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German Pages 166 Year 2017
INGO VON MÜNCH
Meinungsfreiheit gegen Political Correctness
Duncker & Humblot · Berlin
Ingo von Münch Meinungsfreiheit gegen Political Correctness
Meinungsfreiheit gegen Political Correctness
Von
Ingo von Münch
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlag: Max Pfeiffer Watenphul, Römischer Kopf (1932) (© 2017 Alessandra Pasqualucci, Rom, Foto: Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin) Alle Rechte vorbehalten
© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISBN 978-3-428-15268-1 (Print) ISBN 978-3-428-55268-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85268-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Vieles, was aus den USA zu uns gekommen ist, möchten wir – insbesondere auch die jungen Menschen – nicht missen. Entbehren könnte unsere Gesellschaft allerdings das, was sich mit der Erscheinung der „Political Correctness“ verbindet. „Mit dem Begriff der politischen Korrektheit wurden deutsche Leser vor einem Vierteljahrhundert durch launige Korrespondentenberichte aus den Vereinigten Staaten vertraut“, schreibt Patrick Bahners in seiner Rezension des Buches von Carolin Emcke „Gegen den Hass“. Als launig konnte man in der Tat gewisse der Politischen Korrektheit geschuldete Wortschöpfungen nennen, wie z. B. „Weihnachtsperson“ statt „Weihnachtsmann“ oder „Wasserhuhn“ statt „Wasserhahn“. Im Laufe der Zeit ist jedoch aus Wortspielen Ernst geworden. Längst geht es nicht mehr nur um sog. Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache, sondern um eine von Teilen der Öffentlichkeit als richtig vorgeschriebene Gesinnung in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen. Keiner dieser Bereiche, sei es Politik, Religion, Kultur, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft, Werbung oder anderes ist vom Zugriff der Political Correctness ausgenommen. Die naturgegebene Verbindung von Sprache und Denken führt dazu, dass die Sprachpolizei zur Denkpolizei wird. Als selbsternannte Sprach- und Denkpolizisten agieren die verschiedensten Gruppen. Der britische Historiker Timothy Garton Ash sieht in diesem Zusammenhang eine „Tyrannei des Gruppenveto“: „In unserer zunehmend durchmischten, multikulturellen Welt existieren so viele Gruppen, die so viele verschiedene Dinge so besonders wichtig nehmen… Man vereinige alle ihre Tabus und man erhält eine gewaltige Herde heiliger Kühe. Nun lasse man den verschreckten Kindermädchenstaat all diese Tabus in neue Gesetze oder bürokratische Verbote einschließen und heraus kommt ein drastischer Verlust an Freiheit.“ Timothy Garton Ash steht mit dieser Feststellung nicht allein. Unter der Überschrift „Sei still, ich bin beleidigt“ und der Zwischenüberschrift „Gekränktheit wird zur politischen Ressource“ schreibt Jens Jessen in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“: „Die Macht
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Vorwort
liegt nicht mehr notwendig bei der Mehrheit. Die Macht liegt bei der Gruppe, die ein Sprechverbot und eine Meinungszensur durchsetzen kann.“ „Sprechverbot“ und „Meinungszensur“ sind gravierende Worte. Wer irrig meint, sie seien übertrieben, der sei an die Richtlinie des Pressekodex erinnert, die das Verschweigen der Herkunft von Straftätern prinzipiell vorschreibt, an die zögerliche Berichterstattung über die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht durch die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten (was nicht zuletzt auch zu einem Ansehensverlust der Medien führte), an die Verhüllung von Aktbildern in öffentlichen Gebäuden wegen Rücksichtnahme auf Muslime, an den häufigen Gebrauch der Faschismuskeule, der Rassismuskeule und der Nazikeule und an vieles andere mehr. Jedenfalls kann man es nicht anders als erschreckend nennen, wenn in einer Repräsentativumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach schon im Jahre 2013 rd. 30 Prozent der Befragten meinten, man müsse, wenn man in Deutschland seine Meinung frei äußern wolle, „besser vorsichtig sein“. Die Erfahrung lehrt: Auch gefühlte Gefahr ist Gefahr. Nachdenkenswert ist schließlich auch die Äußerung, die eine in der Zeit der DDR dort lebende Wissenschaftlerin, die zahlreiche Beiträge zum Leben unter dem SED-Regime veröffentlich hat, mir zum Thema Political Correctness schrieb: „Wenn wir zu DDR-Zeiten die vorgegebenen Sprüche nicht nachbeten wollten, kam der Vorwurf ,Kein fester Klassenstandpunkt‘, und wer heute nicht der ,political correctness‘ folgt, ist schnell ein Rechtsradikaler. Wo ist eigentlich der Unterschied?“ Die Gralshüter der Political Correctness verkennen im Übrigen, worauf Iris Radisch unter der Überschrift „Im Dauergequassel der Gegenwart regieren Denkverbote und ein diffuses Klima der zwanghaften Selbstbegeisterung“ zutreffend hingewiesen hat, dass „das rastlose Ersetzen missliebiger Begriffe durch vermeintlich korrektere offenbar mit dem linguistischen Voodooglauben einhergeht, die realen Missstände auf diesem Wege ebenfalls zum Verschwinden zu bringen“. Jürgen Habermas fordert den herrschaftsfreien Diskurs – wo bleibt der herrschaftsfreie Diskurs unter der volkspädagogischen Herrschaft der Political Correctness? Vor allem aber: Wo bleibt das nicht beliebige und nicht einfach disponible Grundgesetz mit seinem Artikel 5 Absatz 1: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen
Vorwort
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ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“? Die Verfassung gilt – oder? Die Textverarbeitung lag in den unermüdlichen und aufmerksamen Händen von Herta Braunstein. Für Hilfe bei der Literaturrecherche danke ich Katharina Schuwalski. Die Verantwortung für den Inhalt liegt beim Autor. Hamburg, im Sommer 2017
Ingo von Münch
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Was bedeutet „Political Correctness“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 C. Gibt es eine Leitkultur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 D. Political Correctness und Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 E. Informationsfreiheit: Die Silvesternacht in Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 F. Verschweigen der Herkunft der Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 G. Herrschaft über die Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 H. Ausgrenzung von abweichenden Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Die Faschismuskeule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 J. Die Rassismuskeule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 K. Die Nazikeule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 L. Debattenkultur gegen Unkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 M. Hass-Spirale ohne Ende? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 N. Hetzer am Pranger: „Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“ . . . . . . . . . 100 O. Populismus – eine Worthülse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 P. Die Verantwortung der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Q. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
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Inhaltsverzeichnis
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Abkürzungen BamS DÖV DVBl FAS FAZ GG HA JF MHR NVwZ NZZ OBS OVG PAZ StPO SZ TAZ VG ZMR
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A. Einführung Als die Kanzlerin mit ihrem berühmt gewordenen Satz „Wir schaffen das“ die Grenzen Deutschlands faktisch öffnete, begann das, was man – je nach Standpunkt des Betrachters – als „Flüchtlingschaos“ oder als „Flüchtlingskrise“ oder aber – in politisch korrekter Sprache – als „Flüchtlingsproblem“ oder als „Flüchtlingsfrage“ bezeichnen kann. Tatsache ist: Mit den Menschen kamen Fragen, z. B.: Konnte die Kanzlerin ohne gesetzliche Grundlage oder auch nur ohne einen Parlamentsbeschluss die Grenzen öffnen?1 Welche Rolle spielen Staatsgrenzen in einer globalisierten Welt? Lässt sich das Abkommen von Schengen mit seiner Abschaffung der Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union halten? Sind die Befürchtungen der Wirtschaftsverbände hinsichtlich wirtschaftlicher Verluste bei Einführung von Grenzkontrollen begründet?2 Wird der von der Bundesagentur für Arbeit festgestellte Anstieg der Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge sich fortsetzen?3 Sollen Obergrenzen für die Zuwanderung eingeführt werden? Ist die Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft realistisch, dass die Kosten für die in die Bundesrepublik Zugewanderten und noch zu erwartenden Zuwanderer sich auf 50 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren belaufen werden, und welches sind überhaupt die ökonomischen Effekte der Migration?4 Kann man andere 1 Zum geforderten Rechtsstaat s. Otto Depenheuer / Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise. Zwischen gutem Willen und geltendem Recht, Paderborn 2016. 2 S. den Bericht Ifo-Chef Sinn tritt für Grenzkontrollen ein. „Horrorzahlen“ der Wirtschaftsverbände zu ökonomischem Schaden unglaubhaft, in: FAZ Nr. 52 v. 02. 03. 2016, S. 15. 3 Bericht Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge steigt deutlich, in: FAZ Nr. 52 v. 02. 03. 2016, S. 15. 4 Dazu Hans-Werner Sinn, Ökonomische Effekte der Migration, in: FAZ Nr. 301 v. 29. 12. 2014, S. 18; s. auch Marc Engelhardt (Hrsg.), Die Flüchtlingsrevolution. Wie die neue Völkerwanderung die ganze Welt verändert, München 2016; Joachim Wieland, Flüchtlinge als Herausforderung für die Finanzverfassung, DÖV 2017, S. 9 ff.
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A. Einführung
Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht solidarisch erweisen, zur Aufnahme zwingen? Warum werden die arabischen Staaten, die – abgesehen von Jordanien und dem Libanon – bisher keine Flüchtlinge aufnehmen, nicht aufgefordert dies zu tun, zumal es sich bei den Flüchtlingen ja vor allem um muslimische Glaubensbrüder und -schwestern handelt? Und warum bleibt Russland außen vor, wo doch seine Luftangriffe zur Fluchtbewegung jedenfalls in Syrien nicht unerheblich beigetragen haben? Erlaubt das Grundgesetz, das in Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie „unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ stellt, den Familiennachzug von Flüchtlingen für zwei Jahre auszusetzen?5 Wenn für bereits sich in der Bundesrepublik aufhaltende Minderjährige mit sog. subsidiärem Schutzstatus ohne elterliche Begleitung die Beschränkung des Familiennachzuges aufgehoben wird („70.000 unbegleitete Minderjährige geistern derzeit durchs Land“6) – ist dies nicht ein Anreiz für Eltern, ihre Kinder unbegleitet auf eine nicht ungefährliche Reise zu schicken? Wie viele Jahre dauert es, um 800.000 oder auch nur 500.000 oder selbst nur 100.000 abgewiesene Asylbewerber in ihre Heimatländer zurückzuschicken (falls diese Länder zur Wiederaufnahme überhaupt bereit sind) und wie viele Flugzeuge bräuchte man dafür?7 Kann man davon ausgehen, dass Flüchtlinge aus Syrien, wenn sie in Deutschland integriert sind (was ja gewünscht und erwartet wird), jemals wieder in ihr zerstörtes Land zurückkehren 5 S. den Bericht Koalition muss über zweites Asylpaket nachdenken. Für wen wird der Familiennachzug ausgesetzt?, in: FAZ Nr. 32 v. 08. 02. 2016, S. 4. 6 Hans-Hermann Tiedje, Deutschland zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Abschied von Merkels Willkommenskultur, in: NZZ v. 10. 03. 2016, S. 12. Dazu auch ausführlich Ulrike Heidenreich, Das Rätsel der vermissten Kinder. Tausende minderjährige Flüchtlinge sind laut Polizei-Statistik spurlos verschwunden. Europa-Abgeordnete befürchten, dass einige Opfer von Verbrechen wurden und fordern nun Aufklärung, in: SZ Nr. 73 v. 30. 03. 2016, S. 5; Eckart Lohse, Mehrfach vermisst. Minderjährige Flüchtlinge und Tücken der Statistik, in: FAZ Nr. 85 v. 12. 04. 2016, S. 2. 7 Dazu Rudolf Adam, Was zu schaffen ist. Plädoyer für eine Flüchtlingspolitik ohne Wunschdenken, in: SZ Nr. 79 v. 30. 03. 2016, S. 2: „Kommen pro Jahr eine Million Menschen, müssten 500.000 abgeschoben werden. Das sind pro Tag vier Jumbojets.“ Siehe auch Frank Horns, Der humane Irrsinn. Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber verweigern die Ausreise – die Behörden reagieren völlig hilflos, in: PAZ Nr. 33 v. 19. 08. 2016, S. 3.
A. Einführung
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werden? Schließlich die banal klingende, aber in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland nicht unwichtige Frage: Unter welchen Voraussetzungen können – ohne spezielle gesetzliche Grundlage – private Grundstücke und Wohnungen zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt werden – eine Frage, die vom Verwaltungsgericht Lüneburg und vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg in Beschlüssen von 2015 m. E. zutreffend negativ entschieden worden ist.8 Alles dies sind drängende und wichtige Fragen.9 Ich werde diese Fragen im Folgenden aber nicht behandeln; denn: ich bin kein Prophet; ich bin kein Politiker; ich bin kein Spezialist für Asylrecht. Als Wissenschaftler habe ich gelernt, mich nur zu solchen Fragen zu äußern, mit denen ich mich vorher gründlich befasst habe. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung war bereits Gegenstand meiner im Jahre 1957 von mir verfassten Doktorarbeit10 und später einer – inzwischen in jüngere Hände gelegten – Kommentierung in dem „Gelben Kommentar“ zum Grundgesetz.11 Seitdem hat das Thema Meinungsfreiheit mich nicht mehr losgelassen – vielleicht auch deshalb, weil ich 8
VG Lüneburg Beschluss v. 09. 10. 2015, in: ZMR 2015, S. 907 ff.; OVG Lüneburg Beschlüsse v. 13. 10. 2015 und 01. 12. 2015, in: ZMR 2015, S. 992 f. und ZMR 2016, S. 70 ff. – Besprechung der Beschlüsse bei Meike Klüver, Die Beschlagnahmeverfügung von Wohnraum für Flüchtlinge, in: ZMR 2016, S. 1 ff.; Anmerkung zum Beschluss des OVG Lüneburg vom 01. 12. 2016 in: NVwZ 2016, S. 168 f. – Eine spezielle gesetzliche Grundlage für die „Sicherstellung“ von privaten Gebäuden zur Unterbringung von Flüchtlingen hat Hamburg mit dem „Gesetz zur Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen“ vom 02. 10. 2015 geschaffen; s. dazu Christoph Eisenring, Deutsche „Willkommenskultur“ in Nöten. Beschlagnahmung von Gewerbeliegenschaften zur Unterbringung von Asylbewerbern, in: NZZ v. 03. 10. 2015, S. 33. 9 Umfassende Darstellung rechtlicher und politischer Fragen in: Otto Depenheuer / Christoph Grabenwarter (Anm. 1); s. auch Uwe-Dietmar Berlit, Flüchtlingsrecht in Zeiten der Krise. Grenzen und Möglichkeiten der Steuerung von Fluchtmigration und ihrer Folgen durch Recht, Baden-Baden 2017; Arnd Uhle (Hrsg.), Migration und Integration – Die Migrationskrise als Herausforderung des Rechts, Berlin 2017. 10 Ingo von Münch, Freie Meinungsäußerung und besonderes Gewaltverhältnis, Diss. Frankfurt am Main 1957 (ohne Verlag). – Neuere Darstellung (auch rechtsvergleichend): Thomas Möller, Der grundrechtliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit in Deutschland, England und den USA, Baden-Baden 2016. 11 Zuletzt: Rudolf Wendt, Art. 5, in: Ingo von Münch / Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. München 2012.
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A. Einführung
(Jahrgang 1932) die NS-Zeit noch sehr bewusst miterlebt habe – mit allen ihren Instrumenten der Unterdrückung und Bestrafung freier Meinungsäußerungen. Was gab es nicht alles an diesbezüglichen Instrumenten: „Reichsschrifttumskammer“; „Schriftleitergesetz“; „Sprachregelungen“; „entartete Kunst“; Bestrafung wegen „Wehrkraftzersetzung“; schließlich auch „der deutsche Blick“ – der Sprechende schaute sich um, ob jemand, der nicht mithören sollte, in der Nähe war: Schon das Weitererzählen eines Flüsterwitzes konnte zu tödlicher Gefahr werden. Die Erfahrung aus dieser Zeit kann nur sein: Nie wieder in einem Land leben, in dem Meinungsäußerungen, gleichgültig ob sie richtig oder falsch sind, unterdrückt oder auch nur gegängelt werden, von wem auch immer. Damit sind wir direkt beim Thema „Meinungsfreiheit gegen Political Correctness“.
B. Was bedeutet „Political Correctness“? Was ist und was bedeutet „Political Correctness“? Wörtlich übersetzt meint „Political Correctness“: „politische Korrektheit“ oder „politische Richtigkeit“. So eng gesehen könnte der Gebrauch von „Political Correctness“ eigentlich keine Probleme bereiten. Ernster wird die Sache dann, wenn die politische Korrektheit von einer politischen Seite vorgegeben, also quasi autoritativ angeordnet wird und mit einer – vorgeblich richtigen – Gesinnung verbunden wird. Die zutreffende Umschreibung im Duden lautet demgemäß: Political Correctness ist die „von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig angesehene Gesinnung“.1 Diese – in die Richtung einer Gesinnungsdiktatur laufende, jedenfalls problematische – Political Correctness kann sich in der Praxis bemerkbar machen durch Reden oder Schweigen, durch Worte oder Handlungen, durch Beschönigen oder Verdammen, durch Aufwerten oder Abwerten. Beispiele für die Existenz der Political Correctness gibt es zuhauf. Die auf die Zahl der Flüchtlinge gemünzte Meinung „das Boot ist voll“ wäre mit Sicherheit politisch inkorrekt. Schon der Ausdruck „Flüchtlinge“ wird kritisiert, weil er nicht kultursensibel genug sei – es müsse stattdessen „Geflüchtete“ heißen.2 Die in der Nahrungsmittelbranche früher geläufigen Ausdrücke „Mohrenkopf“ und „Zigeunerschnitzel“ sind inzwischen tabu. Für die Bezeichnung „Mohrenkopf“ ist als politisch korrekter Ausdruck vorgeschlagen worden: „Mit Schokolade überzogenes Schaumgebäck mit Migrationshintergrund“.3 Stiefmutter
1 Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache. Band 1, 21. Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien 1996. 2 So Oleg Myrzak (Die Linke), zit. bei Matthias Bäkermann, „Asylant geht gar nicht“, in: JF Nr. 25/16 v. 17. 06. 2016, S. 2. – Auch der Ausdruck „Schutzbefohlene“ ist vorgeschlagen worden. 3 Zit. bei Gunnar Jauch, „Pädophilie und Mohrenkopf“ (Leserbrief), in: NZZ Nr. 98 v. 29. 04. 2014, S. 20.
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B. Was bedeutet „Political Correctness“?
und Stiefvater sollen nun „Bonuseltern“ heißen.4 In Berlin ist das Wort „Lehrer“ an Schulen ersetzt durch das Wort „Lernbegleiter“.5 Ebenfalls aus Berlin – nämlich aus seinen Erfahrungen als Bezirksbürgermeister von Neukölln – berichtet Heinz Buschkowsky über politisch korrekte Begriffsverrenkungen, die Probleme unkenntlich machen, z. B. wenn soziale Brennpunkte umbenannt werden in „Gebiete mit erhöhtem Aufmerksamkeitsbedarf“ und Schulschwänzer als „schuldistanziert“ bezeichnet werden.6 Die Genderwelle schwemmt vertraute Ausdrücke weg. Ein dazu kritischer Artikel im „Spiegel“ trägt die Überschrift „Die Polizei, deine Freundin“ (also nicht mehr „Dein Freund und Helfer“) und die Unterzeilen: „Geschlechtergerechtes Blähdeutsch breitet sich in Amtsstuben, Sportclubs und Klassenzimmern aus. An Unis lehrt Herr ,Dozentin‘. Verfällt die Republik dem grammatischen Irrsinn?“.7 Die Putzfrau putzt zwar immer noch überall, aber sie ist nun „Raumpflegerin“; Lehrlinge sind heute „Auszubildende“ – mit solcher Sprachkosmetik kann man gewiss leben. An Weihnachten werden Kinder sich auch dann noch erfreuen, wenn der Weihnachtsmann in „Weihnachtsperson“ umbenannt worden ist. Aber was soll man davon halten, wenn ein früherer Bundespräsident, nämlich Richard von Weizsäcker, die brutale Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten als „erzwungene Wanderschaft“ herunterspielte (soll man womöglich denken an das Lied: „Das Wandern ist des Müllers Lust“?). Anders als mit einem Kniefall vor der Political Correctness ist diese abwegige Beurteilung seitens des damaligen Bundespräsidenten nicht zu erklären. Schlechte Beispiele verderben die Sitten: Die von Richard von Weizsäcker erwähnte „Wanderschaft“ wird nachgeplappert, wenn ein Journalist in Bezug auf Flucht und 4 Zit. bei Karlheinz Weissmann, Gegen Aufklärung, in: JF Nr. 8/16 v. 19. 02. 2016, S. 15. 5 Zit. von Katja Osterkamp, Erlebnisorientierte Langeweile, in: Die Weltwoche Nr. 05.16, S. 20. 6 Heinz Buschkowsky, Die andere Gesellschaft, Berlin 2014; dazu Regina Mönch, Viel zu viele haben schon verloren. Wenn Salafisten das Händeschütteln als Sünde ablehnen: Heinz Buschkowsky berichtet aus Berlin, wie die soziale Integrationskraft schwindet, in: FAZ Nr. 230 v. 04. 10. 2014, S. L 23 (Rezension). 7 In: Der Spiegel Nr. 13/2014, S. 124 f.
B. Was bedeutet „Political Correctness“?
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Vertreibung von „der durch den Krieg hervorgerufenen Völkerwanderung von Ost nach West“ schreibt8, oder – noch schlimmer – wenn formuliert wird: „nur Deutsche, Polen und Tschechen hat man ethnisch entflochten; um welchen Preis ist bekannt“.9 Mit „entflochten“ ist die Sprache der Political Correctness nicht mehr weit entfernt vom Sprachgebrauch der Täter: „Die Täter nannten es Aussiedlung. Vor 70 Jahren wurden die Ungarndeutschen aus Ihrer angestammten Heimat vertrieben.“10
8 So Jörg Bremer, Kirche in Bewegung, in: FAZ v. 27. 04. 2014, www.faz.net. 9 Gustav Seibt, Putin, Napoleon und die anderen Mussolinis. Vom Nutzen und Nachteil historischer Vergleiche, in: SZ Nr. 79 v. 04. 04. 2014, S. 11. 10 Überschrift des Beitrages von Reynke de Vos, in: PAZ Nr. 13 v. 01. 04. 2016, S. 10.
C. Gibt es eine Leitkultur? Wie ist es zu beurteilen, wenn bestimmte Vorstellungen oder Ereignisse abgelehnt oder umgedeutet werden? Abgelehnt wird von den Vertretern der Political Correctness z. B. die Vorstellung einer in Deutschland anzuerkennenden Leitkultur1, einem Begriff, als dessen Schöpfer der in Damaskus geborene, in Göttingen lehrende Prof. Bassam Tibi gilt2. Friedrich Merz von der CDU hatte sich den Begriff zu Eigen gemacht, was zu Widerspruch führte, z. B. aus Kreisen der jüdischen Gemeinde.3 So forderte der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Salomon Korn, die Union auf, das Wort zu streichen, weil dieser „unselige“ Begriff unzulässigerweise Kultur mit Volkszugehörigkeit verbinde. Michel Friedman warnte vor der weiteren Verwendung des Begriffes, denn dieser sei und bleibe gefährlich – egal wie man ihn im Nachhinein interpretiere. Die schärfste Kritik kam vom damaligen Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, der auf einer Demonstration am 9. November 2000 sich zu der Äußerung hinreißen ließ: „Ist es etwa deutsche Leitkultur, Fremde zu jagen, Synagogen anzuzünden, Obdachlose zu töten?“. Der Streit über den Begriff „Leitkultur“ ist offenbar ein Evergreen: Jahre nach den zitierten Äußerungen meinte Claudia Roth von den Grünen, Leitkultur sei ein „Begriffsunglück“4; die Kanzlerin distanzierte sich vorsichtig, mit der Bemerkung, Leitkultur sei nicht „ihr Sprachgebrauch“5. Kommt Zeit, kommt Rat: Dieselbe Kanzlerin äu1 Ausführlich dazu Günter Bertram, „Deutsche Leitkultur“ – ein gescholtener Begriff kommt wieder in Ehren, in: MHR 4/2015, S. 15 ff. Leserbriefe dazu in: MHR Nr. 4/2015, S. 11 – 15. 2 So Christian Vollradt, Der Mahner, in: JF Nr. 21/16 v. 20. 05. 2016, S. 3. 3 Zum Folgenden: Wulf Schmiese, Union streitet über Spiegels Worte. CSU und Koch kritisieren den Zentralratspräsidenten – Lob von Friedman und Pflüger, in: Die Welt v. 13. 11. 2000, S. 5. 4 Zit. bei Günter Bertram (Anm. 1), S. 15. 5 Zit. bei Günter Bertram (Anm. 1), S. 15.
C. Gibt es eine Leitkultur?
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ßerte in ihrer Neujahrsansprache 2016: „Unsere Werte, unsere Traditionen, unser Rechtsverständnis, unsere Sprache, unsere Gesetze, unsere Regeln – sie tragen unsere Gesellschaft, und sie sind Grundvoraussetzung für ein gutes, ein von gegenseitigem Respekt geprägtes Zusammenleben aller in unserem Land. Das gilt für jeden, der hier leben will.“6 Auch wenn die Kanzlerin das Wort „Leitkultur“ nicht in den Mund nehmen wollte – sie hat unüberhörbar davon gesprochen, so wie dies übrigens der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel in einer Rede vor dem Übersee-Club in Hamburg im Herbst 2015 ausdrücklich und ohne Scheu getan hat: „Ich glaube zum Beispiel, dass dieses Land eine Leitkultur hat, die ganz einfach zu beschreiben ist: Es sind die ersten zwanzig Artikel dieser Verfassung (gemeint ist: des Grundgesetzes, d. Verf.). Das werden wir nicht ändern wollen. Und die, die kommen, die werden nicht durch Übertritt über die deutschen Grenzen zu Verfassungspatrioten, sondern die werden lernen müssen, dass bei uns Homosexualität etwas Normales ist, dass Männer und Frauen die gleichen Rechte haben, dass der Staat und das Gesetz über der Religion steht, dass keine Religion über einer anderen steht.“7 Mit diesem Bekenntnis zur Leitkultur hat Sigmar Gabriel sich nachträglich von der Kritik seines Parteigenossen Michael Naumann distanziert, der als Kulturstaatsminister von den „Leitkulturschaffnern“ der CDU gesprochen hatte; diese spielten „mit den Emotionen von sozial schwachen Mitbürgern. Ihnen wird suggeriert, dass die Fremden sie bedrohen“.8 Die Meinungsverschiedenheit zwischen Sigmar Gabriel und Michael Naumann, also immerhin innerhalb einer Partei (hier: der SPD), zeigt, dass der Begriff Leitkultur Diskussionsstoff bietet. Alles hängt 6 Zit. im Bericht Merkel: Wir schaffen das, denn Deutschland ist ein starkes Land, in: FAZ Nr. 303 v. 31. 12. 2015, S.1. Der vollständige Text der Neujahrsansprache ist abgedruckt in: Bulletin der Bundesregierung Nr. 01 – 1 v. 01. 01. 2016. 7 Sigmar Gabriel, Aktuelle Wirtschaftsfragen im Herbst 2015 (Vortrag vor dem Übersee-Club in Hamburg am 19. 10. 2015), in: Der Übersee-Club e.V. Hamburg 2016, S. 17 – Zum geplanten bayerischen Integrationsgesetz s. die Glosse von Mü (Reinhard Müller), Was unser Land prägt, in: FAZ Nr. 160 v. 12. 07. 2016, S. 8, und Albert Schäffer, Mit und ohne Lederhose. Die CSU will Einwanderer auf die Achtung der bayerischen Leitkultur verpflichten, in: FAZ Nr. 163 v. 15. 07. 2016, S. 10. 8 Zit. bei Wulf Schmiese (Anm. 3).
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C. Gibt es eine Leitkultur?
davon ab, welcher sachliche Inhalt mit dem Begriff Leitkultur verbunden wird. Kritiker hätten mit dem Gebrauch dieses Begriffes keine Probleme, wenn die deutsche Leitkultur als Multikulturalismus9 und/ oder als Willkommenskultur verstanden wird10. Die Ablehnung eines davon abweichenden Bildes der Leitkultur hat der Konstanzer Soziologe Hans-Georg Soeffner unmissverständlich zum Abfall erklärt: „Es gilt, die Chimäre völkisch, religiös oder ideologisch eingefärbter Leitkulturen gründlich zu entsorgen: Offene Gesellschaften können nur durch den Gesellschaftsvertrag geleitet werden, den sie sich selbst gegeben haben.“11 Demgegenüber sieht der Präsident des sächsischen Landtages, Matthias Rößler, eine notwendige Funktion der Leitkultur: „Die deutsche Leitkultur muss den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken und Parallelgesellschaften verhindern“.12 Dementsprechend haben Funktionsträger der CSU und von Sachsens CDU im Herbst 2016 einen gemeinsamen „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur“ verfasst. Als notwendige „Kraftquellen“ wird darin neben „Heimat und Patriotismus“ eine „Leitkultur“ genannt, die nicht der „kleinste gemeinsame Nenner, sondern das Fundament unseres Zusammenlebens“ sei.13 Dieser Vorstoß aus Bayern und aus Sachsen blieb nicht ohne Wirkung: In dem vom Bundesvorstand der (Bundes-)CDU am 21. November 2016 beschlossenen Entwurf eines Leitantrages für den Parteitag in Essen ist der Begriff „Leitkultur“ eingefügt worden, dies mit der Formulierung: „Je vielfältiger und pluraler eine Gesellschaft ist, 9 Dazu Berthold Kohler, Merkels Schwachstelle: „Nun wollen die Deutschen uns ihre neue Leitkultur aufdrücken, den Multikulturalismus!“, in: FAZ Nr. 51 v. 01. 03. 2016, S. 1 (zu diesbezüglichen Sorgen der EU-Mitglieder im Osten). 10 So Oliver Haardt, In Vielfalt geeint. Willkommenskultur als Leitkultur – die Geschichte zeigt eine prägende Eigenschaft von Staatlichkeit: Deutschlands Stärke lag stets in seiner Vielfalt, in: FAZ Nr. 53 v. 03. 03. 2016, S.6. 11 Hans-Georg Soeffner, Vergesst Eure Leitkultur, in: FAZ Nr. 8 v. 11. 01. 2016, S. 11. 12 Zit. bei Stefan Locke, Sachsen will wieder stolz auf sich sein, in: FAZ Nr. 115 v. 19. 05. 2016, S.4. 13 Notiz CSU und Sachsen-CDU fordern eine Leitkultur, in: JF Nr. 41/16 v. 07. 10. 2016, S. 5. Zu einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dresden zum Thema „Leitkultur heute?“ s. Hinrich Rohbohm, „Unvereinbar mit der Liebe zu unserem Land“. Merkel-Kritiker: Eine Veranstaltung mit HansPeter Friedrich und Arnold Kaatz zum Thema Leitkultur sorgte in Sachsen für reges Interesse, in: JF Nr. 2/17 v. 06. 01. 2017, S. 6.
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desto mehr bedarf sie eines einigenden Bandes – einer Leitkultur in Deutschland –, das diejenigen miteinander verbindet, die in ein und demselben Land leben und eine Schicksalsgemeinschaft sind.“ Als Bestandteile werden genannt „die Meinungs- und Religionsfreiheit, die Trennung von Staat und Kirche, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Respekt und Toleranz sowie der Schutz von Minderheiten“ sowie „das gemeinsame Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit“.14 Leitkultur – ja oder nein? Vielleicht empfiehlt es sich, in diesem Disput eine abgewogene, im Ausland publizierte Stimme zur Kenntnis zu nehmen. In der „Neuen Zürcher Zeitung“ ist zu lesen, es wäre „gerade heute zwingend notwendig, offen und kontrovers über eine ,Leitkultur‘ zu reden, die ja durchaus aufgeklärte und sinnvolle Leitplanken für eine gelungene Integration definieren könnte. Doch alle Versuche, diese Diskussion zu führen, scheitern seit Jahren an der linken Verteufelung des Begriffes und an der rechten Unfähigkeit, Standards zu definieren, ohne dabei in ausgrenzende Reflexe zurückzufallen. Die Idee einer progressiven und integrationsbereiten Leitkultur, wie man sie auch heute noch in großen Metropolen wie New York, London oder Paris erspüren kann, hat in Deutschland keine Tradition.“15 Schlussbemerkung am Rande: Während der Gedanke einer deutschen Leitkultur im politischen und publizistischen Mainstream weitgehend auf Ablehnung stößt, wird die Existenzberechtigung einer europäischen Leitkultur als selbstverständlich vorausgesetzt, so wenn der einflussreiche Chef des Politischen Ressorts der „Süddeutschen Zeitung“ zum Thema Asylrecht schreibt: „Zur europäischen Leitkultur müsste eigentlich die Kultur des Teilens gehören, weil der Heilige des Teilens, Sankt Martin, zu den ältesten Heiligen dieses Kontinents gehört“,16 und wenn der von Heribert Prantl vermutlich nicht sehr ge14 Bericht CDU beschließt Leitantrag. Begriff „Leitkultur“ eingefügt / verschärfte Flüchtlingspolitik, in: FAZ Nr. 273 v. 22. 11. 2016, S. 2. 15 Matthias Heitmann, Trügerische Toleranz. Warum der Multikulturalismus der Integration entgegensteht, in: NZZ v. 17. 02. 2016, S. 39, auch unter Hinweis auf Bassam Tibi, Europa ohne Identität? Leitkultur oder Wertebeliebigkeit, Stuttgart 2016. 16 Heribert Prantl, Wohlstand drinnen, Armut draußen. Das neue deutsche Asylrecht trat vor 20 Jahren in Kraft. Es wurde schlechtes Vorbild für Europa, in: SZ Nr. 149 v. 01. 07. 2013, S. 9.
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schätzte bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer „unsere europäische Leitkultur“ beschwört, zu der er zählt: „unser unverrückbares Fundament von der unantastbaren Würde jedes Menschen als dem christlich-europäischen Urprinzip, unsere Vorstellung von Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung, unser freiheitliches Lebensmodell von Toleranz, von Religionsfreiheit, von Trennung zwischen Staat und Religion, von Gleichberechtigung und Minderheitenschutz, unsere soziale Marktwirtschaft statt Markt pur oder Planwirtschaft, unsere Standards für Umwelt- und Verbraucherschutz, unser Bekenntnis zum Schutz des Lebens. Dieses Erbe Europas gilt es zu bewahren, weiterzuentwickeln und gegen seine Feinde zu verteidigen.“17 Beachtenswert ist schließlich ein neuerer Beitrag aus der Feder von zwei Zuwanderern mit Migrationshintergrund: Serap Güler und Gökay Sofuoglu schreiben unter der Überschrift „Leitkultur? Ja, bitte!“: „Die Forderung nach einer Leitkultur ist eines unserer politischen Murmeltiere. Es grüßt regelmäßig, wird parteipolitisch gefüttert, schafft es aber nicht, breite Akzeptanz zu finden. Dabei zeigen viele aktuelle Entwicklungen, dass eine Leitkultur richtiger ist denn je.“18 Postskriptum: Ende April 2017 kam aus dem Hause Springer eine Schlagzeile, diesmal nicht „Wir sind Papst“, sondern „Wir sind nicht Burka“. Die Unterzeile des so formulierten Aufmachers lautete: „Innenminister Thomas de Maizière stößt in BamS eine Debatte über eine neue Leitkultur für Deutschland an.“ Unter der Überschrift „Leitkultur für Deutschland. Was ist das eigentlich?“ stellt der Bundesinnenminister in seinem Gastbeitrag für die „Bild am Sonntag“ zehn Thesen auf, mit denen er zu einer Diskussion über eine Leitkultur für Deutschland einladen will19 ; Beispiele daraus: „Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir zeigen unser Gesicht“; „In unserem Land ist Religion Kitt, nicht Keil der Gesellschaft“; „Wir sind aufgeklärte Patrioten. Ein 17 Horst Seehofer, Noch ist es nicht zu spät! Wir Politiker sollten aufhören, die Bevölkerung zu kritisieren. An der Vertrauenskrise, in der die EU steckt, sind nicht die Bürger schuld – sie ist ein Problem der europäischen Eliten. Unsere Lebensweise und Leitkultur können wir Europäer nur gemeinsam verteidigen, in: FAZ Nr. 266 v. 14. 11. 2016, S. 7, dort auch: „Das Ziel von Integration ist unsere Leitkultur.“ 18 Serap Güler / Gökay Sofuoglu, Leitkultur? Ja, bitte!, in: FAZ Nr. 267 v. 15. 11. 2016, S. 10. 19 Thomas de Maizière, Leitkultur für Deutschland. Was ist das eigentlich?, in: Bild am Sonntag v. 30. 04. 2017, S. 6/7.
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aufgeklärter Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere“; „Wir sind Teil des Westens. Kulturell, geistig und politisch“. Wie nicht anders zu erwarten war, stieß der Beitrag von de Maizière sogleich auf Kritik.20 Diese Kritik antizipierend erklärte der Innenminister, dass er den Begriff „Leitkultur“ gut finde und dass er an ihm festhalten möchte: es gehe dabei um Kultur und nicht um Rechtsregeln: „Vielmehr geht es um das, was uns leitet, was uns wichtig ist, was Richtschnur ist. Eine solche Richtschnur des Zusammenlebens in Deutschland, das ist das, was ich unter Leitkultur fasse.“ Warum de Maizière just zu diesem Zeitpunkt die Debatte um den hierzulande unbeliebten (und auch ungebräuchlichen) Begriff „Leitkultur“ neu eröffnet hat, ist nicht recht verständlich, es sei denn, es soll die Öffentlichkeit auf ein eventuell geplantes Burka-Verbot vorbereitet werden.21 Das Wort „Leitkultur“ gehört, jedenfalls wenn von der „falschen Ecke“ verwendet, offenbar als Anti-Begriff in das Wörterbuch der Political Correctness. Eine aktuelle Bezugnahme in Gestalt der Forderung nach einem Angebot von Leitkultur für Einwanderer war im kürzlichen französischen Präsidentschaftswahlkampf zu vernehmen. Der als einer der einflussreichsten französischen Intellektuellen bezeichnete Alain 20 s. Bericht De Maizière polarisiert mit neuem Vorstoß zu einer deutschen Leitkultur. „Erprobte und weiterzugebende Lebensgewohnheiten“ / SPD: Peinliche Inszenierung, in: FAZ Nr. 101 v. 02. 05. 2017, S. 1; Constanze von Bullion / Jan Bielicki / Peter Burghardt: De Maizière entfacht Leitkultur-Debatte. Für seine Aussagen über Grundregeln des Zusammenlebens in Deutschland kritisieren Politiker von SPD, Linken und Grünen den Innenminister heftig: „Wer seine Heimat liebt, spaltet sie nicht“, in: SZ Nr. 100 v. 02. 05. 2017, S. 1; Jürgen Kaube, Wenn Leitgedanken kranken. Bundesinnenminister de Maizière hat die Debatte um eine „Leitkultur“ neu entfacht. Warum hält er den Slogan „Wir sind nicht Burka“ für dringlich? Was uns ausmacht, ist jenseits der Verfassung schwer festzulegen, in: FAZ Nr. 101 v. 02. 05. 2017, S. 11; Heribert Prantl, Witwe-Bolte-Politik, in: SZ Nr. 100 v. 02. 05. 2017, S. 4. – Zustimmend Reinhard Müller, Was uns zusammenhält, in: FAZ Nr. 101 v. 02. 05. 2017, S. 1. 21 Ablehnend zu einem generellen Burka-Verbot: Ingo von Münch, BurkaVerbot: ja oder nein?, in: Die Freiheit des Menschen in Kommune, Staat und Europa. Festschrift für Edzard Schmidt-Jortzig, Heidelberg 2011, S. 47 ff.; ders., Ein exotischer Anblick ist nicht unsittlich. Burka-Verbot: Die Selbstbestimmung über die eigene Kleidung ist vom Grundgesetz geschützt, in: PAZ Nr. 34 v. 26. 08. 2016, S. 2.
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Finkielkraut hat im Zusammenhang mit der Integration der postkolonialen Einwanderer die kulturelle Nivellierung für den falschen Weg erklärt: „Mit ihr kann man das Integrationsproblem nicht lösen. Man muss den Einwanderern etwas bieten. Ein Modell, eine Leitkultur. Wenn das nicht geschieht, führt die Einwanderung zu einem Nebeneinander von feindlichen Gemeinschaften, die sich aus der Kultur ihrer Herkunft definieren und abschotten.“22 Beruhigend an dieser Äußerung ist immerhin und jedenfalls, dass der Gedanke einer Leitkultur kein deutscher Sonderweg ist.
22 Zit. bei Jürg Altwegg, Linke ohne Leitkultur. Für Alain Finkielkraut ist der Wahlkampf ein Schock, in: FAZ Nr. 93 v. 21. 04. 2017, S. 11.
D. Political Correctness und Islam Das von Gabriel erwähnte Stichwort „Religion“ führt uns in ein höchst wichtiges und aktuelles Feld der „Political Correctness“, nämlich im Zusammenhang mit der Religion des Islam.1 Äußerungen zum Einfluss des Islam auf die westliche Gesellschaft, zum Verhältnis von Islam und Islamismus, zum Modell eines Reformislam und zu kulturellen Hintergründen von sexuellen Übergriffen auf Frauen sind inzwischen fast unübersehbar. Von besonderem Gewicht sind Berichte von Frauen wie das Buch „Scharia in Deutschland“ von Sabatina James, die – als Muslimin aufgewachsen – zwangsverheiratet und in ihre Heimat Pakistan verschleppt wurde; als sie sich zum Christentum bekannte, wurde sie von ihren eigenen Verwandten zum Tode verurteilt, sie konnte aber nach Deutschland fliehen.2 Keine Chance einer Flucht
1 Ruud Koopmans, Sympathisanten des Terrors. Wie stark ist der ideologische Rückhalt des islamischen Extremismus? Ein Diskussionsbeitrag, in: NZZ v. 21. 05. 2016, S. 43; ders., Der Terror hat sehr viel mit dem Islam zu tun. Auch das Attentat in Orlando sollte die Tat eines Einzeltäters sein, der die Religion nur zu seiner Rechtfertigung missbraucht – ein gängiges Erklärungsmuster. Wie glaubhaft ist es?, in: FAZ Nr. 151 v. 01. 07. 2016, S. 13; Nicolas Fest, Islam-Debatte. Auf dem Weg nach Algerien, in: JF Nr. 22/16 v. 27. 05. 2016, S. 18. Zur Möglichkeit und Notwendigkeit einer Reform des Islam: Eren Güvercin Ein anderer Islam ist möglich, in: FAZ Nr. 221 v. 23. 09. 2014, S. 9; Toni Stadler, Der Islam als Ganzes braucht eine Reform. Falscher Kulturalismus, in: NZZ v. 30. 01. 2016, S. 20. – Zu Konfliktfeldern im Verhältnis von Staat und Religion s. Stefan Muckel, Islam und Religionsverfassungsrecht, in: Katharina Ebner u. A. (Hrsg.), Staat und Religion. Neue Anfragen an eine vermeintlich eingespielte Beziehung, Tübingen 2014, S. 133 ff.; Mathias Rohe, Der Islam in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme, München 2016. 2 Sabatina James, Scharia in Deutschland. Wenn die Gesetze des Islam das Recht brechen, München 2015. Siehe auch: „Mehr als zweifelhaft“. Kann die Integration Hunderttausender islamischer Zuwanderer gelingen? Nein, warnt Sabatina James (Interview), in: JF Nr. 10/16 v. 04. 03. 2016, S. 3. – Speziell zur Situation muslimischer Frauen Necla Kelek, Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland, Köln 2005.
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hatten die Opfer von islamischen Ehrenmorden3 und von SchariaKinderehen4. Die Auseinandersetzungen um kritische Mohammed-Karikaturen sind bekannt, insbesondere der mit Mordopfern verbundene Angriff auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“. Die Attentäter handelten gewiss im Sinne islamischer „Political Correctness“; die späteren Gegendemonstranten („Je suis Charlie“) verteidigten die Meinungsfreiheit – genau unser Thema: Meinungsfreiheit gegen Political Correctness. Kurt Tucholsky hat gesagt: „Satire darf alles“ – aber stimmt das wirklich? Der Fall Böhmermann hat jedenfalls gezeigt, dass auch Satire an Grenzen stoßen kann. Als Satire im übertragenen Sinne wurde die Unsichtbarmachung antiker nackter Statuen durch Verstecken in Holzkästen kritisiert, die von der italienischen Regierung vorgenommen wurde, um dem iranischen Staatspräsidenten Hassan Rohani bei seinem Staatsbesuch in Rom den Anblick jener Skulpturen zu ersparen. War diese Verhüllung ein Akt der Political Correctness oder – wie man wohlmeinend urteilen könnte – eine Geste der Höflichkeit und Gastfreundschaft gegenüber dem eingeladenen Gast? Wer übrigens glaubt, dass das Verstecken von Kunst wegen der Gefühle von Muslimen nur in Italien vorkommen kann, irrt. Die nackte Wahrheit ist: Unter der Überschrift „Falsch 3
Dazu z. B. Julia Kasselt, Ehre im Spiegel der Justiz. Eine Untersuchung zur Praxis deutscher Schwurgerichte im Umgang mit dem Phänomen Ehrenmorde, Berlin 2016 (insbes. zum Fall Hatun Sürücü); Ahmad Mansour, Wir machen uns zum Komplizen der Täter. Wir müssen endlich offen über die Ursachen von „Ehrverbrechen“ in Deutschland reden, die muslimische Frauen immer wieder das Leben kosten, in: FAZ Nr. 28 v. 02. 02. 2013, S. 34. – Zur sog. Paralleljustiz s. Joachim Wagner, Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat, Berlin 2011; Kathrin Bauwens, Religiöse Paralleljustiz. Zulässigkeit und Grenzen informeller Streitschlichtung und Streitentscheidung unter Muslimen in Deutschland, Berlin 2016. 4 S. Bericht Justizminister gegen Scharia-Kinderehen, in: JF 24/16 v. 10. 06. 2016, S. 5; Bericht Behörden registrieren Hunderte Kinderehen, in: JF Nr. 25/16 v. 17. 06. 2016, S. 5; Ismail Tipi, Kinder- und Vielehen. Grundgesetz statt Scharia, in: JF Nr. 25/16 v. 17. 06. 2016, S. 2; s. auch Florian Stumfall, Zahl der Kinderehen in Europa steigt. Oberlandesgericht Bamberg beugt sich der Scharia und liefert 15-Jährige ihrem „Ehemann“ aus, in: PAZ Nr. 32 v. 12. 08. 2016, S. 3. – Die Bundesregierung hat am 05. 04. 2017 einen Gesetzentwurf für ein Verbot von Kinderehen beschlossen; s. Notiz Verbot von Kinderehen geplant, in: FAZ Nr. 82 v. 06. 04. 2017, S. 6.
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verstandene Integration“ berichtet der Deutschland-Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“, Ulrich Schmid, dass im Oktober 2015 die Stadtverwaltung von Gera vor der Ankunft von Flüchtlingen eine Plastik mit Nackten entfernt habe, und dass aus Rücksicht auf Musliminnen in der Volkshochschule Berlin-Marzahn schon im Jahre 2013 mehrere weibliche Akte versteckt wurden; sein Kommentar: „Kunst wandert in den Keller, damit Neuankömmlinge unangefochten Deutsch lernen können.“ „Interkulturelle Sensibilität“ nannte man das damals in Marzahn. Selbstverleugnung trifft es besser.5 Ist es Selbstverleugnung oder vorauseilender Gehorsam, was Bundesinnenminister Thomas de Maizière aus dem Saarland berichtet: Dort hätten Muslime noch nie die Abschaffung von St. Martins-Umzügen gefordert, wohl aber besorgte Bürger – mit der Begründung, ein solcher Umzug könne Muslime provozieren6. Wieder zurück nach Berlin, diesmal nach Berlin-Köpenick. Die Komödie des „Hauptmann von Köpenick“ ist bekannt. Weniger bekannt ist die Tragödie der zwei Aktfotos von Köpenick, über die wie folgt berichtet wurde: „Auf der Galerie-Etage des Rathauses Köpenick befindet sich die Einbürgerungsstelle des Bezirks. Es kommen täglich Menschen mit Migrationshintergrund über die Flure. Doch von ihnen hat sich laut Bezirksamt keiner über die beiden Aktfotos beschwert, die inmitten anderer Bilder beim diesjährigen ,Foto Klub Forum‘ zu sehen waren. Dennoch: Die Bilder wurden abgehängt.“ Zur Begründung erklärte die Kulturamtsleiterin den Organisatoren der Ausstellung: „Es kommen viele Menschen mit Migrationshintergrund in das Rathaus (z. B. wegen Einbürgerung), deren religiöse Gefühle durch Aktfotos nicht verletzt werden sollen“. Kommentar einer (muslimischen) Journalistin: „De facto hatten sich aber wohl nur Rathausmitarbeiterinnen und eine Bürgerin beschwert, sämtlich ohne Migrationshintergrund. Ist dies nun vorauseilende Unterwerfung…?“.7
5 Ulrich Schmid, Kunstzensur in Europa. Falsch verstandene Integration, in: NZZ v. 30. 01. 2016 (Internationale Ausgabe), S. 21. 6 Zit. bei Hannes Hintermeier, Basecap statt Kipa. Lage der Juden: Thomas de Maizière und Salomon Korn, in: FAZ Nr. 17 v. 21. 01. 2016, S. 9. 7 Schilderung bei Fatina Kaleini, Rathaus Köpenackt. Im Amtsflur wurden zwei Aktfotos aus einer Ausstellung entfernt. Es ist nicht der erste Streit dieser Art, in: Der Tagesspiegel Nr. 22736 v. 22. 04. 2016, S. 9; s. auch Thor Kunkel, In der Einbahnstraße der Toleranz. „Religiöse Gefühle“: Auch in Deutschland wird wieder vorauseilend Kunst zensiert, in: JF Nr. 19/16 v. 06. 05. 2016, S. 16.
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Noch eine interkulturelle Nachricht aus Deutschland, diesmal vom Februar 2016: „Frankfurt bestellt für Kitas das Schweinefleisch ab. Muslime mögen das nicht.“8 Aktionen führen nicht selten zu Reaktionen, so auch im Fall des Schweinefleisches. Unter der Überschrift „CDU im Norden verlangt Schweinefleisch für Kitas“ wird aus Schleswig-Holstein berichtet: „Für ein verpflichtendes Angebot schweinefleisch-haltiger Speisen in kommunalen Kindertagesstätten und Schulen macht sich die oppositionelle CDU in Schleswig-Holstein stark. Die Landesregierung müsse dafür sorgen, dass Schweinefleisch weiter in den Speiseplänen angeboten werde – auch in denjenigen öffentlicher Kantinen.“9 Der Bundesvorsitzende der FDP, Christian Lindner, kommentierte den Schweinefleischstreit ebenso liberal wie vernünftig: „Verrückte Idee: wie wäre es, wenn einfach jeder selbst entscheidet, was er isst?“.10 Keine „verrückte Idee“ ist es, sondern eine erstaunliche Frage, die in einer deutschen Tageszeitung zum Schweinefleisch in Frankreich gestellt wird: „Aber wo ist der Politiker, die Politikerin, die den Front frontal angeht und erklärt, …dass das Vorhaben, in Schulkantinen Schweinefleisch zu servieren, um Juden, Muslime und Vegetarier zu ärgern, nichts mit Politik zu tun hat?“11 Der erstaunte Leser fragt: Wird in französischen Restaurants Wein angeboten, „um Muslime zu ärgern“? Immerhin hat auch die deutsche Bundeskanzlerin in einer ihrer Videobotschaften die muslimischen Zuwanderer um Toleranz für den Schweinefleischkonsum der Deutschen gebeten. Das allerdings kann man nur als absurd bezeichnen.12
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Bericht Frankfurt bestellt für Kitas das Schweinefleisch ab. Muslime mögen das nicht, in: FAZ Nr. 33 v. 09. 02. 2016, S. 33. 9 Bericht CDU im Norden verlangt Schweinefleisch für Kitas, in: FAZ Nr. 52 v. 02. 03. 2016, S. 18. 10 Zit. in Bericht (Anm. 9), S. 18. 11 Nils Minkmar, Der Camembert-Faschismus. Wie Marine Le Pen es geschafft hat, den politischen und kulturellen Diskurs in Frankreich zu dominieren – und was man dagegen tun kann, in: FAZ Nr. 122 v. 27. 05. 2014, S. 11. 12 Zutreffend Jan Heitmann, Verkehrte Welt, in: PAZ Nr. 28 v. 15. 07. 2016, S. 1.
E. Informationsfreiheit: Die Silvesternacht in Köln Vom abbestellten Schweinefleisch zurück zum Verhältnis von Meinungsfreiheit zur Political Correctness. Meinungen fallen nicht vom Himmel, sondern sie bilden sich als rationale Urteile oder als emotionale Gefühle aufgrund von Informationen. Deshalb ist die Informationsfreiheit die Mutter der Meinungsfreiheit. Daraus folgt: Wer aus Gründen der Political Correctness die Informationsfreiheit einschränkt, schränkt somit auch die Meinungsfreiheit ein. Wir sind damit in Köln bei den Ereignissen der Silvesternacht zu Beginn des Jahres 2016. Die Ereignisse sind bekannt.1 Nur zur Erinnerung: In jener Nacht kam es auf der Domplatte nahe dem Hauptbahnhof – also mitten in Köln – zu zahlreichen kriminellen Taten in Form von Diebstählen und sexuellen Belästigungen. Nach Berichten von Augenzeugen und Opfern waren die Täter überwiegend Männer nordafrikanischer und arabischer Herkunft.2 Mehr als 1000 Anzeigen (darunter 471 wegen sexueller Belästigung) gingen bei der Polizei ein. Die Polizei selbst 1 Zusammenfassende Darstellung: Alice Schwarzer (Hrsg.), Der Schock – Die Silvesternacht von Köln, 2. Aufl. Köln 2016; Christian Wiermer / Gerhard Voogt, Die Nacht, die Deutschland veränderte, München 2016. – Ausführliche Berichte auch in: Der Spiegel Nr. 2 v. 09. 01. 2016, Auf der Kippe. Wie die Silvesternacht Deutschland verändert, darin: Maik Baumgärtner u.A., Es kommen härtere Tage. Die Silvesternacht von Köln verschärft den Streit über die Zukunft der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Es geht um misslungene Integration, Versäumnisse der Politik, Versagen der Polizei. Merkels pauschale Zuversicht reicht nicht mehr aus, S. 10 ff.; Christiane Hoffmann, Misere und Machismo. Essay: Wer Köln verstehen will, muss sich mit den Gründen der Gewalt beschäftigen, S. 20 f. 2 Bezug zum Islam bei Samuel Schirmbeck, Sie hassen uns. Die giftige Mischung aus nordafrikanisch-arabischer Kultur und Religion, die sich in der Kölner Silvesternacht Bahn brach, wird in Deutschland noch immer beschönigt oder beschwiegen. Islamkritik ist überfällig, nicht als Angriff auf Muslime, sondern zum Schutz vor seinen menschenverachtenden Auswüchsen, in: FAZ Nr. 8 v. 11. 01. 2016, S. 8; Susanne Schröter, Wie viel Islam steckt im sexuellen Übergriff? (Interview), in: FAZ Nr. 14 v. 18. 01. 2016, S. 11.
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E. Informationsfreiheit: Die Silvesternacht in Köln
wurde scharf kritisiert, weil sie die Übergriffe nicht verhindert hatte. Der Kölner Polizeipräsident wurde vom Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen seines Amtes enthoben; der Innenminister selbst war sich in Bezug auf seine Person keiner Schuld bewusst. Zwecks Aufarbeitung der Geschehnisse wurde ein Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages eingesetzt; zutreffend ist dazu festgestellt worden: „Die politische und juristische Aufarbeitung der sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht kommt nur langsam voran.“3 Erst fast ein Jahr nach der Kölner Silvesternacht lag das vom Untersuchungsausschuss in Auftrag gegebene erste kriminologische Gutachten zur Auswertung der Anzeigen vor.4 Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten informierten über die schockierenden Ereignisse zunächst überhaupt nicht, sodann erst nach tagelanger Verspätung. Die damalige Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, hat in einer auf der Internetseite der Landesregierung veröffentlichten eidesstattlichen Erklärung mitgeteilt, dass es zwischen ihr, der Spitze ihrer Staatskanzlei und dem Innenministerium in der Zeit vom 31. Dezember bis zum frühen Nachmittag des 4. Januar nicht nur keine Kommunikation zu den massenhaften Übergriffen in Köln gegeben habe, sondern überhaupt „keine persönlichen, telefonischen oder sonstigen Kontakte“; die Ministerpräsidentin wiederholte in ihrer Erklärung, dass sie erstmals am 4. Januar mit Innenminister Jäger telefonisch über die Silvesterereignisse gesprochen habe.5 Wenn dem so war stellt sich die Frage, auf 3 Roland Berthold, Kampf gegen Nebelkerzen. Kriminalität I: Die politische und juristische Aufarbeitung der sexuellen Übergriffe der Silvesternacht in Köln kommt nur langsam voran, in: JF Nr. 21/16 v. 20. 05. 2016, S. 6. Siehe auch Reiner Burger, Kommunikation in Krafts Arkanum. Wieder Streit im SilvesterAusschuss, in: FAZ Nr. 274 v. 23. 11. 2016, S. 2. 4 Dazu Rainer Burger, Statistik der Silvesternacht. Das erste kriminologische Gutachten zu den massenhaften Übergriffen in Köln liegt vor, in: FAZ Nr. 234 v. 07. 10. 2016, S. 10; s. auch Notiz Gutachten zu Silvesternacht, in: FAZ Nr. 249 v. 25. 10. 2016, S. 4; Peter Entinger, „Schlimmer, als ich gedacht habe“. Gutachter äußert Zweifel an Aussagen von Polizei und Landesregierung zur Kölner Silvesternacht, in: PAZ Nr. 44 v. 04. 11. 2016, S. 3. – Als Konsequenz aus den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht haben die Oberbürgermeisterin und der Polizeipräsident ein Ordnungs- und Sicherheitskonzept für den Dom und dessen Umgebung beschlossen, s. Notiz Köln plant „Schutzzone Dom“, in: FAZ Nr. 216 v. 15. 09. 2016, S. 2. 5 Notiz Kraft erklärt sich an Eides statt, in: FAZ Nr. 122 v. 28. 05. 2016, S. 4.
E. Informationsfreiheit: Die Silvesternacht in Köln
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welcher Insel die Ministerpräsidentin lebt, wenn nahebei ein politischer und krimineller Tsunami tobt. Das nach Bekanntwerden der gewaltsamen Übergriffe auf dem Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Politik einsetzende verbale Empörungsritual war nicht überraschend, sondern das Übliche: Solche Übergriffe seien „empörend, abstoßend und nicht hinnehmbar“6, es dürfe „keine rechtsfreien Räume“ geben und die Täter seien „ohne Ansehen ihrer Herkunft oder ihres Hintergrundes zu bestrafen“7, ein „möglicher kultureller Hintergrund entschuldige nichts“, er sei „noch nicht mal als Erklärung akzeptabel“8 – alles eigentlich bloße Selbstverständlichkeiten (zur Erinnerung: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ – Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland). In Richtung auf Political Correctness zielte die Ermahnung, es dürfe keinen „Generalverdacht“ gegenüber Flüchtlingen geben9 (wer hätte einen solchen denn geäußert?). Der Kölner Polizeipräsident hatte umgekehrt gesagt, es gebe keine Hinweise dafür, dass Flüchtlinge an den Exzessen beteiligt sein könnten – eine Information, die sich wenig später als falsch herausstellte. Die Kölner Staatsanwaltschaft teilte inzwischen mit, dass es sich bei den Beschuldigten, gegen die ermittelt werde, „weit überwiegend“ um
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Äußerung von Bundesinnenminister de Maizière, zit. bei Joachim Riecker, Erschrecken über Missbrauch in Menge. Die kriminellen Vorfälle in Köln und anderen Städten lösen in Deutschland eine heftige Debatte aus, in: NZZ v. 07. 01. 2016, S. 5. 7 Erklärung der Bundeskanzlerin v. 04. 01. 2016, zit. bei Günter Bannas, Die dementierte Kanzlerin. Kaum war die Neujahrsansprache gehalten, da hatte sich die deutsche Welt verändert. In München wurde ein Bahnhof evakuiert, weil ein Terroranschlag drohte, in Köln wurde ein Bahnhof vom Mob belagert, den die Polizeibehörde durch eine Falschmeldung verschwieg. Angela Merkel geriet in Zugzwang. Bleibt nun trotzdem alles, wie es war?, in: FAZ Nr. 7 v. 09. 01. 2016, S. 3. 8 Bundesjustizminister Heiko Maas, zit. in Bericht Unionsabgeordnete sammeln Stimmen gegen die Kanzlerin. Abstimmung über Flüchtlingspolitik / Debatte im Plenum, in: FAZ Nr. 11 v. 14. 01. 2016, S. 2. 9 So Bundesinnenminister Thomas de Maizière gegenüber den „Tagesthemen“, in: http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-den-uebergriffen-in-koeln, 06. 01. 2016, S. 1/3.
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Asylbewerber, Asylsuchende oder um Personen handele, die sich illegal in Deutschland aufgehalten hätten.10 Können – wie bei den Übergriffen in Köln – Fakten nicht bestritten werden, so greifen die Anhänger der Political Correctness zur Verharmlosung. Während die Kölner Polizei von tausend Tätern sprach11, twitterte der Journalist Jakob Augstein: „Ein paar grapschende Ausländer.“12 Relativiert wurde auch durch Vergleiche. Zwei Beispiele: Claudia Roth von der Partei Die Grünen verglich die hundertfachen Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof mit dem Alltag auf Volksfesten: „Aber so zu tun, als wären die Vorfälle aus der Silvesternacht die ersten Ausbrüche sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft, ist falsch… Es gibt auch im Karneval oder auf dem Oktoberfest immer wieder sexualisierte Gewalt gegen Frauen.“13 Claudia Roth steht damit nicht allein auf der grünen Wiese des Abwiegelns. Der stellvertretende Vorsitzende der Hamburger Grünen, Michael Gwosdz, äußerte zwar, es gehe ihm keinesfalls um eine Relativierung der Taten in Köln, aber wie anders ist seine Äußerung zu erklären: „Als Mann weiß ich, jeder noch so gut erzogene und tolerante Mann ist ein potentieller Vergewaltiger.“14 Die ebenfalls Grüne Zweite Bürgermeisterin von Hamburg, 10 Zit. in Nachricht Immer mehr Tatverdächtige, in: FAZ Nr. 39 v. 16. 02. 2016, S. 5. 11 Dazu Reiner Burger, Bloß nichts unterdrücken. Verschweigt die Polizei die Herkunft von Tätern?, in: FAZ Nr. 11 v. 14. 01. 2016, S. 2: „Der Polizeipräsident sprach mehrfach von tausend Männern, die ,dem Aussehen nach aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum stammen‘.“ 12 „Ein paar grapschende Ausländer und schon reißt bei uns der Firnis der Zivilisation“, zit. bei Dieter Stein, Köln und die Medien. Das Ende der Bevormundung, in: JF Nr. 3/16 v. 15. 01. 2016, S. 1. – In Spiegel Online meinte Jakob Augstein den – in diesem Zusammenhang dümmlichen – Hinweis geben zu müssen, dass die angegriffenen Frauen den Grabschern ja sozial überlegen seien; zutreffender Kommentar dazu: „Den Gipfel der Umdeutung erklomm der Publizist Jakob Augstein… Eine solche Verharmlosung von Verbrechen dürfte einzigartig sein“ (Michael Hanfeld, Falsche Nachrichten. Wo 2016 „Fake News zu finden waren“, in: FAZ Nr. 306 v. 31. 12. 2016, S. 18). 13 Zit. bei Matthias Iken, Roth vergleicht Exzesse in Köln mit Oktoberfest, in: HA v. 09./10. 01. 2016, S. 3. 14 Zit. bei Daniel Herder / Jens Meyer-Wellmann / Irene Jung, „Jeder ein potenzieller Vergewaltiger“. Grünen-Vize Michael Gwosdz löst mit Äußerung über Männer eine Welle der Empörung aus. Scharfe Kritik von der CDU, in: HA v. 09./10. 01. 2016, S. 14.
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Katharina Fegebank, lenkte vom Thema ab mit der Behauptung: „Die Stimmung hat sich gedreht und reicht von Hysterie über rechte Hetze bis Generalverdacht.“15 Zutreffend bemerkt dazu ein Zeitungskommentar: „Einige Politikerinnen, die man einst auf der Barrikade der Gleichberechtigung verortet hatte, entscheiden sich im Zweifel lieber für die Flüchtlingsliebe. Da wird negiert, verharmlost, relativiert, dass am Ende der Gleichung nur der Mann als Täter übrig bleibt; die Dimension der Sozialisierung, des religiös-kulturellen Hintergrunds und der Macho-Kultur haben diese Welterklärer in ihren Ableitungen kurzerhand herausgekürzt.“16 Ein Beispiel für das Verstecken des Konkreten im Allgemeinen bot auch die von Anne Wiezorek mitinitiierte Kampagne „hashtag! Ausnahmslos“. Eine berechtigte Kritik an der „wohlfeilen Allgemeinplatzhaftigkeit“ der „hashtag ausnahmslos“-Kampagne rügt: „Sie nimmt die massenweisen Attacken, die – so verstörend der Tatbestand ist, man kommt an ihm nicht vorbei – ganz überwiegend Migranten aus dem islamischen Kulturkreis auf Frauen verübt haben, zum Anlass, diskursiv quasi in Sekundenschnelle vom Konkreten auf das Allgemeine umzuschwenken; sexualisierte Gewalt in Deutschland insgesamt.“17 Als „Höhepunkt der Widerwärtigkeiten“ charakterisiert Birgit Kelle eine Veröffentlichung in einer Berliner Tageszeitung (es handelt sich um den „Tagesspiegel“), der zufolge es sich bei den Ereignissen in Köln um ein „symbolisches Gespräch unter Männern“ gehandelt habe und hinsichtlich der Reaktion darauf um die „Urangst des älteren weißen Mannes – die nehmen uns unsere Frauen weg“.18 Hart ist auch das Urteil, das Birgit Kelle über ein im Rundfunk gesendetes Interview einer Islamwissenschaftlerin fällt: „Wie da über die massenweisen Angriffe auf junge Frauen in der 15
Bericht 1200 Gäste beim Neujahrsempfang der Grünen im Rathaus, in: HA v. 23./24. 01. 2016, S. 12. 16 Matthias Iken, Die zerrissene Nation. Im Streit um die Flüchtlingspolitik verlieren viele Bürger Maß wie Mitte. Rechte und linke Wirrköpfe werden gestärkt, in: HA v. 23./24. 01. 2016, S. 2. 17 Zit. in der Glosse Ausnahmslos. Was für Netzfeministinnen aus den Angriffen in Köln folgt, in: FAZ Nr. 10 v. 13. 01. 2016, S. 13. 18 Birgit Kelle, „Sie waren Frauen und damit Freiwild“. Die massiven sexuellen Übergriffe am Kölner Dom sorgten nach Silvester für blankes Entsetzen in ganz Deutschland. Trotzdem wurde die Herkunft der Täter von vielen großen Medien verschwiegen. Der Schuss gehe aber nach hinten los, in: JF Nr. 02/16 v. 08. 01. 2016, S. 3.
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Neujahrsnacht hinwegrelativiert wurde, verursacht bei mir Übelkeit.“19 Eine vernichtende Rückschau auf die Berichterstattung der Medien zu den Ereignissen in Köln (und zum später erfolgten Amoklauf in München) findet sich schließlich auch bei Michael Hanfeld und Ursula Scheer unter der Überschrift: „Hinterher sind nicht alle schlauer“. Beide Autoren weisen darauf hin: „Ohne die monatelange wohlwollende Berichterstattung, die ein Sorgen, Kritik und Ängste weglächelndes Willkommensklima verstärkte, sind die Wegduckreflexe von Köln kaum zu erklären“; Berichterstattung wurde „mit Fürsorge verwechselt“; „bis Nüchternheit einkehrte, war noch so manche publizistische Verrenkung zu lesen“.20 Fest steht: Kaum ein anderes Ereignis in Deutschland hat eine so starke und weit verbreitete Beachtung gefunden wie die erwähnte Silvesternacht in Köln. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ begann einen diesbezüglichen Artikel mit dem Satz: „Die Ereignisse in Köln bewegen die Welt.“21 In der „Neuen Zürcher Zeitung“ war zu lesen: „Die Domstadt ist weit über Deutschland hinaus zum Synonym geworden für eine gescheiterte Flüchtlingspolitik und steigende Ausländerkriminalität.“22 Angela Merkel sprach von einem „Paukenschlag“; der saarländische Innenminister und Vorsitzender der Innenministerkonferenz Klaus Bouillon stellte fest: „Köln hat alles verändert“23. Die niederländische Zeitung „De Volkskrant“ schrieb: „Köln ist der Wendepunkt“24. Ein international beachtetes, die Nation bewegendes Ereignis – wie haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als wichtige In19
Birgit Kelle (Anm. 18). Michael Hanfeld / Ursula Scheer, Hinterher sind nicht alle schlauer, in: FAZ Nr. 205 v. 02. 09. 2016, S. 15. 21 Eingangssatz des Berichtes von Sven Astheimer u.A., Das naive Deutschland. Die Silvesternacht in Köln beschäftigt auch das Ausland sehr, in: FAZ Nr. 9 v. 12. 01. 2016, S. 16. 22 Gerd Kolbe, Das Ende der Geduld an Rhein und Ruhr. Die Geschichte eines traditionellen Einwanderungslandes im Schatten der jüngsten Gewaltausbrüche, in: NZZ v. 25. 01. 2016, S. 5. 23 Zit. bei Christian Geyer, Köln, mikro-makro, in: FAZ Nr. 9 v. 12. 01. 2016, S. 9. 24 Zit. bei Klaus Max Smolka, Liberal denken, in: FAZ Nr. 10 v. 13. 01. 2016, S. 15. 20
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formationsquellen darauf reagiert? Die Antwort kann nur lauten: in einer katastrophalen Weise. Während Kölner Zeitungen bereits über die Übergriffe berichtet hatten und bei Facebook über massenhafte sexuelle Belästigungen informiert wurde, herrschte bei den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten tagelang das versammelte Schweigen. Noch am 4. Januar war in WDR aktuell 2016 keine Information zu den Übergriffen in der Silvesternacht zu entnehmen. Am 5. Januar machte der NDR sich lächerlich, indem ein Redakteur behauptete, es sei nicht klar, was genau in der Silvesternacht geschehen sei.25 Ebenfalls erst am 5. Januar versuchte die ARD ihre zögerliche Berichterstattung unter Hinweis darauf zu rechtfertigen, am Neujahrstag habe die Polizei (was zutrifft) „zunächst von einer ruhigen Silvesternacht gesprochen“.26 Tatsache ist aber, dass die Pressestelle der Kölner Polizei diese ihre erste Einschätzung in der Folgezeit revidiert hat. Dazu drängt sich allerdings die Frage auf, wieso der in Köln ansässige reiche WDR nicht in der Lage war, sich durch eigene Recherchen ein Bild von der Situation am Ort des Geschehens zu machen, einem Ort, der kaum mehr als fünf Fußminuten vom Sitz des WDR entfernt ist. Das ZDF gestand immerhin ein, dass es ein „Versäumnis“ gewesen sei, in den „heute“Nachrichten vom 4. Januar noch nicht über die Ereignisse in der Silvesternacht in Köln berichtet zu haben; dazu der stellvertretende Chefredakteur des ZDF Elmar Thevesen: „Die Nachrichtenlage war klar genug. Es war ein Versäumnis, dass die 19-Uhr-heute-Sendung die Vorfälle nicht wenigstens gemeldet hat“.27 Das lange Schweigen der sog. Leitmedien nach der Silvesternacht ist übrigens im Ausland sehr wohl registriert worden. So kommentierte die Schweizer Zeitschrift „Die Weltwoche“: „Nachdem in der Kölner Silvesternacht Hunderte von Frauen sexuell genötigt und beraubt worden waren, ging es drei Tage, bis die offiziellen Leitmedien über die Vorkommnisse zu berichten begannen… Im Internet hatten sich die Ereignisse schon längstens rasend schnell verbreitet, und es war wohl 25 Zit. bei Ronald Gläser, Die Pleite des Willkommensrundfunks. Köln: Die Leitmedien wurden zum wiederholten Male vorgeführt und riskieren ihr letztes bisschen Glaubwürdigkeit / Andererseits zeigt die Affaire auch, wie wichtig gerade jetzt seriöser Journalismus ist, in: JF Nr. 3/16 v. 15. 01. 2016, S. 17. 26 Ronald Gläser (Anm. 25), S. 17. 27 Zit. bei Ursula Scheer, Eine Männergruppe und ihr Hintergrund, in: FAZ v. 05. 01. 2016 (online) www.faz.net; s. auch Joachim Riecker (Anm. 6), S. 5.
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der Druck dieser digitalen Debatte, der Politik, Polizei und die etablierten Medien (am schwersten taten sich dabei die öffentlichen Anstalten ARD und ZDF) zwang, diese Übergriffe durch vornehmlich junge arabische Männer überhaupt zu thematisieren. Die herrschende politische Korrektheit zeigte ihre feige Fratze.“28 Nicht jeder wird sich diese scharfe Kritik zu Eigen machen. Tatsache ist aber, dass die unübersehbaren und unüberhörbaren Mängel bei der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu einem erheblichen Vertrauensverlust geführt haben. Die Rundfunkanstalten wären gut beraten, die Kritik an ihrer Berichterstattung über die mangelhafte Berichterstattung über die schlimmen Ereignisse in der Kölner Silvesternacht nicht hochmütig zu negieren. Verlorenes Vertrauen lässt sich nur schwer zurückgewinnen. Auch sollte der WDR sich an seinen gesetzlich vorgeschriebenen Programmauftrag erinnern: „Der WDR hat in seinen Sendungen einen umfassenden Überblick über das internationale und nationale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben“ (§ 4 Abs. 2 WDR-Gesetz NRW). Schließlich ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, dass die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten seit einiger Zeit durch den sog. Rundfunkbeitrag finanziert werden, der nichts anderes ist als eine meines Erachtens verfassungswidrige Zwangsabgabe, die von jedem Wohnungsinhaber erhoben wird, auch dann wenn in der Wohnung überhaupt kein Rundfunk- oder Fernsehgerät vorhanden ist. Das positiv klingende Wort „Rundfunkbeitrag“ verschleiert also die Tatsache, dass es sich in Wahrheit um eine Wohnungsabgabe handelt, die nicht dem Rundfunk, sondern ausschließlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zufließt. Zutreffend ist deshalb festgestellt worden: „Der Rundfunkbeitrag hatte und hat also nur ein Ziel: ARD und ZDF mehr Geld in die Kasse zu spülen.“29 In der Monopolisierung dieses Finanzstromes liegt zugleich ein schwerwiegender Eingriff sowohl in den 28 Peter Keller, Kultur der Feigheit, in: Die Weltwoche Nr. 03.16, S. 38; s. auch Wolfgang Koydl, Unfrohes neues Jahr. In Köln machte ein tausendköpfiger Mob junger Araber in der Silvesternacht Jagd auf Frauen. Medien und Politik schwiegen tagelang zu den Vorfällen. Die Ereignisse sind ein Vorgeschmack darauf, auf welche Veränderungen sich die Deutschen gefasst machen müssen, in: Die Weltwoche Nr. 01.16, S. 20 f. 29 So Michael Hanfeld, Das war der Zahltag. Bundesverwaltungsgericht segnet Rundfunkbeitrag ab, in: FAZ Nr. 67 v. 19. 03. 2016, S. 16.
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Wettbewerb zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einerseits und den privaten Rundfunksendern andererseits als auch in den Wettbewerb zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den privaten Presseunternehmen. Bedauerlicherweise hat das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung vom 18. März 2016 die Klagen von Privatleuten gegen den sog. Rundfunkbeitrag abgewiesen,30 dies u. a. mit der Begründung, er sei keine Steuer und für die Erfüllung des der Vielfaltsicherung verpflichteten Rundfunkauftrages notwendig. Neben der berechtigten Kritik an der mangelhaften Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über die Kölner Silvesternacht gab es aber auch Kritik an der Kölner Polizei.31 Fairerweise sollte die Kritik sich nicht gegen die einzelnen Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen richten, die in jener Nacht dort im Einsatz waren; einige von ihnen haben geschildert, wie frustriert sie waren, weil sie die angegriffenen Frauen nicht schützen konnten. Adressat der Kritik muss also die Einsatzleitung der Polizei sein. Ob insoweit der Polizeiführung in der Stadt Köln und im Land Nordrhein-Westfalen Fehler vorzuwerfen sind, ist eine Frage der Polizeitaktik, die von außen nur schwer zu beurteilen ist. Auch geht es dabei nicht um unser Thema „Meinungsfreiheit gegen Political Correctness“; gleiches gilt für das Resultat der strafrechtlichen Ermittlungen. Laut Auskunft des Sprechers der Kölner Staatsanwaltschaft hatten nach den Krawallen in Köln 662 Frauen sexuelle Übergriffe gemeldet; wegen eines Sexualdeliktes verurteilt wurden bisher nur zwei Männer – ein Iraker und ein Algerier.32
30 Veröffentlicht in: NVwZ 2016, S. 1081 ff. Ein gesondertes Verfahren betrifft den Beitrag für Betriebsstätten. 31 Dazu z. B. Reiner Burger / Eckart Lohse, Dein Freund und Sündenbock. Nach den Vorfällen in der Silvesternacht findet sich die Polizei im Kreuzfeuer der Kritik wieder. Über die Täter ist noch immer wenig bekannt – auch wenn es drei Verdächtige gibt, in: FAZ Nr. 5 v. 07. 01. 2016, S. 3; Bericht Nach Silvestergewalt scharfe Kritik an Kölner Polizei, in: FAZ Nr. 5 v. 07. 01. 2016, S. 1. 32 Dazu Frank Jansen, Nur zwei Grabscher verurteilt. Die meisten Sextäter aus der Silvesternacht in Köln kommen straflos davon, in: Der Tagesspiegel Nr. 22957 v. 02. 12. 2016, S. 4; dazu auch die Glosse Kölner Silvesternacht. Gefühlt falsch, in: Der Tagesspiegel Nr. 22957 v. 02. 12. 2016, S. 6.
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Die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht 2015/16 sind als „Chiffre für den Kontrollverlust des Rechtsstaates“ bezeichnet worden.33 Zu begrüßen war deshalb die vom nordrhein-westfälischen Landtag beschlossene Einsetzung des Untersuchungsausschusses „Kölner Silvesternacht“. Der Ausschuss, der seine Arbeit Mitte Februar 2016 begonnen hatte und dessen Untersuchungen – wie bereits erwähnt – zunächst zähflüssig verliefen, hat sich offensichtlich bemüht, die Ereignisse der Kölner Silvesternacht gründlich aufzuarbeiten. Die Ermittlungen zum Sachverhalt werden an dem Ergebnis nicht vorbeikommen können, dass – wie die dem Ausschuss zur Kenntnis gegebenen Tondokumente zeigen – die Polizei über Stunden nicht in der Lage war zu verhindern, dass hunderte Frauen mitten in einer deutschen Großstadt Opfer sexueller Übergriffe wurden.34 Weniger sicher ist, ob der Untersuchungsausschuss zu einer einheitlichen Beurteilung einer eventuellen Verantwortlichkeit der nordrhein-westfälischen Landesregierung, insbesondere des Innenministers Ralf Jäger, kommen wird. Erfahrungen aus nicht wenigen anderen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zeigen, dass Politiker dazu neigen, in brenzligen Situationen – wenn es um die Feststellung persönlicher Verantwortlichkeit geht – sich einen weißen Fuß zu machen. Wie immer der Inhalt des Abschlussberichtes des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des nordrhein-westfälischen Landtages ausfällt, so sind jedenfalls die Einsetzung des Ausschusses und seine Bemühungen um Aufklärung der Ereignisse in der Kölner Silvesternacht zu begrüßen – dies allein schon im Interesse der Opfer jener Vorfälle, aber auch um eine künftige Wiederholung von behördlichen Versäumnissen ähnlicher Art zu vermeiden. Versäumnisse der Medien, insbesondere des ZDF und des WDR, in Bezug auf eine aktuelle Berichterstattung über die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht sind bekannt. Hierzu fehlt bis heute ein ge33 Reiner Burger, Die Nacht, die kein Ende findet. Nach den Übergriffen in der Silvesternacht steht „Köln“ als Chiffre für den Kontrollverlust des Rechtsstaats. Wie konnte es dazu kommen, und was hat die Politik gelernt?, in: FAZ Nr. 304 v. 29. 12. 2016, S. 4. 34 Dazu Reiner Burger / Matthias Wyssuwa, Neue Töne in unsicheren Zeiten. Die Vorfälle von Köln setzen die Politik unter Druck. Nun muss alles ganz schnell gehen. Doch stellt sich die Frage der Umsetzung – und der Verantwortung, in: FAZ Nr. 8 v. 11. 01. 2016, S. 2.
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druckter Abschlussbericht von kompetenter und neutraler Stelle, den eine bruchstückhafte Dokumentationssendung einer der betroffenen Fernsehanstalten nicht ersetzen kann.35 Will man schließlich überhaupt irgendeine positive Folge aus der Horror-Silvesternacht 2015 auf 2016 ziehen, so könnte es die sein, dass sich jene Ereignisse in der Silvesternacht 2016 auf 2017 eben nicht wiederholt haben, dies allerdings vermutlich auch wegen der Präsenz von 1700 (!) Polizeibeamten. In Erinnerung an der Verlauf dieser Nacht bleibt lediglich, dass die Keule der „political correctness“ wieder zugeschlagen hat: Objekt war diesmal die in Polizeikreisen gebrauchte Abkürzung „Nafri“ für nordafrikanische Intensivtäter. Was an dieser Abkürzung anstößig sein soll, vermag ein ideologisch nicht völlig verstopftes Denken nicht nachzuvollziehen – bezeichnet doch „Nordafrika“ bekanntlich eine Region und keine Ethnie. Die völlig überflüssige Debatte um „Nafri“ lenkte also von den eigentlich wichtigen Problemen ab. Die Kritik an der Abkürzung „Nafri“ war eigentlich nicht mehr als ein Luftballon mit heißer Luft. Umso bemerkenswerter und ein Zeichen für die Macht der „political correctness“ ist es, dass der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies meinte, sich für den Gebrauch der Abkürzung „Nafri“ entschuldigen zu müssen und den Verdacht eines „racil profiling“, d. h. der gezielten Kontrolle einzelner Bevölkerungsgruppen nach ethnischen Kriterien, zurückweisen zu müssen.36 Der Laie fragt sich einigermaßen erstaunt: Wenn es aus Nordafrika stammende Intensivtäter gibt – dürfen sie beim Vorliegen von begründetem Verdacht nicht polizeilich kontrolliert werden?
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Reiner Burger (Anm. 33). Dazu Ursula Scheer, Was aus der Kölner Silvesternacht folgte. Das ZDFMagazin „Frontal 21“ nimmt sich vor, alle Hintergründe der massenhaften Übergriffe zu beleuchten und zeigt blinde Flecken, in: FAZ Nr. 285 v. 06. 12. 2016, S. 15. 36
F. Verschweigen der Herkunft der Täter Um unser Thema geht es aber bei der Frage, ob die Kölner Polizei die Herkunft der Täter bewusst und gewollt verschwiegen hat. Wie erinnerlich hatte der Kölner Polizeipräsident davon gesprochen, dass die Tatverdächtigen „dem Aussehen nach aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum stammen“. Der Laie fragt sich, warum nicht im Wege einer einfachen Personalfeststellung durch Ausweiskontrolle die Herkunft der Tatverdächtigen genauer ermittelt werden konnte. Vielleicht sind aber die Polizeibeamten auf Anweisung „von oben“ verpflichtet, die Herkunft von Straftätern zu verschweigen oder zu verschleiern? Kein Geringerer als der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hat in einer Fernsehsendung offengelegt, jeder Polizeibeamte wisse, dass er eine „bestimmte politische Erwartungshaltung zu erfüllen hat“.1 Ein namentlich nicht genannter leitender Polizeibeamter wird mit der Aussage zitiert, es sei der Eindruck entstanden, dass Politik und Behörden Tatsachen unterdrückten, weil sie „politisch heikel“ seien.2 Bekannt geworden ist: „Die Pressemitteilungen der Berliner Polizeipressestelle verschweigen bis zum heutigen Tag systematisch die Herkunft von Tätern.“3 Das „Schweigekartell“ (ein Ausdruck des ehemaligen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich, CSU)4 ist nicht nur in Deutschland existent. Beispiele: Einem Bericht der angesehenen schwedischen 1 Zit. bei Reiner Burger, Bloß nichts unterdrücken. Verschweigt die Polizei die Herkunft von Tätern?, in: FAZ Nr. 11 v. 14. 01. 2016, S. 2, auch mit dem Hinweis von Rainer Wendt, Die Kriminalstatistik werde mit „Taschenspielertricks“ frisiert. Und: Wenn in Polizeiberichten das Wort „Großfamilie“ vorkomme, „sind damit arabische Großclans“ gemeint. 2 Zit. bei Berthold Kohler, Das Menetekel von Köln, in: FAZ Nr. 7 v. 09. 01. 2016, S. 1. 3 Michael Leh, Die Quittung, in: PAZ Nr. 38 v. 23. 09. 2016, S. 8. 4 Zit. bei Norman Hanert, Kommt die Wahrheit noch rechtzeitig? Die Leitmedien versuchen, durch etwas weniger Politische Korrektheit den Vertrauensverlust wettzumachen, in: PAZ Nr. 3 v. 22. 01. 2016, S. 3.
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Zeitung „Dagens Nyheter“ zufolge hält die schwedische Polizei Kriminalität im Zusammenhang mit Flüchtlingen geheim. Informationen über Straftaten, bei denen Täter oder Opfer Asylbewerber sind, werden danach mit einem Geheimhaltungscode („291“) versehen; in der diesbezüglichen Polizeianweisung soll es heißen: „Nichts soll nach außen dringen“.5 Über sexuelle Übergriffe auf Mädchen bei einem Festival für Jugendliche in Stockholm in 2014 und 2015 wurde entsprechend monatelang von der Polizei nichts verlautbart. Der schwedische Ministerpräsident zeigte sich über dieses Schweigen verärgert; dass die Polizei nicht sofort über die Vorfälle berichtet habe, sei ein „demokratisches Problem“ für das ganze Land: Es sollte nie versucht werden etwas zu verbergen.6 Der schwedische Polizeichef Dan Eliasson wurde mit dem Eingeständnis zitiert: „Manchmal trauen wir uns nicht zu sagen, wie es ist, weil wir glauben, dass das den Schwedendemokraten (der rechtspopulistischen Partei, d. Verf.) in die Hände spielt.“7 Umstrittene Statistiken weisen immerhin hohe Vergewaltigungsraten auf.8 Schlimmer als Schweigen ist Nicht-Handeln, wenn Handeln geboten ist. In der nordenglischen Stadt Rotherham wurden in 16 Jahren 1400 (!) Minderjährige Opfer von Vergewaltigungen, begangen von Tätern, die mehrheitlich Immigranten pakistanischer Herkunft sind; die jungen Mädchen waren – wie in einem Untersuchungsbericht dokumentiert – „entführt, alkoholisiert, bedroht und wiederholt vergewaltigt und zu diesem Zweck auch unter Bandenmitgliedern herumgereicht worden“.9 Eine unabhängige Gutachterin hat dazu herausgefunden, 5
Zit. in Notiz Schweden: Flüchtlingskriminalität wird von Polizei geheim gehalten, in: HA v. 23./24. 01. 2016, S. 4. 6 Zit. bei Matthias Wyssuwa, Im Schutz der Menge. In Schweden wurden Übergriffe verschwiegen, in: FAZ Nr. 10 v. 13. 01. 2016, S. 2. 7 Zit. im Bericht Verschweigen der Täter hat keine Folgen, in: JF Nr. 4/16 v. 22. 01. 2016, S. 8. 8 Dazu Rudolf Hermann, Schweden – ein gefährliches Land für Frauen? Statistiken zu auffallend hohen Vergewaltigungsraten werfen Fragen auf, in NZZ v. 21. 04. 2016, S. 7. 9 Ausführlich dazu: Beat Brumbacher, Verfahren wegen tausendfachen Kindsmissbrauchs. In Großbritannien sind die Verbrechen von Rotherham noch lange nicht bewältigt, in: NZZ v. 29. 02. 2016, S. 5. – Siehe auch Jochen Wittmann, Prozessbeginn nach der Schande von Rotherham. In der englischen Stadt
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dass die Behörden die Zustände, die bereits jahrelang bekannt waren, „unterdrückt oder ignoriert“ haben. Eine zweite Gutachterin sah in dem Nichteinschreiten der Behörden und dem Schweigen eine „Kultur unangebrachter politischer Korrektheit“.10 Ein deutscher Beobachter erinnert sich an ein Leben in einer nordenglischen Stadt wie Rotherham so: „Polizisten, Behörden, Lehrer, die zögerlich gegen Nichteuropäer vorgehen – aus Angst, als ,Rassisten‘ dazustehen. Rotherham aber schockierte viele und öffnete eine Debatte in einer Gesellschaft, die in vielerlei Hinsicht in Tabus gefangen sitzt.“11 Kein Geringerer als der damalige britische Premierminister David Cameron empörte sich mit dem Vorwurf „Kinder wurden ignoriert, manchmal selbst beschuldigt und Vorfälle unter den Teppich gekehrt – häufig aufgrund einer verzerrten und fehlgeleiteten Politischen Korrektheit“.12 Die damalige britische Innenministerin Theresa May sprach von einem Fall „institutionalisierter politischer Korrektheit“; die Innenministerin begründete dies mit Aussagen lokaler Behörden, „die ihre Tatenlosigkeit damit begründeten, dass sie rassistischen Vorurteilen und rechtsextremen Haltungen nicht hätten Nahrung geben wollen durch die strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen bestimmter ethnischer Minderheiten.“13 Eine strafrechtliche Ahndung war allerdings nicht mehr zu umgehen, nachdem das ungeheuerliche Ausmaß des massenhaften Kindesmissbrauchs nicht mehr zu verheimlichen war: Inzwischen wurde der Hauptangeklagte zu einer Haftstrafe von 35 Jahren verurteilt, seine Brüder zu Haftstrafen von 26 und 19 Jahren, ein Onkel zu 10 Jahren, eine weibliche Komplizin zu 13 Jahren.14 wurden 1400 Mädchen vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen, in: HA v. 08. 12. 2015, S. 32. 10 Zitate aus den Gutachten bei Klaus Max Smolka, Liberal denken, in: FAZ Nr. 10 v. 13. 01. 2016, S. 15. So auch Peter Rásonyi, Monströse Kindsmissbräuche. Scharfe Kritik an untätigen und unfähigen Behörden in Nordengland, in: NZZ Nr. 198 v. 28. 08. 2014, S. 24. 11 Klaus Max Smolka (Anm. 10), S. 15. 12 Zit. bei Fabian Schmidt-Ahmad, Die Angst als rassistisch zu gelten. Kindesmissbrauch in England. Nach Rotherham zeigen sich nun auch in Oxfordshire die Abgründe der Politischen Korrektheit, JF Nr. 12/15 v. 13. 03. 2015, S. 9. 13 Zit. bei Beat Brumbacher (Anm. 9), S. 5 14 Bericht Missbrauch in Rotherham: 100 Jahre Haft. 1400 Mädchen waren Opfer der sechs Täter, in: DIE WELT v. 27. 02. 2016, S. 32.
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Von Schweden und England zurück nach Deutschland. Gab es in Köln eine Anweisung von oben, dass die Herkunft von Straftätern in internen und externen Polizeiberichten nicht genannt werden darf?15 Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger hat dies verneint;16 in einem Erlass von 2008 werde lediglich in Bezug auf nationale Minderheiten (wie die Roma und Sinti) bestimmt, dass die Zugehörigkeit eines Tatverdächtigen zu einer nationalen Minderheit in der internen und externen Berichterstattung der Polizei nur anzugeben ist, wenn dies „für das Verständnis eines Sachverhaltes oder für die Herstellung eines sachlichen Bezuges zwingend erforderlich ist“.17 Klarer ist die Regelung im Saarland. Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon hat in einem Interview auf eine frühere Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der Kriminalbeamten hingewiesen, der zufolge die Polizeibeamten Herkunft und Nationalität nur dann erwähnen sollten, wenn es dafür besondere sachliche Gründe gebe. Kommentar des Innenministers dazu: „Jetzt versetzen Sie sich in die Lage eines Polizisten. Zehn Ausländer haben geklaut – ist das jetzt ein besonderer Grund? Dann sagt der Polizist: ,O je, wenn ich jetzt schreibe, das waren Ausländer, krieg ich Ärger‘. Dadurch sind Vorkommnisse und Missverständnisse nicht mehr beim Namen genannt worden. Ich habe diesen Maulkorberlass sofort gestrichen. Jetzt steht nur noch drin: Die polizeiliche Tätigkeit darf nicht diskriminierend und nicht ehrverletzend sein.“18 Es gab also, so wird damit immerhin zugegeben, einen Maulkorberlass. Der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger will von einem Maulkorberlass nichts wissen. Er verlautbart stattdessen, die Polizei verhalte sich bei Medienauskünften „entsprechend dem Presseko-
15 Zu seit Jahren bekannten Mutmaßungen, es werde auf die Polizei von der Politik Druck ausgeübt, die Herkunft von Straftätern zu verschweigen oder zu verschleiern, s. Reiner Burger (Anm. 1), S. 2. 16 Zit. bei Reiner Burger (Anm. 1), S. 2. Bejahend dagegen J.H. (Jan Heitmann), Zensur per Ministererlass. Maulkorb für Polizei in Sachen Ausländerkriminalität bewiesen, in: PAZ Nr. 3 v. 22. 01. 2016, S. 1. 17 Zit. bei Reiner Burger (Anm. 1), S. 2. 18 Zit. nach: Im Gespräch: Klaus Bouillon (CDU), Innenminister des Saarlandes und Vorsitzender der Innenministerkonferenz. „Wenn noch mehr kommen, sehe ich den inneren Frieden in unserem Land in Gefahr“, in: FAZ Nr. 34 v. 10. 02. 2016, S. 4.
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dex“.19 Ist aber vielleicht der genannte Pressekodex seinerseits ein Maulkorb? Konkret geht es um die Richtlinie 12.1 des Pressekodex, die bis zur Neufassung im März 2017 vorschrieb: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“ Mit dieser sog. Richtlinie, an welcher der Deutsche Presserat im Grundsatz trotz wachsender Kritik weiterhin festhält,20 ist der Pressekodex längst ein willfähriges Werkzeug der Political Correctness geworden. In diesem Zusammenhang ist die Kenntnis der Entstehungsgeschichte des Pressekodex nicht uninteressant:21 Der Pressekodex wurde aufgrund einer Initiative des Verbandes der Deutsch-Amerikanischen Clubs im Jahre 1971 geschaffen, mit dem Ziel „bei Zwischenfällen mit US-Soldaten darauf zu verzichten, die Rassenzugehörigkeit ohne zwingend sachbezogenen Anlass zu erwähnen“. Mit den „Zwischenfällen mit USSoldaten“ waren unübersehbar, aber unausgesprochen Vergewaltigungen durch farbige Täter gemeint. Im Jahre 1993 wurde die Richtlinie auf Wunsch von Sinti und Roma auf alle Minderheiten ausgeweitet. Der vom Deutschen Presserat geschaffene Pressekodex ist kein staatliches Gesetz, sondern eine Selbstverpflichtung der deutschen Verleger- und Journalistenverbände. Salopp formuliert handelt es sich um eine Selbstzensur, deren negative Auswirkung auf die Freiheit der Presse nicht unterschätzt werden sollte; denn der Presserat hat im Fall eines von ihm angenommenen Verstoßes gegen den Pressekodex nicht weniger als vier verschiedene Sanktionsmöglichkeiten: den sog. Hinweis; die Missbilligung; die nicht-öffentliche Rüge; die öffentliche 19
Zit. bei Reiner Burger (Anm. 1), S. 2. S. aber auch Hans Heckel, Jäger erneut unter Druck. Kölner Exzesse: Wollte Innenministerium Tatsachen vertuschen?, in: PAZ Nr. 15 v. 15. 04. 2016, S. 3. 20 Dazu Michael Leh, Die Bevormundung hält an. Presserat ändert Vorschriften zur Nennung von Täterherkunft nicht, in: PAZ Nr. 30 v. 29. 07. 2016, S. 2. 21 Zum Folgenden: Tobias Dahlbrügge, Schluss mit der Selbstzensur, in: JF Nr. 4/16 v. 22. 01. 2016, S. 17.
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Rüge, diese sogar mit Verpflichtung zum Abdruck. Das Ganze führt nicht nur zur Schere im Kopf der Journalisten, sondern zu einer permanent rotierenden Kreissäge. Interessant ist, dass inzwischen unter den Journalisten selber die Kritik an jener Selbstverpflichtung zum Schweigen wächst. So schreibt Roland Tichy unter der Überschrift „Die Binde vor den Augen der Journalisten“ dazu: „Journalisten machen sich blind, weil sie Ziffer 12 des Kodex des Deutschen Presserats befolgen… Berichterstattung wird blind und macht sich lächerlich, weil sie das Offenkundige verschweigt. Man könnte es auch Selbstzensur nennen – oder das Befolgen von Regeln, die radikale Minderheiten für sich ausnutzen… Längst geht der Minderheitenschutz ja so weit, dass eigentlich nur noch ältere, weiße, heterosexuelle Männer als Täter genannt werden dürfen. Irgendjemand muss es ja gewesen sein.“ Hugo Müller-Vogg urteilt über die erwähnte Richtlinie 12.1 des Pressekodex, sie sei eine Verabredung, „der Öffentlichkeit einen Teil der Wahrheit vorzuenthalten“. Bei der Polizei werde „geschönt, dass sich die Balken biegen: Täter haben keine Herkunft, Sexualdelikte werden als Körperverletzung gemeldet, Sinti und Roma werden zu Menschen mit häufig wechselndem Wohnsitz, kriminelle libanesische Clans zu Großfamilien und der Ehrenmord ist halt ein Mord wie jeder andere“.22 Dass es sich bei dieser Tatbestandsbeschreibung nicht nur um eine beliebige Meinung eines (allerdings prominenten) Journalisten handelt, sondern um ständige Realität, zeigt der folgende Einstieg in einem Pressebericht aus Berlin: „Erneut ist in Berlin ein Streit zwischen zwei Großfamilien auf einem Spielplatz eskaliert. Wieder wurden dabei Menschen verletzt. Die Polizei musste mit einem größeren Aufgebot eingreifen“.23 Was war die Herkunft jener „Großfamilien“? Gab es einen Migrationshintergrund? Soll der Leser selbst gefälligst recherchieren, wenn er mehr wissen will? Was ist gegen den Maulkorb zu tun? Der Medienwissenschaftler Prof. Horst Pöttker hat schon im Jahre 2013 die Abschaffung der Richtlinie mit beachtenswerten Argumenten gefordert: „Die Richtlinie gründet auf historischen Umständen, die sich geändert haben. Sie ist ein 22 Hugo Müller-Vogg, In der Flüchtlingsfrage sind viele Medien parteiisch – was denn sonst?, in: The Huffington Post v. 03. 03. 2017, zuerst in: Tichys Einblick v. 21. 01. 2016. 23 Bericht Polizei schlichtet wieder Streit von Großfamilien, in: HA v. 06./ 07. 06. 2015, S. 44.
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konkretes Formulierungsverbot und gehört abgeschafft“; der Medienwissenschaftler stellt zudem fest, „dass die Richtlinie das Publikum für dümmer hält, als es ist. Untersuchungen zeigen, dass Leser es merken, wenn die Nationalität eines Täters gezielt weggelassen wird. Dies führt zu einem Vertrauensverlust.“24 Wenn ein schweres Verbrechen begangen wurde, hat die Öffentlichkeit ein verständliches und berechtigtes Interesse an Informationen über den oder die Täter; dies gilt auch für deren Herkunft.25 Weil der Maulkorb des Pressekodex eine solche Information grundsätzlich untersagt, reichen die Medien aus dem Gefängnis ihrer Political Correctness dem Publikum oft nur einen kleinen Finger, nämlich in Gestalt der Vornamen der Täter: Soll dann der Leser darüber rätseln, wo der Täter herkommt. Hier einige Beispiele für Zeitungsberichte, in denen über schwere Verbrechen berichtet wird: „Es ist der 20. März, gegen Mitternacht, als Stephen S., 19, am Bahnhof Billstedt Robin A., Ayhan K. und Candan A. begegnet. Sie verlangen Geld – und schlagen sofort zu. Sie treten immer wieder gegen seinen Kopf, mit voller Wucht, selbst als er bewusstlos auf dem Boden liegt.“26 Robin, Ayhan und Candan – wo kommen sie her? Null Information. Ein zweites Beispiel, diesmal aus Berlin: Eine überregionale Tageszeitung berichtet über einen Mord folgendermaßen: „Im Januar 2015 lockte Eren T. seine frühere Freundin, die im achten Monat schwanger war, in ein Waldstück. Nach Überzeugung des Berliner Landgerichts habe Eren T. das 19 Jahre alte Opfer mit Benzin übergossen und angezündet, so dass sie bei lebendigem Leib und vollem Bewusstsein verbrannte. Das Kind ist qualvoll 24 Horst Pöttker, Der Pressekodex muss geändert werden: Journalisten sollten die Herkunft von Straftätern nennen dürfen, in: Die Zeit Nr. 41 v. 2. 10. 2013, S. 13; s. auch Jan Heitmann, Keine Zensur, in: PAZ Nr. 43 v. 28. 10. 2016, S. 1: „Mittlerweile hat sich der Presserat jedoch von einem Gremium zur Überwachung der journalistischen Ethik zu einer Institution der übertriebenen Selbstzensur der Medien gewandelt. Dies gilt insbesondere im Bereich der Kriminalberichterstattung.“ 25 Zurückhaltend und abwiegelnd zur Forderung nach Abschaffung der Ziff. 12.1 des Pressekodex: Frank Überall, Niemand darf diskriminiert werden. Wann Journalisten bei Berichten über Kriminalität persönliche Hintergründe nennen dürfen, regelt der Pressekodex – aus gutem Grund, in: FAZ Nr. 57 v. 08. 03. 2016, S. 13. 26 Daniel Herder, Harte Strafen für Angriff auf 19-Jährigen. Die Täter hatten immer wieder auf den bereits bewusstlos am Boden liegenden Stephen S. eingetreten. Opfer erlebt Prozess wie einen Albtraum, in: HA v. 04. 11. 2010, S. 9.
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im Mutterleib erstickt. Eren T. hat nach Auffassung des Gerichts die Liebe seiner früheren Freundin ausgenutzt, um sich ihrer zu entledigen“.27 Wer war Eren T.? Und wer waren – drittes Beispiel – die 22 und 23 Jahre alten Männer Firat M. und Erkan F., die sich im Kölner Raserprozess vor Gericht zu verantworten haben? Erkan F. kam bei dem Rennen, das sich die beiden auf Kölner Straßen geliefert hatten, bei einem Tempo von fast 100 Kilometer pro Stunde von der Straße ab und erfasste eine 19 Jahre alte Radfahrerin, die kurz darauf im Krankenhaus verstarb.28 Wieder ein Raserprozes, als viertes Beispiel, diesmal aus Berlin: „Marvin N. (24) und Hamdi H. (27) sollen in der Nacht zum 1. Februar dieses Jahres auf dem Kurfürstendamm mit ihren hochtourigen Fahrzeugen ein illegales Rennen veranstaltet haben, bei dem ein unbeteiligter 69-Jähriger ums Leben kam.“29 Ein fünftes Beispiel: „Die Berliner Polizei hat eine Gruppe junger Männer dingfest machen können, die in den vergangenen Monaten als ,Gullydeckelbande‘ besonders dreiste Einbrüche beging (nämlich mit Hilfe von Gullydeckeln, d. Verf.). Die Gruppe umfasst 25 Männer verschiedener Staatsangehörigkeit; der mutmaßliche Chef, der 26 Jahre alte Shaban S., wurde in einer Charlottenburger Bar beim Betrachten eines Fußballspiels festgenommen.“30 Aus einem Pressebericht über eine Verurteilung in Hamburg wegen Mordes: „Nach Überzeugung der Kammer ist Abdallah D. der Mann, der am 4. August vergangenen Jahres den 24 Jahre alten Mariusz J. in einer Grünanlage vor der Diskothek ,Time-Club‘ 27
Bericht Je 14 Jahre Haft für „Feuermord“ an früherer Freundin, in: FAZ Nr. 43 v. 20. 02. 2016, S. 7. 28 Bericht Angeklagte im Kölner „Raserprozess“ uneins, in: FAZ Nr. 41 v. 18. 02. 2016, S. 7; Andreas Nefzger, Der Moment, als das Auto das Fahrrad trifft. Im Kölner Raserprozess werden zwei junge Männer nach einem tödlichen Unfall zu Bewährungsstrafen verurteilt, in: FAZ Nr. 88 v. 15. 04. 2016, S. 6. 29 Hans H. Nibbrig, Raser wegen Mordes vor Gericht. Nach einem tödlichen Autorennen auf dem Berliner Kudamm schweigen die Angeklagten zum Prozessauftakt, in: HA v. 09. 06. 2016, S. 26. Die „Raser vom Kurfürstendamm“ sind inzwischen vom Landgericht Berlin wegen Mordes verurteilt worden; s. dazu Verena Mayer, Erstmals Raser wegen Mordes verurteilt. Berliner Gericht verhängt lebenslange Freiheitsstrafen gegen zwei Männer, die bei einem illegalen Autorennen auf dem Ku’damm einen 69-Jährigen töteten, in: SZ Nr. 49 v. 28. 02. 2017, S. 1; auch Joachim Käppner, Das Auto als Waffe, in: SZ Nr. 49 v. 28. 02. 2017, S. 4. 30 Bericht Berliner Polizei fasst „Gullydeckelbande“, in: FAZ Nr. 143 v. 22. 06. 2012, S. 7.
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erschossen hat.“31 Im Strafprozess wegen des Mordanschlages auf den Profiboxer Manuel Charr gestand, so wurde berichtet, „der Angeklagte Yussef H. in einer von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung, in der Nacht auf den 2. September in einer Döner-Bude in Essen auf Charr geschossen zu haben“.32 In einem anderen Fall musste sich ein Imad M. wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung vor einem Schöffengericht in Schleswig-Holstein verantworten. Über die Aktivitäten von Imad M. wurde unter der Überschrift „Dutzende von Schülerinnen zur Prostitution überredet“ u. a. wie folgt berichtet: Kaum hatte ein 15 Jahre altes Mädchen bei ihm ihre Unschuld verloren, „ging er aufs Ganze. Ob sie auch zu einem ,Dreier‘ bereit sei, wollte er wissen, und wie viele Männer sie ,schaffen‘ könne. Einer anderen Jugendlichen schlug er Sex mit etlichen Männern vor, im Fünf-Minuten-Takt.“33 In wieder einem anderen Fall ging es um einen Mord, begangen aus Eifersucht von einem Mustafa G. an einem Mustafa T.34 Immerhin wurden die Vornamen genannt, woraus der Leser seine Schlüsse zu ziehen hatte. Noch mehr verdunkelt wurde bei einem Verbrechen in Tübingen. Hier war im März 2015 eine Studentin nachts auf einen verlassenen Schulhof gelockt worden und von vier jungen Männern vergewaltigt worden. In einem ersten Zeitungsbericht war zu lesen: „Alle mutmaßlichen Täter sind der Polizei bekannt“, und weiter: „Zur Herkunft der Staatsangehörigkeit der mutmaßlichen Täter machen die Ermittler keine Angaben. Nach Medienberichten sollen sich die mutmaßlichen Täter während der Tat in einer Fremdsprache unterhalten haben.“35 In einer späteren Meldung derselben Zeitung hieß 31
Bericht Mord aus Geltungssucht. Zwölf Jahre Haft, in: HA Nr. 66 v. 19. 03. 1997, S. 17. 32 Bericht Mordprozess mit Boxerehre und Lektionen, in: FAZ Nr. 54 v. 04. 03. 2016, S. 6. 33 Bettina Mittelacher, Dutzende Schülerinnen zur Prostitution überredet. Gericht verhängt insgesamt vier Jahre Freiheitsstrafe für 26-jährigen Zuhälter. Er vermittelte Freier und ließ sich einen großen Anteil des Verdienstes abgeben, in: HA v. 08. 03. 2016, S. 15. 34 Daniel Herder, Mord nach fast 13 Jahren geahndet. Weil er eine Affäre mit seiner Frau hatte, erstach ein 46-Jähriger 2003 den Geschäftsmann Mustafa T., in: HA v. 09. 03. 2016, S. 14. 35 Bericht Viele Unklarheiten nach Übergriff auf Tübinger Schulhof, in: FAZ Nr. 96 v. 25. 04. 2015, S. 9.
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es: „Drei Täter haben die deutsche Staatsbürgerschaft, einer nicht.“36 Was soll der Leser mit einem solchen Bruchstück anfangen? Tatsache ist jedenfalls, dass es für den Leser in der Regel unerklärlich bleibt, warum in dem einen Fall die Herkunft des Täters angegeben wird, im anderen Fall nicht. Im Mordfall Mustafa G. wurde die Herkunft des Täters in der Presse verschwiegen, im Fall des ebenfalls wegen Mordes angeklagten Supermarkträubers Marek K. wurde die Herkunft des „42 Jahre alten Polen“ angegeben.37 Als in einem Einkaufszentrum in Kiel junge Mädchen laut Polizeibericht von 20 Männern „fast zwei Stunden lang belästigt, belauert, verfolgt, gefilmt und bedrängt wurden“, bezeichnete die Presse die Täter zunächst als „Männer mit Migrationshintergrund“, sodann war von den „beiden afghanischen Haupttätern“ die Rede.38 Erwähnt wurde die Herkunft der Täter auch in dem Fall, in dem vier junge Männer eine hilflose 14Jährige in Hamburg in einer Wohnung vergewaltigt und sie anschließend nur leicht bekleidet bei eisiger Kälte auf einen Hinterhof geworfen hatten; laut einem Pressebericht stammten die Täter „aus Serbien“.39 Auffallend oft wird über Ermittlungen wegen des Verdachts auf Sexualstraftaten berichtet, wobei in diesen Fällen neuerdings auch das Herkunftsland der mutmaßlichen Täter erwähnt wird, so wenn zu lesen ist: „In Weil am Rhein an der deutsch-schweizerischen Grenze sollen zwei Flüchtlinge aus Syrien zwei minderjährige Mädchen in der Silvesternacht vergewaltigt haben“.40 Aus Hamburg: „Zwei Afghanen, 29 und 24, sind am Mittwoch festgenommen worden, weil sie eine 18Jährige auf der Großen Freiheit in der Silvesternacht sexuell genötigt
36 Bericht Vier junge Männer als Vergewaltiger angeklagt, in: FAZ Nr. 185 v. 12. 08. 2015, S. 7. 37 Bericht Lebenslang für den Supermarkträuber, in: FAZ Nr. 41 v. 18. 02. 2016, S. 7. 38 Ulrich Exner, Massen-Belästigung im Einkaufszentrum. In Kiel werden drei junge Mädchen von zwei Dutzend Männern mit Migrationshintergrund belauert und verfolgt. Die Festgenommenen bedrohen die Polizisten, in: Die Welt v. 27. 02. 2016, S. 7. 39 Andre Zand-Vakili, Vier junge Männer vergewaltigen 14-Jährige in Hamburg, in: HA Nr. 51 v. 01. 03. 2016, S. 1. 40 Bericht Syrer sollen Mädchen vergewaltigt haben, in: FAZ Nr. 6 v. 08. 01. 2016, S. 7.
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haben sollen.“41 Aus München: Wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung in einem Hallenbad der Stadt wurde gegen drei Fünfzehnjährige ermittelt; „einer der Tatverdächtigen ist laut Staatsanwaltschaft syrischer Staatsangehöriger, die beiden anderen kommen aus Afghanistan“.42 Aus Kiel: „Eine Woche nach den Übergriffen einer Gruppe von jungen Afghanen auf drei junge Mädchen im Kieler Einkaufszentrum ,Sophienhof‘ hat die Polizei auf den Handys der hauptverdächtigen Flüchtlinge Fotos der Opfer sichergestellt.“43 Aus Bremen: „In Bremen sind während des Open-Air-Festivals ,Breminale‘ vor zwei Wochen deutlich mehr Frauen von jungen afghanischen Asylbewerbern sexuell belästigt worden als bisher bekannt. Die Polizei ermittelt mittlerweile in insgesamt 24 Fällen gegen fünf Tatverdächtige“.44 Aus Hamburg: „Der mutmaßliche Täter (wg. sexueller Nötigung, d. Verf.) ist Marokkaner und war bereits wegen Taschendiebstahls und Körperverletzung in Hamburg polizeibekannt.“45 In der ersten Gerichtsverhandlung wegen der sexuellen Übergriffe in Köln werden aus den bis dahin als „arabisch oder afrikanisch anmutenden Männern“ die „beiden Algerier Farouk B. und Abderahensane B.“46 Als Haupttäter der tödlichen Prügelattacke auf einen Jugendlichen in Bad Godesberg 41 Bericht Junge Frau auf St. Pauli begrapscht und genötigt. Polizei nimmt 18-Jährigen fest und sucht nach seinen Begleitern. Sie sollen ihn beim Übergriff angefeuert haben, in: HA Nr. 178 v. 01. 08. 2016, S. 9; Juliane Knieciak / André Zand-Vakili / Daniel Herder, „Sie ziehen einen mit Blicken aus“. Schülerinnen an Wilhelmsburger Berufsschule fühlen sich seit Monaten durch Männergruppen belästigt. Schon acht Anzeigen, in: HA v. 23./24. 01. 2016, S. 16. 42 Karin Truscheit, Das Berühren der Figuren mit den Pfoten ist verboten. Nach Übergriffen in einem Münchner Schwimmbad weist die Statistik jetzt „Asylbezug“ auf, in: FAZ Nr. 32 v. 08. 02. 2016, S. 7. 43 Ulrich Exner (Anm. 38), S. 7; auch: Bericht Polizei sichert Fotos der Opfer. Weiter Ungereimtheiten im Fall der Belästigung von Mädchen durch Asylbewerber in Kiel, in: FAZ Nr. 53 v. 03. 03. 2016, S. 4. 44 Notiz Übergriffe durch Afghanen, in: FAZ Nr. 174 v. 28. 07. 2016, S. 4. 45 Andre Zand-Vakili (Anm. 39), S. 1. – Keine Erwähnung der Herkunft der Täter in der Notiz Nach der Gruppenvergewaltigung einer Vierzehnjährigen hat das Landgericht Hamburg die fünf Täter zu Haftstrafen verurteilt – fast alle auf Bewährung, in: FAZ Nr. 246 v. 21. 10. 2016, S. 6. 46 Bericht über den Verhandlungsverlauf bei Ulrich Hartmann, Gesichter aus der Schreckensnacht. Erstmals nach den sexuellen Attacken von Köln steht ein Beschuldigter vor Gericht. Doch die Zeugin erkennt ihn nicht, in: SZ Nr. 105 v. 07./08. 05. 2016, S. 6.
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wurde „ein 20 Jahre alter italienischer Staatsbürger mit nordafrikanischen Wurzeln“ identifiziert.47 Alle diese Beispiele zeigen, dass die von der Richtlinie 12.1 des Pressekodex des Deutschen Presserates verordnete Schweigefront mehr und mehr bröckelt. Bei Attentaten mit terroristischem Hintergrund wird die Herkunft der Täter ohnehin minutiös aufgearbeitet. Aber auch in Bezug auf andere – jedenfalls: schwere – Straftaten ist die Aufweichung der Richtlinie, vor allem durch uneinheitliche Handhabung, unverkennbar. Allenfalls die Nichtnennung der Ethnie von Roma und Sinti als Straftätern wird noch fast ausnahmslos praktiziert.48 Da im 47 Bericht Im Fall Niklas Jacke mit Blutspur gefunden, in: FAZ Nr. 142 v. 21. 06. 2016, S. 7; s. auch Reiner Burger, Schläge und Tritte gegen den Kopf. Nach der Attacke von Bad Godesberg wird gegen den Hauptverdächtigen Haftbefehl erlassen, in: FAZ Nr. 115 v. 19. 05. 2016, S. 7. – Neuere Entwicklung: Meldung Im Fall Niklas hat die Staatsanwaltschaft Bonn Anklage gegen die mutmaßlichen Täter erhoben, in: FAZ Nr. 246 v. 02. 10. 2016, S. 6. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft jedoch Freispruch für den Hauptbeschuldigten gefordert, weil seine Täterschaft nicht sicher sei (Bericht Überraschende Wende im Fall Niklas, in: FAZ Nr. 97 v. 26. 04. 2017, S. 7). Der Angeklagte Walid S. wurde dementsprechend am 03. 05. 2017 aus Mangel an Beweisen freigesprochen (Bericht Freispruch für Hauptangeklagten im Fall Niklas, in: FAZ Nr. 103 v. 04. 05. 2017, S. 9). 48 Beispiel einer Ausnahme im Bericht Interpol hilft bei der Suche nach den Eltern der kleinen Maria, in: HA v. 24. 10. 2013, S. 30: „Unterdessen hat die griechische Polizei wegen des Verdachts der Kindesentführung auf der ÄgäisInsel Lesbos drei Roma im Alter von 51, 19 und 21 Jahren festgenommen“; auch – zum sog. Enkeltrick – Jörg Winterbauer, Kripo greift sich diebische „Enkel“. Trickbetrüger bestehlen Senioren in ganz Europa. Clan-Chef ist in Polen untergetaucht, in: Die Welt v. 26. 05. 2016, S. 23: „Und sie alle gehören dem Clan von Arkadiusz Lakatosz an, dem Erfinder des sog. Enkeltricks. Die Gruppe besteht aus mehreren Roma-Familien, die mehr oder weniger enge verwandtschaftliche Verbindungen zueinander haben.“ – Eine Nichtnennung ist vorgeschrieben in der Rahmenvereinbarung zwischen der rheinland-pfälzischen Landesregierung und dem Verband Deutscher Sinti und Roma Landesverband Rheinland-Pfalz e.V. vom 25. Juli 2005: „Schon der Respekt vor den Opfern (gemeint ist: in der Zeit des Nationalsozialismus, d. Verf.) verbietet es der Polizei, Angehörige der Sinti und Roma zu diskriminieren, Vorurteile zu fördern oder zu wecken. Hierzu gehören vor allem Angaben über die Minderheitenzugehörigkeit von Beschuldigten in Polizeiberichten und gegenüber Dritten einschließlich der Presse“; s. dazu Bericht „Ein Zeichen gegen Diskriminierung“. Rheinland-Pfalz bekennt sich zur historischen Verantwortung / Rahmenvereinbarung für Sinti und Roma / Finanzielle Förderung, in: FAZ Nr. 177 v. 02. 08. 2005, S. 4.
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Übrigen eine klare Linie bei der Anwendung der Richtlinie nicht mehr vorhanden ist, sollte diese außer Kraft gesetzt werden. Zu loben ist die „Sächsische Zeitung“, die angekündigt hat, die Herkunft von Straftätern künftig grundsätzlich zu benennen, unabhängig davon, ob es sich um Ausländer oder Deutsche handelt; als Begründung wird die anhaltende Debatte über den zunehmenden Vertrauensverlust der Bürger in die Medien und deren Unabhängigkeit angegeben.49 Man könnte zu dieser Entscheidung allenfalls fragen, ob die Nennung der Staatsangehörigkeit auch eines deutschen Täters wirklich erforderlich ist, wenn die Straftat in Deutschland begangen worden ist; jedoch kann der Grundsatz der Gleichheit für die ausdrückliche Nennung auch der Herkunft eines deutschen Straftäters sprechen, wie dies schon bisher gelegentlich in Presseberichten erfolgt, so in den folgenden Beispielen: „Die Polizei hat einen mutmaßlichen Sexualstraftäter gefasst. Dabei handelt es sich um einen 24 Jahre alten Deutschen, der eine 20 Jahre alte Frau in Osdorf sexuell genötigt haben soll“;50 „Am Sonntagnachmittag hatte ein 53 Jahre alter Mann aus Bad Mergentheim, der nach Auskunft der Polizei deutscher Staatsbürger war, eine 25 Jahre alte, aus Rumänien stammende Prostituierte zunächst verfolgt und dann mit einem Messer niedergestochen und tödlich verletzt.“51 In einem Fall des Verdachts einer Vergewaltigung und anschließender tödlicher Selbstjustiz durch Bekannte und Familienangehörige des Opfers ist zu lesen: „Der getötete mutmaßliche Vergewaltiger war Deutscher. Bei den vier Verfolgern des Vergewaltigers
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Notiz Zeitung zeigt Mut zur Wahrheit, in: PAZ Nr. 28 v. 15. 07. 2016, S. 3, auch mit Hinweis auf eine diesbezügliche Abonnentenbefragung. 50 Bericht Sexuelle Nötigung in Osdorf – Polizei fasst Täter, in: HAv. 19. 04. 2016, S. 14. – Nach einer Amokfahrt in Heidelberg dämpfte das Polizeipräsidium Mannheim die aufgeheizte Stimmung in den sozialen Medien mit dem Twitter unter dem Hashtag Heidelberg-Bismarckplatz: „Und nun nochmal für alle: # Tatverdächtiger: Deutscher OHNE Migrationshintergrund!“, zit. bei Rüdiger Soldt, Mit hohem Tempo in die Menschenmenge. In Heidelberg verletzt und tötet ein Mann mit seinem Wagen gezielt mehrere Personen. Sofort wird spekuliert, es sei ein Ausländer gewesen. Doch das stimmt nicht, in: FAZ Nr. 49 v. 27. 02. 2017, S. 7. 51 Bericht Prostituierte von ihrem Freier ermordet, in: FAZ Nr. 166 v. 19. 07. 2016, S. 7.
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handelte es sich um zwei Bekannte deutscher Herkunft und zwei Mitglieder der Einwandererfamilie“52 (der Frau, d. Verf.). Zurück zu Köln: Die im linken Spektrum der Politik und der Publizistik wie auch bei den christlichen Kirchen vorhandene Scheu, den Islam zu kritisieren, hat eine unvoreingenommene Beurteilung des kulturellen Hintergrundes der Vorfälle in der Kölner Silvesternacht erschwert. Von Frank A. Meyer, einem in Deutschland lebenden Schweizer Journalisten, stammt die Feststellung: „Muslime sind keine Rasse… Damit der Begriff Rassismus gleichwohl zur Diffamierung von Islamkritikern und Islamgegnern verwendet werden kann, hat ihn die publizistisch-politische Szene von linksliberal über grün bis linksaußen umgedeutet und zum ,Kulturrassismus‘ pervertiert… Wer dem Islam ablehnend gegenübersteht, muss beweisen, dass er weder zur Pegida noch zur AfD gehört.“53 Diese Beurteilung mag übertrieben klingen. Das Problem des In-die-(rechte)Ecke-gestellt-Werdens bleibt. Zuzustimmen ist in diesem Zusammenhang dem coolen Kommentar von Helene Bubrowski in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln gefordert hat, es „müssen alle Fakten auf den Tisch kommen. Das heißt insbesondere: Die Herkunft der Täter und ihre kulturelle Prägung dürfen nicht verschwiegen werden. Dass Pegida und AfD sich eventuell in der Behauptung bestätigt sehen, Flüchtlinge schleppten die Kriminalität in Deutschland ein, lässt sich nicht ändern. Diese Leute drehen die Tatsachen ohnehin so lange, bis sie in ihr Weltbild passen. Vertrauen kann indes nicht entstehen, wenn die Politik verschweigt, dass die Integration Probleme bereitet, und dass unsere Vorstellung von Gleichberechtigung der Geschlechter in vielen Gegenden dieser Welt – unabhängig von der Religion – nicht geteilt wird.“54 Unabhängig von rechts oder links und unabhängig von Islam oder Nichtislam ist das Verschweigen der Herkunft eines Straftäters jedenfalls dann unverständlich, wenn eine (in der Regel öffentliche) Gerichtsverhandlung stattgefunden hat, wofür der folgende Bericht ein 52 Bericht Tödliche Selbstjustiz nach Vergewaltigung?, in: FAZ Nr. 140 v. 20. 06. 2014, S. 6. 53 Frank A. Meyer, in: Cicero Febr. 2016, S. 46; auch zit. in JF 8/16 v. 19. 02. 2016, S. 2. 54 Helene Bubrowski, Die Freiheit der Frauen, in: FAZ Nr. 5 v. 07. 01. 2016, S. 1.
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Beispiel ist: „Das Landgericht Düsseldorf hat am Donnerstag einen selbsternannten Heiligen wegen schweren Menschenhandels und Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verteilt… Nach Überzeugung des Gerichts hatten der 30 Jahre alte Mohamed A. und der 27 Jahre alte Dennis B. vier Frauen mit ,einem hinterlistigen Schauspiel‘, mit Druck und Gewalt in die Prostitution getrieben. Die Tatumstände seien ,abstoßend‘ und ,abartig‘. A. hatte sich als Guru mit übernatürlichen Kräften inszeniert. Nach Erkenntnissen der Ermittler schnitt er seine Opfer von jeglichen sozialen Kontakten ab. Als der ,Heilige‘ die Frauen in sein pseudo-religiöses Geflecht eingebunden hatte, behauptete er, ihre Verbindung zum ihm hänge davon ab, dass sie für ihn täglich mehr als 1000 Euro erwirtschafteten, indem sie sich prostituierten. Um diese Vorgaben zu erreichen, gingen die Frauen bis zu 18 Stunden am Tag in Bordellen im Rheinland, in Hessen und Stuttgart anschaffen.“55 Wo kam „Guru“ Mohamed A. her? Warum darf der Leser dies nicht erfahren? Man muss wohl kein Prophet sein, um anzunehmen, dass die Bürger (und keinesfalls nur die sog. „Wutbürger“) sich Informationssperren in den sog. Qualitätsmedien in Zukunft nicht mehr gefallen lassen werden. Nicht alles, was aus CSU-Mund verlautbart wird, ist vernünftig; berechtigt ist aber die Forderung von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: „Um Fakten und Unwahrheiten zu trennen, müssen seriöse Medien heute alle bekannten Fakten veröffentlichen, um damit auch wilden Spekulationen Einhalt zu gebieten“, und: „Die Herkunft der Täter und Opfer muss grundsätzlich genannt werden.“56 Negative Stellungnahmen des Deutschen Presserates und des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) ließen allerdings nicht auf sich warten: Eine Änderung des Pressekodex wurde strikt abgelehnt; denn sonst, so der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall, „wären haltlosen Spekulationen und diffamierender Hetze Tür und Tor geöffnet“.57 Beim Lesen 55
Bericht Gar nicht heilig. Hohe Strafe für selbsternannten Guru, in: FAZ Nr. 270 v. 18. 11. 2016, S. 6. 56 Zit. bei Thomas Vitzthum, Medien sollten Täter-Herkunft grundsätzlich nennen, in: Die Welt v. 08. 12. 2016 www.welt.de; Egon Flaig nennt Ziff. 12.1 des Pressekodex „eine unverhohlene Zensur“, in: „Diffamieren und verleumden“, JF Nr. 3/17 v. 13. 01. 2017, S. 3. 57 Zit. bei Michael Hanfeld, Vorurteilsfrei. Wer Straftäter nicht benennt, versteht den Pressekodex falsch, in: FAZ Nr. 289 v. 10. 12. 2016, S. 16.
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einer solchen paternalistisch geprägten Phrase fragt man sich, welches Bild der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes von den Rezipienten der Medien hat, die von Journalisten gestaltet werden: Schreiben sie für eine aufgeklärte, emanzipierte Leserschaft, denen die Information über die Herkunft von Straftätern zugemutet werden kann, oder für sog. „Dumpfbacken“? Aus welchen Gründen hätte im Fall des Anis Amri die Herkunftsangabe unterdrückt werden sollen? Schließlich ist die Herkunft ausländischer Straftäter schon deshalb von Informationswert, weil festgestellt werden muss, ob er aus einem der sog. sicheren Herkunftsländer stammt und ob dieses Land zur Rücknahme aus Deutschland abgeschobener Straftäter bereit ist. Vielleicht ist ein Blick über die Grenzen, in diesem Fall in die Schweiz, hilfreich. Zur Frage, ob eine Zeitung die Herkunft eines Täters nennen darf, ist in der „Neuen Zürcher Zeitung“ zu lesen: „Während sich Presse und Polizei in Deutschland schwertun mit der Nennung von Nationalitäten, wird in der Schweiz die Herkunft von Verhafteten genannt… Die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten empfiehlt, bei Tatverdächtigen die Nationalität zu nennen, die im Pass vermerkt ist. Es entspricht schließlich einem legitimen Bedürfnis, wenn die Bevölkerung wissen will, ob ein Täter ein Einheimischer oder ein Ausländer ist.“58 Allerdings existiert auch in der Schweiz eine Richtlinie des Schweizer Presserats, von der gesagt wird, sie sei „einst so restriktiv wie jene des Deutschen“ gewesen. Jedoch habe man sich davon gelöst. Die jetzige Regel wird dahin kommentiert: „Die Schweizer Mediennorm enthält keine Empfehlung, die Nationalität ,in der Regel‘ nicht zu nennen. Vielmehr sind die Journalisten aufgefordert, im Einzelfall zu klären, ob die Nennung der ethnischen, religiösen oder nationalen Zugehörigkeit einen diskriminierenden Effekt hat. Entsprechend sollen die Journalisten ,den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung abwägen und die Verhältnismäßigkeit wahren‘, wie es unter Punkt 8.2 (Diskriminierungsverbot) heißt.“59 58 Christina Neuhaus, Schweizer mit ghanesischen Wurzeln. Die Polizei hält sich an die Nationalität laut Pass, die Medien entscheiden danach selber, in: NZZ am Sonntag v. 01. 01. 2017, S. 12. 59 Siehe Berichte über Ausländer. Deutscher Presserat nähert sich Schweizer Presserat an, in: NZZ v. 25. 03. 2017, S. 11.
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Die Kritik an der bisherigen Fassung der Richtlinie 12.1 des Pressekodex des Deutschen Presserates hat dazu geführt, dass deren Wortlaut im März 2017 geändert wurde.60 Hieß es darin bisher, wie oben zitiert, dass die Zugehörigkeit von Verdächtigen oder Tätern „zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt“ werden solle, „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“, so heißt es in der neuen Fassung der Richtlinie 12.1, dass bei der Berichterstattung über Straftaten darauf zu achten sei, „dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“ Die Änderung der Richtlinie ist – bezogen auf die Presse- und Informationsfreiheit – keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung: Reichte für die Nennung der Herkunft eines Verdächtigen oder eines Straftäters bisher ein „begründbarer Sachbezug“, so muss nach der Neufassung ein „begründetes öffentliches Interesse“ vorliegen. Ein „begründetes öffentliches Interesse“ ist aber eine strengere Voraussetzung für die Nennung der Herkunft als ein lediglich „begründbarer Sachbezug“. Konkret: Der Maulkorb bleibt; denn auch nach der Neufassung der Richtlinie ist es der Presse grundsätzlich untersagt, die Herkunft von Verdächtigen und Straftätern zu nennen, und nur ausnahmsweise (mit Begründungszwang) die Nennung gestattet61 – dies noch unter dem Damoklesschwert einer denkbaren Diskriminierung. Dass in einer freien Gesellschaft ein solcher Eingriff in die Presse- und
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Zum Folgenden siehe die Glosse von miha. (= Michael Hanfeld), Richtlinie 12.1. Der Presserat gibt Hinweise zur Berichterstattung über Straftaten, in: FAZ Nr. 71 v. 24. 03. 2017, S. 15. 61 Kritisch auch Heiko Urbanzyk, Blick in die Medien. Misstrauen der Leser gestärkt, in: JF Nr. 14/17 v. 31. 03. 2017, S. 17: „Es wird ein Schwurbelbegriff durch einen anderen ersetzt – bei unverändert feststehendem Grundsatz, dass die Herkunft im Regelfall nicht genannt werden soll.“
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Informationsfreiheit klaglos hingenommen wird, ein Eingriff, der auch noch Denunziantentum begünstigt62, ist nur schwer nachvollziehbar. Nicht lange Zeit nachdem die Richtlinie 12.1 des Pressekodex umformuliert worden war, fühlte der Presserat sich jüngst bemüßigt, zusätzlich Leitsätze zur Nennung der Herkunft von Straftätern auszuarbeiten63. Für das in der Richtlinie genannte „begründete öffentliche Interesse“ an der ausnahmsweisen Nennung werden Fallbeispiele genannt, wie z.B. eine „besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat“. Der Hinweis auf Ausnahmen bedeutet aber zugleich, dass nach wie vor die Nicht-Nennung der Herkunft der Straftäter die Regel sein soll. Auch die sog. Leitsätze (juristisch gesehen: eine Interpretationshilfe) heben also den massiven Eingriff der Richtlinie in die Grundrechte der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Informationsfreiheit nicht auf. Journalisten werden durch die „Handreichung“ am Händchen genommen, die Leser werden in einer Weise bevormundet, die in einer offenen Gesellschaft nichts zu suchen hat.
62 Zum Beispiel eines häufig aktiven Beschwerdeführers: Felix Krautkrämer, Der Presserat zielt wieder auf die JF. Wir haben Post bekommen: Kritik an „Eigenrecherche“ und allzu pikante Täter-Details, in: JF Nr. 11/17 v. 10. 03. 2017, S. 17. 63 Einzelheiten dazu bei David Denk, Zum Beispiel Köln. Herkunftsnennung von Tätern: Presserat formuliert Leitsätze, in: SZ Nr. 125 v. 1. 06. 2017, S. 27; miha (= Michael Hanfeld), Phantombild. Der Presserat hat seine Richtlinie zur Täternennung verfeinert, in: FAZ Nr. 126 v. 1. 06. 2017, S. 15.
G. Herrschaft über die Sprache Von dem bekannten Soziologen Helmut Schelsky stammt die Feststellung: „Wer die Sprache beherrscht, beherrscht auch die Menschen.“ Deshalb überrascht es nicht, dass die Verfechter der Political Correctness darauf aus sind, sich der Sprache zu bemächtigen. So wie im Mittelalter unerwünschte Bücher indiziert wurden, so werden jetzt missliebige Wörter geächtet. Als Ächtungstribunal funktioniert die „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“, eine private Jury, die sich nach einem Konflikt mit der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ selbstständig gemacht hat. Zu „Unwörtern des Jahres“ wurden z. B. neben anderen erklärt: „Neiddebatte“ (2006), „Herdprämie“ (2007), „Notleidende Banken“ (2008), „Flüchtlingsbekämpfung“ (2009), „alternativlos“ (2010), „Döner-Morde“ (2011), „Pleitegriechen“ (2012), „Sozialtourismus“ (2013), „Lügenpresse“ (2014). Zum „Unwort des Jahres“ 2015 wählte die Jury das Wort „Gutmensch“1, weil dieser Ausdruck in diffamierender Weise gebraucht werde. Peter Voss, der frühere Intendant des Südwestfunks Baden-Baden, hat jene Entscheidung zutreffend kritisch kommentiert:2 Voss spricht von einer Belehrung „in eher gouvernantenhafter Manier“, und meint „im pauschalisierenden Diffamieren ist die Jury selbst auch nicht ganz ohne“. Of1
Das Wort „Gutmensch“ scheint es der Jury besonders angetan zu haben; denn es war schon 2011 als eines von mehreren „Unwörtern“ (auf Platz 2) genannt worden. Zur neuerlichen Wahl s. die Glosse „Unwort des Jahrs“. Der gute alte Gutmensch ist zurück, in: FAZ Nr. 10 v. 13. 01. 2016, S. 7. 2 Peter Voss, Missionsverein für politische Korrektheit? (Leserbrief), in: FAZ Nr. 14 v. 18. 01. 2016, S. 18. – Zum Unterschied zwischen guten Menschen und „Gutmenschen“ s. auch Thomas Matter, Knüppel der Historie. Auch wenn gewisse Zeitgenossen den Begriff „Gutmensch“ wütend bekämpfen und dieser 2015 zum Unwort des Jahres gekürt wurde: Die Bezeichnung verdeutlicht wie keine andere den Unterschied zu einem „guten Menschen“, in: Die Weltwoche Nr. 09/16, S. 37: „Dem Gutmenschen aber geht es darum, vor den anderen gut dazustehen, vor möglichst großem Publikum ein Zeichen zu setzen, sich demonstrativ als moralisch makellos in Szene zu setzen und dafür entsprechenden Applaus einzuheimsen.“
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fenkundig möchte die Jury „den Unterschied zwischen guten Menschen und Gutmenschen verwischen, nämlich zwischen denen, die tatsächlich Gutes tun, und jenen, die es predigen und anderen vorzuschreiben versuchen“. Wer „Gutmensch“ sage, mache legitimerweise von der Unterscheidung Gebrauch: Polemischer Missbrauch ist damit „nicht ausgeschlossen, aber wo lässt er sich schon ausschließen? Wer da ein Reinheitsgebot exekutieren will, macht am Ende die Sprache steril, aber die Menschen nicht besser.“ Abschließend schildert Voss seinen Eindruck, dass die Jury von „antiaufklärerischem Gutmenschentum keineswegs frei zu sein“ scheint, und fragt, ob sie sich nicht besser, der Ehrlichkeit halber, in „Missionsverein für politische Korrektheit“ umtaufen sollte. Die frühere Bischöfin Margot Käßmann bevorzugt ein anderes Wort als „Unwort des Jahres“: „Macher (gemeint sind damit die Bankmanager, d. Verf.) ist eher das Unwort des Jahres als Gutmensch“.3 Auffallend ist jedenfalls, dass die „Unwörter des Jahres“ jeweils aus dem politischen Sprachland der Political Correctness stammen. Man fragt sich deshalb: Wie wäre es mit den auf andere Menschen gemünzten Wörtern „Pack“, „Mob“, „Wutbürger“ oder „geistige Brandstifter“4? Unerwünscht – so die Rüge ihres Gebrauches in einer von Maybrit Illner moderierten Talkshow – sind auch die Worte „Flüchtlingsströme“ und „Flüchtlingsfluten“, weil dieser Sprachgebrauch „die Würde des Einzelschicksals“ verletze5 ; besser sei das Wort „Zuzug“6. Das Beispiel zeigt, wie die Sprachpolizei zur Denkpolizei wird: In Wahrheit soll nicht einmal gedacht werden, dass es sich um eine zu große Zahl von Flüchtlingen handelt, die in die Bundesrepublik 3 Zit. im Bericht Käßmann liest Bankern die Leviten. Finanzminister Schäuble hadert mit Links-Protestanten / Die Theologin schlägt nun zurück – von Singapur aus, in: FAZ Nr. 50 v. 29. 02. 2016, S. 17, dort auch ihre Meinung: „Luther war aus heutiger Sicht politisch inkorrekt.“ 4 Formulierung von Bundesjustizminister Heiko Maas: „Auch ein juristischer Diskurs kann entgleiten und zur geistigen Brandstiftung werden“; dazu Henryk M. Broder, Der Justizminister und das Recht der Meinungsfreiheit, in: Die Weltwoche Nr. 05/16, S. 22: „Kurzerhand hob er auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auf.“ 5 Zit. bei Christian Geyer, Bürgermeisterlob, in: FAZ Nr. 241 v. 17.10..2015, S. 13. 6 Hans-Hermann Tiedje, Deutschland zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Abschied von Merkels Willkommenskultur, in: NZZ v. 10. 03. 2016, S. 12.
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strömen. Gemessen an solchen hochpolitischen Sprachdiktaten sind Empfehlungen zu nicht diskriminierender Geschlechtersprache eher zweitrangig, zuweilen sogar humorvoll. Ein Beispiel hierfür ist die an Sprachfeministinnen gerichtete Empfehlung der Kabarettistin Monika Gruber, den „Wasserhahn doch in Wasserhuhn umzubenennen“.7 Verständlich ist dagegen der eher seltene Fall, in dem ein eigentlich das Geschlecht bezeichnender Ausdruck vermieden wird, weil er zu anzüglicher und tatsächlich sexistischer Gedankenassoziation Anlass geben könnte: Die weibliche Stewardess (korrekte Bezeichnung: Flugbegleiterin) stellt sich bei Beginn eines Fluges den Fluggästen als „maître de cabine“ vor, nicht als „maîtresse de cabine“. Warum allerdings der Ausdruck „Flüchtling“ durch den „Schutzbefohlenen“ ersetzt werden soll, ist einem Flüchtlingskind (= mir) unverständlich8. Die Ideologie der sprachlichen „political correctness“ kann sogar dazu führen, das selbst der unkommentierte Gebrauch eines Fachwortes als kontaminiert angesehen wird. Ein früheres Plakat des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) in der S-Bahn mit dem Text „Schwarzfahren kostet 60 DM. Irgendwann erwischt es jeden…“ führte zu einer Anzeige wegen Diskriminierung. Das Plakat wurde daraufhin aus dem Verkehr gezogen. Ein Sprecher des HVV erklärte dazu, dass man im Unternehmen von „EB-Fällen“ (für: „erhöhtes Beförderungsentgelt“) spreche und in offiziellen Schreiben von „Fahrgästen ohne gültigen Fahrausweis“.9 Der Vorgang ist deshalb so unverständlich, weil beim „Schwarzfahren“ vermutlich niemand primär oder überhaupt an Menschen mit dunkler Hautfarbe denkt, genauso wenig wie bei dem Wort „Schwarzmarkt“, zu dessen Zeiten nach dem Krieg Menschen mit dunkler Hautfarbe unter der deutschen Bevölkerung kaum vorhanden waren. Sprachreinigung kann wohl auch nicht
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Zit. bei Bernd Rademacher, PC „is a G’schiß“, in: JF Nr. 50/14 v. 05. 12. 2014, S. 2. 8 Dazu Harald Tews, Unter Generalverdacht. Plötzlich sind Flüchtlinge keine Flüchtlinge mehr – Wie sich die Sprachkultur beim Umgang mit Zuwanderern langsam wandelt, in: PAZ Nr. 4 v. 29. 01. 2016, S. 9. 9 Dazu ausführlich Deborah Knür, Schwarzfahren – Dem HVV fehlen die Worte. Der Begriff ist zum Stein des Anstoßes geworden – Ein Fahrgast erstattet Anzeige, in: Die Welt v. 25. 11. 2000, S. 43.
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schwarze Kleidung als Ausdruck von Trauer beanstanden.10 Unverfänglich gebräuchlich ist schließlich auch die Bezeichnung „black box“, und geradezu schön ist die Feststellung aus der Modebranche: „black is beautiful“. Die heftigen Auseinandersetzungen in den Niederlanden im Zusammenhang mit den Umzügen des Nikolas („Sinterklaas“) und seinen schwarz geschminkten Helfern („Zwarte Pieten“) zeigen aber, wie tief die Ablehnung der Verwendung von Schwarz als Farbe jedenfalls in Teilen der dortigen Gesellschaft verankert ist.11 War also im Zusammenhang mit dem Nikolaus die Farbe Schwarz der Stein des Anstoßes, so geriet das Kosmetikunternehmen Beiersdorf wegen einer Werbung mit der Farbe Weiß auf die Anklagebank der „Political Correctness“: Eine internationale Werbeaktion für das Nivea-Deo, das keine Rückstände an weißer Kleidung hinterlässt, wurde wegen des dafür verwendeten Werbespruches „White is purity“ (Weiß ist Reinheit) zum Ziel eines Shitstorms in sozialen Medien. Beiersdorf knickte ein und stoppte die so formulierte Werbung12, dies obwohl vermutlich die überwiegende Mehrzahl der Kunden keinen Grund für einen solchen Stopp sah. Süffisante Frage: Darf Schnee noch weiß genannt werden? Die Ablehnung einer mit Hautfarbe gleichgesetzten Farbe ist nur zu verstehen, wenn die Verwendung dieser Farbe und/oder des Farbwortes als Beleidigung empfunden wird. Der slowenische Denker Slavoy Zˇizˇek hat in diesem Zusammenhang vor „der politisch korrekten Besessenheit“ gewarnt, „Individuen vor jeder Erfahrung zu schützen, die sie irgendwie als verletzend empfinden könnten… Am Ende kann jeder für sich in Anspruch nehmen, sich durch alles Mögliche beleidigt oder 10
Zur teils negativen, teils aber auch positiven Konnotation von „schwarz“ s. Ingo von Münch, Farben und Recht, Berlin/München 2006, S. 33. 11 Dazu Klaus Max Smolka, Was ist nur aus Sinterklaas geworden? Sicherheitsmaßnahmen begleiten das Nikolausfest in den Niederlanden. 200 Personen wurden festgenommen, in: FAZ Nr. 266 v. 14. 11. 2016, S. 9; s. auch den Bericht Der Schwarze Peter wird politisch. Niederländische Regierung äußert sich zu Kontroverse, in: FAZ Nr. 283 v. 03. 12. 2016, S. 9. 12 Schilderung des Sachverhaltes bei Matthias Bäkermann, Alle Farben dieser Welt, in: JF Nr. 16/17 v. 14. 04. 2017, S. 2. Kritik an der darin zum Ausdruck gekommenen „Macht der selbsterklärten Reinheitswächter der Sprache und der Bilder“ auch in der Glosse von eer Farbenlehre. Die Sittenpolizei im Netz kennt nur Schwarz und Weiß, in: FAZ Nr. 83 v. 07. 04. 2017, S. 15.
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verletzt zu fühlen“. Slavoy Zˇizˇek kommt mit seiner Skepsis gegenüber dem Sich-Einrichten in Komfortzonen zu dem zutreffenden Schluss: „Der Versuch der politisch Korrekten, das Sprechen zu regulieren, ist in sich falsch, weil es die realen Probleme verschleiert, statt sie zu lösen.“13 Ist es – so gesehen – altmodisch oder vielleicht vernünftig, auf Gefühle von Anderen lieber mit den Fingerspitzen von Anstand, Höflichkeit, Sensibilität und Empathie zu reagieren als mit dem Hammer der political correctness?14 Das Herrschaftsinstrument der „Political Correctness“ stammt aus dem angelsächsischen Raum. Besondere Aufmerksamkeit verdient deshalb der Widerstand gegen die grassierende „Political Correctness“ in englischsprachigen Ländern, so wenn der englische Bühnenautor und Kolumnist Andrew Doyle feststellt: „Die stillschweigend eingehaltenen Regeln, die Höflichkeit und Anstand am Arbeitsplatz, in der Schule oder im öffentlichen Raum vorschreiben, werden trotz gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten kaum je infrage gestellt. Was wir jetzt sehen, ist jedoch etwas völlig anderes und wesentlich Unheimlicheres: eine mutierte Form der politischen Korrektheit, die Sprache und Denken unter Beobachtung stellt. Es ist eine autoritäre Bewegung, angeführt von wohlmeinenden Aktivisten, die blind sind für ihre eigene Bigotterie.“15
13 Slavoj Zˇizˇek, Das Leben ist nun einmal krass. Lasst es uns bitte nicht schönreden, in: NZZ v. 25. 03. 2017, S. 43. 14 Ähnlich Hans Maier, Wie das Volk zur Sprache kommt. Alles beginnt mit der Wahl der richtigen Wörter, auch die Demokratie: Dolf Sternberger brachte den Deutschen bei, dass freie Bürger liebend gern von der Verfassung reden, in: FAZ Nr. 61 v. 13. 03. 2017, S. 13: „Steckt nicht sogar in der vielbeschrienen Political Correctness eine leise Mahnung zum Anstand? ,Das sagt man nicht!‘… Gut wäre es, wenn vieles im Umgang unter Bürgern wieder selbstverständlich würde, wenn die Regeln des Zusammenlebens stillschweigend und ganz von selbst beachtet würden. Dann müsste bei rhetorischen Grenzüberschreitungen, politischen Entgleisungen niemand mehr gleich den moralischen Zeigefinger heben.“ 15 Andrew Doyle, Reisst Euch am Riemen, statt zu jammern. Die Linksliberalen schaufeln sich ihr eigenes Grab, in: NZZ v. 15. 04. 2017, S. 45.
H. Ausgrenzung von abweichenden Ansichten Über die Vorgaben der Political Correctness zum Gebrauch oder Nichtgebrauch von bestimmten Ausdrücken weit hinaus geht die Ausgrenzung von abweichenden Ansichten aus dem Prozess der Diskussion. Dazu hat der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach kürzlich festgestellt: „Wir haben in Deutschland die Kultur (besser wäre gesagt: die Unkultur, d. Verf.) einer verschärften Political Correctness, die es ungeheuer schwierig macht, Themen, die nicht dem Mainstream entsprechen, ergebnisoffen und ohne gleich die Keule einer illegitimen und unmoralischen Haltung zu diskutieren.“1 Birgit Kelle, bekannt durch ihre Kritik am Genderwahn, schreibt: „Die Political Correctness hat sich wie Mehltau über den normalen demokratischen Diskurs gelegt. Man muss ja nicht jede Meinung teilen, geschweige denn gutheißen. Aber man muss darüber reden dürfen. Wer Toleranz fordert, muss sie auch selbst aufbringen.“2 Schließlich hat selbst der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen Deutschlands, Heinrich Bedford-Strohm, aus christlicher Sicht geäußert, es müssten Ängste, dass wir die hohe Zahl ankommender Flüchtlinge irgendwann nicht mehr bewältigen können, angesprochen werden dürfen, „ohne dass sie gleich als politisch unkorrekt oder als unchristlich etikettiert werden“.3 Die zitierten Warnungen zeigen deutlich, wie die Meinungs-
1 Zit. bei Philip Plickert, Politischer Unternehmer des Jahres. Bernd Lucke hat mit seiner AfD erfolgreich eine Marktlücke im Parteienspektrum besetzt. Und doch ist sein politisches Unternehmen akut vom Scheitern bedroht, in: FAZ Nr. 302 v. 30. 12. 2014, S. 20. 2 Birgit Kelle, Dann mach doch die Bluse zu. Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn, München 2013, S. 23. 3 Zit. bei Reinhard Bingener, Das Grundprinzip wechselseitiger Einfühlung. Die EKD debattiert über die Flüchtlingskrise. Ihr Vorsitzender Bedford-Strohm warnt vor menschlicher Kälte und beschwört den Geist des Christentums, in: FAZ Nr. 260 v. 09. 11. 2015, S. 4.
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freiheit in Deutschland durch die Political Correctness bedroht ist. Was ist zu tun? Was die Ausbreitung der Krankheit der Political Correctness in den Medien, also in Rundfunk und Presse, betrifft, so kann eine Heilung nur durch die in den Medien Tätigen selbst erfolgen. Es besteht immerhin Hoffnung, dass insoweit ein Umdenken möglich ist. Ulrich Wickert, der prominente ehemalige Moderator der „Tagesthemen“, kann als Zeuge benannt werden, wenn er mahnt: „Das Wichtige ist, dass unsere Presse Bescheid weiß, was passiert – und das auch sagt. Denn das ist eines der ganz großen Probleme in der Gesellschaft: Wenn wir Dinge nicht benennen, können wir uns damit auch nicht auseinandersetzen.“4 Wolfgang Herles, langjähriger Leiter des ZDF-Studios in Bonn, schreibt in seinem Buch „Die Gefallsüchtigen. Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik“: „Vertreter unerwünschter Meinungen mundtot zu machen ist einer offenen Gesellschaft nicht würdig… Als Sprach- und Denkpolizei sind die Medien denkbar ungeeignet.“5 Christiane Hoffmann, die Leiterin des Hauptstadtbüros des „Spiegel“, sieht in dem Ergebnis einer aktuellen FORSA-Umfrage, dass 40 % der Verbraucher der Arbeit der Mainstreammedien nicht mehr vertrauen, „eine fundamentale Krise, die man gar nicht ernst genug nehmen kann“, und kommt zu dem Schluss: „Köln ist der Anfang vom Ende der Political Correctness“6. Was kann der Einzelne tun, der/die nicht in Rundfunk oder Presse arbeitet? Der Rat ist einfach, wenn auch in konkreten Situationen nicht immer einfach zu befolgen. Der Rat lautet: Zivilcourage im Meinungsstreit zeigen, Mut beweisen, Toleranz üben, und sich bewusst sein, wie wichtig Meinungsfreiheit im Besonderen und Freiheit im Allgemeinen für jeden Einzelnen und für die Gemeinschaft Aller ist. Mut bewies z. B. die Polizeibeamtin Tania Kambouri, als sie ihr Buch 4 Ulrich Wickert, zit. bei Maximilian Nowroth, „Medien haben ein falsches Verständnis von Toleranz“ (Interview mit U. Wickert), in: Wirtschaftswoche (online) v. 28. 01. 2016, www.wiwo.de. Ausführlich jetzt auch Ulrich Wickert, Medien: Macht & Verantwortung, Hamburg 2016. 5 Wolfgang Herles, Die Gefallsüchtigen. Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik, München 2015, S. 88. 6 Christiane Hoffmann, Misere und Machismo. Essay: Wer Köln verstehen will, muss sich mit den Gründen der Gewalt beschäftigen, in: Der Spiegel Nr. 2 v. 09. 01. 2016, S. 20.
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„Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin“ schrieb;7 denn der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, forderte die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Autorin, u. a. deshalb, weil ihre kritischen Ausführungen zum Verhalten von Ausländern gegenüber Polizeibeamten und -beamtinnen „tendenziös“ seien8 – wozu man wissen muss, dass Tania Kambouri griechischer Herkunft ist: ihre Großeltern waren aus Griechenland eingewandert. Immerhin hat die Autorin für ihr mutiges Buch einen Verlag in Deutschland gefunden, was bei Themen, die gegen die Political Correctness verstoßen, nicht selbstverständlich ist.9 Toleranz ist ein Wesensmerkmal des Liberalismus: „Entscheidend in allen Debatten ist nicht, auf welcher Seite man steht… Entscheidend ist, die wohlbegründete andere Meinung zu respektieren. Entscheidend ist, liberal zu denken“.10 Liberal zu denken bedeutet, weltoffen in Freiheit für Freiheit zu denken, ohne Angst und ohne Hass. Wie heißt es so schön und so treffend in dem Lied „Die Freiheit“ des österreichischen Liedermachers Georg Danzer: „Die Freiheit ist ein wundersames Tier, Und manche Menschen haben Angst vor ihr. Doch hinter Gitterstäben geht sie ein. Nur in Freiheit kann Freiheit Freiheit sein.“ (1979).
7 Tania Kambouri, Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin, München/Berlin/Zürich, 2 Aufl. 2015. 8 Dazu Michael Leh, Maulkorb für Polizistin?, in: PAZ Nr. 2 v. 15. 01. 2016, S. 8. 9 Dazu die folgende persönliche Erfahrung des Verfassers: Das Manuskript meines Buches „Frau, komm! Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45“ habe ich mehreren deutschen Verlagen zur Veröffentlichung angeboten – ohne Erfolg. Das Buch ist dann schließlich in einem österreichischen Verlag (ARES, Graz 2009) erschienen. 10 Klaus Max Smolka, Liberal denken, in: FAZ Nr. 10 v. 13. 01. 2016, S. 15.
I. Die Faschismuskeule Wem Argumente fehlen, der greift zur Keule. Unerwünschte Meinungen werden heute mit dem Vorwurf des Rassismus niedergemacht. Die Rassismuskeule hat offensichtlich die bisher benutzte Faschismuskeule abgelöst – aber nicht ganz, wie zahlreiche immer noch aktuelle Beispiele zeigen. Im Juni 2016 bezeichneten Plakate von systemtreuen Kommunisten in Moskau die NATO als „den Faschismus des 21. Jahrhunderts“.1 Dazu passt die Beobachtung des Politikwissenschaftlers Claus Leggewie: „Der Begriff ,Faschist‘ erlebt eine irrlichternde Renaissance und wird auch in offiziellen Dokumenten (gemeint ist: russischen, d. Verf.) auf Amerika, den Westen und die Europäische Union gemünzt.“2 Hauptobjekt der russischen Attacken aber war und ist die Ukraine. Offizielle und offiziöse Verlautbarungen aus Moskau sehen in der Ukraine imaginäre Faschisten3 am Werk: Die Rede ist von einer „faschistischen Junta“,4 von einer „faschistischen Hydra“,5 von einem „faschistischen System“.6 Das Groteske an diesem Krieg der Worte ist, dass diejenigen, die die Faschismuskeule gegen die Ukraine schwingen, von anderen selbst als Bundesgenossen von Faschisten bezeichnet werden. „Putin verdammt nun seine Feinde als Faschisten, 1 Friedrich Schmidt, Unerwartete Überprüfungen der russischen Gefechtsbereitschaft. Wie Moskau den Ernstfall probt, in: FAZ Nr. 141 v. 20. 06. 2016, S. 2. 2 Claus Leggewie, Und was wissen Sie über den 23. August 1939?, in: FAZ Nr. 190 v. 18. 08. 2015, S. 11. 3 Zit. bei Annett Jubane, Nietzsche hilft nicht weiter, in: FAZ Nr. 275 v. 26. 11. 2014, S. 11; s. auch Reinhard Veser, Im Sinne der Tradition. Was Russland mit der Sowjetunion zu tun hat, in: FAZ Nr. 161 v. 13. 07. 2016, S. 8: „Diffamierung der Ukrainer als ,Faschisten‘ in den russischen Staatsmedien“. 4 Zit. bei Orlando Figes, Stoppt die Sanktionen gegen Putin, in: Die Weltwoche Nr. 19.14, S. 46 f. (S. 47). 5 Zit. bei Kerstin Holm, Die Propagandisten und ihre Lust an der Lüge, in: FAZ Nr. 103 v. 05. 05. 2015, S. 13. 6 Dmitrij Kisseljow (Leiter der Staatsmedienagentur „Russland Heute“), zit. bei Friedrich Schmidt, in: FAZ Nr. 103 v. 05. 05. 2015, S. 3.
I. Die Faschismuskeule
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zugleich verbündet er sich mit tatsächlichen Faschisten… Quer durch Europa bewundern rechtsextreme und faschistische Parteiführer Präsident Putin“ analysiert der amerikanische Historiker Timothy Snyder,7 und der britische Journalist Edward Lucas meint: „Die heutigen russischen Hardliner vertreten eine gefährliche Mischung aus stalinistischer Nostalgie, offenem Faschismus, ultraorthodoxer Religiosität und unbändigem Hass auf den Westen.“8 Die Ironie der Geschichte ist: Während die russische Obrigkeit den Faschismus verbal verdammt, zeigen junge Russen, z. B. in der Rockmusikszene, nicht selten faschistische Kennzeichen und Symbole.9 Handelt es sich dabei um Pose? Provokation? Aufmüpfigkeit? Aufbegehren? Oder tatsächlich um faschistoide Überzeugungen? Wir Westmenschen wissen es nicht. Eine Faschismusdebatte ist allerdings auch im Westen wieder angekommen, nämlich bei unserem Nachbarn links des Rheines. „Frankreich wird den Fluch des Faschismus nicht los“ lautet die Überschrift über einem Bericht, in dem über die wechselseitigen Anschuldigungen zwischen Politikern und Philosophen und zwischen Philosophen untereinander hinsichtlich der Verbreitung von faschistischem Gedankengut und über die „Nouvelle Droite“ (die „Neue Rechte“) berichtet wird.10 Der israelische Historiker Zeev Sternhell hatte schon in den achtziger Jahren die Ansicht vertreten, der europäische Faschismus habe auch in Frankreich genuine und starke Wurzeln gehabt.11 Wo Faschismus gesehen wird, blüht auch der Antifaschismus. Als der damalige Chef des „Front National“, Jean-Marie Le Pen, die französische Fußballnationalmannschaft wegen ihrer zahlreichen farbigen Spieler kritisiert hatte, Frankreich aber mit dieser 7
Timothy Snyder, Die Rechten schließen sich zusammen, Putin führt sie an (Gespräch mit Ann-Dorit Boy), in: FAZ Nr. 114 v. 17. 05. 2014, S. 11. 8 Edward Lucas, Mord an einem Freund (zur Ermordung von Boris Nemzow), in: Die Weltwoche Nr. 10/15, S. 54 f. (S. 55). 9 Dazu Joseph Croitoru, In Russland ist Faschismus oft nur Pose, in: FAZ Nr. 65 v. 18. 03. 2010, S. 32. 10 Jürg Altwegg, Köter und Kretin. Frankreich wird den Fluch des Faschismus nicht los, in: FAZ Nr. 59 v. 10. 03. 2015, S. 11. 11 Zit. bei Nils Minkmar, Ansichten eines sportlichen Analphabeten, in: FAZ Nr. 152 v. 04. 07. 2014, S. 9; s. dazu auch Karlheinz Weissmann, Weder rechts noch links, sondern faschistoid. In Frankreich erzürnt ein Werk des Politologen Zeev Sternhell über den „Faschismus à la française“ die politische Linke, in: JF Nr. 40/14 v. 26. 09. 2014, S. 20.
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Mannschaft 1998 Fußball-Weltmeister wurde, war die Rede vom „antifaschistischen Stoßtruppenunternehmen“.12 „Die antifaschistischen Fußballspieler wurden Weltmeister.“13 Ernster als die Platzierung einer Fußballmannschaft in der Liga Antifaschismus ist mit Sicherheit die Frage zu bewerten, ob es eine Nähe zwischen Islam und Faschismus gibt – allgemeiner gefragt: Ist religiöser Faschismus denkbar? Der als Sohn iranischstämmiger Eltern in Deutschland geborene Koranforscher und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Navid Kermani hat diese Frage klipp und klar bejaht14 – angesichts der von der Organisation „Islamischer Staat“ und der von muslimischen Selbstmordattentätern begangenen bekannten Verbrechen eine in der Tat überzeugende Antwort. Navid Kermani erwähnt in diesem Zusammenhang die Gewaltorientierung des Korans. Der ägyptische Politikwissenschaftler Hamel AbdelSamad weist in seinem Buch „Der islamische Faschismus. Eine Analyse“ darauf hin, dass sowohl für den Islam als auch für den Faschismus bedingungsloser Gehorsam und Opferbereitschaft bis zum Äußersten charakteristisch seien.15 So erstaunt es nicht, dass der Ausdruck „Islamofaschismus“ oder „Islamofaschisten“16 inzwischen zum gängigen 12 Jürg Altwegg, Frankreich braucht ein blaues Wunder, in: FAZ Nr. 123 v. 28. 05. 2014, S. 14. Zum Faschismus vieler französischer Fußballfans ders., Fehlschuss. Frankreichs Flankengott zweifelt an Intelligenz schwarzer Fußballer, in: FAZ Nr. 259 v. 07. 11. 2014, S. 9. 13 Formulierung von Jürg Altwegg (Anm. 10). 14 Navid Kermani, Jacques Mourad und die Liebe in Syrien (Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels), in: FAZ Nr. 242 v. 19. 10. 2015, S. 10 f. (S. 11). 15 Hamed Abdel-Samad, Der islamische Faschismus. Eine Analyse, München 2014; kritische Besprechung: Tilman Nagel, Falsche Thesen gegen die Schönfärberei. Hamed Abdel-Samads Kritik am „islamischen Faschismus“ schießt über das Ziel hinaus, in: JF Nr. 23/14 v. 30. 05. 2014, S. 25. Der Pariser Verlag Piranha hat die Veröffentlichung der französischen Ausgabe abgesagt, weil – so der Autor – der Verlag sich islamistischen Einschüchterungen beuge; s. Meldung Verlag zieht Buch zurück, in: PAZ Nr. 31 v. 05. 08. 2016, S. 24. – Zur Frage von Gewalt und Friedfertigkeit im Islam s. auch Hamed Abdel-Samad / Mouhanad Khorchide, „Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren“. Ein Streitgespräch, Freiburg 2016. 16 Ausdruck bei Jürg Altwegg, Der Letzte seiner Art, in: FAZ Nr. 148 v. 30. 06. 2014, S. 9 (zu Bernard-Henri Lévy) und bei Nicholas Farrell, Perfektes Symbol des Klassenfeinds, in: Die Weltwoche Nr. 19/16, S. 50.
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Sprachvokabular gehört – gelegentlich auch in einer gewissen Spezifizierung wie „Islam in seiner faschistischen Variante“17 oder „Salafismus ist Islamofaschismus“18 oder Dschihadismus als „eine Variante des Faschismus“.19 Für solche Kategorisierungen mag es gute Gründe geben. Jedoch könnte auch die Frage gestellt werden, ob es sich bei dem sogenannten „Islamofaschismus“ nicht eher um religiösen Extremismus oder religiösen Fanatismus handelt. Es bleibt aber die Beobachtung, dass der Ausdruck „Islamofaschismus“ inzwischen einen festen Platz in der Begriffswelt gefunden hat. Anders ist die Praxis hinsichtlich des Gebrauches der Ausdrücke „Linke Faschisten“ und „Linksfaschismus“. Diese sind zwar nicht völlig unbekannt, werden aber doch eher selten gebraucht. Deshalb können nur verhältnismäßig wenige Beispiele genannt werden, so wenn der wegen einer Beteiligung an dem Attentat auf die OPEC-Konferenzteilnehmer in Wien 1975 als deutscher Terrorist bezeichnete HansJoachim Klein von seinen einstigen Mitkämpfern als von „linken Faschisten“ spricht20, und wenn die Störung einer Podiumsdiskussion in der Universität Göttingen zum Thema der Zuwanderungspolitik durch linke Studentengruppen von Bassam Tibi als „linker Faschismus“21 kritisiert wird. Vorsichtiger äußerte sich Günter Grass, als er im Zusammenhang mit Gewalt auf den Straßen meinte, das Verhalten der Linken „könne auch zum Faschismus führen“.22 Bemerkenswert ist
17 Jürg Altwegg, Ist das alles ironisch gemeint? Die heftigen Reaktionen auf Michel Houellebecqs Horrorwerk „Unterwerfung“ in Frankreich verraten viel über das Land: Der Autor hat ihm eine Falle gestellt, und alle tappen hinein, in: FAZ Nr. 3 v. 05. 01. 2015, S. 11. 18 Jürgen Elsässer, zit. bei Hinrich Rohbohm, „Ich habe keine Verbindung zum Kreml.“ Jürgen Elsässer (Teil 2), in: JF Nr. 49/14 v. 28. 11. 2014, S. 12. 19 Cem Özdemir, Im Gespräch: „Ankara muss die Muslime in Deutschland freigeben“, in: FAZ Nr. 277 v. 27. 11. 2015, S. 5. 20 Zit. bei Michael Hanfeld, Die Abkehr. Wer war Hans-Joachim Klein? „Ein deutscher Terrorist“ (ARD), in: FAZ Nr. 188 v. 15. 08. 2006, S. 34. 21 Dazu Christian Vollradt, Der Mahner, in: JF Nr. 21/16 v. 20. 05. 2016, S. 3. 22 Notiz: Grass, Auch linke Straßengewalt kann zum Faschismus führen, in: Die Welt v. 03. 02. 2001, S. 29.
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schließlich, dass sogar der dem linken Spektrum zugehörende Jürgen Habermas vor „linkem Faschismus“ gewarnt hat.23 Wer vor Faschismus warnt, ist deshalb natürlich gerade kein Faschist. Aber der diesbezügliche Vorwurf trifft nicht Wenige. Peter Handke wurde wegen seiner serbienfreundlichen Haltung im Balkankrieg anlässlich der Verleihung des Ibsen-Preises in Oslo noch im Jahre 2014 von Demonstranten als „Faschist“ beschimpft.24 Peter Handke befindet sich damit – wenn auch aus anderem Grund – in Gesellschaft von Le Corbusier,25 Ernst Jünger,26 Ezra Pound27 und Alain de Benoist,28 denen zumindest Nähe zum Faschismus in ihren Werken oder Texten vorgeworfen wird. Selbst dem französischen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy wurde im Wahlkampf unterstellt, er bediene „faschistische Rhetorik aus der Vorkriegszeit“.29 In Israel sah Oppositionsführer Jitzhak Herzog in dem von der Knesset beschlossenen sog. Transparenzgesetz, das Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. „Peace Now“ und „Breaking the Silence“, einer strengeren Kontrolle als bisher unterwirft, „Anzeichen eines aufkeimenden Faschismus“.30 Ob alle oder einige dieser Vorwürfe zutreffen, soll hier nicht entschieden werden. Tatsache ist aber, dass immer häufiger zur Faschismuskeule gegriffen wird, dies in immer weitergehenden Zu-
23 Zit. bei Uwe Pörksen, Camelot in Grunewald. Szenen aus dem intellektuellen Leben der achtziger Jahre, München 2014, S. 54. 24 Notiz: Kein Preisglück. Eklat um Peter Handke beim Ibsen-Preis in Oslo, in: FAZ Nr. 221 v. 23. 09. 2014, S. 9. 25 Dazu Marc Zitzmann, „Erneuerung, Reinemachen, Säuberung“. Eine französische Debatte zum Thema „Le Corbusier und der Faschismus“, in: NZZ Nr. 119 v. 27. 05. 2015, S. 45. 26 Dazu Pierre Bourdieu, zit. bei Felix Dirsch, Geistigen Widerstand geboten. Schlüsselroman in der NS-Zeit: Vor 75 Jahren erschien die Erzählung „Auf den Marmorklippen“, in: JF Nr. 45/14 v. 31. 10. 2014, S. 16. 27 Dazu Georg Kohler, Ezra Pounds Tochter oder: Der Mythos vom Paradies, in: NZZ Nr. 180 v. 07. 08. 2015, S. 45. 28 Erwähnt bei Jürg Altwegg (Anm. 10). 29 Bericht: Herbe Attacken gegen Sarkozy, in: FAZ Nr. 92 v. 20. 04. 2007, S. 5. 30 Zit. in Bericht Israel beschließt umstrittenes Transparenzgesetz, in: FAZ Nr. 161 v. 13. 07. 2016, S. 4.
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sammenhängen. Beispiele dieser Inflation sind: „Ökofaschismus“,31 „Ontologischer Faschismus“,32 „linksliberaler Faschismus“,33 „sozialfaschistische Parteien“,34 „neofaschistische Gewalt,35 „Sowjetfaschismus“,36 „Hitler-Faschismus“.37 Im kulinarischen Bereich bewegt sich die Kritik am Vegetarier-Boom als „Gemüsefaschismus“38 und die Bezeichnung französischer Arten faschistischer Tendenzen als „Camembert-Faschismus“.39 Weniger komisch ist die Behauptung, in Dresden sei „offen ausgebrochener Faschismus“ zu beobachten,40 und wenn ein Landesverfassungsschutzamt der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (WVN-BdA)“ den Vorwurf macht, „alle nichtmarxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potentiell faschis31
Erwähnt bei Dieter Steiner, Die Verlegenheit der Grünen im Kampf gegen die Ecopop-Initiative, in: NZZ am Sonntag v. 17. 08. 2014, S. 17; auch bei Wolfgang Herrndorf, Tschik. Roman, 17. Aufl. Reinbek 2013. 32 Erwähnt bei Karlheinz Weissmann, Die Realität ist ein unerbittlicher Lehrmeister, JF Nr. 23/16 v. 03. 06. 2016, S. 20 (zu Arnold Gehlen und Alexander Dugin). 33 Erwähnt bei Andreas Ross, Heiraten, kiffen, schießen, in: FAZ Nr. 99 v. 29. 04. 2015, S. 1 (Vorwurf von Senator Ted Cruz an die US-Demokraten). 34 Erwähnt bei René Zeyer, Sozialismus. Stalins schwarzer Schatten, in: Die Weltwoche Nr. 19/16, S. 66 f. (S. 67), zu Stalins Kampf gegen sozialdemokratische Parteien. 35 Erwähnt in: Einladung der Hamburger Autorenvereinigung zur Veranstaltung Rüdiger Wolf singt Lieder von Erich Kästner am 01. 09. 2014. 36 Formulierung von Leyla Yunus (Historikerin und Anwältin für Menschenrechte in Aserbeidschan), zit. bei Christoph Becker, Urteilsverkündung im Liegen. Baku geht gegen seine Kritiker vor, in: FAZ Nr. 188 v. 15. 08. 2015, S. 5. 37 Erwähnt bei Frank Jäger, Die Resistenza: ein quasi-religiöser Mythos? Auch in Italien wird über die Bewertung der Vergangenheit gestritten, in: Der Tagesspiegel Nr. 16548 v. 15. 12. 1998, S. 2. 38 Ausdruck von Christian Ulmen (Schauspieler), zit. im Interview von Armin Lissfeld mit Esther Schweins, „In der Küche wird der Sexualtrieb ausgelebt“, Bild v. 15. 03. 2015, www.bild.de. 39 Nils Minkmar, Der Camembert-Faschismus. Wie Marine Le Pen es geschafft hat, den politischen und kulturellen Diskurs in Frankreich zu dominieren – und was man dagegen tun kann, in: FAZ Nr. 122 v. 27. 05. 2014, S. 11. 40 Büchner-Preisträger Otto Köhler auf der Herbsttagung 2015 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, zit. bei Joachim Güntner. Nervöses Bewusstsein. Spannungsvolle Preisverleihungen – die Deutsche Akademie an ihrer Darmstädter Herbsttagung, in: NZZ v. 03. 11. 2015, S. 42.
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tisch“ zu betrachten.41 Wer aber in dieser Weise fast überall Faschismus sieht, der wird wirklichen Faschismus nicht mehr erkennen. Als historische Reminiszenz sei nur noch erwähnt, dass nach der Invasion der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei in der Nacht vom 20./21. August 1968, begründet mit der sog. BreshnevDoktrin von der beschränkten Souveränität im Fall einer „Konterrevolution“, in der Volksrepublik China die Breshnev-Doktrin als „Gangster-Theorie“ des „Sozialfaschismus“ bezeichnet wurde.42
41 Zit. bei Henning Hoffgaard, Mit freundlicher Unterstützung. Kongress: In Berlin trifft sich die Antifa in den Räumen der TU, in: JF Nr. 17/14 v. 18. 04. 2014, S. 4. 42 In: Peking-Rundschau vom 20. Mai 1969, zit. bei Boris Meißner, Die Breshnev-Doktrin, in: Osteuropa 1969, S. 641.
J. Die Rassismuskeule Zu den Waffen im Kampf gegen den politischen Gegner gehört nicht nur die Faschismuskeule, sondern auch die Rassismuskeule – dies nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland: Der Debatte in Großbritannien zum Brexit wird ein „rassistischer Zug“ bescheinigt.1 In Frankreich gab es Rassismusvorwürfe gegen den französischen Fußballverband;2 der aus Algerien stammende, für die Europameisterschaft nicht nominierte Spieler Karim Benzema monierte, der Nationaltrainer habe „dem rassistischen Teil Frankreichs nachgegeben“.3 In der Schweiz hat der Strafrechtsprofessor und Nationalrat der dortigen sozialdemokratischen Partei (SP) Daniel Jositsch festgestellt, „es gelingt einigen wenigen Eiferern immer wieder, die Rassendiskriminierungs-Strafnorm als Keule einzusetzen gegen missliebige Andersdenkende, die sich kritisch zu Minderheiten geäußert haben“,4 und ein ebenfalls der SP angehörender Schweizer Bezirksrichter hat die nicht optimale Praxis der Einbürgerung mit der oft vorhandenen Angst erklärt, „als rassistisch gebrandmarkt zu werden“.5 In Israel fühlen die orientalischen Juden sich durch den angeblichen Rassismus der aus Europa stammenden Israelis diskriminiert, was der aus Marokko stammende israelische Schauspieler Ya‘ Akov Cohen mit dem Urteil kommentiert: „Wenn das Jammern über Rassismus und Diskriminie-
1 Stimme eines gebürtigen Japaners, zit. bei G.T. (Gina Thomas), Lärm und Lieder, in: FAZ Nr. 154 v. 15. 07. 2016, S. 9. 2 B.B. (Bodo Bost), Rassistisches Vorbild? Equipe tricolore: MultikultiVorzeige-Modell in der Kritik, in: PAZ Nr. 24 v. 17. 06. 2016, S. 6. 3 Zit. bei Michaela Wiegel, Die lederne Kristallkugel, in: FAZ Nr. 158 v. 09. 07. 2016, S. 6. – Zu rassistischen Beschimpfungen in französischen Fußballstadien s. J.A. (Jürg Altwegg), Fehlschuss. Frankreichs Flankengott zweifelt an Intelligenz schwarzer Fußballer, in: FAZ Nr. 259 v. 07. 11. 2014, S. 9. 4 Daniel Jositsch, Die Rassismus-Keule, in: Die Weltwoche Nr. 12.15, S. 51. 5 Luca Cirigliano, zit. bei Daniel Glaus, In zehn Minuten eingebürgert, in: Die Weltwoche Nr. 45.10, S. 18 f. (S. 19).
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rung zur Gebetsmühle wird, droht das Leben daran zu ersticken.“6 Aus den USA stammt der wohl zurzeit bekannteste Rassist, nämlich in Gestalt von Donald Trump, über den New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio während des Wahlkampfes um das Präsidentenamt twitterte: Trump „verhält sich wie ein Rassist, spricht wie ein Rassist… natürlich ist Donald Trump ein Rassist“;7 als Begründung ist in einem deutschen Pressekommentar zu lesen: „Trump fördert Rassismus, wenn er illegal eingewanderte Mexikaner ,Vergewaltiger und Mörder‘ nennt.“8 Allerdings gibt es auch neutrale Stimmen (so wie in der „Neuen Zürcher Zeitung“), die meinen, dass Trump nicht nur mit Rassismus punktet: „Aber Trumps Wähler sind nicht einfach die Idioten Amerikas, es sind häufig – vor allem wenn sie nicht in größeren Gruppen auftreten – ganz normale Amerikanerinnen und Amerikaner. Sie haben eines gemeinsam: Sie haben den Glauben aufgegeben, dass die herkömmliche Politik sich um ihre Anliegen kümmert“.9 Ist Trump vielleicht doch mehr als „ein rassistischer Immobilienmogul“?10 Jedenfalls – oder sollte man sagen: immerhin – ist der für aufgeklärte Geister unwählbar gewesene „Rassist“ Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt worden. Auch in Deutschland gehört der Vorwurf des Rassismus zum derzeit gängigen Streitvokabular. In der Bundestagsdebatte um die Vorfälle in Clausnitz sah der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, im Eingreifen der Polizei einen Fall von „institutionellem Rassismus“11 6 Zit. bei Joseph Croitoru, Aus dem Teufelskreis von Magie und Aberglauben. Wider die ethnische Diskriminierung orientalischer Juden in Israel: Diskussion um den Film „Sh’chur“, in: FAZ Nr. 84 v. 08. 04. 1995, S. 30. 7 Zit. bei Ronald Lindner, Überall und nirgends. Donald Trumps Name ist in New York allgegenwärtig. Doch sein Einfluss ist in seiner Heimatstadt begrenzt, sein soziales Engagement ist dürftig, in: FAZ Nr. 73 v. 29. 03. 2016, S. 5. 8 Andreas Ross, Trump – die autoritäre Versuchung, in: FAZ Nr. 105 v. 06. 05. 2016, S. 1. 9 Peter Winkler, Auf dem Drachen in die Katharsis. Wie auch immer Donald Trumps Bewerbung um die amerikanische Präsidentschaft ausgeht, die Republikaner werden sich um seine Anhänger kümmern müssen, in: NZZ v. 23. 04. 2016 (Internationale Ausgabe), S. 17. 10 Bezeichnung von Constanze Kurz, Die Großen lässt man laufen. Hillary Clinton und ihr laxer Umgang mit Regierungsinformationen, in: FAZ Nr. 159 v. 11. 07. 2016, S. 12. 11 Da das Eingreifen der Polizei dem Schutz der Flüchtlinge diente, hat die Gewerkschaft der Polizei diesen Vorwurf zu Recht zurückgewiesen; s. Notiz Gewerkschaft der Polizei, in: JF Nr. 10/16 v. 04. 03. 2016, S. 4.
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– man fragt sich: Was ist das? Im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht wurde „die Reproduktion des rassistischen Bildes der unschuldigen weißen Frau“ kritisiert, „die vor dem aggressiven muslimischen Mann geschützt werden muss“.12 Einen solchen „kulturellen Kontext“ lehnt die bekannte Frauenrechtlerin Monika Hauser ab: „Was wir jetzt nicht brauchen, ist eine auf rassistischen Linien laufende Diskussion, die bringt uns überhaupt nicht weiter.“13 Es überrascht nicht, dass gerade und vor allem im Hinblick auf den Flüchtlingszustrom Kritik an offenen Grenzen mit dem Vorwurf des Rassismus diskreditiert wird. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht, auf die Frage nach einer etwaigen Änderung der Flüchtlingspolitik ihrer Partei geantwortet hat: „Wir müssen die Ängste ernst nehmen. Es ist falsch, alle AfD-Wähler als rassistisch zu denunzieren.“14 Sahra Wagenknecht steht mit dieser ihrer Ansicht nicht allein. So wird der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer von der Partei Die Grünen mit der Meinung zitiert: „Die Silvester-Übergriffe haben etwas mit der Aufnahme von Flüchtlingen ohne Registrierung und Kontrolle zu tun“; dies habe Palmer dahin ergänzt: Diesen Satz müsse man aussprechen können, ohne mit der AfD verglichen zu werden. In Deutschland gebe es eine Denkschule, die jeden „voreilig“
12 Hengameh Yaghoobifarah, Willkommen in der Hölle, Ladys. Sexualisierte Gewalt. Seit der Kölner Silvesternacht wird einer sexismusfreien Zeit hinterhergetrauert. Die hat es in Deutschland nie gegeben, in: TAZ v. 08. 01. 2016, S. 13. 13 Rassismus hilft auch hier nicht weiter. Was an Silvester in Köln passierte, hat mit Kultur nichts zu tun, sondern mit patriarchalischen Mustern. Ein Gespräch mit der Frauenrechtlerin Monika Hauser, in: FAZ Nr. 18 v. 22. 01. 2016, S. 11. 14 Sahra Wagenknecht, „Es nutzt der AfD, wenn man sie dämonisiert“ (Interview mit Stefan Reinecke und Pascal Beucker), in: TAZ v. 18. 04. 2016, S. 3; zit. auch bei Mechthild Küpper, Kampf um die Protestwähler. Die Linkspartei ringt um eine Haltung zur konkurrierenden AfD und zur Flüchtlingspolitik, in: FAZ Nr. 91 v. 19. 04. 2016, S. 4. Ähnliche Formulierung auch von Oskar Lafontaine, zit. bei Mechthild Küpper, Gedankenspiele eines Ehepaars. Warum ausgerechnet von Vertretern der Linkspartei zu hören ist, dass die Aufnahme von Flüchtlingen nicht zu Lasten der Deutschen gehen dürfe, in: FAZ Nr. 68 v. 21. 03. 2016, S. 4.
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mit Rassismusvorwürfen überziehe, der eine differenzierte Betrachtung in der Flüchtlingsdebatte einfordere.15 Diese Mahnung macht auf den oft übermäßigen Gebrauch der Rassismuskeule aufmerksam. Beispiele hierfür gibt es genug: Staatsgrenzen wurden auf Plakaten von Aktivisten mit Rassismus gleichgesetzt („borders = racism“16 ; „fuck your racist borders“17). Nach einem Vortrag von Bundesbankpräsident Jens Weidmann in Rom, der als Kritik an Italiens Finanzpolitik verstanden wurde, sah der Fraktionsvorsitzende von Berlusconis „Forza Italia“ in Deutschland „wirtschaftlichen und finanziellen Rassismus am Werk“.18 Die Kritik am Wahlverhalten der älteren Menschen („Generation Rollator“) beim Referendum zum Brexit wird in einem Kommentar als „neuer Hass gegen die Alten“ gesehen, der auch „eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Rassismus“ habe.19 Auf Böhmermanns unsägliche Erdogan-Satire angesprochen, antwortete eine Rechtsanwältin, Böhmermann habe mit der Erwähnung des Geschlechtsverkehrs mit Ziegen „mit sämtlichen Vorurteilen und dem Vokabular des Rassismus gespielt. Aber er ist kein Rassist“20 (Ja, was ist denn nun Sache, möchte man dazu fragen). Weil nach Auffassung der türkischen Kulturgemeinde in Österreich der Bausatz „Jabbas Palast“ rassistisch sei, nahm das Spielzeugunternehmen Lego den Bausatz vom Markt.21 Der Süßwarenhersteller Ferrero beabsichtigte, für seine mit weißer Schokolade überzogenen „Ferrero Küsschen“ mit dem Slogan „Deutschland wählt weiß. Weiße Ferrero 15
S. 6. 16
Bericht Palmer kritisiert Zuwanderung, in: FAZ Nr. 161 v. 13. 07. 2016,
Erwähnt von Michael Martens, Grenze, öffne Dich!, in: FAZ Nr. 55 v. 05. 03. 2016, S. 3. 17 Erwähnt bei Boris Kálnoky, Linke Schlepper, in: Die Weltwoche Nr. 12.16, S. 51. 18 Zit. in Bericht: Weidmanns Kritik erzürnt die Italiener. Dramatische Schlagzeilen und wütende Reaktionen nach einem Vortrag des Bundesbankpräsidenten, in: FAZ Nr. 99 v. 28. 04. 2016, S. 18. 19 Lorenz Jäger, Die Greisenfresser kommen. Generation Rollator? Über einen Diskussionsstil, in: FAZ Nr. 150 v. 30. 06. 2016, S. 9. 20 In: Gottes verzweifelte Anwältin. Kommt Jan Böhmermann mit seiner Satire durch? Ein Gespräch mit Gabriele Rittig, „Titanic“-Rechtsbeistand; in: FAZ Nr. 87 v. 18. 04. 2016, S. 11. 21 Boris Kálnoky, Juristisches Sperrfeuer, in: Die Weltwoche Nr. 16.16, S. 12.
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Küsschen für immer“ zu werben. Nachdem ein „Rassismusforscher“ hinter diesem Spruch den „Gedanken von der Überlegenheit der Weißen, wie sie von Rassisten vertreten wird“, entdeckt hatte, änderte Ferrero seine Werbung.22 Die uns älteren Menschen noch geläufigen (Werbe-)Figuren des „Sarotti-Mohren“ des Schokoladenherstellers Sarotti und des „Weißen Riesen“ des Waschmittelkonzerns Henkel könnten unter der Diktatur des Antirassismus nicht mehr das Licht der Welt erblicken. In einer Schweizer Zeitung ist die Feststellung zu lesen: „Das Behaupten von Wertvorstellungen durch die Aufnahmegesellschaft gilt in Multikulti-Denken quasi automatisch als ,rassistisch‘“23. Der so geschilderte Tatbestand lädt nicht zum Lächeln ein. Komisch, wenn nicht geradezu grotesk, ist ein Fall, der aus Fürth berichtet wird: Die Leiterin der dortigen „Volksbücherei“ hält eine Änderung dieser Bezeichnung für angebracht, weil der Begriff „Volk“ im Nationalsozialismus „rassisch belastet“ worden sei.24 Wer den „Makel des Völkischen“ wittert, müsste konsequenterweise auch die Volkshochschulen umbenennen und das Grundgesetz an nicht wenigen Stellen ändern. Das Grundgesetz bestimmt, dass niemand „wegen seiner Rasse“ benachteiligt oder bevorzugt werden darf (Artikel 3 Absatz 3). Der Verfassunggeber hatte bei dieser Formulierung nicht zuletzt die skandalöse NS-Rassegesetzgebung im Auge.25 Die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke will den Begriff „Rasse“ in dieser Bestimmung streichen, weil er „wissenschaftlich widerlegt sowie historisch und
22 Dazu Toni Roidl / ThorstenThaler, Weiße Küßchen. Werbung: Ferrero reagiert auf Rassismus-Vorwürfe, in: JF Nr. 37/13 v. 06. 03. 2013, S. 16. – Umgekehrte Vorwürfe, nämlich von Pegida-Anhängern, wurden gegen die Verpackung von Ferrero-Kinderschokoladetafeln erhoben, die Jugendfotos der Fußballnationalspieler Jérôme Boateng und Ilkay Gündogan zeigten; dazu Bericht in FAZ Nr. 121 v. 27. 05. 2016, S. 7: „Viele Nutzer auf Facebook hetzten gegen die Kampagne“. 23 Matthias Heitmann, Trügerische Toleranz. Warum der Multikulturalismus der Integration entgegensteht, in: NZZ v. 17. 02. 2016, S. 39. 24 Zit. bei Matthias Bäkermann, Volk ist irgendwie Nazi, in: JF Nr. 16/14 v. 11. 04. 2014, S. 2. 25 Ingo von Münch, Rechtspolitik und Rechtskultur. Kommentare zum Zustand der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2011, S. 72 f.
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ideologisch extrem belastet“ sei.26 Auch in der Berliner Verfassung (Artikel 10) soll aufgrund einer Initiative der Fraktionen der Grünen und der Partei Die Piraten, unterstützt von der Fraktion der Partei Die Linke, das Wort „Rasse“ entfernt und durch die Formulierung „aus rassistischen Gründen“ ersetzt werden.27 In der Tat ist der Ausdruck „Rasse“, anders als der Ausdruck „Rassismus“, dem deutschen Sprachgebrauch heute fremd – mehr noch: unerwünscht – geworden, ganz anders als in den USA, wo „race“ zur Alltagssprache gehört.28 Wenn bei uns aus nachvollziehbaren Gründen der Ausdruck „Rasse“ im Giftschrank versteckt wird, stellt sich allerdings die Frage, warum „Rassismus“, „Rassist“ und „rassistisch“ ständig verwendet werden können. Verständlich ist es deshalb, wenn die seinerzeit in der DDR verfolgte Bürgerrechtlerin Angelika Barbe schreibt: „Seit Längerem treibt micht die Frage um, was eigentlich der inflationär benutze Begriff Rassismus bedeutet“.29 Geholfen wäre wohl schon, wenn in der politischen Auseinandersetzung die Floskel „rassistisch“ spezifiziert werden würde, etwa durch das Wort „Fremdenfeindlichkeit“ oder durch „Diskriminierung wegen Hautfarbe“, die aktuell in den USA bei den durch Polizeigewalt gegen „black people“ hervorgerufenen Rassenunruhen eine entscheidende 26 Antrag in: BT Drs. 17/4036, auch mit der Forderung: deshalb dürfe dieser Begriff nicht länger in der deutschen Rechtsordnung und in internationalen Dokumenten verwendet werden. 27 Dazu Mechthild Küpper, Aussterbende Rasse. Berlin will den Begriff aus der Verfassung streichen, in: FAZ Nr. 55 v. 06. 03. 2014, S. 3. – Zu ähnlichen Plänen in Frankreich, dessen Verfassung schon in Artikel 1 bestimmt, die Republik sichere die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, „ungeachtet ihrer Herkunft, Rasse oder Religion“, s. Marc Zitzmann, Die Sache mit der „Rasse“. Im Namen der Gleichheit wird die Forderung erhoben, das Wort aus der französischen Verfassung zu streichen, in: NZZ Nr. 168 v. 23. 07. 2013, S. 42. 28 Dazu Jürgen Kaube, Make love, not war. Warum zwischen St. Josephi und Benton Harbor Welten liegen: Will man begreifen, was derzeit in den Vereinigten Staaten passiert, lohnt der Blick auf den eigenartigen Umgang mit dem Begriff „race“, in: FAZ Nr. 159 v. 11. 07. 2016, S. 9. 29 Angelika Barbe, Keine dritte Diktatur, in: PAZ Nr. 43 v. 28. 10. 2016, S. 8; ausführlich zu verschiedenen Arten des Rassismus: Steven Uhly, Die Sache mit den Fremden, in: FAZ Nr. 84 v. 11. 04. 2016, S. 15. – Zum sog. „religiösen Rassismus“ s. Norbert Voll, Das Schwingen der „Islamophobie-Keule“. Wie mit einem Kampfbegriff versucht wird, aufgeklärtes Denken zu eliminieren, in: PAZ Nr. 8 v. 24. 02. 2017, S. 3.
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Rolle spielt. Im Zusammenhang mit den Todesschüssen weißer Polizisten auf Schwarze wird von einem „strukturellen Rassismus“ der Polizei in den USA gesprochen.30 Wie entrückt wirkt davon eine Schilderung aus der US-amerikanischen Belletristik: Lucia Berlin schreibt in ihren Stories unter dem Titel „Was ich sonst noch vergessen habe“ über die Polizei von Oakland: „Es gibt keine Gangs hier und keinen Rassismus. Es gibt allerdings auch kaum Rassen.“31 Während es in Oakland also offenbar keinen Rassismus gibt, so scheint er in der beschaulichen Schweiz umso verbreiteter zu sein. Hauptobjekt der Rassismusvorwürfe sind die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Zustimmung zu den Volksinitiativen zum Asylrecht und zur kontrollierten Einwanderung. Akteure bei dieser Kritik sind die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI),32 aber auch Vertreter konkurrierender politischer Parteien. So bezichtigte der Präsident des BDP, Martin Landolt, die SVP, „braune Politik“ zu betreiben; der Präsident der Schweizer sozialdemokratischen Partei (SP), Christian Levrat, sieht in der SVP „faschistoide Tendenzen“,33 und dessen Parteikollege, der SP-Nationalrat Cédric Wermuth, warf dem SVP-Sprecher Roger Köppel nach dessen Kritik am Verhalten der Bundesrätin Sommaruga ein klassisches „patriarchales und rassistisches Muster“ vor.34 Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus hat sich diesem Verdikt nicht angeschlossen; sie meint allerdings, dass in den Schweizer Schulen die Rassismusprävention zu kurz komme.35 Eine Verwirklichung des strafrechtlichen Tatbestandes der Rassendiskriminierung sah die strafrechtliche Ab30
Zit. bei Kai Sina, Auf den Straßen von Chicago geschieht es jeden Tag, in: FAZ Nr. 77 v. 02. 04. 2016, S. 11. 31 Lucia Berlin, Was ich sonst noch vergessen habe. Stories. Aus dem amerikanischen Englisch von Antje Ravic Strubel, Zürich/Hamburg 2016, S. 232. 32 Zur Kritik an dieser Kritik s. Simon Gemperli, SVP kritisiert Faktenbasis des Rassismus-Berichts. Vorwürfe der Europäischen Rassismuskommission zu verschiedenen Plakataktionen, in: NZZ Nr. 216 v. 18. 09. 2014, S. 11. 33 Bericht Falsche Vergleiche mit der Nazi-Zeit. BDP und SP stehen isoliert da, in: NZZ Nr. 29 v. 22. 09. 2014, S. 9. 34 Zit. bei Christoph Mörgeli, Stilberater Cédric Wermuth, in: Die Weltwoche Nr. 18.16, S. 26. 35 Notiz Rassismuskommission vermisst Präventionsarbeit, in: NZZ v. 15. 06. 2016, S. 14.
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teilung des Schweizer Bundesgerichts in dem für die Volksinitiative „Masseneinwanderung stoppen“ werbenden Plakat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) mit der Schlagzeile „Kosovaren schlitzen Schweizer auf“. Neben der Schlagzeile war in kleinerer Schrift ein Vorfall erwähnt, bei dem ein Kosovare in Begleitung eines Landsmannes einen Schweizer mit einem Messer am Hals verletzt hatte. Die für den Text Verantwortlichen wurden zu bedingten Geldstrafen verurteilt.36 Noch zur Rassismuskeule:37 Als der Präsident des Verbandes Autorinnen und Autoren der Schweiz, Raphael Urweider, das Ergebnis der Volksabstimmung zur kontrollierten Einwanderung, nämlich deren Annahme, in einem Zeitungsinterview bedauert hatte und eine Isolierung der Schweiz „gegenüber dem intellektuellen Ausland“ konstatierte, entgegnete Claude Cueni, ein der jüngeren Generation angehörender Schweizer Autor, in einem offenen Brief: „Lassen Sie die Rassismuskeule noch fünf Minuten im Besenschrank… Die Welt ist nicht einfach schwarz und weiß. Wer Ihre Meinung nicht teilt, ist kein Rassist oder Ausländerhasser. Er ist einfach anderer Meinung. So what?… Es ging nicht um Ideologie (und schon gar nicht um Rassismus), sondern um Eigeninteressen… Es gibt also keinen Grund, die eine oder andere Seite reflexartig zu diffamieren.“38 In Deutschland stehen vor allem die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVNBdA)“ und die Partei Die Linke für den Kampf gegen Rassismus. Die VVN-BdA lud im April 2016 zu einer Aktionskonferenz der Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“ in das DGB-Haus in Frankfurt am Main ein.39 Der Vorstand der Partei Die Linke fordert in einem seiner Leit36 Dazu Barblina Töndury, Kosovaren-Inserat ist rassistisch. Das Bundesgericht verurteilt zwei SVP-Kadermitglieder wegen Rassendiskriminierung, in: NZZ v. 15. 04. 2017, S. 16. 37 Dazu auch Ingo von Münch, Knüppel gegen Meinungen: Die Rassismuskeule, in: PAZ Nr. 30 v. 29. 07. 2016, S. 8. 38 Claude Cueni, „Intellektueller Kindergarten“. „Ich wünsche mir einen Berufsverband, kein pseudointellektuelles Politbüro“, in: Die Weltwoche Nr. 12.14, S. 66 f. (S. 66). 39 Dazu Lukas Steinwander, Stammtischkämpfer gegen die AfD. Linksextremismus: Auf einer Aktionskonferenz sagen 600 Teilnehmer der Partei den Kampf an, in: JF Nr. 18/16 v. 29. 04. 2016, S. 6.
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anträge vom Mai 2016 eine „gesellschaftliche Gegenbewegung gegen Rassismus und den Rechtstrend“.40 Gegner ist die AfD, die – wie Cornelia Kerth von VVN-BdA formuliert – „die Partei der rassistischen Mobilisierung“ sei, und deren Programmentwurf als „völkisch-rassistisch“ geortet wird.41 Bei einem ganz anderen Anlass, nämlich der Eröffnung der Leipziger Buchmesse, hat der Oberbürgermeister von Leipzig, Burkhard Jung, vermutlich unter dem Eindruck des Wahlerfolges der AfD in Sachsen davon gesprochen, dass die Aggressionen hierzulande gegenüber Flüchtlingen nicht nur „Ressentiment, sondern Rassismus und blanker Hass“ seien.42 Eine andere Stoßrichtung zeigte sich auf der anti-israelischen Al-Quds-Demonstration in Berlin im Juli 2016, bei der unentwegt skandiert wurde: „Zionismus ist Rassismus“.43 Fast zum Alltag gehört schließlich die Beschimpfung von Polizeibeamten als „Rassisten“. Als im selben Monat in der Hafenstraße in Hamburg Polizeibeamte Marihuana und Kokain sicherstellten und dabei 34 dunkelhäutige Personen festnahmen, warf die linke politische Szene der Polizei „rassistische Kontrollen“ vor und demonstrierte vor dem Haus des Innensenators.44 Aus einer ganz anderen Gegend, nämlich aus Kirchheim/Teck, wird von „zahlreichen sexuellen Übergriffen größtenteils arabischstämmiger Flüchtlinge“ auf Mädchen im städtischen Freibad berichtet: Als ein Jugendlicher aus Mali mit dem Bademeister und herbeigerufenen Polizeibeamten in Streit geraten war, solidarisierte sich eine Gruppe von Badegästen mit dem Jugendlichen: Die Polizisten wurden als „Rassisten“ und „gewalttätige Schweine“
40 Zit. bei Matthias Wyssuwa, Eine Torte schließt die Reihen. Nach dem Angriff auf Sahra Wagenknecht wagen die Delegierten der Linkspartei keinen offenen Streit mehr beim Parteitag, in: FAZ Nr. 123 v. 30. 05. 2016, S. 2. 41 Zit. bei Lukas Steinwander (Anm. 39). 42 Zit. bei Tilman Spreckelsen, Worin unterscheidet sich der Freie von dem Knecht? Gesinnungsethiker gegen Verantwortungsethiker: Die Leipziger Buchmesse im Zeichen der Flüchtlingsdebatte, in: FAZ Nr. 68 v. 21. 03. 2016, S. 9. 43 Zit. bei Michael Leh, Nahost in Berlin. Beim diesjährigen Al-QudsMarsch über den Ku’damm waren Hisbollah-Fahnen verboten, in: PAZ Nr. 27 v. 08. 07. 2016, S. 5. 44 Bericht Protest vor dem Privathaus des Senators – Politiker empört. Linke Szene demonstriert vor der Wohnung von Andy Grote (SPD) gegen „Rassismus“. Verboten ist das nicht, in: HA v. 23./24. 07. 2016, S. 12.
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beschimpft.45 Die Moral von den Geschichten: Wenn Polizeibeamte aus gutem Grund gegen Straftäter mit einer anderen Hautfarbe vorgehen, sind die Polizisten automatisch „Rassisten“. Die Frage bleibt: Was wird aus dem „Rassismus“, wenn das Unwort „Rasse“ durch „Population“ oder durch „Ethnie“ ersetzt wird?46 Schließlich stellt sich auch die Frage, welche konkreten Auswirkungen sich aus internationalen Übereinkommen auf das nationale Recht ergeben.47
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Notiz Übergriffe im Freibad, in: FAZ Nr. 170 v. 23. 07. 2016, S. 6. Vorschlag des Jenaer Biologiedidaktikers Uwe Hoßfeld, in: Nachricht Aufklärung ist unabdingbar. Biologiedidaktiker gestalten mit Schülern ein Video über Rassismus, Uni-Journal Jena 07/13, S. 7. 47 Dazu: Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 07. 03. 1966 (BGBl. 1969 II, S. 962); speziell zur Werbung im Wahlkampf: Stefanie Schmahl, Der Umgang mit rassistischen Wahlkampfplakaten vor dem Hintergrund des internationalen Menschenrechtsschutzes, Baden-Baden 2016. 46
K. Die Nazikeule Die Aufzählung der verschiedenen Keulen, mit deren Gebrauch unliebsame Meinungsäußerungen zum Schweigen gebracht werden, wäre unvollständig, wenn nicht die gewichtigste Keule genannt würde: die Nazikeule.1 Ein Stück von dieser Keule steckt zwar schon in der Faschismuskeule und in der Rassismuskeule; aber mit der Nazikeule wird dann doch ein noch schwereres Geschütz aufgefahren (die gelegentlich beigefügte Silbe „Neo-“ bedeutet nur eine geringe Reduzierung). Wer die Nazikeule gegen Andersdenkende mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der NS-Gewaltherrschaft schwingt, sollte sich über zweierlei klarwerden: 1. In einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat, wie es die Bundesrepublik Deutschland, die Schweiz und Österreich sind (um hier nur die deutschsprachigen Länder zu nennen), sind die Lebensverhältnisse so unendlich weit von denen zur Zeit der NS-Diktatur entfernt, dass sich jegliche auch nur ansatzweise Gleichsetzung von vornherein verbietet. Weil dem so ist, kann eine solche Gleichsetzung nur als unglaubwürdige Übertreibung empfunden werden. 2. Weil alles das, auf was die Nazikeule heute niedersaust, mit den Verbrechen des NS-Regimes tatsächlich nicht gleichgesetzt werden kann, ist der Gebrauch der Nazikeule geeignet, die Verbrechen in der 1 Die Nazikeule darf nicht mit der gerade in die entgegengesetzte Richtung zielenden sog. „Auschwitz-Keule“ verwechselt werden. Martin Walser hatte in seiner Rede von 1998 in der Frankfurter Paulskirche anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels u. a. geäußert: „Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung.“ Der Text der Rede wurde heftig kritisiert. Martin Walser hat später seine Rede bedauert: „Ich könnte die Paulskirchenrede so nicht mehr halten“ (Interview, „Einsam ist man sowieso“ in: Der Spiegel Nr. 19/2015, S. 136 – 140); s. auch Notiz Martin Walser bedauert seine Paulskirchenrede, in: JF Nr. 20/15 v. 08. 05. 2015, S. 16.
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NS-Zeit zu relativieren – eine Konsequenz, die nicht im Sinne der Akteure sein kann. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Begründung, mit der die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Martine Brunschwig Graf, die von konkurrierenden Parteien in der Schweiz gegen die SVP erhobenen Rassismusvorwürfe zurückgewiesen hat: „Wir sind nicht im Nationalsozialismus und nicht in den 1930er Jahren. Wenn man weiß, wie es damals war, ist es völlig klar, dass diese Vergleiche zu weit gehen.“2 Auch der Präsident der Schweizer FDP, Philipp Müller, fand alle Nazi-, Faschismus- und Moralkeulen „daneben“.3 Gleichsetzungen mit der NS-Zeit sind in der Tat – wie richtig festgestellt – „daneben“. Dennoch verfehlt der Gebrauch der Nazikeule nicht ihre durchaus beabsichtigte negative Wirkung. Beeindruckende und bedrückende Dokumente der Einschüchterung finden sich als Ausdruck der vox populi in zahllosen Leserbriefen, wie z. B. in dem folgenden Auszug: „Die ,Nazikeule‘ erstickt leider jede Rede- und Meinungsfreiheit. Sie lässt die vielen demokratisch gesinnten Bürger, die kritisch über die Geschehnisse in unserer Migrationsgesellschaft denken, verstummen. In einem Atemzug mit Rechten, Nazis und Rassisten genannt zu werden, kommt in Deutschland dem gesellschaftlichen Tod gleich.“4 Dass diese Wahrnehmung nicht allein steht, zeigt ein anderer Leserbrief, der ausführt: „Die Sache mit der Einschränkung der Meinungsfreiheit ist wirklich besorgniserregend… Die am weitesten verbreitete Meinung nimmt für sich in Anspruch, ausschließlich auf der Seite des Guten zu stehen und stigmatisiert alle anderen Meinungen als böse. Daraus leitet sie die Legitimation ab, diese anderen Meinungen zu
2 Zit. im Bericht Falsche Vergleiche mit der Nazi-Zeit. BDP und SP stehen isoliert da, in: NZZ Nr. 219 v. 22. 09. 2014, S. 9. 3 Zit. bei Markus Häfliger, Der dunkle Schatten des F-Worts. Wie sich die politische Auseinandersetzung um die Zukunft der Schweiz zuspitzt, in: NZZ Nr. 216 v. 18. 09. 2014, S. 11. 4 Leserbrief von Sandra Gellings unter der Überschrift „Das gute Recht europäischer Bürger“, in: FAZ Nr. 282 v. 04. 12. 2014, S. 29.
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unterdrücken. Dem kann man nur Rosa Luxemburg entgegenhalten: ,Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden‘“.5 Als neuester Nazikeulenschwinger ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan aufgetreten. Nachdem er bereits mehrmals die Bundesrepublik (und auch die Niederlande) mit der Nazizeit in Verbindung gebracht hatte, bezog sich ein weiterer Vergleich auf die Bundeskanzlerin persönlich. In einer vom türkischen Fernsehen übertragenen Rede sagte Erdogan am 19. März 2017 in Istanbul: „Merkel, nun benutzt Du Nazi-Methoden“; diese richteten sich „gegen meine Brüder, die in Deutschland leben, und gegen meine Minister und Abgeordneten, die dort zu Besuch sind“.6 Zu Recht hat die Bundesregierung solche Nazi-Vergleiche zurückgewiesen. Mit den von ihm gebrauchten Bezugnahmen auf das NS-Regime hat Erdogan aber nicht nur danebengegriffen, sondern auch den Gebrauch der Nazikeule endgültig diskreditiert.7 Einen Schluss mit Nazi-Vergleichen fordert auch der Professor für Neuere Geschichte an der Universität St. Gallen Caspar Hirschi, dies mit dem Argument, dass solche Vergleiche Populisten die Gelegenheit böten, „sich als Verleumdungsopfer zu inszenieren oder ihrerseits mit Nazi-Vergleichen zu operieren“.8 Ob man dieser Einschätzung folgen soll, mag dahingestellt bleiben. Tatsache ist aber, dass ein inflationärer Gebrauch die inhaltlichen Konturen des Wortes entschärft. Der bereits zitierte englische Autor Andrew Doyle bemerkt dazu: „Es macht auch den Anschein, dass das Wort ,Nazi‘ eine Neudefinition erfahren hat,
5 Leserbrief von Harald Kallmeyer unter der Überschrift „Unfreiheit und Illusion“, in: FAZ Nr. 19 v. 23. 01. 2016, S. 23. 6 Bericht Erdogan: Merkel benutzt Nazi-Methoden, in: FAZ Nr. 67 v. 20. 03. 2017, S. 1. 7 Bericht Merkel droht wegen Nazi-Vorwürfen mit Auftrittsverbot für türkische Politiker. „Werden nicht zulassen, dass der Zweck die Mittel heiligt und jedes Tabu fällt“, in: FAZ Nr. 68 v. 21. 03. 2017, S. 1, auch mit dem Zitat: „Mein Satz, dass die Nazi-Vergleiche von Seiten der Türkei aufhören müssen, gilt – und zwar ohne Wenn und Aber“; auch zit. in Bericht Merkel droht mit Auftrittsverbot. Kanzlerin will Nazi-Vergleiche aus Ankara nicht mehr hinnehmen, in: SZ Nr. 67 v. 21. 03. 2017, S. 6. 8 Caspar Hirschi, Schluss mit Nazi-Vergleichen. Wie man Rechtspopulisten unfreiwillig stark macht, in: NZZ v. 12. 04. 2017, S. 41.
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und mittlerweile bedeutet: ,jeder, der eine andere Meinung als die linke vertritt‘“.9 Jüngstes Opfer eines Nazikeulen-Schwingers wurde die AfD-Politikerin Alice Weidel.10 Weil sie auf dem Bundesparteitag ihrer Partei in Köln die Meinung vertreten hatte, „die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte“, rastete der Moderator des NDR Christian Ehring in der Sendung „Extra 3“ am 27. April 2017 aus: er bezeichnete Alice Weidel als „Nazi-Schlampe“. Ein Unterlassungsbegehren von Alice Weidel gegen den NDR wies das Landgericht Hamburg in erster Instanz ab, u. a. mit der Begründung: Die Bezeichnung sei eine verfassungsrechtlich gedeckte Satire und die AfD werde „in weiten Teilen der Öffentlichkeit“ dem rechten Spektrum zugeordnet. Die Bezeichnung Schlampe habe zwar eine sexuelle Konnotation; es liege jedoch auf der Hand, „dass die Bezeichnung nur gewählt wurde, weil die Antragstellerin eine Frau ist, die Äußerung aber keinerlei Wahrheitsgehalt aufweist“. Fazit: Schmähkritik ist danach zulässig, und es darf gelogen werden. Immer feste drauf?
9 Andrew Doyle, Reisst euch am Riemen, statt zu jammern. Die Linksliberalen schaufeln sich ihr eigenes Grab, in: NZZ v. 15. 04. 2017, S. 45. 10 Dazu Ingo von Münch, „Nazi-Schlampe keine Beleidigung“. Landgericht Hamburg gibt dem NDR im Streit mit der AfD-Spitzenkandidatin recht, in: PAZ Nr. 21 v. 26. 05. 2017, S. 3; Bericht: AfD-Kandidatin Weidel unterliegt gegen NDR, in: HA v. 18. 05. 2017, S 21; AfD erwägt Klage wegen „extra 3“-Moderation, in: Die Welt v. 08. 05. 2017, S. 27; Satire vor Gericht, in: FAZ v. 18. 05. 2017, S. 15.
L. Debattenkultur gegen Unkultur Faschismuskeule, Rassismuskeule und Nazikeule dienen dazu, eine Debatte zu beenden oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Diese Gegebenheit führt zum Zustand der Debattenkultur bei uns und in anderen demokratischen Ländern. Zum Thema „Debattenkultur“ hat sich jüngst eine Gruppe von prominenten Autoren geäußert: Roman Herzog, Renate Schmidt, Wolfgang Gerhardt, Manfred Schneider, Hans H. Klein, Rupert Scholz, Karl-Heinz Paqué, Gerhard Stratthaus, Petra Roth, Erwin Teufel und Christine Scheel haben zur Revitalisierung der politischen Parteien einen „offenen Diskurs“ angemahnt: „Der braucht eine Debattenkultur, die Meinungspluralität ernst nimmt, Unterschiede nicht zukleistert… Erfolgreichen neuen Konkurrenzparteien macht man die Wähler nicht dadurch streitig, dass man sie als populistisch und rassistisch ausgrenzt. Wählerinnen und Wähler gewinnt man zurück, indem man auch in den etablierten Parteien wieder streitige Debatten führt und sich zu Themen positioniert, die man jahrelang aus falsch verstandener politischer Korrektheit unter den Teppich gekehrt hat.“1 Was von diesen Autoren unter dem Aspekt der politischen Parteien gefordert wird, lässt sich auf die gesamte Gesellschaft übertragen. Eine offene pluralistische Gesellschaft lebt von einer offenen pluralistischen Debattenkultur, in welcher der „Mainstream“ Minderheitsmeinungen nicht diffamiert oder gar unterdrückt, sondern in der konträre Meinungen diskutiert werden. Über diese Grundlage eines freiheitlichen und demokratischen Gemeinwesens, also über die Notwendigkeit des Vorhandenseins einer Debattenkultur, sollte eigentlich kein Zweifel bestehen. Tatsache ist aber, dass die Debattenkultur mehr und mehr einer Debattenunkultur weicht, sofern überhaupt noch von Debatten gesprochen werden kann.
1 Roman Herzog u. a., Demokratie braucht vitale Parteien, in: FAZ Nr. 86 v. 13. 04. 2016, S. 8.
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René Scheu hat unter der Überschrift „Kritische und paranoische Vernunft“ eine ebenso lesenswerte wie besorgniserregende Bestandsaufnahme der aktuellen Situation der Streitkultur beschrieben, auch mit dem wichtigen und richtigen Hinweis auf die Entstehung von Meinungsghettos („Gesinnungsgemeinschaften“, „Communities“): „Wo Öffentlichkeit war, entstehen Ghettos mit eigener Pflege von Vorurteilen und Verdächtigungen. Es wird nicht mehr argumentiert, sondern diffamiert. Und ja, es stellt sich nicht nur für Journalisten die Frage: Implodiert der öffentliche Diskurs ausgerechnet in dem Moment, in dem er allen Menschen mit einem Netzanschluss offen steht? Der Unterschied zu der Überzeugung Immanuel Kants, der den Streit der Meinungen als wertvollen Beitrag zum kulturellen Fortschritt sieht, könnte in der Tat nicht größer sein; denn in der „personalisierten Netzumwelt“ gilt: „Bestehende Meinungen werden bestätigt und scheindemokratisch überhöht, abweichende werden geahndet und übertönt. Der Abweichungshass innerhalb der Community ist ein allgegenwärtiges Fluidum… Die Mitglieder der Community verhalten sich untereinander solidarisch und verteidigen vehement die kuratierte Gruppenidentität“.2 Zu ergänzen ist diese Beobachtung noch mit der Feststellung, dass im „Echobunker“ kein Platz für Differenzierungen ist: Der Holzschnitt wird zur üblichen Form der Stellungnahme. Ungute Charakteristik der gegenwärtigen Debattenunkultur ist zunächst die an das unselige Freund-Feind-Denken von Carl Schmitt erinnernde Polarisierung der Disputanten in „wir“ und „die“. Im Zusammenhang mit der Debatte um die Zuwanderung nach Europa hat der an der Universität St. Gallen lehrende Volkswirtschaftler Martin Kolmar an Kants Vernunftbegriff erinnert, um dann zur heutigen Situation kritisch festzustellen: „Aber anstelle eines rationalen Diskurses entsteht oft eine andere ,Wir gegen die‘-Frontstellung, bei denen dann ,die‘ nicht mehr Ausländer, Asylsuchende oder Muslime sind, sondern die ,Rechten‘, die ,Linken‘ oder in den Worten von Sigmar Gabriel: das ,Pack‘. Auf diesem Weg kommt man nicht weiter, auch wenn es schwierig ist, sich vom Denken in Gruppenkategorien zu befreien.“3 2 René Scheu, Kritische und paranoische Vernunft. Zur Aktualität der Streitkultur, in: NZZ v. 26. 03. 2016, S. 43; ders., Editorial, in: Schweizer Monat Nr. 1032 v. Dez. 2015/Jan. 2016. 3 Martin Kolmar, Europa und der Rest der Welt. Das Leid der Anderen, in: NZZ v. 02. 04. 2016, S. 12.
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Propagiert wurde dieses Denken in Gruppenkategorien der Politik und der Moral schon vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem von ihm gewollten „Aufstand der Anständigen“4 und nun vom amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck mit seiner Sicht einer „dunklen Seite“ und einer „hellen Seite“ unseres Landes. Zutreffend wurde dazu bemerkt: „Gauck hat das Land mit dem Schwerthieb der höheren Moral in eine ,dunkle‘ und eine ,helle‘ Seite gespalten. Seitdem wird nicht mehr gestritten, sondern aussortiert.“5 Vielleicht kann man auch sagen: Wer seine Umgebung durch eine Sonnenbrille anschaut, sieht alles dunkler. Die mit dieser Polarisierung einhergehende Ausgrenzung „der anderen“ führt auch dazu, dass ein Anhören der anderen nicht stattfindet. Aus einem Zeitungsgespräch mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen, Stanislaw Tillich, wird dessen Feststellung zitiert: „Die Fronten seien mancherorts verhärtet, gibt er zu, eine Diskussion sei oft unmöglich, weil sich Gegner und Befürworter überhaupt nicht mehr zuhörten.“6 Ein Merkmal der gegenwärtigen Debattenkultur ist schließlich die Ausblendung unangenehmer Fakten.7 Über eine Einschränkung von Debatten wird auch aus Frankreich berichtet, und zwar im Zusammenhang mit dem Thema Islam. Die Frankreich-Korrespondentin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Michaela Wiegel, schreibt dazu: „Präsident François Hollande ziert sich bis heute, von radikalen Islamisten zu sprechen… Diese semantische Zurückhaltung ist symptomatisch dafür, wie sich Frankreichs Linke (gemeint ist: die politische Linke, d. Verf.) vor einer Debatte über den Islam und Islamisten drückt.“ Michaela Wiegel erwähnt in ihrem Artikel aber auch, dass „links angesiedelte Intellektuelle indes längst die politisch-korrekte Rücksichtnahme aufgegeben haben und ein Ende 4 Schröders Forderung datierte vom 4. Oktober 2000; s. dazu: Ingo von Münch, Der „Aufstand der Anständigen“, in: ders. Rechtspolitik und Rechtskultur, Berlin 2011, S. 207 ff. 5 Hans Heckel, Nahezu alle, in PAZ Nr. 12 v. 25. 03. 2016, S. 24. 6 Zit. bei Stefan Locke, Büroklammer im Würgegriff. Wie Stanislaw Tillich mit der Frage umgeht, ob er als Ministerpräsident von Sachsen genug tut, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern, in: FAZ Nr. 46 v. 24. 02. 2016, S. 3. 7 Ausdruck von Hans-Hermann Tiedje, Deutschland zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Abschied von Merkels Willkommenskultur, in: NZZ v. 10. 03. 2016, S. 12.
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des Wohlwollens anmahnen“. Als Beispiel wird der Philosoph Michel Onfray erwähnt, der die „jüdisch-christliche Gemeinschaft“ in Europa durch den Islam bedroht sieht; seine These ist, dass die französische Regierung – wie andere europäische Regierungen auch – bewusst eine Debatte darüber unterbinden wolle. Wer den Islam kritisiere, werde als Populist mundtot gemacht.8 Als Probe auf’s Exempel kann der Fall des algerischen Schriftstellers Kamel Daoud genannt werden.9 Daoud hatte die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln als generelles Problem des Islam mit der Sexualität und dessen Bild der Frau in Verbindung gebracht. Eine Gruppe von französischen Wissenschaftlern warf dem algerischen Schriftsteller „abendländische Klischees“ und „Islamophobie“ vor. Obwohl die aus Tunesien stammende Schriftstellerin Fawzia Zouari die Darstellung von Daoud vom „Schock der Kulturen“ als absolut zutreffend bezeichnete, wurde Daoud so heftig angegriffen, dass er seinen Rückzug aus seinem Beruf ankündigte; Frankreichs Premierminister Manuel Valls zeigte sich erschüttert über die „Häme“ und „Bissigkeit“ der Treibjagd auf Daoud. Diesem Mobbing kann man nur die Fragen entgegensetzen: „Islamophobie? – Muss man wiederholen, dass man die Kritik an einer Religion nicht mit Rassismus gleichsetzen kann?“10 Oder, wie in einem Leserbrief formuliert: „Ja, um Gottes willen, ist es gesetzlich vorgeschrieben, nur noch ,islamophil‘ zu sein? Wie viele Gründe gibt es denn, den Islam zu lieben?“11 Fest steht jedenfalls: Die 8 Michaela Wiegel, Ohne Strategie. Die französische Regierung verengt die Terrorismus-Debatte auf Sicherheitspolitik, in: FAZ Nr. 79 v. 05. 04. 2016, S. 8. 9 Zum Folgenden s. den Bericht Schock der Kulturen. Manuel Valls unterstützt Daoud, in: FAZ Nr. 54 v. 04. 03. 2016, S. 12. 10 Thierry Chervel, Einsamer Aufklärer. In Frankreich hat ein Kollektiv von bekannten Akademikern den algerischen Autor Kamel Daoud angeprangert, mit seiner Grundsatzkritik am islamischen Frauenbild „Islamophobie“ zu betreiben. Der fadenscheinige Antirassismus wirft Licht auf die Struktur der französischen Islam-Debatte, in: NZZ v. 29. 03. 2016, S. 8. 11 Leserbrief unter der Überschrift „Islamkritisch“ von Gerald Böhnel, in: FAZ Nr. 88 v. 15. 04. 2016, S. 25. – Zur Rolle notwendiger Aufklärung s. Martin Meyer, Mehr Licht, bitte. Aufklärung in einer multipolaren Welt, in: NZZ v. 31. 12. 2015, S. 39. – S. auch den Bericht von Thomas Thiel, Gerichtsbarkeit nach uralter Väter Sitte. Kultureller Minderheitenschutz oder Waffe des politischen Islams? Eine Frankfurter Konferenz diskutiert die Folgen islamischer Justiz in Europa, in: FAZ Nr. 108 v. 10. 05. 2017, S. 12.
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Radikalisierung des politischen Diskurses sollte sich nicht verschärfen.12 Fest steht auch: So nachdrücklich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und die Freiheit der Religionsausübung für alle Religionen (also auch für den Islam) als Grundrecht gewährleistet (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), so sollte auch klar sein, dass Diskussionen über den politischen Islam nicht „mit der Diskurskeule der Islamophobie“ zum Schweigen gebracht werden sollten.13
12 Zur Podiumsdiskussion zum Thema „Die Radikalisierung des politischen Diskurses“ in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin s. Paul Ingendaay, Ein Wertekatalog für windige Zeiten. Die bürgerliche Mitte steht von allen Seiten unter Druck. Gegen Vereinfacher jeder Art bringt sich die Plattform „Salonkolumnisten“ in Stellung, in: FAZ Nr. 286 v. 07. 12. 2016, S. 11. 13 Formulierung bei: Thomas Thiel (Anm. 11).
M. Hass-Spirale ohne Ende? Nach der Wahl des Jahres mit ihrem unvorhergesehenen Ergebnis und ihren unvorhersehbaren Folgen demonstrierten vor allem junge Menschen gegen den Gewinner der Wahl u. a. mit dem Slogan „New York hates you“. Sprach man in den USA Lebende auf diesen Ausbrauch von Hass an, so erhielt man die Antwort, dass Donald Trump ja diese Reaktion provoziert habe. Tatsächlich hat Trump in seinem Wahlkampf Meinungen vertreten und Sprüche geklopft, die entschiedenen Widerspruch geradezu herausforderten. Kommentiert wurde dies in der deutschen Presse z. B. so: „Von den Demokraten setzt er sich dadurch ab, dass er auf aufreizende bis aggressive Weise deren Haltung zu Multikulturalismus, ,politischer Korrektheit‘ und illegaler Einwanderung denunziert“.1 Die Rede war auch von dem „Jubel für den vulgären Demagogen Trump, der sich einen Spaß daraus macht, vermeintliche ,politische Korrektheiten‘ zu zertrümmern.“ 2 Wie immer man den Wahlkampf von Donald Trump beurteilen mag (im Zweifel werden die kritischen Stimmen überwiegen, während positive Beurteilungen seltener sind3), so steht jedenfalls fest, dass die Kritik an der „Political Correctness“ einer der Schwerpunkte seiner –
1 Klaus-Dieter Frankenberger, Held der Verbitterten. Was erklärt die Erfolge des Donald Trump?, in: FAZ Nr. 53 v. 03. 03. 2016, S. 8. 2 Klaus-Dieter Frankenberger, Die Welt im Dauerkrisenmodus, in: FAZ Nr. 1 v. 02. 01. 2016, S. 1. 3 Differenzierende – insgesamt eher positive – Beurteilung bei George Friedman, Die Rache der Erbärmlichen. Amerikas Liberale sorgen sich um die Ungleichheit, während sich die untere Mittelschicht um ihre eigene Existenz sorgt. Das ist ein Unterschied – und Trump hat ihn erkannt, in: Cicero Nr. 12 v. Dezember 2016, S. 17 ff.; Eric Gujer, Bruder Trump. Die Europäer verachten Donald Trump und hoffen, dass der Spuk bald vorbei ist. Dabei will Trump nur, was auch Europa in der Außenpolitik will: weniger zahlen und weniger Verantwortung tragen, in: NZZ Nr. 259 v. 05./06. 11. 2016, S. 1.
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insoweit erfolgreichen – Strategie war.4 Eine Schweizer Journalistin stellte dazu cool fest: „Trump ist nicht zuletzt deswegen so gut im Rennen, weil er die USAvon einer Plage befreien will, die wirklich eine ist: die politische Korrektheit“.5 Stimmen aus dem amerikanischen Wahlvolk bestätigen diese Einschätzung. Eine Lehrerin aus South Carolina wird mit dem Urteil zitiert, „die Amerikaner seien mit ,dem Klebeband der politischen Korrektheit‘ geknebelt gewesen“ und „Trump spricht aus, was wir seit Jahren unseren Fernsehern zubrüllen“.6 Eine Restaurantbesitzerin, ebenfalls aus South Carolina, meint: „Sie finde überhaupt, dass die politische Korrektheit ganz viel kaputt gemacht habe in Amerika, und deshalb gefalle ihr, dass Trump kein Blatt vor den Mund nehme. Wir haben es satt, als Rassisten beschimpft zu werden, nur weil wir nicht einverstanden sind mit etwas, das Präsident Obama sagt oder tut“.7 Der Ausgang der Wahl in den USA mit dem Sieg von Donald Trump wurde auch außerhalb der Vereinigten Staaten als ein Sieg über die „Political Correctness“ gefeiert oder zumindest so empfunden. So meinte der ehemalige tschechische Präsident Václav Klaus, die „Welt der politischen Korrektheit“, die sich mit dem „Niedergang der westlichen Zivilisation abgefunden“ habe, sei von den Amerikanern abgewählt worden.8 Frauke Petry von der AfD bejubelte das Ergebnis der amerikanischen Wahl mit der Bilanzierung: „Die Political Correctness ist am Ende. Die Menschen sind der Euphemismen und wohlmeinen4 Dazu Otto Depenheuer, Demokratie schlägt Political Correctness. Der Sieg Donald Trumps ist ein Epochenumbruch, dessen Bedeutung die Politik erst langsam erkennen wird, in: Cicero Nr. 12 v. Dezember 2016, S. 28. 5 Beatrice Schlag, Nicht ein Glas – Was ist politische Korrektheit?, in: Die Weltwoche Nr. 06.16, S. 31, mit dem Zusatz: „Dass er sich mit dem Unterschied zwischen Anstand und politischer Korrektheit schwertut, nimmt einen nicht besonders für ihn ein.“ 6 Zit. bei Andreas Ross, Gebt uns Amerika zurück! Vor der Vorwahl in South Carolina erklären vier Republikaner, warum Donald Trump ihre letzte Hoffnung ist, in: FAZ Nr. 43 v. 20. 02. 2016, S. 6. 7 Zit. bei Peter Winkler, Angst, Wut und Kaltschnäuzigkeit. Gerald, Sandy und Jim aus Charleston in South Carolina geben Auskunft, warum Trump ihr Favorit ist, in: NZZ v. 22. 02. 2016, S. 6. 8 Zit. bei Karl-Peter Schwarz, Befreiung von „ideologischen Fesseln“. In Ostmitteleuropa sieht man sich von Trumps Sieg bestätigt, in: FAZ Nr. 266 v. 14. 11. 2016, S. 6.
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den Verkleisterung der Wirklichkeit überdrüssig. Sie haben es satt, ihre Probleme mit Bekundungen des guten Willens zuzudecken.“9 Schließlich hat selbst der ruhige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, zwar nicht mit Bezugnahme auf die Wahl in den USA, aber vermutlich unter deren Eindruck, auf dem Bundesparteitag der Grünen in Münster gemahnt: „Wir dürfen es mit der Political Correctness nicht übertreiben.“10 Die USA sind von Deutschland nicht nur durch einen Ozean getrennt. Aber manche Erscheinung schwappt offenbar von jenseits des Atlantik zu uns herüber, so wenn festgestellt wird: „Die ,Unfähigkeit zum Dialog‘, die der ,Spiegel‘-Journalist Feldenkirchen der amerikanischen Politik bescheinigte, greift auch hierzulande um sich“11, oder wenn beobachtet wird: „Auf Protest gestimmte Wähler, Hass auf die Eliten und Schwinden von Vertrauen in Institutionen sind freilich kein amerikanischer Sonderfall; das eine wie das andere gibt es auch in Europa“.12 Aus Großbritannien, dem Mutterland des Sports und damit dem Begriff der Fairness, wird über die Debatte um das Referendum zum Brexit berichtet, dass die Debatte „nicht von ,nüchterner Analyse und auf Beweise gestützter Vernunft‘ bestimmt werde, sondern von Hysterie, Verachtung und Hass“.13 Hass ist eine leider nicht ungewöhnliche Gefühlsäußerung. Carolin Emcke, die mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2016 ausgezeichnete Autorin, hat sich in ihrem viel beachteten Buch „Gegen
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Zit. bei Christian Geyer, An der Leine der Moral. Was heißt hier postfaktisch? Warum Trump Clinton schlug, in: FAZ Nr. 263 v. 10. 11. 2016, S. 11. 10 Zit. bei Christian Geyer, Barrierefreiheit für den Geist. Dissens organisieren statt den Konsens zu erzwingen: Die Grünen sorgen sich auf ihrem Parteitag um die Überzeugungskraft des liberalen Denkens. Ein Weckruf zum rechten Moment, in: FAZ Nr. 266 v. 14. 11. 2016, S. 11. 11 Zit. bei Michael Hanfeld, Die lange Nacht der Wahrheit, in: FAZ Nr. 263 v. 10. 11. 2016, S. 15. 12 Klaus-Dieter Frankenberger (Anm. 2), S. 1. 13 Gina Thomas, Britische Grenzüberschreitung. Nach dem Urteil des High Court über die Beteiligungspflicht des Parlaments beim Brexit-Antrag ist Großbritannien gespalten wie noch nie zuvor, in: FAZ Nr. 268 v. 16. 11. 2016, S. 13.
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den Hass“ mit dieser Gefühlslage intensiv befasst.14 Die Verbreitung von hasserfüllten Äußerungen wird durch die elektronischen sozialen Netzwerke, z. B. Facebook, enorm erleichtert,15 eine Entwicklung, die inzwischen auch den Bundesminister der Justiz und die Justizminister der Länder über gesetzgeberische Maßnahmen nachdenken lässt.16 Eine offene demokratische Gesellschaft hält aber viel aus. Das Vorhandensein von Kritik, Widerspruch und Disput gehören zum Wesen einer durch das Recht auf freie Meinungsäußerung essentiell geprägten Gesellschaft: Soweit sog. „Hassreden“ (amerikanischer Ursprung: „hate speech“) nicht gegen verfassungsrechtlich gedeckte Schranken des Strafrechts oder des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts verstoßen, müssen sie wohl oder übel geduldet werden. Das Nicht-Verbot kann und sollte allerdings nicht der Weisheit letzter Schluss sein;17 denn Hass vergiftet nicht nur die politische Atmosphäre, sondern auch das alltägliche Zusammenleben der Menschen. Hass führt zu irrationalen und destruktiven Urteilen, die einen ergebnisoffenen Diskurs unmöglich machen. Es bringt allerdings nichts, Hass mit Gegen-Hass zu beantworten. Auch wenn es mühsam ist und Geduld 14 Carolin Emcke, Gegen den Hass, Frankfurt a.M. 2016. – Gespräch mit Carolin Emcke, geführt von Anushka Roshani und Daniel Binswanger, unter dem Titel „Die Schwelle des Sagbaren hat sich verschoben“, in Das Magazin (Beilage zum Tages-Anzeiger) Nr. 46/2016, S. 12 ff. Zum Thema „Hass“ siehe auch Michael Klonovsky, Solange die Richtung stimmt. Kompatibel mit dem Zeitgeist: Im Kampf für das Gute darf hemmungslos gehasst werden, in: JF Nr. 10/17 v. 03. 03. 2017, S. 15. 15 Siehe dazu Timo Steppat, Die Hass-Schleuse. Soziale Medien wie Facebook haben Populisten den Aufstieg erleichtert, in: FAZ Nr. 262 v. 09. 11. 2016, S. 8; Magnus Klaue, Die Illusion vom mündigen Nutzer. Die Hoffnung, das Internet sei das neue Leitmedium demokratischer Partizipation, liegt heute unter Hetze und Hass begraben. Die Technologie trägt daran am wenigsten Schuld, in: FAZ Nr. 271 v. 19. 11. 2016, S. 13. 16 Siehe Bericht: Schnell weg mit den Hasskommentaren. Justizminister drohen mit Bußgeldern, wenn Facebook nicht auf Beschwerden reagiert, in: FAZ Nr. 270 v. 18. 11. 2016, S. 17. – Zum Anspruch auf anonyme Nutzung des sozialen Netzwerks Facebook: OVG Hamburg Beschluss v. 29. 06. 2016, in: DVBl. H.21 v. 01. 11. 2016, S. 1395 ff. 17 Zu Strategien gegen Hass s. auch Christian Geyer, Benimm und Erkenntnis. Was tun gegen den allenthalben geäußerten Hass? Wo es keine rechtliche Handhabe gibt, hilft uns nur noch Moralisieren. Das ist ein Strukturwandel der Öffentlichkeit, der nichts Gutes verheißt, in: FAZ Nr. 250 v. 26. 10. 2016, S. 9.
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und Selbstbeherrschung fordert: Wer an die Notwendigkeit des Diskurses in einer demokratischen Gesellschaft (zu Recht) glaubt, sollte den Faden des Gespräches nicht einseitig abreißen lassen. Soziale Ächtung und Ausgrenzung Andersdenkender versprechen nicht nur keinen Erfolg, sondern sind mit den Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaft nur schwerlich vereinbar. Ächtung und Ausgrenzung sind schließlich auch ein Armutszeugnis für die Kraft eigener Argumente. Zum Umgang mit der AfD hat der nach fast zwei Jahrzehnten im Ausland nach Deutschland zurückgekehrte Journalist Paul Ingendaay die Beobachtung gemacht, Neugierde und Nachdenklichkeit seien das Letzte, was der Beobachter im Umgang mit der AfD wahrnehme: „Sondern vor allem Ängstlichkeit, pädagogischer Übereifer und ein Hang zur Bevormundung und Intoleranz. Tugenden einer erprobten Demokratie wie Gelassenheit und korrekte Formen gehen dabei als erste über Bord. Dem ,Pack‘ den Stinkefinger zu zeigen ist jedenfalls nicht genug.“18 Zustimmung verdient deshalb auch die Auffassung, dass die Berichterstattung über die AfD in den Medien „mehr Gelassenheit braucht“,19 und dass soziale Ächtung aufgrund von Meinungsäußerungen „bei vielen Bürgern Empörung wachsen lasse“.20 Wenn dann noch die Empörung in Hass umschlägt, kommt es zu einer Hass-Spirale ohne Ende und damit schließlich zu einer Spaltung der Gesellschaft, die für den demokratischen Rechtsstaat und Sozialstaat nicht unerhebliche Gefahren birgt. Vorhandenen Hass sollte man also nicht kleinreden. Aber vielleicht sollte man ihn auch nicht großreden, sondern etwas mehr Gelassenheit 18 Paul Ingendaay, Seid furchtlos und führt die Debatte. Der Ekelfaktor prägt den Umgang mit der AfD. Das ist sinnlos, kontraproduktiv und verrät Misstrauen gegenüber unserer Demokratie, in: FAZ Nr. 208 v. 05. 09. 2016, S. 11. 19 Anne Hähnig / Martin Machowecz, Wie mit der AfD umgehen? Warum die Berichterstattung über die Partei mehr Gelassenheit braucht. Ein Debattenbeitrag in neun Thesen, in: Die Zeit Nr. 39 v. 15. 09. 2016, S. 2. – Zur Frage des Umganges mit der AfD siehe auch: Sven-Michael Veit, Sie sind da – und jetzt? Rechtspopulismus. Die AfD ist in den Parlamenten angekommen, wegwünschen hilft nicht. Doch wie geht es weiter? Soll man die neuen Rechten isolieren? Oder mit ihnen streiten?, in: taz.nord v. 12./13. 11. 2016, S. 43 ff.; Leserinnenbriefe dazu unter der Überschrift „Soll man mit der AfD reden?“ in: taz.nord v. 19./20. 11. 2016, S. 52. 20 Dieter Stein, Soziale Ächtung als Druckmittel, in: JF Nr. 46/16 v. 11. 11. 2016, S. 1.
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bewahren. Die kluge Journalistin Cora Stephan kritisiert: „Heute jault manch einer bei jedem Schimpfwort auf und nennt ,Hass‘, was doch einst als so authentisch galt.“21 Nachdenklich sollte uns machen, wenn ein in Deutschland lebender Schweizer Journalist, der eher der linken Szene zugerechnet wird, fragt: „Deutschland, bedroht vom Hass? Wie ist diese Absurdität in die Welt gekommen?“, und der zu Carolin Emckes Buch kritisch anmerkt: „Emckes Elaborat bleibt leider vage. Ihr Hass auf die Hasser krankt an dem, was sie selber den Hassern vorwirft: ,Gehasst wird ungenau‘.“22
21 Cora Stephan, Der große Lümmel. Wenn das Volk falsch abstimmt, ist es vorbei mit der Liebe, in: NZZ v. 24. 11. 2016, S. 37. 22 Frank A. Meyer, Generalverdacht. Glaubt man den Berliner Eliten, breitet sich Hass im Lande wie eine Seuche aus. Tatsächlich gehört das Wort zur Munition gegen Religionskritiker, in: Cicero Nr. 12 Dez. 2016, S. 48.
N. Hetzer am Pranger: „Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“ Im Herbst 2015 startete die Bild-Zeitung eine viel beachtete Aktion gegen auf Facebook erschienene fremdenfeindliche Kommentare, z. B. Äußerungen wie: „Wenn einem Muslim in seinem Gastland etwas nicht gefällt, kann er ja wieder gehen.“ Die Bild-Zeitung veröffentlichte die entsprechenden Wortmeldungen unter Angabe der Namen und mit Fotos der betreffenden Facebook-Nutzer. Bild titelte dazu mit Ausrufezeichen: „Wir stellen die Hetzer an den Pranger! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“ Eine so an den Pranger gestellte Frau klagte daraufhin gegen den Verlag der Bild-Zeitung auf Löschung ihres Fotos. Während das Landgericht München die Klage mit dem Argument des „öffentlichen Interesses“ abwies, gab das Oberlandesgericht München der angeprangerten Frau zutreffend Recht, weil deren Persönlichkeitsrecht verletzt sei, was schwerer wiege als „zeitgeschichtliche Relevanz“; denn die Bild-Zeitung hätte ihr Anliegen auch ohne Abdruck der Fotos der Facebook-Kommentatoren zur Geltung bringen können.1 Großzügiger urteilte der Deutsche Presserat, der selbst in der Titulierung „Hassfratzen“ keinen Grund zur Beanstandung sah.2 Erfahrungsgemäß ist man bei Lektüre der „Bild“ starken Tobak gewöhnt.3 Aber auch dieser publizistische Tabakgenuss hat Grenzen, die sich aus den Grundrechten des Grundgesetzes ergeben. Selbst wenn das Wort „Pranger“ heute nur noch im übertragenen Sinne zu verstehen ist, sollte man sich an seine historische Herkunft erinnern: Der Pranger 1 Siehe dazu den Bericht: Schutz vor Medien-Pranger. Die „Bild-Zeitung“ stellte Facebook-Mitglieder wegen Hassreden an den Pranger. Das war in einem Fall rechtswidrig, wie ein Gericht festhielt, in: NZZ v. 26. 03. 2016, S. 11, auch mit Hinweis auf eine inhaltlich gleichlautende frühere Grundsatzerklärung des Schweizer Presserates. 2 Zit. bei Tobias Dahlbrügge, Blick in die Medien. Jetzt wird zurückgeprangert, in: JF Nr. 14/16 v. 01. 04. 2016, S. 17. 3 Beispiele bei Peter Bartels, Bild. Ex-Chefredakteur enthüllt die Wahrheit über den Niedergang einer einst großen Zeitung, Rottenburg 2016.
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war im Mittelalter eine „Schandsäule mit Halseisen, an die der Schuldige geschlossen und zur Schau gestellt wird“,4 also ein Instrument der öffentlichen sozialen Ächtung. Nun könnte man/frau allerdings dagegen halten, dass Hetzer nichts anderes verdienen, etwa nach dem Motto „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“ – hat doch selbst der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, im Einklang mit den Hardlinern kürzlich geäußert, man müsse „Rechtspopulisten“ gegenüber „klare Kante zeigen“: Es seien „Gestalten“ am Werk, die „unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit gegen andere hetzen;“ es werde beispielsweise von diesen „ein anti-islamischer Kulturkampf inszeniert“.5 Den eigenen Frieden mit dem Islam haben Bischof Heinrich Bedford-Strohm und sein katholischer Amtskollege im Amt des Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bekanntlich bei ihrem Besuch des Jerusalemer Felsendomes demonstriert, indem sie darauf verzichteten, ihre Amtskreuze wie üblich offen zu tragen. Peinlich an diesem Wegstecken ist jedenfalls die Tatsache, dass die von Bischof Bedford-Strohm geäußerte Begründung, man habe auch von israelischer Seite dazu aufgefordert, von einem israelischen Militärsprecher zurückgewiesen wurde: „Niemand habe die Bischöfe darum gebeten. Im Gegenteil: ,Es war vollkommen falsch, vor den radikal-muslimischen Forderungen einzuknicken‘.“6 Bedford-Strohms Philippika gegen die „Hetzer“ ist nur ein Beispiel für den inzwischen inflationären Gebrauch der Worte „Hetzer“ und „Hetze“. Das Schicksal dieser Kampfbegriffe ist, dass ein allzu häufiger Gebrauch die Konturen verschwimmen lässt, wodurch die Gefahr besteht, dass die Kampfbegriffe schließlich zu abgegriffenen, floskelhaften Modewörtern werden. Kein Bischof, aber immerhin ein 4 Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Aufl., neu bearb. von Elmar Seebold, Berlin/New York 1989, S. 559. 5 Zit. bei Hans Heckel, Der Martin im Michel. Warum Anne Will noch hätte warten sollen, wem der Bischof klare Kante zeigt, und warum Luther eine Warnung an die Mächtigen bleibt, in: PAZ Nr. 45 v. 11. 11. 2016, S. 24. 6 Zit. bei Frank Horns, Kniefall gen Mekka. Martin Luther wäre entsetzt – Schwach und liebedienerisch begegnet die evangelische Amtskirche dem Islam, in: PAZ Nr. 46 v. 18. 11. 2016, S. 3; s. auch Angelika Barbe, Feiglinge, in: PAZ Nr. 8 v. 24. 02. 2017, S. 8.
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ehem. Bundespräsident hat sich um eine inhaltliche Abgrenzung bemüht. Im Zusammenhang mit Hasstiraden im Internet forderte Joachim Gauck, sich für Argumente zu öffnen: „Wohlgemerkt, Argumente, nicht für Hetze…“. Zutreffend hat Christian Geyer dazu allerdings bemerkt: „Freilich ist die Denkfigur des Arguments kein geschützter Begriff. Ebenso wenig wie die Denkfigur der Hetze (von gerichtlich feststellbaren Ausprägungen abgesehen). Es kommt deshalb vor, dass der eine als Argument beansprucht, was der andere als Hetze verwirft.“7 Versucht man, in der aufgeheizten Stimmung und in den aufgeregten Gefühlsaufwallungen von rechts und links einen einigermaßen klaren Kopf zu bewahren, so kommt man wohl an folgenden Feststellungen nicht vorbei: 1. Als „Hetze“ wird gemeinhin ein Vorgang bezeichnet, der tatsächlich und rechtlich gesehen eine Meinungsäußerung darstellt. Kriminelle Gewalttaten, wie z. B. in Brand setzen von Flüchtlingsheimen sind dagegen etwas anderes als bloße Meinungsäußerungen. 2. Als „Hetze“ bezeichnete Meinungsäußerungen beinhalten in der Regel heftige Kritik an Personen oder an Zuständen. Bei wohlwollender Betrachtung könnte diese Form der Kritik als engagierte Kritik qualifiziert werden. Engagierte Kritik wie kritische Stellungnahmen überhaupt wurden jahrelang – nicht zuletzt im progressiven Lager – als wünschenswert und als Zeichen von Aufgeklärtheit angesehen.8 3. „Hetze“ ist das Werk eines oder mehrerer „Hetzer“. Aber wer ist ein „Hetzer“? Die Antwort ist einfach: Jedenfalls nicht man selber, sondern immer ein anderer. Ein Guter (kritischer Ausdruck: einer der „Gutmenschen“) hetzt nicht: er argumentiert. Was dagegen nicht in das eigene – offenbar festgefügte – Weltbild passt, ist „Hetze“. Der
7 Christian Geyer, Aufklärung am Bau. Wie Römerberggespräche unser Land retten können, in: FAZ Nr. 62 v. 14. 03. 2016, S 11, auch mit dem Postulat: „Es kann nicht sein, dass Redebeiträge ihren argumentativen Anspruch allein aus der Tatsache ableiten, dass sie erkennbar keine Hetze sein wollen.“ 8 Beispiele solcher Selbsteinschätzung sind die Titel der juristischen Fachzeitschriften „Kritische Justiz“ (gegründet 1968) und „Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ (wiedergegründet 1986).
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„Hetzer“ steht auf der „falschen Seite“,9 erfahrungsgemäß auf der Seite der „Rechtspopulisten.“ 4. Die Bezeichnung eines Menschen als „Hetzer“ ist ein ziemlich scharfes Unwerturteil. Kann das Wort „Hetzer“ noch stärker angeschärft werden? Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Bundesjustizminister Heiko Maas haben im Zusammenhang mit „Hasspostings“ im Internet die Zivilgesellschaft aufgefordert, „radikalen Hetzern“ nicht das Feld zu überlassen und Strafanzeige zu erstatten.10 Wer von „radikalen“ Hetzern spricht, provoziert die Frage, ob es etwa auch nichtradikale Hetzer gibt, also vielleicht gemäßigte Hetzer – eine einigermaßen absurde Vorstellung. 5. Die erwähnte Aufforderung von Bundesinnenminister und Bundesjustizminister, in Fällen von „Hetze“ Anzeige zu erstatten, deckt sich mit der Vorstellung von Autoren, die sich wünschen, dass ihre Leser eine digitale Bürgerwehr bilden, im Netz patrouillieren und Hetzer zur Anzeige bringen sollen.11 Da ist er also wieder: der Ruf nach dem Staatsanwalt. Das wünschenswerte demokratische Engagement zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mündet danach in einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und der damit erhofften strafrechtlichen Verurteilung: Kann es sinnvoll sein, den für eine lebendige Demokratie notwendigen Meinungsstreit zu kriminalisieren? Soll die offene Gesellschaft für Diskutanten zu einer Gesellschaft hinter Gittern werden? Ist die Züchtung von Denunzianten eine erfreuliche Erscheinung? Schließlich: Zeigt der Ruf nach dem Einschreiten des Staatsanwaltes gegen Meinungsäußerungen nicht eine Schwäche der demokratischen Kräfte? „Wie westliche Gesellschaften mit Migrationsfragen umgehen, wird sich nicht in Gerichtssälen klären
9 Die Bezeichnung „falsche Seite“ nennt Reinhard Müller, Das Land als Domplatte, in: FAZ Nr. 8 v. 11. 01. 2016, S. 1, „eine in einer Demokratie ohnehin merkwürdige Kategorie“. 10 Zit. bei Stefan Locke, Wie lässt sich Hetze bändigen? Das Strafrecht und die Hasskommentare, in: FAZ Nr. 170 v. 23. 07. 2016, S. 5. 11 Liane Bednarz / Christoph Giesa, „Gefährliche Bürger“. Die neue Rechte greift nach der Mitte, München 2015. Kritisch dazu zutreffend Patrick Bahners, Netzpatrouille gegen rechte Agitatoren? Liane Bednarz und Christoph Giesa gründen eine digitale Bürgerwehr, in: FAZ Nr. 203 v. 02. 09. 2015, S. 10.
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lassen, sondern nur in der politischen Arena“12 – dieser kurze Kommentar zum Gerichtsurteil gegen den niederländischen Politiker Geert Wilders bringt die Sache knapp aber zutreffend auf den Punkt. 6. Als Steigerungsform von „Hetze“ bietet sich „Hetzkampagne“ an. Adressat dieser Zuschreibung war z. B. im Herbst 2016 die Berliner AfD-Landesvorsitzende Beatrix von Storch, die sich auf Facebook kritisch zu der Abgeordneten der Partei Die Linke Anne Helms geäußert hatte. Anne Helms, die ursprünglich der Partei Die Piraten angehörte, bevor sie die Partei wechselte, hatte im Februar 2014 auf sich aufmerksam gemacht, indem sie zum Gedenktag für die 35.000 Opfer des Luftangriffes auf Dresden ihre mit der Botschaft „Thanks Bomber Harris“ bemalten nackten Brüste zeigte. Beatrix von Storch machte sich über die „Hühnerbrust“ von Anne Helms lustig und bezeichnete die Abgeordnete als „Schande“, was von Antje Schiwatschev vom Landesvorstand der Partei Die Linke in der Zeitung „Neues Deutschland“ als „sexistische und rassistische Hetzkampagne“ gegeißelt wurde.13 7. Über eine andere Kampagne in einem ganz anderen Zusammenhang wird aus Israel berichtet. „Breaking the Silence“ (eine Gruppe regierungskritischer ehemaliger Soldaten) und andere linke Menschenrechtsgruppen beklagen seit Längerem eine gegen sie gerichtete Kampagne: „Rechte Organisationen und mehrere Minister hielten ,Breaking the Silence‘, vor, gegen Israel zu ,hetzen‘ und Lügen über das Land zu verbreiten.“14 Das Beispiel zeigt, dass der Vorwurf der „Hetze“ nicht nur in Deutschland gebräuchlich ist. Als eine Form der Meinungsäußerung ist eine vorliegende oder auch nur behauptete Hetze dem Urheber zuzurechnen. Urheber hetzerischer Äußerungen können Privatpersonen oder Amtsträger sein, nicht aber ein Staat als Ganzer. Deshalb war die Kritik der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, an einem Kommentar des 12 Glosse Stumpfe Schwerter, in: FAZ Nr. 289 v. 10. 12. 2016, S. 10. – Zum Gerichtsverfahren gegen Geert Wilders s. Michael Stabenow, Was ihn nicht umbringt. „Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?“, hatte Geert Wilders gerufen. Deshalb wurde er verurteilt – doch er sieht sich nur weiter gestärkt, in: FAZ Nr. 289 v. 10. 12. 2016, S. 2. 13 Dazu Theo Maass, Nackte Ex-Piratin macht auf beleidigt, in: PAZ Nr. 45 v. 11. 11. 2016, S. 5. 14 Bericht Ermittlungen gegen Militärkritiker. „Breaking the Silence“ weist Vorwürfe zurück, in: FAZ Nr. 68 v. 21. 03. 2016, S. 5.
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slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico zu den Vorgängen in der Kölner Silvesternacht zumindest unscharf: „Ich bin entsetzt, dass ein EU-Mitgliedsstaat die Übergriffe in Köln dazu nutzt, pauschal gegen eine Religionsgemeinschaft zu hetzen.“15 Das ganze Thema gehört zum Problemkreis Debattenkultur. Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen sind kein positiver Beitrag zur Debattenkultur, sondern das exakte Gegenteil. Dem Bundesinnenminister ist zuzustimmen, wenn er sagt: „Die gesamte Gesellschaft ist gefordert, dieser zunehmenden Radikalisierung auch in Sprache und im Umgang entgegenzutreten.“16 Ähnlich – und ebenso zutreffend – ist die Feststellung von Patrick Bahners: „Die Erziehung des Menschengeschlechts bleibt angewiesen auf die Eigendynamik von Verhältnissen der freimütigen Diskussion und des zivilen Umgangs“.17 Die alte Sentenz „fortiter in re, suaviter in modo“ sollte auch heute noch die Grundregel jeder Debatte sein. Wichtig dürfte aber vor allem sein, dass nicht jede vom Mainstream abweichende Meinung allein deshalb schon als „Hetze“ kategorisiert wird. Nicht jede Kritik ist Hetze, wie dies in dem Kommentar der Bild-Zeitung „Futter für alle Hetzer“ suggeriert wird, in dem Kritik an den Managern von VW mit dem Satz abgeschlossen wird: „Das macht es all jenen wieder ein Stück leichter, die sowieso schon gegen Demokratie, Marktwirtschaft und ,die da oben‘ hetzen.“18 Ein allzu häufiger Gebrauch des Wortes „Hetze“ führt dazu, dass der Leser diesen Sprachgebrauch nicht mehr als scharfe Munition, sondern nur noch als Platzpatrone empfinden wird. Und jedenfalls sollte klar sein: Nicht jeder Populist ist ein Hetzer. Aber was ist eigentlich ein Populist?
15 Zit. bei Peter Entinger, „Aber ich werde nicht mitlügen.“ Im Osten der EU formiert sich Widerstand gegen die Politische Korrektheit in der Asylfrage, in: PAZ Nr. 3 v. 22. 01. 2016, S. 6. 16 Zit. in: JF Nr. 22/16 v. 27. 05. 2016, S. 4. 17 Patrick Bahners, Die Panikmacher, München 2011, S. 11. 18 Nikolaus Blome, Kommentar Futter für alle Hetzer, in: BILD v. 19. 11. 2016, S. 2.
O. Populismus – eine Worthülse? Am 12. September 1992 gab der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt der damals als linksliberal geltenden „Frankfurter Rundschau“ ein Interview, in dem er äußerte: „Aus Deutschland ein Einwanderungsland zu machen, ist absurd.“1 Zitiert wird Helmut Schmidt auch mit seiner Feststellung: „Mit einer demokratischen Gesellschaft ist das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft schwer vereinbar. Aber wenn man fragt, wo denn multikulturelle Gesellschaften bislang funktioniert haben, kommt man sehr schnell zum Ergebnis, dass sie nur dort friedlich funktionieren, wo es einen starken Obrigkeitsstaat gibt. Insofern war es ein Fehler, dass wir zu Beginn der 60er Jahre Gastarbeiter und fremde Kulturen ins Land holten“.2 Die Vorstellung einer multikulturellen Gesellschaft hielt der Alt-Bundeskanzler für „abwegig“ und Muslime für kaum integrierbar.3 War Helmut Schmidt, der in einer Verlagsanzeige für eines seiner Bücher als „einer der beliebtesten Deutschen“ gefeiert wurde, mit diesen Äußerungen ein „Populist“ – womöglich sogar ein „Rechtspopulist“? Oder kann es sein, dass jene Schmidt’schen Meinungsäußerungen damals nicht „populistisch“ waren, während sie heute unter dieses Verdikt fallen würden? Hängt also die Disqualifizierung einer Meinung als „Populismus“ vielleicht von der Einordnung durch den Zeitgeist ab?4 1
Zit. bei Thomas Karlauf, Helmut Schmidt. Die späten Jahre, München 2016, S. 228. 2 Zit. im Leserbrief von Fred Peter Mohlau, „Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt sonst Mord und Totschlag“, in: PAZ Nr. 12 v. 25. 03. 2016, S. 12. 3 Zit. bei Thomas Karlauf (Anm. 1), S. 228. 4 Hinweise zu Parallelen in der altrömischen Geschichte bei Michael Sommer, Ein jeglicher Populist hat seine Zeit. Die Strategien des Politischen Establishments gleichen sich auf erschütternde Weise: In Rom beherrscht man seit zweitausend Jahren die Kunst, den Konsens der Anständigen zu inszenieren, in: FAZ Nr. 285 v. 06. 12. 2016, S. 11. – Historische Hinweise auch bei Traute Petersen, Dem Namen nach. Ursprünge und Entwicklung der Begriffe „De-
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Die Antwort auf diese Frage müsste zunächst Klarheit darüber schaffen, was unter den Begriffen „Populismus“ und „populistisch“ inhaltlich zu verstehen ist. Erschwert wird diese Klärung durch den inflationären Gebrauch dieser Begriffe. So ist die Rede vom „derzeit allgegenwärtigen Thema Populismus“5. In der Schweizer Presse wird berichtet, dass der Begriff „Populismus“ im Jahr 2016 rund 2000 Mal vorkam, dreimal mehr als 2015.6 Der in Berlin lebende Schriftsteller Harald Martenstein, einst als Linksaußen, heute als Liberaler verortet, hält den Ausdruck „Populist“ für „ein leeres Allzweckwort gegen Meinungen, die man nicht gerne hört“.7 Michael Hanfeld hat zu der oben gestellten Frage die ebenso ernüchternde wie zutreffende Feststellung getroffen: „Und was ,populistisch‘ heißt, weiß inzwischen ja auch niemand mehr.“8 Als Beleg für diese Unklarheit zitiert Hanfeld die Diskussion in einer Talkshow von Anne Will, in der ein Psychoanalytiker die erneute Kandidatur von Angela Merkel für den Vorsitz ihrer Partei und für das Amt der Bundeskanzlerin als „populistisch“ kritisierte, während der Chefredakteur der „Zeit“, Giovanni di Lorenzo, diesen Vorwurf zurückwies.9 Klar ist in diesem Erklärungswirrwarr nur, dass der Gebrauch der Begriffe „populistisch“ und „Populismus“ in kritischer Absicht geschieht, genauer: mit diffamierender Zielrichtung gegenüber einer abweichenden Ansicht. Von Renate Köcher, der Leiterin des Meinungsforschungsinstitutes Allensbach, stammt die Feststellung: „Immer wenn man etwas diskreditieren will, nennt man es populismokraten“, „Republikaner“ und „Populisten“, in: JF Nr. 12/17 v. 17. 03. 2017, S. 22. 5 Jan-Werner Müller, Woran man sie erkennen kann. Moral schlägt Empirie: Ginge es nach Volkes Stimme, dann wäre das Land voll von Populisten. Aber wissen die Leute überhaupt, was der Begriff meint?, in: FAZ Nr. 105 v. 06. 05. 2016, S. 11. 6 Andrea Kucera / Heidi Gmür, Das Jahr 2016 von A bis Z. Die NZZAuswahl der Begriffe, welche die Schweizer Politik im ablaufenden Jahr geprägt haben, in: NZZ v. 30. 12. 2016, S. 15. 7 „Ein sehr, sehr schönes Land“. Interview von Roger Köppel mit Harald Martenstein, in: Die Weltwoche Nr. 51/52.16, S. 52, auch mit der Aussage: „Ich glaube, dass Merkel im Grunde eine Populistin ist.“ 8 Michael Hanfeld, Immer weiter so. In der Talkshow von Anne Will geraten Kategorien ins Rutschen, in: FAZ Nr. 273 v. 22. 11. 2016, S. 15. 9 Michael Hanfeld (Anm. 8).
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tisch“.10 „Populismus“ ist also „die neumodische Diffamierung eines politischen Standpunkts, den man nicht teilt“11, und „das diffamierende Etikett, mit dem man diejenigen versieht, die einen anderen Standpunkt vertreten, mit dem man sich inhaltlich nicht auseinandersetzen will“.12 Die Schärfe, die in dem Vorwurf liegt, jemand sei ein „Populist“, ergibt sich auch daraus, dass nach Ansicht der Verwender dieses Begriffes der „Populist“ „absichtsvoll böse“ ist – im Gegensatz zum postfaktischen Menschen, der „nur absichtslos blöde ist“.13 Der „Populist“ verkörpert also, um die Sicht von Bundespräsident Joachim Gauck zu zitieren, nicht „das helle Deutschland“, sondern „das dunkle Deutschland“. Die sprachliche Wurzel von „Populist“ und „populistisch“ liegt im lateinischen „populus“, was nichts anderes bedeutet als „das Volk“. Der Begriff Volk ist als solcher weder im Sinne von „volkstümlich“ positiv konnotiert noch im Sinne von „völkisch“ negativ besetzt. Aber auch Worte haben ihr Eigenleben; der Duden liegt vermutlich nicht falsch, wenn er das Wort „Populismus“ erläutert mit „opportunistische Politik, die die Gunst der Massen zu gewinnen sucht“.14 Die Gunst der Massen (im Sinne einer größtmöglichen Zahl von Wählern) zu gewinnen ist aber das Ziel jeder politischen Partei, die sich nicht als eine reine Klientelpartei versteht, vor allem also der sog. Volksparteien. Im Zusammenhang mit „populistisch“ und mit „opportunistischen“ Versprechungen ist interessant, was Günter Verheugen als damaliger Generalsekretär der FDP über die Volksparteien CDU und SPD zur Bundestagswahl von 1980 geschrieben hat: „Die Unionsparteien haben ihren Spitzenkandidaten gekürt. Nun wollen sie an die Macht. Ihrem Wahlkampf wird ein populistisches Konzept zugrunde liegen. Alle noch so neurotischen Unterströmungen der Volksseele werden dabei 10 Renate Köcher, Die Mehrheit traut dem Frieden noch nicht ganz, in: Die Welt Nr. 292 v. 13. 12. 2016, S. 2. 11 Michael Hanfeld, Wertlos. Ursula von der Leyen belehrt Trump und vergisst Erdogan, in: FAZ Nr. 265 v. 12. 11. 2016, S. 16. 12 Michael Hanfeld (Anm. 8). 13 Marc Felix Serrao, Postfaktisches Gift, in: FAZ Nr. 276 v. 25. 11. 2016, S. 17. – Zur Frage, ob Uli Hoeneß ein Populist ist oder war, s. Claudio Catuogno, Hoeness und Leipzig. Feinde in Zeiten des Populismus, in: SZ Nr. 275 v. 28. 11. 2016, S. 33. 14 Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache. Bd. 1. 21. Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich, 1996, S. 578.
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gern benutzt werden“; und zur SPD (deren Bundesgeschäftsführer Verheugen später wurde): „Die Sozialdemokraten werden einen Kanzler-Wahlkampf führen. Sie werden versuchen, sich und ihre Widersprüche hinter dem Ansehen des Bundeskanzlers zu verstecken. Und im Übrigen werden auch sie versprechen, was das Zeug hält. Volksparteien dieser Art können nicht anders.“15 Der Gebrauch der Kampfbegriffe „populistisch“ und „Populist“ ist also nicht neu, wohl aber deren inflationärer Gebrauch und die weitgehende Beschränkung jedenfalls bei uns auf die politische Rechte. Ein Blick in die Meinungslandschaft zeigt: Es wimmelt offenbar nur so von Rechtspopulisten, während man Linkspopulisten jedenfalls in Deutschland mit der Lupe suchen muss. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: Es ist die nachwirkende Erinnerung an das totalitäre Schreckensregime des Nationalsozialismus, der als rechts verortet wird; ob es im Nationalsozialismus auch Sozialismus gab, wird nur selten diskutiert.16 Beispiele für Linkspopulismus werden heute fast nur im Ausland gesehen, so z. B. in Polen als Gegenbewegung gegen die dort herrschende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) oder in Frankreich als Gegenbewegung gegen das Erstarken des „Front national“ (FN), letzterer mit ideologischen Wurzeln schon im Boulangismus der ausgehenden 1880er Jahre.17 Zutreffend ist jedenfalls die Feststellung: „Der neue Populismus zeigt sich derzeit zwar meist von rechts, doch ist das kein Wesensmerkmal“, wie Auswüchse des Linkspopulismus eines Hugo Chávez und eines Nicolás Maduro in Venezuela zeigen.18 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Rückblick in die Geschichte. Karen Horn, Dozentin für ökonomische Ideengeschichte, hat auf die Wurzeln des Populismus in einer Bauernrevolte in den USA am Ende des 19. Jahrhunderts hingewiesen, die 15 Günter Verheugen, Partei der Freiheit, in: liberal 21. Jg. H.7/8 v. Juli/ August 1979, S. 482. 16 Dazu Ingo von Münch, Gab es Sozialismus im Nationalsozialismus? Links – zwo – drei – vier. Eine Tempelschändung, in: eigentümlich frei 18. Jg. Nr. 156 v. Okt. 2015, S. 41 ff. 17 Dazu Marc Zitzmann, Alte Klamotten als letzter Schrei. Eine kleine Ideengeschichte des Familienunternehmens Le Pen, in: NZZ v. 30. 12. 2016, S. 35. 18 Peter Rásonyi, Es ist der Anspruch der Populisten, eins mit dem einheitlichen Volkswillen zu sein, der sie gefährlich macht. Denn Demokratie lebt vom Wettbewerb, in: NZZ v. 31. 12. 2016, S. 3.
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in die Gründung der später von den „Democrats“ verdrängten „People’s Party“ mündete, woraus Karen Horn den Schluss zieht: „Der Populismus begann links und ist dort bis heute heimisch.“19 Eine aktuelle Variante liefert eine Debatte bei den österreichischen Grünen, die über die Forderung entbrannt ist, „dass man dem ,rechten‘ Populismus einen eigenen linken Populismus entgegensetzen müsste“.20 Und aus den vom Rechtspopulismus befallenen Niederlanden meldet sich der Kulturhistoriker Robin van den Akker mit dem Vorschlag zu Wort, gegen den Rechtspopulismus einen „Populismus von links“ in Stellung zu bringen, „der sich ähnlich grober Methoden bedienen solle“.21 Also: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Nur: Wo liegt dann der methodische Unterschied? Die etymologische Herkunft des Wortes „Populismus“ führt zu der Frage, in welchem Verhältnis Populismus zu Demokratie steht. Die Antwort gibt das Grundgesetz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ (Art. 20 Abs. 3). Demokratie ist also die Staatsform und das Organisationsprinzip eines Staates, während Populismus sich aus Meinungen und Gefühlen speist, die wiederum von den zuständigen Entscheidungsgremien aufgenommen oder zurückgewiesen werden können – so jedenfalls in der repräsentativen Demokratie nach dem Grundgesetz. Das Prinzip der direkten Demokratie – wie generell in der Schweiz und ansatzweise in einigen Ländern der Bundesrepublik – könnte ein Einfallstor für „Populismus“ öffnen, jedoch muss dies nicht der Fall sein.22 Auch stellt sich hier die Frage wie 19 Karen Horn, Populismus, in: Schweizer Monat 1042 v. Dezember 2016 / Januar 2017, S. 41. – Zu den beiden größten Protestbewegungen der jüngsten Geschichte der USA (Tea Party und Occupy): Charlotte Potts, Protest im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Baden-Baden 2016. 20 Zit. bei Stephan Löwenstein, Osterreichs Regierungspartner suchen den Populismus der Mitte. Warum Sebastian Kurz als einziger EU-Außenminister gegen den Fortschrittsbericht zu den Türkei-Gesprächen stimmte, in: FAZ Nr. 294 v. 16. 12. 2016, S. 4. 21 Zit. nach Paul Ingendaay, Wir brauchen mehr Gefühl. Was Intellektuelle gegen Populismus empfehlen, in: FAZ Nr. 245 v. 17. 12. 2016, S. 16. 22 So zutreffend Angela Köckritz / Gero von Randow, Wie soll man sie nennen? Faschisten Autoritaristen Populisten Reaktionäre Rassisten Nationalisten Rechtsradikale Nazis? Eine Suche nach dem passenden Etikett für Poli-
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so häufig: Was ist „populistisch“? War die in der Volksabstimmung von 2016 getroffene Entscheidung der Hamburger Bevölkerung gegen eine Bewerbung der Stadt um die Austragung der Olympischen Spiele 2024 in Hamburg „populistisch“ oder nicht? Ist der – vor allem von links getragene – Widerstand gegen die Freihandelsabkommen TPP und TTIP populistisch? Und: Wer von einer „Herrschaft der Stammtische“ spricht, sollte sich daran erinnern, dass das Grundgesetz einer solchen Herrschaft hohe Schranken setzt, so z. B. dem nach schweren Verbrechen nicht seltenen und gewiss populistischen Ruf nach Wiedereinführung der von Verfassung wegen abgeschafften Todesstrafe.23 Welche Meinungen als „populistisch“ und welche Personen als „Populisten“ einzustufen sind, lässt sich offensichtlich nur schwer abstrakt bestimmen. Verschiedene Zeitläufte und unterschiedliche Länder beeinflussen die Kategorisierung. Im Jahre 2017 fallen in die Schublade „populistisch“ z. B. Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin Angela Merkel, Kritik am Islam, Kritik an der Gleichstellung der Ehe von Mann und Frau mit Homo-Ehen, Kritik am Genderismus, Kritik an der Europäischen Integration, Kritik an Rettungsmaßnahmen für den Euro, Kritik an der sog. Mainstream-Presse („Lückenpresse“, in der härteren Version: „Lügenpresse“), Kritik an den etablierten politischen Parteien, Kritik an den Funktions- und Meinungseliten, Kritik an der Globalisierung, Verlangen nach einfachen Antworten auf komplexe Probleme. „Populismus“, im Ausdruck „dem Vulgären oft nah verwandt“24, ist nicht identisch mit Sexismus, mit Rassismus und mit Nationalismus; jedoch gibt es insoweit Überschneidungen („Make America great again“; „America first“). Für Jan-Werner Müller, den in Princeton Politische Theorie lehrenden Autor des Buches „Was ist Populismus?“25, sind „Populisten immer antipluralistisch“: „Für den tiker wie Gauland, Hofer und Le Pen, in: Die Zeit Nr. 25 v. 09. 06. 2016, S. 7: Direkte Demokratie „ist nicht von vornherein ein Instrument des Populismus, kann aber so benutzt werden“. 23 Art. 102 GG: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ 24 So Marion Löhndorf, Schlicht ist hier gar nichts. London denkt über den Stilausdruck des Vulgären nach, in: NZZ v. 31. 12. 2016, S. 39. 25 Jan-Werner Müller, Was ist Populismus?, Berlin 2016. –Zum Antrieb des Populismus und zu dessen Feindausdeutung s. Reinhard Olschanski, Der Wille zum Feind. Über populistische Rhetorik, Paderborn 2017. – Ausführlich, auch zur Ursache (insbes. Entgrenzung), Peter Graf Kielmannsegg, Populismus ohne Grenzen. Im demokratischen Kontext weist eine erfolgreiche populistische
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Populisten gibt es keine legitimen Mitbewerber um die Macht“.26 Als helle Gegenposition zum „Populismus“ verstehen sich z. B. Weltoffenheit, Willkommenskultur, Toleranz, Zurückweisung von Pauschalverdächtigungen, Verständnis für den Islam. „Populismus“ wird vertreten, getragen und gefördert von „Populisten“. Wie wird jemand „Populist“? Wie wird jemand zu einem „Populisten“ gemacht? Wer ist tatsächlich „Populist“? Die Symbolfiguren in der einschlägigen Bildergalerie sind bekannt: Allen voran Donald Trump, aber auch Recep Erdogan, Jaroslav Kaczynski, Marine Le Pen, Wladimir Putin, Viktor Orban, Geert Wilders. In Deutschland dürfte Alexander Gauland aufgrund seiner als beleidigend empfundenen Äußerung gegenüber dem Fußballnationalspieler Jérôme Boateng entweder als „Populist“ oder als „Rassist“ oder als beides eingeordnet werden. Die Mitgliedschaft von Alexander Gauland in der AfD wirft zudem die Frage auf, ob nicht nur die Vorstandsmitglieder einer als „populistisch“ verorteten politischen Partei als „Populisten“ geführt werden können, sondern auch sämtliche Mitglieder und womöglich alle Anhänger jener Partei? Oder liegt einer solchen Generalisierung ein Generalverdacht zugrunde, eine Denkkategorie, die ja gerade von den Nicht-Populisten den „Populisten“ vorgeworfen wird? Wichtiger als diese Frage (die sich übrigens auch bei der Teilnahme an Demonstrationen wie etwa von Pegida stellt), ist die Frage, wie mit „Populismus“ und mit „Populisten“ umzugehen ist. Unklug und jedenfalls fruchtlos dürfte eine Strategie der Diskussionsverweigerung sein, eine Strategie, die „Populisten“ wie Aussätzige behandelt. Dazu ist in einer gründlichen Besprechung des klugen Buches von Timothy Garton Ash (des Trägers des Karlspreises 2017), über „Redefreiheit in
Bewegung immer auf eine Schwäche des repräsentativen Systems hin. Was aber ist die Ursache des jüngsten Prozesses politischer Entfremdung?, in: FAZ Nr. 37 v. 13. 02. 2017, S. 6; Reinhard C. Heinisch / Christina Holtz-Bacha / Oscar Mazzole (Hrsg.), Handbook on Political Populism, Baden-Baden 2017. 26 Jan-Werner Müller (Anm. 5); s. auch Peter Rásonyi (Anm. 18): „Sie (die Populisten, d.Verf.) dulden keinen Widerspruch, keinen Wettbewerb um die besseren Ideen, denn diese kann es gar nicht geben, da sie ja exklusiv und unfehlbar den Volkswillen verkörpern. Das macht sie per se demokratiefeindlich, da Demokratie vom Wettbewerb, von der Möglichkeit von Sieg, Niederlage und Irrtum lebt.“
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einer vernetzten Welt“27 zu lesen: „Man kann sich fragen, ob nicht schon durch das Label Rechtspopulismus eine nicht unbeträchtliche Gruppe der hiesigen Bevölkerung, alle nämlich, die eine liberale Flüchtlingspolitik kritisieren, leichtfertig zu illegitimen Diskussionsteilnehmern erklärt wird.“28 In der Tat wirkt ein Eintreten für Toleranz nicht gerade überzeugend, wenn Intoleranz praktiziert wird. Boris Palmer von der Partei Die Grünen und Oberbürgermeister von Tübingen bemerkt dazu zutreffend: „Zur Verteidigung der weltoffenen, liberalen und pluralistischen Gesellschaft wird Intoleranz gerechtfertigt und eingesetzt… Nur wenn das linksliberale städtische Bürgertum seine moralische Selbsterhöhung überwindet und Toleranz für Andersdenkende auch praktiziert, wenn es weh tut, gibt es eine Chance, den Extremismus auszugrenzen und den Populismus einzuhegen. Wir müssen uns für die Integration unserer Gesellschaft nach innen mindestens so sehr anstrengen wie für Flüchtlinge.“29 Der Rat, die Meinungen von sog. „Populisten“ nicht zu ignorieren und „Populisten“ nicht zu ächten, lässt sich auch damit begründen, dass auf der Seite der Nichtpopulisten kein Schwächekomplex vorhanden sein sollte. Mit der Zeile „Selbstbewusstsein in Zeiten des Populismus“ war der Leitartikel in der angesehen „Neuen Zürcher Zeitung“ zur Wahl von Donald Trump überschrieben; zugleich wurde darauf hingewiesen, dass Populisten noch nur „die politischen Ränder und nicht das Zentrum der westlichen Gesellschaften“ repräsentieren, und dass „in Demokratien Institutionen größer als Personen“ sind.30 In der Tat ist die Phalanx der Anti-(Rechts-)Populisten mehr als mächtig: sie reicht von Amnesty International über die Kirchen, die Gewerkschaften, die öf-
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Timothy Garton Ash, Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt, München 2016. 28 Christiane Müller-Lobeck, Populismus. Was hilft gegen rechte Hetze? Vier viel diskutierte Strategien, und was Historiker Timothy Garton Ash in seinem Buch dazu sagt, in: TAZ v. 19./20. 11. 2016, S. 15. 29 Boris Palmer, Die Nazis, die Flüchtlinge und ich. Nur wenn das linksliberale Bürgertum seine moralische Selbsterhöhung überwindet, gibt es eine Chance, den Populismus einzuhegen, in: FAZ Nr. 275 v. 24. 11. 2016, S. 8. 30 Eric Gujer, Selbstbewusstsein in Zeiten des Populismus. Der US-Präsident ist gewählt, aber Friede will nicht einkehren. Die einen Interpreten freuen sich über ein Signal des Aufbruchs, die anderen zetern Weltuntergang. Genau das beweist die Kraft der Demokratie, in: NZZ Nr. 271 v. 19./20. 11. 2016, S. 1.
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fentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die Mainstream-Presse bis hin zu fast allen politischen Parteien. Wer den „Populismus“ bekämpfen will, sollte sich vorab darüber Klarheit verschaffen, aus welchen Empfindungen und aus welchen Gegebenheiten sich „populistische“ Einstellungen ergeben; was sind deren Wurzeln – schlicht gefragt: Wie lässt das Wachsen des „Populismus“ sich erklären? Für die Beantwortung dieser Frage können die Argumente hilfreich sein, die in den USA nach der Wahl von Donald Trump vorgetragen worden sind. Übereinstimmung besteht offensichtlich hinsichtlich der Feststellung, dass die Wähler von Donald Trump von Misstrauen gegenüber dem Establishment geprägt gewesen seien. Aus ökonomischer Sicht werden dafür wirtschaftliche Unsicherheit und Zukunftsängste der „Abgehängten“ in’s Feld geführt.31 Andere Stimmen zeigen jedoch, dass diese Fokussierung auf eine ökonomische Sicht zu kurz greift. Aus einer Arbeit der US-amerikanischen Politikwissenschaftler Roland F. Inglehart und Pippa Norris zum Thema „Trump, Brexit, and the Rise of Populism: Economic Have-Nots and Cultural Backlash“ wird zitiert, der Aufstieg der Populisten habe „mehr mit kulturellen Faktoren, einer heftigen Gegenreaktion auf den seit den späten sechziger Jahren angestoßenen Wertewandel und die ,Political Correctness‘ zu tun als mit wirtschaftlichem Abstieg.“ Es handele sich um „einen regelrechten Kulturkampf“, nämlich vor allem als Abwehrreaktion „gegen den von links kommenden Wertewandel sowie gegen die Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen, die ebenfalls die hergebrachte Kultur verändert“. „Der von links angestoßene Wertewandel drückt sich etwa in Initiativen für Feminismus, gleichgeschlechtliche Ehen, neue Rechte für LGBT-Gruppen (Lesbische, Schwule, Bi- und Transgender) und ,fluide‘ Gender-Rollen aus.“ Die traditionell denkenden Rechtspopulisten „nehmen es übel auf, wenn man ihnen sagt, dass traditionelle
31 Ausführlich Tomasz Kurianowicz, Frust ist nicht postfaktisch. Was hat ein urbaner amerikanischer Uni-Absolvent mit einem Trump-Wähler im Mittleren Westen gemeinsam? Beide sind verschuldet, verunsichert und haben Angst vor der Zukunft. Viele junge Akademiker sympathisieren klammheimlich mit Trump. Ein Erfahrungsbericht als Warnung für die bürgerliche Elite, in: NZZ v. 21. 11. 2016, S. 8.
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Werte nun ,politisch unkorrekt‘ sind, wobei sie sich zunehmend an den Rand gedrückt fühlen in ihren eigenen Ländern.“32 Die Bezugnahme der beiden zitierten Harvard-Wissenschaftler auf die Auswirkungen der Political Correctness kommt nicht von ungefähr. Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin und Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin, plädiert bei seiner Erklärung des Rechtspopulismus gegen die politische Bevormundung: „Das Recht der kritischen Kritik, einst das Signum der politischen Linken, wurde unter die moralische Kuratel der Politischen Korrektheit gestellt. Selbst progressive Kritik an reaktionären Inhalten des gegenwärtigen Islam, wie dem Verbot des Religionswechsels, der Homosexualität oder die rechtlich wie gesellschaftlich mindere Stellung der Frau wurde zur Phobie umgedeutet und begrifflich verworren wie verwirrt als ,Rassismus‘ bezeichnet.“33 Wolfgang Merkel fordert die etablierten Parteien, Parlamente und Regierungen auf, „die politischen Räume im pluralistischen Wettbewerb mit guten Argumenten und einer responsiven wie responsiblen Politik zurückzuerobern“; dies sei Sache der liberalen Demokratie, „die den Pluralismus ernst nimmt und nicht in einer paradoxen Intervention mit undemokratischen Verboten, verbissen überwachter Sprachregelung oder moralischer Diskursausgrenzung die Demokratie zu retten versucht“.34 Diskutieren und Argumentieren muss also die Methode im Umgang mit Vereinfachern sein, nicht dagegen selbstgefälliges Ausgrenzen gegenteiliger Meinungen und hochmütiges Ignorieren von Ängsten Anderer; denn auch das ist die Erfahrung aus der Wahl von Donald Trump: Der Teil der Bevölkerung, der sich ausgeschlossen fühlte, hat ihn gewählt. Der Physiker Stephen Hawking schreibt zu der Wahl, „für viele Kommentatoren steht außer Frage, dass es ein wütender Aufschrei von Leuten war, die sich abgehängt, von der Politik im Stich gelassen 32 Alle Zitate bei Philip Plickert, Es ist nicht nur die Wirtschaft, Dummkopf. Wer sind die Wähler der populistischen Parteien – alles „Abgehängte“? Treibt sie die Angst vor Globalisierung und Finanzkrise? Wichtiger erscheint die Reaktion auf Immigration und Wertewandel, in: FAZ Nr. 290 v. 12. 12. 2016, S. 16. 33 Wolfgang Merkel, Das Recht des Schwächeren. Was der Aufstand der Vergessenen in Europa und den USA lehrt. Ein Plädoyer gegen die politische Bevormundung, in: Cicero Nr. 12 v. Dez. 2016, S. 52 ff. (53). 34 Wolfgang Merkel (Anm. 33), S. 54.
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fühlen. Es war der Moment, in dem die Vergessenen ihre Stimme erhoben und die Ansichten und Empfehlungen von Experten und Angehörigen der Elite einfach nicht mehr hören wollten.“35 Mark Lilla, Professor für Ideengeschichte an der renommierten Columbia-Universität in New York und Autor des neu erschienenen Buches „The Shipwrecked Mind. On Political Reaction“, hat in diesem Zusammenhang auf die Verantwortlichkeit derjenigen hingewiesen, „die in narzisstischer Blindheit gegenüber den Lebensrealitäten außerhalb ihrer eigenen Gruppe verharren und keinerlei Verpflichtung fühlen, sich auf Landsleute einzulassen, die anders denken und leben als sie“.36 Es ist – nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande – die politische Bunkermentalität, die zum Imperativ der Politischen Korrektheit führt.37 Die Verweigerung der Kommunikation mit sog. „Populisten“ negiert eine Grundvoraussetzung der Gesellschaft; denn: „Die Gesellschaft besteht nicht aus Menschen, sie besteht aus Kommunikation zwischen Menschen“ (Niklas Luhmann).38 Ausführlicher, aber ebenso zutreffend formuliert von Christine Landfried und Robert Post: „Die Öffentlichkeit als gemeinsamer Raum für Meinungsverschiedenheiten beruht auf der Bereitschaft, den Gesprächspartnern in ihrer Andersartigkeit mit Verständnis zu begegnen und ihre Anliegen als legitim wahrzunehmen. Auch Populisten sollten nicht ausgegrenzt, sondern in Gespräche verwickelt werden.“39 Gilt das dann auch für Alexander
35 Stephen Hawking, Am gefährlichsten Punkt, in: Die Weltwoche Nr. 51/ 52.16, S. 41. 36 Mark Lilla, Identitätspolitik ist keine Politik. Statt Interessengruppen zu hofieren, müssen sich die amerikanischen Linksliberalen auf ihre Kernanliegen besinnen, in: NZZ v. 26. 11. 2016, S. 45, auch mit dem Hinweis auf das bei diesen vorhandene „Gefühl der eigenen moralischen Überlegenheit“. 37 Zum Einfluss französischen Denkens („French Theory“) auf die Ausbildung dieses Imperativs s. Jürg Altwegg, Ist das der Sieg der schreienden Opas? Was Donald Trumps Triumph für die Wahl in Frankreich bedeutet: Die Linke ist angeekelt, aber fest in ihrem Urteil. Konservative tun sich schwer mit der Deutung. Nur eine ist restlos begeistert, in: FAZ Nr. 264 v. 11. 11. 2016, S. 13 (mit „eine“ ist Marine Le Pen gemeint). 38 Niklas Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München 1981. 39 Christine Landfried / Robert Post, Schluss mit den Schönfärbereien. Die Eliten vergessen die kulturellen Voraussetzungen für Demokratie. Der Populismus präsentiert ihnen dafür jetzt die Rechnung, in: FAZ Nr. 60 v. 11. 03. 2017, S. 11. – Zu einem unguten Beispiel einer Diskussionsverweigerung (Theater-
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Gauland, von dem der eigenwillige Satz stammt: „Der Begriff Populismus ist für mich eher eine Ehrenbezeichnung.“40 ? Eine neue, jedenfalls bisher ungebräuchliche Begriffsumschreibung ist die des „modernen Populismus“. Armin Laschet, der Sieger der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2017, bezeichnete den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner als „modernen Populisten“. Kommentiert wurde dies in der Presse damit: „Ob dies Kritik oder Bewunderung war, ließ er allerdings offen“.41 Eine Begriffsbildung, die dermaßen diametrale Auslegungen zulässt, ist aber offenkundig wenig brauchbar. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass immer häufiger neuere Publikationen sich dem Thema „Populismus“ auch unter dem Aspekt seiner Sinnhaftigkeit widmen.42
haus Gessnerallee in Zürich) s. Simon Strauss, Die Probe fällt aus. Mit Rechten reden? Ein Theater verliert die Courage, in: FAZ Nr. 58 v. 09. 03. 2017, S. 9. 40 In: „Ja, wir sind populistisch.“ AfD-Vize Alexander Gauland verteidigt innere Querelen als unumgänglich für eine junge Partei (Interview), in: PAZ Nr. 12 v. 24. 03. 2017, S. 2. 41 Zit. bei Peter Entinger, Er will sich nicht festlegen. Wohin führt Christian Lindner die FDP nach deren Renaissance?, in: PAZ Nr. 21 v. 26. 05. 2017, S. 3. 42 Beispiele: Wolfgang Knöbl, Und täglich grüßt der Populismus. Populismus als Abweichung von dem Ideal parlamentarischer Demokratie – seit Jahrzehnten geistert diese Annahme durch die Debatten, ohne dass deren empirische und normative Prämissen einer Überprüfung standhielten. Was nun?, in: FAZ Nr. 145 v. 26. 06. 2017, S. 6; Beate Kuchler, Populismus, was ist das eigentlich? Wir gebrauchen heute einen Begriff als Schimpfwort, der eine ehrenwerte Tradition aufweist. Dafür gibt es gute Gründe. Wie aber trennt man Bruder Populismus von der Schwester Demokratie?, in: FAZ Nr. 138 v. 17. 06. 2017, S. 11.
P. Die Verantwortung der Medien Nicht die einzigen, aber ganz besonders wichtige Akteure im Feld der Kommunikation sind die Medien, von ihnen besonders wichtig Presse und Rundfunk. Eine freiheitliche Demokratie setzt das Vorhandensein von freien Medien geradezu voraus. Die Grundrechte der freien Meinungsäußerung, der Presse- und Rundfunkfreiheit und der Informationsfreiheit sind untrennbar miteinander verbunden. An der herausragenden Bedeutung von Presse und Rundfunk wird entgegen mancherlei Befürchtungen auch die Digitalisierung aller Voraussicht nach nichts ändern. Gewiss dürfen die Entwicklung und die wachsende Bedeutung der Digitalisierung nicht unterschätzt werden; denn sie eröffnet, wie der damalige Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede zum sechzigjährigen Bestehen des Deutschen Presserates zutreffend festgestellt hat, „schier unendliche Möglichkeiten der Wissensaneignung, der Teilhabe und der Kommunikation“.1 In der Tat schafft die unbegrenzte Zahl von Bloggern mit einer unbegrenzten Zahl von Followern einen unbegrenzten öffentlichen Markt veröffentlichter Meinungen.2 Wenn per Twitter oder per Facebook jeder sein eigener Journalist sein kann und per books on demand jeder sein eigener Verleger, stellt sich die Frage nach der Herausforderung zumindest der Printmedien.3 Der Vormarsch der Digitalisierung muss und sollte jedoch nicht unbedingt zu einem Rückzug oder zu einer Krise der traditionellen Medien führen. Um noch einmal Gauck zu zitieren: „Die alles ent1 „Ich weiß, was Lügenpresse wirklich bedeutet.“ Gauck warnt vor dem „Kommunikationsinfarkt“ / Die Rede des Bundespräsidenten zum sechzigjährigen Bestehen des Presserates (Auszug), in: FAZ Nr. 282 v. 02. 12. 2016, S. 2. 2 Dazu z. B. Stephanie Sieckmann, Das schöne Leben der digitalen Nomaden. Blogger erobern die Internetwelt – Mit Kommentaren zu Mode- oder Reisetrends lässt sich ein Geschäftsmodell entwickeln, in: PAZ Nr. 3 v. 20. 01. 2017, S. 21. 3 Joachim Gauck (Anm. 1) sieht in der Digitalisierung den „Kern der Herausforderung“ der Printmedien.
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scheidende Frage bleibt, wie sich journalistische Qualität, ökonomischer Erfolg und publizistisches Ideal zu einem harmonischen Ganzen fügen lassen.“4 Wenn die digitale Revolution nicht zum Informationschaos führen soll, bedarf es publizistischer Verlässlichkeit, wie sie jedenfalls die Qualitätsmedien garantieren sollen. Mit anderen Worten: In der nicht zuletzt durch die Digitalisierung hervorgerufenen Flut der Informationen und Meinungsäußerungen bedarf es einigermaßen sicherer – vor allem: verlässlicher – Häfen. Die Sicherheit der Häfen beruht wesentlich auf der Professionalität der in den Qualitätsmedien beschäftigten Journalisten und Journalistinnen; die Professionalität wiederum resultiert z. B. aus der zumeist vorhandenen spezifischen Ausbildung, Begabung, Erfahrung, dem Zugang zu Quellen (z. B. aufgrund des presserechtlichen Auskunftsanspruches), den Möglichkeiten der Recherche, der inhaltlichen Kontrolle innerhalb der Redaktion und anderem mehr. Das hohe Lied, das hier auf Presse und Rundfunk in Deutschland angestimmt worden ist, sollte allerdings nicht die kritischen Töne überhören, die insoweit – übrigens mehr und mehr – zu vernehmen sind. Wenn Joachim Gauck in der bereits mehrfach zitierten Festrede nur „eine starke und lauter werdende Minderheit“ sieht, „die Misstrauen gegen Medien hegt“5, so liegt er mit dieser Einschätzung vermutlich nicht völlig falsch; denn es gibt keinen breiten Aufstand gegen Presse und Rundfunk, wohl aber ein nicht nur auf eine Minderheit beschränktes verbreitetes Grummeln, im Sinne einer gewissen Unzufriedenheit. Laut einer Studie der Europäischen Union, über die die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, ist der Anteil der Deutschen, die der Presse misstrauen, seit 2014 von 45 auf 49 Prozent gestiegen; junge Menschen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren sind danach mit 63 Prozent besonders kritisch gegenüber den Printmedien eingestellt.6 4
Joachim Gauck (Anm. 1). Joachim Gauck (Anm. 1). 6 Notiz Misstrauen der Deutschen gegen Presse wächst, in: JF Nr. 19 v. 16. 09. 2016, S. 17. – Zu einem „Reputationsverlust bei vielen Themen“ s. auch die Studie der dem DGB nahestehenden Otto-Brenner-Stiftung von Fritz Wolf, „Wir sind das Publikum!“ Autoritätsverlust der Medien und Zwang zum Dialog (veröffentlicht 13. 11. 2015, OBS-Arbeitsheft 84); zit. bei Pascal Garelmann, Es gibt Grund zur Unzufriedenheit. „Lügenpresse“: DGB-nahe Stiftung erkennt Defizite bei Leitmedien, blendet aber wichtige Fakten aus, in: JF Nr. 50/15 v. 04. 12. 2015, S. 17. 5
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Die Gründe für den Ansehensverlust (anders formuliert: die Glaubwürdigkeitskrise7) sind komplex; auch gibt es erfahrungsgemäß gute und weniger gute Gründe. Ein viel zitiertes Schlagwort ist in diesem Zusammenhang der sog. Mainstream-Journalismus. Schon Helmut Schmidt hatte in seiner Rolle als Mitherausgeber der „Zeit“ deren Redaktion vor dem von ihm so bezeichneten „Hordenjournalismus“ gewarnt; ihm selbst nahm das Publikum die „scheinbare Unabhängigkeit vom Mainstream“ ab.8 Heute wird der sog. Mainstream-Journalismus vielfach als Einheitsbrei wahrgenommen. Als Beispiel dient die Berichterstattung zur Flüchtlings- und Asylkrise. Eine wissenschaftlich seriöse Untersuchung zu diesem Thema, nämlich des Medienwissenschaftlers Michael Haller und seines Teams von der Hamburg Media School, kommt zu dem Ergebnis, dass von den für das Jahr 2015 untersuchten 19.000 Medienberichten zur Asyl- und Flüchtlingskrise 82 Prozent positiv gefärbt waren; die Journalisten hätten sich also oft den Merkel-Spruch „Wir schaffen das“ zu eigen gemacht.9 Eine differenzierende Betrachtung zum Thema Mainstream hat der in Wien lebende Journalist und Schriftsteller Robert Misik in der „Neuen Zürcher Zeitung“ unter der Überschrift „Was ist wahr in diesem Jahr? Die Medien und der Mainstream-Verdacht“ angestellt.10 Der Autor weist zunächst auf die bei uns existente Medienfreiheit und das Zensurverbot hin. Den Vorwurf, überall sei „die gleiche Meinung“ zu sehen, kontert er mit der Feststellung, es gebe „ja kaum eine Meinung, und sei sie noch so abstrus, die nicht geäußert würde“. Noch schärfer ist schließlich seine Meinung, der Eindruck eines Mainstream-Mei7
Themenheft dazu: Aus Politik und Zeitgeschichte 30 – 32/2016 v. 25. 07. 2016. 8 Zit. bei Rainer Blasius, Das aktuelle Buch. Weltenkanzler und Zeitenpräsident. Helmut Schmidt konnte über 33 Jahre hinweg an seinem Nachruhm arbeiten (Rezension der Biographie von Thomas Karlauf: Helmut Schmidt. Die späten Jahre, München 2016), in: FAZ Nr. 228 v. 29. 09. 2016, S. 8. 9 Zit. bei Henning Hoffgaard, Zu viel Willkommenskultur in den Medien. Studie beweist: Viele Journalisten ließen kritische Distanz vermissen und machten sich Merkels „Wir schaffen das“ zu eigen, in: JF Nr. 34/16 v. 19. 08. 2016, S. 17. 10 s. Robert Misik, Was ist wahr in diesem Jahr? Die Medien und der Mainstream-Verdacht, in: NZZ v. 17. 09. 2016, S. 52.
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nungskartells werde von Populisten geschürt, wofür Thilo Sarrazin ein Beispiel mit seiner Klage sei, „ein Mainstream-Medienkartell versuche ihn mundtot zu machen“. Die Kritik am Vorwurf der Existenz eines Mainstream-Journalismus wird jedoch von Robert Misik nicht unerheblich relativiert, wenn er schreibt; „Heißt das nun aber, dass es den Mainstream überhaupt nicht gibt, dass in einem Wahnsystem gefangen ist, wer die Macht des Mainstreams fürchtet? Das wäre vorschnell geurteilt. Vielmehr gibt es eine Art Korridor der als seriös geltenden Meinungen, der wohl tatsächlich enger wird“, und: „In den feinen Kriterien der Ein- und Ausgrenzung manifestiert sich Macht.“ Wie eng jener Korridor der als seriös geltenden Meinungen, kurz: des Mainstreams, in der Realität ist, dafür bieten auch die sog. Qualitätsmedien genug Anschauungsmaterial, z. B. bei der Berichterstattung über AfD, Pegida und Trump, dies auch nach dem Eindruck derjenigen, die keinerlei Sympathie für die Genannten hegen. Unseriös ist publizistischer Einheitsbrei, wenn er sich in undifferenzierten Pauschalierungen ergeht. Ein markantes Beispiel dafür war die Berichterstattung über den Suizid des mutmaßlichen Terroristen Dschaber al-Bakr11 im Oktober 2016 in einer Leipziger Justizvollzugsanstalt. Die Zeitung „Die Welt“ titelte in ihrer Ausgabe vom 14. Oktober mit dem Aufmacher: „In Sachsen versagt der Staat – und keiner war’s.“12 Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ brachte als Schlagzeile ein Zitat „eines hohen Sicherheitsbeamten“: „Sachsen hat es nicht verstanden.“13 Von einem „gescheiterten Staat“ war in Kommentaren die Rede, von einem „failed State“, womit in der Sprache des Völkerrechts ein in Auflösung befindlicher Staat ohne
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Andere Schreibweise: Jaber Albakr. Dirk Banse / Uwe Müller, In Sachsen versagt der Staat – und keiner war’s. Der Selbstmord des mutmaßlichen syrischen Terroristen Dschaber al-Bakr ist der Höhepunkt einer Reihe von furchtbaren Justizpannen in dem Bundesland, in: Die Welt Nr. 241 v. 14. 10. 2016, S. 1. 13 Markus Wehner (mwe), „Sachsen hat es nicht verstanden.“ Weiter Kritik an Regierung Tillich wegen des Falls Albakr. Ermittler: Terrorist spähte Berliner Flughafen als Ort für seinen Anschlag aus, in: FAS Nr. 41 D v. 16. 10. 2016, S. 1. 12
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funktionsfähige Staatsorgane gemeint ist.14 Das Land Sachsen konnte dabei noch von Glück reden, wenn nicht der ganze Freistaat, sondern „nur“ die ganze sächsische Justiz an den publizistischen Pranger gestellt wurde, wie z. B. in der Schlagzeile der „Süddeutschen Zeitung“ mit der Formulierung: „Fassungslosigkeit über Sachsens Justiz“.15 Wie unscharf eine solche Pauschalattacke gegen Sachsens Justiz ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass in der sächsischen Justiz mehr als 6000 Personen beschäftigt sind, im Justizvollzug des Landes allein 1750, von denen nur ein verschwindend kleiner Anteil mit dem Fall des Dschaber al-Bakr befasst war.16 Die problematische Pauschalisierung seitens der Medien verliert auch nicht dadurch an kritischem Gewicht, dass auch von Repräsentanten der Politik solche Pauschalurteile eilig gefällt wurden.17 Bekannt ist schließlich, dass Selbsttötungen in der Haft in Justizvollzugsanstalten öfters vorkommen, und dass solche Selbsttötungen sich oft nicht verhindern lassen.18 Es war immerhin kein Geringerer als der Generalbundesanwalt, der in einem Zeitungsinterview daran erinnert hat, dass es schließlich auch den RAF-Terroristen im Hochsicherheitsgefängnis von Stammheim gelungen ist, sich umzubringen, und dass in deren Gefängniszellen 14 Gegen diese Gleichsetzung zu Recht Stefan Locke, Opfer Sachsen, in: FAZ Nr. 244 v. 19. 10. 2016, S. 1: „Nicht wenigen sind hier die Maßstäbe vollkommen verrutscht.“ 15 Jan Bielicki, Fassungslosigkeit über Sachsens Justiz. Obwohl die Haftrichterin auf Suizidgefahr hinwies, wurde der terrorverdächtige Syrer nur sporadisch kontrolliert und tötete sich in der Zelle. Minister de Maizière verlangt „umfassende Aufklärung“, in: SZ Nr. 238 v. 14. 10. 2016, S. 1. 16 Zahlenangaben lt. Auskunft des Sächsischen Ministeriums der Justiz. Stichtag für die im Justizvollzug beschäftigten Personen: 1. Oktober 2016. 17 So z. B. von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung und SPDBundestagsabgeordneten Aydan Özuguz, die der „Berliner Morgenpost“ kundtat, die sächsische Justiz habe „völlig versagt“; zit. bei Markus Wehner (Anm. 13). 18 S. dazu Markus Wehner, Wer hat Schuld am Tod Albakrs? Ein Terrorist wird gestoppt, bevor er zuschlagen kann. Dann bringt er sich im Gefängnis in Sachsen um, in: FAS Nr. 41 D v. 16. 10. 2016, S. 2, mit dem Zusatz: „Doch das kann im Falle von Albakr keine Entschuldigung sein.“ Zum Abschlussbericht der zur Beurteilung des Falles Albakr eingesetzten Expertenkommission s. Bericht „Eine Fülle von Fehlentscheidungen“. Kommission im Fall Albakr kritisiert „Kultur der Unzuständigkeit“ / Schwere Vorwürfe gegen das Bundeskriminalamt, in: FAZ Nr. 21 v. 25. 01. 2016, S. 4.
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sogar Waffen geschmuggelt worden sind.19 Als Fazit der Berichterstattung über den Fall Dschaber al-Bakr bleibt die Feststellung, dass die Vorwürfe gegen das Land Sachsen und gegen die sächsische Justiz von einer unsachlichen Pauschalisierung geprägt waren; es gab, wie auch in anderen Zusammenhängen, eine Welle der Kritik an einem Land, das besser ist als sein Ruf in den Medien.20 Die Frage drängt sich damit auf, ob auch für die Medien die in einem Printmedium getroffene Feststellung gilt: „In der sogenannten Flüchtlingskrise sind oft Pauschalurteile über Ostdeutschland zu vernehmen, die oft von Hysterie, selten von Sachkenntnis geprägt sind.“21 Ein Beispiel für publizistische Hysterie, das nicht in Sachsen spielte, war der Fall Schäuble / Ermyas M. Worum ging es in diesem Fall? Der aus Äthiopien stammende deutsche Staatsangehörige Ermyas M. war in der Nacht des Ostersonntags 2006 von zwei Deutschen an einer Straßenbahnhaltestelle in Potsdam überfallen und lebensgefährlich am Kopf verletzt worden. Wegen des Verdachts einer fremdenfeindlichen Straftat zog Generalbundesanwalt Kay Nehm die strafrechtlichen Ermittlungen an sich, was ihm Kritik von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm eintrug: „Der Generalbundesanwalt hat überzogen. Er hat aus der Sache ein Politikum gemacht und zu einer Stigmatisierung Brandenburgs beigetragen.“22 Noch schärfer und in’s Hysterische übergehend war die Kritik, die an einer Kommentierung des Überfalles durch den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zu lesen war. Dieser hatte in dem noch frühen Stadium der Ermittlungen 19 Zit. in: „Auch in Stammheim haben sich Terroristen umgebracht.“ Interview von Reinhard Müller mit Generalbundesanwalt Peter Frank über den Fall Albakr, Totalüberwachung und das föderale System, in: FAZ Nr. 244 v. 19. 10. 2016, S. 2. 20 S. dazu das Interview von Christoph Seils und Constantin Wissmann mit Michael Kretschmer „Sachsen wird in den Schmutz gezogen“. Der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer über das schlechte Image seines Landes, die AfD und grüne Kröten, in: Cicero Nr. 12 v. Dez. 2016, S. 56 ff. 21 Stefan Locke, „Gutmenschen“ und „Dunkeldeutsche“. Für viele Ostdeutsche ist die Wiedervereinigung noch immer nicht abgeschlossen, in: FAZ Nr. 263 v. 10. 11. 2016, S. 10. Zur Befindlichkeit der sächsischen Bevölkerung s. ders., Der widersprüchliche Sachse. Der „Sachsen-Monitor“ sieht Parallelen zu den Visegrád-Staaten, in: FAZ Nr. 274 v. 23. 11. 2016, S. 5. 22 Zit. in Bericht Schönbohm und Nehm streiten über den Potsdamer Fall. Generalbundesanwalt: Keine politischen Motive für die Übernahme der Ermittlungen, in: FAZ Nr. 95 v. 24. 04. 2006, S. 1.
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dazu geraten, wir sollten bei der Beurteilung „ein wenig vorsichtig sein“, um dann fortzufahren: „Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser.“ Natürlich ist diese Feststellung inhaltlich der Sache nach so unbestreitbar richtig, dass nicht einmal ein Gralswächter der „political correctness“ dagegen Einspruch erheben könnte. Aber weil Schäuble es wagte, in diesem Zusammenhang „blonde blauäugige Menschen“ zu erwähnen, jaulte die Empörungsmaschine auf. Zitate aus einer – sich selbst als Qualitätsmedium bezeichnenden – Zeitung23 : „… Dass Körpermerkmale wie blond und blauäugig als politisches, ja regierungsamtliches Argument verwendet werden, haut vom Hocker… Dieser zweite Teil von Schäubles Wortmeldung ist nicht besser als der erste, er ist schlechter. Er ist ein ungeheuerlicher Fehlgriff, der bei einem Innenminister konsterniert… Sie (die Sprachfigur von blond und blauäugig, d. Verf.) bestätigt gegen Schäubles Willen das rassistische Sprachmuster, das der Innenminister gerade bekämpfen will.“ Und, nach einem Hinweis auf den „unbestritten“ hohen Anteil von Tätern „mit Migrationshintergrund“ in der Kriminalitätsstatistik: „Wer hier als oberster Integrationswächter von blond und blauäugig spricht, spielt sprachlich mit dem Feuer, das er austreten möchte.“ Das Fazit dieser abenteuerlichen Geschichte aus der Publizistik ist: Für einen Innenminister verbietet die „political correctness“ den Gebrauch der Worte „blond“ und „blauäugig“. Ein Journalist, der diese Worte hört oder liest, fällt „vom Hocker“. Darf der Autor dieser Studie (nicht blond, sondern brünett) jenem Journalisten etwas mehr Gelassenheit wünschen? Gelassenheit hat es schwer in einem Umfeld der Aufgeregtheit und der Erregung. Wenn engagierter Journalismus zum Wutjournalismus mutiert, kann der Rezipient eine objektive, neutrale und distanzierte Berichterstattung schwerlich erwarten. An Warnungen vor einem Betroffenheitsjournalismus hat es schon vor Jahren nicht gefehlt. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog hat, worauf Joachim Gauck bei der Trauerfeier im Berliner Dom am 24. Januar 2017 hinwies, schon vor fast zwanzig Jahren die Medien aufgefordert, die eigene Bericht23
Alle folgenden Zitate von Christian Geyer, Blond vor Augen. Ein wenig unvorsichtig: Die Hautfarbenlehre des Ministers, in: FAZ Nr. 94 v. 22. 04. 2006, S. 35.
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erstattung mit „selbstreflektierender Distanz“ zu begleiten.24 Helmut Schmidt warnte als Mitherausgeber der „Zeit“ nicht nur – wie bereits erwähnt – vor zunehmendem „Hordenjournalismus“, sondern auch vor „Gesinnungs-Journalismus“.25 In seiner Rede zum sechzigjährigen Bestehen des Deutschen Presserates hat Joachim Gauck in Bezug auf die Arbeit der Journalisten und deren Beitrag zur Überwindung der Vertrauenskrise „Verstand und Scharfsinn, Offenheit und Vorurteilslosigkeit“ angemahnt; Journalisten seien auch bei uns zuweilen versucht, „in die Echoräume des politischen Gleichklangs zu fliehen und Meinungen, die ihnen nicht behagen oder die sie nicht teilen, abzuwerten oder sogar zu ignorieren“.26 Vermutlich nicht ohne Grund appelliert der Hamburger Medienwissenschaftler Michael Haller an die Journalisten, diese „sollten sich auf das journalistische Handwerk besinnen und ihren kritischen Verstand einschalten“, und dies am besten „ohne Schaum vor dem Mund“.27 Was den Schaum vor dem Mund von Journalisten betrifft, so ist bemerkenswert, dass dieser nicht nur von einem Wissenschaftler gesehen worden ist, sondern dass sogar der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Frank Überall, Anfang September 2016 an die Adresse seiner Berufskollegen gerichtet sagte, über die AfD solle man nicht „mit Schaum vor dem Mund“ berichten.28 Vielleicht war dies wenigstens im Ansatz etwas von „mehr Selbstkritik der Medien“, deren Fehlen Susanne Gaschke (früher „Die Zeit“, nach einem Zwischenspiel als Oberbürgermeisterin von Kiel heute für „Die Welt“ schreibend) zu Recht kritisiert.29 Interessant und bedenkenswert ist, wie Journalisten in der Schweiz – einer viel älteren Demokratie als Deutschland – den Umgang der Medien bei uns mit der AfD und mit Pegida beurteilen. Über die in der „Zeit“ publizierten neun Thesen über den journalistischen Umgang mit der AfD schreibt die „Neue Zürcher 24
Bericht Gauck: Autoritätsgläubigkeit war Herzog fremd, in: FAZ Nr. 21 v. 25. 01. 2017, S. 4. 25 Zit. bei Rainer Blasius (Anm. 8). 26 Joachim Gauck (Anm. 1). 27 Zit. nach Henning Hoffgaard (Anm. 9). 28 Zit. in: In Media Ras. Ich glaube an die Lügenpresse, in: NZZ v. 17. 09. 2016, S. 11. 29 Susanne Gaschke, Vier Gefahren. Wie Political Correctness zu Sprechverboten führt, in: Die Welt v. 02. 02. 2016, S. 3.
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Zeitung“: „Öffentliche Selbstbesinnung ist ehrenwert. Die vom Blatt publizierten Handlungsanweisungen bringen indessen gleichzeitig zum Ausdruck, wie schnell die Rechtspartei den Brechreiz stimuliert. Gewiss, jeder hat seine Vorlieben, Abneigungen und weltanschaulichen Grundsätze. Dank den Regeln des Handwerks sollten Informationsvermittler aber in der Lage sein, ihre Froschperspektive zu überwinden.“30 Zu Pegida ist – ebenfalls in der „Neuen Zürcher Zeitung“ – unter der für deutsche Leser ganz und gar ungewohnten Überschrift „Der Nutzen der Wutbürger“ zu lesen: „Die Teilnehmer der antiislamischen Demonstrationen in Dresden werden als Faschisten in Nadelstreifen tituliert. Dabei sollte Ausgrenzung das letzte Mittel sein, weil Demokratien davon leben, möglichst viele Menschen für die öffentliche Sache, die Res publica, zu begeistern.“31 Infiziert die Verrohung der Sprache auf Veranstaltungen von Pegida und der AfD vielleicht auch die Sprache von Berichten über diese Veranstaltungen? Auffallend oft finden sich in solchen Berichten die Worte „brüllen“, „schreien“, „grölen“, „pöbeln“. Kostprobe aus einem einzigen Artikel über eine Veranstaltung von Pegida in Dresden: Dass Pegida nicht friedlich ist, „das merkte man schon daran, wie die Redner ins Mikrofon brüllten… Damit das Volk mitbrüllt, brauchte es gute Brüller… Der eine schrie, das Volk werde ,verarscht‘… Das PegidaVolk schrie wie aus einer Kehle: ,Merkel muss weg, Merkel muss weg‘. Der andere Redner schrie: ,In deutschen Schulklassen sitzen bald mehr Ausländer als Deutsche.‘ ,Pfui!‘ schrie das Volk…“ „Alle brüllten: ,Wir sind das Volk!‘…“ Die Bürger „wunderten sich auch, warum ich nie applaudierte. Und auch nicht mitbrüllte“… „Mein Nichtbrüllen machte die Bürger um mich herum wütend“… „Nach einer Stunde brauchten die Redner eine Pause. Sie hatten viel und laut gebrüllt…“.32 Was bei den Bösen als „Brüllen“ und „Schreien“ wahrgenommen wird, wäre bei einem Bericht über einen Guten „eine kämpferische Rede“, „eine emotionale Rede“ oder – höchstes Lob – „eine flammende Rede“. Der politisch korrekte Journalist berichtet dagegen von 30
Aus: In Medias Ras (Anm. 28). Erik Gujer, Der Nutzen der Wutbürger, in: NZZ Nr. 296 v. 20./21. 12. 2014, S. 1. 32 Alle Zitate aus Franziska Jäger, Der faule Frieden von Dresden. Pegida hatte zu einem Spaziergang durch die Stadt eingeladen. Das klang freundlich und idyllisch. War es aber nicht, in: FAS Nr. 15 v. 12. 04. 2015, S. 6. 31
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„schreienden und pöbelnden Modernisierungsverlierern“;33 sprachschöpferisch betätigt er sich mit dem im Duden nicht vorkommenden Wort „bepöbeln“: „In Bautzen sammeln sich während der Lichterkette Grüppchen überwiegend junger Männer in rechtsextremer Szenekleidung an der dem Kornmarkt gegenüberliegenden Straßenseite und bepöbeln Teilnehmer“.34 Besondere Befriedigung muss es wohl bringen, wenn die politisch korrekt geschwungene Keule gegen Andersdenkende in einem Satz gleich mit drei verbalen Nägeln, nämlich mit „Pöbler“, „Hetzer“, „schreien“, bestückt wird, so nachzulesen in einer Würdigung des Verhaltens des Dresdner Oberbürgermeisters Dirk Hilbert bei der Einweihung des „Bus-Monuments“ vor der Frauenkirche in Dresden: „Die Pöbler und Hetzer, die sich dabei die Kehle aus dem Hals schrien, ließ er kühl an sich abprallen.“35 Ein nahezu stereotyp gebrauchtes Schimpfwort im Katalog der Guten in Bezug auf die Anderen ist schließlich das Wort „grölen“. Die Reaktion der Teilnehmer an einer Pegida-Demonstration in Köln auf eine – in der Tat dümmliche und abwegige – Äußerung des „Einheizers der Szene“ wurde in einem Zeitungsbericht kurz und knapp geschildert mit „Zustimmendes Grölen“.36 Das schlichte Wort „Zustimmung“ oder „Beifall“ hätte ausgereicht, brachte aber wohl die Abscheu der Berichtenden nicht genug zur Geltung. „Grölen“ gehört auch zum Wortschatz der evangelischen Zeitschrift „chrismon“: Von einer Familienfeier wird erzählt, dass „Onkel Manfred“ (ein AfD-Sympathisant) den Hinweis des Chefredakteurs, dass in jeder Stärke eine Schwäche stecke und umgekehrt, „mit grölendem Gelächter“ übertönt habe.37 33
S. 41.
Claudius Seidl, Wütend auf die ganze Welt, in: FAS Nr. 44 v. 06. 11. 2016,
34 Stefan Locke, Alles im grauen Bereich. Warum die Lage in Bautzen nach den Ausschreitungen so diffus ist, dass man sich nach einfachen Antworten sehnt, in: FAZ Nr. 225 v. 26. 09. 2016, S. 3. 35 Stefan Locke, Dirk Hilbert. Ruhepol, in: FAZ Nr. 38 v. 14. 02. 2017, S. 8. 36 Reiner Burger / Matthias Wyssuwa, Neue Töne in unsicheren Zeiten. Die Vorfälle von Köln setzen die Politik unter Druck. Nun muss alles ganz schnell gehen. Doch stellt sich die Frage der Umsetzung – und der Verantwortung, in: FAZ Nr. 8 v. 11. 01. 2016, S. 2. 37 Arnd Brummer, „Weichfeig“, gib nicht auf! Du bist nicht allein!, in: chrismon 06.2016, S. 24.
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Klar ist: Wer Andersdenkende als Schreier, Brüller, Pöbler oder Grölende einordnet, bedient (s)ein Feindbild. Von Eric Gujer, dem Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“, stammt die wohl allgemein zutreffende Feststellung: „Aber es schadet der Glaubwürdigkeit der Medien, wenn ihnen ein Feindbild wichtiger erscheint als ihr Informationsauftrag.“38 Der Informationsauftrag von Presse und Rundfunk ist unbestritten. Strittig kann allerdings sein, ob dieser Auftrag von Presse und Rundfunk hinreichend wahrgenommen wird. Die inzwischen viel zitierte Kölner Silvesternacht war hinsichtlich der Erfüllung des Informationsauftrages ein Super-GAU, dessen Dimension nicht wesentlich geringer wird, weil die ursprüngliche Informationspolitik der örtlichen Polizei nur als abenteuerlich bezeichnet werden kann. An die Adresse der Politik richtete sich später der (zutreffende) Vorwurf „des Beschweigens und Vertuschens“; erinnert wurde an die Maxime: „Der Bürger hat einen Anspruch, zu erfahren, was vor sich geht“; schließlich wurde die Nicht-Information (wiederum zutreffend) dahin kommentiert: „Wer das Ganze aber aus Angst vor Beifall oder Hetze von der ,falschen Seite‘ (eine in einer Demokratie ohnehin merkwürde Kategorie) in die Tabuzone rückt, der steht eben dumm da, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.“39 Kritik erfuhr bekanntlich auch der in Köln residierende WDR wegen mangelnder ereignisnaher Berichterstattung über die Vorkommnisse in der Kölner Silvesternacht. Man hätte meinen müssen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus dieser Panne gelernt hätte; dem war jedoch nicht so: Das nächste Informationsdefizit – in diesem Fall der ARD-„Tagesschau“ – trägt den Namen Freiburg. Das Geschehen ist bekannt und braucht deshalb hier nur in Stichworten in Erinnerung gerufen zu werden: Am 16. Oktober 2016 wurde die 19 Jahre alte Medizinstudentin Maria L. in Freiburg vergewaltigt und ermordet. Das Verbrechen erfuhr eine breite Aufmerksamkeit wegen der Brutalität der Ausführung des Verbrechens (das Opfer ertrank im Fluss Dreisam), 38 Eric Gujer, Hysterie ist keine Politik. Donald Trump ist eine einzige Provokation, dennoch muss man sich mit ihm ernsthaft auseinandersetzen. Der neue Präsident steht für eine große Strömung der Gegenwart: die Renaissance des Nationalstaats, in: NZZ Nr. 23 v. 28. 01. 2017, S. 1. 39 Reinhard Müller, Das Land als Domplatte, in: FAZ Nr. 8 v. 11. 01. 2016, S. 1.
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ferner weil kurz zuvor eine andere junge Frau in der Nähe von Freiburg vergewaltigt und ermordet worden war, und weil die Stadt schließlich ein wachsendes Sicherheitsproblem im öffentlichen Raum hat, das – so ein Bericht in der Presse – auch „im Kontext mit dem Zuzug junger, männlicher Flüchtlinge steht“.40 Das baden-württembergische Innenministerium entsandte 25 zusätzliche Polizeibeamte in die Stadt.41 Als der Täter, ein Flüchtling aus Afghanistan, der sich als 17-Jähriger ausgab, ermittelt und verhaftet worden war, bot dies Anlass für zahlreiche Stellungnahmen in Freiburg und bundesweit: Der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon (Die Grünen) bemerkte: „Das Sicherheitsgefühl in der Stadt ist schwer gestört, nicht nur bei der weiblichen Bevölkerung, das ist sehr nachvollziehbar… Ich hoffe nicht, dass die Stimmung in der Stadt nun kippt und sich gegen Flüchtlinge richtet.“42 Der Vizekanzler und damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kommentierte den Mord und die Verhaftung des Tatverdächtigen wie folgt: „So bitter es ist. Solche abscheulichen Morde gab es schon, bevor der erste Flüchtling aus Afghanistan oder Syrien zu uns gekommen ist. Wir werden nach solchen Gewaltverbrechen – egal wer sie begeht – keine Volksverhetzung zulassen.“43 Die Bild-Zeitung schrieb: „Es ist ein grausames Verbrechen. Und es birgt enorme politische Brisanz“.44 40 Michael Hanfeld, Wir sehen, was wir nicht zu sehen bekommen. Die ARD-„Tagesschau“ hat zum Mordfall in Freiburg nicht berichtet. Die Redaktion sagt, sie habe dafür gute Gründe. Ist das stichhaltig? In: FAZ Nr. 285 v. 06. 12. 2016, S. 15; s. auch Rüdiger Soldt, Vergewaltigt und ermordet. Zwei ähnliche Kapitalverbrechen erschüttern Freiburg und Umgebung, in: FAZ Nr. 269 v. 17. 11. 2016, S. 9. – Zur Altersangabe s. Bericht Verdächtiger des Freiburger Mordes kein Jugendlicher, in: FAZ Nr. 46 v. 23. 02. 2017, S. 7; auch Bericht Verdächtiger im Fall Maria L. wegen Mordes angeklagt, in: FAZ Nr. 77 v. 31. 03. 2017, S. 6. 41 Notiz Freiburg bekommt mehr Polizisten, in: FAZ Nr. 283 v. 03. 12. 2016, S. 9. 42 Zit. bei Rüdiger Soldt, Der Hinweis der Haarsträhne. Polizei fasst Tatverdächtigen im Fall der ermordeten Freiburger Medizinstudentin, in: FAZ Nr. 284 v. 05. 12. 2016, S. 7. 43 Zit. in Bericht Gabriel warnt vor Volksverhetzung. Politiker ruft zu Mäßigung nach mutmaßlichem Mord durch Asylsuchenden auf, in: FAZ Nr. 285 v. 06. 12. 2016, S. 1. 44 hjv/rs., Wie gehen wir mit dieser Wahrheit um? Studentin (19) vergewaltigt, ermordet – Flüchtling (17) in Haft, in: Bild v. 05. 12. 2016, S. 4.
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Angesichts des bundesweiten Interesses an dem Mordfall war es umso erstaunlicher, dass die ARD-„Tagesschau“ keinen Anlass sah, über die Verhaftung des Täters am Tag des 3. Oktober 2016 zu informieren. Nach vermehrten kritischen Fragen zu diesem erstaunlichen Schweigen erklärte der Chefredakteur der für die „Tagesschau“ zuständigen Redaktion „ARD aktuell“, Kai Gniffke, in einem am folgenden Abend online gestellten Blog: „Die ,Tagesschau‘ berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu.“45 Richtig ist, dass nicht jeder Mordfall „gesellschaftlich, national und international relevant“ ist. Ebenso richtig ist aber, dass der Freiburger Mordfall, wie die anschließenden bundesweiten Reaktionen zeigen, durchaus „relevant“ war.46 Darf man von den für eine der relevantesten Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Verantwortlichen bei der Auswahl der Informationen vielleicht etwas mehr journalistisches Fingerspitzengefühl erwarten? Die Gefühle des Rezipienten brachte ein Leserbrief zum Ausdruck: „Ich frage mich ratlos: Für den Chefredakteur der ,Tagesschau‘ war der Mordfall in Freiburg keine ,relevante‘ Nachricht? Weil sie im Kontext mit jungen männlichen Migranten steht? Dieses Verhalten gibt dem Kampfbegriff ,Lückenpresse‘ leider frische Nahrung.“47 45
Zit. bei Michael Hanfeld (Anm. 40). Tage später berichteten schließlich die „Tagesthemen“, vermutlich auch wegen des öffentlichen Drucks, über den Fall Maria. – Ein noch späterer Beweis für die Relevanz des Falles ist die Tatsache, dass der Fall inzwischen Anlass für die baden-württembergische Landesregierung war, im Bundesrat einen Gesetzesantrag zur Änderung der StPO einzubringen, damit die Polizei künftig Augenfarbe, Haarfarbe, Hautfarbe und das biologische Alter zu Ermittlungszwecken bei einem Verbrechen nutzen kann; s. dazu Rüdiger Soldt/ Karin Truscheit, Hilfe vom stummen Zeugen. Nach dem Mord an Maria L. will die Landesregierung im Südwesten die DNA-Analyse ausweiten. Ermittler hoffen, damit besser arbeiten zu können, in: FAZ Nr. 38 v. 14. 02. 2017, S. 4. 47 Wolfgang Schüler, Nicht relevant (Leserbrief), in: FAZ Nr. 290 v. 12. 12. 2016, S. 18, auch mit dem Hinweis, dass eine sogenannte „relevante“ Nachricht für die „Tagesschau“ die Entlassung des Trainers eines Bundesligavereins war. – Zum Begriff „Lückenpresse“: s. Ulrich Teusch, Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten, Frankfurt a.M. 2016. – Zum damit nicht zu verwechselnden Begriff der sog. „Lügenpresse“ s. Kurt W. Zimmermann „Lügenpresse“: Mythos oder Wahrheit?, in: Die Weltwoche Nr. 06.17, S. 14 ff.; Markus Gärtner, Lügenpresse. Wie uns die Medien durch Fälschen, Verdrehen und Verschweigen manipulieren, Rottenburg 2015. 46
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Welches auch immer der Beweggrund für die Nicht-Berichterstattung der „Tagesschau“ im Fall Freiburg gewesen sein mag, so kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass der Informationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit diesem Schweigen nicht erfüllt worden ist. Nach Köln und Freiburg fragt der Rundfunkbeitragszahler, wann wohl der nächste blackout im öffentlich-rechtlichen Fernsehen stattfindet. Werden die Medien sich wieder „einer bleiernen Berichtsbeklemmung hingeben“48 wie nach der Kölner Silvesternacht? Mediales Schweigen wird nicht dadurch besser, dass es in guter Absicht zum vermeintlichen Schutz der Nutzer geschieht; denn: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Wenn Medien ihrer Aufgabe in der Demokratie gerecht werden wollen, müssen sie zuerst einmal das eine: ihrem Publikum vertrauen… wer lieber fürsorglich lenkend berichten will, füttert genau das Monster des Misstrauens, das er fürchtet.“49 Die kritischen Bemerkungen zur Berichterstattung in den Medien (sie könnten noch ergänzt werden um das Stichwort Ergebenheitsjournalismus50) sollen nicht als allgemeine Medienschelte missverstanden werden. Die Notwendigkeit der Existenz freier, d. h. vom Staat unabhängiger Medien für eine freiheitliche Demokratie kann nicht oft genug betont werden. Zum Wesen einer freiheitlichen Demokratie gehört neben anderem auch die reale Existenz einer Vielfalt von Meinungen. Eine dem widersprechende einseitige Sichtweise in der medialen Berichterstattung unterhöhlt, worauf Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach zutreffend hingewiesen hat, das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien; „denn ein derart einheitliches Medienklima wird auf Dauer nicht bestehen bleiben“, und: „Wer den allseits beklagten Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen untersuchen möchte, darf nicht allein auf die Politiker schauen. Er muss sich ebenso ernsthaft mit der Ethik des Journalismus 48 Ausdruck in der Glosse von eer (=Edo Reents), Vertrauenssache. Journalisten sollten von ihren Lesern nicht zu wenig erwarten, in: FAZ Nr. 206 v. 03. 09. 2016, S. 16. 49 Zitate aus der Glosse in Anm. 48. 50 Ein Beispiel dafür wird geschildert in der Glosse von miha (Michael Hanfeld), Gefühlt Kanzler. Für Martin Schulz macht sich Anne Will ganz klein, in: FAZ Nr. 26 v. 31. 01. 2017, S. 13, auch mit der Feststellung: „Die Abwesenheit von Journalismus, wo er dringend geboten wäre, an diesem Abend bekommt sie ein Gesicht. Ein Trauerspiel, man muss es gesehen haben, sonst glaubt man es nicht.“
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auseinandersetzen.“51 Was beinhaltet „Ethik des Journalismus“? Die einfachste, allerdings auch eine sehr allgemeine Antwort lautet: Die Wahrheit. Konkreter und praktischer ist die Forderung, dass der Journalist der Versuchung widerstehen sollte, sich in seiner Schreibe primär der Selbstverwirklichung hinzugeben anstatt der Information der Leserschaft zu dienen. Die Ethik des Journalismus ruft nicht nach Journalisten, die als quasi amtlich bestellte Hüter politischer Moral auftreten oder als belehrende Oberlehrer der Nation. In den Perspektiven der Berichterstattung sollte jedenfalls das nicht eintreten, was Miriam Meckel auf dem Kongress des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger in Berlin kritisch die „Repräsentationslücke“ genannt hat.52 Auch sollte der Drang, unter den Konkurrenten der Erste sein zu wollen, nicht zu inhaltlich falschen Eilmeldungen führen.53 Zurück zur „political correctness“: Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA hat manche Stimmen zu der Annahme verleitet, die „political correctness“ sei damit an ihr Ende gelangt.54 Diese Vermutung dürfte eine Mischung von Wunschdenken und Irrealität sein. Zutreffend dürfte aber die von einem neutralen Beobachter, nämlich dem slowenischen Philosophieprofessor Slavoj Zˇizˇek, getroffene Feststellung sein: „Es liegt ein Stück Wahrheit in der Behauptung, Hillary Clinton habe ihre Niederlage der Political Correctness zuzuschreiben – nicht weil die PC im Widerspruch zur Haltung vieler Menschen steht, sondern weil mit der Political Correctness etwas
51 Thomas Petersen, Die Entfremdung. Das Amerika-Bild der Deutschen hat sich verdunkelt. Hinzu kommt nun das verheerende Image des künftigen Präsidenten Trump, in: FAZ Nr. 268 v. 16. 11. 2016, S. 10. 52 Zit. bei Peter Müller, Presse- und Nabelschau, in: JF Nr. 40/16 v. 30. 09. 2016, S. 5, auch mit dem Hinweis des Autors auf die „Grundannahme, dass das Verhältnis zwischen Medien und Konsumenten schwieriger und das Klima rauer geworden ist.“ 53 Bekanntes Beispiel: Spiegel online verschickte nach dem den NPDVerbotsantrag abweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Eilmeldung: „Die NPD ist verfassungswidrig und damit verboten, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden“; s. dazu Brigitte Hürlimann, Heikle Eilmeldungen aus dem Gericht. Wie eine fehlerhafte Berichterstattung vermieden werden könnte, in: NZZ Nr. 23 v. 28. 01. 2017, S. 11. 54 So z. B. Frauke Petry, Die Political Correctness ist am Ende, in: JF online, 09.11. 2016.
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falsch läuft“.55 Im Hinblick auf das Verhältnis von „political correctness“ zu den Grundrechten der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit ist allerdings nicht nur „etwas“, sondern viel zu viel falsch gelaufen. Wenn im Vorangegangenen von der Verantwortung der Medien die Rede war, so sollte auch die Verantwortung der Wissenschaft wenigstens erwähnt werden; denn die Wissenschaft wirkt selber als Medium und versorgt nicht selten die Medien mit wissenschaftlich gewonnenen Informationen. Wie weit auch die Wissenschaft unter dem Druck der „Political Correctness“ steht, wäre eine eigene Untersuchung wert. Die Attacken auf den Historiker Jörg Baberowski sind nur ein Beispiel solchen Druckes von mehreren.56
Slavoj Zˇizˇek, Mehr Selbstkritik, bitte. Seit Trumps Wahl versinkt die Linke in selbstgerechter Entrüstung. Dabei hat sie die Chance, sich selber zu erneuern, in: NZZ v. 04. 02. 2017, S. 51. 56 Zum Fall Baberowski s. Martin Beglinger / Peter Teuwsen, Holen wir die Meinungspolizei! Was die Angriffe gegen den Berliner Historiker Jörg Baberowski über den Zustand einer polarisierten Gesellschaft aussagen, in: NZZ v. 24. 06. 2017, S. 43. 55
Q. Zusammenfassung Die Erfahrung aus der NS-Zeit mit Unterdrückung und Bestrafung von Meinungsäußerungen kann nur sein: Nie wieder in einem Land leben, in dem Meinungsäußerungen unterdrückt oder auch nur gegängelt werden. Als „Political Correctness“ wird die von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig angesehene Gesinnung verstanden. Political Correctness läuft damit in die Richtung einer Gesinnungsdiktatur. Diskussionsstoff bietet der Begriff „Leitkultur“. Sigmar Gabriel sieht die Leitkultur der Bundesrepublik in den ersten zwanzig Artikeln des Grundgesetzes. Während der Gedanke einer deutschen Leitkultur jedenfalls im Mainstream noch weitgehend auf Ablehnung stößt, scheint die Anerkennung einer europäischen Leitkultur unbestritten zu sein. Die Political Correctness gewinnt aktuelle Bedeutung vor allem auch im Zusammenhang mit der Behandlung des Islam. Interkulturelle Sensibilität kann zu Selbstverleugnung werden, z. B. im Verbot der öffentlichen Ausstellung von Aktfotos. Die Silvesternacht in Köln zu Beginn des Jahres 2016 war ein abschreckendes Beispiel für das Wirken der Political Correctness: Zahllose kriminelle Handlungen wurden verharmlost. Ein international beachtetes, die Nation bewegendes Ereignis wurde von den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten tagelang verschwiegen. Der vom Deutschen Presserat geschaffene Pressekodex ist mit seiner Richtlinie 12.1, welche die Angabe der Herkunft von Straftätern einschränkt, inzwischen ein willfähriges Werkzeug der Political Correctness geworden. Die auf historischen Umständen, die sich inzwischen geändert haben, gründende Richtlinie sollte abgeschafft werden, zumal ihre allgemeine Anwendung inzwischen bröckelt. „Wer die Sprache beherrscht, beherrscht auch die Menschen“ (Helmut Schelsky). Deshalb überrascht es nicht, dass die Verfechter der
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Political Correctness bestrebt sind, sich der Sprache zu bemächtigen. Beispiele zeigen, wie die Sprachpolizei zur Denkpolizei werden soll. Die Handhabung der Political Correctness, die sich „wie Mehltau über den politischen Diskurs gelegt hat“ (Birgit Kelle), bedroht die Meinungsfreiheit. Was die Ausbreitung der Krankheit der Political Correctness in den Medien betrifft, so kann eine Heilung nur durch die in den Medien Tätigen selbst erfolgen. Im Übrigen gilt der Rat: sich bewusst zu sein, wie wichtig Meinungsfreiheit für jeden Einzelnen und für die Gemeinschaft ist. Wem Argumente fehlen, der greift gern zur Argumentationskeule. Eine dieser Keulen ist die Faschismuskeule, die in immer weiteren Zusammenhängen gebraucht wird, z. B. als „Ökofaschismus“ und als „Islamofaschismus“. Wer fast überall Faschismus sieht, der wird wirklichen Faschismus nicht mehr erkennen. Zum gängigen Streitvokabular nicht nur in Deutschland gehört auch der Vorwurf des Rassismus. Beispiele für den oft übermäßigen Gebrauch der Rassismuskeule gibt es genug: Wenn Polizeibeamte gegen Straftäter mit einer anderen Hautfarbe vorgehen, sind sie allein deshalb automatisch „Rassisten“. Da in Deutschland aus verständlichen Gründen der Ausdruck „Rasse“ dem heutigen Sprachgebrauch fremd ist, stellt sich die Frage, warum „Rassismus“ und „rassistisch“ ständig verwendet werden können. Unter den verschiedenen Keulen, mit deren Gebrauch unliebsame Meinungsäußerungen zum Schweigen gebracht werden sollen, ist die Nazikeule die schwerstwiegende. In einem demokratischen Rechtsstaat, wie Deutschland, Österreich und der Schweiz, sind die Lebensverhältnisse so unendlich weit von denen zur Zeit der NS-Diktatur entfernt, dass sich jegliche auch nur ansatzweise Gleichsetzung der Lebensverhältnisse von vornherein verbietet. Der Gebrauch der Nazikeule ist zudem geeignet, die Verbrechen in der NS-Zeit zu relativieren. Eine offene pluralistische Gesellschaft lebt von einer offenen pluralistischen Debattenkultur, in welcher der „Mainstream“ Minderheitsmeinungen nicht diffamiert, sondern in der konträre Meinungen diskutiert werden. Charakteristisch für die gegenwärtige Debattenunkultur ist die Entstehung von Meinungsghettos („Gesinnungsgemeinschaften“, „Communities“, „Echobunkern“) und die an das unselige
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Freund-Feind-Denken von Carl Schmitt erinnernde Polarisierung in „wir“ und „die“. Die Verbreitung von hasserfüllten Äußerungen wird durch die elektronischen sozialen Netzwerke, wie z. B. Facebook, enorm erleichtert. Es bringt allerdings nichts, Hass mit Gegen-Hass zu beantworten. Wer an die Notwendigkeit des Diskurses in einer demokratischen Gesellschaft zu Recht glaubt, sollte den Faden des Gespräches nicht einseitig abreißen lassen. Soziale Ächtung und Ausgrenzung Andersdenkender versprechen nicht nur keinen Erfolg, sondern sind auch ein Armutszeugnis für die Kraft eigener Argumente. Inflationär gebraucht werden die Kampfbegriffe „Hetze“ und „Hetzer“; damit besteht die Gefahr, dass sie zu abgegriffenen Floskeln werden. Erfahrungsgemäß steht der „Hetzer“ auf der „falschen Seite“, also auf der Seite der „Rechtspopulisten“. Nicht jede vom Mainstream abweichende Meinung sollte allein schon deshalb als „Hetze“ diffamiert werden. Ein allzu häufiger Gebrauch des Wortes „Hetze“ führt dazu, dass die Bezeichnung nicht mehr als scharfe Munition empfunden wird, sondern als Platzpatrone. Inflationär gebraucht werden auch die Begriffe „Populismus“ und „populistisch“. Von Renate Köcher stammt die Beobachtung: „Immer, wenn man etwas diskreditieren will, nennt man es populistisch.“ Diskussionsbedürftig ist die Frage, in welchem Verhältnis „Populismus“ und Demokratie zueinander stehen. Wichtig ist auch die Frage, wie mit „Populismus“ und mit „Populisten“ umzugehen ist. Diskutieren und Argumentieren muss die Methode im Umgang mit Vereinfachern sein, nicht dagegen selbstgefälliges Ausgrenzen gegenteiliger Meinungen und hochmütiges Ignorieren von Ängsten Anderer. Eintreten für Toleranz ist nicht überzeugend, wenn Intoleranz praktiziert wird. An der herausragenden Bedeutung von Presse und Rundfunk für eine freiheitliche Demokratie sollte die Digitalisierung nichts ändern. „Die alles entscheidende Frage bleibt, wie sich journalistische Qualität, ökonomischer Erfolg und publizistisches Ideal zu einem harmonischen Ganzen fügen“ (Joachim Gauck). Der nicht zu leugnende Vertrauensverlust wird dem sog. Mainstream-Journalismus zugeordnet. Es gibt „eine Art Korridor der als seriös geltenden Meinungen, der wohl tatsächlich enger wird“ (Robert Misik). In einem Umfeld der Aufge-
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regtheit und Erregung hat Gelassenheit es schwer. Wenn engagierter Journalismus zum Gesinnungsjournalismus, zum Betroffenheitsjournalismus oder sogar zum Wutjournalismus wird, kann der Rezipient eine objektive, neutrale und distanzierte Berichterstattung, die nicht von einem Feindbild geprägt ist, schwerlich erwarten. Im Hinblick auf das Verhältnis von Political Correctness zu den Grundrechten der freien Meinungsäußerung, der Presse- und Rundfunkfreiheit und der Informationsfreiheit ist viel zu viel falsch gelaufen.
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Personenregister Abdel-Samad, Hamel 70 van den Akker, Robin 110 Al-Bakr, Dschaber 121, 122, 123 Amri, Anis 57 Ash, Timothy Garton 5, 112, 113 Augstein, Jakob 34 Barbe, Angelika 80 Bedford-Strohm, Heinrich 65, 101 De Benoist, Alain 72 Benzema, Karim 75 Berlin, Lucia 81 De Blasio Bill 76 Boateng, Jérôme 79, 112 Böhmermann, Jan 28, 78 Bouillon, Klaus 36, 45 Bourdieu, Pierre 72 Breshnev, Leonid 74 Brunschwig Graf, Martine 86 Buschkowsky, Heinz 18 Cameron, David 44 Chavéz, Hugo 109 Cirigliano, Luca 75 Clinton, Hillary 96, 132 Cohen, Ya’Akow 75 Cruz, Ted 73 Cueni, Claude 82 Danzer, Georg 67 Daoud, Kamel 92 Donsbach, Wolfgang 65 Doyle, Andrew 64, 87 Dugin, Alexander 73
Ehring, Christian 88 Eliasson, Dan 43 Emcke, Carolin 5 Erdogan, Recep 78, 87, 112 Ermyas M. 123 Fegebank, Katharina 35 Fico, Robert 105 Finkielkraut, Alain 26 Frank, Peter 123 Friedman, Michel 20 Friedrich, Hans-Peter 22, 42 Gabriel, Sigmar 21, 90, 129 Gaschke, Susanne 125 Gauck, Joachim 91, 102, 108, 118, 119, 125, 136 Gauland, Alexander 111, 117 Gehlen, Arnold 73 Gerhardt, Wolfgang 89 Gniffke, Kai 130 Grass, Günter 71 Grote, Andy 83 Gruber, Monika 62 Gündogan, Ilkay 79 Gujer, Eric 128 Gwosdz, Michael 34 Habermas, Jürgen 6, 72 Haller, Michael 125 Handtke, Peter 72 Harris, Sir Arthur 104 Hauser, Monika 77 Hawking, Stephen 115 Helms, Anne 104
Personenregister Herles, Wolfgang 66 Herzog, Jitzhak 72 Herzog, Roman 89 Hilbert, Dirk 127 Hirschi, Caspar 87 Hitler, Adolf 73 Hoeneß, Uli 108 Hofer, Norbert 111 Hoffmann, Christiane 66 Hofreiter, Anton 76 Hollande, François 91 Horn, Karen 109, 110 Hoßfeld, Uwe 84 Houellebecq, Michel 71 Ingendaay, Paul 98 Inglehart, Roland F. 114 Jäger, Ralf 32, 40, 45, 46 Jositsch, Daniel 75 Jünger, Ernst 72 Jung, Burkhard 83 Kaczynski, Jaroslav 112 Käßmann, Margot 61 Kambouri, Tania 66, 67 Kant, Immanuel 90 Kelle, Birgit 35, 65, 135 Kermani, Navid 70 Kisseljow, Dmitrij 68 Klaus, Václav 95 Klein, Hans Hugo 89 Klein, Hans-Joachim 71 Köcher, Renate 136 Köhler, Otto 73 Köppel, Roger 81 Kolmar, Martin 90 Korn, Salomon 20 Kraft, Hannelore 32 Kretschmann, Winfried 96 Kretschmer, Michael 123
163
Lafontaine, Oskar 77 Landfried, Christine 116 Landolt, Martin 81 Le Corbusier, Charles-Édouard 72 Le Pen, Jean-Marie 69 Le Pen, Marine 73, 111, 112 Leggewie, Claus 68 Lévrat, Christian 81 Lévy, Bernard-Henri 71 von der Leyen, Ursula 108 Lilla, Mark 116 Lindner, Christian 30 di Lorenzo, Giovanni 107 Luhmann, Niklas 116 Luxemburg, Rosa 87 Maas, Heiko 33, 61, 103 Maduro, Nicolás 109 de Maizière, Thomas 24, 25, 29, 33, 103, 105, 122 Martenstein, Harald 107 Marx, Reinhard 101 Mathies, Jürgen 41 May, Theresa 44 Meckel, Miriam 132 Merkel, Angela 13, 20, 21, 22, 30, 33, 36, 61, 87, 107, 111, 120 Merkel, Wolfgang 115 Merz, Friedrich 20 Misik, Robert 120, 136 Müller, Jan-Werner 111 Myrzak, Oleg 17 Naumann, Michael 21 Nehm, Kay 123 Nemzow, Boris 69 Norris, Pippa 114 Onfray, Michel 92 Özuguz, Aydan 104, 122 Orban, Viktor 112
164 Palmer, Boris 77, 113 Paqué, Karl-Heinz 89 Petersen, Thomas 131, 132 Petry, Frauke 95 Pöttker, Horst 47 Post, Robert 116 Pound, Ezra 72 Putin, Vladimir 68, 69, 112 Radisch, Iris 6 Rößler, Matthias 22 Rohani, Hassan 28 Roth, Claudia 20, 34 Roth, Petra 89 Salomon, Dieter 129 Sarcozy, Nicolas 72 Sarrazin, Thilo 121 Schäuble, Wolfgang 123, 124 Scheel, Christine 89 Schelsky, Helmut 60, 132 Scheu, René 89 Scheuer, Andreas 56 Schiwatschev, Antje 104 Schmidt, Helmut 106, 120 Schmidt, Renate 89 Schmitt, Carl 90 Schneider, Manfred 89 Schönbohm, Jörg 123 Scholz, Rupert 89 Schröder, Gerhard 91 Schulz, André 67 Schulz, Martin 131 Seehofer, Horst 24 Sommaruga, Simonetta 81 Spiegel, Paul 20 Stalin, Jossif 73 Stephan, Cora 99
Personenregister Sternberg, Dolf 64 Sternhell, Zeev 69 von Storch, Beatrix 104 Stratthaus, Gerhard 89 Sürücü, Hatun 28 Teufel, Erwin 89 Thevesen, Elmar 37 Tibi, Bassam 20, 23, 71 Tillich, Stanislaw 91, 121 Trump, Donald 76, 94, 95, 113, 114, 115, 121, 128, 132 Tucholsky, Kurt 28 Überall, Frank 48, 56, 125 Urweider, Raphael 82 Valls, Manuel 92 Verheugen, Günter 108 Wagenknecht, Sahra 77 Wagner, Joachim 28 Walser, Martin 85 Weidel, Alice 88 Weidmann, Jens 78 von Weizsäcker, Richard 18 Wendt, Rainer 42 Wermuth, Cédric 81 Wickert, Ulrich 66 Wiezorek, Anne 35 Wilders, Geert 104, 112 Will, Anne 101, 107, 131 Yunus, Leyla 73 Zˇizˇek, Slavoy 63, 64, 132 Zouari, Fawzia 92
Zum Autor Ingo von Münch, geboren 1932 in Berlin. Jurastudium in Frankfurt a.M. und an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Promotion 1957, Habilitation 1963 für die Fächer Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Völkerrecht. Professor für Öffentliches Recht an der Ruhr-Universität Bochum 1965 – 1973, an der Universität Hamburg 1973 – 1998. Zweiter Bürgermeister, Wissenschafts- und Kultursenator der Freien und Hansestadt Hamburg und Mitglied des Bundesrates 1987 – 1991. Dr. h. c. (Rostock) 1994. Zwischen 1995 und 2001 Gastprofessor in Australien, Frankreich, Neuseeland, Südafrika und in den USA. Veröffentlichungen u. a.: Staatsrecht, 6. Aufl. Stuttgart 2000; Die deutsche Staatsangehörigkeit. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, Berlin 2007; „Frau komm!“ Die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen 1944/45, Graz 2009; Rechtspolitik und Rechtskultur. Kommentare zum Zustand der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2011; Gute Wissenschaft, Berlin 2012; Der Autor und sein Verlag (zus. mit Georg Siebeck), Tübingen 2013; Spannende Jahre, Hamburg 2014; Hrsg.: Gesetze des NS-Staates. Dokumente eines Unrechtssystems, 3. Aufl. Paderborn / München / Wien / Zürich 1994.