitung der Subsumtion durch rechtl. Einkl. und funktionale A. = Qualifikation

Sachverhalt

a) Erster „Lösungsansatz“ Überwiegend73 will man die „Qualifikation“ autonom, also nach unionsrechtlichen Grundsätzen vornehmen. Qualifikation ist in Anführungszei__________ 73

So: Kropholler, in: FS für das MPI, S. 583 (590); ders., IPR, § 16 II 3; v. Bar/ Mankowski, IPR I, § 7 Rdnr. 171 f.; Bariatti, in: Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement, Rdnr. 2-36 f.; dies./Pataut, in: Fallon/Lagarde/Poillot-Peruzzetto (Hrsg.), Architecture, S. 337 (340); BaRo-III/Spickhoff, Einl IPR Rdnr. 62; Basedow/Hopt/ Zimmermann/Metzger, Handwörterbuch II, S. 1221; Dickinson, Rome II, Rdnr. 3.63; Erman/Hohloch, Band II, Einl. Art. 3–47 EGBGB Rdnr. 51; Esplugues Mota/Iglesias Buhigues, DIP, S. 187; Fernández Rozas/Sánchez Lorenzo, DIP, Rdnr. 104; Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (108 f.); HK-BGB/Dörner, Vor Art 3–6 EGBGB Rdnr. 17; Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (53); Niboyet/de Geouffre

186

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

chen gesetzt, weil die Vertreter dieser Lösung Qualifikation und Auslegung gleichsetzen.74 Manche unter ihnen folgern aus der Bedeutung, die der systematischen und teleologischen Interpretation im Unionsrecht zukommt, dass man auch auf europäischer Ebene von einer funktionalen Qualifikation anhand der lex fori sprechen könne, wenn man das EU-Recht als Forumsrecht ansehe.75 Richtig ist, dass die Auslegung unionsrechtlichen IPR autonom erfolgen muss.76 Außerdem ist es sinnvoll, die Qualifikationstechniken zu übertragen, über die unionsweit im Wesentlichen Einigkeit besteht, wie die „funktionale Qualifikation“. Unrichtig ist aber die Gleichsetzung von autonomer Auslegung und Qualifikation.77 Um terminologischen Verwirrungen im europäischen Kollisionsrecht vorzubeugen, sollte man von vorneherein vermeiden, die sprachlichen und methodischen Ungenauigkeiten fortzusetzen, die sich auf nationaler Ebene eingeschlichen haben.78 Im Ergebnis kann der zuvor geschilderte Ansatz nicht als Lösungsvorschlag zum Qualifikationsproblem angesehen werden; denn er beantwortet nur die Frage, nach welchen Grundsätzen das unionsrechtliche IPR ausgelegt werden sollte. Daher ist auch der Begriff „Lösungsansatz“ in Anführungszeichen gesetzt worden.

__________ de La Pradelle, DIP, Rdnr. 252 im Kontext zu Rdnr. 251; NK-BGB/Freitag Art. 3 EGBGB Rdnr. 23; Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl Rom II-VO Rdnr. 41; Reiher, Vertragsbegriff, S. 39 f.; Staudinger/Magnus, Einl zur Rom I-VO Rdnr. 57; Thorn, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 139 (143); Wendehorst, in: FS Sonnenberger, S. 743 (751). Ebenso für „intra-Community conflicts“ Baratta, YbPIL Vol. 6 (2004), 155 (165 f.). 74 Vgl.: Kropholler, ebda.; v. Bar/Mankowski, ebda.; Bariatti, ebda.; BaRo-III/Spickhoff, ebda.; Dickinson, ebda.; Erman/Hohloch, ebda.; Esplugues Mota/Iglesias Buhigues, ebda.; Fernández Rozas/Sánchez Lorenzo, ebda.; HK-BGB/Dörner, ebda.; Niboyet/ de Geouffre de La Pradelle, ebda.; NK-BGB/Freitag ebda.; Rauscher/Unberath/Cziupka, ebda.; Reiher, ebda. S. 34; Staudinger/Magnus, ebda.; Thorn, ebda. So im Ergebnis auch Heinze, ebda. (108) [Auslegung als „Teil der Qualifikation“]. So im Ergebnis auch Kreuzer, ebda. [Qualifikation als letztlich eine „Frage der Auslegung“]. So im Ergebnis auch Wendehorst, ebda., was sich aus den Ausführungen zu den Auslegungskriterien auf S. 751 f. ergibt. Unklar bei: Baratta, ebda. (164–169); Basedow/Hopt/Zimmermann/Metzger, ebda. 75 So Heinze, a.a.O. (Fn. 73) (111). Ähnl.: Bariatti, a.a.O. (Fn. 73) Rdnr. 2-37; Rauscher/Unberath/Cziupka, a.a.O. (Fn. 73). 76 Zur Erforderlichkeit der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 I 2 a) bis b) (S. 42 ff.). Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). 77 So im Ergebnis auch Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rdnr. 209. Zur erforderlichen Differenzierung vgl. auch Kap. 3 § 1 I (S. 171). 78 Näher zu diesen Ungenauigkeiten Kap. 3 § 1 II 2) bis 5) (S. 173 ff.).

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

187

b) Zweiter „Lösungsansatz“ Gleiches gilt für den zweiten „Lösungsansatz“. Er besteht darin, die „alte“ rechtsvergleichende Theorie79 fruchtbar zu machen, um das europäische IPR auszulegen.80 Richtig an dieser Herangehensweise ist die Erkenntnis, dass die Rechtsvergleichung im Bereich der grammatikalischen Auslegung des europäischen IPR von großer Bedeutung ist.81 Unrichtig ist jedoch die Gleichsetzung von Qualifikation und Norminterpretation.82 Somit befasst sich auch dieser Ansatz in Wirklichkeit nur mit der Auslegung des unionsrechtlichen Kollisionsrechts und nicht mit der Qualifikation, wie sie hier83 verstanden wird. Insofern stellt er sich ebenfalls als bloß scheinbarer Lösungsversuch zur Qualifikationsproblematik dar. c) Dritter Lösungsansatz Der dritte eingeschlagene Lösungsweg ist zwar mit der „rechtsvergleichenden Qualifikation“ im oben84 genannten Sinne verwandt,85 aber er unterscheidet sich in zwei wichtigen Punkten von ihr. Zum einen differenziert er zwischen Auslegung86 und Qualifikation87. Zum anderen macht er die Qualifikation von dem Gericht abhängig, das die Kollisionsnorm anwendet.88 Als Idealfall wird eine Qualifikation „lege commune“, also eine Qualifikation nach Unionsrecht angesehen.89 Da das materielle Unionsrecht aber zum jetzigen Stand der Integration noch sehr unvollständig ist, fehlt der Qualifikation „lege commune“ ein vollständiges System, auf das sie sich beziehen kann.90 Ein derartiges Bezugssystem könne nur der EuGH schaf-

__________ 79 80

Grundlegend Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241–288. So: Hoffmann, Koordination, S. 171 und 168 f.; Zoll, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I, S. 17 (22 und 25). Als subsidiäres Auslegungsmittel erwogen durch Reiher, Vertragsbegriff, S. 40. 81 Dazu Kap. 1 § 4 II 2 b) aa) (2) (b) (bb) (S. 59 ff.). 82 So im Ergebnis auch Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rdnr. 209. Zur Notwendigkeit einer Unterscheidung vgl. auch Kap. 3 § 1 I (S. 171). 83 S. Kap. 3 § 1 II 5) (S. 183). 84 S. Kap. 3 § 1 III 1) b) (S. 187). 85 Vgl. Audit, JDI 2004, 789 (813) in Fn. 88. 86 Audit, ebda. (789–811). 87 Audit, a.a.O. (Fn. 85) (811–816). 88 Vgl. Audit, a.a.O. (Fn. 85) (815). 89 Audit, a.a.O. (Fn. 85) (813 im Kontext zu 815). 90 Vgl.: Audit, a.a.O. (Fn. 85) (815); Hoffmann, Koordination, S. 169 (allerdings mit einem anderen Qualifikationsverständnis).

188

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

fen.91 Den nationalen Gerichten bleibe nichts anderes übrig, als auf ihre lex fori zurückzugreifen, um zu qualifizieren.92 Richtig an dieser Herangehensweise ist, dass sie zwischen Auslegung und Qualifikation unterscheidet. Sie vermag aber aus zwei Gründen nicht zu überzeugen. Zum einen hat die EU zum jetzigen Stand der Integration keine Kompetenz zur umfassenden Vereinheitlichung des Zivilrechtssystems.93 Also fehlt auch dem EuGH die Befugnis, ein solches System zu konstruieren.94 Zum anderen ist die Qualifikation in Abhängigkeit von der Gerichtsbarkeit der Rechtssicherheit abträglich, die zu den Zwecken95 des europäischen Kollisionsrechts zählt. Denn es besteht die Gefahr abweichender Rechtsanwendungsergebnisse, wenn die Gerichte unterschiedliche Methoden zur Subsumtionsvorbereitung verwenden. d) Vierter Lösungsansatz Schließlich wird noch ein vierter Lösungsweg eingeschlagen. Ihm zufolge sind die Merkmale einer europäischen Kollisionsnorm autonom zu definieren, doch die für die Subsumtion erforderlichen Daten sollen der Rechtsordnung entnommen werden, auf die sich der Anspruchsteller stützt. 96 Es trifft zwar zu, dass das unionsrechtliche IPR autonom interpretiert werden muss.97 Außerdem wird erkannt, dass Auslegung und Qualifikation nicht identisch sind. Allerdings sollten die für die Subsumtion notwendigen Informationen nicht der Rechtsordnung entnommen werden, auf die sich der Anspruchsteller beruft. Denn diese Vorgehensweise widerspricht den drei tragenden Prinzipien des europäischen IPR. Das erste besteht darin, das gewählte Recht nur im Falle einer wirksam getroffenen Rechtswahl als maßgeblich anzusehen.98 Ansonsten gelten die Grundsätze der engsten Verbindung und

__________ 91 92 93 94

Vgl. Audit, JDI 2004, 789 (815). Auf ihn verweisend Brière, JDI 2008, 31 (50). Vgl. Audit, ebda. Im Ergebnis ebenso: Audit, DIP, Rdnr. 802; Brière, ebda. Vgl. statt aller Leible, EWS 2001, 471 (479). Zur entsprechenden vertikalen Grenze der Lückenschließungsbefugnis vgl. Kap. 1 § 3 III 1) a) aa) (1) (S. 34 f.). 95 Zu den Zielen der Rom I- und Rom II-VO vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178). 96 Vgl. Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (296 f.). 97 Zur Erforderlichkeit der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 I 2 a) bis b) (S. 42 ff.). Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). 98 Zur Rechtswahl als vorrangiges Prinzip des europäischen IPR vgl. Kap. 4 § 1 und Kap. 4 § 1 I (S. 229 f.). Zur subjektiven Anknüpfung s. Kap. 4 § 2 (S. 231 ff.).

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

189

des Schwächerenschutzes, wie sie sich in den Anknüpfungspunkten der EU-Kollisionsnormen niederschlagen.99 e) Abschließende Stellungnahme Die obigen Ausführungen zeigen zweierlei. Zum einen ist die Frage, wie die Qualifikation im europäischen IPR genau durchgeführt sollte, bisher noch nicht hinreichend beantwortet worden. Zum anderen besteht die Gefahr, dass bei der Qualifikation im unionsrechtlichen Kollisionsrecht künftig alles umstritten sein wird,100 weil sich insoweit die unrichtige Gleichsetzung von Auslegung und Qualifikation einzuschleichen scheint und daher Missverständnisse vorprogrammiert sind. Inwieweit die Auslegung des europäischen IPR autonom zu erfolgen hat, ist bereits101 gezeigt worden. Fraglich ist aber, wie die Qualifikation – verstanden als Subsumtionsvorbereitung durch rechtliche Einkleidung des Sachverhalts und anschließende funktionale Auslegung – im unionsrechtlichen Kollisionsrecht durchgeführt werden sollte. 2) Lösungsvorschlag Dieser Frage nehmen sich die folgenden Ausführungen an, an deren Ende die qualificatio in lege communi als Vorschlag für ein unionsweit einheitliches Qualifikationskonzept steht. Die Formulierung qualificatio befriedigt wegen der Bedeutungsvielfalt des Qualifikationsbegriffs zwar nicht völlig, dennoch sollte man die Wendung qualificatio wegen der internationalen Verbreitung des Qualifikationsausdrucks verwenden.102 a) Ausgangspunkt Ausgangspunkt des Lösungsvorschlags ist die Anwendung einer Kollisionsnorm, die bereits103 dargelegt worden ist. Dieser Vorgang soll nochmals kurz wiederholt werden, um Missverständnisse zu vermeiden und um ihn für das europäische IPR zu präzisieren. __________ 99 Zu den Grundsätzen der engsten Verbindung und des Schwächerenschutzes als Prinzipien des unionsrechtlichen Kollisionsrechts vgl. Kap. 4 § 1 und Kap. 4 § 1 II (S. 229 ff.). Näher zur objektiven Anknüpfung Kap. 4 § 3 (S. 270 ff.). 100 So zum autonomen nationalen IPR schon Lewald, RDC 69 (1939-III), 1 (68). Ebenso in jüngerer Zeit v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnr. 138 in Fn. 603 unter Bezugnahme auf Weber, Qualifikation, S. 215. 101 Zur Erforderlichkeit der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 I 2 a) bis b) (S. 42 ff.). Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). 102 Angelehnt an Weber, a.a.O. (Fn. 100) S. 201 f. 103 Vgl. dazu Kap. 3 § 1 II 5) (S. 183 f.).

190

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Bei der Rechtsanwendung werden die Merkmale der maßgeblichen EUKollisionsnorm (norma conflictionis legum) ausgelegt, um sie zu definieren und um eine Abgrenzung unter den Verweisungsvorschriften (normae conflictionis legum) vornehmen zu können. Dazu ist auf die autonome Auslegung (interpretatio legis communis) zurückzugreifen.104 Beim Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) bzw. bei der Verweisung (conexus cum lege causae) sind jedoch Besonderheiten zu beachten, weil sich insoweit eine „dreifache funktionale Auslegung“ in der nationalen IPR-Methodik der Mitgliedstaaten105 etabliert hat und diese wegen der Strukturgleichheit106 nationaler und unionsrechtlicher Kollisionsnormen im Grundsatz auf Letztere übertragen werden kann: Im ersten Schritt wird das geprüfte Kollisionsnormelement (res conectenda bzw. conexus cum lege causae) autonom interpretiert, um herauszufinden, welche Funktion es von einer sachrechtlichen Erscheinung verlangt, damit sie subsumiert werden kann.107 Anschließend wird der zu beurteilende Sachverhalt rechtlich eingekleidet, indem das (eventuell) anwendbare Sachrechtsinstitut ermittelt und ausgelegt wird, um seine Funktion im Einzelfall zu bestimmen. Dieser zweite Schritt ist die Vorbereitung der Subsumtion. Nur er sollte als Qualifikation bezeichnet werden. Für andere Arbeitsschritte stehen präzisere Begriffe wie „Auslegung“, „Definition“, „Abgrenzung“ und „Subsumtion“ zur Verfügung. Im dritten und letzten Prüfungsschritt ist die Frage zu beantworten, ob die Funktion der (möglicherweise) einschlägigen Sachrechtserscheinung derjenigen entspricht, die der geprüfte Rahmenbegriff voraussetzt. Dies richtet sich nach der autonomen Auslegung der unionsrechtlichen Kollisionsnorm.108 b) Die qualificatio in lege communi Ausgehend von diesen Prämissen kann man sich der Frage widmen, wie im unionsrechtlichen IPR qualifiziert werden sollte. Dazu kann die dreifache __________ 104

Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). Zu den Kriterien der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) bis dd) (S. 54 ff.). 105 Dies gilt uneingeschränkt für England, Frankreich, Österreich und Deutschland; in Spanien gilt es jedenfalls für die kollisionsrechtliche Einordnung ausländischer Rechtsinstitute; dazu näher Kap. 3 § 1 II 3) (S. 178 und 180). Zu einer „funktionalen Qualifikation“ im europäischen IPR tendierend auch Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (240). Kritisch dagegen Zoll, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I, S. 17 (23). 106 Vgl. Kap. 1 § 2 V 3) (S. 21 ff.). 107 Vgl. a.a.O. (Fn. 104). 108 Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). Zu den Kriterien der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) bis dd) (S. 54 ff.).

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

191

funktionale Auslegung, die sich in Europa durchgesetzt hat, fruchtbar gemacht werden.109 Überträgt man diese Technik auf die Unionsebene, lassen sich zwei Fallgruppen zur Qualifikation bilden. In der ersten Fallgruppe verweist die geprüfte Kollisionsnorm (norma conflictionis legum) auf Drittstaaten-, in der zweiten auf Mitgliedstaatensachrecht. aa) Drittstaatensachrecht als lex causae Die erste Fallgruppe lässt sich leichter lösen als die zweite. Denn bei einem Verweis auf ein Mitgliedstaatensachrecht sind die unionsrechtliche und nationale Ebene zu beachten, während diese Zweistufigkeit bei einem Verweis auf Drittstaatensachrecht fehlt. Ist Drittstaatensachrecht von der zu prüfenden Kollisionsnorm (eventuell) berufen, beherrscht es die „normbezogene Zuspitzung“ des Sachverhalts. Er wird also mittels der möglicherweise einschlägigen drittstaatlichen Sachvorschriften eingekleidet. Wie intensiv der zu beurteilende Sachverhalt „normbezogen zugespitzt“ wird, hängt vom geprüften Kollisionsnormmerkmal ab: Bei der Qualifikation für den Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) kleidet man den Sachverhalt rechtlich ein, bis man die zu beurteilende „Rechtsfrage i.w.S.“110 ermittelt hat. Anders sieht es bei der Qualifikation für die Verweisung (conexus cum lege causae) aus. Sie endet erst bei der vollständigen Einkleidung der Tatsachen in die (eventuell) maßgeblichen Rechtsinstitute. Letztere ergeben sich wiederum aus dem Zusammenspiel verschiedener Sachnormen. Im Rahmen des Subsumtionsvorgangs werden die „Rechtsfrage i.w.S.“ und die (möglicherweise) anwendbaren Sachnormen sogar so weit zugespitzt, bis die Funktion der (eventuell) anwendbaren Rechtserscheinung bestimmt ist. Ob die funktional zugespitzten Rechtsinstitute vom Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) bzw. der Verweisung (conexus cum lege causae) einer Kollisionsnorm (norma conflictionis legum) umfasst sind, hängt allein davon ab, ob die Funktion der (eventuell) einschlägigen Sachnormen mit derjenigen übereinstimmt, die vom geprüften Kollisionsnormelement vorausgesetzt wird. Die Frage dieser Funktionsentsprechung entscheidet allein die autonome Auslegung (interpretatio legis communis). Wichtig ist: Die in diesem Absatz angesprochenen Aspekte gehören zur dreifachen funktionalen Auslegung einer Kollisionsnorm im Rahmen des Subsumtionsvorgangs. Genau genommen zählen sie also nicht zur Qualifikation als solcher. Sie werden an dieser Stelle nur aus Klarstellungsgründen gebracht, um Missverständnissen vorzubeugen. __________ 109 110

Vgl. Kap. 3 § 1 III 2) a) (S. 189 f.). Zum Begriff vgl. Kap. 3 § 1 II 1) (S. 172 f.).

192

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

bb) Mitgliedstaatensachrecht als lex causae Nachdem die erste Fallgruppe behandelt worden ist, steht nun das größere Problem an: Wie soll die Qualifikation erfolgen, wenn die geprüfte Kollisionsnorm (norma conflictionis legum) auf das Sachrecht eines Mitgliedstaates verweist? (1) Lösungsmöglichkeiten Vier Antworten sind denkbar. Die beiden radikalsten bestehen darin, entweder ausschließlich gemäß dem (potenziell) berufenen nationalen Mitgliedstaatensachrecht oder ausschließlich nach Unionssachrecht zu qualifizieren. Daneben lässt sich aber auch ein dritter Lösungsweg einschlagen, indem man den Sachverhalt primär nach Unionssachrecht und sekundär nach dem (eventuell) anwendbaren nationalen Mitgliedstaatensachrecht qualifiziert. Ferner existiert zumindest theoretisch die Option, zuerst nach dem (möglicherweise) berufenen nationalen Mitgliedstaatensachrecht und in zweiter Linie nach unionsrechtlichem Sachrecht zu qualifizieren. (2) Stellungnahme Die ausschließliche oder vorrangige Qualifikation nach dem (eventuell) maßgeblichen nationalen Mitgliedstaatensachrecht widerspricht dem Vorrang des Unionsrechts.111 Daher darf keiner dieser beiden Lösungswege eingeschlagen werden. Die ausschließliche Qualifikation nach Unionssachrecht scheitert an seiner Lückenhaftigkeit.112 Diese widerspricht der ausschließlichen Qualifikation nach Unionssachrecht aber nur, wenn und soweit es keine (vollständigen) Regelungen trifft. Steht materielles Unionsprivatrecht nicht oder nur unvollständig zur Qualifikation zur Verfügung, liegt eine Lücke (lacuna) im Unionssachrecht vor.113 Hierfür ist bereits ein Lösungsansatz erarbeitet worden:114 Lässt sich die Lücke nicht durch EU-Sachrecht schließen, muss man unabhängig von der Art der lacuna auf das IPR der lex fori zurückgreifen, um die Sachrechtsordnung zu bestimmen, mit der die Lücke gefüllt werden soll. Zum IPR der lex fori in diesem Sinne gehört auch das europäische Kollisionsrecht. Es gibt Aufschluss darüber, welche nationale Rechtsordnung dem Sachverhalt aus unionsrechtlicher Sicht am nächsten steht. Das ist in der Qualifikationsfallgruppe, in der die europäische Kollisionsnorm __________ 111 112

Zum Vorrang des Unionsrechts vgl. statt aller Gruber, Methoden, S. 231. Vgl.: Audit, JDI 2004, 789 (815); Hoffmann, Koordination, S. 169 (allerdings mit einem anderen Qualifikationsverständnis). 113 Zum Begriff der Lücke bzw. lacuna vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) und bb) (S. 83 ff.). 114 Dazu jetzt und im Folgenden ausführlich Kap. 1 § 5 I bis IV (S. 81 ff.).

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

193

(norma conflictionis legum) auf ein bestimmtes Mitgliedstaatenrecht verweist, dessen nationales Sachrecht. Wendet man also den zuvor erarbeiteten Lückenschließungsansatz (completio lacunae) konsequent an, ergänzen sich EU- und Mitgliedstaatensachrecht bei der Qualifikation, indem sie primär nach Ersterem und sekundär nach Letzterem erfolgt. Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt auf der Hand. Sie wird der dynamischen Entwicklung des Unionsrechts am besten gerecht. Denn je mehr Unionssachrecht existiert, desto weniger ist nach nationalem Mitgliedstaatensachrecht zu qualifizieren. Außerdem kann sich die Qualifikation primär nach Unions- und sekundär nach (eventuell) berufenem nationalen Mitgliedstaatensachrecht auf eine normative Basis stützen. Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO legen fest, dass das europäische Kollisionsrecht unter dem „anzuwendenden Recht eines Staates“115 „die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen“116 mit Ausnahme der IPR-Vorschriften versteht. Also beruft das unionsrechtliche Kollisionsrecht grundsätzlich alle Sachnormen eines Staates. Das sind bei einem Verweis auf Mitgliedstaatenrecht nationale und unionsrechtliche Sachvorschriften. Aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts folgt wiederum, dass in erster Linie nach unionsrechtlichen und in zweiter Linie nach nationalen Sachnormen qualifiziert werden muss.117 Im Ergebnis sprechen also die besseren Argumente dafür, primär nach Unions- und sekundär nach dem (möglicherweise) berufenen nationalen Mitgliedstaatensachrecht zu qualifizieren. (3) Annex: Subsumtionsmethode Damit ist aber noch keine Aussage über die Subsumtionsmethode getroffen. Sie entspricht im Grundsatz derjenigen, die beim Verweis auf Drittstaatensachrecht angewandt wird:118 Das Sachrecht der (eventuell) berufenen Rechtsordnung wird zur rechtlichen Einkleidung des Sachverhalts bemüht. Die Intensität dieser „normbezogenen Zuspitzung“ richtet sich nach dem geprüften Kollisionsnormmerkmal. Der Sachverhalt wird bei der Qualifikation für den Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) bis zur maßgeblichen „Rechtsfrage __________ 115 „Application of the law of any country“, „l’application de la loi d’un pays“, „la aplicación de la ley de un país“. 116 „The rules of law in force in that country“, „les règles de droit matériel en vigueur dans ce pays [Art. 20 Rom I-VO]/les règles de droit en vigueur dans ce pays [Art. 24 Rom II-VO]“, „las normas jurídicas materiales en vigor en ese país [Art. 20 Rom I-VO]/ las normas jurídicas vigentes en ese país [Art. 24 Rom II-VO]“. 117 Zum Vorrang des Unionsrechts statt aller Streinz, Europarecht, Rdnr. 203. 118 Dazu Kap. 3 § 1 III 2) b) aa) (S. 191).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

i.w.S.“119 hochgestuft und bei der Qualifikation für die Verweisung (conexus cum lege causae) bis zum (möglicherweise) einschlägigen Rechtsinstitut (Sachnormen). Die Besonderheit besteht im Falle des Verweises auf Mitgliedstaatensachrecht darin, dass man die im vorstehenden Absatz dargestellte Methode zuerst auf der Ebene des Unionssachrechts und bei dessen Fehlen bzw. Unvollständigkeit auf der Ebene des Mitgliedstaatensachrechts anwendet. Das heißt: Zunächst sind die sachrechtlichen Verordnungen und Richtlinien zu ermitteln, mit denen man den Sachverhalt rechtlich einkleiden kann. Richtlinien schaffen zwar prinzipiell nicht selbst unmittelbar Recht in den Mitgliedstaaten, sondern sind von diesen noch auszuführen.120 Die Qualifikation mündet aber in eine funktionale Auslegung, bei der es auf die Ziele einer Rechtsnorm ankommt.121 Weil die Ziele einer Richtlinie nach Art. 288 Abs. 3 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 3 EGV) verbindlich sind, kann zur Qualifikation auch auf Richtlinien zurückgegriffen werden. Fehlen für den zu beurteilenden Sachverhalt Richtlinien bzw. Verordnungen, oder wird er nur teilweise vom existierenden Sekundärrecht geregelt, muss man zur rechtlichen Einordnung des Sachverhalts das Sachrecht des Mitgliedstaates heranziehen, das von der geprüften europäischen Kollisionsnorm (eventuell) berufen wird. Zu beachten ist: Ob der „normbezogen zugespitzte“ Sachverhalt vom Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) und von der Verweisung (conexus cum lege causae) einer Kollisionsnorm (norma conflictionis legum) umfasst wird, hängt allein davon ab, ob die von dem jeweiligen Rahmenbegriff verlangte Funktion mit derjenigen der möglicherweise maßgeblichen Sachnormen übereinstimmt. Die Entscheidung über die Funktionsentsprechung ist durch autonome Auslegung (interpretatio legis communis) zu treffen. Dieser Gesichtspunkt zählt zur funktionalen Auslegung einer Kollisionsnorm und damit nicht zur Qualifikation als solcher. IV. Fazit Qualifikation kann im europäischen IPR allgemein als Methode bezeichnet werden, die der Zuordnung tatsächlicher bzw. rechtlicher Gesichtspunkte zu den Rahmenbegriffen einer Kollisionsnorm (norma conflictionis legum) dient. Dieser funktionale Oberbegriff ist aber noch zu weit gefasst. Die Qualifikation im technischen Sinne (qualificatio in lege communi) be__________ 119 120

Zum Begriff vgl. Kap. 3 § 1 II 1) (S. 172 f.). Vgl. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rdnr. 68 m.w.Nachw. (Fn. 208). 121 Vgl. dazu Kap. 3 § 1 II 3) bis 5) sowie Kap. 3 § 1 III 2) a) (S. 178 ff., 189 f.).

§ 1 Die Qualifikation im europäischen IPR

195

zeichnet lediglich die rechtliche Einkleidung des Sachverhalts in Rechtsfragen i.w.S.122 und Sachnormen, um ihn auf die Subsumtion unter den Anknüpfungsgegenstand (res conectenda) oder die Verweisung (conexus cum lege causae) vorzubereiten. Dies geschieht, indem das (eventuell) anwendbare Sachrechtsinstitut ermittelt und ausgelegt wird, um seine Funktion im Einzelfall zu bestimmen. Aufgrund des großen Abstraktionsgrades wird der hier vertretene Lösungsansatz zur Qualifikation und Subsumtion im EU-IPR mittels der Abbildungen 11 und 12 auf den nächsten Seiten verständlicher gemacht und gleichzeitig zusammengefasst. Wegen des hohen Abstraktionsniveaus und der damit verbundenen Vielzahl von Missverständnissen sollte ein „EU-IPR AT“ auch eine Regelung zur Qualifikation (qualificatio in lege communi) und zur Subsumtion enthalten.123 Nach dem hier vertretenen Ansatz sollte eine solche Normierung wie folgt beschaffen sein: „Qualifikation und Subsumtion (1) Im europäischen Kollisionsrecht richtet sich die Qualifikation nach dem Recht des Staates, das nach der geprüften Kollisionsnorm anzuwenden wäre, wenn der zu beurteilende Sachverhalt von dieser Kollisionsnorm erfasst wäre. (2) Die Qualifikation im Sinne des Absatzes 1 ist die Vorbereitung der Subsumtion durch sachnormbezogene Einkleidung des zu beurteilenden Sachverhalts. (3) Im europäischen Kollisionsrecht erfolgt die Subsumtion unter die Rahmenbegriffe einer Kollisionsnorm durch einen Vergleich. Bei einem Vergleich im Sinne des Satzes 1 wird die Funktion, die das jeweils geprüfte Element einer Kollisionsnorm voraussetzt, der Funktion der Sachnormen gegenübergestellt, die nach der geprüften Kollisionsnorm anzuwenden wären, wenn der zu beurteilende Sachverhalt von dieser Kollisionsnorm erfasst wäre. Entsprechen die in Satz 2 genannten Funktionen einander, muss die abschließende Deduktion dahin gehend erfolgen, dass das geprüfte Kollisionsnormelement den qualifizierten Sachverhalt erfasst. Die abschließende Entscheidung über eine Funktionsentsprechung im Sinne des Satzes 3 ist durch Auslegung der geprüften Kollisionsnorm zu treffen. (4) Die Subsumtion im Sinne der Absätze 2 und 3 ist die Vorbereitung der abschließenden Deduktion.“

__________ 122 Mit einer „Rechtsfrage i.w.S.“ ist jetzt und in der weiteren Bearbeitung der jeweilige „Schnittpunkt zwischen Tatsachen und Recht“ (so wörtlich Weber, Qualifikation, S. 228) gemeint, der sich „auf der Grundlage des faktischen Geschehens mit Blick auf eine bestimmte Sachnorm (oder bestimmte Sachnormen)“ (so wörtlich Weber, ebda. S. 231) ergibt. Sie wird im Rahmen des Subsumtionsvorgangs dahin gehend zugespitzt, dass die möglicherweise anwendbare Rechtserscheinung und deren Funktion bestimmt werden. 123 A. M. zur ausdrücklichen Regelung der Qualifikation im europäischen IPR: Baratta, YbPIL Vol. 6 (2004), 155 (167 f.); Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (53 f.); Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (40 f. und 60).

196

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Abbildung 11: Qualifikation im EU-IPR (qualificatio in lege communi) norma conflictionis legum

res conectenda

factum conectens

conexus cum lege causae

interpretatio legis communis nach examinatio ante interpretationem

Definition

Definition

Definition

Subsumtion, in diesem Zusammenhang: dreifache funktionale Auslegung (s. Abb. 12)

Rechtsfragen i.w.S.

Fakten

Rechtsnormen

Vorbereitung der Subsumtion durch rechtliche Einkleidung sowie funktionale Auslegung = Qualifikation

Keine rechtliche Einkleidung erforderlich

Vorbereitung der Subsumtion durch rechtl. Einkl. und funktionale A. = Qualifikation

Sachverhalt

Verweis auf Drittstaatensachrecht

Verweis auf Mitgliedsstaatensachrecht

Qualifikation nach Drittstaatensachrecht

Qualifikation nach (1) Unionssachrecht und bei dessen Unvollständigkeit/Fehlen: (2) nationalem Mitgliedstaatensachrecht

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

197

Abbildung 12: Dreifache funktionale Auslegung Dreifache funktionale Auslegung im Rahmen des Subsumtionsvorgangs Von der res conectenda bzw. vom conexus cum lege causae vorausgesetzte Funktion (Funktionsermittlung nach interpretatio legis communis)

Subsumtion bei Funktionsentsprechung (Entscheidung letztlich durch interpretatio legis communis)

Funktion nach Auslegung durch die lex causae (Zwei Fallgruppen der lex causae: Drittstaatensachrecht oder Unions- und sekundär nationales Mitgliedstaatensachrecht)

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR § 2 Vorfragen im europäischen IPR

Nachdem dargelegt worden ist, wie im europäischen IPR qualifiziert werden sollte,124 kann man sich nun einer anderen Frage zuwenden, die im Rahmen des Tatbestands einer unionsrechtlichen Kollisionsnorm gelegentlich auftritt – der sog. Vorfrage. I. Begriff und Abgrenzung der Vorfrage 1) Begriff (praequaestio) Während der Gegenstand der Vorfrage früher unterschiedlich beurteilt worden ist,125 hat sich heute folgende Betrachtungsweise durchgesetzt: Eine Vorfrage ist die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses.126 Sie sollte in einer unionsweit einheitlichen Terminologie127 als praequaestio bezeichnet werden.128 __________ 124 125 126

Dazu ausführlich Kap. 3 § 1 III und IV (S. 184 ff.). Dazu eingehend Füllemann-Kuhn, Vorfrage, S. 4–6. Zum englischen Begriffsverständnis vgl. statt aller Collins (Hrsg.), CoL I, Rdnr. 2-046; zum französischen vgl. statt aller Loussouarn/Bourel/de Vareilles-Sommières, DIP, Rdnr. 197-3; zum spanischen vgl. statt aller Esplugues Mota/Iglesias Buhigues, DIP, S. 189; zum österreichischen vgl. statt aller Schwimann, IPR, S. 27 und 42; zum deutschen vgl. statt aller Kropholler, IPR, § 32 I. 127 Dazu jetzt und im Folgenden s. Kap. 1 § 2 (S. 11 ff.). 128 A. M. Bernitt, Vorfragen, S. 20 („[...] ratsam, in anderen Sprachen die direkte Übersetzung des Begriffs ‚Vorfrage‘ zu wählen.“). Zu den Gegenargumenten zu einer derartigen mehrsprachigen Lösung vgl. Kap. 1 § 2 II 3) (S. 14 f.).

198

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Fraglich ist, ob die praequaestio begrifflich auf die präjudiziellen Fragen beschränkt werden sollte, die sich erst nach der kollisionsrechtlichen Anknüpfung stellen. Vorher vorausgesetzte präjudizielle Rechte bzw. Rechtsverhältnisse müssten dann unter einen anderen Fachbegriff gefasst werden, der dem Terminus „Erstfrage“129 vergleichbar ist.130 Für eine getrennte Behandlung von Erst- und Vorfragen ließe sich anführen, man habe auf kollisionsrechtlicher Ebene keine andere Alternative, als präjudizielle Fragen nach dem IPR der lex fori anzuknüpfen.131 Eine ausländische lex causae sei zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht berufen.132 Gegen die Unterscheidung von Vor- und Erstfragen kann man aber einwenden, dass die Verwendung von Rechtsbegriffen im Tatbestand einer Kollisionsnorm nicht selten vom Zufall abhängt und dass sich der Kreis von Verweisungsvorschriften, die Erstfragen enthalten, nicht eindeutig abgrenzen lässt.133 Dennoch sollte man zwischen zwei „Vorfragenarten“ differenzieren, um schon an der Formulierung erkennen zu können, auf welcher Ebene sich eine Vorfrage stellt. Das heißt, bei praequaestiones sollte zur begrifflichen Klarstellung nach der Prüfungsstufe unterschieden werden, auf der sie in Erscheinung treten.134 Für eine Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses, die sich vor der kollisionsrechtlichen Anknüpfung stellt, bietet sich die Bezeichnung praequaestio ante conexum cum lege causae an. Sobald eine Vorfrage nach der kollisionsrechtlichen Anknüpfung auftritt, sollte sie praequaestio post conexum cum lege causae genannt werden. Will man auf beide Vorfragearten Bezug nehmen, kann man sich der Wendung praequaestio als Oberbegriff bedienen.

__________ 129

Zurückgehend auf Jochem, FamRZ 1964, 392 (393). Dazu kritisch statt vieler Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rdnr. 251. 130 Differenzierend zwischen Vorfragen im unionsrechtlichen IPR der lex fori und Vorfragen im (Kollisions oder Sach-)Recht der lex causae Kreuzer, in: Jud/Rechberger/ Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (55–57). 131 Statt vieler Jochem, a.a.O. (Fn. 129). Zurückgehend auf Melchior, Grundlagen, S. 261. So auf unionsrechtlicher Ebene Kreuzer, ebda. (55). 132 Vgl. statt vieler Winkler von Mohrenfels, RabelsZ 51 (1987), 20 (20). 133 Vgl. statt vieler Staudinger/Sturm/Sturm, a.a.O. (Fn. 129). 134 Im Ergebnis ebenso Kreuzer, a.a.O. (Fn. 130). Im Ergebnis a. M. Bernitt, Vorfragen, S. 17.

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

199

2) Abgrenzung der praequaestio Die praequaestio muss von anderen Fragen abgegrenzt werden.135 Insbesondere ist sie von der Haupt- und von der Teilfrage zu unterscheiden, und zwar auf kollisions- wie auch auf sachrechtlicher Ebene. a) Abgrenzung auf kollisionsrechtlicher Ebene aa) Abgrenzung zur Hauptfrage (quaestio principalis) Damit sich eine praequaestio stellen kann, muss eine norma conflictionis legum136 angewandt werden. Dazu ist zunächst zu bestimmen, welcher Anknüpfungsgegenstand für die Hauptfrage einschlägig ist. Dies geschieht in dem zuvor137 bereits dargelegten Dreischritt, der auch zum Unterschied zwischen Hauptfrage und praequaestio ante conexum cum lege causae138 führt. Die Hauptfrage umfasst auf kollisionsrechtlicher Ebene diejenigen Rechtsfragen i.w.S., die zur res conectenda139 der für sie maßgeblichen norma conflictionis legum gehören. Also bleiben für die praequaestio ante conexum cum lege causae nur solche präjudiziellen Fragen übrig, die nicht schon unter den Anknüpfungsgegenstand der Kollisionsnorm fallen, die für die Hauptfrage anwendbar ist. Seine Reichweite ergibt sich wiederum im Wege der (autonomen) Auslegung.140 Auf kollisionsrechtlicher Ebene entscheidet somit die interpretatio legis communis141 über die Abgrenzung zwischen Haupt- und Vorfrage. Als Beispiel für eine praequaestio ante conexum cum lege causae lässt sich das Nichtbestehen einer Rechtswahl im Sinne des Art. 3 Rom I-VO anführen. Es wird in den Art. 4 bis 8 Rom I-VO an verschiedenen Stellen vorausgesetzt, zählt aber nicht zum jeweiligen Anknüpfungsgegenstand. Im Ergebnis kommt es für die Abgrenzung zwischen Haupt- und Vorfrage im europäischen Kollisionsrecht also darauf an, ob der für die Hauptfrage maßgebliche Anknüpfungsgegenstand eine präjudizielle Frage umfasst oder nicht. Im ersten Fall gehört sie zur Hauptfrage, im zweiten nicht. __________ 135 Zur Abgrenzung der Vorfrage von anderen AT-Instituten bereits ausführlich Hoffmeyer, Vorfragenproblem, S. 14–25. Darauf (unausgesprochen) aufbauend Bernitt, Vorfragen, S. 22–33. 136 Zum Begriff jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 1 § 2 V 3) und VI (S. 21, 23). 137 Dazu jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 3 § 1 III 2) a) (S. 189 f.). 138 Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 3 § 2 I 1) (S. 198). 139 Zum Begriff jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 2 V 3) und VI (S. 21, 23). 140 Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). Zu den Kriterien der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) bis dd) (S. 54 ff.). 141 Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 1 § 4 I 2) b) (S. 45).

200

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Letztere sollte in einer europaweit einheitlichen Terminologie als quaestio principalis bezeichnet werden. bb) Abgrenzung zur Teilfrage (quaestio subiecta) Gelangt man bei der (autonomen) Auslegung zum Ergebnis, dass eine präjudizielle Frage aus dem für die Hauptfrage maßgeblichen Anknüpfungsgegenstand ausscheidet, kann diese Frage eine praequaestio ante conexum cum lege causae sein. Ebenso gut kann sie aber die Frage nach der Bewertung essenzieller Elemente der quaestio principalis142 darstellen, für die ausnahmsweise eine Sonderanknüpfung besteht. Fragen nach der Beurteilung wesentlicher Bestandteile der Hauptfrage werden in der Literatur Teilfragen genannt.143 Sie sind stets unselbstständige Glieder der Hauptfrage und können regelmäßig zu keinem eigenständigen Rechtsstreit vor der Zivilgerichtsbarkeit führen.144 Das unterscheidet sie nicht nur von den selbstständigen Vorfragen, sondern rechtfertigt zugleich ihre Bezeichnung als quaestiones subiectae in einer unionsweit einheitlichen Terminologie. Auf kollisionsrechtlicher Ebene erlangen quaestiones subiectae nur eine eigenständige Bedeutung, sofern sie nicht schon von der res conectenda der Kollisionsnorm umfasst sind, die für die Hauptfrage maßgeblich ist. Dann geht nämlich die Unterscheidung zwischen quaestiones subiectae und praequaestiones in der Abgrenzung zwischen Haupt- und Vorfrage auf.145 Als Beispiel bietet sich die deliktsrechtliche Handlungsfähigkeit an.146 Sie gehört zum jeweils einschlägigen Anknüpfungsgegenstand der Art. 4 ff. Rom II-VO. Das folgt aus einem Schluss aus Art. 15 lit. a) Rom II-VO. Denn die dort genannte „Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar gemacht werden können“147 beinhaltet auch die Frage, in welchem Fall einer Person die Fähigkeit zugesprochen wird, deliktsrechtlich relevant zu handeln.148 Art. 15 Rom II-VO regelt zwar ausdrücklich nur den Verweisungsumfang. Doch das berufene Recht kann die in Art. 15 Rom II-VO aufgezählten Materien nur beherrschen, wenn sie bereits zum __________ 142 143 144 145 146 147

Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 3 § 2 I 2 a) aa) (S. 199 f.). Statt aller Neuhaus, Grundbegriffe, S. 133. Vgl. statt aller Schmidt, RDC 233 (1992-II), 305 (331 f.). Zur Abgrenzung von Haupt- und Vorfrage s. Kap. 3 § 2 I 2) a) aa) (S. 199 f.). So auch Bernitt, Vorfragen, S. 146 f. („Teilfrage“). „Determination of persons who may be held liable for acts performed by them“, „détermination des personnes susceptibles d’être déclarées responsables des actes qu’elles commettent“, „determinación de las personas que puedan considerarse responsables por sus propios actos“. 148 Vgl. statt aller Wagner, IPRax 2008, 1 (15).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

201

Anknüpfungsgegenstand der einschlägigen Kollisionsnorm gezählt haben. Also zählt die Deliktsfähigkeit einer Person zur res conectenda der jeweils anwendbaren deliktsrechtlichen Verweisungsvorschrift. Demnach ist die Deliktsfähigkeit eine quaestio subiecta, deren Unterscheidung zur Vorfrage in der Abgrenzung zwischen quaestio principalis und praequaestio ante conexum cum lege causae aufgeht. Bei anderen quaestiones subiectae ist dies nicht der Fall, da das europäische IPR für sie gesonderte normae conflictionis legum bereithält. So unterliegt etwa die Form in Art. 11 Rom I-VO, 21 Rom II-VO einer besonderen Anknüpfung. Somit sind die von Art. 11 Rom I-VO, 21 Rom II-VO umfassten Formfragen kollisionsrechtlich von der einzelnen Hauptfrage grundsätzlich abgekoppelt. Allerdings bleiben sie insofern von der quaestio principalis abhängig, als dass sie regelmäßig keinen eigenständigen Rechtsstreit aufwerfen, sondern immer nur im Zusammenhang mit einer Hauptfrage beantwortet werden müssen. b) Abgrenzung auf sachrechtlicher Ebene Sobald die europäische Kollisionsnorm auf die Rechtsordnung verwiesen hat, die für die Hauptfrage maßgeblich ist, wechselt die Vorfrage gewissermaßen ihr „begriffliches Gewand“: Wenn sie nach diesem Zeitpunkt in Erscheinung tritt, sollte sie nicht mehr als praequaestio ante conexum cum lege causae bezeichnet werden, sondern als praequaestio post conexum cum lege causae.149 aa) Abgrenzung zur Hauptfrage (quaestio principalis) Auch die praequaestio post conexum cum lege causae150 muss von der quaestio principalis unterschieden werden. Ihre Abgrenzung erfolgt in ähnlicher Weise wie auf kollisionsrechtlicher Ebene:151 Die Hauptfrage beinhaltet die Rechtsinstitute (Sachnormen), die von der Verweisung der Kollisionsnorm umfasst sind, unter die die Hauptfrage fällt. Alle sonstigen Rechte bzw. Rechtsverhältnisse, die auf sachrechtlicher Stufe (präjudiziell) vorausgesetzt werden, können eine praequaestio post conexum cum lege causae sein. Auch auf sachrechtlicher Ebene entscheidet also die (autonome) Auslegung, ob eine präjudizielle Frage zur Hauptfrage zählt oder eine prae-

__________ 149 150 151

Vgl. Kap. 3 § 2 I 1) (S. 198). Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 3 § 2 I 1) (S. 198). Zur Abgrenzung zwischen Haupt- und Vorfrage auf kollisionsrechtlicher Ebene jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 3 § 2 I 2) a) aa) (S. 199 f.).

202

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

quaestio ist.152 Anders als auf kollisionsrechtlicher Stufe ist aber nicht auf die res conectenda, sondern auf den conexus cum lege causae153 abzustellen. Zu seiner Interpretation gibt das europäische IPR dem Rechtsanwender die Hilfsnormen der Art. 12 Rom I-VO, 15 Rom II-VO an die Hand. Aus Art. 15 Rom II-VO ergibt sich beispielsweise in Zusammenschau mit Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO, dass der jeweils anwendbare conexus cum lege causae der Art. 4 ff. Rom II-VO bei einer außervertraglichen Haftung wegen Eigentumsverletzung154 nicht die Frage umfasst, ob das dingliche Recht besteht. Vielmehr handelt es sich dabei um eine praequaestio post conexum cum lege causae.155 bb) Abgrenzung zur Teilfrage (quaestio subiecta) Eine praequaestio post conexum cum lege causae ist aber nicht nur von der quaestio principalis, sondern erforderlichenfalls auch von der quaestio subiecta156 abzugrenzen. Vor- und Teilfragen werden auf sachrechtlicher Ebene in ähnlicher Weise voneinander abgegrenzt wie auf kollisionsrechtlicher:157 Entweder die Teilfrage ist von der Verweisung in der Hauptfrage umfasst und geht in ihrer Abgrenzung zur Vorfrage auf; oder es existiert eine Sonderanknüpfung für die jeweilige quaestio subiecta. Im ersten Fall ist das Hauptfragenstatut für die Teilfrage maßgeblich, im zweiten das Sonderanknüpfungsstatut. Welcher der beiden Fälle vorliegt, muss durch (autonome) Auslegung der Verweisung ermittelt werden. Gleiches gilt für die Beantwortung der Frage, ob eine unselbstständige quaestio subiecta oder eine selbstständige praequaestio post conexum cum lege causae gegeben ist. Für beide Fälle der quaestio subiecta sind bereits158 Beispiele gebracht worden, auf die insoweit verwiesen werden kann.

__________ 152 Zum Anwendungsbereich der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). Zu den Kriterien der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) bis dd) (S. 54 ff.). 153 Zum Begriff jetzt und im Folgenden Kap. 1 § 2 V 3) und VI (S. 22, 23). 154 Beispiel entlehnt aus Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (240 f.). 155 So im Ergebnis auch: Bernitt, Vorfragen, S. 149; Sonnenberger, ebda. (240). 156 Zum Begriff jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 3 § 2 I 2) a) bb) (S. 200). 157 Zur Abgrenzung zwischen Teil- und Vorfrage auf kollisionsrechtlicher Ebene jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 3 § 2 I 2) a) bb) (S. 200 f.). 158 S. Kap. 3 § 2 I 2) a) bb) (S. 200 f.).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

203

II. Überblick und Beitrag zur Vorfragenbeantwortung im autonomen nationalen IPR Ergibt die (autonome) Auslegung, dass eine praequaestio vorliegt,159 stellt sich die Frage: Wie sollte das auf die Vorfrage anzuwendende Recht im unionsrechtlichen IPR bestimmt werden? Zu ihrer Beantwortung werden im Wesentlichen die Methoden auf das europäische Kollisionsrecht übertragen, die im staatsvertraglichen und autonomen nationalen IPR gängig sind, um das Vorfragenstatut zu ermitteln.160 1) Vorfrage - Problem und Lösungswege Das Problem, das hinter der Vorfragenanknüpfung steht, ist bereits seit über einem Jahrhundert bekannt.161 Allerdings ist es erst vor mehr als 75 Jahren „entdeckt“,162 genauer gesagt, erstmals in seiner Allgemeinheit behandelt worden.163 Seither haben sich viele Rechtswissenschaftler unterschiedlicher Länder mit der Vorfrage auseinandergesetzt.164 Die Schwierigkeit besteht darin, wie die Rechtsordnung ermittelt werden sollte, die die Vorfrage165 beantwortet.166 Vier Lösungen sind theoretisch denkbar:167 die unmittelbare Anwendung des Sachrechts der lex fori, der direkte Rückgriff auf die Sachvorschriften des Hauptfragenstatuts, die Heranziehung des Kollisionsrechts der lex fori oder der Rekurs auf das IPR der für die Hauptfrage maßgeblichen Rechtsordnung. Einigkeit herrscht darüber, dass eine unmittelbare Sachrechtsanwendung ausgeschlossen ist.168 Dies widerspräche nämlich dem System des Kollisionsrechts, weil eine Vorfrage per definitionem nicht unter die Kolli__________ 159 160 161 162

251.

Dazu näher Kap. 3 § 2 I 2) a) und b) (S. 199 ff.). Zur Vorfragenanknüpfung im EU-IPR s. Kap. 3 § 2 III 1) a) bis b) (S. 213 ff.). Vgl. etwa die Beispiele bei Kahn, JhJb 30 (1891), 1 (25 f.). S. Melchior, Grundlagen, S. 245–265 sowie Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148 bis

163 So bereits Melchior, ebda. S. 248. Aus jüngerer Zeit vgl. statt aller Schurig, in: FS Kegel, S. 549 (552). 164 Vgl. Gotlieb, ICLQ 1977, 734 (734, 739, 751) mit umfangreichen Literaturnachweisen auf S. 739 (Fn. 18–21). Zur doktrinalen Entwicklung vgl. statt aller Schmidt, RDC 233 (1992-II), 305 (342–367). 165 Mit dem Begriff „Vorfrage“ ist jetzt und in der weiteren Bearbeitung die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses gemeint, und zwar unabhängig davon, ob sie sich auf kollisions- oder sachrechtlicher Ebene stellt. 166 Vgl. statt aller Kropholler, IPR, § 32 II. 167 Vgl. Füllemann-Kuhn, Vorfrage, S. 15 m.w.Nachw. (Fn. 122). 168 Vgl. statt aller Schmidt, a.a.O. (Fn. 164) (316). Anders nur die in Österreich vertretene „Gesamtanknüpfung“, dazu statt aller Schwind, IPR, Rdnr. 98–100.

204

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

sionsnorm der Hauptfrage fällt und daher das für sie maßgebliche Recht noch nicht bestimmt wurde.169 Deswegen muss in jedem Fall eine kollisionsrechtliche Prüfung durchgeführt werden, um das Vorfragenstatut zu bestimmen.170 Dazu sind schon viele verschiedene Vorschläge unterbreitet worden, die sich aber in drei große Lager unterteilen lassen. 171 Die erste, überwiegend172 vertretene Ansicht will das Vorfragenstatut grundsätzlich durch die Anwendung der Kollisionsnormen der lex fori bestimmen (sog. selbstständige Anknüpfung). Demgegenüber möchte die Gegenauffassung173 prinzipiell auf das IPR der Rechtsordnung zurückgreifen, die für die Hauptfrage maßgeblich ist (sog. unselbstständige Anknüpfung). Eine dritte Autorengruppe174 lehnt die Ermittlung des Vorfragenstatuts nach festen Grundsatzpositionen ab. Stattdessen machen ihre Vertreter die Vorfragenanknüpfung von wandelbaren Gesichtspunkten abhängig: von der Auslegung der für die Hauptfrage maßgeblichen Kollisionsnorm der lex fori,175 von der Abwägung der den Kollisionsnormen zugrundeliegenden Prinzipien mit Blick auf die praktischen Ergebnisse,176 von der Auslegung der für die Hauptfrage maßgeblichen Kollisions- und Sachnor-

__________ 169 170

Vgl. Bernitt, Vorfragen, S. 35 m.w.Nachw. (Fn. 1). So schon Robertson, LQR 1939, 565 (569). Aus jüngerer Zeit vgl. statt aller Kegel/Schurig, IPR, § 9 II 1. 171 Vgl. statt aller Gotlieb, ICLQ 1977, 734 (751 f.). 172 So für „begriffsnotwendige Bestandteile“ der Hauptfrage schon Melchior, Grundlagen, S. 259–263. So in Frankreich schon Maury, RDC 57 (1936-III), 325 (560); dort auch heute überwiegende Ansicht; vgl. statt aller Monéger, DIP, Rdnr. 95. In Österreich herrschende Rechtsprechung und von Teilen der Literatur vertreten; vgl. Staudinger/ Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rdnr. 253 m.w.Nachw. In Spanien überwiegende Auffassung, vgl. statt aller Calvo Caravaca/Carrascosa González, DIP I, Kap. VII, Rdnr. 34. Auch in Deutschland herrschende Meinung; vgl. Kropholler, IPR, § 32 IV m.w.Nachw. (Fn. 12). 173 So für Vorfragen (präjudizielle Fragen, die nicht „begriffsnotwendige Bestandteile“ der Hauptfrage sind) bereits Melchior, ebda. S. 249–258. Ebenso für Vorfragen, wenn die Auslegung der sie aufwerfenden Norm(en) ergibt, dass die endgültige Vorfragenbeantwortung anderen Rechtsquellen überlassen wird Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148 (200 im Kontext zu 188 und 151 f.). So generell für Vorfragen: Neuhaus, Grundbegriffe, S. 345; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rdnr 71-72. 174 So schon Wolff, IPR(3), S. 81. Zu den Vertretern dieser Position Gotlieb, a.a.O. (Fn. 171) (754) m.w.Nachw. (Fn. 120–129). Diese Auffassung ist heute in England weit verbreitet, vgl. Clarkson/Hill, CoL, S. 481 m.w.Nachw. (Fn. 138) und findet auch in Deutschland immer wieder Anhänger, so beispielsweise in jüngerer Zeit Mansel, in: FS Kropholler, S. 353 (358, 360 und 370 f.). 175 So Mansel, ebda. (360 f. und 370 f.). 176 Vgl. Clarkson/Hill, a.a.O. (Fn. 174) m.w.Nachw. (Fn. 139 f.).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

205

men,177 von der Auslegung der in der Hauptfrage anwendbaren Sachnorm,178 usw.179 2) Bedeutung des Vorfragenproblems Fraglich ist, welche der drei genannten Auffassungen für das autonome nationale IPR vorzugswürdig ist. Vor einer Stellungnahme sollte man sich zwei Aspekte vor Augen führen. Erstens verliert der Streit zwischen den zwei Grundsatzpositionen dadurch an Bedeutung, dass die Vertreter beider Seiten einige Ausnahmen zulassen, so dass in Teilbereichen Einigkeit über die Ermittlung des Vorfragenstatuts besteht.180 Zweitens wird der Streit um die Vorfragenanknüpfung praktisch nur relativ selten relevant.181 Denn das Vorfragenproblem ist nur von Bedeutung, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind.182 Zunächst muss für die Hauptfrage ausländisches Recht anwendbar sein; sodann müssen die Kollisionsnormen der lex fori und die Verweisungsvorschriften des für die Hauptfrage maßgeblichen Rechts unterschiedliche Rechtsordnungen zur Beantwortung der Vorfrage berufen; und schließlich müssen die jeweils konkret anwendbaren Sachnormen zu verschiedenen Ergebnissen führen. Alle drei Anforderungen sind nur selten erfüllt.183 3) Stellungnahme Dennoch ist eine Stellungnahme für die Fälle erforderlich, in denen alle drei Voraussetzungen vorliegen und in denen noch keine Einigkeit zwischen den beiden Grundsatzpositionen besteht.184 Der Rückgriff auf eine bestimmte Rechtsnorm scheidet jedenfalls von vornherein aus. Denn bisher __________ 177 MünchKomm(4)/Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 545 in Zusammenschau mit Rdnr. 559–561. Ihm folgend: MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 533 in Zusammenschau mit Rdnr. 547–549; PWW/Mörsdorf-Schulte, Art. 3 EGBGB Rdnr. 46. 178 So ausdrücklich Wolff, IPR(3), S. 81. Ebenso verfährt letztlich auch Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148 (151 f. im Kontext zu 188 und 200). 179 Zu den verschiedenen differenzierenden Lösungen vgl. statt aller Wienke, Vorfragenanknüpfung, S. 23–25. 180 Vgl. Henrich, Familien- und Erbrecht, S. 188 f., ausführlich zu den „KonsensFallgruppen“ S. 189–196. 181 So schon Robertson, LQR 1939, 565 (581 f.). Aus der jüngeren Literatur vgl. statt aller Kropholler, IPR, § 32 II. 182 Statt aller Schmidt, SSL 1968, 93 (101). 183 Vgl. statt aller Collier, CoL, S. 27. Zur Bedeutung des Vorfragenproblems ausführlich Hoffmeyer, Vorfragenproblem, S. 114–124. 184 S. dazu die Nachweise unter Kap. 3 § 2 II 2) (S. 205).

206

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

hat keine nationale Rechtsordnung ausdrücklich gesetzlich geregelt, wie Vorfragen angeknüpft werden sollten.185 Zur Vorfragenanknüpfung sind schon viele Argumente ausgetauscht, einander gegenübergestellt und untersucht worden.186 An dieser Stelle werden nur drei Aspekte hervorgehoben: Die Lösungen, die das Vorfragenstatut nach wandelbaren Gesichtspunkten bestimmen,187 sind schon deshalb abzulehnen, weil sie zu Rechtsunsicherheit führen.188 Also muss man sich lediglich zwischen dem Prinzip der selbstständigen und unselbstständigen Vorfragenanknüpfung entscheiden. Welche der beiden Grundsatzpositionen man unterstützt, hängt davon ab, ob man der inneren oder der internationalen Entscheidungsharmonie Vorrang einräumt.189 Priorisiert man die innere, wird man den Grundsatz der selbstständigen Vorfragenanknüpfung befürworten; im umgekehrten Fall das Prinzip der unselbstständigen.190 Unabhängig davon, welche Hierarchisierung man vornimmt, muss man sich über eines im Klaren sein: Die jeweils bevorzugte Harmonie ist selbst eine Wertung,191 die ihrerseits begründet werden muss. Will man sich einer solch begründungsbedürftigen Gewichtung enthalten, spricht ein entscheidendes Argument für die selbstständige Anknüpfung – die Existenz von Kollisionsnormen in der lex fori: Durch das Bestehen von Regelungen, die bei Auslandsberührung das anwendbare Recht bestimmen, bringt eine Rechtsordnung zum Ausdruck, dass sie ausländische Vorschriften ausschließlich dann angewandt sehen will, wenn sie selbst einen entsprechenden Anwendungsbefehl erteilt. Dieser Befehl umfasst in der Hauptfrage per se nur die Gegenstände, die dem Anknüpfungsgegenstand bzw. der Verweisung der Kollisionsnorm unterliegen, die für die Hauptfrage maßgeblich ist.192 Die Vorfrage zeichnet sich jedoch gerade dadurch aus, dass sie außerhalb dieser Rahmenbegriffe steht.193 Das heißt, mit dem Anwendungsbefehl für die Hauptfrage ist für __________ 185 186 187 188

Vgl. statt aller Wengler, in: Lipstein (Hrsg.), IECL III/1, Rdnr. 7-38. Vgl. nur: Hoffmeyer, Vorfragenproblem, S. 51–70; Bernitt, Vorfragen, S. 36–99. Zu diesen Lösungen s. Kap. 3 § 2 II 1) (S. 204 f.). Statt vieler Schmidt, RDC 233 (1992-II), 305 (383). Ebenso und mit weiteren Gegenargumenten etwa v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnr. 205 f. 189 So schon Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148 (206). Aus der jüngeren Zeit vgl. statt aller Mansel, in: FS Kropholler, S. 353 (359). Ausführlich zur internen Entscheidungsharmonie Bernitt, Vorfragen, S. 60–66; zur internationalen, dies., ebda. S. 36–43. 190 Zu den Grundargumentationen mit der jeweiligen Entscheidungsharmonie vgl. statt aller v. Bar/Mankowski, a.a.O. (Fn. 188) Rdnr. 193 f. 191 Wengler, IPRax 1991, 105 (107). 192 Ähnl. etwa Niederer, Einführung, S. 217. 193 Vgl. Kap. 3 § 2 I 2) a) aa) und b) aa) (S. 199 f., S. 201 f.). Ähnl. beispielsweise Niederer, ebda.

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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die Vorfrage nichts entschieden.194 Vielmehr muss für das Vorfragenstatut ein gesonderter Anwendungsbefehl ausgesprochen werden, und zwar durch die Kollisionsnormen der lex fori.195 Anders ausgedrückt: Die unselbstständige Anknüpfung ignoriert die für die Vorfrage an sich einschlägige Kollisionsnorm der lex fori.196 Zu dieser Argumentation soll ein „altes“ Beispiel gebracht werden: Wenn die lex fori für einen Anspruch aus unerlaubter Handlung wegen Verletzung eines subjektiven Rechts auf die lex loci delicti commissi verweist, überlässt sie ihr nicht die Entscheidung über das Bestehen des subjektiven Rechts.197 Handelt es sich etwa um ein dingliches Recht, ist es nie Gegenstand der deliktsrechtlichen Anknüpfung gewesen, so dass sich die Frage nach seinem Bestehen nach der lex rei sitae richtet.198 Aus den hier (wenn auch nur kurz) dargestellten Gründen sollte auf nationaler Ebene dem Grundsatz der selbstständigen Vorfragenanknüpfung gefolgt werden. 4) Beitrag zur Vorfragenbeantwortung Die Vorfragenanknüpfung ist nur ein Ausschnitt der Kollisionsrechtsanwendung. Denn mit der Anknüpfung und Beantwortung der Vorfrage ist weder der Auslegungs- noch der Subsumtionsvorgang beendet.199 Das heißt, man kann in den Fällen, in denen die Vorfragenproblematik relevant wird, nicht einfach bei der Entscheidung für die grundsätzlich selbstständige Anknüpfung stehen bleiben. Letztere muss vielmehr systematisch in den Gesamtkontext der Rechtsanwendung eingeordnet werden. Von vielen200 Andeutungen abgesehen, ist dieser Versuch erst in jüngster Zeit201 unternommen worden. Allerdings beschränkt er sich auf die sachrechtliche Ebene und auf die Fälle, in denen Vor- und Hauptfragensta__________ 194 195 196 197

Ähnl. etwa Niederer, Einführung, S. 217. Im Ergebnis ebenso beispielsweise Niederer, ebda. Vgl. Schurig, in: FS Kegel, S. 549 (563 f.) m.w.Nachw. (Fn. 50 und 56). Vgl. Melchior, Grundlagen, S. 260, der allerdings mit einem anderen Vorfragenbegriff arbeitet, als er heute geläufig ist (vgl. S. 259 f.). 198 Vgl. Melchior, ebda. Im Ergebnis anders Neumayer, in: FS Aubin, S. 93 (95), der aber übersieht, dass dingliche Rechte nicht vom Anknüpfungsgegenstand bzw. von der Verweisung der deliktsrechtlichen Kollisionsnorm umfasst sind. 199 Vgl. Winkler von Mohrenfels, RabelsZ 51 (1987), 20 (25, 30 und 32). 200 So etwa bei: Füllemann-Kuhn, Vorfrage, S. 5–7; Hoffmeyer, Vorfragenproblem, S. 23; Mansel, in: FS Lorenz, S. 689 (701); Schmidt, SSL 1968, 93 (94 und 113 f.); ders., RDC 233 (1992-II), 305 (335 f.). Schon deutlich ausführlicher: Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148 (151–165); Neumayer, a.a.O. (Fn. 198) (96–99). 201 S. Mansel, in: FS Kropholler, S. 353 (364–371). Ihm folgend Bernitt, Vorfragen, S. 27 f.

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

tut auseinanderfallen.202 An dieser Stelle soll die Vorfragenanknüpfung jedoch abstrakt-generell in den gesamten Zusammenhang der Rechtsanwendung gestellt werden. Dabei ist zwischen der kollisions- und sachrechtlichen Prüfungsebene zu unterscheiden.203 a) Vorfrage und Rechtsanwendung im Kollisionsrecht204 Der Rechtsanwendungsvorgang erfolgt auf kollisionsrechtlicher Ebene zunächst in dem zuvor205 bereits ausgeführten Dreischritt. Nachdem in seinem Rahmen der für die Hauptfrage maßgebliche Anknüpfungsgegenstand und damit die für sie einschlägige Kollisionsnorm ausfindig gemacht wurde, müssen die weiteren Merkmale dieser Verweisungsvorschrift geprüft werden. Dabei sind die weiteren Voraussetzungen der für die Hauptfrage anwendbaren Kollisionsnorm durch Auslegung nach der Rechtsordnung zu definieren, der die Verweisungsvorschrift angehört. Die Interpretation eines Merkmals (Ausgangsmerkmal) kann wiederum ergeben, dass es ein sachrechtliches präjudizielles Recht bzw. Rechtsverhältnis voraussetzt. Deswegen kann man den Sachverhalt nach Abschluss der Definition noch nicht unter das Ausgangsmerkmal subsumieren. Schließlich setzt es ein präjudizielles Recht bzw. Rechtsverhältnis voraus, dessen Bestehen nur durch die Anwendung von Sachnormen festgestellt werden kann, die sich außerhalb des Anwendungsbereiches der für die Hauptfrage maßgeblichen Kollisionsnorm befinden.206 An dieser Stelle tritt das Problem der Vorfragenanknüpfung auf und ist prinzipiell durch selbstständige Anknüpfung zu lösen. Ergibt die Anwendung der einschlägigen Sachnormen des Vorfragenstatuts, dass das präjudizielle Recht bzw. Rechtsverhältnis besteht, ist aber noch die Frage offen, ob es unter das Kollisionsnormelement subsumiert werden kann, das die Vorfrage aufgeworfen hat. Diese Frage ist während des Subsumtionsvorgangs zu beantworten. In seinem Rahmen kann man auf die dreifache funktionale Auslegung zurückgreifen, die bereits aus dem Qualifikationszusammenhang bekannt ist.207 Diese ist jedoch folgendermaßen zu modifizieren, um sie für die __________ 202 203 204

Vgl. Mansel, in: FS Kropholler, S. 353 (364 f., 371). Ähnl. Differenzierung bereits bei Neumayer, in: FS Aubin, S. 93 (96). Die unter diesem Punkt gemachten Ausführungen beziehen sich auf die kollisionsrechtliche Prüfungsstufe, und zwar unabhängig davon, ob sie vor oder nach der Anknüpfung der Haupt- bzw. Vorfrage auftritt. 205 Vgl. dazu jetzt und im Folgenden Kap. 3 § 1 II 3) und 5) (S. 178 ff., 183 f.). 206 Zur Abgrenzung der Vorfrage vgl. Kap. 3 § 2 I 2) (S. 199 ff.). 207 Dazu ausführlich Kap. 3 § 1 II 3) und 5) (S. 178 ff., 183 f.).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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Vorfragenbeantwortung auf kollisionsrechtlicher Ebene nutzbar zu machen: Die Rechtsordnung, der die Kollisionsnorm angehört, bestimmt, welche Funktion von einem präjudiziellen Recht bzw. Rechtsverhältnis verlangt wird, damit es unter das Ausgangsmerkmal subsumiert werden kann. Das Vorfragenstatut befindet hingegen darüber, welche Funktion das präjudizielle Recht bzw. Rechtsverhältnis im zu beurteilenden Sachverhalt aufweist. Entspricht sie der von der Kollisionsnorm vorausgesetzten Funktion, ist unter das Ausgangsmerkmal zu subsumieren. Ob eine Funktionsentsprechung vorliegt, muss durch Kollisionsnormauslegung nach der Rechtsordnung entschieden werden, der die Verweisungsvorschrift angehört, die die Vorfrage aufgeworfen hat. b) Vorfrage und Rechtsanwendung im Sachrecht Wie auf kollisionsrechtlicher Ebene ist die selbstständige Vorfragenanknüpfung auch auf sachrechtlicher Prüfungsstufe in den Gesamtkontext der Rechtsanwendung einzuordnen: Zuerst muss das sachrechtliche Tatbestandsmerkmal definiert werden, das die Vorfrage aufwirft (Ausgangsmerkmal). Das geschieht mittels Auslegung der einschlägigen Sachnorm durch das Hauptfragenstatut.208 Nach dieser Definition müsste der Sachverhalt eigentlich unter das Ausgangsmerkmal subsumiert werden. Das scheidet aber aus, weil es ein präjudizielles Recht bzw. Rechtsverhältnis voraussetzt, dessen Bestehen nur durch die Anwendung von Sachnormen festgestellt werden kann, die sich außerhalb der für die Hauptfrage ausgesprochenen Verweisung befinden.209 Daher muss an dieser Stelle das Vorfragenstatut bestimmt werden, und zwar grundsätzlich durch selbstständige Anknüpfung. Wendet man die Sachnormen des Vorfragenstatuts an und stellt fest, dass das präjudizielle Recht bzw. Rechtsverhältnis existiert, ist damit aber noch nicht entschieden, ob es auch unter das Ausgangsmerkmal fällt.210 Diese Frage kann nur durch Interpretation der Ausgangsvorschrift beantwortet werden.211 Dies geschieht im Rahmen des Subsumtionsvorgangs. Bei ihm kann die dreifache funktionale Auslegung herangezogen werden, die bereits212 im Qualifikationskontext hilfreich gewesen ist. Diese ist al-

__________ 208 209 210

So schon Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148 (151 f.). Vgl. Kap. 3 § 2 I 2) (S. 199 ff.). Dazu näher für Fälle, in denen Haupt- und Vorfragenstatut auseinander fallen: Wengler, a.a.O. (Fn. 208) (151–165); Mansel, in: FS Kropholler, S. 353 (364–371). 211 So für Fälle, in denen Haupt- und Vorfragenstatut nicht identisch sind, schon Wengler, a.a.O. (Fn. 208) (159). Ebenso in jüngerer Zeit Mansel, ebda. (364 f., 367 f.). 212 Vgl. dazu jetzt und im Folgenden Kap. 3 § 1 II 3) und 5) (S. 178 ff., 183 f.).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

lerdings an die Vorfragenbeantwortung auf Sachrechtsebene wie folgt anzupassen: Das Hauptfragenstatut befindet darüber, welche Funktion die Ausgangsnorm von einem präjudiziellen Recht bzw. Rechtsverhältnis fordert, damit es unter das Ausgangsmerkmal subsumiert werden kann.213 Nach dem Vorfragenstatut richtet sich hingegen, welche Funktion das präjudizielle Recht bzw. Rechtsverhältnis im vorliegenden Sachverhalt tatsächlich aufweist.214 Entspricht sie der von der Ausgangsnorm verlangten Funktion, ist unter das Tatbestandselement zu subsumieren, das die Vorfrage aufgeworfen hat.215 Ob eine solche Funktionsentsprechung vorliegt, muss durch Auslegung der Ausgangsvorschrift nach dem Hauptfragenstatut entschieden werden.216 Fallen Vor- und Hauptfragenstatut auseinander, kann man die im vorstehenden Absatz genannte dreifache funktionale Auslegung als Substitutionsprüfung217 begreifen, die sich denklogisch stets an die Vorfragenanknüpfung anschließt.218 c) Beispiel Die zuvor vorgenommene Einordnung der Vorfragenanknüpfung in den Gesamtkontext der Rechtsanwendung soll durch ein Beispiel verdeutlicht werden, das bereits an anderer Stelle219 gebracht worden ist. Wenn die lex fori für einen Anspruch aus unerlaubter Handlung wegen Eigentumsverletzung auf die lex loci delicti commissi verweist, ist die Rechtsanwendung wie folgt ausgestaltet:

__________ 213

So zum „Inhalt eines präjudiziellen Rahmenbegriffs“ schon Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148 (181 im Kontext zu 157–159). 214 Ebenso zu Vorfragen, wenn die Interpretation der sie aufwerfenden Norm(en) ergibt, dass die endgültige Vorfragenbeantwortung anderen Rechtsquellen überlassen wird, schon Wengler, ebda. (183). 215 Von einer „gewissen Ähnlichkeit“ der „Rechtswirkung“ spricht insoweit Wengler, a.a.O. (Fn. 213) (160 f.), an anderer Stelle (vgl. 183 f.) aber von „Funktionen“, die eine Ausgangsnorm von Rechtsverhältnissen voraussetzen kann. Auch in jüngerer Zeit verlangt man eine Funktionsäquivalenz zur Subsumtion einer ausländischen Rechtserscheinung unter die inländische Sachnorm, die die Vorfrage aufgeworfen hat; so Mansel, in: FS Kropholler, S. 353 (368). 216 So zum „Inhalt eines präjudiziellen Rahmenbegriffs“ schon Wengler, a.a.O. (Fn. 213) (160 f. im Kontext zu 159). Ebenso für Fälle, in denen Haupt- und Vorfragenstatut nicht identisch sind, Mansel, ebda. 217 Dazu statt aller Kropholler, IPR, § 33. 218 So Mansel, a.a.O. (Fn. 215) (364, 365 f., 371). Weiter noch ders., in: FS Lorenz, S. 689 (701). 219 S. Kap. 3 § 2 II 3) (S. 207).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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Die lex loci delicti commissi entscheidet darüber, wie das Merkmal der deliktsrechtlichen Sachvorschrift definiert werden muss, das die Vorfrage nach der Eigentümerstellung aufwirft. Ob der Anspruchsteller tatsächlich Eigentümer ist, entscheidet das Deliktsstatut aber nicht, weil es dazu von der lex fori nicht berufen ist. Um dingliche Rechte bzw. Rechtsverhältnisse festzustellen, muss vielmehr selbstständig angeknüpft werden. Ergibt sich aus dem so ermittelten Sachenstatut, dass der Anspruchsteller Eigentümer ist, muss der Rechtsanwendungsvorgang in der Hauptfrage fortgesetzt werden. Während das Deliktsstatut entscheidet, welche Funktion es von Eigentum im Sinne seiner Sachnorm verlangt, bestimmt das Sachenstatut, welche Funktion das Eigentum im zu beurteilenden Sachverhalt tatsächlich hat. Entsprechen beide Funktionen einander, ist unter die deliktsrechtliche Norm zu subsumieren. Ob dies der Fall ist, folgt aus der Auslegung der deliktsrechtlichen Ausgangsnorm durch die lex loci delicti commissi, da sie ihr angehört. Auf diese Weise entscheidet das Deliktsstatut, wann es einen Anspruch aus unerlaubter Handlung gewährt.220 5) Vorfragenanknüpfung und Rechtsanwendung auf einen Blick Im autonomen nationalen IPR streitet man sich darüber, wie das anwendbare Recht für die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses (Vorfrage) bestimmt werden sollte. Insoweit sollte man nicht zuletzt wegen der Existenz von Forumskollisionsnormen dem Grundsatz der selbstständigen Vorfragenanknüpfung folgen. Hierbei kann man aber nicht stehen bleiben. Vielmehr ist die selbstständige Vorfragenanknüpfung in den gesamten Kontext der Rechtsanwendung einzuordnen. Dies soll durch die Abbildungen 13 und 14 veranschaulichend zusammengefasst werden.

__________ 220 Diese Forderung wird im Schrifttum zu Recht erhoben; vgl. Neumayer, in: FS Aubin, S. 93 (95).

212

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Abbildung 13: Vorfragenanknüpfung im Rechtsanwendungsvorgang Norm, deren Merkmal die Vorfrage aufwirft (Ausgangsnorm)

Merkmal, das eine Vorfrage aufwirft (Ausgangsmerkmal)

Schritt 1: Auslegung nach dem Recht, zu dem die Ausgangsnorm zählt

Definition des Ausgangsmerkmals (als Ergebnis von Schritt 1)

Schritt 2: Bestimmung des Vorfragenstatuts durch grundsätzlich selbstständige Anknüpfung; danach Beantwortung der Vorfrage

Schritt 3: Subsumtion, in deren Rahmen: dreifache funktionale Auslegung (s. Abb. 14)

Abbildung 14: Dreifache funktionale Auslegung Dreifache funktionale Auslegung im Rahmen des Subsumtionsvorgangs Vom Ausgangsmerkmal vorausgesetzte Funktion eines präjudiziellen Rechts bzw. Rechtsverhältnisses durch Auslegung nach der Rechtsordnung, der die Ausgangsnorm angehört

Subsumtion bei Funktionsentsprechung (Entscheidung letztlich durch Auslegung nach der Rechtsordnung, der die Ausgangsnorm angehört)

Funktion des vorliegenden präjudiziellen Rechts/Rechtsverhältnisses nach Auslegung durch das Vorfragenstatut

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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III. Vorfragen im europäischen IPR Mit der Befürwortung und Einordnung der selbstständigen Anknüpfung im autonomen nationalen IPR221 ist aber noch keine Antwort auf die folgende, neue Frage gegeben: 1) Bestandsaufnahme Wie sollte das Vorfragenproblem auf unionsrechtlicher Ebene gelöst werden? Um diese Frage zu beantworten, sind bereits erste Lösungsvorschläge unterbreitet worden.222 a) Sachrechtliche Lösungsansätze Zunächst wird in Abweichung vom autonomen nationalen Kollisionsrecht223 erwogen, die Vorfrage nach dem Sachrecht der lex fori oder nach dem materiellen Recht der für die Hauptfrage berufenen Rechtsordnung zu beantworten.224 b) Kollisionsrechtliche Lösungsansätze Hiervon unterscheiden sich die Lösungen, die das Vorfragenstatut durch eine kollisionsrechtliche Prüfung ermitteln wollen. Wie im autonomen nationalen IPR,225 lassen sich mittlerweile auch im europäischen Kollisionsrecht drei Lager ausmachen. Teile226 der Literatur sprechen sich für eine unselbstständige Anknüpfung aus. Danach soll das für die Vorfrage anwendbare Recht nach dem IPR der Rechtsordnung bestimmt werden, die für die Hauptfrage maßgeblich ist. __________ 221 222 223 224 225 226

Dazu ausführlich Kap. 3 § 2 II 1) bis 5) (S. 203 ff.). Etwa jüngst Bernitt, Vorfragen, 2010. Dazu s. Kap. 3 § 2 II 1) (S. 203). So ausdrücklich Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (112). Dazu a.a.O. (Fn. 223). So: HK-BGB/Dörner, Vor Art 3–6 EGBGB Rdnr. 25; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 10 Rdnr. 12. Ebenso für die Vorfrage über Bestand und Aufrechenbarkeit der Gegenforderung im Rahmen des Art. 17 Rom I-VO Brödermann/Rosengarten, IPR/IZVR, Rdnr. 131. Ebenso für von einem anderen mitgliedstaatlichen Deliktstatut aufgeworfene unterhaltsrechtliche Vorfragen Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 38 Rdnr. 81. Für ein Europäisches Nachlasszeugnis ebenfalls in diese Richtung tendierend Dörner, ZEV 2010, 221 (224). Ebenso für präjudizielle Fragen im (Kollisionsoder Sach-)Recht des berufenen Dritt- oder nicht an die Kollisionsnorm gebundenen Mitgliedstaates Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (56 f.).

214

3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Die Gegenansicht227 plädiert für eine selbstständige Anknüpfung nach europäischem IPR. Soweit dort vereinheitlichende Kollisionsnormen (noch) fehlen, soll die Vorfragenanknüpfung von der „konkreten Ausgestaltung der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsnormen und ihrem Umfeld“228 abhängig sein. Die insoweit vorgeschlagenen Alternativen bestehen darin, die Kollisionsnormen der lex fori zur Ermittlung des Vorfragenstatuts anzuwenden229 oder unselbstständig anzuknüpfen230. Schließlich lehnt ein drittes Lager231 die Vorfragenanknüpfung nach Grundsatzpositionen ab. Stattdessen wird das Vorfragenstatut nach wandelbaren Aspekten bestimmt, wie etwa: nach der Auslegung der für die Hauptfrage maßgeblichen Kollisions- und Sachnormen,232 nach dem Sinn und Zweck der Verordnung233 oder nach der Nähebeziehung der Vorfrage zur lex fori bzw. zum Hauptfragenstatut234. c) Stellungnahme Einigkeit besteht darüber, dass Vorfragen im europäischen IPR einheitlich behandelt werden sollten.235 Mangels ausdrücklicher unionsrechtlicher Re-

__________ 227 So: Bernitt, Vorfragen, S. 141 f.; Gössl, ZfRV 2011, 65 (71); Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (113); NK-BGB/Freitag Art. 3 EGBGB Rdnr. 32; Solomon, in: FS Spellenberg, S. 355 (369). So auch für Vorfragen in Bereichen, für die vereinheitlichte europäische Kollisionsnormen existieren, Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Einl Rom II-VO Rdnr. 46. Ebenso für Vorfragen in dem von der Rom II-VO berufenen Deliktsstatut Erman(12)/Hohloch, Band II, Art. 40 EGBGB Rdnr. 18. So im Ergebnis auch zu Vorfragen im europäischen Internationalen Erbrecht Schurig, in: FS Spellenberg, S. 343 (350 f.). Ebenso für präjudizielle Fragen in der verweisenden europäischen Kollisionsnorm Kreuzer, ebda. (55 und 57). Für das Prinzip der selbstständigen Anknüpfung plädiert Kropholler, IPR, § 32 VI 2, wenn in der anzuwendenden Verordnung nichts Gegenteiliges zum Ausdruck kommt. 228 So Heinze, ebda. (115). 229 So: Bernitt, a.a.O. (Fn. 227) S. 143; Gössl, a.a.O. (Fn. 227). So im Ergebnis auch zu Vorfragen im europäischen Internationalen Erbrecht Schurig, a.a.O. (Fn. 227). 230 So Rauscher/Unberath/Cziupka, a.a.O. (Fn. 227). 231 So: BaRo-III/Spickhoff, Art 1 Rom II-VO Rdnr. 5; MünchKomm/Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rdnr. 37; Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (51); Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (241). 232 So wohl Sonnenberger, ebda., der auf MünchKomm(4)/Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 545 ff. verweist, wo er Vorfragen auf diese Weise löst. Diese Lösung weiterhin aufrecht erhaltend in MünchKomm/Sonnenberger, IPR Einl. Rdnr. 533 ff. 233 MünchKomm/Junker, a.a.O. (Fn. 231). Ihm folgend BaRo-III/Spickhoff, a.a.O. (Fn. 231). 234 So Siehr, a.a.O. (Fn. 231) (52). 235 Vgl. etwa: Heinze, a.a.O. (Fn. 227); Sonnenberger, a.a.O. (Fn. 231).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

215

gelung236 stellt sich jedoch die Frage, wie eine einheitliche Bestimmung des Vorfragenstatuts im EU-Kollisionsrecht vorzunehmen ist. aa) Sach- oder kollisionsrechtliche Lösung? Nach dem zuvor237 Dargestellten muss man sich zunächst zwischen den sach- und kollisionsrechtlichen Lösungen des Vorfragenproblems entscheiden. Für eine schlichte Sachrechtsanwendung ließe sich anführen, dass das europäische Kollisionsrecht grundsätzlich keine Gesamt-, sondern Sachnormverweisungen ausspricht. Wer so argumentiert, verkennt aber den Umfang der jeweiligen Sachnormverweisung. Sie ist nämlich durch die Reichweite des europäischen IPR begrenzt.238 Das heißt, Art. 20 Rom IVO, 24 Rom II-VO können nur solche Gegenstände beinhalten, die dem Anwendungsbereich des unionsrechtlichen IPR239 unterliegen. Aus ihm kann das auf die Vorfrage (praequaestio) anwendbare Recht aber herausfallen. Dann ist es auch nicht von der Sachnormverweisung der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO umfasst. Zur Veranschaulichung wird auf ein Beispiel verwiesen, das bereits an anderer Stelle hilfreich gewesen ist.240 Außerdem ist gegen eine unmittelbare Sachrechtsanwendung anzuführen, dass die Antwort auf die Vorfrage anders ausfiele, wenn sie sich innerhalb einer anderen Hauptfrage oder isoliert stellen würde.241 Schließlich spricht noch ein weiteres Argument242 dafür, vor der Beantwortung von praequaestiones243 stets eine kollisionsrechtliche Prüfung durchzuführen. Durch die Existenz ihrer Kollisionsnormen bringt die Unionsordnung zum Ausdruck, dass sie die Anwendung privatrechtlicher Sachnormen grundsätzlich erst gestattet, wenn sie selbst einen entsprechenden Anwendungsbefehl ausspricht. Hat sie ihn für das Hauptfragenstatut durch eine Kollisionsnorm erteilt, kann er nicht weiter gehen als die sachliche Reichweite dieser IPR-Vorschrift. Aus ihr fällt die Vorfrage in __________ 236 Auf das Fehlen ausdrücklicher EU-Regelungen zur Vorfragenanknüpfung weisen etwa hin: Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (112); Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (54); Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (240). 237 S. Kap. 3 § 2 III 1) a) und b) (S. 213 ff.). 238 Die begrenzte Reichweite des europäischen Kollisionsrechts führt man auch als Argument gegen die unselbstständige Anknüpfung an; vgl. nur Heinze, a.a.O. (Fn. 236) (114) unter Bezugnahme auf Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 148. 239 Näher zum Anwendungsbereich des europäischen IPR Kap. 2 § 1 (S. 106 ff.). 240 Vgl. Kap. 3 § 2 II 3) (S. 207). Eingehend zu „subjektiven Rechten“ als Vorfragen bei der Anwendung der Rom II-VO Bernitt, Vorfragen, S. 147–162. 241 Vgl. Heinze, a.a.O. (Fn. 238). 242 Vgl. auch Kap. 3 § 2 II 3) (S. 206 f.). 243 Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 3 § 2 I 1) (S. 197 f.).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Abgrenzung zur Hauptfrage heraus.244 Das heißt, mit dem Verweis in der Hauptfrage hat die Unionsordnung noch keinen Anwendungsbefehl für das Vorfragenstatut ausgesprochen. Diese Anordnung ist also noch nachzuholen. Im Ergebnis streiten die besseren Gründe dafür, das Vorfragenstatut stets durch eine kollisionsrechtliche Prüfung zu ermitteln. bb) Weitere Stellungnahme Vor einer solchen Prüfung muss man sich aber immer vergewissern, ob überhaupt eine praequaestio245 vorliegt. Dazu muss man sie stets von der quaestio principalis246 und erforderlichenfalls auch von der quaestio subiecta247 abgrenzen, indem man die Anknüpfungsgegenstände bzw. Verweise der betroffenen Kollisionsnormen (autonom) auslegt.248 Insoweit hat die Vorfragenlösung von der Auslegung der Hauptfragekollisionsnorm auszugehen, wie es Vertreter249 der einzelfallbezogenen Ansätze250 betonen. Allerdings sollte keiner Betrachtungsweise gefolgt werden, die die Vorfragenanknüpfung von wandelbaren Aspekten abhängig macht.251 Denn sie ist der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts abträglich. Somit verstößt sie gegen zwei der zentralen Ziele 252 des europäischen IPR und ist schon deswegen keine geeignete Lösung. Folglich bleiben nur die selbstständige und die unselbstständige Anknüpfung als Grundsatzpositionen übrig, zwischen denen man sich entscheiden muss. Im autonomen nationalen IPR der Mitgliedstaaten253 herrscht jedenfalls das Prinzip der selbstständigen Vorfragenanknüpfung vor.254 Dennoch wird für das europäische Kollisionsrecht teilweise255 die unselbstständige Anknüpfung favorisiert. Zur Begründung beruft man sich

__________ 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 255

Vgl. Kap. 3 § 2 I 2) a) aa) und b) aa) (S. 199 ff.). Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 3 § 2 I 1) (S. 197 f.). Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 3 § 2 I 2) a) aa) (S. 199 f.). Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 3 § 2 I 2) a) bb) (S. 200). Vgl. Kap. 3 § 2 I 2) a) bis b) (S. 199 ff.). S. Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (241). Zu diesen Ansätzen s. Kap. 3 § 2 III 1) b) (S. 214). Dazu ebda. Dazu vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178). Zur Vorfragenanknüpfung auf nationaler Ebene s. Kap. 3 § 2 II 1) (S. 203 ff.). Zurückhaltender Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (113) in Fn. 59. Vgl. dazu die entsprechenden Nachweise unter Kap. 3 § 2 III 1) b) (S. 213).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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auf die Wahrung der einheitlichen Rechtsanwendung und der internationalen Entscheidungsharmonie.256 Die einheitliche Anwendung des Unionsrechts wird durch die selbstständige Vorfragenanknüpfung lege europaea ebenso gewährleistet wie durch die unselbstständige.257 Daher spricht sie weder für die eine noch für die andere Lösung. Auch die Sicherung der internationalen Entscheidungsharmonie kann als Begründung nicht überzeugen.258 Insoweit muss man argumentativ zwischen zwei Fallkonstellationen unterscheiden:259 Wird für die Hauptfrage auf mitgliedstaatliches Recht verwiesen, muss sich die Argumentation daran orientieren, ob für den Gegenstand der Vorfrage einheitliche europäische Kollisionsnormen existieren oder nicht.260 Bestehen solche Regelungen, wird durch ihre Anwendung internationaler Entscheidungseinklang erreicht.261 Fehlen sie, folgt die mangelnde internationale Entscheidungsharmonie aus dem gegenwärtigen Stand der Integration.262 Er darf angesichts der Souveränität der Mitgliedstaaten nicht einfach durch eine unselbstständige Anknüpfung übergangen werden.263 Vielmehr gilt insoweit, dass das jeweilige mitgliedstaatliche Recht selbst die Anordnung treffen muss, dass ausländische Normen angewandt werden dürfen.264 Beide im vorherigen Absatz gebrachten Aspekte stehen der Berufung auf die internationale Entscheidungsharmonie entgegen, soweit das europäische IPR die Hauptfrage mitgliedstaatlichem Recht unterordnet. Beruft es hingegen eine drittstaatliche Rechtsordnung, lässt sich auf den ersten Blick eines nicht von der Hand weisen: Die unselbstständige Anknüpfung __________ 256

So Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 10 Rdnr. 12. Ähnl.: HK-BGB/Dörner, Vor Art 3– 6 EGBGB Rdnr. 25; Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (56). 257 Vgl. Kreuzer, ebda. 258 Im Ergebnis ebenso Bernitt, Vorfragen, S. 125, ausführlich zur Bedeutung der internen und internationalen Entscheidungsharmonie im EU-IPR, S. 118–125. 259 Ebenfalls in der Argumentation zwischen Mitglied- und Drittstaaten differenzierend Bernitt, ebda. S. 123 f. 260 Die Idee, bei der Vorfragenanknüpfung argumentativ nach der Existenz einheitlicher Kollisionsnormen zu unterscheiden, geht zurück auf auf Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 148. Sie ist im europäischen IPR erstmals von Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (113–115), umgesetzt worden. So nun auch Gössl, ZfRV 2011, 65 (68–71). 261 Ähnl. Heinze, ebda. (113). So auch Gössl, ebda. (68). 262 Gleiches gilt für den Fall, dass europäische Kollisionsnormen gem. Art. 24 f. Rom I-VO, 28 Rom II-VO von staatsvertraglichen Regelungen verdrängt werden. 263 Zur Souveränität der Mitgliedstaaten als Rechtsfindungsgrenze vgl. Kap. 1 § 3 III 1) a) aa) (1) bis (2) (S. 34 f.). 264 Dazu Kap. 3 § 2 II 3) (S. 206 f.).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

würde zum internationalen Entscheidungseinklang führen, da dann alle mitgliedstaatlichen Gerichte Vorfragen nach dem IPR des Drittstaatenrechts anknüpfen würden.265 Hiergegen wird zu Recht angeführt, dass das unionsrechtliche Kollisionsrecht die Sachnormverweisung bevorzugt.266 Einem Renvoiausschluss müssen alle mitgliedstaatlichen Gerichte gehorchen. Er hat für die unselbstständige Vorfragenanknüpfung zur Konsequenz: Nicht das Kollisions-, sondern das Sachrecht des Hauptfragenstatuts müsste angewandt werden.267 Gegen die schlichte Anwendung eines Sachrechts sprechen die bereits268 angeführten Gründe, insbesondere die folgende Erwägung: Die Verweisungen des unionsrechtlichen IPR sind auf dessen Anwendungsbereich beschränkt, der die Gegenstände einer Vorfrage nicht immer umfasst.269 Eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung würde in solchen Fällen dazu führen, dass der Anwendungsbereich des europäischen IPR unzulässig ausgedehnt würde.270 Darüber hinaus wäre ihre Konsequenz, dass die interne Entscheidungsharmonie aller EU-Mitgliedstaaten zugunsten des internationalen Einklangs mit einem Drittstaat geopfert würde, was gegen die vom europäischen IPR bezweckte Durchsetzung eines einheitlichen, rechtssicheren Kollisionsrechtssystems spräche.271 Außerdem hat die unselbstständige Anknüpfung den Nachteil, dass sie schwieriger und fehlerträchtiger ist als die Anwendung vereinheitlichter europäischer Kollisionsnormen.272 Daher sprechen insoweit auch die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung für die selbstständige Anknüpfung nach unionsrechtlichem IPR.273 Für eine selbstständige Anknüpfung nach europäischem Kollisionsrecht ließe sich auch anführen, dass das Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht274 die Frage275 stellt, nach welcher Kollisionsnorm sich das Recht __________ 265 Vgl. Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (113). Im Ergebnis ebenso Solomon, in: FS Spellenberg, S. 355 (357, 367). 266 So Heinze, ebda. (114). Im Ergebnis ebenso Bernitt, Vorfragen, S. 133. Ähnl. Solomon, ebda. (368). 267 Auf die Konsequenz der unselbstständigen Vorfragenknüpfung beim Renvoiausschluss hat schon Schurig, in: FS Kegel, S. 549 (564) hingewiesen. Ebenso zur unselbstständigen Vorfragenanknüpfung im staatsvertraglichen Kollisionsrecht Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 147. 268 S. Kap. 3 § 2 III 1) c) aa) (S. 215 f.). 269 Ähnl. Heinze, a.a.O. (Fn. 266) unter Bezugnahme auf Meyer-Sparenberg, a.a.O. (Fn. 267) S. 148. 270 Ähnl. Heinze, a.a.O. (Fn. 266) unter Bezugnahme auf Meyer-Sparenberg, ebda. 271 Vgl. Bernitt, a.a.O. (Fn. 266) S. 125. 272 Heinze, a.a.O. (Fn. 266). Im Ergebnis ebenso Bernitt, a.a.O. (Fn. 266) S. 138 f. 273 Heinze, a.a.O. (Fn. 266). Im Ergebnis ebenso Bernitt, a.a.O. (Fn. 266) S. 138 f. 274 GRÜNBUCH Erb- und Testamentsrecht, KOM(2005) 65 endgültig vom 1.3.2005, S. 1–12.

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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bestimmen soll, das auf Vorfragen anwendbar ist.276 Allerdings war der Unionsgesetzgeber nicht dazu gezwungen, diese Frage im Sinne einer selbstständigen Vorfragenanknüpfung zu beantworten. Vielmehr fehlte bereits im Kommissionsvorschlag zum Erb- und Testamentsrecht277 eine ausdrückliche Regelung des Vorfragenproblems.278 Daher überrascht es nicht, dass der Verordnungstext279 ebenfalls zur Vorfragenbeantwortung schweigt. Er hält in Art. 59 Abs. 4 lediglich eine Zuständigkeitsbestimmung bereit. Auch die Verabschiedung der Unterhalts-VO hat zu keiner explizit normierten Vorfragenanknüpfung geführt. Allerdings hält die Verordnung in ihrem Erwägungsgrund 21 fest:280 „Es sollte im Rahmen dieser Verordnung präzisiert werden, dass diese Kollisionsnormen nur das auf die Unterhaltspflichten anzuwendende Recht bestimmen; sie bestimmen nicht, nach welchem Recht festgestellt wird, ob ein Familienverhältnis besteht, das Unterhaltspflichten begründet. Die Feststellung eines Familienverhältnisses unterliegt weiterhin dem einzelstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten, einschließlich ihrer Vorschriften des internationalen Privatrechts.“281

Ein Erwägungsgrund ist zwar keine Rechtsnorm mit einem entsprechenden Anwendungsbefehl. Allerdings lässt sich aus Erwägungsgrund 21 der Unterhalts-VO ableiten, dass die EU-Rechtsetzungsorgane jedenfalls im vereinheitlichten Internationalen Unterhaltsrecht davon ausgehen, dass familienrechtliche Vorfragen selbstständig nach dem IPR anzuknüpfen sind, das im jeweiligen Mitgliedstaat gilt.282 In der Rom III-VO hat der europäische Gesetzgeber sogar in einer Rechtsnorm zum Ausdruck gebracht, dass er eine selbstständige Vorfragenanknüpfung bevorzugt. Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung bestimmt: __________ 275 276

Ebda., S. 8, Frage 13. Inspiriert durch Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (113). Vgl. dazu auch Solomon, in: FS Spellenberg, S. 355 (359 f.). 277 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, KOM(2009) 154 endgültig vom 14.10.2009, S. 1–42. 278 Im Ergebnis ebenso Solomon, a.a.O. (Fn. 276) (359). 279 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU Nr. L 201 vom 27.7.2012, S. 107. 280 Mit diesem Erwägungsgrund schon argumentierend: Bernitt, Vorfragen, S. 110 f.; Solomon, a.a.O. (Fn. 276) (358). 281 S. Erwägungsgrund 21 der Unterhalts-VO (Formatierung durch den Verfasser). 282 Ähnl. Bernitt, a.a.O. (Fn. 280). Zurückhaltender Solomon, a.a.O. (Fn. 280).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

„Diese Verordnung gilt nicht für die folgenden Regelungsgegenstände, auch wenn diese sich nur als Vorfragen im Zusammenhang mit einem Verfahren betreffend die Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes stellen: [...]“283

Damit regelt die Rom III-VO verbindlich, dass bei ihrer Anwendung eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung ausscheidet. Im Sinne der Systemeinheit sollte dieser Rechtsgedanke auf das gesamte EU-IPR übertragen werden, auch wenn bisher eine entsprechende ausdrückliche verordnungsübergreifende Regelung fehlt. Die Frage nach einer expliziten Norm für die Vorfragenanknüpfung ist mit einer anderen Frage verwandt: Auf welche rechtliche Grundlage lassen sich die unselbstständige und selbstständige Anknüpfung de lege lata europaea stellen? Soweit ersichtlich, lässt sich die unselbstständige Vorfragenanknüpfung im unionsrechtlichen Kollisionsrecht dogmatisch nur auf zweierlei Weise begründen. Zum einen könnte man die Vorfrage pauschal der Hauptfrage zuordnen, indem man die Rahmenbegriffe der Kollisionsnorm ausdehnt, die für die Hauptfrage maßgeblich ist.284 Sollten die Gegenstände der Vorfrage nicht vom Anwendungsbereich des europäischen IPR umfasst sein, muss auch er ausgeweitet werden.285 Diese Lösung verstößt jedoch stets gegen die Wortlautgrenze286 der Hauptfragekollisionsnorm, indem ihrem Anknüpfungsgegenstand und ihrer Verweisung Vorfragen zugeordnet werden, die sie bereits ihrer Formulierung nach nicht mit einschließen. Außerdem kann der obige Ansatz dazu führen, dass die Wortlautgrenze der Anwendungsbereichsnormen der für die Hauptfrage maßgeblichen Verordnung überschritten wird. Das ist immer dann der Fall, wenn ihnen eine Vorfrage unterstellt wird, die sie aber schon sprachlich ausschließen. Die Alternative zu dieser unzulässigen, erweiternden Auslegung der Rahmenbegriffe der Hauptfragekollisionsnorm besteht darin, von einer ungeschriebenen EU-IPR-Norm auszugehen, die eine unselbstständige Anknüpfung vorschreibt.287 Dieser Ansatz verletzt zwar keine Wortlautgrenze, weil ungeschriebene Regelungen keine gesetzgeberisch festgelegte Formulierung haben. Allerdings griffe die Rechtsprechung mit dieser Lösung in den Bereich ein, der den rechtsetzenden EU-Organen vorbehalten ist; denn die Vorfragenanknüpfung stellt eine grundlegende politische Entscheidung dar, für die die demokratische Legitimation der „Judikative“ nicht ausreicht.288 __________ 283 284 285 286 287 288

S. Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO (Formatierung durch den Verfasser). Inspiriert durch Meyer-Sparenberg, StaatsvKollN, S. 148. Ebda. Dazu jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 1 § 3 III 2) b) (S. 38). Angeregt durch Meyer-Sparenberg, a.a.O. (Fn. 284) S. 146. Dazu jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 1 § 3 III 1) b) bb) (S. 37).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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Die beiden dogmatischen Begründungen verstoßen demnach in eklatanter Weise gegen die Grenzen richterlicher Rechtsfindung und sind daher nicht tragfähig. Demgegenüber kann die selbstständige Anknüpfung von praequaestiones auf ein sicheres dogmatisches Fundament gestellt werden:289 Durch die Existenz von Kollisionsnormen zeigt die Unionsordnung, dass sie zivilrechtliche Sachnormen nur dann angewandt sehen will, wenn sie selbst eine entsprechende Anordnung erteilt. Hat sie einen solchen Anwendungsbefehl für die Hauptfrage ausgesprochen, umfasst er die Vorfrage nicht. Denn Letztere zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie außerhalb des Anwendungsbereiches der Kollisionsnorm steht, die für die Hauptfrage maßgeblich ist.290 Das heißt, die Unionsordnung hat mit dem Verweis in der Hauptfrage noch überhaupt keine Anwendungsanordnung für das Vorfragenstatut erteilt. Existieren für den Gegenstand der Vorfrage europäische Kollisionsnormen, sind sie auch anzuwenden.291 Das gebietet Art. 288 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 2 EGV), wonach Verordnungen allgemeine Geltung haben, in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Im Ergebnis sprechen also die gewichtigeren Gründe dafür, praequaestiones im Grundsatz selbstständig nach EU-IPR anzuknüpfen. Wie aber sollte verfahren werden, wenn es keine Kollisionsnormen für die Gegenstände der Vorfrage bereithält? Eine unselbstständige Anknüpfung kann zu einer empfindlichen Störung des inneren Entscheidungseinklangs führen.292 Dies und die Erwägungsgründe 8 der Rom I- und 10 der Rom II-VO indizieren, dass keine Pflicht zur unselbstständigen Vorfragenanknüpfung besteht, wenn eine einheitliche europäische Kollisionsnorm für die Materien der Vorfrage fehlt. 293 Eine noch stärkere Indizwirkung gegen die unselbstständige Anknüpfung geht von Erwägungsgrund 21 der Unterhalts-VO in Zusammenschau mit Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO aus.294 Schließlich sprechen auch die weiteren bereits295 gegen die unselbstständige Vorfragenanknüpfung angeführten Argumente gegen ihre Heranziehung bei Fehlen einer norma conflictionis legum. Insoweit will man die Vorfrage teilweise auch aus der „konkreten Ausgestaltung der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsnormen und ihrem Um__________ 289 290 291 292 293 294 295

Vgl. auch Kap. 3 § 2 II 3) (S. 206 f.). Vgl. Kap. 3 § 2 I 2) a) und b) (S. 199 ff.). Zurückhaltender Bernitt, Vorfragen, S. 135 f. Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (114). Heinze, ebda. (114 f.). Vgl. Kap. 3 § 2 III 1) c) bb) (S. 219 f.). Vgl. Kap. 3 § 2 III 1) c) bb) (S. 216 ff.).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

feld“296 heraus anknüpfen. Das läuft aber auf eine Vorfragenanknüpfung hinaus, die die Grenzen der Lückenschließung in unzulässiger Weise überschreitet.297 Dass beispielsweise noch keine europäischen Kollisionsnormen zur Stellvertretung existieren, ist das Ergebnis eines fehlenden politischen Konsenses. Tritt die wirksame Stellvertretung nun als Vorfrage auf und wollte man sie aus der „konkreten Ausgestaltung der gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsnormen und ihrem Umfeld“298 heraus anknüpfen, greift man damit in unzulässiger Weise in den Kernbereich der rechtsetzenden Unionsorgane ein. Daher vermag dieser Ansatz nicht zu überzeugen. cc) Ergebnis Als Ergebnis der Stellungnahme bleibt festzuhalten, dass die gewichtigeren Argumente dafür sprechen, praequaestiones grundsätzlich selbstständig nach europäischem IPR anzuknüpfen. Fraglich bleibt aber, wie mit der Vorfragenanknüpfung umzugehen ist, wenn einheitliche unionsrechtliche Kollisionsnormen fehlen. 2) Lösungsvorschlag Hält das europäische IPR für den Gegenstand der Vorfrage keine Verweisungsnormen bereit, liegt eine Regelungslücke vor. a) Grundsätzliche Anknüpfung von praequaestiones Zur Lückenschließung ist an anderer299 Stelle ein Ansatz erarbeitet worden: Zunächst ist das Unionsrecht zur completio lacunae300 heranzuziehen; hält es keine Lösung bereit, ist auf das nationale IPR der lex fori zurückzugreifen. Die completio lacunae gilt es mit dem Grundsatz der selbstständigen Vorfragenanknüpfung zu kombinieren: Halten weder die geprüfte Ausgangsverordnung noch das sonstige unmittelbar anwendbare Unionsrecht Kollisionsnormen für den Gegenstand einer Vorfrage bereit,301 muss zur Lückenfüllung auf das nationale IPR der lex fori zurückgegriffen werden,

__________ 296 297 298 299 300 301

So Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (115). Zu den Grenzen der Lückenschließung vgl. Kap. 1 § 3 III 1) bis 3) (S. 34 ff.). So Heinze, a.a.O. (Fn. 296). Dazu ausführlich Kap. 1 § 5 (S. 81 ff.). Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 1 § 5 I (S. 81). Gemeint ist, dass die entsprechenden Kollisionsnormen weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrer Wertung auf den Gegenstand einer Vorfrage anwendbar sind.

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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und zwar unabhängig von der Art der lacuna.302 Dem Rekurs auf die lex fori hält man teilweise303 entgegen, dass er zu unterschiedlichen Anknüpfungen führe. Das muss aber aus systematischen und teleologischen Gründen hingenommen werden.304 b) Einordnung in den Rechtsanwendungsvorgang Wie im autonomen nationalen IPR305 ist die Anwendung der Ausgangsnorm mit der Beantwortung der Vorfrage noch nicht abgeschlossen. Daher muss der hier306 vertretene Lösungsansatz ebenfalls in den Gesamtzusammenhang der Rechtsanwendung gestellt werden. Zunächst muss das Merkmal der Vorschrift307 (Ausgangsnorm) definiert werden, das die praequaestio aufwirft (Ausgangsmerkmal). Dazu ist diese Regelung mithilfe der Rechtsordnung auszulegen, der sie angehört. Unter die so definierte Voraussetzung müsste an sich im nächsten Schritt der zu beurteilende Sachverhalt subsumiert werden. Das ist jedoch nicht möglich, da das Ausgangsmerkmal ein präjudizielles Recht bzw. Rechtsverhältnis voraussetzt, dessen Bestehen nur durch die Anwendung von Sachnormen festgestellt werden kann, die außerhalb der kollisionsrechtlichen Rahmenbegriffe stehen, die für die Hauptfrage maßgeblich sind.308 Das heißt, an dieser Stelle muss das Vorfragenstatut durch selbstständige Anknüpfung, nötigenfalls unter Rückgriff auf die completio lacunae bestimmt werden.309 Die Sachnormen des so ermittelten Vorfragenstatuts entscheiden darüber, ob das vorausgesetzte Recht bzw. Rechtsverhältnis besteht oder nicht. Existiert es, bleibt aber noch die Frage offen, ob es unter das Merkmal der Ausgangsnorm subsumiert werden kann.310 Insoweit entscheidet die Interpretation der Ausgangsnorm nach der Rechtsordnung, der sie ange__________ 302 Zu den Arten einer lacuna vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) (S. 88). Zur Schließung einer lacuna externa vgl. Kap. 1 § 5 II 2) b) bb) (1) bis (3) (S. 94 ff.). Zur Füllung einer lacuna interna vgl. Kap. 1 § 5 II 2) b) cc) (1) bis (3) (S. 97 ff.). Den Rückgriff auf das IPR der lex fori ebenfalls befürwortend Bernitt, Vorfragen, S. 143. 303 So Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (114). 304 Zur systematischen und teleologischen Begründung des Rückgriffs auf die lex fori eingehend Kap. 1 § 5 II 2) b) bb) (2) (b) (S. 95 ff.). 305 Dazu ausführlich Kap. 3 § 2 II 4) und 5) (S. 207 ff.). 306 S. Kap. 3 § 2 III 2) a) (S. 222 f.). 307 Mit „Vorschrift“, „Ausgangsnorm“, „Norm“ oder „Regelung“ ist hier und in der weiteren Bearbeitung bei einer praequaestio ante conexum cum lege causae eine europäische Kollisionsnorm und bei einer praequaestio post conexum cum lege causae eine Sachnorm des berufenen Rechts gemeint. 308 Vgl. Kap. 3 § 2 I 2) a) und b) (S. 199 ff.). 309 Dazu näher Kap. 3 § 2 III 2) a) (S. 222 f.). 310 Dazu ausführlich Kap. 3 § 2 II 4) (S. 207 ff.).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

hört, darüber, welche Funktion von einem präjudiziellen Recht bzw. Rechtsverhältnis erwartet wird, damit es unter das Ausgangsmerkmal fällt. Demgegenüber befindet das Vorfragenstatut darüber, was für eine Funktion das präjudizielle Recht bzw. Rechtsverhältnis im zu beurteilenden Sachverhalt tatsächlich aufweist. Entsprechen sich vorausgesetzte und tatsächliche Funktion, muss unter das Ausgangsmerkmal subsumiert werden. Ob eine solche Funktionsentsprechung besteht, muss durch Interpretation der Ausgangsnorm nach der Rechtsordnung bestimmt werden, zu der sie zählt. Zur Veranschaulichung dieser Einordnung kann auf die beiden bereits gebrachten Schaubilder311 verwiesen werden. c) Beispiel Allerdings soll an dieser Stelle nochmals ein Beispiel gebracht werden, um den eingeordneten Lösungsansatz darzulegen. Wie bereits angesprochen,312 wirft Art. 28 Rom I-VO eine praequaestio auf. Danach ist der zeitliche Anwendungsbereich der Rom I-VO mit Ausnahme ihres Art. 26 eröffnet, wenn der Vertragsschluss am oder nach dem 17.12.2009 erfolgt ist. Die intertemporale Kollisionsnorm des Art. 28 Rom I-VO wirft also eine praequaestio ante conexum cum lege causae auf, die vor Anknüpfung der Hauptfrage – der zeitlichen Anwendbarkeit der Rom I-VO – zu beantworten ist. Im ersten Schritt muss definiert werden, was unter „Vertragsschluss“ im Sinne des Art. 28 Rom I-VO zu verstehen ist. Dies geschieht durch autonome Auslegung nach europäischem IPR. Insoweit ist also zunächst autonom zu ermitteln, was Art. 28 Rom I-VO mit einem Vertragsschluss meint.313 Im zweiten Schritt muss die praequaestio ante conexum cum lege causae beantwortet werden, die das Merkmal „Vertragsschluss“ aufwirft. Dazu sind die Sachnormen des Vorfragenstatuts anzuwenden. Letzteres wird wiederum durch selbstständige Anknüpfung nach EU-Kollisionsrecht bestimmt, wobei gegebenenfalls die completio lacunae bemüht werden muss.314 Hierbei sind nach Art. 28 f. Rom I-VO zwei Zeiträume zu unterscheiden: Ab dem 17.12.2009 sind die Kollisionsnormen der Rom I-VO heranzuziehen, um das Vertragsstatut zu bestimmen. Sie können wiederum zum __________ 311 312 313

S. Abb. 13 und 14 unter Kap. 3 § 2 II 5) (S. 212). S. Kap. 2 § 1 IV 2) a) (S. 134 f.). Zum entsprechenden Interpretationsansatz zu Art. 28 Rom I-VO s. Kap. 2 § 1 IV 2) a) (S. 135). 314 Dazu näher Kap. 3 § 2 III 2) a) (S. 222 f.).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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Sachrecht der lex fori oder einer „neuen“ lex causae führen.315 Vor dem 17.12.2009 hat noch kein unmittelbar anwendbares EU-IPR existiert, das der Rom I-VO vergleichbar gewesen wäre. Folglich muss im Wege der completio lacunae das nationale IPR des jeweiligen mitgliedstaatlichen Forums bemüht werden, um das für den Vertragsschluss maßgebliche Recht zu ermitteln. Da in allen Mitgliedstaaten das EVÜ umgesetzt worden ist, sind insoweit dessen einheitliche Kollisionsnormen316 maßgeblich. Insofern bleibt in diesem Fall die „alte“ lex causae maßgeblich.317 Wendet man die Sachnormen der „alten“ oder „neuen“ lex causae318 an und stellt fest, dass ein Vertrag geschlossen worden ist, muss man im dritten Schritt unter das Ausgangsmerkmal „Vertragsschluss“ subsumieren.319 Zunächst muss durch unionsautonome Auslegung des factum conectens „Vertragsschluss“ ermittelt werden, welche Funktion es von einem präjudiziellen Recht bzw. Rechtsverhältnis verlangt, damit es unter dieses Merkmal fällt. Sodann muss im Wege der Interpretation durch das Vorfragenstatut herausgefunden werden, was für eine Funktion der Vertragsschluss im zu beurteilenden Sachverhalt tatsächlich innehat. Schließlich ist durch unionsautonome Auslegung zu bestimmen, ob sich die vorausgesetzte und tatsächliche Funktion entsprechen. 3) Bedeutung des Vorfragenproblems Wie auf nationaler Ebene320 wird das Vorfragenproblem auch im EU-IPR nur unter bestimmten Bedingungen relevant. In „prozessualer“ Hinsicht sind praequaestiones bereits entschieden, wenn sie schon durch einen Hoheitsakt beantwortet sind, der nach EUIZVR anzuerkennen ist.321 „Materiell“ schwindet die Bedeutung des Vorfragenproblems weiter dadurch, dass es nur unter drei Voraussetzungen entschieden werden muss:

__________ 315 Zu den entsprechenden Auslegungsansätzen zu Art. 28 Rom I-VO s. Kap. 2 § 1 IV 2) a) (S. 134 f.). 316 Gemeint sind die Kollisionsnormen des EVÜ in der durch die lex fori umgesetzten Form. 317 Zum entsprechenden Interpretationsansatz zu Art. 28 Rom I-VO s. a.a.O. (Fn. 315). 318 An dieser Stelle wird die Begrifflichkeit „alte“ oder „neue“ lex causae nicht als Gegensatz zur lex fori verwandt. Das heißt, auch die lex fori kann die „alte“ oder „neue“ lex causae für die Beantwortung der Vorfrage sein. 319 Näher zum Subsumtionsvorgang s. Kap. 3 § 2 II 4) und 5) (S. 207 ff.). 320 S. Kap. 3 § 1 II 2) (S. 205). 321 So ist bereits auf nationaler Ebene argumentierend statt vieler Raape/Sturm, IPR I, S. 290 f.

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

Erstens muss grundsätzlich „drittstaatliches“322 Recht zur Beantwortung der Hauptfrage berufen sein. Ist dagegen eine „mitgliedstaatliche“323 Rechtsordnung für die quaestio principalis maßgeblich, wird das Vorfragenproblem nur bedeutsam, wenn eine praequaestio in einem Bereich auftritt, der nicht vom Anwendungsbereich des unionsrechtlichen IPR umfasst ist. Zweitens müssen die einschlägigen Kollisionsnormen der lex fori und das IPR des für die Hauptfrage maßgeblichen Rechts unterschiedliche Rechtsordnungen zur Beantwortung der Vorfrage berufen. Drittens müssen die jeweils konkret anwendbaren Sachnormen zu verschiedenen Ergebnissen führen. Darüber hinaus wird die Vorfragenproblematik wie im autonomen nationalen IPR324 auch im europäischen Kollisionsrecht „materiell“ an Bedeutung verlieren, sobald und soweit die Vertreter der selbstständigen und unselbstständigen Anknüpfung Ausnahmefallgruppen herausbilden, die dann in Teilbereichen zu übereinstimmenden Lösungen führen.

IV. Fazit Fragen nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses sollten im unionsrechtlichen IPR als praequaestiones bezeichnet werden. Sie können als praequaestiones ante conexum cum lege causae vor oder als praequaestiones post conexum cum lege causae nach der kollisionsrechtlichen Anknüpfung in Erscheinung treten. Jedenfalls muss eine praequaestio stets von der Hauptfrage (quaestio principalis) unterschieden werden. Diese Abgrenzung erfolgt bei der praequaestio ante conexum cum lege causae durch (autonome) Interpretation des Anknüpfungsgegenstands, bei der praequaestio post conexum cum lege causae mittels (autonomer) Auslegung des Verweisungsumfangs. Ergibt die Interpretation, dass die betreffende präjudizielle Frage von der res conectenda bzw. vom conexus cum lege causae umfasst wird, zählt sie zur Hauptfrage. Anderenfalls ist sie eine praequaestio, es sei denn, sie stellt einen unselbstständigen Bestandteil der Hauptfrage dar, für den eine Sonderanknüpfung besteht. Dann handelt es sich nämlich um eine selbstständig zu beantwortende Teilfrage (quaestio subiecta). Diese ist von einer __________ 322 Der Begriff „drittstaatlich“ ist deshalb in Anführungszeichen gesetzt, weil er sich auch auf Mitgliedstaaten erstreckt, für die das europäische IPR nicht bindend oder anwendbar ist. 323 Der Begriff „mitgliedstaatlich“ ist deshalb in Anführungszeichen gesetzt, weil er sich nur auf Mitgliedstaaten erstreckt, für die das europäische IPR bindend und anwendbar ist. 324 Dazu Kap. 3 § 1 II 2) (S. 205).

§ 2 Vorfragen im europäischen IPR

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praequaestio durch die (autonome) Interpretation der Rahmenbegriffe der Kollisionsnorm abzugrenzen, die für die Teilfrage anwendbar ist. Gelangt man bei der Abgrenzung zu dem Schluss, dass eine praequaestio vorliegt, fragt sich, wie sie beantwortet werden sollte. In Erwägung gezogen werden insoweit die schlichte Anwendung des Sachrechts (der lex fori oder des für Hauptfrage maßgeblichen Rechts) und die kollisionsrechtliche Bestimmung des Vorfragenstatuts (durch die Anwendung europäischen IPR oder durch die Anknüpfung nach dem IPR des für die Hauptfrage maßgeblichen Rechts oder nach wandelbaren Aspekten). Welcher der fünf Lösungswege eingeschlagen werden sollte, braucht aber nur entschieden werden, wenn in „prozessualer“ und „materieller“ Hinsicht ein entsprechendes Bedürfnis besteht. Ist dies der Fall, sollten praequaestiones im europäischen IPR selbstständig angeknüpft werden. Hält es für den Gegenstand der Vorfrage noch keine einheitliche Kollisionsnorm(wertung) bereit, liegt ein Fall der completio lacunae vor: Existieren weder in der Ausgangsverordnung noch im sonstigen unmittelbar anwendbaren EU-Recht Kollisionsnormen für die Gegenstände der Vorfrage,325 sollte zu ihrer Anknüpfung auf das nationale IPR der lex fori zurückgegriffen werden. Um den Streit über die Vorfragenanknüpfung im unionsrechtlichen IPR zu lösen und damit Rechtssicherheit zu schaffen, ist es ratsam, sie in einem „EU-IPR AT“ ausdrücklich zu regeln.326 Das könnte wie folgt geschehen:327 „Beantwortung von Vorfragen (1) Das für eine Vorfrage anzuwendende Recht ist durch das europäische Kollisionsrecht zu bestimmen. Fehlen insoweit Kollisionsnormen, ist auf die Lückenschließung zurückzugreifen. (2) Die Subsumtion unter ein Merkmal, das eine Vorfrage aufwirft (Ausgangsmerkmal), erfolgt durch einen Vergleich. Bei einem Vergleich im Sinne des Satzes 1 wird die Funktion, die das Ausgangsmerkmal voraussetzt, der Funktion der Sachnormen, die nach Maßgabe des Absatzes 1 für die Vorfrage berufen sind, gegenübergestellt. Entsprechen die in Satz 2 genannten Funktionen einander, muss die abschließende Deduktion dahin gehend erfolgen, dass die beantwortete Vorfrage vom Ausgangsmerkmal erfasst wird. Die abschließende Entscheidung über eine Funktionsentsprechung im Sinne des Satzes 3 ist durch Auslegung der Norm zu treffen, deren Merkmal die Vorfrage aufgeworfen hat. (3) Eine Vorfrage im Sinne der Absätze 1 und 2 ist die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses, die weder vom sach-

__________ 325 Gemeint ist, dass die entsprechenden Kollisionsnormen weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrer Wertung für die Vorfrage anwendbar sind. 326 Die Möglichkeit, die Vorfragenanknüpfung im Internationalen Einheitsrecht ausdrücklich zu regeln, ist im Schrifttum bereits früh erwogen worden; vgl. Kropholler, IntEinR, S. 338; ders., IPR, § 32 VI 1. 327 A. M.: Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (57); Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (52 und 60).

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3. Kap.: Den Anknüpfungsgegenstand betreffende Fragestellungen

lichen Anwendungsbereich der für die Hauptfrage maßgeblichen Kollisionsnorm umfasst wird noch eine Teilfrage ist, für die eine Sonderanknüpfung existiert. Eine Teilfrage ist die Frage nach der Beurteilung unselbstständiger Bestandteile der Hauptfrage. (4) Die Subsumtion im Sinne des Absatzes 2 ist die Vorbereitung der abschließenden Deduktion.“

4. Kapitel

Die Anknüpfungspunkte (facta conectentia) betreffende Fragestellungen 4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

§ 1 Überblick über die Anknüpfung im europäischen IPR § 1 Überblick über die Anknüpfung im europäischen IPR

Nach der Prüfung des Anwendungs- und Geltungsbereichs des unionsrechtlichen IPR1 und der Subsumtion unter die res conectenda2 gelangt man letztlich auch zu dem Kollisionsnormelement, das die maßgebliche Rechtsordnung beruft, namentlich zum factum conectens der einschlägigen norma conflictionis legum.3 Auswahl und Ausgestaltung der facta conectentia folgen den drei Grundsätzen, auf denen das europäische Kollisionsrecht fußt. Dabei handelt es sich um das Prinzip der Parteiautonomie, den Grundsatz der engsten Verbindung und den Schutz des Schwächeren.4

I. Vorrangige Rechtswahl Die Parteiautonomie wird als kollisionsrechtliche Freiheit der Rechtswahl definiert und steht im europäischen IPR grundsätzlich an erster Stelle.5 Denn eine wirksame Rechtswahl genießt prinzipiell Vorrang vor den objektiven Anknüpfungen.6 In der Rom I-VO spiegelt sich diese Hierarchie __________ 1 2

Dazu ausführlich Kap. 2 §§ 1 und 2 (S. 106 ff., 139 ff.). Zum Begriff jetzt und im Folgenden s. Kap. 1 § 2 V 3) (S. 21) und VI (S. 23). Zur Qualifikation und Subsumtion näher Kap. 3 § 1 III und IV (S. 184 ff.). 3 Zu den Begriffen factum conectens und norma conflictionis legum jetzt und im Folgenden ebda. 4 Vgl.: Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (179); dies., in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 27 (28). 5 Zur Definition der Parteiautonomie statt aller Leible, in: FS Jayme I, S. 485 (485). Zur verfassungsrechtlichen Grundlage der Parteiautonomie vgl. Jayme, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 63 (65) m.w.Nachw. (Fn. 13). Zur Bedeutung der Parteiautonomie in der Rom I-VO vgl. Heiss, in: Leible/Ferrari (Hrsg.), Rome I, S. 1 (1) m.w.Nachw. (Fn. 1). Zur Stellung der Rechtswahl in der Rom II-VO statt aller HK-BGB/Dörner, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 1. 6 Vgl. Leible, Rom I und Rom II, S. 26 m.w.Nachw. (Fn. 84).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

bereits in Erwägungsgrund 117 und der exponierten Stellung des Art. 3 Rom I-VO als erste Kollisionsnorm der Verordnung wider. Dagegen ist die subjektive Anknüpfung in der Rom II-VO nur das Schlusslicht der normae conflictionis legum.8 Von diesem Unterschied abgesehen haben Art. 14 Rom II-VO und Art. 3 Rom I-VO aber etliche Gemeinsamkeiten, und zwar sowohl auf Voraussetzungs- als auch auf Rechtsfolgenseite. Ob und wieweit sich Art. 14 Rom II-VO und Art. 3 Rom I-VO ergänzen und beeinflussen, wird an späterer9 Stelle genauso zu untersuchen sein wie die Frage, was für verordnungsübergreifende bzw. spezifische Rechtswahlvoraussetzungen und -folgen bestehen. Nicht behandelt werden hingegen die einseitigen Rechtsbestimmungsmöglichkeiten, die im Internationalen Wettbewerbs-10 und Umwelthaftungsrecht11 bestehen.12

II. Objektive Anknüpfung Neben der Rechtswahl13 kennt das unionsrechtliche IPR noch weitere facta conectentia.14 Diese objektiven Anknüpfungspunkte haben eine grundlegende Gemeinsamkeit: Neben dem Prinzip der engsten Verbindung können ihnen sachrechtliche Schutzinteressen zugrundeliegen.15 Das Prinzip der engsten Verbindung und bestimmte sachrechtliche Schutzinteressen können in den einzelnen objektiven Anknüpfungspunkten in unterschiedlicher Intensität zum Ausdruck kommen. Beide Grundsätze spielen auch im Rahmen der akzessorischen Anknüpfungen eine wichtige __________ 7

Die Bezeichnung der Parteiautonomie in Erwägungsgrund 11 als „einer der Ecksteine des Systems der Kollisionsnormen im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse“ wird regelmäßig in der Literatur zitiert, um die Bedeutung der subjektiven Anknüpfung hervorzuheben; vgl. statt aller Kenfack, JDI 2009, 3 (17). 8 Die systematische Stellung des Art. 14 Rom II-VO wird im Schrifttum als überraschend eingestuft, nicht aber als grundlegender Fehler; vgl. Lagarde, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 201 (205). 9 Dazu näher Kap. 4 § 2 I bis IV (S. 231 ff.). 10 Vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO. 11 Vgl. Art. 7 Rom II-VO. 12 Dazu statt vieler Brière, JDI 2008, 31 (56–58). 13 Vgl. Kap. 4 § 1 I und § 2 I bis IV (S. 229 f., 231 ff.). 14 Näher zu den objektiven facta conectentia Kap. 4 § 3 I 1) bis 3) (S. 270 ff.). 15 Zu den Prinzipien des europäischen Kollisionsrechts s. Kap. 4 § 1 (S. 229). Zu den objektiven Anknüpfungspunkten jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 1 II vgl. Kap. 4 § 3 I 1) bis 3) (S. 270 ff.). Zur Materialisierungstendenz im unionsrechtlichen IPR vgl. statt aller Schaub, JZ 2005, 328 (335 f.). Für Beispiele zur Durchwirkung sachrechtlicher Schutzinteressen auf das Kollisionsrecht s. Michaels, in: FS Kropholler, S. 151 (160 f.). Zum Zusammenwirken der Grundsätze der engsten Verbindung und des Schwächerenschutzes im europäischen IPR vgl. Leible, Rom I und Rom II, S. 19–22.

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

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Rolle, die genau wie Ausweichklauseln sehr oft im europäischen IPR zu finden sind.

III. Fazit Die kollisionsrechtliche Rechtswahl setzt ihren Siegeszug in Europa weiter fort. Sie hat sich im europäischen Kollisionsrecht zum allgemeinen Anknüpfungsprinzip entwickelt.16 Für ihre Voraussetzungen und Wirkungen lassen sich nunmehr Grundsätze aus den ersten beiden Rom-Verordnungen ableiten.17 Mit dem Vordringen der Rechtswahl geht ein Rückzug der objektiven Anknüpfung einher. Er wird durch die zunehmende Bedeutung der akzessorischen Anknüpfung noch verstärkt.

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR § 2 Rechtswahl im europäischen IPR

I. Voraussetzungen für eine wirksame Rechtswahl Der Parteiwille genießt im EU-IPR Vorrang vor der objektiven Anknüpfung, wenn eine wirksame Rechtswahl getroffen wurde. 1) Zulässigkeit einer Rechtswahl Zunächst muss das europäische IPR eine Rechtswahl zulassen. Anders ausgedrückt: Die Parteien müssen sich an seine Rechtswahlausschlüsse und -beschränkungen halten. a) Rechtswahlausschlüsse Die Rom I-VO gewährt den Betroffenen Parteiautonomie, ohne absolute Ausschlüsse für bestimmte Sachbereiche vorzusehen. Das ist in der Rom II-VO anders.

__________ 16 Vgl. Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (209) m.w.Nachw. (Fn. 88). Zurückhaltender Jayme, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 63 (65). 17 Noch weiter gehend Rühl, ebda. (208).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

aa) Entgegenstehende schützenswerte Interessen Sie schließt eine Rechtswahl bei Verletzungen des geistigen Eigentums18 sowie im Internationalen Wettbewerbs- und Kartellrecht19 aus.20 Beide Rechtswahlverbote sind im Schrifttum auf Kritik gestoßen,21 aber nur hinsichtlich Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO ist bislang ausführlicher darüber diskutiert worden, seine Reichweite einzuschränken. (1) Ausnahme in den Fällen des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO? So erwägt das überwiegende22 Schrifttum, die Rechtswahl in den Fällen des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO zu gestatten (sog. rein betriebs- bzw. individualbezogene Wettbewerbsverletzungen). Dieses Ergebnis wird methodisch auf eine teleologische Reduktion des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO gestützt.23 (2) Stellungnahme Ob eine Ausnahme zum Rechtswahlausschluss gemacht werden darf und wie diese beschaffen sein sollte, muss durch autonome Auslegung ermittelt werden.24 Die Formulierung des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO bezieht sich auf den gesamten Artikel 6, was dagegen sprechen könnte, eine Ausnahme für die __________ 18 Vgl. Art. 8 Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 13) Rom II-VO. Zum Grund für diesen Rechtswahlausschluss vgl. statt vieler Joubert, in: dies./Corneloup (Hrsg.), Rome II, S. 55 (73). 19 Vgl. Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO. Zur Rechtfertigung dieses Rechtswahlverbots vgl. statt vieler de Boer, YbPIL Vol. 9 (2007), 19 (24 und 29). 20 Statt aller PWW/Schaub, Rom II Art. 14 Rdnr. 6. Für andere außervertragliche Systembereiche bestehen keine (ungeschriebenen) Rechtswahlausschlüsse; dazu näher MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 13. 21 Vgl. nur Leible, RIW 2008, 257 (259). 22 Vgl. etwa: BaRo-III/Spickhoff, Art 6 Rom II-VO Rdnr. 8; Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 6 Rom II-VO Rdnr. 8; HK-BGB/Dörner, Art. 6 Rom II-VO Rdnr. 7; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (730 f.); Leible, ebda.; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 6 Rdnr. 19 und Rom II 14 Rdnr. 3; Plender/Wilderspin, Obligations, Rdnr. 20053; PWW/Schaub, a.a.O. (Fn. 20); Rauscher/Unberath/Cziupka, EuZPR/EuIPR, Art 6 Rom II-VO Rdnr. 48 f.; Rudolf, ÖJZ 2010, 300 (304); Thorn, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 139 (154); Wagner, IPRax 2008, 1 (8); Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 6 Rom II-VO Rdnr. 24. Anders de Boer, a.a.O. (Fn. 19) (24 f.). A. M. auch Calvo Caravaca/Carrascosa González, Roma II, Rdnr. 106-2. A. M. wohl auch Sujecki, EWS 2009, 310 (316). 23 Vgl. statt vieler Wagner, ebda. 24 Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). Zu den Kriterien der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) bis dd) (S. 54 ff.).

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

233

Fälle des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO zu gestatten.25 Allerdings folgt aus dem Zusammenspiel des Wortlauts des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO mit der Verweisungstechnik des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO, dass das Rechtswahlverbot rein betriebsbezogene Wettbewerbsverletzungen nicht zwingend umfassen muss.26 Denn Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO ist auf „das nach diesem Artikel anzuwendende Recht“27, also auf das durch Art. 6 Rom II-VO berufene Recht beschränkt.28 Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO bestimmt die maßgebliche Rechtsordnung jedoch nicht selbst, sondern verweist auf Art. 4 Rom IIVO.29 Allerdings hätte man auf den Verweis in Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO auch verzichten und stattdessen die Anknüpfungsregeln des Art. 4 Rom II-VO wörtlich übernehmen können. Die Bevorzugung des Verweises in Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO kann ebenso gut ein regelungsökonomisches Verhalten sein, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden.30 Daher genügt das grammatikalisch-systematische Argument aus Art. 6 Abs. 2, Abs. 4 Rom II-VO nicht für die zwingende Schlussfolgerung, dass in den Fällen des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO eine Rechtswahl zulässig sein muss.31 Die Zusammenschau der Formulierung des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO („das nach diesem Artikel anzuwendende Recht“) und der Verweisungstechnik des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO bringt aber insofern einen Erkenntnisgewinn, als sie zeigt, dass der Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO für eine Ausnahme bei rein betriebsbezogenen Wettbewerbsverletzungen offen ist. Eine solche Ausnahme wird durch ein systematisch-teleologisches Argument gestützt. Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO bezweckt den Schutz von Drittund Allgemeininteressen im Internationalen Wettbewerbs- und Kartellrecht.32 Haben die Parteien eine Rechtswahl getroffen, wirkt sie nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO nur inter partes.33 Sie hat also weder für Dritte __________ 25 26

Vgl. v. Hein, ZEuP 2009, 6 (23). Vgl. Joubert, in: dies./Corneloup (Hrsg.), Rome II, S. 55 (68 f.). Noch weiter gehend: Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (731); Leible, RIW 2008, 257 (259). 27 „The law applicable under this Article“, „la loi applicable en vertu du présent article“, „la ley aplicable con arreglo al presente artículo“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen gemeint. 28 Leible/Lehmann, a.a.O. (Fn. 26) (730 f.); Leible, a.a.O. (Fn. 26); Plender/Wilderspin, Obligations, Rdnr. 20-053; Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (202). 29 Leible/Lehmann, a.a.O. (Fn. 26); Leible, a.a.O. (Fn. 26); Plender/Wilderspin, ebda.; Rühl, ebda. 30 Ähnl. Plender/Wilderspin, a.a.O. (Fn. 28). 31 So aber: Leible/Lehmann, a.a.O. (Fn. 26); Leible, a.a.O. (Fn. 26). 32 Vgl. statt aller BaRo-III/Spickhoff, Art 6 Rom II-VO Rdnr. 8. 33 Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (631 und 623). Ebenso argumentiert Leible, in: FS Jayme I, S. 485 (495).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

noch für die Allgemeinheit rechtliche Auswirkungen. Demnach spricht auch der Zweck des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO dafür, die Rechtswahl in den Fällen des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO zuzulassen.34 Außerdem streitet der Zweck des Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO dafür, bei Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO ausnahmsweise eine Rechtswahl zuzulassen. Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO soll Dritt- und Allgemeininteressen im Internationalen Wettbewerbs- und Kartellrecht schützen.35 Bei rein betriebsbezogenen Wettbewerbsverletzungen stehen sich jedoch nur die Interessen des Schädigers und des Geschädigten gegenüber. Diese Interessenlage ist typisch für das allgemeine europäische Deliktskollisionsrecht, in dem die Rechtswahl gestattet ist.36 Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe dafür, Art. 6 Abs. 4 Rom IIVO dahin gehend auszulegen, dass er rein betriebsbezogene Wettbewerbsverstöße nicht umfasst und insoweit teleologisch zu reduzieren ist. bb) Ausschluss der Teilrechtswahl? Fraglich ist, ob eine Teilrechtswahl im EU-IPR ausgeschlossen ist. Art. 3 Abs. 1 S. 3 in fine Rom I-VO gibt für das europäische Internationale Schuldvertragsrecht eine klare Antwort, indem er es den Parteien explizit gestattet, ihre Rechtswahl nur für einen Teil ihres Vertrages zu treffen (sog. dépeçage).37 Anders sieht es in der Rom II-VO aus, in der eine ausdrückliche Regelung fehlt.38 Dennoch sieht das überwiegende39 Schrifttum eine Teilrechtswahl im außervertraglichen Bereich als zulässig an. Die Begründungen divergieren jedoch: __________ 34 35 36

Noch weiter gehend Leible, in: FS Jayme I, S. 485 (495). Vgl. statt aller BaRo-III/Spickhoff, Art 6 Rom II-VO Rdnr. 8. Auf die Nähe der Fälle des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO zum allgemeinen Deliktsrecht hinweisend auch u. a.: Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 6 Rdnr. 19; Rauscher/Unberath/ Cziupka, EuZPR/EuIPR, Art 6 Rom II-VO Rdnr. 48; Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 6 Rom II-VO Rdnr. 24. 37 Vgl. statt aller MünchKomm/Martiny, Art. 3 Rom I-VO Rdnr. 67. 38 Vgl. statt aller Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (623). 39 Vgl. etwa: BaRo-III/Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 2; Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 113; Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 14 Rom IIVO Rdnr. 7; Heiss/Loacker, ebda.; Leible, RIW 2008, 257 (260); MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 8 und 37; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 4 (für „bestimmte außervertragliche Ansprüche”). A. M.: HK-BGB/Dörner, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 5; Mankowski, in: FS Spellenberg, S. 261 (275 f.). Differenzierend: Dickinson, Rome II, Rdnr. 13.20; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 34 f. Offen gelassen bei: Huber/Bach, Rome II, Art. 14 Rdnr. 10; Jayme, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 63 (73 f.); PWW/Schaub, Rom II Art. 14 Rdnr. 2; Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 38 Rdnr. 76; Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 5.

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

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In der Literatur verweisen manche40 auf Art. 3 Abs. 1 S. 3 EVÜ. Andere ziehen Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO heran, um die Möglichkeit einer Teilrechtswahl zu begründen. Schließlich beruft man sich teilweise42 auch auf Art. 3 Abs. 1 S. 3 EVÜ bzw. Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO. Es werden somit unterschiedliche dogmatische Wege eingeschlagen, um die Frage zu beantworten, wie die Regelungslücke der Rom II-VO zur Teilrechtswahl geschlossen werden sollte. Die Begründungsvielfalt verdeutlicht zugleich, dass im europäischen IPR bislang ein einheitlicher Lückenschließungsansatz fehlt. Ein solcher ist zuvor43 entwickelt worden. Danach ist die Lückenfeststellung und -füllung im Wege der completio lacunae durchzuführen. 41

(1) Lückenfeststellung in der Rom II-VO Zunächst muss geprüft werden, ob eine lacuna externa oder interna vorliegt. Fraglich ist zunächst, ob in der Rom II-VO überhaupt eine Regelungslücke vorliegt. Denn Art. 14 Rom II-VO könnte die Teilrechtswahl schon „negativ“ regeln. Dafür ließe sich anführen, dass Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO und Erwägungsgrund 31 der Rom II-VO vom gewählten Recht im Singular sprechen.44 Daraus könnte sich im Umkehrschluss ergeben, dass eine Wahl mehrerer Rechte (Teilrechtswahl) im Internationalen außervertraglichen Schuldrecht gem. Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO ausscheidet. Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen, da auch Art. 3 Abs. 1 EVÜ/Rom I-VO in Satz 1 die Einzahl verwendet, aber in Satz 3 die Teilrechtswahl ausdrücklich gestattet. Vielmehr folgt aus der Existenz dieses Satzes 3 und dem Fehlen einer Parallelvorschrift in der Rom II-VO, dass die Teilrechtswahl in ihr ungeregelt ist.45 Somit liegt eine lacuna vor. Dabei könnte es sich um eine lacuna externa handeln. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn die Rechtsfrage, die hinter der fehlenden Teilrechtswahlregelung steht, dem Anwendungsbereich der Rom II-VO unterliegt. __________ 40 41

Heiss/Loacker, a.a.O. (Fn. 38) in Fn. 117. So BaRo-III/Spickhoff, a.a.O. (Fn. 39) [„entspr Art 3 Abs 1 S 3 Rom I-VO“]. Ähnl.: Behrens, a.a.O. (Fn. 39) [„Analogie zu Art. 3 I 2 Rom I-VO“]; MünchKomm/ Junker, a.a.O. (Fn. 39) [„Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO“ analog]; beide Autoren werden aber Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO meinen. So nur für „bestimmte außervertragliche Ansprüche“ Palandt/Thorn, a.a.O. (Fn. 39). 42 Leible, a.a.O. (Fn. 39). Ähnl. Staudinger, a.a.O. (Fn. 39) [„unter Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO (Art. 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB)“]. 43 Dazu jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 2 I 1) a) bb) (1) und (2) vgl. Kap. 1 § 5 I bis IV (S. 81 ff.). 44 Dies führt Dickinson, a.a.O. (Fn. 39) für eine restriktivere Auslegung des Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO an. 45 A. M. Symeonides, 56 AJCL (2008), 173 (186) Fn. 62, der davon ausgeht, dass Art. 14 Rom II-VO eine Teilrechtswahl zulässt, aber hierfür keine Begründung liefert.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Diese Rechtsfrage könnte die Frage nach einem Rechtswahlausschluss sein. Letztere fällt wiederum nach Maßgabe des Art. 1 Rom II-VO in den Anwendungsbereich der Rom II-VO. Das wird durch die Existenz etlicher Normen der Rom II-VO belegt, die eine Rechtswahl ganz46 oder teilweise47 ausschließen. Ob die Parteien im außervertraglichen Bereich eine Teilrechtswahl treffen dürfen, ist nichts anderes als die Frage, ob ihnen eine solche Spaltung der Rechtswahl verboten ist oder nicht. Also ist die Rechtsfrage, die hinter der fehlenden Teilrechtswahlnorm steht, die Frage nach einem Rechtswahlausschluss. Da solche Fragen in den Anwendungsbereich der Rom II-VO fallen, liegt keine lacuna externa vor. Eine lacuna interna ist in der ungeregelt gebliebenen Teilrechtswahl nur zu erblicken, wenn sie in der Rom II-VO unbewusst keiner Normierung zugeführt worden ist. Die Regelung einer Teilrechtswahl ist weder in den Kommissionsvorschlägen48 noch in anderen Äußerungen während des Rechtsetzungsverfahrens49 ausdrücklich angesprochen worden. Insoweit ist die Unbewusstheit der Regelungslücke zu bejahen und eine lacuna interna anzunehmen. (2) Lückenschließung in der Rom II-VO Diese interne Lücke könnte mittels der Wertungen des Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO zu schließen sein, namentlich im Wege eines Analogieschlusses. Damit er gezogen werden darf, muss aber nicht nur die bereits50 festgestellte lacuna interna vorliegen, sondern auch eine wertungsmäßige Äquivalenz zwischen dem geregelten und dem ungeregelten Gegenstand. Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO erlaubt die Teilrechtwahl für die Systembereiche des vertraglichen Schuldrechts. Sie zeichnen sich durch ihre innere Geschlossenheit und ihre grundsätzliche Unabhängigkeit voneinander aus. Im deutschen Sachrecht halten beispielsweise die §§ 433 bis 479 BGB und die §§ 535 bis 580a BGB in sich geschlossene Systeme für kauf- und mietvertragliche Rechtsfragen bereit, ohne dass diese beiden Bereiche im Grundsatz voneinander abhängig sind. Das heißt, für ein vertragliches Schuldverhältnis mit kauf- und mietrechtlichen Elementen ist die Teilrechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO unbedenklich, weil das deutsche Sachrecht für beide Komponenten in sich geschlossene Systemberei__________ 46 47 48 49

Vgl. etwa Art. (13,) 8 Abs. 3 Rom II-VO. Vgl. etwa Art. 6 Abs. 4. Vgl.: KOM(2003)427, S. 1–44; KOM(2006)83, S. 1–25. In den Äußerungen der am Rechtsetzungsverfahren beteiligten EU-Organe finden sich ebenfalls keine Ausführungen zur Teilrechtswahl. Die entsprechenden Dokumente sind abrufbar unter http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm? CL=de&DosId= 184392. 50 S. Kap. 4 § 2 I 1) a) bb) (1) (S. 235 f.).

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

237

che zur Verfügung stellt, die sich prinzipiell nicht gegenseitig beeinflussen. Anders ist die Rechtslage im außervertraglichen Schuldrecht. Seine Systembereiche stehen in grundsätzlicherer Wechselwirkung zueinander als die des Vertragsrechts. Diese Interdependenz kann zu Normenhäufungen und -mängeln führen, wenn man eine Teilrechtswahl zuließe: Ein Beispiel für mögliche Friktionen bildet die Gestattung der Teilrechtswahl im Falle der Tilgung einer fremden einredefreien Schuld. 51 Wenn die Parteien in diesem Fall englisches Sachrecht für bereicherungsrechtliche Ansprüche und deutsches Sachrecht für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag wählen dürfen, kommt es zu folgender Situation: Das deutsche Sachrecht sieht die Tilgung einer fremden einredefreien Schuld als einen Fall der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag an.52 Aus diesem Grund gewährt es dem Geschäftsführer einen Aufwendungsersatzanspruch, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind.53 Andererseits lässt es bereicherungsrechtliche Ansprüche des Geschäftsführers entfallen, weil die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag einen Rechtsgrund für die Leistung darstellt.54 Für bereicherungsrechtliche Ansprüche haben die Parteien im Beispielsfall aber nicht deutsches, sondern englisches Sachrecht gewählt. Es beschreitet bei der Zahlung fremder Schulden einen grundsätzlich anderen Weg als die deutsche Rechtsordnung. Denn das common law kennt kein der Geschäftsführung ohne Auftrag vergleichbares Rechtsprinzip, nach dem einer Person Ausgleichsansprüche zustehen, wenn sie die Schuld eines anderen freiwillig und ohne Zwang beglichen hat.55 Nur wenn die Voraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs vorliegen, gewährt das englische Sachrecht dem Zahlenden ausnahmsweise einen Ausgleich gegenüber dem Schuldner.56 Sind die Merkmale des englischen Bereicherungsanspruchs und des deutschen Aufwendungsersatzanspruchs erfüllt, bestehen zwei außerver-

__________ 51

Für ein Beispiel aus dem Deliktsrecht s. Mankowski, in: FS Spellenberg, S. 261 (275). 52 Vgl. BaRo-II/Gehrlein, § 683 BGB Rdnr. 2 m.w.Nachw. (Fn. 9). 53 Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 683 S. 1 BGB vgl. statt aller Looschelders, SchR BT, Rdnr. 840–863 und Rdnr. 870 f. 54 Statt aller Palandt/Sprau, Einf v § 677 BGB Rdnr. 10. 55 Vgl. statt aller Stoljar, in: v. Caemmerer/Schlechtriem (Hrsg.), IECL X, Rdnr. 1793. 56 Vgl. statt aller Friedmann/Cohen, in: v. Caemmerer/Schlechtriem (Hrsg.), IECL X, Rdnr. 10-07. Zu den Voraussetzungen eines englischen Bereicherungsanspruchs Sheehan, ICLQ 2006, 253 (263) m.w.Nachw. (Fn. 94).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

tragliche57 Ansprüche: ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach deutschem und ein Bereicherungsanspruch nach englischem Sachrecht. Diese Anspruchshäufung ist in beiden Rechtsordnungen nicht vorgesehen.58 Sie führt zu schwierigen Folgefragen wie etwa nach dem Verhältnis beider Ansprüche zueinander. Die oben dargelegte Konstellation ist nur ein Beispiel für Normenwidersprüche, zu denen eine Teilrechtswahl im außervertraglichen Internationalen Schuldrecht führen kann, da Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Systembereichen bestehen. Solche grundsätzlichen Interdependenzen existieren im Besonderen Vertragsrecht nicht.59 Also unterscheiden sich der von Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO normierte und der von der Rom II-VO ungeregelte Bereich wertungsmäßig voneinander. Demnach kann eine Teilrechtswahl nicht mit dem Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO analog begründet werden. Im nächsten Schritt der completio lacunae muss man auf das IPR der jeweiligen lex fori zurückgreifen, um die lacuna interna zu schließen. In den Mitgliedstaaten kommt insoweit insbesondere ein Rückgriff auf die Umsetzungsvorschrift zu Art. 3 Abs. 1 S. 3 EVÜ in Betracht. Gegen eine Analogie sprechen jedoch dieselben60 Erwägungen wie bei Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO. Aufgrund der Wechselwirkungen im außervertraglichen Schuldrecht sollte aber nicht nur eine analoge Anwendung des umgesetzten Art. 3 Abs. 1 S. 3 EVÜ ausgeschlossen sein. Vielmehr sollte die Teilrechtswahl wegen dieser Interdependenzen in jeder lex fori unzulässig sein. Insoweit liegt eine nicht schließungsfähige lacuna interna der Rom II-VO vor. Im Ergebnis ist also eine Teilrechtswahl im EU-IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse unzulässig, während sie im europäischen Internationalen Vertragsrecht nach Art. 3 Abs. 1 S. 3 EVÜ/Rom I-VO ausdrücklich erlaubt ist. b) Rechtswahlbeschränkungen Die Rom II-VO ist nicht nur bei der Gestattung einer Rechtswahl restriktiver als die Rom I-VO,61 sondern sie beschränkt die Parteiautonomie anders __________ 57 Neben den beiden außervertraglichen Ansprüchen besteht in beiden Rechtsordnungen die Möglichkeit, dass die Forderung gegen den Schuldner auf den Zahlenden übergeht; dazu ausführlich Friedmann/Cohen, ebda. Rdnr. 10-18 f. 58 Zum deutschen und englischen Sachrecht vgl. jeweils Kap. 4 § 2 I 1) a) bb) (2) (S. 237). 59 Vgl. ebda. 60 Dazu Kap. 4 § 2 I 1) a) bb) (2) (S. 236 ff.). 61 S. dazu Kap. 4 § 2 I 1) a) aa) und bb) (S. 232 ff.).

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

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als die Rom I-VO auch durch zeitlich bedingte Zulässigkeitsvoraussetzungen. aa) Zeitlich bedingte Rechtswahlbeschränkungen Also muss bei der Rom II-VO die Frage beantwortet werden, welchen zeitlich bedingten Beschränkungen eine Rechtswahl unterliegt. (1) Feststellung des Rechtswahlzeitpunkts Dabei ist gem. Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO nach dem „Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses“62 zu differenzieren.63 Darunter ist der Zeitpunkt zu verstehen, an dem das Schuldverhältnis verursachende Verhalten veranlasst wird.64 Nur wenn eine Rechtswahl vor diesem Zeitpunkt getroffen wird (vorherige Rechtswahl), stellt die Rom II-VO in Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) beschränkende Zulässigkeitsvoraussetzungen auf.65 (2) Persönliche Zulässigkeitsvoraussetzungen In persönlicher Hinsicht verlangt Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO für eine vorherige Rechtswahl, dass „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“66 müssen. Fraglich ist, welchen Inhalt diese Zulässigkeitsvoraussetzung genau hat. (a) Inhalt Das Merkmal „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“ sollte inhaltlich identisch zum Unternehmerbegriff des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ausgelegt werden.67 Das heißt, alle Parteien gehen einer kommerziel__________ 62 „Event giving rise to the damage occurred“, „survenance du fait générateur du dommage“, „hecho generador del daño“. 63 Vgl. statt vieler PWW/Schaub, Rom II Art. 14 Rdnr. 4. 64 Das folgt aus einer systematischen Auslegung zu Art. 31 Rom II-VO, der auf denselben Zeitpunkt abstellt; dazu näher Kap. 2 § 1 IV 1) a) (S. 131 ff.). Eine ähnliche Definition des nach Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO relevanten Zeitpunkts etwa bei: BaRo-III/ Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 4; PWW/Schaub, ebda. 65 Vgl. statt aller Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (291). Die Beschränkung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO ist vom Schrifttum immer wieder kritisiert worden; vgl. statt vieler Fröhlich, Rome II, S. 37–39. 66 „All the parties are pursuing a commercial activity“, „elles exercent toutes une activité commerciale“, „todas las partes desarrollen una actividad comercial“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO gemeint. 67 Vgl. statt aller v. Hein, ZEuP 2009, 6 (20).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

len Tätigkeit nach, wenn sie eine selbstständige berufliche oder gewerbliche Tätigkeit am Markt ausüben.68 (b) Gegenstand der kommerziellen Tätigkeit Fraglich ist, wobei alle Parteien einer unternehmerischen Tätigkeit nachgehen müssen. In der Literatur stellt man insoweit entweder auf die Rechtswahl69 oder den Vertrag70 ab, in dem sich die betreffende Rechtswahlklausel befindet. Beide Positionen widersprechen sich aber nicht, sondern ergänzen einander. Haben die Parteien keine isolierte vorherige Rechtswahl getroffen, sondern dieselbe nur in einer Klausel des Hauptvertrages vereinbart, bleibt dem Rechtsanwender nichts anderes übrig, als auf die Prinzipalvereinbarung abzustellen. Das heißt, man muss differenzieren: Haben die Parteien eine isolierte Rechtswahl getroffen, müssen sie diese in Ausübung einer selbstständigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit vereinbart haben.71 Dagegen ist auf den Hauptvertrag abzustellen, wenn sich die Parteien in seinem Rahmen auf das anzuwendende Recht geeinigt haben.72 (c) Das außervertragliche Schuldverhältnis Unabhängig davon, ob die Rechtswahl isoliert oder im Rahmen eines Hauptvertrages getroffen worden ist, versteht es sich von selbst, dass sie die mögliche außervertragliche Haftung des Unternehmers betreffen muss.73 Anderenfalls käme Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO gar nicht über Art. 1 Rom II-VO zur Anwendung. Insoweit spielt das betreffende außervertragliche Schuldverhältnis beim Merkmal „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“ jedenfalls mittelbar eine Rolle. __________ 68 69

Vgl. Sujecki, EWS 2009, 310 (313) m.w.Nachw. (Fn. 42). So etwa: MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 23; Ofner, ZfRV 2008, 13 (22); Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 8; Rauscher, IPR, Rdnr. 1292; Rauscher/ Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 21; Thorn, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 139 (153); Wagner, IPRax 2008, 1 (13). 70 So etwa: Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 126; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (727); Leible, RIW 2008, 257 (260); ders., in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (45) in Fn. 78. 71 Damit sind sowohl die Fälle einer ausdrücklichen als auch die einer schlüssigen isolierten Rechtswahl im Sinne der Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO, 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO gemeint. 72 Das sind die Sachverhalte, in denen die Parteien im Rahmen eines Hauptvertrages eine ausdrückliche oder schlüssige Rechtswahl im Sinne der Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO, 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO getroffen haben. 73 Diese Anforderung findet sich bei Palandt/Thorn, a.a.O. (Fn. 69).

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

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Fraglich ist, ob und inwiefern dem betreffenden Schuldverhältnis darüber hinaus eine weitere Bedeutung zukommt. In der Literatur wird teilweise74 ein (innerer) Zusammenhang zwischen dem Delikt und der kommerziellen Tätigkeit verlangt. (aa) Präzisierung und Verortung der Fragestellung Führt man den obigen Ansatz fort, wird man eine (innere) Beziehung zwischen dem außervertraglichen Schuldverhältnis und der kommerziellen Tätigkeit fordern müssen.75 Das ist auch vorzugswürdig. Schließlich umfasst die Rom II-VO nicht nur die Anknüpfung deliktsrechtlicher, sondern auch anderer außervertraglicher Ansprüche.76 Der (innere) Zusammenhang zwischen dem außervertraglichen Schuldverhältnis und der kommerziellen Tätigkeit der Parteien wird stets im Zusammenhang mit dem Merkmal „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“ erörtert.77 Dabei bleibt eine ausdrückliche dogmatische Verortung ganz überwiegend78 aus. Wo eine solche Zuordnung stattfindet, wird die geforderte (innere) Beziehung als Bestandteil der Voraussetzung „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“ angesehen.79 Das erscheint aus folgendem Grund unrichtig: Eine Rechtswahl im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO zeichnet sich dadurch aus, dass sie vor dem Schuldverhältnis begründenden Verhalten und damit vor der Entstehung des Schuldverhältnisses getroffen wird. Ob das Schuldverhältnis in einem (inneren) Zusammenhang zur kommerziellen Tätigkeit steht, kann aber erst nach seiner Begründung beurteilt werden. Das heißt, in dem Zeitpunkt, der nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO für das Vorliegen des Tatbestands relevant ist, kann überhaupt noch gar nicht festgestellt werden, ob eine (innere) Beziehung __________ 74 So Loquin, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 35 (52). Ihm folgend: Kadner Graziano, Rev. crit. dr. internat. privé 2008, 445 (454) Fn. 29; ders., RabelsZ 73 (2009), 1 (7 f.). Ebenfalls einen (inneren) Zusammenhang zwischen Delikt und kommerzieller Tätigkeit verlangend etwa: BaRo-III/Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 5; Huber/ Bach, Rome II, Art. 14 Rdnr. 24; Rauscher, IPR, Rdnr. 1292. 75 Auf eine (innere) Beziehung zwischen dem betreffenden außervertraglichen Schuldverhältnis und der kommerziellen Tätigkeit ebenfalls abstellend: Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (726); Leible, RIW 2008, 257 (260); ders., in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (45) in Fn. 78; PWW/Schaub, Rom II Art. 14 Rdnr. 4; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 21; Wurmnest, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 10. Ähnl. auch Palandt/Thorn, a.a.O. (Fn. 69). 76 Vgl. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Rom II-VO. 77 Vgl. statt vieler Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 ( 7 f.). 78 S. dazu exemplarisch BaRo-III/Spickhoff, a.a.O. (Fn. 74). 79 So Rauscher, a.a.O. (Fn. 74).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

des außervertraglichen Schuldverhältnisses zur unternehmerischen Aktivität besteht, weil es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht entstanden ist. Aus diesem (chrono)logischen Grund erscheint es richtiger, die geforderte (innere) Beziehung zum außervertraglichen Schuldverhältnis nicht dem Merkmal „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“ (Tatbestandsseite),80 sondern dem Umfang der Rechtswahlvereinbarung (Rechtsfolgenseite) zuzuordnen.81 Der verlangte (innere) Zusammenhang sollte somit als Begrenzung der Rechtsfolge der Rechtswahlvereinbarung angesehen werden, die man durch deren Auslegung ziehen muss, nachdem das betreffende außervertragliche Schuldverhältnis entstanden ist.82 (bb) Stellungnahme Fraglich ist, ob man wirklich einen (inneren) Zusammenhang des außervertraglichen Schuldverhältnisses zur kommerziellen Tätigkeit verlangen muss, damit es von der Rechtsfolge der Rechtswahlvereinbarung umfasst wird. Wo Argumente für diese ungeschriebene Anforderung gebracht werden, verweist man pauschal auf den Normzweck, ohne weitere Ausführungen zu machen.83 Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO soll die schwächere Partei schützen, also einen Rechtswahlmissbrauch zulasten des Verbrauchers oder Arbeitnehmers verhindern.84 Beide sind aber zu ihrem Schutz schon per definitionem von einer vorherigen Rechtswahl ausgeschlossen.85 Soweit sie sich zu selbstständigen kommerziellen Zwecken auf unternehmerisches Terrain begeben, kann von ihnen erwartet werden, dass sie sich hinreichend informieren. Insofern sind sie als Unternehmer tätig und nicht schutzbedürftig. Dass kommerziell Tätige im Verhältnis untereinander nicht durch Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO geschützt werden, folgt daraus, dass sich das vom Europäischen Parlament vorgeschlagene86 Tatbestandsmerkmal der vergleichbar starken Verhandlungspositionen nicht durchsetzen konnte. Somit trägt die Begründung mit dem Schutzzweck des Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO nicht. __________ 80 81

So aber Rauscher, IPR, Rdnr. 1292. So nur angedeutet bei Loquin, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 35 (52), dem zufolge die „faits dommageables“ aus der „activité commerciale visée par l’accord négocié entre les parties“ resultieren müssen. Ebenfalls nur angedeutet bei Palandt/ Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 8, der insoweit darauf abstellt, ob die „Rechtswahl“ in einer (inneren) Beziehung zur kommerziellen Tätigkeit steht. 82 Das wird in der Literatur bislang nur angedeutet; vgl. dazu die Nachweise in der vorherigen Fn. 83 So BaRo-III/Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 5. 84 Vgl. statt aller Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (7). 85 Vgl. Kap. 4 § 2 I 1) b) aa) (2) (a) (S. 239 f.). 86 Vgl. P6_TA(2005)0284, S. 9, Art. 3 Abs. 1 S. 2.

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

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Allerdings sprechen die allgemeinen Ziele des europäischen IPR dafür, außervertragliche Schuldverhältnisse nur als von der Rechtwahl umfasst anzusehen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zur kommerziellen Tätigkeit stehen. Das unionsrechtliche IPR zielt auf die Schaffung und Erhöhung der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts, der Rechtssicherheit und der Transparenz.87 Die unternehmerisch handelnden Parteien treffen die Rechtswahl, um ihre geschäftlichen Rechtsbeziehungen in außervertraglicher Hinsicht einer bestimmten Rechtsordnung zu unterwerfen. Damit wollen sie das anwendbare Recht für sich vorhersehbar machen und somit Rechtssicherheit schaffen. Diese Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit würde aber zerstört, wenn man die Rechtswahlvereinbarung so auslegen würde, dass ihr auch außervertragliche Schuldverhältnisse ohne jeden Bezug zur unternehmerischen Tätigkeit unterlägen. Wenn der Unternehmer U88 den Händler H89 mit Spielwaren beliefert und sie im Rahmen ihres Vertrages deutsches Recht für etwaige außervertragliche Ansprüche gewählt haben, ist es für U und H sehr überraschend, wenn sich diese Rechtswahlvereinbarung auch auf deliktsrechtliche Ansprüche erstrecken würde, die in einem gemeinsamen Privaturlaub auf den Malediven entstanden sind. Im Ergebnis folgt also aus den allgemeinen Zielen des europäischen Kollisionsrechts, dass eine Rechtswahl im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO nur solche außervertraglichen Schuldverhältnisse umfassen kann, die im inneren Zusammenhang zur kommerziellen Tätigkeit der Parteien stehen. Diese (ungeschriebene) Anforderung ist dogmatisch als Begrenzung der Rechtsfolge der Rechtswahlvereinbarung einzuordnen. (3) Sachliche Zulässigkeitsvoraussetzungen Die zweite Zulässigkeitsvoraussetzung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO besteht darin, dass die vorherige Rechtswahl eine „frei ausgehandelte Vereinbarung“90 sein muss. Fraglich ist, wie dieses Merkmal verstanden werden sollte. __________ 87 88

Vgl. statt aller Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (178). U soll in diesem Beispiel spanischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Spanien sein, der sein in Madrid ansässiges Unternehmen nach spanischem Recht gegründet hat. 89 H soll in diesem Beispiel französischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich sein, der seine in Paris ansässige Spielwarenhandlung nach französischem Recht gegründet hat. 90 „Agreement freely negotiated“, „accord librement négocié“, „acuerdo negociado libremente“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO gemeint.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

(a) Meinungsstand zum Inhalt Es hat im Schrifttum bereits früh zu Auseinandersetzungen geführt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die Voraussetzung „frei ausgehandelte Vereinbarung“ eine Rechtswahl in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ausschließt.91 Dies wird überwiegend92 bejaht, teilweise93 aber auch verneint. Von den zuletzt genannten Autoren vertreten manche94, das Merkmal „frei ausgehandelte Vereinbarung“ schließe eine Rechtswahl ausnahmsweise aus, etwa bei Täuschung über die Rechtswahlklausel oder wenn mit einer solchen nicht zu rechnen gewesen sei.95 Dagegen stellt man teilweise96 auch darauf ab, ob die andere Partei die Möglichkeit gehabt hat, auf die Formulierung der AGB, insbesondere auf die Rechtwahlklausel Einfluss zu nehmen. Dann sei eine vorherige Rechtswahl in AGB zulässig.97 (b) Stellungnahme Vor einer Stellungnahme sollte man sich vor Augen führen, dass es bei der Kontroverse um die Frage geht, ob Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO das Verbot aufstellt, eine Rechtswahl in AGB zu treffen (Rechtswahlausschluss auf kollisionsrechtlicher Ebene). Eine davon zu unterscheidende, nachgeschaltete Frage ist, ob und inwieweit die Rechtswahlvereinbarung nach dem Rechtswahlstatut in AGB getroffen werden darf (Wirksamkeitsanforderungen auf sachrechtlicher Ebene). Im Schrifttum wird diese Tren-

__________ 91 92 93

Vgl. statt aller Ofner, ZfRV 2008, 13 (22). Vgl. Landbrecht, RIW 2010, 783 (784) m.w.Nachw. (Fn. 13). So etwa: BaRo-III/Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 5; Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 138; Dickinson, Rome II, Rdnr. 13.41; Huber/Bach, Rome II, Art. 14 Rdnr. 28; Junker, RIW 2010, 257 (267); Mankowski, IPRax 2010, 389 (400); MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 36; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 9; Pfütze, ZEuS 2011, 35 (66 f.); Plender/Wilderspin, Obligations, Rdnr. 29-023; Rauscher/ Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 23; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 447; Rudolf, ÖJZ 2010, 300 (301); Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 38 Rdnr. 74; Thorn, ebda. 94 Wagner, ebda. Ihm folgend: Palandt/Thorn, ebda.; Rudolf, ebda.; Staudinger, ebda.; Thorn, ebda. 95 Vgl. Wagner, a.a.O. (Fn. 93). Ihm folgend: Palandt/Thorn, a.a.O. (Fn. 93); Staudinger, a.a.O. (Fn. 93); Thorn, a.a.O. (Fn. 93). 96 So etwa: Dickinson, a.a.O. (Fn. 93); Mankowski, a.a.O. (Fn. 93); Plender/Wilderspin, a.a.O. (Fn. 93). Weiter gehend Huber/Bach, a.a.O. (Fn. 93). 97 Ebda.

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

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nung nicht immer vollzogen,98 obwohl sie nötig ist. Denn im ersten Fall geht es um die Auslegung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO und im zweiten um die Interpretation der anwendbaren Sachvorschriften des Rechtswahlstatuts. Welcher Lösungsweg im ersten Fall eingeschlagen werden sollte, hängt wiederum von der autonomen Auslegung des Merkmals „frei ausgehandelte Vereinbarung“ ab.99 (aa) Wortlaut Nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO muss es sich bei der Rechtswahl um eine „frei ausgehandelte Vereinbarung“ handeln. AGB zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie nicht frei zwischen den Parteien ausgehandelt, sondern einseitig gestellt werden.100 Also scheint die Formulierung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO eine in AGB getroffene Rechtswahl auszuschließen.101 (bb) Entstehungsgeschichte Möglicherweise trügt der Schein. Die Wendung „frei ausgehandelte Vereinbarung“ geht auf einen Vorschlag102 des Europäischen Parlaments zurück.103 Nach dem darin vorgesehenen Art. 3 Abs. 1 S. 2 sollte die vorherige Rechtswahl wie folgt ausgestaltet werden: „Bestand vor Eintritt des Ereignisses eine unabhängige Geschäftsbeziehung, so ist dies zwischen Gewerbetreibenden mit vergleichbar starken Verhandlungspositionen auch vor Eintritt eines solchen Ereignisses mittels einer frei ausgehandelten Vereinbarung möglich.“104

Zur Begründung dieses Vorschlags heißt es zunächst: „Darüber hinaus ist kein Grund ersichtlich, warum Parteien einer unabhängigen Geschäftsbeziehung verwehrt werden sollte, sich auf das auf Ansprüche aufgrund unerlaubter Handlung anwendbare Recht zu einigen, bevor solche Ansprüche entstehen. Dies mag

__________ 98 Vgl. nur Hay, EuLF 2007, 137 (151) und Ofner, ZfRV 2008, 13 (22), die im Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO erwägen, das Rechtswahlstatut über die Frage entscheiden zu lassen, ob eine Rechtswahl in AGB zulässig ist. 99 Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). Zu den Kriterien der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) bis dd) (S. 54 ff.). 100 Leible, RIW 2008, 257 (260). Ihm folgend Sujecki, EWS 2009, 310 (313). Ähnl. argumentierend auch Rugullis, IPRax 2008, 319 (322). 101 Vgl. Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 9 m.w.Nachw. 102 Vgl. P6_TA(2005)0284, S. 9, Art. 3 Abs. 1 S. 2. 103 Vgl.: Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (8) Fn. 25; Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (293). 104 P6_TA(2005)0284, S. 9, Art. 3 Abs. 1 S. 2.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

für Unternehmen interessant sein, die alle möglichen Aspekte ihrer Geschäftsbeziehungen von Anfang an regeln wollen.“105

Diese Parlamentsbegründung schlägt sich insoweit in Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II-VO nieder, als er – anders als im ursprünglichen106 Kommissionsvorschlag vorgesehen – kommerziell Tätigen eine vorherige Rechtswahl gestattet. Der Grund hierfür liegt nach der Argumentation des Europäischen Parlaments darin, Unternehmern die Regelung ihrer Geschäftsbeziehungen von Anfang an zu ermöglichen. Dies geschieht in der Praxis regelmäßig durch die Verwendung von AGB.107 Sieht man nun AGB als vom Merkmal „frei ausgehandelte Vereinbarung“ ausgeschlossen an, missachtet man damit den ausdrücklich geäußerten Willen des europäischen Gesetzgebers.108 Noch aufschlussreicher ist die Fortsetzung der zuvor zitierten Begründung zum Parlamentsvorschlag. Sie lautet: „Allerdings sollen durch die Formulierung dieser Änderung Verbraucherverträge und nicht frei ausgehandelte Vereinbarungen (so wie Standard- und Formularverträge) ausgeschlossen werden, bei denen die Vertragspartner keine vergleichbar starke Verhandlungsposition haben (z.B. Versicherungs-, Franchise- und Lizenzverträge).“109

„Standard- und Formularverträge“ werden als Beispiele für „nicht frei ausgehandelte Vereinbarungen“ gebracht.110 Dies ließe sich dafür anführen, dass das Merkmal „frei ausgehandelte Vereinbarung“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO Rechtswahlklausel in AGB ausschließt.111 Eine solche Argumentation ist aber insofern unvollständig und fehlerhaft, als sie den letzten Nebensatz der Parlamentsbegründung unberücksichtigt lässt. Danach sollen „nicht frei ausgehandelte Vereinbarungen (so wie Standard- und Formularverträge)“ nur dann unzulässig sein, wenn es an einer vergleichbaren Verhandlungsstärke der Parteien fehlt. Das Teilmerkmal der vergleichbar starken Verhandlungspositionen ist im Verlauf des Rechtsetzungsverfahrens weggefallen, während die „frei ausgehandelte Vereinbarung“ in Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO einen Platz gefunden hat.112 __________ 105 Bericht vom 27.6.2005 über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (KOM(2003)0427 – C50338/2003 – 2003/0168(COD)), A60211/2005 endgültig (im Folgenden: A60211/2005), S. 18, Begründung zu Änderungsantrag 25. 106 Vgl. KOM(2003)427, S. 39, Art. 10 Abs. 1 S. 1. 107 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 1 (14). Ähnl. Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 9. 108 Wagner, ebda. 109 A60211/2005, S. 18 f., Begründung zu Änderungsantrag 25. 110 Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (293). 111 So im Ergebnis Rushworth/Scott, ebda. 112 Vgl. Rushworth/Scott, a.a.O. (Fn. 110).

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

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Hiefür bestehen zwei Deutungsmöglichkeiten. Entweder der Zusatz „frei ausgehandelt“ soll nunmehr „Standard- und Formularverträge“ ausschließen, ohne dass es auf die Verhandlungsstärke der Parteien ankommt;113 oder er ist lediglich ein (funktionsloses) Relikt der Idee des Europäischen Parlaments, den schwächeren Unternehmer im außervertraglichen Bereich zu schützen.114 Für die erste Deutungsmöglichkeit könnte man eine Äußerung der Kommission aus ihrem zweiten Verordnungsvorschlag115 ins Feld führen.116 Darin spricht sie davon, dass eine Rechtswahl nach der von ihr vorgeschlagenen Formulierung117 nicht durch Standardverträge festgeschrieben werden kann.118 Weil der Rat diese Formulierung im Wesentlichen übernommen hat, könnte aus der Kommissionsäußerung folgen, dass eine „frei ausgehandelte Vereinbarung“ individuell ausgehandelt werden muss.119 Auf den ersten Blick besticht dieses historische Argument. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass es die Kommissionsäußerung aus ihrem Kontext löst und dadurch verfälscht. Der Begründungsauszug, aus der die Kommissionsaussage entnommen ist, lautet vollständig: „Mit der von der Kommission vorgeschlagenen Formulierung können Verbraucher und Arbeitnehmer vor einer unüberlegten Rechtswahl geschützt werden; gleichzeitig wird die Möglichkeit ausgeschlossen, dass eine solche Rechtswahl in einem Vertrag festgeschrieben wird.“120

Zunächst könnte man einwenden, dass die Kommission von einem „Vertrag“ und nicht von einem „Standardvertrag“ spricht. Allerdings meint sie mit der Wendung „Vertrag“ einen Standardvertrag. Das folgt aus der englischen, französischen und spanischen Sprachfassung des Kommissionsvorschlags. Dort ist von „standard contracts“, einem „contrat d’adhésion“ und einem „contrato de adhesión“ die Rede. Also meint die Kommission mit „Vertrag“ einen Standardvertrag; doch der Ausschluss einer Rechtswahl in Standardverträgen hat nach der Kommissionsbegründung eine bestimmte Schutzrichtung. Denn die Kommis-

__________ 113 114

So Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (293). So im Ergebnis: Junker, RIW 2010, 257 (267); MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 36. A. M. Landbrecht, RIW 2010, 783 (785). 115 KOM(2006)83, S. 1–25. 116 So Rushworth/Scott, a.a.O. (Fn. 113) unter Bezugnahme auf die englische Sprachfassung. 117 Diese Formulierung verzichtet auf das Merkmal der vergleichbar starken Verhandlungspositionen, vgl. KOM(2006)83, S. 15, Art. 4 Abs. 2. 118 Vgl. KOM(2006)83, S. 3, Begründung zu Abänderung 25. 119 So Rushworth/Scott, a.a.O. (Fn. 113). 120 Vgl. a.a.O. (Fn. 118).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

sion äußert sich dahin gehend, dass eine „solche Rechtswahl“121 nicht durch Standardverträge festgelegt werden könne. Mit der Formulierung „solche“122 kann nur die Rechtswahl gemeint sein, von der im ersten Aussageteil die Rede ist, also der unüberlegten Rechtswahl, vor der Verbraucher und Arbeitnehmer geschützt werden sollen. Es geht also nur um den Schutz dieser Personengruppen vor einer Rechtswahl in AGB. Von der Protektion von Unternehmern im Verhältnis untereinander ist in der Kommissionsäußerung nirgends die Rede. Also lassen sich aus der im Schrifttum zitierten123 Kommissionsäußerung zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens dient der Zusatz „frei ausgehandelt“ dem Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern vor Rechtswahlklauseln in AGB. Zweitens indiziert das Schweigen zum Schutz von Unternehmern untereinander und der Wegfall der Voraussetzung „vergleichbar starke Verhandlungspositionen“, dass kommerziell Tätige im Verhältnis zueinander nicht durch die Voraussetzung „frei ausgehandelte Vereinbarung“ geschützt sind. (cc) Systematik Dieses Ergebnis wird auch durch systematische Erwägungen gestützt. Denn EU-rechtlich erstreckt sich die AGB-Kontrolle nur auf „b to c“- und nicht auf „b to b“-Verhältnisse,124 also lediglich auf Beziehungen zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Dagegen könnte man zwar anführen, dass die sog. Klauselrichtlinie 125 in ihrem Art. 3 Abs. 2 eine ähnliche Formulierung („not individually negotiated“) enthalte, bei der es auf die inhaltliche Einflussnahmemöglichkeit auf die Klausel ankomme.126 Dieses Argument ist aber nicht stichhaltig, da Art. 3 Abs. 2 der Klauselrichtlinie nur in „b to c“-Verhältnissen gilt.127

__________ 121 „Such choices“, „un tel choix“, „una elección de estas características“ (Formatierung durch den Verfasser). 122 „Such“ bzw. „tel“ bzw. „de estas características“. 123 Vgl. Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (293) Fn. 140 unter Bezugnahme auf die englische Sprachfassung. 124 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 1 (13). 125 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. Nr. L 095 vom 21.04.1993, S. 29–34 (im Folgenden: Klauselrichtlinie). 126 Vgl. statt vieler Leible, RIW 2008, 257 (260). 127 Vgl. PWW/Schaub, Rom II Art. 14 Rdnr. 4, die allerdings trotzdem einen systematischen Schluss zieht.

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

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(dd) Sinn und Zweck Einer Auslegung des Merkmals „frei ausgehandelte Vereinbarung“, nach der es eine vorherige Rechtswahl in AGB zulässt, könnte man entgegenhalten, dass es dann funktionslos bleibt. Denn Verbraucher und Arbeitnehmer sind bereits dadurch geschützt, dass sie keiner „kommerziellen Tätigkeit nachgehen“ und somit gar nicht zu Parteien einer vorherigen Rechtswahl werden.128 Diese Argumentation vermag aber nicht zu überzeugen. Zum einen kann man sie auch umdrehen: Gerade weil die „frei ausgehandelte Vereinbarung“ ohne die Ergänzung „vergleichbar starke Verhandlungspositionen“ keinen Sinn ergibt,129 ist sie ein funktionsloses Relikt aus der Normgenese. Zum anderen ist das Merkmal „frei ausgehandelte Vereinbarung“ nicht völlig ohne Bedeutung. Die Formulierung „Vereinbarung“ ist in Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO wie in Ziffer a) der Platzhalter für die sachrechtliche Rechtswahlvereinbarung zwischen den Parteien, 130 und der Zusatz „frei ausgehandelt“ kann im Zusammenhang mit der Normüberschrift des Art. 14 Rom II-VO als deklaratorische Hervorhebung der Rechtswahlfreiheit interpretiert werden. Den Zusatz „frei ausgehandelt“ als deklaratorische Unterstreichung der Parteiautonomie zu deuten, macht auch aus Gründen der Rechtsrealität Sinn. Denn Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO wäre in seiner praktischen Bedeutung weitgehend ausgehöhlt, wenn die Wendung „frei ausgehandelte Vereinbarung“ Rechtswahlklauseln in AGB ausschlösse.131 Darüber hinaus streitet ein weiterer teleologischer Grund dafür, die Formulierung „frei ausgehandelt“ als bloß deklaratorische Betonung der Parteiautonomie anzusehen. Einigkeit besteht darin, dass Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO dem Schutz der schwächeren Partei dient,132 namentlich der Protektion des Verbrauchers bzw. Arbeitnehmers.133 Beide sind aber zu ihrem Schutz schon per definitionem von einer vorherigen Rechtswahl ausgeschlossen, wenn sie keiner kommerziellen Tätigkeit nachgehen. 134 Soweit sie sich zu selbstständigen kommerziellen Zwecken auf unternehmerisches Terrain begeben, sind sie als Unternehmer tätig und nicht schutzbedürftig. __________ 128 129 130 131

Ebenso MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 36. Dazu näher Kap. 4 § 2 I 1) b) aa) (3) (b) (bb) (S. 245 ff.). Dazu näher Kap. 4 § 2 I 2) a) aa) (S. 257 f.). Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 130; Junker, RIW 2010, 257 (267); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (8); Wagner, IPRax 2008, 1 (14). 132 Statt aller BaRo-III/Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 5. 133 Vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (82). 134 Ebenso MünchKomm/Junker, a.a.O. (Fn. 128).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

(ee) Ergebnis Alles in allem sprechen die gewichtigeren historischen, systematischen und teleologischen Argumente dafür, den Zusatz „frei ausgehandelt“ als deklaratorische Hervorhebung der Rechtswahlfreiheit anzusehen. Also schließt das Merkmal „frei ausgehandelte Vereinbarung“ die Rechtswahl in AGB nicht aus. bb) Gegenständliche Rechtswahlbeschränkungen Im europäischen IPR existieren aber nicht nur zeitliche,135 sondern auch gegenständliche Rechtswahlbeschränkungen. (1) Materien aus dem Anwendungs- und Geltungsbereich Zunächst ist eine Rechtswahl „natürlich“ beschränkt. Denn sie kann nur Gegenstände umfassen, die dem Anwendungs-136 und Geltungsbereich des EU-IPR unterliegen.137 In diesem Zusammenhang ist im Schrifttum die Frage aufgeworfen worden, ob die Rom II-VO für eine vor dem 11.01.2009 getroffene Rechtswahl gilt.138 Das wird teilweise139 befürwortet, teilweise140 aber auch abgelehnt. Welche der beiden Auffassungen vorzugswürdig ist, hängt davon ab, ob der zeitliche Anwendungsbereich der Rom II-VO auch Rechtsfragen umfasst, die von einer vor dem 11.01.2009 ausgeübten Rechtswahl aufgeworfen werden.141 Nach Art. 31, 32 Rom II-VO wird die Verordnung auf „schadensbegründende Ereignisse“142 angewandt, die ab dem 11.01.2009 eingetreten sind. Darunter ist das Verhalten zu verstehen, welches das außerver__________ 135 136

Dazu ausführlich Kap. 4 § 2 I 1) b) aa) (1) bis (3) (S. 239 ff.). Ebenso zur Rom II-VO: BaRo-III/Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 2; MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 11. 137 Ausführlich zum Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen Kollisionsrechts Kap. 2 §§ 1 und 2 (S. 106 ff., 139 ff.). 138 So etwa bei: Dickinson, Rome II, Rdnr. 13.42; Erman/Hohloch, Band II, Art. 42 EGBGB Rdnr. 3; Ludwig, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 32 Rom II-VO Rdnr. 2; Rugullis, IPRax 2008, 319 (323). 139 So: Dickinson, ebda.; Erman/Hohloch, ebda.; Ludwig, ebda. 140 So für die Fälle des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO Rugullis, a.a.O. (Fn. 138). 141 Näher zum zeitlichen Anwendungsbereich Kap. 2 § 1 IV 1) bis 3) (S. 130 ff.). 142 „Events giving rise to damage“, „faits générateurs de dommages“, „hechos generadores de daño“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen des Art. 31 Rom II-VO gemeint.

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tragliche Schuldverhältnis begründet.143 Wenn dieses Verhalten ab dem 11.01.2009 veranlasst wird, gilt die Rom II-VO zeitlich. Also umfasst sie zeitlich auch Fragen, die von einer vor dem 11.01.2009 getroffenen Rechtswahl aufgeworfen werden, sofern nur das „schadensbegründende Ereignis“ ab diesem Stichtag eingetreten ist.144 (2) Staatliches Recht Eine weitere Rechtswahlbeschränkung ergibt sich daraus, dass die Rom Iund die Rom II-VO den Parteien nur eine kollisionsrechtliche Wahl staatlichen Rechts erlauben.145 Außerstaatliche Regelungswerke und völkerrechtliche Übereinkommen sind also kollisionsrechtlich nicht wählbar.146 Die Beschränkung der Rechtswahl auf staatliche Regelungen ergibt sich nicht eindeutig aus dem Wortlaut der Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO, 14 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO, da er nur von einem „Recht“147 und nicht von einem „staatlichen Recht“ spricht.148 Sie folgt jedoch aus der weiteren Auslegung beider Normen.149 Im Verlauf der Normgenese des Art. 3 Rom I-VO ist die ursprünglich150 vorgesehene Möglichkeit, außerstaatliche Regelungswerke zu wählen, gestrichen worden.151 Darüber hinaus streitet Erwägungsgrund 13 der Rom I-VO für die Beschränkung einer Rechtswahl auf staatliche Rechtsnormen.152 Denn er spricht nur von der Möglichkeit der Parteien, die Vorschriften außerstaatlicher Regelungswerke in den Vertrag zu inkorporieren.153 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ihre kollisionsrechtliche Wahl nicht zulässig ist.154 __________ 143 144

S. Kap. 2 § 1 IV 1) a) (S. 131 ff.). Vgl.: Erman/Hohloch, Band II, Art. 42 EGBGB Rdnr. 3; MünchKomm/Junker, Art. 31, 32 Rom II-VO Rdnr. 5. 145 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (67). Zur Rom II-VO vgl. Leible, RIW 2008, 257 (261) m.w.Nachw. (Fn. 62 f.). 146 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (533). Zur Rom IIVO vgl. statt aller Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 5. 147 „Law“, „loi“, „ley“. 148 Vgl. Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (189). Ebenso zu Art. 3 Rom I-VO Leible/ Lehmann, a.a.O. (Fn. 146). Im Ergebnis ebenso zu Art. 3 Rom I-VO PWW/Brödermann/ Wegen, Rom I Art. 3 Rdnr. 4. 149 Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). Zu den Kriterien der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) bis dd) (S. 54 ff.). 150 Vgl. KOM(2005)650, S. 16, Art. 3 Abs. 2 S. 1. 151 Vgl. statt aller Diedrich, RIW 2009, 378 (383 f.). 152 Rühl, a.a.O. (Fn. 148) (190). 153 Rühl, ebda. 154 Rühl, a.a.O. (Fn. 152).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Außerdem sprechen auch systematische Gründe dafür, dass die Parteien nur staatliches Recht wählen können. Sowohl in Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, 14 Abs. 2 Rom II-VO als auch in Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO ist vom anwendbaren Recht eines „Staates“155 die Rede, so dass außerstaatliche Regelungswerke ausdrücklich vom berufenen Recht ausgenommen sind.156 Folglich ist es den Parteien im unionsrechtlichen IPR untersagt, außerstaatliche Regelungswerke zum Gegenstand ihrer kollisionsrechtlichen Wahl zu machen. Ansonsten können sie sich aber jede staatliche Rechtsordnung dieser Welt aussuchen.157 (3) Weitere Rechtswahlbeschränkungen Fraglich ist, ob und inwieweit das europäische Kollisionsrecht der Wahl staatlichen Rechts weitere Grenzen setzt. (a) Verbindungen zum gewählten Recht Zunächst stellt sich die Frage, ob über die Rechtswahl hinaus weitere Verbindungen zum gewählten Recht bestehen müssen. Der Wortlaut der Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO, 14 Abs. 1 Rom II-VO ist zur Beantwortung dieser Frage unergiebig. Anders sieht es bei der Entstehungsgeschichte aus. In Verlängerung zur Rechtslage beim EVÜ, aus dem die Vorgängerregelung (Art. 3 Abs. 1 EVÜ) stammt, genügt grundsätzlich die bloße Wahl einer Rechtsordnung, damit sie maßgeblich ist.158 Außerdem folgt im Umkehrschluss zu Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, 14 Abs. 2 Rom II-VO, dass die Parteien eine mit dem gewählten Recht unverbundene Rechtsordnung prinzipiell zum Gegenstand ihrer Rechtswahl machen dürfen:159 Beide Regelungen beschränken die Wirkung der Wahl einer mit dem ausgesuchten Recht unverbundenen Rechtsordnung, wenn ein reiner Inlandssachverhalt vorliegt. Daraus ergibt sich, dass die Wahl eines unver__________ 155 156

„Country“, „pays“, „país“. Vgl. Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (190). Ihr zur Rom II-VO folgend etwa: v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (490); Leible, RIW 2008, 257 (261); PWW/Schaub, Rom II Art. 14 Rdnr. 2. Zu weiteren eine Beschränkung auf staatliches Recht nahelegenden Vorschriften der Rom I-VO s. Spickhoff, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Kollisionsrechtsvereinheitlichung, S. 117 (121). 157 Statt aller Rühl, ebda. (192). 158 So zur Rom II-VO Loquin, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 35 (52). 159 Die gesamte in diesem Absatz ausgeführte Argumentation ist entlehnt aus Rühl, a.a.O. (Fn. 157). Zur Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO vgl.: Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (66 f.); ders., in: FS von Hoffmann, S. 304 (308 f.).

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bundenen Rechts grundsätzlich erlaubt ist und bei Auslandssachverhalten volle Wirkung entfaltet. Eine ähnliche Schlussfolgerung lässt sich aus den Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO, 14 Abs. 3 Rom II-VO ableiten, da beide Normen davon ausgehen, dass die Rechtswahl als Verbindung der gewählten Rechtsordnung zum Sachverhalt genügt.160 Ein weiterer systematischer Anhaltspunkt dafür, dass über die Rechtswahl hinaus keine Verbindung zur gewählten Rechtsordnung erforderlich ist, ergibt sich aus der Rom I-VO. Sie begrenzt den Kreis der wählbaren Rechte im Internationalen Beförderungs-161 und Versicherungsvertragsrecht162 auf Rechtsordnungen, zu denen über die Rechtswahl hinaus eine weitere Verbindung besteht.163 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Rechtswahl sonst als Verbindung zum gewählten Recht grundsätzlich ausreicht.164 Des Weiteren nähme man den Parteien die praktisch wichtige Möglichkeit, ihre Rechtsbeziehungen einem neutralen Recht zu unterstellen, wenn man über die Rechtwahl hinaus eine weitere Verbindung zur gewählten Rechtsordnung verlangen würde.165 Folglich muss zur gewählten Rechtsordnung grundsätzlich 166 keine Verbindung bestehen, die über die bloße Rechtswahl hinausgeht.167 (b) Geltendes Sachrecht Neben den Rechtswahlbeschränkungen im Internationalen Vertragsrecht168 setzt das europäische IPR der Parteiautonomie eine weitere Grenze. Die Parteien dürfen nur geltendes Sachrecht wählen.169 Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Art. 3 Rom I-VO, 14 Rom II-VO, ergibt sich aber daraus, dass nach Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO die „gelten__________ 160 Ähnlich argumentierend Loquin, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 35 (52 f.), der aber nur auf Art. 14 Abs. 3 Rom II-VO abstellt. 161 Vgl. Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. a) bis e) Rom I-VO. 162 Vgl. Art. 7 Abs. 3 S. 1 lit. a) bis e) Rom I-VO. 163 Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (193). 164 Rühl, ebda. (192 f.). 165 Mankowski, in: Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 63 (86). 166 Ausnahmen ergeben sich aus Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2, 7 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO. 167 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Rauscher, IPR, Rdnr. 1083. Zur Rom II-VO vgl. statt aller Calvo Caravaca/Carrascosa González, Roma II, Rdnr. 62-7. 168 Vgl. Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. a) bis e) Rom I-VO und Art. 7 Abs. 3 S. 1 lit. a) bis e) Rom I-VO. 169 Vgl. Rühl, a.a.O. (Fn. 163) (194 f.) m.w.Nachw. (Fn. 30 und 33). A. M. zur Rom I-VO: Leible, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 61 (67); PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 3 Rdnr. 4. A. M. zur Rom II-VO Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 40.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

den Rechtsnormen“170 des berufenen Rechts „unter Ausschluss der Regelungen des Internationalen Privatrechts“171 Anwendung finden.172 (c) Ergebnis Alles in allem ist die Rechtswahl der Parteien im europäischen Kollisionsrecht auf geltendes staatliches Sachrecht beschränkt. Die gewählte Rechtsordnung muss grundsätzlich173 keine Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, die über die Rechtswahl hinausgeht. c) Ergebnisse im Überblick Aus dem oben174 Gesagten ergibt sich, dass die Rom I-VO keine absoluten Rechtswahlverbote vorsieht. Das ist bei der Rom II-VO anders. Sie schließt eine Teilrechtswahl genauso aus wie eine Rechtswahl bei Verletzungen des geistigen Eigentums (Art. 13, 8 Abs. 3 Rom II-VO) oder bei Wettbewerbs- bzw. Kartellrechtsverletzungen (Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO). Bei Letzteren ist eine Rechtswahl jedoch ausnahmsweise zulässig, soweit es sich um Fälle des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO handelt. Neben den Rechtswahlausschlüssen existieren im unionsrechtlichen IPR noch Rechtswahlbeschränkungen.175 Zunächst ist die Rechtswahl der Parteien auf Materien aus dem Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen Kollisionsrechts beschränkt. Weiter ist es den Parteien nur erlaubt, geltendes staatliches Sachrecht zu wählen. Darüber hinaus sind unter bestimmten Voraussetzungen im Internationalen Beförderungs- und Versicherungsvertragsrecht nur die dort vorgesehenen Rechtsordnungen wählbar (vgl. Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. a) bis e) Rom I-VO, Art. 7 Abs. 3 S. 1 lit. a) bis e) Rom I-VO). Andere Rechtswahlbeschränkungen kennt nur noch die Rom II-VO, nach deren Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) eine vorherige Rechtswahl bestimmten Anforderungen unterliegt.

__________ 170 „Rules of law in force“, „règles de droit matériel en vigueur“, „normas jurídicas materiales en vigor“ (Art. 20 Rom I-VO). „Rules of law in force“, „règles de droit en vigueur“, „normas jurídicas vigentes“ (Art. 24 Rom II-VO). 171 „Other than its rules of private international law“, „à l’exclusion des règles de droit international privé“, „con exclusión de las normas de Derecho internacional privado“ (Art. 20 Rom I-VO, Art. 24 Rom II-VO). 172 Vgl. Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (194 f.). Zu Wählbarkeit eines IPR und Renvoiausschluss vgl. auch Kap. 5 § 2 I 1) bis 5) (S. 308 ff.). 173 Ausnahmen ergeben sich aus Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. a) bis e) Rom I-VO und Art. 7 Abs. 3 S. 1 lit. a) bis e) Rom I-VO. 174 S. Kap. 4 § 2 I 1) a) und b) (S. 231 ff.). 175 Eingehend zu diesen Rechtswahlbeschränkungen Kap. 4 § 2 I 1) b) (S. 238 ff.).

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2) Rechtswahlvereinbarung Welche Auswirkungen ein Verstoß gegen etwa bestehende Zulässigkeitsvoraussetzungen176 hat, muss der Rechtsanwender prüfen, wenn er sich mit der Frage befasst, ob zwischen den Parteien eine wirksame Rechtswahlvereinbarung getroffen wurde. Das führt zur Folgefrage, welche Rechtsordnung Zustandekommen und Wirksamkeit dieser Vereinbarung beherrscht. a) Statut für Zustandekommen und Wirksamkeit Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO bestimmt, dass sich Zustandekommen und Wirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung nach dem Recht richten, das nach Maßgabe der Art. 10, 11 und 13 Rom I-VO anzuwenden ist.177 Demgegenüber enthält die Rom II-VO keine ausdrückliche Regelung der Frage, welche Rechtsordnung über Zustandekommen und Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung befindet (sog. Rechtswahlstatut). 178 Im Schrifttum geht man überwiegend179 davon aus, dass sich das Rechtswahlstatut auch in der Rom II-VO nach dem gewählten Recht richten soll. Die Begründungen weichen aber voneinander ab: Zunächst verweist man im Schrifttum auf Art. 3 Abs. 4 EVÜ180, auf Art. 8 EVÜ181 oder auf Art. 3 Abs. 4, 8 EVÜ182, um die Vorwirkung des gewählten Rechts zu begründen. Andere Autoren ziehen dazu die Rom I-VO heran, und zwar Art. 3 Rom I-VO183, Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO184, Art. 3 Abs. 5, 10 Rom I-VO185, Art. 3 Abs. 5, 11 Rom I-VO186, Art. 3 Abs. 5, 10, 11 Rom I-VO187, Art. 3 Abs. 5, 10, 11, 13 Rom I-VO188, Art. 4 Abs. 4 __________ 176 177 178 179 180 181 182

Dazu näher Kap. 4 § 2 I 1) a) bis c) (S. 231 ff.). Statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (66). Statt aller Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (13). Vgl. statt vieler Calvo Caravaca/Carrascosa González, Roma II, Rdnr. 62-10. So Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (623). So Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (292) in Fn. 131 f. So Calvo Caravaca/Carrascosa González, a.a.O. (Fn. 179) [Analogie zu Art. 3 Abs. 4, Art. 8 EVÜ]. Im Ergebnis ebenso Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (38) [Art. 3 Abs. 4, 8 Abs. 1 EVÜ für eine IPR-Kodifikation in Erwägung ziehend]. 183 So Rudolf, ÖJZ 2010, 300 (301) [„Wertungen des Art 3 Rom I-VO“]. 184 So Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 116 f. („entsprechend des Rechtsgedankens in Art. 3 V Rom I-VO“). 185 So Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 445. Im Ergebnis ebenso für den Fall, dass die Rechtswahlvereinbarung als außervertraglich angesehen wird: Huber/Bach, Rome II, Art. 14 Rdnr. 17 („Arts. 3(5) and 10 Rome I should be applied analogously“). 186 So: Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 10 („entspr zu Art 3 V VO Rom I“ und „entspr Art 3 V VO Rom I nach Art. 11 VO Rom I“); PWW/Schaub, Rom II Art. 14 Rdnr. 3. 187 So Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 38 Rdnr. 79.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Rom I-VO189, Art. 10, 11, 13 Rom I-VO190 oder auch ganz pauschal das Rom I-Regime191. Schließlich beruft man sich zur Rechtfertigung der Vorwirkung des gewählten Rechts auch auf das EVÜ und die Rom I-VO, namentlich auf Art. 3 EVÜ, 3 Abs. 5 Rom I-VO192, auf Art. 8 EVÜ, 10 Rom I-VO193 oder aber auf Art. 3 Abs. 4, 8 EVÜ, 3 Abs. 5, 10 Rom I-VO194. Wer eine Vorwirkung des gewählten Rechts ablehnt, sieht das Sachrecht der lex fori als Rechtswahlstatut an195 oder lässt den bloßen Konsens der Parteien über das anzuwendende Statut für dessen Maßgeblichkeit genügen196. Aus den beiden vorherigen Absätzen ergibt sich ein buntes Bild an Begründungen, die zur Lückenschließung in der Rom II-VO gebracht werden. Das zeigt, dass ein einheitlicher Lückenfüllungsansatz für das europäische IPR von Nöten ist. Eine solche Technik ist zuvor197 erarbeitet worden. Danach sind Lückenfeststellung und -schließung im Wege der completio lacunae vorzunehmen.

__________ 188 So: BaRo-III/Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 3 („Entspr Art 3 Abs 5, 10 Rom I-VO [...] Art 11 Rom I-VO [...] Art 13 Rom I-VO“); HK-BGB/Dörner, Art. 14 Rom IIVO Rdnr. 5 („Art 3 V iVm Art 10, 11, 13 VO Rom I (analog)“); Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 27 („Art 3 Abs 5 Rom I-VO sowie die in dieser Vorschrift in Bezug genommenen Art 10, 11 und 13 Rom I-VO analog“). Jayme, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 63 (71) zieht ebenfalls eine Analogie in Betracht. 189 So für den Fall, dass die Rechtswahlvereinbarung als vertraglich angesehen wird: Huber/Bach, Rome II, Art. 14 Rdnr. 17. 190 Pfütze, ZEuS 2011, 35 (52) [„Art. 10, 11 und 13 ROM I in ROM II hineingelesen“]. 191 So Dickinson, Rome II, Rdnr. 13.18. 192 So Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 11, der auf die Wertungen dieser Regelungen abstellt. 193 So Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (13), der von einer „direkten oder zumindest entsprechenden Anwendung“ beider Vorschriften spricht. 194 So Leible, RIW 2008, 257 (260) in Fn. 44. Dort ist zwar von „Art. 4 Abs. 4“ EVÜ die Rede, aber Art. 3 Abs. 4 EVÜ muss damit gemeint sein. Ihm folgend Staudinger/ Steinrötter, JA 2011, 241 (245). 195 So MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 26. 196 So Plender/Wilderspin, Obligations, Rdnr. 29-012, 29-014. 197 Dazu jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 2 I 2) a) aa) bis bb) s. Kap. 1 § 5 I bis IV (S. 81 ff.).

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aa) Lückenfeststellung in der Rom II-VO Zunächst muss ermittelt werden, ob eine lacuna externa oder interna vorliegt. Die Rom II-VO enthält anders als ihre „Schwesterwerke“198 keine ausdrückliche Regelung der Frage, welcher Rechtsordnung Zustandekommen und Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung unterliegen.199 Also liegt eine lacuna vor. Wie bereits festgestellt,200 fällt die Regelung von Rechtswahlausschlüssen im IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse in den Anwendungsbereich der Rom II-VO. Geht es also um die Frage des kollisionsrechtlichen „Ob“ der Rechtswahl, beansprucht die Rom II-VO sachlich Anwendung. Vorliegend handelt es sich aber nicht um das kollisionsrechtliche „Ob“ der Rechtswahl, sondern um das sachrechtliche „Ob“ und „Wie“ der Rechtswahlvereinbarung, also um das Sachrecht, mit dessen Hilfe diese Vereinbarung getroffen wird. Um mit den Worten der Rom II-VO zu sprechen: Es geht nicht um den Umfang der „Rechtswahl“201 auf kollisionsrechtlicher Ebene, sondern um das Sachrecht, das auf die „Vereinbarung“202 im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO anzuwenden ist, mittels derer die Parteien ihre „Rechtswahl“ ausüben. Ob sich das auf die „Vereinbarung“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO anzuwendende Sachrecht nach den Kollisionsnormen der Rom IIVO oder des EVÜ bzw. der Rom I-VO richtet, hängt davon ab, ob diese Vereinbarung als vertraglich im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 EVÜ/Rom I-VO einzuordnen ist.203 Das ist der Fall, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig, mithin auf der Grundlage einer grundsätzlich autonomen Entscheidung eine Verpflichtung eingeht, die die andere Partei schlicht akzeptiert, und wenn beim Gesamtsachverhalt die Parteiautonomie sowie die charakteristische Leistung im Vordergrund stehen.204 Bei einer „Vereinbarung“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO verpflichten sich die Parteien freiwillig und im gegenseitigen Einvernehmen, ihre außervertraglichen Beziehungen einer bestimmten Rechtsordnung zu __________ 198 Vgl. Art. 3 Abs. 4 EVÜ in Verbindung mit Art. 8, 9 und 11 EVÜ sowie Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO in Verbindung mit Art. 10, 11 und 13 Rom I-VO. 199 Vgl. dazu auch Kap. 4 § 2 I 2) a) (S. 255). 200 S. Kap. 4 § 2 I 1) a) bb) (1) (S. 235 f.). 201 „Choice“, „choix“, „elección“ (Teil der amtlichen Überschrift des Art. 14 Rom II-VO). 202 „Agreement“, „accord“, „acuerdo“. Mit der deutschsprachigen Wendung sind im Folgenden auch die entsprechenden Formulierungen in den anderen Sprachfassungen des Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO gemeint. 203 Ausführlich zum Merkmal „vertraglich“ als Schnittstelle im europäischen Internationalen Schuldrecht Kap. 2 § 1 II 2) a) (S. 123 ff.). 204 Zu dieser Definition vgl. ebda.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

unterwerfen. Die ausgeübte Parteiautonomie ist also quasi identisch mit der charakteristischen Leistung der Rechtswahlvereinbarung. Viel weiter können Parteiautonomie und charakteristische Leistung bei einem Gesamtsachverhalt überhaupt nicht im Vordergrund stehen. Demnach ist eine Rechtswahlvereinbarung für außervertragliche Schuldverhältnisse als vertraglich einzuordnen.205 Somit richtet sich das auf sie anwendbare Recht nicht nach der Rom II-VO, sondern nach dem EVÜ bzw. der Rom I-VO.206 Also handelt es sich bei der fehlenden Regelung zum Rechtswahlstatut um eine lacuna externa der Rom II-VO. bb) Lückenschließung in der Rom II-VO Diese externe Lücke könnte mittels Regelungen des EVÜ bzw. der Rom I-VO zu schließen sein. Hierbei muss zeitlich differenziert werden. Denn erst nach der zeitlichen Anwendbarkeit der Rom I-VO existieren unionsrechtliche Kollisionsnormen, die das Recht berufen, das auf die Rechtswahlvereinbarung für außervertragliche Rechtsbeziehungen Anwendung findet. Rechtswahlvereinbarungen für außervertragliche Rechtsbeziehungen (Rom II-Rechtswahlvereinbarungen), die vor dem 17. Dezember 2009 geschlossen worden sind, unterliegen der Rom I-VO nach deren Art. 28 noch nicht. Demnach bestehen insoweit keine unionsrechtlichen Verweisungsvorschriften, um die lacuna externa zu füllen. Daher muss im zweiten Schritt der completio lacunae auf das nationale IPR der lex fori zurückgegriffen werden. Das sind in den Mitgliedstaaten die Kollisionsnormen des EVÜ, namentlich die Art. 3 ff. EVÜ in der von der lex fori umgesetzten Form. Ist beispielsweise deutsches Recht die lex fori, müssen die Art. 27 ff. EGBGB bemüht werden, um die Rechtsordnung zu bestimmen, die für die Rom II-Rechtswahlvereinbarung maßgeblich ist. Anders ist die Rechtslage bei ab dem 17. Dezember 2009 getroffenen Rom II-Rechtswahlvereinbarungen. Für sie ist die Rom I-VO gem. ihrem Art. 28 zeitlich anwendbar. Dann ersetzt sie in den Mitgliedstaaten nach Art. 24 Abs. 1 Rom I-VO das EVÜ, so dass das Statut für die Rom IIRechtswahlvereinbarung nach Art. 3 ff. Rom I-VO bestimmt werden muss. In beiden Fällen darf eines nicht übersehen werden: Die Rom II-Rechtswahlvereinbarung ist ein „ganz normales“ vertragliches Schuldverhältnis, __________ 205 Im Ergebnis ebenso: Dickinson, Rome II, Rdnr. 13.18; Ofner, ZfRV 2008, 13 (22) [im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Rechtswahl in ABG]; Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (292). In dieselbe Richtung tendierend auch Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (13). Offen gelassen bei: HK-BGB/Dörner, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 4 f.; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 445. 206 Für die Maßgeblichkeit des EVÜ plädieren ebenfalls Rushworth/Scott, ebda. Für die Anwendung des Rom I-Regimes spricht sich Dickinson, ebda. aus.

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für das die maßgebliche Rechtsordnung festgestellt werden muss. Man darf dazu also nicht nur Art. 3 Abs. 4, 8, 9, 11 EVÜ207 bzw. Art. 3 Abs. 5, 10, 11, 13 Rom I-VO heranziehen.208 Vielmehr gilt – wie auch sonst für vertragliche Schuldverhältnisse – die Anknüpfungsfolge der Art. 3 ff. EVÜ/ Rom I-VO. Das bedeutet: Damit das für die außervertraglichen Schuldverhältnisse gewählte Sachrecht über Art. 3 Abs. 4, 8, 9, 11 EVÜ bzw. Art. 3 Abs. 5, 10, 11, 13 Rom I-VO für die Rom II-Rechtswahlvereinbarung anwendbar ist, muss dieses Sachrecht auch für die Rom II-Rechtswahlvereinbarung gewählt worden sein. Ansonsten liegt keine Rechtswahl im Sinne des Art. 3 EVÜ/Rom I-VO vor, so dass die Art. 4 ff. EVÜ/Rom I-VO herangezogen werden müssen, um das Statut für die Rom II-Rechtswahlvereinbarung zu ermitteln. Die obigen Ausführungen muten auf den ersten Blick sehr umständlich an: Wieso soll die Vorwirkung des gewählten Sachrechts von einer Rechtswahl für die Rechtswahlvereinbarung abhängig sein? Der erste Teil der Antwort ist bereits im voranstehenden Absatz zu finden: Die Rom IIRechtswahlvereinbarung ist ein „ganz normales“ vertragliches Schuldverhältnis. Daher muss sie kollisionsrechtlich auch so behandelt werden. Der zweite, aufschlussreichere Teil der Antwort besteht in der fehlenden Legitimation einer generellen Vorwirkung des für außervertragliche Schuldverhältnisse gewählten Sachrechts: Wenn die Parteien ausschließlich eine Rom II-Rechtswahlvereinbarung getroffen haben, kann nur davon ausgegangen werden, dass sie über das gewählte außervertragliche Sachrecht im Bilde sind bzw. sein können. Also ist eine Vorwirkung dieses Rechts nur gerechtfertigt, soweit sie sich auf außervertragliche Schuldverhältnisse erstreckt. Die Rom II-Rechtswahlvereinbarung ist aber ein vertragliches Schuldverhältnis. Ob die Parteien auch das Vertragsrecht des ausgesuchten außervertraglichen Sachrechts kennen (können), steht auf einem ganz anderen Blatt. Nur wenn die Parteien dieses Recht für ihre vertraglichen Beziehungen gewählt haben, kann davon ausgegangen werden, dass sie über das gewählte Sachrecht informiert sind bzw. sein können, was wiederum eine Vorwirkung rechtfertigt. Auf den zweiten Blick ergibt es also Sinn, das für die Rom II-Rechtswahlvereinbarung maßgebliche Recht nicht ausschließlich über Art. 3 Abs. 4, 8, 9, 11 EVÜ bzw. Art. 3 Abs. 5, 10, 11, 13 Rom I-VO zu bestimmen, sondern durch die Anknüpfungsfolge der Art. 3 ff. EVÜ/Rom I-VO. Das schließt eine Vorwirkung aber nicht aus. Haben die Parteien etwa für ihre gesamten rechtlichen Beziehungen ein bestimmtes Sachrecht gewählt, ent__________ 207 Gemeint sind jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 2 I 2) a) bb) die Vorschriften des EVÜ in der von der lex fori umgesetzten Form. 208 Anders das überwiegende Schrifttum, vgl. die Nachweise unter Kap. 4 § 2 I 2) a) (S. 255 f.).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

faltet diese Rechtswahl für die Rom II-Rechtswahlvereinbarung sehr wohl über Art. 3 Abs. 4, 8, 9, 11 EVÜ bzw. Art. 3 Abs. 5, Art. 10, 11, 13 Rom IVO eine Vorwirkung, weil die getroffene Wahl auch vertragliche Rechtsverhältnisse umfasst. In der Praxis werden Rechtswahlklauseln für vertragliche und außervertragliche Rechtsbeziehungen regelmäßig kombiniert.209 Daher wird eine Vorwirkung des gewählten Sachrechts für die Rom IIRechtswahlvereinbarung der praktische Regelfall sein. Theoretisch ist dieser Vorgang aber das Resultat einer „ganz normalen“ kollisionsrechtlichen Prüfung nach den Art. 3 ff. EVÜ/Rom I-VO. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich Zustandekommen und Wirksamkeit einer Rom II-Rechtswahlvereinbarung nach der Rechtsordnung richten, die Art. 3 ff. EVÜ/Rom I-VO hierfür berufen. Das wird praktisch regelmäßig über Art. 3 Abs. 4, 8, 9, 11 EVÜ bzw. Art. 3 Abs. 5, Art. 10, 11, 13 Rom I-VO geschehen, so dass das für die vertraglichen (und außervertraglichen) Schuldverhältnisse gewählte Sachrecht Anwendung findet. b) Besonderheiten bei der Prüfung einer Rechtswahl Bei der Prüfung einer Rechtswahl hat die Rechtsanwendung den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EVÜ/Rom I-VO bzw. Art. 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO Rechnung zu tragen. Danach muss die Rechtswahl „ausdrücklich“210 erfolgen oder sich „eindeutig“211 bzw. „mit hinreichender Sicherheit“212 aus bestimmten Sachverhaltselementen ergeben. Zur Konkretisierung dieser Anforderungen kann grundsätzlich auf die Rechtsprechung und Lehre zu Art. 3 Abs. 1 S. 2 EVÜ rekurriert werden.213 c) Ergebnis Nach den obigen214 Erwägungen lässt sich verordnungsübergreifend sagen, dass das europäische IPR Zustandekommen und Wirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung grundsätzlich derjenigen Rechtsordnung unterstellt, die __________ 209 210

Vgl. Dickinson, Rome II, Rdnr. 13.18. „Expressly“, „exprès“, „expresamente“ (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). „Expressed“, „exprès“, „expresamente“ (Art. 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO). 211 „Clearly demonstrated“, „de façon certaine“, „de manera inequívoca“ (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). 212 „With reasonable certainty“, „de façon certaine“, „de manera inequívoca“ (Art. 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO). 213 So im Ergebnis beispielsweise auch: Junker, NJW 2007, 3675 (3677); Leible, RIW 2008, 257 (260); Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 446. Eingehend zu den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO MünchKomm/Martiny, Art. 3 Rom I-VO Rdnr. 42–66. Ausführlich zu den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 28–33. 214 Vgl. Kap. 4 § 2 I 2) a) bis b) (S. 255 ff.).

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von den Parteien für ihre vertraglichen Beziehungen gewählt worden ist (Art. 3 Abs. 4, 8 EVÜ/Art. 3 Abs. 5, 10 Rom I-VO). Besonderheiten gelten für die Formerfordernisse und den Minderjährigenschutz (Art. 3 Abs. 4, 9 und 11 EVÜ/Art. 3 Abs. 5, 11, 13 Rom I-VO). Darüber hinaus muss die Rechtswahl ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig bzw. mit hinreichender Sicherheit aus den Einzelfallumständen ergeben (Art. 3 Abs. 1 S. 2 EVÜ/Rom I-VO bzw. Art. 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO).

II. Folgen einer wirksamen Rechtswahl Liegt eine wirksame Rechtswahl vor,215 entfaltet sie folgende Rechtswirkung: Das gewählte Sachrecht findet nach Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Rom I-VO bzw. nach Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 24 Rom II-VO Anwendung – allerdings nicht immer in vollem Umfang. Denn das unionsrechtliche IPR setzt den Wirkungen einer Rechtswahl persönliche und sachliche Grenzen. 1) Persönliche Grenzen Das europäische Kollisionsrecht beschränkt die Wirkung einer Rechtswahl zunächst in persönlicher Hinsicht. a) Schwächerenschutz Die Rom I-VO begrenzt den Umfang der Rechtswahl, um die typischerweise schwächere Partei zu schützen. Sie bestimmt in ihren Art. 6 Abs. 2 S. 2 und 8 Abs. 1 S. 2, dass von den zwingenden Bestimmungen des objektiv anwendbaren Rechts nicht zulasten des Verbrauchers und Arbeitnehmers durch eine Rechtswahl abgewichen werden darf.216 Demgegenüber enthält die Rom II-Verordnung keine Normen, die Art. 6 Abs. 2 S. 2 und 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO entsprechen. Fraglich ist, ob insoweit eine lacuna externa oder interna vorliegt.217 In der Normgenese ist ein Vorschlag218 des Europäischen Parlaments gescheitert, nach dem Arbeitnehmer in einer dem Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO vergleichbaren Weise schützt werden sollten.219 Daraus ergibt sich zum einen, dass die Rom II__________ 215 216

Dazu näher Kap. 4 § 2 I 1) und 2) (S. 231 ff.). Vgl. etwa: Bonomi, YbPIL Vol. 10 (2008), 165 (172); Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (186 f.); dies., in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 27 (35 f.). 217 Zum Begriff und zur Feststellung einer lacuna externa bzw. interna jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 2 II 1) a) vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) (5) und bb) (S. 88, 89 f.). 218 Vgl. P6_TA(2005)0284, S. 9, Art. 3 Abs. 2. 219 Dazu Fröhlich, Rome II, S. 31 f.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

VO auch den Schwächerenschutz auf der Rechtsfolgenseite einer Rom IIRechtswahl umfassen soll. Deswegen liegt keine lacuna externa vor. Zum anderen folgt aus dem gescheiterten Parlamentsvorschlag, dass der Schwächerenschutz in der Rom II-VO bewusst nicht identisch zur Rom I-VO ausgestaltet worden ist. Also liegt auch keine lacuna interna vor. Folglich ist es zu akzeptieren, dass in der Rom II-VO Regelungen fehlen, die deckungsgleich zu Art. 6 Abs. 2 S. 2, 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO sind. Darüber hinaus besteht in der Rom II-VO kein Bedarf für solche Normen. Sie bezwecken den Schutz des Verbrauchers und Arbeitnehmers vor den nachteiligen Folgen einer Rechtswahl.220 Diesen Zweck setzt die Rom I-VO durch ihre Art. 6 Abs. 2 S. 2, 8 Abs. 1 S. 2 und damit auf Rechtsfolgenseite der Rechtswahl um.221 Demgegenüber schützt die Rom II-VO Verbraucher und Arbeitnehmer bereits auf Tatbestandseite vor nachteiligen Wirkungen einer Rechtswahl, indem sie ihnen durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO eine vorherige Rechtswahl grundsätzlich versagt. Somit folgt die Rom II-VO zwar denselben Wertungen wie Art. 6 und 8 Rom I-VO.222 Allerdings setzt sie diese Wertungen nicht erst als Wirkungs-, sondern bereits als Wirksamkeitsbeschränkung einer Rechtswahl um.223 b) Rechte Dritter Das EU-IPR schützt nicht nur die typischerweise schwächere Vertragspartei,224 sondern auch Dritte. Ihre Rechte bleiben von einer zwischen den Parteien vereinbarten Rechtswahl gem. Art. 3 Abs. 2 S. 2 in fine Rom IVO, Art. 14 Abs. 1 S. 2, 2. HS Rom II-VO unberührt.225 Die Rechtswahl wirkt im europäischen Kollisionsrecht also inter partes.226 2) Sachliche Grenzen Das unionsrechtliche IPR enthält neben persönlichen227 auch sachliche Rechtswahlgrenzen.

__________ 220 221

Dazu statt aller Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (201). In diese Richtung tendierend auch Rühl, in: FS von Hoffmann, S. 304 (368 f.) [„Rechtswahl im Hinblick auf ihre Wirkung beschränkt“]. 222 Ebenso zur Rom II-VO und den Art. 5 f. EVÜ Ofner, ZfRV 2008, 13 (21). 223 Ebenso zur Rom II-VO und den Art. 5 f. EVÜ ebda. 224 Dazu Kap. 4 § 2 II 1) a) (S. 261 f.). 225 Vgl. Rühl, a.a.O. (Fn. 220) (201 f.) m.w.Nachw. (Fn. 63). 226 Zur Wirkung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 in fine vgl. statt aller Reithmann/Martiny/ Martiny, IntVertR, Rdnr. 132 f. Zur Wirkung des Art. 14 Abs. 1 S. 2, 2. HS Rom II-VO vgl. statt aller Sujecki, EWS 2009, 310 (314). 227 Dazu näher Kap. 4 § 2 II 1) a) und b) (S. 261 f.).

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a) Reine Inlands- oder Binnenmarktsachverhalte Zunächst wird einer Rechtswahl bei reinen Inlandssachverhalten nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, Art. 14 Abs. 2 Rom II-VO nur ein materiellrechtlicher Effekt zugestanden.228 Dagegen kommt ihr bei reinen Binnenmarktsachverhalten gem. Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO, Art. 14 Abs. 3 Rom II-VO kollisionsrechtliche Wirkung zu, aber nur in begrenztem Umfang.229 Das heißt: Bei reinen Inlandssachverhalten können die Parteien durch ihre Rechtswahl nur die dispositiven Bestimmungen des objektiv anwendbaren Rechts abwählen, während die intern zwingenden Bestimmungen dieses Rechts weiterhin Anwendung finden.230 Bei reinen Binnenmarktsachverhalten wird die kollisionsrechtliche Wirkung einer Rechtswahl hingegen nur dahin gehend beschränkt, dass die zwingenden unionsrechtlichen Regelungen anwendbar bleiben, aber nicht in der Form, wie sie im objektiv anwendbaren Recht umgesetzt worden sind, sondern wie sie die lex fori in nationales Recht transformiert hat.231 b) Eingriffsnormen und ordre public Neben den Wirkungsbeschränkungen, die das europäische IPR bei reinen Inlands- oder Binnenmarktsachverhalten vorsieht, kann der Umfang einer Rechtswahl im Einzelfall noch weiter geschmälert werden. Denn Eingriffsnormen232 und der ordre public der lex fori233 können dazu führen, dass eine Rechtswahl in ihrer Reichweite beschränkt wird.234

__________ 228 Zu Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO statt aller Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (534). Zu Art. 14 Abs. 2 Rom II-VO statt aller Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 13. 229 So zu Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (625) [„Zwischenstellung zwischen kollisionsrechtlicher und sachrechtlicher Rechtswahl“]. Ausführlich zu Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO Hoffmann, EWS 2009, 254 bis 261. 230 Vgl. Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (203) m.w.Nachw. (Fn. 67 f.). 231 Zu Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO vgl. statt aller Althammer, JA 2008, 772 (775). Zu Art. 14 Abs. 3 Rom II-VO vgl. statt aller Leible, RIW 2008, 257 (262). Beide Vorschriften sind im Schrifttum immer wieder auf Kritik gestoßen; zu Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO vgl. statt vieler Leible/Lehmann, a.a.O. (Fn. 228); zu Art. 14 Abs. 3 Rom II-VO vgl. statt vieler Brière, JDI 2008, 31 (59). 232 Vgl. Art. 9 Rom I-VO, 16 Rom II-VO. 233 Vgl. Art. 21 Rom I-VO, 26 Rom II-VO. 234 Zur Rom I-VO vgl. statt aller Francq, JDI 2009, 41 (53). Zur Rom II-VO vgl. statt aller Fröhlich, Rome II, S. 33. Näher zu diesen beiden Grenzen Rühl, a.a.O. (Fn. 230) (205–208).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

III. Wechselwirkungen zwischen Rom I- und Rom II-VO Die obigen235 Ausführungen zeigen, dass sich die ersten beiden Rom-Verordnungen teilweise darin unterscheiden, wie sie die Rechtswahlfreiheit konkret ausgestalten. Das kann zu Friktionen führen.236 1) Problem und Lösungsvorschläge Die Gefahr von Wertungswidersprüchen ist besonders groß beim Zusammenspiel zwischen dem Rechtswahlausschluss in Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO und der akzessorischen Anknüpfung an eine vorherige Rechtswahl im europäischen Internationalen Vertragsrecht nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO, Art. 3 Rom I-VO.237 Wenn ein Unternehmer und ein Verbraucher zum Beispiel eine nach Art. 3, 6 Rom I-VO wirksame vorherige Rechtswahl treffen und über Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO238 akzessorisch an diese Rechtswahl angeknüpft wird, kommt es entgegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO zu einer vorherigen Rechtswahl.239 Das hat zur Folge, dass die Schutzbedürftigkeit der schwächeren Partei dem richterlichen Ermessen überlassen ist, weil das Gericht bei der Anwendung des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO darüber entscheidet, ob das gewählte Vertragstatut maßgeblich ist.240 Bei einer akzessorischen Anknüpfung nach Art. 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 oder 12 Abs. 1 Rom II-VO scheinen die schwächeren Parteien sogar jeden Schutz im außervertraglichen Bereich zu verlieren, weil die akzessorische Anknüpfung in Art. 10 bis 12 Rom II-VO nicht nur eine ermessensabhängige Ausweichklausel, sondern die vorrangige Verweisungsregel ist. Kurz: Knüpft man in der Rom II-VO akzessorisch241 an eine vorherige Rechtswahl im (europäischen) Internationalen Vertragsrecht an, trifft die Wertungsumsetzung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO auf die Re__________ 235 236

Vgl. Kap. 4 § 2 I und II (S. 231 ff., 261 ff.). So zu den Rechtswahlmöglichkeiten im Verbrauchervertragsrecht und in der Rom II-VO v. Hein, ZEuP 2009, 6 (21). 237 Soweit ersichtlich, ist dieses Problem der Rom II-VO erstmals angesprochen worden bei: Kadner Graziano, Rev. crit. dr. internat. privé 2008, 445 (464); Rushworth/ Scott, LMCLQ 2008, 274 (280). Eingehend behandelt wird es bei: Kadner Graziano, ebda. (464–466); ders., RabelsZ 73 (2009), 1 (21–23). 238 Fälle einer akzessorischen Anknüpfung ergeben sich nicht nur aus Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, sondern auch aus Art. 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 und 12 Abs. 1 Rom IIVO. 239 Vgl. v. Hein, a.a.O. (Fn. 236). 240 v. Hein, a.a.O. (Fn. 236). 241 Gemeint ist eine Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 oder 12 Abs. 1 Rom II-VO.

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gelungen der Rom I-VO. Das kann, wie das obige Beispiel zeigt, zu Widersprüchen führen. a) Lösung zugunsten der Rom I-VO Widersprüche zwischen Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO und Normen der Rom I-VO kann man zunächst ausschließlich zugunsten der Rom I-VO auflösen. So verfährt (meist unausgesprochen) das überwiegende 242 Schrifttum. Ihm zufolge ermöglicht Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO243 stets eine akzessorische Anknüpfung an eine vorherige Rechtswahl im (europäischen) Internationalen Vertragsrecht. Letzteres bestimme dann allein darüber, welchen Voraussetzungen die vorherige Rechtswahl unterliege.244 b) Lösung zugunsten der Rom II-VO Demgegenüber will die Gegenansicht Normwidersprüche nur zugunsten der Rom II-VO ausräumen. Danach ist Art. 14 Rom II-VO eine Spezialregelung gegenüber Art. 3 Rom I-VO und schließt ihn insoweit aus.245 Mit anderen Worten: In den Fällen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO ist eine akzessorische Anknüpfung246 an eine vorherige Rechtswahl im (unionsrechtlichen) Internationalen Vertragsrecht stets ausgeschlossen. c) Differenzierende Lösungen Neben den beiden zuvor dargestellten Lösungsansätzen werden auch differenzierende unterbreitet. Die einfachste Lösung besteht darin, Art. 6 bzw. 8 Rom I-VO zum Schutz des Verbrauchers bzw. Arbeitnehmers analog anzuwenden, wenn __________ 242 So etwa: BaRo-III/Spickhoff, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 4; Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 144; de Boer, YbPIL Vol. 9 (2007), 19 (27); v. Hein, in: FS Kropholler, S. 553 (567 f.); ders., ZEuP 2009, 6 (21); ders., RabelsZ 73 (2009), 461 (490); Heiss, in: Leible/Ferrari (Hrsg.), Rome I, S. 1 (9); Huber/Bach, Rome II, Art. 4 Rdnr. 88; Landbrecht, RIW 2010, 783 (786 f.); Mankowski, IPRax 2010, 389 (402); MünchKomm/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rdnr. 9 f.; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 14 Rdnr. 10; Rauscher, IPR, Rdnr. 1293; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 14 Rom II-VO Rdnr. 23; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 447. In diese Richtung tendieren wohl auch Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (280). 243 Dasselbe gilt auch für Art. 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 und 12 Abs. 1 Rom IIVO, wenn man diesen Ansatz konsequent fortführt; im Ergebnis ebenso Heiss, ebda. Ähnl. Behrens, ebda. 244 Vgl. statt vieler Palandt/Thorn, a.a.O. (Fn. 242). 245 So für die vorherige Rechtswahl in den Fällen einer ungerechtfertigten Bereicherung Rugullis, IPRax 2008, 319 (322). 246 Gemeint ist eine Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 oder 12 Abs. 1 Rom II-VO.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

das Vertragsstatut über Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO auf das Deliktsstatut durchschlägt.247 In den Fällen der Art. 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO muss konsequenterweise dasselbe gelten. Ein anderer Lösungsvorschlag setzt bei der Anwendung des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO an.248 Sie soll in den Fällen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO prinzipiell ausgeschlossen sein.249 Ausnahmen werden in zwei Konstellationen zugelassen:250 im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO und für Sachverhalte, in denen Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO zur Maßgeblichkeit einer Rechtsordnung führt, die dem Verbraucher näher steht als das objektiv anwendbare Recht. Führt man den im vorherigen Absatz dargestellten Ansatz konsequent fort, muss man in den Fällen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO auch von der Anwendung der Art. 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO grundsätzlich absehen. Ausnahmen sind zulässig, wenn Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO bzw. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO einschlägig ist oder wenn die Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO zu einem Recht führen, das dem Verbraucher bzw. Arbeitnehmer näher steht als das objektiv anwendbare Statut. 2) Stellungnahme Welche der genannten Lösungen vorzugswürdig ist, muss durch autonome Auslegung ermittelt werden.251 Der Wortlaut der Art. 3, 4 Abs. 3, 6 und 8 Rom I-VO führt genauso wenig weiter wie die Formulierung der Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 Rom II-VO. Anders sieht es aber bei der Entstehungsgeschichte aus, die in mancherlei Hinsicht weiterhilft. Art. 133 Abs. 2 des schweizerischen IPRG und Art. 41 Abs. 2 des deutschen EGBGB haben als Vorbilder für die akzessorische Anknüpfung der Rom II-VO gedient.252 Die IPR-Gesetze beider Länder gestatten im außervertraglichen Internationalen Schuldrecht nur eine nachträgliche Rechtswahl, lassen aber gleichzeitig eine akzessorische Anknüpfung an eine vorherige Rechtswahl des Internationalen Vertragsrechts zu.253 Also gehen die __________ 247 So Wagner, IPRax 2006, 372 (387) zu „ex ante getroffenen Dispositionen über das Deliktsstatut“. 248 So: Kadner Graziano, Rev. crit. dr. internat. privé 2008, 445 (465 f.); ders., RabelsZ 73 (2009), 1 (21–23). 249 Kadner Graziano, ebda. (465); ders., ebda. (22). 250 Kadner Graziano, a.a.O. (Fn. 248); ders., a.a.O. (Fn. 248) (22 f.). 251 Zur autonomen Begriffsbildung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) a) aa) bis bb) (S. 51 ff.). Zu den Kriterien der autonomen Auslegung vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) aa) bis dd) (S. 54 ff.). 252 So zu Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO Kadner Graziano, a.a.O. (Fn. 248) (21). 253 Vgl. Kadner Graziano, ebda.

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

267

Vorbildregeln davon aus, dass sich die Rechtswahlausschlüsse des außervertraglichen Internationalen Schuldrechts nicht auf die akzessorische Anknüpfung auswirken.254 Dies könnte dafür sprechen, Art. 4 Abs. 3 Rom IIVO255 unabhängig von den Beschränkungen des Art. 14 Rom II-VO anzuwenden.256 Die Berücksichtigung der nationalen Vorgängerregelungen könnte somit die Auflösung etwaig auftretender Wertungswidersprüche ausschließlich zugunsten der Rom I-VO stützen. Allerdings sind nationale Vorbildnormen für die unionsautonome Auslegung grundsätzlich irrelevant,257 so dass dieses historische Argument nicht überzeugend ist. Aufschlussreicher ist die Entwicklung des Schwächerenschutzes. In der Genese der Rom II-VO hat sich der Vorschlag258 nicht durchsetzen können, eine vorherige Rechtswahl im Verhältnis Arbeitnehmer-Arbeitgeber zuzulassen und ihre Wirkung auf Rechtsfolgenseite zu beschränken. Umgekehrt ist in der Rom I-VO der ursprünglich259 zum Verbraucherschutz vorgesehene umfassende Rechtswahlausschluss aufgegeben worden.260 Bei beiden Verordnungen sind also Alternativen zu den letztlich eingeschlagenen Lösungswegen erwogen worden, die sich jedoch nicht durchgesetzt haben. Daraus folgt, dass in jeder Verordnung die Wertungsumsetzung Vorrang haben sollte, die am Ende der Normgenese Eingang in die Regelungen gefunden hat. Das ist bei der Rom II-VO der Schwächerenschutz auf Tatbestandsseite (Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO) und bei der Rom I-VO die Protektion des Schwächeren auf Rechtsfolgenseite (Art. 6 Abs. 2 S. 2, 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). Das heißt, im europäischen Internationalen außervertraglichen Schuldrecht genießt der tatbestandliche Schwächerenschutz nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO Priorität gegenüber den Wertungsumsetzungen, die sich in der Rom I-VO durchgesetzt haben. Dies spricht gegen die Auflösung etwa auftretender Wertungswidersprüche ausschließlich zugunsten der Rom I-VO.261 Außerdem widerspricht die Normgenese damit einer analogen Anwendung der Art. 6 Abs. 2 S. 2, 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO sowie der ausnahmsweisen Anwendung des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO in den Fällen der Art. 6 Abs. 2 S. 2, 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO.262 __________ 254 255

Vgl. Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (21). Dasselbe muss auch für Art. 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 und 12 Abs. 1 Rom IIVO gelten, wenn man diesen Gedanken konsequent fortführt. 256 So Kadner Graziano, a.a.O. (Fn. 254). 257 Vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) bb) (2) (a) (bb) (S. 65 f.). 258 Vgl. P6_TA(2005)0284, S. 9, Art. 3 Abs. 2. 259 Vgl. KOM(2005)650, S. 16 f., Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1. 260 Statt vieler Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (186). 261 Näher zu diesem Ansatz s. Kap. 4 § 2 III 1) a) (S. 265). 262 Näher zu diesen Ansätzen s. Kap. 4 § 2 III 1) c) (S. 265 f.).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Dem historischen Argument, das in den letzten beiden Absätzen ausgeführt worden ist, könnte man entgegenhalten, dass Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO das außervertragliche Internationale Schuldrecht für die Rechtswahlregelungen der Rom I-VO öffnen, indem sie eine akzessorische Anknüpfung ermöglichen bzw. vorschreiben. Dieses Gegenargument trägt aber aus systematischen Gründen nicht. Denn die Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom IIVO kommen erst zum Zuge, wenn keine wirksame Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO getroffen worden ist. Damit wird nicht nur der Rechtswahl im außervertraglichen Bereich grundsätzlich Vorrang vor den akzessorischen Anknüpfungen eingeräumt, sondern automatisch auch den Wertungen, wie sie von Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO umgesetzt werden.263 Also sprechen auch systematische Erwägungen dagegen, den Rechtswahlregelungen der Rom I-VO über eine akzessorische Anknüpfung Priorität gegenüber Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO zu verleihen.264 Vielmehr stützen sie einen generellen Ausschluss der Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO im Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO.265 Darüber hinaus streiten teleologische Argumente dafür, die Anwendung der akzessorischen Anknüpfungsregeln266 in den Fällen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO auszuschließen.267 Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom IIVO soll die schwächere Partei schützen.268 Dieser Schutzgedanke geht darauf zurück, dass Verbraucher oder Arbeitnehmer die Folgen einer Rechtswahl nicht hinreichend abschätzen können.269 Diese Gefahr wird aber noch erhöht, wenn eine Rechtswahl allein für Vertragsbeziehungen getroffen worden ist und sich diese Rechtswahl über eine akzessorische Anknüpfung auf die außervertraglichen Beziehungen erstreckt.270 Alles in allem sprechen die gewichtigeren Gründe dafür, Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO generell unangewandt zu lassen, wenn eine vorherige Rechtswahl im Widerspruch zu Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO steht. Auf diese Weise wird Friktionen zwischen Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO und den Regelungen der Rom I-VO mit den Wertungsumsetzungen abgeholfen, die sich im Verlauf des Rechtsetzungsverfahrens zum Schwächerenschutz durchgesetzt haben. __________ 263 264 265 266 267 268

A. M. Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 142 f. Näher zu den entsprechenden Ansätzen s. Kap. 4 § 2 III 1) a) und c) (S. 265 f.). Näher zu den enstprechenden Ansätzen s. Kap. 4 § 2 III 1) b) und c) (S. 265 f.). Gemeint sind Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO. Näher zu den entsprechenden Ansätzen s. Kap. 4 § 2 III 1) b) und c) (S. 265 f.). Vgl.: Kadner Graziano, Rev. crit. dr. internat. privé 2008, 445 (465); ders., RabelsZ 73 (2009), 1 (22). 269 Vgl. Kadner Graziano, RabelsZ ebda. 270 Vgl. Kadner Graziano, a.a.O. (Fn. 268) (465). Ähnl. ders., a.a.O. (Fn. 268) (22).

§ 2 Rechtswahl im europäischen IPR

269

IV. Fazit Die Parteiautonomie wird im unionsrechtlichen IPR unterschiedlichen Ausschlüssen und Beschränkungen unterworfen. Etwas anderes gilt für das wählbare Recht. Sowohl nach Rom I- als auch nach Rom II-VO dürfen die Parteien nur geltendes staatliches Sachrecht wählen. Doch nicht nur die Einhaltung der Rechtswahlausschlüsse und -beschränkungen ist eine Voraussetzung der subjektiven Anknüpfung. Eine Rechtswahlvereinbarung muss auch sonst wirksam zustande gekommen sein. Das Zustandekommen und die Wirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung richten sich im europäischen Kollisionsrecht grundsätzlich nach der Rechtsordnung, die von den Parteien für ihre vertraglichen Beziehungen gewählt worden ist. Besonderheiten gelten für Formerfordernisse und den Minderjährigenschutz. Außerdem muss der Sachverhalt auf eine Rechtswahl schließen lassen. Insoweit sollten die Formulierungen der Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO und Art. 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO aber de lege ferenda aneinander angeglichen werden. Eine wirksam zustande gekommene Rechtswahlvereinbarung hat grundsätzlich die Anwendung des gesamten gewählten Sachrechts zur Folge. Allerdings wirkt sie nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 in fine Rom I-VO bzw. Art. 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO nur inter partes. Außerdem wird die Wirkung einer Rechtswahl in den Fällen des Art. 3 Abs. 3, Abs. 4 Rom II-VO bzw. Art. 14 Abs. 2, Abs. 3 Rom II-VO beschränkt. Neben den weiteren verordnungsspezifischen Begrenzungen des Rechtswahlumfangs besteht die Möglichkeit, dass er durch Eingriffsnormen (Art. 9 Rom I-VO, 16 Rom II-VO) oder den ordre public der lex fori (Art. 21 Rom I-VO, 26 Rom IIVO) eingeschränkt wird. Da Rom I- und Rom II-VO den Schwächerenschutz auf unterschiedliche Weise umsetzen, kann es zu Wertungswidersprüchen kommen. Diese Gefahr ist im Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO besonders groß. Hier gilt: Wenn eine vorherige Rechtswahl im Widerspruch zu Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO steht, sollten Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO generell unangewandt bleiben. Um die Rechtwahl in einem „EU-IPR AT“ einheitlich zu regeln, bietet sich folgende Vorschrift an:271 __________ 271 Die Integration einer Rechtswahlnorm in einen „EU-IPR AT“ hält Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (59) ebenfalls für möglich, der allerdings weniger Regelungselemente in Erwägung zieht; vgl. ebda. (38). A. M. Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (4), der sich gegen eine AT-Regelung zur Parteiautonomie ausspricht.

270

4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

„Freie Rechtswahl (1) Die Parteien können das anwendbare Recht wählen, soweit im europäischen Kollisionsrecht nichts anderes bestimmt ist. (2) Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Umständen des Falles – insbesondere aus den Bestimmungen eines zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages – ergeben. Auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung findet das von den Parteien für ihre vertraglichen Beziehungen gewählte Recht Anwendung. (3) Eine wirksam getroffene Rechtswahl führt zur Anwendung des gewählten geltenden Sachrechts. Rechte Dritter bleiben unberührt. (4) Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt des schuldverhältnisbegründenden Verhaltens in einem anderen als demjenigen Staat belegen, dessen Recht gewählt wurde, so berührt die Rechtswahl der Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann. (5) Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt des schuldverhältnisbegründenden Verhaltens in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen, so berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien nicht die Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts – gegebenenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form –, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR § 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

Haben die Parteien keine (wirksame) Rechtswahl getroffen,272 muss das anwendbare Recht im Wege der objektiven Anknüpfung bestimmt werden.273

I. Überblick über die Anknüpfungspunkte (facta conectentia) Das europäische Kollisionsrecht stellt eine Reihe objektiver facta conectentia274 zur Verfügung. 1) Anknüpfungspunkte (facta conectentia) der Rom I-VO Die Rom I-VO verwendet neben dem gewöhnlichen Aufenthalt viele weitere ortsbezogene Anknüpfungspunkte. Außerdem enthält sie akzessorische Anknüpfungen, Ausweichklauseln und eine allgemeine Auffangklausel.

__________ 272 273 274

Ausführlich zur Rechtswahl Kap. 4 § 2 I bis IV (S. 231 ff.). Vgl. statt vieler Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (236). Zum Begriff jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 1 § 2 V 3) (S. 21 f.) und VI (S. 23).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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a) Gewöhnlicher Aufenthalt An den gewöhnlichen Aufenthalt knüpft die Rom I-VO bereits in der Grundregel ihres Art. 4 mehrfach an. Auch an vielen anderen Stellen greift sie auf diesen Anknüpfungspunkt zurück. Maßgeblich kann der „gewöhnliche Aufenthalt“275 folgender Personen sein: – des „Verkäufers“,276 – des „Dienstleisters“,277 – des „Franchisenehmers“,278 – des „Vertriebshändlers“,279 – der „Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat“, 280 – des „Beförderers“,281 – der „zu befördernden Person“,282 – des „Verbrauchers“,283 – des „Versicherers“,284 – der „Partei“, die behauptet, „sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt“, 285 – einer der „Vertragsparteien“286 und schließlich – der „Person, die das Rechtsgeschäft vorgenommen hat“. 287

Aus der vorstehenden Aufzählung ergibt sich zunächst, dass der gewöhnliche Aufenthalt in der Rom I-VO stets auf ein Subjekt bezogen ist, das in einer engen Beziehung zum betroffenen Rechtsgeschäft steht. Da keine Person einem Vertrag näher steht als seine Parteien, kommt es regelmäßig auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt an. Am häufigsten288 führt der gewöhnliche Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung zum anwendbaren Recht, manchmal289 aber __________ 275 Zum Begriff vgl. Art. 19 Rom I-VO. Auf Normzitate aus einer anderen als der deutschen Sprachfassung wird aus Gründen der Übersichtlichkeit jetzt und im weiteren Verlauf von Kap. 4 § 3 verzichtet. 276 Art. 4 Abs. 1 lit. a) Rom I-VO. 277 Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO. 278 Art. 4 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO. 279 Art. 4 Abs. 1 lit. f) Rom I-VO. 280 Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO. 281 Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. und 2. Var. Rom I-VO; Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 2 Rom I-VO. 282 Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 1 Rom I-VO. 283 Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 11 Abs. 4 S. 2 Rom I-VO. 284 Art. 7 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO. 285 Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO. 286 Art. 11 Abs. 2, 3. Var. Rom I-VO. 287 Art. 11 Abs. 3, 3. Var. Rom I-VO. 288 Vgl.: Art. 4 Abs. 1 lit. a) und b) Rom I-VO; Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO; Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. und 2. Var. Rom I-VO; Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 2 Rom I-VO; Art. 7 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO. 289 Vgl.: Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) Rom I-VO; Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 11 Abs. 4 S. 2 Rom I-VO. Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) Rom I-VO werden teilweise wie hier als

272

4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

auch der gewöhnliche Aufenthalt der typischerweise schwächeren Vertragspartei. Wer durch die Anwendung seines Aufenthaltsrechts eine Besserstellung erfährt, hängt von der Abwägung der betroffenen Interessen ab, wie sie in den verschiedenen Kollisionsnormen getroffen worden ist. Aus der Interessenabwägung, auf denen manche Verweisungsvorschriften beruhen, ergibt sich zugleich, dass der gewöhnliche Aufenthalt nur dann als factum conectens dienen soll, wenn zusätzlich weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist etwa im europäischen Internationalen Beförderungs-290 und Verbrauchervertragsrecht291 der Fall. Ein weiterer Unterschied zwischen den Anknüpfungen an den gewöhnlichen Aufenthalt folgt auf den ersten Blick aus dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 und 3 Rom II-VO. Aus ihm ergibt sich ausdrücklich, dass es zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts stets auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses292 bzw. der Rechtsgeschäftsvornahme293 ankommt. Die anderen Kollisionsnormen, die an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpfen, schweigen zum maßgeblichen Zeitpunkt. Allerdings wird schnell klar, dass es sich bei dieser Abweichung nur um eine scheinbare Divergenz handelt. Denn für die restlichen Anknüpfungen an den gewöhnlichen Aufenthalt legt Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO fest, dass der Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts ausschlaggebend ist. b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt Wegen der Regelung des Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch dann maßgeblich, wenn es um die Bestimmung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts geht. Dieses factum conectens verwendet die Rom I-VO in ihren Kollisionsnormen lediglich an drei Stellen. Dort knüpft sie an den „gewöhnlichen Aufenthalt“ folgender Personen an: __________ Ausformung des Schwächerenschutzes verstanden [vgl. Weller, in: Fallon/Lagarde/PoillotPeruzzetto (Hrsg.), Architecture, S. 327 (332) m.w.Nachw. (Fn. 30)], teilweise aber auch als Bestimmung der charakteristischen Leistung (so etwa Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (68)). Manche sehen in Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) Rom I-VO sowohl eine Klarstellung des Erbringers der charakteristischen Leistung als auch eine Verwirklichung des Schwächerenschutzes; so etwa Magnus, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I, S. 27 (33, 41 f.). Zu weiteren möglichen Rechtfertigungen für die Anknüpfungspunkte in Art. 4 Abs. 1 lit. e) und f) Rom I-VO vgl. Tang, MLR 2008, 785 (789 f.). 290 Vgl.: Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. und 2. Var. Rom I-VO; Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 1 Rom I-VO; Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 S. 2 Rom I-VO. 291 Vgl.: Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 11 Abs. 4 S. 2 Rom I-VO. 292 So bei Art. 11 Abs. 2, 3. Var. Rom I-VO. 293 So bei Art. 11 Abs. 3, 3. Var. Rom I-VO.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

273

– des „Vermieters oder Verpächters“ und des „Mieters oder Pächters“,294 – des „Beförderers“ und des „Absenders“295 sowie – des „Unternehmers“ und des „Verbrauchers“.296

In allen drei Fällen ist der gewöhnliche Aufenthalt auf beide Vertragsparteien bezogen und damit auf diejenigen Personen, die dem Vertrag regelmäßig am nächsten stehen. In dieser Eigenschaft stimmen die Anknüpfungen an den gewöhnlichen und den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in der Rom I-VO überein.297 Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Anknüpfung auf einer bestimmten Interessenabwägung beruht.298 Die Interessenabwägung führt bei der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt des Beförderers und des Absenders zu keinen zusätzlichen Anknüpfungsvoraussetzungen. Anders sieht dies in den Fällen des Art. 4 Abs. 1 lit. d) Rom I-VO (in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO) aus. Dort ist der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt nämlich nur dann factum conectens, wenn weitere Merkmale erfüllt sind. c) Sonstige Orte Neben dem (gemeinsamen) gewöhnlichen Aufenthalt enthalten die Kollisionsnormen der Rom I-VO etliche weitere ortsbezogene facta conectentia. Das sind: – der Ort, „in dem die unbewegliche Sache belegen ist“, 299 – der Ort, „in dem die Versteigerung abgehalten wird“,300 – der „Übernahmeort“,301 – der „Ablieferungsort“,302 – der „vereinbarte Ablieferungsort“,303 – der „Abgangsort“,304 – der „Bestimmungsort“,305 – der „Mitgliedstaat, in dem das Risiko belegen ist“, 306 – der Ort, „in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“, 307

__________ 294 295 296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307

Art. 4 Abs. 1 lit. d) Rom I-VO. Art. 5 Abs. 1 S. 1, 3. Var. Rom I-VO. Art. 6 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 lit. d) Rom I-VO. Zum gewöhnlichen Aufenthalt s. Kap. 4 § 3 I 1) a) (S. 271 f.). Zum gewöhnlichen Aufenthalt s. Kap. 4 § 3 I 1) a) (S. 271 f.). Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO. Art. 4 Abs. 1 lit. g) Rom I-VO. Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. Var. Rom I-VO. Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2. Var. Rom I-VO. Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO. Art. 5 Abs. 2 S. 1, 1. Var. Rom I-VO. Art. 5 Abs. 2 S. 1, 2. Var. Rom I-VO. Art. 7 Abs. 3 S. 3 Rom I-VO. Art. 8 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

– der Ort der „Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat“, 308 – der Ort, „in dem er [der Vertrag] geschlossen wird“, 309 – der Ort, „in denen sich eine der Vertragsparteien oder ihr Vertreter befindet“,310 – der Ort, „in dem dieses Rechtsgeschäft vorgenommen worden ist“ 311 und – der Ort, „in dem die unbewegliche Sache belegen ist“. 312

Alle aufgezählten facta conectentia haben die Eigenschaft des Ortsbezugs gemeinsam. Darüber hinaus richtet sich ihre Zuordnung zu einer bestimmten res conectenda313 nach der Abwägung der betroffenen Interessen, wie sie in den jeweiligen Kollisionsnormen vorgenommen worden ist. Die unterschiedlichen Interessenabwägungen führen wiederum dazu, dass alle ortsbezogenen Anknüpfungen der Rom I-VO – von einer314 Ausnahme abgesehen – verschiedene Orte als factum conectens verwenden. Diese Orte haben nur gemeinsam, dass sie immer mit einem bestimmten Element des Schuldverhältnisses verknüpft sind, und zwar mit dem Vertragsschluss315, mit einer Vertragspartei316, mit dem Vertreter einer Vertragspartei317, mit dem Vertragsgegenstand318 oder mit der Vertragsabwicklung319. Welcher Bestandteil des Schuldverhältnisses für die Anknüpfung ausschlaggebend ist, hängt von der Interessenabwägung ab, wie sie der jeweiligen Kollisionsnorm zugrunde liegt. Am augenscheinlichsten hebt sich der Anknüpfungspunkt des Art. 7 Abs. 3 S. 3 Rom I-VO von denen der anderen Kollisionsnormen ab. Denn er ist auf den ersten Blick das einzige factum conectens, das seine Verweisungsvorschrift räumlich auf die Mitgliedstaaten der Union beschränkt. Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass diese Begrenzung nicht erst durch den Anknüpfungspunkt des Art. 7 Abs. 3 S. 3 Rom I-VO festgelegt wird, sondern bereits durch seine res conectenda. Ihr Anwendungsbe__________ 308 309 310 311 312 313 314 315

Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO. Art. 11 Abs. 1, 2. Var. Rom I-VO. Art. 11 Abs. 2, 2. Var. Rom I-VO. Art. 11 Abs. 3, 2. Var. Rom I-VO. Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO. Zum Begriff jetzt und im Folgenden vgl. Kap. 1 § 2 V 3) (S. 21) und VI (S. 23). Vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO und Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO. So bei: Art. 11 Abs. 1, 2. Var. Rom I-VO; Art. 11 Abs. 3, 2. Var. Rom I-VO (Ort der Vornahme eines „einseitigen Rechtsgeschäfts, das sich auf einen geschlossenen oder zu schließenden Vertrag bezieht“); Art. 4 Abs. 1 lit. g) Rom I-VO (Ort der „Versteigerung“ als Ort der Modalität des Vertragsschlusses). 316 So bei: Art. 8 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO; Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO; Art. 11 Abs. 2, 2. Var. Rom I-VO. 317 So bei Art. 11 Abs. 2, 2. Var. Rom I-VO. 318 So bei: Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO; Art. 7 Abs. 3 S. 3 Rom I-VO; Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO. 319 So bei: Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. und 2. Var. Rom I-VO; Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO; Art. 5 Abs. 2 S. 1, 1. Var. und 2. Var. Rom I-VO.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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reich ist nämlich nach Art. 7 Abs. 1 S. 1, 2. HS Rom I-VO auf Risiken beschränkt, die in einem Mitgliedstaat der Union belegen sind.320 Also differenziert Art. 7 Rom I-VO schon in seinen Anknüpfungsgegenständen nach der Risikobelegenheit in Mitglied- und Drittstaaten. Diese Unterscheidung geht auf das Internationale Versicherungsvertragsrecht vor „Rom I“ zurück und ist in Art. 7 Rom I-VO übernommen worden, weil er den rechtlichen status quo nicht grundlegend ändern sollte.321 Wie dies zu beurteilen ist, soll an dieser Stelle offen bleiben.322 Vielmehr soll abschließend darauf hingewiesen werden, dass Art. 7 Abs. 3 S. 3 Rom I-VO eine unwandelbare Anknüpfung enthält, da er zur Ermittlung des Belegenheitsortes auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellt.323 Neben dem factum conectens des Art. 7 Abs. 3 S. 3 Rom I-VO stechen die Anknüpfungspunkte der Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO ins Auge. Ihre Anwendung setzt voraus, dass die jeweils vorgesehene primäre Anknüpfung versagt. Folglich teilen sie die Eigenschaft einer subsidiären Anknüpfung. Anders als Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO enthalten Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 Rom I-VO keine subsidiäre Anknüpfung, sondern eine komplementäre. Je nach dem, ob sich die Parteien oder ihre Vertreter in demselben Staat befinden oder nicht, kommt entweder der erste oder der zweite Absatz des Art. 11 Rom I-VO zum Zuge. Auf welchen Zeitpunkt es ankommt, regeln beide Absätze übereinstimmend. Danach ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, um festzustellen, wo sich die Parteien oder ihre Vertreter befinden. Außerdem fixiert der Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Anknüpfungen des Art. 11 Abs. 1, 2. Var., Abs. 2, 2. Var. Rom I-VO, die damit unwandelbar werden. Die Unwandelbarkeit haben sie mit Art. 11 Abs. 3, 2. Var. Rom I-VO gemeinsam. Er knüpft an die Rechtsgeschäftsvornahme und damit an ein punktuelles Ereignis an. Da solche Ereignisse zeitlich nur ein einziges (erstes) Mal passieren, versteinern sie ihre Anknüpfung implizit, so dass eine ausdrückliche temporäre Fixierung entbehrlich ist.324 Aus diesem Grund brauchen auch Art. 4 Abs. 1 lit. g) Rom I-VO und Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rom I-VO325 ihre facta conectentia zeitlich nicht explizit festzulegen. __________ 320 321 322 323 324 325

Vgl. statt aller Fricke, VersR 2008, 443 (447). Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (74). Kritisch statt vieler Looschelders/Smarowos, VersR 2010, 1 (2). Statt aller Fricke, a.a.O. (Fn. 320) (449). Inspiriert durch Kropholler, IPR, § 28 I. Gemeint sind der „Übernahmeort“ (Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. Var. Rom I-VO), der „Ablieferungsort“ (Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2. Var. Rom I-VO), der „vereinbarte Ablieferungsort“ (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO), der „Abgangsort“ (Art. 5 Abs. 2 S. 1, 1. Var. Rom IVO) und der „Bestimmungsort“ (Art. 5 Abs. 2 S. 1, 2. Var. Rom I-VO).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Demgegenüber sehen folgende Kollisionsnormen weder eine implizite noch eine explizite zeitliche Fixierung ihrer facta conectentia vor: Art. 4 Abs. 1 lit. c), Art. 8 Abs. 2 S. 1, Art. 8 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO. Letzterer beinhaltet eine besondere Anknüpfungsregel für Formvorschriften bei Verträgen, die ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache oder die Miete oder Pacht einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand haben. Da Immobilien räumlich fixiert sind, kann von einer zeitlichen Versteinerung abgesehen werden, ohne dass es zu einer wesentlichen Einbuße an Rechtssicherheit kommt. Bei Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO ist weiter zu beachten, dass er nicht jede Formvorschrift beruft, sondern nur solche, die den Anforderungen seiner Buchstaben a) und b) entsprechen.326 Sind sie erfüllt, greifen die Formregelungen des Belegenheitsortes der unbeweglichen Sache.327 An den Belegenheitsort der unbeweglichen Sache knüpft aber nicht nur Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO, sondern auch Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO an. Dadurch begünstigt Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO einen Gleichlauf von Rechtsgrund- und Sachenstatut.328 Auf diese Weise trägt die Anknüpfung dem engen Zusammenhang zwischen den betroffenen sachrechtlichen Instituten und den damit verbundenen Wechselwirkungen Rechnung. d) Akzessorische Anknüpfung Aus demselben Grund kann die Rom I-VO akzessorische Anknüpfungen vorsehen. Folgende Kollisionsnormmerkmale legen eine akzessorische Anknüpfung nieder: – „dieses Recht [das auf das multilaterale System im Sinne des Art. 4 Abs. 1 lit. h) Rom I-VO anwendbare Recht]“,329 – der Verweis auf „Artikel 3 und 4“,330 – das „Recht, das nach dieser Verordnung anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre“,331 – das „auf ihn [den Vertrag] nach dieser Verordnung anzuwendende materielle Recht“, 332 – das „materielle Recht, das nach dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden wäre“,333

__________ 326 327

Vgl. PWW/Mörsdorf-Schulte, Rom I Art. 11 Rdnr. 12. Zum Verhältnis zwischen Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO und Art. 11 Abs. 1 bis 4 Rom I-VO PWW/Mörsdorf-Schulte, ebda. 328 Im Ergebnis ebenso etwa: Audit, DIP, Rdnr. 825; Kindler, Einführung, S. 28. Zur weiteren Rechtfertigung des Anknüpfungspunktes von Art. Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO vgl. auch Ancel, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 77 (83 f.). 329 Art. 4 Abs. 1 lit. h) Rom I-VO. 330 Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO. 331 Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO. 332 Art. 11 Abs. 1, 1. Var. Rom I-VO; Art. 11 Abs. 2, 1. Var. Rom I-VO. 333 Art. 11 Abs. 3, 1. Var. Rom I-VO.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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– das „Recht, das nach dieser Verordnung auf den Vertrag zwischen Zedent und Zessionar anzuwenden ist“,334 – das „Recht, dem die übertragene Forderung unterliegt“, 335 – das „für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht“,336 – das „Recht, das auf die Verpflichtung dieses Schuldners [des Schuldners, der den Gläubiger ganz oder teilweise befriedigt hat] gegenüber dem Gläubiger anzuwenden ist“,337 – das auf die „Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger anzuwendende Recht“ 338 und – das „Recht, dem die Forderung unterliegt, gegen die aufgerechnet wird“ 339.

Alle aufgezählten Merkmale stimmen darin überein, dass sie explizit oder implizit auf andere Kollisionsnormen verweisen, deren Anknüpfungspunkte erst zum anwendbaren Recht führen. Das heißt, die akzessorischen Anknüpfungen selbst sind keine facta conectentia. Sie stellen lediglich „Platzhalter“ für die Anknüpfungspunkte der Verweisungsvorschriften dar, an die akzessorisch angeknüpft wird. So ist beispielsweise nicht der Verweis des Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO auf Art. 4 Rom I-VO ein factum conectens, sondern der letztlich maßgebliche Anknüpfungspunkt des Art. 4 Rom I-VO. Handelt es sich etwa um einen Kaufvertrag über bewegliche Sachen, ist der gewöhnliche Aufenthalt des Verkäufers das maßgebliche factum conectens. Hierfür ist die akzessorische Anknüpfung in Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO bloß ein „Platzhalter“. Darüber hinaus handelt es sich bei Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO um eine subsidiäre Anknüpfung, da er nur anwendbar ist, wenn die Anforderungen seines Absatzes 1 lit. a) oder b) nicht erfüllt sind. Nur in diesem Fall erklärt Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO die Art. 3 und 4 Rom I-VO für anwendbar. Dieser Verweis lässt sich wie folgt begründen: Wenn die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. a) oder b) Rom I-VO nicht vorliegen, entfällt die besondere Interessenlage, die eine Abweichung von den regulären Anknüpfungsnormen rechtfertigt. Die Rückausnahme zu Spezialregelungen wegen entfallener besonderer Interessenlage ist aber nicht der Hauptgrund für die akzessorischen Anknüpfungen der Rom I-VO. Wie bereits angedeutet,340 besteht er darin, der Verknüpfung der beteiligten Sachrechtsinstitute und den damit verbunde-

__________ 334 335 336 337 338 339 340

Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO. Art. 15 Rom I-VO. Art. 16 S. 1 Rom I-VO. Art. 16 S. 2 Rom I-VO. Art. 17 Rom I-VO. S. Kap. 4 § 3 I 1) d) (S. 276).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

nen Interdependenzen Rechnung zu tragen.341 Als Beispiel bietet sich Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO an. Er unterstellt das Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar derselben Rechtsordnung, die die Vertragsbeziehung zwischen ihnen beherrscht.342 Diese Anknüpfung wird den Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen sachrechtlichen Operationen gerecht, die bei einer Forderungsabtretung im Einzelfall durchgeführt werden müssen. Das ist jedenfalls immer dann von besonderer Bedeutung, wenn das Vertragsverhältnis zwischen Zedent und Zessionar von einer Sachrechtsordnung beherrscht wird, die zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft unterscheidet. Außerdem kann eine akzessorische Anknüpfung auf Begünstigungsund Schutzgedanken beruhen.343 Bei Art. 17 Rom I-VO steht beispielsweise der Schutz des Aufrechnungsgegners im Vordergrund. 344 Alles in allem kann eine akzessorische Anknüpfung im europäischen Internationalen Vertragsrecht also auf drei Gedanken fußen: (1) Rücksichtnahme auf die rechtliche Verzahnung der involvierten Sachrechtsinstitute, (2) Rückausnahme zu Spezialregelungen wegen entfallener besonderer Interessenlage sowie (3) Begünstigungs- und Schutzgedanken. Die akzessorischen Anknüpfungen der Rom I-VO können sich aber nicht nur in ihrem inneren Grund voneinander unterscheiden, sondern auch in ihrer zeitlichen Fixierung und in ihrer Abhängigkeit von zusätzlichen Anknüpfungsvoraussetzungen. Die zeitliche Fixierung einer akzessorischen Anknüpfung hängt davon ab, für welchen Anknüpfungspunkt sie als „Platzhalter“ dient. 345 Im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO kommt etwa bei Kaufverträgen über bewegliche Sachen nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) Rom I-VO der gewöhnliche Aufenthalt des Verkäufers als factum conectens zum Zuge. Dann ist gem. Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich, um den gewöhnlichen Aufenthalt zu bestimmen. Demgegenüber ist die akzessorische Anknüpfung des Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO zeitlich nicht versteinert, wenn es sich um einen Vertrag handelt, der ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand hat. Dann ist nämlich gem. Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO der Belegenheitsort der betreffenden Immo__________ 341 So bei: Art. 4 Abs. 1 lit. h) Rom I-VO; Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 11 Abs. 1, 1. Var. Rom I-VO; Art. 11 Abs. 2, 1. Var. Rom I-VO; Art. 11 Abs. 3, 1. Var. Rom I-VO; Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO und Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO. 342 Statt aller Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (540). Art. 14 Rom I-VO umfasst ausweislich des Erwägungsgrundes 38 nunmehr die schuldrechtlichen und dinglichen Aspekte einer Zession; vgl. statt aller Flessner, IPRax 2009, 35 (36 f.). 343 So bei: Art. 15 Rom I-VO; Art. 16 S. 1 Rom I-VO; Art. 16 S. 2 Rom I-VO; Art. 17 Rom I-VO. 344 Mankowski, IHR 2008, 133 (151) m.w.Nachw. (Fn. 264). 345 Zur Platzhalterfunktion vgl. auch Kap. 4 § 3 I 1) d) (S. 277).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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bilie als factum conectens ausschlaggebend, der in der Rom I-VO zeitlich nicht ausdrücklich fixiert wird. Im Hinblick auf zusätzliche Anknüpfungsvoraussetzungen können akzessorische Anknüpfungen ebenfalls voneinander abweichen. Als Beispiel seien Art. 14 bis 16 Rom I-VO angeführt. Diese sind allerdings nicht nur wegen ihrer verschiedenen weiteren Kollisionsnormelemente auffällig, sondern vielmehr wegen folgender Gemeinsamkeit: Alle drei Artikel enthalten die einzigen Kollisionsnormen der Rom I-VO, die ausdrücklich die Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen regeln.346 Wo derartige explizite Vorschriften in anderem Zusammenhang wie etwa im bereicherungsrechtlichen Bereich347 fehlen, kann man die in den Art. 14 bis 16 Rom I-VO getroffenen Wertungen nutzbar machen. Eine erste Wertung lässt sich bereits Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO entnehmen. In der Dreipersonenbeziehung „Zedent – Zessionar – Schuldner“ richtet sich das Verhältnis zwischen Alt- und Neugläubiger nach dem Recht, das nach der Rom I-VO auf den Vertrag zwischen diesen beiden Parteien anzuwenden ist. Daraus kann man ableiten, dass die sachrechtliche Relativität der Schuldverhältnisse grundsätzlich ins Internationale Vertragsrecht der EU hinein verlängert wird. Dieser Schluss wird durch Art. 15 und 16 S. 1 Rom I-VO bestätigt.348 In beiden Fällen ist für Rechtsfragen, die sich im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis der „leistenden“349 Person stellen, die Rechtsordnung maßgeblich, die auch die Rechtsbeziehung dieser Person zum Gläubiger beherrscht. Demnach lautet das erste Prinzip, das man Art. 14 Abs. 1, 15, 16 S. 1 Rom I-VO für das europäische IPR der vertraglichen Schuldverhältnisse entnehmen kann: Bei der Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen greift die sachrechtliche Relativität der Schuldverhältnisse grundsätzlich auf die kollisionsrechtliche Ebene durch. Allerdings gilt das im vorigen Absatz hergeleitete Prinzip nicht uneingeschränkt. Das folgt aus der Wertung, die Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO zugrunde liegt. Er bestimmt, dass das Statut der übertragenen Forderung die Übertragbarkeit ebenso beherrscht wie das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner, die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung __________ 346 347

Vgl. auch Francq, JDI 2009, 41 (66–68). An dieser Stelle soll keine Stellung zur Frage bezogen werden, in welcher Beziehung Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO zu Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO steht; dazu ausführlich Sendmeyer, IPRax 2010, 500–503. 348 PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 16 Rdnr. 1 sprechen im Zusammenhang mit Art. 16 Rom I-VO vom „Primat der (jeweiligen) Beziehung der einzelnen Gesamtschuldner zum Hauptgläubiger“, das schon ein Grundgedanke des EVÜ gewesen sei. 349 Bei Art. 15 Rom I-VO genügt darüber hinaus, dass der Dritte gegenüber dem Gläubiger verpflichtet ist. Bei Art. 16 S. 1 Rom I-VO reicht es aus, dass ein Gesamtschuldner den Gläubiger teilweise befriedigt hat.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

dem Schuldner entgegengehalten werden kann, und die befreiende Wirkung einer Leistung durch den Schuldner. Daraus kann man das Prinzip ableiten, dass ein Schuldner niemals die Verteidigungsmittel verlieren darf, die ihm das Recht gewährt, das auf seine Vertragsbeziehung zum Gläubiger anwendbar ist.350 Diese Wertung findet sich außerdem in Art. 15 und 16 S. 2 Rom I-VO. Beide bewahren den Schuldner vor einem Rechtsverlust, indem sie sein „altes“ Schuldstatut für seinen Schutz gegenüber dem neuen Gläubiger zur Anwendung bringen.351 Im europäischen Internationalen Vertragsrecht gilt also auch folgender Grundsatz: Die kollisionsrechtliche Anknüpfung darf bei Mehrpersonenverhältnissen nicht zur Folge haben, dass der Schuldner die Verteidigungsmittel verliert, die ihm das Recht gewährt, das sein vertragliches Schuldverhältnis zum Gläubiger beherrscht. Die dritte Wertung, die der Rom I-VO zur Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen entnommen werden kann, zielt ebenfalls darauf, einen Rechtsverlust zu verhindern. Danach unterliegt die Regressberechtigung eines Schuldners stets dem Statut seiner eigenen Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger.352 Dieser Gedanke kann zunächst in Art. 15 Rom I-VO ausgemacht werden. Danach beherrscht die für das vertragliche Schuldverhältnis des Dritten maßgebliche Rechtsordnung das Rückgriffsrecht, das sich im Zusammenhang mit dieser Vertragsbeziehung ergibt. Ein ähnlicher Gedanke lässt sich aus Art. 16 S. 1 Rom I-VO entnehmen.353 Letzterer unterstellt das Recht des (teilweise) leistenden Schuldners, von den anderen Schuldnern Ausgleich zu verlangen, der Rechtsordnung, die auf die Verpflichtung dieses Schuldners gegenüber dem Gläubiger anzuwenden ist. Abermals regelt das Vertragsstatut einer Partei auch die Regressrechte, die sich im Kontext zu ihrem vertraglichen Schuldverhältnis ergeben. Somit lässt sich aus Art. 15 und 16 S. 1 Rom I-VO folgendes Prinzip für das unionsrechtliche IPR der vertraglichen Schuldverhältnisse ableiten: Die kollisionsrechtliche Anknüpfung der Rückgriffsrechte, die sich im Zusammenhang mit einem vertraglichen Schuldverhältnis ergeben, sollte in Mehrpersonenverhältnissen zu der Rechtsordnung führen, die eben dieses Schuldverhältnis beherrscht. __________ 350

Noch weiter gehend Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (78) [„underpinning principle“ des Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO]. Im Ergebnis ebenso: ders., in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I, S. 217 (227 f.); MünchKomm/Martiny, Art. 14 Rom I-VO Rdnr. 4. 351 Zu Art. 15 Rom I-VO vgl. MünchKomm/Martiny, Art. 15 Rom I-VO Rdnr. 14 m.w.Nachw. (Fn. 39 f.). Zu Art. 16 S. 2 Rom I-VO vgl. statt aller Rauscher, IPR, Rdnr. 1239. 352 Ebenso zu Art. 16 Rom I-VO Mankowski, IHR 2008, 133 (151), der insoweit von einem „Grundsatz“ spricht. 353 Ebenso zu Art. 16 Rom I-VO Mankowski, ebda.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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Wie setzt man nun die in den drei vorigen Absätzen erarbeiteten Wertungen um? Soweit man sie nicht durch die (analoge) Anwendung der regulären Anknüpfungen verwirklichen kann, sollte die jeweils anwendbare Ausweichklausel bemüht werden, notfalls im Wege eines Analogieschlusses. e) Ausweichklausel Die Ausweichklauseln354 der Rom I-VO können aber nicht nur bei Mehrpersonenverhältnissen zur Anwendung eines sachgerechteren Rechts führen.355 Vielmehr greifen sie stets bei: – einer „engeren Verbindung“356 zu einem anderen als dem objektiv anzuwenden Recht bzw. bei – einer „offensichtlich engeren Verbindung“ 357 zu einer anderen als der objektiv maßgeblichen Rechtsordnung.

Dabei ist allerdings zu beachten, dass die objektive Anknüpfung mancher Kollisionsnormen keiner Abweichung durch die Ausweichklausel zugänglich ist. So ergibt sich etwa im Rückschluss aus Art. 6 Abs. 3 Rom I-VO, dass in den Fällen, in denen die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO vorliegen, die Anwendung des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO ausgeschlossen ist. Der Ausschluss der Ausweichklausel in den Fällen des Art. 6 Abs. 1 mutet inkonsistent an, wenn man einen Blick auf das Internationale Individualarbeitsvertragsrecht wirft. Hier sieht Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO eine besondere Ausweichklausel vor. Sie verlangt noch nicht einmal eine „offensichtlich engere Verbindung“ zu einer anderen als der objektiv maßgeblichen Rechtsordnung, sondern lässt bereits eine „engere Verbindung“ genügen. Insoweit wird die europäische Rechtswissenschaft und -praxis zu prüfen haben, ob bei Art. 6 Rom I-VO eine lacuna vorliegt und wie sie geschlossen werden sollte.358 f) Allgemeine Auffangklausel Die Ausweichklauseln der Rom I-VO werden durch die allgemeine Auffangklausel in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO ergänzt. Ihr factum conectens ist: – die „engste Verbindung“.359

__________ 354 Der Begriff „Ausweichklausel“ wird von der Rom I-VO selbst verwandt; vgl. Erwägungsgrund 20 S. 1 Rom I-VO. 355 S. Kap. 4 § 3 I 1) d) am Ende (S. 281). 356 Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO. 357 Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO; Art. 5 Abs. 3 Rom I-VO; Art. 7 Abs. 2 S. 3 Rom I-VO. 358 Ausführlich zur completio lacunae Kap. 1 § 5 (S. 81 ff.). 359 Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Eine „(offensichtlich) engere Verbindung“ als die „engste“ kann es logisch nicht geben. Deshalb kann man vom Anknüpfungsergebnis des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO nicht über eine Ausweichklausel360 der Rom I-VO abweichen. Ob man umgekehrt über Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO vom Anknüpfungsergebnis einer Ausweichklausel361 abrücken kann, wird zukünftig zu untersuchen sein. Dagegen spricht der Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO, der ausdrücklich nur auf Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO Bezug nimmt. Darüber hinaus widerspricht diese Vorgehensweise der Ökonomie der Rechtsanwendung: Wenn man sich schon auf die Suche nach der „(offensichtlich) engeren Verbindung“ macht, kann man auch gleich die Rechtsordnung auswählen, zu der die engste Verbindung besteht. Hierfür sprechen auch die Erwägungsgründe, denen zufolge es den Gerichten möglich sein soll, das Recht bestimmen zu können, zu dem der Sachverhalt die „engste Verbindung“ aufweist.362 Unabhängig vom Verhältnis des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu anderen Vorschriften kann man jedenfalls sagen, dass sein factum conectens der stärkste Ausfluss des Prinzips der engsten Verbindung ist. 2) Anknüpfungspunkte (facta conectentia) der Rom II-VO Nachdem die objektiven Anknüpfungspunkte der Rom I-VO behandelt worden sind,363 fragt sich, welche facta conectentia von den Kollisionsnormen der Rom II-VO verwandt werden und was sie für Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede aufweisen. a) Orte als Anknüpfungspunkte (ohne den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt) Abgesehen vom gemeinsamen „gewöhnlichen Aufenthalt“ 364 enthalten die Kollisionsnormen der Rom II-VO folgende ortsbezogene facta conectentia: – den Ort, „in dem der Schaden eintritt“, 365 – den Ort, in dem „das Produkt in Verkehr gebracht wurde“, 366 – den Ort, „in dem die geschädigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte“, 367

__________ 360 Gemeint sind die Ausweichklauseln in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO, Art. 5 Abs. 3 Rom I-VO, Art. 7 Abs. 2 S. 3 Rom I-VO und Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO. 361 S. vorherige Fn. 362 Vgl. Erwägungsgrund 16 S. 2 der Rom I-VO. 363 Dazu näher Kap. 4 § 3 I 1) a) bis f) (S. 270 ff.). 364 Zum Begriff vgl. Art. 23 Rom II-VO. Zur Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt vgl. Kap. 4 § 3 I 2) b) (S. 285 ff.). 365 Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 7, 1. HS Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. 366 Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) bis c) Rom II-VO.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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– den Ort, „in dem das Produkt erworben wurde“, 368 – den Ort, „in dem der Schaden eingetreten ist“, 369 – den Ort, „in dem die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat“,370 – den Ort, in dem „die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden“, 371 – den Ort, dessen „Markt beeinträchtigt ist oder wahrscheinlich beeinträchtigt wird“,372 – den „Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts [Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Beklagten]“,373 – den Ort, „in dem das schadensbegründende Ereignis eingetreten ist“, 374 – den Ort, „für den der Schutz beansprucht wird“,375 – den Ort, „in dem die Verletzung begangen wurde“, 376 – den Ort, „in dem die Arbeitskampfmaßnahme erfolgen soll oder erfolgt ist“, 377 – den Ort, „in dem die ungerechtfertigte Bereicherung eingetreten ist“, 378 – den Ort, „in dem die Geschäftsführung erfolgt ist“, 379 – den Ort, „in dem der Schaden eingetreten ist“, 380 – den „Ort des haftungsbegründenden Ereignisses“ 381 und – den Ort, „in dem sie [eine einseitige Rechtshandlung, die ein außervertragliches Schuldverhältnis betrifft] vorgenommen wurde“. 382

Alle aufgezählten facta conectentia haben gemeinsam, dass sie die Rechtsordnung berufen, die in einer besonders engen Beziehung zum betroffenen außervertraglichen Schuldverhältnis steht. Demnach zählt das Prinzip der engsten Verbindung zu einem der wesentlichen Grundsätze der Rom IIVO.383 Allerdings unterscheiden sich die ortsbezogenen facta conectentia darin, auf welches Element des außervertraglichen Schuldverhältnisses sie zur

__________ 367 368 369 370 371 372 373 374 375 376 377 378 379 380 381 382 383

Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) Rom II-VO. Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO. Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. c) Rom II-VO. Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO. Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO. Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO. Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO. Art. 7, letzter HS Rom II-VO. Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO. Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO. Art. 9 Rom II-VO. Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO. Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO. Art. 12 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO. Art. 17 Rom II-VO. Art. 21, 2. Var. Rom II-VO. Allgemeine Auffassung; vgl. statt aller Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (38).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Anknüpfung abstellen. Das ist überwiegend384 der Eintritt des schädigenden Erfolgs, teilweise385 aber auch die Vornahme der haftungsbegründenden Handlung. Es gibt jedoch auch Kollisionsnormen386, die so formuliert sind, dass ihre Anknüpfungspunkte entweder den Handlungs- oder den Erfolgsort meinen können.387 Außerdem existieren in der Rom II-VO Verweisungsvorschriften, die nicht auf die Handlung bzw. den Erfolg abstellen, sondern auf das Handlungsmittel388 oder auf die aus dem außervertraglichen Schuldverhältnis (potenziell) berechtigte 389 bzw. verpflichtete390 Person. Welches Element eines außervertraglichen Schuldverhältnisses für eine ortsbezogene Anknüpfung ausschlaggebend ist, hängt von der Abwägung der beteiligten Interessen ab, wie sie in den verschiedenen Kollisionsnormen getroffen worden ist. Diese Interessenabwägung führt vereinzelt auch dazu, dass die Einschlägigkeit bestimmter ortsbezogener Anknüpfungspunkte vom Hinzutreten weiterer Voraussetzungen abhängig ist. Das können auch facta conectentia sein. So führen die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO nur zur Anwendbarkeit des Rechts eines Staates, „sofern das Produkt in diesem Staat in Verkehr gebracht wurde“.391 Damit soll der Produkthersteller vor der Maßgeblichkeit solcher Sachrechte geschützt werden, mit denen er nicht zu rechnen brauchte.392 Ein ähnlicher Gedanke liegt auch dem Vorhersehbarkeitsvorbehalt des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO zugrunde.393 Art. 5 Abs. 1 Rom II-VO enthält aber nicht als einzige Kollisionsnorm der Rom II-VO zusätzliche Anforderungen, von denen die Einschlägigkeit eines factum conectens abhängt. Auch Art. 10 Abs. 3, 11 Abs. 3 und 12 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO stellen insoweit eine weitere Voraussetzung auf. __________ 384 So in: Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. c) Rom II-VO; Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 3 lit. a) Rom II-VO; Art. 7, 1. HS Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 12 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO. 385 So in: Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) bis c) (Ort des Inverkehrbringens); Art. 7, letzter HS Rom II-VO; Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 9 Rom II-VO; Art. 17 Rom II-VO. 386 So: Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO; Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO. 387 Näher zur Auslegung des Anknüpfungspunktes von Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO: Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 87–92; Cheshire, PIL, S. 829 f. Zur Interpretation des factum conectens in Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO werden ebenfalls verschiedene Vorschläge gemacht; vgl. statt vieler PWW/Fehrenbacher, Rom II Art. 11 Rdnr. 4 f. 388 So in Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO. 389 So in Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) Rom II-VO. 390 So in: Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 3 lit. b) Rom II-VO. 391 Vgl. statt aller Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (40 und 42). 392 Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (85) m.w.Nachw. (Fn. 33). 393 Dazu statt aller Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 5 Rdnr. 6 und 11.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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Denn ihre Anknüpfungspunkte kommen nur zum Zuge, wenn das anzuwendende Recht nicht nach dem jeweiligen Absatz 1 bzw. 2 bestimmt werden kann.394 Neben den Art. 10 Abs. 3, 11 Abs. 3 und 12 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO stechen Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) Rom II-VO und Art. 17 Rom II-VO ins Auge. Denn beide Kollisionsnormen stellen zur Ermittlung der anknüpfungserheblichen Tatsachen ausdrücklich auf einen bestimmten Zeitpunkt ab. Demgegenüber findet sich keine explizite zeitliche Fixierung in den restlichen Kollisionsnormen, die ortsbezogene facta conectentia enthalten.395 Bei Letzteren handelt es sich um punktuelle Ereignisse wie den Schadenseintritt.396 Da solche Ereignisse zeitlich nur ein einziges (erstes) Mal eintreten, fixieren sie ihre Anknüpfung implizit, so dass eine ausdrückliche Versteinerung entbehrlich ist.397 Wie bereits erwähnt, fixieren Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) Rom II-VO und Art. 17 Rom II-VO ihre Anknüpfung zeitlich ausdrücklich. Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) Rom II-VO versteinert seine Anknüpfung im Zeitpunkt des Schadenseintritts,398 Art. 17 Rom II-VO im Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses.399 b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt Beide Zeitpunkte sind auch im Rahmen eines anderen factum conectens relevant, das sehr häufig in der Rom II-VO verwandt wird. Dabei handelt es sich um die Anknüpfung an: – den „gewöhnlichen Aufenthalt“ der Parteien „in demselben Staat“. 400

__________ 394 395

Vgl. dazu auch Légier, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 145 (165 f.). Gemeint sind Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a) bis c) Rom II-VO (Inverkehrbringen), Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. b) und c) Rom II-VO, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO, Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO, Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, Art. 6 Abs. 3 lit. a) und b) Rom II-VO, Art. 7, 1. HS Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, Art. 7, letzter HS Rom II-VO, Art. 8 Abs. 1 und 2 Rom II-VO, Art. 9 Rom II-VO, Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO, Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO, Art. 12 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO und Art. 21, 2. Var. Rom II-VO. 396 Die einzige Ausnahme ist das factum conectens des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO. Insoweit wird künftig zu prüfen sein, ob es sich dabei um eine lacuna handelt und wie diese geschlossen werden sollte. 397 Inspiriert durch Kropholler, IPR, § 28 I. 398 Vgl. statt aller v. Hein, ZEuP 2009, 6 (26). 399 Vgl. statt aller Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (637). 400 Zum Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ vgl. Art. 23 Rom II-VO. Der „gewöhnliche Aufenthalt“ der Parteien „in demselben Staat“ wird als factum conectens verwandt in: Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 5 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Rom II-

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Wo dieser Anknüpfungspunkt im europäischen Internationalen Deliktsrecht maßgeblich ist, wird für die Ermittlung der anknüpfungserheblichen Tatsachen auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts abgestellt.401 Danach ist also der Zeitpunkt ausschlaggebend, in dem der Erfolg des außervertraglichen Schuldverhältnisses eingetreten ist. Demgegenüber ist die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im nichtdeliktsrechtlichen außervertraglichen europäischen IPR zeitlich anders ausgestaltet.402 Dort ist der „Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, das die ungerechtfertigte Bereicherung zur Folge hat“403 bzw. der „Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses“ 404 entscheidend, um den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zu bestimmen.405 Zunächst ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO, dass mit dem „schadensbegründenden Ereignis“ der Aspekt gemeint sein muss, der sämtliche Folgen der negotiorum gestio bzw. culpa in contrahendo auslöst. Es handelt sich dabei also um dasjenige Verhalten, welches das betreffende außervertragliche Schuldverhältnis zur Folge hat.406 Auf dieses Verhalten kommt es auch nach der Formulierung des Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO an. Es wäre also systematisch konsequenter, wenn Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO auch den Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses für maßgeblich erklären würde. Aus den beiden vorherigen Absätzen ergibt sich: Das europäische Internationale Deliktsrecht stellt zur Bestimmung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts auf den Zeitpunkt des Erfolgseintritts ab, das sonstige unionsrechtliche außervertragliche IPR hingegen auf den Zeitpunkt des Eintritts des haftungsbegründenden Verhaltens.407 Woher rührt diese Divergenz? Sie kann mit der größeren Nähe des nichtdeliktsrechtlichen außervertraglichen Schuldrechts zum Vertragsrecht erklärt werden. Bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag handelt es sich um quasivertragliche Schuldverhältnisse, bei denen stets die Frage beantwortet werden muss, ob eine Vermögensverschiebung recht__________ VO; Art. 9 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO. 401 Vgl.: Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 5 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 9 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Rom IIVO. 402 Dazu näher Légier, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 145 (178). 403 Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO. 404 Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO. 405 Vgl. auch Légier, a.a.O. (Fn. 402) in Fn. 89. 406 Vgl. auch Kap. 2 § 1 IV 1) a) (S. 131 ff.). 407 S. Kap. 4 § 3 I 2) b) (S. 286).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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lich gerechtfertigt ist.408 Nur wenn diese Frage verneint wird, gelangen Ansprüche zur Entstehung.409 Anders ausgedrückt: Das Nichtbestehen einer die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Rechtsbeziehung ist immer eine konstitutive Anspruchsvoraussetzung. Das heißt, mit der Existenz eines die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Vertrages stehen und fallen Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag.410 Deliktsrechtliche Ansprüche sind hingegen von vertraglichen Verpflichtungen im Grundsatz unabhängig.411 Also sind bereicherungsrechtliche Schuldverhältnisse und solche aus Geschäftsführung ohne Auftrag anders als deliktsrechtliche Ansprüche stets aufs engste mit dem Vertragsrecht verknüpft. Letzteres wirkt sich auf die culpa in contrahendo sogar schon auf kollisionsrechtlicher Ebene aus. Denn die Frage nach dem Bestehen eines Vertrages hat Eingang in die res conectenda des Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO gefunden. Er spricht von „außervertraglichen Schuldverhältnissen aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags“412. Folglich kann der Anknüpfungsgegenstand nur solche Rechtsfragen umfassen, die von Ansprüchen aufgeworfen werden, die zeitlich vor dem (hypothetischen) Vertragsschluss entstehen. Damit wirkt sich die Frage des (hypothetischen) Vertragsschlusses stets auf die Subsumtion unter den Anknüpfungsgegenstand des Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO aus und spielt daher für die Anknüpfung von Ansprüchen aus culpa in contrahendo eine wichtige Rolle. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das Recht der nichtdeliktsrechtlichen außervertraglichen Schuldverhältnisse und das Vertragsrecht regelmäßig ineinander greifen. Das Deliktsrecht kann zwar auch eng mit dem Vertragsrecht verbunden sein, muss es aber nicht. Diese größere Nähe des Rechts der nichtdeliktsrechtlichen außervertraglichen Schuldverhältnisse zum Vertragsrecht rechtfertigt wiederum Parallelläufe zwischen dem IPR beider Rechtsgebiete. Ein solcher Parallellauf wird dadurch erreicht, dass die Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO zeitlich auf den Eintritt des haftungsbegründenden Verhaltens abstellen. Denn auch im Internationalen Vertragsrecht ist dieser Zeitpunkt maßgeblich. Wo die Kollisionsnormen der Rom I-VO eine zeitliche Fixie__________ 408 409 410

Vgl. Légier, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 145 (152 f.). Vgl. Légier, ebda. Die Wechselwirkungen zwischen dem Vertragsrecht und Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung bzw. Geschäftsführung ohne Auftrag sollen jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 2) b) nur als Beispiel dienen. Zum Verhältnis von Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO zu Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO soll keine Aussage getroffen werden; dazu näher Sendmeyer, IPRax 2010, 500–503. 411 Vgl. Tunc, in: ders. (Hrsg.), IECL XI/1, Rdnr. 1-9. 412 Formatierung durch den Verfasser.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

rung vornehmen, stellen sie auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab.413 Dabei handelt sich nicht um den Zeitpunkt des Erfolgseintritts (Abschluss eines wirksamen Vertrags), sondern um den des Verhaltens, das den ersten Schritt zur Entstehung des vertraglichen Schuldverhältnisses darstellt (Verhalten, das zum Konsens führt).414 Die Nähe nichtdeliktsrechtlicher außervertraglicher Schuldverhältnisse zum Vertragsrecht rechtfertigt bei der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt allerdings nicht nur, dass die anknüpfungserheblichen Zeitpunkte der Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 und 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO von denen des europäischen Deliktskollisionsrechts abweichen. Sie ist zugleich die Begründung dafür, dass die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Art. 10, 11 und 12 Abs. 2 Rom II-VO gegenüber der akzessorischen Anknüpfung (anders als im deliktsrechtlichen EU-IPR) subsidiär ist. Außerdem besteht noch ein weiterer Unterschied zwischen dem europäischen Deliktskollisionsrecht und dem unionsrechtlichen IPR der sonstigen außervertraglichen Schuldverhältnisse. Die Anwendung des Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO ist nämlich komplizierter als die der Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO und 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO. Während Letztere (innerhalb ihres Anwendungsbereiches) für die Anknüpfung sämtlicher außervertraglicher Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag und Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags vorgesehen sind,415 muss im europäischen Internationalen Deliktsrecht differenziert werden. Zunächst kann an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft werden, wenn Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO mangels Spezialregelung eingreift. Im Anwendungsbereich der Sonderkollisionsnormen ist der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt jedenfalls als Anknüpfungspunkt maßgeblich, wenn ausdrücklich auf Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO verwiesen416 wird.417 Fehlt eine solche Anordnung, muss die Frage beantwortet werden, ob die Anknüpfung des Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO auch in diesem Fall herangezogen werden darf. Dies wird im Schrifttum über-

__________ 413 414

Vgl. dazu Kap. 4 § 3 I 1) a) bis d) (S. 271 ff.). Das folgt aus einer systematischen Auslegung zu Art. 28 Rom I-VO, in dem der „Vertragsschluss“ so definiert wird; dazu näher Kap. 2 § 1 IV 1) a) (S. 131 ff.). 415 Vgl. dazu auch Légier, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 145 (178). 416 So bei: Art. 5 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 9 Rom IIVO. 417 Vgl. etwa: Basedow/Hopt/Zimmermann/v. Hein, Handwörterbuch I, S. 146; ders., ZEuP 2009, 6 (18); ders., RabelsZ 73 (2009), 461 (497); MünchKomm/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rdnr. 17, 39 und 78–83; Symeonides, 56 AJCL (2008), 173 (193).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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wiegend verneint.418 Ob diese Haltung gerechtfertigt ist, wird künftig von der Rechtswissenschaft und -praxis zu untersuchen sein. Das im vorstehenden Absatz aufgeworfene Problem kann auch im europäischen IPR der ungerechtfertigten Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag relevant werden. Wenn Art. 10 Abs. 1 bzw. Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO zu einer speziellen Deliktskollisionsnorm führt, die nicht auf Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO verweist, tritt ebenfalls die Frage auf, ob an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft werden darf. Wie dem auch sei, abschließend soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt ein Ausfluss des Prinzips der engsten Verbindung in der Rom II-VO ist. Außerdem stellt sie wegen ihrer häufigen419 Verwendung einen zentralen Anknüpfungspunkt im unionsrechtlichen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse dar. c) Ausweichklausel Nicht nur die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gehört zu den wichtigsten Grundpfeilern im europäischen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse, sondern auch die Anknüpfung an: – eine „offensichtlich engere Verbindung“ 420 zu einer anderen als der objektiv maßgeblichen Rechtsordnung.

Diese „Ausweichklausel“421 findet man zunächst in Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO und damit in der deliktsrechtlichen Generalklausel.422 Im Rahmen der speziellen Deliktskollisionsnormen kann bei einer offensichtlich engeren Verbindung von der regulären Anknüpfung jedenfalls dann abgewichen werden, wenn dies ausdrücklich423 oder durch Verweis424 bestimmt __________ 418 Vgl. statt vieler MünchKomm/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rdnr. 17, 39 und 78–83. Erste eingehendere Begündungen etwa bei v. Hein, RabelsZ 73 (2009), 461 (498). 419 Der „gewöhnliche Aufenthalt der Parteien in demselben Staat“ wird als factum conectens verwandt in: Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 5 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 9 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO. 420 Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO; Art. 5 Abs. 2 S. 1 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO; Art. 10 Abs. 4 Rom II-VO; Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO; Art. 12 Abs. 2 lit. c) Rom II-VO. 421 Der Begriff „Ausweichklausel“ wird von der Rom II-VO selbst verwandt; vgl. Erwägungsgrund 18 S. 3 Rom II-VO. 422 Ausführlich zur Ausweichklausel im europäischen Internationalen Deliktsrecht v. Hein, in: FS Kropholler, S. 553–571. 423 So bei Art. 5 Abs. 2 S. 1 Rom II-VO. 424 So bei Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO.

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

ist.425 Ob die Anknüpfungsregel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO auch im Anwendungsbereich der restlichen deliktsrechtlichen Sonderkollisionsnormen herangezogen werden darf,426 ist eine grundlegende Frage des europäischen Internationalen Deliktsrechts. Sie ist auch für das europäische IPR der nichtdeliktsrechtlichen außervertraglichen Schuldverhältnisse von Bedeutung, nämlich immer dann, wenn die primäre akzessorische Anknüpfung427 zu einer deliktsrechtlichen Sonderkollisionsnorm führt, die weder ausdrücklich noch durch Verweis eine Ausweichklausel vorsieht. Dann ist ebenfalls fraglich, ob auf Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO zurückgegriffen werden kann. Den in den voranstehenden zwei Absätzen aufgeworfenen Fragen soll hier nicht weiter nachgegangen werden. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass die Ausweichklausel ein Ausfluss des Grundsatzes der engsten Verbindung ist und es ermöglicht, von der regulären Anknüpfung abzuweichen.428 Da die Rom II-VO fast alle ihre Anknüpfungsregeln mit einer Ausweichklausel ausstattet,429 gehört diese Regel zu den tragenden Anknüpfungsprinzipien der Verordnung. d) Akzessorische Anknüpfung Ein weiterer wichtiger Grundsatz der Rom II-VO ist die akzessorische Anknüpfung.430 Sie ist in folgenden Kollisionsnormelementen zu finden: – in dem „bereits bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien wie einem Vertrag, das mit der betreffenden unerlaubten Handlung in enger Verbindung steht“, 431 – in dem Verweis auf „Artikel 4“, 432 – in dem „nach Artikel 4 Absatz 1 geltenden Recht“, 433 – in dem „zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis wie einem Vertrag oder einer unerlaubten Handlung, das eine enge Verbindung mit dieser ungerechtfertigten Bereicherung aufweist“,434

__________ 425 426

Statt aller v. Hein, ZEuP 2009, 6 (19). Ablehnend etwa: Fallon, in: Basedow/Baum/Nishitani (Hrsg.), Japanese, S. 261 (280); Basedow/Hopt/Zimmermann/v. Hein, Handwörterbuch I, S. 146; ders., ebda.; ders., RabelsZ 73 (2009), 461 (498 f.); MünchKomm/Junker, Art. 4 Rom II-VO Rdnr. 17, 48 und 78–83. Erste eingehendere Begündungen etwa bei v. Hein, RabelsZ ebda. 427 Vgl.: Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO. 428 Statt vieler Lein, YbPIL Vol. 10 (2008), 177 (186). 429 Vgl. Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (42). 430 Vgl. Leible, ebda. (44). 431 Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO; Art. 5 Abs. 2 S. 2 Rom II-VO; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO. 432 Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO. 433 Art. 7, 1. HS Rom II-VO. 434 Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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– in dem „zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis wie einem Vertrag oder einer unerlaubten Handlung, das eine enge Verbindung mit dieser Geschäftsführung ohne Auftrag aufweist“,435 – in dem „Recht, das auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre, unabhängig davon, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht“,436 – in dem Verweis auf „Artikel 8“, 437 – in dem „auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Recht“, 438 – in dem „auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht“, 439 – in dem „für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebenden Recht“,440 – in dem „Recht, das auf die Verpflichtung dieses Schuldners [des Schuldners, der den Gläubiger vollständig oder teilweise befriedigt hat] gegenüber dem Gläubiger aus dem außervertraglichen Schuldverhältnis anzuwenden ist“, 441 und – in dem „für das betreffende außervertragliche Schuldverhältnis maßgebenden Recht“. 442

Alle aufgezählten Kollisionsnormelemente haben eine Gemeinsamkeit: Sie verweisen ausdrücklich oder stillschweigend auf eine andere Anknüpfungsregel, deren factum conectens erst zum maßgeblichen Recht führt. Also sind die akzessorischen Anknüpfungen selbst keine facta conectentia, sondern nur „Platzhalter“ für den letztlich anwendbaren Anknüpfungspunkt. Als Beispiel bietet sich der Verweis des Art. 13 Rom II-VO auf Art. 8 Rom II-VO an. Bei nichtdeliktsrechtlichen „außervertraglichen Schuldverhältnissen aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums“ ist nicht etwa der Verweis in Art. 13 Rom II-VO das ausschlaggebende factum conectens, sondern der Ort, für den der Schutz beansprucht wird (Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO) oder der Ort, in dem die Verletzung begangen worden ist (Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO). Art. 13 Rom II-VO ist aber nicht nur als Beispiel für die Platzhalterfunktion der akzessorischen Anknüpfung interessant, sondern auch und gerade, weil er die einzige Vorschrift im dritten Kapitel der Rom II-VO ist, die ausdrücklich auf eine bestimmte deliktsrechtliche Sonderregelung verweist. Der innere Grund für diesen Verweis besteht darin, dass alle Ansprüche aus der Verletzung des geistigen Eigentums einem einheitlichen Statut unterliegen sollen.443 __________ 435 436 437 438 439 440 441 442 443

Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO. Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO. Art. 13 Rom II-VO. Art. 18, 1. Var. Rom II-VO. Art. 18, 2. Var. Rom II-VO. Art. 19 Rom II-VO. Art. 20 Rom II-VO. Art. 21, 1. Var. Rom II-VO. Vgl. statt aller Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (285).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

Art. 13 Rom II-VO ist zwar die einzige nichtdeliktsrechtliche Kollisionsnorm der Rom II-VO, die ausdrücklich auf eine bestimmte deliktsrechtliche Sonderregel verweist. Er ist aber nicht die einzige Regelung, die durch einen Verweis auf einen anderen Artikel akzessorisch anknüpft. Diese Technik findet sich nämlich auch bei Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO. Allerdings geht sie auf einen anderen Gedanken zurück. Art. 4 Rom II-VO ist nämlich in den Fällen des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO nur deshalb anwendbar, weil in dieser Situation eine Interessenlage vorliegt, die derjenigen entspricht, die von der deliktsrechtlichen Generalklausel normiert wird.444 Damit ist das Eingreifen der Spezialregelung nicht mehr gerechtfertigt, so dass Art. 4 Rom II-VO maßgeblich ist.445 Solche Rückausnahmen zu einer Spezialregelung sind aber nicht das alleinige gesetzgeberische Motiv für akzessorische Anknüpfungen in der Rom II-VO. Ihr Hauptgrund446 liegt vielmehr darin, möglichen Verflechtungen der betroffenen Sachrechtsinstitute und den damit verbundenen Wechselwirkungen gerecht zu werden.447 Prominentestes Beispiel hierfür ist das Ineinandergreifen von Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung und dem Vertragsrecht: Bereicherungsansprüche entfallen, wenn ein Vertrag zwischen den Parteien besteht, der die Vermögensverschiebung rechtfertigt.448 Um solchen sachrechtlichen Verwebungen Rechnung zu tragen, kann das europäische IPR eine akzessorische Anknüpfung vorsehen.449 Außerdem kann eine akzessorische Anknüpfung in der Rom II-VO von Begünstigungs- und Schutzgedanken getragen sein.450 Nach Art. 20 Rom II-VO ist beispielsweise für den Ausgleichsanspruch des (teilweise) leistenden Schuldners das Recht maßgeblich, das auf seine außervertragliche __________ 444 445 446

Vgl. Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (56) m.w.Nachw. (Fn. 198). Vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (86). So bei: Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO; Art. 5 Abs. 2 S. 2 Rom II-VO; Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO; Art. 21, 1. Var. Rom II-VO. 447 Ausführlich zu diesen und weiteren Gründen für die akzessorische Anknüpfung in Art. 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO Légier, in: Corneloup/Joubert (Hrsg.), Rome II, S. 145 (150–157). 448 Näher zu den Verflechtungen zwischen dem Vertragsrecht und dem Recht der nichtdeliktsrechtlichen außervertraglichen Schuldverhältnisse s. Kap. 4 § 3 I 2) b) (S. 286 f.). 449 Die Wechselwirkungen zwischen Vertrags- und Bereicherungsrecht sollen an dieser Stelle nur als Beispiel dienen. Zum Verhältnis von Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO zu Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO soll keine Aussage getroffen werden; dazu ausführlich Sendmeyer, IPRax 2010, 500–503. 450 So etwa bei: Art. 7, 1. HS. Rom II-VO; Art. 18, 1. Var. Rom II-VO; Art. 18, 2. Var. Rom II-VO; Art. 19 Rom II-VO; Art. 20 Rom II-VO.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger anzuwenden ist.451 Durch die Maßgeblichkeit seines eigenen Schuldstatuts erfährt der (teilweise) leistende Schuldner eine Besserstellung.452 Aus dem oben Gesagten ergeben sich drei Grundgedanken, auf denen die akzessorische Anknüpfung im europäischen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse beruhen kann: (1) Rücksichtnahme auf die Verknüpfung der betroffenen Sachrechtsinstitute, (2) Rückausnahme zu Spezialnormen wegen entfallener besonderer Interessenlage und (3) Begünstigungs- bzw. Schutzgedanken.453 Die akzessorischen Anknüpfungen der Rom II-VO können sich aber nicht nur in ihrem inneren Grund unterscheiden, sondern auch in ihrer konkreten Ausgestaltung. Der erste grundlegende Unterschied folgt aus der Platzhalterfunktion der akzessorischen Anknüpfung.454 So hängt ihre zeitliche Fixierung davon ab, für welchen Anknüpfungspunkt sie im Einzelfall steht. Als Beispiel bietet sich Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO an. Knüpft er akzessorisch an das factum conectens des Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO an, ist der Zeitpunkt des Schadenseintritts für die Bestimmung der anknüpfungserheblichen Tatsachen maßgeblich.455 Demgegenüber kommt es auf den Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses an, wenn Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO akzessorisch an das factum conectens des Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO anknüpft.456 Der zweite Punkt, in dem die akzessorischen Anknüpfungen der Rom II-VO voneinander abweichen, ist augenscheinlicher: Sie sind die erste Sprosse der Anknüpfungsleiter bei Art. 10 bis 12 Rom II-VO, aber die letzte bei Art. 4 und 5 Rom II-VO.457 Diese Divergenz lässt sich mit der größeren Nähe nichtdeliktsrechtlicher außervertraglicher Ansprüche zu anderen, insbesondere vertraglichen Sachrechtsinstituten erklären.458 Art. 10 bis 12 Rom II-VO berücksichtigen diesen Umstand, indem sie die akzessorische Anknüpfung als oberste Regel vorsehen. Darüber hinaus treten drei weitere Unterschiede zu Tage, wenn man die akzessorischen Anknüpfungen der Art. 4 Abs. 3 S. 2, 5 Abs. 2 S. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 und 12 Abs. 1 Rom II-VO miteinander vergleicht. Ers__________ 451 452 453

Vgl. statt aller Ofner, ZfRV 2008, 13 (23). Vgl. Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (734) m.w.Nachw. (Fn. 145). Zu weiteren Gründen für die akzessorische Anknüpfung im Internationalen Bereicherungsrecht Behrens, Mehrpersonenverhältnisse, S. 68–71. 454 Zu dieser Funktion vgl. Kap. 4 § 3 I 2) d) (S. 291). 455 Näher zum relevanten Zeitpunkt bei Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO Kap. 4 § 3 I 2) b) (S. 286). 456 Näher zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO ebda. 457 Ähnl.: Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (39); Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (44). 458 Dazu näher Kap. 4 § 3 I 2) b) (S. 286 f.).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

tens nennen Art. 4 Abs. 3 S. 2, 5 Abs. 2 S. 2, 12 Abs. 1 Rom II-VO nur einen Vertrag als ein maßgebliches Rechtsverhältnis, während Art. 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 Rom II-VO überdies eine unerlaubte Handlung anführen. Zweitens muss das Rechtsverhältnis im Falle der Art. 4 Abs. 3 S. 2, 5 Abs. 2 S. 2 Rom II-VO „bereits“ bestehen, wohingegen das bloße Bestehen bei Art. 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 Rom II-VO genügt. Bei Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO kann sogar ein Vertrag ausschlaggebend sein, wenn er tatsächlich nicht geschlossen worden ist. Drittens und letztens verlangen die Art. 4 Abs. 3 S. 2, 5 Abs. 2 S. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 Rom II-VO, dass das Rechtsverhältnis in einer „engen Verbindung“ zum anzuknüpfenden außervertraglichen Schuldverhältnis steht. Demgegenüber fehlt eine vergleichbare Wendung in Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO. Diesen drei Divergenzen soll hier nicht weiter nachgegangen werden. An dieser Stelle ist das Augenmerk vielmehr auf die akzessorischen Anknüpfungen in Art. 18 bis 20 Rom II-VO zu richten. Alle drei Artikel heben sich dadurch von den anderen Kollisionsnormen der Rom II-VO ab, dass sie die einzigen Verweisungsvorschriften enthalten, die ausdrücklich Mehrpersonenverhältnisse regeln. Wo solche expliziten Regelungen wie etwa im bereicherungsrechtlichen Bereich459 fehlen, können die in den Art. 18 bis 20 Rom II-VO getroffenen Wertungen eine Hilfestellung für die kollisionsrechtliche Anknüpfung bieten. Eine erste Wertung findet sich in allen drei Artikeln. In Art. 19 und 20 Rom II-VO wird für bestimmte Ansprüche einer Person die Rechtsordnung berufen, die auch ihr Rechtsverhältnis zum Gläubiger beherrscht.460 Etwas Ähnliches lässt sich hinsichtlich der Pflichten einer Person sagen. Denn nach Art. 18, 2. Var. Rom II-VO unterliegt der Direktanspruch gegen den Versicherer dem Versicherungsvertragsstatut.461 Folglich lautet das erste Prinzip, auf das Art. 18 bis 20 Rom II-VO für das europäische IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse schließen lassen: Bei der Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen setzt sich die sachrechtliche Relativität der Schuldverhältnisse grundsätzlich auf kollisionsrechtlicher Ebene fort. __________ 459 Art. 10 Rom II-VO regelt Mehrpersonenverhältnisse nicht ausdrücklich. Soweit es um Bereicherungsansprüche wegen nichtiger Verträge geht, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Art. 10 Rom II-VO und 12 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO. Hierzu soll an dieser Stelle keine Aussage getroffen werden; dazu näher Sendmeyer, IPRax 2010, 500–503. 460 Zu beiden Anknüpfungsregeln vgl. statt aller PWW/Müller, Rom II Art. 19 Rdnr. 2 und Art. 20 Rdnr. 2. 461 In Art. 18 Rom II-VO ist alternativ zur Anwendbarkeit des Versicherungsvertragsstatuts auch die Maßgeblichkeit des Statuts des betreffenden außervertraglichen Schuldverhältnisses vorgesehen. Dies dient dem Opferschutz und belastet den Versicherer nicht unangemessen; zum Ganzen vgl. statt aller Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (70 f.).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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Dieser Grundsatz wird aber durch eine zweite Wertung beschränkt, die sich aus Art. 19 Rom II-VO ableiten lässt. Seine Anknüpfung schützt den Dritten vor dem Verlust seiner Rückgriffsrechte.462 Daraus lässt sich folgender Grundgedanke ableiten: Bei der Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen darf es nicht zum Verlust von Rechten des Schuldners kommen, die ihm die Rechtsordnung gewährt, der sein Schuldverhältnis zum Gläubiger unterliegt. Diesem Gedanken gleicht das dritte und letzte Prinzip, das man für die Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen aufstellen kann. Es zielt auch auf die Verhinderung eines Rechtsverlusts, ist aber spezifischer. Art. 19 Rom II-VO bestimmt, dass das „für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht“ das Legalzessionsstatut ist.463 Das bedeutet, die für das Schuldverhältnis des Dritten maßgebliche Rechtsordnung bestimmt seine Rückgriffsrechte. Auch Art. 20 Rom II-VO stellt für die Anknüpfung der Regressrechte auf das Rechtsverhältnis des (zahlenden) Schuldners zum Gläubiger ab.464 Folglich lässt sich aus den Art. 19 und 20 Rom II-VO folgender Grundsatz extrahieren: In Mehrpersonenverhältnissen sollte für die Rückgriffsrechte einer Person stets diejenige Rechtsordnung berufen werden, die auch das Schuldverhältnis des Rückgriffsberechtigten zum Gläubiger beherrscht. Alle in den drei vorherigen Absätzen entwickelten Wertungen sollten bei der Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen möglichst verwirklicht werden, und zwar über die jeweils einschlägigen Anknüpfungsregeln, notfalls über die Ausweichklausel(n). Soweit die jeweils in Betracht kommende Rechtsnorm nicht direkt anwendbar ist, sollte man über ihre analoge Anwendung nachdenken. Ein letzter Notanker bleibt damit die analoge Anwendung der jeweils maßgeblichen Ausweichklausel. Die Anwendung der deliktsrechtlichen Ausweichklausel ist im Vergleich zum nichtdeliktsrechtlichen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse komplizierter. Insoweit kann auf die obigen465 Ausführungen verwiesen werden. 3) Verordnungsübergreifender Vergleich Nachdem die objektiven facta conectentia der ersten beiden Rom-Verordnungen isoliert voneinander erörtert worden sind,466 soll nunmehr ein verordnungsübergreifender Vergleich stattfinden. __________ 462 Zum Normzweck des Art. 19 Rom II-VO vgl. statt aller MünchKomm/Junker, Art. 19 Rom II-VO Rdnr. 1 f. 463 Vgl. statt aller Ofner, ZfRV 2008, 13 (23). 464 Vgl. statt aller Garcimartín Alférez, EuLF 2007, 77 (91). 465 S. Kap. 4 § 3 I 2) c) (S. 289 f.). 466 Vgl. Kap. 4 § 3 I 1) bis 2) e) (S. 270 ff., 282 ff.).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

a) Ortsbezogene Anknüpfungspunkte (ohne den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt) Zunächst haben die ersten beiden Rom-Verordnungen gemeinsam, dass ihre ortsbezogenen Anknüpfungspunkte einen Ort heranziehen, der mit einem Element des Schuldverhältnisses verknüpft ist.467 Um welches Element es sich dabei handelt, hängt wiederum von der Interessenabwägung ab, wie sie der betreffenden norma conflictionis legum zugrunde liegt. Die Kollisionsnormen der Rom I-VO bedienen sich beispielsweise überwiegend des gewöhnlichen Aufenthalts einer Vertragspartei als factum conectens. Meistens handelt es sich dabei um den Erbringer der charakteristischen Leistung.468 In der Rom II-VO dominiert hingegen ein anderer ortsbezogener Anknüpfungspunkt, namentlich der Ort, in dem der haftungsbegründende Erfolg eintritt.469 Die Rom I- und Rom II-VO gleichen sich aber nicht nur darin, dass ihre ortsbezogenen facta conectentia auf einen Ort abstellen, der mit einem bestimmten Element des Schuldverhältnisses verbunden ist. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass ihre Anknüpfungen – von wenigen Ausnahmen470 abgesehen – unwandelbar sind. Dies folgt entweder aus einer ausdrücklichen Anordnung oder aus der Eigenschaft der betreffenden Anknüpfungspunkte als punktuelle Ereignisse. b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt Auch die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien ist zeitlich fixiert.471 Das ergibt sich für die Rom I-VO aus deren Art. 19 Abs. 3. Danach ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich. Das ist nicht der Zeitpunkt des Erfolgseintritts (Abschluss eines wirksamen Vertrags), sondern der des Verhaltens, das den __________ 467 Zu den ortsbezogenen facta conectentia in der Rom I-VO jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) a) vgl. Kap. 4 § 3 I 1) a) bis c) (S. 271 ff.). Zu den ortsbezogenen Anknüpfungspunkten in der Rom II-VO nun und in den folgenden Erörterungen unter Kap. 4 § 3 I 3) a) vgl. Kap. 4 § 3 I 2) a) und b) (S. 282 ff.). 468 Im Ergebnis ebenso Leible, Rom I und Rom II, S. 19. 469 So im Ergebnis auch Leible, ebda. 470 Für die Rom I-VO vgl. deren Art. 4 Abs. 1 lit. c), Art. 8 Abs. 2 S. 1, Art. 8 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 5. Für die Rom II-VO vgl. deren Art. 5 Abs. 1 S. 2. 471 Zur Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in der Rom I-VO jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) b) vgl. Kap. 4 § 3 I 1) b) (S. 272 f.). Zur Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in der Rom II-VO nun und in den folgenden Erörterungen unter Kap. 4 § 3 I 3) b) vgl. Kap. 4 § 3 I 2) b) (S. 285 ff.).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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ersten Schritt zur Entstehung des vertraglichen Schuldverhältnisses darstellt (Verhalten, das zur Konsens führt). In Art. 23 Rom II-VO fehlt eine Parallelregelung zu Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO. Insoweit liegt jedoch keine lacuna vor,472 da die Rom II-VO in ihren jeweils anwendbaren normae conflictionis legum eine Aussage über die zeitliche Fixierung der Anknüpfung trifft. Dabei wird nach der Nähebeziehung eines außervertraglichen Schuldverhältnisses zum Vertragsrecht differenziert. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag und culpa in contrahendo sind regelmäßig eng mit dem Vertragsrecht verwoben. Deswegen ist bei Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 und 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO der Zeitpunkt des haftungsbegründenden Verhaltens maßgeblich, um den gewöhnlichen Aufenthalt zu bestimmen. So wird eine Parallele zur zeitlichen Fixierung des Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO erreicht, die ebenfalls verhaltensbezogen ist. Demgegenüber kommt es im europäischen Internationalen Deliktsrecht für die Ermittlung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts und damit auf einen erfolgsbezogenen Zeitpunkt an. Diese Abweichung von Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 und 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO lässt sich damit begründen, dass deliktsrechtliche Ansprüche dem Vertragsrecht regelmäßig nicht so nahe stehen wie die sonstigen außervertraglichen Schuldverhältnisse. Das Deliktsrecht ist insoweit „selbstständiger“. Diese „Selbstständigkeit“ führt auch dazu, dass die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Internationalen Deliktsrecht die primäre Anknüpfungsregel verdrängt, während sie bei Art. 10 bis 12 Rom II-VO nur subsidiär gilt. Obwohl der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt als factum conectens in der Anknüpfungshierarchie an unterschiedlichen Stellen steht, verwenden ihn doch die meisten Kollisionsnormen der Rom II-VO. Daher stellt er dort ein grundlegendes Anknüpfungsprinzip dar. Das kann nicht für das europäische Internationale Vertragsrecht behauptet werden, weil nur drei Verweisungsvorschriften der Rom I-VO an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt anknüpfen. Das ist auf den ersten Blick ungewöhnlich. Schließlich entspricht dieses factum conectens den berechtigten Erwartungen aller Parteien. Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, warum die Rom I-VO auf die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt verzichten kann. In den Fällen, in denen beide Vertragsparteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, kommt dessen Recht ohnehin regelmäßig zur Anwendung, weil es sich dabei nämlich in der Regel um das Aufenthaltsrecht des Erbringers der charakteristischen Leistung oder der typischerweise schwächeren Partei handeln wird. __________ 472 Zum Begriff und zur Feststellung von lacunae vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) bis bb) (S. 83 ff.).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

c) Akzessorische Anknüpfung Anders als die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt spielt die akzessorische Anknüpfung sowohl in der Rom I- als auch in der Rom II-VO eine wichtige Rolle.473 Sie kann auf drei Grundgedanken beruhen: (1) Rücksichtnahme auf die Verknüpfung der betroffenen Sachrechtsinstitute, (2) Rückausnahme zu Spezialregelungen wegen entfallener besonderer Interessenlage und (3) Verwirklichung von Begünstigungs- und Schutzgedanken. Darüber hinaus ist terminologisch zu beachten, dass die akzessorischen Anknüpfungen selbst keine facta conectentia sind. Letztere sind per definitionem bloße Tatsachen.474 Demgegenüber sind die akzessorischen Anknüpfungen nur „Platzhalter“ für die Anknüpfungspunkte derjenigen Kollisionsnormen, an die akzessorisch angeknüpft wird. Diese Platzhalterfunktion führt zudem dazu, dass die akzessorische Anknüpfung in ihrer zeitlichen Fixierung dem Anknüpfungspunkt entspricht, den sie letztlich zur Anwendung bringt. Das kann wiederum dazu führen, dass sich akzessorische Anknüpfungen in dem Zeitpunkt unterscheiden, der zur Ermittlung der anknüpfungserheblichen Tatsachen maßgeblich ist. Allerdings können akzessorische Anknüpfungen nicht nur in ihrer zeitlichen Fixierung voneinander abweichen. Vielfach unterscheiden sie sich auch darin, ob sie von zusätzlichen Anknüpfungsvoraussetzungen abhängig sind oder nicht. In diesem Zusammenhang spielt wiederum die unterschiedliche Nähe außervertraglicher Schuldverhältnisse zum Vertragsrecht eine besondere Rolle. Diese Nähe führt dazu, dass die akzessorische Anknüpfung bei Art. 10 bis 12 Rom II-VO die oberste Regel ist, aber im europäischen Internationalen Deliktsrecht nur zu den letzten Sprossen der Anknüpfungsleiter zählt. Unter den akzessorischen Anknüpfungen stechen besonders Art. 15 f. Rom I-VO und Art. 19 f. Rom II-VO ins Auge, denn sie sind – von einer Ausnahme475 abgesehen – fast völlig identisch formuliert. Daher können sie als grundlegende Regeln des europäischen Kollisionsrechts angesehen werden.

__________ 473 Zur akzessorischen Anknüpfung in der Rom I-VO jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) c) vgl. Kap. 4 § 3 I 1) d) (S. 276 ff.). Zur akzessorischen Anknüpfung in der Rom II-VO nun und in den folgenden Erörterungen unter Kap. 4 § 3 I 3) c) vgl. Kap. 4 § 3 I 2) d) (S. 290 ff.). 474 Vgl. Kap. 1 § 2 V 3) (S. 21 f.) und VI (S. 23). 475 Art. 16 S. 2 Rom I-VO.

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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d) Mehrpersonenverhältnisse Darüber hinaus gehören Art. 15 f. Rom I-VO, 19 f. Rom II-VO neben Art. 14 Rom I-VO, 18 Rom II-VO zu den einzigen Kollisionsnormen im unionsrechtlichen IPR, die die Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen ausdrücklich regeln.476 aa) Unterschiede Wenn man Art. 14 bis 16 Rom I-VO und Art. 18 bis 20 Rom II-VO miteinander vergleicht, stellt man drei wesentliche Unterschiede fest. Erstens fehlt in der Rom I-VO eine Parallelregelung zu Art. 18 Rom II-VO.477 Zweitens enthält die Rom II-VO kein Pendant zu Art. 14 Rom I-VO. Drittens fehlt in Art. 20 Rom II-VO eine Norm, die Art. 16 S. 2 Rom I-VO entspricht.478 An dieser Stelle soll nur dem zuletzt genannten Unterschied nachgegangen werden. Fraglich ist, ob das Fehlen einer Parallelnorm zu Art. 16 S. 2 Rom I-VO eine lacuna externa oder interna der Rom II-VO darstellt.479 Die Anknüpfung der mehrfachen Haftung unterliegt im außervertraglichen Bereich grundsätzlich der Rom II-VO. Ansonsten wäre ihr Art. 20 überflüssig. Somit ist die dort fehlende Anknüpfung der Verteidigungsmittel keine lacuna externa. Möglicherweise stellt sie aber eine lacuna interna dar. Als solche kann sie aber nur angesehen werden, wenn sie in der Rom II-VO unbewusst keiner Regelung zugeführt worden ist. In der Literatur hat man zwar auf die fehlende Anknüpfung der Verteidigungsmittel im Gesamtschuldnerausgleich hingewiesen und eine dem heutigen Art. 16 S. 2 Rom I-VO entsprechende Regelung für die Rom II-VO vorgeschlagen.480 Allerdings ist die Frage, wie das Statut der Verteidigungsmittel bei Schuldnermehrheiten bestimmt werden sollte, weder in den Kommissionsvorschlägen481 noch in den sonstigen Äußerungen482 während des Rechtsetzungsverfahrens aus__________ 476 Für die Rom I-VO vgl. Kap. 4 § 3 I 1) d) (S. 279 ff.); für die Rom II-VO vgl. Kap. 4 § 3 I 2) d) (S. 294 f.). 477 Vgl. MünchKomm/Junker, Art. 18 Rom II-VO Rdnr. 6. 478 Statt vieler PWW/Müller, Rom II Art. 20 Rdnr. 3. 479 Zum Begriff und zur Feststellung einer lacuna externa bzw. interna jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) d) aa) vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) und bb) (S. 83 ff.). 480 So etwa: Hamburg Group, RabelsZ 67 (2003), 1 (49 und 46); MPI, RabelsZ 71 (2007), 225 (331). 481 Vgl.: KOM(2003)427, S. 1–44; KOM(2006)83, S. 1–25. 482 In den Äußerungen der am Rechtsetzungsverfahren beteiligten EU-Organe finden sich ebenfalls keine Ausführungen zur Anknüpfung der Verteidigungsmittel der nicht

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

drücklich angesprochen worden. Daher ist die Unbewusstheit der Regelungslücke zu bejahen und eine lacuna interna der Rom II-VO anzunehmen.483 Diese interne Lücke könnte mittels der Wertung des Art. 16 S. 2 Rom I-VO zu schließen sein, indem man einen Analogieschluss zieht.484 Dazu muss aber nicht nur die bereits festgestellte lacuna interna vorliegen, sondern auch eine wertungsmäßige Äquivalenz zwischen dem geregelten und dem ungeregelten Gegenstand bestehen. Art. 16 S. 2 Rom I-VO ist gewissermaßen eine Antwort auf Art. 16 S. 1 Rom I-VO. Letzterer stellt den zuerst leistenden Schuldner dadurch besser, dass sein Schuldstatut den Gesamtschuldnerausgleich beherrscht.485 Das soll aber nicht dazu führen, dass sich die Rechtsposition des später in Regress genommenen Schuldners verschlechtert.486 Daher bewahrt ihn Art. 16 S. 2 Rom I-VO vor dem Verlust der Gegenrechte, die ihm nach seinem Schuldstatut gegenüber dem Gläubiger zustanden.487 Auch bei Art. 20 Rom II-VO wird der zuerst leistende Schuldner dadurch begünstigt, dass das für seine Rechtsbeziehung zum Gläubiger maßgebliche Recht für den Innenausgleich zwischen den Schuldnern gilt.488 Diese Regel kann sich wie bei Art. 16 S. 1 Rom I-VO negativ auf die Stellung des in Regress genommenen Schuldners auswirken. Das ist immer dann der Fall, wenn die Verteidigungsmittel, die ihm sein Schuldstatut gegenüber dem Gläubiger gewährt, in der nach Art. 20 Rom II-VO berufenen Rechtsordnung ungünstiger sind oder gar fehlen. Deswegen besteht bei Art. 20 Rom II-VO dasselbe Bedürfnis, den in Regress genommenen Schuldner vor einem Rechtsverlust zu schützen wie bei Art. 16 S. 1 Rom IVO. Demnach entsprechen sich die von Art. 16 S. 2 Rom I-VO normierte und die in Art. 20 Rom II-VO ungeregelte Interessenlage wertungsmäßig. __________ leistenden Schuldner. Die entsprechenden Dokumente sind abrufbar unter: http://ec.euro pa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=de&DosId=184392. 483 Im Ergebnis a. M. MünchKomm/Junker, Art. 20 Rom II-VO Rdnr. 15, der das Vorliegen einer Regelungslücke verneint. 484 So im Ergebnis auch: BaRo-III/Spickhoff, Art 20 Rom II-VO Rdnr. 5; Erman/ Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 20 Rom II-VO Rdnr. 4; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (79); Magnus, IPRax 2010, 27 (43) in Fn. 238; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 20 Rdnr. 1; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 20 Rom II-VO Rdnr. 14. Zur completio lacunae internae mittels einzelner unionsrechtlicher Wertungen jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) d) aa) vgl. Kap. 1 § 5 II 2) b) cc) (1) (a) (S. 98 f.). 485 PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 16 Rdnr. 5 m.w.Nachw. 486 Dazu Lagarde, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 13 (27). 487 Vgl. Rauscher, IPR, Rdnr. 1239. 488 Dazu Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (734) m.w.Nachw. (Fn. 145).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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Daher kann die vorliegende lacuna interna im Wege eines Analogieschlusses zu Art. 16 S. 2 Rom I-VO geschlossen werden.489 bb) Gemeinsamkeiten Neben den zuvor490 hervorgehobenen Unterschieden haben die ersten beiden Rom-Verordnungen auch Gemeinsamkeiten bei der Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen. Zum einen sind Art. 15, 16 S. 1 Rom I-VO und Art. 19 f. Rom II-VO fast völlig deckungsgleich formuliert.491 Zum anderen ergeben sich aus Art. 14 bis 16 Rom I-VO dieselben Wertungen für die Anknüpfung bei Mehrpersonenverhältnissen wie aus Art. 18 bis 20 Rom II-VO.492 Die erste Wertung lässt sich aus Art. 14 Abs. 1, 15, 16 S. 1 Rom I-VO sowie aus Art. 18, 2. Var., 19 und 20 Rom II-VO entnehmen. Danach setzt sich die sachrechtliche Relativität der Schuldverhältnisse bei der Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen grundsätzlich auf kollisionsrechtlicher Ebene fort. Dieser Grundsatz gilt aber nicht ohne Einschränkungen. Denn aus Art. 14 Abs. 2, 15, 16 S. 2 Rom I-VO, 19 Rom II-VO kann eine begrenzende Wertung abgeleitet werden. Danach darf die kollisionsrechtliche Anknüpfung bei Mehrpersonenverhältnissen nicht dazu führen, dass der Schuldner die Verteidigungsmittel verliert, die ihm sein eigenes Schuldstatut gewährt. Die dritte Wertung, die den ersten beiden Rom-Verordnungen entnommen werden kann, zielt ebenfalls darauf, einem Rechtsverlust vorzubeugen. Danach sollten die Regressrechte eines Schuldners in Mehrpersonenverhältnissen stets der Rechtsordnung unterliegen, die auch das Schuldverhältnis des Rückgriffsberechtigten zum Gläubiger beherrscht. Dieses Prinzip folgt aus Art. 15, 16 S. 1 Rom I-VO und Art. 19 f. Rom II-VO. Alle drei Wertungen sollten über die jeweils in Betracht kommende Regelanknüpfung, notfalls aber über die einschlägige Ausweichklausel __________ 489

Eine Analogie zu Art. 16 S. 2 Rom I-VO ebenfalls bejahend: BaRo-III/Spickhoff, Art 20 Rom II-VO Rdnr. 5; Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 20 Rom II-VO Rdnr. 4; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (79); Magnus, IPRax 2010, 27 (43) in Fn. 238; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 20 Rdnr. 1; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/ EuIPR, Art 20 Rom II-VO Rdnr. 14. A. M. MünchKomm/Junker, Art. 20 Rom II-VO Rdnr. 15. 490 S. Kap. 4 § 3 I 3) d) aa) (S. 299 ff.). 491 S. Kap. 4 § 3 I 3) c) am Ende (S. 298). 492 Für die Rom I-VO jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) d) bb) vgl. Kap. 4 § 3 I 1) d) (S. 279 ff.). Für die Rom II-VO nun und in den weiteren Abhandlung unter Kap. 4 § 3 I 3) d) bb) vgl. Kap. 4 § 3 I 2) d) (S. 294 f.).

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

umgesetzt werden. Sofern dies nicht in einer direkten Normanwendung möglich ist, sollte darüber nachgedacht werden, eine Analogie zu ziehen. e) Ausweichklausel Die Ausweichklausel ist im europäischen IPR aber nicht nur ein wichtiger Notanker bei der Anknüpfung in Mehrpersonenverhältnissen. Vielmehr kann sie immer dann zur Maßgeblichkeit eines „sachgerechteren“ Rechts führen, wenn ihre Anwendung nicht ausgeschlossen ist und eine (offensichtlich) engere Verbindung zu diesem Recht besteht.493 Sie wird in den Anknüpfungsregeln beider Verordnungen sehr oft verwandt.494 Daher kann sie als einer der tragenden Grundsätze im unionsrechtlichen Kollisionsrecht bezeichnet werden. Sie ist ein Ausfluss des Prinzips der engsten Verbindung und befähigt den Rechtsanwender, von der regulären Anknüpfung abzuweichen. f) Allgemeine Auffangklausel Neben den zahlreichen Ausweichklauseln sieht das EU-IPR auch eine allgemeine Auffangklausel vor, und zwar in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO.495 Sie ist insofern die stärkste Ausprägung des Prinzips der engsten Verbindung, als sie im Einzelfall das Sachrecht zur Anwendung bringt, zu dem die „engste“ Verbindung besteht. Da es keine (offensichtlich) engere als die engste Verbindung geben kann, ist es unmöglich, mittels einer Ausweichklausel von der allgemeinen Auffangklausel abzuweichen. Ob man umgekehrt mit der allgemeinen Auffangklausel vom Anknüpfungsergebnis einer Ausweichklausel abrücken kann, ist von der europäischen Rechtwissenschaft künftig genauer zu untersuchen. Dagegen sprechen der Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO, Erwägungsgrund 16 der Rom I-VO sowie die Ökonomie der Rechtsanwendung. Das Verhältnis zwischen der allgemeinen Auffangklausel und der jeweils maßgeblichen Ausweichklausel ist aber nicht die einzige Frage, die sich im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO stellt. Ein weiteres Problem besteht darin, ob Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auch im Rahmen der Rom II-VO (analog) anwendbar ist. Das setzt wiederum voraus, dass es __________ 493 Zur Ausweichklausel in der Rom I-VO jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) e) vgl. Kap. 4 § 3 I 1) e) (S. 281). Zur Ausweichklausel in der Rom II-VO nun und in den folgenden Erörterungen unter Kap. 4 § 3 I 3) e) vgl. Kap. 4 § 3 I 2) c) (S. 289 f.). 494 Ebenso Leible, Rom I und Rom II, S. 15. 495 Zur Auffangklausel jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) f) vgl. Kap. 4 § 3 I 1) f) (S. 281 f.).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

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sich dabei um eine lacuna externa oder interna der Rom II-VO handelt.496 Die ausführliche Beantwortung dieser Frage soll der künftigen europäischen Rechtswissenschaft und -praxis überlassen werden. An dieser Stelle sollen lediglich zwei Aspekte hervorgehoben werden, die gegen eine (analoge) Anwendung des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO im europäischen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse sprechen. Zum einen konnte sich während der Entstehungsgeschichte der Rom IIVO der Vorschlag nicht durchsetzen, eine deliktsrechtliche Generalklausel einzuführen, die zur Ermittlung des anwendbaren Rechts auf die engste Verbindung abstellen sollte.497 Das bedeutet, eine Vorschrift, die ähnlich konzipiert war wie Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO, konnte sich in der Rom II-VO nicht etablieren. Allein diese Tatsache lässt sich bereits gegen die Lückenhaftigkeit der Rom II-VO und damit gegen die (analoge) Anwendbarkeit des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO anführen. Zum anderen spricht ein grundsätzlicheres Argument gegen die (analoge) Anwendung des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO im europäischen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse. Es ergibt sich aus einer Divergenz zwischen den unterschiedlichen sachrechtlichen Systembereichen, die von der Rom I-VO einerseits und der Rom II-VO andererseits erfasst werden. Im Sachrecht der vertraglichen Schuldverhältnisse können die Parteien ihre Rechte und Pflichten – in dem ihnen von der Gesamtrechtsordnung gesetzten Rahmen – selbst bestimmen.498 Sie können also ganz neue Rechtsinstitute „erfinden“. Dies kann zu einer unbeschränkten Vielzahl privater Rechtsneuschöpfungen führen. Darauf muss das europäische Internationale Vertragsrecht reagieren können. Ist die charakteristische Leistung ermittelbar, übernimmt Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO diese Aufgabe.499 Ansonsten erfüllt sie Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO.500 Er bildet durch die Anknüpfung an die engste Verbindung ein Netz, das selbst die ausgefallensten Rechtsneuschöpfungen von Privatpersonen auffangen kann. Demgegenüber kann es im Sachrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse nicht zu unzählig vielen rechtlichen „Neuerfindungen“ Privater kommen. Denn dort ist die Schaffung neuer Rechtsinstitute nicht Privatpersonen überlassen. Vielmehr fällt sie in den Aufgabenbereich des nationalen oder europäischen Gesetzgebers. „Erfindet“ er neue Rechtsinstitute, wird er das __________ 496

Zum Begriff und zur Feststellung einer lacuna externa bzw. interna jetzt und in den weiteren Ausführungen unter Kap. 4 § 3 I 3) e) vgl. Kap. 1 § 5 II 2) a) aa) und bb) (S. 83 ff.). 497 Dazu Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (39 f.) m.w.Nachw. (Fn. 42–52). 498 Dazu statt aller v. Mehren, in: ders. (Hrsg.), IECL VII/1, Rdnr. 1-11–1-16. 499 Zum Verhältnis der Absätze 2 und 4 des Art. 4 Rom I-VO vgl. statt aller Magnus, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I, S. 27 (45 und 49). 500 Im Ergebnis ebenso Ancel, in: Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Rome I, S. 77 (93).

304

4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

bestehende unionsrechtliche IPR berücksichtigen bzw. ändern (müssen). Daher ist im europäischen Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse keine allgemeine Auffangklausel von Nöten.

II. Wechselwirkungen zwischen Rom I- und Rom II-VO Nicht nur im Hinblick auf die einzelnen Anknüpfungspunkte ist ein Vergleich von Rom I- und Rom II-VO aufschlussreich.501 Auch die Wechselwirkungen zwischen Anknüpfungsregeln der ersten beiden Rom-Verordnungen bringen neue Untersuchungsfelder mit sich. Ein neues Problem ist in der Literatur bereits explizit angesprochen worden, und zwar die Frage, ob sich Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO auf die akzessorische Anknüpfung an eine vorherige Rechtswahl im unionsrechtlichen Internationalen Vertragsrecht auswirkt.502 Diese Frage ist bereits an früherer Stelle beantwortet worden, so dass auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.503 Darüber hinaus kann im europäischen IPR noch ein weiteres Problem auftreten. Wenn eine akzessorische Anknüpfung zu einer Kollisionsnorm führt, die ebenfalls eine akzessorische Anknüpfung enthält, fragt sich, welche der beiden akzessorischen Anknüpfungen maßgeblich ist. Sicher ist, dass eine von ihnen ausschlaggebend sein muss. Sonst kann es zu der misslichen Lage kommen, dass die eine akzessorische Anknüpfung auf die andere verweist, und wieder zurück. Wie ein solches „Anknüpfungs-PingPong“ im unionsrechtlichen Kollisionsrecht vermieden werden kann, soll genauso der Rechtswissenschaft und -praxis überlassen werden wie weitere Problemstellungen, die sich aus den Wechselwirkungen zwischen den Anknüpfungspunkten der ersten beiden Rom-Verordnungen ergeben.

III. Fazit Die objektiven facta conectentia der ersten beiden Rom-Verordnungen haben gemeinsam, dass sie auf zwei Prinzipien beruhen, und zwar auf dem Grundsatz der engsten Verbindung und dem Schwächerenschutz. Das Prinzip der engsten Verbindung wirkt sich sowohl in der Rom I- als auch in der Rom II-VO dahin gehend aus, dass ihre ortsbezogenen An__________ 501 502

Dazu näher Kap. 4 § 3 I 3) a) bis f) (S. 295 ff.). Soweit ersichtlich, ist diese Fragestellung der Rom II-VO als Problem zwischen Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO und Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO erstmals angesprochen worden bei: Kadner Graziano, Rev. crit. dr. internat. privé 2008, 445 (464); Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (280). Eingehend behandelt wird sie bei: Kadner Graziano, ebda. (464–466); ders., RabelsZ 73 (2009), 1 (21–23). 503 Vgl. Kap. 4 § 2 III 1) bis 2) (S. 264 ff.).

§ 3 Objektive Anknüpfung im europäischen IPR

305

knüpfungspunkte stets die Rechtsordnung zur Anwendung bringen, zu der über ein bestimmtes Element des Schuldverhältnisses eine besonders enge Beziehung besteht. Außerdem sind die facta conectentia der ersten beiden Rom-Verordnungen grundsätzlich zeitlich fixiert. Auch die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt fußt auf dem Grundsatz der engsten Verbindung. Sie wird allerdings in der Rom II-VO sehr viel häufiger verwandt als in der Rom I-VO. Darüber hinaus weichen die ersten beiden Rom-Verordnungen darin voneinander ab, wie sie die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zeitlich ausgestalten. Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO erklärt den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts für maßgeblich. Demgegenüber hält Art. 23 Rom II-VO keine vergleichbare Regelung bereit. Dies ist aber auch nicht erforderlich, weil die Rom II-VO in den jeweils maßgeblichen Kollisionsnormen eine zeitliche Fixierung der Anknüpfung vornimmt. Dabei differenziert sie nach der Nähebeziehung eines außervertraglichen Schuldverhältnisses zum Vertragsrecht. Deswegen ist bei Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 und 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO der Zeitpunkt des Eintritts des haftungsbegründenden Verhaltens maßgeblich, um den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zu ermitteln. Im europäischen Internationalen Deliktsrecht ist hingegen der Zeitpunkt des Schadenseintritts (Erfolgseintritts) ausschlaggebend. Das unterschiedliche Näheverhältnis zum Vertragsrecht führt auch dazu, dass die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt die primäre Anknüpfungsregel im Internationalen Deliktsrecht verdrängt, während sie bei Art. 10 bis 12 Rom II-VO nur subsidiär gilt. Gleichzeitig hat diese Nähebeziehung zur Folge, dass in Art. 10 bis 12 Rom II-VO vorrangig akzessorisch angeknüpft wird. Die akzessorische Anknüpfung ist im gesamten europäischen Kollisionsrecht ein grundlegendes Anknüpfungsprinzip. Ihr können drei Gedanken zugrunde liegen: (1) Berücksichtigung der sachrechtlichen Verwebung der involvierten Rechtsinstitute, (2) Rückausnahme zu Sonderregelungen wegen entfallener außergewöhnlicher Interessenlage und (3) Umsetzung von Begünstigungs bzw. Schutzgedanken. Die akzessorischen Anknüpfungen können sich aber nicht nur in ihrem inneren Grund voneinander unterscheiden, sondern auch darin, ob sie von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig sind und ob sie wandelbar sind. Da sie nur „Platzhalter“ für das letztlich maßgebliche factum conectens sind, steht und fällt ihre zeitliche Versteinerung mit der des Anknüpfungspunktes, den sie zur Anwendung bringen. Von allen akzessorischen Anknüpfungen heben sich Art. 15 f. Rom IVO und Art. 19 f. Rom II-VO in besonderer Weise ab. Denn sie sind fast identisch formuliert und gehören neben den Art. 14 Rom I-VO, 18 Rom IIVO zu den einzigen Vorschriften, die die Anknüpfung bei Mehrpersonen-

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4. Kap.: Die Anknüpfungspunkte betreffende Fragestellungen

verhältnissen im europäischen IPR ausdrücklich regeln. Ihre Wertungen können in zweierlei Hinsicht hilfreich sein. Zum einen kann man mit einer Analogie zu Art. 16 S. 2 Rom I-VO die lacuna interna in Art. 20 Rom IIVO füllen. Zum anderen lassen sich aus den Art. 14 bis 16 Rom I-VO, 18 bis 20 Rom II-VO drei Wertungen ziehen, die für die Anknüpfung von Mehrpersonenverhältnissen nutzbar gemacht werden können: (1) Grundsätzliche Durchwirkung der sachrechtlichen Relativität der Schuldverhältnisse auf das Kollisionsrecht, (2) Anwendbarkeit des eigenen Schuldstatuts für die Verteidigungsmittel und (3) Maßgeblichkeit des Statuts des Schuldverhältnisses des Regressberechtigten für dessen Regressrechte. Alle drei Wertungen sollten über die jeweils in Betracht kommende Regelanknüpfung, notfalls in analoger Anwendung verwirklicht werden. Ist ein solcher Analogieschluss unmöglich, sollten die drei Wertungen über die betreffende Ausweichklausel (analog) umgesetzt werden. Ausweichklauseln finden sich sehr häufig in den Anknüpfungsregeln der Rom I- und Rom II-VO. Deshalb zählen sie zu den grundlegenden Anknüpfungsgrundsätzen im europäischen Kollisionsrecht. Als Ausprägung des Prinzips der engsten Verbindung kann die Ausweichklausel zur Abweichung von der regulären Anknüpfung führen. Ein noch stärkerer Ausfluss des Grundsatzes der engsten Verbindung ist die allgemeine Auffangklausel. Sie ist nur in der Rom I-VO vorgesehen. Eine Erklärung hierfür bietet ein Unterschied der sachrechtlichen Systembereiche, die beide Verordnungen umfassen. Denn im materiellen Vertragsrecht kann es zu unbeschränkt vielen Rechtsneuschöpfungen durch Private kommen, auf die das IPR reagieren muss. Im außervertraglichen Bereich existiert dagegen keine vergleichbare Rechtsetzungsfreiheit für Private. Daher ist die allgemeine Auffangklausel eine Besonderheit des europäischen Internationalen Vertragsrechts, die sich nicht auf das unionsrechtliche IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse übertragen lässt. Als Ergebnis bleibt schließlich festzuhalten, dass sich zum jetzigen Stand der Integration noch keine allgemeinen Normen zur objektiven Anknüpfung formulieren lassen, die Teil einer AT-Verordnung werden könnten.

5. Kapitel

Die Verweisung (conexus cum lege causae) betreffende Fragestellungen 5. Kap.: Die Verweisung betreffende Fragestellungen

Nachdem man unter das factum conectens der maßgeblichen norma conflictionis legum subsumiert hat,1 entfaltet sich ihre rechtliche Folge.

§ 1 Grundsatz der Sachnormverweisung § 1 Grundsatz der Sachnormverweisung

Die Rechtsfolge jeder norma conflictionis legum besteht in der Verweisung auf das anzuwendende Recht, also im conexus cum lege causae.2 Seine Ausgestaltung ergibt sich aus einer Zusammenschau von Art. 20 Rom I-VO und Art. 24 Rom II-VO: „Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dem europäischen Kollisionsrecht anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.“

Im unionsrechtlichen IPR gilt also der Grundsatz der Sachnormverweisung.3 Danach bringt eine europäische Kollisionsnorm prinzipiell das Sachrecht der berufenen Rechtsordnung zur Anwendung.4

__________ 1

Zu den Begriffen factum conectens und norma conflictionis legum jetzt und in den folgenden Ausführungen unter Kap. 5 s. Kap. 1 § 2 V 3) (S. 21 f.) und VI (S. 23). Zu den facta conectentia im europäischen Kollisionsrecht s. Kap. 4 (S. 231 ff.). 2 Zum Begriff conexus cum lege causae jetzt und in der weiteren Bearbeitung unter Kap. 5 s. Kap. 1 § 2 V 3) (S. 22) und VI (S. 23). 3 Vgl. statt aller Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (238). Zur rechtspolitischen Rechtfertigung des Grundsatzes der Sachnormverweisung vgl. Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (50 f.) m.w.Nachw. (Fn. 100–102). Vgl. dazu auch Henrich, in: FS von Hoffmann, S. 159 (163–167). 4 Zur Rom I-VO vgl. statt aller MünchKomm/Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 3. Zur Rom II-VO vgl. statt aller Cheshire, PIL, S. 788.

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5. Kap.: Die Verweisung betreffende Fragestellungen

§ 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung § 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung

Fraglich ist, ob und inwieweit der Grundsatz der Sachnormverweisung Ausnahmen zulässt. Dies wird in der Literatur bisher wenig ausführlich diskutiert.5 Meistens weist man lediglich pauschal darauf hin, dass das europäische IPR Sachnormverweisungen ausspricht bzw. einen Renvoi ausschließt.6

I. Ausnahme bei gewähltem IPR? Die erste Ausnahme, die Teile der Literatur zum Grundsatz der Sachnormverweisung vorschlagen, steht im Zusammenhang mit dem Prinzip der Parteiautonomie. Danach soll den Parteien die Wahl eines Kollisionsrechts gestattet sein.7 1) Wortlaut Gegen die ausnahmsweise Zulassung eines Renvoi spricht jedoch bereits der Wortlaut der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO. Zum einen sind sie mit „Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung“8 überschrieben.9 Zum anderen findet das berufene Recht „unter Ausschluss der Regelungen des Internationalen Privatrechts“10 Anwendung.11 __________ 5 Zu den Befürwortern und Ablehnern konkreter Ausnahmen s. die Nachweise unter Kap. 5 § 2 I bis III (S. 308 ff.). 6 Für Art. 20 Rom I-VO vgl. nur Kenfack, JDI 2009, 3 (6), für Art. 24 Rom II-VO Hay, EuLF 2007, 137 (144). 7 Zu Art. 20 Rom I-VO: Befürwortend: Erman/Hohloch, Band II, Anh. II Art. 26 EGBGB: Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 2; PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 20 Rdnr. 3; Rauscher/Freitag, EuZPR/EuIPR, Art 20 Rom I-VO Rdnr. 2; Sandrock, in: FS Kühne, S. 881 (893); Staudinger/Hausmann, Art 20 Rom I-VO Rdnr. 12; Symeonides, in: FS Siehr, S. 513 (536); ablehnend: Kieninger, in: Ferrari u. a. (Hrsg.), InternVertR, Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 6; Nordmeier, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht, Kap. 37 Rdnr. 134; Rugullis, ZVglRWiss 106 (2007), 217 (227); differenzierend: MünchKomm/ Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 5 f.; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 217 f. Zu Art. 24 Rom II-VO: Befürwortend: Erman/Hohloch, Band II, Anh. Art. 42 EGBGB: Art. 24 Rom II-VO Rdnr. 2; MünchKomm/Junker, Art. 24 Rom II-VO Rdnr. 9; Rauscher/Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 24 Rom II-VO Rdnr. 5; ablehnend: BaRo-III/ Spickhoff, Art 24 Rom II-VO Rdnr. 3; Ludwig, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 24 Rom II-VO Rdnr. 3; PWW/Schaub, Rom II Art. 24 Rdnr. 1; Reithmann/Martiny/ Martiny, ebda. Rdnr. 443. 8 „Exclusion of renvoi“, „Exclusion du renvoi“, „Exclusión del reenvío“. 9 So schon zur deutschen Sprachfassung des Art. 15 EVÜ Rugullis, a.a.O. (Fn. 7) (221). 10 „Other than its rules of private international law“, „à l’exclusion des règles de droit international privé“, „con exclusión de las normas de Derecho internacional privado“.

§ 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung

309

Gegen eine Argumentation mit Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO wird teilweise angeführt, sie regelten nur den Grundsatz der Sachnormverweisung, schlössen aber die Wahl eines Kollisionsrechts nicht aus.12 Richtig daran ist, dass Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO kein ausdrückliches „IPR-Wahlverbot“ enthalten. Allerdings laufen sie darauf hinaus. Die Rechtswahlfreiheit wird den Parteien im europäischen Kollisionsrecht erst über Art. 3 Rom I-VO, 14 Rom II-VO gewährt. Für beide Vorschriften gilt wiederum die Anordnung der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO. Wenn Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO aber schon die beiden Regelungen, die die Rechtswahlfreiheit gewähren, auf Sachnormverweisungen beschränken, muss diese Begrenzung erst recht für die Rechtswahlfreiheit selbst gelten. Demnach ergibt sich aus Art. 3 Rom I-VO, 14 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO die Beschränkung der Rechtswahl auf sachrechtliche Vorschriften. Im Rahmen der Rom I-VO könnte man für die ausnahmsweise Zulassung eines Renvoi anführen, dass Art. 20 Rom I-VO in seinem letzten Halbsatz ausdrücklich Ausnahmen zur Sachnormverweisung zulässt („soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist“13).14 Dieser Satz ist aber nur in Art. 20 Rom I-VO eingefügt worden, um die Konsistenz zu Art. 7 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO sicherzustellen.15 Selbst wenn man dem letzten Halbsatz des Art. 20 Rom I-VO eine darüber hinaus gehende Funktion zuspräche, müsste sich eine Bestimmung16 in der Verordnung finden, die vom Grundsatz der Sachnormverweisung abweicht. Solche Regelungen finden sich in Art. 7 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO und Art. 7 Abs. 4 lit. b) Rom I-VO.17 Demgegenüber enthält die Rom I-VO keine ausdrückliche Norm, die ausnahmsweise einen Renvoi zulässt, wenn die Parteien ein Kollisionsrecht wählen.

__________ 11 So schon zur deutschen Sprachfassung des Art. 15 EVÜ Rugullis, ZVglRWiss 106 (2007), 217 (221). Zum europäischen Kollisionsrecht vgl. Rühl, in: FS Kropholler, S. 187 (195) m.w.Nachw. (Fn. 33). 12 So zur Rom I-VO PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 3 Rdnr. 6 und Art. 20 Rdnr. 3. So zur Rom II-VO MünchKomm/Junker, Art. 24 Rom II-VO Rdnr. 9. 13 „Unless provided otherwise in this Regulation“, „sauf disposition contraire du présent règlement“, „salvo que el presente Reglamento disponga otra cosa“. 14 Ähnl. zur englischen Sprachfassung Symeonides, in: FS Siehr, S. 513 (536 f.). 15 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, 61 (79). Zurückhaltender Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (117). 16 Am deutlichsten ist die französische Sprachfassung des Art. 20 Rom I-VO, die insoweit von einer „disposition contraire du présent règlement“ spricht. 17 Ebenso MünchKomm/Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 4.

310

5. Kap.: Die Verweisung betreffende Fragestellungen

2) Geschichte Für einen generellen Renvoiausschluss spricht auch die historische Auslegung der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO. Sie entsprechen Art. 15 EVÜ.18 Zu ihm wird im Giuliano-Lagarde-Bericht ausgeführt:19 „Dieser Artikel schließt die Rück- und Weiterverweisung aus. Es liegt auf der Hand, daß die Rück- und Weiterverweisung bei vertraglichen Schuldverhältnissen keine Rolle spielen darf, wenn die Parteien das auf ihren Vertrag anzuwendende Recht vereinbart haben. Haben sie die Wahl getroffen, so ist es ihre Absicht, daß das gewählte Recht in seinen materiellen Bestimmungen anwendbar ist. Ihre Wahl schließt damit jede Rück- und Weiterverweisung auf ein anderes Recht aus. Die Rück- und Weiterverweisung muß ebenfalls ausgeschlossen werden, wenn die Parteien das anzuwendende Recht nicht gewählt haben. [...] Der Ausschluß der Rück- und Weiterverweisung ist im allgemeinen in internationalen Übereinkommen über Gesetzeskollisionen gerechtfertigt. Bemüht sich das Übereinkommen, das Rechtsverhältnis so gut wie möglich zu lokalisieren und den Staat zu bestimmen, mit dem es die engsten Verbindungen aufweist, so darf nicht zugelassen werden, daß das durch die Kollisionsnorm des Übereinkommens bezeichnete Recht diese Lokalisierung in Frage stellt. Diese Lösung ist im übrigen in den seit 1951 geschlossenen Haager Übereinkommen vorgesehen.“20

Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 15 EVÜ ergibt sich also, dass sowohl die subjektive als auch die objektive Anknüpfung im EVÜ stets eine Sachnormverweisung bewirken sollten.21 Der Wortlaut des Art. 15 EVÜ ist in Art. 20 Rom I-VO und Art. 24 Rom II-VO im Wesentlichen unverändert übernommen worden.22 Das indiziert, dass sich an der „alten“ Rechtslage zu Art. 15 EVÜ nichts ändern sollte.23 Deswegen spricht die historische Auslegung ebenfalls dagegen, ausnahmsweise einen Renvoi zuzulassen. 3) Systematik Im Rahmen des Art. 15 EVÜ (Art. 35 Abs. 1 EGBGB) haben die Unterstützer einer parteiautonomen Gesamtverweisung einen Vergleich zu Art. 4 Abs. 2 EGBGB angestellt, um ihre Position zu begründen.24 Ein solcher __________ 18 Zu Art. 20 Rom I-VO vgl. statt aller Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798 (1806). Zu Art. 24 Rom II-VO vgl. statt aller Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (646). 19 Diese Passage ebenfalls zitierend Rugullis, ZVglRWiss 106 (2007), 217 (221), allerdings nur bis zur eckigen Klammer. 20 Giuliano-Lagarde-Bericht, Anm. unter Art. 15 EVÜ. 21 Vgl. Rugullis, a.a.O. (Fn. 19). 22 Zu Art. 20 Rom I-VO vgl. statt aller MünchKomm/Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 1, 6. Zu Art. 24 Rom II-VO vgl. statt aller MünchKomm/Junker, Art. 24 Rom IIVO Rdnr. 2. 23 Zur Argumentation mit Vorgängerregelungen vgl. Kap. 1 § 4 II 2) b) bb) (2) (a) (aa) und (bb) (S. 64 ff.). 24 Dazu ausführlich und dies widerlegend Rugullis, a.a.O. (Fn. 19) (218–221).

§ 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung

311

Rückgriff auf nationales Recht scheidet in der interpretatio iuxta systema nunmehr aus.25 Vielmehr stützt eine systematische Auslegung der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO zu Art. 3 Rom I-VO, 14 Rom II-VO die Beschränkung der Rechtswahl auf sachrechtliche Normen.26 4) Sinn und Zweck Der Sinn und Zweck der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO ist ebenfalls dagegen anzuführen, ausnahmsweise einen Renvoi zuzulassen. Beide Vorschriften zielen darauf, den Vereinheitlichungszweck des europäischen IPR nicht durch Anerkennung einer Rück- oder Weiterverweisung zu belasten.27 Die Zulassung eines Renvoi hätte zur Folge, dass die erreichte Rechtsvereinheitlichung zunichte gemacht würde.28 Also sprechen auch teleologische Gründe dagegen, den Parteien eine „IPR-Wahl“ zu gestatten. 5) Ergebnis Alles in allem lässt der Grundsatz der Sachnormverweisung keine parteiautonome Gesamtverweisung im EU-IPR zu.29

II. Ausnahmsweise Berücksichtigung des Kollisionsrechts über die Ausweichklausel? Möglicherweise ist aber eine andere Ausnahme zur prinzipiellen Sachnormverweisung zu machen. So könnte man erwägen, die fehlende Anwendungswilligkeit des berufenen Rechts im Rahmen der Ausweichklausel(n) zu berücksichtigen.30 __________ 25 26 27 28 29

Dazu näher Kap. 1 § 4 II 2) b) cc) (1) (S. 68 ff.). S. Kap. 5 § 2 I 1) (S. 308 f.). Zu Art. 24 Rom II-VO vgl. BaRo-III/Spickhoff, Art 24 Rom II-VO Rdnr. 1. Zu Art. 24 Rom II-VO vgl. Brière, JDI 2008, 31 (65). Ebenso zur Rom I-VO Rugullis, ZVglRWiss 106 (2007), 217 (227). Ebenso zur Rom II-VO etwa: BaRo-III/Spickhoff, a.a.O. (Fn. 27) Rdnr. 3; PWW/Schaub, Rom II Art. 24 Rdnr. 1; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 443. 30 So zu Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO v. Hein, in: FS Kropholler, S. 553 (569), der diese Überlegung in Fn. 87 auf Art. 5 Abs. 2 Rom II-VO ausdehnt. In beiden Fällen möchte er der unbefriedigenden Konkurrenzregelung zum Haager Übereinkommen über Straßenverkehrsunfälle bzw. über die Produkthaftung beikommen (vgl. S. 568 m.w.Nachw. (Fn. 78–80)). Diese Lösung wird aufrechterhalten in: v. Hein, ZEuP 2009, 6 (25); ders., RabelsZ 73 (2009), 461 (485). Auch Rushworth/Scott, LMCLQ 2008, 274 (280) werfen die Frage auf, ob das IPR der berufenen Rechtsordnung über Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO berücksichtigungsfähig ist. Generell gegen die Anerkennung eines Renvoi bei der objektiven Anknüpfung nach der Rom I-VO: MünchKomm/Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 7; Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 20 Rdnr. 1; Reithmann/Martiny/Martiny, ebda.

312

5. Kap.: Die Verweisung betreffende Fragestellungen

Gegen Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung ist schon der Wortlaut der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO anzuführen.31 Außerdem spricht die historische Auslegung der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO gegen die Zulassung eines Renvoi.32 Allerdings könnte man ein systematisches Argument dafür anbringen, die fehlende Anwendungswilligkeit des verwiesenen Rechts über die Ausweichklausel(n) zu berücksichtigen und damit gewissermaßen auf Tatbestandsseite eine Ausnahme zum Grundsatz der Sachnormverweisung zu machen. So wird teilweise argumentiert, die Auswahl der abwägungsrelevanten Umstände finde bereits auf der Tatbestandsseite der Ausweichklausel(n) statt, während der Renvoiausschluss der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO lediglich die Rechtsfolgenseite betreffe.33 Insoweit sei die Berücksichtigung der fehlenden Anwendungswilligkeit des berufenen Rechts im Rahmen der Ausweichklausel(n) unbedenklich.34 Richtig daran ist, dass sich die Abwägung im Rahmen der Ausweichklausel(n) und der Renvoiausschluss auf unterschiedlichen Stufen der Rechtsanwendung befinden. Aus dieser Tatsache darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die Berücksichtigung der Anwendungswilligkeit eines Rechts im Rahmen der Ausweichklausel(n) vor dem Hintergrund der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO unproblematisch sei.35 Nutzt man die Tatbestandsseite der Anknüpfung, um von der in Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO angeordneten Rechtsfolge abzurücken, höhlt man damit den Normbefehl beider Vorschriften aus. Darüber hinaus würde die Zielsetzung der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO vereitelt. Sie besteht darin, den Vereinheitlichungszweck des unionsrechtlichen IPR nicht durch Gestattung eines Renvoi in Frage zu stellen.36 Die Anerkennung einer Rück- oder Weiterverweisung würde dazu führen, dass die vom europäischen IPR bezweckte Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts empfindlich beeinträchtigt würde. Allerdings lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es zu einem Verlust an Entscheidungseinklang in der EU kommen kann, wenn auf einen __________ Rdnr. 219. Ebenso zur Rom II-VO: MünchKomm/Junker, Art. 24 Rom II-VO Rdnr. 8; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 24 Rdnr. 1. 31 Vgl. Kap. 5 § 2 I 1) (S. 308 f.). 32 Vgl. Kap. 5 § 2 I 2) (S. 310). 33 So zu Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 24 Rom II-VO: v. Hein, in: FS Kropholler, S. 553 (569); ders., ZEuP 2009, 6 (25). 34 So zu Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 24 Rom II-VO: v. Hein, ebda. 35 So aber zu Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 24 Rom II-VO: v. Hein, a.a.O. (Fn. 33). 36 Zu Art. 24 Rom II-VO vgl. BaRo-III/Spickhoff, Art 24 Rom II-VO Rdnr. 1.

§ 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung

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Mitgliedstaat verwiesen wird, der Vertragsstaat eines vorrangigen internationalen Übereinkommens ist.37 Dann kann es passieren, dass das Sachrecht eines solchen Vertragsstaates Anwendung findet, obwohl dessen Gerichte es gar nicht anwenden würden, da sie eine staatsvertragliche Kollisionsnorm zu einer anderen Rechtsordnung führt.38 Dieser Rückschritt beruht aber nicht auf dem Grundsatz der Sachnormverweisung, sondern auf der Fassung der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO.39 Daher sollte man auch bei diesen Regelungen ansetzen, um das Problem bei den Wurzeln zu packen. Das ist de lege ferenda durch eine Änderung der Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO möglich. De lege lata ist denkbar, das Merkmal „ausschließlich“40 der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO so auszulegen, dass es sich nur auf den konkreten Einzelfall bezieht.41 Um das im vorigen Absatz genannte Konkurrenzproblem zu lösen, sollte man den Renvoiausschluss der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO unangetastet lassen. Denn die Zulassung eines Renvoi würde die materiellrechtlichen Wertungen durchkreuzen, die das europäische IPR zur Lokalisierung von Auslandssachverhalten getroffen hat.42 Sie sind gegenüber dem Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs vorrangig.43 Im Ergebnis lässt es der Grundsatz der Sachnormverweisung nicht zu, die Anwendungswilligkeit eines Rechts im Rahmen der Ausweichklausel(n) zu berücksichtigen.

III. Ausnahme bei Drittstaatensachverhalten? Möglicherweise ist bei der Frage nach der Zulassung eines Renvoi aber zwischen Mitglied- und Drittstaaten zu differenzieren.44 Man könnte erwägen, eine Rück- oder Weiterverweisung zu gestatten, wenn eine europäische Kollisionsnorm das Recht eines Drittstaates beruft.45 __________ 37 Zur Rom II-VO vgl.: v. Hein, in: FS Kropholler, S. 553 (568); Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (116). 38 Zur Rom II-VO vgl.: v. Hein, ebda.; Heinze, ebda. 39 So zu Art. 24, 28 Rom II-VO Heinze, a.a.O. (Fn. 37). 40 „Exclusively“, „exclusivement“, „exclusivamente“. 41 So zur deutschen Sprachfassung des Art. 28 Rom II-VO Heinze, a.a.O. (Fn. 37) (116 f.). 42 Zu Art. 24 Rom II-VO vgl. Heinze, a.a.O. (Fn. 37) (115) m.w.Nachw. (Fn. 66). 43 So zum europäischen Internationalen außervertraglichen Schuldrecht Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256 (307 f.) m.w.Nachw. (Fn. 360). 44 Diese Differenzierung wird für die lex europaea ferenda befürwortet von: Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (24 und 29); Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (44 und 60). A. M.: Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (51 f.); ders., Rom I und Rom II, S. 53 f.; Mankowski, IPRax 2010, 389 (398). 45 Für die lex europaea ferenda differenzierend: Kreuzer, ebda. (26 f. und 29); Siehr, ebda. A. M.: Leible, ebda. Generell gegen die Anerkennung eines Renvoi bei der objek-

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5. Kap.: Die Verweisung betreffende Fragestellungen

Allerdings sprechen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO dagegen, vom Grundsatz der Sachnormverweisung abzurücken.46 Darüber hinaus lässt sich ein systematisches Argument gegen die Gestattung eines Renvois beim Verweis auf Drittstaaten anführen. Art. 2 Rom I-VO, 3 Rom II-VO bestimmen, dass das nach der jeweiligen Verordnung bezeichnete Recht auch dann anzuwenden ist, wenn es sich dabei nicht um das Recht eines Mitgliedstaats handelt.47 Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom IIVO setzen diese Universalität auf Rechtsfolgenseite fort, indem sie vom anzuwendenden Recht eines „Staates“48 und nicht eines „Mitgliedstaates“49 sprechen. Das spricht dagegen, im Rahmen der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO zwischen Mitglied- und Drittstaaten zu differenzieren. Außerdem beraubt man Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO größtenteils ihres Anwendungsbereiches, wenn man das IPR von Drittstaaten berücksichtigt. Der Renvoiausschluss der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO wird aufgrund der europäischen IPR-Vereinheitlichung im Verhältnis zu Drittstaaten und solcher Mitgliedstaaten relevant, die Vertragsstaat eines vorrangigen internationalen Übereinkommens sind.50 Außerdem ist der Grundsatz der Sachnormverweisung für die Fälle praktisch von Bedeutung, in denen auf einen Mitgliedstaat verwiesen wird, der nicht an der IPRVereinheitlichung der EU teilnimmt.51 Ließe man einen Renvoi bei Drittstaatensachverhalten zu, blieben Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO nur noch die Fälle überlassen, in denen auf Mitgliedstaaten verwiesen wird, die Vertragsstaat eines vorrangigen Staatsvertrages sind oder nicht an der Kollisionsrechtsvereinheitlichung der EU teilnehmen. __________ tiven Anknüpfung nach der Rom I-VO: Kieninger, in: Ferrari u. a. (Hrsg.), InternVertR, Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 5; MünchKomm/Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rdnr. 7; Palandt/ Thorn, (IPR) Rom I 20 Rdnr. 1; Reithmann/Martiny/Martiny, IntVertR, Rdnr. 219; Staudinger/Hausmann, Art 20 Rom I-VO Rdnr. 6, 14. Ebenso zur Rom II-VO: Ludwig, in: Herberger u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB, Art. 24 Rom II-VO Rdnr. 2, 4; MünchKomm/ Junker, Art. 24 Rom II-VO Rdnr. 8; Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 24 Rdnr. 1; Rauscher/ Jakob/Picht, EuZPR/EuIPR, Art 24 Rom II-VO Rdnr. 3. 46 S. Kap. 5 § 2 I 1), 2) und 4) (S. 308 ff.) sowie Kap. 5 § 2 II (S. 311 ff.). Zu weiteren Argumenten gegen die Zulassung eines Renvois bei Drittstaatensachverhalten s. Mankowski, IPRax 2010, 389 (398 f.). 47 Dazu näher Kap. 2 § 1 III 1) b), 3) und 4) (S. 128 ff.). 48 „Country“, „pays“, „país“. 49 „Member State“, „État membre“, „Estado miembro“. 50 Zu Art. 20 Rom I-VO vgl. Palandt/Thorn, (IPR) Rom I 20 Rdnr. 1. Zu Art. 24 Rom II-VO vgl. Junker, NJW 2007, 3675 (3681). Ihm folgend: Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (116); Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 24 Rdnr. 1; PWW/Schaub, Rom II Art. 24 Rdnr. 1. 51 Im Ergebnis ebenso zu Art. 24 Rom II-VO MünchKomm/Junker, Art. 24 Rom IIVO Rdnr. 4.

§ 2 Ausnahmen zum Grundsatz der Sachnormverweisung

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Alles in allem kann also auch beim Verweis auf drittstaatliches Recht grundsätzlich kein Renvoi zugelassen werden.

IV. Fazit Im europäischen IPR gilt de lege lata der Grundsatz der Sachnormverweisung (vgl. Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO). Er beschränkt zudem die Rechtswahlfreiheit der Parteien, die nur sachrechtliche Vorschriften wählen dürfen. Der prinzipielle Renvoiausschluss der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO lässt es außerdem nicht zu, die Anwendungswilligkeit des berufenen Rechts im Rahmen der Ausweichklausel(n) zu berücksichtigen. Darüber hinaus muss man von der Gestattung eines Renvoi auch in den Fällen absehen, in denen eine europäische Kollisionsnorm auf eine drittstaatliche Rechtsordnung verweist. De lege lata sollte im europäischen IPR nur dann eine Ausnahme vom Grundsatz der Sachnormverweisung gemacht werden, wenn dies durch eine Bestimmung ausdrücklich vorgesehen ist. Das ist, soweit ersichtlich, nur bei Art. 7 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO und Art. 7 Abs. 4 lit. b) Rom I-VO der Fall. Auch de lege ferenda sollte im unionsrechtlichen IPR lediglich ausnahmsweise ein Renvoi zugelassen werden, und das nur, wenn dies eine spezielle Regelung ausdrücklich gestattet. Die Zulassung einer Rück- oder Weiterverweisung durch eine Sondervorschrift kann insbesondere in Rechtsbereichen sinnvoll sein, in denen Sachnormen Rechte oder Rechtslagen schaffen, da sich sonst die Gefahr hinkender Rechtsverhältnisse erhöht. Alles in allem sollte die Formulierung des Art. 20 in fine Rom I-VO zwar de lege ferenda in eine AT-Regelung übernommen werden, um den Besonderheiten aller rechtlichen Systembereiche Rechnung zu tragen. Allerdings sollte man den letzten Halbsatz restriktiver verfassen, um seinen Ausnahmecharakter zu unterstreichen und um sicherzustellen, dass nur unionsrechtliche Normen einen Renvoi gestatten können. Im Ergebnis sollte der Grundsatz der Sachnormverweisung in einem AT des EU-IPR wie folgt geregelt werden:52 „Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dem europäischen Kollisionsrecht anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit nach dem europäischen Kollisionsrecht nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.“

__________ 52 A. M.: Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (29); Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (44 und 60).

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5. Kap.: Die Verweisung betreffende Fragestellungen

§ 3 Verweisung auf Mehrrechtsstaaten § 3 Verweisung auf Mehrrechtsstaaten

Verweist die maßgebliche norma conflictionis legum auf einen bestimmten Staat,53 ist die kollisionsrechtliche Arbeit noch nicht unbedingt abgeschlossen. Denn das Privatrecht eines Staates kann territorial oder personal gespalten sein.54 Bei solchen gespaltenen Rechtsordnungen muss die Anschlussfrage beantwortet werden, nach welcher Teilrechtsordnung der Sachverhalt zu beurteilen ist.

I. Regelung im europäischen Kollisionsrecht Für territorial gespaltene Rechtsordnungen hält das EU-IPR in Art. 22 Rom I-VO, 25 Rom II-VO eine Lösung bereit.55 Danach entscheiden grundsätzlich die Anknüpfungsregeln des europäischen Kollisionsrechts darüber, welche Teilrechtsordnung im Falle einer territorialen Rechtsspaltung maßgeblich ist.56 Nur soweit ein Mitgliedstaat davon absieht, das unionsrechtliche IPR auf seine interlokalen Sachverhalte anzuwenden, sind Ausnahmen zulässig.57

II. Regelungslücken (lacunae) und Probleme Wie gesagt,58 regeln Art. 22 Rom I-VO, 25 Rom II-VO nur die Fälle territorial gespaltener Rechtsordnungen. Demgegenüber halten sie keine ausdrückliche Lösung für personal gespaltene Rechte bereit.59 Außerdem funktioniert das Modell der Art. 22 Rom I-VO, 25 Rom IIVO nicht mehr einwandfrei, wenn eine ortsbezogene Anknüpfung fehlt.60 Wählen die Parteien beispielsweise „britisches“ Vertragsrecht und kann ihre Rechtswahl nicht durch Auslegung präzisiert werden, führen Art. 22 Rom I-VO, 25 Rom II-VO ins Leere.61 Wie im EVÜ wird man künftig klä-

__________ 53 54 55 56

Dazu näher Kap. 5 (S. 307 ff.). Dazu ausführlich Kropholler, IPR, §§ 29 und 30. Vgl. statt aller Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (119 f.). Zu Art. 22 Rom I-VO vgl. statt aller MünchKomm/Martiny, Art. 22 Rom I-VO Rdnr. 1. Zu Art. 25 Rom II-VO vgl. statt aller Palandt/Thorn, (IPR) Rom II 25 Rdnr. 1. 57 Dazu statt aller Sonnenberger, in: FS Kropholler, S. 227 (239). 58 S. Kap. 5 § 3 I (S. 316). 59 Vgl. Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (31). 60 Heinze, a.a.O. (Fn. 55) (120). Ähnl.: Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (53); ders., Rom I und Rom II, S. 57. 61 Vgl. Heinze, ebda. Für weitere Beispiele s. PWW/Brödermann/Wegen, Rom I Art. 22 Rdnr. 2.

§ 3 Verweisung auf Mehrrechtsstaaten

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ren müssen, ob in solchen Fällen auf europäische oder nationale Kollisionsnormen zu rekurrieren ist.62 Die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die in den vorigen beiden Absätzen angesprochenen Probleme durch die interpretatio legis communis oder die completio lacunae zu lösen sind, soll der europäischen Rechtswissenschaft und -praxis überlassen werden.63 De lege ferenda ist im Schrifttum bereits erwogen worden, eine dem Art. 4 Abs. 3 EGBGB entsprechende Lösung in das europäische Kollisionsrecht zu übernehmen.64 Hiergegen bestehen gewichtige Bedenken. Denn Art. 4 Abs. 3 EGBGB spinnt den Grundgedanken des Art. 4 Abs. 1 EGBGB insofern fort, als er zunächst die berufene Rechtsordnung nach ihrer Lösung befragt und nur ausnahmsweise eine eigene „Letztverweisungsanordnung“ ausspricht. Dieser Gedanke ist dem europäischen Kollisionsrecht fremd. Dort wird auf die Lösungen des berufenen Rechts entweder gar keine oder nur ausnahmsweise Rücksicht genommen, wenn es um das letzte Wort über die Verweisung geht. Das spiegelt sich im Grundsatz der Sachnormverweisung (Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO) genauso wider wie in der Anknüpfung bei territorialen Rechtsspaltungen (Art. 22 Rom I-VO, 25 Rom II-VO). Die Tatsache, dass das unionsrechtliche IPR grundsätzlich seinen eigenen Regelungen die Entscheidung über das letztlich anwendbare Recht überlässt, führt aber dazu, dass die Verweisung bei personalen Rechtspaltung und nichtortsbezogenen Anknüpfungen ins Leere gehen kann.65 Dieses Problem lässt sich de lege ferenda mit einer norminternen Ausweichklausel lösen, die an die engste Verbindung des Sachverhalts anknüpft.

III. Fazit Für territorial gespaltene Rechtsordnungen trifft das EU-IPR die Anordnung, dass seine Anknüpfungsregeln darüber befinden, welche Teilrechtsordnung maßgeblich ist (vgl. Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO, 25 Abs. 1 Rom IIVO). Diese Regelung hilft aber bei personalen Rechtspaltungen und nichtortsbezogenen Anknüpfungen regelmäßig nicht weiter. Daher sollte sie um eine norminterne Auffangklausel ergänzt werden, die auf die engste Ver__________ 62 63

Dazu Heinze, in: FS Kropholler, S. 105 (120) m.w.Nachw. (Fn. 90). Ausführlich zur interpretatio legis communis Kap. 1 § 4 (S. 50 ff.). Eingehend zur completio lacunae Kap. 1 § 5 (S. 81 ff.). 64 So für den Fall, dass in künftigen familien- und erbrechtlichen Verordnungen nichtortsbezogene Anknüpfungen verwandt werden Heinze, a.a.O. (Fn. 62) (120 f.). Noch weiter gehend: Leible, in: Reichelt (Hrsg.), EGR und IPR, S. 31 (53); ders., Rom I und Rom II, S. 58. Im Ergebnis ebenso Siehr, YbPIL Vol. 7 (2005), 17 (47 f.). Differenzierend Kreuzer, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.), KollR in der EU, S. 1 (32–35). 65 S. Kap. 5 § 3 II (S. 316 f.).

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5. Kap.: Die Verweisung betreffende Fragestellungen

bindung abstellt. In beiden Fällen sollte es Mitgliedstaaten ohne einheitliche Rechtsordnung überlassen bleiben, ob sie das unionsrechtliche IPR auf innerstaatliche Kollisionen anwenden. Im Ergebnis sollte die Frage der Rechtsspaltung in einem EU-IPR AT wie folgt geregelt werden:66 „Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (1) Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede eigene Rechtsnormen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse hat, gilt für die Bestimmung des nach dem europäischen Kollisionsrecht anzuwendenden Rechts jede Gebietseinheit als Staat. (2) Kann das anzuwendende Recht nicht mittels Absatz 1 bestimmt werden, so ist das Recht anzuwenden, zu dem der Sachverhalt die engste Verbindung hat. (3) Ein Mitgliedstaat, in dem verschiedene Gebietseinheiten ihre eigenen Rechtsnormen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse haben, ist nicht verpflichtet, das europäische Kollisionsrecht auf Kollisionen zwischen den Rechtsordnungen dieser Gebietseinheiten anzuwenden.“

__________ 66

Zu anderen Regelungsvorschlägen vgl. die Nachweise ebda.

6. Kapitel

Zusammenfassung und Ausblick 6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

§ 1 Zusammenfassung § 1 Zusammenfassung

I. Terminologie 1) Unter juristischer Terminologie sind allgemein alle in Rechtswissenschaft und -praxis gebräuchlichen rechtlichen Fachausdrücke zu verstehen. Diese sind entweder gesetzlichen Ursprungs oder Ergebnis wissenschaftsund praxisinterner Terminologiebildung. Im ersten Fall sind die entsprechenden termini technici durch Gesetzesauslegung zu konkretisieren, im zweiten Fall (Methoden- und Systembegriffe) hingegen durch wissenschafts- und praxisinterne Begriffsbildung. 2) Kollisionsrechtliche Methoden- und Systembegriffe sollten unionsweit vereinheitlicht werden. Dazu sind nach dem hier vorgeschlagenen Extraktsprachenansatz die Inhalte, die hinter Methoden- und Systembegriffen stehen, mit lateinischen Ausdrücken zu versehen. 3) Zur Strukturierung europäischer Kollisionsnormen (normae conflictionis legum) sollten die drei Ausdrücke res conectenda, factum conectens und conexus cum lege causae verwandt werden. Die res conectenda ist die typenmäßige Umschreibung des privatrechtlichen Normbereiches, für den das anzuwendende Recht ermittelt werden soll. Das factum conectens ist das Faktum, das die Verbindung zwischen der res conectenda und der für sie maßgeblichen Rechtsordnung herstellt. Mit seiner Hilfe wird auch der conexus cum lege causae umgesetzt. Darunter ist der Verweis auf das Recht zu verstehen, das für die res conectenda berufen ist. Unionsrechtliche IPR-Normen, die diese drei Elemente nicht aufweisen und den Rechtsanwendungsvorgang bei internationalen Sachverhalten näher ausgestalten, sollten als normae auxilii bezeichnet werden.

II. Auslegung und Lückenschließung im Allgemeinen 1) Im europäischen IPR muss zwischen Auslegung und Lückenschließung unterschieden werden. Erstere umschreibt die Methoden zur Interpretation geschriebenen Kollisionsrechts, Letztere die methodische Arbeit zum Ausfindigmachen von Regelungen für Bereiche, die das geschriebene IPR nicht ausdrücklich normiert.

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

2) Die Grenze zwischen Auslegung und Lückenschließung wird durch den Wortlaut einer europäischen IPR-Regelung markiert. Von Auslegung kann nur gesprochen werden, wenn ihr Ergebnis dem Normtext aller Sprachfassungen juristisch-methodisch zurechenbar ist. Das ist jedenfalls zu verneinen, wenn sich das Auslegungsergebnis im Normtext gar keiner Sprachfassung mehr niederschlägt, wenn es also enger als die engste oder weiter als die weiteste Deutungsmöglichkeit ist. 3) Die Befugnis des EuGH zur Auslegung europäischen Kollisionsrechts ergibt sich schon aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV (ex-Art. 220 EGV). Seine Kompetenz zur Lückenschließung ist zwar hinsichtlich ihrer Grundlage umstritten, aber im Ergebnis allgemein anerkannt. 4) Der Auslegung und Lückenschließung unionsrechtlichen IPR sind kompetenzielle, inhaltliche und zeitliche Grenzen gesetzt. In kompetenzieller Hinsicht müssen die Souveränität der Mitgliedstaaten, die Grundrechte der (Unions-)Bürger und das institutionelle Gleichgewicht beachtet werden. Inhaltlich muss man stets die Anwendbarkeit von Auslegung bzw. Lückenschließung feststellen, die Unionsordnung und den Wortlaut einer Vorschrift beachten, die Begründungspflicht einhalten und seine Entscheidung auf Akzeptanzfähigkeit ausrichten. Schließlich sind Interpretation und Lückenfüllung auch zeitlich beschränkt, wenn Sekundärrecht vor- oder zurückwirkt.

III. Auslegung im Besonderen 1) Das europäische Kollisionsrecht gehört zum (sekundären) Unionsrecht. Daher ist es mittels der eigenständigen, also autonomen Interpretationsmethodik auszulegen, die sich zum EU-(Sekundär-)Recht entwickelt hat. Diese sollte als interpretatio legis communis bezeichnet werden und zielt darauf, die Reichweite des Tatbestands und der Rechtsfolgen der zu interpretierenden Norm zu ermitteln, um ihre gerechte Anwendung im Einzelfall zu erreichen. 2) Bevor man die interpretatio legis communis als methodisches Werkzeug nutzen kann, muss man auf ihre allgemein anerkannten Kriterien zurückgreifen, um festzustellen, ob ein Begriff aus dem Unionsrecht heraus (autonom) auszulegen ist oder nicht. Diese Vorprüfung sollte examinatio ante interpretationem genannt werden. 3) Nach Abschluss der Vorprüfung sind die vier allgemein anerkannten Mittel der interpretatio legis communis heranzuziehen, um die Reichweite der auszulegenden IPR-Regelung zu ermitteln. Diese vier Interpretationskriterien sollten als interpretatio iuxta verbum, interpretatio iuxta historiam, interpretatio iuxta systema und interpretatio iuxta mentem bezeichnet werden.

§ 1 Zusammenfassung

321

4) Bei der interpretatio iuxta verbum ist ausgehend vom Wortlaut der Wortsinn der Begriffe zu bestimmen, aus denen die zu interpretierende Norm besteht. Existiert zum fraglichen Ausdruck im Unionsrecht – insbesondere im EU-IPR oder EU-IZVR – bereits eine Bedeutung, ist sie maßgeblich, soweit sich aus der Anwendung der restlichen Auslegungsmittel nichts anderes ergibt. Sofern noch kein (unions)autonomer Begriffsinhalt vorhanden ist, muss er im Wege der sog. „wertenden“ (auslegenden) Rechtsvergleichung ermittelt werden. Hat man den Wortsinn festgestellt, muss der sprachliche Sinn der zu interpretierenden IPR-Norm mithilfe der Regeln der Grammatik und Logik bestimmt werden. Die interpretatio iuxta verbum ist idealiter in allen Sprachfassungen durchzuführen. Während dem EuGH die dazu erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, muss sich der nationale Rechtsanwender auf die Textversionen beschränken, deren Sprache er beherrscht. 5) Im Rahmen der interpretatio iuxta historiam werden aus Vorgängerregelungen (historische Auslegung i. e. S.) und aus Gesetzgebungsmaterialien (genetische Auslegung) Rückschlüsse auf die Bedeutung einer IPRVorschrift gezogen. Zur historischen Interpretation i. e. S. kann grundsätzlich auf die Rechtsprechung und Lehre zum EVÜ zurückgegriffen werden, soweit die auszulegende Regelung auf das EVÜ zurückgeht. Bei der genetischen Interpretation dürfen nur solche Materialien herangezogen werden, die allgemein zugänglich bzw. veröffentlicht sind und deren Inhalte sich in der zu deutenden Unionsvorschrift niedergeschlagen haben. Für andere Äußerungen als die des Rats und des Europäischen Parlaments sind weitere Einschränkungen zu machen. Die interpretatio iuxta historiam endet, wo aus der Vor- bzw. Entstehungsgeschichte keine konsensfähigen Schlussfolgerungen mehr gezogen werden können. 6) Auch die Stellung einer IPR-Norm im äußeren und inneren System des Unionsrechts lässt Rückschlüsse auf ihren Inhalt zu. Sie sind bei der interpretatio iuxta systema zu ziehen. Insoweit wird man in erster Linie mit der horizontalen (äußeren und inneren) Ordnung arbeiten, also auf der Ebene von EU-Verordnungen und -Richtlinien. Das schließt einen Rückgriff auf die Ziele und allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts allerdings nicht aus. In jedem Fall müssen drei Prinzipien beachtet werden. Erstens sind identische Begriffe einheitlich auszulegen, soweit aus der Anwendung der restlichen Interpretationsmittel nichts anderes folgt. Zweitens sind Normen stets voneinander abzugrenzen. Drittens müssen Zielkonflikte mit der Vorgabe praktischer Konkordanz ausgeglichen werden. 7) Die interpretatio iuxta mentem bestimmt den Inhalt einer IPR-Regelung anhand ihres Zwecks, der Auslegungsergebnis und -mittel zugleich ist. Das heißt, er muss im Wege der interpretatio iuxta verbum, iuxta historiam und iuxta systema bestimmt werden, um ihn anschließend zur Norminterpretation nutzen zu können. Falls die Auslegungskriterien für unter-

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

schiedliche Regelungszwecke sprechen, muss eine einzelfallbezogene Abwägung der Interessen der Rechtssubjekte und Organe durchgeführt werden, die von der Rechtsanwendung betroffen sind. Dabei sollte die praktische Konkordanz den Widerspruch zwischen den Auslegungsmitteln auflösen und das spezifische Normziel festlegen. 8) Ist dieser spezifische Normzweck ermittelt, kann er die Reichweite der auszulegenden Unionsvorschrift entweder eingrenzen oder erweitern. Außerdem hat die teleologische Interpretation im Unionsrecht besondere Ausformungen erfahren: Erstens verlangt der Effektivitätsgrundsatz (effet utile), der auszulegenden Unionsregelung größtmögliche praktische Wirksamkeit zu verleihen. Zweitens besagt der Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Union, dass ihr Recht Vorrang vor nationalem hat und dass alle Maßnahmen unzulässig sind, die die Anwendbarkeit des Unionsrechts reduzieren. Drittens ordnet die Dynamik des EU-Rechts eine Interpretation an, die sich auf den Zeitpunkt der Rechtsanwendung bezieht und die im Zweifel die Integration begünstigt. Viertens sind die formalen Zwecke jeder Rechtsangleichung subsidiär zu berücksichtigen, die im Unionsrecht in der Rechtsvereinheitlichung, der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen und der Herstellung eines gemeinsamen Binnenmarktes bestehen. 9) Die Kriterien der interpretatio legis communis sind keiner festen Hierarchie zugänglich. Trotzdem können zwei „Vorrangregeln“ überzeugen: Zum einen ist von mehreren möglichen Auslegungen die primärrechtskonforme zu wählen. Zum anderen überwiegt der Normzweck gegenüber den anderen Auslegungsmitteln; Letzteres folgt daraus, dass er sich – gegebenenfalls im Rahmen eines Abwägungsvorgangs – aus den anderen Interpretationskriterien ergibt. 10) Die interpretatio legis communis einschließlich der examinatio ante interpretationem ist aufbauend auf den Grundsätzen erarbeitet worden, die sich zum (sekundären) Unionsrecht entwickelt haben. Sie sind daher prinzipiell auch für die Auslegung sachrechtlicher EU-Verordnungen geeignet.

IV. Lückenschließung im Besonderen 1) Das EU-Recht ist eine Teilrechtsordnung. Das gilt auch für sein IPRSystem. Zur Schließung auftretender Regelungslücken ist eine Technik erarbeitet worden, die als completio lacunae bezeichnet werden sollte. Danach ist eine Lücke im ersten Schritt festzustellen und im zweiten zu schließen. 2) Die Lückenfeststellung erfolgt ebenfalls in zwei Schritten. Zunächst muss durch interpretatio legis communis ermittelt werden, ob der fragliche Gegenstand dem Anwendungsbereich der geprüften EU-Verordnung unterliegt. Ist dies nicht der Fall, liegt eine lacuna externa vor. Ansonsten muss

§ 1 Zusammenfassung

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die EU-Verordnung weiter auf eine lacuna interna hin überprüft werden. Eine solche Lücke liegt vor, wenn ein Bereich normativ ganz oder teilweise ungeregelt ist, der innerhalb des Anwendungsbereiches der geprüften EU-Verordnung liegt und unbewusst keiner Regelung zugeführt worden ist. 3) Die Lückenschließung ist bei lacunae externae auf der ersten Stufe aus dem EU-Recht selbst heraus vorzunehmen. Ist der fragliche Gegenstand vom Anwendungsbereich einer anderen EU-Verordnung umfasst, sind deren Regelungen maßgeblich, um die Lücke zu füllen. Ergibt die (systematische) Auslegung, dass das Unionsrecht überhaupt keine unmittelbar geltende Norm für die betreffende Rechtsfrage bereithält, ist das nationale IPR der lex fori heranzuziehen, um die lacuna externa zu schließen (zweite Stufe der completio lacunae externae). 4) Auch die Lückenfüllung bei lacunae internae erfolgt zweistufig. Auf der ersten Stufe (unionsrechtliche Ebene) muss zunächst festgestellt werden, ob die lacuna interna mithilfe einer Einzelwertung der geprüften EU-Verordnung durch eine Analogie, einen Umkehrschluss, einen Größenschluss oder teleologische Reduktion bzw. Extension geschlossen werden kann. Ist dies zu verneinen, sind andere EU-Verordnungen daraufhin zu überprüfen. Lässt sich auch aus ihnen keine Einzelwertung nutzbar machen, müssen die allgemeinen Rechtsgrundsätze des europäischen IPR zur Lückenfüllung herangezogen werden. Kann man auch mit ihnen die lacuna interna nicht beseitigen, muss man von der ersten Stufe der completio lacunae auf die zweite übergehen und das nationale IPR der lex fori bemühen. 5) Die hier entwickelte Lückenfüllungsmethodik ist auf der Grundlage der Ansätze erarbeitet worden, die sich zum (sekundären) Unionsrecht entwickelt haben. Daher lässt auch sie sich auf sachrechtliche EU-Verordnungen übertragen. Dabei muss sie aber wie folgt modifiziert werden: Auf der ersten Stufe der completio lacunae ist die geprüfte Sachrechtsverordnung der Ausgangspunkt. In erster Linie muss auf sie und ihre sachrechtlichen „Schwesterverordnungen“ zurückgegriffen werden, um die lacuna auf unionsrechtlicher Ebene zu beseitigen. Auf der zweiten Stufe füllt das nationale IPR der lex fori die Lücke der betreffenden sachrechtlichen EU-Verordnung nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar, indem es die Sachrechtsordnung zur completio lacunae beruft, zu der die engste Verbindung besteht. Hier leistet das europäische IPR als Teil der lex fori vereinheitlichende Arbeit, da es die Sachrechtsordnung zur Lückenfüllung heranzieht, zu der aus unionsrechtlicher Perspektive die engste Verbindung besteht.

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

V. Anwendungs- und Geltungsbereich 1) Mithilfe der interpretatio legis communis lassen sich zentrale Begriffe des sachlichen Anwendungsbereiches des europäischen IPR definieren. Eine „Zivil- und Handelssache“ liegt unabhängig von der Art des angerufenen Gerichts vor, wenn der Rechtsstreit nicht auf der Ausübung hoheitlicher Befugnisse beruht. Das Merkmal „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ umfasst alle Sachverhalte, die im Verhältnis zum internen sozialen Leben eines Landes mindestens eine Auslandsberührung aufweisen, so dass die Anwendungsansprüche der Rechtssysteme mindestens zweier (fingierter) Staaten in Konflikt geraten. Ein solcher Konflikt besteht nicht, soweit international vereinheitlichtes Sachrecht eingreift. Ein „Schuldverhältnis“ ist eine Rechtsbeziehung zwischen mindestens zwei Personen, aus der sich eine Vielzahl von Rechten und Pflichten zwischen ihnen ergibt. Diese Rechte und Pflichten dürfen nicht ausschließlich von Fragen abhängen, auf die das Sachen- oder Immaterialgüterrecht eine Antwort gibt. Liegt ein so definiertes Schuldverhältnis vor, ist es als „vertraglich“ anzusehen, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig, also auf der Basis einer grundsätzlich autonomen Entscheidung, eine Verpflichtung eingegangen ist, welche die andere Partei schlicht akzeptiert hat, und wenn beim Gesamtsachverhalt die Parteiautonomie sowie die charakteristische Leistung im Vordergrund stehen. Anderenfalls ist es als „außervertraglich“ einzuordnen. 2) Was den räumlichen Anwendungsbereich des unionsrechtlichen IPR angeht, ist zunächst festzuhalten, dass ex-Art. 61 lit. c), 65 lit. b) EGV eine Ermächtigungsgrundlage der EU enthalten, Binnenmarkt- und Drittstaatensachverhalte zu regeln. Dies muss erst recht nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gelten, da das Erforderlichkeitsmerkmal des ex-Art. 65 EGV in Art. 81 Abs. 2 AEUV nur noch ein Regelbeispiel ist. Aus Art. 51 EUV in Verbindung mit den Protokollen Nr. 21 und 22 (ex-Art. 69 EGV in Verbindung mit den Protokollen Nr. 4 und 5) ergeben sich zwei Grundsätze. Erstens ist das unionsrechtliche IPR für Dänemark nicht bindend oder anwendbar. Dasselbe gilt zweitens für das Vereinigte Königreich und Irland, falls sie nicht von ihrer Möglichkeit zum „opt-in“ Gebrauch gemacht haben. Da beide Staaten ihre Teilnahme an der Rom Iund der Rom II-VO erklärt haben, sind sie für sie bindend und anwendbar. Außerdem gelten die ersten beiden Rom-Verordnungen für Drittstaatensachverhalte. Für Letztere bestimmen Art. 2 Rom I-VO und Art. 3 Rom II-VO darüber hinaus ausdrücklich, dass die Kollisionsnormen beider Verordnungen auch Drittstaatenrecht zur Anwendung bringen können (Universalität). 3) Für den zeitlichen Anwendungsbereich des unionsrechtlichen IPR lassen sich ebenfalls verordnungsübergreifende Aussagen treffen. Es ist

§ 1 Zusammenfassung

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zeitlich anwendbar, wenn das Verhalten, das das Schuldverhältnis begründet, nach dem Zeitpunkt der Gültigkeit der jeweiligen EU-Verordnung veranlasst wird. Dieses Verhalten ist bei Art. 28 Rom I-VO der vertragsrechtlich relevante Konsens und bei Art. 31 Rom II-VO das haftungsverursachende Tun oder Unterlassen. Für beide Normen ist bei Dauerschuldverhältnissen grundsätzlich auf die erstmalige Veranlassung des Schuldverhältnis begründenden Verhaltens abzustellen und für Unterlassungsansprüche auf das erstmalige Vorliegen der Wahrscheinlichkeit der Verhaltensveranlassung. 4) Anders als der Anwendungsbereich des europäischen IPR umfasst sein Geltungsbereich die Regelung der Frage, welchen rechtlichen Systembereich eine EU-Verordnung unter Ausschluss anderer prinzipiell einschlägiger Rechtsquellen regelt. 5) Im Verhältnis zum nationalen Recht genießt das unionsrechtliche IPR Anwendungsvorrang, soweit sein sachlicher, räumlicher und zeitlicher Anwendungsbereich eröffnet ist. Das ist im Ergebnis allgemein anerkannt und daher zu Recht nicht ausdrücklich normiert worden. 6) Das Verhältnis des europäischen IPR zum sonstigen unionsrechtlichen Kollisionsrecht wird durch Art. 23 Rom I-VO, 27 Rom II-VO geregelt. Danach muss die konkurrierende Rechtsquelle ebenso wie deren konkret anwendbare Regelung bestimmte Anforderungen erfüllen, damit ein Anwendungsvorrang gegenüber der an sich maßgeblichen Vorschrift der Rom I- bzw. Rom II-VO ausgelöst wird. Beim konkurrierenden Recht muss es sich um Primär- oder Verordnungsrecht handeln, das irgendeine speziellere kollisionsrechtliche Regelung für (außer-)vertragliche Schuldverhältnisse enthält. Demgegenüber muss die konkret anwendbare Norm eine solche speziellere Vorschrift sein. Ob dies jeweils der Fall ist, muss im Wege der Auslegung festgestellt werden. 7) Auch die Beziehung des unionsrechtlichen zum staatsvertraglichen IPR wird ausdrücklich geregelt. Letzterem gebührt gegenüber Ersterem nach Art. 25 Rom I-VO, 28 Rom II-VO Anwendungsvorrang, wenn die konkurrierende Rechtsquelle und deren maßgebliche Norm bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Bei der konkurrierenden Rechtsquelle muss es sich um ein internationales Übereinkommen mit ausschließlich kollisionsrechtlichem Charakter handeln, das zum Zeitpunkt der Annahme der jeweiligen Verordnung bestanden hat und das mindestens eine Regelung zu (außer-)vertraglichen Schuldverhältnissen enthält. Ob dem so ist, muss genauso durch Auslegung beantwortet werden wie die Frage, ob die maßgebliche staatsvertragliche Vorschrift eine kollisionsrechtliche Norm für (außer-) vertragliche Schuldverhältnisse darstellt, deren Regelungsbereich sich zumindest teilweise mit dem einer europäischen IPR-Norm deckt. Ist der betroffene Staatsvertrag ein internationales Übereinkommen mit Drittstaatenbeteiligung, legen Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, 28 Abs. 1 Rom II-VO fest,

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

dass das Staatsvertragsrecht Anwendungsvorrang hat. Sonst tritt die Rechtsfolge der Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, 28 Abs. 2 Rom II-VO ein, die dem unionsrechtlichen Kollisionsrecht Anwendungsvorrang gewährt.

VI. Qualifikation und Vorfragen 1) Sind Anwendungs- und Geltungsbereich des europäischen Kollisionsrechts eröffnet, muss die maßgebliche norma conflictionis legum gefunden und angewandt werden. Dazu dienen die Mittel der Auslegung, Qualifikation und Subsumtion. Die Qualifikation kann im unionsrechtlichen IPR allgemein als Methode bezeichnet werden, die der Zuordnung tatsächlicher bzw. rechtlicher Gesichtspunkte zu den Rahmenbegriffen (res conectenda und conexus cum lege causae) einer norma conflictionis legum dient. Demgegenüber ist die Qualifikation im technischen Sinne die rechtliche Einkleidung des zu beurteilenden Sachverhalts in Rechtsfragen i.w.S. oder Sachnormen mithilfe des Sachrechts der (potenziell) maßgeblichen Rechtsordnung und die anschließende funktionale Auslegung durch eben dieses Sachrecht, um die Subsumtion unter die res conectenda oder den conexus cum lege causae vorzubereiten. Nur diese eng definierte Qualifikation sollte als qualificatio in lege communi bezeichnet werden. 2) Gegenstand der qualificatio in lege communi ist der zu beurteilende Sachverhalt, der nicht mit den jeweiligen Subsumtionsgegenständen (Aussagen über Rechtsfragen i.w.S., Tatsachen oder Sachnormen) verwechselt werden darf. 3) Das Statut der qualificatio in lege communi ist das Sachrecht, das von der geprüften norma conflictionis legum (eventuell) berufen wird. Es wirkt beim Subsumtionsvorgang mit dem europäischen Kollisionsrecht zusammen. Insoweit ist die funktionale Auslegung zentral. Zunächst ist das geprüfte Kollisionsnormelement mithilfe der interpretatio legis communis zu interpretieren, um herauszufinden, welche Funktion es von einer sachrechtlichen Erscheinung verlangt, damit sie subsumiert werden kann. Im zweiten Schritt ist die sachnormbezogene Zuspitzung des Sachverhalts zu verdichten, indem das (eventuell) anwendbare Sachrechtsinstitut ermittelt und aus seiner Rechtsordnung heraus ausgelegt wird, um seine Funktion zu bestimmen. Ob diese Funktion der von der res conectenda bzw. vom conexus cum lege causae vorausgesetzten entspricht, richtet sich nach der interpretatio legis communis der geprüften norma conflictionis legum. 4) Ist Drittstaatensachrecht als Qualifikationsstatut anzuwenden, wird der zu beurteilende Sachverhalt mittels der möglicherweise einschlägigen drittstaatlichen Sachnormen eingekleidet. Wenn Mitgliedstaatensachrecht als Qualifikationsstatut maßgeblich ist, dient hingegen materielles Unionsprivatrecht dazu, den zu beurteilenden Sachverhalt sachnormbezogen zuzuspitzen. Steht es hierfür nicht oder nur unvollständig zur Verfü-

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gung, liegt eine lacuna im Unionssachrecht vor. Dann ergibt sich aus der completio lacunae, dass das nationale Sachrecht des (eventuell) berufenen Mitgliedstaates zur rechtlichen Einkleidung zu verwenden ist. 5) Im Rahmen der Rechtsanwendung können bei Sachverhalten mit Auslandsbezug Fragen nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses auftreten. Solche Fragen werden bislang als Vorfragen bezeichnet, sollten aber im EU-IPR praequaestiones genannt werden. Sie können sich vor oder nach der Anknüpfung stellen. Zur begrifflichen Klarstellung sollten sie im ersten Fall praequaestiones ante conexum cum lege causae und im zweiten praequaestiones post conexum cum lege causae heißen. Unabhängig davon, wann sich eine praequaestio stellt, muss sie stets von der quaestio principalis (Hauptfrage) und manchmal auch von der quaestio subiecta (Teilfrage) unterschieden werden. Die Abgrenzung erfolgt durch interpretatio legis communis der Rahmenbegriffe der normae conflictionis legum, die im zu beurteilenden Sachverhalt relevant sind. 6) Die Anknüpfung von praequaestiones sollte grundsätzlich selbstständig nach europäischem IPR durchgeführt werden. Hält es für die Gegenstände der Vorfrage noch keine Kollisionsnormen bereit, liegt eine Lücke vor, die mithilfe der completio lacunae zu schließen ist. Stellen weder die geprüfte Ausgangsverordnung noch das sonstige unmittelbar geltende Unionsrecht Kollisionsnormen für die Materien einer Vorfrage zur Verfügung, muss zur Lückenfüllung (in diesem Fall: Vorfragenanknüpfung) auf das nationale IPR der lex fori zurückgegriffen werden. 7) Eine praequaestio stellt sich stets im zweiten Schritt der Rechtsanwendung. Im ersten Schritt muss das Merkmal der Vorschrift (Ausgangsnorm) definiert werden, das die praequaestio aufwirft (Ausgangsmerkmal). Dazu ist die Ausgangsnorm mittels der Rechtsordnung auszulegen, zu der sie zählt. Unter die so definierte Voraussetzung müsste der zu beurteilende Sachverhalt eigentlich im zweiten Schritt subsumiert werden. Das ist aber nicht möglich. Denn das Ausgangsmerkmal setzt ein präjudizielles Recht bzw. Rechtsverhältnis voraus, dessen Bestehen nur durch die Anwendung von Sachnormen festgestellt werden kann, die außerhalb des Anwendungsbereiches der Kollisionsnorm stehen, die für die Hauptfrage maßgeblich ist. An dieser Stelle muss das Vorfragenstatut durch selbstständige Anknüpfung, nötigenfalls unter Rückgriff auf die completio lacunae bestimmt werden. Die Sachnormen des so ermittelten Vorfragenstatuts entscheiden darüber, ob das fragliche Recht bzw. Rechtsverhältnis besteht. Im dritten Schritt ist das betreffende Recht bzw. Rechtsverhältnis unter das Ausgangsmerkmal zu subsumieren. Dazu bietet die aus dem Qualifikationszusammenhang bekannte funktionale Interpretation eine wichtige Hilfestellung: Die Auslegung der Ausgangsnorm nach der Rechtsordnung, der sie angehört, entscheidet darüber, welche Funktion von einem präjudi-

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

ziellen Recht bzw. Rechtsverhältnis erwartet wird, damit es unter das Ausgangsmerkmal fällt. Das Vorfragenstatut befindet hingegen darüber, was für eine Funktion das präjudizielle Recht bzw. Rechtsverhältnis tatsächlich aufweist. Entsprechen sich vorausgesetzte und tatsächliche Funktion, ist unter das Ausgangsmerkmal zu subsumieren. Ob eine solche Funktionsentsprechung besteht, muss durch Auslegung der Ausgangsnorm nach der Rechtsordnung bestimmt werden, aus der sie stammt. 8) Auch im unionsrechtlichen IPR wird das Vorfragenproblem selten praktische Bedeutung erlangen, da es nur unter drei Bedingungen entschieden werden muss. Erstens muss für die Hauptfrage das Recht eines Drittstaates oder nicht an das unionsrechtliche IPR gebundenen Mitgliedstaates berufen werden. Beim Verweis auf das Recht eines Mitgliedstaates, für den das europäische Kollisionsrecht bindend ist, wird das Vorfragenproblem nur bedeutsam, wenn die praequaestio in einem Bereich auftritt, der außerhalb des Anwendungsbereiches des unionsrechtlichen IPR liegt. Zweitens müssen die einschlägigen Kollisionsnormen der lex fori und das IPR des für die Hauptfrage maßgeblichen Rechts unterschiedliche Rechtsordnungen zur Beantwortung der Vorfrage berufen. Drittens müssen die jeweils konkret anwendbaren Sachnormen zu verschiedenen Ergebnissen führen. Von diesen drei Voraussetzungen abgesehen, müssen praequaestiones im Prozess ohnehin nicht beantwortet werden, wenn sie schon durch einen Hoheitsakt entschieden sind, der nach europäischem IZVR anzuerkennen ist.

VII. Subjektive und objektive Anknüpfung 1) Der Parteiwille genießt im europäischen IPR Vorrang gegenüber der objektiven Anknüpfung, wenn eine wirksame Rechtswahl getroffen worden ist (subjektive Anknüpfung). 2) Die Rom II-VO kennt anders als die Rom I-VO absolute Rechtswahlausschlüsse, und zwar: Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO, Art. 13 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO, Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO (mit Ausnahme der Fälle des Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO) sowie das Verbot der Teilrechtswahl (= nicht schließungsfähige lacuna interna der Rom II-VO). 3) Außerdem sieht die Rom II-VO in den Fällen ihres Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) als zeitlich bedingte Rechtswahlbeschränkung vor, dass alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen müssen und dass die Rechtswahl eine frei ausgehandelte Vereinbarung sein muss. Das erste Merkmal ist erfüllt, wenn die Parteien im Rahmen einer selbstständigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit das für außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht isoliert oder im Rahmen eines Hauptvertrags wählen. Das zweite Merkmal schließt eine Rechtswahl in AGB oder Standardverträgen nicht aus, da der Zusatz „frei ausgehandelt“ bloß eine

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deklaratorische Unterstreichung der Parteiautonomie ist. Auf Rechtsfolgenseite muss die vorherige Rechtswahlvereinbarung stets ausgelegt werden, um zu ermitteln, ob sie das betreffende außervertragliche Schuldverhältnis umfasst. Das ist der Fall, wenn es in einem inneren Zusammenhang zur kommerziellen Tätigkeit der Parteien steht. 4) Im unionsrechtlichen IPR existieren auch gegenständliche Rechtswahlbeschränkungen. Sowohl nach der Rom I-VO als auch nach der Rom II-VO dürfen die Parteien nur geltendes staatliches Sachrecht zum Gegenstand ihrer kollisionsrechtlichen Wahl machen, und das auch nur innerhalb des Anwendungs- und Geltungsbereiches des europäischen IPR. Des Weiteren beschränkt die Rom I-VO die Rechtswahl unter bestimmten Voraussetzungen im Internationalen Beförderungs- und Versicherungsvertragsrecht durch Festlegung der wählbaren Rechtsordnungen (vgl. Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. a) bis e) Rom I-VO, Art. 7 Abs. 3 S. 1 lit. a) bis e) Rom IVO). 5) Welches Recht Zustandekommen und Wirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung beherrscht, ist in der Rom I-VO ausdrücklich geregelt. Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO bestimmt, dass sich Zustandekommen und Wirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung nach dem Recht richten, das nach Maßgabe der Art. 10, 11 und 13 Rom I-VO anzuwenden ist. In der Rom IIVO fehlt eine entsprechende Parallelregelung. Dabei handelt es sich um eine lacuna externa, da die „Vereinbarung“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO (Rom II-Rechtswahlvereinbarung) als vertragliches Schuldverhältnis einzuordnen ist und somit in den Anwendungsbereich des EVÜ oder der Rom I-VO fällt. Daher muss das Statut für die Rom II-Rechtswahlvereinbarung nach den nationalen Umsetzungsvorschriften zu Art. 3 ff. EVÜ bestimmt werden, wenn sie vor dem 17.12.2009 geschlossen worden ist; ab diesem Zeitpunkt richtet es sich nach Art. 3 ff. Rom I-VO (vgl. dazu Art. 28, 24 Abs. 1 Rom I-VO). Weil Rechtswahlklauseln in der Praxis regelmäßig vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse umfassen, ergibt sich das für die Rom II-Rechtwahlvereinbarung maßgebliche Recht praktisch in der Regel aus den transformierten Art. 3 Abs. 4, Art. 8, 9, 11 EVÜ oder aus Art. 3 Abs. 5, Art. 10, 11, 13 Rom I-VO. Jedenfalls muss die Rechtswahl ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig bzw. mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Einzelfalles ergeben (vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 2 EVÜ/Rom I-VO, Art. 14 Abs. 1 S. 2, 1. HS Rom II-VO). 6) Haben die Parteien eine wirksame Rechtswahl getroffen, findet das gewählte Sachrecht nach Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Rom I-VO bzw. nach Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 24 Rom II-VO Anwendung. Der rechtlichen Wirkung einer Rechtswahl sind jedoch bestimmte Grenzen gesetzt. Zunächst entfaltet sie sich nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 in fine Rom I-VO, Art. 14 Abs. 1 S. 2, 2. HS Rom II-VO inter partes. Außerdem normiert die Rom I-VO in ihren Art. 6 Abs. 2 S. 2 und 8 Abs. 1 S. 2, dass von den zwingenden Be-

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

stimmungen des objektiv anwendbaren Rechts nicht zulasten des Verbrauchers bzw. Arbeitnehmers durch Rechtswahl abgewichen werden darf. Neben diesen persönlichen Grenzen ist die Wirkung einer Rechtswahl im unionsrechtlichen IPR sachlichen Beschränkungen unterworfen. So wird sie in den Fällen des Art. 3 Abs. 3, Abs. 4 Rom II-VO, Art. 14 Abs. 2, Abs. 3 Rom II-VO reduziert. Weiterhin gleichen sich beide Verordnungen darin, dass sie es Eingriffsnormen (Art. 9 Rom I-VO, 16 Rom II-VO) und dem ordre public der lex fori (Art. 21 Rom I-VO, 26 Rom II-VO) gestatten, der Rechtswahlwirkung im Einzelfall weitere Grenzen zu setzen. 7) Der Schwächerenschutz ist im europäischen IPR unterschiedlich ausgestaltet. Daher kann es bei Wechselwirkungen zwischen Rom I- und Rom II-VO zu Friktionen kommen. Diese Gefahr ist besonders groß beim Zusammenspiel zwischen Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO und den Normen der Rom I-VO, wenn man akzessorisch an eine vorherige Rom IRechtswahl anknüpft. Zur Vermeidung möglicher Wertungswidersprüche sollten Art. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 Rom II-VO generell unangewandt bleiben, wenn eine vorherige Rechtswahl im Widerspruch zu Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b) Rom II-VO steht. 8) Haben die Parteien keine (wirksame) Rechtswahl getroffen, muss das anwendbare Recht über die jeweils einschlägigen objektiven facta conectentia der Rom I- bzw. Rom II-VO bestimmt werden. Sie beruhen auf dem Grundsatz der engsten Verbindung und/oder dem Prinzip des Schwächerenschutzes. 9) Der Grundsatz der engsten Verbindung bewirkt, dass die objektiven Anknüpfungspunkte der Rom I- bzw. Rom II-VO immer eine Rechtsordnung berufen, zu der über ein bestimmtes Element des Schuldverhältnisses eine besonders enge Beziehung besteht. Dieses Element ist in der Rom I-VO meistens der Erbringer der charakteristischen Leistung, dessen gewöhnlicher Aufenthalt sehr häufig als factum conectens dient. In der Rom II-VO herrscht hingegen der Ort, in dem der Erfolg des Schuldverhältnis begründenden Verhaltens eintritt, als Anknüpfungspunkt vor. Während sich beide Verordnungen in ihren dominanten Anknüpfungspunkten unterscheiden, gleichen sie sich darin, dass sie ihre Anknüpfung meistens zeitlich fixieren. 10) Auch die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt ist zeitlich festgelegt. Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO erklärt den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts für maßgeblich. Dagegen beantwortet die Rom II-VO in ihren einzelnen Kollisionsnormen die Frage, welcher Zeitpunkt für die Bestimmung der anknüpfungserheblichen Tatsachen ausschlaggebend ist. Bei Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 und 12 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO ist auf den Zeitpunkt des Eintritts des haftungsbegründenden Verhaltens abzustellen, im europäischen Internationalen Deliktsrecht hingegen auf den Zeitpunkt des Schadensein-

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tritts (Erfolgseintritts). Diese Divergenz lässt sich mit der größeren Nähe nichtdeliktsrechtlicher außervertraglicher Schuldverhältnisse zum Vertragsrecht erklären. Diese Nähe hat auch zur Folge, dass die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bei Art. 10 bis 12 Rom IIVO nur subsidiär gilt, während sie die primäre Anknüpfungsregel im europäischen Internationalen Deliktsrecht verdrängt. Unabhängig von seiner Stellung in der Anknüpfungshierarchie ist der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt in der Rom II-VO von großer Bedeutung, während ihn die Rom I-VO nur in drei Verweisungsvorschriften verwendet. 11) Anders als der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt spielen akzessorische Anknüpfungen in der Rom I-VO und in der Rom II-VO eine wichtige Rolle. Sie können auf drei Grundgedanken beruhen: (1) Rücksichtnahme auf die sachrechtliche Verknüpfung der betroffenen Sachrechtsinstitute, (2) Aufstellung einer Rückausnahme zu Spezialregelungen wegen entfallener besonderer Interessenlage und (3) Verwirklichung von Begünstigungs- bzw. Schutzgedanken. 12) Aus allen akzessorischen Anknüpfungen stechen Art. 14 bis 16 Rom I-VO und Art. 18 bis 20 Rom II-VO besonders hervor. Sie enthalten die einzigen Normen des europäischen Kollisionsrechts, die die Anknüpfung bei Mehrpersonenverhältnissen ausdrücklich regeln. Die Wertungen der Art. 14 bis 16 Rom I-VO, 18 bis 20 Rom II-VO können auf zweierlei Weise nutzbar gemacht werden. Erstens lässt sich die lacuna interna in Art. 20 Rom II-VO schließen, indem man eine Analogie zu Art. 16 S. 2 Rom I-VO zieht. Zweitens kann man aus den Art. 14 bis 16 Rom I-VO, 18 bis 20 Rom II-VO drei Wertungen entnehmen, die für die Anknüpfung bei Mehrpersonenverhältnissen hilfreich sind: (1) Grundsätzliche Fortwirkung der sachrechtlichen Relativität der Schuldverhältnisse auf kollisionsrechtlicher Ebene, (2) Maßgeblichkeit des eigenen Schuldstatuts für Verteidigungsmittel und (3) Anwendbarkeit des Statuts des Schuldverhältnisses des Rückgriffsberechtigten für seine Rückgriffsrechte. Alle drei Wertungen sollten über die jeweilige Regelanknüpfung (analog) umgesetzt werden. Ist dies unmöglich, sollte man den drei Wertungen über die betreffende Ausweichklausel (analog) Geltung verschaffen. 13) Ausweichklauseln enthält das europäische IPR an vielen Stellen. Allerdings unterliegen ihnen nie ausnahmslos alle Anknüpfungen. Daher stellen sie zwar ein grundlegendes Anknüpfungsprinzip im EU-Kollisionsrecht dar, lassen sich aber schlecht als verallgemeinerungsfähige Regel in eine AT-Verordnung überführen. 14) Dasselbe gilt für die allgemeine Auffangklausel. Sie ist lediglich in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO enthalten, und ihr Ausgangspunkt lässt sich schlecht verallgemeinern, denn sie dient dazu, alle Rechtsneuschöpfungen durch Private kollisionsrechtlich zu erfassen. Zu solchen Neuschöpfungen

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

kann es im materiellen Vertragsrecht kommen, im außervertraglichen Sachrecht hingegen nicht.

VIII. Verweisung und Mehrrechtsstaaten 1) Das europäische IPR folgt dem Grundsatz der Sachnormverweisung (vgl. Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO). Von ihm wird nach Art. 20, letzter HS Rom I-VO ausdrücklich nur abgerückt, wenn sich aus der Verordnung etwas anderes ergibt. Das ist, soweit ersichtlich, lediglich bei Art. 7 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO und Art. 7 Abs. 4 lit. b) Rom I-VO der Fall. 2) Bisher ist im Schrifttum über drei weitere Ausnahmen zum Prinzip der Sachnormverweisung diskutiert worden, namentlich über die parteiautonome Gesamtverweisung, die Berücksichtigung der fehlenden Anwendungswilligkeit des berufenen Rechts im Rahmen der Ausweichklausel(n) und über die Gestattung eines Renvoi beim Verweis auf einen Drittstaat. Allerdings ergibt die interpretatio legis communis der Art. 20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO, dass der Grundsatz der Sachnormverweisung in allen drei Fällen keine Ausnahme zulässt. 3) Das unionsrechtliche IPR befindet grundsätzlich auch darüber, welche Gebietseinheit einer territorial gespaltenen Rechtsordnung maßgeblich ist (vgl. Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO, 25 Abs. 1 Rom II-VO). 4) Die Regelungen der Art. 22 Rom I-VO, 25 Rom II-VO versagen bei personalen Rechtspaltungen und nichtortsbezogenen Anknüpfungen. Daher sind sie de lege ferenda um eine norminterne Auffangklausel zu ergänzen, die auf die engste Verbindung abstellt.

§ 2 Ausblick § 2 Ausblick

In der Literatur wird immer wieder davon gesprochen, die allgemeinen Lehren künftig in einer Rom 0-Verordnung oder am Anfang einer Gesamtkodifikation des EU-IPR zu regeln.1 Zum jetzigen Stand der Integration sind mit der Rom I- und Rom II-VO nur einige Teile des Besonderen Teils „vollständig“ europäisiert worden. Die Vereinheitlichung weiterer Teilbereiche des Kollisionsrechts steht noch aus. Ob der gesamte BT jemals auf EU-Ebene geregelt sein wird, ist vor dem Hintergrund der Rechtsetzungskompetenz der EU fraglich. Daher ist es sinnvoller, die allgemeinen Lehren in einer Rom 0-Verordnung zu regeln.2 Aus ihr sollte die Unterhalts-VO jedoch ausgeklammert bleiben, __________ 1 2

S. Einleitung § 3 am Ende (S. 4 f.). Anders: Bariatti/Pataut, in: Fallon/Lagarde/Poillot-Peruzzetto (Hrsg.), Architecture, S. 337 (339); Lagarde, RabelsZ 75 (2011), 673–676.

§ 2 Ausblick

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weil ihr kollisionsrechtlicher Teil nicht zum „autonomen supranationalen“, sondern zum staatsvertraglichen IPR der EU zählt. Eine Rom 0-Verordnung bietet die Gelegenheit, einige Regelungen zusammenzuführen und zu ersetzen, die im Moment noch in der Rom I- und Rom II-VO zu finden sind. Außerdem muss eine solche Rom 0-Verordnung stets an den Stand der Integration angepasst werden. Sie sollte zurzeit folgenden Mindestgehalt haben: VERORDNUNG (EU) Nr. ... DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom ... über den Allgemeinen Teil des europäischen Kollisionsrechts („Rom 0“) DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION – gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 67 Abs. 4, 81 Abs. 2 lit. c) […] in Erwägung nachstehender Gründe: […] HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN: KAPITEL I ANWENDUNGSBEREICH Artikel 1 Anwendung dieser Verordnung (1) Diese Verordnung ist auf das Internationale Privatrecht anzuwenden, das auf Grundlage der Artikel 61 lit. c), 65 lit. b) EGV3 oder der Artikel 67 Abs. 4, 81 Abs. 2 lit. c) AEUV4 unionsweit – mit Ausnahme des Königreichs Dänemark – vereinheitlicht worden ist und nicht der Umsetzung staatsvertraglicher Pflichten der Union dient (europäisches Kollisionsrecht). (2) Diese Verordnung ist zeitlich anwendbar, wenn das Verhalten, das das Schuldverhältnis begründet, nach Eintritt ihrer Gültigkeit veranlasst wird. Was unter dem Schuldverhältnis begründenden Verhalten im Sinne des Satzes 1 zu verstehen ist, ergibt sich aus der jeweiligen sachlich anwendbaren Verordnung. (3) Diese Verordnung gilt ab dem …. __________ 3 Konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU Nr. C 321 E vom 29.12.2006, S. 1. 4 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU Nr. C 115 vom 9.5.2008, S. 1.

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

Artikel 2 Sachlicher Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts (1) Das europäische Kollisionsrecht ist auf Schuldverhältnisse in Zivilund Handelssachen anwendbar, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Es gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. (2) Von seinem Anwendungsbereich sind ferner ausgenommen: a) Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis oder aus Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht vergleichbare Wirkungen entfalten, einschließlich der Unterhaltspflichten; b) Schuldverhältnisse aus ehelichen Güterständen, aus Güterständen aufgrund von Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten, und aus Testamenten und Erbrecht; c) Schuldverhältnisse und sonstige Fragen, die sich aus dem Gesellschaftsrecht, Vereinsrecht und dem Recht der juristischen Personen ergeben, wie die Errichtung durch Eintragung oder auf andere Weise, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen sowie die persönliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person sowie die persönliche Haftung der Rechnungsprüfer gegenüber einer Gesellschaft oder ihren Gesellschaftern bei der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen; d) Schuldverhältnisse aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren, soweit die Verpflichtungen aus diesen anderen Wertpapieren aus deren Handelbarkeit entstehen; e) Schuldverhältnisse und sonstige Fragen, die sich aus rechtsgeschäftlich errichteten „Trusts“ ergeben, wie die Gründung von „Trusts“ sowie die dadurch geschaffenen Rechtsbeziehungen zwischen den Verfügenden, den Treuhändern und den Begünstigten. (3) Das europäische Kollisionsrecht gilt nicht für den Beweis und das Verfahren, soweit sich aus den konkret einschlägigen Regelungen nichts anderes ergibt. (4) Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff „Mitgliedstaat“ jeden Mitgliedstaat, für den diese Verordnung bindend und anwendbar ist, soweit sich aus den konkret einschlägigen Regelungen nichts anderes ergibt.

§ 2 Ausblick

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Artikel 3 Sachlich konkret anwendbare Verordnung Ist das europäische Kollisionsrecht nach den Artikeln 1 und 2 dieser Verordnung anwendbar, bestimmt sich die sachliche Anwendbarkeit der konkreten Verordnung nach diesem Artikel. (1) Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) (5) gilt für vertragliche Schuldverhältnisse. Sie gilt nicht für a) den Personenstand sowie die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen, unbeschadet des Artikels 13 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“); b) Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen; c) die Frage, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten kann, oder ob ein Organ einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer anderen juristischen Person diese Gesellschaft, diesen Verein oder diese juristische Person gegenüber Dritten verpflichten kann; d) Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags; e) Versicherungsverträge aus von anderen Einrichtungen als den in Artikel 2 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen6 genannten Unternehmen durchgeführten Geschäften, deren Zweck darin besteht, den unselbstständig oder selbstständig tätigen Arbeitskräften eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe im Todes- oder Erlebensfall oder bei Arbeitseinstellung oder bei Minderung der Erwerbstätigkeit oder bei arbeitsbedingter Krankheit oder Arbeitsunfällen Leistungen zu gewähren. (2) Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (7) gilt für außervertragliche Schuldverhältnisse. Sie gilt nicht für a) außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verleumdung; __________ 5 6

ABl. L 177 vom 04.07.2008, S. 6. ABl. L 345 vom 19.12.2002, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2008/19/EG (ABl. L 76 vom 19.3.2008, S. 44). 7 ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 40.

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

b) außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus Schäden durch Kernenergie ergeben. Artikel 4 Universelle Anwendung des europäischen Kollisionsrechts Das durch das europäische Kollisionsrecht berufene Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaates ist. Artikel 5 Zeitliche Anwendung des europäischen Kollisionsrechts (1) Das europäische Kollisionsrecht ist zeitlich anwendbar, wenn das Verhalten, das das Schuldverhältnis begründet, nach dem Zeitpunkt der Gültigkeit der jeweiligen Verordnung veranlasst wird. (2) Was unter dem Schuldverhältnis begründenden Verhalten im Sinne des Absatzes 1 zu verstehen ist, ergibt sich aus der jeweiligen sachlich anwendbaren Verordnung. KAPITEL II GELTUNGSBEREICH Artikel 6 Verhältnis zu anderen Vorschriften des Unionsrechts Das europäische Kollisionsrecht berührt nicht die Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts, die besondere kollisionsrechtliche Regelungen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Artikel 7 Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen (1) Das europäische Kollisionsrecht berührt nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der sachlich konkret anwendbaren Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten. (2) Das europäische Kollisionsrecht hat jedoch in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkommen, soweit diese Bereiche betreffen, die in ihm geregelt sind. (3) Die Beziehung der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche

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Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) (8) zum Übereinkommen von Rom bestimmt sich nach deren Artikel 24. KAPITEL III METHODISCHE GRUNDLAGEN Artikel 8 Auslegung Bei der Auslegung und Anwendung des europäischen Kollisionsrechts ist seinem internationalen Charakter und dem Wunsch Rechnung zu tragen, eine einheitliche Auslegung und Anwendung seiner Vorschriften zu erreichen. Artikel 9 Lückenschließung (1) Auftretende Regelungslücken sind durch das europäische Kollisionsrecht selbst zu schließen. (2) Lassen sich solche Lücken nicht auf die in Absatz 1 bezeichnete Weise schließen, ist auf die kollisionsrechtlichen Regelungen des Staates des angerufenen Gerichts zurückzugreifen. Artikel 10 Qualifikation und Subsumtion (1) Im europäischen Kollisionsrecht richtet sich die Qualifikation nach dem Recht des Staates, das nach der geprüften Kollisionsnorm anzuwenden wäre, wenn der zu beurteilende Sachverhalt von dieser Kollisionsnorm erfasst wäre. (2) Die Qualifikation im Sinne des Absatzes 1 ist die Vorbereitung der Subsumtion durch sachnormbezogene Einkleidung des zu beurteilenden Sachverhalts. (3) Im europäischen Kollisionsrecht erfolgt die Subsumtion unter die Rahmenbegriffe einer Kollisionsnorm durch einen Vergleich. Bei einem Vergleich im Sinne des Satzes 1 wird die Funktion, die das jeweils geprüfte Element einer Kollisionsnorm voraussetzt, der Funktion der Sachnormen gegenübergestellt, die nach der geprüften Kollisionsnorm anzuwenden wären, wenn der zu beurteilende Sachverhalt von dieser Kollisionsnorm erfasst wäre. Entsprechen die in Satz 2 genannten Funktionen einander, muss __________ 8

ABl. L 177 vom 04.07.2008, S. 6.

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

die abschließende Deduktion dahingehend erfolgen, dass das geprüfte Kollisionsnormelement den qualifizierten Sachverhalt erfasst. Die abschließende Entscheidung über eine Funktionsentsprechung im Sinne des Satzes 3 ist durch Auslegung (Artikel 8) der geprüften Kollisionsnorm zu treffen. (4) Die Subsumtion im Sinne der Absätze 2 und 3 ist die Vorbereitung der abschließenden Deduktion. Artikel 11 Beantwortung von Vorfragen (1) Das für eine Vorfrage anzuwendende Recht ist durch das europäische Kollisionsrecht zu bestimmen. Fehlen insoweit Kollisionsnormen, ist auf die Lückenschließung (Artikel 9) zurückzugreifen. (2) Die Subsumtion unter ein Merkmal, das eine Vorfrage aufwirft (Ausgangsmerkmal), erfolgt durch einen Vergleich. Bei einem Vergleich im Sinne des Satzes 1 wird die Funktion, die das Ausgangsmerkmal voraussetzt, der Funktion der Sachnormen, die nach Maßgabe des Absatzes 1 für die Vorfrage berufen sind, gegenübergestellt. Entsprechen die in Satz 2 genannten Funktionen einander, muss die abschließende Deduktion dahin gehend erfolgen, dass die beantwortete Vorfrage vom Ausgangsmerkmal erfasst wird. Die abschließende Entscheidung über eine Funktionsentsprechung im Sinne des Satzes 3 ist durch Auslegung der Norm zu treffen, deren Merkmal die Vorfrage aufgeworfen hat. (3) Eine Vorfrage im Sinne der Absätze 1 und 2 ist die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses, die weder vom sachlichen Anwendungsbereich der für die Hauptfrage maßgeblichen Kollisionsnorm umfasst wird noch eine Teilfrage ist, für die eine Sonderanknüpfung existiert. Eine Teilfrage ist die Frage nach der Beurteilung unselbstständiger Bestandteile der Hauptfrage. (4) Die Subsumtion im Sinne des Absatzes 2 ist die Vorbereitung der abschließenden Deduktion. KAPITEL IV SUBJEKTIVE ANKNÜPFUNG Artikel 12 Freie Rechtswahl (1) Die Parteien können das anwendbare Recht wählen, soweit im europäischen Kollisionsrecht nichts anderes bestimmt ist.

§ 2 Ausblick

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(2) Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Umständen des Falles – insbesondere aus den Bestimmungen eines zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages – ergeben. Auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung findet das von den Parteien für ihre vertraglichen Beziehungen gewählte Recht Anwendung. (3) Eine wirksam getroffene Rechtswahl führt zur Anwendung des gewählten geltenden Sachrechts. Rechte Dritter bleiben unberührt. (4) Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt des schuldverhältnisbegründenden Verhaltens in einem anderen als demjenigen Staat belegen, dessen Recht gewählt wurde, so berührt die Rechtswahl der Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann. (5) Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt des schuldverhältnisbegründenden Verhaltens in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen, so berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien nicht die Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts – gegebenenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form –, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann. KAPITEL V OBJEKTIVE ANKNÜPFUNG [...] KAPITEL VI VERWEIS Artikel X Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dem europäischen Kollisionsrecht anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit nach dem europäischen Kollisionsrecht nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.

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6. Kap.: Zusammenfassung und Ausblick

Artikel Y Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (1) Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede eigene Rechtsnormen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse hat, gilt für die Bestimmung des nach dem europäischen Kollisionsrecht anzuwendenden Rechts jede Gebietseinheit als Staat. (2) Kann das anzuwendende Recht nicht mittels Absatz 1 bestimmt werden, so ist das Recht anzuwenden, zu dem der Sachverhalt die engste Verbindung hat. (3) Ein Mitgliedstaat, in dem verschiedene Gebietseinheiten ihre eigenen Rechtsnormen für vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse haben, ist nicht verpflichtet, das europäische Kollisionsrecht auf Kollisionen zwischen den Rechtsordnungen dieser Gebietseinheiten anzuwenden. KAPITEL VII ANWENDBARES RECHT [...]

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Sachverzeichnis Sachverzeichnis Sachverzeichnis Allgemeine Lehren – Begriff 3 – Erforderlichkeit im EU-IPR 2 f. Allgemeiner Teil – Begriff 2 – Erforderlichkeit im EU-IPR 2 f. Alltagssprache 57 Anforderungen – an die konkret konkurrierende Norm 153 ff., 165 f., 325 f. – an die konkurrierende Rechtsquelle 142 ff., 160 ff., 325 Anknüpfung – akzessorische 276 ff., 290 ff., 298, 331 – objektive 230 f., 270 ff., 330 ff. – subjektive 229 ff., 231 ff., 328 ff. – verordnungsübergreifender Vergleich 295 ff. Anknüpfungspunkt – ortsbezogener 271 ff., 282 ff. Anwendungsbereich – Begriff 139 – des europäischen IPR 106 ff., 324 f. – verordnungsspezifischer zeitlicher 134 ff., 325 – verordnungsübergreifender räumlicher 126 ff., 324 – verordnungsübergreifender sachlicher 108 ff., 324 – verordnungsübergreifender zeitlicher 130 ff., 324 f. Aufenthalt – gemeinsamer gewöhnlicher 272 f., 285 ff., 296 ff. – gewöhnlicher 271 f., 282 ff., 296 Auffangklausel 281 f., 302 ff., 331 f. Auslegung – Abgrenzung 30 ff., 320 – Anwendbarkeit 37 f., 50 ff.

– – – –

autonome 41 ff. Begriff 24, 319 des europäischen IPR 40 ff. funktionale 179 ff., 190, 197, 208 ff., 212, 326 – genetische 64, 66 f. – grammatikalische 54 ff., 321 – Grenzen 33 ff., 320 – historische 64 ff., 321 – objektiv-historische 64 – sachrechtlichen Sekundärrechts 80, 322 – subjektiv-historische 64 – systematische 68 ff., 321 – teleologische 72 ff., 321 f. – Ziel 45 ff. Auslegungstheorien – gemischte 45 f. – objektive 45 – subjektive 45 Ausweichklausel 264 ff., 281, 289 f., 302, 331 Autonomer Ansatz 13 f. Bereichsausschlüsse – verordnungsspezifische 121 f. – verordnungsübergreifende 120 f. Bürger – (Unions-)Bürger 35 f., 73 f. completio lacunae – Begriff 81, 322 – im Sekundärsachrecht 101 ff., 323 – Methode 82 ff. completio lacunae externae 94 ff., 322 f. completio lacunae internae 97 ff., 322 f. Conexus cum lege causae 22 f., 307 f., 319

370

Sachverzeichnis

Dänemark 8, 127, 129, 324 Dauerschuldverhältnisse 133 Dépeçage 234 ff. Diskurseinheitssprache 16 Eindeutigkeitsregel 77 Eingriffsnormen 149, 151, 263, 330 Einheitsansätze 46 f. examinatio ante interpretationem 50 ff., 320 Extraktsprache 16 ff. Extraktsprachenansatz 16 ff., 319 Fachsprache 57 Factum conectens 21 f., 23, 319 Geltungsbereich – Abgrenzung 139 – Begriff 139, 325 – des europäischen IPR 139 ff., 325 f. Grenzen – der Auslegung 33 ff., 320 – der Lückenschließung 33 ff., 320 – der Rechtsfindung 33 ff., 320 – horizontale kompetenzrechtliche 36 – inhaltliche 37 f. – vertikale kompetenzrechtliche 34 ff. – zeitliche 39 Hierarchisierung nach Normtextnähe 79 Intentionalismus 56 Internationales Privatrecht – europäisches 7 ff. interpretatio – iuxta historiam 64 ff., 321 – iuxta mentem 72 ff., 321 f. – iuxta systema 68 ff., 321 – iuxta verbum 54 ff., 321 – legis communis 50 ff., 320 Kollisionsnormstruktur 19 ff., 319 Kompetenzgrundlage – und räumlicher Anwendungsbereich 127 f., 324 – und Universalität 128 f., 324 Konventionalismus 56 lacuna – Begriff 88

– Bestehen einer 83 ff., 322 f. – externa 88, 322 f. – Feststellung einer 89 f., 322 f. – interna 88, 322 f. – Schließung einer 90 ff., 323 Lücke – Begriff 83, 85, 88 – Bestehen einer 83 ff., 322 f. – externe 84 – Feststellung einer 89 f., 322 f. – interne 84 – Schließung einer 90 ff., 323 Lückenfüllung: s. Lückenschließung Lückenschließung – Anwendbarkeit 37 f. – Begriff 29, 319 – Grenzen 33 ff., 320 – im europäischen IPR 81 ff., 322 f. – im Sekundärsachrecht 101 ff., 323 – Methode 82 ff., 322 f. – Modelle 90 f. Mehrpersonenverhältnisse 279 ff., 294 f., 299 ff., 331 Methoden- und Systembegriffe 13, 19 ff., 319 norma – antinomiae 139, 142, 144 – auxilii 22 f., 319 – conflictionis legum 22 f., 319 ordre public 2, 22, 149, 156, 263, 269, 330 Parteiautonomie 229 ff., 231 ff. Pluralistische Lösung 13 praequaestio (s. auch Vorfrage) – Abgrenzung auf kollisionsrechtlicher Ebene 199 ff., 327 – Abgrenzung auf sachrechtlicher Ebene 201 f., 327 – Abgrenzung zur Hauptfrage (quaestio principalis) 199, 201 f., 327 – Abgrenzung zur Teilfrage (quaestio subiecta) 200 f., 202, 327 – ante conexum cum lege causae 198, 199 ff., 224 f., 327 – Bedeutung des Vorfragenproblems 205, 225 f., 328

Sachverzeichnis – Begriff 197 ff., 327 – Einordnung in den Rechtsanwendungsvorgang 223 f., 327 f. – grundsätzliche Anknüpfung 222 f., 327 – post conexum cum lege causae 198, 201 f., 327 Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 34 f. quaestio principalis – Abgrenzung zur Vorfrage (praequaestio) 199, 201 f., 327 – Begriff 199 f. quaestio subiecta – Abgrenzung zur Vorfrage (praequaestio) 200 f., 202, 327 – Begriff 200 qualificatio in lege communi 190 ff., 326 Qualifikation – funktionaler Oberbegriff 170 f., 326 – Hauptstreitpunkte im autonomen nationalen IPR 172 ff. – im europäischen IPR 184 ff., 326 f. – Lösungsansätze für das europäische IPR 184 ff. Qualifikationsgegenstand 172 f., 326 Qualifikationsmethode 178 ff. Qualifikationsstatut 173 ff., 326 f. Rechtsfindung – Befugnis des EuGH zur 33, 320 – Begriff 33 – Grenzen 33 ff., 320 Rechtsfortbildung – Abgrenzung 30 ff. – Begriff 27 ff. – Grenzen 33 ff. Rechtsspaltung – personale 316 ff., 332 – territoriale 316 ff., 332 Rechtswahl – Ausschlüsse 231 ff., 328 – Beschränkungen 238 ff., 328 f. – Grenzen 261 ff., 329 f. – in AGB 244 ff., 328 f. – Statut für Zustandekommen und Wirksamkeit 255 ff., 329 – Zulässigkeit 231 ff. Rechtswahlvereinbarung 255 ff.

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Renvoi 308 ff. Res conectenda 21, 23, 319 Rück- und Weiterverweisung 307 ff. Sachnormverweisung – Ausnahmen zum Grundsatz der 308 ff., 332 – Grundsatz der 307, 332 Schuldverhältnisse – außervertragliche 123 ff., 324 – Begriff 110 ff., 324 – vertragliche 123 ff., 324 Souveränität der Mitgliedstaaten 34 f. Spezialität 152, 154, 164 f. Sprachen – künstlich geschaffene 18 – lebende 17 – tote 17 f. Subsidiaritätsprinzip 35 Subsidiaritätsthese 77 Subsumtionsmethode 193 f. System – äußeres 68 f. – inneres 69 f. Teilrechtswahl 234 ff., 328 Terminologie – Begriff 12, 319 – für das europäische IPR 11 ff., 319 Universalität 126, 128, 130, 324 Verbindung zum Recht verschiedener Staaten 115 ff., 324 Verhältnis – zum autonomen nationalen IPR 139 f., 325 – zum sonstigen unionsrechtlichen IPR 140 ff., 325 – zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht 157 ff., 325 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip 35 Verordnungsübergreifende Konkurrenzregel – Regelungsgehalt auf Tatbestandsseite 142 ff., 160 ff. – Regelungsgehalt auf Rechtsfolgenseite 155 f., 166 ff. Verweisung – auf Mehrrechtsstaaten 316 f.

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Sachverzeichnis

Vorfrage (s. auch praequaestio) – Abgrenzung 199 ff. – Begriff 197 ff., 327 – im europäischen IPR 213 ff., 327 f. – und Rechtsanwendung auf einen Blick 211 ff. – und Rechtsanwendung im Kollisionsrecht 208 f. – und Rechtsanwendung im Sachrecht 209 f. Vorfragenbeantwortung im autonomen nationalen IPR – Beitrag 207 ff. – Überblick 203 ff. Vorfragenbeantwortung im europäischen IPR – kollisionsrechtliche Lösungsansätze 213 f. – sachrechtliche Lösungsansätze 213 – Stellungnahme 214 ff.

Vorprüfung 50 ff. Vorrang – der primärrechtskonformen Auslegung 78 – des subjektiven Gesetzgeberwillens 78 – des Zwecks 78 f. Wechselwirkungen zwischen der Rom I- und Rom II-VO 264 ff., 304, 330 Wortlaut – Begriff 54 – vom Wortlaut zum Wortsinn 58 ff. Wortsinn 54 Zivil- und Handelssachen 109 f., 324 Zweck – als Auslegungsergebnis 72 ff., 321 f. – als Auslegungsmittel 74 ff., 322