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German Pages [321] Year 2022
Lebenswissenschaften im Dialog
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Daniel Falkner
Metaphern des Lebens Metaphorologische Perspektiven auf die Debatte um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie
VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495825211
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B
Daniel Falkner
Metaphern des Lebens
LEBENSWISSENSCHAFTEN IM DIALOG
A
https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
Lebenswissenschaften im Dialog Herausgegeben von Kristian Köchy, Stefan Majetschak, Robert Meunier, Francesca Michelini Band 26
https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
Daniel Falkner
Metaphern des Lebens Metaphorologische Perspektiven auf die Debatte um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie
Verlag Karl Alber Freiburg / München
https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
Daniel Falkner
Metaphors of Life Metaphorological perspectives on the debate about the concept of life in synthetic biology Metaphors in the biological and life sciences can be both objects and instruments of bioethical reflection. This paper attempts to approach the complex phenomenon of metaphor using the example of the debate on the concept of life in synthetic biology in a network of diachronically and synchronically intertwined perspectives. The developed method of metaphorological perspectivisation thus enables a differentiated description and classification of the research and its normative framework without lapsing into one-sided attempts at solutions, sweeping judgements or totalitarian claims to truth.
The author: Daniel Falkner studied philosophy at the University of Erlangen-Nuremberg. He then deepened his knowledge of bioethical issues in the life sciences as a member of the bioethics working group at the SYNIMKRO Centre for Synthetic Microbiology in Marburg and completed his doctorate at the University of Kassel with this thesis.
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Daniel Falkner
Metaphern des Lebens Metaphorologische Perspektiven auf die Debatte um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie Metaphern in den Bio- und Lebenswissenschaften können sowohl Gegenstand als auch Instrumente der bioethischen Reflexion sein. Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, sich dem komplexen Phänomen der Metapher am Beispiel der Debatte um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie in einem Netzwerk von diachron und synchron verschränkten Perspektiven zu nähern. Die entwickelte Methode der metaphorologischen Perspektivierung ermöglicht so eine differenzierte Beschreibung und Einordnung der Forschung und ihrer normativen Rahmenbedingungen, ohne in einseitige Lösungsversuche, pauschalisierende Urteile oder totalitäre Wahrheitsansprüche zu verfallen.
Der Autor: Daniel Falkner studierte Philosophie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Anschluss vertiefte er seine Kenntnisse in bioethischen Fragen der Lebenswissenschaften als Mitarbeiter der AG Bioethik bei SYNIMKRO Zentrum für Synthetische Mikrobiologie in Marburg und promovierte mit vorliegender Arbeit an der Universität Kassel.
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Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2021 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: Frank Hermenau, Kassel Einbandgestaltung: Ines Franckenberg Kommunikations-Design, Hamburg Herstellung: CPI books Gmbh, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-495-49197-3
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Inhalt
Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Debatte um Wissenschaftsfreiheit und Verantwortung in den Bio-und Lebenswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zur Bedeutung und den Aufgaben ethischer Begleitforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Metaphern und Metaphernanalysen in der Synthetischen Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Methodologische Vorüberlegungen zur Metapherntheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Wahrheit, Metapher und Leben als perspektivistische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Theorien der lebendigen Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Streit um die Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Probleme und Paradoxien einer Definition der Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Das Paradoxon der Selbstimplikation . . . . . . . . . . . 2.1.3 Der Ursprung des Streits um die Metapher . . . . . 2.2 Metapher und Ähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Metapher als Ähnlichkeitstropus . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Interaktionstheorie der Metapher . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Dialektik von Identität und Differenz . . . . . . . . 2.3 Metapher und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die Historizität der Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Blumenbergs Projekt der Metaphorologie . . . . . . . 2.3.3 Materiale Metaphorologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Methodologische Überlegungen und Probleme . . . 2.4 Metaphern und Modelle in der Wissenschaft . . . . . . . . . . 2.4.1 Zum Verhältnis von Metapher und Modell . . . . . . . 2.4.2 Die konstitutive Rolle von Metapher und Modell in der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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13 13 16 20 23 30 39 42 42 44 50 55 55 57 61 68 68 70 77 83 87 87 92
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Inhalt
2.4.3 Kriterien der Wahrheitsfähigkeit und Bedingungen der Metaphernreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2.4.4 Die Methode der reflexiven Metaphorisierung . . . 102 III. Metaphern des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.1 „Was ist Leben?“ Die Debatte um den Lebensbegriff . . 112 3.1.1 Umstrittene Definitionen des (biologischen) Lebens 112 3.1.2 „Was ist Leben?“ als philosophische Frage . . . . . . 116 3.1.3 Der Streit zwischen Vitalismus und Mechanismus 120 3.1.4 Leben als absolute Metapher? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3.2 „Leben herstellen“. Metaphern des Lebens in der Synthetischen Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3.2.1 Zur Relevanz der Synthetischen Biologie . . . . . . . 134 3.2.2 Definition und Debatte zur Synthetischen Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3.2.3 Lebenskonzepte und Handlungskontexte der Synthetischen Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.2.4 Metaphern des Lebens in der Synthetischen Biologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3.3 Metaphorologische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3.3.1 Die Methode der metaphorologischen Perspektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3.3.2 Metaphorologische Perspektive 1: „Living machine“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3.3.2.1 Vorkommen und Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3.3.2.2 Historischer Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3.3.2.3 Wandel der Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.3.2.4 Deutung und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3.3.3 Metaphorologische Perspektive 2: „DNA as the software of life“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3.3.3.1 Vorkommen und Kontext der Metapher . . . . 198 3.3.3.2 Historischer Ort der Metapher . . . . . . . . . . . . 201 3.3.3.3 Wandel der Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3.3.3.4 Einordnung und Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3.3.4 Metaphorische Perspektive 3: Lebewesen als komplexe Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3.3.4.1 Vorkommen und Kontext der Metapher . . . . 239 3.3.4.2 Historischer Ort der Metapher . . . . . . . . . . . . 246 3.3.4.3 Wandel der Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3.3.4.4 Einordnung und Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
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Inhalt
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IV. Zusammenfassung und Ausblick auf eine Metapherntheorie als Ethiktheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Zusammenfassung der metaphorologischen Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die ethische Bedeutung von Metaphern in der Debatte um den Lebensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Metapherntheorie als Ethiktheorie? . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
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Danksagungen
Dass ich dieses Projekt erfolgreich abschließen konnte, wäre ohne die Hilfe und Unterstützung vieler Menschen nicht möglich gewesen. An erster Stelle sei hier Prof. Dr. Dr. Kristian Köchy (Kassel) für die freundliche und umfassende Betreuung der Arbeit ganz herzlich gedankt. Sein fachkundiger und freundschaftlicher Rat an den richtigen Stellen, die Unterstützung während des Promotionsverfahrens und auch die Vermittlung finanzieller Mittel für die Drucklegung haben ganz wesentlich dazu beigetragen, dass ich die Arbeit zum Abschluss bringen konnte. Herrn Prof. Dr. Friedemann Voigt (Marburg) danke ich sehr für die Übernahme des Zweitgutachtens und die wohlwollende Begleitung meines Vorhabens während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter der AG Bioethik und darüber hinaus. Von Anfang an hat er mich darin bestärkt, den Grundgedanken einer Metapherntheorie als Ethiktheorie konsequent durchzuführen und in die nun vorliegende Form der metaphorologischen Perspektivierungen zu bringen. Auch den weiteren Mitgliedern des Prüfungsausschusses Prof. Dr. Dirk Stederoth und Dr. Robert Meunier (beide Kassel) möchte ich danken. SYNMIKRO LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie Marburg danke ich für die vielfältige Unterstützung und die einzigartigen Möglichkeiten zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Die Drucklegung wurde unterstützt durch die Universität Kassel. Danken möchte ich außerdem Herrn Prof. i. R. Dr. Jens Kulenkampff (Erlangen), der mich in meiner Erlanger Studienzeit in vielfältiger Weise unterstützt hat und mich mit seinem unprätentiösen hermeneutischen Stil in meiner philosophischen Grundausrichtung maßgeblich geprägt hat. Mit Dankbarkeit blicke ich auch auf die Zeit in der „Alten Universität“ in Marburg zurück. Als Philiosoph unter Theolog:innen habe ich mich von Anfang sehr wohl und herzlich aufgenommen gefühlt. Zu guter Letzt möchte ich den Freund:innen und meiner Familie danken, die mir in vielen Phasen meines Lebens zur Seite standen.
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Danksagungen
Allergrößter Dank geht an meine Mutter Petra Falkner, die mich stets liebevoll und bedingungslos unterstützt hat. Meinem Vater Christian Stellmann ist diese Arbeit gewidmet. Ich bin glücklich und dankbar über die gemeinsame Zeit in den letzten Jahren, in der ich – ganz unmetaphorisch – von ihm lernen durfte, das Leben und das Gute in jedem Moment anzunehmen und wertzuschätzen.
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I. Einleitung
1.1 Die Debatte um Wissenschaftsfreiheit und Verantwortung in den Bio-und Lebenswissenschaften Im September 2011 stellte der niederländische Virologe Ron Fouchier auf der ESWI Influenza Konferenz in Malta die Ergebnisse seiner Forschungsgruppe zum Vogelgrippe-Virus H5N1 vor. Ziel dieser Arbeiten war es, herauszufinden, welche und wie viele Mutationen notwendig sind, um das H5N1 Virus so zu verändern, dass es wie das Schweinegrippe-Virus H1N1 auch zwischen Säugetieren übertragbar ist. Das Experiment wurde an Frettchen durchgeführt und gelang insofern, als sich mehrere Versuchstiere mit dem Virus per Luftübertragung ansteckten und starben.1 Hintergrund dieser und ähnlicher virologischer Experimente2 ist die reale Möglichkeit solcher Mutationen in der Natur und damit die Vorsorge gegen drohende Pandemien. Es bedarf lediglich fünf Mutationen auf der Hämoglobinoberfläche des Vogelgrippevirus, um dieses sonst für den Menschen ungefährliche Virus in einen hochpathogenen Erreger zu verwandeln, der über die Luft übertragen werden kann. (Herfst 1
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Fouchier revidierte jedoch seine Einschätzung zur Gefährlichkeit des künstlichen Virus. Zwar steckten sich die infizierten Frettchen gegenseitig mit dem Virus an, dabei erkrankte jedoch keines der Versuchstiere. Erst nachdem das Virus tief in die Lungen eingebracht wurde, starben die Tiere. Dies sei natürlich kein normaler Ansteckungsweg und ob das Virus tatsächlich auch von Menschen übertragen werden kann, sei sehr ungewiss. (Kuhrt, 2012) Zeitgleich zu Fouchiers Forschungen führte Kawaoka ganz ähnliche Experimen te an der Übertragbarkeit von H5N1 durch. (Imai u. a., 2012) Beide Veröffentlichungen wurden von dem National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) im November 2011 nicht zur Veröffentlichung freigegeben. Die For scherteams haben daraufhin freiwillig ein 60tägiges Moratorium ausgerufen und weitere Forschungen sowie Veröffentlichungen eingestellt. Nach einer Sit zung mit Virologen und anderen Expert:innen wurde der Aufsatz von Kawao ka am 2.5.2012 in Nature veröffentlicht. Fouchier konnte seine Ergebnisse am 22.06.2012 in Science publizieren.
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Einleitung
u. a., 2012) Sowohl in der Darstellung der Forscher:innen als auch in der medialen Berichterstattung war die Rede von einem sehr gefährlichen Super-, Killer- und Monstervirus. (Vgl. Briseño, 2011; Lüdemann & Stockrahm, 2012) Es wurde eine kontroverse Debatte über Fragen von Biosicherheit und das mögliche Missbrauchspotential der künstlichen Erschaffung von pathogenen Viren und Organismen geführt, die schließlich – erstmalig in der Geschichte des US Gremiums für Biosicherheit (NSABB) – in einem Moratorium und der Nichtveröffentlichung der Forschungsergebnisse mündete. (Fouchier u. a., 2012; Committee on Science, Technology, and Law u. a., 2013) Grund hierfür waren weniger die Gefahren eines unbeabsichtigten Entkommens der Erreger aus dem Hochsicherheitslabor, als vielmehr die Möglichkeit des Dual-Use, also dass die Ergebnisse und Methoden der virologischen Forschung missbräuchlich dazu genutzt werden könnten, um etwa Biowaffen zum Schaden der Menschheit herzustellen. (Vgl. hierzu Dickmann, 2012; Miller & Selgelid, 2007; Rappert & Selgelid, 2013) Im Zuge dieser von der virologischen Forschung ausgehenden grundsätzlichen Debatte um Verantwortung der Wissenschaft und Forschungsfreiheit geriet auch ein relativ junger Forschungszweig der Biowissenschaften unter Verdacht, Wissen und Methoden bereitzustellen, welche wissentlich oder unabsichtlich missbraucht und zum Schaden des Gemeinwohls führen könnten: die Synthetische Biologie. (PCSBI, 2010; Viggiani, 2010; Deutscher Ethikrat, 2014; Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG & Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2014) Die Synthetische Biologie ist eine interdisziplinäre Forschungsrichtung, die sich im Schnittfeld von Biologie, Ingenieurwissenschaft, Chemie und Informatik bewegt und sich in den letzten fünfzehn Jahren „international als eine hochinnovative Disziplin in der modernen Biotechnologie und als wichtige Triebfeder der biologischen Grundlagenforschung“ (Dechema Biotechnologie, 2011, S. 5) etabliert hat. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, synthetische Organismen nach Plan mit ingenieurwissenschaftlichen Methoden und Prinzipien wie Modularisierung und Systematisierung von biologischen Bausteinen herzustellen und nach vordefinierten Zwecken in technologische Anwendungen zu bringen. (Vgl. Endy, 2005; Breithaupt, 2006; Köchy, 2012b; Panke & Billerbeck, 2012) Kritiker:innen sehen hierin, wie im Falle der künstlich mutierten Viren, nicht nur die Gefahr, dass diese Organismen ohne absehbare Folgen in die freie Natur entweichen könnten, sondern, dass mit den Methoden der Synthetischen Biologie Bioterrorist:innen geradehttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
Wissenschaftsfreiheit und Verantwortung
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zu Baupläne an die Hand gegeben werden, um künstliche Viren und schädliche Organismen herzustellen. Daher wurde auch gegen die Synthetische Biologie bereits der Ruf nach einem Moratorium laut. (The ETC Group, 2007; Then, 2010a, 2010b) Demgegenüber stehen die vielversprechenden Möglichkeiten und Hoffnungen, die der Synthetische Biologie von Anfang an zugesprochen wurden und die sich auch in einer zunehmenden Zahl an Publikationen, Projekten und Forschungseinrichtungen unter dem Label Synthetische Biologie widerspiegeln. (Tucker & Zilinskas, 2006; Serrano, 2007) Als Craig Venter im Mai 2010 schließlich verkündete, er habe als erster einen künstlichen Organismus geschaffen, dessen Genom vollständig am Computer designt und synthetisiert wurde, war diese beeindruckende wissenschaftliche Pionierleistung begleitet von Versprechungen, mit der Synthetischen Biologie nicht nur den Schlüssel zum Verständnis allen Lebens (auf der Erde) in den Händen zu halten, sondern auch die Mittel zur Lösung nahezu aller drängenden Menschheitsprobleme. (Gibson u. a., 2010; vgl. auch JCVI, 2010; Venter, 2013) Venter und viele der frühen Protagonist:innen der Synthetischen Biologie heben dabei den Aspekt der Schaffung neuen Lebens als Ziel und Motivation ihres wissenschaftlichen Handelns hervor, was von Medien und der Begleitforschung zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Implikationen (ELSI) gleichermaßen dankbar aufgenommen wurde und seither, vor allem im deutschsprachigen Raum, die öffentliche Wahrnehmung und den fachlichen Diskurs um die Synthetische Biologie bestimmt. (Achatz & Knoepffler, 2014; Boldt, Müller, & Maio, 2012; Brenner, 2007; Dabrock, Bölker, Braun, & Ried, 2011; vgl. Hacker & Hecker, 2012) Venters Experimente erzeugten weltweit eine hohe mediale Resonanz und wurden schnell zum Anlass, das Topos der künstlichen Lebensschaffung und den aus der Gentechnik-Debatte bereits bekannten Vorwurf des „Playing God“ zu wiederholen. (Vgl. Schummer, 2011; Dabrock, 2009; Boldt, Müller, u. a., 2012) Bereits vor dieser „medialen Geburtsstunde der Synthetischen Biologie“ (Pühler, 2011, S. 11–17) etablierte sich jedoch eine eigenständige Debatte um die ethischen, juristischen und gesellschaftlichen Aspekte der Synthetischen Biologie, in der neben den Themen Biosecurity und Biosafety grundlegende Fragen zu einem veränderten Lebensbegriff und zur gesellschaftlichen Verantwortung biotechnologischer Entwicklungen und Forschung aufgegriffen und verhandelt werden. (Zum Überblick über die ethische Debatte vgl. Falkner, 2017; Achatz, O’Malley, & Kunzmann, 2012) https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Einleitung
Die vorliegende Arbeit nimmt diese Debatte um die Synthetische Biologie zum Ausgangspunkt und als Anwendungsbeispiel für einen metapherntheoretischen und hermeneutischen Zugang zu bioethischen Diskursen im Feld der Bio- und Lebenswissenschaften, die sich in dem spannungsvollen Verantwortungs- und Vertrauensverhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft bewegen. Dieses Verhältnis ist insofern als spannungsvoll zu beschreiben, als sich verantwortungsvolles wissenschaftliches Handeln stets im Kontext gesamtgesellschaftlicher normativer Erwartungen und Werte ausweisen können muss und der Legitimation von Seiten der Gesellschaft bedarf. Dieser gesellschaftliche Vertrauensvorschuss ist nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder hergestellt und bestätigt werden. Weder die aufmerksamkeitsheischende Rede von Killerviren noch überzogene Heilsversprechen und utopische Versprechungen sorgen hingegen für ein Bild vertrauenswürdiger und verantwortungsvoller Forschung. Die Synthetische Biologie tangiert mit dem vermeintlichen Ziel der künstlichen Lebensschaffung ein hochsensibles Thema, welches normativ und lebensweltlich tief im ethischen Natur- und Selbstverständnis des Menschen verwurzelt ist. In der Vorstellung von künstlichen Designerorganismen schwingt im Hintergrund immer auch die Möglichkeit des künstlichen Menschen mit. Dies sorgt bei vielen für ein Gefühl von Unbehagen und Unsicherheit. Ein sachlicher Blick auf die Forschungspraxis zeigt dann jedoch häufig, dass sowohl die wissenschaftliche als auch mediale Darstellung nicht unbedingt dem entsprechen, was tatsächlich in den Laboren geschieht. Vielmehr wird zugunsten von Aufmerksamkeit, Reputation und Forschungsgeldern ein missverständliches, irreführendes Bild geschaffen, an dem sich auch noch die Begleitforschung, die wissenschaftsjournalistische Darstellung und die politische Debatte in großen Teilen orientiert. So geht die Frage nach den ethischen und gesellschaftlichen Folgen einer neuen Biotechnologie oft am Kern der tatsächlichen normativen Fragen und ethischen Konfliktpotentiale vorbei und endet schnell in präreflexiven Pauschalurteilen und voreiligen Rufen nach einem Forschungsmoratorium. 1.2 Zur Bedeutung und den Aufgaben ethischer Begleitforschung Dass die Synthetische Biologie bereits als „Hope- Hype- und FearTechnologie“ (Sauter, 2011) bezeichnet wurde, ist ein Indiz für eine Situation wachsenden Misstrauens in die Wissenschaft, welche von https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
Die Aufgaben ethischer Begleitforschung
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Gethmann als „Krise des Wissenschaftsethos“ (Gethmann, 2007) bezeichnet wurde und die sich in den letzten Jahrzehnten vorrangig im Bereich der Biotechnologien und Lebenswissenschaften katalysiert. Das Unbehagen und Misstrauen, das angesichts der Synthetischen Biologie zum Ausdruck kommt, ist dabei, wie Voigt herausstellt, zum einen durch skandalisierende Rhetorik und unhaltbaren Heilsversprechen selbstverschuldet, zum anderen „ein verständlicher Reflex auf diese neuen Technologien, als diese durch ihre Aufladung mit unterschiedlichsten Erwartungen auch auf unsere Lebenswelt einen Druck derart ausüben, dass der Eindruck entsteht, die Verhältnisse und normativen Regeln des Zusammenlebens würden durch sie verändert oder sogar außer Kraft gesetzt.“ (Voigt, 2015, S. 13) An dieser Stelle, so Voigt weiter, liege die tiefere Bedeutung einer ethischen Begleitforschung zur Synthetischen Biologie, insofern sie die klassische ethische Frage aufgreift und zum Ausgangspunkt der Reflexion macht, „wie die Veränderungen, die mit den neuen Wissenschaften eintreten oder zumindest möglich sind, sich zum Ethos der Lebenswelt verhalten“. (Ebd.) Für diese Aufgabe der Vermittlung von wissenschaftlichem und lebensweltlichem Ethos und der Rückbindung und Einordnung derjenigen Normen und Werturteile, die der wissenschaftlichen Praxis selbst entstammen, in den Kontext normativer Erwartungen und Ansprüche, welche von Seite der Gesellschaft an die Wissenschaft herangetragen werden, muss allerdings zunächst klar sein, um was es eigentlich geht (Was der Fall ist). Als erste Aufgabe ethischer Reflexion erscheint dann, den spezifischen Kern eines ethischen Konflikts aufzufinden und zu beschreiben. Gerade in einem so weiten und komplexen Feld wie der Synthetischen Biologie ist in ethischer Hinsicht schon viel gewonnen, wenn zunächst die verschiedenen Akteure, normativen Ansprüche und ethischen Konfliktpotentiale identifiziert und für die ethische Beurteilung und Entscheidungsfindung aufbereitet sind. Die Ethik sollte sich dabei stets der eigenen Grenzen ethischer Reflexion bewusst sein und nicht jedem Ruf nach ethischer Beratung bzw. dem Wunsch nach einer Ethik nachgeben, „die wie ein Bewertungsautomat funktioniert, der bei jeder kritischen Entscheidung ein ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ für die Alternativen liefert“ (Kötter, 2002, S. 99). Einer solchen binären Logik von entweder/oder bzw. erlaubt/ verboten, wie sie etwa auch die sprachliche Struktur des Dual-Use suggeriere, sei, so Voigt, „durch die Betrachtung der tatsächlichen Forschung zu begegnen und so in die konkrete ethische Urteilsbilhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Einleitung
dung überzugehen.“ (Voigt, 2017, S. 14) Ethische Begleitforschung besteht also zunächst in einer deskriptiven Aufgabe, bei der es nicht um die einseitige Auflösung der Konflikte, sondern um die präzise Beschreibung und Vermittlung der zur Frage stehenden Handlungsalternativen und die Bereitstellung der begrifflichen und methodischen Mittel zur sachgemäßen und rationalen Verständigung geht. Diese „deskriptive Arbeit der Ethik ist die Voraussetzung ihrer normativen Kraft“. (Voigt, 2017, S. 15) Darüber hinaus besteht die ethische Begleitforschung im Kontext neuer Biotechnologien und Lebenswissenschaften in einer hermeneutischen Aufgabe, bei der es, wie Grunwald beschreibt, um die „erst noch zu schaffenden begrifflichen und konzeptionellen Voraussetzungen [geht], damit Fragen des Handelns in den neu entstehenden Feldern überhaupt erst sinnvoll gestellt, ethisch reflektiert und dann möglicherweise auch beantwortet werden können.“ (Grunwald, 2014, S. 142) An anderer Stelle beschreibt Grunwald die Möglichkeit einer „Hermeneutischen Technikfolgenabschätzung“ und bezieht sich dabei konkret auf die Synthetische Biologie. Charakteristikum der Synthetischen Biologie sei die Ausweitung der klassischen Ingenieurssprache auf den Bereich des Lebendigen. „So gesehen und ‚versprachlicht‘ ist Synthetische Biologie erkenntnistheoretisch an eine technische Weltsicht und technische Intervention gebunden“. (Grunwald, 2012, S. 11f.) Ebenso charakteristisch sind die Gestaltungsmöglichkeiten, die mit einer technischen Weltsicht einhergehen und als Visionen und „Zukünfte“ der Synthetischen Biologie bereits heute einen großen Teil der gesellschaftlichen Debatte ausmachen, „deren heilsähnlichen Erwartungen von der Rettung aus der drohenden globalen Energiekrise bis hin zur Befürchtung des ‚Gott-Spielens‘ reicht.“ (Grunwald, 2012, S. 13) In der Bestimmung dessen, was unter diesen Voraussetzungen verantwortungsvolle Forschung bedeuten kann, nähme auch die Bedeutung begrifflicher, heuristischer und hermeneutischer Fragen zu. Eine „Hermeneutische TA“, so Grunwald abschließend, würde „einerseits gegenwärtige Debatten über sich selbst aufklären und kommende Debatten vorbereiten, in denen es dann z. B. um die konkrete Technikgestaltung gehen könnte“. (Grunwald, 2012, S. 14) Nach Voigt werde eine solche hermeneutische Erkundung schließlich selbst zur praktischen Stellungnahme, indem „sie jedem Zugang zu den Objekten und Begriffen auferlegt, sich in seiner individuellen Beschaffenheit neben anderen Zugriffen und Beschreibungen wahrzunehmen.“ (Voigt, 2015, S. 14) Das habe eine https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
Die Aufgaben ethischer Begleitforschung
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Selbstrelativierung der jeweiligen Position zur Folge und weise auf die Ergänzungsbedürftigkeit partikularer Wahrnehmungen hin. Schließlich zeige die hier aufscheinende diskursive Interdisziplinarität zugleich, „dass die Unterschiede, die in den fachwissenschaftlichen und ethischen Auffassungen zu Tage treten, nicht unendlich sind. Die Benennung dessen, was die unterschiedlichen Positionen voneinander trennt, ist gar nicht anders möglich, als dass auch das erkennbar wird, was sie miteinander teilen.“ (Ebd.) Die Rückbindung ethischer Urteile an die jeweils in der Forschungspraxis vorfindlichen und wirksamen Normen und Werte einerseits und die Einordnung dieser in den Rahmen gemeinsamer lebensweltlicher und gesamtgesellschaftlicher Erwartungen und Forderungen an den Sinn und Zweck wissenschaftlicher Tätigkeit andererseits verleiht der Ethik eine vermittelnde Rolle innerhalb des Vertrauens- und Verantwortungsverhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft. Dieser Rolle und verantwortungsvollen Aufgabe der Vermittlung ethischen Sinns wird sie weder als „Moralpolizei“ noch als „Legitimationsbeschafferin“ gerecht, sondern nur als deskriptive und hermeneutische Begleitforschung. Mit den metaphorologischen Perspektiven, die den methodischen Kern der vorliegenden Arbeit darstellen, liegt der Versuch vor, eine solche Form der deskriptiven und hermeneutischen Reflexion ethischer Aspekte im Kontext von Biotechnologien und Lebenswissenschaften am Beispiel der Synthetischen Biologie durchzuführen. Sie stellen zugleich einen Beitrag zur gegenwärtig geführten Debatte um den Lebensbegriff dar und verfügen über ein methodisches Instrument zur Klärung und Einordnung der begrifflichen und konzeptionellen Voraussetzungen und Deutungsschemata der Biound Lebenswissenschaften im Sinne einer „metaphernanalytischen Bioethik“ (Döring, 2014, S. 217), in welcher Metaphern Gegenstand und Instrument der Reflexion sind.3
3 Auch wenn sich die metaphorische Perspektivierung, wie weiter unten noch auszuführen ist, methodisch von Dörings sozialempirisch orientierter Analyse unterscheidet und einem hermeneutischen Ansatz zuzurechnen ist.
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Einleitung
1.3. Metaphern und Metaphernanalysen in der Synthetischen Biologie In der Synthetischen Biologie sind, wie in allen neuen Wissenschaftszweigen, die sich erst noch etablieren und behaupten müssen, eine ganze Reihe von mehr oder weniger auffälligen Metaphern vorzufinden. So ist in Anlehnung an die ingenieurwissenschaftlichen Methoden, derer sich die Synthetische Biologie bedient, von genetischen Schaltkreisen, der „toolbox of life“ oder auch „living machines“ die Rede. (Vgl. Deplazes & Huppenbauer, 2009b; Deplazes-Zemp, 2011) Auch weniger offensichtliche bzw. bereits etablierte und aus anderen Bereichen bekannte Metaphern wie die des genetischen Codes werden im Rahmen der Debatte um die Konstruktion von Leben wieder aufgegriffen und hinsichtlich des spezifischen Charakters der computergestützten Synthetisierung von DNA aktualisiert. (Vgl. Falkner, 2015b, 2016) Schließlich steht die Synthetische Biologie in einer langen Traditionslinie von Metaphern und Bildfeldern, deren metaphorische Ursprünge nicht mehr unmittelbar erkennbar sind bzw. die sich bereits zum begrifflichen Inventar der Wissenschaftssprache verfestigt haben. Ein Beispiel hierfür ist die Verwendung des Systembegriffs im Bereich der Biologie, insbesondere natürlich in der Systembiologie, welche als Vorläuferin und Komplementärdisziplin zur Synthetischen Biologie gilt. (Vgl. Fu & Panke, 2009; Döring & Kollek, 2016) In der bestehenden Literatur der Begleitforschung gibt es bereits einige Beiträge, die sich mit den Metaphern der Synthetischen Biologie auseinandergesetzt haben. Frühe Arbeiten erschöpfen sich hierbei meist in der Aufzählung von Einzelmetaphern und deren semantische Ursprungsbereiche oder nehmen recht voraussetzungsvolle Deutungen und Bewertungen von Metaphern im Rahmen der Debatte um einen möglicherweise veränderten Lebensbegriff und des Playing God Vorwurfs vor. (Vgl. Brukamp, 2011; Cserer, Seiringer, & Schmidt, 2011) Boldt et. al. etwa sehen in ihrer einflussreichen Studie von 2009 technomorphe Metaphern wie living mashines und artificial cell als Ausdruck einer Ontologisierung, welche im unvorsichtigen, unreflektierten Gebrauch eine „Artifizialisierung des Natürlichen“ und hinsichtlich der ethischen Implikationen „eine echte Gefahr“ darstelle. (Boldt, Müller, & Maio, 2009, S. 60) Es sei daher notwendig, eine kritische Prüfung bestimmter Begriffe und Metaphern zu unternehmen. (Boldt u. a., 2009, S. 57ff.) Unklar bleibt allerdings, wie eine solche kritische Prüfung vorzunehmen sei und https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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in welcher Weise Metaphern eine ethische Bedeutung zukommt. Diese Beobachtung teilt auch Döring, wenn er feststellt, dass trotz der offensichtlichen Relevanz und Dringlichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den Metaphern im Kontext biotechnologischer Innovationen und Forschung bisher wenig systematische und methodologisch fundierte Ansätze vorliegen. „Es metaphert gehörig im Kontext biotechnologischer Innovationen, und umso erstaunlicher ist es, dass selten eine kritischdiskursive und systematische Analyse moralisch-ethischer Implikationen und normativer Annahmen in Metaphern vorgenommen wurden.“ (Döring, 2014, S. 216f.) Neuere Arbeiten zu dem Thema stellen daher zunehmend auch methodologische Fragen und das Verhältnis von Metaphern und ethischen Implikationen im Kontext öffentlicher Wahrnehmung und gesellschaftlicher Wertungen in den Vordergrund. Metaphern werden als zentrale Elemente der Konstruktion von wissenschaftlichen Leitbildern, Weltsichten und Narrationen gesehen und nehmen damit eine handlungsorientierende und sichtlenkende Funktion ein. (Boldt, 2016) McLeod und Nerlich heben hervor, dass Metaphern nicht nur eine wichtige und ethisch relevante Rolle im Vertrauens- und Verantwortungsverhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft einnehmen, sondern selbst Teil eines verantwortungsvollen Umgangs mit Sprache im wissenschaftlichen Prozess und dessen Vermittlung und Beurteilung darstellen. (McLeod & Nerlich, 2017) Diejenigen Beiträge, die Auskunft über die theoretischen und methodischen Voraussetzungen ihrer Metaphernanalyse und -kritik geben, orientieren sich zumeist an den Ansätzen der Kognitiven Linguistik, wie sie vor allem von Lakoff und Johnson entwickelt und von Jäkel methodisch erweitert wurde. Kerngedanke dieser Metapherntheorie ist ein „conceptual blending“, die Übertragung bestimmter semantischer Elemente aus einem metaphorischen Konzept in ein anderes. (Lakoff & Johnson, 2003; Jäkel, 2003; vgl. auch Fauconnier & Turner, 2002; Schwarz-Friesel, 2008) Die Durchführung der Metaphernanalyse geht dann in Schritten von der Identifizierung von Metaphern und der Bildung von metaphorischen Konzepten mittels linguistischer Korpusanalyse hin zur Systematisierung und Interpretation der normativen Annahmen metaphorischer Übertragungen. (Döring, 2012, S. 97, 2014, S. 220) Als Korpus, dem die Metaphern entnommen werden, dienen häufig Pressetexte und Expert:inneninterviews. Ein solches Vorgehen erweist sich im Kontext bioethischer Analysen als praktikabel https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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und bietet eine nachvollziehbare und systematische Methodik, die sich bereits in der empirischen Sozialforschung und in diskurslinguistischen Analysen bewährt haben. (Vgl. Junge, 2014, 2011) Mit der theoretischen Fundierung über die Kognitive Metapherntheo rie nehmen allerdings diese Analysen auch deren sprachphilosophische Schwächen und Defizite in Kauf. Nach Gehring beinhalte die Theorie der unidirektionalen semantischen Übertragung einen „vergleichsweise schlichte[n] Realismus“, der die Metapher über die Konzepte Handlung und Kognition erklärt. (Gehring, 2009a, S. 83) Dem liege, so Haefliger, eine einfache Zwei-Welten-Theorie mit dem Primat des Kognitiven vor dem Sprachlichen zu Grunde, wobei „von der sprachtheoretisch vereinfachenden Voraussetzung ausgegangen [wird], dass die kognitiven Vorstellungen direkt und unverfälscht in Metaphern zum Ausdruck kommen bzw. Sprache und Denken homolog strukturiert sind“ (Haefliger, 1996, S. 63). Auch Döring bemerkt, dass die bisherigen Untersuchungen zu Metaphern im Kontext der Debatte und Berichterstattung der Synthetischen Biologie hinsichtlich der philosophischen und philologischen Voraussetzungen der Metaphernforschung ein deutliches Defizit aufweisen: „a critical reflection, theoretical integration and methodlogical elaboration of philosophical and philological research is still missing“. (Döring, 2018, S. 4) Döring ergänzt daher den üblichen Theorierahmen der Kognitiven Metapherntheorie durch Anleihen aus den metaphorologischen Studien Blumenbergs, den sprachphilosophischen Arbeiten Blacks und deren Erweiterung auf wissenschaftstheoretische Aspekte durch Hesse. Nicht nur handelt es sich dabei jedoch um völlig unterschiedliche Ansätze mit je eige nen theoretischen Voraussetzungen und Intentionen, es werden zudem grundlegende methodologische Probleme der Metaphernforschung und des hermeneutischen Ansatzes, wie etwa das Paradoxon der Selbstimplikation, die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit und Rationalität der Metapher oder das Problem der Identifizierung von Metaphern und Metapherkontexten, übersprungen. Es bleibt der Eindruck fehlender bzw. einseitiger theoretischer Fundierung und methodischer Heterogenität, der auch mit Blick auf angrenzende Diskurse und Metaphernanalysen im Bereich der Biowissenschaften, etwa die wegweisenden Arbeiten von Keller Fox, Haraway und Kay, oder auch innerhalb der Metaphernforschung selbst bestehen bleibt. (Keller, 1995, 2003; Haraway, 2004; Kay, 2000; vgl. auch Gehring, 2009b; Kovács, 2009) Wie Gehring betont, muss ein solcher Befund nicht zwangsläufig als Defizit der Forschung angehttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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sehen werden. Vielmehr ist gerade angesichts des komplexen und vielschichtigen Phänomens der Metapher der Methodenpluralis mus durchaus begrüßenswert, wenn er auch der besonderen Be gründung und Selbstauskunft über das eigene Vorgehen bedarf. „Verschiedene Wege der Metaphernforschung sind möglich. […] Gleichwohl enthebt uns diese Einsicht nicht der Notwendig keit, sehr genau zu bestimmen, wie wir uns der Metapher annähern und wie wir das Gegenstandsfeld für die konkrete Arbeit begrenzen wollen.“ (Gehring, 2009b, S. 204)
1.4 Methodologische Vorüberlegungen zur Metapherntheorie Eine der zentralen Aufgaben der Arbeit wird es sein, ein meta pherntheoretisches Gerüst zu erarbeiten, aus dem sich eine Metho de zur Beschreibung und kritischen Bewertung von Metaphern im Kontext wissenschaftlicher Handlungen ableiten lässt. Dies setzt zunächst einen klar umrissenen Metaphernbegriff voraus. Es wird sich als äußerst schwieriges, beinahe unmögliches Unterfangen er weisen, einen solchen Metaphernbegriff zu formulieren oder gar in eine gesicherte systematische Methodik zu überführen. Ein Blick in die entsprechende Literatur zu Begriff, Struktur und Funktion der Metapher helfe, so etwa Schöffel, hierbei zunächst nicht wei ter: „Jeder, der sich [...] in der Hoffnung, etwas über Funktion und Struktur der Metapher herauszufinden, der Literatur zuwendet, sieht sich einem Chaos gegenüber“. (Schöffel, 1987, S. 1) Nach Ha verkamp „gibt es keine einheitliche Metaphernforschung und eine Theorie der Metapher nur als Sammelnamen konkurrierender An sätze“. (Haverkamp, 1996, S. 2) Dies hat, wie sich noch zeigen wird, seinen Grund im Phänomen der Metapher selbst und erfordert da her einen besonderen Weg zur Annäherung an die Metapher: Statt eine Metapherntheorie oder Methode aus der Sammlung bisheriger Entwürfe zu wählen oder dieser eine neue Theorie hinzufügen zu wollen, sollen verschiedene bestehende Ansätze als einander ergän zende und korrigierende Perspektiven aufgefasst werden. Es ist ein hermeneutisches Unterfangen, welches nicht nach letzten Antwor ten und Definitionen sucht, sondern vom fraglichen Gegenstand, der Metapher, her die Gründe und Bedingungen für dessen Erschei nen in bestimmten Kontexten und Situationen sucht. Ich spreche also von Metaphern zunächst dort, wo sie als Metaphern auftreten https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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oder als Metaphern (bzw. Funktion von) behandelt werden. Dies entbindet natürlich nicht von der vertieften Auseinandersetzung und kritischen Würdigung der metapherntheoretischen und meta phorologischen Literatur. Vorbilder für einen solchen perspektivistischen und hermeneu tischen Zugang zur Metapher sind vor allem Ricœurs umfassendes Werk Die lebendige Metapher (Ricœur, 1986) und Debatins 1995 erschienene Studie über Die Rationalität der Metapher (Debatin, 1995). Ricœur entwickelt sein Verständnis der lebendigen Meta phern nicht in direkter Auseinandersetzung mit einer bestimmten Metapherntheorie oder philosophischen Richtung, sondern viel mehr aus dem Phänomen selbst und seiner Theoriegeschichte. Die Entwicklungsstufen „vom Wort – über den Satz – zum Text“, die in der Geschichte der Metapher von Ricœur anhand der „rekurrenten Lektüre“ (Schöffel, 1987, S. 22) der klassischen Theorien zur Meta pher identifiziert und zum methodischen Leitfaden seiner eigenen Ausführungen gemacht werden, liegen dabei im Wesen der Meta pher als hermeneutischem Ereignis selbst. (Ricœur, 1978, vgl. auch 1996) Die immanente Spannung und Dynamik, das „Lebendige“ der Metapher, entzieht sie als Gegenstand theoretischer Betrach tung der Fixierung durch nominalistische Definitionen und treibt ihre Theorie als innovatives Prinzip der Sprache von der Rhetorik über die Semantik zur hermeneutischen Methode. Die Pointe der Ricœurschen rekonstruktiven Stufenlogik in der Entwicklung der lebendigen Metapher liegt darin, dass die einzelnen Stufen sich nicht aufheben, sondern konstruktiv ineinander übergehen. Somit wird nicht die Rhetorik durch die Semantik und diese von der Her meneutik ersetzt, sondern „es ist vielmehr bestrebt, jeden dieser Standpunkte innerhalb der Grenzen der ihm entsprechenden Diszi plin zu rechtfertigen und die systematische Verkettung der Stand punkte durch den Fortgang vom Wort zum Satz und vom Satz zur Rede zu begründen.“ (Ricœur, 1986, S. 11) Hieran lässt sich Debatins Ansatz einer synthetischen Meta pherntheorie nahtlos anschließen. Debatin nimmt die Situation einer gewissen Sättigung der gegenwärtigen Metaphernforschung als Gelegenheit, „ein synoptisches Resümee aus den verschiedenen bestehenden Ansätzen zu ziehen.“ (Debatin, 1995, S. 2) Die Mul tidimensionalität der Metapher lade dazu ein, semantische, struk turalistische und hermeneutische Theoriestränge kritisch zusam menzuführen. Es handelt sich im problemorientierten Hinblick auf die Frage nach der Rationalität der Metapher um eine „interdis https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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ziplinär ansetzende Rekonstruktion von Theorien und damit um eine metatheoretische Perspektive“. (Ebd.) Kern der synthetischen Metapherntheorie sind die These der Metapher als rationaler Vor griff und die Methode der reflexiven Metaphorisierung. In gewis ser Weise können metaphorologische Studien wie die Blumenbergs oder Weinrichs als solche reflexiven Metaphorisierungen gedeutet werden, indem sie es unter Nutzung des reflexiven Potentials von Metaphern unternehmen, die diachron und synchron ineinander verschränkten Dimensionen bestimmter Metaphern bzw. Bild feldtraditionen zu rekonstruieren und in ihrer hermeneutischen Bedeutung und geistesgeschichtlichen wie lebensweltlichen Orien tierungsfunktion offenzulegen. (Blumenberg, 2011, 1996; Wein rich, 1976, 1996; vgl. auch Haefliger, 1996) Allerdings treten gerade in diesen Arbeiten die methodologischen Probleme einer materialen Metaphorologie in aller Deutlichkeit zu Tage und bieten wenig An satzpunkte einer methodisch nachvollziehbaren und rationalen Kritik eines bestimmten Metapherngebrauchs. (Debatin, 1995, S. 222ff.) Die Kunst der metaphorologischen Perspektivierungen wird also dar in liegen, zwischen den objektivistischen Anforderung nach einer eindeutigen wissenschaftlichen Methodik und dem der Metaphern forschung zu eigenen Hang nach spekulativer Tiefenhermeneutik (Vgl. Gehring, 2009b, 2009a) das eigene Vorgehen nachvollziehbar und begründet zu reflektieren.4 4 Wie Wellmer im Bezug auf die Wahrheitsfrage treffend herausstellt, liegt in dieser Gradwanderung zwischen methodischem Fundamentalismus und bedeu tungslosem Relativismus die Grundspannung und das Hauptanliegen der philo sophischen Hermeneutik, die stets vor dem Hintergrund und in kritischer Ab setzung von einem objektivistischen Methodenverständnis, wie es vor allem in den Naturwissenschaften vertreten ist, zu verstehen ist. (Vgl. auch Janich, 1996) Dies komme im Titel von Gadamers wegweisendem Werk Wahrheit und Me thode (Gadamer, 1975) in der Gegenüberstellung der Begriffe „Wahrheit“ und „Methode“ zur Geltung, in welcher bereits die „Distanzierung von einem auf die hermeneutischen Wissenschaften bezogenen Methodenverständnis [liegt], die sich unberechtigterweise am Vorbild anderer Wissensgebiete – formaler Lo gik, Mathematik und Naturwissenschaften – orientiert“. (Wellmer, 2004, S. 292) Die Metapher, mit Ricœur verstanden als hermeneutisches Phänomen, das auf das Engste mit der Wahrheitsfrage verbunden ist, steht über ihr Verhältnis zum Begriff in eben jenem Spannungsfeld von methodischer Erkenntnis und her meneutischer Interpretation. Dieses Verhältnis der vorliegenden Sachlage ange messen und ohne einseitige Auflösung zu bestimmen kann auch als eine Frage des Stils bezeichnet werden: „Man kann sich einen hermeneutischen Stil vor stellen, in dem die Interpretation zugleich dem Begriff und der konstituierenden Erfahrungsintention entspricht, die metaphorisch zum Ausdruck kommen will.“
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Eine der Grundannahmen besteht hierbei in der These, dass das Verständnis der Metapher in besonderem Maße davon abhängig ist, vor welchem Hintergrund konventionellen Sprachgebrauchs und welchem Sprachbewusstsein ein Ausdruck oder eine sprach liche Wendung als Metapher gebraucht und wahrgenommen bzw. verstanden wird. Es wird in diesem Zusammenhang die Rede von Sprachbildern sein. Dies meint Vorstellungen über den Begriff – nicht das Wort – „Sprache“ als die Bedingungen menschlichen Spre chens und Voraussetzungen von Verstehen. Unter einem Sprach bild kann dabei zunächst ein sprachliches Bild verstanden werden. Metaphern werden häufig als sprachliche Bilder mit veranschau lichender und Komplexität reduzierender Funktion aufgefasst. In diesem Sinne schreibt etwa Köller: „Ebenso wie das Phänomen bzw. der Begriff Wahrheit einen starken Sog ausübt, metaphorisch pers pektiviert und konkretisiert zu werden, so übt auch das Phänomen bzw. der Begriff Sprache eine starke Motivation aus, durch Bilder veranschaulicht zu werden.“ (Köller, 2004, S. 621) Es wäre aller dings verkürzt, zu sagen, dass Metaphern in solcher veranschau lichenden Funktion der bildlichen Sprache aufgehen. In der meta phorischen Perspektivierung von Sprache, so Köller weiter, stecke mehr als nur Veranschaulichung, nämlich die selbstreferentielle Reflexion von Sprache auf Sprache, „Sinnbilder für Sprache“, als „metaphorische Alternativen zur begrifflichen Erschließung von Sprache“. (Köller, 2012) Eine andere Möglichkeit von Sprachbilden zu reden, wäre im Sinne eines Bildes von der Sprache. Damit sind Vorstellungen, Hilfskonstrukte gemeint, „die Bildern gleichen – und manchmal [...] gar zu bemalten und beschrifteten Bildern und Darstellungen ausgebaut“ werden, um zu ‚fassen‘ zu kriegen, zu er fassen, was Sprache ist. (Franceschini, Haubrichs, Klein, & Schnell, 2009, S. 5) Beide Bedeutungen von Sprachbild sind für sich genom men nicht unproblematisch und stehen über den ikonischen und sprachlichen Charakter von Metaphern in einem spannungsvollen und komplexen Zusammenhang (Vgl. Köller, 2004, S. 600 ff; Henle, 1996; Ricœur, 1986, S. 192–208). Gehring warnt vor der – vor al lem in hermeneutischen Kontexten weit verbreiteten – Denkform, „die Metapher funktioniere bildanalog, sie sei also so etwas wie eine bildliche Rede.“ (Gehring, 2009a, S. 85) Metapher fällt keineswegs Eine solche Interpretation will also einerseits „die Klarheit des Begriffs, ande rerseits versucht sie, die Dynamik der Bedeutung zu bewahren, die vom Begriff unterbrochen und fixiert wird.“ (Ricœur, 1986, S. 284)
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mit Bildlichkeit zusammen und auch eine Analogie zwischen der Funktionsweise oder dem pragmatischen Umgang mit Metaphern und Bilden scheint bei genauerem Hinsehen mehr als fragwürdig und kontraproduktiv. (Gehring, 2009a, S. 92) Deswegen ist mit Sprachbild hier nicht Metapher gemeint, wenngleich Sprachbilder in dem hier veranschlagten Sinne sehr wohl Metaphern enthal ten können bzw. auf bestimmten Metaphern oder metaphorischen Konzepten basieren. Sprachbild meint einen Zusammenhang von Vorstellungen und Überzeugungen darüber, was Sprache ist, wie sie funktioniert und in welchem Verhältnis sie zu Sprecher:innen und der Welt steht.5 Solche Sprachbilder sind meist nicht explizit als solche formuliert, sondern wirken gleichsam im Hintergrund der Sprache. Sprachbilder, so Debatin, gehören einer „unsichtbaren Hintergrundmetaphorik“ an (Debatin, 1995, S. 220), die im wissen schaftlichen Diskurs wie auch in der Alltagskommunikation grund sätzliche begriffliche Unterscheidungen und Regeln, wie etwa die Anwendung der Prädikate „wahr“ und „falsch“, konstituieren. Solche Hintergrundmetaphorik und begrifflichen Grundstruk turen konstituieren den gemeinsamen sprachlichen Boden, auf dem überhaupt sinnvolle Verständigung stattfinden kann. Zugleich muss 5 Dies ist natürlich insbesondere in der Sprachphilosophie und Wahrheitstheo rie selbst hervorzuheben. So lässt sich etwa Wittgensteins grundlegende Wende von einer korrespondenztheoretischen Abbildtheorie der Wahrheit im Tracta tus zu der pragmatischen Bedeutungstheorie in den Philosophischen Unter suchungen auch als ein Wandel des zugrundeliegenden Sprachbildes und der zentralen Metaphern beschreiben. Während die Abbildtheorie von einem stati schen Entsprechungsverhältnis von Sprache und Welt ausgeht, welches sich mit Bollnow auf die Metaphern „Spiegel“ und „Fels“, als die zwei „Baustile“ des Wahrheitsbegriffs (Bollnow, 1975, S. 9f.), gebracht werden kann, zeichnet sich in den Metaphern der „Sprachspiele“ und „Familienähnlichkeiten“ innerhalb der Philosophischen Untersuchungen ein dynamisches, offenes und bewegliches Sprachbild ab, innerhalb dessen sprachliche Bedeutung nicht fix und stabil ist, sondern im jeweiligen Gebrauch und in Abhängigkeit von der Lebenswelt der Sprecher:innen bildet. (Vgl. etwa Ammereller, 2001; Schütt, 2004; Gamm, 1992, S. 70ff.; Stegmüller, 1974; Arnswald, 2004) Demmerling spricht in Bezug auf diese beiden in der Sprachphilosophie vorfindlichen Vorstellungen von Spra che von einem Vorhandenheitsmodell sprachlichen Sinns, ein im Wesentlichen geschlossenes und starres Modell eindeutiger Zuweisungen und identischer Elemente und einem Bewegtheitsmodell des Sinns, welches durch eine span nungsvolle Bewegtheit und Offenheit in synchroner und diachroner Dimension charakterisiert ist. (Demmerling, 2002, S. 204ff.) Ähnlich stellt auch Wellmer dem traditionellen Bild der sprachlichen Bedeutung ein Modell einer lebendigen Sprache entgegen, deren wesentliche Strukturmerkmale er den Philosophischen Untersuchungen Wittgensteins entnimmt. (Wellmer, 2004, S. 27ff.)
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dieser Hintergrund als der Reflexion und rationalen Kritik zugäng lich und damit veränderbar und beweglich gedacht werden. Das be deutet, wie Wellmer zeigt, dass „die Wahrheit von Aussagen davon abhängt, daß unsere Überzeugungen in einem richtigen Beurtei lungshintergrund fundiert sind“ und dieser Hintergrund zugleich als beweglich, in sich konfliktreich und in Stücken veränderbar und damit einer normativen Bewertung, kritischen Reflexion und dem Streit um eine „richtige […] Sicht der Dinge“ prinzipiell zugänglich vorausgesetzt werden muss. (Wellmer, 2004, S. 402) Wellmer zeigt in seinen wahrheitstheoretischen und sprachphilosophischen Stu dien, dass in der Praxis der Wahrheitsfindung „der Streit über die Wahrheit einzelner Überzeugungen – sofern wir den Streit nicht abrechen – in einen Streit über Sichtweisen, (Selbst-)Verständnisse, Vokabulare und Überzeugungszusammen hänge über[geht]. Vereinfacht gesagt: Der Streit über die Wahrheit von Überzeugungen ist potentiell immer schon ein Streit über die Sprache, in der diese Überzeugungen artikuliert werden, und damit zugleich über den Verständigungshintergrund dieser Überzeugun gen.“ (Wellmer, 2004) In einem solchen Streit um die Wahrheit (Wellmer, 2007), wel cher zugleich ein Streit um die Angemessenheit von Sichtweisen und Perspektiven sein kann, spielen Metaphern eine zentrale und produktive Rolle. Nicht nur bilden sie das sprachliche Fundament und begriffliche Netzwerk mit, in welchem die grundlegenden Un terscheidungen und Kategorien der Wahrheitsprädikate fundiert sind. Als innovatives Moment der Sprache können lebendige Meta phern zugleich eben jenen begrifflichen Hintergrund sichtbar und als Perspektive bzw. Sichtweise der Veränderung, Kritik und Revi sion zugänglich machen, indem sie als kategoriale Regelverletzung die Selbstverständlichkeit des gegebenen Sprachgebrauchs in Frage stellen. (Wellmer, 2004, S. 166ff.; vgl. auch Debatin, 1995, S. 121ff.; Davidson, 1978; Turbayne, 1970) Mit dem Modell des Streites um die Wahrheit zielt Wellmer auf einen „vieldimensionalen Wahrheitsraum unserer gewöhnlichen Sprachpraxis“, in welchem die „Unterscheidung zwischen wahr und falsch nicht bloß die Wissenschaft“, sondern vielmehr „diesen vieldimensionalen Wahrheitsraum im ganzen – also auch in mo ralischer, politischer, ästhetischer, hermeneutischer usw. Hinsicht“ (Wellmer, 2004, S. 389) betrifft. Sowohl die Frage nach der Wahrheit als auch diejenige nach der Metapher haben so ihren „Sitz im Le ben“ (Janich, 1996, S. 15). Sie werden aus lebensweltlichen Hand https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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lungszusammenhängen heraus gestellt und zielen letztlich auf die praktische und ethische Frage, auf welcher Grundlage und auf wel che Art und Weise eine gelungene Lebensführung und kooperati ves Zusammenleben in Freiheit und Anerkennung geführt werden können. Wahrheit und Metapher als Gegenstände wissenschaftli cher Unternehmungen sind aber auch insofern mit Lebenswelt und einer sozialen Praxis des Begründens und Rechtfertigens verwo ben, als dass sie, um überhaupt angemessen zur Sprache gebracht zu werden, einer lebendigen Sprache bedürfen, die die Möglichkeit für kritische Reflexion und begriffliche Innovation beinhaltet und nicht durch dogmatische Festsetzungen, kognitive Sackgassen und einseitige Konfliktlösungen blockiert und stillgelegt wird. Das be trifft gerade und vor allem auch jene Wissenschaften, die sich Le benswissenschaften nennen und oft unter Ausschluss moralischer, politischer, ästhetischer usw. Hinsichten beanspruchen, die Grund lagen allen Lebens zu erforschen. Der Lebensbegriff erweist sich dabei nämlich als ebenso perspektivistisch, multidimensional und umstritten, wie die Frage nach der Wahrheit oder der Metapher.6 6 Die Frage nach der der Wahrheit der Metapher ist dabei auf vielfältige Weise verflochten mit der Frage nach der Wahrheit selbst: können Metaphern „wahr“ im gebräuchlichen Sinn der Verwendung der Wörter „wahr“ und „falsch“ sein? Gibt es eine eigenständige metaphorische Wahrheit? Wie verhält sich metapho rische Wahrheit zu der nicht-metaphorischen, wörtlichen? Die Antwort ist da bei offensichtlich abhängig von dem vorausgesetzten Wahrheitsbegriff und den Rationalitätskriterien, nach denen Metaphern als wahrheitsfähig (oder nicht) beurteilt werden können. (Vgl. Debatin, 1995) Noch komplexer wird das Ver hältnis von Metapher und Wahrheit jedoch, wenn nicht nur nach der Wahrheit der Metapher, sondern nach der Wahrheit als Metapher bzw. den Metaphern der Wahrheit gefragt wird. Damit wird nicht nur darauf aufmerksam gemacht, dass auch die Wahrheitstheorie und mithin die ganze philosophische Unternehmung zur Klärung der Frage, was Wahrheit ist, in ihren historischen Ursprüngen und begrifflichen Grundlagen durchdrungen ist von Metaphern (Vgl. Blumenberg, 2011); durch die „Metaphorisierung“ des Wahrheitsbegriffs und der metapho rologischen Grundlegung der Wahrheitstheorie werden Wahrheit als Begriff und das Konzept begrifflicher, logischer Wahrheit grundsätzlich in Frage gestellt und problematisiert. Eine solche reflexive Wirkung der Metapherntheorie auf die Wahrheitstheorie und den Rationalitätsdiskurs kann dabei im Rahmen ei ner radikalen destruktiven Vernunftkritik bis zur vollständigen Auflösung des Wahrheitsbegriffs selbst führen. Dann bleibt mit Nietzsche nur Wahrheit als ein „bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien und Anthropomorphismen“ (Nietzsche, 1966, S. 314), die jeden Anspruch auf sicheres Wissen und Wahrheit als Trug und Illusion erweisen. Das Gegenmittel zu einer solchen relativistischen Zersetzung der rationalen Grundlage allen Philosophierens war und ist daher häufig der dogmatische und ikonoklastische Kampf gegen die Metapher, welcher
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1.5 Wahrheit, Metapher und Leben als perspektivistische Grundbegriffe Die vorliegende Arbeit geht von der Grundthese aus, dass zwischen den zentralen philosophischen Begriffen Wahrheit, Metapher und Leben ein historischer und systematischer Zusammenhang besteht, der sich als Teil einer perspektivistischen Konstellation oder eines Perspektivennetzwerks beschreiben lässt. Die Arbeit ist damit in besonderer Weise dem philosophischen Perspektivismus verpflich tet. Der Perspektivismus als philosophische Position ist zunächst aus der Wahrheitsfrage heraus zu verstehen. Mit Wellmer gehen wir von einem vertieften Verständnis von Wahrheit aus als einen vieldimensionierten Wahrheitsraum, der durch die gewöhnliche sprachliche Praxis aufgespannt wird. (Wellmer, 2004, S. 389) Inner halb eines solchen vieldimensionalen Wahrheitsraumes bedeutet, eine Aussage als wahr zu behaupten, eine bestimmte Position ein zunehmen und einen Standpunkt zu vertreten. Damit ist jeder ar gumentativ vertretene Geltungsanspruch in Abhängigkeit von der jeweiligen Positionierung und dem eingenommenen Standpunkt zu verstehen. Diese Abhängigkeit der Geltung von Aussagen und Theorien vom eingenommenen Standpunkt bezeichnet die philoso phische Position des Perspektivismus. „Im Mittelpunkt perspektivistischer Philosophie steht der Ge danke, daß die Wahrheit über unsere Welt von der Stellung ab hängt, die wir dem Sein gegenüber einnehmen, und von der dieser gemäßen Art und Weise, wie wir diese Welt deuten, sie ‚sehen‘ und unter welchen Gesichtspunkten wir in ihr handeln.“ (Kaulbach, 1990, S. 1) Nicht nur verdankt sich dieses Verständnis von Perspektivismus einer metaphorischen Erweiterung des ursprünglichen Begriffes der Perspektive7, auch kann die Metapher als sprachliches Phänomen
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meist einhergeht mit der Verabsolutierung eines an den Naturwissenschaften orientierten Wahrheitsverständnisses. Der Begriff der „Perspektive“, etymologisch auf das lateinische perspicere: genau sehen oder gewiss wahrnehmen zurückgehend, hat seine Heimat „im Bereich von visuellen Wahrnehmungsprozessen“ (Köller, 2004, S. 6). Seine ursprüngliche Anwendung fand der Terminus Perspektivität daher in der Geo metrie und in der Kunst. Er bezeichnet ein mathematisch definiertes Verfahren „dreidimensionale Objekte auf einer zweidimensionalen Fläche so abzubilden, dass dennoch ein räumlicher Eindruck entsteht“ (Ataeian, 2013, S. 9). Mit Ent stehung der Zentralperspektive als Mittel der Bildkonstruktion in der Kunst
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in ihrem Wesen als perspektivistisch erfasst werden. Metaphorische Rede ist selbst ein Modus der perspektivistischen Reflexion, in dem das Verhältnis von Sprache und Perspektive zum Ausdruck kommt. Nach Schöffel ist die „Metapher ein sprachliches Mittel, welches eine Perspektive definiert, eine Sichtweise, eine Beschreibungswei se der einen Welt“. (Schöffel, 1987, S. 220) Die Metapher, ergänzt Debatin, „thematisiert ihre eigene Perspektive, indem sie sie als Perspektive zu erkennen gibt.“ (Debatin, 1995, S. 125) Damit ver körpert die metaphorische Rede geradezu eine genuine Form eines reflexiven Perspektivismus, die in besonderer Weise auch innerhalb der philosophischen Wahrheits- und Bedeutungstheorie zum Tra gen kommt. (Vgl. Seel, 1990) Im Streit um die Wahrheit von Hin tergrundverständnissen und Sprachbildern bringt die Metapher das bewegliche Netzwerk von begrifflichen „Familienähnlichkeiten“ in unserer Sprache in Bewegung, indem sie neue Sichtweisen, neue Perspektiven und neue Kontexte artikuliert und gegen alte, bisheri ge Wahrheiten setzt.8 Metaphern halten so durch ihre „Perspektivie rungsleistungen“ (Köller, 2004, S. 593) die Sprache offen, lebendig
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der Neuzeit wird mit dem Begriff „Perspektive“ ein „ebener Durchschnitt der Sehpyramide“ bezeichnet und zugleich der Begriff des Augenpunktes etabliert: „Der Augenpunkt ist der Punkt des Bildes, in dem die Fluchtlinien aller Gegen stände und Ebenen Zusammenlaufen.“ (Boehm, 1969, S. 18; vgl. auch Köller, 2004, S. 80ff.) Nach König lässt sich nun die Geschichte der Perspektivität in zwei Abschnitte einteilen in die „perspectiva communis“ und die „perspektiva artificialis“ (König, 1989, S. 364; vgl. auch Boehm, 1969). Er zitiert Lessing, dem nach die ältere perpsectiva communis „‚versuchte, mit einer Geometrisierung des Sehens der Wahrnehmung gerecht zu werden‘“, während die perspectiva ar tificialis „‚in die Wesensbestimmung der neuen Kunst und als ‚Perspektivität‘ in das Zentrum des philosophischen Denkens ein[geht], wo sie Art und Weise, wie sich der Mensch in der Welt bestimmt, neu formulieren hilft‘“. (Lessing zitiert bei König, 1989, S. 365) Es ist diese zweite Bedeutung von Perspektive, welche in ihrer „metaphorischen Ausweitung auf geistige Wahrnehmungsprozesse aller Art“ (Köller, 2004, S. 6) in besonderer Weise die Stellung des modernen Subjekts zur Welt sowie die dazugehörige „Attitüde zum Sein“ zum Ausdruck bringt und sich als perspektivisches Denken bis zu den Vorsokratikern und Platons Höhlen gleichnis zurückverfolgen lässt. (Kaulbach, 1990, S. 2) Die Metapher verweist so gesehen reflexiv-perspektivistisch auf ein Sprachbild, das von der Netzwerkmetapher getragen ist und die grundsätzliche Metaphori zität der Sprache voraussetzt. Die lebendige Metapher stellt dann in Nuklear form das Prinzip einer lebendigen Sprache selbst dar. „Die Bedeutungserwei terungen“, schreibt Hesse hierzu, „die durch Ähnlichkeiten und Unterschiede in Metaphern auftreten, sind im Grunde nur besonders augenfällige Beispiel dessen, was in dem sich verändernden, ganzheitlichen Netzwerk, das die Sprache ausmacht, unablässig vor sich geht“. (Hesse, 1988, S. 130)
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und beweglich. Sie sind „unverzichtbar für unser geistiges Leben. Sie verhindern, dass Sehpunkte und Wahrnehmungsperspektiven dogmatisch erstarren und dass wir die prinzipielle Perspektivität unserer sprachlichen Objektivierungs- und Wahrnehmungsprozes se vergessen.“ (Köller, 2004, S. 634) Darin liegt, so behaupten zu mindest die Verfechter der wahrheitsfähigen, lebendigen Metapher, die spezifische kognitiv-heuristische und kommunikativ-normative Funktion der Metapher. (Vgl. Black, 1962; Hesse, 1988; Seel, 1990; Davidson, 1978) In diesem Sinn geht auch Wellmer davon aus, „daß metaphorische Äußerungen neue Sichtweisen nicht nur artikulieren, sondern sie zugleich als angemessen behaupten (können), daß sie also einen kognitiven und normativen Ort und Anspruch im Zu sammenhang der sprachlichen Kommunikation haben.“ (Wellmer, 2004, S. 172) Metaphern sind, wie Debatin schreibt, eine „Einheit von Gegen standsdarstellung und Perspektiveröffnung“, bei der eine spezifische Selbstreflexivität der Metapher, nämlich eine „Form der Bezugnah me auf einen Gegenstand, bei der die Form selbst mit dargestellt wird“, zum Vorschein kommt. (Debatin, 1995, S. 121) Der Wechsel von einem Streit um die Wahrheit von Aussagen zu einem Streit um die Angemessenheit von Sprachbildern, Perspektiven und Hin tergrundverständnissen, aus denen heraus überhaupt eine Bezug nahme auf einen strittigen Sachverhalt genommen werden kann, ist in der Perspektivierungsleistung der Metapher als „sprachliche Objektivierungsform“ (Köller, 2004, S. 592) bereits enthalten. Die Einsicht, dass jedes Streiten um die Wahrheit immer nur perspek tivistisch erfolgen kann, stellt dabei nicht einen Mangel oder ein Defizit eines perspektivistischen Begriffs von Wahrheit dar. Denn, wie Dalferth und Stoellger treffend formulieren: „Nur unter Bedingungen der Endlichkeit und Perspektivität wird Wahrheit wichtig. Nur da braucht man sie, und nur da gibt es sie. Denn nur wo sie möglicherweise oder tatsächlich gefährdet ist, gibt es den Streit um Wahrheit, ohne den es keine Wahrheit gibt.“ (Dalferth & Stoellger, 2004, S. 13) Dies erinnert an Nietzsches radikal relativistischen Perspek tivismus, welcher den einen (Gottes)Gesichtspunkt oder die eine Weltperspektive verneint und stattdessen versucht, in der Pluralität und Differenz der vielen Einzelperspektiven die „Objektivität“ der Wirklichkeit zumindest annäherungsweise aufscheinen zu lassen. An dieser Stelle lässt sich über den Perspektivismus die Verbin dung zum dritten philosophischen Grundbegriff Leben anknüpfen, https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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denn Nietzsche setzt in Jenseits von gut und böse das Perspekti vistische als „die Grundbedingung alles Lebens“. (Nietzsche, 1955, S. 255) Der Standpunkt menschlicher Erkenntnis wird damit an den Perspektivismus gebunden, nicht weil sie selbst notwendigerweise perspektivistisch sein muss, sondern weil das Leben, als dessen Aus druck Erkenntnis überhaupt nur denkbar ist, in sich perspektivis tisch verfasst ist. Damit rückt Perspektivität als Untersuchungsgegenstand zu nehmend auch in den Fokus jener Wissenschaften, die sich pro grammatisch der Beschreibung und Erforschung des Lebendigen und Organischen verschrieben haben. So ist etwa, wie König beschreibt, Nietzsches These von der „‚Perspektiven-setzenden Kraft‘“, vermöge derer „‚jedes Kraftcentrum – und nicht nur der Mensch – von sich aus die ganze übrige Welt construirt‘“ – [...] durch die Umweltlehre Uexkülls im biologischen Bereich näher ausgeführt“ worden. (König, 1989, S. 367) Köchy weist darauf hin, dass bereits bei Leibniz Perspektivität als die „Verbindung größt möglicher Ordnung mit größtmöglicher Mannigfaltigkeit“ (Köchy, 2003, S. 29) in den Bereich der gesamten Schöpfung, also auch in den Bereich des Organischen gelegt wird. Dabei lässt sich beobach ten, dass eine solche Betrachtung von Perspektivität auch in Form und Aufbau der Philosophie Ausdruck findet – und hierfür auf eine Metapher zurückgreift: „Ausdruck für diese Verbindung von Einheit und Vielfalt ist ein mit der Spiegelmetapher arbeitendes Perspektiven-Modell. Diese inhaltlichen Annahmen laufen darauf hinaus, dass die Monaden zugleich mathematische Punkte und beseelte organische Einheiten sind. Sie sind lebende Spiegel des Universums“ (Köchy, 2003, S. 30). Indem über den Standpunkt des Perspektivismus Perspektive und Organismus aufeinander bezogen werden, wird Perspektivi tät nun noch einmal in reflektierter Form in den Objektbereich der Natur selbst hineingelegt. Zugleich ist die menschliche Perspektive als Teil des Organischen mit dessen objektiver Perspektivität ver schränkt. Nur in der perspektivistischen Darstellung können daher die Perspektiven des Organischen als solche zur Geltung kommen. So argumentiert etwa Mead für eine objektive Realität der Perspek tiven der menschlichen Sozialität, die aber zugleich als Perspektiven von Organismen „Bestandteil der Natur selbst“ sind. (Mead, 1978, S. 153) Er begreift im Anschluss an Whitehead die „Konzeption der Natur als einer Organisation von Perspektiven, die in der Natur (selbst) liegen.“ (Mead, 1978, S. 153–154) Damit hat die Perspektive https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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auf eine mögliche Objektivität des Perspektivismus gleichsam die Seite gewechselt: nicht mehr die Möglichkeit objektiver Erkennt nis der (physikalischen) Wirklichkeit aus einer Perspektive heraus steht zur Diskussion, sondern die perspektivistische Verfassung der Objekte, der Wirklichkeit selbst. Dieser Perspektivenwechsel hat methodologische Konsequenzen. Nach Kaulbach gelte für perspek tivistisches Philosophieren, dass „die Wahrheit nicht in dogmati schen Aussagen über Objekte und Objektverhältnisse in der Welt [gesucht wird], sondern in Perspektiven, in denen die Welt selbst zu Begriff und Sprache gebracht wird“. (Kaulbach, 1990, S. 9) Nicht nur muss also die eigene Perspektivität und Standpunktgebunden heit inhaltlich und formal mit in die Analyse eingehen, es gilt auch die Vielzahl der im Untersuchungsgegenstand selbst liegenden Perspektiven wahrzunehmen und zu integrieren. Als gelungenen Versuch eines solchen sich selbst reflektierenden perspektivisti schen Vorgehens kann Köchys Perspektiven des Organischen her angezogen werden. Köchy beschreibt ausführlich die spezifischen Probleme der Darstellung und die Form philosophischer Reflexion, die sich für eine perspektivistische Philosophie, die die in der Natur selbst liegenden „Perspektiven des Organischen“ zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht, einstellen. Er wählt schließlich einen im Sinne Nietzsches multiperspektivistischen Ansatz9, der aber dessen radikalen Relativismus vermeidet, indem er nach dem Vorbild von Leibniz Perspektivenmodell die vielen Einzelperspektiven synkre tistisch aufeinander bezieht. Für ihn ist „vielmehr die Einsicht lei tend, dass alle innerweltlichen Erkenntnisperspektiven stets die eine Welt repräsentieren.“ (Köchy, 2003, S. 51) Damit gelingt es Köchy, nicht nur eine Vielzahl an philosophischen Positionen als sich ein ander ergänzende, erweiternde und korrigierende Perspektiven auf den Bereich des Organischen darzustellen, sondern er kann die Per spektive als Perspektive auch als Instrument der philosophischen Reflexion nutzen und mit in die Form der Analyse einbeziehen: „Im perspektivischen Ansatz werden Begriffe verwendet, die eine bestimmte Philosophie als zentrale Bestimmung des Organi schen herausarbeitet. Jede einzelne Perspektive (P1 bis Pn) nimmt so je ein bestimmtes Merkmal (M1 bis Mn) in den Blick und bringt dieses in einem spezifischen Begriff (B1 bis Bn) zum Ausdruck. Die 9
„Durch die Erhöhung der Anzahl von Perspektiven kann in Nietzsches Sinne ein realistischeres und objektiveres Bild der Wirklichkeit entworfen werden.“ (Köchy, 2003, S. 50)
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Einnahme einer bestimmten Perspektive (beispielsweise P1) erlaubt so die umfassende und detaillierte Darstellung eines bestimmten Merkmals (M1) und der mit ihm verbundenen naturphilosophi schen Konsequenzen. [...] Die einzelne Perspektive dient in diesem Sinne als Fokussierinstrument. Zugunsten der Schärfe der Fokus sierung werden allerdings alle anderen Merkmale (M2 bis Mn) und die jeweils zugehörigen Begriffe (B2 bis Bm) notwendig ausgeblendet oder in den Randbereich der Aufmerksamkeit abgedrängt.“ (Köchy, 2003, S. 53) Die Einzelperspektive eines gewählten Begriffs erlaubt es also, einen Sachverhalt in bestimmter Weise zu fokussieren und in be stimmten Merkmalen hervorzuheben. Zugleich werden dadurch jedoch andere mögliche Perspektiven, andere Merkmale im Dunk len gelassen, weshalb es für eine möglichst umfassende Darstellung nötig ist, „Verbindungslinien zu anderen Systemen und anderen philosophischen Standpunkten“ zu ziehen. „In diesem Falle dienen die übrigen Perspektiven als Korrekturund Objektivierungsinstrument. Die Erweiterung des Blickfeldes soll zeigen, dass nicht nur die gewählte Perspektive (P1), sondern auch weitere andere Perspektiven (P2) bis (Pn) das zur Disposition stehende Merkmal (M1) mit gleicher oder jedoch mit zumindest sinnverwandter Begrifflichkeit benennen und mit dieser Benen nung gleiche oder zumindest ähnliche inhaltliche Annahmen über die Eigenschaften des Organischen verbinden. Im Zuge dieses Ver fahrens erweist sich der zunächst gewählte Standpunkt als eine Art Brennpunkt, der die aus anderen Perspektiven ebenfalls zu gewin nenden Erkenntnisse bündelt und besonders klar zum Ausdruck bringt. Dabei ist davon auszugehen, dass das vom ursprünglichen Standpunkt aus in das Zentrum des philosophischen Interesses ge rückte Merkmal auch von anderen Perspektiven aus erkennbar ist, jedoch infolge der anders gelagerten Erkenntnisinteressen oder phi losophischen Blickwinkel an den Rand des Interesses rückt.“ (Kö chy, 2003, S. 54) Das Bild, das durch einen solchen Einsatz verschiedener Per spektiven auf eine Sache entsteht, gleicht einem dichten Netzwerk aufeinander bezogener und sich ergänzender Begriffe. „Die Multi perspektivität fungiert dann als Vernetzungsinstrument und leitet zu einem Netzwerk der Begriffe der Perspektivischen Philosophie des Organischen über.“ (Ebd.) Die metaphorologischen Perspekti vierungen sind als der Versuch zu werten, ein solches Perspekti vennetzwerk am Beispiel der Metaphern des Lebens in der Synthe
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tischen Biologie durchzuführen.10 Nicht nur sind dabei Metaphern Gegenstand der perspektivistischen Untersuchung, sondern diese nutzt zugleich methodisch das metaphorische Innovationspotential der Sprache, welches ein Denken in Konstellationen und die Reflexion von Perspektiven als Perspektiven erst ermöglicht und in kritisch-normativer Weise freisetzt. (Vgl. auch Debatin, 1995, S. 256ff.) Köller sieht ebenfalls in den Perspektivierungsleistungen der Metapher das methodisch kritische Potential, diese zur reflexi ven rationalen Kritik einzusetzen. Er spricht in diesem Sinn von einer heuristischen Doppelfunktion des Perspektivitätsgedankens: Zum einen kann er dazu verwendet werden, auf theoretisch kon trollierte Weise unterschiedliche kognitive Wahrnehmungsperspek tiven für das sprachliche Phänomen Metapher herauszuarbeiten und spezifische Aspekte dieser sprachlichen Objektivierungsform zu kennzeichnen. Zum anderen kann er dabei helfen, die konkre ten kognitiven Erschließungsfunktionen von einzelnen Metaphern genauer zu erfassen und damit ihr pragmatisches Leistungsprofil klarer zu bestimmen.“ (Köller, 2004, S. 592) Metaphern, so Köller weiter, lassen sich als „kognitive Fenster“ auch für analysieren de Denkprozesse fruchtbar machen und gehören zu den Formen menschlicher Ratio, „nur darf man sich dann nicht scheuen, die für die jeweiligen Metaphern maßgeblichen Sehpunkte, Perspektivie rungsleistungen und Aspektakzentuierungen kontrastiv gegen an dere Metaphern oder gegen den begrifflichen Sprachgebrauch abzu grenzen.“ (Köller, 2004, S. 635) Die metaphorologischen Perspektiven versuchen jener Doppel funktion perspektivistischen Denkens zu entsprechen, indem im Entwicklungsgang der metaphorologischen Methodik eine Vielzahl an Perspektiven und Sichtweisen berücksichtigt wird und in der Durchführung der Perspektivierungen die Wirkungen und Leis tungen bestimmter Metaphern durch reflexive Metaphorisierung und hermeneutische Rekonstruktion sichtbar und damit der rati onalen Reflexion und dem Streit um die Wahrheit zugänglich ge 10 Diese Form des Perspektivennetzes erinnert nicht zufällig an Wittgensteins Netz von Familienähnlichkeiten oder an Adornos subversives Denken in Konstella tionen. „In Konstellationen“, schreibt Adorno in der Negativen Dialektik, „ver sammeln sich Begriffe, die direkt ihr Ziel verfehlen, von außen um die Sache“ (Adorno, 2003, S. 162) Beide Formen des Philosophierens können inhaltlich wie formal perspektivistisch genannt werden und richten sich gegen Identitätslogik und das Ideal einer korrespondenztheoretischen Aussagenwahrheit. (Vgl. auch Gamm, 1992)
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macht werden. Das „eigentlich Metaphorische“, schreibt Gehring, „ist der Bruch“ (Gehring, 2009a, S. 93). Es geht in den metapho rologischen Perspektivierungen daher um die Bruchstellen, das Strittige, welches in den Metaphern des Lebens als dialektische Spannung von Ähnlichkeit und Differenz in besonderer Weise zum Ausdruck kommt. Hieraus ergibt sich für den Aufbau der Arbeit eine zweiteilige Struktur. In einem ersten Teil Theorien der lebendigen Metaphern geht es darum, in Auseinandersetzung mit den für die metaphorischen Perspektivierungen relevanten Positionen der Metapherntheorie ein differenziertes Verständnis für die in nere Struktur und Funktion von Metaphern als Gegenstand einer hermeneutischen, perspektivistischen und methodenpluralistischen Reflexion herauszuarbeiten. Der Begriff der Metapher und der me thodische Zugang sind dabei dem Streit um die Metapher selbst entnommen. In einem zweiten Teil Metaphern des Lebens soll der Ansatz der metaphorologischen Perspektivierung und der reflexi ven Metaphorisierung anhand der Debatte um den Lebensbegriff im Bereich der Bio- und Lebenswissenschaften weiter vertieft und spezifiziert und anschließend am Beispiel dreier Metaphern in der Synthetischen Biologie durchgeführt werden. Metaphern erweisen sich hierbei als Gegenstand und Instrument einer Analyse der nor mativen Grundlagen wissenschaftlicher Praxis und lebensweltlicher Handlungsorientierungen und Werteinstellungen. Insofern zieht sich die Frage, ob und wie Metapherntheorie auch Ethiktheorie und Metaphorologie eine Form ethischer Reflexion sein kann, durch die gesamte Arbeit und wird in einem abschließenden und zusammen fassenden Teil noch einmal aufgegriffen.
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Lebendig oder lebend heißen Metaphern, in denen das Innovationspotential, die Dynamik und Offenheit von Sprache besonders deutlich zum Ausdruck kommen, indem in der Kontrastierung und Abweichung zum wörtlichen, etablierten Sprachgebrauch eine neue und ungewöhnliche Bedeutung erzeugt wird. Die Entstehung einer lebendigen Metapher hat dabei etwas Rätselhaftes und Überraschendes. Sie entsteht, wie Ricœur treffend beschreibt, „in einem Akt unerhörter Präzidierung [...] wie ein Funke, der beim Zusammenstoß zweier bisher voneinander entfernter semantischer Felder aufblitzt.“ (Ricœur, 1986, S. VI) Es ist schwierig, genau zu erklären, wie metaphorische Bedeutung entsteht und dennoch können die meisten Menschen einer Sprachgemeinschaft ohne Mühe eine Metapher vom wörtlichen Sprachgebrauch unterscheiden und verstehen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Metapher seit jeher als Gegenstand theoretischer Erklärungen umstritten ist und zugleich selbstverständlich und unvermeidlich zur alltäglichen Sprachpraxis gehört. Dies hat die Metapher mit dem Phänomen des Lebens gemeinsam. Denn während es im Alltag in der Regel keine Probleme bereitet, Lebendes von Nicht-Lebendigem zu unterscheiden, ist die wissenschaftliche Erklärung der Entstehung von Leben seit langer Zeit Gegenstand des Streites in und zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen. (Vgl. Punkt 3.1) Dass sie umstritten sind und sich beharrlich definitorischer Festsetzungen entziehen, scheint wesentlich zu den Phänomenen Metapher und Leben zu gehören. Zugleich kann diese Beobachtung noch nicht die vollständige Bedeutung der Lebendigkeit von Metaphern erklären. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, einige der Aspekte und Dimensionen lebendiger Metaphern auszuloten und einen begrifflichen und methodischen Zugang zu finden, der dem perspektivistischen und multidimensionalen Phänomen der Metapher gerecht wird. Es ist hilfreich, vor der Auseinandersetzung mit verschiedenen theoretischen Positionen und Perspektiven zur Metapher noch ein-
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mal auf den Zusammenhang von Metaphern und Sprachbild zurückzukommen, auch um die eigene Position und Perspektive als solche hervorzuheben und zu markieren. Denn eine positive Würdigung der Metapher als konstruktives, innovatives und kritisches Element unserer Sprache setzt bestimmte ontologische Vorannahmen und ein entsprechendes Sprachbild voraus. In der Einleitung war hier die Rede von einem lebendigen Sprachbild. Dieses Sprachbild enthält die vier von Wellmer in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen identifizierten Strukturmerkmale der Sprache Differentialität, Iterabilität, Sozialität und Normativität und kommt in den Metaphern der „Sprachspiele“ und „Familienähnlichkeiten“ in besonderer Weise zum Ausdruck. (Vgl. Wellmer, 2004, S. 27–29) Lebendig soll dieses Sprachbild heißen, da es zum einen nicht von einem fixen und starren („toten“) System von sprachlichen Zeichen und Bedeutungen ausgeht, sondern die Produktivität der Sprache, ständig neue Bedeutungen hervorzubringen und Revision wie Innovation gleichermaßen zu ermöglichen, in den Vordergrund stellt; zum anderen, da es sich um ein Verständnis von Sprache handelt, welches gelebt wird d. h. konstitutiv in einem reflexiv-dialektischen Zusammenhang mit sozialen Praktiken, Handlungszusammenhängen und Lebensvollzügen einer Sprachgemeinschaft steht. Das Merkmal der Differentialität meint hierbei, dass sprachliche Zeichen, Wörter und Sätze nicht einzeln und isoliert voneinander, sondern nur „als Elemente eines Systems von Sprachzeichen, d. h. einer Sprache, und daher in Opposition und Differenz zu anderen Sprachzeichen“ Bedeutung haben. (Ebd.) Iterabilität geht auf den Begriff der Regel zurück und zielt auf die wesentliche Wiederholbarkeit der sprachlichen Zeichen, die zum sprachlichen Bedeuten als „eine Praxis des wiederholbaren – und durch die Wiederholung immer auch potentiell sich verändernden – Gebrauchs sprachlicher Zeichen“ gehört. (Ebd.) Das Merkmal der Sozialität geht gleichsam aus dem pragmatischen Verständnis von sprachlichen Zeichen und den Regeln ihrer Verwendung hervor. (Vgl. hierzu auch Fann, 1969, S. 72) Damit ist gemeint, dass das Verwenden sprachlicher Zeichen und die Befolgung von Regeln eine gemeinsame Handlungspraxis voraussetzen und konstituieren. Sprache, so Wellmer, „gibt es nur in der Form einer sozialen Praxis, […] in der Sprechen und Handeln immer schon in einem unauflösbaren Zusammenhang miteinander stehen. Die Praxis der Sprache ist zugleich eine Lebenspraxis, und eine Sprache verstehen heißt, an einer solchen Praxis teilzunehmen.“ (Wellmer, 2004, S. 28) https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Normativität zielt letztlich darauf, dass Sprache als Handlungspraxis normativ strukturiert ist. Die Regeln der Sprache, auf die Wittgenstein im Zusammenhang der Sprachspiele immer wieder zurückkommt, sind implizit so in die sprachliche Praxis eingelassen, dass sie sich in der „praktischen Fähigkeit manifestieren, zwischen ‚richtig‘ und ‚falsch‘, und auf einer höheren Stufe dann zwischen ‚wahr‘ und ‚falsch‘ unterscheiden können.“ (Ebd.) Metaphern spielen in unterschiedlichen Funktionen in sprachlichen Perspektivierungs- und Innovationsprozessen eine zentrale Rolle für die Konstitution des Sprachbildes einer lebendigen Sprache. Metaphern scheinen wesentlich daran beteiligt zu sein, den Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft, sei es im wissenschaftlichen oder im lebensweltlichen Kontext, reflexiv zu Bewusstsein zu bringen und die produktive Potentiale für eine Kritik oder Revision nicht mehr begründbarer Sichtweisen, Denkmuster und Vorstellungen bereitzustellen und offen zu halten. Da lebendige Metaphern eines lebendigen Sprachbildes bedürfen und ein lebendiges Sprachbild sich wesentlich über Metaphern bildet, entsteht hier das Verhältnis eines Zirkels. Es geht also im Folgenden in freier Anlehnung an Heidegger darum, in der rechten Weise in diesen Zirkel hineinzukommen und der Weg führt dazu über die Betrachtung des Streits um die Metapher. (2.1) Die leitende These lautet hierbei: Immer dann, wenn die Metapher thematisch wird, ist dies ein Anzeichen dafür, dass gesetzte Begrifflichkeiten, Denkmuster und Wissenssysteme etc. erregt oder erschüttert wurden. Und das gilt auch und in besonderem Maße innerhalb der Metapherntheorie und Metaphorologie selbst. Die Metapher ist also kein Indikator, keine Chiffre für Unbegriffliches, außerhalb der Sprache Liegendes, für einen „Jargon der Uneigentlichkeit“ (Rolf, 2005, S. 3) oder für die „Latenzzonen der Wissenschaft“ (Gehring, 2009a, S. 81), sondern dafür, dass etwas fraglich geworden ist und mit den bisherigen sprachlichen Mitteln nicht mehr adäquat erfasst und verhandelt werden kann. Diese seismographische Dimension der Metapher (Gehring) liegt in ihrer dialektischen Grundstruktur und ihrem Verhältnis zum Topos der Ähnlichkeit begründet, welche in einer synchronistischen Per spektive auf Funktion und Struktur der Metapher beleuchtet wird. (2.2) Als dialektischer Grundbegriff hat die Metapher, wie vor allem Ricœur herausstellt, eine besondere Beziehung zum Leben und zur Wirklichkeit: „Durch den lebendigen Ausdruck wird die lebendige Existenz dargestellt.“ (Ricœur, 1986, S. 55) Allerdings wird in diehttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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ser Perspektive die historische Dimension des Metaphorischen und auch des Lebendigen unterschlagen. Deshalb soll in einer diachronistischen Perspektive das Projekt der Metaphorologie vorgestellt und kritisch gewürdigt werden. (2.3) In einem abschließenden Kapitel zur Bedeutung von Metaphern im Kontext von Wissenschaft und in Auseinandersetzung mit der Rolle von Modellen in wissenschaftlicher Theoriebildung wird die Frage der Möglichkeit der rationalen Kritik und methodischen Kontrolle von Metaphern gestellt und schließlich auch die ethische Bedeutung der Metaphernreflexion und -kritik angedeutet. (2.4)
2.1 Streit um die Metapher 2.1.1 Probleme und Paradoxien einer Definition der Metapher Eine Arbeit, in der die Analyse und Verwendung von Metaphern einen zentralen methodologischen Stellenwert einnehmen, sollte einen klaren Begriff dessen, was unter einer Metapher zu verstehen ist, ausweisen können. Hierzu ist üblicherweise ein Blick in die entsprechende Literatur hilfreich, um einen ersten Überblick zu bekommen. Tatsächlich mangelt es in diesem Fall nicht an Vorschlägen und Definitionsversuchen, die seit der Antike in den unterschiedlichsten Bereichen und Disziplinen unternommen wurden. Man findet sich dabei schnell in einer äußerst unübersichtlichen und verwirrenden Situation wieder: „Jeder, der sich [...] in der Hoffnung, etwas über Funktion und Struktur der Metapher herauszufinden, der Literatur zuwendet, sieht sich einem Chaos gegenüber“. (Schöffel, 1987, S. 1) In dieses Chaos Ordnung oder zumindest eine Übersicht zu bekommen ist nicht nur aufgrund der unüberschaubaren Fülle und Anzahl an Publikationen und Abhandlungen, die sich mehr oder weniger explizit mit Metaphern auseinandersetzen, ein schwieriges und aufwendiges Unterfangen. (Zum Überblick vgl. die einschlägigen Bibliographien und Übersichten von Shibles, 1971; van Noppen, 1985; Pausch, 1976; Haverkamp, 1996; Rolf, 2005) Schon Pausch beklagte Mitte der siebziger Jahre die unübersichtliche Forschungslage (Pausch, 1976, S. 5) und Debatin fragt 20 Jahre später angesichts der inflationären Zunahme von metapherntheoretischen Untersuchungen, ob gegenwärtig überhaupt noch etwas Neues zur Metapher gesagt werden könne. (Debatin, 1995, S. 1) Das https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Thema Metapher scheint einerseits bereits erschöpfend behandelt worden zu sein und ist dennoch kaum greifbar und klar umrissen. Entgegen dem entmutigenden „Gefühl der Wiederholung“ (Strub, 1991, S. 19) versuchen nun neuere Ansätze, wie die von Schöffel, Strub oder Debatin, dieser Situation etwas Positives abzugewinnen und den allgemein beklagten Unmut zum Vorteil zu wenden. Debatin etwa meint, dass gerade die Sättigung, die der moderne Metapherndiskurs nach einer intensiven Entwicklungsphase neuer sprachphilosophischer Ansätze und Ausdifferenzierungen erlangt habe, ein Indiz dafür sei, dass „in der gegenwärtigen Metaphorologie eine Situation eingetreten ist, die es überhaupt ermöglicht, ein synoptisches Resümee aus den verschiedenen bestehenden Ansätzen zu ziehen“. (Debatin, 1995, S. 1) Diese Feststellung ist freilich selbst voraussetzungsvoll in dem Sinn, als dass sie behauptet, dass zum einen kein Ansatz und keine der bisher gegebenen Einzeluntersuchungen der „Multidimensionalität der Metapher“ (Ebd.) gerecht würde und ihren Gegenstand vollständig erfasst habe – eine Einschätzung, die etwa auch Shibles in seiner Bibliographie nach Sichtung aller Artikel, Monographien, Dissertationen etc., die bis zum Zeitpunkt des Jahres 1971 zum Thema Metapher erschienen sind, teilt: „[...] no one had given an adequate anaylsis of metaphor“ (Shibles, 1971, S. XIII); zum anderen legt Debatin eine Entwicklungslogik in die Geschichte des Metapherndiskurses hinein, insofern die gegenwärtige Situation ein historisch erreichtes Niveau darzustellen scheint, welches eine „rekonstruktiv verfahrende synoptische Untersuchung [...], bei der die einzelnen Ansätze auf ihre Erklärungsleistungen hin untersucht und als einander ergänzende Theoriebestandteile zusammengefügt werden“, erst ermöglicht und es erlaubt, diese in eine „synthetische Metapherntheorie“ zu überführen. (Debatin, 1995, S. 6f.) Damit kommt eine weitere methodische Schwierigkeit in der Auseinandersetzung mit der Metapher zum Vorschein, die Schöffel als die Zeitlichkeit der Metaphorologie bezeichnet hat: „Die Aussagen der Forscher über die Geschichte ihrer Disziplin ist nicht schon diese Geschichte, sondern gehört mit zu ihrem Gegenstand“. (Schöffel, 1987, S. 189) Die in der Literatur des Metapherndiskurses aufscheinende Pluralität der Ansätze und die Mehrdimensionalität ihres Gegenstandes übersteigt dabei schnell die Horizonte der jeweiligen Versuche einer methodisch kontrollierten Systematisierung. Dass die Metapher, so selbstverständlich und unproblematisch wir sie in der alltäglichen Kommunikation verstehen und gebrauchen, jeden Versuch ihrer theoretischen Behttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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stimmung zu einem frustrierenden und beinahe aussichtslosen Unterfangen macht, hat dabei, wie Stoellger treffend herausstellt, „nicht nur äußere Gründe, sondern ursprünglich innere, die auch die Gründe der Eskalation metaphorologischer Literatur sind: Die Metaphernreflexion verwickelt einen in Selbstbezüglichkeit, Ungenauigkeiten und Antinomien – und birgt daher die Gefahr, in den abgründigen Grund der Verzweiflung zu stürzen.“ (Stoellger, 2000, S. 2) Es ist die Metapher als Phänomen der Überschreitung selbst, die sich der definitorischen Festsetzung und begrifflichen Fixierung wiedersetzt, gesetzte Grenzen beharrlich überschreitet und in immer umfassendere Kontexte und Perspektiven der theoretischen Betrachtung hinaustreibt. Als Phänomen der Übertragung und Kategorienüberschreitung wurde sie dabei bereits in ihrer ersten systematischen Ausarbeitung als epiphora von Aristoteles eingeführt. Die damit immanent von der Metapher selbst angestoßene Dynamik setzt sich seitdem in der Tradition der Definitionsversuche zur Metapher fort. (Vgl. Ricœur, 1986, S. 22) Nach Richter und Larcati mache sich „in der Metapherndiskussion insgesamt eine Tendenz zur Verallgemeinerung, Universalisierung und Begriffsüberschreitung bemerklich [...] und der Metaphernbegriff [findet] darin seine eigentliche terminologische Pointe [...]. Insofern vollzieht die Metapher onomasiologisch, was sie vom Etymon her ankündigt.“ (Müller-Richter & Larcati, 1996, S. 35) Der Begriff der Metapher und die Geschichte des Metapherndiskurses scheinen so von Anfang an miteinander in der Definition der Metapher als Übertragung verwoben und führen aus sich heraus zu methodologischen Schwierigkeiten und Paradoxien. (Friedrich, 2012, S. 1) 2.1.2 Das Paradoxon der Selbstimplikation Dass die Metapher als Metapher ihren eigenen Diskurs zu bestimmen und voranzutreiben scheint, wurde als das Paradoxon der Selbstimplikation der Metapher schon oft festgestellt und kann, wie Willer bemerkt, „mittlerweile als Gemeinplatz gelten“ (Willer, 2005, S. 90). Derrida hat die Konsequenzen für die Möglichkeiten philosophischer Reflexion der Metapher dabei wohl am radikalsten formuliert. Über die Metapher schreibt er, dass sie „den gesamten Gebrauch der philosophischen Sprache, nichts weniger als den Gebrauch der sogenannten natürlichen Sprache im philosophischen https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Diskurs, ja sogar die natürliche Sprache als philosophische Sprache in ihren Dienst“ stelle. (Derrida, 1999, S. 229) Da die gesamte Philosophie bis in ihre Grundbegriffe von einer nicht hintergehbaren Metaphorizität durchzogen sei, könne es weder einen philosophischen Begriff der Metapher geben, noch könne die Metaphorizität des philosophischen Diskurses methodisch systematisch beherrscht werden. „Wollte man alle metaphorischen Möglichkeiten der Philosophie erfassen, so bliebe mindestens eine Metapher immer ausgeschlossen, bliebe außerhalb des Systems: Zumindest diese, ohne die der Begriff der Metapher nicht konstruiert werden könnte, [...] die Metapher der Metapher“. (Derrida, 1999, S. 240)1 Bei Ricœur, der sich im Anschluss daran kritisch von Derrida abgrenzt, wird die definitorische Notlage, in die die unhintergehbare Metaphorizität jeder Metaphernbestimmung gerät, noch einmal deutlich in ihrer Zirkelhaftigkeit hervorgehoben2: „es gibt keinen Diskurs über die Metapher, der nicht in einem Begriffsnetz arbeitet, das selbst metaphorisch hervorgebracht wurde. Es gibt keinen metaphernlosen Ort, von dem aus Ordnung und Umgrenzung des metaphorischen Bereiches zu überblicken wären. Die Metapher wird metaphorisch formuliert. [...] Die Theorie der Metapher verweist zirkulär auf die Metapher der Theorie [...]. Damit kann es kein Prinzip zur Eingrenzung der Metapher, keine Definition geben, in der das Definierende nicht das Definierte in sich enthielte; die Metaphorizität ist absolut unbeherrschbar.“ (Ricœur, 1986, S. 263) Nicht ganz zufällig erinnern diese Bemerkungen zur Selbstimplikation der Metapher an die Diskussion um die methodische Beherrschung des hermeneutischen Zirkels.3 Denn nur unter der logi1 Derrida findet für diesen Vorgang einer nicht in das philosophische Sprachsys tem einholbaren Metaphrorizität und deren metaphysischen Implikationen die treffende Metapher der „weißen Mythologie“, die sich unsichtbar, doch wir kungsvoll in den philosophischen Diskurs einschreibt und diesem die notwen digen Unterscheidungen von eigentlichem und uneigentlichem Sprachgebrauch vorgibt. (Derrida, 1999) 2 Vgl. auch Eco: „Wenn es die Metapher ist, was die Sprache begründet, kann man über Metaphern nur metaphorisch sprechen. Jede Definition von Metapher kann dann nur zirkulär sein.“ (Eco, 1985, S. 134) 3 Ricœur sieht in Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik einen entscheidenden Zusammenhang zwischen „den Problemen, die in der Herme neutik durch die Textinterpretation entstehen“ und derjenigen welterschlie ßenden und perspektiveneröffnenden „Kraft der Metapher“, die diese als „ein Werk en miniature“ entfaltet. (Ricœur, 1996, S. 357, 374 und 358) Das Verstehen
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zistischen Annahme feststehender „eigentlicher“ Bedeutungen von Begriffen wird der Zirkel, selbst eine Metapher, zum „Problem“, das es einer eindeutigen und endgültigen Lösung zuzuführen gilt.4 Bei Unklarheiten und Streitigkeiten über Begriffe scheint dann die Definition das naheliegende Mittel zu sein, um wieder für Klarheit und Ordnung im Sprachgebrauch zu sorgen. Da sich die Metapher absoluten definitorischen Lösungsversuchen allerdings hartnäckig verweigert, liegt es nahe, sie entweder aus dem Bereich des Definierbaren auszuschließen und somit zum dekorativen und irrationalen Moment einer bloß übertragenen, uneigentlichen Rede zu degradieren; oder es wird umgekehrt die Metapher zum Eigentlichen und ontologischen Primat der Sprache erklärt, so dass Definitionen ihrerseits vom metaphorischen Urgrund abhängig und abkünftig sind. Demnach wären, so etwa bei Shibles, auch alle Definitionen metaphorisch. (Shibles, 1974, S. 3) Beide Strategien, die des Ausschlusses aus dem rationalen Diskurs und die der Totalisierung metaphorischer Sprache, gehen dabei jedoch von einem verkürzten Verständnis von Definition aus oder unterschlagen zumindest deren pragmatischen Sinn. Nach Gabriel sind Definitionen normativ vorgetragene Vorschläge zur Festvon längeren Texten und Werken und das Verstehen einer Metapher sind nach Ricœur über die Zirkelstruktur des Verstehens so aufeinander bezogen, dass sie sich wechselseitig in ihrem Verständnis aufschließen: „[...] von einem Stand punkt aus liefert das Verstehen einer Metapher den Schlüssel zum Verständnis längerer Texte, etwa literarischer Werke. [...] Aber von einem anderen Stand punkt aus liefert das Verstehen des Werkes als Ganzes den Schlüssel zur Meta pher“. (Ricœur, 1996, S. 363) 4 Stegmüller etwa kritisiert den hermeneutischen Zirkel als bildhafte Sprache und Metapher, an der, aus Sicht eines analytischen Philosophen, „alles falsch ist: Der bestimmte Artikel ist unangebracht, weil es sich nicht um ein bestimm tes, scharf umrissenes Phänomen handelt; der Ausdruck ‚Verstehen‘ ist fehl am Platz, weil der ‚Zirkel des Verstehens‘ nichts für irgendeine Form des Verstehens Spezifisches ist; und auch die Verwendung des Wortes ‚Zirkel‘ ist falsch, weil der ‚Zirkel des Verstehens‘ nichts mit einem Zirkel zu schaffen hat.“ (Stegmüller, 1979, S. 29; vgl. auch Mantzavinos, 2008) Stegmüller verfehlt allerdings gerade den metaphorischen, d. h. innovativen und kritisch-reflexiven Kern des herme neutischen Zirkels, der, wie Heidegger und im Anschluss daran Gadamer gezeigt haben, gerade nicht als methodologisches Problem, sondern als kontext- und situationsabhängiges, vielschichtiges Phänomen und Prinzip des Verstehens ge dacht werden muss. Recht hat Stegmüller auf metaphorologischer Ebene dahin gehend, das wohl das Bild einer Spirale passender wäre, um die Zeitlichkeit und Offenheit des Verstehens zu fassen, wobei dies wiederum schnell zu der irrigen Annahme eines positivistisch gefärbten Forschungsprozesses der Erkenntnisan häufung führt. (Stegmüller, 1979, S. 37; vgl. auch Turk, 1982)
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setzung oder Veränderung eines Wortgebrauchs. (Gabriel, 2009a, S. 15) Das heißt, sie erfüllen sehr wohl die ihnen zugeschriebene Funktion, Begriffe zu bestimmen und Wort- und Sprachgebräuche, vor allem in wissenschaftlichen Kontexten, mehr oder weniger verbindlich festzulegen. Damit wird diesen Begriffen oder Definitionen aber nicht zwangsläufig ein objektiver Status zugesprochen, in dem Sinne, dass sie die Wirklichkeit der Welt abbilden. Vielmehr werden durch definitorische Sprechakte Unterscheidungen eingeführt bzw. vorgeschlagen, die sich auch auf die begriffliche Gliederung der Welt verändernd auswirken können: „Da Wortgebräuche für Unterscheidungen stehen, greifen Definitionen in die bestehende Gliederung unserer Welt ein. Dies erklärt den häufig zu Unrecht verurteilten ‚Streit um Worte‘. In vielen Fällen geht es hierbei nicht ‚bloß‘ um Worte, sondern um die sprachliche und damit begriffliche Gliederung der Welt.“ (Gabriel, 2009a, S. 15) Aus der pragmatischen Relativierung verkürzter Objektivitätsansprüche und gegenstandstheoretischer Prämissen nun allerdings umgekehrt auf die Ubiquität der Metapher in jedem Sprachgebrauch zu schließen, ist ebenfalls unschlüssig. Denn nicht nur würde in der Definition aller Sprache durch die Metapher jede Unterscheidung von metaphorischem und nicht-metaphorischem Gebrauch aufgehoben – damit wäre weder über die Metapher noch über die Sprache etwas ausgesagt. Es müsse dies, so Danneberg, selbst dann, wenn jeder sprachliche Gebrauch metaphorisch sei, kein Definitionsmerkmal von Sprache sein. (Danneberg, 2002, S. 262) Letztlich sei das ganze Problem wohl weit weniger spektakulär als die bedeutungsschwer vorgetragenen Hinweise auf die Metaphorizität jeder Metapherndefinition den Anschein erwecken, denn „keine Definitionslehre fordert, daß Definiens und Definiendum keine gemeinsamen Eigenschaften besitzen“. (Ebd.) Vielmehr können darin Momente der Selbstreferenzialität, Reflexivität und Dialektik der Sprache gesehen werden, die in der Metapher eben in besonderer Weise zum Ausdruck kommen. So heißt es auch bei Ricœur: „Metaphorisch von der Metapher zu sprechen ist keineswegs zirkulär, wenn die Begriffssetzung dialektisch aus der Metapher selbst hervorgeht.“ (Ricœur, 1986, S. 271) Ein pragmatischer Umgang und ein hermeneutisches Vorgehen scheinen also angebracht, um in angemessener Weise in den Zirkel der Metapherndefinition hineinzukommen. (Vgl. Rolf, 2005, S. 3) Statt also erneut nach dem Begriff der Metapher zu fragen, https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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scheint es aussichtsreicher, etwas über die Metapher zu erfahren, wenn zunächst nach dem Grund gefragt wird, weshalb Metaphern in bestimmten geistesgeschichtlichen und philosophischen Kontexten immer wieder thematisch werden und sich beständig melden, wenn es um einen Streit der Worte und Begriffe geht. Man könnte also statt nach der definitorischen Bedeutung des Begriffes Metapher zu suchen, den Gebrauch und die Funktion der Metapher in den Sprachspielen und Wahrheitspraktiken der Philosophie und der Wissenschaft allgemein zum Ausgangspunkt nehmen, um der Metapher näher zu kommen. (Vgl. Shibles, 1974, S. 13) So könne man, nach Schöffel, Canguilhem zitierend, in den Linien, die sich aus den verschiedenen erzählten Geschichten der Metaphorologie ziehen lassen, „Wissenschaftsgeschichte schreiben, die zeigt, daß Ergebnisse der Autoren ‚Antworten (sind) auf Fragen, die sich in einer erst von ihnen entwickelten Sprache gestellt haben‘“. (Schöffel, 1987, S. 192) 5 Wie auch immer ihre Bedeutung eingeschätzt und beurteilt wird, so scheint die Metapher doch in wissenschaftlichen Texten und Praktiken eine unhinterfragte Relevanz zu besitzen, die die Frage nach ihrem Wesen und ihrer Funktion in den jeweiligen Kontexten immer wieder aktualisiert. (Vgl. Danneberg, 2002) Was beschert der Metapher solche Relevanz? Müller-Richter und Larcati vermuten, dass „der Metaphernbegriff von Beginn an [...] als Deckname für das Fragwürdige der semantischen Prozesse und als Problematisierung der Bedingungen von Sinn überhaupt gilt“. (Müller-Richter 5 Dies ist freilich selbst eine Position, die sich nur vor dem Hintergrund eines modernen Metaphern- und Sprachverständnisses behaupten lässt und eine be stimmte Entwicklung in die Theoriegeschichte der Metapher hineinlegt. Strub argumentiert, dass die Entscheidung für eine Metapherndefinition (klassische Vergleichstheorie oder moderne Interaktionstheorie) systematisch nicht zu treffen ist, sondern nur historisch und mit Lebensweltbezug begründet werden kann. (Strub, 1991, S. 471ff.) Diesen Perspektivwechsel beschreibt Friedrich im Sinne einer Meta-Metaphorologie als Historisierung der paradoxen Selbstim plikation: „Die Frage nach der Definition der Metapher verwandelt sich damit in die Frage, welches Weltverhältnis die jeweiligen Versuche zur Definition der Metapher voraussetzen oder begründen.“ (Friedrich, 2012, S. 17) Vgl. hierzu auch Köller: Die Definition der Metapher als „Anomalie“ ist ihrerseits nur vor dem Hintergrund eines modernen reflexiven Sprachbewusstseins plausibel, welches das begriffliche Denken und die strukturelle Geschlossenheit formaler Sprachen als „Hintergrundfolie“ hat, um daran einen usuellen, wörtlichen Sprachgebrauch auszuweisen. (Köller, 2012, S. 255) Dagegen setzen mythisches und analogisches Denken ein anderes Sprachbild voraus, unter dessen Prämis sen metaphorische Prädikationen eine ganz andere pragmatische Funktion und lebensweltliche Bedeutung einnehmen bzw. gar nicht als Metaphern auftreten.
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& Larcati, 1996, S. 21) Wir hätten es somit beim Metaphernbegriff gar nicht mit einem „fest umgrenzten Gegenstandsbereich, sondern selbst mit einem ‚metaphorischen‘ Vehikel für ein sehr weites Spektrum von Bedeutungen zu tun“. (Müller-Richter & Larcati, 1996, S. 34f.) Denn was eine Metapher ist, bleibt trotz oder gerade wegen der offensichtlichen Relevanz und intuitiven Selbstverständlichkeit, die sie für Wissenschaft und Alltagskommunikation implizit oder explizit in Anspruch nimmt, oft eine Frage definitorischer Setzung, die sich aus dem systematischen Interesse und der historischen Selbstverortung innerhalb einer retrospektiv konstruierten Geschichte der Metaphorologie herleitet.6 Sowenig wie es die Metapher gibt, so wenig gibt es den Metapherndiskurs oder die Metapherntheorie. Trotz aller Verwirrungen und Paradoxien, die die Metapher angesichts des Versuchs ihrer systematischen Bestimmung stiftet, scheint der Streit um die Metapher selbst unbestreitbar zu sein. Dies kann durchaus zum Ausgangspunkt einer positiven Würdigung und Annäherung an das Phänomen der Metapher geltend gemacht werden. Dazu müsse man, so Weinrich, zunächst sehen, „daß ein Streit um Metaphern vielleicht gar nichts Schlimmes ist.“ (Weinrich, 1976, S. 329) Gerade die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Perspektiven, die sich unter dem Decknamen Metapher versammeln, zeugen davon, dass das Metaphorische in besonderer Weise dazu herausfordert, Stellung zu nehmen und die eigene Position, sei es „im Namen der Metapher“ oder im „Kampf gegen die Metapher“, zu verteidigen. Ricœurs „Konflikt der Interpretationen“ findet daher, so Haverkamp, in der Metapher „seinen idealen Zankapfel“. (Haverkamp, 1996, S. 500) Noch ein Zweites scheint allen Äußerungen zur Metapher gemeinsam: Der Bezug zur Sprache. Selbst wenn Metaphern die Substrukturen des Denkens (Blumenberg) oder Prozesse kognitiver Art (Lakoff/Johnson) bezeichnen, bleiben sie ein genuin sprachliches Phänomen insofern, als sie immer auch an eine bestimmte Vorstellung von Sprache, Sprachbilder, gebunden sind und darin ihren Ausdruck finden. Daher ist bereits 6
So unterscheidet etwa Schöffel zwei Grundmuster der Erzählung der Geschichte der Metapher, die zwar beide von Aristoteles ihren Ausgang nehmen, aber von dort entweder in einem kontinuierlichen Verlauf dargestellt werden oder in einer diskontinuierlichen Geschichte geprägt von Brüchen und Wendungen münden. Diese Spaltung des metaphorologischen Diskurses im Umgang mit seiner eigenen historischen Entwicklung findet sich schließlich auch in der Konfrontation der Substitutions- und der Interaktionstheorie wieder. (Schöffel, 1987, S. 8–14)
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in den antiken Ursprüngen, spätestens seit Aristoteles, die Metapher implizit oder explizit mitthematisiert, wenn es um Sprache geht. „Der Streit um die Metapher ist so alt wie die philosophische Auseinandersetzung über die Sprache“. (Debatin, 1995, S. 14) Der Ursprung des Streites um die Metapher ist daher zugleich eine bis heute aktuelle Auseinandersetzung mit der antiken Verhältnisbestimmung von Philosophie, Rhetorik und Poetik. 2.1.3 Der Ursprung des Streits um die Metapher Den historisch wie systematisch unumgänglichen Ausgangspunkt für beinahe jede metaphorologische oder metapherntheoretische Bemühung stellt die folgenschwere Definition der Metapher von Aristoteles in der Poetik dar7: „Eine Metapher ist die Übertragung eines Wortes (das somit in uneigentlicher Bedeutung verwendet wird), und zwar entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung, oder von einer Art auf eine andere, oder nach den Regeln der Analogie“. (Aristoteles, 2008, S. 29 (1457b)) Diese Definition wurde in der Folge der antiken rhetorischen Tradition von Quintilian und Cicero als „verkürztes Gleichnis“ interpretiert. (Vgl. Weinrich, 1996; Rolf, 2005) Damit war, so Ricœur, die Metapher auf die lexikalische Einheit des Nomens verkürzt und ihr „Schicksal [...] für Jahrhunderte besiegelt“. (Ricœur, 1986, S. 20f.) Als verkürzter Vergleich hat die Metapher keinen informativen Wert und keine kognitive Eigenleistung vorzuweisen. Denn das, was metaphorisch von einem Wort auf ein anderes übertragen wird, ließe sich prinzipiell auch wörtlich, also in der eigentlichen 7
Auch wenn Aristoteles nicht der erste war, der sich zur Metapher philosophisch geäußert hat, nimmt seine Systematisierung und Vertiefung vorsokratischer und platonischer Erkenntnisse eine zentrale Bedeutung für das antike Verständ nis der Metapher ein und wirkt, wenn auch in durchaus ambivalenter Weise, bis in die heutige Diskussion um die Metapher nach. (Vgl. Lau, 2006) Vgl. hierzu auch Derrida: „Für jeden Diskurs über die Metapher gibt es einen Code oder ein Programm [...]: üblicherweise muß man als erstes die Aristotelische Definition, zumindest die der Poetik (1457b) ins Gedächtnis rufen.“ (Derrida, 1999, S. 250) Auch Schöffel bemerkt mit Blick auf die Geschichten, die die Autor:innen von ihrer eigenen Disziplin im Kontext einer Metaphorologie erzählen, „die ewigen Wiederholungen der aristotelischen Definition“ (Schöffel, 1987, S. 191) und Rolf stellt die durchaus problematischen und ambivalenten Züge einer solchen häufig unreflektierten Bezugnahme auf Aristoteles Metapherndefinition heraus (Rolf, 2005, S. 10).
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Bedeutung des Wortes sagen. Aristoteles Definition der Metapher wird daher lange Zeit zu den Substitutions- oder Vergleichstheorien gezählt, innerhalb derer ihr allenfalls dekorative und schmückende Funktion zugesprochen wird.8 Es sind in der Folge vor allem Derrida und Ricœur, die in ihren „rekursiven Lesarten“ (Schöffel) diese Einordnung Aristoteles in die Substitutions- und Vergleichstheorien in Frage gestellt und darauf hingewiesen haben, dass die Aristotelische Definition bereits in sich strittig und von Anfang an ein wesentliches Element eines alten Streites von Philosophie und Rhetorik darstellt. Die Positionierung der Metapher in der Poetik und in der Rhetorik hat ihren Ursprung im antiken Kampf von Philosophie und Rhetorik als „Konkurrentinnen im Streit um die öffentlichen Angelegenheiten“. (Gamm, 1992, S. 57) Ricœur zeichnet in Die lebendige Metapher nach, wie die immanente Dynamik der Metapher und ihr Kontext im Streit von Philosophie und Rhetorik ein treibendes Moment des Metapherndiskurses selbst darstellt und sich in einer Art dialektischer Stufenlogik von den Ebenen des Wortes über den Satz bis zum Text und bis in das moderne spannungsvolle Verhältnis der Diskurse fortwirkt. Bei Aristoteles nehmen Poetik und Rhetorik als „Waffe auf der Agora“ (Ricœur, 1986, S. 14) noch eine zentrale Stellung in der Konstituierung und der Erkenntnis poetischer und praktischer Wahrheiten ein. Sie stellen, so Debatin, „gleichsam den in der Lebenswelt wurzelnden Rahmen, innerhalb dessen dann erst eine Philosophie mit dem ihr eigenen Bereich der notwendig-unveränderlichen Wahrheit abgegrenzt werden kann.“ (Debatin, 1995, S. 23) Dieser spannungsvolle Kontext bestimmt den weiteren Verlauf der Geschichte der Metapher entscheidend und so lebt auch im modernen Streit um die Metapher „etwas vom antiken Kampf zwischen Philosophie und Rhetorik fort“. (Schöffel, 1987, S. 2) Dieser Kampf war und ist dabei immer auch ein Kampf um die Wahrheit und um die Sprachbilder, die mit den jeweiligen Positionen für oder wider die Metapher verbunden sind. Wird Sprache als Wirklichkeit abbildendes Kalkül gedacht, dann muss die Metapher als parasitär zur wahrheitsverbürgenden Funktion klarer und dis-
8 Wie Weinrich treffend bemerkt, handelt es sich hierbei um eine schlechte, aber bequeme Definition: „Mit ihrer Hilfe konnten sich die Logiker leicht des ganzen Metaphernproblems erwehren. Denn wenn die Metapher ein verkürztes Gleich nis ist, braucht man einen metaphorischen Satz nicht mehr auf seinen Wahr heitsgehalt zu prüfen. Er ist dann weder wahr noch falsch, sondern – poetisch.“ (Weinrich, 1996, S. 317)
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tinkter Begriffe angesehen werden und entweder in ihre „eigentliche“ Bedeutung rückübersetzt oder ganz aus dem rationalistischen Diskurs der Wahrheit ausgeschlossen werden. (Vgl. Debatin, 1995, S. 14 und 31) Die Gegenposition wäre folglich diejenige, die von einer grundsätzlichen und nicht hintergehbaren Metaphorizität der Sprache ausgeht, wobei der Metapher „eine besondere Affinität zur Lebenswelt unterstellt“ wird. (Schöffel, 1987, S. 2) Die Metapher wird dann zum Inbegriff einer lebensweltlichen Wahrheit, die zwar der begrifflichen Rationalität ihr Material liefert und dem philosophischen Diskurs die Grundbegriffe vorgibt, von diesen aber niemals reflexiv eingeholt und „ins Eigentliche, in die Logizität“ (Blumenberg, 1996, S. 14) zurückgeholt werden kann. Mit der Positionierung zur Wahrheitsfähigkeit der Metapher ist daher, wie Eco treffend herausstellt, eine Entscheidung verbunden, die sich fundamental auf das vorauszusetzende Bild von Sprache bezieht: „Jeder Diskurs über die Metapher hat seinen Ursprung in einer radikalen Wahl: entweder (a) ist die Sprache von Natur aus und ursprünglich metaphorisch, und der Mechanismus der Metapher begründet sprachliche Aktivität; [...] oder (b) ist die Sprache [...] ein regelgeleiteter Mechanismus, eine Vorschriften auflegende Maschine [...]; eine Maschine bezüglich derer die Metapher ein Zusammenbruch, eine Funktionsstörung, ein unerklärliches Ergebnis ist, aber gleichzeitig auch der Drang nach sprachlicher Erneuerung.“ (Eco, 1985, S. 134) Doch auch wenn der moderne Metapherndiskurs tatsächlich jener radikalen Wahl durch eine Spaltung in zwei Teildiskurse – einer, der die Metapher als Regelverstoß und Decodierungsproblem bezeichnet und einer, der Sprache als Ganzes in das Metaphorische verlegt – zu entsprechen scheint, sei das Phänomen der Metaphorik, so Schöffel, „erst angemessen verstanden, wenn die Beschränkungen, die der Theoriebildung durch diese Dichotomie auferlegt werden, durchbrochen sind“. (Schöffel, 1987, S. 4) Es sei, so auch Haverkamp, „nicht die Definition der Metapher als Grenzbestimmung, sondern ihre Bestimmung als Grenze, Differenzphänomen“ entscheidend. (Haverkamp, 1996, S. 500) Die Dualität der Sprachbilder, die sich in den Streit um die Metapher einschreibt, kann nicht einseitig aufgelöst werden, denn die Metapher selbst stellt die überkommenen Lösungsangebote und Unterscheidungen in Frage und bringt das dialektische Spannungsverhältnis von Regel und Regelüberschreitung im Medium der Sprache immer wieder in Bewegung. Das innovative und produktive Potential der Metapher https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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ist ohne ein regelgeleitetes Begriffssystem nicht denkbar: „In allen Fällen heißt schaffen mit Regeln kämpfen, sei es, um sich von ihnen leiten zu lassen, sei es, um sie zu überschreiten.“ (Ricœur, 1986, S. 1) Dies kam bereits im Bild der lebendigen Sprache zur Geltung, innerhalb dessen sich die Metapher als Innovationspotential auf dem Boden sprachlicher Gewissheiten und nur unter der Voraussetzung existierender Begriffe und Begriffssysteme in kritisch-normativer Funktion voll entfalten kann. Metaphorische Sprache verweist auf beides zugleich: das geschlossene Regelsystem sprachlicher Bedeutungen, indem sie die Logik der feststehenden Begriffe erschüttert; und das „unabschließbare Offene der lebendigen Sprache“, die „die Möglichkeit der Regelüberschreitung nicht nur zur Voraussetzung, sondern auch zur Konsequenz“ hat. (Müller-Richter & Larcati, 1996, S. 18) Die Gewalt der Metapher, so Ricœur, bestünde also darin, eine frühere Kategorisierung zu brechen, um auf den Trümmern der älteren logischen Grenzen neue zu errichten.“ (Ricœur, 1986, S. 288) Der Streit um die Metapher wird in Metaphern, mit Metaphern und über Metaphern geführt – nicht nur auf dem Feld der Metapherntheorie und Metaphorologie, sondern eben überall dort, wo sprachlicher Sinn fraglich und neue Bedeutungen notwendig werden.9 Die Metapher als Bruchstelle im Kontext gesetzter Begrifflichkeiten und Gewissheiten bringt dabei nicht nur die Sprache, sondern vor allem auch die eingeübten Sprachspiele in Bewegung und hält so die Möglichkeiten einer reflexiven, kritischen und verändernden Sprachpraxis offen. Das Interesse an der Metapher, so Richter und Larcati, speist sich also vor allem aus zwei unterschiedlichen Reaktionsweisen auf die Krise der Selbstverständlichkeiten und Gewissheiten in der Moderne: „Die eine Weise sieht in der Metapher die treibende Kraft bei der Destabilisierung semantischer Hierarchien, aus denen sich eine Orientierung ableiten und beglaubigen ließe. Die andere […] Variante sieht dagegen in ihr gerade jene Quelle, aus der vor allen wissen9 Vgl. auch Müller-Richter und Larcati: „Wenn die Metapher das prinzipiell Vor läufige und historisch Offene der Sinnzuweisungen anzeigt, wird verständlich, warum sie gerade da, wo die letztbegründende Rechtfertigung unserer urteilen den Synthesen in Frage steht, als Deckname für ein Modell von Sprache aufge rufen wird, das trotz oder gerade aufgrund der permanenten Neuinterpretation des Sinnes den Anspruch auf dessen Referenz und Wahrheit bewahren kann. Die Metapher betont zugleich mit der Unkontrollierbarkeit des Innovativen die Möglichkeit und Notwendigkeit zur Innovation.“ (Müller-Richter & Larcati, 2007, S. 19)
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schaftlichen Erklärungsversuchen die Welt in ihrer Bedeutsamkeit allererst konstituiert wird.“ (Müller-Richter & Larcati, 2007, S. 22) Lösungen und Widersprüche, Aporien und Neuansätze werden an der Figur der Metapher formuliert und demonstriert. Metaphern bieten dabei vielleicht keine eindeutigen Antworten und fertigen Konzepte dar, aber sie „legen Fragen nahe, bieten eine Strukturierung an, die aller weiteren Erörterung als Orientierung gilt“. (Schöffel, 1987, S. 5) Als argumentative Instanzen in einer sozialen Praxis des Rechtfertigens und Begründens übernehmen Metaphern die Funktion eines „rationalen Vorgriffs“ (Debatin, 1995, S. 133), der sowohl lebensweltliche Rückbindung an tradierte und überlieferte Welt- und Selbstverständnisse herstellen, als auch eine normative, welterschließende Orientierung auf Wahrheitspraktiken und Lebensformen leisten kann. (Vgl. auch Pielenz, 1993) Ist die Metapher selbst Gegenstand der diskursiven Auseinandersetzung, dann steht, wie vor allem Debatin herausgestellt hat, nicht nur die Rationalität der Metapher, sondern eben auch der Begriff (bzw. die Metapher) der Rationalität selbst und damit eine der zentralen Kategorien des wissenschaftlichen und lebensweltlichen Wahrheitsdiskurses auf dem Spiel. (Debatin, 1995, S. 13 und 63) So auch Ricœur zur Bedeutung der lebendigen Metapher: „In Frage steht der Sinn des Wortes Wahrheit.“ (Ricœur, 1986, S. 238) Aus dem von der Metapher provozierten Bewusstsein und der Einsicht der Unbestimmtheit und Perspektivität zentraler Kategorien und Unterschiede, erwächst schließlich eine „Metaphorik der Wahrheit […] deren Verfassung sehr verschiedene Inbesitznahmen zuläßt oder: die Pluralität von Deutungen und Lebensentwürfen unvermeidlich wird.“ (Gamm, 1992, S. 79) In einem solchen Streit um die Wahrheit der Metapher kommt nicht nur erneut die wechselseitige dialektische Durchdringung von Wahrheitsdiskurs und Metapherndiskurs zu Vorschein, sondern es zeigt sich auch in der perspektivistischen Selbstreferenzialität und der pragmatisch-reflexiven Kommunikabilität der Metapher in besonderer Weise das normativ-kritische Moment einer lebendigen und gelebten Sprache. Dies kann auch methodologisch zum Ausgangspunkt genommen werden, um Metapherntheorie als eine Ethiktheorie zu formulieren, die Metaphern in ihrer diachronen und synchronen Multidimensionalität sowohl zum Gegenstand als auch zur Form ethischer Reflexion hat. Zunächst soll jedoch eben jene Multidimensionalität der Metapher anhand zweier Perspektiven auf den Metapherndiskurs eingehender betrachtet werden. Dies ist zum einen eine systematische Perspektive, die am https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Topos der Ähnlichkeit Aufbau und Struktur der Metapher thematisiert; zum anderen eine historische Perspektive, die am Beispiel der Metaphorologie noch einmal die grundsätzliche Historizität der Metapher sowie auch die damit einhergehenden schwerwiegenden methodologischen Probleme aufgreift.
2.2 Metapher und Ähnlichkeit 2.2.1 Metapher als Ähnlichkeitstropus Beim Streit um die Metapher, so haben wir gesehen, steht ihre Rationalität und Wahrheitsfähigkeit und damit ihre Stellung im rationalistischen Diskurs der Wahrheit auf dem Spiel. Dabei ist das Schicksal der Metapher eng mit dem Prinzip der Ähnlichkeit verbunden. „Die Metapher ist der Ähnlichkeitstropus schlechthin“, schreibt Ricœur zur Rolle der Metapher in der klassischen Rhetorik. (Ricœur, 1986, S. 168; vgl. auch Derrida, 1999, S. 233) Die gemeinsame Geschichte von Metapher und Ähnlichkeit beginnt dabei bereits mit der „aristotelische[n] Theorie der Metapher, mit der ein Kernstück abendländischer Ähnlichkeitsreflexion berührt ist“. (Endres, 2012, S. 41f.) Bei Aristoteles heißt es zum Metaphorischen: „[...] gut übertragen bedeutet das Ähnliche sehen.“ (Poetik, 149a5-8) In der Rhetorik erläutert er ergänzend: „Man muß […] Metaphern bilden […] von verwandten, aber auf den ersten Blick nicht offen zutage liegenden Dingen, wie es z. B. auch in der Philosophie Charakteristikum eines richtig denkenden Menschen ist, das Ähnliche auch in weit voneinander entfernt liegenden Dingen zu erkennen.“ (Rhetorik III, 11,5) Deutlich wird an dieser Stelle noch einmal, dass bei Aristoteles die Metapher – und mit ihr die Poetik und die Rheto rik – in einem durchaus ambivalenten aber notwendigen und konstruktiven Verhältnis zur Philosophie und zur Wahrheitsfrage steht. Der gemeinsame Berührungspunkt scheint dabei die ontologische Kategorie der Ähnlichkeit zu sein. Das Ähnliche in weit voneinander entfernt liegenden Dingen zu sehen, legt nahe, dass es sich dabei um eine bereits existierende Ähnlichkeit in den Dingen handelt, die zwar nicht ganz offensichtlich zutage liegt, jedoch als Verwandt schaftsähnlichkeit schon vorhanden und prinzipiell erkennbar ist. Darin liegt der Grund, warum die Metapher in der nachfolgenden Aristoteles Rezeption als Wortsubstitution oder als verkürzter Verhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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gleich aufgefasst wird. Denn Ähnlichkeit wird hier zur „Grundlage der Substitution, die bei der metaphorischen Transposition der Namen und allgemeiner der Worte ins Werk gesetzt wird.“ (Ricœur, 1986, S. 169) Die „lange Verbundenheit von Substitution und Ähnlichkeit in der Geschichte des Metaphernproblems“ (Ricœur, 1986, S. 178) sowie die Vieldeutigkeit und Vagheit der Begriffe Ähnlichkeit und Analogie10 führten schließlich dazu, dass die Metapher – lediglich nur noch Ornament der Sprache in einer Rhetorik, die unter Verlust ihrer Wahrheitsfähigkeit zur „bloße[n] Botanik der Redefiguren“ (Ricœur, 1986, S. 15) herabgestiegen ist – spätestens im cartesianischen Rationalismus des 17. Jahrhunderts vom rationalen Wahrheitsdiskurs ausgeschlossen und als irrational bekämpft worden ist. (Debatin, 1995, S. 27ff.; vgl. auch Gamm, 1992, S. 73) Der Ausschluss der Metapher aus dem rationalen Diskurses erklärt sich auch als Abwehrreaktion im Zuge des aufsteigenden rationalistischen Erkenntnisideals der Neuzeit, welches gegen „das eindringliche Gemurmel der Ähnlichkeit“, wie es in Foucaults Die Ordnung der Dinge heißt, die Forderung nach klarer, eindeutiger Sprache und identitätslogisches Denken setzt. (Foucault, 2017, S. 83) Das christliche Mittelalter war noch von einem analogischem Sprachbild durchdrungen, innerhalb dessen „die Welt als ein geschlossenes, statisches System von großer innerer Festigkeit, in dem es Analogie- und Korrespondenzbeziehungen sowohl auf der horizontalen Ebene […] als auch auf der vertikalen Ebene gibt“. (Köller, 1975, S. 237) Das der Metapher zugrundeliegende Prinzip der Ähnlichkeit „hat seitdem und bis zum Ende des 16. Jahrhunderts in der europäischen Kultur eine zentrale Rolle gespielt“. (Debatin, 1995, S. 26) Im Zuge einer rationalistischen Sprachkritik, die sich der Ent-deckung einer „nackten Wahrheit“ verschreibt (Vgl. Blumenberg, 2013) und die Dinge in eindeutiger und wörtlich-eigentlicher Terminologie zu bezeichnen erstrebt, verliert die Metapher endgültig ihre Stellung im Wahrheitsdiskurs. Debatin beschreibt diesen Prozess als eine Abwehrreaktion aus immanenten Gründen. Erst vor dem Hintergrund des „ungezügelten Diskurs der Ähnlichkeit, dessen ‚endloses Wuchern‘ seinen unzähligen metaphorisch-analogischen Anknüpfungsmöglichkeiten entspringt“, wird verständlich, warum der „rationalistische Diskurs das Prinzip von Identität und Unter10 So stellt etwa Endres im Anschluss an Benjamin fest, dass eine konzedierte ‚Un klarheit‘ eine Signatur des Ähnlichkeitsdiskurses zu sein scheint. (Endres, 2012, S. 27)
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schied sowie Prozeduren der Ausschließung, der Verknappung und der Kontrolle“ mit solcher Vehemenz und Schärfe einsetzt. (Debatin, 1995, S. 31) „Indem die Erkenntnis sich selbst als rational bestimmt, ihre formalen Kriterien auf Begriff und logisches Urteil reduziert und sich zugleich als materiale Diskursform entwickelt, muß sie die Metapher, Analogie und Ähnlichkeit als irrational ausschließen.“ (Ebd.) 2.2.2 Die Interaktionstheorie der Metapher Erst mit der Rehabilitierung der Ähnlichkeit gegenüber der Identitätslogik, wie sie etwa im Werk Wittgensteins mit der Metapher der Familienähnlichkeiten11 eingeleitet wurde, kommt auch die Metapher selbst wieder zu ihrem Recht auf Wahrheit – wenn auch zunächst eher im Verbund mit der Rhetorik als mit der logischen Kategorie der Ähnlichkeit selbst. Wittgenstein greift zwar im Rahmen seiner sprachphilosophischen Wende auf Metaphern zurück, schweigt aber selbst über das sprachliche Phänomen der Metapher. Bei Richards und Black hingegen, die als Begründer der Interaktionstheorie der Metapher gelten und wesentlich zu deren Wiederbelebung als wahrheitsfähiges Element der Sprache mit eigenständiger kognitiver Leistung beigetragen haben, wird die auf Ähnlichkeiten und Vergleich beruhende Metapher noch den Substitutionstheorien und der alten rhetorischen Klassifizierung als Trope der Übertragung zugeordnet, die es zu überwinden gilt. Dass beide 11 Gegen die Vorstellung der Identität von Bezeichnendem und Bezeichnendem, die im Begriff zur Übereinstimmung kommen, setzt Wittgenstein in seinem Spätwerk den Gedanken der Familienähnlichkeiten und erläutert diesen wieder um durch die Metapher des Sprachspiels. Die Frage nach dem einen Wesen der Sprache, die Wittgenstein selbst noch im Tractatus Philosophicus gestellt hatte, führe, so der späte Wittgenstein, zu einem irreführenden Sprachbild, welches vom Ideal der Identität und den Prämissen atomistischer Eindeutigkeitslogik ge tragen ist. In den Philosophischen Untersuchungen argumentiert er nun mit der sprachlichen Bedeutung des Wortes „Sprache“ genau gegen diese Vorstellung: „Statt etwas anzugeben, was allem, was wir Sprache nennen, gemeinsam ist, sage ich, es ist diesen Erscheinungen garnicht Eines gemeinsam, weswegen wir für alle das gleiche Wort verwenden, – sondern sie sind miteinander in vielen verschiedenen Weisen verwandt. Und dieser Verwandtschaft oder dieser Ver wandtschaften wegen nennen wir sie alle ‚Sprachen‘.“ (Wittgenstein, 2014, S. 277, §65) Sprache ist somit durchzogen von einem „komplizierte[m] Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen“. (Wittgenstein, 2014, S. 278, § 66)
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Paradigmenwechsel – zur sprachpragmatischen Gebrauchstheorie in der Sprachphilosophie durch die Philosophischen Untersuchun gen und zur Interaktionstheorie in der Metapherntheorie durch die Arbeiten von Richards und Black – jedoch nicht nur im gleichen Zeitraum stattfinden, sondern auch systematisch in einen Zusammenhang mit dem Ähnlichkeitsdiskurs gebracht werden können, liegt mit Blick auf die zentrale Rolle der Metapher der Familienähnlichkeit in Wittgensteins später Philosophie nahe. Gamm verweist auf die Konsequenzen für die Diskussion um logische Identität und Ähnlichkeit, wenn alle Begriffsbildung auf dem Boden des Netzwerks familienähnlicher Bedeutungen entsteht: „Alles, was nach dem Muster ‚gleicher Begriff, gleiche Merkmale‘ konstruiert wird, das heißt, sich im Rahmen von Logik und Vernunft bewegt, läßt sich nur im Rückgriff ‚auf das eindringliche Gemurmel der Ähnlichkeit‘ begreifen, welches das Logische ständig von allen Seiten bestürmt und aufzulösen droht.[...] Die Verwandtschafts- und Familienbande der Begriffe und Metaphern, der Vergleiche und Allegorien sind das Erste, die starre Regelmäßigkeit und Ordnung des Begriffshimmels das Abgeleitete.“ (Gamm, 1992, S. 74f.) Ganz ähnlich richtet sich sich nun Richards in Die Metapher12 gegen die „schlimmste Hypothese, wonach die Metapher im Sprachgebrauch etwas Besonderes sei, eine Abweichung von ihrer gewöhnlichen Funktionsweise, und nicht das allgegenwärtige Prinzip ihrer freien Entfaltung“. (Richards, 1996, S. 32) Vielmehr müsse die Metapher als das „allgegenwärtige Prinzip der Sprache“ (Richards, 1996, S. 35) anerkannt werden.13 Dieses Prinzip der Metapher besteht nun nicht mehr in der einfachen Übertragung der isolierten Bedeutung eines Wortes auf ein anderes, sondern muss, wie Ricœur im Anschluss an Richards schreibt, kontextabhängig als „wechselseitigen Beseelung der Wörter im lebendigen Aussageakt“ verstanden werden. (Ricœur, 1986, S. 137) „Auf die einfachste Formulierung gebracht, bringen wir beim Gebrauch einer Metapher zwei unterschiedliche Vorstellungen in einen 12 Richards Aufsatz zur Metapher wurde erstmals 1936 in dem Werk The Philo sophy of Rhetoric veröffentlicht. Hier wird die deutsche Übersetzung in Haver kamps Sammlung Theorie der Metapher (Haverkamp, 1996) zur Grundlage ge nommen. Ebenfalls in der deutschen Übersetzung enthalten ist hierin der 1954 erschienene Aufsatz Metaphor von Max Black. 13 An anderer Stelle nimmt Richards die Thesen der Kognitiven Linguistik vorweg: „Denken ist metaphorisch und verfährt vergleichend; daraus leiten sich die Me taphern der Sprache her“. (Richards, 1996, S. 35)
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gegenseitigen aktiven Zusammenhang, unterstützt von einem einzelnen Wort oder einer einzelnen Wendung, deren Bedeutung das Resultat der Interaktion beider ist.“ (Richards, 1996, S. 34) Terminologisch führt Richards für die Unterscheidung der beiden Vorstellungen, die in der Metapher zusammengebracht werden, die Bezeichnungen tenor und vehicle ein. Tenor meint dabei den bildempfangenden Hauptgegenstand, die der Metapher zugrundeliegende Idee, und vehicle den bildspendenden Nebengegenstand, die Idee, unter der die erstere erfasst wird. Damit ist gegenüber den traditionellen Theorien, die die Metapher auf einen Vergleich reduzieren, ein entscheidender Fortschritt erreicht. Nach Schöffel befreit Richards durch die Einführung dieser Terminologie „die Metaphorologie von der Bindung an das ‚Ähnlichkeitsaxiom‘ […]. Sofort rücken Metaphern in den Blick, bei denen die Unähnlichkeit, die Spannung zwischen den beteiligten Wörtern entscheidend ist, bei denen die relative Bedeutung, mit der Tenor und Vehikel zur aus ihrer Interaktion resultierenden Bedeutung beitragen, stark variiert und deren ‚Funktionieren‘ überhaupt nur aus der Kopräsenz beider Bestandteile erklärbar ist“. (Schöffel, 1987, S. 133) Die Metapher besteht in einer Transaktion von Kontexten, die in spannungsvoller Differenz zueinanderstehen.14 Sie ist nicht einfach die Bezeichnung für die Wechselwirkungsprozesse und Kontextabhängigkeiten in der Generierung sprachlichen Sinns, sondern bringt diese selbst hervor. Der Begriff „Metapher“ müsse also, so Richards, für die „ganze Doppeleinheit“ (Richards, 1996, S. 37) von Tenor und Vehikel gelten und ist, wie Rolf ergänzt, auf das Zusammenspiel als Ganzes, „für die Einheit der Differenz“ (Rolf, 2005, S. 35) und nicht lediglich auf eine der beiden Komponenten zu beziehen Mit dieser Bemerkung wird zugleich die Ablösung der Metapherntheorie von einer statischen nominalistischen Worttheorie hin zu einer diskursiven Theorie der Rede markiert und der Boden für eine adäquate 14 Vgl. hierzu Ricœur: „Elementar formuliert hält die Metapher zwei Gedanken verschiedener Dinge zusammen, die innerhalb eines Wortes oder eines einfa chen Ausdruckes gleichzeitig wirken und deren Bedeutung die Resultate ihrer Wechselwirkung ist. Um diese Beschreibung auf das Theorem der Bedeutung [d. i. das Theorem der Kontextgebundenheit, Anm. D. F.] abzustimmen, wollen wir sagen, daß die Metapher in einer einfachen Bedeutung zwei verschiedene fehlende Teile der verschiedenen Kontexte dieser Bedeutung zusammenhält. Es handelt sich also nicht mehr um eine bloße Verschiebung der Worte, sondern um einen Austausch zwischen Gedanken, also um eine Transaktion zwischen Kontexten.“ (Ricœur, 1986, S. 139)
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Erfassung des innovativen schöpferischen Potentials der Metapher bereitet. Black, dessen Aufsatz Metaphor zu den unbestrittenen Klassikern der neueren Metapherntheorie zählt, führt nun nach eigenen Angaben die bei Richards formulierten Gedanken und Thesen zu einer Theorie der Wechselwirkung fort und fasst „in Nukelarform die Hauptthemen einer semantischen Analyse der Metapher zusammen“ (Ricœur, 1986, S. 144). Während Richards eine mikro skopische Analyse der Metapher als Prinzip einer allgemeineren Interaktionstheorie der Sprache unternimmt, ist es Blacks Ziel, rein semantische Fragen zu beantworten, die die „Logische Grammatik“ von ‚Metapher‘“ betreffen. (Black, 1996a, S. 55) Er geht von der Beobachtung aus, dass in Aussagen, die wir üblicherweise als Metaphern bezeichnen würden, meist nur ein Wort metaphorisch gebraucht wird, während der Rest des Satzes wörtlich bleibt. Somit müsse zwar die ganze Aussage als metaphorisch angesehen werden, es geschieht jedoch eine Verengung auf ein Wort, welches Black den Fokus (focus) der Metapher nennt und das zu dem übrigen Satz, dem Rahmen (frame), im spannungsvollen Kontrast steht. (Black, 1996a, S. 58)15 Ganz im Sinne Richards beschreibt Black den dynamischen Prozess, der durch die semantische Kollision von Fokus und Rahmen freigesetzt wird, als den Kern der Metapher und nicht das einzelne Wort, welches metaphorisch gebraucht wird. Die Metapher ist somit das Ergebnis einer Interaktion von Fokuswort und rahmendem Satz, indem das Fokuswort, welches in einem anderen Kontext wörtliche Bedeutung hat, in einen neuen Kontext gestellt wird. Black weiter: „Der neue Kontext (in meiner Terminologie der „Rahmen“ der Metapher) bewirkt beim fokalen Wort eine Erweiterung des Bedeutungsumfangs“. (Black, 1996a, S. 69) In dieser Erweiterung des Bedeutungsumfangs liegt nun, so Black, die spezi15 Durch die gegenüber Richards treffendere Bezeichnung der beiden interagieren den Teile der Metapher in focus und frame werde, so Ricour, die Ablösung zu einer Worttheorie deutlich vollzogen und dennoch die Struktur der Metapher als Wechselspiel von Sinn der Aussage und fokalisiertem Wort präzise erfasst: „diese Termini [focus und frame] haben den Vorteil, direkt das Phänomen der Fokalisierung auf ein Wort auszudrücken, ohne doch zu der Illusion zurück zukehren, daß die Worte in sich selbst einen Sinn tragen“. (Ricœur, 1986, S. 146) Mit der grammatikalischen Unterscheidung geht zudem eine semantische ein her, die die zwei Vorstellungen, die in einer Metapher zusammenkommen, als „Hauptgegenstand“ und „untergeordneten Gegentand“ bzw. „‚Primär‘ und […] ‚Sekundärgegenstand“ bezeichnet. Diese seien jedoch, so Black, „eher als ‚Syste me von Dingen‘ denn als ‚Dinge‘ zu betrachten“. (Black, 1996a, S. 75)
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fisch intellektuelle Leistung der Metapher, denn sie bietet „Einsichten“ in die Dinge, die durch Substitution oder Vergleich allein nicht erklärt werden können. (Black, 1996a, S. 78) Wenn wörtlicher und metaphorischer Ausdruck äquivalent wären oder bloß eine existierende Ähnlichkeitsbeziehung in den Dingen abbilden würden, dann könnte es keine Bedeutungsverschiebung und -ergänzung im wörtlichen Gebrauch der Sprache geben. Dem gegenüber geht es Black darum, einen eigenständigen kognitiven Gehalt und die spezifische Rationalität der Metapher herauszubilden, die sich nicht durch begriffliche und „wörtliche“ Paraphrasen ersetzen lassen. Damit unterscheidet sich die Interaktionstheorie wesentlich von einer Substitutions- und Vergleichstheorie der Metapher.16 Während Substitutions- und Vergleichsmetaphern „ohne Verlust an kogniti vem Gehalt“ durch wörtliche Übersetzung ersetzt werden können, sind „‚Interaktionsmetaphern‘ […] unentbehrlich“ und erfordern eine „spezifische intellektuelle Leistung“. (Black, 1996a, S. 78) Eine wörtliche Übersetzung wäre bei ihnen „deshalb ein Fehlschlag, weil sie nicht dieselbe Einsicht vermitteln, wie die Metapher“. (Ebd.) 2.2.3 Die Dialektik von Identität und Differenz Blacks Entwurf gilt zu Recht als eine der zentralen Theorien zu einem rationalen Begriff der Metapher, der eng mit deren Unersetzbarkeit und einem eigenständigen kognitiven Gehalt verknüpft ist. (Vgl. Debatin, 1995, S. 97; Hesse, 1988; Schöffel, 1987, S. 191; Strub, 1991) Das entscheidende Moment der Interaktionstheorie stellt wiederum das Moment der Ähnlichkeit dar, welche weiterhin zwischen den beiden Teilen einer Metapher (frame/focus, tenor/vehicle) angenommen wird. Allerdings kann es sich dabei nicht mehr um eine ontologisch vorgegebene Ähnlichkeitsbeziehungen handeln, die in der Metapher lediglich in einen verkürzten Vergleich gebracht werden, sondern die Ähnlichkeit als Resultat der wechselseitigen metaphorischen Verknüpfung wird durch die Metapher erst geschaffen. Black formuliert diese starke Kreativitätsthese bewusst vorsichtig und behält sich die Möglichkeit nicht kreativer Substitutions- und 16 Womit diese allerdings keineswegs, wie oft behauptet, widerlegt wäre. Von beiden Theorien grenzt sich Back zugunsten eines kognitiv gehaltvollen Meta phernbegriffs ab, lässt jedoch die Paraphrase durch den Vergleich und die Substi tution für triviale Metaphern durchaus gelten. (Schöffel, 1987, S. 137)
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Vergleichsmetapher vor. In jenen Fällen jedoch „in denen es uns vor der Konstruktion der Metapher schwergefallen wäre, irgendeine wörtlich zu nehmende Ähnlichkeit [...] zu finden“, wäre es „in einigen dieser Fälle aufschlußreicher zu sagen, die Metapher schafft Ähnlichkeit, statt zu sagen sie formuliert eine bereits vorher existierende Ähnlichkeit“. (Black, 1996a, S. 68, vgl. auch 1996b, S. 405) Die These von der Innovationalität und Kreativität der Metapher, die Black in einem späteren Aufsatz als Emphase (Unersetzbarkeit) und Resonanz (Vielschichtigkeit) von Metaphern wieder aufgreift und zu einer Klassifikation von Metaphern17 ausbaut (Black, 1996b, S. 388ff.; vgl. auch Debatin, 1995, S. 100ff.), stellt also einen Bruch des Ähnlichkeitsdenkens innerhalb des Metapherndiskurses dar. Der substitutions- und vergleichstheoretische Ähnlichkeitsbegriff wird durch einen „Begriff intentional gesetzter Ähnlichkeit“ (Debatin, 1995, S. 99) abgelöst. Nach Strub ist jedoch dieser Bruch, der den Übergang der klassischen Substitutions- und Vergleichstheorien zur modernen Interaktionstheorie markiert, aus den rein systematischen Gründen, die Black anführt, nicht plausibel nachzuvollziehen. (Strub, 1995) Das Schaffen von Ähnlichkeiten zum Kriterium von kreativen Metaphern zu erklären, führe, so Strub, in die paradoxe Folge, für diesen Schaffensprozess doch wieder eine metaphernunabhängige Ähnlichkeitsbeziehung bzw. einen objektiven Grund der Metapher annehmen zu müssen. (Strub, 1995, S. 109) Daher müsse die starke Kreativitätsthese mit der historischen These zum Bruch zwischen traditioneller und moderner Metaphorik verbunden werden, wie sie sich etwa bei Weinrich formuliert findet. (Weinrich, 1976, S. 308f.) Erst dann könne ein Begriff von Kreativität entwickelt werden „in dem sowohl Schaffen als auch Abbilden in gewisser Weise zu ihrem Recht kommen.“ (Strub, 1995, S. 115) Der Unterschied zwischen traditioneller und moderner Metaphernauffassung liegt dann we17 „Starke“ oder „innovative“ Metaphern entstehen dabei nur bei einer gleichzei tig vorhandenen sehr hohen Emphase und sehr hohen Resonanz. Das heißt, sie können nicht durch wörtlichen Ausdruck ersetzt werden und sie erlauben viel fältige, überraschende und immer neue Bedeutungserweiterungen. „Erst durch die Kopplung von Resonanz und Emphase können die semantische Innovation und das spezifische metaphorische Potential, das die Metapher zu einer eigen ständigen, irreduziblen Sprachform mit kreativ-kognitivern Funktionen macht, entstehen.“ (Debatin, 1995, S. 103) Metaphern mit geringer oder gar keiner Em phase oder Resonanz sind dagegen als konventionelle oder schwache oder als lexikalisierte, erloschene oder tote Metaphern einzuordnen.
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niger im vorausgesetzten Ähnlichkeitsbegriff als vielmehr in den jeweils darin implizierten ontologischen Hintergrundannahmen. Demnach wäre die Ontologie, die in der traditionellen Auffassung von nicht-empathischen Substitutions- und Vergleichsmetaphern impliziert ist, die einer „geschlossenen Welt“, während modernen Interaktionsmetaphern ihre Kreativität im Schaffen von neuen Ähnlichkeiten nur vor dem Hintergrund einer „Ontologie einer offenen Welt“ zugesprochen werden könne. (Strub, 1995, S. 115ff.) „In einer geschlossenen Welt kann nichts kategorial Neues hinzukommen, sehr wohl aber in einer offenen.“ (Strub, 1995, S. 118) Offensichtlich kann diese systematisch-historische These über die Differenz der beiden Ontologien „begrenzte Entdeckerwelt“ und „entgrenzende Erfindungswelt“ ihrerseits erst in einer Ontologie der offenen Welt formuliert werden. (Ebd.) Diese offene Welt impliziere einen „ontologischen Pluralismus“ und stelle als solche die Mittel und Bedingungen bereit, beide Ähnlichkeitsbegriffe – den der ontologisch vorgegebenen und den der kreativ geschaffenen Ähnlichkeit – als Momente ein und desselben metaphorischen Prozesses zu beschreiben: Was (empathische, kreative) Metaphern in bestehenden Ähnlichkeitsbeziehungen aufzeigen, ist deren implizite, begrenzte Ontologie einer geschlossenen Welt, die durch die metaphorische Darstellung jedoch in ihrer Begrenztheit und statischen Geschlossenheit überschritten und in eine neue, von der Metapher erst geschaffene Ähnlichkeitsbeziehung gestellt wird. Dieser Prozess wird von Strub als Verunähnlichung bezeichnet: „Die Metapher schafft etwas Neues in der Welt dadurch, daß sie aufgrund einer vorgegebenen Ähnlichkeit etwas Altes durch Verunähnlichung zerstört.“ (Strub, 1995, S. 123) Die Entwicklung der Metapherntheorie gibt Strub zumindest insofern Recht, als tatsächlich in der Nachfolge von Richards das destruktive Moment der Unähnlichkeit und der Differenz zunehmend zu einem konstitutiven Teil der Metapher erklärt wird.18 (Vgl. Ricœur, 1986, S. 181; Strub, 1991, S. 123; Zill, 2008, S. 15) Die Meta18 So unterscheidet etwa Zill in seiner kurzen Darstellung der Geschichte der Me tapherntheorie frühere Ansätze, von Aristoteles ausgehend, die das Identische in der Ähnlichkeit zum Kriterium der Metapher machen, von neueren Meta phertheorien, die die kognitive Leistung der Metapher mehr in den Vordergrund stellen und dabei die Aufmerksamkeit mehr auf die Unterscheide in den beiden Teilen der Metapher sehen. „Das geht so weit, dass die Differenzen sogar zum konstituierenden Moment ihrer Definition gemacht werden, so zum Beispiel, wenn Harald Weinrich sie schlicht als ‚widersprüchliche Prädikation ‘ bestimmt.
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pher, verstanden als Prädikation, tritt der Logik der wörtlichen, eigentlichen Bedeutung als kalkulierter Kategorienfehler (Turbayne, 1970) entgegen. Sie stört und provoziert die gängige Logik der etablierten Kategorisierungen, indem sie Dinge in „ein Identitätsverhältnis setzt, die logisch-semantisch nicht identisch sind“. (Debatin, 1995, S. 104) Ricœur spricht hier von einer impertinenten Prädikation, die als „Akt unerhörter Präzidierung“ den Grund für die Entstehung innovativer lebendiger Metaphern darstellt, „wie ein Funke, der beim Zusammenstoß zweier bisher voneinander entfernter semantischer Felder aufblitzt“. (Ricœur, 1986, S. VI) Die Idee der Metapher als kalkulierter Kategorienfehler hebt also eine Strategie der Differenz und des Kontrastes hervor, deren Gewalt nach Ricœur darin bestünde, „eine frühere Kategorisierung zu brechen, um auf den Trümmern der älteren logischen Grenzen neue zu errichten.“ (Ricœur, 1986, S. 188) Zugleich verweist diese „Logik des Unerhörten“ (Debatin, 1995, S. 105), die die lebendige Metapher auf Kosten der Logik des formalen Kalküls, der Widerspruchsfreiheit und der Deduktion zur Geltung bringt, auf eine Metaphorizität der Sprache, die von Familienähnlichkeiten getragen ist und die den begrifflichen Kategorisierungen und Klassifizierungen vorangehen. (Vgl. auch Hesse, 1988) Es wird deutlich, dass „Spannung, Widerspruch und Kontroversheit nur die Kehrseite der Art von Annäherung sind, durch die die Metapher Sinn ergibt“. (Ricœur, 1986, S. 183) Damit gelingt es Ricœur, die begriffliche Struktur der Ähnlichkeit als Momente der Identität und Differenz zugleich in der lebendigen Metapher zueinander in Beziehung zu bringen und miteinander zu vereinen. „Nun ist es die Metapher, die die logische Struktur des ‚Ähnlichen‘ zutage bringt, weil das ‚Ähnliche‘ in der metaphorischen Aussage trotz der Differenz, ungeachtet des Widerspruchs wahrgenommen wird.“ (Ricœur, 1986, S. 186) Die Metapher lässt sich weder auf die Seite der Identität noch der Differenz vollständig auflösen, sondern vielmehr kennzeichnet Ähnlichkeit die dynamische Spannung und Bewegtheit zwischen diesen beiden Polen. „Wie man das Identische nicht zum alleinigen Kriterium machen kann, so auch nicht die Differenz. Ganz ohne Bezug auf Ähnlichkeit kommt man bei der Metapher nicht aus.“ (Zill, 2008, S. 15) Die Metapher, schreibt Ricœur, sei nicht ein verkürzter Vergleich, „sondern vielmehr dessen dynamisches Prinzip“. (Ricœur, 1986, S. 188) Diese diNelson Goodman will das Kriterium der Ähnlichkeit sogar völlig eliminieren und bezeichnet die Metapher als ‚kalkulierten Kategorienfehler‘.“ (Zill, 2008, S. 15)
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alektische Reformulierung von Ähnlichkeit als Vermittlungsmodell von Differenz und Identität19 erlaubt es Ricœur nun, die Theorie der lebendigen Metapher zu einer Spannungstheorie der Wahrheit auszuformulieren, die auf allen Ebenen der Metapher zum Ausdruck kommt.20 Dabei wird nicht nur die identitätslogische Verifizierungswahrheit mitsamt ihrer ontologischen Prämissen von Wirklichkeit und Welt in Frage gestellt, es erscheint zugleich die Möglichkeit einer metaphorischen „Spannungs-Wahrheit“, die jedoch erst dis kursiv bzw. in der eigenen „Dialektik der Diskursformen in ihrer Nähe und ihrem Unterschied zueinander“ eingeholt werden kann; denn, so Ricœur, „das ist die ursprünglichste und verborgenste Dialektik: diejenige zwischen der Zugehörigkeitserfahrung in ihrer Gesamtheit und dem Distanzierungsvermögen, das den Raum des spekulativen Denkens eröffnet.“ (Ricœur, 1986, S. 302 und 304) Da sich die lebendige Metapher bei Ricœur also einer dialektischen Spannung und Bewegtheit von Identität und Differenz verdankt, die sich auf fruchtbare Weise aus der Ähnlichkeitsstruktur der Sprache heraus verstehen lässt, liegt es nahe, die Metapher selbst als einen dialektischen Grundbegriff zu fassen. (Zimmer, 2003) Als solcher bezeichnet die Metapher eine „Denkform sui ge neris […] die die Grundstruktur der Dialektik, die übergreifende Einheit von Identität und Nicht-Identität, als solche zum Ausdruck bringt.“ (Zimmer, 2003, S. 7) Weder richte, so Zimmer, sich metaphorisches Denken nach formallogischen Prinzipien, noch sei die Metapher einfach Ausdruck des schlechthin Nicht-Identischen, wie sie es noch bei Nietzsche ist. „[Die] logische Struktur der Metapher, das Selbe im Verschiedenen und durch es hindurch zu zeigen, widerspiegelt und übergreift insofern – im Unterschied zum Identitätsprinzip der formalen Logik – das Ganze der ontologischen Struktur des Seins, wie die Dialektik es zu denken sucht. Metaphern sind derart Vehikel für eine dialektische Konstruktion von Welt im Denken.“ (Zimmer, 2003, S. 29f.) 19 Vgl. hierzu auch Stoellger: „Eine Metapher kann (I) identitätsorientierend sein, wenn sie eine (Ia) perspektivisch gesetzte Ähnlichkeit zuspitzen oder (Ib) auf eine etablierte und stabile rekurrieren will, oder aber (II) differenzorientiert, sofern gerade die Unähnlichkeit verfremdend und umbesetzend vor Augen ge stellt werden soll.“ (Stoellger, 2000, S. 203) 20 Das ist auf der Ebene der Aussagen die Spannung zwischen Aussage und Kon text, auf der Ebene der Interpretationen zwischen wörtlicher Bedeutung und metaphorischer Bedeutung, auf der Ebene der ontologischen Referenz die Spannung als Paradox der Kopula zwischen „ist“ und „ist nicht“.
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Nun sollten derartige Überhöhungen und Verallgemeinerungen des sprachlichen Phänomens Metapher durchaus mit Vorsicht betrachtet werden. Man muss aufpassen, dass man sich nicht von der Dynamik der Metapher zur Überschreitung immer weiterer Kontexte auch in ihrer eigenen Definition mitreißen lässt. Denn so unbefriedigend die Beschränkung des Metaphorischen auf die Ebene der Wortbedeutung ist, so wenig hilfreich ist die generalisierende Einsicht, dass alle Sprache irgendwie metaphorisch sei oder dass gar das Denken als solches ausschließlich in Metaphern stattfinde. Weder mit der Ominpotentialitätsthese noch mit der Unersetzbarkeitsthese ist viel gewonnen, wenn nicht doch eine Unterscheidung von metaphorischem und nicht-metaphorischem Sprachgebrauch eingeführt wird und die Möglichkeit einer rationalen Reflexion von Metaphern geklärt ist. Das Rätsel der Metapher ist zumindest nicht gelöst, wenn ihre spezifische kreative Leistung darin liegen sollte, dass sie unersetzbar, unübersetzbar oder nicht-paraphrasierbar ist. „Ohne seine Bestimmung schreiben alle diese Formulierungen einem kreativen metaphorischen Gebrauch (implizit oder explizit) entweder eine obskure ontologische Eigenschaft zu, die verantwortet, daß ein metaphorischer Gebrauch nicht übersetzbar, paraphrasierbar oder substituierbar sei. Oder es handelt sich um eine definitorische Zuschreibung [...]; dann ist diese Bestimmung nicht sonderlich erhellend oder zu weit“ (Danneberg, 2002, S. 355f.) Danneberg vermutet daher auch, dass die Beiträge zur Omnipotentialitäts- und Unersetzbarkeitsthese der Metapher weniger dazu taugen einen metaphorischen Universalismus, basierend auf der einzigartigen kognitiven Leistung der Metapher, zu begründen, als vielmehr auf ein übergeordnetes philosophisches Problem zurückzuführen sind, „nämlich [...] der Erklärung von Emergenz, also der Entstehung von Neuem“. (Danneberg, 2002, S. 359) Diese Frage wird wohl allein mit sprachanalytischen und semantischen Erklärungen der Metapher nicht beantwortet werden, es sei denn man erklärte schlicht jede semantische Veränderung und Innovation zu einer metaphorischen Revolution, was jedoch nach Danneberg eine „stark kreationistische Annahme“ wäre. (Danneberg, 2002, S. 311) Zumindest aber erlaubt die anhand des Ähnlichkeitsbegriffes gewonnene Präzisierung der Funktion, Struktur und Dynamik der Metapher als dialektischer Grundbegriff diese als konstitutives Moment einer Sprache zu begreifen, welche von der Dynamik und Offenheit produktiver und innovativer Brüche, Verschiebungen, Revisionen etc. lebt. Daher könne die Metapher nicht einfach https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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als „kontingentes Phänomen an der Sprache abgetan werden [...], sondern [muss] als ein ihr wesentliches Moment grundsätzlich in die sprachphilosophische Reflexion einbezogen werden“. (Zimmer, 2003, S. 23) Die Lebendigkeit der Metapher läge dann darin, als „Störung“ oder „Abweichung“ die bestehenden Begrifflichkeiten und sprachlichen Kategorisierungen immer wieder in Bewegung zu setzten und neue Ähnlichkeiten in und durch Differenzen sehen zu lassen. In diesem Sinne lebendig ist sie bereits, das hat Ricœur in eindrücklicher Weise gezeigt, bei Aristoteles. In der Rhetorik wird die Metapher eingeführt als Figur, die es erlaubt, Ähnliches in weit auseinander liegenden Dingen zu sehen. Ihre Funktion wird dabei näher als ein „Vor-Augen-Führen“ bestimmt. Von dieser Formulierung nimmt Ricœur den Ausgang zur Rehabilitierung der lebendigen Metapher: „was heißt für die lebendige Metapher ‚vor Augen führen‘? Vor-Augen-führen, antwortet Rhetorik III, heißt, ‚die Dinge in ihrer (aktuellen) Verwirklichung bezeichnen‘ (1411b 24–25). Der Philosoph fügt hinzu: wenn der Dichter leblosen Dingen Leben verleiht, dichtet er ‚dies alles in Bewegung und lebendig seiend; In-Verwirklichung-begriffen-sein aber ist Bewegung‘ (1412a 12).“ (Ricœur, 1986, S. 291) Im mimetischen Charakter der Metapher, die die „Menschen ‚als handelnde‘ und alle Dinge ‚als wirkende‘ in actu“ darstellt, liege die ontologische Funktion der metaphorischen Rede: „Durch den lebendigen Ausdruck wird die lebendige Existenz dargestellt.“ (Ricœur, 1986, S. 55) Als „Ausdruck einer bewegten, unfertigen Wirklichkeit“ (Zimmer, 2003, S. 10) stehen Metaphern in einer dialektischen Wechselbeziehung mit einer Ontologie, die ihrerseits nur von einer in sich spannungsvollen und lebendigen Sprache getragen und zum Ausdruck gebracht werden kann. (Vgl. Wheelwright, 1973) Dieser Zusammenhang einer lebendigen Realität mit einer lebendigen Sprache kommt in origineller Weise noch einmal bei Endres zur Geltung, der die Metapher von der Lebendigkeit der Metapher, ihr Erkenntnis- und Gestaltungsvermögen in der Sprache, auf die Ähnlichkeit zu den biologischen Prozessen der Vererbung und natürlicher Verwandtschaftsverhältnisse zurückführt. Er bezieht sich dazu ebenfalls auf einen dialektischen Begriff von Ähnlichkeit: „Ein derartiger Vorgang [die wechselseitige dialektische Bedingung von Ähnlichkeit darstellen und Ähnlichkeit schaffen] erinnert aber nicht von ungefähr an Prozesse der natürlichen Zeugung und Vererbung […]. Noch im Ergebnis rekurriert die Metapher […] auf das Paradigma biologisch-natürlicher Zeugung, so wenn Aristotehttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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les den rhetorischen Effekt der Metapher als einen der ‚Verlebendigung‘ bezeichnet. Die Vergleichbarkeit von Rede und Kunstwerk mit einem veritablen Organismus beruht demnach nicht zuletzt auf ihrer gemeinsamen Fähigkeit, Lebendigkeit zu produzieren. Seine Lebensähnlichkeit verdankt das lebendige Artefakt wiederum dem energetischen Prinzip der Metapher, das eine organismus-analoge Schöpfung eigenen Rechts erzeugt.“ (Endres, 2012, S. 43f.) Natürlich ist die metaphorische Ähnlichkeit nicht materiellstofflicher Natur und insofern eben nur lebensähnlich, als dass sie im Sinne Kants das „Applikationsprodukt einer gedanklichen Regel“ ist, die auf den Prinzipien biologisch-evolutionärer Prozesse der Weitergabe von Ähnlichkeiten basiert. „Metapher und Analogie sind Träger eines biologisch-natürlichen Vorgängen vergleichbaren Prozesses sprachlicher ‚Evolution‘“. (Ebd.) Zugleich darf der Übertragungsprozess auch hier nicht nach dem einfachen Schema der darstellenden Abbildung gedacht werden, sondern muss der dialektischen Struktur metaphorischer Ähnlichkeitsrelationen nach beide in Ähnlichkeit zueinander gebrachte Bereiche umfassen – also nicht nur von den biologischen Prozessen des Lebens auf die Metapher, sondern auch von der Metapher als Ausdruck des Ähnlichkeitsdenkens auf die erst als solche zu erzeugenden Erb- und Verwandtschaftsähnlichkeiten: „Erbe und Verwandtschaft sind dann weniger Ursachen als vielmehr ‚Dispositive‘ des Ähnlichkeitsdenkens.“ (Endres, 2012, S. 53) Die Metapher ist in metaphorischem Sinne lebendig, da sie Ähnlichkeiten und Verwandtschaften zwischen Begriffen und semantischen Bereichen als solche darstellt und zugleich erzeugt. Das Leben ist in dem Sinne metaphorisch, als dass der Vorgang der Vererbung und der Weitergabe genetischer Information nur in Metaphern und Analogiemodellen zur Sprache gebracht und dargestellt werden kann. 2.3 Metapher und Geschichte 2.3.1 Die Historizität der Metapher Was die interaktionstheoretischen Ansätze in ihrer Analyse der semantischen Struktur des metaphorischen Prozesses, der „logischen Grammatik von ‚Metapher‘“ (Black, 1996a, S. 55), nicht erklären können und daher meist einfach ausblenden, ist eine grundsätzliche Historizität des Metaphorischen. Es deutete sich bei Strub bereits https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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an, dass der Übergang von Substitutions- und Vergleichstheorien zur Interaktionstheorie nicht ausschließlich systematisch, sondern vielmehr historisch im Wandel der zugrundeliegenden ontologischen Annahmen zur Sprache und Weltkonstitution begründet ist. Weder Richards noch Black schenken der geschichtlichen Dimension der Metapher allzu große Aufmerksamkeit und auch die Selbstpositionierung innerhalb der Geschichte des Metapherndiskurses fällt mit wenigen abgrenzenden Verweisen auf Aristoteles recht knapp aus. Im Mittelpunkt des Interesses steht vielmehr der metaphorische Interaktionsprozess und damit das Moment der Entstehung metaphorischer Bedeutung und ihre aktuelle Funktion. Damit kommen hauptsächlich neue, überraschende und unkonventionelle Metaphern in den Blick, in denen der Abstand zwischen den zwei in Zusammenhang gebrachten semantischen Bedeutungsfeldern möglichst weit ist, um den erwünschten Effekt zu studieren. (Vgl. etwa Weinrich, 1996) „In diesem Sinne“, schreibt Ricœur, „existiert die Metapher nur in dem Augenblick, in dem das Lesen dem Zusammenstoß der semantischen Felder neues Leben verleiht“. (Ricœur, 1986, Vorwort, S. VI) Die über einen dialektischen Begriff der Ähnlichkeit gestiftete Logik des Unerhörten erlaubt es, so haben wir gesehen, die Metapher als logische Störung, als kalkulierten Kategorienfehler in ihrer ordnungskonstitutiven und bedeutungsgenerierenden Funktion zu würdigen und das Moment semantischer Innovation zu erklären. Die Kehrseite einer solchen Betonung auf die produktive Rolle der metaphorischen Störung im Sinne der Kategorienüberschreitung liegt allerdings in der Vernachlässigung jener Metaphern, die im alltagsprachlichen Gebrauch kaum mehr als solche auffallen. So konstatiert Buntfuß, dass die Verpflichtung der lebendigen Metapher auf semantische Innovationsleistungen Gefahr laufe, nur noch die verstörende Fremdheit und Andersheit der Metapher, aber nicht mehr ihren alltagssprachlichen Gebrauchswert wahrzunehmen. „Wenn alles Gewicht auf den ‚semantischen Schock‘ gelegt wird, bleibt der Status quo der Sprache mit ihrem Schatz an sedimentierten Metaphern außer Betracht.“ (Buntfuß, 1997, S. 51) Als sogenannte „tote Metaphern“, deren Überraschungseffekt abgenutzt und zur begrifflichen Gewohnheit erstarrt ist, sind sie für die Theorie der lebendigen Metapher nur noch insofern interessant, als sie deren Verjüngung, Neubeschreibung und Wiederbelebung bzw. „das Leben des Begriffs im Tod der Metapher“ (Ricœur, 1986, S. 270) thematisiert. So wird an dieser Stelle zwar eine Geschichte der lebendigen Metapher im Spanhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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nungsfeld der Begriffsbildung und des Paradoxons der Metaphorizität angedeutet, allerdings verbleibt die Untersuchung in ihrem hermeneutischen Interesse weitgehend in der synchronistischen Betrachtung des metaphorischen Geschehens. An dieser Stelle ist also die Notwendigkeit einer Ergänzung um die diachrone Perspektive auf die Geschichtlichkeit der Metapher, mithin das Projekt einer Metapherngeschichte bzw. einer historischen Metaphorologie zu erkennen. 2.3.2 Blumenbergs Projekt der Metaphorologie Eine solches Projekt ist im deutschsprachigen Raum vor allem durch die metaphorologischen Arbeiten und ausführlichen Studien von Hans Blumenberg vorgestellt und diskutiert worden. Blumenberg hat selbst keine Theorie der Metapher vorgelegt und zeigt in seinen Arbeiten kaum Interesse an einer semantischen oder linguistischen Analyse der Funktion und Struktur von Metaphern.21 Die Metaphorologie Blumenbergs sei vielmehr, so Weinrich, die „historische Wissenschaft, solcher M[etaphern], die in der Geschichte der Philosophie und der Wissenschaften als genuine Denkmodelle die Erkenntnis befördert haben“. (Weinrich, 1980, S. 1182) Blumenbergs Ansatz im Bezug auf das Verhältnis von Metapher und Geschichte zeichnet aus, dass er nicht nur Metaphern als in der Geschichte der Philosophie sedimentierte Rest- und Grundbestände aufspürt und analysiert, sondern vielmehr den Verlauf der Geschichte, den Geschichtsprozess selbst anhand der metaphorischen Bewegung erfasst und rekonstruiert. (Vgl. Haefliger, 1996, S. 126) So erscheint Geschichte hier in ihrer ganzen Ambivalenz sowohl als Erzählung, die in ihrer Darstellung von Handlungen und Ereignissen auf Metaphern zurückgreifen muss, als auch als Begriff auf „eindrucksvolle[r] höchste[r] Abstraktionsstufe“ (Blumenberg, 2007, S. 441), welcher nur als metaphorisch erfasst und zur Anschauung gebracht werden kann. (Vgl. Demandt, 1978) Das zentrale Konzept bei Blumenberg ist die absolute Metapher. Damit sind gemeint die „Grundbestände der philosophischen Sprache […], ‚Übertragungen‘, die sich nicht ins Eigentliche, in die 21 So schreibt etwa Haverkamp: die Metaphorologie Blumenbergs „ist nicht, als was sie fast ausnahmslos gerühmt wurde, ein Werk zur Metapher und ihrer Theo rie“. (Haverkamp Kommentar in Blumenberg, 2013, S. 201)
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Logizität zurückholen lassen.“ (Blumenberg, 2013, S. 14) Er denkt hierbei vor allem an Kants Ausführungen zum Symbol in § 59 der Kritik der Urteilskraft (Kant, 1995, S. 296, B257). Nach Blumenberg beschreibe Kant unter der Funktion des Symbols, Ähnlichkeit nicht zwischen Dingen, „wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren“ (Ebd.), herzustellen, eben jenes „Verfahren der Übertragung der Reflexion“ (Blumenberg, 2013, S. 15), welches für die absolute Metapher bestimmend sei. Die Metapher finde sich hier, ohne bei Kant namentlich erwähnt zu werden, als „Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz anderen Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann.“ (Kant, 1995, S. 296, B257) Damit sei die Metapher „deutlich charakterisiert als Modell in pragmatischer Funktion“. (Blumenberg, 2013, S. 15) Nicht wofür die absolute Metapher „an sich“ steht, die theoretische Bestimmung des Gegenstandes, sondern „was die Idee von ihm [dem Gegenstand der Metapher, Anm. D. F.] für uns und den zweckmäßigen Gebrauch derselben werden soll“ (Ebd.) interessiert Blumenberg an der von Kant abgelesenen pragmatischen Modellfunktion absoluter Metaphern.22 Ihre Relevanz, ihre „historische[...] Wahrheit“, ist also vor allem in ihrer pragmatischen Orientierungsfunktion begründet, die sie im geschichtlichen Prozess, im Wandel der Epochen und ihrer Paradigmen einnehmen. „Dem historisch verstehenden Blick indizieren sie also die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten.“ (Blumenberg, 2013, S. 29 und 78f.) Blumenbergs metaphorologische Studien können daher mit Mende als „Verwendungsgeschichten einer Metapher [...], an deren wechselnden Verwendungen er die je historischen ‚tragenden Gewißheiten‘ als dem Horizont begrifflicher Systematik abliest“ (Mende, 2009, S. 10), verstanden werden.23 22 Vgl. hierzu auch Rentsch: „Mit den absoluten Metaphern [...] bestimmen wir nichts bzgl. Theoretischer Vorhandenheit, sondern artikulieren die Hinsicht, in der etwas uns praktisch bedeutend erscheint und in welcher Hinsicht wir es pragmatisch verstehen“ (Rentsch, 2009, S. 139) 23 Blumenberg stellt die pragmatische Dimension absoluter Metaphern im her meneutischen Spannungsfeld von Tradition und Innovation in mehreren Arbei ten anhand der Verwendungsgeschichte der Wahrheitsmetaphorik heraus und bestätigt dadurch den engen Zusammenhang von Wahrheit und Metapher aus wissenschaftshistorischer Perspektive. (Vgl. hierzu auch Buntfuß, 1997)
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Die Metaphorologie, ursprünglich als ein Beitrag zu Joachim Ritters Historisches Wörterbuch der Philosophie konzipiert, steht von Anfang an in einem ambivalenten Verhältnis zur Begriffsgeschichte.24 Denn einerseits betont Blumenberg die fundamentale Rolle metaphorologischer Betrachtungen zentraler philosophischer Begriffe wie den der Wahrheit, die durch die rein begriffliche Analyse und definitorische Ansätze nicht in ihrer geschichtlichen und lebensweltlichen Bedeutung erfasst würden. „Wer eine Geschichte des Wahrheitsbegriffs in einem streng terminologischen, d. h. auf die Herausarbeitung der Definitionen gerichteten Sinn schreiben würde, würde eine karge Ausbeute erzielen.“ (Blumenberg, 2013, S. 18) Vom vollen Gehalt der Frage „Was ist Wahrheit?“ würden wir, so Blumenberg, aus dem terminologischen Material nur wenig erfahren. Verfolge man dagegen, so Blumenberg weiter, etwa die Metapher der Wahrheit als Licht, dann expliziere sich die Frage in ihrer „verborgenen, systematisch nie gewagten Fülle“. (Blumenberg, 2013, S. 19) Wie Stoellger herausstellt, enthält das implizite Wahrheitsverständnis von Blumenberg eine pragmatische Wahrheit der Metapher, welche nicht auf der „wahr/falsch-Unterscheidung eines Urteils [...] [basiert], sondern im Sinne der vortheoretischen ‚Wahrheit des Lebens‘ die (nicht geringzuschätzende) Orientierungsfunk24 Die Entscheidung der Herausgeber des historischen Wörterbuchs, „Metaphern und metaphorische Wendungen [nicht] in die Nomenklatur des Wörterbuches aufzunehmen“, geschah nach eigenen Angaben aus pragmatischen Gründen, da „damit das Wörterbuch bei dem gegenwärtigen Stand der Forschung in diesem Felde überfordert würde und [...] es besser sei, einen Bereich auszulassen, dem man nicht gerecht werden kann, als sich für ihn mit unzureichender Improvisa tion zu begnügen“. Mit wörtlichem Bezug zu Blumenbergs Paradigmen erkennt Ritter die zentrale Bedeutung der Metapher an, die darin liegt „an die ‚Sub strukturen des Denkens‘ heran[zu]führen.“ (Ritter, Gründer, Gabriel, & Eisler, 1971, S. IX) Gottfried Gabriel, dritter Herausgeber, betont zum Abschluss des Historischen Wörterbuchs noch einmal, dass entgegen dem Anschein eines Me taphernverbotes, „das metaphorologische Projekt Blumenberg [...] vom ersten bis zum letzten Band präsent ist“. (Gabriel, 2009a, S. 12) Demgegenüber wertet Haverkamp den Ausschluss der Metaphorlogie aus dem Historischen Wörter buch als Konsequenz einer der Metaphorologie selbst innewohnenden explosi ven Spannung, die das Unternehmen der Begriffsgeschichte, die Haverkamp als „äußerst beschränkten historischen Kompromiss“ ansieht, nicht nur gesprengt, sondern „insgesamt erledigt“ hätte. (Haverkamp in Blumenberg, 2013, S. 239) Dieses Skandalon der Metaphorologie wäre der tiefere Grund für den Ausschluss der Metaphorlogie, wie sie in den Paradigmen erstmalig als Projekt in Erschei nung tritt und die schließlich von Blumenberg „ohne Gebrumm, in einem an Selbstverleugnung grenzenden Gleichmut [...] im Archiv für Begriffsgeschichte Rothackers“ beigesetzt wurde. (Ebd.)
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tion“. (Stoellger, 2000, S. 114) Gerade der Wahrheitsbegriff sei ein ursprünglich implikativer Begriff, der unvermeidlich metaphorische Rede auf sich ziehe und an dem sich daher die Metaphorizität der Darstellungsgeschichte von ‚Wahrheit‘ in besonderer Weise exemplifizieren lasse. (Stoellger, 2000, S. 128) Die Analyse der Wahrheitsmetaphorik richte sich daher, so Blumenberg, nicht auf die Antworten und Definitionsversuche, sondern auf „die Erschließung der Fragen, auf die Antwort gesucht und versucht wird, Fragen präsystematischen Charakters, deren Intentionsfülle die Metaphern gleichsam ‚provoziert‘ hat. [...] Welchen Anteil hat der Mensch am Ganzen der Wahrheit? In welcher Situation findet sich der Wahrheit Suchende [...]?“ (Blumenberg, 2013, S. 19) Die auf diese „fundierenden Fragen“ gerichtete Metapherngeschichte wird von Blumenberg allerdings nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, hierarchisch über die Begriffsgeschichte gestellt oder soll diese gar ersetzen; vielmehr bestimmt er in den Paradigmen das Verhältnis von Metaphorologie und Begriffsgeschichte als eines der „Dienstbarkeit“. (Blumenberg, 2013, S. 16) Die Metaphorologie arbeite im Vorfeld der Begriffsbildung und „sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen“. (Ebd.) An anderer Stelle bezeichnet Blumenberg sie als „Hilfsdisziplin der aus ihrer Geschichte sich selbst verstehenden und ihre Gegenwärtigkeit erfüllenden Philosophie“. (Blumenberg, 2013, S. 110) Aus diesen Äußerungen Blumenbergs zum Verhältnis von Metapherngeschichte und Begriffsgeschichte wurden in der nachfolgenden Rezeption ganz unterschiedliche Konsequenzen gezogen, die hier jedoch nicht in aller Ausführlichkeit dargestellt werden können. Blumenberg selbst hat in späteren Schriften die Metaphorologie nicht mehr in den Dienst der Begriffsgeschichte gestellt, sondern in den weit umfassenderen Kontext einer Theorie der Unbegrifflichkeit und damit die Blickrichtung geradezu umgekehrt: „nicht mehr vor allem auf die Konstitution von Begrifflichkeit bezogen, sondern auch auf die rückwärtigen Verbindungen zur Lebenswelt als dem ständigen – obwohl nicht ständig präsent zu haltenden – Motivierungsrückhalt aller Theorie.“ (Blumenberg, 2007, S. 438) Es gibt also bereits innerhalb von Blumenbergs Werk zwischen „theoretischer Selbstbeschreibung der Metaphorologie und der theoretischen Performanz der metaphorischen Analysen Spannungen“ (Mende, 2009, S. 17), die dafür sorgen, dass das Verhältnis von Begriffsgeschichte und Metaphorologie im Zuge einer Verselbsthttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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ständigung der Metaphorologie zu einer Gesagtseinsgeschichte (Haverkamp), diskursanalytischen Archäologie (Mende), Lebenswelthermeneutik (Stoellger), Mentalitätsgeschichte (Heaflinger) oder Kulturphilosophie (Friedrich) immer wieder neu verhandelt wird. (Vgl. Mende, 2009, S. 13f.; Haefliger, 1996, S. 69f.) Letztlich entscheidet sich allerdings die mittlerweile selbst Theoriegeschichte gewordene Frage, ob zwischen Metapherngeschichte oder Begriffsgeschichte Diskrepanz (Haverkamp), Kongruenz (Gabriel) oder gar Symbiose (Zill) besteht, darin, wie Metapher und Begriff in systematischer Hinsicht bestimmt, unterschieden und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden.25 Blumenberg selbst hält sich in dieser Frage, wie auch zur Definition der Metapher, weitgehend bedeckt. „Es ist bemerkenswert, daß die Metaphorologie selbst an keiner Stelle auch nur den Hauch einer Definition der Metapher bietet“. (Haverkamp in Blumenberg, 2013, S. 200) Auch die Explikation der Differenz von Metapher und Begriff werde, so Friedrich, „weniger theoretisch, vielmehr narrativ vorgetragen“. (Friedrich, 2015, S. 82) Blumenbergs Interesse an Metaphern und Begriffsbildung ist kein systematisches oder methodologisches, sondern im Hinblick darauf, was Metaphern in bestimmten Wissenskontexten leisten, ein historisches. „Die Metapher als Thema der Metaphorologie ist ein wesentlich historischer Gegenstand“. (Blumenberg, 2013, S. 28) Es geht um die Geschichte begrifflicher Unterscheidungen und pragmatischer Orientierungen, die in Terminologien und Definitionen festgelegt werden, in ihrer Bildung aber auf grundlegende metaphorische Übertragungsprozesse zurückgehen, ohne das diese wiederum in die Sphäre des Begrifflichen rückgeführt oder durch diese ersetzt werden könnten.26 Was bei solchen Setzungen und Verschie25 Der von Gabriel vorgetragene Vorschlag, „sich auf eine Diskussion der Frage der Abgrenzung zwischen Begriffen und Metaphern sowie zwischen Begriffs- und Metapherngeschichte gar nicht einzulassen“ (Gabriel, 2009b, S. 69), verschiebt das Problem unter dem Deckmantel seiner paradoxen Formulierung nur auf die Frage nach der Be- und Entgrenzung des Metaphorischen. (Friedrich, 2015, S. 80ff.) 26 Allerdings, schreibt Blumenberg, können absolute Metaphern „durch eine ande re ersetzt bzw. vertreten oder durch eine genauere korrigiert werden [...]. Auch absolute Metaphern haben daher Geschichte“. (Blumenberg, 2013, S. 16) Gabriel sieht in dieser Korrigierbarkeit von Metaphern, die sie mit Begriffen gemein hat, eine wesentliche „Erkenntnisleistung“, deren systematischen Wert er allerdings nicht ausspielen kann (bzw. will), da er keine Kriterien und keine Methode für den Gebrauch solcher korrektiven Metaphern anführt. (Gabriel, 2009b, S. 69ff.) Dieser Punkt, an dem sich die Notwendigkeit eines methodisch kontrollierten und reflexiven Umgangs mit Metaphern aufdrängt, wird weiter unten noch
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bungen jeweils als Metapher oder als Begriff erscheint, erschließt sich erst nachträglich dem hermeneutisch rekonstruierenden Blick der Metaphorologie. Insofern ist die Metapher ein wesentlich historischer Gegenstand, als „ihr Zeugniswert zur Voraussetzung hat, daß der Aussagende selbst keine Metaphorologie besaß, ja nicht einmal besitzen konnte.“ (Ebd.) Metaphorik könne daher auch dort im Spiele sein, „wo ausschließlich terminologische Aussagen auftreten, die aber ohne Hinblick auf eine Leitvorstellung, an der sie induziert und ‚abgelesen‘ sind, in ihrer umschließenden Sinneinheit gar nicht verstanden werden können.“ (Blumenberg, 2013, S. 91) Die Pointe Blumenbergs besteht also darin, schreibt Friedrich, „dass die Wahl absoluter Metapher, gerade weil die Fragen, die sie beantworten, theoretisch, d. h. mit den Mitteln des Begriffs nicht entschieden werden können, stets das Resultat historischer Entscheidungen ist.“ (Friedrich, 2015, S. 64)27 Dies lässt sich noch einmal am Beispiel des Wahrheitsbegriffs verdeutlichen. Denn obwohl eine rein terminologische Bestimmung des Wahrheitsbegriffs, also die definitorisch-normative Festsetzung der Zuordnung der Prädikate „wahr“ und „falsch“ auf Aussagen, selbst – zumindest dem Anspruch nach – scheinbar ohne Metaphern auskommt, lassen sich in der Rückführung auf die lebensweltlich-pragmatischen Bedingungen und praktischen Interessen der theoretischen Bestimmungsversuche oft ontologische und sprachphilosophische Hintergrundannahmen und Unterscheidungen unterstellen, die die Fragestellung nach der Wahrheit zwar motivieren und lenken, in der anschließenden Antwort jedoch nicht mehr sichtbar sind bzw. von dieser nicht erklärt werden können. Im pragmatischen Gehalt der absoluten Metapher sieht Blumenberg ihre Relevanz und historische Wahrheit: Während sich absolute Metaphern wie die der „mächtigen/nackten Wahrheit“ selbst nicht verifizieren lassen und daher dem Anspruch von „‚Wahrheit‘ als das Ergebnis methodisch gesicherten Verfahrens der Bewahrheitung“ nicht genügen können, müsse doch eben genau dieses Verständnis einmal im Rahmen weiterer kritischer Bemerkungen zum metaphorologischen Projekt aufzugreifen sein. 27 So entsteht der Eindruck, dass die terminologische Unterbestimmung des Be griffs der Metapher mit einer hermeneutischen Überdeterminierung korreliere. Blumenberg versucht gerade nicht, die Metapher begrifflich zu bestimmen – das wäre gegen die These der Uneinholbarkeit –, sondern vielmehr, „den unentweg ten Überfluss an Bedeutungen aufzuspüren und zu beschreiben, den sie stiftet und konserviert“. (Friedrich, 2015, S. 83)
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der mächtigen, strengen Wahrheit als Ergebnis einer lebensweltlich und pragmatisch motivierten Metaphorik verstanden werden, die sich als Antwort auf „jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen“ formuliert, „deren Relevanz ganz einfach darin liegt, daß sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden“. (Blumenberg, 2013, S. 27) Die Frage nach der Wahrheit, der lebensweltliche Grund und „Motivierungsrückhalt“ der Wissenschaft, scheint als Frage selbst, die sich immer aus einer bestimmten historischen Situation und Konstitution lebensweltlicher Selbst- und Weltbilder heraus stellt28, vergessen: „Wir wissen nicht mehr genau, weshalb wir das ganze gewaltige Unternehmen der Wissenschaft – unabhängig von all den Leistungen, die sie für die Lebensfähigkeit unserer Welt erbringt und die sich für diese unentbehrlich machen – überhaupt unternommen haben. Es ist jene Wahrheit offenbar etwas, was in der Sprache der Wissenschaft selbst, durch die sie erreichbar sein soll, nicht mehr ausgesagt werden kann und wohl auch niemals ausgesagt worden ist.“ (Blumenberg, 2007, S. 443) Blumenbergs Blick richtet sich somit weniger darauf, wie genau absolute Metaphern eine pragmatisch-lebensweltliche Orientierung im Vorfeld der Begriffsbildung leisten können, als vielmehr auf den lebensweltlichen Grund und historischen Wandel solcher Hintergrundmetaphern selbst, in denen und anhand derer „die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen“ (Blumenberg, 2013, S. 19) selbst zum Vorschein kommt. (Haverkamp, 1996, S. 20) Die Metaphorologie Blumenbergs ist folglich das Projekt einer Metapherngeschichte, die in der phänomenologisch-hermeneutischen Rekonstruktion von absoluten Metaphern und wahrheitsermöglichender Hintergrund- und Leitmetaphorik „‚fundamentale, lebenswelthermeneutische Geschichtsschreibung‘ in Form eines metaphorologischen Paradigmas“ betreibt. (Stoellger, 2000, S. 74)
28 Janich zeigt in eindrücklicher Weise, dass sich die Frage nach der Wahrheit dann auch nicht in der gegenstandstheoretischen Form „Was ist Wahrheit“, sondern als hermeneutisch-pragmatisch formulierte Frage „Wozu Wahrheit“ stellt. (Ja nich, 1996)
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2.3.3 Materiale Metaphorologie Auch wenn Blumenberg selbst keine Systematik der Metaphorologie verfolgt und sich methodologischer Fragen weitgehend enthält, ist er sich der methodischen Schwierigkeiten seines „sich bewußt am Historismus orientiert[en]“ (Schöffel, 1987, S. 81) Unternehmens durchaus bewusst. Da gerade Metaphern von ihren jeweiligen Kontexten und begrifflichen Zusammenhängen abhängig sind, genügt es nicht, lediglich „historische Längsschnitte“ einer bestimmten Metaphorik vorzunehmen und dadurch eine „Reihe von Punkten an[zu]geben, durch die eine Kurve mag gezogen werden können. [...] Das in der Selektion des einschlägigen Metaphernstoffes Herausspringende verlangt ja seinerseits, ehe es als Punkt für jene Kurve wirklich fixiert werden kann und darf, eine Interpretation aus dem gedanklichen Zusammenhang, innerhalb dessen es steht und fungiert und seine Konturen wie sein Kolorit empfängt. Um in unserem ersten methodischen Bilde zu bleiben: wir müssen Querschnitte legen.“ (Blumenberg, 2013, S. 52) Blumenberg versucht also, die historisch-diachrone Darstellung metaphorologischen Materials durch ein methodisches Komplement zu ergänzen, welches der synchronen Dimension der Metapher gerecht wird. Damit kommt er, ohne sich explizit mit den zeitgenössischen semantischen und linguistischen Arbeiten zur Entstehung metaphorischer Bedeutung auseinanderzusetzen, denjenigen Theorien entgegen, die von der semantischen Kontextabhängigkeit metaphorischer Prädikation ausgehen, dabei aber ihrerseits die diachrone Dimension, den geschichtlichen Verlauf einer bestimmten Metaphorik außer acht lassen. Nach Stoellger handelt sich demnach bei der von Blumenberg in dieser Form erstmals vorgenommen Verschränkung der beiden metaphorologischen Perspektiven Diachronie und Synchronie um eine ungemeine Horizont- und Kontexterweiterung der Metaphorologie, wenngleich die Durchführung eines solchen synchronen Querschnitts zur „Erfassung epochaler (nicht: epochemachender) geschichtlicher Strukturen“ (Blumenberg, 2013, S. 53) diesen Anspruch nicht ganz einholen kann. (Stoellger, 2000, S. 145f.) Letztlich zeigten sich bereits an den von Blumenberg gewählten Beispielen die methodischen Unzulänglichkeiten und Einschränkungen einer synchronen Metaphorologie, die bei der Erfassung und Erschließung der für die Metaphernbildung relevanten historischen und begrifflichen Kontexte stets auf die ergänzenden Arbeiten traditioneller historischer Forschung und Behttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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griffsgeschichte angewiesen bleibt bzw. an diese anschließen muss. Wie Friedrich herausstellt, weitet sich so „die Problematik der Frage nach der Abgrenzung der Metapher vom Begriff letztlich auf die Frage nach der Abgrenzung von Kontexten aus“. (Friedrich, 2015, S. 83)29 Blumenberg selbst liefert hierzu keine Hinweise, die es erlauben würden, das „Problem der Identifizierung einer Lebenswelt, für die eine absolute Metapher kennzeichnend und aufschlussreich sein soll“, im Rahmen der Metaphorologie zu lösen. (Friedrich, 2015, S. 84) Beinahe zeitgleich zu Blumenbergs ersten metaphorologischen Entwürfen greift schließlich Harald Weinrich die Idee einer diachron und synchron verschränkten materialen Metaphorologie auf und entwickelt sie zu einer Bildfeldtheorie der Metapher. Als Bildfeld bezeichnet Weinrich in Analogie zu den linguistischen Begriffen Wortfeld oder Bedeutungsfeld die Zugehörigkeit einer vermeintlich punktuellen Metapher zu den beiden in Zusammenhang gebrachten sprachlichen „Sinnbezirke“, ein bildspendendes und ein bildempfangendes Feld, die in der Metapher durch einen „geistigen, analogiestiftenden Akt“ miteinander gekoppelt werden. (Weinrich, 1976, S. 283f.) So würde etwa in der Metapher Wortmünze nicht nur die Sache ‚Wort‘ mit der Sache ‚Münze‘ verbunden, „sondern jeder Terminus bringt seine Nachbarn mit, das Wort den Sinnbezirk der Sprache, die Münze den Sinnbezirk des Finanzwesens“. (Weinrich, 1976, S. 283, auch 325ff.) Eine Metapher ist also niemals isoliert zu betrachten, sondern nur im Kontext ihres Bildfeldes: „Sie ist eine Stelle im Bildfeld.“ (Weinrich, 1976, S. 283) Weinrich kommt ähnlich wie Blumenberg zu dem Schluss, dass eine diachrone Aneinanderreihung einzelner Metaphern ohne Berücksichtigung der jeweiligen Bildfelder einem Gesamtbild der metaphorischen Tra29 Bei Blumenberg klingt die Problematik der Identifikation und Eingrenzung der relevanten Kontexte synchronistisch betrachteter Metaphern bereits an. Denn während sich die diachrone-historischen Längsschnitte letztlich darauf beschränken, vermeintlich relevante und passende Belegstellen zu sammeln und unter dem Titel einer Metaphorik in eine Reihe zu stellen, können die se mantisch-synchronen Querschnitte, so gibt Blumenberg zu, „für sich betrachtet, nicht mehr rein metaphorologisch sein, sie müssen Begriff und Metapher, De finition und Bild als Einheit der Ausdruckssphäre eines Denkers oder einer Zeit nehmen.“ (Blumenberg, 2013, S. 52) Damit wechselt die ursprünglich einge nommene Perspektive auf das Verhältnis von Metapher und Begriff bzw. Meta pherngeschichte und Begriffsgeschichte auf die diskursive Ebene, ohne zu erklä ren, wie, wenn nicht metaphorologisch über die Analyse absoluter Metaphern, eine solche „Einheit der Ausdruckssphäre“ identifiziert und dargestellt werden kann. (Friedrich, 2015, S. 84)
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dition nicht gerecht werden könne und einseitig ausfallen müsse. Metaphorik stehe nicht nur in einem diachronen Traditionszusammenhang, sondern auch „in sprachinternen Zusammenhängen mit anderen Metaphern, die deskriptiv-systematisch dargestellt werden können.“ (Weinrich, 1976, S. 279) Auch bei Weinrich zeichnet sich also an dieser Stelle ein methodischer Zugriff auf das metaphorologische Material ab, der darin besteht, die diachrone und synchrone Verschränkung der Metapher als historischen und kontextabhängigen Gegenstand in Bildfeldern zu analysieren.30 Metaphern haben, so könnte man mit Dannenberg an dieser Stelle ergänzen, eine Mitund Umwelt und eine Vor- und Nachwelt, in denen sich intra- inter- und transmetaphorische Bezüge abspielen. (Danneberg, 2002, S. 413) Eine materiale Metaphorologie, wie sie bei Weinrich anklingt, hätte daher „diachronisch Bildfelder als durchlaufende Konstanten, und sie würde synchronisch die Ausdehnung und Gestalt der beteiligten Sinnbezirke erkunden müssen.“ (Schöffel, 1987, S. 79) Debatin spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „mehrdimensionalen Raum möglicher Bedeutungen“ innerhalb dessen sich die Konstruktion einer aktuellen Metapher als „Bildung eines komplexen Vektors“ vorzustellen ist. (Debatin, 1995, S. 170) Je mehr und je vielfältiger die in der Metapher gekoppelten semantischen Felder, Konnotationen und Anknüpfungsmöglichkeiten sind, desto weiter und tiefer ist der Raum möglicher Bedeutungen und desto mehr Einzelvektoren und Vektorscharen gilt es zu berücksichtigen. Der semantische Raum einer Metapher umfasst daher sowohl die tradierten historisch-diachronen als auch die semantisch-synchronen Bildfelder. Sie bilden zusammen den historisch-kulturellen Bedeutungszusammenhang und die von einer Sprachgemeinschaft überlieferten und geteilten Hintergrundimplikationen, die bei der Bildung aktueller, lebendiger Metaphern den Raum möglicher Bedeutungen abstecken und bestimmte Interpretationen, Ausdeutungen und Anknüpfungen erschließen und orientieren. Das heißt 30 Allerdings verweist Schöffel auf einen in methodologischer Hinsicht wichtigen Unterschied zwischen Blumenberg und Weinrich: „Der Begriff des Bildfeldes ist viel zu unspezifisch für die Beschreibung der Art und Weise, in der sich die Geistesgeschichte auf immer wieder neue Weise in immer dieselben Bilder ein schreibt. Für Blumenberg ist das Bildfeld, ist die einzelne (absolute) Metapher ein methodisches Instrumentarium zur Lösung des Problems einer Geschichts schreibung, die sich bewußt am Historismus orientiert […], bemüht, frühe re Epochen nicht an modernen, gegenwärtigen Orientierungen zu messen.“ (Schöffel, 1987, S. 81)
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aber, dass auch neue, überraschend und kreative Metaphern nicht nur als semantisch-synchrone Störung einer bestehenden logischen Ordnung der wörtlichen Rede und eigentlichen Bedeutung erklärt werden können, sondern immer auch schon im Kontext historischdiachroner Bildfelder und einer spezifischen Metapherntradition stehen, auf die sie sich beziehen, die sie aber andererseits im Sinne der Logik des Unerhörten radikal überschreiten. (Debatin, 1995, S. 207)31 Damit kommen also schließlich die von den semantischen und synchronistischen Metaphorologien oft vernachlässigten und „totgesagten“ konventionellen Gebrauchsmetaphern zur Geltung und können in ihrer welterschließenden und handlungsorientierenden Funktion bei der Bildung und Strukturierung eines lebendigen „Bildervorrats“ einer Kultur, der als „katalysatorische Sphäre“ und „fundierende[r] Bestand“ stets im Vorfeld der Begriffs- und Metaphernbildung wirkt, gewürdigt werden. (Blumenberg, 2013, S. 15) Gerade absolute Metaphern im Sinne Blumenbergs sind häufig nicht die spontan aufblitzenden, ereignishaften Interaktionsmetaphern, sondern traditionelle, konventionalisierte und stabile Grundmetaphern, die aufgrund ihrer hohen Resonanz und Bildfelddichte über die Zeit hinweg immer wieder in neuen lebensweltlichen und theoretischen Zusammenhängen und Kontexten Anknüpfungsmöglichkeiten, Deutungsschemata und Interpretationsrahmen für die Aktualisierung und Bildung weiterer Metaphern und Modelle bereitstellen. Diese Grundmetaphern, deren Varianz und Wirkungsgeschichte erst in der historisch-diachronen Betrachtung der Kontinuitäten und Brüche innerhalb von Metapherntraditionen ersichtlich wird, sind nun also keineswegs „tote“ Metaphern. „Wären sie nur ‚tot‘, gäbe es hier wenig zu verstehen, aber gerade die eminent breite und dichte Varianz dieser Grundmetaphern zeigt, daß die ‚Lebendigkeit‘ nicht in einer emphatischen Kreativität besteht, sondern in einer resonanten Varianz. Die Lebensform der Grundmetaphern ist ihre lange Geschichte. […] Und nicht ‚das‘ emphatisch ‚Neue‘ macht das Leben der Metapher, sondern ihr varianter Gebrauch in einer bewohnten Welt.“ (Stoellger, 2000, S. 197) Es sei daher, so Stoellger weiter, von der dualen oder gar normativen Opposition „nach dem Muster Tod oder Leben“ Abstand 31 Nach Debatin wäre sogar der der „Verstoß“ gegen eine bereits eingeführte Metaphorik „mittels einer neuen, etwa paradoxalen metaphorischen Transfor mation interessanter und innovativer als der Verstoß gegen die je als wörtlich geltende Sprache“. (Debatin, 1995, S. 207)
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zu nehmen, wenn die Mehrdimensionalität der absoluten Metapher adäquat erfasst werden soll.32 Gerade in der Mehrdimensionalität und Bedeutungsoffenheit der Metapher liegt allerdings auch der Grund dafür, warum die Integration von diachroner und synchroner Metaphorologie auch bei historisch-systematisch angelegten Entwürfen, wie dem Weinrichs, aus Gründen des Arbeitsaufwandes und der zu berücksichtigenden Materialfülle nicht gelingt: „Eine solche allgemeine materiale Metaphorlogie müßte die diachron ermittelten Bildfelder und Bildfeldbeziehungen mit epochalen Synchronieuntersuchungen koppeln und daraus dann die epochenspezifischen und die überepochalen metaphorischen Äquivalenzen ermitteln – ein Projekt, das wahrscheinlich an der Komplexität des Gegenstandes scheitern dürfte.“ (Debatin, 1995, S. 225) Der Gewinn der Metaphorlogie liegt daher auch weniger in der empirischen Aussagekraft der Analysen und Studien zu einzelnen Metaphern, die gerade bei Blumenberg trotz des von ihm mobilisierten und beeindruckend umfangreichen Materials immer den Anschein des Selektiven und Eklektizistischen haben33, als vielmehr in der sich darin paradigmatisch zeigenden hermeneutischen Di32 Stoellger schlägt hierfür eine „Quadrupel der Metaphorizität“ zur Orientierung vor, in der vier Formen (absolute Metapher in theoretischen Kontexten, absolute Metapher in vortheoretischen Kontexten, poetische Metapher und Narration/ Gleichnis/Fabel/Mythos) und vier Funktionen (Stabilisierung im Kontext von Tradition, Labilisierung im Kontext von Innovation, Horizontbesetzung und Horizonterweiterung) der Metapher unterschieden und in dynamischen Rela tionen aufeinander bezogen werden. Dies stellt nicht nur den Versuch dar, alle Facetten der absoluten Metapher bei Blumenberg zu rekonstruieren und in ihrer vor allem phänomenologisch-hermeneutischen Bedeutung zu erklären, sondern soll ebenso verdeutlichen, dass „der Mangel der Relationierung unterschiedli cher Formen und Funktionen der Metapher ein wesentlich Grund dafür [ist], daß verschiedene Metaphorologien nur nebeneinander stehen, ohne noch auf einander bezogen zu werden.“ (Stoellger, 2000, S. 193ff.) Anders als der syn optische Ansatz von Debatin, der versucht, das „komplexe multidimensionale Phänomen“ Metapher (Debatin, 1995, S. 329) aus der Perspektive einer syn thetischen Metapherntheorie zu rekonstruieren, geht es Stoellger jedoch nicht um eine (Meta)Theorie oder ein Modell der Metapher, sondern darum, Blumen bergs Metaphorologie als „Lebenswelthermeneutik“ für die theologische und religionsphänomenologische Auseinandersetzung mit Metaphern fruchtbar zu machen. Es bleibt daher bei dem Quadrupel der Metaphorizität bei einigen kon struktiven und gewinnbringenden Anmerkungen, die weiter auszuarbeiten und in Bezug zu anderen integrativen und perspektivistischen Metapherntheorien zu setzen, sich lohnen würde. 33 „Die einzige Systematik, die bei Blumenberg einwandfrei nachweisbar wäre, be stünde in einem gemässigten Eklektizismus.“ (Haefliger, 1996, S. 15)
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mension des Metaphorischen. Metaphorologie erscheint so als eine Hermeneutik lebensweltlicher und wissenschaftlicher Paradigmen. In der metaphorologischen Interpretation selbst zeigt sich die zentrale Stellung von Metaphern in der Bildung der „geschichtliche[n] Sinnhorizonte und Sichtweisen“ (Blumenberg, 2013, S. 16), die als Vorurteilsstruktur des Verstehens und Zusammenhang impliziter Hintergrundannahmen zum Welt- und Selbstverständnis einer Sprachgemeinschaft die Perspektiven und Sichtweisen in einem „Raum des Verstehens“ (Demmerling, 2002) konstituieren und orientieren. Diese Orientierungsfunktion entspricht dabei weitestgehend dem bei Gadamer als Horizontverschmelzung beschriebenen hermeneutischen Prozess des welterschließenden und sinnstiftenden Vorgriffs und dem damit verbundenen Rückgriff auf lebensweltliche Gewissheiten und überlieferte Traditionen, welcher das produktive Verständnis einer fraglich gewordenen Sache allererst ermöglicht. „In der Metakinetik hermeneutischer Horizonte wird die Metapher zum ausgezeichneten Vehikel dessen, was bei Gadamer […] ‚Horizontverschmelzung‘ heißt.“ (Haverkamp, 1996, S. 25; vgl. auch Debatin, 1995, S. 227 und 231; Stoellger, 2000, S. 199) Als handlungsorientierende und sichtlenkende Leitbilder, so Debatin im Anschluss an Hesse, vermitteln und repräsentieren Metaphern als „Ausdruck des praktischen Interesses“ einer auf Konsens orientierten Sprachgemeinschaft Traditionen, Wissen und Werte einer Gesellschaft. „Das Normen- und Wertsystem einer Gesellschaft kann deshalb nicht nur anhand der Analyse ihrer Metaphern rekonstruiert werden, sondern es wird zugleich durch diese Metaphern konstituiert. Dabei können die Leitbilder sowohl eine eminent moralisch-praktische als auch eine orientierend-theoretische Funktion einnehmen.“ (Debatin, 1995, S. 227f.) Metaphern in diesem Verständnis ihrer semantischen Multidimensionalität und pragmatisch-hermeneutischen Orientierungsfunktion deuten sich daher als Gegenstand und Form einer ethischen Reflexion und Kritik an, die über die konkreten Handlungsmöglichkeiten und -konflikte hinaus die in Sprachspiele eingelassenen normativen Grundstrukturen und lebensweltlich geteilten Werteinstellungen vermitteln möchte.
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2.3.4 Methodologische Überlegungen und Probleme Das Projekt einer zugleich in historisch-diachronen und semantischsynchronen Perspektiven verfassten und hermeneutischen Metaphorlogie, wie es sich im Anschluss an Blumenberg und Weinrich andeutungsweise formulieren ließe, ist nicht nur als ein wichtiger Beitrag zur Ergänzung und Korrektur einer geschichtsvergessenen sprachphilosophisch-linguistischen Metapherntheorie zu bewerten, sondern bietet zugleich fruchtbare Anknüpfungspunkte zu einer ideologiekritischen und ethischen Reflexion jener „Metaphorik der Wahrheit“ (Gamm, 1992, S. 56), die in den lebensweltlichen und wissenschaftlichen Sprachspielen die Hintergrundannahmen und begrifflichen Unterscheidungen konstituiert und normativ strukturiert. Diese Metaphorik ist der Rahmen, innerhalb dessen wir im Falle von Konflikten, Krisen und Widersprüchen immer wieder um die richtigen Worte, um angemessene Metaphern und um das Verständnis von Wahrheit selbst streiten. Auf der semantisch-synchronen Achse könnten so einzelne Metaphern, Bildfelder oder ganze Bildfeldsysteme, etwa als Epochenmetaphorik oder als synchrone Systeme von Kollektivsymbolen rekonstruiert werden. (Vgl. Debatin, 1995, S. 191-204) Metaphorologie könnte so zum Beschreibungs- und Analyseinstrument einer kritischen Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte eingesetzt werden, um die Bruchstellen aufzufinden und zu identifizieren, an denen selbstverständliche Begrifflichkeiten und eingespielte Wahrheitspraktiken in die Krise geraten und zu Konflikten werden. (Vgl. Danneberg, 2002, S. 264ff.) Nimmt man hierbei die Erkenntnisse der Interaktionstheorie in die semantische Struktur und Funktion der Metapher ernst, dann wird ersichtlich, dass die Identifikation von Metaphern hierbei nicht anhand isolierter Ausdrücke erfolgen kann, sondern die relevanten Wissenskontexte mitberücksichtigen muss. Spätestens seit Richards und Black hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass sich die Metapher nicht auf ein isoliertes Fokuswort reduzieren lässt, sondern als das Resultat der Interaktion zweier beteiligter semantischer Domäne – tenor und vehicle, focus und frame, Bildspender und Bildempfänger – zu verstehen ist. Die Metapher ist daher als relationaler Gegenstand und nicht als klar umrissene Sache aufzufassen und weist dabei weniger eine duale als vielmehr eine seismographische Struktur auf. (Gehring, 2009a, S. 98) Sie ist, wie Gehring betont, „ein Spiel von Interferenzen – und ein Spiel mit offenem Ausgang“. (Gehring, 2009a, S. 94) Ihr kennzeichnenhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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des Merkmal ist die Abweichung und der Kontextbruch. Daher wird die Identifikation von Metapher zur Aufgabe der Identifikation von Abweichung bzw. zur Festlegung eines Prozedere zur Ermittlung des Vorliegens eines Kontextbruchs.34 (Danneberg, 2002, S. 275) Das bedeutet, der Kontext und Rahmen, in dem eine Metapher als Abweichung und Bruch Bedeutung erlangt, gehört selbst wesentlich zur Metapher. Nach Petra Gehring liegt also der entscheidende Punkt der Metaphernanalyse darin, was an den Bruchstellen passiert, welche Umgebung mit dem Fokusausdruck interagiert und wo neben dem Fokus die ‚heißen‘ Zonen des Rahmens liegen. „Metaphern sind nicht isolierter Glutpunkt, sondern Herde von Differenzen.“ (Gehring, 2009b, S. 212) Der über die Interaktionstheorie erarbeitete Begriff eines dialektischen Ähnlichkeitsverhältnisses erlaubt schließlich, die Metapher nicht wiederum auf das Vorliegen von Differenzen zu reduzieren, sondern die über und durch Differenz in der Metapher thematisierten und hervorgebrachten Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten in den jeweiligen lebensweltlichen Vorannahmen und Welt- und Selbstverständnissen der Reflexion und Kritik zugänglich zu machen. Die synchron-semantische Perspektive liefert somit neben einer Erklärung der Möglichkeit von semantischer Innovation, Neubeschreibung und Neuperspektivierung innerhalb des Sprachbildes einer lebendigen Sprache zugleich die Anknüpfungspunkte für eine historisch-diachrone Analyse der Bildfeld- und Metapherntraditionen, die den jeweils gemeinsamen Boden sprachlicher Gewissheiten und lebensweltlich-pragmatischer Orientierung bilden, auf dem die Begriffs- und Metaphernbildung überhaupt stattfinden kann. In dieser Perspektive kommen vor allem die orientierungsstiftende und handlungsleitende Funktion von Hintergrundmetaphern zur Geltung, deren Dynamik weniger in blitzhafter Erkenntnis und der sprunghaften Entstehung von Neuem abzulesen ist, als vielmehr im steten, mal kontinuierlichen mal diskontinuierlichen Wandel epochaler Bildfelder und Bildfeldbe34 Auch die Definition als „Anomalie“ ist jedoch historisch nur vor dem Hinter grund eines entsprechenden modernen Sprachbildes identifizierbar. Die De finition von der Metapher als Bruch lässt sich daher, wie Köller zeigt, nur in einem operativen und modelltheoretischen Sinne verstehen, „daß im Verlauf ihrer Verifikation, Falsifikation oder Modifikation an konkreten sprachlichen Phänomenen und im Verlauf der damit verbundenen Klärung ihrer Prämissen, differenziertere Erkenntnisse über diejenigen sprachlichen Phänomene erzeugt werden können, die in einem ersten und unreflektierten Zugriff als Metaphern klassifiziert worden sind“ (Köller, 2004, S. 335)
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ziehungen im umfassenden Kontext einer abendländischen „Bildfeldgemeinschaft“ (Weinrich, 1976, S. 287) – oder in den Worten Blumenbergs: „der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein.“ (Blumenberg, 2013, S. 16) Allerdings besteht bei einer solchen Tiefenhermeneutik, die die hinter Metaphern verborgenen Substrukturen des Denkens und der theoretischen Begriffsbildung aufspüren möchte, die Gefahr, einer „ganz besonderen Eigentlichkeitserwartung gegenüber der Metapher“ aufzusitzen, die Gehring wie folgt zusammenfasst: „Metaphern generieren Neues, gerade auch in Theorietexten, so die Hoffnung. Metaphern stellen eine hermeneutisch schwer fassbare, aber produktive Sinnform dar. Und möglicherweise verraten sie dem Forscher etwas, wozu allein die metaphorische Form den Zugang eröffnet. Metaphern führen in ein Unbewusstes hinein, in ein Imaginäres, vielleicht sogar in die neuronale Infrastruktur des Denkens. Wer Metaphern interpretiert, gelangt in Latenzzonen der Wissenschaft.“ (Gehring, 2009a, S. 81) Offensichtlich denkt Gehring hierbei an Blumenbergs prätentiös interpretative und bewusst methodologisch enthaltsame Metaphernhermeneutik, die der philosophischen Begriffsgeschichte helfen soll, an eine genetische Struktur der Begriffsbildung heranzuführen, „an eine kongeniale Arbeit des Mythos, auf dessen Verdichtungsleistung der Logos nicht verzichten kann“. (Gehring, 2009a, S. 82) Dieser Auftrag sei allerdings „gefährlich offen“, denn zwar wisse der:die Metaphorolog:in als Latenzforscher:in im Feld der Ideen- und Begriffsgeschichte wonach er:sie suche, habe es aber aufgrund des fehlenden systematischen Begriffs der Metapher schwer zu fassen, was für eine Art Phänomen da eigentlich gedeutet werde. Gerade weil Metaphern kontextüberschreitend und bedeutungsoffen sind, eignen sie sich als Vehikel aller möglichen Deutungsabsichten und setzen „auch extremer Tiefenhermeneutik nahezu nichts entgegen. [...] Deutungsleitende Latenzvermutungen, an die Metaphorik herangetragen, suchen und finden ihre Evidenzen.“ (Ebd.) Die metaphorologische Interpretation muss daher die eigenen hermeneutischen Vorurteile reflektieren, möchte sie nicht selbst Opfer einer „im Metaphorischen wurzelnden Sichtlenkung“ werden. (Ebd.) Das Problem der „verborgenen Metaphorik“ (Schöffel, 1987, S. 204) bringt ontologische Voraussetzungen eines Reichs des Vorsprachlichen und Unbegrifflichen mit sich, die in ihrer Konsequenz das Projekt der Metaphorologie selbst – zuhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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mindest in ihrem Nutzen für die philosophische Reflexion über Metaphern – beinahe zunichte machen. Indem Metaphern als symptomatisch für eine Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen behauptet werden und gleichsam hinter dem Rücken der einzelnen Sprecher:innen stattfinden bzw. deren lebensweltliche und theoretische Sicht vorstrukturieren und orientieren, entsteht der Eindruck der Determination und Unhintergehbarkeit des metaphorischen Geschehens. Ein rationaler Zugriff, die methodische Beherrschung der Metapher scheint, zumindest im Falle absoluter Metaphern, für die Sprecher:innen einer Bildfeldgemeinschaft nicht möglich. Immerhin sieht Blumenberg an dieser Stelle die Bedeutung einer Systematik der Metaphorologie, enthält sich aber weiterer Erläuterungen: „Nicht nur die Sprache denkt uns vor und steht uns bei unserer Weltsicht gleichsam ‚im Rücken‘; noch zwingender sind wir durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt, ‚kanalisiert‘ indem, was überhaupt sich uns zu zeigen vermag und was wir in Erfahrung bringen können. Hier läge die Bedeutung einer Systematik der Metaphorologie, über deren Möglichkeit hier aber nicht orakelt werden soll.“ (Blumenberg, 2013, S. 92) Damit bleibt im Hinblick auf die Geschichtlichkeit von Metaphern die „Frage nach dem Subjekt der Metaphernwahl bzw. nach der Instanz, als deren Ausdruck oder Symptom sie zu interpretieren sind“ (Friedrich, 2015, S. 84), ebenso ungeklärt wie die Möglichkeit einer rationalen reflektierten Entscheidung für oder gegen bestimmte Metaphern. Man müsse sich vor Augen halten, so Blumenberg, „daß eine Metaphorologie ja nicht zu einer Methode für den Gebrauch von Metaphern oder für den Umgang mit den in ihnen sich kundgebenden Fragen führen kann“. (Blumenberg, 2013, S. 28) Die historisch-paradigmatische Betrachtungsweise der Metaphrologie stößt an ihre Grenze, „wo die Aktualität der Metapher, das heißt die aktive und bewußte Umgangsweise mit Metaphern [...] geleugnet wird [...]. Die Metapher bleibt Ausdrucksmittel des Geistes, ohne auf ihre semantisch-pragmatische Eigenheit hin untersucht zu werden“. (Buntfuß, 1997, S. 114) Das hat neben ungeklärten methodologischen und metapherntheoretischen Fragen vor allem wissenschaftspraktische Konsequenzen für die Möglichkeit eines kontrollierten reflexiven Umgangs mit Metaphern. (Vgl. Debatin, 1995, S. 166) Blumenberg selbst beschreibt, wie der Metapher nicht nur eine handlungsleitende und lebensweltliche Orientierung zu eigen ist, sondern auch https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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eine immanente Tendenz zur Mythifizierung. (Blumenberg, 2013, S. 110ff.) Gerade in theoretischen Kontexten wird so aus der Metapher als Denkmodell schnell ein Denkzwang, der mit den Mitteln begrifflicher Reflexion nicht mehr durchschaut und beherrscht werden kann. Blumenberg schließt zumindest nicht aus, dass es die Metaphorologie hierbei nicht mit rationalen Vorgriffen, sondern mit „irrationalen Dezisionen“ zu tun habe, wenngleich, sie diese nicht erzeugen, sondern lediglich beschreiben würde. (Blumenberg, 2007, S. 449) An anderer Stelle betont er die Evidenz und Suggestionskraft des „orientierenden, aufspürenden, schweifenden Vorgriff[s]“ der Metapher im Kontext theoretischer Erkenntnis: „Sie nutzt die Suggestion der Anschaulichkeit und ist dadurch nicht nur Vorstufe oder Basis der Begriffsbildung, sondern verhindert sie auch oder verleitet sie in Richtung ihrer Suggestionen.“ (Blumenberg, 2011, S. 212) An dieser Stelle steht also erneut die Rationalität und Wahrheitsfähigkeit der Metapher – aber auch der Metaphorlogie als wissenschaftliche Methode der Metaphernreflexion – grundsätzlich in Frage. „Sogar die in das wissenschaftliche Verfahren eingelassene prinzipielle Metaphorizität wäre dann nur Ausdruck dafür, wie tief die Irrationalität der Metapher in die Wissenschaft eindringt, also Bestätigung des Irrationalitätsverdachtes gegen die Wissenschaft.“ (Debatin, 1995, S. 156)
2.4 Metaphern und Modelle in der Wissenschaft 2.4.1 Zum Verhältnis von Metapher und Modell Die Frage nach die Wahrheitsfähigkeit der Metapher meint meist die Frage nach ihrer Wissenschaftlichkeit, d. h. sie wird vor dem Hintergrund der Rolle und Funktion von Metaphern in der Wissenschaft, innerhalb der wissenschaftlichen Beschreibungssprache und im epistemischen Prozess der Theoriebildung diskutiert. (Vgl. etwa Boyd, 1993; Debatin, 1995; Hesse, 1970; Shibles, 1974; Thomas S. Kuhn, 1979) Dabei steht weniger zur Diskussion, ob in der Wissenschaftssprache Metaphern überhaupt vorkommen, sondern vielmehr, welchen Stellenwert sie dabei einnehmen. Ist die Metapher das notwendige Übel einer irrationalen und mehrdeutigen Sprache, der sich auch die Wissenschaft trotz aller methodischen Strenge und formalisierter Systematik nicht entziehen kann? Ist https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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sie Kraft der Imagination ein zwar nur psychologisches aber durchaus nützliches heuristisches Instrument ohne eigenen kognitiven Gehalt oder sind Metaphern nicht sogar theoriekonstitutive Voraussetzung und Bedingung für Wissenschaft? Im Zuge solcher wissenschaftstheoretischen Fragen wird die Metapher in der Regel mit dem Modell in Verbindung gebracht, wobei sie mit diesem ein ganz ähnliches Schicksal zu teilen scheint: Entweder werden Modelle als nicht wahrheitsfähig und unwissenschaftlich abgelehnt und aus dem methodischen Instrumentarium wissenschaftlicher Rationalität ausgeschlossen oder sie werden gerade gegen dieses Ideal einer eindeutigen und universell logischen Wissenschaftssprache zusammen mit den Metaphern argumentativ ins Feld geführt, was zu verallgemeinerten Aussagen führt wie: „Jede Theorie in Wissenschaft, Philosophie usw., basiert auf einer oder mehrerer Metaphern oder Modellen …“ (Shibles, 1974, S. 1) Während zur Metapher eine mittlerweile unüberschaubare Fülle an Definitionsversuchen und Begriffsklärungen vorliegt, kann dies für den Begriff Modell nicht ohne Weiteres behauptet werden. „Nur wenige Begriffe werden in der Alltagssprache und im wissenschaftlichen Diskurs vieldeutiger gebraucht als das Wort ‚Modell‘.“ (Goodman, 1973, S. 177) Als terminus technicus in der Wissenschaft etabliert sich der Modellbegriff erst im 19. Jahrhundert im Zuge der physikalischen Theorien zur Elektro- und Thermodynamik von Faraday und Maxwell. Explizite „Modell-Literatur“ könne, so Roland Müller, erst Mitte des 20. Jahrhunderts gefunden werden. (Vgl. R. Müller, 1983) Auch innerhalb des wissenschaftlichen und philosophischen Diskurses wird der Modellbegriff meist noch intuitiv und umgangssprachlich verwendet. „Er hat die Schwelle des terminologischen Bewußtseins bislang nicht überschritten und befindet sich noch in den Vorzimmern des Alltagsverstandes.“ (Zill, 2008, S. 27) Etymologisch auf das lateinische modulus (Maß, Maßstab) und das italienische modello zurückgehend, kann Modell zunächst alle möglichen Arten von Mustern, Entwürfen oder Vorbildern bezeichnen, wie sie im Laufe der Menschheitsgeschichte in den Bereichen künstlerischer, handwerklicher, aber auch theoretischer Techniken der Abbildung und in den Kontexten von „System-, Analogie- und Funktionsdenken einerseits, Bild- Symbol- und Abbildtheorie anderseits sowie Ideen-, Zeichen- und Bedeutungslehre“ verwendet und verhandelt wurden. (R. Müller, 1983, S. 17) Gemeinsam scheint allen Modellbegriffen zu sein, dass sie eine bestimmte Darstellungs- und Übertragungsform beinhalten, welche sie dem sprachlihttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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chen Phänomen der Metapher nahstehen lassen.35 Ricœur charakterisiert die lebendige Metapher durch ihre paradoxale Struktur, in der Ähnlichkeit eine doppelte Spannung der Referenz hervorruft, „zwischen Wirklichkeitstreue und märchenhafter Erdichtung, zwischen Wiedergabe und Erhöhung“. (Ricœur, 1986, S. 51) Als „eine solche Einheit von Perspektiveneröffnung und Gegenstandsdarstellung“, schließt Debatin an, stehe die Metapher dem Modell offensichtlich sehr nahe, „denn auch das Modell ist dadurch gekennzeichnet, daß es bestimmte Eigenschaften des modellierten Objektes hervorhebt und andere vernachlässigt und damit eine Ähnlichkeitsbeziehung im Sinne einer strukturellen Isomorphie erzeugt“. (Debatin, 1995, S. 139) Im Zusammenhang mit den metaphorischen Anteilen der Modellbildung insbesondere im Kontext wissenschaftlicher Theoriebildung ist nun vor allem Max Blacks Typisierung von Modellen aufschlussreich und erlaubt, einen präziseren Modellbegriff zu verwenden. (Vgl. im Folgenden Black, 1962, S. 219–243) Black unterscheidet drei Typen von Modellen. Modelle im einfachen Sinne würden, nach Black, maßstabsgetreue skalare Modelle, etwa dreidimensionale Miniaturen wie ein Schiffsmodel, darstellen. Dieser Art von gegenständlichen Modellen ist gemeinsam, dass sie immer Modelle von etwas sind und zu einem bestimmten Zweck kon struiert sind, etwa, zu zeigen, wie ein Schiff aussieht, eine Maschine funktioniert oder welche Gesetze und Kräfte wirken. Bei analogen Modellen denkt Black an Modelle, die einen Wechsel des Mediums hinsichtlich einer gemeinsamen Struktur oder eines Netzes von Beziehungen bezeichnen, wie etwa die Darstellung 35 Die Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten von Metapher und Modell wurden bereits oft gesehen und hervorgehoben. Meist wird dabei eine grundlegende Metapherntheorie herangezogen, um sie auf die Modelltheorie zu übertragen. Damit wird die Metapher zum Modell für das Modell. (Zill, 2008) Man ver sucht also, „diese Methode [der modellhaften Übertragung von einer etablierten Theorie auf ein unerforschten Objektbereich] auf die Theorie des Modells selbst anzuwenden. Ein Vorbild, dessen Strukturen man versuchsweise auf das Modell konzept übertragen kann, liegt vor: Es findet sich in der Theorie der Metapher, die sich in den letzten Jahren zu einem regen Forschungsfeld mit vielen neuen Erkenntnissen entwickelt hat.“ (Ebd., 133; vgl. auch die Tabelle S. 134 und 145). Auch die andere Richtung, vom Modell zur Metapher, ist in der Übertragungs richtung der Ähnlichkeitsverhältnisse möglich, denn, wieder Zill, beim „Stu dium der Modellübertragungen kann man auch etwas erahnen von dem, was sich in der Interaktion zumindest der Metapher abspielt. Wie die Metapher zum Modell des Modells wird, so das Modell zum Modell der Metapher, sie interagie ren – wie in allen echten Modellübertragungen – miteinander“. (Ebd., 29)
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von Wirtschaftssystemen mittels hydraulischer Modelle oder die Verwendung von elektronischen Stromkreisen in Computern. Der entscheidende Unterschied zu den maßstabgetreuen Modellen liegt in den Korrelationen von Eigenschaften des Originals und den pertinenten Eigenschaften, die im Modell dargestellt werden und die über die zugrundeliegenden Interpretationsregeln hergestellt werden. Dies geschieht nicht nach den Regeln der Imitation, sondern nach denen des Isomorphismus. (Black, 1962, S. 222; vgl. auch R. Müller, 1983, S. 57ff) Als dritten Typ führt Black schließlich theoretische Modelle ein. Das paradigmatische Beispiel für den Typus des theoretischen Modells stellt für Black die berühmte Beschreibung Maxwells eines elektrischen Kraftfeldes in Begriffen einer imaginären inkompressiblen Flüssigkeit dar. Ricœur fasst diese Art der Modellbildung so zusammen, dass das „imaginäre Medium […] hier nur noch eine Gedächtnishilfe zur Erfassung mathematischer Beziehungen“ darstellt, mit den analogen Modellen also zwar die Strukturidentität gemein habe, aber „nichts Zeigbares oder Herzustellendes [sind]. Sie sind gar keine Dinge; sie führen vielmehr eine neue Sprache ein, etwa einen Dialekt oder ein Idiom, worin das Original beschrieben, nicht jedoch konstruiert wird“. (Ricœur, 1986, S. 229) Die Darstellung und Übertragungen des Modells finden hier auf der Ebene der Beschreibungssprache statt und werden nicht mehr wie bei den vorhergehenden Modelltypen mechanisch oder analog konstruiert wird. Alle drei Modelltypen haben, so Debatin, metaphorischen ‚Als ob‘-Charakter. (Debatin, 1995, S. 141) Skalare Modelle betonen hierbei den ikonischen Aspekt der Ähnlichkeitsbeziehung, die analogen Modelle hingegen die strukturelle Isomorphie. Theoretische Modelle schließen diese beiden Momente mit ein, finden jedoch auf der Metaebene der Sprache, d. h. der Übertragung von Beschreibungen und Erklärungen statt; sie sind in einem gewissen Sinne „Modelle über Modelle“. (Debatin, 1995, S. 140) Modelle und Metaphern, das hebt Black entschieden hervor, seien nicht nur Epiphänomene der Forschung oder lediglich schmückendes Beiwerk, sondern spielen im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess eine entscheidende und nicht-reduzible Rolle. (Black, 1962, S. 236) Die entscheidende Frage nach einer eigenständigen Methode des Modelles ist daher eng verwandt mit der Frage, ob die Metapher als Substitution und Paraphrase eigentlichen Sprachgebrauchs adäquat und erschöpfend erklärt ist. „Those who see a model as a mere crutch are like those who consider metaphor a mere https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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decoration or ornament.“ (Ebd.) Die Gemeinsamkeit von Modell und Metapher, auf die sich die Frage nach ihrer erkenntnistheoretischen Berechtigung und ihrem kognitiven Gehalt richtet, liegt innerhalb der Interaktionstheorie in der Wechselwirkung von zwei semantischen Bereichen bzw. Systemen (tenor und vehicle). Metaphorische Übertragungen wie Modellbildungen erlauben es, Sachverhalte in ein neues Licht zu setzen, neue Verbindungen in einem Bereich aufzuzeigen, eine neue Art über Dinge zu sprechen einzuführen. Modell und Metapher lassen sich daher schwer voneinander trennen, solange dieser gemeinsame Übertragungsprozess hervorgehoben wird. Sie scheinen sich dann, wie Debatin hervorhebt, in der Wissenschaft lediglich durch den Grad der Habitualisierung der Metaphorizität von Modellen zu unterscheiden. „Auch wenn sie [die Metaphorizität] […] im Laufe des Wissenschaftsprozesses zu verschwinden scheint, so steht die Metapher doch am Beginn jeder wissenschaftlichen Modellbildung: Das Modell ist eine auf Dauer gestellte, systematisierte Metapher.“ (Debatin, 1995, S. 141; vgl. auch Black, 1962, S. 236) Umgekehrt bezeichnet Black die Metapher an anderer Stelle auch als „Spitze eines untergetauchten Modells“ (Black, 1996b, S. 396, vgl. auch 1979). Die Metapher als implizites Modell und das Modell als explizite Metapher können sich also, so Debatin, wechselseitig erläutern. „[…] Metapher und Modell [stehen] in einem Kontinuum, sie bezeichnen verschiedene Aspekte der Darstellung eines Gegenstandes unter einem bestimmten Hinblick.“ (Debatin, 1995, S. 142) In beiden Fällen, bei der Metapher wie beim Modell, bringt die ikonische und isomorphe Übertragung Ähnlichkeitsverhältnisse im Modus des „Sehen als“ zur Geltung, so dass sich vermuten lässt, „daß Metaphern und Modelle als ähnliche, wenn auch nicht gleiche Phänomene aufzufassen sind, da jedes Modell einen metaphorischen Kern enthält und jede Metapher einen modellhaften Charakter hat, wobei Metapher und Modell sich aber hinsichtlich ihres Explizitheitsgrades und ihres Adäquatheitsanspruchs unterscheiden“.36 (Debatin, 1995, S. 143) 36 Für Black liegt der entscheidende Unterscheid in der Grundlage, dem Mecha nismus auf der die modellhaften und metaphorischen Analogien und Übertra gungen von Vokabularen und Beschreibungssprachen basieren. Bei Modellen stellt die isomorphe Relation zwischen dem Ursprungs- und Zielbereich, also dem Bereich, dem die neuen Beschreibungssprache entnommen ist, und dem Bereich, auf den das Vokabular des Modells angewandt werden soll, die rationa le Basis bereit, die eine kritische Überprüfung und Bestätigung von Modellen, „the ‚goodness‘ of their ‚fit‘“, erlaubt. (Black, 1962, S. 238) Metaphern dagegen
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Auch Shibles sieht Modelle als implizite Form von Metaphern, wobei er neben Modellen hierzu auch Bilder, Diagramme, Karten, Definitionen, Beschreibungen, Hypothesen, Erdichtungen, Formeln zählt. (Shibles, 1974, S. 3) Er denkt hierbei vor allem an sogenannte „Wurzel- oder Grundmetaphern“ in der wissenschaftlichen Theoriebildung. Dabei scheint jedoch wiederum der Unterschied von Metapher und Modell nicht klar differenziert und sehr allgemein zu sein. Präziser fasst Schöffel das Verhältnis von Metapher und Modell im Hinblick auf die spezifische Darstellungsform zusammen. Metapher und Modell seien nicht radikal getrennte Gebilde, sondern Aspekte bestimmter Darstellungen. (Schöffel, 1987, S. 205) Der Unterschied bestehe darin, dass das Modell eine bestimmte Gegenstandsdarstellung sichtbar mache, während die Metapher darüber hinaus auch die Art und Weise, in der diese Darstellung geschieht, mittransportiere: „Ein Modell präsentiert sein Sujet; eine Metapher präsentiert das Sujet und die Weise, in der es präsentiert wird.“ (Schöffel, 1987, S. 203) Was die Metapher somit gegenüber dem Modell explizit macht, ist ihre eigene Perspektivität. Ob eine bestimmte Form der Gegenstandsdarstellung und Übertragung nun als Metapher oder als Modell verstanden wird, hängt nun freilich auch davon ab, ob die Perspektivierungsleistung darin wahrgenommen und sichtbar gemacht wird. Somit kann jedes Modell als Metapher betrachtet werden, wenn nicht die Perspektive, die sie darstellt, sondern der Prozess der Perspektivierung selbst hervorgehoben wird, während jede Metapher als Modell fungiert, wenn der Schwerpunkt auf der Gegenstandsdarstellung liegt. 2.4.2 Die konstitutive Rolle von Metapher und Modell in der Wissenschaft Die Metapher steht im wissenschaftlichen Prozess oft im Vorfeld der Modellbildung. Debatin bezeichnet den metaphorischen Kern eines Modells daher auch als theoriekonstitutive Metaphern, die im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Innovationsprozessen zu denken sind: „Ihre Leistung liegt darin, neuartige und paradigmatische Problemformulierungen und -erklärungen zu liefern und basieren, nach Black, auf weniger systematischen und komplexen Relationen, sondern wirken hauptsächlich über intuitiv verständliche, präreflexive „com monplace implications“. (Ebd. S. 239)
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so als Paradigma (Kuhn) oder Denkmodelle (Weinrich) neue Forschungen anzuregen.“ (Debatin, 1995, S. 154) Theoriekonstitutive Metaphern dringen epistemisch tief in den Theoriebildungsprozess der Wissenschaft ein und wirken dort als Grundlage und Rahmen ganzer Forschungsprogramme. Auf dieser grundlegenden Ebene sind Modelle schließlich nicht mehr mit einzelnen, isolierten Metaphern vergleichbar. Ricœur spricht in diesem Zusammenhang von einem „Metaphernnetz“ (Ricœur, 1986, S. 233ff.), Max Black von „konzeptuellen Archetypen“ (Black, 1962, S. 239ff.). Die Systematizität und der Isomorphismus solcher metaphorischen Konzepte und Schemata bilden das „‚Rationale‘ der Imagination beim Gebrauch der Modelle“ und konstituieren Wissenschaft auf der Ebene der handlungsleitenden Paradigmen. (Ricœur, 1986, S. 233; vgl. auch Thomas S. Kuhn, 1979; Arbib & Hesse, 1990) Sie sind das „Paradebeispiel für innovative Metaphern“ und spielen als solche vor allem bei wissenschaftlichen Innovationen und Entdeckungen eine wichtige Rolle. (Debatin, 1995, S. 144) Im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Revolutionen, d. h. einem Wechsel von Paradigmen, „bei denen nicht nur neue Sichtwiesen eingeführt, sondern auch alte Bedeutungskonzepte zerstört werden“, kommt die Rolle der theoriekonstitutiven Metaphern besonders deutlich zum Tragen. (Debatin, 1995, S. 145) Das Potential für die revolutionäre Kraft, die hinter solchen Paradigmenwechseln steht, liege, wie Arbib und Hesse herausstellen, in der Metapher: „The metaphor is potentially revolutionary“. (Arbib & Hesse, 1990, S. 156) Mit der Metapher als theoriekonstitutives Moment dringt die Bedeutungsverschiebung bis in die epistemische Ebene der Theoriebildung vor und stellt nicht nur die Rationalität der wissenschaftlichen Methode in Frage, sondern den zugrundeliegenden Begriff von Rationalität und Realität überhaupt. Paradigmenwechsel und wissenschaftliche Revolutionen, die auf dieser Ebene der epistemischen Ausrichtung eines ganzen Forschungsprogramms stattfinden, sind daher mit Arbib und Hesse als metaphorische Revolutionen aufzufassen: „Scientific revolutions are, in fact, metaphoric revolutions, and theoretical explanation should be seen as metaphoric redescription of the domain of phenomena“. (Ebd.) Der Umformulierung wissenschaftlicher Revolutionen als metaphorische Revolutionen entspricht die Umformulierung theoretischer Erklärungen als metaphorische Neubeschreibung. Metaphorische Neubeschreibungen meint dabei, dass jede theoretische Erklärung nach dem Prinzip der metaphorischen Bedeutungsverschiebung zu https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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fassen ist. Im Rahmen der Interaktionstheorie wird nicht nur das Explanandum, sondern auch das Explanans vom metaphoric shift erfasst. So muss etwa das Modell reduktionistischer Erklärung den eigenen Kriterien und Ansprüchen nach modifiziert und ergänzt werden. Die These der metaphorischen Neubeschreibung geht vor allem auf Mary B. Hesse zurück. Hesse führt in direktem Anschluss an Blacks Thesen zur Interaktionstheorie der Metapher die Rehabilitierung von Metapher und Modell in der Wissenschaft fort. Als Konsequenz der Interaktionstheorie legt sie ihren Überlegungen ein dynamisches Sprachbild in Anlehnung an Wittgensteins Überlegungen zu Familienähnlichkeiten zugrunde, innerhalb dessen die Unterscheidung zwischen wörtlichen und metaphorischen Beschreibungen nicht aufrecht erhalten werden kann und der Metapher ein kognitiver Status zugesprochen werden muss, der die Grundsätze der Logik und Korrespondenztheorie der Wahrheit in Frage stellt. (Hesse, 1970, S. 165; Arbib & Hesse, 1990, S. 148; Hesse, 1988) Die grundsätzliche Metaphorizität der Sprache unterläuft das Ideal einer Sprache als statisches System mit festen Bedeutungen. Dies gilt auch und in besonderer Weise für die enge Verbindung von positivistischer, objektivistischer Wissenschaftstheorie und den Ansprüchen der universellen Logik und einer reinen, idealen Sprache, die den Anspruch hat, die Welt zu beschreiben, wie sie ist. Die Theorie einer metaphorischen Sprache „affects our theory of truth, particulary in the first place the truth of scientific theories“. (Arbib & Hesse, 1990, S. 154) Damit kommen wissenschaftliche Beschreibungen sowie theoretische Erklärungen und Modelle in den Blick, deren Verhältnis zum Begriff wissenschaftlicher Wahrheit gegenüber einer grundsätzlich metaphorischen Sprache ebenfalls in Frage gestellt werden muss. Hesses Hauptthese in Models and Analogies in science besagt, „that the deduktive model of scientific explanation should be modified and supplemented by a view of theoretical explanation a metaphoric redescription of the domain of the explanandum.“ (Hesse, 1970, S. 157) Diese These hat, so fasst Ricœur im Anschluss an Hesse zusammen, zwei Stoßrichtungen: Zum einen wird dem Modell ein Erklärungswert zugesprochen, der von dem Ideal der Deduktion abweicht bzw. dieses ergänzen und modifizieren soll.37 Zum anderen werden Modelle, sowie letztlich jede the37 Nach diesem deduktionistischen Ideal, paradigmatisch formuliert bei C.G. Hem pel und P. Oppenheimer, müssten die Regeln, nach denen ein theoretisches
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oretische Erklärungen als metaphorische Neubeschreibung erfasst. (Ricœur, 1986, S. 231 und 332) Hesse geht es, so auch Debatin, mit der These der metaphorischen Neubeschreibung darum, „aufzuweisen, daß jede Erklärung auf metaphorischen Prozessen der Erweiterung und Erneuerung beruht. Die Metapher stellt somit ein konstitutives und unverzichtbares Element der Vermittlung zwischen Theorie und Empirie sowie zwischen Sprache und Welt dar.“ (Debatin, 1995, S. 154) Die wissenschaftliche Theoriesprache und Methode basiere, so Hesse, ebenso wie die Alltagssprache auf der grundlegenden Metaphorizität der Sprache. Die abstrakte Trennung von Objekt- und Metasprache kann dieser These zu Folge die metaphorischen Übertragung- und Neubeschreibungsprozesse nicht ausschalten oder vermeiden, sondern ist im Gegenteil vielmehr auf sie als Basis aller sprachlichen Beschreibungsprozesse verwiesen. „There is one language, the observation language, which like all natural languages is continually being extended by metaphoric uses and hence yields the terminology of the explanans. There is no problem about connecting explanans and explanandum other than the general problem of understanding how metaphors are introduced and applied and exploited in their primary systems.“ (Hesse, 1970, S. 175) Mit der Ausformulierung der Metapher als implizites Modell, als theoriekonstitutive Basis und als Prinzip der Neubeschreibung wird deutlich, dass Metaphern und Modelle in der Wissenschaft nicht nur unverzichtbar sind, sondern konstitutiv in die wissenschaftliModell eine Terminologie aus einem Bereich, Explanans, in einen anderen, Ex planandum, überträgt, bereits im Explanans selbst enthalten sein, so dass das Explanandum aus dem Explanans eindeutig deduziert werden kann. Weiterhin wird von der deduktiven Erklärung gefordert, dass das Explanandum nicht durch empirische Daten falsifiziert wird und darüber hinaus prognostischen Wert hat. Hesse zeigt nun, dass dieses Ideal von Deduzierbarkeit in den meisten Fällen theoretischer Erklärung nicht exakt eingehalten wird, sondern dass es sich hier vielmehr um eine Annäherung an eine ideale deduktive Ableitung handle, die auf „relations of approximate fit“ beruhen. (Hesse, 1970, S. 172) Für ein ent sprechend auf Grundlage der Interaktionstheorie der Metapher und der Famili enähnlichkeiten in der Grundstruktur der Sprache modifiziertes und ergänztes Deduktionsmodell bedeutet dies in den Worten Debatins, dass das „Explanans E zwar nicht das exakte Explanandum D enthält, jedoch ein ähnliches Expla nandum D‘, das zu D annäherungsweise äquivalent ist und eine größere Akzep tabilität […] aufweist als D.“ (Debatin, 1995, S. 152) Das heißt nicht, dass das deduktive Erklärungsmodell aufgegeben werden müsste: „What is relevant is that the non-deductibility of D from E does not imply total abandonment of the deductive model unless D is regarded as an invariant description of the expla nandum, automatically rendering D‘ empirically false.“ (Hesse, 1970, S. 173)
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che Rationalität eingehen und diese vorantreiben. Sie wirken nicht nur auf der epistemischen Ebene der Theoriebildung, sondern auf allen Ebenen des wissenschaftlichen Prozesses, also auch etwa auf der Ebene der technologischen Entwicklungen und der diskursiven Ausrichtung von Forschungsprogrammen. „In dieser Sicht ist die Metapher nicht nur Anregung zur wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern der Motor des ganzen Prozesses in all seinen verschiedenen Phasen“. (Bühl, 1984, S. 147) Das Modell, schreibt Ricœur, gehöre dabei nicht zur „Logik der Beweisführung, sondern zur Logik der Entdeckung. Dabei reduziert sich diese Logik der Entdeckung aber nicht auf eine Psychologie der Erfindung ohne erkenntnistheoretisches Interesse, sondern sie enthält einen kognitiven Prozeß, eine rationale Methode, die ihre eigenen Normen und Prinzipien hat.“ (Ricœur, 1986, S. 228) Es sind diese rationale Methode, die Normen und Prinzipien, die im metaphorischen Prozess selbst liegen und für Kriterien einer rationalen Metaphernreflexion in wissenschaftlichen Kontexten fruchtbar gemacht werden können – mit der Metapher gegen die Metapher. 2.4.3 Kriterien der Wahrheitsfähigkeit und Bedingungen der Metaphernreflexion Im Anschluss an den graduellen Übergang von Modell und Metapher und deren spezifische Rationalität stellt sich unweigerlich die Frage nach einem Wahrheitskriterium für Metaphern und Modelle. Ein solches Kriterium müsse, so Hesse, zwischen den streng formalen Korrespondenzregeln eines deduktionistischen Modells und dem pragmatischen Erfolgskriterium der Adäquatheit, einem „criteria of acceptability“, liegen. (Hesse, 1970, S. 174) Der Schlüssel hierzu liegt in der Art und Weise, in der das Modell Vorhersagen über den Bereich des Explanandum erlaubt, d. h. in der Art und Weise, in der das Modell Realität als Referenz einer Identifikation im Modus des „sehen als“ hat. (Hesse, 1970, S. 175; Debatin, 1995, S. 153) „Die Voraussage neuer Beobachtungsprädikate“, so Ricœur hierzu, „erfordert eine Bedeutungsverschiebung und eine Erweiterung der ursprünglichen Beobachtungssprache; erst dann kann der Bereich des Explanandums in der aus dem Sekundärsystem übertragenen Terminologie neubeschrieben werden“. (Ricœur, 1986, S. 232) Damit greife das Modell gerade „dann, wenn weitreichende, gehaltvolhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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le Voraussagen getroffen werden, wenn also die Erfüllungsbedingungen des deduktiv-nomologischen Systems am meisten befolgt werden […] auf metaphorische Prozesse zurück“. (Debatin, 1995, S. 153) Das heißt, ausgerechnet dann, wenn unbekannte, neue Gegenstandbereiche nach einer theoretischen Erklärung verlangen, könne nicht auf deduktive Korrespondenzregeln zurückgegriffen werden, sondern es müssen Ergänzungen oder ganz neue Interpretationsregeln gefunden werden. Wie Innovationen und neue Bedeutungen möglich sind, zeigt die Interaktionstheorie der Metapher. Die lebendige Metapher schafft als paradoxe Ähnlichkeitsstruktur aus der Kollision von wörtlichem und metaphorischem Sprachgebrauch einen neuen metaphorischen Sinn. Das der Metapher entnommene Prinzip der Ähnlichkeit und das Kriterium der Adäquatheit überführen also das deduktiv-nomologische Ideal auch auf Ebene der wissenschaftlichen Erklärungslogik anhand der eigenen Kriterien. Hierzu noch einmal Hesse: „In the metaphoric view, [...] since the domain of the explanandum is redescribed in terminology transferred from the secondary system, it is to be expected that the original observation language will both be shifted in meaning and extended in vocabulary, and hence that predictions in the strong sense will become possible. They may, of course, turn out not to be true, but that is an occupational hazard of any explanation or prediction. They will, however, be rational, because rationality consists just in the continuous adaption of our language to our continually expanding world, and metaphor is one of the chief means by which this is accomplished.“ (Hesse, 1970, S. 176) Der metaphorical shift, der sich sowohl auf Explanans als auch Explanandum erstreckt und beide Bereiche verändert, ergänzt und modifiziert, stellt dadurch zugleich das wissenschaftliche Ideal der deduktiven Erklärung und die damit korrespondierende Auffassung von Realität in Frage. Statt des Kriteriums eines tautologischen Deduktionskalküls gelte, so Arbib und Hesse, in der Wissenschaft vielmehr ein „pragmatic criterion“, das im Kontext wissenschaftlicher Theoriebildung Modelle nach den Maßstäben adäquater Representation von Realität beurteilt. (Arbib & Hesse, 1990, S. 159) Wissenschaftliche Modelle sind damit eine Form der metaphorischen Realitätskonstruktion, die sich etwa von sozialen oder poetischen Darstellungsformen unterscheiden. Gleichwohl können Modelle selbst als paradigmatisches Modell für eben jenen Prozess der metaphorischen Neubeschreibung der Realität und den damit einhergehttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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henden um die Kraft der Imagination erweiterten Wahrheitsbegriff gesehen werden: „Scientific models are a prototype […] for imaginative creations or schemas based on natural language and experience, but they can go beyond it by metaphorical extension to construct symbolic worlds that may or may not adequately represent certain aspects of the empirical world.“ (Arbib & Hesse, 1990, S. 161) Die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit bleibe dabei allerdings, so Debatin, offen, denn das kontextgebundene pragmatische Kriterium der Angemessenheit und internen Adäquatheit reiche nicht aus, um die Rationalität der Metapher zu begründen. Die Begründungstrategie einer „funktionale[n] Rückbildung der Metapher an ihren jeweiligen Kontext“ müsse also um eine „systematische Metaphern reflexion“ ergänzt werden. (Debatin, 1995, S. 157) „Die Wahrheit der Metapher“, so Debatin, „kann […] stets nur eine Frage nach der intersubjektiven Geltung und Anerkennung der Gründe des mit ihnen erhobenen Wahrheitsanspruches sein.“ (Debatin, 1995, S. 159) Solche Reflexion metaphorischer Wahrheit kann somit nicht nach ihren inneren Eigenschaften oder ausschließlich über die Angemessenheit ihres konzeptuellen Gebrauchs in Wissenschaft, Literatur oder Alltagskommunikation geschehen, sondern nur „im Rahmen eines argumentativen Diskurses“ und in „ihrem praktischen Verwendungszusammenhang“ eingeholt werden. Das heißt, so Debatin weiter, „die Rationalität der Metapher wird damit zu einer pragmatischen Frage“. (Debatin, 1995, S. 164ff.) Innerhalb des pragmatischen Rahmens der diskursiven Reflexion über die Wahrheitsfähigkeit und Rationalität der Metapher muss allerding die Möglichkeit eines Misslingens oder Missbrauches me taphorischer Sprache als Bedingung für eine Kritik und normative Beurteilung von Metaphern vorausgesetzt werden. (Debatin, 1995, S. 155; vgl. auch Berggren, 1963; Turbayne, 1970) Dies ist umso mehr hervorzuheben, als im Zuge der Apologetik für eine wahrheitsfähige Metapher gerade diese Möglichkeit gerne übersehen und ausgeblendet wird, während der ikonoklastische Kampf gegen die Metapher dies zur zentralen Eigenschaft metaphorischer Rede erklärt. Gamm bezeichnet dies als das Janusgesicht der Metapher: „Die Bestimmung der Metapher […] aber wäre grob fahrlässig, würde über die Zuschreibung der Möglichkeiten, die sie nach der Seite der Anregungspotentiale und der Transferleistungen, der Veranschaulichung und Verlebendigung besitzt, die andere vergessen, nämlich, nach der ein Denken in Gefolgschaft der Metapher https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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auch gründlich in die Irre führen kann. Denn die Metapher, wie die Sprache insgesamt, hat eine ungeheure Macht, Gedanken und Wahrnehmungen in semantischen Netzen gefangen zu nehmen. Die Metapher ist gleichsam das mythische Flußbett des Denkens.“ (Gamm, 1992, S. 79f.) Wittgenstein, welchem die von Gamm angedeutete FlussbettMetapher entnommen ist, musste im Rückblick auf die irreführenden ontologischen Vorannahmen eines atomistischen Weltbildes und der Abbildtheorie der Wahrheit innerhalb des Tractatus eingestehen: „Ein Bild hielt uns gefangen.“ (Wittgenstein, 2014, S. 300) „Und noch die Metaphorik von Gefangenschaft und (möglichem) Entkommen“, schließt Gamm an, „enthält eine Reihe von Fußangeln, die erst bemerkt werden, wenn man unter Schmerzen beginnt, sich aus ihnen zu befreien“. (Gamm, 1992, S. 80) Es zeige sich hier eine „Parallelaktion“ der Metapher, die Dinge zugleich aufzuschließen und zu verdecken: „Mit der bedeutungschöpferischen Erschließung auf der einen Seite geht die Abdunklung von Erfahrung auf der anderen einher.“ (Gamm, 1992, S. 81) Bereits Black beschreibt die Interaktionsmetapher als organisierenden Filter oder selektive Projektion, welche bestimmte Merkmale eines semantischen Bereichs beleuchtet oder gar in ein neues Licht setzt, währen andere Merkmale hingegen im Dunkeln bleiben. (Black, 1996a, S. 70ff.) Lakoff und Johnson sprechen, an Blacks Thesen anschließend, von einer systematischen „highlighting and hiding“ Funktion der Metapher, die auf kognitiv-linguistischer Ebene entscheidend beeinflusst, wie Welt wahrgenommen und strukturiert wird. (Lakoff & Johnson, 2003, S. 10ff) Es scheint ein wesentliches Merkmal der Metapher zu sein und geradezu ihre kognitive Leistung und Eigenständigkeit zu bezeichnen, dass sie selektiv verfährt und damit immer auch die Gefahr des Missverstehens und des Missbrauchs mit sich bringt. Deshalb die Metapher per se als irreführend und wahrheitsfeindlich zu verurteilen, ist jedoch ebenso unschlüssig, wie ihre Überhöhung zur alleinigen Wahrheitsträgerin. Die Gefahr der Metapher, so Schöffel, sei denn auch weniger in ihrer Struktur selbst als vielmehr in ihrem wörtlich Nehmen begründet, denn dies führe zu einer unreflektierten Übernahme einer substantialistischen und animistischen Sprachauffassung, derzufolge die metaphorische Prädikation als wörtlich-eindeutige missverstanden würde. (Schöffel, 1987, S. 283) Shibles nennt dies den „Metapher-Mythus Trugschluß“, der darin bestehe, die per se per spektivische und vieldeutige Metapher auf eine wörtliche Bedeutung https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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zu fixieren und damit ihrer immanenten Dynamik und Dialektik zu berauben und in ihrer wesentlichen Offenheit zu verschließen. (Shibles, 1974, S. 2) „Eine Metapher nur auf eine Weise betrachten heißt, sie wörtlich nehmen und somit einen ‚Metaphern-Mythus‘ schaffen, von einer Metapher gebannt werden.“ (Shibles, 1974, S. 5) Ganz ähnlich kritisiert Turbayne den Mythos als wörtlich genommene Metapher, welche mit der falschen ontologischen Identifizierung der metaphorischen Referenz mit einer vermeintlich eindeutigen Realität einhergeht.38 (Turbayne, 1970, S. 54ff.) In der „ontologischen Naivität“ (Ricœur, 1986, S. 241) der wörtlich genommenen Metapher geht, so auch Ricœur, der „Als ob“ Charakter der metaphorischen Referenz zugunsten einer unreflektierten Abbildungstheorie der Wahrheit und Realitätsdarstellung verloren. Gerade die einseitige Auflösung der Metapher in die begriffliche Eindeutigkeit führt also zum Verlust ihrer Wahrheitsfähigkeit und Glaubwürdigkeit. Dem ist jedoch mit begrifflicher Präzision und definitorischen Mitteln nicht beizukommen, sondern nur durch die Metapher bzw. dem reflexiven Potenzial der Metapher selbst. Shibles schreibt, die Metapher würde uns nicht nur in die Irre leiten, sondern sei zugleich in reflektierter Verwendung das Mittel, um aus der Verwirrung des Mythos wieder herauszukommen. „Sie hilft uns auch zu verhüten, daß wir von unseren Metaphern eingenommen werden, die wir unbewußt als buchstäbliche Wahrheiten betrachten.“ (Shibles, 1974, S. 1) Dies ist aufgrund der reflexiven Struktur der Metapher möglich und bedeutet, dass ihr „Als ob“ Charakter wieder sichtbar gemacht werden muss. Auch Ricœur betont diese Möglichkeit der Metaphernreflexion durch die Metapher, die in ihrer eigenen Struktur enthalten ist. (Ricœur, 1986, S. 245ff.) Turbayne’s Kritik am Missbrauch und Mythos der wörtlich genommenen Metapher zeige, dass die „Nähe von Brauch und Missbrauch […] zur Berichtigung der Metapher über die Metapher“ durch Bewusstwerden des „Als ob“- Charakters führe. „Das ‚Sprengen des Mythos‘ besteht hier infolge dessen darin, das Modell als Metapher erscheinen zu lassen.“ (Ricœur, 1986, S. 247) Die Differenz zwischen wörtlichem und mythischem Symbolgebrauch wird so zur Bedingung der Möglichkeit für die Metaphernreflexion. Die metaphorologisch eigentlich interessante Frage ist also, nach Debatin, nicht, „ob ein Symbol wörtlich oder metaphorisch gebraucht wird, sondern ob 38 In diesem Sinne kann man mit Blumenberg sagen, „der Mythos fungiert als Mo dell“ (Blumenberg, 2013, S. 113)
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sein ‚Als ob‘-Staus zumindest im Prinzip erhalten bleibt oder ob es in die ontologische Unmittelbarkeit hinein (re-) mystifiziert wird.“ (Debatin, 1995, S. 163) Die reflexive Struktur der Metapher umfasst die spannungsvolle Dialektik von Identität und Differenz, durch die sie eine Weise der Sprachreflexion darstellt, in der die Reflexivität und Selbstbezüglichkeit von Sprache selbst zum Vorschein kommt und thematisch wird. „Metaphernreflexion bedeutet dann, diese reflexive Struktur selbstbezüglich werden zu lassen, d. h. mit der Metapher nicht nur den prädizierten Gegenstand in ein neues Licht zu setzen und so die alte ‚wörtliche‘ Sichtweise zu reflektieren, sondern zugleich auch die neue Sichtweise im Modus des ‚Als ob‘ zu reflektieren. Erst durch eine solche Reflexion des Sinnganzen der Metapher, durch die glei chermaßen kontextbezügliche wie selbstbezügliche Metaphernreflexion, kann die Wahrheit der Metapher aufgewiesen und der Gebrauch der Metapher legitimiert werden.“ (Debatin, 1995, S. 164) Dabei gehe es, so Debatin weiter, nicht um die „Bekämpfung“ der Metapher mittels nichtmetaphorischer Sprache, sondern um die gezielte Ausnutzung des metaphorischen Potentials zu Zwecken einer reflexiven Hermeneutik der Metapher. Bei der Verwendung einer mit Wahrheitsansprüchen verbundenen Metapher, so Debatin, sei „die Notwendigkeit der Metaphernreflexion mitgesetzt“. (Ebd.) Metaphernreflexion und kritik muss somit als Bedingung der Möglichkeit metaphorischer Wahrheit gesehen werden: „Der rationale Vorgriff muß sich im reflexiven Rückgriff legitimieren.“ (Debatin, 1995, S. 139) Ähnlich sieht auch Ricœur das kritische Potential eines selbstbezüglichen und reflexiven Gebrauchs von Metaphern als Metaphern. „Damit wird jedoch die metaphorische Sprache nicht abgeschafft; ganz im Gegenteil wird sie bestärkt; jedoch indem sie mit dem kritischen Index des ‚Als ob‘ versehen wird.“ (Ricœur, 1986, S. 248) Der reflektierte und kritische Zugang zu Metaphern kann wiederum nur über Metaphern erfolgen. Dies muss nicht zwangsläufig in einen unproduktiven Zirkel oder Trugschluss führen, sondern die reflexive Struktur der Metapher selbst hilft, nicht nur scheinbar selbstverständlich gegebene, wörtliche Bedeutungen aufzubrechen, sondern auch ihren eigenen ambivalenten Status und Wahrheitsanspruch offenzulegen und somit dem kritisch-legitimierenden Diskurs zugänglich zu machen.
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2.4.4 Die Methode der reflexiven Metaphorisierung Eine Form kritischer Metaphernreflexion wäre nach Stoellger etwa das metaphorologische „beim Wort Nehmen“, welches nicht der Missbrauch einer nicht mehr verstandenen Metapher, der sie wörtlich behandelt und quasi-begrifflich substantialisiert, sei, sondern ein „hermeneutischer Kunstgriff, um den metaphorischen Untergrund theorieleitender Begriffe zu zeigen resp. zu erinnern“. (Stoellger, 2000, S. 166) Die Wirkung solcher reflexiven Verwendung der Metapher gegen bzw. durch die Metapher seien die Entselbstverständlichung und Labilisierung etablierter stabiler Orientierung. „Damit wird eine Fraglichkeit des ‚schon Verstandenhabens‘ und ‚Verständigtseins‘ generiert, so daß die Selbstverständlichkeit des Verstehens zerbricht und Schleiermachers ‚unendliche Aufgabe des Verstehens‘ eröffnet wird, angesichts derer man nicht vom Immer-schon-Verstehen ausgehen kann, sondern stets vom Nochnicht-Verstehen.“ (Stoellger, 2000, S. 166f.) Neben dem metaphorologischen wörtlich Nehmen, welches das Modell oder die Metapher als Metapher in ihrer gegenstandsdarstellenden und perspektiveneröffnenden Funktion reflektiert, formuliert Shibles eine „metaphorische Methode“, die eine Reihe von methodischen Verfahren im Umgang mit Metaphern umfasst, wie etwa die bewusste Erweiterung eines Modells oder einer Metapher oder die Schaffung von Krisen durch ungewöhnliche Metaphern. „Mittels der metaphorischen Methode“, fasst Shibles zusammen, „kann man sein Wissen erweitern, und vermeiden, von seinen eigenen Metaphern gebannt zu sein.“ (Shibles, 1974) Ganz ähnlich schlägt Strub gegen die Versuchung, sich auf nur eine Metaphorik festzulegen, eine Untersuchung verschiedener Alternativmetapho riken „für die Darstellung des gesamten menschlichen Wissens“ vor, um auch methodologisch ernstzunehmend zu sein und umzusetzen, dass der idealistische Systemgedanke der Einheit und Eindeutigkeit angesichts einer wesenhaft pluralen und perspektivischen Welt „nur eine historisch kontingente Idee der Wissensorganisation unter anderen ist“. (Strub, 2009, S. 125) Schließlich fasst Debatin diese Ideen der metaphorischen Methode und Alternativmetaphoriken zur Methode der reflexiven Metaphorisierung zusammen: „Unter reflexiver Metaphorisierung verstehe ich alle in metaphernkritischer Absicht durchgeführten Prozesse der Metaphernbildung, -erweiterung, -veränderung, -erschöpfung, -konfontation und -historisierung, die der hermeneutischen Reflexion über eihttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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nen metaphorischen oder einen (scheinbar) wörtlichen Ausdruck dienen. Indem Prozesse der reflexiven Metaphorisierung in Gang gesetzt werden, wird der in Frage stehende Ausdruck dekontextualisiert und damit ebenso aus seiner Eindeutigkeit wie aus seiner Evidenz herausgezogen und in Frage gestellt, also bewußt in die ‚Als ob‘-Perspektive gerückt.“ (Debatin, 1995, S. 165) Beispiele für eine solche reflexive Metaphorisierung lassen sich in der Literatur über Metaphern leicht finden, wenn sie auch oft nicht in bewusster methodischer Absicht als solche durchgeführt werden. So können etwa mit Stoellger Prozesse der „Remetaphorisierung“ bei Blumenberg konstatiert werden. (Stoellger, 2000, S. 165ff.) Remetaphorisierung meint hierbei, wenn „zum Begriff gewordene Metaphern wiederum beim Wort genommen werden, hat dieses ‚beim Wort Nehmen‘ den hermeneutischen Effekt, daß angesichts der (ggf. absurden oder trivialen) Wörtlichkeit die ursprüngliche Metaphorizität wieder zum Vorschein tritt“. (Stoellger, 2000, S. 166) Als ein weiterer Fall reflexiver Metaphorisierung könnte auch Wittgensteins Einführung und Ausarbeitung der Metaphern Sprachspiele und Familienähnlichkeiten dargestellt werden, wenngleich wiederum nur in der retrospektiven Interpretation von Wittgensteins Gesamtwerk. So sieht etwa Wellmer einen Zusammenhang zwischen Wittgenstein Metapher des Sprachspiels und dem korrespondierenden Sprachbild, welches innerhalb der Philosophi schen Untersuchungen erst entwickelt wird und seinerseits die Voraussetzung metaphorischen Sprechens und sprachlicher Innovation, Reflexion und Selbstbezüglichkeit darstellt.39 (Wellmer, 2004, S. 117) „Die Metapher des Sprachspiels verdankt sich einer innovativen – einer metaphorischen – Verwendung des Wortes ‚Spiel‘. Und 39 Schütt spricht von der Metapher des Sprachspiels im „großen Sprachspiel der Philosophischen Untersuchungen“ und thematisiert sowohl die innovativen, kritischen Potentiale des metaphorischen Gebrauchs von Sprachspiel als auch deren Grenzen, wo sich Sprache und Spiel eben nicht gleichen. (Schütt, 2004) Das der Sprachphilosophie Wittgensteins innewohnende Potential einer leben digen, innovativen und metaphorischen Sprache, das sich aus dem Regelbegriff und der Sprachspielmetapher heraus deuten lässt, ist schließlich auch Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für eigenständige Fragestellungen innerhalb der Me tapherntheorie und Metaphorologie (Vgl. etwa Arnswald, 2004; Hesse, 1988; Ricœur, 1986). Gerade der Sprachspielbegriff sei, so die Herausgeber des Bandes Wittgenstein und die Metapher, „hinsichtlich der Möglichkeiten seiner spieleri schen und regellosen Weiterführung, im Sinne der Erfindung neuer Regeln oder von Regelverletzungen“ noch nicht erschöpfend ausgemessen worden. (Arnswald, 2004, S. 12f.)
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was wir wissen wollen, ist, was die Bedingungen eines Sprechens sind, das sich selbst philosophisch zum Thema machen kann – nicht zuletzt mit Hilfe eines innovativen Sprechens über Sprache.“ (Haverkamp, 1996, S. 25; vgl. auch Debatin, 1995, S. 227; Stoellger, 2000, S. 199) Gamm macht darüber hinaus deutlich, dass die Metaphern Sprachspiel und Familienähnlichkeit nur in ihrer kritischen und dekonstruierenden Funktion hinsichtlich eben jener identitätslogischen Begriffstheorie und des objektivistischen Sprachbildes zu verstehen seien, welche in Wittgensteins Frühwerk selbst noch zu finden ist. (Gamm, 1992, S. 70) Während sich Wittgenstein des kritischen, dekonstruktiven und innovativen Potentials seiner Metaphern zumindest nicht im methodologischen Sinn bewusst scheint, setzt Strub schließlich gezielt Alternativmetaphoriken ein, um den idealistischen Systemgedanken der Einheit, welcher sich in den zentralen Metaphoriken von Gebäude, Organismus und Kette äußert, in dekonstruktiver Absicht zu verneinen, zu lockern und zu erweitern. (Strub, 2009, S. 125–130) Alle genannten Beispiele reflexiver Metaphorisierung machen deutlich, dass die reflexive und paradoxe Struktur der Metapher nicht nur die Gefahr des Irrtums und Missbrauchs birgt, sondern zugleich genutzt werden kann, um sich aus den Fängen unbewusster und unreflektierter Metaphorik zu befreien, scheinbar gegebene Selbstverständlichkeiten und Ideologisierungen aufzubrechen und die innovativen und kritischen Potentiale der Sprache freizusetzen. Debatin weist nun zu Recht darauf hin, dass eine solche methodische Kritik und Beurteilung von Metaphern sich nicht an der semantischen Struktur der Metapher und dem spannungsvollen Interaktionsmoment von Metapher und Kontext alleine bemessen lässt, sondern immer zur kommunikativen Situation und diskursiven Reflexion rückgebunden bleiben muss. Die kommunikative Praxis des Rechtfertigens und Argumentierens ist der Ort, an dem die Metapher sich bewähren muss und an dem sie ihre Legitimation als Mittel des rationalen Diskurses erfährt. „Die kommunikative Praxis ist der Ort, an dem sich die Selbstverständlichkeiten herausbilden und zu Gewohnheiten, Konventionen und Institutionen gerinnen und an dem sich zugleich diese Selbstverständlichkeiten auch wieder reflexiv verflüssigen lassen; sie ist der Ort, an dem die Metapher als Mittel der Evokation von Erfahrungs- und Hintergrundwissen ebenso genutzt werden kann wie als Mittel der Kritik verfestigter und vereinseitigter Verständihttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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gungsverhältnisse; und sie ist schließlich auch der Ort, an dem die kritische Reflexion der Metapher durch reflexive Metaphorisierung praktische Wirksamkeit erlangen kann.“ (Debatin, 1995, S. 323) Hierbei kommt der Metapher und der Metaphernreflexion schließlich eine ethische Bedeutung zu, nicht nur in deskriptiver und analytischer Absicht hinsichtlich der Beschreibung bestehender Normen und Werte innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft, sondern auch und gerade in hermeneutischer und normativer Hinsicht. Denn Metaphern sind nicht nur wesentlich an der Konstitution und Etablierung solcher Normen- und Wertesysteme beteiligt, sondern erlauben, wie wir gesehen haben, auch, diese ihrer scheinbaren Selbstverständlichkeit zu entreißen, in ihrer historischen Kontingenz offen zu legen und dem Diskurs zur kritischen Prüfung vorzulegen. „Das Normen und Wertesystem einer Gesellschaft kann deshalb nicht nur anhand der Analyse ihrer Metaphern rekonstruiert werden, sondern es wird zugleich durch diese Metaphern konstituiert. Dabei können Leitbilder sowohl eine eminent moralisch-praktische als auch eine orientierend-theoretische Funktion einnehmen.“ (Debatin, 1995, S. 227) Die reflexive Leistung der Metapher bringt dabei in besonderer Weise die Kontingenz und Perspektivität konventionalisierter und habitualisierter Deutungsmuster und Weltbilder, welche als scheinbar fixe, unveränderbare Größen unserer Weltwahrnehmung und Handlungsorientierungen erscheinen, zum Vorschein. Diese Kontingenzreflexion müsse nicht, so Debatin, in einen irrationalen Relativismus aller Standpunkte führen, sondern stelle vielmehr einen Gewinn „an rationalen Distinktionsvermögen und kommunikativen Anschlussmöglichkeiten dar“. (Debatin, 1995, S. 338) „Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn die ethische Di mension der Kontingenzreflexion erkannt und in praktische Konsequenzen überführt wird. Es geht hierbei um die Einsicht, daß die Metapher nicht nur entgrenzend und enttraditionalisierend wirkt, sondern zugleich eine Aufforderung zur Mündigkeit darstellt. Die Metapher vertreibt nicht nur aus dem ‚Paradies‘ ontologischer Gewißheiten, sondern sie stößt uns auch auf die Chance der Freiheit: Denn immer wenn die im reflexiven Spiel der Metapher zu Vorschein gekommenen und fragwürdig gewordenen Kontingenzen als solche erkennbar werden, stehen wir vor der Möglichkeit uns rational und ethisch reflektiert für oder gegen die als kontingent erkannte Unterscheidung zu entscheiden, anstatt sie (wie vorher) als https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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selbstverständlich vorauszusetzen oder sie zynisch-dezisionistisch in einen sekundären Mythos, eine nachgeahmte Eigentlichkeit zu hypostasieren.“ (Debatin, 1995, S. 339) Die auf Innovation, Veränderung und Revision zielende Kritik von Begriffen und Sprachbildern, welche am Beispiel der Rolle von Modellen und Metaphern in der Wissenschaft als konstitutives Moment und treibender Motor von Forschung und Theoriebildung verdeutlicht wurde, bekommt nun eine umfassendere politische und ethische Bedeutung. Denn so wie in der Wissenschaft Veränderungen bzw. Brüche in den zugrundeliegenden Paradigmen, Begriffen und forschungsleitenden Metaphern mit Kuhn als wissenschaftliche Revolution beschrieben werden können, so kann nun mit Wellmer behauptet werden, dass „etwas derartiges auch in politischen Revolutionen geschieht: Politische Revolutionen gehen einher mit einer Veränderung der Selbstauslegung von Gesellschaften, einer Veränderung von Legitimitätsstandards und Gerechtigkeitsbegriffen usw., kurzum: mit einer Veränderung der Sprache, in der eine Gesellschaft ihr Selbstverständnis artikuliert.“ (Wellmer, 2004, S. 250) Auch für das Leben der Einzelnen und für die gewöhnliche sprachliche Kommunikation gäbe es, so Wellmer weiter, in einem unauffälligeren Sinn Fälle von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten, in denen „eine Veränderung unserer Begriffe mit einer Veränderung unserer ethisch-politischen Überzeugungen einhergeht“. (Wellmer, 2004, S. 262) Damit gehe es bei dem alltäglichen, wie auch bei dem wissenschaftlichen Streit um die Wahrheit von Aussagen „letzten Endes zugleich um die Frage nach einer richtigen praktischen Orientierung im Leben – oder auch in der Wissenschaft [...].“ (Wellmer, 2004, S. 462) Wenn Denkmodelle zum Denkzwang werden, sei es auf Ebene moralischer und politischer Überzeugungen, kollektiver Denkmuster und Weltbilder oder auch in der wissenschaftlichen Theoriebildung und technologischen Entwicklung, kann Metaphorologie als emanzipatorische Ideologiekritik helfen, ideologische Festsetzungen, kognitive Blockaden und normative Widersprüche aufzubrechen. Eine solche Metaphorologie dürfe, so Debatin, jedoch Metaphern nicht nur sammeln und einordnen, sondern müsse sie durch „reflexive Metaphorisierung auf die normative Funktion hin [...] untersuchen“. (Debatin, 1995, S. 229) Eine reflexive Metaphorisierung im vorgestellten Sinn geht also begriffs- und ideologiekritisch und hermeneutisch-normativ vor. Sie setzt eine grundsätzliche Metaphorizität der Sprache voraus, ohne allerdings den Unterscheid
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von Begriff und Metapher bzw. wörtlichem und metaphorischen Sprachgebrauch vollständig aufzuheben. Denn eine Kritik, die alle Begriffe letztlich als Metaphern auflöst, hätte keine Unterscheidungskraft mehr, wäre demnach gar keine Kritik und könnte auch keine normative Orientierung leisten. Es geht vielmehr darum, das innovative und kritische Potential der Sprache in Bewegung zu bringen, immer wieder neue Sichtweisen und Perspektiven auf scheinbar gegebene objektive Sachverhalte und alte Wahrheiten einzuführen. Von dem „immer schon“ her auf ein „noch nicht“ zu denken40 ist dabei ein offen Halten der Möglichkeit einer lebendigen Sprache und die Haltung eines offen Seins für einen experimentel len Pluralismus der Lebensformen41 (Jaeggi, 2014, S. 448ff.). Eine solche metaphorologische Kritik ist eine ethische, insofern Meta40 Vgl. hierzu Hirschfeld: „Interpretation und Kommunikation von Bedeutungen [...] befinden sich [...] immer schon unter dem normativen Ziel, Bedeutungen zu verändern, d. i. im Interesse gelingender Kommunikation zu verbessern“. (Hirschfeld, 1985, S. 91) Eingeklammert ist dieses normative Ziel gelungener Kommunikation in das „Spannungsverhältnis von ‚immer schon‘ und ‚noch nicht‘“. (Hirschfeld, 1985, S. 128) Hirschfeld nennt das Spannungsverhältnis von kritischer Überschreitung des Bestehenden und normative Orientierung auf das noch nicht Realisierte die „hermeneutische[n] Epoché von ‚Nachvollzug‘ und (kritik- wie normenvermittelndem) ‚Vorgriff‘ in sprachlicher Kommunika tion“. Darin zeige sich, so Hirschfeld weiter, ein „evolutionäres Moment“, wel ches auch als „‚endogener Lernmechanismus‘“ bezeichnet werden könne: „Das in Sprache immer schon Verstandene bedarf des Diskurses, der das Verstandene immer noch durchsichtig zu machen hat, derart Kommunikation ‚normativ‘ un terhält und das Niveau der Verständigungsverhältnisse definiert.“ (Hirschfeld, 1985, S. 140) Solcherart Bedingungen und Möglichkeiten von gelungener Kom munikation und Verständigung zu formulieren, ist auch Gehalt eines Ethos mo derner Lebensformen. 41 In Lebensformen, so schreibt Jaeggi, gehe es um das „Verhältnis zwischen dem, was wir wollen (sollten), und dem, was wir schon tun und tun können.“ (Jaeggi, 2014, S. 447) Dabei müsse eine Pluralität von Lebensformen und eine prinzipi elle Offenheit in verschiedenen Problemlösungsansätzen nicht nur anerkannt, sondern sogar wertgeschätzt werden, da die Frage, wie man leben soll, nur in einer Welt sinnvoll gestellt werden kann, in der es eine Vielfalt an Antwort- und Lösungsmöglichkeiten gibt, die unabschließbar sind und deren Ausgang offen ist. Die faktische Pluralität von Lebensformen, so auch Seel, müsse unter den Bedingungen moderner Gesellschaften bereits als immanenter Bestandteil und notwendiges normatives Telos in das Ethos moderner Lebensformen inte griert sein, um als gelungene moderne Lebensformen gelten zu können. (Vgl. Seel, 1993, S. 249ff.) Pluralität und Offenheit führen somit nicht zwangsläufig in einen ethischen Relativismus, sondern sind, nach Wellmer, Bedingungen einer Vernunft für die es „keinen Idealzustand zu realisieren, sondern Freiheits spielräume und Lebensmöglichkeiten offenzuhalten und zu erweitern gilt“. (Well mer, 1986, S. 171; vgl. hierzu auch Kron, 1960) Die Grundlage dieser Vernunft
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phern nicht nur handlungsleitend und lebensweltlich orientierend in und an kollektiven Deutungsmustern und wissenschaftlichen Paradigmen wirken; sie sind zugleich die Form und methodisches Instrument einer ethischen Reflexion, die zwischen den Sprachspielen und Diskursen vermittelnd deren normativen Strukturen, deren Ethos, zur Darstellung bringt und einer rationalen Beurteilung zugänglich macht. Eine solche Ethik verfährt deskriptiv und normativ, perspektivendarstellend und -eröffnend, dekonstruktiv und hermeneutisch.
sind weder „letzte Fundamente noch letzte Maßstäbe, noch letzte Versöhnung“, sondern vielmehr eine „existierende ‚Kultur der Vernunft‘“. (Wellmer, 1986, S. 172)
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III. Metaphern des Lebens
Auf die Frage „Was ist Leben?“ gab und gibt es unzählige Antworten.1 So selbstverständlich und intuitiv dem Wort „Leben“ ein alltagsweltlicher Sinn zugesprochen werden kann – etwa, wenn wir von Lebewesen reden und diese ohne große begriffliche und theoretische Anstrengung von nicht lebenden Dingen zu unterscheiden wissen –, so rätselhaft und vielgestaltig bleibt dieser Sinn im Versuch, ihn auszuformulieren und auf den Begriff zu bringen. Es habe den Anschein, schreibt hierzu Oparin, als müsste der Begriff des Lebens für alle Zeiten und alle Völker klar und eindeutig sein. „Trotzdem wissen wir, daß im Verlaufe der gesamten jahrhundertalten Geschichte der menschlichen Kultur ständig unversöhnliche Streitigkeiten darüber entbrannten, wie der Sinn dieses Begriffs richtig zu verstehen sei.“ (Oparin, 1963, S. 1) Diese Einschätzung hat bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Immer noch stehen sich ganz unterschiedliche und häufig in Widerspruch zueinander stehende Positionen und Theorien gegenüber. Gerade angesichts der aktuell ausgetragenen Debatte um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie scheint der alte Streit um das Leben noch lange nicht beendet. So wurde, wie Brenner am Ende seiner umfangreichen Untersuchung zur Lebensfrage zusammenfasst, das Leben im Laufe seiner langen Geschichte als umstrittener Begriff in 1 Wie Weber bemerkt, handelt es sich hierbei jedoch zumindest um zwei Fragen. Neben der Frage, was ist Leben, die auf die definitorische Unterscheidung von Leben und Nicht-Leben abzielt, sei die Frage „warum Leben?“ viel grundle gender und der eigentliche Motivationsgrund, das Leben zu erforschen. Weber zitiert hierzu Rosen: „Robert Rosen argued that the reason that the question „what is life?“ is so hard to answer is that we really want to know much more than what it is, we want to know why it is, ‚we are really asking, in physical terms, why a specific material system is an organism and not something else‘“ (Weber, 2015) Die Frage „Was ist Leben?“ liese sich darüber hinaus auch in die Fragen nach dem woher, also dem Ursprung des Lebens und dem wohin, etwa die Machbarkeit von Leben, ergänzen bzw. ausdifferenzieren.
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Philosophie und Naturwissenschaft bereits definiert als: undefinierbar, selbstbewegt, beseelt bzw. geistig, von einer Kraft bestimmt, selbsthaltig und selbstempfindend, Träger von Information, sich entwickelnd bzw. sich entfaltend, nach Ordnung strebend, auf ein Ziel ausgerichtet, integrativer Teil eines Ganzen, einen Stoffwechsel habend, sich selbstherstellend, Wachstum zeigend, sich vermehrend, im Austausch zwischen Körperlichem und Geistigem, mit anderem zusammenwirkend. (Brenner, 2007, S. 130) Töpfer spricht angesichts dieser von Heterogenität und Unübersichtlichkeit geprägten Situation davon, dass „Leben“ eigentlich gar kein Begriff, sondern aufgrund seiner Komplexität, Selbstbezüglichkeit und Widersprüchlichkeit vielmehr eine „Unbegrifflichkeit“, ein „Zauberwort“ sei und sich allenfalls als „absolute Metapher“ begreifen lässt.2 (Toepfer, 2014, S. 203f.) Im Folgenden soll diese Pluralität und Multidimensionalität der Perspektiven und Positionen in der Debatte um den Lebensbegriff ebenso wie der Streit um die Metapher als ein Streit um die Wahrheit im oben eingeführten Sinne verstanden werden. Da die Synthetische Biologie und die daran anschließenden wissenschaftstheoretischen, philosophischen und ethischen Reflexionen zum Lebensbegriff paradigmatisch als ein gegenwärtiger Fall eines solchen Streites herangezogen werden, wird sich die Darstellung der Debatte auf die hierfür relevanten historischen Positionen und systematischen Bezüge beschränken und den Lebensbegriff vorrangig in seinem Vorkommen als Gegenstand biologischer und naturphilosophischer Fragestellungen behandeln.3 Zunächst wer2 Ein Großteil der Verwirrung ist dabei wohl auch darauf zurückzuführen, dass das Wort „Leben“ als Substantiv gebraucht wird und den Anschein erweckt, es handele sich hierbei um einen Gegenstand, eine Substanz, Kraft oder Entität. Gutmann et. al. schlagen daher vor, Leben als Reflexionsterminus zu gebrau chen und, um Ontologisierungen zu vermeiden, das adjektivische Pendant zu gebrauchen, also etwa von „lebenden Gegenständen“ zu sprechen. (Gutmann, Hertler, & Weingarten, 1998, S. 120f.) Mayr hingegen möchte das Substantiv „life“ durch den „process of living“ ersetzen, um der Wissenschaftlichkeit der biologischen Fragestellung und ihres Gegenstandes gerecht zu werden: „In rea lity, the noun ‚life‘ is merely a reification of the prozess of living. It does not exist as an independend entity.“ (Mayr, 1997, S. 2) 3 Damit weitgehend ausgeschlossen sind große Teile des Bereichs der Lebensphilosophie als auch viele Fragen, die sich um das menschliche Leben und Erleben drehen. Vgl. hierzu etwa die Bände Das Leben (I-III) von Schaede et al., Köchy/ Elm Hermenutik des Lebens, Fellmann und Albert zu Lebensphilosophie. (Schaede & Bahr, 2009; Schaede, Hartung, & Kleffmann, 2012; Schaede, Anselm, & Köchy, 2013; Elm & Köchy, 1999; Fellmann, 2010)
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den einige Versuche und Ansätze einer wissenschaftlichen Definition des biologischen Lebens diskutiert. (3.1) Auf die Frage „Was ist Leben?“ finden sich hierbei viele mögliche Antworten und eine Meta-Frage: Warum ist der Lebensbegriff so umstritten? Ein Teil der Antwort liegt wohl darin, dass es sich hierbei, auch im Kontext naturwissenschaftlicher und biologischer Untersuchungen, um eine fundamentale „Menschheitsfrage“ und insofern um eine philosophische Frage handelt, als in deren jeweiliger Beantwortung immer auch Selbst- und Weltdeutungen sowie normative Handlungsorientierungen eingehen. Dies kann anhand einer Darstellung des Streites zwischen den Positionen von Vitalismus und Mechanismus noch einmal verdeutlicht werden. Hier zeigt sich, dass es in großen Teilen der kontroversen Auseinandersetzung um den Lebensbegriff immer auch um konkurrierende Weltbilder, gesellschaftliche Hintergrundvorstellungen und forschungsleitende Modelle und Metaphern geht. Als dialektisch miteinander verschränkte Gegenpositionen stehen die vitalistischen und mechanistischen Positionen für eine Grundspannung der verschiedenen Zugänge und Hinsichtnahmen auf das komplexe und vieldimensionale Phänomen Leben, die den Streit um den Lebensbegriff immer wieder neu entfacht und sich auch noch in der aktuellen Debatte um die Synthetische Biologie unter dem Vorzeichen der Konstruktion des Lebendigen zeigt. Dass es im Laufe der Geschichte der Lebensfrage zu einer Vielzahl an Metaphern für das Leben gekommen ist, dürfte angesichts der Komplexität und Vieldeutigkeit des Begriffs nicht verwundern und ist bereits an vielen Stellen bemerkt worden. Das Phänomen Leben und das Phänomen Metapher scheinen dabei in eigentümlicher Weise aufeinander bezogen zu sein, wie es sich auch bereits in der Ähnlichkeitsstruktur der Metapher angedeutet hat. (Vgl. Punkt 2.2.3) Die unterschiedlichen Bewertungen der Metaphern des Lebens – zwischen „Zauberwort“ mit metaphorischem Bedeutungsüberschuss und „absoluter Metapher“ – machen zum Ende des Abschnittes noch einmal deutlich, dass es bei der Reflexion und der Deutung beider Begriffe Metapher und Leben stets auf den konkreten Verwendungs- und Handlungskontext sowie die darin eingenommenen Perspektiven und Sichtweisen ankommt. In der vorliegenden Arbeit ist dieser konkrete Kontext die Synthetische Biologie, die ihre spezifischen Zugänge und Lebensverständnisse im Rahmen des Herstellungsparadigmas aufweist und eine Reihe von Metaphern zur Debatte stellt, die zum Ausgangspunkt der eigenen metaphorologischen Perspektivierung und Reflexion herangezogen https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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werden. (3.2) Der Durchführung der metaphorologischen Perspektiven müssen weitere methodologische Bemerkungen und Selbsteinschränkungen vorangestellt werden. Schließlich soll die so vorgestellte Methode anhand der drei Metaphern „living machines“, „DNA as the software of life“ und „Organismus als komplexes System“ paradigmatisch angewandt werden. (3.3)
3.1 „Was ist Leben?“ Die Debatte um den Lebensbegriff 3.1.1 Umstrittene Definitionen des (biologischen) Lebens Selbst wenn die Frage „Was ist Leben?“ einschränkt würde auf den Bereich des biologischen Lebens und weiter auf den historischen und epistemologischen Kontext der Biologie als der Wissenschaft, die das Organische und Lebendige zu ihrem Gegenstand hat, sind die im Laufe der Zeit unternommenen Versuche einer Definition oder Erklärung dessen, was „Leben“ ist, zu heterogen und widersprüchlich, als dass sich daraus ein einheitlicher Lebensbegriff entnehmen ließe.4 So ist zumindest bis heute selbst in den hochspezialisierten Fachdisziplinen der Bio- und Lebenswissenschaften höchst umstritten, was Leben eigentlich ist – ein Umstand der vielerorts beklagt wird und entweder dazu führt, dass dennoch, wenn auch mit kritischen Vorbehalt, eine weitere Definition versucht wird oder sich wegen der vermeintlichen Undefinierbarkeit gänzlich davon verabschiedet wird, die Lebensfrage beantworten zu wollen. (Bedau, 2010, S. 1012) Viele populäre Definitionsansätze versuchen, dem Lebendigen auf die Spur zu kommen, indem sie eine Liste wesentlicher Merkmale aufstellen, die allen lebendigen Organismen gemeinsam sind und die sie von nicht lebenden Dingen in der Welt unterscheiden. Die einflussreiche Liste von Ganti etwa zählt hierzu Holismus, Sterblichkeit, Speicherung und Mutabilität von genetischer Information, Metabolismus, inhärente Stabilität/Ordnung, Adaptivität/Flexibilität/Lernfähigkeit, Wachstum und Reproduktion und Evolvierbarkeit auf. (Gánti, 2003; vgl. auch Mayr, 1997, S. 21f.) Die Problematik solcher Merkmalskataloge von wesentlichen Eigenschaften des Lebens liegt zum einen darin, dass häufig unklar ist, 4
Pályi et al. führen etwa 40 Definitionen an, bei Popa werden gar 90 gelistet und diskutiert. (Pályi, Zucchi, & Caglioti, 2002, S. 15–55; Popa, 2004)
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wie die einzelnen Merkmale zueinander im Verhältnis stehen. Zum anderen ist in freier Anlehnung an Wittgensteins sprachphilosophische Bemerkungen zu Wesensdefinitionen zu fragen, ob es über die Feststellung solcher Eigenschaften und Erscheinungen hinaus überhaupt Eines gibt, das sie gemeinsam haben und zueinander in Beziehung setzt. (Vgl. Wittgenstein, 2014, S. 276f., §65 und 66; vgl. auch Bedau, 2010, S. 1012) Es fällt nicht schwer, Grenzfälle zu finden, bei denen einige der oben genannten Eigenschaften zwar zutreffen und die dennoch nicht eindeutig als lebendig bezeichnet werden können. Die geläufigen Beispiele sind etwa Viren, die erst in Interaktion mit einem Wirtsorganismus beginnen, Merkmale eigenständigen Lebens zu zeigen, oder auch Computerprogramme, die zwar in gewisser Weise alle Merkmale erfüllen können, aber dennoch normalerweise nicht als lebendig bezeichnet würden. Organismen dagegen müssen nicht alle Eigenschaften auf einmal oder zur gleichen Zeit aufweisen, um als lebendig zu gelten. Ansonsten wäre etwa, um ein Beispiel von Koshland aufzugreifen, ein einzelner Hase nicht lebendig, da die Fähigkeit, sich zu reproduzieren nicht gegeben sei. (Koshland, 2002, S. 2215) Das Problem liegt wohl in einem Missverständnis, welches im methodischen Vorgehen und in der Fragestellung solcher Ansätze begründet ist. (Vgl. auch Gutmann, Hertler, & Weingarten, 1998, S. 122ff.) Denn „Leben“ wird hier gleichgesetzt mit der Eigenschaft von Organismen „lebendig“ zu sein. (Benner, 2010, S. 1021) Das Merkmal „belebt“ wird anschließend über andere Merkmale definiert. Zur Beantwortung der Frage, was einen Organismus als lebendig auszeichnet, „sammeln wir zunächst einmal recht viele Eigenschaften, die wir an allen uns bekannten Lebewesen vorfinden“. (Vollmer, 1998, S. 91) Nicht nur stellen sich hier die weiter oben bereits behandelten methodologischen Fragen, ob das exemplarisch im hochartifiziellen Kontext des naturwissenschaftlichen Labors untersuchte Leben noch die Eigenschaften des Lebendigen außerhalb des Labors aufweist und repräsentativ für „das Leben“ stehen könne. (Vgl. auch Brenner, 2007, S. 24ff.) Ein solcher Cartesianischer Ansatz5 setzt zudem ein intuitives Vorverständnis zu einer wesentlichen Natur des Lebens voraus, welches mit einer 5
Vgl. Bedau: „To figure out the essential properties of life, the Cartesian gathers a large and diverse set of paradigm instances of living beings (i. e., organisms) and asks what properties uniquely identify all and only living beings. The organisms in the set are considered in isolation from all other beings, out of the normal context in which they live their life.“ (Bedau, 2010, S. 1013)
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Fülle gewichtiger und außerwissenschaftlicher Konnotationen behaftet ist. (Toellner, 1980, S. 98) Andere Ansätze versuchen, das Leben allgemeiner in einer präg nanten Minimaldefinition auf den Begriff zu bringen, wobei häufig statt „Organismus“ der abstraktere Funktionsbegriff „System“ oder auch „lebendiges System“ auftaucht. (Vgl. Punkt 3.3.4) Damit soll dann etwa auch extraterrestrisches oder künstliches Leben, welches möglicherweise nicht an die stofflichen Bedingungen biologischer Materie gebunden ist, erfasst sein. So lautet die von der NASA vorgeschlagene Arbeitsdefinition: „Life is a selfsustained chemical system capable of undergoing Darwinian evolution“. (Joyce in Deamer & Fleischaker, 1994, S. xi–xii) Eine neuere Definition von lebendigen Systemen geben zum Beispiel Damiano und Luisi: „A living system is a system capable of selbst-production and self-maintenance through a regenrative network of processes wich takes place within a boundary of its own making and regenerates itself through cognitive or adaptative interactions with the medium“ (Damiano & Luisi, 2010, S. 149) Solche Definitionen vermeiden auf den ersten Blick viele der Probleme, die durch mögliche Gegenbeispiele und Grenzfälle biologischen Lebens auf der Erde auftreten können, allerdings enthalten auch sie eine terra-zentrische „Theorie des Lebens“, die sich auf ein intuitives, vorwissenschaftliches Verständnis stütz und den Erwartungshorizont dessen, was außerhalb der Erde als Leben gelten könnte, mitbestimmt. (Vgl. Benner, 2010) Gleiches gilt für Theorien, die nach dem Ursprung des Lebens fragen oder wie in der Synthetischen Biologie auf die Herstellung von Leben bzw. lebenden Systemen ausgerichtet sind. Auch sie benötigen ein Vorverständnis oder zumindest vorläufige Hypothesen darüber, was Leben ist, um entscheiden zu können, welche Untersuchungsgegenstände überhaupt in Frage kommen bzw. konstruiert werden sollen. (Vgl. Bedau, 2010, S. 1011; Rehmann-Sutter, 2013, S. 11) Gayon behauptet nun sogar, dass jede wissenschaftliche Definition des Lebens ebenso wie die außerwissenschaftliche, alltägliche Wahrnehmung und Unterscheidung von Lebendigem und nicht Lebendigem auf einen „intuitiven Prozess“ und eine „ursprüngliche Erfahrung“ zurückgehen, die selbst nicht wissenschaftlich expliziert werden können, da die menschliche Kognition dafür nicht ausgelegt sei. (Gayon, 2010, S. 232f.) Es sei daher nicht verwunderlich, dass es keinen Konsens und keinen belastbaren Lebensbegriff innerhalb der Biowissenschaften gibt. Das Wort „Leben“ hätte zwar einen pragmatischen https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Wert und Nutzen für die innerwissenschaftliche Kommunikation, wäre aber im strengeren Sinne eines wissenschaftlichen Begriffs überflüssig und würde im fortlaufenden Prozess der Erkenntnisgewinnung durch präzisere und abstraktere Konzepte ersetzt: „Perhaps, fifty or one hundred years from now, we will not need to use the word ‚life‘ for the kind of problems that we discuss today in terms of ‚the origins of life‘, or of whether there is life of some sort in extraterrestrial habitats or in our refined technological constructs, such as robots and the like. We will then have more operational, and more abstract tools, and we will consider our past discourse on ‚life‘ with the same indulgence and condescendence as physicists and chemists speak today of ‚matter‘. It will be a useful word in practice, but not a scientific concept [...]. When this point will be reached, life will be no longer a concept for the natural sciences, but just a convenient word in practice, in the kind of world that we inhabit. ‚Life‘ will be a folk concept.“ (Gayon, 2010, S. 243) Es stellt sich also berechtigterweise die Frage, ob es im Kontext biologischer Forschungsarbeit angesichts der Vagheit und Ambiguität, die den Lebensbegriff als wissenschaftlichen Terminus ungeeignet erscheinen lassen, überhaupt sinnvoll und notwendig ist, eine Definition von Leben zu finden. Töpfer behauptet in diesem Sinn eine völlige Irrelevanz der Frage nach der Definition eines Lebensbegriffs innerhalb der Biologie. „Selbst die Unmöglichkeit einer scharfen Abgrenzung von Lebendigem und Leblosem würde für die Biologie in ihrer wissenschaftlichen Praxis keine Schwierigkeiten aufwerfen.“ (Toepfer, 2011a, S. 468) Die aktuellen Debatten um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie zeigen jedoch, dass dieser Punkt, an dem der Lebensbegriff für die biologischen Wissenschaften überflüssig und irrelevant wird, noch lange nicht erreicht ist und dass die Frage „Was ist Leben?“ nichts von ihrer Faszination und Relevanz verloren hat und auch weiterhin umstrittener Gegenstand vielfältiger und kontroverser innerwissenschaftlicher wie öffentlicher Auseinandersetzungen ist. Es ist fraglich, ob die Frage nach dem Leben jemals ihre „Anstößigkeit“ auch oder gerade innerhalb der Wissenschaft verlieren wird oder gar unwidersprochen beantwortet werden kann. Vielmehr fordern die vorliegende Heterogenität und Bandbreite der in der langen Geschichte dieser Frage gegebenen Antworten dazu heraus, die Frage als Frage selbst noch einmal in den Blick zu nehmen. Es scheint, wie Mark Bedau herausstellt, zum Phänomen des Lebens selbst zu gehören, dass es fraglich und umstritten ist, dass es https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Grenzfälle und Rätsel birgt und dass es sich nicht in einer Definition, sondern allenfalls in einer Pluralität von Erklärungsversuchen und Ansätzen wiederfinden lässt.6 Hierzu Bedau: „So giving an account of life involves giving some explanation for the pluralism of different accounts of life.“ (Bedau, 2010, S. 1012) Wenn Leben, wie es sich in der Auseinandersetzung mit den methodischen Fragen des Perspektivismus angedeutet hat, ein genuin perspektivistisches Phänomen ist, dann läge hierin bereits ein Teil der Antwort.7 Dies hat, wie Elke Witt herausstellt, bereits Treviranus, Namensgeber der Biologie als einer Wissenschaft vom Leben, gesehen, wenn er die Biologie als „eine Wissenschaft [präsentiert], die sich dem Verständnis eines komplexen Phänomens, nämlich des Lebens, nähert, indem sie es aus vielen verschiedenen Perspektiven heraus betrachtet“. (Witt, 2012, S. 37) Gerade im Zuge der enormen Komplexitätssteigerung auf Seiten der biotechnologischen Eingriffs- und Konstruktionsmöglichkeiten als auch der untersuchten und erzeugten biologischen Systeme werden zunehmend perspektivistische, theorie-pluralistische und interdisziplinäre Ansätze aufgegriffen und diskutiert. (Vgl. etwa Kauffman, 1971; Hans-Jorg Rheinberger, 1997) Der Begriff des Lebens könnte hierin gerade aufgrund seiner Ambiguität und Unschärfe eine vermittelnde und integrative Rolle zwischen den verschiedenen Perspektiven und Diskursen leisten. (Vgl. auch Steizinger, 2016, S. 288) 3.1.2 „Was ist Leben?“ als philosophische Frage Stellen wir also die Frage nach der Frage: welcher Art ist die Frage nach dem Leben, dass sie einerseits auf ein intuitives Vorwissen zu rekurrieren scheint, andererseits sich einer einfachen oder gar definitiven Beantwortung beharrlich wiedersetzt? Andreas Brenner stellt eben diese Meta-Frage zu Beginn seiner philosophischen 6 Vgl. auch Steizinger, 2015: „If we take the idea that there is no precise and generally valid definition of the concept of life seriously, its use raises a question rather than a solution“ (Steizinger, 2016, S. 278) 7 Dies bezeichnet Bedau gegenüber einem Cartesianischen Ansatz (Vgl. Fußnote 56, S. 89) als Aristotelischen Ansatz: The Aristotelian addresses a different question: How should we explain the characteristic phenomena of life? Ex plaining life involves much more than defining what it is to be an individual living organism, for life’s characteristic phenomena involve a significant number of different hallmarks, borderline cases, and puzzles.“ (Bedau, 2010, S. 1012)
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Untersuchung unter dem Titel „Leben“ und beobachtet ebenfalls jene Spannung zwischen der Selbstverständlichkeit, mit der wir im Alltag den Lebensbegriff anwenden, um lebende von nicht lebenden Dingen zu unterscheiden, und der scheinbar nicht zu beherrschenden Komplexität der Frage, sobald der Versuch unternommen wird, sie begrifflich auszuformulieren. Im einen Fall erscheint sie als triviale bzw. paradoxe Frage im eigentlichen Sinne des Fragenden: „wer nach dem Leben frage, dem sei doch allem Anschein nach das Selbstverständliche fraglich geworden, weswegen es als aussichtslos erscheine, ihn mit einer Antwort zufrieden zu stellen.“ (Brenner, 2007, S. 7f.) Im anderen Fall dagegen wird die Frage nach dem Leben als als eine „unvorstellbar komplizierte, ja geradezu als ‚Mutter aller Fragen‘ betrachtet.“ (Brenner, 2007, S. 8; vgl. auch Pályi, Zucchi, & Caglioti, 2002, S. 4)8 Brenner weist diese zwei Positionsbeschreibungen zur Lebensfrage nun zwei verschiedenen Wissensräumen zu: Die erste könne man dabei dem Wissensraum des Alltagswissens zuschreiben, die zweite demjenigen der Naturwissenschaft. (Brenner, 2007, S. 9) Um die Vielfalt des Phänomens des Lebens möglichst vielgestaltig zu erfassen, müsse sich die philosophische Reflexion in beiden Räumen aufhalten und diese in orientierender Weise miteinander vermitteln. Solche philosophische Aufklärung mache, so Brenner weiter, das Alltags- und Wissenschaftswissen nicht bedeutungslos: „beide vermitteln Wissenszugänge zu dem in Frage stehenden Phänomen. Aber diese Zugänge müssen reflektiert werden. Diese Reflexion aber ist unabdingbar, um über reduktionistische Zugänge zum Phänomen des Lebens aufzuklären.“ (Brenner, 2007, S. 9f.) Es sei dahingestellt, ob Brenners umfangreiche Rekonstruktion und Darstellung historischer wie gegenwärtiger Lebensfelder und Lebenstheorien diesem Anspruch einer Reflexion der spezifischen Zugänge und Hinsichtnahmen in Wissenschaft und Lebenswelt gerecht wird; entscheidend ist an dieser Stelle vielmehr, dass die Frage „Was ist Leben?“ auch im Kontext der Bio- und Le8
Brenner fügt hinzu, dass diese Mutterschaft der Lebensfrage wohl nicht wörtlich im genetischen Sinne als Vorläuferin aller Folgefragen zu verstehen sei, sondern vielmehr als angemessene Metapher, „welche die Kompliziertheit der Lebens frage zum Ausdruck bringt“. (Brenner, 2007, S. 8) Auch wenn es fraglich ist, ob Brenners Konsequenz, dass im Falle der wörtlichen Interpretation als Grundfra ge aller Fragen die prinzipielle Unbeantwortbarkeit der Frage folgen würde und daher das ganze Unternehmen einer philosophischen Klärung vorzeitig zu been den wäre, richtig ist, ist dies ein erster wichtiger Hinweis auf die Metaphorizität der Lebensfrage, die weiter unten noch eingehender behandelt wird.
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benswissenschaften als eine philosophische Frage erscheint. Eine Fage, die sich sowohl im wissenschaftlichen Umgang als auch in der lebensweltlichen Begegnung mit dem Lebendigen stellt und einer besonderen Form von Beantwortung harrt, in die die jeweiligen Zugänge und Sichtweisen einer Zeit handlungsleitend und orientierend eingehen. So etwa auch Mainzer: „Die Frage ‚Was ist Leben?‘ zieht sich also wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit. Die Art, wie diese Frage beantwortet wurde, hat ihre Lebenseinstellung, ihre Stellung zur Natur, ihr Weltbild also und ihr Handeln entscheidend geprägt. Daher ist die Frage ‚Was ist Leben?‘ eine philosophische Frage“ (Mainzer, 1990, S. 12) Die Einschränkung auf einen biologischen Lebensbegriff bedeutet dabei etwa nicht, dass die philosophische Frage innerhalb der biologischen Wissenschaften einfach ausgeblendet werden könne, auch wenn die Frage der Definition des Lebens darin vielleicht keine praxisrelevante Rolle spielt. Es wurde bereits angedeutet, dass der Lebensbegriff in der Biologie kein genuin und spezifisch naturwissenschaftlicher Begriff ist, wie auch Töpfer noch einmal betont: „In gewisser Weise ist das Lebendige in biologischen Untersuchungen immer schon vorausgesetzt und liegt vor jeder wissenschaftlichen Analyse bereits in sehr unterschiedlichen Beschreibungskontexten vor.“ (Toepfer, 2011a, S. 468) Wegen der ausgeprägten außerwissenschaftlichen Bezüge ihres zentralen Konzepts sei die Biologie offenbar eine Wissenschaft, „die ihren Gegenstand nicht ganz für sich hat.“ (Toepfer, 2011a, S. 468) Vielmehr spielen auch im naturwissenschaftlichen Zugriff auf das Leben ebenso wie in den modernen wissenschaftstheoretischen Diskussionen traditionelle naturphilosophische Positionen eine wichtige, wenn nicht gar entscheidende Rolle für das angemessene Verständnis der Lebensfrage. (Vgl. Mainzer, 1990) Üblicherweise werden hierzu drei Hauptpositionen der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Lebensbegriff angeführt, die in der Biologie bis heute Einfluss geltend machen können9:
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Vgl. Gayon: „Beside these three philosophical concepts of life, I doubt that anything really new has been produced since the advent of biology. Our re presentation of life remains structured, on the one hand, by the immediate or intuitive notion of life that I have evoked at the beginning of this paper, and, on the other hand, by the three philosophical concepts of animation, mechanism, and organization.“ (Gayon, 2010, S. 237)
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1. Aristoteles Definition des Lebens als irreduzible Fähigkeit zur Selbstbewegung, die auf die Seele als organisierende, teleologische Formkraft und bewegendes Lebensprinzip zurückgeführt wird. 2. Descartes gegen den Aristotelischen teleologischen Vitalismus vorgebrachte mechanistische Reduktion des Lebens auf die Gesetzmäßigkeiten und Kausalitäten der Bewegung der Materie. 3. Kants Kritik am Cartesianischen Mechanismus, in der Leben als Fähigkeit zur (Selbst-)Organisation eingeführt wird, die ihre Zwecke und Zweckmäßigkeit in sich selbst trägt. Zu diesen drei philosophischen Grundpositionen werden häufig noch Darwins Evolutionslehre vom Leben als Variation und Selektion durch natürliche Auslese und die Theorie komplexer Systeme, die Leben als emergente Eigenschaft offener, nicht-linearer Systeme beschreibt, ergänzt. (Vgl. Gayon, 2010; auch Weber, 2015) Bereits in dieser kurzen Gegenüberstellung philosophischer Grundpositionen ist ersichtlich, dass auch innerhalb der Philosophie der Begriff des Lebens alles andere als unumstritten ist. So wie die naturwissenschaftlichen Zugänge und Hinsichtnahmen auf das Leben geprägt sind von den lebensweltlichen Intuitionen und philosophischen Begriffen, so sind auch diese immer wechselseitig beeinflusst und bezogen auf den jeweiligen Erkenntnisstand der Forschung und der Resultate wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Dies zeigt sich in besondere Weise in der historischen Debatte um den Lebensbegriff, die sich, wie unten noch auszuführen sein wird, auf den Gegensatz Vitalismus – Mechanismus zusammenfassen lässt, wenngleich dies natürlich eine grobe Vereinfachung und Zuspitzung der einzelnen Positionen und des Verlaufs der in sich komplexen und vielverzweigten Debatten darstellt. Es sollte dabei allerdings deutlich werden, dass die verschiedenen Positionen und Perspektiven nicht unabhängig voneinander zu verstehen sind, sondern über den Lebensbegriff in vielfältiger Weise aufeinander bezogen sind. Wie bereits angedeutet, scheinen die Komplexität und Fraglichkeit des Lebensbegriffs selbst wesentlicher Bestandteil des Phänomens Leben zu sein. Es liegt daher nahe, die Debatte um den Lebensbegriff als einen Streit um die Wahrheit zu begreifen, in dem es nicht nur um die Bestimmung und Unterscheidung der Kategorien Leben oder Nicht-Leben geht, sondern immer auch um eine Auseinandersetzung mit konkurrierenden Weltbildern und Sichtweisen, in denen die Kriterien für diese Unterscheidung erst (vor)gefunden oder gesetzt werden. „Die Bestimmung dessen, was als L[eben] zu gelten hat, ist also primär abhängig vom Weltbild, in dem die Kriterien https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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für die Entscheidung [Leben/Nicht-Leben] gefunden oder gesetzt werden müssen.“ (Toellner, 1980, S. 98) Auch scheint die Geschichte des Lebendigen in starkem Maße abhängig zu sein vom jeweiligen gesellschaftlich-politischen Kontext und geschichtlichen Standpunkt, von dem aus diese geschrieben wird, wie etwa Müller-Hill in seinem Buch Die Philosophen und das Lebendige zeigt. (Müller-Hill, 1981) Die Frage „Was ist Leben?“ erscheint, so auch das Resümee Mainzers, weniger als eine Frage wissenschaftlicher Definitionen oder exklusiver Antworten zu sein als „vielmehr eine Menschheitsfrage, die von jeder Generation neu gestellt und mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung neu beantwortet werden muß, um Orientierung für das eigene Handeln zu gewinnen.“ (Mainzer, 1990, S. 13) 3.1.3 Der Streit zwischen Vitalismus und Mechanismus Der Begriff Vitalismus ist eine Sammelbezeichnung für philosophische und biologische Lehren, die davon ausgehen, dass das Leben auf ein eigenständiges, nicht zergliederbares Grundprinzip oder eine Lebenskraft zurückgeht, die nicht auf mechanisch-physikalische Gesetzmäßigkeiten und deterministische Kausalzusammenhänge reduziert werden können.10 Obwohl die Bezeichnung Vitalismus erst im 19. Jahrhundert als Reaktion auf den fortschreitendenden Physikalismus und eine drohende „Mechanisierung des Weltbildes“ (Dijksterhuis, 2002) zum wissenschaftspolitischen Kampfbegriff avanciert und sich zu einer Bewegung innerhalb der um ihre Etablierung als eigenständiger Wissenschaftszweig bemühten Biologie formiert, sind vor allem in Deutschland spätestens im 17. Jahrhundert Vorformen und erste Formulierungen eines vitalistischen Standpunktes etwa bei Leibnitz, Georg Ernst Stahl oder Johann Friedrich Blumenbach zu finden, die von einer immateriellen Beseeltheit alles Lebendigen (anima) oder einer nicht mechanistisch zu erklärenden Lebenskraft (vis vitalis) ausgehen. (Vgl. Toepfer, 2011b, S. 692ff.) Der wohl bekannteste späte Vertreter des Vitalismus in der Bio10 Das Wort Vitalismus hat wohl als erstes der aus Montpelier stammende franzö sische Arzt Thouvenel im Jahr 1780 verwendet. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts dient das Wort denn auch als Bezeichnung für Lehrmeinung der medizinischen Schule von Montpellier, die von einem allen Lebewesen gemeinsamen vitalen Prinzip ausgeht.
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logie ist Hans Driesch. Er vertritt die These, dass „[d]as Leben, die Formbildung wenigstens, [...] nicht eine besondere Anstrengung anorganischer Ereignisse [ist]; die Biologie ist daher nicht angewandte Physik und Chemie; das Leben ist eine Sache für sich, und die Biologie ist eine unabhängige Grundwissenschaft“. (Driesch, 1909, S. 125) Darin kommt bereits deutlich zum Ausdruck, dass die Geltung und die Relevanz, die der Vitalismus als Position für sich beansprucht, nur zum Teil in der in ihren verschiedenen Ausprägungen höchst heterogenen inhaltlichen Lehre liegt, als vielmehr auch in der Formierung eines Widerstands und der Ablehnung mechanistischer, reduktionistischer Erklärungen des Lebens und im Kampf der Biologie als methodisch selbstständige Disziplin, die das Leben zu ihrem Gegenstand hat. (Toepfer, 2011b, S. 694) Als antiker Ursprung der vitalistischen Grundidee gilt Aristoteles Lehre der Entelechie.11 Ausgangspunkt ist hierbei die bis heute konstitutive ontologische Unterscheidung von physis und techne. Physis beschreibt dabei das Gewachsene, die Naturdinge, die das Prinzip ihrer Existenz und ihrer Bewegung in sich selbst tragen, während techne jene Dinge beschreibt, die gemacht sind und ihre Seins- und Bewegungsprinzipien von außen her, durch menschliche Tätigkeit erfahren.12 Aristoteles bestimmt nun in dieser so unterschiedenen Welt der Dinge Lebendiges als Teil der physis und weiter als nach Entwicklung, Entfaltung und Veränderung Strebendes, welches den Grund von Ruhe und Veränderung in sich selbst trägt. (Aristoteles, 1995a, S. 191-195 (1049b-1051a)) Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zu nicht lebenden Dingen stellt hierbei die Form dar, die als im Lebendigen selbst liegende Kraft dessen Ge11 Canguilhem dagegen verweist unter Berufung auf Paul-Joseph Barthes, einem Physiker der vitalistischen Montpelier Schule, darauf, dass vielmehr Hippokra tes als antiker Vertreter des Vitalismus, in dem eine „Biologie des Arztes“ zu sehen ist, in Frage kommt. (Canguilhem, 2009, S. 154) Vitalismus wird hier als intuitives „Misstrauen“ gegen die Macht der Technik über das Leben beschrie ben. (Vgl. auch Toepfer, 2011b, S. 699) 12 Diese Unterscheidung von Gewachsenem und Gemachtem wird vor allem im Rahmen des Ingenieurparadigmas und des technischen Konstruktionsideals der Synthetischen Biologie wieder relevant und neu verhandelt. (Köchy, 2012c) Mit der Konstruktion von synthetischen Organismen als „living machines“ schei nen die ontologischen Grenzen des heteronom Hergestellten und des autonom Lebendigen zu verwischen. (Deplazes & Huppenbauer, 2009b; Köchy, 2012a, 2014) Die hieran anschließenden ontologischen und auch ethischen Fragen werden weiter unten noch ausführlich im Rahmen der metaphorologischen Per spektivierung diskutiert. (Vgl. Punkt 3.3.2)
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stalt bestimmt. Somit sind im Lebendigen stoffliche Materie und Form einander durchdrungen und bilden eine unzertrennliche Einheit. In nicht-lebendigen Dingen sind Stoff und Form dagegen getrennt. Die Form lebender Erscheinungen wird von Aristoteles schließlich in das teleologische Konzept der Physik übertragen und als „Vollendung“, griechisch ἐντελέχεια/entelecheia, die ihr Ziel bereits in sich trägt, bezeichnet. Als den Grund für die teleologische Formkraft nennt er schließlich die Seele, welche auch als Lebensprinzip bezeichnet wird. (Aristoteles, 1995b, S. 28f. (412a)) Leben zeichnet sich also nach Aristoteles durch Selbstbewegung aus und bedeutet weiterhin, eine Seele als organisierende Kraft der Materie zu besitzen. Die Seele müsse, so Töpfer, bei Aristoteles als etwas vorgestellt werden, das „mit dem Lebewesen und seinen Organen aufs Engste verbunden und immer mit ihnen gegeben“ sei. (Toepfer, 2011a, S. 423) Die Seele eines individuellen Lebewesens könne daher auch als dessen Organisationsstruktur oder Funktionsprinzip verstanden werden. Da diese Selbstorganisation, modern gesprochen, als „durch Ziele und Zwecke funktional gesteuert“ verstanden werden könne, könnte man, so Mainzer, die Aristotelische Position auch als „vitalistische Teleologie“ bezeichnen.13 (Mainzer, 1990, S. 14f.) Der Mechanismus, als philosophische Position vor allem vertreten durch Descartes und La Metrie, stellt gegenüber der Annahme der Selbstbewegung und eines Lebensprinzips, welches nicht auf die stoffliche Dimension und die Gesetzlichkeiten der Materie reduziert werden könne, den Versuch dar, auch die Lebensvorgänge nach den aus der Physik bekannten mechanischen Gesetzen zu erklären. Mit dem Aufkommen der neuzeitlichen Physik sollte daher auch die alte aristotelisch-mittelalterliche Naturphilosophie durch eine neue mathematische und experimentelle Wissenschaft nach dem Vorbild von Geometrie und Mechanik abgelöst werden. Die antike Vorstellung der machina mundi, der Weltmaschine, wird nun nach dem Vorbild der präzisen und ineinandergreifenden Mechanik einer Uhr interpretiert und schließlich von Descartes auf menschliche Körper übertragen. Der Mechanismus von Lebewesen ergibt sich in dieser mechanistischen Sichtweise aus der Einrichtung der Organe „und dies mit der gleichen Notwen13 Töpfer dagegen meint, dass Aristoteles Position von einem Vitalismus moderner Art, der die Seele als ein zum Körper hinzutretendes Prinzip versteht, weit ent fernt sei. (Toepfer, 2011a, S. 423)
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digkeit, wie der Mechanismus einer Uhr aus der Kraft, Lage und Gestalt ihrer Gewichte und Räder folgt.“ (Descartes, 1997, S. 83) Körper als gegliederte Einheiten sind demnach nicht wesentlich verschieden von Maschinen. Sie sind als res extensa, als körperliche Substanz, nicht beseelt. Während nun Descartes für den Menschen, der neben der körperlichen Substanz auch aus einer denkenden Substanz (res cogitans) besteht, noch eine unsterbliche Seele vorsah, erklärt schließlich La Mettrie den Menschen vollends zur Maschine und zum seelenlosen Automaten. (La Mettrie, 1990) In diesem mechanistischen Bild einer „lebendigen Maschine“ gibt es keine über den Mechanismus selbst hinausgehenden Kräfte oder Prinzipien mehr. Leben lässt sich durch die Struktur und Organisation seiner Teile vollständig und restlos erklären. Im Zuge dessen verliert der Lebensbegriff selbst jedoch seine naturwissenschaftliche Relevanz: „Insofern Lebewesen mit anorganischen Maschinen identifiziert werden, ist in dieser mechanistischen Sicht auf das Leben eine Eliminierung des Lebensbegriffs aus der Naturwissenschaft enthalten.“ (Toepfer, 2011a, S. 430) Mit Kants Kritik des mechanistischen Rationalismus und der Maschinenmetapher kehrt schließlich die Idee einer „in sich bildenden Kraft“ (Kant, 1995, S. 322 (B293)), die lebende Organsimen von unbelebten Maschinen prinzipiell unterscheidet, zurück. Ein Organismus, so Kant, könne „nicht bloß Maschine sein, denn die hat lediglich bewegende Kraft“. (Kant, 1995, S. 322 (B293)) Ein Organismus dagegen weist „eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den Mechanismus) nicht erklärt werden kann“. (Kant, 1995, S. 322 (B293)) Kants Argument in der Kritik der Urteilskraft ist primär ein erkenntnistheoretisches. Er weist die mechanistische Erklärung nach dem Modell der Maschine ebenso wie die aristotelische Teleologie entschieden zurück, indem er darauf verweist, dass die Rede von Zwecken und letzten Ursachen in der Natur eine anthropomorphe Verkürzung und unzulässige Übertragung darstelle. Der Mechanismus ist damit als exklusives Erklärungsinstrument der Natur in seine epistemologischen Grenzen verwiesen, denn die deterministische Erklärung der belebten Natur nach Vorbild des Mechanismus könne den Organismus als ein organisiertes Ganzes, dessen „Teile [...] sich dadurch zur Einheit [...] verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung sind“ (Kant, 1995, S. 321 (B292)), nicht vollständig auf seine Teile reduzieren. (Vgl. auch Brenner, 2007, S. 44; Gloy, 1996, S. 84; Köchy, 2003, S. 339–360) https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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In der Folge von Kants Zurückweisung des Mechanismus als ausschließliche Naturerklärung und Modell der Erkenntnis des Lebendigen eröffnete sich zugleich ein neuer Erkenntnisweg, der schließlich, ausgehend von der Vorstellung des Organismus als irreduzibles Ganzes, vor allem von der romantischen Naturphilosophie und der Lebensphilosophie aufgenommen wurden.14 (Gloy, 1996, S. 71–153) Die sich aus dem gemeinsamen Kampf gegen den neuzeitlichen Physikalismus und den Cartesianischen Mechanismus herausbildendenden Gegenpositionen und Alternativmodelle versammeln sich unter dem Kampfbegriff des Vitalismus. In diesem historischen Kontext gewinnt der Vitalismus seine Bedeutung weniger aus den vielfältigen und heterogenen Erklärungsversuchen eines Lebensprinzips oder einer Lebenskraft außerhalb des empirisch Nachvollziehbaren, als vielmehr in einem Akt der Rebellion und Gegenbewegung zur Strömung des Naturalismus und des Physikalismus. Hierzu Mayr: „Yet because of its one-sideness and ist failure to explain any of the phenomena and processes particular to living organisms, physicalism induced a rebellion. This countermovement is usually described under the umbrella term vitalism.“ (E. Mayr, 1997, S. 4) Vitalismus und Mechanismus scheinen so von Beginn an als gegensätzliche Positionen historisch wie argumentativ verschränkt und aufeinander bezogen zu sein. Beide beanspruchen, wie Ungerer herausstellt, eine Erklärung und eine Antwort auf die Frage „Was ist Leben?“ zu geben und stehen hierbei in einem wechselseitigen Argumentationsverhältnis: 14 Für das vorliegende Unterfangen, die zwischen den Polen von Vitalismus und Mechanismus pendelnde Debatte um den Lebensbegriff als Streit um die Wahr heit zu rekonstruieren, ist von besonderem Interesse, dass sich in der Gegen überstellung der mechanistischen Naturauffassung und der von Kant angeregten vitalistischen romantischen Naturauffassung ein dichotomisches Muster von Offenheit/Bewegtheit und geschlossener Statik zum Vorschein kommt, welches bereits in der Auseinandersetzung mit den Sprachbildern in der Philosophie und Wahrheitstheorie zu beobachten ist. So schreibt Karen Gloy: „Während an der mechanistischen Naturauffassung drei Merkmale hervorstechen: erstens Ge schlossenheit, zweitens Statik, drittens Uniformität, fallen an der romantischen im Gegensatz dazu die Begriffe erstens der Offenheit, zweitens der Dynamik und drittens der Individualität auf.“ (Gloy, 1996, S. 107) Die Parallelen zu der Gegenüberstellung von Augustinischem Sprachbild und dem Sprachbild einer lebendigen Sprache, sowie dem Vorhandenheitsmodell und Bewegtheitsmodell sprachlichen Sinns, ebenso wie der in der Metapherntheorie von Strub beobach tete historische Übergang von einem geschlossenen ontologischen Weltbild zu einer offenen Welt lassen hier einen Zusammenhang vermuten. (Vgl. Punkt 2.2.3)
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„Die Beweislast für den Mechanismus besteht im Nachweis, wie sich die Ordnungskennzeichen des Lebens wenigstens grundsätzlich aus den Voraussetzungen der Physik und Chemie allein ableiten lassen, diejenige für den Vitalismus in dem Nachweis, warum dies grundsätzlich unmöglich sei. Der Mechanismus wird daher stets zugleich versuchen müssen, die vitalistische Kritik an seiner Unmöglichkeit zu widerlegen, der Vitalismus aber, das Unzutreffende bzw. Unzureichende an den mechanistischen Lebensmodellen aufzuzeigen.“ (Ungerer, 1966, S. 19) So erstreckt sich, wie auch Bertalanffy konstatiert, das „Schachspiel zwischen den Auffassungen des Mechanismus und Vitalismus“ über fast zwei Jahrtausende, während im Grunde stets die gleichen Argumente vorgetragen würden, die letztlich Ausdruck zweier gegensätzlicher Tendenzen des menschliches Geistes seien: „auf der einen Seite das Bestreben, das Leben naturwissenschaftlicher Erklärung und Gesetzmässigkeit zu erschliessen, auf der anderen das Erlebnis unserer eigenen Seele, die als Maßstab der lebenden Natur genommen und in die vermeintlichen oder tatsächlichen Lücken unserer naturwissenschaftlichen Erkenntnis eingesetzt wird“ (Bertalanffy, 1949, S. 22) Die Wiederlegung des Vitalismus, so Bertalanffy, sei die Geschichte der Biologie. Denn diese zeige, dass immer jene Erscheinungen als Domäne vitalistischer Faktoren aufgefasst wurden, die beim jeweiligen Stand der Forschung unerklärlich schienen. „Der Fortschritt der Forschung aber gliederte immer wieder als vitalisisch betrachtete Phänomene dem Bereich der naturwissenschaftlichen Erklärung und Gesetzlichkeit ein“. (Bertalanffy, 1949, S. 21f.) Mayr kommt hingegen zu dem Schluss, dass der Vitalismus zwar für sich gesehen keine wahre Lehre darstelle, aber als Bewegung, die die Einseitigkeit und Unfähigkeit des mechanistischen Physikalismus aufdeckt, eine gewisse Legitimation und Notwendigkeit für sich beanspruchen könne. (E. Mayr, 1997, S. 15) Canguilhem sieht schließlich in dem geschichtlichen Gegensatz von Mechanismus und Vitalismus ein wesentliches dialektisches Moment, welches zwischen den Polen von Vitalismus und Mechanismus in der Geschichte der Biologie immer wieder hin und her oszillieren würde. Grund für diese Dialektik sei das Leben selbst: „Überträgt man den dialektischen Prozess des Denkens in die Wirklichkeit, kann man behaupten, dass der Forschungsgegenstand selbst, das Leben, die dialektische Essenz ist und dass sich das Denken dessen Strukturen zu eigen machen muss.“ (Canguilhem, 2009, S. 153) Der Vitalismus https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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würde somit einer dialektischen Natur des Lebens15 zum Ausdruck verhelfen und gegen die Stillstellung dieser dialektischen Bewegung durch die mechanistische Erklärung rebellieren. „Die Renaissancen des Vitalismus übersetzen [...] das permanente Misstrauen des Lebens gegenüber seiner Mechanisiserung. Es ist das Leben, das versucht, den Mechanismus auf seinen Platz im Leben zu verweisen. [...] Dem Vitalismus Gerechtigkeit widerfahren zu lassen bedeutet letzten Endes nur, ihm das Leben wiederzugeben.“ (Canguilhem, 2009, S. 179 und 181) Vitalismus und Mechanismus erscheinen so als komplementäre und einander vermittelte Einstellungen und Zugänge zum Leben, in denen der Mensch als Lebendiges seine Stellung zur Natur bestimmt und sich immer auch die historisch-politischen und materiell-technologischen Bedingungen und gesellschaftlichen Kräfte einer Zeit zum Ausdruck bringen.16 Im Streit um das Leben, paradigmatisch ausgetragen durch die Positionen Mechanismus und Vitalismus, geht es daher immer auch um konkurrierende Wissenschaftsideale und Welt- und Sprachbilder, um Perspektiven und Sichtweisen also, in denen je unterschiedliche Anforderungen und Kriterien an eine Erklärung der wahren Natur des Lebens gestellt werden. Es ist von daher nicht weiter verwunderlich, dass der alte Streit zwischen mechanistischen und vitalistischen Erklärungsversuchen des Lebens weder mit Darwins Evolutionslehre als kausaler Erklärung des Lebens durch natürliche Selektion und Mutation noch durch die Reformierungen des mechanistischen Programms in den Gesetzen der Thermodynamik im 19. Jahrhundert und durch die Quantenphysik im 20. Jahrhundert beendet wurde und bis heute, oft verdeckt von 15 Vgl. zu einer dialektisch-materialistischen Natur- und Lebensauffassung auch Oparin: „Nach dem dialektischen Materialismus befindet sich die Materie in ständiger Bewegung und durchläuft eine Reihe von Etappen oder Stufen in ihrer Entwicklung. Dabei bilden sich immer neue, kompliziertere und vollkommenere Bewegungsformen der Materie aus, die vorher nicht vorhandene Eigenschaften besitzen. [...] Im Verlaufe des Entwicklungsprozesses der Materie auf der Erde [...] entstand das Leben als qualitativ neue Bewegungsform der Materie. Dabei galten die alten Gesetze der Physik und Chemie selbstverständlich weiter, sie wurden nun jedoch von bisher nicht vorhanden gewesenen, komplizierten bio logischen Gesetzmäßigkeiten überlagert.“ (Oparin, 1963, S. 6) 16 Dies komme, so Mainzer, vor allem in den Positionen des Neo-Darwinismus und Sozialdarwinismus zum tragen. Diese zeichneten ein „Bild des Lebens, in dem sich die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts mit ihrer stürmischen Fortschrittsdynamik, den grandiosen Erfolgen der ‚Tüchtigen‘ und der erbarmungslosen Verelendung und Selektion der ‚Schwachen‘ wiedererkannte.“ (Mainzer, 1990, S. 24)
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organizistischen und systemtheoretischen Erklärungsansätzen, eine Rolle spielt. Mit dem Aufkommen eines holistisch geprägten Organismusbegriffs (Smuts) und der Allgemeinen Systemtheorie (Bertalanffy), in denen Leben funktional als Organisation und als emergente Eigenschaft von komplexen Strukturen wechselwirkender Einzelelemente in offenen und evolvierenden Systemen beschrieben wird, sehen viele Beobachter:innen ein Ende der Debatte zwischen Mechanismus und Vitalismus, da beide Ansätze nun in dem neuen Paradigma aufgehoben und einander vermittelt seien. (Vgl. Haraway, 2004, S. 6f.; E. Mayr, 1997, S. 16ff.; Toepfer, 2011b, S. 697) Eine Schlüsselrolle spielt hierbei Erwin Schrödingers Unternehmen in der einflussreichen Schrift Was ist Leben?, die „lebende Zelle mit den Augen des Physikers zu betrachten“. (Schrödinger, 2011) Mit der Einführung der Metaphern des genetischen Codes und aperiodischen Kristalls und der Betrachtung von lebenden Organismen als offene Systeme, die sich unter den Gesetzen der Thermodynamik durch die Aufrechterhaltung innerer Organisationsordnung und -struktur auszeichnen, werden lebensspezifische Phänomene wie Identität und Mutabilitant genetischer Information aber auch Selbstorganisation, Metabolismus, Spontanität und Emergenz auf physikalischer und chemischer Ebene erklärbar, vermeintlich ohne dabei auf klassisch mechanistische oder vitalistische Erklärungsansätze zurückgreifen zu müssen. Von diesem Punkt aus haben sich im Zuge der äußerst erfolgreichen Etablierung der Molekularbiologie und der Genetik, nach Witt, vor allem zwei Sichtweisen auf das Leben durchgesetzt: die Gentheorie des Lebens und die Systemtheorien des Lebens. (Witt, 2012, S. 42ff. und 88ff.) Zunehmend rücken dabei die Möglichkeiten der Herstellung und Konstruktion des Lebenden in den Mittelpunkt der biologischen Forschungspraxis, die sich gegenwärtig vor allem im Forschungsprogramm der Synthetischen Biologie wiederfinden lassen. (Witt, 2012) Wie weiter unten noch ausführlicher zu zeigen ist, treten hierbei allerdings die Spannung zwischen dem Anspruch gesetzesförmiger Erklärung und damit der Kontrolle und Vorhersagbarkeit von Leben und der Widerständigkeit und Autonomie des Lebendigen wieder deutlich und auch in ethischer Hinsicht relevanter Weise hervor. Wenn nun also Arthur Caplan mit Craig Venters Herstellung einer synthetischen Zelle das „Ende des Vitalismus“ („Life after the synthetic cell“, 2010, S. 423; vgl. auch „Meanings of ‚life‘“, 2007) ausruft, so ist zu erwarten, dass dieses reduktionistische und genzentrische Programm lediglich den alten Streit um das Leben nur wieder neu https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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entfacht und Gegenpositionen geradezu herausfordert, die sich, ganz im Geiste Aristoteles, auf die Selbstbewegtheit, Unverfügbarkeit und Autonomie des Lebens gegenüber technischen Zugriffen und heteronomen Zweckbestimmungen berufen.17 3.1.4 Leben als absolute Metapher? Der Rückblick auf die Debatte zwischen Vitalismus und Mechanismus hat erneut bestätigt, dass die Hoffnung, auf die Frage „Was ist Leben?“ eine definitive und letztgültige Antwort zu erhalten, sowohl aus naturwissenschaftlicher als auch aus philosophischer Sicht trügerisch ist und falsche Erwartungen an den Begriff des Lebens stellt. Die Frage „Was ist Leben?“ ist, so wurde oben argumentiert, eine „Menschheitsfrage, die von jeder Generation neu gestellt und mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung neu beantwortet werden muß, um Orientierung für das eigene Handeln zu gewinnen.“ (Mainzer, 1990, S. 13) Der jeweilige Lebensbegriff, der als Antwort auf diese Menschheitsfrage formuliert wird, muss daher nicht nur ein Unterscheidungs- und Verfügungswissen bezüglich der Kategorien Leben/nicht-Leben enthalten, sondern darüber hinaus auch ein handlungsleitendes Orientierungswissen in Natur und Gesellschaft bereitstellen. (Vgl. hierzu Mittelstraß, 1982, S. 16ff.) Die orientierende und handlungsleitende Funktion von Metaphern in Wissenschaft und Lebenswelt wurde bereits weiter oben herausgestellt. Es ist von daher nicht weiter überraschend, dass sich in der Geschichte der Debatte um den Lebensbegriff eine Vielzahl an Metaphern angehäuft haben. Sofort ins Auge fällt natürlich die Maschinenmetaphorik des Cartesianischen Mechanismus sowie Kants Zurückweisung der Metapher von der „lebendigen Maschine“ als unzulässige Übertragung anthropomorpher Kategorien. Doch auch 17 Venter selbst sieht in seinen Experimenten den Beweis einer reduktionistischen Sichtweise des Lebens und die Widerlegung des Vitalismus: „Our experiments did not leave much room to support the views of the vitalists or of those who want to believe that life depends on something more than a complex composite of chemical reactions“ (Venter, 2013, S. 109) Getragen und artikuliert wird diese reduktionistische und antivitalistische Sichtweise von der Metapher „DNA as the software of life“. Eine Kritik des methodischen und ontologischen Reduk tionismus Venters schließt daher auch eine metaphorologische Perspektivierung solcher Redeweisen mit ein, wie sie weiter unten exemplarisch vorgeführt wird. (Vgl. Punkt 3.3.3, vgl. hierzu auch Achatz, 2014; und Rehmann-Sutter, 2013)
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und gerade der Vitalismus, als Gegenposition zum neuzeitlichen Ideal einer logischen und eindeutigen Wissenschaftssprache, greift auf die in der Ambiguität und Vagheit des Lebensbegriffs liegende Metaphorizität zurück, um so dem Leben selbst Ausdruck zu verschaffen. (Vgl. Canguilhem, 2009, S. 155) Wird also unter dem neuzeitlichen mechanistischen Paradigma das Leben selbst als Begriff und Gegenstand der Biologie zunehmend ausgeschlossen und als metaphysisch diskreditiert, so kommt es in der Nachfolge des romantischen spekulativen Vitalismus und der Lebensphilosophie zu einer immensen Ausweitung der Metaphorik des Lebens. Bermes spricht hier von einer „begrifflichen Explosion [...], die Leben zu einem Allerweltswort werden lässt.“ (Bermes, 2011, S. 192) Ähnliches beobachtet Plessner für das frühe 20. Jahrhundert, in welchem das Wort Leben zu einem regelrechten „Zauberwort“ emporgestiegen scheint, welches in der philosophischen wie auch in der Alltagsprache omnipräsent ist.18 Im Begriff des Lebens, so Plessner, finde das 20. Jahrhundert sein „erlösendes Wort“, in dem sich als Reaktion auf die Entzauberung der Welt durch fortschreitende Technisierung, Industrialisierung und Kapitalisierung aller Lebensbereiche eine „Sehnsucht nach einem neuen Traum, nach einer neuen Bezauberung“ ausspricht. „In diesem Wort vernimmt die Zeit ihre eigene Kraft, ihren Dynamismus, ihr Spielertum, ihre Freude an der 18 Vgl. hierzu Toepfer: „‚Leben‘ ist zunächst ein altes deutsches Wort. Es hat Ent sprechungen in vielen alten und modernen Sprachen. In seiner jahrtausen dealten Kontinuität stammt es aus einer Welt vor ihrer Entzauberung durch die Wissenschaft. In seiner ganzen Komplexität, Selbstbezüglichkeit und auch Widersprüchlichkeit ist es ein ‚Zauberwort‘. Aufgrund seiner positiven Aura und breiten Anschlussfähigkeit ist es ein sehr geeigneter Werbeträger, sei es für Abtreibungsgegner („Marsch für das Leben“), Pharmaunternehmen („Science for a better life“) oder die Wissenschaftspolitik („Lebenswissenschaften“). Für das öffentliche Leben und die Werbeindustrie ist das Wort attraktiv, weil es vie les, auch Widersprüchliches zugleich verspricht: rationale Durchdringung und wissenschaftliche Erklärung ebenso wie Geheimnis und Unerklärlichkeit, den Anschluss an das individuelle, einzigartige Dasein ebenso wie Öffentlichkeit und gesellschaftliche Verankerung und Verantwortung, den Sinn für den Menschen ebenso wie für das Außermenschliche, Ganze der Natur. Das Wort umgibt damit – ebenso wie das von ihm abgeleitete ‚Lebenswissenschaft‘ und im Gegensatz zu den technischen Ausdrücken ‚Organismus‘ und ‚Biologie‘ – eine ‚vitalistische Aura‘ und ein ‚leuchtendes Ungefähr‘, wie Thomas Assheuer bemerkt. In diesen Wörtern halle einerseits die Lebensphilosophie des frühen 20. Jahrhunderts mit ihrer Betonung des Dynamischen gegenüber dem Statischen der Technik nach und andererseits transportierten sie einen ‚metaphysischen Mehrwert‘ und ‚me taphorischen Dunst‘ mit einer Beschwörung des Großen und Ganzen.“ (Toepfer, 2014, S. 203)
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Dämonie der unbekannten Zukunft – und ihre eigene Schwäche, ihren Mangel an Ursprünglichkeit, Hingabe und Fähigkeit zu leben“. (Plessner, 1975, S. 4) Im Begriff des Lebens findet also nun der Diskurs der Lebensphilosophie im frühen 20. Jahrhundert einen „Totalitätsbegriff, dessen die Philosophie nach dem Idealismus und Historismus allein noch mächtig zu sein glaubt“. (Schnädelbach, 1983, S. 180) Dies führte, wie Hartung im Anschluss an Plessner Beobachtungen hinzufügt, zu einer ganzen Reihe von Redewendungen und Titulierungen – es ist von „Lebensform“, „Lebensanschauung“ oder „Lebenswelt“ die Rede – ,die einen „erheblichen metaphorischen Überschuss“ produzieren würden, der sich durch begriffliche Unschärfe und Ambiguität auszeichne. (Hartung, 2015, S. 33) Bermes hingegen sieht in solchen metaphorischen Redeweisen lediglich ein sekundäres Phänomen, welches auf eine „primäre Metaphorik des Lebens als eines eigentümlichen und einzigartigen Ereignisses der Generierung von Fragestellungen“ zurück geht. (Bermes, 2011, S. 188) Die „historisch gewachsene Metaphernvielfalt des Lebensbegriffs“ sei daher, in Anlehnung an Wittgensteins Unterscheidung, lediglich „Oberflächenmetaphorik“, die einer „Tiefenmetaphorik, die im Leben als einem expressiven Selbst-Sein eigener Art wurzelt“, korrespondiere. (Bermes, 2011, S. 188) Das Leben selbst, so Bermes weiter, liege als „Ursprung der Frage nach dem Leben [...] am Grund jeder Metaphorik, insofern das Leben auf Gestaltung und Ausdruck angewiesen ist und damit in seinem eigenen Selbst-Sein auf Metaphorik verwiesen ist“. (Bermes, 2011, S. 188) Das Selbstverhältnis des Lebens, welches auf der Ebene der biologischen Beschreibung etwa als Selbstbewegung (Aristoteles) oder Selbstorganisation (Kant) Ausdruck findet, wird hier um die Kategorien der Selbstauslegung und Selbstartikulation ergänzt. Diese Dimensionen können, so Bermes, nicht voneinander geschieden werden. Sie bilden gemeinsam das „Lebensparadox“, welches nur in einer lebendigen, metaphorischen Sprache angemessen zum Ausdruck kommt. „Die Sprache des Lebens ist nicht mehr zu unterscheiden vom Leben der Sprache und beide, sowohl Sprache als auch Leben, gewinnen ihre Prägnanz und Fülle zurück.“ (Bermes, 2011, S. 193) Die Vagheit, Ambiguität und begriffliche Unschärfe der Metaphern des Lebens wären von daher nicht als sprachliches Defizit oder als vermeidbarer „Überschuss“ zu bewerten, sondern zurückzuführen auf das Phänomen des Lebens selbst, welches stets als Frage auf seine Ausgestaltung und Artikulation angewiesen ist, sich https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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aber zugleich jeder Festlegung und Beschreibung entzieht und als Widerständiges nie ganz darin aufgeht. Statt also den Begriff des Lebens aufgrund seiner unvermeidbaren Metaphorizität aus dem wissenschaftlichen Diskurs auszuschließen und lediglich noch als „folk concept“ (Gayon) zu akzeptieren, könnte man mit Toepfer auch sagen, dass es sich hierbei sogar um einen „extreme[n] Begriff“ handelt, „die Bezeichnung von etwas Vieldimensionalem und Selbstreferenziellem, von dem nie in bloß terminologischer Bedeutung gesprochen und das damit nicht vollständig diskursiv eingeholt werden kann“. (Toepfer, 2014, S. 205) Mann könne daher „Leben“ mit Blumenberg auch als absolute Metapher beschreiben, also als einen Grundbestand der philosophischen Sprache, eine Übertragung, „die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen“ lässt. (Blumenberg, 2013, S. 14) „Absolute Metaphern“, schreibt Blumenberg in den Paradigmen zu einer Metaphorologie, „‚beantworten‘ jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Relevanz ganz einfach darin liegt, daß sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden.“ (Blumenberg, 2013, S. 27) Denken wir zurück an Plessners Bemerkung zum erlösenden Zauberwort „Leben“, in welchem die Sehnsüchte und Träume einer Zeit kulminieren, dann lässt sich der Totalitätsbegriff Leben mit Blumenberg als eine solche absolute Metapher verstehen, in welcher „die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen, aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten“. (Blumenberg, 2013, S. 29) Dieser Interpretation folgend, beschreibt auch Fellmann Leben als eine „Daseinsmetapher, durch die der Mensch als das sich selbst unbekannte Wesen sich mit sich selbst verständigt“.19 (Fellmann, 2010, S. 205) 19 Vgl. hierzu auch Stoellger: „Am Beispiel des Unbegriffs ‚Leben‘ läßt sich die[...] Antinomik der Vernunft vorgreifend exemplifizieren. Für ‚Leben‘ wie für andere Totalitäten, also nicht nur für ‚Welt‘, ‚Zeit‘ oder ‚Gott‘ gilt, wie Kant in seinen kosmologischen Antinomien zeigte, definiri nequit. Was sich nicht definieren läßt, kann nicht auf einen Begriff gebracht werden und kann daher, wenn, dann unbegrifflich (logisch gefaßt: paradox) unter Umgehung einer Antinomie nä her ausgesagt werden. ‚Leben‘ ist zwar auch ein Thema der Anstrengung des Begriffs, aber ohne daß hier je ein hinreichend bestimmter Terminus möglich wäre. Das ‚Leben‘ ist (auf Erden) universal und provoziert eine Antinomie der Vernunft in ihrem Bezug auf dieses Thema. Die Rede von Leben ist de facto um diese Antinomie zu vermeiden, nicht wesentlich begrifflich, sondern unbegriff lich verfaßt etwa in Gestalt der metaphorischen Darstellung. […] Die Welt, in
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Ist dies also die passende Antwort auf die Lebensfrage: Leben ist eine absolute Metapher, die sich nicht vollständig in die begriffliche Ausdrucksweise auflösen lässt und gleichwohl stets in theoretischen Kontexten wie in lebensweltlichen Zusammenhängen orientierende und vorgreifende Funktion innerhalb der selbstreferenziellen Weltund Selbstdeutungen einer Epoche einnimmt? Das würde zumindest die beständige Relevanz der „Menschheitsfrage“ (Mainzer) als auch die scheinbare Unmöglichkeit ihrer vollständigen Beantwortung, die sich gegenwärtig vor allem im Kontext der ethischen Debatten um die Lebenswissenschaften in einem erneuten Aufleben der Thematik zeigt, erklären. Es gibt also nicht eine Antwort oder Erklärung, sondern ihre „fallweise Spezifizierung und Festlegung auf eine Bedeutung erhält die absolute Metapher des Lebens durch den jeweiligen Kontext ihrer Verwendung.“ (Toepfer, 2014, S. 205) Die Pluralität und Multidimensionaliät der verschiedenen Perspektiven und Kontexte, in denen das Leben erscheint und sich als Frage am „Daseinsgrund“ stellt, gehören wesentlich zum Phänomen Leben hinzu und sind diesem weder äußerlich noch lassen sie sich in exklusiven, „imperialistischen“ Erklärungsansätzen auf eine Perspektive, einen Kontext reduzieren. Die Frage nach dem Leben mag vermeintlich naiv sein, ihre Beantwortung ist stets komplex und verweist zwangläufig über das konkret Bezeichnete und unmittelbar Gemeinte hinaus. Die Debatte um den Lebensbegriff als einen Streit um die Wahrheit aufzufassen, bedeutet daher, dass dieser Streit, der immer auch eine Auseinandersetzung und Konfrontation mit alternativen und entgegenstehenden Welt- und Selbstdeutungen darstellt, nicht zu einem Ende kommen kann. Vielmehr gilt es, die Möglichkeiten und die Dynamik der Reflexion und Vermittlung jener Perspektiven und Kontexte, sowie die tragenden Gewissheiten, Sehnsüchte und Träume einer Zeit über den Lebensbegriff bzw. über die Metaphern, in denen wir vom Leben reden, offen zu halten und dem rationalen Diskurs zugänglich zu machen. Die Wahrheit, um die es dann geht, ist die der absoluten Metapher Leben. Es ist eine, um noch einmal mit Blumenberg zu sprechen, im weiten Sinder wir leben, wie das Leben, das wir führen, sind Horizontvermeinungen, die nicht (vor allem) als Begriffe auftreten, sondern als absolute Metaphern und ihre Verwandten. Ein Lebensbegriff ist daher eine contradictio in adjecto, wenn er et was zu terminieren vorgibt, von dem gilt ‚definiri nequit‘. Hier ist der Begriff die uneigentliche Sprachform. Reflexionslogisch zerfällt ein solcher ‚Unbegriff‘ an seiner antinomischen Dialektik, da er nicht konsistent ist in seinem Selbstbezug, sofern man seine Pragmatik nicht reduziert. (Stoellger, 2000, S. 88f.)
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ne pragmatische Wahrheit: „Ihr Gehalt bestimmt als Anhalt von Orientierungen ein Verhalten, sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität“. (Blumenberg, 2013, S. 29) Nun gilt es allerdings, wie die kritische Auseinandersetzung mit dem Projekt der Metaphorologie gezeigt hat, einer solchen lebenswelthermeneutischen Erklärung der Lebensfrage bei all ihrer verleitenden Suggestionskraft und dem hohem Deutungspotential, die gerade Blumenbergs Studien zu den zentralen Begriffen der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte eindrucksvoll demonstrieren, mit methodologischer Vorsicht zu begegnen. (Vgl. Punkt 2.3.4) Wie Petra Gehring in ihrem als Ordnungsruf verstandenen methodologischen Bemerkungen zur Metaphernforschung anmahnt, neigen gerade hermeneutische Metaphorologien dazu, den Metaphernbegriff selbst zum Vehikel verborgener Eigentlichkeiten und deutungsleitender Latenzvermutungen zu verklären, welche gleichwohl zu reizvollen Lesarten führen können, jedoch auch einer extremen Tiefenhermeneutik nichts entgegenzusetzen haben. (Gehring, 2009b, S. 209ff.) Somit wird die Metapher ebenfalls schnell zu einem „Zauberwort“, welches den forschungsleitenden Blick in den Bann schlägt und über die notwendigen methodischen Unterscheidungen und Reflexionsschritte hinwegsehen lässt. Wenn, wie etwa auch im Fall von Bermes, eine Metaphorik des Lebens gleichgesetzt wird mit der Lebendigkeit der Metaphorik, dann verwischt eine solche bedeutungsschwer vorgetragene Formulierung gerade die Unterschiede und Differenzen der Zugänge und Sichtweisen, die die Forschung benötigt, um zu arbeiten und ins Gespräch zu kommen – und zwar sowohl bezüglich des Phänomens des Lebens als auch der Metapher. (Gehring, 2009b, S. 203) Das bedeutet, die Metaphern des Lebens müssen in ihren konkreten Verwendungskontexten und unter Angabe der gewählten Forschungsperspektive, d. h. auch der methodologischen Vorentscheidungen, analysiert und interpretiert werden. Im Folgenden sollen solche metaphorologischen Perspektiven auf Lebensmetaphern exemplarisch am Beispiel der Synthetischen Biologie durchgeführt werden. Daher soll zunächst dieser spezifische Handlungs- und Verwendungskontext der Synthetischen Biologie und die daran anschließende Debatte um den Lebensbegriff mit dem Fokus auf die verwendeten und diskutierten Metaphern vorgestellt werden.
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3.2 „Leben herstellen“. Metaphern des Lebens in der Synthetischen Biologie 3.2.1 Zur Relevanz der Synthetischen Biologie Die Synthetische Biologie ist eine recht junge interdisziplinäre Forschungsrichtung, die sich im Schnittfeld von Biologie, Ingenieurwissenschaft, Chemie und Informatik bewegt und die Erzeugung biologischer Systeme mit Eigenschaften, die so in der Natur bisher nicht vorkommen, zum Ziel hat. In einer ersten groben Unterscheidung lassen sich die Forschungsansätze der Synthetischen Biologie in Bottom-up- und Top-down-Ansätze einteilen.20 Bottom-up beschreibt dabei Ansätze, die darauf zielen, komplexe biologische Systeme aus einzelnen biologischen oder chemischen Bauteilen zusammenzusetzen. Komplementär dazu geht es bei Top-down Verfahren darum, bestehende komplexe Biosysteme schrittweise zu reduzieren, bis nur noch bestimmte biologische Bestandteile und Funktionen vorhanden sind. Top-Down Ansätze werden häufig mit der Herstellung von Minimalzellen mit reduzierten Lebensfunktionen in Verbindung gebracht. Das bekannteste Beispiel für ein solches Vorgehen ist die 2010 von Craig-Venter und seiner Forschungsgruppe gelungene Herstellung eines Bakteriums mit einem
20 Ergänzend hierzu können Chassis-Ansätze und orthogonale Ansätze in For schungsvorhaben der Synthetischen Biologie eingehen. Als „Chassis“ werden dabei in Anlehnung an die Fahrzeugtechnik Systeme bezeichnet, die resultierend aus einem reduktiven Top-down Verfahren nur noch über minimale Grundaus stattung zum Erhalt der biologischen Funktionen verfügen und darauf basierend wieder aufgebaut und mit gewünschten Eigenschaften und definierten Funktio nen versehen werden. (Royal Academy of Engineering, 2009, S. 27ff.) Ähnlich geht der orthogonale Ansatz vor, indem versucht wird, ganze Stoffwechselwege oder funktionale Systemeinheiten als Module zu konstruieren und in komple xe Biosysteme einzusetzen bzw. natürliche Systemkomponenten zu ersetzen. (Panke & Billerbeck, 2012) Zudem zählen auch Projekte der Xenobiologie, die sich mit der Möglichkeit von XNA beschäftigen zum Bereich der Synthetischen Biologie. (Budisa, 2015; M. Schmidt, 2012b) Eine ausführliche Darstellung und systematische Einordnung der verschiedenen Ansätze und Anwendungsgebiete der Synthestichen Biologie findet sich bei Köchy, der in einer pluralen Klassifi kationsmatrix den Versuch unternimmt, das heterogene Feld der Synthetischen Biologie zu sondieren und dabei der „besondere[n] Querschnitts-, Vernetzungs- oder Brückenfunktion der Ansätze, Techniken und Modelle der Synthetischen Biologie“ gerecht zu werden. (Köchy, 2012b)
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künstlichen Genom.21 (Gibson u. a., 2010) In den letzten 20 Jahren konnte sich die Synthetische Biologie „international als eine hochinnovative Disziplin in der modernen Biotechnologie und als wichtige Triebfeder der biologischen Grundlagenforschung“ (Dechema Biotechnologie, 2011, S. 5) etablieren. Von Anfang an wird die Synthetische Biologie dabei von einer Debatte begleitet, die sowohl von den Forscherinnen und Forschern in einschlägigen Fachzeitschriften, als auch von wissenschaftspolitischen Einrichtungen, Gremien und Kommissionen angestoßen wurde und innerhalb einer begleitenden Technikfolgenabschätzung und ELSA-Forschung zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen bis heute geführt wird. Die Synthetische Biologie bietet sich nun aus mehreren Gründen als Anwendungsfeld einer Analyse von Metaphern des Lebens an, um daran paradigmatisch die Denkstile, Modelle und Metaphern, die in den Streit um den Lebensbegriff eingehen, zu beschreiben und perspektivistisch-metaphorologisch einzuordnen. (Vgl. im Folgenden auch Köchy, 2014, S. 135–138) Zum einen ist die Synthetische Biologie sowie auch die angrenzende ethische Debatte explizit mit der Frage nach der Bestimmung des Lebens verbunden. Trotz der großen Heterogenität und Vielfalt der Ansätze und Handlungskontexte innerhalb der Synthetischen Biologie kann das Programm der Lebensherstellung, wie unpassend und schwierig dies im einzelnen Fall konkreter Forschungsvorhaben auch sein mag, als Selbstbeschreibung und zukunftsorientierte Vision dieser Forschungskontexte und Handlungsfelder wahrgenommen werden. In allen Ansätzen und Vorgehensweisen der Lebensherstellung muss dabei bereits ein bestimmtes Verständnis von Leben unterstellt werden, welches es folglich innerhalb der konkreten Verwendungs- und Handlungskontexte zu explizieren gilt. Dieses spezifische Lebensverständnis der Synthetischen Biologie wurde von Anna Deplazes-Zemp mit der Metapher „Leben als Werkzeugkasten“ erfasst. (Deplazes-Zemp, 2011, 2012) Köchy identifiziert darüber hinaus die drei Handlungskontexte der technischen Herstellung, der mathematischen Konstruktion und der (bio)chemischen Synthese, die in die Lebensbegriffe der Synthetischen Biologie eingehen. Da es sich 21 Das Forschungsteam um Craig Venter synthetisierte im Jahr 2010 Mycoplasma mycoides JCVI-syn 1.0. Die komplette Genomsequenz eines bereist existieren den Bakteriums (Mycoplasma mycoides) wurde chemisch synthetisiert und in die Zellen eines verwandten Bakteriums (Mycoplasma capricolum), dessen eigene DNA zuvor entfernt worden war, eingeschleust.
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bei der Synthetischen Biologie noch um eine junge Forschungsrichtung handelt, die sich mitten im Prozess der Etablierung und programmatischen Selbstverständigung befindet, lassen sich solche Konzepte und Vorrannahmen zum Lebensbegriff leichter aufspüren als in bereits etablierten Forschungszusammenhängen. „[I]n der Synthetischen Biologie, sowohl ‚im Labor‘ als auch in der Metareflexion der Technikforschung, [wird] über solche Voraussetzungen gesprochen und gestritten, womit sie als offen vorliegende Daten leichter zum Gegenstand einer philosophischen Reflexion gemacht werden können.“ (Köchy, 2014, S. 136) Insofern kann die Synthetische Biologie bzw. die Prozesse der Selbstverständigung und die daran anknüpfende Debatte um die ethischen, rechtlichen und sozialen Bedingungen als ein aktueller Fall eines Streits um die Wahrheit angesehen werden. Insbesondere die technische und anwendungsorientierte Ausrichtung und die materiellen biologischen Rahmenbedingungen der Lebensherstellung bringen dabei einen pragmatischen Aspekt der Begriffsbildung und der sprachlichen Verfasstheit der Forschungsund Laborpraxis zum Vorschein. Es zeigt sich hier in besonderer Weise die Einsicht, dass es bei der Bestimmung und Verständigung über den Lebensbegriff nicht nur um begriffliche Fragen der richtigen Definition und angemessenen Terminologie geht, sondern immer auch um die methodische Zurichtung und technisch-experimentelle Aneignung der im Labor unter praktischen Gesichtspunkten untersuchten und manipulierten Objekte und Gegenstände, die wiederum auf unsere Begriffsbildung rückwirkt. Metaphern, so haben wir gesehen, spielen hierbei eine Schlüsselrolle und bieten sich sowohl als Gegenstand als auch als methodisches Instrument der Analyse solcher praktisch wirksamen und handlungsorientierenden Übertragungsprozesse und wirklichkeitsbezogenen Referenzen an. In der Synthetischen Biologie ist, wie Ried, Braun und Dabrock bemerken, ein „Puzzle aus unterschiedlichen Metaphern“ zu beobachten, welche in „ihrer jeweiligen Binnenlogik nicht ohne Weiteres miteinander vereinbar scheinen und vielmehr völlig unterschiedliche Fragestellungen implizieren.“ (Ried, Braun, & Dabrock, 2011, S. 351) Entsprechend heterogen und methodisch vielfältig fallen die bisher unternommenen Analysen und Reflexionen von Metaphern in der Synthetischen Biologie aus. Hier gilt es in kritischer Auseinandersetzung mit einigen Beiträgen aus der ELSI-Forschung und unter Berücksichtigung der metapherntheoretischen Vorarbeiten und methodologischen Überlegungen einen ersten Zugang für eine metaphorologische Perspektivierung zu formulieren. https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Wie für die technisierten Lebenswissenschaften allgemein gelte für die Synthetische Biologie, so Köchy, „dass wir auch hier mit einer Verquickung von methodischen und ontischen, von methodologischen und ontologischen Aspekten zu rechnen und diese in der Reflexion über den Lebensbegriff (die Lebensbegriffe) zu berücksichtigen haben“. (Köchy, 2014, S. 137) Hierbei sei vor allem zu beachten, dass gerade im Lebensbegriff stets ein Moment des Autonomen und Widerständigen gesehen wurde, welches einen Gegenpart zum Operativen darstelle und in Opposition zum heteronormativen Bereich des Technischen stehe. (Köchy, 2014, S. 137f.) Hierin zeichnet sich eine ethisch bedeutsame Spannung zwischen jener Autonomie des Lebens und dem Anspruch der technologischen Verfügung und Kontrolle im Rahmen des ingenieurwissenschaftlichen Paradigmas aus, die sich durch alle Ebenen der Reflexion über die Verwendungs- und Handlungskontexte des Lebensbegriffs in der Synthetischen Biologie zieht. 3.2.2 Definition und Debatte zur Synthetischen Biologie Eine erste Nennung des Terminus Synthetische Biologie wird meist Stèphane Leduc in seinem 1912 veröffentlichten Buch „la biologie synthetique“ zugeschrieben.22 (Campos, 2009, S. 7; Engelhard, 2011, S. 47) Auch wenn die Namensgeber der heutigen Synthetischen Biologie von Leducs Werk wohl keine Kenntnis hatten, sondern den Begriff vielmehr in Analogie zur Synthetischen Chemie wählten, lassen sich begrifflich und konzeptionell Traditionslinien bis in das 19. Jahrhundert etwa zu den Ansätzen einer Technischen Biologie von Jaques Loeb ziehen. (Vgl. Fangerau, 2012) Ebenfalls gibt es auffällige Parallelen zu der Debatte um die Gentechnik als Projekt der Lebensherstellung, die vor allem in den 1970er Jahren durch die populären Arbeiten von James Frederic Daniellis angestoßen wurde. (Schummer, 2011, S. 88ff.) Die Schwierigkeiten der wissenschaftshistorischen Einordnung der heutigen Synthetische Biologie setzten sich in den Versuchen fort, eine einheitliche Definition für das Forschungsfeld zu formu22 Als weitere Gründungsfiguren der Synthetischen Biologie werden unter ande ren der Genetiker Waclaw Scybalski, die Biologin und Wissenschaftsjournalistin Barbara Hobom und der Biochemiker Eric T. Kool aufgerufen (Vgl. Mainzer, 2010, S. 85; und Rawis, 2000)
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lieren. 2009 richtete sich die Zeitschrift Nature Biotechnology mit einer Umfrage an 20 Experten aus dem Feld und fragte nach ihrem Verständnis von Synthetischer Biologie. („What’s in a name?“, 2009) Die Bandbreite der Antworten spiegelt die Heterogenität des Forschungsfeldes und die Vielzahl an Ansätzen und beteiligten Disziplinen in der Synthetischen Biologie gut wieder und lässt sich nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Daher wird der Terminus „Synthetische Biologie“ oft auch eher als „grobe Sammelbezeichnung“ (Köchy, 2015, S. 93), „umbrella term“ (Balmer & Martin, 2008, S. 7) oder „buzzword“ (Serrano, 2007, S. 1) verstanden. Bis heute umstritten ist zudem das Verhältnis der Synthetischen Biologie zur Gentechnologie, welches in der Debatte zwischen den Polen von „Revolution der Biologie“ (Bölker, 2011) und „Extreme Genetic Engineering“ (The ETC Group, 2007) diskutiert wird. (Vgl. auch Engelhard, 2011; Fangerau, 2012) Darüber hinaus geht es aber auch um das Verhältnis zu anderen angrenzenden Disziplinen wie der Chemie, Bioinformatik oder der Systembiologie.23 Trotz dieser Unklarheiten und Schwierigkeiten einer Klassifikation und Kennzeichnung der Synthetischen Biologie lassen sich eine ingenieurwissenschaftliche Ausrichtung sowie Prozesse der Standardisierung und Modularisierung auf allen Hierarchie- und Komplexitätsebenen biologischer Systeme als gemeinsame orientierende und charakteristische Merkmale angeben. (Vgl. etwa Breithaupt, 2006; Endy, 2005; Panke, 2008) Dies kommt auch in der Definition einer NEST High-Level Expert Group der Europäischen Kommission von 2005 zum Ausdruck, die mittlerweile trotz des noch immer bestehenden Diskussionsbedarfs weithin Anerkennung gefunden hat24: 23 Klaus Mainzer etwa betont den engen Zusammenhang zwischen Synthetischer Biologie und Systembiologie, die er als „analytische Biologie“ bezeichnet. Damit stellt er die Entwicklung der Synthetischen Biologie, als eine „Wissenschaft vom Künstlichen und Komplexen“ in starke Abhängigkeit mit der Bedeutung des Computers und von der zur Verfügung stehenden Rechenkapazität. „DNA-Se quenzierungskapazität, DNA-Synthesekapazität und andere wichtige Verfahren der synthetischen Biologie zeigen ähnliche Wachstumskurven wie das Moore sche Gesetz. Exponentielle Wachstumstendenzen werden zum Kennzeichen der Wissenschaftlichen“ (Mainzer, 2015, S. 58) 24 Ein neuerer Versuch einer Definition von Synthetischer Biologie wurde 2015 vom Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) vorgelegt. Hier wird der Komplexität und Heterogenität des Forschungsfeldes durch eine Basisunterscheidung in Synthetischer Biologie im engeren Sinne und Synthetischer Biologie im weiteren Sinne begegnet: „Mit Synbio i. e. S. wird die
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„Synthetic biology is the engineering of biology: the synthesis of complex, biologically based (or inspired) systems which display functions that do not exist in nature. This engineering perspective may be applied at all levels of the hierarchy of biological structures – from individual molecules to whole cells, tissues and organisms. In essence, synthetic biology will enable the design of ‚biological systems‘ in rational and systematic way.“ (European Commission, 2005, S. 5) Mediale Aufmerksamkeit und öffentliches Interesse erlangte die Synthetische Biologie spätestens im Jahr 2010 als der durch seine Arbeiten zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms bekannt gewordene Biochemiker und Unternehmer J. Craig Venter verkündete, er habe die erste lebende künstliche Zelle, Mycoplasma mycoides JCVI-syn 1.0., geschaffen. (JCVI, 2010) Dies war, wie Pühler treffend formuliert, die „mediale Geburtsstunde der Synthetischen Biologie“. (Pühler, 2011) Während die wissenschaftliche Publikation den Erfolg dieser sehr aufwändigen Experimente selbst als Demonstration der Methodik, als „proof of concept“, (Gibson u. a., 2010, Herstellung von »am Reißbrett« entworfenen und de novo konstruierten Zel len oder Organismen (oder auch von zellfreien biologischen bzw. biochemischen Systemen) bezeichnet. Diese sollen zur Produktion beliebiger, auch völlig neuar tiger Substanzen oder visionärer Anwendungen im Gesundheits-, Energie- oder Umweltbereich dienen. Charakteristische Forschungsansätze und -methoden sind die Herstellung kompletter synthetischer Genome, die Konstruktion so genannter ‚Minimalzellen‘ (entweder ‚top down‘ durch Reduktion natürlicher Zellen oder aber ‚bottom up‘ bzw. ‚from the scratch‘ aus biochemischen Grund bestandteilen) sowie der Einsatz von nichtnatürlichen Molekülen (‚Xenobiolo gie‘). Synthetische Biologie im engeren Sinn wird von einer eher kleinen Zahl von Wissenschaftlern vorangetrieben und soll auch zu Erkenntnissen über die Entstehung von Leben (und dessen Chemie) auf der Erde beitragen. Synbio i. w. S. bezeichnet demgegenüber als Sammelbegriff alle aktuell verfolgten, zu nehmend informationsbasierten und meist anwendungsorientierten Ansätze der molekularbiologischen Veränderung bekannter Organismen. Diese zielen auf die Konstruktion neuer Synthesewege zur Herstellung von Chemikalien oder das Design genetischer Schaltkreise für neue sensorische und regulatorische Funktionen in existierenden Organismen. Synbio i. w. S. geht über bisherige einfache gentechnische Ansätze zur Stoffwechselbeeinflussung von Organis men (das sogenannte »Metabolic Engineering«) hinaus. Zunehmend werden dabei computergestützte Design- und Modellierungsprozesse eingesetzt.“ (Sau ter u. a., 2015, S. 9) Für das vorliegende Unterfangen einer metaphorologischen Perspektivierung wird weitgehend von Synthetischer Biologie im engeren Sinne ausgegangen, wenngleich vor allem bei Fragen des „Framing“ (Achatz) und der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Einordnung diese Unterscheidung nicht immer ganz trennscharf und zutreffend ist.
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S. 55) einordnet, verkündeten Venter und sein Team in der offiziellen Pressemitteilung die Erschaffung der „ersten synthetischen Zelle“ als die eigentliche wissenschaftliche Zwecksetzung und revolutionäre Pionierleistung. (JCVI, 2010) In der Folge überboten sich die medialen Reaktionen im Aufrufen des aus den vorausgehenden Diskursen bekannten Motivs der künstlichen Lebensherstellung und dem „Paying God“ Topos. (Schummer, 2011, S. 113–124) Damit setzten Venter und sein Team nicht nur einen wissenschaftlichen Meilenstein in der Geschichte der Synthetischen Biologie, sondern bestimmen auch bis heute die Themen der ethischen Debatte und beeinflussen so maßgeblich das Framing, also „die sprachliche Prägung und Darstellung des Forschungsfeldes“. (Achatz u. a., 2012, S. 166) Bereits sehr früh in der Entwicklung der Synthetischen Biologie als eigenständiges Forschungsfeld wurden ethische, rechtliche und soziale Fragen thematisiert. Die ersten Anstöße kamen zunächst von den Protagonisten der Forschung selbst. (Vgl. etwa Cho, 1999) Bald wurde die Debatte dann von den ethischen Beratungsgremien und Kommissionen der einzelnen Länder aufgegriffen und führte zu verschiedenen Stellungnahmen und Empfehlungen in den Niederlanden (de Vriend, Walhout, & van Est, 2007), Deutschland (acatech, DFG, & Leopoldina, 2009; Deutscher Bundestag, 2011), der Schweiz (EKAH, 2010), Großbritannien (Balmer & Martin, 2008) und den USA (PCSBI, 2010) sowie auf Europaebene (European Commission, 2005). Übereinstimmender Tenor dieser Bewertungen ist, dass die Synthetische Biologie zwar großes Potential im Sektor biotechnologischer Entwicklungen verspricht, aber auch eine Reihe von philosophisch-ethischen Fragen aufwirft, die vertieft im interdisziplinären Austausch erforscht werden müssen.25 Die anschließenden For25 Neuer gesetzlicher Regulierungsbedarf wird dagegen meist nicht gesehen. Die potentiellen Risiken und Gefahren werden durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen und Sicherheitsrichtlinien als ausreichend abgedeckt eingeschätzt. (Vgl. Deutscher Ethikrat, 2009) So stellt die Gesellschaft für Chemische Tech nik und Biotechnologie e. V. (Dechema) fest: „Inzwischen herrscht nicht nur unter den unmittelbar betroffenen Wissenschaftlern, sondern auch unter den herangezogenen Juristen, Philosophen und Wissenschaftstheoretikern Konsens darüber, dass die kritischen Methoden der Synthetischen Biologie hinsichtlich der Sicherheit (Biosaftey) klar in den Bereich der Gentechnik fallen. Aus die sem Grunde ist das Risikopotential der Synthetischen Biologie im Wesentlichen durch die bestehende Gentechnikgesetzgebung abgedeckt.“ (Dechema Biotech nologie, 2011, S. 10) Allgemein wird zu einer Haltung des „wait and see“ ge raten, auch wenn 2012 durch den Bericht der New Techniques Working Group (NTWG) bezüglich „synthetic genomics“, einem Feld der Synthetischen Biolo
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schungen zur Technikfolgenabschätzung und Reflexionen zu den philosophischen, ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten der Synthetischen Biologie orientieren sich vorrangig am Ingenieurparadigma, der Lebensherstellung und der meist impliziten Annahme, die Synthetische Biologie stoße in der öffentlichen Wahrnehmung auf Irritationen, Bedenken und Ablehnung. Die zentralen Themen in dieser Debatte lassen sich daher in drei Blöcke zusammenfassen: erstens, philosophische und ethische Reflexionen zum Lebensbegriff und zum methodisch-ontologischen Status synthetischer Organismen, zweitens, Fragen zu Biosafety und Biosecurity und die daran anschließende Diskussion um die sozioökonomischen, sozialen und rechtlichen Folgen sowie, drittens, weiterführende Überlegungen im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung, Akzeptanz und gesellschaftliche Legitimation der Synthetischen Biologie. Für die vorliegende Fragestellung ist vor allem der erste Aspekt, der Lebensbegriff in den Handlungskontexten der Synthetischen Biologie, von Bedeutung, wobei auch Fragen der Wissenschaftskommunikation und der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Bewertung der Synthetischen Biologie bei der Einordnung und Interpretation der metaphorologischen Perspektiven eine Rolle spielen.26 3.2.3 Lebenskonzepte und Handlungskontexte der Synthetischen Biologie Vor allem in der deutschsprachigen Diskussion um die Synthetische Biologie nimmt die Auseinandersetzung mit der Frage „Was ist Leben?“ eine zentrale Stellung ein. (Boldt, Müller, u. a., 2012; Dabrock u. a., 2011; Deutscher Ethikrat, 2013; Hacker & Hecker, 2012) Die ingenieurwissenschaftliche Ausrichtung der Synthetischen Biologie mit dem Anspruch der Lebensherstellung berührt die kulturell gie, Bedenken angemeldet wurden, ob die EU Verordnungen 2009/41/EC und 2001/18/EC die rasanten wissenschaftlich-technischen Entwicklungsfortschrit ten auf diesem Gebiet noch ausreichend abdecken. (New Techniques Working Group, 2012; vgl. auch Scientific Commitees (European Commission), 2015b) 26 Hingegen stellt die Debatte um Biosafety und Biosecurity sowie insbesondere Fragen des Dual-Use in der Synthetischen Biologie einen eigenständigen Dis kurs dar, der zwar in Zusammenhang mit den Themen der Lebensherstellung und der öffentlichen Wahrnehmung zu sehen ist, sich aber an anderen Kriterien und Grundbegriffen abarbeitet (etwa Risiko und Nutzen). (Vgl. hierzu Falkner, 2017, S. 16–21; Fleming, 2007; Kelle, 2013; M. Schmidt, 2008; Viggiani, 2010)
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tief verwurzelten und normativ aufgeladenen Unterscheidungen von Lebendigem und Nicht-Lebendigem, organischer und anorganischer Materie, natürlichen Organismen und künstlichen Artefakten. Wie Köchy hervorhebt, ist damit vor allem das zur Ausbildung menschlichen Selbstverständnisses grundlegende Verhältnis von Technik und Natur berührt, wobei diese epistemologisch und ontologisch bedeutsame Unterscheidung durch das mit der Synthetischen Biologie vorgetragene überwiegend technische Verständnis von Natur als ein „bis in Endglieder analysierbarer Baukasten“ in Frage gestellt wird und neu bestimmt werden muss. (Köchy, 2012c) Ein solche Herausforderung an das wissenschaftliche und lebensweltliche Verständnis vom Leben wirft daher zunächst Verständigungsfragen zur Konzeption und Logik des Lebensbegriffs selbst auf. (Deplazes-Zemp, 2012; Köchy, 2014, 2015; vgl. Martin, 2011) In der Debatte um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie wird dabei erneut deutlich, wie ambivalent und vieldeutig der Lebensbegriff in den verschiedenen Kontexten seiner Verwendung ist. Es zeigt sich aber auch, dass die Synthetische Biologie die Frage nach dem Leben zwar (wieder) aufwirft, aber letztlich bei der Beantwortung immer auf schon vorhandene Lebenskonzepte und -Verständnisse zurückgreifen muss, die nicht ihr selbst entnommen und zudem in einer gewissen Spannung und Unvereinbarkeit zueinander stehen. Nach Bölker ist das „erklärte Ziel der Synthetischen Biologie [...] die rationale Konstruktion neuartiger biologischer Systeme, die in dieser Form bisher nicht in der Natur existieren“. (Bölker, 2011, S. 27) Um dieses Ziel zu erreichen, werden ganz unterschiedliche Ansätze und Methoden verfolgt, die von der Erzeugung einer Minimalzelle als „Chassis“ für biotechnologische Anwendungen, etwa in der Biotreibstoffproduktion, bis hin zum Austausch oder der Ergänzung der natürlichen Basenpaare der DNA durch künstliche Aminosäuren, sogenannter XNA, reicht. (Vgl. M. Schmidt, 2012b) Entsprechend unterschiedlich fallen auch die Konzepte und epistemologischen Zugänge zum Leben aus. Obwohl der Begriff des Lebens in der Synthetischen Biologie theoretisch diskutiert wird und auch in der Debatte um die ontologischen, epistemologischen und ethischen Dimensionen eine zentrale Rolle spielt, ist hierbei nicht von einem einheitlichen und klar umrissenen Lebensbegriff auszugehen. (Steizinger, 2016, S. 276) Je nachdem, aus welcher Perspektive und mit welcher Absicht die Konstruktion neuer Lebensformen umgesetzt werden soll, fallen auch die Vorentscheidungen und https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Interpretationen bezüglich der relevanten Charakteristika und Merkmale des Lebendigen aus. Diese verschiedenen Auffassungen des Lebens wirken sich daher auch entscheidend auf den wissenschaftlich-technischen Umgang mit dem Leben aus. DeplazesZemp unterscheidet sechs verschiedene Arten, wie mit dem Leben in den verschiedenen Ansätzen und Kontexten der Synthetischen Biologie umgangen wird: Leben verstehen, Leben nutzen, Leben minimieren und optimieren, Leben variieren, Leben überwinden und Leben entwerfen. (Deplazes-Zemp, 2011, S. 103f.) Allen diesen Arten des Umgangs mit dem Leben scheint nach DeplazesZemp eine Grundhaltung eigen zu sein: „Leben wird als Aktivität und Eigenschaft aufgefasst, die entsprechend unserer Wünsche, Bedürfnisse und Kreativität modifiziert oder neu entworfen werden kann.“ (Deplazes-Zemp, 2011, S. 110) Diese Auffassung nennt Deplazes-Zemp schließlich auch „Leben als Werkzeugkasten“. Im Folgenden werden exemplarisch einige Aspekte dieser Auffassung verdeutlich und die entsprechenden „Werkzeuge“ der Synthetischen Biologie vorgestellt. Viele Vertreter:innen unterschiedlicher Ansätze betonen, dass die Synthetische Biologie zu einem besseren und tieferen Verstehen des Lebens beitragen würde. Dies findet seinen Niederschlag in dem häufig zitierten Ausspruch „What I cannot create I do not understand“, welchen Venter sogar als eine Art „Wasserzeichen“ in das Genom seiner synthetischen Zelle eingebaut hat. (Venter, 2013, S. 125) Dieser Richard Feynman zugeschriebene Satz soll die neuartige Qualität der synthetischen Biologie gegenüber früheren analytischen Ansätzen markieren und den methodologischen Anspruch zum Ausdruck bringen, dass wir Leben erst dann vollständig verstanden hätten, wenn wir biologische Lebensformen nachbauen und neu kreieren können. Dieser Gedanke des „knowledge through fabrication“ (Ruiz-Mirazo & Moreno, 2013, S. 376) ist dabei keineswegs so neu und revolutionär, wie es in der Synthetischen Biologie gerne behauptet wird, sondern erweist sich, wie Martin Weiss zeigt, vielmehr als erkenntnistheoretisches Paradigma, dass bereits die Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft und Experimentkultur geprägt hat. (Weiss, 2011, S. 179; vgl. auch Steizinger, 2016, S. 279) So verwundert es folglich nicht, dass das bessere Verständnis des Lebens, welches etwa Venter mit seinem Synthetic-Genomics Ansatz gewinnen möchte, darauf hinausläuft, eine reduktionistische und genzentrische Erklärung des Lebens beweisen zu wollen. (Cho, 1999; Deplazes-Zemp, 2011, https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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S. 104)27 Die Frage nach dem Ursprung des biologischen Lebens und den minimalen chemischen Bedingungen, unter denen es entstanden sein könnte, leitet dagegen große Teile der Protozellforschung an, bei der es darum geht, in Bottom-Up Verfahren künstliche Zellen bzw. einfache Vorformen (z. B. teilungsfähige Vesikel) aus kleinsten molekularen Teilen zusammenzubauen. (Bedau, 2012; Luisi, 2006; Rasmussen, 2004; Schwille, 2011; Stano & Mavelli, 2015) Die Betonung des Verstehens durch herstellende und konstruktive Verfahren legt die Vermutung nahe, dass es sich bei den konkreten Forschungsvorhaben um klassische Grundlagenforschung handelt, die primär auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und Einsicht in die Konstruktionsprinzipien lebender Organismen orientiert ist. Tatsächlich stehen die meisten gegenwärtigen Projekte der Synthetischen Biologie noch weitgehend in einer Phase solcher Grundlagenforschung und sind von einer möglichen technischen Umsetzung und Anwendung der Forschungsergebnisse weit entfernt. Dennoch ist die Synthetische Biologie in vielen Bereichen von Anfang an auf eine biotechnologische Anwendung und industrielle Nutzung ihrer Produkte ausgerichtet. Hierbei sollen die neuen technologischen Möglichkeiten der Synthetischen Biologie eine gegenüber den herkömmlichen Methoden der Modifikation und der Veränderung einzelner Gene oder kleinerer Gensequenzen eine deutlich effizientere und effektivere Nutzung biologischer Systeme und Organismen erlauben. (Deplazes-Zemp, 2011, S. 105) Die erhofften Bereiche zukünftiger Techniken und Produkte können dabei unterschieden werden in industrielle Anwendungen etwa im Bereich der Herstellung von Feinchemikalien, in Umweltanwendungen zum Beispiel Biofuels oder Detoxifikation von Böden und Gewässern und in Forschungen mit medizinisch-therapeutischem Zweck, die eine Anwendung am Menschen vorsehen. (Vgl. M. 27 Rehmann-Sutter verweist auf die problematische Deutung des Feynman Sat zes im Kontext der Synthetischen Biologie. Feynmans „create“ beziehe sich auf ein gedankliches Aufbauen im Rahmen der theoretischen Physik und bezeichne gerade kein technisches Machen. Auch der Umkehrschluss der im Satz vorge nommenen doppelten Negation sei epistemologisch schlicht nicht zutreffend: „Der Satz sagt nicht, dass man alles, was man erschaffen kann, notwendigerwei se auch versteht. Schon gar nicht sagt er, dass man es richtig versteht“ (Reh mann-Sutter, 2013, S. 12f.) Auch Bedau meldet starke Zweifel daran an, ob die von Venter und seinem Team geschaffene „synthetische Zelle“, deren Genom lediglich synthetisch hergestellt wurde, während der Rest der Zelle von einem natürlichen Bakterium stammt, überhaupt irgendetwas zu der Frage nach dem Leben oder dessen Verstehen beiträgt. (Bedau, 2010, S. 1011, FN 1)
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Schmidt, 2012a) In den einzelnen Projekten der Synthetischen Biologie, wie in den Lebenswissenschaften allgemein, ist die Trennung von Grundlagenforschung und Anwendungsforschung allerdings nicht immer eindeutig und zutreffend. Oft gehen die Zielsetzungen von grundlagenorientiertem „proof of principle“ und der anwendungsorientierte Charakter der Wissenschaft als „enabling technology“ ineinander über. (Köchy, 2012b, S. 42) Mit der anwendungsorientierten Nutzung von synthetischen Organismen geht eine Sichtweise und ein Umgang mit Leben einher, die auf Strategien der Minimierung und Optimierung zurückzuführen sind. In reduktiven Top-Down Ansätzen wie den Bioengineering-Ansätzen oder dem von Venter verfolgten Synthetic Genomics- Ansatz wird das Genom bereits existierender Zellen auf ihre minimalen biologischen Grundfunktionen reduziert. Sie sollen nun als „Chassis“ dienen, um anschließend wieder mit gewünschten Eigenschaften und Funktionen neu aufgebaut zu werden. Geplant sind hierbei vor allem Eigenschaften und Funktionen, die so in der Natur bisher nicht vorkommen. Daher lassen sich solche technischen Eingriffe je nachdem, wie weit sich die synthetisch-biologischen Produkte von natürlichen Systemen unterscheiden, auch als mimetisch, konstruktiv-modifizierend oder optimierend charakterisieren. (Köchy, 2012b, S. 46) Die neuen optimierten Lebensformen sollen ihre Aufgaben, zu deren Zweck sie hergestellt werden, besser und effizienter erfüllen als natürliche oder lediglich leicht modifizierte Organismen. Das Lebensverständnis, das hier leitend wirkt, geht also in mechanistisch-reduktionistischer Tradition davon aus, dass sich Leben auf bestimmte Prinzipien und Minimalfunktionen reduzieren lässt und sieht evolutionär hervorgebrachtes Leben in Ermangelung eines „Sinn für Organisation und Hierarchie“ als defizitär und optimierungsbedürftig an. (Deplazes-Zemp, 2011, S. 106) Ziel der ingenieurwissenschaftlich ausgerichteten Synthetischen Biologie ist daher, unerwünschte Charakteristika lebender Organismen wie etwa Mutabilität und Evolvierbarkeit durch ein rationales Design zu überwinden und in einem Akt kreativer Verwirklichung als stabile und kontrollierbare „living machines“ neu zu entwerfen.28 (Deplazes-Zemp, 2011, S. 197f.; Endy, 2005) 28 An dieser Stelle ist auch der jährlich stattfindende iGEM Wettbewerb zu er wähnen: Die international Genetically Engineered Machine (iGEM) competition ist ein internationaler Wettbewerb für Studierende auf dem Gebiet der Syn thetischen Biologie, der seit 2003 von der iGEM Foundation am Massachusetts
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An solche Auffassungen von Leben als Objekt technischer Verfügbarkeit und Nutzung schließen sich nahtlos Fragen zu den ethischen Implikationen und Folgen eines technischen und instrumentalisierenden Umgangs mit dem Lebendigen an. Boldt, Müller und Maio etwa formulieren das Argument eines möglicherweise in ontologisch und ethisch bedenklicher Weise veränderten Lebensbegriffs: „Der für die Versuchsanordnung methodisch reduzierte Lebensbegriff, den die Synthetische Biologie verwendet, kann dazu führen, ‚Leben‘ zu unterschätzen und suggeriert daher möglicherweise eine Kontrollierbarkeit von Lebensprozessen, die so nicht gegeben ist.“ (Boldt u. a., 2009, S. 82) Dabei stehen vor allem technomorphe und mechanistische Metaphern wie „living machines“ im Verdacht, die ontologischen Grenzen zwischen Lebendigem und Technischem zu verwischen und damit zu einer Veränderung des menschlichen Selbstverständnisses – vom homo faber zum homo creator – beizutragen. (Boldt u. a., 2009, S. 82; vgl. auch Boldt & Müller, 2008; Koechlin, 2010; O. Müller, 2012) Daran schließen sich weitere Beiträge an, die aus deontologischer Perspektive den moralischen Status synthetisch-biologischer Organismen diskutieren oder an die naturethische und theologische Debatte zum Wert des Lebens anknüpfen. (EKAH, 2010, S. 15; Kaebnick, 2013; Knoepffler & Börner, 2012) In einer direkten Antwort auf Boldt kritisieren dagegen Ganguli-Mitra und weitere Autor:innen die Thesen zu den intrinsischen ethischen Implikationen des Lebensbegriffs durch die Synthetische Biologie. Sie verorten die eigentliche ethische Herausforderung in einer Sphäre gesellschaftlichen Vertrauens gegenüber der Wissenschaft, in der sich öffentliche Vorbehalten und Bedenken am Lebensbegriff entzünden und etwa als „Playing God“ Vorwurf an die Forschung herangetragen werden. (Ganguli-Mitra, Schmidt, Torgersen, Deplazes, & Biller-Andorno, 2009) Dass der Vorwurf, der Mensch spiele Gott, wenn er mittels der Synthetischen Biologie Leben herstelle, theologisch nicht begründet werden könne, sondern vielmehr als Ausdruck eines vagen Unbehagens der Gesellschaft Institute of Technology (MIT) in Cambridge veranstaltet wird. Die teilnehmen den Teams bekommen ein Labor-Kit mit DNA-Bausteinen (sog. „Biobricks“) zur Verfügung gestellt. Mit diesen Bausteinen werden synthetische, biologisch aktive Module entwickelt, die dann in Zellen eingebracht werden und dort neue Funktionen ermöglichen. Deutlich wird hier nochmals die spannungsvolle Ver mischung der planerischen, ingenieurwissenschaftlichen Ausrichtung mit dem kreativen spielerischen Charakter des Bastelns innerhalb der Synthetischen Bio logie. (iGEM, o. J.; Porcar & Peretó, 2014)
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gegenüber biotechnologischen Neuerungen interpretiert werden müsse, ist im Wesentlichen das Ergebnis der Arbeiten von Dabrock, Ried und Braun. (Dabrock, 2009, 2012; Dabrock & Ried, 2011; Ried u. a., 2011; Ried & Dabrock, 2011) Einen gewissen Sonderstatus innerhalb der Synthetischen Biologie nehmen Forschungsansätze ein, deren Ziel „künstliche[s] Leben [ist], das genetisch und metabolisch so weit vom natürlichen entfernt ist, dass es außerhalb des Labors auf der Erde nicht überleben kann.“ (Budisa, 2015, S. 78) Ziel ist dabei, nicht nur „biologische Teile von Lebewesen als Module zu definieren und durch Neukombination neuartige biologische Systeme zu generieren“, sondern „die chemische Zusammensetzung dieser Module neu [zu] gestalten“. (Budisa, 2015, S. 82) Lebensformen, die etwa auf einem genetischen Code mit künstlichen Nukleinsäuren bestehen, würden tatsächlich eine neue Variante von Leben bedeuten, welches biologisch nicht mehr mit den natürlichen Systemen interagieren kann. (Deplazes-Zemp, 2011, S. 106) In diesem Zusammenhang wird auch von einer „zweiten Natur“ (Schmidt) oder einer „parallelen biologischen Welt“ (Budisa, 2014) gesprochen, die für bestimmte Anwendungsbereiche einen erheblichen Gewinn an Biosicherheit verspricht. (Marliere, 2009; M. Schmidt, 2010) Dem Risiko unabwägbaren Verhaltens synthetischer Organismen bei ungewollter Freisetzung oder gezielten Anwendungen in der Umwelt begegnet die gegenwärtige Forschung dabei mit Vorhaben, eine Art inhärente Sicherheitsstufe z. B. in Form eines genetischen „safety lock“ (Mandell u. a., 2015) oder einer „genetischen Firewall“ (Acevedo-Rocha & Budisa, 2011) in die Organismen zu integrieren und diese so genetisch zu isolieren. (Vgl. auch Benner & Sismour, 2005, S. 541) Die größte Herausforderung bei der Entwicklung einer genetischen Firewall und ähnlichen Vorhaben zur Erhöhung inhärenter Biosicherheit dürfte allerdings die Komplexität der Zielorganismen und der biologischen Systeme darstellen. (Vgl. Punkt 3.3.4.4) Auch wenn viele Verfahren der Synthetischen Biologie auf Komplexitätsreduktion setzen, ist ein Auftreten von unvorhersehbaren, emergenten Eigenschaften denkbar. „Sogar idealisierte Moleküle haben auf molekularer Ebene viele unbestimmte Freiheitsgrade und ihre Orthogonalisierung im biologischen Kontext ist extrem schwierig.“ (Budisa, 2015, S. 83) Entgegen den oben genannten Versuchen, durch eine biologische Parallelwelt Kontrolle und Biosicherheit zu erhöhen, kann mit der zunehmenden Naturferne das Risiko unvorhersehbarer Folgen sogar steigen. „Je weiter man sich von natürlihttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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chen Vorlagen des Lebens entfernt, umso unvorhersehbarer werden die Effekte sein können, die sich aus diesen Eigenschaften ergeben.“ (Boldt u. a., 2009, S. 78) Damit ist eine prinzipielle Schwierigkeit der Kontrolle und Voraussagbarkeit technisch konstruierter biologischer Systeme angesprochen, die als ethisch bedeutsame Spannung im Ingenieurparadigma und dem Begriff der Synthese selbst liegt und die sich als eine Spannung zwischen enginnerability und evolvability begreifen lässt. Hierzu auch Müller: „Combining the engineerability and evolvability of nature is a thrilling project, but one must be aware of the tempting suggestion of life being con trollable“ (O. Müller, 2016, S. 42; vgl. auch Köchy, 2015)29 Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die Konzepte des Lebens und der Umgang mit dem Lebendigen in der Synthetischen Biologie geprägt sind vom Paradigma der Herstellung und Konstruk tion, welche sich vor allem von den epistemischen Tugenden der Ingenieurswissenschaften her einordnen lassen. Leben erscheint hier in Analogie zu technischen Artefakten, die sich für bestimmte Zwecke und Zielsetzungen herstellen lassen. Der technische Denkstil, der damit in die biologische Forschungspraxis einwandert, ist, der des:der Bastlers:in (auch bricoleour oder tinkerer) und wird bestimmt durch ein „eher hemdsärmeliges Wissenschaftsideal“, welches sich durch Trial-and-Error Verfahren und die Bereitschaft, zur Umsetzung der praktischen Zielsetzung in großem Umfang auch Erkenntnislücken in Kauf zu nehmen, auszeichnet. (Köchy, 2014, S. 142f.) Dies kommt etwa auch bei Breithaupt zum Ausdruck: „In fact, ignoring the unknown is a main idea behind synthetic biology“. (Breithaupt, 2006, S. 22) Dieses Technik- und Forschungsideal des Bastelns steht allerding in einer gewissen Spannung zu einem konkurrierenden Technikideal der rationalen Planung. Nach Köchy können diese beiden Technikideale „als zwei unterschiedliche methodische Strategien zum Umgang mit den Vorgaben und Widerständen der lebendigen Natur verstanden werden“. (Köchy, 2014, S. 144) Es zeigt sich hierin eine besondere Herausforderung im technischen Konzept der Konstruktion, die in der „Kombination zwischen Systemanspruch (Komplexität) einerseits und Herrschaftsanspruch (Konstruktion) andererseits“ zu finden ist. (Köchy, 2014, S. 144) 29 Bereits 2007 schreiben auch Drubin, Way und Silver: „In the context of syn thetic biology, it remains to be seen whether natural evolvability corresponds to engineerability“. (Drubin, Way, & Silver, 2007, S. 245)
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Neben dem ingenieurwissenschaftlichen Denkstil und dem Handlungskontext der technischen Konstruktion, die in den meisten Selbstbeschreibungen und wissenschaftstheoretischen Einordnungen der Synthetischen Biologie hervorgehoben werden, deckt Köchy zwei weitere Kontexte bzw. Cluster von Lebensbegriffen auf, die ebenso in den Begriff der Synthese eingehen und innerhalb der Synthetischen Biologie wirksam werden. So werde unter dem Leitbild systembiologischer Simulationen und Modelle das Leben zum Objekt mathematischer Operationen. Unter dem Ideal der mathematischen Konstruktion wird das Leben in computergestützten Modellen dargestellt und in einer abstrakten, „lebensfremden Sprache“ beschrieben, die die materiellen Bedingungen lebender Systeme weitegehend ausblendet. Der chemische Ansatz hingegen, als dritter Handlungskontext, nimmt die materielle Verfasstheit lebender Systeme zum methodischen Ausgangspunkt und begreift Leben als chemische Konstruktion. Hier steht die Synthese nach Vorbild der Chemie und Biochemie im Vordergrund, die sich durch Prozesse und Mechanismen der Selbstorganisation auszeichnen. Der Konstruktionsprozess und die technische Produktion solcher selbstorganisierenden biochemischen Systeme erlangt damit, so Köchy, „den neuen Charakter einer ‚Koproduktion‘ mit biologischen Produktionsweisen und biologischen Systemen – quasi ein Rückgriff auf die ‚Wachstumsprozesse‘ der Natur in technischer Absicht“. (Köchy, 2014, S. 161) Allen drei Denkstilen und Konstruktionsidealen – der technischen Konstruktion, der mathematischen Konstruktion und der chemischen (Ko)Produktion – ist, so die Zusammenfassung Köchys, gemeinsam, dass sie in der konkreten Durchführung auf den Widerstand und die Komplexität präoperativer Bedingungen lebendiger Selbstorganisation treffen, die „lebendig“ deswegen genannt werden, da sie sich durch einen gewissen Grad an Autonomie gegenüber Fremdherstellung und -bestimmung auszeichnen. Insofern liegt im Synthesekonzept der Synthetischen Biologie ein Widerspruch und eine Spannung, die nicht nur ontologisch-epistemologische Verschiebungen im oben genannten Sinne einer Artifizialisierung der Natur implizieren könnte, sondern darüber hinaus eine ethische Dimension im Hinblick auf die Beherrschbarkeit von lebendiger Natur im Allgemeinen und die Rückholbarkeit synthetisch-biologischer Organismen im konkreten Fall ihrer Freisetzung darstellt. Diese Spannungen und Verschiebungen auf der Ebene der forschungsleitenden Denkstile und Modelle wirken sich allerdings auch und https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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in besonderer Weise auf den Sprachgebrauch, d. h. die Strategien der sprachlichen Bezeichnungen und Benennungen der Praktiken, Prozesse und Produkte von Konstruktionen aus. Metaphern nehmen dabei die Funktion sprachlicher Objektivierungsinstrumente und handlungsorientierende Instanzen solcher Sprachspiele und wissenschaftlich-technischer Wahrheitspraktiken ein. So lässt sich die bereits im Ingenieurparadigma festgestellte Spannung zwischen dem Technikideal des Bastelns und dem Technikideal des Planens auch in der mehrdeutigen Verwendungsweise der populären Maschinenmetaphorik in der Synthetischen Biologie explizieren und in verschiedene Deutungen ausdifferenzieren, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird. 3.2.4 Metaphern des Lebens in der Synthetischen Biologie Angesichts der Multikontextualität und Heterogenität der Lebensbegriffe und konzeptuellen Hintergründe in der Synthetischen Biologie ist es naheliegend, dass sich in den Selbstbeschreibungen der Wissenschaftler:innen eine Vielzahl von Metaphern finden lassen, die sowohl Eingang in die mediale Darstellung und öffentliche Wahrnehmung der Synthetischen Biologie gefunden haben als auch bereits in der begleitenden ELSI Debatte zum Gegenstand der philosophischen und ethischen Reflexionen geworden sind.30 (Vgl. Cserer & Seiringer, 2009; Cserer u. a., 2011; Hellsten & Nerlich, 2011) Zumindest in der deutschsprachigen Debatte drehen sich die Verwendungsweisen und die Wahrnehmung von Metaphern um den Begriff des Lebens bzw. das Konzept der Konstruktion und Herstellung von Leben. So sieht etwa Hartung für die gegenwärtige Lage eine ähnliche Konjunktur der metaphorischen Rede vom „Zauberwort Leben“ wie es Plessner zu Beginn des 20. Jahrhunderts feststellte. (Hartung, 2015, S. 33) Der Grund hierfür sei neben der lebensweltlichen Erwartung an die empirischen Wissenschaf30 In Experteninterwies in Verbindung einer Analyse der Darstellung der Synthe tischen Biologie in den deutschsprachigen Medien kommen Cserer, Seiringer und Schmidt zu dem Ergebnis, dass „[b]estimmte Metaphern und Wendungen [...] oftmals verwendet [wurden], um abstrakte Begriffe und Gegenstände zu beschreiben und zu veranschaulichen. Sowohl die Verfasser der Medienbeiträ ge als auch Experten gebrauchen diese sprachlichen Bilder zur Erläuterung der Synthetischen Biologie und ihrer Anwendungen“ (Cserer, Seiringer, & Schmidt, 2011, S. 382)
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ten, für alle „Lebensfragen eine Antwort zu erhalten“, auch mit dem Aufstieg und der Etablierung der sogenannten „Lebenswissenschaften“ in Zusammenhang zu bringen. In einem „metaphorischen und zutiefst unklaren Gebrauch des Lebensbegriffs“, wie er etwa in der Synthetischen Biologie und der daran anschließenden Debatte zu beobachten ist, sieht Hartung den „zeitgemäße[n] Ausweis einer neuen Weise der Bezauberung durch einen exzessiven Wortgebrauch und Symptom eines Ringens um Vertrauen in die menschliche Fähigkeit der Produktion von lebendigen Strukturen“. (Hartung, 2015, S. 34) Statt einer neuen Bezauberung beschwört Brenner hingegen vielmehr die Gefahr einer Entzauberung des Lebensbegriffs durch die Synthetische Biologie. Demnach „könnte die Überzeugung von der erfolgreichen Synthetisierung des Lebens den Lebensbegriff insgesamt verändern [...]. ‚Leben‘ wäre demnach endgültig entzaubert und eindeutig als eine Form materiellen Seins ausgewiesen, welche sich von anderem materiellen Sein lediglich durch seine Komplexität unterschiede“. (Brenner, 2007, S. 166) Die Metaphern des Lebens, so scheint es, werden in der Synthetischen Biologie ganz unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt. Sie sind nicht nur Gegenstand der wissenschaftlichen Selbstbeschreibungen und der philosophisch-ethischen Reflexion, sondern selbst Instrumente und Instanzen für normative Argumentationsstrategien innerhalb der um den Lebensbegriff geführten Auseinandersetzungen. Die Kritik an Metaphern und bestimmten Redeweisen dient daher häufig weniger der inhaltlichen und sachlichen Klärung der Gründe ihres Auftretens und Wirkens innerhalb konkreter Verwendungskontexte, sondern eher der Legitimation und Durchsetzung von bestimmten ethischen Positionen und normativen Hintergrundvorstellungen bezüglich der von der Synthetischen Biologie proklamierten Lebensherstellung. Dies könnte auch der Grund dafür sein, dass in den meisten Beiträgen der Debatte, die sich zu Metaphern allgemein oder konkret an Beispielen äußern, zwar viel über deren potentiellen Auswirkungen und Implikationen spekuliert wird, aber kaum metaphertheoretische oder gar metaphorologische Referenzen zu Wesen, Struktur und Funktion von Metaphern zu Rate gezogen werden. Auch auf entsprechende Arbeiten und Analysen aus vorangegangenen Debatten oder benachbarten Diskursfeldern wie etwa zur Gentechnik (Brandt, 2000; Gill, 1992; Gutmann, 1998), der Nanotechnologie (Bensaude Vincent & Loeve, 2014), Systembiologie (Döring, 2012) oder zu Metaphern in den Biowissenschaften allgemein (Keller, 1998, 2001, 2003; Kovács, https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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2009) wird wenig Bezug genommen. Viele Beiträge behandeln Metaphern und deren Vorkommneu und Wirken in der Synthetischen Biologie eher beiläufig neben anderen Themen. (Vgl. etwa die Beiträge in Dabrock u. a., 2011; Beutler, 2011, S. 291; Eichinger, 2011, S. 87; Deplazes-Zemp, 2011, S. 115; Brukamp, 2011, S. 70 und 72f.; Walz, 2011, S. 271; Ried u. a., 2011) Nur wenige Untersuchungen beschäftigen sich bisher explizit mit Metaphern oder stellen diese ins Zentrum ihrer Analyse und Reflexion, wenn auch hier ein zunehmendes Interesse zu beobachten ist. (Boldt, 2016; hierin v. a.: Matern, Ried, Braun, & Dabrock, 2016; O. Müller, 2016; vgl. auch McLeod & Nerlich, 2017; Döring, 2018) Hier ist weiterhin zu unterscheiden zwischen empirisch angelegten Korpusanalysen von Medientexten und wissenschaftlichen Publikationen über einen bestimmten Zeitraum (Cserer & Seiringer, 2009; Cserer u. a., 2011; Döring, 2014; Hellsten & Nerlich, 2011) und Einzelstudien zu isolierten Metaphern, meist die der „living machine“. (Deplazes & Huppenbauer, 2009b; Matern u. a., 2016) Gemeinsamer Tenor der methodologisch und inhaltlich äußerst heterogenen Beiträge liegt in der Betonung des prominenten Vorkommens von Metaphern und deren Relevanz hinsichtlich möglicher wissenschaftstheoretischer, ontologischer und ethischer Implikationen für den wissenschaftlichen und lebensweltlichen Lebensbegriff. Hierbei stellt die Synthetische Biologie keinen Einzelfall dar, sondern steht im Kontext vorheriger und angrenzender Diskussionen um Metaphern und deren ethische Implikationen in den modernen Lebenswissenschaften und Biotechnologien. So schreibt Döring: „Es metaphert gehörig im Kontext biotechnologischer Innovationen, und umso erstaunlicher ist es, dass selten eine kritischdiskursive und systematische Analyse moralisch-ethischer Implikationen und normativer Annahmen in Metaphern vorgenommen wurde.“ (Döring, 2014, S. 216f.) Es wurde einleitend bereits auf die methodologischen Schwierigkeiten und Defizite der gegenwärtigen Metaphernanalysen im Kontext der Bio- und Lebenswissenschaften, insbesondere der Synthetischen Biologie, hingewiesen. Drei Beispiele sollen dies noch einmal verdeutlichen und wiederholt einige prinzipielle Schwierigkeiten metaphorologischer Herangehensweisen im Kontext sich etablierender neuer Forschungsrichtungen aufzeigen. Der Metaphernbegriff, der in der Diskussion um die metaphorischen Sprachgebräuche in der Synthetischen Biologie meist unkommentiert vorausgesetzt wird, ist ein einfaches, unidiektionahttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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les und bipolares Übertragungsmodell, das von einem bekannten, vertrauten Ursprungsbereich der Metapher ausgeht, von welchem in uneigentlicher Verwendungsweise Aspekte oder semantische Bedeutungselemente auf einen abstrakten, komplexen Zielbereich übertragen werden. Der Zielbereich der Metaphern in der Synthetischen Biologie ist demnach das abstrakte Konzept des Lebens bzw. der Lebensherstellung. Den Ursprungsbereich bilden die jeweiligen Kontexte und Herkunftsbereiche, in denen ähnliche Konzepte des Herstellens, Konstruierens und Schaffens bereits bekannt und etabliert sind. Meist werden hier die Bereiche der Ingenieurwissenschaft und des Computers genannt, die sich in mechanistischen und industriebezogenen Metaphern äußern. (Cserer u. a., 2011) Ried, Braun und Dabrock erwähnen darüber hinaus auch religiöse Bilder wie ‚playing God‘ oder ‚creation‘. (Ried u. a., 2011, S. 351; vgl. auch Dabrock, 2012, 2012) Kirsten Brukamp schließlich identifiziert in ihrem Beitrag Lebenswelten formen insgesamt sieben Bereiche, aus denen sich „ungewöhnliche Ausdrücke“ und Metaphern in der Synthetischen Biologie speisen: 1. Ingenieurwesen allgemein: „to engineer biology“, „to construct life“, „tools“, „nature’s toolbox“, „concept of ‚plug-and-play‘ genetic circuit devices“ 2. Bauwesen und Architektur: biologische Komponenten als „building blocks“, „life’s architect“ 3. Elektrotechnik: Zellen und Moleküle als elektronische Funktionsträger, „rewire and reprogram organisms“ 4. Informationstheorie: „organisms as artifacts“, controlling the flow of information from DNA to proteins using synthetic cells“ 5. Informatik: „to programm cells“, „programming language for composable circuits“, „programming language for living cells“ 6. Gestaltung und Design: „to design a life form“, designing biological systems“, „design of functions and interactions of macromolecules, [...] metabolic networks, [...] signaling and regulatory networks“ 7. Theologie: „To engineer ist o create“, „to create a life form“, „to awaken synthetic life“, „to play god“ (Brukamp, 2011, S. 70f.) Auch wenn die Abgrenzung der einzelnen Bereiche zueinander und die Zuordnung der Ausdrücke und Metaphern zu den jeweiligen Bereichen nicht immer ganz eindeutig und passend scheint, kommt in dieser Aufzählung doch die Vielfalt und Häufigkeit der verwendeten metaphorischen Ausdrücke im Bezug auf die Herhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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stellungstätigkeit synthetisch-biologischer Forschungspraxis gut zur Geltung. Allerdings zeigt sich bereits an diesem Beispiel eine prinzipielle Schwierigkeit und methodologische Unschärfe, die für derartige Auseinandersetzungen mit Metaphern in der ethischen Begleitforschung wie auch für weite Teile der Metaphernforschung symptomatisch sind. (Vgl. Junge, 2014) Denn weder zum vorauszusetzenden Begriff der Metapher noch zum Verfahren seiner Identifikation werden Angaben gemacht. So klassifiziert Brukamp zwar die oben angeführten Beispiele in den einzelnen Bereichen in die drei systematischen Kategorien: „1. Beschreibungen von Prozessen an der Grenze zwischen Biologie und Ingenieurwesen [...] 2. Metaphern [...] 3. Implizite Bewertungen“ (Brukamp, 2011, S. 73), jedoch ohne anzugeben, nach welchen Kriterien eine solche sprachphilosophisch höchst voraussetzungsvolle Unterscheidung und Klassifikation von sprachlichen Ausdrücken und Sprechakten vorgenommen werden kann. Eine Erläuterung und Einordnung einer solchen Klassifikation scheint umso wünschenswerter, als damit offenbar ein Bewertungssystem und eine normative Hierarchie der „kontroversen Terminologie“ einhergeht: Während deskriptive Aussagen der 1. Klasse „akzeptabel [sind], da neue Entwicklungen neues Vokabular nötig machen“, wobei als Beispiel „to engineer biology“ angeführt wird, seien Metaphern wie „to programm cells“ „bereits hochgradig problematisch, weil Metaphern manchmal als hilfreich aufgefasst werden und manchmal als provokativ verstanden werden“. Der Gebrauch von impliziten Bewertungen etwa in „to awaken synthetic life“ sollte, so Brukamp, gänzlich vermieden werden, „da hierdurch oft Missverständnisse in der öffentlichen Diskussion erzeugt werden“. (Brukamp, 2011, S. 73) Brukamp sieht die Gefahr von kulturellen Interpretationen und Metaphern in den Lebenswissenschaften zum einen in der „Polarisierung der Meinungen“ und zum anderen im Verlust des „naturwissenschaftlichen Charakters der Forschungsprojekte“. (Brukamp, 2011, S. 73) Dies stellen klassische Motive im Kampf gegen die Metapher als unvermeidbares und rationales Moment des wissenschaftlichen Prozesses selbst dar, die allerdings in der gegenwärtigen Diskussion um die Bedeutung von Metaphern in Wissenschaftsprozessen und -kommunikation in dieser Form überholt scheinen. Boldt, Müller und Maio führen dagegen in ihrer vielbeachteten Studie von 2009 weitreichendere ontologische und ethische Argumente gegen metaphorische Redeweisen und Bezeichnungen in der Synthetischen Biologie ins Feld. Anhand der Verwendung zentraler https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Begriffe und technomorpher Metaphern wie „artificial cell“ oder „living machine“ könne, so die Autoren, eine „Ontologisierung – im Sinne der Konstitution einer neuen Gegenstandswelt“ – diagnostiziert werden. (Boldt u. a., 2009, S. 55) Solche Wendungen seien im Hinblick auf die bezeichneten Produkte und Prozesse der synthetischen Biologie „im Grunde völlig widersinnig“ und „sehr ungenau“ und würden daher zu einer „Artifizialisierung des Natürlichen beitragen“, d. h. eine „echte Gefahr“ einer problematischen Ontologisierung darstellen. (Boldt u. a., 2009, S. 56, 57 und 60) Damit aber könnte einhergehen, dass sich auch der ethische Status der als Entitäten zwischen Organismus und Maschine kategorisierten Produkte änderte und es zu einer „Art ‚Zwei-Klassen-Biologie‘“ käme. (Boldt u. a., 2009, S. 61) „Es könnte sein, dass die scheinbar harmlose Metapher von der ‚living machine‘ durch die Suggestion der Schaffung eines neuen Gegenstandsbereiches den Umgang mit bestimmten Entitäten verändern könnte“. (Boldt u. a., 2009, S. 59) Ähnliche Argumentationen finden sich bei Boldt in vielen seiner in regelmäßigen Abständen erscheinenden Texte zu den philosophischen und ethischen Implikationen der Synthetischen Biologie. (Vgl. etwa Boldt, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012) Hinter der befürchteten Gefahr einer Artizizialisierung des Natürlichen und der drohenden moralischen Entwertung natürlicher Zellen steht, darauf weist etwa Seizinger hin, ein axiologisches Konzept, welches dem Leben einen inhärenten Wert und per se ethische Relevanz zuspricht.31 (Steizinger, 2016, S. 283) Solche Wert-des-Lebens-Argumente scheinen zwar intuitiv nachvollziehbar und spiegeln wohl auch den alltagsmoralisch empfundenen Respekt und die erwartete Achtung vor dem Leben wider; in der bioethischen Debatte wie auch in den angrenzenden Debatten der Medizinethik und der Tierund Ökoethik sind solche biozentrischen Thesen vom intrinsischen Wert oder der „Heiligkeit des Lebens“ dagegen höchst umstritten und werden an vielen Stellen kritisiert und zurückgewiesen. (Vgl. Toepfer, 2014; Nida-Rümelin, 2005a; Krebs, 2014; Singer, 2013; Kötter, 2002; Düwell, 2008, S. 115–129) Metaphern als vermeintliche Verursacher problematischer Ontologisierungen und ethisch fragwürdiger Differenzierungen zwischen künstlichem und natür31 Steizinger beschreibt Boldts Lebenskonzept folgendermaßen „The cybernetic con cept of life – life as self-activity and communicative interaction with an environ ment – is combined with the holistic potential of the concept of life: The bounda ries between the different life forms are sublated in seeking a common good“
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lichem Leben werden somit selbst zum argumentativen Vehikel einer normativen Position, die sich ihrerseits auf die Suggestionskraft der Übertragung anthropomorpher Begriffe wie „Interesse“ und „Wert“ auf teleologische Konzepte des Natürlichen stützt. (Steizinger, 2016, S. 283f.; Toepfer, 2014) Ein drittes Beispiel stellt der (tiefen)hermeneutische und theologisch-ethische Ansatz der Analyse und Deutung von Metaphern in der Synthetischen Biologie von Ried, Braun und Dabrock in ihrem Artikel Unbehagen und kulturelles Gedächtnis dar. Mit Anleihen bei Freuds Untersuchungen zum „Unbehagen in der Kultur“ und Assmanns Theorie des kulturellen Gedächtnisses nehmen die Autoren Terminologien und Metaphern, die in der Synthetischen Biologie vor allem bezüglich ihrer Selbstbeschreibung und Visionen hervorgebracht und wahrgenommen werden, als Ursache und Ausdruck eines unbestimmten Unbehagens, welches „tief im kulturellen Gedächtnis verankerte Grenzmarkierungen [betrifft], deren Überschreitung grundlegende Gewissheiten porös werden lässt“. (Ried u. a., 2011, S. 347) Die unbestimmbare Sorge, das Unbehagen in bzw. an der Synthetischen Biologie ist somit auf zwei Ebenen zu beobachten, die miteinander in Verbindung stehen: Es wird auf der Ebene technisch-wissenschaftlichen Handelns evoziert durch neue technische Verfahrensweisen und technologischen Fortschritt, die die bisherigen normativen Regeln und Bewertungskategorien in Frage stellen bzw. mit diesen in Konflikt treten können. Hier ist zu betonen, dass es sich im Fall der Synthetischen Biologie vorrangig um Visionen, also zukünftige Verfahren und Produkte, handelt, die, wie bei vielen neuen Technologien und Entwicklungen, ein solches Unbehagen und eine „Situation normativer Unsicherheit“ hervorrufen können. (Grunwald, 2008, S. 55) Davon ist, nach Ried, Braun und Dabrock, die Ebene epistemologischer und ontologischer Formulierungen zu unterscheiden, „auf der das Unbehagen eine gewisse Irritation und Sprachlosigkeit angesichts der Erosion bisheriger oder bisher als gegeben angesehener Distinktionen indiziert.“ (Ried u. a., 2011, S. 362) Als Beispiel wird erneut die Debatte um die Metapher der „living machines“ bemüht, in denen sich ein solches Unbehagen angesichts der behaupteten technischen Möglichkeiten der Konstruktion lebender Organismen artikuliert. Metaphern sind hier Ausdruck einer Sprachnot angesichts der Erosion bisheriger, selbstverständlicher Unterscheidungs- und Beurteilungskategorien des Lebendigen und nicht Lebendigen bzw. des Künstlichen und des Natürlichen, die als normativ orientierende Deutungsmuster und https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Sinnstiftungsressourcen tief im kulturellen Gedächtnis verankert sind. Die Hauptthese von Ried, Braun und Dabrock lautet demnach: „Das Unbehagen angesichts biotechnologischer Entwicklungen wie der Synthetischen Biologie speist sich aus einem kulturellen Gedächtnis, das selbst insofern in eine Krise geraten ist, als es an Eindeutigkeit verloren hat.“ (Ried u. a., 2011, S. 356) Es handelt sich also um eine Krise, die auf ein Bedürfnis pragmatischer Orientierungen und sinnstiftender Deutungsmuster verweist. Metaphern und insbesondere religionskulturelle Wendungen wie „playing god“ werden daher als „Indikatoren für einen besonderen Bedarf an Deutungsleistungen“ (Ried u. a., 2011, S. 359) angesehen und sind in ethischer Hinsicht als „Marker für Fragen, denen ‚letzte‘ Bedeutung beigemessen wird, [...] als Deutungsinstrumente eines als qualitativ neu wahrgenommenen, wissenschaftlich-technologischen Fortschritts und [...] als sowohl als positiv auch negativ konnotierte Wertungen“ beachtenswert. (Ried u. a., 2011, S. 361) Ob nun die Figuren des „Unbehagens“ und des „kulturellen Gedächtnisses“ tatsächlich in dieser Weise aufeinander bezogen werden können und ein adäquates Bild des komplexen Zusammenhangs zwischen technisch-wissenschaftlichem Fortschritt und gesellschaftlichen normativen Deutungsprozessen bzw. ethischen Konflikten darstellt – zumal als hermeneutische Analyseinstrumente der sprachlichen Artikulationen solcher Prozesse – sei dahin gestellt.32 Es lassen sich aus den äußerst dichten Ausführungen eini ge methodologische Aspekte entnehmen, die für eine metaphorologische Analyse und Deutung von Metaphern im Zusammenhang mit biotechnologischen Entwicklungen und ihrer wissenschaftstheoretischen, philosophischen und gesellschaftlichen Einordnung hilfreiche Anknüpfungspunkte bieten. Die oben zitierte Rede von „Marker[n] für Fragen, denen ‚letzte‘ Bedeutung beigemessen wird“, erinnert vielleicht nicht ganz zufällig an Blumenbergs me32 Wie die Autoren selbst vermerken, muss zumindest Assmanns Definition des kulturellen Gedächtnisses im Zusammenhang mit antiken Hochkulturen ver standen werden: „unter den Bedingungen einer weltanschaulich pluralen und funktional ausdifferenzierten Gesellschaft [muss] solche konvektive Struktur mit ihrer orientierenden Funktion allerdings postularisch bleiben“ (Ried, Braun, & Dabrock, 2011, S. 357) Prainsack fügt noch hinzu, „dass selbst in der Fiktion einer homogenen Gesellschaft mit kollektivem Gedächtnis der Lebensbegriff kein fixierter wäre; [...] die exakte Bedeutung des Lebensbegriffes [ist] – auch deshalb, weil der Lebensbegriff alle Bereiche menschlicher Existenz berührt – immer konkret und praxisspezifisch.“ (Prainsack, 2013, S. 104)
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taphorologischen Ansatz zur pragmatischen Orientierungsfunktion (absoluter) Metaphern. Ried, Braun und Dabrock schreiben weiter: „das identifizierte ‚Unbehagen‘ kann [...] Anlass dazu geben, in den Erscheinungsformen der Kultur selbst angelegte Bruchlinien aufzusuchen und [...] nachzuverfolgen.“ (Ried u. a., 2011, S. 355) Dies ließe sich mit der Definition der Metapher als Kontextbruch und „seismographisches Ereignis“ gut vereinbaren. (Vgl. S. 26) Allerding gilt es die Warnung Petra Gehrings vor der unreflektierten Latenzvermutung und extremer Tiefenhermeneutik in der Metaphernforschung im Hinterkopf zu behalten, wenn im Folgenden davon die Rede ist, dass Metaphern „ein zirkulärer Wechsel von deskriptiver Ebene und normativer Wertung implizit [ist], wodurch sie kryptonormativ wirken“. (Ried u. a., 2011, S. 351 Hervorhebung D.F.) Richtig dagegen ist der Hinweis, dass Metaphern „je einzeln und in ihrer jeweiligen Verwendungsweise betrachtet und exponiert werden. Denn es ist erwartbar [...], dass der jeweilige Gebrauch einer Metapher [...] seinerseits das Konnotationsnetz des bisherigen Gebrauchs verändert“. (Ried u. a., 2011, S. 352) Ohne dies zu nennen, sprechen die Autoren hier die Einsichten der Interaktions- und Netzwerktheorie der Metapher in die grundlegende Kontextualität und Ereignishaftigkeit des metaphorischen Interaktionsprozesses, bei dem ein ganzes Netz an Bedeutungen, Konnotationen und Ähnlichkeiten in Bewegung gesetzt wird, aus. (I. A. Richards, 1965; Black, 1962; Hesse, 1988; Friedrich, 2015) Die Metapher wird so in ihrer Indikatorfunktion für Trans- und Rekonfigurationen bisher gültiger Distinktionen und Unterscheidungen auf der Verfahrensebene wie auf der Formulierungsebene zum ausgezeichneten Gegenstand der Analyse und Reflexion innerhalb der ELSI-Forschung erklärt: „Die in dem Unbehagen angezeigte Erosion der [...] Distinktionen von ‚natürlich‘ und ‚künstlich‘, ‚lebendig‘ und ‚nicht-lebendig‘ sowie ‚organisch‘ und ‚nicht-organisch‘ wird so für die ethische Forschung bearbeitbar und überprüfbar. Diese Überprüfbarkeit muss sich dann beispielsweise in der sehr präzisen und beständigen Bobachtung der zitierten Metaphern [...] erweisen.“ (Ried u. a., 2011, S. 365f.) Hinter diesem Anspruch, über Metaphern an eine tiefer liegende Schicht von normativen Wertungen und Deutungsmustern zu kommen, liegt die Annahme einer grundsätzlichen ethischen Relevanz und Eigentlichkeit des Lebensbegriffs, die, wie wir oben am Beispiel von Boldt, Müller und Maio gesehen haben, zwar weite Teile der ethischen Debatte um die Synthetische Biologie bestimmen, jedoch nicht selbstverständlich und ohne Weiteres so behauphttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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tet werden können. (Prainsack, 2013, S. 103f.) Während mit den Fragen von Biosecurity und Biosafety lediglich indirekt ethische und primär technische Probleme angesprochen würden, seien mit den lebensweltlich tief verankerten Distinktionen von ‚lebendig‘ und ‚nicht lebendig‘ etc. „tieferliegende Fragen adressiert [...], die prinzipieller Natur sind und allererst unter der Oberfläche hervorzuholen als ethische Fragen zu formulieren und zu bearbeiten sind.“ (Ried u. a., 2011, S. 348) Eine solche deutungsleitende Latenzvermutung verborgener Eigentlichkeit mag insofern berechtigt sein, als es tatsächlich in den Diskussionen um Biosicherheit und der Dual-Use Thematik weniger um genuin ethische Fragen als vielmehr um die Möglichkeiten und Grenzen der prospektiven Risikoforschung und Technikfolgenabschätzung geht.33 Ob und wie Metaphern nun als Gegenstand einer solchen psychoanalytisch inspirierten Analyse und Reflexion einer vermeintlichen Tiefengrammatik des Lebensbegriffs in den Blick genommen werden können, hängt dabei allerdings erheblich von den methodologischen Vorentscheidungen und Präzisierungen ab, die ihrerseits Ausdruck eines bestimmten, explizit oder implizit vorausgesetzten Metaphernverständnisses sind. Bei der Metapher gilt es in besonderer Weise, die Potenziale aber eben auch die Gefahren des hermeneutischen Zirkels und der dialektischen Beziehung von Erklären und Verstehen 33 In der Technikfolgenabschätzung (TA) wird die Synthetische Biologie als Pa radebeispiel einer „Technoscience“ und „converging technology“ betrachtet, bei der die herkömmlichen Methoden der Risikoabschätzung und Nutzen/Ko sten Kalküle aufgrund des frühen Stadiums der Forschung und der prinzipiel len Schwierigkeit der Vorhersagbarkeit (das sogenannte Collinridge-Dilemma) an ihre Grenzen geraten. Es gibt daher den Vorschlag einer „hermeneutischen Technikfolgenabschätzung“ im Rahmen eines „Vision Assessment“, bei dem es um die Hermeneutik gegenwärtiger Zukunftsvisionen und ‚Erzählungen‘ geht. (Grunwald, 2009, 2012) Ebenfalls im Rahmen solcher Vision Assessment Strategien und Leitbildforschungen fällt der Ansatz eines „Metaphor Assess ment“ für die TA. (Döring, 2012, 2014) Ein solches Metaphor Assessment konzentriert sich auf „eine empirisch motivierte und reflexive Hermeneutik von Visionen und Leitbildern“ (Döring, 2012, S. 41), wie es bei Döring heißt. Empirisch soll eine solche Metaphernhermeneutik durch Textkorpusanaly se und Expert:inneninterviews abgesichert werden. Allerdings werden auch hier deutungsleitende Latenzvermutungen an Metaphern herangetragen, die methodisch nicht durch das Sammeln von Textstellen und die Reduktion von Metaphern auf ihr Fokuswort eingeholt werden können: „Die Analyse und In terpretation [...] bedeutungsgenerierende[r] Prozesse bietet die Möglichkeit, un bewusst verlaufende Sinnstiftungen und deren Implikationen für die Diskussion offenzulegen.“ (Döring, 2012, S. 41)
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zu beachten. (Vgl. Ricœur, 1978, 1996) Andernfalls avanciert die Metapher schnell zum alles erklärenden „Zauberwort“ (Gehring, 2009b, S. 203), dessen „Trick“ darin besteht, die zuvor unterstellten verborgenen Eigentlichkeiten und die symptomatische Unbewusstheit sinnstiftender und pragmatisch orientierender Deutungsprozesse in einem Reich des Unsagbaren an die Oberfläche zu holen. Für die Metaphernforschung, insbesondere für metaphorologischen Studien im Bereich konkreter Handlungs- und Verwendungskontexte wie der Synthetischen Biologie wird somit – sofern Metaphern aufgrund ihrer semantischen Polyvalenz und Vagheit nicht einfach als inadäquat und Missverständnisse provozierend aus dem Bereich wissenschaftlicher Wahrheitspraktiken und Sprachspiele ausgeschlossen werden – aus der vermeintlich aufdeckenden Analyse und Interpretation verborgener metaphorischer Sinnstiftungsprozesse selbst ein Denkzwang, ein Bild, welches das Denken über Metaphern und deren Rolle in Prozessen der Wissensgenerierung und Wahrheitsfindung gefangen hält.
3.3 Metaphorologische Perspektiven 3.3.1 Die Methode der metaphorologischen Perspektivierung Die Betrachtungen der Lebensbegriffe und insbesondere der Metaphern im Handlungs- und Verwendungskontext der Synthetischen Biologie haben erneut gezeigt, dass Leben auch noch unter dem Paradigma seiner Konstruktion und Herstellbarkeit selbst ein multidimensionales und komplexes Phänomen darstellt, dessen vielfältigen Facetten und Aspekte nicht auf einen Kontext reduziert werden können und auch nicht nur aus einer Perspektive heraus erklärt werden können. Der Zugang über Metaphern, in denen sich die verschiedenen Verständnisse des Lebens in der Synthetischen Biologie artikulieren, stellt dabei einen vielversprechenden Ansatz dar, um diesem Umstand gerecht zu werden und bietet sich als Gegenstand einer hermeneutischen Analyse und Reflexion der wissenschaftstheoretischen, philosophischen und ethischen Dimensionen und Implikationen solcher Redeweisen, Erzählungen und Kommunikationsstrategien im Spannungsfeld von Wissenschaft und Gesellschaft an. Allerdings ist bei einem solchen Vorgehen, wie die Diskussion methapherntheoretischer und metaphorologischer Ansätze https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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gezeigt hat, mit schwerwiegenden methodologischen Problemen zu rechnen. Denn die Metapher ist mindestens ebenso umstritten, multidimensional und komplex wie der Lebensbegriff und daher selbst Gegenstand einer kontroversen und weitverzweigten Tradition metapherntheoretischer Diskurse. (Vgl. Punkt 2.1) Was hierbei als Ergebnis festgehalten werden kann, ist die Einsicht, dass es den einen Metaphernbegriff ebenso wenig wie die eine richtige und für alle Fälle passende Metapherntheorie oder gar Metaphorologie gibt. „Die Metapher als ein komplexes, multidimensionales Phänomen kann nicht von einem einzelnen theoretischen Ansatz aus erklärt werden.“ (Debatin, 1995, S. 329) Daher sind methodische und begriffliche Vorentscheidungen, die sich durch die Wahl des entsprechenden Kontextes und des eigenen eingenommen Standpunktes begründen lassen, nicht nur unvermeidbar, sondern auch unabdingbar, soll die konkrete Analyse und Reflexion von Metaphern nicht ins Beliebige abgleiten. Um noch einmal Petra Gehring zu zitieren: „Verschiedene Wege der Metaphernforschung sind möglich. Sie sind auch wünschenswert und gut. Gleichwohl enthebt uns diese Einsicht nicht der Notwendigkeit, sehr genau zu bestimmen, wie wir uns der Metapher annähern und wie wir das Gegenstandsfeld für die konkrete Arbeit begrenzen wollen.“ (Gehring, 2009b, S. 203) Diesem methodologischen Ordnungsruf soll im Folgenden zumindest versuchsweise nachgekommen werden, indem sich dem Thema Metaphern des Lebens in der Synthetischen Biologie in metaphorologischen Perspektiven angenähert wird. Die Grundidee ist dabei, die Erkenntnisse aus der Auseinandersetzung mit dem Standpunkt des philosophischen Perspektivismus (Vgl. Punkt 1.5) mit der Methode der reflexiven Metaphorisierung (Vgl. Punkt 2.4.4) zusammen zu bringen. In einer Art Perspektivennetz werden verschiedene Einzeluntersuchungen zu Metaphern vorgenommen, die je einen spezifischen Metapherngebrauch und -kontext zum Thema haben. Diese stehen jedoch nicht für sich isoliert, sondern sind als Perspektiven auf die Ergänzung, Erweiterung und Einordnung weiterer Perspektiven angewiesen. Ganz im Sinne des vorgestellten multiperspektivistischen Ansatzes können also die Einzelperspektiven als Fokussierinstrumente bestimmte Merkmale und Aspekte eines Metapherngebrauchs im Kontext der Synthetischen Biologie verstanden werden, während die anderen Perspektiven jeweils als Korrektur-, Objektivierungs- und Erweiterungsinstrumente dienen. (Köchy, 2003, S. 53ff.) Die Multiperspektivität selbst fungiert dann als „Vernetzungsinstrument“. (Köchy, 2003, S. 54) So soll https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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durch die vernetzte und dynamische Konstellation metaphorologischer Perspektiven ein möglichst umfassendes Bild zur Rolle und Funktion von Metaphern im Kontext der Synthetischen Biologie entstehen, welches der Vielschichtigkeit und Komplexität des Gegenstandes der Reflexion gerecht wird. Entscheidend ist bei dem hier gewählten multiperspektivischen Verfahren, dass Metaphern nun nicht einfach nur als Gegenstand in den Blick kommen, der aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und fokussiert wird, sondern dass die Metapher zugleich als Perspektivierungsinstrument selbst in die methodische Reflexion und Standortbestimmung mit einbezogen werden muss.34 Denn die Rede von „Perspektiven“ und „Vernetzungen“ verdankt sich seinerseits Metaphern, die in besonderer Weise den reflexiven, selbstreferenziellen und „lebendigen“ Charakter von Sprache zum Ausdruck bringen. Der Ansatz der metaphorologischen Perspektivierung kann daher auch als eine Form der rationalen Methode der reflexiven Metaphorisierung verstanden werden. Es geht in den Einzelperspektiven also nicht lediglich darum, die betrachteten Metaphern in wörtliche Ausdrücke zu „übersetzen“, um zu erklären, was sie „eigentlich“ bedeuteten und auch nicht um eine historische, begriffsgeschichtliche Rekonstruktion, sondern vielmehr darum, „das metaphorische Potential in kritischer Weise auszuschöpfen, indem Prozesse der Metaphernbildung, -erweiterung, -veränderung, -erschöpfung, -konfrontation und -historisierung systematisch in Gang gesetzt werden.“ (Debatin, 1995, S. 333) Methodisch äußerst schwierig bleibt weiterhin die Frage der Identifizierung von Metaphern, die entscheidend vom vorausgesetzten Metaphernbegriff und damit vom eigenen theoretischen Standpunkt abhängt. Als kennzeichnendes Merkmal nahezu jeder Definition der Metapher wurde dabei das Moment des Kontextbruchs und der Abweichung herausgestellt. Wenn man nun allerdings in metaphorologischer Absicht den Wissenskontext bestimmter Aussagen aufsucht, so Danneberg, ist dabei nicht „alles metaphorischer Sprachgebrauch, was auf den ersten Blick so erscheint“. (Danneberg, 2002, S. 289) Was aus Sicht des gegenwärtigen Sprachgebrauchs einen Kontextbruch darstellt, muss im historischen Kon34 In ähnlicher Weise stellt Martin Döring im Anschluss an Maasen und Wein garten einen Metaphernbegriff vor, demnach Metaphern zugleich „prime tar gets and tools“ einer metaphernanalytischen Bioethik fungieren. (Döring, 2014, S. 219; Maasen & Weingart, 2000, S. 37)
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text nicht als Abweichung wahrgenommen worden sein. Es sei, so Danneberg weiter, „entscheidend und zugleich das Problem bei der Bestimmung eines metaphorischen Gebrauchs unter Rückgriff auf einen zuschreibbaren Wissenskontext, daß wir dieses Vakuum tunlichst nicht mit unseren gegenwärtig liebgewordenen Wissensansprüchen, mithin ohne Rücksprache mit der Vergangenheit füllen sollten.“ (Danneberg, 2002, S. 304) Verbunden mit dieser historisch relativierenden pragmatischen Unterscheidung dessen, was einen metaphorischen Sprachgebrauch im jeweils aktuellen Wissenskontext ausmacht, ist das Problem der Kontextabgrenzung und -eingrenzung. (Vgl. Friedrich, 2015, S. 83f.) Denn es gibt bei Metaphern kein schlüssiges und allgemein gültiges Kriterium der Abgeschlossenheit eines relevanten Kontextes. (Danneberg, 2002, S. 290) Wenn die Metapher ihre Bedeutung nur in der Interaktion mit ihrem Kontext oder dem Rahmen, in dem sie als Bruch steht, erhält, wie weit müssen dann die Grenzen dieses Kontextes bzw. Rahmens gezogen werden, um alle relevanten Interferenzen und Faktoren zu erfassen? Ist es das Fokuswort (Aristoteles), die metaphorische Aussage bzw. der Satz (Interaktionstheorie), die Textstelle (Gehring), der ganze Text bzw. die Welt des Textes (Ricœur), der „Text-in-der Situation“ (Weinrich, 1976, S. 337) oder gar „die Einheit der Ausdruckssphäre eines Denkers oder einer Zeit“ (Blumenberg, 2013, S. 53)? Die Problematik der Bestimmung des relevanten Kontextes verschärft sich noch, wenn es sich gar nicht um einen homogenen Kontext handelt, sondern um viele, einander überlappende Kontexte, sowie weiterer synchron und diachron ineinander verschränkter Bildfelder und Metapherntraditionen.35 Für die synchronistische Analyse von Metaphern sei dies, wie Gehring pointiert herausstellt, der entscheidende Punkt: „Was passiert an der Bruchlinie, welche Umgebung interagiert mit dem Fokusausdruck, wo sind neben dem Fokus die ‚heißen‘ Zonen des Rahmens. Metaphern sind nicht isolierter Glutpunkt, sondern Herde von Differenzen.“ (Gehring, 2009b, S. 212) Metaphorologische Ansätze im Anschluss an Blumenberg und Weinrich betonen 35 Vgl. hierzu Weinrich: „[...] die Bildfelder der Sprache liegen nicht sauber ge schieden nebeneinander, sondern sie überlagern sich teilweise und haben bis weilen einzelne Metaphernstellen gemeinsam.“ An anderer Stelle heißt es: „Die Metapher [...] steht [...] nicht nur in einer Reihe von Nachbarmetaphern im Kontext in Verbindung, sondern wird außerdem noch durch viele andere Meta phern gestützt, die memoriell mit ihr verbunden sind.“ (Weinrich, 1976, S. 286 und 335)
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hingegen zu Recht, dass die historische Dimension des Metaphorischen wesentlich zur Funktion und zum Verständnis aktuellen Metapherngebrauchs beiträgt. (Vgl. Punkt 2.3) Wie Stoellger im Bezug auf die historisch-diachrone Bedeutung absoluter Metaphern treffend formuliert, ist die „Lebensform der Grundmetaphern [...] ihre lange Geschichte.“ (Stoellger, 2000, S. 197) Metaphern haben, so könnte man mit Dannenberg an dieser Stelle zusammenfassen, eine Mit- und Umwelt und eine Vor- und Nachwelt, in denen sich intra- inter- und transmetaphorische Bezüge abspielen.36 (Danneberg, 2002, S. 413) Eine materiale Metaphorologie, die im methodischen Zugriff auf das metaphorische Material die historisch-diachrone mit der semantisch-synchronen Dimension verschränkt, wie dies etwa bei Weinrichs Bildfeldanalysen anklingt, böte sich daher als Modell und Vorbild an, um die geplanten metaphorologischen Perspektiven durchzuführen. (Vgl. Schöffel, 1987, S. 79) Allerdings würde ein solch umfassendes Projekt nicht nur den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei Weitem sprengen, es ist, wie auch Debatin bemerkt, fraglich, ob sich Metaphorologie in diesem Sinne überhaupt durchführen lässt oder nicht doch ein Projekt darstellt, „das wahrscheinlich an der Komplexität des Gegenstandes scheitern dürfte.“ (Debatin, 1995, S. 225) Der vorliegende Ansatz metaphorologischer Perspektivierung wird die genannten methodischen Probleme nicht lösen können. Im Sinne der als notwendig erachteten Reflexion des eigenen Standpunktes und der eigenen Perspektivität sollen diese Einschränkungen jedoch zumindest bewusst bleiben und als deutungsleitende Vorannahmen und Horizontbestimmungen eines perspektivistischen und pragmatisch-hermeneutischen Zugriffs ausgewiesen werden. Die Wahl der Metaphern, die in den metaphorologischen Perspektiven beleuchtet und aufeinander bezogen werden sollen, erfolgt auf Grundlage bereits an anderer Stelle durchgeführter Analysen und der Literatur, in der bestimmte Metaphern als Metaphern identifiziert und behandelt werden. Das ist zum einen die Metapher der „living machine“, die in beinahe jedem Beitrag zu Metaphern in der Synthetischen Biologie erwähnt wird und die ingenieurwissenschaftliche Ausrichtung sowie den technisch-konstruktiven Zugang 36 Debatin spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „mehrdimensionalen Raum möglicher Bedeutungen“ innerhalb dessen sich die Konstruktion einer aktuellen Metapher als „Bildung eines komplexen Vektors“ vorzustellen ist. (Debatin, 1995, S. 170)
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zum Leben noch einmal in seiner epistemischen, ontologischen und auch ethischen Ambivalenz und Konflikthaftigkeit zum Ausdruck bringt. Es zeigt sich, dass das Verhältnis von Organismus und Maschine, welches in der Biologie eine lange Tradition hat und sich stets in den Metaphern einer Zeit zum Ausdruck gebracht hat, im Rahmen der Synthetischen Biologie zwar nicht vollständig aufgehoben wird, aber zumindest neu bestimmt und hinsichtlich des zugrundeliegenden Maschinenkonzeptes aktualisiert werden muss. (3.3.2) Daneben sind Computermetaphern wie „DNA as the software of life“ vor allem im Kontext von Craig Venters Synthetic-GenomicsAnsatz häufig vertreten und stellen ein gutes Beispiel sowohl für die handlungsleitende und normativ orientierende Funktion von Metaphern im Kontext wissenschaftlich-technologischer Entwicklungen und deren narrative Einordnung als auch die kommunikative Funktion von Metaphern im Prozess des Framings wissenschaftlicher Ergebnisse im Zusammenhang lebensweltlicher Deutungen dar. (3.3.3) Aus dem Bereich der systembiologisch und biochemisch orientierten Ansätze stammen dagegen Ausdrücke und Wendungen, die auf die Konstruktion „komplexer biologischer Systeme“ referieren und in denen dem Systembegriff und dem Konzept der Komplexität eine Schlüsselrolle im Verständnis einer ganzheitlich ausgerichteten Sichtweise auf Leben zukommt. Sowohl in der Möglichkeit der angemessenen Beschreibung des ethischen Konfliktpotentials und Spannungsfeldes von Konstruktion und Komplexität als auch in der Perspektive auf ein interdisziplinäres, integratives und pluralistisches Wissenschaftsverständnis scheint in der Betrachtungsweise von Organismen als komplexe Systeme eine Alternative bzw. Ergänzung zur mechanistisch-reduktionistischen Sichtweise auf. (3.3.4) Da sich Metaphern nicht auf ein Fokuswort, ja nicht einmal auf ein einzelnes Bildfeld reduzieren lassen, auch wenn dies für die Identifikation und den Vergleich mehrerer Metaphern zunächst hilfreich scheint, muss der jeweilige Kontext zunächst identifiziert und miterfasst werden. Für die relevanten Verwendungs- und Handlungskontexte der Synthetischen Biologie wurden hierfür bereits die drei Bereiche der technischen Konstruktion, der mathematischen Konstruktion und der chemischen (Ko)Produktion ausgemacht, die auch in den drei gewählten Perspektiven in je unterschiedlicher Gewichtung eine Rolle spielen. Des Weiteren gilt es die Metaphern nicht isoliert voneinander, sondern in ihren synchronen und diachronen Verweisungszusammenhängen mit weiteren Metaphern zu https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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betrachten oder zumindest an ausgewählten Beispielen solche Metaphernvernetzungen und -verkettungen zu verdeutlichen. Hieraus ergibt sich ein Vorschlag zum Aufbau und zur Struktur der einzelnen Perspektiven: Zunächst soll in einem einleitenden Passus das Vorkommen und der Kontext der entsprechenden Metapher bzw. des metaphorischen Sprachgebrauchs in der Synthetischen Biologie dargestellt werden. Daraufhin gilt es den historischen Ort dieser Metapher festzulegen und ausgehend von der Bestimmung der Metapher als Kontextbruch die Bruchlinien, Fragestellungen, Problemlagen und Distinktionen, auf die im jeweiligen historischen Kontext metaphorisch geantwortet wird, herauszuarbeiten. Von hier aus sollen in einer Art „historische[r] Längsschnitte“ (Blumenberg, 2013, S. 52) die Wirkungsgeschichte und der Wandel der Metapher anhand ausgewählter Beispiele rekonstruiert werden. Schließlich wird in einem die Perspektive abschließenden Teil eine systematische Ausdeutung der Metapher im Sinne der reflexiven Metaphorisierung hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Synthetische Biologie und die Debatte um die ethischen und gesellschaftlichen Aspekte der synthetisch-biologischen Forschung versucht. 3.3.2 Metaphorologische Perspektive 1: „Living machine“ 3.3.2.1 Vorkommen und Kontext Die Metapher „living machine“ und ähnliche Ausdrücke, die auf der Analogie von Maschinen und Lebewesen basieren, sind vor allem in den frühen Texten und Selbstbeschreibungen einer sich etablierenden und um Abgrenzung zu klassischen gentechnischen Verfahren bemühten Synthetischen Biologie zu finden.37 So ist etwa bereits 2004 von „künstlichen Biomaschinen“ die Rede, wobei sich die hierbei so bezeichneten Systeme lediglich als „genetische Schal37 Die Verwendung der Metapher „living machine“ in der Synthetischen Biologie ist dabei zu unterscheiden von biomimetischen Ansätzen, in denen ebenfalls von „living machines“ die Rede ist. (Wilson, Verschure, Mura, Prescott, & Interna tional Conference on Biomimetic and Biohybrid Systems, 2015) Während es in der Synthetischen Biologie darum geht, Systeme wie Maschinen herzustellen, die aufgrund bestimmter Eigenschaften tatsächlich als lebendig bezeichnet wer den können, zielt die Biomimetik auf „technologies that emulate living organis ms – living machines“. (Prescott, Lepora, & Vershure, 2014; vgl. auch Matern, Ried, Braun, & Dabrock, 2016, S. 47)
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ter“ oder „BioBricks“ erweisen, die in Zellen eingebaut werden und dort ihre Funktion als Module im Gesamtgefüge des Organismus erfüllen sollen. (Gibbs, 2004) Dennoch, die Vision, den ganzen synthetischen Organismus im Sinne einer konstruierten Maschine zu schaffen, ist bereits in dieser frühen Phase der Synthetischen Biologie bestimmend für den ingenieurwissenschaftlichen Denkstil und das technische Verständnis vom Leben: „Synthetic biology is another transformative innovation that will make it possible to build living machines from off-the-shelf chemical ingriedients, employing many of the same strategies that electrical engineers use to make computer chips.“ (Tucker & Zilinskas, 2006, S. 25) Ähnlich auch der Bericht der Niederländischen Commission on Genetic Modification (COGEM) von 2008: „By unravelling the functioning of living cells step by step and using this knowledge to construct artificial cell components, researchers hope eventually to be able to create a completely artificial cell. This could be considered to be a living machine“. (COGEM, 2008, S. 3) Die Maschinemetaphorik im Bereich des Lebendigen und in der Biologie ist dabei weder neu noch besonders innovativ. Insofern mag die offensichtlich an eine Cartesianische mechanistische Denktradition anknüpfende Verwendung eines Ausdrucks wie „living machine“ zunächst verwundern, da, wie etwa Haraway herausstellt, die Maschinemetapher und mit ihr der alte Streit zwischen Mechanismus und Vitalismus bereits mit dem Organizismus überwunden und verabschiedet schien. (Haraway, 2004, S. 6f.) Doch nicht nur lebt der Streit mechanistischer und vitalistischer Positionen bis heute fort, auch die Maschinenmetapher für lebendige Organismen erfreut sich neben ihrer Verwendung in der Synthetischen Biologie innerhalb der gegenwärtigen biologischen Theoriebildung und Forschung hoher Popularität. So zeigt etwa Nicholson wie das auf Descartes zurückzuführende Konzept der lebendigen Maschine auch in der aktuellen Entwicklungs- und Evolutionsbiologie als systematische Hintergrund- und Leitmetapher („root metaphor“)38 die Forschungsperspektive und die theoretische Erklärung der betreffenden Phänomene ganz wesentlich beeinflusst. (Nicholson, 2014) Man kann in diesem Sinne bei den „living machines“ wohl auch von einer Hintergrund- und Leitmetapher für die Synthe38 Vgl. hierzu auch Pepper: „The root metaphor of mechanism is a machine“ (Pepper, 1942, S. 186, zur Theorie der Wurzelmetaphern auch 84-114; vgl. auch Remmele, 2011, S. 224)
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tische Biologie sprechen, die den technischen Konstruktionsansatz programmatisch zum Ausdruck bringt und die Orientierung der Forschungsprozesse sowie die Wahrnehmung der Forschungsobjekte strukturiert und in eine bestimmte Richtung lenkt. (Matern u. a., 2016, S. 47) So schreiben Boudry und Pigliucci: „The machine metaphor is a guiding principle of the basic idea behind synthetic biology“ (Boudry & Pigliucci, 2013, S. 661) Der weiter oben geschilderte komplexe Zusammenhang zwischen dem epistemischen Anspruch, die Prinzipien und den Bauplan des Lebens durch Nachbau und Neudesign zu verstehen, und den darin enthaltenen und vorausgesetzten anwendungsorientierten Lebensbegriffen und Konstruktionskonzepten wird hierbei zugunsten des technischen Konstruktionsideals auf eine recht simple Analogie von Leben und Maschine reduziert: „If we view life as a machine, then we can also make it: this is the revolutionary nature of synthetic biology“ (de Vriend u. a., 2007, S. 2) Die metaphorische Übertragung, die hier zunächst zu beobachten ist, bezieht sich diesem Verständnis nach vorwiegend auf den Konstruktionsprozess, an dessen Ende als Resultat und Produkt eine Maschine steht.39 Organismen und Maschinen ist unter diesem Gesichtspunkt deren Herstellbarkeit, die planvoll und nach definierten Vorgaben hinsichtlich ihrer Struktur und Funktionen begriffen wird, gemeinsam. Das Ideal ingenieurwissenschaftlicher Konstruktionstätigkeit wird so zum Maßstab, an dem im Umkehrschluss auch natürliche Organismen in ihrer Funktionalität und Produktivität gemessen werden, wie dies etwa bei Drew Endy zum Ausdruck kommt: „To an engineer, biological systems are replicating machines that make mistakes during the replication process.“ (Endy, 2005, S. 452) Das Ziel der Synthetischen Biologie, künstliche Organismen und biologische Systeme nach Vorbild der technischen Konstruktion zu designen und herzustellen, kann im Rahmen der Maschinenmetaphorik allerdings auch als die Herstellung von künstlichen Organismen als lebendige Maschinen formuliert werden. Hier steht nun das Produkt der Herstellung im Fokus der Metapher, die damit eine bestimmte maschinale Sichtweise auf natürliche Organismen arti39 Nach Schmidt-Biggemann sind für den allgemeinen Maschinenbegriff drei Konstituentien erforderlich: 1. Maschine als Erfindung eines:r Erfinders:in, 2. das Funktionieren dieses Gebildes und 3. ein zu erreichender Zweck. (SchmidtBiggemann, 1980, S. 790)
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kuliert und praktisch wirksam einsetzt.40 Die Maschinenmetapher muss also in ihren Verwendungsweisen in der Synthetischen Biologie differenziert werden. Zum einen können darüber natürliche Organismen mittels Analogien aus dem Bereich des Technischen d. h. der Welt der technischen Artefakte und Maschinen beschrieben und erklärt werden; zum anderen werden basierend auf einem solchen mechanistisch-technischen Lebens- und Naturverständnis mit der Metapher „living machine“ die Produkte des synthetischbiologischen Herstellungsverfahren bezeichnet. Diese Produkte der synthetisch-biologischen Praxis sollen zwar einerseits biologische Systeme darstellen bzw. nach dem Vorbild biologischer Systeme konstruiert werden, andererseits unterscheiden sie sich idealerweise aber gerade dadurch von natürlichen Organismen, dass sie bestimmte, unerwünschte Eigenschaften lebendiger, selbstreproduzierender und evolvierender Systeme gerade nicht aufweisen. Wie Köchy herausstellt, kann sich also die Bezeichnung ‚Maschine‘ zum einen auf biologische Bildungen beziehen, die nur wegen „ihrer Vergleichbarkeit mit artifiziellen Strukturen oder Prozessen technomorph gedeutet werden“, zum anderen aber auch auf Bildungen, „die hinsichtlich ihrer Genese klar als Artefakte kenntlich sind, die aber zum Teil aus biologischen Bildungen bestehen oder aufgrund biologischer Produktionskapazitäten entstanden sind.“ (Köchy, 2014, S. 144) Während es für eine Kritik und Einordnung der Maschinenmetapher in der Synthetischen Biologie in dem einen Fall allgemein darum ginge, die über eine mechanistische Hintergrundmetaphorik eingenommene epistemologische Perspektive und Hinsichtnahme auf Lebendiges zu thematisieren, müsste im zweiten Fall über die Angemessenheit einer solchen metaphorischen Bezeichnung hinsichtlich der ontologischen Konsequenzen und möglichen ethischen Implikationen diskutiert werden. Witt weist zu Recht darauf hin, dass mit dem Anspruch der Konstrukti40 Eine dritte Perspektive auf das Vorkommen der Metapher „lebendige Maschi nen“ in der Synthetischen Biologie nimmt der originelle Artikel „Gebrauchs anleitungen für ‚lebende Maschinen‘. Synthetische Biologie zwischen Ingenieur und Anwender“ von Michael Funk ein. (Funk, 2018) Funk stellt die epistemo logische Frage, ob sich mit einem gewandelten bzw. erweiterten Verständnis von Maschine auch das Verständnis von Gebrauchsanweisungen zur Konstruk tion und Verwendung von Maschinen verändert und welche ethischen Folgen sich hieraus ergeben könnten. Ein besonderes Augenmerk legt er dabei auf die sprachliche Verfasstheit von Gebrauchsanweisungen und deren metaphorischen Status.
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on organismisch funktionierender Maschinen eine organisatorische und strukturelle Gleichsetzung von lebenden Maschinen und natürlichen Organismen zwar naheliegt, aber nicht zwingend erfolgen muss. So sei es auch möglich, „die charakteristischen Merkmale von Lebewesen als Zwecke zu verstehen, zu deren Realisation lebende Maschinen mit eben diesen Merkmalen konstruiert werden sollen.“ (Witt, 2012, S. 179) Dies sei, so Witt weiter, in der Synthetischen Biologie als Teilgebiet der Bionik41 der Fall. „Die Synthetische Biologie zielt dabei insbesondere darauf ab, spezifische Lebensprozesse als Werkzeug für menschliches Handeln einsetzbar zu machen.“ (Ebd.) Die Metapher „living machine“ scheint zunächst eine Gleichsetzung von Maschinen mit Eigenschaften des Lebendigen und natürlichen Organismen zu evozieren. Zugleich stellt sich aber die Frage nach dem ontologischen Status der künstlich hergestellten Artefakte und der Unterschiede hinsichtlich des Entstehungsprozesses zu natürlichen Organismen. Weniger die Gleichsetzung als vielmehr das spannungsvolle Verhältnis von Maschine und Organismus gilt es also anhand der Metapher „living machine“ zu reflektieren und in seiner Bedeutung für die Debatte um die Synthetische Biologie herauszuarbeiten. Es geht im Sinne der reflexiven Metaphorisierung und der metaphorologischen Perspektivierung darum, die Metapher als Metapher zu rekonstruieren und in ihrer Perspektivität sichtbar zu machen. Hierbei spielen die Geschichte der Maschinenmetaphorik und die Bildfeldtradition lebendiger Maschinen eine wesentliche Rolle, weshalb vor einer systematischen Auseinandersetzungen mit der Metapher „living machine“ in der Synthetischen Biologie ein historischer Abriss zum Ursprung und diachronen Verlauf der Maschinenmetaphorik im Bereich des Lebendigen erfolgt. Denn nur vor dem Hintergrund des Wandels und der Differenzierung von Maschinenkonzepten lässt sich verstehen, ob und in welcher Weise die Rede von lebenden Maschinen in den Handlungskontexten und Sprachspielen der Synthetischen Biologie angemessen und produktiv oder mythifizierend und irreführend sein kann.
41 Die Bionik, so Witt, „interpretiert verschiedene Eigenschaften und Fähigkeiten von Lebewesen, die diese im Laufe ihrer Adaption erworben haben, als technolo gische Lösungen, die sich auch für menschliche Bedarfe einsetzen lassen.“ (Witt, 2012, S. 179)
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3.3.2.2 Historischer Ort In der Regel wird die Metapher der lebenden Maschine historisch auf Descartes zurückgeführt. Im fünften Teil des Discours de la méthode findet sich jene vielzitierte Stelle, nach der Lebewesen in der Art von Maschinen funktionieren und Tiere mit seelenlosen Automaten gleichgesetzt werden. (Descartes, 1997, S. 91f.) Nach einer Aufzählung verschiedener physiologischer Phänomene und Leistungen des Gehirns und der Muskeln schreibt Descartes: „Dies wird dem keineswegs sonderbar vorkommen, der weiß, wie viele verschiedene Automaten oder bewegungsfähige Maschinen menschliche Geschicklichkeit zustandebringen kann, und dies unter Verwendung nur sehr weniger Einzelteile verglichen mit der großen Anzahl von Knochen, Muskeln, Nerven, Arterien, Venen und all den anderen Bestandteilen, die sich im Leibe jedes Tieres befinden. Er wird diesen Leib für eine Maschine ansehen, die aus den Händen Gottes kommt und daher unvergleichlich besser konstruiert ist und weit wunderbarere Getriebe in sich birgt als jede Maschine, die der Mensch erfinden kann. [...] Wenn es Maschinen mit den Organen und der Gestalte eines Affen oder eines anderen vernunftlosen Tieres gäbe, so hätten wir gar keine Mittel, das uns nur den geringsten Unterschied erkennen ließe zwischen dem Mechanismus dieser Maschinen und dem Lebensprinzip dieser Tiere“42 42 Anders hingegen sieht Descartes dies für den Menschen. Zwar wäre es wohl möglich Körperautomaten zu konstruieren, „die unseren Leibern ähnelten und unsere Handlungen insoweit nachahmten, wie dies für Maschinen wahrschein lich möglich ist“, doch hätten wir dabei „immer zwei ganz sichere Mittel zu der Erkenntnis, daß sie deswegen keineswegs wahre Menschen sind“. (Descartes, 1997, S. 93) Diese zwei Merkmale, die den Menschen vom Tier und allen ande ren Maschinen und Körperautomaten unterscheiden, sind nach Descartes die menschliche Sprachbegabung und die Fähigkeit, vernünftig, d. h. aus Einsicht zu handeln. Sie sind Ausdruck der vernünftigen Seele, die „keineswegs aus den be wegenden Kräften der Materie abgeleitet werden kann wie die übrigen Dinge“. (Descartes, 1997, S. 97) Während also für Descartes durchaus lebendige und in einem eingeschränkten Sinne sogar intelligente Maschinen denkbar und prin zipiell simulierbar und herstellbar sind (Vgl. M. Schneider, 1993, S. 413–416), nimmt der Mensch qua vernünftiger Seele, die sich nicht auf den Mechanis mus des Körpers reduzieren lässt, eine Sonderstellung im „Jenseits des Körpe rautomaten bzw. des Tieres bzw. des Menschenleibes“ (Sutter, 1988, S. 67) ein. Entgegen der häufig vorgetragenen Meinung, Descartes hätte lebendige Körper insbesondere Tiere und Maschinen einfach gleichgesetzt, betont Sutter, dass es sich bei der Maschinenmetapher hier um ein bewusst eingesetztes Modell han dele, welches zudem hinsichtlich einer Modelldifferenz in 1. natürliche Körper
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Obwohl diese „Körperautomaten-Doktrin“ innerhalb des Œuvres von Descartes nur einen geringen systematischen Stellenwert einnimmt, hat die Gleichsetzung von Lebewesen mit Automaten und Maschinen einen hohen Symbolgehalt für die mechanische Naturauffassung der Neuzeit und kann, wie Sutter hervorhebt, „als konsequenter Ausdruck der zum Weltbild ausgebauten neuen Physik“ gewertet werden. (Sutter, 1988, S. 41) Mayr schreibt hierzu: „With the mechanization of the animal soul, Descartes completed the mechanization of the world picture“. (E. Mayr, 1997, S. 4) Das neuzeitliche Maschinenmodell des Lebendigen hat seine Vorläufer in der vorindustriellen Automatenbaukunst und noch früher in den technomorphen Zügen der Aristotelischen Biologie. (Sutter, 1988, S. 41–48) Nach Descartes ist die Maschinenmetaphorik im Bereich des Lebendigen vor allem von Leibniz, La Mettrie und schließlich Kant aufgegriffen und in sehr unterschiedlicher Weise interpretiert worden.43 Eine metaphorologische Rekonstruktion dieser verschie(nach mechanischen Gesetzen analysierbar), 2. Körperautomaten (vorfindliche Produkte aus göttlicher Hand) und 3. Automaten und Maschinen (vom Men schen entworfen und gebaut) unterschieden werden muss. (Sutter, 1988, S. 55) 43 Die klassische Textstelle bei Leibniz stammt aus der Monadologie und beinhaltet eine Vision göttlicher Maschinen und ‚natürlicher Automaten‘, die, wie Main zers betont, angesichts der heutigen Forschung über Computermodelle von Or gansimen von großer Aktualität ist. (Vgl. Mainzer, 2010, S. 20) Die Stelle lautet: „So ist jeder organische Körper eines Lebewesens eine Art von göttlicher Ma schine oder natürlichem Automaten, der alle künstlichen Automaten unendlich übertrifft. Denn eine durch Menschenkunst gebaute Maschine ist nicht auch Maschine in jedem ihrer Teile. [...] Aber die Maschinen der Natur, d. h. die le bendigen Körper, sind noch in ihren kleinsten Teilen, bis ins Unendliche hinein, Maschinen. Eben darin besteht der Unterschied zwischen Natur und Kunst, d. h. zwischen der göttlichen Kunstfertigkeit und der unsren.“ (Leibniz, 2014, S. § 64) Weiter als Descartes geht nun der französische Arzt und Philosoph Julien Offray de La Mettrie in der Ausdeutung des Vergleichs von Mensch und Maschine, die er in dem Werk mit dem provokanten Titel L’homme machine vorstellt. Descar tes hätte, so La Mettrie, zwar völlig richtig gelegen, als er „als erster überzeu gend bewiesen [hat], daß die Tiere bloße Maschinen sind.“ (La Mettrie, 1990, S. 123) Allerdings hätte er einen Fehler gemacht, als er zwei unterschiedliche Substanzen angenommen hat, denn auch Menschen seien lediglich mit „Intel ligenz und [...] sicherem moralischen Instinkt“ versehene Tiere und insofern „aufrecht kriechende Maschinen“. (La Mettrie, 1990, S. 21 und 125) „Ziehen wir also die kühne Schlußfolgerung, daß der Mensch eine Maschine ist, und daß es im ganzen Universum nur eine einzige Substanz – in unterschiedlicher Gestalt – gibt“ (La Mettrie, 1990, S. 137) La Mettrie wäre jedoch missverstanden, würde man seinen vielseitigen Gebrauch der Maschinemetapher auf eine bloße Identifikation von Mensch und Maschine oder den polemischen Gehalt redu zieren. (Sutter, 1988, S. 144) Eine metaphorologische Untersuchung dieser „be
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denen Positionen und Kontexte würde eine intensive Stellenlektüre und historisch reflektierte Interpretationsarbeit erfordern, die den Rahmen der vorliegenden metaphorologischen Perspektivierung sprengt.44 Stattdessen soll an dieser Stelle der angesprochene Zusammenhang zwischen dem metaphorischen Maschinenkonzept und dem mechanistischen Weltbild der Neuzeit in den Blick genommen werden, um darin den historischen Ort und die konzeptionelle Grundlegung des technischen Maschinenbegriffs und des Herstellungsparadigmas der modernen Naturwissenschaften auszuweisen, die auch in der gegenwärtigen Debatte um die „living machines“ in der Synthetischen Biologie noch präsent und von Bedeutung sind. Erst mit der neuzeitlichen Physik und Newtons Lehre der Mechanik werden aus den bis dahin eher vereinzelt vorkommenden Maschinenmetaphern in der Antike und im Mittelalter, wo sie in weiten Teilen aus dem Bereich der Kriegsführung oder der Theaterbühnentechnik stammen (Vgl. Schmidt-Biggemann, 1980, S. 790f.), eine sichtleitende und orientierende „mechanische Hintergrundmetaphorik“ (Blumenberg, 2013, S. 91), die beansprucht, empirisch beobachtbare Phänomene und Prozesse wissenschaftlich und im Sinne einer linear mechanisch-kausalen Erklärung vollständig zu beschreiben.45 Die Mechanisierung des Weltbildes verwirklicht sich unter der deutungsleitenden Macht der Maschinenmetapher nun als „Naturalisierung der Maschinen“ (Remmele, 2011, S. 224) und gleitet mehr und mehr in eine „reine Maschinenontologie“ (Sutweglichen Vielseitigkeit des Maschinebildes“ bei La Mettrie, wie sie ansatzweise Sutter vornimmt, wäre mit Sicherheit auch für die heutige Diskussion um die „living machines“ in der Synthetischen Biologie vielversprechend. Kants Kritik des Maschinemodells in der Kritik der Urteilskraft wird weiter unten noch aus führlicher zitiert und diskutiert. 44 An dieser Stelle sei nur erneut auf Sutters Buch „Göttliche Maschinen“ als ein „Beitrag zu einer offenen Metapher- oder Modellgeschichte“ verwiesen. (Sutter, 1988, S. 11) 45 Dieser Übergang ist insofern interessant, als mit dem Wort Maschine (machina) im Kontext der Bühnentechnik Konnotationen der Täuschung und des verwun dernden Effektes verbunden waren, während die neuzeitliche Verwendung von Mechanismus, wie Sutter herausstellt, vielmehr auf die Entdeckung der ‚nackten Wahrheit‘ – jener Metapher, die nach Blumenberg zum Selbstbewusstsein der aufklärerischen Vernunft gehört (Blumenberg, 2013, S. 73) – abzielt: „Alles Naturgegebene, was einmal als Lebendiges assoziiert wurde – nicht zuletzt das Lebewesen selbst –, wird nun geradewegs auf verborgene Mechanismen zurück geführt. [...] So werden den Dingen ihre spektakulären Masken vom Maschinen körper gerissen. Hervor tritt die nackte Wahrheit“ (Sutter, 1988, S. 13f.; vgl. auch Blumenberg, 2011, S. 63–77 und 92)
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ter, 1988, S. 13) ab. Wie schließlich Baruzzi hervorhebt, entwickelt sich so aus dem Geist der Neuzeit, der in der Maschine sein Prinzip und Schaubild findet, ein Denken sub specie machinae, welches die vorherrschende Hinsichtnahme der frühen Neuzeit beschreibt und die Erkenntnis und das Handeln jener Zeit strukturiert und orientiert: „In jenem Maschinenzeitalter schaut alles auf die Maschine hin, um von ihr her als der leuchtenden Errungenschaft eine Sichtmöglichkeit auf das, was ist, zu gewinnen.“ (Baruzzi, 1973, S. 59; vgl. auch Jakob, 1991, S. 128f.) Maschinenmetaphern im Kontext des neuzeitlichen Mechanismus stellen somit einen extremen Fall von Metaphorik dar, da hier kaum mehr von Übertragung oder beobachtbarem Kontextbruch die Rede sein kann, sondern die Anwendungsfelder der Metapher – Mechanismus/Maschine und Welt/Lebewesen – geradezu identisch erscheinen. Blumenberg beschreibt den neuzeitlichen kosmologischen Mechanismus als „die Entfaltung einer absoluten Metapher“, die die mechanische Kon struktion zum sichtlenkenden Denkmodell und zur ontologischen Grundstruktur der Welt zugleich erklärt. (Blumenberg, 2013, S. 98) Damit einher geht, wie Wahsner kritisch bemerkt, eine nicht ganz unproblematische Gleichsetzung von Mechanik im Sinne von Newtons mathematisch-physikalischer Theorie und dem Mechanismus als einer philosophischen Lehre, die bei der Suche nach dem einen Prinzip, das die Welt erklärt, einem „mechanistische[n] Verständnis der Mechanik“ aufliegt. Ein solches Verständnis erhebe den exklusiven Anspruch, „die Welt allein mittels der Mechanik zu erklären“, ohne den Ursprung und die Einschränkungen der Newton’schen Mechanik als mathematisch-physikalische Theorie zu berücksichtigen. (Washner, 2015, S. 285f.; vgl. auch Wahsner, 2006, S. 20–24) „In der Konsequenz werden so Theorie bzw. Begriff und Wirklichkeit identifiziert, das heißt, die Mechanik wird nicht als Theorie erkannt. [...] Indem die Newton’sche Physik zur Weltanschauung gemacht wurde, sah man von ihrer Bedingtheit und Begrenztheit ebenso ab wie von dem grundlegenden Unterschied zwischen dem physikalischen und dem philosophischen epistemologischen Standpunkt. [...] Philosophie wie Physik betreiben zu wollen, führt stets zu einem mechanistischen Weltbild, zur Fassung der Welt als Mechanismus“ (Washner, 2015, S. 286f.) Die einseitige Sicht der Welt als Mechanismus – hier nun nicht mehr verstanden als physikalische Bewegungstheorie oder Theorie der Mechanik, sondern als ein „System von Elementen, die in festgelegter bzw. vorhergesehener Weise zusammenwirken“ (Washner, https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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2015, S. 283) – mündet schließlich in der Metapher von der Welt als Maschine, genauer als Uhrwerk-Automat. Vorbild ist hierbei die mechanische Räderuhr, die bis zum Aufkommen der Dampfmaschine „Europas geistig anspruchsvollster Mechanismus“ war und wie keine andere historische Maschine die Faszination und Hingabe der Menschen auf sich zog. (Vgl. O. Mayr, 1987, S. 19–45, hier 44) Es handelt sich jedoch bei der Referenz jener kosmologischen Uhrwerkmetapher, wie Sutter herausstellt, um eine idealisierte Maschine, die „selbst schon vom realen Universum der technischen Maschinenvehikel abstrahiert wurde“. (Sutter, 1988, S. 12) Die Metaphorik bezieht sich dabei hauptsächlich auf die Automatik und Gleichmäßigkeit des mechanischen Laufwerks bzw. die Merkmale des zentralen Antriebs und der ununterbrochen fortwährenden Bewegung, während andere Merkmale mechanischer Uhren, etwa die Zeitanzeige, nicht übertragen werden. (Jakob, 1991, S. 129) Die Weltuhr ist demnach, wie Blumenberg treffend bemerkt, „eine Uhr ohne Zeiger und Ziffernblatt“. (Blumenberg, 2013, S. 103) Blumenberg zeigt darüber hinaus, dass erst mit der Uhrwerkmetapher die viel umfassendere und vieldeutige Vorstellungen von der Metapher der machina mundi ihre folgenreiche Spezifikation im Sinne technischer Maschinen erhalten hat: „das Ablaufen einer einmal aufgezogenen Feder, die zu verläßlicher Gleichmäßigkeit angehalten ist.“ (Blumenberg, 2013, S. 93) Gerade der Ursprung von machina im Theatermilieu und die theologischen wie kosmologischen Konnotationen, die ihr im Mittelalter zuwachsen, scheinen Blumenberg jedoch ein möglicher Grund dafür zu sein, dass die „in einem Zeitalter neuartiger technischer Gebilde wiederbelebte machina [...] dafür disponiert war, das technische Phänomen der ‚Maschine‘ zu benennen. Erst jetzt kann ‚Maschine‘ zu einem prägnanten Programmwort der Weltdeutung, zu einer das Organische in seiner seelenbedingten Eigenwesentlichkeit bestreitenden Metapher werden.“46 (Blumenberg, 2013, S. 93) 46 An dieser Stelle kommt erneut die enge Verschränkung von der Maschineme tapher und dem Streit zwischen Mechanismus und Vitalismus zum Vorschein. Beide Positionen stützen sich auf diejenigen Deutungen der Maschinenkonzep tion des Lebendigen, die der Argumentation zuträglich scheinen und die jeweils andere Position bekämpft. Hierzu z. B. Oparin: „Besonders in der Gleichsetzung der Lebewesen mit den Maschinen kann man [...] den einzigen Weg sehen, um die Naturwissenschaften vor der mystischen ‚Entelechie‘ der Vitalisten zu be wahren und auch die Brücke bauen, die sich von der Physik und Chemie zur Biologie schlagen läßt.“ (Oparin, 1963, S. 17)
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Die Merkmale des Uhrwerks als der idealen technischen Maschine stellen somit ein historisch variables metaphorisches Reservoir an Charakteristika dar, welche je nach konkretem Kontext in verschiedener Gewichtung metaphorisch aktualisiert werden: „Selbstbewegung; funktionale Organisation der Teile zu einem Zweckganzen durch einen Werkmeister; Regelmäßigkeit, Gewißheit, Berechenbarkeit der Bewegungsabläufe“. (Sutter, 1988, S. 12; vgl. auch Jakob, 1991, S. 129) Die gleichmäßig laufende und nach linear-kausalen Gesetzmäßigkeiten konstruierte Uhr verkörpert die ideale Maschine als „das voll und ganz Definierte“, sie ist das „Urbild der Definierbarkeit“. (Baruzzi, 1973, S. 61) In dieser Maschinemetaphorik, die ihre Bedeutungen aus den idealisierten Vorstellungen maschinaler Eigenschaften generiert und diese auf alles Denken und alle Prozesse der Welt projiziert, ist das Paradigma der Konstruktion und der Herstellung bereits enthalten, welches für die Entwicklung und wissenschaftstheoretische Einordnung der modernen Naturwissenschaften und insbesondere für die Bio- und Lebenswissenschaften von zentraler Bedeutung geworden ist. „In der Maschine deutete sich für den neuzeitlichen Menschen so etwas an wie ein neues Lebensprinzip: das Prinzip der Maschine. [...] [D]as in der Maschine sich zeigende Prinzip der Machbarkeit erweist sich dann als das Denk- und Weltprinzip, wenn das Denken und die Welt den Gedanken der Maschine hergibt, selbst in der Art der Maschine ist. Nur weil die Welt selbst Maschine ist, können Maschinen hergestellt werden.“ (Baruzzi, 1973, S. 58f.) Das mechanistische Weltbild ist, wie Hannah Arendt treffend herausstellt, das Weltbild des homo faber, der die Prozessualität des Herstellens noch als Mittel zum Zweck des hergestellten Produkts selbst begreift – ein Gedanke, der von Arendt zwar gegen das Prozessdenken der modernen Naturwissenschaft gesetzt wird, im Kontext des Herstellungsparadigmas der Synthetischen Biologie allerdings von bemerkenswerter Aktualität ist. (Vgl. Boldt, Matern, Müller, Eichinger, & Ried, 2012; Eichinger, 2016, S. 64f.) Im neuzeitlichen Bild von Uhr und Uhrmacher zeige sich, so Arendt, zwar in den Uhrenbewegungen bereits der Prozesscharakter des Natürlichen, „während andererseits im Bild der Uhr selbst als eines Gegenstandes noch die eigentlichen Herstellungscharaktere, also der Unterschied zwischen Hersteller und Hergestelltem, Uhrmacher und Uhr, zur Geltung kommen“. (Arendt, 1985, S. 291) Der Darstellung von Elisabteh List folgend, erwächst so aus dem Geist der Mechanisierung die moderne Naturwissenschaft des Herstellens und
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Experimentierens, welche schließlich in den Biowissenschaften im Projekt der Herstellung des Lebens münden. (List, 2007, S. 153ff., 207–227) Insofern ist Descartes Maschinemodell der Körperautomaten – basierend auf der idealisierten Uhrwerkmetapher und symbolisch repräsentativ für das mechanistische Weltbild – tatsächlich der historische Ort und Gründungsmythos der lebendigen Maschinen, die in der Synthetischen Biologie hergestellt werden sollen. Das Bild der idealen Maschine, welches sich auf die Merkmale der automatischen Selbstbewegung, der funktionalen Organisation ihrer Teile und die vollständige Definition und Beherrschbarkeit der Prozesse und Bewegungsabläufe zusammenfassen lässt, beinhaltet im Grunde die Vorstellungen, die auch heute noch aktualisiert werden und konnotativ mitschwingen, wenn in unspezifischer Weise von Maschinen die Rede ist. Auch beschreibt die oben angeführte Liste idealisierter maschinaler Charakteristika recht treffend die Topoi, unter denen in der Synthetischen Biologie die Möglichkeit und Angemessenheit von „living machines“ unter dem Gesichtspunkt ihrer Herstellbarkeit diskutiert werden. Denn hierin wird die entscheidende Frage gesehen: Lassen sich die seit Aristoteles dem Bereich der Natur zugesprochenen Phänomene der Selbsttätigkeit von Lebewesen nach dem mechanistischen Erklärungsmuster und Modell einer Maschine begreifen? Lassen sich lebendige Maschinen planen und konstruieren, die hinsichtlich ihrer organismischen Prozesse und Bewegungsabläufe berechenbar und damit in ihrem Verhalten und den Folgen beherrschbar sind? 3.3.2.3 Wandel der Metapher Im mechanistischen Weltbild, so haben wir oben gesehen, ist die Maschinemetapher kaum mehr als Metapher erkenntlich. War die Rede von Körperautomaten bei Descartes bei genauerem Hinsehen noch im Sinne eines differenzierten Modells und als „fiktional gebrochene Identifizierung von Leib und Maschine“ (Sutter, 1988, S. 66) zu verstehen, so kippt dieser zweifelhafte ontologische Status des Maschinenmodells in der Leibniz-Wolffschen Tradition um „in eine reine Maschinenontologie der Körperwelt [...]. Auf dieser Grundlage wird das Bild der Uhr nicht mehr metaphorisch, sondern rein illustrativ verwendet, etwa um den im Maschinenbegriff enthaltenen Determinismus [...] darzustellen“. (Sutter, 1988, S. 13; vgl. auch Baruzzi, 1973, S. 61) Erst mit der grundlegenden Kritik Kants https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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an den mechanistischen Analogiebildungen für den Bereich des Organischen wird die Metapher der lebenden Maschine als Metapher wieder sichtbar.47 In der Kritik der Urteilskraft zeigt Kant klar die Grenzen der Uhrwerkmetapher für den Bereich des Lebendigen auf: „In einer Uhr ist ein Teil das Werkzeug der Bewegung der anderen, aber nicht ein Rad die wirkende Ursache der Hervorbringung des andern; ein Teil ist zwar um des andern Willen, aber nicht durch denselben da.“ (Kant, 1995, S. 322 (B293)) Einer Uhr sei darüber hinaus in ihrer Ursache und Form von außen her und nicht durch die innere Natur der Materie bestimmt; auch bringe eine Uhr keine anderen Uhren hervor, ersetze oder repariere aus sich selbst defekte oder verlorengegangene Teile – „welches alles wir dagegen von der organsierten Natur erwarten können.“ (Ebd.) Daher sei die Maschinenanalogie für die Erklärung natürlicher Organismen völlig verfehlt. Denn diese enthalten eine „sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den Mechanismus) nicht erklärt werden kann.“ (Ebd.) Die Organisation der Natur, die auf den Namen „Selbstorganisation“ gebracht werden kann, lässt sich der Überzeugung Kants nach nicht einmal in Analogie zu den uns bekannten mechanistischen Kausalitäten begreifen. (Sutter, 1988, S. 201) Es sei ganz gewiss, „daß wir die organisierten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanistischen Prinzipien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können; und zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann, es ist für Menschen ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen oder zu hoffen, daß noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalmes nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde: sondern man muß diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen“ (Kant, 1995, S. 352 (B338)) Kant stellt also dem linear-kausalistischen Mechanismus eine selbstorganisierte Natur und dem Bild der Maschine den Organismus als Denkprinzip gegenüber. (Washner, 2009, S. 184) Der Organismus ist dabei nicht als das Gegenteil oder das völlig Andere 47 Als weiterer Vertreter einer Kritik der Maschinemetapher wird etwa von Boudry und Pigliucci auch Hume angeführt: „Hume (1779/2012) first cautioned against analogies between the world (and living beings in particular) and products of in telligent engineering. Hume proposed that the universe, if anything, bears more resemblance to an animal or a vegetable.“ (Boudry & Pigliucci, 2013, S. 661)
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der Maschine zu verstehen. Vielmehr machen die im Organismus wechselwirkenden Kräfte der Selbstbildung und Selbstorganisation, die unabhängig von externen Einflüssen und Erklärungsinstanzen geschehen, auf die Grenzen und die notwendige perspektivische Beschränktheit mechanistischer Erklärungen des Lebendigen aufmerksam.48 (Köchy, 2003, S. 353) Es handelt sich bei dem von Kant aufgezeigten „Widerstreit von Mechanismus und Organismus“ um eine Verhältnisbestimmung und Unterscheidung, die in ihren jeweiligen Ausführungen und Begrifflichkeiten an einigen Stellen inkonsistent und im Hinblick auf die Entwicklungen der modernen Natur- und Biowissenschaften korrekturbedürftig erscheinen mag (Wahsner, 2006, S. 151–191), als Begründung einer organismischen Sichtweise des Lebens jedoch weitreichende und produktive Folgen für die Geschichte der biologischen Forschung und die Herausbildung einer systemtheoretischen Sichtweise für sich in Anspruch nehmen kann. (Witt, 2012, S. 90ff.) Darüber hinaus hat die Mechanismus-Organismus Unterscheidung Kants auch für die ihm nachfolgenden Versuche, Phänomene des Lebens naturwissenschaftlich zu erklären, weiterhin Bedeutung als ein konstruktives und reflexives Prinzip (Wahsner, 2006, S. 190) oder zumindest die regulative Funktion als methodologischer Prüfstein.49 Dies gilt auch und in besonderem Maße für die Synthetische Biologie.50 (Vgl. Pichl, 2015)
48 Zugleich hält Kant entschieden daran fest, dass der menschliche Verstand gar nicht anders kann, als in teleologischen Verknüpfungen und mechanistischen Kausalketten zu denken. „Wir können und sollen die Natur, so viel in unserem Vermögen ist, in ihrer Kausalverbindung nach bloß mechanischen Gesetzen der selben in der Erfahrung zu erforschen bemühet sein: denn in diesen liegen die wahren physischen Erklärungsgründe, deren Zusammenhang die wissenschaft liche Naturkenntnis durch die Vernunft ausmacht.“ (Kant, 1995, S. 49; vgl. auch Witt, 2012, S. 90ff.) 49 Plessner argumentiert in seinem Artikel „Newton des Grashalms?“, dass der eigentliche Adressat der Kant’schen Zurückweisung der Analogie von Mecha nismus und Organismus die Theologie sei, während die zeitgenössische Biologie davon gar nicht betroffen wäre. Erst im 19. Jahrhundert mit Entstehung der organischen Chemie und der experimentellen Physiologie werden Kants Argu mente zur Unvereinbarkeit von mechanischer und organismischer Erklärungs weise auch für die biologischen Wissenschaften zum Problem. (Plessner, 1964) 50 So z. B. Moya et. al.: „The history of biological research can be regarded as an attempt to prove Kant wrong.“ (Moya, Krasnogor, Peretó, & Latorre, 2009, S. 28) Vgl. hierzu auch Boldt und Müller: „Today, synthetic biology is setting us down the path toward proving him [Kant] wrong.“ (Boldt & Müller, 2008, S. 387)
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In ihrem Artikel Living Machines. On the Genesis and systematic Implications of a Leading Metaphor of Synthetic Biology stoßen Martern, Ried, Braun und Dabrock schließlich in Kants Opus Postumum auf die Bemerkung, dass organische Körper ‚natürliche Maschinen‘ seien. (Matern u. a., 2016, S. 53) Damit habe er, so die Autoren, eine Metapher auf den Punkt gebracht, die den Dualismus von Maschine und Organismus als solchen erst beobachtbar macht und die epistemologischen und ontologischen Grenzen zwischen den Bereichen technischer Artefakte und der Produkte natürlicher Selbstorganisation als beweglich und verschiebbar darstellt. „Thus the metaphor of the ‚living machines‘ could be understood as a point of condensation where the shifting of boundaries, the eruption of the previous distinctions, becomes observable and processable“. (Ebd.) Insofern Metaphern erst als Kontextbruch beobachtbar werden, kann also die von Kant als eine solche reflektierte Bruchlinie zwischen Maschine als Modell des mechanistischen Denkens und Organismus als Prinzip der natürlichen Prozesse als der eigentliche historische Ort der Metapher „living machine“ in der Synthetischen Biologie betrachtet werden. Es lässt sich nun allerdings nicht einfach die von Kant markierte Distinktion von Maschine und Organismus auf die heutige Auseinandersetzung in der Synthetischen Biologie übertragen. Bereits Blumenberg warnt davor, in der Antithetik von organischen und mechanischen Metaphern schon ein „Stückchen gesicherter metaphorologischer ‚Systematik‘ zu vereinnahmen“ und fragt weitsichtig, ob dieser Dualismus als solcher nicht selbst zu unserer geschichtlichen Sichtbedingtheit gehört. „Der Dualismus von Organismus und Mechanismus ist [...] keine Kategorie, mit der wir beliebig in der Geschichte des Denkens operieren können.“ (Blumenberg, 2013, S. 93f.) Das metaphorische Verhältnis von Mechanismus und Organismus ist kein einfaches unidirektionales Übertragungsmodell, sondern vielmehr ein komplexes Geflecht von interagierenden Bildfeldern und Einzelmetaphern, die je nach historischem Kontext in je unterschiedlicher Gewichtung und Verwendung aktualisiert werden.51 Dabei spielen die technologischen Entwicklungen und Visionen einer Zeit eine zentrale Rolle und sind für das Verständnis 51 Jakob identifiziert hierzu etwa in der Semantik und Geschichte der Technik sprache vier metaphorische Konzepte bzw. mentale Modelle, die auch über die Metapher der Maschine miteinander verknüpft sind: KÖRPER, MENSCH, HANDLUNG, MECHANIK. (Jakob, 1991, S. 30)
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der Maschinenmetapher in ihrem jeweiligen Verwendungskontext entscheidend. (Remmele, 2011, S. 229) Auch wenn es, wie etwa Sutter anhand des Uhrwerks zeigt, bei den Maschinenmetaphern um eine abstrakte und idealisierte Vorstellung von Maschinen geht, so bilden sich darin doch je die konkreten Maschinenkonzepte und technischen Apparate einer Zeit ab. Es muss daher gerade im Kontext der Synthetischen Biologie, darauf weist auch Köchy hin, in Rechnung gestellt werden, dass sich der Organismus-MaschineDualismus durch veränderte Maschinenkonzepte in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt hat. Für eine metaphorologische Kritik und Reflexion der Metapher „lebende Maschine“ ist also von entscheidender Bedeutung, „ob bei der Rede von ‚maschinenhaftem‘ Leben an eine Theaterapparatur, eine hydraulische Konstruktion (Springbrunnen), eine Uhr, eine Dampfmaschine, einen Computer oder einen Nanoroboter gedacht wird.“ (Köchy, 2014, S. 147) Es geht immer um die konkrete „Maschine“ der jeweiligen Zeit, wenn Eigenschaften des Lebens mit Merkmalen des Maschinalen verglichen oder gar gleichgesetzt werden.52 Für die Vorstellungen lebender Maschinen in der Synthetische Biologie sind hierbei vor allem zwei Entwicklungen bzw. Umbrüche von Bedeutung. (Vgl. im Folgenden Köchy, 2012a, 2014) Zum einen ist dies der Übergang von klassischen Energiewandlern zu kybernetischen Maschinen. Zum anderen ist die Vision sich selbst replizierender Nanomaschinen eine wichtige Quelle und Modell für die Vorstellungen einer „living machine“ in der Synthetischen Biologie. Als kybernetische Maschinen werden Maschinen bezeichnet, bei denen Input, inputverarbeitendes System und Output über Rückkopplungen miteinander verknüpft sind. (Klaus, 1967, S. 329) Ky52 Remmele weist jedoch darauf hin, dass schon mit der Ablösung der Uhr durch die Dampfmaschine keine neue einheitliche Idealmaschine mehr auszuma chen sei, sondern eine Vervielfältigung und Erweiterung des Bildfeldes „Ma schine“ eintritt, die sich auch in der Breite und Komplexität der darauf folgen den Debatten im Spannungsfeld von Maschine und Organismus wiederspiegelt. (Remmele, 2011, S. 233) Für eine grobe und exemplarische Übersicht vgl. hierzu für das 17.- frühe 20. Jahrhundert: (Jakob, 1991); für die biophilosophische De batte um Maschine und Organismus in den 1920er Jahren: (Köchy 2014); die kybernetischen Maschinen: (Wiener, 1952), (Wieser, 1959); Rechenmaschinen: (Mainzer, 2010), (M. Schneider, 1993); autopoetische Maschinen: die Arbeiten von Maturana und Varela; Maschinendeutungen in der Molekularbiologie und Genetik: (Knorr-Cetina, 2002), (Keller, 1995); Maschinen im Zeitalter der Neu rotechnologie: (O. Müller, 2010); Maschinen in der Nanotechnologie und ‚soft machines‘: (Rehmann-Sutter, 2008), (Jones, 2004).
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bernetische Maschinen werden etwa von Flechtner in den Grundbegriffen der Kybernetik auch als „Verknüpfungsmaschinen“ bezeichnet und stehen in engem Zusammenhang mit dem kybernetischen Systembegriff und der Systemtheorie sowie der konzeptionellen und technologischen Entwicklung von „Rechenmaschinen“ wie von Neumanns zelluläre Automaten und Turings universelle Maschine. (Flechtner, 1972, S. 262 und 228ff. vgl. auch Keller, 1998, S. 107ff.) In systematischer Betrachtung sind kybernetische Maschinen daher rein formal und weitgehend unabhängig von ihrer stofflichen Realisation zu beschreiben. Norbert Wiener, Begründer der Kybernetik, nennt die Einführung kybernetischer Maschinen eine „zweite industrielle Revolution“ und beschreibt diese als einen Übergang von klassischen Kraftmaschinen hin zu elektronischen Steuerungsmaschinen. (Wiener, 1952, S. 156; vgl. auch Wieser, 1959, S. 15f.; und Schmidt-Biggemann, 1980, S. 800f.) Schon der Titel von Wieners Buch Cybernetics, or Control and Communication in the Animal and the Machine zeigt, dass hier Lebewesen und Maschinen nicht hinsichtlich ihres Aufbaus, ihrer Organisation und Funktion, sondern hinsichtlich des Aspektes der Kontrolle sowie Regelung und Steuerung gleichgesetzt werden.53 Die Aufgabe der Kybernetik als Wissenschaft der Steuerung und Regelung ist demnach allgemein die Analyse von komplexen Systemen. Dies ist allerdings im Hinblick auf den Entstehungskontext im Rahmen militärischer Verteidigungsstrategien vor allem in der Entwicklung selbstlenkender und zielsuchender Abwehrvorrichtungen und Interkontinentalraketen zu verstehen. Der von Anfang an im mechanistischen Maschinenmodell inbegriffene Aspekt der Kontrolle und Beherrschung wird hier nun unter dem Paradigma der Steuerung und Regulierung zum wesentlichen Moment des kybernetischen Maschinenkonzepts. Da sich die Kybernetik nicht lediglich auf technische Systeme beschränkt, sondern umfassenden Anspruch auf Erklärung und Kontrolle aller Systeme, die sich als Verknüpfungs- und Rückkopplungsmaschinen definieren lassen, erhebt, umfasst das Konzept der kybernetischen Maschine auch etwa menschliche Gesellschaf-
53 Janich weist darauf hin, dass Kommunikation in diesem Fall nicht im Sinne einer sprachlichen Kommunikation zwischen Menschen, sondern als einfache kau sale Wechselwirkungen zu verstehen sei. (Janich, 2006, S. 48f.) In der deutschen Fassung des Buches wird Kommunikation dagegen als Nachrichtenübertragung übersetzt, was wiederum auf den militärischen Ursprungskontext des Werkes zurückzuführen sein könnte.
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ten und lebende Organismen. Kovács zeigt, dass es sich hierbei im Grunde um eine metaphorische Übertragung unter der normativen und erkenntnisleitenden Prämisse der Kontrolle handelt54: „Um über lebendige Organismen [...] die wissenschaftliche Kontrolle zu gewinnen, mussten diese metaphorisch als Rückkopplungsmaschinen aufgefasst werden. Dann konnte ihr Verhalten als Aktion und Reaktion nach dem Modell des Rückkopplungssystems definiert werden.“ (Kovács, 2009, S. 102f.) Wie Fox Keller zeigt, gab es allerdings im Verhältnis vom Kybernetik und Biologie nicht nur den bereits aus früheren Zeiten der Maschinenanalogien nach Vorbild von Uhrwerken und klassischen Energiewandlern bekannten Transfer maschinaler Begriffe und Modelle in die Sprachspiele und Forschungspraxis der Molekularbiologie, sondern „auch eine Art umgekehrten Transfer zwischen Biologie und Physik, der von ungeheurer Bedeutung für die Begriffsbildung (oder Ideologie) des postmodernen Zeitalters war.“ (Keller, 1998, S. 115) Es ist also von einem wechselseitigen Transfer und Metaphorisierungsprozessen zwischen kybernetischen Maschinenkonzepten und biologischen Organismusvorstellungen auszugehen, in dem beide Konzepte umfassende Wandlungen erfahren und in engem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit zu sehen sind.55 Diesen Transfer beschreibt Fox Keller wie folgt: 54 Kovács zeigt im Folgenden, dass erst über den kybernetischen Maschinenbe griff, welcher in der Rechenmaschine bzw. im Computer sein erstes Modell und technische Umsetzung findet, der Informationsbegriff in die Genetik und die im Entstehen begriffene Molekularbiologie eingeht und schließlich in den Meta phern des „genetischen Code“ und des „genetischen Programms“ äußerst er folgreich und wirkungsvoll den Lauf der Geschichte der biologischen Forschung beeinflusst und gelenkt hat. „Die Informationsverarbeitung wurde zum Grund prinzip des Lebens gemacht, und es wurde möglich, den Organismus ganz als eine Informationsverarbeitungsmaschine zu denken. Somit hat die Maschinen- Metapher ihre konstitutive, normative und innovative Funktion in der Theorie bildung geleistet: In den ersten Jahren der molekular-genetischen Forschung ließ dieser Ansatz viele Experimente konzipieren.“ (Kovács, 2009, S. 104) 55 Dieser Zusammenhang von begrifflicher und methodologischer Ausrichtung biologischer Forschungsprogramme und der Militarisierung und Hegemonisie rung aller gesellschaftlichen Bereiche unter dem Paradigma der Steuerung, Re gelung und Kontrolle kann auch anhand der Metapher des „genetischen Codes“ gut beobachtet werden und wurde vor allem von Lily E. Kay herausgearbeitet. (Kay, 2002) Dies wird im Rahmen der metaphorischen Perspektivierung „DNA as the Software of life“ noch ausführlich behandelt. (Vgl. Punkt 3.3.3) An dieser
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„Während Molekularbiologen [...] versuchten, ihre Beschreibungen lebender Organismen von der herkömmlichen vitalen (oder vitalistischen) Beschäftigung mit der Funktion zu befreien – und vor allem so verdächtig teleologische Bezeichnungen wie Zweck, Organisation und Harmonie aus ihrer Sprache zu tilgen –, führten etliche Physiker und Techniker [...] jene älteren Begriffe in die Sprache der Kybernetik ein. Sie griffen weitgehend eben jene Bilder, Formulierungen und sogar begrifflichen Modelle auf, die im prämolekularen Diskurs (am Organismus orientierten) biologischen Diskurs vorgeherrscht hatten, und bedienten sich ihrer, um neue Paradigmen von Regelkreisen in der Kybernetik und der Systemtheorie zu entwickeln.“56 (Keller, 1998, S. 115f.) Auch Janich beobachtet diese Rückbeziehung und Metaphorisierung von kognitiven und organismischen Begriffen aus der Psychologie und Biologie in die formale Sprache der Kybernetik. Das wesentliche Element und Kernstück der Kybernetik sei die Rückkopplung zur Regelung eines Vorgangs, die sich allerdings immer rein technisch und kausal in physikalischen Parametern beschreiben lasse und daher im sprachlichen und methodologischen Rahmen der Physik verbleiben könne.57 „Rückkopplung dagegen als Reflexivität [...] zu verstehen oder zu bezeichnen ist bereits eine Metaphorisierung.“ (Janich, 2006, S. 51) Nach Janich gäbe es eine „gewisse Verführung zur metaphorischen Beschreibung kybernetischer Systeme, die ihnen spezifisch menschliche Eigenschaften wie Zielverfolgung, sensorische Kontrolle, absichtliche Beeinflussung, Rückmeldung, Reflexivität usw. zuerkennen.“ (Ebd.) Dies sei soweit unproblematisch, als es lediglich ausdrücke, dass Maschinen zur Steuerung und Regelung ein menschliches Handlungsvermögen ersetzen, allerdings in einer wichtigen Hinsicht nur partiell: „Die Stelle zeigt sich bereits, wie eng die einzelnen Metaphern und ihre Perspektivie rungen zusammenhängen und aufeinander verweisen. 56 Wie vor allem im Rahmen der dritten Studie und metaphorologischen Perspek tivierung Organsimen als komplexe Systeme deutlich wird, kehren dann eben jene Paradigmen und Begrifflichkeiten von selbstregulierenden komplexen Sys temen und Netzwerken über die (kybernetische) Systemtheorie wieder in die Biologie zurück und stellen ihrerseits die Modelle zur Analyse und Simulation von lebenden Organismen. 57 Natürlich stellt sich sofort die Frage, inwieweit nicht auch die Sprache der Phy sik, wie formal und technisch sie auch sein mag, auf Metaphern angewiesen und von diesen durchzogen ist. Zahlreiche Arbeiten weisen darauf hin, dass selbst physikalische Grundbegriffe und Konzepte wie Kausalität auf metaphorischen Prozessen der Übertragung fußen.
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Vorgabe der Ziele, die Setzung der Zwecke und die Einstellung der Sollwerte blieben dem Erfinder oder Verwender von solchen kybernetischen Systemen vorbehalten.“ (Ebd.) Viele der Vorbehalte und Kritikpunkte, die an eine technomorphe Deutung lebendiger Organismen vor dem Hintergrund von mechanischen Automaten, Energiewandlern und Kraftmaschinen herangetragen wurden, gehen bei kybernetischen Maschinen und deren metaphorischer Übertragung auf lebendige Organismen nun ins Leere, wenn diese etwa zur Deutung von biologischen Informationssystemen und Kommunikationsprozessen herangezogen werden.58 So können kybernetische Systeme über inputverarbeitende technische Regelkreissysteme und Rückkopplungsschleifen durchaus Charakteristika der Lernfähigkeit, Selbstorganisation und Selbstreproduktion aufweisen und sich adaptiv zu ihrer Umwelt verhalten. (Wieser, 1959; vgl. auch M. Schneider, 1993, S. 73–77) Wie sich allerdings bereits angedeutet hat, kann auch das kybernetische Maschinenkonzept als Metapher nur einen Teil dessen darstellen, was den lebendigen Organismus ausmacht. Zwar weisen kybernetische Systeme über das Moment der Rückkopplung gewisse Fähigkeiten von Selbsttätigkeit auf, die Zwecke und Ziele, auf die sich diese Tätigkeiten richten, werden aber weiterhin von außen bestimmt und verdanken sich systemexterner Planung und Konstruktion. So weist Köchy völlig zu Recht darauf hin, dass auch bei kybernetischen Artefakten der wesentliche Unterschied zu biologischen Systemen darin bestehe, dass alle Regelungsschritte sowie deren funktionaler Zweck auf einen externen menschlichen Planer und Konstrukteur zurückgehen.59 „Biologische Regelung hingegen ist stets ohne vernünftigen Konstrukteur selbstorganisierend.“ (Köchy, 2014, S. 149; vgl. hierzu auch Baruzzi, 1973, S. 66f.; und Bertalanffy, 1971, S. 146ff.)
58 Etwa das Kriterium der Plastizität und stofflichen Natur biologischer Systeme, wie es von Oparin noch zur Unterscheidung zwischen Maschine und Lebewesen herangezogen wird: „Der erste, sofort ins Auge fallende Unterschied zwischen Maschinen und Lebewesen hängt mit dem Material zusammen, aus dem die einen und anderen Systeme gebildet sind, also mit ihrer stofflichen Natur.“ (Oparin, 1963, S. 18) 59 Das gilt für die Organisationsprinzipien von Maschinen allgemein. Hierzu noch einmal Oparin: Das Organisationsprinzip einer Maschine „spiegelt [...| die Per sönlichkeit ihres Konstrukteurs, sein intellektuelles und technisches Niveau, seine Ziele und Methoden zur Lösung der von ihm stehenden Aufgaben wider.“ (Oparin, 1963, S. 24)
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Hieran knüpft nun eine weitere entscheidende Veränderung eines biologischen Maschinenkonzeptes an, die für das Ansinnen der Synthetischen Biologie, lebendige Maschinen zu konstruieren, von unmittelbarer Bedeutung ist. Es ist die frühe Vision der Nanotechnologie von selbstreplizierenden Nanorobotern, Assemblern oder Nanobots, die, so auch Köchy, das Feld der aktuellen Debatte um technomorphe Lebensdeutungen und die technische Nutzung natürlicher Selbstorganisationsprozesse in der Synthetischen Biologie bereitet. (Köchy, 2014, S. 150) Unter dem Begriff Nanotechnologie versammelten sich Anfang des Jahrtausends natur- und ingenieurwissenschaftliche Disziplinen unter der Idee einer neuen Technologie, die im Nanometerbereich agiert. Als Namensgeber und Visionär dieser Forschungsrichtung wird häufig Eric Drexler genannt, welcher in seinem Werk Engines of Creation bereits 1986 ein Programm zur Konstruktion von komplexen Maschinen und Materialen auf den Ebenen von Atomen entwirft.60 (Drexler, 1986) Eine dieser Vorstellungen Drexlers sind Assembler, programmierbare und selbstreplizierende Roboter, mit welchen einzelne Atome und Moleküle bewegt und manipuliert bzw. molekulare Strukturen aufgebaut werden können. Der Umbruch von den Konzepten kybernetischer Maschinen zu den Visionen selbstreplizierender Nanomaschinen ist im Hinblick auf die technologische und methodologische Umsetzung und Entwicklung gekennzeichnet durch eine 60 Als weiterer Gründungstext gilt der 1959 von Richard Feynman am California Institute of Technology gehaltene Vortrag „There’s Plenty of Room at the Bot tom“. Nicht nur dieser Bezug auf Feynman als häufig zitierte Gründungsfigur zeigt, dass zwischen der Nanotechnologie und der Synthetischen Biologie auf fällig viele Parallelen bestehen. Beide Forschungsbereiche werden als conver ging technologies bezeichnet und zeichnen sich durch die Zusammenführung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen mit ingenieurwissenschaftlicher Prägung aus. Beide Programme sind darüber hinaus begleitet von großen Ver sprechungen und hohen Erwartungen hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Nut zens für die Menschheit, werden dementsprechend in umfangreichen Maße ge fördert, sind aber ebenso konfrontiert mit Ängsten und Vorbehalten. Sie gelten daher auch als Hope-, Hype- and Fear-Technologies. (Vgl. Sauter, 2011) Auch die begleitenden ELSI-Debatte und Technikfolgenabschätzung verlaufen sehr ähnlich und weißen große Überschneidungen in den Themen auf, was sicherlich zum großen Teil daran liegt, dass sich in der Begleitforschung zur Synthetischen Biologie viele Akteur:innen wiederfinden, die bereits zur Nanotechnologie ent sprechend gearbeitet und publiziert haben. Vgl. Hierzu etwa die Beiträge von Schmidt, Ingensiep, Nordmann, Rehmann-Sutter und Köchy oder das Buch Na notechnologie: Spiele mit Grenzen von Schummer. (Köchy, Norwig, & Hofmeis ter, 2008 und Schummer, 2009)
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fortschreitende Flexibilisierung und Miniaturisierung, wie sie vor allem neben der Nanotechnologie auch in der Gentechnologie und Computertechnologie zu beobachten sind. Die im Bereich der Biound Lebenswissenschaften bereits etablierte und bewährte Maschinenanalogie wird dabei zunächst ohne größere Modifikationen auf den Bereich der Nanoskala und die Ebene molekularer Prozesse übertragen. Dabei wird jedoch ein entscheidender Aspekt des naturwissenschaftlichen Zu- und Umgangs mit den Forschungsgegenständen übergangen. Ging es bei Descartes und La Mettrie noch um Tier- oder Menschenkörper bzw. einzelne Organe, die mit dem bloßen Auge zu beobachten sind, so operieren moderne Biotechnologien, wie eben auch die Synthetische Biologie, längst im „Bereich des Unsichtbaren der Menschheit“. (Ingensiep, 2012, S. 124) Moderne Bildgebungsverfahren und Messinstrumente, auf die die Forschungen in diesem Bereich des Unsichtbaren angewiesen sind, erzeugen zwar nach Analogie des Sehens ein Bild des Geschehens und ermöglichen zum Teil sogar das direkte Eingreifen und Operieren in diesen Dimensionen. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um echte visuelle Abbildungen, sondern um technisch interpretierte Messdaten, die durch Computerprogramme visuell aufbereitet und rekonstruiert werden.61 (Vgl. Kötter, 2007; Rehmann-Sutter, 2008; Schummer, 2009, S. 113–124) Die nanotechnologische Sichtweise auf lebende Entitäten als Maschinen scheint von diesem Umstand zunächst unbeeindruckt. Texte zur Nanotechnologie sind geprägt von einer „Rhetorik des Maschinellen“ und voll von Metaphern und Analogien zu Maschinen, Motoren und technischen Apparaten, wie wir sie aus dem alltäglichen Umgang in der Welt der sichtbaren Dinge kennen.62 (Köchy, 2008, S. 182) Die Prozesse und Vorgänge, die hier maschinenhaft dargestellt und veranschaulicht werden, spielen sich jedoch in der Nanowelt ab und hier ist, wie etwa Richard Jones in seinem Buch Soft Machines darlegt, das klassische Maschinenmo61 Wie Reth in origineller Analogie zur Kunstwerkproduktion bemerkt, liege hier in gar die „Tragik eines synthetischen Biologen und Moleküldesigners [...], dass seine Kreationen weitgehend unsichtbar bleiben. Sie können nirgends bewun dert werden und der direkte physische Zugang zu diesen im Nanobereich ran gierenden Werken bleibt dem Urheber verwehrt.“ (Reth, 2012, S. 48) 62 Vgl. auch Mainzer: Zellen ließen sich mit den Beschreibungsmitteln der Sys tembiologie als selbstorganisierende komplexe Systeme begreifen, in denen „winzige Motoren in Nanometergröße“ arbeiten. Bemerkenswert sei hierbei die molekulare Selbstorganisation bei der schichtweisen Zusammensetzung solcher Nanomotoren. (Mainzer, 2010, S. 62f.)
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dell völlig Fehl am Platz, da die uns aus dem Mesokosmos bekannten Maschinen und Konstruktionsprinzipien unter den veränderten physikalischen Bedingungen der Nanowelt nicht einfach auf Atome und Moleküle übertragen und angewandt werden können. (Jones, 2004, S. 88f.; vgl. hierzu auch Boudry & Pigliucci, 2013, S. 604) Wollte man unter diesen Bedingungen weiterhin von Maschinen reden, so wären diese weder als mechanische Automaten noch als kybernetische Maschinen aufzufassen, sondern stellten vielmehr „soft machines“ dar, die sich vor allem durch das Designprinzip des „self-assembly“ und Prozesse der Selbstkorrektur und Selbstheilung auszeichnen. Damit erinnern sie in ihrer Selbsttätigkeit und -organisation durchaus an Eigenschaften lebender Systeme bzw. sind als Maschinen von den Eigenschaften lebender Organismen inspiriert. Anstatt also von Organsimen nach dem Vorbild mechanischer oder kybernetischer Systeme auszugehen, schein hier vielmehr umgekehrt eine neue Vorstellung von Maschinen nach dem Vorbild lebender biologischer Systeme vorzuliegen. Erneut wandelt sich im wechselseitigen Transfer metaphorischer Konzepte das Verhältnis von Maschine und Organismus und muss hinsichtlich der in der Synthetischen Biologie geplanten „living machines“ neu bestimmt und reflektiert werden. 3.3.2.4 Deutung und Einordnung Vor dem Hintergrund der historischen Verortung der Maschinenmetapher und dem Wandel der jeweiligen Maschinenkonzepte, die für die Deutungen und Konstruktionen des Lebendigen herangezogen wurden, soll nun die Metapher „living machine“ in der Synthetischen Biologie als Metapher hinsichtlich ihres systematischen Gehalts und ihrer ethischen Bedeutung reflektiert werden. Wie einleitend bereits festgestellt, kann die Bezeichnung „lebende Maschine“ in der Synthetischen Biologie unterschieden werden in, erstens, technomorphe Deutungen natürlicher Organismen durch Analogien zu Maschinen und technischen Artefakten und, zweitens, dem Anspruch der Synthetischen Biologie, nach dem Ideal ingenieurwissenschaftlicher Konstruktion biologische Systeme herzustellen, die aufgrund von gerichteten Selbstorganisationsprozessen lebendig genannt werden können und zugleich aufgrund des Herstellungsprozesses technische Artefakte darstellen. Es geht daher zunächst um die Angemessenheit der Metapher hinsichtlich https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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ihrer Darstellungs- und Perspektivierungsleistung, bevor der sich darin artikulierende und mittransportierte normative Anspruch der planvollen Konstruktion und der Kontrolle von Prozessen gerichteter biologischer Selbstproduktion hinsichtlich ethischer Gesichtspunkte analysiert wird. Die Synthetische Biologie, so haben wir gesehen, tangiert mit dem ingenieurwissenschaftlichen Anspruch der Herstellung von lebenden biologischen Systemen kulturell tief verankerte und normativ aufgeladene Distinktionen von Lebendigem und nicht Lebendigem, Künstlichem und Natürlichem, Organischem und nicht Organischem. Die Produktionsprozesse und Produkte die hierbei umgesetzt werden sollen, lassen sich nicht mehr eindeutig diesen Kategorien zuordnen und rufen insofern eine Sprachnot hervor, als sich keine passenden Begriffe und Konzepte finden lassen, um die neuartige Situation zu beschreiben und zu beurteilen. Die Metapher „living machine“ kann zunächst aus dieser begrifflichen Notlage heraus verstanden werden. So lasse sich nach Ried, Braun und Dabrock der „verwobene Chiasmus der Distinktionen von ‚Lebendigen‘ und ‚nicht Lebendigem‘ an der Debatte um die ‚living machines‘ nachvollziehen, in denen sich das Unbehagen in einer gewissen Sprachlosigkeit, einer Erosion der bisherigen exakten, implizit vorausgesetzten, Trennungsmechanismen artikuliert“. (Ried u. a., 2011, S. 364; vgl. auch Boldt u. a., 2009, S. 58) Die Metapher „living machine“ wäre somit in erster Annäherung als eine Begriffsneubildung zu verstehen, die die neuartigen hybriden Entitäten und „ontologischen Chimären“ zwischen technischen Artefakten und lebenden Organsimen bezeichnen soll. (O. Müller, 2016, S. 33; vgl. auch Ingensiep, 2012) Damit stellt sich die Frage nach der Angemessenheit der Referenz solcher scheinbar paradoxen Ausdrücke: lassen sich die in der Synthetischen Biologie geplanten Systeme tatsächlich im Sinne einer ontologischen Bestimmung als lebende Maschinen bezeichnen und begreifen? Eichinger erwägt, dass der hybride Status der „living machines“ eine dritte Objekt-Kategorie zwischen technisch-artifiziell und nicht-lebendig und lebendig und natürlich notwendig machen könnte. Die Bezeichnung wäre somit nicht als reine Metapher zu verstehen, „sondern vielmehr Ausdruck der spezifischen Ambivalenz der Gegenstände der synthetischen Biologie“. (Eichinger, 2011, S. 87) Andere Autor:innen bestehen dagegen auf der prinzipiellen ontologischen Differenz von Maschine und Organismus, die jede Analogie nur als partiell zutreffend gelten lässt. Da Maschinen als künstlich und Lehttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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bewesen als nicht-künstlich definiert seien, so etwa Deplazes-Zemp und Huppenbauer, wäre die Bezeichnung lebender Maschinen widersprüchlich: „a non-artificial machine seems to be a contradiction; a machine is artificial per definition!“ (Deplazes & Huppenbauer, 2009a, S. 57) Offensichtlich hängt die Beurteilung dieser Fragen erstens von den vorausgesetzten Konzepten Maschine und Leben und zweitens dem zugrundeliegenden Sprachbild bzw. den sprachphilosophischen und epistemologischen Prämissen ab. Sowohl die Frage, was Leben ist, als auch die deutungsleitenden Vorstellungen dessen, was als Maschine zum Vorbild des Natürlichen herangezogen wird, haben sich im historischen Rückblick als wandelbar und abhängig vom jeweiligen Verwendungs- und Handlungskontext erwiesen. Auch scheint die Erwartung einer eindeutigen und unidirektionalen Referenz und Bezeichnungsfunktion an die als Metapher gekennzeichnete sprachliche Wendung „living machine“ ihrer komplexen Struktur und epistemologisch-ontologischen Funktion als Metapher nicht gerecht zu werden. Nach Ricœur zeichnet sich die lebendige Metapher in ihrer Referenzfunktion durch eine paradoxe Spannung von ‚ist‘ und ‚ist-nicht‘ zugleich aus. Diese Spannung findet sich auf Ebene der Modelltheorie als Spannungswahrheit zwischen Darstellung und Neubeschreibung der Welt wieder. (Ricœur, 1986, S. 239ff. und 227–238) Diese der Metapher immanente Spannung und Bewegtheit wurde an anderer Stelle auch als Einheit von Gegenstandsdarstellung und Perspektiveneröffnung aufgegriffen. Im Folgenden soll die Metapher „living machine“ daher als Metapher reflektiert und damit in ihrer Spannung und ihrem Bruch wieder sichtbar werden. Das bedeutet, nicht nur ihre gegenständliche Darstellungsfunktion, sondern auch die Perspektive, die sie thematisiert und eröffnet, sind zu berücksichtigen. Insofern es sich hierbei nicht nur um eine historische Anleihe an der metaphorischen Tradition der Maschinenanalogien für das Lebendige, sondern um eine im aktuellen Verwendungs- und Handlungskontext der Synthetischen Biologie immer noch lebendige Metapher handelt, gilt es zudem, den paradoxen Kern, die virulente Spannung der Metapher „living machine“ zu explizieren und hinsichtlich ihrer ethischen Bedeutsamkeit zu artikulieren. Nach Boldt, Müller und Maio ist die Metapher „living mashine“ als Bezeichnung für die von der Synthetischen Biologie produzierten neuartigen Entitäten zwischen Natur und Technik nicht nur unpräzise und unangemessen, sondern sogar ontologisch irrefühhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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rend und ethisch höchst bedenklich. So mag zwar die Rede von „lebenden Maschinen“ bislang lediglich ein eindringlicher, bildhafter und forschungspolitisch wirksamer Ausdruck sein. Dennoch scheine sich hier ein „ontologischer Bruch“ abzuzeichnen, der die aristotelische Unterscheidung von Natur und Technik endgültig zu unterwandern drohe und dazu führe, dass „in Zukunft ein Teil des organischen Lebens technologischen Entitäten zugeschlagen werden muss“. (Boldt u. a., 2009, S. 59) Ethisch bedeutsam sei hieran, dass die Metapher die Schaffung eines neuen Gegenstandsbereiches suggeriere, der impliziert, dass diese Lebewesen zu benutzen seien wie Maschinen. Der seit Descartes formulierte mechanistische Reduktionismus von Lebewesen als Maschinen scheint sich in der Synthetischen Biologie den „Traum von der lückenlosen Erklärund Kontrollierbarkeit des Lebendigen erfüllen zu können“. (Boldt u. a., 2009, S. 57) Abgesehen von den voraussetzungsvollen ethischen Annahmen zum intrinsischen Wert des Lebens, die, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, hinter dieser Argumentation einer Artifizialisierung des Natürlichen stehen, sprechen die Autoren hier einen entscheidenden Punkt für die Reflexion der Metapher „living machine“ als Metapher an: Die Metapher steht nicht nur einfach für eine aus der Sprachnot heraus geborene Bezeichnung für neuartige hybride Entitäten zwischen Natur und Technik, über deren Referenz, Angemessenheit und Passgenauigkeit man streiten kann. Vielmehr artikuliert sich darin eine forschungsleitende und wissenschaftspraktisch wirksame Perspektive, die das Lebendige im Hinblick auf seine Erklärbarkeit und Herstellbarkeit technomorph nach dem Vorbild der Maschine deutet. Mit Blick auf den enormen Erfolg der modernen Bio- und Lebenswissenschaften und die Möglichkeiten, die sich in der Gestaltung und den Eingriffen auf molekularer Ebene entwickelt haben, ist die mechanistisch-reduktionistische Deutung des Lebens neben all den problematischen ontologischen und auch ethischen Konsequenzen, die dies mit sich bringt, auch als eine Perspektivenöffnung und als produktiver und innovativer Prozess zu verstehen.63 (Vgl. Boudry & Pigliucci, 2013,
63 Zu einer anderen Einschätzung kommt Nicholson:„it is becomming harder and harder to dispute the fact that the MCO [machine conception of the organism] is obstructing rather than enabling theoretical progress in biology. Breaking free from the historical grip of this seductive metaphor constitutes a necessary preconsition für coming to terms with the nature of living systems.“ (Nicholson, 2014, S. 172)
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S. 661) Die positiven und erwünschten Möglichkeiten der Synthetischen Biologie verdanken sich ebenso dieser metaphorischen Per spektivierung, wie auch die Reflexion der möglichen unerwünschten Folgen daraus hervorgeht. In der Metapher der lebenden Maschine kommt spätestens seit Kant eine Spannung zum Ausdruck, welche als unreflektiertes Erklärungsmuster und in einseitiger Auflösung zwar Gefahr läuft, die biologische Sicht auf Phänomene des Lebendigen zu verzerren und in die Irre zu führen. In der Reflexion eben jener Spannung liegt jedoch ebenso die Chance auf eine produktive wissenschaftstheoretische und kulturelle Selbstverständigung über das Verhältnis von Lebendigem und dessen technischer Verfügbarkeit und Herstellbarkeit. Solche reflexive Selbstverständigung kann nur gelingen, wenn das volle Potential der Metapher als Metapher wahrgenommen und aktualisiert wird, wie dies etwa ansatzweise bei Martern et. al. zu beobachten ist. (Matern u. a., 2016) Das ethische Konfliktpotential, dass sich in der Metapher „living machine“ artikuliert, liege demnach weder im einseitigen Fokus auf eine mögliche „vitalization of the machine“ noch ausschließlich auf der Frage der „mechanization of the living [...] but rather in the observation and precise exploration of the ambiguity and contextual shifting in the relationship of the organism and the machine“. (Matern u. a., 2016, S. 56) Damit aus dem Denkmodell der Maschine kein objektivierender Denkzwang und ontologischer Reduktionismus wird, bedarf es der reflexiven Metaphorisierung, die die Perspektivität der mechanistischen Naturauffassung und der technomorphen Deutung des Lebendigen wieder sichtbar macht und damit die Grenzen und Möglichkeiten solcher metaphorischen Perspektivierungen gegenüber exklusiver Ausschließlichkeitsthesen und einseitigen Festsetzungen dem rationalen Diskurs und der Verständigung über das Verhältnis von Maschine und Organismus im Kontext der Synthetischen Biologie zugänglich macht. Dies kann etwa durch Historisierung bzw. Rückführung der Metapher auf ihren historischen Ort und ihren Wandel in den unterschiedlichen historischen Handlungs- und Verwendungskontexten geschehen oder indem dem Denkmodell der Maschine ein alternatives Modell des Denkens zur Seite gestellt wird, wie dies bei Kants Konzept des Organismus der Fall ist.64 Es ist je64 Auch die Strategie der Metapherneubildung wird etwa von Boudry und Pigliucci in Erwägung gezogen. (Boudry & Pigliucci, 2013, S. 667; Pigliucci & Boudry, 2011) Wie oben ausführlicher besprochen wurde kann auch Deplazes-Zemps
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doch bemerkenswert, dass trotz der offensichtlichen Metapherntradition, in der die „living machines“ stehen und der daran anschließenden philosophischen und wissenschaftstheoretischen Debatten das reflexive Potential dieser Wendung häufig ignoriert oder nur am Rande wahrgenommen wird. „Das Problem ist, dass die „living machine“ nicht als Reflexionsbegriff, sondern als Konstitutionsbegriff fungiert.“ (Boldt u. a., 2009, S. 59) Als Reflexionsbegriff erscheint die Metapher „living machine“ nun als Gegenstand und methodisches Instrument einer ethischen Reflexion des Verhältnisses von Maschine und Organismus im Handlungs- und Verwendungskontext der Synthetischen Biologie. Die Synthetische Biologie zielt darauf, die maschinenhaften Prozesse der molekularen Selbstorganisation zu kontrollieren und im Sinne einer gerichteten Selbstorganisation technisch nutzbar zu machen. Damit ändert sich gegenüber den klassischen Verhältnisbestimmungen von Maschine und natürlichem Organismus etwas Entscheidendes. Die Kant’sche epistemologische Frage, ob bestimmte Eigenschaften des Lebendigen bei Organismen nach dem Erklärungsmuster der Maschine begriffen werden können oder der menschlichen Vernunft überhaupt anders als in Analogie zu mechanistischer Teleologie zugänglich sind, wird gar nicht erst gestellt, sondern im Rahmen des Konstruktionsparadigmas schlicht als gegeben vorausgesetzt. Es geht auch nicht primär darum, ob technische Artefakte aufgrund ihrer Beschreibbarkeit als lernende und selbstregulierende Systeme oder ihrer Konstruktion als Informationsverarbeitungsmaschinen Lebensprozesse so simulieren können, dass sie als lebendig bezeichnet werden können. Was die Synthetischen Biologie gegenüber anderen biomimetischen und biotechnologischen Ansätzen auszeichnet, ist vielmehr der Anspruch, die vorhandenen biologischen Bildungsprozesse einer natürlichen Zelle nachzubilden bzw. auf Basis der biochemischen Selbstorganisationsprinzipien neu zu konstruieren und nach definierten Vorgaben zu bestimmten Zwecken zu nutzen. Es handelt sich also hierbei, wie Köchy treffend formuliert, um eine „hochorganisierte Form von technisch unterstütztem oder verändertem ‚Wachstum‘ [...], [die] nahezu den Charakter einer Koproduktion erlangt“. (Köchy, 2014, S. 161) Von einer Mechanisierung des Lebendigen oder der Auflösung des Lebens im Technischen könne also, so Köchy weiMetapher „Leben als Baukasten“ als eine solche Neubildung und Metaphorisie rung verstanden werden. (Deplazes-Zemp, 2011)
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ter, streng genommen gar nicht die Rede sein, „denn diese Technik bedient sich [...] in großem Umfang biologischer Materialien, Prinzipien und Fähigkeiten“. (Köchy, 2014, S. 161) Dadurch ist der synthetisch-biologische Herstellungsprozess trotz der technomorphen Deutung des Lebens als Maschine und Werkzeugkasten in besonderem Maße an die biologischen Rahmenbedingungen und die materiale Verfasstheit des Gegenstandsbereiches gebunden. Gerade im Kontext der durch technologischen Fortschritt zunehmenden Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich des Lebendigen ist die Forschung mit einer enorm hohen Komplexität auf allen Ebenen der biologischen (Selbst-)Organisation konfrontiert. Dies geht einher mit einem Grad an Unverfügbarkeit, Widerständigkeit und Autonomie des Lebendigen gegenüber externen Zugriffen und Zweckbestimmungen, die dem Anspruch vollständiger technischer und methodischer Kontrolle und Vorhersagbarkeit entgegenstehen. Diese auch ethisch bedeutsame Spannung von Konstruktion und Autonomie wurde oben auf die Formel „engineerability vs. evolvability“ gebracht.65 Das Operieren der Synthetischen Biologie unter den Rahmenbedingungen biologischer Selbstorganisationsprozesse hat auch Auswirkungen auf das im Herstellungsparadigma vorausgesetzte Konzept der Maschine, welches, wie oben ausgeführt, den Visionen von Nanobots und Assemblern der Nanotechnologie entstammt. Diese Maschinen haben nicht viel gemeinsam mit den klassischen Energiewandlern oder auch den Informationsverarbeitungsmaschinen der Kybernetik. Vielmehr zeichnen sie sich als „soft machines“ (Jones) durch Eigenschaften der Selbsttätigkeit aus, die an die Eigenschaften lebendiger Organismen erinnern und von diesen inspiriert scheinen. Im Kontext der Synthetischen Biologie, die nun versucht, Prozesse biochemischer Synthese gezielt als gerichtete Selbstorga-
65 In ähnlicher Weise weist auch Jan C. Schmidt auf eine solche Spannung inner halb des Forschungsprogramms der Synthetischen Biologie hin. Wenn die Syn thetische Biologie auf die technische Nutzbarmachung von Selbstorganisations prinzipien abzielt, müsse berücksichtigt werden, dass bei lebenden Systemen ein gewisser Grad an Instabilität konstitutiv für die Selbstorganisation zu konsta tieren ist. Erst ein Durchgang durch Phasen der Instabilität gewährt die produk tiven Bedingungen für Evolution, Werden und Wachsen. Zugleich führen solche provozierten Instabilitäten in der Synthetischen Biologie auch zu prinzipiellen Grenzen von Konstruktion und Kontrolle. Schmidt kommt zu dem Schluss: „Je weiter der technische Zugriff auf Natur voranschreitet, desto deutlicher tritt das Unverfügbare und Nichtwissen hervor.“ (J. C. Schmidt, 2012, S. 33, vgl. auch 2008)
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nisation zu lenken und technisch zu nutzen, kann daher, wie Köchy bemerkt, geradezu eine Umkehrung der Maschinenmetapher beobachtet werden, die sich schon im wechselseitigen Verhältnis von Organismus und Maschine und dem Austausch von Konzepten und Begriffen zwischen der Kybernetik und der Molekularbiologie angedeutet hatte: „Während vormals das Geschehen in mehr oder weniger simplen Maschinen zur Deutung von Organismen herangezogen wurde, werden nun umgekehrt organismische Abläufe zum Vorbild für ein neues Verständnis von komplexen Maschinen.“66 (Köchy, 2012a, S. 157) Vor allem mit steigender Komplexität der biologischen Systeme, die als „living machines“ konstruiert werden sollen, werde so die Amalgamierung von technischer Produktion und natürlicher Produktion immer inniger. Die oben angesprochene Spannung zwischen der „Mechanisierung des Lebens“ und der „Vitalisierung der Maschine“ kommt somit hier unter veränderten Vorzeichen wieder zum Vorschein. Es wird deutlich, dass die hierin zum Ausdruck gebrachten Differenzen zwischen dem Technischen und dem Lebendigen nicht nur eine Frage des Vokabulars und der passenden Begriffe ist, sondern auch auf der Handlungsebene eine Demarkationslinie markieren, an der sich konkrete ethische Fragen und Problemlagen entzünden. (Vgl. auch Deplazes & Huppenbauer, 2009b, S. 62f.) Wenn die synthetisch hergestellten biologischen Systeme sich eben gerade nicht wie Maschinen vollständig kontrollieren und in ihrem Verhalten vorhersagen lassen, sondern sich vielmehr wie lebende Organismen durch Autonomie, Kom66 Bereits Canguilhem stellt fest, dass der Maschine-Organismus Vergleich seit Descartes immer nur in eine Richtung untersucht werde. Stets werden Struktur und Funktion von Organismen in Analogie zu der Struktur und Funktion einer bereits konstruierten Maschine gesehen. Selten wurde versucht, die Konstruk tion einer Maschine nach dem Vorbild der Struktur und Funktion von Organis men zu verstehen. (Canguilhem, 2009, S. 183f.) Damit aber habe die mechani stische Erklärung in der Maschine ihre eigenen organischen Voraussetzungen und Bedingungen vergessen oder blendet sie zugunsten einer einseitigen, reduk tionistischen Erklärung des Lebens aus. „Die Konstruktion eines mechanischen Modells setzt ein vitales Original voraus [...]. Das Modell der belebten Maschine ist das Lebendige selbst“ (Canguilhem, 2009, S. 205) Vgl. hierzu auch Helmut Bast: „Die Zielgerichtetheit in Organismen ist nicht mit automatisch ablaufen den Funktionen zu erklären. Diese Zielgerichtetheit ist selbst Modell der Ma schinenwirklichkeit und die biologische Organisation die Basis und notwendige Bedingung für die Existenz und den Zweck der Maschinen“ (Bast, 1997, S. 28); und Baruzzi: „Was also eine Maschine ist, zeigt das Lebendige; es bringt die Idee der Maschine zum Vorschein und zwar in dem Maße, daß ihm die Maschine zum Begriff wird.“ (Baruzzi, 1973, S. 63)
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plexität und Evolvierbarkeit auszeichnen, dann ist dies im Sinne eines daraus folgenden Nichtwissens über mögliche Risiken oder die Nichtkorrigierbarkeit möglicher unerwünschter Folgen (z. B. Nichtrückholbarkeit synthetischer Organismen) ethisch bedeutsam und muss entsprechend in einer ethischen Beurteilung synthetischbiologischer Forschungspraxis berücksichtigt werden. (Vgl. Voigt, 2017) Doch auch über die ethische Reflexion und Beurteilung der erwartbaren Folgen und Risiken konkreter Forschungspraxis hinaus gilt es, die grundsätzlichen Fragen einer möglichen „ontologischepistemologische[n] Revolution“ (Köchy, 2014, S. 166), die die Aristotelischen Grenzen von Natur und Technik endgültig eingerissen hätte, entsprechend ethisch zu begleiten und öffentlich zu diskutieren. Wenn, wie Heinemann herausstellt, die Metapher „living machines“ nicht bloß als „wissenschaftsrhetorisches Erheischen von Aufmerksamkeit“ zu verstehen sei, dann verweise sie zumindest auf „ein Verständnis, das das lebende Konstrukt als konstruierbar, in Teilen oder in Gänze austauschbar und letztlich verwerfbar begreift.“ (Heinemann, 2015, S. 249) Darin drücke sich, wie auch aus der metaphorologischen Perspektivierung deutlich hervorgegangen ist, eine mechanistische Naturauffassung und ein entsprechendes Welt- und Menschenbild aus. Auf ein möglicherweise verändertes und in ethischer Weise problematisches Selbstverständnis des Menschen durch die zunehmende Technisierung und Artifizialisierung der Natur im Rahmen der Synthetischen Biologie wird an vielen Stellen innerhalb der ethischen Begleitforschung hingewiesen – allerdings häufig ohne weitere Angaben zum eigentlichen ethischen Kern einer solchen Argumentation. (Vgl. 3.2.4) Bei Heinemann hingegen wird deutlich, dass das der Maschinenmetapher zugrundeliegenden Natur- und Menschenbild nicht deswegen ethisch problematisch ist, da hier in reduktionistischer und instrumentalisierende Weise der Wert des Lebens als solches degradiert und missachtet würde.67 Vielmehr stünden „die Maschinenmetapher und eine dieser Metapher zugrundeliegende reduktionistische Deutung 67 Was im Übrigen in einem nicht genuin ethischen Sinn durchaus problematisch sein kann, wenn dadurch der Einstellung und intuitiven Vorstellung von Leben vieler Menschen zuwider gehandelt wird. Es ist dann allerdings kein rational ethisches Argument für den Wert des Lebens, sondern vielmehr der Appell an das Verständnis und die Rücksichtnahme auf die Überzeugungen und den Glau ben anderer Menschen, welche in diesem Fall zur Zurückhaltung und zur reflek tierten Verwendung möglicherweise verletzender und irreführender Metaphern gemahnt. (Vgl. hierzu Kötter, 2002)
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in der Synthetischen Biologie [...] in fundamentalen Gegensatz zum Selbstverständnis des Menschen als Vernunftwesen.“ (Heinemann, 2015, S. 249) Das Prinzip des Nutzens und der Herrschaft im Maschinenparadigma widerspricht dem Prinzip der Verantwortung und Autonomie im ethischen Selbstverständnis des Menschen, der trotz allen immer auch noch Teil eben derjenigen Natur ist, welche durch technisch-wissenschaftlichen Fortschritt zunehmend der technischen Nutzung verfügbar gemacht wird. Die Synthetische Biologie zeichne sich, so Heinemann weiter, durch eine erheblich erweiterte Eingriffstiefe in natürliche Lebensvorgänge und einen „Paradigmenwechsel im Sinne einer durchgängigen, totalen Technisierung von lebendiger Natur“ aus. (Heinemann, 2015, S. 250) Möglicherweise ist hiervon nicht nur das Naturverständnis, sondern auch das Selbstverständnis des Menschen betroffen. Mit der Vorstellung einer durchgängigen Technisierung und anthropogenen Vernützlichung der Natur wäre, so Heinemann, „nicht nur eine entscheidende Veränderung im Naturverständnis verbunden, sondern mit der konsequenten technischen Anpassung des Menschen an seine Bedürfnisse auch die Gefahr seiner Anpassung an die Bedürfnisse seiner Technik, womit wichtige andere Orientierungsräume verloren gingen.“68 (Heinemann, 2015, S. 251) Mit Anja Pichl lässt sich abschließend vermuten, dass trotz der Erfolge und vielversprechenden Möglichkeiten der Synthetischen Biologie mit einem Newton des Grashalms in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist und „dass die Nivellierung des Unterschiedes zwischen Lebewesen und Maschinen trotz aller Rhetorik nicht einmal den Biologen selbst gelingt, sondern sie als die Wirklichkeit verzerrender Wunsch vor ernste Probleme stellt sowie molekularbiologischen Einsichten in Struktur und Funktionalität des Lebendigen widerstreitet“ (Pichl, 2015, S. 51) Wie realistisch die Vorhaben und Visionen der Synthetischen Biologie auch sein mögen, in der unreflektierten Verwendung und Kommunikation von Metaphern wie „living machines“ werden nicht nur ethische Konfliktpotentiale und Spannungen, die in der
68 Ähnlich argumentiert auch Habermas in „Die Zukunft der menschlichen Natur“ in Bezug auf die Eugenik. Das gattungsethische Selbstverständnis des Menschen und damit eine autonome Lebensführung und die wechselseitige Anerkennung und Respektierung als vernunftbegabte Naturwesen beruhe auf der kategorialen Trennung von Natur und Technik bzw. des Gewachsenen und des Gemachten. (Vgl. Habermas, 2001)
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Forschungspraxis und ihren grundlegenden Konzepten selbst liegen, zugunsten einer Machbarkeits- und Herrschaftslogik verdeckt. Es werden auch ethische bedeutsame Konflikte, die sich aus dem Natur- und Selbstverständnis des Menschen ergeben, provoziert, ohne dass die Bilder und Vorstellungen, die diese Provokation herbeiführen können, an die tatsächliche Forschung rückgebunden wären bzw. ein adäquates Bild der Forschung darstellen würden. 3.3.3 Metaphorologische Perspektive 2: „DNA as the software of life“69 3.3.3.1 Vorkommen und Kontext der Metapher Neben Maschinenanalogien und Metaphern aus dem Bereich der Ingenieurwissenschaften und dem Bereich industrieller und automatisierter Fertigung sind in der Synthetischen Biologie vor allem Metaphern aus dem Bereich des Computers und sprachliche Anleihen aus der Informatik zu finden.70 (Brukamp, 2011, S. 71; Hellsten & Nerlich, 2011, S. 386) DNA und Zellen bzw. Zellprozesse werden hierbei in der Sprache von „Software“ und „Hardware“ dargestellt. So heißt es etwa bei Craig Venter: „All living cells run on DNA software, which directs hundreds to thousands of protein robots. We have been digitizing life for decades, since we first figured out how to read the software of life by sequencing DNA. Now we can go in to other direction by starting with computerized digital code, designing a new form of life, chemically synthesizing its DNA, and then booting it up to produce the actual organism.“ (Venter, 2013, S. 6)
69 Teile und Vorarbeiten folgenden Kapitels wurden bereits an anderer Stelle ver öffentlicht. (Falkner, 2015b, 2016) 70 Dies hat zunächst den recht trivialen Hintergrund, dass viele der frühen Akteure der Synthetischen Biologie wie Tom Knight, Drew Endy und George Church am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ursprünglich in den Bereichen der Bioinformatik und IT-Technologie beheimatet sind. „Born in the dot-com communities of Boston and California, much of the vision of synthetic biology is articulated using computer metaphors. DNA Code is regarded as the software that instructs life, while the cell mebrane and all the biological machinery inside the cell are regarded as the hardware [...] that need to be snapped together to make a living organism.“ (The ETC Group, 2007, S. 6)
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Mit solchen und ähnlichen Computermetaphern71 wird nicht nur der Objektbereich synthetisch-biologischen Handelns in den Kategorien von Software und Hardware strukturiert, es wird zugleich die Forschungspraxis selbst als Designen und Programmieren von DNA, als Software des Lebens, dargestellt. Seine Ursprünge hat diese Metaphorik in der ungleich älteren Metapher vom Buch des Lebens und des genetischen Codes. Der Übergang vom Lesen des genetischen Codes zum Schreiben von DNA-Software wird dabei gerne als Paradigmenwechsel der Synthetische Biologie und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber den klassischen Sequenzierungsmethoden und Digitalisierungen von Genmaterial dargestellt. Diese metaphorisch geleitete Perspektivierung von Forschungsgegenstand und -praxis am Leitfaden des Lesens und Schreibens sowie die damit verbundene reduktionistische und genzentrische Sichtweise kommt am Beispiel von Craig Venters Arbeiten und deren Selbstbeschreibung und Ausdeutung in besonderer Weise zur Geltung. Venter, der „Popstar“ (Prainsack, 2013, S. 10) und „gene maverick“ (The ETC Group, 2007, S. 1) der Synthetischen Biologie, inszeniert sich gerne und mit hohem metaphorischem Einsatz als revolutionärer Pionier und grenzüberschreitender Künstler der Lebenswissenschaften. (Vgl. Bredekamp & Rheinberger, 2012) Seine Arbeiten sieht er als Beweis, den Code des Lebens nicht nur lesen, sondern auch schreiben und programmieren zu können. Dies sei, so Venter, die Geburt einer „new era of science“ und eines „digital age of biology“. (Venter, 2013, S. 24 und 25ff.) Eine zentrale Metapher, die in seinen Texten und Vorträgen immer wieder eingesetzt wird, ist die bereits oben zitierte Metapher „DNA als Software des Lebens“. So auch in einem Vortrag, den Venter im Juli 2012 am Trinity College in Dublin unter dem Titel „What is Life?“ hält: „I describe DNA 71 Der Terminus „Computermetapher“ wird üblicherweise im Kontext der Neu ro- und Kognitionswissenschaften sowie der Psychologie und Künstlichen In telligenz Forschung gebraucht und bezeichnet die metaphorische Übertragung des Computers und der Datenverarbeitung auf den menschlichen Geist bzw. das Gehirn und Prozesse des Denkens. (Vgl. Mutschler, 2002; H. J. Schneider, 1996; Weizenbaum, 2008, S. 207ff.) Auch in der Kognitiven Linguistik spielt die Com putermetapher als Analogie zu einem modularen Modell der menschlichen Kog nition eine Rolle. (Schwarz-Friesel, 2008, S. 13ff.) Hier wird in einem weiteren Sinne von Computermetapher ausgegangen, welcher alle sprachlichen Anleihen aus dem Bereich des Computers und der Informationstechnologie im Bezug auf biologische Phänomene umfasst. Eine Differenzierung der verschiedenen Meta phern und eine Fokussierung auf die Metapher „DNA as the Software of Life“ erfolgt im Zuge der metaphorologischen Perspektivierung.
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as the software of life and when we activate a synthetic genome in a recipient cell I describe it as booting up a genome, the same way we talk about booting up a software in a computer.“ (Venter, 2012) Die Metapher „DNA als Software des Lebens“ ist dabei als Ausdruck einer informatischen und molekularbiologischen Sichtweise des Lebens zu interpretieren und kann als paradigmatisch für weite Teile der Synthetischen Biologie angesehen werden, insbesondere den Top-Down Ansätzen zur Herstellung eines Minimalgenoms bzw. einer Minimalzelle. (Vgl. Witt, 2012) Leben ist demnach das Ergebnis eines deterministischen Programms und synthetisches Leben bedeutet reprogrammiertes Leben. Rhemann-Sutter bezeichnet diese Sichtweise treffend als „Leben 2.0“. (Rehmann-Sutter, 2013, S. 123) Der Computer ist dabei in der Synthetischen Biologie weit mehr als lediglich ein bloßer „Metaphernspender“, d. h. ein semantischer Bereich, aus dem heraus Metaphern zur Erklärung und Veranschaulichung biologischer Prozesse gewonnen werden. Wie in nahezu allen modernen Wissenschaftszweigen (sowie im lebensweltlichen Alltag), haben auch in der Biologie der Computer, Prozesse der Digitalisierung und virtuelle Simulationen längst eine zentrale Stellung als unverzichtbares Instrument der Forschung eingenommen. Je komplexer der Forschungsbereich und -gegenstand werden, je größer die zu verarbeitenden Datenmengen sind und je kleiner die Objekte und Messbereiche der wissenschaftlichen Beobachtung und des experimentellen Eingriffs werden, umso mehr ist die wissenschaftliche Praxis von der zur Verfügung stehenden Rechenleistung und den Techniken der digitalen Bildgebung abhängig. So hat der Computer als konzeptionelle Metapher und als technisches Instrument nicht nur in die Sprache, sondern auch in die Praxis der biologischen Forschung tiefgreifend Einzug gehalten. Hierbei werden die Grenzen zwischen Sprache, Praxis und den technischen Apparaturen verwischt und überschritten. In Anlehnung an Fox Keller geht es also in der folgenden metaphorologischen Perspektivierung auch um „Wechselbeziehungen [...] zwischen Metaphern und Maschinen, zwischen Software und Hardware, zwischen Sprache und Naturwissenschaft, kurz: die üblichen Prozesse wissenschaftlichen Austauschs über jene Grenzen hinweg, die Wissenschaftlern normalerweise als unerschütterlich und abgesichert gilt.“ (Keller, 1998, S. 8) Sprache und Praxis der Synthetischen Biologie werden über Computermetaphern in ein spannungsvolles und ambivalentes Verhältnis gesetzt. Hellsten und Nerlich sehen im Gebrauch und den Auswirkungen von Computermetaphern in der Synthetischen Biologie gar https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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eine „real ‚fusion‘ between authentic computing or engineering and metaphorical computing or engineering“. (Hellsten & Nerlich, 2011, S. 386) Es scheint, dass hier eine Metaphorik von der Dynamik der durch sie selbst angetriebenen Forschungspraxis eingeholt wurde und sich wortwörtlich verwirklicht hat. Ob und wie dies eine zutreffende Beschreibung der metaphorischen Prozesse und der Bedeutung von Computermetaphorik im Rahmen der Synthetischen Biologie sein kann, soll im Folgenden vor dem Hintergrund der historischen und systematischen Bezüge der Computermetaphorik innerhalb des Kontextes der Biologie untersucht werden.72 3.3.3.2 Historischer Ort der Metapher Weder der Ort noch der Titel des eingangs zitierten Vortrags von Venter sind zufällig gewählt. Im Jahr 1943, mitten im 2. Weltkrieg und 70 Jahre vor Venter, hielt der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger am Trinity College in Dublin eine Vortragsreihe zur Frage nach dem Leben, die schließlich 1944 in dem Buch „What is life? The Physical Aspect of the Living Cell“ veröffentlich wurden. (Schrödinger, 2011) Mit der Einführung der Metapher des Codes in die Biologie setzte Schrödinger hierbei einen 72 Weitgehend unberücksichtigt bleiben Ansätze des DNA-Computing und solche, welche in silicio künstliches Leben am Computer simulieren, wenngleich dies weitere interessante und aufschlussreiche Perspektiven auf die Verwendung und Auswirkungen von Computermetaphern in der gegenwärtigen biologischen Forschung und in den Lebenswissenschaften versprechen würde. Bei DNAComputing geht es darum, biomolekulare Systeme, die DNA und RNA verar beiten, als universale Rechenmaschinen nach dem Vorbild der Turingmaschinen zu nutzen, um Daten zu verarbeiten und zu speichern. Der Vorteil solcher DNAComputer besteht darin, dass statt eines binären Codes aus den Zahlen 1 und 0 mit der DNA vier Basen zur Verfügung stehen, um schnellere und komplexere Berechnungen auszuführen. (Vgl. Amos, 2005; Mainzer, 2011 und 2015; The ETC Group, 2007, 18) Die Überschneidungen und Wechselbeziehungen mit An sätzen der Synthetischen Biologie sind vielfältig, wenngleich DNA-Computing nicht im engeren Sinne zur Synthetischen Biologie gezählt wird, da hier nicht die Synthese von lebendigen Organismen bzw. Teilen von lebendigen Organis men im Vordergrund steht. In silicio Ansätze etablieren am Computer Model le und Simulationen für lebende Organsimen, Regulationsmechanismen oder neue Stoffwechselwege in synthetischen Organismen. Sie sind vor allem der Systembiologie zuzurechnen, finden jedoch auch in der Synthetischen Biologie Anwendung. (Deplazes-Zemp, 2011, 97; Benner & Sismour, 2005, 542; Moya, et.al., 2009)
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maßgeblichen Impuls für die begriffliche und technische Entwicklung der Molekularbiologie und Genetik. Venter nimmt in seiner Rede anlässlich des 70-jährigen Jubiläums von Schrödingers Vorträgen ausdrücklich Bezug auf dieses Erbe und stellt seine Vision eines digitalen Zeitalters der Biologie in die Tradition von Schrödingers Metapher des genetischen Codes: „I view DNA as an analogue coding molecule, and when we sequence the DNA, we are converting that analogue code into digital code; the 1s and 0s in the computer are very similar to the dots and dashes of Schroedinger’s metaphor. I call this process ‚digitalizing biology‘.“ (Venter, 2012) Die Geschichte von der Entdeckung des Gens bis zur Totalsynthese eines bakteriellen Genoms ist dieser Erzählung nach auch die Erfolgsgeschichte der Metapher vom genetischen Code und zugleich eine Technikgeschichte der Digitalisierung von Lebensprozessen. Venter erzählt in historischer Selbstverortung die Entwicklung der modernen Biologie am Leitfaden der Metapher vom Lesen des genetischen Codes bis zum Schreiben von DNA als digitalen Computercode. (Vgl. de Vriend u. a., 2007, S. 2) Dabei wird schnell klar, dass die Metapher vom Lesen und Schreiben eines binären Codes nicht nur der Veranschaulichung dient, sondern vielmehr auch als Ausdruck einer handlungswirksamen Sichtweise und forschungsorientierenden Perspektive zu sehen ist. Die Meilensteine in der Geschichte der Erforschung der DNA werden so dargestellt, als hätte erst Schrödingers Metapher vom genetischen Code in ihrer reduktionistischen und genzentrischen Lesart diese Experimente auf epistemologischer und technischer Ebene ermöglicht. Rehmann-Sutter spricht hier auch von einer ideologischen Kontinuität, die über die Idee eines Codes des Lebens zwischen Schrödinger und Venter hergestellt wird: „Von Schrödingers Code [...] zu Venters Software [...] gibt es eine direkte Linie. Die verwendeten Worte sind zwar verschieden, die zugrunde liegende Idee ist aber dieselbe: Leben funktioniert mit Hilfe einer in den Zellen vorhandenen komplexen Vorschrift, welche die Struktur, Entwicklung, Verhalten und Funktion der Zelle bestimmen.“ (Rehmann-Sutter, 2013, S. 117) Als historischer Ort der Metapher „DNA als Software des Lebens“ kann somit vorläufig Erwin Schrödinger Metapher des Codes im Kontext der sich gerade erst entwickelnden Molekularbiologie Mitte des 20. Jahrhunderts bestimmt werden. Ein kurze Darstellung dieses Kontextes kann jedoch verdeutlichen, dass der genetische Code bzw. die Schlüsselschrift, die Schrödinger im Sinn hatte, noch https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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nicht viel mit einem Computercode nach heutigem Verständnis zu hat, sondern vielmehr einem älteren Diskurs anhängt, in dem die Metapher des Buchs des Lebens noch die Vorstellung eines Schriftcodes bestimmt, während Physiker erneut ihren Blick in das lebendige Reich der Biologie werfen.73 (Vgl. hierzu Fischer, 2011; Olby, 1974; Stent, 1968) Nachdem Schrödinger nach dem Anschluss Österreichs 1938 von seiner Berufung in Graz entlassen wurde, nimmt er eine Einladung nach Dublin dankbar an und findet hier Gelegenheit, ungestört an seinen philosophisch orientierten Theorien und Fragestellungen zu arbeiten.74 (Fischer, 2011, S. 17) Die Frage „Was ist Leben?“ nimmt hierbei einen hohen Stellenwert für ihn ein und führt schließlich zu der oben genannten Vortragsreihe und Publikation. Die „große, wichtige und heiß umstrittene Frage“ von Was ist Leben? lautet: „Wie lassen sich die Vorgänge in Raum und Zeit, welche innerhalb der räumlichen Begrenzung eines lebenden Organismus vor sich gehen, durch die Physik und die Chemie erklären?“ (Schrödinger, 2011, S. 32) Schrödinger nimmt damit, wie Hendrickson herausstellt, zunächst eine Umformulierung der zugleich höchst allgemeinen wie komplexen Frage „Was ist Leben?“ vor und gibt ihr eine konkretere Problemstellung: „Was ist die physikalisch-chemische Grundlage der Vererbung?“. (Hendrickson, 2008, S. 69) Von hier aus entwirft Schrödinger nun zwei miteinander verschränkte Forschungsprogramme: Das erste thematisiert die Vererbung und fragt nach den physikalischen Gesetzen und molekularen Bedingungen, 73 Wie sich im Rahmen der historischen Kontextualisierung der Maschinenme tapher für lebende Organismen gezeigt hat, hat der physikalische bzw. ein me chanistischer Blick auf den Bereich des Lebendigen bereits vor Schrödinger eine lange Tradition, wenn sich auch seit dem mechanistischen Zeitalter die wissen schaftlichen Hintergrundannahmen, Paradigmen und Fragestellungen gewan delt haben. Die klassische Mechanik wurde zunächst durch die Thermodyna mik und schließlich – unter maßgeblicher Beteiligung Schrödingers – durch die Quantenmechanik auf den Bereich von Atomen und Molekülen erweitert. Auch die Biologie beschäftigt sich in den 1930er und -40er Jahren zunehmend mit der Frage nach den Strukturen und den Prozessen der Vererbung auf molekula rer Ebene und der Suche nach dem Gen, welches bezeichnenderweise auch das „Atom der Biologen“ genannt wurde. (Fischer, 1988) Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich diese beiden Bereiche in ihrer Suche nach passenden Modellen und Erklärungsansätzen wieder aufeinander beziehen würden. 74 Schrödinger war, wie Fox Keller betont, nicht nur als Physiker an biologischen Phänomenen interessiert, sondern „zutiefst in seinem Inneren war er Philosoph, der sich sein Leben lang [...] mit der Frage nach dem Wesen der Vererbung bes chäftigte“. (Keller, 2001, S. 67)
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unter denen Genreplikation, die „Ordnung der Erbfaktoren von einer Generation zur nächsten“, und Genexpression, die „Übertragung der Ordnung im Genom auf die organisierte Komplexität des sich entwickelnden Organismus“, erklärt werden können. (Hendrickson, 2008, S. 70) Das zweite Programm beschreibt die Fragestellung, wie unter den Gesetzen der Thermodynamik lebende Systeme und die für sie charakteristischen Übergänge von „Ordnung aus Unordnung“ und „Ordnung aus Ordnung“ möglich sind. (Schrödinger, 2011, S. 139) Wir konzentrieren uns im Folgenden auf das erste Forschungsprogramm und den „genetischen Code“, der für Schrödinger eine Lösung des Problems der Vererbung und der biologischen Entwicklung verspricht.75 Nach Olby stellt diese den „most positive and influential aspect of this littlebook“ (Olby, 1974, S. 246) dar. Schrödinger schreibt hierzu: „In diesem Chromosom [...] ist in einer Art Code das vollständige Muster der zukünftigen Entwicklung des Individuums und seines Funktionierens im Reifezustand enthalten. Jeder vollständige Chromosomensatz enthält den ganzen Code. [...] Wenn wir die Struktur der Chromosomen einen Code nennen, so meinen wir damit, daß ein alles durchdringender Geist, dem jegliche kausale Beziehung sofort offenbar wäre – wie Laplace ihn sich einmal vorgestellt hat –, aus dieser Struktur voraussagen könnte, ob das Ei sich unter geeigneten Bedingungen zu einem schwarzen Hahn, einem gefleckten Huhn, zu einer Fliege oder Maispflanze, einer Alpenrose, einem Käfer, einer Maus oder zu einem Weibe entwickeln werde.“(Schrödinger, 2011, S. 56)
75 Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nimmt in physikalischen Systemen die Entropie zu, d. h. die Unordnung in diesen geschlossenen Syste men steigt. Nun zeichnen sich lebende Systeme aber gerade dadurch aus, dass sie nicht nur in einer Welt, in der nach thermodynamischen Gesetzten Unordnung immer mehr zunimmt, ihr eigene Systemordnung aufrecht und stabil erhalten. Es ist in der Welt der lebenden Systeme sogar eine Zunahme von Ordnung zu beobachten, wenn man davon ausgeht, dass im Laufe der Evolution immer kom plexerer Lebewesen hervorgehen. Dies bezeichnet für Schrödinger das Problem der Ordnung. Als Antwort hierauf formuliert er das Konzept der Negentropie, „negative Entropie“ (Schrödinger, 2011, S. 126), und nimmt damit den Ansatz sich selbsterhaltender, offener Systeme und dissipativer Strukturen vorweg. Diese zweite Fragestellung in Schrödingers Buch wird in der Studie zur Meta pher der komplexen Systeme noch einmal aufgegriffen und thematisiert. (Vgl. Punkt 3.3.4.2)
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Mit diesen Sätzen führt Schrödinger also den Begriff des Codes in den Bereich der Biologie ein und es hat zunächst den Anschein, als ob er damit eine starke Version eines informatischen Genzentrismus vertritt. In der molekularbiologischen Sichtweise nimmt das Gen, so Witt, die zentrale „Rolle des die Entwicklung bestimmenden, formgebenden Elements ein und ist in eine stark von der Metaphorik der ‚Information‘ bzw. des ‚Programms‘ geprägte Auffassung biologischer Systeme eingebunden.“ (Witt, 2012, S. 43) Die komplette Entwicklung und Funktion des späteren Organismus scheint somit einzig und allein im Genom als codierte Information zu liegen.76 Das Konzept des Codes macht es für Schrödinger also möglich, „das Chromosom als einen Speicher von einem verschlüsselten Text zu denken, welcher die Form eines Lebewesens in Kürzeln, in einer Geheimschrift beschreiben“. (Kovács, 2009, S. 95) Sicherlich legen Schrödingers Formulierungen eine solche informatische Deutung des Codes als Informationsspeicher und Übertragungsskript nahe. Zugleich scheint er sich aber bewusst zu sein, dass der Begriff des Codes an dieser Stelle zu eng ist und mehr leisten muss als ein gewöhnlicher Text- oder Übersetzungscode: „Die Chromosomenstrukturen tragen gleichzeitig dazu bei, die Entwicklung, welche sie ahnen lassen, hervorzubringen. Sie sind zugleich Gesetzbuch und ausübende Gewalt, Plan des Architekten und Handwerker des Baumeisters.“ (Schrödinger, 2011, S. 57) Wie genau sein Code diese Aufgaben bewerkstelligen soll, scheint auch Schrödinger nicht ganz klar zu sein. Am ehesten scheint ihm hierfür ein binärer Code nach dem Vorbild des Morsecodes zu sein, wobei er auch hier gleich wieder einräumt, dass dieser Vergleich nicht ganz zutreffend sei. (Schrödinger, 2011, S. 111) Er möchte damit lediglich aufzeigen, dass „es mit dem molekularen Bild des Gens nicht mehr unvereinbar ist, wenn der Miniaturcode einem hochkomplizierten und bis ins einzelne bestimmten Entwicklungsplan genau entspricht und irgendwie die Fähigkeit hat, seine Ausführungen zu bewerkstelligen.“ (Schrödinger, 2011, S. 112) Er lässt die Metapher des Codes letztlich vage und offen und damit als Metapher sichtbar, indem 76 Schrödinger war Teil der sogenannten „Informational School“, zu der auch Niels Bohr und Max Delbrück gezählt werden. Diese frühe Phase der Mole kularbiologie zeichne, so Stent, eine eindimensionale Vorstellung der Prozesse von Informationsspeicherung und -übertragung aus und berge im Grunde eine vitalistische Idee: „the idea that some biological phenomena might turn out to be not accountable wholly in terms of conventional physical concepts“. (Stent, 1968, S. 391)
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er auf die Grenzen und die Perspektivität eines solchen Konzeptes aufmerksam macht und verschiedene Deutungsmöglichkeiten auslotet.77 Nicht definitive Lösungen und letzte Antworten finden wir in Schrödingers Ausführungen zur Frage nach dem Leben, sondern vielmehr ein spekulatives Suchen nach passenden Metaphern und Erklärungsmodellen; ein Offenlassen von Problemstellungen, die zwar in bemerkenswerter Klarheit herausgearbeitet werden, aber eher verhalten und zurückhaltend beantwortet werden.78 Dies zeichne, so Gumbrecht, den perspektivistischen und produktiven Denkstil Schrödingers aus, der es ihm ermöglicht „zu Problemschichten zu gelangen, die vorher noch nicht ins Bewußtsein getreten und also sprachlich erfaßt worden waren, die sich aber andererseits, seit sie einmal identifiziert waren, jeder Generation von Forschern und Denkern aufs neue stellen“. (Gumbrecht, 2008, S. 12) In der Tat hatte die Einführung der Codemetapher durch Schrödinger wohl gerade durch ihre suggestive und illustrative Kraft einerseits und ihre Vagheit und Deutungsoffenheit andererseits weitreichende Folgen für die sprachliche und technologische Ausprägung und Entwicklung der Molekularbiologie und Biogenetik. Laut Hendrickson spielte Schrödinger eine „zentrale Rolle bei der radikalen Umgestaltung des Begriffsrahmens der Biologie“ und gilt weithin als „Urheber der starken Zunahme von Metaphern des Informationszeitalters in der Molekulargenetik“. (Hendrickson, 2008, S. 62f.) Wenngleich die „Rolle des Vorläufers des genetischen Codes und eines Informationspropheten der Molekularbiologie“ (Kay, 2002, S. 95) durchaus in Frage gestellt werden muss, so lässt sich doch festhalten, dass Schrödingers Code eine ganze Genera77 Es fällt auf, dass Schrödinger die Metapher des Codes mit Metaphern aus ganz anderen Bereichen etwa der Architektur und Bauplanung, aber auch mit altbe kannten Metapherntraditionen wie dem Uhrwerk (Schrödinger, 2011, S. 142ff.), Laplaces und Maxwells Dämonen (Schrödinger, 2011, S. 56) oder politischen Analogien der Kriegführung und Militärkommunikation (Schrödinger, 2011, S. 58 und 137) verknüpft. Fox Keller nennt dies eine „Vielzahl von Kunstgrif fen“, die dazu dienen, dem Diskurs über die Aktivität von Genen im politischen Kontext von kriegsgetriebener Kryptologie und technischen Nachrichtensyste men einige neue Akteure hinzuzufügen, „die die Arbeit von Generälen und Be amten ausführen müssen“. (Keller, 1998, S. 98 und 100) 78 So etwa auch zur Uhrwerkmetapher, die Schrödinger im letzten Kapitel seines Buches ausführt: „Man werfe mir aber nicht vor, ich hätte die Chromosomen einfach als „Zahnräder der organischen Maschine“ bezeichnet – zumindest nicht, ohne auf die tiefgründigen physikalischen Theorien hinzuweisen, auf de nen der Vergleich beruht.“ (Schrödinger, 2011, S. 146)
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tion von Biolog:innen und Genetiker:innen inspiriert und angeregt hat; vor allem aber machte das populäre Buch die Biologie für Chemiker:innen, Mediziner:innen und Physiker:innen attraktiv und kam gerade zur rechten Zeit: „Der zweite Weltkrieg ging zu Ende, und viele Physiker hatten nach der Entwicklung der Atombombe das Interesse an ihrer Wissenschaft verloren. Sie suchten nun nach einer neuen Herausforderung, und genau die bot Schrödingers Buch.“ (Fischer, 2011, S. 17)79 Gerade die Code-Metapher beeinflusste eine ganze Reihe einflussreicher Forscher:innen wie etwa auch die späteren Entdecker der Doppelhelix Watson und Crick. Wie Olby bemerkt, führte hierbei gerade die Offenheit und Vieldeutigkeit der Metapher bei Schrödinger dazu, dass jene, die das Buch lasen, darin auch vorfanden, wonach sie suchten. (Olby, 1974, S. 246; vgl. auch Stent, 1968, S. 395) Schrödinger hatte offenbar keine Kenntnis über wichtige Forschungsergebnisse zur molekularen Struktur der Vererbung seiner Zeit und konnte daher „das Verhältnis von Stabilität und Mutabilität des Genoms noch nicht als Befund des Ineinander von höchster Primitivität und äußerster Komplexität des Chemismus begreifen“. (Blumenberg, 2011, S. 376) Dennoch wurde die Metapher vom Code als Nachfolgerin der bereits etablierten Idee eines in den Vererbungsmechanismen verborgenen Textes und als Begriff aus der Kriegssprache des Zweiten Weltkrieges aufgrund ihrer „illustrativen Funktion im genetischen Diskurs“ (Kovács, 2009, S. 95) bereits erwartet und setzte sich schnell als eine der zentralen Leitmetaphern der Genetik und Molekularbiologie mit konstitutiver Funktion durch. Zunehmend verliert der Code hierbei jedoch seinen Status als Metapher. (Vgl. auch Kay, 2002, S. 68) Für den Übergang von der klassischen Biologie zur modernen Molekularbiologie stellt Schrödingers Buch, so auch Stent, einen entscheidenden Faktor dar, wenn auch nicht unbedingt auf wissenschaftlicher Ebene80, so doch in katalytischer Funktion 79 Hierzu auch Francois Jacob: „Einen der Väter der Quantentheorie fragen zu hö ren: ‚Was ist Leben?‘, und die Vererbung in Begriffen molekularer Strukturen, interatomischer Bindungen und thermodynamischer Stabilität zu beschreiben – das genügt, um den Enthusiasmus gewisser junger Physiker auf die Biologie zu lenken und ihn mit einer Legalität zu umgeben. Ihr Streben und ihr Interesse richtet sich auf ein einziges Problem: dies physikalische Struktur der geneti schen Information.“ (Jacob, 1972, Die Logik des Lebendigen) 80 So zeigt etwa Hans Primas im Rückblick, dass sich in Schrödingers Schrift „Feh ler über Fehler“ fänden und wenig originelle oder fruchtbare Beiträge zur Bio logie böten. (Primas, 1990, S. 69) Hierzu auch Linus Pauling: „It is my opinion
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durch seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. „Schrödinger’s book became a kind of Uncle Tom’s Cabin of the revolution in biology that, when the dust had cleared, left molecular biology as its legacy.“ (Stent, 1968, S. 392) Bezeichnen wir also abschließend Schrödingers metaphorischen Einfall, in den molekularen Strukturen und Prozesse der Vererbung „eine Art Code“ zu sehen, als den historischen Ort der Metapher „DNA als Software des Lebens“, so ist dies nur unter bestimmten Voraussetzungen und mit einigen Vorbehalten richtig. Erstens muss berücksichtigt werden, dass natürlich die Metaphorik der Codierung und der Schlüsselschrift historische Vorläufer und eine lange Tradition in der Metapher vom Buch des Lebens hat und dessen Bildfelder und Implikationen stets mittransportiert. Wie vor allem Hans Blumenberg und Lily E. Kay herausgestellt haben, schwingen implizit auch bei Schrödingers Metapher vom Code die jahrtausendealten Aporien und Paradoxien einer „stummen Sprache und eines Buchs ohne Autor“ (Kay, 2002, S. 13) bzw. eines „Buches, das sich dagegen verwahrt, Leser zu haben“ (Blumenberg, 2011, S. 18) mit. Dies hat Konsequenzen für die weitere Rezeption und Deutung von Schrödingers Metapher, denn, so Blumenberg, gerade dadurch, dass die Implikationen der Redeweise vom verschlüsselten Text „beim Wort genommen“ (Blumenberg, 2011, S. 379) wurden, konnte der genetische Code als Handlungsanweisung zum Entschlüsseln und Beherrschen der Sprache des Lebens in die Forschungsprogramme der 50er und 60er Jahre bis hin zur heutigen Sichtweise von „DNA als Software des Lebens“ in der Synthetischen Biologie hineinreichen. (Kovács, 2009, S. 96–102; Nerlich & Dingwall, 2003, S. 4f.) Zweitens muss eben jener „Gründungsvater“-Mythos und die Erfolgsgeschichte that he did not make any contribution whatever [...] Schrödinger’s discussion of the thermodynamics is vague and superficial to an extend that should not be tolerated even in popular lecture.“ Ähnlich Max Perutz: „Sadly, however, a close study of his book was not original, and most of what was original was not to be true even when the book was written“. (beide Zitate bei Primas, 1990, S. 69 und 70) Die einzig lohnende Lesart des Textes wäre, so Primas weiter, dass sich darin „die Gefahr von Einäugigkeit eines von einer Idee faszinierten Forschers demonstriert wird“. (Primas, 1990, S. 70) Der Grund für diese Einäugigkeit und Konfusion liege in der Verknüpfung von Entropie, Information und moleku larer Unordnung, wohingegen Kay herausgearbeitet hat, dass Schrödinger an Information in der späteren Verwendung als biologischer Begriff noch gar nicht gedacht hat, sondern vielmehr einem älteren biologischen Organisationsdiksurs zuzuordnen ist. (Kay, 2002, S. 101f.)
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von Schrödingers Buch Was ist Leben? am Leitfaden der Metapher vom genetischen Code bei genauer Betrachtung der soziokulturellen und politischen Kontexte der Molekularbiologie wieder in Frage gestellt werden. Einerseits ist der vielzitierte Einfluss von Schrödingers Ideen auf die konkrete Forschungspraxis der Biologie weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein hat. Zumindest ist er nicht der einzige und vielleicht auch nicht der wichtigste Urheber des genetischen Codes und der Schriftmetapher für DNA in ihrer informatischen Lesart. (Bock von Wülfingen, 2016, S. 133f. Brandt, 2004; Olby, 1974, S. 246) Andererseits muss der genetische Code als Informationsspeicher und -überträger, dies hat Kay umfangreich herausgearbeitet, als „ein ‚Epochenstück‘ [...] des Informationszeitalters“ und als „Teil der kulturellen Erfahrung des Kalten Krieges“ angesehen werden. (Kay, 2002, S. 19 und 28) Schrödingers Code hingegen sei in diachronistischer wie in synchronistischer Hinsicht älteren Diskursen zuzuordnen: „In diachronischer Sicht gehörte Schrödingers skripturale Darstellung der Vererbung zur altehrwürdigen Tradition einer Vertextung der Natur [...]. In synchronistischer Perspektive gehörte Schrödingers semiotisches Repertoire, einschließlich der telegraphischen Vorstellungswelt eines morseähnlichen Codes, zu einem älteren biologischen Organisationsdiskurs, zu einem anderen Bedeutungskreis.“ (Kay, 2002, S. 97) Dieser Bedeutungskreis umfasse, so Kay weiter den kongnitiven und materialen Darstellungsraum der dreißiger Jahre: „Dampfmaschine, thermodynamisches System, lebendiger Körper und politischer Körper.“ (Kay, 2002, S. 102) Es lassen sich daher durchaus mehrere metaphorologische Geschichten des genetischen Codes rekonstruieren und verschiedene diachronische Perspektiven zur Metapher „DNA als Software des Lebens“ sind durch die Zeit hindurch wirksam. Schließlich ist, drittens, zu berücksichtigen, dass, wie oben bereits ausgeführt, Schrödinger selbst „zwar die folgenschwere Metaphorik erfindet, aber nicht so zu ihr steht, als hätte er daran eine ganz neuartige Konzeption abgelesen“. (Blumenberg, 2011, S. 377) Vielmehr kann hier ein Suchen und Herantasten an die passende Metaphorik beobachtet werden. Es werden verschiedene metaphorische Konzepte und Einzelmetaphern aufgerufen und miteinander verknüpft. Dass schließlich der genetische Code in seiner informatischen Fassung zum Motor der Erfolgsgeschichte der modernen Molekularbiologie und Genetik avancierte, war vielmehr das Ergebnis einer perspektivischen Verengung und Dekontextualisierung, die https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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erst im Rückblick erfolgte und in der die Metapher wörtlich genommen wurde. (Vgl. Brandt, 2004) Schrödingers Text ist ein in metaphorologischer Hinsicht bedeutsames Dokument, in dem die Metapher des genetischen Codes noch lebendig ist, d. h. im Entstehen begriffen und äußerst resonant gegenüber verschiedenen Deutungsmöglichkeiten. Der Bruch, der sich in dieser Metapher ausdrückt, liegt in der Paradoxie der Urheberschaft des Codes und dessen rätselhafter Aktivität.81 Gerade aber weil Schrödingers Metaphorik spekulativ, offen und perspektivisch bleibt, bot sich der Text als Gründungsmythos für eine reduktionistische und informatische Lesart an, wobei in dieser wörtlichen Interpretation die Metapher als Metapher zunehmend verschwindet und in den Kanon der unhinterfragten Grundbegriffe der modernen Biologie einwandert. In der Gentechnologie und dem Human Genome Project geht es dann konsequenterweise um das nur noch bedingt metaphorisch gemeinte Lesen und Entschlüsseln des Codes. 3.3.3.3 Wandel der Metapher In der Synthetischen Biologie scheint sich die bisher implizit in die Forschungsprogramme eingeschriebene normative Dynamik, vom Lesen zum Schreiben des Codes, tatsächlich zu verwirklichen. Erst mit der Synthetischen Biologie, so etwa Georg Church, sei es tatsächlich möglich, den Text des Lebens nicht nur zu lesen, sondern auch zu schreiben – und zwar neu zu schreiben d. h. den DNA Code zu verändern: „And here we are, at the climax to ‚the greatest story ever‘, the story of the genome. For the genome is written in code, a code that was established by nature and has remained unchanged for billon of years. [...] But now, after all those billion of years, we propose ... to change it.“ (Church, Regenesis, 120) 81 So wird die metaphorologische Geschichte der Biologie des 20. Jahrhunderts auch, etwa in den Arbeiten von Fox Keller, anhand eines Aktivitätsdiskurses dargestellt, in dem Gene als handelnde Subjekte und aktive Akteure dargestellt werden. Auch diese Perspektive ist in Schrödingers Metapher als Erbe des Max wellschen Dämons enthalten, denn es ist schließlich der Code, „Gesetzbuch und ausübende Gewalt“ zugleich (Schrödinger, 2011, S. 57), der nicht nur die Infor mation über Struktur und Entwicklung des Organismus enthält, sondern auch gleichsam als Baumeister oder Befehlshaber seine eigene Ausführung befiehlt und umsetzt bzw. umsetzten lässt. (Vgl. Keller, 1998, 2001; Kovács, 2009, S. 82ff.)
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Ballmer und Herreman weißen an dieser Stelle jedoch zu Recht darauf hin, dass es sich hierbei um ein gewandeltes Verständnis von Schreiben handelt, welches wie viele andere Kulturtechniken und -praxen auch durch die zunehmende Bedeutung des Computers und der Informationstechnologie geprägt ist. „The reading (the book of life) metaphor is being displaced by ist natural successor, writing, wich is used to explain that synthetic biology has shifted towards control and creativity when compared to the interpretative and pedagogical notions heavily deployed in the HGP. Though there is metaphorical continuity from reading (a product of creativity) to writing (engaging in creativity and producing something), it is not a literary writing frame that we find ourselves within any longer, rather it is computational writing: instead of ‚discovering‘ the ‚book of life‘, the work of synthetic biology is more akin to the development of software.“ (Balmer & Herreman, 2009, S. 223) Dieser hier angedeutete Wandel der Metaphern des Lesens und Schreibens des genetischen Codes wird im Folgenden anhand zweier „Längsschnitte“ auf dem Weg von ihrer Erfindung durch Schrödinger bis hin zur scheinbaren Verwirklichung in der Synthetischen Biologie rekonstruiert. Das ist zum einen die Geschichte des genetischen Codes im Kontext des Informationsdiskurses der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhundert, wie sie Lily E. Kay in ihrem Werk Das Buch des Lebens ausführlich und detailreich darstellt. (Kay, 2002) Es zeigt sich, dass in dieser Zeit in der Molekularbiologie Paradigmenwechsel und Weichenstellungen stattfanden, die sich in die Metapher vom genetischen Code eingeschrieben haben und in ihren Konsequenzen und Implikationen für die Ausrichtung der biologischen Forschungsprogramme bis heute weit mehr Bedeutung haben als Schrödingers Buch. Der zweite Längsschnitt beleuchtet das von 1990 bis 2004 durchgeführte Human Genome Project zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms, welches schließlich das „Jahrhundert des Gens“ (Keller, 2001) beschließt und in das postgenomische Zeitalter und eine neue Ära der digitalen Biologie überzuleiten scheint. Die Figur Craig Venter tritt hier zum erstenmal in Erscheinung und spielt in vielfacher Hinsicht eine Schlüsselrolle.
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Die Verknüpfung von Schriftcode und Informationsdiskurs in den fünfziger und sechziger Jahren Nach Kay ist Schrödingers Code, verstanden als skripturale Darstellung der Vererbung, noch nicht die informativ aufgeladene Metapher des genetischen Codes, die schließlich in der modernen Molekularbiologie erfolgreich zur Anwendung kam. Hierfür brauchte es neben der alten Metaphertradition einer diachronen Symbolik des Buchs, auf die sich auch Schrödinger stütz, die Verknüpfung mit einem Informationsdiskurs, dessen Termini und Metaphern aus dem Bereich der mathematischen Informationstheorie, der Computerwissenschaften und der militärischen Nachrichtentechnik und Kryptologie in die Sprache und Forschungspraxis der Biologie einwanderten und dort bis heute verankert sind. Dieser „Prozeß, durch den das zentrale biologische Problem der Proteinsynthese als Informationscode und Schrifttechnologie – und folglich als Buch des Lebens – dargestellt wurde, [ist] unverkennbar historisch: er ist Teil der vom Atomzeitalter und der Erbschaft des Kalten Kriegs hervorgebrachten Kultur.“ (Kay, 2002, S. 10) Entscheidend für den Erfolg des genetischen Codes als eine der zentralen und durchschlagenden Metaphern der modernen Biologie war demnach nicht nur, dass Schrödingers metaphorischer Einfall „beim Wort“ genommen wurde, es war zusätzlich die unentwirrbare Verknüpfung von Schriftrepräsentationen des Lebens und Informationsdiskurs82 in der Biologie der 50er und 60er Jahre und im kulturellen und (forschungs)politischen Kontext des Kalten Krieges. (Kay, 2002, S. 19; Keller, 1998, S. 56ff.) Erst in den 50er Jahren wurden „die diachronischen Resonanzen eines Buchs des Lebens verstärkt von der synchronischen Artikulation der DNA als programmiertem Text, und Information wurde zum stimulierenden Primum Mobile. Der genetische Code wurde zum Ort der Steuerung und Kontrolle des Lebens.“ (Kay, 2002, S. 22f.)
82 Als Informationsdiskurs bezeichnet Kay im Anschluss an Foucault ein von der mathematischen Informationstheorie, der Kybernetik und der Computerwissen schaft etabliertes System sprachlicher Streuung und Repräsentationen, welches die Deutungen und Praktiken eines Lebensbereichs strukturiert und normativ ausrichtet. In diesen diskursiven Repräsentationssystem nehmen ein Netz von Metaphern und Terminologien eine zentrale Rolle ein: „Information, Nachrich ten, Texte, Codes, kybernetische Systeme, Programme, Instruktionen, Alphabete, Wörter.“ (Kay, 2002, S. 51)
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In kultureller und sozialer Hinsicht bedeutete der als Kalter Krieg bezeichnete Konflikt zwischen den Westmächten unter Führung der USA und dem Ostblock unter Führung der Sowjetunion vor allem die umfassende Militarisierung und politische Hegemonisierung nahezu aller Lebensbereiche. Dies hatte gravierende Auswirkungen auf die Forschungs- und Förderpolitik, auch und gerade in den Biowissenschaften. Es entstand so ein militärischwissenschaftlicher Komplex, ein „festes Band zwischen Biologen [...] und dem Militär“. (Kay, 2002, S. 30) Unter militärischer Schirmherrschaft und dem Einfluss kybernetischer Regelungs- und Steuerungssysteme und technowissenschaftlicher Vorstellungen von Nachrichten und Kontrollsystemen wurde schließlich die Entschlüsselung des genetischen Codes für die Biologie zum primären Forschungsziel erhoben. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt hierbei die theoretische und technische Entwicklung des Computers als universale Turingmaschine und die damit aufsteigende Computerwissenschaft. (Vgl. etwa Mainzer, 2010, S. 31ff.; Weizenbaum, 2008) Insofern kann man mit Gill den von Blumenberg bei Miescher und Schrödinger beobachteten metaphorologischen Durchbruch vom „Uhrwerk“ zum „Sprachwerk“ (Blumenberg, 2011, S. 396) unter Berücksichtigung der Einflüsse von Informationstheorie und Kybernetik auf die Molekularbiologie auch als „Metamorphose von der strukturell determinierten ‚klassischen Maschine‘ zur funktionell programmierbaren ‚transklassischen Maschine‘, dem Computer“ verstehen. (Gill, 1992, S. 419) War Schrödinger in seinem Suchen und Ringen um die passenden Metaphern noch auf Uhren und Telegraphen verwiesen, so bieten die selbstregulierenden Systeme der Kybernetik und Turings universale Rechenmaschine neue Modelle und Vorstellungen für die Darstellung von maschinenhaften Strukturen und Prozessen. (Kay, 2002, S. 36; Keller, 1998, S. 136; Kovács, 2009, S. 102ff.) Die Ideen und Terminologien der mathematischen Informationstheorie, der Kybernetik und der Computerwissenschaften erlangen in den 50er und 60er Jahren die begriffliche Vorherrschaft und bilden den konzeptionellen Rahmen, in dem sich nicht nur die allgemeinen Vorstellungen von Maschinen wandelten, sondern auch in der Molekularbiologie physikalische, biologische und soziale Phänomene dargestellt und repräsentiert wurden. Der „genetische Code“, dessen metaphorologische Spuren hier verfolgt werden, ist dabei nicht die einzige und zentrale Metapher dieses neu entstehenden Diskurses, sondern vielmehr Teil eines diachron und synchron aufgespannten Netzwerks von linguistischen und inforhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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matischen Metaphern wie Information, Programm oder Netzwerk die sich gegenseitig perspektivisch ergänzen und konzeptionell stützen. (Vgl. Kovács, 2009)83 Der Begriff Code, ursprünglich aus der Kryptologie als Satz von Transformationsregeln zur Entschlüsselung eines Textes in Geheimschrift entlehnt, ist ein Beispiel dafür, wie die Terminologie der Informationstheorie und der Nachrichten- und Kommunikationstechnologien im Kontext des Kalten Krieges und der Militarisierung aller Lebensbereiche in die Biologie einwandert und die Forschungspraxis nachhaltig orientiert und normativ prägt. (Kovács, 2009, S. 93f.) Als metaphorisches Konzept strukturiert und organisiert die Codemetapher den Handlungsbereich der biologischen Laborpraxis und hebt selektiv bestimmte Handlungsoptionen hervor, während andere in den Hintergrund gedrängt oder ausgeblendet werden. Diese impliziten Denk- und Handlungsmuster entsprechen einer normativen Dynamik, die im Konzept der Schrift bzw. der kulturellen Technik des Lesens bereits angelegt ist und sich je nach kultureller und technologischer Entwicklung neu artikuliert. Wie Brenner herausstellt, ist die Entscheidung der Molekulargenetik zur „Entschlüsselung“ der DNA als einer Sprache bzw. als Code eine „Entscheidung zu Gunsten einer Metapher“ und hat somit konkrete Auswirkungen auf die Forschungsperspektive und -praxis. (Brenner, 2007, S. 19) Die Artikulation der Strukturen und Prozesse der Vererbung auf molekularer Ebene als Information speichernden und übertragenden Schriftcode, später auch von Jacob als deterministi-
83 Die Metapher „Information“ wäre ein weiteres geeignetes Beispiel hierfür und wurde bereits an anderer Stelle ausgiebig behandelt. (Vgl. Gutmann, 1998; Janich, 2006) Der Terminus Information bezeichnet in der mathematischen Theorie von Claude Shannon eine quantitative Maßeinheit für die Komplexität linearer Codes. Ein solch rein stochastischer Begriff, der sich im Kontext der Informationstheorie selbst einer metaphorischen Übertragung aus der älteren, auch alltagsprachlichen Bedeutung des Informierens verdankt, kann nicht wort wörtlich auf den Bereich der Biologie übertragen werden, sondern macht wie derum nur metaphorisch Sinn. Nach Kay wird so „Information zur Metapher einer Metapher, zu einer Katachrese, und zu einem Signifikanten ohne Referent.“ (Kay, 2002, S. 48) Gerade deshalb aber war die Informationsmetapher für den molekularbiologischen Diskurs so fruchtbar und konnte schließlich in Watsons und Cricks Formulierung des zentralen Dogmas, wonach genetische Informa tion in der DNA gespeichert sei und von dort nur unidirektional über RNA in Proteine übertragen würde, leicht eine metaphorische Allianz mit dem aus der Schriftmetaphorik kommenden Code Schrödingers eingehen. (Keller, 1998, S. 37 und 121ff.)
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sches „Programm“ nach dem Modell des Computers bezeichnet84, bringt praktisch wirksam die Vorstellungswelten und Techniken des Lesens und Schreibens in den (Forschungs-)Blick. So schreiben etwa Rheinberger und Müller-Wille in Bezug auf die in den 70er und 80er Jahren entwickelten Techniken und Methoden zur gezielten Bearbeitung und Manipulation von genetischem Material: „In diesen Techniken materialisiert sich zunehmend jene Informations-, Schrift- und Textmetaphorik, die den Aufstieg der Molekularbiologie begleitet hatte: Lesen als DNA-Analyse; Schreiben als DNA-Synthese; Kopieren als Polymerase-Kettenreaktion; Editieren als Veränderung von Gensequenzen durch punktgenaue Mutationen.“ (Rheinberger& Müller-Wille, 2009, S. 245 und 248) Die Techniken des Lesens, Schreibens und Editierens der Gentechnologie, die es im Vorgriff auf die Synthetische Biologie erlauben, in der Biologie „synthetisch und kreativ“ (Rheinberger& Müller-Wille, 2009, S. 248f.) zu agieren, transportieren in ihren Ein- und Zugriffsmöglichkeiten zugleich einen alten Herrschaftsanspruch über die Natur und das Leben mit. „Die Metapher [des Codes] beinhaltet [...] den Vor- und Übergriff auf die Natur insgesamt, die uns zwar einstweilen noch in Teilen unzugänglich sein mag, die sich ihrer Entschlüsselung jedoch nicht grundsätzlich wiedersetzen kann“ (Brenner, 2007, S. 16) Die Metaphorik der Lesbarkeit, so auch Blumenberg, stimuliere und legitimiere „den fatalen Drang zur biotechnischen Verfügung“ und stelle den „Menschen als den Umschreiber des Buchs der Natur“ in Aussicht. (Blumenberg, 2011, S. 399 und 397) Der aus dem militärischen Kontext von 84 Die Bezeichnung der Prozesse der biologischen Reproduktion als „genetisches Programm“ geht vor allem auf Jacob zurück. Mit der Programmmetapher wur de es möglich, die früheren Textmetaphern und die Maschinenmetaphern nach dem Modell eines Computers zusammenzudenken. „Als Metapher brachte das ‚Programm‘ die Genetik nochmal näher zum Computer, der ihr eine technische Modernität verlieh und die Zusammenarbeit zwischen Genetik und Informa tik verstärkte.“ (Kovács, 2009, S. 110) Rheinberger weißt allerdings darauf hin, dass Jacob zwar den Begriff aus dem Bereich der elektronischen Informations verarbeitung entlehnt, zugleich aber auf die grundsätzliche Differenz zwischen dem Programm einer Maschine und dem Programm eines Organismus besteht und sich der Perspektivität, Kontextualität und Selektivität der Metaphern Programm, Information, Code etc. durchaus bewusst ist. „Wenn heute Jacobs Begriff des ‚genetischen Programms‘ als Inbegriff des molekularbiologischen Reduktionismus kritisiert wird, sollte man sich erinnern, dass Jacob den Begriff des ‚Programms‘ gerade in umgekehrter Absicht verwendete, eine nichtatomi stische, transreduktionistische Perspektive auf die Genetik zu ermöglichen.“ (Rheinberger, 2006, S. 308)
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Nachrichtendiensten und der Kryptologie entlehnten Logik der Entschlüsselung folgend war es schließlich nur eine Frage der Zeit, bis der genetische Code „geknackt“ wurde und die Buchstaben der Sprache des Lebens nicht nur entziffert werden konnten, sondern dem Zugriff und der Manipulation durch den Menschen zur Verfügung standen. Die Verknüpfung von Schriftcode und genetischer Information, wie sie oben beschrieben wurde, bedeute, so Kay, eine „neu entstehende Form von Biomacht: Die materielle Kontrolle des Lebens konnte nun ergänzt werden durch die Aussicht auf die Kontrolle seiner Form und seines Logos, seiner Information (der DNASequenz oder des ‚Worts‘).“ (Kay, 2002, S. 20) In dem metaphorischen Konzept der Schrift bzw. des Codes von Anfang an enthalten ist somit die Weiterführung vom Lesen zum (Neu)Schreiben, vom Entschlüsseln zum Programmieren und Designen. Es ist eben jener Schritt, den die Synthetische Biologie als Erfüllung eines von der Molekularbiologie und Gentechnologie gegebenen (metaphorischen) Versprechens und als Ausweis eines Paradigmenwechsel für sich beansprucht. „The transistion from reading to writing DNA, entails a paradigm shift whereby the process of construction takes centre stage.“ (de Vriend u. a., 2007, S. 2) Es handelt sich angesichts der durchgängigen Metaphorik des Lesens und Schreibens jedoch weniger um einen Paradigmenwechsel oder eine echte wissenschaftliche Revolution, als vielmehr um eine Kontinuität und normative Dynamik der Herrschaft, Kontrolle und Macht über das Leben. (Hellsten & Nerlich, 2011, S. 392ff. Morange, 2009, S. 24f.) Der in der Synthetischen Biologie erhobene Anspruch der kreativen Neuschöpfung - den Code des Lebens neu zu schreiben, die Software des Lebens zu programmieren, die Kontrolle über lebende Maschinen – ist metaphorologisch synchron und diachron verknüpft mit der alten Metaphorik einer Schrift- und Textkultur, dem Informationsdiskurs der 50er und 60er Jahre und der Etablierung der Gentechnologie in den 70er und 80er Jahren.85 Wie Rheinberger schreibt, hat die Molekularbiologie durch ihre informatische Ausrichtung und die begriffliche wie technischwissenschaftliche Etablierung von Speicher- und Schrifttechno85 Nerlich und Hellsten geben einen guten Überblick über die synchronen und diachronen assoziativen Verkettungen der Buch- und Computermetaphern in nerhalb des medialen Diskurses über die Synthetische Biologie. Vgl. die Grafi ken „Mapping associations around ‚book‘“, und „Mapping associations around ‚computer‘“. (Hellsten & Nerlich, 2011, S. 385 und 387)
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logien einen „alternativen Raum der Repräsentation des Lebendigen“ perspektivisch eröffnet, der bis heute in die Darstellungen und Anwendungen der Synthetischen Biologie fortwirkt. Diese eröffnete Perspektive – Rheinberger nennt sie in Anlehnung an Heidegger „Bezirk“ – erlaube es, „mit dem Lebendigen im Sinne der Speicherung, Umschreibung und Übersetzung von genetischer Information umzugehen.“ (Rheinberger, 2006, S. 286) Somit habe Stent recht, wenn er die informatische Sichtweise auf das Leben wissenschaftshistorisch und programmatisch als zentral für die Molekularbiologie in Abgrenzung zu den mechanistischen Modellen sieht: „Dazu überzugehen, lebende Systeme als informationsverarbeitende Strukturen zu sehen anstatt als mechanische Apparate oder als Energie wandelnde und dissipierende Maschinen, das unterscheidet die Biologie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von den Organismusvorstellungen des 17./18. und 19. Jahrhunderts. Den Organismus als ein Buch zu lesen ist aus einer bloßen Analogie zu einer wörtlich zu nehmenden Beschäftigung geworden.“ (Rheinberger, 2006, S. 286f.) Schrödinger mag den Begriff des Codes erstmalig im Bereich der Biologie sichtbar platziert und hierbei auch die metaphorische Tradition der Vertextung der Natur implizit mittransportiert haben; die in der heutigen Verwendung der Metapher DNA als Software des Lebens eingelassenen Bildfelder und handlungsleitenden Deutungsschemata einer informatischen Sichtweise des Lebens und der normativen Dynamik des Lesens und (Neu-)Schreibens wurde jedoch erst später in der Verknüpfung von Vorstellungswelten einer Schrift- und Textkultur und des Informationsdiskurs der 50er und 60er Jahre in den Code „eingeschrieben“. Der genetische Code im Human Genome Project Das „Jahrhundert des Gens“, welches um 1900 mit der Wiederentdeckung der Mendelschen Vererbungsgesetze begann, fand, so die Physikerin und Wissenschaftsphilosophin Evelyn Fox Keller, mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ein triumphales Ende.86 86 Auch der Begriff des Gens ist Teil des diachron und synchron aufgespannten Metaphernnetzes und ist, wie Rheinberger beschreibt, mit einem „ganzen Bün del linguistischer Metaphern“ verflochten, „allen voran: Information, Code, Nachrichtenübermittelung, Signaltransduktion und Kommunikation“ (Rhein
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(Vgl. Keller, 2001) Das Human Genome Projekt (HGP)87 wurde im Juni 2000 im Rahmen einer Pressekonferenz im Weißen Haus für erfolgreich beendet erklärt.88 (Clinton, Blair, Collins, & Venter, 2000) Aus metaphorologischer Sicht erscheint dieses Ereignis zunächst als die konsequente Erfüllung und Verwirklichung der linguistischen und informatischen Codemetapher. Die Fachsprache, die sich in der Molekularbiologie und Genetik aus dem Kontext der fünfziger und sechziger Jahre herausgebildet hat, scheint sich gegen Ende des Jahrhunderts zu verwirklichen – „und zwar nicht nur rhetorisch, sondern in der wissenschaftlichen Tätigkeit selbst.“ (Keller, 1998, S. 40f.) Die Vollendung des HGP nimmt hierbei für die vorliegende metaphorologische Perspektivierung auch deshalb eine Schlüsselrolle ein, da mit diesem Projekt nicht nur wissenschaftlich-technisch und forschungspolitisch Weichen in Richtung Synthetische Biologie gestellt wurden, sondern auch Craig Venter zum ersten mal als streitbarer Pionier der Forschung mit unternehmerischem Ehrgeiz und hoher medialer Resonanz in Erscheinung tritt. (Vgl. Davies, 2001)89 berger, 2006, S. 240; vgl. auch Kay, 2002; Keller, 2001) Bock von Wülfingen weist allerdings darauf hin, dass „Gen“, zumindest im Entstehungskontext, selbst keine Metapher, sondern vielmehr eine Wortneuschöpfung sei, da es keine be grifflichen Vorläufer und keine Metapherntradition gäbe, auf die sich diese Be zeichnung beziehen würde. (Bock von Wülfingen, 2016, S. 128) 87 Das Human Genome Project war ein von amerikanischen Forschungsinstitutio nen initiiertes und gefördertes internationales Großprojekt, welches die Biologie in den Status einer „big science“ nach Vorbild physikalischer Großforschung emporhob. Der offizielle Beginn des Projektes war im Oktober 1990, auch wenn die ursprünglichen Konzepte und Ideen weiter zurückreichen und die Umset zung das Ergebnis der technischen Entwicklung zweier Jahrzehnte im Bereich der Identifizierung und Sequenzierung von Genen und Genabschnitten vor aussetzte. Als Ziele wurden definiert: Die Identifikation und Kartierung aller Gene und Sequenzierung des menschlichen Genoms, die entsprechende tech nische Entwicklung zur Speicherung und Analyse der Daten, die Etablierung und Förderung einer Begleitforschung zu den ethischen, rechtlichen und sozia len Aspekten der Genomforschung sowie die Sequenzierung einer Reihe von Modellorganismen (E. Coli, Drosophila und Maus). (Hans-Jörg Rheinberger & Müller-Wille, 2009, S. 254–261) 88 Allerdings handelte es sich bei den beiden Veröffentlichungen, die die Sequen zierung des menschlichen Genoms für sich beanspruchten, noch nicht um die vollständige Entschlüsselung. Diese wurde erst 2003 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Entdeckung der Doppelhelix durch Watson und Crick gefeiert, allerdings mit wesentlich weniger medialem Aufwand und enzsprechender Re sonanz. 89 Venter gründete 1998 das private Unternehmen Celera Genomics und trat damit in direkte Konkurrenz zu dem öffentlich finanzierten und staatlichen HGP am
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In der als mediales Ereignis und zum wissenschaftlichen Meilenstein hochstilisierten Pressekonferenz nehmen die beteiligten Redner jede Gelegenheit wahr, auf die historische Tragweite und das enorme Potential des HPG für das Wohlergehen der Menschheit hinzuweisen. Dabei kommt es zu einer regelrechten Kulmination von Metaphern, die das menschliche Genom wahlweise als „Karte“, „(heiliges) Buch des Lebens“, „Code“ oder „Blueprint“ bezeichnen. (Nerlich & Dingwall, 2003, S. 10–16; Nerlich & Hellsten, 2004) Präsident Clinton etwa spricht vom Genom als einer Karte, „the most important, most wondrous map ever produced by humankind“ und verkündet an anderer Stelle mit Bezug auf Galileo, dass nun die Sprache, in der Gott das Leben geschrieben habe, erlernt wurde.90 NIH unter der Leitung von Collins. Mit der Entwicklung und Etablierung inno vativer Sequenzierungsmethoden und einer enormen Geschwindigkeit bei der Sequenzierung trug Venter maßgeblich zur Dynamik und dem Erfolg des HGP bei. Neben dem Prestige, als Erster das menschliche Genom entschlüsselt zu ha ben, ging es bei dem sog. „Race to the Genome“ allerdings auch um ökonomi sche Interessen und unterschiedliche Wissenschaftsstile. Venter ließ sich seine entwickelten Methoden und entschlüsselten Sequenzen schnell patentieren und vermarkten, während die stattlich institutionalisierten Wissenschaftler:innen einen Anspruch auf die allgemeine Zugänglichkeit und Verfügbarkeit wissen schaftlicher Erkenntnisse und Wissens einforderten. 90 Die Frage nach der Autorenschaft des Codes bzw. Textes des Lebens liegt als Paradoxie bereits in den Anfängen der Metapher vom Buch der Natur bei Tho mas von Aquin vor. (Kay, 2002, S. 57ff. vgl. auch Blumenberg, 2011) Hier ist es in der Regel Gott, dessen Wort der Anfang von allem, der Natur und dem Leben war und der somit auch als Autor des Buchs der Natur und des Lebens in Frage kommt. Die große Herausforderung bedeutete für die Menschen daher weniger die Autorenschaft selbst als vielmehr das Rätsel, ob es sich hierbei um Schöpfung oder Offenbarung handele. Im säkularen Kontext der Molekular biologie stellt sich bei Übernahme dieser Metapherntradition jedoch die Frage nach der Urheberschaft erneut und zieht sich als unlösbare Aporie bis in das HGP hinein durch alle Aktualisierungen und Artikulationen der Schrift- und Codemetapher. Religiös konnotierte Metaphern und Bezüge zu einer göttli chen Autorenschaft des Buchs des Lebens sind daher, wie auch bereits in den mechanistischen Vorläufern der Maschinenanalogien, in nahezu allen Phasen der Entdeckung und Entschlüsselung des genetischen Codes wiederzufinden. So sei etwa, nach Schrödinger, der Vererbungsmechanismus nicht „plumpes Menschenwerk [...], sondern das feinste Meisterstück, das jemals nach den Leitprinzipien von Gottes Quantenmechanik vollendet wurde“. (Schrödinger, 2011, S. 147) Wenn der Text des Lebens jedoch von Gott geschrieben ist, dann werden die Wissenschaftler:innen, die ihn entziffern und in die menschliche Sprache übersetzen, gleichwohl zu „Priestern“. Der Schritt zum sogenannten „Playing God“ Vorwurf ist dann nicht mehr weit und kann zu moralischen Vorbehalten und gesellschaftlichem Unbehagen beitragen. Strategisch ist die Wahl religiös konnotierter Metaphern im HGP dagegen wohl eher zum Zwecke
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Francis Collins und Craig Venter, die beiden konkurrierenden Forscher, die maßgeblich an der Dynamik und dem Erfolg des HGP beteiligt waren, sprechen davon, dass der Mensch nun seine eigene „Bedienungsanleitung“ lesen könne und mit dem menschlichen Genom „a revelation of the first draft of the human book of life“ vorliegen hätte. (Clinton u. a., 2000) Trotz der Heterogenität der genannten Metaphern sind diese auf die älteren linguistischen Vorstellungen und reduktionistisch-genzentrischen Konzepte der 50er und 60er Jahre zurückzuführen, nach denen das Gen bzw. das Genom, sei es als Karte, Text, Code, Programm oder Blueprint, die Information über Struktur und Entwicklung des Gesamtorganismus in codierter, verschlüsselter Form enthält und zugleich in Proteine übersetzt. (Nerlich & Dingwall, 2003) Darin begründet sich letztlich die Erwartung des HGP, mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, umfangreiche Erkenntnisse über das Wesen des Menschen zu erlangen. (Nerlich & Hellsten, 2004, S. 257) Eine Hoffnung, die schließlich jedoch enttäuscht werden musste. Die Gründe hierfür liegen auch auf metaphorologischer Ebene bzw. in dem komplexen Wechselspiel zwischen Forschungspraxis, wissenschaftlich-technischer Entwicklung, sozialen und politischen Rahmendiskursen und den perspektiveneröffnenden wie -verschließenden Potentialen von Metaphern. Die in die Schrift- und Buchmetaphorik des genetischen Codes von Anfang an eingeschriebene normative Logik der Kulturtechniken des Lesens und Schreibens scheint im HGP einen entscheidenden Durchbruch zu erreichen. Die schließlich erfolgreiche Entschlüsselung des menschlichen Genoms markiert einen Wendepunkt in der metaphorologischen Geschichte des genetischen Codes, an dem sich die Dynamik der Vertextung der Natur und der informativen Perspektive auf das Leben in aller Deutlichkeit ablesen lässt. Erst unter der in den 50er und 60er Jahren geborenen und im zentralen Dogma von Watson und Crick artikulierten metaphorischen Idee des informatischen Codes kann die Entschlüsselung des der „Nostrifizierung und [...] dem positiven Einstimmen des Publikums [...] als auch in der vorwegnehmenden Entwaffnung von Kritik aus religiösen Kreisen.“ (Bock von Wülfingen, 2016, S. 145) motiviert. „The image of the ‚book of life‘, or ‚bible of life‘ derives its power not only from its linguistic associations but also from tapping into domains of mostly dim and distant, but still potent, knowledge about religion and the natural scineces, making it possible to establish close links between the sacret and the scientific, between scientists and priests.“ (Nerlich & Dingwall, 2003, S. 8)
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„code to life on earth“ (Blair) und die Übersetzung der „Sprache des Lebens“ zum vorrangigen Forschungsziel des Human Genome Project ausgerufen werden. Hierzu auch Cohen et. al.: „The role of the genome has been likened to a computer programm that encodes the organism’s development and its subsequent response to the environment. Thus, the organism and its fate can be explained by genetics, the plans written into the sequence of genomic DNA; the Human Genome Project was deviced to decipher this programm.“ (Cohen, Atlan, & Efroni, 2016, S. 1) Hierin äußert sich zugleich jene Herrschaftslogik und Machtstruktur, welche auf die umfassende Beherrschung und Kontrolle des Lebens zuläuft und sich ebenfalls in der Computermetaphorik und den Erwartungen des Human Genome Project an die erfolgreiche Entschlüsselung niederschlägt.91 (Vgl. Rosner & Johnson, 1995) Die vollständige Kenntnis der im genetischen Code gespeicherten Information führt im Rahmen der reduktionistischen Sichtweise nicht nur zum Verständnis dessen, „was der Mensch ist“, sondern erlaubt darüber hinaus präzise Vorhersagen über das zukünftige Verhalten von Organismen bis hin zur Manipulation bzw. Korrektur des Ursprungscodes.92 Auch in dieser Hinsicht wirkt die Schriftund Sprachmetaphorik, die den genetischen Code seit seiner metaphorischen Entdeckung bei Schrödinger begleitet, bis in die programmatische Ausrichtung des Human Genome Projects fort. Es handele sich, so Cohen et. al. weiter, um ein Übersetzungsprojekt, welches die Sprache der DNA in die Sprache der Menschen übersetzen und deren Informationsgehalt verständlich machen soll. „Its objective is to translate the chemical sequence information borne
91 Rosner und Johnson kritisieren aus einer feministischen Sichtweise die Er zählungen und Selbstverständnisse einer auf Ausbeutung und Beherrschung ausgerichteten, männlich dominierten Wissenschaft, die sich im HGP in drei Konzepten niederschlagen: 1. Natur als Buch des Lebens; der Wissenschaftler als Sammler und Übersetzer, 2. Natur als Maschine; der Wissenschaftler als Ingeni eur, 3. Natur als unerforschtes Territorium; der Wissenschaftler als Entdecker. 92 Vgl. Cohen et. al: „The computer program metaphor fosters high expectations of the Human Genome Project. Theoretically, if you know all the information borne by a computer program, you can expect to know how a computer using that programm will operate; you can understand the computer’s present be haviour and can predict its future behaviour with a high degree of accuracy. You would even be able to repair mistakes in the program, if that program were simple enough.“ (Cohen, Atlan, & Efroni, 2016, S. 2)
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by the genome into the verbal information of human language and thought.“ (Cohen u. a., 2016, S. 1)93 Wie bereits ausgeführt, liegt ein großer Teil des Erfolges der modernen Molekularbiologie und Genetik darin, dass die Parallelen zwischen menschlicher Sprache bzw. Schrift und den molekularen Strukturen und Prozessen der Vererbung, die ja durch die Buch der Natur Metapher allererst gestiftet wurden, beim Wort genommen wurden. In dieser Hinsicht markiert das Human Genome Project den Höhepunkt und die konsequente Durchführung der Lese- und Entschlüsselungskonzeption. Allerdings führte die allzu wörtliche Interpretation der Metapher vom genetischen Code nicht nur zu wissenschaftlichen Erfolgen und Erkenntnisfortschritt, sondern stieß etwa in den in den Versuchen linguistischer DNA Analysen bereits früh an ihre Grenzen. (Vgl. Kay, 2002, S. 382–401; Nerlich & Dingwall, 2003, S. 4–10) Hierzu auch Kovács: „Der grundsätzliche Fehler, den die meisten Forscher unbemerkt begangen hatten, war, dass sie den Code nicht als Metapher, sondern wörtlich genommen hatten. Der faszinierende Code, der in anderen Wissenschaften tatsächlich ein gültiges Modell verkörperte, ließ in der Genetik konzeptuelle Schwierigkeiten vergessen und erwarb den Anschein einer unanfechtbaren Wahrheit, welche den kognitiven Zugang zur Interpretation anderer biologischer Phänomene versperrte.“ (Kovács, 2009, S. 100) So muss das HGP nicht nur als die erfolgreiche Verwirklichung und Entfaltung einer Entschlüsselungsmetaphorik, sondern zugleich auch als auch Ausdruck der Enttäuschung falscher Erwar93 In diesen Aussagen spiegelt sich noch einmal die enge Verknüpfung von lin guistischem und informatischem Diskurs, die, wie Kay umfangreich dargelegt hat, so charakteristisch für die Aufnahme der Codemetapher in die Sprache und Forschungspraxis der Biologie ist. (Vgl. auch Nerlich & Dingwall, 2003, S. 4ff.) Bereits in den 1960er Jahren inspirierten sich Genetik und Linguistik gegensei tig, indem von nicht nur metaphorischen, sondern wortwörtlichen strukturellen und semantischen Gemeinsamkeiten von (menschlicher) Sprache und DNA aus gegangen wurde. Hierzu etwa Jacobson über das 1966 erschienene Buch „The Language of Life“ von George und Muriel Beadle: „Der Titel des Buches [...] ist nicht bloß metaphorischer Ausdruck, und die ungewöhnlich starke Analogie zwischen dem System der genetischen und der sprachlichen Information recht fertigt völlig die Grundaussage dieses Buches: ‚Die Entzifferung des DNS Codes hat zutage gebracht, daß wir im Besitz einer Sprache sind, die älter als die Hy roglyphen ist, einer Sprache, die so alt ist wie das Lebens selbst, einer Sprache schließlich, die die lebendigste aller Sprachen ist.“ (Jakobson zitiert in Kay, 2002, S. 402)
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tungen und der Hybris derer, die wortwörtlich an die „Entschlüsselung“ des genetischen Codes glaubten, angesehen werden. Witt beschreibt diese Krise des HGP als Scheitelpunkt einer molekularbiologischen Sichtweise, deren genzentrischen Prämissen gerade durch die Erfolge der reduktionistischen Methode zunehmend in Frage gestellt werden: „Die Genomsequenzierungsprojekte sollten den Höhepunkt und Triumph des molekularbiologischen Denkens darstellen. Mit der Verfügbarkeit der Sequenzen, so die Hoffnung, stünden endlich alle notwendigen Elemente zur Erklärung des ‚Geheimnisses des Lebens‘ zur Verfügung. Mit ihnen würde es möglich werden, zu einem vollständigen Verständnis des Lebens zu gelangen und damit das Leben in all seinen körpergebundenen Facetten der Wissenschaft zugänglich zu machen. [...] Aber stattdessen war mit Abschluss der Sequenzierungsprojekte der Scheitelpunkt der molekularbiologischen Sichtweise des Lebens erreicht. Mit der wachsenden Verfügbarkeit genomischer Sequenzen und der zeitgleichen anwachsenden Schwierigkeit, die gewonnen Daten zu interpretieren, wuchs die Skepsis vieler Wissenschaftler darüber, ob allein die Gene bzw. das Genom den entscheidenden Schlüssel zum Verständnis des Lebens beinhalten.“ (Witt, 2012, S. 63) Die metaphorologische Deutung dieser Entwicklung legt nahe, dass dies als der Erfolg und das Scheitern der Metapher des Genomtextes zugleich zu lesen ist. Denn das vorrangige Ziel, die Entschlüsselung des genetischen Codes, ist zwar gelungen, das eigentliche Rätsel, das Geheimnis des Lebens, welches man sich im Text des entschlüsselten Genoms als Botschaft versprach, bleib weiterhin ungelöst und unverständlich. Somit mache, nach Kovács, das Entschlüsseln des genetischen Codes paradoxerweise einen weiteren Code erforderlich um den Genomtext verständlich zu machen. „Das Ziel wurde zwar erreicht, der ‚Genomtext‘ wurde ‚lesbar‘ gemacht, aber niemand verstand ihn, und es ist nicht zu erwarten, dass ein Code gefunden wird, mit dem er entschlüsselt werden kann.“ (Kovács, 2009, S. 113) Die Grenzen und Aporien der reduktionistischen Metapher eines linearen Schriftcodes, die von Anfang an in der Buchmetaphorik enthalten waren, zwingen nun zur Einsicht in die Komplexität und Vielfalt des Lebens, welches weiterhin ein Rätsel bleibt. Nicht nur hat das menschliche Genom weitaus weniger Gene als zu Beginn des Projektes angenommen, auch das „Lesen“ des Genoms und die Übersetzung der genetischen Information gestaltete sich schwieriger, als es die Metaphern des Schriftcodes und des https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Programms suggerierten.94 Hierzu auch Craig Stephens: „Allein das Starren auf DNA Sequenzen kann die genauen Funktionen der Vielzahl codierender Regionen nicht einmal in einem einfachen Genom zuverlässig voraussagen!“ (Stephens zitiert in Keller, 2001, S. 17) Das Zusammenspiel von Genom und Organismus gestaltet sich bereits auf der Ebene einfachster Modellorganismen als zu komplex und vielgestaltig, als dass es in einem linearen, unidirektionalen Übersetzungsmodell oder mit der deterministischen Programmmetapher dargestellt werden könnte. (Cohen u. a., 2016, S. 2-5) Schließlich wird die Hintergrundmetapher „Genom als Text“ aus denselben Gründen, aus denen sie produktiv, perspektiveröffnend und die Forschung vorantreibend wirkte, nun zum Hemmnis der Forschung und verengt den Möglichkeitsraum der Perspektiven: „Der Text wurde als eindeutig, stabil und nur unidirektional lesbar erachtet, was neuen Forschungsfeldern, wie etwa der Epigenetik und Systemtheorie [...] zum Nachteil geriet, die die Flexibilität des Genoms in seiner Interaktion mit der Umwelt modellieren.“ (Bock von Wülfingen, 2016, S. 119) Das reduktionistische und genzentrische Programm des HGP gerät also am Punkt seines größten Erfolges zugleich in eine schwerwiegende Krise. Statt von einem Scheitern zu sprechen, kann man darin allerdings auch die Chance für einen Neuanfang und den „Beginn einer neuen Ära der Biologie“ (Keller, 2001, S. 17) sehen – eine Ära, in der die Systembiologie und die Epigenetik, schließlich auch Teile der Synthetischen Biologie eine zentrale Rolle spielen, indem sie sich von den linearen und monokausalen Konzepten der 94 Man könnte das Scheitern der Schrift- und Codemetapher auch so interpretie ren, dass hier die falsche Metapher bzw. eine einseitige, starre und mechanisti sche Vorstellung von Sprache, Text und Schrift als Modell die Forschungsper spektive und -praxis geleitet haben. „Die verführerische Anziehungskraft der DNA als einer uralten Sprache beruhte gewiß hauptsächlich auf in der Biologie gängigen mechanistischen Vorstellungen von der Sprache“ (Kay, 2002, S. 385) Auch Nehrlich und Dingwall bemerken, dass Genetik und Genomik immer noch in den alten Vorstellungswelten starrer und eindeutiger Bedeutungsmo delle ebenso wie in der dazugehörigen Ideologie verharren. Neue linguistische Konzepte, beeinflusst von Pragmatik, Semantik und Kognitiver Linguistik sowie kontextabhängige Modelle hätten noch nicht Einzug gehalten in das „dominant system of representations on which genomics is based“. (Nerlich & Dingwall, 2003, S. 9) Im Rahmen der Vorstellung einer lebendigen Sprache, die dynamisch und kontextabhängig verstanden werden muss, kann auch der Vergleich von Spra che und Genetik wieder Sinn machen: Erst der Kontext der Zelle verleiht dem ge netischen Text einen Sinn, der sich in der Funktion und dem Zweck der einzelnen Teile und Prozesse für den Organismus bzw. dessen (Über-)Leben zeigen.
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klassischen Genetik lösen und den Versuch unternehmen, der Komplexität und Multiperspektivität des Lebens in ihren Modellen und experimentellen Anordnungen gerecht zu werden. (Bock von Wülfingen, 2016, S. 121) Dieser Bruch bzw. Wandel spiegelt sich auch in der Metaphorik des HGP wieder. (Nerlich & Hellsten, 2004) Die bis an ihre Grenzen beanspruchte und wörtlich genommene Metapher vom genetischen Code als Sprache des Lebens und Computerprogramm schlägt schließlich um in eine neue Metaphorik komplexer Systeme und dezentraler Netzwerke, sowie in ein dynamischeres und interaktiveres Verständnis von Lebensprozessen.95 (Vgl. Döring & Kollek, 2016) In ihrem Scheitern wird die Metapher des Codes wieder als Metapher, als Bruch, sichtbar und der kritischen Reflexion zugänglich. Zunehmend werden die etablierten und programmatisch gewordenen Metaphern in Frage gestellt und mit der Neuausrichtung und Orientierung der Biologie auf mehr holistische und systemtheoretische Ansätze beginnt auch die Suche nach neuen, passenden Metaphern. Hierzu Strohmann: „We need a new philosophy, or metaphor, or model of life. We thought the programm was in the genes and now we see that it is in the cell as a whole and that the cell [...] is connected to larger wholes and to the external world.“ (Strohmann zitiert in Nerlich & Hellsten, 2004, S. 257) Insofern ist es erstaunlich, dass im Rahmen der Synthetischen Biologie mit der Metapher „DNA as the software of life“ wieder jenes reduktionistische und genzentrische Hintergrundverständnis zum Vorschein kommt, das offenkundig an die Tradition von Schrödingers genetischem Code und der informativen Schule der Molekularbiologie anknüpft. Dies ist umso überraschender, als Venter selbst einer der ersten Forscher war, der die deterministischen Metaphern des HGP hinterfragt und auf die Notwendigkeit neuer Konzepte und Modelle zur Erfassung der Komplexität des Lebens hingewiesen hat. (Nerlich & Hellsten, 2004, S. 262) Der Verdacht liegt nahe, dass die Wahl dieser Metapherntradition sowohl im Rahmen des HGP als auch in 95 So vergleicht etwa Avise das Genom mit einer als soziales Kollektiv organisier ten Gesellschaft oder einem „miniature cellular ecosystem“. (Avise, 2001, S. 87) Cohen et. al. bezeichnen lebende Systeme statt als linearen Informationsfluss als „recursive loop“. (Cohen u. a., 2016, S. 4) Fogle schlägt nach einer umfang reichen Kritik an der Information- und Programmmetapher in der Genetik ein Interaktionsmodell vor, in welchem genetische Information aus einem Komplex an Botschaften besteht und besser als „product of an ongoing interactive flow of information between genetic domains and the phenotype“ zu verstehen wäre. (Fogle, 1995, S. 545)
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der Synthetischen Biologie eher auf Prozesse des Framings und ideologische, forschungspolitische und strategische Motivationen zurückzuführen ist, als dass damit die wissenschaftlichen und epistemologischen Grundlagen der Forschungspraxis adäquat dargestellt würden. 3.3.3.4 Einordnung und Deutung Nach der erfolgten historisch-synchronistischen Verortung der Metapher „DNA as the software of life“ in der Bildfeldtradition des „genetischen Codes“ soll nun wieder die gegenwärtige Verwendung informatischer Metaphern im Kontext der Synthetischen Biologie und im Rahmen von Venters Forschungsarbeiten in den Blick genommen werden. Es lassen sich, wie gezeigt wurde, metaphorologische Linien bin in die Anfangstage der Molekularbiologie und weiter zurück ziehen. Ein genauer Blick auf die tatsächliche Forschungspraxis und deren gegenwärtigen Kontext zeigen jedoch auch Diskontinuitäten und Differenzen, die durch die metaphorische Anrufung etablierter und hoch resonanter Diskurse und Deutungsschemata im Kontext von Informations- und Computertechnologie verdeckt und ausgeblendet werden. Zunächst eine zusammenfassende Beschreibung der wissenschaftlichen und technischen Aspekte der Forschungsarbeit, in deren Kontext die Metapher „DNA als Software des Lebens“ vorwiegend Verwendung findet: Venter und seinem Team gelang es im Jahr 2010, ein vollständiges synthetisches Genom des Bakteriums Mycoplasma mycoides zunächst am Computer zu entwickeln und digital zu rekonstruieren, anschließend in mühsamer Kleinarbeit im Labor aus einzelnen Sequenzen chemisch zusammenzufügen und schließlich in ein artfremdes Bakterium Mycoplasma capricolum, dessen eigenes Genom zuvor entfernt wurde, einzubringen. Die auf diesem Wege mit dem künstlichen Genom bestückte Zelle konnte sich erfolgreich vermehren und produzierte in Folge nur noch Bakterien mit dem neuen, künstlichen Erbgut. Diese neuen Bakterien mit synthetischem Genom nennt Venter Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 und stellt sie der Wissenschaftswelt und Öffentlichkeit als erste von Menschenhand geschaffene „synthetische Zellen“ vor.96 (Gibson u. a., 2010) Die Bedeutung der Arbeit liege den 96 Neuere Arbeiten des Craig Venter Teams schließen hieran an. So gelang es 2016, auf Basis von JCVI-syn1.0 ein synthetisches Genom mit einer minimalen, zum
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Autoren nach im Nachweis, dass es technisch möglich sei, lebende künstliche Zellen zu produzieren, deren Verhalten und Steuerung auf einem am Computer entworfenen Genom beruhen bzw. von diesem kontrolliert werden. „This work provides a proof of principle for producing cells based upon genome sequences designed in the computer. DNA sequencing of a cellular genome allows storage of the genetic instructions for life as a digital file“. (Gibson u. a., 2010, S. 55) Venter liefert selbst jedoch an anderer Stelle neben der technischen Beschreibung unter dem Erkenntnisziel des „proof of principle“ eine weitere weitreichende Deutung der Forschungsereignisse. Demnach befänden wir uns mit der Synthetischen Biologie auf dem Weg in ein neues Zeitalter einer digitalen Biologie, in dem die Grenzen zwischen Computercode und genetischem Code endgültig überschritten werden: „I view that we’re now in what I’m calling ‚The Digital Age of Biology‘. My team work on synthesizing genomes based on digital code in the computer, and four bottles of chemicals illustrates the ultimative link between the computer code and the digital code“. (Venter, 2012) Venter geht in dieser Deutung wesentlich weiter als lediglich die üblichen Analogien zwischen der Welt des Computers und der des biologischen Lebens vorzunehmen. Es geht nicht darum, zu zeigen, dass DNA in gewisser Hinsicht ähnlich strukturiert ist und funktioniert wie ein Computercode. Er möchte vielmehr in seinen Forschungsleistungen den Beweis sehen, „that DNA is the software of life“. (Venter, 2013, S. 7 Hervorhebung D.F.) Venter treibt, wie Witt herausstellt, die Analogie von genetischer und digitaler Information bis ins Extreme: „Hier wird die zuvor noch bildlich gemeinte Rede vom genetischen Programm wörtlich aufgefasst.“ (Witt, 2012, S. 74) Das große Fazit von Venters Arbeit lautet demnach, so auch Achatz, „DNA sei erwiesenermaßen die ‚Software des Lebens‘“. Überleben der Zelle notwendigen Anzahl an Genen zu erstellen und erfolgreich in die Zelle einzubringen. (Hutchison u. a., 2016) Doch nicht nur wissenschaft lich-technisch und methodisch sind diese Arbeiten mit den Forschungen von 2010 verbunden, auch die metaphorischen Hintergrundkonzepte und die impli ziten normativen Ansprüche wirken hierin fort. So heißt es etwa auf der Home page des JCVI: „A biological cell is very much like a computer – the genome is the software that encodes the instructions of the cell and the cellular machinery is the hardware that interprets and runs the genome software. Major advances in DNA technologies have made it possible for biologists to now behave as soft ware engineers and rewrite entire genomes to program new biological operating systems.“ (http://www.jcvi.org/cms/research/projects/minimal-cell/overview/, eingesehen am 22.07.2017)
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(Achatz, 2014, S. 85) Damit sei mehr als eine „bloße Metapher“ eingeführt. Venter versuche mit der von ihm vorgelegten Deutung, die „Software des Lebens“ tatsächlich geschrieben zu haben, eine „sachlich angemessene Beschreibung des Gegenstandsbereichs [...] zu etablieren [...]. Die Zelle wird so zur Hardware und die DNA zur Software des Lebens (ver-)klärt, womit ein Organismus im Ganzen einem Computer gleichgesetzt bzw. als solcher umfunktioniert werden kann.“ (Achatz, 2014, S. 86) Denken wir die von Venter vorgegebene Deutung und Einordnung zu Ende, so tritt hier eine Metapher, gleichsam eingeholt von den durch sie stimulierten wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen, im wahrsten Sinne des Wortes „ins Leben“. Venter beschreibt DNA nicht nur als Software des Lebens, er schreibt den „Code des Lebens“ tatsächlich, indem er den genetischen Code in einen digitalen Code umwandelt. Schließlich wird der am Computer erstellte künstliche Code wieder in die Welt des biochemischen genetischen Codes zurück transferiert und „erwacht zum Leben“. DNA als digitaler Computercode und die Zelle als Hardware wären in dieser wörtlichen Interpretation der Metapher nicht mehr nur erkenntnis- und forschungsleitende Beschreibung, sondern praktische Handlungsanweisung zu ihrer eigenen Verwirklichung. „[W] hat was once a metaphor used to construct genetic theories about the working of DNA or to explain these workings to pupils in textbooks or to the public in newspapers, has turned literal and practical in this context.“ (Balmer & Herreman, 2009, S. 223f.) Die Grenzen zwischen der virtuellen Welt der Simulationen und Digitalisierung von Lebensprozessen und der realen Welt physikalischer rund biologischer Vorgänge und Bildungen verschwimmen zunehmend. Sprachlich äußert sich dies, darauf weisen Hellesten und Nehrlich hin, in der Etablierung von Semi-Metaphern, „linking the biological and the physical, real and virtual“. (Hellsten & Nerlich, 2011, S. 391) Hierzu noch einmal Venter: „We can digitize life, and we generate life from the digital world“. (Venter, 2012) Dieser Deutung folgend und die suggerierte Metaphorik an ihre Grenzen treibend, könnte man also sagen, die von Venter ins Leben gerufene künstliche Zelle sei die lebendig gewordene Metapher des genetischen Code. (Vgl. Falkner, 2015b, 2016) Es gibt nun allerdings einige berechtigte Kritik und ernstzunehmende Zweifel nicht nur an dem wissenschaftlich-technischen Anspruch, künstliches Leben geschaffen zu haben, sondern auch an den damit verknüpften Einordnungen und Deutungen im Fahrwashttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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ser der propagierten Vision einer digitalen Revolution der Biologie. (Vgl. Bölker, 2011; Hellsten & Nerlich, 2011; Morange, 2009) Es sei, so etwa Rehmann-Sutter, eine Suggestion, „dass durch das Experiment die Wahrheit des Bildes der Lebewesen als von DNASoftware programmierte Maschinen demonstriert worden sei“. (Rehmann-Sutter, 2013, S. 120) Die praktische Verwirklichung dieses Bildes in die biochemische Realität einer lebendigen synthetischen Zelle scheitert, wie schon die Entschlüsselungsbemühungen des HGP, an der Komplexität des Zusammenspiels von Genom und Zelle, die sich nicht auf lineare, unidirektionale Programmabläufe und Informationsprozesse reduzieren lässt – zumindest solange auch Venter für seine Experimente auf natürliche und eben gerade nicht synthetisch hergestellte Zellen zurückgreifen muss, um die DNA-Software „hochzuladen“. Auch ist nach Brukamp zu beachten, dass „beim Programmieren ein Ziel fest[steht], wofür ein neues Programm entwickelt wird“, während bei lebendigen Organismen bereits funktionierende Mechanismen vorliegen und diese das Ziel ihrer Einrichtung in der Autonomie und Selbstregierung des Organismus vorgeben. (Brukamp, 2011, S. 72) Wie Nichoslon schließlich herausstellt, liegt in der Übertragung des Software-Hardware Modells auf biologische Prozesse, hier im Rahmen der Entwicklungsbiologie, eine grundlegende logische Inkohärenz und Paradoxität vor, die bereits in der Analogie von Maschine und Organismus deutlich wurde97: 97 Vgl. hierzu auch Gill, der, ohne Kant an dieser Stelle zu erwähnen, die episte mologischen Einwände und ontologischen Differenzierungen, die gegen die me chanistische Analogie von Maschine und Uhrwerk vorgebracht wurden, auf die im HGP zentralen kybernetischen und informationstheoretischen Metaphern überträgt: „Die kybernetische Metapher suggeriert, man könne Organismen mittels Gentechnik ‚umprogrammieren‘ wie Computer. Hier gibt es aber einen kategorischen Unterschied im Gegenstandsbereich. Der Computer ist ein tech nisches Artefakt, d. h. von Menschenhand geschaffen. Man könnte zwar auch sagen, daß Organismen in gewisser Hinsicht ‚funktionieren‘, wir wissen aber nicht warum. Was im technischen Artefakt der Materie [...] in jahrhunderte langen Versuchen und zum Teil folgenschweren Irrtümern, an instrumenteller Regelmäßigkeit abgerungen wurde, kann nicht ohne weiteres auf lebendige Ma terie übertragen werden. Ebensowenig übertragbar ist die informationstheore tische Metaphorik: Die Gentechniker sind nicht die ‚Autoren‘ der Organismen, sie haben die ‚Programme‘ nicht geschrieben, die sie jetzt ‚umprogrammieren‘ wollen. Zum quantitativ beschränkten Wissen kommt eine qualitative Differenz: Während die Zeichen im Computer logisch interagieren, weil er gebaut wurde, um logische Operationen zu vollziehen, wissen wir nicht, nach welchen Regeln – ‚logischen‘, ‚dialektischen‘, ‚holistischen‘ etc.? – organische Strukturen sich auf einander beziehen.“ (Gill, 1992, S. 10)
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„Recall that, in a computer, the hardware [...] and the software [...] are totally independend. The machinery of a computer must already assembled by an external agent before a programm can be run on it – it is not itself a product of the program. Now compare this to what happens in development. [...] the hardware runs the software whilst the software is simultaneously genreating the hardware! Thus, thinking about the realtion between software and hardware in the context of development leads to a paradox, as the genetic programm requires ist own output to be executed.“ (Nicholson, 2014, S. 165) Ohne Zelle macht das Genom nichts, weder führt es seinen eigenen „Bauplan“ aus, noch sorgt es für seine eigene Replikation oder schafft sich gar seine eigene „Hardware“. „Certainly, until Venter’s DNA molecule is introduced into its bacterial host, it is simply a lifeless polymer. It’s the machinery of the cell that reads the DNA and synthesises the protein molecules whose sequences are encoded within it.“ (Jones, 2010) In den Worten Lewotins: „Genes ‚do‘ nothing, they ‚make‘ nothing, they cannot be ‚turned on‘ or ‚turned off‘ like a light or a water tap [...]. DNA is amongst the most inert and nonreactive of organic molecules“. (Lewotin zitiert in Nicholson, 2014, S. 165) Somit ist es Venter bei genauer Betrachtung lediglich gelungen DNA am Computer digital nach Vorgabe einer bekannten Sequenz zu erstellen und zu synthetisieren und das Genom einer lebenden Bakterienzelle mit einem synthetischen Genom zu vertauschen. „Die eigentliche wissenschaftliche Leistung“, so Schummer, „[...] bestand weder in der ‚Herstellung einer synthetischen Zelle‘ noch in den Einzelschritten. Sie bestand vielmehr im Nachweis, dass sich sowohl Genomanalyse als auch Genomsynthese [...] so exakt durchführen lassen, dass man ein natürliches Genom durch ein synthetisches ersetzen kann“. (Schummer, 2011, S. 118) Dies ist sicherlich eine beachtliche wissenschaftliche Leistung und bedeutet einigen technischen Aufwand, doch damit ist weder eine echte synthetische Zelle erschaffen, noch wurde bewiesen, dass DNA die Software des Lebens sei und wir auf der Schwelle zu einem digitalen Zeitalter der Biologie stünden. Auch der erhoffte Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Frage nach den elementaren Bausteinen und Prozessen des Lebens scheint durch den Minimalgenomansatz aufgrund unzulänglicher epistemologischer und ontologischer Grundannahmen fraglich. Aktive Gene, Code und Programm, so Witt, seien nur Sprachspiele und verkürzende Metaphern, „mit deren Hilfe komplexe Zusammenhänge in verkürzender Weise zusammengefasst werden. Damit wird zwar der Anschein https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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einer Erklärung gegeben, das eigentliche Problem [...] bleibt jedoch verdeckt bestehen.“ (Witt, 2012, S. 83) Zumindest stelle das Minimalgenombakterium Venters allein noch keine Antwort auf die Frage „Was ist Leben?“ dar. Die Computermetapher einer Software, die sich ihre eigene Hardware erschafft, suggeriert ein falsches Bild der tatsächlichen Forschungswirklichkeit und führt schließlich zu einem Fehlschluss. „Der Schluss von der Synthetizität des Genoms auf die Synthetizität der Zelle ist [...] deshalb problematisch, weil damit die Wirklichkeit der zellulären Struktur (der Körper der Zelle) und des zellulären Prozesses (die Bewegungen der Zelle) übergangen werden.“ (Rehmann-Sutter, 2013, S. 122; vgl. auch Schummer, 2011, S. 113ff.) Es handele sich hierbei, so Rehmann-Sutter weiter, um einen „ontologischen Reduktionismus, der behauptet, Leben sei eine Auswirkung des Genoms und deshalb seien Zellen synthetisch.“ (Rehmann-Sutter, 2013, S. 123) Der metaphorische Status der Informatik zur Erklärung molekularer Zusammenhänge werde dadurch aufgehoben und das informatische Bild als realistisches Abbild gedeutet, welches jedoch nicht die forschungspraktische Wirklichkeit der komplexen Verhältnisse von synthetischem Genom und natürlicher Zelle wiedergeben kann. Somit werde hier über die Metaphern der Software und des Computers weniger Leben selbst als vielmehr ein Bild von Leben hergestellt. Dieses Bild wird von Venter ganz bewusst in den medialen Diskurs um die Synthetische Biologie eingebracht. Achatz thematisiert Venters Verwendung von Computermetaphern im Kontext des Framings, also der begrifflichen, konzeptionellen und auch metaphorischen Rahmung der Synthetischen Biologie im diskursiven Spannungsfeld von Wissenschaft, öffentlicher Wahrnehmung und gesellschaftlicher normativer Deutung. Framing bedeute demnach ein „Prozess der interpretativen Simplifikation, der es dem Menschen ermöglicht, der Komplexität und Informationsflut alltäglicher Begebenheiten durch den Einsatz von Schemata Herr zu werden“. (Achatz, 2014, S. 86f.) Dabei geht es nicht nur um Komplexitätsreduktion und Verständniserleichterung, vielmehr ist hier jener begriffliche und lebensweltliche Hintergrundrahmen angesprochen, innerhalb dessen entschieden wird, welche Kategorien, Konzepte und Argumente überhaupt als relevant für die zu führende Diskussion anerkannt werden. „The underlying logic is that in order to debate anything it is necessary to develop a common understanding of what is considered relevant and which form of argumentation is deemed legitimate before arguing https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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over factual as well as normative positions.“ (Torgersen & Schmidt, 2013, S. 46) Hierbei spielen Metaphern als perspektiveneröffnende und sichtleitende Instanzen in der Herausbildung und Etablierung wissenschaftlicher Forschungsprogramme und Paradigmen eine zentrale Rolle und können sowohl das Framing eines wissenschaftlichen Programms oder einer Technologie maßgeblich beeinflussen als auch in der Kommunikation über Wissenschaft bestimmte Deutungsschemata und Handlungslogiken prägen. (Vgl. Nerlich, Elliott, & Larson, 2009) In diesem Fall wird über die Computermetapher „DNA als Software des Lebens“ eine reduktionistische, genzentrische und informatische Perspektive argumentativ gegen andere Perspektiven, in erster Linie vermeintlich vitalistische Ansätze98, behauptet und als Anzeichen für den Anbruch eines digitalen Zeitalters der Biologie gedeutet. Biologischer Erkenntnisfortschritt wird so als informationstechnischer und computerisierter Fortschritt präsentiert. Allerdings, so Achatz, könne ein solches Framing nicht freischwebend ausgerufen werden, sondern müsse sich „seinerseits auf kommunizierbare und im Allgemeinen nachvollziehbare Interpretations- und Deutungsmuster stützen.“ (Achatz, 2014, S. 87) Die Computertechnologie, die seit den fünfziger Jahren eng verflochten mit der Begriffs- und Technikgeschichte der Biologie für ungebrochen Fortschrittsoptimismus steht und sich mittlerweile 98 So sieht Venter seine Erfolge als das Ergebnis ‚guter reduktionistischer Wissen schaft‘, die gezeigt hätte, dass Leben in seine Bestandteile zerlegt und erklärt werden kann, womit vitalistische Ideen wiederlegt wären: „This is precisely the result that those yearning for evidence of some vitalistic force feared would co me out of good reductionist science, of trying to break down life, and what it meant to be alive, into basic functions and simple components. Our experiments did not leave much room to support the views of the vitalists or of those who want to believe that life depends on something more than a complex composite of chemical reactions.“ (Venter, 2013, S. 9) Caplan nennt Venters Experimente daher auch: „antidote to chronic vitalism“. („Meanings of ‚life‘“, 2007, S. 1031) Richard Jones hingegen weist darauf hin, dass gerade der reduktionistische und genzentrische Ansatz Venters mit den Metaphern einer „aktiven DNA“ und dem Speichern und Hochfahren von DNA-Software in eine andere Form von Vitalismus führe, die er treffend „digital vitalism“ nennt: „But while Venter is putting a stake through the heart of the long-dead doctrine of chemical vitalism, I wonder whether he’s allowed another kind of vitalism to slip in through the back door, as it were. [...] In language Venter and others often use, the cell is „booted up“, as a dead computer with a corrupted operating system is restored to life with a new system disk. This idea that the spark of life is imparted by the information of the DNA seems perilously close to another kind of vitalism – let’s call it ‚digital vitalism‘“. (Vgl. http://www.softmachines.org/wordpress/?p=819, zuletzt eingesehen am 28.04.2018)
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in alle Lebensbereiche erstreckt, bietet einen solchen Rahmen, aus dem heraus Deutungsschemata und Metaphern gewonnen werden können, um eigene Positionen im wissenschaftlichen wie lebensweltlichen Diskursen zu plausibilisieren und zu legitimieren.99 Die Computermetapher, so auch Gill, eignet sich daher besonders, einen „gemeinsamen Metaphernschatz“ zu generieren, der aufgrund positiver und optimistischer Konnotationen über wissenschaftsinterne und politische Lager hinweg Zustimmung und Akzeptanz generieren kann. (Gill, 1992, S. 8) Hierzu auch Torgersen und Schmidt: „With information technology (IT) as a comparator, the ‚coolnes‘ factor and the notion of personal benefit are paramount.“ (Torgersen & Schmidt, 2013, S. 51) Das Framing über die Informationsund Computertechnologie ist aufgrund dieser positiven Konnotationen und der starken Rückbindung an alltägliche Erfahrungen 99 In einem solchen Zusammenhang steht auch das Narrativ der „digitalen Revo lution“. Hellsten und Nehrlich zeigen, wie die Vision einer digitalen Revolution der Biologie und die damit in den Diskurs eingebrachten Metaphern vom Buch des Lebens, der Konstruktion von Leben und des informatischen Lebens auf die drei großen Revolutionen des Buchdrucks, der Industrialisierung und der Informationstechnologie zurück gehen und über deren narrative Struktur und legitimierenden Funktion der Synthetischen Biologie wissenschaftliche Auf merksamkeit, gesellschaftliche Bedeutung und öffentliche Akzeptanz verschafft werden sollen – auch wenn gerade durch das Topos der ingenieurmäßigen Le bensherstellung eher Unbehagen und Ablehnung zu erwarten sei. (Hellsten & Nerlich, 2011, S. 393ff.) Wohl nicht zufällig erinnern die Versprechungen der Synthetischen Biologie als einer demokratischen open-source Biologie und eines „new age of scientific swarm intelligence, like a kind of Wikipedia structure in research“ (Moos, 2014, S. 17) an die Versprechungen der digitalen Revolution und des Internets. (Vgl. Balmer & Herreman, 2009) Digitale Vernetzung und die „Open Access“ Bewegung der Synthetischen Biologie versprechen, eine of fene Wissenschaftslandschaft zu etablieren und zu einer „Demokratisierung“ der Biologie beizutragen. So auch Venter: „Scientists send digital code to each other instead of sending genes or proteins. […] we can send digital DNA code at the close to the speed of light and convert the digital information into proteins, viruses and living cells“. (Venter, 2012) Allerdings scheinen die zunehmende Ökonomisierung der Forschung sowie eine aggressive Patentpolitik etablier ter Biotechnologiefirmen, wie etwa auch Venters Synthetic Genomics, die be stehende Ungleichheit im Zugang zu Technologien und Wissen zwischen den westlichen Industrieländern und ärmeren Ländern der Südhalbkugel eher zu verfestigen, denn zu einer Demokratisierung zu führen. (The ETC Group, 2007, S. 32–41) Wie Vaihinger im Bezug auf die Versprechungen der digitalen Revolu tion bemerkt, gerät im Bann der Bilder einer freien, vernetzten Welt schnell in Vergessenheit, dass „für die effiziente Selektion und Verarbeitung von großen Datenmengen immer noch die finanzielle Basis einer wirtschaftlich profitablen Unternehmung den machtvollen Hintergrund bildet.“ (Vaihinger, 1997, S. 31)
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und Kompetenzen im Umgang mit Computern und IT100 für die Synthetische Biologie sogar prägender als die Rahmung über die ingenieurwissenschaftlichen und konstruktionstechnischen Metaphern. Das eigentliche Paradigma der Synthetischen Biologie stelle, so Achatz, Turings Konzept des Universalcomputers dar: „Organismen werden nicht nur zur ‚Toolbox‘ umgedeutet, sondern zu einer Universalmaschine erhöht – zu dem, was bei Allan Turing zunächst ein Gedankenexperiment war. Universal heißt hier, dass jede neue Handlung möglich wird: Organismen seien Maschinen für jeden erdenklichen Zweck.“ (Achatz, 2014, S. 97) Das bedeutet, es geht – entgegen dem Anspruch, Leben zu bauen, um es zu verstehen – gerade nicht um das Verständnis und die Erklärung von Leben, sondern um dessen technische Nutzung, Verfügbarkeit und Kontrolle nach dem Vorbild des Computers. Um mit Witt im Bild der Molekularbiologie nach Analogie des Computers zu bleiben, „interessiert hier nicht der Aufbau der ‚Hardware‘, sondern die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Manipulation, Kontrolle und Nutzung.“ (Witt, 2012, S. 84) In der universellen Einsetzbarkeit der lebenden Rechenmaschinen, als die die Organismen der Synthetischen Biologie dargestellt werden, liegt schließlich auch die ethische Relevanz des Metapherngebrauchs. Dass Lebewesen als universelle Maschinen vorgestellt werden, stellt eine Steigerung der Machbarkeits- und Kontrollmöglichkeiten gegenüber klassischer Maschinenanalogie dar. Die tatsächliche Forschungsarbeit ist jedoch auch in diesem Fall weiterhin an die Bedingungen der biologischen Materialität gebun100 Allerdings fußt ein solches lebensweltliches Verständnis, welches im alltägli chen Umgang mit Computern und IT gebildet wird und sich in den Metaphern niederschlägt bzw. deren Aufnahme und Legitimation leitet, in den meisten Fällen nicht auf der Kenntnis der wissenschaftlichen Grundlagen und deren Implikationen, wie der Computerwissenschaftler und -kritiker Josef Weizen baum bereits 1978 treffend artikuliert: „Der Computer ist zu einer Quelle wirklich mächtiger und oft sinnvoller Metaphern geworden. Seltsamerweise beruht die öffentliche Aufnahme der Computermetapher [...] auf einem äu ßerst unklaren Verständnis eines schwierigen und komplexen naturwissen schaftlichen Konzepts [...]. Der Öffentlichkeit ist weitgehend unklar – obwohl sie vom Gegenteil fest überzeugt ist – was es heißt, daß prinzipiell jedes ef fektive Verfahren von einem Computer durchgeführt werden kann. Da der Mensch, die Natur und selbst die Gesellschaft mit Verfahren arbeiten, die zweifellos in der einen oder anderen Hinsicht ‚effektiv‘ sind, folgt daraus, daß ein Computer zumindest den Menschen, die Natur und die Gesellschaft in al len verfahrensmäßigen Aspekten imitiert werden kann. Und damit ist alles [...] zumindest potentiell in der Sprache von Computermodellen und -metaphern verständlich.“ (Weizenbaum, 2008, S. 210)
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den und findet darin ihre Grenzen des Machbaren und Vorhersagbaren. Zwar vermitteln Computer als Instrumente der Forschung die biologischen Objekte bzw. machen diese überhaupt erst sichtbar und sind damit auch epistemologisch Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Die Organismen selbst sind jedoch keine Computer, die sich zu beliebigen Zwecken programmieren und nutzen lassen. Achatz sieht hier die Gefahr, dass aus ideologischen und forschungspolitischen Gründen eine Metaphorik aufgegriffen wird, die Aufmerksamkeit und soziale Akzeptanz verspricht, jedoch wesentliche, ethische relevante Aspekte ausblendet. „Es ist die Behauptung der neuen Machbarkeit einer ungeahnten Fülle neuer Handlungsmöglichkeiten, die Synthetische Biologen erschlossen haben wollen, indem sie faktische Probleme und Grenzen der Veränderung von Lebewesen ausblenden und stattdessen die freie virtuelle Welt menschen- und maschinensprachlicher Programmierung als Umgebungsvariable annehmen.“ (Achatz, 2014, S. 97) Der alte Machtdiskurs und Herrschaftsanspruch über Natur und Leben, der in der Schrift- und Buchmetapher von Anfang an enthalten war, wirkt auch in den Metaphern der Synthetischen Biologie fort und trägt dazu bei, aus forschungspolitischer Motivation und ökonomischen Interessen heraus begriffliche Hegemonialität und normative Deutungshoheit herzustellen. Der problematische Kern der Komplexität und Kontrolle synthetischer Organismen wird dabei über die metaphorische Rückbindung an die Alltagserfahrungen mit Informationstechnologie und Computern übergangen bzw. vereinfacht dargestellt. „At the core of these metaphors lies a view that life can be controlled, just as we can controll a computer or word processor.“ (Hellsten & Nerlich, 2011, S. 389) Dies hat eine ethische Dimension nicht nur in dem genannten Aspekt der Herstellung und Kontrolle von Lebewesen nach Vorbild der universalen Maschine, sondern auch im Hinblick auf die diskursiven Konsequenzen, die das grundlegende Verantwortungs- und Vertrauensverhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft betreffen.101 Der Gebrauch der Computermetapher in der Synthetischen Biologie in ihrer ontologischreduktionistischen und genzentrischen Form, wie sie von Venter und anderen Akteuren zur Legitimation und im Prozess des Framings eingesetzt werden, läuft Gefahr, einer irreführenden Ideologisierung und Mystifizierung der Forschungswirklichkeit und der 101 Dieser Zusammenhang wird im abschließende Kapitel IV noch ausführlicher behandelt.
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ethischen Konfliktpotentiale anheimzufallen. Die Metapher wird hier nicht mehr als Metapher eingesetzt und reflektiert, sondern suggeriert, ein objektives Abbild der Wirklichkeit darzustellen und tritt mit absolutem Wahrheitsanspruch, unrealistischen Versprechungen und totalitären Zügen zur Erklärung aller Lebensphänomene auf. Hierzu verdeutlichend noch einmal Venter: „synthetic life will enable us to understand all life on this planet and to enable new industries to produce food, energy, water and medicine as we add 1 billion new humans to earth every 12 years.“ (Venter, 2012) War Schrödingers metaphorisches Suchen nach Erklärungsmustern für die Vererbungsstrukturen und -prozesse noch Ausdruck eines perspektivistischen und offenen Denkstils, so erscheinen die Computermetaphern und das Bild informatischen Lebens in der Synthetischen Biologie bzw. in Venters Rhetorik geradezu als Manifestation eines ontologischen Reduktionismus und Genzentrismus, der keine andere Deutungsmöglichkeiten und Perspektiven zulässt und so die Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Begriff und den Konzepten des Lebens zum Stillstand bringen möchte. Torgersen und Schmidt beobachten in ihrer Analyse des Framings der Synthetischen Biologie, dass über die Etablierung der Informations- und Computertechnologie als Vergleichstechnologie und dominanter Rahmen, andere Vergleiche und Debatten, wie etwa die Risikodebatte über die Biotechnologie und Gentechnik, und die daran geknüpften Konflikte bewusst vermieden werden. „For SB [Synthetische Biologie] this means avoiding the biotechnology comparator, and getting away from the risk frame, might appear desirable for those promoting the technology, but less desirable for those who aim at stimulating a public debate.“ (Torgersen & Schmidt, 2013, S. 52) Gerade ein solcher Konflikt, in dem neben den erwünschten positiven Folgen und verheißungsvollen Visionen einer glorreichen digitalen Zukunft der Biologie auch kritische Perspektiven zu den Risiken und ethischen Implikationen zur Sprache kommen, wäre jedoch gerade wünschenswert und das beste Mittel, um eine offene und sachliche Debatte anzuregen.102
102 Dass die Bearbeitung und sachliche Reflexion der ethischen Aspekte der Syn thetischen Biologie jedoch nicht über die religiös und moralisch aufgeladenen Topoi der Lebenschöpfung und des „Playing God“ geschehen kann, zeigt Schummer in seinem Buch „Das Gotteshandwerk. Die künstliche Herstellung von leben im Labor“. (Schummer, 2011)
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Um einer metaphorischen Verengung der Perspektiven auf die tatsächliche Forschungspraxis und einer einseitigen ideologischen Verzerrung des gesellschaftlichen Diskurses über die ethischen Konflikte jener Techniken und Ansätze entgegenzuwirken, wäre es im Rahmen einer reflexiven Metaphorisierung angebracht, alternative Metaphern zu suchen und in die Debatten und Sprachspiele der Synthetischen Biologie einzubringen und zu reflektieren.103 Ein Blick in die oben rekonstruierte Geschichte der Molekularbiologie und ihrer Metaphern kann hier erste Ansatzpunkte liefern, denn neben den reduktionistischen und genzentrischen Schrift-, Code- und Programmmetaphern wurden immer auch Modelle und Konzepte diskutiert, die sich der Komplexität der molekularen Strukturen und Prozesse mit holistischen Ansätzen und etwa Netzwerk- oder Systemmetaphern zu nähern versuchten. (Vgl. Punkt 3.3.4) Es liegt nun eine gewisse Ironie in dem Hinweis, dass gerade bei Schrödinger solche Ideen der Selbstorganisation, komplexer Systeme und Dissipation zu finden sind und in der Biologie als Quelle entsprechender Modelle und Ansätze dienen. (Vgl. etwa Brenner, 2007, S. 88–96; Weber, 2015) Dass ausgerechnet Venter, der während der Krise der Entschlüsselungsmetaphorik des HGP selbst noch auf die Grenzen und die Notwendigkeit der Überwindung reduktionistischer Metaphern und Konzepte hingewiesen hat, dieses Erbe Schrödingers nicht antritt, sondern die lineare, deterministische Code- und Programmmetapher wieder aufgreift, muss in metaphorologischer Hinsicht bezüglich der Geschichte der Biologie als Erkenntnisrückschritt und Fehldeutung angesehen werden. Vielmehr ist die Wahl der Metaphorik wohl auf strategische und forschungspolitische Gründe im Prozess des Framings zurückzuführen. Craig Venter hat sowohl im Rahmen des HGP als auch im Zuge der Etablierung der Synthetischen Biologie durch mediale
103 Allerdings weißt Kovács zu Recht darauf hin, dass die Korrektur oder gar Zurücknahme unangemessener Metaphern im genetischen Diskurs kaum möglich ist. Dennoch kann im Sinne der reflexiven Metaphorisierung durch alternative Metaphern ein Bewusstsein für die Notwendigkeit eines perspek tivistischen und verantwortungsvollen Metapherngebrauchs in den wissen schaftlichen wie gesellschaftlichen Diskursen gestärkt werden. „[...] kein Wis senschaftler hat die Macht, nach der Erkenntnis der Unangemessenheit eine Metapher aus dem Diskurs zu verbannen. Auch die unangemessene Metapher dient vielen Erkenntnissen als Fundament und kann nicht verworfen werden. [...] Was der Teilnehmer eines Diskurses machen kann und soll, ist die Reflexi on über die verborgene Botschaft von Metaphern.“ (Kovács, 2009, S. 119)
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Selbstinszenierung und exzessiven Metapherngebrauch einen Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ballmer und Herremann beobachten hieran eine Verschiebung im Narrativ der Biowissenschaften von der Darstellung der Erzeugnisse wissenschaftlicher Tätigkeit zur Tätigkeit selbst und schließlich zu den kreativen und schöpferischen Wissenschaftler:innen, um von den vermeintlich gefährlichen Produkten abzulenken und einer pauschalen öffentlichen Ablehnung und Verurteilung wie im Falle der Gentechnik vorzubeugen. „The spotlight moves from the monstrous creation to Dr. Victor Frankenstein himself, the scientist who is doing the creating“. (Balmer & Herreman, 2009, S. 224) Während Venter sich in seiner Selbstinszenierung gerne als Künstler, Pionier und Heiland darstellt, versuchen anderer Akteure, wie etwa die ETC Group, die Synthetische Biologie als Gefahr und Bedrohung für die Menschheit zu deuten und sehen in Venter entsprechend den Repräsentanten des industriellen Kapitalismus, den sie für die Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur durch die modernen Biotechnologien verantwortlich machen. (Balmer & Herreman, 2009, S. 230) Beide Deutungen der Synthetischen Biologie und der Figur Venters sind einseitig und polemisch, sie bedienen sich jedoch desselben metaphorischen Framings über die Computer- und Informationstechnologie und versuchen darüber, öffentliche Aufmerksamkeit und gesellschaftliche Legitimation für sich zu gewinnen. Es ist somit, neben der innerwissenschaftlichen Frage, ob die Interaktion von Genom und Organismus adäquat in der Sprache von Software und Hardware beschrieben werden können und welcher Erkenntnisfortschritt sich damit verbindet, zugleich ein Streit um begriffliche Deutungshoheit und die metaphorische Rahmung der Synthetischen Biologie im öffentlichen Diskurs im Gange. Neben der theorieleitenden und heuristischen Funktion von Metaphern im Rahmen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen kommt hier also vor allem ihre kommunikative Funktion zum Tragen. In dieser kommunikativen Funktion liegt eine ethische Dimension, die über die unmittelbar mit dem wissenschaftlichen Handeln verknüpften ethischen und sicherheitstechnischen Fragen hinaus geht und in ein wissenschaftsethisch und demokratietheoretisch relevantes Spannungsfeld von Wissenschaft und Gesellschaft hineinreicht. (Nerlich u. a., 2009, S. 4) Insofern der problematische Kontroll- und Herrschaftsanspruch synthetisch-biologischer Praxis verdeckt wird und im Kampf um das Framing der Synthetischen Biologie forschungspolitische und ökonomische Interessen durchgesetzt werden sollen, https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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gilt es daher eine solche Verwendungsweise von Metaphern auch ideologiekritisch und ethisch zu reflektieren. (Vgl. Falkner, 2015b, 2016) Abschließend ist also Jones zuzustimmen, wenn er die Relevanz einer kritischen Metaphernanalyse für die ethische Debatte um die Synthetische Biologie noch einmal unterstreicht: „How much do we need to worry about a few arguable metaphors? Here, more than usually, because it is these ideas of complete control and the reduction of biology to the digital domain that are so central in investing the visions of synthetic biology with such power.“ (Jones, 2010) 3.3.4 Metaphorische Perspektive 3: Lebewesen als komplexe Systeme 3.3.4.1 Vorkommen und Kontext der Metapher Die Synthetische Biologie hat es vorrangig mit biologischen Bausteinen104 und Organismen auf verschiedenen biologischen Ebenen zu tun, die hinsichtlich ihres Grades an Komplexität und Naturferne unterschieden werden können und in den einzelnen Ansätzen und Projekten den Gegenstand der jeweiligen Forschung darstellen. (Vgl. Health Council of the Netherlands, 2008, S. 29; Pade, Giese, Koenigstein, Wigger, & Gleich, 2015) So unterscheiden etwa Pade et al. drei hierarchische Organisationsebenen biologischen Lebens: 1. molekulare Bausteine (DNA, RNA, Aminosäuren, Proteine), 2. Stoffwechselwege, das Genom sowie strukturelle und materielle Einheiten von Organismen (Organelle, Zellen, Organe), 3. SuperStrukturen (Populationen und Ökosysteme). (Pade u. a., 2015, S. 73ff.) Die Synthetische Biologie zeichnet sich in ihrem ingenieurwissenschaftlichen Ansatz dadurch aus, dass sie in ihrem Bemühen, biologisches Leben zu konstruieren, alle diese System- und Komplexitätsebenen adressiert und beforscht – von künstlichen Aminosäuren und zusätzlichen Basenpaaren in der Xenobiologie (Budisa, 2012, 2015; M. Schmidt, 2012b) über künstliche Stoff104 Natürlich ist auch die Rede von „Bausteinen“ eine weitere Metapher, die in der Synthetischen Biologie häufige Verwendung findet. Sie geht zurück auf das sogenannte „Lego-Modell“ (Vgl. EKAH, 2010, S. 8; Lüke, 2015, S. 147) und bringt neben der Standardisierung und Modularisierung vor allem den „spielerischen“ Charakter und das kreative Moment der Synthetsichen Biolo gie zum Vorschein, wobei hierbei, wie Litterst betont, die Gefahren und ökono mischen Interessen der synthetisch-biologischen Forschungspraxis durch die Metapher des Spielens verharmlost und verschleiert würden. (Litterst, 2016)
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wechselwege zur Produktion von industriell oder medizinisch verwertbaren Stoffen wie Artemisinin (Paddon & Keasling, 2014; Ro u. a., 2006) bis hin zu bottom-up und top-down erzeugten Minimalzellen (Forster & Church, 2006; Gibson u. a., 2010; Hutchison u. a., 2016; Jia, Heymann, Bernhard, Schwille, & Kai, 2017; Schwille, 2011), semi-synthetischen Organismen (Zhang u. a., 2017) sowie als Zukunftsvision vollständig synthetische Organsimen. Auf jeder dieser Ebenen scheint die Forschung mit je eigenen Phänomenen biologischer Komplexität konfrontiert, die zudem mit allen anderen Ebenen biologischer Organisation in einem funktionalen Interaktionszusammenhang stehen. „The simultaneous targeting of various levels probably results from the insight that it is indeed the interpendent interaction of all these levels that enable natural biological structures, processes, and systems to fulfill the functions to the extent and in the way they do.“ (Pade u. a., 2015, S. 73) Von daher ist die Synthetische Biologie sowohl programmatisch und methodologisch als auch hinsichtlich ihrer Forschungsgegenstände und Referenzobjekte auf den Begriff des Systems angewiesen. Dies kommt auch in der weithin anerkannten Definition der NEST High Level Expert Group zum Ausdruck105: „Synthetic biology is the engineering of biology: the synthesis of complex, biologically based (or inspired) systems, which display functions that do not exist in nature. This engineering perspective may be applied at all levels of the hierarchy of biological structures – from individual molecules to whole cells, tissues and organisms. In essence, synthetic biology will enable the design of ‚biological systems‘ in a rational and systematic way.“ (European Commission, 2005, S. 5, Hervorhebungen durch D. F.) Der Begriff „System“ geht auf das griechische Wort σύστημα/ systema zurück und bedeutet ursprünglich „Zusammenstellung“ von irgendwie geordneten und in Beziehung zueinanderstehenden Teilen, Gliedern oder Elementen eines Systems. (Flechtner, 1972, S. 228) Diese Grundbedeutung einer geordneten Gesamtheit ist 105 Vergleichbare Formulierungen finden sich in vielen Beiträgen, Stellungnah men und Fachartikeln zur Synthetischen Biologie. (Vgl. etwa acatech, DFG, & Leopoldina, 2009, S. 11; Benner & Sismour, 2005, S. 533; Bölker, 2011, S. 27; Scientific Commitees (European Commission), 2015a, S. 12) Meist geht es darum, existierende natürliche Systeme künstlich zu verändern oder aus na türlichen Bausteinen neue synthetische Systeme zusammenzusetzen. (Drubin u. a., 2007)
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auch heute noch im Systembegriff enthalten, es lassen sich hierbei jedoch verschiedene Arten von Systemen unterscheiden, etwa natürliche und künstliche, statische und dynamische, geschlossene und offene, einfache und komplexe Systeme. Im vorliegenden Kontext interessieren vorrangig komplexe und offene Systeme. Unter einem komplexen System versteht etwa Simon in Abgrenzung zu hierarchisch gegliederten formalen Organisationsformen, „ein System, das aus einer großen Zahl von Teilen zusammengesetzt ist, wenn diese Teile nicht bloß in der einfachsten Weise interagieren. In solchen Systemen ist das Ganze mehr als die Summe der Teile – nicht in einem absoluten metaphysischen Sinn, sondern in dem wichtigen pragmatischen, dass es keine triviale Angelegenheit ist, aus den gegebenen Eigenschaften der Teile und den Gesetzen ihrer Wechselwirkung die Eigenschaften des Ganzen zu erschließen.“ (Simon, 1990, S. 145; vgl. auch Witt, 2012, S. 89) Im Kontext allgemeiner System- und Komplexitätstheorien dient das Konzept komplexer Systeme dazu, nicht-lineare irreversible Prozesse und wechselwirkende Interaktionen von Systemelementen sowie dissipative Strukturen in ganz unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaftssysteme, gesellschaftliche Organisation, Organismus, menschliches Gehirn etc. in einer mathematischen Sprache zu beschreiben und am Computer in Modellen zu simulieren. (Vgl. Mainzer, 2004, S. 14) „Die Grundidee komplexer Systeme ist immer dieselbe: Erst die komplexen Wechselwirkungen von vielen Elementen erzeugen neue Eigenschaften des Gesamtsystems, die nicht auf einzelne Elemente zurückführbar sind.“ (Mainzer, 2015, S. 65) Wiechert bezeichnet den Begriff des Systems als einen der „allgemeinsten wissenschaftlichen Begriffsbildungen überhaupt“ (Wiechert, 2004, S. 9), der erst in seiner praktischen Anwendung in den unterschiedlichsten Bereichen Konkretion und Artikulation erfährt.106 Da es die Biologie, wie oben bereits vorweg106 Es kann daher nicht die eine Systemtheorie geben. Vielmehr diene, so Gloy, der Name „allgemeine Systemtheorie“ als „Sammelbezeichnung für Untersu chungen auf den verschiedensten Gebieten sowie für die Analyse der verschie denartigsten Systemtypen – statischer wie dynamischer, geschlossener wie of fener, stabiler wie instabiler, abstrakter wie konkreter usw.“ (Gloy, 1998, S. 7) Kaplan weist darauf hin, dass die Systemtheorie keine Theorie, sondern eher eine Reihe von Konzepten sei. „Über die Wirklichkeit selbst können aus ihr keine Aussagen abgeleitet werden“. (Kaplan, 1972, S. 9; vgl. auch Kornwachs & von Loucadou, 1984, S. 111) Bereits Bertalanffy, Gründer der Allgemeinen Systemtheorie, bezeichnet diese als „usefull tool providing, on the one hand,
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genommen, mit hochkomplexen Organisationseinheiten und Interaktionszusammenhängen auf allen Ebenen biologischen Lebens zu hat, liegt es nahe, auch „Biomoleküle, Zellen, Organe, Organismen und Populationen […] [als] hochkomplexe dynamische Systeme, in denen viele Elemente wechselwirken“, zu beschreiben. (Mainzer, 2015, S. 65) Nach Ricard sind Organismen bzw. Zellen vor allem deswegen als komplexe Systeme zu verstehen, da sie in ihrer funktionalen Struktur und ihrem Verhalten nichtlineare Effekte und Rückkopplungsschleifen aufweisen, die sich nicht auf das Verhalten der einzelnen Zellteile zurückführen lassen. (Ricard, 1999, S. 2) Eine solche systembeschreibende Perspektive auf biologische Phänomene hat schließlich Konsequenzen hinsichtlich der Vorhersagbarkeit und Beherrschbarkeit der wissenschaftlichen Praxis. „This means that these properties cannot be predicted from individual study of the element of the system.“ (Ricard, 1999, S. 2) Dies gilt in besonderem Maße für die Synthetische Biologie, die es sich ja zur Aufgabe gemacht hat, komplexe biologische Systeme nicht nur zu analysieren und zu verstehen, sondern zu konstruieren und zu bauen. Auch hier gilt, wie Panke und Billerbeck herausstellen, dass biologische Systeme „eine Ansammlung biologischer Moleküle [darstellen], deren gemeinsame Beschreibung aus den Eigenschaften der einzelnen Bestandteile heraus unsere Fähigkeit im Moment übersteigt“. (Panke & Billerbeck, 2012, S. 20) Damit ist eine Grundspannung von Kontrolle und Voraussagbarkeit technisch konstruierter biologischer Systeme angesprochen, die, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, als epistemologisch und ethisch bedeutsame Spannung im Ingenieurparadigma und dem Begriff der Synthese selbst liegt. Wenn also das Ziel der Synthetischen Biologie ist, komplexe biologische Systeme zu erzeugen, dann ist der technologische Zugriff der Ingenieurbiologie damit konfrontiert, dass in der biochemischen Realität lebender Systeme unvorhergesehene Effekte hervortreten, sobald die Komplexität zunimmt. Es besteh, so auch Billerbeck und Panke, ein massives Missverhältnis zwischen den technologischen Möglichkeiten der DNA Synthese und „unseren Fähigkeiten, sie angesichts der Komplexität lebender Zellen sinnvoll zu nutzen“. (Panke & Billerbeck, 2012, S. 20) Die Synthetische Biologie sei nun darin motiviert, den „Gegensatz zwischen models that can be used in, and transferred to, different fields, and safeguarding, on the other hand, from vague analogies wich often have marred the progress in these fields.“ (Bertalanffy, 1971, S. 33)
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technischen Möglichkeiten und konzeptionellem Defizit aufzulösen und Verfahren zu entwickeln, die es uns erlauben, neue biologische Information in großem Maßstab zu kodieren“. (Panke & Billerbeck, 2012, S. 20) Bei O’Malley et.al. heißt es hierzu: „Complexity is conceived of as something to be reduced.“ (A. O’Malley, Powell, Davies, & Calvert, 2008, S. 60) Und Tom Knight, einer der frühen Pioniere der Synthetischen Biologie, fragt angesichts biologischer Komplexität aus der Perspektive des Ingenieurs: ‚How can I get rid of this?‘ (Bölker, 2015, S. 61; vgl. auch A. O’Malley u. a., 2008, S. 60) Die Komplexität biologischer Systeme erscheint vor dem Hintergrund des ingenieurwissenschaftlichen Konstruktionsideals der Synthetischen Biologie vorwiegend als technisches Problem, welches etwa mittels gesteigerter Effizienz und Planbarkeit von Labormethoden gelöst werden soll. (Vgl. Bölker, 2015; Lorenzo, 2014; Panke & Billerbeck, 2012) Unerwünschte Eigenschaften und Verhalten komplexer biologischer Systeme sollen unterbunden bzw. kontrollieren und in nützliche Funktionen und Anwendungen gemäß der vorher definierten Zwecke des Organismus umgesetzt werden. (Vgl. Kwok, 2010) So wird zwar die Systemkomplexität von Organismen als zentral für den Konstruktionsansatz der Synthetischen Biologie anerkannt, allerdings nur im Hinblick auf deren Nutzung und technologische Anwendung. „One of the key features of biological systems is complexity, where the behavior of high level structures is more than the sum of the direct interactions between single components. Synthetic Biologists aim to use rational design to build new systems that do not already exist in nature and that exhibit useful biological functions with different levels of complexity.“ (Ceroni, Carbonell, Francois, & Haynes, 2015, S. 2) Die Konstruktion, Kontrolle und Beherrschung biologischer Systeme soll dabei nach dem Vorbild technischer Systeme und Modelle aus dem Bereich der Computerwissenschaften und Ingenieursdisziplinen erfolgen. „The basic premise of SB is that methods commonly used to design and construct non-biological systems, such as those employed in the computational sciences and the engineering disciplines, could also be used to model and program novel synthetic biological systems.“ (Porcar u. a., 2011, S. 1) Bezeichnet man den ingenieurwissenschaftlichen Ansatz der planmäßigen und rationalen Konstruktion technischer und biologischer Systeme selbst als systematisch, wie etwa in der oben zitierten Definition, und nimmt zugleich die Einsichten von Systemhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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und Komplexitätstheorien in die prinzipielle Nichtvorhersehbarkeit komplexer Systeme ernst, so scheinen hier zwei verschiedene Systembegriffe vorzuliegen, die in deutlicher Spannung zueinander stehen. In der nachfolgenden metaphorologischen Perspektivierung werden die Spuren dieser unterschiedlichen Auffassungen von Systemdenken und der Bruch, der hierbei sichtbar wird, auf ihre historischen Vorläufer zurückgeführt und anschließen wieder auf die Synthetische Biologie rückbezogen. Zuvor muss jedoch zumindest kurz diskutiert werden, inwiefern in diesem Fall überhaupt die Rede von einer metaphorologischen Betrachtungsweise gerechtfertigt ist. Die Bezeichnung von natürlichen oder synthetischen Organismen als biologische Systeme ist, wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich wird, für viele Wissenschaftszweige und Forschungsbereiche so selbstverständlich und geläufig, dass dies, anders als bei den Maschinen- und Computermetaphern, kaum mehr als metaphorischer Sprachgebrauch wahrgenommen und diskutiert wird.107 Betrachten wir den Systembegriff jedoch als Modell, lässt sich ein metaphorischer Kern insofern annehmen, als über diesen Begriff Isomorphien und Ähnlichkeiten zwischen zwei semantischen Bereichen, die wiederum selbst als Systeme zu verstehen sind, hervorgehoben bzw. erzeugt werden.108 So schreibt etwa Wiechert: „Es ist die bewusste Entscheidung, einen realen Untersuchungsgegenstand als ein System zu betrachten, die diesen Gegenstand zu einem System macht. Mit der Nennung des Systems wird zugleich auch entschieden, welches die Elemente des Systems sind, und was nicht dazugehören soll. In gleicher Weise werden bestimmte Wechselwirkungen betrachtet und andere vernachlässigt. Die Betrachtung eines Gegenstandes als System führt daher zu einer präzisen Beschreibung des zu untersuchenden Gegenstandes und einer Fokussierung der Forschungsarbeiten auf bestimmte Aspekte. Wich107 Gleichwohl finden sich in der Metapherntheorie und Metaphorologie zahlrei che Auseinandersetzungen mit dem Systembegriff und dessen Verhältnis zur Metapher. (Vgl. etwa Fuchs, 2001; Strub, 2009; Villányi & Lübcke, 2011; We sterkamp, 2014) 108 Vgl. hierzu auch Kornwachs und Lucadou: Systemgrenzen würden immer hy pothesengeleitet und nach dem Interesse des Systemautors gezogen, daher sei es sinnvoll, „darauf zu verzichten, nach der ‚Realität‘ der Systeme zu fragen. Systeme können Modelle für Prozesse, Ereignisse, Strukturen, Gesamtheiten und dergleichen sein, die Modellbeziehung ist jedoch immer eine Beziehung zwischen zwei Systemen [...]“ (Kornwachs & von Loucadou, 1984, S. 115)
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tig ist also, dass ein Systemzusammenhang stets vom Menschen in einen realen Untersuchungsgegenstand ‚hineininterpretiert‘ wird.“ (Wiechert, 2004, S. 9) Rosen beschreibt schließlich die Beziehung zwischen zwei natürlichen Systemen, jeweils verstanden als Modelle eines bestimmten Teils der (naturwissenschaftlichen) Realität, als metaphorisch „in the sense that their models share some common property“. (Rosen, 1985, S. 80f.) So seien offene Systeme als Metaphern für biologische Entwicklungsprozesse zu verstehen. (Rosen, 1985, S. 80f., ausführlich auch S. 277) Das metaphorische Konzept offenes System rückt somit im Bereich des biologischen Lebens Strukturen und Eigenschaften biologischer Systeme in den Fokus, die sich durch Offenheit, irreversible Dynamiken, nichtlineare Prozesse und Unvorhersagbarkeit auszeichnen und kann zugleich als Ausdruck holistischen und ganzheitlichen Denkens verstanden werden.109 Es steht daher gegen bzw. komplementär zu mechanistischen, reduktionistischen und analytischen Konzepten und Perspektiven und markiert insofern eine Bruchlinie, an der Perspektiven als Perspektiven in ihrer darstellenden und eröffnenden Funktion wieder sichtbar werden. Im Folgenden liegt der Schwerpunkt der Perspektivierung also auf den Übergängen, Wandlungen und Brüchen des Systembegriffs als Modell, welches aus der Beobachtung biologischer Phänomene gewonnen wurde und als abstraktes Konzept und Schema wieder auf diese zurück übertragen wird. Dabei werden eine handlungsorientierende und forschungsleitende Sichtweise und ein integratives pluralistisches Wissenschaftsverständnis artikuliert, die den 109 Neben den Systemmetaphern bzw. mit diesen verknüpft existieren im Bereich der Bio- und Lebenswissenschaften ähnliche Metaphern und Bildfeldtraditio nen des Netzwerks und der Interkation, die jedoch in unterschiedlicher Weise entweder die Struktur oder die Prozesse der Verknüpfungen von Elementen oder Organisationsebenen betonen, während System beides umfasst und als Ganzheit darstellt. (Vgl. Mainzer, 2004, S. 111ff; Poser, 2012, S. 299) Kovács hat sich mit der Metapher des Netzwerks in der Genetik auseinandergesetzt. (Ko vács, 2009, S. 114–117) Zu den Metaphern System, Netzwerk und Interaktion in der Systembiologie vgl. die Studie von Döring und Kollek. (Döring, 2012; Döring & Kollek, 2016) Zur Netzwerkmetapher hat Friedrich eine ausführliche Metaphorologie im Stile Blumenbergs ausgearbeitet. (Friedrich, 2015) Weitere metapherntheoretische Anknüpfungspunkte liefern Black und Hesse mit der Interaktionstheorie und der Netzwerktheorie der Metapher (Arbib & Hesse, 1990; Black, 1962; Hesse, 1988) sowie die an Lakoff und Johnson angelehnte Theorie des metaphorischen Blendings von Fauconier und Turner (Faucon nier & Turner, 2002) und die Theorie konzeptioneller Metaphern von Kövecses (Kövecses, 2010, S. 155ff.).
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grundlegenden Konflikt zwischen dem Anspruch technischer Beherrschung und instrumenteller Verfügung lebender Organismen und deren konstitutiver Komplexität und Unverfügbarkeit sichtbar machen und den begrifflichen und konzeptionellen Rahmen abstecken, innerhalb dessen sich auch die ethische Beschreibung und Beurteilung der Synthetischen Biologie bewegt. 3.3.4.2 Historischer Ort der Metapher Die Allgemeine Systemtheorie Bertalanffys sowie die Studien zur Komplexität offener Systeme und dissipativer Strukturen von Priogine und seinen Mitarbeitern:innen können neben Wieners kybernetischem Systembegriff als zwei zentrale Quellen für die in der gegenwärtigen biologischen Forschung verbreitete Bezeichnung von Organismen als komplexe Systeme angeführt werden. Trotz unterschiedlicher Herangehensweisen und Intentionen ist den beiden Ansätzen gemeinsam, dass die system- und komplexitätstheoretischen Begriffe und Konzepte ausgehend von der Beobachtung biologischer Phänomene und der Konfrontation mit den mechanistischen reduktionistischen Modellen der Physik gewonnen werden. Beide Ansätze leiten zudem aus der durch biologische Komplexität induzierten Krise des klassischen mechanistischen Weltbildes die Entwicklung einer holistischen, perspektivistischen und pluralistischen Weltsicht nach dem Modell des Systems (statt Uhr, Maschine oder Computer) ab, in der Strukturen und Prozesse auf allen Ebenen und in allen Bereichen des Lebens als dynamisch, offen und historisch bzw. zeitlich irreversibel beschrieben werden können. Hierin unterscheidet sich das ganzheitliche Systemverständnis Bertalanffys und Prigogines wesentlich von einem technologischen Systembegriff der Kybernetik, wie weiter unten noch auszuführen sein wird. Die Ursprünge eines ganzheitlichen Denkens in Systemen reichen weit bis in die Antike zurück. Bereits Aristoteles formulierte das Problem der Übersummation, nämlich dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile sei und entwickelte aus seinen Naturbeobachtungen und dem Gedanken der Ganzheit heraus die Lehre von der Teleologie und der Selbsttätigkeit lebendiger Dinge. Bereits hier stehen also Lebewesen bzw. deren funktionale Ordnung, Zweckmäßigkeit und Organisation als Modelle für ein bestimmtes Denken und den Versuch der Philosophie, in einer unübersichtlichen und unverständlichen Welt „einen Kosmos, eine Ordnung, ein System“ https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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(Bertalanffy, 1972, S. 18) zu erblicken.110 Doch erst mit dem systemtheoretischen Ansatz Ludwig Bertalanffys, „die Gesetze lebender Systeme auf allen Niveaus der Organisation“ zu untersuchen, wurde mit einer „Systemtheorie des Organismus“ die philosophische Fragestellung nach organismischer Selbsterhaltung und Autonomie als Problem offener, dynamischer und nichtlinearer Systeme artikuliert. (Kurzrock, 1972, S. 7) Als offen werden Systeme bezeichnet, die in einem Austausch von Materie, Energie oder Information mit ihrer Umgebung stehen. Offene Systeme erreichen dabei unter bestimmten Voraussetzungen ein Fließgleichgewicht. (Prigogine) Dies bezeichnet einen gleichbleibenden Zustand oder Grad an Ordnung innerhalb eines Systems, der durch ein dynamisches Gleichgewicht im Austausch mit der Umgebung oder anderen offenen Systemen erreicht und aufrechterhalten wird. Das ist vor allem bei organischen Prozessen und Lebewesen durch Stoffwechsel und enzymatische Prozesse zu beobachten. (Bertalanffy, 1971, S. 149) Diese Sichtweise auf lebendige Organismen als offene Systeme, die in Austausch und Interaktion mit ihrer Umwelt stehen, wurde zunächst von Schrödinger eingeführt und bestimmt den zweiten Teil seines wirkmächtigen Buches „Was ist Leben?“. Schrödinger thematisiert die strukturelle Organisation von lebendigen Organismen unter den Bedingungen des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. In verkürzter Darstellung besagt dies das Streben eines geschlossenen Systems nach zunehmender Unordnung. Der lebende Organismus dagegen, so auch Bertalanffy, „erhält sich nicht nur in einem Zustand 110 Vgl. hierzu auch Köchy: „Der Begriff ‚Ganzheit‘ ist naturgemäß einer der um fassendsten und gebräuchlichsten Termini zur Beschreibung des Organischen. Er wurde seit Beginn der naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Analyse und Bestimmung lebendiger Phänomene verwendet und auch proble matisiert. Die Verwendung von ‚Ganzheit‘ zur Bestimmung des Lebendigen bringt dabei zum Ausdruck, dass man Lebewesen als systemare Einheiten ver steht, deren besondere Organisationsstruktur es bedingt, dass dem einheitli chen und geschlossenen Zusammenhang aller zu einem Lebewesen gehörigen Glieder eine spezifisch eigene Qualität zukommt. Diese besondere Eigenschaft macht die Einheit des Ganzen aus, zeichnet sich auf den einzelnen subsyste maren Ebenen noch nicht ab und lässt sich auch durch bloße Summation der Eigenschaften der Teile des Systems nicht ableiten.“ (Köchy, 2003, S. 263) Vgl. auch die historisch-systematische Darstellung ganzheitlichen Denkens von Gloy. (Gloy, 1996) Als weitere Vorläufer von Systemdenken im Spannungsfeld von Holismus und Vitalismus nennt Bertalanffy Leibniz, Nicholas von Kues, Paracelsus, Vico, Marx/Engels (Bertalanffy, 1971, S. 9, vgl. auch 1972)
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phantastischer Unwahrscheinlichkeit, Organisation und Ordnung; lebende Systeme gehen auch [...] zu ansteigender Organisation und Ordnung über“. (Bertalanffy, 1972, S. 23, vgl. auch 1971, S. 167f.) Lebewesen wiedersetzen sich offenkundig dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, indem sie nicht nur Ordnung aus Ordnung schaffen, sondern sogar im Zuge evolutionärer Entwicklung zu höheren Ordnungsstufen emporsteigen. (Schrödinger, 2011, S. 123ff.) Schrödingers Antwort auf diesen scheinbaren Widerspruch zwischen den statistischen Gesetzen der Physik und den beobachtbaren biologischen Sachverhalten ist das Konzept der „negative[n] Entropie“ (Schrödinger, 2011, S. 126).111 Auch wenn Schrödingers Ausführungen vage und spekulativ bleiben112, leitet er mit seinen Überlegungen einen folgenreichen Perspektivenwechsel in der physikalischen Betrachtungsweise von lebenden Systemen ein, der schließlich in den Ansätzen offener, dynamischer Systeme und dissipativer Strukturen mündet und auch die Arbeiten von Bertalannfy und Prigogine und vielen anderen Systemdenker:innen maßgeblich inspiriert und mitbeeinflusst hat. (Brenner, 2007, S. 88–96; Fischer, 2011, S. 22; Regelmann & Schramm, 1986, S. 56; Weber, 2015) Für Bertalanffy ist „der lebende Organismus, der im Stoffwechsel in Materieaustausch mit seiner Umgebung steht, geradezu das Musterbeispiel eines offenen Systems“. (Bertalanffy, 1972, S. 22) An anderer Stelle heißt es: „The model of the organism as open system has proven useful in the explanation and mathematical formulation of noumerous life phenomena.“ (Bertalanffy, 1971, S. 161) Eine frühe Definition von Organismus lautet dementsprechend: „Ein lebendiger Organismus ist ein in hierarchischer Ordnung organisiertes System von einer großen Anzahl verschiedener Teile, in welchem eine große Anzahl von Prozessen so geordnet ist, dass 111 Damit meint Schrödinger den Austausch von Materie und Energie mit der Umwelt durch Stoffwechselvorgänge, also jene Eigenschaft die später offenen Systemen zugeschrieben wurde. Lebende Organismen ziehen demnach über ihren Metabolismus Ordnung aus ihrer Umwelt ab, um das eigene Ordnungs gefüge aufrecht zu erhalten. In Schrödingers metaphernreicher Sprache: „Der Kunstgriff mittels dessen ein Organismus sich stationär auf einer ziemlich hohen Ordnungsstufe (einer ziemlich tiefen Entropiestufe) hält, besteht in Wirklichkeit aus einem fortwährenden ‚Aufsaugen‘ von Ordnung aus seiner Umwelt“. (Schrödinger, 2011, S. 129) 112 An anderer Stelle kehrt er etwa zur vitalistischen Idee, dass „eine waltende Ordnung die Kraft besitzt, sich selbst zu erhalten und geordnete Vorgänge her vorzurufen“ (Schrödinger, 2011, S. 135) zurück oder zieht gar die mechanisti sche Uhrwerkmetapher heran (Schrödinger, 2011, S. 142f.).
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durch deren stete gegenseitige Beziehung innerhalb weiter Grenzen bei stetem Wechsel der das System aufbauenden Stoffe und Energien selbst wie auch bei durch äußere Einflüsse bedingten Störungen das System in dem ihm eigenen Zustand gewahrt bleibt oder hergestellt wird oder diese Prozesse zur Erzeugung ähnlicher Systeme führen“. (Bertalanffy, 1932, S. 83)113 Im Kontrast zur mechanistisch-physikalischen Weltsicht, welche die biologischen Prozesse auf die Gesetze der unbelebten Natur reduziere, kämen in einer Theorie der offenen Systeme der dynamische und offene Charakter biologischer Phänomene zur Geltung: „principles of multivariable interaction [...] become apparent, a dynamic organisation of processes and a possible expansion of physical laws under consideration of the biological realm.“ (Bertalanffy, 1971, S. 162) Die Biologie, die sich mit den Phänomenen des Lebens auseinandersetzt, nimmt daher für Bertalanffy eine zentrale Stellung innerhalb der Wissenschaften ein. Sie berge ein neues biologisches Weltbild, welches das mechanistische, physikalische Weltbild ablösen bzw. erweitern soll. (Bertalanffy, 1949) Bertalanffy sieht in der Forschungsmethode einer organismischen Biologie, die sich aus der Notwendigkeit der Erklärung komplexer Phänomene und offener Systemprozesse auf molekularer und biochemischer Ebene legitimiert, zugleich den Versuch einer allgemeinen Lebenserklärung, einer „Systemtheorie des Lebens“. (Bertalanffy, 1932, S. 80) Der Ursprung des Systemdenkens aus der Erfahrung der Unverfügbarkeit und Widerständigkeit biologischer Komplexität, die sich weder mit physikalisch-mechanistischen noch mit metaphysisch-vitalistischen Modellen zufriedenstellend erklären lasse, kommt schließlich in der Allgemeinen Systemtheorie Bertalanffys auf den Punkt: „The concern of biology is not only at the physico-chemical or molecular level but at the higher levels of living organization as well.“ (Bertalanffy, 1971, S. 4) In der Biologie und im Organismus als deren Modell systemtheoretischen Denkens liegt nach Bertalanffy der Kern eines revolutionären wissenschaftstheoretischen Perspektivenwechsels und einer neuen Weltsicht. Der zentrale Begriff – vorgreifend können wir sagen: die zentrale Metapher – ist hierbei für Bertalanffy System, welcher die beiden Welten der Biologie und der Physik erneut in fruchtbarer Weise aufeinander bezieht und eine 113 Vgl. auch in Das biologische Weltbild: „Ein lebender Organismus ist ein Stu fenbau offener Systeme, der sich auf Grund seiner Systembedingungen im Wechsel seiner Bestandteile erhält“ (Bertalanffy, 1949, S. 124)
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normative Dynamik des Wandels von Modellen, Paradigmen und Weltsichten freisetzt. In der Entwicklung der Allgemeinen Systemtheorie zeichne sich gar eine wissenschaftliche Revolution nach Kuhn ab.114 (Bertalanffy, 1971, S. 16) So möchte Bertalanffy die Allgemeinen Systemtheorie als Ausdruck eines Paradigmenwechsels und einer neuen Wissenschaftsweise verstanden haben, als „a general science of ‚wholeness‘“. (Bertalanffy, 1971, S. 36) Auch bei den komplexitätstheoretischen Arbeiten Prigogines und seiner Mitarbeiter:innen ist der revolutionäre Perspektivenund Paradigmenwechsel auf wissenschaftstheoretischer und philosophischer Ebene ein leitendes Motiv, welches die Ebenen der konkreten Forschungspraxis, der theorie- und sichtleitenden Paradigmen und auch der lebensweltlich orientierenden Weltsicht miteinander verbindet und in spannungsvolle Beziehung zueinander setzt. (Prigogine & Stengers, 1986, S. 276 ff.) Auch hier gehen die Überlegungen von der Beobachtung offener Systeme und dissipativer Strukturen115 in den Bereichen physikalisch-chemischer und biologischer Vorgänge aus und führen schließlich zu einem „neuen Verständnis der Naturwissenschaften“ und einer „pluralistische[n] Betrachtungsweise der physikalischen Welt [...], nach der ein System bei Variation der auferlegten Bedingungen jeweils mehrere dem Wesen nach verschiedene Verhaltensweisen an den Tag legen kann“. (Nicolis & Prigogine, 1987, S. 17) Es ist dies die Sichtweise einer in struktureller und zeitlicher Hinsicht „offenen Welt“, die ihre Offenheit vor allem durch Komplexität auf allen Ordnungsstufen des Lebens verdankt. (Nicolis & Prigogine, 1987, S. 17) Um eine derart offene Welt adäquat beschreiben zu können, entwickeln Nicolis und Prigogine in Die Erforschung des Komplexen eigens ein „Vokabular des Komplexen“ und führen die Begriffe dissipative Systeme und irreversible Prozesse, Nichtlinearität und Rückkopplung ein. (Nicolis & Prigogine, 1987, S. 71, 77 und 86) Eine zentrale Rolle spielt hierbei die zeitliche Offenheit komplexer Systeme. Statt deterministische und reversible Abläufe, die in der klassischen physikalischen Sichtweise eine präzise Vorhersage und 114 Auch bei Priogine wird der Übergang von der klassischen Physik zu einer „offenen Wissenschaft“ als Paradigmenwechsel im Sinne Kuhns beschrieben. (Vgl. Prigogine & Stengers, 1986, S. 276 ff) 115 Dissipative Strukturen beschreibt Strukturen fern des thermodynamischen Gleichgewichts, die spontan entstehen können und Chaos und Unordnung, aber auch neue und höhere Ordnung herbeiführen können. (Prigogine & Stengers, 1986, S. 21)
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Bestimmung zukünftiger Zustände und Verhalten erlauben, geht es hierbei um einen angemessenen Umgang und die Konfrontation mit einer komplexen Welt, in der bestimmte Prozesse nicht vorhersehbar und irreversibel d. h. nicht wiederholbar und in ihrem Ausgang offen sind. „Statt eine Welt zu konstruieren, in der die Gegenwart die Zukunft bedingt, gehen wir über zu einer Welt mit offener Zukunft, in der die Zeit eine konstruktive Rolle spielt.“ (Prigogine & Stengers, 1986, S. 284) Durch die Betrachtung mikroskopischer Phänomene, wie diejenigen physikalischer, chemischer und biologischer offener Systeme fern des thermodynamischen Gleichgewichts, zeige sich, so Dürr in zusammenfassender Würdigung von Prigogines Werk, dass „die Gesetzmäßigkeiten der Natur von ganz anderer Art sind als diejenigen, welche sich uns bei der Beschäftigung mit der Mechanik auf makroskopischer Ebene in unserem Alltag aufgedrängt haben. Die wesentliche Einsicht ist hierbei, daß die Zukunft prinzipiell offen ist.“ (Dürr, 1986, S. 28) Diese Einsicht in die prinzipielle Komplexität und Offenheit im mikroskopischen Bereich des Naturgeschehens, in welchem deterministische, reversible und linear-kausale Ereignisse nicht die Regel, sondern vielmehr den unwahrscheinlichen Ausnahmefall zu beschreiben scheinen, gilt für Prigogine nicht nur für den eingeschränkten Bereich der Physik oder der Biologie, sondern hat weitreichende wissenschaftstheoretische und kulturtheoretische Konsequenzen für das Verhältnis von Mensch und Natur allgemein. Dies kommt vor allem in den philosophisch motivierten Werken Prigogines wie Dialog mit der Natur und Vom Sein zum Werden und den darin entwickelten heuristischen Ideen und Begriffsbildungen zum Vorschein. (Vgl. Hohlfeld, Inhetveen, Kötter, & Müller, 1986) So heißt es in paradoxer Formulierung in Dialog mit der Natur: „Wir finden uns in einer Welt des Zufalls wieder, einer Welt, in der Reversibilität und Determinismus nur für einfache Grenzfälle gelten, während Irreversibilität und Unbestimmtheit die Regel sind.“ (Prigogine & Stengers, 1986, S. 18) Es geht den Autor:innen hierbei neben dem „Problem der Zeit und ihrer Beziehung zum Komplexen“ (Prigogine & Stengers, 1986, S. 18f. vgl. hierzu ausführlich auch Prigogine, 1985; und Werth, 1984) auch um die wissenschaftshistorische Rekonstruktion eines Begriffswandels. Prigogine und Stengers möchten „die begriffliche Kreativität der Wissenschaft hervorheben sowie die Perspektiven und die neuen Probleme, die sie aufwirft [...]. Es ist eine der Hauptthesen dieses Buches, daß zwischen den Problemen, die eine ganze Kultur kennzeichnen, und den https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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begrifflichen Entwicklungen in der Wissenschaft, die dieser Kultur angehört, eine starke Wechselwirkung besteht.“ (Prigogine & Stengers, 1986, S. 25) Der an andere Stelle herausgearbeitete Zusammenhang zwischen den Bewegungen und Übertragungen, die auf der Ebene von Begriffen, Metaphern und Modellen stattfinden, und denjenigen auf den Ebenen der Forschungspraxen und -perspektiven und der kulturell-gesellschaftlichen Deutungsschemata wird hier am Beispiel der Wechselwirkung von System und Organismus noch einmal bestätigt bzw. in ein neues Licht gestellt. Lebende Organismen sind zunächst Anstoß und Anlass der Modellbildung. Sie sind diejenigen Phänomene, die sich der atomistischen und deterministischen Perspektive der klassischen Physik stets verwahren und nicht mehr adäquat erklärt werden können. So spielen lebende Organismen für Nicolis und Prigogine eine zentrale Rolle als „Prototypen, die den Naturwissenschaften die Motivation und Inspiration zum Verstehen von Komplexität liefern“. (Nicolis & Prigogine, 1987, S. 51) Die Suche nach neuen, geeigneten Modellen zur Beschreibung solcher Phänomene der Selbstorganisation, dissipativer Strukturen, Emergenz, etc. führen, nachdem die bisherigen Maschinenmodelle und linearen Informationsschemata nicht mehr zu passen scheinen, zu Modellen offener Systeme, chemische und physikalische Systeme fern vom thermodynamischen Gleichgewicht. Die hieraus entwickelte Systemtheorie und das Vokabular des Komplexen werden schließlich wieder in den Bereich der Biologie und des Lebens zurück übertragen und führen zur Beschreibung und Modellierung von Lebewesen als offene, komplexe Systeme. In dem wechselseitigen Modelltransfer zwischen Organismus und System zeigt sich schließlich eine Dynamik zur Überschreitung sowohl der disziplinären Schranken von Natur- und Geisteswissenschaften als auch des wissenschaftlichen Bereichs selbst. System nimmt den Status einer Weltsicht ein, einer Sichtweise, die die Welt als dynamisch und offen begreift und Beschreibungen der Natur, des Menschen und von Gesellschaften mitbeinhaltet. (Bertalanffy, 1971, S. 26f.; Nicolis & Prigogine, 1987, S. 288–316; Poser, 2012) Bertalanffy führt diese Entwicklung historisch auf den Übergang von Maschinen und Energiewandlern zu selbstregulierenden Systemen und Kontrollsystemen zurück und stellt die Allgemeine Systemtheorie in den Zusammenhang der ‚zweiten industriellen Revolution‘, die die kybernetischen Maschinen und den Computer hervorbrachte und damit die Notwendigkeit eines Systemdenkens https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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herbeiführte. „Technology has been led to think not in terms of single machines but in those of ‚systems‘.“ (Bertalanffy, 1971, S. 2) Allerdings geht diese Entwicklung zugleich mit einer Differenzierung des Systemgedankens einher, die für die weitere Perspektivierung und vor allem den Systembegriff im Kontext der Systembiologie von Bedeutung ist. Nach Bertalanffy bildeten sich hier zwei Linien systemtheoretischen Denkens heraus. (Vgl. hierzu auch Gloy, 1998, S. 5f.) Dies ist zum einen eine technologische Linie, die v. a. der Kybernetik zuzurechnen ist.116 Das zentrale Modell sei hier, nach Bertalannfy, der Rückkopplungsmechanismus. Es handele sich gleichsam um eine externe Perspektive, die der Grundwissenschaft der Technologie entstammt. Ein kybernetisches System erscheint als „Schwarzer Kasten“, von dem nur sein „Klemmverhalten“ bekannt ist, das heißt die Beziehung zwischen „Input“ und „Output“. Diese technologische Perspektive zielt letztlich auf Erklärung, Kontrolle und Beherrschung der Systeme. (Bertalanffy, 1972, S. 26) An anderer Stelle schreibt Bertalanffy, dass die Kybernetik daher keine Weltsicht sei, sondern vielmehr eine Erweiterung als eine alternative Beschreibungsperspektive zur mechanistischen Sichtweise und Maschinentheorie darstelle. (Bertalanffy, 1971, S. 21) Daneben sieht Bertalanffy eine philosophische Linie, der er auch die Allgemeine Systemtheorie zurechnet. Das zentrale Modell hier ist das dynamische System. Aus der internen Perspektive der Grundwissenschaft Biologie werden System, Ordnung und Organisation als dynamische Wechselwirkungen betrachtet. Die philosophische Perspektive zielt auf Beschreibung und Verstehen und schließt das betrachtende Subjekt prinzipiell mit in das dynamische, offene Systemgeschehen ein. (Bertalanffy, 1972, S. 26) Wie weiter oben angeführt wurde, erlangt diese Perspektive den Status einer Weltsicht und umfasst weit mehr als nur den technologischen Anspruch auf Erklärung, Verfügung und Vorhersagbarkeit von künstlichen und lebenden Systemen und Systemverhalten. Vielmehr möchte Bertalanffy zeigen, dass „der Begriff und die Problematik des Systems nicht nur eine Frage der modernen Technologie sind, sondern Ausdruck tiefer philosophischer Probleme“, die sich nicht im Sinne der Kontrolle und Beherrschung lösen lassen. (Bertalanffy, 1971, S. 19) 116 So bestimmt etwa auch Flechtner den Begriff des Systems als eine grund legende Kennzeichnung der kybernetischen Wissenschaft: „Kybernetik ist die allgemeine, formale Wissenschaft von der Struktur, den Relationen und dem Verhalten dynamischer Systeme.“ (Flechtner, 1972, S. 10)
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3.3.4.3 Wandel der Metapher Die weitere Geschichte und Entwicklung des Systembegriffs in der biologischen Forschung ist im Wesentlichen geprägt durch die Systembiologie, welche sich um die Jahrtausendwende als eigen ständiger Zweig der Biowissenschaften etablieren konnte und in Zusammenhang mit der Entwicklung von neuen Methoden der Hochdurchsatzsequenzierung, dem Erreichen entsprechender Rechenleistung und der Vernetzungsmöglichkeiten von Computern117 bzw. dem Internet zu sehen ist. Entscheidend für das Auftreten der Systembiologie war zudem die vorangegangene Entwicklung der Molekularbiologie zu einer „big science“, welche, wie in Kapitel 3.3.3 gezeigt, im Human Genome Project einen Höhe- und Umschlagpunkt erlangte. So wurde unter dem Druck, das menschliche Genom vollständig zu entschlüsseln, ein enormer methodischer und technologischer Fortschritt erzielt, der es schließlich ermöglichte, große Gensequenzen und schließlich ganze Genome zu analysieren und zu sequenzieren. Allerdings führte dieser Fortschritt auch zu ungeheuren Datenmengen, die nicht mehr rein experimentell mit den bisherigen Mitteln und ohne computergestützte Methoden zu bewältigen waren. An diesem Punkt setzt der systembiologische Ansatz ein. Hierbei geht es nicht mehr um die Erkenntnis einzelner molekularer Elemente und Zellbausteine, sondern um das „strukturelle und quantitative Verständnis der Wechselwirkungen zellulärer Subsysteme“. (Wiechert, 2004, S. 7) Mathematische Modellbildung und rechnergestützte Simulationen und Datenverwertung nehmen folglich eine zentrale Rolle ein. Die Modellbildungen und Simulationen basieren auf quantitativen Messdaten, die mit Hilfe von High Throuput Techniken experimentell am lebenden System (in vivo) gewonnen werden. (Ideker, Galitski, & Hood, 2001, S. 345) So entsteht ein experimenteller Zyklus, „bei dem ausgehend von einem durchgeführten Experiment neue Daten gewonnen und durch Simulationen ausgewertet werden, um dann zur Planung und Vorhersage neuer Experimente zu gelan-
117 Nordmann beschreibt den Computer in diesem Kontext selbst als physisches System, das weit mehr sei als nur ein Hilfsmittel zur Speicherung und Verar beitung von Daten. (Nordmann, 2015, S. 44) Die Metapher von „DNA as the Software of Life“ lebt auch in der Systembiologie fort, indem Computer und digitale Netzwerke zum Referenzsystem und materiellen Träger für biologi sche Systeme und deren Erforschung werden.
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gen“. (Wiechert, 2004, S. 14; vgl. auch Kitano, 2002, S. 1663) Die Integration eines strikt datengetriebenen Ansatzes und dem experimentellen hypothesengetriebenen Ansatz zeichne, so Ideker, die Systembiologie gegenüber der klassischen Molekularbiologie aus. (Ideker u. a., 2001, S. 344) Ein weiterer Grund für die Entwicklung der Systembiologie aus der Molekularbiologie und dem Human Genome Project heraus liegt, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, auf der Ebene der Hintergrundkonzepte und der zugrundeliegenden Metaphern. Die Enttäuschung, angesichts der gelungenen Genomentschlüsselung und der Menge der gewonnen Daten dennoch nicht allzu viel über deren Bedeutung und Funktion sagen zu können, führte zu einem Perspektivwechsel und zu der Notwendigkeit, neue Konzepte und Metaphern zu finden. So schreibt etwa Ideker: „Perhaps the most important consequence of the Human Genome Project is that it is pushing scientists toward a new view of biology – what we call the systems approach.“ (Ideker u. a., 2001, S. 343) Dies bedeute, so auch Kitano, sowohl auf technischer wie auf konzeptioneller Ebene eine revolutionäre Fortentwicklung gegenüber der Molekularbiologie und verspreche zum einen neue Erkenntnisse und Einblicke in die Komplexität des Lebens zum anderen aber auch vielversprechende neue Anwendungsmöglichkeiten. „A transition is occurring in biology from the molecular level to the system level that promises to revolutionize our understanding of complex biological regulatory systems and to provide major new opportunities for practical application of such knowledge.“ (Kitano, 2002, S. 1664) Dieser Darstellung der Entwicklung der Systembiologie nach geraten die mechanistischen und linearen Erklärungsmuster und Analyseperspektiven auf dem Höhepunkt ihres technologischen und methodologischen Fortschritts zugleich an ihre Grenzen. Es läge also nahe, bei dem an dieser Stelle eingeführten Systembegriff ein anti-reduktionistisches, ganzheitliches und integratives Konzept in der von Bertlanffy genannten philosophischen Traditionslinie des Systemdenkens anzunehmen. Dementgegen erwecken allerdings viele Beschreibungen der Systembiologie den Eindruck, dass es sich eher um eine Ergänzung und Fortführung der genzentrischen und unidirektionalen Idee des zentralen Dogmas der Molekularbiologie als um einen echten Perspektivenwechsel oder gar eine Revolution der zentralen Konzepte und Metaphern handele. So greift etwa Ideker offensichtlich die Idee des linearen und hierarchischen Inhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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formationsflusses auf, wenn auch erweitert durch die Einführung informativer Netzwerke und Wechselwirkungen: „The Human Genome Project has propelled us toward the view that biological systems are fundamentally composed of two types of information: genes, encoding the molecular machines that execute the functions of life, and networks of regulatory interactions, specifying how genes are expressed. All of this information is hierarchical in nature: DNA → mRNA → protein → protein interactions → informational pathways → informational networks → cells → tissues or networks of cells → an organism → populations → ecologies“ (Ideker u. a., 2001, S. 345) An anderer Stelle wird im Kontext der Systembiologie die Metapher des genetischen Codes bemüht, um das Wesen der Biologie als Naturwissenschaft hervorzuheben. „Biology is unique among the natural sciences in that it has a digital code at its core.“ (Ideker u. a., 2001, S. 349) Auch der Übergang und Zusammenhang von Systembiologie und Synthetischer Biologie wird mit der Code- und Schriftmetapher, welche ja eigentlich dem überwunden geglaubten Paradigma der mechanistischen Molekularbiologie zugesprochen wird, dargestellt. So schreibt etwa Fu, „that we are able not only ‚read‘ the genetic code to understand living systems but also ‚write‘ the message for the creation of new life forms“ (Fu & Panke, 2009, S. 4) Es scheint hier eher der technologische Systembegriff der Kybernetik im Hintergrund zu stehen, als der ganzheitliche Gedanke der Systemtheorie Bertalannfys. (Cornish-Bowden, 2006, S. 482f. Kitano, 2002, S. 1662; Wolkenhauer, 2001, S. 259) Cornish-Bowden weist darauf hin, dass zwar der Begriff „System Biologie“ eine große Verbreitung in der Fachliteratur gefunden hätte, allerdings die meisten Beiträge unter diesem Namen recht wenig mit biologischen Systemen im älteren, ganzheitlichen Sinne zu tun hätten: „they often seem to imply little more than reductionist biology on a large scale“. (Cornish-Bowden, 2006, S. 475) Mit Nordmann zusammenfassend lassen sich also zwei unterschiedliche Erzählungen der Entwicklung und wissenschaftshistorischen Verortung der Systembiologie ausmachen, die sich ihrerseits in zwei Perspektiven auf das Verhältnis und den Übergang von der Systembiologie zur Synthetischen Biologie verlängern. Aus der ersten Perspektive erscheint die Synthetische Biologie als notwendige Folge eines revolutionären Paradigmenwechsels, welcher ganzheitliches Systemdenken als adäquaten Umgang mit biologischer Komplexität beinhaltet. (Nordmann, 2015, S. 41) Die Synthetische https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Biologie steht hier gleichsam auf der letzten Stufe eines Lernprozesses, der von der Konfrontation der Molekularbiologie mit der Komplexität biologischer Phänomene zur Systembiologie führte und schließlich in der Synthetischen Biologie als „angewandte Systembiologie“ mündet: „The process of selforganisation that are the subject of systems biology are applied in synthetic biology to the task of engineering biological structures. Inversely, synthetic biology can be said to contribute to basic biological science in that it constructs and exhibits structures and systems for study.“ (Nordmann, 2015, S. 42) Die Systembiologie gilt dementsprechend als Vorläuferin und komplementäres Gegenstück der Synthetischen Biologie im Hinblick auf deren ingenieurwissenschaftliche Ausrichtung und Syntheseansatz. (Vgl. Köchy, 2014, S. 151f.) „Synthetic biology is the other side of the coin of systems biology.“ (de Lorenzo in Breithaupt, 2006, S. 21) Damit ist gemeint, dass die Systembiologie in der Analyse und Simulation von Zellen und Zellprozessen auf Systemebene jene Modelle und Prinzipien bereitstellt, welche in der Synthetischen Biologie die Basis der Synthese und des Konstruierens von biologischen Systemen darstellt. Die Systembiologie stellt die Modelle und Daten bereit, die von der Synthetischen Biologie experimentell überprüft und bestätigt werden, während diese Strukturen und Systeme erzeugt, die schließlich analysiert und modelliert werden können. „Systems biology and synthetic biology are emerging as two complementary approaches that embody the breakthrough in biology and invite application of engineering principles. [...] that are indeed two sides of the same coin.“ (Fu & Panke, 2009, S. 4) Die zweite Perspektive steht demgegenüber unter der Voraussetzung, dass die meisten Systembiolog:innen und synthetischen Biolog:innen keinem holistischen Systemdenken verpflichtet sind und komplexe Systeme gerade nicht als Ausdruck und Anstoß philosophischer und wissenschaftstheoretischer Einsichten begreifen. „It is a story of technical opportunism according to which the concepts, theories, and methods of biology, biochemistry, and genetic engineering become absorbed into an engineering idiom.“ (Nordmann, 2015, S. 43) Auch in dieser Version der Geschichte wurde aus dem HGP gelernt, jedoch ist die Lektion, die hierbei aus dem Scheitern des genetischen Determinismus und Mechanismus gezogen wurde, eine gänzlich andere: „If the causal determinants of dispositions, traits and also of disease are far more complicated – and ‚complex‘ only in this sense https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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– one needs to expand the tool-set developed for the Human Genome Project, and for that one requires the accumulation of yet more data, trusting that new insights and tools will be generated by the everimproving technologies for the representation and processing of large data-sets.“ (Nordmann, 2015, S. 43) Nordmann attestiert der Systembiologie an dieser Stelle einen „Daten-Fetisch“, d. h. es gehe vorrangig um quantitative Fragen der Datenerhebung unter der positivistischen Grundvoraussetzung, dass, wenn erst alle Daten über Systemelemente und Interaktionen bekannt wären, auch deren vollständige Berechenbarkeit in mathematischen Modellen und Simulationen gegeben wäre.118 Die grundlegenden philosophischen Fragen offener und komplexer Systeme werden hierbei ausgeblendet. Die Synthetische Biologie stünde demnach auch nicht in einem komplementären Verhältnis zur Systembiologie und würde damit zur Etablierung einer ganzheitlich orientierten biologischen Grundlagenforschung beitragen, sondern erwiese sich lediglich als deren Erfüllungsgehilfin, indem sie die theoretischen Modelle und mathematischen Simulationen komplexer natürlicher Systeme in reale, physische Systeme umsetzt und in technologische Anwendungen überführt. Synthetische Biologie erscheint hier als Technoscience, welche Systeme lediglich als technische und funktionale Einheiten begreift und in welcher Komplexität nicht verstanden, sondern geplant erzeugt und beherrscht werden soll. Hierzu noch einmal Nordmann: „synthetic biology does not demand theoretical understandings and the reduction of complexity but has learned from systems biology that complexity can be generated in a controlled manner.“ (Nordmann, 2015, S. 44) Dies hat auch Auswirkungen auf den Status von Systemen als Modelle. Ideker stellt heraus, dass die Systembiologie in ihrem analytischen und modellierenden Zugang zu biologischen Systemen bereits auch die Möglichkeit der Konstruktion synthetischer Systeme beinhalte, wobei jedoch zwei voneinander zu unterscheidende Ansät118 Rheinberger bemerkt treffend, dass der in diesem Zusammenhang angebrach te Systembegriff „eher ein Ausdruck für die ungeheuren Datenmengen [ist], die in den Laboratorien mithilfe von Chips und Robotern erzeugt werden und sich ohne Computerprogramme nicht mehr auswerten lassen. Wir hätten es folglich in erster Linie mit den Eigenschaften eines technischen Systems zu tun nämlich der Organisation der Arbeit der Biologen und damit einer Paral lelwelt von Datenproduktion und Datenverarbeitung – und weniger mit den Eigenschaften des Organismus, dem diese Arbeit letztlich gilt.“ (Hans-Jörg Rheinberger, 2012, S. 15; vgl. hierzu auch Gloy, 1998, S. 7)
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ze denkbar sind: „[...] one alters the model to best fit the biological system (i. e., reverse engineering), [...] one alters the biological system to fit the model (i. e., forward engineering).“ (Ideker u. a., 2001, S. 363) Nach obiger Erzählung beschreibt der zweite Ansatz treffend den instrumentellen und technologischen Umgang mit den Modellen, die die Synthetische Biologie der Systembiologie entnimmt. Sie werden als realistische Abbildungen natürlicher Systeme vorausgesetzt und dienen als „Konstruktionsanleitungen“ und „Baupläne“ für optimierte und rational designte synthetisch-biologische Systeme, die hinsichtlich ihrer vorab definierten Funktionalität und Tauglichkeit für bestimmte Zwecke besser, d. h. effizienter und zuverlässiger sind. Die Beschreibungen und Charaktersierungen der Systembiologie, die zumindest in Ansätzen noch im Erkenntnisgewinn und in Einsichten in die Komplexität biologischer Systeme begründet sind, werden schließlich, so auch Morange, lediglich als „prerequisite for the work of synthetic biologists“ gesehen. „Their objective is to create new subsystems, or even new systems in a more or less distant future. Their conviction is that ‚nature is imperfect and should and can be revised and improved‘“. (Morange, 2009, S. 23) Der Modellcharakter der jeweils in Anspruch genommenen Systeme erfährt demnach im Übergang von Systembiologie zu Synthetischer Biologie eine entscheidende Veränderung. Wie Köchy herausstellt, sind die systembiologischen Modelle in Hinsicht auf ihre Orientierung an biologischen Vorbildern und der Darstellung und Nachbildung (nicht Abbildung!) natürlicher Gegebenheiten als „Modelle von x“ zu verstehen und dienen in ihrem Modellbildungsverfahren einem Ideal der Repräsentation. In der Synthetischen Biologie hingegen fungieren die in Anspruch genommenen Modelle mehr als „Modelle für x“ und folgen vorrangig einem Ideal der Herstellung eines Gemachten. Die Qualität dieser Modelle „bemisst sich vor allem an der Tauglichkeit zur Umsetzung der vorab formulierten technischen Fertigungsziele und weniger an der Wiedergabe biologischer Vorgaben“. (Köchy, 2014, S. 152) Mit diesem Wandel des Modellcharakters im Übergang von Systembiologie und Synthetischer Biologie, der, wie oben gezeigt, von einer zunehmend technologischen Interpretation von System und einem quantitativen und damit auch reduktionistisch-mechanistischen Verständnis von Komplexität geprägt ist, verändert sich, so Köchy weiter, auch die Sprache, in der über Leben gesprochen und geforscht wird. Systembiologie und deren bioinformatischer Ansatz bzw. die starke Gewichtung von mathematischer Formelsprache und Computersihttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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mulationen bringen ein „Cluster von mathematikaffinen Lebensbegriffen“ in die Handlungskontexte, Denkstile und Sprachspiele der Synthetischen Biologie. (Köchy, 2014, S. 153) Im Anschluss an Ludwig Fleck, nennt Köchy das über Abstraktion der materiellen Bedingungen lebender Systeme zustande kommende Zeichensystem der Systembiologie eine „lebensfremde Sprache“, die zwar methodisch hilfreich und wohl auch notwendig sei, aber ihrerseits nur einen Teil des biologischen Organisationsgeschehens darstellen könne.119 (Köchy, 2014, S. 154) Insofern die komplexen Prozesse von Selbstorganisation und Autonomie lebendiger Systeme von der Beschaffenheit ihrer biologischen Materie wesentlich vorgegeben und bestimmt sind, kann ein Systemansatz, der lediglich die formalen Bedingungen solcher Systeme beschreibt, kein adäquates Bild und Lebensverständnis liefern. Da in der Synthetischen Biologie auf Basis der formalen Modelle und Simulationen in das biologische Organisationsgeschehen eingegriffen wird bzw. dieses auf Ebene und unter Vorgabe der biologischen materiellen Bedingungen für bestimmte Zwecke hergestellt werden soll, tritt auch an dieser Stelle der Konflikt zwischen dem Anspruch der technischen Nutzung und Kontrolle lebendiger Systeme einerseits und deren vorgegebene Komplexität und Unverfügbarkeit andererseits hervor. In der folgenden metaphorologischen Einordnung und Deutung soll schließlich gezeigt werden, wie die Perspektive von System als Metapher diesen Konflikt zwar nicht auflösen oder versöhnen kann, aber eine Beschreibung und Reflexion dieser grundlegenden Spannung von technischer Beherrschung und biologischer Komplexität in einer Weise ermöglicht, dass sich hierin praktische Handlungsorientierungen im Hinblick auf die ethischen Konfliktpotentiale und eine konstruktive Perspektive auf die Synthetische Biologie als eine interdisziplinäre und integrative Lebenswissenschaft eröffnen. 119 Auch der Systembegriff Bertalanffys basiert auf den Annahmen und Voraus setzungen einer logisch-mathematischen Formelsprache. „In elaborate form it [die Allgemeine Systemtheorie] would be a logico-mathematical discipline, in itself purely formal but applicable to the various empirical sciences.“ (Bertalanffy, 1971, S. 36) An anderer Stelle jedoch räumt Bertalanffy der Alltagssprache einen Platz in der Systemtheorie ein: „This does not mean that models formulated in ordinary language are to be despised or refused. [...] Models in ordinary lan guage [...] have their place in systems theory. The system idea retains ist value even where it cannot be formulated mathematically, or remains a ‚guiding idea‘ rather than being a mathematical construct.“ (Bertalanffy, 1971, S. 22) Für eine vertiefte Auseinandersetzung und Vermittlung von linguistischer Theorie und Systemtheorie vgl. Ballmer, 1984.
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3.3.4.4 Einordnung und Deutung Die historische Verortung und Rekonstruktion der Metaphern komplexer offener Systeme in den Handlungskontexten und Sprachspielen der Biologie haben eine grundlegende Spannungn und Fragestellung wieder hervorgebracht, die bereits als Ausgangsfrage des Streites von Mechanismus und Vitalismus die biologische Perspektive auf das Leben von Anfang an mitbestimmt und vorangetrieben hat: sind die Phänomene des Lebens durch gesetzesförmige Erklärungen vollständig und restlos zu erfassen und damit vorhersagbar oder gehört gerade die Unvorhersehbarkeit und Nichtverfügbarkeit wesentlich zu dem, was in Wissenschaft und Lebenswelt als Leben gilt, so dass es sich niemals restlos erklären und damit beherrschen lässt? Wie bereits in den Studien zu den Maschinen- und Computermetaphern deutlich wird, lebt diese Spannung in der Synthetischen Biologie weiter und erfährt doch zugleich einige bedeutsame Verschiebungen und Umdeutungen in den zugrunde liegenden Konzepten, Begriffen und Metaphern.120 Eine ähnliche Entwicklung ist auch für die System-Metapher in der Synthetischen Biologie zu erwarten. Bertalanffy unterscheidet die Verwendungsweisen des Systembegriffs in der Biologie in eine technologische Linie und eine philosophische Linie, die mit jeweils unterschiedlichen Sichtweisen auf Organismen und unterschiedlichen Ansprüchen hinsichtlich des Wissenschaftsverständnisses und der normativen Ausrichtung der Forschungspraxis einhergehen. In die Synthetische Biologie gehen beide Perspektiven vermittels der Systembiologie und des ingenieurwissenschaftlichen Paradigmas ein und bilden innerhalb der jeweiligen Forschungsvorhaben eine unauflösliche Spannung zwischen dem Anspruch, durch die Konstruktion komplexer biologischer Systeme Erkenntnisgewinn und Verständnis von Lebensprozessen zu generieren und dem ingenieurwissenschaftlichen Konstruktionsansatz selbst, der eher einem „hemdsärmeligen Wissenschaftsideal“ (Köchy, 2014, S. 142) verpflichtet ist und darauf zielt, komplexe Systeme auch ohne vertiefte theoretische Kenntnisse zu 120 So hat sich bei der Maschinenmetapher gezeigt, dass zwar der bereits von Kant aufgezeigte Bruch zwischen heteronomer Organisation von Funktion und Zwecken in Maschinen und der autonomen Selbstorganisation von Or ganismen auch in der Synthetischen Biologie in die Metapher von den „living machines“ eingeht, sich zugleich aber das Konzept von „Maschine“ entschei dend geändert hat und nicht mehr den makroskopischen Vorstellungen großer, mechanischer Maschinen entspricht.
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beherrschen und in technische Anwendungen zu überführen. (Vgl. Nordmann, 2015, S. 54) Im Hinblick auf die vorliegende und zu erzeugende Komplexität biologischer Systeme können innerhalb der Synthetischen Biologie zwei nicht miteinander vereinbare Herangehensweisen und Sichtweisen ausgemacht werden: Verstehen von Komplexität und Konstruieren von Komplexität. In gewisser Weise, so Nordmann, erinnere diese Situation an die bereits von Kant aufgewiesene Spannung zwischen holistischem Verstehen von Organismus und einem mechanistischen Materialismus. (Nordmann, 2015, S. 45) Beide Perspektiven stehen als epistemische Ideale in grundsätzlicher Spannung zueinander und lassen sich nicht einfach ineinander auflösen. „On the one hand, there is the scientific mindset of those who query the limits of reductionism and embrace systems thinking; on the other hand is the technoscientific mindset of those who not longer seek the most appropriate way of reducing complexity and promoting intellectual understanding, but who proceed instead to generate biological complexity from available theories and techniques.“ (Nordmann, 2015, S. 46) Auch wenn dieser Konflikt nicht einseitig aufgelöst werden könne, so sei es doch möglich, dass sie sich in informativer und inspirierender Weise aufeinander beziehen und ergänzen. (Nordmann, 2015, S. 54) Nordmann betont, dass es für die philosophische Reflexion der Synthetischen Biologie bereits fruchtbar und aufschlussreich sein kann, solche epistemischen Konflikte und Spannungen zunächst zu beschreiben und in ihren wissenschaftshistorischen Kontexten und gegenwärtigen Dynamiken darzustellen. Hieran anschließend soll im Folgenden anhand der vorgestellten Methode der metaphorologischen Perspektivierung der bereits herausgearbeitete Konflikt innerhalb des biologischen Systembegriffs noch einmal im Kontext der Synthetischen Biologie als metaphorischer bzw. durch Metaphern sichtbar gemachter Bruch dargestellt und hinsichtlich der möglichen Anknüpfungspunkte und Perspektiven einer ethischphilosophischen Reflexion ausgelotet werden. Wie einleitend angedeutet, wird die Komplexität biologischer Systeme in der Synthetischen Biologie vorrangig als technologisches Problem für den ingenieurwissenschaftlichen Zugriff angesehen. So beschreibt Ceroni die Synthetische Biologie im Spannungsfeld von Engineerability und Evolability als „research at the intersection between rational design and natural complexity with a potential outcome to concrete biotechnological applications“. (Cerohttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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ni u. a., 2015, S. 5) Bereits Prigogine und Stengers weisen allerdings darauf hin, dass Lebewesen gerade unter Bedingungen existieren, die im „experimentellen Dialog“ d. h. in der auf Gesetzlichkeiten und kontrollierte Methodik ausgerichteten Laborumgebung nicht dargestellt werden können bzw. vor diesem Hintergrund überhaupt erst als ein Hindernis und Problem auftreten.121 „Allzu oft hat man in der Komplexität des Lebewesens und besonders in der Frage, wofür es empfindlich ist, ein Hindernis für das Experimentieren gesehen, da man ihretwegen das Lebewesen nicht wie ein isoliertes und kontrolliertes physikalisch-chemisches System studieren konnte“ (Prigogine & Stengers, 1986, S. 311) Die hier angesprochene Spannung zwischen biologischer Komplexität und wissenschaftlich-technischer Kontrolle verschärft sich im Rahmen der Synthetischen Biologie noch, da hier nicht nur die Erforschung bereits existierender Lebewesen im Vordergrund steht, sondern die Herstellung komplexer biologischer Systeme mit Eigenschaften, die so in der Natur nicht vorkommen. Insofern sich die zu erzeugende Komplexität durch Nichtvorhersehbarkeit und Unbestimmtheit auszeichnet, muss sie vor dem Hintergrund des Konstruktionsideals als Hindernis und technologisches Problem erscheinen. So stellt etwa Kwok fünf Problemfelder heraus, die sich aus der genannten grundsätzlichen Spannung von ingenieurwissenschaftlichem Ansatz und der Komplexität lebender Systeme für die Synthetische Biologie ergeben. (Kwok, 2010; vgl. auch Porcar u. a., 2011) Zum einen seien viele Elemente, sogenannte „Biobricks“, noch nicht ausreichend beschrieben und charakterisiert. Zum anderen funktionierten diese Elemente in der Durchführung selten so, wie geplant. Drittens sei die Komplexität selbst einfacher Organismen nur schwer in den Griff zu bekommen, so dass deren Kontrolle, sollte sie überhaupt prinzipiell möglich sein, unverhältnismäßig viel Zeit und Geld in Anspruch nehmen würde. Viertens scheitere der systematische und modularisierende Ansatz derzeit daran, dass viele Elemente inkompatibel zueinander seien. Schließ121 Hohlfeld et. al. merken an dieser Stelle allerdings kritisch an, dass sich Progo gine hier in den eigenen Metaphern verstricke und mit der Wahl der Metapher vom Dialog mit der Natur falsche Erwartungen, unzulässige Übertragung und Verallgemeinerung herbeiführe. Der Dialog mit der Natur, den Progogine an strebt, sei auch bei ihm eine recht einseitige Angelegenheit und stehe in der langen und weitverbreiteten Tradition einer naturwissenschaftlichen physika listischen Haltung gegenüber ihrem Forschungsgegenstand. (Hohlfeld, Inhet veen, Kötter, & Müller, 1986, S. 33ff.)
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lich und fünftens würde die Variabilität biologischer Systeme eine gezielte Beeinflussung und Kontrolle von Eigenschaften und Verhalten synthetisch-biologischer Systeme nahezu verunmöglichen. Kwok hierzu: „Synthetic biologists must also ensure that circuits function reliably. Molecular activities inside cells are prone to random fluctuations, or noise. Variation in growth conditions can also affect behaviour. And over the long term, randomly arising genetic mutations can kill a circuit’s function altogether.“ (Kwok, 2010, S. 290) Eigenschaften und Merkmale, die zu den Bedingungen und Grundvoraussetzungen biologischen Lebens gezählt werden und von Systemdenkern wie Schrödinger, Bertalanffy und Prigogine noch mit einer gewissen Bewunderung und Ehrfurcht wahrgenommen wurden bzw. Ausgangspunkt einer holistischen, verstehenden Sichtweise waren, erscheinen aus ingenieurwissenschaftlicher Sicht lediglich als Störfaktoren, als unerwünschtes Rauschen in biologischen Schaltkreisen. (Vgl. Purnick & Weiss, 2009, S. 417ff.) Diese technologische Sichtweise auf biologische Komplexität ist nicht nur in epistemologischer und wissenschaftsphilosophischer Hinsicht bemerkenswert, als sich darin erneut ein Wandel der Leitbilder und Denkstile innerhalb der Biologie abzeichnet, welcher zwar lange vor der Synthetischen Biologie seinen Anfang nahm, in dieser aber einen vermeintlichen Umschlagpunkt hin zu einer Technoscience (Nordmann) erreicht hat. Die Formulierung komplexer Phänomene in der technischen und mathematischen Sprache der Ingenieurwissenschaft und der Systembiologie hat darüber hinaus konkrete Auswirkungen auf die Konzepte von Biosicherheit und das Framing der ethischen Debatte, wenn es etwa um die mögliche Freisetzung und Rückholbarkeit synthetischer Organismen geht. Die Komplexität biologischer Systeme erscheint dann nämlich als mögliche Fehlerquelle und sicherheitsrelevantes Problem, welchem konsequenterweise durch entsprechende Sicherheitstechniken und -Strategien zu begegnen ist. (Vgl. acatech u. a., 2009, S. 26f. Then & Hamberger, 2010, S. 22; Tucker & Zilinskas, 2006) Innerhalb der Synthetischen Biologie gibt es daher, wie Bölker darstellt, zwei Lösungsansätze, um mit dem Problem biologischer Komplexität umzugehen. Ein Ansatz zielt dabei auf die Reduktion von Komplexität auf Ebene des einzelnen Organismus durch das Einführen ingenieurwissenschaftlicher Prinzipien wie Modularisierung und Standardisierung. Die zweite Strategie besteht in der Reduktion von Komplexität auf ökologischer Ebene, indem etwa durch Orthogonalisierung die Interakhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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tion zwischen synthetischem Organismus und natürlicher Umwelt unterbunden wird. (Bölker, 2015) Die Reduktion inhärenter Komplexität zielt vorrangig auf das Vermeiden von emergenten Eigenschaften, stochastischem Rauschen und zufälligen Mutationen, um die Vorhersehbarkeit und Kontrolle lebender Systeme nach dem Vorbild technischer Geräte zu verbessern. „Living systems will be transformed into controllable technical devices.“ (Bölker, 2015, S. 62) Am deutlichsten wird dieser Anspruch in den Top-Down Ansätzen, die die Herstellung von Zellen mit Minimalgenom zum Ziel haben. Durch die schrittweise Reduktion aller für das Überleben der Zelle nicht notwendigen Gene und DNA-Abschnitte sollen die innerzellulären Interaktionen und Prozesse überschaubarer und beherrschbar werden. (Moya, Gil, u. a., 2009, S. 225) Darauf aufbauend versprechen Methoden der Standardisierung und Modularisierung auf allen biologischen Ebenen die Vorhersagbarkeit und Kontrolle über die Interaktionen und das Verhalten synthetischer Organismen. (Panke & Billerbeck, 2012, S. 20) Dadurch soll sichergestellt werden, dass die auf bestimmte Anwendungen hin konstruierten Systeme ihre zuvor definierten Funktionen und Zwecke auch erfüllen und nicht etwa durch unkontrollierte Mutationen dysfunktional oder gar schädlich werden können. Mit Reduktion von Komplexität soll zugleich die Unsicherheit bezüglich erwartbarer Folgen verringert und die Sicherheit der technischen Nutzung und Anwendungen synthetischer Produkte erhöht werden.122 Der Ansatz der Reduktion zellinterner Komplexität stößt in seiner Durchführung jedoch an zwei grundsätzliche Probleme, die mit den der Forschung vorgegebenen Bedingungen biologischer Komplexität verbunden sind. Dies ist zum einen das Problem des prinzipiellen Informationsmangels zum anderen die Beobachtung, dass in lebenden Systemen Ordnung und Struktur oft nur mit dem gleichzeitigen Auftreten von Unordnung und Instabilitäten realisiert werden kann. Nach Kornwachs und Lucadou liege prinzipieller Informationsmangel vor in Situationen, „in denen eine pragmatisch benötigte [...] Information prinzipiell nicht zugänglich ist“. (Kornwachs & 122 Bölker weist an dieser Stelle zu Recht darauf hin, dass dies die potentiellen Gefahren eines Missbrauchs bzw. Dual-Use nicht umfasst. (Bölker, 2015, S. 66) Diese Debatte ist anders gelagert und lässt sich nicht technisch lösen, sondern muss auf Ebene ethischer und gesellschaftlicher Beschreibungen und Einord nungen reflektiert und verhandelt werden. (Vgl. Voigt, 2015, 2017)
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von Loucadou, 1984, S. 131) Dies sei etwa bei dem Prinzip der Komplexität der Fall, wenn also hohe Vernetzung und Interaktion zwischen einer definierten Menge von Systemelementen dazu führt, dass deren Gesamtverhalten und Strukturveränderungen nicht aus den einzelnen Elementen und deren Eigenschaften abgeleitet werden kann. Nicht die unvollständige Datenerhebung und der potentiell zu behebende quantitative Informationsmangel ist dann Ursache der prinzipiellen Unbestimmtheit solcher komplexen Systeme, sondern die Unmöglichkeit, ein entsprechendes Kalkül zu formulieren. „Liegt wegen der Komplexität des Systems ein Informationsmangel vor, so bezieht er sich nicht auf den Extensionsbereich der Eigenschaften, sondern er ist verursacht durch die Unvollständigkeit des erforderlichen Kalküls, d. h. er bezieht sich auf die Ableitbarkeit und auf die Folgerung.“ (Kornwachs & von Loucadou, 1984, S. 134) Wie Kornwachs und Lucadou weiter schreiben, reiche daher eine Theorie der Systeme im technisch-mathematischen Sinne nicht aus, um komplexe Systeme adäquat zu beschreiben. Dies kommt in besonderem Maße zum Tragen, wenn es im biotechnologischen und anwendungsorientierten Sinne um die Beherrschung und Kontrolle komplexer biologischer Systeme geht.123 „Beherrschbarkeit setzt ein Verstehen der ‚Mechanismen‘ eines Systems voraus. Wenn nun gerade der Versuch, ein System zu beherrschen und zu steuern dazu führt, daß es sein Verhalten in einer 123 Auf epistemologischer Ebene beschreibt Wehrt den Anspruch der Objektivier barkeit und Verfügbarkeit von offenen Systemen als prinzipielles Problem. Offene Systeme (OS) seien nur vor der Kontur des Konzeptes abgeschlossener Systeme (AS) bestimmbar. Abgeschlossenheit fällt hierbei, nach Wehrt, zu sammen mit dem Objektbegriff einer Ontologie des An-sich-Seins und dem ihm zugrundeliegenden Substanzbegriff der Metaphysik. „Abgeschlossenheit als Modellvorstellung beruht auf Isolierung des Objektes, Idealisierung des Meßprozesses und daher auf dem Anspruch der Objektivierbarkeit des Sys temverhaltens, sie ist unentbehrliches Hilfsmittel der mathematischen Phy sik.“ (Werth, 1984, S. 453f.) Im Offenen System dagegen sei eine Objektiva tion prinzipiell unmöglich. „Nimmt man sie aber vor, so wird das OS metho disch (und temporär) als ein AS behandelt“. (Werth, 1984, S. 454) Verfügung über das Systemverhalten sei nur durch Determination und Objektivation und der methodischen Voraussetzung eines abgeschlossenen Systems möglich. Man könnte jedoch auch umgekehrt argumentieren, dass jedes geschlossene System bzw. jede Systembestimmung prinzipiell nur durch die Einführung einer Systemgrenze und einer definierten Umwelt besteht und bereits durch diese Setzung einer System-Umwelt-Differenz eine Beziehung und ein Aus tausch des System nach außen besteht, also in zumindest eingeschränktem Sinne von einem offenem System gesprochen werden muss.
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nicht zu klärenden Weise ändert, ist die Verstehensbasis, die sich auf den ‚Mechanismus‘ des Systems bezieht, obsolet geworden.“ (Kornwachs & von Loucadou, 1984, S. 113) Der technologische Zugriff auf biologische Phänomene ist mit den gegebenen Bedingungen biologischer Selbstorganisation konfrontiert und bleibt zugleich an deren Prinzipien gebunden. Gerade diejenige Form biologischer Selbstorganisation jedoch, die gezielt und geplant herbeigeführt werden soll, gibt ein Maß an Instabilität und Unordnung vor, die deren Kontrolle und Vorhersagbarkeit erschweren, wenn nicht verunmöglichen. (J. C. Schmidt, 2008) Daher müsse, so Schmidt, die Synthetische Biologie solche Instabilitäten gezielt herbeiführen und zugleich ein hohes Maß an Unsicherheit und Unvorhersagbarkeit in Kauf nehmen. Dies gleiche einem Tanz auf des Messers Schneide: „To put it metaphorically: Synthetic biology is the technoscientific attempt to stimulate a productive dance on the razor’s edge; and, at the same time, its aim is to master the induced instabilities – wich is by all means a technically tricky undertaking.“ (J. C. Schmidt, 2015, S. 19, Vgl. auch 2012) Es scheint trivial, darauf hinzuweisen, dass es vollständige Kontrolle und Vorhersehbarkeit im Reich der Biologie, wie auch in allen anderen Bereichen des Lebens, nicht geben kann. „Thus we are left with a level of uncertainty even in a world of complete predictability.“ (Bölker, 2015, S. 67) Dies ist und kann auch gar nicht der Anspruch der Synthetischen Biologie sein. Vielmehr zeichnet sich gerade der ingenieurwissenschaftliche Ansatz der Synthetischen Biologie in vielen Teilen dadurch aus, dass im Sinne des Technikund Forschungsideals des Bastelns und des „trial and error“ bewusst Unwissen und Unsicherheit in Kauf genommen werden.124 Hierzu noch einmal Breithaupt: „In fact, ignoring the unkown is a main idea behind synthetic biology.“ (Breithaupt, 2006, S. 22) Der der Synthetischen Biologie eingeschriebene Konflikt zwischen technischer Kontrolle und biologischer Komplexität verschärft 124 Nordmann versucht hinsichtlich dieser epistemischen Ideale der Synthetischen Biologie eine Definition, in der zum Ausdruck kommt, dass es nicht in erster Linie auf das Verstehen biologischer Komplexität ankommt: „For constructive purposes synthetic biology builds on the achievement [...] of technical control of biological complexity, that is, it is the endeavor of drawing together de facto achievements of technical control for the generation of technical systems with greater biological complexity.“ In der Fußnote ergänzt Nordmann: „To be sure, de facto achievments of technical control of biological complexity does not require an understanding of biological complexity“ (Nordmann, 2015, S. 54)
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sich nun noch unter Berücksichtigung des Ansatzes zur Nutzung synthetisch-biologischer Organismen in industriellen, medizinischen und ökologischen Anwendungsbereichen. (Vgl. M. Schmidt, 2012a) Sobald Produkte der Synthetischen Biologie absichtlich oder unabsichtlich in eine außerhalb des definierten Forschungskontextes und Laborraums liegende Umwelt entlassen werden, drängen sich konkrete Fragen der Biosicherheit auf, etwa nach der Rückholbarkeit und der Vermeidung unerwünschter Folgen wie sie aus dem Diskurs um transgene Pflanzen bekannt sind. Innerhalb der Synthetischen Biologie wird auf die möglichen Risiken einer Freilassung synthetischer Organismen und deren Interaktion mit einer natürlichen Umgebung mit Strategien zur Reduktion ökologischer Komplexität und der Entwicklung inhärenter biologischer Sicherheitsmechanismen geantwortet. (Bölker, 2015, S. 64) Deutlich wird dies vor allem anhand von Forschungsprojekten, deren Ziel „künstliche[s] Leben [ist], das genetisch und metabolisch so weit vom natürlichen entfernt ist, dass es außerhalb des Labors auf der Erde nicht überleben kann.“ (Budisa, 2015, S. 77) Ziel ist dabei, nicht nur „biologische Teile von Lebewesen als Module zu definieren und durch Neukombination neuartige biologische Systeme zu generieren“, sondern „die chemische Zusammensetzung dieser Module neu [zu]gestalten“. (Ebd.) Mittels Orthogonalität werden so ganze Stoffwechselwege genetisch isoliert. Durch Errichten einer sogenannten „genetischen Firewall“ soll unkontrollierte Interaktion und der Austausch mit DNA Material natürlicher Organismen aus der Umwelt unterbunden werden. (Acevedo-Rocha & Budisa, 2011; Benner & Sismour, 2005, S. 541; Budisa, 2014, 2015) Ein weiterer Ansatz ist es, durch die Konstruktion eines inhärenten „safety lock“ (Vgl. Mandell u. a., 2015), der die Organismen außerhalb des Laborkontextes zerstört, sobald diese in Kontakt mit bestimmten Umgebungsstoffen kommen, eine „parallele biologische Welt“ (Budisa, 2014) zu erschaffen, in der die Unbestimmtheiten und Zufälle der Evolution nicht vorkommen. Dies verspricht einen erheblichen Gewinn an Biosicherheit für die Synthetische Biologie. Dem Risiko unabwägbaren Verhaltens synthetischer Organismen bei ungewollter Freisetzung oder gezielten Anwendungen in der Umwelt begegnet die gegenwärtige Forschung dabei mit dem Credo: „the farther the safer“ – je weiter sich synthetische Organismen von den natürlichen genetischen Basisbedingungen befinden, desto unwahrscheinlicher unkontrollierte Interaktionen und Zufälle und damit unvorhersehbare unerwünschte Folgen. (Marliere, 2009; vgl. auch M. Schmidt, 2010) https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Die größte Herausforderung bei der Entwicklung von genetischen Firewalls und ähnlichen Vorhaben zur Erhöhung inhärenter Biosicherheit dürfte allerdings wieder einmal die vorliegende biologische Komplexität der Zielorganismen und der biologischen Systeme selbst darstellen.125 So heißt es in einer aktuellen Stellungnahme: „A blueprint of a general strategy for designing inherently safe applications of SynBio is demanding, because of the stochastic and probabilistic character of the underlying biochemical SynBio processes.“ (Scientific Commitees, 2015b, S. 6) Auch wenn viele Verfahren der Synthetischen Biologie bewusst auf Komplexitätsreduktion setzen, ist ein Auftreten von unvorhersehbaren, emergenten Eigenschaften immer denkbar. „Sogar idealisierte Moleküle haben auf molekularer Ebene viele unbestimmte Freiheitsgrade und ihre Orthogonalisierung im biologischen Kontext ist extrem schwierig.“ (Budisa, 2015, S. 83) Entgegen den oben genannten Versuchen, durch eine orthogonale biologische Parallelwelt Biosicherheit zu erhöhen, kann mit zunehmender Komplexität und Naturferne das Risiko unvorhersehbarer Folgen sogar steigen. „Je weiter man sich von natürlichen Vorlagen des Lebens entfernt, umso unvorhersehbarer werden die Effekte sein können, die sich aus diesen Eigenschaften ergeben.“ (Boldt u. a., 2009, S. 78) In diesem Sinne kommt auch der genannte Bericht der Europäischen Kommission in der Frage nach einer allgemeinen „blueprint strategy“ zur Erhöhung der Biosicherheit durch die Konstruktion von naturfernen Organismen oder inhärenten Sicherheitsmechanismen zu dem Ergebnis, dass die biochemische Komplexität und die Gefahr emergenter Effekte derzeit noch zu hoch ist, um an eine Freisetzung oder Anwendung solcher synthetischen Organismen zu denken: „The currently available genetic safeguards, e. g. auxotrophy and kill switches are not reliable enough for a field release, because of the relative high incidence of engineered bacteria escaping various genetic safeguard systems due to mutation and positive selection pressure for mutants.“ (Scientific Commitees, 2015b, S. 50)
125 Neben dem Grad der biologischen Komplexität ist hierbei auch die „Natur ferne“ (divergence from nature) synthetisierter biologischer Systeme zu berücksichtigen, da die bewährten Kriterien der Orientierung an bekannten natürlichen Organismen, wie sie etwa aus der Beurteilung transgener Pflan zen bekannt sind, nur noch begrenzt angewandt werden können. (Vgl. Health Council of the Netherlands, 2008, S. 29f. vgl. auch J. C. Schmidt, 2015, S. 6)
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Für die technologische Forschungsperspektive der Synthetischen Biologie ist noch nicht entschieden – und kann vielleicht auch gar nicht entschieden werden –, ob sie der biologischen Komplexität, die auf allen Ebenen zumindest die materiellen Bedingungen des Forschens bestimmt, gewachsen ist. Demgegenüber erlauben die Konzepte und Metaphern komplexer Systeme, die Forschungsrealität in epistemologischer, philosophischer und auch ethischer Hinsicht als spannungsvoll zu beschreiben und den immanenten Konflikt der Denkstile und Leitbilder als solchen darzustellen. So eröffnet sich über die Beschreibung der Forschungsrealität in Begriffen der System- und Komplexitätstheorie eine neue Perspektive auf die philosophische und ethische Einordnung und Reflexion biotechnologischer und lebenswissenschaftlicher Forschung.126 Die in ihren philosophischen und epistemischen Grundannahmen selbst pluralistische und perspektivistische Bezugnahme auf biologische Komplexität und Phänomene des Lebens eröffnet die Sicht auf eine Welt, die sich nicht in einem vollständigen Kalkül darstellen lässt und eben „Überraschungen für uns parat [hat]“. (Kornwachs & von Loucadou, 1984, S. 151) So verweist Werth darauf, dass erst die Betrachtung von Phänomenen als offene Systeme es ermögliche, Störungen oder gar Zerstörungen als solche zu begreifen und hinsichtlich ihrer Folgen in den Blick zu nehmen.127 (Werth, 1984, S. 499) Innerhalb einer Sichtweise, die stabile, geschlossene Systeme als Bedingung für Kontrolle und Vorhersagbarkeit voraussetzt, stellt sich das Problem einer Störung entweder nicht oder es er126 So ist etwa die Dimension der Komplexität von Organismen und Forschungs kontexten in dem von Friedemann Voigt und Forscher:innen vom SYNMIKRO LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie erarbeiteten Stufenmodell zur ethischen Bewertung der Synthetischen Biologie eine der zentralen Beschreibungskategorien, welche zusammen mit dem Kriterium der Eingriffstie fe erlaubt, ethisch bedeutsame Konfliktpotentiale und Spannungsfelder kon kreter Forschungsvorhaben deskriptiv zu erfassen und der ethischen Reflexion und Beurteilung zuzuführen. (Voigt, 2017, S. 56ff.) 127 Werth geht darüber noch hinaus, wenn er behauptet, dass jede objektivieren de und idealisierende Beobachtung von lebenden, offenen Systemen, d. i. die Stilisierung zu zeitlosen Gebilden und die methodische Herauslösung aus den raumzeitlichen Wirklichkeiten der Lebensvollzüge, einen lebensgefährlichen Eingriff bedeute, der drohe, die grundsätzliche Ganzheitlichkeit und Nichtob jektivierbarkeit des Lebens zu zerstören. Die „quantifizierende Objektivierung [der Biophänomene] führt zum Tod“. (Werth, 1984, S. 495) Im Blick hat Werth hierbei vor allem Störungen von komplexen Ökosystemen, die in der Tat be drohliche und tödliche Folgen für die in ihnen lebende Lebensformen haben können.
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scheint als methodisch-technisches Problem, welches mittels geeigneter Maßnahmen, die auf das systematische Ausschließen von Störfaktoren zielen (Modularisierung, Othogonalität, genetische Isolation etc.), gelöst werden soll. In offenen Systemen hingegen kann das Problem der Störungen und Instabilitäten nicht technisch gelöst werden, sondern muss als gegeben und konstitutiv angenommen werden. Als Problem und Fehler erscheinen diese Phänomene von Instabilität, Unordnung etc. überhaupt erst aus den perspektivischen Diskrepanzen, die unweigerlich jedes Modell, jede metaphorische Transformation, gegenüber ihrem realen System, also dem Ausschnitt der Wirklichkeit, der im Modell dargestellt werden soll, aufweist.128 Instabilitäten jedoch, so Schmidt, sind der Kern der Selbstoransiationsprinzipien komplexer biologischer Systeme, welche sich die Synthetische Biologie technisch nutzbar machen möchte. Diese stößt dabei an prinzipielle Grenzen des rationalen Designs und des technischen Zugriffs. Der Versuch der Konstruktion und Kontrolle von biologischen Systemen nach dem Vorbild der Ingeniuerwissenschaften scheint so paradoxerweise zu der Einsicht zu führen, dass gerade dies die Autonomie und Eigenständigkeit biologischen Geschehens in besonderer Weise hervorbringt. „Je weiter der technische Zugriff auf Natur voranschreitet, desto deutlicher tritt das Unverfügbare und Unbestimmte, das Nichtkontrollierbare und Nichtwissen hervor.“ (J. C. Schmidt, 2012, S. 33) Hierzu auch Porcar et. al.: „[...] the closer to life creation we are, the most intricate live appears to be, and this complexity [...] makes machine-like orthogonalization an utopical, oversimplified metaphor for SB.“ (Porcar u. a., 2011, S. 7; vgl. auch Lorenzo, 2014) Dies kann aber auch bedeuten: Die Einsicht in die Komplexität und Nicht-Beherrschbarkeit biologischer Phänomene mahnt zu einer praktischen Haltung der Rücksichtnahme und Vorsicht gegenüber Lebendigem. Gerade ein tieferes Verständnis von Leben kann dazu führen, es (noch) nicht bauen zu wollen. Denn, so auch Mainzer, „Understanding complex dynamics is often more important for our practical behavior than computing definite solutions, especially when it is impossible to do so [...] Handling problems does not always mean computing and determining the future. In the case of randomness, we can under128 Vgl. Rosen: „All these things [...] are simply ways of expressing the grwoth of dicrepancies between a real system S, open to environmental interactions, and a model of S, which represents a subsystem closed to such interaction“ (Rosen, 1985, S. 330)
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stand the dynamical reason, but there is no chance of forecasting“ (Mainzer, 2004, S. 1) System- und Komplexitätstheorie können zwar helfen, die Komplexität biologischer Phänomene besser zu verstehen, aber nicht unbedingt, diese auch in reduktionistischer und analytischer Weise vollständig zu beherrschen. Es handele sich, so Poser, vielmehr um eine „neue Weltsicht, die zugleich mit der Einsicht in die Begrenztheit unserer Erkenntnismöglichkeit zusammengeht. Wissenschaftstheoretisch stellen sie [Komplexitätstheorien] als formale Systeme Modelle bereit, die als eine Weiterführung der alten Intention gesehen werden können, mit den Wissenschaften zu begreifen, was die Welt im Innersten zusammenhält.“ (Poser, 2012, S. 291) Es ist dies im Grunde ein hermeneutischer Ansatz, die Welt und ihre Phänomene nicht vollständig und letztbegründend zu erklären, sondern durch die Beschreibung ihrer eigenen Komplexität und Unverfügbarkeit verständlich im Hinblick auf praktische Orientierung zu machen. (Vgl. Poser, 2012, S. 301) Gerade eine in diesem Sinn hermeneutische, pluralistische und integrative Erweiterung und Ergänzung der Forschungsperspektiven der Synthetischen Biologie kann dazu beitragen, dass sie als Lebenswissenschaft die Auswirkungen und Folgen der eigenen Forschungspraxis im Spannungsfeld von verantwortungsvollem wissenschaftlichem Handeln und gesellschaftlichem Vertrauen in den Nutzen und die Sinnhaftigkeit der Forschung einordnen und an die lebensweltlichen Normen und Erwartungen rückbinden kann. Dabei geht es, wie Hacker und Kumm herausstellen, „nicht nur um direkte praktische Folgen etwa für die Gesundheit. Sondern es geht auch um die oft langfristigen kulturellen Auswirkungen des wissenschaftlichen Experimentierens mit dem Lebendigen. Erst eine Lebenswissenschaft, die sich selbst in einer solchen umfassenden Perspektive zu sehen versucht, ist eine Wissenschaft, die ihrer Verantwortung für das Leben gerecht wird.“ (Voigt, Hacker, & Kumm, 2015, S. 32) Nun kann natürlich nicht von den einzelnen Forscher:innen erwartet werden, dass diese in ihrer täglichen Laborarbeit und wissenschaftlichen Praxis stets die epistemologischen, anthropologischen und ethischen Dimensionen des Lebensbegriffs mitreflektieren und im Sinne holistischer, pluralistischer und integrativer Wissenschaft einander vermitteln. Gerade die hohe Komplexität der Forschungsgegenstände der Synthetischen Biologie erfordern eine ausdifferenzierte Spezialisierung und methodischen Reduktionismus in den jeweiligen Forschungsbereichen. Problematisch ist vielmehr, wenn https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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diese methodisch notwendige reduktionistische Sichtweise auf alle Phänomene des Lebens ausgedehnt wird und allgemeine Welterklärungsansprüche geltend macht. Eine unreflektierte Verwendung des Systembegriffs im Kontext der Biotechnologie und Lebenswissenschaften läuft Gefahr, genau dieser Totalisierung verkürzter Einzelperspektiven zu verfallen. Dies gilt für beide Verwendungsweisen von System, sowohl die technologische als auch die philosophische. Denn zum einen suggeriert der der Systembiologie entlehnte technologische Systembegriff und deren lebensfremde Sprache das Bild einer quantitativ vollständig erfassbaren und berechenbaren biologischen Welt, die den systemtheoretischen und philosophischen Einsichten in eine prinzipiell und irreduzibel komplexe Welt unversöhnlich entgegensteht. Zum anderen neigen auch holistisch ausgerichtete Komplexitäts- und Systemtheorien aufgrund ihrer hohen Reichweite und Allgemeinheit dazu, exklusiven Wahrheitsanspruch auf Welterklärung zu erheben und gleichsam „in einer ‚göttlichen‘ Perspektive [...] das handelnde, denkende, modellierende und bewertende Subjekt als ein Individuum“ auszuklammern. (Poser, 2012, S. 301) So bemerkt auch Brenner, dass Erklärungsmodelle des Lebens, seien es mechanistisch-physikalische oder komplexitätsund systemtheoretische, dann problematisch werden, wenn sie „als allumfassend und exklusiv angesehen werden. Dann nämlich findet eine nicht zurechtfertigende Unterordnung des Phänomens Leben unter eben diese Erklärungsgründe statt, welche übersehen lassen, dass Leben von der Art ist, die sich einer solchen starren Festlegung entzieht.“ (Brenner, 2007, S. 93) In der Idee offener komplexer Systeme spricht sich hingegen ein Wissenschaftsverständnis aus, welches von Bertalannfy und Prigogine aus dem philosophischen Systembegriff herausgearbeitet wurde und welches als Ausdruck einer pluralistischen Weltsicht und integrativen Wissenschaft(stheorie) weder als singuläres Spezialwissen noch als alleinerklärende Metatheorie auftreten kann. Vielmehr muss eine solche Theorie der Lebenserklärung selbst stets durch die Erkenntnisse des philosophischen Perspektivismus ergänzt und in ihren Wahrheitsansprüchen auf die Reflexion und Begründung der eigenen perspektivischen Reichweite und Beschränktheit verwiesen werden.129 (Vgl. Laszlo, 1972, S. 15) Die Komplexität der Natur und 129 So heißt es bereits bei Bertalannfy zur biologischen und kulturellen Relativität der Kategorien der Wahrnehmung und Erfahrung der Physik: „In contrast to the ‚reductionist‘ thesis that physical theory is the only way on to which all
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die notwendigen Idealisierungen unserer kausalen Erklärungsmodelle, so Mitchell, „conspire to entail an integrated pluralistic picture of scientific practice.“ (Mitchell, 2002, S. 67) Neben den epistemologischen und ethischen Fragen, ob das Konzept komplexer Systeme innerhalb der synthetisch-biologischen Forschungspraxis ein adäquates Modell für lebendige Organismen darstellt und ob es der synthetischen Biologie gelingen wird, komplexe biologische Systeme kontrolliert zu erzeugen und zu beherrschen, eröffnet ein erweiterter philosophischer Systembegriff die Perspektive auf ein pluralistisches und integratives Modell von Wissenschaftspraxis und -kommunikation. Die Synthetische Biologie kommt einem solchen Modell aufgrund ihres interdisziplinären Charakters und des zentralen Lebensbegriffs, der aus sich heraus perspektivistisch und selbstreflexiv bereits alle disziplinären Schranken überschreitet, entgegen.130 Indem sie zudem den Systembegriff mit sich führt und nach Mainzer als eine „Wissenschaft vom Künstlichen und Komplexen“ (Mainzer, 2011, 2015) zu begreifen ist, lässt sich ein pluralistisches und integratives Wissenschaftsverständnis und Forschungsethos (Vgl. Nida-Rümelin, 2005b, S. 850ff.) aus
possible science and all aspects of reality eventually should be reduced, we take a more modest view. The system of physics [...] approaches a representation of certain relational aspects of reality. [...] There is nothing singular or particulary sacred about the system of physics.“ (Bertalanffy, 1971, S. 260) 130 Gerald Hartung schlägt daher ausgehend von den Auseinandersetzungen mit dem Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie eine Interdisziplinäre An thropologie vor, um „zwischen den einseitig normativ und deskriptiv orien tierten Forschungsrichtungen“ zu vermitteln und einen komplementären Zu gang zum Leben als eines der Grundlagenthemen unserer Zeit zu gewinnen. „Die Aufgabe, vor der wir angesichts der Frage stehen, in welcher Weise und zu welchem Zweck wir den Begriff des Lebens im alltäglichen Sprachgebrauch und in den Wissenschaftssprachen verwenden (sollten), hat ein Janushaupt, das der in unserem Gebrauch des Lebensbegriffs offensichtlichen Doppeldeu tigkeit entspricht. Einerseits muss es uns um eine Integration der sinnverste henden Perspektive in die Beschreibungssprache der Wissenschaften gehen, so dass einerseits klar wird: Immer, wenn wir vom „Leben“ handeln, wir auch Teil des Zusammenhangs sind; nicht nur explanandum, sondern auch explanans. Andererseits muss unsere Reflexion über das Leben, das wir sind und das un sere Existenzweise auf rätselhafte Weise ‚birgt‘, mit der in den Wissenschaften voranschreitenden Objektivation im Phänomenbereich des Lebens verknüpft werden.“ (Hartung, 2015, S. 51) Allerdings möchte Hartung den Begriff Leben gerade nicht als Metapher verstanden wissen und sieht im metaphorischen Ge brauch die Gefahr der Verklärung und „Bezauberung“. (Hartung, 2015, S. 34)
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den zentralen Konzepten und Begriffen der Synthetischen Biologie selbst entnehmen statt es ihr „von außen“ aufzuerlegen.131 Die Methode der metaphorologischen Perspektivierung kann zur Freilegung und Eröffnung dieser der Forschungspraxis immanenten Perspektiven und Modelle beitragen. Insofern ist das Konzept komplexes System in der Synthetischen Biologie als Metapher zu begreifen, die sowohl den Bruch und die Konfliktlinien zwischen ingenieurwissenschaftlicher Kontrolle und biologischer Autonomie darstellt, als auch zugleich die Perspektive über den Bereich der Forschungsmethoden und -objekte erweitert und ein Denken in Systemen als holistisch-hermeneutische Weltsicht und pluralistischintegratives Ethos der Wissenschaft in den Blick rückt.
131 Dass trotz des dominanten technologischen Systembegriffs in der Syntheti schen Biologie auch die holistische Tradition der Systemtheorie selbst durch die Transformation der Systembiologie hindurch noch wirksam ist und auch von der Forschung selbst aufgegriffen wird, zeigt der Beitrag von Moya et. al.: Mit Bezug auf Kant und Goethe einerseits und auf Gödel, Turing und Chaiting andererseits wird für die Synthetische Biologie eine ganzheitliche Sichtweise auf das Leben vorgeschlagen, welche komplementär zum ingenieurwissen schaftlichen Konstruktionsansatz besser geeignet sei, um die Komplexität bio logischer Phänomene zu verstehen. „This view considers biological phenome na as systems of interacting components that can be analysed and simulated with increasing detail at both the level of components and the level of the whole system.“ (Moya, Krasnogor, u. a., 2009, S. 28)
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IV. Zusammenfassung und Ausblick auf eine Metapherntheorie als Ethiktheorie
Die Methode der metaphorologischen Perspektivierung stellt den Versuch dar, sich dem komplexen und multidimensionalen Phänomen der Metapher im Handlungskontext von Bio- und Lebenswissenschaften allgemein und der Synthetischen Biologie im Besonderen in einem Netzwerk von diachron und synchron ineinander verschränkten Perspektiven zu nähern. Vorbild hierfür ist die Idee einer materialen Metaphorologie im Sinne Blumenbergs und Weinrichs, wobei deren methodologische Defizite durch den Ansatz der rationalen Metaphernreflexion und -kritik von Debatin zum Teil ausgeglichen werden sollen. Der erste Teil der Arbeit widmet sich daher in vertiefter Auseinandersetzung mit metapherntheoretischen Ansätzen und metaphorologischen Konzepten der Erarbeitung einer eigenständigen Methodik. Im zweiten Teil soll diese Methodik dann am Beispiel der Debatte um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie angewandt und durchgeführt werden, wobei sich der Lebensbegriff selbst als ebenso perspektivistisch und multidimensional erweist wie die Metapher und mit dieser in einem wechselseitig erläuternden Verhältnis steht. Ein philosophisch-perspektivistischer Grundanasatz und das von Wellmer entlehnte sprachphilosophisch-hermeneutische Modell des Streits um die Wahrheit bilden den durchgehenden Orientierungspunkt der gesamten Arbeit und erlauben es, die zentralen Begriffe Metapher und Leben in fruchtbarer Weise und ohne in die zusammenhangslose Relativierung oder verabsolutierende Totalisierung der Einzelperspektiven zu verfallen historisch wie systematisch für die vorliegende Aufgabe der ethischen Reflexion herauszuarbeiten und einander zu vermitteln. Im Folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse der metaphorologischen Perspektiven noch einmal zusammengefasst. Anschließend soll die übergeordnete Fragestellung einer ethischen Bewertung von Metaphern noch einmal aufgegriffen werden und
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Zusammenfassung
abschießen in einen Ausblick auf eine Form der Metapherntheorie, die auch Ethiktheorie bzw. Teil einer deskriptiven und hermeneutischen ethischen Begleitforschung ist, überführt werden.
4.1 Zusammenfassung der metaphorologischen Perspektiven Für die Durchführung der metaphorologischen Perspektiven auf die Synthetische Biologie wurden drei Metaphern gewählt, die als solche bereits in der Begleitforschung identifiziert und diskutiert werden. Dies ist zum einen die Metapher „living machines“, in welcher der ingenieurwissenschaftliche Ansatz der technischen Konstruktion und der dahinter liegende Anspruch der Beherrschung und Kontrolle von Leben zum Ausdruck kommt. Das Konzept der Maschine steht hierbei für die restlose Zergliederung eines in allen Teilen verstandenen und vollständig bestimmbaren Funktionszusammenhangs, dessen Struktur und Aufbau zuvor gesetzten externen Zwecken und Zielen folgt. Seinen historischen Ort hat die Metapher der „living machines“ im Mechanistischen Weltbild und in Descartes Übertragung der mechanistischen Prinzipien auf die Welt der Lebewesen. Kant hat schließlich demgegenüber die Eigenständigkeit und Selbstzweckgebung im lebendigen Organismus hervorgehoben und in ein spannungsvolles Verhältnis zum mechanistischen Modell der Maschine gesetzt. Begreifen wir die Metapher „living machines“ als Metapher, dann kommt darin diese Spannung und Verhältnisbestimmung von Organismus und Maschine zum Ausdruck. Als reflexives Instrument erlaubt es die Metapher dann, den Konflikt zwischen technischer Konstruktion und biologischer Komplexität, der sich in der Synthetischen Biologie in besonderer Weise zeigt und alle ihre Handlungsfelder durchzieht, aufzudecken und hinsichtlich seiner ontologischen, epistemologischen und ethischen Konsequenzen zu reflektieren. Die in der Metapher angelegte Bruchlinie zwischen den Konzepten Maschine und Organismus wird dabei im Zuge der wissenschaftlich-technischen Entwicklung immer wieder verschoben und muss neu ins Verhältnis zum jeweiligen Konzept von Maschine sowie dem diskursiven und gesellschaftspolitischen und geistesgeschichtlichen Rahmen einer Zeit gesetzt werden. Eine unreflektierte Verwendung der Metapher „living machine“ im Kontext der Synthetischen Biologie hingegen suggeriert zum einen die Kontrolle, Beherrschung und Vorhersagbarkeit von synthetihttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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schen Organismen nach dem Vorbild der Maschine und der ingenieurwissenschaftlichen Konstruktion; zum anderen gerät durch eben diese Vorstellung schnell in Vergessenheit, dass auch die Synthetische Biologie weiterhin auf die vorgegebenen materiellen Bedingungen biologischer Selbstorganisation angewiesen ist bzw. diese sogar gezielt für sich nutzen möchte. Die Forschungspraxis ist daher mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen biologischer Komplexität und Autonomie konfrontiert, welche dem Anspruch der technischen Konstruktion möglicherweise prinzipiell entgegenstehen. Dies ist von ethischer Bedeutung im Hinblick auf die mögliche Anwendung und Rückholbarkeit synthetischer Organismen in offenen oder teiloffenen Systemen, aber auch hinsichtlich eines möglicherweise veränderten menschlichen und gattungsethischen Selbst- und Naturverständnis. Die zweite Studie hat die Metapher „DNA als Software des Lebens“ und ähnliche Metaphern aus dem Bereich des Computers und der Informationstechnologien zum Inhalt. Sie ist Ausdruck einer gen- bzw. genomzentrischen Sichtweise, die das Gen bzw. das Genom als bestimmendes Prinzip des Organismus setzt. Der gesamte Aufbau und die Entwicklung des Organismus sind demnach bereits in den Genen gleich einem Computerprogramm eingeschrieben und werden von der „Hardware“ der umgebenden Zelle lediglich umgesetzt. Es ist zugleich eine informatische Sichtweise des Lebens, da es für das Programm irrerelevant zu sein scheint, auf welchem materiellen Träger es gespeichert und ausgeführt wird. Daher ist es im Rahmen der Software-Hardware-Metaphorik möglich, die Information eines Organismus in Form des DNA-Codes sowohl im Reagenzglas als auch auf dem Computerchip zu realisieren und zwischen diesen beiden Welten hin und her zu transferieren. Diese Sichtweise kann zunächst auf Schrödingers metaphorischen Einfall eines binären genetischen Codes zurückgeführt werden. Das Bild eines „Miniaturcode, [...] [der] irgendwie die Fähigkeit hat, seine Ausführungen zu bewerkstelligen“ (Schrödinger, 2011, S. 112) scheint die heutige Verwendung der Code- und Softwaremetaphern in Rahmen der Synthetischen Biologie sowie den dahinterstehenden informatischen Genzentrismus vorwegzunehmen. Eine genauere metaphorologische Untersuchung der Schrift Schrödingers und des Entstehungskontextes hat allerdings gezeigt, dass die genzentrische und informatische Deutung des genetischen Codes sich erst rückblickend und im Rahmen des später entstehenden Informationsdiskurses etablieren und festsetzen konnte. Nicht länger https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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als Metapher, sondern wortwörtlich wird der genetische Code dann spätestens im Rahmen des Human Genome Project verstanden. Die erfolgreiche Entschlüsselung des vollständigen menschlichen Genoms stellt den größten Erfolg und zugleich eine schwerwiegende Krise der Codemetapher dar. Die vorliegende biologische Komplexität bringt die Metapher des Codes schnell an ihre Grenzen und legt einen alten Herrschaftsanspruch und eine normative Dynamik, die bereits in der Metapher vom Buch des Lebens angelegt sind, offen zu Tage. Die auch im genetischen Code noch wirksame Schrift- und Textmetaphorik drängt den Übergang vom Lesen zum Schreiben eines solchen Codes nahezu auf und bestimmt die Forschungsperspektive und -praxis der Molekularbiologie für Jahrzehnte. In der Synthetischen Biologie scheint nun dieses metaphorische Versprechen in Erfüllung zu gehen und der genetische Code als „Software des Lebens“ tatsächlich geschrieben und in Form von Venters synthetischer Zelle verwirklicht zu werden. Ein kritischer Blick auf die Forschungspraxis und die Selbstdarstellung Venters legt jedoch den Verdacht nahe, dass es sich hierbei vielmehr um den forshcungspolitischen, manipulativen und ideologischen Gebrauch einer Metapher im Rahmen des Framings, des Kampfes um begriffliche Deutungshoheit, gesellschaftliche und politische Legitimation und ökonomische Vormachtstellung im Bereich der Biotechnologien, handelt. Die dritte metaphorologische Perspektivierung beleuchtet die Sichtweise von Organismen als Systeme, insbesondere als offene und komplexe Systeme. Das Metaphorische ist hierbei weniger offensichtlich an der Sprachoberfläche zu sehen, wie es bei den „living machines“ oder den Computermetaphern der Fall ist, sondern liegt vielmehr auf der Ebene der Modellbildung. In gewisser Weise werden hier die zwei vorangegangenen Perspektiven vereint und der darin bereits zum Ausdruck gebrachte Konflikt von technischer Kontrolle und biologischer Komplexität noch einmal in besonderer Weise zum Ausdruck gebracht. Begreifen wir System vorläufig als dasjenige Fokuswort, anhand dessen sich die Perspektivierung orientiert, so wird bei der Analyse der historischen und der gegenwärtigen Verwendungsweisen dieses Begriffs im Bereich der Biologie schnell deutlich, dass es zumindest zwei Systembegriffe sind, die in der Synthetischen Biologie wirksam werden und die in einer bemerkenswerten Spannung zueinander stehen. Der Systembegriff und systemisches Denken im Bereich der Biologie gehen zum einen zurück auf eine organismische und holistische Sichtweise, wie sie in den System- und Komplexitätstheorien Bertalanffys und Prigogines https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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formuliert werden. System erscheint hier in einer holistischen Deutung als Alternativmodell zu den mechanistisch-reduktionistischen Ansätzen und den linearen genzentrischen Modellen. Zugleich kann System im Rahmen einer technologischen Traditionslinie und im Gefolge kybernetischer Modelle als konsequente Folge und Erweiterung der molekularbiologischen und informativen Sichtweise gedeutet werden. In die Synthetischen Biologie fließen nun beide Systemverständnisse mit ein und stehen in unauflösbarer Spannung zueinander. Vorrangig scheint ein technologisches und ingenieurwissenschaftliches Interesse an biologischen Systemen vorzuliegen. Aus dieser Sichtweise erscheinen Unvorhersehbarkeiten und Emergenzen als technisches Problem und Störung. Nimmt man aber gerade diese Eigenschaften als konstitutive und bedingende Faktoren lebendiger biologischer Systeme an, ist die Synthetische Biologie mit prinzipiellen Herausforderungen konfrontiert, die den ganzen ingenieurwissenschaftlichen Ansatz und den praktischen problemorientierten Umgang der (zellinternen und ökologischen) Komplexitätsreduzierung grundsätzlich in Frage stellt. Dagegen zeigt sich im holistisch-philosophischen Systemverständnis ein alternativer praktischer Umgang mit biologischer Komplexität, der hermeneutisches Verstehen statt vollständiger Quantifizierung und Handeln nach dem Vorsichtsprinzip statt Streben nach Beherrschung allen Lebens setzt. Die pluralistische und integrative Weltsicht, die in diesem Ansatz aufscheint, ist dabei dem Modell des Streits um die Wahrheit bzw. dem Bewegtheitsmodell der Sprache und dem Bild einer lebendigen Sprache hinsichtlich der konstitutiven Offenheit, Dynamik und Multiperspektivität durchaus verwandt. Auch gibt es zwischen Metapherntheorie und Systemtheorie offensichtliche Parallelen und Überschneidungen, die sich dahin deuten lassen, dass die metaphorologische Perspektivierung im Konzept offener und komplexer Systeme nicht nur einen Gegenstand der Untersuchung vor sich hat, an dem sich am Beispiel der Synthetischen Biologie noch einmal Metapher und Leben produktiv aufeinander beziehen lassen, sondern auch methodisch und in den sprachphilosophischen Grundannahmen ein adäquates Modell und Vorbild gefunden hat. Zusammenfassend ließe sich folgende These aufstellen, die freilich an anderer Stelle ausführlicher diskutiert und begründet werden müsste: In der Metapher des (komplexen, offenen) Systems, welche im lebendigen Organismus ihre Quelle und Vorbild hat, findet die metaphorologische Perspektivierung der Synthetischen Biologie ihr https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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zentrales Modell und kann dieses, der Forschungspraxis als metaphorische Spannung und normative Dynamik selbst entnommen, auf die gegenwärtige ethische Debatte beziehen und als normative Orientierung hin zu einem integrativen, pluralistischen und perspektivistischen Wissenschaftsverständnis und Diskursmodell an alle beteiligten und betroffenen Parteien herantragen.
4.2 Die ethische Bedeutung von Metaphern in der Debatte um den Lebensbegriff Die Entwicklung und Durchführung der Methode der reflexiven Metaphorisierung und der metaphorologischen Perspektivierung sind motiviert von der Grundannahme, dass Metapherntheorie auch Ethiktheorie sein kann bzw. dass die ethische Begleitforschung in Metaphern einen ausgezeichneten Zugang und Anknüpfungspunkt zur jeweiligen Forschungspraxis und den darin verwobenen Diskursen findet. Es sind hierbei jedoch die Verwendung von Metaphern und ihre Folgen auf individuelles und soziales Handeln, die ethisch beurteilt werden können, nicht die Metaphern oder gar der Lebensbegriff selbst. Ethisch problematisch kann etwa sein, wenn durch eine unreflektierte oder gezielt manipulative Verwendung von Metaphern andere Wege und Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnis ausgeschlossen werden. Ein Blick auf die lange Reihe der bisher formulierten Lebensdefinitionen und des alten Streits um den Lebensbegriff hat gezeigt, dass kein Ansatz allein die Vieldeutigkeit des Lebens erklären und vollständig abdecken kann. Durch totalitäre Welterklärungsansprüche und verkürzte Analogien und Metaphern wird jedoch der Eindruck vermittelt, über den Weg der technischen Konstruktion einerseits umfassende Macht, Kontrolle und Herrschaft über das Leben zu gewinnen und andererseits zu einer endgültigen Antwort auf die Lebensfrage kommen zu können. Beide Ansprüche müssen angesichts der tatsächlichen Forschungspraxis und der prinzipiellen Schwierigkeiten, die sich aus der Komplexität und Widerständigkeit der biologisch-materiellen Grundbedingungen des Forschens ergeben, stark relativiert und begrenzt werden. So kommt etwa auch Witt am Ende ihrer Arbeit zu Konzepten und Konstruktionen des Lebendigen zu dem Schluss, dass die „Vorstellung der mit der Herstellung von Leben verbundenen Macht ein Mythos ist, dem kein wissenschaftliches Projekt https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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wohl jemals entsprechen wird. [...]Die heutigen Ansätze zur künstlichen Herstellung von minimalen lebenden Organismen belegen vielmehr die relative Begrenztheit unserer theoretischen wie praktischen Versuche, Leben nach unseren Wünschen und Vorstellungen zu erzeugen. Die Konstruktionsversuche von Lebewesen sind damit gerade keine Demonstrationsobjekte der Allmacht wissenschaftlichen Wirkens.“ (Witt, 2012, S. 240) Durch den unreflektierten und manipulativen Gebrauch der Metaphern, die in der Bildfeldtradition der Maschinenanalogien und im Kontext der Informationstechnologien stehen, werden jedoch jene Begrenztheit und die prinzipiellen Schwierigkeiten des technischen Konstruktionsansatzes im Reich der biologischen Komplexität ausgeblendet und der Mythos der allmächtigen Wissenschaft genährt. Nicht nur verzerren also einseitig und missbräuchlich eingesetzte Metaphern das Bild der tatsächlichen wissenschaftlichen Praxis und können ganze Forschungsprogramme in die Irre führen, auch auf forschungspolitischer und gesellschaftlicher Ebene kann die Verwendung von Metaphern ethische Implikationen nach sich ziehen. So heißt es bei Nehrlich et. al.: „The ethical implications of frames and metaphors emerge from the fact that metaphors and images create visions and expectations that set patterns for action. Actions can be financial investment and support, but also emotional investment and support [...]. Discourses and metaphors shape patterns of public acceptance, rejection, trust or scepticism.“ (Nerlich u. a., 2009, S. 9) Daraus ergibt sich, so lässt sich mit Kovács anschließen, für den:die Forscher:in eine ethische Verpflichtung im Hinblick auf die Verwendung von Metaphern: „Metaphern unreflektiert zu verwenden, heißt also für den Forscher, dass er mit seiner Tätigkeit weder den Anspruch auf Objektivität noch seine Verantwortung für die Entwicklung der Gesellschaft ernst nimmt. Es ist deshalb eine ethische Verpflichtung des Naturwissenschaftlers, dass er über die Philosophie und die Sprachkultur seiner Wissenschaft anspruchsvoll nachdenkt und sich diesbezüglich fortlaufend weiterbildet.“ (Kovács, 2009, S. 214) Eine solche Verantwortlichkeit in der Verwendung von Metaphern und in der Ausbildung einer Sensibilität für die sprachliche Dimension wissenschaftlichen Handelns ist insofern ethisch als sie auf Ebene individuellen Handelns die Einhaltung der Normen guter wissenschaftlicher Praxis einfordert und zugleich auf gesellschaftlicher Ebene die Verantwortung des:der Wissenschaftlers:in zur sachhttps://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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gemäßen und angemessenen Informierung und Vermittlung des eige nen wissenschaftlichen Tuns vor dem Hintergrund gemeinsamer gesellschaftlicher Werte und Normen adressiert. Daher ist GanguliMitra et. al. zuzustimmen, die in kritischem Bezug zu Boldt et. al. darauf hinweisen, dass die eigentliche ethische Herausforderung nicht in den möglicherweise intrinsischen ethischen Implikationen eines veränderten Lebensbegriffs durch die Synthetische Biologie liege, sondern vielmehr in einer Sphäre gesellschaftlichen Vertrauens gegenüber der Wissenschaft. Die European Group on Ethics in Science and New Technologies (EGE) nennt in diesem Zusammenhang eine „sphere of trust that provides the space for new technologies to be developed as part of a societal endeavour – and not against it“. (EGE, 2009, S. 37; vgl. auch Achatz, O’Malley, & Kunzmann, 2012) Damit ist ein Vertrauensvorschuss von Seiten der Gesellschaft angesprochen, der sich an ein der Wissenschaft inhärentes Ethos zur verantwortungsvollen Forschung und Wissenschaftskommunikation richtet. (Vgl. Nida-Rümelin, 2005b) Darin spricht sich die grundsätzliche Erwartung und normative Forderung an die Wissenschaft aus, die Forschungspraxis gegenüber gesellschaftlichen Werten, moralischen Vorstellungen und normativen Grundeinstellungen, dem Ethos einer Gesellschaft, immer wieder auszuweisen und als ethisch verantwortbar und sinnvoll zu begründen. (Falkner, 2015a, 2017, S. 47f.; Voigt, 2017, S. 13) Die ethischen Fragen und Verantwortlichkeiten einer neuen Technologie müssen in Situationen moralischer Unsicherheit im spannungsvollen Rahmen von Forschungsfreiheit und deliberativer Demokratie kommuniziert und artikuliert werden. (Grunwald, 2011, 2011; Özmen, 2012) Hierzu braucht es Metaphern, um Forschungsperspektiven zu eröffnen und darzustellen und auch um komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge an lebensweltliche Erfahrungen und Konzepte rückzubinden und somit verständlich zu machen. Die Synthetische Biologie biete hier, so Heinemann, aufgrund ihrer thematischen Fokussierung auf den Lebensbegriff „die Chance für eine Etablierung eines konsequenten interdisziplinären Diskurses mit Philosophie und Ethik mit dem Ziel, angemessene Deutungsansätze und Bewertungskriterien für die lebendige Natur und für Eingriffe in dieselbe zu entwickeln. Zudem kann im interdisziplinären Diskurs eine geeignete Öffentlichkeitsarbeit und Risikokommunikation entworfen und etabliert sowie die in der Öffentlichkeit geführte Debatte und schließlich auch die gegenwärtigen Forschungsprozesse und die Weiterentwicklung der Synthetischen Biologie gestaltet werden.“ (Heinemann, 2015, S. 262) https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Zugleich besteht in der Verwendung von Metaphern immer auch die Gefahr der ideologischen Verzerrung und des Missbrauchs, die Perspektiven verschließen, falsche Hoffnungen wecken und tatsächliche Probleme und Konflikte verdecken. Die Protagonist:innen der Synthetischen Biologie treten, so Heinemann weiter, „durch die Verwendung einer epistemologisch problematischen und offenbar wenig reflektierten Metaphorik in Erscheinung, die geeignet ist, Besorgnis hinsichtlich einer rationalen Einordnung der Chancen und Risiken dieses Forschungsgebietes zu erwecken.“ (Heinemann, 2015, S. 260f.) Der technomorphe Lebensbegriff und der instrumentalistische Umgang mit dem Lebendigen, der in Metaphern wie „living machines“ vermittelt wird, berührt die kulturell tief verwurzelten und normativ aufgeladenen Unterscheidungen von Lebendigem und nicht Lebendigem und kann in der öffentlichen Wahrnehmung Ängste und Unbehagen auslösen. Dies muss entsprechend gesellschaftsund kulturwissenschaftlich und, insofern auch religiöse Einstellungen hiervon betroffen sind, theologisch aufgearbeitet und reflektiert werden, stellt aber nicht zwangsläufig einen ethischen Konflikt auf der Ebene wissenschaftlichen Handelns dar.1 Das Argument, die Lebensherstellung selbst sei moralisch bedenklich, kann, wie bereits erläutert, nur vor dem Hintergrund eines unterstellten intrinsischen moralischen Wertes des Lebens aufrecht erhalten werden. Joachim Schummer zeigt hingegen in seinem Buch „Das Gotteshandwerk“ dass der Anspruch der Synthetischen Biologie, Leben herzustellen, weder ein menschheitsgeschichtliches Novum noch wissenschaftlich besonders sinnvoll und hilfreich ist.2 Es zeichnet sich an dieser 1 Rudolph Kötter etwa weist darauf hin, dass nicht alles, was mit Werturteilen, Normen und den lebensweltlichen oder sozialen Aspekten von Wissenschaft zu tun hat, automatisch auch Gegenstand der Ethik ist. Dennoch werden gerade an die Angewandte Ethik in dieser Hinsicht übersteigerte Erwartungen gestellt. „Als ‚ethische Probleme‘ wird alles Mögliche verhandelt, was nicht einen un mittelbar erkennbaren naturwissenschaftlichen oder ökonomischen Gehalt hat; das reicht von weltanschaulichen und religiösen Wertvorstellungen bis hin zu allgemeinen Zivilisationsängsten.“ (Kötter, 2002, S. 99) 2 Das Motiv der Lebensherstellung lässt sich bis in die Antike und auf verschie dene kulturelle wie religiöse Ursprungsmythen zurückverfolgen, wobei Schum mer feststellt, dass die moralische Fragwürdigkeit der Lebensherstellung erst seit kurzem Gegenstand der Debatten ist. Noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts weckte die Vorstellung, der Mensch schaffe gottgleich Leben aus dem Nichts, keine entsprechende moralische Empörung und ethische Bedenken. (Schummer, 2011, S. 32–44) Diese Beobachtung stützt den Verdacht, dass es sich bei der im Kontext der ethischen Debatte um die Synthetische Biologie gestellten Frage „Was ist Leben?“ nicht direkt um eine ethische Frage handelt, sondern dass viel
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Stelle ein Konflikt zwischen den kommunizierten Ansprüchen einer Forschungspraxis und den an sie gestellten gesellschaftlichen normativen Erwartungen ab, der seine Fortsetzung in der Synthetischen Biologie in einem „Teufelskreis des Gotteshandwerks“ (Schummer, 2011, S. 201) findet, in dem die reflexhaften Kommentare und Reaktionen von den wissenschaftsjournalistischen Medien aber auch der ethischen Begleitforschung zum Gottspielen in der Synthetischen Biologie – insbesondere bei Venters Arbeiten – dazu beitragen, dass sich auch die Wissenschaftspraxis auf genau dieses Topos der selbstzweckhaften Lebensherstellung einlässt, um Aufmerksamkeit und vermeintliche gesellschaftliche, ethische Relevanz zu generieren. (Vgl. auch Dabrock, 2009) Ausgehend von der Grundannahme, „dass Wissenschaft und Öffentlichkeit in einem komplexen Wechselwirkungsverhältnis stehen“, entwickelt Schummer die These, „dass die öffentliche Kritik, die Forscher spielten Gott, eine Wissenschaft provoziert, die genau diese öffentliche Vorwürfe herausfordert, indem sie sich auf die Erzeugung von Leben konzentriert. Die Wissenschaft und ihre öffentliche Kritik verstärken sich in einem gemeinsamen Irrlauf somit gegenseitig“. (Schummer, 2011, S. 160) Auch in diesem Teufelskreis medialer Aufmerksamkeitsgenerierung und moralischer Empörung spielen Metaphern eine zentrale Rolle. Die unreflektierte bzw. diskursstrategische Verwendung von Metaphern wie „Playing God“, so etwa Heinemann, deute auf ein auch in ethischer Hinsicht problematisches Selbstverständnis der Synthetischen Biologie hin und verweise auf die Wissenschaft und ihre Protagonisten – wie auch auf ihre Kritiker – zurück. „Denn sie geraten unter Verdacht, entweder nicht fähig oder nicht willens zu sein, ihr eigenes Handlungsfeld rational angemessen einzuordnen.“ (Heinemann, 2015, S. 248) Zumindest finden sich derzeit wenige Metaphern innerhalb der Debatte wieder, die diesen Eindruck nicht verstärken würden und eher die Sorge vor Selbstüberschätzung und Fehlinformation nähren als ein adäquates Bild der tatsächlichen Forschungsrealität wiederzugeben und Vertrauen in eine verantwortungsvolle und am gesamtgesellschaftlichen Wohl interessierten Wissenschaft aufzubauen. Hierzu noch einmal Heinemann: „Für die Gesellschaft ist weder die Vorstellung akzeptabel, dass selbsternannte Götter, noch dazu spielende, die allen Menschen gemehr andere Motive und Hintergründe für das moralische Unbehagen gegen über den modernen Lebenswissenschaften und Biotechnologien zu suchen sind. (Falkner, 2015a)
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gebene und vorgefundene Natur nach ihren Vorstellungen gestalten, noch kann die reduktionistische Vorstellung vom Menschen, auch vom Forscher, als einer allenfalls Techniklogik verpflichteten living machine diesbezüglich beruhigen.“ (Ebd.) Gerade neue Wissenschaftsfelder, so Heinemann weiter, stünden also in der Pflicht, sich der Grenzen und Notwendigkeiten verantwortungsvoller Forschung zu vergewissern und „auf dieser Grundlage ein ethisch angemessenes Selbstverständnis zu entwickeln, das hinreichend kommuniziert werden muss.“ (Heinemann, 2015, S. 249) Ein solches Selbstverständnis beinhaltet dann nicht nur ein bestimmtes Verhältnis zum Leben als Objekt und Bezugspunkt wissenschaftlich-technischer Praxis, welches den Wandel der Handlungsformen und epistemischen Tugenden innerhalb der Biound Lebenswissenschaften berücksichtigt, sondern eben auch das Bewusstsein darüber, dass dies eine beschränkte und relative Sicht auf das Leben ist und im Kontext lebensweltlicher und normativ aufgeladener Lebensvorstellungen steht.3 Gesellschaft ist der Wissenschaft nicht äußerlich, sondern steht mit dieser in einem wechselseitigen Verantwortung- und Vertrauensverhältnis, welches von beiden Seiten immer wieder hergestellt und neu verhandelt werden muss. „Die Vertrauenswürdigkeit von Wissenschaft und Forschung“, so Voigt, „bewährt sich [...] in der Bereitschaft und der Fähigkeit, prospektiv die Fragen der Wissenschaftsfolgen und Wissenschaftsverantwortung wahrzunehmen und in das eigene Forschungshandeln zu integrieren.“ (Voigt, 2017, S. 13f.) Dies beinhaltet auch und in besonderer Weise einen ethisch vertretbaren Umgang mit Metaphern in der Öffentlichkeit, in welchem die langfristigen Folgen und Implikationen im gesellschaftlichen Diskurs bedacht werden. Denn, so Kovács, „Objektivität und Vertrauen stehen auf dem Spiel.“ (Kovács, 2009, S. 215) Das ange-
3 Diesem Wandel der handlungsorientierenden Paradigmen und Leitbilder ent spricht nun aber kein ausformuliertes, gewandeltes Berufsethos, welches in den für die Synthetische Biologie spezifischen Fragen Verantwortungszuschreibung und -wahrnehmung erlauben und die konkrete Forschungspraxis in ihrem wis senschaftlichen und sozialen Sinn erklären, einordnen und gegenüber gesell schaftlichen Ansprüchen und Anfragen rechtfertigen würde. Es fehlt ein Selbst verständnis und „Berufsbild“ des:der Synthetischen Biologen:in, welches sich auch in institutionellen Ordnungen, Ausbildungsstrukturen und der identifizie renden Selbstverpflichtung der einzelnen Wissenschaftler:innen widerspiegeln würde. Einen Vorschlag zur „Professionalization as a governance strategy for synthetic biology“ machen etwa Weir und Selgelied. (Weir & Selgelid, 2009)
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sprochene Verantwortungs- und Vertrauensverhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft soll im Folgenden noch einmal ausführlicher aufgegriffen werden und zum Anlass einiger zusammenfassender Gedanken zum Beitrag der erarbeiteten und durchgeführten Methode der metaphorologischen Perspektivierung und reflexiven Metaphorologisierung und zur Position und Aufgabe der Ethik im Kontext biotechnologischer und lebenswissenschaftlicher Entwicklungen dienen. Ausgangspunkt hierfür ist einmal mehr das Modell des Streits um die Wahrheit.
4.3 Metapherntheorie als Ethiktheorie? Werden die in der Biologie geführte Debatte um den Lebensbegriff und die Frage „Was ist Leben?“ als ein Streit um die Wahrheit betrachtet, dann geht es dabei neben der Frage nach den angemessenen und adäquaten Begriffen, in denen wir über das Leben sprechen, auch um unser hintergründiges Verständnis von Wahrheit und die konstituierenden Regeln, mit denen wir grundlegende Unterscheidung wie die von wahr und falsch oder eben lebendig und nicht lebendig treffen können. Damit geht es auch um die epistemischen und ethischen Grundlagen von Wissenschaft. Im modernen Verständnis kann Wissenschaft als die methodisch geleitete Suche nach Wahrheit und Erkenntnis beschrieben werden und hat als solche zum institutionellen Ziel die „Erweiterung abgesicherten Wissens“. (Merton, 1985, S. 89) Die Voraussetzung und Bedingung für ein solches Verständnis von Wissenschaft sind in erster Linie die Prinzipien der Unabhängigkeit, Rationalität und Überprüfbarkeit der wissenschaftlichen Methoden und Ergebnisse, welche sich im Laufe der wissenschaftshistorischen Entwicklung und dem Kampf der nova scientia um Autarkie, also gegen politische Intervention und das Programm einer Finalisierung der Wissenschaft entwickelt und durchgesetzt haben. Es hat sich so ein ein eigenständiges, wissenschaftliches Ethos herausgebildet, um die normative Struktur von Wissenschaft und ihren epistemischen Kern nach innen und außen abzusichern und institutionell zu verankern.4 (Vgl. Nida-Rümelin, 4 Dieses Ethos umfasst nach Robert K. Merton (1985) die Normen des Universa lismus, des Kommunismus, der Uneigennützigkeit und des organisierten Skepti zismus.
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2005b, S. 835–842) Auch wenn dieses Ethos seinen Ursprung im Streit um die Wissenschaftsfreiheit und Unabhängigkeit der Forschung hat, bedeutet dies nicht, dass die Wissenschaft außerhalb von Gesellschaft und ihren moralischen Maßstäben stehen würde. Die technische Kultur moderner Industriegesellschaften ist auf Wissenschaft und Technik gegründet und somit im zunehmenden Maße von ihr abhängig. (Vgl. Mittelstraß, 1982) Zugleich kann wissenschaftliches Handeln seinen Sinn nicht aus sich selbst heraus, sondern nur im Zusammenhang gesellschaftlicher Wertzuschreibungen erfahren. So ergibt sich das Bild eines Verantwortungs- und Vertrauensverhältnisses zwischen Gesellschaft und Wissenschaft. Wissenschaftliche Praxis muss, ohne sie auf einen rein äußerlichen Zweck oder Nutzen zurückzuführen, mit einem der Wissenschaft übergeordneten, gesellschaftlichen Sinn vermittelt werden. Das bedeutet eine Einbettung wissenschaftlichen Handelns in das gesellschaftliche Ethos, d. i. die geteilten Vorstellungen und Regeln eines guten, gelungenen Zusammenlebens, aus denen sich auch Erwartungen und Aufgaben an die Wissenschaft als Teil dieses Zusammenhangs ergeben. Wissenschaft als gesellschaftliches Subsystem von Expert:innen erfährt Legitimation, Freiheit und Unabhängigkeit als Vertrauensvorschuss, indem Forschung und Ausbildung unter anderem politisch und finanziell ermöglicht und getragen werden. Dieses Vertrauen muss durch verantwortliches Handeln bestätigt werden, denn „verantwortliches Handeln sichert das Vertrauen, das seinerseits Garant der Forschungsfreiheit ist“. (Markl, 1991, S. 52) In einem solchen grundlegenden Vertrauens- und Verantwortungsverhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft stellen die Orientierung auf Wahrheit und die institutionalisierten Formen, Verfahren und Methoden der Wahrheitssuche das verbindende und vermittelnde Moment dar. Wissenschaftsfreiheit und politische Freiheit hängen somit unmittelbar und reziprok zusammen. Özmen nennt hierzu Freiheit und Autonomie, Öffentlichkeit und Über prüfbarkeit, Gerechtigkeit und Objektivität als die konstitutiven Begriffe des Zusammenhangs und der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den institutionellen Formen des wissenschaftlichen Ethos und den politischen Formen der demokratischen Deliberation. (Özmen, 2012, S. 126–132) Freie Wissenschaft ist daher auf bestimmte Formen der politischen Ordnung angewiesen. Hierzu auch Merton: „Die besten Entwicklungsmöglichkeiten hat die Wissenschaft in einer demokratischen Ordnung, die das Ethos der Wissenschaft https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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integriert hat“. (Merton, 1985, S. 89) Ebenso ist allerdings eine deliberative und demokratisch verfasste Gesellschaft auf die epistemischen Tugenden wissenschaftlicher Rationalität verwiesen, die sich in der Freiheit des Denkens, der Erkenntnissuche und der öffentlichen Meinungsbildung äußern. Diese sind nach Özmen eine Gelingensbedingung für die demokratische Willens- und Entscheidungsbildung. Werden diese eingeschränkt und „die Freiheit zu denken und zu wissen Dogmen unterworfen, die freie und öffentliche Prüfung und Korrektur von Meinungen untersagt, der Wirklichkeitsbezug und Realitätssinn der Bürger in ideologische Schranken gewiesen [...], dann ist nicht nur das demokratische Ethos verletzt, sondern auch das Ethos wissenschaftlicher Rationalität“. (Özmen, 2012, S. 127) Gesellschaftliches Ethos und wissenschaftliches Ethos sind über den Wahrheitsbezug aufeinander verwiesen und müssen immer wieder und gegen den Widerstand dogmatischer Vereinnahmungen und ideologische Festsetzungen neu ins Verhältnis zueinander gesetzt werden. Das Vertrauens- und Verantwortungsverhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft ist daher ein dynamischer und unabgeschlossener Prozess im Sinne des Streits um die Wahrheit und steht gleichermaßen unter dessen Gelingensbedingungen des Perspektivenpluralismus und der hermeneutischen Offenheit. Die an den Anspruch der Lebensherstellung im Kontext der Synthetischen Biologie herangetragenen Bedenken und Äußerungen von moralischem Unbehagen können vor dem Hintergrund des oben dargestellten Zusammenhangs auch als Ausdruck der Irritation und des Misstrauens in jenes Verantwortungs- und Vertrauensverhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft gedeutet werden. Der Vorwurf menschlicher Hybris, wie er sich etwa in „Playing God“ äußert, verweist auf ein fraglich gewordenes Ethos einer Forschungsrichtung, deren Praxis, zumindest in der Art und Weise, in der sie an die Öffentlichkeit kommuniziert wird, offenbar nicht mehr mit den gesellschaftlichen, ethischen Erwartungen an die Biologie als „Wissenschaft des Lebens“ übereinstimmen. Eine deskriptiv und hermeneutisch verfahrende ethische Begleitforschung hat neben den konkreten Handlungskonflikten, die sich in der Forschungspraxis im Rahmen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen ergeben können, auch diese wissenschaftsethische Dimension zum Gegenstand ihrer Reflexions- und Vermittlungsarbeit. In einem solchen Verständnis von ethischer Begleitforschung können Metaphern bzw. die Verwendung von Metaphern hinsichtlich ihrer Perspektiven darstellenden und eröffnenden Funktion sowohl als https://doi.org/10.5771/9783495825211 .
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Gegenstand als auch als Instrument der ethischen Kritik angesehen werden. Wird die gegenwärtige Debatte um den Lebensbegriff in der Synthetischen Biologie in dieser Weise betrachtet, bewahrt der perspektivenpluralistische Ansatz davor, in einseitige Lösungsversuche, pauschalisierende Urteile oder totalitäre Wahrheitsansprüche zu verfallen. Denn weder ist die technische Konstruktion von Leben per se gut oder schlecht noch wird die Synthetische Biologie die Frage nach dem Leben eine für alle mal beantworten können. Ein Blick auf den historischen Streit um den Lebensbegriff in der Biologie, wie er anhand der Positionen des Mechanismus und Vitalismus skizziert wurde, zeigt, dass es gerade die Begrenzung und Relativität sowie die wechselseitige Ergänzung sich vermeintlich ausschließender Positionen ist, die den Forschungsprozess vorantreiben, neue Perspektiven eröffnen und neue Metaphern finden lassen, in denen das vielschichtige und komplexe Phänomen Leben beschrieben werden kann. So schreibt etwa auch Witt: „Ähnlich wie sich bereits in der Vergangenheit die Mechanik und die Maschinentheorie des Lebens, die Architektur und der Strukturalismus, die Kybernetik und die Systemtheorien des Lebens gegenseitig beeinflussten, werden sich nun auch durch das Zusammenwirken von Informationstechnologie und synthetischer Biologie neue Aspekte der Forschung und neue Perspektiven auf das Leben ergeben. Denn eines lässt sich aus der bisherigen Biologiegeschichte deutlich ablesen: je komplexer die Artefakte als Produkte unseres teleologischen Handelns werden, desto umfassendere Bilder finden wir, um uns der Funktionsweise der Lebewesen als ‚Naturzwecken‘ beschreibend anzunähern.“ (Witt, 2012, S. 233) Am Beispiel der ethischen Debatte um die Synthetischen Biologie zeigt sich, dass weder utopische Heilsversprechen noch dystopische Schreckensszenarien den eigentlichen ethischen Kern der Sache berühren, sondern im Gegenteil, eine differenzierte Beschreibung der tatsächlichen Forschungspraxis eher verhindern und die bestehenden Fronten der pauschalen Befürwortung oder Ablehnung neuer biotechnologischer Entwicklungen verhärten. Mit dem vorliegenden Vorschlag einer Metapherntheorie als Ethiktheorie und der Methode der metaphorologischen Perspektivierung soll daher auch zur Versachlichung und differenzierten Auseinandersetzung mit den ethischen Debatten um die Bio- und Lebenswissenschaften beigetragen und Instrumente und Methoden einer hermeneutischpragmatisch orientierten Ethik bereitgestellt werden.
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