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German Pages xvi, 303 [316] Year 2024
Antje Kiesel Regula Krapf
Mathematik für den Studieneinstieg Ein mathematischer Werkzeugkoffer für Studierende verschiedener Disziplinen
Mathematik für den Studieneinstieg
Antje Kiesel Regula Krapf
Mathematik für den Studieneinstieg Ein mathematischer Werkzeugkoffer für Studierende verschiedener Disziplinen
Antje Kiesel Institut für Angewandte Mathematik Universität Bonn Bonn, Deutschland
Regula Krapf Mathematisches Institut Universität Bonn Bonn, Deutschland
Die Online-Version des Buches enthält digitales Zusatzmaterial, das durch ein Play-Symbol gekennzeichnet ist. Die Dateien können von Lesern des gedruckten Buches mittels der kostenlosen Springer Nature „More Media“ App angesehen werden. Die App ist in den relevanten App-Stores erhältlich und ermöglicht es, das entsprechend gekennzeichnete Zusatzmaterial mit einem mobilen Endgerät zu öffnen. ISBN 978-3-662-67931-9 https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6
ISBN 978-3-662-67932-6 (eBook)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Iris Ruhmann Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Das Papier dieses Produkts ist recyclebar.
Vorwort
Herzlich willkommen! Stehen Sie gerade zu Beginn Ihres Studiums und haben eine spannende Mathematikvorlesung vor sich? Herzlichen Glückwunsch! Dieses Buch kann Sie dabei unterstützen, den Studieneinstieg in die Mathematik gut zu meistern. Bevor wir gemeinsam in die Mathematik eintauchen, möchten wir kurz erläutern, was die Idee dieses Buches ist.
1. An wen richtet sich dieses Buch? Studienanfänger und Studienanfängerinnen all jener Studienfächer, in denen eine Mathematikausbildung fester Bestandteil ist, können in diesem Buch einen Überblick über die Standardthemen vieler Mathematikvorlesungen finden. Wenn Sie also ein MINT-Fach oder ein verwandtes Fach studieren, könnte es das richtige für Sie sein. Wir denken an Studierende der Chemie, der Biologie, der Volkswirtschaftslehre, der Agrarwissenschaften, der Ernährungswissenschaften, der Geodäsie und an Studierende einiger anderer Studienfächer. Für Studierende der Physik, der Informatik und anderer sehr mathematiklastiger Studienfächer wird das Buch keinesfalls den benötigten Stoff abdecken. Insbesondere wird in diesen Fächern deutlich mehr rigorose Mathematik benötigt. In diesem Buch geht es darum, den Werkzeugkasten für die Anwendung der Mathematik in den genannten Studienfächern zu liefern. Es soll sie fit machen, den Mathematikanteil in Ihrem Studium gut zu meistern. Auch wenn jede Vorlesung natürlich ihre eigenen Schwerpunkte hat, finden Sie hier die Inhalte, die auf jeden Fall wichtig sind und die Grundlage für viele weitere Themen darstellen. In diesem Sinne richtet sich dieses Buch natürlich auch an Dozierende von Servicevorlesungen der Mathematik.
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2. Was bietet Ihnen dieses Buch? Dieses Buch soll Sie beim Wissenstand eines Abiturienten/einer Abiturientin abholen und Ihnen dann problem- und beispielorientiert die wichtigsten mathematischen Werkzeuge zum Studieneinstieg nahebringen. Das bedeutet: Wir zeigen Ihnen, was für Probleme sich in der Anwendung stellen und welche mathematischen Methoden und Konzepte uns bei der Lösung helfen. Wir sind aus unserer Erfahrung aus der Lehre überzeugt davon, dass das Erarbeiten von Konzepten anhand von Beispielen (und zwar erst das Beispiel-Problem vorzustellen und dann die daraus resultierende Definition abzuleiten) den leichteren Zugang zur Mathematik darstellt. So ist stets klar, warum und wieso man etwas definiert, betrachtet und analysiert. Nicht zuletzt stärkt dieser Zugang auch die Motivation, sich mit dem Gelernten zu beschäftigen. Daher starten wir in neuen Abschnitten fast immer mit einem Beispiel. Das Verständnis des Beispiels erleichert es den Leserinnen und Lesern, anschließend auch komplizierte Definitionen und Konzepte gut verinnerlichen zu können. Wir schauen uns also zunächst an, welche Probleme wir gerne verstehen wollen, und erarbeiten danach die mathematische Theorie dazu. Sie sehen in diesem Buch am Beispiel, wie man etwas rechnet, angeht oder modelliert. Sie werden immer wieder dazu aufgefordert, das Gelernte selbst auszuprobieren. Dabei sollen insbesondere auch die Erklärvideos helfen, die zum Buch dazugehören. Jeder Abschnitt des Buches endet mit einem Angebot, weitere Anwendungsbeispiele anhand von Erklärvideos zu erarbeiten. Diese sind immer kurz, kleinschrittig erklärt und helfen dabei, zu überprüfen, ob Sie den Stoff gut verstanden haben, oder ob noch weiterer Übungsbedarf besteht. Am Ende sollen Sie in der Lage sein, die erlernten Konzepte auf neue Anwendungskontexte eigenständig anzuwenden.
3. Was leistet das Buch nicht? Wir möchten klar sagen, wo das Buch nicht startet und wo es definitiv aufhört. Es startet nicht im Stoff der Mittelstufe der Schule. Wir setzen hier schon voraus, dass Sie Bruchrechnung beherrschen, einfache Termumformungen kennen, lineare und quadratische Funktionen schon gesehen haben, ein bisschen mit Potenzen rechnen können, schon lineare Gleichungssysteme mit zwei Variablen und zwei Gleichungen gelöst haben und vieles mehr. Wenn Sie Stoff aus der Schule auffrischen wollen, den wir hier voraussetzen, dann finden Sie aber immer wieder im Buch Verweise auf sinnvolle Quellen dafür. Wir steigen hier inhaltlich so ein, dass man mit einem Mathematik-Grundkurs aus der Schule gut zurechtkommen sollte. Außerdem ist es uns wichtig zu erläutern, dass dies hier kein Mathematikbuch ist, wie es typische Mathematiker und Mathematikerinnen gut finden. Wir verwenden viele Konzepte intuitiv, ohne dass wir hier rigorose mathematische Definitionen einführen. Beweise und Herleitungen führen wir nur, wenn sie für das Verständnis der Konzepte inhaltlich notwendig sind. Und wir begnügen uns oft damit, Ihnen
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die Konzepte mit graphischen und beispielhaften Argumentationen nahezubringen. Wir wollen Sie zum Mathe-Anwender machen, aber nicht zum Mathematiker. Das wird uns nicht davon abhalten, an der einen oder anderen Stelle auf die Schönheit der Mathematik hinzuweisen und einen kleinen Ausblick auf die spannende Welt der Mathematik zu geben.
4. Wie ist das Buch aufgebaut? Das Buch behandelt in drei großen Kapiteln die wichtigsten Themen der Mathematik zum Studienbeginn. Das Grundlagenkapitel nimmt Logik, Mengenlehre, Gleichungen- und Ungleichungen sowie das umfangreiche Thema Funktionen in den Blick. Im zweiten Kapitel steht die Lineare Algebra im Mittelpunkt. Das letzte Kapitel zur Differential- und Integralrechnung bildet den Schluss des Buches. Jeder Abschnitt startet mit einem Beispielproblem, welches die Fragestellungen des Kapitels motivieren soll. Auch die benötigten Vorkenntnisse werden kurz genannt. Es gibt dann nötige Definitionen, Schreibweisen und Erkenntnisse. Verfahren und Algorithmen werden immer anhand von Beispielen erläutert. Zwischendurch fordern wir Sie immer wieder auf, Denkpausen einzulegen und kleine Fragestellungen eigenständig zu durchdenken. Beispiele werden oft verallgemeinert und abstrakte Lösungen abgeleitet. Manchmal gibt es auch Beweise, wenn Sie dem Verständnis dienlich sind. Am Ende gibt es eine Reihe von Übungsaufgaben zur eigenen Beschäftigung mit dem Stoff. Wir finden die Aussage „Mathematics is not a spectator sport“ sehr passend. Wenn man Mathematik lernen will, dann muss man sie betreiben und üben. Manchmal so oft und so lange, bis sie einem zum Halse heraushängt. Wenn man an diesem Punkt ankommt, dann kann man oft von sich sagen „Das habe ich jetzt so oft geübt, das kann ich jetzt auch dann, wenn mich nachts um zwei Uhr jemand weckt.“ Dann haben Sie das Ziel erreicht! Und auch der Spruch „Übung macht den Meister.“ hat seine Berechtigung und soll Sie motivieren. Wir hoffen, dass Sie die Mathematik als hilfreich empfinden und dass Sie viele Erfolgserlebnisse erlangen, wenn Sie üben. In jedem Kapitel stellen wir Ihnen Erklärvideos zur Verfügung, in welchen Beispiele an der Tafel erläutert und vorgerechnet werden.
5. Wie ist das Buch zu benutzen? Wenn Sie das Grundlagenkapitel durchgearbeitet haben und alle wichtigen Begriffe und Schreibweisen kennen, dann können Sie die nachfolgenden Kapitel unabhängig voneinander bearbeiten. Bei der Bearbeitung eines Kapitels möchten wir Sie dazu ermuntern, aus der Rolle des passiven Lesers herauszutreten und sich immer vorzustellen, sie wären mitten in der Übungsstunde an der Universität. Lösen Sie direkt die bereitgestellten Aufgaben. Legen Sie die Denkpausen bewusst ein, um das Gelernte zu verinnerlichen. Visuelle Lerntypen können direkt die Videos schauen, wenn es im Buchkapitel Probleme gibt. In jedem Fall: Legen Sie Zettel und Stift bereit! Dieses Buch ist kein Roman, den man von vorne bis hinten durchliest, sondern
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es soll Sie zum eigenen Aufgabenlösen anregen. Lesen Sie das Buch auch gerne parallel zu Ihrer Vorlesung. Zum Abschluss möchten wir Ihnen noch Folgendes mitgeben: Trauen Sie sich zu, den Mathematikanteil Ihres Studiums gut bewältigen zu können. Aber seien Sie aktiv, von Anfang an im Studium. Hören Sie nicht nur zu, sondern arbeiten Sie aktiv an den Aufgaben Ihrer Vorlesung! Und stellen Sie alle Fragen, die Ihnen in den Sinn kommen. Wir wünschen Ihnen, dass Sie erfolgreich in Ihr Studium einsteigen und die Mathematik als hilfreiche Wissenschaft für die vielen Anwendungsgebiete in Ihren spannenden Studienfächern erleben! Bonn 8. August 2023
Antje Kiesel (Autorin des Buchtextes) Regula Krapf (Erstellung der Lernvideos)
Danksagung
Wir bedanken uns herzlich bei unseren Studierenden der Agrarwissenschaften, der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften, der Geodäsie sowie der Geowissenschaften an der Universität Bonn, die durch ihre zahlreichen Rückmeldungen in den Vorlesungen und Übungen viele Denkanstöße für den beispielorientierten Zugang in diesem Buch gegeben haben. Ein besonderer Dank gilt Claudius Ruch für die Unterstützung bei der Videoproduktion, insbesondere für die Nachbearbeitung der Videos. Zusätzlich bedanken wir uns bei Ulrich Keßler und Armin Schäfers für das aufmerksame Korrekturlesen und die vielen hilfreichen Vorschläge sowie bei Thoralf Räsch für die zahlreichen Gespräche rund um dieses Buch, die Inspiration für viele Verbesserungen gegeben haben. Auch für die Begleitung und Unterstützung durch Bianca Alton und Iris Ruhmann vom Springer Verlag sind wir sehr dankbar. Antje Kiesel und Regula Krapf
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Inhaltsverzeichnis
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik . . . . . . . . . 1.1 Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Mengenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Summenzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Bilder und Urbilder, Bildmenge, Eigenschaften von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Umkehrabbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Hintereinanderausführung von Abbildungen . . . . . 1.5 Reelle Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Eigenschaften von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Betragsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Potenzfunktionen und Wurzelfunktionen . . . . . . . 1.5.4 Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.5 Gebrochen-rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . 1.5.6 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 1.5.7 Umkehrfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.8 Hintereinanderausführung von Funktionen . . . . . . 1.5.9 Einfluss von Parametern auf Funktionsgraphen . . . . 1.6 Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.1 Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.3 Gleichungen mit Wurzelausdrücken . . . . . . . . . . 1.6.4 Gleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen . 1.6.5 Gleichungen mit Beträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Lineare Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.2 Quadratische Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.3 Ungleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen 1.7.4 Ungleichungen mit Beträgen . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Rechnen mit Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Räume und Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Lineare Abhängigkeit und Unabhängigkeit . . . . . . . . . 2.2.3 Basis und Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Lineare Gleichungsyssteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Definition und Gauß-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Homogene lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Inhomogene lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . 2.3.4 Sonderfälle, Tipps und Tricks beim Gauß-Algorithmus . . 2.3.5 Darstellung von linearen Gleichungsystemen in Matrizenschreibweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Wichtige Erkenntnisse über die Lösungsmengen linearer Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Lineare Prozesse mit Matrizen beschreiben . . . . . . . . . . . . . 2.5 Inverse Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis . . 3.1 Folgen und Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Exponential- und Logarithmusfunktionen . . . . . . . . . . 3.3 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Definition und Rechenregeln für das Differenzieren 3.4.2 Kurvendiskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Optimierung mit Nebenbedingungen . . . . . . . . . 3.4.4 Taylorentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Definition des bestimmten Integrals . . . . . . . . . . 3.5.2 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung . 3.5.3 Stammfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Weitere geometrische Fragestellungen . . . . . . . . 3.5.5 Fortgeschrittene Integrationsverfahren . . . . . . . . 3.5.5.1 Partielle Integration . . . . . . . . . . . . . . 3.5.5.2 Integration durch Substitution . . . . . . . . 3.5.5.3 Integration durch Partialbruchzerlegung . .
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141 141 152 153 158 163 167 168 172 174 176
. 178 . 183 . 189 . 198 207 207 213 223 230 232 242 253 258 262 264 270 275 276 280 282 288 292
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
Liste der Lernvideos
Abb. 1.1
Lernvideo zur Negation von Aussagen (https://doi.org/10.1007/000-bdt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Lernvideo zur Verknüpfung von Aussagen (https://doi.org/10.1007/000-bd0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Lernvideo zur Notation mit Quantoren (https://doi.org/10.1007/000-bd1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Abb. 1.6
Lernvideo zu Intervallen (https://doi.org/10.1007/000-bd2) . . . .
19
Abb. 1.7
Lernvideo zu Mengenoperationen (https://doi.org/10.1007/000-bd3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
Lernvideo zum kartesischen Produkt von Mengen (https://doi.org/10.1007/000-bd4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
Abb. 1.10 Lernvideo zum Summenzeichen (https://doi.org/10.1007/000-bd5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
Abb. 1.11 Lernvideo zu Doppelsummen (https://doi.org/10.1007/000-bd6) .
30
Abb. 1.14 Lernvideo zu Eigenschaften von Abbildungen (https://doi.org/10.1007/000-bd7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
Abb. 1.16 Lernvideo zu Umkehrabbildungen (https://doi.org/10.1007/000-bd8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
Abb. 1.19 Lernvideo zur Hintereinanderausführung von Abbildungen (https://doi.org/10.1007/000-bd9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
Abb. 1.22 Lernvideo zu Summen, Differenzen und Produkten von Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bda) . . . . . . . . . . . .
51
Abb. 1.25 Lernvideo zu Eigenschaften von Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
Abb. 1.2 Abb. 1.3
Abb. 1.9
XIII
XIV
Liste der Lernvideos
Abb. 1.29 Lernvideo zum Rechnen mit Potenzen (https://doi.org/10.1007/000-bdc) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
Abb. 1.30 Lernvideo zum Rechnen mit Wurzeln (https://doi.org/10.1007/000-bdd) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
Abb. 1.33 Lernvideo zur Interpolation von Polynomen (https://doi.org/10.1007/000-bde) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
Abb. 1.34 Lernvideo zur Polynomdivision (https://doi.org/10.1007/000-bdf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
Abb. 1.37 Lernvideo zu gebrochen-rationalen Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
Abb. 1.43 Lernvideo zu trigonometrischen Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdh) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abb. 1.47 Lernvideo zu Umkehrfunktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdj) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
Abb. 1.50 Lernvideo zur Hintereinanderausführung von Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Abb. 1.56 Lernvideo zum Einfluss von Parametern auf Funktionsgraphen (https://doi.org/10.1007/000-bdm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Abb. 1.57 Lernvideo zu quadratischen Gleichungen (https://doi.org/10.1007/000-bdn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Abb. 1.58 Lernvideo zu Wurzelgleichungen (https://doi.org/10.1007/000-bdp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Abb. 1.59 Lernvideo zu Gleichungen mit gebrochen-rationen Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdq) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Abb. 1.60 Lernvideo zu Gleichungen mit Beträgen (https://doi.org/10.1007/000-bdr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Abb. 1.63 Lernvideo zu quadratischen Ungleichungen (https://doi.org/10.1007/000-bds) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Abb. 1.65 Lernvideo zu Ungleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bcz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abb. 1.70 Lernvideo zu Ungleichungen mit Beträgen (https://doi.org/10.1007/000-bdv) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Abb. 2.4
Lernvideo zum Rechnen mit Vektoren (https://doi.org/10.1007/000-be1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Abb. 2.5
Lernvideo zur Länge von Vektoren und zum Abstand zweier Punkte (https://doi.org/10.1007/000-bdx) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Liste der Lernvideos
XV
Abb. 2.6
Lernvideo zu Untervektorräumen (https://doi.org/10.1007/000-bdy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Abb. 2.7
Lernvideo zur linearen Unabhängigkeit (https://doi.org/10.1007/000-bdz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Abb. 2.9
Lernvideo zu linearen Gleichungssystemen mit eindeutiger Lösung (https://doi.org/10.1007/000-be0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Abb. 2.10 Lernvideo zu linearen Gleichungssystemen ohne Lösung (https://doi.org/10.1007/000-bdw) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Abb. 2.11 Lernvideo zu linearen Gleichungssystemen mit unendlich vielen Lösungen (https://doi.org/10.1007/000-be2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Abb. 2.12 Lernvideo zum Matrix-Vektor-Produkt (https://doi.org/10.1007/000-be3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Abb. 2.14 Lernvideo zur Matrix-Matrix-Produkt (https://doi.org/10.1007/000-be4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Abb. 2.15 Lernvideo zu linearen Prozessen (https://doi.org/10.1007/000-be5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Abb. 2.17 Lernvideo zu inversen Matrizen (https://doi.org/10.1007/000-be6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Abb. 3.2
Lernvideo zu Folgen und Grenzwerten (https://doi.org/10.1007/000-ben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Abb. 3.5
Lernvideo zum exponentiellen Wachstum (https://doi.org/10.1007/000-be8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Abb. 3.6
Lernvideo zu Exponentialgleichungen (https://doi.org/10.1007/000-be9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Abb. 3.10 Lernvideo zur Stetigkeit von Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bea) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Abb. 3.16 Lernvideo zur Produktregel (https://doi.org/10.1007/000-beb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Abb. 3.17 Lernvideo zur Quotientenregel (https://doi.org/10.1007/000-bec) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Abb. 3.18 Lernvideo zur Kettenregel (https://doi.org/10.1007/000-bed) . . . 242 Abb. 3.23 Lernvideo zur Kurvendiskussion (https://doi.org/10.1007/000-bee) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Abb. 3.26 Lernvideo zu Extremwertaufgaben (https://doi.org/10.1007/000-bef) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
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Liste der Lernvideos
Abb. 3.28 Lernvideo zur Taylorentwicklung (https://doi.org/10.1007/000-beg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Abb. 3.39 Lernvideo zum Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (https://doi.org/10.1007/000-beh) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Abb. 3.40 Lernvideo zur Berechnung der Fläche zwischen Funktionsgraphen (https://doi.org/10.1007/000-bej) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Abb. 3.41 Lernvideo zur partiellen Integration (https://doi.org/10.1007/000-bek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Abb. 3.42 Lernvideo zur partiellen Integration mit Trick (https://doi.org/10.1007/000-bem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Abb. 3.43 Lernvideo zur Integration durch Substitution (https://doi.org/10.1007/000-be7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Abb. 3.45 Lernvideo zur Integration durch Partialbruchzerlegung (https://doi.org/10.1007/000-bep) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
1.1 Logik Wir starten in dieses Buch mit zwei kurzen Ausflügen, zunächst in die Logik und anschließend in die Mengenlehre. Sie fragen sich, wofür das gut sein soll? Nun, die kurze Antwort darauf ist: Warten Sie es ab! Sie werden sehen, dass es sich auszahlt. Diese Antwort wird sie nicht zufriedenstellen, auch wenn Mathematiker oft in der Lage sind, zunächst abstrakte Konzepte zu akzeptieren, deren Nutzen so richtig erst viel später klar wird. Sie haben dennoch eine konkretere Antwort an dieser Stelle verdient: In der Mathematik wollen wir Gleichungen lösen, Zusammenhänge verstehen, Hypothesen auf Richtigkeit überprüfen, kausale Abhängigkeiten ergründen. Dabei geht es ganz oft um Fragen folgender Art: Unter welchen Voraussetzungen gilt etwas? Wie groß muss eine Variable sein, um eine gegebene Forderung zu erfüllen? Was muss gleichzeitig gelten, damit etwas Drittes eintritt? Da wären wir schon beim Thema: Die Logik begegnet uns, und zwar im mathematischen Kontext genauso wie im Alltag. Vorkenntnisse Für dieses Einstiegskapitel benötigen Sie keine besonderen Vorkenntnisse. Uns begegnen ein paar einfache mathematische Begriffe wie Teilbarkeit, Primzahlen, Gleichungen und Extremstellen von Funktionen. Ein Alltagsbeispiel Lisa kommt am Samstag nur mit auf die Fahrradtour, falls sie bis dahin das Mathe-Übungsblatt fertig hat. Das macht sie immer mit Anna oder Johannes gemeinsam. Wenn einer von beiden vorher Zeit hat, dann könnte das klappen. Außerdem hat sie nur Lust zum Radeln, wenn das Wetter gut ist. Was muss also erfüllt sein, damit Lisa am Samstag dabei ist? Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6_1. Die Videos lassen sich durch Anklicken des DOI Links in der Legende einer entsprechenden Abbildung abspielen, oder indem Sie diesen Link mit der SN More Media App scannen.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 A. Kiesel, R. Krapf, Mathematik für den Studieneinstieg, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6_1
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Machen Sie sich bewusst, dass .Anna oder Johannes haben Zeit für das Mathe-Übungsblatt./ .Das Wetter ist am Samstag gut./
und
erfüllt sein muss, damit die Aussage .Lisa kommt mit auf die Fahrradtour./ richtig ist. Wir haben es hier mit logischen UND-Verknüpfungen, mit ODERVerknüpfungen und mit Folgerungen zu tun. Ein mathematisches Beispiel Wenn eine ganze Zahl x durch 9 und durch 5 teilbar ist, dann ist sie auch durch 15 teilbar. Überlegen Sie kurz, warum das richtig ist. Nun ja, wenn sie durch 9 teilbar ist, dann kann man sie ohne Rest durch 3 3 D 9 teilen, also insbesondere auch durch 3. Und wenn man sie durch 3 und durch 5 ohne Rest teilen kann, dann auch durch 3 5 D 15. Geschafft! Machen Sie sich bewusst, dass wir die Folgerung 9 und 5 sind Teiler von x: ) 15 ist Teiler von x: gerade begründet haben. Ein Beispiel wäre hier die Zahl 315 D 9 5 7 D 15 21. Aber was ist, wenn x nicht durch 9 und 5 teilbar ist, kann x dann trotzdem durch 15 teilbar sein? Über diesen Fall sagt unsere obige Folgerung ja nichts aus. Die Antwort ist „Ja!“, denn beispielsweise ist die Zahl 30 nicht durch 9 teilbar, wohl aber durch 15. Wir haben es oben also mit einer WENN-DANN-Aussage zu tun, die nichts darüber aussagt, was passiert, wenn der WENN-Teil der Aussage nicht gilt. Nun sollten wir das Ganze mathematisch exakt formulieren. Dafür verwenden Mathematiker Definitionen. Definition 1.1 (Aussage) Eine Aussage ist ein Satz, der wahr oder falsch sein kann. Zwei Aussagen sind gleich, wenn die eine genau dann wahr ist, wenn die andere wahr ist. Beispiel 1.1
„Alle Katzen sind Säugetiere.“ ist eine wahre Aussage. „Alle Säugetiere sind Hunde.“ ist eine falsche Aussage. „P wohnt in Bonn.“ ist eine Aussage mit einer Variablen, die den Wahrheitswert bestimmt. J Da Mathematiker kurze und effiziente Notationen mögen, führen sie gerne abkürzende Schreibweisen sein. Sie verwenden das Zeichen 8, um „für alle“ zu sagen und 9, um „es existiert“ auszudrücken. Nimmt man dann noch den Doppelpunkt
1.1 Logik
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hinzu, nachdem man hinschreibt, was unter den aufgeschriebenen Voraussetzungen gelten soll, lassen sich Aussagen wie folgt abkürzen: Aussage Es existiert eine Lösung x der Gleichung 2x C 4 D 0. Für jede/n Studierende/n S gibt es ein Fach F , welches sie/er studiert. Das Quadrat einer Zahl ist stets nichtnegativ.
Mathematische Formulierung 9xW 2x C 4 D 0 8S 9F W S studiert F 8xW x 2 0
Für gegebene Aussagen wollen wir nun definieren, was die logische Negation, das logische UND sowie das logische ODER bedeuten. Starten wir mit der Negation: Definition 1.2 (Negation einer Aussage) Sei A eine Aussage. Die Negation :A ist die Aussage, die wahr ist, wenn A falsch ist, und falsch ist, wenn A wahr ist. Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass :.:A/ die gleiche Aussage wie A ist. Die Begründung liefert folgende Überlegung: Wenn A wahr ist, dann ist :A falsch und also :.:A/ wahr und wenn A falsch ist, dann ist :A wahr und :.:A/ falsch. Füllen Sie diese Erkenntnis mit einem Sachkontext, indem Sie sich eine Aussage A ausdenken und diese zweimal verneinen! Beispiel: „Das Geschäft ist geöffnet.“ ist gleichbedeutend mit „Das Geschäft ist nicht geschlossen.“
Probieren wir das Konzept der Negation nun an weiteren Beispielen gemeinsam aus: Beispiel 1.2 Aussage A Es regnet. Alle Studierenden sitzen aufmerksam in der Vorlesung. Es gibt einen Tag im Jahr, an dem mehr als 50.000 Euro Umsatz gemacht werden. Der F.C. Hansa Rostock und Holstein Kiel steigen in die erste Fußballbundesliga auf. Jan wünscht sich Pizza oder Spaghetti zum Mittag.
Aussage :A Es regnet nicht. Es gibt mindestens eine/n Studierende/n, die/der nicht aufmerksam in der Vorlesung sitzt. An allen Tagen im Jahr beträgt der Umsatz höchstens 50.000 Euro. Der F.C. Hansa Rostock oder Holstein Kiel steigen nicht in die erste Fußballbundesliga auf. Jan wünscht sich weder Pizza noch Spaghetti zum Mittag (also nicht Pizza und auch nicht Spaghetti). J
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Fällt Ihnen etwas auf? Genau! Aus „für alle“ wird beim Verneinen „es existiert“ und umgekehrt. Noch was? Ja! Aus einer UND-Aussage wird beim Verneinen eine ODER-Aussage und umgekehrt. Machen Sie sich genau bewusst, warum das so ist. Dabei können Ihnen folgende Überlegungen helfen: Wenn etwas nicht für alle Objekte gilt, dann muss es mindestens ein Gegenbeispiel geben. Wenn es kein Objekt mit der geforderten Eigenschaft gibt, dann haben alle Objekte die geforderte Eigenschaft nicht. Wenn es nicht der Fall ist, dass zwei Aussagen gleichzeitig richtig sind („und“), dann muss mindestens eine der beiden Aussagen falsch sein („die eine oder die andere oder sogar beide“). Wenn es nicht der Fall ist, dass die eine oder die andere Aussage richtig ist, dann müssen sie eben beide falsch sein. Übrigens: „9xW x hat Eigenschaft E“ heißt immer nur, dass es mindestens ein x mit der Eigenschaft E gibt. Es darf auch mehrere geben. Und noch etwas Wichtiges: Wenn wir ODER sagen, dann ist dieses „oder“ nie exklusiv zu verstehen. „Ich kaufe Bananen oder Äpfel.“ ist also auch dann eine wahre Aussage, wenn ich beides kaufe.
Aufgabe
Finden Sie eigene Beispielsätze mit „für alle“, „es existiert “, „und“ und „oder“ und bilden Sie die logischen Verneinungen der Sätze. Kombinieren Sie diese Teile, indem Sie auch Aussagen der Form „Alle Studierenden studieren Mathematik oder Englisch.“ betrachten.
Haben Sie bemerkt, dass wir bereits Sätze mit „und“ und „oder“ gebildet haben, ohne diese logischen Verknüpfungen von Aussagen formal eingeführt zu haben? Das holen wir jetzt nach. Die Definitionen entsprechen genau dem, was wir auch im Alltag meinen, wenn wir „und“ und „oder“ verwenden: Definition 1.3 (Konjunktion und Disjunktion von Aussagen) Seien A und B Aussagen. Die Konjunktion A ^ B ist die Aussage, die wahr ist, wenn A wahr ist und B wahr ist. Die Disjunktion A _ B ist die Aussage, die wahr ist, wenn A wahr ist oder B wahr ist. (Dabei dürfen auch beide Aussagen gleichzeitig wahr sein.)
1.1 Logik
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Aufgabe
Machen Sie sich am Beispiel bewusst, dass die folgenden beiden Aussagen logisch gleich sind: :.A ^ B/
und
:A _ :B
Folgende Überlegung kann dabei helfen: Wenn es nicht der Fall ist, dass A und B richtig sind, dann muss A falsch sein oder B falsch sein. Auch die folgenden beiden Aussagen sind logisch gleich: :.A _ B/
und
:A ^ :B
Auch hier kann man sich das wie folgt erklären: Wenn es nicht der Fall ist, dass A oder B richtig ist, dann muss A falsch sein und B falsch sein. Füllen Sie nun die Aussagen mit eigenen Inhalten, indem Sie sich Sachkontexte für A und B ausdenken. Formulieren Sie dann jeweils die Aussagen :.A ^ B/, :A _ :B, :.A _ B/ und :A ^ :B im Sachkontext und machen Sie sich die beiden obigen Gleichheiten bewusst.
Lassen Sie uns nun ein weiteres Beispiel zu den Konjunktionen und Disjunktionen anschauen. Überprüfen Sie auch für sich selbst, welche der Aussagen für Sie stimmen. Los geht’s! Beispiel 1.3
Sei S ein/e Studierende. Seien die folgenden drei Aussagen gegeben: A: „S wohnt in einer WG.“ B: „S studiert Agrarwissenschaften.“ C : „S mag Mathematik.“ Es gelten nun (unter Ausnutzung obiger Gleichheiten) folgende Interpretationen: Aussage A^B ^C
Die Aussage ist richtig für Studierende, die in einer WG wohnen, Agrarwissenschaften studieren und die Mathematik mögen.
A ^ :B
Studierende, die in einer WG wohnen und nicht Agrarwissenschaften studieren.
Die Aussage ist falsch für Studierende, die nicht in einer WG wohnen oder nicht Agrarwissenschaften studieren oder die Mathematik nicht mögen. Studierende, die nicht in einer WG wohnen oder die Agrarwissenschaften studieren.
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1 Aussage :A _ B
:A _ :B _ :C
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Die Aussage ist richtig für Studierende, die nicht in einer WG wohnen oder die Agrarwissenschaften studieren. Studierende, die nicht in einer WG wohnen oder nicht Agrarwissenschaften studieren oder die Mathematik nicht mögen.
Die Aussage ist falsch für Studierende, die in einer WG wohnen und nicht Agrarwissenschaften studieren. Studierende, die in einer WG wohnen, Agrarwissenschaften studieren und die Mathematik mögen.
Welche der Aussagen treffen auf Sie zu? Welche der Aussagen sind logische Verneinungen welcher anderen Aussage? J Was fehlt uns nun noch in der Logik? Genau, wir haben uns noch gar nicht mit Folgerungen beschäftigt. Die brauchen wir in der Mathematik aber ständig, wenn wir ausdrücken wollen, dass aus einer Voraussetzung eine Konsequenz folgt. Manchmal wollen wir auch feststellen, dass eine Aussage genau dann gilt, wenn die andere gilt. Das führt uns zu Implikationen und Äquivalenzen. Achtung! Das Thema ist nicht ganz einfach. Sie müssen sich ein bisschen auf die Denkweisen einlassen. Damit das klappt, starten wir mit einem kleinen Beispiel. Beispiel 1.4
Marie sagt: „Wenn die tolle Ferienwohnung vom letzten Jahr wieder frei ist, fahre ich wieder nach Berchtesgaden zum Wandern.“ Es können nun in der Praxis vier Fälle auftreten: Marie fährt nach Berchtesgaden. Die Ferienwohnung ist frei.
Maries Aussage stimmt.
Die Ferienwohnung ist nicht frei.
Maries Aussage stimmt, denn Marie sagt nichts darüber, was sie macht, wenn die Wohnung nicht frei ist.
Marie fährt nicht nach Berchtesgaden. Maries Aussage ist falsch, denn gemäß ihrer Aussage müsste sie fahren, wenn die Wohnung frei ist. Maries Aussage stimmt, denn Marie sagt nichts darüber, was sie macht, wenn die Wohnung nicht frei ist.
Machen Sie sich bewusst, dass Maries Aussage nur falsch ist, wenn trotz der Gültigkeit der Voraussetzung „Die Wohnung ist frei.“ die Konsequenz „Marie fährt.“ nicht eintritt. Maries Aussage ist dagegen korrekt, wenn sie im Falle einer freien Wohnung auch wirklich fährt. Wenn die Wohnung nicht frei ist, stimmt Maries Aussage unabhängig davon, ob sie sich auf die Reise macht oder nicht. J Mit diesem Beispiel lassen sich hoffentlich die folgenden formalen Definitionen gut verinnerlichen:
1.1 Logik
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Definition 1.4 (Implikation und Äquivalenz) Die Implikation A ) B ist die Aussage, die nur falsch ist, wenn A wahr ist und B falsch ist. Wenn A ) B wahr ist, sagen wir: „Aus A folgt B“ oder „Immer wenn A wahr ist, ist auch B wahr.“ oder „A impliziert B“ oder „A ist hinreichend für B“ oder „B ist notwendig für A“. Die Äquivalenz A , B ist die Aussage, die wahr ist, wenn A ) B wahr ist und B ) A wahr ist. Wenn A , B wahr ist, sagen wir: „A ist äquivalent zu B.“ oder „A gilt genau dann, wenn B gilt.“ oder „A gilt dann und nur dann, wenn B gilt.“ Um diese Definitionen zu verdauen, gönnen wir uns zunächst ein paar Erkenntnisse dazu: Um zu zeigen, dass A ) B falsch ist, reicht ein Gegenbeispiel. Das ist ein Beispiel, bei dem B falsch ist, obwohl A stimmt. So ist zum Beispiel die Aussage „x ist durch 3 teilbar. ) x ist durch 9 teilbar.“ falsch, denn x D 15 ist ein Gegenbeispiel. Wenn bei einer Implikation A ) B die Voraussetzung A nicht erfüllt ist, dann ist A ) B für beliebiges B wahr. So stimmt z. B. die Implikation „Ostern ist im Dezember. ) Schweinebraten ist ein vegetarisches Gericht.“ aber sie hilft uns dennoch nicht weiter. Dabei haben wir keinerlei Erkenntnisgewinn. Wenn A und B beide immer wahr sind, aber das eine nicht die Ursache für das andere ist, dann ist A ) B auch immer wahr. Auch hier gewinnen wir aber keinerlei Erkenntnisse, wie etwa bei: „3 ist eine Primzahl. ) Weihnachten ist im Dezember.“ Erkenntnisse gewinnen wir nur, wenn wir wissen, dass A ) B gilt und wir im Anwendungskontext feststellen, dass A erfüllt ist. Dann dürfen wir stolz B schlussfolgern! Ein ziemlich oft zitiertes Beispiel in der Mathematik ist folgendes: Sei f eine differenzierbare Funktion. Dann gilt: f hat eine lokale Extremstelle an der Stelle x: ) f 0 .x/ D 0 Dieses Beispiel ist zum einen geeignet, um zu verdeutlichen, dass Implikationen keine Äquivalenzen sind. Wenn nämlich f 0 .x/ D 0 gilt, muss an der Stelle x
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
noch lange keine lokale Extremstelle vorliegen. Das prominenteste Gegenbeispiel ist f .x/ D x 3 zusammen mit der Stelle x D 0. Hier gilt f 0 .x/ D 3x 2 und damit f 0 .0/ D 0, aber eine lokale Extremstelle liegt nicht vor (sondern ein Sattelpunkt). Keine Sorge, hierzu gibt es viel mehr Details später im Kapitel zur Differentialrechnung! Zum anderen können Sie an diesem Beispiel sehr einfach die Begriffe „notwendig“ und „hinreichend“ nachvollziehen. f 0 .x/ D 0 ist eine notwendige Bedingung für das Vorhandensein einer lokalen Extremstelle. Damit sind alle Nullstellen der ersten Ableitung Kandidaten für Extremstellen. Hinreichend ist f 0 .x/ D 0 aber nicht, denn dies allein reicht nicht aus, um wirklich das Vorliegen einer lokalen Extremstelle zu begründen. Kennen Sie das hinreichende Kriterium für das Vorliegen einer lokalen Extremstelle? Super! Mehr dazu später. . . Falls Ihnen die Begriffe „notwendig“ und „hinreichend“ in diesem Zusammenhang noch Schwierigkeiten bereiten, dann hilft Ihnen vielleicht die folgende Aufgabe:
Aufgabe
Wenn man sich an einer Universität einschreiben möchte, dann ist eine Hochschulzugangsberechtigung nachzuweisen. Diese ist also „notwendig“ für die Einschreibung. Hinreichend ist sie aber nicht, denn in der Regel müssen weitere Unterlagen wie Sprachnachweise oder der Nachweis der Krankenversicherung vorgelegt werden, bevor die Einschreibung möglich ist. Finden Sie ähnliche eigene Sachverhalte aus dem Alltagskontext und überlegen Sie jeweils, welche Bedigungen notwendig und welche hinreichend sind, damit ein Ziel erreicht werden kann.
Es wird Zeit für ein paar Übungen zu Implikationen und Äquivalenzen:
Aufgabe
Seien die drei Aussagen AW P hat eine Tochter. BW P ist Vater.
C W P hat ein Kind.
gegeben. Entscheiden Sie jeweils, ob die Implikationen A ) B, B ) C , A ) C , B ) A, C ) A und C ) B korrekt sind und geben Sie jeweils ein Gegenbeispiel an, wenn es nicht so ist.
1.1 Logik
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Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass folgende Äquivalenz gilt: .A ) B/
,
.:B ) :A/
Dafür müssen Sie sich Folgendes überlegen: Wenn aus der Aussage A die Aussage B folgt, dann bedeutet das genau, dass wenn B nicht gilt, auch A nicht gegolten haben kann. Denn wäre A richtig, dann ja auch B. Alles klar? Ein prominentes Beispiel für diese Charakterisierung ist diese hier: Sei A: „T ist der Täter.“ und B: „T war am Tatort.“. Offensichtlich gilt A ) B. Wenn also jemand nicht am Tatort war, dann kann er nicht der Täter gewesen sein. Das leuchtet ein und ist das typische Alibi-Argument, was wir aus vielen Kriminalromanen kennen! Denken Sie sich nun weitere Anwendungskontexte aus und schreiben Sie jeweils aus, was A ) B und :B ) A im Sachkontext bedeuten. Überzeugen Sie sich davon, dass beide Implikationen genau das Gleiche aussagen.
Um eine Äquivalenz zu zeigen, sind stets die Implikationen in beide Richtungen zu zeigen. Für die Äquivalenz Sei x eine natürliche Zahl. x ist durch 3 teilbar. , x 2 ist durch 9 teilbar. zeigen wir zuerst die Implikation von links nach rechts: „)“: Sei x durch 3 teilbar. Dann gibt es eine Darstellung der Form x D 3m mit einer natürlichen Zahl m. Also gilt x 2 D .3m/ .3m/ D 9m2 . Damit ist x 2 durch 9 teilbar. Anschließend zeigen wir die Implikation von rechts nach links: „(“: Sei x 2 durch 9 teilbar. Wegen 9 D 3 3 muss die 3 in der Primfaktorzerlegung von x 2 auftauchen. Diese enthält aber nur Teiler von x. Also muss 3 ein Teiler von x sein. Geschafft! Wir haben die Äquivalenz gezeigt, indem wir die Implikation in beide Richtungen gezeigt haben. Das war Ihr erster Beweis in diesem Buch!
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass Sie beim Lösen mathematischer Gleichungen ständig Äquivalenzumformungen machen. Dies bedeutet, dass eine Gleichung mit einer reellen Variablen x so verändert wird, dass x genau dann eine Lösung der Ausgangsgleichung ist, wenn x eine Lösung der veränderten Gleichung ist. Beispiel: 2x 8 D 4
,
2x D 12
,
xD6
Notieren Sie sich, welche erlaubten Umformungen Sie bei einer Gleichung vornehmen dürfen, ohne dabei die Lösungsmenge zu verändern (Äquivalenzumformungen).
Ist Ihnen in diesem Kapitel aufgefallen, dass wir noch fast gar nichts gerechnet haben? Das macht aber nichts. Wir haben den Grundstein für exaktes mathematisches Argumentieren gelegt. Wenn Sie alle logischen Konzepte gut verstanden haben, wird es Ihnen später auch gelingen, mathematische Aussagen zu verknüpfen und auf Korrektheit zu überprüfen. Wenn Sie Lust auf mehr Logik haben, dann finden Sie beispielsweise in [4, 6] ausführlichere weiterführende Mathematik zu diesem Thema. Und wenn Sie zusätzlich auch im Alltag ihre Mitmenschen mit bestechend logischen Aussagen und Schlussfolgerungen konfrontieren, umso besser! Zur weiteren Übung dürfen Sie jetzt gerne noch unten stehende Aufgaben bearbeiten. Wenn Sie danach von sich sagen können „Es ist mir nicht gelungen, nicht keine Fehler zu machen.“, dann herzlichen Glückwunsch! Unsere Lernvideos zum Thema Logik (Abb. 1.1, 1.2, 1.3) bringen einige wichtige Argumente aus diesem Abschnitt noch einmal auf den Punkt. Schauen Sie da jetzt gerne einmal rein!
Abb. 1.1 Lernvideo zur Negation von Aussagen (https://doi.org/10.1007/000-bdt)
1.1 Logik
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Abb. 1.2 Lernvideo zur Verknüpfung von Aussagen (https://doi.org/10.1007/000-bd0)
Abb. 1.3 Lernvideo zur Notation mit Quantoren (https://doi.org/10.1007/000-bd1)
Übungsaufgaben zur Logik
1.1 Bilden Sie jeweils die logische Verneinung der folgenden Aussagen: a) Die Ernte aller Getreidesorten war in diesem Jahr zufriedenstellend. b) Mindestens eine Obstsorte hat unter dem Regen gelitten. c) An jedem Tag fehlt mindestens ein Mitarbeiter bei der Arbeit. 1.2 Es gelte die folgende Implikation: Das Mindesthaltbarkeitsdatum der Ware ist abgelaufen. ) Die Ware darf nicht verkauft werden. Welche Schlussfolgerungen können jeweils getroffen werden, wenn folgende Aussagen wahr sind? a) Das Mindesthaltbarkeitsdatum der Ware ist abgelaufen. b) Das Mindesthaltbarkeitsdatum der Ware ist nicht abgelaufen. c) Die Ware darf nicht verkauft werden. d) Die Ware darf verkauft werden. 1.3 Zeigen Sie die folgende Äquivalenz, indem Sie die Implikation in beide Richtungen begründen! x C 2y D 6 2x C y D 6
,
x C 2y D 6 3y D 6
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
1.2 Mengenlehre Hier möchte ich Sie erneut nicht mit einem „Ach, Sie werden schon später sehen, dass es sich gelohnt hat, sich mit den Konzepten der Mengenlehre vertraut zu machen.“ abspeisen. Nein, ganz und gar nicht. Es lohnt sich, jetzt schon einmal vorauszuschauen. Das folgende Beispiel gibt einen ersten Einblick, wo uns Mengen begegnen werden. Beispiel 1.5
Funktionen haben Definitionsbereiche. Das sind die Mengen der Argumente, die man in die Funktionen einsetzen darf. Wenn man nämlich f .x/ ausrechnen möchte, dann muss man sich vorab fragen, für welche x das überhaupt sinnvoll 3xC7 ist. Wenn eine Funktion f mit f .x/ D .x2/.x3/ gegeben ist, dann sollten wir uns klar machen, dass Nullstellen des Nenners nicht eingesetzt werden dürfen. Warum nicht? Genau, weil man eben nicht durch 0 dividieren kann. Der Definitionsbereich von f wird nicht alle reellen Zahlen enthalten. Wir müssen x D 2 und x D 3 ausschließen, denn das sind gerade die Nullstellen des Nenners. Später werden wir schreiben f W R n f2; 3g ! R mit f .x/ D
3x C 7 .x 2/.x 3/
Damit wir diese und andere Notationen gut verstehen, lohnt sich dieses Kapitel sehr! J Vorkenntnisse Für dieses Kapitel benötigen Sie fast nur das Wissen aus Abschn. 1.1 zur Logik. Das grundlegende Verständnis für Koordinatensysteme sowie für lineare Gleichungssysteme mit zwei Gleichungen und zwei Variablen sind sehr hilfreich. Gut, packen wir es also an und genehmigen uns ein paar Definitionen und Schreibweisen. (Kleiner Tipp: Lassen Sie sich niemals von mathematischen Symbolen und Schreibweisen Angst einjagen. Es sind eben nur Vereinbarungen, wie man etwas notiert. Sie machen die Mathematik nicht schwieriger, als sie ist. Also: Nur Mut! Sie schaffen das! Sehen Sie es so: Es ist ein bisschen wie Vokabeln lernen.) Definition 1.5 (Menge) Eine Menge ist die Zusammenfassung bestimmter, wohlunterschiedener Objekte zu einem Ganzen. Die einzelnen Objekte heißen Elemente der Menge. Ein Element kann nur einmal in einer Menge vorkommen. Die Anordnung der Elemente ist beliebig. Zwei Mengen sind gleich, wenn sie die gleichen Elemente enthalten.
1.2 Mengenlehre
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Wir verwenden folgende Notationen:
Die Schreibweise a 2 M bedeutet, dass a Element der Menge M ist. Die Schreibweise a … M bedeutet, dass a kein Element der Menge M ist. Leere Menge: ; oder fg Die Menge M aller Elemente a mit gewissen Eigenschaften ist M D faW Das Element a hat gewisse Eigenschaften.g
Für eine endliche Menge M ist jM j die Anzahl der Elemente von M . Wir nennen dies auch die Mächtigkeit von jM j. Wenn alle Elemente einer Menge A auch Elemente einer Menge B sind, dann sagen wir „A ist eine Teilmenge von B.“ und schreiben A B. Hierbei muss es nicht unbedingt der Fall sein, dass die Menge B Elemente enthält, die in A nicht enthalten sind. Auch A D B ist erlaubt. Wenn wir notieren wollen, dass A eine echte Teilmenge von B ist, dann schreiben wir A ¨ B und meinen damit, dass A eine Teilmenge von B ist und dass es dabei in B Elemente gibt, die in A nicht enthalten sind. Lassen Sie uns die Eigenschaften von Mengen kurz an einem Beispiel veranschaulichen. Betrachten wir die Menge der Artikel, die wir im Supermarkt eingekauft haben. Sie eignet sich nur dafür zu sagen, was wir gekauft haben. Sie gibt aber nicht an, wieviel von jedem Produkt dabei war und auch nicht, was wir zuerst in den Einkaufskorb gelegt haben. Es gilt für M DMilch, B DBrokkoli und S DSchokolade aufgrund der Definition einer Menge, dass fM; B; Sg D fM; M; B; Sg D fS; B; M; Bg gilt. Eine Menge ist eine ungeordnete Ansammlung von Elementen ohne Vielfachheit. Um uns das Leben leichter zu machen, führen wir an dieser Stelle gleich noch die Zeichen der üblichen Zahlbereiche mit ein. In einem rigorosen Mathematikbuch würden wir diesem Thema mindestens ein ganzes Kapitel widmen und die Zahlbereiche umfangreich motivieren und analysieren. Sie können dazu beispielsweise in [4] mehr nachlesen. Wir begnügen uns an dieser Stelle mit intuitiven Vorstellungen. Definition 1.6 (N; Z; Q; R) Die Menge der natürlichen Zahlen ist N D f1; 2; 3; 4; : : : g (Oft wird auch die Meinung vertreten, dass die 0 ebenfalls zu den natürlichen Zahlen gehört.) Die Menge der ganzen Zahlen ist Z D f: : : ; 3; 2; 1; 0; 1; 2; 3; 4; : : : g
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Die Menge der rationalen Zahlen ist die Menge aller Brüche mit ganzzahligem Zähler und Nenner: o np W p; q 2 Z; q ¤ 0 QD q (Es stört uns nicht, dass z. B. 12 und 24 hier beide drin sind, denn jedes Element kommt in einer Menge nur einmal vor und wir identifizieren diese beiden Brüche einfach miteinander.) Man kann zeigen, dass die Menge der rationalen Zahlen Q alle Dezimalbrüche mit endlicher oder periodischer Dezimalbruchentwicklung enthält. Die Menge der reellen Zahlen wird mit R bezeichnet und enthält neben den rationalen Zahlen auch noch die irrationalen Zahlen, die unendliche nichtperiodische Dezimalbruchentwicklungen haben. Es ist kein Problem, wenn Sie obige Aussagen zu den Dezimalbruchentwicklungen nicht sofort nachvollziehen können. Dennoch können Sie überlegen, ob Sie jeweils ein Beispiel für eine rationale Zahl mit endlicher und ein anderes Beispiel für eine rationale Zahl mit periodischer Dezimalbruchdarstellung kennen. Kennen Sie auch ein Beispiel für eine irrationale Zahl? Es gilt: N Z Q R. Es ist ein spannendes Thema, diese verschiedenen unendlichen Mengen zu ergründen und die Frage zu beantworten, warum N; Z und Q gleich viele Elemente enthalten, R dagegen substantiell mehr Elemente hat (mehr dazu in [4]). Aber halt, ich schweife ab. Ich hatte ja versprochen, sie mit derlei Mathematiker-Themen in Ruhe zu lassen. Wir schauen uns stattdessen Beispiele zu Mengen an: Beispiel 1.6
Wir können die Elemente einer Menge einfach aufzählen, z. B. M D fa; b; 2;40g. Diese Menge hat die angegebenen vier Elemente. Es kommt nicht auf die Reihenfolge an. So ist M D fTom; Emmag D fEmma; Tomg eine Menge, die aus zwei Personen besteht. Es gilt jM j D 2. Die Menge fTom; Emmag ist eine Teilmenge von fTom; Emma; Lenag, d. h. fTom; Emmag fTom; Emma; Lenag. Notieren wir nun eine Menge von Objekten mit einer bestimmten Eigenschaft: B D fx 2 RW 4 x 3g Das ist die Menge aller reellen Zahlen zwischen 4 und 3. Diese Menge enthält unendlich viele Elemente. Es geht aber auch mit endlich vielen Elementen: A D fx 2 ZW 4 < x 3g D f3; 2; 1; 0; 1; 2; 3g In diesem Fall ist jAj D 7 und A B. J
1.2 Mengenlehre
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Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass für zwei Mengen A und B Folgendes gilt: ADB
,
.A B ^ B A/
Damit zwei Mengen gleich sind, müssen alle Elemente der einen Menge auch Elemente der anderen Menge sein und umgekehrt. Zeigen Sie mithilfe dieses Arguments, dass die Lösungsmengen der folgenden beiden linearen Gleichungssysteme gleich sind: xCy D9 xy D3
und
xCy D9 yD3
Und als ob alle diese Schreibweisen immer noch nicht genug wären, legen wir gleich noch weitere Schreibweisen nach. Und ja, ich verspreche Ihnen, dass es sich lohnen wird. Halten Sie durch! Wir brauchen im Folgenden ganz oft die Notation von Intervallen als Abschnitte des reellen Zahlenstrahls: Definition 1.7 (Intervalle) Intervalle sind zusammenhängende Teilmengen der reellen Zahlen. Seien a; b 2 R mit a b: offene Intervalle: .a; b/ WD fx 2 RW a < x < bg .a; 1/ WD fx 2 RW a < x < 1g .1; b/ WD fx 2 RW 1 < x < bg abgeschlossene Intervalle: Œa; b WD fx 2 RW a x bg Œa; 1/ WD fx 2 RW a x < 1g .1; b WD fx 2 RW 1 < x bg halboffene Intervalle: .a; b WD fx 2 RW a < x bg Œa; b/ WD fx 2 RW a x < bg Die Definition wird in Abb. 1.4 veranschaulicht. Übrigens: Mathematiker meinen „ist wie folgt definiert“, wenn sie WD schreiben. Sie zeigen damit an, dass sie nicht etwas ausgerechnet haben (wofür man ein einfaches D verwenden würde), sondern dass sie eben das Objekt auf der linken Seite so definieren, wie es auf der rechten Seite vom WD steht.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
b
Abb. 1.4 Offene und abgeschlossene Intervalle: a Das offene Intervall .a; b/ enthält die Randpunkte a und b nicht. b Das abgeschlossene Intervall Œa; b umfasst dagegen auch die Randpunkte a und b (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass die offenen Intervalle jeweils die Randpunkte a bzw. b nicht enthalten, die abgeschlossenen Intervalle dagegen schon. Machen Sie sich außerdem sprachlich den Unterschied bewusst: .a; b/ enthält eben die reellen Zahlen, die größer als a und kleiner als b sind. Œa; b dagegen enthält die reellen Zahlen, die mindestens so groß wie a sind und höchstens so groß wie b. Suchen Sie nun eigenständig jeweils Anwendungskontexte für beide Arten von Intervallen. Beispiel: Bei Online-Hotelbuchungen kann man oft als Filter angeben, wie teuer die Übernachtung sein darf. Klicke ich dann die Rubrik „50–100 Euro pro Nacht“ an, dann erhalten ich alle Angebote mit Übernachtungspreis im abgeschlossenen Intervall Œ50; 100 pro Nacht angezeigt. Finden Sie andere Anwendungen?
So, jetzt wird es Zeit, dass wir mit den Mengen auch arbeiten. Wollen wir z. B. zwei Funktionen f und g addieren und die neue Funktion h mit h.x/ D f .x/ C g.x/ betrachten, dann müssen wir uns fragen, was der Definitionsbereich von h ist. Offensichtlich kann man h.x/ nur ausrechnen, wenn f .x/ und g.x/ definiert ist. Wenn Df und Dg die beiden Definitionsbereiche sind, dann müssen wir uns fragen, welche x 2 R in beiden Mengen enthalten sind. Das führt uns auf folgende wichtige Mengenoperationen: Definition 1.8 (Durchschnitt, Vereinigung, Differenz) Gegeben seien zwei Mengen A und B. Der Durchschnitt A \ B ist die Menge aller Elemente, die in A und in B liegen. Die Vereinigung A [ B ist die Menge aller Elemente, die in A oder in B liegen. Die Differenz A n B ist die Menge aller Elemente von A, die nicht in B liegen. Diese Definition wird in Abb. 1.5 veranschaulicht.
1.2 Mengenlehre
17
Abb. 1.5 Veranschaulichung der Mengenoperationen: a Durchschnitt, b Vereinigung und c Mengendifferenz
a
b A
c A
B A B
A B
A B
B A B
Lassen Sie uns noch einmal zu unserem Hotelbuchungs-Beispiel zurückkehren. Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihre Buchungswünsche eingegeben und haben eine Menge M von Übernachtungsmöglichkeiten angegeben bekommen. Sei A D fx 2 M W Bei x ist Frühstück inbegriffen.g B D fx 2 M W Bei x gibt es ein Schwimmbad.g C D fx 2 M W Bei x sind Familien gerngesehen.g Dann ist A \ B \ C die Menge der Unterkünfte mit Frühstück, Schimmbad und Familienfreundlichkeit. .A \ B/ n C die Menge der Unterkünfte mit Frühstück und Schwimmbad, aber evtl. besonderer Ruhe (da sie sich nicht speziell an Familien richten). A [ B die Menge der Unterkünfte, in denen es ein Schwimmbad gibt oder das Frühstück inbegriffen ist. Wir stellen uns nun der Aufgabe, auch abstrakt mit den Mengenoperationen argumentieren zu können. Wir trauen uns dafür einen kleinen Beweis zu, lassen aber die Anschauung am Beispiel dabei nicht aus dem Blick. Satz 1.1 Für beliebige endliche Mengen A, B, C und D gilt .A \ C / [ .B \ D/ .A [ B/ \ .C [ D/ Dabei liegt in der Regel eine echte Teilmengenbeziehung vor. Die beiden Mengen sind in der Regel nicht gleich. Wir haben versprochen, dass wir problem- und beispielbasiert hier ans Werk gehen. Also fangen wir mit einer Interpretation am Beispiel an, bevor wir den Beweis führen: Wir betrachten eine Menge von Hasen. Dabei soll jeder Hase weiß oder schwarz sein und entweder männlich oder weiblich sein. Sei A die Menge der weißen Hasen, B die Menge der schwarzen Hasen, C die Menge der männlichen Hasen und D die Menge der weiblichen Hasen.
18
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
A \ C ist dann die Menge der weißen männlichen Hasen. B \ D ist dann die Menge der schwarzen weiblichen Hasen. Die Menge .A \ C / [ .B \ D/ enthält also nur die weißen männlichen und die schwarzen weiblichen Hasen. A [ B ist die Menge der schwarzen oder weißen Hasen. Das sind alle Hasen. C [ D ist die Menge der männlichen oder weiblichen Hasen. Das sind wieder alle Hasen. .A [ B/ \ .C [ D/ sind also wieder alle Hasen. Offensichtlich enthält die linke Menge nur aus Auswahl der Hasen (aber nicht alle), während in der rechten Menge alle Hasen enthalten sind. Damit haben wir uns am Beispiel überlegt, dass .A \ C / [ .B \ D/ eine Teilmenge von .A [ B/ \ .C [ D/ ist. Zudem haben wir uns vor Augen geführt, dass es sich hier um eine echte Teilmengenbeziehung handelt und keine Gleichheit der beiden Mengen vorliegt. Sind Sie nun fit für den Beweis? Dann legen wir mal los! Hier kommt der Beweis von Satz 1.1: Beweis Wir zeigen, dass jedes Element von .A \ C / [ .B \ D/ auch in der Menge .A [ B/ \ .C [ D/ enthalten ist. Sei dazu x 2 .A \ C / [ .B \ D/ beliebig. Dann gilt x 2 .A \ C / [ .B \ D/ , .x 2 A \ C / _ .x 2 B \ D/ ) .x 2 A [ B/ ^ .x 2 C [ D/ , x 2 .A [ B/ \ .C [ D/ Wo die Implikation ) steht, liegt in der Regel keine Äquivalenz vor, denn die speziellen Kombinationen „A mit C “ beziehungsweise „B mit D“ gehen hier verloren. Die linke Menge enthält nur bestimmte Kombinationen, während die rechte Menge alle Kombinationen „A mit C “, „A mit D“, „B mit C “ sowie „B mit D“ enthält. Geschafft, wir haben die Teilmengenbeziehung gezeigt. I
Schon gewusst? Mathematiker nutzen das Zeichen , um anzudeuten, dass der Beweis hier zu Ende ist. Manche schreiben stattdessen auch „q.e.d.“ für „quod erat demonstrandum“ (lateinisch für „was zu beweisen war“).
Mehr zum Thema Mengenlehre können Sie in [6, 10, 13] oder [15] nachlesen. Unsere Lernvideos zum Thema Mengenlehre (Abb. 1.6, 1.7) bieten Ihnen weitere Übungsbeispiele. Gutes Gelingen damit!
1.2 Mengenlehre
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Abb. 1.6 Lernvideo zu Intervallen (https://doi.org/10.1007/000-bd2)
Abb. 1.7 Lernvideo zu Mengenoperationen (https://doi.org/10.1007/000-bd3)
Übungsaufgaben zu Mengenoperationen
1.4 Bilden Sie für folgende Mengen jeweils die Mengen A [ B, A \ B, A n B und B n A und stellen Sie diese (wenn möglich) grafisch dar: a) A D .1; 4, B D .1; 1/ b) A D Œ1; 2/, B D Œ0; 2 c) A D f.x; y/W x 2 R; y 2 R; x 2 C y 2 25g (Hilfestellung: Das sind alle Punkte, die im Koordinatensystem innerhalb des Kreises mit Mittelpunkt .0; 0/ und Radius 5 liegen.) B D f.x; y/W x 2 R; y 2 R; x 2 C y 2 9g (Hilfestellung: Das sind alle Punkte, die im Koordinatensystem außerhalb von oder auf dem Kreis mit Mittelpunkt .0; 0/ und Radius 3 liegen.) d) A D Menge der gesunden Lebensmittel B D Menge der leckeren Lebensmittel (Beantworten Sie nach Ihrem eigenen Geschmack und geben Sie jeweils Beispiele für Lebensmittel an, die in den Mengen enthalten sind.)
Bisher haben wir uns beim Thema Mengen vor allem um die Themen gekümmert, die wir später für die Analysis benötigen. Wir können jetzt z. B. Schnittmengen von Definitionsbereichen verschiedener Funktionen bestimmen oder Elemente durch Mengendifferenzen aus Definitionsbereichen ausschließen. Das genügt uns noch nicht ganz. Zum Abschluss widmen wir uns noch dem Thema „geordnete Kombinationen von Elementen aus Mengen“, um fit für mehrdimensionale Betrachtungen
20
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
in der Analysis und für das Verständnis von Vektoren in der linearen Algebra zu werden. Das Thema hierzu heißt „Kartesisches Produkt von Mengen“. Wir starten, wie immer, mit einem Beispiel. Beispiel 1.7
Stellen Sie sich vor, in einem Restaurant bestünde jedes Menu aus einer Vorspeise, einer Hauptspeise und einer Nachspeise. Sei beispielsweise A D fSuppe; Salat; Ziegenkäse im Speckmantelg die Menge der Vorspeisen, B D fCurry mit Reis; Dorade mit Kartoffeln; Spaghetti mit Pesto, Schweinefilet mit Rosmarinkartoffelng die Menge der Hauptspeisen und C D fEis; Erdbeeren mit Schlagsahneg die Menge der Nachspeisen. Wir notieren dann jedes Menu als sogenanntes „geordnetes Tupel“. Ein Menu hat dann die Form .a; b; c/, wobei a 2 A eine Vorspeise, b 2 B ein Hauptgericht und c 2 C eine Nachspeise ist. Machen wir uns bewusst, dass also .Salat; Dorade mit Kartoffeln; Eis/ ein äußerst attraktives Menu sein kann, während .Dorade mit Kartoffeln; Eis; Erdbeeren mit Schlagsahne/ aus zwei Gründen keines ist. Zum einen muss jedes Menu mit einer Vorspeise beginnen und zum anderen sind zwei Nachspeisen auch nicht erlaubt (auch wenn sicher beide lecker sind). Fazit: Es kommt hier darauf an, dass die Reihenfolge, die Art und die Anzahl der ausgewählten Elemente stimmt. Lassen Sie uns gemeinsam noch eine wichtige Beobachtung machen. In unserem Beispiel gibt es 3 Vorspeisen, 4 Hauptspeisen und 2 Nachspeisen. Da man alles miteinander kombinieren kann, hat man also 3 4 2 D 24 verschiedene Menus zur Auswahl. Und was mir noch wichtig ist: Natürlich kann man obiges Beispiel genauso gut mit sehr leckeren ausschließlich vegetarischen oder veganen Speisen veranschaulichen. J
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass zweidimensionale Vektoren vom Typ .x; y/, die Sie in ein 2D-Koordinatensystem eintragen können, demselben Muster folgen. Zeichnen Sie die Punkte .1; 3/, und .3; 1/ in ein 2DKoordinatensystem ein. Auch hier kommt es darauf ein, welche Zahl die xKoordinate und welche die y-Koordinate ist. In einem 3D-Koordinatensystem können Sie sich das natürlich analog veranschaulichen.
1.2 Mengenlehre
21
Ich hoffe, das Beispiel macht die folgende Definition nun leichter verdaulich für Sie. Zugegebenermaßen war es genau die Definition vom Kartesischen Produkt von Mengen, die mich vor einigen Jahren zu der Überzeugung hat kommen lassen, dass der beispielhafte Einstieg oft das Verständnis der abstrakten Definition für meine Studierenden leichter macht. Dann wollen wir mal: Definition 1.9 (Kartesisches Produkt) Seien A und B zwei Mengen. Dann heißt A B D f.a; b/W a 2 A; b 2 Bg das kartesische Produkt von A und B. Seien A1 ; A2 ; : : : ; An Mengen. Dann heißt A1 A2 An D f.a1 ; a2 ; : : : ; an /W ai 2 Ai 8i D 1; : : : ; ng das kartesische Produkt von A1 ; : : : ; An . Wir sagen, dass A B eine Menge von Paaren von Elementen aus A und B ist. Die Elemente von A1 A2 An werden als n-Tupel bezeichnet. Bemerkung 1.1 Sind A und B bzw. A1 ; A2 ; : : : ; An endliche Mengen, so können wir wie in unserem Restaurantbeispiel leicht die Anzahl der Elemente des kartesischen Produktes berechnen. Da wir jedes Element jeder Menge mit jedem Element der anderen Mengen kombinieren können, gilt: jA Bj D jAj jBj
und
jA1 A2 : : : An j D jA1 j jA2 j : : : jAn j
Hat also die Menge A beispielsweise fünf Elemente und die Menge B sieben, so hat A B genau 5 7 D 35 Elemente. Dabei wird jedes Paar .a; b/ mit a 2 A und b 2 B genau einmal gezählt. Dieses Konzept üben wir nun gemeinsam an mathematischen und an weiteren Alltagsbeispielen: Beispiel 1.8
In Abb. 1.8 sind die Produktmengen Œ1; 1 Œ3; 4 (Abb. 1.8a) und Œ0; 1 Œ0; 2 Œ0; 3 (Abb. 1.8b) dargestellt. fn 2 N j 1 n 31g fn 2 N j 1 n 12g Z ist eine geeignete Menge, um Daten zu beschreiben. Beispielsweise kann der 05.12.2001 dargestellt werden durch das Element .5; 12; 2001/ aus dem kartesischen Produkt. R2 WD R R D f.x; y/W x 2 R; y 2 Rg enthält alle Punkte des zweidimensionalen Koordinatensystems. Es gilt z. B. .3; 4/ 2 R2 . R3 WD R R R D f.x; y; z/W x 2 R; y 2 R; z 2 Rg enthält alle Punkte des dreidimensionalen Koordinatensystems. Es gilt z. B. .3; 4; 1/ 2 R3 .
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1
a
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
b
Abb. 1.8 Kartesisches Produkt von Intervallen (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Achtung! R4 ¤ R2 R2 , denn R2 R2 D .R R/ .R R/ ist eine Menge von Paaren von Paaren reeller Zahlen, während R4 eine Menge von 4-Tupeln ist. Will man z. B. Strecken angeben, dann sind diese durch Anfangs- und Endpunkt festgelegt. So könnte man beispielsweise ..1; 2/; .5; 8// 2 R2 R2 als Strecke von .1; 2/ nach .5; 8/ interpretieren, so dass wir auch für das kartesische Produkt R2 R2 eine sinnvolle Anwendung gefunden haben. J Übrigens: Wenn man die Tupel als Spalten statt als Zeilen schreibt, dann haben wir hier die (Spalten-)Vektoren eingeführt. Dann treffen wir auf Vektoren der Form 0 1 1 @3A 2 R3 0 mit denen wir in der linearen Algebra Bekanntschaft machen werden. Wir haben das Konzept des kartesischen Produktes von Mengen nun abstrakt und anhand diverser Beispiele kennengelernt. Trauen Sie sich nun noch einen weiteren Beweis zu? Ich gebe Ihnen wieder ein paralleles Beispiel an die Hand. Diesmal bitte ich Sie, zunächst selbst zu überlegen, bevor ich einen Satz formuliere: Aufgabe
Überlegen Sie, ob für beliebige Mengen A, B, C , D die folgenden Beziehungen gelten: .A \ B/ .C \ D/ D .A C / \ .B D/ .A [ B/ .C [ D/ D .A C / [ .B D/ Wenn Ihnen das zu abstrakt ist, dann versuchen Sie es wieder am Beispiel: In einer Eisdiele sei A die Menge der Fruchteissorten und B die Menge der
1.2 Mengenlehre
23
Eissorten, die Schokolade enthalten. (Amarena Kirsche wäre dann in A und in B.) Sei C die Menge der Heißgetränke und D die Menge der Getränke, die Koffein enthalten. Jemand möchte ein Eis und ein Getränk auswählen. Was erhalten Sie in Bezug auf obige Mengen?
Stop! Hier bitte erst weiterlesen, wenn Sie die Aufgabe selbst durchdacht haben. Da obige Frage nicht ganz einfach ist, werde ich sie hier beantworten. Ich bin aber zuversichtlich, dass Sie auch alleine die Lösung im Anwendungskontext und auch allgemein gefunden haben. Daher führen wir jetzt erst einmal den Beweis für folgenden Satz: Satz 1.2 Für beliebige Mengen A, B, C und D gilt .A \ B/ .C \ D/ D .A C / \ .B D/ Beweis Sei .x; y/ 2 .A \ B/ .C \ D/ beliebig. Dann gilt .x; y/ 2 .A \ B/ .C \ D/ , x 2 A \ B ^ y 2 C \ D , .x 2 A ^ x 2 B/ ^ .y 2 C ^ y 2 D/ , .x 2 A ^ y 2 C / ^ .x 2 B ^ y 2 D/ , .x; y/ 2 A C ^ .x; y/ 2 B D , .x; y/ 2 .A C / \ .B D/ Fertig! Da wir nur äquivalente Aussagen betrachtet haben, ist also .x; y/ in der linken Menge genau dann, wenn es in der rechten Menge ist. Also sind die beiden Mengen gleich. Die Sache mit dem Eis war etwas einfacher. Haben Sie an dem Eis-Beispiel die Gültigkeit der ersten Aussage aus der Aufgabe erfolgreich nachvollzogen? Wir machen uns zuletzt noch an dem Beispiel klar, dass die zweite Aussage nicht gilt. Warum? Hier kommt die Erklärung: .A [ B/ .C [ D/ enthält in unserem Anwendungskontext die Paare von Eis und Getränk, bei denen ein Fruchteis oder ein Eis mit Schokolade gewählt wurde sowie ein heißes oder ein koffeinhaltiges Getränk. .A C / [ .B D/ enthält dagegen nur die Kombinationen, bei denen entweder ein Fruchteis mit einem Heißgetränk kombiniert wurde oder ein Eis mit Schokolade mit einem koffeinhaltigen Getränk. Daraus folgt, dass .A C / [ .B D/ eine Teilmenge von .A [ B/ .C [ D/ ist. Die beiden Mengen sind also in der Regel nicht gleich.
24
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Haben Sie gesehen? Wir haben die zweite Aussage widerlegt, indem wir einfach ein Gegenbeispiel angegeben haben. Das ist die gängige Methode, wenn wir in der Mathematik zeigen wollen, dass etwas nicht gilt.
Aufgabe
Finden Sie andere Mengen A, B, C und D, für die .A [ B/ .C [ D/ D .A C / [ .B D/ doch stimmt?
Auch zum kartesischen Produkt von Mengen gibt es ein Lernvideo (Abb. 1.9). Schauen Sie es sich jetzt gerne an!
Übungsaufgaben zum kartesischen Produkt von Mengen
1.5 Zeichnen Sie die folgenden Mengen in ein zweidimensionalen Koordinatensystems ein: a) Œ2; 2 Œ3; 3 b) .Z \ Œ2; 2/ .Z \ Œ3; 3/ c) f1; 2; 3g f4; 5; 6g 1.6 Gegeben seien die Mengen A D fMia; Hansg, B D fTimg und C D fLara; Lenag. Geben Sie folgende Mengen an, indem Sie alle Elemente aufzählen: a) B .A [ C / b) .A B/ [ .A C / c) A B C 1.7 Beim Kauf eines Fahrradmodells kann man zwischen 4 Farben des Rahmens, 3 verschiedenen Gangschaltungen, 3 Laufradgrößen, 2 Reifenbreiten und 3 Rahmentypen entscheiden. Wie viele verschiedene Fahrräder lassen sich bestellen?
Abb. 1.9 Lernvideo zum kartesischen Produkt von Mengen (https://doi.org/10.1007/000-bd4)
1.3 Summenzeichen
25
1.3 Summenzeichen In der Praxis haben wir es oft mit großen Datenmengen zu tun. Denken wir z. B. an eine Datenbank eines landwirtschaftlichen Betriebes, in welcher Angaben zu Milchproduktion und -verkauf festgehalten werden: Tag i des Jahres Milchproduktion am Tag i in Litern Milchverkaufspreis am Tag i pro Liter in Euro Umsatz am Tag i in Euro
1 2800 0,48 1344
2 1600 0,51 816
3 2400 0,47 1128
... ... ... ...
365 2100 0,45 945
Bezeichnen wir die Milchproduktion am i-ten Tag des Jahres mit mi und den Milchverkaufspreis am selben Tag mit pi , so hat der Tagesumsatz am Tag i den Wert mi pi und der Gesamtumsatz des Jahres beläuft sich auf m1 p1 C m2 p2 C C m365 p365 . Für diese Summe wollen wir eine präzise abkürzende Schreibweise einführen und schreiben dafür 365 X
mi pi D m1 p1 C m2 p2 C C m365 p365
i D1
Der griechische Buchstabe ˙ (Sigma) steht dabei für die Summe. Wir summieren dabei über alle natürlichen Zahlen i von 1 bis 365 und addieren jeweils den Wert mi pi . Mathematiker mögen diese Schreibweise auch deshalb, weil die Frage, wofür denn die Pünktchen stehen, damit eindeutig beantwortet ist. Zugegebenermaßen würden wir wahrscheinlich alle die Pünktchen korrekt interpretieren, so dass Sie dieses Argument vielleicht nicht gelten lassen. Aber gegen die Effizienz und Kürze der Schreibweise haben auch Sie nichts einzuwenden, oder? Vorkenntnisse Keine besonderen Vorkenntnisse sind in diesem Kapitel nötig. Sie können direkt loslegen. Unser Beispiel motiviert die folgende Definition: Definition 1.10 (Summenzeichen) Seien Zahlen ai für i 2 Z (oder eine geeignete Teilmenge von Z) gegeben, die von einem Index i abhängen. Dann definieren wir für m; n 2 Z mit m n n X
ai WD am C amC1 C C an1 C an
i Dm
Dabei heißt i Laufindex der Summe, m heißt Startindex, n heißt Endindex und ai ist der Summationsterm (der vom Laufindex i abhängt). n P Für m > n definieren wir die leere Summe ai WD 0. i Dm
26
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Das Summenzeichen lernt man am besten kennen, wenn man einfach Beispiele betrachtet. Lassen Sie uns ein paar typische unter die Lupe nehmen. Dabei gilt: Präzise schauen, was dasteht und obige Definition ganz stupide anwenden. Los geht es! Beispiel 1.9
3 X
i D1
i D2
i D3
‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ .2i/ D 2 1 C 2 2 C 2 3 D 12
i D1
Wir summieren, indem wir die Indizes i von 1 bis 3 durchlaufen und dabei jeweils den Summationsterm ai D 2i addieren.
3 X
i D2
i D1
i D0
i D1
i D2
‚ …„ ƒ ‚ …„ ƒ ‚ …„ ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ .i 2 C 1/ D .2/2 C 1 C .1/2 C 1 C .0/2 C 1 C 12 C 1 C 22 C 1
i D2
i D3
‚…„ƒ C 32 C 1 D 25 Beachten Sie, dass der Summationsterm den Wert ai D i 2 C 1 hat und daher in jedem Summanden eine 1 addiert werden muss.
i D2
i D1
i D0
i D1
i D2
i D3
‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ i 2 C 1 D .2/2 C .1/2 C .0/2 C 12 C 22 C 32 C1 D 20
3 X i D2
Beachten Sie, dass der Summationsterm den Wert ai D i 2 hat und daher die Addition der 1 nichts mehr mit der Summe zu tun hat. Wir müssen also nur ganz am Ende einmal eine 1 addieren.
10 X i D1
10 Summanden
‚ …„ ƒ 3 D 3 C 3 C C 3 D 30 bzw.
n X
n Summanden
‚ …„ ƒ k D k Ck CC k D nk
i D1
Was ist hier passiert? Der Summationsterm, einmal ai D 3 und einmal ai D k, hängt gar nicht vom Index ab. Das ist ungewöhnlich, aber nicht verboten. Die Summe besteht dann einfach aus vielen identischen Summanden. Die Anzahl der Summanden ist die Anzahl der Werte, die der Index i durchläuft. In unserem Fall sind das einmal 10 und einmal n identische Summanden. i D1 i D2 i D3 i D4 i D5 i D6 6 X ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ a2i D a21 C a22 C a23 C a24 C a25 C a26 i D1
D a2 C a4 C a6 C a8 C a10 C a12 Man kann also auch im Index variieren und so nur Summanden mit ausgewählten Indizes addieren. In unserem Fall addieren wir nur Zahlen ak , bei denen der Index gerade ist, also k die Form 2i hat. J Wie finden Sie das Konzept des Summenzeichens? Sind Sie begeistert oder skeptisch? Lassen Sie mich nun Sie davon überzeugen, dass es sich hierbei nicht nur um eine mathematische Spielerei handelt, sondern dass das Summenzeichen auch in der Anwendung hilfreich ist.
1.3 Summenzeichen
27
Aufgabe
Denken Sie sich selbst einige Beispiele der folgenden Form aus: Ein Unternehmen vertreibt in einem Jahr 25 verschiedene Produkte P1 ; P2 ; : : : ; P25 . Sei ak die Verkaufsmenge des Produktes Pk im betrachteten Jahr und sei pk der Verkaufspreis von einer Einheit Pk . Welchen Anteil macht dann der Umsatz vom Produkt Pk am Gesamtumsatz des Unternehmens aus? Antwort: Der Anteil beträgt
ak pk . 25 P ai pi
i D1
Seien Sie kreativ beim Finden eigener Beispiele!
Wenn wir das Konzept des Summenzeichen verstanden haben, ist es auch kein Problem Summen von Summen auszurechnen, sogenannte „Doppelsummen“: m X n X
aij D .a11 C a12 C C a1n / C .a21 C a22 C C a2n /
i D1 j D1
C C .am1 C am2 C C amn / Dabei hängen die Zahlen aij eben von zwei Indizes i und j ab. Sonst ändert sich nichts. Wir interpretieren die innere Summe als Summationsterm der äußeren Summe und hangeln uns wieder an der Definition entlang. Wichtig sind hierbei noch zwei Hinweise zu den Notationen: Die Doppelsummen sind immer so zu lesen, dass man sich eine Klammer um m P n P aij . Weil wir das so vereinbaren, die innere Summe vorstellen kann: i D1
j D1
lassen wir die Klammer einfach weg. Wenn wir mehrere Indizes haben, dann setzen wir ein Komma zwischen die beiden, wenn die Summe sonst unverständlich ist, etwa bei a1;7 oder a11;12 . Wenn auch ohne Komma alles klar ist, dann lassen wir es weg wie etwa bei a12 D a1;2 .
28
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Wir schauen uns nun Doppelsummen am Beispiel an: Beispiel 1.10
‚
3 X 2 X
i D1
…„
j D1
j D2
ƒ
‚
i D2
j D1
…„
j D2
ƒ
‚ …„ ƒ ‚ …„ ƒ ‚ …„ ƒ ‚ …„ ƒ .i C j / D .1 C 1/ C .1 C 2/ C .2 C 1/ C .2 C 2/
i D1 j D1
‚
i D3
j D1
…„
j D2
ƒ
‚ …„ ƒ ‚ …„ ƒ C .3 C 1/ C .3 C 2/ D 21 i D1
‚
2 X 2 X
j D1
…„
ƒ
‚
j D2
i D2
j D1
…„
ƒ
j D2
‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ i 2 j 3 D 12 13 C 12 23 C 22 13 C 22 23 D 1 C 8 C 4 C 32 D 45
i D1 j D1
Wir werten jeweils die innere Summe für einen festen Wert des äußeren Index aus und addieren diese Summanden für alle Werte des äußeren Index. J Bemerkung 1.2 Bei der Addition in den reellen Zahlen gilt das Kommutativgesetz. Daher kommt es beim Addieren nicht auf die Reihenfolge der Summanden an. Es spielt daher keine Rolle, welche Summe die äußere ist und welche die innere. Genausogut hätten wir im Beispiel die Summe wie folgt ausrechnen können: ‚ 2 X 2 X
j D1 i D1
…„
i D2
ƒ
‚
j D2 i D1
…„
i D2
ƒ
‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ i 2 j 3 D 12 13 C 22 13 C 12 23 C 22 23 D 1 C 4 C 8 C 32 D 45
j D1 i D1
D
2 X 2 X
i 2j 3
i D1 j D1
Wir nehmen also mit, dass wir die Summenzeichen auch vertauschen dürfen, denn das ändert nur die Reihenfolge der Summanden, nicht aber den Wert der Summe. I
Achtung Das geht nur, wenn die Laufindizes der inneren und der äußere Summe nicht voneinander abhängen. In folgendem Beispiel ist das nicht der Fall und wir können daher die Reihenfolge der Summenzeichen nicht vertauschen. Die Laufindizes der inneren Summe hängen
1.3 Summenzeichen
29
vom Laufindex der äußeren Summe ab: i D1
‚…„ƒ 2 X
i X
i D0
‚
j D1
j D1
…„
ƒ
j D0
i D1
‚
…„
j D1
j D0
ƒ
j D1
‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ aij D a1;1 C a0;1 C a0;0 C a1;1 C a1;0 C a1;1
i D1 j D1 i D2
‚
j D1
j D0
…„
ƒ
j D1
j D2
‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ C a2;1 C a2;0 C a2;1 C a2;2 Umgekehrt würden die beiden Summenzeichen keinen Sinn machen, denn man wüsste ja gar nicht, wie groß das i ist, wenn man die äußere Summe auswertet. Jetzt können Sie völlig zurecht stöhnen und sich darüber beschweren, warum sich Mathematiker so an diesen abstrakten Summen mit den vielen technischen Indizes erfreuen. Sie haben völlig recht. Es wird Zeit für mehr Anwendungen. Wenn Ihnen das alles bisher gar nichts ausgemacht hat, umso besser! Dann legen wir mal los: Beispiel 1.11
Wir betrachten die Informationen zu den Kundendaten eines Versicherungsunternehmens. Dabei werden die Daten von m Kunden und n verschiedenen Versicherungsprodukten über mehrere Jahre analysiert. Sei dabei aij k der Versicherungsbeitrag, den der Kunde i (i D 1; : : : ; m) für seinen Vertrag zum Versicherungsprodukt j (j D 1; : : : ; n) im Jahr k (k D 2000; : : : ; 2023) bezahlt. Sei bij k der Wert der Versicherungsleistungen bei Schäden des Kunden i im Vertrag j im Jahr k. (Zur Vereinfachung dieses Beispiel vernachlässigen wir hier Zinseffekte und nehmen an, dass das Geld über die Jahre immer gleich viel wert ist.) Wir können nun diverse Sachverhalte unter Verwendung des Summenzeichens effizient ausdrücken: Für den fünften Kunden hat sich über alle Jahre hinweg der Abschluss des vierten Versicherungsproduktes gelohnt, denn die erstattete Schadensumme war größer als seine Aufwendungen für die Versicherung: 2023 X kD2000
2023 X
a5;4;k
3
m X n X i D1 j D1
bi;j;2019
30
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Die durchschnittliche jährliche Schadensleistung im dritten Versicherungsprodukt pro Versicherungsnehmer betrug 125 Euro: Pm P2023 i D1
kD2000
24 m
bi;3;k
D 125
Der achte Kunde hätte seine Versicherung im sechsten Versicherungsprodukt nicht gebraucht, denn es trat nie ein Schaden auf: 2023 X
b8;6;k D 0
kD2000
Machen Sie sich außerdem bewusst, dass übliche Tabellenkalkulationsprogramme oder andere Softwarelösungen der Unternehmen die Nutzung mathematischer Formeln anbieten, mit denen genau solche Summen aus großen Datenmengen berechnet werden können. Es lohnt sich also auch für Berechnungen am Computer, das Summenzeichen gut verstanden zu haben. J Mehr Ausführungen und Übungsbeispiele zum Summenzeichen finden Sie auch in [2, 13]. In unseren Lernvideos zum Thema Summenzeichen (Abb. 1.10, 1.11) werden alle Bestandteile bei der Verwendung dieser Schreibweise noch einmal ausführlich erläutert!
Abb. 1.10 Lernvideo zum Summenzeichen (https://doi.org/10.1007/000-bd5)
Abb. 1.11 Lernvideo zu Doppelsummen (https://doi.org/10.1007/000-bd6)
1.4 Abbildungen
31
Übungsaufgaben zum Summenzeichen
1.8 Berechnen Sie folgende Summen: 3 P a) 2i b) c) d)
i D3 5 P 4 P
i j
i D1 j D1 3 P i D1 3 P
a2i C1 für ak D k 2 i P
.i C j /
i D1 j Di
1.9 Wir betrachten die Buchungen auf dem Ferienbauernhof „Grüne Oase“ in den Jahren 2015 bis 2022. Dabei sei aij der Rechnungsbetrag der iten Buchung im Jahr j D 2015; : : : ; 2022. Die Anzahl der Buchungen (= Anzahl der Rechnungen) im Jahr j sei bj . Drücken Sie folgende Sachverhalte mit Hilfe des Summenzeichens aus: a) Der Gesamtumsatz in den 8 Jahren betrug 1.500.500 Euro. b) Der Umsatz in 2019 war größer als der Umsatz in 2018. c) Der Umsatz in den Jahren 2017–2019 betrug die Hälfte des Gesamtumsatzes in den 8 Jahren.
1.4 Abbildungen Zuordnungen sind ein wichtiges Mittel, um Abhängigkeiten zwischen Objekten verschiedener Mengen zu beschreiben. Wir werden uns damit beschäftigen, Abbildungen zwischen zwei Mengen D (Definitionsmenge) und W (Wertemenge) zu beschreiben, bei denen jedem Element von D eindeutig ein Element von W zugeordnet wird. Starten wir mit ein paar Beispielen, wo solche Zuordnungen vorkommen: Jedem Produkt im Supermarkt kann sein tagesaktueller eindeutiger Preis zugeordnet werden. Dabei ist D die Menge aller Produkte, die man kaufen kann. W kann die Menge aller Preise sein. Jeder Mitarbeiterin bzw. jedem Mitarbeiter im Unternehmen kann eindeutig ihr bzw. sein Monatsgehalt zugeordnet werden. D ist die Menge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen und W die Menge der auftretenden Gehälter. Jedem Satellit kann eindeutig seine Position in Abhängigkeit von der Zeit zugeordnet werden. D ist hier die Menge der zum Messzeitpunkt betrachteten Satelliten und W die Menge der möglichen Positionen.
32
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Jede/r Studierende hat eine eindeutige Note in der Mathematikklausur. D ist die Menge der Studierenden und W die Menge der Klausurnoten. Alle Beispiele haben zweierlei gemeinsam: Jedes Element aus D bekommt etwas zugeordnet. Und das zugeordnete Element ist eindeutig bestimmt.
Aufgabe
Überlegen Sie sich mehrere eigene Beispiele, bei denen Objekten einer Menge D auf eindeutige Weise Objekte einer anderen Menge W zugeordnet werden. Beantworten Sie dabei für jedes Ihrer Beispiele folgende Fragen: Gibt es zwei Objekte aus D, denen das gleiche Objekt aus W zugeordnet wird? Gibt es für alle Elemente w von W ein Objekt aus D, welchem w zugeordnet ist. Oder anders: Kommen alle Elemente aus W bei der Zuordnung vor?
Vorkenntnisse Um diesen Abschnitt gut verstehen zu können, benötigen Sie X die Notation aus dem Abschn. 1.1 zur Logik sowie X die grundlegenden Konzepte aus dem Abschn. 1.2 über Mengen. Wir könnten jetzt direkt beginnen, Abbildungen formal zu definieren und Eigenschaften von Abbildungen zu untersuchen. Das machen wir natürlich auch noch. Wohlwissend, dass das ein eher selten genutzter Zugang zum Thema ist, möchte ich mit Ihnen aber vorher einen kleinen Umweg machen. Ich möchte mit Ihnen ein Konzept betrachten, bei dem Abbildungen nur ein Spezialfall sein werden. Lassen Sie uns dafür zunächst Teilmengen kartesischer Produkte zweier Mengen betrachten. Der Umweg wird sich lohnen, so dass das Thema Abbildungen danach mit wenig Aufwand behandelt werden kann. Lassen Sie sich darauf ein! (Und wenn Ihre Dozentin oder Ihr Dozent es nicht so macht, dann ignorieren Sie diesen kurzen Abschnitt einfach.) Wir betrachten zunächst beispielhaft die folgenden beiden Mengen R und H . R sei eine Menge betrachteter Restaurants, die gelegentlich bei einer Menge H von landwirtschaftlichen Höfen Lebensmittel wie Fleisch, Obst und Gemüse einkaufen. Im betrachteten Zeitraum gab es dabei die in Abb. 1.12 dargestellten Geschäftsbeziehungen. Einige Restaurants arbeiten gleich mit mehreren Höfen zusammen, andere haben nur einen Geschätspartner. Ein Hof beliefert mehrere Restaurants, andere nur eines.
1.4 Abbildungen
33 R H Restaurant Landluft
Hof Nord
Hotel Erholung
Hof S¨ud Hof West
Gasthof Beste Aussicht Bistro im Gr¨unen
Hof Ost Hof am Waldrand Hof Veggie
Abb. 1.12 Einkaufsverhalten von Restaurants bei landwirtschaftlichen Höfen
Ein Hof beliefert im betrachteten Zeitraum gar keines der Wirtshäuser. Ein Restaurant kauft aktuell bei keinem der Höfe ein. Die gesamten Geschäftsbeziehungen werden durch folgende Teilmenge M des kartesischen Produktes R H beschrieben: M D f.r; h/W Restaurant r wird von Hof h beliefert g R H In unserem Beispiel sieht die Menge M wie folgt aus: M D f.Restaurant Landluft; Hof Nord/; .Hotel Erholung; Hof Süd/; .Hotel Erholung; Hof West/; .Hotel Erholung; Hof am Waldrand/; .Bistro im Grünen; Hof am Waldrand/; .Bistro im Grünen; Hof Veggie/g Die Einträge der Menge M sind Tupel, also Paare von je zwei Elementen. Jeweils ein Element aus der ersten Menge R steht an erster Stelle und ein Element aus der zweiten Menge H an zweiter Stelle in einem Tupel. In M sind deutlich weniger Elemente enthalten als in R H . Wir merken uns umgangssprachlich: Ein Element .r; h/ ist in M , wenn r mit h etwas zu tun hat. Was es bedeutet, etwas miteinander zu tun zu haben, das kann in verschiedenen Anwendungskontexten ganz unterschiedlich sein. In unserem Beispiel ist „zu tun haben“ gleichbedeutend mit „kauft ein bei“. Mathematiker würden sagen, M sei eine Relation und r steht in Relation zu h, genau dann, wenn .r; h/ 2 M . Diese Vokabeln sind aber für uns nicht so wichtig. Nach unseren obigen Überlegungen dazu, dass mehrere Tupel mit dem gleichen Element aus R oder H vorkommen können und dass auch einige Elemente aus R und H gar nicht vorkommen können, sind wir nun bereit, die folgenden Definitionen einzuführen:
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1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Definition 1.11 (Eigenschaften von Teilmengen kartesischer Produkte) Seien zwei Mengen A und B gegeben und sei M A B. M heißt linkstotal, wenn es für jedes a 2 A ein b 2 B gibt, so dass .a; b/ 2 M ist. Oder kurz: M linkstotal
,
8a 2 A 9b 2 BW .a; b/ 2 M
Umgangssprachlich bedeutet das, dass jedes Element der linken Menge mindestens einen Partner in der rechten Menge hat. M heißt rechtstotal, wenn es für jedes b 2 B ein a 2 A gibt, so dass .a; b/ 2 M ist. Oder kurz: M rechtstotal
,
8b 2 B 9a 2 AW .a; b/ 2 M
Umgangssprachlich bedeutet das, dass jedes Element der rechten Menge mindestens einen Partner in der linken Menge hat. M heißt rechtseindeutig, wenn es für jedes a 2 A höchstens ein b 2 B gibt, so dass .a; b/ 2 M ist. Umgangssprachlich bedeutet das, dass jedes Element der linken Menge höchstens einen Partner in der rechten Menge hat. M heißt linksseindeutig, wenn es für jedes b 2 B höchstens ein a 2 A gibt, so dass .a; b/ 2 M ist. Umgangssprachlich bedeutet das, dass jedes Element der rechten Menge höchstens einen Partner in der linken Menge hat. In unserem Beispiel ist die Menge M weder links- noch rechtstotal, denn es gibt jeweils ein Restaurant und einen Hof, die jeweils in keinem Tupel vorkommen. Die Menge M ist auch weder links- noch rechtseindeutig, denn es gibt zwei Restaurants und einen Hof, die in mehreren Tupeln vorkommen.
Aufgabe
Entscheiden Sie für folgende Teilmengen von kartesischen Produkten jeweils, ob sie linkstotal, rechtstotal, rechtseindeutig und/oder linkseindeutig sind. S D Menge aller Studierenden einer Vorlesung, B D Menge der Busnummern in der Stadt M D f.s; b/W Studierende/r s fährt regelmäßig mit Bus bg E D Menge aller Einwohner Deutschlands, S D Menge aller vergebenen Steueridentifikationsnummern in Deutschland M D f.e; s/W Einwohner/in e hat Steueridentifikationsnummer sg
1.4 Abbildungen
35
T D Teilnehmer einer Tombola, P D Menge der vergebenen Preise bei der Tombola M D f.t; p/W Teilnehmer/in t gewinnt Preis pg Denken Sie sich ein eigenes weiteres Beispiel aus und beantworten Sie auch dafür die Fragen.
Bevor wir zu den Abbildungen kommen, schauen wir uns noch ein mathematisches Beispiel an: Beispiel 1.12
Wir betrachten eine Menge T der Form T D f.x; y/ 2 X Y W y D x 2 g X Y für verschiedene Wahlen von X und Y : X D f1; 2; 3g, Y D f1; 4; 9g: T ist hier linkstotal, rechtstotal, rechtseindeutig und linkseindeutig. X D f1; 2; 3g, Y D f1; 4; 9; 16g: T ist hier linkstotal, nicht rechtstotal, rechtseindeutig und linkseindeutig. X D f1; 1; 2; 2; 3; 3g, Y D f1; 4; 9g: T ist hier linkstotal, rechtstotal, rechtseindeutig und nicht linkseindeutig. X D f1; 2; 3; 1; 2; 3g, Y D f1; 4; 9; 16g: T ist hier linkstotal, nicht rechtstotal, rechtseindeutig und nicht linkseindeutig. X D f1; 2; 3; 5g, Y D f1; 4; 9g: T ist hier nicht linkstotal, rechtstotal, rechtseindeutig und linkseindeutig. X D f1; 2; 3; 5g, Y D f1; 4; 9; 16g: T ist hier nicht linkstotal, nicht rechtstotal, rechtseindeutig und linkseindeutig. X D f1; 1; 2; 3; 5g, Y D f1; 4; 9g: T ist hier nicht linkstotal, rechtstotal, rechtseindeutig und nicht linkseindeutig. X D f1; 1; 2; 3; 5g, Y D f1; 4; 9; 16g: T ist hier nicht linkstotal, nicht rechtstotal, rechtseindeutig und nicht linkseindeutig. Ist Ihnen aufgefallen, dass wir hier alle Kombinationen von linkstotal ja/nein, linkseindeutig ja/nein, rechtstotal ja/nein durchgearbeitet haben? Die Menge T ist in allen Beispielen rechtseindeutig, denn es gibt jeweils für x 2 X nur höchstens eine Zahl y 2 Y , die gleich x 2 ist. J Nach dem kleinen Ausflug kehren wir nun zurück und stellen fest, dass eine Teilmenge M A B dann eine eindeutige Zuordnung von A nach B beschreibt,
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1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
wenn M linkstotal und rechtseindeutig ist. Wegen der Linkstotalität gibt es nämlich für jedes a 2 A auch wirklich ein Tupel, in welchem a vorkommt, und wegen der Rechtseindeutigkeit gibt es eben auch nur ein solches Paar .a; b/. Wir können dies als Zuordnung a 7! b auffassen. Dies motiviert die folgende Definition: Definition 1.12 (Abbildung) Eine Abbildung f W A ! B von einer Menge A in eine Menge B ist eine Teilmenge f des kartesischen Produktes A B, die linkstotal und rechtseindeutig ist. Man nennt A die Definitionsmenge von f und B die Wertemenge oder Zielmenge von f . Statt .a; b/ 2 f schreiben wir zukünftig einfach f .a/ D b oder a 7! b. Eine Abbildung stellt also eine eindeutige Zuordnung dar, die jedem Element von A genau ein Element von B zuordnet. Die Elemente a 2 A, die wir in die Abbildung f einsetzen, nennen wir oft auch Argumente von f . Beispiel 1.13
Getränkeautomat: f W f0; 1; 2; : : : ; 9g ! fWasser; Zitronenlimo; Apfelschorle; Colag Jede Nummer am Automat wird auf das Getränk abgebildet, das man bei der Wahl dieser Nummer erhält. f W N ! N mit f .x/ D x 2 . Wenn wir diese Abbildung als Teilmenge von N N schreiben, dann erhalten wir f D f.1; 1/; .2; 4/; .3; 9/; .4; 16/; : : : g J Wir haben bis hierhin Abbildungen als Spezialfall von Teilmengen kartesischer Produkte kennengelernt. Im Folgenden wollen wir uns nun intensiv mit den Vokabeln rund um das Thema Abbildungen beschäftigen. Mir ist es besonders wichtig, zu zeigen, dass Abbildungen beliebige Zuordnungen zwischen Objekten aus ganz verschiedenen Anwendungskontexten modellieren können. Erst im Abschn. 1.5 fokussieren wir uns dann auf Abbildungen von den reellen Zahlen in die reellen Zahlen, wie sie es vielleicht auch in der Schule getan haben.
1.4.1 Bilder und Urbilder, Bildmenge, Eigenschaften von Abbildungen Sind Sie mit dem Begriff der Abbildung als linkstotale und rechtseindeutige Teilmenge des kartesischen Produktes zweier Mengen gut vertraut? Dann können wir jetzt ohne weitere Umschweife und Beispiele direkt die wichtigsten darauf aufbauenden Definitionen folgen lassen. Sollte Ihnen etwas abstrakt vorkommen, dann denken Sie sich immer ein geeignetes Alltagsbeispiel aus, an welchem sie die Konzepte ausprobieren können! Bereit? Los geht es!
1.4 Abbildungen
37
Definition 1.13 (Bild, Urbild, Bildmenge) Sei f W A ! B eine Abbildung. Wenn f .a/ D b, dann heißt b das Bild von a unter f . Wenn f .a/ D b, dann heißt a Urbild von b unter f . Die Menge f .A/ WD ff .a/W a 2 Ag D fb 2 BW 9a 2 A mit f .a/ D bg heißt Bildmenge von f .
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, warum in obiger Definition „das Bild“ steht, aber von „Urbild“ ohne Artikel gesprochen wird!
I
Wichtig Bei f .A/ handelt es sich nur um eine Schreibweise für die Bildmenge, also für die Menge aller tatsächlich auftretenden Bilder von f . Man setzt aber nicht etwa die Menge A in f ein!
Ganz wichtig ist auch die Erkenntnis, dass f .A/ eine (nicht notwendigerweise echte) Teilmenge von B ist. Wenn in B Elemente enthalten sind, die kein Bild von einem Element a 2 A sind (die also kein Urbild haben), dann ist f .A/ eine echte Teilmenge von B. Man sagt: Der Wertevorrat muss nicht ausgeschöpft werden. Dieses Thema lässt sich mit ein wenig Übung gut nachvollziehen. Ich bitte um ein wenig Geduld, wir kommen darauf gleich noch einmal zurück. Beispiel 1.14
Wir betrachten wieder unser Beispiel mit den Restaurants und den Höfen. Diesmal ordnen wir jedem Restaurant den eindeutig bestimmten Fleischlieferanten zu. Wir nennen die dazugehörige Abbildung nun f . Die Zuordnung wird in Abb. 1.13 veranschaulicht. Wir erkennen: Das Bild vom Restaurant Landluft ist der Hof West: f .Restaurant Landluft/ D Hof West. Restaurant Landluft und Hotel Erholung haben das gleiche Bild, denn beide erhalten das Fleisch vom Hof West. Der Hof am Waldrand hat ein eindeutiges bestimmtes Urbild, nämlich das Bistro im Grünen. Der Hof West hat dagegen zwei Urbilder (Restaurant Landluft und Hotel Erholung). Hof Nord und Hof Veggie haben keine Urbilder, denn kein Restaurant bestellt dort das Fleisch. (Auf dem Hof Veggie werden natürlich sowieso nur leckeres Obst und Gemüse angebaut.)
38
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
R H Restaurant Landluft
Hof Nord
Hotel Erholung
Hof West Hof am Waldrand
Bistro im Gr¨unen
Hof Veggie
Abb. 1.13 Zuordnung Restaurant 7! Fleischlieferant
Unsere Abbildung ist folglich weder linkseindeutig noch rechtstotal. J Ab jetzt wollen wir folgenden in der Mathematik üblichen Sprachgebrauch verwenden: Definition 1.14 (injektiv, surjektiv, bijektiv) Sei f W A ! B eine Abbildung. f heißt injektiv, wenn f linkseindeutig ist. Formal ausgedrückt: f injektiv
, ,
À a; a0 2 A; a ¤ a0 W f .a/ D f .a0 / f .a/ D f .a0 / ) a D a0
Injektiv bedeutet: es kommt nicht vor, dass zwei verschiedene Elemente der Definitionsmenge das gleiche Bild haben. Wenn es ein Urbild gibt, dann ist dieses eindeutig. f heißt surjektiv, wenn f rechtstotal ist. Formal ausgedrückt: f surjektiv
, ,
8 b 2 B 9 a 2 AW f .a/ D b f .A/ D B
Surjektiv bedeutet: Alle Elemente der Wertemenge kommen als Bilder von f vor. Jedes Element der Wertemenge hat mindestens ein Urbild. Wertemenge und Bildmenge sind identisch. f heißt bijektiv, wenn f sowohl injektiv als auch surjektiv ist. Bijektiv bedeutet: Es liegt eine eineindeutige Zuordnung zwischen A und B vor. Jedem Element aus A wird genau ein Element aus B zugeordnet. Zu jedem Element aus B gehört genau ein Urbild aus A.
1.4 Abbildungen
39
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass man jede Funktion f W A ! B surjektiv machen kann, indem man die Wertemenge einfach auf die Bildmenge einschränkt und f W A ! f .A/ betrachtet. So hat automatisch jedes Element der auf die Bildmenge eingeschränkten Wertemenge ein Urbild. Wie müssen wir die Wertemenge von f W N ! N mit f .x/ D x 2 einschränken, um f surjektiv zu machen?
Beispiel 1.15
Wir untersuchen folgende Abbildungen auf Injektivität und Surjektivität: Onlinehandel: Sei K die Menge der Teilnehmenden einer Online-Kundenbefragung und N die Menge der Schulnoten. Jeder Kunde vergibt dabei eine Schulnote zur Bewertung des Angebotes. f W K ! N mit f .k/ D Bewertung des Kunden k f ist nicht injektiv, denn es gibt bestimmt zwei Kunden, die die gleiche Bewertung abgeben. f muss auch nicht surjektiv sein, denn es kann durchaus passieren, dass die schlechteste Note gar nicht vergeben wird. Tierärzte: Sei H die Menge der landwirtschaftlichen Höfe einer Region und T die Menge der für diese Region verantwortlichen Tierärzte. f W H ! T mit f .h/ D für Hof h zuständiger Tierarzt f ist nicht injektiv, denn es gibt bestimmt zwei Höfe, die den gleichen zuständigen Tierarzt haben. Wenn aber jeder Tierarzt für mindestens einen Hof verantwortlich ist, dann ist f surjektiv. Autofahrt: Für eine vierstündige Autofahrt ohne Pause sei T D Œ0; 4 und W D Œ0; 1/. f W T ! W mit f .t/ D zurückgelegte Strecke (in km) bis zum Zeitpunkt t (in h) Da die Anzahl der zurückgelegten Kilometer stetig wächst, ist f injektiv. f ist aber nicht surjektiv, denn nicht alle positiven reellen Zahlen kommen als zurückgelegte Kilometerzahl vor. Matrikelnummern: Sei S die Menge der Studierenden einer Universität und M die Menge der vergebenen Matrikelnummern. f W S ! M mit f .s/ D Matrikelnummer von s
40
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
f ist injektiv und surjektiv, also bijektiv. Jede/r Studierende hat eine eindeutige Matrikelnummer. Von jeder Matrikelnummer lässt sich eindeutig auf die/den Studierende/n schließen. J Im Folgenden werden wir uns besonders für bijektive Abbildungen interessieren, die es uns erlauben, eine Umkehrabbildung zu betrachten. Vorher warten ein Lernvideo (Abb. 1.14) und einige Übungsaufgaben zu Eigenschaften von Abbildungen auf Sie! Viel Spaß!
Übungsaufgaben zu Eigenschaften von Abbildungen
1.10 Untersuchen Sie die folgenden Abbildungen jeweils auf Injektivität, Surjektivität und Bijektivität. a) A D Laufzeit eines Bahnradrennens als Zeitintervall B D Menge der Positionen auf der Bahn f W A ! B ordne einem Bahnradsportler zu jedem Zeitpunkt des Rennens seine Position auf der Bahn zu. b) A D Menge der Teilnehmerinnen eines Hochsprungswettkampfes der Frauen im Rahmen einer Leichtathletikveranstaltung mit mehreren Disziplinen B D Menge der Startnummern aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Leichtathletikveranstaltung f W A ! B ordne jeder Hochspringerin ihre Startnummer zu. c) A D Menge der Kunden eines Unternehmens B D Menge der Kundennummern der Kunden des Unternehmens f W A ! B ordne jedem Kunden die Kundennummer zu. 1.11 Die Abbildung f W N ! N ordne jeder Zahl n 2 N die größte Zweierpotenz zu, die ein Teiler von n ist. So ist zum Beispiel f .48/ D f .2 2 2 2 3/ D 24 . a) Bestimmen Sie jeweils das Bild von 16, 17 und 92. b) Geben Sie jeweils mindestens drei Urbilder von 1, 8 und 1024 an. c) Bestimmen Sie die Bildmenge von f .
Abb. 1.14 Lernvideo zu Eigenschaften von Abbildungen (https://doi.org/10.1007/000-bd7)
1.4 Abbildungen
41
1.4.2 Umkehrabbildungen Stellen Sie sich vor, eine ökonomische Fragestellung besteht darin, die für einen Zielgewinnwert notwendige Produktionsmenge zu bestimmen. Kennen wir die Gewinnfunktion f , die den Gewinn in Abhängigkeit von der hergestellten Menge x angibt, so fragen wir uns dabei bei einem vorgegebenen Gewinnwert y, für welches x genau f .x/ D y gilt. Wir wollen eben gerade nicht vom Argument x auf den Funktionswert f .x/ schließen, sondern umgekehrt vom Bild y auf das Urbild x. Solche inversen Fragestellungen begegnen uns in zahlreichen Anwendungskontexten, u. a. in der Ökonomie, in der Chemie und in der Physik. Die Fragestellung motiviert folgende Definition: Definition 1.15 (Umkehrabbildung) Eine Funktion f W A ! B heißt umkehrbar, wenn es eine Funktion f 1 W B ! A gibt mit f 1 .f .x// D x für alle x 2 A und f .f 1 .y// D y für alle y 2 B. Wenn sie existiert, heißt f 1 Umkehrabbildung von f . Die Funktion f heißt umkehrbar, wenn f eine Umkehrabbildung besitzt. Die Umkehrabbildung bildet jedes Bild y auf sein eindeutiges Urbild x ab. Bildet man von diesem Urbild x wieder das Bild, erhält man wieder y. Doch wann ist diese Abbildung auf das eindeutige Urbild möglich? Unser Wissen über Abbildungen lässt folgende wichtige Erkenntnis zu: Satz 1.3 (Existenz der Umkehrabbildung) Jede injektive Abbildung ist auf ihrer Bildmenge umkehrbar, d. h. für jede injektive Abbildung f W A ! B gibt es eine Umkehrabbildung f 1 W f .A/ ! A mit f 1 .y/ D x , f .x/ D y Dabei ist also f 1 .y/ das Urbild von y unter f . Beispiel 1.16
Wir betrachten eine Abbildung, die mehreren Räumen der Universität jeweils die Fächer zuordnet, die zu einer bestimmten Zeit dort unterrichtet werden. Abb. 1.15 zeigt die Abbildung und ihre Umkehrabbildung. Dabei ist f W R ! F injektiv, denn es gibt keine zwei Räume, in denen gerade das gleiche Fach stattfindet. f ist aber nicht surjektiv, denn Chemie findet in keinem der Räume statt. Wenn wir die Wertemenge auf die Bildmenge einschränken (und die Chemie nicht weiter betrachten), wird f bijektiv. Daher existiert die Umkehrabbildung f 1 , die die Fächer auf deren Räume abbildet. J Natürlich interessieren wir uns vor allem für die Berechnung von Umkehrabbildungen im Kontext reeller Funktionen. Da diese erst im Abschn. 1.5 eingeführt werden, finden Sie weitere Beispiele in Abschn. 1.5.7.
42
1 F
a R Raum 1
f :R→F
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
b
Mathe Physik
f (R)
R
Mathe
Raum 1
Biologie
Physik
Raum 2
Chemie
Biologie
Raum 3
Technik
Technik
Raum 4
Raum 2 Raum 3 Raum 4
f −1 : f (R) → R
Abb. 1.15 a Abbildung und b Umkehrabbildung
Vorher lohnt sich ein Blick in unser Lernvideo zum Thema Umkehrabbildungen (Abb. 1.16).
Übungsaufgaben zu Umkehrabbildungen
1.12 Geben Sie jeweils geeignete Definitions- und Bildmengen an, so dass die folgenden Abbildungen umkehrbar sind! a) Fahrzeug 7! Autokennzeichen b) buchender Gast 7! Kabine auf dem Kreuzfahrtschiff c) Sportler 7! Platzierung bei einem Rennen 1.13 Erklären Sie, warum folgende Abbildungen bei intuitiver Wahl von Definitions- und Bildmenge in der Regel nicht umkehrbar sind! a) Studierende/r einer Universität 7! Adresse b) Passagier eines Kreuzfahrtschiffes 7! Kabine auf dem Kreuzfahrtschiff c) Kunde 7! zuletzt gekauftes Produkt im Online-Shop
Abb. 1.16 Lernvideo zu Umkehrabbildungen (https://doi.org/10.1007/000-bd8)
1.4 Abbildungen
43
1.4.3 Hintereinanderausführung von Abbildungen Häufig kommt es vor, dass Bilder einer Abbildung wieder in weitere Abbildungen als Argumente eingesetzt werden. Beispielsweise könnte man eine Menge von Studierenden S betrachten, die sich in der Vorlesungszeit montags 8:15 in einer Lehrveranstaltung befinden. Diese Lehrveranstaltungen finden wiederum in zugeordneten Räumen statt. Die Menge der Lehrveranstaltungen sei L und die Menge der Räume sei R. Seien die beiden Abbildungen f WS ! L gW L ! R
mit mit
f .s/ D Lehrveranstaltung von Studierendem s g.l/ D Raum von Lehrveranstaltung l
gegeben. Dann können wir leicht herausfinden, wo sich Studierende/r s montags früh aufhält, denn wir müssen einfach nur g.f .s// berechnen und schon haben wir ihn gefunden. Selbstverständlich ist Studierende/r s dabei rechtzeitig aufgestanden, pünktlich erschienen und arbeitet motiviert mit! Wenn in unserem mathematischen Modell auch tatsächlich für jede bei f als Bild vorkommende Lehrveranstaltung ein Raum definiert wurde, dann klappt die Hintereinanderausführung der beiden Abbildungen. Dieses Konzept wollen wir nun allgemein einführen: Definition 1.16 Seien zwei Abbildungen f W A ! B und gW C ! D mit f .A/ C gegeben. Dann ist die Verkettung oder Hintereinanderausführung von f und g die Abbildung g ı f W A ! D mit .g ı f /.x/ D g.f .x// Die Idee ist einfach: Man setzt ein Argument x in f ein und bekommt y D f .x/ heraus. Dieses y ist dann wieder Argument von g und wird auf g.y/ D g.f .x// abgebildet. Es werden zwei Abbildungen hintereinander angewendet. Doch was hat es mit der technischen Forderung f .A/ C aus Definition 1.16 auf sich? Diese garantiert, dass die Bilder von f auch im Definitionsbereich von g liegen. Wäre das nicht der Fall, dann könnten wir f .x/ eventuell gar nicht in g einsetzen und das muss hier vermieden werden. Beispiel 1.17
Betrachten wir die beiden Zuordnungen aus Abb. 1.17. Wir bestimmen zunächst mit f , welches Hotel bei welchem landwirtschaftlichen Hof das Fleisch bestellt. Danach ermitteln wir mit g, in welchem Bundesland der Hof liegt. Die Abbildung g ı f W R ! B mit .g ı f /.x/ D g.f .x// ordnet dann jedem Hotel das Bundesland zu, in welchem es das Fleisch bezieht. Hier gilt zum Beispiel g.f .Hotel 2// D g.Hof 1/ D NRW
44
1
a
b
f R Hotel Hotel Hotel Hotel
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik g H
H 1 2 3 4
Hof Hof Hof Hof
B 1 2 3 4
Hof Hof Hof Hof
1 2 3 4
NRW RLP Hessen
Abb. 1.17 Zuordnungen (Hotel 7! Fleischlieferant) (a) und (Hof 7! Bundesland) (b). Dabei steht NRW für Nordrhein-Westfalen und RLP für Rheinland-Pfalz. Die Hintereinanderausführung ist möglich
a
f R Hotel Hotel Hotel Hotel
1 2 3 4
Hneu Hof Hof Hof Hof Hof
1 2 3 4 5
b
g H B Hof Hof Hof Hof
1 2 3 4
NRW RLP Hessen
Abb. 1.18 Zuordnungen (Hotel 7! Fleischlieferant) (a) und (Hof 7! Bundesland) (b). Dabei steht NRW für Nordrhein-Westfalen und RLP für Rheinland-Pfalz. Für einen als Bild von f auftretenden Hof wird durch g kein Bundesland zugeordnet. Die Hintereinanderausführung ist nicht möglich
Wir verändern das Beispiel und nehmen Hof 5 hinter der belgischen Grenze auf, in dem nun Hotel 4 das Fleisch einkauft (siehe Abb. 1.18). Wenn wir g nicht verändern, ist die Hintereinanderausführung g ı f nicht mehr definiert, weil es Bilder von f gibt, die wir nicht in g einsetzen können. Die Forderung f .R/ H aus Definition 1.16 ist verletzt. J In obigen Beispiel ist aus dem Sachkontext klar, dass nur die Hintereinanderausführung g ı f Sinn macht. Man kann f ı g nicht bilden, denn die Ergebnisse von g sind Bundesländer und dies sind keine Argumente von f . Zusätzlich möchte ich Ihnen zeigen, dass in anderen Fällen durchaus beide Hintereinanderausführungen möglich sind, aber dennoch unterschiedliche zusammengesetzte Funktionen ergeben. Wir sagen dann, dass die Hintereinanderausführung von Abbildungen nicht kommutativ ist. Lösen Sie dazu folgende Aufgabe!
1.4 Abbildungen
45
Aufgabe
Wir betrachten zwei Abbildungen, die jeweils als Definitions- und Wertemenge die Menge M aller Menschen haben. Dabei gelten folgende Zuordnungsvorschriften: f WM ! M gW M ! M
mit mit
f .m/ D Mutter von m g.m/ D Vater von m
Bestimmen Sie für sich selbst jeweils den Wert von g ı f und von f ı g. Welche beiden Funktionswerte erhalten Sie? Warum können Sie daraus schließen, dass die Hintereinanderausführung von Abbildungen nicht kommutativ ist? Beschreiben Sie anschließend in eigenen Worten, was für m 2 M bei der Berechnung von .g ı f /.m/ und .f ı g/.m/ jeweils für eine Person bestimmt wird?
Zum Abschluss dieses Abschnittes halten wir noch fest, dass uns die Verkettung auch ermöglicht, die wesentliche Eigenschaft einer Umkehrabbildung effizient zu notieren: Ist f 1 W B ! A die Umkehrabbildung von f W A ! B, dann gilt .f 1 ı f /.x/ D x
und .f ı f 1 /.y/ D y
jeweils für alle x 2 A und y 2 B. Wie bei den Umkehrabbildungen interessieren wir uns natürlich auch bei den Hintereinanderausführungen insbesondere für Anwendungen auf reelle Funktionen. Sie finden daher weitere Beispiele im Abschn. 1.5.8. Schauen Sie sich jetzt gerne unser Übungsbeispiel in den Lernvideos (Abb. 1.19) an. Viel Erfolg!
Abb. 1.19 Lernvideo zur Hintereinanderausführung von Abbildungen (https://doi.org/10.1007/000-bd9)
46
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Übungsaufgaben zur Hintereinanderausführung von Abbildungen
1.14 Bestimmen Sie jeweils die Abbildungsvorschriften von g ı f und f ı g für folgende Abbildungen. Berechnen Sie zudem jeweils die Werte .g ı f /.75/ und .f ı g/.75/. a) f W N ! N mit f .n/ D 2n und gW N ! N mit g.n/ D 3n b) f W N ! N mit f .n/ D Quersumme von n und gW N ! N mit g.n/ D 2n c) f W N ! N mit f .n/ D Anzahl der Dezimalstellen von n und gW N ! N mit g.n/ D 2n 1.15 Überprüfen Sie jeweils, welche Eigenschaften für eine Person p gelten müssen, damit die Werte .g ı f /.p/ und .f ı g/.p/ existieren und welches Verwandschaftsverhältnis im Falle der Existenz bestimmt wird. a) f bilde jede Person, die mindestens eine Schwester hat, auf die älteste Schwester ab. g bilde jede Person auf den Vater ab. b) f bilde jede Person, die mindestens ein Kind hat, auf das erstgeborene Kind ab. g bilde jede Person auf den Vater ab. c) f bilde jede Person, die mindestens ein Kind hat, auf das erstgeborene Kind ab. g bilde jede Person, die mindestens ein Kind hat, auf das erstgeborene Kind ab. (Warum erhalten wir hier nicht den erstgeborenen Enkel?)
1.5 Reelle Funktionen Im letzten Kapitel haben wir uns mit Abbildungen beschäftigt, also mit Zuordnungen von Objekten einer Menge auf Objekte einer anderen Menge. Diese Objekte mussten keine Zahlen sein. Wir konnten mit den Argumenten und Funktionswerten nicht unbedingt rechnen. Wenn die Funktionswerte keine Zahlen sind, macht ein Vergleich ihrer Größe keinen Sinn und auch das Zeichnen von Funktionsgraphen nicht. In vielen Anwendungskontexten betrachten wir allerdings quantitative Merkmale von Prozessen, die wir als Abbildung beschreiben können. Werden bei einer Abbildung reelle Zahlen auf reelle Zahlen abgebildet, dann sprechen wir von einer reellen Funktion. Hier sind einige Anwendungsbeispiele: Für jeden Zug einer bestimmten Zuglinie kann man die Abbildung betrachten, die jedem Zeitpunkt den Streckenkilometer zuordnet, an welchem sich der Zug zu diesem Zeitpunkt befindet.
1.5 Reelle Funktionen
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Für einen Produktionsprozess kann man die Funktion produzierte Stückzahl 7! Produktionskosten untersuchen. Bei einer chemischen Reaktion kann die Funktion Zeit t 7! Konzentration eines Stoffes zur Zeit t betrachtet werden. Für jeden Tag des Jahres kann der Deutsche Wetterdienst die Niederschlagsmenge als Funktion protokollieren. Sie können an den Beispielen erkennen, dass Vergleiche von Funktionswerten und quantitative Auswertungen nun Sinn machen. Wann kommt der Zug an seinem Ziel an? Wie wachsen die Produktionskosten in Abhängigkeit von der produzierten Stückzahl? Wann ist ein gewünschter Zielwert bei der Konzentration des Stoffes erreicht? Wann war die Niederschlagsmenge am größten? Diese und andere Fragestellungen können uns motivieren, den Begriff der reellen Funktion formal einzuführen und Eigenschaften von Funktionen zu untersuchen. Vorkenntnisse Das Kapitel zum Thema Funktionen ist das umfangreichste im gesamten Buch. Es erfordert ein grundlegendes Verständnis der Konzepte aus dem Abschn. 1.4 zum Thema Abbildungen sowie X gute Kenntnisse in Bruchrechnung und zu einfachen Termumformungen (ausklammern, ausmultiplizieren, binomische Formeln, u. ä.), X Kenntnisse zur schriftlichen Division, X Verständnis für das Summenzeichen (Abschn. 1.3), X die Fähigkeit, kleine lineare Gleichungssysteme mit wenigen Gleichungen und Variablen zu lösen, X Kenntnisse über die verschiedenen Arten von Dreiecken sowie den Satz des Pythagoras im rechtwinkligen Dreieck. Zudem wird ein grundlegendes Verständnis zum Lösen einfacher Gleichungen nötig sein. Dazu können Sie auch einen Blick in das Abschn. 1.6 zum Thema Gleichungen werfen, wenn Sie einmal nicht weiterkommen sollten. Weiterführende Literatur und mehr Übungsmaterial zum Thema Funktionen finden Sie auch in [2, 14–16]. Definition 1.17 (Funktion) Seien D; W R. Dann heißt eine Abbildung f W D ! W reelle Funktion. Dabei wird jedem x 2 D genau eine reelle Zahl y D f .x/ 2 W zugeordnet.
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1
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c
Abb. 1.20 Eine Abbildungsvorschrift f .x/ D x 2 , aber drei verschiedene Definitionsmengen: f W Z ! R (a), f W Œ0; 1/ ! R (b), f W R ! R (c) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Die Menge der Punkte f.x; f .x//W x 2 Dg R R D R2 wird als Funktionsgraph von f bezeichnet. Man kann diesen Funktionsgraphen in ein kartesisches Koordinatensystem einzeichnen. Wie Sie es von Abbildungen bereits kennen, gehören zu einer Funktion immer die Angabe von Definitions- und Wertemenge sowie die Abbildungsvorschrift. Abb. 1.20 zeigt drei Funktionen mit derselbem Abbildungsvorschrift, aber drei unterschiedlichen Definitionsmengen. Oft interessieren wir uns dafür, an welchen Stellen x eine Funktion den Wert 0 annimmt. Suchen wir beispielsweise den Zeitpunkt t, an welchem ein zeitabhängiger Lagerbestand f .t/ bei einer Produktion ganz aufgebraucht ist, so suchen wir eine Lösung der Gleichung f .t/ D 0. Wollen wir die Schnittpunkte zweier Funktionsgraphen von Funktionen g und h bestimmen, dann müssen wir untersuchen, wann g.x/ h.x/ D 0 ist. Das motiviert die folgende Definition: Definition 1.18 (Nullstelle) Sei eine Funktion f W D ! R gegeben. Eine Stelle x 2 D mit f .x/ D 0 heißt Nullstelle von f .
1.5 Reelle Funktionen
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Die Funktionen aus Abb. 1.20 haben alle ein und dieselbe Nullstelle x D 0. In vielen Anwendungskontexten (wie beispielsweise der erwähnten Schnittpunktberechnung von Funktionsgraphen) macht es Sinn, Summen, Differenzen, Vielfache, Produkte und Quotienten von Funktionen zu betrachten. Wenn beispielsweise in einem Unternehmen mit p.x/ der tagesaktuelle Preis pro Einheit eines Rohstoffes am Tag x bezeichnet wird und mit e.x/ die eingekaufte Menge dieses Rohstoffes am Tag x, dann bezeichnet das Produkt p.x/ e.x/ die bei diesem Einkauf entstehenden Kosten. Quotienten begegnen uns, wenn wir Anteile untersuchen. Ist u1 .x/ der Umsatz mit Produkt 1 am Tag x und u.x/ der Gesamtumsatz eines Unterneh1 .x/ mens am Tag x, dann kann mithilfe des Quotienten uu.x/ der Anteil des Umsatzes von Produkt 1 am Gesamtumsatz ermittelt werden. Die Summe der Umsätze u1 .x/ und u2 .x/ der Produkte 1 und 2 am Tag x ist u1 .x/ C u2 .x/. Es lohnt sich also, solche Verknüpfungen formal einzuführen: Definition 1.19 (Summen, Differenzen, Produkte, Quotienten von Funktionen) Seien zwei Funktionen f W Df ! R und gW Dg ! R gegeben. Dann sind die Funktionen f C g, f g, f g und fg wie folgt definiert: f C gW Df \ Dg ! R mit .f C g/.x/ WD f .x/ C g.x/ f gW Df \ Dg ! R mit .f g/.x/ WD f .x/ g.x/ f gW Df \ Dg ! R mit .f g/.x/ WD f .x/ g.x/
f g
W Df \ Dg n fx 2 Dg W g.x/ ¤ 0g ! R mit . fg /.x/ WD
f .x/ g.x/
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, warum in Definition 1.19 die Definitionsmengen der einzelnen Funktionen so gewählt wurden. Warum muss bei fg noch eine weitere Einschränkung vorgenommen werden?
Abb. 1.21 zeigt Ihnen, wie Summen und Differenzen von Funktionen aussehen. Die Funktionen f C g und f g sind jeweils nur dort definiert, wo beide Funktionen f und g definiert sind. Wie angekündigt wollen wir nun das Aussehen von Funktionsgraphen untersuchen. Gibt es Symmetrien oder Regelmäßigkeiten? Wachsen oder fallen die Funktionswerte? Solche Fragen sollen uns im nächsten Abschnitt beschäftigen.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Abb. 1.21 Zwei Funktionen f (rot) und g (blau) sowie deren Summe f C g (orange) und deren Differenz f g (grün) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Aufgabe
Denken Sie sich verschiedene Sachkontexte und interessante Fragestellungen dazu aus! Ein Beispiel: Das Höhenprofil einer Wanderung wird untersucht: Streckenkilometer x 7! Höhe bei Streckenkilometer x Geht es die ganze Zeit bergauf? Wenn nicht, wo steigt die Strecke an, wo fällt sie? Fallen Ihnen mindestens drei andere Sachkontexte und Fragestellungen dazu ein?
Bevor wir im nächsten Abschnitt Eigenschaften von Funktionen definieren und untersuchen, können Sie gerne einen Blick in unser Lernvideo zum Thema Funktionen (Abb. 1.22) werfen.
1.5 Reelle Funktionen
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Abb. 1.22 Lernvideo zu Summen, Differenzen und Produkten von Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bda)
Übungsaufgaben zu Funktionen
1.16 Zeichnen Sie den Graphen von f W D ! R mit f .x/ D 3x C 1 für folgende Wahlen der Definitionsmenge D: a) D D f5; 4; 3; 2; 1; 0g b) D D Œ5; 0 c) D D Œ5; 5 1.17 Bestimmen Sie die Definitionsmengen und Funktionsvorschriften von f C g, f g, f g und fg für f W Œ0; 10 ! R mit f .x/ D x 2 C 8 und gW Œ1; 11 ! R mit g.x/ D x 2 C 4. Skizzieren Sie jeweils den Funktionsgraphen von f Cg, f g und f g. Wenn Sie es sich zutrauen, skizzieren Sie auch den Graphen von fg .
1.5.1 Eigenschaften von Funktionen Wenn es uns gelingt, Sachkontexte mithilfe von Funktionen zu modellieren und zu beschreiben, dann ist das ziemlich praktisch. Wenn wir dann aber den Funktionsverlauf näher beschreiben und gewisse Regelmäßigkeiten entdecken können, dann ist das umso besser. Es lohnt sich also, ein paar Eigenschaften von Funktionen zu definieren und gegebene Funktionen auf diese Eigenschaften zu untersuchen. Legen wir also gleich los! Definition 1.20 (gerade/ungerade Funktionen) Sei a > 0 und eine Funktion f W Œa; a ! R (bzw. f W R ! R) gegeben. f heißt gerade, wenn für alle x 2 Œa; a (bzw. x 2 R) f .x/ D f .x/ gilt. Dies ist gleichbedeutend damit, dass der Graph von f achsensymmetrisch zur y-Achse verläuft.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
f heißt ungerade, wenn für alle x 2 Œa; a (bzw. x 2 R) f .x/ D f .x/ gilt. Dies ist gleichbedeutend damit, dass der Graph von f punktysymmetrisch zum Koordinatenursprung verläuft. Da wir die verschiedenen Funktionstypen erst in den folgenden Abschnitten näher kennenlernen und beleuchten, mute ich Ihnen an dieser Stelle nur ganz einfache Beispiele zu. Ich überlasse es Ihnen, später die hier definierten Begrifflichkeiten auch bei weiteren Funktionstypen wiederzuerkennen! Beispiel 1.18
Die Funktion f W R ! R mit f .x/ D x 2 ist gerade, denn x 2 D .x/2 . An den Stellen x und x werden jeweils die gleichen Funktionswerte angenommen. Folglich ist die y-Achse eine Symmetrieachse des Graphen von f . Die Funktion gW R ! R mit g.x/ D x 3 ist ungerade, denn x 3 D .x/3 . An der Stelle x nimmt g als Funktionswert genau das Negative des Funktionswertes an der Stelle x an. Folglich ist der Graph von g punktsymmetrisch zum Punkt .0; 0/. Die Symmetrie beider Funktionsgraphen wird in Abb. 1.23 veranschaulicht. J a
b
Abb. 1.23 a Die gerade Funktion f W R ! R mit f .x/ D x 2 , b Die ungerade Funktion gW R ! R mit g.x/ D x 3 (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
1.5 Reelle Funktionen
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Definition 1.21 (periodische Funktionen) Sei eine Funktion f W R ! R gegeben. f heißt periodisch mit Periode T , wenn für alle x 2 R f .x C T / D f .x/ gilt. Der Verlauf des Graphen von f wiederholt sich also in Abschnitten der Breite T. Beispiel 1.19
Wenn wir die Funktion betrachten, die jeder Zeit t in Stunden die Uhrzeit zuweist, die die Uhr anzeigt, dann wiederholt sich der Funktionsverlauf alle 24 Stunden. Wenn die Uhr nur Uhrzeiten bis 12 Uhr anzeigt, dann wiederholt sich schon nach 12 Stunden alles. J
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass jede periodische Funktion f mit Periode T auch eine periodische Funktion mit Periode k T ist für eine beliebige Wahl von k 2 N. Beschreiben Sie mit eigenen Worten, warum das so ist. Finden Sie Beispiele für periodische Vorgänge in der Natur und notieren Sie jeweils die Periodenlänge T .
Definition 1.22 (Monotonie von Funktionen) Sei f W R ! R gegeben. f heißt monoton wachsend, wenn für alle x1 ; x2 2 R x1 x2 ) f .x1 / f .x2 / gilt. Der Graph von f fällt also im Verlauf niemals ab. f heißt monoton fallend, wenn für alle x1 ; x2 2 R x1 x2 ) f .x1 / f .x2 / gilt. Der Graph von f steigt also im Verlauf niemals. f heißt monoton, wenn f monoton wächst oder monoton fällt. f heißt streng monoton wachsend, wenn für alle x1 ; x2 2 R x1 x2 ) f .x1 / < f .x2 / gilt. Der Graph von f wächst also im Verlauf und trifft jede Parallele zur xAchse höchstens an einer Stelle.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
f heißt streng monoton fallend, wenn für alle x1 ; x2 2 R x1 x2 ) f .x1 / > f .x2 / gilt. Der Graph von f fällt also im Verlauf und trifft jede Parallele zur x-Achse höchstens an einer Stelle. Bemerkung 1.3 Man kann die Definition der Monotonie natürlich auch auf Intervalle Œa; b R beschränken und dann f in Œa; b als monoton wachsend definieren, wenn für alle x1 ; x2 2 Œa; b x1 x2 ) f .x1 / f .x2 / gilt. Wir sagen dann, dass f in Œa; b monoton wachsend ist. Analog funktioniert das für die anderen Monotoniearten. Das ist auch ziemlich sinnvoll, denn so kann man Funktionen abschnittsweise auf ihre Monotonie untersuchen. Die Unterscheidung zwischen Monotonie und strenger Monotonie wird in Abb. 1.24 veranschaulicht.
Abb. 1.24 Eine streng monoton wachsende Funktion f (blau), die überall im Definitionsbereich steigt und eine monoton wachsende Funktion g (rot), die aber wegen des konstanten Abschnittes nicht streng monoton wachsend ist (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
1.5 Reelle Funktionen
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Beispiel 1.20
Bei einer Wanderung sollte die Anzahl der zurückgelegten Kilometer über die Zeit monoton wachsend, aber nicht streng monoton wachsend sein. Die Anzahl wird über die Zeit nicht kleiner, kann aber bei einer Pause durchaus mal eine Weile konstant bleiben. Die Funktion f W R ! R mit f .x/ D x 2 ist streng monoton fallend in .1; 0 und streng monoton wachsend in Œ0; 1/. Die Anzahl der Aufrufe unserer Lernvideos zu diesem Buch ist über die Zeit monoton wachsend. Wir hoffen natürlich, dass dieses Wachstum nicht langsam, sondern schnell ist. Wie wir das untersuchen, erfahren Sie im Abschn. 3.4. J Zum Abschluss dieses Abschnittes stellen wir noch fest, dass streng monotone Funktionen stets auf ihrer Bildmenge umkehrbar sind: Satz 1.4 (Injektivität streng monotoner Funktionen) Ist eine Funktion f streng monoton (wachsend oder fallend), so ist sie injektiv. Beweis Wir beweisen den Satz für eine streng monoton wachsende Funktion f . Der Beweis für den Fall einer streng monoton fallenden Funktion f verläuft dann analog. Sei also f eine streng monoton wachsende Funktion. Angenommen, f sei nicht injektiv. Dann gibt es x ¤ x 0 mit x < x 0 und f .x/ D f .x 0 /. Das ist aber ein Widerspruch zur strengen Monotonie von f , denn aus dieser folgt f .x/ < f .x 0 /. Also war die Annahme falsch und f ist injektiv. Das ist auch anschaulich klar: Wenn eine Funktion die ganze Zeit steigt, dann kann es nicht passieren, dass sie an zwei verschiedenen Stellen den gleichen Wert annimmt. Wir wissen bereits aus Satz 1.3, dass injektive Funktionen auf ihrer Bildmenge umkehrbar sind. Folglich ist das nun für streng monotone Funktionen der Fall. Dieser Satz ist ziemlich praktisch. Wenn wir die Monotonie einer Funktion bereits untersucht haben und festgestellt haben, dass sie streng monoton ist, dann bekommen wir die Erkenntnis, dass wir die Funktion umkehren können, gleich mitgeschenkt. Wir lernen im nächsten Abschnitt eine ganze Reihe wichtiger Funktionstypen kennen. Sie sollten mit dem Wissen aus diesem Abschnitt gut vorbereitet sein, die jeweiligen Funktionen auf Symmetrie, Periodizität und Monotonie zu untersuchen. Auch unser Lernvideo zu Eigenschaften von Funktionen (Abb. 1.25) kann Ihnen helfen. Los geht es!
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Abb. 1.25 Lernvideo zu Eigenschaften von Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdb)
Übungsaufgaben zu Eigenschaften von Funktionen
1.18 Welche der folgenden Funktionen sind gerade/ungerade, welche periodisch, welche monoton wachsend/monoton fallend? a) f W R ! R mit f .x/ D x 2 C x 4 b) f W R ! R mit f .x/ D 3x C 8 c) f W R ! R mit f .x/ D 3 d) f W R ! R mit f .x/ D x 3 x 5 1.19 Welche der folgenden Aussagen sind korrekt? Welche sind falsch? Begründen Sie Ihre Antworten! Wenn die Funktion f monoton wachsend ist, dann ist die Funktion g mit g.x/ D f .x/ monoton fallend. Wenn die Funktion f gerade ist, dann ist die Funktion g mit g.x/ D f .x/ ungerade. Periodische Funktionen sind niemals streng monoton wachsend. Wenn f streng monoton wachsend ist, dann kann f nicht gerade sein.
1.5.2
Betragsfunktionen
Abweichungen spielen in vielen Anwendungskontexten eine wichtige Rolle. Denken Sie nur an folgende Sachverhalte: Beim Befüllen einer Packung Kartoffeln mit einem Sollgewicht von 2,5 Kilogramm darf die Packung verkauft werden, wenn die Abweichung vom Sollgewicht nicht größer als 200 Gramm ist. Ein Messgerät hat in der Regel eine gewisse Fehlertoleranz und misst eine Größe nur mit einer gewissen Genauigkeit. Die erlaubte Fehlertoleranz gibt die Genauigkeit des Messgerätes an. Bei dieser Fehlertoleranz kommt es nicht darauf an, ob das Messgerät einen zu großen oder einen zu kleinen Messwert bestimmt, sondern lediglich darauf, dass der Messwert um nicht mehr als die Fehlertoleranz vom tatsächlichen Wert abweicht.
1.5 Reelle Funktionen
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Zwei Freunde wandern aus verschiedenen Richtungen zu einem gemeinsamen Ziel. Sie haben sich vorgenommen, dort maximal mit einem zeitlichen Unterschied von 10 Minuten anzukommen. Wie können sie ihre Wanderungen so planen, dass keiner der beiden länger als 10 Minuten auf den anderen warten muss? (Dabei ist es uns egal, wer auf wen wartet.) Es lohnt sich also, die Funktion zu definieren, mit der man solche Abweichungen messen kann: Die Betragsfunktion absW R ! R hat die Abbildungsvorschrift abs.x/ D jxj mit ( x falls x 0 jxj WD x falls x < 0
Der Betrag einer reellen Zahl x gibt folglich an, wie weit x auf dem Zahlenstrahl von der 0 entfernt ist. Er ist daher immer nichtnegativ. Wenn x sowieso schon nichtnegativ ist, dann ist der Betrag von x einfach x selbst. Wenn x negativ ist, dann ist der Betrag von x gleich x, also wieder positiv. Beispielsweise ist j7j D 7 und j 7j D 7. Daher ist jx 3j der (positive) Abstand der Zahl x von der Zahl 3 und jx yj der (positive) Abstand der Zahlen x und y. Der Wert von jx yj gibt also an, wie weit x und y voneinander entfernt sind, ohne dass es dabei eine Rolle spielt, welche der beiden Zahlen die größere ist. Man sieht leicht ein, dass stets jx yj D jy xj gilt.
Aufgabe
Geben Sie mindestens drei Anwendungskontexte an, wo man Abweichungen sinnvoll mit der Betragsfunktion messen kann. Überlegen Sie sich mindestens drei weitere Anwendungskontexte, bei denen die Betragsfunktion wenig hilfreich ist, da es auf das Vorzeichen der Abweichung ankommt. Ein Beispiel: Der Betrag Ihres Kontostandes ist eine wenig hilfreiche Größe, denn das Vorzeichen des Kontostandes wird dabei vernachlässigt, obwohl es ziemlich bedeutsam ist.
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1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
1.5.3 Potenzfunktionen und Wurzelfunktionen Potenzfunktionen sind die Bausteine für Polynome. Um Polynome gut verstehen zu können, ist es daher ziemlich hilfreich, zunächst die Potenzfunktionen und deren Eigenschaften anzuschauen. Dafür erinnern wir uns zunächst, wie die n-te Potenz einer Zahl definiert ist. Definition 1.23 (Potenzen) Für n 2 N und x 2 R ist x n WD x :::… x „ x ƒ‚ n-mal n
die n-te Potenz von x. x ist folglich das n-fache Produkt der Zahl x mit sich selbst. Zudem definieren wir x 0 WD 1. Für n 2 N und x 2 R n f0g ist x n WD
1 xn
Wir stellen leicht fest, wie man mit Potenzen rechnen kann. Beispielweise ist x 2 x 3 D .x x/ .x x x/ D x 5 D x 2C3 Ähnlich erkennen wir, dass .x 2 /3 D x 2 x 2 x 2 D .x x/ .x x/ .x x/ D x 6 D x 23 Zudem betrachten wir noch einen Quotienten und erkennen durch Kürzen x6 xxxxxx x= x= x x x x D D x 4 D x 62 D 2 x= x= x xx Bilden wir die Potenz eines Produkts, so können wir die Faktoren vertauschen: .xy/3 D xy xy xy D x x x y y y D x 3 y 3 Diese beispielhaften Erkenntnisse kann man auch allgemein beweisen. Es gelten die folgenden Potenzgesetze: Satz 1.5 (Potenzgesetze) Für m; n 2 Z und passende Wahl von x 2 R gelten folgende drei Aussagen: (i) x m x n D x mCn
(ii) .x m /n D x mn
Außerdem gilt für passende x; y 2 R .xy/n D x n y n
(iii)
xm D x mn xn
1.5 Reelle Funktionen
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Genauso wie bei den Gesetzen zur Bruchrechnung (worüber wir in diesem Buch gar nicht gesprochen haben, da wir Ihre Kenntnisse der Bruchrechnung hier voraussetzen) ist es auch bei den Potenzgesetzen unerlässlich, diese sicher zu beherrschen. Das sichere Rechnen mit Potenzen gehört in Ihren Werkzeugkoffer der Dinge, die absolut notwendig sind. Übungsmöglichkeiten finden sich u. a. in [2, 3].
Aufgabe
Überprüfen Sie, ob Sie auf folgende Fragen sofort und ohne große Mühe eine Antwort haben: Wenn x > 0, ist dann auch x n für n 2 Z positiv? Wenn x < 0 ist, welches Vorzeichen hat dann x n für gerade Zahlen n 2 Z? Wenn x < 0 ist, welches Vorzeichen hat dann x n für ungerade Zahlen n 2 Z? Wenn x > 1 ist und n 2 N, ist x n dann größer oder kleiner als 1? Wenn x > 1 ist und n 2 Z negativ, ist x n dann größer oder kleiner als 1? Wenn 0 < x < 1 ist und n 2 N, ist x n dann größer oder kleiner als 1? Wenn 0 < x < 1 ist und n 2 Z negativ, ist x n dann größer oder kleiner als 1? Sollten Ihnen einzelne dieser Frage noch Probleme bereiten, dann lohnt es sich, jetzt Zahlenbeispiele auszuwählen und so die Antworten auf diese Fragen zu finden.
Allseits gefürchtet sind bei einigen Studierenden übrigens Aufgaben zu Potenzgesetzen der folgenden Form: Beispiel 1.21
Betrachten wir die Aufgabe, einen gegebenen Term mithilfe der Potenzgesetze so weit es geht zu vereinfachen: axCy b 2xC3y a5xy b 6Cy axCy b 2xC3y axC5y b 3xCy W D xC5y 3xCy a2x2 b 3Cy a5xy b 6Cy a2x2 b 3Cy a b axCyC5xy b 2xC3yC6Cy D 2x2xC5y 3CyC3xy a b a5 b 2xC4yC6 D x2C5y 6x a b D a7x5y b xC4y Dabei haben wir beim letzten Gleichheitszeichen direkt das dritte Potenzgesetz verwendet und den Zwischenschritt (anders als beim zweiten Gleichheitszeichen, wo wir das erste Potenzgesetz benutzt haben) nicht mehr hingeschrieben.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Finden Sie solche Aufgaben schwer? Zugegeben: Man hat es hier mit einer ganzen Menge Variablen und Potenzen zu tun, die zu verrechnen sind. Aber das Rechnen selbst folgt den Gesetzen zum Rechnen mit Brüchen und mit Potenzen. Also: Nur Mut, einfach machen! Das klappt! J Jetzt haben wir alles zusammen und können nun endlich die Potenzfunktionen definieren: Definition 1.24 (Potenzfunktionen) Für n 2 Z ist die n-te Potenzfunktion pn wie folgt definiert: Falls n 0 ist, dann ist pn W R ! R mit pn .x/ D x n . Falls n < 0 ist, dann ist pn W R ! R n f0g mit pn .x/ D x n . Wenn Sie die obigen Fragen alle gut beantworten konnten, dann ist Ihnen jetzt schon klar, dass das Aussehen des Graphen einer Potenzfunktion wesentlich davon abhängt, ob n gerade oder ungerade ist. Schauen wir uns zunächst die Potenzfunktionen mit den positiven Exponenten an. Sie sehen ausgewählte Funktionsgraphen solcher Funktionen in Abb. 1.26. a
b
Abb. 1.26 a Potenzfunktionen mit positiven geraden Exponenten. b Potenzfunktionen mit positiven ungeraden Exponenten (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
1.5 Reelle Funktionen
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Halten wir die Eigenschaften der entsprechenden Potenzfunktionen f mit f .x/ D x n mit positiven Exponenten n hier fest:
Definitionsmenge Bildmenge Symmetrie Monotonie
Umkehrbarkeit
n gerade R Œ0; 1/ gerade, denn f .x/ D f .x/ streng monoton fallend in .1; 0, streng monoton wachsend in Œ0; 1/ nein, denn nicht injektiv, da f .x/ D f .x/ für alle x
n ungerade R R ungerade, denn f .x/ D f .x/ streng monoton wachsend auf R
ja, da injektiv wegen der strengen Monotonie
Genauso untersuchen wir nun die Potenzfunktionen mit negativen Exponenten. Deren Aussehen lässt sich am besten verstehen, wenn man sie sich in der Form f .x/ D x n D x1n für n 2 N vorstellt. Ausgewählte Graphen dieser Potenzfunktionen finden Sie in Abb. 1.27. a
b
Abb. 1.27 a Potenzfunktionen mit negativen geraden Exponenten. b Potenzfunktionen mit negativen ungeraden Exponenten (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Eine analoge Untersuchung der Eigenschaften von Funktionen f der Form f .x/ D 1 x n mit n 2 N ergibt: Definitionsmenge Bildmenge Symmetrie Monotonie
Umkehrbarkeit
n gerade R n f0g .0; 1/ gerade, denn f .x/ D f .x/ streng monoton wachsend in .1; 0/, streng monoton fallend in .0; 1/ nein, denn nicht injektiv, da f .x/ D f .x/ für alle x
n ungerade R n f0g R n f0g ungerade, denn f .x/ D f .x/ streng monoton fallend in .1; 0/, streng monoton fallend in .0; 1/ ja, da injektiv
Hier passiert etwas Spannendes: Auf jedem Teilintervall ihres Definitionsbereiches ist f mit f .x/ D x1n für ungerades n streng monoton fallend, aber f ist nicht auf ihrer gesamten Definitionsmenge streng monoton fallend. Nach der Definitionslücke an der Stelle 0 sind die Funktionswerte nämlich viel größer als vorher. Dennoch ist f injektiv, denn bei negativen Argumenten ist auch f negativ, bei positiven Argumenten ist auch f positiv. Vielleicht haben Sie sich gewundert, dass wir an dieser Stelle nicht das Verhalten im Unendlichen untersucht haben. Sätze der Form „Für f mit f .x/ D x 2 gilt, dass die Funktionswerte gegen unendlich gehen, wenn x gegen 0 geht.“ können wir aktuell schon anschaulich nachvollziehen. Das nötige mathematische Vokabular erarbeiten wir uns aber erst im Abschn. 3.3. Wir wollen uns nun mit den Umkehrabbildungen der Potenzfunktionen beschäftigen. Bei einer reellen Funktion nennen wir die Umkehrabbildung einfach Umkehrfunktion. Obwohl wir das allgemeine Vorgehen zur Bestimmung von Umkehrfunktionen reeller Funktionen erst im Abschn. 1.5.7 behandeln, führen wir an dieser Stelle schon einmal die Wurzelfunktionen als Umkehrfunktionen der Potenzfunktionen ein. Wie wir uns eben erarbeitet haben, müssen wir dabei wieder gerade und ungerade Werte für n einzeln betrachten. Wir beschränken uns auf positive Werte für n. Schauen wir uns zunächst den Fall an, dass f .x/ D x n mit geradem n ist. Da f nicht injektiv ist, müssen wir uns eine Teilmenge des Definitionsbereiches aussuchen, in welcher f injektiv ist. Wir wählen das Teilintervall Œ0; 1/ aus: Definition 1.25 (n-te Wurzelfunktion für gerades n) Sei eine Funktion f W Œ0; 1/ ! Œ0; 1/ mit f .x/ D x n und geradem n 2 N gegeben. Dann heißt ihre Umkehrfunktion p f 1 W Œ0; 1/ ! Œ0; 1/ mit f 1 .x/ D n x p die n-te Wurzelfunktion. Dabei ist n x die eindeutige Lösung y der Gleichung y n D p p 2 x. Falls n D 2 ist, schreiben wir oft einfach x WD x.
1.5 Reelle Funktionen
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b
Abb. 1.28 a f Wp Œ0; 1/ ! Œ0; 1/ mit f .x/ D x 2 und ihre Umkehrfunktion f 1 W Œ0; 1/ ! Œ0; 1/ mit f 1 .x/pD x. b f W R ! R mit f .x/ D x 3 und ihre Umkehrfunktion f 1 W R ! R mit f 1 .x/ D 3 x (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
I
Achtung Man kann keine geraden Wurzeln aus negativen Zahlen ziehen. Eine Wurzel mit geradem Exponenten ist nie negativ.
Analog können wir Wurzelfunktionen für ungerade Exponenten einführen. Hier können wir auf ganz R eine Umkehrfunktion definieren: Definition 1.26 (n-te Wurzelfunktion für ungerades n) Sei eine Funktion f W R ! R mit f .x/ D x n und ungeradem n 2 N gegeben. Dann heißt ihre Umkehrfunktion f 1 W R ! R mit f 1 .x/ D die n-te Wurzelfunktion. Dabei ist y n D x.
p n x
p n x die eindeutige Lösung y der Gleichung
Beispielhaft sind Potenzfunktionen und ihre Umkehrfunktionen in Abb. 1.28 zu finden. I
Achtung Sind Sie eben über etwas gestolpert? Wir müssen an dieser Stelle ganz genau aufpassen, was wir von der Mathematik geschenkt bekommen und was wir selbst als Notation und Schreibweise einführen. Also halten wir kurz inne und machen uns Folgendes klar: Die eindeutige Lösung y von y n D x gibt es wegen der Injektivität. Also gibt es auch die Umkehrfunktion f 1 . Wir nennen die einp n deutige Lösung y einfach x. Diese Schreibweise haben sich die
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Mathematiker ausgedacht. Dann gilt nach Konstruktion p p n x n D . n x/n D x So ist das eben bei Umkehrfunktionen. So weit, so gut. Wenn wir einen kritischen Blick auf die Potenzgesetze werfen, dann sagt uns aber auch das zweite Potenzgesetz, dass 1
1
1
.x n / n D .x n /n D x n n D x 1 D x gilt. Stop! Wir haben das Potenzieren mit nichtganzzahligen rationalen Exponenten ja noch gar nicht definiert. Schauen Sie in Definition 1.23! Dort haben wir nur definiert, wie wir x n für ganzzahlige Exponenten n bestimmen können. Dieses Problem können wir nun 1 ganz elegant lösen. Wir definieren x n einfach so, dass alles wieder gut mit den Potenzgesetzen zusammenpasst. Das führt uns zu folgender Definition: Definition 1.27 (Potenzen mit rationalen Exponenten) Für n 2 N und passendes x 2 R (bei geradem n muss x nichtnegativ sein) ist 1
x n WD
p n x
Bemerkung 1.4 Haben wir Potenzen jetzt für alle rationalen Exponenten definiert oder nur für Exponenten der Form n1 ? Ersteres ist der Fall, denn p
p q xp p 1 D .x q /p D . q x/p 1
x q D .x p / q D
So schön ist die Mathematik. Man hat fast das Gefühl, dass Pippi Langstrumpf um die Ecke schaut und „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ singt. Wir haben 1 uns einfach das x n so definiert, wie es uns passt. Alle Potenzgesetze gelten uneingeschränkt nun auch für rationale Exponenten und alles passt prima zusammen. Begeistert Sie das auch? Wenn Sie jetzt dennoch genug von Definitionen und Theorie haben, kann ich das gut verstehen. Sie haben sich ein paar Beispiele verdient.
1.5 Reelle Funktionen
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Beispiel 1.22
Wir berechnen ein paar Wurzelausdrücke: p D 10, denn 103 D 1000 3 1000 p 1 p 27 3 D 3 27 D 3, denn 33 D 27 .x 2/2 D jx 2j, denn x 2 kann positiv oder negativ sein. Wenn man x 2 erst quadriert und dann die Wurzel zieht, erhält man x 2, wenn x 2 schon positiv war und sonst .x 2/. Das entspricht genau dem Betrag von x 2. Die Gleichung .x 2/2 D 9 hat zwei Lösungen, denn es gibt zwei p Zahlen, deren Quadrat die Zahl 9 ergibt. Die beiden Zahlen lauten x 2 D ˙ 9 D ˙3. Damit erhalten wir die erste Lösung als Lösung von x 2 D 3 und die zweite Lösung als Lösung von x 2 D 3. Damit gilt .x 2/2 D 9
,
xD5
_
x D 1
Die Gleichung hat zwei Lösungen. J Beispiel 1.23
Gleichungen mit Wurzelausdrücken sind mit Vorsicht zu genießen. Suchen wir p beispielsweise alle reellen Lösungen x der Gleichung 2 x D x, dann erhalten wir durch Quadrieren die Implikation p 2 x D x ) 4 4x C x 2 D x Offensichtlich ist x D 4 p eine Lösung der Gleichung auf der rechten Seite. Wegen 2 4 D 2 ¤ 2 D 4 ist dies aber keine Lösung der Ausgangsgleichung. Wir haben eine Scheinlösung erhalten, die wir nach der Probe wieder verwerfen müssen. Grund ist, dass wir oben nur eine Implikation vorfinden, aber keine Äquivalenz. Wenn zwei quadrierte Terme (hier .2/2 und 22 ) gleich sind, müssen die Terme, die wir quadriert haben, noch lange nicht gleich gewesen sein (hier 2 ¤ 2). Auch p x D 1 ist eine Lösung der Gleichung auf der rechten p Seite. Wegen 2 1 D 1 ist dies auch eine Lösung der Gleichung 2 x D x. J Nehmen Sie gerne den Hinweis mit, dass man bei Gleichungen mit Wurzelausdrücken stets eine Probe machen sollte, um Scheinlösungen aufzuspüren. Zudem sollte man sich, wenn man beim Lösen der Gleichungen beide Seiten der Gleichung quadriert, immer bewusst machen, dass man dadurch keine Äquivalenzumformung vorgenommen hat. Das strategische Lösen von Gleichungen wird noch einmal ganz ausführlich im Abschn. 1.6 behandelt. Beispiel 1.24
Wie groß ist der Radius eines kugelförmigen Körpers mit einem Fassungsvermögen von 8000 Litern?
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Diese Fragestellung führt uns auf eine Gleichung mit Potenzen. Das Kugelvolumen hängt vom Radius der Kugel wie folgt ab: V D
4 3 r 3
Rechnen wir in Kubikmetern (1000 Liter sind ein Kubikmeter), dann erhalten wir: V D8D
4 3 3 1 6 r , r3 D 8 D 3 r 4 6 3 ,rD 1;24
Damit beträgt der gesuchte Radius der Kugel etwa 1,24 Meter. Diesen Wert können Sie mit dem Taschenrechner berechnen. Sie können sich aber zumindest die Größenordnung selbst überlegen. 6 ist so ungefähr 2. Wir suchen also eine Zahl, die mit 3 potenziert etwa 2 ergibt. Wegen 13 D 1 und 23 D 8 und wegen der Monotonie der dritten Potenzfunktion sieht man leicht ein, dass der gesuchte Radius größer als 1 und deutlich kleiner als 2 sein muss. J Numerische Berechnung von Wurzelausdrücken An dieser Stelle lohnt es sich, die Idee zur numerischen Berechnung von Wurzelausdrücken zu verallgemeinern. Wurzelausdrücke können unendliche, nichtperiodip sche Dezimalbrüche sein. Wie bekommen wir heraus,p wie groß beispielsweise 2 näherungsweise ist? Machen Sie sich bewusst, dass 2 die positive Lösung der Gleichung x 2 D 2 ist. Wegen der Monotonie der Potenzfunktion f mit f .x/ D x 2 ist Folgendes der Fall: Für positive x wird x 2 größer, p wenn x größer wird. Wenn also a2 < 2 und b 2 > 2 ist, dann wissen wir, dass 2 2 Œa; b liegen muss. Die Zahl a ist noch zu klein und die Zahl b ist schon zu groß, um die Wurzel aus 2 sein zu können. Daraus ergibt sich folgendes Näherungsschema zur Berechnung der positiven Lösung von x 2 D 2: 12 < x 2 < 22 1;96 D .1;4/2 < x 2 < .1;5/2 D 2;25 1;9981 D .1;41/2 < x 2 < .1;42/2 D 2;0164 1;999396 D .1;414/2 < x 2 < .1;415/2 D 2;002225 Man kann das Verfahren weiterführen, um eine noch größere Genauigkeit zu erreichen. Nach weiteren Schrittenperhält man x 1;414213562. Wir können mit diesem Verfahren der Wert von x D 2 beliebig genau durch rationale Zahlen annähern. Das Verständnis für Potenz- und Wurzelfunktionen lässt sich durch ein wenig Übung gut vertiefen. Nutzen Sie dafür gerne auch unsere Lernvideos (Abb. 1.29, 1.30) zu diesem Thema.
1.5 Reelle Funktionen
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Abb. 1.29 Lernvideo zum Rechnen mit Potenzen (https://doi.org/10.1007/000-bdc)
Abb. 1.30 Lernvideo zum Rechnen mit Wurzeln (https://doi.org/10.1007/000-bdd)
Übungsaufgaben zu Potenz- und Wurzelfunktionen
1.20 Vereinfachen Sie folgende Terme unter Verwendung der Potenzgesetze: 3 p a) xyx 2 y 4 b) c)
x 3 y 2 z 7 x 2 y 3 z .a4 b 4 /.ab/.aCb/ .a2 Cb 2 /.a2 2abCb 2 / 2 t b7 s aCb t 2a3b W s 3st 6aC2b s 3aC5b t aC6b
d) 1.21 Entscheiden Sie jeweils, ob die folgenden Gleichungen lösbar sind und geben Sie gegebenenfalls die Lösungen an: a) p x 2 C x 4 D 2 b) 4 x 3 D 16 c) x 7 D 128 d) .x 3/2 D 25 p 1.22 Berechnen Sie näherungsweise den Wert von 5 mit einer Genauigkeit von 4 Stellen nach dem Komma.
1.5.4 Polynome Eine Vielzahl von physikalischen Gesetzmäßigkeiten lässt sich durch Polynomfunktionen beschreiben. Eine wichtige Rolle spielen dabei insbesondere die quadratischen Polynome. Schauen wir uns zunächst ein Anwendungsbeispiel an:
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Abb. 1.31 Flugkurve einer Kugel beim Kugelstoßen (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Ein Zehnkämpfer stoße seine Kugel so, dass die Flugbahn durch folgenden Funktionsterm beschrieben werden kann: f .x/ D 0;06x 2 C 0;96x C 1;98 Dabei ist x 0, die Entfernung vom Wurfkreis wird durch die Variable x in Metern gemessen und die Funktionswerte geben die Höhe der Kugel in Metern an. Der Funktionswert an der Stelle 0 entspricht hierbei der Abwurfhöhe des Sportlers. Die positive Nullstelle von f definiert folglich die Wurfweite und der größte Wert von f definiert die größte erreichte Höhe der Kugel. Abb. 1.31 illustriert den Wurf. Die Bestimmung von Nullstellen und weiteren Eigenschaften von quadratischen (und anderen Polynomfunktionen) soll im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Bevor wir uns Polynome beliebigen Grades anschauen, erinnern wir Sie kurz an Ihr Schulwissen zu quadratischen Polynomen p der Form p.x/ D ax 2 C bx C c. Die Funktionsgraphen sind Parabeln, die je nach Vorzeichen von a nach oben oder unten geöffnet sind. Die Scheitelpunkte dieser Parabeln können wir mit dem Verfahren der quadratischen Ergänzung bestimmen: Beispiel 1.25
Wir untersuchen das Polynom p mit p.x/ D x 2 C 6x C 8. Unter Verwendung der ersten binomischen Formel können wir es in die Form 6 2 6 2 x 2 C 6x C 8 D x 2 C 6x C C8 2 2 D .x 2 C 6x C 9/ 9 C 8 D .x C 3/2 1 bringen. Dabei haben wir erkannt, dass bei der ersten binomischen Formel .a C b/2 D a2 C 2ab C b 2 die Zahl 6 die Rolle von 2b übernimmt und folglich b D 3 gewählt werden muss.
1.5 Reelle Funktionen
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Der Graph ist eine um drei Einheiten nach links und um eine Einheit nach unten verschobene Normalparabel (siehe Abschn. 1.5.9 zum Einfluss von Parametern auf Funktionsgraphen). Wir können folglich den Scheitelpunkt S D .3; 1/ direkt schlussfolgern. Die Stelle x D 3 ist die Stelle, an der der Funktionswert minimal wird. Die Parabel ist nach oben geöffnet.
Das Verfahren der quadratischen Ergänzung funktioniert analog, wenn der Koeffizient vor dem x negativ ist. Dann brauchen wir die zweite binomische Formel. J Wer sein Wissen zu quadratischen Funktionen nochmal auffrischen möchte, findet weitere Übungsbeispiele in [3]. Ich finde, wir haben uns nun ein paar abstraktere Fragestellungen verdient. Bei solchen müssen wir uns ein wenig mehr Notation gefallen lassen. Sind Sie dabei? Dann lassen Sie uns mit der Definition allgemeiner Polynomfunktionen loslegen: Definition 1.28 (Polynom) Ein Polynom vom Grad n 2 N ist eine Funktion f W R ! R der Form f .x/ D an x C an1 x n
n1
C C a1 x C a0 D
n X
aj x j
j D0
mit Koeffizienten a0 ; : : : ; an 2 R und an ¤ 0. Wir schreiben auch grad.f / D n für den Grad von f . Dabei ist ein Polynom vom Grad n D 0 eine konstante Funktion, ein Polynom vom Grad n D 1 eine lineare Funktion und ein Polynom vom Grad n D 2 eine quadratische Funktion.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Es gibt zahlreiche Anwendungen, bei denen Messwerte einer Kurve bekannt sind und der durch die gegebenen Punkte verlaufende Funktionsgraph gesucht wird. Diese Aufgabe nennt man Interpolationsaufgabe. Polynome spielen bei Interpolationsaufgaben eine wichtige Rolle. Es gilt folgender Satz: Satz 1.6 (Interpolation gegebener Punkte durch ein Polynom) Für n C 1 Punktepaare .x0 ; y0 /; : : : ; .xn ; yn / mit xi ¤ xj für i ¤ j gibt es genau ein Polynom f vom Grad höchstens n, so dass f .xi / D yi für alle i D 0; : : : ; n gilt. Wenn wir uns also drei Punkte mit verschiedenen x-Koordinaten vorgeben, dann finden wir genau ein Polynom vom Grad höchstens zwei, welches durch die drei Punkte verläuft. Beispiel 1.26
Gesucht ist ein Polynom p der Form f .x/ D ax 2 C bx C c, welches durch die drei Punkte .0; 16/, .1; 9/ und .2; 36/ verläuft. Wir lösen die Interpolationsaufgabe, indem wir die drei Punkte in die Funktionsvorschrift einsetzen. Das liefert ein lineares Gleichungsystem: 16 D a 02 C b 0 C c
16 D c
9Da1 Cb1Cc
,
2
36 D a .2/ C b .2/ C c 2
9DaCbCc 36 D 4a 2b C c
Setzen wir c D 16 in die zweite und in die dritte Gleichung ein, so erhalten wir die beiden Gleichungen 7 D a C b 20 D 4a 2b Die erste Gleichung lässt sich leicht zu b D 7 a umstellen. Einsetzen in die zweite Gleichung liefert 20 D 4a 2.7 a/. Nach Auflösen dieser linearen Gleichung erhalten wir a D 1. Wir bestimmen anschließend noch b D 8. Das gesuchte Polynom ist f .x/ D x 2 8x C 16. J Wenn Sie ähnliche Interpolationsaufgaben lösen, dann können Sie zum Schluss leicht eine Probe machen, indem Sie durch Einsetzen prüfen, ob die vorgegebenen Punkte wirklich zum berechneten Polynom gehören. Wie bereits angekündigt, interessieren wir uns insbesondere für Nullstellen von Polynomen. Bevor wir uns damit beschäftigen, wie viele Nullstellen ein Polynom maximal haben kann und wie wir Sie bestimmen können, machen wir ein paar interessante Entdeckungen:
1.5 Reelle Funktionen
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Bemerkung 1.5 Jedes Produkt von Polynomen ist wieder ein Polynom, denn beim Ausmultiplizieren von einem solchen Produkt kommt wieder eine Polynomfunktion heraus. Ein Beispiel: .x 2 C 5/.x 2 7x C 3/ D x 4 7x 3 C 3x 2 C 5x 2 35x C 15 D x 4 7x 3 C 8x 2 35x C 15 Wenn bei einem Produkt f von verschiedenen Polynomen einer der Faktoren die Form .x a/ für eine Zahl a 2 R hat, dann ist a eine Nullstelle des Polynoms f . Sei dafür f von folgender Form mit einem beliebigen Polynom g : f .x/ D .x a/ g.x/
)
f .a/ D 0
Warum? Beim Einsetzen von x D a wird a a D 0 und damit entsteht ein Faktor vom Wert 0, der das gesamte Produkt 0 werden lässt. Wenn f .x/ D .x a/ g.x/, dann ist der Grad von g um 1 kleiner als der Grad von f . Das sieht man leicht ein, da wegen des Multiplizierens mit .x a/ die höchste auftretende Potenz beim Polynom f um 1 größer ist als beim Polynom g. Wenn ein Polynom die Form f .x/ D .x a/ g.x/ hat, dann nennen wir .x a/ einen Linearfaktor von f . Mit den obigen Bemerkungen sind wir gut gerüstet für den folgenden Satz: Satz 1.7 (Abspaltung eines Linearfaktors bei Polynomen) Sei ein Polynom f vom Grad n gegeben und sei a 2 R eine Nullstelle von f . Dann gibt es ein Polynom g vom Grad n 1 mit f .x/ D .x a/ g.x/ d. h. f hat einen Linearfaktor der Form .x a/. Sehen Sie die Tragweite von Satz 1.7? Finden wir alle Linearfaktoren von f , dann finden wir alle Nullstellen. Und da jeder Linearfaktor in einem Produkt von Polynomen den Wert 1 zum Grad des Gesamtpolynoms beiträgt, können wir auch maximal n Linearfaktoren bei einem Polynom vom Grad n finden. Daraus folgt der folgende Satz: Satz 1.8 (Anzahl der Nullstellen von Polynomen) Jedes Polynom vom Grad n hat höchstens n reelle Nullstellen.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Toll, oder? Übrigens müssen wir dabei beachten, dass Linearfaktoren auch mehrfach auftreten können und dann auch mehrfach gezählt werden. Wir sagen, ein Polynom f vom Grad n der Form f .x/ D .x a/t g.x/ mit einem Polynom g vom Grad n t hat an der Stelle a eine t-fache Nullstelle. Die Zahl t heißt dann Vielfachheit der Nullstelle a. Beispiel 1.27
Betrachten wir die drei quadratischen Polynome f , g und h mit den Abbildungsvorschriften f .x/ D .x 2/2 : f hat eine doppelte Nullstelle an der Stelle x D 2. Dies ist die Stelle, an der der Graph von f die x-Achse berührt, aber nicht schneidet. g.x/ D .x C 3/.x C 6/: g hat zwei verschiedene Nullstellen, nämlich x D 3 und x D 6. An diesen beiden Stellen wird die x-Achse geschnitten h.x/ D .x C 2/2 C 1: h hat überhaupt keine Nullstelle, weil der Wert von h überall echt positiv ist. Der Funktionsgraph verläuft vollständig oberhalb der x-Achse. Abb. 1.32 illustriert die drei auftretenden Fälle bei quadratischen Funktionen. Sie können keine, eine (doppelte) oder zwei reelle Nullstellen haben. J
Abb. 1.32 Bei quadratischen Funktionen kann es keine, eine (doppelte) oder zwei reelle Nullstellen geben (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
1.5 Reelle Funktionen
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Beispiel 1.28
Auch bei Polynomen dritten Grades können verschiedene Fälle auftreten: f .x/ D .x 1/.x 5/.x C 2/ D x 3 4x 2 7x C 10: drei verschiedene Nullstellen f .x/ D .x 1/2 .x C 2/ D x 3 3x C 3: eine doppelte Nullstelle, eine einfache Nullstelle f .x/ D .x 2 C 1/.x 2/ D x 3 2x 2 C x 2: nur eine einfache Nullstelle (x 2 C 1 ist stets positiv, so dass wir hier keine weiteren Linearfaktoren abspalten können.) J Der folgende Satz fasst alles zusammen, was wir uns bis hierhin erarbeitet haben: Satz 1.9 (Linearfaktorzerlegung bei Polynomen) Sind x1 ; : : : ; xm die Nullstellen des Polynoms f mit den Vielfachheiten k1 ; : : : ; km , dann gilt f .x/ D .x x1 /k1 .x x2 /k2 .x xm /km h.x/ für ein Polynom h ohne reelle Nullstellen. Das Polynom h ist entweder konstant oder besteht aus Potenzen quadratischer Polynome. Das Ziel wird es im Folgenden sein, die Linearfaktorzerlegung von Polynomen zu bestimmen. Dies ist gleichbedeutend mit der Bestimmung aller Nullstellen und deren Vielfachheiten. Machen wir uns ans Werk! Zunächst sollten wir uns bewusst machen, dass wir bei Polynomen zweiten Grades, also bei quadratischen Funktionen, leichtes Spiel haben. Wir können die Nullstellen und damit die Linearfaktoren einfach mithilfe der p-q-Formel oder des Satzes von Vieta bestimmen. Wenn Ihnen etwas davon nicht mehr geläufig sein sollte, dann schauen Sie in Abschn. 1.6. Bei Polynomen ab Grad 3 wird es dann komplizierter. Geschlossene Formeln für die Nullstellen von Polynomen dritten Grades liefern die Cardanischen Formeln (vgl. [5]). Sie wurden zuerst 1545 vom italienischen Mathematiker Gerolamo Cardano veröffentlicht und zwar zusammen mit Lösungsformeln für die Nullstellen von Polynomen vierten Grades. Alle diese Formeln sind gut zu gebrauchen, aber schlecht zum Auswändiglernen geeignet. In der Praxis, wo man sich oft für numerische Näherungslösungen interessiert, wendet man sie auch eher seltener an. Was aber wirklich mathematisch aufregend und spannend ist, ist die Tatsache, dass man für Polynome fünften und höheren Grades solche expliziten Formeln gar nicht finden kann. Wir gehen darauf hier nicht näher ein, auch wenn diese Erkenntnis große Auswirkungen auf andere Gebiete der Mathematik hat. Wenn Sie das spannend finden, lohnt sich eine Beschäftigung mit der Galois-Theorie. Mehr hierzu finden Sie in [5]. Auf etwas anderes wollen wir aber an dieser Stelle ganz genau eingehen. Und zwar gehen wir der Frage nach, wie wir die Linearfaktorzerlegung von Polynomen bestimmen können, wenn wir einzelne Nullstellen bereits kennen. Dazu benötigen wir
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
das Verfahren der Polynomdivision. Es wird bei Fragen der folgenden Form helfen: Wenn wir wissen, dass x D 2 eine Nullstelle des Polynoms f .x/ D x 5 2x 4 C x 2 ist, wie bekommen wir dann die folgende Darstellung ausgerechnet? x 5 2x 4 C x 2 D .x 2/.x 4 C 1/ Die Darstellung liefert zwei Erkenntnisse: Zum einen haben wir mit ihr nachgewiesen, dass x D 2 wirklich eine Nullstelle von f ist und zum anderen sehen wir leicht, dass es auch die einzige ist. Der Term x 4 C 1 ist stets positiv und wird also niemals Null. Anschaulich muss man also das Polynom f durch .x 2/ teilen und erhält x 4 C 1. Die Division geht ohne Rest auf. Kann das auch mal anders sein? Ja, kann es! Wenn x D 2 eine Nullstelle ist, dann muss das aufgehen, aber wenn man ein beliebiges Polynom durch einen Linearfaktor .x a/ teilt, wobei a keine Nullstelle ist, dann kann eben bei der Division auch ein Rest bleiben. Die Grundlage für das Verfahren der Polynomdivision liefert der folgende Satz: Satz 1.10 (Polynomdivsion) Zu Polynomen f und g ¤ 0 gibt es eindeutig bestimmte Polynome h und r mit grad.r/ < grad.g/ und f .x/ D h.x/g.x/ C r.x/
Aufgabe
Machen Sie sich die Aussage von Satz 1.10 bewusst. Eine leichte Umformung ergibt f .x/ r.x/ D h.x/ C g.x/ g.x/ Was bedeutet das in dem Fall, dass der Rest r.x/ das Nullpolynom ist? Wann kann man davon sprechen, dass ein Polynom ein Teiler eines anderen Polynoms ist?
Beispiel 1.29
Die Polynomdivision wird ähnlich durchgeführt wie eine schriftliche Division von Zahlen. Unter Verwendung der Vokabeln „Quotient = Dividend durch Divisor “ gehen wir wie folgt vor: Wir schauen, wie oft der Divisor auf jeden Fall in den Dividenden passt und ziehen das entsprechende Vielfache schon einmal ab. Dann verfahren wir mit dem Rest analog, bis der Rest „kleiner“ ist als der
1.5 Reelle Funktionen
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Divisor. Ein Beispiel:
x 5 2x 4 C x 2 x 2 D x 4 C 1 x 5 C 2x 4 x 2 xC2 0
Wir teilen dabei zunächst den Summanden mit der höchsten Potenz des Dividenden (hier x 5 ) durch den Summanden mit der höchsten Potenz des Divisors (hier x) und erhalten x 4 . Dann haben wir aber schon x 4 .x 2/ D x 5 2x 4 abgezogen. Das ziehen wir vom Ausgangspolynom ab und erhalten den Rest x 2. Davon nehmen wir uns wieder die höchste Potenz, diesmal x und teilen erneut durch x. Wir erhalten 1. Diesmal haben wir also 1 .x 2/ abgezogen. Das führt uns auf einen Rest von 0. Wir sind fertig. Wir erhalten nach Multiplikation mit x 2 auf beiden Seiten der Gleichung die zuvor bereits erwähnte Darstellung x 5 2x 4 C x 2 D .x 2/.x 4 C 1/ Diese Darstellung stimmt übrigens auch für x D 2, obwohl die Division natürlich nur für x ¤ 2 erlaubt war. Auf beiden Seiten der Gleichung steht dann 0, da x D 2 eine Nullstelle des Polynoms f ist. Der Vollständigkeit halber geben wir hier noch die Zerlegung von f in Linearfaktoren und quadratische Faktoren an: x 5 2x 4 C x 2
p p D .x 2/.x 4 C 1/ D .x 2/ x 2 C 2 x C 1 x 2 2 x C 1
Das Polynom f hat keine weiteren Nullstellen. J Sie haben sich ein zweites Beispiel zur Polynomdivision verdient, diesmal eines mit Rest: Beispiel 1.30
4x C 2 x 4 C 3x 3 x 2 2x C 4 x 2 x C 1 D x 2 C 4x C 2 C 2 x xC1 x4 C x3 x2 4x 3 2x 2 2x 4x 3 C 4x 2 4x 2x 2 6x C 4 2x 2 C 2x 2 4x C 2
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Auch hier teilt man jeweils den Summanden mit der höchsten Potenz im Dividenden (zu Beginn x 4 ) jeweils durch den Summanden mit der höchsten Potenz des Divisors (hier x 2 ) und zieht schrittweise die bereits abgezogenen Terme vom Dividenden ab und teilt den Rest weiter. Man ist fertig, wenn der Grad vom Rest kleiner ist als der Grad des Divisors (hier 2). Das ist beim linearen Restpolynom 4x C 2 der Fall. Da sich dies nicht weiter teilen lässt, wird der Quotient aus Restpolynom und Divisor als Summand im Ergebnis addiert. Man erhält wieder nach Multiplikation mit dem Divisor die Darstellung aus Satz 1.10: x 4 C 3x 3 x 2 2x C 4 D .x 2 x C 1/.x 2 C 4x C 2/ C .4x C 2/ J Übrigens: Haben Sie mal irgendwo das Horner-Schema kennengelernt und fragen sich, ob man Polynome auch damit in Linearfaktoren zerlegen kann? Wenn ja, dann nutzen Sie es gerne weiterhin. Es wird die gleiche Rechnung durchgeführt, nur die Art und Weise, sie aufzuschreiben, ist ein wenig anders.
Aufgabe
Wir haben in diesem Kapitel fast immer Polynome in Linearfaktoren zerlegt, deren führender Koeffizient vor der höchsten Potenz von x gleich 1 ist. Machen Sie sich bewusst, dass ein Polynom f der Form f .x/ D an x n C an1 x n1 C C a2 x 2 C a1 x C a0 in die Form f .x/ D an .x n C
an1 n1 a2 a1 a0 x C C x2 C x C / an an an an
gebracht werden kann und folglich die gleichen Nullstellen (und damit die gleichen Linearfaktoren) besitzt wie xn C
an1 n1 a2 a1 ao x C C x2 C x C an an an an
Zerlegen Sie mithilfe dieser Überlegung das Polynom 3x 3 C 6x 2 3x 6 in Linearfaktoren, indem Sie zunächst den Vorfaktor 3 ausklammern und anschließend Polynomdivision anwenden.
Es lohnt sich, die Interpolation von Polynomen und die Polynomdivision noch einmal in unseren Lernvideos (Abb. 1.33, 1.34) nachzuvollziehen. Dazu wäre jetzt eine gute Gelegenheit.
1.5 Reelle Funktionen
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Abb. 1.33 Lernvideo zur Interpolation von Polynomen (https://doi.org/10.1007/000-bde)
Abb. 1.34 Lernvideo zur Polynomdivision (https://doi.org/10.1007/000-bdf)
Übungsaufgaben zu Polynomen
1.23 Bestimmen Sie das Polynom p der Form p.x/ D ax 2 C bx C c, welches durch die Punkte .1; 5/, .1; 15/ und .3; 21/ verläuft. 1.24 Zerlegen Sie die folgenden Polynome in Linearfaktoren und Polynome zweiten Grades ohne reelle Nullstellen. Nutzen Sie dafür auch die Polynomdivision. a) p.x/ D x 3 C 3x 2 x 3 b) p.x/ D x 3 x 2 C 2x 2 c) p.x/ D x 3 6x 2 C 11x 6 d) p.x/ D x 3 8x 2 C 5x C 50
1.5.5 Gebrochen-rationale Funktionen Nachdem wir uns ausführlich mit Polynomen beschäftigt haben, betrachten wir nun Funktionen, deren Funktionsvorschrift ein Quotient zweier Polynome ist. Solche Funktionen nennen wir gebrochen-rationale Funktionen. Sie sind besonders spannend, da sie im Allgemeinen nicht überall auf R definiert sind (Sie haben sogenannte Polstellen.), man mithilfe der Polynomdivision dennoch ganz gut ergründen kann, wie die Funktionsgraphen aussehen und
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1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
man das ausgefeilte Verfahren der Integration durch Partialbruchzerlegung anwenden muss, um Integralrechnung mit solchen Funktionen zu betreiben (siehe Abschn. 3.5.5.3). Sie können hier also eine Menge Mathematik erleben! Wir starten mit der Definition: Definition 1.29 (Gebrochen-rationale Funktionen) Eine Funktion f W D ! R heißt gebrochen-rationale Funktion, wenn es Polynome p und q gibt mit f .x/ D
p.x/ q.x/
Die Funktion f ist also der Quotient zweiter Polynomfunktionen. Dabei ist der Definitionsbereich D D RnNq , wobei Nq die Nullstellenmenge der Nennerfunktion q ist.
Aufgabe
Überlegen Sie, warum man im Definitionsbereich die Nullstellenmenge der Nennerfunktion ausschließen muss. Warum darf man die Nullstellen von q nicht in die Funktion f einsetzen?
Zwei ganz einfache Vertreter der gebrochen-rationalen Funktionen sind x 7! x1 D x 1 und x 7! x12 D x 2 . Wir sind Ihnen bereits im Abschn. 1.5.3 begegnet. Die a
b
Abb. 1.35 Die Funktionen mit den Abbildungsvorschriften x 7! erstellt mit GeoGebra)
1 x
(a) und x 7!
1 x2
(b) (Abbildung
1.5 Reelle Funktionen
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Funktionsgraphen sind in Abb. 1.35 dargestellt. Beide Funktionen sind an der Stelle x D 0 nicht definiert.
Aufgabe
Auch wenn wir das Aussehen von Funktionsgraphen und das Verhalten im Unendlichen erst in Abschn. 3.4.2 behandeln, können Sie schon jetzt folgende Fragestellungen ergründen: Warum nähern sich die Funktionswerte bei beiden Funktionen dem Wert 0, wenn das Argument x betragsmäßig groß wird? Warum werden die Funktionswerte bei x 7! x12 beliebig groß, wenn das Argument x sich der 0 nähert? Warum ist das bei x 7! x1 nur dann der Fall, wenn x sich aus positiver Richtung der 0 nähert? Warum werden die Funktionswerte beliebig klein, wenn x sich aus negativer Richtung der 0 nähert? Wenn diese Aufgabe schwierig für Sie ist, dann setzen Sie die Werte x D 1 1 1 1; 10; 100; 1000; : : : beziehungsweise x D 1; 10 ; 100 ; 1000 ; : : : in die beiden Funktionen ein und betrachten Sie die entstehenden Funktionswerte!
Wir wollen in diesem Kapitel nicht allzu sehr in die Tiefe gehen, denn wir werden erst viel später in diesem Buch über Grenzwerte sprechen. Ohne Grenzwertbetrachtungen können wir hier erstmal nur intuitiv argumentieren. Das reicht an dieser Stelle auch völlig aus. Wir müssen uns dennoch bewusst sein, dass wir hier nicht mathematisch rigoros argumentieren. Bei gebrochen-rationalen Funktionen gibt es drei Fälle zu unterscheiden: 1. Der Zählergrad ist kleiner als der Nennergrad: Ein Beispiel ist f .x/ D
x3 x 2 C 2x C 4
Man sieht, dass der Nenner (mindestens betragsmäßig) schneller wächst als der Zähler. Daher nähern sich die Funktionswerte der 0, wenn das Argument x betragsmäßig groß wird. 2. Der Zählergrad ist genauso groß wie der Nennergrad: Ein Beispiel ist f .x/ D
5x 2 C 2x C 4 x2 7
Man kann sich überlegen, dass der Nenner für betragsmäßig große Argumente x etwa 5-mal so groß ist wie der Nenner, denn der quadratische Anteil dominiert hier. Daher nähern sich die Funktionswerte der Zahl 5, wenn das Argument x betragsmäßig groß wird.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
3. Der Zählergrad ist größer als der Nennergrad. Dann hat man spontan vielleicht keine Idee, wie der Funktionsverlauf aussieht. Daher widmen wir diesem Fall das folgende Beispiel. Beispiel 1.31
Wir betrachten die gebrochen-rationale Funktion f mit f .x/ D
x 2 C 2x C 4 x3
und stellen zunächst fest, dass sie an der Stelle x D 3 nicht definiert ist, da hier eine Nullstelle des Nenners vorliegt. Um herauszufinden, wie der Funktionsgraph in etwa aussieht, können wir das Verfahren der Polynomdivision nutzen und den Zähler durch den Nenner teilen:
19 x 2 C 2x C 4 x 3 D x C 5 C x 3 x 2 C 3x 5x C 4 5x C 15 19
Die Funktionsvorschrift setzt sich also aus zwei Summanden zusammen, nämlich einer linearen Funktion und einer gebrochen-rationalen Funktion, bei der der Zählergrad kleiner ist als der Nennergrad. Diese Darstellung lässt sich viel leichter interpretieren. Wenn das Argument x betragsmäßig groß wird, dann wird 19 der zweite Summand x3 immer kleiner (siehe 1. Fall oben). Daher verhält sich der Funktionsgraph für betragsmäßig große x wie x 7! x C 5. Der Graph von f nähert sich dem Graphen von x 7! x C 5 an. Wir nennen diese lineare Funktion eine Asymptote von f . Die Funktion f und ihre Asymptote sind in Abb. 1.36 dargestellt. 19 immer größer wird, wenn sich Zuletzt machen wir uns noch bewusst, dass x3 das x von rechts der Zahl 3 nähert und immer kleiner, wenn sich das x von links der Zahl 3 nähert. Der Summand x C 5 befindet sich (für x in der Nähe von 3) in der Nähe der Zahl 3 C 5 D 8 und hat also auf diese Betrachtung fast keinen Einfluss. Das ist die Erklärung dafür, dass rechts von der Stelle 3 die Funktionswerte beliebig groß und links von der Stelle 3 die Funktionswerte beliebig klein werden (siehe Abb. 1.36). Wir nennen die Stelle x D 3 eine Polstelle von f . J
Wohlwissend, dass wir das Thema gebrochen-rationale Funktionen nur beispielhaft und intuitiv erkundet haben, können Sie sich nun auf den Weg machen und weitere Beispiele erkunden. Ein Lernvideo (Abb. 1.37) wartet auf Sie!
1.5 Reelle Funktionen
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Abb. 1.36 Die Funktion f mit f .x/ D erstellt mit GeoGebra)
x 2 C2xC4 x3
sowie ihre Asymptote x 7! x C 5 (Abbildung
Abb. 1.37 Lernvideo zu gebrochen-rationalen Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdg)
Übungsaufgaben zu gebrochen-rationalen Funktionen
1.25 Bestimmen Sie Nullstellen, Polstellen sowie die Asymptote der Funktion f mit f .x/ D
x 3 11x 2 C 26x 16 x 2 C 7x C 6
1.26 Untersuchen Sie die Funktion f mit x 2 4x C 3 xa in Abhängigkeit des Parameters a 2 R auf ihre Nullstellen, Polstellen und Asymptoten. Für welche Werte von a liegt eigentlich gar keine gebrochen-rationale Funktion vor? Skizzieren Sie den Funktionsgraphen von f für drei selbstgewählte Werte von a. f .x/ D
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
1.5.6 Trigonometrische Funktionen Trigonometrische Funktionen benötigen wir für die Beschreibung von periodischen Vorgängen. Bei solchen wiederholt sich ein Ablauf in regelmäßigen Abständen. Im Bereich der Physik begegnen uns oft Schwingungen, bei denen die Amplitude des Ausschlags periodisch verläuft. Aber auch viele Maschinen und Geräte weisen periodische Vorgänge auf, wenn ein und derselbe Arbeitsschritt in immer gleichen Zeitabständen identisch wiederholt wird. Auch wenn Sie mit dem Fahrrad unterwegs sind und ganz gleichmäßig fahren, wiederholt sich die Position der Pedale immer wieder. Wir haben schon in Definition 1.21 definiert, was periodische Funktionen sind. Nun schauen wir uns ganz spezielle Funktionen an, die diese Eigenschaft haben. Wir starten mit einer Betrachtung am Einheitskreis. Ein Punkt P D .x; y/ mit Abstand 1 vom Koordinatenursprung spannt ein rechtwinkliges Dreieck mit den Koordinatenachsen auf. Zwei Seiten haben jeweils die Längen x und y und die dritte Seite ist der Radius 1. Aufgrund des Satzes des Pythagoras gilt übrigens für jeden solchen Punkt x 2 C y 2 D 1. Wir haben die Kreisgleichung vom Einheitskreis bestimmt! (Werfen Sie schon einmal einen Blick auf Abb. 1.38. Wir kommen gleich noch einmal auf diese Abbildung zurück.) Wenn nun der Punkt P D .x; y/ auf dem Einheitskreis mit der x-Achse den Winkel ˛ einschließt, dann ist P sowohl durch die beiden Koordinaten x und y als auch durch den Winkel ˛ eindeutig bestimmt. Zu jedem Winkel gehören zwei Koordinaten und umgekehrt. Wir wollen nun gleich die zwei Funktionen sin (Sinusfunktion) und cos (Cosinusfunktion) definieren, die jedem Winkel ˛ jeweils die y-Koordinate und die x-Koordinate des dazugehörigen Punktes zuordnen: ˛ 7! sin.˛/ WD y
˛ 7! cos.˛/ WD x
Bevor wir das tun, müssen wir aber noch eine Kleinigkeit erledigen. Wir wollen es ja immer mit reellen Funktionen zu tun haben. Diese sollen reelle Zahlen auf reelle Zahlen abbilden. Winkel im Gradmaß sind dabei nicht gefragt. Um unser Ziel zu erreichen, rechnen wir die Winkel im Gradmaß vorher ins Bogenmaß um und ordnen jedem Winkel eine reelle Zahl zu. Das geht wie folgt: Definition 1.30 (Winkel im Bogenmaß) Wir ordnen jedem Winkel ˛ die Länge des zugehörigen Bogens (Anteil am Umfang des Einheitskreises) zu und nennen die zugeordnete Zahl das Bogenmaß des Winkels ˛. Dies liefert dann:
1.5 Reelle Funktionen
83
Winkel im Gradmaß
Bogenmaß
360◦
2π
180◦
π
90◦
π 2
α
α 360◦
·2π =
α 180◦
·π
Diese Definition können wir nicht nur für ˛ 2 Œ0; 360ı anwenden, sondern auf alle beliebigen Winkelgrößen ausweiten. Wir interpretieren das Bogenmaß dann als vorzeichenbelegte Länge des Bogens am Einheitskreis. Damit entsteht eine bijektive Abbildung zwischen Winkeln und Werten im Bogenmaß, wobei jeweils alle reellen Werte vorkommen. Wir haben hierbei verwendet, dass der Umfang einen Kreises mit Radius r den Wert 2 r hat und folglich der Umfang des gesamten Einheitskreises mit r D 1 den Wert 2 hat. Jetzt haben wir alle Vorbereitungen getroffen, um die Sinusfunktion und die Cosinusfunktion definieren zu können: Definition 1.31 Die Sinusfunktion ist sinW R ! R mit sin.z/ WD y-Koordinate des zum Bogen z gehörigen Punktes Die Cosinusfunktion ist cosW R ! R mit cos.z/ WD x-Koordinate des zum Bogen z gehörigen Punktes Übrigens: Wir nutzen für den Moment das Argument z, weil wir x schon für die erste Koordinate des Punktes P verwendet haben.
Aufgabe
Führen Sie vor ihrem inneren Auge folgende Übung durch, die in Abb. 1.38 visualisiert wird. Verfolgen Sie den Punkt P startend bei ˛ D 0 und lassen Sie ˛ langsam größer werden und verfolgen Sie jeweils die y-Koordinate von P . Erhalten Sie die Sinuskurve aus Abb. 1.39? Fangen Sie von vorne an und machen das gleiche mit der x-Koordinate von P . Erhalten Sie die Cosinuskurve aus Abb. 1.39?
84
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
a
b
c
d
Abb. 1.38 Die Werte der Sinusfunktion und der Cosinusfunktion visualisiert am Einheitskreis (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Fertigen Sie jeweils eine Wertetabelle an, in welche Sie die Werte der beiden Funktionen an den Stellen 0, 2 , , 32 und 2 eintragen.
Nach Konstruktion der beiden Funktionen ist klar, dass sich der Verlauf jeweils nach einer Periodenlänge von 2 wiederholt, denn wir haben die Funktionen gerade so konstruiert. Wir können den Kreis beliebig oft vorwärts oder rückwärts ablaufen. Wir machen uns nun gemeinsam klar, dass folgende Eigenschaften der Funktionen unmittelbar aus der Definition folgen: Satz 1.11 (Eigenschaften der Sinusfunktion und der Cosinusfunktion) Es gilt: Die Bildmenge beider Funktionen ist das Intervall Œ1; 1. Die Sinusfunktion ist ungerade, d. h. für alle x 2 R gilt f .x/ D f .x/. Es liegt eine Punktsymmetrie zum Koordinatenursprung vor.
1.5 Reelle Funktionen
85
a
b
Abb. 1.39 Die Sinusfunktion (a) und die Cosinusfunktion (b) als reelle Funktionen (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Die Cosinusfunktion ist gerade, d. h. für alle x 2 R gilt f .x/ D f .x/. Es liegt eine Achsensymmetrie zur y-Achse vor. Beide Funktionen sind periodisch mit Periodenlänge 2: sin.z C 2/ D sin.z/ und cos.z C 2/ D cos.z/ für alle z 2 R Beide Funktionen haben unendlich viele Nullstellen: sin.z/ D 0
,
z D k für ein k 2 Z cos.z/ D 0 , z D C k für ein k 2 Z 2 2 2 .sin.z// C .cos.z// D 1 für alle z 2 R
Aufgabe
In der Vorlesung würde ich jetzt auf den Einheitskreis zeigen und jeweils die y- und die x-Koordinate mit Ihnen verfolgen, um die einzelnen Eigenschaften zu erläutern. Diese Aufgaben können Sie hier nun selbst übernehmen. Verwenden Sie Abb. 1.38 und machen Sie sich anhand des Verlaufs der beiden Funktionen jede einzelne der oben aufgeführten Eigenschaften klar. Für die letzte Eigenschaft benötigen Sie zusätzlich den Satz des Pythagoras. Ich hoffe, Sie kommen gut zurecht!
Übrigens schreiben wir in der Mathematik manchmal abkürzend sin2 .x/ statt .sin.x//2 und cos2 .x/ statt .cos.x//2 . Wenn Ihnen diese Schreibweise begegnet,
86
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
dann können Sie sie geeignet als Quadrat der trigonometrischen Funktion interpretieren. Wir halten noch eine nicht ganz so offensichtliche Erkenntnis fest. Tatsächlich ist die Cosinusfunktion nur eine um 2 nach links verschobene Sinusfunktion: Satz 1.12 Es gilt für alle z 2 R: sin.z/ D cos z 2
und
cos.z/ D sin z C 2
Wenn Sie nicht sofort sehen, wie die Verschiebung des Funktionsgraphen hier zustande kommt, dann werfen Sie gerne einen Blick in den Abschn. 1.5.9 zum Einfluss von Parametern auf Funktionsgraphen. Beispiel 1.32
Wir wollen eine harmonische Schwingung eines Pendels mithilfe einer geeigneten Sinusfunktion beschreiben. Auch hierfür brauchen wir das Wissen aus Abschn. 1.5.9. Schwingt unser Pendel mit einer Periodenlänge T und einer Amplitude (maximale Auslenkung) a, dann lässt sich die Auslenkung zum Zeitpunkt t durch die Funktion y mit 2 t y.t/ D a sin T beschreiben. Der Faktor a sorgt dafür, dass die Sinusfunktion entsprechend so entlang der y-Achse gestreckt wird, dass die maximale Auslenkung den garantiert uns, dass sich der Funktionsverlauf Wert a annimmt. Der Faktor 2 T immer nach einer Zeitspanne T wiederholt. Ein Beispiel wird in Abb. 1.40 veranschaulicht. J Für diejenigen unter Ihnen, die die trigonometrischen Funktionen vor allem aus dem Geometrieunterricht kennen, schlagen wir hier noch den Bogen zur Trigonometrie am rechtwinkligen Dreieck. Im rechtwinkligen Dreieck bezeichnen wir die dem Winkel ˛ gegenüberliegende Seite a als Gegenkathete, die am Winkel ˛ anliegende Seite b als Ankathete und die dem rechten Winkel gegenüberliegende Seite als Hypotenuse. Da sich die Verhältnisse der Seitenlängen nicht ändern, wenn wir das Dreieck auf c D 1 strecken oder stauchen, gilt c sin.˛/ D a c cos.˛/ D b
, ,
sin.˛/ D ac cos.˛/ D bc
1.5 Reelle Funktionen
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Abb. 1.40 Schwingung y.t / D 3 sin. 2 x/ mit Pe5 riodenlänge T D 5 und Amplitude a D 3 (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Als Merkregel kann man sich sin.˛/ D
Gegenkathete Hypotenuse
und
cos.˛/ D
Ankathete Hypotenuse
notieren.
Nun ist dieser Abschnitt des Buches ja eigentlich kein Geometriekapitel. Dennoch: Es lohnt sich an dieser Stelle wenigstens einen kurzen Ausblick auf die Verwendung der trigonometrischen Funktionen in der Geometrie zu geben. Anders als man es zunächst vermuten könnte, kann man sie nämlich nicht nur an rechtwinkligen Dreiecken verwenden. Eine ganz klassiche Anwendung zeigt der Cosinussatz für allgemeine Dreiecke auf: Satz 1.13 (Cosinussatz) Für ein allgemeines Dreieck mit Seitenlängen a, b und c und den von den Seiten mit den Längen a und b eingeschlossenen Winkel gilt c 2 D a2 C b 2 2ab cos./ Es lohnt sich, uns an dieser Stelle auch den Beweis (zumindest für den Fall < 90ı ) anzusehen. Versuchen Sie, ihn Schritt für Schritt lückenlos nachzuvollziehen:
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1
a
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
b
Abb. 1.41 Visualisierung zum Beweis des Cosinussatzes (a) und zum Beweis des Sinussatzes (b) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Beweis Der Beweis wird in Abb. 1.41 visualisiert. Sei h die Höhe auf der Seite b durch B. Seien p und q die beiden Abschnitte, in die die Höhe die Grundseite b einteilt. Wir stellen Schritt für Schritt fest:
sin./ D ha , also h D a sin./ cos./ D pa , also p D a cos./ p C q D b, also q D b a cos./ Wenden wir nun im rechten Dreieck den Satz des Pythagoras an, dann erhalten wir c 2 D .a sin.//2 C .b a cos.//2 D a2 .sin.//2 C b 2 2ab cos./ C a2 .cos.//2 D a2 ..sin.//2 C .cos.//2 / C b 2 2ab cos./
Wegen .sin.//2 C .cos.//2 D 1 folgt der Cosinussatz: c 2 D a2 C b 2 2ab cos./
Sind Sie gut durch den Beweis gekommen? Wo gab es eventuell Schwierigkeiten? Haben Sie die Abbildung genutzt? Ich hoffe, dass Sie alle Schritte nachvollziehen konnten. Das Pendant zum Cosinussatz ist der Sinussatz für allgemeine Dreiecke. Wir stellen diesen vor, beweisen ihn und diskutieren anschließend, wann welcher der beiden Sätze sinnvoll angewendet werden kann. Satz 1.14 (Sinussatz) Für ein allgemeines Dreieck mit Seitenlängen a, b und c und die jeweils gegenüberliegenden Winkel ˛, ˇ und gilt a b c D D sin.˛/ sin.ˇ/ sin./
1.5 Reelle Funktionen
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Beweis Der Beweis wird in Abb. 1.41 visualisiert. Sei h die Höhe auf der Seite c durch C . Nach Definition gilt sin.˛/ D
h b
und
sin.ˇ/ D
h a
Stellen wir beide Gleichungen nach h um und setzen diese gleich, dann erhalten wir sin.˛/ b D sin.ˇ/ a Teilen wir durch die beiden Sinuswerte (das dürfen wir, weil die Winkel größer als 0 sind und damit auch die Sinuswerte nicht 0 sind), erhalten wir b a D sin.˛/ sin.ˇ/ Analoge Überlegungen unter Verwendung einer anderen Höhe führen zur Begründung des zweiten Gleichheitszeichens im Sinussatz. Beispiel 1.33
Sind in einem allgemeinen Dreieck zwei Seitenlängen a und b sowie der eingeschlossene Winkel gegeben, dann berechnen wir die dritte Seite c mit dem Cosinussatz. Sind in einem allgemeinen Dreieck alle drei Seitenlängen a, b und c gegeben, dann berechnen wir die Winkel mit dem Cosinussatz. Sind in einem allgemeinen Dreieck zwei Seitenängen und einer der anliegenden Winkel bekannt, dann hilft der Sinussatz zur Berechnung der weiteren Größen. Sind in einem Dreieck nur eine Seite, aber zwei Winkel bekannt, dann hilft ebenfalls der Sinussatz weiter. J Wir ersparen uns an dieser Stelle konkrete Berechnungen an Zahlenbeispielen. Sie finden passende Aufgaben am Ende dieses Abschnittes. Und wir müssen sowieso vorher noch die Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen kennenlernen. Ich möchte Sie zudem darauf aufmerksam machen, dass viele hilfreiche Kenntnisse aus der Geometrie (u. a. Innenwinkelsumme im Dreieck, Satz des Pythagoras, Wissen über Arten von Dreiecken usw.) hier nicht thematisiert und stattdessen vorausgesetzt wurden. Der Vollständigkeit halber führen wir nun noch die Tangensfunktion ein: Definition 1.32 Die Tangensfunktion ist tanW R n f 2 C kjk 2 Zg ! R mit tan.z/ D
sin.z/ . cos.z/
90
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Aufgabe
Sie sind jetzt bereits Experte für die Bestimmung von Definitionsbereichen von Funktionen! Machen Sie sich bewusst, warum wir die Nullstellen der Cosinusfunktion im Definitionsbereich der Tangensfunktion ausschließen müssen.
Im rechtwinkligen Dreieck erhalten wir die folgende Charakterisierung der Tangensfunktion: tan.˛/ D
sin.˛/ D cos.˛/
Gegenkathete Hypotenuse Ankathete Hypotenuse
D
Gegenkathete Ankathete
Die Eigenschaften der Tangensfunktion sind nicht ganz so leicht nachzurechnen wie die der Sinusfunktion und die der Cosinusfunktion. Man kann zeigen, dass es sich um eine ungerade Funktion handelt, deren Bildbereich R ist. Die Tangensfunktion ist periodisch und hat sogar eine kleinere Periodenlänge, nämlich .
Die Tangensfunktion ist sehr hilfreich bei Berechnungen am rechtwinkligen Dreieck. Sie wird unter anderem für die Bestimmung von Höhen von Objekten eingesetzt: Beispiel 1.34
Wenn wir in einem bekannten Abstand d von einem Gebäude entfernt stehen und den Winkel ˛ kennen, unter dem wir die Spitze des Gebäudes sehen, dann lässt sich die Höhe mithilfe der Tangensfunktion bestimmen.
1.5 Reelle Funktionen
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Wenn a die Augenhöhe des Betrachters ist, dann gilt tan.˛/ D
ha J d
Ich habe bereits behauptet, dass man die trigonometrischen Funktionen nutzen kann, um fehlende Winkel zu bestimmen. In der Tat müssen wir nun also noch erörtern, wie man von Gleichungen der Form sin.˛/ D y
cos.˛/ D y
oder
tan.˛/ D y
für einen gegebenen Wert von y auf den Winkel ˛ schließen kann. Da die Funktionen periodisch sind, gibt es natürlich im Allgemeinen viele Winkel, die zum Wert y gehören. Wir wissen aber aus Satz 1.3, dass injektive Abbildungen auf Ihrer Bildmenge umkehrbar sind. Wir entscheiden uns also jeweils für einen passenden eingeschränkten Definitionsbereich, in welchem die trigonometrischen Funktionen umkehrbar sind. Die entsprechenden Umkehrfunktionen nennen wir arcsin (Arkussinus), arccos (Arkuscosinus) und arctan (Arkustangens) (siehe Abb. 1.42). Definition 1.33 (Arkussinus, Arkuscosinus, Arkustangens) Da die Sinusfunktion auf Œ 2 ; 2 injektiv ist mit Bildmenge Œ1; 1, können wir die Umkehrfunktion auf Œ1; 1 bilden. Wir nennen sie Arkussinusfunktion. arcsin.y/W Œ1; 1 ! Œ ; 2 2
mit
sin.˛/ D y
,
˛ D arcsin.y/
Da die Cosinusfunktion auf Œ0; injektiv ist mit Bildmenge Œ1; 1, können wir die Umkehrfunktion auf Œ1; 1 bilden. Wir nennen sie Arkuscosinusfunktion. arccos.y/W Œ1; 1 ! Œ0; mit
cos.˛/ D y
,
˛ D arccos.y/
Da die Tangensfunktion auf Œ 2 ; 2 injektiv ist mit Bildmenge R, können wir die Umkehrfunktion auf R bilden. Wir nennen sie Arkustangensfunktion. arctan.y/W R ! Œ ; 2 2
mit
tan.˛/ D y
,
˛ D arctan.y/
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1
a
b
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
c
Abb. 1.42 Arkussinusfunktion (a), Arkuscosinusfunktion (b) und Arkustangensfunktion (c) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Beispiel 1.35
Bei der Verwendung der Arkusfunktionen müssen wir stets wachsam sein und den Anwendungskontext im Auge behalten. Möchten wir beispielsweise den Winkel von ˛ D 120ı im abgebildeten Dreieck unter Verwendung des Sinussatzes berechnen, dann stellen wir die Gleichung 5 2 D ı sin.20:23 / sin.˛/ auf und versuchen sie durch die Rechnung ˛ D arcsin.sin.20:23ı/ 52 / zu lösen.
Unser Taschenrechner, der die Arkusfunktionen oft genauso definiert wie wir es oben getan haben, sagt dann, dass ˛ gerundet einen Wert von etwa 60ı hat. Wir müssen nun selbst erkennen, dass wir einen stumpfen Winkel suchen und dass aufgrund der Symmetrie der Sinusfunktion sin.60ı / D sin.120ı / gilt. Wir suchen einen Winkel, der nicht im Bildbereich der Arkussinusfunktion liegt und müssen selbst erkennen, dass der gesuchte Winkel 120ı groß ist. Es gilt also stets aufmerksam bei solchen Aufgaben zu sein und die Ergebnisse sollten von Ihnen immer auf Plausibilität überprüft werden. J Im nächsten Abschnitt beschäftigen wir uns nun auch allgemein mit der Bestimmung von Umkehrfunktionen. Vorher haben Sie sich ein Lernvideo (Abb. 1.43) sowie ein paar Übungsaufgaben zum Thema trigonometrische Funktionen verdient!
1.5 Reelle Funktionen
93
Abb. 1.43 Lernvideo zu trigonometrischen Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdh)
Übungsaufgaben zu trigonometrischen Funktionen
1.27 Ermitteln Sie durch Betrachtung der Winkel im gleichseitigen beziehungsweise im gleichschenklig rechtwinkligen Dreieck die Werte der Sinusfunktion, der Cosinusfunktion und der Tangensfunktionen an den Stellen 30ı , 45ı und 60ı . 1.28 Beschreiben Sie alle Stellen x, an denen a) die Sinusfunktion den Wert 1 hat (das heißt sin.x/ D 1 gilt). b) die Cosinusfunktion den Wert 1 hat (das heißt cos.x/ D 1 gilt). 1.29 Arbeiten Sie zunächst Abschn. 1.5.9 durch und bearbeiten Sie anschließend diese Aufgabe. Bestimmen Sie jeweils die Periode und die Amplitude von f . Geben Sie außerdem ohne Rechnung die Koordinaten je eines Hochpunktes H (Punkt mit maximaler Auslenkung nach oben) und eines Tiefpunktes T (Punkt mit maximaler Auslenkung nach unten) des Graphen von f an: a) f .x/ D 2 sin.2x/ b) f .x/ D sin..x 1// C 1 c) f .x/ D cos. 2 x/ 1 d) f .x/ D 1;5 cos.x C /
1.5.7 Umkehrfunktionen Wir übertragen jetzt die Ideen aus Abschn. 1.4.2 zu Umkehrabbildungen auf reelle Funktionen. Wir erarbeiten zunächst ein Beispiel und fassen anschließend den Fahrplan zur Bestimmung von Umkehrfunktionen zusammen. Beispiel 1.36
Sei eine lineare Funktion der Form f W R ! R mit f .x/ D ax C b gegeben. Es gilt y D ax C b
,
xD
1 b 1 .y b/ D y a a a
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1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Abb. 1.44 f W R ! R mit f .x/ D 3x C 7 (blau) und f 1 W R ! R mit f 1 .x/ D 13 x (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
7 3
(rot)
Die Abbildung f ist bijektiv. Es gilt f 1 W R ! R mit f 1 .y/ D a1 y ab . Wenn wir auch f 1 als Funktion der Variablen x notieren, dann erhalten wir f 1 .x/ D a1 x ba . In Abb. 1.44 sind f und f 1 im gleichen Koordinatensystem abgebildet. J In Abb. 1.44 ist zusätzlich die Winkelhalbierende des ersten Quadranten abgebildet. Da man beim Umkehren von Funktionen anschaulich die Rolle von x- und y-Achse vertauscht, ergibt sich die Umkehrfunktion stets als Spiegelung an dieser Geraden. Wir halten den Fahrplan zur Bestimmung einer Umkehrfunktion fest: 1. Klären, auf welcher Menge f umkehrbar ist, was also der Definitionsbereich von f 1 ist. 2. Gleichung y D f .x/ nach x umstellen. 3. Variablen umbenennen, also x und y tauschen, um f 1 wieder als Funktion der Variablen x darzustellen. Beispiel 1.37
Sei eine Parabelfunktion f W R ! R in Scheitelpunktform gegeben. f .x/ D .x b/2 C a
1.5 Reelle Funktionen
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Der Graph von f ist achsensymmetrisch zur Achse x D b. Die Bildmenge von f ist f .R/ D Œa; 1/. Für jedes y > a gibt es zwei Urbilder, denn es gilt y D .x b/2 C a , y a D .x b/2 p , y a D ˙.x b/ p ,x DbC ya _
xDb
p ya
Damit ist schon einmal klar, dass wir f nicht umkehren können, solange wir R als Definitionsbereich von f nutzen. Die Funktion f ist nicht injektiv. Wir können f aber injektiv machen, indem wir nur einen Parabelast betrachten. Wir entscheiden uns für den rechten Ast und betrachten f W Œb; 1/ ! Œa; 1/. Jetzt ist f streng monoton wachsend, also injektiv. Obige Rechnung ergibt für x b analog y D .x b/2 C a
,
p ya Dxb
,
xDbC
p
y a
Jetzt müssen wir nur noch die Variablen vertauschen und erhalten die Umkehrfunktion f 1 W Œa; 1/ ! Œb; 1/ mit f 1 .x/ D b C
p
xa
Für a D 2 und b D 1 sind f und f 1 in Abb. 1.45 dargestellt. J Wenn Sie den Fahrplan zum Bestimmen einer Umkehrfunktion gut verinnerlicht haben, dann sind Sie jetzt auch in der Lage, kompliziertere Funktionen auf Umkehrbarkeit zu untersuchen und die Umkehrfunktion zu bestimmen. Wir wollen uns nicht damit begnügen, dies für lineare und quadratische Funktionen zu beherrschen. Deshalb lassen Sie sich nun gerne auf das folgende komplexere Beispiel ein: Beispiel 1.38
p
Sei die Funktion f mit f .x/ D p4xC3 gegeben. Damit beide auftretenden Wurx1 zelfunktionen definiert sind, muss x 1 sein. (Dabei sind zwei lineare Ungleichungen zu lösen, was sie in Abschn. 1.7 lernen.) Da wir auch nicht durch 0 teilen dürfen, muss x D 1 noch ausgeschlossen werden. Die Definitionsmenge von f ist also das Intervall .1; 1/. In diesem Beispiel ist es nicht so einfach, sofort zu sehen, ob und wo f umkehrbar ist. Bildmenge und Monotonie müssen erst untersucht werden. Wir können uns aber folgende Abschätzungen bewusst machen, die aus der Monotonie der Wurzelfunktion folgen: p p p p 4x C 3 4x 4x 2 x >p > p D p D2 f .x/ D p x x x1 x1 Damit wissen wir schon einmal, dass wir die Umkehrfunktion nur für y > 2 suchen müssen. Wir versuchen uns direkt mal an Schritt 2 unseres Fahrplans,
96
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Abb. 1.45 f W R ! R mit f .x/ D .x 1/2 C 2 (blau gestrichelt) wird nur im Intervall Œ1;p 1/ betrachtet und umgekehrt. Die Umkehrfunktion ist f 1 W Œ2; 1/ ! Œ1; 1/ mit f 1 .x/ D 1 C x 2 (rot) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
ohne Schritt 1 aus den Augen zu lassen. Wir fragen uns also, für welche Werte von y es genau ein x gibt mit f .x/ D y. Versuchen wir also, y D f .x/ nach x aufzulösen. Es gilt p 4x C 3 yD p x1
, y2 D
4x C 3 x1
x¤1
,
, y 2 C 3 D .y 2 4/x
.x 1/y 2 D 4x C 3 y>2
,
xD
y2 C 3 y2 4
Fällt Ihnen etwas auf? Im letzten Bruch ist der Zähler y 2 C 3 größer als der Nenner y 2 4. Also ist der Bruch größer als 1 und gleich x. Unsere Rechnung hat für alle y > 2 und x > 1 geklappt. Also haben wir für alle y > 2 genau ein x > 1 gefunden, so dass f .x/ D y. Daraus folgt, dass die Bildmenge von f die Menge .2; 1/ ist und dass f auf dieser Bildmenge umkehrbar ist. Damit haben wir auch Schritt 1 geschafft. Nach dem abschließenden Variablentausch
1.5 Reelle Funktionen
Abb. 1.46 f W .1; 1/ ! .2; 1/ mit .1; 1/ (rot). Die Fortsetzung von f (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
97
p p4xC3 x1 1
(blau) sowie die Umkehrfunktion f 1 W .2; 1/ !
auf die Menge R n f˙2g ist rot gestrichelt dargestellt
(Schritt 3) erhalten wir: f W .1; 1/ ! .2; 1/
mit
f 1 W .2; 1/ ! .1; 1/
mit
p 4x C 3 f .x/ D p x1 x2 C 3 f 1 .x/ D 2 x 4
und
Damit haben wir die Umkehrfunktion von f bestimmt. Wir sehen in Abb. 1.46, dass erneut die Umkehrfunktion die Spiegelung an der Winkelhalbierenden im ersten Quadranten des Koordinatensystems ist. Zudem zeigt die Abbildung, dass man f 1 auch auf R n f˙2g betrachten könnte. Die gestrichelt eingezeichneten Teile der Funktion gehören aber nicht zur Umkehrfunktion von f , da f nur auf .2; 1/ umkehrbar ist. J Sie haben sich an dieser Stelle ein Lernvideo (Abb. 1.47) verdient, in welchem wir das Gelernte vertiefen. Nehmen Sie sich dafür nun gerne Zeit! Auch die Übungsaufgaben können helfen, mehr Übung mit den Konzepten zum Thema Umkehrfunktion zu erlangen. Gutes Gelingen!
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Abb. 1.47 Lernvideo zu Umkehrfunktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdj)
Übungsaufgaben zu Umkehrfunktionen
1.30 Bilden Sie die Umkehrfunktion der linearen Funktion f W R ! R mit f .x/ D 4x 9. Zeichnen Sie die Graphen von f und f 1 in dasselbe Koordinatensysten. 1.31 Bestimmen Sie für die quadratische Funktion f W R ! R mit f .x/ D x 2 C 4x 6 eine möglichst große Definitionsmenge D, so dass f W D ! R umkehrbar ist. Bestimmen Sie die Bildmenge von dieser eingeschränkten Funktion f sowie die Umkehrfunktion f 1 . Zeichnen Sie die Graphen von f und f 1 in dasselbe Koordinatensysten. p p 1.32 Bestimmen Sie für die Funktion f mit f .x/ D x C 1 C x 1 die Definitionsmenge, die Bildmenge sowie die Umkehrfunktion f 1 . Zeichnen Sie die Graphen von f und f 1 in dasselbe Koordinatensysten. p p Wäre auch die Funktion g mit g.x/ D x C 1 C 1 x auf ihrer Definitionsmenge umkehrbar? Wenn nein, warum nicht?
1.5.8 Hintereinanderausführung von Funktionen Auch in diesem Abschnitt müssen wir die Konzepte nicht erneut einführen, sondern können auf die Definition der Hintereinanderausführung von Abbildungen aus Abschn. 1.4.3 Bezug nehmen. Daher können wir direkt mit Beispielen arbeiten: Beispiel 1.39
Seien f W R ! R mit f .x/ D 2x C 1 und gW R ! R mit g.x/ D x C 7 gegeben. Beide Funktionen haben auch die Menge der reellen Zahlen als Bildmenge. Wir erhalten die beiden Hintereinanderausführungen g ıf W R ! R und f ıgW R ! R mit .g ı f /.x/ D g.f .x// D g.2x C 1/ D .2x C 1/ C 7 D 2x C 6 .f ı g/.x/ D f .g.x// D f .x C 7/ D 2.x C 7/ C 1 D 2x C 15
1.5 Reelle Funktionen
99
Auch hier sehen wir wieder, dass die Hintereinanderausführung reeller Funktionen nicht kommutativ ist. Es entstehen zwei verschiedene lineare Funktionen. J Beispiel 1.40
Seien f W R ! Œ0; 1/ mit f .x/ D x 2 und gW R ! Œ1; 1 mit g.x/ D sin.x/ gegeben. Die angegebenen Wertemengen sind hierbei auch die Bildmengen. Wir bilden zuerst g ı f : g ı f W R ! Œ1; 1 mit .g ı f /.x/ D g.f .x// D g.x 2 / D sin.x 2 / Die Sinusfunktion nimmt hierbei auch dann alle Werte in Œ1; 1 an, wenn nur positive Argumente eingesetzt werden. Die andere Hintereinanderausführung f ı g lautet: f ı gW R ! Œ0; 1 mit .f ı g/.x/ D f .g.x// D f .sin.x// D .sin.x//2 Wenn wir nur Werte aus dem Intervall Œ1; 1 in die Funktion f einsetzen, dann erhalten wir nur Werte aus dem Intervall Œ0; 1. Die Funktionsgraphen beider Hintereinanderausführungen sind in Abb. 1.48 dargestellt. Es entstehen völlig unterschiedliche Funktionen. J
Aufgabe
Sie haben im Kapitel über Funktionen schon eine ganze Menge gelernt. Nutzen Sie diesen Wissen und überlegen Sie sich, warum die beiden Funktionsgraphen aus Abb. 1.48 so aussehen. Warum ist die rote Funktion periodisch, die blaue aber nicht? Warum sind beide Funktionen gerade?
Abb. 1.48 Zwei Hintereinanderausführungen g ı f mit .g ı f /.x/ D sin.x 2 / (blau) und f ı g mit .f ı g/.x/ D .sin.x//2 (rot) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Beispiel 1.41
Seien f W R ! R mit f .x/ D 2x 3 und gW R ! R mit g.x/ D 4x 2 C8x C1 gegeben. Zuerst bringen wir g mittels quadratischer Ergänzung in Scheitelpunktform, um die Bildmenge von g zu bestimmen: g.x/ D 4x 2 C 8x C 1 D 4.x 2 C 2x/ C 1 D 4..x C 1/2 1/ C 1 D 4.x C 1/2 3 Die Bildmenge von g ist also das Intervall Œ3; 1/. Wir berechnen g ı f : .g ı f /.x/ D g.2x 3/ D 4..2x 3/ C 1/2 3 D 4.2x 2/2 3 D 16x 2 32x C 13 Analog berechnen wir f ı g: .f ı g/.x/ D f .4.x C 1/2 3/ D 2.4.x C 1/2 3/ 3 D 8x 2 C 16x 1 Wieder sehen wir sofort die Nichtkommutativität. Es stellt sich die Frage, ob wir von den verketteten Funktionen erneut die Bildmengen mithilfe der quadratischen Ergänzung bestimmen müssen oder ob wir die Bildmengen einfacher berechnen können. Die Antwort ist, dass uns die Bildmengen von f und g sowie die Monotonie von f die Arbeit erleichtern (siehe Abb. 1.49). Die Bildmenge von g ı f ist Œ3; 1/, denn bei der Anwendung von f erhalten wir zunächst alle reellen Zahlen als Bilder, so dass auch alle Bilder von g angenommen werden. Die Bildmenge von g ist damit auch die Bildmenge von g ı f . Wir müssen nicht (können aber!) nachrechnen, dass .g ı f /.x/ D 16.x 1/2 3 ist. Die Bildmenge von f ı g ist Œ9; 1/, denn bei der Anwendung von g erhalten wir als Bildmenge zunächst das Intervall Œ3; 1/. Da f monoton wachsend ist, wird der kleinste Wert von f ı g beim kleinsten eingesetzten Argument angenommen. Der kleinste auftretende Funktionswert ist also f .3/ D 2.3/ 3 D 9. Da beliebig große Werte in f eingesetzt werden, werden alle Funktionswerte im Intervall Œ9; 1/ von f ı g angenommen. Wir müssen nicht (können aber!) nachrechnen, dass .f ı g/.x/ D 8.x C 1/2 9 ist. J
1.5 Reelle Funktionen
101
Abb. 1.49 Bildmengen verketteter Funktionen (a g ı f , b f ı g) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
a
b
Um die Bedeutung der passenden Bildmengen noch einmal hervorzuheben, schauen wir uns zum Abschluss noch ein Beispiel an, bei dem nicht beide Hintereinanderausführungen existieren: Beispiel 1.42 1 Seien f W R ! R mit f .x/ D x C 3 und gW R n f1g ! R n f0g mit g.x/ D x1 gegeben. Dabei sind die angegebenen Wertemengen auch die Bildmengen. Wir können problemlos f ı g berechnen, denn wir dürfen alle Ergebnisse von g in f einsetzen:
.f ı g/.x/ D f
1 1 D C3 x 1 x1
Dabei ist f ı g auf der Definitionsmenge R n f1g definiert und hat R n f3g als Bildmenge. Die andere Hintereinanderausführung g ı f existiert nicht, denn f .2/ D 1 und das können wir nicht in g einsetzen. Um auch diese Hintereinanderausführung möglich zu machen, müssen wir statt f die Einschränkung fQW Rnf2g ! Rnf1g mit fQ.x/ D x C 3 betrachten. Dann gilt .g ı fQ/.x/ D g.x C 3/ D
1 1 D .x C 3/ 1 xC2
Die Definitionsmenge von g ı fQ ist nun R n f2g und die Bildmenge ist R n f0g. J Das war ganz schön technisch. Es bietet sich an, die Graphen der in den Beispielen vorkommenden Funktionen zu zeichnen, um das Gelernte zu veranschaulichen. Tun Sie das gerne an dieser Stelle! Auch zur Hintereinanderausführung von Funktionen gibt es zudem ein weiteres Beispiel in unseren Lernvideos (Abb. 1.50). Viel Erfolg damit!
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Abb. 1.50 Lernvideo zur Hintereinanderausführung von Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdk)
Übungsaufgaben zur Hintereinanderausführung von Funktionen
1.33 Bestimmen Sie die Definitions- und Bildmengen sowie die Funktionsvorschriften von f ı g und g ı f für f W R ! R mit f .x/ D 3x C 5 und gW R ! R mit g.x/ D 2x 2 C 4x 3. Orientieren Sie sich dabei an Beispiel 1.41 und gehen Sie analog vor. 1.34 Seien f W R ! R mit f .x/ D x C1 und gW R ! R mit g.x/ D 2x gegeben. Bestimmen Sie für die folgenden Funktionen jeweils die Abbildungsvorschriften und zeichnen Sie die Funktionsgraphen: a) f ı f
b) g ı g
c) g ı f
d) f ı g
1.5.9 Einfluss von Parametern auf Funktionsgraphen In diesem Unterkapitel wollen wir untersuchen, wie sich Funktionsgraphen in Abhängigkeit von Parametern verändern. Starten wir mit ein paar Beispielen: Bei einer Schwingung, deren Auslenkung in Abhängigkeit von der Zeit durch die Funktion f beschrieben wird, verdoppeln sich alle Auslenkungen. Wie verändert sich f ? Die Periode der Schwingung halbiert sich. Mit welcher Funktion lässt sich der Vorgang jetzt beschreiben? Das Zeit-Bahnhöhe-Diagramm einer Seilbahngondel sei durch die Funktion f gegeben. Eine zweite Gondel startet eine halbe Minute später. Wie sieht ihr ZeitBahnhöhe-Diagramm aus? Die Kosten für die Produktion eines Erzeugnisses werden durch die Funktion f mit f .x/ D v x C f beschrieben. Dabei ist x die produzierte Stückzahl, v sind die variablen Kosten pro Stück und f die fixen Kosten (die von der Produktionsmenge unabhängig sind). Wie verändert sich f , wenn die fixen Kosten um 100.000 Euro steigen?
1.5 Reelle Funktionen
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Die genannten Beispiele motivieren uns dazu, verschiedene Auswirkungen von Parametern auf den Graphen einer Funktion f W R ! R zu untersuchen. Seien dazu a; b; c; d 2 R. Wir betrachten jeweils den Graph von gW R ! R mit 1. 2. 3. 4.
g.x/ D a f .x/ g.x/ D f .b x/ g.x/ D f .x c/ g.x/ D f .x/ C d
Wir schauen die Fälle nun einen nach dem anderen an. 1. Streckungen und Stauchungen von Funktionsgraphen in y-Richtung: Beim Graphen von g mit g.x/ D a f .x/ wird jeder Funktionswert von f mit dem Faktor a multipliziert. Die Funktionswerte „ver-a-fachen“ sich. Ist a > 1, so führt dies zu einer Streckung entlang der y-Achse. Ist 0 < a < 1, so kommt es zu einer Stauchung entlang der y-Achse. Ist a < 0, kommt zu der Streckung bzw. Stauchung an der y-Achse noch eine Spiegelung an der x-Achse hinzu, denn alle Funktionswerte ändern ihr Vorzeichen. Der Einfluss des Parameters a wird in Abb. 1.51 veranschauchlicht.
Abb. 1.51 Streckungen und Stauchungen von Funktionsgraphen in y-Richtung am Beispiel der Funktion f W R ! R mit f .x/ D sin.x/ (blau). Abgebildet sind die Graphen von 2 sin.x/ (rot gestrichelt), 2 sin.x/ (grün gestrichelt), 12 sin.x/ (orange gepunktet) und 12 sin.x/ (braun gepunktet) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
2. Streckungen und Stauchungen von Funktionsgraphen in x-Richtung: Beim Graphen von g mit g.x/ D f .b x/ werden die Funktionswerte entlang der x-Achse gestreckt beziehungsweise gestaucht. Das kann man sich am wie folgt überlegen: Ist g.x/ D f .2x/ und f .x/ D y, dann nimmt der Graph von g den Wert y schon an der Stelle x2 an, denn g. x2 / D f .2 x2 / D f .x/ D y. Man braucht jeweils nur das halbe Argument, um denselben Funktionswert zu erreichen. Ist analog g.x/ D f . 12 x/ und f .x/ D y, dann nimmt der Graph von g den Wert y erst an der Stelle 2x an, denn g.2x/ D f . 12 2x/ D f .x/ D y. Man braucht das doppelte Argument, um denselben Funktionswert zu erreichen. Wenn b negativ ist, kommt noch eine Spiegelung an der y-Achse hinzu, denn alle Argumente ändern ihr Vorzeichen. Abb. 1.52 zeigt des Einfluss des Parameters b. Übrigens: Auch die Punktsymmetrie der Sinusfunktion zum Koordinatenursprung ist dort gut zu erkennen. Machen Sie sich durch einen Blick auf den Funktionsgraphen von sin.x/ erneut bewusst, dass sin.x/ D sin.x/ ist. 3. Verschiebungen von Funktionsgraphen in x-Richtung: Bei der Funktion g mit g.x/ D f .x c/ wird der Funktionsgraph entlang der x-Achse verschoben. Ist g.x/ D f .x c/ für einen positiven Wert von c und f .x/ D y, dann nimmt der Graph von g den Wert y erst an der Stelle x C c an, denn g.x C c/ D f .x C c c/ D f .x/ D y. Man braucht ein um c größeres Argument, um denselben Funktionswert zu erreichen. Der Graph wird um c Einheiten nach rechts verschoben. Ist g.x/ D f .x C c/ für einen positiven Wert von c und f .x/ D y, dann nimmt der Graph von g den Wert y schon an der Stelle x c an, denn g.x c/ D f .x c C c/ D f .x/ D y. Man braucht ein um c kleineres Argument, um denselben Funktionswert zu erreichen. Der Graph wird um c Einheiten nach links verschoben.
Abb. 1.52 Streckungen und Stauchungen von Funktionsgraphen in x-Richtung am Beispiel der Funktion f W R ! R mit f .x/ D sin.x/ (blau). Abgebildet sind die Graphen von sin.x/ (gelb), sin.2x/ (rot gestrichelt), sin.2x/ (grün gestrichelt), sin. 12 x/ (orange gepunktet) und sin. 12 x/ (braun gepunktet) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
1.5 Reelle Funktionen
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Merkregel: Verschiebe bei „-“ nach rechts und bei „+“ nach links. Abb. 1.53 illustriert den Einfluss des Parameters c. 4. Verschiebungen von Funktionsgraphen in y-Richtung: Bei der Funktion g mit g.x/ D f .x/ C d wird der Funktionsgraph entlang der y-Achse verschoben. Ist d > 0, so wird der Graph von f um d Einheiten nach oben verschoben. Jeder Funktionswert wird im Vergleich zum Funktionswert von f um den Wert d größer.
Abb. 1.53 Verschiebungen von Funktionsgraphen in x-Richtung am Beispiel der Funktion f W R ! R mit f .x/ D sin.x/ (blau). Abgebildet sind die Graphen von sin.x 4 / (rot gestrichelt), sin.x C 4 / (grün gestrichelt) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Abb. 1.54 Verschiebungen von Funktionsgraphen in y-Richtung am Beispiel der Funktion f W R ! R mit f .x/ D sin.x/ (blau). Abgebildet sind die Graphen von sin.x/ C 2 (rot gestrichelt), sin.x/ 2 (grün gestrichelt) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Ist d < 0, so wird der Graph von f um d Einheiten nach unten verschoben. Jeder Funktionswert wird im Vergleich zum Funktionswert von f um den Wert d kleiner. Sie können den Einfluss des Parameters d in Abb. 1.54 sehen. Wenn Sie die Einflüsse aller Parameter gut verstanden haben, können Sie in folgendem Beispiel zunächst die Lösung unbeachtet lassen und selbst überlegen. Danach können Sie die Lösung zur Kontrolle nutzen. Beispiel 1.43
Welche Funktion sehen Sie in Abb. 1.55? Haben Sie es herausbekommen? Dann vergleichen Sie ihr Ergebnis nun mit der Lösung: Es handelt sich um eine Sinusfunktion, die um eine Einheit nach rechts verschoben ist, deren Periodenlänge gleich ist (das ist die halbe Periodenlänge der normalen Sinusfunktion), deren Amplitude gleich 1,5 ist und die um 3 Einheiten nach oben verschoben ist. Daraus folgt, dass die abgebildete Funktion f die Funktionsvorschrift f .x/ D 1;5 sin.2.x 1// C 3 hat. J
Abb. 1.55 Wie lautet die Funktionsvorschrift? (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
1.5 Reelle Funktionen
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Abb. 1.56 Lernvideo zum Einfluss von Parametern auf Funktionsgraphen (https://doi.org/10.1007/000-bdm)
Schauen Sie sich jetzt gerne unser Übungsbeispiel in den Lernvideos (Abb. 1.56) an. Viel Spaß damit!
Übungsaufgaben zum Einfluss von Parametern auf Funktionsgraphen
1.35 Beschreiben Sie für eine quadratische Funktion f W R ! R mit f .x/ D a.x b/2 C c den Einfluss der Parameter a; b; c 2 R auf den Funktionsgraphen von f . Zeichnen Sie den Graphen von f für a) a D 2; b D 2; c D 2 b) a D 2; b D 2; c D 2 c) a D 2; b D 2; c D 2 d) a D 2; b D 2; c D 2 1.36 Wir betrachten eine Straße mit Kilometrierung und Orientierung, d. h. jeder Ort entlang der Straße habe eine Position in Kilometern und es gebe einen Ort mit Position 0. (Die Straße kann also als Zahlenstrahl modelliert werden.) Sei die Funktion sF mit Funktionsvorschrift sF .t/ der zurückgelegte Weg (in Kilometern) eines Fahrzeuges F zum Zeitpunkt t (in Stunden). Geben Sie jeweils die Funktionsvorschriften sA ; sB ; sC ; sD für folgenden Bewegungen an: a) Ein Fahrzeug A fährt genauso schnell wie F , aber in die entgegengesetzte Richtung. b) Ein Fahrzeug B fährt genauso wie F , startet aber eine Stunde später. c) Ein Fahrzeug C legt in der gleichen Zeit immer genau den doppelten Weg wie F zurück. d) Ein Fahrzeug D fährt genauso wie F , startet aber schon bei Kilometer 50.
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
1.6 Gleichungen Gleichungen treten in zahlreichen Anwendungen auf: Wenn ein Unternehmen die Kosten für Mitarbeiter, Mieten und Produktion eines Produktes kalkuliert, wie viele Einheiten des Produktes müssen dann verkauft werden, um die Kosten genau zu decken? Nach welcher Zeit wird bei einer chemischen Reaktion, die wir mithilfe einer Gleichung beschreiben können, eine gewünschte Konzentration eines bestimmten Stoffes erreicht? Wo ist der Auftreffpunkt eines Balles beim schrägen Wurf? Für diese und andere Fragestellungen ist es sinnvoll, den Begriff der Gleichung formal einzuführen, uns Gedanken zu Äquivalenzumformungen zu machen und dann nach und nach die einzelnen Gleichungstypen durchzuarbeiten. Dann legen wir mal los! Vorkenntnisse Wichtig für das Lösen von Gleichungen sind X X X X
eine gute Kenntnis von verschiedenen Funktionstypen, eine gute Kenntnis von Definitions- und Bildbereichen der Funktionen, die anschauliche Vorstellung der zugehörigen Funktionsgraphen sowie eine gute Kenntnis des Einflusses von Parametern auf Funktionsgraphen von Funktionen (z. B. Verschiebungen in x- oder y-Richtung).
Wenn Sie weiteres Übungsmaterial zum Thema Gleichungen suchen, finden Sie davon eine ganze Menge in [10, 15, 16]. Definition 1.34 (Gleichung) Eine Gleichung in der Variablen x gibt an, dass zwei Terme t.x/ und s.x/ den selben Wert annehmen: t.x/ D s.x/ Wenn die Gleichung für eine Zahl x 2 R stimmt, dann heißt x eine Lösung der Gleichung. Beispiel 1.44
Die Gleichung 3x C 7 D 25 stimmt für x D 6, denn 3 6 C 7 D 25. In diesem Fall ist das auch die einzige Lösung. Andere Gleichungen können mehrere Lösungen haben. Wir wissen ja bereits, dass Polynome p vom Grad n maximal n Nullstellen haben können. Die Gleichung p.x/ D 0 kann also maximal n reelle Lösungen haben. J
1.6 Gleichungen
109
Wir wollen die gegebenen Gleichungen oft so umformen, dass sie einfacher werden, ohne dass wir dabei Lösungen verlieren oder hinzubekommen. Der Schlüssel zum Erfolg sind also erlaubte Äquivalenzumformungen von Gleichungen: Erlaubte Umformungen Wir dürfen auf beiden Seiten der Gleichung dieselbe Zahl addieren oder subtrahieren. xD3
C4
”
xC4D3C4D7
4
”
xD3
Wir dürfen beide Seiten der Gleichung mit derselben Zahl ungleich 0 multiplizieren. xD3
4
”
4x D 12
14
”
xD3
oder analog xD3
.2/
”
2x D 6
. 12 /
”
xD3
Die Multiplikation mit einer Zahl der Form a1 können wir natürlich auch als Division durch a auffassen. Wir sagen dann, dass wir eine Gleichung auf beiden Seiten durch die gleiche Zahl ungleich 0 teilen dürfen. Ausnahme Eine Multiplikation mit 0 ist hingegen nicht erlaubt, denn aus x D 3 folgt zwar 0 D 0, aber umgekehrt folgt aus 0 D 0 noch lange nicht x D 3. Die Multiplikation mit 0 ist daher keine Äquivalenzumformung.
1.6.1 Lineare Gleichungen Polynome vom Grad 1 heißen lineare Funktionen. Sie haben die Form p.x/ D ax C b für a; b 2 R. Suchen wir deren Nullstellen, so erhalten wir eine sogenannte lineare Gleichung ax C b D 0 Unter Verwendung der äquivalenten Umformungen erhalten wir schnell die einzige Lösung: ax C b D 0
,
ax D b
,
xD
b a
Dann ist übrigens p.x/ D a.x . ba // die Linearfaktorzerlegung von p. Diese erhält man natürlich auch durch Ausklammern von a: b b p.x/ D ax C b D a x C Da x a a
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1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Beispiel 1.45
Wenn in einem Unternehmen bei einem Produktionsprozess Kosten in Höhe von 14.900 Euro entstehen, wobei 500 Euro fixe Kosten anfallen und die Produktion einer Einheit eines Produkts 18 Euro kostet, wie groß ist dann die produzierte Stückzahl? Diese Frage führt uns auf die lineare Gleichung 500 C 18x D 14:900 Die einzige Lösung ist x D 800. Es wurden also 800 Einheiten des Produkts hergestellt. J
Übungsaufgaben zum Lösen von linearen Gleichungen
1.37 Lösen Sie die folgenden linearen Gleichungen: a) 4x C 3 D 8x 2 b) 3.x 5/ C 2 D 4x 8 C 7.x 1/ c) ax C b D c für gegebene Werte a; b; c 2 R 1.38 In einem Unternehmen fallen fixe Kosten von monatlich 20.000 Euro an. Für die Produktion einer Einheit eines Produktes entstehen zusätzlich Kosten von 35 Euro. Wieviele Einheiten werden produziert, wenn in einem Monat Gesamtkosten von 25.600 Euro zu verzeichnen sind?
1.6.2 Quadratische Gleichungen Klassisches Thema in zahlreichen Anwendungen und im Schulunterricht ist das effiziente Lösen quadratischer Gleichungen. Die allgemeine Form einer quadratischen Gleichung ist ax 2 C bx C c D 0 mit a ¤ 0. Division der Gleichung durch a liefert x2 C
b c xC D0 a a
Warum also schwierig, wenn es auch einfach geht? Teilen Sie gerne immer zunächst den Vorfaktor vor dem x 2 -Term heraus. Es genügt folglich, uns mit Gleichungen der Form x 2 C px C q D 0 zu befassen. An dieser Stelle weiß wahrscheinlich jede und jeder von Ihnen, wie es hier weitergeht. Ganz klar, die p-q-Formel zum Lösen quadratischer Gleichungen darf auch in diesem Buch nicht fehlen.
1.6 Gleichungen
111
Satz 1.15 (p-q-Formel) Die quadratische Gleichung x 2 C px C q D 0 ist lösbar genau dann, wenn . p2 /2 q 0. Ist . p2 /2 q D 0, dann ist x D p2 die einzige Lösung. Ist . p2 /2 q > 0, dann gibt es genau die beiden Lösungen p x1 D C 2
r p 2 2
q
p und x2 D 2
r p 2 2
q
Da das Auswändiglernen von Lösungsformeln alleine nicht so hilfreich ist, erläutern wir diese Lösungen hier. Die quadratische Ergänzung liefert uns Informationen dazu, wie der Graph von x 2 C px C q aussieht: p 2 p 2 p 2 p 2 x 2 C px C q D x C Cq D xC q 2 2 2 2 Der Graph der Normalparabel ist also um p2 Einheiten entlang der x-Achse verschoben und um . p2 /2 q nach „unten “ entlang der y-Achse. Ob es aber wirklich nach unten ist, hängt eben vom Vorzeichen von . p2 /2 q ab, denn wenn dieser Ausdruck negativ ist, dann ist es eine Verschiebung nach oben. Dann finden wir natürlich keine Nullstellen. Ist der Ausdruck gleich 0, dann wird die x-Achse genau berührt. Wir haben eine doppelte Nullstelle an der Stelle p2 . Nur wenn der Ausdruck positiv ist, haben wir eine Verschiebung nach unten und die x-Achse wird zweimal geschnitten. Die dritte binomische Formel hilft uns, die beiden Schnittstellen mit der x-Achse explizit zu bestimmen: p 2 p 2 x 2 C px C q D x C q 2 r2 r p 2 p 2 p p C D xC q xC q 2 2 2 2 p r p 2 p r p 2 q x q D x C 2 2 2 2 D .x x1 /.x x2 / Damit haben wir den obigen Satz bewiesen. Beispiel 1.46
Die quadratische Gleichung x 2 C 2x 15 D 0 hat zwei Lösungen. Die p-qFormel liefert die beiden Lösungen r p 2 2 2 .15/ D 1 C 16 D 3 x1 D C 2 2 und 2 x2 D 2
r 2 2 2
.15/ D 1
p 16 D 5
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Wir erhalten die Linearfaktorzerlegung x 2 C 2x 15 D .x 3/.x .5// D .x 3/.x C 5/ J
Aufgabe
Überlegen Sie, wie Sie diese beiden Lösungen auch ohne Verwendung der pq-Formel bestimmen können. Multiplizieren Sie dazu den Term .x a/.x b/ aus. Vergleichen Sie das Ergebnis mit dem Term x 2 C px C q. Wie hängen a und b mit p und q zusammen?
Vielleicht haben Sie bei der Bearbeitung der obigen Aufgabe gerade den bekannten Satz von Vieta bewiesen. Sollte das so ein, dann gut gemacht! Der Satz ist ziemlich praktisch, denn er erspart uns in vielen Fällen das lästige Rechnen mit den Wurzelausdrücken aus der p-q-Formel: Satz 1.16 (Satz von Vieta) Falls x1 und x2 die Lösungen von x 2 C px C q D 0 sind, dann gilt x1 C x2 D p
und x1 x2 D q
Der Satz lässt sich leicht durch Ausmultiplizieren von .x x1 /.x x2 / beweisen. Das rechne ich hier aber nicht vor, denn das war ja gerade Ihre obige Aufgabe. Für unser obiges Beispiel heißt das, dass wir zum Lösen von x 2 C 2x 15 D 0 zwei Zahlen x1 und x2 suchen, deren Produkt 15 ist und deren Summe 2: x1 C x2 D 2 und x1 x2 D 15 Wir untersuchen leicht die Teiler 1; 1; 3; 3; 5; 5; 15; 15 von 15 und erhalten die beiden bekannten Lösungen x1 D 3 und x2 D 5. Ehrlicherweise muss ich dazusagen, dass der Satz von Vieta nur dann hilfreicher als die p-q-Formel ist, wenn die gesuchten Lösungen ganzzahlig sind und wenn q leicht auf seine Teiler zu untersuchen ist. Aber wie Sie sich denken können, suchen Lehrende für Klausuren ja oft kleine ganzzahlige Lösungen aus. Also: Nur Mut, den Satz anzuwenden! Versucht man stattdessen den Satz von Vieta immer anzuwenden, ungeachtet der Ganzzahligkeit, dann könnte man ja auch auf die Idee kommen, einfach das obige Gleichungssystem zu lösen. Ersetzen wir x1 D x152 und setzen das in die andere Gleichung ein, so erhalten wir 15 15 C x2 D 2 , D 2 x2 , 15 D 2x2 C x22 , x22 C 2x2 C 15 D 0 x2 x2
1.6 Gleichungen
113
Wir haben uns im Kreis gedreht und die quadratische Gleichung zurückerhalten. Dass es zwei Möglichkeiten für den Wert von x2 gibt, das wussten wir schon. So kommen wir also nicht weiter. Die Untersuchung der Teiler war deutlich hilfreicher. Wenn ich mir erlauben darf, das anzumerken, dann möchte ich zum Ausdruck bringen, dass das sichere und schnelle Lösen quadratischer Gleichungen wirklich in Ihren persönlichen Mathematik-Werkzeugkoffer gehört. Das wird wirklich oft und sinnvollerweise von Ihnen erwartet. Übungsbeispiele dazu finden Sie auch in [3]. Zum Abschluss gehen wir noch auf sogenannte biquadratische Gleichungen ein, die eigentlich gar nicht quadratisch sind. Es handelt sich dabei um Gleichungen vierten Grades der Form ax 4 C bx 2 C c D 0 mit a ¤ 0 ohne Potenzen mit ungeraden Exponenten. Substituieren wir x 2 D u, dann erhalten wir au2 C bu C c D 0 r und folglich gibt es (falls b C u1 D 2a
b 2a
2
r b 2 c 2a a
,
c a
u2 C
b c uC D0 a a
> 0) die beiden Lösungen b und u2 D 2a
r b 2 c 2a a
Rücksubstitution von x 2 D u1 und x 2 D u2 liefert nun (falls u1 > 0 und u2 > 0) die vier Lösungen p x1;2 D ˙ u1
p und x3;4 D ˙ u2
Beispiel 1.47
Wir lösen x 4 13x 2 C 36 D 0 indem wir x 2 D u setzen und zunächst u2 13u C 36 D 0 lösen. Da die p-q-Formel hier ziemlich umständlich wäre, machen wir uns mit dem Satz von Vieta klar, dass die beiden Teiler 4 und 9 von der 36 die gewünschten Eigenschaften 4C9 D .13/ und 4 9 D 36 haben. Also ist u1 D 4 und u2 D 9. Wir erhalten die vier Lösungen x1 D
p p p p 4 D 2 x2 D 4 D 2 x3 D 9 D 3 x4 D 9 D 3
Das sieht man übrigens auch prima, wenn man die Darstellung x 4 13x 2 C 36 D .x 2 4/.x 2 9/
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
mithilfe der dritten binomischen Formel zu x 4 13x 2 C 36 D .x 2/.x C 2/.x 3/.x C 3/ umformt. J
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass die Betrachtungen zu den biquadratischen Gleichungen natürlich nur so durchführbar sind, wenn es tatsächlich vier Nullstellen gibt. Das musst nicht der Fall sein und dann finden wir eben auch keine vier Lösungen. Denken Sie nur an ein Polynom der Form .x 2 4/.x 2 C 9/. Was passiert dann mit u1 und u2 ? Wo geht das Verfahren nicht weiter?
Es ist Zeit für ein wenig Übung:
Aufgabe
Denken Sie sich mehrere quadratische Gleichungen aus, die keine, eine oder zwei Lösungen haben. Berechnen Sie die Lösungen. Überlegen Sie jeweils, ob der Satz von Vieta hilfreich ist.
Für diejenigen von Ihnen, die nun noch nicht genug geübt haben, gibt es noch ein kurzes und knackiges Lernvideo zu quadratischen Gleichungen (Abb. 1.57). Überzeugen Sie sich gerne davon, dass Sie das Thema gut verstanden haben!
Abb. 1.57 Lernvideo zu quadratischen Gleichungen (https://doi.org/10.1007/000-bdn)
1.6 Gleichungen
115
Übungsaufgaben zum Lösen von quadratischen Gleichungen
1.39 Lösen Sie die folgenden quadratischen Gleichungen: a) x 2 4 D 0 b) x 2 6x 7 D 0 c) 2x 2 C 2x 17 D x 2 x C 11 Verwenden Sie bei b) und c) gerne auch den Satz von Vieta. 1.40 Lösen Sie die biquadratische Gleichung x 4 41x 2 C 400 D 0
1.6.3 Gleichungen mit Wurzelausdrücken Wenn in einer Gleichung eine Variable in einem Wurzelausdruck auftaucht, dann sprechen wir von einer Wurzelgleichung. Ehrlicherweise nehmen wir diese hier vor allem deswegen in den Blick, weil wir bei Wurzelgleichungen sehr gut lernen können, dass beim Quadrieren der Terme auf beiden Seiten der Gleichung eben keine äquivalente Gleichung herauskommt. Aber eines nach dem anderen. Wir starten mit zwei einfachen Beispielen. Beispiel 1.48 (Gleichung mit nur einem Wurzelausdruck)
Sei die Gleichung p 24 3x 10 D 7 gegeben. Wenn eine Gleichung nur einen Wurzelausdruck enthält, dann bringen Sie immer diesen Wurzelausdruck auf die eine Seite und den ganzen Rest auf die andere Seite! Wir erhalten dann die äquivalente Gleichung: p 24 3x D 3 Zweiter Schritt: Quadrieren! Das ist zumindest mal eine Implikation, denn wenn zwei Terme gleich sind, dann sind auch ihre Quadrate gleich. Also folgt: 24 3x D 9 Lösenpdieser Gleichung liefert p x D 5 und das ist auch tatsächlich eine Lösung, denn 24 3 5 10 D 9 10 D 3 10 D 7. Die Probe hat geklappt, also sind wir hier fertig. J
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Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Beispiel 1.49 (Gleichung mit zwei Wurzelausdrücken)
Wir betrachten die Gleichung p p x C 12 x C 3 D 1 Es hilft nun nicht: Egal, wo wir die beiden Wurzeln hinsortieren, es bleibt immer eine Summe zweier Terme auf einer der beiden Seiten der Gleichung stehen. Wenn wir diese Summe mithilfe der binomischen Formeln quadrieren, bleibt ein Wurzelausdruck. Das macht aber nichts. Wir quadrieren dennoch auf beiden Seiten der Gleichung und erhalten p p .x C 12/ 2 x C 12 x C 3 C .x C 3/ D 1 Wir bringen den Wurzelausdruck auf die rechte Seite und sortieren alles andere auf die linke Seite: p p 2x C 14 D 2 x C 12 x C 3 Wir teilen durch zwei: xC7D
p
p x C 12 x C 3
und quadrieren erneut: x 2 C 14x C 49 D .x C 12/.x C 3/
,
49 D x C 36
Die einzige Lösung ist x D 13, die auch der Probe standhält, denn p p 13 C 12 13 C 3 D 1 J So weit, so gut. Wir wollen uns abschließend noch mit dem Thema Scheinlösungen auseinandersetzen. Dafür müssen wir uns bewusst machen, dass das Quadrieren der Terme auf beiden Seiten einer Gleichung eben keine Äquivalenzumformung darstellt. Es gilt zwar xDy
)
x2 D y2
aber umgekehrt ist das eben nicht unbedingt der Fall: x2 D y2
»
xDy
Ein Beispiel dafür ist, dass 32 D .3/2 D 9 ist, aber trotzdem ist 3 ¤ 3. Dies bedeutet für uns, dass wir nach dem Quadrieren auf beiden Seiten einer Gleichung
1.6 Gleichungen
117
immer schauen müssen, ob wir wirklich eine Lösung der Ausgangsgleichung erhalten haben. Beispiel 1.50 (Scheinlösungen)
Bei der Gleichung p
24 3x C 4 D 1
gehen wir wie im ersten obigen Beispiel vor und erhalten p
24 3x D 3
)
24 3x D 9
)
xD5
Das ist aber keine Lösung der Ausgangsgleichung. Es handelt sich um eine Scheinlösung, die durch nichtäquivalente Umformungen zustande gekommen ist. Die Ausgangsgleichung hat also keine Lösung. Das sehen wir natürlich auch direkt daran, dass ein Wurzelausdruck stets nichtnegativ ist und also nicht den Wert 3 annehmen kann. J Zum Abschluss schauen wir uns noch ein komplexeres Beispiel an: Beispiel 1.51 (Wieder eine Scheinlösung)
Wir lösen die Gleichung p p 19 2x C 2 D 30 x Wir quadrieren auf beiden Seiten der Gleichung. Das liefert p .19 2x/ C 4 19 2x C 4 D 30 x
,
p 4 19 2x D x C 7
Erneutes Quadrieren führt uns zu 16.19 2x/ D x 2 C 14x C 49
,
x 2 C 46x 255 D 0
Die erhaltene quadratische Gleichung können wir mit der p-q-Formel lösen: x1 D 23 C
p p 232 C 255 D 5 und x2 D 23 232 C 255 D 51
Sie können leicht nachrechnen, dass aber nur x D 5 eine Lösung der Ausgangsgleichung darstellt. J
118
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
In obigen Beispielen hatten wir bisher keine Probleme damit, ob die auftretenden Wurzelterme für die berechneten Werte von x überhaupt definiert sind. Zum Abschluss überlasse ich es daher nun Ihnen, auch diesen Fall noch zu betrachten:
Aufgabe
Betrachten Sie die Wurzelgleichung p
3x D
p x2
Was erhalten Sie, wenn Sie die übliche Lösungsstrategie anwenden? Handelt es sich um eine Lösung? Sind die auftretenden Wurzelterme überhaupt definiert? Machen Sie sich bewusst, für welche Werte von x die Gleichung überhaupt betrachtet werden kann. Schlussfolgern sie daraus, dass die Gleichung keine Lösung hat!
Aufgabe
Genauso wie bei den quadratischen Gleichungen macht es nun Sinn, noch ein paar eigene Aufgaben zu rechnen. Denken Sie sich wieder ein paar Wurzelgleichungen aus und bestimmen Sie deren Lösungsmenge! Das Ausdenken passender Aufgaben ist übrigens auch eine wichtige Sache, die das Verständnis fördert. Also seien Sie gerne kreativ!
Ein Lernvideo zum Thema Wurzelgleichungen (Abb. 1.58) steht für Sie bereit. Gutes Gelingen!
Abb. 1.58 Lernvideo zu Wurzelgleichungen (https://doi.org/10.1007/000-bdp)
1.6 Gleichungen
119
Übungsaufgaben zum Lösen von Wurzelgleichungen
1.41 Lösen Gleichungen: p p Sie die folgenden a) px C 16 p x 12 D 2 b) px 16 px 12 D 2 c) px C 16 p x C 12 D 2 d) x 16 x C 12 D 2 1.42 Lösen Sie die folgende Gleichung p x 2 6x C 24 C 2x D 12
1.6.4 Gleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen Auch bei Gleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen versuchen wir, äquivalente Umformungen zu machen. Um die Variable x zu bestimmen, müssen wir aber ggf. mehrfach mit Nennern von Brüchen multiplizieren, bei denen wir darauf achten müssen, dass wir nicht mit 0 multiplizieren. Beispiel 1.52
Wir lösen die Gleichung x C 16 Dx 2x C 5 und multiplizieren dafür beide Seiten der Gleichung mit 2x C 5. Achtung! Dürfen wir das denn? Es handelt sich nur dann um eine Äquivalenzumformung, wenn 2x C 5 ¤ 0 ist, also wenn x ¤ 52 . Das müssen wir ab jetzt im Auge behalten. Für x D 52 ist die ganze Gleichung sowieso nicht definiert. Nach der Multiplikation erhalten wir x C 16 D x.2x C 5/ D 2x 2 C 5x , 2x 2 C 4x 16 D 0 , x 2 C 2x 8 D 0 Wir erhalten zwei Lösungen, nämlich x D 2 und x D 4. Beide sind tatsächlich Lösungen der Ausgangsgleichung, was Sie leicht durch eine Probe verifizieren können. J
120
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Klappt das immer so gut? Leider nicht! Das wird im nächsten Beispiel deutlich: Beispiel 1.53
Diesmal schauen wir uns die folgende Gleichung an: 4x 12 Dx1 x3 Nur für x ¤ 3 dürfen wir mit dem Nenner .x 3/ multiplizieren und erhalten 4x 12 D .x 3/.x 1/ D x 2 4x C 3
,
x 2 8x C 15 D 0
Diese quadratische Gleichung hat die beiden Lösungen x D 3 und x D 5. Wir müssen x D 3 als Lösung ausschließen, denn für x D 3 waren die durchgeführten Schritte gar nicht erlaubt und die Ausgangsgleichung ist auch gar nicht definiert. Die einzige Lösung, die auch der Probe standhält, ist x D 5. Machen Sie sich zudem bewusst, dass wir die Lösung x D 5 noch schneller gefunden hätten, wenn wir gleich zu Beginn gekürzt hätten: 4x 12 4.x 3/ D D4 J x3 x3 Man kann die Gleichungen natürlich beliebig kompliziert werden lassen, indem man auch Polynome höheren Grades im Zähler oder im Nenner zulässt. Trotzdem bleibt der Fahrplan beim Lösen der gleiche: man versucht, die Gleichung durch Multiplikation mit den auftretenden Nennern zu vereinfachen. Wir beschränken uns hier auf lineare Funktionen im Zähler und im Nenner. Aber wir schauen uns noch eine Gleichung an, bei der zwei gebrochen-rationale Terme vorkommen, so dass wir auch mit zwei Nennern multiplizieren müssen. Beispiel 1.54
Wir lösen die Gleichung 7x 10 13x 23 D 2x 4 x2 Wir stellen direkt fest, dass die Gleichung nur für x ¤ 2 definiert ist. Für diesen Fall dürfen wir also auch mit den Nennern multiplizieren. Wir erhalten .13x 23/.x 2/ D .7x 10/.2x 4/ , 13x 2 49x C 46 D 14x 2 48x C 40 , x2 C x 6 D 0
1.6 Gleichungen
121
Die p-q-Formel liefert mit ein wenig Bruchrechnung das gleiche, was auch der Satz von Vieta liefert. Es gilt x 2 C x 6 D .x 2/.x C 3/. Also sind die beiden Nullstellen x D 2 und x D 3. Eine Probe ergibt, dass x D 3 obige Ausgangsgleichung löst. Bei x D 2 handelt es sich aber nicht um eine Lösung, denn diesen Wert mussten wir gleich zu Beginn ausschließen. Unsere Gleichung hat also nur eine Lösung. Übrigens hätten wir das mit ein wenig Übersicht auch gleich anfangs sehen können. Die Nenner unterscheiden sich ja nur um den Faktor 2. Multiplizieren wir die Ausgangsgleichung nur mit .x 2/, dann erhalten wir 13x 23 D 7x 10 2
,
1 3 xC D0 2 2
Hier können wir direkt die einzige Lösung x D 3 ablesen. J Ein weiteres Beispiel zu Gleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen finden Sie in unserem Lernvideo zu diesem Thema (Abb. 1.59). Vollziehen Sie dort das Lösungsverfahren gerne noch einmal nach!
Übungsaufgaben zum Lösen von Gleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen
1.43 Lösen Sie die folgenden Gleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen: D 19 a) 2xC3 x7 x7 b) 2xC3 D 9 c) xC3 x3 D 5 1.44 Lösen Sie die folgenden Gleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen: x3 x5 D xC5 a) xC3 b) c)
2xC5 xC1 5x3 D x5 2xC3 D 6x x1
3
Abb. 1.59 Lernvideo zu Gleichungen mit gebrochen-rationen Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bdq)
122
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
1.6.5 Gleichungen mit Beträgen Da wir im Abschn. 1.7 noch ausführlich und insbesondere mit vielen Visualisierungen über Werte von Betragsfunktionen sprechen werden, steigen wir hier nur beispielhaft in das Thema ein. Wir müssen stets die Definition der Betragsfunktion im Blick haben. Wenn jxj D a mit a 0 ist, dann gibt es immer zwei Lösungen, nämlich x D a und x D a. Das ist schon alles, was wir benötigen. Beispiel 1.55
Die Gleichung j3x 7j D 5 hat zwei Lösungen, nämlich 3x 7 D 5
,
xD4
und 3x 7 D 5
,
xD
2 J 3
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass es beim Betrag einer linearen Funktion immer so ist, dass jeder angenommene Wert (mit Ausnahme des Wertes 0) an zwei verschiedenen Stellen angenommen wird. Das liegt an der Symmetrie der Betragsfunktion. Zeichnen Sie den Grapf von f mit f .x/ D j3x 7j und kennzeichnen Sie die beiden Stellen, an denen der Wert 5 angenommen wird!
Wenn mehrere Betragsfunktionen in einer Gleichung vorkommen, dann ist der Lösungsweg auch nicht viel schwieriger: Beispiel 1.56
Sei die Gleichung jx C 1j C jx C 2j D 3 gegeben. Um die Beträge aufzulösen, hilft uns eine Fallunterscheidung. Wir erinnern uns dafür an die Definition der Betragsfunktion. Wegen jaj D a für a 0 und jaj D a für a < 0 müssen wir jeweils unterscheiden, ob die Argumente der Betragsfunktionen nichtnegativ oder negativ sind. Je nachdem, in welchem der Intervalle .1; 2/, Œ2; 1/ und Œ1; 1/ sich das gesuchte x befindet, sind beide, eines der beiden oder keines der beiden Argumente x C 1 und x C 2 der beiden Betragsfunktionen in unserem Beispiel negativ.
1.6 Gleichungen
123
1. Fall: x < 2: Die Argumente beider Beträge sind negativ. Also .x C 1/ .x C 2/ D 3
,
2x D 6
,
x D 3
2. Fall: 2 x < 1: Das Argument der ersten Betragsfunktion ist negativ, das der zweiten nichtnegativ. Es folgt .x C 1/ C .x C 2/ D 3
,
1D3
Das ist eine falsche Aussage. Hier finden wir keine Lösung. 3. Fall: x 1: Die Argumente beider Beträge sind nichtnegativ. Also .x C 1/ C .x C 2/ D 3
,
2x C 3 D 3
,
xD0
Unsere Gleichung hat genau zwei Lösungen, nämlich x D 0 und x D 3. J
Aufgabe
Zeichnen Sie die Funktion f mit f .x/ D jx C 1j C jx C 2j. Markieren Sie die Stellen, wo Sie den Wert 3 annimmt. Wo nimmt sie den Wert 1 an? Gibt es auch für diese Frage nur zwei Antworten oder vielleicht eine ganze Menge von Lösungen?
Es ist noch wichtig zu erwähnen, dass wir nicht alle Gleichungstypen hier behandelt haben. Insbesondere haben wir nichts zu Gleichungen mit Exponential- und Logarithmusfunktionen gesagt. Das holen wir dann in Abschn. 3.2 nach, wenn wir die Exponential- und Logarithmusfunktionen besser kennengelernt haben. Ein Lernvideo zum Thema Gleichungen mit Beträgen (Abb. 1.60) ist jetzt bestimmt eine gute Idee!
Abb. 1.60 Lernvideo zu Gleichungen mit Beträgen (https://doi.org/10.1007/000-bdr)
124
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Übungsaufgaben zum Lösen von Gleichungen mit Beträgen
1.45 Lösen Sie die folgenden Gleichungen mit Beträgen: a) j2x 4j D 8 b) jx 3j C jx 1j D 6 c) jx 3j jx 1j D 1 1.46 Welche der folgenden Aussagen sind richtig, welche sind falsch? a) Die Gleichung jx aj D b hat für alle a; b 2 R eine Lösung. b) Wenn die Gleichung jx aj D b für a; b 2 R lösbar ist, dann hat sie entweder genau eine oder genau zwei Lösungen. c) Wenn die Gleichung jx aj C jx cj D b für a; b; c 2 R lösbar ist, dann hat sie entweder genau eine oder genau zwei Lösungen. d) Die Gleichung jx aj C jx cj D b mit a; b; c 2 R kann auch unendlich viele Lösungen haben. Zeichnen Sie zur Veranschaulichung gerne jeweils den Graphen der zur linken Seite der Gleichungen gehörenden Funktionen für passende Werte von a, b und c in ein Koordinatensystem. Erklären Sie jeweils, warum die Aussagen stimmen/nicht stimmen.
1.7 Ungleichungen Mit Gleichungen haben wir uns nun schon ausführlich beschäftigt, aber was hat es mit den Ungleichungen auf sich? Offensichtlich geht es hier darum, wann etwas „nicht gleich“ ist. Zum Beispiel können wir uns fragen, wann ein Term größer ist als ein anderer. Ungleichungen brauchen wir unter anderem, um Fragestellungen der folgenden Art zu beantworten: Wie viel Gramm eines Stoffes A sind für eine chemische Reaktion mindestens nötig, damit das Endprodukt mindestens eine vorgegebene Stoffmenge des Stoffes B enthält? Was ist das Intervall der zulässigen Winkel für die Ausrichtung meines Teleskops, so dass ich einen vorgegebenen Himmelskörper gut beobachten kann? Sie möchten die Höhe eines Gebäudes schätzen und messen dafür Abstand und Winkel zur Spitze. Wie groß darf der Fehler bei der Messung von Abstand und Winkel höchstens sein, um die Höhe des Gebäudes mit einem relativen Fehler von höchstens 5 % zu berechnen? Wie viele Produkte muss ich mindestens verkaufen, um einen vorgegebenen Mindestumsatz zu erreichen? In welchem zulässigen Bereich einer Straße kann sich ein Unternehmen befinden, so dass die Summe der Entfernungen zu zwei Zulieferbetrieben an derselben Straße nicht größer als ein vorgegebener Wert ist?
1.7
Ungleichungen
125
Aufgabe
Was sind die Gemeinsamkeiten der Fragestellungen? Achten Sie dabei besonders auf die fett geschriebenen Wörter!
Und keine Sorge: Ungleichungen heißen nicht so, weil sie „ungleich“ schwerer zu lösen sind als Gleichungen. Wir brauchen ein paar neue Ideen und müssen uns daran gewöhnen, dass es oft eine ganze Menge von Lösungen gibt. Aber Sie werden sehen, dass Sie viel Wissen über das Lösen von Gleichungen wieder anwenden können. Vorkenntnisse Um gut durch das folgende Kapitel zu kommen, sollten Sie X erlaubte Umformungen für das Lösen von Gleichungen kennen, X den Einfluss von Parametern auf Funktionsgraphen von Funktionen kennen (z. B. Verschiebungen in x- oder y-Richtung), X lineare und quadratische Funktionen gut verstehen und deren Funktionsgraphen zeichnen können, X die Definition der Betragsfunktion und deren Funktionsgraph kennen, X sich mit der Summe f C g zweier Funktionen f und g auskennen sowie X etwas über gebrochen-rationale Funktionen, deren Definitionsbereiche und Funktionsgraphen wissen. Mehr Material zum Thema Ungleichungen finden Sie in [2, 10, 11, 13, 15, 16]. Definition 1.35 (Ungleichung) Eine Ungleichung in der Variablen x gibt an, in welchem Verhältnis zwei Terme t.x/ und s.x/ zueinander stehen. Dabei heißt t.x/ < s.x/, dass der Wert von t.x/ kleiner ist als der Wert von s.x/. t.x/ s.x/, dass der Wert von t.x/ kleiner als oder genauso groß ist wie der Wert von s.x/. t.x/ > s.x/, dass der Wert von t.x/ größer ist als der Wert von s.x/. t.x/ s.x/, dass der Wert von t.x/ größer als oder genauso groß ist wie der Wert von s.x/. Wenn die Ungleichung für eine Zahl x 2 R stimmt, dann heißt x eine Lösung der Ungleichung. Die Menge L D fx 2 RW x löst die Ungleichungg heißt Lösungsmenge der Ungleichung.
126
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Beispiel 1.57
Die Ungleichung 3x 7 < 5 stimmt für x D 1, denn 3 1 7 < 5. Daher gehört x D 1 zur Lösungsmenge. Da aber 3 5 7 — 5 ist, gehört x D 5 nicht zur Lösungsmenge. J Bevor wir richtig starten können, müssen wir uns überlegen, was wir mit Ungleichungen so alles anstellen dürfen, ohne die Lösungsmenge zu verändern (Äquivalenzumformungen). Erlaubte Umformungen Wir dürfen auf beiden Seiten der Ungleichung dieselbe Zahl addieren oder subtrahieren. C4
”
3 6 ist. Da haben wir unsere Lösungsmenge: L D fx 2 RW 6 < x < 1g D .6; 1/ Die Lösungsmenge können wir übrigens auch direkt am Graphen der Funktion ablesen (siehe Abb. 1.62). Da die Parabel nach oben geöffnet ist, nimmt sie eben genau zwischen ihren beiden Nullstellen negative Werte an. Stellen Sie sich nun vor, wir hätten statt .x 1/.x C 6/ < 0 die Ungleichung .x 1/.x C 6/ > 0 lösen wollen. Das ist jetzt ganz einfach. Werfen Sie dazu erneut einen Blick auf Abb. 1.62. Wo ist der Graph positiv? Wir lesen die Lösungsmenge L D fx 2 RW x < 6 oder x > 1g D .1; 6/ [ .1; 1/ ab. Das ging jetzt doch erstaunlich einfach, oder? Mit diesem Wissen sollten wir uns gewachsen fühlen, auch die anderen Ungleichungstypen abstrakt zu behandeln: Sei dazu eine Parabelfunktion mit zwei verschiedenen Nullstellen a und b gegeben, wobei a < b sein soll. Die zu lösenden
Abb. 1.62 Funktionsgraph von f .x/ D .x 1/.x C 6/ (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
130
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Ungleichungen und deren Lösungsmenge sind in folgender Tabelle zusammengefasst: Ungleichung .x a/.x b/ < 0 .x a/.x b/ 0 .x a/.x b/ > 0 .x a/.x b/ 0
Lösungsmenge L D fx 2 RW a < x < bg D .a; b/ L D fx 2 RW a x bg D Œa; b L D fx 2 RW x < a oder x > bg D .1; a/ [ .b; 1/ L D fx 2 RW x a oder x bg D .1; a [ Œb; 1/
Ich überlasse es nun Ihnen, ein paar weitere Fälle selbst zu durchdenken und gebe dafür hier nur ein paar Tips: 1. In allen bisher betrachteten Fällen war die Parabel nach oben geöffnet. Was passiert, wenn sie das nicht ist, z. B. wie bei .x a/.x b/ < 0? Dann teilen wir einfach die Ungleichung durch 1, dabei dreht sich das Relationszeichen um und Sie erhalten eine Ungleichung, die wir schon diskutiert haben. . . 2. Was passiert, wenn a D b ist, wenn also eine doppelte Nullstelle vorliegt? Dann wird .x a/2 einfach nie negativ und ist gleich 0, genau dann wenn x D a ist. 3. Was passiert, wenn die quadratische Funktion überhaupt keine Nullstellen hat? Eine Beispiel dazu wäre der Funktionsterm x 2 C 1. Dieser Term wird nie negativ und ist positiv auf ganz R. Der Graph verläuft dann vollständig oberhalb der xAchse. Damit haben wir die quadratischen Ungleichungen erschöpfend behandelt. Unser Lernvideo dazu (Abb. 1.63) kann das Verständnis vertiefen. Bisher haben wir keine Fallunterscheidungen diskutieren müssen. Das ändert sich, wenn wir im folgenden Ungleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen und Ungleichungen mit Beträgen anschauen. Sind Sie bereit?
Abb. 1.63 Lernvideo zu quadratischen Ungleichungen (https://doi.org/10.1007/000-bds)
1.7
Ungleichungen
131
Übungsaufgaben zu quadratischen Ungleichungen
1.49 Lösen Sie die folgenden quadratischen Ungleichungen: a) x 2 C 2x 7 < 1 b) 2x 2 C 18x 36 > 0 c) x 2 20 5 d) x 2 2x 1 1.50 Können Sie das Gelernte auch auf Ungleichungen mit Polynomen höheren Grades anwenden? Wann ist z. B. .x 1/.x 3/.x 5/ > 0? Fragen Sie sich erneut, wann ein Produkt von Termen positiv ist!
1.7.3 Ungleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen Wir erinnern uns, dass gebrochen-rationale Funktionen f die Form f .x/ D
p.x/ q.x/
haben, wobei im Zähler und im Nenner die Polynome p und q stehen. Der Definitionsbereich dieser Funktionen darf die Nullstellen des Nenners nicht enthalten, weil wir nicht durch 0 dividieren dürfen. Ohne lange Vorrede legen wir mit einer Beispielungleichung los: 2x 1 >1 xC8 Es liegt nahe, die Ungleichung auf beiden Seiten mit dem Nenner zu multiplizieren. Doch Vorsicht, das können wir nicht so einfach machen. Ok, also 0 wird der Nenner nicht, denn für eine Nullstelle des Nenners ist der Bruch nicht definiert. Aber wir wissen ja a priori nicht, ob der Nenner positiv oder negativ ist. Nun haben wir uns aber überlegt, dass wir eine Ungleichung problemlos mit einer positiven Zahl multiplizieren dürfen, ohne die Lösungsmenge zu verändern. Multiplizieren wir aber mit einer negativen Zahl, so müssen wir das Relationszeichen umkehren. Was ist also zu tun? Eine Fallunterscheidung wird uns helfen: 1. Fall: x C 8 > 0: Dieser Fall tritt ein, wenn x > 8 ist. Multiplikation der Ungleichung mit dem (positiven) Nenner ergibt: 2x 1 > x C 8 Daraus folgt dann nach Addition von 1 und Subtraktion von x die Lösungsbedingung x > 9. Im ersten Fall lösen also alle Zahlen x die Ungleichung, für die sowohl x > 9 als auch x > 8 gilt. Letzteres war die Fallbedingung, von der wir
132
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
ausgegangen sind. Wenn x > 9 ist, dann ist aber x > 8 automatisch ebenfalls erfüllt. Im ersten Fall erhalten wir damit die Lösungsmenge L1 D .9; 1/ 2. Fall: x C 8 < 0: Das ist der Fall, wenn x < 8 ist. Bei Multiplikation der Ungleichung mit dem (negativen!) Nenner dreht sich das Relationszeichen um: 2x 1 < x C 8 Wieder lösen wir die Ungleichung und erhalten die Lösungsbedingung x < 9. Diesmal ist die Fallbedingung die stärkere Forderung, denn wenn x < 8 ist, dann ist sofort auch x < 9 erfüllt. Also gilt für die Lösungsmenge im zweiten Fall L2 D .1; 8/
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass x eine Lösung in einem der Fälle darstellt, wenn x sowohl die Fallbedingung als auch die Lösungsbedingung erfüllt!
Fallbedingung und Lösungsbedingung sind also logisch mit „und“ zu verknüpfen.
Aufgabe
Verdeutlichen Sie sich anschließend, dass ein x die Chance hat, entweder im 1. Fall oder im 2. Fall etwas zur Lösung beizutragen!
Die Lösungsmengen der beiden Fälle sind also mit „oder“ zu verknüpfen, d. h. zu vereinigen. Also ist die Lösungsmenge der Ungleichung gegeben durch L D L1 [ L2 D .9; 1/ [ .1; 8/ D fx 2 RW x < 8 oder x > 9g Abb. 1.64 illustriert unser Ergebnis. An der Stelle x D 8 liegt eine Polstelle vor. Links von der Polstelle ist die Funktion überall größer als 1. Rechts von der Polstelle übersteigt sie erst ab x D 9 das Niveau 1. Lassen Sie uns den Fahrplan für das Lösen von Ungleichungen mit gebrochenrationalen Funktionen kurz zusammenfassen: 1. Fallunterscheidung machen: Die beiden Fälle, ob der Nenner positiv oder negativ ist, sind getrennt zu betrachten.
1.7
Ungleichungen
Abb. 1.64 Funktionsgraph von f .x/ D
133
2x1 xC8
(Abbildung erstellt mit GeoGebra)
2. In beiden Fällen die Ungleichung lösen, indem man mit dem Nenner multipliziert. Nicht vergessen: Wenn der Nenner negativ ist, dreht sich dabei das Relationszeichen um. 3. In jedem Fall die Fallbedingung und die Lösungsbedingung mit „und“ verknüpfen und die Lösungsmenge des Falles bestimmen. 4. Gesamtslösungsmenge der Ungleichung als Vereinigung der Lösungsmengen der Fälle bestimmen. Wenn Sie mögen, dann werfen Sie nun gerne einen Blick auf ein weiteres Übungsbeispiel im Lernvideo (Abb. 1.65)!
Abb. 1.65 Lernvideo zu Ungleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bcz)
134
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Übungsaufgaben zu Ungleichungen mit gebrochen-rationalen Funktionen
1.51 Lösen Sie die folgenden Ungleichungen: x 1 c) d)
1.7.4
2xC4 4 1 2 x 1
4 0
Ungleichungen mit Beträgen
Wir beschränken uns in diesem Kapitel auf Ungleichungen, in denen Betragsfunktionen vorkommen, die nur lineare Funktionen als Argumente haben. Die einfachsten Beispiele sind dabei von der Form jx aj < b
jx aj b
jx aj > b
jx aj b
für gegebene reelle Zahlen a und b. Machen Sie sich bewusst, dass jx aj der Abstand der Zahlen x und a ist. jx aj gibt also an, wie weit das x von a entfernt ist. Mit dieser Anschauung sind die Lösungsmengen der Ungleichungen einfach zu finden. Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Lebensmittelprodukt darf nur dann verkauft werden, wenn das tatsächliche Füllvolumen x um nicht mehr als 5 Milliliter vom Sollvolumen 1000 Milliliter abweicht. Welche Werte darf das Füllvolumen dann annehmen? Die zu lösende Ungleichung ist dann jx 1000j 5. Offensichtlich ist die Lösungsmenge in diesem Beispiel das Intervall Œ1000 5; 1000 C 5 D Œ995; 1005, denn eine Abweichung um 5 Milliliter nach oben und unten wird toleriert.
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass für die Ungleichung jx 1000j < 5 dieselbe Argumentation möglich ist. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Abweichung nun echt kleiner als 5 sein muss, also den Wert 5 nicht mehr annehmen darf. Die Lösungsmenge ist dann das offene Intervall .995; 1005/.
Aufgabe
Bestimmen Sie nun die Lösungsmengen der beiden Ungleichungen jx 1000j 5 und jx 1000j > 5, indem Sie untersuchen, wann die Abweichung größer (oder gleich) 5 ist.
1.7
Ungleichungen
135
Abb. 1.66 Lagebeziehungen am Zahlenstrahl (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Die Lösungsmengen unserer vier obigen Ungleichungen sind in folgender Tabelle zusammengefasst und die Varianten < und > in Abb. 1.66 illustriert. In unserem Beispiel war a D 1000 und b D 5. Ungleichung jx aj < b jx aj b jx aj > b jx aj b
Lösungsmenge L D fx 2 RW a b < x L D fx 2 RW a b x L D fx 2 RW x < a b L D fx 2 RW x a b
< a C bg D .a b; a C b/ a C bg D Œa b; a C b oder x > a C bg D .1; a b/ [ .a C b; 1/ oder x a C bg D .1; a b [ Œa C b; 1/
So weit, so gut. Auf zu komplizierteren Fragestellungen! Die gleichen Ideen helfen uns hier weiter. Starten wir mit einem Musterbeispiel, bei der wir die Summe zweier Betragsfunktionen untersuchen wollen. Wir suchen alle Lösungen x 2 R der folgenden Ungleichung jx 2j C jx 6j < 8 und wollen die Lösungsmenge angeben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Problem anzugehen. Ich stelle Ihnen drei Varianten vor: die graphische Methode: Wir betrachten den Funktionsgraphen und argumentieren visuell. die Zahlenstrahl-Methode: Wir versuchen, die Fragestellung in Worte zu fassen und argumentieren geschickt. die Methode der Fallunterscheidung: Wir machen eine Fallunterscheidung, die sicher zum Ziel führt. Das klappt garantiert immer. Graphische Methode Wir zeichnen und betrachten die Funktionsgraphen von f .x/ D jx 2j (grün) und g.x/ D jx 6j (rot) sowie deren Summe h.x/ D jx 2j C jx 6j (blau), siehe Abb. 1.67. Offensichtlich ist diese Summe im Intervall Œ2; 6 konstant gleich 4. Damit gehört diesen Intervall schon einmal zur Lösungsmenge, denn 4 < 8. Wir sehen zudem, dass die blaue Funktion links und rechts von diesem Intervall ansteigt. Der Wert 8 wird bei x D 0 bzw. x D 8 erreicht. Unsere gesuchte Lösungsmenge ist also das Intervall .0; 8/. Sie fragen sich, warum es ein offenes Intervall sein muss? Das liegt daran, dass wir < 8 gefordert haben. Hätte in der Ungleichung 8 gestanden, dann hätten wir das abgeschlossene Intervall Œ0; 8 als Lösungsmenge erhalten.
136
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
Abb. 1.67 Funktionsgraphen von f .x/ D jx 2j (grün) und g.x/ D jx 6j (rot) sowie von der Summe der beiden Funktionen h.x/ D jx 2j C jx 6j (blau) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Auf geht es nun zur Zahlenstrahl-Methode: Machen Sie sich bewusst, was die Ungleichung fordert: Wir suchen alle Zahlen x, deren Summe der Abstände zu den Zahlen 2 und 6 kleiner als 8 ist. Klingt schwer? Ist es aber nicht. Die Veranschaulichung am Zahlenstrahl hilft uns (siehe Abb. 1.68). Stellen Sie sich vor, das kleine x will eine Leitung bis zur 2 und eine (andere) Leitung bis zur 6 bauen. Wie lang sind die beiden Leitungen zusammen? Wenn das x sich zwischen der 2 und der 6 befindet (grün eingezeichnet), dann ist die Summe der Abstände offensichtlich gleich 4. Dabei ist es sogar völlig unerheblich, wo das x genau liegt. Wenn das x links von der 2 liegt, dann werden die Abstände größer, je weiter man nach links geht. Bei x D 0 (blau eingezeichnet) wird die 8 als Summe der
Abb. 1.68 Veranschaulichung zur Zahlenstrahlmethode (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
1.7
Ungleichungen
137
Abstände angenommen, denn der Abstand zur 2 ist 2 und der Abstand zur 6 ist 6. 2 C 6 D 8! Die 0 gehört also als erste Zahl nicht mehr zur Lösungsmenge. Nun haben Sie schon Übung! Den dritten Fall, in welchem x rechts von der 6 liegt (rot eingezeichnet), schaffen Sie jetzt alleine. Bei x D 8 ist die Ungleichung nicht mehr erfüllt, links davon dagegen schon. Die Lösungsmenge ist das offene Intervall .0; 8/. Wenn Sie das verstanden haben, dann brauchen Sie es in der Prüfung auch nicht mehr mit so vielen Worten aufzuschreiben. Eine kurze Argumentation zusammen mit der Skizze genügt. Haben Sie Sorgen, nicht immer die passende Idee zur Veranschaulichung der Betragsungleichung zu finden? Dann hilft die Methode der Fallunterscheidung Fallunterscheidung – das Allheilmittel bei Ungleichungen mit Beträgen. Da kann einfach nichts schiefgehen. Es macht allerdings ein wenig Arbeit. Wir möchten jeweils die Betragsstriche weglassen. Je nachdem, ob das Argument der Betragsfunktion nichtnegativ oder negativ ist, müssen wir dabei nichts tun oder das Argument mit 1 multiplizieren. Folgende Fälle treten auf: jx 2j < 0
jx 2j 0
jx 6j < 0 Hier ist x < 2 und x < 6. Das ist erfüllt, wenn x < 2 ist, denn das ist die stärkere Forderung. Also: 1. Fall: x < 2 Hier ist x < 6 und x 2. Also: 2. Fall: 2 x < 6
jx 6j 0 Hier ist x 6 und x < 2. Das ist aber unvereinbar. Also: kommt nie vor, kein Fall Hier ist x 6 und x 2. Das ist erfüllt, wenn x 6 ist, denn das ist die stärkere Forderung. Also: 3. Fall: x 6
Die auftretenden Fälle sind auch in Abb. 1.69 am Zahlenstrahl illustriert. Los geht es nun mit der Fallunterscheidung: 1. Fall: x < 2: Die Argumente beider Beträge sind negativ. Also .x 2/ .x 6/ < 8
,
2x < 0
,
x>0
Daher ist die Lösungsmenge im ersten Fall L1 D .0; 2/.
Abb. 1.69 Veranschaulichung der drei zu betrachtenden Fälle am Zahlenstrahl (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
138
1
Grundlagen – Werkzeugkoffer der Mathematik
2. Fall: 2 x < 6: Das Argument der ersten Betragsfunktion ist nichtnegativ, das der zweiten negativ. Es folgt C.x 2/ .x 6/ < 8
,
4 4 d) j2x 4j C j4x C 10j > 6 1.53 Zwei Punkte auf einer Geraden haben den Abstand 10. Wo kann ein dritter Punkt auf derselben Geraden positioniert werden, damit die Summe der Abstände zu den beiden gegebenen Punkten nicht größer ist als 20?
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2
Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
2.1 Rechnen mit Vektoren Das Rechnen mit Vektoren ist Ihnen bestimmt aus der Schule gut bekannt. Man kann durch zweidimensionale Vektoren der Form ! x1 xD x2 oder dreidimensionale Vektoren der Form 0 1 x1 x D @x 2 A x3 Richtungen in der Ebene oder im Raum beschreiben. Oftmals nutzen wir Vektoren aber auch, um höherdimensionale Objekte zu beschreiben. So können die Einträge von Vektoren etwa Verkaufsmengen von Produkten, Temperaturen an verschiedenen Orten der Erde, Koordinaten von Flugzeugen uvm. angeben. Hier ein paar weitere Beispiele: Verkauft ein Unternehmen Produkte P1 ; : : : ; Pn , so kann man den Verkaufspreisvektor p D .p1 ; p2 ; : : : ; pn / betrachten, wobei pi der Preis vom Produkt Pi ist. Die Position eines Satelliten im Raum kann in Abhängigkeit vom Zeitpunkt t durch den Vektor .x.t/; y.t/; z.t// angegeben werden. Die Entwicklung einer Käferpopulation kann zeitabhängig verfolgt werden. Dabei kann der Vektor .ei ; li ; ki / angeben, wie viele Eier ei , Larven li und Käfer ki nach i Fortpflanzungsintervallen vorhanden sind. Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6_2. Die Videos lassen sich durch Anklicken des DOI Links in der Legende einer entsprechenden Abbildung abspielen, oder indem Sie diesen Link mit der SN More Media App scannen.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 A. Kiesel, R. Krapf, Mathematik für den Studieneinstieg, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6_2
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2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Vorkenntnisse Im Kapitel über das Rechnen mit Vektoren brauchen Sie X ein gutes Verständnis für die Notation mit dem Summenzeichen (Abschn. 1.3), X Verständnis für Definitions- und Wertemengen von Funktionen sowie X Kenntnis über den Satz des Pythagoras. Sind Sie bereit? Allgemein ist ein Vektor ein Tupel von Einträgen reeller Zahlen. Das kennen Sie schon vom kartesischen Produkt von Mengen aus Definition 1.9. Wir können also mit der formalen Definition starten. Definition 2.1 (Vektor) Ein Vektor x 2 Rn ist ein n-Tupel reeller Zahlen:
x D .x1 ; x2 ; : : : ; xn /
bzw.
0 1 x1 B x2 C B C xDB : C @ :: A xn
In der Literatur findet man manchmal auch die Schreibweisen xE oder x. Auch in den Lernvideos nutzen wir oft den Unterstrich. Ein Vektor x 2 R2 kann Richtungen in der Ebene beschreiben, ein Vektor x 2 R3 Richtungen im Raum. Wie Sie sehen, kann man Vektoren in Zeilen- oder in Spaltenschreibweise notieren. Um bei der Verwendung von Spaltenvektoren Platz in diesem Buch zu sparen, führen wir an dieser Stelle kurz das Transponieren von Vektoren ein. Definition 2.2 (Transponierter Vektor) Beim Transponieren eines Vektors wird ein Zeilenvektor zum Spaltenvektor und umgekehrt. Wir schreiben: 0 1 x1 B x2 C B C .x1 ; x2 ; : : : ; xn /T D B : C @ :: A xn
und
0 1T x1 B x2 C B C B : C D .x1 ; x2 ; : : : ; xn / @ :: A xn
Wir sprechen dann vom Vektor „x transponiert“. Das Rechnen mit Vektoren ist oft sinnvoll. Die Addition/Subtraktion von Vektoren sowie die Multiplikation von Vektoren mit reellen Zahlen erlauben direkt die Beantwortung bestimmter einfacher ökonomischer Fragestellungen.
2.1 Rechnen mit Vektoren
143
Beispiel 2.1
In einem Lager eines Unternehmens seien 5 verschiedene Produkte gelagert. Für den Anfangsbestand .25; 13; 5; 70; 120/T , die Auslieferung von drei Standardbestellungen der Form .5; 2; 0; 10; 20/T und eine Neuproduktion der Produkte im Umfang .17; 12; 3; 20; 20/ ergibt sich der neue Lagerbestand wie folgt: 0 1 0 1 0 1 1 0 27 17 5 25 B 2 C B12C B19C B 13 C B C B C B C C B B C B C B C C B B 5 C3B0CCB3CDB8C J B C B C B C C B @10A @20A @60A @ 70 A 80 20 20 120 Mit diesem Beispiel können Sie hoffentlich die folgenden formalen Definitionen sofort gut verdauen. Definition 2.3 (Vektoraddition und -subtraktion) Seien a D .a1 ; a2 ; : : : ; an /T und b D .b1 ; b2 ; : : : ; bn /T zwei Vektoren. Dann nennen wir den Vektor, der durch komponentenweise Addition entsteht, die Summe der Vektoren a und b: 1 0 1 0 1 0 b1 a 1 C b1 a1 C B C B C B a C b D @ ::: A C @ ::: A D @ ::: A an
bn
a n C bn
Wir können die Vektoraddition demnach als eine Abbildung Rn Rn ! Rn auffassen: Als Input geben wir zwei Vektoren (a und b) und wir erhalten als Output erneut einen Vektor a C b. Die Subtraktion eines Vektors b von einem Vektor a definieren wir analog: 1 0 1 0 1 0 b1 a 1 b1 a1 C B C B C B a b D @ ::: A @ ::: A D @ ::: A an
bn
a n bn
Definition 2.4 (Multiplikation eines Vektors mit einer reellen Zahl) Seien a D .a1 ; a2 ; : : : ; an /T ein Vektor und r 2 R eine reelle Zahl. Dann nennen wir den Vektor, der durch komponentenweise Multiplikation entsteht, das Produkt des Vektors a mit der Zahl r: 1 0 1 0 r a1 a1 C B C B r a D r @ ::: A D @ ::: A an
r an
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2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Wir können die Multiplikation eines Vektors mit einer reellen Zahl demnach als eine Abbildung R Rn ! Rn auffassen: Als Input geben wir eine reelle Zahl r und einen Vektor a und wir erhalten als Output einen Vektor r a. Aufgabe
Probieren Sie Vektoraddition, -subtraktion und Multiplikation mit einer Zahl an Zahlenbeispielen aus. Überlegen Sie sich ähnliche Anwendungsaufgaben wie die obige zu den Lagerbeständen. Machen Sie sich zudem bewusst, dass die Zeichen C und hier mehrfach mit verschiedenen Bedeutungen gebraucht wurden. Manchmal ist das C eine Addition reeller Zahlen und manchmal eine Addition zweier Vektoren. Je vertrauter Sie mit den Konzepten sind, desto leichter wird es Ihnen fallen, dies immer genau auseinanderzuhalten.
Summen, Differenzen und Vielfache von Vektoren aus R2 lassen sich auch geometrisch interpretieren. Dabei bedeutet a C b, dass man erst in Richtung des Vektors a läuft und am Endpunkt in Richtung des Vektors b weiterläuft. Der Vektor a b ist der Vektor, bei dem man b rückwärts und a vorwärts abläuft. Der Vektor 2a zeigt in dieselbe Richtung wie a, ist aber doppelt so lang. Der Vektor a zeigt dagegen in die entgegengesetzte Richtung. Abb. 2.1 veranschaulicht diese Zusammenhänge. Wenden wir uns nun aber weiteren nicht-geometrischen Anwendungen zu. Exemplarisch betrachten wir für ein Lebensmittel A den Vitaminvektor a D .a1 ; : : : ; an /T , wobei ai angibt, wie viel Milligramm von Vitamin i in 100 Gramm des Lebensmittels enthalten sind. Je nachdem, wie viele verschiedene Vitamine man betrachtet, wird das n gewählt. Wenn man analog den Vitaminvektor b eines Lebensmittels B definiert, so gibt a C b an, welche Menge an Vitaminen man zu sich nimmt, wenn man von beiden Lebensmitteln jeweils 100 Gramm verzehrt,
c a
b
Abb. 2.1 a Summe, b Differenz und c Vielfache von Vektoren (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
2.1 Rechnen mit Vektoren
145
gibt 3a an, welche Menge an Vitaminen in 300 Gramm von Lebensmittel A enthalten sind und gibt schließlich sa C tb an, welche Vitaminmengen enthalten sind, wenn man s Einheiten von jeweils 100 Gramm von Lebensmittel A und t Einheiten von jeweils 100 Gramm von Lebensmittel B zu sich nimmt. Wir werden in den folgenden Abschnitten solche Summen von Vielfachen von Vektoren sa C tb als Linearkombinationen der gegebenen Vektoren bezeichnen und uns überlegen, wie man die Vielfachheiten s und t geeignet wählen kann, um vorgegebene Ernährungspläne zu realisieren. Aber soweit sind wir noch nicht. Wir haben vorher noch einiges vor. Zunächst wollen wir hier noch über das Skalarprodukt von Vektoren sprechen. Starten wir mit einem Beispiel: Beispiel 2.2
Verkauft ein Unternehmen 25 verschiedene Produkte mit Verkaufspreisvektor .p1 ; : : : ; p25 /T und werden in einem Abrechnungszeitraum die im Vektor .v1 ; : : : ; v25 /T festgehaltenen Verkaufszahlen der Produkte realisiert, so gibt die Summe 25 X
vi pi D v1 p1 C C v25 p25
i D1
den Gesamtumsatz in diesem Zeitraum an. Es handelt sich hierbei um eine Summe der komponentenweisen Produkte der Einträge der beiden Vektoren. J Das motiviert die folgende Definition: Definition 2.5 (Skalarprodukt zweier Vektoren) Seien a D .a1 ; : : : ; an /T 2 Rn und b D .b1 ; : : : ; bn /T 2 Rn zwei Vektoren. Dann nennen wir die reelle Zahl 0 1 0 1 b1 a1 n X B C B C a i bi a b D @ ::: A @ ::: A D a1 b1 C C an bn D an
bn
i D1
das Skalarprodukt der Vektoren a und b. Wir können das Skalarprodukt demnach als eine Abbildung Rn Rn ! R auffassen: Als Input geben wir zwei Vektoren a und b und wir erhalten als Output eine reelle Zahl a b.
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2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
a
b
Abb. 2.2 a Berechnung der Länge eines Vektors x D .x1 ; x2 / mithilfe des Satzes des Pythagoras. b Berechnung des Abstands zweier Punkte (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Als nächstes schauen wir uns die Länge von Vektoren an und leiten daraus die Formel zur Berechnung des Abstands zweier Punkte ab. Schauen wir uns dazu das Bild des Vektors x D .x1 ; x2 / in Abb. 2.2a an. Der Vektor x stellt die Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks mit den Kathetenlängen x1 und x2 dar. Die gesuchte Länge von x, die wir ab jetzt mit jxj bezeichnen wollen, ist dann die Länge der Hypotenuse im Dreieck. Kein geringerer als der Satz des Pythagoras liefert uns die Lösung: jxj2 D x12 C x22
)
jxj D
q x12 C x22
Aufgabe
Überlegen Sie sich, dass man analog die Länge eines Vektors x 2 R3 durch jxj D
q x12 C x22 C x32
berechnen kann. Bestimmen Sie dafür die Länge der Raumdiagonale eines Würfels mit den Kantenlängen x1 , x2 und x3 . Nutzen Sie dabei zweimal den Satz des Pythagoras.
2.1 Rechnen mit Vektoren
147
Das motiviert die folgende Definition: Definition 2.6 (Länge eines Vektors) Sei x D .x1 ; x2 ; : : : ; xn /T 2 Rn ein Vektor. Dann nennen wir die reelle Zahl 0 1 ˇ x1 ˇ v n q ˇBx2 Cˇ u ˇB Cˇ uX 2 jxj D ˇB : Cˇ D t xi D x12 C x22 C C xn2 ˇ@ :: Aˇ i D1
xn die Länge des Vektors x. ˇ021ˇ ˇ ˇ p p ˇ ˇ Es gilt demnach beispielsweise ˇ@ 3 Aˇ D .2/2 C 32 C 42 D 29. ˇ ˇ 4 Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, wie die obige Formel mit dem Skalarprodukt zusammenhängt. Die Summe x12 C x22 C C xn2 ist, wie Sie bestimmt schon gesehen p haben, genau das Skalarprodukt von x mit sich selbst. Also gilt jxj D x x. Sollte Ihnen das nicht sofort völlig klar sein, probieren Sie ein paar Beispielvektoren aus und überzeugen Sie sich, dass die genannte Aussage gilt!
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass alle Vektoren ! x1 xD x2 die wir vom Koordinatenursprung .0; 0/ aus abtragen und deren Endpunkte .x1 ; x2 / alle den gleichen Abstand d vom Koordinatenurspung haben, die Gleichung q d D x12 C x22 erfüllen. Wir können die Gleichung nun einmal quadrieren. Was erhalten wir? Genau, die Gleichung, deren Lösungsmenge ein Kreis mit Radius d um den Koordinatenursprung ist: d 2 D x12 C x22
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2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Alle Punkte .x1 ; x2 /, die diese Gleichung erfüllen, beschreiben den gesuchten Kreis. Stellen Sie die Kreisgleichung des Kreises mit Radius 5 um den Koordinatenursprung auf und finden Sie mindestes 8 verschiedene Punkte, die auf diesem Kreis liegen. Symmetrieargumente können Ihnen dabei helfen!
Mit diesem Wissen können wir herleiten, wie man den Abstand zweier Punkte A D ! .a1 ; a2 / und B D .b1 ; b2 / berechnen kann. Wir wollen diesen Abstand jABj hier mit d bezeichnen. Dabei hilft uns Abb. 2.2b. Sehen Sie wieder ein rechtwinkliges Dreieck? Dieses hat die Kathetenlängen jb1 a1 j und jb2 a2 j und die Länge der Hypotenuse ist der gesuchte Abstand von A und B. Die Betragsstriche mussten wir hier setzen, weil wir ja vorab nicht wissen, welche der beiden Koordinaten jeweils größer ist. Wenn wir nun den Satz des Pythagoras anwenden, dann dürfen wir die Betragsstriche wieder weglassen, denn .b1 a1 /2 und .a1 b1 /2 ergeben sowieso das gleiche. Es gilt also für den Abstand d von A und B: d 2 D .b1 a1 /2 C .b2 a2 /2 Der Abstand ergibt sich dann als dD
p
.b1 a1 /2 C .b2 a2 /2
Ein Beispiel: Der Abstand der beiden Punkte A D .2; 3/ und B D .4; 7/ beträgt: dD
p
.4 2/2 C .7 3/2 D
p
52
Man kann zeigen, dass man mithilfe des Skalarprodukts und der Länge von Vektoren auch den Winkel bestimmen kann, den zwei Vektoren miteinander einschließen. Satz 2.1 (Winkel zwischen zwei Vektoren) Seien x; y 2 R2 oder x; y 2 R3 . Dann gilt für den von x und y eingeschlossenen Winkel ˛: cos.˛/ D
xy jxj jyj
Die Arkuscosinusfunktion muss an dieser Stelle verwendet werden, um den Winkel zu bestimmen.
2.1 Rechnen mit Vektoren
149
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass es immer zwei Winkel gibt, die von zwei Vektoren eingeschlossen werden. Beide Winkel zusammen ergeben einen Vollwinkel von 360ı . Welchen der beiden Winkel, den kleineren oder den größeren, erhalten wir bei der Anwendung der Arkuscosinusfunktion? Werfen Sie dafür gerne einen Blick in die Definition des Arkuscosinus (siehe Definition 1.33) und beachten Sie die Bildmenge der Arkuscosinusfunktion. Achten Sie bei Ihren Rechnungen also stets darauf, welchen der beiden Winkel Sie im Anwendungskontext suchen und interpretieren Sie das Ergebnis der Arkuscosinusfunktion entsprechend!
Wir erkennen zudem in Satz 2.1, dass wegen cos.90ı / D 0 die beiden Vektoren senkrecht aufeinander stehen, falls x y D 0 ist. Zum Abschluss dieses Kapitels führen wir noch das Kreuzprodukt (auch Vektorprodukt genannt) von zwei Vektoren ein. Doch worum geht es dabei? Für zwei Vektoren x; y 2 R3 suchen wir einen Vektor z D x y, der senkrecht sowohl auf x als auch auf y steht. Gelingt uns das, so steht z senkrecht auf der von x und y aufgespannten Ebene. Die drei Richtungen spannen uns ein (neues) dreidimensionales Koordinatensystem auf. Man kann zeigen, dass folgende Definition einen passenden Vektor z liefert: Definition 2.7 (Kreuzprodukt/Vektorprodukt) Für zwei Vektoren x; y 2 R3 nennen wir 0 1 0 1 0 1 y1 x2 y3 x3 y2 x1 x y D @x2 A @y2 A WD @x3 y1 x1 y3 A x3 y3 x1 y2 x2 y1 das Kreuzprodukt oder das Vektorprodukt von x und y. Wir können das Vektorprodukt demnach als eine Abbildung R3 R3 ! R3 auffassen: Als Input geben wir zwei Vektoren x; y 2 R3 und wir erhalten als Output einen Vektor z D x y 2 R3 . Aufgabe
Rechnen Sie nach, dass wirklich .x y/ x D 0 und .x y/ y D 0 gelten!
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2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Abb. 2.3 Geometrische Bedeutung des Vektorproduktes (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Die Tatsache, dass x y senkrecht auf x und auf y steht, wird auch in Abb. 2.3 veranschaulicht. Beispiel 2.3
Seien x D .1; 3; 1/T und y D .2; 0; 5/T . Dann folgt 0
1 0 1 0 1 0 1 1 2 3 5 .1/ 0 15 x y D @ 3 A @ 0 A D @.1/ .2/ 1 5A D @3A J 1 5 1 0 3 .2/ 6 Stellen Sie sich gerade eine wichtige Frage? Haben Sie vielleicht gerade darüber nachgedacht, dass es doch viele Vektoren z gibt, die auf zwei gegebenen Vektoren x und y senkrecht stehen? Stimmt! Wenn wir uns die von x und y aufgespannte Ebene vorstellen, kann der Vektor z nach oben oder nach unten zeigen und auch die Länge können wir variieren. Man kann zeigen, dass die Vektoren x, y und z D x y ein Rechtssystem bilden (also wie die drei Einheitsvektoren .1; 0; 0/T , .0; 1; 0/T und .0; 0; 1/T orientiert sind) und dass jx yj gerade der Fläche des von x und y aufgespannten Parallelogramms entspricht (siehe Abb. 2.3). Damit bekommt das Kreuzprodukt auch noch eine geometrische Bedeutung und ist sinnvoll definiert worden. Hätten wir das also auch geklärt! Geschafft! Das waren eine Menge Formeln, aber auch eine Menge anschaulicher Erläuterungen in diesem Kapitel. Sie müssen die vielen Formeln nicht auswendig lernen. Stattdessen ist es äußerst hilfreich, immer die Anschauung aus dem R2 oder dem R3 im Blick zu haben. Wenn Sie vom Thema Rechnen mit Vektoren noch nicht genug haben, dann finden Sie weiterführende Literatur in [8, 10, 15] sowie zahlreiche Übungsmöglichkeiten in [11, 16]. Schauen Sie sich jetzt gerne unsere Übungsbeispiele in den Lernvideos (Abb. 2.4, 2.5) an. Viel Erfolg!
2.1 Rechnen mit Vektoren
Abb. 2.4 Lernvideo zum Rechnen mit Vektoren (https://doi.org/10.1007/000-be1)
Abb. 2.5 Lernvideo zur Länge von Vektoren und zum Abstand zweier Punkte (https://doi.org/10.1007/000-bdx)
Übungsaufgaben zum Rechnen mit Vektoren
2.1 Ein kleines Start-up-Unternehmen stellt 3 Produkte her. Die verkauften Stückzahlen werden in den vier Quartalen als Vektoren angegeben: 0 1 0 1 0 1 0 1 34 17 20 9 1. Quartal:@12A 2. Quartal:@24A 3. Quartal:@15A 4. Quartal:@ 3 A 5 4 16 45 Dabei steht der erste Eintrag der Vektoren jeweils für das erste Produkt usw. Der Vektor der Verkaufspreise ist .390; 487; 1228/T . Berechnen Sie den Gesamtumsatz mithilfe der Vektorrechnung. 2.2 Berechnen Sie alle Seitenlängen des Dreiecks mit den Eckpunkten A D .0; 0/ B D .3; 4/ C D .2; 7/ 2.3 Was muss für einen Punkt mit den Koordinaten .x; y/ gelten, der vom Punkt .2; 5/ den Abstand 3 hat? Stellen Sie eine Gleichung auf, die alle Punkte dieser Form beschreibt! (Nach erfolgreicher Bearbeitung dieser Aufgabe gilt: Sie haben soeben eine Kreisgleichung des Kreises mit Mittelpunkt .2; 5/ und Radius 3 aufgestellt!)
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2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
2.2 Räume und Basen Produktionsprozesse sollen möglichst ökonomisch und effizient geplant werden. Lassen Sie uns exemplarisch folgende Fragestellung beleuchten: Drei Fabriken stellen Milch, Schlagsahne, Joghurt und Milchpulver her. Die jeweiligen Produktionsvektoren pro Tag in Tonnen seien dabei: 0 1 5 B1C C Fabrik 1: v1 D B @1A
0 1 0 1 4 2 B1 C B3 C B C C Fabrik 2: v2 D B @3A Fabrik 3: v3 D @3A
2
2
1
Dabei steht der erste Vektoreintrag jeweils für die Milch, der zweite für die Schlagsahne usw. Wir möchten nun die Frage beantworten, ob wir geeignete Laufzeiten a1 , a2 und a3 (in Tagen) für die drei Fabriken finden können, so dass genau eine Produktion von x D .100; 10; 10; 40/T (jeweils in Tonnen von Milch, Schlagsahne, Joghurt, Milchpulver) realisiert wird. Oft ist es eine Herausforderung, eine gegebene Fragestellung aus dem Sachkontext in eine mathematische Fragestellung zu übersetzen. In unserem Fall müssen wir uns klar machen, dass wir Fabrik 1 eben eine bestimmte Anzahl von Tagen (nennen wir sie a1 ) arbeiten lassen wollen. Dabei wird der Produktionsvektor a1 v1 hergestellt und analog für die anderen Fabriken. Insgesamt ergibt sich die Frage, ob wir Zahlen a1 , a2 und a3 so bestimmen können, dass die Gleichung 0 1 0 1 0 1 0 1 5 4 2 100 B1 C B1C B3C B 10 C B C B C B C C a1 B @1A C a2 @3A C a3 @3A D @ 10 A 2
2
1
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erfüllt ist. Das führt uns auf ein lineares Gleichungssystem der Form 5a1 C 4a2 C 2a3 a1 C a2 C 3a3 a1 C 3a2 C 3a3 2a1 C 2a2 C a3
D 100 D 10 D 10 D 40
Man kann leicht nachrechnen, dass dieses lineare Gleichungssystem mit seinen drei Variablen und vier Gleichungen keine Lösung hat (Nur Mut, probieren Sie es gleich aus!). Unser Beispiel zeigt uns, dass wir sinnvollerweise folgende Ziele verfolgen sollten: Wir möchten die Frage beantworten, wann sich ein gegebener Vektor als Summe von Vielfachen anderer Vektoren darstellen lässt und wann nicht.
2.2 Räume und Basen
153
Wir möchten lineare Gleichungssysteme mit beliebig vielen Variablen und Gleichungen lösen können. Um diese Fragen zu beantworten, werden wir gleich eine ganze Menge neuer Vokabeln einführen. Und wie das so oft ist in der Mathematik: Man muss sich zuerst durch die Definitionen und Konzepte durchbeißen und erkennt dann ein wenig später, wofür sich das alles gelohnt hat. Also: Halten Sie durch und lassen Sie sich darauf ein! Es wird sich auszahlen! Vorkenntnisse Im diesem Kapitel bauen wir umfangreich auf das Wissen X zum Thema Mengen (Abschn. 1.2), X zum Thema Summenzeichen (Abschn. 1.3) sowie X zum Thema Rechnen mit Vektoren (Abschn. 2.1) auf. Sind Sie gut vorbereitet, um sich dieser Herausforderung zu stellen? Eine ganze Menge neuer Begriffe warten auf Sie!
2.2.1 Vektorräume Beim Rechnen mit Vektoren im Rn können wir Vektoren addieren und mit einem Skalar a 2 R multiplizieren. Als Ergebnis kommt jeweils wieder ein Vektor aus dem Rn heraus. Wir nennen den Rn zusammen mit den beiden Verknüpfungen einen Vektorraum. Wir interessieren uns nun für die Frage, ob es auch echte Teilmengen V ¨ Rn des Rn gibt, die die Eigenschaft haben, dass Summen und Vielfache von Vektoren aus V wieder in V liegen. Dafür müssen wir uns einfach anschauen, was wir alles bekommen, wenn wir ein paar Kandidatenvektoren in den Ring werfen und einfach alle deren Summen und Vielfachen mitnehmen: Beispiel 2.4
Seien die beiden Vektoren 0 1 0 1 1 2 x D @1A und y D @3A 0 0 gegeben. Wir betrachten die Menge aller Summen und Vielfachen dieser beiden Vektoren: 0 1 ( 011 ) 2 V D a @1A C b @3AW a; b 2 R 0 0
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2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Der Vektor z D .0; 0; 1/T ist in dieser Menge nicht enthalten, denn jeder Vektor aus V hat an der dritten Komponente eine 0. Daher gilt V ¤ R3 . Außerdem hat V die Eigenschaft, die wir „Abgeschlossenheit bezüglich Summenund Vielfachbildung“ nennen wollen. Sie fragen sich, was das heißt? Nun ja, wir meinen damit, dass Summen und Vielfache von Vektoren aus V ebenfalls in V liegen: 0 1 0 1! 0 1 0 1! 1 2 1 2 @ A @ A @ A @ a 1 Cb 3 C c 1 C d 3A 0 0 0 0 0 1 0 1 1 2 @ A @ D .a C c/ 1 C .b C d / 3A 2 V 0 0 und 0 1 0 1 0 1 0 1! 1 2 1 2 c a @1A C b @3A D .a c/ @1A C .b c/ @3A 2 V 0 0 0 0 Damit hat V eine ähnliche Struktur wie der gesamte R3 , umfasst aber nicht alle Vektoren. Wir halten gedanklich fest, dass wir durch Summen- und Vielfachenbildung von zwei Vektoren im R3 nicht alle Vektoren erreichen können und es folglich Vektoren gibt, die wir nicht als Summe von Vielfachen der beiden Kandidaten darstellen können. Für diejenigen unter Ihnen, die (wie ich) die geometrische Anschauung hilfreich finden: x und y spannen uns eine Ebene im R3 durch den Koordinatenursprung auf, nämlich genau die x-y-Ebene. Diese Ebene ist die Menge V . J Unser Beispiel motiviert die folgenden Definitionen: Definition 2.8 (Linearkombination, span.X/) Sei k 2 N und sei X D fx1 ; x2 ; : : : ; xk g Rn eine Menge von k Vektoren aus dem Rn . Für gegebene Zahlen a1 ; a2 ; : : : ; ak 2 R heißt k X
aj xj D a1 x1 C a2 x2 C C ak xk
j D1
Linearkombination der Vektoren in X. Eine Linearkombination ist folglich eine beliebige Summe von Vielfachen der gegebenen Vektoren. Wir nennen die Zahlen a1 ; a2 ; : : : ; ak die Koeffizienten der Linearkombination.
2.2 Räume und Basen
155
Die Menge aller Linearkombinationen von Vektoren aus X wollen wir den von X aufgespannten Raum oder kurz span.X/ nennen: span.X/ D
( k X
) aj xj W a1 ; a2 ; : : : ; ak 2 R
j D1
Definition 2.9 ((Unter-)Vektorraum, Erzeugendensystem) Jede Teilmenge U Rn , die sich als von einer Menge von Vektoren X Rn aufgespannter Raum darstellen lässt, wollen wir als Vektorraum bzw. Untervektorraum des Rn bezeichnen. Wenn es also eine Menge X D fx1 ; x2 ; : : : ; xk g Rn von Vektoren gibt, so dass U D span.X/ D spanfx1 ; x2 ; : : : ; xk g ist, dann heißt U Vektorraum bzw. Untervektorraum des Rn . Ist U D span.X/, dann heißt X Erzeugendensystem von U . Beispiel 2.5
Wir stellen uns den dreidimensionalen Raum R3 vor und fragen uns, welche Arten von Untervektorräumen es hier gibt. Sitzen Sie beim Lesen gerade in einem Zimmer mit ebenen Wänden, die alle schön im rechten Winkel zueinander stehen? (Ein Hundertwasserhaus wäre nicht geeignet!) Dann stellen Sie sich eine Ecke am Fußboden als Koordinatenursprung vor und betrachten Sie die Kanten des Zimmers als Koordinatenachsen. Wenn Sie im Freien sitzen, umso besser! An der frischen Luft lernt es sich prima. Sie können sich das Zimmer dennoch gut vorstellen! Los geht es mit ein paar Beispielen: (011) ( 011 ) U1 D span @2A D s @2AW s 2 R 3 3 Dieser Untervektorraum wird von nur einem Vektor erzeugt und enthält alle Vielfachen dieses Vektors. Sie können mit ihm alle Punkte erreichen, die auf einer Gerade durch den Koordinatenursprung liegen, welche in Richtung des aufspannenden Vektors .1; 2; 3/T zeigt. (Überlegen Sie in Ihrem Zimmer, welche Gegenstände diese Gerade schneiden würde!) 0 1 (011 021) ( 011 ) 2 U2 D span @2A; @4A D s @2A C t @4AW s; t 2 R 3 6 3 6 Können Sie jetzt mehr Punkte erreichen als bei U1 ? Nein! Der zweite Vektor zeigt ja in die gleiche Richtung und wir konnten jeden Vektor aus U2 auch schon durch geeignete Wahl des Parameters s in U1 darstellen. Also gilt U1 D U2 .
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2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
0 1 (011 001) ( 011 ) 0 U3 D span @2A; @1A D s @2A C t @1AW s; t 2 R 3 1 3 1 Das sieht schon besser aus. Stellen Sie sich die beiden aufspannenden Vektoren .1; 2; 3/T und .0; 1; 1/T sowie deren Verlängerungen als aufgespannte Fäden in ihrem Zimmer vor. Durch geeignete Wahl von s und t können Sie jeden Punkt auf der von den beiden Fäden aufgespannten Ebene erreichen. Stellen Sie sich vor, Sie würden ein ebenes Tuch spannen, welches genau durch die beiden Fäden verläuft. Die Verlängerung dieses Tuches über das Zimmer hinaus stellt U3 dar. Es handelt sich hier also um eine Ebene durch den Koordinatenursprung. 0 1 0 1 (011 001 011) ( 011 ) 0 1 @ A @ A @ A @ A @ A @ A U4 D span 2 ; 1 ; 3 D s 2 C t 1 C u 3 W s; t; u 2 R 3 1 4 3 1 4 Sehen Sie sofort, was hier passiert? Der neue Vektor .1; 3; 4/T war ja auch schon in U3 erreichbar, denn er ist genau die Summe von .1; 2; 3/T und .0; 1; 1/T . Mit dem gleichen Argument wie bei U2 folgt nun U3 D U4 . Wir erreichen wieder nur die Punkte der Ursprungsebene und die Hinzunahme des neuen Vektors hat den aufgespannten Raum gar nicht größer gemacht. 0 1 0 1 (011 001 001) ( 011 ) 0 0 U5 D span @2A; @1A; @0A D s @2A C t @1A C u @0AW s; t; u 2 R 3 1 1 3 1 1 3 Ich behaupte nun einfach, dass U5 D R ist. Beweis gefällig? Gerne! Jeder Vektor .x; y; z/T 2 R3 ist auch ein Element von U5 , denn es gilt 0 1 0 1 0 1 0 1 x 1 0 0 @y A D x @2A C .y 2x/ @1A C .z y x/ @0A z 3 1 1 Mit U5 können Sie nun jeden Punkt im Zimmer erreichen. Die drei aufspannenden Vektoren bilden ein Erzeugendensystem des dreidimensionalen Raums. J Wir nehmen mehrere Erkenntnisse mit: Es gibt Untervektorräume verschiedener Größe. Anschaulich gibt es eindimensionale, zweidimensionale und dreidimensionale Untervektorräume. Haben wir noch was vergessen? Ja, tatsächlich gibt es noch den Untervektorraum f0g, in welchem sich nur der Nullvektor befindet. Der ist aber nicht so spannend. Wir werden den Dimensionsbegriff im übernächsten Abschnitt formal einführen. Sobald wir einen Vektor hinzunehmen, den wir auch vorher schon erreichen konnten, wird dadurch der aufgespannte Raum nicht größer. Was es damit auf sich hat, nehmen wir im nächsten Abschnitt zur linearen (Un-)Abhängigkeit unter die Lupe.
2.2 Räume und Basen
157
Jeder Untervektorraum enthält den Nullvektor, denn er enthält ja alle Linearkombinationen gegebener Vektoren. Da ist natürlich auch die Linearkombination dabei, bei der jeder Vektor genau 0-mal genommen wird. Daher haben wir es bei Untervektorräumen immer mit Geraden, Ebenen usw. zu tun, die durch den Koordinatenursprung verlaufen. Jeder Untervektorraum U ist abgeschlossen bezüglich Summen- und Vielfachenbildung. Sollen wir kurz wiederholen, was das bedeutet? Formal kann man es so ausdrücken: x; y 2 U ) x C y 2 U
und x 2 U; a 2 R ) a x 2 U
Da U die Menge aller Linearkombinationen von Vektoren einer Menge X D P P fx1 ; x2 ; : : : ; xk g darstellt, ist mit x D jkD1 aj xj und y D jkD1 bj xj auch die P P P Summe x C y D jkD1 aj xj C jkD1 bj xj D jkD1 .aj C bj / xj eine Linearkombination der gegebenen Vektoren und damit in U enthalten. Analog verhält es sich mit Vielfachen. Beispiel 2.6
Schauen wir uns noch ein paar Mengen an, bei denen wir jeweils überprüfen wollen, ob es sich um Untervektorräume handelt: Die Menge ( 0a 1 ) ( 01 1 ) U D @ 0 AW a 2 R D a @0 AW a 2 R a 1 ist ein Untervektorraum des R3 , denn es gilt U D spanf.1; 0; 1/T g. Die Menge (0a1 ) @ A U D 0 W 1 a 1 a ist kein Untervektorraum des R3 , denn es gilt .1; 0; 1/T 2 U , aber 3 .1; 0; 1/T D .3; 0; 3/T … U . Die Menge U D f.x; y; z/T 2 R3 W x y C 2z D 0g ist ein Untervektorraum des R3 . Sie enthält alle Vektoren der Form .y 2z; y; z/ und kann also in der Form 0 1 ( 011 ) (011 021) 2 U D y @1A C z @ 0 AW y; z 2 R D span @1A; @ 0 A 0 1 0 1
158
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
geschrieben werden. Es handelt sich um eine Ebene durch den Koordinatenursprung mit den beiden Richtungsvektoren .1; 1; 0/T und .2; 0; 1/T . Die Menge U D f.x; y; z/T 2 R3 W x y C 2z D 1g ist kein Untervektorraum des R3 . Das sieht man sofort daran, dass der Vektor .0; 0; 0/T nicht enthalten ist, denn 0 0 C 2 0 D 0 ¤ 1. Die Menge U enthält alle Vektoren der Form .1 C y 2z; y; z/ und kann also in der Form 0 1 0 1 (011 ) 1 2 U D @0A C y @1A C z @ 0 AW y; z 2 R 0 0 1 geschrieben werden. Es handelt sich um einen um den Vektor .1; 0; 0/T verschobenen Untervektorraum, der nicht durch den Koordinatenursprung verläuft. Das ist auch eine Ebene. Sie hat den Stützvektor .1; 0; 0/T und die beiden Richtungsvektoren .1; 1; 0/T und .2; 0; 1/T . Die Menge ist aber nicht abgeschlossen bezüglich Summen- und Vielfachenbildung. (Überlegen Sie sich, warum das so ist!) J
2.2.2
Lineare Abhängigkeit und Unabhängigkeit
Wir steigen direkt wieder mit einem Beispiel ein! Stellen wir uns vor, wir möchten für eine Messe-Veranstaltung Mobiliar beim Veranstalter ausleihen. Wir benötigen Stehtische, Stühle und Beleuchtungselemente. Im Messekatalog erfahren wir, dass folgende Kombinationen bestellbar sind: 0 1 0 1 0 1 0 1 1 2 4 0 x1 D @2A x2 D @5A x3 D @9A x4 D @0A 1 1 3 1 Dabei bedeutet Bestellung x1 , dass wir einen Stehtisch, 2 Stühle und ein Beleuchungselement erhalten usw. Möchten Sie nun insgesamt gerne 7 Tische, 16 Stühle und 6 Beleuchtungselemente nutzen, dann können wir diese Bestellung exakt realisieren: 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 1 2 4 0 7 x1 C x2 C x3 C x4 D @2A C @5A C @9A C @0A D @16A 1 1 3 1 6
2.2 Räume und Basen
159
Ist das die einzige Möglichkeit? (Überlegen Sie gerne kurz alleine, bevor Sie weiterlesen!) Man kann auch x3 einfach ungenutzt lassen und wie folgt bestellen: 0 1 0 1 0 1 0 1 1 2 4 0 3 x1 C 2 x2 C 0 x3 C 1 x4 D 3 @2A C 2 @5A C 0 @9A C 1 @0A 1 1 3 1 0 1 7 D @16A 6 Woran liegt es, dass wir hier verschiedene Lösungen finden können? Machen Sie sich bewusst, dass 2x1 C x2 D x3 ist, so dass man jeweils statt x3 auch zweimal x1 und einmal x2 bestellen kann.
Aufgabe
Fassen Sie obige Erkenntnis milhilfe der gelernten Vokabeln „Linearkombination“, „span“ und „Untervektorraum“ in Worte! Vervollständigen Sie dazu folgende Sätze (in jede Lücke gehört eine der drei Vokabeln oder einer der Vektoren x1 ; x2 ; x3 ; x4 ): Der Vektor Es gilt 2 Der Vektor . Daraus folgt f ,
ist eine der Vektoren f , g. liegt im von und die Gleichheit gD f
der ,
und
.
aufgespannten beiden Mengen , g.
Fassen wir die hier gesammelten Erkenntnisse nun abstrakt zusammen. Gegeben seien einige Vektoren x1 ; : : : ; xn 2 Rm und ein Vektor b 2 Rm 2 spanfx1 ; : : : ; xn g. Nehmen wir an, einer der gegebenen Vektoren ist eine Linearkombination der anderen Vektoren, z. B. xn : xn D
n1 X
ai xi
i D1
Ist nun eine Darstellung von b bezüglich der gegebenen Vektoren gefunden, dann kann man sofort auch beliebig viele weitere Darstellungen finden, indem man ein-
160
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
fach xn durch obige Darstellung ersetzt: b D b1 x1 C C bn1 xn1 C bn xn D b1 x1 C C bn1 xn1 C bn xn C txn txn D b1 x1 C C bn1 xn1 C bn xn C txn t
n1 X
ai xi
i D1
D .b1 ta1 /x1 C C .bn1 tan1 /xn1 C .bn C t/xn Das klappt für beliebige t 2 R. Wenn Ihnen das zu abstrakt war, dann hilft vielleicht folgendes Beispiel. Für x3 D 7x1 3x2 und die Darstellung b D 2x1 3x2 C 5x3 gilt, dass auch folgende Darstellung möglich ist: b D 2x1 3x2 C 5x3 5x3 C 5x3 D 2x1 3x2 C 5x3 5x3 C 5.7x1 3x2 / D .2 C 5 7/x1 C .3 C 5.3//x2 D 37x1 18x2 Dabei wurde t D 5 gewählt. Bevor wir uns der entscheidenen Definition in diesem Abschnitt zuwenden, machen wir uns noch folgendes klar: Ist einer der gegebenen Vektoren eine Linearkombin1 P ai xi , dann kann man den nation der anderen Vektoren, etwa wie oben xn D i D1
Nullvektor wie folgt darstellen: 0D
n1 X
ai xi xn D a1 x1 C a2 x2 C : : : an1 xn1 1 xn
i D1
oder in unserem Zahleneispiel 0 D 7x1 3x2 x3 Es gibt also eine Darstellung des Nullvektors als Linearkombination der gegebenen n Vektoren, bei der nicht alle Koeffizienten vor den Vektoren selbst gleich 0 sind. Diese Überlegungen motivieren die folgende Definition:
2.2 Räume und Basen
161
Definition 2.10 (Lineare (Un-)Abhängigkeit) Eine Menge von Vektoren X D fx1 ; x2 ; : : : ; xk g Rn heißt linear unabhängig, wenn k X
ai xi D 0
i D1
nur für a1 D a2 D D ak D 0 gilt. Andernfalls heißt die Menge der Vektoren X linear abhängig. Machen Sie sich bewusst, dass a1 D a2 D D ak D 0 immer eine Lösung von Pk i D1 ai xi D 0 ist. Wir sprechen hierbei von der „trivialen“ Lösung. Lineare Unabhängigkeit bedeutet also, dass die triviale Darstellung die einzige Darstellung des Nullvektors als Linearkombination der gegebenen Vektoren ist. Sind die Vektoren dagegen linear abhängig, dann gibt es eine „nichttriviale“ Darstellung des Nullvektors, bei der nicht alle Koeffizienten der Darstellung gleich 0 sind. Beispiel 2.7
Die Menge der drei Vektoren X D f.3; 0; 1; 2/T ; .0; 2; 1; 1/T ; .1; 1; 2; 1/T g ist linear unabhängig, denn aus 0 1 0 1 0 1 0 1 3 0 1 0 B0C B2C B 1 C B0 C C B C B C B C aB @1A C b @ 1 A C c @ 2 A D @0A 2 1 1 0 folgen durch komponentenweises Abschreiben die vier Gleichungen .I / 3a c D 0 .II/ 2b C c D 0
.III/ a C b C 2c D 0 .IV/ 2a C b c D 0
Aus der Gleichung .I / folgt c D 3a. Setzen wir das in die anderen drei Gleichungen ein, so erhalten wir .II/ 2b C 3a D 0 .III/ b C 7a D 0 .IV/ b a D 0 Aus .IV/ folgt nun b D a. Setzen wir das in .II/ und .III/ ein, so folgt .II/ a D 0 .IV/ 8a D 0 und schließlich a D b D c D 0. Die triviale Darstellung ist die einzige Darstellung des Nullvektors bezüglich der gegebenen Vektoren. Nehmen wir aber noch
162
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
den Vektor .1; 4; 4; 1/T hinzu, so erhalten wir eine linear abhängige Menge von Vektoren X D f.3; 0; 1; 2/T ; .0; 2; 1; 1/T ; .1; 1; 2; 1/T ; .1; 4; 4; 1/T g, denn es gibt nun eine nichttriviale Darstellung des Nullvektors: 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 3 0 1 1 0 B0 C B2C B1C B 4 C B0C B C B C B C B C C 1B @1A C .1/ @ 1 A C 2 @ 2 A C .1/ @ 4 A D @0A 2
1
1
1
0
Stellen wir die letzte Gleichung nach .1; 4; 4; 1/T um, so sehen wir wieder, dass dieser Vektor eine Linearkombination der anderen drei Vektoren darstellt. J Ohne Beweis (aber motiviert durch zahlreiche Beispiele) halten wir die folgenden Erkenntnisse fest: 1. Wenn eine Menge von Vektoren linear abhängig ist, dann kann man einen der Vektoren als Linearkombination der anderen darstellen. 2. Wenn wir eine Menge X D fx1 ; : : : ; xn1 ; xn g von Vektoren gegeben haben, wobei xn eine Linearkombination von den übrigen Vektoren ist, dann ist xn 2 spanfx1 ; : : : ; xn1 g. Die Menge der Linearkombination von allen n Vektoren ist also auch nicht umfangreicher als die Menge der Linearkombination der ersten n 1 Vektoren. Bei jeder Linearkombination, die xn verwendet, kann man auch eine alternative Darstellung finden, die xn nicht verwendet. Es folgt demnach spanfx1 ; : : : ; xn g D spanfx1 ; : : : ; xn1 g. 3. Wenn ein Vektor b 2 spanfx1 ; : : : ; xn g ist, dann ist die Darstellung von b als Linearkombination der n Vektoren eindeutig, falls die n Vektoren linear unabängig sind. Sind sie dagegen linear abhängig, dann gibt es unendlich viele Darstellungen. 4. Wenn ein Vektor b 2 Rm gar nicht als Linearkombination von Vektoren aus X D fx1 ; : : : ; xn g Rm darstellbar ist, also b … spanfx1 ; : : : ; xn g, dann kann spanfx1 ; : : : ; xn g nicht der Rm sein. Es handelt sich also um einen echten Untervektorraum, der nicht alle Vektoren des Rm enthält. Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass lineare Abhängigkeit nur bedeutet, dass es einen der gegebenen Vektoren geben muss, der eine Linearkombination der anderen gegebenen Vektoren ist. Das muss aber nicht mit jedem Vektor klappen. Finden Sie dafür eine Menge von drei Vektoren aus dem R3 , die linear abhängig ist, die aber auch einen Vektor enthält, der keine Linearkombination der anderen beiden Vektoren ist!
Wenn Sie sich bis hierhin bereits mehrfach gefragt haben, wohin uns die Bemühungen mit all den neuen Vokabeln und Definitionen führen werden, dann verspreche
2.2 Räume und Basen
163
ich Ihnen: Wir sind fast auf der Zielgeraden! Im nächsten Abschnitt mute ich Ihnen noch zwei weitere Begriffe, nämlich den der Basis eines Untervektorraums und den der Dimension eines Untervektorraums zu. Danach fahren wir die Ernte ein und lösen lineare Gleichungssysteme. Also halten Sie bitte gut durch!
2.2.3 Basis und Dimension Wie angekündigt kommen wir nun ohne weitere Umwege zur Definition der Basis eines (Unter-)Vektorraums. Wir betrachten dazu ein Erzeugendensystem X D fx1 ; : : : ; xn g Rm des Untervektorraums U D span.X/ Rm . Sind die n Vektoren linear abhängig sind, dann haben wir gelernt, dass wir einen der Vektoren weglassen können, ohne dabei den aufgespannten Raum kleiner zu machen. Tun wir das! Wenn Sie anschließend noch immer linear abhängig sind, dann können wir noch einen Vektor weglassen usw. Wir machen das so lange, bis die übrig gebliebenen Vektoren linear unabhängig sind. Ein Beispiel: (011 011 021 041) (011 011 021) span @0A; @1A; @3A; @5A D span @0A; @1A; @3A 0
0
0
0
0 0 0 (011 011) D span @0A; @1A 0
0
Die übrig gebliebenen Vektoren, die linear unabhängig sind und dennoch den Raum U aufspannen, wollen wir als Basis von U bezeichnen.
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass wir bei einer linear unabhängigen Menge von Vektoren nun keinen mehr weglassen können, ohne den aufgespannten Raum zu verkleinern. Zeigen Sie das exemplarisch an folgendem Beispiel: (011 011 011) (011 011) span @0A; @1A; @1A ¤ span @0A; @1A 0
0
1
0
0
Definition 2.11 (Basis) Sei X D fx1 ; : : : ; xn g Rm und U D span.X/ Rm . X heißt minimales Erzeugendensystem oder Basis von U , wenn span.Y / ¤ U für jede echte Teilmenge Y ¨ X.
164
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Damit ist eine Basis ein linear unabhängiges Erzeugendensystem. Jeder in einer Basis vorkommende Vektor ist nötig und sein Weglassen würde den aufgespannten Raum verkleinern. Beispiel 2.8
Man überlegt sich leicht, dass die Menge der n Einheitsvektoren aus dem Rn eine Basis des Rn bilden: 0 1 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 B C B C B C B C 0 1 0 B0 C B C B C B C B C B C B C B C B0 C; B0 C; B1 C; : : : ; B0 C B:C B:C B:C B:C B:C B:C B:C B:C @:A @:A @:A @:A 1 0 0 0 Die lineare Unabhängigkeit ist direkt zu sehen und jeder Vektor x 2 Rn hat eine eindeutige Darstellung als Linearkombination der Basisvektoren: 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 1 0 0 0 x1 B C B C B C B C B C B0C B1 C B0 C B0C B x2 C B C B C B C B C B C B0C B0 C B1 C B0C x C xDB B :3 C D x1 B : C C x2 B : C C x3 B : C C C xn B : C B:C B:C B:C B:C B:C @:A @:A @:A @:A @:A xn
0
0
0
1
Wir sprechen von der Standardbasis des Rn . J Offensichtlich können wir verschiedene Basen von Vektorräumen angeben. Ohne Beweis halten wir aber folgenden Satz fest: Satz 2.2 Je zwei Basen desselben (Unter-)Vektorraums U haben die gleiche Anzahl an Elementen. Definition 2.12 (Dimension eines (Unter-)Vektorraums) Die Anzahl der Elemente einer Basis eines (Unter-)Vektorraums U heißt die Dimension von U . Super, das klärt einiges. Wir sammeln wieder unsere Erkenntnisse zusammen: Der Rn hat die Dimension n. Jede Basis besteht aus genau n Vektoren. Bei der Wahl von Basisvektoren können wir uns gar nicht ungeschickt anstellen. Wenn wir eine Basis suchen, können wir einfach eine der beiden folgenden Anleitungen abarbeiten:
2.2 Räume und Basen
165
1. Starte mit einem beliebigen Vektor (aber nicht mit dem Nullvektor!). Nimm nach und nach neue Vektoren dazu, aber achte darauf, dass die Menge der ausgewählten Vektoren linear unabhängig bleibt. Dafür muss man jeweils einen Vektor hinzunehmen, der im aufgespannten Raum der bisher gewählten Vektoren noch nicht drin ist. (Denken Sie an den R3 und die Ebenen im Zimmer. Eine Ebene wird von zwei Vektoren aufgespannt. Wählen Sie einen Vektor, der in der Ebene noch nicht enthalten ist, um die beiden Vektoren zu einer Basis des R3 zu ergänzen!) Wenn Sie n Vektoren zusammen haben, dann sind Sie fertig. Die Basis ist gefunden! 2. Nehmen Sie sich ein Erzeugendensystem des Rn , das möglicherweise mehr als n Vektoren enthält. Streichen Sie so lange Vektoren, die Linearkombinationen der übrigen Vektoren sind, bis nur noch n Vektoren übrig sind. Fertig! Wieder erhalten Sie eine Basis. Jede Basis eines k-dimensionalen Untervektorraums des Rn besteht aus k linear unabhängigen Vektoren. Beispielsweise gibt es beim R3 den 0-dimensionalen Untervektorraum (der nur den Nullvektor enthält), eindimensionale Untervektorräume (die von einem Vektor aufgespannt werden und Ursprungsgeraden darstellen), zweidimensionale Untervektorräume (die von zwei linear unabhängigen Vektoren aufgespannt werden und Ursprungsebenen darstellen) sowie den dreidimensionalen Untervektorraum R3 selbst. Zum Abschluss des Kapitels möchte ich Ihnen noch einen Tipp mitgeben. Wenn Sie sich überzeugen wollen, dass eine Menge von Vektoren X eine Basis des Rn ist, dann müssten Sie aufgrund der Definition einer Basis eigentlich zwei Dinge zeigen: 1. Die Vektoren sind linear unabhängig. 2. Die Vektoren sind ein Erzeugendensystem. Beides ist recht aufwändig, denn es führt uns jeweils auf ein lineares Gleichungssystem, welches gelöst werden muss. Satz 2.2 erlaubt uns nun, auf eines von beidem zu verzichten. Haben wir n linear unabhängige Vektoren im Rn gefunden, dann bilden sie automatisch ein Erzeugendensystem, da die Anzahl stimmt. Damit sind sie auch eine Basis. Haben wir ein Erzeugendensystem des Rn mit n Vektoren gefunden, dann handelt es sich automatisch um linear unabhängige Vektoren, da die Anzahl stimmt. Wieder handelt es sich um eine Basis. Damit kann man einen der beiden Nachweise weglassen, wenn man genau n Vektoren gegeben hat. Genug geredet, jetzt widmen wir uns endlich den linearen Gleichungssystemen. Dafür sollten Sie alle Vokabeln dieses Kapitels gut verinnerlicht haben. Auch in [10, 13, 15] werden die behandelten Themen noch vertieft. Bestimmt helfen Ihnen auch die Übungsbeispiele in unseren Lernvideos (Abb. 2.6, 2.7). Gutes Gelingen!
166
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Abb. 2.6 Lernvideo zu Untervektorräumen (https://doi.org/10.1007/000-bdy)
Abb. 2.7 Lernvideo zur linearen Unabhängigkeit (https://doi.org/10.1007/000-bdz)
Übungsaufgaben zu Räumen und Basen
2.4 Zeigen Sie, dass der Vektor .7; 5; 0/T eine Linearkombination der beiden Vektoren .1; 3; 1/T und .3; 1; 1/T ist, der Vektor .7; 5; 1/T aber nicht. 2.5 Ergänzen Sie die Menge X D f.1; 3; 1/T ; .3; 1; 1/T g zu einer Basis des R3 . 2.6 Bestimmen Sie eine Basis von 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 ) ( 1 B 0 C B1C B1C B0C B1C C B C B C B C B C span B @1A; @1A; @0A; @0A; @0A 4
0
4
1
5
2.7 Bestimmen Sie die Dimension des Untervektorraums (011 021 031) U D span @3A; @1A; @4A R3 6 0 a in Abhängigkeit des Parameters a 2 R.
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
167
2.3 Lineare Gleichungsyssteme Lineare Gleichungssyteme treten in zahlreichen Anwendungsgebieten auf. Ökonomische Fragestellungen sind ein Beispiel dafür. Wollen wir beispielsweise die Lagerbestände zweier Rohstoffe R1 und R2 vollständig verbrauchen, indem wir geeignete Stückzahlen dreier Erzeugnisse E1 , E2 und E3 herstellen, dann führt uns die Analyse des Problems auf ein lineares Gleichungssystem. Exemplarisch seien folgende Mengen für die Produktion nötig: Erzeugnis E1 pro Stück Rohstoff R1 in t 1 Rohstoff R2 in t 0 Verbrauch
Erzeugnis E2 pro Stück 3 4
Erzeugnis E3 pro Stück 2 8
Lagerbestand der Rohstoffe 25 20
Seien xi (i D 1; 2; 3) jeweils die gesuchten Stückzahlen der drei Erzeugnisse Ei (i D 1; 2; 3). Die Fragestellung wird durch das folgende lineare Gleichungssystem modelliert: x1 C 3x2 C 2x3 D 25 4x2 C 8x3 D 20 Wir sehen am Aufbau des linearen Gleichungssystems, dass bei beliebiger Wahl der Variable x3 jeweils x2 aus der zweiten Gleichung und anschließend x1 aus der ersten Gleichung bestimmt werden kann. Wählen wir also x3 D s 2 R beliebig. Die dritte Gleichung liefert dann 4x2 D 20 8s und daraus folgt x2 D 5 2s. Setzen wir das in die erste Gleichung ein, dann erhalten wir x1 D 25 2s 3.5 2s/ D 10 C 4s. Unser lineares Gleichungssystem hat unendlich viele Lösungen, die wir in einer Lösungsmenge L zusammenfassen können: 0 1 (010 C 4s 1 ) (0101 ) 4 L D @ 5 2s AW s 2 R D @ 5 A C s @2AW s 2 R s 0 1 Es handelt sich hierbei um eine Gerade im R3 mit Stützvektor .10; 5; 0/T und Richtungsvektor .4; 2; 1/T . Sie verläuft nicht durch den Punkt .0; 0; 0/ und stellt damit auch keinen Untervektorraum des R3 dar. Aber hat unsere obige Fragestellung nun auch unendlich viele Lösungen? Müssen nicht die Werte der Variablen xi nichtnegativ und ganzzahlig sein, da es sich um Stückzahlen handelt? Es müssen folglich die drei Ungleichungen 10 C 4s 0
5 2s 0
s0
gelten. Die Ungleichungen limitieren die Werte für s. Aus der zweiten Ungleichung folgt 5 2s und damit 52 s. Insgesamt kommen also nur Werte von s im Intervall 0 s 52 infrage.
168
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Wegen der Ganzzahligkeit hat unser Anwendungsproblem nur die drei dargestellten Lösungen. Von den unendlich vielen Lösungen des linearen Gleichungssystems sind nur endlich viele im Sachkontext relevant. s 0 1 2
x1 10 14 18
x2 5 3 1
x3 0 1 2
Das obige Gleichungssystem hat zwei Gleichungen und drei Variablen. In praktischen Anwendungen sind die Probleme oft sehr viel größer. Nicht selten sind mehrere tausend Gleichungen und Variablen relevant und man benötigt effiziente Verfahren zur Lösung. Auch wir wollen uns hier dem Problem stellen, lineare Gleichungssysteme mit beliebig vielen Gleichungen und Variablen zu betrachten. Und wie immer gilt: Haben Sie keinen allzu großen Respekt vor Notation! Die Probleme werden hier nicht deutlich schwieriger, wenn wir sie allgemeiner betrachten. Vorkenntnisse Um lineare Gleichungssysteme verstehen zu können, wird sich das Wissen über das Rechnen mit Vektoren zusammen mit der Theorie aus dem Kapitel zu Vektorräumen (Abschn. 2.2) als sehr hilfreich erweisen. Ich finde es beeindruckend, wie die gelernten Konzepte uns hier helfen, die Lösungsstruktur linearer Gleichungssysteme zu verstehen. Wir stellen fest, dass es sich absolut gelohnt hat, die Begriffe der linearen Unabhängigkeit von Vektoren sowie der Basis und der Dimension eines Vektorraums einzuführen. Finden Sie das auch spannend?
2.3.1 Definition und Gauß-Algorithmus Definition 2.13 (Lineares Gleichungssystem) Ein lineares Gleichungssystem (LGS) mit m Gleichungen und n Variablen hat die Form a11 x1 C a12 x2 C C a1n xn D b1 a21 x1 C a22 x2 C C a2n xn D b2 :: : am1 x1 C am2 x2 C C amn xn D bm
Wir nennen das LGS homogen , wenn b D .b1 ; b2 ; : : : ; bm /T D .0; 0; : : : ; 0/T und inhomogen , wenn b D .b1 ; b2 ; : : : ; bm /T ¤ .0; 0; : : : ; 0/T .
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
169
Bevor wir mit dem Lösen von LGS loslegen, machen wir uns gleich mal mit einer alternativen Darstellung des LGS vertraut. Offensichtlich kann man das LGS auch in folgender vektorieller Form notieren: 0 1 0 0 1 1 0 1 b1 a11 a12 a1n B a21 C B a22 C B a2n C B b2 C B C B B C C B C x1 B : C C x2 B : C C C xn B : C D B : C @ :: A @ :: A @ :: A @ :: A am1
am2
amn
bm
Auf der linken Seite der Gleichung steht eine Linearkombination der gegebenen Spaltenvektoren. Die Koeffizienten der Linearkombination zur Darstellung des Vektors b sind gesucht. Ohne lange herumzureden stelle ich Ihnen nun sofort das entscheidende Resultat dieses Abschnitts vor. Unsere Vorarbeit zahlt sich jetzt aus! (Wichtig: Wenn Ihnen das an dieser Stelle zu schnell oder zu schwer ist, dann lassen Sie diesen Satz aus und lesen ihn noch einmal, wenn Sie den gesamten Abschnitt durchgearbeitet haben. Wenn nicht, dann viel Spaß mit dem folgenden Satz!) Mit all unseren Erkenntnissen aus dem Kapitel über Räume und Basen erhalten wir ohne weitere Arbeit folgendes Resultat: Satz 2.3 (Lösbarkeit von LGS) Das obige LGS ist lösbar genau dann, wenn 0 1 1 1 0 1 0 0 b1 a12 a1n ) ( a11 B b2 C B a21 C B a22 C B a2n C B C C C B C B B B : C 2 span B : C; B : C; : : : ; B : C @ :: A @ :: A @ :: A @ :: A bm
am1
am2
amn
Wenn das LGS lösbar ist, dann gilt: Sind die Vektoren
1 0 1 1 0 a12 a1n a11 B a2n C B a21 C B a22 C C C B B C B B : C; B : C; : : : ; B : C @ :: A @ :: A @ :: A 0
am1
am2
amn
linear unabhängig, dann gibt es genau eine Darstellung von b als Linearkombination dieser Vektoren, so dass das LGS eine eindeutige Lösung hat. Sind die Vektoren 1 1 0 0 1 0 a12 a1n a11 B a2n C B a21 C B a22 C C C B B C B B : C; B : C; : : : ; B : C @ :: A @ :: A @ :: A am1
am2
amn
linear abhängig, dann gibt es unendlich viele Darstellungen von b als Linearkombination dieser Vektoren, so dass das LGS unendlich viele Lösungen hat.
170
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Ich hoffe, Sie sind begeistert! Ist das nicht großartig, wie sich hier alles zusammenfügt? Wenn wir etwas über die lineare (Un-)Abhängigkeit der Vektoren wissen, wissen wir etwas über die Lösbarkeit des LGS und umgekehrt. Das sollte uns motivieren, nun die Lösungen explizit auszurechnen! Machen wir uns auf den Weg! Wir notieren zunächst erlaubte Umformungen, deren Anwendung die Lösungsmenge eines LGS unverändert lässt (Äquivalenzumformungen). Erlaubte Umformungen Wir dürfen zwei Gleichungen des LGS vertauschen. (Ja klar, warum denn auch nicht? Jede Gleichung ist eine Forderung an die Variablen. In welcher Reihenfolge wir unsere Forderungen aufschreiben, spielt dabei keine Rolle.) 3x C 4y D 7 x 2y D 3
”
x 2y D 3 3x C 4y D 7
Wir dürfen eine Gleichung mit einer rellen Zahl a ¤ 0 multiplizieren. Wir multiplizieren im folgenden Beispiel die zweite Gleichung mit 3. 3x C 4y D 7 x 2y D 3
”
3x C 4y D 7 3x 6y D 9
Wir dürfen ein Vielfaches einer Gleichung zu einer anderen Gleichung addieren. Wir addieren im folgenden Beispiel das Doppelte der ersten Gleichung zur zweiten Gleichung. 3x C 4y D 7 x 2y D 3
”
3x C 4y D 7 7x C 6y D 17
Nun können Sie sich natürlich zu Recht fragen, was uns die einzelnen Schritte bringen. Insbesondere sehen die drei obigen Gleichungssysteme auf der rechten Seite ja nicht unbedingt einfacher aus als die auf der linken Seite. Das führt uns auf den Gauß-Algorithmus (oder auch Gaußsches Eliminationsverfahren, benannt nach dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß, 1777-1855). Dabei werden zwei Schritte nacheinander durchgeführt: 1. Vorwärtselimination: Geeignete Vielfache oberer Gleichungen werden so zu unteren Gleichungen addiert, dass Variablen in den unteren Gleichungen nach und nach eliminiert werden. Dabei beginnt man mit der ganz links stehenden Variable und arbeitet sich nach rechts vor. 2. Rückwärtseinsetzen: Man berechnet die Werte der Variablen, indem man zunächst die letzte Gleichung nutzt und sich dann von unten nach oben durcharbeitet.
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
171
Ein Beispiel für die Vorwärtselimination: .I / x C 2y z D 7 .II/ 2x C 7y C 4z D 29 .III/ 3x C 3y C 23z D 28
.II/2.I /
”
.III/C3.I /
”
.III 0 /3.II 0 /
.I / x C 2y z D 7 .II 0 / 3y C 6z D 15 0 .III / 9y C 20z D 49 .I / .II 0 / .III 00 /
x C 2y z D 7 3y C 6z D 15 2z D 4
Lassen Sie das dabei angewandte Vorgehen kurz zusammenfassen. Schauen Sie im Anschluss am besten direkt das Lernvideo (Abb. 2.9) zu diesem Thema an! Fahrplan für die Vorwärtselimination 1. Wir verfolgen das Ziel, unterhalb der Hauptdiagonale alle Variablen zu eliminieren. Die Hauptdiagonale bilden dabei die Summanden der Variablen, bei denen die Nummer der Gleichung mit der Nummer der Variable übereinstimmt (oben sind diese Elemente fettgedruckt gekennzeichnet). 2. Wir beginnen mit der ersten Variable, hier also x und eliminieren x aus allen Gleichungen außer der ersten, indem wir geeignete Vielfache der ersten Gleichung zu den weiteren Gleichungen addieren. Das entspricht dem ersten Umformungsschritt oben im Beispiel. 3. Wenn wir mit x fertig sind, wenden wir uns der Variablen y zu. Wir addieren nun geeignete Vielfache der zweiten Zeile zu den darunter liegenden Zeilen, um unterhalb der Hauptdiagonale die Variable y zu eliminieren. Das entspricht dem zweiten Umformungsschritt in obigem Beispiel. 4. So arbeiten wir uns von links nach rechts durch alle Variablen. Bei der Elimination der i-ten Variable unterhalb der Hauptdiagonale addieren wir geeignete Vielfache der i-ten Gleichung zu den darunter liegenden Gleichungen. Die Variablen mit den Nummern 1; 2; : : : ; i 1 kommen in der i-ten Gleichung nicht mehr vor, weil sie ja bereits eliminiert wurden. 5. Am Ende des Verfahrens haben wir alle Variablen unterhalb der Hauptdiagonale eliminiert. Auf der Hauptdiagonale stehen Variablen, deren Koeffizient ungleich 0 ist. Danach schließt sich das Verfahren des Rückwärtseinsetzens an. Im Beispiel können wir nun die Lösung des LGS ablesen, indem wir die Gleichungen von unten nach oben auswerten: ) x C 2y z D 7 3y C 6z D 15 ) 2z D 4 )
zD2 1 1 y D .15 6z/ D .15 6 2/ D 1 3 3 x D7 C z 2y D 7 C 2 2 1 D 7
Das LGS hat die eindeutige Lösung .x; y; z/T D .7; 1; 2/T .
172
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Fahrplan für das Rückwärtseinsetzen: 1. Wir wollen die Werte der Variablen nach und nach bestimmen. Dabei nutzen wir die bei der Vorwärtselimination entstandenen Gleichungen von unten nach oben. 2. Wir bestimmen zunächst den Wert der letzten Variable, die auf der Hauptdiagonale steht. Dafür verwenden wir die letzte Gleichung. 3. Den Wert der letzten Variable setzen wir in die vorletzte Gleichung ein und bestimmen den Wert der vorletzten Variable aus dieser Gleichung. 4. So arbeiten wir uns von rechts nach links durch alle Variablen, indem wir die Gleichungen von unten nach oben durchgehen. Immer, wenn wir eine Gleichung nach oben wandern, enthält diese eine neue Variable auf der Hauptdiagonale, die wir durch Einsetzen der bereits berechneten Variablen ermitteln können. 5. Wenn wir in der ersten Gleichung angekommen sind, haben wir alle Variablen ermittelt, die auf der Hauptdiagonale stehen. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass das Verfahren nicht immer so schematisch klappt. Es gibt ein paar Stolperfallen. Was man z. B. macht, wenn plötzlich eine Null auf der Hauptdiagonale auftaucht, die für die weiteren Schritte völlig unbrauchbar ist, erfahren Sie genauo wie einige hilfreiche Tipps zur Arbeitserleichterung weiter unten im Abschn. 2.3.4. Außerdem ist unser obiges Beispiel natürlich ziemlich speziell. Unser LGS hat eine eindeutige Lösung, in der letzten Gleichung kommt nach Anwendung des GaußAlgorithmus nur noch eine Variable vor. Was wir allerdings tun müssen, wenn nach der Vorwärtselimination noch mehrere Variablen in der letzten Gleichung übrigbleiben oder wenn plötzlich in einer Gleichung alle Variablen wegfallen, das erkläre ich Ihnen gleich an diversen Beispielen. Danach fassen wir das Gelernte allgemein zusammen.
2.3.2 Homogene lineare Gleichungssysteme Satz 2.4 Jedes homogene lineare Gleichungsystem hat entweder genau genau eine Lösung, nämlich x D .x1 ; x2 ; : : : ; xn /T D .0; 0; : : : ; 0/T , oder unendlich viele Lösungen. Man überzeugt sich leicht, dass der Nullvektor eine Lösung von 0
0 1 0 1 1 0 1 a11 a12 a1n 0 B a21 C B a22 C B a2n C B0C B C B C B C B C x1 B : C C x2 B : C C C xn B : C D B : C @ :: A @ :: A @ :: A @ :: A am1
am2
amn
0
ist. Damit haben wir immer mindestens eine Lösung. Die beiden auftretenden Fälle werden von den folgenden Beispielen illustriert:
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
173
Beispiel 2.9
Das folgende LGS liegt schon in Diagonalgestalt vor, die Vorwärtselimination ist schon erfolgt. ) x C y C 2z D 0 2y C 3z D 0 ) 7z D 0 )
zD0 1 1 y D .3z/ D .3 0/ D 0 2 2 x D 2z y D 2 0 0 D 0
Das LGS hat nur den Nullvektor als Lösung. Verwundert Sie das? Das sollte nicht der Fall sein. Das LGS liegt in der Form 0 1 0 1 0 1 0 1 1 1 2 0 x @0A C y @2A C z @3A D @0A 0
0
7
0
vor. Seine drei Spaltenvektoren .1; 0; 0/T , .1; 2; 0/T und .2; 3; 7/ bilden eine Basis des R3 , sind somit linear unabhängig und erlauben daher nur die triviale Darstellung des Nullvektors als Linearkombination dieser Spalten. Das wussten wir alles schon! J Beispiel 2.10
Beim folgendes LGS müssen wir die Gauß-Eliminationsschritte noch vornehmen und erhalten: .I / x C y C z D 0 .II/ 2x C 3y C z D 0 .III/ 3x C 4y C 2z D 0
.II/2.I /
”
.III/3.I /
”
.III 0 /.II 0 /
.I / x C y C z D 0 .II 0 / yz D0 0 .III / yz D0 .I / x C y C z D 0 .II 0 / yz D0 00 .III / 0D0
Was ist passiert? Wir erhalten eine wahre Aussage der Form 0 D 0, die nichts mehr von unseren Variablen fordert. Also können wir die dritte Zeile getrost ignorieren. (Haben Sie es schon vorher gesehen? Die dritte Gleichung ist die Summe der ersten beiden Gleichungen. Sie ist folglich automatisch erfüllt, wenn die ersten beiden Gleichungen gelten und fordert nichts Neues.) Unsere Hauptdiagonale mit den Variablen, deren Koeffizient ungleich 0 ist, enthält jetzt nur zwei Variablen (x und y). Zu lösen ist nun also ein LGS mit zwei Gleichungen und drei Variablen. Rechts von den Variablen der Hauptdiagonale kommt noch eine weitere Variable (z) vor, die nicht mehr zur Hauptdiagonale gehört. Wir können z beliebig wählen
174
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
und dann y sowie x durch Rückwärtseinsetzen bestimmen. Tun wir das! Um die beliebige Wahl von z zu verdeutlichen, geben wir der Variable einen neuen, beliebig gewählten Wert z D s 2 R. xCyCz D0 ) yz D0 )
yDzDs x D z y D s s D 2s
Wir erhalten die folgende Lösungsmenge: 0
1 ) (021) 2 L D s @ 1 AW s 2 R D span @ 1 A 1 1 (
Das LGS hat unendlich viele Lösungen. Die Lösungsmenge ist eine Gerade durch den Koordinatenursprung. Es handelt sich um einen eindimensionalen Untervektorraum des R3 . Übrigens: Wenn wir das LGS wieder in der Form 0 1 0 1 0 1 0 1 1 1 1 0 x @2A C y @3A C z @1A D @0A 3
4
2
0
betrachten, dann sehen wir mit der Lösung .x; y; z/T D .2; 1; 1/T (dabei ist s D 1), dass 0 1 0 1 0 1 0 1 1 1 1 0 .2/ @2A C 1 @3A C 1 @1A D @0A 3
4
2
0
eine nichttriviale Darstellung des Nullvektors ist. Die drei Vektoren sind folglich linear abhängig. Der Nullvektor hat unendlich viele Darstellungen bezüglich der gegebenen Vektoren. J
2.3.3 Inhomogene lineare Gleichungssysteme Satz 2.5 Jedes inhomogene lineare Gleichungsystem hat entweder genau genau eine Lösung, gar keine Lösung oder unendlich viele Lösungen. Alle drei Fälle wollen wir jeweils durch ein Beispiel illustrieren.
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
175
Beispiel 2.11
Wir betrachten zunächst wieder ein LGS, welches bereits in Diagonalgestalt vorliegt. Wir können wieder direkt die Lösung ablesen: ) x C y C 2z D 10 2y C 3z D 20 ) 7z D 14 )
zD2 1 1 y D .20 3z/ D .20 3 2/ D 7 2 2 x D 10 2z y D 10 2 2 7 D 1 J
Das LGS hat die eindeutige Lösung .x; y; z/T D .1; 7; 2/T . Auch das sollte uns nicht verwundern, denn die drei Koeffizientenvektoren .1; 0; 0/T , .1; 2; 0/T und .2; 3; 7/T bilden (wie vorher) eine Basis des R3 , so dass die Darstellung eines jeden Vektors bezüglich dieser Basis eindeutig ist. Beispiel 2.12
Bei folgendem Beispiel liefert der Gauß-Algorithmus: .I / x C y C z D 2 .II/ 2x C 3y C z D 3 .III/ 3x C 4y C 2z D 5
.II/2.I /
”
.III/3.I /
”
.III 0 /.II 0 /
.I / x C y C z D 2 .II 0 / y z D 1 0 .III / y z D 1 .I / x C y C z D 2 .II 0 / y z D 1 00 .III / 0D0
Wieder stellen wir fest, dass die dritte Gleichung nur die Summe der ersten beiden Gleichungen war. Daher ist die dritte Gleichung redundant und kann ignoriert werden. Wir können erneut z D s 2 R beliebig wählen. Rückwärtseinsetzen liefert: xCyCz D2 y z D 1
) )
y D 1 C z D 1 C s x D 2 z y D 2 s .1 C s/ D 3 2s
Wir erhalten die folgende Lösungsmenge: 0 1 ) (0 3 2s 1 ) (0 3 1 2 @ A @ A @ A LD 1 C s W s 2 R D 1 C s 1 W s 2 R s 0 1 Es handelt sich um eine Gerade im R3 mit dem Stützvektor .3; 1; 0/T und dem Richtungsvektor .2; 1; 1/T . Da sie nicht durch den Koordinatenursprung verläuft, ist dies kein Untervektorraum des R3 . Wie vorher bei den homogenen LGS machen wir uns bewusst, dass wir unendlich viele Lösungen bekommen, weil die Darstellung des Vektors .2; 3; 5/T bezüglich der drei linear abhängigen Spaltenvektoren des LGS nicht eindeutig ist. J
176
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Beispiel 2.13
Wir nehmen nur eine geringfügige Änderung im Vergleich zum letzten Beispiel vor und erhalten: .I / x C y C z D 2 .II/ 2x C 3y C z D 3 .III/ 3x C 4y C 2z D 6
.I / x C y C z D 2 .II 0 / y z D 1 0 .III / yz D0
.II/2.I /
”
.III/3.I /
.I / x C y C z D 2 .II 0 / y z D 1 00 .III / 0D1
”
.III 0 /.II 0 /
Die letzte Gleichung liefert 0 D 1, also eine falsche Aussage. Das LGS ist damit für keinen Vektor .x; y; z/T erfüllt. Das können wir uns auch leicht dadurch erklären, dass die linke Seite der dritten Gleichung die Summe der linken Seiten der ersten beiden Gleichungen ist. Da die Summe auf der rechten Seite 2 C 3 D 5 ergibt, kann also nicht 6 herauskommen, wenn die ersten beiden Gleichungen gelten. Es gilt 0 1 (011 011 011) 2 @3A … span @2A; @3A; @1A 6
3
4
2
Die drei linear abhängigen Spaltenvektoren spannen einen zweidimensionalen Untervektorraum des R3 auf, in welchem der Vektor .2; 3; 6/T eben nicht liegt. J
2.3.4 Sonderfälle, Tipps und Tricks beim Gauß-Algorithmus In diesem Abschnitt erfahren Sie, wann Sie den Gauß-Algorithmus nicht nach „Schema F“ anwenden können oder sollten. Er enthält Erläuterungen für auftretende Sonderfälle und ein paar Hinweise, die Ihnen hoffentlich die Arbeit leichter machen. Beispiel 2.14 (Keine passenden Elemente auf der Hauptdiagonale (1))
Wir betrachten das folgende LGS und starten wie üblich mit einem StandardGauß-Schritt: .I / x C y C 2z D 0 .II/ xC yC zD1 .III/ 3x C 2y C 4z D 2
.II/.I /
”
.III/3.I /
.I / x C y C 2z D 0 .II 0 / zD1 0 .III / y 2z D 2
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
177
Sie können nun keinen Standard-Gauß-Schritt anschließen, denn y kommt in der zweiten Gleichung gar nicht mehr vor. Daher kann die Variable y aus der letzten Gleichung nicht eliminiert werden. Das ist aber auch gar nicht nötig. Ein Zeilentausch bringt das LGS in Diagonalgestalt: .I / x C y C 2z D 0 .III 0 / y 2z D 2 0 .II / zD1 Die Lösung kann direkt abgelesen werden. J Beispiel 2.15 (Keine passenden Elemente auf der Hauptdiagonale (2))
Wir betrachten das folgende LGS und starten wie üblich mit einem StandardGauß-Schritt: .I / w C x C 2y C 3z D 2 .II/ w C x C 4y C 7z D 0
.II/.I /
”
.I / w C x C 2y C 3z D 2 .II 0 / 2y C 4z D 1
Wieder haben wir keine Standard-Diagonalgestalt. Ein einfacher Variablentausch löst das Problem: .I / w C 2y C x C 3z D 2 .II 0 / 2y C 4z D 1 Die Lösungsmenge kann anschließend mit dem üblichen Verfahren bestimmt werden. J Beispiel 2.16 (Geeignete Gleichungen nach oben tauschen)
Hat das LGS ein ungünstiges Element auf der Hauptdiagonale, welches eine Menge Bruchrechnung nach sich ziehen würde, dann tauschen Sie gerne angenehmere Zeilen nach oben: .I / 4x C y C 3z D 1 .II/ x C 2y C z D 1
Zeilentausch
”
.II/ x C 2y C z D 1 .I / 4x C y C 3z D 1
Sie können anschließend bequem das Vierfache der Gleichung .II/ von der Gleichung .I / subtrahieren, anstatt sich ohne den Zeilentausch mühsam damit herumschlagen zu müssen, das 14 -fache der Gleichung .I / von der Gleichung .II/ subtrahieren zu müssen. Das spart einiges an Arbeit. J Beispiel 2.17 (Gleichung geeignet mit einem Faktor multiplizieren)
Haben alle Koeffizienten einer Gleichung einen gemeinsamen Teiler, so macht es Sinn, diese Gleichung durch diesen Teiler zu dividieren: .I / 10x C 10z D 20 .II/ 3x C y C z D 1
1 .I / 10
”
Cz D2 .I 0 / x .II/ 3x C y C z D 1
178
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Sie können danach das Dreifache der Gleichung .I 0 / von der Gleichung .II/ 3 subtrahieren, anstatt ohne die Vereinfachung das 10 -fache der Gleichung .I / von der Gleichung .II/ subtrahieren zu müssen. Diese Vereinfachung zahlt sich beim Rückwärtseinsetzen erneut aus. J Beispiel 2.18 (Gauß-Schritte sparen durch Variablentausch)
Manchmal kann man durch einen Variablentausch Gauß-Schritte einsparen, wenn schon passende Nullen vorhanden sind: .I / x C y C z D 1 .II/ x C 2z D 3
Variablentausch
”
.I / .II/
yCxC z D1 x C 2z D 3
Man benötigt auf diese Weise gar keinen Gauß-Schritt. J
2.3.5 Darstellung von linearen Gleichungsystemen in Matrizenschreibweise Bevor wir der allgemeinen Lösung von linearen Gleichungssystemen auf die Spur kommen und ein paar wichtige Sätze über die Gestalt der Lösungsmenge beweisen, führen wir noch eine neue effizientere Schreibweise ein. Dazu benötigen wir den Begriff der Matrix. Definition 2.14 (Matrix) Eine Matrix A mit m Zeilen und n Spalten ist ein rechteckiges Schema der Form 0
A D .aij /i D1;:::;m j D1:::;n
1 a1n a2n C C :: C : A
a11 B a21 B DB : @ ::
a12 a22 :: :
::: ::: :: :
am1
am2
: : : amn
Dabei sind die Einträge aij 2 R. aij ist der Eintrag in der i-ten Zeile und in der j -ten Spalte von A. Wir nennen A eine m n-Matrix (gelesen „m Kreuz n“). Die Menge aller m n-Matrizen bezeichnen wir analog zu den Vektoren mit Rmn . Beispiel 2.19
Die Koeffizientenmatrix des LGS x C 2y z D 7 2x C 7y C 4z D 29 3x C 3y C 23z D 28 Es gilt a23 D 4 und a33 D 23. J
0
ist
1 1 2 1 AD@ 2 7 4 A 3 3 23
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
179
Genauso wie bei den Vektoren lässt sich auch bei Matrizen die transponierte Matrix definieren: Definition 2.15 (Transponieren einer Matrix) Beim Transponieren einer Matrix werden Zeilen und Spalten getauscht. Wir schreiben: 0 0 1T 1 a11 a21 : : : am1 a11 a12 : : : a1n Ba12 a22 : : : am2 C B a21 a22 : : : a2n C B B C C D B : B : C : : :: :: C :: :: :: :: A @ :: @ :: : : : : A am2
am1
: : : amn
a2n
a1n
: : : amn
Wir sprechen dann von der Matrix „A transponiert“. Die Matrix AT hat soviele Spalten, wie A Zeilen hat und soviele Zeilen, wie A Spalten hat. Beispiel 2.20
Es gilt !T 1 2 3 4 5 6
0
1 1 4 D @2 5 A 3 6
!
! und
a c
b d
a D b
c d
J
Lassen Sie uns nun die Addition von Matrizen sowie die Multiplikation von Matrizen mit reellen Zahlen (analog zur Addition von Vektoren und zum Multiplikation von Vektoren mit reellen Zahlen) definieren: Definition 2.16 (Addition von Matrizen) Seien A 2 Rmn und B 2 Rmn zwei Matrizen mit gleich vielen Zeilen und Spalten. Dann nennen wir die Matrix, die durch komponentenweise Addition der Einträge entsteht, die Summe der Matrizen A und B: 1 0 1 0 a11 a12 a1n b11 b12 b1n B a21 a22 a2n C B b21 b22 b2n C C B C B ACB DB : :: :: C C B :: :: :: C :: :: A @ :: @ : : : : : : : A 0
am1
am2
a11 C b11 B a21 C b21 B DB :: @ : am1 C bm1
amn
bm1
bm2
bmn 1
a12 C b12 a22 C b22 :: :
:: :
a1n C b1n a2n C b2n C C C :: A :
am2 C bm2
amn C bmn
Wir können die Matrizenaddition demnach als eine Abbildung Rmn Rmn ! Rmn auffassen: Als Input geben wir zwei Matrizen A und B und wir erhalten als Output die Matrix A C B.
180
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Definition 2.17 (Multiplikation einer Matrix mit einer reellen Zahl) Sei A 2 Rmn eine Matrix und r 2 R eine reelle Zahl. Dann nennen wir die Matrix, die durch Multiplikation jedes Matrixeintrags mit der reellen Zahl entsteht, das Produkt der Zahl r mit der Matrix A: a11 B a21 B r ADr B : @ ::
a12 a22 :: :
:: :
1 0 a1n r C B a2n C B r :: C D B : A @
am1
am2
amn
0
a11 a21 :: :
r a12 r a22 :: :
:: :
1 r a1n r a2n C C :: C : A
r am1
r am2
r amn
Wir können die Multiplikation einer Matrix mit einer reellen Zahl demnach als eine Abbildung R Rmn ! Rmn auffassen: Als Input geben wir eine reelle Zahl r und eine Matrix A und wir erhalten als Output die Matrix r A. Beispiel 2.21
Es gilt ! ! ! 2 3 7 3 0 2 1 3 9 C D 1 0 2 5 1 2 6 1 0 ! ! 2 3 7 6 9 21 3 D 1 0 2 3 0 6 Die Matrizen ! 2 3 7 und 1 0 2
! 7 5 1 1
können dagegen nicht addiert werden, da sie nicht die gleiche Anzahl an Zeilen und Spalten haben. J Wir wollen nun definieren, was es bedeutet, eine Matrix A 2 Rmn mit einem Vektor x 2 Rn zu multiplizieren.
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
181
Definition 2.18 (Matrix-Vektor-Produkt) Für eine Matrix A 2 Rmn und einen Vektor x D .x1 ; x2 ; : : : ; xn /T 2 Rn ist das Matrix-Vektor-Produkt wie folgt definiert 0
a11 B a21 B Ax D B : @ ::
a12 a22 :: :
:: :
am1
am2
0 B B DB @
1 a1n 0 x1 1 a2n C CB x 2 C C :: CB @ A : A ::: xn amn
a11 x1 C a12 x2 C C a1n xn a21 x1 C a22 x2 C C a2n xn :: :
1 a1 T x C B a2 T x C C C B C D B : C 2 Rm A @ :: A 1
0
am1 x1 C am2 x2 C C amn xn
am T x
Dabei sind die Vektoren ai T die transponierten Zeilenvektoren der Matrix A und die Einträge ai T x des Ergebnisvektors sind jeweils die Skalarprodukte der Zeilen von A mit dem Vektor x. I
Wichtig Wir können eine Matrix A nur dann mit einem Vektor x multiplizieren, wenn die Anzahl der Spalten von A mit der Anzahl der Zeilen von x übereinstimmt. Nur dann sind die verwendeten Skalarprodukte definiert! Beispiel 2.22
Wir berechnen exemplarisch: 0
10 1 0 1 0 1 1 2 1 7 17C2112 7 @ 2 7 4 A@1A D @ 2 7 C 7 1 C 4 2 A D @29A J 3 3 23 2 .3/ 7 C 3 1 C 23 2 28 Erinnern Sie sich an das LGS der Form x C 2y z D 7 2x C 7y C 4z D 29 3x C 3y C 23z D 28 mit der Lösung .x; y; z/T D .7; 1; 2/T aus Abschn. 2.3.1? Offensichtlich lässt es sich unter Verwendung der Matrix-Vektor-Multiplikation auch in der folgenden Form schreiben, denn die Einträge des Matrix-Vektor-Produkts ergeben genau die linken Seiten der Gleichungen. 0
10 1 0 1 1 2 1 x 7 @ 2 7 4 A@y A D @29A 3 3 23 z 28
182
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Allgemein leiten wir zusätzlich zu den beiden bereits bekannten Darstellungen für lineare Gleichungssysteme nun noch eine dritte Darstellung ab, nämlich die Schreibweise in Matrixform. a11 x1 a21 x1
C C
am1 x1
C am2 x2
a12 x2 a22 x2
C ::: C C ::: C :: :
D D
a1n xn a2n xn
C : : : C amn xn
b1 b2
,
Ax D b
D bm
Dabei enthält die Matrix A die Koeffizienten aij aus den Gleichungen des LGS. In Zukunft werden wir bei der Verwendung des Gauß-Algorithmus einfach das Schema 0 1 a11 a12 a1n b1 B a21 a22 a2n b2 C B C .Ajb/ D B : :: :: :: C :: @ :: : : : : A am1
am2
amn
bm
notieren und so von Gauß-Tabelle zu Gauß-Tabelle rechnen. Beispiel 2.23
Wir wollen das LGS x y C 3z D 15 2x C 2z D 10 5x C 2y 3z D 11 lösen. Die verkürzte Schreibweise des Gauß-Algorithmus sieht wie folgt aus. 0 1 1 0 .2/ .5/ 1 1 3 15 15 1 1 3 B C C B .4/ 2 4 10 A C 20A ! @0 2 @2 0 C 5 3 3 13 0 8 18 88 C 1 0 15 1 1 3 C B ! @0 2 4 20A 0 0 2 8 Wir lesen aus der letzten Gauß-Tabelle das entstandene LGS ab: x y C 3z D 15 2y 4z D 20 2z D 8 Rückwärtseinsetzen liefert z D 4, y D 2 und x D 1. J
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
183
Zum Ende dieses Abschnittes fassen wir noch ein paar Rechengesetze zusammen, die beim Rechnen mit Matrizen gelten, da sie sich vom Rechnen mit reellen Zahlen vererben: Satz 2.6 (Rechengesetze für Matrizenaddition, Multiplikation einer Matrix mit einer Zahl und Multiplikation einer Matrix mit einem Vektor) Für Matrizen A; B; C 2 Rmn , eine Zahl r 2 R und Vektoren x; y 2 Rn gilt: Die Matrizenaddition ist assoziativ: .A C B/ C C D A C .B C C / Die Matrizenaddition ist kommutativ: A C B D B C A Die Nullmatrix ist das sogenannte neutrale Element der Matrizenaddition: 0
0 0 B0 0 B A C B: : @ :: :: 0 0
:: :
1 0 0C C :: C D A :A
0
Addieren wir das neutrale Element, so ändert sich die Matrix A nicht. r.A C B/ D rA C rB Es gilt das Distributivgesetz: A.x C y/ D Ax C Ay Dass sich der kleine Ausflug in das Rechnen mit Matrizen gelohnt hat, sehen Sie gleich. Die Darstellung linearer Gleichungsysteme in Matrix-Vektor-Schreibweise wird uns helfen, wichtige Sätze über die Lösungsstruktur homogener und inhomogener linearer Gleichungssysteme herzuleiten. Sind Sie gut vorbereitet? Dann folgt nun der Höhepunkt dieses Abschnitts!
2.3.6 Wichtige Erkenntnisse über die Lösungsmengen linearer Gleichungssysteme Dies wäre die optimale Stelle, sich noch einmal Satz 2.3 anzuschauen. Ein lineares Gleichungssystem mit m Gleichungen und n Variablen können wir nun in der Form Ax D b betrachten. Mit der neuen Matrixschreibweise lässt sich der Satz wie folgt zusammenfassen: Ein LGS Ax D b ist lösbar genau dann, wenn b ein Element des von den Spalten von A aufgespannten Untervektorraums des Rm ist. Ist das LGS lösbar und sind die Spalten von A linear unabhängig, dann hat Ax D b genau eine Lösung. Da es maximal m linear unabhängige Vektoren im Rm geben kann, muss hierbei n m sein. Ist das LGS lösbar und sind die Spalten von A linear abhängig, dann hat Ax D b unendlich viele Lösungen. Nehmen wir an, dass maximal k < n viele Spalten von
184
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
A linear unabhängig sind. Streichen wir redundante Gleichungen (bzw. Nullzeilen nach Anwendung des Gauß-Algorithmus), so erhalten wir eine Hauptdiagonale mit k Elementen ungleich 0 und n k frei wählbare Variablen. Mit diesem Wissen betrachten wir das folgende Beispiel kritisch: Gegeben sei das lineare Gleichungssystem 0 1 0 1 0 1 0 1 1 1 1 2 1 1 1 2 @2 3 1Ax D @3A mit A D @2 3 1A und b D @3A 3 4 2 5 3 4 2 5 Der Gauß-Algorithmus (mit der verkürzten neuen Schreibweise) liefert 1 1 0 0 .2/ .3/ 2 1 1 1 1 1 1 2 C C B B .1/ ! @0 1 1 1A @2 3 1 3 A C C 3 4 2 5 0 1 1 1 C 1 0 2 1 1 1 C B ! @0 1 1 1A 0 0 0 0 Wir sehen in der zweiten Zeile, dass wir eine frei wählbare Variable haben. Ob wir uns dabei für x2 oder für x3 entscheiden, bleibt uns überlassen, denn wir können die Rollen der Variablen x2 und x3 vertauschen. Wir verfolgen beide Ansätze und vergleichen die Lösungsmengen: Mit x2 D s folgt x3 D 1 C s und x1 D 2 s .1 C s/ D 1 2s. Also gilt 0 1 (011 ) 2 @ A @ A 0 C s 1 Ws 2 R LD 1 1
Mit x3 D t folgt x2 D 1 C t und x1 D 2 t .1 C t/ D 3 2t. Also gilt 0 1 (0 3 1 ) 2 @ A @ A 1 C t 1 W t 2 R LD 0 1
Zwei verschiedene Darstellungen derselben Lösungsmenge wurden hier gefunden. Offensichtlich beschreibt die Lösungsmenge eine Gerade im R3 . Die beiden Stützvektoren dieser Gerade sind in Abb. 2.8 eingezeichnet.
Aufgabe
Nehmen Sie Zettel und Stift zur Hand und rechnen eigenhändig nach, dass folgende Erkenntnisse stimmen: Die beiden Stützvektoren der Geraden .1; 0; 1/T und .3; 1; 0/T sind jeweils Lösungen von Ax D b. (Das ist eigentlich klar, denn mit s D 0 bzw. t D 0 liegen sie ja beide in der Lösungsmenge. Rechnen Sie es dennoch kurz nach.)
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
185
Abb. 2.8 Die Gerade als Lösungsmenge des LGS kann mithilfe verschiedener Stützvektoren dargestellt werden (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Der Richtungsvektor der Gerade .2; 1; 1/T ist eine Lösung von Ax D 0, also eine Lösung des zugehörigen homogenen linearen Gleichungssystems. Die Differenz der beiden Stützvektoren ergibt ein Vielfaches des Richtungsvektors.
Hat das gut geklappt? Dann sind Sie nun fit für die Verallgemeinerung dieses Beispiels. Dabei gönnen wir uns ausnahmsweise auch einen Beweis. Satz 2.7 Es gelten die folgenden Aussagen: Die Differenz zweier Lösungen des inhomogenen LGS Ax D b ist eine Lösung des homogenen LGS Ax D 0. ii) Ist x eine spezielle Lösung des inhomogenen LGS Ax D b, dann sind alle Lösungen des inhomogenen LGS von der Form: i)
L D fx C xh W Axh D 0g Das bedeutet: Kennt man eine spezielle Lösung des inhomogenen LGS sowie den Lösungsraum des homogenen LGS, so kennt man auch die gesamte Lösungsmenge des inhomogenen LGS. iii) Lösungsmengen homogener linearer Gleichungssysteme sind Untervektorräume des Rn . Beweis i) Falls Ax D b und Ax0 D b, dann folgt A.x0 x/ D Ax0 Ax D b b D 0. ii) Ist x eine Lösung des inhomogenen LGS und xh eine Lösung des homogenen LGS, dann ist wegen A.x C xh / D Ax C Axh D b C 0 D b auch x C xh eine
186
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Lösung des inhomogenen LGS. Daraus folgt schon einmal fx C xh W Axh D 0g L Kann es noch andere Lösungen in L geben, die nicht von dieser Form sind? Die Antwort ist nein, denn aus i) folgt, dass für jede Lösung x0 des inhomogenen LGS die Differenz xh WD x0 x eine Lösung des homogenen LGS ist. Also ist x0 D x C xh auch von der üblichen Form und daraus folgt die Gleichheit L D fx C xh W Axh D 0g: iii) Wir zeigen, dass die Lösungsmenge des homogenen LGS abgeschlossen bezüglich Summen- und Vielfachenbildung ist. Seien dazu xh und x0h zwei beliebige homogene Lösungen. Wegen A.xh C x0h / D Axh C Ax0h D 0 C 0 D 0 und A.axh / D aAxh D a0 D 0 sind auch xh C x0h und axh für alle a 2 R wieder Lösungen des homogenen LGS. Der Lösungsraum des homogenen LGS ist also ein Untervektorraum des Rn . Geschafft! Damit haben wir die Theorie linearer Gleichungssysteme vollständig durchgearbeitet. Das letzte Resultat ist besonders wertvoll. Haben Sie es erkannt? Was gewinnen wir durch Satz 2.7? Zum einen bekommen wir beim Lösen von Ax D b den homogenen Lösungsraum geschenkt. In obigen Beispiel können wir den homogenen Lösungsraum 0 1 ) 2 L D s @ 1 AW s 2 R 1 (
einfach ablesen. Zum anderen können wir diese Information nutzen, um Gleichungsysteme mit anderen rechten Seiten der Form Ax D b0 zu lösen. Wir müssen dann nicht mehr die gesamte Lösungsmenge bestimmen, sondern eine spezielle Lösung genügt. Das zahlt sich in der Praxis bei großen Problemen mit sehr vielen Variablen und Gleichungen aus, denn die Algorithmen zum Lösen von LGS werden so viel effizienter. Wenn wir in unserem Beispiel die rechte Seite .2; 3; 5/T durch die neue rechte Seite .2; 5; 7/T ersetzen, dann ist wegen 0
10 1 0 1 1 1 1 1 2 @2 3 1A@1A D @5A 3 4 2 0 7
2.3 Lineare Gleichungsyssteme
187
der Vektor x D .1; 1; 0/T eine spezielle Lösung. Satz 2.7 zeigt uns, dass die allgemeine Lösungsmenge des LGS 0
1 0 1 1 1 1 2 @2 3 1 Ax D @5 A 3 4 2 7 folgende Menge ist: 0 1 (011 ) 2 @ A @ A LD 1 Cs 1 Wt 2 R 0 1 Ich hoffe, diese Ergebnisse begeistern auch Sie! Zum Abschluss dieses Abschnitts können Sie Ihr Wissen an folgender Aufgabe überprüfen:
Aufgabe
Vervollständigen Sie folgende Sätze: Wenn die Spalten von A linear unabhängig sind, dann besteht der homogene Lösungsraum von Ax D 0 nur aus dem . Wenn die Spalten von A linear abhängig sind, dann besteht der homogene Lösungsraum Lh von Ax D 0 aus . Falls das LGS Ax D b lösbar ist, dann gibt es Lösungen. Ist x eine spezielle inhomogene Lösung, dann ist die allgemeine inhomogene Lösungsmenge.
Wenn Sie noch mehr Literatur zu linearen Gleichungssystemen suchen, dann finden Sie in [2, 10, 11, 13, 15, 16] weiteres Material.
Abb. 2.9 Lernvideo zu linearen Gleichungssystemen mit eindeutiger Lösung (https://doi.org/10.1007/000-be0)
188
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Abb. 2.10 Lernvideo zu linearen Gleichungssystemen ohne Lösung (https://doi.org/10.1007/000-bdw)
Abb. 2.11 Lernvideo zu linearen Gleichungssystemen mit unendlich vielen Lösungen (https://doi.org/10.1007/000-be2)
Abb. 2.12 Lernvideo zum Matrix-Vektor-Produkt (https://doi.org/10.1007/000-be3)
Schauen Sie sich jetzt gerne unsere Lernvideos zu den linearen Gleichungsystemen (Abb. 2.9, 2.10, 2.11) und zum Matrix-Vektor-Produkt an (Abb. 2.12) an!
Übungsaufgaben zu linearen Gleichungsystemen
2.8 Lösen Sie jeweils das lineare Gleichungsystem Ax D b für: 0 1 0 1 1 2 7 7 a) A D @1 0 3A und b D @ 3 A 4 2 5 8 1 0 1 1 3 4 3 A @ b) A D @ 2 und b D 6 8 3A 0 12 20 4 0
2.4 Lineare Prozesse mit Matrizen beschreiben
189
! ! 1 0 1 1 1 c) A D und b D 4 7 6 3 2 ! ! 1 0 1 1 0 d) A D und b D 4 7 6 3 0 2.9 Lösen Sie das lineare Gleichungsystem in Abhängigkeit des Parameters a 2 R. Für welche Werte von a hat es gar keine Lösung, genau eine Lösung oder unendlich viele Lösungen? 0
10 1 0 1 1 0 2 x 0 @ 2 4 7 A@y A D @1 A 2 8 a z 5 2.10 In einem Unternehmen werden an drei Standorten drei Produkte P1 , P2 und P3 hergestellt. Die Standorte produzieren die folgenden Mengen (in Tonnen) pro Tag: Standort 1: .1; 1; 2/T
Standort 2: .2; 4; 3/T
Standort 3: .3; 1; 7/T
Dabei werden also am Standort 1 täglich eine Tonne P1 , eine Tonne P2 und zwei Tonnen P3 hergestellt usw. Gibt es geeignete Produktionszeiten (in ganzen Tagen) an den drei Standorten, um genau die Bestellung b D .11; 19; 18/T zu realisieren? Stellen Sie ein geeignetes lineares Gleichungssystem auf und ermitteln Sie die allgemeine Lösungsmenge. Geben Sie anschließend alle für den Sachverhalt relevanten ganzzahligen nichtnegativen Lösungen an.
2.4 Lineare Prozesse mit Matrizen beschreiben Betrachten wir ein Unternehmen, welches aus drei Rohstoffen zunächst zwei Zwischenprodukte erzeugt. Anschließend werden aus diesen vier verschiedene Endprodukte hergestellt. Der in Abb. 2.13 dargestellte Produktionsprozess kann auch schematisch in Tabellenform beschrieben werden: Z1 R1 4 R2 5 R3 3
Z2 2 7 3
E1 Z1 9 Z2 5
E2 3 1
E3 8 8
E4 2 1
190
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Wir interessieren uns nun dafür, welche Mengen an Rohstoffen wir für die Herstellung von 60 E1 , 150 E2 , 40 E3 und 200 E4 benötigen. Machen wir uns dafür zunächst klar, dass wir von Zwischenprodukt Z1 genau 9 60 C 3 150 C 8 40 C 2 200 D 1710 Einheiten brauchen. Diese Zahl ergibt sich als Skalarprodukt der beiden Vektoren .9; 3; 8; 2/T und .60; 150; 40; 200/T . Fällt Ihnen etwas auf? Kommt Ihnen die Rechnung bekannt vor? Das kennen wir schon, und zwar von der Matrix-VektorMultiplikation. Der Verbrauch der Zwischenprodukte kann als eine solche modelliert werden, und zwar wie folgt: 0
1 60 ! C 9 3 8 2 B 150 1710 B CD 5 1 8 1 @ 40 A 970 200 !
Zur Produktion werden also 1710 Einheiten von Zwischenprodukt Z1 und 970 Einheiten von Zwischenprodukt Z2 verwendet. Der Schritt zur Berechnung der Rohstoffmengen geht analog: 0
1 ! 0 8780 1 4 2 @5 7A 1710 D @15:340A 970 3 3 8040 Um die erforderlichen Mengen der Endprodukte zu produzieren, müssen wir also 8780 Einheiten von Rohstoff R1 , 15.340 Einheiten von Rohstoff R2 sowie 8040 Einheiten von Rohstoff R3 bereitstellen. Wir haben es hier mit einem linearen Prozess zu tun, den wir mithilfe von Matrix-Vektor-Multiplikationen modellieren
Abb. 2.13 Produktionsbeispiel – vom Rohstoff über das Zwischenprodukt zum Endprodukt
2.4 Lineare Prozesse mit Matrizen beschreiben
191
können. Sie fragen sich, warum wir von linearen Prozessen sprechen? Wir tun dies, weil wir es hier mit linearen Zusammenhängen zu tun haben. Wollen wir die doppelte Menge produzieren, brauchen wir auch den doppelten Materialeinsatz. Wir kennen dies von linearen Funktionen f der Form f .x/ D mx und sprechen auch von Proportionalität. In unserem Beispiel verhalten sich die Rohstoffmengen proportional zu den Mengen der Zwischenprodukte und diese wiederum sind proportional zu den Produktionsmengen der Endprodukte. Wir könnten jetzt zufrieden sein, denn durch mehrfache Anwendung der Matrix-Vektor-Multiplikation können wir nun für jeden beliebigen Endproduktvektor die benötigten Rohstoffmengen berechnen. Sind wir aber nicht! Warum? Nun ja, weil das ja ziemlich mühsam ist. Stellen Sie sich nur vor, der Produktionsprozess hätte nicht zwei Stufen, sondern viele und täglich kommen massenweise Bestellungen herein, für die wir den Rohstoffbedarf ermitteln müssen. Es lohnt sich also, noch einmal genauer hinzuschauen: 8780 D 4 1710 C 2 970 D 4 .9 60 C 3 150 C 8 40 C 2 200/ C 2 .5 60 C 1 150 C 8 40 C 1 200/ D .4 9 C 2 5/ 60 C .4 3 C 2 1/ 150 C .4 8 C 2 8/ 40 C .4 2 C 2 1/ 200 Erkennen Sie etwas? Genau! In den Klammern stehen jeweils Skalarprodukte der ersten Zeile der Rohstoff-Zwischenprodukt-Matrix und der verschiedenen Spalten der Zwischenprodukt-Endprodukt-Matrix, nämlich: ! ! ! ! 9 3 8 2 T T T T .4; 2/ .4; 2/ .4; 2/ .4; 2/ 5 1 8 1 Die so berechneten Vorfaktoren hängen nur von den beiden Matrizen ab, nicht aber vom Bestellvektor. Wir erkennen eine sinnvolle Definition für die Multiplikation von Matrizen, die die Matrix-Vektor-Multiplikation verallgemeinert. Für unsere beiden Beispielmatrizen wäre das folgende eine sinnvolle Definition des Produkts: 0
1 ! 4 2 9 3 8 2 @5 7 A 5 1 8 1 3 3 0 1 49C25 43C21 48C28 42C21 D @5 9 C 7 5 5 3 C 7 1 5 8 C 7 8 5 2 C 7 1 A 39C35 33C31 38C38 32C31 1 0 46 14 48 10 D @80 22 96 17A 42 12 48
9
192
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Machen Sie sich bewusst, dass in der Ergebnismatrix beispielsweise in der 2. Zeile und 3. Spalte genau das Skalarprodukt der der 2. Zeile der ersten Matrix mit der 3. Spalte der zweiten Matrix steht! Die Ergebnismatrix hat drei Zeilen und vier Spalten. Die drei Zeilen gehören zu den Rohstoffen und die vier Spalten zu den Endprodukten. Mithilfe der Produktmatrix können wir nun spielend den Rohstoffverbrauch für einen Endproduktvektor als Matrix-Vektor-Produkt ausrechnen: 0 1 1 60 0 1 46 14 48 10 B 8780 C 150 C @ @80 22 96 17AB A @ 40 A D 15:340 42 12 48 9 8040 200 0
Das hatten wir auch mit dem deutlich rechenlastigeren Weg über zwei MatrixVektor-Multiplikationen ausgerechnet. Machen Sie sich bewusst, dass die MatrixMatrix-Multiplikation nur einmal berechnet werden muss. Für einen konkreten Bestellvektor benötigen wir anschließend nur eine Matrix-Vektor-Multiplikation und nicht wie vorher zwei. Konkret haben wir berechnet: 0 1 0 1 1 0 1 60 0 1 ! 60 4 2 46 14 48 10 8780 B C B C @5 7A 9 3 8 2 B150C D @80 22 96 17AB150C D @15:340A @ 40 A 5 1 8 1 @ 40 A 3 3 42 12 48 9 8040 200 200 0
Man könnte meinen, dies müsse ein sehr umfangreicher Buchabschnitt werden, wenn schon das erste Beispiel so lang ist. Aber dem ist gar nicht so! Im Beispiel ist alles enthalten, was wir in diesem Kapitel benötigen. Mehr kommt nicht! Das einzige, was uns nun noch erwartet, ist die Verallgemeinerung des Beispiels auf beliebige Matrizen. Die Matrix-Matrix-Multiplikation ist auf den ersten Blick eine abstrakte Sache, sollte aber mit obigem Beispiel gut zu meistern sein. Vorkenntnisse Bevor Sie dieses Kapitel bearbeiten, sollten Sie X das Rechnen mit Vektoren beherrschen (Abschn. 2.1) und X die Rechenregeln für die Matrix-Vektor-Multiplikation parat haben (Abschn. 2.3). Das ist auch schon alles. Damit können wir loslegen. Schauen Sie noch einmal ins Beispiel. In der Ergebnismatrix bei der Matrix-MatrixMultiplikation standen Skalarprodukte von Zeilen der ersten Matrix mit Spalten der zweiten Matrix! Damit diese existieren, muss die Anzahl der Spalten der ersten Matrix mit der Anzahl der Zeilen der zweiten Matrix übereinstimmen.
2.4 Lineare Prozesse mit Matrizen beschreiben
193
Definition 2.19 (Verkettete Matrizen) Q Zwei Matrizen A 2 Rmk und B 2 Rkn heißen verkettet, wenn k D kQ ist. Das bedeutet, dass die Anzahl der Spalten von A mit der Anzahl der Zeilen von B übereinstimmt. Wir definieren nun, wie man eine Matrix A 2 Rmk mit einer Matrix B 2 Rkn multipliziert. Definition 2.20 (Matrix-Matrix-Produkt) Für zwei verkettete Matrizen A 2 Rmk und B 2 Rkn ist das Matrix-MatrixProdukt wie folgt definiert 0 1 0 1 a11 a12 a1k b11 b12 b1n B a21 a22 a2k C Bb21 b22 b2n C B C B C AB DB : :: :: C B :: :: :: C :: :: @ :: : : : : A @ : : : A am1 am2 amk bk1 bk2 0 T 1 0 1 a1 b a1 T 1 B B a 2 C a B 2 b B C D B : C b1 b2 : : : bn WD B : @ :: @ :: A am am T b1 0 ::: a11 b11 C C a1k bk1 B :: :: D@ : : am1 b11 C C amk bk1
:::
T
bk n 2
1 a1 T bn a2 T bn C C :: C : A
a1 b a2 T b2 :: :
::: ::: :: :
am T b2
: : : am T bn
1 a11 b1n C C a1k bk n C :: mn A2R : am1 b1n C C amk bk n
Dabei sind die Vektoren ai T die transponierten Zeilenvektoren der Matrix A und die Vektoren bj die Spaltenvektoren der Matrix B. An der Stelle .i; j / in der Ergebnismatrix steht das Skalarprodukt der transponierten i-ten Zeile von A mit der j -ten Spalte von B. I
Wichtig Das Matrixprodukt existiert nur, wenn die beiden Matrizen verkettet sind! Nur dann sind die entsprechenden Skalarprodukte definiert! Die Ergebnismatrix hat so viele Zeilen wie A und so viele Spalten wie B.
Ein Beispiel gefällig? Sehr gerne, das haben Sie sich verdient: Beispiel 2.24
Seien die Matrizen ! 1 0 AD 2 3
0
1 4 2 B D @0 1 A 6 5
! 2 2 1 C D 3 3 1
194
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
gegeben. Die folgenden Produkte existieren: ! ! 1 0 1 0 11C02 AAD D 2 3 2 3 2132 ! ! 1 0 2 2 1 AC D 2 3 3 3 1 12C03 D 2233
1 2 C 0 .3/ 2 2 3 .3/
! 2 2 1 D 5 13 5 0 1 ! 4 2 2 2 1 B C D @0 1 A 3 3 1 6 5 0 4223 4 2 2 .3/ D @0 2 C 1 3 0 2 C 1 .3/ 6 2 C 5 .3/ 62C53 0 1 2 14 6 D @ 3 3 1A 27 3 1
! ! 1 0 C 0 3 1 0 D 2 0 3 .3/ 4 9
! 1 1 C 0 .1/ 2 1 3 .1/
1 4 1 2 .1/ 0 1 C 1 .1/A 6 1 C 5 .1/
Dagegen ist das Produkt C A nicht definiert, denn C hat drei Spalten, A aber nur zwei Zeilen. Die beiden Matrizen sind nicht verkettet. Versuchen Sie sich selbst am Produkt C B! J Auch bei der Matrix-Matrix-Multiplikation gibt es ein neutrales Element. Es hat wieder die Eigenschaft, dass es bei Anwendung der Multiplikation eine gegebene Matrix nicht verändert. Dafür führen wir die n n-Einheitsmatrix En ein: Definition 2.21 (Einheitsmatrix) Die .n n/-Einheitsmatrix En 2 Rnn ist 0
1 0 0 ::: B B0 1 0 : : : B 0 0 1 ::: En D B B: : : B: : : :: : @: : : 0 0 0 :::
1 0 0 C 0 0C C 0 0C :: :: C C : :A 0 1
Die .nn/-Einheitsmatrix ist eine Matrix mit n Zeilen und n Spalten. Sie hat Einsen auf der Hauptdiagonalen und sonst überall nur Nullen als Einträge.
2.4 Lineare Prozesse mit Matrizen beschreiben
195
Rechnen Sie nach, dass für A 2 Rmn gilt: 0
a11 B a21 B A Em D B : @ :: am1 0
a11 B a21 B DB : @ :: am1
1
0
a12 a22 :: :
:: :
am2
a12 a22 :: :
:: :
1 a1n B 0 B a2n C C B B :: C B0 : A B :: @: amn 0 1 a1n a2n C C :: C D A : A
am2
amn
0 0 ::: 1 0 ::: 0 1 ::: :: :: : : : : : 0 0 :::
1 0 0 C 0 0C C 0 0C :: :: C C : :A 0 1
Damit ist die Einheitsmatrix das neutrale Element der Matrix-Matrix-Multiplikation. Zum Abschluss möchte ich Ihnen ein wichtiges Anwendungsbeispiel des Gelernten aus der Biologie vorstellen. Auch Populationsentwicklungen von Organismen über die Zeit lassen sich als lineare Prozesse modellieren. Betrachten wir dazu eine Population mit n verschiedenen Altersklassen. Zum Zeitpunkt t seien die Anzahlen der Individuen der verschiedenen Altersklassen durch den Vektor x t D .x1 ; x2 ; : : : ; xn /Tt gegeben. Nehmen wir weiterhin an, dass die jeweiligen Überlebenswahrscheinlichkeiten s1 ; s2 ; : : : ; sn1 dafür, dass ein Individuum die nächsthöhere Altersklasse erreicht, bekannt sind. Zudem seien f1 ; f2 ; : : : ; fn die Geburtenraten der verschiedenen Altersklassen. Dabei gibt der Wert fk an, wie viele Nachkommen ein Individuum der Altersklasse k hervorbringt, bis es zur nächsten Altersklasse übergeht. Die Populationsentwicklung lässt sich dann als Matrix-Vektor-Multiplikation modellieren: 1 0 f1 f2 f3 : : : fn1 fn 0 1 0 1 Bs 0 0C x1 C x1 B 1 0 0 ::: C B B x2 C 0 0 CB x2 C B 0 s2 0 : : : B C C CB DB B:C B B 0 0 s3 : : : 0 0 C@ :: C @ :: A C :A B :: :: :: : : :: C B :: : : : : : A xn t xn t C1 @ : 0 0 0 : : : sn1 0 Die dabei auftretende Matrix heißt Leslie-Matrix. Das zugrunde liegende Modell zur Beschreibung von Populationsentwicklungen wurde von Patrick Holt Leslie (1900–1972) formuliert. Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, können Sie Details in [1] nachlesen.
196
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Will man nun wissen, wie sich die Population über mehrere Zeitintervalle entwickelt, so kann man mehrfach mit der Populationsmatrix von links multiplizieren. Nach k Zeitintervallen erhält man 1k 0 f1 f2 f3 : : : fn1 fn 0 1 0 1 Bs x1 0 0C C x1 B 1 0 0 ::: C B B x2 C 0 0C B x2 C B 0 s2 0 : : : C B C C B DB B B:C :C B 0 0 s3 : : : 0 0C @ :: A C @ :: A B :: :: : : :: :: C B: : : : : : A xn t xn t Ck @ :: 0 0 0 : : : sn1 0 Dabei ist die Schreibweise Ak für eine Matrix A als A Ak D A … „ Aƒ‚ k-mal
zu verstehen. Wie im vorigen Produktionsbeispiel lohnt es sich, zunächst die Matrixmultiplikationen vorzunehmen und das Ergebnis dann auf verschiedene Populationsvektoren anzuwenden. Beispiel 2.25
Bei einer Käferpopulation sei bekannt, dass aus Eiern mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent nach einem Monat Larven werden. Mit einer Wahrscheinlichkeit von ebenfalls 50 Prozent entwickeln sich die Larven in einem Monat zu Käfern. Käfer legen 4 Eier pro Monat. Wenn wir mit einer Anfanspopulation von .20; 20; 20/T starten, so haben wir nach einem Monat die neue Population 10 1 0 1 0 20 0 0 4 80 @ 1 0 0A@20A D @10A 2 0 12 0 20 10 Wegen 0 0 @1
0 0
0
1 2
2
10 0 4 0A@ 12 0 0
0 0 1 2
10 4 0 0A@ 12 0 0
0 0 1 2
1 0 10 4 0 0 4 0 0A D @ 12 0 0A@ 0 1 0 0 12 0 4 0 1 1 0 0 D @0 1 0A 0 0 1
1 2 0 0 2A 0 0
stellt sich immer nach drei Monaten die Startpopulation wieder ein, denn 0 10 1 0 1 1 0 0 x x @0 1 0 A@y A D @y A 0 0 1
z
z
Diese Erkenntnis gilt unabhängig von der Startpopulation. Wir haben sie mithilfe der Matrix-Matrix-Multiplikation erlangt. J
2.4 Lineare Prozesse mit Matrizen beschreiben
197
Abb. 2.14 Lernvideo zur Matrix-Matrix-Produkt (https://doi.org/10.1007/000-be4)
Abb. 2.15 Lernvideo zu linearen Prozessen (https://doi.org/10.1007/000-be5)
Ich hoffe, Sie haben das Rechnen mit Matrizen als wertvolles Werkzeug zur Modellierung von Anwendungskontexten zu schätzen gelernt. Schauen Sie sich jetzt gerne unsere Lernvideos zur Matrix-Matrix-Multiplikation (Abb. 2.14) sowie zur Beschreibung linearer Prozesse durch Matrizen (Abb. 2.15) an!
Übungsaufgaben zu linearen Prozessen
2.11 Entscheiden Sie jeweils, ob für ! AD
3 4 7 1 1 3
BD
6 9 4 0
!
0
1 0 1 2 B4 2 2C C C DB @3 7 6A 2 2 1
die Matrixprodukte AT A
AAT
AB
BA AC T
AC
CA
CAT
existieren und berechnen Sie ggf. das Ergebnis. 2.12 Wir betrachten das Kreuzungsverhalten einer Blütenpflanze. Es sei bekannt, dass die Pflanze drei mögliche Blütenfarben rot (R), violett (V) und pink (P) besitzen kann. Untersucht man die Farbentwicklung bei der Kreuzung mit einer violett blühenden Pflanze, so ergibt sich folgendes Verhalten:
198
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
– „rot“ mit „violett“ ergibt 60 % rot, 30 % violett und 10 % pink – „violett“ mit „violett“ ergibt 20 % rot, 80 % violett und 0 % pink – „pink“ mit „violett“ ergibt 20 % rot, 50 % violett und 30 % pink In einem Versuch wird eine Startpopulation .r0 ; v0 ; p0 /T an roten, violetten und pinkfarbenen Pflanzen jeweils mit einer violetten Pflanze gekreuzt. Von jeder der Pflanzen wird ein Samenkorn ausgesät und es wächst eine neue Population .r1 ; v1 ; p1 /T . Dieses Vorgehen können wir iterieren und erhalten Populationsvektoren der Form .ri ; vi ; pi /T nach i Kreuzungen. Bearbeiten Sie nun folgende Fragestellungen: a) Bestimmen Sie eine Matrix A 2 R33 , so dass 1 0 1 0 ri C1 ri A@ vi A D @ vi C1 A pi
pi C1
gilt, d. h. wenn wir einen aktuellen Populationsvektor mit der Matrix A multiplizieren, dann erhalten wir die Blütenverteilung eine Generation später. b) Bestimmen Sie für die Startpopulation .r0 ; v0 ; p0 /T D .1000; 1000; 1000/T die Blütenverteilung nach einer, nach zwei und nach drei Kreuzungen. c) Bestimmen Sie die Matrizen A3 , A4 und A5 . Was vermuten Sie für die langfristige Entwicklung der Population? d) Gibt es eine Blütenverteilung .r0 ; v0 ; p0 /T am Anfang, für die 1 0 1 r0 r0 A@ v0 A D @ v0 A p0 p0 0
gilt, die also beim Kreuzungsprozess von Generation zu Generation unverändert bleibt? Wenn ja, bestimmen Sie eine solche Blütenverteilung.
2.5 Inverse Matrizen Man könnte meinen, dass wir jetzt alles erarbeitet haben, was wir zum Thema lineare Algebra und zum Rechnen mit Matrizen benötigen. Tatsächlich kommen wir mit ein wenig Rechenaufwand jetzt bei linearen Gleichungssystemen gut zurecht. In diesem Abschnitt wollen wir uns anschauen, wie man das Lösen von linearen Gleichungssystemen mit quadratischer Koeffizientenmatrix noch effizienter gestal-
2.5 Inverse Matrizen
199
ten kann, wenn die Lösung eindeutig ist. Wie immer motivieren wir das Ziel mit einem Beispiel: Wir wollen einen Ernährungsplan aufstellen. Zur Vereinfachung betrachten wir nur zwei Lebensmittel. Ein Apfel enthalte pro 100 Gramm 12 Milligramm Vitamin C und 6 Milligramm Magnesium. Eine Banane enthalte pro 100 Gramm 10 Milligramm Vitamin C und 30 Milligramm Magnesium. Wir schreiben die Angaben zu den Äpfeln in die erste und die Angaben zu den Bananen in die zweite Spalte einer Matrix. Die Nährstoffmatrix ist dann gegeben durch ! 12 10 M D 6 30 Die Frage danach, welche Mengen nC und nM an Vitamin C und Magnesium wir zu uns nehmen, wenn wir xA Einheiten (in 100 Gramm) Äpfel und xB Einheiten (in 100 Gramm) Bananen verzehren, ist einfach durch eine Matrix-Vektor-Multiplikation zu beantworten: ! ! ! nC 12 10 xA D nM 6 30 xB Spannender ist aber die Frage, welche Mengen der beiden Lebensmittel man verzehren muss, um einen vorgegebenen Nährstoffvektor zu realisieren. Dabei suchen wir für eine gegebene rechte Seite .nC ; nM /T die Lösung .xA ; xB /T von obigem LGS. Der Gauß-Algorithmus liefert ! ! 12 10 nC 12 10 nC ) 6 30 nM 0 25 nM 12 nC 1 1 1 Daraus folgt xB D 25 . 12 nC C nM / D 50 nC C 25 nM und 1 1 1 2 1 1 6 1 xA D nC 10 nC C nM nC nM D nC nM D 12 50 25 12 5 5 10 30
Wenn wir genau hinschauen, dann erkennen wir, dass der Ergebnisvektor auch als Matrix-Vektor-Multiplikation bestimmt werden kann: ! ! ! 1 1 xA n C 30 D 101 1 xB 50 nM 25 Das ist richtig praktisch! Warum? Nun ja, wir können jetzt für jeden beliebigen Nährstoffvektor den dazugehörigen Ernährungsplan durch eine einfache MatrixVektor-Multiplikation ausrechnen, ohne jedes Mal den Gauß-Algorithmus bemühen zu müssen. Die einmalig gewonnene Matrix hat eine interessante Eigenschaft: ! ! ! 1 1 12 10 1 0 10 30 D 1 1 50 6 30 0 1 25
200
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Diese Eigenschaft haben wir uns beim Lösen wie folgt zunutze gemacht: ! ! ! ! ! ! 1 1 12 10 xA nC 12 10 xA 30 10 D , 1 1 6 30 xB nM 50 6 30 xB 25 ! ! 1 1 n C 30 D 101 1 50 nM 25 ! ! ! ! 1 1 1 0 xA nC 30 10 , D 1 1 0 1 xB 50 nM 25 ! ! ! 1 1 x nC 30 , A D 101 1 xB 50 n M 25 Wir nehmen folgende Erkenntnis aus dem Beispiel mit: Es wäre ziemlich hilfreich, wenn wir für eine gegebene quadratische Matrix A 2 Rnn eine passende quadratische Matrix B 2 Rnn finden könnten, so dass B A D En ist, wobei En die Einheitsmatrix vom Format n n ist. Dann wäre das Lösen eines LGS mit Koeffizientenmatrix A wie folgt möglich: Ax D b , BAx D Bb , En x D Bb , x D Bb Wir brauchen den Gauß-Algorithmus bei wechselnden rechten Seiten b nicht erneut zu bemühen, was insbesondere in obigem Beispiel von Vorteil ist, wenn wir Ernährungspläne für verschiedene Patientinnen und Patienten erstellen wollen. Das Beispiel motiviert die folgende Definition: Definition 2.22 (Inverse Matrix) Eine quadratische Matrix A 2 Rnn heißt invertierbar, wenn es eine quadratische Matrix B 2 Rnn gibt, so dass B A D En D A B 2 Rnn . Wir legen dann die Bezeichnung B D A1 fest und nennen A1 die Inverse zu A. Die Inverse existiert genau dann, wenn das LGS Ax D b für beliebige rechte Seiten b 2 Rn eindeutig lösbar ist. Wir erhalten die Lösung des LGS, indem wir auf beiden Seiten der Gleichung von links mit der Inversen multiplizieren. Ax D b
,
x D A1 b
So weit, so gut. Aber wie bekommen wir nun die inverse Matrix? Für 22-Matrizen lässt sie sich einfach hinschreiben: ! a b Satz 2.8 Eine Matrix A D 2 R22 ist genau dann invertierbar, wenn c d ad bc ¤ 0. Die Inverse ist dann ! 1 d b A1 D ad bc c a
2.5 Inverse Matrizen
201
Aufgabe
Beweisen Sie Satz 2.8, indem Sie nachrechnen, dass ! ! ! 1 d b a b 1 0 D ad bc c a c d 0 1 ist. Denken Sie sich eine schöne Eselsbrücke aus, die Ihnen hilft, sich die Inverse einer 2 2-Matrix gut einzuprägen. Und noch eine kleine Beweisaufgabe für Sie: Zeigen Sie, dass ad bc ¤ 0 genau dann der Fall ist, wenn die Spalten von A linear unabhängig sind!
Beispiel 2.26
Die Inverse von
! 1 5 AD 6 2
ist A1
! ! 1 1 2 5 2 5 D D 1 2 5 6 6 1 28 6 1
Die Probe 1 2 5 28 6 1
!
! ! ! 1 28 1 5 0 1 0 D D 6 2 28 0 28 0 1
bestätigt das. Die Inverse von
! 1 5 AD 2 10
existiert nicht, denn 1 10 2 5 D 0. Es verwundert uns auch nicht, denn die Spalten der Matrix sind linear abhängig. Die Dimension des von den Spalten von A aufgespannten Untervektorraums des R2 ist nur 1. Das LGS Ax D b ist für rechte Seiten der Form ! 1 s 2 mit unendlichen vielen Lösungen lösbar und für Vektoren anderer Form gar nicht. J
202
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Wenden wir uns zum Abschluss der Frage zu, wie wir Inverse von Matrizen berechnen, die mehr als zwei Zeilen und Spalten haben. Wir suchen eine Lösung der Matrixgleichung AA1 D En Im Fall von 3 3-Matrizen sieht das Problem also wie folgt aus: 0
r A@s t
u v w
1 0 x a11 y A D @a21 a31 z
a12 a22 a32
10 a13 r a23 A@s a33 t
u v w
1 0 1 x 1 0 0 y A D @0 1 0A z 0 0 1
Nun müssen wir uns noch einmal bewusst machen, dass die erste Spalte der Ergebnismatrix .1; 0; 0/T genau das Matrix-Vektor-Produkt von A mit der ersten Spalte der Inversen .r; s; t/T ist. Das liegt einfach an der Definition der Matrix-MatrixMultiplikation. Folglich sind hier eigentlich drei lineare Gleichungssysteme mit jeweils der gleichen Koeffizientenmatrix zu lösen, nämlich: 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 r 1 u 0 x 0 A@s A D @0A A@ v A D @1A A@y A D @0A t 0 w 0 z 1 Wir können diese drei linearen Gleichungssysteme simultan lösen. Ich erläutere Ihnen den allgemeinen Fahrplan zur Berechnung der inversen Matrix direkt an einem Beispiel: 1. Schreiben Sie die Einheitsmatrix neben die Matrix A und interpretieren Sie das Ganze als Gauß-Tabelle in verkürzter Schreibweise mit mehreren rechten Seiten. 0
1 2 1 @ 1 0 3 1 6 1
1 1 0 0 0 1 0A 0 0 1
2. Führen Sie Standard-Gauß-Schritte durch, bis Nullen unterhalb der Hauptdiagonale von A stehen. 0
1 2 1 @ 1 0 3 1 6 1
1 0 1 0 0 1 0 1 0A ! @0 0 0 1 0 0 1 ! @0 0
2 1 2 4 4 2 2 1 2 4 0 10
1 1 0 0 1 1 0A 1 0 1
1 1 0 0 1 1 0A 3 2 1
2.5 Inverse Matrizen
203
3. Teilen Sie die Zeilen (die den Gleichungen entsprechen) durch die Hauptdiagonalelemente. 1 0 1 0 0 1 2 1 1 0 1 0 0 1 2 1 B 1 1 @0 2 0 C 1 1 0A ! @0 1 2 2 4 A 2 2 0 0 10 3 2 1 1 0 0 1 3 10
10
10
4. Führen Sie Standard-Gauß-Schritte durch und addieren Sie geeignete untere Zeilen zu oberen, so dass auch oberhalb der Hauptdiagonale Nullen entstehen: 0
1 2 1 B0 1 2 @ 0 0 1
1
0
1 2 3 10
1 2 2 10
1 0 1 0 B 0 C A ! @0 1 10 0 0 1 B ! @0
7 10 1 10 3 10 9 10 1 10 3 10
2 0 1 0 0 1 0 0 1 0
0 0 1
2 10
1 10 2 10 1 10 3 10 2 10 1 10
1 10 2 10 4 10 1 10 2 10
1 C A 1 C A
5. Fertig! Lesen Sie jetzt rechts die inverse Matrix A1 ab! Wir überprüfen unsere Rechnung zur Sicherheit mit einer Probe: 10 9 4 3 1 10 10 1 2 1 10 1 2 C 1 @1 0 3 AB @ 10 10 10 A 1 3 2 1 6 1 10 10 10 09 2 3 4 2 2 10 C 10 10 C 10 C 10 10 B 9 9 6 4 D @ 10 C 10 C 10 10 0
9 10
6 10
3 10
4 10
C
6 10
2 10
3 10 C 3 10 C 3 10
C
4 10 12 10 12 10
C C
1 1 10 1 C 10 A 1 10
0
1 1 0 0 D @0 1 0 A 0 0 1
Das war noch einmal eine schöne Übung zum Gauß-Algorithmus und zur Multiplikation von Matrizen. Man muss sehr aufmerksam rechnen, um keine Fehler zu machen. Deshalb lässt man solche Rechnungen, gerade bei größeren Probleminstanzen, natürlich vom Computer ausführen. Sollten Sie das Gefühl haben, dass man die Inversen gar nicht so nötig braucht, weil man ja auch einfach das LGS mit dem Gauß-Algorithmus lösen kann, dann haben Sie für kleine Probleme recht. Hat man aber sehr viele Variablen, zahlt sich die Theorie in der Rechenzeit der Algorithmen enorm aus. Eine Durchführung eines Gauß-Algorithmus benötigt deutlich mehr Rechenzeit als eine einfache Matrix-Vektor-Multiplikation. Für Sie als Studierende, die in der Prüfung alles mit der Hand rechnen müssen, möchte ich noch als Trost anführen, dass die Sache zwar ziemlich rechenlastig ist, man aber super mit einer Probe überprüfen kann, ob die Inverse stimmt oder ob die berechnete Lösung eines LGS auch wirklich eine Lösung ist. Das ist immer gut und gibt Sicherheit, vor allem in Prüfungssituationen.
204
2 Was Sie über Lineare Algebra wissen sollten
Zum Abschluss gehen wir noch kurz auf den Begriff der Determinante einer Matrix ein. Wir beschränken aus darauf, dass wir mithilfe der Determinante feststellen können, ob ein lineares Gleichungsystem mit quadratischer Koeffizientenmatrix eindeutig lösbar ist oder nicht. Auf die geometrische Bedeutung der Determinante gehen wir an dieser Stelle nicht ein. Sie können dazu mehr in [15] nachlesen. Definition 2.23 (Determinante) Die Determinante det.A/ einer Matrix A 2 R22 oder A 2 R33 ist wie folgt definiert: ! a b WD ad bc det c d und
0
a11 det@a21 a31
a12 a22 a32
1 a13 a11 a22 a33 C a12 a23 a31 C a13 a21 a32 a23 A WD a13 a22 a31 a11 a23 a32 a12 a21 a33 a33
Die Regel zur Berechnung einer Determinante einer 3 3-Matrix heißt Regel von Sarrus. In Abb. 2.16 sehen Sie eine Hilfestellung zur Regel von Sarrus. Man bildet jeweils die Summen der Produkte der Hauptdiagonalelemente und zieht jeweils die Summen der Produkte der Nebendiagonalelementen ab. Wir wissen bereits aus Satz 2.8, dass ein LGS mit einer quadratischen Koeffizientenmatrix A 2 R22 genau dann lösbar ist, wenn det.A/ ¤ 0 ist. Dort hatten wir zwar den Begriff der Determinante noch nicht verwendet, aber genau den Wert der Determinante untersucht. Allgemein gilt der folgende Satz: Satz 2.9 (Lösbarkeit eines LGS) Sei A 2 Rnn eine Matrix und b 2 Rn . Dann ist das lineare Gleichungssystem Ax D b genau dann eindeutig lösbar, wenn det.A/ ¤ 0 gilt. Wir haben hier die Determinante nur für n D 2 und n D 3 eingeführt und verweisen für den allgemeinen Fall auf [13, 15]. Wir begnügen uns mit der Erkenntnis, dass
Abb. 2.16 Visualisierung der Regel von Sarrus
2.5 Inverse Matrizen
205
Abb. 2.17 Lernvideo zu inversen Matrizen (https://doi.org/10.1007/000-be6)
es sich bei einer 3 3-Matrix lohnt, einmal schnell die Determinante auszurechnen, bevor man sich mit dem Gauß-Algorithmus an die Berechnung der inversen Matrix macht. Nur wenn die Determinante ungleich 0 ist, wird man folglich bei der Berechnung der inversen Matrix zum Ziel kommen. Wenn Sie nun das Gefühl haben, auch mit inversen Matrizen gut zurechtzukommen, dann schauen Sie sich zur Vertiefung des Gelernten gerne unser Lernvideo zu diesem Thema (Abb. 2.17) an!
Übungsaufgaben zu inversen Matrizen
2.13 Welche der folgenden Matrizen sind invertierbar? 0 1 1 2 3 a) @4 5 6A 7 8 9 1 1 2 3 b) @0 5 6A 0 0 9 0 1 1 2 3 c) @4 5 6A 7 8 1 2.14 Berechnen Sie die inverse Matrix A1 für 0 1 2 A D @1 0 2 2 0
1 3 1A 0
Nutzen Sie Ihr Ergebnis, um das lineare Gleichungsystem 0
10 1 0 1 1 2 3 x 5 @1 0 1A@y A D @ 2 A 2 2 0 z 1 zu lösen.
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
3.1 Folgen und Grenzwerte Folgen und Grenzwerte – falls dies Vokabeln sind, die in Ihrem Schulmathematikunterricht keine große Rolle gespielt haben, dann möchte ich Sie zunächst davon überzeugen, dass es sich jetzt trotzdem lohnt, diese Begriffe in den Blick zu nehmen. Ich verspreche Ihnen gleich zu Beginn, dass dies hier keine halbe AnalysisVorlesung für Mathematikstudierende wird. Wir werden ein paar Begriffe und Konzepte definieren, wo es nötig ist, mehr aber auch nicht. Trotzdem werden wir das ordentlich tun und uns nicht mit der reinen Anschauung begnügen. Los geht es! Wir starten mit einer Fragestellung, deren Antwort wir ganz am Ende unseres Analysis-Teils dieses Buches beantworten können wollen und die uns motivieren soll, uns bis dahin mit ein wenig Theorie auseinanderzusetzen. Die Höhe einer Fichte in Zentimetern in Abhängigkeit vom Alter t in Jahren werde durch die Funktion h mit h.t/ D
4000 400 1 C 9e 0;058t
beschrieben. Wir wollen folgende Fragen beantworten: Wie ist die Definitionsmenge sinnvollerweise zu wählen, welche Bildmenge ergibt sich? Wie groß kann die Fichte maximal werden? Mit welcher Geschwindigkeit wächst die Fichte im Alter von 10 Jahren? In welchem Alter erreicht die Fichte eine Höhe von 16 Metern? Wie groß ist die Wachstumsgeschwindigkeit in diesem Alter? Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6_3. Die Videos lassen sich durch Anklicken des DOI Links in der Legende einer entsprechenden Abbildung abspielen, oder indem Sie diesen Link mit der SN More Media App scannen.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 A. Kiesel, R. Krapf, Mathematik für den Studieneinstieg, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6_3
207
208
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.1 Funktion zur Modellierung des Fichtenwachstums (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Dabei ist e die Euler’sche Zahl, benannt nach dem Mathematiker Leonard Euler (1707–1783), die wir im Laufe dieses Kapitels kennenlernen werden. Sie hat einen Wert von etwa e 2;718 : : : . Zunächst wollen wir einmal schauen, ob die Funktion h überhaupt geeignet ist, das Fichtenwachstum zu modellieren. Wir stellen fest: 4000 h.0/ D 1C9e 0 400 D 0 Wenn wir schon wissen, dass für a > 1 und b > 0 Potenzen der Form abt für größer werdendes positives t immer kleiner werden, dann sehen wir auch, dass der Nenner unseres Bruches immer kleiner wird. Der Bruch wird also größer, genauso wie unsere Fichte.
Abb. 3.1 zeigt uns, dass die Funktion in der Tat ein realistisches Bild des Fichtenwachstums liefert. Anfangs wächst der Baum schnell, später langsamer, bis er sich langsam seiner Maximalhöhe nähert. Ohne das weiter zu hinterfragen, haben wir hier schon viele Formulierungen benutzt, die es nun mathematisch exakt zu klären gilt: Was bedeutet es, dass sich die Funktionswerte einer Funktion f für größer werdendes Argument x einem bestimmten Wert annähern? Oder weiter: Wie können wir ermitteln, welchem Wert sich die Funktionswerte von f annähern, wenn sich das Argument x einem vorgegebenen Wert a nähert? Wie ist eigentlich die Eulersche Zahl e definiert? Wie können wir die momentane Änderungsrate (Geschwindigkeit) einer Funktion f bestimmen? Wie können wir ermitteln, wie steil eine Funktion an einer
3.1 Folgen und Grenzwerte
209
Stelle x verläuft, welche Steigung also die Tangente an den Funktionsgraphen im Punkt .x; f .x// hat? Dabei ist die Tangente die Gerade, die den Graphen von f im Punkt .x; f .x// berührt. Wenn wir alle diese Fragen beantwortet haben, sind wir mitten in der Differentialrechnung angekommen. Vorher heißt es: Durchhalten! Folgen und Grenzwerte begleiten uns auf dem Weg dorthin! Wir benötigen insbesondere einen Grenzwertbegriff bei Folgen, der für die Definition des Grenzwertbegriffs bei Funktionen die Grundlage bilden wird. Vorkenntnisse Für die Bearbeitung dieses Kapitels sind X das Wissen zum Thema Funktionen (Abschn. 1.5) und X Kenntnisse zum Lösen von Ungleichungen (Abschn. 1.7). sehr hilfreich. Wenn Ihnen die Inhalte in diesem Abschnitt noch nicht ausreichen, können Sie in [4] noch viel mehr zum Thema Folgen und Grenzwerte erfahren. Definition 3.1 (Folge) Eine Funktion aW N ! R heißt eine (Zahlen-)Folge. Wir schreiben dabei an WD a.n/, bezeichnen auch die Bildmenge a.N/ als Folge und notieren die Folge in der Form .an /n2N D .a1 ; a2 ; a3 ; : : : /. Wir bezeichnen n als Index der Folge und an als das n-te Folgenglied von a. Beispiel 3.1
Schauen wir uns ein paar Beispielfolgen an. Intuitiv können wir bereits untersuchen, ob sich die Folgenglieder einem Wert annähern, wenn der Index n groß wird. 1 an D nC1 : .an /n2N D . 12 ; 13 ; 14 ; 15 ; : : : /. Je größer der Index n, desto kleiner wird das Folgenglied an . Die Folgenglieder nähern sich für größer werdendes n beliebig nah der 0 an. an D 5n: .an /n2N D .5; 10; 15; 20; 25; : : : /. Die Folgenglieder werden immer größer und gehen gegen unendlich. an D .1/n : .an /n2N D .1; 1; 1; 1; 1; : : : /. Die Folgenglieder springen immer zwischen 1 und 1 hin und her und nähern sich daher überhaupt keinem eindeutigen Wert an.
an D
3n2 C6nC7 5n2 C3
D
n2 .3C n6 C
7 n2 3 n2 .5C 2 / n
/
D
3C n6 C
7 n2 3 5C 2 n
n!1
! 35 , denn die Folgen n6 ,
nähern sich alle der 0 an, wenn n groß wird. J
7 , 3 n2 n2
210
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Mathematiker schütteln nun so langsam mit dem Kopf. Wie kann man nur alle diese Dinge untersuchen, ohne erklärt zu haben, was ein Grenzwert ist, warum Grenzwerte von Summen von Folgen die Summe der Grenzwerte als Grenzwert haben usw. Da haben sie Recht, die Mathematiker! Da ich selbst eine Mathematikerin bin, ist es nun Zeit für die formale Definition des Grenzwerts. Achtung: Die Definition ist echt der Hammer. Sie ist ohne Zweifel schwer zu verdauen. Lesen Sie nach der Definition gerne die anschließenden Erläuterungen und gehen dann erneut zur Definition zurück. Auch unser Lernvideo (Abb. 3.2) kann gegegebenfalls helfen. Machen wir uns also auf den Weg: Definition 3.2 (Grenzwert einer Folge) Eine Zahl a 2 R heißt Grenzwert der Folge .an /n2N , falls es zu jedem > 0 einen Startindex n0 2 N gibt, so dass jan aj < für alle n n0 . Formal aufgeschrieben ist a der Grenzwert der Folge, falls gilt: 8 > 0 9n0 2 N 8n n0 W jan aj < Eine Folge, die einen Grenzwert besitzt, heißt konvergent. Andernfalls heißt sie divergent. Wir sagen, dass die Folge .an /n2N gegen a konvergiert und schreiben lim an D a n!1
n!1
oder an ! a. Ist a D 0, so sprechen wir von einer Nullfolge. Machen Sie sich zunächst bewusst, dass die Ungleichung jan aj < bedeutet, dass an 2 .a ; a C / ist. Das haben Sie im Abschn. 1.7.4 über Ungleichungen mit Beträgen gelernt. Ab einem gewissen Startindex n0 befinden sich also alle Folgenglieder in einer Umgebung vom Grenzwert a. Sie sind weniger als die vorgebene Abweichung vom Grenzwert a entfernt.
Weil das für alle Folgenglieder ab dem Startindex n0 gilt, gibt es auch keine späten Ausreißer mehr. Anschaulich bedeutet dies, dass sich die Folgenglieder beliebig nah an den Grenzwert annähern, wobei die Beliebigkeit durch die beliebig kleine Wahl von garantiert wird. Egal wie klein wir das wählen, wir finden immer einen Startindex, ab dem alle Folgenglieder in der -Umgebung des Grenzwerts liegen.
3.1 Folgen und Grenzwerte
211
Beispiel 3.2
Für an D n1 zeigen wir, dass a D 0 der Grenzwert ist. Sei dazu > 0 beliebig. Wir bestimmen den Startindex n0 , ab dem alle Folgenglieder in der -Umgebung der 0 liegen: jan 0j D
1 1
1
Wenn n0 mindestens 1 ist, dann ist die Forderung erfüllt. Wir können n0 als die erste natürliche Zahl wählen, die größer oder gleich 1 ist. Dann ist auch jan 0j < für alle n n0 . J Ein Mathematikprofessor, der mich sehr beeindruckt hat, hat es uns im Studium so erklärt: Zwei Spieler treten gegeneinander an. Der eine sagt: „Ich gebe dir ein , dann zeige Du mir mal, dass Du einen Startindex n0 findest, ab dem alle Folgenglieder nicht mehr als vom behaupteten Grenzwert a entfernt liegen.“ Der andere rechnet kurz und antwortet: „Kein Problem, mein n0 ist schon gefunden.“ Wenn der zweite dieses Spiel für jedes noch so kleine gewinnt, dann ist der Grenzwertbeweis geschafft. Machen Sie sich nun noch folgendes bewusst: Der Startindex n0 hängt im Allgemeinen von ab und sollte daher eigentlich n0 ./ heißen, um das zu veranschaulichen. Der Grenzwert einer Folge ist eindeutig, denn hätten wir zwei davon (a und a0 mit a ¤ a0 ), dann könnten wir zwei überschneidungsfreie Umgebungen um die beiden Zahlen betrachten. Dann gibt es keinen Startindex n0 , ab dem alle Folgenglieder sowohl in der einen als auch in der anderen Umgebung enthalten sind. Das wäre dann ein Widerspruch dazu, dass sowohl a als auch a0 Grenzwert der Folge ist. Man kann die Grenzwertdefinition auch so verstehen, dass für jedes noch so kleine nur endlich viele Folgenglieder außerhalb der -Umgebung .a; aC/ von a liegen. Ist eine Folge nicht konvergent, dann kann das entweder daran liegen, dass sich die Folgenglieder überhaupt keinem Wert annähern oder daran, dass sie gegen C1 oder 1 gehen, wenn der Index n groß wird. Letzteres bezeichnen wir als bestimmte Divergenz gegen C1 oder 1: Definition 3.3 (Bestimmte Divergenz) Eine Folge .an /n2N heißt bestimmt divergent, falls eine der folgenden beiden Aussagen zutrifft: Zu jedem K > 0 gibt es ein n0 2 N, so dass an > K für alle n n0 ist. Zu jedem K > 0 gibt es ein n0 2 N, so dass an < K für alle n n0 ist.
212
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Wir sagen, dass die Folge .an /n2N bestimmt gegen C1 oder 1 divergiert und schreiben lim an D 1 oder lim an D 1. n!1
n!1
Man sieht leicht ein, dass lim n D 1 und lim .n3 / D 1 ist. n!1
n!1
Ohne Beweis halten wir zum Abschluss noch folgenden wichtigen Satz fest: Satz 3.1
Seien .an /n2N und .bn /n2N zwei Folgen. Wenn lim an D a und n!1
lim bn D b, dann gilt auch
n!1
lim .an C bn / D a C b n!1
lim .an bn / D a b n!1
Grenzwerte von Summenfolgen sind Summen von Grenzwerten. Grenzwerte von Produktfolgen sind Produkte von Grenzwerten. Das Werkzeug für die Argumentation in Beispiel 3.1 ist damit komplett. Das war ich Ihnen schließlich noch schuldig. Schauen Sie sich jetzt gerne weitere Übungsbeispiele zu Folgen und Grenzwerten in unserem Lernvideo (Abb. 3.2) an. Viel Spaß damit!
Übungsaufgaben zu Folgen und Grenzwerten
3.1 Geben Sie jeweils eine selbstgewählte Folge an, die gegen a) 3 b) 23 c) konvergiert. 3.2 Berechnen Sie den Grenzwert der Folge .an /n2N mit an D
7n2 6n C 8 3n 1
Abb. 3.2 Lernvideo zu Folgen und Grenzwerten (https://doi.org/10.1007/000-ben)
3.2 Exponential- und Logarithmusfunktionen
213
3.2 Exponential- und Logarithmusfunktionen Von einer Pflanze sei die jährliche Wachstumsrate x bekannt. Der Wert x gibt dabei an, um welchen Anteil der aktuellen Länge die Pflanze wachsen würde, wenn nur ein Wachstumsschub pro Jahr stattfinden würde. Das entspricht natürlich nicht der Realität, so dass wir ein verbessertes Modell für das Pflanzenwachstum suchen. Das Ziel besteht darin, die Pflanzenhöhe für beliebige Zeitpunkte unter Annahme eines kontinuierlichen Wachstums zu berechnen. Wir betrachten also eine Pflanze der Länge L. Angenommen, sie realisiert ihr komplettes Wachstum pro Jahr auf einmal in einem einzigen Wachstumsschub, dann wäre die Länge nach einem Jahr .1 C x/L. Dabei ist .1 C x/L D L C xL, so dass ein Wachstum um xL stattfindet. Der Wert x D 1 bedeutet dabei, dass sich die Länge L genau verdoppelt. Würde sich das gesamte Wachstum gleichmäßig auf zwei Wachstumsschübe verteilen, dann wäre die Länge nach einem halben Jahr .1 C x2 /L und nach einem weiteren halben Jahr .1 C x2 /2 L, denn der zweite Wachstumsschub bezieht sich nun schon auf die neue Länge. Bei drei Wachstumsschüben pro Jahr ergibt sich analog eine Länge von .1 C x3 /3 L zum Jahresende. Verallgemeinern wir dieses Vorgehen auf n Wachstumsschübe, so erhalten wir den Wert .1 C xn /n L. Die dabei auftauchende Folge an D .1 C xn /n heißt Exponentialfolge. Um kontinuierliches Pflanzenwachstum zu modellieren, können wir den Grenzwert der Folge für n ! 1 untersuchen. Vorkenntnisse Sie benötigen in diesem Kapitel gute Kenntnisse X zum Thema Zahlenfolgen und zu deren Grenzwerten (Abschn. 3.1) sowie X zum Thema Potenzgesetze und Umkehrfunktionen (Abschn. 1.5). Wir starten mit ein paar abstrakten Sätzen und Definitionen, die auf den ersten Blick unspektakulär aussehen. Aber bleiben Sie wachsam. Ganz beeindruckende mathematische Resultate warten auf uns! Ich werde gleich noch weiter dazu ausholen. Satz 3.2 (Konvergenz der Exponentialfolge) Die Exponentialfolge an D .1 C x n / konvergiert für alle x 2 R. n Definition 3.4 (Exponentialfunktion und Euler’sche Zahl) Die Exponentialfunktion ist expW R ! R mit exp.x/ WD lim .1 C xn /n . n!1
Der Wert e WD exp.1/ wird Euler’sche Zahl e genannt. Jetzt wollen wir die Funktion exp näher kennenlernen. Wir stellen zunächst einmal fest, dass exp.0/ D 1 ist. Der Graph von exp schneidet also die y-Achse an der Stelle y D 1. Man kann sich weiterhin überlegen, dass die Funktion streng mono-
214
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
ton wachsend und damit injektiv ist. Wie wir gelernt haben, ist sie dann auf ihrer Bildmenge umkehrbar. So weit so gut. Aber jetzt kommt es! Man kann zeigen, dass e x D exp.x/ gilt! Wow, das ist erstaunlich! Wir definieren eine Funktion umständlich als Grenzwert einer Folge und erhalten eine Funktion von der Form f .x/ D ax , nur eben für einen ganz speziellen Wert von a. Dabei ist ax wieder die x-te Potenz der Zahl a > 0. Die formale Definition der Exponentialfunktion zur Basis a folgt gleich in Definition 3.6. Für den Moment arbeiten wir mit unserem Verständnis von Potenzen aus Definition 1.23.
Aufgabe
Erinnern Sie sich jetzt bitte an ihr Wissen über Potenzen. Es ist sehr hilfreich, wenn Sie Folgendes wissen: an D „ a a ƒ‚ ::: … a an D
nmal 1 an
p p p a q D q ap D . q a/p a0 D 1 Es gelten die Potenzgesetze:
(i) (ii) (iii)
am an D amCn am D amn an .am /n D amn
Die Gesetze gelten dann natürlich auch für die Exponentialfunktion zur Basis e. Wir halten die Eigenschaften der Funktion in folgendem Satz fest: Satz 3.3 (Eigenschaften der Exponentialfunktion) Für die Exponentialfunktion exp mit exp.x/ D e x gilt:
e x e y D e xCy für alle x; y 2 R e x D e1x für alle x 2 R e x > 0 für alle x 2 R und e x > 1 für alle x > 0 Die Bildmenge von exp ist exp.R/ D .0; 1/.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich Sie erst nur gebeten p habe, sich daran zu erinnern, was a q mit rationalem Exponenten ist, dann aber e x auch für irrationale Zahlen verwendet habe. Für diese Verallgemeinerung sind wieder Zahlenfolgen in der Mathematik sehr hilfreich. Ich gehe auf die Einzelheiten
3.2 Exponential- und Logarithmusfunktionen
215
Abb. 3.3 Die Exponentialfunktion f mit f .x/ D e x (blau) sowie deren Umkehrfunktion, die natürliche Logarithmusfunktion f 1 mit f 1 .x/ D ln.x/ (rot) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
an dieser Stelle nicht ein und empfehle die Lektüre von [4], wenn Sie mehr dazu wissen möchten. Behalten Sie also bitte im Hinterkopf, dass wir die Theorie hier nicht vollständig ausgeführt haben. Es gibt noch eine zweite Sache, die wir hier nicht im Detail erläutern wollen. Wir haben uns gerade überlegt, dass e x wächst, wenn x groß wird. Man kann zeigen, dass die Exponentialfunktion sogar schneller wächst als jedes Polynom. Es ist nun an der Zeit, den Graphen der Exponentialfunktion zu zeichnen. Wir zeichnen auch ihre Umkehrfunktionen gleich mit ein (Abb. 3.3). Wir lernen sie gleich näher kennen. Sie sollten jetzt schon gut mit Umkehrfunktionen umgehen können. Blättern Sie notfalls nochmal zurück zum Abschn. 1.5.7. Wenn Sie das dort Gelernte parat haben, sollten Sie mit den folgenden Aussagen gut zurechtkommen. Doch zuerst einmal müssen wir unserer neuen Funktion einen Namen geben: Definition 3.5 (Natürliche Logarithmusfunktion) Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion ist die natürliche Logarithmusfunktion ln WD exp1 mit lnW .0; 1/ ! R und
y D ln.x/
,
ey D x
216
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Satz 3.4 (Eigenschaften der natürlichen Logarithmusfunktion) Für die natürliche Logarithmusfunktion ln gilt:
Der Definitionsbereich ist .0; 1/, die Bildmenge ist R. ln.1/ D 0 und ln.e/ D 1 ln ist streng monoton wachsend. ln.e x / D x für alle x 2 R und e ln.x/ D x für alle x 2 .0; 1/ ln.x/ > 0 für alle x > 1 und ln.x/ < 0 für alle 0 < x < 1
Beim Rechnen mit Logarithmen gelten die Logarithmengesetze. Sie folgen direkt aus den oben formulierten Potenzgesetzen. Wir gönnen uns dabei auch einen Beweis für eines der Gesetze. Satz 3.5 (Logarithmengesetze) Es gelten die Logarithmengesetze: (i) (ii) (iii)
ln.u v/ D ln.u/ C ln.v/ u D ln.u/ ln.v/ ln v ln.uv / D v ln.u/
Beweis Wir beweisen nur (i). Seien dafür u; v 2 .0; 1/ beliebig gewählt. Wir setzen m D ln.u/ und n D ln.v/. Aus der Definition des Logarithmus folgt u D e m und v D e n . Es gilt das erste Potenzgesetz: e m e n D e mCn Wir logarithmieren auf beiden Seiten der Gleichung und erhalten ln.e m e n / D ln.e mCn / D m C n Nun setzen wir noch die Definitionen von m und n ein und dann steht das Logarithmengesetz schon da: ln.u v/ D ln.u/ C ln.v/
Aufgabe
Versuchen Sie, selbständig auch die beiden anderen Logarithmengesetze (ii) und (iii) zu beweisen. Verwenden Sie dafür die anderen Potenzgesetze. Sie können sich an obigem Beweis orientieren.
Bevor wir das Rechnen mit Exponential- und Logarithmusfunktionen ausführlich üben, gehen wir noch einen Schritt weiter. Zwar haben Sie vielleicht schon eine
3.2 Exponential- und Logarithmusfunktionen
217
x gute Vorstellung davon, was Funktionen f der Form f .x/ D 2x oder f .x/ D 13 sind. Ich habe ja eben auch schon auf diese Kenntnisse aufgebaut, als Sie sich die Potenzgesetze in Erinnerung gerufen haben. Aber formal haben wir diese Funktionen bisher mindestens für irrationale Exponenten nicht definiert. Das holen wir jetzt nach: Definition 3.6 (Allgemeine Exponentialfunktion zur Basis a) Für a 2 .0; 1/ ist die Exponentialfunktion zur Basis a expa W R ! .0; 1/ mit expa .x/ D exp.x ln.a// D e xln.a/ Und die Mathematik zeigt sich auch hier von ihrer besten Seite. Wir stellen fest, dass e xln.a/ D .e ln.a/ /x D ax ist. Damit ist expa .x/ D ax und wir haben ax nun auch für irrationale Exponenten x 2 R definiert. Offensichtlich gilt hier zudem expe .x/ D exp.x/ D e x , das passt also auch! Doch damit nicht genug: Wir schieben gleich noch die Logarithmusfunktion zur Basis a hinterher, die Umkehrfunktion der allgemeinen Exponentialfunktion: Definition 3.7 (Allgemeine Logarithmusfunktion zur Basis a) Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion zur Basis a ist die Logarithmusfunktion zur Basis a loga WD exp1 a mit loga W .0; 1/ ! R und
y D loga .x/
,
ay D x
Auch hier gilt loge D ln, das ist ja schon einmal gut. Dennoch: An dieser Stelle fragen Sie sich vielleicht, warum die Mathematiker es sich immer so kompliziert machen müssen, wenn es auch einfach geht. Sie wissen, dass 23 D 2 2 2 D 8 ist und jetzt sollen Sie 23 sowie den Logarithmus zur Basis 2 definieren, indem Sie dafür die Exponentialfunktion zur Basis e und die natürliche Logarithmusfunktion verwenden? Die Antwort ist: Ja, denn es lohnt sich. Die obigen Definitionen taugen reellen Zahlen x im jeweiligen Definitionsbereich. Wegen e x ln.a/ D sofort für alle ln.a/ x x e D a wird unsere Definition von Potenzen (siehe Definition 1.23) wird hier auf ganz R erweitert. Das passt alles ziemlich gut zusammen! Zudem können wir nun spielend Logarithmen zu beliebigen Basen berechnen, denn es gilt: loga .x/ D
ln.x/ ln.a/
Wenn Sie also keine Taste für den Logarithmus zur Basis a auf dem Taschenrechner haben, dann können Sie den Wert des Logarithmus als Quotient zweier Werte des
218
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
x Abb. 3.4 Die Exponentialfunktionen 2x und 12 (blau) sowie deren Umkehrfunktionen log2 .x/ und log 1 .x/ (rot) (Abbildung erstellt mit GeoGebra) 2
natürlichen Logarithmus berechnen. Den findet man auf so ziemlich jedem guten Taschenrechner. Beweis gefällig? Gerne: loga .x/ D
ln.x/ ln.x/ ln.x/ , a ln.a/ D x , e ln.a/ ln.a/ D x , e ln.x/ D x , x D x ln.a/
Alle Logarithmengesetze übertragen sich von den Logarithmengesetzen der natürlichen Logarithmusfunktion: (i) (ii) (iii)
loga .u v/ D loga .u/ C loga .v/ u loga D loga .u/ loga .v/ v v loga .u / D v loga .u/
Um sich mit den neuen Funktionen vertraut machen zu können, sehen sie zwei von Ihnen zusammen mit ihren Umkehrfunktionen in Abb. 3.4.
Aufgabe
Untersuchen Sie die Exponential- und Logarithmusfunktionen der Form ax und loga .x/ auf Monotonie. Unterscheiden Sie dabei jeweils die beiden Fälle
3.2 Exponential- und Logarithmusfunktionen
219
0 < a < 1 und a > 1. Zeichnen Sie die Funktionen jeweils für verschiedene Werte von a in ein Koordinatensystem. x Welche xSymmetrie erkennen Sie bei den beiden Funktionsgraphen von a und a1 ?
Mir ist bewusst, dass die ganzen Logarithmengesetze schon eine Herausforderung darstellen, wenn man sie jederzeit parat haben soll. Man kann sie sich natürlich jederzeit aus den Potenzgesetzen herleiten, aber dafür ist vielleicht nicht immer Zeit. Wenn in der Klausur ein Zettel mit Formeln erlaubt ist, dann notieren Sie gerne die Logarithmengesetze dort! Dann sind Sie auf der sicheren Seite. Zum Abschluss notiere ich Ihnen noch meine eigene Merkregel zur Definition des Logarithmus: y D loga .x/ , ay D x bedeutet, dass der Logarithmus zur Basis a von x die Antwort auf die Frage „a hoch was ist eigentlich x?“ ist. Vielleicht hilft diese Frage ja auch Ihnen!
I
Jetzt wird geübt, wie versprochen: Beispiel 3.3
Es gilt log10 .10:000/ D 4, denn 104 D 10:000. Es gilt log4 .64/ D 3, denn 43 D 64. x x Es gilt loga .ax / D x, 9x denn a Da . 9x Die Gleichung log3 4x3 D 2 ist äquivalent zu 32 D 4x3 , also für x ¤ 34 auch zur Gleichung 9.4x 3/ D 9x , 27x D 27. Die einzige Lösung ist x D 1. 1 Die Gleichung 2 log27 .x/ D 23 ist äquivalent zu log27 .x/ D 13 , 27 3 D x. p 1 3 Wegen 27 3 D 27 folgt x D 3. J
Beispiel 3.4
Der Zerfall radioaktiven Materials lässt sich mithilfe von Exponentialfunktionen beschreiben. Dabei ist
die Anfangsmenge M0 ¤ 0, M.t/ die Menge zum Zeitpunkt Mt, 0 die Zerfallskonstante D ln M.1/ > 0 und t das Gesetz M.t/ D M0 e .
M0 Machen Sie sich bewusst, dass tatsächlich größer als 0 ist, da M.1/ > 1 und die Logarithmusfunktion für Argumente größer 1 positiv ist. Machen Sie sich außerdem bewusst, dass M.t/ dann tatsächlich monoton fallend ist, denn
220
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
ist negativ. Wir fragen uns nun, wie groß die Halbwertszeit tH des radioaktiven Zerfalls ist. Das ist die Zeit, nach der nur die Hälfte des Ausgangsmaterials vorhanden ist. Unsere Rechnung ergibt: M.tH / D
1 1 M0 , M0 e tH D M0 2 2 1 tH ,e D 2 1 , tH D ln D ln.1/ ln.2/ D ln.2/ 2 ln.2/ , tH D
Die gesuchte Halbwertszeit beträgt damit tH D
ln
ln.2/ . J M0 M.1/
Wie in Abschn. 1.6 versprochen, komplettieren wir an dieser Stelle noch das Thema Gleichungen, indem wir hier auch noch ein paar Gleichungen mit Exponentialfunktionen lösen. Beispiel 3.5
a) Sei die Gleichung 32xC1 D 27 gegeben. Wir erkennen, dass 27 D 33 ist. Wegen der Injektivität von Exponentialfunktionen (welche aus der strengen Monotonie folgt) kann 32xC1 D 33 nur gelten, wenn 2x C 1 D 3 ist. Daraus folgt x D 1. Es gibt genau eine Lösung. Wir haben zum Lösen keinen Logarithmus benötigt. Hätten wir auf beiden Seiten der Gleichung den Logarithmus zur Basis 3 angewendet, dann hätten wir Folgendes erhalten: log3 .32xC1 / D log3 .33 / , .2x C 1/ log3 .3/ D 3 , 2x C 1 D 3 , xD1 So geht es auch, aber unser erster Weg war effizienter. b) Wir betrachten die Gleichung 5 3x C 3xC3 D 288 Wir haben es auf der linken Seite der Gleichung mit einer Summe von Exponentialfunktionen zu tun, wobei die Basen gleich sind. Man geht in solchen Fällen immer so vor, dass man geeignet Faktoren abspaltet, um gleiche Exponenten zu erhalten: 5 3x C 33 3x D 288 , .5 C 27/ 3x D 288 , 32 3x D 288 , 3x D 9 , x D 2
3.2 Exponential- und Logarithmusfunktionen
221
Auch hier gibt es genau eine Lösung. Machen Sie sich bewusst, dass log3 .9/ D 2 die Lösung ist. Wir mussten den Logarithmus aber gar nicht bemühen, da wir die Lösung sofort gesehen haben. c) Als nächtes schauen wir uns eine Gleichung an, in der Exponentialfunktionen mit verschiedenen Basen vorkommen: 5x1 D 3xC1 Jetzt brauchen wir den Logarithmus. Es spielt dabei keine Rolle, für welche Basis wir uns entscheiden. Nehmen wir einfach mal den natürlichen Logarithmus zur Basis e: ln.5xC1 / D ln.3xC1 / , .x C 1/ ln.5/ D .x 1/ ln.3/ , ln.5/ C ln.3/ D x.ln.3/ ln.5// ln.5/ C ln.3/ ln.15/ 5;3 ,xD D ln.3/ ln.5/ ln. 35 / Hierbei haben wir die Logarithmengesetze aus Satz 3.5 angewendet und ganz am Ende den Taschenrechner befragt. Auch diese Gleichung hat genau eine Lösung. d) Wir legen 12.000 Euro zum Jahreszinssatz von 1,2 Prozent an. Wie lange dauert es, bis unser Kapital 13.000 Euro beträgt? Legen wir allgemein ein Startkapital K zum jährlichen Zinssatz p in Prozent an, so haben wir nach x Jahren ein Kapital von Kx D K .1 C
p x / 100
In unserem Beispiel erhalten wir die folgende Gleichung: 13 1;2 x , D 1;012x 13:000 D 12:000 1 C 100 12 13 ln. 13 / 12 D , x D log1;012 6;7 12 ln.1;012/ Es dauert etwa 6,7 Jahre, bis sich das Kapital auf 13.000 Euro erhöht hat. J Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch Folgendes mitgeben: Das Arbeiten mit Potenzen und Logarithmen erfordert Übung. Sie müssen ein wenig Zeit und Mühe investieren. Aber es lohnt sich! Zahlreiche Anwendungskontexte bringen uns mit diesen Themen in Berührung, und wer alle Rechengesetze gut beherrscht, hat dann leichtes Spiel. Viel Erfolg dabei! Weiteres Material zum Thema Exponential- und Logarithmusfunktionen finden Sie in [10, 15]. Schauen Sie sich jetzt gerne unsere Lernvideos zu den Exponential- und Logarithmusfunktionen (Abb. 3.5, 3.6) an. Sie veranschaulichen das Gelernte!
222
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.5 Lernvideo zum exponentiellen Wachstum (https://doi.org/10.1007/000-be8)
Abb. 3.6 Lernvideo zu Exponentialgleichungen (https://doi.org/10.1007/000-be9)
Übungsaufgaben zu Exponential- und Logarithmusfunktionen
3.3 Vereinfachen Sie folgende Terme unter Verwendung der Potenzgesetze: 2xCy 3xC2y 56x4 a) 22x2y 35y 538x2y 3 4 5
2 2 2
b) aa5 bb2cc 1 W aa3bcbc7 3.4 Lösen Sie folgende Gleichung: log2 .x C 3/ C log2 .x 3/ D 4 Achten Sie auf Scheinlösungen! 3.5 Eine Braunalge verdoppelt jede Woche ihre Höhe. Zu Beginn der Beobachtung ist sie einen Meter hoch. Das Wasser ist an dieser Stelle 32 Meter tief. Wie viele Wochen dauert es, bis die Braunalge an die Wasseroberfläche gelangt? 3.6 In einem Labor werden Bakterien beobachtet, die sich durch Zellteilung exponentiell vermehren, d. h. die Bakterienanzahl kann durch die Funktion f .t/ D f .0/ 2t beschrieben werden, wobei t die Zeit in Tagen, f .0/ die Anfangsmenge und die Vermehrungsrate ist. Zu Beginn des Experimentes sind 100 Bakterien vorhanden. Nach zwei Tagen sind es 800 Bakterien. Wie groß ist die Vermehrungsrate ?
3.3 Stetigkeit
223
3.3 Stetigkeit Parken Sie manchmal ein Auto auf einem Parkplatz, wo eine Parkscheibe verlangt wird? Und haben Sie sich schon einmal damit auseinandergesetzt, wie lange Sie dort eigentlich stehen dürfen, wenn die erlaubte Parkzeit 2 Stunden beträgt, man aber bei der Ankunft die Uhr auf die nächste halbe Stunde stellen darf? Kommen Sie beispielsweise um 8:01 dort an, dann dürfen Sie nach dieser Regel genau 2 Stunden und 29 Minuten parken. Bei Ankunft exakt um 8:30 dagegen stehen nur 2 Stunden Parkzeit zur Verfügung. Offensichtlich schnellt die erlaubte Parkzeit immer kurz nach der halben Stunde deutlich nach oben. Fassen wir die Überlegungen in einem Funktionsgraphen zusammen, in welchem wir die erlaubte Parkzeit in Abhängigkeit von der Zeit notieren, dann erhalten wir den linken Funktionsgraphen in Abb. 3.7. Wichtig: Zur vollen halben Stunde nimmt die Funktion immer den unteren Wert von 2 an und nicht den Wert von 2,5. Das wird in der Abbildung durch die Punkte verdeutlicht. Der rechte Funktionsgraph in Abb. 3.7 zeigt eine weitere Funktion mit mehreren Sprüngen. Schaut man immer zur vollen Stunde, wie viele Fahrzeuge auf dem Parkplatz stehen und trägt das in ein Koordinatensystem ein, so erhalten wir eine abschnittsweise konstante Funktion mit Sprüngen. Auch hier muss man sich jeweils entscheiden, welcher der beiden Werte an der Sprungstelle angenommen werden soll. Das Beispiel soll uns auf den Begriff der Stetigkeit vorbereiten, welche eine entscheidende Eigenschaft von Funktionen für die Differenzierbarkeit und Integrierbarkeit ist. Vielleicht haben Sie ja schon einmal die anschauliche Definition gehört,
a
b
Abb. 3.7 a Die erlaubte Parkzeit in Stunden in Abhängigkeit von der Zeit (in Stunden). Dabei kann x D 0 dem Zeitpunkt der Öffnung des Parkplatzes morgens entsprechen. x meint dann die seit der Öffnung vergangene Zeit in Stunden. b Ein Beispiel für die Anzahl der Fahrzeuge auf dem Parkplatz in Abhängigkeit von der Zeit. Dabei wird immer nur zur vollen Stunde gezählt (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
224
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
eine Funktion sei stetig, wenn man ihren Graphen ohne Absetzen des Stiftes durchzeichnen könne. Diese Vorstellung hilft uns auch weiter, wenn wir uns jetzt die mathematisch präzise Definition anschauen. Vorkenntnisse Ein sicherer Umgang mit Zahlenfolgen und deren Grenzwerten (Abschn. 3.1) ist auch hier unerlässlich. Zudem bauen wir erneut auf Ihr Wissen zu Funktionen auf (Abschn. 1.5). Zuerst nutzen wir den Grenzwertbegriff bei Folgen, um einen Grenzwertbegriff bei Funktionen einzuführen. Wir definieren, was es bedeutet, dass sich bei Annäherung des Argumentes x an eine Stelle a die Funktionswerte einem bestimmten Wert nähern. Definition 3.8 (Grenzwert bei Funktionen) Sei D R und f W D ! R gegeben. Sei a 2 R so gewählt, dass es eine Folge in D gibt, die gegen a konvergiert. Falls es eine Zahl c 2 R gibt, so dass für jede Folge .xn /n2N mit xn 2 D für alle n 2 N und lim xn D a der Grenzwert lim f .xn / D c n!1
n!1
ist, dann bezeichnen wir c als den Grenzwert von f an der Stelle a und schreiben: lim f .x/ D c
x!a
Anschaulich bedeutet das: Egal, wie wir uns auf der x-Achse der Stelle a nähern, egal ob wir dabei von links oder von rechts oder sonstwie auf a zukommen, die Funktionswerte nähern sich immer dem selben Wert c an. Wie bei Grenzwerten von Folgen schreiben wir lim f .x/ D 1 oder lim f .x/ D 1, wenn eine bestimmte x!a x!a Divergenz gegen C1 oder gegen 1 vorliegt. Beispiel 3.6
Es gilt lim x 2 D 4. x!2
Es gilt lim
1 2 x!2 .x2/
D 1. Wenn das x sich der 2 nähert (egal mit welcher Fol-
ge), dann wird der Nenner .x 2/2 immer kleiner, ist aber stets positiv. Der Kehrwert wächst daher ins Unendliche. 1 lim x2 existiert nicht. Wenn wir uns von rechts der 2 nähern (d. h. x > 2), x!2
1 geht dann gegen 1. ist x 2 positiv und wird immer kleiner. Der Term x2 Nähern wir uns aber von links der 2 (d. h. x < 2), ist x 2 negativ, so dass 1 gegen 1 geht. Der eindeutige Wert c aus der Definition existiert daher x2 nicht. Wir können die Definition auch auf a D 1 oder a D 1 anwenden. Es gilt lim e x D 1 und lim e x D 0. J x!1
x!1
Haben Sie gesehen, dass man die obige Definition auch anwenden kann, wenn a selbst nicht im Definitionsbereich D liegt, es aber Folgen .xn /n2N in D mit xn ! a 1 gibt? Bei lim .x2/ 2 D 1 war das der Fall. x!2
3.3 Stetigkeit
225
Der Begriff der Stetigkeit einer Funktion an einer Stelle a 2 D ist aber nur auf Elemente des Definitionsbereiches von f anwendbar. Sind Sie bereit? Definition 3.9 (Stetigkeit) Sei D R und f W D ! R gegeben. Die Funktion f heißt stetig in a 2 D, falls lim f .x/ D f .a/
x!a
ist. Die Funktion f heißt stetig, wenn f in jedem Punkt a 2 D stetig ist. Anschaulich bedeutet dies: Egal, wie wir uns der Stelle a annähern, die Funktionswerte nähern sich immer dem Funktionswert f .a/ an. Bei unserem Parkscheibenbeispiel war das nicht der Fall. Nähern wir uns dabei von rechts der halben Stunde, so nähern sich die Funktionswerte dem Wert 2,5, was aber nicht dem Funktionswert 2 zur halben Stunde entspricht. Und auch die anschauliche Vorstellung der Stetigkeit, der Graph habe keine Sprünge, ist ganz gut brauchbar. Das einfachste Beispiel einer nicht stetigen Funktion ist wohl ( 1 falls x 0 f .x/ D 1 falls x > 0 f ist nicht stetig an der Stelle x D 0. Zu unserer großen Erleichterung gelten die Aussagen des folgenden Satzes: Satz 3.6 (Stetige Funktionen) Die Funktionen f mit f .x/ D c, f .x/ D x, f .x/ D sin.x/, f .x/ D cos.x/ und f .x/ D e x sind jeweils stetig auf R. Wenn f W Df ! R und gW Dg ! R stetig in a 2 Df \ Dg sind, dann sind auch f C g und f g stetig in a. Dies gilt auch für fg , falls zusätzlich g.a/ ¤ 0 ist. Wenn f W Df ! R in a 2 Df stetig ist und gW Dg ! R in f .a/ 2 Dg stetig ist, dann ist auch g ı f in a stetig. Sei I ein Intervall und f W I ! R injektiv und stetig auf I . Dann ist f 1 stetig auf f .I /. Lassen Sie sich nicht von der Notation des Satzes verunsichern und stattdessen von der Aussage begeistern. Wenn Summen und Produkte stetiger Funktionen stetig sind, dann folgt aus der Stetigkeit der konstanten Funktion und der Stetigkeit von f .x/ D x auch die Stetigkeit aller Polynome! Das macht uns die Arbeit deutlich leichter. Müssten wir jedes Mal mühsam mit der Definition der Stetigkeit prüfend ans Werk gehen, hätten wir eine Menge zu tun. Die Rechenregeln aus Satz 3.6 erledigen das für uns. Wegen der obigen Regeln können wir hier auch gleich festhalten, dass die Logarithmusfunktion sowie die Umkehrfunktionen von sin, cos und tan stetig sind. Es folgt auch die Stetigkeit der allgemeinen Exponential- und Logarithmusfunktionen.
226
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Die auf den ersten Blick etwas umständliche Notation des Satzes stellt jeweils sicher, dass die Funktionen an den betrachteten Stellen überhaupt definiert sind. Beispielsweise ist die Summenfunktion f C g nur da definiert, wo sowohl f als auch g definiert ist, weshalb a 2 Df \ Dg liegen muss.
Aufgabe
Überlegen Sie sich auch für alle anderen Stellen, an denen in Satz 3.6 Definitionsbereiche auftreten, warum diese dort so gewählt werden müssen.
Nun fangen wir langsam an, von den hier eingeführten Konzepten zu profitieren. Los geht es mit dem Zwischenwertsatz, der uns unter anderem helfen wird, Nullstellen von Funktionen aufzuspüren. Stetige Funktionen haben nämlich allerhand sehr überzeugende Eigenschaften. Satz 3.7 (Zwischenwertsatz) Sei f W Œa; b ! R stetig. Falls f .a/ f .b/, dann gibt es für alle y 2 Œf .a/; f .b/ ein c 2 Œa; b mit y D f .c/. Falls f .a/ > f .b/, dann gibt es für alle y 2 Œf .b/; f .a/ ein c 2 Œa; b mit y D f .c/. Eine stetige Funktion f W Œa; b ! R nimmt also jeden Wert zwischen f .a/ und f .b/ im Intervall Œa; b an. Anschaulich ist das sofort klar! Stellen Sie sich einen Bergsteiger vor: Wenn er zur Zeit a auf der Höhe f .a/ und zur Zeit b auf der Höhe f .b/ unterwegs ist, dann muss der Wanderer auf seinem Weg ja auch jede Zwischenhöhe irgendwann erreicht haben. Sprünge in Nullkommanichts macht der Wanderer natürlich nicht, so dass man seine Wanderung als stetige Funktion auffassen kann. Der Zwischenwertsatz garantiert übrigens nur die Existenz, aber nicht die Eindeutigkeit von c. Der Wanderer kann ja auch mehrfach an einer Zwischenhöhe gewesen sein, wenn es auf der Wanderung auf und ab ging. Der Zwischenwertsatz und die Nichteindeutigkeit der Stelle c werden auch in Abb. 3.8 veranschaulicht. Beispiel 3.7
Der Zwischenwertsatz lässt sich leicht an Beispielfunktionen anwenden: Betrachten wir die stetige Funktion f mit f .x/ D x 2 , dann gibt es wegen f .0/ < 2 < f .5/ ein p c 2 Œ0; 5 mit f .c/ D 2. Tatsächlich ist dieses c sogar eindeutig, es gilt c D 2. Für die stetige Cosinusfunktion f mit f .x/ D cos.x/ gilt f .0/ D 1 und f .3/ D 1. Daher gibt es dazwischen eine Nullstelle. Diese ist aber nicht eindeutig. Im Intervall Œ0; 3 finden wir die Nullstellen 2 , 3 und 5 . J 2 2
3.3 Stetigkeit
227
Abb. 3.8 Für die abgebildete Funktion ist f .a/ D 5 und f .b/ D 7. Es gibt drei Stellen im Intervall Œa; b, an denen 6 2 Œ5; 7 als Funktionswert angenommen wird. Der Zwischenwertsatz garantiert die Existenz einer solchen Stelle (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Der Zwischenwertsatz liefert aber nicht nur am Beispiel wertvolle Ergebnisse, sondern lässt uns hilfreiche Sätze beweisen: Satz 3.8 Jedes Polynom ungeraden Grades hat eine Nullstelle. Beweis Polynome sind stetig. Daher lässt sich der Zwischenwertsatz anwenden. Für jedes Polynom ungeraden Grades gilt entweder lim f .x/ D 1
x!1
und
lim f .x/ D 1
x!1
oder umgekehrt lim f .x/ D 1
x!1
und
lim f .x/ D 1
x!1
Daher hat jedes Polynom ungeraden Grades an einer Stelle einen positiven Wert und an einer anderen Stelle einen negativen Wert. Dazwischen gibt es nach dem Zwischenwertsatz mindestens eine Nullstelle. Das folgende Beispiel ist eines von vielen in der Mathematik, wo man zunächst stirnrunzelnd an der Aussage zweifeln könnte. Der Zwischenwertsatz beweist uns hier das Gegenteil: Beispiel 3.8
Ein Geowissenschaftler beginnt an einem Tag um 10 Uhr eine Bergwanderung. Erschöpft kommt er 6 Stunden später auf dem Gipfel an, der 500 Meter hö-
228
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.9 Wanderung eines Geowissenschaftlers: auf der x-Achse die Zeit in Stunden nach der Startzeit 10 Uhr und auf der y-Achse die aktuelle Höhe des Wanderers in Metern oberhalb der Starthöhe (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
her liegt als der Startpunkt. Er übernachtet dort in einer Berghütte. Nach dem Frühstück am nächsten Tag beginnt er wieder um 10 Uhr den Abstieg und ist spätestens nach 6 Stunden am Ziel. Dann gibt es einen Zeitpunkt (d. h. eine Uhrzeit), zu dem sich der Wanderer an beiden Tagen auf genau derselben Höhe befand. Sei dazu t die Zeit in Stunden nach 10 Uhr. Seien h1 .t/ und h2 .t/ jeweils die erreichten Höhen (in Metern oberhalb der Starthöhe) am Tag 1 und am Tag 2 zur Zeit t. Wie bereits erwähnt ist Wandern eine stetige Sache, so dass auch die beiden Funktionen stetig sind. Dann ist auch f mit f .t/ D h1 .t/h2 .t/ stetig und es gilt f .0/ < 0 und f .6/ > 0. Nach dem Zwischenwertsatz gibt es dazwischen einen Zeitpunkt t 2 Œ0; 6 mit f .t/ D 0. Zu diesem Zeitpunkt gilt dann aber h1 .t/ D h2 .t/. Tatsächlich war er also zu dieser Zeit an beiden Tagen auf genau derselben Höhe. Die Wanderung des Geowissenschaftlers wird auch in Abb. 3.9 veranschaulicht. J
Aufgabe
Zeichnen Sie zwei analoge Bilder der Wanderung des Geowissenschaftlers. Dabei soll a) im ersten Bild der Wanderer sogar zu mehreren Zeitpunkten auf der gleichen Höhe wie am Vortag unterwegs sein. An welchem Tag auf Ihrem Bild hat der Wanderer insgesamt mehr Höhenmeter zurückgelegt?
3.3 Stetigkeit
229
b) im zweiten Bild der Wanderer auf dem Rückweg deutlich schneller am Ziel sein als auf dem Hinweg.
Zum Abschluss des Kapitels bereiten wir uns auf die Differentialrechnung vor. Dort werden wir untersuchen, wo Funktionen ihre größten oder kleinsten Funktionswerte annehmen. Der folgende Satz zeigt, dass bei stetigen Funktionen diese Stellen auf abgeschlossenen Intervallen auch wirklich existieren: Satz 3.9 (Existenz von Minimal- und Maximalstellen) Ist f W Œa; b ! R stetig, dann existieren Stellen xm ; xM 2 Œa; b, so dass f .xm / f .x/ f .xM / für alle x 2 Œa; b. Wir sprechen dann davon, dass xm die Minimalstelle und xM die Maximalstelle von f auf dem Intervall Œa; b ist. Beispiel 3.9
Wir betrachten f .x/ D x 2 cos.x/Cx.1x/ auf Œ0; 1. Offensichtlich gilt f .x/ 0 auf Œ0; 1 und f .0/ D 0. Daher ist x D 0 eine Minimalstelle. Wegen Satz 3.9 muss es auch eine Maximalstelle in Œ0; 1 geben. Wir werden später lernen, wie wir sie finden. J Wir formulieren den Satz noch einmal mit anderen Worten: Auf abgeschlossenen Intervallen gibt es bei stetigen Funktionen immer Stellen, an denen der Funktionswert am kleinsten (bzw. am größten) im betrachteten Intervall ist. Das klingt einfach, muss aber durchdacht sein. Schon dann, wenn wir die Funktion f auf einem offenen Intervall .a; b/ betrachten, geht die Eigenschaft verloren: Beispiel 3.10
Wenn wir f .x/ D x auf .0; 1/ betrachten, dann wird jeder Wert im Intervall .0; 1/ als Funktionswert angenommen, die Werte 0 und 1 selbst aber nicht. Folglich gibt es im Intervall .0; 1/ nicht die Stelle mit dem größten und auch nicht die Stelle mit dem kleinsten Funktionswert. J Wir stehen nun kurz vor dem Tor zur Differentialrechnung. Es steht uns offen. Wir haben alles vorbereitet, was wir dafür benötigen. Nehmen Sie sich nun gerne Zeit zur Wiederholung der gelernten Konzepte. Weiterführende Literatur zur Stetigkeit von Funktionen finden Sie in [4]. Auch zum Thema Stetigkeit gibt es ein Lernvideo (Abb. 3.10). Gutes Gelingen damit!
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3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.10 Lernvideo zur Stetigkeit von Funktionen (https://doi.org/10.1007/000-bea)
Übungsaufgaben zur Stetigkeit
3.7 Gegeben sei die Funktion f W R ! R mit ( f .x/ D
xC7 ax 2 C 1
falls x < 2 falls x 2
Bestimmen Sie a 2 R, so dass f in x D 2 stetig ist. 3.8 Sei f W R n f1g ! R mit f .x/ D x C
xC1 jx C 1j
gegeben. Gibt es einen Wert, den man als f .1/ festlegen kann, der f zu einer stetigen Funktion auf ganz R macht?
3.4 Differentialrechnung In diesem Kapitel wollen uns damit beschäftigen, welche Steigung Funktionen an ausgewählten Stellen haben. Es gibt dafür eine ganze Reihe von Motivationen, das zu tun. Zwei seien hier genannt: 1. Fragestellung: Geschwindigkeiten – durchschnittlich ok, aber stellenweise doch zu schnell? Betrachten wir ein Weg-Zeit-Diagramm einer Autofahrt (siehe Abb. 3.11). Unser Auto schafft 100 Kilometer in 60 Minuten. Der Anstieg der blauen Geraden ist y 100 D x 60 Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt also 100 Kilometer je Minute und das 60 entspricht 100 Kilometern pro Stunde. An den Strecken in den Abschnitten 1–4 sehen wir, dass das Fahrzeug in Abschnitt 1 langsamer unterwegs ist, in Abschnitt 4
3.4 Differentialrechnung
231
Abb. 3.11 Weg-Zeit-Diagramm einer Autofahrt: auf der x-Achse die Zeit in Minuten, auf der y-Achse die zurückgelegte Strecke in Kilometern (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
dagegen viel schneller. Die Steigungen dieser Strecken geben uns Auskunft über die Durchschnittsgeschwindigkeiten in den einzelnen Abschnitten. Interessieren wir uns nun dafür, welche Momentangeschwindigkeit das Fahrzeug hat, dann müssen wir die Durchschnittsgeschwindigkeiten in immer kleineren Abständen messen. Im Grenzwert erhalten wir die Steigung der Tangente an den Graphen (siehe grüne Tangente in Abb. 3.11). Sie entspricht der Momentangeschwindigkeit. Es wird daher unser Ziel sein, die Steigung der Tangente an einen Funktionsgraphen an einer vorgegebenen Stelle zu berechnen. 2. Fragestellung: Messungenauigkeit – Wie groß ist der Fehler? Nehmen wir an, wir möchten den Wert einer Funktion f berechnen, haben das Argument x aber in einem Experiment gemessen. Beispielsweise haben Geodäten häufig diese Situation. Sie führen Messungen in der Umgebung durch, die als Argumente in weitere Berechnungen eingehen. Wenn dabei ein Argument x nur ungefähr, aber nicht genau gemessen wurde, kann dies Auswirkungen auf den berechneten Funktionswert haben. Wir verstehen unter eine Tangente eine Gerade, die den Graphen einer Funktion an einer bestimmten Stelle berührt. Da die Tangente t an den Funktionsgraphen an einer Stelle x die Funktion lokal gut approximiert (siehe Abb. 3.12), können wir sie zur Fehlerabschätzung heranziehen. In der Abbildung zeigt die schwarze Strecke den Fehler, den wir machen, wenn wir die Tangente als Approximation verwenden. Für unser Anwendungsbeispiel ist nun t.4/ f .3/ eine gute Schätzung für den Fehler bei der Funktionsauswertung, wenn wir statt x D 3 durch Messfehler x D 4 gemessen haben. Natürlich sind in Anwendungen viel kleinere Messfehler relevant. Machen Sie sich bewusst, dass Messfehler zu großen Änderungen im Funktionswert
232
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.12 Funktion und Tangente: Lokal liefert die Tangente eine gute Annäherung an den Verlauf der Funktion (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
führen, wenn f sehr steil verläuft, und nur zu kleineren Änderungen im Funktionswert, wenn f flach verläuft. Daher ist die Untersuchung der Steigung von f an einer Stelle x im Definitionsbereich unser Ziel. Vorkenntnisse Wir bauen wieder auf folgende Kenntnisse auf: X Wissen zum Thema Zahlenfolgen und zu deren Grenzwerten (Abschn. 3.1), X Wissen zur Stetigkeit von Funktionen (Abschn. 3.3) und natürlich erneut X Wissen zum Thema Funktionen (Abschn. 1.5). Weiterführendes Material zur Differentialrechnung finden Sie auch in [2, 8, 10, 14, 15].
3.4.1 Definition und Rechenregeln für das Differenzieren Das Ziel ist klar, der Weg ist in obigem Beispiel auch schon angeklungen. Wir interessieren uns für die Steigung einer Funktion f , also für den Anstieg der Tangente an den Funktionsgraphen an einer Stelle x0 . Die Sekante durch zwei Punkte der Form .x0 ; f .x0 // und .x0 C h; f .x0 C h// stellt eine Näherung für die Tangente
3.4 Differentialrechnung
233
Abb. 3.13 Von der Sekantensteigung zur Tangentensteigung: Wenn wir uns mit dem Wert x0 C h dem Wert x0 nähern, wird die Sekante zur Tangente. Dabei lassen wir h ! 0 gehen (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
dar. Ihre Steigung mD
f .x0 C h/ f .x0 / f .x0 C h/ f .x0 / D .x0 C h/ x0 h
entspricht der Durchschnittssteigung von f im Intervall Œx0 ; x0 C h und ist eine Näherung für die Steigung der Tangente. Lassen wir nun h ! 0 gehen, so rückt der Punkt .x0 C h; f .x0 C h// immer näher an .x0 ; f .x0 // heran. Im Grenzübergang wird die Sekante zur Tangente (siehe Abb. 3.13). Die Steigung der Tangente ergibt sich demnach aus dem Grenzwert für die Steigung der Sekante und sie hat den Wert f .x0 C h/ f .x0 / h!0 h lim
Das Durchhalten hat sich gelohnt. Die Auseinandersetzung mit Grenzwerten zahlt sich an dieser Stelle aus. Wir nennen die berechnete Steigung die Ableitung von f an der Stelle x0 und bezeichnen sie mit f 0 .x0 /. Die Gleichung der Tangente an f an der Stelle x0 lässt sich nun wie folgt berechnen: t.x/ D m x C n D f 0 .x0 /x C n
234
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Da die Tangente durch den Punkt .x0 ; f .x0 // verläuft, können wir diesen Punkt einsetzen und erhalten f .x0 / D f 0 .x0 /x0 C n
,
n D f .x0 / f 0 .x0 /x0
Die Tangente hat also die Gleichung t.x/ D f 0 .x0 /x C f .x0 / f 0 .x0 /x0 D f 0 .x0 /.x x0 / C f .x0 / Bevor wir uns Beispielen zuwenden, halten wir die wesentliche Definition fest: Definition 3.10 (Differenzierbarkeit, 1. Ableitung) Eine Funktion f W .a; b/ ! R heißt differenzierbar in x0 2 .a; b/, falls der Grenzwert f .x0 C h/ f .x0 / h!0 h lim
existiert. Die Funktion f heißt (überall) differenzierbar, wenn sie für alle x0 2 .a; b/ differenzierbar ist. Ist f (überall) differenzierbar, dann nennen wir die Funktion f 0 W .a; b/ ! R mit f 0 .x/ D lim
h!0
f .x C h/ f .x/ h
die (erste) Ableitung von f . Bevor wir uns überlegen, wann eine Funktion nicht differenzierbar ist und welche Eigenschaften differenzierbare Funktionen haben, werden wir mithilfe der Definition ein paar Ableitungen berechnen: Beispiel 3.11
f .x/ D c: f .x C h/ f .x/ c c D lim D lim 0 D 0 h!0 h!0 h!0 h h
f 0 .x/ D lim f .x/ D x:
f .x C h/ f .x/ .x C h/ x h D lim D lim D lim 1 D 1 h!0 h!0 h!0 h h!0 h h
f 0 .x/ D lim f .x/ D x 2 :
f .x C h/ f .x/ .x C h/2 x 2 D lim h!0 h!0 h h x 2 C 2xh C h2 x 2 h.2x C h/ D lim D lim D lim .2x C h/ D 2x h!0 h!0 h!0 h h
f 0 .x/ D lim
3.4 Differentialrechnung
235
f .x/ D x 3 : f .x C h/ f .x/ .x C h/3 x 3 D lim h!0 h!0 h h x 3 C 3x 2 h C 3xh2 C h3 x 3 h.3x 2 C 3xh C h2 / D lim D lim h!0 h!0 h h D lim .3x 2 C 3xh C h2 / D 3x 2 J
f 0 .x/ D lim
h!0
Keine Sorge, Sie müssen in Zukunft nicht jedes Mal die Grenzwertdefinition der ersten Ableitung verwenden, wenn Sie eine Funktion differenzieren wollen. Das wäre ja ziemlich mühsam. Wir werden gleich, ähnlich wie bei den Grenzwerten, ein paar praktische Rechenregeln kennenlernen. Diese werden uns helfen, Ableitungen von zusammengesetzten Funktionen aus Ableitungen bekannter Funktionen auszurechnen. Obiges Beispiel legt die Vermutung nahe, dass die Ableitung von f .x/ D x n gerade f 0 .x/ D nx n1 ist. Das lässt sich in der Tat leicht beweisen. Wir halten eine Liste der wichtigsten Ableitungen von Standardfunktionen hier fest. Auch diese gehört in ihren mathematischen Werkzeugkoffer. Sie wird häufig gebraucht: f .x/
xn
ex
ln.x/
f 0 .x/
nx n1
ex
1 x
D x 1
sin.x/
cos.x/
p 1 x D x2
cos.x/
sin.x/
1 p 2 x
1
D 12 x 2
Satz 3.10 Differenzierbare Funktionen sind stetig. Stetigkeit ist also notwendig für Differenzierbarkeit. Die Umkehrung gilt nicht. Beispiel 3.12
Wir wollen ein Beispiel für eine stetige, aber nicht überall differenzierbare Funktion finden. Dafür muss sie ohne Sprünge sein, aber an mindestens einer Stelle keine eindeutige Tangente haben. Eine solche Funktion kennen Sie bereits: die Betragsfunktion f mit f .x/ D jxj. (Schauen Sie, wenn nötig, zurück ins Abschn. 1.5.) Die erste Ableitung existiert an der Stelle x D 0 nicht, denn falls h > 0, dann lim
h!0
f .0Ch/f .0/ h
D lim
jhjj0j h
D lim
falls h < 0, dann lim
f .0Ch/f .0/ h
D lim
jhjj0j h
D
h!0
h!0 h!0
h D1 h!0 h lim h D 1 h!0 h
Falls Sie das schwierig finden, dann machen Sie sich erneut bewusst, dass die erste Ableitung nur dann existiert, wenn wir immer denselben Wert erhalten, egal wie wir uns mit h gegen 0 nähern. Die Betragsfunktion macht an der Stelle x D 0 einen Knick. Es gibt daher viele Geraden, die die Funktion an dieser Stelle berühren, aber nicht schneiden. Eine eindeutige Tangente existiert nicht. J
236
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Man könnte an dieser Stelle ausführlich weitere Funktionen vorstellen, die an bestimmten Stellen nicht differenzierbar sind. Mathematisch ist das ziemlich spannend. Es gibt sogar reellwertige Funktionen, die überall stetig, aber nirgends differenzierbar sind, sogenannte Weierstraß-Funktionen. Sie sind benannt nach dem Mathematiker Karl Weierstraß (1815–1897), der solche Funktionen formulierte (vgl. [4]). Ich möchte hier aber nicht abschweifen und Ihnen stattdessen weitere Werkzeuge an die Hand geben, um Ableitungen differenzierbarer Funktionen schnell und effizient berechnen zu können. Hier kommen die versprochenen Rechenregeln ins Spiel. Sie helfen uns, Ableitungen von komplexen, zusammengesetzen Funktionen mithilfe von Ableitungen elementarer Funktionen zu berechnen. Wir geben sie nun gleich alle auf einmal an. Danach folgen Beispiele. Sind Sie startklar? Dann los! Satz 3.11 (Rechenregeln für Ableitungen) Es gelten die folgenden Ableitungsregeln: Summenregel: Seien gW .a; b/ ! R und hW .c; d / ! R in x 2 .a; b/ \ .c; d / differenzierbar, dann ist die Summe g C h der beiden Funktionen in x differenzierbar und es gilt: .g.x/ C h.x//0 D g 0 .x/ C h0 .x/ Die Ableitung einer Summe ist die Summe der Ableitungen. Faktorregel: Seien gW .a; b/ ! R in x 2 .a; b/ differenzierbar und 2 R, dann ist das Vielfache g in x differenzierbar und es gilt: .g.x//0 D g 0 .x/ Die Ableitung eines Vielfachen einer Funktion ist das Vielfache der Ableitung. Produktregel: Seien gW .a; b/ ! R und hW .c; d / ! R in x 2 .a; b/\.c; d / differenzierbar, dann ist das Produkt g h der beiden Funktionen in x differenzierbar und es gilt: .g.x/ h.x//0 D g 0 .x/ h.x/ C g.x/ h0 .x/ Die Ableitung eines Produkts ist die Summe aus der Ableitung des ersten Faktors multipliziert mit dem zweiten Faktor und dem ersten Faktor multipliziert mit der Ableitung des zweiten Faktors. Quotientenregel: Seien gW .a; b/ ! R und hW .c; d / ! R in x 2 .a; b/ \ .c; d / differenzierbar und h.x/ ¤ 0, dann ist der Quotient gh der beiden Funktionen in x differenzierbar und es gilt: g.x/ 0 h.x/
D
g 0 .x/h.x/ g.x/h0 .x/ .h.x//2
(Dazu fällt mir kein Satz ein, der die Regel in Worten besser beschreibt als die Regel selbst.)
3.4 Differentialrechnung
237
Kettenregel: Seien gW .a; b/ ! R und hW .c; d / ! R Funktionen derart, dass g..a; b// .c; d / (d. h. alle Bilder von g liegen im Definitionsbereich von h). Falls g in x 2 .a; b/ und h in g.x/ differenzierbar sind, dann ist die Hintereinanderausführung h ı g der beiden Funktionen in x differenzierbar und es gilt: .h.g.x///0 D h0 .g.x// g 0 .x/ Die Ableitung der Hintereinanderausführung zweier Funktionen ist das Produkt aus der Ableitung der äußeren Funktion (ausgewertet an der inneren Funktion) und der Ableitung der inneren Funktion. Beweis Wir beweisen hier nur die Produktregel und verwenden dafür die Definition der ersten Ableitung. Es gilt .g.x/ h.x//0 g.x C h/h.x C h/ g.x/h.x/ D lim h!0 h g.x C h/h.x C h/ g.x/h.x C h/ C g.x/h.x C h/ g.x/h.x/ D lim h!0 h .g.x C h/ g.x//h.x C h/ C g.x/.h.x C h/ h.x// D lim h!0 h .g.x C h/ g.x//h.x C h/ g.x/.h.x C h/ h.x// D lim C lim h!0 h!0 h h g.x C h/ g.x/ .h.x C h/ h.x// D lim lim h.x C h/ C lim g.x/ lim h!0 h!0 h!0 h!0 h h 0 0 D g .x/h.x/ C g.x/h .x/ Dabei haben wir eine ganze Menge Analysis und einen 0-Additions-Trick verwendet. Beim zweiten Gleichkeitszeichen haben wir nämlich geschickt eine passende 0 D g.x/h.x C h/ C g.x/h.x C h/ addiert. Danach haben wir erst verwendet, dass der Grenzwert einer Summe gleich der Summe der Grenzwerte ist (4. Gleichheitszeichen), und schließlich noch, dass der Grenzwert eines Produkts gleich dem Produkt der Grenzwerte ist (5. Gleichheitszeichen). Beides hatten wir in Satz 3.1 zumindest für Folgen festgehalten und übertragen es hier auf Grenzwerte bei Funktionen. Das war gar nicht so leicht. Aufgabe
Beweisen Sie die Quotientenregel! Nutzen Sie dafür die Darstellung g.x/ 1 D g.x/ h.x/ h.x/ und verwenden Sie die Produktregel sowie die Kettenregel.
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3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Für die Beispiele zur Anwendung der Ableitungsregeln sollten Sie nun die Ableitungen von Standardfunktionen aus unserer Tabelle parat haben! Beispiel 3.13
Sei ein beliebiges Polynom f .x/ D an x n C an1 x n1 C C a2 x 2 C a1 x C a0 gegeben. Summen- und Faktorregel liefern zusammen mit der bekannten Ableitung von x k : f 0 .x/ D nan x n1 C .n 1/an1 x n2 C C 2a2 x C a1 Damit können wir nun alle Polynome differenzieren. Wir stellen fest, dass die Ableitung eines Polynoms vom Grad n stets ein Polynom vom Grad n 1 ergibt. Wenn wir ein Polynom vom Grad n insgesamt n-mal hintereinander ableiten, dann erhalten wir ein Polynom vom Grad 0, also eine Konstante. Leiten wir sogar .nC1/-mal ab, dann erhalten wir das Nullpolynom. Moment mal! Rollen Sie jetzt mit den Augen und wollen mich daran erinnern, dass hier nun wirklich Beispiele gefragt sind? Falls ja, dann haben Sie völlig recht. Der kleine Ausflug in die Theorie der Ableitungen von Polynomen war nützlich, aber nun folgen wirklich Zahlenbeispiele für die weiteren Rechenregeln. Sei f .x/ D x 5 x22 D x 5 2x 2 . Summen- und Faktorregel liefern f 0 .x/ D 5x 4 2.2/x 3 D 5x 4 C
4 x3
p Sei f .x/ D .x 2 9/ x. Summen- und Produktregel liefern p 1 f 0 .x/ D 2x x C .x 2 9/ p 2 x Sei f .x/ D
x . x 2 C5
Summen- und Quotientenregel liefern
f 0 .x/ D Sei f .x/ D
1 .x 2 C 5/ x 2x x 2 C 5 D 2 2 2 .x C 5/ .x C 5/2
p x 2 C 64. Wir nutzen die Summen- und die Kettenregel: x 1 2x D p J f 0 .x/ D p 2 2 2 x C 64 x C 64
Beispiel 3.14
Gesucht sind jeweils die Gleichungen der Tangenten an die Funktion f mit f .x/ D x 3 C x 2 x C 1 an den Stellen x0 D 1, x0 D 0 und x0 D 1. Es gilt f 0 .x/ D 3x 2 C 2x 1. Daher folgt:
3.4 Differentialrechnung
239
Abb. 3.14 Tangenten an den Stellen x0 D 1, x0 D 0 und x0 D 1 (rot) an die Funktion f mit f .x/ D x 3 C x 2 x C 1 (blau) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
f 0 .1/ D 0 und f .1/ D 2. Für die Tangente t.x/ D 0 x C n D n folgt dann 2 D n, also t.x/ D 2. Die Tangente verläuft parallel zur x-Achse. f 0 .0/ D 1 und f .0/ D 1. Also folgt t.x/ D x C n und 1 D 0 C n D n. Also ist die Tangentengleichung t.x/ D x C 1. f 0 .1/ D 4 und f .1/ D 2. Analog berechnen wir t.x/ D 4x Cn mit 2 D 41Cn. Es gilt n D 2 und also t.x/ D 4x 2. Alle drei Tangenten an f sind in Abb. 3.14 dargestellt. Rechnen Sie gerne nach, dass die Verwendung der Tangentengleichung t.x/ D f 0 .x0 /.x x0 / C f .x0 /; die wir zum Beginn des Abschnitts nachgerechnet haben, uns hier auf die gleichen Ergebnisse führt. J Zum Abschluss der Ableitungsregeln kümmern wir uns noch um die Ableitung von Umkehrfunktionen. Satz 3.12 (Ableitung der Umkehrfunktion) Sei f W I ! R injektiv und differenzierbar in x 2 I mit f 0 .x/ ¤ 0. Dann ist f 1 differenzierbar in f .x/ DW y mit .f 1 /0 .y/ D f 01.x/ wobei x D f 1 .y/.
240
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Beispiel 3.15
Lassen Sie uns zwei Standardableitungen aus unserem Werkzeugkoffer hier nachrechnen: Für f .x/ D e x D y ist f 1 .y/ D ln.y/. Die Logarithmusfunktion ist differenzierbar auf .0; 1/ mit .f 1 /0 .y/ D y1 , denn: .f 1 /0 .y/ D
1 1 1 D x D f 0 .x/ e y
Fassen wir die Logarithmusfunktion dann wieder als Funktion vom Argument x auf, dann schreiben wir .ln.x//0 D x1 . p p Für f .x/ D x 2 D y auf .0; 1/ gilt f 1 .y/ D y und x D y. Die Wurzel1 funktion ist differenzierbar auf .0; 1/ mit .f 1 /0 .y/ D 2py , denn .f 1 /0 .y/ D
1 f
0 .x/
D
1 1 D p 2x 2 y
p Daraus folgt erneut nach Umbenennung des Arguments, dass . x/0 D gilt. J
1 p 2 x
Zum Abschluss schauen wir uns noch einen wichtigen Satz aus dem Themengebiet der Differentialrechnung an: Satz 3.13 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung) Sei f W Œa; b ! R stetig und differenzierbar auf .a; b/. Dann existiert eine Stelle c 2 .a; b/ mit f 0 .c/ D
f .b/ f .a/ ba
Die Funktion f nimmt ihre Durchschnittssteigung an mindestens einer Stelle an. Der Mittelwertsatz wird in Abb. 3.15 illustriert. Es gibt eine Stelle c, an der die Tangente an f (orange eingezeichnet) parallel zur Sekante durch .a; f .a// und .b; f .b// verläuft. Finden Sie noch eine zweite Stelle mit dieser Eigenschaft in der Abbildung? Weil die Aussage des Mittelwertsatzes ziemlich abstrakt ist, schauen wir uns gleich ein Beispiel an. Beispiel 3.16
Wir betrachten eine 50 Kilometer lange Fahrradtour, bei der die erreichte Höhe am Ziel 500 Meter oberhalb der Starthöhe liegt. Die durchschnittliche Steigung beträgt also 0;5 D 0;01 D 1 %. Sei h.x/ die aktuelle Höhe zum Streckenkilometer 50 x mit x 2 Œ0; 50. Dann sagt der Mittelwertsatz aus, dass es eine Stelle x auf der Tour gibt, an der die aktuelle Steigung h0 .x/ genau der Durchschnittssteigung entspricht. J
3.4 Differentialrechnung
241
Abb. 3.15 Veranschaulichung des Mittelwertsatzes der Differentialrechnung (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Es ist noch wichtig zu erwähnen, dass der Mittelwertsatz Grundlage für die Beweise zahlreicher Aussagen zum Thema Differentialrechnung ist. Schon deswegen darf er auch in diesem Buch nicht fehlen. Damit haben wir unseren Werkzeugkoffer so gut gefüllt, dass wir mithilfe der Differentialrechnung nun Funktionen auf ihre Eigenschaften untersuchen können. Wo nehmen Funktionen ihre minimalen/maximalen Funktionswerte an? Wo sind sie monoton wachsend oder monoton fallend? Wie sind die Funktionsgraphen gekrümmt? Alle diese Fragen werden im folgenden Abschnitt beantwortet. Und keine Sorge: Diese Themen sind Standardthemen aus der Schule. Vieles wird Ihnen bekannt vorkommen, weniges wird neu sein. Wenn Sie bis hierhin gut zurechtgekommen sind, dann sollten Sie gut vorbereitet sein! Vorab lohnt sich ein Blick in unsere Lernvideos zum Thema Differenzieren (Abb. 3.16, 3.17, 3.18). Viel Erfolg!
Abb. 3.16 Lernvideo zur Produktregel (https://doi.org/10.1007/000-beb)
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Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.17 Lernvideo zur Quotientenregel (https://doi.org/10.1007/000-bec)
Abb. 3.18 Lernvideo zur Kettenregel (https://doi.org/10.1007/000-bed)
Übungsaufgaben zum Differenzieren
3.9 Berechnen Sie die ersten Ableitungen folgender Funktionen: a) f mit f .x/ D 7x 3 5x 2 C 2 b) f mit f .x/ D .cos.x/ sin.x//2 c) f mit f .x/ D .x 2 4/e 3x8 x 2 2x C 1 d) f mit f .x/ D x3 3.10 Berechnen Sie die Gleichung der Tangente an die Funktion f W R ! R mit f .x/ D .x 2 C 1/e x an der Stelle x D 0.
3.4.2 Kurvendiskussionen In zahlreichen Anwendungskontexten interessieren wir uns dafür, den Verlauf von Funktionsgraphen gegebener Funktionen gut zu kennen. Wenn wir beispielsweise die ökonomische Fragestellung beantworten wollen, bei welcher produzierten Stückzahl wir den maximalen Gewinn erwirtschaften, dann können wir die Gewinnfunktion in Abhängigkeit von der Produktionsmenge untersuchen. In welchen Intervallen steigt die Funktion? In welchen Intervallen fällt sie? Was sind also optimale Produktionsmengen im Sinne der Gewinnmaximierung? Zur Beantwortung dieser und vieler anderer Fragestellungen untersuchen wir bei Kurvendiskussionen Funktionen und ihre Funktionsgraphen auf eine ganze Reihe
3.4 Differentialrechnung
243
von Eigenschaften. Ohne dass wir alle diese Begriffe jetzt schon ausführlich definiert haben, zählen wir sie hier schon einmal auf:
Symmetrie (siehe Definition 1.20) Stetigkeit (siehe Abschn. 3.3) Nullstellen (siehe Definition 1.18) Monotonieverhalten (siehe Definition 1.22) Differenzierbarkeit (siehe Definition 3.10) Verhalten am Rand des Definitionsbereichs Lokale Extremstellen Globale Extremstellen Krümmungsverhalten Wendestellen
Einige der in der Aufzählung stehenden Themen haben wir bereits bearbeitet. Bevor wir uns den bisher nicht thematisierten Punkten zuwenden, zeige ich Ihnen noch, wie wir das Monotonieverhalten einer Funktion mithilfe der Differentialrechnung untersuchen können. Dieses lässt sich natürlich auch durch Anwendung von Definition 1.22 analysieren, aber mit den Mitteln der Differentialrechnung haben wir neue Methoden zur Verfügung. Satz 3.14 (Monotonie) Sei f W I ! R differenzierbar. Dann gilt:
f 0 .x/ 0 f 0 .x/ 0 f 0 .x/ > 0 f 0 .x/ < 0
8x 8x 8x 8x
2I 2I 2I 2I
)f )f )f )f
monoton wachsend monoton fallend streng monoton wachsend streng monoton wachsend
Diese Resultate lassen sich leicht veranschaulichen. Machen Sie sich dazu folgendes bewusst: Wenn die Tangente an der Stelle x einen positiven Anstieg hat, dann steigt auch f in der Umgebung von x. Wenn die Tangente an der Stelle x einen negativen Anstieg hat, dann fällt auch f in der Umgebung von x. Bei strenger Monotonie sind konstante Abschnitte, in denen die erste Ableitung gleich 0 ist und die Tangenten waagerecht verlaufen, jeweils nicht erlaubt. Das Monotoniekriterium aus Satz 3.14 wird in Abb. 3.19 veranschaulicht. Zukünftig reicht für die Untersuchung des Montonieverhaltens also die Untersuchung des Vorzeichens der ersten Ableitung von f aus. Verhalten am Rand des Definitionsbereichs Hierbei interessieren wir uns dafür, wie sich die Werte eine Funktion f entwickeln, wenn wir uns mit dem Argument x dem Rand des Definitionsbereichs nähern. Beispielhaft betrachten wir hier den Fall einer Funktion f W R ! R an drei ausgewählten Funktionen. Wir erlauben uns die Verwendung einer Grenzwertschreibweise (vgl. Beispiel 3.6) der Form lim f .x/ auch für a D ˙1. Dabei verwenden wir diese x!a
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3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.19 Tangenten an die „umgedrehte Backenzahnfunktion“ f mit f .x/ D x 4 x 2 C 1 (blau) an verschiedenen Stellen. Wir sehen, dass f in den Umgebungen der Stellen 0;5 und 1 monoton wachsend ist. Dort haben die Tangenten einen positiven Anstieg. In den Umgebungen der Stellen 1 und 0,5 ist f monoton fallend. Die Tangenten haben dort einen negativen Anstieg (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Schreibweise auch dann, wenn gar kein endlicher Grenzwert existiert und deuten damit an, dass Funktionswerte beliebig groß beziehungsweise beliebig klein werden. Für f .x/ D x 2 gilt lim f .x/ D lim f .x/ D 1
x!1
x!1
Die Funktionswerte werden beliebig groß, wenn das Argument x betragsmäßig groß wird. Für f .x/ D x 3 gilt lim f .x/ D 1
x!1
und
lim f .x/ D 1
x!1
Die Funktionswerte werden beliebig groß (klein), wenn das Argument x groß (klein) wird. Für f .x/ D x1 gilt lim f .x/ D lim f .x/ D 0
x!1
x!1
Die Funktionswerte nähern sich der Null an. Zusätzlich können wir das Verhalten an der Polstelle x D 0 untersuchen. Es gilt lim f .x/ D 1 x#0
und
lim f .x/ D 1 x"0
3.4 Differentialrechnung
245
Dabei meint die erste Schreibweise x # 0, dass x positiv ist und sich von oben der Null nähert und die zweite Schreibweise x " 0, dass x negativ ist und sich von unten der Null nähert. Diese kurze Darstellung der Thematik ist zugegebenerweise nicht mathematisch rigoros. Es lohnt sich, dass Sie bei Interesse am Thema Zusatzliteratur heranziehen (vgl. [4]). Für unsere Zwecke reicht die intuitive Vorstellung des Verhaltens im Unendlichen aber aus. Wenden wir uns nun den Stellen zu, an denen f maximale oder minimale Werte annimmt. Definition 3.11 (Globale Extremstellen) Sei f W D ! R eine Funktion. Eine Stelle xm 2 D heißt eine globale Minimalstelle von f , falls f .xm / f .x/ für alle x 2 D gilt. Eine Stelle xM 2 D heißt eine globale Maximalstelle von f , falls f .xm / f .x/ für alle x 2 D gilt. Globale Minimal- und Maximalstellen heißen globale Extremstellen. Wenn x eine globale Extremstelle von f ist, dann heißt .x; f .x// globaler Extrempunkt von f . Definition 3.12 (Lokale Extremstellen) Sei f W D ! R eine Funktion. Eine Stelle xm 2 D heißt eine lokale Minimalstelle von f , wenn es ein > 0 gibt mit f .xm / f .x/ für alle x 2 .xm ; xm C / D. Eine Stelle xm 2 D heißt eine lokale Maximalstelle von f , wenn es ein > 0 gibt mit f .xm / f .x/ für alle x 2 .xm ; xm C / D. Lokale Minimal- und Maximalstellen heißen lokale Extremstellen. Wenn x eine lokale Extremstelle von f ist, dann heißt .x; f .x// lokaler Extrempunkt von f . Die Begriffe sind recht intuitiv zu verstehen. Bei den globalen Extremstellen muss der Funktionswert eben alle anderen über- oder unterbieten. Bei den lokalen Extremstellen muss eine Stelle nur in ihrer Umgebung der Gewinner sein. Eine Veranschaulichung dazu finden Sie in Abb. 3.20.
Aufgabe
Überlegen Sie, ob nach obiger Definition für f W Œ0; 5 ! R mit f .x/ D x die Stelle x D 5 eine lokale und/oder globale Maximalstelle ist.
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3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.20 Lokale und globale Extremstellen: Die x-Koordinaten der beiden rot gekennzeichneten Punkte sind globale Extremstellen von f im Intervall Œa; b. Dabei ist die globale Maximalstelle b aber keine lokale Extremstelle. Die globale Minimalstelle und die x-Koordinaten der drei blau gekennzeichneten Punkte sind lokale Extremstellen. Bei einer der lokalen Extremstellen sehen Sie exemplarisch eine Umgebung um die Stelle, in welcher der Funktionswert maximal ist (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Wir erarbeiten uns nun notwendige und hinreichende Kriterien für die Existenz lokaler Extremstellen. Alle Stellen, die das notwendige Kriterium erfüllen, sind dann Kandidaten für lokale Extremstellen. Aber nur die Stelle, die auch das hinreichende Kriterium erfüllt, ist mit Sicherheit als Extremstelle erkannt. Satz 3.15 (Notwendige Bedingung für lokale Extremstellen) Wenn f W I ! R differenzierbar und xe 2 I eine lokale Extremstelle von f ist, dann ist (notwendigerweise) f 0 .xe / D 0. Beweis Sei xe eine lokale Minimalstelle. Für kleines h gilt dann f .xe / f .xe C h/. Daraus folgt für h < 0: f .xe C h/ f .xe / 0 h
)
f .xe C h/ f .xe / 0 h!0 h lim
und analog für h > 0: f .xe C h/ f .xe / 0 h
)
lim
h!0
f .xe C h/ f .xe / 0 h
Aufgrund der Differenzierbarkeit folgt 0 f 0 .xe / 0 und daher f 0 .xe / D 0. Für lokale Maximalstellen argumentiert man analog. Hierbei haben wir einen häufig verwendeten Trick benutzt. Wenn wir a x a zeigen, dann folgt daraus x D a.
3.4 Differentialrechnung
247
Aufgabe
Machen Sie sich die Aussage von Satz 3.15 anschaulich klar. Wie verlaufen die Tangenten an f an den lokalen Extremstellen? Welchen Anstieg haben sie? Fertigen Sie eine Skizze einer Funktion mit mehreren lokalen Extremstellen und zeichnen Sie an diesen Stellen die Tangenten ein!
Beispiel 3.17
Wir vergleichen die beiden Funktionen f und g mit f .x/ D x 3 C 3x 2 C 3x C 1 und g.x/ D x 3 C 3x 2 C x C 1 Es gilt f 0 .x/ D 3x 2 C 6x C 3 und g 0 .x/ D 3x 2 C 6x C 1 Die einzige Nullstelle vonqf 0 ist x D 1. Die Nullstellen von g 0 sind x D q 1 23 und x D 1 C 32 . Wir sehen in der Abbildung, dass nur g (roter Graph) lokale Extremstellen hat. Bei f (blauer Graph) handelt es sich um einen Sattelpunkt, obwohl das notwendige Kriterium für die Existenz lokaler Extremstellen erfüllt ist.
J
248
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Satz 3.16 (Hinreichende Bedingung für lokale Extremstellen) Sei f W I ! R eine differenzierbare Funktion mit differenzierbarer Ableitung und x 2 I . Wenn f 0 .x/ D 0 und f 00 .x/ > 0, dann ist x eine lokale Minimalstelle. Wenn f 0 .x/ D 0 und f 00 .x/ < 0, dann ist x eine lokale Maximalstelle. Dabei haben wir die Notation .f 0 /0 D f 00 verwendet. Wir bezeichnen f 00 als zweite Ableitung von f . Allgemein nennen wir die Funktion, die entsteht, wenn wir f insgesamt n-mal nacheinander ableiten, die n-te Ableitung von f und bezeichnen sie mit f .n/ . In unserem obigen Beispiel gilt f 00 .x/ D 6x C 6 und g 00 .x/ D 6x C 6. Wir sehen, dass f 00 .1/ D 0 ist. Daher ist die hinreichende Bedingung q für die Existenz einer
lokalen Extremstelle nicht erfüllt. Dagegen gilt g 00 .1
2 3/
< 0, so dass hier eine q lokale Maximalstelle vorliegt. Analog stellt man fest, dass g 00 .1 C 23 / > 0 ist. Hier hat man es mit einer lokalen Minimalstelle zu tun.
Aufgabe
Machen Sie sich am Beispiel f .x/ D x 3 und der Stelle x D 0 bewusst, dass die notwendige Bedingung für die Existenz lokaler Extremstellen erfüllt sein kann, obwohl keine lokale Extremstelle vorliegt. Machen Sie sich anschließend am Beispiel f .x/ D x 4 und der Stelle x D 0 bewusst, dass eine lokale Extremstelle vorliegen kann, obwohl die hinreichende Bedingung für die Existenz lokaler Extremstellen nicht erfüllt ist. Denken Sie dabei an unser Logikkapitel zurück. Beide obigen Sätze stellen Implikationen dar. Diese sagen nichts darüber aus, was passiert, wenn die Voraussetzung jeweils nicht erfüllt ist!
Aufgabe
Wir haben Satz 3.16 nicht bewiesen, aber wir wollen uns anschaulich der Aussage nähern. Beantworten Sie sich dafür folgende Fragen: Was bedeutet f 00 .x/ > 0 beziehungsweise f 00 .x/ < 0 jeweils für die Monotonie von f 0 in der Umgebung von x? Welches Monotonieverhalten hat f 0 in der Umgebung einer lokalen Minimalstelle beziehungsweise einer lokalen Maximalstelle jeweils? Werfen Sie dazu am besten einen Blick in Abb. 3.20 und verfolgen Sie vor ihrem inneren Auge die Tangentensteigung in der Umgebung der lokalen Extremstellen! Wird sie jeweils größer oder kleiner?
3.4 Differentialrechnung
249
Bemerkung 3.1 Um globale Extremstellen zu finden, vergleicht man die Funktionswerte an allen lokalen Extremstellen mit den Werten der Funktion am Rand des zugrunde liegenden, nicht notwendigerweise offenen oder endlichen Intervalls. Bevor wir eine vollständige Kurvendiskussion am Beispiel durchführen, kümmern wir uns noch um das Krümmungsverhalten der Funktionen. Funktionsgraphen können rechts- oder linksgekrümmt verlaufen. An Stellen, wo sich dieses Verhalten ändert, liegen Wendestellen vor. Definition 3.13 (konvex, konkav, Wendestellen) Sei f W I ! R eine differenzierbare Funktion. f heißt (streng) konvex (oder linksgekrümmt), wenn f 0 (streng) monoton wächst. f heißt (streng) konkav (oder rechtsgekrümmt), wenn f 0 (streng) monoton fällt. Eine lokale Extremstelle von f 0 heißt Wendestelle von f . Wenn x eine Wendestelle von f ist, dann heißt .x; f .x// Wendepunkt von f . Die Definition wird in Abb. 3.21 veranschaulicht. Wir haben dort erneut die Funktion aus Abb. 3.20 gezeichnet. Sie hat drei Wendepunkte. Aufgabe
Machen Sie eine kleine gedankliche Autofahrt auf dem Funktionsgraphen in Abb. 3.21. Machen Sie sich dabei folgendes bewusst: Wenn man auf A zufährt, dann werden die Tangentensteigungen immer kleiner. Die erste Ableitung ist also monoton fallend. Bis zum Punkt A ist f also konkav. Sie fahren eine Rechtskurve entlang. Am kleinsten ist die Tangentensteigung am Punkt A. Dort ist die erste Wendestelle. Von A nach B steigt die Tangensteigung an, f 0 ist also monoton wachsend. Sie befinden sich in einer Linkskurve, die bei B endet. f ist zwischen A und B konvex. Danach schließen sich wieder eine Rechtskurve und anschließend eine Linkskurve an. Nehmen Sie die Erkenntnis mit, dass f an lokalen Maximalstellen von f 0 das Krümmungsverhalten von konvex nach konkav wechselt. Analog liegt bei einer lokalen Minimalstelle von f 0 ein Wechsel des Krümmungsverhaltens von konkav nach konvex vor. Wenn sich die Begriffe schwer merken lassen, dann sind die Begriffe Rechts- und Linkskurve genauso gut. Nutzen Sie einfach diese! Da Wendestellen lokale Extremstellen von f 0 sind, bekommen wir unter Verwendung von Satz 3.16 die hinreichenden Bedingungen für die Existenz von Wendestellen geschenkt:
250
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.21 Funktionsgraph mit drei Wendestellen: An den Wendepunkten A, B und C ändert f das Krümmungsverhalten (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Satz 3.17 (Hinreichende Bedingung für Wendestellen) Sei f W I ! R eine differenzierbare Funktion mit differenzierbarer Ableitung und x 2 I . Wenn f 00 .x/ D 0 und f 000 .x/ > 0, dann ist x eine Wendestelle. Das Krümmungsverhalten wechselt hier von konkav nach konvex. Wenn f 00 .x/ D 0 und f 000 .x/ < 0, dann ist x eine Wendestelle. Das Krümmungsverhalten wechselt hier von konvex nach konkav. Wir greifen die Funktion g aus Beispiel 3.17 erneut auf. Dort war g.x/ D x 3 C 3x 2 C x C 1, g 0 .x/ D 3x 2 C 6x C 1 und g 00 .x/ D 6x C 6. An der Stelle x D 1 ist offensichtlich g 00 .x/ D 0. Das ist unser Kandidat für die Wendestelle. Mit der dritten Ableitung g 000 .x/ D 6 überprüfen wir, dass g 000 .1/ D 6 > 0. Damit haben wir einen Wendepunkt, nämlich .1; 2/, von g gefunden. Werfen Sie einen Blick auf die Abbildung in Beispiel 3.17 und machen Sie sich bewusst, dass an diesem Punkt das Krümmungsverhalten von g wechselt! Nach der umfangreichen Vorarbeit erreichen wir nun endlich unser Ziel. Wir führen eine vollständige Kurvendiskussion durch. Haben Sie alle Eigenschaften, die wir untersuchen wollen, gut verstanden? Dann lassen Sie uns starten! Das Vorgehen, welches wir hier am Beispiel vorstellen, können Sie anschließend als Fahrplan für andere Funktionen verwenden und analog abarbeiten! Beispiel 3.18
Wir betrachten f W R ! R mit f .x/ D x 2 e x . Die Funktion f ist stetig und differenzierbar. Wir rechnen direkt einmal die nötigen Ableitungen aus (Pro-
3.4 Differentialrechnung
251
duktregel und Kettenregel verwenden!): f 0 .x/ D 2x e x C x 2 e x D .x 2 C 2x/ e x f 00 .x/ D .2x C 2/ e x C .x 2 C 2x/ e x D .x 2 C 4x C 2/ e x 1. Symmetrie: f .x/ D x 2 e x , also f .x/ ¤ f .x/ und f .x/ ¤ f .x/, also ist f weder gerade noch ungerade. 2. Nullstellen: Das Produkt x 2 e x wird 0, wenn einer der Faktoren gleich 0 ist. Der Term x 2 nimmt den Wert 0 nur für x D 0 an. Der Term e x ist stets positiv und nimmt daher den Wert 0 nirgends an. Die einzige Nullstelle ist also x D 0. 3. Verhalten im Unendlichen: Wegen lim x 2 D 1 und lim e x D 1, gilt auch x!1
x!1
lim x 2 e x D lim f .x/ D 1. Zudem haben wir in Abschn. 3.2 erwähnt, dass x!1 x!1 die Exponentialfunktion schneller wächst als jedes Polynom. Daraus folgt x2 D0 x!1 e x
lim f .x/ D lim x 2 e x D lim .x/2 e x D lim
x!1
x!1
x!1
Also gilt lim f .x/ D 0. x!1
4. Monotonie: Da e x > 0 für alle x 2 R gilt, ist f 0 .x/ > 0 genau dann, wenn x 2 C 2x D x.x C 2/ > 0. Wir müssen eine quadratische Ungleichung lösen. Das haben Sie in Abschn. 1.7 gelernt. Die Lösungsmenge der Ungleichung ist .1; 2/ [ .0; 1/, so dass f hier monoton wachsend ist. Analog ist f 0 .x/ < 0 im Intervall .2; 0/. Hier ist f monoton fallend. 5. Lokale Extremstellen: Wir lösen f 0 .x/ D 0: .x 2 C 2x/ e x D 0 , x 2 C 2x D x.x C 2/ D 0 , x D 0 _ x D 2 Wir überprüfen das hinreichende Kriterium mit der 2. Ableitung: f 00 .0/ D 2 e 0 D 2 > 0 und f 00 .2/ D .4 8 C 2/ e 2 D 2 e 2 < 0 An der Stelle x D 0 liegt eine lokale Minimalstelle vor, an der Stelle x D 2 eine lokale Maximalstelle. 6. Globale Extremstellen: Wegen des Randverhaltens gibt es keine globale Maximalstelle. Da f überall nichtnegativ ist, liegt an der Stelle x D 0 eine globale Minimalstelle vor. Der Funktionswert an dieser Stelle ist f .0/ D 0. Der Zwischenwertsatz für stetige Funktion liefert dann die Erkenntnis, dass die Bildmenge von f die Menge f .R/ D Œ0; 1/ ist. 7. Wendestellen: Wir lösen f 00 .x/ D 0: .x 2 C 4x C 2/ e x D 0 , x 2 C 4x C 2 D 0 p p , x D 2 2 _ x D 2 C 2 Zur Überprüfung, ob es sich wirklich um Wendestellen handelt, können wir hier auch auf die 3. Ableitung verzichten und wie folgt argumentieren. Die
252
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.22 Die Funktion f (blau) zusammen mit ihrer ersten (rot) und zweiten Ableitung (orange). Die Punkte A und B sind die lokalen Extrempunkte (an den Nullstellen von f 0 ), die Punkte V und W die Wendestellen (an den Nullstellen von f 00 ) (Abbildung erstellt mit GeoGebra) 00 Parabel x 2 C 4x p pC 2 ist nach oben0 offen. Also ist f .x/ > 0 auf .1; 2 2/ [ .2 C 2; 1/. Hier ist f streng p monoton wachsend, also f streng p konvex. Analog ist f 00 .x/ < 0 auf .2 2; 2 C 2/. Hier ist f 0 streng monoton falled, also f streng konkav. p Wir haben es also mit zwei Wendestellen zu tun. An der Stelle x p D 2 2 geht f von konvex nach konkav über, an der Stelle x D 2 C 2 dagegen von konkav nach konvex. Wenn Ihnen das nicht einfacher vorkommt, dann können Sie aber auch gerne den Weg über die 3. Ableitung gehen und Satz 3.17 nutzen. Viele Wege führen zum Ziel!
Abschließend nutzen wir die aus der Kurvendiskussion gesammelten Informationen, um den Funktionsgraphen von f zu zeichnen (siehe Abb. 3.22). J Beispiel 3.18 lässt sich analog für andere Funktionen abarbeiten. Der Ablauf einer solchen Kurvendiskussion ist immer gleich. Das heißt aber nicht, dass es einfach ist. Man muss sorgfältig Informationen über den Graphen von f zusammentragen, Ableitungen und Grenzwerte berechnen. Erst wenn mal alles zusammen hat, gelingt eine gute Skizze des Funktionsgraphen. Das Thema erfordert auf jeden Fall Übung und mehr als ein Beispiel. Daher ermuntere ich Sie an dieser Stelle sehr gerne, unser Lernvideo (Abb. 3.23) zu schauen und die Übungsaufgaben zu lösen. Haben Sie Zettel und Stift parat? Viel Erfolg!
3.4 Differentialrechnung
253
Abb. 3.23 Lernvideo zur Kurvendiskussion (https://doi.org/10.1007/000-bee)
Übungsaufgaben zu Kurvendiskussionen
3.11 Bestimmen Sie jeweils die Nullstellen, die Extremstellen, das Monotonieverhalten und die Bildmenge für folgende Funktionen: a) f W R ! R mit f .x/ D x 2 C x 6 b) f W R ! R mit f .x/ D x 3 9x 2 C 23x 15 c) f W R ! R mit f .x/ D .x 1/2 .x C 1/2 Zeichnen Sie jeweils den Funktionsgraphen. 3.12 Führen Sie jeweils eine vollständige Kurvendiskussion (inklusive Skizze des Funktionsgraphen) für folgende Funktionen durch: a) f W R ! R mit f .x/ D x 3 .x C 2/ 1 2 1 b) f W R n f0g ! R mit f .x/ D 10 x C 2x x c) f W R ! R mit f .x/ D .3x C 7/e
3.4.3 Optimierung mit Nebenbedingungen In den Anwendungen kommt es häufig vor, dass wir eine Größe optimieren wollen, die von mehreren Variablen abhängt. Dann hilft uns eine Zusatzinformation, die in Form einer Nebenbedingung gegeben ist, um unser Optimierungsproblem lösen zu können. Wir starten direkt mit einem Beispiel: Wir betrachten eine enge Tordurchfahrt, die vom Graphen der Funktion f mit f .x/ D 19 x 2 C 3 und der x-Achse begrenzt wird. Gesucht ist die maximale Rechtecksfläche, die man in das Tor einbeschreiben kann. Anschaulich ist das dann die maximale Querschnittsfläche, die ein Fahrzeug oder ein Paket haben kann, um noch durch das Tor zu passen. Natürlich wollen wir auch die Abmessungen dieser maximalen Fläche ermitteln. Das Problem wird in Abb. 3.24 veranschaulicht. Es lässt sich als Extremwertaufgabe mit einer Nebenbedingung modellieren. Dabei wollen wir gleich den Fahrplan für die Lösung einer solchen Aufgabe durcharbeiten:
254
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.24 Die Funktion f zusammen mit dem flächenoptimalen eingeschlossenen Rechteck (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
1. Zielfunktion aufstellen: Wir suchen ein Rechteck mit den Seitenlängen 2a und b. Der Flächeninhalt ist A.a; b/ D 2a b Gesucht sind a und b, so dass A.a; b/ maximal wird. Unsere Zielfunktion hängt von zwei Variablen ab. Wir haben aber spezielle Anforderungen an a und b, die wir in einer Nebenbedingung festhalten. 2. Nebenbedingung aufstellen: Es muss gelten: 1 b D f .a/ D a2 C 3 9 3. Nebenbedingung in die Zielfunktion einsetzen: So erhalten wir eine Zielfunktion von nur einer Variablen: 2 1 A.a; b/ D A.a/ D 2a a2 C 3 D a3 C 6a 9 9 4. Extremstellen berechnen: Wir bestimmen 2 A0 .a/ D a2 C 6 D 0 3
,
6D
2 2 a 3
,
9 D a2
,
a D ˙3
Aus dem Anwendungskontext heraus interessieren wir uns nur für die positive Lösung a D 3. Wegen A00 .a/ D 43 a und A00 .3/ D 4 < 0 handelt es sich um eine lokale Maximalstelle an der Stelle a D 3. 5. Wert der anderen Variable und Optimalwert berechnen: Es folgt b D f .a/ D 19 32 C 3 D 2 und A.a; b/ D 2 3 2 D 12. 6. Vergleich mit den Rändern des betrachteten Intervalls: Der kleinste Wert für a ist a D 0. Dann ist aber b D 3 und A.0; 3/ D 0.
3.4 Differentialrechnung
255
Abb. 3.25 Optimaler Weg des Ruderers (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
p Derpgrößte Wert für a ist die p Nullstelle a D 27 von f . Dann ist aber b D f . 27/ D 0 und erneut A. 27; 0/ D 0. Damit handelt es sich bei unserer lokalen Maximalstelle auch um ein globales Maximum. Das flächenoptimale Rechteck hat damit eine Grundseite der Länge 2a D 6 und eine Höhe der Länge b D 2. Der optimale Flächeninhalt ist A.3; 2/ D 12. Konnten Sie dem Beispiel folgen? Ich möchte Ihnen direkt ein zweites Beispiel vorstellen, an welchem Sie den Fahrplan erneut nachvollziehen können. Beispiel 3.19
Ein Mann befindet sich in einem Ruderboot. Er ist dabei 10 Kilometer vom nächstgelegenen Küstenpunkt K der geradlinigen Küste entfernt. Sein finales Ziel ist ein Küstenpunkt Z, der vom Punkt K genau 15 Kilometer entfernt ist. Der Ruderer kann entlang der Küste schneller rudern. Daher möchte er zunächst mit einer Geschwindigkeit von 3 Kilometern pro Stunde die Küste ansteuern, bis er an einem Küstenpunkt M zwischen K und Z ankommt und danach mit einer Geschwindigkeit von 5 Kilometern pro Stunde den restlichen Weg zwischen M und Z zurücklegen. Welchen Küstenpunkt M muss er ansteuern, um das Ziel so schnell wie möglich zu erreichen? Bei der folgenden Rechnung sind alle Streckenangaben in Kilometern, alle Zeitangaben in Stunden und alle Geschwindigkeitsangaben in Kilometern pro Stunde. Die Bearbeitung unseres Fahrplans liefert: 1. Zielfunktion aufstellen: Geschwindigkeit ist Weg geteilt durch Zeit (v D s ). Also folgt, dass die benötigte Zeit für jeden Abschnitt der Quotient aus t Weg und Geschwindigkeit ist. Die beiden Küstenabschnitte sollen dabei die Längen x und y haben (siehe Abb. 3.25). p x 2 C 102 s1 s2 y t.x; y/ D C D C v1 v2 3 5
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3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Dabei haben wir für die Berechnung des Weges s1 den Satz des Pythagoras verwendet. 2. Nebenbedingung aufstellen: Es muss gelten: y D 15 x 3. Nebenbedingung in die Zielfunktion einsetzen: So erhalten wir eine Zielfunktion von nur einer Variablen: p x 2 C 100 15 x C t.x/ D 3 5 4. Extremstellen berechnen: Wir interessieren uns im Anwendungskontext nur für nichtnegative Werte von x. Sei also x 0. Wir bestimmen unter Nutzung der Kettenregel 1 1 x x D0, p D t 0 .x/ D p 2 2 5 3 x C 100 5 3 x C 100 p 2 , 5x D 3 x C 100 , 25x 2 D 9.x 2 C 100/ , 16x 2 D 900 900 , x2 D 16 30 ,xD 4 Hier war übrigens wegen x > 0 auch das Quadrieren ausnahmsweise eine 15 Äquivalenzumformung. Wir haben die Stelle x D 30 4 D 2 D 7;5 als Kandidat für eine lokale Extremstelle gefunden. Wir lassen an dieser Stelle die Überprüfung durch die zweite Ableitung weg. Ich erkläre Ihnen gleich, warum das in Ordnung geht. 5. Wert der anderen Variable und Optimalwert berechnen: Wir erhalten y D 15 x D 15 7;5 D 7;5 und t.x; y/ D 7;5 C 7;5 D 4. 3 5 6. Vergleich mit den Rändern des betrachteten Intervalls: Wenn x D 0 gewählt wird, dann fährt der Ruderer zuerst zum Punkt K. Er braucht für den Gesamtweg die Zeit t.x; y/ D t.0; 15/ D 10 C 15 D 19 > 6 > 4. 3 5 3 Wenn x D 15 gewählt wird, dann fährt der Ruderer direkt schräg zum Ziel. Er benötigt eine Zeit von p p 152 C 102 325 0 t.x; y/ D t.15; 0/ D C D >6>4 3 5 3 Wenn der Ruderer für den kleinstmöglichen Wert von x mehr als 6 Stunden braucht und für den größtmöglichen Wert von x ebenfalls, sich dazwischen
3.4 Differentialrechnung
257
aber ein Wert x befindet, für den er nur 4 Stunden benötigt, dann kann es sich dabei nur um eine lokale (und globale) Minimalstelle handeln. Daher können wir die Überprüfung durch die zweite Ableitung hier sparen. Fazit: Der Ruderer fährt zunächst zum 7,5 Kilometer von K entfernten Küstenpunkt M und dann noch einmal 7,5 Kilometer die Küste entlang. So kommt er mit einer optimalen Zeit von 4 Stunden ans Ziel. J Geschafft! Ich hoffe, dass es Ihnen gelingt, das Vorgehen für Extremwertaufgaben auf neue Aufgabenkontexte zu übertragen. Sie haben nun den gesamten umfangreichen Themenkomplex zur Differentialrechnung bearbeitet. Wenn Sie Fragen haben oder etwas unklar geblieben ist, dann befragen Sie nun gerne andere Lernende oder Dozierende dazu. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die noch zum Verständnis fehlen. Also: nur Mut! Wie immer erwartet Sie ein Lernvideo, diesmal mit einem weiteren Beispiel zu Extremwertaufgaben (Abb. 3.26). Nutzen Sie es gerne!
Übungsaufgaben zu Extremwertaufgaben
3.13 Auf einem Bauernhof möchte der Bauer eine rechteckige Koppel für seine Pferde anlegen. Die Koppel liegt an einem Fluß und soll deshalb nur an drei Seiten eingezäunt werden. Der zur Verfügung stehende Zaun ist Z Meter lang. Wie muss der Bauer die Koppel anlegen, damit sie eine möglichst große Weidefläche hat! Wie groß ist die Weidefläche dieser Koppel in Abhängigkeit der Zaunlänge Z? Hinweis: Wenn es schwierig ist, die Aufgabe in Abhängigkeit der vorgegebenen Zaunlänge Z zu lösen, dann können Sie auch einen konkreten Wert, z. B. Z D 500 Meter, verwenden. 3.14 Wie sind Höhe und Radius einer zylindrischen Dose zu wählen, so dass der Materialverbrauch bei vorgegebenem Volumen minimal ist? Hinweis: Wenn es schwierig ist, die Aufgabe in Abhängigkeit des vorgegebenen Volumens V zu lösen, dann können Sie auch einen konkreten Wert, z. B. V D 0;5 Liter, verwenden.
Abb. 3.26 Lernvideo zu Extremwertaufgaben (https://doi.org/10.1007/000-bef)
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3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
3.4.4 Taylorentwicklung Wir schließen das Kapitel der Differentialrechnung mit einem Klassiker ab. Die Taylorentwicklung einer Funktion, benannt nach dem britischen Mathematiker Brook Taylor (1685–1731), verfolgt das Ziel, eine komplizierte Funktion in der Umgebung einer Stelle x0 durch eine Summe von Potenzfunktionen anzunähern. Ist die exakte Berechnung eines Funktionswertes zu aufwändig, kann er auf diese Weise approximiert werden. Auch unsere Taschenrechner nutzen diese Vorgehensweise, wenn sie beispielsweise trigonometrische Funktionen auswerten. Die Idee ist einfach: Für f W D ! R und einen ausgewählten Punkt x0 2 D möchten wir f in der Nähe von x0 durch ein Polynom n-ten Grades approximieren. Das so erhaltene Polynom wollen wir als Taylorpolynom n-ter Ordnung im Entwicklungspunkt x0 bezeichnen. Das Thema ist so spannend, dass es sich für Sie absolut lohnt, auch die Herleitung und den Beweis für die Konvergenz des Taylorpolynoms gegen die Originalfunktion zu verstehen. Da wir uns hier auf die Resultate und Beispiele beschränken wollen, lohnt sich ein Blick in [4]. Ausführlichere Erläuterungen und Übungsbeispiele finden Sie in [10]. Ich erlaube mir an dieser Stelle, gleich einmal das Taylorpolynom und später das dazugehörige beeindruckende Resultat hinzuschreiben. Haben Sie keine Sorge, wenn die folgende Definition erst einmal viele Fragen bei Ihnen aufwirft. Wir werden danach anhand von Beispielen das Vorgehen illustrieren. Definition 3.14 (Taylorpolynom n-ter Ordnung) Sei f W D ! R eine n-mal differenzierbare Funktion und sei x0 2 D. Dann heißt Tn f .x; x0 / WD
n X f .k/ .x0 / kD0
kŠ
.x x0 /k
das Taylorpolynom n-ter Ordnung von f im Entwicklungspunkt x0 . Dabei ist f .k/ die k-te Ableitung von f und f .0/ D f . Zudem ist kŠ die Fakultät der natürlichen Zahl k, die wie folgt definiert ist: kŠ WD 1 2 3 : : : k Sieht das für Sie kompliziert aus? Ist es auch! Aber wir gehen die Definition Schritt für Schritt an einem Beispiel durch. Es braucht ein wenig Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, die obige Definition konsequent abzuarbeiten. Halten Sie also durch!
3.4 Differentialrechnung
259
Beispiel 3.20
Wir betrachten f W R ! R mit f .x/ D sin.x/ und den Entwicklungspunkt x0 D 0. Damit ist bei uns x x0 D x. Taylorpolynom 0. Ordnung: f .0/ .x/ D f .x/ D sin.x/ und damit f .0/ .0/ D 0. Daraus folgt T0 f .x; 0/ D 0. Das ist noch nicht wirklich spannend. Taylorpolynom 1. Ordnung: f .1/ .x/ D f 0 .x/ D cos.x/ und damit f .1/ .0/ D 1. Daraus folgt T1 f .x; 0/ D 0 C 1Š1 x 1 D x. Wir haben eine lineare Funktion erhalten. Taylorpolynom 2. Ordnung: f .2/ .x/ D f 00 .x/ D sin.x/ und damit f .2/ .0/ D 0. Daraus folgt T2 f .x; 0/ D 0 C 1Š1 x 1 C 2Š0 x 2 D x. Na super, T1 f .x; 0/ D T2 f .x; 0/. Das Taylorpolynom zweiter Ordnung ist überhaupt kein Polynom zweiten Grades. Auch wenn das wenig vielversprechend aussieht, geben wir dem Verfahren eine Chance und machen weiter. Taylorpolynom 3. Ordnung: f .3/ .x/ D cos.x/ und damit f .3/ .0/ D 1. Daraus folgt T3 f .x; 0/ D T2 f .x; 0/ C 1 x 3 D x 16 x 3 . Wir haben ein Po3Š lynom dritten Grades erhalten. Taylorpolynom 4. Ordnung: f .4/ .x/ D sin.x/ und damit f .4/ .0/ D 0. Daraus folgt wie oben T4 f .x; 0/ D T3 f .x; 0/. Es kommt wieder kein neuer Summand hinzu. Wir stellen an dieser Stelle fest, dass die geraden Ableitungen von f (also die zweite, vierte, sechste, : : : Ableitung) immer gleich sin.x/ oder gleich sin.x/ sind und somit die Auswertung an der Stelle 0 immer 0 ergibt. Daher kommen die Potenzen der Form x 2 ; x 4 ; x 6 ; : : : in unserer Taylorentwicklung nicht vor. Wir untersuchen daher von nun an nur noch die ungeraden Ordnungen. Taylorpolynom 5. Ordnung: f .5/ .x/ D cos.x/ und damit f .5/ .0/ D 1. Daraus 1 folgt T5 f .x; 0/ D T4 f .x; 0/ C 5Š1 x 5 D 1 16 x 3 C 120 x5. .6/ .7/ Taylorpolynom 7. Ordnung: f .x/ D sin.x/, f .x/ D cos.x/ und da1 3 5 mit f .7/ .0/ D 1. Daraus folgt T7 f .x; 0/ D T5 f .x; 0/ C 1 7Š x D 1 6 x C 1 1 x 5 5040 x7. 120 Sehen Sie, wie es weitergeht? Ich deute hier die gesamte Taylorentwicklung der Sinusfunktion an: sin.x/ D
x x3 x5 x7 x9 C C ::: 1Š 3Š 5Š 7Š 9Š
Die Taylorpolynome vom Grad 1, 3, 5 und 7 sind in Abb. 3.27 dargestellt. Man sieht, dass sich das Taylorpolynom in der Umgebung der Stelle x0 D 0 immer besser an die Sinusfunktion anschmiegt, wenn wir den Grad des Taylorpolynoms erhöhen. Die Taylorpolynome sind also in der Nähe der Stelle 0 durchaus geeignet, um den Wert der Sinusfunktion gut abzuschätzen. Je genauer man es haben möchte, desto mehr Summanden der Taylorentwicklung muss man mitnehmen. J
260
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.27 Taylorpolynome ersten (rot), dritten (dunkelgrün), fünften (hellgrün) und siebten (orange) Grades für f W R ! R mit f .x/ D sin.x/ (blau) und Entwicklungspunkt x0 D 0 (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Aufgabe
Können Sie die Taylorentwicklung der Sinusfunktion mithilfe des Summenzeichens darstellen? Versuchen Sie nachzuvollziehen, dass das Taylorpolynom der Ordnung 2n C 1 der Sinusfunktion am Entwicklungspunkt x0 D 0 die Form T2nC1 f .x; 0/ D
n X kD0
.1/k
x 2kC1 .2k C 1/Š
hat. Setzen Sie die ersten Werte für k ein und überzeugen Sie sich, dass diese Darstellung genau die oben berechnete Entwicklung liefert. Und noch eine Herausforderung für Sie: Gehen Sie analog zum obigen Beispiel vor und berechnen Sie die Taylorentwicklung der Cosinusfunktion am Entwicklungspunkt x0 D 0. Welche Potenzen von x kommen diesmal vor, welche nicht? Wenn Sie das geschafft haben, dann schreiben Sie auch diese Entwicklung mithilfe des Summenzeichens auf! Orientieren Sie sich dabei an der Darstellung für die Sinusfunktion! Was ändert sich? Was bleibt gleich?
3.4 Differentialrechnung
261
Aufgabe
Wir wissen aus Abschn. 1.5.6, dass die Sinusfunktion gerade und die Cosinusfunktion ungerade ist. Können Sie diese Eigenschaft auch anhand der Taylorentwicklung der beiden Funktionen begründen?
Ohne Beweis bemerken wir an dieser Stelle, dass wir das Taylorpolynom genau so konstruiert haben, dass die ersten n Ableitungen von f und von Tn f .x; x0 / im Entwicklungspunkt x0 übereinstimmen. Probieren Sie ruhig mal, das selbst nachzurechnen. Es ist gar nicht so schwer! Natürlich können wir an dieser Stelle nicht schließen, ohne das Resultat zur Konvergenz des Taylorpolynoms gegen die Originalfunktion wenigstens zu nennen. Die Aussage hat es in sich und ist nicht leicht zu verstehen. Lassen Sie es uns gemeinsam versuchen: Satz 3.18 (Satz von Taylor) Sei f W D ! R mindestens n-mal differenzierbar und x0 2 D. Dann gilt f .x/ D Tn f .x; x0 / C Rn f .x; x0 / mit lim
x!x0
Rn f .x; x0 / D0 .x x0 /n
Der Satz besagt, dass das Taylorpolynom eine wirklich gute Approximation von f in der Nähe des Entwicklungspunktes darstellt. Er sagt aus, dass das Restglied Rn f .x; x0 /, welches die Differenz zwischen Funktionswert und Wert des Taylorpolynoms ist, wirklich klein ist. Machen Sie sich bewusst, dass x x0 für x nahe bei x0 sehr klein ist, also .x x0 /n noch viel kleiner und das Teilen durch .x x0 /n bedeutet also, dass das Restglied mit einem sehr großen Kehrwert von .x x0 /n multipliziert wird. Dafür muss das Restglied ziemlich schnell gegen 0 konvergieren, wenn x gegen x0 geht. Das Restglied konvergiert sogar schneller gegen 0 als .x x0 /n . Die Approximation wird immer genauer, wenn wir den Grad n des Taylorpolynoms erhöhen. Wie man in obigem Beispiel in Abb. 3.27 gut sehen kann, gilt f .x/ Tn f .x; x0 / wirklich nur in der Umgebung von x0 . Will man f auch an ganz anderen Stellen gut approximieren, muss man Taylorpolynome mit anderen Entwicklungspunkten betrachten. Es ist sicher gut, hierzu noch mehr zu üben. Wir haben ein weiteres Beispiel in einem Lernvideo (Abb. 3.28) für Sie bereitgestellt. Schauen Sie da nun gerne mal rein!
262
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.28 Lernvideo zur Taylorentwicklung (https://doi.org/10.1007/000-beg)
Übungsaufgaben zur Taylorentwicklung
3.15 Berechnen Sie das Taylorpolynom T3 f .x; 1/ dritter Ordnung für die Funktion f W R ! R mit f .x/ D x 3 im Entwicklungspunkt x0 D 1. Multiplizieren Sie die Darstellung von T3 f .x; 1/ aus und vergleichen Sie mit f .x/ D x 3 . Was stellen Sie fest? 3.16 Berechnen Sie die Taylorpolynome nullter bis dritter Ordnung für die Funktion f W R ! R mit f .x/ D sin.x/ cos.x/ im Entwicklungspunkt x0 D .
3.5 Integralrechnung Lassen Sie uns das Thema Integralrechnung an zwei verschiedenen Beispielen motivieren. Es gibt unzählige Anwendungen der Integralrechnung, bei physikalischen, ökonomischen, geometrischen und vielen anderen Fragestellungen. Wir beginnen mit einem ökonomischen Beispiel. Die sogenannten Grenzkosten sind in der Ökonomie die Kosten, die anfallen, um eine zusätzliche Mengeneinheit eines Produktes zu produzieren. Sie hängen von der aktuellen Stückzahl ab. Die Grenzkosten können z. B. monoton fallend sein, wenn der Kostenaufwand pro Mengeneinheit mit steigender Stückzahl sinkt. Die Grenzkostenfunktion ist dabei die erste Ableitung der Kostenfunktion, denn sie gibt an, wie stark sich die Kosten ändern, wenn man eine Einheit mehr produziert. Sie wird daher oft mit K 0 .x/ bezeichnet, wobei x die produzierte Stückzahl ist. Ist beispielsweise K 0 .x/ D 10 0;001x für 0 x 1000, so kann man sich fragen, wie die Kostenfunktion im selben Intervall in Abhängigkeit von der produzierten Stückzahl aussieht. Man sucht also eine Funktion K mit K 0 .x/ D 10 0;001x. Offensichtlich erfüllt K.x/ D 10x 0;0005x 2 C C für beliebige Werte von C diese Bedingung. Weiß man zusätzlich, dass die Kosten für 500 Einheiten genau 10.000 Euro betragen, so lässt sich C aus der Gleichung K.500/ D 10:000 D 10 500 0;0005 .500/2 C C
3.5 Integralrechnung
263
Abb. 3.29 Wenn die blaue Funktion die Zuflussgeschwindigkeit für das Füllen eines Schwimmbeckens beschreibt, entspricht die Wassermenge der rot eingefärbten Fläche. Auf der x-Achse m3 steht dabei die Zeit t in Minuten und auf der y-Achse die Zuflussgeschwindigkeit v in min (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
berechnen. Man erhält C D 5125 Euro. Dieser Wert entspricht im Wesentlichen den sogenannten fixen Kosten, die unabhängig von der Produktionsmenge anfallen (etwa für Mieten und Gehälter). Bei bekannter Grenzkostenfunktion führt uns dieses Beispiel also auf die Aufgabenstellung, von der Ableitung einer Funktion auf die Funktion selbst schließen zu wollen. Wir sehen zudem, dass die gesuchte Funktion nicht eindeutig ist und erst durch Zusatzinformationen eindeutig bestimmt werden kann. Lassen Sie uns ein weiteres Problem anschauen, bei welchem wir uns für die Fläche interessieren, die der Graph einer Funktion mit der x-Achse einschließt. Eine Funktion beschreibe die Zuflussgeschwindigkeit v für das Füllen eines kleinen m3 ) in Abhängigkeit von der Zeit t (in Minuten). In unSchwimmbeckens (in min serer Abbildung steigt diese zunächst linear an, bleibt eine Weile konstant, steigt erneut an, bleibt etwas länger konstant und nimmt schließlich wieder linear ab (siehe Abb. 3.29). Dann ist die Fläche, die der Graph der Funktion im Intervall Œ0; 22 mit der x-Achse einschließt, genau die Wassermenge in Kubikmetern, die sich nach 22 Minuten im Becken befindet. In unserem Beispiel können wir die Fläche durch Addition von Dreiecks- und Rechtecksflächen exakt berechnen. Sie hat die Größe 1 1 1 4 4 C 2 4 C 4 4 C 4 4 C 4 8 C 8 8 D 104 2 2 2 so dass nach 22 Minuten 104 Kubikmeter Wasser im Becken sind. Wäre die Funktion, die die Zuflussgeschwindigkeit beschreibt, komplizierter gewesen, hätte die Flächenberechnung sicher mehr Mühe bereitet. Ziel dieses Kapitels wird es sein, den Zusammenhang beider Probleme zu verstehen und das nötige mathematische Handwerkszeug zu erlernen, um diese und Probleme ähnlicher Art zu lösen.
264
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.30 Fläche, die der Graph von f .x/ D x 3 x C 1 im Intervall Œ1; 1 mit der x-Achse einschließt (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Vorkenntnisse Wie könnte es anders sein? Na klar, wir brauchen unbedingt Ihr X X X X
Wissen zum Thema Zahlenfolgen und zu deren Grenzwerten (Abschn. 3.1), Wissen zur Stetigkeit von Funktionen (Abschn. 3.3), Wissen zur Differentialrechnung (Abschn. 3.4) und natürlich erneut Ihr Wissen zum Thema Funktionen (Abschn. 1.5).
Weiterführende Literatur finden Sie in [8, 10, 14, 15] sowie zahlreiche weitere Übungsbeispiele in [2, 12, 16].
3.5.1 Definition des bestimmten Integrals Mathematisch abstrakter formuliert wollen wir die Frage beantworten, wie wir die Fläche berechnen, die der Graph einer Funktion f in einem vorgegebenen Intervall mit der x-Achse einschließt (siehe Abb. 3.30). Diese Fläche werden wir später das bestimmte Integral von f im Intervall Œa; b nennen und es mit Zb f .x/ dx a
bezeichnen. Wenn man noch nicht weiß, wie man diese Fläche exakt berechnet, dann kommt es einem schnell in den Sinn, die Fläche näherungsweise zu bestimmen. Dazu kann man das betrachtete Intervall Œa; b in kleine Teilintervalle aufteilen. Betrachten wir
3.5 Integralrechnung
265
a
b
Abb. 3.31 a Unter- und b Obersummen zur Abschätzung von
R1
.x 3 x C 1/ dx mit Rechteck-
1
breite 0,2 und 10 Rechtecken (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
beispielsweise die Funktion f mit f .x/ D x 3 x C 1 im Intervall Œ1; 1, so eignet sich eine Intervalleinteilung in 10 Teilintervalle mit Breite jeweils 0,2: Das erste Teilintervall geht dann von 1 bis 0;8, das zweite von 0;8 bis 0;6 usw. Allgemein definiert man Stellen a D x0 < x1 < < xn D b, die n Teilintervalle festlegen. Sucht man nun in jedem Teilintervall Œxi 1 ; xi die Stelle, an der der kleinste Funktionswert im Teilintervall angenommen wird und bezeichnet diesen kleinsten Funktionswert mit ui , so stellt die Summe n X
.xi xi 1 / ui
i D1
eine untere Abschätzung für die gesuchte Fläche dar (siehe Abb. 3.31a). Man spricht hierbei von der Untersumme, denn ihr Wert ist kleiner als die gesuchte Fläche. Sucht man analog in jedem Teilintervall Œxi 1 ; xi die Stelle, an der der größte Funktionswert im Teilintervall angenommen wird und bezeichnet diesen größten Funktionswert mit oi , so stellt die Summe n X
.xi xi 1 / oi
i D1
eine obere Abschätzung für die gesuchte Fläche dar (siehe Abb. 3.31b). Wir nennen sie Obersumme, da dieser Wert größer als die gesuchte Fläche ist.
Aufgabe
Bestimmen Sie den Wert der Ober- sowie den Wert der Untersumme für f .x/ D x 2 C 2 im Intervall Œ0; 5 mit Intervallbreite 1! Fertigen Sie vorab eine Skizze an!
266
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
a
Abb. 3.32 Abschätzung von
b
R1
.x 3 x C 1/ dx einmal mit Rechteckbreite 0,2 und 10 Rechtecken
1
(a) und einmal mit Rechteckbreite 0,1 und 20 Rechtecken (b). Die Feinheiten der Zerlegungen sind 0,2 (a) und 0,1 (b) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Schon optisch wird klar, dass beide Abschätzungen genauer werden, je mehr Rechtecke man für die Zerlegung verwendet. Das führt uns auf die Definition der Integrierbarkeit. Die Breiten der Teilintervalle seien i D xi xi 1 . Es seien beliebige Stellen ti 2 Œxi 1 ; xi für alle i gewählt. Der Flächeninhalt des Rechtecks mit Breite i und Höhe f .ti / ist i f .ti /. Die gesuchte Fläche kann dann durch die Rechteckflächensumme n X
i f .ti /
i D1
abgeschätzt werden. Wir wir in Abb. 3.32 deutlich erkennen können, wird diese Abschätzung genauer, je mehr Intervalle wir verwenden und je kleiner die Rechteckbreiten sind. Wir nennen max i die Feinheit der Zerlegung. Die Feinheit ist 1i n
also die Breite des breitesten Rechtecks. Da in unseren Beispielen die Rechtecke , da wir n Teilintervalle haben. alle gleich breit sind, hat die Feinheit den Wert ba n Sie fragen sich jetzt vielleicht, warum ich Ihnen von der Feinheit von Zerlegungen überhaupt berichte, wo wir doch scheinbar schon ein gutes anschauliches Verständnis dafür entwickelt haben, wie man die Fläche zwischen Funktionsgraph und xAchse annähert. Die Antwort ist: Wir wollen jetzt unsere Anschauung nutzen, um die Definition des Integrals wirklich verstehen zu können. Dazu benötigen wir ein kleines bisschen Durchhaltevermögen und (mal wieder) Grenzwerte! Gehen Sie mit folgender Anschauung an die folgende Definition heran: Für jede Zerlegung und jede Auswahl von Stellen in den Teilintervallen können wir die Rechteckflächensumme berechnen. Lassen wir nun die Feinheit der Zelegung gegen 0 und damit die Anzahl der Teilintervalle gegen unendlich gehen, dann nähern wir uns dem gesuchten Flächeninhalt immer weiter an. Wenn der Grenzwert existiert, dann entspricht sein Wert dem gesuchten Integral. Alles klar? Dann los:
3.5 Integralrechnung
267
Definition 3.15 (Integrierbarkeit, bestimmtes Integral) Eine Funktion f W Œa; b ! R heißt integrierbar im Intervall Œa; b, wenn für jede Folge von Zerlegungen .Zn /n2N der Form Zn W
a D xn;0 < xn;1 < < xn;kn D b;
deren Folge der zugehörigen Feinheiten für n ! 1 gegen 0 konvergiert, unabhängig von der Wahl der Stützstellen auch die Folge der Rechteckflächensummen gegen einen für alle Zerlegungen gleichen Grenzwert konvergiert. Diesen Grenzwert nennt man dann das bestimmte Integral von f in den Grenzen von a bis b: Zb f .x/ dx D lim
n!1
a
kn X
f .tn;i / .xn;i xn;i 1 /
i D1
Dabei sind die Stützstellen tn;i 2 Œxn;i 1 ; xn;i und kn ist die Anzahl der Teilintervalle der n-ten Zerlegung (die für n ! 1 gegen 1 geht). Übrigens ist die Notation Zb f .x/ dx a
R nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern sie passt zu unserer Konstruktion: ist ein stilisiertes „S“ für „Summe“, f .x/ steht für die Höhe der Rechtecke und dx entspricht den Differenzen der x-Werte, also den Rechteckbreiten. Wir nennen f den Integranden. Die Zahlen a und b sind die Integrationsgrenzen. Geschafft, das war durchaus harte Kost. Aber es hat sich gelohnt! Wir haben jetzt die Grundlage geschaffen, nicht nur eine geometrische Vorstellung vom Integralbegriff zu haben, sondern mit diesem Verständnis auch die kommenden Sätze und Aussagen nachzuvollziehen, die die Grundlage für das Berechnen der Integrale bilden. Und das ist ja schließlich das Ziel. Bemerkung 3.2 Auch wenn es bis jetzt in unseren Abbildungen nicht so aussah, müssen wir uns bewusst machen, dass bestimmte Integrale immer „vorzeichenbehaftete“ Flächeninhalte messen. Man spricht oft auch vom „orientierten“ Flächeninhalt. Flächen, die unterhalb der x-Achse liegen, werden daher negativ gezählt. Dies folgt direkt aus Definition 3.15 des bestimmten Integrals. Falls f oberhalb der x-Achse verläuft, werden die positiven Rechteckbreiten mit positiven Funktionswerten multipliziert. Falls f unterhalb der x-Achse verläuft wird mit negativen Funktionswerten multipliziert. Abb. 3.33 zeigt ein paar Beispiele dazu:
268
a
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
b
c
Abb. 3.33 Bestimmte Integrale als orientierte Flächeninhalte: a R3
c
R3
x dx D 0, b
3
R3
jxj dx D 9,
3
.jxj/ dx D 9 (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
3
Bevor wir uns den Werten der bestimmten Integrale für ganz konkrete Funktionen zuwenden und bevor wir die Theorie der Integralrechnung weiterverfolgen, sammeln wir noch ein paar wichtige Erkenntnisse und Rechenregeln für bestimmte Integrale zusammen. Wir formulieren dazu Eigenschaften bestimmter Integrale. Sie werden uns später enorm helfen, komplizierte Integrale auf einfache zurückzuführen. Satz 3.19 Seien f; gW Œa; b ! R integrierbare Funktionen und r 2 R. Dann verhält sich das bestimmte Integral linear: i)
Die Funktion f C g ist integrierbar und es gilt: Zb
f .x/ C g.x/ dx D
a
Zb
Zb f .x/ dx C
a
g.x/ dx a
ii) Die Funktion r f ist integrierbar und es gilt: Zb
Zb r f .x/ dx D r
a
f .x/ dx a
Außerdem ist das bestimmte Integral additiv: iii) Sei a < b < c und f W Œa; c ! R eine integrierbare Funktion. Dann gilt: Zc
Zb f .x/ dx D
a
Zc f .x/ dx C
a
f .x/ dx b
3.5 Integralrechnung
269
Beispiel 3.21
Lassen Sie uns Satz 3.19 an einem Rechenbeispiel veranschaulichen. In Abb. 3.34a sehen wir, dass Z5 1 dx 0
eine Rechteckfläche mit Flächeninhalt 5 ist. Die Breite des Rechtecks ist 5 und die Höhe ist 1. Dazu braucht man noch kein fortgeschrittenes Wissen über Integralberechnung. Allgemein gilt analog Zb 1 dx D b a; a
denn wir haben es mit einem Rechteck der Breite b a und der Höhe 1 zu tun. Aussage ii) aus dem Satz hilft uns nun, andere Konstanten zu integrieren. Es folgt Zb
Zb h dx D h
a
1 dx D h.b a/ a
Die zu berechnende Rechteckfläche hat nun die Höhe h. In Abb. 3.34b sehen wir, dass Z5 x dx 0
eine Dreiecksfläche ist. Der Flächeninhalt ist 55 D 25 (Grundseite mal Höhe 2 2 geteilt durch 2!). In Abb. 3.34c wird Aussage iii) aus dem Satz deutlich, denn wir können die Fläche in zwei Teilflächen zerlegen. Die erste Teilfläche ist eine Dreiecksfläche und die zweite eine Trapezfläche: Z3 0
33 9 x dx D D 2 2
Z5 x dx D 3
1 .3 C 5/ 2 D 8 2
270
3
a
b
Abb. 3.34 a
R5
1 dx D 5, b
0
R5
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
x dx D
0
c
25 , 2
c
R5
x dx D
0
R3
x dx C
0
R5
x dx (Abbildung erstellt mit
3
GeoGebra)
Die Summe ist natürlich Zb
9 2
C8D
25 . 2
Allgemein folgt analog
1 1 x dx D b b D b 2 und damit auch 2 2
Zb x dx D
1 2 1 2 1 b a D .b 2 a2 / 2 2 2
a
0
Mit den Aussagen i) und ii) aus obigem Satz können wir nun bestimmte Integrale für alle linearen Funktionen berechnen, denn Zb
Zb .mx C n/ dx D m
a
Zb x dx C
a
a
1 n dx D m .b 2 a2 / C n.b a/ 2 1 2 1 2 mb C nb ma C na D 2 2
Die letzte Darstellung wird uns später noch öfter über den Weg laufen. Ich bitte um ein wenig Geduld für die Erklärung, warum ich die Terme so sortiert habe. J Ich finde, geometrisch sind wir jetzt gut aufgestellt, um uns nun den wichtigen großen Erkenntnissen der Integralrechnung widmen zu können. Wir stellen jetzt den Bezug zur Differentialrechnung her, erarbeiten uns den Begriff der Stammfunktion und erstellen anschließend eine Liste wichtiger Stammfunktionen von Standardfunktionen. Damit kommen wir unserem Lernziel in diesem Kapitel ziemlich nahe. Unser Werkzeugkoffer zum Thema Integrale füllt sich langsam!
3.5.2 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Wir betrachten eine integrierbare Funktion f W R ! R und ein Intervall Œa; b. GeRb sucht ist der Wert des bestimmten Integrals a f .t/ dt. Dafür definieren wir uns
3.5 Integralrechnung
271
Rb Abb. 3.35 Veranschaulichung von a f .t / dt D F .b/ F .a/: Wenn wir von der Fläche F .b/, die der Graph im Intervall Œs; b mit der x-Achse einschließt (Schraffur von links unten nach rechts oben) die Fläche F .a/ abziehen, die der Graph im Intervall Œs; a mit der x-Achse einschließt (Schraffur von links oben nach rechts unten), dann erhalten wir die Fläche, die der Graph im Rb Intervall Œa; b mit der x-Achse einschließt. Das ist gerade a f .t / dt (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
eine superpraktische neue Funktion. Für eine beliebige, aber fest gewählte Startstelle s sei Zx F .x/ WD f .t/ dt s
Da wir das x als Argument der Funktion F verwendet haben, mussten wir hier eine neue Integrationsvariable t nutzen. Man kann zeigen, dass F stetig ist. Machen Sie sich bewusst, dass der Wert F .x/ angibt, welche Fläche der Graph von f im Intervall Œs; x mit der x-Achse einschließt. Das wird auch in Abb. 3.36a veranschaulicht. Und warum ist das jetzt so eine tolle Sache? Nun ja, schauen wir uns mal an, was F .b/ F .a/ angibt. Wir nehmen einmal die Fläche im Intervall Œs; b und ziehen davon die Fläche im Intervall Œs; a wieder ab. Und was bleibt übrig? Genau: Übrig bleibt die Fläche, die der Graph von f im Intervall Œa; b mit der x-Achse einschließt. Und das klappt immer, egal für welche Stelle s wird uns entschieden Rb haben. Klasse! Wir haben a f .t/ dt D F .b/ F .a/ gefunden! Diese Erkenntnis wird auch in Abb. 3.35 veranschaulicht. Leider ist jetzt nicht alles ganz einfach, denn die Berechnung von F wird uns noch beschäftigen. Halten wir aber fest, dass wir mehr über F erfahren wollen. Wenn wir die Funktion F kennen, können wir bestimmte Integrale von f problemlos berechnen. Wir haben gefordert, dass f auf ganz R integrierbar ist. Für unsere Betrachtungen würde es aber ausreichen, wenn f in Œs; b mit s a < b integrierbar ist. So kann man auch für nicht überall integrierbare Funktionen bestimmte Integrale auf Intervallen berechnen, in denen f integrierbar ist. Der folgende Satz bringt uns dem Ziel, die Funktion F zu finden, ein ganzes Stück näher. Die Differentialrechnung kommt ins Spiel. Das ist sehr hilfreich, weil wir nun unser gesamtes Wissen über das Differenzieren für die weiteren Betrachtungen nutzen können. Es lohnt sich, dabei auch einen Blick in den Beweis zu werfen.
272
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
a
b
Abb. 3.36 a Die blau gefärbte Fläche entspricht dem Wert F .x/. b eine Annäherung an F .x C h/ (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Satz 3.20R Ist f W R ! R (bzw. f W Œs; b ! R) integrierbar und die Funktion F mit x F .x/ WD s f .t/ dt auf R (bzw. Œs; b) differenzierbar, so gilt F 0 D f . Beweis F .x/ ist die eingeschlossene Fläche im Intervall Œs; x und F .x C h/ diejenige im Intervall Œs; x C h. Für kleines h kann letztere wie folgt angenähert werden: F .x C h/ F .x/ C h f .x/ Das wird auch in Abb. 3.36b veranschaulicht. Daraus folgt f .x/
F .x C h/ F .x/ h
Das kommt uns schon von der Definition der ersten Ableitung bekannt vor. Lassen wir nun noch h gegen 0 konvergieren, dann erhalten wir f .x/ D F 0 .x/ Wenn wir die Funktion F ableiten, erhalten wir also f .
Das rechtfertigt die folgende Definition. Definition 3.16 (Stammfunktion) Eine Stammfunktion von f W Œa; b ! R ist eine differenzierbare Funktion F W Œa; b ! R mit F 0 D f . Es folgt, dass für stetiges f W Œa; b ! R die Flächenfunktion F Rdifferenzierbar ist und eine Stammfunktion von f darstellt. Man schreibt nun auch f .x/ dx für eine R Stammfunktion von f und nennt f .x/ dx das unbestimmte Integral von f .
3.5 Integralrechnung
273
Aufgabe
Machen Sie sich bewusst, dass es nicht „die Stammfunktion“ von f gibt, sondern ganz viele Stammfunktionen. Sie unterscheiden sich durch die Wahl der oben erwähnten Startstelle s. Wenn wir zwei verschiedene Startstellen s und s 0 (s < s 0 ) wählen, dann unterscheiden sich die beiden zugehörigen StammfunkR s0 tionen genau um s f .t/ dt. Das ist eine Zahl, also eine Konstante. Machen Sie sich bewusst, dass zwei Funktionen dieselbe Ableitung besitzen, wenn sie sich nur um eine Konstante unterscheiden. Leiten Sie dazu für eine Stammfunktion F von f die Funktion G.x/ D F .x/ C C für eine Konstante C ab. Was erhalten Sie?
Wir wir uns oben schon überlegt haben, können wir mithilfe einer (egal welcher!) Stammfunktion nun bestimmte Integrale berechnen. Das entscheidende Resultat (siehe Abb. 3.35) notieren wir nun noch einmal, denn es stellt den entscheidenden Zusammenhang zwischen Differential- und Integralrechnung dar: Satz 3.21 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung) Ist f W Œa; b ! R stetig mit Stammfunktion F , so gilt Zb f .x/ dx D F .b/ F .a/ a
Das war ganz schön viel Theorie auf einmal. Es ist dringend Zeit für ein Beispiel. In diesem Beispiel nutzen wir folgende übliche Notation: h ib F .x/ WD F .b/ F .a/; a
die sich als abkürzende Schreibweise für die Differenz der Stammfunktionswerte an der oberen und der unteren Intervallgrenze etabliert hat. Beispiel 3.22
Für die Fläche unter einer Konstanten (vgl. Beispiel 3.21) gilt: Zu f W Œa; b ! R mit f .x/ D c ist F mit F .x/ D cx eine Stammfunktion. Daraus folgt Zb
h ib c dx D cx D cb ca D c.b a/ a
a
274
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Für f .x/ D 3x ist F .x/ D 32 x 2 eine Stammfunktion, denn . 32 x 2 /0 D 32 2x D 3x. Daraus folgt Z5 3x dx D
h3 2
x2
i5 0
D
3 2 3 2 3 75 5 0 D 25 D 2 2 2 2
0
Vergleichen Sie unser Ergebnis wieder mit Beispiel 3.21. Wegen . cos.x//0 D sin.x/ ist cos.x/ eine Stammfunktion von sin.x/. Die Fläche unter einem Sinusbogen beträgt daher: Z
h i sin.x/ dx D cos.x/ D . cos.// . cos.0// 0
0
D .1/ .1/ D 2 Für f .x/ D x 2 ist F .x/ D 13 x 3 eine Stammfunktion. Daher gilt für die Fläche unter der Normalparabel im Intervall Œ0; 1: Z1 x 2 dx D
h1 3
x3
i1 0
D
1 3 1 3 1 1 0 D 3 3 3
0
Die Fläche unter dem negativen Teil der Exponentialfunktion lässt sich wegen .e x /0 D e x sehr einfach berechnen. Die Exponentialfunktion hat sich selbst als Stammfunktion. Daraus folgt Z0
h i0 e x dx D e x
N
N !1
D e 0 e N D 1 e N ! 1 J
N
Fazit Wenn wir bestimmte Integrale von f bestimmen wollen, dann benötigen wir eine Funktion F , deren Ableitung f ist. Wenn wir diese gefunden haben, können wir mithilfe des Hauptsatzes die bestimmten Integrale berechnen. Das Finden einer solchen Stammfunktion F ist aber leider im Allgemeinen schwer. Leicht dagegen ist der Nachweis, dass eine Kandidatenfunktion F tatsächlich eine Stammfunktion ist. Man muss sie einfach nur ableiten und zeigen, dass F 0 .x/ D f .x/ ist. Das klappt ohne Probleme. (Und dies ist ein wichtiges Argument dafür, dass man in Prüfungen mit Fragen der Form „Welche der folgenden Funktionen ist eine Stammfunktion von f ?“ sparsam umgehen sollte, denn wenn man Funktionen als Kandidaten vorgibt, muss man ja gar nicht integrieren können, um die richtige Antwort zu finden. Gut für Sie, aber schwierig für Ihre Lehrenden . . . )
3.5 Integralrechnung
275
Aufgabe
Rb Machen Sie sich noch bewusst, dass a f .x/ dx eine reelle Zahl ist. Es spielt also keine Rolle, ob Sie der Integrationsvariable den Namen x geben oder ob sie anders heißt. Das unbestimmte Integral von f dagegen liefert uns eine Funktion, die von ihrem Argument x abhängt. Insofern istR eine StammR funktion f .x/ dx eine Funktion mit dem Argument x, aber f .t/ dt eine Funktion mit dem Argument t.
Im folgenden Abschnitt stellen wir nun den Werkzeugkoffer der wichtigsten Stammfunktionen bereit, der zu Ihrer Grundausstattung beim Thema Integration gehört. Wenn Ihre Dozierenden in der Prüfung eine Formelsammlung o. ä. erlauben, dann immer rauf damit! Es kann Ihnen helfen!
3.5.3 Stammfunktionen Ohne große Vorrede kommt sie jetzt, die angekündigte Liste wichtiger Stammfunktionen. Die folgende Tabelle gibt jeweils eine Stammfunktion für verschiedene Standardfunktionen an. f .x/
F .x/
Einschränkungen/Bemerkungen
xn
1 x nC1 nC1
n ¤ 1
ln.x/
x > 0 (mehr zum Fall x < 0 später)
1 D x x
x
1
e
ex
cos.x/ sin.x/
sin.x/ cos.x/
g.ax C b/
1 G.ax a
C b/
Dabei ist G Stammfunktion von g
Aufgabe
Überprüfen Sie alle Einträge der obigen Tabelle, indem Sie jeweils F ableiten und sich überzeugen, dass Sie dann f erhalten.
Über den letzten Tabelleneintrag lohnt es sich noch einmal ausführlicher zu sprechen. Er sagt aus, dass bei verketteten Funktionen mit linearer innerer Funktion das Integrieren einfach ist. Ein Beispiel: Möchten wir .3x C 7/5 integrieren, so übernimmt g.x/ D x 5 die Rolle von g aus der Tabelle. Eine Stammfunktion von 1 g ist G mit G.x/ D 16 x 6 . Daraus folgt, dass 13 16 .3x C 7/6 D 18 .3x C 7/6 eine 5 Stammfunktion von .3x C 7/ ist. Ableiten verifiziert dieses Ergebnis, denn nach
276
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
1 1 der Kettenregel ist . 18 .3x C 7/6 /0 D 18 6 3.3x C 7/5 D .3x C 7/5 . Wir haben hier sozusagen die Kettenregel rückwärts angewendet. Das ist im Fall linearer innerer Funktionen ziemlich einfach. Mehr dazu lernen wir im Kapitel zur Integration durch Substitution.
3.5.4 Weitere geometrische Fragestellungen Zum Abschluss wollen wir noch zwei häufig vorkommende Fragestellungen betrachten: Zum einen untersuchen wir die Frage, wie wir den nicht-orientierten Flächeninhalt bekommen, den der Graph von f mit der x-Achse einschließt. Das ist eine in der Anwendung relevante Frage, wenn es keine Rolle spielt, ob die Flächenstücke über- oder unterhalb der x-Achse liegen. Zum anderen wollen wir uns der Frage widmen, wie man die Fläche bestimmt, die zwei Funktionsgraphen miteinander einschließen. Beide Fragen werden in den folgenden zwei Bemerkungen erarbeitet. Bemerkung 3.3 (Nicht-orientierter Flächeninhalt, positive Flächenstücke) Wir haben gelernt, dass bei bestimmten Integralen Flächenstüche unterhalb der x-Achse negativ gezählt werden. Manchmal ist im Anwendungskontext aber nicht nach dem orientierten Flächeninhalt gefragt, sondern nach der Summe der Flächeninhalte der positiven Flächenstücke, die der Graph von f in einem Intervall Œa; b mit der xAchse einschließt. Was können wir dann tun? Eine Idee wäre, einfach alle Flächen nach oben zu klappen und Zb jf .x/j dx a
zu bestimmen. Wir brauchen dafür aber gar keine Stammfunktion der Betragsfunktion. Stattdessen hilft uns folgender Fahrplan, den wir am Beispiel von f .x/ D x 3 9x 2 C 23x 15 im Intervall Œ1; 5 erläutern: 1. Nullstellen im betroffenen Intervall bestimmen: Man kann sich hier leicht überzeugen, dass f .x/ D .x 1/.x 3/.x 5/ ist, also sind die Nullstellen bei x D 1, x D 3 und x D 5. 2. Stammfunktion bestimmen: F .x/ D 14 x 4 3x 3 C 23 x 2 15x 2 3. Von Nullstelle zu Nullstelle integrieren und alle Flächenstücke positiv zählen:
Z3 f .x/ dx D
1 4 23 x 3x 3 C x 2 15x 4 2
1
Das ist schon positiv, wir können das also so mitzählen.
3 D4 1
3.5 Integralrechnung
277
Abb. 3.37 Integration von Nullstelle zu Nullstelle: Wenn wir alle Flächen positiv zählen wollen, müssen wir von der Fläche mit negativem Vorzeichen den Betrag bilden (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Z5
1 4 23 f .x/ dx D x 3x 3 C x 2 15x 4 2
3
5 D 4 3
Dieses Flächenstück verläuft unterhalb der x-Achse. Wir müssen es positiv zählen, also erneut 4 Flächeneinheiten berücksichtigen. Die gesuchte Summe der (positiv gezählten) Flächenstücke ist 4 C 4 D 8. Abb. 3.37 illustriert die Lage der Flächenstücke in unserem Beispiel. Machen Sie sich bewusst, dass wir gerade Z5
Z3 jf .x/j dx D j
1
Z5 f .x/ dxj C j
1
f .x/ dxj 3
ausgerechnet haben, wobei die Betragsstriche um das erste Integral nicht relevant waren, da diese Fläche sowieso schon positiv war. Machen Sie sich zudem bewusst, dass hier nur deswegen Z3
Z3 jf .x/j dx D j
1
Z5
1
Z5 jf .x/j dx D j
f .x/ dxj und 3
f .x/ dxj 3
gilt, weil f jeweils in den Intervallen Œ1; 3 und Œ3; 5 das Vorzeichen nicht ändert.
278
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
a
b
Abb. 3.38 Fläche zwischen zwei Funktionsgraphen: a mit f .x/ D x 2 C 4 (blau) und g.x/ D .x 2/2 (rot), b mit f .x/ D .x 1/.x 3/.x 5/ (blau) und g.x/ D .x 1/.x 3/.x 5/ (rot) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
Bemerkung 3.4 (Fläche zwischen zwei Funktionsgraphen) In Anwendungen ist eine weitere Fragestellung oft relevant: Wie groß ist die von zwei Funktionsgraphen eingeschlossene Fläche? Auch hier geben wir einen Fahrplan an, der sich danach problemlos auf andere Beispiele anwenden lässt. Wir erarbeiten diesen zunächst an einem übersichtlichen Beispiel, siehe Abb. 3.38a. Dabei sei f .x/ D x 2 C 4 und g.x/ D .x 2/2 . 1. Schnittpunkte berechnen: x 2 C 4 D .x 2/2 , x 2 C 4 D x 2 4x C 4 , 0 D 2x 2 4x , 0 D 2x.x 2/ Das ist der Fall für x D 0 und x D 2. 2. Die obere und die untere Funktion bestimmen: Wegen f .1/ D 3 und g.1/ D 1 ist f die obere Funktion im Intervall Œ0; 2. 3. Fläche als bestimmtes Integral der Differenz der beiden Funktionen berechnen: Die gesuchte Fläche ist nach Satz 3.19 gegeben durch Z2
Z2 f .x/ dx
0
Z2 g.x/ dx D
0
.f .x/ g.x// dx 0
Setzen wir beide Funktionen ein, dann erhalten wir Z2
Z2 .f .x/ g.x// dx D
0
0
2 2 8 .2x 2 C 4x/ dx D x 3 C 2x 2 D 3 3 0
Die berechnete Fläche ist in Abb. 3.38a in orange eingezeichnet.
3.5 Integralrechnung
279
Geht das auch mit mehr als zwei Schnittpunkten und wechselnden oberen und unteren Funktionen? Ja, und zwar ganz analog. Man muss jeweils abschnittsweise schauen, welche Funktion oben liegt und welche unten. Wir schauen uns den Fahrplan erneut an für f .x/ D .x 1/.x 3/.x 5/ und g.x/ D .x 1/.x 3/.x 5/: 1. Schnittpunkte bestimmen: Diese sind bei x D 1, x D 3 und x D 5, nämlich genau bei den gemeinsamen Nullstellen der beiden Funktionen. 2. Obere und untere Funktionen bestimmen: im Intervall Œ1; 3 liegt f oben, im Intervall Œ3; 5 liegt g oben. 3. Flächen berechnen: Die gesuchte Fläche hat den Wert Z3
Z5 .f .x/ g.x// dx C
1
.g.x/ f .x// dx 3
Eingesetzt erhält man Z3
Z5 2.x 1/.x 3/.x 5/ dx C
1
.2.x 1/.x 3/.x 5// dx D 8 C 8 D 16 3
wobei ich die Berechnung der bestimmten Integrale Ihnen überlasse. Die berechnete Fläche sehen Sie in Abb. 3.38b. Zu den bisher behandelten Themen der Integralrechnung empfehle ich Ihnen nun einen Blick in unsere Lernvideos (Abb. 3.39, 3.40) und auf unsere folgenden
Abb. 3.39 Lernvideo zum Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (https://doi.org/10.1007/000-beh)
Abb. 3.40 Lernvideo zur Berechnung der Fläche zwischen Funktionsgraphen (https://doi.org/10.1007/000-bej)
280
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Übungsaufgaben. Sie haben jetzt nur noch die fortgeschrittenen Integrationsverfahren vor sich. Zeit zum Durchschnaufen! Sie haben schon eine ganze Menge geschafft!
Übungsaufgaben zur Integralrechnung
3.17 Berechnen Sie jeweils eine Stammfunktion der Funktionen mit den folgenden Funktionsvorschriften: a) f .x/ D 3x 2 6x C 3 b) f .x/ D cos.3x/ C 3x 2 C x 3 c) f .x/ D e 2x4 1 d) f .x/ D .xC5/ 2 3.18 Berechnen Sie jeweils den Wert der bestimmten Integrale: 2 R a) sin.x/ dx 0
b) c) d)
R5
.x 2 C 7/ dx
0 R3 3 R1
.x 3 C x 7 C x 9 / dx e 2xC1 dx
0
3.19 Berechnen Sie den Inhalt der Fläche, welche die Graphen der beiden Funktion f und g mit f .x/ D 2x C 2 und g.x/ D x 2 C 5 miteinander einschließen. 3.20 Berechnen Sie den Inhalt der Fläche, die der Graph der Funktion f mit f .x/ D x.x 1/.x 2/.x 3/ mit der x-Achse einschließt – einmal als orientierten Flächeninhalt und – einmal als Summe positiv gezählter Flächenstücke (unabhängig davon, ob sie oberhalb oder unterhalb der x-Achse liegen).
3.5.5 Fortgeschrittene Integrationsverfahren Wir haben bereits gesehen, dass das Integrieren im Allgemeinen eine anspruchsvolle Sache sein kann. Mit der Liste der Standardintegrale zusammen mit den Rechenregeln können wir Stammfunktionen für eine ganze Menge Funktionen finden, aber lange nicht für alle. Und wir müssen uns auch an den Gedanken gewöhnen, dass es Funktionen gibt, für die wir die Stammfunktion einfach nicht analytisch bestimmen können. In diesem Fall helfen uns Näherungsverfahren. Ziel der nächsten drei Abschnitte soll es nun sein, weitere Klassen von Funktionen zu erschließen,
3.5 Integralrechnung
281
die wir mit den drei vorgestellten Verfahren integrieren können. Die Verfahren heißen: Partielle Integration Integration durch Substitution Integration durch Partialbruchzerlegung Dazu sind mir noch zwei Bemerkungen wichtig: 1. Wir werden uns in allen drei Abschnitten darauf beschränken, Stammfunktionen zu bestimmen. Wir werden uns (fast) nicht mit bestimmten Integralen beschäftigen. Warum? Nun ja, wenn wir eine Stammfunktion kennen, dann können wir mithilfe des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung jedes beliebige bestimmte Integral ausrechnen. Dennoch müssen wir uns natürlich Gedanken machen, für welche x die Funktion f überhaupt integrierbar ist. Wir dürfen später in die Stammfunktion nur „passende“ Grenzen einsetzen. Suchen wir Zb f .x/ dx a
muss vorher sichergestellt werden, dass f auch in Œa; b integrierbar ist. Insbesondere muss f in Œa; b definiert sein. Wir müssen also stets den Definitionsbereich von f im Blick behalten. 2. In den folgenden drei Abschnitten sollen Sie nicht nur das Integrieren lernen. Wenn Sie jedes Verfahren für sich gut beherrschen und es am Beispiel anwenden können, dann ist das natürlich schon einmal super. Aber noch wichtiger ist es meines Erachtens, dass Sie lernen, es einer Funktion anzusehen, mit welchem Verfahren sie sich integrieren lässt. Sie sollen erkennen, wann welches Verfahren anwendbar ist und warum. Der Rest ist dann Handwerk (und natürlich auch wichtig). Lassen Sie mich das Argument noch einmal größer fassen: Ganz oft geht es in der Mathematik darum, ein Problem zu verstehen. Die Kunst besteht darin, dem Problem anzusehen, mit welchem mathematischen Werkzeug man es behandeln kann. Man muss sich für ein passendes Verfahren entscheiden. Danach formuliert man das Problem so um, dass es zur Sprache des Verfahrens passt. Und erst dann bedient man sich seines Werkzeugkastens, um mithilfe des bekannten Verfahrens das Problem zu lösen. Alles zusammen führt zum Ziel und ist manchmal ganz schön schwer. Also: Fragen Sie sich in den kommenden Abschnitten immer, warum man eine Funktion mit dem betrachteten Verfahren integrieren kann und warum sie den vom Verfahren benötigten Typ hat.
282
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
3.5.5.1 Partielle Integration Partielle Integration beruht auf der Produktregel zum Differenzieren. Beispiel gefällig? Gerne! Beispiel 3.23
Wenn wir xe x anbleiten wollen, dann müssen wir uns an die Produktregel erinnern, die besagt .v.x/u.x//0 D v 0 .x/u.x/ C v.x/u0 .x/ Wenden wir das hier für v.x/ D x und u.x/ D e x an, dann erhalten wir .xe x /0 D 1 e x C xe x Wenn die linke und die rechte Seite der Gleichung gleich sind, dann ist jede Stammfunktion der linken Seite auch eine Stammfunktion der rechten Seite. Da aber die Stammfunktion der Ableitung auf der linken Seite den abzuleitenden Term xe x ergibt, erhalten wir Z xe x D
Z .1 e x C xe x / dx D
Z
Z
e x dx C
xe x dx D e x C
xe x dx
„Ja, und?“, könnte man fragen. Sie fragen sich, was wir davon jetzt haben? Schauen Sie selbst: Wenn wir e x durch Subtraktion auf die andere Seite der Gleichung bringen, dann erhalten wir: Z xe x dx D xe x e x D .x 1/e x R Wir haben auf diesem Wege das bisher unbekannte Integral xe x dx ausgerechnet. Machen wir uns auch noch die Rollen aus der Produktregel klar, dann sehen wir folgenden Zusammenhang: Z
u0 .x/
u.x/
‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ ‚…„ƒ e x dx D x ex x v.x/
v.x/
0
u.x/ v .x/ Z ‚…„ƒ ‚…„ƒ 1 e x dx J
Das führt uns direkt auf das Verfahren der partiellen Integration: Satz 3.22 (Partielle Integration) Funktionen. Dann gilt Z
0
Seien u und v zwei stetig differenzierbare
u .x/ v.x/ dx D u.x/ v.x/
Z
u.x/ v 0 .x/ dx
3.5 Integralrechnung
283
Den Beweis haben wir eben am Beispiel schon geführt. Daher geht das jetzt ganz schnell: Beweis Um zu zeigen, dass die rechte Seite der Behauptung eine Stammfunktion von u0 .x/v.x/ ist, müssen wir sie lediglich ableiten und zeigen, dass wir u0 .x/v.x/ erhalten. Da Integrieren und anschließendes Differenzieren wieder den Integranden ergibt, erhalten wir: Z 0 u.x/ v.x/ u.x/ v 0 .x/ dx D u0 .x/v.x/ C u.x/v 0 .x/ u.x/v 0 .x/ D u0 .x/v.x/
Das war’s schon.
Vielleicht hilft Ihnen auch folgende Eselsbrücke: Das Integral eines Produkts zweier Funktionen ist „Stammfunktion mal Funktion minus Integral von Stammfunktion mal Ableitung“. Dabei übernimmt u.x/ die Rolle der Stammfunktion des Faktors u0 .x/. I
Merkregel 1 Die partielle Integration lässt sich anwenden, wenn man ein Produkt zweier Funktionen integrieren möchte. Einer der beiden Faktoren erhält dabei die Rolle von u0 .x/ und der andere die Rolle von v.x/.
Sie fragen sich jetzt vielleicht, woran wir in unserem obigen Beispiel erkannt haben, wie wir die Rollen von u0 .x/ und v.x/ zu wählen haben. Woran haben wir erkannt, dass e x D u0 .x/ und x D v.x/ eine gute Wahl war, um die Formel der partiellen Integration anzuwenden? Es gäbe ja zwei Möglichkeiten. Auch wenn wir das Beispiel schon durchgerechnet haben, machen wir uns die Mühe, beide Möglichkeiten noch einmal durchzuspielen: 1. Möglichkeit u0 .x/ D e x v.x/ D x
u.x/ D e x v 0 .x/ D 1
Die Formel der partiellen Integration ergibt dann Z
Z e x x dx D e x x
e x 1 dx D e x x e x D .x 1/e x
R Das entstehende zu berechnende Integral e x 1 dx ist einfacher als das, was wir ursprünglich ausrechnen wollten. Das Ableiten des Terms x hat sich gelohnt.
284
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
2. Möglichkeit u0 .x/ D x v.x/ D e x
1 2 x 2 v 0 .x/ D e x u.x/ D
Die Formel der partiellen Integration ergibt dann Z Z 1 2 x 1 2 x x x e dx x e dx D x e 2 2 Na prima! Das wird ja immer schwerer. Wir haben nun eine Darstellung gefunden, das gesuchte Integral durch ein noch schwierigeres auszudrücken. Keine gute Idee. I
Merkregel 2 Die partielle Integration lässt sich anwenden, wenn das Integral durch Differenzieren des einen und durch Integrieren des anderen Faktors einfacher wird als vorher. Man muss, wenn das möglich ist, die Rollen von u0 .x/ und v.x/ geschickt so wählen, dass dies passiert.
I
Tipp Machen Sie stets eine Probe! So überzeugen Sie sich, dass Sie alles richtig gemacht haben. In unserem Beispiel zeigt die Probe, dass alles stimmt: ..x 1/e x /0 D 1 e x C .x 1/e x D xe x Wir haben also eine Stammfunktion F mit F .x/ D .x 1/e x von f mit f .x/ D xe x korrekt berechnet und können diese ab jetzt verwenden, z. B. um bestimmte Integrale auszurechnen. Das klappt auf ganz R.
Lassen Sie uns nun gemeinsam weitere Beispiele anschauen. Dabei möchte ich Ihnen auch ein paar typische Tricks bei der Anwendung der partiellen Integration zeigen: R Gesucht ist x cos.x/ dx. Überprüfen wir zunächst, ob ein Produkt vorliegt. Passt! Und wird das Integral einfacher, wenn wir einen Faktor ableiten und einen integrieren? Passt auch! Wir sollten x ableiten und cos.x/ integrieren. Die Rollen sind damit klar verteilt: u0 .x/ D cos.x/ v.x/ D x
u.x/ D sin.x/ v 0 .x/ D 1
Die Formel der partiellen Integration liefert Z Z x cos.x/ dx D x sin.x/ sin.x/ dx D x sin.x/ C cos.x/ Probe: .x sin.x/ C cos.x//0 D 1 sin.x/ C x cos.x/ sin.x/ D x cos.x/. Das hat gut geklappt!
3.5 Integralrechnung
285
R Wir wollen die Stammfunktion der Logarithmusfunktion, also ln.x/ dx mithilfe der partiellen Integration bestimmen. Aber Moment mal, wo ist denn hier das Produkt? Genau, das müssen wirRerstmal künstlich herstellen. Dabei hilft uns der 1-Trick. Wir berechnen einfach 1 ln.x/ dx. Die Rollenverteilung ist klar, es geht nur so: u0 .x/ D 1 v.x/ D ln.x/
u.x/ D x 1 v 0 .x/ D x
Hätten wir es andersherum versucht, dann hätten wir schon hier ln.x/ integrieren müssen. Da wären wir also nicht weitergekommen. Mit obiger Rollenverteilung ergibt sich Z
Z ln.x/ dx D x ln.x/
x
1 dx D x ln.x/ x
Z 1 dx D x ln.x/ x
Probe: .x ln.x/ x/0 D 1 ln.x/ C x x1 1 D ln.x/. Es lohnt sich, die Stammfunktion F der Logarithmusfunktion mit F .x/ D x ln.x/ x in die Liste der wichtigen Stammfunktionen aufzunehmen. Man weiß nie, wann man sie mal gebrauchen kann. R Wir suchen x ln.x/ dx. Anders als erwartet lohnt es sich hier, die Rollenverteilung wie folgt zu wählen: u0 .x/ D x v.x/ D ln.x/
1 2 x 2 1 v 0 .x/ D x u.x/ D
Spielen Sie die umgekehrte Rollenverteilung selbst durch und überzeugen Sie sich, dass das entstehende Integral nicht einfacher wird. Bei der von uns gewählten Rollenverteilung erhalten wir Z
Z Z 1 1 2 1 1 1 2 x ln.x/ x dx D x 2 ln.x/ x dx 2 x 2 2 2 1 1 D x 2 ln.x/ x 2 2 4
x ln.x/ dx D
1 2 1 1 Probe: . 12 x 2 ln.x/ 14 x 2 /0 D x ln.x/ C R 22x x x 2 x D x ln.x/. Geschafft! Die nächste Herausforderung wartet: x e dx. Wir wissen schon, was zu tun ist:
u0 .x/ D e x v.x/ D x 2
u.x/ D e x v 0 .x/ D 2x
286
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Das führt uns auf Z Z Z 2 x 2 x x 2 x x e dx D x e .2xe / dx D x e C 2 xe x dx Ist das jetzt besser als vorher? Ja, unbedingt! Das entstehende Integral ist einfacher, denn wir haben den Grad des Polynoms vor der Exponentialfunktion um 1 reduziert. Jetzt hilft uns der Mehrfach-Trick weiter. Wir führen einfach eine weitere partielle Integration durch, um das entstandene Integral zu berechnen: u0 .x/ D e x v.x/ D x
u.x/ D e x v 0 .x/ D 1
Wir erhalten für unser ursprüngliches Integral Z Z x 2 e x dx D x 2 e x C 2 xe x dx 2 x
D x e
C 2 xe
x
Z
.1 e x / dx
Z D x 2 e x C 2 xe x C e x dx D x 2 e x C 2 xe x e x D e x .x 2 C 2x C 2/ Das verifizieren wir wie üblich mit einer Probe: .e x .x 2 C 2x C 2//0 D e x .x 2 C 2x C 2/ e x .2x C 2/ D x 2 e x I
Merkregel 3 Will man ein Produkt von einem Polynom und einer Exponentialfunktion (etwa p.x/ e ˙x mit einem Polynom p) partiell integrieren, so hilft die mehrfache partielle Integration. In jedem Schritt verringert man den Grad des Polynoms um 1 und arbeitet sich so voran, bis man bei einer Konstanten angekommen ist. Das klappt übrigens genauso gut, wenn man statt der Exponentialfunktion eine Cosinusfunktion oder eine Sinusfunktion dastehen hat. R Das letzte Beispiel e x cos.x/ dx ist in zweierlei Hinsicht besonders. Zum einen ist es egal, wie wir die Rollen verteilen. Wir können da gar nichts falsch machen. Zum anderen lernen wir erneut einen Trick kennen. Los geht es: u0 .x/ D cos.x/ v.x/ D e x
u.x/ D sin.x/ v 0 .x/ D e x
Partielle Integration liefert Z Z x x e cos.x/ dx D e sin.x/ e x sin.x/ dx
3.5 Integralrechnung
287
Das entstehende Integral behandeln wir erneut mit partieller Integration: u0 .x/ D sin.x/ v.x/ D e x
u.x/ D cos.x/ v 0 .x/ D e x
Dann erhalten wir Z Z e x cos.x/ dx D e x sin.x/ e x cos.x/ .e x cos.x/ dx Z x D e .sin.x/ C cos.x// e x cos.x/ dx Und was bringt uns das jetzt? Genau, das gesuchte Integral taucht nun auf beiden Seiten der Gleichung auf! Wenn eine Unbekannte auf beiden Seiten der Gleichung auftaucht, dann bringen wir sie auf eine Seite. Lassen Sie uns dazu das gesuchte Integral auf beiden Seiten der Gleichung addieren. Das führt uns auf Z 2 e x cos.x/ dx D e x .sin.x/ C cos.x// Nun dividieren wir noch durch 2 und sind fertig: Z 1 e x cos.x/ dx D e x .sin.x/ C cos.x// 2 Zur Sicherheit machen wir noch die Probe: 1 0 1 1 e x .sin.x/ C cos.x/ D e x .sin.x/ C cos.x// C e x .cos.x/ sin.x// 2 2 2 D e x cos.x/ Das hat also alles gepasst! Mit all diesen Beispielen im Gepäck sollten Sie nun in der Lage sein, eigene Aufgaben zu lösen. Lernvideos gibt es zur partiellen Integration natürlich auch (Abb. 3.41, 3.42). Viel Spaß damit!
Übungsaufgaben zur partiellen Integration
3.21 Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale mithilfe der partiellen Integration: R a) .2x C 3/e 2x dx R 2 b) x sin.x/ dx R c) x 2 ln.x/ dx R d) .sin.x//2 dx unter Verwendung der trigonometrischen Identität .sin.x//2 C .cos.x//2 D 1
288
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.41 Lernvideo zur partiellen Integration (https://doi.org/10.1007/000-bek)
Abb. 3.42 Lernvideo zur partiellen Integration mit Trick (https://doi.org/10.1007/000-bem)
3.5.5.2 Integration durch Substitution Bei der partiellen Integration haben wir uns die Produktregel zu Hilfe genommen. Bei der Integration durch Substitution wird es nun die Kettenregel sein, die wir verwenden. Erinnern wir uns also an die Kettenregel, die besagt .h.g.x//0 D g 0 .x/ h0 .g.x// Wenn wir beispielsweise sin.x 3 C 7/ ableiten wollen, dann erhalten wir mit g.x/ D x 3 C 7 und h.y/ D sin.y/
0 sin.x 3 C 7/ D 3x 2 cos.x 3 C 7/
Damit haben wir aber auch gezeigt, dass sin.x 3 C 7/ eine Stammfunktion von 3x 2 cos.x 3 C 7/ ist. Wir wenden dabei sozusagen die Kettenregel rückwärts an. Das ist schon die ganze Idee des Verfahrens. I
Merkregel 1 Das Verfahren der Integration mit Substitution lässt sich anwenden, wenn man ein Produkt zweier Funktionen integrieren möchte. Es klappt dann, wenn ein Faktor eine Hintereinanderausführung zweier Funktionen darstellt und der andere Faktor (bis auf einen konstanten Faktor) der Ableitung der inneren Funktion entspricht.
Die obige Funktion h ist eine Stammfunktion von h0 . Wenn wir h0 einfach von nun an f nennen und h dann mit F bezeichnen, wie es auch sonst für Stammfunktionen üblich ist, dann sind wir bereit für den wichtigen Satz in diesem Abschnitt:
3.5 Integralrechnung
289
Satz 3.23 Sei f eine stetige Funktion und sei F eine Stammfunktion von f . Sei g eine stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt Z g 0 .x/f .g.x// dx D F .g.x//
Bemerkung 3.5 Lassen Sie mich zwei Bemerkungen machen: 1. Setzt man g.x/ D t, dann kann man die Aussage aus obigem Satz durch die Gleichungskette: Z Z g 0 .x/f .g.x// dx D f .t/ dt D F .t/ D F .g.x// noch klarer fassen. Insbesondere wird dann klar, woher das Verfahren seinen Namen hat, denn man nimmt die Substitution g.x/ D t vor. 2. Wir befassen uns hier ganz bewusst nicht damit, wie man eine analoge Aussage für bestimmte Integrale formuliert und wie dabei die Grenzen der Intervalle zu substituieren sind. Es gibt aber solch eine Formulierung. Wie eingangs betont beschränken wir uns hier aber auf die Bestimmung von Stammfunktionen. Ich bin Ihnen noch den Beweis des Satzes schuldig. Der ist aber ganz einfach: Beweis Wir müssen zeigen, dass F .g.x// eine Stammfunktion von g 0 .x/f .g.x// ist. Dazu leiten wir einfach mit der Kettenregel ab: .F .g.x///0 D g 0 .x/F 0 .g.x// D g 0 .x/f .g.x//
Erledigt!
Auch das Verfahren der Integration durch Substitution lässt sich gut verinnerlichen, indem man einfach viele Integrationsaufgaben löst. Die Kunst ist dabei immer, die Rollen von f , g und g 0 geeignet zu verteilen, so dass das Verfahren anwendbar ist. Um das zu üben, wenden wir uns nun einigen Beispielen zu: R Wir suchen 6x .3x 2 C 1/71 dx. Die Wahl g.x/ D 3x 2 C 1, g 0 .x/ D 6x und 1 72 f .t/ D t 71 liegt nahe. Dann gilt F .t/ D 72 t . Mit der Formel zur Integration durch Substitution folgt Z 1 6x .3x 2 C 1/71 dx D .3x 2 C 1/72 72 Die Probe ergibt: Alles stimmt!
1 .3x 2 C 1/72 72
0
1 D 72 72 6x .3x 2 C 1/71 D 6x .3x 2 C 1/71 .
290
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Bei den folgenden Beispielen werden wir uns kürzer fassen und nur noch auf die Punkte eingehen, die in den jeweiligen Beispielen spezifisch sind. R Gesucht: x sin.x 2 / dx g.x/ D x 2 ; g 0 .x/ D 2x; f .t/ D sin.t/; F .t/ D cos.t/ Unser gesuchtes Integral hat nicht die gewünschte Form und muss erst in diese gebracht werden. Dafür ziehen wir einen Faktor 12 vor das Integral Z Z 1 1 2x sin.x 2 / dx D cos.x 2 / x sin.x 2 / dx D 2 2 0 Probe: 12 cos.x 2 / D 12 .2x sin.x 2 // D x sin.x 2 / I
Merkregel 2 Wenn das gesuchte Integral nur bis auf einen multiplikativen Faktor von der Form ist, wie es dem Satz zur Integration durch Substitution entspricht, dann ist das kein Problem. Man kann das leicht korrigieren, indem man die gewünschte Form herstellt und durch einen geeigneten Faktor vor dem Integral alles wieder richtig macht. R 1 dx (x ¤ 0, x ¤ 1) Gesucht: x ln.x/ Das ist schwerer. Sehen Sie die Rollenverteilung? Genau! Man muss g.x/ D ln.x/, g 0 .x/ D x1 , f .t/ D 1t , F .t/ D ln.t/ (aber nur für positive t) wählen. Dann folgt Z 1 dx D ln.ln.x// x ln.x/ Probe: .ln.ln.x///0 D
1 ln.x/
1 x
D
1 x ln.x/
I
Achtung Diese Stammfunktion gibt es natürlich sowieso nur für x > 0, wo die Logarithmusfunktion auch definiert ist. Außerdem haben wir oben gefordert, dass in F nur positive Werte eingesetzt werden dürfen. Daher müssen wir sogar x > 1 fordern, denn dann ist ln.x/ positiv. Im nächsten Kapitel zur Integration durch Partialbruchzerlegung werden wir sehen, wie wir auch im Intervall .0; 1/ das Integrationsproblem hätten lösen können. R 3 Gesucht: x 2 e x 2 dx g.x/ D x 3 2; g 0 .x/ D 3x 2 ; f .t/ D e t ; F .t/ D e t Wir passen wieder den Vorfaktor des Integrals an und erhalten Z Z 1 1 3 3 3 3x 2 e x 2 dx D e x 2 x 2 e x 2 dx D 3 3 3 0 3 3 Probe: 13 e x 2 D 13 3x 2 e x 2 D x 2 e x 2
3.5 Integralrechnung
Gesucht:
R
2xC6 x 2 C6x7
291
dx
(x ¤ 1, x ¤ 7)
1 g.x/ D x 2 C 6x 7; g 0 .x/ D 2x C 6; f .t/ D ; F .t/ D ln.t/ .für t > 0/ t Z 2x C 6 2 dx D ln.x C 6x 7/ x 2 C 6x 7 Dabei muss x 2 C 6x 7 positiv sein. Mit dem Wissen aus dem Abschnitt über quadratische Ungleichungen ist das in .1; 7/ [ .1; 1/ der Fall, wo wir die Stammfunktion also jetzt ermittelt haben. 1 Probe: .ln.x 2 C 6x 7//0 D .2x C 6/ x 2 C6x7 D x 22xC6 C6x7 1 Für die Stammfunktion von t für negative t verweise ich erneut auf den nächsten Abschnitt. Mit dem Wissen von dort können wir dann auch die Stammfunktion im Intervall R .7; 1/ bestimmen. Gesucht: cos.x/ sin.x/ dx Also hier stehen zwei Faktoren, das ist schon einmal gut. Der eine ist die Ableitung des anderen. Auch gut! Aber wo ist das f ? Kaum zu sehen, aber vorhanden. . . Es ist eben das einfachste f , was man sich vorstellen kann. Das f macht einfach nichts mit seinem Argument und lässt es unverändert. Schauen Sie: g.x/ D sin.x/; g 0 .x/ D cos.x/; f .t/ D t; F .t/ D
1 2 t 2
So einfach ist das. Man nennt f die Identitätsfunktion. Wir erhalten Z 1 cos.x/ sin.x/ dx D .sin.x//2 2 0 Probe: 12 .sin.x//2 D 12 2 cos.x/ sin.x/ D cos.x/ sin.x/
Aufgabe
R Berechnen Sie cos.x/ sin.x/ dx ein zweites Mal, diesmal mit der Rollenverteilung g.x/ D cos.x/ und g 0 .x/ D sin.x/. Passen Sie dazu f geeignet an. Die erhaltene Stammfunktion sieht auf den ersten Blick anders aus als die oben berechnete Stammfunktion 12 .sin.x//2 . Überzeugen Sie sich davon, dass beide Stammfunktionen sich nur um eine Konstante unterscheiden und also beide korrekt sind! Nutzen Sie dazu die trigonometrischen Identität .sin.x//2 C .cos.x//2 D 1.
Abschließend halten wir noch fest, dass wir mit der Integration durch Substitution bei weitem nicht alle Produktfunktionen integrieren können. Die zu integrierende Funktion muss schon eine ziemlich spezielle Form haben, damit das hier klappt. Integrieren ist und bleibt eine komplizierte Sache.
292
3
Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.43 Lernvideo zur Integration durch Substitution (https://doi.org/10.1007/000-be7)
Bemerkung 3.6 Es gibt andere Methoden, das Verfahren durchzuführen und die Lösungswege zu notieren. Oft ersetzt man g.x/ D t und führt dann eine Ersetzung der Differentiale durch, um aus einem Integral in der Variablen x ein Integral in der Variablen t zu machen (vgl. [8]). Dazu benötigt man ein wenig mehr Wissen aus der Analysis. Die Physiker machen das insbesondere so und würden evtl. nicht wie oben beschrieben vorgehen. Das macht aber nichts. Am Ende erhalten alle dasselbe Ergebnis. Für unsere Zwecke reicht unser Zugang völlig aus. Haben Sie jetzt Lust auf ein Lernvideo (Abb. 3.43) und weitere Aufgaben? Viel Erfolg damit!
Übungsaufgaben zur Integration durch Substitution
3.22 Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale mithilfe der Integration R durch Substitution: a) R .2x C 3/.x 2 C 3x 6/3 dx x b) .x 2 C2/ 3 dx R 9x 2 c) R 6x e dx d) sin.x/..cos.x//2 C 2/ dx
3.5.5.3 Integration durch Partialbruchzerlegung Zum Abschluss schauen wir uns noch ein richtig elegantes Verfahren zu Integration an, mit welchem wir Stammfunktion von Funktionen f der Form f .x/ D
p.x/ q.x/
für Polynome p und q berechnen können, wobei stets der Grad von p kleiner als der Grad von q ist. Stop! Was für eine Einschränkung! Oder doch nicht? Es wäre ja noch viel besser, wenn wir einfach alle Quotienten von zwei Polynomen integrieren könnten. Und genau, Sie wissen schon, wie wir das hinbekommen! Sollte der Grad des Polynoms im Zähler größer oder gleich dem Grad des Nennerpolynoms sein, dann machen wir einfach eine Polynomdivision. Hier ein Beispiel für
3.5 Integralrechnung
293
den Quotienten f .x/ D
2x 3 4x 2 12x C 44 x2 C x 6
Polynomdivision ergibt:
6x C 8 2x 3 4x 2 12x C 44 x 2 C x 6 D 2x 6 C 2 x Cx6 3 2 2x 2x C 12x 6x 2 C 44 6x 2 C 6x 36 6x C 8
Unser Quotient ist darstellbar als Summe eines Polynoms (das können wir integrieren) und eines Quotienten zweier Polynome, wobei der Zählergrad kleiner als der Nennergrad ist. Super, wir können uns also auf diesen Fall beschränken. Es wird das Ziel dieses Kapitels sein, Stammfunktionen für solche Quotienten zu bestimmen. lässt sich mit den bisher behandelten Verfahren nicht Der Funktionsterm x 26xC8 Cx6 integrieren. Der Zähler ist nicht die Ableitung des Nenners, so dass auch die Substitution hier nicht hilft. Nun gilt aber folgende Gleichung: 4 2 4.x C 3/ C 2.x 2/ 6x C 8 C D D 2 x 2 xC3 .x 2/.x C 3/ x Cx 6 Diese Darstellung hilft uns, denn jetzt können wir den komplizierten Quotienten 4 2 und xC3 integrieren. Einfach? integrieren, indem wir einfach die Summanden x2 Nun ja, ein wenig Vorarbeit erfordert auch das. Wir haben also folgenden Fahrplan vor uns: a 1. Wir machen uns Gedanken, wie wir Funktionsterme der Form xCb integrieren. 2. Wir überlegen uns, wie wir Quotienten von Polynomen als Summe einfacherer Quotienten darstellen können, die wir dann integrieren. Das nennt man Partialbruchzerlegung.
Wir starten mit dem ersten Ziel und dabei mit der Frage, was eigentlich die Stammfunktion von f .x/ D x1 (x ¤ 0) ist (siehe blaue Funktion in Abb. 3.44). Wir wissen bereits, dass die Ableitung von ln.x/ für x > 0 gleich x1 ist. Nun suchen wir die Stammfunktion für alle x ¤ 0 und behaupten, es ist ln jxj. Warum? Wenn wir die Logarithmusfunktion im positiven Teil der x-Achse ableiten, dann erhalten wir x1 als Steigung. Da nun aber ln jxj genau achsensymmetrisch zur y-Achse verläuft (siehe rote Funktion in Abb. 3.44), gilt auch, dass die Steigung an einer Stelle x betragsmäßig genauso groß ist wie die Steigung an der Stelle x, aber genau das umgekehrte Vorzeichen hat. Das wird genau von der punktsymmetrischen Funkti1 on x1 realisiert, für die ja gerade x1 D x gilt. Das Paar f .x/ D x1 (x ¤ 0) und
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Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.44 Die Stammfunktion von x1 (blau) ist ln jxj (rot) (Abbildung erstellt mit GeoGebra)
F .x/ D ln jxj darf jetzt gerne auf Ihrer Liste der bekannten Stammfunktionen ergänzt werden und wird uns von nun an treue Dienste leisten. Der Rest geht nun mit Kettenregel und Faktorregel: f .x/
1 x
a x
1 xCb
a xCb
F.x/
ln jxj
a ln jxj
ln jx C bj
a ln jx C bj
Damit wäre das erste Ziel erreicht. Wenden wir uns also dem zweiten Ziel zu. Lassen Sie uns dazu das Vorgehen erarbeiten und direkt an einem Beispiel durchgehen. Wir wollen Z 6x C 10 dx x 2 C 2x 3 in eine Summe einfacherer Quotienbestimmen und dafür den Quotienten x 26xC10 C2x3 ten zerlegen. Dies ist ein Beispiel, bei dem der Nenner vollständig in verschiedene Linearfaktoren zerfällt. Diesen Fall schauen wir uns jetzt an und erklären später, wie man in anderen Fällen vorgeht. 1. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Faktorisieren Sie den Nenner, indem Sie ihn vollständig in Linearfaktoren zerlegen: x 2 C 2x 3 D .x C 3/.x 1/ 2. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Machen Sie einen Zerlegungsansatz der Form 6x C 10 6x C 10 A B D D C x 2 C 2x 3 .x C 3/.x 1/ xC3 x1
3.5 Integralrechnung
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Sie benötigen für jeden Linearfaktor des Nenners einen Summanden, der diesen Linearfaktor als Nenner hat. Im Zähler setzen wir jeweils eine Konstante an, die es zu bestimmen gilt. 3. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Bringen Sie die Summanden aus dem Zerlegungsansatz auf einen Hauptnenner. Sortieren Sie im Zähler nach den Potenzen von x. 6x C 10 6x C 10 A B D D C .x C 3/.x 1/ x C 3 x 1 C 2x 3 A.x 1/ C B.x C 3/ .A C B/x C .A C 3B/ D D .x C 3/.x 1/ .x C 3/.x 1/
x2
4. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Führen Sie einen Koeffizientenvergleich im Zähler durch und stellen Sie das entstehende lineare Gleichungssystem auf. Die beiden fettgedruckten Quotienten haben den gleichen Nenner. Damit sie insgesamt gleich sind, müssen auch die Zähler gleich sein. Damit die beiden Zählerpolynome gleich sind, müssen auch der Faktor vor dem x und das Absolutglied (hier die 10) gleich sein: ACB D 6 A C 3B D 10 5. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Lösen Sie das lineare Gleichungssystem. Dies liefert B D 4 und A D 2 6. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Geben Sie die entstandene Zerlegung an: 6x C 10 2 4 D C C 2x 3 xC3 x1
x2
Jetzt brauchen wir nur noch unsere Erkenntnisse zum ersten und zum zweiten Ziel zusammen anzuwenden und können die gesuchte Stammfunktion bestimmen: Z Z Z 2 4 6x C 10 dx D dx C dx D 2 ln jx C 3j C 4 ln jx 1j 2 x C 2x 3 xC3 x1 Diese existiert für x ¤ 3 und x ¤ 1. Das wäre also geschafft. Als nächstes schauen wir uns an, wie wir das Verfahren anpassen müssen, wenn wir mehrfache Nullstellen im Nenner vorfinden. Wir suchen Z 7x 2 C 6x 4 dx .x C 1/2 .x 2/
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Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
1. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Wir müssen den Nenner in Linearfaktoren zerlegen. Das ist hier schon erledigt, denn der Nenner liegt hier schon in faktorisierter Form vor: .x C 1/2 .x 2/ 2. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Wir machen diesmal einen Zerlegungsansatz der folgenden Form: 7x 2 C 6x 4 C A B C D C 2 2 .x C 1/ .x 2/ xC1 .x C 1/ x2 Einfache Nullstellen bekommen den üblichen Summanden der Form „Konstante geteilt durch Linearfaktor“. Für mehrfache Nullstellen brauchen wir mehrere Summanden mit Konstanten im Zähler. Die Anzahl der Summanden entspricht der Vielfachheit der Nullstelle des Nenners. Bei uns ist das die Vielfachheit 2. Die Nenner enthalten jeweils Potenzen des Linearfaktors, beginnend bei der ersten Potenz bis zur Potenz, die der Vielfachheit der Nullstelle entspricht. 3. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Wir müssen alles auf den Hauptnenner bringen und im Zähler nach Potenzen von x sortieren: C 7x 2 C 6x 4 A B C D C xC1 .x C 1/2 x 2 .x C 1/2 .x 2/ A.x C 1/.x 2/ C B.x 2/ C C.x C 1/2 D .x C 1/2 .x 2/ 2 .A C C /x C .A C B C 2C /x C .2A 2B C C / D .x C 1/2 .x 2/ 4. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Wir führen den Koeffizientenvergleich im Zähler durch und stellen das dazugehörige lineare Gleichungssystem auf: ACC D7 A C B C 2C D 6 2A 2B C C D 4 5. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Wir lösen das lineare Gleichungssystem und erhalten: AD3
B D1
C D4
6. Schritt bei der Partialbruchzerlegung Wir geben die berechnete Zerlegung an: 7x 2 C 6x 4 4 3 1 C D C .x C 1/2 .x 2/ xC1 .x C 1/2 x2
3.5 Integralrechnung
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Es bleibt also wie vorhin nur noch das gesuchte Integral zu berechnen. Es gilt Z Z Z Z 4 3 1 7x 2 C 6x 4 dx C dx D dx C dx .x C 1/2 .x 2/ xC1 x 2 .x C 1/2 1 D 3 ln jx C 1j C 4 ln jx 2j xC1 Die Stammfunktion existiert für x ¤ 1 und x ¤ 2. Erstaunlicherweise wird das fettgedruckte Integral oft als das Schwierigste empfunden, obwohl wir dieses eigentlich viel früher behandelt haben als die anderen beiden. Die Darstellung 1 D .x C 1/2 hilft dann aber schnell weiter. Wir erkennen, dass .xC1/2 .1/.x C 1/1 D eine Stammfunktion von
1 .xC1/2
1 xC1
ist.
Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, dass wir hier nur die Fälle betrachtet haben, in denen der Nenner des Quotienten vollständig in Linearfaktoren zerfällt. Tut er das nicht (z. B. wenn der Nenner quadratische Terme wie x 2 C 1 als Faktor enthält, die keine reellen Nullstellen haben), gibt es ähnliche Heransgehensweisen. In diesen Fällen müssen wir Ansatzfunktionen der Form AxCB für die Zerlegung im 2. Schritt x 2 C1 verwenden. Die entstehenden Partialbrüche sind aber komplizierter zu integrieren. Dennoch finde ich, dass das Verfahren der Partialbruchzerlegung ziemlich überzeugend ist. Zum einen kann man so wirklich sämtliche Quotienten von Polynomen in einfachere Summanden zerlegen. Zum anderen finde ich es begeisternd, wie hier verschiedene Gebiete der Mathematik gemeinsam zur Anwendung kommen. Man braucht Ableitungen und Integrale, Bruchrechnung, lineare Gleichungssysteme sowie Wissen über Definitionsbereiche von Funktionen. Die Analysis und die lineare Algebra helfen uns hier gemeinsam weiter. Eine tolle Sache! Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch zwei Denkaufgaben mitgeben:
Aufgabe
In unseren Beispielen hatten wir stets den Faktor 1 vor der größten Potenz im Nenner. Daher waren auch die Linearfaktoren alle von der Form .x b/ und niemals von der Form .ax b/, was ziemlich praktisch war. Wie kann man die Partialbruchzerlegung dennoch genau wie in unseren Beispielen durchführen, wenn dort keine 1 steht? Ein Beispiel:
2x 2
3x 5 C 2x 12
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Notwendige (und hinreichende?) Kenntnisse der Analysis
Abb. 3.45 Lernvideo zur Integration durch Partialbruchzerlegung (https://doi.org/10.1007/000-bep)
Aufgabe
Es gibt Quotienten von Polynomen, die wir sowohl mit der Partialbruchzerlegung als auch mit Integration durch Substitution integrieren können. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Zähler die Ableitung des Nenners ist. Überzeugen Sie sich durch zweierlei Rechnung, dass beide Integrationsverfahren beim Integral Z x2
2x 3 dx 3x C 2
auf dieselbe Stammfunktion führen. Nutzen Sie dabei die Logarithmengesetze!
Wenn Sie nun ein weiteres Übungsbeispiel hilfreich finden, dann schauen Sie doch gerne direkt in das Lernvideo zur Integration durch Partialbruchzerlegung (Abb. 3.45)!
Übungsaufgaben zur Integration durch Partialbruchzerlegung
3.23 Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale mithilfe der Integration durch Partialbruchzerlegung: R dx a) 2xC4 2 R x 9 2xC4 b) .x1/.x2/.x3/ dx R c) .x7/x2 2 .xC3/ dx R d) x 3 C3xx2 2 24x80 dx (x D 5 ist eine Nullstelle des Nenners.)
Literatur
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© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 A. Kiesel, R. Krapf, Mathematik für den Studieneinstieg, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6
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Stichwortverzeichnis
A Abbildung, 36 Ableitung erste, 234 n-te, 248 zweite, 248 Ableitung der Umkehrfunktion, 239 Ableitungsregeln, 236 Abstand zweier Punkte, 148 Äquivalenz, 7 Äquivalenzumformungen bei Gleichungen, 109 Äquivalenzumformungen bei linearen Gleichungssystemen, 170 Äquivalenzumformungen bei Ungleichungen, 126 Arkuscosinusfunktion, 91 Arkussinusfunktion, 91 Arkustangensfunktion, 91 Asymptote, 80 aufgespannter Raum, 154 Aussage, 2 Disjunktion von Aussagen, 4 Konjunktion von Aussagen, 4 Negation einer Aussage, 3
B Basis eines Vektorraums, 163 Betragsfunktion, 57 bijektiv, 38 Bild, 37 Bildmenge, 37 Bogenmaß, 82
C Cosinusfunktion, 83 Cosinussatz, 87
D Definitionsmenge, 36 Determinante einer Matrix, 204 Differenzierbarkeit, 234 Dimension eines Vektorraums, 164 Divergenz einer Folge, 211 Doppelsumme, 27
E Einheitsmatrix, 194 Erzeugendensystem, 155 Exponentialfunktion, 213 allgemeine, 217 Extremstellen globale, 245 lokale, 245 Extremwertaufgabe, 253
F Faktorregel, 236 Fallunterscheidung, 131, 137 Fläche zwischen zwei Funktionsgraphen, 278 Flächeninhalt nicht-orientierter, 276 orientierter, 267 Folge, 209 Funktion gerade, 51 konkave, 249
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 A. Kiesel, R. Krapf, Mathematik für den Studieneinstieg, https://doi.org/10.1007/978-3-662-67932-6
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302 konvexe, 249 monoton fallende, 53 monoton wachsende, 53 periodische, 53 reelle, 47 ungerade, 51 Funktionsgraph, 48
G Gauß-Algorithmus, 170 gebrochen-rationale Funktion, 78 Gleichung, 108 lineare, 109 mit Beträgen, 122 mit Exponentialfunktionen, 220 mit gebrochen-rationalen Funktionen, 119 mit Wurzelausdrücken, 115 quadratische, 110 Grenzwert bei Funktionen, 224 Grenzwert einer Folge, 210
H Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, 273 Hintereinanderausführung von Abbildungen, 43 Hintereinanderausführung von Funktionen, 98
I Implikation, 7 injektiv, 38 Integral bestimmtes, 267 unbestimmtes, 272 Integration durch Partialbruchzerlegung, 292 durch Substitution, 288 partielle, 282 Integrierbarkeit, 267 Interpolation, 70 Intervall, 15
K Kettenregel, 237 Kreisgleichung, 148 Kreuzprodukt, 149 Kurvendiskussion, 242, 250
Stichwortverzeichnis L lineare Abhängigkeit, 161 lineare Unabhängigkeit, 161 lineares Gleichungssystem, 168 homogenes, 168, 172 inhomogenes, 168, 174 Linearfaktor, 71 Linearfaktorzerlegung, 73 Linearkombination, 154 linkseindeutig, 34 linkstotal, 34 Logarithmengesetze, 216 Logarithmusfunktion allgemeine, 217 natürliche, 215
M Matrix, 178 Addition, 179 inverse Matrix, 200 Multiplikation mit einer Zahl, 180 transponierte Matrix, 179 verkettete Matrizen, 193 Matrix-Matrix-Produkt, 193 Matrix-Vektor-Produkt, 181 Menge, 12 Durchschnitt von Mengen, 16 Kartesisches Produkt von Mengen, 21 Mengendifferenz, 16 Teilmenge, 13 Vereinigung von Mengen, 16 Mittelwertsatz der Differentialrechnung, 240 Monotonie von Funktionen, 53, 243
N Nullstelle, 48
O Obersumme, 265
P Polynom, 69 Polynomdivision, 74 Potenz, 58, 64 Potenzfunktion, 60 Potenzgesetze, 58 p-q-Formel, 111 Produktregel, 236
Stichwortverzeichnis Q quadratische Ergänzung, 68 Quotientenregel, 236
R rechtseindeutig, 34 rechtstotal, 34
S Satz von Taylor, 261 Satz von Vieta, 112 Sinusfunktion, 83 Sinussatz, 88 Skalarprodukt, 145 span, 154 Spiegelung von Funktionsgraphen, 103 Stammfunktion, 272 Stauchung von Funktionsgraphen, 103 Stetigkeit, 225 Streckung von Funktionsgraphen, 103 Summenregel, 236 Summenzeichen, 25 surjektiv, 38 Symmetrie von Funktionsgraphen, 51
T Tangensfunktion, 89 Tangente, 231 Tangentengleichung, 233 Taylorentwicklung, 258 Taylorpolynom n-ter Ordnung, 258 Tupel, 33
U Umkehrabbildung, 41 Umkehrfunktion, 93
303 Ungleichung, 125 lineare, 127 mit Beträgen, 134 mit gebrochen-rationalen Funktionen, 131 quadratische, 128 Untersumme, 265 Untervektorraum, 155 Urbild, 37
V Vektor, 142 Addition, 143 Länge, 147 Multiplikation mit einer Zahl, 143 Subtraktion, 143 transponierter Vektor, 142 Vektorprodukt, 149 Vektorraum, 155 Verhalten am Rand des Definitionsbereichs, 243 Verkettung von Abbildungen, 43 Verkettung von Funktionen, 98 Verschiebung von Funktionsgraphen, 104
W Wendestellen, 249 Wertemenge, 36 Winkel zwischen zwei Vektoren, 148 Wurzelfunktion, 62, 63
Z Zahlen ganze, 13 natürliche, 13 rationale, 13 reelle, 13 Zielmenge, 36 Zwischenwertsatz, 226