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German Pages 596 Year 2023
Florian Zacher Marius Victorinus als christlicher Philosoph
Patristische Texte und Studien
Im Auftrag der Patristischen Kommission der Akademien der Wissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland Herausgegeben von Hanns Christof Brennecke und Ekkehard Mühlenberg
Band 80
Florian Zacher
Marius Victorinus als christlicher Philosoph Die trinitätstheologischen Schriften des Gaius Marius Victorinus und ihre philosophie-, kirchen- und theologiegeschichtlichen Kontexte
ISBN 978-3-11-099277-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-098757-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-098764-5 ISSN 0553-4003 Library of Congress Control Number: 2022949454 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort Diese Arbeit stellt die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die unter dem Titel „Christlicher Glaube und Philosophie in der Prinzipienlehre des Marius Victorinus. Eine Untersuchung zu den trinitätstheologischen Schriften des Gaius Marius Victorinus und ihren philosophie-, kirchen- und theologiegeschichtlichen Kontexten“ im Sommersemester 2021 vom Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen wurde. Am Ende dieses langen Wegstückes fühle ich tiefe Dankbarkeit. An erster Stelle danke ich Frau Prof. Dr. Charlotte Köckert, die diese Arbeit angeregt und mit wertvollen Ratschlägen begleitet hat. Sie hat mir während meiner Zeit als Assistent am Erlanger Lehrstuhl für Ältere Kirchengeschichte große Freiheit ermöglicht, mich in allen Bereichen meiner Tätigkeit ermutigt, gefördert und unterstützt. Die Jahre der vertrauensvollen Zusammenarbeit, in denen ich auch jenseits des Fachlichen viel von ihr lernen durfte, werde ich immer in bester Erinnerung behalten. Ein besonderer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Walter Kißel. Er hat mich während meines Studiums gefördert und begleitet mich bis heute mit Interesse. Er ist mir seit Studientagen nicht nur in der streng methodisch geleiteten Interpretation antiker Texte, sondern auch als Mensch ein großes Vorbild geworden. Herr Prof. Dr. Hanns Christof Brennecke und sein damaliges Lehrstuhlteam, Frau Dr. Annette von Stockhausen und Herr OStR Christian Müller, haben mich durch ihre anregenden Lehrveranstaltungen von der Patristik im Allgemeinen und der Geschichte des Trinitarischen Streits im Besonderen begeistert. Dafür und für alles, was sie mir beigebracht haben, bedanke ich mich herzlich. Herrn Prof. Dr. Henrik Pfeiffer danke ich dafür, dass ich bei ihm meine Fähigkeiten im beharrlichen Ringen um das Verständnis komplexer antiker Texte schulen konnte, dass er mich von guter Musik zu überzeugen wusste und dass ich für ein Semester als sein Assistent wieder einen Ausflug in die spannende Welt des Alten Testaments machen durfte. Ich danke Herrn Prof. Dr. Christian Tornau, der die Mühen des Zweitgutachtens auf sich genommen hat und aufgrund seiner vielseitigen Kenntnisse wertvolle Hinweise für die Verbesserung der Arbeit geben konnte. Ich bedanke mich bei der Patristischen Kommission für die Ehre, dass sie meine Arbeit in die Reihe „Patristische Texte und Studien“ aufgenommen hat. Ich danke dem Mitglied der Patristischen Kommission, das meine Arbeit begutachtet hat, für die hilfreichen Vorschläge zur Verbesserung. Ein großer Gewinn war es für mich, dass ich meine Thesen und Überlegungen bei den Erlanger Oberseminaren der Patristik und den gemeinsamen Oberseminaren mit Prof. Dr. Hans-Ulrich Wiemer, im Oberseminar bei Prof. Dr. Volker Hen-
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Vorwort
ning Drecoll, bei Vorträgen und Workshops in Erlangen, Oxford, Eichstätt und Wuppertal vorstellen konnte.Vielen Dank an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die anregenden Diskussionen. Besondere Bedeutung hatte die Victorinus-Tagung in Prag im Jahr 2017, auf die mich Herr Dr. Václav Němec als Neuling unter vielen Kennern eingeladen hat und deren inhaltliches Niveau und menschliche Atmosphäre unvergleichlich war. Die Beiträge zu dieser Tagung erscheinen leider erst nach Abschluss dieser Arbeit. Alle Beitragenden waren aber so freundlich, mir die vorläufige Endfassung der Aufsätze zur Verfügung zu stellen, sodass ich in dieser Arbeit bereits inhaltlich darauf eingehen konnte. Ihnen allen sei herzlich gedankt! Für die inspirierenden Gespräche und Ratschläge während und nach der Tagung danke ich insbesondere Herrn Prof. Dr. Thomas Riesenweber und Prof. Dr. Stephen Cooper. Meine Arbeit ist in Erlangen in einem außergewöhnlich kollegialen Umfeld entstanden. Der Austausch und die Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen des Fachbereichs Theologie und der Philosophischen Fakultät haben mich inhaltlich vorangebracht und mich in schwierigen Phasen gestützt. Viele gute Freundschaften sind in dieser Zeit entstanden. Stellvertretend möchte ich drei Menschen besonders nennen: Ich danke Herrn StR Dr. phil. Christopher Diez (Latinistik), dem ich nicht nur in methodischen Fragen zutiefst verbunden bin. Frau Anna Nieschler (Gräzistik) konnte mir bei vielen philologischen Problemen helfen und ist mir eine gute Freundin geworden. Heidi Erlwein hat mir mit ihrer unkomplizierten und humorvollen Art jeden Tag gemeinsamen Arbeitens verschönert. Ohne meine vielen Freundinnen und Freunde in Krumbach, Erlangen und andernorts und ohne meine Familie hätte ich die langen Jahre des beharrlichen Forschens und Arbeitens nicht durchgehalten. Allen meinen Freunden und meiner ganzen Familie bin ich überaus dankbar für das Interesse an meiner Arbeit und die verlässliche Begleitung zu allen Zeiten. Meiner Partnerin Tabea Lechner danke ich, dass sie das Ende meiner Promotionszeit zu einem zauberhaften Neuanfang gemacht hat und mir immer unterstützend zur Seite steht. Am Ende steht der Dank an drei Menschen, ohne deren Liebe, Hilfe und Begleitung ich nicht an diesen Punkt gekommen wäre. Was sie für mich geleistet haben, ist nicht angemessen in Worte zu fassen. Meiner Mutter Karin Zacher und meiner Großmutter Edeltraud Gauwatz danke ich für ihre bedingungslose Unterstützung und ihre liebevolle Ermutigung auf meinem Lebensweg. Auch meinem Vater Franz Zacher habe ich unendlich viel zu verdanken. Leider kann er das Erscheinen dieses Buches nicht mehr erleben. Meiner lieben Mutter und Großmutter und der dankbaren Erinnerung an meinen Vater sei dieses Buch gewidmet. Rottenburg am Neckar, 29.09.2022
Inhalt A
Forschungsgeschichte 1 Die Victorinus-Forschung vor Pierre Hadot (1528 – 1955) 1 Pierre Hadot (1960.1968.1971): Kritische Edition und wegweisende Forschung 20 29 Die weitere Forschung nach Pierre Hadot Victorinus und die Gnosis 35 Forschung zu den Pauluskommentaren 43 Das Rätsel der „neunizänischen Formel“ bei Marius Victorinus 44 45 Ziele, Methodik und Aufbau dieser Arbeit
B
Biographie 50 Zur Notwendigkeit einer erneuten Untersuchung der Biographie Die Notizen bei Hieronymus 51 Der Bericht Augustins im achten Buch der Confessiones 61 73 Der Cicero-Kommentar als biographische Quelle Fazit 100
C
Datierung, Kontext und Adressaten der christlichen Schriften und das in102 tellektuelle Milieu des Victorinus Vollständigkeit und Datierung der christlichen Schriften des Victorinus 102 Die kirchliche Situation in Rom Ende der 350er-Jahre, Milieu und 131 Adressaten des Victorinus Fazit 155
D
Der literarische Aufbau des theologischen Werkes Methodische Vorüberlegungen 157 Aufbau der einzelnen Schriften 161 Konzeption des Gesamtwerkes 227
E
Die Trinitätslehre des Victorinus 236 Überblick: Einheit und Verschiedenheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist 236 Das Problem der Terminologie und Paradoxie 239 Der Sohn als Offenbarung des verborgenen Wesens des Vaters 265 Die soteriologische Pointe der Trinitätstheologie 311 Fazit 350
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VIII
F G
Inhalt
Die Materie und der menschliche Leib im Denken des Victorinus 355 Das Materiekonzept und seine Bedeutung für die Prinzipienlehre des 355 Victorinus Der Ursprung der Materie aus Gott und ihr ontologischer Status 356 Die moralische Qualität der Materie und des Leibes 366 383 Erschaffung und Erlösung des menschlichen Leibes Die Pädagogik Gottes und das Problem des Ausgangs des Gerichts bei Victorinus 417 Fazit 437
Die Seele im Denken des Victorinus 440 Themen und Probleme der Seelenlehre des Victorinus 440 Erkenntnistheorie und Ontologie der Seele in Ad Candidum 441 450 Präexistenz, Fall und Aufstieg der Seele Die Seele als Abbild der Trinität 463 Quellseele, Weltseele und Einzelseele bei Victorinus 476 Die Annahme und Erlösung der Seele durch den inkarnierten 505 Logos Fazit: Erkenntnistheorie und Soteriologie als zentrale Anliegen 520
H
524 Ergebnisse Die Biographie des Victorinus und ihre paradigmatischen Aspekte Kontexte und Diskurse 526 532 Grundlinien seines Denkens: Homousie und Soteriologie Warum wurde Victorinus kaum rezipiert? 534 Marius Victorinus christlicher Philosoph und biblischer Theologe
Verzeichnisse 537 Abkürzungsverzeichnisse Hilfsmittel 537 Bibelausgaben 538 Primärliteratur 538 Sekundärliteratur 551 Bibelstellen
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Antike und mittelalterliche Autoren
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A Forschungsgeschichte Zum Beginn der Arbeit soll ein forschungsgeschichtlicher Überblick stehen, in dem Erkenntnisfortschritte und Probleme der Victorinus-Forschung seit dem 16. Jh. dargestellt werden. Dabei zeichnet sich die Tendenz ab, dass Victorinus spätestens seit dem 19. Jh. fast nur noch als Philosoph, kaum mehr als eigenständiger christlicher Theologe wahrgenommen wurde. Den Kulminationspunkt dieser Ansicht stellt die quellengeschichtliche Arbeit Pierre Hadots dar, dessen Werk zur meist unhinterfragten Grundlage der Victorinusforschung des 20. Jh. wurde und daher eine wichtige Zäsur darstellt. Erst in neuerer Zeit wurde deutlichere Kritik an Hadots Forschungen geübt und die Victorinusforschung verzweigte sich auf der Basis seiner Arbeit in zahlreiche kleinere Richtungen. Die Forschungspositionen sollen nach Möglichkeit in ihre jeweiligen zeitgenössischen Debatten eingeordnet werden, um die Interpretationen besser einordnen und kritisieren zu können. Ein ausführlicherer Überblick lohnt auch deswegen, um auf nicht weiterverfolgte, aber möglicherweise gewinnbringende Aspekte der Victorinusforschung aufmerksam zu machen. Als Ergebnis des Überblickes skizziere ich die Ziele, das methodische Vorgehen und den Aufbau dieser Arbeit.
1 Die Victorinus-Forschung vor Pierre Hadot (1528 – 1955) 1.1 „Plumper Stammler“ oder „Gold im Misthaufen“? Stimmen im 16. und 17. Jh. Seit dem kritischen Urteil des Hieronymus über Marius Victorinus ist die Klage über seine schwierige Verständlichkeit zu einem regelrechten Topos in der Literatur geworden.¹ Johannes Sichard, der 1528 die editio princeps der Werke des Victorinus besorgte, fällte ein harsches Urteil über den Stil des Victorinus: „Über dessen Bücher kann ich für den Augenblick nur sagen, dass sie sehr ungünstig aufgenommen wurden, nicht wegen des schwierigen Inhalts, den sie behandeln, sondern wegen des holprigen Stils: Denn der Africaner spricht so, als ginge es ihm darum, von den echten Lateinern nicht verstanden zu werden.“²
Vgl. Hier. vir. ill. 101. Dazu unten S. 51– 54. Schon Gore, Art. „Victorinus (6)“, DCB 4 (1887), 1130 f. sammelt einige Belege dafür in der älteren Literatur. Ähnlich Hadot, Porphyre I, 30 f. Sichardus, Antidotum, praef.: De quibus [sc. libris] sane non habeo in praesentia quod dicam, nisi iniquissime nos [eos?] esse acceptos, non tamen difficultate argumenti quod tractant, quam dictionis salebris: Dum sic loquitur Afer, quasi hoc agat ne a recte Latinis intelligatur. Bei nos scheint es sich um https://doi.org/10.1515/9783110987577-001
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A Forschungsgeschichte
Denis Pétau widmete in seinem Anfang des 17. Jh. erschienenen Werk De theologicis dogmatibus der Trinitätstheologie des Victorinus einen kurzen Abschnitt. Dies ist eher einem enzyklopädischen Ansatz geschuldet als echtem Interesse an dessen Theologie. Victorinus sei so schwer verständlich, dass man ihm „mit gleichem Recht wie Heraklit den Beinamen ‚der Dunkle‘ (σκοτεινός) geben könnte.“³ Nach einer kurzen Wiedergabe einiger Gedanken des Victorinus bricht Pétau seine Ausführungen ab: „Aber wir wollen ihn übergehen, da er über dieses große Mysterium nur plump herumstammelt.“⁴ Gegen diese heftige Kritik hebt sich umso mehr das positive Urteil des französischen Theologen Louis Thomassin in der zweiten Hälfte des 17. Jh. ab.⁵ Er beschäftigt sich in seinen Dogmata theologorum in einem Kapitel mit der Trinitätstheologie des Victorinus. Dessen Lehre sei zwar „wenig beredt und etwas dunkel“, aber sie entspreche dem Standard der Orthodoxie und verdiene daher eine Darstellung.⁶ Thomassin schwächt die Kritik an der obscuritas des Victorinus deutlich ab, indem er sie auf verschiedene Weise zu erklären sucht: Zwar sei auch der Stil des Autors schon kompliziert, der Gegenstand aber das eigentlich Komplizierte. Außerdem beklagt er den schlechten Zustand der Textausgaben, die ihm zur Verfügung stehen. Dennoch sei das, was man trotz all dieser Hindernisse rekonstruieren könne, bewundernswert.⁷ Thomassin sucht die Gründe für die Verständnisschwierigkeiten nicht nur in einem schlechten Stil des Autors, sondern erkennt ausdrücklich an, dass diese auch in der Natur des Stoffes begründet sind. Er erkennt zudem, so weit ich sehe, als erster, dass auch der schlechte Überlieferungszustand der Werke ein maßgebliches Hindernis für die Interpretation ist. In der folgenden Darstellung versucht Thomassin, so gut als möglich die wichtigsten Gedanken des Victorinus nachzuverfolgen und kritisch zu beurteilen. Die einzige fundamentale
einen Druckfehler für eos zu handeln, da es sich um eine Aussage über die libri des Victorinus handeln muss. Pétau, De trinitate I 5,8, De theologicis dogmatibus tomus II, Venedig 1745, 30 f.: […] Marius Victorinus, quem σκοτεινόν haud minori jure, quam Heraclitum illum, cognominare possis. Pétau, De trinitate, 31: Sed hunc de tanto mysterio incondite balbutientem omittamus. Außerdem nennt er ihn in De trinitate II 2,9 (69) scriptor ferreus. Die Dogmata theologicorum erscheinen zwischen 1680 – 1689, vgl. Kreuzer, Art. „Thomassin (d’Eynac), Louis de“, BBKL 14 (1998), 1552 f. Thomassin, Dogmatum theologicorum tomus III, II 32,1, p. 312: Marii Victorini doctrinam tametsi minus disertam & subobscuram, sanam tamen & orthodoxam […]. Vgl. Thomassin, Dogmatum theologicorum tomus III, II 32,1, p. 312: Cum hic author et stylo implicatus sit, & rem tractet implicatissimam; adde & cum non venerint in manus nostras ejus editiones, nisi mendosissimae: fieri omnino non potuit, quin & nostra de ejus placitis dissertatio haereret & titubaret persaepe; nonnulla nobis divinanda potius essent, quam affirmanda. Vel sic tamen erunt, ut spero, quae nos in admirationem rapiant in hoc antiquissimo Scriptore.
1 Die Victorinus-Forschung vor Pierre Hadot (1528 – 1955)
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Kritik übt er daran, dass Victorinus den Sohn als den sich selbst zeugenden Willen des Vaters bezeichnet. Die Passivität des Vaters, die hier zum Ausdruck gebracht werde, kritisiert Thomassin als ein zu großes Zugeständnis an die platonische Philosophie.⁸ Insgesamt beurteilt er die Auseinandersetzung mit Victorinus aber als lohnenswert. Wo es Thomassin gelingt, die Überlieferungsfehler zu emendieren, scheint es ihm geradezu so, als habe er ein Stück „Gold […] im Misthaufen“ gefunden.⁹
1.2 Gustav Koffmane (1880) als Beginn der modernen Arbeit an Victorinus Nachdem Victorinus im 18. und 19. Jh. offenbar kein weiteres Interesse hervorgerufen hatte, setzte die wirklich wissenschaftliche Erforschung seiner Texte und Theologie mit der Frankfurter Lizenziatsarbeit des schlesischen Kirchenhistorikers Gustav Koffmane im Jahr 1880 ein. In der kleinen Arbeit verfolgt Koffmane hauptsächlich das Ziel, eine Schneise für das Verständnis der schwierigen Texte des Victorinus zu schlagen und in geringem Maße die Quellen seines Denkens zu eruieren.¹⁰ Angesichts der Vorurteile gegen den unverständlichen Victorinus und die Probleme, die der schlechte Zustand des Textes in der Patrologia Latina mit sich brachte, stellt dieses Unternehmen einen wichtigen Pionierbeitrag dar.¹¹ Koffmane drückt zwar seine Verwunderung über den sprachlichen Stil des Victorinus aus und schließt sich grundsätzlich dem Urteil des Hieronymus an, jedoch könnte man dies aus Rücksicht auf den schwierigen Stoff, die philosophische Terminologie und die kompakte Argumentation entschuldigen. Er verteidigt die zahlreichen Neologismen, die aus einem klassizistischen Standpunkt aus zwar sprachliche „Ungeheuerlichkeiten“ seien, aber der Klarheit der Argumentation dienlich seien.¹² Die De-
Vgl. Thomassin, Dogmatum theologicorum tomus II 32,7, p. 314: Quod autem infra habetur de Voluntate sese generante, hoc est de Filio, non video quo exponi possit modo, vel excusari, nisi confiteamur hic nimio plus ad Platonicos accedere Victorinum voluisse. Thomassin, Dogmatum theologicorum tomus II 32, 5, p. 313: Editionis vulgatissimae menda pauca emendo e plurimis, utinam plura possem; est enim aurum istud, ut ita dicam, in sterquilinio; usque adeo verba hic aurea sordibus & mendis scatent. Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 1. Koffmane, De Mario Victorino, 10 verweist darauf, dass er im Text der Pauluskommentare auf Anhieb unzählige zu emendierende Stellen gefunden habe, da sich noch nie ein Philologe der Arbeit an den theologischen Schriften des Victorinus angenommen habe. Koffmane, De Mario Victorino, 11: […]: Oratio Nostri est admodum abstrusa atque perplexa ita ut vix rhetoris credas; sed obscura argumenta, termini philosophici, constricti syllogismi excusant; nam in commentariis stilus multo planior est. […] Fugiant Cicerones, audimus „praeaeternus, praecausa, praeexsistentia, elucescentia, existentialitas, intelligentitas, intellegentialitas, essentitas, limitamen-
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A Forschungsgeschichte
finitionen und Syllogismen des Victorinus seien dank seiner philosophische Vorbildung präzise und „rasiermesserscharf.“¹³ Koffmane charakterisiert Victorinus als einen Philosophen, „der eine wirklich wissenschaftliche Theologie auf philosophischen Fundamenten zu errichten bestrebt ist, der die dogmatischen Streitigkeiten dieser Zeit verstehen will.“¹⁴ Zugleich unterscheidet er aber zwischen Philosophie und Theologie und urteilt, dass es Victorinus nicht gelungen sei, sein paganes Denken abzulegen. Er erkennt zwar durchaus an, dass Victorinus um eine biblische Fundierung seiner Theologie bemüht ist, attestiert ihm dabei aber nur bedingten Erfolg. Immer wieder flössen Elemente der neuplatonischen Philosophie ungewollt in sein System ein. Gemessen am Standard seiner eigenen Zeit „platonisiere“ Victorinus mehr, als es für einen orthodoxen Christen angemessen gewesen sei.¹⁵ In den knappen Nachvollzug des theologischen Systems fließen entsprechend immer wieder dogmatische Urteile des Autors über Victorinus ein. So vermisst Koffmane bei Victorinus klare Aussagen zur Jungfräulichkeit Mariens, zur Erbsünde, zur Gnadenwahl und Prädestination oder ein Bekenntnis zur Rolle der Kirche und der Sakramente für das Heil.¹⁶ Koffmane vermisst damit vieles, das erst
tum, counitio, vivefacere (at crebro vivifacere) et – eheu – potentificare (c. Arium 3,7).“ Sed haec monstra, ubi posita sunt, ad argumentationem elucidandam valde videntur esse utilia. Koffmane, De Mario Victorino, 3: […] et in scriptis cum grammaticis tum theologicis tam praecisis acutis definitionibus atque syllogismis utitur, ut lector saepe sibi super novaculam ire videatur. Koffmane, De Mario Victorino, 3: […] philosophus, qui theologiam vere scientificam fundamentis philosophicis superstruere nitatur, qui dogmaticas illius temporis contentiones intellegere studeat. Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 12: Volt theologus esse mere biblicus. Sed ipse invitus, quas a iuventute animo conceperat cogitationes et placita, Scripturae obtrudit atque argumenta e gentili doctrina repetita infert. Ferner 29: Idem vero post baptismum acceptum, quem penitus imbiberat Neoplatonismum etiam invitus retinuit: Christianus factus est Platonizans magis, quam illis temporibus orthodoxum decuit. Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 18 f.: Voluntatem humanam abhorrentem a praeceptis divinis nusquam inducit. De peccatorum antea commissorum pondere in sequentibus actibus hominum non cogitat – ut omnino taceam de peccato originali. Ferner S. 23: tacet de electione et praedestinatione. Ferner S. 25: Qui huic visibili ecclesiae in salute comparanda nullum tribuerit momentum […] Nulla fit mentio de coena domini, nihil dictum est de exomologesi, nihil de officiis, quae Christianus praestare debeat in communione. Vgl. S. 26: […] de virgine Maria nihil satis certi habet […] de perpetua post partum virginitate tacet. Damit bezieht Koffmane auch in zeitgenössischen Diskussionen um die Jungfrauengeburt Stellung, die im Apostolikumstreit kulminieren, vgl. dazu Barth, Art. „Apostolisches Glaubensbekenntnis II. Reformations- und Neuzeit“, TRE 3 (1995), 560 – 562. In seiner 1887 erschienenen Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, 103 f. kritisiert Koffmane das sog. „Nitzschenum“ als im Ton „fast zu biblisch“ und vermisst die „historischen Fakta“. Allerdings äußert er sich auch kritisch über die übermäßige Reaktion der„Rechten“ gegen dieses Ordinationsformular.
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durch Augustin oder später zum Kriterium der Orthodoxie erhoben wurde, und beurteilt Victorinus nach dieser anachronistischen Maßgabe. Ein weiterer Teil der Arbeit widmet sich der Suche nach möglichen Quellen des Victorinus. Dabei formuliert Koffmane die wichtige methodische Warnung, dass man nicht jeden Gedanken auf einen Autor oder ein bestimmtes Werk zurückführen könne. Vieles sei weit verbreitet und lasse damit keine konkrete Aussage über die Abhängigkeiten des Victorinus zu.¹⁷ In der Philosophie habe Victorinus alle wichtigsten Philosophen gekannt, habe insbesondere die Neuplatoniker rezipiert, sei aber kein blinder Gefolgsmann der Philosophen gewesen.¹⁸ Koffmane ordnet Victorinus der Sache nach als neuplatonischen, der Form nach als aristotelischen Philosophen ein.¹⁹ In der theologischen Landschaft konstatiert Koffmane dagegen weitgehende Fehlanzeige für mögliche Quellen des Victorinus. Seine Leistung hänge von keinem anderen Theologen seiner Zeit ab und sei damit durchaus originell. Jedoch sei Victorinus später nicht mehr rezipiert worden, weil er zu schwer zu verstehen gewesen sei und weil seine Werke der späteren Polemik nicht als Arsenal dienen konnten.²⁰ Das Gesamturteil spiegelt die dogmatische Zensur wieder: Victorinus sei eine beachtenswerte Figur der Kirchengeschichte, es sei aber kaum bedauerlich, dass er in der Rezeption vor dem „leuchtenden Genie“ des Augustinus verblasst sei.²¹ Die Leistung der Arbeit Koffmanes besteht darin, die bedeutende Rolle des Victorinus in der lateinischen Theologie vor Augustinus herauszuarbeiten und eine erste Grundlage für das Verständnis der schwierigen Texte zu bieten. Er ist immer wieder bemüht, die wirkmächtige Kritik des Hieronymus an Victorinus abzudämpfen. Da er sich aber ähnlicher Kategorien bedient, kommt er immer wieder selbst in die Nähe dieses Urteils. Zu Beginn wendet sich Koffmane zwar gegen eine dichotomische Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie, indem er das philosophische Verfahren als wissenschaftliche Form der Theologie des Victorinus charakterisiert. In seiner Beurteilung der Leistung des Victorinus reaktiviert er die Trennung aber wieder und spielt den „biblischen Theologen“ gegen den neuplatonischen Philosophen in Victorinus gegeneinander aus.
Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 27. Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 28: […] insipidum asseclam atque pedisequom fuisse eum negamus. Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 31. Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 32 f. Koffmane, De Mario Victorino, 34: Nobis peculiari dissertatione non indignus visus est, quippe qui post Tertullianum ante Augustinum maxime inter occidentales Christianae religionis indolem et pondus examinavit; non dolendum est, quod prae illo lucente ingenio evanuit, at laudem ferre debet certe dignam memoria.
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A Forschungsgeschichte
1.3 Godehard Geiger (1887 – 1889): Marius Victorinus als neuplatonischer Philosoph Geiger führte die Pionierarbeit Koffmanes fort und befasste sich in zwei Beilagen zum Mettener Gymnasialprogramm mit Marius Victorinus und dem System, das seinen Schriften zugrunde liege. Geiger geht viel radikaler als Koffmane von einer Dichotomie von Philosophie und Theologie aus und charakterisiert die Geschichte des 4. Jh. als einen Kampf des Christentums gegen die neuplatonische Philosophie nach innen und nach außen. Die Leistung der Theologen des 4. Jh. sei es gewesen, dass sie den Neuplatonismus „seiner Waffen beraubten und diese umschmiedeten, daß sie dem christlichen Geiste dienstbar wurden.“²² Auch Victorinus habe sich bemüht, Neuplatonismus und Christentum miteinander zu versöhnen, sei dabei aber zu stark der Philosophie verhaftet geblieben. Seine Schriften enthielten darum „im Grunde nichts anderes als das neuplatonische System in christlich-theologischem Gewande.“²³ Geiger kritisiert Koffmanes Einschätzung, dass Victorinus nur deshalb nicht rezipiert worden sei, da seine Schriften zu schwer verständlich gewesen seien und kein Material für spätere Auseinandersetzungen geboten hätten. Er sieht die Gründe dafür vielmehr im Denken des Victorinus selbst. Spätere christliche Denker hätten erkannt, dass er nur ein philosophisches, kein christliches System aufgestellt habe, und hätten ihn deswegen nicht rezipieren können, während spätere Philosophen mit den christlichen Elementen nichts hätten anfangen können.²⁴ Geiger schließt sich dementsprechend auch dem Urteil des Hieronymus an, dass Victorinus kein guter Exeget gewesen sei.²⁵ In der Auslegung der Bibel weiche Victorinus vollkommen von anderen Theologen ab und vertrete „gar manche sonderbare Meinung.“²⁶ Er betrachtet den Umgang des Victorinus mit der Schrift eher als eine Eisegese, in der Victorinus seine neuplatonischen Vorstellungen in die Schrift hineinlese. Die Schwierigkeit der Texte erklärt Geiger wie Hieronymus mit der dunklen Dialektik, aber auch mit der nachlässigen Darstellungsweise des Autors, die den Nachvollzug der Gedanken erschwere, und der schlechten Textkonstitution.²⁷ Er unternimmt es dann, das System hinter den Schriften des Victorinus ausführlich darzustellen. Dies geschieht mit der Absicht, den Nachweis zu führen, dass
Geiger, C. Marius Victorinus I, 4. Geiger, C. Marius Victorinus I, 6. Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus I, 6 f. S. dazu unten S. 59 f. Geiger, C. Marius Victorinus I, 11. Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus I, 11.
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es sich um ein „vollständiges, consequent entwickeltes“ System handele, „das kein anderes ist als das neuplatonische.“²⁸ Mit dieser Hermeneutik interpretiert Geiger das System des Victorinus so, dass es durchgängig von Plotin her verstehbar sei. Als Ergebnis hält er fest, dass Victorinus christliche Lehrinhalte bestenfalls oberflächlich in sein Denken integriert habe, im Wesentlichen aber das neuplatonische System auf das christliche Dogma angewandt habe. Auch nach seiner Bekehrung sei Victorinus noch neuplatonischer Philosoph geblieben.²⁹ Wesentliche Kritik übt Geiger daran, dass der Gottesbegriff bei Victorinus einen Willen ausschließe.Wo er vom Willen Gottes spreche, sei dies nur Konzession an die christliche Lehre, faktisch zeuge und schaffe Gott im Denken des Victorinus aber notwendigerweise.³⁰ So stellt er die Entfaltung des Seins bei Victorinus als ein notwendiges, natürliches Emanationsmodell dar, das die Ewigkeit der geschaffenen Welt als Konsequenz habe.³¹ Ebenso deutet Geiger auch die Erlösungsvorstellung des Victorinus in ganz neuplatonischem Sinne als eine Reinigung der Seele von sinnlichen Affekten und als ekstatische Vereinigung mit Gott. Das Erlösungshandeln Christi und des Heiligen Geistes spielten faktisch keine Rolle, daher gebe es auch für einen christlichen Glaubensbegriff keinen Platz im Denken des Victorinus.³² Mithin fehlen also nach Geigers Ansicht alle zentralen Punkte der christlichen Lehre: Die willentliche Zeugung und Schöpfung Gottes, das erlösende Handeln Jesu Christi und des Heiligen Geistes, die Rolle des Glaubens und der Institution Kirche.³³ In seinem abschließenden Urteil zeigt sich der zeitgebundene Charakter der Darstellung Geigers, wenn er das ganze Unterfangen des Victorinus für unvereinbar mit dem christlichen Glauben erklärt: „Schon von vornherein muß man sagen: Wer ein philosophisches System mit solcher Consequenz auf das Dogma anwendet, wer insbesondere eine solche vollständig consequente spekulative Entwickelung des trinitarischen Prozesses zu geben unternimmt, wie Victorinus es gewagt, der steht von vornherein nicht auf christlichem Standpunkt, der verwischt den Unterschied zwischen natürlicher und übernatürlicher Wahrheit, Glauben und Wissen, Theologie und Philosophie.“³⁴ Geiger positioniert sich damit in der zeitgenössischen Auseinandersetzung innerhalb der katholischen Theologie gegen eine rationalistische Theologie und gibt sich als Befürworter einer supranaturalistischen Theologie zu erkennen. Für einen Anhänger dieser theologischen Richtung ist der Versuch der
Geiger, C. Marius Victorinus I, 12. Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus I, 107. Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus I, 42– 46. Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus I, 62. Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus I, 86 – 91. Zur Überflüssigkeit der Kirche vgl. Geiger, C. Marius Victorinus I, 106. Geiger, C. Marius Victorinus I, 103 f.
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A Forschungsgeschichte
philosophischen, rationalen Durchdringung des christlichen Glaubens per se problematisch. Aus dieser Grundhaltung heraus blendet Geiger die zahlreichen exegetischen Passagen im Werk des Victorinus aus, da er sie letztlich nur für schmückendes Beiwerk zum neuplatonischen System hält. Er bemüht sich nicht darum, Victorinus in die theologische Debattenlage seiner Zeit und die exegetische Tradition einzuordnen, um sein christliches Denken zu profilieren. Als radikale Konsequenz spricht er Victorinus das Christsein ab. Dieser sei nicht Christ geworden, da er im Christentum eine höhere Form seiner Philosophie erkannt habe, sondern weil er dort seine bisherigen Ansichten bestätigt gesehen habe.³⁵ Geigers eigenes supranaturalistische Theologieverständnis bedingt eine harsche Kritik an Victorinus, da er dessen Werk nicht mit der gebotenen historischen Distanz würdigen kann. Bei Geigers Interpretation der Schriften bleibt offen, warum Victorinus überhaupt Christ geworden ist, wenn er inhaltlich dasselbe vertritt wie ein neuplatonischer Philosoph. Dagegen konnte Koffmane noch davon ausgehen, dass Victorinus sich durch christliche Lehre und Schriften angezogen fühlte, in ihnen etwas entdeckt hat, was über sein bisheriges philosophisches System hinausging, und sich schließlich ein Durchdenken der christlichen Lehren zum Ziel gesetzt hat.³⁶ Für Geiger bleibt Victorinus Philosoph und ist geistesgeschichtlich nur noch als Zeugnis dafür relevant, dass der Neuplatonismus in Rom auch nach Plotin und Porphyrius weiter lebendig war.³⁷ Mit Geigers Schriften setzt eine Entwicklung in der Forschung ein, Victorinus fast nur noch einseitig als neuplatonischen Philosophen wahrzunehmen und ihn danach zu beurteilen.
1.4 Reinhold Schmid (1895) gegen Gore und Harnack: Kein „Augustinus ante Augustinum“ Die Kieler Dissertation Reinhold Schmids aus dem Jahr 1895 setzt sich mit den Ansichten Gores und Harnacks auseinander, wonach Victorinus ein „Augustinus ante Augustinum“ gewesen sei und wesentliche Elemente der augustinischen Theologie vorgeprägt habe.³⁸ An dieser Einschätzung hält Harnack auch nach der
Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus I, 106. Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 3. Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus II, 108 f. Zu dieser Einschätzung vgl. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte III (1890), 30 – 33, das Diktum findet sich S. 31 f. Anm. 1. Er folgt dabei dem Lexikonbeitrag von Gore, Art. „Victorinus (6)“, DCB 4 (1887), 1128 – 1136, bes. 1137 f. Für eine kondensierte Fassung von Schmids Positionen vgl. auch seinen Art. „Victorinus, Cajus Marius, Afer“, RE 20 (1908), 613 f.
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Arbeit Schmids weiter fest und bestimmt die geistesgeschichtliche Funktion des Victorinus damit, „ganz einem grösseren Nachfolger gedient zu haben.“³⁹ Schmid lobt die Arbeit Geigers als vorbildlich und schließt sich dessen Ergebnissen weitgehend an.⁴⁰ Über dessen Erkenntnisse hinaus will er aber auch ein christliches Element im Denken des Victorinus stark machen: Die Homousie lasse sich nicht aus dem neuplatonischen Denken ableiten, sondern stelle eine christliche Position dar. Das Bemühen des Victorinus ziele darauf ab, diese christliche Vorstellung in sein neuplatonisches Denken zu integrieren, was ihm sichtbare Mühe bereite.⁴¹ Schmid vermutet bei Victorinus daher auch eine etwas größere Kenntnis der zeitgenössischen theologischen Debatten und vergleicht seine Position immer wieder auch mit der des Athanasius oder Hilarius. Ferner gesteht er Victorinus zu, dass er sich auch um eine biblische Fundierung seiner Theologie bemüht habe.⁴² Eine eigenständige Leistung sieht Schmid vor allem in der Paulusexegese des Victorinus, in der dieser schon wesentliche Gedanken der Rechtfertigung aus Glauben bei Paulus erkannt habe.⁴³ Daneben stünden aber auch weiterhin „naiv pelagianische“ Aussagen, die zeigten, dass Victorinus die Erkenntnisse aus der Paulusexegese nicht systematisch in sein Denken integriert habe.⁴⁴ Abschließend untersucht Schmid, ob Victorinus einen wesentlichen Einfluss auf Augustinus ausgeübt hat, und konstatiert dabei weitgehend Fehlanzeige. Augustin zeige bis 395 nirgends direkte Kenntnis christlicher Schriften des Victorinus. Erst für De trinitate könne man eine Kenntnis voraussetzen, dort kritisiere Augustinus an einigen Stellen Positionen des Victorinus, ohne ihn beim Namen zu nennen.⁴⁵ Schmid führt auch eine inhaltliche Erklärung an, dass Victorinus für Augustinus uninteressant gewesen sei, und gibt damit zugleich ein Gesamturteil über die Schriften des Victorinus ab: Dieser sei dogmengeschichtlich auf demselben Stand wie Athanasius, die Trinitätslehre des Ambrosius sei daher für Augustin viel interessanter gewesen, da hier auch der Heilige Geist eine systematische Behandlung erfahre.⁴⁶ Zudem erwecke die Trinitätslehre des Victorinus nur den Formeln nach Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte III (41910), 32– 36, hier 33 (= 1890, 31). Schmids Arbeit würdigt Harnack S. 35 f. in einer Anmerkung. Vgl. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 4. Vgl. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 14.41. Gams, Art. „Victorinus, Cajus Marius“, WWKL2 12 (1901), 927 nennt Schmids Vergleich mit Athanasius eine „starke Uebertreibung“ und formuliert seine Verwunderung darüber, dass Forscher wie Schmid und Koffmane die Schriften des Victorinus für „ungemein scharfsinnig und gewandt erklären“. Vgl. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 19 f. Vgl. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 61– 67. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 64.80. Vgl. insges. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 68 – 80. Vgl. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 76 f.
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den Eindruck der Geschlossenheit, in Wirklichkeit gehe „alles bunt durcheinander.“⁴⁷ Man könne daher auch den Unterschied zu Origenes besser so auffassen, dass Victorinus „sich niemals absichtlich und bewusst die Aufgabe der Verschmelzung neuplatonischer Philosophie mit christlicher Religion gestellt hat; dazu ist ihm der Gegensatz beider schon nicht klar genug gewesen.“⁴⁸ So erkennt Schmid zwar durchaus an, dass Victorinus als selbstständiger Exeget zentrale Erkenntnisse aus der Lektüre der Paulusbriefe gewonnen habe. Im Wesentlichen schließt er sich aber dem Urteil Koffmanes an, Victorinus sei „mehr Neuplatoniker als sich mit der Orthodoxie eigentlich vertrug.“⁴⁹ Auch bei Schmid bleibt die Frage offen, warum Victorinus Christ geworden ist, wenn Neuplatonismus und Christentum der Sache nach für ihn eigentlich identisch waren. Schmid kann keine Erklärung dafür geben, was Victorinus für seine Spekulation gewinnt, wenn man sein Ziel in der Integration der Homousie von Vater und Sohn in das neuplatonisches Systems sehen müsse. Er kann für diesen postulierten Versuch einer Synthese keine innere Motivation bei Victorinus ausmachen und spricht nur davon, dass diesem die Homousie „anderswoher aufgedrängt worden“ sei.⁵⁰ Die Frage nach dem Einfluss auf Augustinus ist seither immer wieder diskutiert worden, in der Victorinusforschung meist im Zusammenhang der Pauluskommentare. Dabei ergibt sich mittlerweile ein deutlich differenzierteres Bild als bei Harnack und Schmid.⁵¹ In dieser Arbeit soll diese Fragestellung keine Rolle spielen,
Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 75. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 74. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 80. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 14. Eine knappe Übersicht zur Forschung gibt Kany, Augustins Trinitätsdenken, 103 – 108 und kommt zu dem Ergebnis, dass Augustin wahrscheinlich in den Büchern V-VII von De trinitate Victorinus kritisiert, ohne seinen Namen zu nennen. Cipriani, Le fonti, Aug. 34 (1994), 253 – 312 sieht dagegen bereits Einflüsse des Victorinus auf die frühe Trinitätslehre Augustins in den Cassiciacum-Dialogen. Ders., Agostino lettore, Aug. 38 (1998), 413 – 428 sieht Spuren der Lektüre der Pauluskommentare des Victorinus im Galaterkommentar Augustins und in den Frühdialogen. Vgl. auch ders., Augustine. Auch Plumer, Augustine’s Commentary on Galatians, 7– 33 diskutiert das Problem für die Pauluskommentare und schlussfolgert, dass Augustinus die Pauluskommentare des Victorinus kannte. Ebenso weist Cooper, Galatians, 182– 246 ausführlich Kenntnis der Exegese des Victorinus bei Ambrosiaster und Augustinus nach. Gersh, Marius Victorinus, 1652– 54 nimmt an, dass Victorinus seine Übersetzung der libri Platonicorum bereits hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit dem Christentum glossiert habe und geht insgesamt von einem „beträchtlichen Einfluss auf Augustin“ (1654) aus. Er nimmt an, dass Augustins Urteil über die platonischen Schriften in Aug. conf. VII 9,13 f. auf diese Glossierung des Victorinus zurückgehe. Das lässt sich dem Text aber nicht entnehmen. Skeptisch ist hingegen Hadot, l’image, StPatr 6 (1962), 433 – 444, er erklärt die Ähnlichkeiten über gemeinsame neuplatonische Quellen.
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da sie auf ganz andere Ebenen führt und immer Gefahr läuft, Victorinus vorschnell mit Augustinus zu vergleichen. Diesem Thema müsste eine eigene umfänglichere Studie gewidmet werden. Das schließt freilich punktuelle Vergleiche mit Augustinus nicht aus, wenn sie dazu beitragen, das Denken des Victorinus schärfer zu profilieren.
1.5 Ernst Benz (1932): Hegelsche Synthese orientalischen und griechischen Denkens Schon in der biographischen Betrachtung zu Beginn legt Benz die Hermeneutik offen, mit der er Leben und Werk des Victorinus zu deuten versucht. Er nimmt die Bekehrung des Victorinus zum Christentum ernst und führt sie auf zwei Ursachen zurück: Victorinus habe sich zunächst aus einem intellektuellen Entschluss heraus zum Christentum bekehrt, den Auslöser für seine Taufe habe dann aber ein besonderes Erlebnis gegeben. Er verbindet so eine intellektualistische mit einer existenziellen Deutung der Bekehrung des Victorinus. Die Quellen für diese beiden Dimensionen sieht er einerseits in der Beschäftigung des Victorinus mit der neuplatonischen Metaphysik, andererseits in seiner Nähe zu den orientalischen Mysterienkulten, die er der biographischen Erzählung bei Augustinus entnimmt.⁵² Aus dieser doppelten Quelle speise sich die Verbindung des „orientalischen“ voluntaristischen und religiösen Gottesbildes mit dem „griechischen“ intellektualistischen Gottesbild bei Victorinus.⁵³ Mit der Gegenüberstellung von „orientalischen“ und „griechischen“ Gedanken, die Victorinus zu einer Synthese geführt habe, leistet Benz einen Beitrag zu der von Harnack angestoßenen Debatte um die „Hellenisierung“ des Christentums.⁵⁴ Im Hintergrund steht bei Benz eine hegelianische Deutung der Geistesgeschichte, die er am Beispiel des Victorinus durchführt⁵⁵: Victorinus habe eingesehen, dass dem
Vgl. Benz, Marius Victorinus, 8 – 10. Dieser Einschätzung schließt sich auch Lorenz, Art. „Viktorin (Victorinus) 1. C. Marius“, RGG3 6 (1962), 1399 an. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 66 f. Für eine übersichtliche Darstellung zu Harnacks Positionen vgl. Meijering, Hellenisierung, 19 – 48. Die Kategorisierung in „hellenistisches“ und „orientalisches“ Denken spielt dann z. B. auch in Beurteilung der Gnosis eine Rolle. Harnack, Dogmengeschichte I (11886), 162 f. sieht die Gnosis als „acute Verweltlichung resp. Hellenisirung des Christenthums“. Dieses Urteil ergänzt Lietzmann, Geschichte I, 317 und meint, dem müsse man „die Erkenntnis einer ebenso akuten ‚Rückorientalisierung‘ hinzufügen.“ Kritisch zu Harnacks Hellenisierungsthese auch später Benz, Beschreibung, 96 f. Vgl. für sein Denken auch den späteren Aufsatz Benz, Religionsphilosophie und die Linkshegelianer, ZRGG 7 (1955), 247– 270. Dort kritisiert Benz die Auslegung Hegels durch Karl Marx und andere
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Christentum die Zukunft gehöre, und er habe erkannt, dass „die Vollendung seiner Transzendentalphilosophie in der Offenbarung liege.“⁵⁶ Die individuelle Bekehrungsgeschichte des Victorinus besitzt so zugleich einen historisch paradigmatischen Charakter für die Bekehrung eines Neuplatonikers zum Christentum und einen geschichtsphilosophisch paradigmatischen Charakter für die Vollendung der antiken Metaphysik im Christentum. Am rhetorischen und grammatischen Werk des Victorinus könne man erkennen, dass die pagane Philosophie bereits „schulmäßig erstarrt“ gewesen sei; erst durch die Begegnung mit dem Christentum sei diese wieder „flüssig gemacht“ worden.⁵⁷ Die vielen ungelösten Probleme der christlichen Metaphysik hätten einen enormen Reiz auf einen spekulativen Geist ausüben müssen. So interpretiert Benz die Bekehrung des Victorinus als eine Bewegung weg vom geistig ausgetrockneten Neuplatonismus hin zum jungen, vitalen Christentum. Insgesamt gesteht Benz dem Werk des Victorinus damit einen deutlich ausgeprägten christlichen Charakter zu, doch betrachtet auch er das Vorgehen des Victorinus als ein „Hineinformen seiner Philosophie in die Ideen der Offenbarung“, aber in einer Art, dass „der ‚heidnische Rest‘ mehr und mehr abstirbt.“⁵⁸ Er nimmt die Grundorientierung des Victorinus an den Problemen der christlichen Theologie und der Bibel durchaus ernst und betrachtet Victorinus nicht einfach als nur oberflächlich christianisierten Neuplatoniker wie Geiger.⁵⁹ Jedoch steht auch für Benz fest, dass die wesentlichen Grundlagen des Denkens schon vor der Bekehrung des Victorinus zum Christentum feststanden und dass er von diesen ausgehend die Probleme der christlichen Metaphysik zu lösen versuche. Die christliche Spekulation ist also im Wesentlichen ein Anwendungsfeld des schon vorher feststehenden Grundsystems. Im Umgang mit der Schrift verfahre Victorinus dementsprechend
„Linkshegelianer“ und verteidigt eine Interpretation der hegelschen Religionsphilosophie, wonach das Christentum den Höhepunkt der Entwicklung darstellt. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 2. Benz, Marius Victorinus, 12. Benz, Marius Victorinus, 12. Dieser Fortschritt muss gegen die Kritik in Theilers Rezension betont werden. Theilers Kritik beruht auf seiner eigenen Einschätzung, dass Victorinus eigentlich nur in seinen neuplatonischen Teilen interessant sei. Vgl. dazu nur die Formulierung Theiler, Rez. Benz 1932, Gnomon 19 (1934), 495: „Der Teil über das System der Theologie, soweit es dem modernen Leser etwas bieten kann und sich nicht im Abstrusen verliert, ist eine Neubehandlung der schon von G. Geiger […] nicht ungeschickt bearbeiteten Frage.“ Die Berücksichtigung der christlichen Kontexte und Problemstellungen des Victorinus, die Benz zum ersten Mal ausführlich leistet, erscheint Theiler also als der„abstruse“ und zu vernachlässigende Teil des victorinischen Denkens.
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eklektisch und suche sich genau die Stellen heraus, „die er an seine Metaphysik anpassen kann.“⁶⁰ Als Basis des Denkens des Victorinus sieht Benz die Ontologie. Diese stehe schon vor der Bekehrung fest und von hier aus entwickele Victorinus die wesentlichen Gedanken in seinen Schriften. Dort wiederum stehe als zentrale Frage zu Beginn, wie das Sein aus dem Nichtsein gesetzt werde. Dabei entfalte Victorinus ein Bild von Gott als absoluter Ursache, die aus einem freien und souveränen Willensentschluss heraus das Sein setzt. Als zentrale Pointe der Theologie des Victorinus sieht er die Entwicklung eines metaphysischen Willensbegriffes, in dem der Sohn als der substantielle Wille des Vaters gesehen wird. Benz beurteilt damit gerade das als zentrale Leistung, was Geiger als bloß oberflächliches Zugeständnis an das christliche Dogma ansieht. Die gesamte Heilsgeschichte sei bei Victorinus aufgehoben in der ontologischen Betrachtung: Gott setze mit der Zeugung des Sohnes aus einem freien Willensentschluss heraus das Sein und die gesamte weitere Entwicklung sei als eine fortschreitende Vertreibung des Nichtseins und Rückführung alles Seins in die Identität mit Gott zu verstehen.⁶¹ Der philosophiehistorische Fortschritt bei Victorinus sei in der Durchbrechung des griechischen Intellektualismus zu suchen, die den Weg zum abendländischen Denken geebnet habe.⁶² Insbesondere auch in der Inkarnation des Logos sieht Benz eine solche Durchbrechung des Intellektualismus.⁶³ Die Christologie sei aber – wie das Denken des Victorinus insgesamt – geschichtslos, das erlösende Handeln Christi sei nicht an die historische Person Jesu geknüpft, sondern ein ontologischer Vorgang.⁶⁴ Aufgrund seines ontologischen Ansatzpunktes lehre Victorinus auch eine universelle Erlösung, in der der Gedanke der Prädestination eliminiert sei.⁶⁵ Als besondere Neuerung in der abendländischen Theologie bezeichnet Benz ferner den Fokus des Victorinus auf die alleinige Heilswirksamkeit des Glaubens. Benz sieht bei Victorinus im Anschluss an Harnack schon ganz den späten Augustinus vorgeprägt, sodass die „radikalste Antithese gegen den Pelagianismus schon
Benz, Marius Victorinus, 12. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 39 – 61. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 139 f. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 106.258 f. Zur Geschichtslosigkeit vgl. z.B Benz, Marius Victorinus, 98: „Der Grund hierfür liegt weiter in dem geschichtslosen Ansatzpunkt der Metaphysik, d. h. in dem Umstand, daß diese Metaphysik von ihrem abstrakten Ansatzpunkt aus nirgends auf das Problem der Geschichte und der geschichtlichen Konkretisierung des Unendlichen führt.“ Oder S. 105: „Der Begriff der Geschichte ist also durch eine logisch-ontologische Zeitspekulation ersetzt.“ Zur Geschichtslosigkeit der Inkarnation vgl. S. 108. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 114.
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vor Pelagius aufgestellt“ worden sei.⁶⁶ Neben der Pauluslektüre führt Benz diese Neuentdeckung auch auf die Erfahrung des Victorinus in den Mysterienkulten zurück, was sich an der zentrale Rolle des mysterium als Inhalt des Glaubens zeigen lasse.⁶⁷ In einem zweiten Teil versucht Benz einsichtig zu machen, dass eine wesentliche Quelle für das Denken des Victorinus bei Plotin liege. Er habe demnach vor allem das ausformuliert, was bei Plotin im Kern schon angelegt sei und was das Eigentliche an Plotins Philosophie sei. In dieser Analyse scheint Benzens hegelianische Deutung der Philosophiegeschichte durch: Im Neuplatonismus seien demnach schon die entscheidenden Ansätze gegeben, die dann vom Christentum der Vollendung zugeführt werden. Auch bei dem „Ägypter Plotin“ finde sich schon das „orientalische“ Bild vom unbekannten Gott, den man nicht verstandesmäßig, sondern nur in einem religiösen Akt begreifen könne.⁶⁸ Damit liege in der Philosophie Plotins schon der Keim für eine Christianisierung der neuplatonischen Metaphysik. Die Leerstelle des unerkennbaren Gottes bei Plotin fordere es gewissermaßen heraus, dass man sie mit dem christlichen Offenbarungsgedanken fülle.⁶⁹ Der Neuplatonismus Plotins erscheint so als der Höhepunkt des „griechischen“ Denkens und zugleich als Anfang der „Durchbrechung“ des Intellektualismus unter dem Einfluss des „orientalischen“ Denkens. Eine Schlüsselstellung in der Überwindung des griechischen Denkens hat für Benz das metaphysische Willenskonzept, in dem der Wille als Substanz, nicht als Funktion des Geistes aufgefasst wird.⁷⁰ Er legt dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die Enneade VI 8 (39), in der Plotin in einzigartiger Weise positive Aussagen über das Eine trifft.⁷¹ In der immer weiteren Identifikation von Wesen, Wille und Geist von Plotin bis zu Augustinus sieht Benz den Einfluss des orientalischen Denkens wirksam, wie wir es auch im Corpus Hermeticum und der Gnosis greifen können.⁷² Dazu komme eine im Westen schon immer vorhandene Tendenz zum Voluntarismus, die unter dem Einfluss dieser Quellen weiter ausgebaut werden konnte.⁷³
Benz, Marius Victorinus, 147. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 149 – 155. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 189 – 192. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 196 f. Hier zeigen sich wieder hegelsche Deutungsmuster, bes. 197: „Dieser Durchbruch des Idealismus zur Offenbarung ist ein Prozeß, der sich in der Geistesgeschichte mit einer inneren Notwendigkeit immer wiederholt.Vom [!] dem idealistischen Geistesgedanken aus entdeckt die Phänomenologie des Geistes immer wieder den Geist, den sie sucht, als einen offenbaren.“ Vgl. Benz, Marius Victorinus, 301. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 289 – 309. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 310 – 326. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 343 – 363.
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Zwischen Alexandrien und Rom gebe es auch in dieser Hinsicht eine „geistige Wahlverwandtschaft“.⁷⁴ Victorinus ist in dieser Darstellung ein wichtiges Zwischenglied in der Entwicklung der Metaphysik zwischen Plotin und Augustinus, die Benz als eine notwendig sich vollziehende, geistesgeschichtliche Fortschrittsgeschichte charakterisiert. Diese Fortschrittsgeschichte ist die Vollendung der Synthese von griechischintellektualistischem und orientalisch-voluntaristischem Denken, die die Grundlage für das weitere abendländische Denken bilde. Diese hegelsche Interpretation der Geistesgeschichte führt zu dem positiven Ergebnis, dass Benz anders als noch Geiger eine echte Entwicklung zwischen Plotin und Victorinus erkennen kann. Victorinus ist für ihn nicht einfach ein neuplatonischer Philosoph, sondern führt durch Aufnahme christlicher Impulse das neuplatonische Denken Plotins selbstständig fort. Problematisch ist Benzens Fortschrittdenken aber für die Deutung der einzelnen von ihm behandelten Denker. So wird für Benz die Enneade VI 8, die in ihrem Gehalt einzigartig ist und in Plotins Werk eine Ausnahme darstellt, der wahre Kern des plotinischen Denkens. Dabei vernachlässigt Benz in der Interpretation die Warnungen Plotins, seine Äußerungen über das Eine hier nur als Gedankenspiel wahrzunehmen.⁷⁵ Dadurch erscheint die Metaphysik des Victorinus so, als habe er „das Eigentliche“ der Philosophie Plotins herausgearbeitet; selbst die Homousie sieht Benz bei Plotin vorgeprägt.⁷⁶ Victorinus ist in dieser Perspektive kein Denker, der einen spezifisch christlichen Beitrag zur Metaphysik geliefert hätte, sondern eher ein Fortentwickler Plotins. Viele der genuin christlich-theologischen und exegetischen Probleme, die Victorinus bearbeitet, spielen so auch bei Benz eine untergeordnete Rolle oder werden aus der Perspektive der Fortentwicklung des Denkens Plotins gedeutet.Victorinus erscheint oft als ein Theologe, der nicht anders habe denken können, weil sein ontologisch-metaphysischer Deutungsrahmen vorher schon feststand und er sich von diesem ausgehend das Christentum angeeignet habe.⁷⁷ Trotz dieser Probleme bietet Benz an vielen Punkten eine übersichtliche Darstellung zu vielen Aspekten des Denken des Victorinus. Lässt man die problematische hegelsche Synthesevorstellung beiseite, bieten die Hinweise auf Quellen des Denkens bei Plotin und der Gnosis wichtige Anreize für eine Interpretation des Victorinus. Insbesondere die Tatsache, dass Benz der Gnosis als Repräsentantin Benz, Marius Victorinus, 342. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 291 f. S. dazu auch unten S. 301, Anm. 201. Zu Benz’ Verständnis dieser Enneade vgl. auch die Kritik bei Vergara, Teología, 15 und Hadot, Porphyre I, 21 f. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 298.315. Ganz ähnlich auch wieder Haig, Neoplatonism, Pacifica 21 (2008), bes. 126.
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eines „orientalischen“ Denkens den Rang einer möglichen Quelle oder Vergleichsgröße für Victorinus zuweist, stellt einen echten Fortschritt dar. Das Verhältnis des Victorinus zur Gnosis wird nach weiteren wichtigen Hinweisen Hadots erst seit den 1990er-Jahren systematisch untersucht.
1.6 Gerhard Huber (1955): Wegbereiter der Identität von Sein und Absolutem Hubers Basler Habilitationsschrift von 1955 ist der Frage nach den philosophiehistorischen Wurzeln der Vorstellung des Seins als des Absoluten gewidmet. Huber markiert als zentrales Problem der Philosophie des Seienden, dass das Sein zugleich das unerkennbare Absolute und das eigentliche Ziel der Erkenntnis sei.⁷⁸ Die grundlegende Voraussetzung hierfür ist die Gleichsetzung des Seins mit dem Absoluten, deren Ursprung Huber in der Philosophiegeschichte der Spätantike verortet. Zwischen Plotin und Augustinus geschehen seines Erachtens wegweisende Entwicklungen, die für das Ende des griechischen Denkens der Antike stehen und für den Beginn des abendländischen Denkens bis in die Gegenwart. Die Entwicklungen, die Huber darstellen will, charakterisiert er programmatisch nicht als den Versuch einer philosophiehistorischen Verhältnisbestimmung, sondern als Suche nach „Sachbezügen“.⁷⁹ Darin unterscheidet er sich trotz aller Ähnlichkeit systematisch von Benzens Geschichtsdeutung. Die zentrale Entwicklung im Denken der Spätantike besteht für Huber in einer Dynamisierung des Seins, einer immer weiteren Absolutierung des Seins und der dadurch bedingten Vorbereitung des Subjektivismus. Er zeichnet die wesentlichen Schritte dieser Entwicklung anhand von Plotin, Marius Victorinus und Augustinus nach. Victorinus erscheint auch bei Huber als eine Art Bindeglied zwischen Plotin und Augustinus. Er fasst dies seinem Ansatz nach aber nicht als Kette historischer Abhängigkeiten auf, sondern betrachtet Victorinus nur als ideengeschichtliches Zwischenglied. In seiner Darstellung beschränkt er sich jeweils auf die Aspekte, die für seine Fragestellung nach dem Sein relevant sind.⁸⁰ Wenn er Plotin so darstellt, dass in ihm schon wesentliche Entwicklungen vorgezeichnet sind, dann nicht im Sinne von Benz, dass hier der eigentliche Plotin zu finden sei, der von den späteren Denkern rezipiert worden sei. Vielmehr will Huber auf die Möglichkeiten hinwei-
Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 1– 7. Das philosophische Anliegen Hubers im Rahmen der zeitgenössischen Existenzphilosophie behandele ich hier nicht, es ist knapp zusammengefasst bei Hadot, Porphyre I, 28 f. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 11 f. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 12.
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sen, die im Denken Plotins angelegt sind, die aufgegriffen werden konnten oder überhaupt typisch für bestimmte zeitgenössische Tendenzen sind. Huber stellt ausführlich Plotins Ontologie dar und betont die absolute Seins-, Geist- und Erkenntnistranszendenz des Einen gegenüber dem Sein des Intellekts. Er wehrt damit Interpretationen ab, die Plotins Eines als absolutes Sein oder absolutes Subjekt deuten.⁸¹ In der Konzeption des Intellekts als der Totalität des Seins sieht Huber bereits eine „Dynamisierung“ des Seins angelegt: Das Sein gewinnt dadurch einen in sich dynamischen Charakter, da im Geist Denken und Sein identisch sind.⁸² Zugleich gebe es bei Plotin bereits Ansätze, den Vorrang des Seins gegenüber dem Denken aufzugeben, da der Intellekt das Sein der Ideen durch seinen Denkakt setze. In der Vorordnung des Einen als dem Absoluten sieht Huber eine Wiederherstellung dieser Priorität auf Umwegen: Der Intellekt ist dadurch nicht auf sich selbst bezogen, sondern auf das Eine als vor ihm liegenden Gegenstand. Der Preis dafür sei, dass dieses dem Geist vorgeordnete Prinzip jenseits von Sein und Geist liegt und damit nicht mehr erkennbar ist.⁸³ Marius Victorinus spielt für Huber die entscheidende philosophiehistorische Rolle, als erster das Sein und das Absolute systematisch miteinander zu identifizieren. Als Motivation dafür bezeichnet Huber ausdrücklich das christliche Anliegen des Victorinus, das theologische Konzept der Homousie philosophisch zu durchdringen. Huber sieht im Hintergrund der dogmatischen Streitigkeiten der Spätantike insgesamt ein philosophisches Moment des antiken Christentums. Die Diskutanten hätten „das Bedürfnis nach einer irgendwie verständlichen Auslegung dessen, was zentral geglaubt wird.“⁸⁴ Er erkennt damit an, dass Victorinus daran gelegen ist, ein Problem der christlichen Theologie mit philosophischen Mitteln zu lösen, und sieht ihn nicht als oberflächlich christianisierten Philosophen. Jedoch schränkt er dieses Urteil auch wieder ein, denn Victorinus sei kaum als „originaler Philosoph an die Seite“ von Augustin und Plotin zu stellen.⁸⁵ Es falle in den Schriften des Victorinus schwer, „in der fast wuchernden Fülle dieser Aussagen eine einheitliche Grundanschauung zu erkennen, die sich restlos durchhalte.“⁸⁶ Das Denken des Victorinus sei von einer nicht zu überwindenden Widersprüchlichkeit geprägt zwischen dem Anliegen der Homousie von Vater und Sohn und der Beibehaltung der plotinischen Subordination der Hypostasen. Victorinus selbst sei diese Widersprüchlichkeit aber nicht bewusst geworden. Diesen „blinden Fleck“
Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 49 – 88. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 29 – 39. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 60 – 66. Huber, Das Sein und das Absolute, 91. Huber, Das Sein und das Absolute, 90. Huber, Das Sein und das Absolute, 93.
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begründet Huber ähnlich wie schon Koffmane biographisch: Victorinus sei erst allmählich und spät Christ geworden und habe daher im Wesentlichen seine neuplatonischen Anschauungen beibehalten.⁸⁷ Gleichzeitig weist Huber aber auch darauf hin, dass eine grundsätzliche Widersprüchlichkeit im Konzept der Homousie selbst angelegt ist.⁸⁸ Huber stellt heraus, wie Victorinus zugleich an der neuplatonischen Einsicht der absoluten Transzendenz des ersten Prinzips festhält und sie durch die Homousie konterkariert, indem er den Vater gleichzeitig als Nichtsein und als eminentes Sein charakterisiert. Den Sohn konzipiere Victorinus als die substantielle Form des Vaters, durch die dessen Sein erkennbar wird.⁸⁹ Der Sohn bringt als offenbares Sein das verborgene Sein des Vaters nach außen und so zur Kenntnis. Den Hintergrund dieser Konzeptionen sieht Huber in der christlichen Offenbarung: Die christliche Vorstellung, dass Gott sich im Logos vollkommen offenbare, bewege Victorinus dazu, den neuplatonischen Transzendenzgedanken letztlich aufzugeben.⁹⁰ In der alttestamentlichen Gottesvorstellung sieht Huber die Wurzel für die Dynamisierung des Gottes- und damit des Seinsbegriffes bei Victorinus: Gott erscheine in dieser Tradition bei Victorinus in seinem inneren Wesen als Aktivität und als ein tätiges Wirken, das sich schöpferisch nach außen wendet.⁹¹ Trotz der Homousie versuche Victorinus noch ontologisch zwischen Vater und Sohn zu unterscheiden, indem er die wichtige Unterscheidung zwischen Sein (esse) und Seiendem (ὄν) vollziehe. So kann er den Vater als jenseitiges Sein fassen, das die Ursache des geformten Seienden des Sohnes ist. Zugleich sind die beiden aber in einer Substanz identisch. Huber stellt insgesamt bei Victorinus eine doppelte philosophiehistorische Bewegung fest: Erstens ziehe Victorinus das Absolute im Vergleich zu Plotin wieder deutlich auf die Ebene des Seins herab, zweitens hebe er gleichzeitig das Sein in die transzendente Sphäre hinauf. Damit sieht Huber die endgültige Gleichsetzung von Sein und Absolutem im Denken des Victorinus vorbereitet.⁹² Diese Ansätze bei Victorinus seien dann bei Augustinus vollständig ausgeführt: Sein und Absolutes seien in dessen Denken soweit gleichgesetzt, dass er jeden Versuch einer inneren Differenzierung des Seins der trinitarischen Hypostasen unterlasse. Dies habe Victorinus mit der Differenzierung von esse, vivere, intellegere noch unternommen, wenn er auch durch die gleichzeitige reziproke Immanenz der
Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 93 – 93. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 101. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 98 – 102. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 102– 106. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 107– 111. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 112– 116.
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Entfaltungsmomente des Seins diese Unterscheidung wieder aufgehoben habe.⁹³ Auf der Gleichsetzung von Sein und Absolutem baue die gesamte Trinitätslehre des Augustinus auf, was seine Wendung von einer ontologischen hin zu einer psychologischen Trinitätslehre zur Folge habe.⁹⁴ Damit sei Augustinus zum Wegbereiter eines neuzeitlichen metaphysischen Subjektivismus geworden, da er die Analogie zwischen dem „Ich“ und dem Sein hergestellt habe.⁹⁵ Huber nimmt insgesamt das christlich-theologische Anliegen des Victorinus so ernst, wie es vor ihm in der Forschung noch nicht geschehen ist. Zwar betrachtet er Victorinus auch eher als einen „neuplatonische[n] Philosoph[en] im Gewande des christlichen Theologen“⁹⁶, der gewissermaßen auf halber Strecke zwischen Neuplatonismus und Christentum steht, aber er gesteht Victorinus durchaus ein genuin christliches Interesse zu. Das zentrale Unternehmen des Victorinus besteht für Huber darin, das Dogma der Homousie philosophisch schlüssig nachzuvollziehen und darzustellen. Dabei stellt Huber Victorinus in vielen Punkten als selbstständigen philosophischen Denker dar, der seine philosophischen Konzepte nicht nur blind übernimmt, sondern an entscheidenden Stellen eigenständig auf der Grundlage der Lehre von der Homousie und der Schrift modifiziert. Huber erkennt damit an, dass sich das Denken des Victorinus nicht allein vor dem Hintergrund neuplatonischer Philosophie verstehen lässt, sondern dass es von eminenter Bedeutung für das Verständnis ist, auch christlich-theologische Problemstellungen mit in die Untersuchung einzubeziehen. Dieser Weg sollte systematisch weiter beschritten werden und um einen Punkt ergänzt werden: Auch bei den Punkten, die Victorinus aus scheinbarer „Betriebsblindheit“ aus dem philosophischen Denken übernommen hat, sollte nach der Möglichkeit gefragt werden, ob er damit nicht auch christlich-theologische Anliegen zum Ausdruck gebracht hat. Dafür genügt dann nicht mehr nur die pauschale Bezugnahme auf das biblische Gottesbild und das Dogma der Homousie als Quellen seines Denkens. Das macht eine Einbettung des Victorinus in theologische Diskurse seiner Zeit und die exegetische Tradition notwendig.
Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 146 – 150. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 150 f. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 154 f. Huber, Das Sein und das Absolute, 90.
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2 Pierre Hadot (1960.1968.1971): Kritische Edition und wegweisende Forschung 2.1 Die kritische Edition der theologischen Werke und weitere Textgrundlagen Mit der Victorinusforschung ist untrennbar der Name Pierre Hadots verbunden, der in einer Reihe von Beiträgen Bahnbrechendes geleistet hat. An erster Stelle steht die erste kritische Edition, Übersetzung und Kommentierung der trinitätstheologischen Schriften in Zusammenarbeit mit Paul Henry in den Sources Chrétiennes im Jahre 1960. Angesichts der Klagen der älteren Forschung über die schlechte Textkonstitution und die daraus resultierenden Interpretationsschwierigkeiten und Missverständnisse kann man die Bedeutung dieser Edition nicht hoch genug einschätzen.⁹⁷ Übersetzung und Kommentar bieten nach wie vor eine unverzichtbare Verstehenshilfe für die Arbeit mit Victorinus und verweisen auf zahlreiche verwandte und relevante Vergleichstexte. Viele Hinweise, die Hadot in seinem Kommentar nur beiläufig versammelt, haben spätere Forschungen angestoßen, etwa zur Frage nach gnostischen Einflüssen bei Victorinus. Der Edition in SC 68 sind inzwischen zwei weitere Editionen nachgefolgt: Eine überarbeitete zweite Edition von Henry und Hadot in der Reihe CSEL aus dem Jahre 1971 und eine Ausgabe in der Bibliotheca Teubneriana von Albrecht Locher, die 1976 erschienen ist. Als maßgeblich wird heute allermeist die CSEL-Ausgabe von Henry/Hadot betrachtet, während Lochers Ausgabe kein wesentlicher Fortschritt demgegenüber bescheinigt wird.⁹⁸ In dieser Arbeit folge ich dennoch der Ausgabe Lochers, da die Qualität der Edition nicht hinter Henry/Hadot zurücksteht und Locher häufig durch eine andere Interpunktion Wesentliches zum Verständnis vieler Passagen beigetragen hat.⁹⁹ Ein weiterer Meilenstein zum Verständnis des Textes ist die deutsche Übersetzung der Werke von Pierre Hadot und Ursula Brenke von 1967. An einigen Stellen korrigieren sie Hadots Verständnis des Textes in der französischen Übersetzung und geben im knappen Kommentar Hinweise, die gelegentlich über den Kommentar von 1960 hinausgehen. Ich verdanke der Übersetzung von Hadot/Brenke viel, dennoch gebe ich für alle Zitate eine eigene Übersetzung, die mein Verständnis des
Hadot, Porphyre I, 30 Anm. 1 verweist auf einige Fehldeutungen der älteren Forschung, die durch den schlechten Text der Patrologia Latina zu erklären sind. Vgl. Gori, Rez. Locher 1976, RFIC 107 (1979), 473 f. Gori kommt S. 474 zu dem sehr polemischen Urteil, dass die Leistung kaum die 10-jährige Arbeit Lochers wert gewesen sei. Im Text sind die Abweichungen zwischen beiden Editionen ansonsten relativ gering, was auch an der Überlieferungslage der Werke liegt, s. dazu knapp unten S. 117– 119. Die Abweichungen zwischen den Ausgaben diskutiere ich in den Fußnoten zu den jeweils relevanten Stellen und begründe meine Entscheidung für eine der beiden Ausgaben dort.
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Textes besser zur Geltung bringen soll. Wo Hadot/Brenke den Text grundlegend anders verstehen, diskutiere ich dies in der Regel in den Fußnoten, nur in entscheidenden Fällen auch im Text der Arbeit. Dagegen habe ich die englische Übersetzung von Mary Clark in der Reihe „Fathers of the Church“ aus dem Jahr 1981 nur in Zweifelsfällen herangezogen, da sie nur unwesentlich von Hadots Interpretation des Textes abweicht.¹⁰⁰ Außerdem hat Giuseppe Balido jüngst eine italienische Übersetzung angefertigt, die ich ebenfalls nur gelegentlich verglichen habe.¹⁰¹ Es ist misslich, dass sich in der Forschung trotz besserer Erkenntnisse für die Titel der meisten Schriften Adversus Arium gehalten hat. Schon Wöhrer hatte sich 1905 in einer Beilage zum Wilheringer Gymnasialprogramm gegen diese Titel gewandt und die richtigen Titel aus der Überlieferung zu eruieren versucht.¹⁰² Da aber die gesamte Forschung seither an den traditionellen Titeln festgehalten hat, übernehme auch ich in dieser Arbeit die etablierten Bezeichnungen der Bücher als Adversus Arium I, Ib, II, III und IV.¹⁰³
2.2 Porphyrius als die entscheidende Quelle des Victorinus In Fortführung seiner Arbeit an der Übersetzung und Kommentierung des Textes widmete Hadot 1968 eine umfangreiche Studie dem Verhältnis des Marius Victorinus zum neuplatonischen Philosophen Porphyrius. Er schließt mit dieser Fragestellung an die Hypothese Theilers an, der Porphyrius eine oder gar die entscheidende Rolle bei der Vermittlung neuplatonischer Philosophie an christliche Autoren zuschrieb.¹⁰⁴ Damit grenzt sich Hadot von den früheren Studien Geigers, Benzens, Henrys und Hubers ab, die alle von einem maßgeblichen Einfluss Plotins auf Victorinus ausgingen.¹⁰⁵
Vgl. Clark, FoC 69. Die Textgliederung folgt sogar ganz SC 68, vgl. ihr Vorwort S. VII. Vgl. Scritti Cristiani, ed. Giuseppe Balido. Vgl. Wöhrer, Studien. Die ersten wegweisenden Schritte Wöhrers in Richtung einer kritischen Edition des Textes sind in der älteren Forschung überhaupt unberücksichtigt geblieben. Die Arbeit ist wohl an zu entlegenem Ort erschienen. Zur Teilung der Bücher I und Ib s.u. S. 163 f. Vgl. dazu insbesondere Theiler, Porphyrios und Augustin. S. 164 formuliert Theiler seinen berühmt-berüchtigten „Arbeitssatz“: „Erscheint bei einem nachplotinischen Neuplatoniker ein Lehrstück, das nach Inhalt, Form und Zusammenhang sich mit einem solchen bei Augustin vergleichen läßt, aber nicht oder nicht im selben Maß mit einem bei Plotin, so darf es als porphyrisch gelten.“ S. 173 Anm. 3; 194 f.; 200 verweist er auf Stellen bei Victorinus, die seiner Ansicht nach aus Porphyrius entnommen sind. Vgl. den Forschungsüberblick bei Hadot, Porphyre I, 11– 29. Vgl. neben den oben besprochenen Arbeiten noch Henry, Plotin, 44– 62. Henry weist auf einige wörtliche Zitate aus Plotin bei Victorinus
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A Forschungsgeschichte
Hadot verfolgt das Ziel, Porphyrius als die zentrale literarische Quelle des Victorinus nachzuweisen, um so aus dessen Schriften die weitgehend verlorene Metaphysik des Porphyrius zu rekonstruieren. Dazu nutzt Hadot die Methoden der Quellenforschung, die er gegen die damals in Frankreich vorherrschende Skepsis verteidigt: Quellenforschung schmälere nicht die Originalität eines Autors, sondern ermögliche es erst, das Werk eines Autors zu verstehen und seine eigentliche Leistung zu würdigen.¹⁰⁶ Als Kriterien für die Isolation von literarischen Quellenstücken in den Schriften des Victorinus nennt Hadot drei Kriterien: Erstens muss es sich bei den Textstücken um Fremdkörper (corps étrangers) handeln, die ein für den Autor untypisches Vokabular enthalten und seinen eigentlichen Gedankengang durchbrechen. Diese störenden Passagen müssen sich zudem durch eine innere Kohärenz auszeichnen, die einen ursprünglich anderen Gedankengang erkennen lassen. Zweitens muss die vermutete Quelle oder das Denken des Quellenautors zumindest in Grundzügen bekannt sein, um ihm die Textstücke zuweisen zu können. Drittens muss die Übereinstimmung zur Quelle charakteristische Züge aufweisen, eine Übereinstimmung in einzelnen Worten oder Formeln genügt nicht.¹⁰⁷ Das Hauptinteresse der Arbeit gilt dann der Rekonstruktion der Quelle des Victorinus, damit lasse sich dann aber nach Hadots Verständnis der Quellenforschung auch Victorinus besser verstehen: Die Widersprüchlichkeit und Dunkelheit seiner Texte lasse sich erst durchbrechen, wenn man die griechische Quelle seiner Texte kenne. Man könne sein Denken viel besser verstehen, wenn man nur die Stücke betrachtet, die wirklich von ihm selbst stammen.¹⁰⁸ Hadot versteht Victorinus damit ganz vom Neuplatonismus her. Die entscheidenden Fragen der Victorinusforschung seien nur, welche Richtung des Neuplatonismus er benutzt habe und wie er diese transformiert habe.¹⁰⁹ Das Denken des Victorinus hat in Hadots Sicht ebenfalls die Bewegungsrichtung vom Neuplatonismus zum Christentum: Sein schon vorher feststehendes System hätte Victorinus demnach nur so weit adaptiert, wie es für die Darstellung des Dogmas nötig war. Damit schließt sich Hadot grundsätzlich dem Victorinusbild der älteren Forschung an. Er unterscheidet sich nur darin, dass er Porphyrius als die entscheidende Quelle des Victorinus ansieht und dass er von einer starken literarischen Übernahme neuplatonischer Texte ausgeht. Die frühere Forschung hatte dagegen mehr eine gedankliche Prägung des Victorinus durch den Neuplatonismus angenommen.
hin und kommt zu dem Ergebnis: „D’un mot, la mentalité de ses écrits philosophico-théologiques est nettement ‘ plotinienne ’.“ (60) Zu diesem positiven Beitrag der Quellenforschung vgl. auch Diez, Leserführung, 30 f. Vgl. Hadot, Porphyre I, 30 – 41. Vgl. Hadot, Porphyre I, 45. Vgl. Hadot, Porphyre I, 30.
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Im ersten Hauptteil sichtet Hadot mit dem Werkzeugkasten der Quellenforschung die Schriften des Victorinus nach Quellenstücken. Er stellt der quellenkritischen Untersuchung eine knappe Zusammenfassung der zentralen Gedanken des Victorinus voran, die sich aus seinen eigenen Stücken ergebe, und fasst kurz zusammen, was daran neuplatonisch und was christlich sei.¹¹⁰ Von dem so identifizierten Grundgerüst seines Denkens weiche Victorinus aber an verschiedenen Stellen wieder ab.¹¹¹ Anschließend untersucht Hadot den literarischen Aufbau der einzelnen Schriften und unterscheidet solche, die einem klaren Plan folgen und weitgehend von Victorinus selbst verfasst sind, und solche, deren Gedankengang disparat und schwierig nachzuvollziehen ist, da in ihnen zahlreiche Fremdkörper integriert seien. Der Aufbau der Schriften Adversus Arium II, III und I sei gut nachvollziehbar.¹¹² Unklarheiten ergäben sich allerdings in den Schriften Ad Candidum, Adversus Arium Ib und IV: In Ad Candidum störe die lange ontologische Erörterung den Zusammenhang der Schrift, die nichts mit dem Thema zu tun habe, sich aber durch ihre innere Geschlossenheit als ein Fremdkörper erweise.¹¹³ In der Schrift Adversus Arium Ib beziehe sich ein Großteil der Ausführungen nicht auf die eingangs gestellte Frage nach der Identität und Alterität von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Diese Quellenteile behandelten das Eine als Sein und Potenz des Lebens und der Erkenntnis, die wechselseitige Implikation von Sein, Leben und Erkennen und die Weitergabe des Lebens und der Erkenntnis durch die Seele an die sinnlich wahrnehmbare Welt.¹¹⁴ In Adversus Arium IV beginne Victorinus mit einer rein philosophischen Abhandlung über das Verhältnis von vivit/vivere und vita, die sich nicht sinnvoll in den Kontext füge und nach einer Unterbrechung im Laufe der Schrift wieder aufgenommen werde. Dazwischen findet sich eine Ausführung, in der das Seiende, Lebende und Denkende das Sein, Leben und Denken hervorbringen, was sich ebenfalls nicht in den Gedankengang integrieren lasse. Die anfangs getroffene Unterscheidung von vivere und vita werde von Victorinus selbst wieder als unbrauchbar verworfen, er fasse das Verhältnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist am Ende wieder in seinem gewohnten Schema von Sein, Leben und Denken zusammen. In einem zweiten Teil gehe es dann plötzlich um ein ganz anderes Thema, nämlich die Frage, wie Leben und Denken aus dem Sein heraustreten. Dafür werde eine
Vgl. Hadot, Porphyre I, 45 – 48. Vgl. Hadot, Porphyre I, 48 f. Vgl. Hadot, Porphyre I, 50 – 52. Vgl. Hadot, Porphyre I, 52 f. Vgl. Hadot, Porphyre I, 53 – 57.
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ebenso nicht integrierte Unterscheidung zwischen dem infiniten Sein und dem determinierten Seienden getroffen. In diesem zweiten Teil finde sich eine lange Abhandlung über Gott und verschiedene andere philosophische Diskussionen, die ebenfalls nicht in die Schrift integriert seien.¹¹⁵ Diese Schrift erscheint insgesamt als eine Zusammenstellung sehr disparater Teile. Auf diese Weise identifiziert Hadot verschiedene rein philosophische Stücke, die einerseits mit der theologischen Problematik des Victorinus nichts oder nur wenig zu tun hätten und sich andererseits durch eine große innere Kohärenz auszeichneten. Man könne folglich zwei unterschiedliche Herangehensweisen des Victorinus unterscheiden: Auf einer theologischen Ebene erkläre er die Homousie von Vater, Sohn und Heiligem Geist über die wechselseitige Implikation von Sein, Leben und Denken. Daneben gebe es eine rein philosophische Ebene, auf der Victorinus einen metaphysischen Diskurs über diese Prinzipien führe, die aber nichts mit der theologischen Auseinandersetzung zu tun hätten. Diese Teile zeichneten sich durch ein Vokabular aus, das Victorinus sonst fremd sei, legten einen anderen Stil an den Tag und seien mit vielen Gräzismen durchsetzt, was auf eine griechische Quellenvorlage hinweise.¹¹⁶ Diese Textstücke vereinigt Hadot in drei Gruppen, die er in einem zweiten Band versammelt und ordnet. Die erste Gruppe von Texten aus der Schrift Ad Candidum behandele Probleme der Ontologie und die Frage, welchen Platz Gott in der Hierarchie des Seins und Nichtseins einnimmt. Die zweite Gruppe an Texten, hauptsächlich aus Adversus Arium Ib, behandele im Wesentlichen die Entstehung der Hypostase des Intellekts aus dem Einen und die Entstehung der Seele aus dem Intellekt. Die dritte Gruppe, hauptsächlich aus Adversus Arium IV, thematisiere die Triade Leben-Sein-Denken unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung zwischen dem tätigen ersten Prinzip und einer dadurch hervorgebrachten Form bzw. einem hervorgebrachten Akt. Diese Lehre sei im Rahmen des Neuplatonismus singulär.¹¹⁷ In einem zweiten Schritt will Hadot zeigen, dass als Autor der identifizierten Quellenstücke nur Porphyrius in Frage komme.¹¹⁸ Porphyrius sei schon aus äußeren Gründen wahrscheinlicher als Autor anzunehmen als Jamblich, da er im Westen wirkmächtiger gewesen sei. Zudem sei eine innere Affinität des Victorinus zu Porphyrius festzustellen, da Victorinus kaum Interesse an kultischen und sakramentalen Fragen habe, was für einen Anhänger Jamblichs erstaunlich wäre.¹¹⁹ Hinzu kämen Argumente, die auf eine methodische und inhaltliche Nähe der
Vgl. Hadot, Porphyre I, 57– 62. Vgl. Hadot, Porphyre I, 62– 67. Vgl. insges. zu den drei Textgruppen Hadot, Porphyre I, 68 – 74. Vgl. dazu insges. Hadot, Porphyre I, 79 – 143. Vgl. Hadot, Porphyre I, 80 – 86.
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Textstücke zu erhaltenen Schriften des Porphyrius hinwiesen.¹²⁰ Ein letztes großes Argument sei die Nähe des Victorinus zum anonymen Turiner Parmenideskommentar, den Hadot ebenfalls Porphyrius zuschreibt.¹²¹ Dazu gibt Hadot eine ausführliche Darstellung des Inhalts der erhaltenen Fragmente dieses Kommentars und unternimmt im zweiten Band auch eine Neuedition des Textes mitsamt einer hilfreichen französischen Übersetzung.¹²² Der zweite große Hauptteil der Studie besteht in einer ausführlichen Besprechung der porphyrianischen Texte. Hadot betrachtet dafür die drei Textgruppen wie je eigenständige Werke, rekonstruiert ihren inneren Gedankengang und ordnet sie philosophiegeschichtlich an ihrem seiner Meinung nach ursprünglichen Ort ein. Die Inhalte dieser detaillierten und materialreichen Analysen können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Es ist nur wichtig, die Gesamttendenz dieser Interpretation wahrzunehmen. Hadot zeichnet in der Diskussion der Texte ein neues Bild von Porphyrius als dem wesentlichen Motor der Weiterentwicklung des Neuplatonismus nach Plotin. Er setze diese Entwicklung in Gang durch seinen Versuch, die Chaldäischen Orakel mit der Philosophie Plotins zu verbinden. Dabei führe er die früheren Tendenzen einer platonischen Transposition der stoischen Physik systematisch fort.¹²³ In einer kurzen Skizze zum Schluss will Hadot zeigen, dass Synesius von Kyrene ebenfalls Porphyrius als Quelle benutzt habe und dass Ähnlichkeiten zwischen Augustin und Victorinus auch eher über den gemeinsamen Rückgriff auf Porphyrius zu erklären seien.¹²⁴ Damit ergibt sich für die weitere Geistesgeschichte die etwas ironische Pointe, dass ausgerechnet der Christengegner Porphyrius eine wesentliche Quelle für die Entwicklung der westlichen Trinitätslehre geworden sei.¹²⁵ Seinen Beitrag für die Victorinusforschung schätzt Hadot mit seinem umfangreichen Werk selbst als vorläufig ein: Im Anschluss an seine Rekonstruktion des Porphyrius gelte es nun zu untersuchen, wie Victorinus die Konzepte und Strukturen des Porphyrius nutze, wie er seine Werke komponiere und wie es ihm möglich sei, zwei so unterschiedliche Problemkreise wie die Texte des Porphyrius und die christliche Trinitätslehre zusammenzubringen.¹²⁶
Vgl. Hadot, Porphyre I, 86 – 102. Vgl. für die Erstedition Kroll, Parmenidescommentar, RhM 47 (1892), 599 – 627. Vgl. Hadot, Porphyre I, 102– 143. Für die Edition und Übersetzung vgl. Hadot, Porphyre II, 59 – 113. Vgl. dazu auch die knappe Zusammenfassung der Ergebnisse Hadot, Porphyre I, 481– 493. Vgl. Hadot, Porphyre I, 461– 474. Auch hierzu hatte bereits Theiler die Grundsteine gelegt, vgl. Theiler, Synesios. Vgl. Hadot, Porphyre I, 481. Vgl. Hadot, Porphyre I, 481 f.
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2.3 Kritik an Hadots Quellenforschung Dieser klar formulierte Auftrag für die Victorinusforschung ist nie verwirklicht worden, auch von Hadot selbst nicht. Er hat 1971 die beeindruckende Fülle seiner Forschungen zu Victorinus in einem immer noch grundlegenden Buch zu Leben, grammatischem, rhetorischem, theologischem und exegetischem Werk zusammengefasst und erweitert. Auch hier bewertet er Victorinus als gespalten in einen religiösen, „gnostischen“ Menschen auf der einen Seite und einen Professor und Rhetor auf der anderen.¹²⁷ Es ist bei genauer Betrachtung auch nicht verwunderlich, dass die Erforschung des Victorinus nicht die von Hadot vorgezeichnete Bahn gegangen ist: Nach dessen Rekonstruktion der Quellen staunt man, wie Victorinus vielfach so völlig andere Texte und Problematiken auf die Trinitätslehre beziehen konnte. Die Schriften des Victorinus werden durch die Methode der Quellenforschung anders als von Hadot angekündigt letztlich doch zu einem „mosaïque disparate“¹²⁸, in dem oft seitenlange argumentative Teile eigentlich gar nicht zum Gedankengang passen. Eine Interpretation der Schriften des Victorinus wird dadurch unmöglich gemacht. Selbst wenn man die Ergebnisse der Quellenforschung Hadots teilte und davon ausgehend Victorinus untersuchen wollte, ergäbe sich für diese Arbeit zwangsläufig ein Zirkelschluss: Man müsste die Texte des Porphyrius, die man aus Victorinus gewonnen hat, wieder mit den Texten des Victorinus vergleichen. Allerdings hat die Quellenforschung als solche ihre methodischen Grenzen und fand nicht nur zu Hadots Zeiten ihre Kritiker. Es ergibt sich dabei stets das Problem, dass die Werke der Autoren, denen man weitreichende Quellennutzung zuschreibt, zu einem Steinbruch werden: Man gewinnt die verlorenen Quellen nur zu dem Preis, dass das Werk, in dem die Quellen enthalten sein sollen, an vielen Stellen zertrümmert wird und letzten Endes unverständlich wird. Eine ausführliche Kritik der Probleme der Quellenforschung hat Christopher Diez jüngst am Beispiel von Ciceros De natura deorum unternommen.¹²⁹ Daher scheint eine Wiederholung hier nicht nötig. Stattdessen sei ein anderes methodisches „Vorurteil“ zur Interpretation der Schriften des Victorinus entgegengesetzt: Man sollte die Werke des Victorinus, soweit als möglich, als kohärente Einheit lesen. Und selbst wenn er literarische Quellen benutzt hat, sollte man davon ausgehen, dass er diese sinnvoll in den Gedankengang seines Werks eingebaut hat. Das ist eine Leistung, die man dem rhetor urbis Romae durchaus zutrauen kann. Vgl. Hadot, Recherches 308: „Il y a donc deux hommes dans Victorinus : le professeur et l’initié, le rhéteur et le ‘ gnostique ’.“ Hadot, Porphyre I, 35. Vgl. Diez, Leserführung, 29 – 104.
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Mit seiner Art der Quellenforschung treibt Hadot die Tendenz der Victorinusforschung seit Koffmane auf die Spitze. Er betrachtet neuplatonische Philosophie und christliche Theologie als zwei konträre geistige Grundströmungen, die sich recht einfach voneinander trennen lassen. Victorinus erscheint grundsätzlich als neuplatonischer Philosoph, der nur oberflächlich ein bereits existierendes philosophisches System christianisiert. Die Isolation weiter Teile der Texte als fremdes Quellenmaterial und deren Sammlung in einem separaten Band zementieren dieses Bild von Victorinus noch viel stärker und machen es wortwörtlich greifbar. Eine grundsätzliche Kritik an der Quellenforschung Hadots wurde bisher kaum geübt. Immerhin ist aber seine monistische Erklärung des Victorinus in der Abhängigkeit von Porphyrius seit den 1990er-Jahren verstärkt in Frage gestellt worden. So hat Volker H. Drecoll für eine wesentlich größere Selbstständigkeit des Victorinus im Umgang mit seinen Quellen plädiert.¹³⁰ Der tschechische Philosophiehistoriker Václav Němec will gegen Hadot drei verschiedene metaphysische Systeme rekonstruieren, die hinter den einzelnen Schriften stünden, und wertet diese als Belege für weitere neuplatonische Traditionen. Dabei könnte eine Quelle Porphyrius sein, dies lasse sich aber nicht sicher beweisen.¹³¹ Umfassendere Kritik an Hadots Vorgehen übt erst in jüngerer Zeit Giuseppe Balido in einigen Beiträgen zum Verständnis der Texte des Marius Victorinus. Balido analysiert beispielhaft das Opus ad Candidum nach formal-logischen Gesichtspunkten und weist so den schlüssigen und kohärenten Aufbau der Argumente in den ersten Schriften des trinitätstheologischen Werkes nach.¹³² Mit dieser Methode wendet Balido sich explizit gegen die Unterstellung, die Texte seien unverständlich, implizit folgt daraus auch eine Grundsatzkritik an Hadots Quellenforschung. Die schlüssige Reihe an Argumenten zeigt, dass sich „Fremdkörper“, die die logische Kohärenz der Texte stören, eigentlich nicht finden.¹³³
Vgl. Drecoll, Is Porphyry the Source Used by Marius Victorinus. Vgl. Němec, Metaphysical Systems. Chase, Essence spekuliert darüber, dass Ähnlichkeiten zwischen Victorinus und Avicenna auf einen gemeinsam Einfluss von Porphyrius zurückgehen könnten. In meinem Beitrag zur Analyse des Opus ad Candidum habe ich auf die gewinnbringende Möglichkeit, die Einzelargumente zu untersuchen bereits hingewiesen, vgl. Zacher, Marius Victorinus, Opus ad Candidum, StPatr 95,21 (2017), 129. Im Unterschied zu Balido habe ich aber eher einen rhetorischen als einen formallogischen Zugang vorgeschlagen; die beiden Ansätze schließen einander aber keineswegs aus. Vgl. Balido, Lettura, Metalogicon 3 (1998), 27– 63; ders., La logica,13 – 23.49 – 89, die logische Struktur im Opus ad Candidum weist Balido außerdem in den Anmerkungen zu seiner italienischen Übersetzung des Victorinus nach, vgl. Gaio Mario Vittorino, Scritti Cristiani, 82– 145.
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2.4 Der anonyme Parmenideskommentar und die Problematik der Kategorien Mittel- und Neuplatonismus Durch seine Arbeit hat Hadot den anonymen Kommentar zu Platons Parmenides wieder ins Bewusstsein der Forschung gerückt, dessen Fragmente zum ersten Mal von Kroll 1892 ediert wurden.¹³⁴ Hadots Zuschreibung an Porphyrius ist aber nicht unumstritten geblieben, vielmehr werden stark divergierende Datierungen vorgeschlagen: Bechtle versucht beispielsweise den vorplotinischen Charakter des Kommentars nachzuweisen¹³⁵, während Linguiti wieder in Richtung von Krolls Spätdatierung neigt, mindestens aber für eine Abfassung nach Plotin plädiert.¹³⁶ Auch Smith äußert verschiedene Bedenken gegen die Zuschreibung an Porphyrius und stellt dabei auch die grundlegende Frage, wie viel Gewicht man dem Zeugnis des Damascius geben darf, auf dem wesentliche Aspekte des Porphyriusbildes Hadots ruhen.¹³⁷ An der Diskussion um den Parmenideskommentar zeigt sich paradigmatisch, wie brüchig die traditionellen Kategorien vom Mittel- und Neuplatonismus geworden sind. Bestimmend für die Einordnung sind immer Fragen, wie viel „Neuplatonisches“ man sich schon vor Plotin und wie viel „Mittelplatonisches“ man sich danach noch vorstellen kann. Daher nutze ich zwar weiterhin diese klassischen Bezeichnungen, verbinde damit aber nicht die Vorstellung klar abgrenzbarer, homogener Gedankengebäude oder die Vorstellung einer eindeutig zu beschreibenden philosophiegeschichtlichen Entwicklung.¹³⁸ Gleiches gilt für den ähnlich unscharfen Begriff des Neupythagoreismus.¹³⁹ Einen entscheidenden Impuls für die Victorinusforschung gaben die Untersuchungen von Václav Němec zum Turiner Kommentar. In einer feinsinnigen Analyse einiger Aspekte des Kommentars stellt Němec wesentliche Differenzen zu Victorinus dar. Er zeigt, dass im Kommentar nirgends dem ersten Einen ein trinitarische Struktur zugeschrieben wird und sich nirgends eine Gleichsetzung des reinen Seins des ersten Einen (τὸ εἶναι) mit der Existenz (ὕπαρξις) als erster Phase des Intellekts
Vgl. Kroll, Parmenidescommentar, RhM 47 (1892), 599 – 627. Vgl. Bechtle, The Anonymous Commentary. Kritisch dazu und eher zustimmend zu Hadot etwa Zambon, Rez. Bechtle, Elenchos 20 (1999), 194– 202. Zustimmend zur Möglichkeit eines mittelplatonischen Ursprungs Dillon, Rez. Bechtle, CR 50 (2000), 22 f. Ebenfalls für eine Datierung vor Plotin Corrigan, Platonism and Gnosticism; Turner, The Platonizing Sethian Treatises. Vgl. Linguiti, Sulla datazione. Kroll, Parmenidescommentar, RhM 47 (1892), 624 ordnet den Kommentar zwischen Jamblich und Syrianus ein. Vgl. Smith, Porphyrian Studies, ANRW II 36,2, 727– 729.740 f.; ders., ὑπόστασις and ὕπαρξις in Porphyry, 40 f. Vgl. zum Begriff, Stellenwert und philosophischen Vielfalt des sog. Mittelplatonismus auch Ferrari §48, Ueberweg.Antike 5/1, 547– 555. Vgl. dazu ausführlich die Untersuchung von Cornelli, Pythagoreanism.
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findet. Der Anonymus schreibt erst dem Intellekt eine trinitarische Struktur zu, der sich in den Phasen Existenz, Leben und Denken entfaltet. Das erste Prinzip bleibt davon unterschieden als reines, undifferenziertes Sein. Damit widerlegt Němec die Interpretation Hadots: Er schrieb Victorinus und dem anonymen Kommentar die gemeinsame Lehre zu, das erste Prinzip als ὕπαρξις und τὸ εἶναι zu identifizieren und ihm bereits ein trinitarisches Entfaltungsmoment zuzuweisen. Němec zeigt mit seiner Interpretation gegen Hadot, dass der Anonymus nicht die direkte Quelle des Victorinus gewesen sein kann.¹⁴⁰
3 Die weitere Forschung nach Pierre Hadot 3.1 Anton Ziegenaus (1972): Ein sachgemäßer Ausdruck der christlichen Trinitätslehre Einen wesentlichen Beitrag zu einem umfassenderen Verständnis des Victorinus hat der katholische Dogmatiker Anton Ziegenaus in seiner Münchner theologischen Dissertation von 1972 geleistet. Zwar folgt er grundlegend der These Hadots, dass Porphyrius als wichtigste philosophische Quelle des Victorinus anzunehmen sei, geht aber entschieden über dessen Arbeit hinaus, indem er Victorinus als christlichen Theologen erstnimmt und ihn zugleich in eine noch umfassendere philosophische Tradition einordnet. Anders als Hadot erklärt Ziegenaus die notorische obscuritas des Victorinus nicht allein durch die Verwendung literarischer Quellenstücke, sondern macht drei weitere Faktoren dafür verantwortlich: Erstens die terminologischen Neuprägungen, die Victorinus unternehmen müsse, um ein ganz neues spekulatives Gebiet für die lateinische Sprache zu erschließen; zweitens den hohen Bildungsgehalt der Werke, der lange Beschäftigung mit der Metaphysik voraussetze; und drittens die Tatsache, dass sich im Werk des Victorinus eine allmähliche gedankliche Entwicklung nachzeichnen lasse. Victorinus sei im Laufe der Zeit zu einem immer tieferen Verständnis der trinitarischen Problematik und zu immer komplexeren Ausführungen durchgedrungen. Dadurch bekämen die Schriften einen uneinheitlichen Charakter.¹⁴¹ Es lasse sich innerhalb des Werkes eine „organische, d. h. frühere
Vgl. Němec, Die Theorie des göttlichen Selbstbewusstseins, RhM 194 (2011), bes. 199 – 205. Auf die strenge Differenzierung von Sein und Existenz im Kommentar weist auch schon Smith, ὑπόστασις and ὕπαρξις in Porphyry, 40 f. hin. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 3 f.94– 132.
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Gedanken nicht abstoßende, sondern weiterbauende Entwicklung vom Einfachen zum Komplizierten“ beobachten.¹⁴² Ziegenaus nimmt insgesamt viel stärker die christlich-theologischen Fragestellungen des Victorinus in den Blick und versucht nachzuzeichnen, wodurch sich die Behandlung der Trinitätstheologie bei Victorinus auszeichnet. Die komplexen und teils widersprüchlich anmutenden, theologischen Ausführungen des Victorinus charakterisiert Ziegenaus als Ausdruck eines „pleromatische[n] Gottesbild[es]“. Dies bedeute, „daß möglichst viele ‚würdige‘ Wesensattribute, die sogar einander entgegengesetzt sind, als vereinbar aufgewiesen werden.“¹⁴³ Ziegenaus leistet ausführliche Begriffsuntersuchungen, trägt die zentralen trinitätstheologischen Ansichten des Victorinus zusammen und ordnet sie oft in einen größeren geistesgeschichtlichen Zusammenhang ein.¹⁴⁴ Dabei weist er auch auf die Bedeutung christlicher Quellen hin, ohne konkretere Nachweise zu führen, welche Texte und Diskussionen Victorinus gekannt haben könnte. Deutlicher zeigt er dagegen die zentrale Rolle der Schriftexegese für die Theologie des Victorinus auf. Auf diese Weise arbeitet Ziegenaus zwei entscheidende Linien im Denken und Argumentieren des Victorinus heraus, eine offenbarungstheologische und eine soteriologische.¹⁴⁵ Ein Kapitel widmet sich noch der Entwicklung der Pneumatologie bei Victorinus. Dieses Thema habe sich Victorinus erst durch die pneumatomachischen Streitigkeiten seit Ende der 350er-Jahre aufgedrängt, er habe es dann aber schnell und umfassend behandelt. Seine Pneumatologie weise eine große Geschlossenheit auf und nehme die Entwicklungen der neunizänischen Orthodoxie vorweg.¹⁴⁶ Am Ende der Arbeit bildet sich Ziegenaus noch ein dogmatisches Urteil und bezieht damit auch in der Diskussion um die „Hellenisierung“ des Christentums Stellung. Trotz einzelner Kritikpunkte erweise sich die Theologie des Victorinus als sachgemäßer philosophischer Ausdruck der Offenbarungsgehalte und der Lehre der Kirche.¹⁴⁷ In dieser Wertung zeigt sich ganz der nachkonziliare Geist der katholischen Theologie im starken Gegensatz zu Geigers Antirationalismus am Ende des 19. Jh. Ziegenaus ist es seiner Arbeit gelungen, das christlich-theologische Anliegen der Trinitätstheologie des Victorinus so deutlich herauszuarbeiten wie noch keinem
Ziegenaus, Seinsfülle, 140. Ziegenaus, Seinsfülle, 142. Mit dieser Bezeichnung schließt sich Ziegenaus in der Sache Dempf an, lehnt aber dessen Rückführung auf eine Beschäftigung des Victorinus mit den Spätdialogen Platons ab, vgl. S. 138 mit Dempf, Platonismus, 10 – 14. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 155 – 235. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 236 – 265. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 284– 321. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 342– 372.
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Forscher zuvor. Auf diesem Wege lohnt es sich, weiterzugehen und die Betrachtung auf alle Ebenen der Prinzipienlehre auszudehnen und auch die Seelenlehre und die Lehre von der Materie und von den Körpern auf ihren christlich-theologischen Gehalt hin zu untersuchen. Über die ersten Ansätze bei Ziegenaus hinaus ist dabei noch weiter danach zu fragen, inwieweit Victorinus Kenntnis der exegetischen Tradition und der christlich-theologischen Diskussionen seiner Zeit hatte. Ziegenaus hätte durch eine stärkere Ablösung von der hadotschen Quellenforschung noch viel weitergehen können.¹⁴⁸ An vielen Stellen arbeitet er überzeugend die biblische und christlich-theologische Motivation in den Argumentationen des Victorinus heraus, verharrt dann aber doch in einer Aporie: Die Frage, ob ein Gedanke christlich oder porphyrianisch sei, lasse sich oft nicht beantworten, da das offenbarungstheologische Anliegen des Victorinus dem Anliegen des Porphyrius so ähnlich sei.¹⁴⁹ Diese Ähnlichkeiten beruhen aber in aller Regel auf der Rekonstruktion der Metaphysik des Porphyrius aus dem Werk des Victorinus. An diesen Stellen tritt der Zirkelschluss klar zu Tage, zu dem Hadots Anregungen für die Victorinusforschung führen müssen. Man kann aus Ziegenaus’ Beobachtungen aber viel eher die Berechtigung ziehen, die weitgehende Rückführung der philosophischen Gedanken auf Porphyrius in Frage zu stellen. Gerade wenn sich zeigen lässt, dass die Argumentation des Victorinus von biblischen oder christlich-theologischen Problemstellungen bestimmt sind, sind die Voraussetzungen der Quellenforschung Hadots bereits unterlaufen. Es handelt sich dann nicht mehr um Fremdkörper im Denken des Victorinus, sondern um zentrale und gut integrierte Bausteine seines Denkens. Dies lässt sich als impliziter Ertrag der Arbeit Ziegenaus’ festhalten.
3.2 Werner Steinmann (1990): Die Seelenmetaphysik als zentrales Thema und eine doppelte Bekehrung des Victorinus Steinmann setzt ebenfalls Hadots Arbeiten voraus und baut dessen Ansatz noch weiter aus. Er identifiziert die Seelenmetaphysik als ein Schlüsselthema im Denken des Victorinus und untersucht deren Rolle im Cicerokommentar und in den theologischen und exegetischen Werken. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass Victorinus sich in der heidnischen Phase seines Lebens zunächst vom akademischen Skeptizismus zu einem porphyrianischen Platonismus bekehrt habe. Zunehmende Zweifel an der Fähigkeit des Menschen zur Selbsterlösung, die er als „Porphyrianer“
Eine knappe Warnung, die Texte und das Denken des Victorinus nicht „zu zerstückeln“, findet sich Ziegenaus, Seinsfülle, 8 f. Vgl. z. B. Ziegenaus, Seinsfülle, 265.279.
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noch vertreten habe, hätten ihn zum Christentum gebracht. Die Seelenmetaphysik stelle daher den Schlüssel zur Beantwortung der Frage dar, warum der Rhetor sich zum Christentum bekehrt habe. Steinmann kann dabei überzeugend herausarbeiten, dass die ontologische Stellung der Seele, damit verbunden epistemologische Diskussionen und die Fragen nach der Erlösung eine zentrale Rolle im Denken des Victorinus spielen. Seine klare Einordnung des Cicerokommentars in eine frühe pagane Lebensphase, in der sich gerade erst eine Bekehrung des Victorinus vom Skeptizismus zum Neuplatonismus bemerkbar mache, muss aber kritisch hinterfragt werden. Überhaupt muss die Frage neu bedacht werden, inwieweit diese rhetorische Schrift überhaupt für die Rekonstruktion der intellektuellen Entwicklung des Victorinus ausgewertet werden kann. Bei der Interpretation des Kommentars ist bisher zu wenig bedacht worden, dass die Philosophie an den meisten Stellen einem Zweck für die rhetorischen Diskussionen der Schrift dient. Von diesen Beobachtungen ausgehend will ich in dieser Arbeit auch eine Neubewertung des Cicerokommentars, seines philosophischen Gehalts und seiner Einordnung in die Biographie des Victorinus unternehmen.
3.3 Matthias Baltes (2002): Ein einheitliches, neuplatonisches System Am Ende seines Lebens hat Matthias Baltes als ausgesprochener Kenner des antiken Platonismus Marius Victorinus eine kleine, aber inhaltsreiche Monographie gewidmet. Er weist auf die Probleme hin, die die Quellenforschung Hadots mit sich gebracht hat und betrachtet diese methodisch als einen Zirkelschluss: Hadot habe Porphyrius in den Texten des Victorinus finden wollen und ihn deswegen auch gefunden. Da es ihm dabei um die Rekonstruktion eines einheitlichen System gegangen sei, habe er alles vernachlässigt, was nicht in dieses kohärente Bild passe. Baltes kritisiert auch Michel Tardieu dafür, nur auf die Gewinnung einer ursprünglichen Quelle aus zu sein und daher das parallele Textstück zwischen Adversus Arium Ib und dem Zostrianus aus dem Denken des Victorinus herauszulösen.¹⁵⁰ Stattdessen verfolgt Baltes das Programm, den „ganzen Marius Victorinus in den Blick zu nehmen, den Philosophen und den christlichen Theologen.“¹⁵¹ In dieser Absicht versucht er nachzuweisen, dass das Gedankengebäude hinter den Texten des Victorinus einheitlich ist. Zu diesem Zweck systematisiert er dessen Positionen
Vgl. Baltes, Marius Victorinus, 2 f. zu Tardieu s.u. S. 36 f. Baltes, Marius Victorinus, 3 (Hervorhebung im Original).
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zur Trinität sowie zur geschaffenen Wirklichkeit.¹⁵² Zum Schluss destilliert er dann aber doch einzelne Gedanken heraus, die sich nicht in das Denken des Victorinus fügen und die er auf neuplatonische Einflüsse zurückführt. Die von ihm herausgearbeiteten philosophischen Elemente weist er einer Strömung des Neuplatonismus zu, der zwischen Porphyrius und Jamblich auf der einen, Syrian auf der anderen Seite einzuordnen sei. Victorinus wird für ihn damit zu einem Zeugen uns unbekannter neuplatonischer Lehren, die die Lebendigkeit des Platonismus auch in dieser Epoche bezeugen.¹⁵³ Die geistesgeschichtliche Bedeutung des Victorinus liegt so wieder ähnlich wie bei Geiger allein darin, dass wir in seinen Texten ein Zeugnis für die Fortführung des Neuplatonismus in Rom nach Plotin und Porphyrius besitzen. Baltes ist damit im Ganzen methodisch inkonsequent: Der erste Teil soll den Nachweis eines rigiden und einheitlichen System bei Victorinus liefern, aus dem dann im abschließenden Teil doch wieder einige Punkte als eindeutig neuplatonisch herausgegriffen werden. Dabei bleiben auch die Kriterien dieser Unterscheidung unklar, da Baltes selbst die Homousie auf eine neuplatonische Quelle zurückführen will.¹⁵⁴ Das Projekt, den ganzen Victorinus verstehen zu wollen, ist damit wieder gescheitert, da selbst die zentrale Voraussetzung der victorinischen Trinitätstheologie in den neuplatonischen Quellen verortet wird. Eine Systematisierung der Gedanken läuft auch immer Gefahr vereinfachend zu werden. Gegenüber diesen Versuchen hatte Ziegenaus gerade die Widersprüchlichkeit im Gottesbild des Victorinus betont. Das erinnert daran, dass es jeweils relevant ist, die Argumentationskontexte des Victorinus zu beachten. Widersprüche sollten nicht ausgeblendet werden, lassen sich aber vielleicht aus dem Kontext erklären oder lassen sich – wie Ziegenaus es versucht – auch als systematisch gewollt ansehen. Baltes’ Arbeit stellt nichtsdestoweniger ein wichtiges Hilfsmittel für die Victorinusforschung zur Verfügung. Sie ermöglicht schnelle Orientierung zu den übergeordneten Themen seines Denkens, ist ausführlich aus den Texten heraus begründet und verweist auf zahlreiche weitere Texte, die Baltes aus seiner langen Forschung am Platonismus zum Vergleich heranziehen kann. Das Ziel, den ganzen Victorinus zu verstehen, bleibt aber eine Aufgabe der Forschung. Eine Untersuchung der Texte sollte nicht zwischen dem Philosophen und dem Theologen oder dem Dogmatiker und Exegeten unterscheiden, sondern möglichst ein Gesamtbild der Person und des Denkens im Blick haben. Vgl. Baltes, Marius Victorinus, 23 – 106. Vgl. Baltes, Marius Victorinus, 107– 125. Vgl. Baltes, Marius Victorinus, 123: „Doch scheint Victorinus andererseits mit seiner Lehre der Konsubstantialität und der weitgehenden Identität der göttlichen Hypostasen einer Richtung zu folgen, die keineswegs Iamblichisch ist, die Iamblich vielmehr heftig attackiert hat.“
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3.4 John Voelker (2006): Kein isolierter Denker Leider unveröffentlicht geblieben ist die Dissertation John Voelkers mit dem Titel „The Trinitarian Theology of Marius Victorinus: Polemic and Exegesis“.¹⁵⁵ Voelker beklagt zwei Tendenzen der Victorinusforschung: Erstens eine zu starke Fixierung auf den „Philosophen“ Victorinus unter Vernachlässigung des Exegeten und Theologen und zweitens das Vorurteil, dass es sich bei Victorinus um einen isolierten Außenseiter gehandelt habe. Er spricht sich gegen eine anachronistische Trennung von Philosophie und Theologie aus, die in der Beurteilung des Victorinus oft bestimmend war, und versucht, Victorinus in einen größeren theologischen Diskussionsraum zu stellen. Sein methodischer Ansatzpunkt hierzu ist klug gewählt: Er vergleicht eine Auswahl an Schriftbelegen bei Victorinus insbesondere mit früheren und zeitgenössischen lateinischen Autoren.¹⁵⁶ Er untersucht drei Gruppen exegetischer Argumente: Belege für die Substanzterminologie, Belege für die Sichtbarkeit des Vaters durch den Sohn und Belege für die göttliche Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Bei dieser Untersuchung kann Voelker zweierlei zeigen: Victorinus lässt zum einen seine philosophischen Erkenntnisse auch in die Auslegung der Schrift einfließen und zeigt zum anderen bei vielen exegetischen Argumenten eine große Nähe zu Tertullian und zeitgenössischen lateinischen Autoren wie Hilarius von Poitiers, Gregor von Elvira und Phoebadius von Agen. Daraus schlussfolgert Voelker nicht immer zwingend eine direkte Abhängigkeit von einzelnen Autoren, sondern belegt damit, dass Victorinus sich insgesamt in der theologischen Debatte informiert zeigt. Daher traut Voelker ihm auch direkt oder indirekt weitreichendere Kenntnisse der griechischen Theologie zu, etwa der Werke Markells von Ankyra oder des Origenes.¹⁵⁷ In der trinitarischen Diskussion der 350er-Jahre verortet Voelker die Theologie des Victorinus im Rahmen des westlichen, von Markell geprägten miahypostatischen Milieus, sieht aber bereits deutliche Ansätze in Richtung einer stärkeren Differenzierung von Vater, Sohn und Heiligem Geist.¹⁵⁸ Der methodische Ansatzpunkt Voelkers, die exegetischen Argumente stärker vergleichend zu betrachten, erweist sich als großer Gewinn für die bessere Kontextualisierung des Victorinus. So lassen sich nicht nur Ähnlichkeiten aufzeigen, wie es Voelkers hauptsächliches Ziel ist, sondern auch relevante Unterschiede feststellen. In vielen Fällen lässt sich plausibel annehmen, dass Victorinus konkurrierende Ich danke Rev. Dr. John Voelker, dass er mir das Manuskript seiner Arbeit so bereitwillig und freundlich zur Verfügung gestellt hat und stets Interesse an meiner Arbeit gezeigt hat. Vgl. zum Ansatz und zur Methode Voelker, Marius Victorinus, bes. 13.25 f.41– 44. Vgl. Voelker, Marius Victorinus, 118.224. Vgl. Voelker, Marius Victorinus, 225 – 228.
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Auslegungen zu bestimmten Bibelstellen kennt und implizit darauf Bezug nimmt. Solche Beobachtungen können zu einer schärferen Profilierung des Victorinus und seiner besseren Einordnung in die christlich-theologischen Debatten beitragen.
4 Victorinus und die Gnosis 4.1 Diskussionen der Forschung seit 1959 Josepho Vergara hat in seiner Dissertation aus dem Jahre 1959 auf auffällige konzeptionelle und terminologische Parallelen zwischen dem victorinischen Gottesbild und dem Valentinianismus hingewiesen. Er bemerkt zum einen charakteristische Ähnlichkeiten bei der Beschreibung des eminenten Wesens Gottes. Zum anderen vergleicht er die Vorstellung des Victorinus, dass die Hypostasen zuerst im Inneren der Substanz ruhen, bevor sie aus dem Vater heraustreten, mit der Entfaltung der göttlichen Äonen bei den Valentinianern.¹⁵⁹ Auch bei Victorinus’ Darstellung, wie der Heilige Geist aus dem Vater hervorgeht, sieht er Parallelen zum Valentinianismus.¹⁶⁰ Er vergleicht das Verhältnis des Victorinus zur Gnosis mit Tertullian: Beide hätten sich gnostischer Termini und Ideen bedient, um sie zu korrigieren und so für die Darstellung einer rechtgläubigen Theologie zu nutzen.¹⁶¹ Dies skizziert Vergara aber nur auf wenigen Seiten und bietet keine ausführlichen Interpretationen und Vergleiche der Texte. Bei der Arbeit handelt es sich zudem nur um eine Teilpublikation der Dissertation, was die Einordnung mancher Ergebnisse erschwert.¹⁶² Wichtig ist aber Vergaras Urteil noch vor Hadots Quellenforschungen, dass Victorinus nicht sklavisch Quellen übernehme, sondern Ge-
Vgl. Vergara, Teología, 19 – 29. Vgl.Vergara, Teología, 42: Der Heilige Geist als das Sich-selbst-Denken Gottes, durch das der Geist auch nach außen tritt, ist vergleichbar mit der ἔννοια der Valentinianer. S. 43 f. mit Anm. 61: Mit der Betonung der willentlichen Zeugung des Sohnes wendet sich Victorinus gegen die Valentinianer. S. 44 mit Anm. 63: Die Vorstellung des inneren Logos des Vaters ist vergleichbar mit θέλημα und ἔννοια. S. 69 f.73: Victorinus sehe die verschiedenen Hypostasen als Formen einer Substanz an und sei darin dem Valentinianismus vergleichbar. Vgl.Vergara, Teología, 12 f. Den Vergleich zu Tertullian zieht auch wieder Edwards, Homoousion, StPatr 46 (2010), 117. Nicht veröffentlicht sind die Einleitung mit einer Rekonstruktion der Biographie und historischen Verortung des Victorinus und ein großer erster Teil, in dem Vergara zeigt, dass Victorinus seine Theologie maßgeblich als Auslegung der Heiligen Schrift versteht, vgl. die knappe Zusammenfassung der nicht publizierten Teile und das Inhaltsverzeichnis Vergara, Teología, 6 – 8.99 f.
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danken aufgreife, sie umforme und in sein Denken integriere.¹⁶³ Die Arbeit wurde nicht rezipiert, wohl auch deswegen, weil sie im Jahr darauf von der bedeutenden Edition und Kommentierung des Textes von Henry und Hadot überschattet wurde.¹⁶⁴ Im Wesentlichen folgt Vergara in den Parallelen, die er zu gnostischen Autoren anmerkt, der Arbeit seines Lehrers Antonio Orbe. Dieser hatte in seinen Estudios Valentinianos von 1958 in der Besprechung valentinianischer Texte auf Parallelen bei Victorinus hingewiesen und ihm auch ein eigenes kurzes Kapitel gewidmet.¹⁶⁵ Orbe formuliert nirgends ausdrücklich, dass Victorinus direkt gnostische Texte gelesen haben könnte, legt dies aber in seinen Analysen nahe. Vergara spricht dies in seiner Nachfolge dann deutlich aus. Beide hatten also keine Bedenken, Victorinus eine Kenntnis gnostischer Texte zuzuschreiben. Diese These wird erst seit den 1990er-Jahren wieder ernstlich diskutiert. Auch Hadot hat in seinem Kommentar von 1960 an vielen Stellen auf Texte und Gedanken aus gnostischen Quellen verwiesen, ohne diesen Parallelen selbst weiter nachzugehen.¹⁶⁶ Einen entscheidenden Durchbruch für die Frage nach dem Verhältnis des Victorinus zur Gnosis brachte die Entdeckung einer textlichen Parallele zwischen Adversus Arium Ib und dem koptisch-gnostischen Zostrianus im Jahr 1996 durch Michel Tardieu.¹⁶⁷ Tardieu erklärt dieses gemeinsame Textstück zwischen Adv. Ar. Ib und dem Zostrianus über die Nutzung einer gemeinsamen philosophischen Quelle, für deren Autor er Numenius hält. Er begründet seine Zuschreibung insbesondere mit dem aus platonischer Sicht „unorthodoxen“ Charakter des Stückes, der sich besonders darin zeigt, dass das Eine als Geist bezeichnet wird.¹⁶⁸ Genau bei dieser ungewöhnlichen Bezeichnung setzt Hadot im selben Band mit seiner Kritik an Tardieus Rekonstruktion an und schlägt ein komplizierteres
Vgl.Vergara, Teología, 12: „Su conversión a la fe católica lo ha obligado a sacrificar concepciones, dejar principios, corregir conceptos, para lograr evitar desviaciones que percibía como tales. En el acervo de sus conocimientos sobre filósofos y filosofías no hay un solo patrón a quien siga servilmente. Ni siquiera el Neoplatonismo de Plotino, con su tremendo influjo, le ha sujetado.“ Auch die beiden einzigen Rezensionen stellen schon den Vergleich mit Hadot an, vgl. Jossua, Rez. Vergara 1959, RevSR 39 (1965), 196 f. und Camelot, Bulletin, RSPhTh 49 (1965), 744 f. Jossua kritisiert den Vergleich mit den Valentinianern mit der bloßen Nachfrage, ob Vergara die Differenzen zwischen dem valentinianischen Gottesbild und Victorinus nicht aufgefallen seien. Von diesen Unterschieden spricht Vergara, Teología, 23 – 29 aber explizit. Camelot geht auf diese Frage gar nicht ein und lobt nur die klare Darstellung der Pneumatologie. Vgl. Orbe, Estudios Valentinianos I/1, 490 – 503, I/2, 738 – 744 (zum Candidusbrief ). Vgl. außerdem die zahlreichen Hinweise auf Victorinus, die im Index I/2, 805 s.v. Victorino, Mario versammelt sind. Die wichtigsten Aspekte sind gesammelt bei Tardieu, Recherches, 10 f. Vgl. Tardieu, Recherches. Vgl. Tardieu, Recherches, 110 – 113. Brisson, The Platonic Background argumentiert ebenfalls für Numenius als Autor des Quellenstückes.
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Quellenmodell vor: Es habe ursprünglich einen platonischen Text über das Eine und die Entstehung des zweiten Einen gegeben, dieser sei in einem zweiten Schritt christianisiert worden und in diesem Zuge sei das Eine mit dem Geist identifiziert worden. Diese christianisierte Version sei im dritten Schritt sowohl von Victorinus als auch dem Zostrianus als Quelle genutzt worden.¹⁶⁹ Dagegen stellte Tommasi im selben Jahr unabhängig von der Entdeckung Tardieus die These auf, dass Victorinus direkt auf gnostische Texte zurückgegriffen habe. Sie stützt sich dabei auf die Bezeichnung Gottes als tripotens bei Victorinus, deren gnostischen Ursprung sie wahrscheinlich machen kann. Sie bemerkt ferner, dass zwischen Victorinus und der koptisch-gnostischen Schrift Allogenes eine Parallele besteht, da beide die Hypostasierung der Triade Sein-Leben-Denken voraussetzen, während diese bei Porphyrius nicht nachweisbar ist. Hinzu kommen die Beobachtungen, dass die bei Victorinus häufig zu findenden Abstrakta auf –της und die besonders in Adv. Ar. Ib vorausgesetzte Identifikation von beatitudo und intellegentia häufig in gnostischen Texten auftauchen. Tommasi argumentiert, dass sich die komplizierten Quellenfragen leichter mit der Annahme lösen ließen, dass Victorinus direkt gnostische Texte gelesen und rezipiert habe.¹⁷⁰ Diese Ansicht hat Tommasi auch noch an weiteren Beispielen diskutiert und zu erhärten versucht.¹⁷¹ Luise Abramowski weitet diese These in zwei Aufsätzen von 2005 und 2006 signifikant aus. Sie vertritt die Ansicht, dass sich in Rom eine Gruppe hochgradig an die Kirche assimilierter Barbelognostiker halten habe können und die wesentliche Triebfeder für die Bekehrung des Victorinus zu einem nizänischen Christentum gewesen sei. Victorinus habe nicht erkannt, dass es sich bei diesen Gruppen um Gnostiker handelte, daher habe er ihre Lehren unhinterfragt übernommen. Die Gnostiker hätten das ihnen vertraute Konzept der Homousie beibehalten, den mythologischen Part ihrer Lehre aber aufgegeben. Victorinus habe nicht gezielt gnostische Texte gelesen, sondern sei solchen Kryptognostikern sozusagen „auf den Leim gegangen“. Dadurch lasse sich die für das 4. Jh. erstaunlich bedenkenlose Verwen-
Vgl. Hadot, Remarques additionnelles; „Porphyre et Victorinus“. Questions et Hypothèses, 114.123 – 125. Vgl. dagegen die Deutung von Abramowski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), 537 f., die die Stelle bei Victorinus so deutet, dass keine Identifizierung von Einem und Geist stattfinde. Vgl. Tommasi, Tripotens, ΚΟΙΝΩΝΙΑ 20 (1996), 53 – 75. Hinweise auf den gnostischen Charakter von tripotens schon bei Hadot, Porphyre I, 293 f. Vgl. Tommasi, L’androginia di Cristo-Logos, Cassiodorus 4 (1998), 11– 46; dies., viae negationis, 119 – 154. Einen Überblick über ihre wichtigsten Ansichten und neue Einsichten gibt dies., Nouvelle perspectives, und dies., Once Again.
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dung einer Reihe von gnostischen Elementen in seiner Theologie einfacher erklären.¹⁷² In diesen späten Beiträgen erklärt Abramowski damit gnostisch anmutende Passagen bei Victorinus durch direkte Rezeption gnostischer Literatur, wenn sich Victorinus der heterodoxen Provenienz der Gedanken auch nicht im Klaren gewesen sei. In ihrem ersten Aufsatz zum Thema im Jahr 1983 ging sie dagegen noch von einem wesentlich unselbstständigeren Victorinus aus und versuchte ihn klar von der Gnosis zu trennen. Damals führte sie noch alle gnostischen Elemente bei Victorinus darauf zurück, dass auch Porphyrius bereits durch die Gnosis beeinflusst gewesen sei. Diese Ansicht revidiert Abramowski in ihren späteren Aufsätzen zwar, bleibt aber bei der Ansicht, dass weitere philosophische Gemeinsamkeiten zwischen Victorinus und den gnostischen Nag-Hammadi-Schriften dadurch zu erklären seien, dass die Gnostiker ihre Schriften im Lichte der Philosophie des Porphyrius überarbeitet hätten. Drecoll gestaltet Abramowskis These wieder ökonomischer und stellt die berechtigte Frage, was gegen eine direkte und bewusste Rezeption gnostischer Texte durch Victorinus spreche. Er stellt die These auf, dass Victorinus einen griechischen „Urzostrianus“ gelesen habe, der auch in der Schule Plotins zirkuliert sei. Dieser sei aber nicht identisch mit dem uns erhaltenen koptisch-gnostischen Zostrianus, der eine spätere Bearbeitung darstelle.¹⁷³ Auch Mark Edwards spricht sich für eine direkte Rezeption gnostischer Texte durch Victorinus aus und hält sie im vierten Jahrhundert für noch nicht so anstößig wie allgemein angenommen.¹⁷⁴ Dagegen betont Němec die Unterschiede in den metaphysischen Systeme bei Victorinus und in den Texten der sethianischen Gnosis und hält eine direkte Rezeption für wenig wahrscheinlich.¹⁷⁵
4.2 Grundsätzliche Fragen: Sethianer und Gnosis Die Forschungsübersicht zum Verhältnis des Victorinus zur Gnosis zeigt, dass mit dieser Frage implizit oder explizit viele grundsätzliche Erwägungen verbunden
Vgl. dazu Abramowski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), 513 – 66, bes. 549 – 562. Dies., „Audi, ut dico“, ZKG 117 (2006), 145 – 168 stellt weitere Beziehungen zur Gnosis her, u. a. indem sie die Aufforderung zum Hören als Hinweis auf eine gnostische Offenbarungsquelle deutet. Drecoll, The Greek Text, 209 – 212. Für gnostische Einflüsse in den Pauluskommentaren auch Ders., Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 145 f. und Hadot, Marius Victorinus, 293 f. Vgl. Edwards, Marius Victorinus, StPatr 46 (2010), 116 – 118. Vgl. Němec, Metaphysical Systems.
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sind. Besonders zwei größere Themenkomplexe bilden eine oft unausgesprochene Voraussetzung bei der Beurteilung des Victorinus: Erstens steht im Hintergrund die Frage, wie man das Verhältnis zwischen dem Neuplatonismus und der Gnosis bestimmt. Hier stehen sich zwei grundlegend verschiedene Modelle der Verhältnisbestimmung gegenüber: Das Modell eines wechselseitigen Austausches, in dem auch die neuplatonischen Philosophen Gedanken aus gnostischen Texten übernehmen und weiterentwickeln, steht gegen das Modell der klaren Abhängigkeit der gnostischen Schriften von der platonischen Philosophie.¹⁷⁶ Will man Victorinus zwischen Gnosis, „orthodoxer“ Theologie und Neuplatonismus verorten, muss man auch diese implizit mitverhandelten Diskussionen bedenken. Zweitens steht im Hintergrund die Diskussion darüber, was genau man eigentlich unter Gnosis verstehen soll und wie man die Entwicklung gnostischer Gemeinschaften und Texte erklären kann. Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat insbesondere die Bedeutung der „platonisierenden“ Traktate aus dem Nag-Hammadi-Corpus als Vergleichspunkt für Victorinus herausgestellt. Diese schrieb Hans-Martin Schenke einer „sethianischen Gnosis“ zu, die er als eine eigenständige gnostische Religionsgruppe ansieht.¹⁷⁷ Im Anschluss daran hat es John Turner in vielen Arbeiten als exzellenter Kenner der Texte unternommen, die Ursprünge dieser Gruppierung aus verschiedenen Wurzeln des hellenistisch-jüdischen Milieus herzuleiten. Verschiedene vorchristlichen Gruppen seien miteinander zum Sethianismus verschmolzen und hätten sich dann sekundär christianisiert. In Folge der Ablehnung durch die „Großkirche“ gegen Ende des 2. Jh. habe eine immer weitere Annäherung der Sethianer an platonische Kreise stattgefunden. Die „Platonisierung“ der Sethianer und ihrer Texte ist also erst der dritte Schritt in einer langen Entwicklungsgeschichte.¹⁷⁸
Zeller, Die Philosophie der Griechen III/2/2, 488 – 493 stellt Überlegungen zu möglichen Einflüssen der Gnosis auf Plotins Philosophie an und kommt eher zu einem negativen Ergebnis. Majercik, The Existence-Life-Intellect Triad CQ 42 (1992), 475 – 488 und Dies., Porphyry and Gnosticism, CQ 55 (2005), 277– 292 geht wie Abramowski davon aus, dass die Nag-Hammadi-Texte später im Lichte der Philosophie des Porphyrius überarbeitet worden seien und so die Parallelen zu erklären seien. Dagegen rechnet Turner, The Setting mit Einflüssen der Gnosis auf Plotins Lehre. In radikaler Form wird dies von Mazur, Platonizing zu Ende gedacht. Er entwirft auf den Seiten 231– 273 eine selbst als spekulativ gekennzeichnete Rekonstruktion der Biographie Plotins, wonach dieser bereits in früher Zeit, wahrscheinlich bei seinem Lehrer Ammonius intensiven Kontakt mit gnostischen Gedanken hatte, von denen er sich abwandte. Bewusst oder unbewusst stelle seine Mystik aber eine Fortsetzung gnostischer Ideen dar. Vgl. Schenke, Das Sethianische System. Seine Perspektive hat Turner in zahlreichen Beiträgen dargelegt, die er über die Jahre stets leicht modifiziert hat. Vgl. z. B. Turner, Sethian Gnosticism: A Literary History; Ders., The Setting;
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Schenkes Rekonstruktion einer geschlossenen sethianischen Gruppe ist allerdings auch grundsätzlich in Zweifel gezogen worden. Wisse hält die Sethianer im Wesentlichen für ein Konstrukt antiker Häresiologen und wirft Schenke vor, letztlich denselben Fehler zu begehen wie die antiken Häresiologen: Schon diese hätten aus einzelnen Texten soziologische Gruppen rekonstruiert und mit einem Label versehen. Die sethianischen Texte sollten dagegen eher als private Meditationen, nicht als Texte einer religiösen Gemeinschaft verstanden werden.¹⁷⁹ Auch Scott bestreitet eine feste soziologische Organisationsform der Sethianer und nennt den Sethianismus einen „audience cult“, der keine formale Organisation, keine Gruppenstruktur und kein festes Dogma gekannt habe. Er versteht die sethianischen Texte ebenfalls eher als ein literarisches Phänomen, gesteht aber Formen einer geringen Organisation dieser Leserkreise mit eigenen Ritualen zu.¹⁸⁰ Löhr rät angesichts der schwierigen Quellenlage insgesamt zur Zurückhaltung: Sethianismus sei eine hilfreiche Arbeitsbezeichnung für eine Gruppe von Texten mit gemeinsamen charakteristischen Merkmalen, daraus sollte man aber noch nicht automatisch auf eine dahinterliegende feste soziologische Organisationsform schließen.¹⁸¹ Besonders ausführlich widmet sich die Münchener Habilitationsschrift Herbert Schmids aus dem Jahr 2018 den Sethianern. Schmid bietet einen umfassenden Überblick über die Forschungsgeschichte zur Frage des Ursprungs der Gnosis und schließt sich der Auffassung an, dass es keinen vor- oder nichtchristlichen Ursprung der Gnosis gebe.¹⁸² Er schlägt vor, nicht von einem Verhältnis von Gnosis und Christentum als zweier verschiedener Größen zu sprechen, sondern stattdessen von einem „gnostischen Christentum“, das von anderen Auslegungstraditionen des Christentums charakteristisch verschieden sei.¹⁸³ Er plädiert dafür, die Ablehnung des Schöpfergottes als konstituierendes Merkmal gnostischer Theologie zu erachten, da sich diese Vorstellung in verschiedenen Graden in allen gnostischen Texten fassen lasse. Diese negative Sicht auf den Schöpfer sei aber erst vor dem Hintergrund des Christentums erklärbar und lasse sich nicht auf jüdische Wurzeln zurückführen.¹⁸⁴ Daher stellt Schmid Schenkes These von einer vor- oder nichtchristlichen sethianischen Religion grundlegend in Frage. Er betrachtet die
Ders,, A Revised Literary History. Löhr, Art. „Sethians“, 1067 nennt die Rekonstruktion Turners „a bold and ingenious sketch.“ Vgl. Wisse, Stalking. Vgl. Scott, Churches or Books?, JECS 3 (1995), 109 – 122. Vgl. Löhr, Art. „Sethians“ 1069. Vgl. zum Ergebnis des Forschungsüberblicks Schmid, Christen und Sethianer, 213 – 219. Schmid, Christen und Sethianer, 218. Vgl. Schmid, Christen und Sethianer, 145 – 151.399 – 417.
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Sethianer wie auch die Valentinianer vielmehr als eine Ausprägungsform des Spektrums gnostischen Christentums.¹⁸⁵ Im Rahmen dieser Arbeit können diese komplexen Fragen nicht diskutiert werden. Da die unterschiedliche Beantwortung dieser Fragen aber Auswirkungen auf die Interpretation des Victorinus haben, müssen die Vorentscheidungen zum besseren Verständnis offengelegt werden. Ich schließe mich in meiner Arbeit den Ergebnissen Schmids und damit einem Bild der Gnosis an, wie es in je verschiedener Form etwa von Barbara Aland, Winrich Löhr oder Christoph Markschies vertreten wird.¹⁸⁶ Das Anliegen der Gnosis sehe ich in einer philosophischen Durchdringung christlicher Lehren mit dem dreifachen Ziel, diese Lehren selbst reflektierend zu verstehen, sie nach außen zu verteidigen und einer gebildeten, paganen Umwelt einsichtig zu machen.¹⁸⁷ Gnostische Texten und Gruppen wurden in diesem Anliegen auch nachweislich von paganen philosophischen Kreisen als Diskussionspartner ernstgenommen, wie die Behandlung gnostischer Schriften in Plotins Schule in Rom zeigt. Dort wurden nach dem Zeugnis des Porphyrius nicht nur Schriften wie der Zostrianus diskutiert, sondern es wurden auch umfangreiche literarische Widerlegungen unternommen.¹⁸⁸ Solchen Aufwand hätte man nicht betrieben, wenn man in der Gnosis keine ernstzunehmendes Gegenüber gesehen hätte. Daraus folgt ferner, dass gnostische Texte nicht einfach nur neuplatonische Ideen rezipieren, sondern selbstbewusst und eigenständig eine christliche Philosophie betrieben haben. In diesem Sinne nutze ich in dieser Arbeit die Begriffe Gnosis und Sethianismus nicht zur Beschreibung homogener, soziologischer Gruppen, sondern zur Benennung ganz verschiedener Texte, die sich durch bestimmte inhaltliche, literarische und methodische Gemeinsamkeiten auszeichnen. Ihr Interesse gilt einer stark mythologischen Form der philosophischen Durchdringung der Probleme der Schriftauslegung und der christlichen Theologie. Inhaltlich lässt sich mit Schmid eine unterschiedlich ausgeprägte Kritik am Schöpfergott als bestimmendes Merkmal festhalten. Vgl. Schmid, Christen und Sethianer, bes. 304– 313. Vgl. z. B. knapp dazu Aland, Der unverzichtbare Beitrag; und überhaupt die zahlreichen gesammelten Arbeiten im selben Band zu diesem Thema: Aland, Was ist Gnosis?; Löhr, Christian Gnostics; Markschies, Was ist Gnosis? Vgl. knapp dazu Markschies, Was ist Gnosis, 34– 41; Aland, Was ist Gnosis, 10: „Der gnostische Mythos […] ist keine beliebige Erzählung, sondern hochreflektierte Darstellung.“; Dies.; Gnosis und Kirchenväter, 159 (jetzt: 125): „Denn Gnosis ist Evangeliumsinterpretation.“ Vgl. nur Porph. Plot. 16. Amelius habe 40 Bücher gegen die Gnostiker geschrieben, Porphyrius selbst habe den Nachweis geführt, dass eine Apokalypse unter dem Namen des Zoroaster pseudepigraphisch sei, und Plotin habe die Enneade II 9 (33) geschrieben, die Porphyrius „Gegen die Gnostiker“ betitelt.
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Daher scheint es auch denkbar, dass sich Victorinus mit gnostischen Texten befasst hat: Als Kenner Plotins und vielseitig interessiertem Philosophen könnte es für ihn nahegelegen haben, die gnostischen Texte selbst zu lesen und mit der neuplatonischen Philosophie zu vergleichen. Die gnostischen Texte teilen theologisch dasselbe Interesse, das auch für Victorinus leitend ist, indem sie besonderes Gewicht auf die Protologie und die Eschatologie legen.¹⁸⁹ Ihre philosophische Herangehensweise an die christliche Lehre könnte Victorinus angesprochen haben. Daher sollen im Laufe dieser Arbeit immer auch gnostische Texte als Vergleichspunkt herangezogen werden, um diese Möglichkeit zu überprüfen. Dabei wird sich zeigen, dass die Annahme einer direkte Rezeption gnostischer Texte durch Victorinus nicht an vielen Stellen die beste Erklärung zum bessern Verständnis seiner Theologie bietet. An einigen Stellen lässt sich eine deutlich kritische Haltung gegenüber der Gnosis erkennen. Jedoch lässt sich durch den Vergleich mit ähnlich gelagerten philosophischen Formen des Christentums das spezifische Profil seiner Theologie schärfen. Damit ist auch nicht behauptet, dass es in Rom noch lebendige gnostische Kirchen gegeben habe. Eine Aussage darüber scheint aufgrund der Quellenlage kaum möglich.¹⁹⁰ Es genügt die weniger voraussetzungsreiche Annahme, dass in intellektuellen Kreisen Roms auch im vierten Jahrhundert noch gnostische Schriften diskutiert wurden. Das Interesse dieser Gruppen wäre dann mit dem des Plotinkreises zu vergleichen, der die gnostischen Schriften einer kritischen Diskussion für würdig befunden hat. Dass gnostische Texte sogar noch in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. im Westen zugänglich waren und benutzt wurden, zeigt Mark Edwards in einem Beitrag zur Rezeption des Evangelium Veritatis in einer priszillianistischen Schrift.¹⁹¹ Scotts Urteil, den Sethianismus als einen „audience cult“ mit geringem soziologischen Organisationsgrad zu deuten, kann einen Verständnishorizont für die
Vgl. Markschies, Was ist Gnosis?, 37.43, der von einer „Verbreiterung“ der Theologie in die Protologie und Eschatologie in der Gnosis spricht. Die These Abramowskis von untergründig weiterwirkenden Gnostikern scheint mir besonders aus zwei Gründen problematisch: Erstens geht sie von einem Assimilationsdruck gnostischer Gruppen an einen bestimmten philosophischen oder theologischen Zeitgeist aus, ohne eine Erklärung dafür zu bieten: Welchen Grund hatte die Assimilation der Sethianer im dritten und vierten Jahrhundert an die römische „Großkirche“, wenn sie dann doch weiter agieren wie immer? Zweitens stellt sich die Frage, wie lange eine solche Tradition im Untergrund lebendig bleiben könnte. Vgl. Edwards, Pseudo-Priscillian, VigChr 70 (2016), 355 – 372. S. 370 verweist Edwards auch auf Victorinus als weiteres Beispiel für die Rezeption gnostischer Texte und betont dabei dessen „Kirchenferne“, um dies plausibel zu machen: „Victorinus was neither monk nor prelate, and will no doubt have perused these texts in the course of his career as a teacher of rhetoric before he became a Christian“
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mögliche Auseinandersetzung des Victorinus mit gnostischen Schriften bieten. Man muss Scotts Einschätzung nicht für eine umfassende Erklärung des Phänomens der sethianischen Gnosis übernehmen, aber sein Ansatz macht deutlich, dass die Lektüre und Diskussion sethianischer Texte noch nicht automatisch die Zugehörigkeit zu einer festen gnostischen Kultgemeinde voraussetzt oder bewirkt. Die Texte sind nicht an ein Gemeindepublikum gerichtet, sondern wollen von breiteren Leserkreisen rezipiert werden. Victorinus könnte solche Texte also gelesen haben, ohne selbst jemals Kontakt zu einer gnostischen Gemeinde gehabt zu haben. Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass er Kontakt zu Menschen hatte, die von der Lektüre gnostischer Texte geprägt waren.
5 Forschung zu den Pauluskommentaren Die maßgebliche Ausgabe für die Pauluskommentare ist die von Gori besorgte CSELAusgabe, da Lochers Ausgabe einem kritischen Urteil nicht in allen Punkten genügen kann.¹⁹² Dennoch hat Locher auch in dieser Ausgabe in manchen Fällen die bessere Entscheidung bei der Interpunktion getroffen. Daher lohnt sich der Vergleich mit seiner Ausgabe immer noch. Auf die Forschung zu den Kommentaren soll nur ein kurzes Schlaglicht geworfen werden, da sie nicht denselben Raum in der Arbeit einnehmen werden wie die trinitätstheologischen Schriften. Diese Beschränkung begründet sich zum einen durch die sprachlich und strukturell leichtere Zugänglichkeit der Kommentare.Victorinus legt hier einen viel einfacheren Stil an den Tag; Fragen des größeren Zusammenhangs und des Werkaufbaus ergeben sich durch die Kommentarstruktur nicht. Zum anderen wurde zu den Kommentaren schon hervorragende Arbeit geleistet, auf die ich in dieser Arbeit zurückgreifen kann. Die wichtigste neuere systematische Untersuchung zu den Kommentaren ist die Arbeit Werner Erdts. Er setzt sich kritisch mit früheren Deutungen der victorinischen Paulusexegese auseinander und zeigt, dass es sich bei den Kommentaren weder um eine bloße Fortsetzung der antiarianischen Polemik mit anderen Mitteln noch um „eine Werbeschrift an neuplatonisch gebildete Nichtchristen in Rom“¹⁹³ handelt. Victorinus wolle zwar auch Paulus für die „Orthodoxie“ gegen die Arianer in Anspruch nehmen, eine rein polemische Tendenz der Kommentare lasse sich
Vgl. hierzu Gori, Rez. Locher 1972, RFIC 102 (1974), 487– 492. So Wischmeyer, Bemerkungen, ZNW 63 (1972), 112. Gegen Wischmeyer hatte sich schon Lohse gewandt und stattdessen die antiarianische Ausrichtung stärker betont, ohne in ihr das einzige Motiv der Pauluskommentierung zu sehen vgl. Lohse, Beobachtungen, 362– 366 (jetzt: 94– 96).
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aber nicht konstatieren. Erdt arbeitet überzeugend das christozentrische und soteriologische Hauptinteresse des Victorinus bei der Kommentierung heraus. Daraus schließt Erdt, dass die trinitätstheologischen Traktate „als metaphysische Rahmengebung“ für das Heilsmysterium zu lesen seien, das Victorinus in den Kommentaren in den Mittelpunkt seiner Theologie stellt.¹⁹⁴ Erdt erschließt den Gehalt der Kommentare nach dogmatischen Gesichtspunkten und systematisiert übersichtlich die Ansichten des Victorinus zur Seelenlehre, zum Glauben, zur Rolle des freien Willens, zur Sünde, zur Gnade und zum Gesetz.¹⁹⁵ Er erkennt in der Ablehnung des Gesetzes, dem Antijudaismus und der herausgehobenen Stellung des Paulus auch markionitische Tendenzen in den Kommentaren, die er auf die markionitischen Prologe zurückführt, die Victorinus gekannt hat.¹⁹⁶ Auch Drecoll deutet in seinem RAC-Artikel an, dass er deutliche Berührungspunkte zwischen gnostischen Texten und den Pauluskommentaren sieht.¹⁹⁷ Diese Nähe wird sich in dieser Arbeit insbesondere im Vergleich der Lehren von der Präexistenz und dem Fall der Seele im Epheserkommentar des Victorinus und im valentinianischen Tractatus Tripartitus erweisen, wobei aber auch stets klare Unterschiede zu erkennen sind.¹⁹⁸ Zwei weitere wichtige Beiträge zu den Pauluskommentaren stammen von Stephen Cooper, der jeweils eine Übersetzung und einen Kommentar zum Epheserund Galaterkommentar vorgelegt hat.¹⁹⁹ Seine Einleitung zum Galaterkommentar bietet eine wertvolle Einordnung der Kommentare in ein breites geistesgeschichtliches Spektrum. In Auseinandersetzung mit einer Fülle an Forschungspositionen bietet Cooper eine hervorragende Orientierung zur Einordnung und zum Verständnis der Kommentare.
6 Das Rätsel der „neunizänischen Formel“ bei Marius Victorinus In den Darstellungen zum Trinitarischen Streit und den kirchen- und dogmengeschichtlichen Lehrbüchern nimmt Victorinus wenig Raum ein oder wird als ver-
Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 97 f.209 f.215 f.. Das Zitat auf S. 97. Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 129 – 196. Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 201– 208. Vgl. dazu auch Schäfer, Prologe, RBen 80 (1970), 7– 16. Vgl. Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 145 f. S. dazu unten bes. S. 429 – 431. Vgl. Cooper, Metaphysics und ders., Galatians.
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nachlässigbarere Außenseiter gezeichnet.²⁰⁰ Besonderes Forschungsinteresse besteht vor allem an der sog. „neunizänischen Formel“ zur Unterscheidung von οὐσία und ὑπόστασις, die Victorinus als erster sowohl auf Lateinisch als auch Griechisch zitiert. Diskutiert wird vor allem wieder die Frage nach seiner Quelle mit völlig unterschiedlichen Antworten: Ulrich sammelt alle bis 1994 vorgeschlagenen Lösungen und enthält sich weitgehend eines Urteils in der Quellenfrage.²⁰¹ Er weist zudem darauf hin, dass diese Formel für das Gesamt der Theologie des Victorinus keine tragende Rolle spielt. Victorinus setzt vielmehr der westlichen Tradition folgend ὑπόστασις und οὐσία in aller Regel gleich. Man könne also nicht wirklich von einem ersten Beleg für eine neunizänische Theologie sprechen. Im gleichen Sinne betont Markschies, dass man die Frage nach einer neunizänischen Theologie nicht einseitig an dieser Formel festmachen solle.²⁰²
7 Ziele, Methodik und Aufbau dieser Arbeit 140 Jahre moderner Forschung haben mit ganz verschiedenen Ansätzen eine beachtliche Fülle an Erkenntnissen zu Marius Victorinus zutage gefördert. Dabei zeigen sich immer wieder zeitbedingte Interessen in der Auseinandersetzung mit
Lietzmann, Geschichte III, 253 – 256 behandelt Victorinus schon programmatisch unter dem Kapitel „Der Geist der Epigonenzeit“. Er ist für ihn ein Philosoph, „der sich biblischer und theologischer Formeln bedient, um seine neuplatonische Lehre vom Wesen Gottes vorzutragen.“ (254) Seine sich wiederholenden und ermüdenden Ausführungen seien nur „durch einige Bibelsprüche mit christlicher Theologie verbunden.“ (255) Knapp gewürdigt wird die Trinitätstheologie des Victorinus bei Hauschild, Lehrbuch I4, §1.18.3, 51. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Forschung hat Drecoll in seiner Überarbeitung des Lehrbuchs den Abschnitt zu Victorinus etwas ausführlicher gestaltet, vgl. Lehrbuch I5, §1.18.3, 108 f. Andresen, Kirchen, 383 erwähnt die trinitarischen Traktate in einem Nebensatz. Hanson, Search, 531– 556 widmet Victorinus zwar nicht wenige Seiten seiner Gesamtdarstellung, charakterisiert ihn aber als isolierten Denker und äußert S. 555 Verständnis dafür, dass niemand in der Antike Victorinus gelesen habe. Hausammann, Alte Kirche III, 146 Anm. 529 erwähnt Victorinus gar nur noch in einer Fußnote im Zusammenhang mit der Rolle Simplicians bei seiner und des Ambrosius Taufe. Vgl. Ulrich, Rezeption, 254– 261. Zwei Tendenzen lassen sich unterscheiden: eine Herleitung aus christlich-theologischen Quellen oder eine Herleitung aus einer neuplatonischen Quelle. Exemplarisch seien genannt: Abramowski, Hypostasenformeln, ThPH 54 (1979), 41– 47 argumentiert für eine homöusianische Herkunft; Brennecke, Erwägungen spricht sich für eine homöische Quelle aus, ebenso Voelker, An Anomalous Formula, StPatr 43 (2006), 522; Simonetti, All’origine, Aug. 14 (1974), 173 – 175 und ders., Il Concilio, Aug. 30 (1990), 358 – 360 und Markschies, Was ist lateinischer „Neunizänismus“?, ZAC 1 (1997), 85 sprechen sich für ein produktives Missverständnis einer Formulierung bei Porphyrius aus. Vgl. Markschies, Was ist lateinischer „Neunizänismus“?, ZAC 1 (1997), 73 – 95.
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Victorinus, nicht zuletzt in der Frage nach der „Hellenisierung“ des Christentums, die an Victorinus in besonderer Schärfe diskutiert wurde und wird.²⁰³ Dabei weisen die jüngeren Arbeiten auf ein Defizit der Forschungen bis Hadot hin: Man war lange geneigt, in Victorinus vor allem den Philosophen und isolierten Einzelgänger zu sehen. Dies hat man in der Regel aus seiner Biographie abgeleitet und argumentiert, dass er bei seiner Bekehrung zum Christentum sein Denken nicht mehr maßgeblich geändert habe. In dieser Sichtweise wurde nicht mehr ausreichend zwischen dem längeren Prozess der Auseinandersetzung des Victorinus mit dem Christentum und dem punktuellen Ereignis seiner späten Taufe differenziert.²⁰⁴ Stattdessen möchte ich versuchen, den Weg konsequent weiterzugehen, den schon in Ansätzen für die trinitätstheologischen Schriften besonders Ziegenaus und Voelker und für die Kommentare Erdt und Cooper gewiesen haben. Die Trennung zwischen Philosophie und Theologie ist grundsätzlich als anachronistisch zu betrachten. Es ist unbestritten, dass Victorinus sich seiner reichhaltigen philosophischen Bildung und Erfahrung in seinen Schriften bedient. Jedoch lässt sich seine Leistung nicht in der Übernahme und Christianisierung literarischer Quellen sehen. Vielmehr besteht sie zum einen im flexiblen Einsatz ganz verschiedener philosophischer Methoden und Lehren in der Reflexion von Problemen der christlichen Theologie und der Bibelauslegung, zum anderen auch in der argumentativen und exegetischen Auseinandersetzung mit vielfältigen christlichen Debattenbeiträgen. Es lässt sich immer wieder zeigen, dass für Victorinus letztlich ein soteriologisches Interesse bestimmend ist: Er bedenkt auch in seiner hochspekulativen Trinitätslehre stets die soteriologischen Konsequenzen, auch seine Überlegungen zur Seele und zur materiellen Welt versuchen, die Frage nach der Erlösung des Menschen und der Welt zu beantworten. Dies ist das zentrale christliche Interesse des Victorinus, das sein Denken bestimmt. Eine Einordnung des Victorinus in die zeitgenössischen theologischen Debatten ermöglicht ein tieferes Verständnis seiner Texte und führt dazu, sich vom Bild des einsamen Denkers gänzlich zu verabschieden. Viele seiner Argumente und Posi-
Auch Kirchner, Muße, 159.186 f. knüpft an diese von Papst Benedikt XVI. wieder angestoßene Debatte an und urteilt über Victorinus: „Er war derjenige, der die Komplementarität der neuplatonischen Konzepte und der christlichen Theologie einsah und beide aufeinander bezog.“ Zu den Thesen Benedikts XVI. vgl. knapp Markschies, Hellenisierung, 90 – 94. Vgl. z. B. Gore, Art. „Victorinus (6)“, DCB 4, 1131: „If he is sometimes more Neoplatonist than Christian, this is no doubt due in part to his mind having lost the flexibility of youth and middle age before he applied himself to Cristian theology.“; Zellinger, Art. „Marius, Cajus“, LThK2 6 (1934), 952: „[…] vermochte aber, schon infolge seines vorgerückten Alters, nicht mehr seine früheren Anschauungen völlig abzustreifen u. mit der Betätigung des christl. Glaubens durchweg Ernst zu machen.“
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tionen werden erst recht verständlich, wenn sie vor dem Hintergrund der Diskussionen des 4. Jh. betrachtet werden. Dabei wird sich zeigen, dass er insbesondere die Debatten zwischen Athanasius, Markell von Ankyra und Asterius kannte und implizit und explizit häufig an diese Diskussion anknüpft. In vielen Punkten zeigt sich darüber hinaus, dass Victorinus sich auch in längere Linien der christlich-philosophischen Debatte und der exegetischen Tradition einzeichnen lässt. So bilden auch die theologischen und exegetischen Überlegungen des Origenes einen wichtigen Bezugspunkt für sein Werk. Diese Einordnung soll dazu dienen, die Außenseiterrolle des Victorinus in der antiken Theologiegeschichte zu hinterfragen. Als zweiter wichtiger Bezugspunkt hat sich in der Forschung der letzten Jahrzehnte die Gnosis erwiesen. Der Vergleich mit gnostischen Texten lässt vielfach die Pointen der Theologie des Victorinus deutlicher werden. An vielen Stellen grenzt er sich argumentativ von gnostischen Positionen ab, insbesondere wenn es um die Bewertung der Materie, des Leibes und der Welt insgesamt geht. Man könnte aber auch vermuten, dass er die metaphysischen Spekulationen gnostischer Texte positiv aufgegriffen haben könnte. Um diese verbreitete These zu überprüfen, werde ich gnostische Texte als Vergleichspunkte heranziehen. Dabei wird sich zeigen, dass die Berührungspunkte oft nur oberflächlich sind und die Annahme, dass Victorinus direkt gnostische Schriften rezipiert hat, spekulativ bleiben muss. Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgender Aufbau der Arbeit: In einem ersten großen Hauptteil (B – D) will ich alle Voraussetzungen für das Verständnis des theologischen Denkens des Victorinus legen. Da die Rekonstruktion seiner Biographie stets auch Auswirkungen auf die Interpretation seiner Texte hatte, will ich im zweiten Kapitel (B) einige zentrale Aspekte der biographischen Entwicklung des Victorinus erneut diskutieren. Ich frage dabei besonders, was sich über seine Hinwendung zum Christentum und sein Selbstverständnis in seinem rhetorischen und christlichen Werk sagen lässt. Das macht auch eine erneute Betrachtung seines Cicerokommentars notwendig. Eine gründliche Analyse zentraler Passagen veranlasst mich zu einer Neubewertung des Kommentars: Ich halte es für wahrscheinlich, dass Victorinus sich zur Zeit der Abfassung bereits als Christ verstanden hat. Ferner will ich zeigen, dass man die philosophischen Erörterungen des Kommentars in ihrem argumentativen Kontext betrachten muss und sie nicht zur Rekonstruktion eines persönlichen Weltbildes des Rhetors nutzen kann. Insbesondere ordne ich die Äußerungen zur Seelenlehre neu in den Kontext einer breit geführten antiken Debatte über den Sinn und die Möglichkeiten des Rhetorikunterrichts ein. Damit wende ich mich insgesamt gegen alle Ansätze, den Cicerokommentar als Zeugnis der intellektuellen und philosophischen Entwicklung des Victorinus zu lesen. Anschließend müssen im dritten Kapitel (C) die trinitätstheologischen Traktate angesichts der Fortschritte, die die Forschung zum Trinitarischen Streit in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, erneut datiert werden und in die Auseinander-
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setzung der 350er-Jahre eingeordnet werden. Ich will zeigen, dass die Schriften Ende der 350er-Jahre in einer Zeit der Auseinandersetzungen innerhalb der römischen Kirche entstehen. In dieser Zeit erheben sowohl der aus dem Exil zurückgekehrte Liberius als auch der zu seinem Nachfolger bestimmte Felix Anspruch auf das Amt des römischen Bischofs. Neben dieser Einordnung in die kirchlichen Verhältnisse Roms unternehme ich eine Rekonstruktion des intellektuellen Milieus und Adressatenkreises der Schriften. Diese Verortung in soziale Zusammenhänge, theologische und kirchenpolitische Debatten der Zeit soll Victorinus zeigen, dass Victorinus kein isolierter Denker war. Auf dieser Grundlage kann im vierten Kapitel (D) die literarische Komposition der theologischen Schriften untersucht werden. Ich nehme hierbei die Kritik von Ziegenaus auf, der beklagt, dass Hadots Quellenforschung die Texte „zerstückelt“ und ein Verständnis der Schriften erschwert. Daher will ich es unternehmen, gegen Hadots These zu zeigen, dass sich ein sinnvoller Gedankengang in den einzelnen Schriften findet und dass sich die vermeintlichen Fremdkörper gut in den Aufbau der Werke integrieren lassen. Der Nachweis, dass die Schriften logisch und argumentativ sinnvoll aufgebaut sind, soll zum einen den quellengeschichtlichen Überlegungen Hadots weitgehend den Boden entziehen, zum anderen zeigen, dass Victorinus von Anfang an eine klare theologische Position bezieht und diese in einer Reihe von Schriften systematisch und aufeinander aufbauend entfaltet. Im Gesamtwerk lässt sich ein didaktischer Plan erkennen, wonach Victorinus im einführenden Opus ad Candidum die Grundlagen seiner Theologie entfaltet, um dann in den weiteren Schriften einzelne Themen spezieller zu behandeln. Dabei lässt sich ein steigender Komplexitätsgrad erkennen, der nicht auf die intellektuelle Entwicklung des Autors, sondern auf die didaktische Anlage des Werkes zurückzuführen ist. All dies soll als Voraussetzung für den zweiten großen Hauptteil (E – G) dienen, in dem ich die wesentlichen Linien des theologischen Denkens des Victorinus herausarbeite. Ein Aufbau, der alle Probleme berücksichtigt, erweist sich dabei als sehr schwierig und viele interessante Aspekte müssen unbehandelt bleiben. Ich folge in meiner systematisierenden Darstellung dem hierarchischen System alles Seins, das für das Denken des Victorinus bestimmend ist: Er begreift den Vater als die Ursache von allem und die trinitarische Gottheit als Schöpfer alles anderen Seins. Daher werden in Kapitel E wichtige Aspekte seiner Trinitätslehre behandelt. Am Ende der ontologischen Skala steht die Materie und dazwischen die Seele, deren Schicksal eine zentrale Stellung im Denken des Victorinus innehat. Gegen die naheliegende Hierarchie von Gott-Seele-Materie entscheide ich mich aber bewusst dafür, im sechsten Kapitel die Rolle der Materie und des Leibes an zweiter Stelle nach der Trinität zu diskutieren (F). Das hat zwei Gründe: Erstens stammt die Materie nach Victorinus ebenfalls direkt aus Gott und entsteht mit der ersten Be-
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wegung des Sohnes aus dem Vater.Victorinus siedelt ihre Entstehung also logisch vor der Schöpfung der Seele an. Zweitens ist das Schicksal der Seele und ihre Erlösungsbedürftigkeit eng mit der Materie verknüpft. Die Seele muss im Denken des Victorinus durch Christus aus dem Gefängnis der materiellen Welt befreit werden und zur Erkenntnis geführt werden. Das macht es sinnvoll, erst die Beschaffenheit der materiellen Welt zu erfassen und dann im siebten Kapitel (G) die Frage nach der Natur und Erlösung der Seele zu beantworten. Das ist dem Denken des Victorinus angemessen, in dem die Soteriologie die eigentliche Pointe darstellt. Als Ergebnis soll mit dieser Untersuchung letztlich nichts anderes erzielt werden, als das, was eigentlich schon Koffmane in seiner Arbeit über Victorinus eingangs geschrieben hat, was bei ihm selbst und dem Großteil der Forschung seither aus dem Blick geraten ist: Victorinus ist am besten zu verstehen als „philosophus, qui theologiam vere scientificam fundamentis philosophicis superstruere nitatur, qui dogmaticas illius temporis contentiones intellegere studeat.“ ²⁰⁵ Victorinus versucht, eine wissenschaftliche Theologie zu betreiben. Diese bedient sich im 4. Jh. völlig selbstverständlich des sprachlichen und methodischen Instrumentariums der Philosophie, um theologische Anliegen zum Ausdruck zu bringen. Zugleich kann man sagen: Er bemüht sich um eine Wissen schaffende Theologie, da für ihn das Heil des Menschen wesentlich mit der Erkenntnis verbunden ist, die nur durch die Offenbarung des Vaters im Logos und Heiligen Geist vermittelt wird.
Koffmane, De Mario Victorino, 5, s.o. S. 4. Vgl. auch die ähnliche Einschätzung bei Henry, The Adversus Arium, JTS 1 (1950), 51: „His theology is not just a philosophy. It is the systematic exposition of revealed doctrine as set forth in Scripture.“ Citterio, Osservazioni, ScC 65 (1937), 506: „[…] tentare, nell’ambito della ortodossia, un interpretazione scientifica del dato rivelato […].“ Ähnlich auch Clark, Art. „Marius Victorinus“, TRE 22 (1992), 168: „Schrift und Tradition sind für seine Erörterungen grundlegender als die von ihm verwendeten neuplatonischen Denkmuster. Der Neuplatonismus war nicht seine ausschließliche Quelle.“ Und Cooper, Exegesis, 88: „His predilection for understanding church doctrine in the light of philosophical teaching is really nothing other than his desire to do theology, which for him – to use the later formulation of Anselm of Canterbury – meant faith pursuing the path of reason seeking understanding.“
B Biographie 1 Zur Notwendigkeit einer erneuten Untersuchung der Biographie In seiner Arbeit zu Leben und Werk des Victorinus hat Pierre Hadot bereits alle Zeugnisse aufgeführt, die Hinweise zur Rekonstruktion der Biographie des Victorinus geben, und diese ausführlich besprochen und ausgewertet.¹ Seine Ergebnisse haben weitgehende Zustimmung gefunden und sind höchstens in Detailfragen umstritten, so hat etwa Stephen Cooper in seinen Arbeiten unter Einbezug neuerer Forschung manches etwas anders gewichtet.² Da im Folgenden auch keine grundsätzlich neue Darstellung des Lebenslaufes des Victorinus intendiert ist, ist es nicht nötig, erneut alle Zeugnisse zu besprechen. Vielmehr werden sich durch die Interpretation der zentralen Quellen einige nicht unbedeutende Akzentverschiebungen ergeben, die insbesondere die Bekehrung des Victorinus zum Christentum und die Datierung seiner Taufe betreffen. Dazu ist es zunächst notwendig, noch einmal genau den Quellenwert und Gehalt der Notizen des Hieronymus und des Berichts in Augustins Confessiones zu beurteilen. Diese Untersuchung soll zum einen zeigen, dass die Voraussetzungen und Intentionen der antiken Autoren, insbesondere Augustins, oft nicht genügend berücksichtigt worden sind. Zum anderen sollen implizite oder explizite Vorannahmen der modernen Interpreten mit Blick auf die Persönlichkeit des Victorinus und die religiösen und gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit hinterfragt werden. Im Zuge der Suche nach autobiographischen Hinweisen wird danach eine Untersuchung des Kommentars zu Ciceros De inventione nötig. Dieser Kommentar wird gemeinhin als Produkt der paganen Lebensphase des Victorinus beurteilt und für eine Rekonstruktion seiner intellektuellen Biographie herangezogen. Auch diese Einschätzung soll in dieser Untersuchung auf den Prüfstand gestellt werden. Die Absicht und der philosophische Gehalt dieser rhetorischen Schrift müssen mit in den Blick genommen werden, um eine verlässliche Grundlage für die Rekonstruktion der intellektuellen Entwicklung des Victorinus liefern zu können.
Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 13 – 58. Die Testimonien sind ebenfalls gesammelt bei Mariotti, Ars Grammatica, 4– 11. Vgl. Cooper, Commentary on Galatians, 16 – 40. Ders., Metaphysics, 3 – 10 ist dagegen noch deutlich stärker der Analyse Hadots verpflichtet. https://doi.org/10.1515/9783110987577-002
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2 Die Notizen bei Hieronymus 2.1 Hieronymus, De viris illustribus 101: Herkunft und Frage nach dem Geburtsjahr In seinem Schriftstellerkatalog De viris illustribus liefert Hieronymus die wichtigsten Grunddaten zum Leben des Victorinus, die entweder durch andere Zeugnisse bestätigt werden oder ansonsten in ihrem Wahrheitsgehalt nicht bezweifelt werden müssen: Victorinus, aus Africa stammend, lehrte unter Constantius in Rom Rhetorik, hat sich in hohem Alter dem Glauben an Christus hingegeben und Bücher gegen Arius geschrieben, die aufgrund seiner dialektischen Methode schwer verständlich sind, sodass sie nur von Kennern verstanden werden. Außerdem schrieb er Kommentare zum Apostel.³
Hier findet sich der einzige Hinweis auf eine africanische Herkunft des späteren Rhetoriklehrers in Rom.⁴ Damit gehört er, wie Augustin eine Generation nach ihm, zur Gruppe der Provinzialen, denen ihre Bildung den sozialen Aufstieg ermöglicht und die zu diesem Zwecke nach Rom ziehen. Vielleicht waren africanische Netzwerke in Rom und Kontakte der römischen Senatsaristokratie in die Provinz Africa auch für die Karriere des Victorinus förderlich, wie sich dies im Falle Augustins zeigen lässt.⁵
Hier. vir. ill. 101: Victorinus, natione Afer, Romae sub Constantio principe rhetoricam docuit et in extrema senectute Christi se tradens fidei scripsit adversus Arium libros more dialectico valde obscuros, qui nisi ab eruditis non intelliguntur, et Commentarios in Apostolum. (244 Barthold) Clark schreibt in der Einleitung ihrer Übersetzung in FoC 69, 4,Victorinus sei „born and married in Africa.“ Ebenso dies., Art. „Marius Victorinus“, TRE 22 (1992), 165. Dass Victorinus noch in Africa geheiratet hat, ist aber nirgends belegt. Vgl. für die Förderung Augustins durch manichäische Freunde und den Stadtpräfekten Symmachus Aug. conf. V 13,23. Vgl. dazu Ebbeler/Sogno, Religious Identity, Hist. 56 (2007), 230 – 242, die überzeugend herausarbeiten, dass Symmachus enge persönliche Kontakte nach Africa pflegte und Augustinus eher wegen seiner Herkunft und dank der Vermittlung africanischer Freunde förderte und nicht v. a. deswegen, weil Augustinus zu dieser Zeit noch Manichäer war. Sie verweisen darauf, dass die römische Elite durch ihren reichen Landbesitz in Africa schon eine besondere Nähe zu dieser Provinz pflegte. Vielleicht konnte also Victorinus einige Jahrzehnte vorher von ähnlichen Kontakten profitieren. Enge Kontakte nach Africa sind im 4. Jh. auch für die donatistische Gemeinde Roms durch Optat. 2,4,1– 4 bezeugt, nach dem alle Bischöfe der römischen Donatistengemeinde Afri et peregrini gewesen seien. Ferner ist bemerkenswert, dass in der Zeit des Victorinus mit Fortunatianus von Aquileja und Zeno von Verona zwei weitere norditalienische Bischöfe africanischer Herkunft belegt sind, vgl. dazu Dorfbauer, Zur Biographie, ZAC 17 (2013), 397– 399. Für einige Beispiele africanischer Aufsteiger in der Spätantike vgl. auch Lepelley, Quelques parvenus, 583 – 594.
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B Biographie
Dass wir es bei Victorinus mit einem sozialen Aufsteiger zu tun haben, zeigt sich darin, dass er den Titel vir clarissimus wohl erst während seiner Tätigkeit als Rhetor verliehen bekam.⁶ Das uns erhaltene Epitaphium seiner Enkeltochter Accia Maria Tulliana preist den Großvater zudem als den Ahnherrn der Familie (origo sanguis).⁷ Das weist darauf hin, dass er der erste namhafte Vertreter der Familie war. Aus dieser Grabinschrift, dem Bericht Augustins und Teilen der handschriftlichen Überlieferung der theologischen Werke geht hervor, dass Victorinus nicht als freier Lehrer in Rom tätig war, sondern den fest besoldeten Rhetoriklehrstuhl der Stadt innehatte.⁸ Wann Victorinus nach Rom übersiedelte, lässt sich aus den Quellen nicht klären. Möglicherweise kam er wie viele Africaner schon zu Studienzwecken nach Rom, vielleicht aber auch erst als Lehrer, um seine Karriere voranzutreiben.⁹ Da der Höhepunkt seines Ruhmes und seiner Karriere in die Regierungszeit des Constantius fällt, darf man zumindest davon ausgehen, dass er sich diese Position über Das kann daraus erschlossen werden, dass der Titel in den Handschriften der rhetorischen und grammatischen Werke fehlt, im Codex Berolinensis Phillipps 1684, der einen Großteil der theologischen Traktate überliefert, aber genannt wird. Vgl. dazu Hadot, Marius Victorinus, 31 f. Zur Überlieferung s.u. 163 – 168. Vgl. dazu auch Symm. rel. 5 (MGH.AA 6,1 284 f.): Symmachus bittet in dieser relatio darum, den philosophischen Lehrer Celsus gleich im Range eines consularis in den Senat aufzunehmen, um ihn vor kostspieligen munia publica zu bewahren. Dazu Hecht, Rechtslage, 108 – 113. Für ähnliche Beispiele vgl. Demandt, Hochschulwesen, 253. Auch Victorinus wird also wohl aufgrund seiner Lehrtätigkeit mit dem Clarissimat ausgezeichnet worden sein. Für die Inschrift vgl. CILVI 31934, insbes. 1– 3: Accia vel Maria est nomen mihi Tulliana / Victorinus avus quo tantum rhetore Roma / enituit quantum noster sub origine sanguis […]. Text und Besprechung der Inschrift auch bei Hadot, Marius Victorinus, 16 f. Vgl. Aug. conf. VIII 2,3: Victorinus, quondam rhetor urbis Romae […] (154,17 f. Skutella); gegen Skutella setze ich das Komma nach Victorinus, da quondam besser auf das Substantiv und nicht auf das Prädikat zu beziehen ist, so auch O’Donnell, Confessions III, 15 ad quondam. Die Überlieferung zu den ersten beiden Schriften des corpus theologicum kennt auch den Titel rhetor urbis Romae, vgl. dazu Locher, praefatio, VIII-XII. Monceaux, Histoire, 374 geht dagegen noch von einer privaten Lehrtätigkeit aus. Zu den öffentlich besoldeten Professoren, ihren Aufgaben und ihrer Finanzierung vgl. Demandt, Spätrömisches Hochschulwesen, bes. 241– 245.249 – 253, speziell zu den römischen Lehrstühlen dort S. 254.262. Der römische Rhetoriklehrstuhl wurde von Vespasian eingerichtet und aus dem kaiserlichen Vermögen finanziert, vgl. Suet. Vesp. 18. Symmachus verwendet sich beim Prätorianerpräfekten Hesperius für den Lehrer Priscianus, dem der Senat ein salarium zubilligte, worüber es zu Unstimmigkeiten kam, vgl. Symm. epist. I 79 (MGH.AA 6,1 34). Vgl. dazu auch den Kommentar bei Salzman/Roberts, The Letters of Symmachus, 151 f. Lepelley, Quelques parvenus, 586 verweist auf das Gesetz in Cod. Theod. XIV 9,1 aus dem Jahr 370, in dem der Aufenthalt von Studenten aus den Provinzen in Rom reglementiert wird. Africaner werden dabei gesondert erwähnt, was dafür spricht, dass es sich bei ihnen um eine nennenswerte Gruppe unter den römischen Studenten handelte. Augustinus wechselte dagegen erst als Lehrer nach Rom und gibt für diesen Schritt auch karrieristische Motive zu, vgl. Aug. conf. V 8,14. Bruce, Marius Victorinus, 215 gibt in einer Übersicht über die von ihm rekonstruierten biographischen Daten an, dass Victorinus ca. 340 nach Rom übergesiedelt sei. Das ist aber bloße Vermutung.
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längere Zeit erarbeitet hat. Er war daher sicher schon einige Zeit vor 353 in Rom tätig.¹⁰ Der zweite relevante Hinweis in der Darstellung des Hieronymus ist die Datierung der Bekehrung des Victorinus in extrema senectute. Von dieser Angabe ausgehend unternimmt Travis den Versuch, das Geburtsdatum des Victorinus zu erschließen. Er untersucht dafür zunächst den Sprachgebrauch der Wendung extrema senectus und kommt zu dem Ergebnis, dass ein mit diesem Ausdruck beschriebener Mensch mindestens 70 Jahre alt sein muss. Von dem angenommenen Jahr der Taufe 355 zurückgerechnet, ergebe sich dann als Geburtsjahr ca. 280.¹¹ Dieser Versuch einer genauen Berechnung ist in zweifacher Hinsicht problematisch: Hinter dem unpräzisen Begriff extrema senectus verbirgt sich erstens keine konkrete Altersvorstellung. Einerseits kann je nach Einschätzung des Autors einfach ein ungewöhnlich alter Mensch damit beschrieben werden, andererseits ist auch eine offenere Verwendung denkbar. Dem strengen Wortsinne nach bezeichnet in extrema senectute nicht unbedingt das tatsächliche Alter, sondern meint nur den letzten Lebensabschnitt eines alten Menschen vor seinem Tode.¹² Will man der Formulierung Gewicht beimessen, sollte man der vorsichtigen Einschätzung Riesenwebers folgen und den minimalen Wert von etwa 70 Jahren zugrunde legen.¹³ Jedoch lässt sich aus dieser Angabe dennoch nicht unmittelbar ein Geburtsjahr ableiten, da zweitens die Datierung der Taufe problematisch ist. Die Datierung auf
Schemmel, Athenaeum,Wochenschrift für Klassische Philologie 7/8 (1919), 93 geht von der Angabe in Hier. chron. a. Abr. 2369 (=353 p. Chr.) (239, 5 f. Helm2) davon aus, dass Victorinus und Tiberius Minervius, wahrscheinlich identisch mit dem Lehrer des Ausonius (Commemoratio professorum Burdigalensium 1), gleichzeitig städtische Rhetoren waren. Booth, Career, Phoenix 36 (1982), 335 Anm. 22 vermutet, dass Victorinus Nachfolger des Minervius gewesen sein könnte, da es in Rom nur einen Lehrstuhl für lateinische Rhetorik gegeben hat. Aus der Erwähnung des Minervius als rhetor in Rom für das Jahr 353 muss man aber nicht schließen, dass er städtischer Rhetor gewesen ist, denkbar ist auch eine private Lehrtätigkeit. Booth weist S. 336 zudem darauf hin, dass der Inhaber einer städtischen Professur noch weitere Assistenten unter sich hatte. Er schließt aus der Erwähnung eines praefectus orator in Hier. epist. 66,9,2 (CSEL 55, 659,4), dass dies auch in Rom der Fall gewesen ist. Lössl, Epistolarity erwägt, dass Hieronymus den Beginn der Herrschaft des Constantius bereits mit dem Tod Konstantins ansetzt, sodass Victorinus schon sehr lange vor 354 als Lehrer tätig gewesen sein könnte. Vgl. Travis, A Biographical Note, HThR 36 (1943), 83 – 90. Kritisch dazu auch Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 123; Lössl, Epistolarity betont den spekulativen Charakter der These von Travis, ohne das Ergebnis völlig abzulehnen. Vgl. dazu ThlL 5.2, 2002, 41 s.v. exter, exterus: „refertur ad finem vitae (notione mere temporali).“ Vgl. dazu auch die Bemerkung bei Hier. vir. ill. 80 (Barthold 232) Laktanz sei in extrema senectute noch der Lehrer des Crispus gewesen. Auch hier kann Hieronymus vielleicht nur den letzten Lebensabschnitt im Alter meinen. Vgl. Riesenweber, Prolegomena, 3 f. Anm. 6.
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B Biographie
einen Zeitraum von 355 – 357 ist von zahlreichen nicht unbedenklichen Vorannahmen abhängig, die bei der Besprechung der zweiten Hieronymus-Notiz offengelegt werden müssen.
2.2 Hieronymus, Chronik zum Jahr 354: Kritik am Jahr 354 als Fixpunkt Auch in seiner Chronik widmet Hieronymus dem Victorinus zum Jahr 354 n.Chr. einen kurzen Eintrag. Da die Forschung diesem Chronikeintrag zentrale Bedeutung für die Datierung der Taufe des Victorinus zugemessen hat, lohnt eine gründliche Interpretation der Notiz: Der Rhetor Victorinus und der Grammatiker Donat, mein Lehrer, genießen in Rom hohes Ansehen. Von diesen beiden hat Victorinus aufgrund seiner Verdienste auch eine Statue auf dem Trajansforum erhalten. ¹⁴
Die chronologische Anlage des Werkes zwingt Hieronymus für die beiden Lehrer, die ja über einen längeren Zeitraum gewirkt haben, nur ein einziges Jahr anzugeben. Dabei hat er sich offensichtlich für eine ungefähre Blütezeit der beiden unter Constantius II. entschieden. Denn mit der Formulierung insignis habetur gibt Hieronymus gewöhnlich die ungefähre Akme eines Autors an und verwendet sie als variierendes Synonym zu floruit oder clarus habetur. ¹⁵ Aus dieser Wendung lässt sich also nicht ableiten, dass Victorinus in diesem Jahr mit dem Titel vir clarissimus ausgezeichnet wurde.¹⁶ Zwar kann insignis gelegentlich die Gestalt eines Titels annehmen, ist jedoch nicht als terminus technicus etabliert und wird von Hieronymus in dieser Bedeutung nicht gebraucht.¹⁷ Der Inschriftenbefund der Statuen
Hier. chron. a. Abr. 2370 (=354 p. Chr.) (239,12– 15 Helm2): Victorinus rhetor et Donatus grammaticus praeceptor meus Romae insignes habentur. E quibus Victorinus etiam statuam in foro Traiani meruit. Man beachte, dass es hinsichtlich der Jahresangabe v. a. in der älteren Literatur erstaunlich häufig zu einer Verschreibung zu 353 kommt, vgl. z. B. Benz, Marius Victorinus, 7 und Monceaux, Histoire III, 374. Vgl. zu solchen Formulierungen in der Chronik und De viris illustribus die Einleitung von Barthold, Hieronymus, De viris illustribus, 82. Diese Ansicht wird ohne weitere Begründung geäußert bei Tardieu, Recherches, 23 f. und Gemeinhardt, Bildung, 392. Mit Verweis auf insignis von Cooper, Galatians, 19 Anm. 17. Ebenso PCBE 2/2 s.v. Victorinus 1, 2289, wo die Formulierung übersetzt wird als „reçoit des honneurs“. Vgl. ThlL 7.1, 1906, 52 s.v. insignis: „vergit in vim tituli honorifici.“
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auf dem Trajansforum spricht auch eher dafür, dass der Clarissimat die minimale Voraussetzung war, um dort mit einer Statue geehrt zu werden.¹⁸ Insgesamt lässt sich beobachten, dass Hieronymus in seiner Chronik die Jahreszahlen, für die er Angaben zu Autoren macht, auch für zeitgenössische Schriftsteller meist recht zufällig auswählt. Man muss also nicht vermuten, dass die Autoren, in diesen Jahren etwas Besonderes geleistet haben oder ein bestimmtes Werk veröffentlicht haben.¹⁹ In Anbetracht dieser grundsätzlichen Beobachtung ist es daher erstaunlich, dass die Jahresangabe 354 für Victorinus bisher fast durchgängig als archimedischer Punkt zur Rekonstruktion der Biographie betrachtet wurde und nicht als bloße Angabe einer ungefähren Blütezeit des Rhetorikprofessors Victorinus in Rom. Es ist daher auch fraglich, ob überhaupt ein Zusammenhang zwischen der Jahresangabe und der Errichtung der Statue für Victorinus besteht. Hieronymus vermerkt die Widmung der Statue zwar zum Jahr 354, was aber keineswegs heißen muss, dass sie auch in diesem Jahr geschehen ist. Die Formulierung des angeschlossenen Relativsatzes ist so offen, dass der begründete Verdacht entsteht, dass Hieronymus das genaue Datum dieser Ehrbezeugung gar nicht kennt.²⁰ Hadot überlegt zwar zunächst, die Errichtung der Statue auf 350/1 zu datieren, entscheidet sich aber gegen diese Variante. Die Grundlage für diese erwogene Frühdatierung ist auch keine genaue Interpretation des Wortlauts bei Hieronymus oder ein Zweifel an
Vgl. Chenault, Statues, JRS 102 (2012), 108. Vgl. dort auch insgesamt für die Bedeutung der Statuen auf dem Trajansforum für das Sozialprestige und die Selbstdarstellung des ordo senatorius. Chenault überlegt S. 112 zwar auch, ob die Statue für Victorinus im Zusammenhang mit der Ernennung zum vir clarissimus steht, hält es aber doch für wahrscheinlicher, dass er diesen Titel bereits trug und sich zusätzlich durch sein Amt als Rhetor besonders verdient gemacht hat. Zum Trajansforum als Aufstellungsort vgl. Niquet, Monumenta 18 – 20 mit weiterer Literatur. Zur Bedeutung des Trajansforum für das intellektuelle Leben vgl. Marrou, La vie intellectuelle, MEFR 49 (1932), 93 – 110. Dass Aug. conf. VIII 2,3 davon berichtet, die Statue sei Romano foro errichtet worden, ist am besten so zu verstehen, dass sie auf einem Forum in Rom, nicht auf dem Forum Romanum stand. Benz, Marius Victorinus, 1 geht vom Forum Romanum als Aufstellungsort aus. Das hier gebotene Verständnis auch bei Courcelle, Les confessions, 558, der von einer Adaption für ein africanisches Publikum ausgeht, das sich für die genaue Topographie der Stadt Rom nicht interessiert. Dagegen erklärt Mariotti, Ars Grammatica, 15 die Formulierung als einen Erinnerungsfehler Augustins. Vgl. den ähnlichen Fall des Libanius, Hier. chron. a. Abr. 2384 (= 368 p. Chr.): Libanius Antiochenus rhetor insignis habetur. (245,16 f. Helm2), dazu Wiemer, Libanios, 262; zu Victorinus und grundlegend zur Verlässlichkeit der Angaben vgl. Helm, Hieronymus’ Zusätze, 91– 96. In diesem Zusammenhang ist mit Riesenweber, Prolegomena, 2 Anm. 3 auch darauf zu verweisen, dass zwischen Victorinus und Hieronymus keine Lehrer-Schüler-Beziehung bestand, wie bereits im Mittelalter und auch heute hin und wieder noch aus dieser Chroniknotiz geschlossen wird, so etwa Demandt, Spätantike, 363. Eine persönliche Beziehung zwischen den beiden als Garant für die Richtigkeit der Informationen kann also nicht angenommen werden.
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B Biographie
der grundsätzlichen Zuverlässigkeit seiner Angaben. Hadot äußert diesen Gedanken vielmehr, da Victorinus seiner Ansicht nach bei der Errichtung der Statue noch kein Christ gewesen sein könne, er aber gleichzeitig mehr Zeit gebraucht habe, um seine theologischen Studien so weit gedeihen zu lassen, dass er sich gleich mit vollem Engagement am Trinitarischen Streit beteiligen konnte.²¹ Da sich seine Beteiligung am Trinitarischen Streit ab 358 nachweisen lässt, müsse die Taufe noch weiter vor diesem Datum liegen.²² Die problematische Voraussetzung dieser Argumentation ist die Gleichsetzung der Taufe mit dem Beginn des trinitätstheologischen Interesses des Victorinus.²³ Er hat sich nach dem Bericht Augustins aber bereits lange vor seiner öffentlichen Taufe für christliche Theologie und Literatur interessiert. Das Jahr seiner Taufe sagt also nichts über den Grad seiner theologischen Bildung bei der Abfassung der Werke aus.²⁴ Nachdem Courcelle diese voraussetzungsreichen und schwer belegbaren Vorannahmen Hadots ausführlich widerlegt hat, gilt das Jahr 354 wieder allgemein als entscheidendes Datum für die Rekonstruktion der Biographie.²⁵ Dabei ist aber festzuhalten, dass es nicht Courcelles Absicht war, das Jahr 354 als Fixpunkt für die Taufe des Victorinus zu verteidigen. Er nimmt vielmehr an, dass Victorinus sich Anfang der 350er-Jahre taufen ließ und misst der Errichtung der Statue keinerlei Bedeutung für die Frage nach dem Taufdatum bei. In der Einleitung zur deutschen Übersetzung der Werke des Victorinus, scheint Hadot die Interpretation Courcelles zwischenzeitlich geteilt zu haben. Dort datiert er die Aufstellung der Statue in das Jahr 354, sieht aber keine Gründe, die gegen eine Taufe vor 354 sprechen, ohne die Argumente noch einmal im Detail zu erörtern.²⁶ Diese Ansicht hat sich aber nicht allgemein durchgesetzt und die Mehrheit der Forschung misst dem jetzt scheinbar wieder gesicherten Jahr 354 eine größere Bedeutung zu, als dies Courcelles Absicht war. Für die dabei vorgebrachten Argu-
Die angesichts der Werke des Victorinus völlig verfehlte Konsequenz aus diesen Überlegungen zieht Cipriano, Marius Victorinus, 534, der meint, Victorinus fehle bei Abfassung seiner Werke die angemessene theologische und biblische Vorbereitung. Zur Datierung der Schriften s.u. S. 102– 130. Vgl. dieses Argument bei Hadot, Marius Victorinus, 28: „[…] je pensais que Victorinus avait composé sa première œuvre chrétienne en 357– 358 et il me semblait nécessaire de ménager un certain écart entre la conversion et la rédaction de ce premier ouvrage.“ Ähnlich argumentiert auch Cooper, Galatians, 21. S. dazu u. S. 68 f. Die ersten Überlegungen Hadots in SC 68, 14, eine Entscheidung für das klassische Modell dann Hadot,Victorinus, 27– 29. Markus,Victorinus, 331 nimmt eine Errichtung der Statue Anfang der 350erJahre an, ohne dies weiter zu begründen. Die Widerlegung der Argumente für eine frühere Datierung von Courcelle, Les confessions, 557 f. (= ders., Du nouveau, REA 64 (1962), 127– 135.) Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 26.
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mente besteht allerdings noch weniger Berechtigung. Sie gehen in aller Regel im Verhältnis zwischen Heiden und Christen von einem Konfrontationsmodell aus, das in Augustins Erzählung über die Konversion des Victorinus seinen Ursprung hat. Hinzu kommen unbewiesene theologische Vorannahmen, die auch durch eine spätaugustinische Sicht des Christentums bestimmt sein dürften.²⁷ So wird behauptet, die öffentliche Konversion des Rhetors zum Christentum müsse zeitlich nach der Stiftung der Statue liegen, da der immer noch mehrheitlich heidnische Senat kaum einem Christen eine solche Ehre zukommen lassen habe.²⁸ Marius Victorinus wird eine christlich motivierte Demutshaltung unterstellt, die es ihm nach seiner Taufe unmöglich gemacht hätte, den äußerlichen und weltlichen Ruhm einer solchen Statue anzunehmen.²⁹ Courcelle hatte in der Auseinandersetzung mit diesen früheren Argumenten Hadots zurecht darauf hingewiesen, dass sich diese beide Argumente nicht nur nicht beweisen lassen, sondern sich sogar Gegenbeispiele anführen lassen.³⁰ Ent-
Vgl. Hadot, SC 68, 14; ders., Marius Victorinus, 27– 29. Auch Monceaux, Histoire III, 378 argumentiert bereits so. Bei dieser Ansicht bleibt Hadot, Marius Victorinus, 28: „D’autre part, je pensais qu’il était difficile d’admettre que l’honneur d’une statue sur le Forum ait été décerné à Victorinus, s’il était déjà chrétien.“ So noch im Vorwort zur französischen Übersetzung Hadot, SC 68, 14: „On peut penser que Victorinus chrétien aurait refusé l’honneur d’une statue sur le Forum.“ Später bringt Hadot dieses Argument nicht mehr vor. Vgl. Courcelle, Le confessions 557 f. Courcelle nennt mit dem Redner Merobaudes und Sidonius Apollinaris freilich zwei Beispiele mit einer Statue geehrter Christen aus dem 5. Jh. Für die Inschrift der Statue des Merobaudes vgl. CILVI 1724, für Sidonius Apollinaris vgl. Sidon. carm. VIII 8 (MGH.AA VIII 218), ep. IX 16,25 – 28 (MGH.AA VIII 171). Dort ist jeweils auch das Trajansforum als Aufstellungsort benannt. Chenault, Statues, JRS 102 (2012), 109 verweist als Beispiele für geehrte Christen aus der Mitte des 4. Jh. auf Flavius Taurus und Flavius Eugenius. Die Inschrift für Taurus findet sich in AE 1934, 159, seine Statue wurde zwischen 364 und 367 erneuert. Vgl. zur Einordnung des Taurus als Christ Haehling, Religionszugehörigkeit, 293 f.; Olszaniec, Prosopographical Studies, 407– 417. Die Inschrift für Eugenius findet sich in CILVI 1721. Auch hier wird das Trajansforum als Aufstellungsort benannt. Seine Statue wurde unter Constans errichtet und zwischen Ende 355 und Anfang 361 erneuert. Leider begründet Chenault nicht, warum Eugenius sicher für einen Christen zu halten ist. Salzman, Making, Appendix 2, 246 sieht in Eugenius ebenfalls sicher einen Christen. Sie scheint dies aus der Erwähnung des Eugenius bei Ath. apol. Const. 3,6 zu schließen. Sie deutet S. 125 die Bemerkung des Athanasius so, dass Eugenius ihn unterstützt habe. Allerdings benennt Athanasius den Eugenius dort nur allgemein als einen neutralen Zeugen, der seine Angaben auch heute noch bestätigen könnte: […] δύναται καὶ Εὐγένιος ὁ γενόμενος μάγιστρος μαρτυρῆσαι […]. (AW II 8, 282,5) Hier ist weder gesagt, dass Eugenius den Athanasius unterstützt hat, noch, dass er Christ war. Die Erwähnung bei Athanasius sagt also nichts über die religiöse Zugehörigkeit des Eugenius aus. Auch seine Erwähnung bei Libanius lässt kein Urteil in der Sache zu; weitere Quellen gibt es zu Eugenius nicht, vgl. PLRE I s.v. Flavius Eugenius 5, 292. Auch Olszaniec, Prosopographical Studies, 141– 146
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scheidend für die Ehrung mit einer Statue war, dass der Geehrte sich im öffentlichen Leben durch besondere Taten oder besondere Ämter verdient gemacht hat. Auf die Frage der Religionszugehörigkeit legt der ordo senatorius bei dieser Form der kollektiven Selbstdarstellung nachweislich keinen Wert.³¹ Insgesamt fällt also auf, dass diese beiden Argumentationsverfahren stark von der Darstellung Augustins abhängen und daher ohnehin auf ihren historischen Wert noch einmal kritisch geprüft werden müssen. Überhaupt verdankt sich die Gleichsetzung von Taufe und Bekehrung, die die Forschungsliteratur bestimmt, einer Übernahme der Perspektive Augustins im achten Buch der Confessiones, wonach die Taufe den Zielpunkt der Bekehrung zum Christentum darstellt. Wir können nicht automatisch davon ausgehen, dass dies für Victorinus auch so war. Vielmehr spricht die Erzählung Augustins zur Bekehrung des Victorinus sogar explizit dagegen, dass Victorinus diese Perspektive geteilt hat. Man kann nach diesen Überlegungen zunächst festhalten, dass das Jahr 354 so oder so für die Rekonstruktion der Biographie des Victorinus keinen großen Nutzwert hat. Diese Skepsis stützt sich v. a. auf die kritische Prüfung des Wortlauts und des allgemeinen Verfahrens des Hieronymus in seiner Chronik, nach dem man nicht sicher auf einen konkreten Anlass für die Nennung der Jahreszahl schließen kann. Erst sekundär treten dann die Argumente dazu, die dem Problem der Sta-
kommt nach Untersuchung aller Quellen zu dem Schluss, dass wir über seine Religionszugehörigkeit nichts wissen. Für den Vergleich mit Victorinus besonders instruktiv ist das Beispiel des athenischen Rhetorikprofessors Prohaeresius, dem nach Eun. VS X 7,4 Giangrande (p. 77,5 – 7) = X 75 Goulet (p. 80,16 – 20) unter Constans eine Statue in Rom errichtet wurde. Das muss im Laufe der 340er-Jahre geschehen sein, zur Datierung vgl. Penella, Greek Philosophers, 88 – 90. Dagegen scheint die genauere Datierung des Gallien- und Romaufenthalts des Rhetors auf 343 oder kurz danach fragwürdig, die Barnes, Himerius, CP 82 (1987), 208 aus einer Stelle bei Himerius ableiten möchte. Penella, Greek Philosophers, 92– 94 und Becker, Eunapios, 483 f. weisen Interpretationen zurück, wonach es sich bei Prohaeresius gar nicht um einen Christen gehandelt habe, was die merkwürdige Formulierung bei Eun. VS X 8,1 Giangrande (p. 79,5 f.) = X 85 Goulet (p. 82,19 f.) nahelegen könnte: […] ἐδόκει γὰρ εἶναι χριστιανός […]. Hätte Eunap gewusst, dass Prohaeresius nur fälschlich als Christ bezeichnet wurde, hätte er dazu sicher klar Stellung bezogen. Hier ist dem Zeugnis des Hieronymus zu trauen, vgl. Hier. chron. a. Abr. 2379 (=363 p. Chr.) (242,24– 243,1 Helm2). Angesichts dieser Diskussion erstaunt die apodiktische Formulierung bei O’Donnell, Confessions III ad Victorinus, 13, dass Prohaeresius mit Sicherheit kein Christ gewesen sei. Für die Inschrift für einen der Nachfolger des Victorinus, den Rhetorikprofessor Flavius Magnus s.u. Anm 64. Dies betont auch deutlich Chenault, Statues, JRS 102 (2012), 109 f. Zum Prozedere einer Statuenehrung in Rom vgl. Niquet, Monumenta 77– 86, die zudem S. 79 f. Beispiele von Statuen anführt, die auf Antrag des Kaisers vom Senat bewilligt wurden. In diesem Falle wäre die religiöse Einstellung der Senatoren noch weniger von Belang gewesen.
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tuenerrichtung überhaupt jeglichen Zusammenhang mit der öffentlichen Taufe des Victorinus absprechen.³² Für die Datierung der Taufe bieten demnach nur noch die vage Formulierung des Hieronymus, sie sei in extrema senectute geschehen, und die theologischen Traktate des Victorinus einen Orientierungspunkt. Da Victorinus an vielen Stellen die Bedeutsamkeit der Taufe für den Empfang des Heiligen Geistes betont, lässt sich schließen, dass er zum Abfassungszeitpunkt seiner theologischen Werke schon getauft war. Die Taufe muss also vor 358 stattgefunden haben.³³ Das bedeutet aber ausdrücklich nicht, dass die Taufe auch erst den Beginn seines Interesses an der trinitarischen Debatte markiert. Deutet man die Formulierung in extrema senectute als Hinweis darauf, dass Victorinus nach der Taufe nicht mehr lange lebte, ist es auch denkbar, sie eher spät auf einen Zeitpunkt kurz vor Abfassung der theologischen Werke zu datieren.
2.3 Weitere Notizen zu Namen und Werken des Victorinus Noch an zwei weiteren Stellen in seinem Werk erwähnt Hieronymus Victorinus eher beiläufig. Einer Bemerkung aus der Apologie gegen Rufin können wir entnehmen, dass Victorinus Kommentare zu den Cicero-Dialogen verfasst hat. Diese Kommentare scheinen weite Verbreitung gefunden zu haben, sodass Victorinus gewissermaßen als der Cicerokommentator par excellence in einer Reihe mit anderen Standardkommentatoren von Hieronymus angeführt wird.³⁴ Eine weitere
Raspanti, Mario Vittorino, 24 teilt die grundsätzliche Skepsis gegen die Jahresangabe bei Hieronymus, ohne sie weiter zu begründen. Er hält aber aus anderen Erwägungen an der Datierung der Statue in das Jahr 354 fest. Seine Argumentation stellt allerdings einen Zirkelschluss dar: Er folgt der Ansicht, dass Victorinus sich etwa 356 taufen ließ und dass die Statue vor der Taufe errichtet wurde. Damit sei 354 das wahrscheinliche Datum für die Statuenerrichtung. Der Zirkelschluss liegt darin, dass Hadots Datierung der Taufe auf 356 gerade von der Errichtung der Statue im Jahr 354 als Fixpunkt ausgeht. Die Taufe wird bereits im Opus ad Candidum thematisiert. Vgl. etwa Adv. Ar. I 17: totius mysterii virtus in baptismo est, eius potentia in accipiendo spiritu, utique spiritu sancto. (47,17– 19 Locher) Die Konzentration auf die Verleihung des Heiligen Geistes in der Taufe lässt nur den Schluss zu, dass Victorinus zur Abfassungszeit bereits getauft war. Denn der Geistbesitz ist für ihn in seinen Werken die zentrale Voraussetzung, um überhaupt ein Wissen über Gott besitzen zu können und etwas über ihn schreiben zu können, vgl. Ad Cand. 32. Zur Datierung der Werke s.u. S. 102– 130. Vgl. Hier. adv. Rufin. I 16: Puto quod puer legeris Aspri in Vergilium ac Sallustium commentarios, Vulcatii in orationes Ciceronis, Victorini in dialogos eius, et in Terentii comoedias praeceptoris mei Donati, aeque in Vergilium, et aliorum in alios, Plautum videlicet, Lucretium, Flaccum, Persium atque Lucanum. (SC 303, 46,26 – 31)
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Nennung eines Victorinus in derselben Schrift bezieht sich nicht auf Marius Victorinus, sondern auf Victorinus von Pettau.³⁵ Im Vorwort zu seinem Galaterkommentar stellt Hieronymus dem kritischen Urteil über die dogmatischen Schriften des Victorinus ein ähnlich harsches Urteil über das exegetische Werk an die Seite. Seiner Einschätzung nach habe Victorinus den Galaterbrief wegen seiner Beschäftigung mit der weltlichen Bildung nicht richtig verstehen, geschweige denn richtig auslegen können. Diese Herabsetzung sagt mehr über Hieronymus selbst aus als über Victorinus. Hier ist ihm eindeutig daran gelegen, seine eigene schriftstellerische Bedeutung zu heben.³⁶ Für unsere Informationen über Victorinus ist die Stelle dennoch von Bedeutung, da nur hier der Vorname Gaius für ihn überliefert ist. Durch seine kritische Beurteilung der Werke des Victorinus hat Hieronymus der Rezeption der Werke nachhaltig geschadet. Insbesondere der Vorwurf der Unverständlichkeit wird seither stereotyp wiederholt.³⁷ Die Vorwürfe, die Hieronymus gegen Victorinus richtet, gehören in seinem Werk zudem zum Standardrepertoire einer antihäretischen Polemik. Für Hieronymus ist ein zu großes Vertrauen auf dialektische Argumentationen und weltliche Bildung ein Merkmal der Häresie, das er hier auch gegen Victorinus vorbringt.³⁸ Damit verbindet Hieronymus Victorinus indirekt mit der Häresie, was der späteren Rezeption seiner Werke ebenfalls geschadet haben könnte.
Vgl. Hier. adv. Rufin. I 2. Gemeinhardt, Bildung, 444 identifiziert diesen Victorinus mit Marius Victorinus. Das ist aber ausgeschlossen, da Hieronymus diesen Victorinus als Märtyrer bezeichnet. Vgl. dazu schon ausführlich Benz, Marius Victorinus, 23 – 30. Hier. comm. in Gal. praef.: […] adgrediar opus intemptatum ante me linguae nostrae scriptoribus et a Graecis quoque ipsis vix paucis, ut rei poscebat dignitas, usurpatum. Non quo ignorem Gaium Marium Victorinum, qui Romae me puero rhetoricam docuit, edidisse Commentarios in Apostolum, sed quod occupatus ille eruditione saecularium litterarum Scripturas omnino ignoraverit et nemo possit, quamvis eloquens, de eo bene disputare quod nesciat. (CCSL 77 A 6,23 – 31) Vgl. dazu auch Raspanti, Adgrediar, Adamantius 10 (2004), 194– 216. Das beklagt auch Voelker, The Trinitarian Theology, 20 f. Vgl. dazu z. B. Hier. in Is. III 7,1.2 (CCSL 73, 96,53 – 56); in Is. XII 44,6 – 20 (CCSL 73 A, 500,107– 115) vergleicht Hieronymus die dialektische Argumentation mit dem Herstellen von Götzenbilder; in Os. II 5,11 (CCSL 76, 59,322– 324) bezeichnet er falsa sophismata und die ars dialectica als zwei Methoden, mit denen Häretiker Anhänger der Kirche bekämpfen. Zur Kritik an der weltlichen Bildung vgl. nur Hier. epist. 22,30 (CSEL 54 191,4– 7) mit adv. Rufin. I 30 (CCSL 79, 29, 14– 18). Trotz dieser Polemiken ist Hieronymus aber kein Feind der weltlichen Bildung überhaupt, vgl. dazu Tornau, Zwischen Rhetorik und Philosophie, 73 – 105.
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3 Der Bericht Augustins im achten Buch der Confessiones 3.1 Literarische Gestalt des Berichtes und methodische Vorüberlegungen zur Interpretation Da sich gezeigt hat, dass nicht nur die biographischen Überlegungen bis zum Beginn des 20. Jh. stark von der Erzählung Augustins abhängen, sondern auch bis heute oft noch durch eine augustinische Brille auf das Leben des Victorinus geblickt wird, lohnt eine erneute Untersuchung auch dieser wichtigen Quelle für die Rekonstruktion der Biographie.³⁹ Mit seinen zwischen 397 und 401 verfassten Confessiones stellt Augustin zwar das ausführlichste Material zur Biographie des Victorinus zur Verfügung, jedoch muss gerade hier jede Information auf ihre historische Zuverlässigkeit überprüft werden.⁴⁰ Im achten Buch der Confessiones schildert Augustinus bekanntlich seine endgültige Bekehrung zu einem asketischen Christentum. In diesem Zusammenhang kommt der Geschichte über die Bekehrung des Victorinus in der narrativen Komposition eine katalytische Funktion zu.⁴¹ In ihrer literarischen Gestaltung ist sie zugleich Vorgriff und Vorbereitung der Bekehrung Augustins. Auf der erzählten Ebene führt sie zur ersten Verschärfung der inneren Krise Augustins, die sich bis zum Höhepunkt und der Lösung in der Gartenszene steigert. Nach Buch VII der Confessiones ist Augustin auf einer intellektuellen Ebene bereits von einem neuplatonisch transformierten Gottesbild überzeugt, kann diese Erkenntnis aber auf der existenziellen Ebene noch nicht in eine asketische Praxis umsetzen.⁴² Daher sucht er Hilfe beim alten Simplician, der ihm aufgrund seiner Biographie und seines Wissens als geeigneter Ratgeber scheint. Die Bekehrung des Victorinus ist als Narration aus dem Munde Simplicians gestaltet, der aber als Erzähler stark in den Hintergrund rückt. Augustinus präsentiert die Geschichte zum Zwecke einer größeren Lebendigkeit und Eindrücklichkeit in direkter Rede.⁴³ Für die Beurteilung der historischen Zuverlässigkeit des Berichts sind vier Punkte zu bedenken, auf die auch Hadot schon teilweise hinweist.⁴⁴
Ganz dem augustinischen Bericht folgt z. B. noch Monceaux, Histoire III, 373 – 381, aber z. B. auch MacMullen, Christianizing, 69 schließt sich in seiner kurzen Passage zu Victorinus ganz Augustin an. Zur Datierung der Confessiones vgl. Feldmann, Art. „Confessiones“, AugL 1 (1994), 1184 f. Zur Funktion als „récit déclencheur“ vgl. Jacques, Le livre VIII, LTP 44 (1988), 360. Vgl. Aug. conf. VIII 1,1 (152,19.23 f. Skutella). Zu diesem Vorgehen Augustins und zur rhetorischen Analyse der Narration vgl. Schmidt-Dengler, Der rhetorische Aufbau, REAug 15 (1969), 198 – 200. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 235.
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Erstens der zeitliche Abstand zu den Ereignissen: Augustin schreibt seine Unterhaltung mit Simplician, an deren grundsätzlicher Historizität nicht zu zweifeln ist, erst mehr als zehn Jahre später nieder. Es ist also abgesehen von allen Möglichkeiten der absichtlichen Veränderung schon mit einer verzerrten Erinnerung Augustins zu rechnen. Zweitens der protreptische Charakter der Erzählung Simplicians: Augustin bezeichnet diese Erzählung selbst explizit als exhortatio und verweist auf eine protreptische Intention Simplicians.⁴⁵ Das heißt, selbst wenn Augustins Erinnerung an ein reales Gespräch ungetrübt gewesen sein sollte, ist damit noch keine völlige Historizität gewährleistet. Simplician dürfte die Elemente der Biographie des Victorinus bereits so ausgewählt und ausgestaltet haben, dass Augustinus sich von der Geschichte besonders getroffen fühlen musste. Hadot weist im gleichen Sinne auf eine erbauliche Absicht Simplicians hin.⁴⁶ Drittens die literarische Gestalt der Erzählung: Die Geschichte gibt sich nicht als akkurates Protokoll einer Unterhaltung, sondern ist selbst literarisch gestaltet. Simplician fungiert in der Darstellung hauptsächlich als Gewährsmann, der Augustinus diese Geschichte selbst schon in protreptischer Absicht berichtet. In der Narration spielt der Erzähler dann kaum eine Rolle, die wenigen Einschübe haben lediglich autoritätsstiftende Funktion. Insgesamt soll so beim Leser zwar der Eindruck einer historisch glaubwürdigen Erzählung entstehen, durch die ausgefeilte Komposition wird dem Leser aber zugleich die Literarizität der Erzählung deutlich.⁴⁷ Der antike Leser erwartet an dieser Stelle auch gar keine exakte Wiedergabe des Gespräches. Er ist sich vielmehr der unter anderem aus der Historiographie genügsam bekannten literarischen Konvention bewusst, dass ein Autor eine Rede ihrem Sinn und ihrer Situationsangemessenheit nach stilistisch und inhaltlich relativ frei gestalten kann, solange sie mit den überprüfbaren Fakten übereinstimmt.⁴⁸
Vgl. Aug. conf. VIII 2,3: […] ut me exhortaretur ad humilitatem Christi […], Victorinum ipsum recordatus est […]“ (154,23 – 26 Skutella) und conf.VIII 5,10: […] exarsi ad imitandum: ad hoc enim et ille narraverat. (161, 8 f. Skutella) Für exhortatio als lateinisches Äquivalent zu προτρεπτικός vgl. ThlL 5,2,1441,62 s.v. exhortatio. Für den protreptischen Charakter der Feuermetaphorik des Verbums exardescere vgl. Kotzé, Augustine’s Confessions, 65. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 235. Vgl. dazu Schmidt-Dengler, Der rhetorische Aufbau, REAug 15 (1969), 198 – 200. Vgl. nur das Methodenkapitel des Thukydides zu diesem Punkt, Th. I 22,1. Ferner Courcelle, Recherches, 37 f. Erdt, Pauluskommentator, 42 geht dagegen etwas zu einfach davon aus, dass Augustinus noch eine lebendige Erinnerung an das Gespräch gehabt habe und weitestgehend dessen Inhalt getreu wiedergebe. Er habe dann nur Leerstellen unbewusst gefüllt, die Simplician in seiner Erzählung gelassen habe. Das Gespräch wird so nicht in seiner literarischen Qualität wahrgenommen, sondern anachronistisch als Gedächtnisprotokoll behandelt. Schon Schmid, Marius Vic-
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Viertens die literarische und theologische Intention und die rückblickende Rekonstruktion Augustins: Dieser Punkt stellt wohl das größte Problem für die Beurteilung des historischen Faktengehalts der Victorinus-Episode und der Confessiones insgesamt dar. Dabei ist sowohl mit einer intentionalen als auch einer unbewussten Deutung der Victorinus-Biographie zu rechnen. Auf der intentionalen Ebene verfolgt Augustin in weiten Teilen eine protreptische Absicht und ordnet diesem Ziel die einzelnen Darstellungselemente unter.⁴⁹ Er wird also die Geschichte des Victorinus bewusst so modelliert haben, dass sie eher dem Schema seiner eigenen Bekehrung entspricht, wie er sie in Buch VIII darstellt. Dadurch wird Augustins eigene Bekehrungsgeschichte plausibler, da sie sich an klaren Vorbildern orientieren kann, und zugleich auch typischer. Denn Augustin will seine Bekehrung nicht als singuläres Erlebnis darstellen, das nur autobiographisch wegen seiner Neuheit und Brisanz erzählenswert wäre, sondern als generalisierbares Geschehen, das aufgrund seines typischen Charakters als Vorbild für die Leser interessant sein kann. Hadot verweist darauf, dass es Augustinus hier darum geht, die theoretische Psychologie eines Konvertiten herauszuarbeiten.⁵⁰ Das lässt sich so verstehen, dass Augustinus gerade nicht sein individuelles Erleben in den Fokus rücken will, sondern eine verallgemeinerbare Tendenz veranschaulichen möchte. Auf der unbewussten Ebene ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass es sich selbst bei aller angenommenen grundsätzlichen Historizität der biographischen Elemente um eine narrative Rekonstruktion aus der Rückschau handelt. Augustins Bekehrungserlebnis fungiert im Sinne Ricoeurs als „acte fondateur“, in dessen Licht er seine Vergangenheit sieht und rekonfigurierend nacherzählt.⁵¹ Auch deshalb ist mit einer Dramatisierung oder Verzerrung der dargestellten Ereignisse zu rechnen.⁵² Hierbei sollte man sich allerdings davor hüten, in psychologisierende Deutungen zu verfallen und eher Erklärungen bevorzugen, die eine intentionale Gestaltung des Textes durch Augustinus plausibel machen können.⁵³ Die Über-
torinus Rhetor, 16 weist auf den „stark augustinisch gefärbt[en]“ Charakter des Berichtes hin, ohne ihn von dieser Beobachtung ausgehend gründlich zu analysieren. Eine Gattungsbestimmung der Confessiones insgesamt ist damit nicht intendiert, vgl. zu dieser Diskussion knapp Frederiksen, Die Confessiones (Bekenntnisse), 295 – 300. Hadot, Marius Victorinus, 235. Vgl. Jacques, Le livre VIII, LTP 44 (1988), 358. Ähnlich schon Hadot, Marius Victorinus, 235. Psychologisierend ist die Analyse bei Markus, The End, 27– 31, und ders., Paganism, 7. Demnach habe Augustinus einerseits die allgemeinen Erfahrungen seiner Zeit auf die 350er-Jahre zurückprojiziert und setze in der Victorinus-Erzählung eine starke Konfrontation zwischen Heiden und Christen voraus, da er sich nicht mehr vorstellen konnte, dass das Verhältnis zwischen den Gruppen einmal anders gewesen sein könnte. Andererseits habe Augustinus seine persönliche Enttäuschung über seinen ehemaligen Freund Mallius Theodorus in der Victorinus-Episode verarbeitet. Während
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zeichnungen des Gegensatzes zwischen Heiden und Christen und zwischen der paganen und christlichen Lebensphase des Victorinus ist so erklärbar als Teil der bewussten Gestaltung der Erzählung als protreptisches exemplum. ⁵⁴ Diesen von Augustinus aufgemachten, normativen Gegensatz darf man nicht zur Grundlage einer Rekonstruktion des Milieus der römischen Senatoren machen.⁵⁵ So wird man nach diesen Vorüberlegungen also weder die historische Zuverlässigkeit des augustinischen Berichtes völlig verwerfen noch vorschnell allen scheinbaren Fakten Glauben schenken. Jede Nachricht muss sorgfältig auf den Grad ihrer Verlässlichkeit geprüft werden, ohne dass man dabei in einen völligen Relativismus verfallen müsste.⁵⁶ Mit der nötigen Vorsicht lassen sich mit größter Wahrscheinlichkeit wichtige Grunddaten zu Victorinus’ Biographie entnehmen, anderes lässt sich gut als Konstruktion Augustins erklären.
3.2 Interpretation der Bekehrungserzählung An der grundsätzlichen Situation, die Augustin in conf. VIII 2,3 schildert, ist nicht zu zweifeln. Er sucht Rat bei dem von ihm geschätzten Simplician, mit dem er si-
es Theodorus nicht gelungen sei, klare Stellung für ein christliches Leben zu beziehen, habe Victorinus sich vehement dafür entschieden. Zu Theodorus vgl. Kahlos, Art. „Theodorus“, DPA 6 (2016), 985 f. und PLRE I s.v. Theodorus 27, 900 – 902. Beide Erklärungsansätze können letztlich nur psychologische Plausibilität beanspruchen und lassen sich nicht am Text überprüfen. Protreptik ist hier im weitesten Sinne verstanden, ohne eine festgefügte Gattungsdefinition voraussetzen zu wollen, vgl. zu den Problemen einer Definition des προτρεπτικὸς εἰς φιλοσοφίαν etwa Mark, Ancient Philosophic Protreptic, Rhetorica 4 (1986), 309 – 333. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 43 – 46. Cooper, Galatians, 21 folgt dagegen auch stärker der Darstellung Augustins und bewertet die Bekehrung des Victorinus als „sociological break“. Markus, Paganism, 1– 21 nimmt für die 350er-Jahre ebenfalls noch ein entspannteres Verhältnis an. Als wesentliche Wegmarken der Änderung des Verhältnisses sieht er zum einen die pagane Reaktion des Kaisers Julian, insbesondere sein Rhetorenedikt, zum anderen die sog. „Theodosianische Renaissance“. Dieses neue Identitätsgefühl der paganen Oberschicht, die sich nun erst als exklusive Bildungsgemeinschaft definiere und pagane Religion mit klassischer Kultur untrennbar verbinde, wird maßgeblich auf den Symmachus-Kreis zurückgeführt. Ob man dem Rhetorenedikt gerade auch wegen seiner Kritik durch pagane Autoren eine solche Wirkung zuschreiben sollte, ist fraglich. Die Vorstellung einer paganen Renaissance, die mit dem Usurpator Eugenius ihr Ende findet, ist ebenfalls problematisch. Vgl. dazu Cameron, The Last Pagans, 75 – 89.93 – 131. Dies die nicht ganz schlüssige Konsequenz von Plumer, Galatians, 242– 248, dass jedem Leser das Urteil über die historische Verlässlichkeit selbst überlassen bleibe, obwohl er zuvor für eine grundsätzliche Historizität plädiert.
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cherlich schon öfters die Gelegenheit zum Gespräch hatte.⁵⁷ Der Gesprächsinhalt selbst ist allerdings, wie zu erwarten, deutlich rhetorisch durchstrukturiert. Augustinus stellt die Bekehrung des Victorinus bereits programmatisch unter das Schlagwort der humilitas und richtet die Komponenten der Geschichte darauf aus, dass sie eine geeignete protreptische Rede zu diesem Thema ergeben.⁵⁸ Dabei zeigt sich insgesamt, dass Victorinus in der Geschichte in einem ganz eigenen Sinne zum Augustinus ante Augustinum stilisiert wird. So werden zunächst die offensichtlichen Parallelen zwischen Victorinus und Augustinus betont, der im Text als primärer Adressat dieser exhortatio fungiert. Auch Victorinus war ein gefeierter Rhetor, der sich über die hervorragende Kenntnis der artes liberales hinaus noch ausgiebig mit der Philosophie befasste.⁵⁹ Die konkreten Formulierungen und die weitere Ausgestaltung sind allerdings bestimmt von der Intention, den Wandel von der superbia zur humilitas an einem historischen Exempel zu illustrieren. So erklären sich die superlativischen und elativischen Formulierungen zur Beschreibung des weltlichen und wissenschaftlichen Erfolges des Victorinus. Hier gestaltet Augustinus bewusst eine Dichotomie zwischen dem Heiden Victorinus, der auf weltlichen Ruhm Wert legt und darin durchaus Erfolg hat, und dem Christen Victorinus, der auf solcherlei Dinge dann trotz aller gesellschaftlicher Konsequenzen verzichten kann. Daher sollte man wohl auch der Aussage, dass Victorinus zum Zeitpunkt der Errichtung der Ehrenstatue noch Heide war, nicht allzu großes Gewicht beimessen.⁶⁰ Für Augustinus passt die Vorstellung, dass Victorinus als Christ eine solche weltliche Ehrung angenommen haben könnte, aus theologischen Gründen nicht in dessen christliche Lebensphase. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass Augustin über die Umstände dieses Ehrerweises nicht mehr weiß als wir. Courcelle hat aufgrund der übereinstimmenden Formulierungen die ansprechende Vermutung geäußert, dass Augustin seine Kenntnisse über diesen Aspekt der Biographie des Victorinus vielleicht nur der
Courcelle, Recherches, 170 f. verweist auf Aug. civ. X 29 (450,33 – 451,5 Dombart/Kalb). Dort berichtet Augustin, dass Simplician ihm häufig von einem Platoniker erzählt habe, der den Johannesprolog besonders gelobt habe. (s. dazu auch unten S. 149, Anm. 216). Dagegen wendet O’Donnell, Confessions III, 13 ad perrexi zwar zurecht ein, dass in civ. X 29 nur von der häufigen Wiederholung dieser einen Anekdote die Rede ist, jedoch ist kaum zu glauben, dass sich die Begegnungen der beiden darauf beschränkten, dass Simplician die immer gleiche Geschichte erzählt hat. Ausführlichere Überlegungen zu Simplician und seiner Bedeutung für die Rekonstruktion des Milieus des Victorinus unten S. 148 – 155. Vgl. Aug. conf. VIII 2,3 (154,23 f.; 155,17 Skutella). Vgl. Aug. conf. VIII 2,3 (155,1– 4 Skutella). Vgl. Aug. conf. VIII 2,3 (155,4– 6 Skutella).
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Chronik des Hieronymus entnimmt.⁶¹ Jedoch greifen beide Autoren hier eher geprägte Formulierungen auf, da der Inschriftenbefund bei zeitgenössischen Ehrenstatuen eine ähnliche Sprachgestalt aufweist.⁶² Falls Augustinus die Statue des Victorinus während seiner Zeit in Rom selbst gesehen haben sollte, wird man auch nicht davon ausgehen, dass er sich ihre Datierung bis zur Abfassung der Confessiones gemerkt hat oder gar noch einmal Informationen darüber eingeholt hätte. Es ist aber wahrscheinlich, dass Victorinus diese Ehrung aufgrund seiner Lehrtätigkeit erhalten hat.⁶³ Für Flavius Magnus, einen der Nachfolger des Victorinus im Amt des städtischen Rhetors, belegt zumindest die erhaltene Ehreninschrift, dass er aufgrund seiner herausragenden Lehrtätigkeit besonders geehrt wurde.⁶⁴ Aus diesem Vergleichspunkt erhellt auch, dass Augustinus nicht unbedingt die Inschrift gekannt haben muss, um den Anlass der Ehrung zu kennen, sondern nur ähnliche Fälle im Kopf gehabt haben müsste. Auch das Epitaphium der Enkeltochter des Victorinus Accia Maria Tulliana spricht dafür, dass die Tätigkeit als Rhetor der Anlass der Ehrung war. Denn auch in dieser Grabinschrift wird noch auf den Ruhm des Großvaters als Rhetor Bezug genommen, der also auch einige Zeit nach seinem Tod noch nicht verblasst war.⁶⁵
Vgl. Courcelle, Les confessions, 558. Dabei ist die Kritik an der Jagd nach Statuen nicht spezifisch augustinisch, vgl. nur Amm. XIV 6,8. Für zeitgenössische Beispiele vgl. die Inschrift für Flavius Eugenius (errichtet unter Constans, erneuert unter Constantius II. und Julian) in CIL VI 1721,10 – 13: […] statuam sub auro in foro divi Traiani quam ante sub divo Constante vitae et gratiae fidelissimi devotionis gratia meruit […]. Oder die Inschrift für Flavius Taurus (errichtet zwischen 364 und 367) in AE 1934, 159: […] statuam sub auro quam adprobante amplissimo senatu iamdudum meruerat […]. Zu den beiden Inschriften s. auch oben, Anm. 30. Vgl. Aug. conf. VIII 2,3 (155,4 f. Skutella): […] ob insigne praeclari magisterii […]. Vgl. die Inschrift für Flavius Magnus in CIL VI 9858: Fl(avius) Magnus v(ir) c(larissimus) rhetor urbis aeternae cui tantum ob meritum suum detulit senatus amplissimus ut sat idoneum iudicaret a quo lex dignitatis inciperet, fraudis ignarus et intra breve tempus universae patriciae soboli lectus magister eloquentiae ita inimitabilis saeculo suo ut tantum veterib(us) possit aequari. Er ist vermutlich identisch mit dem Adressaten von Hier. epist. 70 aus dem Jahr 397, vgl. PLRE I s.v. Flavius Magnus 10, 535. Die in der Inschrift erwähnte lex dignitatis, die mit ihm den Anfang nimmt, ist vielleicht mit der Bestimmung in Cod. Theod. VI 21,1 in Verbindung zu bringen. Vgl. dazu Niquet, Monumenta, 170 f. Dort verfügt Theodosius, dass den Professoren Konstantinopels nach 20 Jahren Lehrtätigkeit der Rang eines comes primi ordinis verliehen werden soll. Vermutlich gab es für Rom eine ähnliche Bestimmung und Flavius Magnus war der erste so geehrte Professor Roms. Zu dieser Inschrift vgl. auch Gemeinhardt, Bildung, 385 f. Ich kann gegen Mariotti, Ars Grammatica, 15 nicht erkennen, dass der Kontext bei Augustin nahelege, die Statue sei Victorinus auf Betreiben seiner ehemaligen Schüler errichtet worden. Die Enkeltochter ist laut der Inschrift jung verstorben, weswegen eine Datierung auf das Ende des 4. Jh. wahrscheinlich ist. Vgl. die Inschrift in CIL VI 31934, insbes. 1– 3: Accia vel Maria est nomen mihi Tulliana / Victorinus avus quo tantum rhetore Roma / enituit quantum noster sub origine
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Gänzlich unplausibel ist die Stilisierung des Victorinus zu einem radikalen Anhänger und Apologeten des Heidentums im Rahmen dieser biographischen Dichotomie.⁶⁶ Das historische Gewicht dieser Aussagen lässt sich auf zwei Wegen relativieren: Erstens gibt es im erhaltenen Werk des Victorinus keinen Hinweis auf explizite Angriffe gegen das Christentum oder Werbung für orientalische Mysterienkulte.⁶⁷ Die später noch zu analysierenden Aussagen in seinem Cicerokommentar sind mit Sicherheit nicht antichristlich, sondern zeigen deutliches Interesse am Christentum und eine Offenheit für diese Religion.⁶⁸ Zweitens fällt auf, dass Augustinus den angeblichen heidnischen Vorkämpfers Victorinus durch ein Zitat aus Vergils Aeneis charakterisiert. O’Donnell weist darauf hin, dass daraus keineswegs zu schließen ist, dass Victorinus mit orientalischen Kulten verbunden war, sondern dass es sich dabei um ein polemisches Standardzitat handelt.⁶⁹ Die ägyptische Zoolatrie dient schon in vorchristlicher Zeit griechischen und römischen Autoren als Beispiel für absurde Formen des Götterkultes.⁷⁰ Umso mehr wird dieser besondere Fall des Polytheismus dann natürlich von christlichen Autoren benutzt, um die Extreme der Idololatrie pointiert angreifen zu können und dabei auch an eine gemeinsame Ablehnung solcher Kulte durch Christen und An-
sanguis […]. Buecheler, Prosopographica, RhM 63 (1908), 195 vermutet, dass der Name Maria auf die Familie des Großvaters zurückgeht und der Name Tulliana als Anspielung auf den Namen Ciceros an die Verdienste und den Ruhm des Großvaters erinnert. Dazu schon Hadot, Marius Victorinus, 52– 58. Auch später in Aug. conf. VIII 4,9 wird Victorinus noch einmal unterstellt, als Agent des Teufels viele verführt zu haben: […] Victorini pectus, quod tamquam inexpugnabile receptaculum diabolus obtinuerat, Victorini lingua, quo telo grandi et acuto multos peremerat […]. (160,26 – 161,3 Skutella) Vgl. dazu auch die ganz ähnlichen Charakterisierungen der Manichäer in conf. III 6,10 (42,27– 43,5 Skutella) und des Faustus in conf.V 3,3; 6,10 (78,10; 83,12– 25 Skutella), die ebenfalls durch ihre Redebegabung Menschen verführen und damit das Werk des Teufels tun. Benz hat aus Augustins Darstellung dagegen weitreichende Konsequenzen für die Theologie des Victorinus gezogen. Da er Mysterienkulten angehört habe, weise dies auf eine „orientalische“ Wurzel seines Denkens hin. Vgl. z. B. Benz, Marius Victorinus, 9. S. unten S. 77– 82. Vgl. schon Hadot, SC 68, 12 f. gegen den Versuch, dort Kritik am Christentum zu vermuten. Vgl. O’Donnell, Confessions III, 18 f. ad omnigenum … tenuerant und Anubem, zu Versuchen durch wortwörtliche Interpretation eine Beziehung zu orientalischen Kulten oder orientalischer Literatur herzustellen, vgl. Courcelle, Les confession, 75 – 88. Auch Riesenweber, Prolegomena, 34 scheint der wörtlichen Deutung anzuhängen im Zusammenhang einer Erwähnung des Hermes Trismegistos in Mar. Victorin. rhet. I 26,39 (98,5 – 9 Riesenweber). Lössl, Epistolarity erwägt eine Beschäftigung des Victorinus mit dem Isis-Kult oder dem Hermetismus. Interesse an letzterem biete eine mögliche Ursache für sein Interesse am Christentum. Vgl. z. B. nur Cic. nat. deor. I 101; III 39 (40,8 f.; 132,28 – 31 Ax). Es ließen sich zahlreiche weitere Beispiele aus verschiedenen Epochen nennen, verwiesen sei noch auf Juv. XV 1 f. (166,1 f. Clausen).Vgl. zu diesem Thema insgesamt die ausführliche Untersuchung von Smelik/Hemelrijk, ANRW II 17,4.
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hänger der alten Kulte gleichermaßen zu appellieren.⁷¹ Es besteht auch kein Anlass die Stelle auf Augustins allegorische Auslegung des Exodus zu beziehen, in der er das Gold der Ägypter, das die Israeliten mitnehmen, auf die paganen Bildungsinhalte ausdeutet, die sich christliche Autoren wie Victorinus angeeignet haben.⁷² Für diesen Bezug gibt es keinerlei Hinweise im Text. Vertrauenswürdig ist dagegen die Erzählung, Victorinus habe sich in einer intensiven Lektüre mit dem Christentum auseinandergesetzt und sich schon vor seiner formellen Taufe faktisch als Christ verstanden.⁷³ Dass Victorinus dem Christentum gegenüber aufgeschlossen war und christliche Texte kannte, erschließt sich auch aus seinem Rhetorikkommentar. Diese Erkenntnis ist für die Beurteilung des theologischen Werkes von großer Bedeutung, da sie die Irrelevanz des Taufdatums für die Interpretation der theologischen Schriften stützt. Es ist aus dieser Perspektive ganz egal, in welchem Abstand vor der Abfassung seiner trinitätstheologischen Werke Victorinus sich taufen ließ, da er sich bereits vor seiner Taufe schon lange Zeit mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt und identifiziert hat.⁷⁴ Die Begründung für die späte Taufe, dass Victorinus bei seinen Freunden keinen Anstoß erregen wollte, scheint wiederum eine augustinische Interpretation zu sein.⁷⁵ Die Erklärung des Taufaufschubs aus sozialen Zwängen lässt sich in die theologische Tendenz der Confessiones einordnen. Soziale Beziehungen und ihre Beurteilung sind in dieser Schrift ein zentrales Thema Augustins: Falsche Freunde und schlechte Gesellschaft können durch eine falsche Ausrichtung den Menschen von Gott weg in die Sünde führen.⁷⁶ In Augustins Darstellung kann sich auch Vic Vgl. neben den Beispielen bei O’Donnell ad loc. den Vorwurf der Irrationalität bei Orig. Hom. in Ex. IV 6: […] vecordia in hoc arguitur stultitiaque mortalium qui, tamquam irrationabilia pecora, cultum et vocabulum Dei imposuerunt figuris, non solum hominum, sed et pecudum, ligno et lapidibus impressis, Hammonem Iovem in ariete venerantes et Anubem in cane […].“ (SC 321 134,67– 136,72). Zur Sicht der christlichen Autoren auf die Zoolatrie vgl. Smelik/Hemelrijk, ANRW II 17,4, 1981– 1996. Gegen O’Donnell, Confessions III, 18 f. Diese Auslegung des Golds der Ägypter (Ex 3,21 f.; 12,35 f.) mit Victorinus als Beispiel in Aug. doctr. christ. II 40. Vgl. Aug. conf. VIII 2,4 (155,21– 156,6 Skutella). Diese wichtige Trennung von Taufe und theologischer Beschäftigung verschwimmt etwa bei Gemeinhardt, Bildung, 392, wenn dort die Abfassungszeit der Schriften zwischen 358 – 361 mit der Hinwendung des Victorinus zur Kirche gleichgesetzt wird. Vgl. Aug. conf. VIII 2,4 (156,6 – 10 Skutella). Vgl. auch die Bedenken bei Hadot, Marius Victorinus, 248 – 251, der die Konflikte zwischen Heiden und Christen für eine Rückprojektion Augustins hält. Er spekuliert stattdessen, dass Victorinus als typischer Römer sich zunächst davor gescheut habe, mit dem mos maiorum zu brechen. Zwei Beispiele für eine falsche und gefährliche Freundschaft finden sich bereits in der Schilderung der Jugendzeit in Karthago. Der schlechte Einfluss der Studienfreunde wird bereits deutlich in Aug. conf. II 3,7 f., dort setzt Augustinus die Freunde ebenso wie in der Schilderung über Victorinus
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torinus vom negativen Einfluss seiner Freunde aus der römischen Elite nicht selbst befreien. Er ist dafür auf die göttliche Gnade angewiesen, die ihn durch die Lektüre der Schrift unmittelbar trifft und ihm eine Befreiung aus den hemmenden sozialen Beziehungen ermöglicht.⁷⁷ Dieser Ablauf hat ein so deutlich augustinisches Gepräge, dass man auch hinter der alludierten Bibelstelle Lk 12,8 f. kein victorinisches tolle lege vermuten sollte.⁷⁸ In den ganzen Confessiones, insbesondere aber im achten Buch spielen Leseerlebnisse eine ausgeprägte Rolle als Auslöser von Entscheidungen zur Konversion.⁷⁹ Daher legt Augustinus eine solche katalysatorische Funktion der Schriftlektüre auch für Victorinus nahe. Die Reaktionen der Heiden auf die Taufe zeichnet Augustinus wieder mit ganz stereotypen Worten. Sie dürften also kaum auf einen historischen Kern zurückzugehen. Die Begeisterung der christlichen Gemeinde mag schon eher einen realen Gehalt haben.⁸⁰ Über die wahren Gründe des Victorinus, seine Taufe hinauszuschieben, kann man nur spekulieren und offenbar konnte auch Augustinus darüber nur spekulieren. Vielleicht war Victorinus die Taufe zunächst einfach nicht wichtig und sein Übertritt zum Christentum war ein individueller und vor allem intellektueller Entschluss, was seine Unterhaltung mit Simplician zumindest nahelegt. Zum anderen könnte man auf die in dieser Zeit weitverbreitete Praxis des Taufaufschubes verweisen, wofür man nur an Augustins eigenes Beispiel denken muss.⁸¹ Vielleicht hat sich Victorinus erst als alter Mann taufen lassen, weil er das Ende seines Lebens bevorstehen sah.
mit Babylon in Bezug (29,11– 15 Skutella). Auch bei der Geschichte vom Birnendiebstahl ist die Komponente der schlechten Gesellschaft tragend,vgl. Aug. conf. II 8,16: Et tamen solus id non fecissem […] solus omnino id non fecissem. Ergo amavi ibi etiam consortium eorum, cum quibus id feci. (35,7– 11 Skutella), vgl. dazu auch: Kiesel, Lieben, 172– 182. Für die Überlegungen Augustins zur Gefährlichkeit von Freundschaften in conf. II-IV vgl. Nawar, Augustine on the Dangers of Friendship, CQ 65 (2015), 836 – 851. Vgl. auch Augustins Analyse des Sündenfalls in civ. XIV 11, wonach Adam nur sociali necessitudine (30,8 Dombart/Kalb) gesündigt habe. Vgl. conf. VIII 2,4 (156,10 – 19 Skutella). Das vermutet O’Donnell, Confessions III, 22 zu timuitque negari. Vgl. conf. III 4,7 f.: Bedeutung der Hortensius-Lektüre; conf. VIII 2,3 (154,19 – 23 Skutella): Simplicians Lob der platonischen Lektüre Augustins; conf.VIII 6,14 (164,21– 27 Skutella): Ponticians Lob der Paulus-Lektüre Augustins; conf. VIII 6,15 (165,26 – 166,20 Skutella): Die Lektüre der Vita Antonii führt zur Bekehrung der beiden agentes; schließlich conf. VIII 12,29 f.: Die Lektüre von Röm 13,13 f.; 14,1 führt zur endgültigen Bekehrung Augustins und Alypius’. Vgl. auch Caltabiano, Lettura, Antiquité Tardive 18 (2010), 151– 161. Vgl. Aug. conf. VIII 2,4 f. (156,20 – 157,22 Skutella). Vgl. zum verbreiteten Taufaufschub auch bei Personen aus christlichen Elternhäusern seit der Mitte des vierten Jahrhunderts Nagel, Kindertaufe, 111– 118.
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Ganz eindeutig ist, dass die Herabsetzung der Rhetorik gegenüber dem christlichen Glauben die eigene Perspektive Augustins wiedergibt.⁸² Später erfährt der Leser schließlich, dass Victorinus sein Amt erst im Zusammenhang mit dem Rhetorenedikt Julians im Jahr 362 niedergelegt hat.⁸³ Mit einem kleinen Wortspiel deutet Augustin die Amtsaufgabe in Folge des Gesetzes als langersehnte Gelegenheit für Victorinus, worin sich klar Augustins eigene Biographie spiegelt.⁸⁴ Victorinus selbst ist ganz offensichtlich ohne Bedenken auch als getaufter Christ noch als Rhetoriklehrer tätig und gibt sein Amt erst durch äußere Umstände auf. Es ist zu bemerken, dass Augustinus hier von keiner starken Konfrontation mit den heidnischen Eliten spricht, wie das Rhetorenedikt offenbar überhaupt zu keiner belegten Amtsenthebung führt. Alle Darstellungen, die von massiven Folgen des Rhetorenediktes für christliche Lehrer ausgehen, können dies ansonsten nicht weiter belegen.Vielmehr scheint Victorinus nur einer von zwei bekannten Fällen zu sein, die infolge des Ediktes ihren Posten aufgaben, und zwar beide den Quellen nach freiwillig von sich aus.⁸⁵ Nicht einmal für die Zeit Julians sind also für das
Vgl. Aug. conf. VIII 2,5 (157,7– 13 Skutella). Aug. conf. VIII 5,10 (161,8 – 16 Skutella). Offenbar übersieht Locher, Art. „Marius Victorinus Afer“, BBKL 5 (1993), 840 diese Bemerkung Augustins, da es seiner Meinung nach „keine Nachrichten“ darüber gebe, dass Victorinus vom Rhetorenedikt betroffen war. Zum sog. Rhetorenedikt vgl. Jul. Ep. 55 (Weis), Cod. Theod. XIII 3,5. Jedoch sprechen auch gute Argumente dafür, den Brief nicht als Auslegung des erhaltenen Gesetzes zu sehen, sondern als Zeugnis für eine eigene, spezifisch Christen betreffende Gesetzgebung, die nicht in den Codex Theodosianus Einzug hielt, vgl. Banchich, School Laws, The Ancient World 24 (1993), 4– 14. Für die Zusammenstellung der beiden Texte Vössing, The Value of a Good Education, 185 – 188. Das Wortspiel legem amplexus, wo amplecti als freudiges Begrüßen zu deuten ist, nicht wie in den meisten Übersetzungen als bloßes Sich-Fügen oder Gehorchen, vgl. ThlL 1,1993,35 s.v. amplector / amplecto II 8: libenter accipere. Sonst erscheint die Verbindung umgekehrt als: lex amplectitur (aliquam rem/personam), womit dann der Geltungs- oder Definitionsbereich eines Gesetzes bezeichnet wird, vgl. ThlL 1,1991,41 f. s.v. amplector / amplecto II 4: includere. Daher deute ich diese Stelle als ein Wortspiel Augustins. Ob Victorinus wirklich so freudig seine Arbeit aufgegeben hat, bezweifelt auch Kirchner, Muße, 160. Der zweite Fall ist der athenische Rhetor Prohaeresius, für den Hieronymus das Angebot Julians überliefert, für ihn eine Ausnahmeregelung gewähren zu wollen, die dieser aber ablehnte, vgl. Hier. chron. a. Abr. 2379 (=363 p. Chr.) (242,24– 243,1 Helm2). Die Behauptung Hardys, dass eine Mehrheit der Betroffenen ihre Stellung aufgab, wird über die beiden genannten Fälle hinaus nicht belegt, vgl. Hardy, School Law, 132 mit Anm. 7. Seine Interpretation, dass der Widerstand der Christen bei Oros. hist.VII 30 (CSEL 5 510,2– 4) bereits sprichwörtlich sei, geht in die Irre. Orosius lehnt sich bis ins Wort an den Bericht Augustins über Victorinus an, kennt also offenbar ansonsten auch kein anderes Beispiel. Er hält seinen Bericht also gerade deswegen allgemein, da auch ihm keine weiteren konkrete Fälle vorliegen. Auch Hieronymus beschränkt sich auf die Nennung des Prohaeresius, was sich nicht nur damit erklären lässt, dass er sich auf das verlorene Geschichtswerk Eunaps stützt, vgl. dazu Banchich, Eunapius, GRBS 27 (1986), 319 – 324. Er hatte wohl auch schlicht kein besseres Beispiel
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Leben des Victorinus die angeblich radikalen heidnisch-christlichen Gegensätze sicher nachweisbar, die Augustin als Folie seiner Erzählung nutzt. Vielleicht kann man analog zum Fall des athenischen Rhetors Prohaeresius damit rechnen, dass Victorinus nach Aufgabe seines öffentlichen Lehramtes privat weiter unterrichtet hat. Die julianische Gesetzgebung stellte offenbar nicht auf die private Lehrtätigkeit ab, sodass von dieser Seite kein Hinderungsgrund bestand.⁸⁶ Es lässt sich nur darüber spekulieren, ob die Pauluskommentare in diese Zeit als Produkte eines christlichen Schulunterrichts gehören oder ob sie zumindest durch die neu gewonnene Freizeit möglich gemacht wurden.⁸⁷ Das Jahr 362 muss als letztes gesichertes Datum aus dem Leben des Victorinus gelten, gemeinhin rechnet man auch mit seinem Tod Mitte der 360er-Jahre.⁸⁸ Die
eines Opfers der julianischen Politik zur Hand. Socr. h.e. III 16 berichtet noch von den Bemühungen zweier Apollinarii, in Folge des Ediktes eine christliche Grammatik zu schaffen und biblische Texte in klassische Formen zu übertragen. Mühlenberg, Art. „Apollinaris von Laodicea“, TRE 3 (1995), 363 identifiziert diese mit Apollinaris von Laodicea und seinem Vater, die beide ebenfalls Grammatikbzw. Rhetoriklehrer waren, vgl. Socr. h.e. II 46,2. Gallay/Jourjon, SC 208, 69 Anm. 4 sehen auch die Erwähnung von Gedichten des Apollinaris in Gr. Naz. ep. 101,73 als Hinweis darauf. Dieser Weg wurde aber nicht weiter beschritten, da das Gesetz ohnehin bald durch den Tod des Kaisers hinfällig wurde, vgl. Socr. h.e. III 16,7 (210,21– 23 Hansen). Vössing, The Value of a Good Education, 195 Anm. 58 hält die Sokratesnotiz über die Apollinarii aber für wenig glaubhaft und verweist S. 195 – 198 auf die geringen Auswirkungen des Ediktes. Ebenso Gemeinhardt, Bildung, 361– 363. Zusätzlich ist bemerkenswert, dass auch Prohaeresius bei der Niederlegung seines Amtes ein hohes Alter hatte: Nach Eun. VS X 1,2 Giangrande (p. 63,25 – 64,1) = X 2 Goulet (p. 66,17 f.) war er im Jahr 362 bereits 86 Jahre alt, vgl. dazu Becker, Eunapios, 432. 485 – 487. Auch wenn er und Victorinus nach ihrem Abtritt vermutlich in unterschiedlicher Weise noch aktiv waren, liegt auch der Gedanke nahe, dass sie die Gelegenheit zum Übertritt in eine ruhigere Altersphase genutzt haben. Kritisch zu dieser Mehrheitsansicht Vössing, The Value of a Good Education, 183 – 185, der das Gesetz auch auf private Lehrtätigkeit bezieht. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 286; Banchich, School Laws, The Ancient World 24 (1993), 10 f. und Cooper, Galatians, 36 f. Zur Datierung der Kommentare s.u. S. 127– 129. Bei seinem Zielpublikum setzt Victorinus in den Kommentaren zumindest keinen großen Kenntnisstand voraus und beschreibt seine Kommentierung selbst als commentatio simplex (in Eph. II prol. 16) und expositio verborum simplex (in Gal. 4,18 – 19,24 f.). Gori versteht dies in seiner Einleitung zur zweisprachigen Ausgabe in CorPat 8, 9 Anm. 33 auch als Hinweis auf eine wörtliche Auslegung im Unterschied zu einer allegorischen Exegese. Ihm folgt Raspanti, Mario Vittorino, 99 f. Dagegen Cooper, Galatians, 110 – 126. Vgl. zur Kommentartechnik auch Cooper, Narratio, ZNW 91 (2000), 112– 117. Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 144 sieht keinen Zusammenhang mit einem Schulkontext und nennt als Ziel der Kommentare eine „intensive Beschäftigung mit dem Paulustext“. Vgl. Cooper, Galatians, 37. Bruce, Marius Victorinus, 214 geht hingegen von 300 – 370 als ungefähren Lebensdaten aus. Die Spekulationen von Erdt, Pauluskommentator, 87, dass Victorinus seinen Lehrstuhl nach Aufhebung des Ediktes zurückerhalten haben könnte, weist Riesenweber, Prolegomena, 4 Anm. 1 zurück. Dagegen spricht nicht nur das von Riesenweber angeführte Zeugnis des Hieronymus, der die Lehrtätigkeit auf die Regierungszeit des Constantius beschränkt, sondern auch
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Erwähnung eines Victorinus in einem Libanius-Brief aus dem Jahre 365 kann keinen weiteren terminus post quem für das Todesdatum liefern, da Libanius diesen Victorinus als seinen Mitbürger bezeichnet, was gegen die Identifizierung mit Marius Victorinus spricht.⁸⁹ Die praefatio zu den Werken des Victorinus in der Patrologia Latina schließt aus einer vermeintlichen Erwähnung des Victorinus in einem Brief des Hieronymus, dass er im Jahre 382 noch am Leben gewesen sein müsse.⁹⁰ Die kritische Edition der Hieronymus-Briefe von Hilberg streicht die dortige Erwähnung des Victorinus jedoch und auch sonst folgt fast keiner der modernen Autoren der These der Patrologia Latina. ⁹¹ Allein die Chroniknotiz des Hieronymus spricht schon dagegen, von einer so langen Lebenszeit des Victorinus auszugehen. Egal, wie man die extrema senectus dort versteht, man wird kaum davon ausgehen können, dass sie implizieren könnte, dass Victorinus noch bis in die 380er-Jahre gelebt haben könnte. Auch der Bericht Augustins in den Confessiones setzt voraus, dass Victorinus zum Zeitpunkt der Erzählung bereits länger tot ist und dass auch nicht mehr jedem Leser ohne weiteres Informationen über sein Leben zur Verfügung stehen.⁹²
die Verhältnisse selbst stehen dem entgegen: Victorinus war freiwillig von diesem Amt zurückgetreten. Der Lehrstuhl dürfte mittlerweile ganz regulär nachbesetzt worden sein und es hätte keinen Grund und keine rechtliche Grundlage gegeben, diesen wieder an Victorinus zurückzugeben. Lib. epist. 1493 (von 365): τὸν γενναῖον Βικτωρῖνον τὸν ἐμαυτοῦ πολίτην (521,3 f. Foerster), schon Foerster spricht sich in apparatu gegen die Gleichsetzung aus: de Afro cogitavit perperam Sieversius. Vorausgesetzt ist die Identifikation aber in PLRE I s.v. C. Marius Victorinus 11, 964. Vgl. PL 8, 994, mit Verweis auf Hier. epist. 49,2 (CSEL 54,351,19 f. mit Apparat). Dort ist mit der alternativen Lesart in Klammern überliefert: Aut si id ipsum virgo putatur et nupta, cur piaculum vocis huius Roma [Romae Victorinus] audire non potuit. Zur möglichen Erklärung der Variante vgl. Hadot, Marius Victorinus, 303 f.: Hadot hält eine Verschreibung aus dem folgenden virgo a viro, non virgo a partu (CSEL 54,351,20 f.) für möglich oder eine Verwechslung von Siricius und Victorinus. Denkbar ist auch, dass ein Glossator diese Etymologie aus einem Werk des Victorinus kannte. Zumindest weist Victorinus in Gal. 4,4,64– 88 auf Diskussionen über die Jungfräulichkeit Mariens hin, dort erklärt er die Verwendung der Begriffe femina und mulier. Vielleicht hat er an anderer Stelle auch virgo erklärt? Schon Tillemont, Mémoires X, 404 hält es für wenig wahrscheinlich, die Stelle auf unseren Victorinus zu beziehen, und geht ebenfalls davon aus, dass Victorinus nicht lange nach der Regierungszeit Julians starb. Dagegen setzt Gersh, Marius Victorinus, 1647 diese Erwähnung voraus, zieht aber daraus den nicht nachvollziehbaren Schluss, dass Victorinus zwischen 363 und 382 gestorben sein müsse. Gegen den allgemeinen Konsens geben aber Viciano/Stefani, Fuentes, 111 ohne weitere Begründung 387 als Todesjahr an. Demnach wäre Victorinus aber zum Zeitpunkt des Gespräches zwischen Simplician und Augustinus im Jahre 386 noch am Leben gewesen, was nach der Bemerkung Augustins völlig ausgeschlossen ist, vgl. conf.VIII 2,3 (154,18 Skutella). Ebenso ohne Begründung nennt González, Pensiamento trinitario, Tópicos 55 (2018), 389 das Jahr 382 als Todesjahr, er scheint sich auch auf Hier. epist. 49,2 zu stützen. Dass Victorinus vor seinem Tod getauft worden ist, hat Augustin gegen Madec, Marius Victorinus, 343 schon längere Zeit vor dem Gespräch gewusst, wie aus dem Plusquamperfekt in conf. VIII 2,3
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Ferner spricht die Einordnung des Victorinus im weitgehend chronologisch angeordneten Schriftstellerkatalog des Hieronymus dafür, dass er noch in den 360er-Jahren gestorben ist.⁹³ Hieronymus platziert Victorinus zwischen Hilarius von Poitiers, der 367 oder 368 starb, und Titus von Bostra, der unter der Regierungszeit des Kaisers Valens zwischen 364 und 378 starb.⁹⁴ Daraus lässt sich zwar nicht das genaue Todesjahr des Victorinus ableiten, es spricht aber alles dafür, dass er am ehesten noch in den 360er-Jahren, allerspätestens aber Anfang der 370er gestorben ist.
4 Der Cicero-Kommentar als biographische Quelle 4.1 Methodische Voraussetzungen für die Interpretation des Kommentars Wirklich verwertbare autobiographische Aussagen finden sich im Werk des Victorinus nicht.⁹⁵ Eine wichtige Quelle für Versuche, die intellektuelle Biographie des Victorinus zu rekonstruieren, ist aber sein erhaltener Kommentar zu Cicero De inventione. Der Cicero-Kommentar hat aus zwei Gründen das besondere Interesse der Forschung gefunden: Zum einen spielt Victorinus an zwei Stellen auf christliche Glaubensvorstellungen bzw. Legenden an. Diese Erwähnungen hat man in unter-
(154,18 Skutella) deutlich wird. Auch die übrigen Formulierungen im Plusquamperfekt und quondam (154,17 Skutella) deuten insgesamt darauf hin, dass der Tod in der erzählten Zeit der 380er-Jahre schon einige Zeit zurückliegt. Vgl. dazu die Untersuchung von Barthold: Hieronymus, De viris illustribus, 60 – 72. Goemans, La date de la mort, 107– 111 plädiert für den 1.11.367 als Todesdatum des Hilarius, zumindest ist er aber Ende 367/Anfang 368 gestorben. Für Titus von Bostra vgl. Hier. vir. ill. 102: Titus Bostrenus episcopus, sub Iuliano et Ioviano principibus fortes Adversus Manichaeos scripsit libros et nonnulla alia. Moritur sub Valente. (246 Barthold) Daraus geht hervor, dass Titus sein antimanichäisches Werk bis 364 abgeschlossen hat. Es ist also gut möglich, dass er noch zu Beginn der Regierungszeit des Valens in den 360er-Jahren gestorben ist. Gegen Frassinetti, Le Confessioni, GIF 2 (1949), 50 – 59, der Hymnus II als Zeugnis der unmittelbar zuvor erfolgten Bekehrung des Victorinus und als Vorbild für die Confessiones betrachtet. Clark, FoC, 321 Anm. 8 und Art. „Marius Victorinus“, TRE 22 (1992), 165 schreibt dem Text ebenfalls autobiographischen Charakter zu und hält ihn für den ersten christlichen Text des Victorinus. Kritisch zur Vorbildfunktion für Augustinus Hadot, SC 69, 1071, der aber in dem Hymnus eine Art „transzendenter Autobiographie“ sieht. Das überdehnt Hymnus II, dem jeder individuelle Zug fehlt. Das dort beschriebene Schema von Präexistenz, Fall und Wiederaufstieg der Seele stellt eine deutlich objektivierte Form religiöser Rede dar, ohne klare persönliche Note. Victorinus kann den Text zu jeder Zeit seiner christlichen Lebensphase verfasst haben. Vgl. als Kontrast dazu die wirklich autobiographische Passage bei Synes. hymn. I 428 – 495 über seine Gesandtschaft nach Konstantinopel; dazu auch die Einleitung von Gruber/Strohm in Synesios von Kyrene, Hymnen, 11 f.
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schiedlicher Weise für die Frage ausgewertet, wie sich der Rhetor zum Christentum stellt und sich allmählich diesem zugewandt hat. Zum anderen hat man versucht, aus dem Cicerokommentar eine philosophische Grundhaltung des Marius Victorinus in seiner Zeit als Rhetoriklehrer zu erschließen und daraus seine intellektuelle Entwicklung zu rekonstruieren.⁹⁶ Methodisch tun sich dabei jedoch einige Probleme auf, die eine kurze Betrachtung verdienen. Die hier formulierten methodischen Bedenken sollen dann in der weiteren Analyse der Textstellen plausibilisiert und fruchtbar gemacht werden. Erstens ist die Frage zu bedenken, inwieweit sich in einem rhetorischen Kommentar die persönliche Meinung des Autors greifen lässt⁹⁷: Hinter den bisherigen Interpretationen des philosophischen Charakters des Cicerokommentars steht oft ein zu einfaches Verständnis vom Verhältnis zwischen dem geschriebenen Text und der persönlichen Einstellung des Autors. Häufig gerät der konkrete Argumentationszusammenhang, in dem Victorinus seine philosophischen Erkenntnisse einsetzt, aus dem Blick. Dabei werden einzelne Aussagen isoliert, gesammelt und schematisiert, um am Ende ein möglichst einheitliches Gedankensystem oder eine Entwicklung des Autors rekonstruieren zu können. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Marius Victorinus philosophische Gedanken für den jeweiligen Kontext auswählt und strategisch für seine Argumentationsziele einsetzt. Philosophische Argumentationen sind auch im Cicerokommentar fast nie bloß ein „überschießender Zug“, sondern erfüllen eine argumentative Funktion, nach der man jeweils fragen muss.⁹⁸ Es ist nicht zweckmäßig, disparate philosophische Äußerungen zu sammeln und zu versuchen, das teils widersprüchliche Material einer Synthese zuzuführen. Scheinbare Widersprüche sollten dann nicht im Charakter oder der Überzeugung des Autors, sondern in der unterschiedlichen Argumentationsabsicht gesucht werden.
Bereits Monceaux, Histoire III, 387 möchte den Kommentar dafür nutzen. Instruktiv für diesen Punkt auch die Kontroverse zwischen Hieronymus und Rufin, inwieweit Äußerungen in einem Kommentar dem Autor angelastet werden dürfen.Vgl. dazu Tornau, Zwischen Rhetorik und Philosophie, 82 f. mit Anm. 275. Hier. adv. Rufin. I 16 (CCSL 79, 14 f.,11– 33) arbeitet es dabei geradezu als Gattungscharakteristikum des Kommentars heraus, nicht nur die eigene Meinung wiederzugeben. Zwar weist auch Hadot, Marius Victorinus, 77 f. darauf hin, dass man den Kommentar nicht vorschnell als persönliche Meinungsäußerung werten darf, wertet aber die skeptizistisch anmutenden Passagen schon vorher S. 25 – 58 biographisch aus. Auf dieser Grundlage zeichnet er Victorinus als einen typischen Vertreter des römisch-aristokratischen Milieus in der Mitte des vierten Jahrhunderts, das sich durch eine gewisse skeptisch motivierte Indifferenz und zugleich ein Festhalten am Althergebrachten auszeichne. Lopetegui, Textual Analysis arbeitet überzeugend als eine Funktion vieler Exkurse das Bemühen um terminologische Präzision heraus.
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Zweitens hängt mit dem Problem der persönlichen Meinung des Autors die Frage nach der Gattung und dem Sitz im Leben des Kommentars zusammen: Dass es sich um einen Kommentar aus dem und für den Rhetorikunterricht handelt, ist schon vielfach festgestellt worden.⁹⁹ Diese Gattungsbestimmung wurde allerdings für die Interpretation der biographisch ausgewerteten Passagen bisher kaum beachtet. Hier gilt es, die didaktische Zielsetzung des Victorinus stärker in den Blick zu nehmen: Er verfolgt in diesem Kommentar die Absicht, gute Redner auszubilden, keine Philosophen. Der gute Redner wird nicht zum Anhänger einer bestimmten philosophischen Schule ausgebildet, sondern dazu angehalten, verschiedene philosophische Argumente zu kennen und diese sinnvoll für seine Redeabsicht einzusetzen. Was der Lehrer Victorinus selbst in seinem Kommentar vormacht, soll auch der Schüler einmal in einer Rede leisten. Philosophische Einlagen sind also kein Selbstzweck und nicht in erster Linie Ausdruck der persönlichen Gelehrsamkeit des Lehrers, sondern erfüllen eine Funktion im Unterricht.¹⁰⁰ Drittens ist für die Interpretation der philosophischen Passagen die grundlegende Unterscheidung zwischen Rhetorik und Philosophie bei Marius Victorinus zu beachten. Victorinus charakterisiert seine eigene Aufgabe als Lehrer, die Kunst der Beredsamkeit zu vermitteln, die er von einer nicht praktizierbaren Weisheitslehre abgrenzt.¹⁰¹ Dies mag zunächst erstaunen, vertritt Victorinus doch in der Tradition Ciceros ein Bildungsideal, nach dem Philosophie und Rhetorik eng zusammengehören. Beredsamkeit verhält sich zur Weisheit, so Victorinus, wie der süße Geschmack des Honigs zu seiner Farbe und Konsistenz. Das erste ist die res, der unsichtbare zugrundeliegende Wesenskern, zu dem untrennbar eine ganz bestimmte species, eine sichtbare Außenseite gehört, die sofort auf die res rückschließen lässt.¹⁰² Der Redner soll also Redebegabung und Weisheit zugleich vereinen.
Vgl. dazu etwa Lopetegui, El comentario, Logo 7 (2004), 44– 54; Riesenweber, Prolegomena, 21– 24. Daher ist es gegen Benz, Marius Victorinus, 12 nicht zielführend, aus diesem Fokus auf die praktische Nutzbarkeit der Philosophie für die Rhetorik darauf zu schließen, dass für Victorinus in dieser Phase seines Lebens die Philosophie „schulmäßig erstarrt“ gewesen sei und erst durch die Berührung mit der christlichen Offenbarung wieder „flüssig gemacht“ worden sei. Vgl. Mar. Victorin. rhet. I praef.: Ideo ars sapientiae tradi non potest […]. Datur autem ars eloquentiae, et recte datur. […] Rhetor est, qui docet litteras atque artes tradit eloquentiae […]. (3,11.13 f.18 Riesenweber) Vgl. Mar. Victorin. rhet. I 2,3: Ut puta, mel habet rem, scilicet dulcedinem; habet speciem, id est colorem atque aspectum, quo quasi facie, ita ut est, dulce credatur. […] Ergo ille nescio quis magnus vir ac sapiens et hi, qui postea consecuti accepta vitae praecepta tenuerunt, uti perfecti essent, habuerunt rem, id est sapientiam, habuerunt speciem, scilicet eloquentiam. (16,13 f.19 – 22 Riesenweber)
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Dabei ist sapientia aber gerade kein Synonym für die Fachwissenschaft der Philosophie, sondern meint etwas viel Umfassenderes.¹⁰³ Manche Überlegungen zur sapientia sind bei Victorinus durchaus neu und pointierter als bei früheren Autoren, aber für die Verbindung von Beredsamkeit und Weisheit steht sicher das Bildungsideal Ciceros Pate.¹⁰⁴ Im dritten Buch seines Dialogs De oratore lässt Cicero den Redner Crassus ein Geschichtsmodell entwerfen, nach dem eine Trennung zwischen Rhetorik und Philosophie erst im Laufe der Geschichte eintritt. Crassus benennt Sokrates als Verantwortlichen für dieses discidium […] quasi linguae atque cordis.¹⁰⁵ In einer früheren Idealzeit hingegen seien die Fähigkeit der vernünftigen Überlegung, die Fähigkeit, seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen und überzeugend zu reden, im Gesamt als Weisheit bezeichnet worden.¹⁰⁶ Trotz der eigentlich engen Zusammengehörigkeit hätten sich dann Philosophie und Rhetorik als zwei distinkte Wissenschaften herausgebildet. So ist einiges aus der Philosophie nach wie vor wichtig und nützlich für den orator perfectus, anderes hingegen nur für den Philosophen als Spezialwissenschaftler interessant.¹⁰⁷ Victorinus sieht wie Cicero die beiden Wissenschaften Rhetorik und Philosophie als unterschiedliche Bereiche an. Der Redner soll sich zwar um philosophische Bildung bemühen, diese ist aber für ihn kein Selbstzweck, sondern dient einer überzeugenderen Argumentation.¹⁰⁸ Die Aufgaben und Methoden der Philosophie sind völlig andere als die der Rhetorik. Das Ziel der Philosophie besteht für Victorinus darin, ein vollkommenes Wissen über Gott und Menschen zu erlangen. Dieses Ziel sei für den Redner zwar nicht zu erreichen, er solle sich aber zumindest um
Das betont zurecht Bergner, Der Sapientia-Begriff, 40 gegen Hadot, Marius Victorinus, 83 mit Anm. 68. Bergner, Der Sapientia-Begriff ist darum bemüht, das Neue an der Konzeption des Victorinus herauszuarbeiten. Er zieht dafür aber nur den Vergleich zum kommentierten Text von De inventione und lässt die Konzeptionen von Ciceros De oratore außen vor. Entscheidende Anregungen erhält Victorinus aber offenbar gerade auch aus diesem Werk und fügt seine Überlegungen in den Kommentar zu De inventione ein, weil dieses handbuchartige Werk der grundlegenden Bildungstheorie der späteren rhetorischen Schriften Ciceros entbehrt. Dafür darf man nicht nur auf das Einzelwort sapientia blicken, sondern muss auch prüfen, ob sich Konzepte, die Victorinus mit diesem Schlagwort bezeichnet, bereits andernorts finden lassen. Cic. de orat. III 61, vgl. insgesamt Cic. de orat. III 59 – 68. Cic. de orat. III 56: Hanc, inquam, cogitandi pronuntiandique rationem vimque dicendi veteres Graeci sapientiam nominabant. Vgl. zu Ciceros Ideal in De oratore auch Leidl, Der ideale Redner Ciceros, 419 – 434. Gegen Raspanti, Mario Vittorino, 36 f. kann keine Rede davon sein, dass Victorinus in seinem Cicerokommentar die Rhetorik zur Magd der Philosophie macht.
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philosophisches Wissen bemühen.¹⁰⁹ Daraus ergeben sich auch unterschiedliche Methoden der beiden Disziplinen: Da der Philosoph nach der Wahrheit suche, dürfe er sich nur auf zwingende Argumente stützen, dagegen kann ein Redner auch bloß wahrscheinliche Argumente zum Erreichen seines Zieles einsetzen.¹¹⁰ Das Ziel des Redners besteht darin, eine überzeugende Rede zu halten, dafür kann er philosophische Einsichten nutzbar machen, er muss aber stets auf die Plausibilität seiner Argumente für das Publikum achten.¹¹¹ Diese Unterscheidung der beiden Bereiche ist von zentraler Bedeutung für die Interpretation des philosophischen Gehalts des Kommentarwerks: Nähert man sich mit diesen methodischen Grundregeln den philosophischen Passagen des Cicerokommentars an, lässt sich deren kontextuelle Einbettung in die Rhetorik gut herausarbeiten. Aus einer solchen Herangehensweise kann man freilich nicht mehr so viel für eine intellektuelle Entwicklung des Victorinus ableiten, aber umso mehr für seine Auffassung der Rhetorik und seine Art des Unterrichts.
4.2 Das Verhältnis des Victorinus zum Christentum im Cicero-Kommentar Im Cicerokommentar finden sich zwei kurze Passagen, in denen das Christentum eine gewisse Rolle spielt. Diese werfen ein Licht auf die Einstellung des Victorinus zum Christentum, während der Abfassung des Kommentares.¹¹² Diese Stellen sind in der Forschungsgeschichte sehr unterschiedlich interpretiert worden, was wiederum zu ganz verschiedenen Rekonstruktionen der intellektuellen Biographie des Victorinus geführt hat.
Vgl. rhet. I 1.1: Ostendit quid sit plena sapientia. Sapiens est enim, qui divina atque humana optime novit. […] In his enim nominibus perfecta philosophia est, quam quia nullus orator plene potest assequi, ideo nobis horum vel studium habendum esse demonstrat. (7,19 – 20.23 – 24 Riesenweber) Vgl. Mar.Victorin. defin. p. 6,28 – 33 Stangl: Omnia enim recte orator exprimit quae sunt in dicendo philosophorum: nam et vero utitur argumento, quod est philosophis proprium: utitur etiam necessario. At contra philosophus in disputationibus propriis rhetorum cuncta condemnat: neque enim adiungit aliquando signum neque quod credibile dicitur, et omne probabile penitus a virtute sui sermonis excludit. Zur Aufgabe des Redners vgl. Mar. Victorin. rhet. I 5: Ergo officium oratoris est dicere, sed adposite ad persuadendum. (26,21 Riesenweber) Vgl. dazu auch meinen Beitrag Zacher, Hidden Truth.
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4.2.1 Jungfrauengeburt und Auferstehung als didaktische, nicht polemische Beispiele in rhet. I 29,44 Victorinus erläutert an einer Stelle den Unterschied zwischen einem zwingenden Argument und einem bloß wahrscheinlichen Argument. Dort führt er zunächst einleuchtende Beispiele für einen logisch zwingenden Schluss an: Wer geboren wird, muss notwendigerweise auch sterben; wenn eine Frau ein Kind zur Welt bringt, muss sie notwendigerweise zuvor mit einem Mann geschlafen haben. Anschließend stellt Victorinus aber die zwingende Logik dieser Beispiele in Frage und verweist zu diesem Zweck auf den christlichen Glauben an die Auferstehung und die Jungfrauengeburt: Zwingend ist ferner ein solches Argument, wenn man etwas vorbringt, dessen Wesen so geartet ist, dass es notwendigerweise genau so ablaufen muss, wenn man etwa sagt: „Wenn einer geboren wurde, wird er sterben. Wenn sie ein Kind zur Welt bringt, hat sie mit einem Mann geschlafen.“ Diese Dinge folgen notwendigerweise aufeinander; wenn es also notwendigerweise geglaubt werden muss, dann hat man ein zwingendes Argument aufgestellt. Doch müssen wir uns dessen bewusst sein, dass es ein zwingendes Argument kaum gibt und bei den Menschen nur einen Wahrscheinlichkeitsschluss. Nach unserem Dafürhalten beruht doch das zwingende Argument auf der Wahrheit, denn wenn der Wahrscheinlichkeitsschluss auf dem Wahrscheinlichen beruht, muss das zwingende Argument auf der Wahrheit beruhen. Bei den Menschen aber ist die Wahrheit verborgen und alles wird nur durch Vermutungen durchgeführt. Also kann es kein zwingendes Argument geben. Doch inwieweit kann es dann doch bei den Menschen ein zwingendes Argument geben? Insoweit, als es nach der menschlichen Meinung Geltung besitzt! Im Übrigen ist dies nach der Einschätzung der Christen kein zwingendes Argument: „Wenn sie ein Kind zur Welt bringt, hat sie mit einem Mann geschlafen.“ Und auch das nicht: „Wenn einer geboren wurde, wird er sterben.“ Denn bei ihnen ist es evident, dass er ohne Zutun eines Mannes geboren wurde und nicht tot ist.¹¹³
Mar. Victorin. rhet. I 29,44: Necessarium porro tale est argumentum, si ea proferas, quorum talis sit natura, ut sic fieri necesse sit, si dicas: Si natus est, morietur. Si peperit, cum viro concubuit. Haec necesse est ut se consequantur; quod si necesse habes credere, necessarium factum est argumentum. Illud tamen scire debemus, argumentum necessarium paene non esse solumque esse inter homines probabile. Nempe nobis necessarium videtur ex vero constare; nam si probabile ex veri simili, ex vero necesse est necessarium. Inter homines autem verum latet totumque suspicionibus geritur. Ergo necessarium esse non potest argumentum. Sed quantum inter homines potest necessarium? Quantum secundum opinionem humanam valet! Alioqui secundum Christianorum opinionem non est necessarium argumentum: Si peperit, cum viro concubuit, neque hoc rursus: Si natus est, morietur. Nam apud eos manifestum est et sine viro natum et non mortuum. (110,20 – 32 Riesenweber) Ich übersetze non mortuum resultativ als „nicht tot“. Damit ist das scheinbare Problem hinfällig, dass Jesus dem Bekenntnis nach eben doch gestorben sei. Vgl. zu dieser Kritik Riesenweber, Kommentar, 184 f. Zwar geht es Victorinus hier sicher nicht um eine treffsichere Wiedergabe des Bekenntnisses, aber diese Aussage könnte ohne Probleme auch vom Auferstandenen getroffen werden.
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Bei der Interpretation dieses kurzen Abschnittes scheiden sich in der Forschungsgeschichte die Geister. Die Ansicht, Victorinus wende sich hier polemisch gegen das Christentum, steht diametral der Meinung gegenüber, dass hier zumindest eine Offenheit dem Christentum gegenüber spürbar sei. Die erste These schlägt sich bereits in den Handschriften im Verständnis zweier früher Leser nieder, die die Stelle entsprechend kommentieren.¹¹⁴ Moderne Interpreten verweisen darauf, dass Victorinus genau diese beiden Beispiele ausgewählt habe, da er sie als besonders absurde Beispiele des christlichen Glaubens aus dem Werk des Porphyrius gegen die Christen gekannt habe.¹¹⁵ Pierre Hadot hat allerdings zurecht darauf hingewiesen, dass an dieser Stelle überhaupt keine Spur von Polemik zu erkennen ist.¹¹⁶ Eine solche Deutung ist vielmehr abhängig von Augustins Behauptung, dass Victorinus vor seiner Bekehrung ein inbrünstiger Verfechter des Heidentums gewesen sei. Victorinus entnimmt diese Beispiele keiner polemischen Schrift gegen die Christen, sondern wählt sie nach didaktischen Gesichtspunkten aus: Erstens steht das Argument, dass von der Geburt auf den Beischlaf mit einem Mann geschlossen werden kann, in der kommentierten Passage bei Cicero selbst, zweitens kann Victorinus so zwei scheinbar völlig unstrittige Beispiele für ein zwingendes Argumentationsverfahren widerlegen.¹¹⁷
Die Bemerkung Petrarcas in der Hs. T: Fortunate senex! Melius intellexisti hoc negotium postea. und aus der Hand eines unbekannten Humanisten in der Hs. J: Nundum eras christianus, Victorine. Vgl. dazu Riesenweber, Prolegomena, 12.123.128. Vgl. Monceaux, Histoire III, 375.386.395 ; Courcelle, Les Confessions, 72 ; Mariotti, Ars Grammatica, 28. Auch Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 127 hält die Passage wieder für Polemik. Den Zusammenhang zwischen der Übersetzung der Schriften des Porphyrius und einer antichristlichen Einstellung sieht auch Cooper, Galatians, 24. Ziegenaus, Seinsfülle, 5 charakterisiert sie knapp als „antichristlich“. Vergara, Teología, 34 spricht von einer „[…] mal disimulada nequicia, que no delata gran preocupación por la doctrina de los cristianos […]“ und vergleicht die Aussagen mit Angriffen des Celsus gegen das Christentum. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 48. Dagegen verteidigt Courcelle, Du nouveau, REA 64 (1962), 127– 35 die Annahme, dass es sich um Polemik handelt. Cooper, Metaphysics, 8 f. teilt noch die Auffassung, dass die Forschung vor Hadot unter dem Einfluss Augustins stand. In Cooper, Christianity deutet er die Stelle wieder vorsichtig als ironische Polemik; dort auch ein ausführlicher Überblick über die Forschungsgeschichte. Beispielhaft für eine große Abhängigkeit von Augustin sind die biographischen Abrisse von Monceaux, Histoire III, 373 – 381 und Benz, Marius Victorinus, 1– 11, der sich stark an Monceaux orientiert. Salzman, Reflections, Hist. 38 (1989), 360 – 362 sieht Victorinus als toleranten Skeptiker, der die christlichen Ansichten für möglich hält. Vgl. schon Hadot, Marius Victorinus, 47 f. und Riesenweber, Kommentar, 184 f. Das Argument findet sich bei Cic. inv. I 29,44: Necessarie demonstrantur ea, quae aliter ac dicuntur nec fieri nec probari possunt, hoc modo: Si peperit, cum viro concubuit.
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Die didaktische Pointe besteht darin zu zeigen, dass die Schüler sich ihrer Schlussfolgerungen nicht vorschnell sicher sein dürfen. Sie sollen bei der inventio vielmehr genau bedenken, welche Voreinstellungen und Überzeugungen das Publikum hat, und ihre Argumentation darauf abstimmen. Da die Christen die beiden angeführten Argumente nicht für zwingend erachten, müsste man daher als Redner vor einem solchen Publikum seine Argumente weiter schärfen. Victorinus führt die Ansicht der Christen hier also nicht ad absurdum, sondern er zielt darauf ab, dass man bei seinem Publikum auch mit logisch zunächst nicht einleuchtenden Überzeugungen zu rechnen hat. Dies soll der Redner bei der inventio schon bedenken und seine Argumente darauf abstimmen. Und dies gilt sogar bei scheinbar evidenten Schlüssen wie in den beiden Beispielen. Die distanzierenden Formulierungen secundum Christianorum opinionem und apud eos werden in der Regel als Indiz dafür gewertet, dass Victorinus sich selbst noch nicht als Teil der Gruppe der Christen verstand. Von einem Christen würde man hier etwa den Ausdruck apud nos erwarten.¹¹⁸ Jedoch benutzt Victorinus solche scheinbar distanzierenden Bemerkungen auch, um philosophische Aussagen anzuführen, die er dann aber auch als seine persönliche Ansicht übernimmt.¹¹⁹ Victorinus verweist in seinem Kommentar häufiger auf Ansichten der Philosophen, denen er teilweise zustimmt, die er teilweise aber auch für ihre Anwendbarkeit in der Rhetorik modifiziert.¹²⁰ In diesen Zusammenhängen spricht er ausdrücklich von der Meinung der Philosophen, die als Fachleute auf ihrem Gebiet zu bestimmten Einsichten gekommen sind.¹²¹ Damit drückt er aber nicht automatisch
Zuletzt Riesenweber, Prolegomena, 12 mit Anm. 2. Es besteht kein Anlass daran zu zweifeln, ob es sich bei der Ansicht, der Mensch bestehe aus Leib und Seele, auch um seine persönliche Ansicht handele, vgl. Mar. Victorin. rhet. I 2,2: Ut supra diximus, aiunt philosophi e duobus hominem constare, anima et corpore. (8,23 f. Riesenweber) Vgl. z. B. die Gegenüberstellungen bei der Diskussion über die Zeit rhet. I 26,39,: Verum hoc tempus nostrum philosophi in duo tempora diviserunt […]. Oratores autem tempus nostrum in tria tempora dividunt […]. (98,17 f.22 f. Riesenweber) Oder auch die unterschiedlichen Ansichten über das honestum in rhet. I 2,2 (11,19 – 26 Riesenweber). Solche Referenzen auf die Philosophen als Fachleute finden sich auch bei anderen Autoren Vgl. z. B. Cic. Brut. 121: Quis enim uberior in dicendo Platone? Iovem sic aiunt philosophi, si Graece loquatur, loqui. und Hier. in Is. XIII 50,2.3: Aiunt philosophi, non amplius decem stadiis a terra nubes in sublime sustolli, et solis splendorem abscondere. (CCSL 73 A 551,43 – 45) Will sich ein Autor von der Position der Philosophen distanzieren, qualifiziert er diese noch näher wie etwa Lact. div. inst. II 10,16: […] quod errantes quidam philosophi aiunt […] (171,15 Heck/Wlosok) Diese Eigenart bei Victorinus übersieht auch Silvestre, Gunzo, RBen 74 (1964), 322. Er weist daraufhin, dass Gunzo in seinem Brief (MGH.QG II 50,14– 17: Inde est quod quidam gentilium naturam hoc modo definiendam putarunt: natura est ignis artifex quadam via vadens in res sensibiles procreandas) Victorin. rhet. I 24,34– 35 (87,6 f. Riesenweber) zitiert. Silvestre meint, dass Gunzo hier Victorinus als quidam gentilium bezeichne. Doch ist diese einleitende Formel nur eine Abwandlung der Zitateinleitung sapi-
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eine inhaltliche Distanzierung von diesen Positionen aus, sondern macht damit die Unterscheidung zweier unterschiedlicher Fachdiskurse deutlich.¹²² Daher müssen auch die Äußerungen über die Christen nicht als persönliche Distanzierung des Autors gewertet werden, sondern als fachliche Distanzierung des Rhetoriklehrers, der über solche Dinge im Rahmen des Rhetorikunterrichtes nicht urteilt, da sie nicht sein Fachgebiet betreffen. Über seine persönliche Einstellung zum Christentum sind daraus zunächst noch keine Schlussfolgerungen möglich. Bemerkenswert bleibt aber, dass Victorinus überhaupt Beispiele aus dem christlichen Gedankenbereich anführt. Diese Tatsache allein spricht schon für ein deutliches Interesse des Victorinus am Christentum. 4.2.2 Der Flug Simons in rhet. I 43,80: Zustimmung zu einer Gründungslegende der römischen Gemeinde An einer zweiten erstaunlichen Stelle im Rhetorikkommentar verweist Victorinus auf die Legende, dass Simon Magus in seiner Auseinandersetzung mit Petrus geflogen sei. Diese Geschichte erklärt er ohne weitere Diskussion für ein historisches Faktum: Zwischen falsch und unglaubwürdig besteht folgender Unterschied: Was falsch ist, kann glaubwürdig sein; ferner kann, was unglaubwürdig ist, auch wahr sein. Aber Wahrheit kann auf zweifache Weise verstanden werden, mal als das wirklich Geschehene, mal als das, was durch irgendwelche Argumente als wirkliches Geschehen erwiesen wird. Deshalb ist die Wahrheit oft, da sie nicht falsch sein kann, unglaubwürdig: Es ist nämlich die Wahrheit, dass Simon geflogen ist, dennoch ist es aber unglaubwürdig.¹²³
Kann man bei der obigen Erwähnung christlicher Lehrinhalte zumindest noch über eine professionelle Distanz des Victorinus zum Christentum spekulieren, kommt an dieser Stelle eine deutliche Nähe und Vertrautheit zum Ausdruck. Er zeigt hier nicht
entes quidam bei Victorinus. Es lässt sich also nichts darüber sagen, ob Gunzo den Verfasser des Cicerokommentars für einen Heiden oder einen Christen hielt. Vergleichbar ist auch die Diskussion in Ad Cand. 20 zur richtigen Übersetzung des Ausdrucks πρὸς τὸν θεόν in Joh 1,1.Victorinus argumentiert, dass die in Rom gängige Übersetzung (apud deum) den Sinn besser trifft als die seines Bibelexemplars (circa deum): Romani πρὸς τὸν θεόν apud deum dicunt quasi penitus intus, id est in dei exsistentia, et hoc verum. (22,9 – 11 Locher) Auch hier hätte man eine Formulierung wie nostri dicunt erwartet. Mar. Victorin. rhet. I 43,80: Inter falsum et incredibile hoc interest: quod falsum est, credibile esse potest; deinde quod incredibile est verum esse potest. Sed verum duplex est, nunc id, quod vere gestum est, nunc id, quod vere gestum quibusdam rationibus approbatur. Itaque saepe quod verum est, quia falsum esse non potest, incredibile est: verum est enim, quod Simon volavit, sed tamen incredibile est. (134,13 – 18 Riesenweber)
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nur Kenntnis einer der „Gründungslegenden der römischen Christengemeinde“¹²⁴, sondern erklärt sie darüber hinaus auch noch für untrüglich wahr. Man wird kaum vermuten dürfen, dass es sich bei Simons Flug um eine stadtbekannte Anekdote handelt, die Victorinus nicht zwingend aus einer christlichen Quelle beziehen musste. So ließe sich nämlich die absolute Sicherheit, mit der Victorinus diese Episode als Beispiel einer unglaublichen wahren Geschichte anbringt, nicht begründen.¹²⁵ Hier zeigt sich unzweideutig, dass Victorinus mit spezifisch christlichem Traditionsgut vertraut ist und die literarische Überlieferung der christlichen Gemeinde in diesem Punkt für absolut wahr hält.¹²⁶ Man kann also von diesem Zeugnis ausgehend die berechtigte Vermutung äußern, dass Victorinus sich zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Werkes bereits als Christ versteht oder zumindest eine große Nähe zum Christentum in Rom bekundet. Gleichermaßen lässt sich diese Beobachtung auf sein Schulpublikum applizieren: In den Reihen seiner Schüler darf man zumindest auch aufgeschlossene Heiden und wohl auch Christen vermuten. Dadurch lässt sich Augustins Darstellung der senatorischen Elite Roms als geschlossen paganer Gruppe, die dem Christentum feindlich gegenübersteht, in Frage stellen.¹²⁷
4.3 Die rhetorische Funktionalisierung skeptischer Philosophie am Beispiel des latet-verum-Arguments in rhet. I 29,44 Pierre Hadot und Werner Steinmann haben in unterschiedlicher Weise versucht, insbesondere aus der philosophisch-skeptischen Argumentation in rhet. I 29,44¹²⁸ eine skeptizistische Grundhaltung des Rhetors Victorinus herauszuarbeiten und seine intellektuelle Entwicklung zu rekonstruieren. Nimmt man aber den Charakter des Kommentars als Lehrbuch für Rhetorikschüler ernst, die lernen sollen, gut und
Riesenweber, Prolegomena, 11, zu dieser Legende vgl. Zwierlein, Petrus in Rom, 59 – 74. Die Geschichte findet sich u. a. in den lateinischen Actus Vercellenses Act. Petr. 32 (83,4– 21 Lipsius), eine griechische Version im Athos-Codex Martyrium Petri 3 (82,4– 28 Lipsius).Vgl. auch Jones, Art. „Simon Magus, Simonianer“, RAC 30 (2020), 598 – 609. Gegen diese Vermutung bei Hadot, Victorinus, 52 Anm. 127. Riesenweber, Kommentar, 219 f. hält diesen Abschnitt für einen nachträglichen Einschub aus der Endredaktion des Victorinus. Dies leuchtet jedoch nicht ganz ein. Wenn man eine gesonderte Endredaktion annimmt, wird man eher von einer Glättung des Textes ausgehen und nicht von einer unnötigen Aufblähung. Der Dublettencharakter, den Riesenweber hier und andernorts feststellt, kann einfacher entweder als didaktisch motivierte Wiederholung oder als Ausfluss des mündlichen Charakters des ganzen Werkes erklärt werden. Vgl. Aug. conf. VIII 2,3 (155,8 f. Skutella). S.o. S. 78.
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überzeugend zu reden, dann ergibt sich auch der Kontext für die vermeintlich skeptizistischen Äußerungen des Lehrers.¹²⁹ Victorinus schärft seinen Schülern die Relativität aller Argumente nicht als Philosoph, sondern als Rhetoriklehrer ein. Selbst wenn es nach seiner persönlichen philosophischen Überzeugung eine absolute und erkennbare Wahrheit gäbe, wäre der Rhetorikunterricht der falsche Ort, diese Einsicht zu vermitteln.¹³⁰ Der gute Redner muss das Publikum im Blick haben, das er überzeugen möchte. In solchen Fällen hilft es ihm nichts, wenn er eine für ihn selbst unstrittige Wahrheitserkenntnis äußert. Er muss sich vielmehr an den Meinungen und Überzeugungen seines Zielpublikums orientieren und seine Rede darauf abstimmen.¹³¹ Diese Publikumsorientierung ist die didaktische Pointe in rhet. I 29,44 für die Victorinus eine populärphilosophische Begründung skeptischer Provenienz abgibt: Unter den Menschen sei die Wahrheit verborgen, alles beruhe nur auf Vermutungen. Zwingenden Charakter hat ein rhetorisches Argument nicht aufgrund seines absoluten Wahrheitsgehalts, sondern aufgrund seiner Wirkkraft beim Publikum.¹³² Victorinus möchte seinen Schülern beibringen, dass sie kein Argument für absolut wahr und zwingend erachten sollen, sondern jedes noch so scheinbar zwingende Argument auf seine Plausibilität hin betrachten sollen.¹³³ Daher muss der Versuch scheitern, aus dieser scheinbar skeptischen Grundposition eine philosophische Entwicklung des Victorinus zu rekonstruieren, da dieser skeptische Ansatz einen Grundzug der Rhetorik überhaupt ausmacht. Man geht fehl, wenn man für Victorinus etwa in Analogie zu Augustinus ein skeptischphilosophisches Stadium in seiner Entwicklung postuliert. Diesen methodischen Grundfehler begeht Steinmann in seiner Dissertation zur Seelenmetaphysik des Victorinus. Seiner Meinung lässt sich der Skeptizismus als die dominierende phi-
Vgl. zur Aufgabe des Redners in Mar. Victorin. rhet. I 5: Ergo officium oratoris est dicere, sed adposite ad persuadendum. (26,21 Riesenweber) Vgl. Mar. Victorin. defin. p. 6,28 – 33 Stangl (Anm. 110). Schon diese von Steinmann, Seelenmetaphysik nicht beachtete Aussage hätte die Theorie in Frage stellen müssen, dass Victorinus zuerst vom Skeptizismus zum Neuplatonismus bekehrt worden sei. Als einschlägiges Beispiel für die Nutzlosigkeit rigider philosophischer Dogmatik für die Rhetorik sei auf Crassus’ Polemik gegen die Stoa in Cic. de orat. III 65 f. verwiesen.Vgl. dazu ausführlicher Zacher, Hidden Truth. Auch Quint. inst. XII 2,26 rät eher davon ab, sich als Rhetorikschüler nur einer bestimmten Philosophenschule anzuschließen, zumindest ist eine Schulwahl nicht nötig: Oratori vero nihil est necesse in cuiusquam iurare leges. (382,18 f. Radermacher) Vgl. dazu Schirren, Wie viel Philosophie braucht der Redner?, 240 – 243. Vgl. rhet I 29,44 (110,26 – 29 Riesenweber). An anderen Stellen zielt Victorinus auf andere Lehrinhalte ab und geht dann völlig selbstverständlich wieder von der Möglichkeit eines zwingenden Arguments aus. Vgl. rhet. I 45,83 – 84 (139,13 – 16 Riesenweber). Auch das Beispiel von Simons Flug in rhet. I 43,80 erachtet er als wahr.
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losophische Haltung des Rhetoriklehrers herausarbeiten. Diese Grundhaltung kontrastiert er mit den wenigen platonisierenden Passagen des Kommentars und schließt auf einen Zwiespalt im Denken des Victorinus: Dieser sei hier grundsätzlich noch stark dem philosophischen Skeptizismus verhaftet, versuche aber bereits „unter Einbeziehung neuplatonischer Vorstellungen dem letztlich unfruchtbaren Denken des Skeptizismus zu entkommen […].“¹³⁴ Folglich rekonstruiert Steinmann eine doppelte Bekehrung des Rhetors vom Skeptizismus zum Neuplatonismus und schließlich zum Christentum. Diese Bekehrung sei jeweils deswegen erfolgt, weil Victorinus das vorige Denksystem als unbefriedigend oder lückenhaft empfunden habe. Diese persönliche Entwicklung des Victorinus erhebt Steinmann dann gar zum Paradigma für die intellektuelle Geschichte des vierten Jahrhunderts.¹³⁵ Die vermeintliche Bekehrung des Victorinus vom Skeptizismus zum Neuplatonismus wird bereits durch die methodischen Vorüberlegungen zur Rolle der Philosophie in Frage gestellt. Es bedarf aber noch einer genaueren Prüfung, ob die Art und Weise, wie Victorinus neuplatonische Elemente in den Kommentar einbaut, einen Schluss auf seine weitere intellektuelle Entwicklung zulässt. Eine Analyse des philosophischen Gehalts des Kommentars muss zeigen, ob sich hier wirklich bereits Probleme des Autors mit der platonischen Philosophie andeuten, die ihn schließlich zu einem Übertritt zum Christentum bewegt haben Auch Pierre Hadot beachtet den Charakter des Kommentars als Werk für den Rhetorikunterricht nicht, wenn er den hier scheinbar fassbaren philosophischen Skeptizismus in zweifacher Weise ausdeutet: Dieser sei sowohl ein Ausdruck für die typische Indifferenz heidnischer Aristokraten dieser Zeit gegenüber kultischen Angelegenheiten als auch ein Ausfluss aus der Philosophie des Porphyrius.¹³⁶ Der erste Schluss beruht offensichtlich auf einem argumentum e silentio: Victorinus kommentiert die Frage von Sinn und Unsinn des christlichen Glaubens oder Kultes in rhet. I 29,44 überhaupt nicht. Dass er das nicht tut, hängt mit dem Gattungscharakter des Werkes und seinem Sitz im Leben im Rhetorikunterricht zusammen. In einem Schulkommentar hätten solche Äußerungen keinen Platz. Wenn er das Christentum also im Zusammenhang mit den Wahrscheinlichkeitsargumenten neutral ins Spiel bringt, ohne dessen Ansichten positiv oder negativ zu bewerten, ist seine persönliche Einstellung nicht automatisch indifferent. Hier darf man keine vorschnelle Parallele zu den berühmten relativistischen Ausführungen des Symmachus über die mögliche Vielfalt des Kultes ziehen, da diese nur punktuell
Steinmann, Seelenmetaphysik, 122. Vgl. die Zusammenfassung Steinmann, Seelenmetaphysik, 120 – 124. Vgl. dazu Hadot, Marius Victorinus, 47– 58. Ähnlich auch schon Dyroff, Prolog, 88 f.
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und in ihrem historischen Kontext richtig zu verstehen sind.¹³⁷ Hinzu kommt die entscheidende Beobachtung, dass sich eine völlige Relativierung des Kultes bei Porphyrius selbst gerade nicht findet. Bei ihm verbindet sich ein grundsätzlicher Skeptizismus in Fragen des Kultes vielmehr mit einem strengen Festhalten am Kult nach der jeweils einheimischen, althergebrachten Sitte.¹³⁸ Das ist ganz typisch für diese Argumentationsform, in der sich eine Skepsis, ob das Göttliche überhaupt erkannt werden kann, in der Regel mit einer konservativen Grundhaltung in Fragen des Kultes verbindet.¹³⁹ Als ein entscheidendes Argument für die Rückführung der skeptischen Grundhaltung des Rhetors auf Porphyrius führt Hadot das latet-verum-Argument in rhet. I 29,44 an, zu dem Macrobius eine Parallele bei Porphyrius überliefert.¹⁴⁰ Die bei beiden übereinstimmende Formulierung, dass die Wahrheit verborgen sei, ist allerdings so unspezifisch, dass sie nicht dafür ausreicht, eine Abhängigkeit zu postulieren. Es handelt sich vielmehr um eine gängige Formulierung, die haupt-
Hadot, Marius Victorinus, 53 f. verweist auf das bekannte Zitat Symm. rel. 3,10: Eadem spectamus astra, commune caelum est, idem nos mundus involvit. Quid interest, qua quisque prudentia verum requirat? Uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum. (104,76 – 106,78 Klein). Das philosophische Argument des Symmachus verfolgt ebenfalls einen rhetorischen Zweck. Das Christentum ist bei ihm in einen Religionspluralismus wohl v. a. deswegen integriert, weil er aus einer unterlegenen Position heraus an einen christlichen Kaiser schreibt. Vgl. zur rhetorischen Anlage der dritten Relatio Cameron, The Last Pagans, 38 f. Er weist darauf hin, dass man die Argumente nicht für die persönliche Meinung des Symmachus halten braucht. Unnötig ist jedoch die Annahme, dass er sie von Beratern übernommen habe. Ähnlich zu Symmachus auch Cooper, Christianity. Kahlos, Praetextatus, 101– 104 ordnet dagegen die dritte relatio in eine allgemein pagan-monotheistische Gottesvorstellung ein, ohne einen spezifisch neuplatonischen Charakter zu erkennen. S. 109 f. vergleicht sie rel. 3,10 mit Them. or. V 68c-69a (100,9 – 101,6 Schenkl/Downey) und vermutet eine Beeinflussung des Symmachus durch Themistius. Vgl. nur Porph. abst. II 59: ἐπεὶ καὶ ᾿Aπόλλων παραινῶν θύειν κατὰ τὰ πάτρια […]. und Marc. 18: οὗτος γὰρ μέγιστος καρπὸς εὐσεβείας τιμᾶν τὸ θεῖον κατὰ τὰ πάτρια […]. Darauf weist auch Cooper, Galatians, 24 nachdrücklich hin. Vgl. dazu etwa Armstrong, The Way and the Ways, VigChr 38 (1984), 3. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 50 f. mit Anm 123 mit Verweis auf Macr. somn. I 3,18: Latet, inquit (sc. Porphyrius), omne verum. Hoc tamen anima cum ab officiis corporis somno eius paululum libera est interdum aspicit, non numquam tendit aciem nec tamen pervenit, et cum aspicit tamen non libero et directo lumine videt sed interiecto velamine, quod nexus naturae caligantis obducit. (ArmisenMarchetti 15 f. = P. 55 Ὁμηρικὰ ζητήματα, 406F Smith) In Zacher, Hidden Truth habe ich den quod-Satz noch so verstanden: „[…] through an interposed veil that covers the nexus of nature so it becomes obscure.“ Dabei habe ich naturae caligantis als von nexus abhängigen Genitiv gedeutet. Dann muss man caligantis aber proleptisch verstehen. Zur Konstruktion vgl. ThlL 9,2,39,40 s.v. obduco I. Einfacher scheint es mir aber jetzt, caligantis als Akkusativ zu deuten und auf nexus zu beziehen und zu übersetzen: „[…] durch einen dazwischen gelegten Schleier, der die Natur mit einem dunklen Gewebe umhüllt.“ Zur Konstruktion vgl. dann ThlL 9,2,40,38 s.v. obduco II.
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sächlich in skeptisch-philosophischen Zusammenhängen benutzt wird und die Victorinus und Porphyrius unabhängig voneinander gebrauchen.¹⁴¹ Daneben sprechen auch sachliche Gründe dagegen, Porphyrius als Quelle der Argumentation in rhet. I 29,44 zu sehen. Wie in der neuplatonischen Erkenntnislehre üblich, hält er die Wahrheitserkenntnis zwar für schwierig, aber nicht für unmöglich.¹⁴² Die Gegenüberstellung von verum und verisimile entspringt damit keinem grundsätzlichen Skeptizismus des Lehrers Victorinus, sondern bringt die Botschaft didaktisch griffig auf den Punkt, dass alle Argumente auf das Publikum abgestimmt sein müssen. Zugleich ist die Passage ein Beispiel für einen geschickten Einsatz philosophischer Argumente eines Redners zur Stützung seines Argumentes und auch insofern ein gelungenes Stück Didaktik. Auch andere Assoziationen sollen den Eindruck eines religiösen Relativismus porphyrianischer Spielart beweisen. Victorinus erläutert, dass sich ein Wahrscheinlichkeitsargument an den jeweiligen Landessitten, dem Volk und den Zeitumständen des Redners orientieren müsse. Dem Römer gelte etwas anderes als gerecht als dem Barbaren und auch von Stadt zu Stadt änderten sich die Vorstellungen der Menschen.¹⁴³ Diese rhetorische Grundregel wird von Hadot wiederum zum Ausdruck einer philosophischen Grundhaltung verkehrt. Weil es keine sicher greifbare Wahrheit in Kultfragen gebe, solle man sich mit Porphyrius an die Gepflogenheiten der jeweiligen Stadt halten.¹⁴⁴ Dabei macht Hadot aus den praecepta dicendi gegen die Absicht des Victorinus praecepta vivendi.
Vgl. etwa das Demokrit-Zitat bei Cic. acad. I 44 (19,6 – 9 Plasberg) oder aus skeptischer Perspektive Cic. acad. II 122 (88,14– 17 Plasberg); als Ansicht des Arkesilaos in Cic. Acad. I 45 (19,11– 13 Plasberg). Ferner schon Heraklit fr. DK 12B 123. Und bes. Aug. c. acad. II 5,12 (CCSL 29 25,29 – 31). Ausführlich dazu Zacher, Hidden Truth. Dagegen verteidigt Cooper, Christianity die Rückführung auf Porphyrius. Das muss insbesondere gegen das Konstrukt eines „porphyrianischen Pessimismus“ betont werden, der die Negativfolie für Augustins Contra Academicos sei. Zu dieser Spekulation vgl. Cutino, Scetticismo, Orpheus 15 (1994), 46 – 75. Hier gelten die gleichen Bedenken gegen eine postulierte Abhängigkeit des veritas-latet-Arguments bei Aug. c. acad. II 5,12 von Porphyrius. Auch BoutonToubulic, Deux interprétations, EPh 101 (2012), 224 weist darauf hin, dass Wahrheitserkenntnis für Porphyrius nicht unmöglich ist. Vgl. für die Erkenntnislehre des Porphyrius bes. Porph. in Harm. p. 18,2– 8 Düring (19 Raffa) und dazu Chase, Cognitive Process, Ancient Philosophy 30 (2010), 383 – 405. Ausführlicher gegen Cutinos These Zacher, Hidden Truth. Mar. Victorin. rhet. I 29,46 – 47 (113,8 – 114,2 Riesenweber). Ähnlich auch bei der Wahrscheinlichkeit der narratio in Mar. Victorin. rhet. I 21,29: Deinde id, quod agimus, a populi more non abhorreat, scilicet ne contra consuetudinem audientium loquaris, si apud Romanos narres contra iustitiam et si apud Scythas mores barbaros reprehendas. (75,13 – 16 Riesenweber) Dass man für diese Ansicht kein Relativist sein muss, zeigt auch die ähnliche Argumentation bei Aug. conf. III 7,13. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 51.
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4.4 Die Seelenlehre des Cicerokommentars als Beitrag zur rhetorischen natura-ars-Debatte 4.4.1 Bedeutung des Themas und Methodisches Der größte philosophische Gehalt des Cicerokommentars besteht in den Ausführungen zur Psychologie. In der langen Kommentierung des Proömiums von De inventione stellt Victorinus ausführliche Überlegungen über Natur und Beschaffenheit der Seele außerhalb und innerhalb des Körpers an. Hier spielt er zur tieferen Erklärung philosophische Positionen ein, die sich so nicht im kommentierten Text bei Cicero finden. Die psychologischen Passagen des Kommentars haben in der Forschungsgeschichte besonderes Interesse mit Blick auf die Seelenlehre im theologischen Werk des Victorinus gefunden. So versucht insbesondere Steinmann in seiner Dissertation, durch einen Vergleich der entsprechenden Lehren Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Denken des Victorinus herauszuarbeiten. Da Steinmann der communis opinio folgend den Kommentar als Produkt der paganen Lebensphase des Victorinus auffasst, erhofft er sich durch diesen Vergleich Einblick in die intellektuelle Entwicklung des Victorinus und sucht nach möglichen Motiven der Bekehrung des Victorinus zum Christentum.¹⁴⁵ Jedoch gilt es auch in diesem Falle nochmals an die methodischen Bedenken gegen eine solche Interpretation des Kommentars zu erinnern. Es ist zunächst einmal nicht so einfach davon auszugehen, dass die philosophischen Erörterungen im Kommentar auch eins zu eins die private Überzeugung des Lehrers widerspiegeln.¹⁴⁶ Ferner dürfen die philosophischen Aussagen nicht losgelöst von ihrem Kontext, der Wirkabsicht und dem Charakter des ganzen Werkes betrachtet werden. So weit wie möglich muss daher bei der Interpretation des victorinischen Cicerokommentars begründet werden, welche Funktion die Seelenlehre in dem jeweiligen Abschnitt hat. Schließlich verfasst Victorinus kein Werk De anima, sondern setzt die philosophische Psychologie funktional ein.¹⁴⁷
Vgl. Steinmann, Seelenmetaphysik. S.o. S. 74 f. Als Beispiel dafür kann auch Cicero selbst gelten: In der praefatio von inv. sieht Cicero die Ursache der Staatsbildung in der anthropologischen Vorstellung vom Menschen als Mängelwesen. Aus diesem tierhaften Zustand bewegt ein Kulturstifter mit seiner Redebegabung die Menschen gegen anfängliche Widerstände zur Gründung von Staaten. Dies widerspricht seiner Auffassung in rep. I 39, wonach nicht imbecillitas, sondern die menschliche Veranlagung als ζῷον πολιτικόν Ursache der Staatsbildung ist. Der Grund für diesen Widerspruch liegt im unterschiedlichen Fokus der beiden Werke: inv. soll die staatstragende und nützliche Rolle der Rhetorik begründen, während rep. eine staatsphilosophische Schrift ist. Die jeweiligen Kulturentstehungsmythen sind auf die Aussageabsicht abgezweckt. Vgl. dazu auch Schwameis, praefatio 82. Auf Grundlage der Prämisse, dass Victorinus eine ausgereifte Seelenspekulation als reinen Selbstzweck abliefern möchte, beruht dann auch die Einschätzung von Steinmann, Seelenmeta-
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Die ausführlichsten psychologischen Ausführungen finden sich in der Erklärung des Kulturenstehungsmythos in der praefatio von De inventione. Hier empfindet Victorinus in der Darstellung Ciceros eine Leerstelle bei der Frage, woher plötzlich der Kulturheros kommt, der mit seiner rhetorischen Begabung und Weisheit die Menschen zur Staatsbildung bewegen kann, während doch alle anderen Menschen wie wilde Tiere leben.¹⁴⁸ Als weitere Lücke empfindet er die fehlende Erklärung, warum aus diesen wild lebenden Menschen überhaupt eine höhere Zivilisation entstehen kann, da man Tieren eigentlich keine Zivilisation beibringen kann. Hier spart Cicero die nötigen anthropologischen Ausführungen aus, die den Mensch als zivilisationsfähiges Wesen vom Tier unterscheiden. Diese beiden Lücken füllt Victorinus mit seinen Ausführungen zur Seelenlehre. Die Ausführlichkeit und Geschlossenheit des philosophischen Systems deuten darauf hin, dass es sich hier um Ansichten handelt, die Victorinus auch persönlich für einleuchtend hält. Die platonisch gefärbte Seelenlehre wird aber nicht zum Selbstzweck, sondern Victorinus setzt sie ein, um die Lücken im Cicerotext zu schließen. Daher behandelt Victorinus nicht ausführlich alle Probleme der Psychologie, die für philosophische Debatten relevant sind, sondern beschränkt sich auf die Aspekte der Seelenlehre, die sich funktional für die Rhetorik und das bessere Verständnis des Cicerotextes einsetzen lassen. 4.4.2 Die Seelenlehre als Beitrag zur natura-ars-Debatte in der Rhetorik Was Victorinus mit dieser ausführlichen Behandlung der Seelenlehre bezweckt, ergibt sich nur, wenn man den Kontext des Rhetorikunterrichts und des rhetorischen Kommentars beachtet. Es handelt sich dabei nicht um einen deplatzierten philosophischen Exkurs gleich zu Beginn des Werkes.¹⁴⁹ Vielmehr lässt sich zeigen, dass seine Überlegungen sich gut in die natura-ars-Debatte zur Grundlegung der rhetorischen Wissenschaft einfügen, in der diskutiert wird, inwieweit Rhetorik eine angeborene Gabe und inwieweit sie wissenschaftlich lehr- und lernbar ist. Damit beginnt Victorinus sein Unterrichtswerk mit einer sinnvollen und für den Rhetorikunterricht nützlichen Fragestellung. Die Einordnung in diesen Debattenkomplex ergibt sich aus der Beobachtung, dass Victorinus in der Kommentierung der physik, 78: Man merke dem geringen Reflexionsniveau und Textumfang an, dass sich Victorinus in seinem Kommentarwerk noch in der Anfangsphase seiner seelenmetaphysischen Spekulation befinde. Hier wird wieder ein Problem der Textinterpretation in die Biographie des Autors verlegt. Die Intention des Lehrers Victorinus, die Leerstellen bei Cicero zu füllen, hat Bergner, SapientiaBegriff 43 erkannt. Dagegen sieht Bergner, Der Sapientia-Begriff, 15 das philosophische Interesse des Lehrers im Hintergrund, der gleich zu Beginn einen längeren Exkurs einfügt, um seinen Schülern philosophisches Grundwissen zu vermitteln.
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praefatio die drei Begriffe natura, studium und disciplina miteinander koordiniert. Diese Begriffe spielen für die Grundlegung der Rhetorik als einer lehr- und lernbaren Wissenschaft eine entscheidende Bedeutung. Im Hintergrund steht die stets aktuelle Anlage-Umwelt-Problematik, d. h. die Frage, ob der Mensch eher durch seine natürlichen Anlagen, seinen Lerneifer und eifriges Üben oder durch die rhetorische Lehre zum guten Redner ausgebildet wird. In der Regel wird im antiken Fachdiskurs allen drei Faktoren eine gewisse Relevanz zugewiesen.¹⁵⁰ Erst wenn man Victorinus mit seinen Ausführungen in diese Fachdebatte der Rhetorik einordnet, wird seine Wirkabsicht deutlich. Wie schon Hadot erkannt hat, versteht Victorinus natura nicht im herkömmlichen Sinne als das angeborene Talent, sondern als die transzendente Natur der Seele. Die Seele in ihrem guten Urzustand ist für Victorinus das wahre Ich des Menschen, das durch den Eingang in die Welt und den Körper getrübt wurde. Durch studium und disciplina könne der Mensch dieses wahre Ich aber wieder ans Tageslicht befördern und so wieder zu sich und seiner ursprünglichen Konstitution zurückfinden.¹⁵¹ Man geht dabei an der Pointe des Gedanken vorbei, wenn man die Begriffe studium und disciplina an dieser Stelle mit „Kontemplation“ und „Askese“ übersetzt, wie Hadot dies vorschlägt.¹⁵² Erstens ist diese Übersetzung semantisch problematisch, da sich keine wirklichen Belege für eine solche Verwendung finden lassen.¹⁵³ Zweitens spricht der Sprachgebrauch des Victorinus selbst gegen eine solche Übersetzung, da er die beiden Begriffe im Kommentar explizit definiert: „studium ist eine geistige Zustimmung zu etwas; disciplina sind die Lehrsätze, durch deren Erlernen man das, was man erstrebt, erreicht. Darum liegt studium in uns, discip So treffen sich etwa in Ciceros De oratore die im ersten Buch des Dialogs idealtypisch durch Antonius und Crassus vertretenen Gegensatzpositionen im Laufe des Dialoges in der Mitte. Für einen Überblick vgl. Neumann, Art. „Natur-ars-Dialektik B.I Antike“, HWRh 6, 141– 151. Vgl. Mar. Victorin. rhet. I praef. 1– 2: Virtus est animi habitus in naturae modum rationi consentaneus, et ideo in naturae modum: duobus enim constamus, anima et corpore. Anima immortalis est; si immortalis est, a divinis descendit; si a divinis descendit, perfecta est. Sed acies quamvis perfectae animae quodam corporis crasso tegmine inretitur et circumfunditur, et ita fit, ut quandam oblivionem sui capiat. Cum vero studio ac disciplina veluti detergeri coeperit atque nudari, tunc in naturae suae modum animi habitus revertitur atque revocatur. (2,10 – 17 Riesenweber) Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 83. Bergner, Der Sapientia-Begriff, 29 vermeldet auch ein Unbehagen, dass der „Begriff studium ein wenig ungewöhnlich ist“, setzt sich aber ohne weitere Begründung über diese Bedenken hinweg und folgt Hadot. Studium als Äquivalent zu ἄσκησις ist mir nur aus der lateinischen Übersetzung der Vita Antonii bekannt, dort dann aber regelmäßig mit einer zusätzlichen Qualifizierung (etwa deificum), da studium allein diesen Sinngehalt nicht transportiert. Vgl. hierzu Vogüé, Histoire I 1, 33 f. Cooper, Exegesis, 79 übersetzt dagegen treffend „application and teaching“ bzw. ders., Christianity „exertion and training“. Kirchner, Muße, 165 Anm. 40 kritisiert die Übersetzung Hadots nicht direkt, schließt die Begriffe aber für seine Fragestellung nach dem Konzept der θεωρία bei Victorinus aus.
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lina zwar außerhalb unser, bezieht sich aber auf uns.“¹⁵⁴ Victorinus gebraucht die beiden Begriffe also ganz konventionell und meint mit studium den Lerneifer des Schülers, mit disciplina das Regelwerk der Fachwissenschaft. Drittens verengt eine solche Übersetzung den Kommentar auf die Philosophie und missachtet den Kontext des höheren Schulunterrichtes. Übersetzt man die Begriffe ganz konventionell, bleibt die Pointe auf die Rhetorik und wissenschaftliches Studium im Allgemeinen bezogen. Victorinus empfiehlt seinen Schülern, durch studium ac disciplina, ein eifriges Bemühen und wissenschaftliche Betätigung zu ihrem wahren Menschsein zu gelangen. Er formuliert als Ansporn für seine Schüler eine optimistische Anthropologie und stellt ihnen Ziele vor Augen, die durch einen guten Unterricht und eigenen Fleiß auch erreichbar sind.¹⁵⁵ Gleichzeitig zeigt er, dass die richtig betriebene Rhetorik, die eloquentia und sapientia komplementär zusammenbringt, die höchste Stufe der Wissenschaft darstellt und man sich kein besseres Fach wählen könnte.¹⁵⁶ Es ist dabei natürlich unbestritten, dass hier nicht einfach nur Lehrinhalte der Rhetorik gemeint sind, denn das römische Ideal vom Redner als vir bonus dicendi peritus impliziert stets auch eine ethisch-moralische Komponente.¹⁵⁷ Man darf die beiden Wörter disciplina und studium nur nicht einseitig auf eine sonst nicht weiter belegbare philosophische Bedeutung verengen. 4.4.3 Kurze Einordnung in die rhetorische Tradition und spezielle Pointe bei Victorinus Eine ausführliche Betrachtung der rhetorischen Theorien des Victorinus soll hier nicht geleistet werden. Es bleibt zu hoffen, dass nach den Vorarbeiten Riesenwebers zum Text des Kommentars Ähnliches für den Gehalt des Werkes geleistet wird.¹⁵⁸ Da aus den Ausführungen zur Seelenlehre oft einseitige Schlüsse gezogen wurden, möchte ich Victorinus mit seinen Gedanken zumindest in diesem Punkt kurz mit Mar.Victorin. rhet. I 6,8: studium est animi consensus ad aliquid; disciplina est praecepta, quibus acceptis id, quod desideramus, implemus. Itaque studium in nobis est, disciplina extra nos, sed ad nos. (32,26 – 29 Riesenweber) Vgl. auch die Quintessenz der praefatio bei Cooper, Exegesis, 79: „Thus Victorinus’ understanding of human nature and society was essentially paideutic: civilization is built through the progressive education of the civil animal.“ Damit wird zugleich das Gebot des exordium erfüllt, dem Zuhörer die Größe und Bedeutung des Gegenstandes deutlich zu machen, vgl. Rhet. Her. I 7 (160,5 – 7 Calboli). Auch die praefatio von De inventione hat letztlich eine protreptische Stoßrichtung, vgl. Schirren, Wie viel Philosophie braucht der Redner?, 200. Der Ausdruck stammt von Cato d.Ä., vgl. Baier, Römische Beredsamkeit, 259. Zum Ideal des vir bonus bei Quintilian vgl. Kalverkämper, Quintilian, 447– 449. Ausführlicher mit dem Kommentar befasst sich Lopetegui, El comentario, Logo 7 (2004), 43 – 62; dies., Textual Analysis; knapp auch Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 124– 127.
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Vorgängern vergleichen, um die besondere Pointe seines Beitrages herauszuarbeiten. Was die enge Verbindung von Rhetorik und Philosophie angeht, wandelt Victorinus ganz auf Ciceros Spuren. Es scheint, als übernehme er für die Kommentierung des Jugendwerkes De inventione auch die Gedanken des älteren Cicero aus De oratore. Dieser Dialog begründet ausführlich die Notwendigkeit einer umfangreichen Bildung für Redner und plädiert dafür, die Trennung zwischen Philosophie und Rhetorik aufzuheben. Der Redner muss über jeden Gegenstand sprechen können und daher auch über jeden Gegenstand Bescheid wissen. Cicero benutzt den Begriff natura aber noch im ganz herkömmlichen Sinne des angeborenen Talents. Es fallen jedoch Übereinstimmungen zwischen den Überlegungen Ciceros zur Seele in den Tuskulanen mit den Aufgaben des Redners in De oratore auf: In den Tusculanae Disputationes werden vier Qualitäten der Seele untersucht, die für ihre Unsterblichkeit sprechen: motus, memoria, inventio und philosophia. Für die ersten drei lässt sich dabei eine Verwandtschaft zu den Aufgaben des Redners, der actio, memoria und inventio aufzeigen, wie sie speziell von Cicero in seinem Dialog über den vollkommenen Redner behandelt werden. Auch bei Cicero finden sich also Ansätze einer Theorie, nach der die Rhetorik auch eine entscheidende Funktion für die Seele des Menschen hat.¹⁵⁹ Bei den Begriffen der inventio und der memoria ist dieser Zusammenhang besonders auffällig: Die inventio ist auch eine Gabe des Kulturheros im Proömium zu De inventione, er erkennt richtig die Möglichkeit der Menschen und findet die richtigen Wege, sie zur Zivilisation zu führen. In den Tuskulanen vertritt Cicero passend dazu die Ansicht, dass man von der Erfindungsgabe des Staatsgründers und der allgemeinen Beredsamkeit des Menschen auf die transzendente und unsterbliche Natur der Seele schließen könne.¹⁶⁰ Ebenso verwendet er die Erinnerung nicht nur im Sinne der platonischen ἀνάμνησις (recordatio) als Argument für die Unsterblichkeit der Seele, sondern ihm genügt schon die innerweltliche Erinnerungsfähigkeit der Menschen (communis hominum memoria) als Beweis dafür.¹⁶¹ Bereits Cicero stellt also in seinen Philosophika einen expliziten Zusammenhang zwischen der Seelenlehre und der Rhetorik her.¹⁶²
Vgl. zum Ganzen Hanchey, Rhetoric and the Immortal Soul, Syllecta Classica 24 (2013), 77– 103. Vgl. Cic. tusc. I 62.64. Die platonische recordatio in Cic. tusc. I 57, als Beispiel für ein solches imposantes Erinnerungsvermögen dient Hortensius in Cic. tusc. I 59. Zu berücksichtigen ist dabei auch insgesamt die gewählte Form des Dialoges, die Cicero als senilis declamatio bezeichnet. Hier gehen rhetorische Form und philosophischer Inhalt also Hand in Hand, vgl. Cic. tusc. I 7.
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Weiteres Material für einen Vergleich mit Victorinus bieten aber auch Quintilians theoretische Vorklärungen in seiner Institutio oratoria. Zwar benutzt auch er den Begriff natura im herkömmlichen Sinne, geht aber über Ciceros rhetorische Schriften hinaus und bringt die Seele explizit in die rhetorische Debatte ein. Quintilian betont, dass der Mensch von Anfang an eine natürliche Begabung zum Lernen und Denken hat und dass die Sprachfähigkeit das proprium des Menschen ist. Diese Fähigkeit des Menschen sei Anlass für den Glauben, die Seele sei himmlischen Ursprungs.¹⁶³ Mit stoischer Terminologie gesprochen, die bei Quintilian im Hintergrund steht, ist der Mensch das einzige Lebewesen, das einen λόγος ἐνδιάθετος und einen korrespondierenden λόγος προφορικός besitzt, also vollumfänglich rational ist.¹⁶⁴ Zweierlei ist hier von Bedeutung: Erstens ist Sprachfähigkeit die differentia specifica des Menschen, sprachliche Bildung also tatsächlich Ausbildung der humanitas, des wahren Menschseins.¹⁶⁵ Zweitens ist diese Veranlagung in der menschlichen Seele verankert, was Anlass zur Spekulation über ihre caelestis origo gibt. Diese humanistische Begründung der Rhetorik dürfte letztlich bereits auf das Bildungsprogramm des Isokrates zurückgehen.¹⁶⁶ Es lässt sich also zeigen, dass die grundlegenden Gedanken der philosophischen Kommentierung des Victorinus die rhetorisch-philosophische Debatte seit ihren Anfängen im klassischen Griechenland durchziehen. Das besondere Profil des Victorinus zeigt sich darin, dass er sich auf das Gebiet der Seelenlehre konzentriert und einen Beitrag mit einer klar platonischen Pointierung zu dieser Debatte liefert.
Quint. inst. I 1,1: Nam contra plures reperias et faciles in excogitando et ad discendum promptos. Quippe id est homini naturale, ac sicut aves ad volatum, equi ad cursum, ad saevitiam ferae gignuntur, ita nobis propria est mentis agitatio atque sollertia, unde origo animi caelestis creditur. (7,29 – 34 Radermacher) und vgl. insgesamt Quint. inst. II 16,11– 19. In inst. II 20,5 – 7 vertritt Quintilian die Ansicht, dass die Beredsamkeit eine Tugend sei, was sich daraus erweise, dass die semina eius facultatis (121,27 Radermacher) dem Menschen bereits angeboren seien. Vgl. dazu Schirren, Wie viel Philosophie braucht der Redner?, 223 – 227. In der Unterscheidung von Mensch und Tier hat das Begriffspaar auch seinen philosophischen Ursprung, vgl. Löhr, Art. „Logos“, RAC 23 (2010), 337 f. Das hält Grillius auch schon als Intention Ciceros in De inventione fest: Grill. Rhet. I 2: Homines ad humanitatem deductos per rhetoricam dicit. (17,39 f. Jakobi) Vgl. dazu Is. or. III 5 – 7 (47 f. Mandilaras). Schon Barwick, Bildungsideal, 1963, 21– 25 zeigt, dass Poseidonius als Quelle für Cicero nicht in Frage kommt, und konstatiert Parallelen zu Isokrates. Er meint aber noch komplizierte Vermittlungsstufen zwischen Isokrates und Cicero annehmen zu müssen. Man darf Cicero aber mehr Eigenständigkeit zutrauen. Stroh, Macht, 296 – 298 sieht direkte Verbindungen Ciceros zur platonischen Philosophie. Ders., Rhetorik und Philosophie, 66 f. lehnt jede Suche nach einem konkreten Vorbild für diese Gedanken ab, sieht in Anm. 87 aber die Möglichkeit einer entfernten Beeinflussung durch Isokrates. Für einen knappen Vergleich zwischen Isokrates und Cicero vgl. auch Schirren, Wie viel Philosophie braucht der Redner?, 195– 198.
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Die platonisierende Auslegung des Cicerotextes verdankt sich nicht einfach nur der persönlichen philosophischen Anschauung des Victorinus, sondern sie leistet etwas für die Erklärung des Textes: Erstens wurde schon ganz richtig erkannt, dass Victorinus bemüht ist, Lücken im Cicero-Text zu schließen, insbesondere um zu erklären, woher plötzlich der Kulturheros stammt, der die Menschen zur Zivilisation führt. Hier ist die Seelenlehre in ihrer platonischen Ausprägung hilfreich: Der Kulturheros hatte einen Körper, der seine Seele nicht an der Erkenntnis gehindert hat. Nur so war es für ihn möglich, seine zentralen Entdeckungen zu machen.¹⁶⁷ Zweitens zeigt Victorinus damit aber auch, dass rhetorischer Unterricht notwendig und sinnvoll ist: Er stellt durch die Theorie vom Fall der Seele und ihrer Behinderung durch die materielle Welt die Notwendigkeit der Lehre und des eifrigen Lernens gezielt in den Vordergrund. Ginge man nur ganz allgemein von einem transzendenten Ursprung der Seele aus, stellte sich die Frage, warum sich die Anlage der Seele nicht automatisch entfaltet. Erst die platonische Theorie, dass der materielle Leib die Seele in ihrer Betätigung hemmt, erklärt, warum Belehrung von außen nötig ist und warum man sich nicht einfach auf eine automatische Entfaltung der Naturanlage verlassen kann. Die transzendente Natur der Seele ist so angelegt, dass sich der Mensch zu einem vorbildlichen rationalen Wesen entfalten kann, dazu braucht er aber studium und disciplina. So werden Rhetorikschüler in einem doppelten Sinne motiviert: Das Ziel ist erreichbar, da es eigentlich schon im Wesenskern des Menschen angelegt ist. Jedoch macht Victorinus auch deutlich, dass für die Verwirklichung des Menschseins eifriges Bemühen seitens der Schüler gefragt ist. Insofern ist das Menschenbild des Victorinus hier eingeschränkt positiv: Der Mensch kann viel oder alles aufgrund seiner Natur erreichen, aber nicht aus sich selbst heraus, sondern er ist auf äußere Belehrung angewiesen.¹⁶⁸ 4.4.4 Fazit und mögliche Ursachen einer metaphysischen Begründung der Rhetorik Nimmt man also den Gattungscharakter des Cicerokommentars und seinen Sitz im Leben als Produkt des Rhetorikunterrichtes ernst, wird man von allzu einseitigen Auch dieser Gedanke findet sich bereits in Cic. tusc. I 80 (258,10 – 12 Pohlenz). Man kann daher gegen Steinmann, Seelenmetaphysik, 81 nicht davon sprechen, dass Victorinus im Cicerokommentar noch die Fähigkeit des Menschen zur„Selbsterlösung“ vertreten habe. Faktisch spricht Victorinus im Kommentar überhaupt nie davon, ob und wie die Seele nach dem Tod in einen transzendenten Zustand zurückkehren kann. Diese Fragestellung trägt Steinmann, Seelenmetaphysik, 79 ohne Anhalt an den Text heran. Das ist Steinmanns Anliegen geschuldet, einen möglichst starken Kontrast zwischen dem „paganen“ Victorinus und dem christlichen Victorinus zu zeichnen.
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Interpretationen abstehen.¹⁶⁹ Die scheinbar rein philosophischen Äußerungen des Victorinus lassen sich dann als interessanter Beitrag zu einer fachwissenschaftlichen Grundlagendebatte der Rhetorik verstehen. Die Ursachen und Ziele dieses Beitrages liegen ganz innerhalb der Rhetorik begründet, wie sie Marius Victorinus versteht. Er möchte mit seinen Ausführungen keinen προτρεπτικὸς εἰς φιλοσοφίαν formulieren. Das Ziel des Redners ist es nicht, durch Askese und Kontemplation zu einer transzendenten Heimat zurückzukehren, sondern gut und überzeugend zu sprechen. Dafür greift Victorinus ein anthropologisches Modell auf, das den Schülern die Erreichbarkeit dieses Zieles vor Augen stellt und zugleich die eminente Bedeutung der Rhetorik für die Ausbildung des wahren Menschseins unterstreicht. In der diachronen Perspektive auf die Thematik der Seele in der rhetorischen Literatur der Antike fällt dabei eine immer stärkere metaphysische Begründung der Rhetorik auf. Die Überlegungen zu Gründen, Zielen und Möglichkeiten des Rhetorikunterrichtes gehen im Laufe der Jahrhunderte immer weiter über die praktische Nutzbarkeit des Unterrichts hinaus und kulminieren schließlich in den dezidiert metaphysischen Spekulationen des Victorinus. Dies lässt sich auf drei ganz verschiedene Ursachen zurückführen: Erstens verliert die Rhetorik im Laufe der Kaiserzeit immer weiter an praktischer Bedeutung für die politische und juristische Betätigung. Am Ende der römischen Republik, d. h. mit dem allmählichen Bedeutungsverlust der politischen Rede beginnen Ciceros theoretische Überlegungen zu diesem Themenkomplex. Für Quintilian ist nach der festen Etablierung des Prinzipats der geringere praktische Nutzen der Rhetorik bereits seit einigen Jahrzehnten faktische Realität.¹⁷⁰ Daher wird für ihn im Gegenzug die „humanistische“ Bedeutung des Rhetorikunterrichts immer wichtiger. Für das 4. Jh. lässt sich schließlich eine zunehmende Bedrängung
Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Interpretation der Ars grammatica: Opelt, Vergil, Phil 122 (1978), 224– 236 untersucht die Funktion von Vergilzitaten in der Ars und in den Pauluskommentaren. Victorinus wähle in der Ars Vergilzitate nach rein formalen Gesichtspunkten zur Erklärung bestimmter Phänomene der Prosodie und Metrik aus, ein Zitat in seinem Epheserkommentar (in Eph. 2,1– 2,58 f.) interpretiere er dagegen inhaltlich und eine eventuelle Anspielung in seinem Philipperkommentar (in Phil. 2,6 – 8,99 – 102) setze er als Analogie ein. Daraus schließt Opelt, dass sich das Interesse an Vergil aufgrund der Konversion des Victorinus geändert habe. Tatsächlich liegt das aber ebenfalls an der unterschiedlichen Gattung. Andere Bemerkungen Opelts (insbes. 228) zur Frage der Religiosität des Victorinus in der Ars sind hinfällig, da sie auch Teile auswertet, die man allgemein nicht Victorinus zuschreibt. Vgl. zu diesem Problem knapp Riesenweber, Prolegomena, 5 f. Vgl. den ungefähr zeitgleich entstandenen Dialogus des Tacitus, in dem über die Ursachen des Verfalls der Redekunst diskutiert wird. Die Dialogfigur Maternus vertritt die Ansicht, dass die Ursache für den Verfall der politischen und gerichtlichen Rede in der Änderung der politischen Verhältnisse durch den Übergang zum Prinzipat liegt. Vgl. Tac dial. 36 – 41. Vgl. dazu auch Vielberg, Debatte um den Verfall. Knapp: Stroh, Rhetorik und Philosophie, 74 f.
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der Rhetoren durch die Konkurrenz der Juristerei als eigener Fachwissenschaft feststellen, die den Legitimationsdruck auf die Rhetorik erhöht. ¹⁷¹ Zweitens lässt sich zugleich die zunehmende Tendenz verschiedener Fachwissenschaften beobachten, sich selbst als eine Form oder sogar als die wahre Form der Philosophie zu stilisieren.¹⁷² Auch vor diesem Hintergrund lässt es sich verstehen, wenn Victorinus den Schülern die Rhetorik als die richtige Möglichkeit der Entfaltung ihrer rationalen Seelenanlage empfiehlt. Drittens betonen philosophische Schriftsteller immer wieder den Gegensatz zur Rhetorik und stilisieren die Zuwendung zur Philosophie oft als bewusste Abkehr von der Rhetorik.¹⁷³ Dabei spielt gerade auch eine Kritik an der Äußerlichkeit der Rhetorik eine Rolle, der die Sorge um die eigene Seele entgegenstellt wird.¹⁷⁴ Auch auf solche Vorwürfe reagiert Victorinus, indem er das transzendente Wesen der Seele zum Ausgangspunkt der Begründung der Rhetorik macht. Die Kombination aus dem Bedeutungsverlust der Rhetorik für die Praxis und das vielschichtige Spannungsverhältnis zwischen der Rhetorik und der Philosophie stellt Victorinus vor die Aufgabe, die Bedeutsamkeit und das Profil des Rhetorikunterrichtes herauszuarbeiten. Dies gelingt ihm mit seinen Überlegungen zum Wert der Rhetorik für die Seele und das Innere des Menschen in einer vorzüglichen Weise. Dabei nimmt er einen platonischen Standpunkt zum Ursprung der Seele und ihren rationalen Fähigkeiten ein, die aufgrund der Verbindung mit der Materie zwar geschwächt sind, aber durch den rhetorischen Unterricht wieder geschärft werden können.¹⁷⁵
Vgl. Hose, Martin, Die Krise der Rhetoren, 289 – 299. Kritisch dazu aber Vössing, The Value of a Good Education, 174. Vgl. Löhr, Christianity as Philosophy, VigChr 64 (2010), 163 f. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Konkurrenz zwischen Juristerei und Rhetorik ist besonders Löhrs Hinweis auf Ulpians Institutio relevant, vgl. Ulp. dig. 1,1,1,1: Cuius merito quis nos sacerdotes appellet: iustitiam namque colimus et boni et aequi notitiam profitemur, aequum ab iniquo separantes, licitum ab illicito discernentes, bonos non solum metu poenarum, verum etiam praemiorum quoque exhortatione efficere cupientes, veram nisi fallor philosophiam, non simulatam affectantes. (1,10 – 14 Mommsen) Für einen knappen Überblick zum Verhältnis von Philosophie und Rhetorik in der Antike vgl. Stroh, Rhetorik und Philosophie, 53 – 79. Vgl. dazu Tornau, Rhetorik, Politik und Philosophie, 492 f. mit Verweis auf Damascius fr. E 201 Zintzen (274). Auch Victorinus könnte also noch ausführlicher unter der Fragestellung nach dem Verhältnis von Rhetorik und Philosophie im Neuplatonismus untersucht werden. Einen guten Einblick in die antike Diskussionslage zu diesem Thema bietet Tornau, Rhetorik, Politik und Philosophie.
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B Biographie
4.5 Soziologische und identitätstheoretische Überlegungen zum Selbstverständnis des Rhetors Victorinus und seinem Übertritt zum Christentum Nach dieser Interpretation muss man das rhetorische Werk im Rahmen einer biographischen Rekonstruktion ganz anders einordnen, als dies bisher geschehen ist. Man kann die philosophischen Ansichten, die Victorinus dort vertritt, nicht mehr einfach als Vergleichspunkte für das theologische Werk heranziehen, um daraus eine intellektuelle Biographie des Victorinus zu entwickeln. Es ist sogar anzuzweifeln, dass der Cicerokommentar in die pagane Lebensphase des Victorinus gehört. Man ist in dieser Einordnung auch zu sehr der Darstellung des Augustinus gefolgt, wonach der Christ Victorinus nur darauf gewartet habe, seinen Dienst als Rhetoriklehrer zu quittieren.¹⁷⁶ Die Untersuchung der beiden relevanten Passagen zeigt aber, dass Victorinus bei der Abfassung des Cicerokommentars zumindest schon gewisse Sympathien für das Christentum empfunden haben muss. Anders lässt sich insbesondere seine Überzeugung, dass die Legende von Simons Flug wahr ist, nicht sinnvoll erklären. Die Überlegung, dass Victorinus den Kommentar bereits als Christ abgefasst hat, lässt sich gut mit jüngeren soziologischen und identitätstheoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Christen und Heiden in der Spätantike in Verbindung bringen. So entwickelt etwa Alan Cameron eine Kategorisierung in fünf verschiedene Gruppen, um eine starre Dichotomie zu durchbrechen, die Christen und Heiden als zwei monolithische Blöcke auffasst. Er ersetzt diese Vorstellung durch ein ausdifferenziertes Spektrum unterschiedlicher Grade an Gruppenzugehörigkeiten. Er setzt dabei als zwei extreme Pole die Gruppen der committed pagans und committed Christians an, dann zwei mittlere und zu Kompromissen geneigte Gruppen von center pagans und center Christians und eine große Gruppe in der Mitte, die nicht eindeutig zuzuordnen ist.¹⁷⁷ Nach diesem Modell könnte man den Rhetor Victorinus in eine der mittleren Kategorien einordnen, sei es als einen center pagan, der Teile der christlichen Überlieferung akzeptieren kann, sei es als einen center Christian, der kein Problem mit Rhetorikunterricht und klassischer Bildung hat. Noch hilfreicher dürfte aber das Identitätskonzept Rebillards sein, um die Position des Victorinus und gleichzeitig auch die Darstellung Augustins über dessen Leben zu verstehen. Rebillard fragt im Unterschied zu Camerons gruppensoziologischem Modell stärker danach, wie ein individuelles Gefühl der Gruppenzugehö-
Vgl. Aug. conf. VIII 5,10 (161,10 – 16 Skutella). Vgl. Cameron, The Last Pagans, 176 f.
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rigkeit entsteht und wie man sich das Selbstverständnis der Individuen vorstellen kann. Er nutzt dafür das soziologische Konzept der groupness, um das Zugehörigkeitsgefühl von Personen zu bestimmten Gruppen zu bezeichnen. Diese groupness ist definiert als ein kontingentes Ereignis und nicht als zeitlich stabiles Zugehörigkeitsgefühl. Verschiedene Sozialsituationen können für eine begrenzte Dauer jeweils unterschiedliche Zugehörigkeitsgefühle im Individuum aktivieren. Dieses momentane Gefühl wird vom einzelnen nicht automatisch als dauerhaft bestimmendes Merkmal für seine gesamte Persönlichkeit gewertet. Zusätzlich übernimmt Rebillard das Identitätskonzept einer internalen Pluralität, wonach bestimmte Persönlichkeitsmerkmale lateral angeordnet sind. In verschiedenen Situationen sind verschiedene Merkmale und Zugehörigkeiten wichtiger als andere, es muss nicht zwingend eine stabile und dauerhafte hierarchische Anordnung dieser Merkmale geben.¹⁷⁸ Autoren wie Augustinus fordern aber von den Gläubigen gerade eine solche hierarchische Anordnung ihrer Werte ein und postulieren eine Unterordnung aller Werte unter das Zugehörigkeitsgefühl zum Christentum als normativen Standard der christlichen Identität. Daher stellt Augustinus die beiden Lebensphasen des Victorinus auch als zwei extreme Pole dar, um die völlige Neuordnung der Werte zu veranschaulichen, die er von einem Christen fordert. Im Leben des Heiden Victorinus soll nach Augustins Darstellung seine Anhängerschaft an pagane Kulte das bestimmende Element seiner Persönlichkeit gewesen sein und zu Hochmut geführt haben, während mit dem Entschluss zur Taufe eine absolute Unterordnung aller Werte unter das Christsein geschehen sein soll, was mit einer Demutshaltung verbunden ist. Im Gegensatz zu Augustins hierarchischem Modell lassen sich Leben und Werk des Victorinus aber besser mit der Annahme einer lateralen Anordnung von Zugehörigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen verstehen. Im Rhetorikunterricht beim rhetor urbis Romae konstituiert sich die junge Elite der Stadt Rom als eine Bildungsgemeinschaft und stellt sich in die lange Tradition römischer Redekunst. Von Bedeutung ist hier nicht vorrangig die Frage der individuellen Religionszugehörigkeit, sondern das gemeinsame Selbstverständnis als intellektueller Elite des Reiches. Die von Gemeinhardt beschriebene distinktive Funktion der Bildung in der spätantiken Gesellschaft hat als positive Kehrseite eine kohäsive Funktion innerhalb der gehobenen Schicht, die sich durch ihre gemeinsame Bildung nach unten abgrenzt.¹⁷⁹ Der gemeinsame literarische Bildungshorizont grenzt die römische
Vgl. zum Ganzen Rebillard, Christians, 1– 5. Zur eminenten sozialen Funktion der Bildung vgl. Gemeinhardt, Bildung, 57– 61. Vgl. dazu auch Watts, Final, 53 – 57.
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B Biographie
Oberschicht von anderen Bevölkerungsschichten ab und gibt ihr im Inneren einen sozialen Zusammenhalt, einen gemeinsamen Referenz- und Kommunikationsrahmen. Das Gefühl der gemeinsamen Zugehörigkeit zur Bildungselite ist also mit Sicherheit als entscheidender Faktor zur Konstitution von groupness zu werten. Dieses Zugehörigkeitsgefühl hat im Rahmen des Rhetorikunterrichtes überwogen, da andere Faktoren hier keine Rolle gespielt haben. Einen Hinweis darauf geben auch die Bemühungen Julians, diese kohäsive Funktion der Bildung zu eliminieren. Sein Rhetorenedikt zielt programmatisch darauf ab, die religiöse Zugehörigkeit über das Gefühl der gemeinsamen Bildungskultur zu stellen. Julian setzt als Normalfall den gemeinsamen Unterricht voraus, bei dem die Religionszugehörigkeit von Schülern und Lehrern gleichgültig ist, und versucht, dagegen vorzugehen. Er propagiert damit ebenfalls eine hierarchische Anordnung der Identitätsmerkmale und versucht, die Bildungskultur der Zugehörigkeit zur paganen Kultgemeinschaft unterzuordnen. Als zeitgenössische Parallele zu Victorinus kann man hier noch einmal auf den athenischen Rhetorikprofessor Prohaeresius verweisen. Prohaeresius war selbst Christ und unter seinen Schülern befanden sich nicht nur Heiden wie Eunap und Julian, sondern auch Christen, etwa die späteren Bischöfe Gregor von Nazianz und Basilius von Caesarea.¹⁸⁰ Auch die Errichtung der Ehrenstatue für Prohaeresius erhellt die identitätsstiftende und soziale Bedeutung der Bildung für die Senatsaristokratie: Für den Senat war der Glauben des Prohaeresius belanglos, er wurde explizit als herausragender Vertreter der Rhetorik geehrt.¹⁸¹ Die kohäsive Funktion
Für Eunaps Schülerschaft vgl. Eun. VS X 1 f. Giangrande = X 1 f. Goulet. Für Gregor und Basilius vgl. Socr. h.e. IV 26,6 und Soz. h.e.VI 17,1. Zur Diskussion der Schülerschaft der beiden bei Libanius, die dort berichtet wird, vgl. Cribiore, School, 100 – 102. Auch der spätere Kaiser Julian zählte zur gleichen Zeit wie Basilius und Gregor Ende des Jahres 355 kurz zur Schülerschaft des Prohaeresius, vgl. Gr. Naz. or. 5,23 (SC 309, 336,3), or. 7,13 (SC 405, 212,17 f.). Zur Schülerschaft des Julian vgl. auch Hier. chron. a. Abr. 2379 (=363 p. Chr.). Vgl. dazu auch Völker, Professoren, 178. Ähnlich instruktiv ist die Episode, die Sokrates über das Leben des Apollinaris von Laodicea in Socr. h.e. II 46,4– 6 berichtet: Apollinaris und sein gleichnamiger Vater seien wegen ihrer engen Freundschaft mit dem Sophisten Epiphanius vom Bischof Theodot getadelt und von seinem Nachfolger Georg exkommuniziert worden. Die beiden Apollinarii waren beide selbst Grammatik- bzw. Rhetoriklehrer (vgl. Socr. h.e. II 46,2) und pflegten daher selbstverständlich Umgang mit der Bildungselite vor Ort. Dies führt wiederum zu Protest von klerikaler Seite, die einfordert, die Zugehörigkeit zum Christentum höher zu bewerten. Ob dies der wirkliche Grund für die Exkommunikation war, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls erschien eine solche Rekonstruktion für Sokrates völlig plausibel und damit wird sie typisch für das hier dargestellte Phänomen. Vgl. knapp dazu Mühlenberg, Art. „Apollinaris von Laodicea“, TRE 3 (1995), 362. S. dazu S. 57 f., Anm. 30.
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der Bildung ist auch in diesem Falle größer als die potentiell trennende Kraft der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit. Man darf Augustins Bericht nicht als Portrait des aristokratischen Milieus im Rom der 350er-Jahre missverstehen, da dies auch gar nicht seine Absicht ist. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass die Verhältnisse vielschichtiger waren.¹⁸² Victorinus hat sich im Rahmen seiner Lehrtätigkeit als intellektueller Führer einer geistigen Elite Roms verstanden und wurde so wohl auch von seinen Zeitgenossen wahrgenommen. Daher spricht auch nichts dagegen, dass er bereits getauft gewesen sein könnte, als er mit der Statue auf dem Trajansforum ausgezeichnet worden ist. Man darf sich den Übertritt des Victorinus zum Christentum nicht als den krassen Bruch vorstellen, als den Augustinus ihn zeichnet. Dies zeigt sich allein schon an den Spannungen zwischen dem Rahmen der Bekehrungserzählung und dem geschilderten Verlauf der Ereignisse. Im Rahmen gibt Augustin seine Deutung von der Wandlung des Victorinus vom hochmütigen Heiden zum demütigen Christen. Die Ereignisse selbst zeigen, dass Victorinus sich vor seiner Taufe nicht nur mit christlichen Schriften befasst hat, sondern auch Umgang mit christlichen Freunden wie Simplician gepflegt hat. Die Pflege von Freundschaften wird für Victorinus auch nach seiner Taufe nicht von Fragen des Bekenntnisses abgehangen haben und man wird berechtigterweise davon ausgehen dürfen, dass er weiterhin Umgang mit intellektuellen Kreisen verschiedener Religionszugehörigkeit hatte. So dürfte er auch nach wie vor auch in weitgehend paganen senatorischen Kreisen Ansehen genossen haben, da er auch seine Lehrtätigkeit in gewohnter Weise fortführte. Das aristokratische Milieu Roms war in den 350er-Jahren nicht von einer Auseinandersetzung zwischen committed pagans und committed Christians geprägt, wie Augustinus in seiner protreptischen Absicht seinen Lesern glaubhaft machen möchte. Für Victorinus hat das auch zur Folge, dass man ihm weniger Berührungsängste mit vermeintlich häretischen Gruppen und Texten unterstellen muss. Wenn für ihn intellektueller Austausch über philosophische und insbesondere metaphysische Fragen wichtiger waren als religiöse Zugehörigkeiten, dürfte er wenig Probleme gehabt haben, sich auch interessiert mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Freilich ist ihm seine religiöse Überzeugung dabei auch nicht gleichgültig, denn auch als Rhetoriklehrer liegt es ihm an zwei Stellen immerhin nahe, christliche Beispiele in den Unterricht einzubringen. Entscheidend ist, dass der genaue Zeitpunkt der Taufe keine Relevanz für die Interpretation seines Werkes besitzt. Ob Victorinus sich Anfang oder Ende der 350er taufen ließ, ist für die Interpretation seiner christlichen Werke und die Rekonstruktion seiner sozialen Beziehungen und Zusammenhänge weitgehend irrelevant.
Vgl. dazu auch Kahlos, Praetextatus, 7.23.57– 59.
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B Biographie
Weder hat Victorinus erst mit seiner Taufe begonnen, sich für die christliche Theologie zu interessieren, noch bedeutet die Taufe einen radikalen Bruch mit seinen gesellschaftlichen Beziehungen.¹⁸³
5 Fazit Aus dem Leben des Victorinus sind zwei Daten gesichert: Sein Ansehen als römischer Rhetorikprofessor hatte während der Regierungszeit Constantius’ II. seinen Höhepunkt erreicht, vielleicht wurde auch zu dieser Zeit seine Statue auf dem Trajansforum errichtet. Infolge des Rhetorenediktes Julians gab er 362 aus freien Stücken seine Professur auf und starb noch im Laufe der 360er-Jahre. Nimmt man den Hinweis des Hieronymus, Victorinus habe sich in extrema senectute taufen lassen, wörtlich, kann man darüber spekulieren, dass diese Taufe kurz vor den Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit im Jahr 358 zu datieren ist. Dieses Datum hat aber nur eine untergeordnete Rolle für die Rekonstruktion der Biographie, da die Hinwendung zum Christentum ein längerer Prozess war. Victorinus verstand sich schon ohne Taufe als Christ und hat diese vielleicht bewusst auf sein Lebensende hinausgeschoben. Aus seinem rhetorischen Werk lässt sich darauf schließen, dass sein Selbstverständnis anders war, als es Augustinus präsentiert. Victorinus hatte auch als Christ keine Bedenken, weiterhin Rhetorik zu unterrichten, da er sein Amt auch nach der Taufe noch fortführte. Im Cicerokommentar gibt es Hinweise darauf, dass er sich schon mit Positionen des Christentums auseinandergesetzt hat. Er erklärt eine der Gründungserzählungen der römischen Gemeinde mit dem Kampf zwischen Petrus und Simon Magus für wahr. Das lässt sich nur damit erklären, dass er dem Christentum schon eine gewisse Sympathie gegenüber aufweist und sich vielleicht schon selbst als Christ versteht. Der Cicerokommentar kann nur bedingt für die Rekonstruktion der intellektuellen Biographie genutzt werden. Die philosophischen Aussagen sind kontextuell in ihrer Funktion für den Rhetorikunterricht zu betrachten und nicht vorschnell zur Rekonstruktion des philosophischen Systems des Autors zu benutzen. Die skeptischen Passagen lassen sich gut als Grundhaltung des Rhetors erklären, der seine Schüler zur Schärfung ihrer Argumente aufruft. Für den Redner gibt es keine Wahrheit, sondern nur wahrscheinliche Argumente, die sich nach den Voreinstel Eine Vermischung der Angaben Augustins und bei Hier. vir. ill. 101 führt zu der falschen Annahme, Victorinus habe sich überhaupt erst im hohen Alter mit dem Christentum auseinandergesetzt, vgl. für diese Überblendung z. B. die Formulierung bei González, Pensamiento trinitario, Tópicos 55 (2018), 389: „Gran orador latino, Victorino no entró en contacto con el cristianismo, sino hasta avanzada edad.“
5 Fazit
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lungen des Publikums richten. Die Äußerungen zur Seelenlehre in der Kommentierung der praefatio sind besser als Beitrag zur natura-ars-Debatte zu lesen: Victorinus stellt seinen Schülern eine optimistische Anthropologie vor Augen, wonach die Fähigkeit, gut zu reden, bereits im transzendenten Wesen der Seele angelegt ist. Da diese Fähigkeiten durch die Verbindung mit dem Körper aber gehemmt werden, müssen sie durch Lehre und Übung wieder freigelegt und trainiert werden. Victorinus setzt für diese Sicht die platonische Seelenlehre voraus und benutzt sie funktional. Er äußert sich nicht zum weiteren Schicksal der Seele und der Möglichkeit ihrer Erlösung aus der Welt. Daher kann man ihm im Cicerokommentar nicht die Ansicht zuschreiben, er gehe von der Fähigkeit des Menschen zur Selbsterlösung aus. Die Überlegungen Rebillards zur Identität antiker Christen waren hilfreich, um ein differenzierteres Bild des Selbstverständnisses des Victorinus zu bekommen. Victorinus bewegte sich auch als Christ in verschiedenen sozialen Kontexten, die unterschiedliche Gruppenzugehörigkeitsgefühle hervorriefen. So war sein Gefühl, der römischen Bildungselite anzugehören für seinen Rhetorikunterricht und sicher auch für seine Kontakte zur römischen Oberschicht ein bestimmendes Identitätsmerkmal. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass er Kontakte zu gebildeten Angehörigen der Oberschicht unabhängig von der Religionszugehörigkeit pflegte. Vor seiner Taufe zeigt sich dies anhand seiner Freundschaft mit Simplician. Für Victorinus dürfte also auch nach seiner Taufe die Zugehörigkeit zu einem orthodoxen Christentum nicht der bestimmende Faktor gewesen sein, nach dem er seine sozialen Beziehungen ordnete. Augustin stellt die biographische Entwicklung des Victorinus zwar so da, verfolgt damit aber das Ziel, sein Lesepublikum zu einer Entscheidung herauszufordern und Victorinus als Beispiel einer solchen Entscheidung zu stilisieren.
C Datierung, Kontext und Adressaten der christlichen Schriften und das intellektuelle Milieu des Victorinus 1 Vollständigkeit und Datierung der christlichen Schriften des Victorinus 1.1 Vollständigkeit der christlichen Schriften Vor einer näheren Beschäftigung mit dem theologischen Œuvre des Victorinus soll gezeigt werden, dass wir für die Interpretation nicht mit verlorenen Schriften rechnen müssen. Anlass zu diesen Spekulationen gab die Tatsache, dass Victorinus an vielen Stellen Querverweise zu seinen eigenen Schriften setzt, die aber oft so unklar sind, dass nicht ganz deutlich wird, worauf er genau verweist. Hadot hat diese Querverweise innerhalb der theologischen Schriften untersucht und dabei gelegentlich auch die Vermutung geäußert, dass sich die Verweise auf verlorene Schriften beziehen könnten.¹ Er bemüht sich aber, diese Verweise möglichst auf erhaltene Schriften zu beziehen, um nicht unnötigerweise verlorene Schriften postulieren zu müssen. Dabei kann man im Einzelnen aber noch weitergehen als Hadot, da er nur nach recht wörtlichen Entsprechungen für die Verweise sucht. So muss der Hinweis des Victorinus in Ad Candidum 16, er habe schon häufig und an vielen Stellen darauf hingewiesen, dass der Sohn als das Seiende der Anfang der Begriffe und Substanzen sei, seine Entsprechung nicht nur in der einzigen anderen genauso formulierten Stelle haben.² Dieser Hinweis zielt sicher überhaupt auf den gesamten ontologischen Überblick in Ad Candidum 4– 16 ab, wonach erst der Sohn das erste geformte Sein ist und damit die erste Substanz, der ein Name zugeschrieben werden kann. Der Vater ist demgegenüber dem Sein und damit auch der Bezeichnung mit Begriffen enthoben. Daher ist der Hinweis auf die häufige Darstellung dieses Sachverhaltes nicht übertrieben, da der ontologische Abriss mit dieser Pointe breiten Raum einnimmt. Bei dem Hinweis am Ende der Schrift Ad Candidum haben wir es mit einer Spur der Endredaktion durch Victorinus zu tun. Er erklärt hier, es handele sich bei der Sohnschaft Christ um eine wahre Sohnschaft im Gegensatz zu einer natürlichen,
Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 258 – 262, insbes. die tabellarische Übersicht der Verweise 260 f. Vgl. Ad Cand. 16 (20,1 f. Locher) mit Ad Cand. 2 (12,9 – 12 Locher). https://doi.org/10.1515/9783110987577-003
1 Vollständigkeit und Datierung der christlichen Schriften des Victorinus
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metaphorischen oder Adoptivsohnschaft. Wie das genau zu verstehen sei, habe er andernorts verhandelt: „Welche Art der Sohnschaft durch diese Zeugung dort entsteht […], habe ich ausreichend in anderen Büchern dargelegt und auch ausführlich den Hervorgang, den Abstieg und die Rückkehr mit Erlaubnis des Heiligen Geistes erklärt und auch etwas über die dreifache Einheit und einfache Dreiheit.“³ Dieser Verweis bezieht sich auf folgende Schriften, vor allem Adversus Arium Ib. In dieser Schrift wird ausführlich über den Hervorgang und die Rückkehr des Lebens und des Denkens in das väterliche Sein gehandelt und über den immanenten und ökonomischen Abstieg des Sohnes. Man kann den Verweis am besten so erklären, dass Victorinus ihn im Zuge der Gesamtredaktion des Werkes eingefügt hat, um auf spätere Schriften zu verweisen. Ebenso dürfte der Hinweis in Adversus Arium IV 19 viel grundsätzlicher gemeint sein. Die Themen, wie Vater und Sohn gleichzeitig ineinander sind und der Sohn nach außen tritt, ohne das Wesen des Vaters zu stören, und dass der Sohn als λόγος und ὄν das geformte Sein im Gegensatz zum undefinierbaren väterlichen Sein ist, bestimmen letztlich das Gesamtwerk des Victorinus.⁴ Auch der letzte unklare Verweis in Adversus Arium IV 31 hat allgemeineren Charakter.Victorinus schreibt dort, er habe schon mehrfach darüber berichtet, dass man den immanenten Vorgang des Sohnes aus dem Vater als eine Art Leiden verstehen müsse, was Hadot lediglich als Hinweis auf Adv. Ar. Ib 51 sieht.⁵ In diesem Falle wäre die Betonung der Häufigkeit der Darstellung dann allerdings übertrieben und man müsste wohl doch mit einer verlorenen Schrift rechnen, die das Thema ausführlicher behandelt. Auch an anderen Stellen behandelt Victorinus aber das Thema, dass der Sohn im Hervorgehen Leiden erfährt, auch wenn er dort nicht immer explizit und so ohne Scheu wie in Adv. Ar. Ib 51 vom immanenten Vorgang des Sohnes als Leiden spricht. Man darf aber davon ausgehen, dass für Victorinus die immanente passio die Grundlage für die Leidensfähigkeit des Sohnes in seinem ökonomischen Handeln ist.⁶ Daher kann der Hinweis auch andere Stellen meinen, die zunächst nur wie Aussagen über das ökonomische Leiden des Sohnes anmuten. Es finden sich aber gerade auch Stellen, an denen immanente und ökonomische passio schon vorsichtig parallelisiert werden: In Adversus Arium I 22 erscheint das
Ad Cand. 30 f.: Quis autem modus ista generatione filietatis eius […], dictum a nobis sufficienter in aliis libris, et omnis progressio et descensus et regressio permissu sancti spiritus declarata est et de triplici unitate et de unali trinitate. (27,21– 25 Locher) Vgl. Adv. Ar. IV 18 f. (152,12– 19 Locher). Vgl. Adv. Ar. IV 31 (164,24 f. Locher): Quamquam et in primo exsistentiae suae actu, sicuti in multis libris docuimus, passio exstiterit recessionis a patre. mit Adv. Ar. Ib 51 (87,13 – 15 Locher): In prima enim motione, primam dico in apparentiam venientem, veluti defecit a potentia patris […]. Zum Zusammenhang von immanentem Wesen und ökonomischen Handeln s.u. S. 315-321.
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C Datierung, Kontext und Adressaten der christlichen Schriften
irdische Leiden des Sohnes zunächst nur wie eine Verlängerung des immanenten Hervorganges. Dann aber stellt Victorinus gleich wieder klar, dass es sich bei der Zeugung des Sohnes nicht wirklich um ein Leiden handelt.⁷ Auch andernorts stellt Victorinus fest, dass Bewegung im Gegensatz zur Ruhe ein Leiden sei. Nur der Vater ist also nicht leidensfähig, während auch der immanente Vorgang in gewisser Weise als eine passio bezeichnet werden kann. So etwa beim Vergleich der Trinität in Adversus Arium I 32 mit der Seele: Ihr Sein ist nicht affizierbar, nur die Aktualisierung ihres Belebungs- und Denkvermögens nach außen sind als Bewegung und damit als Leiden zu charakterisieren. Analog wäre dann auch der Vorgang des Sohnes als Leben und Denken als Leiden zu verstehen.⁸ Victorinus geht also durchaus davon aus, dass der Hervorgang des Sohnes aus der Ruhe des Vaters in gewisser Weise als ein Leiden anzusprechen ist. Die Querverweise im dogmatischen Werk des Victorinus lassen sich also problemlos auf das uns vorliegende Werk beziehen, was die Annahme verlorener Traktate unnötig macht. Auch in den Pauluskommentaren finden sich zahlreiche Querverweise, die Hadot teils auf verlorene Werke bezieht.⁹ Gori hat in seiner Edition der Kommentare aber auch für fast all diese Hinweise überzeugende Bezüge zu den erhaltenen Werken gefunden.¹⁰ Nur für den Verweis im Epheserkommentar, dass schon an anderer Stelle über die „oberen und ewigen Zeitalter“¹¹ gehandelt worden sei, macht Gori keine Angabe. Dieser Verweis lässt sich aber auf Adversus Arium IV 15 beziehen, wo Victorinus das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit diskutiert. Außerdem deuten Hadot und Gori einige Stelle als Verweise auf verlorene Kommentare zum Römerbrief und den beiden Korintherbriefen.¹² Die Hinweise auf einen verlorenen Römerbriefkommentar scheinen mir aber insgesamt zu unsicher, um sie wirklich belasten zu können. Dabei gibt es auch ein grundlegendes interpretatorisches Problem, das mit der Kommentartechnik des Victorinus zusammenhängt: In weiten Teilen seiner Kommentare nimmt er die Perspektive des Paulus ein und paraphrasiert die Texte in Form einer Prosopopoiie. Oft ist dabei
Vgl. z. B. Adv. Ar. I 22: Et idcirco de filio dicitur, quod et impassibilis et passibilis, sed in progressu passio, maxime autem in extremo progressionis, hoc est cum fuit in carne. Illa enim passiones non dicuntur: generatio a patre, motus primus et creatorem esse omnium. (55,5 – 9 Locher). Vgl. Adv. Ar. I 32 (67,27– 68,11 Locher).Vgl. ferner Adv. Ar. I 17: Nec tamen idcirco passiones eaedem et in patre, quia unus spiritus. In duobus enim tantum velut passiones, quia iam progressi spiritus sunt. (47,26 – 28 Locher). Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 301 f. Vgl. jeweils die Verweise im Apparat bei Gori, CSEL 83/2 zu in Eph. 1,4– 6,181 f.; in Eph. 1,20 – 23,64 f..113 – 116; in Eph. 2,3,29 f. in Eph. 2,1– 2,2– 23. Für die Hinweise auf verlorene Pauluskommentare vgl. Hadot, Marius Victorinus, 287 und die praefatio von Gori, CorPat 8, 4 f. Ebenso Erdt, Pauluskommentator, 117 f..
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nicht klar erkennbar, wo die Paraphrase ex persona Pauli endet und wo der Kommentar des Victorinus beginnt.¹³ Daher ist oft nicht eindeutig zu sagen, ob ein Verweis auf andere Briefe aus der Sicht des Apostels oder aus der Sicht des Kommentators geschrieben ist. Drei Hinweise in den Kommentaren werden für einen verlorenen Römerbriefkommentar in Anspruch genommen: In einem ersten Querverweis im Epheserkommentar teilt Victorinus mit, er habe in anderen Briefen davon gehandelt, dass den Menschen die Sünden vergeben werden und dass sie dadurch Anteil an der Herrlichkeit Gottes gewinnen. Das lässt sich kaum auf eine konkrete Bibelstelle beziehen, sondern ist ein Grundthema der soteriologisch pointierten Pauluskommentierung des Victorinus.¹⁴ Auch im Galaterkommentar spricht Victorinus an einigen Stellen davon, dass die Gläubigen die Vergebung der Sünden und die Herrlichkeit Gottes erlangen können.¹⁵ Grundsätzlich stellt sich aber die Frage, ob Victorinus diesen Verweis in eigener Person oder aus der Perspektive des Paulus spricht. Die Formulierung, er habe in aliis epistolis davon gehandelt, ist zumindest sehr ungewöhnlich, da Victorinus an allen anderen Belegstellen nur die Paulusbriefe als epistola bezeichnet, nie aber metonymisch seinen eigenen Kommentar.¹⁶ Es ist also zu erwägen, ob Victorinus diesen Verweis nicht eher ex persona Pauli formuliert. Der zweite Verweis auf einen vermuteten Römerbriefkommentar findet sich im Galaterkommentar. Mit einer Anspielung auf Röm 9,16 sagt Victorinus dort, dass es an vielen Stellen bewiesen sei, dass es nur auf Gott und Gottes Gnade ankomme.¹⁷ Dabei bedient sich Victorinus dieses Zitats aus dem Römerbrief aber nur als prägnanter Belegstelle für die Alleinwirksamkeit der Gnade Gottes, ohne auf eine
Vgl. dazu Locher, Formen der Textbehandlung, 141 f. Auch Raspanti, Mario Vittorino, 115 f. baut auf Lochers Beobachtungen auf. Vgl. Mar. Victorin. in Eph. 1,4,8 – 10: […] ut et peccata donentur et participatio sit nobis gloriae dei, de qua et in aliis epistolis tractavimus. Gori verweist hierfür in apparatu auf Röm 6,4 oder 1Kor 10,16. Das sind nur sehr vage Bezugspunkte, 1Kor 10,16 scheint nur über das Stichwort der participatio mit dieser Aussage verbunden, jedoch handelt Paulus dort von der Teilhabe am Leib Christi. In Röm 6,4 heißt es, dass Christus durch die gloria dei auferweckt worden ist und auch der Christ so in einem neuen Leben wandelt. Das passt schon besser, aber ist auch keine schlagende Parallelstelle. Vgl. in Gal. 4,15,16 – 18: […] omnia vos posse credatis, et remissionem peccatorum et sanctificationem et dei gloriam? Ähnlich in Gal. 4,17,10 f.: […] quia Christum cognoscendo salutis habetis spem et gloriam caelestem. Vgl. auch in Gal. 6,14,11– 15, dort wird das Kreuz als Herrlichkeit bezeichnet. Vgl. die Belegstellen in Eph. I prol. 1,1.14; in Eph. 1,1,4 (in aliis epistolis!), in Eph. 1,13,5; 2,13,4; 5,30,18; 6,21,3; 6,23,3; in Gal. I prol. 1– 3.7.29; 1,3,5; 2,10,4; 2,12,9.17; in Gal. II prol. 1; in Gal. 4,20,2.7; 6,17,4; 6,18,2; in Phil. 3,21,58; 4,3,6; 4,19,19; 4,23,3 f. Vgl. in Gal. 4,7,9 f.: Sed per deum sicuti multis probatum est quia non currentis, sed miserantis, et omnia per dei gratiam.
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C Datierung, Kontext und Adressaten der christlichen Schriften
Kommentierung dieser Stelle hinzuweisen. Durch die unpersönliche Formulierung „es ist an vielen Stellen bewiesen worden“ ist zudem wieder fraglich, ob das gedachte Subjekt Paulus oder Victorinus ist. Hat Paulus oder sein Kommentator Victorinus an vielen Stellen dargelegt, dass es allein auf die Gnade ankomme? Auch hier besteht keine zwingende Notwendigkeit, einen verlorenen Römerbriefkommentar zu postulieren. Ein dritter Hinweis nimmt dagegen explizit die Position des Paulus ein und ist als Prosopopoiie aus seinem Munde gestaltet. Der Verweis bezieht sich damit nicht auf einen Kommentar des Victorinus, sondern auf den Bibeltext.¹⁸ Zusätzlich zu diesen internen Hinweisen führen einige Forscher noch die Erwähnung eines Victorinus im Römerbriefkommentar des sog. Ambrosiaster als externen Beleg an.¹⁹ Jedoch hat schon Souter den Einwand erhoben, dass Ambrosiaster hier unmöglich Marius Victorinus meinen kann, sondern nur Victorinus von Pettau, da er diesen Victorinus mit Tertullian und Cyprian zu den veteres zählt, womit er kaum den nur kurz zuvor verstorbenen Marius Victorinus meinen kann.²⁰ Es bleiben noch zwei Stellen als Belege für einen verlorenen Korintherkommentar, die auch nicht stark belastbar sind.²¹ In seinem Kommentar zu Gal 6,14 zitiert Victorinus die Anspielung des Paulus auf Jer 9,22 f. in den Korintherbriefen: „Wer sich rühmt, der rühme sich im Herrn.“²² Wenn Victorinus hierzu anmerkt, dass er dieses Thema oben schon behandelt habe, muss das nicht einen vorhergehenden Kommentar zu den Korintherbriefen meinen, sondern ist gut als Hinweis auf ähnliche Diskussionen im Galaterkommentar verständlich. Bei der Kommentierung von Gal 6,3 f. kritisiert Victorinus bereits die Anhänger des Gesetzes dafür,
Vgl. in Gal. 5,8,16 – 20: Suasio vestra ex deo est qui vos vocavit: id est quod vobis vel suasum a me est vel quod ipsi iam suasum habetis a deo, suasum vobis est et a deo qui vos vocavit, sicuti supra dictum est: quos vocavit et praedestinavit ceteraque quae per ordinem dicta sunt. Vgl. Ambrosiast. in Rom. 5,14 (CSEL 81/1, 177,25 f.). Auf diese Stelle verweisen etwa Koffmane, De Mario Victorino, 33; Locher, Formen der Textbehandlung, 137; Gori, CorPat 8, 18. Vgl. Souter, Ambrosiaster, 7 Anm. 3. S. 165 – 174 hat Souter Ambrosiaster überzeugend in Rom unter dem Episkopat des Damasus verortet. Ambrosiaster konnte also sicher wissen, dass Marius Victorinus nicht so weit von ihm entfernt war wie Tertullian oder Cyprian. Weiterführende Argumente gegen die Identifizierung mit Marius Victorinus bei Cooper, Galatians, 188 – 190. Gori, CorPat 8, praef., 4 verstand den Verweis in Eph. 4,11,17 f. noch als Hinweis auf einen Kommentar zu 1Kor 12,10, in CSEL 83/2 verweist er aber in apparatu auf die Kommentierung des Victorinus zum Thema der Prophetie in Eph. 3,5,21– 26. Vgl. in Gal. 6,14,1– 6: Mihi autem absit gloriari in nullo. Ante gloriam illorum reprehendit. Namque illorum gloria est in carne gloriari; at ego, inquit, in nullo glorior neque in carne neque in homine neque in aliquo horum neque in me ipso, sed et iam dictum et saepe admonitum ut omnis qui gloriatur, in deo glorietur, de quo supra tractavimus. Vgl. dazu 1Kor 1,31; 2Kor 10,17.
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dass sie sich ihrer eigenen Leistungen rühmen, was bei Gott aber nichts gelte. Vorbildlich sei derjenige, der so handelt, als wäre er nichts in der Welt.²³ Es bleibt damit nur noch ein Verweis im Epheserkommentar, der auf eine frühere Kommentierung der Korintherbriefe schließen lassen könnte. In seinem Kommentar zu Eph 4,10 beruft sich Victorinus auf 2Kor 12,2 als Beleg dafür, dass es drei Himmel gebe. Er stellt auch ein mögliches kosmologisches Modell vor, das die drei Himmel mit dem Wasser über der Erde, dem Firmament und noch einer weiteren Schicht Wasser identifiziert. Anschließend verweist er auf eine ausführlichere Behandlung solcher Themen an anderer Stelle.²⁴ Eine ausführliche Behandlung der kosmologischen Details, die Victorinus hier nur anreißt, könnte in einem Kommentar zum Zweiten Korintherbrief gestanden haben. Denkbar ist aber auch, dass Victorinus auf die Ausführungen zu Eph 2,2 hinweisen möchte, bei denen er schon kosmologische Erörterungen angestellt hat und sich für die Trennung der Elemente auf die Genesis beruft.²⁵ Als weniger starkes argumentum e silentio gegen einen verlorenen Korintherkommentar lässt sich hinzufügen, dass Victorinus an einer Stelle, an der man es erwarten könnte, nicht auf einen Kommentar zu den Korintherbriefen verweist. Er stellt in der Kommentierung von Phil 3,21 einen expliziten Zusammenhang zu 1Kor 15 her und zitiert sogar daraus. Er spielt auf die Vorstellung der endzeitlichen Vergeistigung des Menschen in 1Kor 15 an führt 1Kor 15,28 f. als Beleg dafür an, dass Christus in gewisser Weise dem Vater unterworfen ist.²⁶ Da es sich hier um zwei gewichtige Themen handelt, die Victorinus in einem eigenen Kommentar zum Korintherbrief sicher ausführlich behandelt hätte, darf man begründet vermuten, dass er auf diese ausführlichere Kommentierung hier verwiesen hätte. Man kann die wenigen Verweise, die als Argumente für verlorene Kommentare angeführt werden, also insgesamt auch auf die erhaltenen Kommentare beziehen. Daher muss man nicht zwingend davon ausgehen, dass Victorinus vor dem Epheser, Galater- und Philipperbrief auch noch den Römer und Korintherbrief kommentiert hat. Zwar scheinen in der Bibelausgabe des Victorinus, die er für seine Arbeit an den trinitätstheologischen Schriften benutzt hat, der Römer- und die beiden Korintherbriefe am Anfang gestanden zu haben, das heißt aber nicht notwendigerweise,
Vgl. in Gal. 6,3 f. Vgl. In Eph. 4,10,8 – 14: Quos caelos multi tres dicunt, alii plures, verum mihi sententia est tres esse, si quidem et ipse Paulus raptum se dicit super tertium caelum. Et sic etiam quidam docent supra terram esse aquas, quasi primum caelum, deinde firmamentum ipsum quod appellatur caelum, deinde rursus alias aquas, tertium caelum; de quo tractatu iam multa diximus in praeterito. Vgl. bes. in Eph. 2,2,60 – 62: Horum separatio singulorum mundi dispositio, sicut Moyses docuit, qui separavit aquas in principio per dei verbum, separavit et terram, separavit et spiritum. Der Verweis auf die Vergeistigung in Phil. 3,21,18 – 20; das Zitat aus 1Kor 15,28 f.: in Phil. 3,21,59 f.
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dass er sie auch zuerst kommentiert hat. Die großen Unterschiede in den Zitaten des biblischen Textes zwischen den theologischen Traktaten und dem Kommentarwerk lassen außerdem darauf schließen, dass er für die beide Werke nicht einmal dieselbe Bibelausgabe verwandt hat.²⁷ Daher ist die Reihenfolge der Paulusbriefe in Adversus Arium I nicht automatisch mit der Reihenfolge der Kommentare identisch.²⁸ Sicher belegbar ist nur, dass Victorinus den Philipperbrief nach dem Epheserbrief kommentiert hat.²⁹ Das Verhältnis zwischen dem Galaterkommentar und dem Epheserkommentar ist nur schwer zu bestimmen. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht für die Priorität des Galaterkommentars, sie lässt sich aber nicht unwiderlegbar beweisen, da der Hinweis des Victorinus auf unterschiedliche Reihungen der beiden Briefe schwierig zu interpretieren ist.³⁰ Ich sehe keine Möglichkeit, diese Mit der Reihenfolge der Briefe in Adv. Ar. I argumentiert schon Benz, Marius Victorinus, 33 für einen verlorenen Römer- und Korintherkommentar. Ebenso und für die Reihenfolge Eph, Gal, Phil Hadot, Marius Victorinus, 287 f. Zustimmend dazu und mit einem weiteren Argument Gori, praef. VIIIf. Dagegen Cooper, Galatians, 346 – 360: Er argumentiert, dass Victorinus für die Kommentare eine lateinische Bibelausgabe, für die trinitätstheologischen Schriften dagegen eine griechische Ausgabe heranziehe. Ich halte diese Annahme, dass Victorinus in den trinitätstheologischen Schriften alle Zitate selbst übersetzt, für nicht haltbar. Das zeigen Beispiele, in denen Victorinus offensichtlich nur mit der lateinischen Übersetzung argumentiert und den griechischen Text nicht verglichen hat, vgl. z. B. den Fall von Joh 14,26 in Adv. Ar. I 12 (42,1 f. Locher), s. dazu unten S. 346, Anm. 395. Ihm scheinen aber mehrere Übersetzungen vorzuliegen, die er auch vergleichend anführt, vgl. etwa den Hinweis auf eine speziell römische Übersetzungstradition von Joh 1,1 in Ad Cand. 20 (22,9 f. Locher), s. S. 81, Anm. 122. In jedem Falle hatte Victorinus verschiedene Bibelexemplare zur Verfügung, die sich auch in der Reihenfolge der Schriften unterschieden haben können. Vaccari, Le citazioni, Biblica 42 (1961), 463 vermutet anhand einer Untersuchung der alttestamentlichen Zitate, dass Victorinus einer „europäischen“ Übersetzung folgt, diese aber gelegentlich anhand des griechischen Textes überarbeitet. Bruce, Gospel Text, 69 f. ist der Ansicht, dass Victorinus grundsätzlich einem europäischen Text folge und gelegentlich africanische Lesarten aufweise. Jedoch zitiere Victorinus häufig aus dem Gedächtnis und biete eine eigene Übersetzung, sodass kaum Rückschlüsse auf seinen lateinischen Bibeltext möglich seien. Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 142 f. verweist auf die noch nicht bearbeiteten Probleme, die die textlichen Varianten bei Victorinus für die Vetus-Latina-Forschung darstellen. Marin, Sulla successione, VetChr 26 (1989), 377– 385 widerspricht der Rekonstruktion von Hadot und Gori. Gegen diese Kritik verteidigt sie Raspanti, Mario Vittorino, 139 – 142. Das geht aus in Phil. 2,6 – 8,18 f. hervor, wo er auf den Epheserkommentar verweist. Die entscheidende Frage ist, wie die einleitende Bemerkung des Victorinus im Galaterkommentar zu verstehen ist, vgl. in Gal. I prol. 1– 3: Epistola ad Galatas missa dicitur ab apostolo ab Epheso civitate, et idcirco quidam illam praemittunt epistolam, hanc ordinant consequentem. Es ist unklar, worauf sich illam und hanc jeweils beziehen, vgl. die ausführlichere Diskussion der verschiedenen Vorschläge bei Cooper, Galatians, 353 – 356. Bezieht man illam auf das im Kontext grammatisch weiter Entfernte, so ist damit der Galaterbrief gemeint und Victorinus teilt mit, dass manche den Galaterbrief vor den Epheserbrief stellen, während er die Briefe in umgekehrter Rei-
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Frage sicher zu entscheiden. Für beide Fälle lässt sich aber gut begründen, dass das Kommentarwerk mit diesen Briefen begonnen haben könnte und man nicht mit einem verlorenen Römer und Korintherkommentar rechnen muss: Zwei inhaltliche Aspekte könnten Victorinus dazu bewogen haben, den Galaterbrief als ersten Paulusbrief überhaupt zu kommentieren. Der Galaterbrief enthält erstens eine radikale Kritik am Gesetz, die in der gesamten Pauluskommentierung des Victorinus einen zentralen Stellenwert einnimmt.³¹ Die Voranstellung des Galaterbriefes ließe sich so dogmatisch begründen und mit „markionitischen“ Tendenzen in der Auslegung des Victorinus in Zusammenhang bringen.³² Zweitens gibt die Selbstdarstellung des Paulus und seine Auseinandersetzung mit Petrus und den übrigen Aposteln dem Kommentator die Gelegenheit, die besondere Autorität des Apostels Paulus herauszustreichen.³³ Diese beiden Aspekte sprächen dafür, den Galaterbrief als ersten Brief zu kommentieren. Will man dagegen der von Hadot und Gori rekonstruierten Reihenfolge der erhaltenen Kommentare folgen, ließen sich ebenfalls gute didaktische Gründe dafür finden, dass Victorinus den Epheserbrief als erstes kommentiert haben könnte. Erdt erkennt einen Fortschritt innerhalb der Kommentare und meint damit, dass sich die paulinischen Gedanken immer mehr durchsetzen und die philosophische Spekulation zur Seelenmetaphysik in den Hintergrund trete. Zugleich verweist er aber auch auf die zentrale Stellung des Kommentars zu Eph 1,4– 6³⁴: Die Seelenmetaphysik, die Victorinus hier entwickelt, kann als hermeneutischer Schlüssel für die Pauluskommentierung insgesamt gesehen werden. Hier behandelt Victorinus den Fall der Seele, die Notwendigkeit der Inkarnation Christi und den Ablauf der Erlösung des Menschen. Auf dieser Grundlage, dass allein durch den Glauben an henfolge kommentiert. Bezieht man illam jedoch auf das gedanklich weiter Entfernte, ist damit der Epheserbrief gemeint und Victorinus sagt, dass manche den Epheserbrief vor den Galaterbrief stellen, er sie aber in der Reihenfolge Galater, Epheser kommentiert. Die Frage lässt sich m. E. nicht sicher entscheiden. Der folgende Satz spricht aber eher für die Variante hanc auf den Galaterbrief zu beziehen, vgl. in Gal. I prol. 3 f.: Summa autem huic epistolae haec est. Hier ist mit huic der Galaterbrief gemeint, daher könnte auch im vorhergehenden Satz hanc auf den Galaterbrief bezogen sein. Da aber auch ein Perspektivwechsel zwischen den beiden Sätzen nicht ausgeschlossen ist, können sich die Formen von hic in beiden Fällen auch auf unterschiedliche Referenzpunkte beziehen. Die Frage kann also nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 183 – 196. Vgl. zu diesen Tendenzen Erdt, Pauluskommentator, 198 – 208. Zur dogmatisch motivierten Priorität des Galaterbriefes im Kanon Markions vgl. Harnack, Marcion, Beilage III: Das Apostolikon Marcions, 148 f. Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 99 – 116. Vgl. für den Fortschritt innerhalb der Kommentare Erdt, Pauluskommentator 250 f. Zur Reihenfolge der Kommentare vgl. S. 116 – 119. Zur Stellung und Funktion des Kommentars zu Eph 1,4– 6 auch S. 129 – 138.
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Christus eine Erlösung aus dem materiellen Gefängnis der Welt möglich ist, fußt die gesamte Pauluskommentierung des Victorinus. Man könnte daher auch vermuten, dass Victorinus diesen Brief aus didaktischen Gründen als ersten kommentiert hat, um auf diesen Darstellungen aufbauen zu können. In diese Richtung verweist auch die summa, die Victorinus der Kommentierung des Epheserbriefes voranstellt: Der Briefe enthalte alles, was für eine vollständige Kenntnis Gottes, Christi und des Heilsmysteriums notwendig sei, und zusätzlich noch moralische Verhaltensregeln für ein christliches Leben.³⁵ Der Epheserbrief enthält also die Summe der christlichen Theologie und Ethik und könnte deswegen von Victorinus als geeignete Einleitung in das paulinische Werk erachtet worden sein.
1.2 Datierung und Verhältnis der Schriften Da die Querverweise in den Schriften nicht zwingend auf verlorene Werke zu beziehen sind, können wir davon ausgehen, dass uns zumindest alle trinitätstheologischen Schriften des Victorinus vorliegen. Die Verweise zeigen zudem deutlich die Spuren einer Endredaktion der Werke durch Victorinus. Ich werde in meiner späteren Analyse des literarischen Aufbaus der Werke den Nachweis erbringen, dass das Gesamtwerk einem didaktischen Plan folgt und eine durchdachte Gesamtkomposition darstellt.³⁶ Daher muss Hadots überzeugender Nachweis, dass die überlieferte Reihenfolge der Schriften auf die Intention des Autors zurückgeht, nicht automatisch bedeuten, dass damit auch zugleich eine relative Chronologie der Schriften gegeben ist. Es wäre durchaus denkbar, dass Victorinus in seiner Gesamtredaktion später entstandene Schriften aus didaktischen Gründen an eine frühere Stelle im Werk gesetzt hat oder umgekehrt. Wenn man zudem als ein Ergebnis der biographischen Rekonstruktion berücksichtigt, dass Victorinus sich nicht erst im Laufe seiner Arbeit an den Traktaten in die theologischen Themen eingearbeitet hat, ist auch ein kürzerer Entstehungszeitraum denkbar. Daher sollen mit diesen methodischen Bedenken noch einmal alle Indizien für eine Datierung der Schriften und ihr Verhältnis zueinander untersucht werden. Dazu müssen insbesondere die Dokumente aus dem Trinitarischen Streit identifiziert werden, die Victorinus bei der Abfassung seiner Schriften vorlagen. Dabei wird sich zeigen, dass mit einer Ausnahme nichts dagegen spricht, die gegenwärtige Reihenfolge auch für Vgl. in Eph. I prol. 1– 5: Epistola ad Ephesios summam illam tenet quae totius disciplinae semper esse debet, scilicet ut habeant cognitionem theologiae, id est dei et Christi, mysterii ipsius et adventus, et ceterorum quae ad eam cognitionem pertinent. Item ad praecepta vivendi Christianis quae maxime pertinent […]. S. dazu unten S. 227– 235.
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die chronologische Reihenfolge zu halten. Anders als bisher weitgehend angenommen, dürfte der Entstehungszeitraum aber wesentlich kürzer sein und auf die Jahre 358 – 360 fallen. 1.2.1 Opus ad Candidum 1.2.1.1 Die Epistula Basilii in Adv. Ar. I 28 – 32 und ihr Verhältnis zum Dossier von Sirmium 358 Die Schrift Adversus Arium I setzt in den Passagen, die gegen Basilius von Ankyra und die Homöusianer gerichtet sind, die dritte Synode von Sirmium vom Sommer des Jahres 358 voraus.³⁷ Auf dieser Synode wurde ein Dossier aus älteren Synodalentscheidungen und Anathematismen zusammengestellt, das sich aus den Berichten des Sozomenus und des Hilarius rekonstruieren lässt.³⁸ Begleitet wurde das Dossier durch die sog. Epistula Sirmiensis, ein erklärendes Schreiben, das die Rede von der Wesensähnlichkeit auf Anfragen der illyrischen Bischöfe Valens, Ursacius und Germinius näher erläutert und Kritik gegen das ὁμοούσιος formuliert.³⁹ Winrich Löhr hat gewichtige Argumente dagegen vorgebracht, das in Adv. Ar. I 28 – 32 teils wörtlich zitierte Schreiben des Basilius von Ankyra mit der bei Hilarius referierten Epistula Sirmiensis zu identifizieren.⁴⁰ Zwei Argumente sprechen gegen die Identifikation: Erstens weiß Victorinus offenbar nichts von der Behauptung der Epistula Sirmiensis, dass schon Paul von Samosata verurteilt worden sei, weil er die Wesenseinheit von Vater und Sohn vertreten habe. Bei Victorinus erscheint Paul von Samosata vielmehr ganz im Gegenteil als ein Arius ante Arium. ⁴¹ Brennecke hat überzeugende Argumente dafür angeführt, dass die Behauptung, der Samosatener
Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 58 – 64 mit ausführlichen Stellenangaben.Vgl. ferner die Dokumente zur Synode Dokk. 56 AW III/1/4, zur Datierung die Einleitung S. 409 und Brennecke, Hilarius, 339 Anm. 18. Victorinus bezieht sich bes. in Adv. Ar. I 28 – 32.45 auf einen Brief des Basilius von Ankyra nach der Synode von Sirmium. Zum Nachweis, dass es sich bei den Schriften Cand. I – Adv. Ar. I um ein planvoll komponiertes Werk handelt, s.u. S. 163 – 192. Vgl. Dok. 56.1– 2 AW III/1/4 und Löhr, Kirchenparteien, 76 f. Vgl. Dok. 56.2 AW III/1/4. Zur Identifizierung vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 58 – 61, die Kritik daran bei Löhr, Kirchenparteien, 88 – 91. Vgl. Dok 56.2,3 AW III/1/4: Secundo quoque id addistis, quod patres nostri, cum Paulus Samosateus hereticus pronuntiatus est, etiam „omousion“ repudiaverint, quia per hanc „unius essentiae“ nuncupationem solitarium atque unicum sibi esse patrem et filium praedicabat. (411,19 – 24) mit Adv. Ar. I 28: Tu autem scribis ista et dicis, quod Samosateus Paulus et Marcellus et Photinus et nunc Valens et Ursacius et alii istius modi in haeresi irreligiosi inventi destructi sunt. Numquid ὁμοούσιον dicentes? Non. Quomodo autem blasphemantes? Samosateus sicut Arius: ex nihilo, et quod fuit, quando non fuit, et quod factura filius et omnino omnimodis dissimilis patri. […] non enim dixerunt ὁμοούσιον, et sic victi sunt. (62,2– 7.11 Locher).
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sei aufgrund der Lehre der Homousie verurteilt worden, eine homöusianische Konstruktion aus der Zeit Ende der 350er-Jahre darstellt. Sie fingierten damit einen Traditionsbeweis, der die Ablehnung der Homousie weit vor die Zeit der Synode von Nizäa zurückverlegt.⁴² Da Victorinus diese polemische Konstruktion der Homöusianer bei der Abfassung seiner Werke offensichtlich noch nicht kennt, kann er die Epistula Sirmiensis nicht gelesen haben. Zweitens ist bemerkenswert, dass Victorinus in seiner Wiedergabe des Schreibens polemische Äußerungen des Basilius gegen Valens und Ursacius referiert. Basilius stellt die beiden illyrischen Bischöfe in eine Reihe von Ketzern, die durch das ὁμοιούσιος besiegt worden seien. Löhr weist zurecht darauf hin, dass Hilarius diese Polemik gegen seine beiden Hauptfeinde kaum verschwiegen hätte, wenn sie in der Epistula Sirmiensis gestanden hätte. Darüber hinaus spricht auch der Entstehungskontext der Epistula Sirmiensis dagegen, dass diese Polemik aus diesem Brief stammen könnte: Hilarius berichtet, diese Epistula sei gerade auf eine Anfrage des Valens, Ursacius und Germinius hin formuliert worden.⁴³ Dieses Schreiben sollte also den Zweck erfüllen, die homöusianische Position so darzustellen, dass sie auch für die Hauptvertreter der Zweiten Sirmischen Formel akzeptabel scheint. Eine Polemik gegen Valens und Ursacius in der Epistula Sirmiensis wäre daher völlig fehl am Platze gewesen. Man kann Löhr also in seiner Ansicht folgen, dass die von ihm sog. Epistula Basilii bei Victorinus ein weiteres Dokument der homöusianischen Propaganda nach der Synode von Sirmium 358 darstellt. Er vergleicht dieses Schreiben mit einem bei Epiphanius überlieferten Brief, dessen hauptsächlicher Autor wahrscheinlich Georg von Laodicea war.⁴⁴ Aus diesem Vergleich lässt sich wie für den Traktat Georgs auch für die Epistula Basilii ein westlicher Adressatenkreis wahrscheinlich machen, zu dem auch africanische Bischöfe gehörten. Darauf deutet zunächst die Tatsache hin, dass Valens und Ursacius in eine Reihe mit anderen Ketzern gestellt werden, die besiegt worden seien.⁴⁵ Dies passt zur Kampagne gegen die illyrischen Bischöfe, die einige Homöusianer im Westen nach der dritten sir-
Vgl. Brennecke, Zum Prozeß, ZNW 75 (1984), 270 – 290. Vgl. Dok 56.2,1 AW III/1/4: Epistulam, quam a vobis de „homousii“ et de „homoeusii“ expositione apud Sirmium Valens et Ursacius et Germinius poposcerunt, legi. (411,1– 4) Epiphanius gibt in pan. 73,1,8 Georg von Laodicea und Basilius von Ankyra als Verfasser an. Der Brief findet sich in Dok. 58 AW III/1/4. S. 426 wird als Verfasser vorsichtig für Georg von Laodicea votiert. Anders dagegen Löhr, Kirchenparteien, 142, der Basilius für den Autor hält. Zum Vergleich der beiden Schreiben insgesamt vgl. Löhr, Kirchenparteien, 142– 148. DelCogliano, The Literary Corpus, VigChr 65 (2011), 161– 169, setzt sich kritisch mit den Argumenten gegen die Verfasserschaft Georgs auseinander und hält an seiner maßgeblichen Autorschaft fest. Vgl. Adv. Ar. I 28 (62,2– 4 Locher).
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mischen Synode führten und die auch als Grund für die Absetzung des Basilius 360 in Konstantinopel genannt wird.⁴⁶ Im Unterschied zur Epistula Sirmiensis wird hier und im Traktat Georgs die Verurteilung Pauls von Samosata auch nicht mehr als Argument gegen das ὁμοούσιος verwandt, sondern positiv dafür, um eine lange Tradition des ὁμοιούσιος glaubhaft zu machen.⁴⁷ Im Gegensatz zur Epistula Sirmiensis wird nur ein einziges Argument gegen die Wesenseinheit wiederholt, nämlich die reductio ad absurdum, dass man unter dieser Voraussetzung von einer Substanz ausgehen müsse, die vor Vater und Sohn existiere.⁴⁸ Victorinus zitiert wörtlich die Aussage des Basilius, dass alle Bischöfe im Orient und in Africa derselben Meinung seien, um sie dann zu ironisieren.⁴⁹ Der ironische Kommentar zeigt, dass sich unter den Adressaten auch Bischöfe in Africa befunden haben: Wenn diese schon derselben Meinung wie Basilius seien, hätte er ihnen ja nicht mehr deswegen schreiben müssen. Diese Bemerkung scheint sich zwar auf Africaner wie Orientalen zu beziehen, doch spricht die Polemik gegen Valens und Ursacius letztlich wohl eher für ein westliches Publikum. Dass zu den Adressaten Bischöfe aus Africa gehören, passt auch gut zum Bericht des Sozomenus, dass Basilius Valens und Ursacius dort verleumdet haben soll.⁵⁰ Vielleicht hat Victorinus die Epistula über Kontakte nach Africa erhalten.⁵¹ Vgl. Soz. h.e. IV 24,6: προσέθεσαν δὲ ὅτι καὶ Γερμανίῳ τὸν ἐν Σιρμίῳ κλῆρον ἐπανέστησε καί, κοινωνῶν ἀυτῷ καὶ Ὀυάλεντι καὶ Ὀυρσακίῳ, γράφων διέβαλλεν αὐτοῦς πρὸς τοὺς τῆς ᾿Aφρικῆς ἐπισκόπους […]. (179,17– 19 Bidez/Hansen). Zu den übrigen Vorwürfen vgl. Barnes, The crimes of Basil of Ancyra, JTS 47 (1996), 550 – 554. Einen Hinweis auf den Erfolg dieser Kampagne gibt Hil. c. Const. 26: Mandas tibi subscriptiones Afrorum, quibus blasphemiam Ursaci et Valentis condemnaverant, reddi. Renitentibus comminaris et postremum ad diripiendos mittis. (SC 334, 218,4– 7) S. o. Anm. 41 für den Beleg in der Epistula Sirmiensis (Dok 56.2,3 AW III/1/4) und Adv. Ar. I 28 (62,2– 7 Locher), vgl. mit Gregors Traktat Dok. 58,2 AW III/1/4. Dort wird behauptet, die Synode von Antiochien habe sich gegen Paul von Samosata entschieden, den Sohn als οὐσία und ὑπόστασις zu bezeichnen. Dieses Argument muss vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Homöern verstanden werden, die die Schriftgemäßheit dieser Begriffe anzweifelten und die Übernahme der Begriffe in Nizäa 325 als Leichtfertigkeit der Konzilsväter beurteilten, vgl. die Vierte Sirmische Formel Dok. 57.2,6 AW III/1/4. Vgl. Adv. Ar. I 29: Nunc autem supra, infra in ὁμοουσίου perversionem nihil aliud dicis, quam quod istud dicentes necesse sit confiteri substantiam praeexsistere, et sic ex ista patrem et filium esse. (62,17– 20 Locher) mit Dok. 56.2,2 AW III/1/4: De „homousio“ vero, quod est „unius essentiae“, tractantes primum idcirco respuendum pronuntiastis, quia per verbi huius enuntiationem substantia prior intellgeretur, quam duo inter se partiti essent. (411,11– 16) Vgl. Adv. Ar. I 29: Videamus ergo etiam hoc, quod dicis et quomodo dicis: „Sic sapiunt et Afri et Orientales omnes.“ Quare igitur scribis ad illos, ut eiciant a sancta ecclesia ὁμοούσιον? Dicunt? Ergo istud non oportuit ad eos scribi. Si oportuit scribi, oportuit et persuadere illis non solum iussione, sed rationibus et sacris scripturis. Debebas enim non solum ὁμοούσιον destruere, sed et ὁμοιούσιον astruere. (62,12– 17 Locher) Vgl. Soz. h.e. IV 24,6, s.o., Anm. 46.
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1.2.1.2 Zeitliche Einordnung der Epistula Basilii Zwischen der Epistula Sirmiensis, der Epistula Basilii und dem Traktat Georgs lässt sich anhand der jeweiligen inhaltlichen Ausrichtung eine zeitliche Abfolge vermuten. Die Epistula Sirmiensis entsteht zweifellos im Zusammenhang mit der Synode von Sirmium 358, der Traktat Georgs dagegen zwischen der Abfassung der Vierten Sirmischen Formel am 22. Mai 359 und der Doppelsynode von Rimini und Seleukia, die im Juli 359 beginnt.⁵² Der Charakter der Epistula Basilii legt es nahe, sie zwischen den beiden anderen Dokumenten zu verorten. Im Unterschied zur Epistula Sirmiensis geht sie schon auf Distanz zur dortigen scharfen Kritik am ὁμοούσιος und beschränkt sich auf einen einzigen Kritikpunkt. Der Traktat Georgs verzichtet dann auf jegliche Kritik, um die Gemeinsamkeiten gegen die Homöer und Anhomöer im unmittelbaren Vorfeld der Doppelsynode stärker zu betonen. Die drei Dokumente können so als Etappen der versuchten Verständigung der Homöusianer mit den westlichen Homousianern interpretiert werden. Die Epistula Basilii dürfte dann bald nach der Synode in Sirmium 358 entstanden sein. Man braucht für die Distanzierung von Valens und Ursacius in der Epistula Basilii und dem Traktat Georgs nicht davon auszugehen, dass sie nach deren Verurteilung auf der ersten Sessio der Synode von Rimini entstanden seien.⁵³ Die Verhältnisse im Vorfeld der Synode reichen zur Erklärung hier völlig aus. Denn sowohl Basilius als auch Victorinus versuchen, den Sieg über Valens und Ursacius für sich beanspruchen, was gerade nicht auf die konkrete Verurteilung der beiden auf der Synode von Rimini hinweist. Diese Verurteilung hätte Basilius nicht für sich in Anspruch nehmen können und hätte er es in dieser Form getan, hätte Victorinus ihm leicht mit den tatsächlichen Geschehnissen antworten können. Es handelt sich hier eher um rhetorische Formeln für eine erfolgreiche Widerlegung der Gegner, ohne dass eine synodale Verurteilung impliziert wäre. Im Kontext benutzt Victorinus die Verben destruere, vincere und eicere völlig austauschbar, sodass mit der Aussage, dass alle genannten Häretiker wegen ihrer jeweiligen Blasphemie „hinausgeworfen“ worden seien (eiecti sunt) nicht an eine synodale Exkommunikation gedacht werden muss.⁵⁴
S. zu dieser Spekulation unten S. 147. Vgl. zur Datierung die Einleitung zum Traktat Georgs AW III Dok. 58 (426), die Vierte Sirmische Formel, AW III Dok. 57.2,1 und die Einleitung dazu (421) und die Dokumente zur Synode von Rimini, deren Datierung ausgehend von AW III Dok. 59.4,1 (453). Vgl. zu deren Verurteilung am 21. Juli 359 AW III Dok. 59.4. So Benz, Marius Victorinus 32; Löhr, Kirchenparteien, 147 will diese Datierung zumindest nicht ausschließen, ohne sich dezidiert dafür auszusprechen. Vgl. Adv. Ar. I 28.
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1.2.1.3 Datierung des Opus ad Candidum Ende 358/Anfang 359 Es finden sich in Adversus Arium I ansonsten keine Hinweise, die über das Jahr 358 hinausweisen. Die Vermutung Hadots, dass der Nachweis der Schriftgemäßheit der οὐσία-Terminologie möglicherweise auch gegen die Vierte Sirmische Formel gerichtet sei, ist nicht zwingend.⁵⁵ Es genügt vollkommen, hier die Zweite Sirmische Formel von 357 im Hintergrund zu sehen.⁵⁶ Jörg Ulrich vermutet, dass Victorinus am Anfang von Adversus Arium I Eusebius eine homöische Formulierung aus der Vierten Sirmischen Formel unterschiebt, um so indirekt die Homöer anzugreifen.⁵⁷ Victorinus schreibt Eusebius dort die Ansicht zu, dass der Sohn als Geschöpf dem Schöpfer in allem gleich sei.⁵⁸ Diese Formulierung erklärt sich aber vollkommen aus dem Text des Eusebius-Briefes und lässt keine weiteren Schlüsse zu.⁵⁹ Es ist nicht plausibel, dass Victorinus mit dieser Bemerkung die Position der Vierten Sirmischen Formel angreift, wonach der Sohn dem Vater in allem gleich sei (ὅμοιος κατὰ πάντα).⁶⁰ Diese Position ist gegen Ulrich nicht als homöisch einzuschätzen, sondern muss gerade als Zugeständnis der Homöer an die Homöusianer bei der Abfassung der Vierten Sirmischen Formel betrachtet werden. Diese Formulierung wird auch nur von Homöusianern gebraucht und wird schließlich später auch bei der Durchsetzung des homöischen Dogmas aus der Vierten Sirmischen Formel wieder gestrichen.⁶¹ Victorinus kommt auf diese Formulierung später nicht wieder zurück,
Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 67 f. mit Verweis auf Adv. Ar. I 30 (64,16 – 65,7 Locher). Vgl. Dok. 51,3 AW III/1/4: Quod vero quosdam aut multos movebat de substantia, quae graece usia appellatur, id est (ut expressius intelligatur), „homousion“, aut quod dicitur „homoeusion“, nullam omnino fieri oportere mentionem. (377,20 – 378,3) Barnes, A Note on the Term homoioousios, ZAC 10 (2006), 279 f. will in der mit id est eingeleiteten Näherbestimmung eine Glosse der Gegner der Homöer erkennen. Man wird allerdings daran festhalten können, dass es sich hier um einen originalen Bestandteil handelte, da Barnes nicht plausibel machen kann, wer genau diese Glosse eingefügt haben soll. Zudem setzt er voraus, dass Hilarius von Poitiers bei der Abfassung dieselbe Materialsammlung wie Victorinus vorliegen hat. Dagegen spricht aber, dass beide zwei verschiedene Briefe des Basilius vorliegen haben. Vgl. Ulrich, Rezeption, 247 Anm. 25. Vgl. Adv. Ar. I 1 (33,14 f. Locher): Haec eadem Eusebius adiciens, quod filius per omnia facienti sit similis. Vgl. Cand. II 2: […] sed factum omnino alterum natura et potentia ad perfectam similitudinem et affectionis et potentiae eius, qui efficit, quod factum est. […] Dicimus conditum eum esse et fundatum et factum substantia et immutabili et ineffabili natura et similitudine ea, quae sit ad facientem […] (31,9 – 11.15 – 17 Locher) Vgl. für die Vierte Sirmische Formel Dok. 57.2,6 AW III/1/4: ὅμοιον δὲ λέγομεν τὸν υἱὸν τῷ πατρὶ κατὰ πάντα ὡς καὶ αἱ ἅγιαι γραφαὶ λέγουσι τε καὶ διδάσκουσιν. (423,29 – 31) Vgl. Brennecke, Homöer, 13 – 23. Die Bestimmung fehlt dann in der Formel von Nike Dok. 59.9,4 AW III/1/4: ὅμοιον δὲ λέγομεν τῷ πατρὶ τὸν υἱὸν καθὼς καὶ αἱ θεῖαι γραφαὶ λέγουσι καὶ διδάσκουσι„′.
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wenn er gegen die Homöusianer argumentiert, sondern nutzt für diese Auseinandersetzung deren viel stärker profilierte Aussage, dass der Sohn dem Vater auch der Substanz nach ähnlich sei.⁶² Hätte Victorinus die Kompromissformeln der Vierten Sirmischen Formel gekannt, hätte er sie für seine Zwecke noch viel besser propagandistisch ausschlachten können, um die Homöer und Homöusianer als Kryptoarianer darzustellen. In den Anfangskapiteln von Adversus Arium I paraphrasiert er aber lediglich in eigenen Worten die Positionen des Eusebius von Nikomedien. Erst in Adversus Arium II tauchen Formulierungen auf, die man deutlicher mit der Vierten Sirmischen Formel in Zusammenhang bringen könnte.⁶³ Die Angabe des Victorinus in Adv. Ar. I 28, dass das Konzil von Nizäa mittlerweile 40 Jahre zurückliege, deutet man am besten als gerundete Zahl.⁶⁴ Im Kontext lässt sich das gut als rhetorisches Mittel deuten, um die Neuheit der homöusianischen Theologie herauszustreichen. Eine Datierung auf 365 stünde jedenfalls völlig quer zum übrigen Befund und kann daher ausgeschlossen werden.⁶⁵ Die folgende Schrift muss jedenfalls noch unter der Regierung des Constantius verfasst worden sein.⁶⁶ Und auch sonst wäre es verwunderlich, wenn in der ersten Schrift des theologischen Corpus keinerlei Spuren der Entwicklungen nach 359 zu finden wären, wenn sie wirklich erst so spät entstanden wäre. Daher lässt sich das Opus ad Candidum am besten verstehen, wenn man es Ende des Jahres 358 oder Anfang 359 datiert. Es handelt sich dabei um eine Reaktion auf die Zweite und Dritte Sirmische Formel und die homöusianische Werbung um ein Bündnis mit westlichen Bischöfen im unmittelbaren Nachgang nach der Synode von Sirmium im Sommer 358.
(473,28 – 31) Zum homöusianischen Gebrauch vgl. z. B. den Traktat Georgs von Laodicea, Dok. 58,3 AW III/1/4 (429,8 f.). Vgl. nur Adv. Ar. I 23 (55,28 – 56,19 Locher). Vgl. Adv. Ar. II 9 (108,30 f. Locher) mit Dok. 57.2,6 AW III/1/4 (423,20 – 29), s.u., Anm. 71. Vgl. Adv. Ar. I 28: Ubi latuit, ubi dormiit ante quadraginta annos, cum in Nicaea civitate fides confirmata per trecentos et plures episcopos Arionitas excludens, in qua συνόδῳ istorum virorum ecclesiae totius orbis lumina fuerunt? (61,21– 24 Locher) Voelker, Marius Victorinus‘ Remembrance, StPatr 67 (2013), 217– 226 zeigt, dass das Konzil von Nizäa für Victorinus eher als ideale Norm und Chiffre für die Orthodoxie relevant ist, genaue historische Zusammenhänge interessieren ihn weniger. So schon Geiger, C. Marius Victorinus I, 10; Monceaux, Histoire III, 400 f. Ebenso Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 44. Schon Baronius, Annales, tom. V, a. 362, CCI, p. 148 deutet die Zahl so, dass nach dem Ablauf von 30 Jahren nun bereits das 4. Jahrzehnt seit Nizäa angebrochen sei. S. folgende Anm.
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1.2.2 Adversus Arium II und De homousio recipiendo Für die Schrift Adversus Arium II ergibt sich aus der Bemerkung, dass das Konzil von Nizäa unter dem Vater des jetzigen Kaisers stattgefunden habe, ein sicherer terminus ante quem. Das Werk muss vor dem Tod Constantius’ II. am 3. November 361 verfasst worden sein.⁶⁷ Victorinus antwortet in dieser Schrift auf Kritik am Nizänum, die aus lateinischen homöischen Kreisen stammt. Die Argumente der Gegner sind uns teilweise nur in dieser Schrift überliefert, besonders das Argument, man könne das ὁμοούσιος nicht angemessen ins Lateinische übertragen.⁶⁸ Damit sind die Werke des Victorinus auch eine wichtige und wenig beachtete Quelle zur Rekonstruktion westlicher homöischer Kreise.⁶⁹ Denn Victorinus kennt die homöischen Argumente, die er in Adv. Ar. II 3.9 referiert nicht nur aus den uns erhaltenen Dokumenten, sondern hatte noch andere schriftliche oder mündliche Quellen. Man darf für die Datierung den Blick also nicht einseitig auf Parallelen zur Zweiten Sirmischen Formel von 357 oder zur Vierten Sirmischen Formel von 359 richten, sondern muss davon ausgehen, dass Victorinus ähnliche Formulierungen auch aus anderen Quellen gekannt hat. Der in Adv. Ar. II 3 referierte Vorwurf, die οὐσία-Terminologie sei unbiblisch, findet sich bereits in der Zweiten Sirmischen Formel von 357.⁷⁰ Für die beiden Argumente in Adv. Ar. II 9, dass das ὁμοούσιος unverständlich sei und Anstoß errege, vermutet Hadot aufgrund ähnlicher Formulierungen die Vierte Sirmische Formel als Quelle.⁷¹ Jedoch lässt sich das homöische Argument, die Homousie stelle ein
Vgl. Adv. Ar. II 9: quod tamen conditum iuxta veterem fidem […] a multis orbis episcopis trecentis quindecim in civitate Nicaea […] probatum autem ab imperatore, imperatoris nostri patre. (110,1– 6 Locher) Zum Tod des Constantius vgl. Seeck, Regesten, 208, für die Datierung vgl. auch Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 43 f. Vgl. dazu Adv. Ar. II 9 – 11 (Locher 108,30 – 111,21). Das hier fassbare Ressentiment gegen die griechische Sprache könnte auch eine mögliche Triebfeder für die endgültige Einführung des Lateinischen als Liturgiesprache in Rom gewesen sein. Zu dieser Gruppe Homöer vgl. meinen Beitrag Ecclesia habet Graecos, der im Konferenzband der Jahrestagung des AK Patristik 2021 erscheinen soll. S.o. Anm. 56.Vgl. Adv. Ar. II 3 – 6, bes. II 3: Hic oriuntur quaestiones: prima, quod in sacris scripturis substantiae mentio facta non sit, et magis ὁμοούσιον non sit lectum. (103,1 f. Locher) Vgl. Adv. Ar. II 9: At enim quia non intellegitur et scandalum facit, tollendum et de fide et tractatu […]. (108,30 f. Locher) mit Dok 57.2,6 AW III/1/4: τὸ δὲ ὄνομα τῆς οὐσίας […] ἀγνοούμενον δὲ ὑπὸ τῶν λαῶν σκάνδαλον φέρειν διὰ τὸ μὴτε τὰς γραφὰς τοῦτο περιέχειν, ἤρεσε τοῦτο περιαιρεθῆναι καὶ παντελῶς μηδεμίαν μνήμην οὐσίας ἐπὶ θεοῦ εἶναι τοῦ λοιποῦ διὰ τὸ τὰς θείας γραφὰς μηδαμοῦ περὶ πατρὸς καὶ υἱοῦ οὐσίας μενμνῆσθαι. (423,20 – 29). Vgl. dazu Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 67.
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Skandalon dar, schon bei Phoebadius von Agen fassen.⁷² Es taucht also nicht erst 359 in der Vierten Sirmischen Formel auf, sondern hat dort schon eine Vorgeschichte. Man kann daher auch die begründete Vermutung anstellen, dass der Vorwurf, das ὁμοούσιος sei unverständlich, ebenso bereits vor der Vierten Sirmischen Formel im Raum stand. Unter dieser Voraussetzung lässt sich auch die Tatsache, dass Victorinus die schwierige Verständlichkeit des ὁμοούσιος bereits im Opus ad Candidum positiv hervorhebt, viel besser verstehen: Er münzt dort dann einen vermeintlichen, von den Gegnern vorgebrachten Makel in einen Vorteil seiner Theologie um.⁷³ Nimmt man diese Beobachtungen zusammen, muss man auch für Adversus Arium II nicht zwingend die Vierte Sirmische Formel voraussetzen: Die wesentlichen Argumente der Homöer lassen sich schon vorher fassen, die nur oberflächliche Übereinstimmung mit der Vierten Sirmischen Formel und die Tatsache, dass Victorinus noch Argumente referiert, die über die uns erhaltenen Dokumente hinausgehen, nähren Zweifel an Hadots Datierung der Schrift. Er deutet die Schrift nicht nur als Reaktion auf die Vierte Sirmische Formel, sondern gar bereits auf die Synode von Rimini 359.⁷⁴ Sind schon die Hinweise auf die Sirmische Formel von 359 nur dünn, lassen sich für eine Bezugnahme auf die Synode von Rimini gar keine Hinweise finden. Bei der Ablehnung der οὐσία-Terminologie greifen die Beschlüsse von Rimini bereits auf ältere Formulierungen und Argumente zurück. Victorinus muss also bei der Abfassung dieser Schrift die Beschlüsse der Synode von Rimini noch nicht zwingend gekannt haben.⁷⁵ Es muss sich daher bei den Gegner nicht um vom Konzil von Rimini beeinflusste Homöer handeln, sondern man wird an Gegner im Vorfeld dieser Synode des Sommers 359 denken müssen. Hadot vermutet, dass sich auch in der Behandlung der Homöusianer in Adversus Arium II eine Entwicklung gegenüber dem Opus ad Candidum niederschlage. Dort seien die Homöusianer noch als die letzte häretische Bewegung erschienen, nun stünden die Homöer wieder auf einer Ebene mit ihnen, was auf aktuelle Entwicklungen der Debatte schließen lasse.⁷⁶ Man muss dabei berücksichtigen, dass die chronologischen Verweise, die Victorinus gelegentlich setzt, sehr unpräzise sind.
Vgl. Phoebad. c. Arian. 8,8: Successoribus igitur huius perfidiae, non fidei, per quos malorum serpit hereditas, merito una substantia discplicet, quam tolli ut scandalum et unitatis divortium postulant […]. (CCSL 64 32,30 – 32) Vgl. Adv. Ar. I 18: At vero esse ὁμοούσιον non solum incomprehensibile, sed et habet contradictiones multas. (48,17 f. Locher) Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 66 – 68. Vgl. Dok. 59.10,2 AW III/1/4: […] ne quis „usiae“ vel „omousii“ nomina ecclesiae dei ignota aliquando nominet, quod scandalum inter fratres facere solet. (474,8 – 10) Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 278 f. mit Verweis auf Adv. Ar. I 28: Hoc enim dogma nunc expergefactum […] nunc inventum hoc dogma. (61,16 f.18 Locher)
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Mit seiner Polemik in Adv. Ar. I 28, dass das homöusianische Dogma „jüngst“ (nuper) entstanden sei, will er nicht auf die Aktualität der Debatte hinweisen, sondern setzt das „neue“ Bekenntnis der Homöusianer in Beziehung zum viel älteren Nizänum. Er bezeichnet in diesem Sinne nicht nur das Auftreten der Homöusianer als ein neues Phänomen, sondern auch die Theologie des Arius und das Nizänum als Reaktion darauf sind für ihn Entwicklungen, die erst „jüngst“ (nuper) aufgetreten sind.⁷⁷ In Adversus Arium II richtet sich Victorinus nur spezifisch gegen bestimmte homöische Positionen, ohne dass dadurch eine Entspannung gegenüber den Homöusianern angedeutet wäre. Diese werden en passant ebenfalls verurteilt, sind aber nicht die Hauptadressaten der Schrift.⁷⁸ Für eine Einordnung der Schrift Adversus Arium II ist es lohnenswert, zugleich die Schrift De homousio recipiendo zu untersuchen, um so nähere Hinweise auf die Entstehungszeit beider Schriften zu erhalten. Die große inhaltliche Nähe der beiden Schriften spricht auch für eine zeitliche Nähe. Auch in dieser Schrift vermutet Hadot Andeutungen auf die Synode von Rimini 359, doch auch hier erweisen sie sich als zu allgemeiner Natur. Wenn Victorinus anführt, dass seine Gegner ihre erkenntnistheoretische Skepsis mit Jes 53,8 LXX begründen und damit andere täuschen, ist dies keine Reaktion auf die Synode von Rimini.⁷⁹ Das Argument findet sich etwa bereits in der Zweiten Sirmischen Formel, aber auch schon vorher, unter anderem im Brief des Euseb von Nikomedien, der in Cand. II zitiert wird.⁸⁰ Es genügt
Vgl. Adv. Ar. II 9: Sed nuper (sc. ὁμοούσιον) positum est, quia nuper erupit venenata cohors haereticorum. (109,34– 110,1 Locher). Vgl. die knappe Argumentation in Adv. Ar. II 2 (102,10 – 29 Locher), in der Victorinus mit Jes 43,10; Ps 34,10 LXX gegen die Homöusianer anführt und das philosophische Argument aus I 23 wiederholt, dass Substanzen nicht ähnlich genannt werden können, außer man setzt die Teilung einer vorhergehenden Substanz voraus. Hadot, SC 69, 1055 f. ad 4,2 argumentiert in diesem Sinne: Die Berufung auf Jes 53,8 sei zwar schon traditionell, sei aber unter dem Einfluss von Valens und Ursacius in die Vierte Sirmische Formel und damit in das Bekenntnis von Konstantinopel von 360 gekommen. Victorinus reagiere hier auf diese späteren Entwicklungen. Vgl. homous. 4 (170,17 Locher) mit AW III Dok. 51,3 (378,8). Für Euseb vgl. Urk. 8 AW III/1/1 (=Dok. 4 AW III/1/3): […] οὗ τὴν ἀρχὴν οὐ λόγῳ μόνον ἀδιήγητον […], und Cand. II 2: Cuius principium non solum sermone inenarrabile […] (31,11 f. Locher). Jes 53,8 LXX ist überhaupt ein traditioneller locus classicus, der etwa auch schon bei Iren. haer. II 28,5 in diesem Sinne angeführt wird. Im Arianischen Streit wird die Stelle auch von Alexander von Alexandrien genutzt, vgl. Urk. 14,46 AW III/1/1 (27,7 f.) = Dok. 17,46 AW III/1/3. Vgl. dazu und mit weiteren Belegen Simonetti, Arianesimo Latino, StMed 3.Ser. 8 (1967), 672 (lies dort aber ep. ad Alex. 46 statt 49). Eine besondere antiarianische Verwendung findet sich später in Alterc. Heracl. p. 139 Caspari. Der Dialogpartner Heraclianus führt das Zitat progeniem eius quis enarrabit? in dem Sinne an, dass der Ausdruck progenies schon beweist, dass der Sohn gezeugt, nicht geschaffen ist. Vgl. dazu Simonetti, Osservazioni, VigChr 21 (1967), 56.
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hier also, die Auseinandersetzungen um die homöische Theologie im Vorfeld der Synode von Rimini vorauszusetzen. Der Hinweis des Victorinus auf acta, aus denen die Position der Gegner deutlich werde, ist ebenfalls zu unspezifisch, um ihn einer konkreten Synode zuzuweisen.⁸¹ Als Zitat aus den Akten führt er dann lediglich die Aussage an, Christus sei „Gott aus Gott, Licht aus Licht.“ Die nachfolgenden Behauptungen, die Widersacher zögen dann trotzdem arianische Konsequenzen, ist Interpretation des Victorinus. Er wirft den Gegnern vor, andere zu arianischen Aussagen zu zwingen, ohne diese selbst explizit auszusprechen. Die Formulierungen, die Victorinus zitiert, sind aber so gängig, dass man kaum an eine spezifische Synode denken darf. Wenn man aber nach wörtlichen Entsprechungen sucht, so fällt auf, dass genau diese Formulierungen so nur in der Zweiten Sirmischen Formel aufgegriffen werden, nicht aber in der Vierten Sirmischen Formel, den Beschlüssen von Rimini, der Formel von Nike oder dem Bekenntnis der Synode von Konstantinopel.⁸² Zu Beginn der Schrift äußert Victorinus seine Verwunderung über den immer noch fortbestehenden Konflikt, obwohl doch ein gemeinsames Grundverständnis vorhanden sei.⁸³ Dies deutet Hadot als Hinweis auf eine bald bevorstehende Einigung und ordnet die Schrift damit gar in die Zeit nach 363 ein, in der sich der Widerstand gegen die Beschlüsse von Rimini im Westen deutlich bemerkbar mache und zu einer allmählichen Verständigung führe.⁸⁴ Dafür scheint die Hoffnung des Victorinus aber recht vage und man muss sich dann über die immer noch deutliche Kritik an der homöusianischen Position wundern, wenn im Hintergrund bereits die Einigungsbemühungen seit der alexandrinischen Synode von 362 stehen sollen.⁸⁵ Vgl. homous. 3: Sed ut ex vestris actibus clarum est, dicitis quidem Christum deum de deo, lumen de lumine, verum factum atque hoco modo natum non de substantia dei, sed de nihilo, idque ab aliis cogitis per argumenta vestra, ut audire possitis magis quam dicatis ipsi. (169,20 – 23 Locher). Vgl. Sirm II Dok. 51,5 AW III/1/4 (379,2 f.): deum ex deo, lumen ex lumine. Vgl. dazu schon die vierte antiochenische Formel von 341 (Dok. 42,2 AW III/1/3, 177,4). In Sirm IV (Dok. 57.2,3 AW III/1/4, 422,13), Nike (Dok. 59.9,1 AW III/1/4, 472,9 f.), Rimini (Dok. 59.11,2 AW III/1/4, 478,14 f.) und Konstantinopel (Dok. 62.5,2 AW III/1/4,550,15 – 551,1) wird jeweils nur die Formulierung Gott aus Gott zitiert. Das spricht gegen die Vermutung Hadots, SC 69, 1054, ad 3,2. actibus, dass Victorinus sich hier auf die Akten der Synode von Konstantinopel 359/60 beziehe. Vgl. homous. 1: Miror adhuc rationem intellegendi unam inter nos certamen tenere. Omnes recte intellegimus, nec tamen iungimur. Dicam ergo omne mysterium, omnium verba, sententias, intellectus oratione brevi, Arium ut possimus excludere. (167,13 – 16 Locher) Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 44. Vgl. den Schluss in homous. 4 (171,6 – 11 Locher), wo Victorinus darauf verweist, dass dieselben Argumente gegen die Homöusianer gelten und er diese bereits maiore tractatu widerlegt habe, zudem zitiert Victorinus die klassischen Belegstellen Jes 43,10 und Ps 34,10LXX gegen die Homöusianer. Die Einigungsbemühungen der Synode von Alexandrien werden im Westen durch Euseb von Vercelli bekannt gemacht, der als Exulant auf der Synode teilnahm und auf seiner Rückreise für die
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Wenn Victorinus zu Beginn der Schrift angibt, dass das gemeinsame Ziel sein solle, Arius auszuschließen, deutet dies Hadot als Parallele zum Tomus ad Antiochenos und sieht damit den Minimalkonsens der verschiedenen theologischen Richtungen formuliert.⁸⁶ Auch dies ist nur eine recht vage Anspielung, denn die Forderung, Arius auszuschließen, durchzieht das ganze Werk des Victorinus. Bei der Auseinandersetzung mit den Arianern nimmt sein Werk seinen Ausgang, daher ist es nicht verwunderlich, wenn diese auch am Ende des Schriftencorpus noch einmal thematisiert wird. Das ist ganz im Sinne der Strategie des Victorinus, allein das Nizänum als geeignetes Mittel gegen die Häresie darzustellen. Die Aussicht auf baldige Übereinstimmung ist auch ohne Verweis auf die Irenik des Tomus ad Antiochenos erklärbar.⁸⁷ Man kann diese Tendenz auch gut in die Phase vor der Synode von Rimini verorten, und kann dies als Ausdruck der Hoffnung des Victorinus verstehen, dass dort die endgültige Klärung erreicht wird. Der Wunsch, kirchlichen Frieden zu erlangen, ist schließlich ein Hauptziel der Kirchenpolitik Constantius’ II. nach der gescheiterten Synode von Serdika 343.⁸⁸ Der Wiederherstellung dieses Friedens soll auch die Doppelsynode von 359 dienen. Daher wäre es auch nicht erstaunlich, wenn Victorinus ehrliche Hoffnungen auf die Synode von Rimini gesetzt hätte. Die Formulierungen sind insgesamt aber zu allgemein, um sie wirklich auf eine konkrete Situation zu beziehen. Aus ihnen spricht eher die grundsätzliche Überzeugung des Victorinus, der richtige Glaube werde sich sowieso durchsetzen.⁸⁹ Der Appell an einen vermeintlichen Konsens ist auch im Opus ad Candidum rhetorische Strategie des Victorinus. Dort zieht er bereits den Schluss, dass aus dem Bekenntnis zu Christus als „Gott aus Gott“ und „Licht aus Licht“ automatisch ein Bekenntnis zur Substanzeinheit folgen müsse.⁹⁰ Beschlüsse geworben hat.Vgl. dazu seine Unterschrift unter den Tomus ad Antiochenos Dok. 69.4 AW III/1/4. In alterc. Heracl. p. 134.136 Caspari finden sich vielleicht Reminiszenzen seiner Aktivitäten zur Verbreitung der Beschlüsse. Simonetti, Osservazioni, VigChr 21 (1967), 45 zählt diese Nachrichten zum authentischen Kern der Altercatio. Vgl. ferner zu Eusebs Rolle als „erste[m] lateinische[n] ‚Neunizäner‘“ Markschies, Was ist lateinischer Neunizänismus, ZAC 1 (1997), 78 – 81. Zur Unterschrift des Euseb unter den Tomus und den Versuch einer Rückübersetzung ins Lateinische vgl. Schubert, Ein wiedergewonnenes Schreiben, ZAC 10 (2006), 15 – 18. Vgl. Hadot, SC 69, 1051 ad 1,5. Vgl. homous. 1 (s. Anm. 83) mit Dok. 69.2,3 AW III/1/4 (595,6 – 10). Zu dieser irenischen Tendenz dort, aber auch zur Friedensthematik in Rimini, vgl. Graumann, Frieden schließen, AHC 48 (2016/17), 53 – 69. Vgl. etwa die durchaus plausiblen Aussagen, die Lucifer von Calaris dem Kaiser in den Mund legt: Lucif. non conv. 1: […] dixisti nos fuisse atque esse inimicos pacis, hostes unitatis, adversarios etiam fraternae caritatis. (CCSL 8 165,4– 6) Und Lucif. non conv. 3: Dixisti: ‘Pacem volo firmari in meo imperio.’ (CCSL 8 170,75 f.) Dazu passt homous. 4: Pacem enim volumus cum omnibus. (Locher 170,26) Vgl. hierfür Adv. Ar. II 1: Deum omnipotentem omnes fatemur; Christum nos nunc, mox tamen fatebuntur omnes. (100,1 f. Locher) Vgl. Adv. Ar. I 31.
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Für die Datierung muss auch die Frage nach der Intention der Schrift De homousio recipiendo beantwortet werden. Welche Funktion hat die Schrift, die im Wesentlichen eine Kurzfassung von Adversus Arium II darstellt? Auffällig ist, dass Victorinus in dieser oratio brevis⁹¹ fast völlig auf komplizierte Terminologie und philosophische Spekulation verzichtet. Daraus muss man die Konsequenz ziehen, dass Victorinus in dieser Schrift seine Positionen aus Adversus Arium II für ein breiteres Publikum adaptiert hat. Offenbar ging es ihm darum, mit dieser Schrift eine größere Reichweite zu erlangen, als mit seinen komplexeren philosophischen Traktaten. Victorinus wirbt auch in dieser Schrift darum, das Bekenntnis um die Immanenzformeln „Gott in Gott, Licht in Licht“ zu erweitern.⁹² Bringt man das mit der einzig einigermaßen belastbaren Anspielung auf die Vierte Sirmische Formel zusammen, lässt sich die Schrift gut in das Vorfeld des Konzils von Rimini einordnen. Victorinus hat nach dieser Rekonstruktion mit der Schrift De homoousio recipiendo seine Positionen noch einmal publizistisch wirksamer zusammengefasst und auf das geringere Vorwissen eines breiteren Publikums Rücksicht genommen. Denn auch bei den Bischöfen, die an der Synode von Rimini teilgenommen haben, wird man keine tiefe Vertrautheit mit philosophischen Diskussionen und den theologischen Debatten des griechischen Ostens voraussetzen dürfen.⁹³ Auch die Synodalen dürfte Victorinus mit seiner Kurzfassung als Zielpublikum im Blick haben. Die Schriften Adversus Arium II und De homousio recipiendo können insgesamt gut als Streitschriften gegen die Homöer im Vorfeld des Konzils von Rimini oder noch währenddessen entstanden sein.⁹⁴ 1.2.3 Adversus Arium Ib, III, IV, Hymnen In den weiteren Schriften finden sich keine deutlichen Hinweise für eine Datierung, da keine Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse oder Texte mehr zu finden
homous. 1 (167,15 Locher). Vgl. homous. 4 (170,29 – 171,3 Locher), vgl. Adv. Ar. II 11 (111,32– 112,15 Locher) und Adv. Ar. I 31: Est λόγος verbum, lumen a lumine, […]. Non enim abscisa est effulgentia luminis, sed semper in lumine est. (66,6 f.9 f. Locher) Vgl. die Einschätzung der Teilnehmer der Synode von Rimini bei Brennecke, Fortunatian von Aquileia, 63: „Außerdem wird man sich keine übertriebenen Vorstellungen vom theologischen Profil der Mehrheit der abendländischen Bischöfe und vor allem ihrer Kenntnis der griechischen theologischen Debatte machen dürfen.“ Die Vierte Sirmische Formel datiert auf den 22. Mai 359, vgl. Dok 57.2,1 AW III/1/4. Am 28. Mai verfasst Constantius einen Brief an die Synode, die in Rimini zusammentreten soll, vgl. Dok. 59.1,4 AW III/1/4. Die Verhandlungen ziehen sich in zwei sessiones dann bis Anfang Dezember hin, vgl. für eine Rekonstruktion der Ereignisse Brennecke, Homöer, 23 – 40; Löhr, Kirchenparteien 103 – 129.
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sind. Zwar sind in der Forschung zwei Hinweise auf zeitgenössische Debatten identifiziert worden, diese lassen sich aber nicht erhärten. Hadot und Ziegenaus betrachten Adversus Arium III und IV als Reaktion auf die Synode von Alexandria 362 und den dort verfassten Tomus ad Antiochenos, beide Werke seien als Ausdeutung der Formel μία οὐσία, τρεῖς ὑποστάσεις zu verstehen.⁹⁵ Dem liegt zunächst eine Überbewertung der theologischen Leistung der Synode von Alexandrien zugrunde. Der Tomus ad Antiochenos verabschiedet noch keine solche Formel und nimmt noch nicht die „neunizänische“ Lösung vorweg, die Begrifflichkeiten οὐσία und ὑπόστασις streng zu unterscheiden. Vielmehr akzeptieren die Vertreter unterschiedlicher theologischer Richtungen in Alexandria nur, dass sowohl die Rede von drei Hypostasen als auch die Rede von einer Hypostase oder Substanz als rechtgläubig gelten kann, wenn gleichzeitig das Nizänum anerkannt wird und die Arianer verurteilt werden.⁹⁶ Die „neunizänische Formel“ ist von Victorinus außerdem in der singulären Weise zitiert, dass es „aus einer Substanz drei Hypostasen gebe“.⁹⁷ Diese ungewöhnliche Formulierung hat daher auch Anlass zu ganz unterschiedlichen Spekulationen über seine mögliche Quelle gegeben.⁹⁸ Abgesehen davon, dass der Tomus ad Antiochenos die „neunizänische Formel“ so noch gar nicht kennt, sind auch die Schriften des Victorinus keine systematische Interpretation dieser Formel. Er setzt die terminologische Unterscheidung zwischen οὐσία und ὑπόστασις für seine Theologie gerade nicht voraus, sondern hält an der im Westen verbreiteten Gleichsetzung der Begriffe fest. Außerdem zitiert er die Formel in lateinischer Sprache schon in der früheren Schrift Adversus Arium II und begründet gerade in diesem Zusammenhang ausführlich die Austauschbarkeit der beiden Begriffe.⁹⁹ Als einen weiteren Ansatz zur Datierung bringen Hadot und Ziegenaus den Schriftbeweis für die Seele Christi in Adversus Arium III 3 in Anschlag. Sie deuten diese Ausführungen als Reaktion auf die Christologie des Apollinaris von Laodicea
Vgl. Hadot, SC 68, 55 f.; Ziegenaus, Seinsfülle, 46. Auch de Leusse, préexistence, RSR 29 (1939), 198 f, Anm. 4 datiert Adv. Ar. III schon auf um 362, ohne dies näher zu begründen, und hält es für das letzte philosophische Werk des Victorinus. Vgl. dazu Dok. 69.2,5 f. AW III/1/4 (597,19 – 600,6). Simonetti, Il concilio di Alessandria, Aug. 30 (1990), 353 – 360 betont mit Nachdruck, dass die neunizänische Formel dem Tomus nicht zu entnehmen ist. Adv. Ar. III 4: Idque a Graecis ita dicitur: ἐκ μιᾶς οὐσίας τρεῖς εἶναι τὰς ὑποστάσεις. (118,36 – 119,1 Locher) Zur Diskussion über den Ursprung s.o. S. 45. Vgl. die Formel in Adv. Ar. II 4: Et ideo dictum est: de una substantia tres subsistentias esse […]. (105,31 f. Locher) Als Ergebnis des biblischen Nachweises der Substanzterminologie hält Victorinus Adv. Ar. II 4 fest: Quae cum ita sint, lecta est ὑπόστασις. Haec autem est οὐσία, sicut probavimus. (106,1 f. Locher)
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unter Aufnahme der christologischen Passage des Tomus ad Antiochenos von 362.¹⁰⁰ Den exegetischen Nachweis dafür, dass Christus eine menschliche Seele hatte, kann man aber nicht auf den Tomus ad Antiochenos zurückführen, da dort konkret die Lehre verworfen wird, dass Christus einen seelenlosen Körper angenommen habe.¹⁰¹ Es ist in der Forschung umstritten, gegen wen sich diese Verurteilung im Tomus ad Antiochenos eigentlich richten soll. Man kann hier jedenfalls noch nicht den Beginn einer antiapollinaristischen Christologie fassen.¹⁰² Die Auseinandersetzung um die Seele Christi beginnt auch nicht erst mit Apollinaris, sondern ist bereits im dritten Jahrhundert fassbar. So betont etwa Origenes, dass Christus eine wahre Seele hatte, während gnostische Texte dies bestreiten.¹⁰³ Es ist gut möglich,
Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 46, der die Reaktion gegen Apollinaris auf den Tomus ad Antiochenos zurückführt. Eine antiapollinaristische Ausrichtung sieht auch Hadot, SC 69, 938 ad 3,34– 46. Skeptisch zu Hadots Interpretation verhält sich schon Grillmeier, Jesus der Christus I, 596 Anm. 3. Dok. 69.2,7 AW III/1/4: ὡμολόγουν γὰρ καὶ τοῦτο, ὅτι οὐ σῶμα ἄψυχον οὐδὲ ἀναίσθητον οὐδὲ ἀνόητον εἶχεν ὁ σωτήρ. οὐδὲ γὰρ οἷόν τε ἦν τοῦ κυρίου δι’ ἡμᾶς ἀνθρώπου γενομένου ἀνόητον εἶναι τὸ σῶμα αὐτοῦ οὐδὲ σώματος μόνου, ἀλλὰ καὶ ψυχῆς ἐν αὐτῷ τῷ λόγῳ σωτηρία γέγονεν. (600,24– 601,3) Vgl. dazu den Verweis in Dok. 69.2,7 AW III/1/4, 601 Anm. a auf Eustathius von Antiochien, fr. 1,2,4,9,19b Declerck. Eustathius wirft den Arianer vor, einen seelenlosen Christus zu lehren. Vgl. zu den Fragmenten auch Uthemann, Eustathios von Antiochien, ZAC 10 (2006), 472– 521. Brennecke, „Apollinaristischer Arianismus“, 73 – 92 kommt nach Untersuchung der Quellen zum Schluss, dass der „seelenlose Christus“ keine genuine Lehre des Arius war. S. 86.88 – 91 korrigiert Brennecke auch den früheren Kommentar zu Ath. tom. 7 AW II 8, 347. Dort wird noch eine Reaktion auf homöische Theologen vermutet, die einen seelenlosen Christus gelehrt hätten. Nun hält Brennecke die späten Belege dafür aus der Doctrina patrum (=Dok. 76 AW III/1/5) für unecht, vgl. dazu jetzt auch die Einleitung zu Dok. 76 AW III/1/5 (703). In tom. 7 gehe es stattdessen um „innerantiochenische theologische Auseinandersetzungen, in die vielleicht – aber das ist für den Anfang der sechziger Jahre ziemlich unklar – Apollinarius schon verwickelt war.“ („Apollinaristischer Arianismus“, 86) Vgl. dazu auch Drecoll, Apollinarius, 49 – 51. S. 43.53 schließt Drecoll zudem aus seiner Analyse von Apoll. ep. Jov., dass die spezifische Lehre des Apollinaris, dass Christus der νοῦς ἔνσαρκος sei, in den 360erJahren noch gar nicht greifbar ist, sei es weil Apollinaris diese noch nicht ausgebildet hatte, sei es aus strategischer Zurückhaltung. Vgl. ferner Mühlenberg, Apollinaris, 222– 230, der gerade für eine Übereinstimmung zwischen den Anliegen des Apollinaris und der positiv entfalteten Christologie in tom. 7 argumentiert. Diese Übereinstimmungen machen es unwahrscheinlich, dass sich tom. 7 gegen Apollinaris richtet. Kritisch zu Mühlenberg und anderen Interpretationen verhält sich Tetz, Über nikäische Orthodoxie, ZNW 66 (1975), 208 – 217. Allerdings ist wiederum fraglich, ob der von Tetz in tom. 7 gesehene Gegensatz zwischen einer Logos-Sarx- und einer Logos-Anthropos-Christologie im Jahr 362 schon eine solche Rolle spielte. Brennecke hält diese Unterscheidung S. 82 f. erst ab den 360er-Jahren für sinnvoll und Drecoll, betont S. 40 f., dass Apoll. ep. Jov. die Begriffe Fleisch und Mensch noch austauschbar gebraucht. Vgl. z. B. Or. princ. II 8,2: Sed de Christi quidem anima omnem nobis adimet quaestionem ratio incarnationis occurrens. Sicut enim vere carnem habuit, ita vere animam habuit. (154,3 – 5 Koetschau) Auch Sokrates verweist in seinem Bericht über die Synode von Alexandrien von 362 auf die lange
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dass Victorinus der Diskussion um die Seele Christi in der Auseinandersetzung mit der Gnosis begegnet ist oder in den frühen Auseinandersetzungen zu diesem Thema im Rahmen des Trinitarischen Streits. Bemerkenswert ist dabei, dass Victorinus nicht nur den Nachweis führt, dass Christus eine rationale Seele angenommen habe, sondern damit verbunden auch den irrationalen Seelenteil.¹⁰⁴ Daher richtet sich diese Passage sicher nicht gegen Apollinaris, der nur die menschliche Vernunftseele im Inkarnierten leugnet, nicht aber die Affekte und die irrationale Seele.¹⁰⁵ Aus den Beobachtungen Hadots und Ziegenaus’ sind also keine belastbaren Argumente für eine Datierung der Schriften zu gewinnen, sie lassen sich daher nur noch relativ einordnen. Die Schrift Adversus Arium III knüpft an Adversus Arium Ib an: Victorinus fasst am Anfang von Adversus Arium III die relevante Ergebnisse von Adversus Arium Ib zusammen, arbeitet das Thema vom Wesen und Wirken des Heiligen Geistes aus und fasst die Homousie am Ende mit derselben doppelt-dyadischen Formel zusammen, die am Anfang von Ib steht.¹⁰⁶ In diesen beiden Schriften setzt Victorinus außerdem die philosophische Kritik an den Homöusianern voraus, die er in Adversus Arium I 23 geleistet hat, da er in beiden Schriften die Seele als ὁμοιούσιος mit Gott bezeichnet. Das setzt die philosophischen Erörterungen voraus, wonach nur zwei voneinander unterschiedene Substanzen hinsichtlich ihrer Qualitäten ähnlich oder unähnlich genannt werden können.¹⁰⁷ Hadot betrachtet Adversus Arium III als „Fortsetzung“ von Adversus Arium I, ohne dass deutlich wird, was er mit dieser Bestimmung meint.¹⁰⁸ Die Tatsache, dass das Opus ad Candidum in späteren Schriften häufig vorausgesetzt wird, ist durch dessen Tradition der Lehre vom beseelten Christus, dabei zählt er auch Origenes als bedeutenden Vertreter dieser Ansicht auf, vgl. Socr. h.e. III 7,1– 10. Die Position, der präexistente Christus sei in der Inkarnation an die Stelle einer menschlichen Seele getreten, findet sich z. B. in der koptisch-gnostischen Schrift 2LogSeth, vgl. NHC VII,2 p. 51,20 – 24: „Ich betrat ein leibliches Haus. Ich warf jenen heraus, der vorher in ihm war, und ich ging (selbst) hinein.“ (Übersetzung von Silvia Pellegrini, NHD II, 581.) Die Körper sind in 2LogSeth Behausungen für die Seele, vgl. p. 51,4– 11. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 59 mit Anm. 3 führt das Interesse des Origenes und Victorinus für die Seele Christi wenig überzeugend auf ein gleiches kosmologisches Interesse zurück. Bei beiden geht es immer auch um soteriologische Fragestellungen. Vgl. Adv. Ar. III 3 (117,21– 32 Locher). Für eine ausführliche Besprechung s.u. S. 515 – 517. Vgl. zur Leugnung des ἀνθρώπινος νοῦς z. B. Apoll. fr. 74 Lietzmann (222). Dazu Mühlenberg, Apollinaris, 146 – 149.156 – 164. Zu den Affekten im Inkarnierten vgl. z. B. Apoll. fr. 127 Lietzmann (238). Dazu Mühlenberg, Apollinaris, 221 f. (Hungern des Inkarnierten), oder Apoll. cat. Jo. fr. 83,1 f. Reuss zu Joh 12,27 f. Dazu Mühlenberg, Apollinaris, 170 f. Adv. Ar. III 1 greift die Darstellungen zur Seele in Adv. Ar. Ib 62 f. auf. Die dyadische Zusammenfassung in III 18 (133,31– 134,5 Locher) knüpft an Ib 49 (84,22– 27 Locher) an. Vgl. Adv. Ar. I 23 (55,16 – 27 Locher) mit Adv. Ar. Ib 62 f. und Adv. Ar. III 12 (126,32 f. Locher) Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 44
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grundlegenden und einleitenden Charakter für das Gesamtwerk erklärbar.¹⁰⁹ Die verschiedenen Querverweise auf frühere Schriften in Adversus Arium IV sprechen dafür, diese Schrift zeitlich nach den übrigen anzusetzen.¹¹⁰ Die Hymnen können zeitlich überhaupt nicht eingeordnet werden, da sie – für die Gattung wenig überraschend – nicht auf aktuelle Ereignisse anspielen. Der Vorschlag Frassinettis, in Hymnus II eine subjektive Verarbeitung der Bekehrung des Victorinus zu sehen und diesen Text damit als seine erste christliche Schrift anzusprechen, kann nicht überzeugen.¹¹¹ Als weiteren möglichen Anhaltspunkt für die Datierung verweist Mariotti auf die zahlreichen Parallelen zur Schrift De trinitate des Hilarius von Poitiers, die Hadot herausgearbeitet hat, und spricht sich für eine Abhängigkeit des Victorinus von Hilarius aus.¹¹² Zwar sammelt Hadot in seinem Kommentar eine Reihe von interessanten Vergleichsstellen zu den Werken des Hilarius, jedoch zeigt seine Kommentierung zu den jeweiligen Stellen, dass man es dabei nie mit echten Abhängigkeiten zu tun hat.¹¹³ Hadot geht davon aus, dass die Werke des Hilarius und des Victorinus parallel zueinander entstehen, sodass das Werk des Hilarius keinen weiteren terminus post quem für das Schaffen des Victorinus darstellt.¹¹⁴ Insgesamt finden sich also keine eindeutigen Indizien, die über das Jahr 359 hinausweisen, da die Vierte Sirmische Formel das letzte Dokument ist, das Victorinus mit einiger Sicherheit zitiert.
S. dazu unten S. 189 – 192, 227– 235. Vgl. die Übersicht bei Hadot, Marius Victorinus, 260 f. Vgl. Frassinetti, Le confessioni, GIF 2 (1949), 50 – 59. S. o. S. 73, Anm. 95. Vgl. Mariotti, Ars Grammatica, 31 f. Daher spricht er sich für eine Datierung am Ende der Regierungszeit des Constantius 360/61 aus. Vgl. für die Parallelen den Index bei Hadot, SC 69, 1135 f. Dabei handelt es sich oft um ähnliche argumentative Verwendung von Bibelstellen, z. B. Ex 3,14 (vgl. Hil. trin. I 5 mit Ad Cand.14), Jer 23,18 (vgl. Hil. trin. I 18 mit Adv. Ar. II 5) oder Joh 14,9 f. (vgl. Hil. trin. III 1 f. mit Adv. Ar. I 11; IV 10). Daneben kommen ähnliche theologische Konzepte vor, die aber zu unspezifisch oder zu verbreitet sind, um daraus eine Abhängigkeit zu konstruieren, z. B. die Vorstellung, dass Christus nicht nur einen individuellen Leib oder eine individuelle Seele annimmt, sondern die Idee des Menschen (vgl. Hil. trin. II 24 mit Adv. Ar. III 3). An einigen Stellen kann ich aber die von Hadot empfundene Ähnlichkeit nicht ganz nachvollziehen, z. B. seinen Vergleich von Adv. Ar. IV 4 mit Hil. trin. III 2: Victorinus verspricht dort dem Leser, er werde die komplizierten Fragen der Theologie in einer einfachen Darstellung präsentieren, Hilarius macht deutlich, man müsse zuerst die Lehre der Heiligen Schrift über Vater und Sohn betrachten. Ich sehe hier keine Ähnlichkeit in den Aussagen, gegen Hadot, SC 69, 985 ad 4,1– 3. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 277.
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1.2.4 Die Pauluskommentare Die Datierung der trinitätstheologischen Schriften hat auch Konsequenzen für die Datierung der Pauluskommentare, da diese mit ziemlicher Sicherheit nach den Traktaten entstanden sind. Diese relative Chronologie lässt sich daraus schließen, dass Victorinus in den Kommentaren auf seine dogmatischen Schriften verweist, während er dort nie einen Hinweis auf seine Kommentare gibt.¹¹⁵ Wenn man mit Hadot De homousio recipiendo in das Jahr 363 datiert, können die Kommentare ab 363 entstanden sein. Hadot hatte die Idee, Victorinus könnte das Rundschreiben Julians zum Rhetorenedikt beim Wort genommen haben, die Christen sollten lieber Matthäus und Lukas auslegen, und sich so zu seinem Kommentarwerk veranlasst gesehen haben.¹¹⁶ Erdt erachtet dies aus chronologischen und inhaltlichen Gründen für eine unzureichende Erklärung, da Julian bereits im Juni 363 gestorben ist und das Rhetorenedikt im Folgejahr wieder aufgehoben wurde. Damit reiche das Edikt als äußerer Anlass nicht als Erklärung aus.¹¹⁷ Erdt sieht es als das wesentliche Anliegen des Victorinus an, in seinen Kommentaren eine orthodoxe Paulusinterpretation festzuhalten und zu sichern. Dies sei erst nach 361/2 möglich gewesen, da sich ab dann die nizänische Partei in Italien konsolidiert habe. Diese Einordnung leuchtet aber angesichts des Fortbestehens der verschiedenen theologischen Gruppen und ihrer Konflikte auch nach der Herrschaft Julians ebenfalls nicht ein.¹¹⁸ Wenn mein Vorschlag zur Datierung der Traktate richtig ist und diese bereits bis 360 abgeschlossen waren, kann Victorinus seine Kommentare genauso gut schon früher, etwa ab 360/1 begonnen haben.¹¹⁹ Es ist fraglich, ob Victorinus dafür einen konkreten äußeren Anlass gebraucht hat, da sich die Kommentierung ganzer biblischer Schriften organisch aus seinem starken exegetischen Interesse in den Traktaten ableiten lässt. Ihm dürfte während seiner Arbeit an den Traktaten aufgefallen sein, dass eine ausführliche Kommentierung der paulinischen Briefe ein Desiderat darstellt.
Schon Karig, Kommentare, 7 und Benz, Marius Victorinus, 33 mit Anm. 2 haben diesen Schluss gezogen. Vgl. ausführlicher Hadot, Marius Victorinus, 301– 303. Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 286. Das bezieht sich auf Jul. Ep. 55 (Weis) 423D: […] βαδιζόντων εἰς τὰς τῶν Γαλιλαίων ἐκκλησίας ἐξηγησόμενοι Ματθαῖον καὶ Λοῦκαν […]. Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 86 f. Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 79. Man denke nur an den Homöer Auxentius von Mailand, der bis 374 Bischof blieb. Zu den Auseinandersetzung zwischen Auxentius und Hilarius von Poitiers vgl. Dokk. 74 AW III/1/5. Auch Ambrosius trug noch Konflikte mit der homöischen Gemeinde in Mailand aus, vgl. Meslin, Les Ariens, 41– 58. Für einen Überblick zum Fortbestehen der Homöer im Westen nach 361 vgl. auch Brennecke, Art. „Homéens“, DHGE 24, 943 – 950. Auch Raspanti, Mario Vittorino, 70 f. geht davon aus, dass Victorinus zumindest den Plan zur Abfassung der Kommentare schon zwischen 360 – 363 entwickelt hat und noch während seiner Arbeit an den theologischen Traktaten Material dafür gesammelt hat.
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Vielleicht hat er Anregungen dazu auch aus der Lektüre gnostischer Schriften erhalten, in denen Paulus eine große Bedeutung zukommt.¹²⁰ Möglicherweise gab es aus gnostischen Kreisen auch schon Pauluskommentare, die Victorinus als Vorbild nutzen konnte.¹²¹ Es fallen zumindest gewisse Berührungspunkte in der Theologie zwischen den Pauluskommentaren und gnostischen Schriften auf und man hat eine markionitische Tendenz in der Kommentierung des Victorinus festgestellt.¹²² Victorinus äußert seine Hochschätzung des Paulus vor allen anderen Aposteln und begründet dies damit, dass Paulus eine besondere Offenbarung des Auferstandenen erhalten hat.¹²³ In ganz ähnlicher Weise haben nach dem Zeugnis des Irenäus auch gnostische Exegeten die herausgehobene Rolle des Paulus begründet.¹²⁴ Vielleicht hat auch die Methode einer einfachen Erklärung (expositio simplex) der Paulusbriefe bei Victorinus ihre Entsprechung im hermeneutischen
Zur Bedeutung des Paulus für die heterodoxen Strömungen des 2./3. Jh. vgl. das berühmte Dictum bei Tert. adv. Marc. III 5,4 (CCSL 1, 513,26) Paulus sei der haereticorum apostolus. Vgl. zur gnostischen Paulusexegese Pagels, Gnostic Paul. Einige Beispiele für die Bedeutung des Paulus für die NHC-Texte bespricht Koschorke, Paulus, ZThK 78 (1981), 177– 205. Er wendet sich damit überzeugend gegen Lindemann, Paulus, 298 – 342.400, der bestreitet, das Paulus eine nennenswerte Autorität für die Gnosis gewesen sei. Vgl. dazu auch Cooper, Galatians, 118 f. mit Anm. 146 mit weiterer Literatur. Koschorke, Paulus, ZThK 78 (1981), 203 f. vermutet, dass der bei Hier. in Gal. praef. (lies PL 26, 309 A für 333 A bei Koschorke, Anm. 69, jetzt: CCSL 77 A, 6,41) und Hier. epist. 112,4 (CSEL 55, 371,6 f.) in einer Reihe älterer Pauluskommentatoren genannte Alexander vetus haereticus identisch ist mit dem Gnostiker Alexander, der in Tert. carn. 16 f. bekämpft wird. Zwischen Tertullian und Alexander ist die Auslegung von Röm 6,6; 8,3 strittig, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass dieser Alexander Paulus kommentiert hat. Dann wäre auch der erste bekannte Pauluskommentar wie der erste Johanneskommentar Herakleons im gnostischen Milieu entstanden. Diese Identifikation der beiden Alexandri auch bei Fürst, Augustinus-Hieronymus, Epistulae mutuae (FC 41/1), 176 Anm. 216. Dagegen vermutet Mahé, SC 216, 58 – 67, dass Tert. carn. 17,1 mit syllogismi einen Hinweis auf Titel und Charakter von Alexanders Werk gibt. Insbesondere zwischen dem Epheserkommentar und dem Tractatus Tripartitus, s. dazu unten S. 429 – 432. Überhaupt könnten die starke Betonung des Glaubens vor den Werken und die Gesetzeskritik auf eine markionitische Tendenz zurückgehen. Erdt, Pauluskommentator, 197– 208 sammelt Belege für eine solche Tendenz der Kommentare und sieht darin ebenfalls ein Motiv für das Interesses des Victorinus an Paulus. Zum allgemein „unorthodoxen“ Charakter der Kommentare vgl. auch Locher, Interpolationen, Montfort 36 (1986), 149 – 156. Vgl. Adv. Ar. I 36 über Paulus und Johannes: […] primus apostolus et evangelistes ante omnes […] (71,21 f. Locher) Vgl. dazu auch Koschorkes Ergebnis, Paulus, ZThK 78 (1981), 201 f., dass Johannes und Paulus die bedeutendsten biblischen Autoritäten der NHC-Texte darstellen. Die Begründung der Autorität des Paulus, da er als einziger eine Offenbarung des Auferstandenen erhalten hat u. a. in Eph. 3,3,20 – 37; in Gal. 1,1– 2,10 – 47. Vgl. dazu Erdt, Pauluskommentator, 97– 116. Vgl. Iren. haer. III 13,1: Eos autem qui dicunt solum Paulum veritatem cognovisse, cui per revelationem manifestatum est mysterium […]. Vgl. dazu auch Pagels, Gnostic Paul, 101– 105.
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Ansatz Markions.¹²⁵ Sie lässt sich aber auch einfach aus der Tradition des Schulunterrichtes verstehen.¹²⁶ Vielleicht sah sich Victorinus veranlasst, auf solche Vorlagen zu reagieren und Paulus als Autorität für seine nizänische Theologie zu reklamieren.¹²⁷ Es ist aber auch überlegt worden, ob Victorinus von Simplician zur Abfassung der Kommentare bewegt worden sein könnte, für den in späterer Zeit ein deutliches Interesse an der Paulus-Exegese feststellbar ist.¹²⁸ Allerdings ist genauso denkbar, dass Victorinus das Interesse Simplicians an Paulus geweckt oder gestärkt hat. Wenn Victorinus die Kommentare ab 360 anstelle weiterer argumentierender Traktate verfasste, könnte man außerdem auch eine gewisse Resignation vermuten: Vielleicht hat er sich aus Enttäuschung über die Beschlüsse der Synode von Rimini und der anschließenden Durchsetzung des homöischen Dogmas in Konstantinopel auf diese Art der theologischen Schriftstellerei verlegt. Das muss aber, wie alle Überlegungen zu einer äußeren Motivation der Kommentare, Spekulation bleiben. Es genügt, sie vor allem als Einleitung in eine intensive Beschäftigung mit dem Paulustext zu deuten.¹²⁹ 1.2.5 Fazit Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass die für uns fassbare christliche Schriftstellerei des Victorinus frühestens am Ende des Jahres 358 einsetzt. Es spricht nichts dagegen, dass seine Schriften in rascher Abfolge entstanden sind und das Gesamtwerk noch vor dem Tode Constantius’ II. abgeschlossen war.¹³⁰ Benz setzt den Beginn der Werke etwas später Ende 359 an und datiert De homoousio recipiendo als letzten Traktat in das Jahr 360.¹³¹ Auch er rechnet also mit einer zügigen
So bestimmt Victorinus sein Programm in Eph. 1,11,25 f. Vgl. dazu Erdt, Pauluskommentator, 93 – 97. Zu Markions Hermeneutik vgl. Schmid, Marcion, 255 – 60. S. 259 demonstriert Schmid an einem Beispiel, dass man Markion plausibel die hermeneutische Grundregel „Paulus muß aus sich selbst heraus erklärt werden.“ zuschreiben lässt, die aber aus der Homer-Exegese übernommen ist. Vgl. Cooper, Exegesis, 71. Eine antimanichäische Tendenz ist etwa auch in den Kommentaren des Pelagius und Ambrosiaster erkennbar, vgl. de Bruyn, Commentary, 15 – 17. Vgl. Mutzenbecher, Aug. Simpl. XIV-XX. Dazu unten S. 150 f. Vgl. Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 144. Möglicherweise lässt sich auch ein ähnlicher Kontext annehmen wie für die Pauluskommentare des Pelagius etwa 40 Jahre später, die wahrscheinlich für interessierte aristokratische Kreise verfasst wurden, vgl. de Bruyn, Commentary, 11. Der terminus ante quem der Schrift Adversus Arium II ist dann der terminus ante quem für die gesamte Sammlung. Vgl. Benz, Marius Victorinus, 31– 33. Er setzt S. 32 als terminus post quem aber die Verurteilung von Valens und Ursacius auf der Synode von Rimini voraus.
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Abfassung der Schriften nacheinander, da er keine Hinweise auf die weiteren Debatten nach 359 finden kann. Die Hinweise auf die Synodalgeschichte nach der Vierten Sirmischen Formel von 359, die vor allem Hadot gesammelt hat, haben sich als nicht belastbar erwiesen, sodass die Werke 359/360 abgeschlossen worden sein könnten. Wenn sich damit die Datierung der trinitätstheologischen Schriften nach vorne verschiebt, ist es auch gut möglich, dass die Pauluskommentare schon vor 362 begonnen wurden. Victorinus hat seine Schriften für eine Gesamtedition einer Endredaktion unterzogen.¹³² Die Verweise in den späteren Schriften auf frühere müssen daher keinen zwingenden Hinweis auf die Chronologie geben. Es spricht aber nichts dagegen mit Hadot in der überlieferten Reihenfolge auch die chronologische zu sehen. Einzig die Schriften Adversus Arium II und De homousio recipiendo scheinen gegen Hadot gemeinsam entstanden zu sein, da letztere nur eine knappe Zusammenfassung der ersteren darstellt. Die Änderungen in De homousio recipiendo lassen sich nicht durch eine veränderte historische Situation, sondern nur durch ein anderes Zielpublikum erklären. In der Zusammenstellung des Gesamtwerkes hat Victorinus die beiden sehr ähnlichen Schriften aber voneinander getrennt. Nun steht De homousio recipiendo am Schluss der argumentierenden Schriften und leitet zu den Hymnen über. Diese Stellung ist in mehrfacher Hinsicht einleuchtend: Die Schrift fasst die wichtigsten Punkte der Trinitätstheologie des Victorinus leicht verständlich noch einmal zusammen und stellt einen bekenntnishaften Abschluss des Werkes dar. Die Hoffnung auf bevorstehende Einigkeit, die Victorinus in dieser Schrift äußert, wird im Gesamtverlauf des Werkes dann am Ende quasi performativ durch das Gebet der Hymnen vollzogen. Dort findet keine Polemik und keine Auseinandersetzung mehr statt, sondern die Trinitätstheologie des Victorinus wird nur im bekennenden Gebet präsentiert. Diese durchdachte Zusammenstellung des Gesamtwerkes soll später im Zuge der Untersuchung des literarischen Aufbaus der Werke weiter begründet werden.¹³³
Dafür sprechen insbesondere die Hinweise in Adv. Ar. Ib 54 (90,3 f. Locher) und Ad Cand. 31 (28,9 Locher). S.u. S. 227– 235.
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2 Die kirchliche Situation in Rom Ende der 350er-Jahre, Milieu und Adressaten des Victorinus 2.1 Exil und Rückkehr des Liberius 356 – 358 als unmittelbarer Kontext Nach dieser Datierung der christlichen Werke des Victorinus ergibt sich, dass er sich ungefähr dann in die trinitarische Debatte einzumischen beginnt, als der römische Bischof Liberius aus seinem Exil im thrakischen Beroea zurückkehrt. Diese zeitliche Koinzidenz wertet schon Hadot für die Frage aus, warum Victorinus sich gerade zu diesem Zeitpunkt publizistisch an der Diskussion beteiligt hat: Liberius habe bei seiner Rückkehr nach Rom das Material der Synode von Sirmium 358 mitgebracht, da er deren Entscheidung zuvor unterzeichnet habe, um seine Restitution zu erwirken. So erkläre sich auch, wie Victorinus an das Dossier der Synode gekommen sei, das ihm bei der Arbeit an Adversus Arium I vorliegt.¹³⁴ Diese These hat jedoch zwei Schwächen: Eine, die sich aus dem Werk des Victorinus selbst ergibt, und eine, die mit der Rekonstruktion des Exils und der Rückkehr des Liberius zusammenhängt. In der Untersuchung zur Datierung hat sich die Einschätzung Winrich Löhrs als zutreffend erwiesen, dass das Schreiben des Basilius, das Victorinus in Adversus Arium I zitiert, nicht identisch mit der Epistula Sirmiensis ist, die auf der Synode von Sirmium entstanden ist.¹³⁵ Victorinus stand also über die Synodaldokumente hinaus Material zur Verfügung, das erst im Nachgang zu dieser Synode entstanden ist. Die monokausale Erklärung, er sei durch Vermittlung des Liberius an diese Dokumente gekommen, ist somit bereits hinfällig. Ferner hat Brennecke überzeugend dargelegt, dass Liberius für seine Restitution nicht die Dritte Sirmische Formel, sondern mit ziemlicher Sicherheit die Zweite Sirmische Formel unterzeichnet hat.¹³⁶ Gegen Barnes ist Brennecke daher auch in der zeitlichen Ansetzung des Exils des Liberius von 356 – 358 zu folgen.¹³⁷ Wenn man
Vgl. Hadot, Marius Victorinus, 270. Hadot folgt der Darstellung bei Soz. h.e. IV 15, wonach Liberius die Dritte Sirmische Formel unterzeichnet habe. S.o. S. 111– 114. Vgl. Brennecke, Hilarius, 265 – 297. Vgl. Barnes, The Capitulation, Phoenix 46 (1992), 256 – 265. Barnes stützt sich zunächst auf die Darstellung bei Amm. XV 7,6, wonach die Ereignisse um Liberius unter der Präfektur des Leontius stattfanden, deren Beginn er im Jahr 355 sieht. Die Formulierung Hoc administrante Leontio zeigt aber, dass Ammianus verschiedene Ereignisse während der Präfektur des Leontius summarisch berichten will. Zu Leontius vgl. auch PLRE I, s.v. Flavius Leontius 22, 503. Auch hier wird die Verbannung des Liberius in das Jahr 356 datiert. Berücksichtigt man aber die Angaben in der Schrift Quae gesta sunt inter Liberium et Felicem episcopos (coll. avell. 1) kann man nur auf eine Datierung von 356 – 358 kommen. Hier wird der Rombesuch des Constantius in das zweite Jahr der Verbannung des Liberius datiert und seine Rückkehr auf das dritte Jahr, vgl. coll. avell. 1,3: Post annos duos venit
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das genaue Datum der Rückkehr, das im Liber pontificalis überliefert wird, für gesichert halten will, kann man die Heimkehr des Liberius gar exakt auf den 2. August 358 datieren.¹³⁸ Brennecke argumentiert nicht nur chronologisch, sondern auch inhaltlich überzeugend dafür, dass Liberius wahrscheinlich die Zweite Sirmische Formel unterzeichnete. Dafür sprechen dessen eigene Briefe aus dem Exil und die Äußerungen anderer Autoren über seine Rückberufung.¹³⁹ Das Bekenntnis, das Liberius
Romam Constantius imperator; pro Liberio rogatur a populo, qui mox annuens ait „habetis Liberium, qui, qualis a vobis profectus est, melior revertetur.“ Hoc autem de consensu eius, quo manus perfidiae dederat, indicabat. Tertio anno redit Liberius […]. (CSEL 35/1 2,3 – 7). Vgl. zum Rombesuch auch Seeck, Regesten, 204. Einen Zusammenhang zwischen der Rückberufung des Liberius und dem Rombesuch stellen ferner Thdt. h.e. II 17,1– 4, Soz. h.e. IV 11,12, Sulp. Sev. chron. II 39 her, auch Philostorg h.e. 4,3 beschreibt die Restitution des Liberius als Nachgeben gegenüber römischen Forderungen. Man wird sich darunter aber keine Massenbewegung der Römer vorstellen dürfen, wie insbesondere im Bericht Theodorets. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht mehrheitlich christlich, vgl. dazu Markschies, Ambrosius, 44. Den Berichten kann man auch nicht entnehmen, dass Liberius gemeinsam mit dem Kaiser im Frühjahr 357 nach Rom zurückgekehrt sei, wie Stevenson, Exiling Bishops, DOP 68 (2014), 21 meint. Ferner wird in coll. avell. 1,4 berichtet, dass Felix acht Jahre nach der Rückkehr des Liberius im Jahr 365 gestorben sei: Post annos octo Valentiniano et Valente consulibus X Kalendarum Decembrium die defunctus est Felix. (CSEL 35/1 2,13 – 15). Dadurch wird das Jahr 358 als Jahr der Rückkehr zusätzlich bestätigt. Aus anderen Quellen geht hervor, dass die Verbannung des Liberius in zeitlichem Abstand zur Mailänder Synode 355 geschehen ist. Das wird schon aus dem Brief Quamvis sub imagine (Hil. coll. antiar. AVII 2 [CSEL 65 164,18 – 166,13; FC 58/1 164– 167]) deutlich, den Liberius an die in Mailand Verbannten schrieb. Ebenso berichtet Ath. Hist. Ar. 35,2– 40,1 von längeren Versuchen des Kaisers und seiner Handlanger, Liberius nach der Synode von Mailand zu bestechen oder zu überreden. Das Einzelverhör schmückt Thdt. h.e. II 16,1– 26 weiter aus.Wenn Ath. Hist. Ar. 41,3; apol. sec. 89,3 hingegen von zwei Jahren spricht, die Liberius durchgehalten habe, bezieht sich das wohl nur darauf, dass Liberius sich schon vorher von der Gemeinschaft mit Athanasius gelöst hat. Auch lib. pontif. 37,2 Duchesne I p. 207,3 weiß von einer dreijährigen Verbannung. Vgl. lib. pontif. 37,6 Duchesne I p. 208,1: Ingressus Liberius in urbe Roma IIII non. aug. consensit Constantio heretico. Optimistisch dazu Brennecke, Hilarius, 276 mit Anm. 147, ebenso Barnes, The Capitulation, Phoenix 46 (1992), 265, skeptisch dagegen Pietri, Roma Christiana I 259, Anm. 2. Das macht eine Teilnahme des Liberius an der Synode von Sirmium 358 zeitlich unwahrscheinlich, zur Datierung vgl. Brennecke, Hilarius, 276 f.: Die Synode kann frühestens nach der Rückkehr des Kaisers vom Sarmatenfeldzug im Juni 358 begonnen haben. Wollte man die Teilnahme des Liberius an der Synode plausibel machen, müsste man damit rechnen, dass sich zuerst die Vertreter aus Ankyra nach ihrer Synode kurz vor Ostern 358 in Eile nach Sirmium begeben haben und dann Liberius ebenso eilig nach Rom aufgebrochen sei. Das hält Brennecke zurecht für unwahrscheinlich. Vgl. dazu Brennecke, Hilarius, 277– 288. Zu den Exilsbriefen und Liberius’ verschiedenen Versuchen, seine Rückberufung zu erwirken, vgl. auch Ulrich, How to gain indulgentiam, 199 – 212, zur Deutung des Briefes pro deifico als Hinweis für die Unterzeichnung der Zweiten Sirmischen Formel bes. 204– 207.
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unterschrieb, wird in den Quellen als impietas, haeresis oder perfidia bezeichnet.¹⁴⁰ Das lässt sich zusammen mit der Angabe Philostorgs, dass Liberius mit Ossius gegen das ὁμοούσιος und Athanasius unterschrieben habe, am besten mit der Zweiten Sirmischen Formel in Verbindung bringen.¹⁴¹ Man kann daher die Einschätzung Brenneckes für die Rekonstruktion der Verhältnisse in Rom im Jahr 358 uneingeschränkt voraussetzen.¹⁴² Liberius kehrte demnach mit ziemlicher Sicherheit im Sommer 358 aus dem Exil zurück, nachdem er die Zweite Sirmische Formel unterzeichnet hatte. Daher muss der Beginn der christlichen Schriftstellerei des Victorinus vor diesem Hintergrund gegenüber Hadot neu bewertet werden.
Vgl. Hil. c. Const. 11: Vertisti deinde usque ad Romam bellum tuum, eripuisti illinc episcopum, et o te, miser, qui nescio utrum maiore impietate relegaveris quam remiseris. (SC 334, 190,29 – 32) Gegen Barnes, The Capitulation, Phoenix 46 (1992), 260 und Diefenbach, Constantius II., Millenium 9 (2012), 80 Anm. 61 lässt sich daher Hil. coll. antiar. B VII 9: Perfidiam autem apud Sirmium descriptam, quam dicit Liberius catholicam, a Demofilo sibi expositam […] (CSEL 65, 170,3 f.) nicht als Interpolation eines späteren Kompilators wegdeuten. Coll. avell. 1,3 spricht von einer perfidia (s.o. Anm. 137).Vgl. ferner Hier. chron. a. Abr. 2365 (=349 p. Chr.) (s. Anm. 145) und Hier. vir. ill. 97,2 über Fortunatianus: Et in hoc habetur detestabilis, quod Liberium, Romanae urbis episcopum, pro fide ad exilium pergentem primus sollicitavit et fregit et ad subscriptionem hareseos compulit. Zur Rolle des Fortunatianus von Aquileja in den Auseinandersetzungen der 350er-Jahre und seiner theologischen Einordnung vgl. Dorfbauer, Zur Biographie, ZAC 17 (2013), 408 – 418. Brennecke vermutet, dass Hieronymus einen negativen Einfluss des Fortunatian aus den Exilsbriefen des Liberius rekonstruiert und bei ihm die Schuld für den „Abfall“ des Liberius sucht, um diesen zu entlasten, vgl. Brennecke, Fortunatian von Aquileia, 58. Vgl. Philostorg. h.e. 4,3. Vgl. dazu den Kommentar von Bleckmann/Stein, Philostorgios, Kirchengeschichte II, 281 gegen Amidon, Philostorgius, Church History, 65 f. Anm. 7. Vgl. Brennecke, Hilarius, 287 f. Dass Hilarius zu seinem Bericht über die perfidia des Liberius in coll. antiar. B VII 9 (CSEL 65, 170,4.–8) die Unterschriftenliste zur Ersten Sirmischen Formel von 351 folgen lässt, kann leicht als Verwechslung erklärt werden. Hingegen könnte nicht erklärt werden, wie Hilarius angesichts seiner Annäherung an die Homöusianer die Erste oder Dritte Sirmische Formel als eine perfidia oder impietas bezeichnen könnte. Vgl. dazu Brennecke, Hilarius, 283. S. 288 – 292 gelingt Brennecke zudem der Nachweis, dass dem Bericht des Sozomenus eine ähnliche Quelle wie Philostorg zugrunde gelegen haben kann. Auch der Versuch, eine Unterschrift des Liberius unter ein verlorenes Bekenntnis der Synode von Sirmium von 347 zu begründen, kann nicht überzeugen. Dazu Fernández, Athanasius, 303 – 311; ders., Liberio de Roma, AnCr 23 (2006), 499 – 502. Dieses Bekenntnis sei auch in Arles 353 und Mailand 355 unterzeichnet worden und noch radikaler als die Zweite Sirmische Formel. In Arles und Mailand ging es aber nur um Personalfragen, vgl. dazu Brennecke, Hilarius, 133 – 195 und Müller, Synode von Mailand, bes. 136 – 159. Auch inhaltlich ist nicht nachzuvollziehen, warum dieses Bekenntnis radikal gewesen sein soll. Die bei Hilarius zitierten Formeln entsprechen dem Bekenntnis der Enkainiensynode von 341 und der Ekthesis makrostichos von 345. Hilarius hat daher große Mühe damit, diese Bekenntnis als zwar oberflächlich orthodox, aber im Inneren gefährlich zu charakterisieren, vgl. Dok. 45.2,2 AW III/1/3 mit Anmerkung b.
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C Datierung, Kontext und Adressaten der christlichen Schriften
2.2 Die Auseinandersetzungen zwischen Felix und Liberius und das Selbstverständnis des Victorinus als Lehrer oder Prophet in seinem Epheserkommentar Victorinus wurde also publizistisch zu einer Zeit tätig, als der exilierte Bischof Liberius gerade nach Rom zurückkehrte, nachdem er zuvor ein in den Augen des Victorinus häretisches Bekenntnis unterschrieben hatte. Diese zeitliche Koinzidenz fällt ins Auge und sie gibt Anlass, die Verhältnisse in Rom näher zu beleuchten, um den Hintergrund der Schriften des Victorinus besser zu verstehen. Stephen Cooper spekuliert etwa über einen Zusammenhang der Taufe des Victorinus mit den Ereignissen um Liberius. Er vermutet, dass Victorinus von der Standhaftigkeit des Liberius und seiner Weigerung, Athanasius zu verurteilen, so beeindruckt gewesen sein könnte, dass er sich 355 oder 356 zur Taufe entschloss. Umso größer müsse dann seine Enttäuschung über das Einknicken des Liberius gewesen sein. Was diese Enttäuschung aber für die literarische Tätigkeit des Victorinus bedeuten könnte, lässt Cooper offen.¹⁴³ Die von vielen Zeitgenossen als Skandal empfundene Unterschrift des Liberius wird noch problematischer mit Blick auf die Berichte über Felix, der an seiner Stelle geweiht wurde.¹⁴⁴ Die Chroniknotiz des Hieronymus deutet darauf hin, dass vor der Ordination des Felix etwa ein Jahr seit der Exilierung des Liberius verstrichen sein dürfte. Felix und seine Anhänger seien nach einem Jahr aus der Stadt vertrieben worden. Daraus folgt, dass Felix erst im Laufe des Jahres 357 geweiht wurde.¹⁴⁵ Die Ordination des Felix dürfte dann im Zusammenhang mit dem Rombesuch des Constantius im Frühjahr 357 stehen.¹⁴⁶ Hieronymus überliefert jedenfalls, dass Vgl. Cooper, Galatians, 34. Cooper folgt S. 26 f. zwar der problematischen Darstellung des Exils von Barnes, was aber auf den gesamten Gedankengang keinen größeren Einfluss hat. Victorinus ist seiner Meinung nach aber enttäuscht über die Verurteilung des Athanasius durch Liberius. Ziegenaus, Seinsfülle, 44 Anm. 58 stellt die Frage, ob Victorinus den Liberius, der „im Grunde sicher, wie die Abendländer überhaupt, Homousianer“ gewesen sei, für einen Homöusianer gehalten habe und sich dadurch seine Isoliertheit in Rom erklären lasse. Vgl. dazu immer noch Mommsen, Liberius und Felix II., 570 – 581. Kritisch dagegen Diefenbach, Erinnerungsräume, 447– 481. Vgl. Hier. chron. a. Abr. 2365 (=349 p. Chr.): Romanae ecclesiae XXXIIII ordinatur episcopus Liberius. Quo in exilium ob fidem truso omnes clerici iuraverunt, ut nullum alium susciperent. Verum cum Felix ab Arrianis fuisset in sacerdotium substitutus, plurimi periuraverunt et post annum cum Felice eiecti sunt, quia Liberius taedio victus exilii et in haeretica pravitate subscribens Romam quasi victor intraverat. (237,17– 24 Helm2) Einzig weiterer Hinweis ist das Gesetz in Cod. Theod. XVI 2,14, das wahrscheinlich auf den 6. Dezember 357 datiert und an Felix als Bischof der Stadt adressiert ist. Vgl. Zum Rombesuch Amm. XVI 10, dazu Klein, Rombesuch, 50 – 71. Den Zusammenhang zwischen dem kaiserlichen Besuch und der Ordination des Felix stellt auch Verrando, Liberio-Felice, RSCI 35 (1981), 95 her.
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Acacius von Caesarea an der Weihe des Felix beteiligt gewesen sein soll.¹⁴⁷ Es ist wahrscheinlich, dass der Bischof von Caesarea im Zusammenhang des kaiserlichen Besuchs nach Rom reiste. Vielleicht ist eine Äußerung des Victorinus so zu deuten, dass sich auch Valens, Ursacius und Basilius von Ankyra zu dieser Zeit in Rom befanden.¹⁴⁸ Vermutlich sollte angesichts des Rombesuchs des Kaisers der Bischofsstuhl der Stadt nicht vakant sein, sodass Felix vor dem Eintreffen des Kaisers
Vgl. Hier. vir. ill. 98,2: In tantum autem sub Constantio imperatore claruit, ut in Liberii locum Romae Felicem episcopum constitueret. Ohne weitere Begründung dazu skeptisch Leroux, Acace, StPatr 8,2 (1966), 83. Man darf aber davon ausgehen, dass Hieronymus über die römischen Verhältnisse der Zeit gut unterrichtet ist, da er sich ungefähr in dieser Zeit zu seiner Ausbildung in Rom befand, vgl. Hier. chron. a. Abr. 2370 (=354 p. Chr.). Vgl. Adv. Ar. I 28: Et toto tempore postea, usque quo imperator Romae fuit, praesens audisti multa contraria conviva exsistens istorum hominum, quos nunc anathematizas iratus […]. (61,28 – 31 Locher) Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 154 deuten die Stelle übertragen und übersetzen conviva im Sinne der Abendmahlsgemeinschaft. Gegen diese Interpretation wendet sich Barnes, Athanasius, 283 Anm. 56 mit dem Hinweis auf fehlende Belege für eine solche Bedeutung und mit Verweis auf den Kontext. Ebenso versteht Verrando, Liberio-Felice, RSCI 35 (1981), 95 Anm. 17 die Stelle. Als Argument für eine übertragene Bedeutung lässt sich zumindest eine Parallele aus dem Griechischen heranziehen. Bei den Verhandlungen in Konstantinopel Ende 359 versuchte Eustathius den Eudoxius als anhomöischen Gesinnungsgenossen des Aëtius zu diskreditieren. Nach dem Bericht Theodorets habe er Aëtius in diesem Zusammenhang als „Haus- und Tischgenossen“ (σύνοικος […] καὶ σύσσιτος) des Eudoxius bezeichnet, vgl. Dok. 62.1,7 AW III/1/4 (524,21– 24). Das ist eindeutig bildlich gebraucht. Ein bildliches Verständnis von conviva bei Victorinus ist daher nicht vollkommen auszuschließen. Victorinus hatte jedenfalls keine genauen Informationen über die Biographie des Basilius. Er vermutet, dass Basilius während des Konzils von Nizäa schon Bischof gewesen sein könnte, vgl. Adv. Ar. I 28: Forte et tunc tu, patrone dogmatis, non solum in vita, sed episcopus fuisti. (61,27 f. Locher) Basilius wurde aber erst nach der Absetzung Markells 336 oder 337 zum Bischof gewählt, vgl. Soz. h.e. II 33,1. Zur Absetzung Markells vgl. Dok. 40 AW III/1/3; Parvis, Marcellus, 127– 132. Wenn Victorinus Basilius in Rom gesehen hat, kann man seine Vermutung, Basilius sei schon 325 Bischof gewesen, als Hinweis auf das Alter des Basilius lesen, über das wir sonst keine näheren Informationen haben. Socr. h.e. III 25,3 nennt Basilius in einer Reihe von Bischöfen, die bei Jovian um ihre Rehabilitierung ersuchten (Dok. 73.1 AW III/1/5). Jovian hatte kurz zuvor nach Julians Tod die Truppen aus dem Perserfeldzug nach Antiochien zurückgeführt, vgl. Socr. h.e. III 24,1. Diese gescheiterte Petition aus dem Jahr 363 ist die letzte Nachricht aus dem Leben des Basilius. Sollte er bald darauf gestorben sein, macht dies die Altersschätzung des Victorinus zusätzlich plausibel. Basilius könnte dann ein ungefährer Altersgenosse Georgs von Laodicea gewesen sein, der als Presbyter bereits in die Anfänge des Arianischen Streits involviert war. Georg wurde vielleicht um 290 geboren und starb Ende 359, vgl. zu ihm DelCogliano, George of Laodicea, JEH 62 (2011), 670 – 674. Zur Datierung seines Todes vgl. ders., The death of George of Laodicea, JTS 60 (2009), 181– 190.
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zum Bischof eingesetzt wurde. Vielleicht war neben Acacius von Caesarea und Epiktet von Centumcellae auch Basilius von Ankyra an der Weihe beteiligt.¹⁴⁹ Die Quellen sind sich nun weitgehend einig, dass dieser Felix in Glaubensfragen tadellos gewesen sei und niemals vom Nizänum abgerückt sei. Der einzige Vorwurf gegen ihn ist, dass er während oder zumindest vor seiner Zeit als Bischof Gemeinschaft mit Häretikern gepflegt habe. Es loben ihn selbst die Quellen, die ansonsten zu einer Heroisierung des Liberius neigen.¹⁵⁰ Dagegen wiegt das Zeugnis der Quellen, die Felix verunglimpfen nicht schwer.¹⁵¹ Ende 358 beanspruchten also zwei Männer den römischen Bischofsstuhl, von denen einer nie vom Nizänum abgewichen war und der andere seine Rückkehr durch die Unterschrift unter die Zweite Sirmische Formel erkauft hatte. Liberius scheint aber große Beliebtheit beim Volk genossen zu haben. Darauf deuten die Berichte über die Bitten der Bevölkerung für seine Restitution anlässlich des kaiserlichen Besuchs in Rom hin.¹⁵² Auch die ätzende Bemerkung des zu dieser Zeit in Rom befindlichen Hieronymus spricht dafür: Liberius sei quasi victor wieder in Rom eingezogen, obwohl er aus Überdruss am Exil einer Häresie zugestimmt ha-
Ath. Hist. Ar. 75,2 nennt Epiktet von Centumcellae als einen der Bischöfe, die Felix geweiht haben. Meslin, Les ariens, 40 vertritt ohne weitere Begründung und ohne Verweis auf Victorinus die Ansicht, dass Felix von Epiktet, Acacius und Basilius geweiht wurde. Zu Epiktet vgl. Meslin, Les ariens, 37– 39 und PCBE 2/1,634– 636 s.v. Epictetus 2. Vgl. Thdt. h.e. II 17,3: ὃς τὴν μὲν ἐκτεθεῖσαν ἐν Νικαίᾳ πίστιν ἄσυλον διεφύλαττε, τοῖς δέ γε διαφθείρουσι ταύτην ἀδεῶς ἐκοινώνει. (137,7 f. Parmentier/Hansen) Theodoret dramatisiert die Ereignisse zur Stilisierung des Liberius ansonsten deutlich, vgl. h.e. II 16 f. Ferner Soz. h.e. IV 11,11: […] ὃν ὁμόφρονά φασι διαμεῖνα κατὰ τὴν πίστιν τοῖς ἐν Νικαίᾳ συνεληλυθόσι καὶ παντελῶς θρησκείας ἕνεκα ἀνέγκλητον. Τουτὶ δὲ μόνον ἐγκαλεῖσθαι, ὅτι γε πρὸ χειροτονίας καί κοινωνίας ἑτεροδόξων ἀνδρῶν ἠνέσχετο. (154,5 – 8 Bidez/Hansen) Und Rufin. hist. X 23: […] et non tam sectae diversitate quam communionis et ordinationis coniventia maculatur. (989,1 f . Mommsen) Vgl. Hier. chron. a. Abr. 2365 (=349 p. Chr.), Text s.o. Anm. 145. Socr. h.e. II 37,92 nennt ihn ausdrücklich einen Arianer, um das Ganze dann gleich wieder zu relativieren: […] ὃς δίακονος ὤν τῆς ἐν Ῥώμῃ ἐκκλησίας καὶ τὴν ᾿Aρειανῇ δόξῃ προστεθεὶς εἰς τὴν ἐπισκοπὴν προεβλήθη. εἰσι δὲ λέγοντες, ὅτι οὐ προσέθετο μὲν τῇ ᾿Aρειανῇ δόξῃ, βίᾳ δὲ καὶ ἀνάγκῃ κεχειροτόνητο. (162,26 – 163,3 Hansen) Sokrates ist in diesem Abschnitt überhaupt falsch informiert und ordnet Rufin folgend die Verbannung des Liberius erst nach der Vierten Sirmischen Formel ein, vgl. Socr. h.e. II 37,91. Vgl. ferner Gel. Caes. F25e Wallraff/Stutz/Marinides. Athanasius bezeichnet die Wahl des Felix in Hist. Ar. 75,3 nur als παρανομία τῶν αἰρετικῶν, ohne sich über die Orthodoxie des Felix zu äußern. Angesichts dieser Beleglage kann man die Nachricht in einer Predigt des Gaudentius von Brescia, dass sein Vorgänger Filastrius eine Zeitlang in Rom gegen die Arianer gepredigt habe, nicht mit einer Oppositionsbewegung gegen Felix in Zusammenhang bringen. Gegen diese Interpretation von Gaudent. serm. 21,7 (CSEL 68, 186) bei Maier, Topography, Hist. 44 (1995), 243. S.o. Anm. 137. Amm. XV 7,10 berichtet außerdem, dass Liberius für seine Verbannung nachts aus Rom geholt worden sei, weil der Kaiser Angst vor den Reaktionen der Bevölkerung gehabt habe, die den Bischof verehrte.
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be.¹⁵³ Von einem triumphalen Einzug berichtet auch die Schrift Quae gesta sunt inter Liberium et Felicem episcopos.¹⁵⁴ Constantius II. verfolgte offenbar den Plan, dass Felix als Titularbischof seine Würde behalten, aber das Amt wieder an Liberius zurückgeben sollte.¹⁵⁵ Dieser Versuch einer gütlichen Lösung scheiterte aber: Sozomenus spricht nur knapp von massiven Auseinandersetzungen bei der Rückkehr des Liberius.¹⁵⁶ Der ausführlichere Bericht der ursinischen Parteischrift Quae gesta sunt (coll. avell. 1) weiß davon, dass Felix zunächst aus der Stadt verbannt worden sei. Mommsen interpretiert das so, dass Felix nach der Rückkehr des Liberius aufgrund erster Auseinandersetzungen zwischen den beiden Bischöfen als Unruhestifter aus der Stadt gejagt wurde.¹⁵⁷ Ihm ist sicher zuzustimmen, dass die Verbannung nicht so unmittelbar bei oder vor der Rückkehr des Liberius ausgesprochen worden sein kann, da Constantius den Plan hatte, beiden Bischöfen gerecht zu werden. Felix sei aber daraufhin, so der Bericht weiter, mit einigen Anhängern wieder in die Stadt gedrungen und habe versucht, in der Basilica Iulii in Trastevere Fuß zu fassen, und sei dann erneut vertrieben worden.¹⁵⁸ Diefenbach ist der Meinung, der Konflikt beschränke sich auf den Herbst des Jahres 358, anschließend habe sich Liberius recht schnell als rechtmäßiger Bischof durchsetzen können. Die Tatsache, dass in den gesta eine Amnestie des Liberius für die Anhänger des Felix erst nach dessen Tod im Jahr 365 berichtet wird, deutet er als absichtsvolle Verzerrung.¹⁵⁹ Diese Schrift in coll. avell. 1 steht jedoch im Zusam-
Hier. chron. a. Abr. 2365 (=349 p. Chr.), Text s.o. Anm. 145. Vgl. coll. avell. 1,3 (CSEL 35/1 2,7 f.): Tertio anno redit Liberius, cui obviam cum gaudio populus Romanus exivit. Diese Deutung legt sich durch Philostorg. h.e. 4,3 nahe. Vgl. dazu den Kommentar bei Bleckmann/Stein II, 281 f. Auch Soz. h.e. IV 15,5 f. berichtet vom Plan einer gemeinsamen Verwaltung des Amtes. Brennecke, Hilarius, 269 f. geht davon aus, dass Felix von vornherein nur eine „Vertretung“ für Liberius sein sollte und dessen Rückkehr fest eingeplant war. Vgl. Soz. h.e. IV 15,5. Vgl. Mommsen, Liberius und Felix II., 575 Vgl. coll. avell. 1,3 (CSEL 35/1 2,8 – 13): Felix notatus a senatu vel populo de urbe propellitur. Et post parum temporis impulsu clericorum, qui periuraverant, irrumpit in urbem et stationem in Iuli trans Tiberim dare praesumit. Quem omnis multitudo fidelium et proceres de urbe iterum cum magno dedecore proiecerunt. Vgl. Diefenbach, Erinnerungsräume, 238 f. mit Anm. 81. Die Versöhnung des Liberius in coll. avell. 1,4 (CSEL 35/1 2,15 f.): Liberius misericordiam fecit in clericos, qui periuraverant, eosque locis propriis suscepit. Curran, Pagan City, 134 zieht aus der Formulierung locis propriis Rückschlüsse auf die Topographie der Stadt: Die Anhänger des Felix besaßen demnach noch 365 eigene Kirchen, die sie nach der Versöhnung auch weiterhin behalten durften. Doch wird locus proprius hier eher meinen, dass jeder seinen bisherigen Rang in der Hierarchie des Klerus behalten darf. So versteht die Stelle auch ThlL 7,2,1590,72 f. s.v. locus, IIA2β.
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menhang mit dem römischen Schisma nach der Doppelwahl von Damasus und Ursinus im Jahr 366 und ist zeitlich damit recht nahe an den Ereignissen. Die hier vorausgesetzten Spannungen schon unter Liberius dürften also keine reine Erfindung sein, wenn die Schrift bereits existierende Verwerfungen in überzeugender Weise für aktuelle Propaganda nutzen will. Wahrscheinlich sind die anhaltenden Spannungen innerhalb des römischen Klerus zwischen Anhängern des Liberius und des Felix auch eine wesentliche Ursache für das Schisma von 366.¹⁶⁰ Andauernde Auseinandersetzungen in Rom sind auch eine plausible Erklärung dafür, dass im Jahr 359 keine Legaten des römischen Bischofs an der Synode in Rimini teilgenommen haben.¹⁶¹ Auch wenn es durchaus plausibel erscheint, dass die legendarische Verklärung des Felix erst Ende des 5. Jahrhunderts richtig einsetzt, darf man doch annehmen, dass hierfür Spuren in der Tradition vorhanden waren, die dann weiter ausgestaltet werden konnten.¹⁶² Vermutlich wurde Felix auch mit einem Märtyrer gleichen Namens verwechselt, was die Verwirrung der verschiedenen Gedächtnistage erklären könnte.¹⁶³ Aber auch für die spätere Stilisierung des Felix als Märtyrer bieten schon zeitgenössische Quellen einen Ansatz. Hierfür kommt eine Grabinschrift in Frage, die de Rossi zunächst dem Liberius zugewiesen hat, die Mommsen aber mit guten Gründen für Felix in Anspruch nimmt.¹⁶⁴ Die Aussage, dass der dort gefeierte römische Bischof im Exil als Märtyrer gestorben sei, lässt sich nicht mit der Vita des Liberius in Einklang bringen.¹⁶⁵ Einzig Felix kommt für eine solche Stilisierung in
Vorsichtig dazu Wirbelauer, Nachfolgerbestimmung, Klio 76 (1994), 407– 410, Verrando, LiberioFelice, RSCI 35 (1981), 100 – 102 sieht in der Amnestie für die Felicianer den Keim für das Schisma zwischen Damasus und Ursinus. Zur gleichen Einschätzung kommt nach ausführlicher Analyse der Quellen Reutter, Damasus, 31– 56. Diese Vermutung äußern u. a. auch Pietri, Roma Christiana I, 261; Ulrich, How to gain indulgentiam, 212; Brennecke, Fortunatian von Aquileia, 60. Eine Verbindung zu Bischof Felix III. stellt Dieffenbach, Erinnerungsräume, 470 – 473 her. Vgl. zum legendarischen Martyrium die Passio Sancti Felicis, die laut Verrando als Quelle für den Liber pontificalis gedient haben könnte, Verrando, Liberio-Felice, RSCI 35 (1981), Appendice: Passio Sancti Felicis papae, 123,36 – 42. Die Verwechslung macht Verrando S. 116 mit Anm. 99 plausibel. Curran, Pagan City, 133 f. erklärt die Verwechslung mit dem Märtyrer Felix damit, dass es zwischen dem Bischof Felix und dem Märtyrergrab an der Via Portuensis eine topographische Verbindung gegeben habe, da Bischof Felix sich nach seiner Absetzung in diese Gegend südwestlich von Rom zurückgezogen haben könnte. Vgl. ICUR NS. 9, 24831. Zur Zuweisung an Felix vgl. Mommsen, Liberius und Felix II., 578 – 581. Die Zusammenfassung der Gegenargumente bei Marucchi, Conferenze, NBAC 3 (1897), 134 f. Vgl. ICUR NS. 9, 24831, 42– 44: Insuper exilio decedis martyr ad astra /adque inter patriarchas praesagosque [coni. de Rossi] prophetas, / inter apostolicam turbam martyrumque potentum. Diese Aussage lässt sich mit Blick auf Liberius schlicht nicht erklären. Verrando stellt nur fest, dass der Autor die letzten zehn Jahre des Episkopats überspringe und Liberius im Exil sterben lasse, dass
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Frage. Zu ihm passen auch die Anspielungen auf die Auseinandersetzungen um das nizänische Bekenntnis.¹⁶⁶ Denn er war ausweislich der anderen Quellen treuer Anhänger des Nizänums. Die Grabinschrift hätte seine Unbeugsamkeit und seinen Tod im Exil dann bereits als Martyrium überhöht und bietet damit einen guten Anknüpfungspunkt für die spätere Traditionsbildung zu seinem Martyrium. Wenn die Inschrift also plausibel dem Grab des Felix zugeschrieben werden kann, kann daraus geschlossen werden, dass er noch bei seinem Tod im Jahr 365 auf Unterstützer zählen konnte, die ihm ein solches Epitaph anfertigten und ihn nach wie vor als heldenhaften Bekenner und Verfechter des Nizänums feierten. Victorinus schaltete sich also in einer Zeit in die Auseinandersetzungen ein, als sich die römische Gemeinde in innerer Unruhe befand. In seinem Werk finden sich darauf aber keine dezidierten Anspielungen.¹⁶⁷ Das mag auch damit zusammenhängen, als man Victorinus keinem der Lager so eindeutig zurechnen könnte. Dass er aber kurz nach der Rückkehr des Liberius mit der Abfassung seiner Schriften begann, könnte einen Hinweis auf eine seiner Motivationen geben. Victorinus musste feststellen, dass das Oberhaupt der römischen Gemeinde einem Bekenntnis zugestimmt hatte, das er selbst für häretisch hielt. Sicherlich war er sich auch über die mangelnde theologische Begabung des Bischofs im Klaren, sodass er davon ausgehen musste, dass Liberius die Situation nicht richtig verstand.¹⁶⁸ Es ging Victorinus gewiss auch darum, in den innerrömischen Auseinandersetzungen klar Stellung für das Nizänum zu beziehen. Ebenso wenig darf man aber davon ausgehen, dass es sich bei Felix um eine theologische Koryphäe gehandelt haben könnte. Er wird vielmehr ähnlich wie andere westliche Theologen seine Unterstützung des Nizänums mehr symbolisch als Festhalten am hergebrachten Glauben betrachtet haben.¹⁶⁹ Bestenfalls dürfte auch er der serdicensischen Interpretation des Nizänums im Sinne einer Einhyposta-
man aber aufgrund der anderen Anspielungen und der topographischen Argumentation an der Zuweisung festhalten solle, vgl. Verrando, Liberio-Felice, RSCI 35 (1981), Anm. 54. Das scheint angesichts der einleuchtenden Alternative wenig plausibel. Vgl. ICUR NS. 9, 24831, 30 – 33: In sinodo, cunctis victor superatis iniquis / sacrilegis, nicena fides elata triumphat. / Contra quamplures certamen sumpseris unus, / catholica precincta fides possederes omnes. Schmid, Art. „Victorinus, Cajus Marius, Afer“, RE 20 (1908), 613 vermutet noch, dass Victorinus in Adv. Ar. I 28 f. Liberius als Gegner im Blick hat. Vgl. dagegen Hadot, SC 69, 35 – 37, der Basilius von Ankyra als Autor des zitierten Briefes ausmacht, aber S. 37 ähnlich festhält: „Victorinus n’attaque pas explicitement son évêque. Mais son apostrophe à Basile retombe sur le pape lui-même.“ Diese Schlussfolgerung kann Hadot aber nur ziehen, da er annimmt, dass Liberius den Entscheidungen der Dritten Synode von Sirmium zugestimmt hat. Zur mangelnden theologischen Fähigkeit des Liberius vgl. Ulrich, Rezeption, 240 f. Vgl. Ulrich, Rezeption, passim, bes. die Zusammenfassung 281– 287.
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sentheologie angehangen haben. Victorinus muss seine Aufgabe also auch darin gesehen haben, den Anhängern des Nizänums die Bedeutung der Homousie von Vater und Sohn zu erschließen und ein Bewusstsein für die Komplexität der Theologie zu wecken. Das zeigt auch seine kritische Auseinandersetzung mit der Theologie Markells.¹⁷⁰ Man könnte auch darüber spekulieren, ob die turbulenten Verhältnisse in der römischen Gemeinde und eine gewisse Enttäuschung über die defizitären theologischen Begabungen der Gemeindeleitung das weitgehende Desinteresse des Victorinus an der Institution Kirche und den sakramentalen Vollzügen erklären könnte.¹⁷¹ Cooper macht dazu aber den berechtigten methodischen Einwand, dass das Desinteresse des Victorinus an solchen Themen eher der Gattung und Zielsetzung seiner Werke geschuldet ist. Die erhaltenen trinitarischen Traktate seien per se spekulativer Natur und nicht an solchen Fragen interessiert. In seinen Pauluskommentaren äußert sich Victorinus dagegen dann, wenn der Text es verlangt, sehr wohl zu Fragen der kirchlichen Amtsstruktur.¹⁷² In diesem Zusammenhang ist besonders eine Notiz zu den verschiedenen kirchlichen Ämtern im Epheserkommentar von Belang. Dort kommentiert Victorinus zu Eph 4,11 f. eingehend, dass verschiedene Ämter mit verschiedenen Funktionen eingesetzt worden sind. Die im Bibeltexte genannten Hirten identifiziert er mit den Bischöfen, die die Aufgabe der Kirchenleitung innehaben, daneben gibt es aber auch Lehrer, die für die Lehre zuständig sind, und Propheten, die Victorinus als geistmächtige Schriftausleger und Erklärer der göttlichen Lehre deutet.¹⁷³ Hier zeigt sich zum einen, dass Victorinus kirchliche Ämter als durch Christus eingesetzt erachtet und ihre Aufgaben anerkennt. Zum anderen, lässt sich mit Cooper aus dieser Stelle ein Selbstverständnis des Victorinus ableiten: Er hat demnach seine eigene
S.u. S. 306 – 321. Sein Desinteresse an der sichtbaren Kirche und der kirchlichen Heilsvermittlung durch Priester und Sakramente kritisiert Koffmane, De Mario Victorino, 25 und bringt es in Zusammenhang mit seiner späten Bereitschaft zur Taufe. Diese Haltung zur Kirche spiegelt sich schon in der bekannten Frage des Victorinus an Simplician in Aug. conf. VIII 2,4: Ille autem irridebat dicens: „ergo parietes faciunt christianos?“ (156,2 f. Skutella) Ramelli, Apokatastasis, 614 verweist auf die interessante Parallele bei Or. Cant. III: Anima autem, quae in ecclesia esse dicitur, non intra aedificia „parietum“ collocata intelligitur, sed intra munimenta fidei et aedificia sapientiae posita celsisque fastigiis „caritatis“ obtecta. (218,28 – 30 Baehrens) Vgl. Cooper, Metaphysics, 193 ad loc „that the [ministers] etc.“ Vgl. in Eph. 4,11– 12,15 – 17.28 – 31: Quos igitur prophetas intellegimus? Quos Christus dono prophetas esse fecit, illos scilicet qui de deo tractant et spiritu pleni divinam exponunt disciplinam. […] Qui administrant, pastores dixit, magistros vero, qui docent. Non enim pastores hic a pascendo neque ad cibos referendum, sed ad gubernandum, ut pastores appellant episcopos […].
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Aufgabe vermutlich als die eines magister oder doctor nach Eph 4,12 verstanden.¹⁷⁴ Das ist eine einleuchtende Interpretation und man kann sogar so weit gehen und festhalten, dass die Tätigkeit des Victorinus auch Züge des von ihm beschriebenen Prophetenamtes hat. Denn Propheten sind diejenigen, „die über Gott Erörterungen anstellen (tractant) und geistmächtig die göttliche Lehre auslegen (exponunt).“¹⁷⁵ Die Aufgabe der Propheten beschreibt Victorinus mit den zwei sehr technischen Vokabeln tractare und exponere, die keine spontanen, charismatischen Handlungen, sondern intellektuelle, wissenschaftliche Tätigkeiten bezeichnen. Genau dies leistet Victorinus in seinen Schriften: Er stellt Erörterungen über Gott an und legt göttliche Lehre aus. Er dürfte sich also tatsächlich mindestens als magister, wahrscheinlich aber sogar als propheta in diesem technisch-wissenschaftlichen Sinne verstanden haben. Damit ließe sich aus seiner eigenen Perspektive sagen, dass er gerade durch seine schriftstellerische Tätigkeit ein von Christus eingesetztes, kirchliches Amt ausübt, dessen Autorität sich auf Eph 4,11 f. stützen kann.¹⁷⁶
2.3 Victorinus und seine Auseinandersetzung mit dem Trinitarischen Streit Es ist nicht nötig, an dieser Stelle, noch einmal die komplizierten und im Einzelnen umstrittenen Abläufe der verschiedenen Synoden der 340er- und 350er-Jahre nachzuzeichnen. Es soll genügen, grobe Linien zu zeichnen und die für Victorinus relevanten Ereignisse und Personen stärker hervorzuheben. Ein solches Unterfangen soll der von John Voelker kritisierten Tendenz entgegenwirken, Victorinus als singuläre und isolierte Gestalt zu zeichnen.¹⁷⁷ Dementgegen sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, ihn stärker als Teilnehmer an aktuellen Debatten zu verstehen und seine Theologie auch als Antwort und Reaktion auf innerchristliche Diskussionen zu begreifen.¹⁷⁸ Es sind kaum Spekulationen darüber möglich, ab wann Victorinus sich bereits in Rom aufhielt und wann er begann, sich für die Auseinandersetzungen um die Trinitätstheologie zu interessieren. Zumindest war Rom in der Zeit des Bischofs
Vgl. Cooper, Metaphysics, 192 ad loc. „still, it seems odd etc.“. Vgl. in Eph. 4,11– 12,15 – 17 (Text s. Anm. 173). Gegen Benz, Marius Victorinus, 185 f., der begründet, warum es passend sei, dass der spekulative Philosoph Victorinus kein Amt übernommen habe. Auch Wischmeyer, Bemerkungen, ZNW 63 (1972), 112 weist auf das Selbstverständnis „des freien christlichen Philosophen“ als „gottbelehrter Ratgeber der Bischöfe.“ Vgl. Voelker, The Trinitarian Theology, 38 – 41. Einen endgültigen Nachweis dafür kann dann nur eine genaue Interpretation seiner Texte geben, die ich im zweiten Teil der Arbeit leisten möchte.
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C Datierung, Kontext und Adressaten der christlichen Schriften
Julius einer der besten Orte im Westen des Reiches, um aktuelle Wendungen in der Debatte hautnah mitzuerleben. Schließlich hielten sich Athanasius und Markell von Ankyra nach ihrer erneuten Verbannung 340 gemeinsam in Rom auf, um sich dort auf einer Synode rehabilitieren zu lassen.¹⁷⁹ Es gelingt den beiden, dort theologisch großen Einfluss zu entfalten, was sich insbesondere in der theologischen Erklärung der westlichen Synode von Serdika 343 niederschlägt.¹⁸⁰ Jörg Ulrich konnte in seiner umfassenden Studie zeigen, dass dieses Bekenntnis von Serdika im Westen zur maßgeblichen Interpretation des nizänischen Bekenntnisses avancierte. Zumindest entspricht die Tendenz der für uns fassbaren trinitätstheologischen Äußerungen westlicher „Nizäner“ in dieser Zeit ganz dem westlichen Serdicense. Wenn im Westen also vom Nizänum gesprochen wird, wird es stets im Sinne einer markellischen Einhypostasentheologie interpretiert.¹⁸¹ Kombiniert mit der Aussage des Hilarius, er habe das Nizänum bis zu seiner Verbannung nicht gekannt, darf man daraus eine weitgehende Unkenntnis des authentischen Textes des Bekenntnisses von Nizäa im Westen vermuten.¹⁸² Jedoch beginnt Nizäa als Schlagwort im Laufe der 350er-Jahre eine immer bedeutendere Rolle zu spielen. Im Vorfeld der Synode von Mailand im Jahr 355 gelang es Lucifer von Calaris den römischen Bischof Liberius davon zu überzeugen, dass es sich bei den Verhandlungen gegen Athanasius um einen Angriff auf den rechten Glauben handele. Liberius übernahm diese Interpretation und machte sich bei seinem Bischofskollegen Euseb von Vercelli und beim Kaiser für diese Sichtweise stark.¹⁸³ In seinem Schreiben an den Kaiser gilt dem römischen Bischof die Synode von Nizäa
Vgl. zum Aufenthalt der beiden und den Konsequenzen für die gesamte Debatte Parvis, Marcellus, 179 – 199. Vgl. auch die Dokk. 41– 43 AW III/1/4. Gamber, Fragment, RBen 77 (1967), 148 – 155 erwägt aufgrund einer textlichen Parallele des in Adv. Ar. II 8 (108,23 f. Locher) zitierten Eucharistiegebets zu Papyrus Egerton 5, dass Victorinus Teil einer ägyptischen Gemeinde gewesen sein könnte. Kritisch dazu schon Hadot, Marius Victorinus, 251 f., der es aber als mögliche Erklärung für Gemeinsamkeiten zwischen Athanasius und Victorinus ansieht, dass dieser einer Gemeinde angehörte, die Kontakt zu Athanasius pflegte. Kritisch gegen Gamber lässt sich ferner einwenden, dass Papyrus Egerton 5 nicht sicher christlich ist. Vgl. dazu van der Horst, Papyrus, ZPE 121 (1998), 173 – 182. Vgl. nur die monhypostatischen Formulierungen in Dok. 43,2,2– 4.7 AW III/1/4. Vgl. insgesamt zur Synode und ihrer theologischen Prägung durch Markell Ulrich, Rezeption, 26 – 109. Vgl. Ulrich, Rezeption, passim, bes. die Zusammenfassung 281– 287. Vgl. Hil. syn. 91 (PL 10, 545): Regeneratus pridem, et in episcopatu aliquantisper manens, fidem Nicaenam numquam nisi exsulaturus audivi. Vgl. Brennecke, Hilarius, 161. Kritisch dazu Simonetti, Eusebio, 177– 179. Zur Rolle Lucifers vgl. den Brief des Liberius an Euseb von Vercelli Me, frater 1,2 f. (CCSL 9, 121 f.), zur Bitte an den Kaiser, auch de fide zu verhandeln, vgl. den Brief des Liberius Obsecro, Dok. 50.1,2, AW III/1/4 (361,4– 13), zur Vorbereitung der Synode von Mailand insgesamt vgl. Brennecke, Hilarius, 147– 164 und Müller, Synode von Mailand, 125 – 159.
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bereits als Fixpunkt der Orthodoxie und er bittet, dass alle vor weiteren Verhandlungen der dort getroffenen Auslegung des Glaubens zustimmen sollen.¹⁸⁴ Der Bericht des Hilarius über die Synode von Mailand zeigt, dass Euseb von Vercelli der Interpretation der Ereignisse durch Lucifer und Liberius folgend das Nizänum zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht hat.¹⁸⁵ Christian Müller kann durch eine genaue Analyse des Berichtes bei Hilarius zeigen, dass man kaum davon ausgehen kann, dass Euseb den Wortlaut des Bekenntnisses vorgelegt habe.¹⁸⁶ Jedoch betont er, dass das Schlagwort Nizäa durchaus eine Rolle gespielt haben muss. Die Entwicklungen vor und auf der Mailänder Synode lassen sich so verstehen, dass hier entscheidende Anstöße für eine Beschäftigung mit dem Text des Nizänums im Westen liegen. Müller gelingt es so, eine kontinuierlichere Entwicklung der theologischen Auseinandersetzungen in den 350er-Jahren zu zeichnen, da ansonsten das nächste Auftauchen des Nizänums ebenso abrupt und unerklärlich wäre. Wenn sich nämlich weiterhin niemand mit dem Inhalt des Bekenntnisses befasst hätte, wäre unerklärlich, warum die Zweite Sirmische Formel im Jahr 357 explizit die Homousie ablehnen sollte. Müller kann so die Ansichten Brenneckes und Ulrichs mit den Kritikpunkten Simonettis zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen: Da das Nizänum für die Gegner einer Verurteilung des Athanasius zumindest als Kampfbegriff für den rechten Glauben eine stärkere Rolle zu spielen begann, liegt es nahe, dass dadurch auch eine tatsächliche Beschäftigung mit der nizänischen Theologie angestoßen wurde. Der Text des Nizänums dürfte, wie Simonetti betont, in Rom mit Sicherheit verfügbar gewesen sein.¹⁸⁷ In diesen Kontext muss die Beschäftigung des Victorinus mit dem Nizänum eingebettet werden.¹⁸⁸ Spätestens durch die Diskussionen im Umfeld der Mailänder Synode könnte sein Interesse an einer Beschäftigung mit dem nizänischen Bekenntnis geweckt worden sein, egal ob er zu dieser Zeit bereits getaufter Christ gewesen ist oder nicht. Mit aktuelleren Entwürfen zur Trinitätstheologie, insbesondere den Positionen Markells und ihrem Niederschlag im westlichen Serdicense könnte er sich schon vor dieser Zeit befasst haben. Für ein länger zurückreichendes Interesse spricht der hohe Reflexionsgrad seiner theologischen Schriften. So kann man davon ausgehen, dass Victorinus vor seinem publizistischen Eingreifen in die
Vgl. Obsecro, Dok. 50.1,7, AW III/1/4 (365 f.). Vgl. Dok. 50.5,2 f. AW III/1/4. Vgl. Müller, Synode von Mailand, 136 – 141. Simonetti, Eusebio, 157.177– 179. Voelker, Marius Victorinus’ Remembrance, StPatr 67 (2013), 217– 226 argumentiert dafür, dass Victorinus den Text des Bekenntnisses vorliegen hatte.
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Debatte genug Zeit hatte, relevante Bekenntnistexte und theologische Schriften zu studieren. Nicht weniger wichtig dürften aber auch persönliche Kontakte des Victorinus gewesen sein, die wir heute nicht mehr fassen können und über die wir deswegen nur spekulieren können. Das mag müßig erscheinen, da so keine gesicherten Erkenntnisse möglich scheinen. Der Versuch, zumindest einige mögliche persönliche Begegnungen des Victorinus mit einflussreichen Diskussionsteilnehmern zu rekonstruieren, ist aber immerhin hilfreich, um die Fixierung auf die Suche nach schriftlichen Quellen etwas zu relativieren. Spätestens durch die Mailänder Ereignisse wurde in Rom eine Debatte über das Nizänum angestoßen. Als Ersatz für Liberius wird sodann ein Bischof gewählt, dem sein Festhalten an diesem Bekenntnis von allen Seiten bestätigt wird. Aus der durchaus plausiblen Zuweisung der anonymen Grabinschrift an Felix lässt sich vermuten, dass dieser sich auch für eine Bewahrung des Nizänums in Rom stark gemacht hat. Die Inschrift spricht von einer Synode, auf der dem nizänischen Glauben zum Sieg verholfen worden sei.¹⁸⁹ Wie auch immer das ausgesehen haben mag, scheint es doch nicht völlig unplausibel.¹⁹⁰ Man muss darin nicht gleich einen Akt des Widerstandes gegen Constantius sehen, zumal dies eine eindeutig antinizänische Religionspolitik des Kaisers voraussetzte.¹⁹¹ Daraus lässt sich ein weiterer Hinweis auf Diskussionen über das Nizänum in Rom in dieser Zeit ableiten.
2.4 Die soziale Prominenz und das Netzwerk des rhetor urbis Romae Ferner ist für eine Einordnung des Victorinus in einen sozialen und intellektuellen Kontext seine Rolle als rhetor urbis Romae zu bedenken, die weit über das Erteilen von Rhetorikunterricht hinausgeht. Die Aufgaben des kaiserlich besoldeten Professors umfassen vielmehr auch öffentliche Auftritte als Redner, worunter in Sonderheit der Vortrag von panegyrischen Reden zu wichtigen Anlässen zu verstehen
Vgl. ICUR NS. 9, 24831, 30 f.: In sinodo cunctis victor superatis iniquis / sacrilegis nicena fides elata triumphat. Vgl. Mommsen, Liberius und Felix II., 580. Für eine ausführliche Untersuchung der Religionspolitik des Constantius, die deren aktive und dirigistische Züge deutlich relativiert, vgl. Diefenbach, Constantius II., Millennium 9 (2012), 59 – 121. Vgl. auch Brennecke, Hilarius, 269 f., der betont, dass die Wahl des Felix, der Archidiakon aus dem Klerus des Liberius war, ein Moment der Kontinuität zu Liberius darstellt und dass Constantius explizit keinen auswärtigen Anhänger des homöischen Bekenntnisses installiert.
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ist.¹⁹² So dürfte Victorinus zur Zeit des Rombesuchs des Kaisers auch der Mann für solche Aufgaben gewesen sein.¹⁹³ Zu diesem Anlass reisten auch zahlreiche prominente Figuren aus dem Osten des Reiches an, darunter auch Themistius als Gesandter des Senats von Konstantinopel.¹⁹⁴ Vielleicht bestand dabei die Gelegenheit zu einem Austausch der intellektuell ähnlich interessierten Männer.¹⁹⁵ Möglicherweise konnte Victorinus persönliche Kontakte mit den Bischöfen knüpfen, die sich im Gefolge des Kaisers befanden, darunter vielleicht auch Basilius von Ankyra.¹⁹⁶ Dass Victorinus sehr schnell in den Besitz des Aktenmaterials der Synode von Sirmium 358 sowie der Epistula Basilii kam, zeigt zumindest, dass er gut vernetzt war. Entweder konnte er bestehende Kontakte außerhalb Roms nutzen oder er war in Rom mit entsprechenden Stellen in Verbindung. Seine guten Griechischkenntnisse machen es wahrscheinlich, dass er mit östlichen Bischöfen mindestens persönliche Gespräche führen konnte, wahrscheinlich aber auch Briefkontakte nach Osten pflegen konnte.¹⁹⁷ Als rhetor urbis war Victorinus in das soziale Netz der kulturellen Elite der Stadt Rom und des Reiches eingebunden. Die Zurschaustellung und Betonung von Bildung ist im vierten Jahrhundert fester Bestandteil der senatorischen Selbstdarstellung in Rom. Angehörige der oberen Schichten definieren sich durch ihr gemeinsames Interesse an Literatur und Philosophie.¹⁹⁸ Auch wenn es sich in der Regel um oberflächliche Bildung handelt, zeigt eine Figur wie Vettius Agorius Praetextatus, dass es in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhundert auch römische Senatoren gegeben hat, die sich tiefergehend mit griechischer Literatur und Philosophie
Augustinus berichtet an zwei Stellen von dieser Aufgabe, vgl. conf.VI 6,9 und c. litt. Pet. 3,30. Wie schon Seeck, Regesten, 266 verbindet O’Donnell, Confessions II, 356 f. die beiden Notizen mit einem einzigen Panegyrikus auf den Konsul Bauto, der im Beisein des Kaisers gehalten worden ist. Er wendet sich damit gegen Courcelle, Recherches, 80 – 83 der die Notizen auf zwei verschiedene Ereignisse bezieht. Themistius wurde wegen seiner Redegabe vom Senat von Konstantinopel mit zehn Gesandtschaften betraut (vgl. or. XVII 214b [306,26 f. Schenkl/Downey]]) und hielt mehrere Reden vor Kaisern, vgl. dazu Schramm, §40. Themistios, Ueberweg.Antike 5/1, 406 f.409. Mar. Victorin. rhet. I 1– 2 (3,18 – 23 Riesenweber) unterscheidet Victorinus zwar das Amt des rhetor als des Rhetoriklehrers vom orator als dem Redner, das heißt aber nicht, dass er nicht auch Reden gehalten hat. Noch Boeth. Porph. isag. 1,1 nennt ihn orator sui temporis ferme doctissimus (CSEL 48, 4,11). Auch Lössl, Epistolarity spekuliert, dass Victorinus zu diesem Anlass eine Rede gehalten haben könnte. Zu diesem Anlass verfasste er eine Rede auf Constantius II.: Them. Or. III. Vgl. zu ihm Schramm, §40. Themistios, Ueberweg.Antike 5/1, 406 – 427. Vgl. Adv. Ar. I 28, s.o. Anm. 148. Wobei die Sprachbarriere kein Hindernis darstellen musste, da man sich auch eines Übersetzers bedienen konnte, wie Libanius, wenn er mit Lateinern brieflich kommunizierte, vgl. dazu Pellizzari, network, Historika 3 (2013), 107 mit Belegen. S. dazu auch oben S. 96 – 100.
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auseinandergesetzt haben.¹⁹⁹ Das intellektuelle Profil des Praetextatus lässt sich insgesamt recht gut mit dem des Victorinus vergleichen: Praetextatus war im Griechischen wie Lateinischen bewandert, als Übersetzer tätig und an aristotelischer Logik interessiert.²⁰⁰ Das lässt sich gut mit Victorinus, dem Übersetzer der libri Platonicorum, der Isagoge des Porphyrius und dem Autor des logisch-definitorischen Traktates De definitionibus vergleichen.²⁰¹ Damit lässt sich erhärten, dass der gebildete Austausch und das Interesse an griechischer Philosophie im gesamten vierten Jahrhundert noch fester Bestandteil senatorischen Lebenshaltung in Rom war. Es ist daher auch anzunehmen, dass Victorinus eine umfangreiche Korrespondenz geführt hat. Das liegt schon deshalb nahe, da er als Rhetorikprofessor in ein weitreichendes Netz sozialer Verpflichtungen und Kontakte integriert war.²⁰² Am Beispiel des Libanius lässt sich zeigen, dass Lehrer auch über die Zeit der Ausbildung hinaus Kontakt zu ihren Schülern halten und ihnen beim Einstieg in das Berufsleben durch Empfehlungsschreiben behilflich sind.²⁰³ Bei seinem Aufstieg in
Vgl. dazu Kahlos, Praetextatus, 130 – 142.157, die das literarische und philosophische Interesse des Praetextatus in einen breiteren Kontext einordnet. S. 139 verweist sie auch auf die Nachricht, dass schon zum Plotinkreis Angehörige der senatorischen Schicht gehörten, vgl. Porph. Plot. 7,29 – 32. Vgl. auch die Korrespondenzpartner des Libanius in Rom bei Pellizzari, network, Historika 3 (2012), 101– 127; auch sie weist darauf hin, dass das verbindende Element zwischen ihnen und Libanius die gleiche Hochschätzung der Bildung ist (110). Zum Interesse an griechischer Literatur und Philosophie in den senatorischen Kreisen Roms im 4. Jh. vgl. auch Cracco Ruggini, Politici intellettuali, 48 – 58. Auch Lössl, Epistolarity vergleicht Victorinus knapp mit Praetextatus. Die Zweisprachigkeit des Praetextatus wird auch in der von seiner Frau verfassten Grabinschrift CIL VI 1779,8 f. hervorgehoben, dazu Kahlos, Praetextatus, 141 f., zu seiner Übersetzung der aristotelischen Schriften des Themistius und seinem Interesse an Aristoteles 134– 138. Usener, unechte Schrift, 59 – 66 erkannte, dass die unter dem Namen des Boethius überlieferte Schrift De definitionibus dem Victorinus zuzuschreiben ist. Dieselbe Erkenntnis hatte allerdings schon vorher ein mittelalterlicher Bearbeiter der Handschrift Vat. lat. 8591, der in margine Victorinus als Autor anführte, vgl. dazu Riesenweber, Towards, 121– 124. Riesenweber bereitet eine dringend benötigte neue Edition dieses Werkes vor, die Notwendigkeit begründet er im selben Beitrag und ders., Critical Remarks. Eine Übersicht über verschiedene Spekulationen, welche Schriften sich hinter den von Augustin gelesenen libri Platonicorum verbergen (conf. VII 9,13; VIII 2,3 [137,13; 154,16 f. Skutella]), bietet Karfíková, Art. „Victorinus“ DPA 7 (2018), 157 f. Die Frage lässt sich aus dem Werk des Victorinus nicht klären und ist daher eng verbunden mit Theorien zu den Quellen des jungen Augustinus. Vgl. zu diesem Bereich des Wirkens des Victorinus Hadot, Marius Victorinus, 105 – 210; Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 127– 130. In diesem zweiten Punkt hat die Theorie Augustins in conf. VIII 2,4, Victorinus wollte mit einer Taufe seine Freunde nicht verärgern, ihren realen Anhaltspunkt. Vgl. dazu auch Kahlos, Praetextatus, 124– 126. Vgl. dazu etwa Watts, Final, 53 f.66 – 70; Völker, Professoren. Zum weiteren Netzwerk des Libanius Cribiore, School, 83 – 110. Aufschlussreich für die Verbindungen des Libanius zu Vertretern der
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Rom hat Victorinus sicher ein Netzwerk von Freunden und Förderern aufgebaut, das er als Rhetor weiter gepflegt und genutzt hat.²⁰⁴ Man kann ihn trotz des zeitlichen Abstands auch mit Fronto vergleichen, der ursprünglich aus dem numidischen Cirta stammte und dem im zweiten Jahrhundert eine Karriere in Rom gelang. Auch dessen Korrespondenz zeigt, dass er als Förderer für Freunde mit gleichen Bildungsinteressen und für Schüler tätig war. Außerdem pflegt er noch Kontakte in seine numidische Heimat und fungierte als patronus der Stadt Calama, obwohl er Rom nie wieder verlassen hat.²⁰⁵ Wenn Victorinus auch weiterhin mit seiner africanischen Heimat verbunden war, könnte er von hier möglicherweise die Epistula Basilii erhalten haben, die wahrscheinlich auch an africanische Bischöfe adressiert war.²⁰⁶ Doch wird sich seine Korrespondenz nicht nur darauf beschränkt haben, soziale Erwartungen zu erfüllen. Man wird auch annehmen dürfen, dass Victorinus den intellektuellen Austausch mit Gleichgesinnten auch außerhalb Roms gesucht und gepflegt hat.²⁰⁷ Ebenso werden ihn auch interessierte Briefe und Anfragen gebildeter Zeitgenossen erreicht haben.²⁰⁸ Handelt es sich dabei auch nur um begründete Spekulation, so kann daraus doch wahrscheinlich werden, dass Victorinus wirklich gut über die aktuellen Debatten und Ereignisse informiert war. Ihm standen genügend potentielle Verbindungen zur Verfügung, über die er sich Informationen beschaffen konnte.²⁰⁹ In einem intellektuellen Netzwerk konnte er mit gleichgesinnten Gebildeten auf Griechisch und Lateinisch über gemeinsame Bildungsinteressen diskutieren oder Schriften austauschen. Rom war auch im vierten Jahrhundert weiterhin ein kul-
stadtrömischen Elite Pellizzari, network, Historika 3 (2013), 101– 127. Zu denken ist auch an Fälle wie Augustinus, der nach conf. IV 14,21 f. sein Werk De pulchro et apto dem römischen Redner Hierius in der Hoffnung widmete, diesen zu beeindrucken und von dem Kontakt zu profitieren. Ein eindrucksvolles Beispiel einer solchen eher zweckgebundenen Freundschaft bietet die Korrespondenz zwischen Symmachus und Ambrosius. Beide waren trotz ihrer Differenzen miteinander in Kontakt und nutzten diese soziale Beziehung, um ihre eigenen Interessen und die ihrer Freunde zu verfolgen. Vgl. dazu die prägnante Analyse von McLynn, Ambrose, 263 – 275. Vgl. dazu Ganter, Patron-Klient-Verhältnisse, 288 – 300. S. dazu oben S. 111– 114. Als Beispiel ganz eigener Natur dafür kann der Kontakt zwischen dem Rhetor Flavius Magnus und Hieronymus gelten, vgl. Hier. epist. 70. Pellizzari, network, Historika 3 (2013), 101– 127 zeigt die Verbindungen zwischen Libanius und intellektuellen Römern auf. So suchte z. B. Symmachus die Freundschaft mit Jamblich (epist. IX 2 [235 f. Seeck]). Ähnlich plädiert Diez, Leserführung, 68 – 70 für eine Berücksichtigung möglicher mündlicher Quellen Ciceros.
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turelles Zentrum von hoher Anziehungskraft.²¹⁰ Dabei kam dem Rhetor der Stadt sicher eine bedeutende Stellung zu.
2.5 Simplician und das intellektuelle Milieu des Victorinus Victorinus wurde in der Forschungsgeschichte auch deswegen häufig als isolierter Außenseiter betrachtet, da wir fast nichts über seinen Adressatenkreis und das intellektuelle Milieu wissen, in dem er sich bewegte.Vieles muss man sich daher aus den Themen und der Darstellungsweise seines Werkes erschließen. Immerhin ist aber mit Simplician, dem späteren Mailänder Bischof, eine Person aus dem Umfeld des Victorinus namentlich bekannt. Dessen theologische Interessen und intellektuelles Profil lassen sich erschließen aus Briefen des Ambrosius, die an ihn adressiert sind, aus der Schrift De diversis quaestionibus ad Simplicianum, in der Augustinus exegetische Anfragen Simplicians beantwortet, und den Erzählungen Augustins in den Confessiones und in De civitate Dei. ²¹¹ Methodisch ist dabei zu bedenken, dass die meisten Informationen aus einer späteren Lebensphase Simplicians stammen. Einige auffallende Ähnlichkeiten mit Victorinus in den theologischen und philosophischen Interessen legen es aber nahe, dass sich die beiden schon in Rom über diese Themen ausgetauscht haben und stellvertretend für ein bestimmtes intellektuelles Milieu der Hauptstadt stehen. Simplician wurde wahrscheinlich Anfang der 320er-Jahre geboren und war bereits in jungem Alter Christ, vielleicht auch schon früh Presbyter.²¹² Es ist kein sicheres Urteil darüber möglich, ob er auch in Rom geboren wurde oder seit wann er sich dort aufhielt. Die Erzählung in Augustins Confessiones setzt aber eine längere und intensive Freundschaft mit Victorinus voraus, sodass man ihn wohl bereits in den 340er-Jahren in Rom vermuten darf.²¹³
Vgl. Pellizzari, network, Historika 3 (2013), 121. Vgl. Mutzenbecher, Aug. Simpl., XX-XXII. Zu Simplician jetzt auch Drecoll, Art. „Simplicianus Mediolanensis“, AugL 5 (2021), 474– 477. Vgl. Aug. conf. VIII 1,1: Audieram etiam, quod a iuventute sua devotissime tibi viveret; iam vero tunc senuerat […]. (153,2 f. Skutella) Daraus folgt, dass er im Jahr 386 mindestens 60 Jahre alt war. Diesen Hinweis übersieht Solignac, circolo, Aug(P) 3 (1988), 45. Vgl. ebenso die Bezeichnung als senex in Aug. civ. X 29 (s. Anm. 216). Navoni, Art. „Simplician of Milan“, EEC online erwägt, dass Augustins Bemerkung a iuventute sua devotissime tibi viveret auf eine frühe Weihe zum Presbyter hindeuten könnte. Pasini, Simpliciano, Studia Ambrosiana 1 (2007), 56 hält es für wahrscheinlich, dass Simplician früh Presbyter wurde, da so die ungleiche Freundschaft mit dem viel älteren Victorinus besser erklärbar sei. Sie lässt sich aber auch über den gemeinsamen Bildungshorizont gut verstehen. Vgl. Aug. conf. VIII 2,3: […] Victorinum ipsum recordatus est, quem, cum Romae esset, familiarissime noverat […]. (154,25 – 27 Skutella) Vgl. auch die Formulierungen im Imperfekt in VIII 2,4.
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Ambrosius zeichnet Simplician in ganz ähnlicher Weise wie Augustinus den Victorinus: Simplician habe theologische Bildungsreisen unternommen, sei mit andauernder Lektüre befasst, habe einen scharfen Verstand, besitze herausragende philosophische Kenntnisse und könne philosophische Literatur aus einem christlichen Standpunkt heraus kritisch beurteilen.²¹⁴ Aus dem Gespräch Simplicians mit Augustinus in den Confessiones geht hervor, dass er die platonische Philosophie besonders schätzte und ihr eine besondere Nähe zum Christentum attestierte.²¹⁵ Augustinus berichtet zudem an anderer Stelle, dass Simplician ihm häufiger eine Anekdote über einen Platoniker erzählt habe, der den Johannesprolog besonders lobte. Daraus wird ersichtlich, dass Simplician persönliche Kontakte zu philosophischen Kreisen pflegte, die dem Christentum gegenüber offen eingestellt waren.²¹⁶ In dieser Weise beginnt auch seine Freundschaft mit Victorinus. Der große Solignac, circolo, Aug(P) 3 (1988), 45 hält ihn für einen Römer. Pasini, Simpliciano, Studia Ambrosiana 1 (2007), 49 legt das Gewicht auf die Formulierung Romae cum esset und deutet sie im Blick auf ähnliche Formulierungen Augustins über seinen eigenen Romaufenthalt so, dass Simplician nicht aus Rom stammte, aber sich längere Zeit dort aufhielt. McLynn, Ambrose, 36 vermutet ebenfalls, dass Simplician aus Mailand stammte, aber erst nach der Synode von Mailand 355 nach Rom ausgewichen sei, um nicht mit dem neuen Bischof Auxentius zusammenarbeiten zu müssen. Diese Vermutung fügt sich aber schlecht zur längeren Freundschaft mit Victorinus in Rom vor dessen Taufe. Vgl. Ambr. epist. 2: Sed quid est quod ipse dubites et a nobis requiras, cum fidei et adquirendae cognitionis divinae gratia totum orbem peragraveris et cottidianae lectioni nocturnis ac diurnis vicibus omne vitae huius tempus deputaveris, acri praesertim ingenio etiam intellegibilia conplectens, utpote qui etiam philosophiae libros, quam a vero sint devii, demonstrare soleas et plerosque tam inanes esse, ut prius scribentum in suis scriptis sermo quam vita eorum defecerit. (CSEL 82/1, 15,6 – 14) Die Formulierung intellegibilia conplectens ist als Anspielung auf das neuplatonische Interesse Simplicians zu lesen. So auch Madec, milieu, BLE 88, 197. Mutzenbecher, Aug. Simpl. XX-XXI versteht totum orbem peragraveris wörtlich als Bildungsreisen. Dagegen erwägt Solignac, circolo, Aug(P) 3 (1988), 46 auch die metaphorische Deutung, dass Simplician Werke aus Ost und West studiert habe. Vgl. das positive Urteil über die Platoniker in Aug. conf.VIII 2,3: […] gratulatus est mihi, quod non in aliorum philosophorum scripta incidissem plena fallaciarum et deceptionum secundum elementa huius mundi, in istis autem omnibus modis insinuari deum et eius verbum. (154,19 – 23 Skutella) Aus dem Kontext geht klar hervor, dass dies eine Aussage Simplicians über die libri Platonicorum ist. Gegen Dyroff, Prolog, 88 Anm. 5, der dies als Aussage Augustins über Victorinus deutet. Vgl. Aug. civ. X 29: Quod initium sancti evangelii, cui nomen est secundum Iohannem, quidam Platonicus, sicut a sancto sene Simpliciano, qui postea Mediolanensi ecclesiae praesedit episcopus, solebamus audire, aureis litteris conscribendum et per omnes ecclesias in locis eminentissimis proponendum esse dicebat. (450,33 – 451,5 Dombart/Kalb) Ich halte es gegen Dyroff, Prolog, 88 Anm. 5; Hadot, Marius Victorinus, 237 Anm. 12 und Abramowski, Nicänismus, ZAC 8 (2005), 514 nicht für wahrscheinlich, dass sich hinter dem quidam Platonicus Marius Victorinus verbirgt. Abramowski ist aber zuzustimmen, dass die Äußerung nur als positiv gegenüber dem Christentum interpretiert werden kann. Gegen die Identifizierung mit Victorinus spricht, dass er zum einen kein Platoniker mehr, sondern Christ war. Hätte der Johannesprolog bei seiner Bekehrung eine wichtige Rolle ge-
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Altersunterschied zwischen den beiden macht es wahrscheinlich, dass sie sich durch Vermittlung anderer Intellektueller mit ähnlichen Interessen kennengelernt haben. Simplician war zudem sehr an Fragen der Bibelauslegung interessiert. Das wird in seinen Korrespondenzen mit Augustinus und Ambrosius erkennbar. Er bittet seine Adressaten um die Auslegung verschiedener alttestamentlicher und paulinischer Stellen. Mutzenbecher hat in ihrer Edition die Anfragen rekonstruiert, die den Ausführungen Augustins in Ad Simplicianum zugrunde liegen.²¹⁷ Sie arbeitet heraus, dass die meisten Stellen, um deren Besprechung Simplician bittet, in der exegetischen Tradition eine Rolle in polemischen Auseinandersetzungen mit Gnostikern und Manichäern spielen.²¹⁸ Ähnliches lässt sich vielleicht auch für einen Austausch mit Ambrosius zeigen, in dem Ambrosius 1Kor 7,23 auslegt.²¹⁹ Diese Stelle ist in markionitischen Kreisen als Beleg dafür ausgewertet worden, dass Christus eine ihm fremde Schöpfung erlöst habe, da man nur etwas kaufe, was einem nicht schon gehöre.²²⁰ Ambrosius setzt in seiner Auslegung von 1Kor 7,23 ein deutliches philosophisches Interesse seines Adressaten voraus, wenn er den Vers im Sinne des stoischen Paradoxons auslegt, dass alle Weisen frei, alle Toren Sklaven seien.²²¹ Diese Spur spielt, hätte Simplician dies Augustin wohl berichtet. Zum anderen hätte Simplician den Victorinus gegenüber Augustinus wahrscheinlich namentlich genannt, wenn er die Geschichte schon so häufig erzählte, wie die Formulierung solebamus audire nahelegt. Es dürfte sich vielmehr um einen uns nicht weiter bekannten Platoniker handeln, der eine offene Haltung gegenüber dem Christentum an den Tag legte. Die Identifizierung mit Victorinus entspricht einer Tendenz, solche Phänomene auf Victorinus als den einzig namentlich bekannten Vertreter dieses Milieus zu beziehen, wodurch dieser noch isolierter erscheint, s. dazu auch S. 239, Anm. 9. Vgl. Mutzenbecher, Aug. Simpl., IX-XIV. Dagegen Drecoll, Art. „Simplicianum (Ad‐), AugL 5 (2021), 463. Vgl. Ambr. epist. 7,4 (CSEL 82/1, 44 f.) Daraus wird nicht ganz klar, ob Ambrosius 1Kor 7,23 völlig frei auswählt oder ob er damit an das Gespräch mit Simplician über Paulus anknüpft (7,1 f.).Vgl. dazu Pasini, Simpliciano, Studia Ambrosiana 1 (2007), 61. Ambr. epist. 2 behandelt Ex 24,5 f., ein polemischer Kontext ist hier nicht zu erkennen. Ambr. epist. 3 hat Lev 10,16 – 20 zum Gegenstand. Hier könnte höchstens eine implizite Kritik am Alten Testament vermutet werden, da die Frage lautet, warum hier Mose dem Rat seines Bruders Aaron folgt, obwohl er doch ein besonders ausgezeichneter Prophet gewesen sei, vgl. epist. 3,1 (CSEL 82/1, 19,1– 11). Ambr. epist. 10 liegt keine Frage Simplicians mehr zugrunde, sondern es handelt sich um eine eigenständige Weiterführung des Ambrosius zu seinen Auslegungen in epist. 7. Vgl. Or. Hom. in Ex. 6,9: Sed si ipse Dominus creator est omnium, videndum est, quomodo hic ‚acquisisse‘ dicatur, quae sua esse non dubium est […]; videtur enim unusquisque illud acquirere, quod non fuit suum. Inde denique et haeretici dicunt de Salvatore quia non erant sui, quos ‚acquisivit‘; dato etenim pretio mercatus est homines, quos creator fecerat. (200,6 – 13 Baehrens) Vgl. Ambr. epist. 7,4: […] ostendens libertatem nostram in Christo esse, libertatem nostram in cognitione esse sapientiae. Quae sententia magno a philosophis fluctuata adque iactata est dispu-
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verfolgt Ambrosius im folgenden Brief an Simplician weiter, indem er 1Petr 3,3 f. als Ausdruck des stoischen Satzes auslegt, dass jeder Weise reich sei.²²² In dieser Weise präsentiert Ambrosius das Christentum und insbesondere Paulus als die wahre Philosophie im Vergleich mit den paganen Philosophenschulen. Das Interesse Simplicians an Paulus ist auch dadurch belegt, dass er Ambrosius dazu ermunterte, über Paulus zu predigen. Gegenüber Ambrosius äußert er, dass Paulus aufgrund seiner Gedankentiefe manchmal kaum zu verstehen sei, für den Zuhörer erhebend wirke und dem Ausleger ein Ansporn sei. Es gebe aber auch solche Stellen, an denen sich Paulus selbst auslege und der Exeget nur wie der Grammatiker den Wortsinn erklären müsse.²²³ Diese Bemerkung erinnert deutlich an die Pauluskommentare des Victorinus, der meistens nur den Wortsinn und die Gedankenstruktur des Textes erklärt, an wenigen Stellen aber auch in eine tiefere philosophische Reflexion einsteigt. Dabei muss unklar bleiben, ob Victorinus Anstöße von Simplician zur Pauluslektüre erhalten hat oder ob seine Pauluskommentierung umgekehrt auf Simplician Eindruck gemacht hat.²²⁴ Es lässt sich aber festhalten, dass die beiden ihr Interesse an der platonischen Philosophie und an Paulus verbindet. Simplician und Victorinus sind beide in einem Milieu beheimatet, in dem eine Offenheit für die platonische Philosophie und das Christentum bestand, ohne dass die Glaubenszugehörigkeit ein Hindernis für persönliche Freundschaften dargestellt hätte. Simplician und Victorinus waren schon befreundet, als Victorinus noch kein Christ war, und Simplician hatte im Laufe seines Lebens Kontakte zu weiteren Platonikern. Dieser Befund passt gut zur Rekonstruktion der römischen Bildungselite, wie ich sie in der Untersuchung des Cicerokommentars des Victorinus herausgearbeitet habe.²²⁵ Victorinus und Simplician gehören intellektuellen Kreisen an, die ihr Zusammengehörigkeitsgefühl mehr über das gemeinsame Bildungsinteresse definieren als über Fragen der religiösen Gruppenzugehörigkeit. Wenn uns auch sonst keine weiteren Vertreter dieser intellektuellen Kreise namentlich bekannt sind, so lässt allein das vergleichbare intellektuelle Profil Simplicians Victorinus schon weit weniger isoliert erscheinen. tationis molimine dicentibus quia ‚omnis sapiens liber‘, omnis autem insipiens serviat. (CSEL 82/1, 45,29 – 33). Vgl. Ambr. epist. 10,1. Vgl. Ambr. epist 7,1: Proxime cum veteris amoris usu familiaris inter nos sermo caederetur, delectari te insinuasti mihi, cum aliquid de Pauli apostoli scriptis coram populo ad disputandum adsumerem, quod eius profundum in consiliis vix compraehendatur, sublime in sententiis audientem erigat, disputantem accendat, tum quia in plerisque ita se ipse suis exponat sermonibus, ut is, qui tractat, nihil inveniat, quod adiciat suum, ac si velit aliquid dicere, grammatici magis quam disputatoris fungatur munere. (CSEL 82/1, 43,3 – 44,11) Vgl. Mutzenbecher, Aug. Simpl. XIV-XX. S.o. S. 96 – 100.
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C Datierung, Kontext und Adressaten der christlichen Schriften
Aus den exegetischen quaestiones Simplicians an Augustinus und Ambrosius ist darüber hinaus ein starkes Interesse an der Auseinandersetzung mit der Gnosis und dem Manichäismus deutlich geworden. Auch die Werke des Victorinus zeigen an vielen Stellen ein Interesse an der Auseinandersetzung mit gnostischen Texten, gerade auch in exegetischen Diskussionen.²²⁶ Man darf also vermuten, dass dieses Interesse beide auch schon in ihrer gemeinsamen Zeit in Rom verbunden hat und vielleicht auch auf persönliche Kontakte zu solchen Kreisen zurückzuführen ist.²²⁷ Zumindest ist aber möglich, dass sie in dieser Zeit bereits gnostische oder manichäische Texte gelesen und diskutiert haben. Die besondere Stellung des Paulus und des Johannesevangeliums, die wir bei Victorinus greifen können, könnte auf diese doppelte Konstellation zurückzuführen sein: Der philosophisch interessierte Simplician erkennt Paulus eine besondere Gedankentiefe (profundum in consiliis)²²⁸ zu und berichtet von der Hochschätzung des Johannesevangeliums aufseiten platonischer Philosophen. Ebenso zeigen gnostische Kreise wohl aus ähnlichen Gründen ein besonderes Interesse gerade an diesen Teilen des Neuen Testaments.²²⁹ Es könnte daher ein weitere Interesse des Victorinus gewesen sein, Paulus und Johannes für eine kirchliche, nizänische Theologie gegen die Ansprüche gnostischer Texte zu reklamieren. Wenn Simplician die Reisen, von denen Ambrosius berichtet, in der Tradition der antiken Bildungsreisen schon als junger Mann unternommen hat, kann man zudem annehmen, dass er auch viele seiner dabei gewonnenen Kenntnisse an Victorinus weitergegeben hat. Damit wäre er ein weiteres Bindeglied zwischen Victorinus und der übrigen christlichen Tradition. Wenn seine Reisen klassischerweise auch in den Osten des Reiches gingen, kann sogar vermutet werden, dass er griechische Theologie und Exegese, darunter vielleicht auch Werke oder Gedanken des Origenes, an Victorinus vermittelt hat.²³⁰ Solignac vermutet außerdem, dass Simplician auch Athanasius in Rom kennengelernt haben könnte.²³¹ Spätestens in Mailand beeinflusste er zumindest Ambrosius im Sinne einer nizänischen Theo-
Mutzenbecher, Aug. Simpl., XVI Anm. 4 verweist für eine antimanichäische Exegese bei Victorinus auf in Gal. 2,19,1– 9. Dort lehnt Victorinus die Vorstellung von zwei Gesetzen ab. Und in Phil. 2,6 – 8,63 f., wo Victorinus eine doketische Deutung von Phil 2,7 ablehnt. S. dazu auch unten S. 415 mit Anm. 244. Aug. conf. V 10,19 (92,17 f. Skutella) spricht von einer nennenswerten Zahl an Manichäern in Rom. Vgl. de Bruyn, Commentary, 15 – 17 für die antimanichäische Tendenz der Pauluskommentierung des Pelagius und des Ambrosiaster. Ambr. epist. 7,1 (s. Anm. 223). S.o. 128 f. Sehr deutlich votiert dafür Belcastro, Simpliciano, Adam. 19 (2013), 170 – 184 an. Er sieht Simplician als zentralen Vermittler des „Origenianismus“ an Ambrosius, Augustin und Victorinus. Vgl. Solignac, circolo, Aug(P) 3 (1988), 46.
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logie, vielleicht auch schon in Rom.²³² Wie sich diese nizänische Haltung bei ihm entwickelt hat und wie sie sich zur Entwicklung des Victorinus verhält, ist nicht rekonstruierbar.²³³ Man kann aber bei beiden dieselbe Verbindung eines Interesses an platonischer Philosophie mit einer nizänischen Theologie feststellen. Mit Simplician können wir also in jedem Falle einen intendierten Leser der Werke des Victorinus fassen. Über Simplician lassen sich gewisse Parallelen zwischen dem intellektuellen Milieu Roms in den 350er-Jahren und dem sog. „Mailänder Kreis“ ziehen. Es dürfte auch in Rom eine Gruppe von Intellektuellen gegeben haben, die sich sowohl für neuplatonische Philosophie als auch für christliche Theologie und Exegese interessiert haben und sich gemeinsam darüber ausgetauscht und einander beeinflusst haben.²³⁴ Dabei ist es auch möglich, dass sich im Umfeld des Victorinus auch Sympathisanten der Gnosis und des Manichäismus befunden haben oder dass in diesen Kreisen zumindest solche Texte diskutiert wurden.²³⁵ Es ist noch einmal wichtig festzuhalten, dass diese intellektuellen Freundeskreise kein konkretes Programm einer Synthese von Christentum und Neuplatonismus verfolgt haben, wie es häufig mit dem „Mailänder Kreis“ in Verbindung gebracht wird.²³⁶ Mein Versuch der Rekonstruktion dieser Kreise zeigt vielmehr, dass es sich um einen offenen Austausch verschiedener Positionen handelt, der vom Interesse an ähnlichen Themen getragen wird. Die dogmatischen Traktate des Victorinus sind aber insbesondere ein Beitrag zur zeitgenössischen Debatte um die Trinitätslehre innerhalb der christlichen Ge-
Vgl. dazu nur knapp Drecoll, Ambrosius, 130. Er sieht zudem in Aug. conf.VIII 2,3 mit Simplicians Bemerkung, dass deus et eius verbum in den neuplatonischen Schriften bereits angedeutet seien, einen Hinweis auf die Auseinandersetzung zwischen Nizänern und Homöern. Das scheint mir unwahrscheinlich, da die Homöer ja nicht an der Existenz des Logos zweifeln. Außerdem entspricht die Formulierung auch Augustins eigenem Urteil über die Schriften in Aug. conf. VII 9,14. Zur Möglichkeit, dass der Einfluss Simplicians auf Ambrosius schon auf die Jugendzeit des Ambrosius in Rom zurückgeht, vgl. Pasini, Simpliciano, Studia Ambrosiana 1 (2007), 49 – 51. Vgl. dazu auch Solignac, circolo, Aug(P) 3 (1988), 45 und Markschies, Ambrosius, 79 – 83. Optimistischer sind Pasini, Simpliciano, Studia Ambrosiana 1 (2007), 55 und McLynn, Ambrose, 36. Beide spekulieren in unterschiedlicher Weise über den Eindruck, den die Synode von Mailand und die Wahl des Auxentius auf Simplician gemacht haben könnten. Vgl. diese Definition zur Richtigstellung des Missverständnisses, es handele sich dabei um eine feststrukturierte Schule, bei Solignac, circolo, Aug(P) 3 (1988), 43: „Si tratta semplicemente di alcuni uomini che si interessano alla stessa corrente di pensiero, che hanno delle relazioni fra loro e che partecipano a degli incontri a due o più.“ Aug. conf. V 13,23 bezeugt, dass es etwa 30 Jahre später einflussreiche manichäische Kreise in Rom gab, die ihn gefördert haben. Vgl. nur Solignac, circolo, Aug(P) 3 (1988), 56: „[…] il neoplatonismo è stato sottoposto ad un processo critico di cristianizzazione, iniziato da Vittorino, sottolineato da Ambrogio.“
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C Datierung, Kontext und Adressaten der christlichen Schriften
meinschaft. Auch in diesem Fall lässt sich bei aller Härte der argumentativen Auseinandersetzung eine gewisse Offenheit des Victorinus feststellen. Für ihn steht zwar fest, dass die Trinitätstheologie auf dem Boden des Nizänum ausgestaltet werden muss, aber das führt ihn nicht zu einer einseitigen Verurteilung anderer Positionen. Er ist in seinen Schriften darum bemüht, Arianer, Homöer und Homöusianer von seiner theologischen Position zu überzeugen. Dabei versucht er auch immer wieder, eine gemeinsame Grundlage zu finden, auf der es möglich ist, seine Kontrahenten zu überzeugen. Seine grundsätzliche Offenheit im innerchristlichen Diskurs zeigt sich gut im Vergleich mit der zeitgleich entstehenden Trinitätsschrift des Hilarius. Dieser spricht über alle Positionen, denen er nichts abgewinnen kann, in den schärfsten polemischen Tönen. Damit zeigt er, dass ihm an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Homöern, Arianern oder Anhängern Photins nicht gelegen ist. Er charakterisiert diese Positionen regelmäßig in verschiedenen Variationen als Seuchen und Krankheiten, mit denen die Kirche infiziert worden sei, die geheilt und ausgerottet werden müssten.²³⁷ Aus diesem Grundton wird deutlich, dass Hilarius mit seiner Schrift vorrangig das Ziel einer Selbstaffirmation verfolgt und sich in den Spuren klassischer antihäretischer Topik bewegt. Dagegen ist der Ton der Auseinandersetzung bei Victorinus wesentlich zurückhaltender. Er bezeichnet seine Gegner zwar an einigen Stellen auch als Häretiker, wird dabei aber nur an einer Stelle in ähnlicher Weise polemisch wie Hilarius.²³⁸ Wenn er sich in Adversus Arium II an Homöer und Homöusianer wendet, setzt er dabei gerade voraus, dass diese ansonsten weitgehend den richtigen Glauben hätten. Nur das eine Wort ὁμοούσιον sei die Hürde, wegen der sie zu Häretikern würden.²³⁹ Bei allem Trennenden betont Victorinus also stets auch die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen theologischen Parteien.²⁴⁰ Man muss daher insgesamt mit einem vielschichtigen Adressatenkreis des Victorinus rechnen: Auf der einen Seite lassen sich christliche und nichtchristliche Intellektuelle vermuten, die ein ausgeprägtes Interesse an metaphysischen Frage Vgl. Hil. trin. II 4,28 – 32 (CCSL 62, 40 f.); II 4,9 – 18 (CCSL 62, 58);V 15,7 f. (CCSL 62, 164);VI 1,4 f. (CCSL 62, 196); VII 3,30 f. (CCSL 62, 262); VIII 1,26 – 37 (CCSL 62 A, 312); X 51,1– 4 (CCSL 62 A, 504). Vgl. für haeresis Adv. Ar. I 27 (60,22 Locher); I 28 (62,4 Locher); I 46 (82,13 Locher); II 2 (101,32 Locher); homous. 2 (169,18 Locher), für haereticus Adv. I 43 (78,24 Locher); II 8 (108,28 Locher); II 9 (109,1.10.32 f.; 110,1 Locher); II 12 (113,20 Locher); homous. 1 (168,9 Locher); 4 (171,14 Locher). Mit der Polemik des Hilarius ist darunter nur Adv. Ar. II 9 (109,34– 110,1 Locher) vergleichbar: Quia nuper erupit venenata cohors haereticorum. Auch bei den anderen Stellen ist jeweils der Kontext zu berücksichtigen. Vgl. Adv. Ar. II 9 (109,10 f. Locher). Das konstatiert auch Löhr, Kirchenparteien, 136 im Kontrast zu polemischen Autoren wie Phoebadius.
3 Fazit
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stellungen haben und diese unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit diskutieren. Zudem lässt sich ein starkes exegetisches Interesse feststellen, das auch mit der Auseinandersetzung mit konkurrierenden gnostischen Auslegungstraditionen verbunden ist. Hier stehen Auseinandersetzungen verschiedener Konzepte eines philosophischen Christentums im Hintergrund, die ähnliche theologische und philosophische Interessen in unterschiedlicher Form entwickelten. Victorinus zielt aber offensichtlich auch auf ein christliches Publikum ab, das sich für die Auseinandersetzungen des Trinitarischen Streits interessiert oder bei dem Victorinus dieses Interesse wecken möchte. Die Entfaltung seiner Trinitätstheologie gegen Arianer, Homöer und Homöusianer verfolgt innerkirchlich die Absicht, das Nizänum als richtige Interpretation des christlichen Glaubens zu verteidigen und die Gegner davon argumentativ zu überzeugen. Angesichts der schwachen theologischen Position der römischen Bischöfe verfolgt Victorinus aber auch das Ziel, ein tieferes Verständnis für die Probleme der Trinitätstheologie bei den westlichen Anhänger des Nizänums zu bewirken. Er möchte mit seinen Schriften auch solche Theologen wie Liberius erreichen, die zwar nominell das Nizänum verteidigen, ohne es auch inhaltlich durchdrungen zu haben. Victorinus wollte damit das doppelte Vakuum in Rom füllen, das Ende der 350er-Jahre spürbar wurde: Die römische Kirche war mit dem Machtkampf zwischen Liberius und Felix beschäftigt und dadurch von den aktuellen Diskussionen in der Trinitätstheologie abgelenkt. Und beide Prätendenten auf den Bischofsstuhl dürften nicht das intellektuelle Format des Victorinus besessen haben, um die Probleme zu durchdringen und darzustellen.
3 Fazit Aus diesen Vorüberlegungen ergibt sich, dass Victorinus sich zwischen 358 und 360 in einer Reihe rasch aufeinander entstandener Schriften in die aktuellen Debatten zum Trinitarischen Streit einschaltete. Zuvor hatte er sich sicher schon länger mit christlicher Theologie und zeitgenössischen Debatten zur Trinitätstheologie befasst. Eine intensivere Beschäftigung mit dem Nizänum lässt sich gut in die Debatten im Umfeld der Synoden von Arles und Mailand verorten, in denen der Text des Bekenntnisses allmählich wieder in den Mittelpunkt rückt. Wahrscheinlich fühlt sich Victorinus auch durch die chaotischen Zustände in Rom nach der Rückkehr des Liberius dazu veranlasst, schriftstellerisch tätig zu werden. In seinem Epheserkommentar bringt er die Aufgaben der Schriftauslegung und der Erörterung theologischer Probleme mit den kirchlichen Ämtern der Lehrer und Propheten in Verbindung. Er hat sich selbst daher mindestens als Lehrer,
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wahrscheinlich sogar als Prophet verstanden, der ein gewisses Vakuum in der römischen Kirche ausfüllen kann. Die zum Teil spekulative Rekonstruktion des intellektuellen und sozialen Milieus des Victorinus in Rom in der Mitte des vierten Jahrhunderts spricht dafür, dass Victorinus kein isolierter Denker war. Er war mit Sicherheit in Rom und darüber hinaus gut vernetzt, konnte sich Informationen auch aus dem griechischen Osten beschaffen und sich mit gleichgesinnten vor Ort und brieflich austauschen. Diese Rekonstruktion wird sich in der genauen Analyse der Texte im zweiten Teil der Arbeit erhärten lassen. Dort soll gezeigt werden, dass Victorinus kenntnisreich ältere exegetische Traditionen aufnimmt und kommentiert und informierte Beiträge zu den aktuellen Diskussionen innerhalb der christlichen Theologie leistet.
D Der literarische Aufbau des theologischen Werkes 1 Methodische Vorüberlegungen 1.1 Kritik an der Quellenforschung Für die Interpretation der trinitätstheologischen Traktate ist eine erneute Untersuchung des literarischen Aufbaus der Schriften unerlässlich. Hadot setzt mit seinem quellenkritischen Zugang zum Werk des Victorinus notwendigerweise voraus, dass sich in der sprachlichen Gestaltung und im logischen Aufbau der Schriften klare Brüche zeigen lassen. Erst diese Brüche ermöglichen es, „Fremdkörper“ zu identifizieren und diese einer ursprünglich griechischen Quelle zuzuweisen. Damit sind zugleich Vorannahmen über die Arbeitsweise des Marius Victorinus verbunden, die es zu überprüfen gilt.¹ Erstens setzt Hadot voraus, dass Victorinus eine sehr wörtliche lateinische Übersetzung griechischer Texte anfertigt. Das habe zur Folge, dass sich in den übersetzten Passagen für den Autor untypisches Vokabular und untypische stilistische Eigenheiten fänden. Außerdem leide die latinitas der übersetzten Teile, da im Zuge der wörtlichen Übersetzung eine Reihe griechischer Fremdwörter, Gräzismen und weiterer sprachlicher Auffälligkeiten stehen blieben. Zweitens setzt er voraus, dass Victorinus diese übersetzten Teile dann auch inhaltlich schlecht in sein Werk integriert habe. Daher komme es an manchen Stellen zu weitschweifigen Ausführungen, die mit der eigentlichen Argumentation nichts zu tun hätten, die in Inhalt und Sprache auffallend nichtchristlich geprägt seien oder in anderer Weise den Kontext störten. An diesen Stellen übernehme Victorinus unverändert Material aus seiner Quelle, ohne die Auswahl ganz auf seine eigene Darstellung abzustimmen. Während sich die so identifizierten Fremdkörper deutlich von ihrem Kontext unterschieden, zeichneten sie sich aber durch eine innere Kohärenz aus, was auf eine einheitliche literarische Vorlage schließen ließe. Hadot betont, dass es nicht das Ziel der Quellenforschung ist, die Originalität und das Können eines Autors anzuzweifeln. Vielmehr solle durch das Offenlegen der Quellen eine Grundlage für ein besseres Verständnis der Werke gelegt werden, ohne dass sie als ein disparates Mosaik wahrgenommen werden.² Dieses Verspre-
Vgl. zum Folgenden Hadot, Porphyre, 38 f. Dort skizziert Hadot seine methodischen Vorannahmen, die er dann 45 – 67 auf die Texte anwendet. Vgl. Hadot, Porphyre, 35. Dazu auch Diez, Leserführung, 30 f. https://doi.org/10.1515/9783110987577-004
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D Der literarische Aufbau des theologischen Werkes
chen lässt sich aber kaum einlösen, wenn überall kompositionelle und sprachliche Mängel diagnostiziert werden, die die Kohärenz der Schriften wesentlich stören. Diese Mängel werden von Hadot lediglich mit dem Verweis auf die Bedingungen der spätantiken Literaturproduktion entschuldigt. Er verweist auf das frühere Urteil Marrous, dass auch Augustinus seine Schriften schlecht verfasst habe.³ Auf den ersten Blick zeigt sich hier eine klassizistische Perspektive auf die Spätantike, die die literarischen Produkte dieser Epoche im Rahmen einer Verfallsgeschichte deutet. Marrous Urteil ging jedoch soweit, dass er die kompositionelle Qualität der antiken Literatur insgesamt in Zweifel zog.⁴ Offensichtlich legt er an die antike Literatur dabei einen Maßstab an, der ihr selbst fremd ist, wenn selbst literarische Größen wie Cicero oder Platon nicht in der Lage gewesen sein sollen, ihre Werke ordentlich aufzubauen.⁵ Diese vermeintlichen Mängel psychologisch aus der Konstitution der Verfasser heraus oder durch äußere Umstände wie Zeitdruck zu erklären, führt in der Sache auch nicht weiter. Hierbei handelt es sich um letztlich nicht beweisbare Faktoren. Marrou selbst hat sein harsches Urteil in seiner Retractatio daher auch vollkommen widerrufen und zu einer viel positiveren Einschätzung der Kompositionstechnik Augustins gefunden.⁶ Auch mit Blick auf das literarische Schaffen des Victorinus erweist sich das Urteil, er habe seine Schriften schlecht verfasst, als äußerst problematisch: Schließlich war er der Professor für Rhetorik der Stadt Rom. Es ist schwer vorstellbar, dass die Bildungselite Roms einen Mann für diese Stellung ausgesucht hätte, der nicht in der Lage ist, kohärente Schriften zu verfassen. Insbesondere vor dem Hintergrund der rekonstruierten Biographie scheint es unangemessen, Victorinus eine so sklavische Abhängigkeit von seinen schriftlichen Quellen zu unterstellen. Erstens ist Victorinus bei der Abfassung seiner Schriften bereits ein alter Mann. Er hatte also ein Menschenalter Zeit, sich ausführlich mit allem möglichen philosophischen Schrifttum zu befassen. Darüber hinaus hatte er zeit seines Lebens die Möglichkeit sich mit philosophisch interessierten und gebildeten Menschen auszutauschen. Als Victorinus Ende 350er-Jahre mit seiner theologischen Schriftstellerei begann, hatte er sich also bereits auf verschiedenen Wegen einen umfangreichen Wissensschatz erarbeitet, aus dem er nur noch zu schöpfen brauchte.
Vgl. Marrou, Saint Augustin, 61: „ Un commerce prolongé avec l’œuvre augustinienne met bien souvent á l’épreuve la patience d’un Français d’aujourd’hui : ‹ Saint Augustin compose mal ›, ‹ sa composition est beaucoup trop lâche ›, telle est la critique qui se formule spontanément. “ Marrou, Saint Augustin, 74 Anm. 4 nennt Platon, Cicero, Livius, Tacitus. S. zur Kritik an der Quellenforschung oben S. 26 – 28. Vgl. Marrou, Retractatio, 665 – 672.
1 Methodische Vorüberlegungen
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Zweitens ist seine Taufe nach dem Bericht des Augustinus nicht mit dem Beginn seines Interesses an der christlichen Theologie gleichzusetzen. Vielmehr setzte sich Victorinus schon lange vorher mit christlichen Texten aller Art auseinander. Zu Beginn seiner literarischen Tätigkeit als christlicher Theologe hatte er bereits ausreichend Gelegenheit, die Themen zu durchdenken und musste sich nicht erst mühsam unter Hinzunahme aller möglichen Quellen in die Diskussionen einarbeiten.⁷ Man sollte daher zunächst vom gegenteiligen Vorurteil ausgehen und annehmen, dass Victorinus es beabsichtigte und dazu in der Lage war, kohärente Schriften zu verfassen. Anhand der rhetorischen und literarischen Standards seiner Zeit soll überprüft werden, inwieweit ihm dies gelungen ist. Dabei ist natürlich auch davon auszugehen, dass er in einzelnen Fällen auch literarische Quellen in sein Werk eingearbeitet hat. Jedoch wird er diese so ausgewählt und integriert haben, dass die Kohärenz seines Werkes nicht gestört wird, sodass sich ein sinnvolles Ganzes ergibt.
1.2 Die Gattung und Komposition der Schriften Da die Produktion und Rezeption antiker Literatur immer auch stark durch Gattungskonventionen bedingt sind, muss auch für die victorinischen Schriften der Versuch einer Gattungsbestimmung vorgenommen werden.⁸ Victorinus selbst nennt seine Schriften oder Teile davon oratio, sermo, tractatus oder disputatio. ⁹ Verbal beschreibt er seine schriftstellerische Tätigkeit neben den Allerweltsworten dicere und loqui häufig mit den Begriffen tractare, probare, asserere, docere oder demonstrare. ¹⁰ Daran wird zur Genüge deutlich, dass er seine Arbeiten als rheto-
Auch hier ist ein Vergleich des Victorinus mit Cicero instruktiv, der ebenso nach einem Leben philosophischer Studien erst in größerem Maße schriftstellerisch tätig wurde. Vgl. dazu auch Diez, Leserführung, 68 – 70. Zur Bedeutung der Gattungen für die Produktion und Rezeption der Literatur vgl. nur knapp Albrecht, Geschichte der römischen Literatur I, 13 – 18. Zur rhetorischen und poetologischen Gattungsreflexion in der Antike vgl. Klausnitzer, Gattungsforschung, 121– 126. oratio in Ad Cand. 31 (28,9 Locher), homous. 1 (167,15 Locher), sermo in Ad Cand. 12 (18,3 Locher), Adv. Ar. I 1(32,14 Locher), Adv. Ar. IV 3 (136,13; 137,5 Locher), tractatus in Adv. Ar. II 9 (108,31 Locher), Adv. Ar. IV 4.9 (137,10; 142,23 f. Locher), homous. 4 (171,14 Locher), disputatio in Adv. Ar. IV 4 (137,10 Locher). tractare in Adv Ar I 1 (32,15 Locher), II 8.12 (108,29; 113,18 Locher), III 18 (134,6 Locher), IV 18 (151,27 Locher), homous. 4 (170,26; 171,11.13 Locher), probare in Adv. Ar. II 4.7.12 (106,2; 107,16 f.27; 112,17 f.27 Locher), Adv. Ar. III 1.4.9.10 (114,5; 119,7; 123,21; 124,18 Locher) IV 5.6.16.18.25.32 (138,1; 140,11; 148,30; 151,28; 158,25; 134,27 Locher), asserere in: Adv. Ar. I 2 (33,29 Locher), Adv. Ar. III 1 (114,5 Locher), IV 32 (164,27 Locher); docere in Adv. Ar. I 2 (33,28 Locher), Adv. Ar. II 2.10 (102,17; 111,9 Locher), Adv. Ar. III 2.7.9.10.15.18
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D Der literarische Aufbau des theologischen Werkes
rische Texte auffasst, deren Ziel es ist eine Position argumentativ zu entfalten und seine Leser davon zu überzeugen. Als Rhetoriklehrer liegt es für ihn nahe, seine Texte nach rhetorischen Gesetzlichkeiten zu gestalten. Daher ist es nicht nur legitim, sondern geradezu geboten, diese Texte nach der Maßgabe der antiken Rhetorik zu analysieren. Eine besondere Stellung nehmen die ersten vier Schriften des Gesamtwerkes ein, die sich als eine Art Briefwechsel zu erkennen geben. Erstaunlich ist daran aber, dass typische Elemente des Briefes völlig fehlen, insbesondere Grußformeln am Anfang und Ende des Briefes. Die Adressaten sprechen sich zwar pathetisch, aber knapp im Vokativ an.¹¹ Das erinnert eher an eine Widmung als an einen Briefanfang, sodass die minimalen Anforderungen an die Gattung des Briefes nur bedingt erfüllt werden. Victorinus nennt diese Schriften ebenfalls Rede (oratio) oder Gespräch (sermo), was an die antike Definition des Briefes als eine Hälfte eines Dialoges erinnert.¹² Es zeigt sich aber, dass die Briefe eher als Abfolge von Traktaten gestaltet sind und eher als Rede und Gegenrede aufzufassen sind.¹³ Die Kommunikationssituation rechnet von vornherein deutlich mit einem größeren Lesepublikum, denn die Korrespondenten setzen in ihren Briefen nichts voraus, was nur ihnen als Gesprächspartner bekannt wäre, und sprechen sich auch nur selten direkt in der zweiten Person an.¹⁴ Auch diese ersten vier Schriften können also als eindeutig rhetorisch gestaltete Schriften untersucht werden.
(115,25; 121,21; 123,17; 124,7; 130,9; 133,24 f. Locher), IV 6.8.10.11.15.16.20.21.23.24.26. 28.31 (140,5; 141,5.13; 143,20; 145,3; 148,28; 149,4; 153,23; 154,31 f.; 156,1; 157,30; 159,19; 160,29; 163,15; 164,25 Locher), demonstrare in Ad Cand. 29 (26,18 f. Locher), Adv. Ar. I 20.45 (51,12 f.; 81,3 Locher), Adv. Ar. Ib 51.52.61.62 (87,6.32; 88,1; 95,32; 96,29 Locher), Adv. Ar. IV 32 (165,12 Locher). Vgl. Cand. I 1: o mi dulcis Victorine (1,1 Locher), Ad Cand. 1: o generose Candide (10,1 Locher), Cand. II 1: o amice Victorine (29,1 Locher), und Adv. Ar. I 1: o amice Candide (32,14 Locher). Vgl. dazu das Zitat des Herausgebers der Aristoteles-Briefe Artemon bei Ps.-Demetr. eloc. 223: […] εἶναι γὰρ τὴν ἐπιστολὴν οἷον τὸ ἕτερον μέρος τοῦ διαλόγου. Vgl. zum Brief als Gattung der Philosophie insgesamt Männlein-Robert/Riedweg, §6. Gattungen, in Ueberweg.Antike 5/1, 70 – 74. Die Brieffiktion des Victorinus funktioniert damit ganz anders als etwa die Senecas, der bewusst Passagen einstreut, die eine gemeinsame Kommunikationsbasis zwischen den Briefkorrespondenten voraussetzt, die dem Leser unverständlich bleibt, aber nie den Kern der Sache betrifft. So entsteht dort der Eindruck einer realen Korrespondenz, die gleichzeitig aber so gestaltet ist, dass sie ein breites Publikum verstehen kann. Vgl. dazu Abel, Das Problem der Faktizität, Hermes 109 (1981), bes. 488 f.
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2 Aufbau der einzelnen Schriften 2.1 Überblick zur Komposition der einzelnen Schriften und des Gesamtwerkes Das trinitätstheologische Werk besteht aus neun einzelnen Schriften unterschiedlicher Länge und drei Hymnen. In einer rhetorischen Analyse der Schriften soll zunächst gezeigt werden, dass diese jeweils für sich ein Argumentationsziel verfolgen. Dabei zeigen sich bei aller Stringenz auch verschiedene Eigenheiten des Autors, die es manchmal schwierig machen, die Argumentation nachzuvollziehen. Drei Besonderheiten versuche ich im Laufe der literarischen Analyse herauszuarbeiten und am Schluss noch einmal zu sammeln. Sie seien zur besseren Orientierung hier schon einmal kurz genannt: Erstens schreibt Victorinus in der Regel keine schulbuchmäßigen Traktate, die wie eine Musterrede nach dem Rhetorikhandbuch in klar definierte Abschnitte zerfallen. Er schafft zwischen den Argumentationen vielmehr gleitende Übergänge, die ein Zeichen einer natürlichen Anlage des Werkes sind. Damit entspricht er der Warnung der rhetorischen Theorie vor zu großer Künstlichkeit, da eine Rede sonst ihre Überzeugungskraft verliert.¹⁵ Diese Mahnung scheint für die Art und Weise, wie Victorinus seine Argumentationen vorantreibt, leitend zu sein. Zweitens neigt Victorinus zu häufigen Wiederholungen und Rückverweisen, die die gedankliche Struktur unterbrechen und von manchen Lesern als störend empfunden werden können. Hier zeigt sich die Angewohnheit des Lehrers, auf bereits behandelte Punkte mit Nachdruck zurückzuverweisen und noch einmal an die Grundlagen der weiteren Argumentation zu erinnern. Er ist sich der Komplexität der Materie bewusst und versucht dadurch, den Leser immer bei der Stange zu halten. Drittens hat Victorinus die Angewohnheit, Fragen zu formulieren, die nicht gleich oder erst nach längeren Zwischenschritten beantwortet werden. Das kann dazu führen, dass man in den Argumentationen die ursprüngliche Fragstellung aus dem Blick verliert. Die Aufgabe der literarischen Analyse ist es dann zu zeigen, dass diese argumentativen Zwischenschritte keine Exkurse sind, sondern für Victorinus eine Funktion in der Beantwortung seiner Fragen haben. Diese drei Charakteristika sind zu beachten, wenn man die Struktur der einzelnen Traktate betrachtet. Nach einer ausführlichen Einzelanalyse der Schriften ergibt sich die Frage nach ihrem übergreifenden Zusammenhang. Es finden sich Hinweise darauf, dass Victorinus eine Gesamtredaktion seiner Schriften vorgenommen hat und diese als ein
Vgl. z. B. Cic. partit. orat. 19.
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zusammenhängendes Corpus ediert hat. Durch die literarische Analyse kann gezeigt werden, dass dieses Gesamtwerk einem didaktischen Plan folgt: Das Opus ad Candidum nimmt in diesem Plan die Funktion einer Einleitung in das Gesamtwerk ein. Die folgenden Schriften entfalten dann einzelne Problemstellungen, die sich aus den Diskussionen in den ersten vier Schriften ergeben und dort schon vorbereitet werden. Im Opus ad Candidum legt Victorinus die argumentativen, exegetischen und terminologischen Grundlagen für seine weiteren Schriften. Diese ersten vier Schriften der theologischen Traktate machen beinahe die Hälfte des Umfangs des corpus theologicum aus. Sie werfen zusätzlich zu ihrem Umfang noch zwei weitere Probleme auf, die eine ausführlichere Behandlung notwendig machen. Ein erstes Problem besteht in der schwierigen Überlieferungssituation: Die vier Einzelschriften sind nicht als zusammenhängendes Werk überliefert, sondern werden erst durch die moderne Forschung wieder zu einem Opus zusammengefügt. Diese Zusammenstellung gegen die Überlieferung ist aber nicht unwidersprochen geblieben. Daher müssen die Überlieferungsfragen diskutiert werden, um die Zusammengehörigkeit der Schriften gegen die Kritik noch einmal zu begründen. Das zweite Problem betrifft die Person des Candidus, der in den Schriften als Korrespondenzpartner des Victorinus auftritt. Die Mehrheit der Forschung neigt inzwischen dazu, diesen Candidus als eine fiktive persona des Victorinus zu betrachten. Auch hier besteht aber kein Konsens, was eine ausführliche Diskussion des Problems nötig macht. Durch eine rhetorische Analyse der Schriften trage ich in diese Debatte einen neuen Blickwinkel hinein. Nur wenn der Nachweis gelingt, dass die ersten vier Schriften von einem Autor als ein sinnvolles Ganzes komponiert worden sind, kann man Candidus für fiktiv erklären. Der ausführliche Nachweis, dass das Opus ad Candidum eine durchdachte Gesamtkomposition ist, führt zu der dritten Frage, warum Victorinus ein Werk dieser Art und dieses Umfangs an den Anfang seines Gesamtwerkes stellt. Die Fiktion eines Briefwechsels ermöglicht es Victorinus, seinen ersten Schriften nach einem didaktischen Plan anzulegen. Diese Gattung ermöglicht es ihm auch, locker eine Fülle an zentralen Themen anzusprechen. Dadurch bekommt das Opus ad Candidum den Charakter einer Einleitung in das Gesamtwerk. Alle Themen, die in den späteren Schriften ausführlicher behandelt werden, werden hier schon einmal angerissen. Zudem schafft Victorinus die exegetischen, sprachlichen und inhaltlichen Voraussetzungen für seine weiteren Schriften. Daher kommt auch der Behandlung des Opus im Folgenden breiter Raum zu.
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2.2 Das Opus ad Candidum 2.2.1 Überlieferungsprobleme Die ersten vier Schriften sind als Briefwechsel zwischen Candidus, der im Titel als Arianer bezeichnet wird, und dem Rhetor Marius Victorinus gestaltet. Der zweite Candidus-Brief setzt sich nicht mehr argumentativ mit der ersten Antwort des Victorinus auseinander, sondern bietet nur lateinische Übersetzungen eines Briefes von Arius an Euseb von Nikomedien und eines Briefes von Euseb von Nikomedien an Paulinus von Tyrus. Zu Beginn adressiert eine kurze Einleitung diese Übersetzungen an Victorinus.¹⁶ Die Schrift, die heute als Adversus Arium I firmiert, beginnt dann mit einer Reaktion auf die beiden übersetzten Briefe. Durch die Überlieferungslage der ersten vier Schriften ergeben sich zwei Probleme: Erstens ist in der Überlieferung die Buchgrenze zwischen Adversus Arium I und der nachfolgenden Schrift verloren gegangen. Diese beiden Schriften werden in den Editionen wieder getrennt und jetzt etwas künstlich als Adversus Arium I und Ib bezeichnet. Nachdem bereits der Erstherausgeber Sichard vermutet hatte, dass das erste Buch Adversus Arium geteilt werden müsse, hat Pierre Hadot dies mit weiteren Argumenten nachweisen können.¹⁷ Sichard bemerkte, dass das Kapitel I 47 als ein deutlicher Buchabschluss gestaltet ist, zudem weist Victorinus in Adversus Arium Ib 54 auf das vorige Buch hin, womit offenkundig das jetzige Buch I gemeint ist.¹⁸ Eine dritte Hand hat in der Handschrift A ferner korrigierend ein diakritisches Zeichen nach I 47 angebracht, was darauf hindeutet, dass der Korrektor hier ein Buchende angemerkt hat.¹⁹ Hadot führt als zusätzliches Argument den Schluss von Alkuins Schrift De fide an, wo Adv. Ar. I 47 zitiert wird.²⁰ Alkuin hat aller Wahrscheinlichkeit nach noch eine Victorinus-Ausgabe besessen, in der I 47 den Abschluss eines Buches darstellte, den er am Ende seines Werkes imitierte. Es sprechen also mehrere Faktoren eindeutig für die Trennung der Bücher I und Ib. Das zweite Problem der Überlieferung betrifft die Zusammengehörigkeit der Schriften. Die beiden ersten Schriften sind vom Rest der theologischen Schriften des
Die beiden Briefe entsprechen Dok. 15 AW III 1/3 (Urk. 1 AW III/1/1) und Dok. 4 AW III/1/3 (Urk. 8 AW III/1/1). Vgl. zum Ganzen: Locher, praef. 16 f.; 83 f. in apparatu; Hadot, Marius Victorinus et Alcuin, AHDL 21 (1954), 5 – 19, bes. 17 f. Auch die praefatio in PL 8, 999 A spricht sich schon mit Verweis auf das Bekenntnis in I 47 und den Rückverweis in Ib 54 für die Trennung der Bücher aus. Wöhrer, Studien, 18 – 22 verhielt sich dazu noch kritisch, aber die Ergebnisse Hadots sprechen ganz für die Trennung. Vgl. Adv. Ar. Ib 54: Dictum de istis in libro, qui ante istum et in aliis. (90,3 f. Locher), vgl. auch die Verweise Lochers in apparatu. Vgl. Locher 83 in apparatu; CSEL 83/1, 141 in apparatu. Vgl. Alkuin, Credimus (CCCM 249 147,63 f.) mit Adv. Ar. I 47 (83,28 f. Locher).
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Victorinus getrennt überliefert. Neun Codices überliefern nur die beiden ersten Schriften, der Hauptzeuge Berolinensis Phillipps 1684 (A) überliefert die übrigen Schriften im Zusammenhang. Die editio princeps von Johannes Sichard (Σ), die einem heute verlorenen Codex folgt, bietet die gleiche Abfolge an Schriften wie A.²¹ Aus Sicht der handschriftlichen Überlieferung besteht also kein Zusammenhang zwischen den ersten beiden Schriften und den arianischen Briefen samt ihrer ausführlichen Replik. Galland hat zum ersten Mal in seiner Edition von 1772, die der Ausgabe in der Patrologia Latina zugrunde liegt, die beiden ersten Schriften vor die überlieferte Reihe von A und Σ gestellt.²² Auch Justinus Wöhrer hat in der Folge dafür plädiert, die vier Schriften als Einheit aufzufassen.²³ Wöhrer spricht sich anhand textlicher Hinweise für diesen Zusammenhang aus und erklärt die nachträgliche Trennung der Schriften durch einen Ausfall in der Überlieferung. Der entscheidende Hinweis im Text findet sich am Anfang von Adversus Arium I. Dort verweist Victorinus auf einen ersten Gesprächsgang mit Candidus innerhalb desselben Werkes.²⁴ In der Reihenfolge der Schriften, die A und Σ bieten, läuft der Hinweis auf einen ersten Gesprächsgang innerhalb desselben Werkes ins Leere, da das Gesamtwerk hier durch die übersetzten Briefe des Arius und Euseb eingeleitet wird. Eine Argumentation, auf die Victorinus hier verweisen könnte, hat also noch gar nicht stattgefunden. Der Hinweis kann sich unmöglich auf die nachfolgenden Schriften beziehen, da Victorinus davon spricht, dass er die Argumente des Candidus bereits erschüttert habe. Da Candidus aber ansonsten nur in der ersten Antwortschrift Ad Candidum als Adressat auftaucht, leuchtet Wöhrers Plädoyer ein, in dem CandidusBrief De generatione divina und der Antwort Ad Candidum diesen ersten Gesprächsgang zu erblicken. Als unterstützendes Argument für diese Rekonstruktion weist Hadot wieder auf die Rezeption der Texte durch Alkuin hin: In Alkuins De fide finden sich wörtliche Zitate aus den beiden Schriften Ad Candidum und Adversus Arium I. Daher ist Alkuin ein indirekter Zeuge für eine ältere Überlieferungstradition, in der diese Schriften noch zusammen standen. Ihm liegt bei seiner Arbeit an De fide offenbar eine Ausgabe eines geschlossenen Opus ad Candidum vor, bestehend aus den ersten vier Schriften der modernen Editionen.²⁵
Vgl. Locher, praef. 16. Hadot, CSEL 83/1, praef. 20 – 22 zieht aus dieser Tatsache den Schluss, dass Σ vom selben Archetyp wie A abhängt. Vgl. Hadot, CSEL 83/1 praef., 16; PL 8, 1013C. Wöhrer, Studien, 16 – 18. Vgl. Adv. Ar. I 1: in primo sermone huius operis et multa et fortiora quaedam etiam horum, o amice Candide, proposita atque tractata sunt abs te […]. (32,14 f. Locher), dazu u. S. 168 – 170. Vgl. Hadot, Marius Victorinus et Alcuin, AHDL 21 (1954), 15 – 17.
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2.2.2 Candidus als fiktive persona Neben den Überlieferungsproblemen ist die Echtheit des Korrespondenzpartners Candidus umstritten. In Folge der kritischen Edition der Texte in den Sources Chrétiennes meldeten sowohl Pierre Nautin als auch Manlio Simonetti unabhängig voneinander Zweifel an der Authentizität des Candidus an. Beide stützen ihre Argumentation hauptsächlich auf die große sprachliche und inhaltliche Nähe zwischen Victorinus und Candidus. Dabei ist besonders auffällig, dass nicht nur Fachtermini, sondern auch sprachliche Feinheiten übereinstimmen. Aufgrund der Ähnlichkeiten bis in die Formulierung hinein halten Nautin und Simonetti die Erklärung Hadots, Candidus könne ein Schüler des Victorinus gewesen sein, nicht für ausreichend.²⁶ Simonetti weist zudem darauf hin, dass die wörtliche Übersetzungsmethode, die sich in den beiden arianischen Dokumenten zeigt, der Übersetzungstechnik des Victorinus entspreche.²⁷ Die Funktion des fiktiven Briefwechsels erklärt Simonetti schlicht so, dass Victorinus die rhetorische Praxis der Pro- und Contra-Argumentation (in utramque partem disserere) anwende.²⁸ Nautin geht in der Suche nach Gründen tiefer: Er vertritt die Ansicht, dass es Victorinus durch die persona des Arianers Candidus möglich sei, traditionelle und etablierte Theologumena als unzureichend zu kritisieren, ohne das Odium der Häresie auf sich zu ziehen. Außerdem versuche Victorinus mit dieser Strategie, die Arianer auf der Grundlage ihrer eigenen Prämissen zu überzeugen. In seiner Antwortschrift vertritt er schließlich die These, dass man Gottvater auch als nicht-seiend bezeichnen könne, insofern er über allem Sein steht. Daher sei Christus wirklich aus dem Nichtseienden gezeugt, wobei dies Nichts dann aber der Vater selbst ist. Um schließlich dem Verdacht des Arianismus zu entgehen, setze sich Victorinus dann noch einmal mit den Thesen des Arius und Euseb von Nikomedien direkt auseinander. Die eigentlichen Gegner des Schriftenwechsels seien aber die Homöusianer um Basilius von Ankyra, die im zweiten Teil von Adversus Arium I die Hauptadressaten sind.²⁹ Die Ansicht über die Fiktionalität des Candidus hat sich in der folgenden Zeit weitgehend durchgesetzt, jedoch treten Ziegenaus und neuerdings auch Drecoll
Vgl. dazu Hadot, SC 69, 23 f. Vgl. Nautin, Candidus l’Arien, 309 – 20, Simonetti, Nota, Orpheus 10 (1963), 151– 157. Vgl. Simonetti, Nota, Orpheus 10 (1963), 152. Ähnlich knapp die Erklärung bei Baron, Candidus, Theological Research 1 (2013), 94: „The fictitious letters of Candidus present strong Arian views and they were written by Marius Victorinus to give the impression that his anti-Arian writings are the response to a real letter and the questions of his Arian friend.“ Vgl. Nautin, Candidus l’Arien, 317– 320.
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wieder für die Echtheit des Candidus ein.³⁰ Ziegenaus verteidigt in seiner Dissertation die Echtheit des Candidus mit dem Argument, dass die Antwort des Victorinus in Ad Candidum unzureichend sei.³¹ Hier zeige sich, dass Victorinus seine Theologie erst allmählich in der Auseinandersetzung schärfe und festige. Hätten ihm in Ad Candidum noch wesentliche Argumente gefehlt, komme er im Laufe der Zeit zu immer besseren Lösungsansätzen, was schon der argumentative Fortschritt in Adversus Arium I zeige. Victorinus habe sich nach seiner ersten Antwort näher mit dem Thema befassen wollen und daher um Zusendung arianischer Originaldokumente gebeten, auf die er dann in Adversus Arium I antworte. Die Tatsache, dass Candidus genau diese beiden Briefe ausgewählt habe, begründet Ziegenaus damit, dass auch dieser wenig Kenntnis des eigentlichen Arianismus gehabt habe. Candidus könne ein Schüler des Victorinus gewesen sein, der etwa nach Mailand übergesiedelt sein könnte, wo zu dieser Zeit der Arianer Auxentius den Bischofsstuhl innegehabt habe. Diesem Versuch einer Einordnung des Candidus in ein arianisches Milieu in Mailand widersprechen freilich die Erkenntnisse der neueren Forschung zum Trinitarischen Streit. Auxentius ist entgegen der Polemik der Zeitgenossen nicht als Arianer, sondern besser als Homöer zu bezeichnen.³² Die Theologie des Candidus-Briefes entspricht aber gerade nicht der homöischen Theologie, sondern eher der arianischen, was sich insbesondere an der These zeigt, dass der Sohn das erste Geschöpf des Vaters sei. Zur Erklärung des plötzlichen Adressatenwechsels im Laufe der Schrift Adversus Arium I greift Ziegenaus auf eine externe Erklärung zurück: Mitten im Schreibprozess hätten Victorinus eine Reihe von Synodaldokumenten der Homöusianer erreicht, auf die er sofort antworten wollte.³³ Eine solche externe Erklärung für den Adressatenwechsel ist aber wenig befriedigend.³⁴ Denn nichts hätte Victo-
Auch Voelker spricht sich in einem unveröffentlichten Vortrag, den er mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, für die Echtheit des Candidus aus, Vgl. Voelker, Marii Victorini libellus pristinissimus trinitatis; NAPS Annual Meeting, 23 May 2008, 5. Er vermutet, dass die Annahme, Candidus sei fiktiv, auf dem Vorurteil beruhe, wonach Victorinus ein vollkommen isolierter Denker gewesen sei. Vgl. zum Ganzen Ziegenaus, Seinsfülle, 43 – 45.74– 76. Zu Überlegungen, Candidus bei Auxentius in Mailand zu verorten vgl. schon Hadot, SC 69, 23 f. Vgl. zu Leben und Theologie des Auxentius Durst, Glaubensbekenntnis, JbAC 41 (1998), 118 – 168. Für das Bekenntnis des Auxentius vgl. auch Dok. 74.1 AW III/1/5. Auch Balido spricht von einer plötzlichen Planänderung, die durch das Eintreffen des Dossiers von Sirmium bewirkt worden sei, vgl. seine Einleitung in Gaio Mario Vittorino, Scritti Cristiani, 14 f.34. De Leusse, préexistence, RSR 29 (1939), 216 scheint dagegen davon auszugehen, dass das gesamte dogmatische Werk an Candidus gerichtet ist, wenn er den metaphysischen Charakter der Schriften mit dem Adressatenbezug erklärt: „N’en déplaise à Victorinus, les quatre livres de l’Adversus Arium
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rinus gehindert, ein neues Werk zu beginnen, das sich nur der Auseinandersetzung mit den Homöusianern widmen hätte können. Zu diesem Zweck der sofortigen publizistischen Reaktion auf die neuesten Ereignisse wäre ein eigenes kleines Werk sogar effektiver gewesen. Fraglich bleibt bei dieser Rekonstruktion auch, warum Candidus sich damit zufrieden gegeben haben sollte, nur noch die beiden arianischen Briefe an Victorinus zu schicken. Seinen Argumentationskünsten in De generatione divina entsprechend wäre eine wesentlich schärfere Replik auf Ad Candidum in Form einer argumentativen Auseinandersetzung zu erwarten gewesen.³⁵ Gerade wenn man die Antwort des Victorinus für unbefriedigend hält, müsste man dies von Candidus erwarten. Der Versuch Ziegenaus’, die Abfolge der vier Schriften und die Echtheit des Candidus zu erklären, ist also nicht überzeugend. Auch Drecoll plädiert in seinem RAC-Artikel vorsichtig für die Echtheit des Candidus.³⁶ In einem noch nicht erschienen Beitrag begründet er diese Ansicht weiter³⁷: Er plädiert erstens dafür, die uns vorliegende Überlieferungslage ernst zu nehmen, die ersten beiden Schriften gesondert zu betrachten und den von Galland und Wöhrer hergestellten Zusammenhang wieder aufzulösen. Zweitens betrachtet er wie Ziegenaus Ad Candidum als eine unzureichende Antwort auf die CandidusSchrift. Und drittens widerspricht er den sprachlich-stilistischen Beobachtungen Nautins und Simonettis. Candidus erscheint ihm so gemeinsam mit Victorinus als Vertreter eines verwandten intellektuellen Milieus und als singuläres Beispiel für ein lateinisches Anhomöertum. Diese Trennung der Schriften bringt jedoch wieder neue Probleme mit sich. Wenn die Trennung der Werke kein Überlieferungsfehler ist, kann man nicht überzeugend erklären, was mit dem Verweis des Victorinus auf den ersten sermo dieses Werkes am Anfang von Adversus Arium I gemeint ist. Es bleibt auch unklar, warum Victorinus seine Auseinandersetzung in Adversus Arium I wieder gegen Candidus richtet und ihm die Übersetzung der beiden Briefe unterschiebt.³⁸ Ferner
sont d’ordre métaphysique plus que exégétique. Pour faciliter à son ami l’adhésion au mystère de la Trinité, Victorinus cherche à montrer que le dogme chrétien de la génération éternelle du Verbe ne va pas à l’encontre de l’enseignement néo-platonicien.“ Vgl. nur das Urteil über den zweiten Brief bei Benz, Marius Victorinus, 34: „Candidus hat den Ball wieder zurückgeworfen – es war in der Tat ein Ball und kein Knüppel […]“ Vgl. Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 130 – 132. Vgl. Drecoll, Candidus. Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 132 ist auch der Ansicht, dass diese Briefe von Victorinus selbst übersetzt und zusammengestellt wurden. Ders., Candidus, führt aus, dass es weder in Cand. II noch in Adv. Ar. I einen Beleg dafür gibt, dass die beiden Exzerpte von Candidus stammen. Die Anrede an Victorinus, die den beiden übersetzten Briefen in Cand. II vorausgeht (29,1 Locher),
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fehlt ein plausibler Beweggrund für Victorinus, den Briefwechsel mit Candidus zu publizieren, wenn er gar keine ausreichende Antwort auf die Probleme geben konnte.³⁹ Es bleibt unklar, was Victorinus damit bezweckt haben sollte. Auch die formale Gestaltung, die wenig von einem persönlichen Briefkontakt verrät, spricht eher dafür, dass die Schriften für ein größeres Publikum verfasst wurden und keine echte Privatkorrespondenz darstellen. Insgesamt löst die Annahme, dass es sich bei Candidus um eine Fiktion handelt, daher mehr Probleme, während die Annahme seiner Echtheit viele ungeklärte Fragen aufwirft. 2.2.3 Das Opus ad Candidum als Gesamtkomposition des Victorinus Die unterschiedlichen Antworten auf die Frage nach der Echtheit des Candidus führen in der Forschung auch zu einer divergierenden Beurteilung der ersten vier Schriften, ihrem Aufbau und ihrer Zusammengehörigkeit. Setzt man voraus, dass Candidus fiktiv ist, muss man den Nachweis führen, dass Victorinus selbst diesen Schriften einen sinnvollen Platz in einer größeren Komposition zugewiesen hat. Ich will die wichtigsten Argumente in dieser Frage noch einmal abwägen und zeigen, dass sich die Probleme leichter lösen lassen, wenn man Candidus für fiktiv hält und die ersten vier Schriften gegen die Überlieferungslage zu einem Opus ad Candidum zusammenstellt.⁴⁰ Folgende Fragen sind dabei zu berücksichtigen: Worauf bezieht sich der Hinweis auf einen ersten Gesprächsgang in Adversus Arium I 1? Welche Funktion haben die übersetzten Briefe des Arius und des Euseb, die als zweiter Brief des Candidus zusammengestellt sind? Wie ist die Qualität der Schrift Ad Candidum zu bewerten? Und zu guter Letzt: Wie ist der Adressatenwechsel in Adversus Arium I sinnvoll zu erklären? Zunächst ist dafür die Bemerkung des Victorinus am Anfang von Adversus Arium I näher zu betrachten, in der er auf einen vorhergehenden schriftlichen Austausch verweist: Im ersten Gespräch des vorliegenden Werkes, mein Freund Candidus, sind bereits viele und im Vergleich zu diesen beiden auch schlagkräftigere Argumente von Dir vorgelegt und behandelt worden. Obwohl diese Ansichten bereits gehörig als unhaltbar erwiesen worden sind, wollte
betrachtet er als Einfügung des Victorinus, um dadurch den Anschein zu erwecken, die Texte seien so von Candidus an ihn geschickt worden. Dass die Briefe von Victorinus selbst publiziert wurden, ergibt sich aus dem Verweis in Ad Cand. 31 auf ausführlichere Behandlung der Themen in einer anderen Schrift: Sed de his tribus alia nobis oratio. (28,9 Locher) Vgl. dazu auch Zacher, Opus ad Candidum, StPatr 95,21 (2017), 127– 135.
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ich sie auch aus ihren Briefen noch einmal hören, damit ich, indem ich diese Argumente durch eine ausführliche Widerlegung als nichtig erweise, durch ihre Widerlegung zugleich auch Deine Argumente entkräfte.⁴¹
Im Anfangskapitel der Schrift Adversus Arium I verweist Victorinus auf einen ersten Gedankenaustausch mit Candidus, der sich im selben Werk (hoc opus) finden lässt. Dieses Gespräch (sermo) charakterisiert er so, dass dort im Wesentlichen durch Candidus dieselben Argumente vorgebracht worden seien, die sich auch in den übersetzten Briefen finden. Candidus habe sie aber viel schlagkräftiger (fortiora) formuliert. In seiner ersten Antwort habe Victorinus diese Argumente freilich schon völlig entkräftet (dissoluta sunt), wolle aber nun durch eine ausführliche Widerlegung (omni refutatione) der arianischen Dokumente gleichzeitig auch noch einmal eine Widerlegung (refutatio) der Argumente des Candidus leisten. Die Beachtung des genauen Wortlautes liefert weitere Indizien für Wöhrers Ansicht, dass hier auf die beiden ersten Schriften angespielt wird. Das Ergebnis der Candidus-Schrift ist, dass der Sohn aus dem Nichts geschaffen worden sei. Mit dieser These befasst sich Victorinus auch ausführlich in seiner Antwort Ad Candidum und kommt zu dem Schluss, dass der wesenseine Sohn aus dem Vater gezeugt sein müsse, da eine Schöpfung des Sohnes aus dem Nichts unmöglich sei. Auch die beiden Briefe des Arius und Eusebius argumentieren für die Entstehung des Sohnes aus dem Nichts bzw. dem Willen des Vaters und bringen keine neuen Ergebnisse.⁴² Dennoch möchte Victorinus diese noch einmal ausführlich durch eine Masse an Schriftbelegen in Adversus Arium I widerlegen. Das Urteil von Ziegenaus und Drecoll, die Antwort in Ad Candidum sei defizitär, kann durch diese Passage ins Positive gewendet werden. Victorinus hat nach seinen eigenen Worten in Ad Candidum noch gar keine ausführliche Widerlegung (omnis refutatio) intendiert. Dort habe er die Argumente des Candidus aber bereits entkräftet (dissoluta sunt). Er macht hier also einen Unterschied zu omnis refutatio auf und meint mit dissolvere keine akkurate Replik auf alle Argumente seines Gegners. Vielmehr versteht Victorinus dissolvere viel allgemeiner und nicht im Sinne einer ausführlichen Widerlegung, die Punkt für Punkt auf die Argumente des Gegners eingeht. Er kann damit dann nur noch die logische Erschütterung der Argumente
Vgl. Adv. Ar. I 1: In primo sermone huius operis et multa et fortiora quaedam etiam horum o amice Candide, proposita atque tractata sunt abs te, quae, quamquam, ut oportuit, dissoluta sunt, tamen idcirco ista ex eorum epistulis audire voluimus, ut dum haec omni refutatione convincimus, illa quoque ex istorum refutatione vincamus. (32,14– 18 Locher) Vgl. nur den Brief des Arius bei Cand. II 1: quoniam filius […] nec ex subiecto aliquo, sed quod voluntate et cogitatione subsistit […]. Propterea persequimur et quia diximus, quia non de exsistentibus est. (30,13 – 15.18 f. Locher)
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seines Gegners meinen, dessen grundlegenden Prämissen er dadurch den Boden entzogen hat. Demgegenüber meint omnis refutatio dann die genaue Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten. Victorinus beschreibt den Plan seines Werkes selbst also so: In einem ersten Gesprächsgang sollte die Grundthese des Arianismus als falsch widerlegt werden, indem ihre logischen Prämissen in Frage gestellt werden. In einem zweiten Schritt sollen die einzelnen Argumente noch einmal widerlegt werden und zwar ausdrücklich auf Grundlage der Bibel, wie Victorinus im Folgenden klarstellt.⁴³ Victorinus weist also explizit darauf hin, dass er eine planvolle Entwicklung von Ad Candidum zu Adversus Arium I intendiert hat. Beide Schriften folgen demselben Ziel mit unterschiedlichen Methoden: Ad Candidum klärt die grundlegenden Prämissen seiner Theologie und widerlegt die Prämissen der Arianer, Adversus Arium I stellt eine ausführliche Widerlegung dar. Vier weitere Überlegungen unterstützen die Annahme, dass auch die Candidusbriefe von Victorinus selbst verfasst wurden: Erstens ist die Annahme wenig überzeugend, dass ein realer Candidus als Antwort auf Ad Candidum lediglich Übersetzungen zweier Briefe aus den Anfängen des Arianischen Streites verschickt hätte. Der Autor des ersten Candidusbriefes wäre zu einer viel überzeugenderen Antwort fähig gewesen. Gerade wenn in der Forschung die Antwort des Victorinus für nicht ausreichend erachtet wird, hätten sich für einen realen Candidus viele Angriffspunkte geboten. Zweitens ist bei einer realen Korrespondenz nicht erklärbar, warum etwa ab der Hälfte von Adversus Arium I mit den Homöusianern um Basilius von Ankyra plötzlich völlig andere Adressaten im Mittelpunkt stehen. Candidus äußert an keiner Stelle Sympathien für die Homöusianer und deren Argumente funktionieren auch ganz anders als seine. Drittens wäre erklärungsbedürftig, warum Victorinus den Briefwechsel mit Candidus überhaupt publiziert haben soll. Wenn er selbst der Ansicht gewesen wäre, dass er noch keine ausreichende Antwort geben kann und sich erst tiefer in die Probleme einarbeiten muss, ist es nicht nachvollziehbar, warum er seine erste defizitäre Antwort publiziert haben sollte. Es hätte dann genügt, die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema in Adversus Arium zu publizieren. Für Victorinus war es aber offenbar für das Verständnis seiner Theologie wichtig, dass die Leser auch den ersten Briefwechsel mit Candidus kennen. Viertens war bei der Frage nach der Gattung zudem aufgefallen, dass die Eigentümlichkeiten einer realen brieflichen Korrespondenz weitgehend fehlen, was an sich schon auf einen künstlichen Charakter hinweisen könnte. Die Briefe sind
Vgl. Adv. Ar. I 2 (33,26 – 29 Locher).
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zumindest von vornherein so angelegt, dass sie für ein breiteres Publikum unmittelbar verständlich sind, da dem Leser alle Voraussetzungen in der Kommunikation offengelegt werden und keine Bemerkungen fallen, die exklusiv nur den Korrespondenten einsichtig wären. Es scheint daher der gangbarere Weg zu sein, von der Fiktionalität des Candidus auszugehen, da sich mit dieser Erklärung viele Probleme lösen lassen, während die Annahme einer Echtheit Fragen aufwirft, die nicht überzeugend beantwortet werden können. Diese These muss durch eine ausführliche Untersuchung des literarischen Aufbaus des Opus ad Candidum weiter untermauert werden. Es muss der Nachweis erbracht werden, dass die ersten vier Schriften als sinnvolle Gesamtkomposition eines Autors verstehbar ist. Der besseren Verständlichkeit halber spreche ich im Folgenden aber dennoch weiterhin von Candidus als Autor der Briefe. 2.2.4 Aufbau und Funktion des Opus ad Candidum 2.2.4.1 Schematische Übersicht Epistula Candidi I: 1 (1,1– 6): Propositio der ganzen Schrift: Ziel ist der Nachweis, dass Gott ungezeugt ist und nichts zeugt. 1– 3 Confirmatio der Ungezeugtheit Gottes mit der Folge, dass Gott nichts zeugen kann. 1 (1,7– 18): Ratio: Kurzer Nachweis, dass Gott unentstanden ist. Hätte es etwas vor ihm gegeben, wäre seine Entstehung sinnlos, überflüssig oder unmöglich. 1– 2: (1,19 – 2,28): Rationis confirmatio: Bekräftigung der ratio unter Voraussetzung verschiedener Prämissen, die ad absurdum geführt werden. 2– 3 (2,29 – 3,29): Complexio: Nachweis der Ungezeugtheit Gottes, daraus folgt eine negative Theologie und die Unmöglichkeit der Zeugung. 4– 9: Refutatio von zwölf denkbaren Modi göttlicher Zeugung. 10 – 11 Peroratio und conclusio: Christus ist ein Geschöpf Gottes, die Einheit zwischen Vater und Sohn ist eine Einheit des Willens und Wirkens, nicht der Substanz. Ad Candidum 1– 2 (10,1– 11,12): Exordium: Methodik und Epistemologie: Ausgangspunkt der Argumentation ist die Schrift, nicht die Vernunftschlüsse, da der menschliche Geist nur bedingt Erkenntnis gewinnen kann. 2– 3 (11,13 – 12,20): propositio, ratio, rationis confirmatio: Ziel ist der Nachweis, dass der Sohn aus dem potentiellen Seinsvermögen des Vaters gezeugt wird. 4– 23: Confirmatio
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4– 16: Confirmatio I: Der Sohn kann nicht aus dem Nichts geschaffen sein, sondern muss aus dem Vater stammen. 4– 11: Ontologische Untersuchungen über die Modi des Nichtseins und Seins: Gott als Ursache alles Seins, es gibt kein absolutes Nichts. 12– 16: Conclusio I: Gott ist Nichtsein im Sinne des potentiellen Seins, der Sohn muss aus seinem Wesen hervorgehen; Widerlegung der These von der Schöpfung aus dem Nichts. 17– 23: Confirmatio II: Die substantielle Einheit von Vater und Sohn als Einheit von esse und agere: Substantielle Einheit ist die Voraussetzung der Einheit des Willens und Wirkens. 24– 30 (23,22– 27,13): Refutatio von sechs arianischen Argumenten für die Geschöpflichkeit des Sohnes. 30 – 32 (27,14– 28,17): Peroratio mit abschließendem Rückbezug auf epistemologische Fragestellungen des exordium. Epistula Candidi II 1 (29,1– 5): Kurze Einleitung mit Verweis auf Ad Candidum 1 (29,6 – 30,21): Brief des Arius an Euseb von Nikomedien (= Dok. 15 AW III 1/3) 2: Brief Eusebs an Paulinus von Tyrus (= Dok. 4 AW III 1/3) Adversus Arium I 1– 2 Exordium und propositio 1: Rückverweis auf Cand. I und Ad Cand.; kurze Kritik an den Briefen in Cand. II 2: Propositio: Nachweis der Schriftgemäßheit der Homousie; erkenntnistheoretische Prämissen 3 – 27: Biblische Belegstellen für die Homousie in der Reihenfolge der biblischen Bücher 28 – 42: Argumentation gegen die Homöusianer 28 – 32 (61,9 – 66,24): Refutatio der homöusianischen Theologie in Auseinandersetzung mit einem Brief von Basilius von Ankyra 32 – 42 (66,25 – 78,12): Confirmatio der Homousie mit Blick auf verschiedene Kritikpunkte 43 – 47 Peroratio und conclusio des Opus ad Candidum: Abschließende Zusammenfassung der nizänischen Trinitätslehre, Bekenntnis
2.2.4.2 Candidus, De generatione divina Der Brief des Candidus entspricht in seinem Aufbau geradezu schulbuchmäßig dem Schema einer Rede. Ziel der Argumentation ist der Nachweis, dass Gott unmöglich
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etwas zeugen könne und daher nur die Option übrigbleibe, dass der Sohn aus dem Nichts geschaffen sei. Abgesehen von einer kurzen Anrede an den Adressaten verzichtet der Candidusbrief auf ein exordium und beginnt gleich mit der Argumentation.⁴⁴ In den Kapiteln 1– 3 beginnt Candidus mit der confirmatio, der positiven Darstellung seiner These, dass Gott selbst weder gezeugt sei noch etwas anderes erzeuge. Die Argumentation ist den Empfehlungen der rhetorischen Handbücher folgend viergeteilt in propositio, ratio, rationis confirmatio und complexio. ⁴⁵ Die Themenstellung, die propositio entfaltet Candidus quasi-syllogistisch, da sich sein Beweis auf drei Schritte reduzieren lässt: Zeugung bedeutet immer Veränderung (Obersatz), Gott ist unveränderlich (Untersatz), daher ist Gott weder gezeugt noch zeugt er etwas (Konklusion).⁴⁶ Die anschließende ratio belegt kurz in Form einer reductio ad absurdum, dass Gott unentstanden sein muss:⁴⁷ Denn die Annahme, es habe etwas anderes vor Gott gegeben, mache es entweder unmöglich, sinnlos oder überflüssig, dass Gott entstanden sein könnte.⁴⁸ In der ausführlichen Beweisführung zu dieser Position werden verschiedene Optionen durchgespielt und widerlegt. Es wird jeweils angenommen, dass es etwas vor Gott gegeben haben könnte, um dann den Beweis zu führen, dass eine Zeugung Gottes unter dieser Voraussetzung unmöglich, sinnlos oder überflüssig wäre.⁴⁹ Als Ergebnis hält Candidus daher zunächst fest, dass Gott unmöglich aus einem anderen Prinzip entstanden sein kann und dass vielmehr alles andere von ihm hervorgebracht wird. Aus der Ungezeugtheit wird
Wenn die Zuhörer schon von Haus geneigt sind, kann ein exordium entfallen, wie Cic. partit. orat. 13 zum genus deliberativum ausführt. Vgl. Rhet. Her. II 28: Ergo absolutissima et perfectissima est argumentatio ea, quae in quinque partes est distributa: propositionem, rationem, rationis confirmationem, exornationem, complexionem. (207,1– 3 Calboli) Die exornatio kann wegfallen (argumentatio quadripertita), vgl. Rhet. Her. II 30. vgl. auch Lausberg, Handbuch §1244 s.v. ratiocinatio. Vgl. Cand. I 1 (1,1– 6 Locher). Zur Funktion der propositio vgl. Rhet. Her. II 28: Propositio est, per quam ostendimus summatim, quid sit quod probari volumus. (207,4 Calboli) Das Verständnis von generatio entspricht bei Candidus dem Griechischen γένεσις. Gegen Hadot, SC 69, 668 muss aber festgehalten werden, dass hier zumindest im Sinne des Victorinus keine Definitionen vorliegen, da hier eigentlich weder das Wesen Gottes noch das der Zeugung (quid sit) bestimmt wird. Außerdem läge nach Victorinus der Fehler einer zu allgemeinen Definition vor, da die Umkehrbarkeit nicht gewährleistet ist. Vgl. dazu Mar. Victorin. defin. p. 18,3 – 19,3.29,13 – 28 Stangl. Zur ratio vgl. Rhet. Her. II 28: Ratio est quae causam demonstrat, verum esse id, quod intendimus, brevi subiectione. (207,5 f. Calboli) Vgl. Cand. I 1 (1,6 – 18 Locher.) Vgl. Cand. I 1 f. (1,19 – 2,28 Locher). Zur rationis confirmatio vgl. Rhet. Her. II 28: Rationis confirmatio est ea, quae pluribus argumentis corroborat breviter expositam rationem. (207,7 f. Calboli)
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eine negative Theologie abgeleitet und geschlussfolgert, dass Gott auch nichts zeugt, da dies gegen seine Unveränderlichkeit spräche.⁵⁰ Auf diese confirmatio folgt in den Kapiteln 4– 9 eine refutatio von zwölf möglichen Theorien, wie eine Zeugung durch Gott möglich sein könnte. Diese verschiedenen Erklärungen entstammen der Bibel und der philosophischen bzw. theologischen Diskussion.⁵¹ Hier wird jeweils nachgewiesen, dass diese Zeugungsvorstellungen alle mit einer Veränderung Gottes einhergingen und somit das Axiom der Unwandelbarkeit Gottes verletzten, das aus seiner Ungezeugtheit abgeleitet wurde. So schlussfolgert Candidus in seiner peroratio in den Kapiteln 10 f., dass nach diesem Beweisgang nur noch die Möglichkeit bestehe, dass Christus vom Vater geschaffen wurde. Er bezeichnet den Sohn als erstes und bestes Geschöpf des Vaters, das aus dem Nichts geschaffen worden sei. Die Einheit zwischen Vater und Sohn bestimmt Candidus nicht substantiell, sondern als eine Einheit des Willens und des Handelns: Wie der Vater den Sohn aus dem Nichts geschaffen habe, schaffe der Sohn analog alles Übrige aus dem Nichts. Der Sohn sei die erste Substanz, während der Vater über der Substanz stehe. Die Geschöpflichkeit des Sohnes wird durch drei Bibelstellen belegt, in denen von Christus bzw. der mit ihm identifizierten Weisheit gesagt wird, sie seien gemacht worden. Die Schrift schließt mit einer Doxologie. 2.2.4.3 Ad Candidum Die Antwort des Victorinus ist nun keine ausführliche Replik zu allen Argumenten des Candidus im strengen rhetorischen Sinne einer refutatio, sondern setzt sich zum Ziel, die Prämissen des Candidus als null und nichtig zu erweisen, wie es im Proöm zu Adversus Arium I rückblickend heißt.⁵² Die Schrift beginnt mit einem exordium, das zunächst methodische Fragen behandelt (1– 2)⁵³: Victorinus räumt hier programmatisch dem Schriftzeugnis den Primat vor logischen Schlüssen ein. Da es dem menschlichen Verstand aufgrund seiner Gebundenheit an den Körper aus erkenntnistheoretischer Sicht nicht möglich sei, von sich aus die göttlichen Geheimnisse zu ergründen, müsse man seinen Ausgang bei den Christusprädikaten der Schrift nehmen. Dort werde Christus als Herr, eingeborener Sohn und als eins mit dem Vater bezeichnet. Durch die Betonung
Vgl. Cand. I 3. Zur complexio vgl. Rhet. Her. II 28: complexio est, quae concludit breviter, colligens partes argumentationis. (207,11 Calboli) Vgl. dazu den Kommentar bei Hadot, SC 69, 675 – 684. S.o. S. 168 – 170. Vgl. Ad Cand. 1 f. (10,1– 11,12 Locher).
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der soteriologischen Relevanz der Fragestellung wird die Bedeutung des Themas markiert. Damit werden die wichtigen Aufgaben eines exordium erfüllt.⁵⁴ Dem lässt Victorinus seine Themenstellung und eine erste knappe Beweisführung folgen (2– 3).⁵⁵ Er greift die Vorstellung, der Sohn sei aus dem Nichts geschaffen, als blasphemisch an. Stattdessen postuliert er, dass der Vater die Ursache des Sohnes und überhaupt die Ursache alles Seins und Nichtseins sei. Dabei versteht er den Vater als das Seinsvermögen, das Vorherseiende (προόν), aus dem heraus sich Christus als das Seiende aktualisiere. Victorinus möchte im Folgenden nachweisen, dass der Vater in diesem Sinne die Ursache des Sohnes ist, und damit die arianische These widerlegen, wonach der Sohn aus Nichts geschaffen sei. Um dieses doppelte Ziel zu erreichen, unternimmt er eine zweistufige Argumentation. Die erste Argumentation in den Kapitel 4– 16 verfolgt vorrangig das Ziel, durch eine Untersuchung über das Sein und Nichtsein zu beweisen, dass der Sohn unmöglich aus dem Nichts geschaffen sein kann. Stattdessen argumentiert Victorinus dafür, dass der Sohn aus dem Vater gezeugt ist. Zugleich entfaltet er aber auch seine Erkenntnistheorie, die er im Proömium nur knapp skizziert. Die zweite Argumentation in den Kapiteln 17– 23 verfolgt das Ziel, die Einheit von Sein und Handeln Gottes zu beweisen. Damit richtet sich Victorinus gegen die arianische Ansicht, dass sich die Einheit von Vater und Sohn unabhängig von der Substanz, allein über den Willen und das Handeln definieren lasse. Die Kapitel 4– 11 stellen eine ausführliche Untersuchung über die Arten des Nichtseienden und Seienden dar. Dabei handelt es sich nun keineswegs um einen überflüssigen Exkurs, der nichts mit dem Thema der Schrift zu hat, wie Hadot meint.⁵⁶ Vielmehr bietet Victorinus hier die philosophischen Grundlagen, die zum Verständnis der weiteren Argumentation notwendig sind. Zugleich greift er die ontologischen Prämissen der Arianer an: Indem er den Nachweis führt, dass es ein wirkliches Nichtsein nicht gibt, sondern dass alles aus Gott als der ersten Ursache stammt, macht er zugleich die Annahme unmöglich, dass der Sohn aus dem Nichts geschaffen sein könnte. Victorinus erkennt in der arianischen Theologie das philosophische Defizit, dass sie nicht ausreichend klarstellt, was unter Nichtsein eigentlich zu verstehen
Zu den Zielen des exordium und Möglichkeiten, diese zu erreichen vgl. Lausberg, Handbuch §§ 263 – 288. Das exordium kann mit Rhet. Her. I 6 als ab scriptura qualifiziert werden, da es mit der Auslegung von Schriftstücken beginnt und zugleich als ab adversariorum persona, da das methodische Vorgehen des Gegners angegriffen wird, vgl. dazu Lausberg, Handbuch § 276. Vgl. Ad Cand. 2 f. (11,13 – 12,20 Locher) Gegen Hadot, SC 69, 713 ad 12,1– 14,5: „L’exposé précédent sur les modes des existants a été trop long, soit que Victorinus n’ait pas su se libérer de sa source, soit qu’il ait voulu faire étalage d’érudition.“
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ist.⁵⁷ Daher beginnt er seine Ausführungen gerade damit, die verschiedenen philosophischen Arten des Nichtseins zu diskutieren und ihr Verhältnis zu Gott zu bestimmen. Da Gott die Ursache des Seins ist, kann er nicht mit diesem identifiziert werden.Victorinus bestimmt ihn daher als Nichtsein im zweiten, dritten und vierten Sinne: Er ist im Verhältnis zum Seienden das Nichtseiende, er ist als Ursache des Seins das Noch-nicht-Seiende und er ist Nichtsein, da er allem überlegen ist. Keinesfalls dürfe man ein privatives Verständnis des Nichtseins auf Gott beziehen, da dies einen Atheismus zur Folge hätte. Gleichzeitig bezeichnet Victorinus aber Gott als Ursache des Seins auch selbst als Seiendes, auch wenn er ein anderes Sein hat als das, was er hervorbringt.⁵⁸ Damit definiert Victorinus die Stellung Gottes durch einen paradoxen Doppelaspekt: Er ist zugleich das transzendente Absolute und als Ursache aller Dinge mit dem Sein verbunden.⁵⁹ Auf diese Untersuchung des Nichtseins und die paradoxe Bestimmung Gottes folgt eine ausführliche Diskussion des Seins: Victorinus entwirft nun eine ontologische Hierarchie, die sich in vier Stufen gliedert: das wahre Sein (ὄντως ὄντα, quae vere sunt), das bloß Seiende (ὄντα, quae sunt), das nicht-wahre Nicht-Sein (μὴ ὄντως μὴ ὄντα, quae non vere non sunt) und das Nichtseiende (μὴ ὄντα, quae non sunt).⁶⁰ Auf der Ebene des wahren Seins verortet Victorinus die intelligiblen Wesenheiten, auf der Ebene des bloßen Seins sieht er die menschliche Seele ohne Verbindung zum Körper, auf der Ebene des nicht-wahren Nichtseins siedelt er die mit dem Leib verbundene Seele an, das Nichtsein identifiziert er schließlich mit der Materie.⁶¹ Da ontologische Aussagen in der antiken Philosophie zugleich auch immer erkenntnistheoretische Konsequenzen bergen, dient der Abschnitt auch zur Grundlegung einer Epistemologie: Die menschliche Seele gehört zur Klasse des bloß Seienden und kann daher nach dem erkenntnistheoretischen Prinzip, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt wird, zunächst ebenfalls nur das bloß Seiende erkennen.⁶² Bei richtiger Betätigung des Intellekts kann die Seele aber auch das wahre Sein für sich erschließen. Das Nichtsein kann sie sich über einen Umweg erschlie-
Vgl. schon Ad Cand. 3: Volo autem audire, o mi dulcissime Candide, quid esse aestimas, quod non est. (12,13 f. Locher) Vgl. Ad Cand. 4: Supra ὄν igitur deus est, et iuxta quod supra est, μὴ ὄν deus dicitur, non per privationem universi eius, quod sit, sed ut aliud ὄν, ipsum quod est μὴ ὄν, iuxta ea, quae futura sunt, τὸ μὴ ὄν, iuxta quod causa est ad generationem eorum, quae sunt, τὸ ὄν. (13,5 – 9 Locher) Dazu ausführlicher unten S. 255 – 265. Vgl. zu den Reihungen Ad Cand. 8 f.11 (15,13 – 18. 17,17 f. Locher). Vgl. Ad Cand. 7– 10. Zu diesem Prinzip vgl. z. B. Arist. de An. I 2 404b: γινώσκεσθαι γὰρ τῷ ὁμοίῳ τὸ ὅμοιον.Victorinus zitiert dieses Prinzip in Adv. Ar. III 1 als Begründung, dass den Menschen eine direkte Gotteserkenntnis nicht möglich ist: Simili enim simile videtur. (115,15 f. Locher)
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ßen, da die form- und qualitätslose Materie nur erkannt werden kann, indem alle Form abstrahiert wird. Die Materie als Nichtsein ist dabei nicht das völlige Nichts, sondern lediglich in ihrer Formlosigkeit das Nichtsein, sie ist also ausdrücklich etwas, wenn auch etwas Ungeformtes. Das reine Nichtsein kann es somit für Victorinus nicht geben, da alles von Gott erfüllt ist. Und wenn Gott selbst als Ursache des Seins selbst in gewissem Sinne Sein ist, muss alles, was von ihm herkommt, auch existieren. Die antiarianische Schlussfolgerung (conclusio) des ersten Argumentationsgangs zieht Victorinus in den Kapiteln 12– 16. Dazu bestimmt er noch einmal Gottvater und den Sohn in ihrem Verhältnis zur Hierarchie des Seins: Gottvater hat sich durch seine Platzierung über der ontologischen Hierarchie als paradoxes und eigentlich nur negativ zu bestimmendes erstes Prinzip erwiesen. Da es daneben kein absolutes Nichts geben kann, bleibt nur noch die Option, dass der Sohn aus dem Vater hervorgegangen ist. Der Vater ist in seinem kausalen Aspekt als Nichtsein über dem Sein das potentielle Sein, also das Vermögen, das Sein hervorzubringen. Diesen Aspekt des Vaters bezeichnet Victorinus als verborgenes Sein. Die Geburt des Sohnes aus dem Vater definiert er dann als Erscheinung des zuvor verborgenen Seins und vergleicht diesen Vorgang mit einer menschlichen Schwangerschaft: Der Fetus sei vor der Geburt ebenfalls bereits existent, aber noch nicht offen sichtbar. Ebenso sei Christus bereits im Vater vorhanden und trete durch seine Zeugung nur offensichtlich nach außen. Er sei damit das erste Seiende und das Prinzip alles weiteren Seins und somit der Schöpfungsmittler. Damit erklärt Victorinus die These von der Schöpfung des Sohnes aus dem Nichts für widerlegt.⁶³ Im zweiten Argumentationsgang (17– 23) widmet sich Victorinus dann der von Candidus aufgeworfenen Frage, wie die Einheit von Vater und Sohn zu bestimmen sei. Candidus lehnt eine substantielle Einheit von Vater und Sohn ab und schreibt ihnen stattdessen eine Einheit von Willen und Handeln zu. Victorinus will dagegen zeigen, dass eine Einheit in Willen und Wirken eine substantielle Einheit voraussetzt. Er bestimmt den Vater vornehmlich als ruhendes Sein (esse), den Sohn vor-
Vgl. die abschließende conclusio in Ad Cand. 16: Exterminandum igitur dogma est ex his, quae non sunt, esse Iesum. (20,21 f. Locher) „Man muss also das Dogma ablehnen, dass Jesus aus dem Nichts stamme.“ Exterminare sollte besser nicht wie bei Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 97 martialisch als „ausrotten“ übersetzt werden, vgl. dazu ThlL 5,2,2015,21– 37 s.v. extermino I B 1. Es ist auch nicht unbedingt nötig wie ThlL, Z.35 – 37 allein für Victorinus eine kirchliche Sonderbedeutung im Sinne von anathematizare anzunehmen. Die allgemeine Bedeutung „ausschließen, nicht zulassen, ablehnen“ genügt vollkommen.Victorinus führt hier ja einen philosophischen Diskurs und will nicht für eine synodale Verurteilung sorgen. Diese kann er vielmehr bereits voraussetzen, da sie in Nizäa bereits geschehen ist.
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nehmlich als handelnden λόγος (agere).⁶⁴ Im Anschluss an die Ergebnisse der ersten Argumentation muss nun aber auch im Sein des Vaters bereits das Handeln enthalten sein, da der Sohn dort als die Manifestation dessen, was zuvor im Vater verborgen ist, charakterisiert wurde. So entwickelt Victorinus eine Verhältnisbestimmung, in der einerseits eine Differenz zwischen den beiden Hypostasen herausgearbeitet wird, andererseits aber zugleich die reziproke Immanenz von Sein und Handeln, Vater und Sohn betont wird. Der Sohn ist Willen und Handeln Gottes und als solcher bereits im Sein des Vaters enthalten. Er agiert als Schöpfungsmittler und unterscheidet sich vom Vater lediglich darin, dass der Vater keine andere Ursache als sich selbst hat, während der Sohn vom Vater herrührt. In der conclusio der zweiten Argumentation wiederholt Victorinus noch einmal das Ergebnis des ersten Argumentationsganges und hält für den zweiten Argumentationsgang fest, dass damit die Homousie von Vater und Sohn erwiesen sei. Die Einheit des Vaters und des Sohnes hinsichtlich ihres Willens und ihres Handelns ist für Victorinus im Gegensatz zur arianischen Position nur mit der Annahme einer gemeinsamen Substanz vorstellbar.⁶⁵ Es folgt in den Kapiteln 24– 30 eine refutatio, eine Widerlegung von sechs arianischen Argumenten für den Sohn als erstes Geschöpf. Das erste Argument richtet sich gegen die Berufung auf Röm 4,17 durch Candidus, um die Schöpfung des Sohnes aus dem Nichts zu begründen.⁶⁶ Hierbei nutzt Victorinus die doppelte Bedeutung des Begriffes potentia für seine Argumentation. Potentia kann einerseits als Macht oder Stärke, andererseits im philosophischen Sinne als potentielles Vermögen verstanden werden: Gottes Macht (potentia) besteht demnach darin, nichtseiende Dinge ins Sein zu rufen, insofern er aber potentielles Vermögen (potentia) ist, aktualisiert er aus sich heraus genau das, dessen Potenz er ist. Eine Potenz des Nichtseins gibt es nicht, das Nichtseiende ist vielmehr das noch in Gott verborgene Sein. Daher müsse Christus aus dem Vater sein. In einer zweiten Widerlegung wendet sich Victorinus gegen ein falsches Verständnis des Johannes-Prologs, nach dem die Aussage, der λόγος sei bei Gott, darauf
Bei der Eingangsfrage in Ad Cand. 17 sollte man der Interpunktion Lochers folgen: Videamus aliud rursus: si λόγος est Iesus, quid est λόγος? (20,23 Locher) „Untersuchen wir noch etwas anderes: Wenn Jesus der λόγος ist, was ist dann eigentlich der λόγος?“ Gegen die Interpunktion in CSEL 83/ 1,35,1 f. Die Frage ist nicht, ob Jesus der λόγος ist, sondern was das Wesen des λόγος ausmacht, die Identifikation ist bereits vorausgesetzt. Vgl. Ad Cand. 23. Vgl. Cand. I 10: Effecit autem ex his, quae non sunt, quoniam potentia dei, quod non est, adducit, ut sit. (8,18 f. Locher) mit Ad Cand. 24 f. Ich deute dies als Anspielung auf Röm 4,17 in der Übersetzung des Victorinus in Adv. Ar. I 17: […] cui credidisti deo, qui […] vocat ea, quae non sunt, tamquam quae sunt. (47,9 f. Locher)
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hinweise, dass es ihn vorher nicht im Inneren des Vaters gegeben habe. Gegen diese Deutung verweist Victorinus auf die Schöpfung des Menschen, bei der Gott dem Menschen die Seele aus seinem eigenen Inneren einhaucht. Demnach muss a minore ad maius geschlossen Christus erst recht aus dem Inneren Gottes hervorgegangen sein, da er bei seiner präexistenten Zeugung noch keinen Körper hatte, in den etwas eingehaucht werden konnte, und da der Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf gewahrt bleiben muss.⁶⁷ Die dritte Widerlegung geht von der Beobachtung aus, dass nach Gen 1 alles durch Gottes Wort geschaffen wurde, es vor dem Hervorgang des Sohnes aus dem Vater also noch kein Wort gab, das etwas geschaffen haben könnte. Der Sohn könne also selbst unmöglich geschaffen sein, da die Schöpfung seine Existenz bereits voraussetze. Der Sohn wird nicht nur mit dem Wort, sondern auch mit dem Anfang in Gen 1 identifiziert, er ist also nicht nur Schöpfungsmittler, sondern auch Ort der Schöpfung: In Christus wurde alles geschaffen, dies entspricht seiner philosophischen Bestimmung als der Totalität des Seins.⁶⁸ Viertens behandelt Victorinus das Problem, wie man von der Substanzeinheit von Vater und Sohn sprechen kann, obwohl der Vater die Substanz erst hervorbringt, selbst aber noch keine Substanz ist. Hier verweist Victorinus noch einmal auf die erkenntnistheoretische Schwierigkeit, dass eigentlich keine angemessene Beschreibung Gottes möglich ist. Er verteidigt die philosophischen Begrifflichkeiten als eine uneigentliche Übertragung sekundärer Phänomene auf Gott.⁶⁹ Fünftens argumentiert Victorinus gegen das arianische Verständnis der Bibelstellen, in denen von Christus ausgesagt wird, er sei „gemacht“ worden. Hier wendet Victorinus die ihm offenbar von Athanasius bekannte Methode der doppelten Exegese an und erklärt, dass sich solche Aussagen nicht auf das göttliche Wesen, sondern auf das ökonomische Handeln des Sohnes bezögen.⁷⁰ Sechstens und letztens wendet sich Victorinus gegen die eigentlich unbewiesene Grundvoraussetzung des Candidus, dass eine Zeugung immer automatisch Veränderung bedeute. Diese Widerlegung nimmt die rhetorische Form einer retorsio criminis bzw. einer ἀντικατηγορία an.⁷¹ Das bedeutet, dass ein Vorwurf in
Vgl. Ad Cand. 26. Vgl. Ad Cand. 27. Vgl. Ad Cand. 28. Vgl. Ad Cand. 29. Vgl. dort: Ista omnia non in eius exsistentiam, sed in actus et ministrationem eius potentiae atque virtutis. (26,14– 16 Locher) mit Ath. Ar. I 62,2: […] ὅτι οὐκ ἐπὶ τῆς οὐσίας τοῦ λόγου ἔλεγε τὸ γενόμενος, ἀλλ’ ἐπὶ τῆς δι’ αὐτοῦ γενομένης διακονίας. (AW I 1/2, 173) Dazu auch unten S. 289, Anm. 159. Vgl. zum Begriff Tornau, Zwischen Rhetorik und Philosophie, 157 Anm. 185: In der Literatur hat sich der Terminus retorsio eingebürgert, ohne dass es dafür einen antiken Beleg gibt. Der antike
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gleicher Form an die Gegenseite zurückgegeben wird. Wenn die Arianer den Begriff der Zeugung ablehnen, da eine Bewegung des Sohnes aus dem Vater heraus eine Veränderung bedeute, dann müsse unter dieser Prämisse auch das Schöpfungshandeln Gottes als eine Veränderung angesehen werden. Es bleibe die Alternative, dass Gott entweder gar nichts hervorgebracht haben könnte oder dass eben nicht jede Art von Bewegung automatische eine Veränderung bedeute. Da Gott aber die Welt geschaffen hat, bleibe nur noch die Option, dass Gott bestimmte Bewegungen zugeschrieben werden können, die keine Veränderung seines Wesens mit sich bringen. Da das Wort schließlich dem Schöpfungshandeln vorausliege, wie zuvor aus Gen 1 geschlossen wurde, müsse vom Sohn ausgesagt werden, dass er durch Zeugung entstanden ist.⁷² Die peroratio (30 – 32) gliedert sich in drei Abschnitte: Zunächst differenziert Victorinus vier verschiedene semantische Bedeutungen des Wortes Sohn: Er bezeichnet Christus als Sohn der Wahrheit nach, d. h. aus der Substanz Gottes, und grenzt dies ab von einer Sohnschaft der Natur nach, d. h. einer Sohnschaft, die bei Lebewesen durch Zeugung zustande kommt, von einer Sohnschaft durch Adoption und von einer metaphorischen Verwendung des Begriffes Sohn. Damit bezieht er sich einerseits auf das Proöm der Schrift zurück: Dort begründet er die soteriologische Relevanz des Themas damit, dass den Menschen die Bezeichnung als Kinder Gottes lediglich im Sinne der Adoption zukommt, die ihre Voraussetzung in der wahren Sohnschaft Christi habe.⁷³ Andererseits weist er voraus auf spätere Schriften, in denen er die Sohnschaft Christi noch näher dargestellt habe.⁷⁴ Zweitens schließt er den Heiligen Geist, der vorher nur am Rande Erwähnung fand, ausdrücklich in die Homousie mit ein. Auch hier verweist er auf ausführlichere Behandlung des Themas an anderer Stelle.⁷⁵ Den dritten und letzten Teil der peroratio bildet ein Gebet, das die Spannung zwischen der Unerkennbarkeit Gottes und seiner Erkennbarkeit durch den Glauben behandelt. Auch dies stellt wieder einen Rückbezug auf die erkenntnistheoretischen Passagen des Proöms dar.
Fachterminus lautet vielmehr ἀντικατηγορία. Vgl. zu dieser rhetorischen Strategie Lausberg, Handbuch §197. Vgl. Ad Cand. 30 (26,20 – 27,13 Locher) Vgl. Ad Cand. 30 f. (27,14– 25 Locher) mit Ad Cand. 2 (11,5 – 12 Locher). Letztlich bestimmt das Thema der substantiellen Sohnschaft Christi das ganze Werk. Die Formulierung, er habe omnis progressio et descensus et regressio (27,24 Locher) dargestellt, ist aber am ehesten als Verweis auf Adv. Ar. Ib zu verstehen.Vgl. insbesondere Adv. Ar. Ib 51: Descensio enim vita, ascensio sapientia. (87,6 f. Locher) Dies geschieht spätestens in Adv. Ar. III, einer Schrift, die sich ganz dem Wesen und Wirken des Heiligen Geistes widmet.
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Mit den Rückbezügen schließt Victorinus den gedanklichen Kreis der Schrift und erinnert seinen Lesern zugleich noch einmal an die soteriologische Bedeutung des Themas. Mit den Vorverweisen auf ausführlichere Behandlungen von einzelnen Fragestellungen gibt Victorinus dem Leser zu verstehen, dass er hier Grundlagen geschaffen hat, um darauf aufbauend später noch einzelne Fragestellungen und Probleme zu behandeln. 2.2.4.4 Candidi epistula altera und Adversus Arium I Der zweite Brief des Candidus bringt inhaltlich nichts Neues. Nach einer kurzen Einleitung bietet die Schrift einen ins Lateinische übersetzten Brief des Arius an Euseb von Nikomedien und einen Brief Eusebs von Nikomedien an Paulinus von Tyrus.⁷⁶ Diese Briefe erfüllen nicht die Funktion, die Argumentation voranzutreiben, sondern dienen lediglich als Exposition für die Antwort des Victorinus. Vielleicht ist ihnen gewissermaßen auch eine dramaturgische Funktion zuzuweisen: Der Arianer Candidus hat gegen die Argumente des Victorinus nichts mehr aufzubieten und kann sich nur noch auf Autoritätsargumente zurückziehen. Demnach hätte Victorinus in seiner Brieffiktion die Auseinandersetzung also bereits im Wesentlichen gewonnen und müsste der arianischen Lehre jetzt nur noch den endgültigen Stoß versetzen. Die Schrift Adversus Arium I ist der umfangreichste Teil des Opus ad Candidum und lässt sich in vier Teile gliedern. Auf ein exordium und die propositio (1– 2) folgt in den Kapiteln 3 – 27 eine Sammlung von biblischen Belegen der Homousie. Die Kapitel 28 – 42 widmen sich der Widerlegung der Positionen der Homöusianer um Basilius von Ankyra, die Kapitel 43 – 47 ziehen ein endgültiges Fazit aus dem Gesamtwerk. Im exordium blickt Victorinus in Kapitel 1 zunächst auf den bisherigen Schriftwechsel zurück und setzt sich mit den beiden Briefen des Arius und Eusebius auseinander. In aller Kürze spricht er sich noch einmal gegen die Schöpfung des Sohnes aus dem Nichts aus und gegen die Annahme, er sei dem Schöpfer bloß ähnlich. In Form einer ἀντικατηγορία greift Victorinus die Ansicht des Eusebius auf, dass der Anfang des Sohnes dem menschlichen Reden und Denken nicht zugänglich sei: Indem nämlich Eusebius den Sohn als Geschöpf bezeichne, bestimme er gerade den genauen Anfang des Sohnes und verstoße so gegen seine eigene erkenntnistheoretische Prämisse.⁷⁷
Die beiden Briefe entsprechen Dok. 15 AW III 1/3 (Urk. 1 AW III/1/1) und Dok. 4 AW III/1/3 (Urk. 8 AW III/1/1). Vgl. Cand. II 2 (31,11– 14 Locher) mit Adv. Ar. I 1 (33,17– 23 Locher). Das exordium kann wie in Ad Candidum als ab scriptura und ab adversariorum persona qualifiziert werden, s.o. Anm. 54.
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In Kapitel 2 formuliert Victorinus seine Themenstellung für die Kapitel 3 – 27: Gegen die „fünf Verslein“ der Arianer möchte er ein umfassendes Zeugnis der Heiligen Schrift anführen, das beweisen soll, dass der Sohn gezeugt und nicht geschaffen ist und dass er mit dem Vater wesenseins ist.⁷⁸ Mit diesem dezidierten Verweis auf die Schrift als Argumentationsgrundlage inszeniert sich Victorinus als biblischer Theologe und spricht dieses Prädikat zugleich seinen Gegnern ab. Auch in dieser Schrift klärt Victorinus zunächst die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen: Während er sich in Ad Candidum gegen einen zu optimistischen und rein rational-logischen Zugang ausspricht, richtet sich Victorinus hier gegen die zu skeptische Perspektive Eusebs von Nikomedien: Gott könne erkannt werden, aber nur durch den ihm wesenseinen Sohn, von dem die Heilige Schrift und der Heilige Geist Zeugnis geben.⁷⁹ Das eigentliche Beweisziel der Homousie ist für Victorinus also bereits Voraussetzung seiner Theologie. Im Hintergrund steht auch hier wieder das epistemologische Prinzip, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann: Gotteserkenntnis ist durch den Sohn und den Heiligen Geist nur möglich, wenn diese mit dem Vater substantiell identisch sind. In den Kapiteln 3 – 27 bietet Victorinus dann eine erschlagende Menge an Bibelstellen, die seine Position begründen sollen. Die Kommentierung dieser biblischen Belegstellen fungiert damit argumentativ als confirmatio der These, dass Christus als wesensmäßiger Sohn vom Vater gezeugt wurde. Dabei ist die Masse an Stellen bereits ein Argument für sich, das gegen die wenigen Stellen der Arianer demonstrieren soll, dass Victorinus die Schrift ganz auf seiner Seite weiß.Victorinus arbeitet in diesen Kapiteln die Schrift nach Belegen für seine Position durch und legt dabei einen deutlichen Schwerpunkt auf das Johannesevangelium und die Paulusbriefe. Da er sich hier für die Form des Bibelkommentars entscheidet, lässt sich kein fortschreitender Argumentationsgang über die Kapitel hinweg herausarbeiten. Victorinus geht wahrscheinlich einfach sein Bibelexemplar der Reihe nach durch, wie Hadot plausibel vermutet.⁸⁰ In den Kapiteln 28 – 42 verlagert Victorinus den argumentativen Fokus vollständig auf die Theologie der Homöusianer, während die Arianer oder die Person des Candidus keine Rolle mehr spielen. Dieser zweite Schwerpunkt kündigt sich bereits im ersten Hauptteil der Schrift an, so argumentiert Victorinus bereits in Kapitel 23 gegen den Terminus ὁμοιούσιος. Dieses Vorgreifen auf spätere Teile der
Vgl. Adv. Ar. I 2: Et primum, ut ille versiculis quinque, quod asserebat, docuisse se credidit filium factum esse, non natum, sic nos filium natum primum sacra omni lectione docebimus. Deinde id ipsum, hoc est substantialiter filium, permittente dei spiritu, ut possumus, asseremus. (33,26 – 29 Locher) Vgl. Adv. Ar. I 2 (33,30 – 34,29 Locher). Vgl. Hadot, SC 69, 736 f. ad 3,1– 28,7.
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Darstellung ist auch für andere Schriften des Victorinus typisch und stellt eine Art „schleichenden Übergang“ dar. Dieser Abschnitt widmet sich in den Kapiteln 28 – 32 einer Widerlegung der homöusianischen Theologie. Dabei beginnt Victorinus mit einer häresiologischen Polemik gegen die Homöusianer und setzt sich dann argumentativ mit ihren Positionen auseinander. Mit häresiologischen Topoi greift Victorinus die Ansichten der Homöusianer als Neuerung und als Bruch mit dem allgemeinen Konsens in diachroner wie synchroner Perspektive an. Dafür beruft er sich zuerst auf die Autorität der Synode von Nizäa, auf der die These, der Sohn sei wesensähnlich, überhaupt nicht zur Diskussion gestanden habe. Daraus könne gefolgert werden, dass es diese Ansicht damals noch nicht gegeben habe oder dass die Vertreter dieser Meinung durch ihr Schweigen zu erkennen gegeben hätten, dass sie falschliegen. Victorinus unterstellt Basilius von Ankyra einen plötzlicher Sinneswandel, den er auf persönliches Geltungsbedürfnis oder Druck von offizieller Seite zurückführt.⁸¹ Da Victorinus neue Formulierungen nicht von Haus ablehnt, begründet er auch, warum die Neuerung der Homöusianer überflüssig sei⁸²: Das Nizänum habe zur Bekämpfung aller damals bekannten und seither aufgetretenen Häresien ausgereicht.⁸³ Victorinus wirft Basilius ferner methodische Unausgewogenheit vor, da er zwar Kritik an der Wesenseinheit von Vater und Sohn übe, seine Ansicht von der Wesensähnlichkeit aber nicht ausreichend begründe.⁸⁴ Im Folgenden wendet sich Victorinus der Widerlegung eines zentralen Gegenargumentes gegen die Homousie zu. Die Homöusianer ziehen aus der Homousie die polemische Konsequenz, dass die gemeinsame Substanz, die sich Vater und Sohn teilen, vor ihnen existieren müsse. Dadurch wäre dann zum einen Gottvater nicht mehr das erste Prinzip, sondern die vorhergehende Substanz, zum anderen würde ein materialistisches Gottesver-
Vgl. Adv. Ar. I 28 (61,15 – 22 Locher) Zur offenen Einstellung des Victorinus vgl. Adv. Ar. II 7: Liceat ergo de lectis non lecta componere. (107,20 f. Locher) Vgl. dazu Hadot, De lectis, StPatr 1 (1957), 209 – 220. Vgl. Adv. Ar. I 28 (61,22– 62,11 Locher). Zur geradezu topischen Betonung der Suffizienz des Nizänums vgl. z. B. auch den ersten Brief der Synode von Rimini 359 an Constantius II. in Hil. coll. antiar. V 1,1,2 (CSEL 65 79,6 – 80,4 = Dok. 59.5 I,3 AW III/1/4 [456,17– 25, lies Z. 24 reliquae für reliquiae]); Lucif. athan. I 27. Tetz, Über nikäische Orthodoxie, ZNW 66 (1975), 200 verweist darauf, dass der Tomus ad Antiochenos von 362 den ersten Synodalbeschluss darstellt, der die Suffizienz des Nizänums betont, vgl. Ath. tom. 9, Dok. 69.2,9 AW III/1/3 (603,3 – 5). Bergjan, Konkurrenz, 408 f. verweist ferner auf Ath. ep. Afr. 1,3 (AW II 8, 323,13 – 15), wo der Gedanke dann voll ausformuliert erscheint.Vgl. dazu auch den Kommentar von Stockhausen, Epistula ad Afros, 89 – 92 mit weiteren Belegen. Vgl. Adv. Ar. I 29 (62,12– 17 Locher).
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ständnis vorausgesetzt, da die göttliche Substanz als teilbarer Körper gedacht würde.⁸⁵ Victorinus hatte dagegen bereits in Kapitel 23 die aus seiner Sicht fehlenden philosophischen Grundlagen der Homöusianer aufgedeckt: Von einer Substanz könne man nach der Kategorienlehre gerade nicht sagen, dass sie ähnlich sei, dies sei nur in Bezug auf akzidentielle Eigenschaften möglich. Und wenn man doch von einer ähnlichen Substanz spreche, schlussfolgert Victorinus wieder in Form einer ἀντικατηγορία, müsse man entweder eine Vater und Sohn vorausliegende Substanz oder die Teilung der gemeinsamen Substanz annehmen.⁸⁶ Gegen die Ansicht, der Sohn sei dem Vater ähnlich, argumentiert Victorinus sodann mit einer Kombination verschiedener Bibelstellen. Er setzt Jes 43,10, Kol 1,15 und Gen 1,26 miteinander in Beziehung: Bezeichnete man den Sohn als ähnlich, gäbe es gegen Jes 43,10 doch einen zweiten Gott, der dem Vater ähnlich wäre. Der Sohn wird jedoch in Kol 1,15 als Abbild Gottes bezeichnet und das Abbild ist nach Gen 1,26 streng von der Ähnlichkeit zu unterscheiden. Mit der philosophischen Grundlage aus Kapitel 23 und den biblischen Argumenten hält Victorinus daran fest, dass der Sohn als imago dei wesenseins mit dem Vater sein muss.⁸⁷ Der letzte Abschnitt der Argumentation nimmt sich biblische Christusprädikate und Formulierungen von Bekenntnissen zur Grundlage, denen auch die Homöusianer zustimmen. Da Victorinus nun einige Aussagen auf die Substanz Gottes bezieht, klärt er zunächst, was er unter Substanz eigentlich versteht, und will die Schriftgemäßheit der Substanzterminologie nachweisen: Nach einer kurzen Erörterung verschiedener Definitionsmöglichkeiten von Begrifflichkeiten, die alle das Sein bezeichnen, entscheidet sich Victorinus für ein alltagssprachliches Verständnis, nach dem substantia bedeutet, etwas Seiendes zu sein.⁸⁸ Gegen die Argumente der Homöer dass die Rede von der Substanz Gottes unbiblisch sei, sammelt er Stellen, die das Gegenteil beweisen sollen.⁸⁹ Inhaltlich bestimmt Victorinus Gottes Substanz als Geist und Licht und charakterisiert den Sohn als Abbild des Geistes und Lichtes des Vaters. Mit diesen
Vgl. das Referat aus dem Basiliusbrief in Adv. Ar. I 29 (62,17– 20 Locher). Zu diesem Vorwurf der Homöusianer, dass die Wesenseinheit eine präexistente Substanz voraussetze vgl. auch Hil. syn. 81 = Dok. 56.2,2 (AW III/1/4, 411). Vgl. Adv. Ar. I 23 (55,16 – 56,13 Locher) und Adv. Ar. 29 (62,20 – 63,10 Locher). Vgl. Adv. Ar. I 29 f. (63,11– 30 Locher). Zu Christus als imago dei vgl. 2Kor 4,4; Kol 1,15, Hebr 1,3; Phil 2,6; Röm 8,29. Zum Bildbegriff des Victorinus s.u. S. 265 – 275. Vgl. Adv. Ar. I 30 (64,1– 15 Locher). S. dazu unten S.241– 244. Vgl. Adv. Ar. I 30 (64,16 – 65,7 Locher). Zu diesem Argument der Homöer vgl. Dok. 51,3 AW III/1/4. Die Homöusianer haben auf der Synode von Sirmium im Jahr 358 nur das Wort ὁμοούσιος als nicht schriftgemäß bezeichnet, vgl. Dok. 56.2,4 AW III/1/4.
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Voraussetzungen beschreibt Victorinus den Vorgang des Sohnes aus dem Vater als eine Selbstzeugung des göttlichen Willens, die eine eigene Hypostase hervorbringt, ohne die Einheit der Substanz aufzulösen. Die Einheit zwischen Vater und Sohn fasst er als reziproke Immanenz des Seins auf der einen Seite und der Bewegung und des Willens auf der anderen Seite auf.⁹⁰ Damit ist für ihn gegen die Angriffe der Homöusianer die Homousie verteidigt und die Argumentation geht in den folgenden Kapiteln wieder stärker in einen positiv darlegenden Teil über. Diese erneute confirmatio in den Kapitel 32– 42 hat dabei unterschiedliche kritische Anfragen an die Wesenseinheit im Blick.⁹¹ Victorinus setzt hier hauptsächlich die Argumente der Candidusschrift und der Homöusianer voraus, nebenbei hat er aber auch Markell von Ankyra im Blick. Die Kapitel 32 f. stellen die Basis für die weiteren Überlegungen dar, da Victorinus hier die philosophische Grundlage für ein nizänisches Verständnis der Christusprädikate der Schrift legt, von denen die meisten in der Candidusschrift angegriffen worden sind. Victorinus zeigt zunächst, dass Bewegung nicht automatisch eine Veränderung der Substanz Gottes bedeute, anschließend begründet er noch einmal die Einheit von Sein und Handeln Gottes, um dann die Christusprädikate abzuarbeiten. Kapitel 32 soll zeigen, dass es möglich sei von einer Bewegung Gottes zu sprechen, ohne dass dadurch sein Wesen in Mitleidenschaft gezogen würde. Die Homöusianer interpretierten das nizänische ὁμοούσιον in einem identifikationstheologischen Sinne als ταὐτοούσιον und verwarfen es folglich als sabellianisch.⁹² Gegen diesen Verdacht des „Patripassianismus“ richtet sich die erste Argumentation, in der Victorinus die Struktur der menschlichen Seele als Analogon nutzt. Der trinitarische Aufbau der Seele ist dabei keine zufällige Analogie, sondern wesensmäßig von der trinitarischen Struktur Gottes abgeleitet, wie Victorinus in einer Auslegung von Gen 1,26 bereits zuvor erörtert hat.⁹³ Auf der Grundlage der Erkenntnistheorie des Victorinus ist dies ein geeigneter Zugang zum Thema, da die
Vgl. Adv. Ar. I 31 f. (65,8 – 66,24 Locher). Das knüpft wieder an die Bestimmung der Einheit von esse und agere in Ad Cand. 17– 23 an. Ich spreche dennoch von einer confirmatio, da die Argumentation nicht rein widerlegenden Charakter hat. Sie nimmt vielmehr die Kritik zum Anlass einer positiven Entfaltung der eigenen Position. Vgl. Dok 56.2,3 AW III/1/4. Ferner das Bekenntnis der Synode von Ankyra 358, anath. XIX (Dok. 55 AW III/1/4, 408). Vgl. Adv. Ar. I 20. Ferner schließt das folgende Kapitel mit der Bemerkung an, dass diese Überlegungen die Situation beschreiben, wie sie bei der Seele nach der Ähnlichkeit Gottes gilt, vgl. Adv. Ar. I 33 (68,12 Locher): Sed ista sicut in similitudine. Die Übersetzung von Hadot/Brenke „in übertragener Weise“ verkennt die Bezugnahme auf Gen 1,26, vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 164. S. dazu auch unten S. 472– 475.
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Seele besonders dazu in der Lage ist, ihre eigene ontologische Ebene zu erkennen. Hierfür muss sie sich weder nach oben erheben noch etwas Niederes betrachten. Im Sein der Seele ruhen zwei verschiedene Vermögen, die sich aus dem diesem Sein heraus aktualisieren. Das ist zum einen das Vermögen, Leben zu spenden, zum anderen das Erkenntnisvermögen. Diese beiden Vermögen sind Aktivitäten, die in einer einzigen Bewegung aus dem Sein der Seele hervorgehen. Diese Bewegung stellt gegenüber der Ruhe der Substanz ein Leiden dar, da eine Veränderung von Ruhe zur Bewegung und von der Bewegung wieder zurück zur Ruhe stattfindet. Zudem benötigen die Handlungen des Belebens und Erkennens jeweils ein Gegenüber als Objekt, sind also nicht autark und in sich ruhend. So verliert sich die Seele durch ihre Tätigkeiten in der materiellen Welt und ihr widerfährt Leiden, ohne dass dabei ihre Seelensubstanz in Mitleidenschaft gezogen würde. Auf die Trinität übertragen heißt das, dass die ruhende Transzendenz des Vaters durch das immanente Hervorgehen des Sohnes und seine Inkarnation nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Der Hervorgang des Sohnes in der Präexistenz und seine Inkarnation sind also zwar Bewegungen aus dem Vater heraus, die ein gewisses Leiden mit sich bringen, stören aber in keiner Weise die Substanz Gottes.⁹⁴ Damit wird die patripassianische Deutung der Homousie ausgeschlossen. Darüber hinaus knüpft Victorinus mit dieser Argumentation aber auch wieder an seine Schrift Ad Candidum an: Dort hatte er zum Schluss die Behauptung aufgestellt, dass nicht jede Bewegung für Gott eine Veränderung bedeuten muss.⁹⁵ Kapitel 33 zeigt auf andere Weise, dass Sein und Handeln Gottes nicht voneinander getrennt werden können. Die Argumentation nimmt ihren Ausgang von der hypothetischen Frage, ob das Sein Gottes und das Gott-Sein getrennt werden könnten. Unter dem Sein Gottes wird dabei eine primäre, ruhende Potenz verstanden, unter dem Gott-Sein die Verwirklichung dieser Potenz. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass sie die Nichtaffizierbarkeit Gottes gewährleistet, indem das ruhende Sein vom aktualisierten Wirken getrennt wird. Mit dem Verweis auf Gen 1,1 lehnt Victorinus diese Unterscheidung aber ab, da die Bibel einen tätigen Gott vor Augen stelle. Das Sein und das Handeln Gottes müssen also eine Einheit bilden, der aktive und aktualisierte λόγος muss also bereits im ruhenden Vermögen des Seins Gottes eingeschlossen sein. Mithilfe dieser beiden Vorklärungen kann Victorinus nun eine Reihe von Christusprädikaten und biblischen Zeugungsvorstellungen auf der Grundlage der Homousie erklären. Zugleich kann er die soteriologische Relevanz und die escha-
Vgl. Adv. Ar. I 32. Zur Bezeichnung des immanenten Hervorgehens des Sohnes als passio, wodurch immanentes Wesen und ökonomisches Handeln Gottes aufs engste verknüpft werden, s.u. S. 311– 324. Vgl. Ad Cand. 30: relinquitur ergo non omnem motum immutationem esse. (27,5 Locher)
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tologische Dimension der Trinitätslehre zur Sprache bringen. Der Sohn kann demnach als Abbild und Handeln der Substanz des Vaters und als Form, durch die der Vater erkannt wird, bezeichnet werden. Man kann zurecht von einer ewigen oder zeugungslosen Zeugung sprechen, die auch als Hervorgehen beschrieben werden kann oder als Abglanz eines Lichtes. Dies greift nun in aller Kürze eindeutig die refutatio der Candidusschrift wieder auf.⁹⁶ Dies war schon im Laufe des Bibelkommentars laufend geschehen, der Rückverweis verdichtet sich aber in diesem Kapitel. Die Argumentation der Kapitel 35 – 39 scheint sich mit der betonten Identifikation der Christusprädikate Sohn, Abbild, Jesus und Christus mit der Theologie Markells von Ankyra auseinanderzusetzen und unterstreicht die soteriologische und eschatologische Dimension des trinitarischen Geschehens.⁹⁷ Der Johannesprolog, der Kolosserhymnus und 1Kor 15 werden mithilfe einer „Metaphysik der Präpositionen“ analysiert⁹⁸: Der Sohn ist Schöpfungsmittler (per quem), gewissermaßen der Ort und das Behältnis der Schöpfung (in quo) und Ziel der Schöpfung (in quem). Damit treffe die Schrift über den Sohn dieselben Aussagen wie über den Vater, dem als eigentümliche Beschreibung nur das ex quo bleibt, da er die Erstursache alles Seins einschließlich des Sohnes ist. Als Leben schafft der Sohn alles, als Denken führt er alles in eine geistige Substanz über und lässt so alles zu Gott zurückkehren. Damit kommt auch der λόγος wieder im Vater zur Ruhe. Dies bedeutet aber keine Vernichtung des Seins, es bleibt vielmehr gotterfüllt ewig bestehen.⁹⁹ Diese Auslegung hat eine unverkennbare Stoßrichtung gegen die Exegese von Joh 1 und 1Kor 15 bei Markell von Ankyra.¹⁰⁰ Anhand der Prädikation des Sohnes als Kraft und Weisheit Gottes führt Victorinus erneut das Ineinander von Sein und Handeln vor und betont, dass trotz dieser Einheit der Vater als Ursprung durch den Ausgang und das Handeln des Sohnes nicht leidet. Als Vergleich dient ihm hier das ruhende Sehvermögen und seine Aktualisierung.¹⁰¹
Zur Zeugung iuxta actionem vgl. Cand. I 8 (6,21– 7,17 Locher), zur Zeugung iuxta imaginem vgl. Cand I 6 (5,4– 9 Locher) zur Zeugung iuxta characterem vgl. Cand. I 6 (5,10 – 13 Locher), die Bezeichnung Christi als forma aus Phil 2,6 wird von Victorinus zuvor in Adv. Ar. I 29 (62,25 f. Locher) mit imago und character gleichgesetzt, zur Zeugung iuxta effulgentiam und iuxta radii emissionem vgl. Cand. I 4 f. (4,5 – 16 Locher), zur Zeugung iuxta progressum et iuxta motum vgl. Cand. I 6 (5,14– 22 Locher). Zur Verhältnisbestimmung von Victorinus und Markell vgl. unten S. 306 – 321. Vgl, Theiler, Vorbereitung, 28 – 34; Dörrie, Präpositionen und Metaphysik, MH 26 (1969), 217– 228. Vgl. Adv. Ar. I 35 – 39. S. dazu unten S. 432 f. Vgl. Adv. Ar. I 40.
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Diese Argumentation wird nun noch einmal übertragen auf den Sohn in seiner Bezeichnung als Leben. Zugleich unternimmt Victorinus hier den Versuch, eine genauere lateinische Übersetzung des Begriffes ὁμοούσιον zu erarbeiten: Er erwägt, ob man eher von ipsa substantia oder eadem substantia sprechen sollte. Die „Ipseität“ der Substanz deutet er im Sinne einer patripassianischen Identifikationstheologie und lehnt im gleichen Zuge den Personenbegriff für die Trinitätslehre ab.¹⁰² Im Falle der Identität sieht Victorinus die Gefahr, dass es zu materialistischen Missverständnissen kommen könnte oder man dem Vorwurf der Homöusianer Recht geben müsste, dass so eine gemeinsame Substanz vor dem Vater und dem Sohn existiert haben muss. Er entscheidet sich daher für einen Mittelweg zwischen der Ipseität und Identität, der Einheit und Verschiedenheit zugleich ausdrücken soll. Ferner gibt er der ersten Silbe des Wortes ὁμοούσιον eine zeitliche Dimension im Sinne von simul, die die Gleichewigkeit von Vater und Sohn anzeige.Vater und Sohn sind beide Leben und somit Bewegung und Handeln, der Vater ist jedoch im Inneren Leben und Handeln und bleibt in Ruhe, während der Sohn als aktualisiertes Handeln, als Bewegung und Leben nach außen tritt.¹⁰³ Die Schrift schließt mit einer ausführlichen Zusammenfassung und Konklusion in den Kapitel 43 – 46, den endgültigen Abschluss bildet ein umfangreiches Bekenntnis in Kapitel 47. Diese conclusio dient noch einmal dazu, die soteriologische Relevanz der Homousie zu unterstreichen, Zweifel an der Orthodoxie in Form des Patripassianismusverdachtes auszuräumen und die Gegner als Häretiker zu bezeichnen. So stellt Victorinus fest, dass die Gottes- und Christusprädikate unter der Maßgabe der Homousie verstanden werden müssen, da die Wesensähnlichkeit in letzter Konsequenz eine Wesensverschiedenheit voraussetze. Die Homöusianer werden damit noch einmal auf eine Stufe mit Arianern und Homöern gestellt.¹⁰⁴ Die soteriologische Dimension der Homousie spricht Victorinus mithilfe der Selbstprädikation Christi als Wahrheit an. Christus müsse wesensmäßig die Wahrheit sein, um die Menschen zur Wahrheit des Vaters führen zu können. Andernfalls Vgl. Adv. Ar. I 41 (76,12– 18 Locher). Zur Ablehnung des Begriffs persona vgl. auch Adv. Ar. I 11 (41,12– 15 Locher) Victorinus versteht persona im Sinne von Aspekt oder Gestalt, daher kann er auch das Griechische μορφὴ δούλου in Phil 2,7 mit persona servi übersetzen, vgl. Adv. Ar. IV 31 (164,22 f. Locher) Vgl. dazu auch Abramowski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), 527. Zu diesem Sprachgebrauch vgl. etwa auch Lact. div. inst. IV 4,2; ira 24,2. Vgl. Adv. Ar. I 40 f. Vgl. Adv. Ar. I 43 (78,13 – 24 Locher), die Homöer werden schon in I 28 als Hinterlassenschaften des Arius bezeichnet: […] Valens et Ursacius reliquiae Arii. (62,9 Locher), die Homöusianer werden später in I 45 noch einmal als Kryptoarianer bezeichnet: occulti Ariani. (81,16 Locher) Balido scheint der Polemik zu folgen und unterstellt Valens und Ursacius Sympathien für die anhomöische Theologie, vgl. seine Einleitung zu Gaio Mario Vittorino, Scritti Cristiani, 13.
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wäre Christus nur das Wahrscheinliche, dies gehöre aber in den irdischen Bereich.¹⁰⁵ Damit steht für ihn gegen Candidus fest, dass Bewegung nicht automatisch Veränderung bedeutet, sondern dass Gottes Sein zugleich Selbstbewegung ist und das Vermögen, anderes zu bewegen. Die hypostatische Differenz zwischen Vater und Sohn besteht darin, dass der Vater mehr das ruhende Sein, der Sohn mehr das tätige Handeln ist, die aber zusammen eine Wesenseinheit bilden.¹⁰⁶ Gegen den Verdacht des Patripassianismus betont Victorinus noch einmal, dass der Vater und der Sohn hinsichtlich ihrer göttlichen Natur keinerlei Leid erfahren, der Sohn lediglich in seiner menschlichen Natur leidensfähig ist.¹⁰⁷ Damit sind für Victorinus alle widerstreitenden Positionen entkräftet und die Homousie begründet, er schließt die Schrift mit einem längeren Bekenntnis, das die Ergebnisse zusammenfasst.¹⁰⁸ 2.2.4.5 Funktion und Aufbau des Opus ad Candidum Die Analyse der rhetorischen und argumentativen Strategie der ersten vier Schriften gibt eindeutige Hinweise darauf, dass diese vier Schriften als Gesamt konzipiert worden sind und als Einheit gelesen werden sollen. Die Einschätzung, dass Ad Candidum keine befriedigende Antwort auf die Candidusschrift darstelle, ist nur teilweise richtig: Berücksichtigt man die „Regieanweisung“ des Victorinus am Anfang von Adv. Ar. I, so wird deutlich, dass es seine Absicht war, die Candidusschrift in zwei Stufen zu widerlegen. Die erste Antwort Ad Candidum nimmt den beiden Hauptthesen der Arianer ihre Grundlage: Der Sohn kann erstens nicht aus dem Nichts geschaffen sein, da es dieses Nichts im eigentlichen Sinne überhaupt nicht gibt. Dafür hatte Victorinus eine ausführliche Untersuchung zur ontologischen Hierarchie angestellt und Gott an der Spitze des Seins verortet. Die Einheit zwischen Vater und Sohn kann zweitens nicht bloß über eine Einheit von Wollen und Handeln konstituiert werden, da diese beiden Größen nicht von der Substanz zu trennen sind. Dies war das Beweisziel der Schrift Ad Candidum, die Positionen der Arianer sind damit „aufgelöst“ worden (dissoluta sunt). Nun kann man in dieser Antwort eine ausführliche Replik auf den refutatio-Teil der Candidusschrift vermissen. Victorinus gibt aber zu verstehen, dass er dies hier gar nicht beabsichtigt und sich eine ausführliche Widerlegung (omnis refutatio) für die Schrift Adversus Arium I aufgespart hat. Eine Widerlegung der Einzelargumente
Vgl. Adv. Ar. I 43 (78,25 – 79,7 Locher). Vgl. Adv. Ar. I 43 (78,8 – 15 Locher). Vgl. Adv. Ar. I 44. Vgl. Adv. Ar. I 45 – 47. Das Bekenntnis in I 47 bespricht ausführlich Abramowski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), 522– 531.
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des Candidus ist außerdem aus Sicht des Victorinus gar nicht notwendig, wenn man seine methodische Vorbemerkung am Beginn von Ad Candidum ernst nimmt: Ausgangspunkt des Nachdenkens über Christus müsse seine biblische Bezeichnung als Sohn Gottes sein, die nicht in übertragener Weise verstanden werden darf. Alle anderen Bezeichnungen des Sohnes sind dann unter dieser Prämisse zu betrachten.¹⁰⁹ Victorinus widmet sich den biblischen Konzepten, die Candidus ablehnt erst in Adversus Arium I in der Form eines ausführlichen Bibelkommentars und anschließenden philosophischen Erwägungen, wobei er die grundlegenden Ergebnisse von Ad Candidum voraussetzt. Diese Aufteilung hat den Vorteil, dass er in Ad Candidum erst ein systematisches philosophisches Fundament für den exegetischen Teil in Adversus Arium I legen kann und die zentralen Einsichten für seinen Durchgang durch die Bibel dort schon voraussetzen kann. In Adversus Arium I wird dadurch schließlich das Verständnis der Zeugungskonzeptionen auf der Grundlage der Homousie erklärt, die in der Candidusschrift abgelehnt werden. Außerdem kommt die Schrift am Schluss zu dem Ergebnis, dass nicht jede Bewegung als Veränderung des göttlichen Wesens zu verstehen ist. Damit sind alle entscheidenden Punkte der Candidusschrift widerlegt. Unwiderlegt bleiben nur die Voraussetzungen und Argumentationsgänge, die auch auf der Basis des nizänischen Bekenntnisses geteilt werden können. Die Funktion der Candidusschrift ist es also nicht nur, als reine Negativfolie für Victorinus zu dienen. Vielmehr geht es Victorinus darum, philosophisch stringent und einleuchtend aus der Perspektive eines Arianers zu argumentieren. Er formuliert den Frontalangriff gegen die Zeugung und Homousie des Sohnes überzeugend und mit philosophischer Schärfe. Das zeigt, dass er die Vertreter dieser Position intellektuell durchaus ernst nimmt und Candidus nicht nur als „Pappkameraden“ zeichnet. Das hohe philosophische Niveau und die Durchdringung des Themas aus einer ontologischen Perspektive in der Candidusschrift geben damit die Voraussetzung für Victorinus, mit vergleichbarer philosophischer Scharfsinnigkeit zu argumentieren und eine solide Grundlage für die nizänische Theologie zu legen, mit der er dann in Adversus Arium I weiterarbeiten kann. Der zweite Brief des Candidus hat keine argumentative Funktion mehr, er dient nur der Vorbereitung der zweiten Antwort. Die beiden arianischen Dokumente geben noch einmal Gelegenheit, die wichtigsten Punkte der Argumentation von Ad Candidum zusammenzufassen, und sind Stichwortgeber für die ausführliche Bibelkommentierung. Bemerkenswert ist dann, dass in Adversus Arium I die Person Vgl. Ad Cand. 1: Sed nomine Christianus necesse habes accipere atque venerari scripturas inclamantes dominum Iesum Christum. Si istud necessarium tibi est, et hoc necessarium, ea, quae in ipsis de Christo dicuntur, sic, quemadmodum dicuntur, credere. Dicunt enim Iesum Christum filium dei esse unigenitum […]. (10,12– 16 Locher)
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des Candidus völlig zurücktritt, nicht aber seine Positionen. Daneben werden nun die Homöusianer, Markell von Ankyra, die Homöer und andere Personen und Gruppen als weitere Gegner eingeführt. Es ist der Anspruch des Victorinus zu zeigen, dass das Nizänum das einzige Bekenntnis ist, das alle Häresien der Vergangenheit und Gegenwart bekämpfen kann. Das Opus ad Candidum wird dadurch nicht nur eine Schrift gegen einen Arianer, sondern gewissermaßen eine Schrift Adversus omnes haereses. Die Beurteilung der Schrift Ad Candidum durch Ziegenaus als „fast unbeholfen“ oder die Unterstellung, er gehe am Kern des Problems vorbei, ist nur dann zutreffend, wenn man falsche Erwartungen an die Antwort stellt.¹¹⁰ Die Schrift Ad Candidum bleibt bewusst im philosophisch Grundsätzlichen und begibt sich nicht auf die Detailebene. Die Einzelprobleme der Candidusschrift werden dann erst in Adversus Arium I behandelt. Dies hat den Sinn, der Homousie eine feste philosophische Grundlage zu geben und gleichzeitig der radikalen Gegenposition der Arianer ihr Fundament zu entziehen. In Adversus Arium I kann Victorinus dann auf dieser Grundlage seine Argumentation gegen alle anderen Kritiker des Nizänums ausweiten. Der Fortschritt zwischen Ad Candidum und Adversus Arium I ist gegen Ziegenaus also nicht darauf zurückzuführen, dass Victorinus inzwischen Zeit hatte, sich intensiver mit den Problemen zu befassen, sondern auf eine planvolle Gesamtkonzeption der ersten vier Schriften als zusammenhängendes Opus ad Candidum. ¹¹¹ Mit Blick auf die späteren Schriften ist festzuhalten, dass im Opus ad Candidum bereits alle Grundlinien des victorinischen Denkens eine Rolle spielen. Es erfüllt damit eine einleitende Funktion in das Gesamtwerk des Victorinus und stellt die sprachliche und denkerische Grundlage für die weiteren Schriften dar.¹¹² In Adversus Arium Ib vertieft Victorinus die soteriologische Pointe der Trinitätslehre und stellt genauer dar, wie genau sich Gottes Wesen trinitarisch entfaltet und wie sich dies auf sein ökonomisches Handeln auswirkt. Fragen der richtigen Übersetzung des griechischen Begriffes ὁμοούσιος und Überlegungen zur Schriftgemäßheit der nizänischen Terminologie behandelt er später noch einmal ausführlich in Adversus Arium II und De homousio recipiendo. Die Rolle des Heiligen Geistes für die Soteriologie und Epistemologie, die er im Opus ad Candidum voraussetzt, wird in Adversus Arium III zum Thema. Und der Gedanke, dass der Sohn die Form ist, durch die das Wesen des Vaters erkannt werden kann, und die damit zusammenhängende
Gegen Ziegenaus, Seinsfülle, 61.64. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 138 f. Siehe dazu auch S. 383-391.
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Unterscheidung von vivit/vivens und vita werden in Adversus Arium IV zum Thema.¹¹³
2.3 Adversus Arium Ib 2.3.1 Schematische Übersicht 48: Propositio der ganzen Schrift: Sind der Sohn und der Vater eher verschieden in Identität oder identisch in Verschiedenheit? Fragestellung anhand von verschiedenen Bezeichnungen (spiritus, λόγος, νοῦς, sapientia, substantia), die für beide verwendet werden können. 49 – 53: Argumentatio I: Einheit von Vater, Logos und Heiligem Geist 49: (84,22– 28): Propositio I: Identität von Vater und Sohn als unum, quae duo, Identität von Logos und Heiligem Geist als in uno duo 49 – 53: Confirmatio I anhand der Darstellung der Selbstdifferenzierung Gottes mit Schlussfolgerungen für die Ökonomie 53 (89,27– 30): Vorweggenommene propositio der Kapitel 60 – 64: Heilsbedeutung der Trinitätslehre für den Menschen 54– 59: Argumentatio II: Verschiedenheit der drei Hypostasen in der Identität und die ihnen zukommenden Bezeichnungen 54: Propositio II: Verschiedenheit der Hypostasen in der Identität 55 – 58: Untersuchung der Bezeichnungen aus 48: Die Bezeichnungen werden in unterschiedlicher Weise auf alle drei Hypostasen angewandt. 59: Conclusio II: Homousie der drei Hypostasen und ihre Verschiedenheit in Potenz und Akt; Überleitung zu 60 – 64 mit einer allegorischen Auslegung des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn auf das Schicksal der gefallenen Seele 60 – 64: Soteriologische Konsequenzen aus der dargestellten Trinitätslehre 60: Darstellung des trinitarischen Wesen Gottes als Kugel 61– 64: Erschaffung des Menschen, Begründung seiner Erlösungsbedürftigkeit und Begründung der Erlösung von Leib und Seele durch Christus aufgrund der Ebenbildlichkeit
Vgl. zur erkenntnisstiftenden Funktion des Heiligen Geist etwa Adv. Ar. I 3. Seine Aufgabe, das Sein zu vergeistigen und so zu Gott zurückzuführen, ist noch allgemein als Werk des Sohnes dargestellt, in diesem Punkt werden Adv. Ar. Ib und Adv. Ar. III weitere Klärung verschaffen, vgl. Adv. Ar. I 38 f. Zur Übersetzung vgl. Adv. Ar. I 40 f., wo auch bereits die Spannung von Ipseität und Identität diskutiert wird, die den Ausgangspunkt von Adv. Ar. Ib darstellt. Zur Unterscheidung von vivens und vita vgl. Adv. I 6. Zum Sohn als forma, durch die der Vater erkannt wird, vgl. z. B. Adv. Ar. I 22.29.
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2.3.2 Ausführliche Gliederung Die Schrift Ib stellt in zweierlei Hinsicht eine Herausforderung für die Analyse des rhetorischen und literarischen Aufbaus dar. Das erste Problem besteht in der Quellenfrage: Auch in dieser Schrift identifiziert Hadot einige Abschnitte als Fremdkörper und mit dem Traktat in Kapitel 49 f. haben wir auch eine der sehr wenigen Stellen vor uns, an der sich diese Vermutung durch externe Indizien stützen lässt, da hier wörtliche Parallelen zum koptisch-gnostischen Zostrianus zu finden sind.¹¹⁴ Dieser Befund könnte nun als Bestätigung der These Hadots gewertet werden, dass sich Gedankengänge in der Schrift finden, die sich nicht kohärent in den Argumentationszusammenhang der Schrift einfügen. Eine Analyse des Aufbaus und der rhetorischen Anlage der Schrift steht daher vor der Aufgabe zu zeigen, dass Victorinus selbst dieses sicher nachweisbare Quellenmaterial sinnvoll in den Kontext der Schrift eingefügt hat. Zweitens ist erstaunlich, dass die Interpreten sich einig sind, dass der Aufbau dieser Schrift leicht zu erschließen und durchaus gelungen sei. So lobt Ziegenaus Adversus Arium Ib gegenüber der vorhergehenden Schrift als „klarer und durchgliederter“ und Hadot erblickt in der Schrift gar das kompositorische Meisterwerk des Victorinus.¹¹⁵ Dies scheint zunächst förderlich für die Analyse der literarischen Struktur, bei genauerer Betrachtung tritt allerdings ein entscheidendes Problem zutage: Hadot bedient sich für seinen Gliederungsvorschlag musikalischer Analogien, die der antiken Literatur fremd sind: Die Schrift sei zu gliedern in ein Präludium über die mögliche Verhältnisbestimmung von Identität und Alterität, die Exposition des Hauptthemas, das Vater und Sohn als Eines, das zwei ist, und Christus und den Heiligen Geist als zwei in Einem charakterisiert, die Entfaltung dieses Themas mit Nebenthemen, eine abschließende Vereinigung aller Themen in der Bekräftigung der Homousie und schließlich ein Postludium, das dieselben Themen noch einmal auf den Ebenen Geist, Seele und Körper durchspielt. Als Grundrhythmus der Schrift fungiere die Spannung zwischen Identität und Alterität. Diese der antiken Literatur fremde ästhetische Perspektive verdeckt dabei aber die eigentlichen Schwierigkeiten bei der Interpretation der Schrift. Auch diese Schrift muss nach antiken Maßstäben untersucht werden, damit ihr Aufbau und ihre Intention richtig erfasst werden können. Denn gerade das „Postludium“ in den Kapiteln 60 – 64 und einige „Exkurse“ bzw. „Nebenthemen“ wirken in der Gliederung Hadots funktionslos. Seine musikalische Deutungskategorie hilft also nur be-
S.u. S. 260 – 265. Ziegenaus, Seinsfülle 105. Vgl. dazu und zur „musikalischen“ Gliederung Hadot, SC 69, 839 f.
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dingt, einen klaren Aufbau der Schrift zu erkennen, in der alle Teile eine argumentative Funktion erfüllen. Dieses Problem versuchen Hadot und Brenke später dadurch zu lösen, dass sie die Schrift als Versuch deuten, die drei neuplatonischen Hypostasen mit christlichen Vorstellungen zu harmonisieren.¹¹⁶ Dadurch erhält das „Postludium“ zumindest eine Funktion: Es ist dann das dritte Lehrstück über die Seele, das nach dem Einen und dem Intellekt aus neuplatonischen Systemzwängen noch behandelt werden muss. Allerdings wird diese Interpretation der Komplexität des Aufbaus und der Gedankenführung der Schrift nicht gerecht, auch wenn gegen die Abgrenzung der einzelnen Teile kein grundsätzlicher Einwand erhoben werden muss.¹¹⁷ Wird die Schrift mithilfe rhetorischer Techniken unter Berücksichtigung der Besonderheiten des victorinischen Stils analysiert, kann deutlich gemacht werden, dass die Schlusskapitel weder einen funktionslosen Annex noch eine neuplatonische Pflichtübung, sondern gerade den eigentlichen Zielpunkt der Schrift bilden. Die Schrift Adversus Arium Ib beginnt mit einer propositio, wobei die Fragestellung zunächst offen formuliert, dann aber durch eine erste Prüfung der verschiedenen Optionen auf eine Alternative eingeschränkt wird (48). Zu Beginn steht die offene Frage, ob die Begriffe Geist, λόγος, νοῦς, Weisheit und Substanz identisch oder verschieden sind. Dabei handelt es sich um Begriffe, die in unterschiedlicher Weise von Gottvater und dem Sohn ausgesagt werden können. Es handelt sich also um die Frage nach dem Verhältnis von Identität und Alterität zwischen Vater und Sohn. Die ontologischen Diskussionen aus dem Opus ad Candidum voraussetzend kann Victorinus die Option der völligen Alterität als irrelevant ausschließen: Alles Sein stammt schließlich aus der Gattung des wahren Seins und ist auf dieses hin geordnet.Völlig verschieden vom Sein wäre nur das Nichtsein im Sinne der völligen Privation des Seins, dieser Seinsmodus ist aber nur ein hypothetisches Gedankenkonstrukt und nicht wirklich vorstellbar.¹¹⁸ Daher muss also nur noch untersucht werden, in welchem Verhältnis Identität und Alterität der Begriffe zueinander stehen: Sind sie verschieden in Identität, was ihre Gemeinsamkeit betont, oder sind sie identisch in Alterität, wobei der Schwerpunkt auf ihrer Verschiedenheit liegt?¹¹⁹ Victorinus teilt die Themenstellung in zwei Teile, wobei zunächst die Frage nach der Identität, später die Frage nach der Alterität behandelt wird. So widmen sich die
Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 388 – 390. Vgl. die Übersicht bei Hadot, SC 68, 334– 336. Vgl. nur Ad Cand. 6: At illa, quae vere non sunt, non recepit esse plenitudo dei. (13,29 – 14,1 Locher) Vgl. Adv. Ar. I 48.Vgl. zu den ontologischen Überlegungen in diesem Kapitel Němec, Zum Problem der Gattung des Seienden, RhM 160 (2017), 161– 193, der überzeugend gegen Hadots Interpretation argumentiert und dem ich in der Darstellung der Ontologie hier ganz folge. Zu Hadots Interpretation vgl. Hadot, Porphyre I, 247– 255
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Kapitel 49 – 53 dem Nachweis der Identität von Vater, Christus und Heiligem Geist in dem Sinne, dass Vater und Sohn als zwei ein Eines bilden und dass Christus und der Heilige Geist zwei in Einem sind. Diesen Nachweis zu führen, kündigt Victorinus in der propositio der ersten confirmatio an. Sprachlich markiert er den Übergang zur Argumentation durch die Aufforderung zum Hören.¹²⁰ Die Argumentation nimmt ihren Ausgang vom paradoxen Doppelaspekt des Vaters, der absolut und transzendent ist, zugleich aber auch das kausale Prinzip alles Seins. Dabei wird er zunächst mithilfe der Sprache der negativen Theologie als das Eine jenseits jedes Seins beschrieben, anschließend wird seine Funktion an der Spitze des Seins als dessen Vermögen und Ursache in Worte gefasst.¹²¹ Daran anschließend erfolgt eine Darstellung, wie der Sohn aus dem Vater als zweites Prinzip hervorgeht und dabei doch identisch mit dem Vater bleibt. Der Sohn ist als Leben und Weisheit, d. h. Christus und Heiliger Geist zwei in Einem. Das Leben ist die bereits im Inneren des väterlichen Seins befindliche Bewegung, die nach außen tritt, die Weisheit sorgt für eine Rückwendung dieser Bewegung zum väterlichen Sein. Alle drei sind also ineinander und notwendig, um das trinitarische Sein Gottes zu konstituieren.¹²² Bemerkenswert ist, dass dieser Argumentationsgang nicht dabei stehenbleibt, die immanente Konstitution des göttlichen Seins nachzuvollziehen. Victorinus zieht hieraus bereits jeweils Schlussfolgerungen für das ökonomische Handeln des Sohnes: Als Leben und λόγος ist er der Schöpfungsmittler, der allem, was geschaffen wird, sein jeweiliges Sein verleiht, wobei die letzte Ursache der Vater als das Vermögen alles Seins ist. Durch die vermittelnde Funktion Christi bleibt das Sein des Vaters aber in seiner transzendenten Ruhe ungestört.¹²³ Da der Sohn ferner die Manifestation der im Vater verborgenen Bewegung ist, ermöglicht er durch sein Nachaußentreten die Erkennbarkeit des unzugänglichen Wesens des Vaters. In dieser Funktion ist er die gestaltgebende Form des unbestimmten väterlichen Seins und ermöglicht so durch Erkenntnis den Zugang zum ewigen Leben.¹²⁴ Diese Verschränkung immanenter und ökonomischer Theologie liegt für Victorinus in der Natur der Sache, da er das immanente Geschehen von Ausgang des Lebens und
Vgl. Adv. Ar. Ib 49 (84,22– 28 Locher). Für die rhetorische Funktion des Imperativs „höre!“ zur Lenkung der Aufmerksamkeit des Lesers vgl. Procl. in Ti. I 80,8 – 11 Diehl. Vgl. Adv. Ar. Ib 49 f. (84,29 – 86,10 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 50 – 53 (86,11– 89,30 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 52 (88,1– 11 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 53.
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Rückkehr der Weisheit als Vorbild der Jungfrauengeburt und Erhöhung Christi betrachtet.¹²⁵ Die Kapitel 55 – 59 widmen sich nun der Frage der Alterität der Begriffe und der Frage, welcher Hypostase welche der genannten Begriffe aus Adv. Ar. I 48 zuzuschreiben sind.¹²⁶ Vor einer Untersuchung der einzelnen Begriffe verweist Victorinus noch einmal auf den Unterschied zwischen Identität und Ipseität.¹²⁷ Die Begriffe sind wie Vater, Sohn und Heiliger Geist zugleich identisch und verschieden: Identisch sind sie insofern, als sie alle gemeinsam im Vermögen des Vaters ruhen, in ihrer Aktualisierung sind sie jedoch verschieden, ohne dass ihre Identität in der väterlichen Potenz dadurch aufgehoben würde. Die Verschiedenheit der Hypostasen und damit der auf sie angewandten Begriffe liegt also im Spannungsverhältnis von Potenz und Aktualisierung.¹²⁸ Die folgende Untersuchung der einzelnen Begriffe zeigt dann auch, dass alle Begriffe auf alle drei Hypostasen angewandt werden können, insofern also identisch sind, sich dabei aber durch eine unterschiedliche Aktivität voneinander unterscheiden, insofern also verschieden sind. Bei der Untersuchung der einzelnen Begriffe hält Victorinus fest, dass Geist als die Bezeichnung der gemeinsamen Substanz der drei Hypostasen fungiere. Diese gemeinsame Substanz habe ihren Ursprung im Vater, der sowohl seine eigene Ursache ist als auch ohne eine Teilung oder Verminderung die Ursache Christi und des Heiligen Geistes.¹²⁹ Mit einem Mischzitat aus Joh 16,15 und 16,13 leitet Victorinus über zur Bezeichnung λόγος, die ebenso auf alle drei Hypostasen angewandt werden könne, wenn ihre Aktionsart unterschieden werde: So spricht der Vater im Schweigen, Christus spricht offenbar, der Heilige Geist auf eine geistige Art und Weise.¹³⁰ Davon grenzt Victorinus die Substanz der Seele ab, die nicht wie die drei Hypostasen Stimme oder Wort, sondern bloßes Echo ist. Im Hintergrund steht eine Exegese von Joh 1,23, in der der Ruf Johannes des Täufers allegorisch als Ruf der
Vgl. Adv. Ar. Ib 51: […] sic secundum typum oportuit ordinem esse, et cum est in corpore spiritus, hoc est in filio Christo, et quasi deminutionem pati et a virigine nasci et in ipsa veluti deminutione sua patrica virtute, hoc est exsistentia diviniore et prima, resurgere et renovari et reverti in patrem, hoc est in exsistentiam et potentiam primam. (87,19 – 24 Locher). Man darf gegen Ziegenaus, Seinsfülle, 109 typus an dieser Stelle nicht mit der generatio secundum typum aus Cand. I 9 in Verbindung bringen. Hier hat typus seine gewöhnliche Bedeutung und soll zum Ausdruck bringen, dass das Heilsgeschehen (ordo) in wesentlichem Zusammenhang als „Abdruck“ des immanenten Geschehens zu verstehen ist. S. dazu auch S. 316, Anm. 269. Vgl. die propositio in Ib 54: Sed oportet prius videre, quomodo alia, cui attribuantur, patri an filio, dico autem spiritum, λόγον, νοῦν, sanctum spiritum, sapientiam, substantiam. (89,31– 33 Locher). Vgl. dazu Adv. Ar. I 41. Vgl. Adv. Ar. Ib 54. Vgl. Adv. Ar. Ib 55 (90,14– 91,4 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 55 (91,5 – 11 Locher). S. dazu unten S. 324– 344.
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Seele ausgelegt wird. Daher muss das Missverständnis ausgeschlossen werden, die Bezeichnung der Seele als vox verweise auf eine Homousie der Seele mit Gott.¹³¹ Kurz und bündig verfährt Victorinus mit den weiteren Begriffen, die für den Sohn in Anspruch genommen werden: Er sei auch Bewegung, νοῦς, Weisheit, Existenz, erste Substanz, wahres und erstes Seiendes. Da alle drei die gleiche Substanz teilten, könne man die Begriffe auch auf alle drei anwenden. Unterschieden wird auch hier wieder das Handeln, in diesem Falle das Handeln Christi und des Heiligen Geistes: Christus erschafft alles, der Heilige Geist führt alles zur Vollendung.¹³² So leitet Victorinus zum Heiligen Geist über: Das ewige Leben, das der Sohn als Abglanz des vorewigen Lebens im Vater ist, ist nur dann ewig und vollkommen, wenn es mit Erkenntnis verbunden ist. Dies verbindet Victorinus sogleich wieder mit soteriologischen Fragestellungen: Das Leben steigt hinab und wird Fleisch, und da Christus und der Heilige Geist eins sind, wird durch das Handeln des Geistes Christus geboren und alles Vergängliche in die Ewigkeit überführt.¹³³ Damit wird der Heilige Geist in seiner Rolle als Erkenntnis und Weisheit in den Blick genommen. Wieder setzt Victorinus beim Ausgang aus dem Vater an: Erkenntnis setzt eine Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt voraus, daher will die Erkenntnis, die sich in der Potenz des Vaters befindet, nach außen treten und sich selbst im Vater erkennen. Hier wird also der Heilige Geist als erste Bewegung aus dem Vater heraus beschrieben. Das ist die komplementäre Kehrseite der Darstellung in Ib 51, wo dies über das Leben ausgesagt wird. Der Heilige Geist und Christus sind für Victorinus zwei in Einem und manifestieren beide das im Vater Verborgene nach außen. Ebenso wird ganz analog zu Ib 51 nach dem immanenten Geschehen auch die Rolle des Geistes im ökonomischen Handeln Gottes charakterisiert. Er wird dabei als Mutter Jesu bezeichnet, da im immanenten Geschehen durch das Nachaußentreten des Geistes das Leben mitgezeugt wird und im ökonomischen Geschehen der Heilige Geist über Maria kommt und so das Inkarnationgeschehen in Gang setzt.¹³⁴ Die conclusio in 59 hält damit noch einmal fest, dass die drei Hypostasen in der Substanz identisch sind, der Vater als Vermögen vom Sohn als Aktualisierung aber verschieden ist. Abgeschlossen wird dieser Teil der Argumentation erneut mit biblischen Belegen, vor allen solchen, die gegen die Homöer belegen sollen, dass der Gebrauch des Wortes Substanz nicht unbiblisch sei. Der Abschnitt hat aber auch die Vgl. Adv. Ar. Ib 56 (91,12– 23 Locher). S. dazu unten 466 – 469. Ähnlich auch bei Aug. conf. VII 9,13 gegen die Platoniker gerichtet. Vgl. Adv. Ar. Ib 56 (91,23 – 92,1 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 56 f. (92,1– 17 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 57 f. (92,18 – 94,6 Locher).
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Funktion zum abschließenden Teil der Schrift in den Kapiteln 60 – 64 überzuleiten. Ein biblischer Beleg für das Wort substantia ist nämlich dessen Verwendung im Gleichnis vom verlorenen Sohn in Lk 15,12 f. Der Sohn verlangt dort seinen Teil der väterlichen substantia und verprasst seine substantia anschließend. Der Vater, der hier eine substantia hat, muss auf der Sachebene für Victorinus dann Gott sein. Da es vom Sohn im Gleichnis aber heißt, er verschleudere seine substantia, darf damit unmöglich Christus gemeint sein, da sonst materialistischen Fehldeutungen Tür und Tor geöffnet wäre.¹³⁵ Der Sohn des Gleichnisses ist daher auf der Sachebene für Victorinus die Seele. Damit bietet sich ihm die Gelegenheit, zur Schöpfung des Menschen nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes überzugehen, die die Kapitel 60 – 64 thematisch beherrscht. Damit stellen die Kapitel 60 – 64 eine erneute Argumentation dar, deren Ziel es ist, eine Auslegung zu Lk 15,12 f. und Gen 1,26 zu geben und so zu erklären, warum der Mensch der Erlösung bedarf und wie sich diese vollzieht. Das demonstrative ista in der propositio dieses Abschnittes in Ib 60 bezieht sich also nicht bloß auf die Bezeichnungen imago und similitudo nach Gen 1,26 in Ib 59, sondern auch auf die allegorische Interpretation von Lk 15.¹³⁶ Die folgende Abhandlung erklärt also auch, inwiefern die Seele etwas von der Substanz des Vaters bekommt und wie ihr durch ihren Abstieg ihre Kraft verloren geht. Daher beginnt der Abschnitt noch einmal mit einer zusammenfassenden Darstellung der trinitarischen Struktur Gottes: Victorinus beschreibt mit der geometrischen Analogie einer Kugel, wie sich die Trinität selbst konstituiert: Aus dem Vater, der der ruhende Mittelpunkt und die Potenz der Linie ist, geht eine Linie hervor. Diese Linie wendet sich wieder zurück auf den Mittelpunkt und bildet so einen Kreis. Da Vater, Sohn und Geist als Sein, Leben und Denken jeweils ineinander sind, bilden sich gewissermaßen drei Kreise, die übereinander gelagert eine Kugel ergeben. Der Sohn, der aus dem Vater heraustritt, ist das erste substantielle Sein und geistige Substanz und somit der Schöpfer alles Seins, des intelligiblen, intellektuellen und materiellen Seins.¹³⁷ Nach Gen 1,26 wird auf Geheiß Gottes die menschliche Seele als Abbild erschaffen. Die Seele entsteht also durch einen willentlichen Schöpfungsakt Gottes als Abbild. Sie ist das Abbild des Sohnes, der wiederum nach Kol 1,15 das Bild des Vaters ist. Die Seele ist hinsichtlich ihrer Substanz also Abbild des Bildes. Damit sind der Seele zwei Vermögen wesensmäßig mitgegeben: Sie ist als Abbild des Lebens selbst lebensspendend, als Abbild des Intellekts hat sie selbst auch einen Intellekt und ist Vgl. auch Adv. Ar. II 6. Adv. Ar. Ib 60: Quid vero ista significant, audi, ut dico. (95,1 Locher) ist also als Rückverweis auf Adv. Ar. Ib 59 (94,24– 31 Locher) insgesamt zu verstehen. Vgl. Adv. Ar. Ib 60.
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eine Art Vernunft. In ihrer Substanz ist die Seele ein Mittelwesen zwischen den intelligiblen Wesen und der Materie, ihr obliegt die freie Entscheidung, in welche Richtung sie sich orientieren möchte. Doch ihr Drang, Leben zu schenken, führt dazu, dass sie sich zu sehr in die Materie verstrickt. Der ihr eigene Intellekt verhindert aber, dass dabei ihre Substanz völlig zerstört wird.¹³⁸ Victorinus begründet die Hinabwendung der Seele zur Belebung der Materie damit, dass sie petulans sei. Das ist auffällig und lässt die Vermutung zu, dass Victorinus bewusst mit der sexuellen Konnotation des Wortes spielt.¹³⁹ Diese Bedeutungsebene liegt schon durch den Kontext nahe, nach dem die Seele das Leben weitergibt. Ferner lässt sich hier ein Rückbezug auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn sehen, der durch einen ausschweifenden Lebensstil das Erbe des Vaters verprasst. Dabei wird der verlorene Sohn im Gleichnis auch eindeutig mit sexuellen Ausschweifungen in Verbindung gebracht.¹⁴⁰ Es liegt also vor diesem Hintergrund nahe, petulans durchaus mit sexueller Konnotation zu verstehen. Das zeigt noch einmal, wie eng verzahnt die Auslegungen von Lk 15 und Gen 1,26 in diesem Teil sind. Es geht Victorinus nicht nur darum zu zeigen, wie die Seele Bild und Ähnlichkeit Gottes ist, sondern auch darum zu erklären, warum und wie sie erlösungsbedürftig wurde und wie sie wieder zum Vater zurückkehren kann. In 62 f. wendet sich Victorinus dann konkret der Auslegung von Gen 1,26 zu und entfaltet eine Lehre, nach der der Mensch mit einer zweifachen Seele und einem zweifachen Intellekt ausgestattet ist. Die exegetische Begründung sieht er in einer allegorischen Auslegung der synoptischen Apokalypse, wo jeweils zwei dasselbe tun, einer bzw. eine angenommen, der andere bzw. die andere zurückgelassen wird.¹⁴¹ Diese Aussagen bezieht Victorinus jeweils auf zwei Intellekte bzw. zwei Seelen des Menschen. Die Ursache für diese Dopplung erklärt er in einer Auslegung des zweiten Schöpfungsberichts in Gen 2, nach dem der Mensch in zwei Stufen erschaffen wurde: Zuerst erschafft Gott den Körper aus geformter Erde und haucht diesem dann die rationale Seele ein. Die Erschaffung des Körpers versteht Victorinus so, dass der Mensch hier als Tier erschaffen wird, also einen Leib und eine mit Sinneswahrnehmung begabte Seele erhält. Erst mit dem Einhauchen der rationalen Seele wird er zum Menschen. So ist der Mensch mit einer materiellen Seele und dem zugehörigen Intellekt, die mit der Tierseele identisch sind, und mit einer himmlischen Seele und dem zugehörigen Intellekt ausgestattet, womit seine rationale
Vgl. Adv. Ar. Ib 61, zur Seele als quidam λόγος in Abgrenzung zu Christus, der λόγος ist: 96,9 f. Locher Ausführlich dazu unten S. 457– 463. Vgl. Lk 15,13.30. Vgl. Mt 24,39 – 41 und Lk 17,34 f.
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Konstitution gemeint ist. Die drei niedrigeren Teile bedürfen zu ihrer Erlösung einer Reinigung, allein der himmlische Intellekt ist davon ausgenommen.¹⁴² Kapitel 63 betont nun, dass die himmlische Seele und der himmlische Intellekt nach paulinischem Sprachgebrauch der innere Mensch seien und damit nach dem Bilde Gottes geschaffen. Der innere Mensch ist also substantiell das Abbild Gottes und konstituiert sich wie dieser als Triade von Sein, Leben und Denken. Die in Gen 1,26 genannte Ähnlichkeit bezieht sich dagegen auf die vollkommene Qualität der Seele, nach der sie Gott ähnlich ist. Diese wurde in Adv. Ar. I 20 von Victorinus aber bereits als erst eschatologisch erreichbar markiert.¹⁴³ Die Argumentation schließt mit der außergewöhnlichen Feststellung, dass auch vom Körper des Menschen gesagt werden könne, er sei nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes gemacht worden. Man könne entweder sagen, dass der Körper des Menschen schon mit der Voraussicht geschaffen worden sei, dass Christus einmal Fleisch werden würde. Oder man könne seinen vergeistigten Auferstehungsleib als Vorbild des Fleisches sehen. Dies impliziere keine Körperlichkeit Gottes, vielmehr ist Christus auch das Schöpfungsprinzip des Fleisches. Da er Fleisch geworden ist und es vergeistigt erhoben hat, kann die Aussage auch auf den Körper bezogen werden. Daher seien die Menschen ebenso wie der λόγος auch männlich und weiblich.¹⁴⁴ Die abschließende Argumentation in 60 – 64 ist aber nicht nur über das Zitat aus Lk 15 lose mit dem Vorhergehenden verknüpft. Ähnlich wie in Adversus Arium I ist auch in dieser Schrift ein „schleichender Übergang“ zu den Abschlusskapiteln bemerkbar, da das Thema der soteriologischen Bedeutung des innertrinitarischen Geschehens immer wieder dezidiert angesprochen wird. Die soteriologische Zuspitzung liegt einerseits in der Natur der Sache: Die Beurteilung von Gottes innerem Wesen hat in der trinitarischen Diskussion stets eine ökonomische Konsequenz. Die Thematik muss aber von Victorinus auch auf Grund seiner ontologischen Voraussetzungen behandelt werden, wie er sie in der Eingangsproposition noch einmal kurz darstellt. Alles stammt aus der höchsten Gattung des Seins, es gibt damit unter allen existenten Dingen keine radikale Alterität, da das reine Nichtsein als einzige Möglichkeit des vollkommen Anderen nicht existiert. Aus dieser Voraussetzung könnte ein massives Missverständnis entstehen: Wenn auf dieser Grundlage Vater, Sohn und Heiliger Geist eines Wesens sind, dann läge die Konsequenz nahe, dass die gesamte Schöpfung oder zumindest Teile davon eines Wesens mit Gott sind. Daher muss Victorinus notwendigerweise auch die Frage der Entstehung der Seele be-
Vgl. Adv. Ar. Ib 62. Die Unberührtheit des νοῦς betont Victorinus bereits in Ib 61 (96,13 Locher). Vgl. Adv. Ar. I 20 (52,10 – 13 Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 64. Zu diesen Argumenten ausführlicher unten S. 405 – 410.
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handeln, muss erklären, dass sie nicht eines Wesens mit Gott ist, warum sie trotz ihrer subsantiellen Abbildhaftigkeit erlösungsbedürftig ist, und kann schließlich zeigen, dass sie aufgrund der ontologischen Voraussetzungen auch erlösungsfähig ist. Dass die gesamte Schrift auf eine soteriologische Pointe abzielt, zeigt sich daran, dass Victorinus im Laufe des ganzen Traktates eine soteriologische Ausdeutung vorbereitet.¹⁴⁵ Die Kapitel 60 – 64 sind also kein Postludium, kein nur lose angehängter Epilog, sondern das eigentliche Ziel der Schrift Adversus Arium Ib: Sie zeigt, wie der Mensch durch die freie Entscheidung der Seele erlösungsbedürftig wurde, wie und warum der Glaube an Christus den Menschen erlöst, und dass dabei nicht nur ein Teil des Menschen, sondern der gesamte Mensch aus Leib und Seele erlöst wird.¹⁴⁶ Dieses zentrale Ergebnis der Schrift ist umso bedeutsamer vor dem Hintergrund des verwendeten Quellenmaterials in Ib 49 f., das sich auch im koptischgnostischen Zostrianus findet. Das spannungsvolle Verhältnis zu gnostischen Texten in dieser Schrift bedarf einer tiefergehenden Analyse.¹⁴⁷
2.4 Adversus Arium II 2.4.1 Schematische Übersicht 1– 2 (100,1– 102,3) Confirmatio: Zeugung des wesenseinen Sohnes aus dem Vater 2 (102,4– 102,33): Conclusio und Überleitung zur refutatio 3 – 11 (103,1– 111,21): Refutatio 3 – 8: Begründung der Schriftgemäßheit der οὐσία-Terminologie 9 – 11: Möglichkeit der Übersetzung des Wortes ὁμοούσιος ins Lateinische 11– 12 (111,22 – 113,21): Conclusio: Vorschlag zur Ergänzung des Bekenntnisses um die Formeln Gott in Gott, Licht in Licht
Vgl. Adv. Ar. Ib 51 (87,19 – 24 Locher), wo immanentes und ökonomisches Geschehen analog zueinander sind, Adv. Ar. Ib 53 (89,26 – 30 Locher), wo eine Abhandlung angekündigt wird, wie die Inkarnation vorzustellen sei und wie durch den Glauben an Christus Erlösung geschieht, Adv. Ar. Ib 56 f. (92,7– 17 Locher) zur Inkarnation des Lebens, Adv. Ar. Ib 58 (93,17– 94,6 Locher), wo der Heilige Geist immanent und ökonomisch als Mutter Jesu fungiert. S. dazu unten 374– 414. S.u. 260 – 265, 303 – 306, 322– 324, 383 – 411.
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2.4.2 Ausführliche Gliederung Die kurze Schrift Adversus Arium II richtet sich gegen zwei Bedenken aus den Kreisen der Homöer und versucht erstens zu zeigen, dass die Rede von der Substanz Gottes überhaupt und von der Homousie im Besonderen schriftgemäß sei, und zweitens, dass es durchaus möglich ist, das Wort ὁμοούσιος angemessen ins Lateinische zu übersetzen. Die Schrift gliedert sich in eine confirmatio (1 f.), eine refutatio (3 – 11) und eine conclusio (11 f.). Victorinus legt in den Eingangskapiteln das argumentative Fundament in der Auseinandersetzung mit den Homöern. Ausgangspunkt ist auch hier wieder eine paradoxe Einordnung des Vaters als substanzlos und als Substanz: Substanzlos ist der Vater in seinem Aspekt als transzendentes Absolutes, Substanz kann er genannt werden, da er real existiert. Da Christus in Abgrenzung zur übrigen Schöpfung in einem besonderen Verhältnis zum Vater steht, bleibt nur die Möglichkeit, dass er aus der Substanz des Vaters stammt. Die Zeugung des Sohnes ist die Aktualisierung der Potenz des Vaters und die Manifestation seines Wesens. Als Ergebnis dieses ersten Abschnittes hält Victorinus die Homousie von Vater und Sohn fest und schließt alle anderen Positionen aus.¹⁴⁸ In der conclusio des ersten argumentierenden Teils leitet Victorinus wieder in der für ihn typischen Art und Weise des „schleichenden Übergangs“ zum nächsten Teil über, indem er hier bereits verschiedene Übersetzungen des Wortes ὁμοούσιος anbietet und analog gebildete Wörter mit der Vorsilbe ὁμο- als vergleichbare Wortbildungen zur Erklärung heranzieht. Die Kapitel 3 – 11 widmen sich dann der Widerlegung homöischer Argumente gegen das ὁμοούσιος: Die Kapitel 3 – 8 sollen zeigen, dass die Rede von der Substanz Gottes und der Homousie von Vater und Sohn biblisch begründbar ist. In der propositio zu diesem Abschnitt formuliert Victorinus aber zunächst insgesamt drei Anfragen an das ὁμοούσιος: Erstens stellt sich die Frage nach der biblischen Begründbarkeit der Rede von Substanz und Substanzeinheit, zweitens muss der Vorwurf des Patripassianismus abgewehrt werden, und drittens muss geklärt werden, wie trotz der Homousie vom Sohn gesagt sein kann, er sei vom Vater gesandt oder der Vater sei größer als er.¹⁴⁹ Im Rahmen dieser Schrift thematisiert Victorinus aber nur die erste Frage, die anderen spielen überhaupt keine Rolle. Victorinus fokussiert seine Widerlegung einzig auf den Nachweis, dass das ὁμοούσιος schriftgemäß ist. Man muss die Überleitung zur refutatio daher anders übersetzen als Hadot/Brenke: „Wir wollen daher diese erste Frage nach der Sub-
Die confirmatio in Adv. Ar. II 1 f. (100,1– 102,3 Locher) ihre conclusio in Adv. Ar. II 2 (102,4– 34 Locher). Vgl. Adv. Ar. II 3 (103,1– 5 Locher)
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stanz zum Gegenstand der Untersuchung machen.“¹⁵⁰ Ansonsten müsste man sich über die Unvollständigkeit der Schrift wundern.¹⁵¹ Zunächst versucht Victorinus den Nachweis zu bringen, dass in der Bibel von einer substantia Gottes gesprochen werde (II 3). Da die lateinische Übersetzung sowohl οὐσία als auch ὑπόστασις mit substantia wiedergibt, argumentiert Victorinus, dass die beiden griechischen Begriffe im Prinzip austauschbar seien (II 4). Auch sei es egal, ob man ὑπόστασις als Substanz oder Reichtum übersetze, da sich beides auf das Sein Gott beziehen lasse (II 5 f.). Den Nachweis für die Schriftgemäßheit des Wortes ὁμοούσιος führt Victorinus über einen Zwischenschritt: Von Vater und Sohn werden dieselben Begriffe ausgesagt, die sich auf ihr Sein beziehen, etwa Licht oder Leben. Daher sei es erlaubt, daraus den Rückschluss auf die Homousie zu ziehen. Es ist also nicht nötig, dass ein Wort genauso in der Bibel auftaucht, sondern es genügt, wenn das Wort dem Sinn der biblischen Aussagen entspricht.¹⁵² Anschließend führt er dann doch noch Bibelstellen und ein Zitat aus dem Oblationsgebet als Belege für die Homousie an (II 7 f.).¹⁵³ Der zweite Teil der Widerlegung richtet sich gegen die Behauptung, man könne das Wort ὁμοούσιος nicht ins Lateinische übertragen (II 9 – 11). Victorinus erachtet eine Übersetzung eigentlich für unnötig, da es üblich sei, wichtige griechische oder hebräische Wörter unübersetzt zu lassen. Er führt dennoch vor, wie das Wort angemessen ins Lateinische zu übersetzen sei. Die Vorsilbe müsse dabei auf doppelte Weise interpretiert werden: ὁμο- entspreche dem Lateinischen idem, leite man die Vorsilbe von ὁμοῦ ab, sei Lateinisch simul zu übersetzen. Das Wort drückt also die Identität (idem) und Gleichewigkeit (simul) der Substanz aus. Die komplizierte lateinische Paraphrase lautet dann, Vater und Sohn seien „zugleich seit Ewigkeit und immer dieselbe Substanz“.¹⁵⁴ Die conclusio der Schrift stellt einen Vorschlag zur Ergänzung des Bekenntnisses dar. Zusätzlich zu den Herkunftsaussagen „Gott aus Gott, Licht vom Licht“, solle auch die bleibende Immanenz des Sohnes im Vaters mit der Formulierung „Gott in Gott, Licht in Licht“ ausgedrückt werden.
Adv. Ar. II 3: Primum igitur illud de substantia videamus. (103,6 Locher) Hadot/Brenke, 217 übersetzen: „Zunächst wollen wir Folgendes in bezug auf die Substanz untersuchen.“ Hadot weist ohne Erklärung darauf hin, dass eine Antwort auf die anderen Probleme ausbleibt, vgl. SC 69, 902. Vgl. dazu Hadot, De lectis. Die Zitate aus dem Oblationsgebet sind eine wichtige Quelle für die Frage nach der Liturgiesprache in Rom im 4. Jh. vgl. dazu Klauser, Liturgiesprache. Spekulativer Gamber, Fragment, RBen 77 (1967), 148 – 155; dazu kritisch Hadot, Marius Victorinus, 251 f. Adv. Ar. II 11: Simul ex aeterno et semper eademque substantia. (111,18 f. Locher)
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2.5 Adversus Arium III 2.5.1 Schematische Übersicht 1– 3 Confirmatio und propositio 1– 2 Zusammenfassende Wiederholung wichtiger Themen der Trinitätstheologie mit einer soteriologischen Zuspitzung 3: Propositio: Der Sohn als Logos und Heiliger Geist ist willens und in der Lage, den Menschen zu erlösen. 4– 17: Der Heilige Geist als wesenseine Hypostase und seine ökonomische Aktivität 4 (118,5 – 8): Scharnier: Conclusio der Einleitung und propositio des Hauptteils: Der Sohn als Leben und Weisheit ist eins mit dem Vater und ermöglicht daher Erlösung. 4– 17 (118,9 – 133,5): Exegese und Argumentation: Wesen und Wirken des Heiligen Geistes in Verbindung mit dem Logos zur Erlösung der Menschen 4– 8: Argumentativer Teil 9 – 17: Exegetischer Teil, insbesondere zu Stellen des Johannes-Evangeliums 17– 18 (133,6 – 134,13): Conclusio: Doppelt-dyadisches Wesen der Trinität, der Heilige Geist und Christus als heilswirkende Aktivitäten
2.5.2 Ausführliche Gliederung In der Schrift Adversus Arium III konzentriert sich Victorinus auf die Homousie des Heiligen Geistes und sein spezifisches Wirken innerhalb der Trinität und im Rahmen des göttlichen Heilshandelns. Er teilt die Schrift in drei Teile: Kapitel 1– 3 geben eine Zusammenfassung der wichtigsten Voraussetzungen aus früheren Schriften und liefern die propositio, der argumentative und exegetische Hauptteil (4– 17) entfaltet dann Wesen und Wirken des Heiligen Geistes mit ausführlichen exegetischen Belegen, zum Schluss folgt eine conclusio (17 f.). In den Kapiteln 1– 3 fasst Victorinus in einer ersten confirmatio noch einmal wesentliche Gedanken seiner früheren Schriften zusammen und spitzt sie soteriologisch zu. Er stellt seine Ergebnisse zur Trinitätslehre und zur Anthropologie hier unter dem Aspekt dar, welche Bedeutung die Homousie und die Aktivitäten des Sohnes als Erkenntnis und Leben für die Schöpfung und Erlösung des Menschen haben: Er beginnt dabei mit der Rolle des Sohnes als Erkenntnis und steckt noch einmal den Rahmen seiner Erkenntnistheorie ab (1– 2). Er knüpft dafür eingangs an die Schlusskapitel von Adversus Arium Ib an und bezeichnet die menschliche Seele in ihrem vierfachen Aufbau als Bild des Bildes Gottes, das im Unterschied zum Sohn nicht wesenseins, sondern nur wesensähnlich mit Gott ist. Aufgrund dieses Wesensunterschiedes ist es der Seele nicht möglich, Gott direkt zu erkennen, weswegen
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sie die Vermittlung des Sohnes benötigt. Nur die Homousie des Sohnes mit dem Vater eröffnet der menschlichen Seele den Zugang zur Gotteserkenntnis, da der Sohn als Abbild das Wesen des Vaters vollkommen darstellt. Denn als Leben und Erkenntnis ist er die Aktualisierung des väterlichen Vermögens und ermöglicht so als äußere Manifestation des göttlichen Wesens die Erkenntnis des eigentlich unerkennbaren inneren Vermögens des Vaters. Zugleich ist der Sohn das Leben, als solches die Ursache der gesamten Schöpfung und daher willens und in der Lage, den Menschen zu erlösen (3). Victorinus stellt hier einen Zusammenhang zwischen schöpferischem und erlösendem Handeln des Sohnes her: Weil der Sohn alles geschaffen hat und alles durch seine Vermittlung Anteil am Leben erhält, kann er auch in der Inkarnation Leib und Seele des Menschen annehmen, die er durch seinen Tod am Kreuz reinigt. Er knüpft damit an früher geäußerte Gedanken an, dass der Sohn als Leben nicht nur den Willen zur Schöpfung, sondern auch zur Rettung seiner Schöpfung hat.¹⁵⁵ Die Erlösung in der Inkarnation erscheint so als eine Fortsetzung der ersten Schöpfung.¹⁵⁶ Damit legt Victorinus in den ersten drei Kapiteln die wichtigsten Grundgedanken seiner Soteriologie fest, die er im Folgenden weiter ausführt. Die Voraussetzungen seiner Soteriologie bestehen darin, dass der Heilige Geist und der Logos als Erkenntnis und Leben untereinander und mit dem Vater eine substantielle Einheit bilden. Daher können und wollen sie dem Menschen zugleich das ewige Leben und die Gotteserkenntnis schenken, die zur Vollkommenheit notwendig sind. Die Seele hat diese Vollkommenheit noch nicht von Natur aus, da sie nur als gottähnlich erschaffen wurde, sie bedarf also des erlösenden Handelns Gottes.¹⁵⁷ Der Vater, der Logos und der Heilige Geist wirken in der Erlösung der Seele und des Leibes des Menschen zusammen und können diese wirklich erlösen, da sie ontologisch über Seele und Leib des Menschen stehen. Die Erlösung vollzieht sich dabei in zwei Stufen: Der Sohn nimmt als Leben in der Inkarnation Leib und Seele des Menschen an und reinigt durch seinen Kreuzestod alle Leiber und Seelen. Dadurch sind die Menschen allerdings nicht automatisch gerettet, da zur vollkommenen Erlösung neben dem Leben auch die Erkenntnis notwendig ist. Erst wenn die Menschen diese Heilstat und das Wesen Gottes im Glauben erkennen, wird die
Vgl. z. B. Adv. Ar. I 26: Potentia enim τοῦ λόγου iuxta suam substantiam vitae est semper substantia, secundum quod vita est, et vivefacit et revivefacit et non permittit esse in morte, quaecumque facit. (59,27– 29 Locher) S. dazu ausführlich unten S. 411– 417, 499 – 503. Neben der insgesamt bestimmenden Ansicht, dass die Seele die ganze Vollkommenheit nie besessen hat, vertritt Victorinus an einer Stelle auch die Ansicht, dass sie diese durch den Sündenfall verloren hat. Zu diesem Widerspruch s. S. 419, Anm. 256.
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Erlösung wirksam. Die Vermittlung dieser Erkenntnis ist dann das wesentliche Werk des Heiligen Geistes. Der Beginn von Kapitel 4 stellt zugleich eine Schlussfolgerung für den ersten Teil und eine propositio für den Hauptteil der Kapitel 4– 17 dar. Victorinus fasst zusammen, dass der Sohn sowohl in seiner lebensspendenden als auch in seiner weisheitsstiftenden Aktivität wesenseins mit dem Vater ist und dessen Potenz in seinem Handeln verwirklicht.¹⁵⁸ Das heißt, das Ziel der Schrift besteht im Nachweis, dass der Sohn wie als Leben so auch als Erkenntnis das Wesen und den Willen des Vaters verwirklicht und ihn dadurch erkennbar macht. Im Hauptteil (4– 17) expliziert Victorinus dann das Wesen und Wirken des Heiligen Geistes, der die mit dem Vater und Logos wesenseine Erkenntnis und Weisheit ist.¹⁵⁹ Er teilt diese Darstellung in einen argumentativen und einen exegetischen Part auf: In der Argumentation der Kapitel 4– 9 entfaltet Victorinus denselben doppelt-dyadischen Ansatz wie in Adversus Arium Ib und zeigt, dass die Hypostasen substantiell identisch, in ihren Aktivitäten aber unterschieden sind. Victorinus zielt in der ganzen Argumentation darauf ab, den Geist und Christus als einen doppelten Akt zu erweisen, der mit dem Vater substantiell identisch ist und so die Erkenntnis Gottes möglich macht: Der Vater, der Logos und der Heilige Geist bilden als Sein, Leben und Denken eine untrennbare substantielle Einheit. Dabei ist das Sein die Grundlage und Ursache der Trinität, die die Potenzen des Lebens und Denkens in sich enthält, die sich aus ihm nach außen aktualisieren (4). Als Beispiel dafür dient die menschliche Sehkraft, die potenziell das Sehen und die Fähigkeit zum Unterscheiden des Gesehenen in sich hat. Es gibt kein Sehen, ohne dass nicht gleich ein Beurteilung des Gesehenen stattfindet. Auf der analogen Ebene der Trinität bedeutet dies, dass der Logos und der Heilige Geist aus der Substanz des Vaters stammen und beide zusammen aktiv sind. Nach dem doppelt-dyadischen Ansatz sind also Vater und Sohn substantiell identisch, wobei sich der Sohn in zweifacher Form zugleich als Leben und Denken aktualisiert. Mit dem Gleichnis des Sehens greift Victorinus in didaktischer Absicht ein Bild auf, das er schon in Adversus Arium I 40 zur Erklärung der gleichen Bibelstellen heranzog. Dort lag der Schwerpunkt auf der Differenzierung zwischen Potenz und Akt, hier liegt er auf der triadischen Struktur des Sehens und dem doppelten Akt des Sehens und gleichzeitigen Unterscheidens (5).¹⁶⁰
Vgl. Adv. Ar. III 4: Λόγος igitur, quae sunt quaeque esse possunt quaeve esse potuerunt, veluti semen ac potentia exsistendi, sapientia ac virtus omnium substantiarum, de deo ad actiones omnes, deus potentia patris, actuque, quo filius, ipse cum patre unus deus est. (118,5 – 8 Locher) Vgl. Adv. Ar. III 4– 17 (118,9 – 133,6 Locher). Vgl. Adv. Ar. I 40 (74,31– 75,16 Locher). Dort zieht Victorinus ebenfalls die Analogie zur Sehkraft heran, um den Sohn in einer Auslegung von Röm 1,16 und 1Kor 1,24 als sapientia et virtus dei zu
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Mit einer Apostrophe an den eigenen Intellekt leitet Victorinus dazu über, stärker die ökonomische Bedeutung des Geistes als Erkenntnis in den Blick zu nehmen. Zunächst wiederholt Victorinus seine mittlere Position in der Erkenntnislehre: Die Erkenntnis Gottes ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich. In einer aufsteigenden Reihe zählt er drei mögliche Zugänge zur Erkenntnis Gottes auf: Gott kann erstens durch seine Schöpfung aus seinen Werken erkannt werden, zweitens ist die Seele durch eine besondere Nähe zu Gott ausgezeichnet, da sie dem Menschen von ihm eingehaucht wurde. Diese direkte Abhängigkeit von Gott ermöglicht der Seele ein vorrationales „Berühren“ Gottes.¹⁶¹ Dagegen wird der dritte und vollkommene Zugang zur Gotteserkenntnis durch die Inkarnation des Sohnes eröffnet, der Leben und Erkenntnis zugleich ist. In ihm kann man Gott erkennen und er belehrt die Menschen ausdrücklich über Gottes Wesen, sodass ein rationales Erfassen Gottes in Christus und im Heiligen Geist möglich ist.¹⁶² (6) Der Sohn bietet den sicheren Zugang zur Erkenntnis Gottes, da er immanent und ökonomisch die erkennbare Form des unsichtbaren und unerkennbaren Gottes ist. Diese Funktion kann er erfüllen, da er das im Vater Verborgene durch seine Bewegung nach außen zum Vorschein bringt (7). Leben und Erkenntnis treten also in einer einzigen Bewegung als erkennbare Form des verborgenen Wesens Gottes nach außen und sind insofern beide zusammen der eingeborene Sohn. Hinsichtlich ihrer Tätigkeit und Aufgabe unterscheiden sie sich aber: Christus spendet das Leben, der Heilige Geist vermittelt Weisheit und Erkenntnis. (8 f.)¹⁶³ Die weiteren Kapitel 9 – 17 dienen der exegetischen Fundierung und der Vertiefung der philosophischen Argumentation. Zunächst will Victorinus sowohl die Rolle des Geistes als Erkenntnis belegen als auch die Identität des Geistes mit
erweisen. Auf diese Bestimmung des Sohnes aus 1Kor 1,24 verweist Victorinus auch in der propositio in Adv. Ar. III 4 (118,6 Locher). In I 40 zielt Victorinus zunächst nur auf den Vergleich ab, dass sich beim Sehen das potenzielle Sehvermögen nach außen aktualisiert wie der Sohn sich aus dem Vater aktualisiert. In III 4 erklärt er dann, dass Sehen und Unterscheiden zwei gleichzeitige Aktivitäten sind wie auch die virtus und sapientia in Gott, die er aber ohne nähere Erläuterung in I 40 (75,16 Locher) schon operationes im Plural nennt. Vgl. Adv. Ar. III 6: Attingimus igitur eum eo, quo inde sumus atque pendemus. (120,10 f. Locher) Plotin grenzt das Berühren (θίξις, ἐπαφή) als Vorstufe vom denkenden Erkenntnisakt des Intellekts ab, vgl. Plot. enn. V 3 (49) 10,42– 44. Für diesen Erkenntnisakt benutzt Victorinus das Verb videre, vgl. Adv. Ar. III 6: […] in salvatore ipsum deum vidimus […] (120,11 f. Locher) Gott zu sehen ist für Victorinus identisch damit, Gott zu erkennen, s. dazu auch unten S. 277. Schon die Analogie in III 5 zeigt, dass Sehen nicht nur ein bloßes Anschauen, sondern auch ein Urteilen, Erfassen und Erkennen meint, vgl. die dort gebrauchten Verben discriminare, diiudicare (119,21 Locher u. ö.), capere, comprehendere, iudicare (119,23 f.), discernere (119,30, u. ö.). Vgl. Adv. Ar. III 8 f. (122,3 – 123,20 Locher).
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Christus, da auch über diesen ausgesagt wird, er sei Wahrheit,Weisheit und Wissen. Daher ist die erlösende Erkenntnis nur durch Christus möglich und daher besitzt, wer in Christus Gott erkennt, den Heiligen Geist (9 f.).¹⁶⁴ Sodann widmet sich Victorinus dem Nachweis, dass drei Hypostasen nicht nur eine gemeinsame Substanz haben, sondern dass auch ihr Wille identisch ist. Hier richtet sich Victorinus gegen Versuche, den Vater und den Sohn substantiell zu unterscheiden und ihre Einheit nur über ihren gemeinsamen Willen zu definieren.¹⁶⁵ Das Leben und die Erkenntnis sind Gottes Wesen, daher ist es auch sein Wille, Leben zu schenken. Christus und der Heilige Geist verwirklichen beide den Willen des Vaters, da sie substantiell mit ihm identisch sind, und führen die Menschen durch die vollkommene Gotteserkenntnis zum ewigen Leben. Dabei identifiziert Victorinus auch alle drei Hypostasen in verschiedener Weise als Wort: Jedes Wort agiert ökonomisch anders und trägt auf seine Weise dazu bei, das Wesen Gottes zu offenbaren. Damit zeigt Victorinus, dass Gott der Wille zur Selbstoffenbarung wesentlich eignet und dass alle drei Hypostasen durch ihre verschiedene Aktivität zu diesem Zweck zusammenwirken (10 f.).¹⁶⁶ Eine Auslegung von Joh 10,17 f. belegt den wesensmäßigen Unterschied zwischen Christus und der menschlichen Seele, auf den Victorinus schon in der Einleitung zusammenfassend hinweist. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung erklärt er, wie Inkarnation, Tod und Auferstehung Christi zu verstehen sind und wie sie sich auf sein göttliches Wesen und das Wesen der Seele auswirken. Die Seele steht als Geschöpf unterhalb der Trinität, ist ihr aber wesensähnlich. Da der Sohn über der Seele steht, hat er die freie Möglichkeit, die Seele in der Inkarnation anzunehmen und wieder abzulegen, ohne dass sein Wesen als Leben dadurch beeinträchtigt würde. So überträgt er seine Lebenskraft auf die Seele. Der Heilige Geist heiligt die wiederauferstandene Seele und den wiederauferstandenen Leib Christi, womit das Heilsmysterium an sein Ziel gekommen ist. Nach Christi Weggang aus der Welt wirkt der Heilige Geist aber weiter in der Welt und er wirkt dasselbe wie Christus, da er eins mit dem λόγος ist. Dadurch ist sichergestellt, dass die Menschen durch die Vermittlung des Geistes auch nach der Himmelfahrt Christi Anteil an der Heilstat erhalten können (11 f.).¹⁶⁷ Die Kapitel 13 – 16 stellen vor allem einen exegetischen Kommentar zu den Abschiedsreden des Johannesevangeliums und zur Schilderung der Auferstehung in Joh 20 dar. In diesem Kommentar will Victorinus die substantielle Einheit der drei
Vgl. Adv. Ar. III 9 f. (123,21– 124,21 Locher). Wie schon in Ad Cand. 17– 23. S. dazu u. S. 326 – 334. Vgl. Adv. Ar. III 10 f. (124,22– 126,5 Locher). Vgl. Adv. Ar. III 11 f. (126,6 – 127,21 Locher).
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Hypostasen und ihr gemeinsames ökonomisches Wirken herausarbeiten: Die Einheit von Vater und Christus belegt er über die beiden zukommenden Bezeichnungen als Wahrheit und Leben und die Immanenzaussagen. Dann bestimmt er als Ziel des göttlichen Heilshandelns, dass der Mensch eine ewige Seele werde und zur Erkenntnis Gottes gelange (13).¹⁶⁸ Der Heilige Geist und Christus verfolgen beide dieses ökonomische Ziel, unterscheiden sich aber in der Art und Weise ihres Handelns: Christus ist „offenbarer Geist“, da er sichtbar als Inkarnierter handelt, Wunder tut und in Gleichnissen lehrt, der Geist ist „verborgener Christus“, da er körperlos den Menschen Erkenntnis eingießt (14).¹⁶⁹ Eine wesentliche Heilstat des Heiligen Geistes ist die Heiligung des Leibes, d. h. sein ökonomisches Handeln erstreckt sich nicht nur auf die Vermittlung der Erkenntnis an die Seele, sondern explizit auch auf die Erlösung des Leibes. Victorinus deutet die Ankündigung Christi in Joh 14,28; 20,17, dass er zum Vater gehe, als Hinweis, dass Leib und Seele, die Christus angenommen hat, nach dem leiblichen Tod geheiligt werden müssen. Denn Christus selbst bleibe ja trotz der Inkarnation stets im Vater, daher könne sich die Aussage nur auf die menschliche Natur beziehen. Diese Heiligung findet zwischen der Noli-me-tangere-Szene (Joh 20,17) und der Berührung der Wunden durch Thomas (Joh 20,27 f.) statt.¹⁷⁰ Da die Schrift sowohl dem Geist als auch Christus die Aktivität der Heiligung zuschreibt, sind die beiden substantiell identisch. Daher sendet Christus den Heiligen Geist an seiner Statt zu den Jüngern, damit dieser dieselben Aufgaben erfüllen kann wie er selbst. An dieser Stelle vertritt Victorinus eine spezielle Form des filioque und begründet, dass man davon sprechen könne, dass Christus den Geist sende: Beide seien eine einzige Bewegung aus dem Vater heraus und das Leben bringe dabei den Geist mit aus dem Vater hervor (15).¹⁷¹ Nachdem Victorinus bisher besonders die Einheit und die Zusammengehörigkeit von Geist und Christus betont hat, hebt er zuletzt auf die speziellen Aufgaben des Heiligen Geistes ab, die Christus diesem in Joh 16,8 f. zuschreibt. Er wehrt zunächst das Missverständnis ab, dass man daraus schließen könnte, dass Christi Heilswirken unvollkommen sei und der Ergänzung bedürfe. Aufgabe des Geistes ist es vielmehr, nach der Himmelfahrt Christi die Welt über ihre Sünde zu belehren, die
Vgl. Adv. Ar. III 13. Vgl. Adv. Ar. III 14. Sed Iesus spiritus apertus, quippe et in carne, spiritus autem sanctus occultus Iesus quippe qui intellegentias infundat, non iam qui signa faciat aut per parabolas loquatur. (128,22 – 25 Locher) S. dazu unten S. 510 – 513. Vgl. Adv. Ar. III 15. (129,15 – 130,18 Locher). Damit rekurriert Victorinus auf seine Darstellung der Zeugung des Sohnes in Adv. Ar. Ib 51. Zu seiner filioque-Theologie auch unten S. 348 – 350.
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in der Ablehnung Christi besteht. Ferner belehrt der Geist die Welt über die Gerechtigkeit, die durch Glauben und Befolgen der Gebote die Möglichkeit eröffnet, wie Christus zum Vater zu gelangen. Und zuletzt belehrt der Geist die Welt über das Endgericht. Bei alledem betont Victorinus aber auch wieder das Zusammenwirken aller drei Hypostasen in der Heiligung der Menschen.¹⁷² In der conclusio in 17 f. hält Victorinus als Ergebnis sein doppelt-dyadisches Bild der Trinität fest: Es gebe drei Vermögen, die bei unterschiedlichem Wirken eine identische Substanz bilden. Man könne aber zunächst von einer doppelten Einheit von Vater und Sohn sprechen, und von einer doppelten Einheit des Sohnes als Geist und Christus. Wenn Victorinus von Vater und Sohn spricht, muss diese binitarische Formel also immer trinitarisch verstanden werden. In der Formulierung greift Victorinus auf den Ausgangspunkt der Darstellung in Adv. Ar. Ib 49 zurück:Vater und Sohn seien als zwei Eines, Christus und der Geist in Einem zwei.¹⁷³
2.6 Adversus Arium IV 2.6.1 Schematische Übersicht 1– 15: Argumentatio I: Der Sohn als Leben ist erkennbarer Ausdruck des unerkennbaren Wesens des Vaters. 1: Propositio: Frage nach dem Verhältnis von vita und vivit in Gott: Identität und Verschiedenheit 2– 7: Alternierende Argumentation für die Identität und Alterität 2– 3: Immanentes Verhältnis: Identität (2) und Unterschied (3) von Ursache und Verursachtem 4– 5: Ökonomisches Verhältnis: Identität der lebenspendenden Aktivitäten (4) und Unterschied (5) von Ursache und Verursachtem 6 – 7: Conclusio: Substanzeinheit und kausale Priorität von vivit vor vita 8 – 15: Der Sohn als vita ist die erkennbare Form des unerkennbaren Wesens des Vaters 8: Propositio: Der Vater ist Ursache des Sohnes, aufgrund der Wesenseinheit macht der Sohn den Vater aber erkennbar. 9 – 10 (142,19 – 144,7): Wiederholung der Ergebnisse der ersten Argumentation: Alle Hypostasen sind Leben, der Vater als vivere ist aber die Ursache der vita des Sohnes.
Vgl. Adv. Ar. III 15 – 17 (130,19 – 133,5 Locher) Vgl. Adv. Ar. III 17 f. (133,6 – 134,13 Locher).
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10 – 13 (144,8 – 147,5): Die Welt hat nur ein vermitteltes Leben, das vom Leben Gottes abhängt, aber verschieden ist. 14: Der Vater hat kausale Priorität und ist das einzige ungezeugte Prinzip. 15: Conclusio: Der Sohn als vita tritt als äußere Form aus dem inneren vivere des Vaters heraus, macht dessen Wesen erkennbar und gibt das Leben weiter. 16 – 29: Argumentatio II: Der Heilige Geist als Denken ist erkennbarer Ausdruck des unerkennbaren Wesens des Vaters. 16 – 18: Argumentation für Identität und Alterität 16 – 17: Identität Christi und des Heiligen Geistes hinsichtlich der Substanz, ihre Verschiedenheit im Wirken. 18 (148,29 – 152,11): Conclusio: Der Vater geht als esse, vivere, intellegere kausal dem Sohn als vita und intellegentia voran, aber alle drei sind wesenseins. 18 – 29: Der Heilige Geist als intellegentia ist die erkennbare Form des unerkennbaren Wesens des Vaters. 18 – 20 (152,12– 154,5): Der Logos als äußere Form definiert das unbestimmte Sein des Vaters. 20 (154,6 – 11): Frage nach dem Heraustreten der äußeren Form aus dem inneren Wesen. 21– 24: Der Vater ist reines, unerkennbares Wirken und birgt in sich das Vermögen von esse, vivere, intellegere. 24– 28 (154,12– 158,2): Heraustreten der Form vita und intellegentia als Aktualisierung des inneren Vermögens. 29: Conclusio: Das innere Erkennen Gottes tritt als Form nach außen, ist mit dem Vater wesenseins und macht den Vater für die Menschen erkennbar. 30 – 33: Conclusio: Soteriologische Pointierung in einer Auslegung des Philipperhymnus’: Inkarnation der forma Dei als ökonomische Offenbarung.
2.6.2 Ausführliche Gliederung In der Schrift Adversus Arium IV vertieft Victorinus sein Konzept vom Sohn als der Form, durch die der Vater erkannt werden kann.¹⁷⁴ Den Ausgangspunkt bildet das erkenntnistheoretische Problem mit soteriologischer Konsequenz, das die Schriften des Victorinus durchzieht: Gott ist aufgrund seiner absoluten Transzendenz für den Menschen eigentlich unerkennbar, diese Erkenntnis ist für den Menschen aber
Koffmane, De Mario Victorino, 6 ist der Ansicht, dass III 18 und IV 1 zusammenhingen, und meint damit offenbar, dass mit IV 1 keine neue Schrift beginne. Diese Ansicht ist angesichts der völlig neuen Fragestellung in IV 1 aber verwunderlich.
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heilsnotwendig. Diese Lücke schließt Victorinus in seiner Theologie durch den Sohn als wesenseine Form des Vaters. Die Schrift gliedert sich in drei argumentative Abschnitte: Die Kapitel 1– 15 behandeln den Sohn als Leben, das ein erkennbarer Ausdruck des väterlichen Wesens ist, die Kapitel 16 – 29 dann den Heiligen Geist als Denken, das ebenfalls das Wesen des Vaters vollkommen abbildet. Die conclusio in den Kapitel 30 – 33 bietet eine zusammenfassende Auslegung des Philipperhymnus’ mit einer klaren soteriologischen Pointe. Victorinus beginnt ähnlich wie in Adversus Arium Ib mit einer unvermittelt in den Raum gestellten Frage. Er formuliert das Problem, wie sich die Verbalform vivit zur Nominalform vita im Spannungsfeld von Identität und Alterität verhält.¹⁷⁵ Der Leser von Adversus Arium Ib ist auf diese ungewöhnliche Methode des Victorinus vorbereitet und kann sich bereits erschließen, dass auch in dieser Schrift das Verhältnis zwischen Vater und Sohn unter einer anderen begrifflichen Perspektive behandelt wird. Spätestens im Laufe der Argumentation stellt sich heraus, dass die konkrete Fragestellung von Adversus Arium IV der exegetischen Auseinandersetzung über verschiedene Schriftstellen wie Joh 5,26; 6,57 entwächst.¹⁷⁶ Dort werden jeweils unterschiedliche verbale und nominale Formen von vivere bzw. vita auf den Vater und den Sohn bezogen.¹⁷⁷ Victorinus unterscheidet in dieser Schrift systematisch die Verbalformen von der Nominalform: Er benennt den Vater mit verbalen ausdrücken als vivere, vivens und vivit und grenzt ihn so vom Sohn ab, den er nominal als vita anspricht. Aus dieser begrifflichen Differenzierung entwickelt Victorinus dann die Konzeption, dass der Vater das ungeformte und unerkennbare Leben, Sein und Denken ist, während der Sohn das determinierte und erkennbare Leben, Sein und Denken darstellt. Die Kapitel 1– 15 dienen dem Nachweis, dass die Begriffe vivit und vita in einem Verhältnis von Identität und Alterität stehen, wie es in Adversus Arium I und Ib entwickelt wurde.¹⁷⁸ Kapitel 1 stellt die propositio dar, die gleichzeitige Identität und Verschiedenheit wird dann in alternierenden Argumentationsgängen bewiesen,
Vgl. Adv. Ar. IV 1:Vivit ac vivit unumne an idem, an alterum? (135,1 Locher) mit der ganz ähnlichen Frage in Adv. Ar. Ib 48: Spiritus, λόγος, νοῦς, sapientia, substantia utrum idem omnia an altera a se invicem? (84,1 f. Locher) Der dezidierte Hinweis auf die exegetischen Probleme erfolgt spätestens in Adv. Ar. IV 7: Ista omnia, quae a me dicta sunt, quemadmodum in evangelio cata Iohannem significata atque asserta per ipsa salvatoris verba, videamus: misit me vivus pater, et ego vivo propter patrem. (140,12– 14 Locher) Dazu ausführlicher u. S. 279 – 284. Vgl. Adv. Ar. I 40; Ib 48.
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d. h. Argumente für Identität und Alterität wechseln sich jeweils ab. Damit bildet die Argumentation das spannungsvolle Verhältnis von Identität und Alterität ab. In Kapitel 2 f. nimmt Victorinus die immanente Konstitution der Trinität in den Blick, in Kapitel 4 f. betrachtet er das ökonomische Wirken Gottes: In Kapitel 2 argumentiert er für die substantielle Identität von sein, leben und Leben in Gott und unterscheidet dann in Kapitel 3 vivit als Ursprung, Ursache, Vermögen und wirken (agere) von vita als Gezeugtem, Verursachtem und Wirken (operatio, actio). In Kapitel 4 argumentiert er auf der Grundlage der biblischen Bezeichnung Gottes als Geist wieder für die substantielle Identität von „leben“ und „Leben“: Geist sei, was belebt, das Belebende lebt selbst, daher ist allen drei Hypostasen über ihre gemeinsame Substanz auch das Leben und Beleben gemein. Jedoch gehe der Vater, so Victorinus in Kapitel 5, dem Sohn als Ursache voran. Der Vater ist als Wirkender (actor, agens) die Ursache der Wirkung (actio), als Lebender die Ursache des Lebens.¹⁷⁹ Der Vater zeugt als Ursache alles Seins und Lebens den Sohn, durch den alles danach geschaffen wird. Der Sohn enthält in sich die Ideen und ist damit auch die formale Ursache der Schöpfung. Da der lebendige Gott durch den Sohn das Leben an die Schöpfung weitergibt, ist „Leben“ also gleichermaßen ein Ausdruck für das Sein Gottes und das Wirken Gottes. Die conclusio in 6 f. hält als Ergebnis die Substanzeinheit bei gleichzeitiger kausaler Priorität des „leben“ vor dem Leben fest und bestimmt als Wirken des λόγος, das Leben weiterzugeben und zu vermitteln. In den Kapiteln 8 – 15 arbeitet Victorinus dann heraus, dass der Sohn als vita die erkennbare Form dessen ist, was sich im Vater auf verborgene und unerkennbare Weise befindet. Die propositio in 8 formuliert eine Reihe von Fragen, die darauf abzielen, inwiefern der Vater und Sohn trotz ihrer Wesenseinheit voneinander unterschieden werden.¹⁸⁰ Damit wehrt sich Victorinus gleichzeitig gegen den Vorwurf des Patripassianismus und verteidigt sich gegen homöische Argumente. Er will im Folgenden zeigen, wie trotz der Wesenseinheit ein Unterschied zwischen Vater und Sohn gemacht werden kann, ohne subordinatianisch zu werden. Dies entspricht genau den Vorwürfen gegen das ὁμοούσιος, die er bereits in II 3 aufgezählt hat, ohne sie alle ausführlich zu beantworten. Unter diesem Blickwinkel formuliert Victorinus das Beweisziel: Es soll gezeigt werden, dass der Vater als vivere dem Sohn
Vgl. Adv. Ar. IV 5: Etenim vivere vitam parit. Nam vi naturali prior actor quam actio. Agens enim actionem genuit et quasi ex ipsa vocabulum et rem, cum ipse tribuerit, ipse suscepit. (128,16 – 18 Locher) Vgl. Adv. Ar. IV 8: […] perspiciamus in his, in quibus est una eademque substantia, cur alter mittentis, alter missi potestatem gerant, imperantis alter, alter ministri, alter motu agendi a passionibus libero, alter per infinitos actus in creandis saeculis infinitis et his, quae sunt in saeculis, subierit usque ad mortem innumeras passiones. (141,5 – 11 Locher)
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als vita ursächlich vorangeht und hierin der hypostatische Unterschied zwischen beiden besteht. Ebenso hat die intellegentia ihren Ursprung im väterlichen Sein, dieser Aspekt wird allerdings erst im zweiten Teil der Schrift behandelt. Der Sohn soll weiterhin als die forma des väterlichen Seins erwiesen werden. Der Vater bringt aus seinem inneren Wirken seines esse und vivere, einen habitus, das Leben hervor. Dieses Leben ist die Form, die zur Erkenntnis des Vaters notwendig ist, da seine grenzenlose Aktivität für den Menschen sonst unerkennbar wäre. Das menschliche Leben ist selbst begrenzt und kann daher das unbegrenzte Leben Gottes nicht erfassen. Dahinter steht wieder die erkenntnistheoretische Vorstellung, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann. Diese Anliegen entfalten die Kapitel 9 – 15 argumentativ. In 9 f. wiederholt Victorinus die Ergebnisse der ersten Argumentation: Alle drei Hypostasen sind substantiell Geist und beleben, daher müssen sie selbst alle leben. Leben ist also wie Geist eine Bezeichnung für die eine göttliche Substanz. Das väterliche vivere bringt aber durch seine Tätigkeit den Sohn als vita hervor. Die beiden verhalten sich zueinander wie Ursache und Wirkung, sind einander aber zugleich auch immanent.¹⁸¹ In den Kapitel 10 – 13 geht Victorinus von der Funktion des Sohnes als Schöpfungsmittler aus und arbeitet den Unterschied zwischen dem substanziellen Leben des Sohnes und dem Leben der Schöpfung heraus. Durch den λόγος und von ihm ausgehend fließt das Leben hinab, unter Vermittlung der Seele bis hin zur Belebung der Materie, sodass alles seine Existenz und sein Leben vom λόγος und damit letztendlich vom Vater hat. Die Aufnahmefähigkeit der Schöpfung für dieses Leben nimmt immer weiter ab, wodurch eine ontologische Hierarchie entsteht. Die gestufte Ordnung des Seins ist also nicht durch einen Mangel der lebensspendenden Schöpfungskraft des λόγος begründet, sondern liegt in den Dingen selbst begründet. Daraus folgt der kategoriale Unterschied zwischen Gott und der Schöpfung: Das Leben der göttlichen Hypostasen ist substanziell, Gott hat nicht Leben, sondern ist Leben. Dagegen ist das Leben der Schöpfung davon abgeleitet und hinzuerworben, auch die Seele als Lebensprinzip der Körper ist eine geschaffene, keine sich selbst verursachende Substanz. Durch diese lebensvermittelnde Funktion des λόγος wird auch die Frage geklärt, wie der Vater trotz der Homousie in ungestörter Ruhe verharren kann, während der Sohn durch seine Funktion als Vermittler des väterlichen Lebens leiden kann. In Kapitel 14 wehrt sich Victorinus noch einmal gegen den Verdacht, dass die Homousie zwangsläufig dazu führe, zwei ungezeugte Prinzipien anzunehmen, indem er wieder die kausale Priorität des Vaters vor dem Sohn betont. In Kapitel 15 schließt Victorinus diesen ersten Argumentationsgang mit der conclusio ab, dass der
Vgl. Adv. Ar. IV 9 f. (142,19 – 144,7 Locher).
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Sohn als Form aus dem infiniten Sein des Vaters heraustritt und damit das verborgene Wesen des Vaters zum Vorschein bringt. So kann das väterliche vivere über die vita das Leben an die Schöpfung weitergeben. Der zweite Teil der Schrift widmet sich in den Kapitel 16 – 29 der Betrachtung des Heiligen Geistes unter der Perspektive, dass auch er die Form des infiniten väterlichen Seins ist. Der Aufbau ist analog zum ersten Teil: Entsprechend den Kapiteln 1– 7 erweisen die Kapitel 16 – 18 die Homousie Christi mit dem Heiligen Geist und ihre gleichzeitige Verschiedenheit im Wirken. In dieser Argumentation geht Victorinus nun davon aus, dass Licht eine Substanzbezeichnung Gottes ist, und zielt so auf das erleuchtende und erkennende Wirken des Heiligen Geistes ab. Das umfasst sowohl die ökonomische Bedeutung des Heiligen Geistes als Zugang zum verborgenen Wesen Gottes als auch seine immanente Bedeutung als Selbsterkenntnis Gottes. Wesensmäßig geht der Heilige Geist in einer gemeinsamen Bewegung mit Christus aus der inneren Bewegung des Vaters hervor und ist somit mit beiden wesenseins. Immanent fungiert er als Selbsterkenntnis, ökonomisch handelt er als Erkenntnis erst nach der Himmelfahrt Christi. Die conclusio in 18 schließt damit, dass alle drei wesenseins und einander immanent sind, der Vater aber als infinites esse, vivere, intellegere dem Logos und dem Heiligen Geist als vita und intellegentia kausal vorangeht.¹⁸² Die Kapitel 18 – 29 entfalten analog zu den Kapiteln 8 – 15 das Hervorgehen des Heiligen Geistes als intellegentia aus dem väterlichen intellegere. Die propositio dieses nächsten Abschnittes in 18 formuliert die Frage, was eigentlich unter λόγος und ὄν zu verstehen sei und wo sich diese befänden.¹⁸³ Damit zielt Victorinus darauf ab, dass der Sohn sich im Inneren des Vaters befindet und als erkennbare Form aus dem unerkennbaren Wesen des Vaters heraustritt. Er arbeitet dabei mit einem Verständnis von λόγος als definitor, d. h. als Begrenzer des unbegrenzten väterlichen Seins.¹⁸⁴ Diese Fragestellung führt ihn zur Unterscheidung des Seins im infiniten Sinne (esse bzw. τὸ εἶναι) und dem definierten und geformten Seienden (ὄν) in Analogie zur Unterscheidung von vivere und vita im ersten Teil der Schrift. Das geformte ὄν setzt den λόγος voraus, der selbst begrenzt und damit erkennbar ist und eine begrenzende Funktion hat, durch die er Erkenntnis ermöglicht. Der Sohn als λόγος ist die Form des unerkennbaren väterlichen Seins. Die zweite Frage, wo sich der λόγος
Vgl. Adv. Ar. IV 16 – 18. (148,29 – 152,11 Locher). Vgl. Adv. Ar. IV 18 (152,12– 17 Locher). Vgl. Adv. Ar. IV 19: λόγος enim et definitus est et definitor. (153,1 Locher)
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befinde, wird damit beantwortet, dass er sowohl im Vater ist als auch als Form nach außen getreten ist.¹⁸⁵ Damit ist die Überleitung zur Frage gegeben, wie man sich dieses Heraustreten vorzustellen habe.¹⁸⁶ Dafür wird in den Kapitel 21– 24 der Vater als das reine unerkennbare Wirken vorgestellt, das in sich bereits die drei Vermögen von sein, leben und denken birgt. Da der Vater reiner Akt vor der Unterscheidung von Akt und Potenz ist, ist sein Wirken unendlich und unbegrenzt und somit auch unerkennbar. Da in ihm aber das Vermögen des Denkens angelegt ist, ist er damit auch potentiell erkennbar. Für sich selbst ist er erkennbar, da in ihm dieses potentielle Denken als innere Form fungiert, durch die er sich selbst erkennen kann.¹⁸⁷ Daran anschließend wird in den Kapitel 24– 28 das Heraustreten der Erkenntnis aus dem Vater als Aktualisierung seines Vermögens dargestellt. Dieser Abschnitt wird eingeleitet mit der Widerlegung der These, dass Gegensätzliches aus Gegensätzlichem entstehe. Dies sei schon auf der Erde nur scheinbar so, viel mehr noch im göttlichen Bereich. Der Vater ist zwar in gewisser Weise Ruhe, aber im Inneren und Verborgenen eben auch Wirken, aus dem der Sohn heraustritt. Der Vater hat durch das Vermögen des Denkens bereits eine innere Form, durch die er sich selbst erkennt, durch das Nachaußentreten dieser Form wird er auch für andere erkennbar. Diese Form muss selbst auch Gott sein, wenn Gott sich durch sie selbst erkennt. Die Form muss aber auch selbst Gott erkennen, da Erkenntnis nur Erkenntnis ist, wenn sie sich ihrer selbst bewusst ist. Damit kann also durch den Sohn als Form und Bild Gottes wirklich das Wesen Gottes erkannt werden.¹⁸⁸ Kapitel 29 schließt mit der conclusio, dass das innere Erkennen Gottes als Sohn nach außen tritt, selbst eines Wesens mit dem Vater ist, diesen damit selbst erkennt und der menschlichen Erkenntnis zugänglich macht. Mit Bibelzitaten leitet Victorinus in den letzten Abschnitt über. Er schließt mit einem Zitat aus Phil 2,6 und nimmt dies zum Anlass, diese Stelle mit Blick auf die Argumentation der gesamten Schrift Adversus Arium IV auszulegen und abschließend noch einmal die soteriologische Bedeutung herauszustellen (30 – 33). Die forma dei ist nach dem Philipperhymnus inkarniert, was die Erlösung und Befreiung der Menschen ermöglicht hat. In diesem Abschnitt hebt Victorinus im Zusammenhang der Inkarnation auch noch einmal deutlich auf das Leiden Christi ab und unterscheidet zwischen dem leidenslosen Vater und leidensfähigen Sohn. Damit sind alle Fragen aus der propositio in 8 behandelt. Auch diese Schrift endet mit einer soteriologischen Pointe, die dem Leser verdeutlicht, dass es sich bei
Vgl. Adv. Ar. IV 19 f. (152,18 – 154,5 Locher). Vgl. Adv. Ar. IV 20 (154,6 – 11 Locher). Vgl. Adv. Ar. IV 21– 24 (154,12– 158,2 Locher). Vgl. Adv. Ar. IV 24– 28 (158,3 – 162,8 Locher).
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all dem nicht um beliebige Spekulationen handelt, sondern dass die Überlegungen zur Trinitätstheologie eminente Bedeutung für das Leben und die Erlösungshoffnung der Christinnen und Christen haben.
2.7 De homoousio recipiendo 2.7.1 Schematische Übersicht 1 (167,13 – 168,9): Propositio: Homousie als einzige Möglichkeit, Arius auszuschließen 1– 2 (168,10 – 169,18): Confirmatio: Biblische Belege für die οὐσία-Terminologie und Übersetzung des Wortes ὁμοούσιος ins Lateinische 3 – 4 (169,19 – 170,26): Refutatio einiger Argumente gegen die Homousie 4 (170,26 – 171,16): Peroratio: Vorschlag zur Ergänzung des Bekenntnisses um die Formeln Gott in Gott, Licht in Licht; Hoffnung auf baldige Einigung
2.7.2 Ausführliche Gliederung Die Reihe der theologischen Traktate wird von der kleinen Schrift De homoousio recipiendo abgeschlossen, die im Kern wie eine Kurzfassung von Adversus Arium II wirkt und praktisch keine zusätzlichen Argumente bringt. In der propositio setzt Victorinus sich das Ziel, die Homousie von Vater und Sohn als einzige Möglichkeit zu präsentieren, um Arius auszuschließen, ohne dabei in eine polemisch als jüdisch bezeichnete Identifikationstheologie oder einen Polytheismus zu verfallen (1).¹⁸⁹ In der confirmatio entfaltet Victorinus diese Position knapp (1 f.): Er legitimiert wie in Adversus Arium II zunächst die Rede von der Substanz Gottes, da die Existenz Gottes von allen Beteiligten des Trinitarischen Streites vorausgesetzt werde. Er deutet Licht, Geist und Gott als Bezeichnungen der Substanz Gottes und begründet mit Bibelstellen, dass die Rede von der Substanz Gottes schriftgemäß ist.¹⁹⁰ Aus den Formulierungen, Christus sei Licht vom Licht und Gott von Gott leitet er die Substanzeinheit ab. Das Wort ὁμοούσιος überträgt er wie in Adv. Ar. II ins Lateinische: Indem er mit der etymologischen Herleitung des Wortes von der griechischen Vorsilbe ὁμοῦ die Gleichewigkeit von Vater und Sohn betont, widerlegt er die Position, es habe eine Zeit gegeben, als es den Sohn noch nicht gab.¹⁹¹
Vgl. homous. 1 (167,13 – 168,9 Locher). Vgl. homous. 1 f. (168,10 – 27 Locher). Vgl. homous. 2 (168,28 – 169,18 Locher).
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Dadurch ist der Übergang zur refutatio markiert, in der Victorinus den Vorwurf zurückweist, die Zeugung des Sohnes aus dem Wesen des Vaters führe zu einer Veränderung oder Verringerung des Vaters (3 – 4). Dieser Anwurf wird als falsche körperliche Vorstellung von Gott zurückgewiesen. Aus den Bekenntnisformeln „Licht von Licht“ und „Gott von Gott“ werde überdies deutlich, dass der λόγος nicht aus dem Nichts stammen könne.¹⁹² Gegen eine allzu skeptische Haltung unter Berufung auf Jes 53,8 (LXX) betont Victorinus, dass zwar kein Mensch, aber der λόγος selbst über seine Zeugung sprechen könne und man dieser Offenbarung folgen müsse. Ansonsten sei zu beachten, dass es in dieser Diskussion gerade nicht um die exakte Art der Zeugung gehe, sondern um die Substanz Gottes.¹⁹³ Die Schrift schließt mit dem Vorschlag, das Bekenntnis um die Immanenzformeln zu erweitern, dass Christus Gott in Gott und Licht in Licht sei (4). Gegen die Homöusianer wird nur am Rande noch einmal Jes 43,10 ins Feld geführt. Victorinus weist darauf hin, dass er die homöusianische Position, andere Häresien und weitere Kritik an der Homousie schon andernorts ausführlich widerlegt habe. Die Schrift endet mit der Bitte, die im Stile eines Wortspieles formuliert ist, dass durch das Bekenntnis zur Wesenseinheit (ὁμοούσιον) die Glaubenseinheit (ὁμόνοια) hergestellt werde.¹⁹⁴ Gegenüber Adversus Arium II fällt auf, dass De homousio recipiendo weitgehend auf komplizierte philosophische Terminologie und Argumentation verzichtet. Statt der schwer nachvollziehbaren Einordnung Gottes als zugleich seiend und nichtseiend beschränkt sich Victorinus hier darauf, die Rede von der Substanz Gottes zu rechtfertigen.¹⁹⁵ Den Unterschied zwischen οὐσία und ὑπόστασις in der philosophischen Terminologie deutet er nur an, führt ihn aber nicht weiter aus.¹⁹⁶ Auch die refutatio der Argumente gegen die Homousie, die so in Adversus Arium II nicht auftaucht, ist gegenüber den anderen Schriften wesentlich knapper gehalten und beschränkt sich auf die prägnante Darstellung und Widerlegung weniger wichtiger Gegenargumente. Damit bekommt die Schrift insgesamt einen eher thetischen und weniger argumentierenden Charakter. Der fast völlige Verzicht auf komplexe Sprache und Argumentationsmuster weist darauf hin, dass diese Schrift vermutlich für ein anderes, breiteres Publikum geschrieben worden ist. Wahrscheinlich dient die Schrift einer publizistischen Einflussnahme vor der Synode von Rimini.¹⁹⁷
Vgl. homous. 3 f. (169,19 – 170,17 Locher). Vgl. homous. 4 (170,18 – 26 Locher). Vgl. homous. 4 (170,26 – 171,16 Locher). Vgl. Adv. Ar. II 1 f. (100,16 – 102,3 Locher) mit homous. 1 (168,10 – 15 Locher). Vgl. Adv. Ar. II 4– 6 mit der knappen praeteritio in homous. 2 (168,16 Locher). Dazu S. 117– 122.
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2.8 Die Hymnen 2.8.1 Schematische Übersicht Hymnus I: Epiklese und Aretalogie 1– 5: Epiklese: Anrufung der drei wesenseinen Hypostasen und ihre spezifischen Aktivitäten 6 – 77: Aretalogie: Entfaltung des göttlichen Wesens in einer doppelten Dyade im Inneren und in der ökonomischen Aktivität Hymnus II: Bittgebet 1– 33: Anrufung Christi um Hilfe unter Angabe von Gründen, warum er dem Betenden helfen kann und soll. 34– 49: Schilderung der Notsituation: Das Fleisch hindert den Betenden am Aufstieg zu Gott 50 – 61: Bitte um Hilfe beim Aufstieg zu Gott Hymnus III 1– 135: Epiklese: Anrufung der drei Hypostasen und der wesenseinen Trinität 136 – 228: Begründung, warum Gott helfen kann 136 – 212: Die trinitarische Entfaltung als Grundlage der Ökonomie 213 – 228: Inkarnation des Sohnes 229 – 240: Bitte um Erlösung
2.8.2 Ausführliche Gliederung Am Ende des Werkes stehen die Hymnen, die sich durch ihre Gattung stark vom Vorhergehenden unterscheiden.¹⁹⁸ Zu ihrem Aufbau, innerem Zusammenhang und ihrer Funktion liefert Kurt Smolak wichtige Hinweise.¹⁹⁹ Smolak benennt Indizien, die darauf hindeuten, dass auch das Hymnencorpus als sinnvolles Ganzes komponiert ist. Erstens ist es gut möglich, dass die drei Anreden am Anfang des ersten Hymnus an den Vater, Christus und den Heiligen Geist ihre Entsprechung in den drei
Zum Hymnus als philosophischer Gattung vgl. insgesamt Männlein-Robert/Riedweg, §6., Ueberweg.Antike 5/1, 74– 76. Vgl. zum Ganzen Smolak, O beata trinitas, WSt.B 33 (2009), 75 – 94. Für das inhaltliche Verständnis ist die Untersuchung jedoch nur bedingt hilfreich, da Smolak zwar kenntnisreich Parallelen anführt, die aber oft nur wenig für die Interpretation austragen oder gar falsche Assoziationen wecken. So hat etwa die Ruhe gegen Smolak (78 f.), die der Vater ist und aus der der Sohn heraustritt, in hymn. I 4 nichts mit der Sabbatruhe Gottes in der Schöpfung zu tun. Sonst wäre der Sohn, der der Schöpfungsmittler ist, erst nach der Schöpfung aus dem Vater herausgetreten!
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Bitten um Befreiung, Erlösung und Rechtfertigung am Ende des dritten Hymnus haben.²⁰⁰ Ferner stellt Smolak fest, dass sich beim Versuch der Analyse der Hymnen mithilfe des klassischen Hymnenschemas gewisse Schwierigkeiten ergeben²⁰¹: Der erste Hymnus beginnt ganz traditionell mit der Epiklese Gottes in trinitarischer Gestalt und stellt dann die Geburt und Homousie des Sohnes dar, der in seiner Tätigkeit als Schöpfer, Erlöser und Lehrer gepriesen wird. Dies kann man gut mit der für Hymnen typischen Aretalogie vergleichen, in der frühere Taten der Gottheit gepriesen werden.²⁰² Traditionell würde an diesen Mittelteil ein Bittgebet an die Gottheit anschließen, das in Hymnus I jedoch nicht vorkommt. Diese Funktion nimmt nun aber, wie Smolak treffend bemerkt, Hymnus II ein.²⁰³ Dieser ist durch seinen Kehrvers als Bittgebet gestaltet. Er erzählt idealtypisch von der Bekehrung des Betenden, bittet um Vergebung für die Sünden und um Hilfe beim Aufstieg zu Gott. So ergeben die ersten beiden Hymnen einen engen Zusammenhang. Das dritte von Smolak angeführte Indiz, eine Aufteilung der Hymnen auf die drei Hypostasen, lässt sich dagegen so nicht feststellen. Zwar apostrophiert der zweite Hymnus tatsächlich nur Christus direkt, im ersten werden allerdings gegen Smolaks Deutung Vater, Sohn und Heiliger Geist als der eine Gott angesprochen, auch im dritten Hymnus lässt sich kein eindeutiges Schwergewicht zugunsten des Heiligen Geistes feststellen.²⁰⁴ Wichtig für die Gesamtanlage der Hymnen und des Gesamtwerkes ist die Tatsache, dass Hymnus III mit einer Bitte um das persönliche Heil an alle drei Hypostasen endet. Damit zeigt sich noch einmal eindringlich die eminente soteriologische Bedeutung, die Victorinus der Trinitätstheologie zuschreibt. Hymnus I spricht die drei Hypostasen einzeln an, ihre Einheit wird durch die Anapher der an alle gleichermaßen gerichtete Bitte zu Beginn der ersten drei Verse betont, ferner durch die gemeinsame Bezeichnung des Vaters und des Sohnes als lumen. Der Vater wird in seiner Rolle als ruhender Urgrund angesprochen, Christus als Bewegung, die aus dem Vater heraustritt, als Geheimnis und Kraft Gottes, der Heilige Geist als das verbindende Band. Diese Verhältnisbestimmung entfaltet Victorinus in zahlreichen Formulierungen weiter, die er dabei so in der Schwebe hält, dass sie sowohl das immanente als auch das ökonomische Wirken der Hypostasen bezeichnen können. Das Hervorgehen des Sohnes kann als innertrinitarischer
Vgl. hymn. I 1– 3 mit hymn. III 237– 239. Zu den typischen Elementen und dem Aufbau von Hymnen vgl. Norden, Agnostos theos, 143 – 176 und knapp Thraede, Art. „Hymnus I“, RAC 16 (1994), bes. 928 – 930. Vgl. die Epiklese in hymn. 1,1– 5, die Aretalogie in 6 – 77. Vgl. Smolak, O beata trinitas, WSt.B 33 (2009), 84 f. Gegen Smolak, O beata trinitas, WSt.B 33 (2009), 86. Zur Apostrophe des Vaters und des Sohnes vgl. hymn. I 1– 4.
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Vorgang gedeutet werden, aber auch als die Bewegung zur Schaffung der Welt oder als die Bewegung zur Inkarnation. Dazu passend wird Christus auch als mysterium bezeichnet, womit das Heilsgeheimnis der Inkarnation und Auferstehung gemeint ist. Der Heilige Geist ist in ähnlicher Weise innertrinitarisch ein verbindendes Glied zwischen den beiden Hypostasen des Vaters und Christi, ökonomisch übt er eine verbindende Wirkung in der Schöpfung aus.²⁰⁵ Es folgt die Entfaltung der Verschiedenheit und Einheit der beiden Dyaden des Vaters und des Sohnes auf der einen Seite, Christi und des Heiligen Geistes auf der anderen. Diese Entfaltung schließt sich an die doppeldeutige Epiklese an und verbindet das immanente und ökonomische Handeln der Hypostasen.²⁰⁶ Zum Schluss besingt Victorinus zusammenfassend ihre triadische Einheit.²⁰⁷ Hymnus II wendet sich mit einem Erbarmensruf spezifisch an Christus. In der Tradition der antiken Hymnen wird er dabei so angesprochen, dass aus dem Gebet deutlich wird, warum gerade er in der Lage und willens sein sollte, dem Betenden zu helfen. Der erste Grund ist der Glaube des Betenden, der zweite Grund liegt darin, dass Christus das ewige Leben aus dem lebenden Vater ist und als solches Leben schenken will, und der dritte Grund besteht darin, dass Gott die Seele nach seinem Bild geschaffen und für das ewige Leben bestimmt hat.²⁰⁸ Es folgt die Erzählung von der früheren Liebe zur Welt, der Abkehr des Betenden von ihr und der jetzigen Zuwendung zu Gott. Der Betende leidet aber unter dem Zwiespalt nach Röm 7, dass das Fleisch ihn noch immer zurückhält.²⁰⁹ Daher bittet er Christus darum, ihm den Aufstieg zu Gott zu ermöglichen und den endgültigen Sieg über den Teufel in ihm zu vollziehen.²¹⁰ Der dritte Hymnus ist in seiner Gliederung nicht leicht zu durchschauen und scheint einzelne Teile eher durch stichwortartige Verbindungen aneinanderzureihen. Im ersten Teil werden die drei Hypostasen jeweils mit ihnen eigentümlichen Namen apostrophiert, die hierin liegende Differenz wird durch den Kehrvers o beata trinitas immer wieder zur Einheit zusammengefasst.²¹¹ Es folgt eine Darstellung des innertrinitarischen Verhältnisses der drei Hypostasen, die sich hauptsächlich an den Begriffen substantia, forma, cognoscentia abarbeitet.²¹² Aus der Betrachtung des immanenten Wesens geht der Hymnus über zur Entsendung des
Vgl. hymn. I 1– 5. Vgl. hymn. I 6 – 72. Vgl. hymn. I 73 – 77. Vgl. hymn II 1– 33. Vgl. hymn. II 34– 49. Vgl. hymn. II 50 – 61. Vgl. hymn. III 1– 135. Vgl. hymn. III 136 – 212.
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Sohnes in der Inkarnation.²¹³ Das Gebet schließt mit den Bitten um Vergebung und Erlösung.²¹⁴ Man kann Hymnus III also auch als klassischen Hymnus lesen: Auf eine Epiklese Gottes in seinen verschiedenen Hypostasen folgt eine Begründung, warum er geeignet ist, dem Betenden zu helfen, und zum Schluss werden schließlich konkrete Bitten formuliert.
2.9 Besonderheiten in der Kompositionstechnik des Victorinus 2.9.1 Schleichende Übergänge oder rhetorische Vorbereitung Die Analyse des literarischen Aufbaus konnte zeigen, dass Victorinus seine Schriften nach einem sinnvollen Plan komponiert und klare argumentative Ziele verfolgt. An einigen Punkten ergeben sich dabei aber immer wieder gewisse Schwierigkeiten. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass diese Schriften seit der Antike als schwierig und unverständlich erachtet werden. Einige Problemstellen, die sich auf den ersten Blick nicht direkt erschließen, lassen sich durch den Vergleich mit dem Gesamtwerk als typische Eigenheiten des Victorinus erweisen. Daher ist es sinnvoll, an dieser Stelle abschließend noch einmal solche Besonderheiten des Autors zu skizzieren und mögliche Erklärungen dafür zu bieten. Eine erste Auffälligkeit habe ich in der Analyse als „schleichenden“ oder fließenden Übergang bezeichnet. Damit versuche ich die Beobachtung zu beschreiben, dass Victorinus seine Argumentationsblöcke oft nicht streng voneinander abgrenzt, sondern gleitend ineinander übergehen lässt. Als schleichenden Übergang bezeichne ich dabei das Phänomen, dass Argumente eines späteren Gliederungsabschnittes bereits vorweggenommen oder kurz angerissen werden. Diese Technik bestimmt die Gestaltung der beiden Schriften Adversus Arium I und Ib. In Adversus Arium I lässt sich beobachten, dass sich bereits im Laufe des ersten Hauptteils der argumentative Fokus auf die Homöusianer verschiebt. Nach der Kommentierung von 2Kor 4,4, wo Christus als Bild Gottes bezeichnet wird, fügt Victorinus in Adv. Ar. I 20 als passenden Exkurs einen Kommentar zu Gen 1,26 an. In diesem Exkurs verhandelt er den Unterschied zwischen der Formulierung in Gen 1,26 „nach dem Bild Gottes“ und „Bild Gottes“ in 2Kor 4,4 und den Unterschied der beiden Aussagen in Gen 1,26 f. „nach dem Bild“ und „nach der Ähnlichkeit“. Dies ist die erste Gelegenheit, das ὁμοιούσιος knapp zu verurteilen, da nicht der Sohn, sondern die Seele als
Vgl. hymn. III 213 – 228. Vgl. hymn. III 229 – 240.
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wesensähnlich zu bezeichnen sei.²¹⁵ In Adv. Ar. I 23 argumentiert Victorinus dann von einem philosophischen Standpunkt aus, dass die Bezeichnung des Sohnes als substanzähnlich unmöglich oder widersinnig sei. In Adv. Ar. I 25 verwirft er noch einmal im Anschluss an die Exegese des Kolosserhymnus’ die Lehre von der Substanzähnlichkeit.²¹⁶ An drei Stellen macht er die Homöusianer also bereits zur Zielscheibe der Argumentation, bevor er sie dann ab Kapitel 28 endgültig als Adressaten und Gegner in den Mittelpunkt stellt. Für den schleichenden Übergang in dieser Schrift gibt es zwei sachliche Gründe, erstens den pragmatischen Grund der Stofforganisation und zweitens die Lenkung des Lesers. Victorinus gestaltet den ersten Hauptteil von Adversus Arium I als einen Durchgang durch das Neue Testament, um eine Fülle an Belegstellen gegen die Arianer aufzubieten, denen er mangelnde biblische Begründung ihrer Lehren vorwirft. Da liegt es nahe, in diesem Zusammenhang bei zentralen Bibelstellen bereits wichtige Argumente auch mit Blick auf die Homöusianer vorzubringen. Dadurch können unnötige Wiederholungen im zweiten Teil vermieden werden. Diese Strategie ist aber auch mit Blick auf die Lenkung des Lesers geschickt eingesetzt: Zum einen kommt der eigentlich erstaunliche Wechsel der angesprochenen Gegner in Adversus Arium I dadurch nicht so abrupt. Die Leser sind darauf vorbereitet, dass sich die fiktive Kommunikationssituation verschiebt, indem die Arianer und Candidus zugunsten der Homöusianer um Basilius allmählich in den Hintergrund treten. Zum anderen wird dem Leser dadurch aber auch in inhaltlicher Hinsicht zweierlei suggeriert: Erstens entsteht so der Eindruck, dass die Homöusianer eng mit den Arianern verwandt seien und deshalb in ein und derselben Argumentation abgehandelt werden können. Zweitens wird damit zusammenhängend deutlich, dass allein das ὁμοούσιος geeignet ist, gegen alle Häresien ausreichend vorzugehen und den Sinn der gesamten Schrift richtig zu erfassen. In Adversus Arium Ib finden sich laufend Hinweise auf die soteriologische Pointe der Trinitätstheologie, die dann in den Schlusskapiteln 60 – 64 erst ausführlich behandelt wird. Dies dient dazu, dem Leser immer wieder das Ziel der Argumentation vor Augen zu führen und so den inneren Zusammenhalt der Schrift herzustellen. Victorinus entfaltet die Trinitätstheologie dort so, dass dem Publikum klar wird, dass es sich hier nicht um ein Glasperlenspiel handelt, sondern um die zentrale Voraussetzung für die Erlösung des einzelnen Menschen in seiner gesamten leiblichen, seelischen und geistigen Existenz.
Vgl. Adv. Ar. I 20: Aliud igitur imaginem esse et aliud iuxta imaginem et magis alius iuxta similitudinem. Quae igitur blasphemia ὁμοιούσιον dici patrem et filium, cum imago sit filius iuxta substantiam, non iuxta similitudinem. (52,15 – 18 Locher) Vgl. Adv. Ar. I 25 (57,27– 58,4 Locher)
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Diese Kompositionstechnik lässt sich mit der Strategie der psychologischen Vorbereitung vergleichen, die Neumeister für die forensische Rede herausarbeitet. Er zeigt, dass in Reden wichtige Argumente schon vorher angedeutet werden, um sie am psychologisch günstigsten Moment dann voll zu entfalten. Um einen möglichst großen Effekt beim Zuhörer zu erzielen, verbirgt der Redner daher auch die durchdachte Struktur der Rede absichtlich.²¹⁷ Eine damit vergleichbare Kompositionstechnik liegt auch Ciceros Dialog De oratore zugrunde. Man spricht von einer „Wellentechnik“, mit der Cicero wichtige Themen immer wieder aufbringt, um sie am Ende voll zu entfalten.²¹⁸ Diese Besonderheit der Komposition der victorinischen Schriften ist also gut vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit als Rhetoriklehrer zu erklären. 2.9.2 Wiederholungen und Selbstreferenzen Als zweite Eigenheit zeigt Victorinus eine manchmal schulmeisterliche Neigung zur Wiederholung und Selbstreferenz. Die didaktische Absicht dahinter benennt er an einer Stelle selbst: „[…] wie ich es schon oft dargestellt habe und zum Einprägen noch oft wiederholen werde.“²¹⁹ Auch die Verweise auf andere Stellen im Gesamtwerk haben eine didaktische Funktion. Hier wird der Leser dazu angehalten, sich an das Gelesene zu erinnern oder auf einen späteren Zeitpunkt zu warten, an dem ein Thema ausführlichere Behandlung erfahren soll. Außerdem werden dadurch dem Leser die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Schriften deutlich. Aber diese vielfachen Wiederholungen können auch dazu führen, dass das Werk als schwerfälliger und redundant empfunden wird.²²⁰ 2.9.3 Fragen und ihre (fehlenden) Antworten Als letzte Besonderheit möchte ich die Art und Weise, wie Victorinus Fragen aufwirft, sie beantwortet oder manchmal gerade offen lässt, herausheben. Die Schriften Adversus Arium Ib und IV beginnen ganz unvermittelt mit einer ähnlich gelagerten, sehr spezifischen Fragestellung nach dem Verhältnis von Identität und Alterität bestimmter Begriffe. Dieser fragende Einstieg erinnert stark an den Stil Plotins.²²¹ Die Technik des Victorinus besteht dann darin, die Komplexität dieser
Vgl. Neumeister, Gundsätze, 71– 82. Vgl. dazu Leeman, Structure. Adv. Ar. III 14: […] ut saepe iam diximus et retinendi causa saepe repetemus. (128, 20 f. Locher) Man kann hier an die Warnung Quintilians für die Wiederholung der wichtigsten Punkte in der peroratio denken, vgl. Quint. inst.VI 1,2: Alioqui nihil est odiosius recta illa repetitione velut memoriae iudicum diffidenti. (311,4– 6 Radermacher) Vgl. Solignac, Art. „Marius Victorinus“, DSp 10 (1980), 619.
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Fragestellungen vollständig aufzuzeigen, indem er zunächst alle notwendigen Hintergründe und Voraussetzungen vorführt, deren Kenntnis zur gründlichen Beantwortung notwendig ist. Scheinbar harmlos daherkommende Fragen erweisen sich so als hochgradig komplex, voraussetzungs- und folgenreich. Die Gefahr dieser Technik ist, dass für den Leser oft der Eindruck entstehen kann, dass Fragen gar nicht wirklich beantwortet werden, dass die Antwort lange auf sich warten lässt oder dass der Zusammenhang zwischen anfänglicher Fragestellung und daraus resultierenden Konsequenzen nicht immer gleich einleuchtet. Die Schrift Adversus Arium Ib ist ein Paradebeispiel für dieses Vorgehen. Die Fragestellung zu Beginn löst eine Kaskade an notwendigen Untersuchungen und Argumentationen über das Verhältnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist aus und führt am Ende zu einer soteriologischen Pointe. Damit führt Victorinus in meisterhafter Weise seine Art vor, sich den Gegenständen zu nähern. Es geht ihm stets darum, Zusammenhänge aufzuzeigen und dem Leser bewusst zu machen, welch eminente Bedeutung die behandelten Themen haben. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Tatsache dar, dass Victorinus in der Fragestellung und in der Beantwortung gelegentlich eine unterschiedliche Terminologie nutzt. Hadot führt das natürlich auf die Quellennutzung des Victorinus zurück, greift damit aber zu kurz. In Adversus Arium IV 8 stellt Victorinus etwa die Frage, warum in den biblischen Texten Vater und Sohn als Sendender und Entsendeter, als Befehlender und Diener unterschieden sind, wo sie doch ein und dieselbe Substanz haben. Im Folgenden verwendet er die biblischen Begrifflichkeiten aber praktisch nicht mehr, erst ganz zum Schluss in der Auslegung zum Philipperhymnus tauchen sie wieder in ähnlicher Weise auf.²²² Darin zeigt sich die Neigung des Victorinus, zuerst eine ausführliche Darstellung der Grundlagen seines Denkens zu geben und Probleme der Bibelexegese philosophisch zu erörtern. Erst in einem zweiten Schritt appliziert er dann diese grundlegenden Gedanken auf die konkrete und nur scheinbar einfache Frage. In seinen Erläuterungen will er mehr als eine rein biblizistische Antwort geben und durchdringt die Probleme in einem philosophischen Vokabular, das sich von der biblischen Sprache unterscheidet. Aufgeworfene Probleme und Fragen können aber auch gänzlich unbeantwortet bleiben. Das zeigt sich etwa in Adversus Arium II 3. Dort referiert Victorinus eine Reihe von Vorwürfen gegen die Homousie, die er aber im Zusammenhang dieser Schrift nicht alle behandelt. Die anderen Vorwürfe werden dann erst in anderen Schriften thematisiert. Auch hier darf man eine didaktische Absicht des Victorinus
Vgl. mittere – missus in Adv. Ar. IV 31 (163,32 Locher), IV 32 (163,32 Locher). In diesem letzten Abschnitt wird damit verbunden auch erklärt, was es heißt, dass der Sohn den Willen des Vaters tut. Dies hat seine Entsprechung im Gegensatzpaar imperans – minister.
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vermuten: Einerseits kann so das Interesse an seinen anderen Schriften geweckt werden, in denen diese Probleme behandelt werden, andererseits setzt Victorinus bei seinen Lesern aber auch eigenständige Denkleistungen voraus. So fasst Victorinus in der conclusio des Opus ad Candidum noch einmal zusammen, welche Fragen man bei genauer Lektüre und einigem Nachdenken alle in diesem Buch beantwortet finde, ohne dass sie ausführlich thematisiert wurden.²²³ Hadot geht mit seiner Annahme recht, dass es nicht nötig ist, in anderen Schriften nach der Beantwortung dieser Fragen zu suchen, wie Wöhrer dies noch tat.²²⁴ Victorinus regt seine Leser hier vielmehr zu einer gründlichen, vielleicht auch erneuten Lektüre des Opus ad Candidum an. Spätestens nach der Lektüre der übrigen Schriften des Victorinus fällt dem Leser rückblickend auf, welcher Reichtum an Themen im Opus ad Candidum bereits angesprochen wurde. Es lässt sich nur darüber spekulieren, ob die mit Plotin vergleichbare Art der Fragestellung auf mündliche Diskussionszusammenhänge im Umfeld des Victorinus hinweist. Vielleicht ließ er sich ähnlich wie Plotin von Fragen seiner Freunde zu Schriften anregen. Allerdings könnte es sich hier auch um eine literarische Nachahmung des philosophischen Stils Plotins handeln. 2.9.4 Konsequenzen aus diesen Beobachtungen Auch diese Besonderheiten in der literarischen Gestaltung der Werke führen neben der sprachlichen und inhaltlichen Komplexität zu dem Eindruck der schwierigen Verständlichkeit. Victorinus erwartet von seinem Leser eine denkerische Eigenleistung und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Text, vielleicht sind sogar mündliche Diskussionen vorausgesetzt. Diese Beobachtungen aus den späteren Schriften sind auch noch einmal eine wichtige Hilfe für das Verständnis des Opus ad Candidum. Man erinnere sich an zwei gewichtige Kritikpunkte: Erstens wird moniert, dass Ad Candidum keine wirkliche Antwort auf De generatione divina darstelle, zweitens wird die ontologische Diskussion in Ad Candidum als überflüssig und unpassend erachtet. Die späteren Schriften erweisen ein solches Vorgehen nun gerade als typisch für Victorinus. Die Antwort in Ad Candidum funktioniert ähnlich wie die Antworten in Adversus Arium Ib und IV auf die Eingangsfragen: Victorinus hält sich nicht an der Oberfläche auf, sondern klärt zunächst die tieferliegenden Voraussetzungen, die zur Beantwortung der Fragen notwendig sind. Er verlangt von seinen Lesern, dass sie darüber nachdenken, ob und inwiefern die aufgeworfenen Probleme bereits gelöst wurden und wie sich ungelöste Probleme auf der Grundlage des Dargestellten selbst lösen Vgl. Adv. Ar. I 46 (81,31– 82,9 Locher). Vgl. Wöhrer, Studien, 29 – 34 mit Hadot, SC 69, 833 f.
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lassen. Daher ist es für ihn nicht notwendig in Ad Candidum eine ausführliche Replik auf die Modi der Zeugung zu geben, die Candidus widerlegt, da der Leser auf der Grundlage seiner Antwort erkennen soll, dass den meisten Argumenten des Candidus der Boden entzogen ist. Ferner zeigt die Gliederung von Adversus Arium III ebenfalls eine auffällige Zweiteilung des Hauptteils in einen philosophisch argumentierenden und einen exegetischen Teil. Das entspricht der Gesamtanlage des Opus ad Candidum, wo Victorinus zunächst in Ad Candidum philosophische Fundamente legt und in Adversus Arium I darauf aufbauend ausführliche exegetische Untersuchungen anstellt.
3 Konzeption des Gesamtwerkes 3.1 Reihenfolge der Schriften und Gesamtredaktion durch den Autor Pierre Hadot macht in seinen Arbeiten wahrscheinlich, dass die überlieferte Reihenfolge der Werke weitgehend der Reihenfolge entspricht, in der Victorinus sie im Zuge einer Endredaktion angeordnet hat.²²⁵ Er untersucht dafür die zahlreichen Selbstreferenzen innerhalb des Werkes und kann dabei zeigen, dass die Zahl der Rückverweise auf frühere Schriften im Laufe des Corpus zunimmt. Diese Beobachtung stützt die überlieferte Reihenfolge der Schriften. Wöhrer hielt hingegen die Schrift Adversus Arium IV für älter als das Opus ad Candidum. Dies begründet er zunächst damit, dass Victorinus die Fragen, die in Adversus Arium I 46 gestellt werden, in der vorher abgefassten Schrift Adversus Arium IV schon beantwortet habe.²²⁶ Dabei strapaziert Wöhrer aber die Formulierungen in Adversus Arium I 46 sehr. Am Ende der Fragenreihe erklärt Victorinus: „[…] wer fähig ist, dies zu verstehen, wird die Antwort darauf auch in diesem Buch finden.“²²⁷ Damit ist der Gedankengang abgeschlossen, der Verweis bezieht sich offensichtlich auf die vorliegende Schrift. Danach beginnt ein neuer Abschnitt, in dem Victorinus beteuert, an diesem Bekenntnis als dem richtigen immer festhalten zu wollen: „Dass das Bekenntnis so lautet, werde ich mit der Erlaubnis Gottes, unseres Herrn Jesu Christi und des Heiligen Geistes auch in Zukunft festhalten.“²²⁸ Das
Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 33 – 43 und Hadot, Marius Victorinus, 260 f. In der tabellarischen Übersicht müssen in der dritten Spalte zwei Druckfehler korrigiert werden: Für 60,5 lies 61,5, für 10,5 lies 10,15 – 16. Vgl. Wöhrer, Studien, 28 – 35. Adv. Ar. I 46 (82,9 Locher): Si quis dignus sit intellegere, et in isto libro inveniet. Adv. Ar. I 46 (82,10 f. Locher): Fidem sic esse et permittente Deo et Iesu Christo domino nostro et sancto spiritu dicemus.
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futurische Prädikat dicemus lässt sich zwangloser als Festhalten am Bekenntnis verstehen, es ist nicht nötig, hierin einen Verweis auf andere Schriften zu sehen. Es ist daher wahrscheinlicher, mit Hadot die vorliegende Reihenfolge der Schriften auf den Autor zurückzuführen. Dies wird zusätzlich plausibel, da die Selbstreferenzen auch darauf hinweisen, dass Victorinus seine Werke anlässlich einer Gesamtedition einer Endredaktion unterzogen hat. Dafür sprechen vor allem die Querverweise im Opus ad Candidum, die sich auf spätere Schriften beziehen lassen und der Hinweis in Adversus Arium Ib, in dem konkret auf das vorhergehende Buch verwiesen wird, womit sicher das Opus ad Candidum gemeint ist.²²⁹ Dieses Verweissystem wird Victorinus erst im Zuge einer Gesamtedition eingetragen haben. Darüber hinaus lassen sich aber keine sicheren Spuren einer Redaktion oder gar Retraktation feststellen. Wöhrer will eine Aussage in Adversus Arium IV 2 in diese Richtung deuten, misst aber auch hier der Formulierung unnötig starkes Gewicht zu: „Damit man darüber leichter urteilen kann, will ich das im Folgenden noch einmal ausführlicher behandeln (melius retractabimus).“²³⁰ Wöhrer versteht retractare hier als terminus technicus einer späteren Überarbeitung. Im Zusammenhang der Schrift scheint es sich aber eher um eine Regiebemerkung des Victorinus zu handeln, die den Übergang von der propositio zur argumentatio markiert. In dieser Argumentation will Victorinus Themen, die er schon einmal behandelt hat, noch einmal ausführlicher durchgehen. Hier und anderswo den Hinweis auf eine nachträgliche retractatio zu sehen, ist spekulativ. Ziegenaus vermutet noch in einem viel höheren Maße als Wöhrer spätere redaktionelle Eingriffe durch den Autor. Seine Interpretation geht dahin, eine Entwicklung innerhalb des victorinischen Denkens im Laufe der Schriften auszumachen. Da sich einige Stellen aber gegen diese Interpretation sperren, erklärt Ziegenaus diese störenden Stellen als spätere Nachträge des Autors: Bei einer Gesamtredaktion habe er entwicklungsmäßig spätere Gedanken in die früheren Schriften eingetragen. Diese ließen sich nach der von Ziegenaus festgestellten Entwicklung aber leicht den späteren Phasen des Denkens zuweisen und als nachträgliche Interpolationen deuten.²³¹ Ein solches Vorgehen entbehrt jeglicher methodischer Grundlage, wenn es im Text oder der Überlieferung keine eindeutigen Hinweise auf einen späteren Einschub gibt. So einfach lassen sich die Textbelege, die gegen die von Ziegenaus rekonstruierte Entwicklung der Theologie des Victorinus sprechen, also nicht beseitigen. Man muss sich zudem fragen, warum Victo-
Vgl. Ad Cand. 16.31 (20,1 f.; 27,23 – 25 Locher) und Adv. Ar. Ib 54 (90,3 f. Locher). Adv. Ar. IV 2 (135,16 Locher): Hoc quo facilius iudicetur, sic ista melius retractabimus. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 138 Anm. 106.
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rinus bei einer so umfassenden Redaktion nicht noch viel stärker in den Text eingegriffen hätte, um alle vermeintlichen Defizite in früheren Schriften zu beseitigen. Ihm selbst sind seine früheren Schriften bei der Gesamtredaktion also gar nicht so problematisch oder defizitär erschienen wie den modernen Interpreten.
3.2 Didaktischer Plan statt intellektueller Entwicklung Es sind daher Zweifel angebracht, ob sich die Entwicklung innerhalb der Schriften als intellektuelle Entwicklung des Autors deuten lässt. Ziegenaus liest die Schriften des Victorinus so, dass er sich erst allmählich in die trinitarische Debatte, ihren theologischen Denkhorizont und die Positionen der widerstreitenden Parteien hineingefunden habe. Allein durch die Vielzahl der Akteure und immer neuen Bekenntnisse sei eine innere Stabilität im Denken des Victorinus nicht vorstellbar. Der Denkfortschritt zeige sich in einer immer präziseren Terminologie und der Einführung neuer trinitarischer Denkmodelle und deren fortschreitender Verbesserung.²³² Bemerkenswert ist dabei Ziegenaus’ abschließendes Urteil, es handele sich im Großen und Ganze um „eine organische, d. h. frühere Gedanken nicht abstoßende, sondern weiterbauende Entwicklung vom Einfachen zum Komplizierten; sie vollzieht sich in der Weise, daß immer mehr polare Seinsprädikate als dem einen Wesen Gottes inexistent nachgewiesen werden.“²³³ Dieses Urteil beschreibt eine gedankliche Entwicklung der Schriften des Victorinus, damit ist aber noch lange nicht gesagt, dass damit auch eine Entwicklung im Denken des Autors erkannt worden ist. Auf der Grundlage des uns vorliegenden Corpus scheint es mir plausibler, diese Entwicklung als Ergebnis einer literarisch absichtsvollen Gestaltung zu deuten, nicht als Spiegel der intellektuellen Entwicklung des Autors. Wie in der Auseinandersetzung mit Steinmanns Interpretation der intellektuellen Biographie des Victorinus scheint es mir auch hier methodisch geboten, zunächst eine Erklärung auf der Ebene des vorliegenden Textbestandes zu finden. Erst, wo sich dieser gegen eine schlüssige Interpretation sperrt, ist eine Spekulation über die intellektuelle Entwicklung des Autors verantwortbar.
Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 138 – 140. Ziegenaus, Seinsfülle, 140. Damit trifft er die Entwicklung besser als Solignac, Art. „Marius Victorinus“, DSp 10 (1980), 619 f., die starkes Gewicht auf die Formulierung in Adv. Ar. IV 4 (137,10 Locher) legt und deswegen die späteren Schriften für einfacher hält. Dort verspricht Victorinus dem Leser eine simplex disputatio der schwierigen Themen, will damit aber nicht die gesamte Schrift als einfach charakterisieren. Im Hintergrund steht bei Solignac die Vorstellung, dass Victorinus in den ersten Schriften bis Adv. Ar. Ib noch stark daran interessiert gewesen sei, die Vereinbarkeit von Philosophie und Christentum aufzuzeigen und davon immer weiter abgekommen sei (619).
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Wenn sich jedoch auch nach dem Urteil Ziegenaus’ eine logische und klare Entwicklung innerhalb des Corpus aufzeigen lässt, lässt sich daraus vielmehr ein absichtsvoll geplanter Aufbau des Werkes erschließen. Den entscheidenden Hinweis gibt Ziegenaus mit der Feststellung, dass sich das Werk vom Einfachen zum Komplizierten entwickele. Aus der Tatsache, dass Victorinus als Rhetoriklehrer gefeiert war, kann man schließen, dass er auch ein didaktisches Geschick besessen hat, was auch der Cicerokommentar zeigt. Es bietet sich also an, diese Steigerung im Komplexitätsgrad als didaktisch absichtsvolles Mittel zu interpretieren. Dann müssen freilich für die von Ziegenaus und anderen empfunden Defizite in früheren Schriften andere Erklärungen gefunden werden. Auch Smolak stellt in einer Untersuchung über die Hymnen des Victorinus die These auf, dass das dogmatische Werk eine „wohldurchdachte Einheit“ darstelle.²³⁴ Bedenkenswert ist Smolaks Vorschlag, eine Entwicklung innerhalb des Werkes zu sehen, die einer Entwicklung des Lesers vom Zweifler zum überzeugt Betenden korrespondiert. Er interpretiert Candidus ebenfalls als fiktive Person des Victorinus und deutet ihn als Identifikationsangebot an den Leser.²³⁵ Wie Ziegenaus erkennt Smolak also eine Entwicklung innerhalb der Schriften, die er vor allem aus der rezeptionsästhetischen Perspektive des Lesers beschreibt. Auf die Intention des Autors gewendet lässt sich damit von einer didaktischen Absicht des Victorinus sprechen.
3.3 Der Aufbau des Gesamtwerkes Bereits im Opus ad Candidum und seinen einzelnen Schriften lässt sich eine gedankliche Entwicklung feststellen, die sich kaum auf eine persönliche Entwicklung des Victorinus zurückführen lässt, wie es Ziegenaus tut.²³⁶ Das Opus dient insgesamt als Einführung in die Trinitätstheologie und legt das Fundament für die weiteren Schriften, daher entfaltet Victorinus hier nach und nach die Grundgedanken seiner Theologie.
Smolak, O beata trinitas, WSt.B 33 (2009), 77. Smolaks zahlentheologischen Spekulationen S. 76 – 78 sind aber unhaltbar. Er schlägt vor die drei ersten Briefe als Symbol der Trinität, die vier Bücher Adversus Arium als die pythagoreische Tetraktys zu deuten. Hingegen gehören die ersten vier Schriften zusammen, die vier Bücher Adversus Arium sind in Wirklichkeit fünf und erhalten die einheitliche Bezeichnung erst durch Sichard. Er deutet den Namen als Chiffre für den candidus lector, den „geneigten Leser“.Vgl. die Hinweise bei Smolak, O beata trinitas, WSt.B 33 (2009), 77 Anm. 7 und ThlL 3,244,43 f. s.v. candidus C.2: i. q. benevolus, bonus, simplex, sincerus; apud ecclesiasticos etiam purus, innocens, castus. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 139.
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Die radikale Kritik des Arianers bietet den Anlass, die Prolegomena der Theologie zu behandeln. Der These der Schöpfung des Sohnes aus dem Nichts wird durch eine ausführliche Darstellung der Ontologie der Boden entzogen, da in dieser Perspektive alles Sein aus Gott kommt und nicht aus dem totalen Nichts. In einem zweiten Schritt entfaltet Victorinus die Grundlinien der Vater-Sohn-Beziehung als Ineinander von ruhendem, potentiellen Sein des Vaters und aktualisiertem Wirken des Sohnes. Die Zeugung des Sohnes fasst er als Manifestation des inneren Wesens des Vaters auf. Dieser Teil legt die nächsten Grundlagen und arbeitet sich an der These ab, die Einheit von Vater und Sohn lasse sich unabhängig von der Substanz als Einheit des Willens und des Wirkens beschreiben. Dagegen zeigt Victorinus, dass Substanz, Wille und Wirken zusammen eine Einheit bilden müssen. Ziegenaus vermisst im ersten Teil von Ad Candidum ein tieferes Eindringen des Victorinus in die christliche Theologie, er scheint also eine persönliche Entwicklung des Autors bereits während der Abfassung dieser einen Schrift anzunehmen. Eine solche Annahme ist zum Verständnis der Schrift aber nicht nötig. Sie folgt einem klaren gedanklichen Aufbau und auch die vermeintlich wenig christliche Diskussion über die Ontologie hat eine Pointe, die für die trinitarische Frage von höchster Relevanz ist. Sollte Ziegenaus mit seiner Einschätzung darauf abzielen, dass in Ad Candidum insgesamt biblische Sprache und exegetische Begründungen in den Hintergrund treten, so lässt sich auch das sinnvoll erklären.Victorinus verzichtet in dieser ersten Antwort auf eine breit angelegte Begründung aus der Schrift, einerseits um auf die philosophische Argumentation des Candidus eine angemessene Antwort zu geben, andererseits um die Stringenz der Argumentation besser wirken zu lassen. Ad Candidum legt die philosophischen Grundlagen der gesamten Trinitätstheologie des Victorinus und stellt die philosophischen Grundlagen der arianischen Theologie radikal in Frage. Diese Grundlagen sollen vom Leser erst verstanden und verinnerlicht werden, bevor eine Diskussion der Details einsetzt. Die Trennung der stärker philosophisch argumentativen und exegetischen Teile im Opus erleichtert eine verstehende Lektüre. Gleichzeitig hat Victorinus so die Gelegenheit, in Adversus Arium I wirklich die gesamte Fülle an biblischem Material auszubreiten. Hätte er nur konkrete Belege für einzelne Argumentationspunkte angeführt, hätte er viel stärker auswählen müssen. So hat der Leser die Gelegenheit, erst die grundsätzlichen Argumente und Theorien des Victorinus zu verstehen, um dann ihre Validität in der Auseinandersetzung mit der Schrift zu prüfen. Victorinus hat dadurch den Vorteil, eine erschlagende Masse an biblischen Belegen für seine Theologie aufbieten zu können. Der exegetische Teil in Adversus Arium I geht wieder in einen argumentativen Teil über, dessen Fokus auf der Widerlegung der Homöusianer liegt. Victorinus wollte dieser Auseinandersetzung offenbar keine eigene Schrift widmen, sondern
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alles innerhalb eines Werkes abhandeln. Dafür lassen sich mehrere Gründe annehmen: Erstens lassen sich die Homöusianer dadurch einfacher so darstellen, als verträten sie nur eine modifizierte Variante des Arianismus. Zweitens kann man diesen erneuten Argumentationsteil als einen weiteren Praxistest für die Möglichkeiten der nizänischen Theologie ansehen: Mit diesen Grundlagen, die gegen eine radikale Kritik am Nizänum formuliert worden sind, lassen sich auch andere Angriffe leicht abwehren. Zugleich erscheint die Theologie der Wesenseinheit als die einzig geeignete Waffe im Kampf gegen die arianische Lehre. Insgesamt gewinnt das Opus ad Candidum dadurch den Charakter einer Schrift „Gegen alle Häresien“, die die Wesenseinheit des Sohnes mit dem Vater betreffen. Neben Basilius von Ankyra und seinem Kreis werden auch Patripassianer, Valentinianer, Paulus von Samosata, Markell und Photin angegriffen. Damit reiht sich Victorinus in die Reihe derer ein, die die Suffizienz des Nizänums gegen jede Irrlehre betonen und daher jegliche Änderung oder Neuerung ablehnen. Das Opus ad Candidum legt in jeder Hinsicht die Grundlagen für die späteren Schriften und fungiert damit als Einführung in die Trinitätstheologie des Victorinus. Der Leser begegnet hier der Terminologie und den inhaltlichen Grundlinien des victorinischen Denkens.²³⁷ Die Entwicklung innerhalb der Schrift ist einem didaktischen Konzept des Autors geschuldet und nicht auf seine eigene Entwicklung zurückzuführen. Die Umsetzung des Lehrprogramms in Form eines Briefwechsels erinnert dann an Werke wie Senecas Epistulae morales, die ebenfalls als literarisches Produkt einem gezielten didaktischen Aufbau folgen.²³⁸ Damit gehört Victorinus in eine lange Tradition philosophischer Schriftstellerei in der Form von echten oder fiktiven Briefen, die durch die Zusammenstellung zu einem Corpus eine planvolle Entwicklung von Gedanken und Lehren darstellen.²³⁹ Die weiteren Schriften können sich dann auf dieser Grundlage Spezialproblemen widmen, die in der Einleitungsschrift nur tangiert wurden oder aus dieser entwachsen. Die These, dass alles aus Gott stammt und der Sohn somit nicht aus dem Nichts sein kann, zieht die Frage nach sich, wie das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist. Schließlich könnte als falsche Konsequenz daraus auch mit gnostischen Texten eine Homousie der menschlichen Seele abgeleitet werden.
S.o. Anm. 113. Raspanti, Mario Vittorino, 48 erklärt ähnlich die Tatsache, dass Victorinus das erste Buch von De inventione viel ausführlicher kommentiert: Im ersten Buch werden alle Grundbegriffe und Voraussetzungen geklärt, die die Schüler für das weitere Verständnis benötigen. Vgl. zum didaktischen Aufbau die knappe Zusammenfassung der Ergebnisse bei Maurach, Bau, 199 – 206, zur Fiktionalität der Senecabriefe vgl. Abel, Das Problem der Faktizität, Hermes 109 (1981), 472– 499. Vgl. den knappen Abriss zu dieser Tradition bis Jamblich bei Maurach, Bau, 181– 195.
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Diese Themen werden im Opus ad Candidum auch schon behandelt, erhalten aber in der Schrift Adversus Arium Ib jetzt breiteren Raum. Das Schöpfungs- und Erlösungshandeln wird aus dem Wesen Gottes abgeleitet. Zugleich widerfährt dem Heiligen Geist als dritter Hypostase eine ausführlichere Behandlung. Im Zusammenhang der Schrift Ib erschließt sich dem Leser, warum Victorinus die Homousie des Geistes im Opus ad Candidum stets impliziert hat, da hier der Sohn als eine Dyade aus Heiligem Geist und λόγος vorgestellt wird. Man darf auch hier nicht dem Fehlschluss verfallen, Victorinus entdecke die Wichtigkeit des Heiligen Geistes erst im Laufe der Zeit durch das Auftreten der ersten Pneumatomachen.²⁴⁰ Ziegenaus vermutet vorsichtig, die Passagen über den Heiligen Geist im Opus ad Candidum könnten anlässlich der Gesamtrevision eingetragen worden sein. Für die Schrift Ib hält er den Vorwurf, Victorinus habe nur eine Binität im Blick, für nachvollziehbar, auch wenn er das doppelt-dyadisch Wesen Gottes bei Victorinus klar erkennt.²⁴¹ Der Heilige Geist wird zum einen also aus didaktischen Gründen zunächst weitgehend ausgeblendet, da für Victorinus der eingeborene Sohn die Dyade aus Heiligem Geist und λόγος ist. Der Leser hat so die Gelegenheit im Opus ad Candidum erst einmal die Homousie von Vater und Sohn nachzuvollziehen. Er wird dort aber bereits darauf gestoßen, dass der Heilige Geist ebenfalls in diese Homousie einzubeziehen ist. In der Schrift Ib erfährt er dann, dass der Heilige Geist ebenfalls der Sohn Gottes ist. Das Gottesbild wird also von Schrift zu Schrift komplexer, wie Ziegenaus ganz richtig bemerkt. Daneben hat das Fehlen des Geistes auch einen sachlichen Grund: Das Opus ad Candidum legt die Fundamente der nizänischen Theologie zunächst vor allem gegen Arianer und Homöusianer. Der Heilige Geist ist in der Auseinandersetzung mit diesen Gruppen zunächst nicht Gegenstand der Debatte. Das wichtige Beweisziel gegen die beiden Gruppen ist der Nachweis der Homousie des präexistenten Christus mit Gott. Auch Drecoll erachtet die Behandlung des Heiligen Geistes als „systemimmanent“ und nicht durch erste Auseinandersetzungen mit den Pneumatomachen motiviert, da deren Positionen und Argumente nicht ausführlich thematisiert werden.²⁴² Adversus Arium II verfolgt als Hauptziel, das Wort ὁμοούσιος angemessen ins Lateinische zu übertragen. Die Schrift ist damit wesentlich weniger komplex als die vorgehenden und behandelt einen Einzelaspekt ausführlich, der im Opus ad Candidum nur nebenbei angesprochen wurde. So Hadot, SC 69, 925 zu Adv. Ar. III. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 115 – 117. Drecoll, Art. „Marius Victorinus“, RAC 24 (2012), 138 f. Auch Voelker, Marius Victorinus, 209 Anm. 494 weist darauf hin, dass der Heilige Geist von Anfang eine Rolle im Denken des Victorinus spielt.
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Adversus Arium III knüpft direkt an die Argumentationen der Schrift Ib an, was schon dadurch deutlich wird, dass die ersten Kapitel eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Schlusskapitel von Ib sind, außerdem werden wichtige Formulierungen aus Ib aufgenommen. Die Schrift befasst sich mit der immanenten und ökonomischen Aufgabe des Heiligen Geistes und vertieft damit die pneumatologischen Ansätze von Ib. Die mit Abstand komplexeste Schrift Adversus Arium IV stellt das Verhältnis von Vater und Sohn als Verhältnis von reinem, unerkennbaren Wirken und determinierter, erkennbarer Gestalt dar.Victorinus steht damit nicht im Gegensatz zu seinen früheren Schriften, sondern es handelt sich vielmehr um eine Akzentverlagerung. Dort hatte Victorinus stets mehr auf den Vater als ruhenden Urgrund der Trinität abgehoben, aus dem der Sohn als Aktivität hervorgeht. Dabei galt aber immer, dass der Sohn vor seiner Zeugung bereits verborgen im Vater existiert. Das ruhende Sein des Vaters ist für Victorinus keine passive Potenz im aristotelischen Sinne, sondern ein dynamisches, im Inneren wirkendes Vermögen.²⁴³ In der Schrift Adversus Arium IV betrachtet Victorinus diesen anderen Aspekt des väterlichen Wesens als reiner Tätigkeit und buchstabiert so den aktiven Potenzbegriff mit seinen Konsequenzen für die Homousie aus. Mit diesem Perspektivwechsel nähert sich Victorinus noch einmal dem dialektischen Verhältnis zwischen der Unerkennbarkeit des Vaters für sich und seiner Erkennbarkeit durch den wesenseinen Sohn. Dieses dialektische Vorgehen ermöglicht es Victorinus, sich wie in keiner anderen Schrift dem Wesen des Vaters anzunähern. Daher steht die Schrift mit einem gewissen Recht nach den übrigen Schriften, deren Gedanken sie voraussetzt und nicht aufhebt, sondern spannungsvoll anreichert. Den Abschluss der Schrift bilden dann noch einmal zusammenfassende Überlegungen zur soteriologischen Relevanz der Trinitätstheologie, die bereits in den vorigen Schriften verschiedentlich thematisiert wurde. Am Schluss steht die sehr knapp argumentierende Schrift De homousio recipiendo, die keine wirklich neuen Gedanken mehr entfaltet. Sie wirkt mit ihrem erneuten Vorschlag, das Bekenntnis um Immanenzformeln zu erweitern, wie ein abschließende Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des Gesamtwerkes.²⁴⁴ Insgesamt fällt auf, dass das Corpus so arrangiert ist, dass auf je zwei komplexe und tiefgehend argumentierende Schriften jeweils eine weniger anspruchsvolle
Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 131. Auch die praefatio in PL 8, 999AB schließt sich dem Urteil des Herausgebers des Codex Theodosianus Gothofredus (Godefroy) an, der die Schrift eine Zusammenfassung des Gesamtwerkes nennt. Vgl. Gothofredus, Codex Theodosianus, tom. VI (lib. XVI), ad XVI 10, p. 251: Atenim lucubratiuncula de recipiendo ὁμουσίῳ, quae nihil aliud est quam Epitome librorum de Trinitate, posterius ab eo scripta fuit.
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Schrift folgt. Der zweite Candidus-Brief, Adversus Arium II und De homousio recipiendo wirken so jeweils wie Unterbrechungen und Ruhepausen im Werk. Man kann vermuten, dass Victorinus die Schriften im Sinne der Leserfreundlichkeit so arrangiert hat. Überdies gibt der zweite Candidusbrief noch einmal Anlass zur Wiederholung der wichtigsten antiarianischen Spitzensätze, die auf die langen Ausführungen in Adversus Arium I vorbereiten. De homousio recipiendo fasst die wichtigsten Ergebnisse abschließend zusammen. Die beiden Schriften haben also auch rekapitulierende Funktion. Die Hymnen schließen das Corpus mit einem gewissen Recht ab. Hier argumentiert oder polemisiert Victorinus nicht mehr, sondern setzt die Lehre der vorhergehenden Schriften voraus und stellt sie im Gebet dar. Der Gedanke Smolaks, dies als ein Identifikationsangebot an den Leser zu verstehen, leuchtet durchaus ein. Der Leser, der die Überzeugungen des Victorinus nun teilt, kann die theoretischen Einsichten im persönlichen Gebet nachvollziehen. So wird das Gesamtwerk von einer Klammer zusammengehalten, die den didaktischen Fortschritt markiert: Es beginnt beim starken Zweifel an der Homousie und endet im überzeugten Gebet. Die ausführliche literarische Analyse der Schriften zeigt, dass nicht nur die Anlage der einzelnen Schriften, sondern auch das theologische Gesamtwerk des Victorinus einem schlüssigen Plan folgt. Die Schwierigkeit für den Leser kann dabei nur zum Teil auf kompositorische Eigenheiten der Schriften zurückgeführt werden. Sie scheint insbesondere auf der inhaltlichen und terminologischen Ebene zu liegen.²⁴⁵ Die Annahme großflächiger und mechanistischer Quellennutzung durch Victorinus ist nach dieser Analyse nicht mehr notwendig. Die Unterschiede zwischen den Schriften können mit Blick auf die jeweilige Intention der Schrift begründet werden und müssen nicht zur Annahme je unterschiedlicher Quellen führen. Der gedankliche Fortschritt innerhalb des Gesamtwerkes bedeutet nicht automatisch, dass der Autor erst in die Thematik hineingewachsen ist, sondern ist besser auf eine didaktische Konzeption der Schriften zurückzuführen. Allein der Themenreichtum des Opus ad Candidum zeigt, dass bei Beginn seiner theologischen Schriftstellerei die Grundlinien der Theologie des Victorinus schon feststehen. Diese Grundlinien arbeitet er dann mit Blick auf die spezifischen Themenstellungen der späteren Schriften in ganz unterschiedlicher Weise weiter aus.
S. dazu unten 239 – 255.
E Die Trinitätslehre des Victorinus 1 Überblick: Einheit und Verschiedenheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist Der Untersuchung der Einzelaspekte soll ein knapper Überblick über die Grundlinien der Trinitätstheologie des Victorinus vorangestellt werden. Der Begriff ὁμοούσιον drückt für Victorinus drei Aspekte im Verhältnis von Vater und Sohn aus: ihre Gleichewigkeit, ihre substantielle Einheit und ihre reziproke Immanenz.¹ Diese Aspekte versucht er, mit verschiedenen Konzepten zum Ausdruck zu bringen. Er harmonisiert die Vorstellung der Gleichewigkeit des Sohnes mit dessen Zeugung durch den Vater, indem er den Vater als potentielles Vermögen (potentia) auffasst, das alles bereits in sich trage, was der Sohn als aktualisierte Aktivität (operatio, actio, u. ä.) sei. Diesen Gedanken kann Victorinus auch durch den Unterschied ausdrücken, dass der Vater alles im Verborgenen (in occulto) sei, was der Sohn offenbar (in manifesto) ist. Den Vater versteht Victorinus dabei als ein ruhendes Sein (esse), das in sich bereits ein inneres Tätigsein (agere) trägt, das im Sohn nach außen tritt und handelt, ohne die Ruhe des Vaters zu stören. Sein und Handeln sind aber untrennbar und reziprok ineinander, sodass auch der Vater in gewisser Weise als aktiv betrachtet werden kann und der Sohn als die Aktivität dasselbe Sein wie der Vater hat.² Den Vater bezeichnet Victorinus daher in paradoxen Wendungen zum Beispiel als untätige Tätigkeit (actio inactuosa) oder ruhende Bewegung (cessans motus).³ Die Einheit von ruhendem, potentiellen Sein des Vaters und aktuellem, offenbarem Handeln des Sohnes ermöglicht es, zwei verschiedene theologische Anliegen zum Ausdruck zu bringen: Der Vater kann einerseits durch den Sohn
Vgl. hierfür insbesondere seine Erklärungen des Begriffs in Adv. Ar. II, insbes. in II 10 (110,24– 111,14 Locher) die Herleitung von ὁμο- (Ausdruck der substantiellen Einheit) und ὁμοῦ (Ausdruck der Gleichewigkeit) und in II 11 (112,1– 15 Locher), homous. 4 (171,3 Locher) die Formel deus in deo, lumen in lumine zum Ausdruck der reziproken Immanenz. Victorinus begründet dies exegetisch u. a. mit einer Kombination von Ps 35,10 LXX und Joh 14,9 (112,20.24 f. Locher); vgl. die gleiche Kombination bei Didym. Ps. 35,10 (P.Köln Theol. 53 p. 240,1– 4; 60 Gronewald). Vgl. hierzu etwa Ad Cand. 17– 23. Vgl. Adv. Ar. I 13: Sed maior pater, quod ipse dedit ipsi omnia, et causa est ipsi filio, ut sit et isto modo sit. adhuc autem maior [sc. pater] quod actio inactuosa. Beatior enim, quod sine molestia et impassibilis et fons omnium, quae sunt, requiescens, a se perfecta et nullius egens. Filius autem, ut esset, accepit et in id, quod est agere, ab actione procedens in perfectionem veniens motu efficitur plenitudo, factus omnia, quae sunt. (42,29 – 43,4 Locher) und IV 8: esse enim primus motus est, qui cessans dicitur motus, idem intus motus. (141,26 f. Locher) https://doi.org/10.1515/9783110987577-005
1 Überblick: Einheit und Verschiedenheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist
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schöpferisch und erlösend an der Welt handeln, ohne dass andererseits die Ruhe und Unwandelbarkeit seiner Göttlichkeit dadurch in Gefahr geriete. Victorinus konzipiert den Sohn als eine Dyade aus Heiligem Geist und Logos, die beide im Unterschied zum Vater nach außen gerichtete Aktivitäten sind.⁴ Die drei werden in ihren Eigenheiten mit der Triade esse, vivere, intellegere hinsichtlich ihrer Aktivität voneinander unterschieden: Der Vater ist als ruhendes Sein die Ursache der lebensspendenden Aktivität des Logos und der erkenntnisstiftenden Aktivität des Heiligen Geistes. Aufgrund ihrer substantiellen Identität sind aber alle drei Aspekte jeweils ineinander enthalten: Das Sein ist zugleich Leben und Denken, wie das Leben zugleich Sein und Denken und das Denken zugleich Sein und Leben. Dies hat seine Ursache darin, dass Leben und Denken aus dem Sein des Vaters hervorgehen und der Vater jeweils in den beiden bleibt. Damit bringt Victorinus die reziproke Immanenz von Vater und Sohn philosophisch zum Ausdruck. Jede Hypostase zeichnet sich aber durch ihre Aktivität besonders aus, die ihre hypostatische Eigenheit ausdrückt: In diesem Sinne ist der Vater besonders das Sein, der Logos besonders das Leben und der Heilige Geist besonders das Denken.⁵ Die Zeugung des Sohnes stellt Victorinus als ein Hervorgehen der inneren Aktivität des väterlichen Seins dar: In seinem Inneren verborgen hat der Vater bereits eine höhere Form der Aktivität und eine Bewegung, die im Sohn aktualisiert nach außen tritt. Das potenzielle Sein des Vaters ist also nicht aktivitätslos im absoluten Sinne, sondern besitzt in sich eine Aktivität, die sich selbst nach außen bewegen kann. Die Zeugung des Sohnes ist daher eine Selbstzeugung des Sohnes nach außen, die die Ruhe des Vaters nicht stört und sein göttliches Wesen nicht mindert. Der Sohn vermittelt als nach außen getretene Aktivität des Vaters das Sein an die Vgl. für die dyadische Struktur etwa Adv. Ar. Ib 49: De deo et de λόγῳ, hoc est de patre et filio, dei permissu sufficienter dictum, quod unum quae duo. Dictum et de λόγῳ, hoc est de filio et de sancto spiritu, quod in uno duo. Si igitur, quae duo, unum et in uno duo, illud unum, in quo sunt duo, quoniam cum illo est ex aeterno cum ipso semperque simul sunt sibi invicem eadem, duo unum sunt, necesse est igitur ista idem esse. (84,22– 27 Locher) Für die Bewegung der zweiten Dyade z. B. Adv. Ar. III 3: Ita dei filius Christus, id est λόγος, et filius vita, et quia idem motus, etiam et cognoscentia filius est opere, quo vita est, Iesus exsistens, opere autem, quo cognoscentia est, spiritus sanctus et ipse exsistens, ut sint exsistentiae duae Christi et spiritus sancti in uno motu, qui filius est. (122,33 – 123,4 Locher) Vgl. z. B. Adv. Ar. IV 8: Vivit quod primum est, vivit ex sese, vivit aeternum, et hoc deus est. Quod ipsum vivit, ut docui, exsistentiae vel substantiae vim habet et naturam vitae et intellegentiae, immo ipse in eo, quod est ei esse, hoc est illud, quod dicimus vivere, et hoc, quod intellegere, et hoc deus est. Ergo quod est deo esse, exsistentiae causa et pater est. Et quoniam in ipso suo esse vita ei est, et in eo etiam nosse, qui sit, et vitae universalis et intellegentiae fons est. De tribus enim istis, quae simplici exsistentia in deo sunt, vel quae deus sunt, magis esse deus est, quod ex se habet vivere et vitam esse vel intellegere et intellegentiam esse, ut et supra docuimus et in pluribus, ut iam reliqua duo, vitam dico et intellegentiam, accipiamus ut genita ab eo, quod est esse, suum esse habentia ab eo, quod est primum esse, motu propriore exsistendi vim ac nomen vitae intellegentiamve sortita. (141,12– 24 Locher)
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E Die Trinitätslehre des Victorinus
Schöpfung und vollzieht als Christus und Heiliger Geist das Erlösungshandeln Gottes an der Welt.⁶ Der Sohn wirkt das Heil dadurch, dass er das eigentlich unerkennbare Wesen des Vaters für die menschliche Erkenntnis zugänglich macht. Der Vater zeichnet sich durch ein unbegrenztes, formloses Sein aus, das nicht erkannt werden kann. Nur dadurch, dass der Sohn die dem Sein des Vaters inhärente Form ist, wird das väterliche Sein der menschlichen Erkenntnis zugänglich.⁷ Hierin liegt der soteriologische Aspekt der Trinitätstheologie des Victorinus: Das Heil des Menschen ist seiner Ansicht nach davon abhängig, dass der Mensch vollständiges Wissen über Gott erlangt.⁸ Das ist nur dann möglich, wenn der Sohn wirklich und vollkommen das Wesen des Vaters offenbart, da nur durch ihn der Vater erkennbar ist. Daher ist die Homousie von Vater und Sohn die zentrale Voraussetzung für die Möglichkeit des Menschen, Gott zu erkennen und so zum Heil zu gelangen. Die Trinitätstheologie ist für Victorinus kein philosophisches Glasperlenspiel, sondern der Kern christlicher Theologie. Victorinus bedient sich philosophischer Konzepte, um seine Trinitätstheologie zu entfalten. Es zeigt sich aber, dass es meist schwierig ist, eine klare Quelle für sein Denken zu benennen, da sich viele Gedanken in ganz unterschiedlichen Kontexten finden, in den seltensten Fällen aber in der exakt gleichen Form wie bei Victorinus. Ich möchte im Folgenden zeigen, dass Victorinus eine Vielzahl an Texten und Strömungen seiner Zeit kannte und in vielfältiger Weise am zeitgenössischen philosophischen und christlich-theologischen Gespräch partizipierte. Möglicherweise hat er auch Texte gelesen, die heute in der Regel als gnostisch eingeordnet werden. Die Texte aus dem Nag-Hammadi-Corpus, zu denen Victorinus eine besondere Nähe Für den Sohn als Schöpfungsmittler vgl. z. B. Adv. Ar. Ib 52: Si igitur esse dei non ab eo, quod sibi, esse omnibus praestat, sed ministrante hoc, quod est vitam esse, ipsum autem vitam esse in eo est, quod est dei esse, unum et idem est. Quiescente quod est esse patricum, eo, quod est, esse vitae secundum identitatem motum est ex sua potentia a patrica potentia dependens. (88,6 – 11 Locher) Zur Einheit Christi und des Heiligen Geistes als Leben und Denken und ihrem ökonomischen Handeln vgl. insgesamt Adv. Ar. III 8, bes: Filius igitur unicus in eo, quod filius, in eo autem, quod λόγος, geminus. Ipse enim vita, ipse cognoscentia utroque operatus ad animarum salutem, mysterio crucis et vita, quia de morte liberandi fueramus, mysterio autem cognoscentiae per spiritum sanctum, quia is magister datus et ipse omnes docuit et testimonium de Christo dixit, quod est cognitionem vitam agere et ex hoc deum cognoscere, quod est vitam veram fieri, et hoc est testimonium de Christo dicere. (122,26 – 33 Locher) Vgl. etwa insgesamt Adv. Ar. IV 28, bes.: Verum quoniam imaginem dei filium dicimus dei (genita est enim forma, ut ab eo, quod est esse, vivere, intellegere, gigneretur exsistentia, vita, intellegentia. Quaedam enim in his forma est, per quam, ut per imaginem, intellegatur, quid sit esse, vivere et intellegere), necessario per formam intellegitur deus. Nam ipsum nemo vidit umquam. Ergo forma dei, cum accipitur in deo, deus est. (160,21– 26 Locher) Vgl. z. B. Adv. Ar. III 8 mit Verweis auf Joh 17,3 (122,16 – 22 Locher).
2 Das Problem der Terminologie und Paradoxie
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zeigt, sind aber auch philosophisch durchdrungene Reflexionen christlicher Theologie. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Victorinus als philosophisch interessierter Mensch gerade solche Formen christlicher Theologie zur Kenntnis genommen hat und Anregungen daraus aufgenommen hat. Jedoch zeigt sich immer wieder, dass bestimmte Themen und Konzepte nicht konkret einer gemeinsamen Quelle zugewiesen werden können, sondern dass sie einem breiteren Diskursraum angehören. Victorinus folgt nicht blind bestimmten Quellen, sondern ordnet alles seinem Ziel unter, die Homousie von Vater und Sohn zu beweisen, die für ihn eine zentrale soteriologische Bedeutung hat.
2 Das Problem der Terminologie und Paradoxie 2.1 Vorbemerkungen Die Herausforderung, einen inhaltlich neuen Bereich theologisch-philosophisch zu erschließen und dabei auch terminologisch Neuland zu betreten, trägt mit dazu bei, dass die Trinitätstheologie des Victorinus als schwer verständlich wahrgenommen wird.⁹ Für systematische Abhandlungen der Trinität unter dem Gesichtspunkt der
Vgl. zur terminologischen Leistung des Victorinus Bruce, Marius Victorinus, 220 – 222; Hadot, vocabulaire, StPatr 1 (1957), 194– 208; Tommasi, coinages, StPatr 43 (2006), 505 – 510. Gegen Bermon, Grammar, StPatr 70,18 (2013), 241– 250 halte ich es nicht für wahrscheinlich, dass die ungewöhnlichen Formen von esse in der Ars grammatica breviata auf Victorinus zurückgehen, vgl. Aug. gramm. 76 Bonnet (IV 31 Weber): […] sed docti quidam temporis recentioris cum haberent necessitatem magna et divina quaedam interpretandi explicandique et essendi et essendo et essendum et essens dixerunt […]. S. 249 bemerkt Bermon selbst, dass keine dieser neugeprägten Formen von esse bei Victorinus belegt ist, und führt diese daher mit starker Belastung von dixerunt über eine mündliche Tradition auf Victorinus zurück. Angesichts der vielen Diskussionen von Existenzbegriffen in seinem Werk wäre es aber sehr erstaunlich, hätte Victorinus nicht zumindest beiläufig auf diese sprachliche Innovation verwiesen. Er zeigt auch sonst keine Zurückhaltung mit solchen Neuprägungen. Zwei andere Erklärungen sind möglich: Erstens könnte man die Tatsache, dass diese Formen sonst nur in anderen Werken Augustins vorkommen, als Argument gegen die Verfasserschaft Augustins im Falle der Ars grammatica ins Feld führen. Die „docti“, denen diese Innovation zugeschrieben wird, können dann ein Verweis auf Augustin sein. Zweitens kann man hierin auch einen Verweis auf uns unbekannte lateinische Neuplatoniker sehen. Bermon macht plausibel, dass solche Wortschöpfungen im Zusammenhang ontologischer Diskussionen des Neuplatonismus entstanden sein könnten, da ein Zusammenhang zu „großen göttlichen Gegenständen“ hergestellt wird. Wenn Augustin der Verfasser ist, dann haben wir es mit einem wertvollen Hinweis auf weitere lateinische Neuplatoniker wie Victorinus zu tun, der dadurch gleich weniger isoliert erscheint. Zu meiner Kritik an der Tendenz, solche Erscheinungen vorschnell Victorinus als dem einzig namentlich bekannten lateinischen Neuplatoniker der Zeit zuzuschreiben, s. auch oben S. 149, Anm. 216.
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Homousie kann Victorinus auf keine inhaltlichen Vorlagen zurückgreifen, da sein Projekt das erste dieser Art in der antiken christlichen Theologie darstellt.¹⁰ Dazu kommt die Schwierigkeit, prägnante und etablierte Begriffe der griechischen Theologie und Philosophie ins Lateinische übertragen zu müssen. Victorinus reiht sich mit seinen Versuchen, griechische Fachterminologie zu übersetzen, in eine lange Tradition römischer Fachschriftstellerei ein und schließt sich auch in der Methodik der Übersetzung der Fachterminologie an diese Traditionen an. Diese gängigen Übersetzungsstrategien lateinischer Autoren bergen die Gefahr, nicht immer eine präzise lateinische Terminologie zu schaffen. Vielmehr kann das Nebeneinander von Beibehaltung griechischer Begriffe, etymologischer Ableitung und pleonastischer Übersetzungen häufig zu zusätzlichen Verständnisproblemen führen.¹¹ Victorinus plädiert im Falle des ὁμοούσιον dafür, den griechischen Terminus beizubehalten, da dieser in einem Wort eine ganze Fülle lateinischer Bedeutungen ausdrücken könne. Aufgrund dieser Polyvalenz kann Victorinus keine letztgültige Übersetzung des Begriffes prägen, sondern bietet eine Vielzahl verschiedener Übertragungen an, die jeweils unterschiedliche Aspekte betonen.¹² Was für den zentralen Begriff der Theologie im Speziellen gilt, kann auf griechische Terminologie im Allgemeinen übertragen werden: Victorinus bevorzugt es grundsätzlich, schwierige und präzise Termini des Griechischen beizubehalten, bietet aber häufig auch Versuche lateinischer Übersetzungen an: So gebraucht er etwa τὸ ὄν und quod est bzw. quod est esse austauschbar wie auch ὕλη und materia bzw. materies. ¹³ Dagegen tauchen manche Begriffe ausschließlich oder fast ausschließlich im griechischen Original auf, besonders das vielseitige Wort λόγος übersetzt Victorinus fast nie. Nur in wenigen Ausnahmen spielt er mit den lateinischen Übersetzungen vox oder verbum, die ihm aber nie als völlig gleichwertiger Ersatz für den griechischen Begriff gelten.¹⁴
Vgl. Henry, The Adversus Arium, JTS 1 (1950), 43. Vgl. zu den Methoden der Übersetzung griechischer Fachterminologie und ihrer Probleme die knappe Systematisierung bei Fögen, Umgang, 259 – 276. Vgl. Adv. Ar. II 9 – 12. Die Beibehaltung des griechischen Wortes ist dabei weder typisch für Victorinus noch eine Eigenart des lateinischen Neuplatonismus, wie noch Geiger, C. Marius Victorinus I, 11 f. mit Anm. 2 meinte.Vgl. zur Übernahme von griechischen Lehnwörtern Fögen, Umgang, 261– 264. Vgl. in Eph. 1,4,68 f: […] in materie, quam ὕλην Graeci vocant; in Eph. 2,1,39: […] id est de hyle atque materia […]. Für das Nebeneinander der ontologischen Fachterminologie vgl. nur Ad Cand. 8 f.: Propter quod efficitur τῶν ὄντων iste naturalis ordo: ὄντως ὄντα, ὄντα, μὴ ὄντως μὴ ὄντα, μὴ ὄντα. Diximus autem, quae sint, quae vere sunt, et quae, quae sunt. Nunc autem dicemus, quae sint, quae non vere non sunt, et quae sint, quae non sunt. (15,13 – 18 Locher) Vgl. z. B. paradigmatisch die Reihung in Adv. Ar. Ib 55 f.: Vox igitur et λόγος et verbum isti tres […] unus λόγος, una vox, unum verbum […]. (91,8.13 Locher). Neben der Polyvalenz des Wortes ist auch
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Wenn Victorinus griechische Begriffe verwendet, liegt das in der Natur der philosophischen Fachschriftstellerei begründet. Bei Victorinus kommt noch hinzu, dass er sich in manchen Fällen für seine Terminologie auf den griechischen Bibeltext bezieht. Da der zeitgenössische Leser philosophischer Fachliteratur gewohnt ist, dass lateinische Autoren unterschiedliche Übersetzungen der griechischen Fachterminologie anbieten und diese teilweise beibehalten, dürfte dies keine besondere Hürde für die Lektüre der Schriften darstellen. Jedoch bringen diese Übersetzungsmethoden der Fachschriftsteller für die Leser allgemein das Problem mit sich, dass nicht überall eine präzise lateinische Terminologie an die Stelle der griechischen tritt.
2.2 Terminologische Diskussionen in Adv. Ar. I 30; II 4: Austauschbarkeit der Wesensbezeichnungen als Folge der Homousie Die terminologische Unschärfe ist aber nicht nur ein Problem der angemessenen Übersetzung von Fachterminologie ins Lateinische, sondern auch eine Folge des Axioms der Homousie von Vater und Sohn. Durch die Homousie werden für Victorinus alle Wesensaussagen über den Vater und den Sohn grundsätzlich austauschbar. Da Victorinus sich noch in einer Phase der Auseinandersetzungen gegen Homöer und Homöusianer befindet, in der es besonders die Einheit von Vater und Sohn zu begründen gilt, legt er in seinen Darstellungen oft mehr Wert auf die Betonung der Gemeinsamkeiten als auf die Differenzierungen von Vater und Sohn. Als geübter Übersetzer, scharfsinniger Philosoph und erprobter Didaktiker weiß Victorinus durchaus um die Notwendigkeit einer präzisen Terminologie und der sich dabei ergebenden sprachlichen Schwierigkeiten. Daher erörtert er an verschiedenen Stellen seines Werkes die Bedeutungsunterschiede verwandter Termini und definiert sie präzise, wo es ihm möglich ist.¹⁵ Dies unternimmt er auch an mehreren Stellen für die vielfältige Terminologie, mit der das Sein, die Existenz oder Substanz bezeichnet wird, da diese Kategorien für die Verteidigung der We-
ein mögliches Missverständnis ein Grund der unterbleibenden Übersetzung, man könnte sonst den Logos als substanzlose Äußerung Gottes verstehen, vgl. I 31: Non enim λόγος locutio quaedam est, sed potentia ad creandum aliquid confabulans his, quibus futurum est esse secundum ὀντότητος virtutem, unicuique propriam substantiam. Et ipse λόγος forma, quae cognoscentia est dei. (66,2– 5 Locher) und III 8: Non enim ut hic aer sonans verbum, sed ut hic aliquid agens verbum. (122,14 f. Locher) Auch Baron, Candidus, Theological Research 1 (2013), 83 weist darauf hin, dass Victorinus den griechischen Begriff um der größeren Präzision willen beibehält. Vgl. für ausführliche Untersuchungen der Existenzterminologie Ziegenaus, Seinsfülle, 163 – 174.178 – 181.182– 184.
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senseinheit von Vater und Sohn von großer Wichtigkeit sind. In Adversus Arium I 30 diskutiert er verschiedene philosophische Definitionen und ihre Bedeutungsunterschiede: Was bezeichnen wir als substantia? So haben es die Weisen und Alten definiert: etwas Zugrundeliegendes, was nicht in einem anderen ist.¹⁶ Und sie benennen für exsistentia und substantia ein unterscheidendes Merkmal¹⁷: exsistentia und exsistentialitas sind eine vorherexistierende Subsistenz (subsistentia) ohne Akzidenzien; wobei alles rein und allein für sich existiert, was im bloßen Sein (solum esse) ist, weil es subsistieren wird¹⁸. Substantia ist dagegen ein Zugrundeliegendes mit all den Akzidenzien, die in der Substanz untrennbar existieren. Wenn wir exsistentia und substantia nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auffassen, dann verwenden wir diese Begriffe, wenn wir unterschiedslos ein etwas-Sein (esse aliquid) bezeichnen. So soll es also sein, egal ob bei ewigen oder weltlichen Dingen. Man darf nämlich gleichermaßen exsistentia, substantia und das Sein (quod est esse) sagen. […] Nun bekennen wir aber, dass es auch dort [sc. bei Gott] eine substantia gibt, deren eigentliche Bedeutung es ist, irgendetwas Seiendes zu sein (aliquid ὄν esse).¹⁹
Vgl. dazu die Belegstellen bei Hadot, SC 68 in app.: Arist. cat. 5, 3a7.b10; met. VII 3 1028b35; Plot. enn. VI 1 (42) 3,12– 14. Der Begriff differentia ist ein terminus technicus der Definitionslehre und bezeichnet eine Eigenschaft, die zwei verwandte Begriffe voneinander unterscheidet und so durch wechselseitige Abgrenzung beide Begriffe definiert. Vgl. dazu die Ausführungen zur Definitionsweise κατὰ διαφοράν bei Mar.Victorin. defin. p. 21,12– 22,6 Stangl, insbes. 21,21– 22,1: […] hic duo, quae quasi cognata sunt et quadam inter se communione confusa, adiecta differentia secernuntur, per quam quid sit utrumque cognoscitur […]. Riesenweber, Critical Remarks, verbessert an dieser Stelle den Text: […] haec duo quasi cognita, sed quadam inter se communione confusa, adiecta differentia secernuntur, per quam quid sit utrumque . Dass alles Seiende quadam communione dasselbe ist, stellt auch einen Ausgangspunkt der Überlegungen in Adv. Ar. Ib 48 (84,16 f. Locher) dar. Der Halbsatz quod subsistent ist schwer verständlich. Hadot, SC 68, übersetzt das Futur deutlich und ergänzt, um eine sinnvolle Aussage zu erhalten: „[…] en tant qu’elles sont appelées ensuite a subsister.“ Dagegen ist der futurische Charakter nicht erkennbar bei Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 158: „[…] weil es zunächst nur Subsistenz ist.“ Ähnlich Balido, Scritti Cristiani, 211: „[…] perché sussistono.“ Möglicherweise ist der Text korrupt, vgl. die Anmerkung in CSEL 83/1, 108 in app. ad l. 24. Vielleicht sollte man besser dem Text Sichards folgen, der hier quod subsistat liest. Adv. Ar. I 30: Quid dicimus esse substantiam? Sicuti sapientes et antiqui definierunt: quod subiectum, quod est aliquid, quod est in alio non esse. Et dant differentiam exsistentiae et substantiae: exsistentiam quidem et exsistentialitatem praeexsistentem subsistentiam sine accidentibus, puris et solis ipsis quae sunt in eo quod est solum esse, quod subsistent; substantiam autem subiectum cum his omnibus quae sunt accidentia in ipsa inseparabiliter exsistentibus. In usu autem accipientes et exsistentiam et substantiam, ubicumque eodem modo esse aliquid significantes, utimur istis nominibus. Sit igitur sic, sive in aeternis, sive in mundanis; licet enim dici, sive exsistentiam, sive substantiam, sive quod est esse. […] Nunc autem fatemur quod sit ibi substantia, quae habet secundum proprium significatum hoc, aliquid ὂν esse. (64,1– 11.13 – 15 Locher) Vgl. hierzu auch Henry, Plotin, 55 für einen Vergleich ähnlicher Stellen bei Plotin.
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Dieser Abschnitt ist erstens beispielhaft dafür, wie Victorinus größte terminologische Präzision an den Tag legen kann und diese bewusst wieder aufhebt. Erst differenziert er im Anschluss an die philosophische Tradition subtil zwischen den Begriffen substantia und exsistentia: Die Substanz bezeichnet das Subjekt mit seinen Akzidenzien, ist ein definiertes und bestimmtes Etwas, während die Existenz eine höhere und reinere Form des Seins ohne akzidentielle Näherbestimmung bezeichnet. Dann rekurriert er aber schlicht auf den allgemeinen Sprachgebrauch, wonach diese Begriffe austauschbar sind und einfach bedeuten, dass etwas existent ist.²⁰ Dieser unphilosophischen Definition schließt er sich dann an: Da Gott existiert, kann man alle denkbaren Existenzbegriffe auf ihn anwenden. Zweitens ist der Abschnitt für den Umgang des Victorinus mit griechischen Begriffen paradigmatisch: Er benutzt hier teils ohne weitere Erläuterung präzise lateinische Äquivalente für griechische Fachtermini, so substantia für οὐσία, subiectum für ὑποκείμενον, exsistentia für ὕπαρξις, quod est esse für τὸ εἶναι²¹, teils behält er griechische Wörter bei, wie im Falle von aliquid ὄν esse. Während Victorinus hier programmatisch geformtes und definiertes Sein im Sinne der philosophischen Definition der substantia und das reine, unbestimmte Sein der exsistentia gleichsetzt und gleichermaßen auf Gott anwendet, unterscheidet er an anderer Stelle systematisch verschiedene Existenzbegriffe und wertet diese Differenzierung theologisch aus. In Adversus Arium IV entwickelt er das Konzept des Sohnes als der inneren und äußeren Form des Seins Gottes, die das unbestimmte Sein des Vaters definiert und erkennbar macht. Der λόγος fungiert hier als definitor des unendlichen väterlichen Seins. Für diese Konzeption ist eine strenge Unterscheidung zwischen dem reinen Sein (quod est esse, τὸ εἶναι) des Vaters und dem definierten Sein des Sohnes (τὸ ὄν) von grundlegender Bedeutung.²² Das entspricht der Unterscheidung von exsistentia und substantia, die Victorinus in Adversus Arium I 30 erklärt, ohne sie dort systematisch für seine Argumentation zu nutzen. Diese scheinbare Inkonsequenz kann erstens durch den jeweiligen Argumentationszusammenhang erklärt werden. In Adversus Arium I 30 will Victorinus gegen die Homöer beweisen, dass die Substanzterminologie zurecht ihren Platz in der
Ziegenaus, Seinsfülle, 174 weist zu diesem Rekurs auf den usus treffend darauf hin, dass man in Victorinus auch in Fragen der Terminologie „nicht nur den Metaphysiker, sondern auch den Rhetor sehen“ muss. Vgl. zu dieser Äquivalenz Adv. Ar. IV 19: […] quod est esse, Graece quod est τὸ εἶναι. (152,21 Locher) Vgl. Adv. Ar. IV 19. S.u. S. 279 – 284.
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Theologie hat.²³ In diesem Zusammenhang ist es vorerst unbedeutend, wie genau Gottes Existenz verstanden werden muss. Wichtig ist nur, dass die Rede von Gottes Substanz ganz allgemein damit gerechtfertigt werden kann, dass Gott in irgendeinem Sinne existiert, dass er also aliquid ὄν ist. Das Ergebnis dieser Argumentation ist, dass die Ablehnung der Substanzterminologie gleichbedeutend mit der Leugnung der Existenz Gottes wäre. Dagegen entfaltet Victorinus in Adversus Arium IV komplexe theologische Gedanken zum Verhältnis von Vater und Sohn ohne polemische Absichten gegen die Homöer und verwendet für diesen Kontext eine subtilere Terminologie. Eine weitere Beobachtung führt aber noch zu einer zweiten Erklärung dafür, warum Victorinus keine präzise terminologische Unterscheidung der Existenzbegriffe durchhält. Sie liegt in der Theologie der Wesenseinheit selbst begründet: Victorinus kann zwar an einigen Stellen logisch zwischen dem bloßen Sein des Vaters und dem definierten Sein des Logos unterscheiden, da jedoch Vater und Sohn dieselbe Substanz haben, werden diese Unterscheidungen zugleich wieder hinfällig. Victorinus nimmt die Homousie ernst und kann daher die Aussagen über das Sein des Sohnes auch auf den Vater beziehen, da sie eine untrennbare, gemeinsame Substanz besitzen.²⁴ Der Vater ist nur logisch als unbestimmtes Sein zu fassen, da er aber von Ewigkeit seinen Logos bei sich hat, ist er zugleich immer auch definiertes Sein. Die scheinbare terminologische Inkonsequenz hat also eine sachgemäße theologische Ursache. Deutlich wird dies in einer längeren Passage in Adversus Arium II 4, in der Victorinus sich nochmal ausführlich zur Terminologie äußert. Zunächst der Versuch, diese komplizierte Passage zu übersetzen, wobei ich bewusst auf eine Übersetzung der Existenztermini verzichte oder sie zumindest in Klammern originalsprachlich mit angebe, um den Abschnitt genau diskutieren zu können. Victorinus beabsichtigt als übergeordnetes Argumentationsziel, die Austauschbarkeit der Begriffe ὑπόστασις und οὐσία zu erweisen. Der Anlass dafür ist, dass einige Bibelstellen, die gegen die Homöer die Substanz-Terminologie als schriftgemäß erweisen sollen, im griechischen Original von ὑπόστασις und nicht von οὐσία sprechen. Dafür
Dass die Argumentation gegen die Homöer gerichtet ist, zeigt sich daran, dass Victorinus anschließend Schriftnachweise für die Substanz-Terminologie bringt, vgl. Adv. Ar. I 30 (64,16 – 65,7 Locher). Dies sieht auch Carraud, L’invention, Quaestio 3 (2009), 20 f. so. Allerdings argumentiert er S. 23 – 25 insgesamt dafür, exsistentia etymologisch als das Heraustreten des Sohnes zu deuten und hierin eine terminologische Neuerung des Victorinus zu sehen. Vorsichtige Hinweise auf die etymologische Verwendung gibt schon Ziegenaus, Seinsfülle, 174 Anm. 34. Einen systematischen Gebrauch will aber auch er nicht daraus ziehen, das lässt sich auch kaum aus der Verwendung der Begriffe bei Victorinus schließen.
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holt Victorinus weit aus, charakterisiert das Sein des Vaters als ein nicht determiniertes Sein, während er dem Sohn ein bestimmtes und determiniertes Sein zuschreibt. Da aber der Vater durch den Sohn erkannt wird, also das nicht determinierte durch das determinierte Sein, gehören beide untrennbar zusammen. Das ermöglicht die Austauschbarkeit der Terminologie: Aber dort [sc. in Jes. 23,18.22; Ps 138,15; Hebr 1,3]²⁵ steht im Griechischen ὑπόστασις, nicht οὐσία. Schauen wir also, was der Unterschied ist. Ὄντα nennen die Griechen sowohl das Seiende im ewigen Bereich als auch das auf der Welt und im irdischen Bereich. Im Ewigen ist also Gott die allesvermögende Ursache von allem und Quelle und Ursprung alles Seienden, d. h. τῶν ὄντων πάντων.Was also? Schreiben wir Gott nun das Sein (quod est esse) zu, oder schreiben wir allem Sein (esse) zu, Gott aber nicht? Nun verhält die Sache sich so, dass Gott das erste Sein (primum esse) ist. Da man aber nicht klar erfassen kann, wie Sein (esse) definiert ist, wird das Sein (illud esse), wenn es erfassbar wird, ὂν genannt, d. h. eine bestimmte Form, die der Erkenntnis zugänglich ist.²⁶ Ein so bestimmtes Sein (tale esse) wird nun ὂν und ὕπαρξις genannt. Jede ὕπαρξις hat das Sein (quod est esse). Aber nicht alles, was Sein (esse) ist, ist automatisch gleich ὕπαρξις oder ὂν, außer man bezeichnet es dem Vermögen nach, nicht aktualisiert als ὂν. Denn ὂν ist das durch eine bestimmte Gestalt²⁷ geformte Sein (formatum illud, quod est esse). Da aber das Reine nur dann als Reines erkannt wird, wenn es schon geformt ist – die Form ermöglicht ja erst die Erkenntnis –, geht daraus offensichtlich hervor, dass Form und das Geformte verschieden sind. Das Geformte ist dabei das Sein (esse); die Form ist dagegen das, was die Erkenntnis des Seins (illud, quod est esse) möglich macht. Das Sein (quod est esse) schreiben wir daher Gott zu, die Form aber Christus, da durch den Sohn der Vater erkannt wird, d. h. durch die Form wird das Sein (quod est esse) erkannt. Und hierzu steht geschrieben: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ (Joh 14,9)
Diese Bibelstellen nennt Victorinus zuvor als Schriftbeleg für die Substanzterminologie, vgl. Adv. Ar. II 3 (104,14– 19 Locher). An der ebenfalls angeführten Stelle Jer 23,18 hat die moderne Edition der LXX nicht ὑπόστασις, sondern ὑπόστημα, das im Lateinischen ebenfalls mit substantia übersetzt wird, nur in Jer 23,22 taucht ὑπόστασις auf. Auf den Unterschied zwischen lateinischem und griechischem Text von Jer 23,18 weist Victorinus auch in I 30 (65,1 f. Locher) hin. Zu diesem Zitat vgl. auch Vaccari, Le citazioni, Biblica 42 (1961), 461. Anders Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 219: „Aber da vorgestellt werden kann, daß er ist, ohne daß klar erfaßt wird, was er ist, wird dieses Sein von dem Augenblick an, da es begreifbar ist, ‚ὂν‘ genannt […].“ Vgl. den Kommentar S. 406, Anm. 350, wonach Verum potest accipi deum esse zu ergänzen sei. Anders dagegen noch in SC 68,407. Es geht hier in jedem Falle darum, die Unterscheidung zwischen indeterminiertem esse und determiniertem ὂν zu begründen: Da esse nicht genau definiert werden kann (quid sit), gibt es zur unterscheidenden Bezeichnung für das determinierte Sein den Terminus ὂν. Dabei verstehe ich illud esse als Versuch, τὸ εἶναι auf Lateinisch auszudrücken. Figura entspricht griechisch σχῆμα oder μορφή, vgl. das Zitat aus Phil 2,7 in Adv. Ar. I 21 (53,13 Locher).
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Gott ist also ὕπαρξις und der Sohn ist ὕπαρξις. Denn ὕπαρξις ist das Sein mit Form (cum forma quod est esse). Und da sie beide immer zugleich existieren (sunt), ist die Form Sein (esse) und das Sein (ipsum esse) Form. Daher ist der Vater im Sohn und der Sohn im Vater. Denn Sein (esse) ist zum einen im Vater, nämlich das, was dem Vermögen nach ist und was vor dem ist, was der Form nach ist. Zum anderen wiederum ist auch im Sohn Sein (esse). Aber er hat sein eigentümliches Sein (istud, quod est esse proprium) vom Vater, sodass er das Form-Sein (formam esse) hat. Sie sind also ineinander und beide sind eines. Also ist Gott ὂν und der Sohn ὂν. τὸ ὄν ist nämlich Sein mit Form (esse cum forma). Alles, was ὂν ist, ist Sein mit Form (esse est cum forma). Das wird auch exsistentia, substantia oder subsistentia genannt. Was nämlich ὂν ist, existiert (exsistit), subsistiert (subsistit) und ist ein Zugrundeliegendes (subiectum). Das Sein (quod est esse) ohne jegliche Verbindung ist dagegen, was einfach und eines ist. Wenn es näher bestimmt ist, ist es subsistentia und exsistentia und wird substantia genannt. Wenn man also von Gott subsistentia aussagt, dann kann man vielmehr auch substantia von Gott aussagen; und besonders kann man substantia sagen, weil es das Zugrundeliegende (subiectum) und das Anfängliche (principale) bezeichnet, was Gott zukommt. Nicht in dem Sinne Zugrundeliegendes (subiectum), wie es substantia in der Welt bezeichnet, sondern in einem ehrwürdigeren und primären Sinne zur Bezeichnung der Quelle des Alls, das wahre Sein (verum quod est esse), das Gott den Seienden (quae sunt) gibt, sodass ein jedes existiert (sit). Das Sein mit Form (esse formam habens) und das erste und bloße Sein (primum et solum) sind also homonym. Da dieses Sein (quod est illud esse) rein ist, ist es in höherem Sinne substantia. Da aber auch die Form Sein (esse) ist, ist auch sie substantia, aber dies wird ὑπόστασις genannt. Denn bereits geformtes Sein (formatum esse) ist subsistentia. Gott ist geformtes Sein (formatum esse), da er Gott und Vater ist; ebenso auch der Sohn, weil er λόγος und Sohn ist. Subsistentia wird also von beiden zugleich im eigentlichen Sinne ausgesagt, was substantia ist, da das anfängliche Sein mit Form (quod est esse principale cum forma) auch subsistentia genannt wird. Subsistentia wird aber auch substantia genannt. Und daher sagt man: aus einer substantia sind drei subsistentiae, sodass das Sein (id ipsum, quod est esse) auf dreifache Weise subsistiert (subsistat): Als Gott und Christus, das ist der λόγος, und als Heiliger Geist. Daher wird Gott zurecht eine ὑπόστασις zugeschrieben, und zurecht auch dem λόγος, d. h. dem Vater und dem Sohn. Das nennt man auf Lateinisch aber substantia, da ich schon gesagt habe, dass man das Sein (quod esse est) auch substantia nennen kann, besonders das geformte Sein (formatum esse). Da sich dies so verhält, gibt es also einen Schriftbeleg für ὑπόστασις. Und dies ist dasselbe wie οὐσία, wie ich bewiesen habe.²⁸
Adv. Ar. II 4: At enim apud Graecos posita est ὑπόστασις, non οὐσία.Videamus, quid intersit. Ὄντα nominant Graeci tam ea, quae sunt in aeternis, quam ea, quae in mundo atque terrenis. In aeternis igitur deus est omnipotens causa omnium et fons et origo omnium, quae sunt, id est τῶν ὄντων πάντων. Quid igitur? Damus deo hoc, quod est esse, an omnibus damus esse, deo non damus? Equidem ratio sic se habet, ut primum esse sit deus. Verum quia potest accipi esse, non aperte quid sit, illud esse, si iam conprehendibile erit, ὂν dicitur, id est forma quaedam in notitiam veniens; quod tale esse iam ὂν et ὕπαρξις dicitur. Omnis ὕπαρξις habet, quod est esse. Quod autem est esse, non continuo καὶ ὕπαρξις est neque ὂν, nisi potentialiter, non in manifesto, ut ὂν dicatur. Est enim ὂν figura quadam formatum illud, quod est esse. Quod tamen purum tunc purum intellegitur, cum intellegitur iam formatum (forma enim in-
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Dieser Argumentationsgang steht ebenfalls paradigmatisch dafür, warum die stark philosophischen Passagen des Victorinus häufig so schwer verständlich sind: Zunächst unterscheidet er klar zwischen dem reinen, nicht determinierten und infiniten Sein des Vaters auf der einen Seite und dem geformten und definierten Sein des Sohnes auf der anderen. Das Sein des Vaters bezeichnet er mit dem Infinitiv esse oder bestimmt es näher als primäres Sein (primum esse), um den Vater als ontologische Ursache alles Seins zu beschreiben. In den Formulierungen quod est esse, illud esse oder ipsum esse kann man seinen Versuch erkennen, das Griechische τὸ εἶναι zu übertragen.²⁹
tellectum ingenerat) manifeste pronuntiat aliud esse formam, aliud, quod formatum est. Quod autem formatum est, hoc est esse; forma vero est, quae intellegi facit illud, quod est esse. Hoc ergo, quod est esse, deo damus, formam autem Christo, quia per filium cognoscitur pater, id est per formam, quod est esse. Et hic dictum est: qui me vidit, vidit et patrem. (Joh 14,9) Est ergo et deus ὕπαρξις et filius ὕπαρξις. Ὕπαρξις enim cum forma quod est esse. Et quia semper simul sunt, et forma esse est et ipsum esse forma. Unde pater in filio et filius in patre. Est enim esse et in patre, quod est potentia, quod prius est ab eo, quod est forma. Est item rursus et in filio esse. Sed istud, quod est esse proprium, a patre habet, ut sit illi formam esse. Alter ergo in altero et ambo unum. Ergo ὂν deus, ὂν filius, id est enim τὸ ὂν: esse cum forma. Omne enim, quod est ὂν, esse est cum forma. Hoc et exsistentia dicitur et substantia et subsistentia. Quod enim ὂν est, et exsistit et subsistit et subiectum est. Hoc autem est, quod est esse, sine connexo ullo, quod simplex est, quod unum. Manifestior igitur subsistentia et exsistentia est et substantia dicitur. Si ergo dicitur de deo subsistentia, magis de deo dicitur substantia et magis ista, quoniam subiectum significat et principale, quod convenit deo. Non sic autem subiectum, sicut in mundo substantia, sed quod honoratius et antiquius et secundum fontem universitatis, verum quod est esse, quod praestat deus his, quae sunt, ut unumquodque sit. Ὁμωνύμως ergo esse formam habens et primum et solum. Verum quoniam, quod est illud esse, purum est, hoc magis substantia est. Quoniam autem rursus et forma est esse, et ipsa substantia est, sed hoc ὑπόστασις dicitur. Iam enim formatum esse subsistentia est. Formatum autem est deus, quod deus est et pater; sic et filius, quod et λόγος et filius. Subsistentia ergo proprie dicitur de ambobus, quod est substantia, quoniam, quod est esse principale cum forma, subsistentia dicitur. Haec autem et substantia dicitur. Et ideo dictum est de una substantia, tres subsistentias esse, ut id ipsum, quod est esse, subsistat tripliciter: ipse deus et Christus, id est λόγος et spiritus sanctus. Ergo ὑπόστασις iure deo datur, iure λόγῳ, id est patri et filio. Id autem Latini substantiam dicunt, quia diximus et substantiam dici posse, scilicet id, quod esse est, magis formatum esse. Quae cum ita sint, lecta est ὑπόστασις. Haec autem est οὐσία, sicut probavimus. Ausdrücklich ist τὸ εἶναι mit quod est esse in Adv. Ar. IV 19 (152,21 Locher) gleichgesetzt. Der substantivierte Infinitiv findet sich insgesamt häufiger bei Victorinus, vgl. dazu Metzger, Marius Victorinus, Er. 72 (1974), 65 – 70. Metzger erklärt die Ausbreitung dieses grammatischen Phänomens in der Spätantike sowohl als Entwicklung der Volkssprache, die sich durch den Kontakt mit dem Griechischen weiterentwickelt hat, als auch als Konsequenz aus theologischen und philosophischen Bemühungen um präzise Formulierungen.
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Dieses primäre Sein ist wegen seiner fehlenden Definition nicht erkennbar, da ungeformtes Sein nicht erfasst werden kann. Nur das geformte und definierte Sein ist der Erkenntnis zugänglich und wird mit den Begriffen τὸ ὄν und ὕπαρξις bzw. dem lateinischen Äquivalent exsistentia bezeichnet. All diese Ausdrücke bezeichnen ein geformtes und erkennbares Sein und können synonym benutzt werden. Vater und Sohn sind also verschieden, gehören jedoch ebenso untrennbar zusammen: Der Vater ist das an sich unerkennbare, reine Sein, das nur dadurch erkennbar wird, dass es durch den Sohn geformt wird. Daher erkennt man den Vater nur durch den Sohn. Gerade weil der Vater und der Sohn aber ewig zusammen existieren, ist das Sein des Vaters nie wirklich ungeformt. Es handelt sich dabei nur um eine logische Unterscheidung, die durch die Gleichewigkeit von Form und geformtem Sein unterlaufen wird. Eben deshalb kann Victorinus auch den Vater als ὕπαρξις und τὸ ὄν bezeichnen, weil dessen reines Sein immer schon durch den Sohn geformt ist und somit erkennbar ist. Durch die Homousie von Vater und Sohn werden die Begriffsunterscheidungen also wieder zu einem gewissen Grade hinfällig.³⁰ Um sein Beweisziel zu erreichen, die Synonymie von οὐσία und ὑπόστασις zu erweisen, führt Victorinus dann noch deren lateinische Entsprechungen substantia und subsistentia ein und setzt sie zu den bisher verwendeten Termini ins Verhältnis. Die Begriffe subsistentia und substantia seien gleichbedeutend mit der exsistentia also dem geformten Seienden (ὕπαρξις, τὸ ὄν). Nun wendet Victorinus die zweigliedrige Definition des geformten Seienden als esse cum forma systematisch an. Alles geformte Seiende kann zergliedert werden in ein reines, unbestimmtes esse und eine determinierende forma, durch die das esse erkannt werden kann.³¹ Dieses zugrundeliegende esse kann auch mit anderen Verbalformen wie „es existiert“ (exsistit) oder „es subsistiert“ (subsistit) bezeichnet werden, während das geformte Sein mit den zugehörigen Substantiven exsistentia und subsistentia, aber auch als substantia bezeichnet wird.³² Zunächst ist also auf die Trinität angewandt vor allem der Sohn subsistentia und substantia als definierende Form des unbestimmten „er subsistiert“ (subsistit) des Vaters.
Vgl. dazu auch Huber, Das Sein und das Absolute, 114 und Ziegenaus, Seinsfülle, 183. Gegen Benz, Marius Victorinus 61 hat die Bestimmung als esse cum forma also immer die Einheit des Vaters und des Sohnes im Blick und ist keine Bezeichnung für „die erste Hypostase in ihrem Fürsichsein als Seiendes.“ Die systematische Unterscheidung zwischen dem Infinitiv bzw. der Verbalform und dem Substantiv ist also kein neuer Gedanke der Schrift Adversus Arium IV, sondern schon vorher für das Denken des Victorinus wichtig. Diese spätere Schrift ist dann nur ganz unter dieses Vorzeichen der Unterscheidung von vivere/vivit und vita bzw. intellegere/intellegit und intellegentia gestellt. S. dazu auch S. 192, Anm. 113; S. 279 – 284.
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Das Wort substantia bezeichnet aber nicht nur das geformte Sein, sondern kann auch im Sinne von subiectum definiert werden. Das subiectum (ὑποκείμενον) ist in der aristotelischen Kategorienlehre das Zugrundeliegende, das durch das Hinzutreten von Akzidenzien näherbestimmt wird.³³ Mit dem richtigen Verständnis dürfe man das unbestimmte Sein des Vaters als das anfängliche Zugrundeliegende bezeichnen. Das erklärt sich dadurch, dass das unbestimmte Sein des Vaters der näheren Bestimmung durch den Sohn zugrunde liegt. Der Sohn ist das So-Sein, in gewisser Weise also die Qualität der väterlichen Substanz.³⁴ Die aristotelischen Begrifflichkeiten müssen dabei in Bezug auf Gott grundlegend anders als bei sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen verstanden werden. Das schließt an die Äußerungen des Candidus an, der die Rede von der substantia Gottes vollständig ablehnt, da er den Begriff im Sinne des aristotelischen subiectum versteht. Candidus lehnt die Verwendung des Begriffes ab, da die Substanz in der Kategorienlehre als Zugrundeliegendes aufnahmefähig für verschiedene Eigenschaften sei und es damit eine Trennung zwischen Substanz und Eigenschaft gebe, was der Einfachheit Gottes zuwiderlaufe. Zudem sei das, was verschiedene Eigenschaften aufnimmt, ontologisch nachrangig gegenüber den primären Eigenschaften. Daher müsse Gott als substanzlos bezeichnet werden.³⁵ Diese Kritik nimmt Victorinus hier auf, indem er klarstellt, dass die Terminologie der Kategorienlehre in Bezug auf Gott ganz anders verstanden werden müsse. Mit dieser Kautel kann Victorinus daher den Vater als substantia im Sinne von subiectum bezeichnen, während er den Sohn im Sinne des geformten Seins substantia nennt.³⁶ Damit kommt Victorinus zu dem Schluss, dass Vater und Sohn beide als geformtes Sein (subsistentia) bezeichnet werden können; der Vater, weil er durch den Sohn geformt wird, der Sohn, weil er selbst die Form ist. Der Vater kann in dem Sinne substantia genannt werden, dass er als reines Sein ein subiectum darstellt, das
Vgl. Arist. cat. 2, 1a20 – 1b9. Gegen Ziegenaus, Seinsfülle, 180 macht Victorinus diese Definition des Substanzbegriffes im Sinne der Kategorienlehre also durchaus nutzbar. Zum Sohn als dem So-Sein vgl. z. B. Adv. Ar. III 1: Omne autem, quod est unicuique suum esse, substantia est. Sed hoc esse, quod dicimus, aliud intellegi debet in eo, quod est esse, aliud vero in eo, quod est ita esse, ut unum sit substantiae, aliud qualitatis. Sed ista istic in sensibilibus et in mundo. At in divinis et aeternis ista duo unum. (114,13 – 17 Locher) S. dazu u. S. 278 f. Vgl. Cand. 2.8 (2,8 – 16; 7,9 – 16 Locher). Gegen Ziegenaus, Seinsfülle, 165, der aber auch nur den vorherrschenden Substanzbegriff des Victorinus analysieren will, der dann schon meist im Sinne des geformten Seins benutzt wird. Mit dieser Bestimmung Gottes als einer zugrundeliegenden Substanz partizipiert Victorinus an einer zeitgenössischen Diskussion. Zu einer ähnlichen Kritik in der pseudathanasianischen vierten Arianerrede, s. dazu unten S. 278 f.
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durch den Sohn definiert und gewissermaßen qualifiziert wird. Der Sohn ist substantia in dem Sinne, dass damit auch ein geformtes Sein bezeichnet werden kann. Insgesamt steht der Leser vor einer doppelten Herausforderung, wenn er diese Argumentation des Victorinus nachvollziehen will: Zum einen spielt Victorinus mit der Mehrdeutigkeit der Fachtermini, zum anderen kann er sie durch das Grundaxiom der Homousie von Vater und Sohn austauschen. Er benutzt den Begriff der Substanz in zwei ganz unterschiedlichen Weisen, einmal auf den Sohn bezogen im Sinne des geformten Seins, einmal auf den Vater bezogen im Sinne eines zugrundliegenden Subjekts. Zudem kann er alle Existenzbegriffe, die vom Sohn ausgesagt werden, qua Homousie auch auf den Vater übertragen. Die Begriffsunterscheidung hat damit zwar einen bedeutenden logischen Nutzen, da sie das Kausalitätsverhältnis zwischen Vater und Sohn offenlegt, ist aber faktisch durch die Gleichewigkeit und substantielle Identität der beiden wieder aufgehoben.³⁷ Zugleich zeigt der Abschnitt prägnant, warum Victorinus zwar die Formel von „drei Hypostasen aus einer Substanz“ positiv aufgreifen kann, aber die beiden Begriffe nicht in einem „neunizänischen“ Sinne konsequent unterscheiden möchte: Vater, Sohn und Heiliger Geist können jeweils als ein geformtes Sein, als eine Hypostase bezeichnet werden. Zugleich sind sie aber auch wieder eine einzige Hypostase, da das eine ungeformte Sein des Vaters nur eine einzige Form hat. Victorinus bleibt damit noch im Rahmen der miahypostatischen Theologie, die im Westen in dieser Zeit bestimmend ist.³⁸ Die mehrdeutige Verwendung der Terminologie durchzieht die gesamten Schriften des Victorinus. So zeigt auch der Vergleich der hier behandelten Stellen schon, dass Victorinus klar definierte Termini nicht einmal im selben Argumentationszusammenhang immer in einer festgelegten Bedeutung gebraucht, geschweige denn über sein gesamtes theologisches Werk hindurch. Gebraucht er in Adv. Ar. I 30 subsistentia noch austauschbar mit exsistentia für das reine Sein (solum esse) ohne akzidentielle Bestimmung, so bezeichnet er in Adv. Ar. II 4 mit beiden Begriffen das geformte und definierte Sein. Das bringt für die Interpretation die große Schwierigkeit mit sich, dass man oft nicht recht weiß, in welchem Sinne Victorinus die Begrifflichkeit genau benutzt.³⁹ Aus den behandelten Texten kann aber eine methodische Grundregel abgeleitet
So spricht auch Ziegenaus, Seinsfülle 173 davon, dass die synonyme Verwendung von Existenz, Hypostase und Substanz aufgrund der Homousie „auch der inneren Gedankenstruktur nach gegeben“ sei. S. dazu unten S. 306 – 321. Auf dieses Problem weist auch Ziegenaus, Seinsfülle, 170 hin, ohne eine klare Regel für die Interpretation zu schlussfolgern: „Bei der Interpretation eines Textes muß jeweils diese Bedeutungsvariation berücksichtigt werden.“
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werden, die bei der Interpretation leitend sein sollte: Victorinus gebraucht Termini in einem allgemein üblichen Sinne (usus), außer er definiert sie explizit anders. Dort, wo es Victorinus auf die Unterscheidung zwischen bestimmten Begriffen ankommt, signalisiert er dies dem Leser durch Definitionen oder durch eine klare Unterscheidung in der Argumentation. Überall sonst darf man von einer „Allerweltsbedeutung“ der Begriffe ausgehen.⁴⁰
2.3 Die Paradoxie als fundamentaltheologische Grundhaltung in Adv. Ar. I 18 Eine genaue Untersuchung der Begrifflichkeiten bei Victorinus zeigt also, dass die teils verwirrende Terminologie weder durch mangelnde Präzision noch durch den Gebrauch verschiedener Quellen erklärt werden muss, sondern dass eine wohlüberlegte, theologische Grundentscheidung dahintersteht. Victorinus hat seine Theologie systematisch vom Axiom der Homousie von Vater und Sohn her durchdacht und daraus die Konsequenzen für seine Darstellung gezogen. Dieser für die Terminologie erhobene Befund lässt sich auch durch explizite fundamentaltheologische Reflexionen des Victorinus bestätigen. Seine Überlegungen zur Erkenntnistheorie stellen die Grundlage seines theologischen Nachdenkens dar. Immer wieder versucht Victorinus, die Frage zu beantworten, was der Mensch in welchem Grade erfassen kann, insbesondere ob und wie er Gott erfassen kann.⁴¹ Diese Fragestellung wird im Laufe des gesamten Trinitarischen Streits des 4. Jh. diskutiert und wird in den 350er-Jahren besonders virulent.⁴² Auf der einen Seite formulieren in dieser Zeit die sog. Anhomöer um Aëtius und Eunomius eine äußerst optimistische Haltung in der Frage, wie gut der Mensch Gott erkennen kann.⁴³ Auf
S. dazu auch unten meine Kritik an Steinmann S. 452– 454. S. unten S. 441– 450. Für die Frühzeit des Arianischen Streites vgl. etwa den Brief Eusebs von Nikomedien an Paulinus von Tyrus Urk. 8,2 AW III/1/1 = Dok. 4,2 AW III/1/3 und den Brief Alexanders von Alexandrien an Alexander von Byzanz Urk. 14,19 – 21 AW III/1/1 = Dok. 17,19 – 21 AW III/1/3. Vgl. dazu etwa Eun. apol. 20. Dazu knapp Ritter, Art. „Eunomius“, TRE 10 (1982), 526 f. Epiphanius schreibt dem Aëtius die Behauptung zu, Gott so gut zu kennen wie etwas Sichtbares, ja ihn sogar besser zu kennen als sich selbst, vgl. Epiph. Pan. 76,54,17 (411,22– 28 Holl/Dummer). Vgl. auch die Expositio Patricii et Aetii, die in der Historia Acephala 4,6 zitiert wird: […] et qui dicit se ignorare Dei nativitatem, manichizat. (SC 317 156,65 f. = Dok. 75.1,6 AW III/1/5; 693,12 f.) Hanson, Profession, 69 f. sieht in dem Text ein Nebeneinander von homöischen und anhomöischen Gedanken, schätzt diese Passage aber als anhomöisch ein. Vgl. dagegen die Einleitung zu Dok. 75.1 AW III/1/5, 691, wo der Text als einheitlich anhomöisch eingeschätzt wird. Hanson, Profession, 70 wundert sich über den Vorwurf des Manichäismus in diesem Zusammenhang, doch lässt sich der Gedankengang dahinter leicht erklären: Wer behauptet, der Ursprung des Sohnes sei unerkennbar, behandelt ihn wie ein zweites
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der anderen Seite greifen besonders die Homöer auf ältere skeptische Argumentationsmuster zurück und lehnen weitreichende Spekulationen über das Wesen Gottes und den Ursprung des Sohnes ab, da der Mensch Gott letztlich nicht erkennen könne.⁴⁴ Eine solche Mahnung zu erkenntnistheoretischer Zurückhaltung verbindet aber alle theologischen Richtungen des Trinitarischen Streites gegen die Anhomöer. An diese übereinstimmende Grundhaltung appelliert Victorinus, wenn er gegen die Homöer und Homöusianer begründet, dass nur das ὁμοούσιον dem Kriterium der Unverfügbarkeit Gottes für das menschliche Denken gerecht wird: Im ersten Korintherbrief heißt es: „Wenn sie nämlich erkannt hätten, hätten sie niemals den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt.“ (1Kor 2,8) Dass Christus wie Gott unbegreifbar oder kaum begreifbar ist: „Sondern wie auch geschrieben steht: ‚Was das Auge nicht gesehen hat, was das Ohr nicht gehört hat, was in das Herz des Menschen nicht aufgestiegen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.‘ (Jes 64,3?)“ (1Kor 2,9) Dann sagt er, dass, wie der Geist des Menschen das erkennt, was im Menschen ist, der Geist Gottes das erkennt, was Gottes ist. (vgl. 1Kor 2,10 f.) Wenn er so über Christus spricht, wird daraus deutlich, dass es nicht leicht ist, die Zeugung des Sohnes zu erkennen. Denn weder erfasst der Intellekt den Sohn Gottes noch kann er die Art seiner Zeugung kennen. Wenn er es aber von der Gegenwart Christi sagt, dann übersteigt auch dies das Auge, das Hören, den Intellekt. Wenn es aber, wie es einige verstehen, darüber gesagt ist, was jenseitig⁴⁵ ist, „was er denen bereitet hat, die ihn lieben“, dann ist umso mehr die Zeugung staunenswert und kaum begreifbar, wenn man schon dies nicht begreifen kann. Wie kann man daraus schlussfolgern, Christus sei aus dem Nichtseienden, oder Christus sei ähnlich hinsichtlich der Substanz? Das sind begreifbare und definierte Aussagen. Im Gegensatz dazu ist das ὁμοούσιον nicht nur unbegreifbar, sondern bringt sogar viele Widersprüchlichkeiten mit sich⁴⁶: Wenn er ὁμοούσιος ist, ist er dann auch selbst ungezeugt? Wenn er ὁμοούσιος
ungezeugtes Prinzip, da nur der Ursprung eines ungezeugten Wesens unerkennbar ist. Die Konsequenz wäre dann ein Dualismus zweier gleichewiger Prinzipien, wie ihn die Manichäer vertreten. Die Abgrenzung vom Manichäismus spielt schon bei Arius eine wichtige Rolle, vgl. Urk. 6,3 AW III/1/1 (12,11 f.) = Dok. 1,1 AW III/1/3. Zum Hintergrund vgl. Heil, „… bloß nicht wie die Manichäer!“, ZAC 6 (2002), 299 – 319. Vgl. nur die Zweite Sirmische Formel aus dem Jahr 357 Dok. 51,3 AW III/1/4 (378,3 – 11). Heil, Was wir glauben, 207– 221 arbeitet als ein Grundanliegen homöischer Theologie heraus, zwischen sicher in der Schrift bezeugten Aussagen zur Heilsgeschichte und dem Bereich, der die menschliche Kenntnis übersteigt, zu unterscheiden. Ich verstehe quae ibi hier im Sinne von τὰ ἐκεῖ als Verweis auf den intelligiblen Bereich, so auch Hadot, SC 68, 229: „choses qui sont là-bas“; Clark, FoC 69, 114: „these things there“; Balido, Scritti Cristiani, 185: „quelle che sono lassù“. Anders Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 134, die es als Verweis auf die Textstelle lesen: „Wenn er es aber dort […] von den Dingen sagt, ‚die Gott denen bereitet hat, die ihn lieben‘, […].“ In diesem Sinne übersetzen auch Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 134 gegenüber der etwas missverständlichen Übersetzung Hadots in SC 68, 231: „[…] mais cela suscite beaucoup
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ist, wie ist er dann ein anderer, wie ist der eine Vater, der andere Sohn? Wenn er ὁμοούσιος ist, wie hat der eine gelitten, der andere nicht? Daher nennt man uns nämlich Patripassianer.⁴⁷ Aber da nach dem Willen Gottes der Geist, der in uns wohnt, „alles erforscht“, auch das „was Gottes ist“, wird man auch die Art der göttlichen Zeugung herausfinden können, nach der auch das ὁμοούσιον offenbart werden wird und alle anderen Vorstellungen ausgeschlossen sein werden. „Wir haben nämlich nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist Gottes.“ (1Kor 2,12)⁴⁸
Victorinus bespricht hier drei mögliche Auslegungen von 1Kor 2,6 – 12, die alle darauf hinauslaufen, dass die Zeugung des Sohnes durch den Vater nicht oder nur schwer zu begreifen ist. Die verschiedenen Auslegungen ergeben sich aus der Frage, was genau die Menschen nicht erkannt haben, sodass sie Christus gekreuzigt haben, und worauf sich das alttestamentliche Zitat vielleicht aus Jes 64,3 in 1Kor 2,9 bezieht. Die erste Deutungsmöglichkeit bezeichnet den präexistenten Christus als unerkennbar, wobei die „Weisheit Gottes“ in 1Kor 2,6 f. mit Christus identifiziert wird: Wenn das präexistente Wesen Christi als Weisheit Gottes nicht begriffen werden kann, dann auch seine Zeugung durch den Vater nicht. Zweitens kann man Paulus so verstehen, dass die Menschen die praesentia Christi nicht erkannt haben, also den Inkarnierten nicht als das erkannt haben, was d’objections.“ Victorinus erkennt hier durchaus an, dass es sich um der Homousie inhärente Paradoxien handelt und nicht nur um falsche Vorwürfe von außen. Die knappe Ausdrucksweise ist nicht eindeutig verständlich. Ich deute den Satz so, dass Victorinus sich hier auf die Interpretation des ὁμοούσιον als ταὐτοούσιον bezieht, womit den Homousianern Sabellianismus unterstellt wird.Vgl. den Brief der Synode von Ankyra von 358, Anathema 19, Dok. 55. AW III/1/4 (409,4– 6). Möglich ist auch die Übersetzung von Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 134: „Wegen dieser Schwierigkeit gibt es die Patripassianer.“ Ähnlich Clark, FoC 69, 114. Jedoch fügt sich eine solche Feststellung schwerer in den Kontext. Adv. Ar. I 18: Ad Corinthios prima: Si enim cognovissent, numquam dominum maiestatis crucifixissent. (1Kor 2,8) Quod Christus sicuti deus est incomprehensibilis, aut vix comprehensibilis est: sed et quemadmodum dictum est: quae oculus non vidit, quae auris non audivit et in cor hominis non ascendit, quae praeparavit deus diligentibus se. (1Kor 2,9) Deinde dicit, quod intellegit ista, sicut spiritus hominis ea, quae in homine, sic et ea, quae dei, spiritus dei. (1Kor 2,10 f.) Si de Christo ista dicit, ex his apparet, quod non est facile scire generationem filii. Nam neque νοῦς percipit dei filium nec modum generationis scire potest. Si autem de praesentia eius, et istud super oculum, super auditum, super νοῦν est. Si autem, ut quidam intellegunt, dicit ista de his, quae ibi, quae praeparavit deus diligentibus ipsum, multo magis mirabilis est generatio et vix comprehensibilis, si ista sic sine intellectu sunt. Quid ex his queas dicere ab his, quae non sunt, esse Christum, aut similis substantia est Christus? Comprehensibilia sunt et definita. At vero esse ὁμοούσιον non solum incomprehensibile, sed et habet contradictiones multas. Si enim ὁμοούσιος, et ipse ingenitus? Si ὁμοούσιος, quomodo alter, quomodo alius pater, alius filius? Si ὁμοούσιος, quomodo alius passus est, alius non? Ex isto enim patripassiani. Sed quoniam dei voluntate inquirit omnia, et ea, quae dei, spiritus qui in nobis inhabitat, invenietur modus divinae generationis, iuxta quem et ὁμοούσιον manifestabitur et illa exterminabuntur. Nos enim accepimus non mundi spiritum, sed dei. (1Kor 2,12) (48,3 – 24 Locher)
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er ist. Dabei wird der Schwerpunkt stärker auf die Aussage in 1Kor 2,8 gelegt: Wenn schon die leibliche Gegenwart Christi nicht begreifbar war, sodass er von den Unwissenden gekreuzigt wurde, dann ist erst recht seine göttliche Zeugung nicht erkennbar. Und drittens kann das Jesaja-Zitat mit Schwerpunkt auf dem Teilsatz „was er denen bereitet hat, die ihn lieben“ interpretiert werden. Diese Auslegung, die Victorinus von anonymen Exegeten (quidam) übernimmt, findet sich unter anderem bei Origenes: Dieser führt den betreffenden Vers in De principiis in einer Diskussion des geistigen Leibs aus 1Kor 15 an und kontrastiert ihn mit 2Kor 4,18: Sichtbar sei, was zeitlich ist, der geistige Leib dagegen sei ewig und daher der Sinneswahrnehmung des Menschen entzogen.⁴⁹ Origenes versteht die Aussage „was er denen bereitet hat, die ihn lieben“ also als Versprechen der endzeitlichen Vergeistigung der Gläubigen. Auch diese Auslegung funktioniert für Victorinus als Schluss a minore ad maius: Wenn schon der geistige Leib der Menschen nach der Auferstehung nicht begreifbar ist, dann erst recht nicht die Zeugung des Sohnes. In jedem Sinne dient die Stelle Victorinus als Beleg, dass es nicht einfach ist, das Wesen und die Zeugung des Sohnes zu erkennen. Diese Einsicht bildet für ihn die fundamentaltheologische Grundlage seiner Trinitätstheologie: Aussagen, die unmittelbar einleuchtend und nachvollziehbar sind, sind für ihn keine adäquaten theologischen Positionen.⁵⁰ Diesem Kriterium werde weder die arianische Vorstellung gerecht, der Sohn sei aus dem Nichts geschaffen, noch die Position der Homöusianer, wonach Christus eine ähnliche Substanz wie der Vater habe. Jedoch sei auch die skeptische Epoche, wie sie die Homöer üben, nicht sachgemäß, da den Christen der Geist Gottes gegeben sei und damit auch die Möglichkeit, das Göttliche zu erkennen. Daher sei die nizänische Lehre von der Homousie die einzige, die dem fundamentaltheologischen Kriterium gerecht werde, dass Christus und seine Zeugung kaum erfassbar sind. Das ὁμοούσιον zeichnet sich nicht nur durch eine schwere Verständlichkeit aus, sondern berge sogar dezidierte Widersprüchlichkeiten in sich. Sofort frage man sich, ob es dann zwei ungezeugte Prinzipien gebe und wie unter diesen Voraussetzungen die Verschiedenheit der Hypostasen gewährleistet bleibe, und ob der Vater dann auch vom Leiden des Sohnes betroffen sei. Damit positioniert sich Victorinus gegen die Angriffe auf die Homousie, wie sie etwa von Seiten der Homöer formuliert wurden. Diese beziehen sich gerade immer wieder darauf, dass man das ὁμοούσιον nicht verstehen könne und es daher ab Hadot, SC 69, 759 ad loc 18,18 verweist auf Or. princ. III 6,4, dort wird 1Kor 2,9 zitiert (285,28 f. Koetschau) Aber auch Tert. resurr. 26,7 deutet Jes 64,3(?) als Hinweis auf die leibliche Auferstehung. Daher lässt sich die überraschend klare Struktur des Candidusbriefes und seiner Argumentationen auch als eine Karikatur des arianischen Optimismus in der Erkenntnistheorie verstehen.
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geschafft werden solle. Victorinus münzt so in rhetorisch geschickter Manier den offensichtlichen Nachteil des ὁμοούσιον zu einem Vorteil um: Gerade weil man es nicht versteht, ist es die beste Aussage, die man über Gott machen kann, weil dies den Anforderungen einer sachgemäßen Theologie entspricht.⁵¹
2.4 Der Doppelaspekt des Vaters: transzendent und Ursache von allem 2.4.1 Theologische und philosophische Traditionen Victorinus schließt mit seiner paradoxen Doppelbestimmung des Vaters als seiend und nichtseiend an eine längere Tradition philosophischer Diskussionen an und trägt dabei einer Problematik Rechnung, die die platonische Philosophie und die christliche Theologie gleichermaßen beschäftigt. Je stärker die Tendenz einer monistischen Rückführung alles Seins auf ein einziges transzendentes Prinzip wird, desto schwieriger wird es zu erklären, wie dieses transzendente Prinzip zugleich die Ursache des Seins ist.⁵² Das führt zu einer immer stärkeren Tendenz zur Paradoxie in der Rede vom ersten Prinzip und zu Versuchen, diese Paradoxie wieder aufzulösen. Bereits vor Plotin, insbesondere im sog. Neupythagoreismus zeigen sich Ansätze, das erste Prinzip im Anschluss an Platons Parmenides und Politeia VI 509b als seinstranszendent zu charakterisieren. An einigen Stellen gibt es auch bereits Hinweise auf Diskussionen über die Frage, ob das erste Prinzip auch einen geisttranszendenten Charakter besitze.⁵³ Diese philosophischen Diskussionen üben S. dazu auch oben S. 117 f.Vgl. auch die Bemerkung bei Huber, Das Sein und das Absolute, 78, dass das „Scheitern“ einer überzeugenden Herleitung des Intellekts aus dem Einen bei Plotin auch in der Natur der Sache liege, da das Eine der Erkenntnis transzendent ist und dieser Vorgang eo ipso nicht erfasst werden kann. Ähnlich kommt Huber S. 101 zu dem Schluss, dass auch bei Victorinus die Widersprüchlichkeiten im Dogma der Homousie begründet liegen. Anders als Huber S. 95 vermutet, zeigt diese fundamentaltheologische Reflexion des Victorinus aber, dass dieser sich selbst dieser Widersprüchlichkeiten wohl bewusst war. Vgl. dazu und zu verschiedenen Lösungen des Problems knapp Halfwassen, Das Eine, RhM 139 (1996), 54– 67; zur Verschärfung durch Plotin vgl. Halfwassen, Aufstieg zum Einen, 98 – 114; Huber, Das Sein und das Absolute, 70 – 80. Die Frage nach dem Verhältnis des Einen zum Sein ist also nicht so eng auf eine Konkurrenz zwischen dem platonischen Parmenides und den Chaldäischen Orakeln zurückzuführen wie bei Hadot, Porphyre I, 255 – 260. Es steht vielmehr im größeren philosophiehistorischen Kontext und ergibt sich aus der Entwicklung, dass das erste Prinzip nicht mehr mit dem Sein gleichgesetzt wird. Vgl. für eine Sammlung von Belegen Whittaker, ΕΠΕΚΕΙΝΑ, VigChr 23 (1969), 91– 104, der auch Belege für die Diskussion über die Geisttranszendenz des Einen anführt. Knappe Zusammenfassung der Diskussionen bei Alcinous, Numenius und Atticus bei Hägg, Clement of Alexandria, 120 – 133. Umstritten ist die Rolle des Neupythagoreers Moderatus von Gades, der zitiert wird bei Simpl. in
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dann auch starken Einfluss auf die frühen gnostischen Systeme aus, die die Transzendenz des Vaters betonen.⁵⁴ Bereits in diesen mittelplatonischen Zusammenhängen zeigen sich gewisse Paradoxien, da das transzendente erste Prinzip zugleich immer auch positiv als Ursache des Nachfolgenden aufgefasst wird. Sollte der Turiner Parmenideskommentar vorplotinisch sein, wäre er auch ein Beispiel für diese Tendenz: Einerseits charakterisiert der anonyme Verfasser das erste Eine klar als jenseits der Substanz und des Geistes liegend, andererseits schreibt er ihm auch das reine Sein zu, da es die Ursache der Substanz ist, und eine Art Selbstbewusstsein, da es die Ursache des Intellekts ist.⁵⁵ Auch in der christlichen Diskussion werden diese Überlegungen aufgegriffen und auf den Vater bezogen.⁵⁶ Clemens von Alexandrien nimmt in seiner Theologie solche Traditionen der platonischen Philosophie auf und steigert dabei die Transzendenz des Vaters noch weiter: Zwar betrachtet er den Vater weiterhin als höchstes Sein und als Intellekt, hält ihn aber zugleich für unerkennbar und nur via negationis beschreibbar. Ziebritzki fasst diese Tendenz bei Clemens zusammen, indem er von einer „radikalisierte[n] Variante des mittelplatonischen Gottesbegriffs“⁵⁷ spricht. Hägg zeigt, dass Clemens dabei auch bewusst zu Paradoxa greift, phys. I 7 (230,36 – 231,1 Diels): οὗτος [sc. ὁ Μοδέρατος] γὰρ κατὰ τοὺς Πυθαγορείους τὸ μὲν πρῶτον ἓν ὑπὲρ τὸ εἶναι καὶ πᾶσαν οὐσίαν ἀποφαίνεται, τὸ δὲ δεύτερον ἕν, ὅπερ ἐστὶ τὸ ὄντως ὂν καὶ νοητὸν, τὰ εἴδη φησὶν εἶναι […]. In seinem wegweisenden Aufsatz hat Dodds den neupythagoreischen Philosophen eine zentrale Rolle in der Geschichte der Parmenides-Interpretation zugewiesen, vgl. Dodds, The Parmenides of Plato, CQ 22 (1928), 129 – 142. Vgl. dort S. 138 für den Bezug von οὗτος auf Moderatus im Simplicius-Zitat. Teilweise wird der Quellenwert des Simplicius-Zitates aber bezweifelt, da schwer zu entscheiden sei, was hier auf Porphyrius, die mittelbare Quelle des Simplicius, zurückgehe und was auf Moderatus selbst, vgl. z. B. Steel, Une histoire, 17– 21, der insgesamt skeptisch ist, was eine vorplotinische Parmenides-Exegese angeht. Vgl. dagegen aber zu diesem Problem Tornau, Prinzipienlehre, 204– 206, der zeigt, dass Porphyrius hier zumindest „formal nicht in eigenem Namen spricht, sondern eine Doxographie des Moderatos gibt.“ (S. 204 Anm. 26). Für die Lehre vom ersten Prinzip arbeitet Tornau überzeugend heraus, dass sie als Exegese des Parmenides gedeutet werden kann. Jedoch mit der Einschränkung, dass Moderatus damit zwar ein erstes Prinzip annimmt, das seinstranszendent ist, aber nicht geisttranszendent. Vielmehr scheint Moderatus das Eine noch mit dem Geist identifiziert zu haben, wodurch er sich grundlegend von Plotin unterscheidet (S. 216 – 219). Vgl. Kalvesmaki, The Theology of Arithmetic, 27– 102. S.u. S. 260 – 263. Vgl. die Analyse in kritischer Auseinandersetzung mit Hadots Interpretation bei Němec, Die Theorie des göttlichen Selbstbewusstseins, RhM 154 (2011), 185 – 205. Auch Vergara, Teología 29 mit Anm. 81 verweist auf zahlreiche Parallelen im Gottesbild zwischen Victorinus und anderen christlichen Autoren. Ziebritzki, Heiliger Geist und Weltseele, 99, vgl. zu Clemens insges. 94– 99. Vgl. auch die Übersicht apophatischer und transzendenter Gottesbeschreibungen mit sprachlichen Parallelen zum Mittelplatonismus, der Gnosis und Philo bei Lilla, Clement of Alexandria, 212– 226. Eine ausführlichere
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um die eigentliche Unerkennbarkeit Gottes auszudrücken. Clemens identifiziert einerseits Gott mit dem Intellekt, nennt ihn andererseits aber auch die über dem Intellekt liegende Ursache des Denkens. Genauso kann er ihn zugleich das Eine nennen und ihn als jenseits des Einen liegend beschreiben.⁵⁸ Auch Origenes kann in diese Tradition eingeordnet werden: Er hält an der Bestimmung Gottes als Intellekt fest und versucht andererseits, seine Transzendenz und Einheit zu steigern. Dabei greift er zu noch stärker als Clemens zu paradoxen Beschreibungen des Vaters.⁵⁹ Eine solche zuspitzende Tendenz der transzendentalen Beschreibung des Vaters, die zu paradoxen Kombinationen mit seiner Funktion als erster Ursache führt, lässt sich auch in der Fassung des Zostrianus feststellen, die Victorinus in Adversus Arium Ib vielleicht benutzt, und auch in weiteren gnostischen Texten.⁶⁰ An diese reichhaltige und lange Tradition kann Victorinus im 4. Jh. anknüpfen, dabei unter dem Eindruck der Philosophie Plotins und seiner Nachfolger die Transzendenz des Vaters noch weiter steigern. Damit setzt er zugleich eine Tendenz innerhalb des christlichen theologischen Diskurses fort. Gerade weil er den Vater dabei als wesenseins mit dem Sohn, dem Inbegriff des substantiellen Seins bestimmt, kann er die Transzendenz des Vaters noch zuspitzen, da dadurch zugleich abgesichert wird, dass der Vater nicht in der Negation aufgehoben wird. In einer paradoxen Auffassung des Vaters als seiend und nichtseiend zugleich liegt für Victorinus die Chance, ganz verschiedene theologische Anliegen zum Ausdruck zu bringen. 2.4.2 Der Vater als Sein und Nichtsein in Ad Candidum Victorinus nimmt gegen die arianische Position, der Sohn sei aus dem Nichtseienden geschaffen, eine ausführliche Untersuchung des Seienden und Nichtseienden vor und erarbeitet eine ontologische Hierarchie. Anschließend setzt er Gott ins Verhältnis zu dieser ontologischen Hierarchie und bestimmt seinen Platz an der Spitze
Darstellung der Unerkennbarkeit und Transzendenz Gottes und den Versuchen des Clemens, dennoch über ihn zu sprechen, mitsamt einem konzeptionellen Vergleich mit dem Mittelplatonismus findet sich bei Hägg, Clement of Alexandria, 153 – 179. Vgl. Hägg, Clement of Alexandria, 177– 179 mit Verweis auf Clem. paed. I 71,1: ἓν δὲ ὁ θεὸς καὶ ἐπέκεινα τοῦ ἑνὸς καὶ ὑπὲρ αὐτὴν μονάδα. (131,18 f. Stählin/Treu) und auf Stellen wie str. IV 162,5: […] ᾗ δ’ αὖ ἐστι νοῦς, τοῦ λογικοῦ καὶ κριτικοῦ τόπου […]. (320,18 f. Stählin/Früchtel/Treu) mit str. V 38,6: ὥσπερ δὲ ὁ κύριος ὑπεράνω τοῦ κόσμου παντός, μᾶλλον δὲ ἐπέκεινα τοῦ νοητοῦ […]. (352,13 f. Stählin/Früchtel/Treu) Vgl. Ziebritzki, Heiliger Geist und Weltseele, 136 – 139. S.u. S. 264 f. Vgl. dazu auch Tommasi, viae negationis, 119 – 154.
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und jenseits des Seins.⁶¹ Er unterscheidet dabei zunächst vier verschiedene Möglichkeiten, was man unter dem Nichtseienden (τὸ μὴ ὄν, quod non est) verstehen kann: Erstens ein Nichtsein im Sinne der absoluten Negation und Privation, zweitens im Sinne der Verhältnisbestimmung zu etwas anderem, drittens im Sinne des potentiellen Seins als Noch-nicht-Seiendes, viertens im Sinne der Transzendenz als das Seiende über allem Seienden.⁶² Da Gott existiert und die Ursache des Seins ist, kann er als Sein aufgefasst werden, da aber die Ursache nicht identisch mit dem Verursachten ist, ist er auch wiederum das Nichtsein. Er ist aber nicht Nichtsein im Sinne der absoluten Privation des Seins, da dies bedeuten würde, dass es Gott nicht gibt. Er ist als Ursache des Seins vielmehr Nichtsein im zweiten Sinne, dass er anders ist als das Seiende nach ihm (aliud ὄν), er ist Nichtsein im dritten Sinne, dass er das Sein potentiell in sich enthält und es verursacht (iuxta ea, quae futura sunt, τὸ μὴ ὄν), und er ist Nichtsein im vierten Sinne, da er über allem Sein liegt (iuxta quod supra est μὴ ὄν).⁶³ Victorinus schreibt dem Vater also ein Sein zu, da er existiert, d. h. er geht von der „Allerweltsdefinition“ von Sein aus, die er in Adversus Arium I 30 seiner Theologie zugrunde legt: Weil es Gott gibt, muss man ihm auch Sein zuschreiben, dies ist allerdings kategorial von allem anderen Sein unterschieden. Dennoch ist er mit diesem Sein verbunden, da er die Ursache alles Seins ist. Er enthält als Ursache des Seins das Sein in potentieller Form schon in sich. So verortet Victorinus den Vater in einer paradoxen Position und verbindet zwei theologische Aspekte miteinander: Der Vater ist absolut transzendent und anders als alles, was nach ihm kommt, er ist aber zugleich die Ursache alles Seins und damit mit dem Sein ver-
Die ontologische Skala von ὄντως ὄντα, ὄντα, μὴ ὄντως μὴ ὄντα, μὴ ὄντα, die er dabei entwirft, wird ähnlich in sethianischen Texten angeführt. Vgl. Ad Cand. 9 (15,14 f. Locher) mit Allog NHC XI,3 p. 55,22– 25; Zostr NHC VIII,1 p. 117,11– 14. Vgl. dazu Turner, Sethian Gnosticism, 715 – 717. Zum Verhältnis zu neuplatonischen Existenzreihen vgl. Tournaire, La classification, BAGB 1 (1996), 55 – 63.Vgl. Hadot, Porphyre I, 147– 178 für dessen Interpretation der ontologischen Ausführungen. Hadot deutet dies seiner Gesamttendenz entsprechend als Transposition stoischer Physik in die platonische Metaphysik durch Porphyrius. Vgl. Ad Cand 4: Diffiniendum igitur id, quod non est, quod quidem intellegitur et vocatur quattuor modis: iuxta negationem, omnino omnimodis ut privatio sit exsistentis, iuxta alterius ad aliud naturam, iuxta nondum esse, quod futurum est et potest esse, iuxta quod supra omnia, quae sunt, est esse. (12,21– 25 Locher) Vgl. Ad Cad. 4: Quid igitur dicimus deum? ὄν an τὸ μὴ ὄν? Appellabimus utique omnino ὄν, quoniam eorum, quae sunt, pater est. Sed pater eorum, quae sunt, non est τὸ ὄν. Nondum enim sunt ea, quorum pater est, et non licet dicere, nefas est intellegere eorum, quae sunt, causam ὄν appellare. Causa enim prior est ab his, quorum causa est. Supra ὄν igitur deus est, et iuxta quod supra est, μὴ ὄν deus dicitur, non per privationem universi eius, quod sit, sed ut aliud ὄν, ipsum quod est μὴ ὄν, iuxta ea, quae futura sunt, τὸ μὴ ὄν, iuxta quod causa est ad generationem eorum quae sunt, τὸ ὄν. (13,1– 9 Locher)
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bunden. Diese Paradoxie ist bestimmend für die Versuche des Victorinus, den Vater zu beschreiben. Im Kontext der Schrift Ad Candidum ist diese Einordnung des Vaters eine rhetorisch geschickte Antwort auf den Candidusbrief. Victorinus verwendet hier eine für ihn typische Argumentationsstrategie, die auch sonst in der trinitätstheologischen Diskussion des 4. Jh. häufig begegnet: Er greift zentrale Voraussetzungen seines Gegners auf und setzt sie als richtig voraus, deutet diese dann aber vollständig um, sodass der Gegner auf Grund seiner eigenen Überzeugungen dieser Position zustimmen muss.⁶⁴ Hier deutet Victorinus die Kritik des Candidus ganz in seinem Sinne: Erstens ist der Vater wirklich, wie Candidus sagt, substanzlos (insubstantialis), da er über der Substanz liegt und diese erst hervorbringt.⁶⁵ Gleichzeitig ist er aber eben doch existent und die Ursache des Seins, d. h. er ist eine Substanz. Dadurch reichert Victorinus das reduktionistische Gottesbild, das im Candidusbrief entworfen wird, durch eine paradoxe Doppelbestimmung des Vaters an. Ziegenaus spricht daher treffend von einem „pleromatischen Gottesbild“ bei Victorinus und beschreibt damit dessen Tendenz, möglichst viele angemessene, teils auch widersprüchliche Aussagen über Gottes Wesen auszusagen.⁶⁶ Zweitens akzeptiert Victorinus damit in gewisser Weise die arianische Aussage, dass der Sohn aus dem Nichtseienden stamme, aber nur insofern, als der Vater selbst dieses Nichtseiende ist.⁶⁷ Damit erkennt Victorinus ein wichtiges theologisches Anliegen der Arianer an und nimmt es positiv für seine Theologie auf. Er will sie aber zugleich durch die Umdeutung der Begriffe zur Zustimmung zu seiner Position bringen.
Vinzent zeigt etwa, dass die Theologie Markells von Ankyra erst vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Asterius von Kappadokien verstanden werden kann. In der Debatte mit Asterius übernimmt Markell viele Voraussetzungen seines Gegners und erarbeitet auf dieser Grundlage eine völlig andere Theologie,Vinzent, Gottes Wesen,VigChr 47 (1993), 170 – 191. Ein Beispiel für das Eingehen des Athanasius auf die Voraussetzungen des Asterius ist der Vergleich der Geburt des Sohnes mit einer menschlichen Schwangerschaft, siehe dazu u. S. 287. Aëtius beruft sich zur Begründung des Wesensunterschieds von Vater und Sohn auf 1Kor 8,6, vgl. Dok. 61.2 AW III/1/4. Dieses Dokument wurde bei den Verhandlungen in Konstantinopel 359/360 zitiert, vgl. Dok 62.1,4 AW III/1/4. 1Kor 8,6 spielte auch in der zweiten antiochenischen Formel von 341 eine wichtige Rolle zur Unterscheidung von Vater und Sohn, vgl. Dok. 41.4,1,1 f. AW III/1/3. Die Anhomöer griffen damit ebenfalls strategisch auf bereits vorhandene Bekenntnisse zurück, die auch von ihren Gegnern anerkannt wurden, und deuteten sie in ihrem Sinne, vgl. Kopecek, Neo-Arianism I, 203 f. Die Bezeichnung Gottvaters als insubstantialis in Cand. 8 (7,15 f. Locher) greift Victorinus in Ad Cand. 13 (18,18 Locher) auf. Vgl. auch Ad. Ar. II 1 für die griechische Entsprechung ἀνούσιος. Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 138 – 147. So auch Balido, Lettura logico-formale, Metalogicon 3 (2018), 48.
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2.4.3 Parallelen zu gnostischen Texten in Adversus Arium Ib und II und das Verhältnis zum Turiner Parmenideskommentar Der Vater zeichnet sich für Victorinus durch einen paradoxen Doppelaspekt aus: Er lässt sich weder allein auf seine transzendente Überlegenheit noch auf sein Wirken als Ursache reduzieren, sondern ist beides zugleich. Diese Paradoxien finden sich auch in den metaphysischen Spekulationen gnostischer Texte, auch in dem Abschnitt des koptisch-gnostischen Zostrianus, zu dem sich textliche Übereinstimmungen in Adversus Arium Ib finden. Es ist denkbar, dass Victorinus dessen griechische Vorlage als Quelle genutzt hat.⁶⁸ Dieser gemeinsame Abschnitt handelt zunächst via negationis von der absoluten Transzendenz des Vaters, beschreibt den Vater dann via eminentiae als überlegene Ursache, um zuletzt das Hervorgehen des Sohnes aus dem Vater darzustellen.⁶⁹ Der Vater ist das Eine jenseits des Seins, vollkommen einfach und kann nur in negativer Sprache beschrieben werden. Im Lateinischen verwendet Victorinus dabei Wendungen mit ante, sine oder verneinte Adjektive. Dann folgt unvermittelt der Wechsel zur Beschreibung des Vaters als erster Ursache aller Dinge. Die Formulierungen sind jetzt durch übersteigernde Ausdrücke wie Komparative oder Wendungen mit prae gekennzeichnet.⁷⁰ Victorinus fährt dann nach dieser Beschreibung
Vgl. Drecoll, The Greek Text, bes. 211 f. Für ausführliche Kommentare auch zum koptischen Text vgl. Tardieu, Recherches, 61– 114; Turner, in BCNH.T 24, 76 – 81.581– 608. Vgl. Adv. Ar. Ib 49 (84,29 – 85,13 Locher) für die Beschreibung via negationis, für die via eminentiae Ib 49 f. (85,13 – 86,10 Locher). Tardieu schlägt aufgrund der Parallelen zum Zostrianus und anderen koptischen Texten vor, Überlieferungsvarianten im Victorinustext zu berücksichtigen, die von Henry/Hadot und Locher nicht in den Text aufgenommen wurden. Für den Text in I 49,39 f. (CSEL 83/1 = 85,24 Locher): […] inenarrabili potentia pure exsistens omnia, quae vere sunt. hat Sichard: […] inenarrabili potentia, pura, exsistens prae omnibus, quae vere sunt. Die Qualität der von Sichard benutzten Handschrift lässt sich zwar nicht mehr beurteilen, aber die Parallele zum koptischen Text ist auffallend, vgl. Tardieu, Recherches, 38.88. Auch inhaltlich ist der Text im Kontext etwas sinnvoller: „[…] in einem unaussprechlichen, reinen Vermögen existiert es vor allem wahren Seienden.“ Exsistens prae könnte dann dem Griechischen προϋπάρχον entsprechen, inenarrabilis könnte auch dem Griechischen ἀδιήγητος entsprechen und auf Joh 1,18 anspielen; Drecoll, The Greek Text, 200 vermutet dagegen „expressions with ἄρρητον or similar?“ Die Lesart prae omnibus passt besser, als das erste Eine in diesem Kontext gerade nicht mit dem wahren Sein identifiziert wird, sondern etwas Darüberliegendes ist. Ferner verteidigt Tardieu, Recherches, 92 überzeugend die Lesart in A für I 50,4 (CSEL 83/1 = 85,27 f. Locher) superperfectus statt super perfectos (Σ, hd, Locher), die Henry/ Hadot in apparatu schon nicht ganz verwerfen wollten. Abgesehen von den Parallelen mit koptischgnostischen Texten auf die Tardieu verweist, ließe sich schon mit dem Grundsatz der lectio difficilior argumentieren. Im Zusammenhang passt superperfectus als Übersetzung von ὑπερτέλειος bzw. ὑπερτελής hervorragend als Terminus der arithmetischen Theologie, vgl. LSJ 1869, s.v. ὑπερτελής II: „of numbers the sum of whose factors (including unity) is greater than themselves (such as 12,
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der Überlegenheit des Vaters fort, ihn näher als die Ursache alles Seins zu beschreiben. In dieser Hinsicht ist der Vater eine Einheit der drei Vermögen von Sein, Leben und Seligkeit, letztere ist hier gleichbedeutend mit der Erkenntnis. Gleichzeitig beschreibt Victorinus ihn aber weiter mit Ausdrücken der Transzendenz. Die Ursächlichkeit Gottes wird dann mit der Zeugung des Sohnes als erster Substanz und als erstem fassbaren Sein weiter thematisiert.⁷¹ Auch zu Beginn der Schrift Adversus Arium II greift Victorinus gegen die homöische Ablehnung der Substanz-Terminologie die paradoxe Doppelbestimmung des Vaters auf. Dort geht er wie in I 30 von der einfachen Aussage aus, dass Gott existiert und deswegen auch von einer Substanz Gottes gesprochen werden könne. Diese Substanz sei aber ganz anders als die irdische Substanz, weil sie die Ursache alles Seins darstellt. Daher könne der Vater zugleich als nichtsubstantiell (ἀνούσιος) und substantiell (ἐνούσιος) bezeichnet werden. Ähnlich wie in Ad Candidum definiert Victorinus das Adjektiv ἀνούσιος aber im Sinne von übersubstantiell (ὑπερούσιος), also als Ausdruck der Transzendenz und Ursächlichkeit des Vaters. Da Gott existiert, könne man ihn aber auch als ἐνούσιος bezeichnen. Hier greift Victorinus wieder auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch des Wortes substantia zurück.⁷² Auch der Turiner Parmenideskommentar kennt diese drei Termini, um das Verhältnis der ersten Prinzipien zum Sein zu beschreiben, nutzt sie aber anders als Victorinus: Der Kommentator ist bestrebt, klar zwischen dem ersten Einen und dem zweiten Einen zu unterscheiden. Für ihn hat nach der zweiten Hypothese des platonischen Parmenides nur das zweite Eine Anteil am Sein, während das erste Eine völlig davon gelöst ist. Er charakterisiert das erste Eine daher als übersubstantiell (ὑπερούσιος) und substanzlos (ἀνούσιον), um seine absolute Einfachheit und Transzendenz zu betonen.⁷³ Demgegenüber wird das zweite Eine, das seiende
because 1+2+3+4+6=16), opp. ἐλλιπεῖς.“ Von der μονάς ausgesagt in Theol. Ar. p. 3 Ast (1,15 de Falco/ Klein). Vgl. dazu auch Tommasi, viae negationis, 139 f. Vgl. Adv. Ar. Ib 50 f. (86,11– 87,24 Locher). Hadot, Porphyre I, 283 verweist darauf, dass dieser Wechsel von negativer zu affirmativer Theologie häufig vorkommt und nennt den Didaskalikos des Alcinous und das Apokryphon des Johannes als Beispiele. Dazu auch Tommasi, Nouvelles perspectives, 50 f. Vgl. Adv. Ar. II 1 (100,16 – 101,8 Locher). Vgl. Anon. In. Prm. Fr. 1; II. fol. 91v,4– 14, bes. 11 (68 Hadot): […] πάντων ὑπερούσιος τῶν δι’ αὐτῶν ὄντων. In Fr. 5 werden das erste und zweite Eine voneinander unterschieden, vgl. insbes. XII, fol. 93v,3 – 6 (102 Hadot): Αὐτίκα ἐκεῖνο ἕν μόνον, τοῦτο δὲ ἕν πάντα· κἀκεῖνο μὲν ἕν ἀνούσιον, τοῦτο δὲ ἕν ἐνούσιον. Die gleiche Tendenz lässt sich auch in zahlreichen gnostischen Schriften beobachten, in denen das erste Prinzip als substanzlos bezeichnet wird und so von dem von ihm Verursachten streng unterschieden wird.Vgl. z. B. das Referat der Lehre des Marcus Magus bei Iren. haer. I 14,1: […] τὸ πρῶτον, ὁ πατὴρ οὐδείς, ὁ ἀνεννόητος καὶ ἀνούσιος […]. (FC 8,1 226,16 – 18) Vgl. dazu
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Eine (ἕν ὄν) als Ein-Alles (ἕν πάντα) und substanziiertes Eines (ἕν ἐνούσιον) bezeichnet, um seine Teilhabe am Sein auszudrücken. Der anonyme Kommentator unterscheidet strikt das erste und das zweite Prinzip voneinander, indem er das erste Eine klar von der Substanz trennt, die erst auf der Ebene des zweiten Einen ihren Platz hat. Der Anonymus entwirft also eine klar gestufte Hierarchie des ersten und zweiten Prinzips, will aber gleichzeitig erklären, wie das erste Prinzip die Ursache des zweiten sein kann. Da das zweite Eine das ἕν ὄν ist und damit an der Substanz partizipiert, muss erklärt werden, wie dieses zweite Eine diese Eigenheit bekommen kann, wenn es aus dem nichtsubstantiellen ersten Einen heraus entsteht. Denn auch seinen Charakter als Eines gewinnt das zweite Eine nicht aus sich selbst, sondern daraus, dass es das Eine als Ursache hat.⁷⁴ Daher muss auch sein Charakter als Seiendes aus der ersten Ursache ableitbar sein, ohne dass diese erste Ursache selbst die Substanz sein kann. Der anonyme Kommentator löst das Problem, indem er das erste Eine als reines, aktuales Sein versteht, das noch über der Substanz und der Aktivität steht. Dieses reine Sein bezeichnet er unter anderem mit dem substantivierten Infinitiv als „das Sein vor dem Seienden“ (τὸ εἶναι πρὸ τοῦ ὄντος). Aus diesem reinen Sein leitet sich das Seiende ab, das Substanz und Aktivität sein kann und an dem das zweite Eine partizipiert.⁷⁵ Der Anonymus unterscheidet auf der Ebene des zweiten Einen aber noch zwischen zwei weiteren Existenzbegriffen, nämlich der Existenz (ὕπαρξις) und dem Seienden (ὄν). Als Existenz bezeichnet er die erste Entfaltungsstufe des dreigliedrigen Intellekts, in der Denken und Gedachtes noch zusammenfallen. Aus dieser ursprünglichen Einheit geht das unbegrenzte Leben hervor, das die Phase der Selbstdifferenzierung des Intellekts darstellt. Durch das Denken wird diese Bewegung wieder zurückgewendet auf die ursprüngliche Ein-
und zu weiteren Belegen in gnostischen Schriften Förster, Marcus Magus, 179 mit Anm. 43. Ferner Tommasi, viae negationis, 138 f. Vgl. Anon. in Prm. fr. 5 XI, fol. 93r,29-XII,93v,3: ᾿Aλλ’ ὅτι μὲν ἀπ’ ἐκείνου, ἓν δήπου καὶ αὐτό· ὅτι δὲ οὐκ ἐκεῖνο, ἓν ὂν τὸ ὅλον τοῦτο ἐκείνου ἓν μένοντος· πῶς γὰρ ἂν ἓν μεταβάλλοι ἕν, εἰ μὴ τὸ μὲν ἦν ἀκραιφνὲς ν, τὸ δὲ οὐκ ἀκραιφνές. Διὸ ὁ ἐκεῖνο καὶ οὐκ ἐκεῖνο, ὅτι τὸ μετά τι καὶ τὸ ἀπό του ἐκεῖνό τε τρόπον τινά ἐστιν, ἀφ’ οὗ καὶ μεθ’ ὅ ἐστιν καὶ ἄλλο τι, ὃ οὐ μόνον οὐκ ἔστιν ἐκεῖνο ἀφ’ οὗ αὐτό ἐστιν, ἀλλὰ καὶ ἐν τοῖς ἀντικειμένοις συμβεβηκόσι θεωρούμενον. (100 – 102 Hadot) Vgl. Anon. in Prm. fr. 5 XII fol. 93v22– 34: Ὅρα δὲ μὴ καὶ αἰνισσομένῳ ἔοικεν ὁ Πλάτων, ὅτι τὸ ἓν τὸ ἐπέκεινα οὐσίας καὶ ὄντος ὂν μὲν οὐκ ἔστιν οὐδὲ οὐσία οὐδὲ ἐνέργεια, ἐνεργεῖ δὲ μᾶλλον καὶ αὐτὸ τὸ ἐνεργεῖν καθαρόν, ὥστε καὶ αὐτὸ τὸ εἶναι τὸ πρὸ τοῦ ὄντος· οὗ μετασχὸν τὸ ν ἄλλο ἐξ αὐτοῦ ἔχει ἐκκλινόμενον τὸ εἶναι, ὅπερ ἐστὶ μετέχειν ὄντος. Ὥστε διττὸν τὸ εἶναι, τὸ μὲν προϋπάρχει τοῦ ὄντος, τὸ δὲ ὃ ἐπάγεται ἐκ τοῦ ὄντος τοῦ ἐπέκεινα ἑνὸς τοῦ εἶναι ὄντος τὸ ἀπόλυτον καὶ ὥσπερ ἰδέα τοῦ ὄντος, οὗ μετασχὸν ἄλλο τι ἓν γέγονεν […]. (104– 106 Hadot)
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heit, wodurch sich der Intellekt erst als einheitliches dreigliedriges Seiendes (ὄν) etabliert und als solches die Totalität des Ideenkosmos’ darstellt.⁷⁶ Victorinus kann in bestimmten Zusammenhängen ebenfalls auf solche hierarchischen Differenzierung zurückgreifen, wie sie sich im Turiner ParmenidesKommentar finden. Dann grenzt er den Vater als das reine Sein (quod est esse, τὸ εἶναι) vom geformten Sein des Sohnes (τὸ ὄν) ab, um Vater und Sohn in ein logisches Verhältnis zueinander setzen zu können.⁷⁷ Jedoch unterscheidet sich Victorinus vom Kommentator darin, dass er zugleich programmatisch den Aspekt des überund nichtsubstantiellen und des substantiierten Einen in Gott zusammendenkt und hier keine klare Verteilung auf zwei Prinzipien vornimmt. Der Vater ist in paradoxerweise übersubstantiell und substantiell zugleich, reines Sein und geformtes Sein bilden aufgrund der Homousie eine untrennbare Einheit. Der anonyme Kommentar unterscheidet sich ferner von Victorinus hinsichtlich seiner Terminologie zur Bezeichnung verschiedener Seinsklassen, insbesondere auch in der konsequenten und präzisen Verwendung dieser Terminologie. Darauf hat bereits Němec in einer gründlichen Analyse des Kommentars verwiesen, in der er zu dem Ergebnis kommt, dass der Kommentar nicht die direkte Quelle des Victorinus gewesen sein kann.⁷⁸ Němec betont, dass der Anonymus Existenz (ὕπαρξις) und das Sein (τὸ εἶναι) an keiner Stelle miteinander identifiziert, sondern die Begriffe präzise unterscheidet.⁷⁹ Das reine Sein kommt nur dem ersten Einen zu, aus ihm entsteht das definierte und substantielle Seiende (τὸ ὄν) des zweiten Einen, dessen erste Entfaltungsphase als Existenz (ὕπαρξις) bezeichnet wird. Es gibt also im Turiner Kommentar eine klare Hierarchie von τὸ εἶναι, ὕπαρξις und ὄν. Victorinus unterscheidet dagegen etwas einfacher zwischen reinem Sein und geformten Sein, wobei ὕπαρξις als geformtes Sein (cum forma quod est esse / esse cum forma) austauschbar mit τὸ ὄν ist.⁸⁰ Der Vater, der eigentlich reines Sein ist, kann nur aufgrund der Homousie mit dem geformten Sein des Sohnes ebenfalls als ὕπαρξις und ὄν bezeichnet werden.⁸¹
Anon. in. Prm. fr. 6; XIV fol. 90r,10 – 21: Ἓν μὲν οὖν ἐστιν καὶ ἁπλοῦν κατὰ τὴν πρώτην καὶ ‘αὐτὸ τοῦτο’ αὐτοῦ το{α}ύτου ἰδέαν, δύναμις ἢ ὅτι καὶ χρὴ ὀνομάζειν ἐνδείξεως άριν ἄρρητον οὖσαν καὶ ἀνεννόητον, οὐχ ἓν δὲ οὐδὲ ἁπλοῦν κατὰ τὴν ὕπαρξιν καὶ ζωὴν τὴν νόησιν. Καὶ τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον ὑπάρξει, τὸ δὲ νοοῦν, ἢν ὁ νοῦ[ς μετε]ξ[έλθῃ] ἀπὸ τῆς ὑπάρξεως εἰς τὸ νοοῦν, ἵνα ἐπανέλθῃ εἰς τὸ νοητὸν καὶ ἑαυτὸν ἴδῃ, ἐστὶν ζωή. (110 Hadot) S. dazu oben die Ausführungen zu Adv. Ar. II 4 S. 244– 251. Vgl. Němec, Die Theorie des göttlichen Selbstbewusstseins, RhM 154 (2011), 197– 205. Gegen Hadot, Porphyre I, 257. Vgl. Adv. Ar. II 4 (105,8.13 f. Locher). S. dazu oben S. 244– 251. Vgl. Adv. Ar. II 4 (105,87 f.13 Locher).
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Auch die sog. sethianischen Texte sprechen über das Sein des ersten Prinzips in einer ähnlich paradoxen Weise und versuchen zugleich, eine begriffliche Differenzierung vorzunehmen⁸²: Der Zostrianus nennt das erste Prinzip eine substanzlose Existenz (ἀνούσιος ὕπαρξις), die eine innere Aktivität besitzt, die das Leben genannt wird.⁸³ Der Allogenes spricht davon, dass dieses erste Prinzip existiert, wirkt und erkennt, ohne Intellekt, Leben, Existenz oder gar Nicht-Existenz zu besitzen, oder davon, dass es in seinsloser Existenz existiert.⁸⁴ Auch die sethianischen Texte unterscheiden also begrifflich verschiedene Formen der Existenz: Die ὕπαρξις des ersten Prinzips ist von der Substanz unterschieden, die ein definiertes Sein bezeichnet. Das erste Prinzip kann im Allogenes ähnlich wie im Turiner Kommentar auch verbal als Sein bestimmt werden, um es vom determinierten Sein des zweiten Prinzips zu unterscheiden.⁸⁵ Der Vergleich mit dem Anonymus und den sethianischen Texten macht auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Autoren aufmerksam: Dem Anonymus geht es sehr stark um eine klare Differenzierung der beiden ersten Prinzipien, in schwächerer Weise gilt dies auch für die sethianischen Texte. Bei diesen zeigt sich aber bereits eine Tendenz, die beiden ersten Prinzipien miteinander zu verbinden. Diese Tendenz ist bei Victorinus noch einmal zusätzlich übersteigert, indem er das Sein der beiden ersten Prinzipien in paradoxer Weise über die Homousie verbindet und nur in bestimmten Zusammenhängen differenziert. Daher können in seinem Denken beide Definitionen richtig sein: Der Vaters ist für sich betrachtet reines Sein (quod est esse / τὸ εἶναι), durch die untrennbare Verbindung mit dem Sohn ist er aber auch immer geformtes Sein (cum forma quod est esse / esse cum forma) und damit ὄν und ὕπαρξις. Es kommt also immer darauf an, welchen Aspekt Gottes Victorinus gerade betrachtet. Wenn man davon ausgehen möchte, dass Victorinus sethianische Texte wie den Zostrianus kannte, dann hat er deren Tendenzen vor dem Hintergrund der nizänischen Theologie noch einmal ausgebaut und erweitert. Die trotz der Unterschiede im Detail feststellbare Nähe zum anonymen Kommentar zeigt aber, dass diese Art die Ursächlichkeit des ersten Prinzips begrifflich zu fassen, in breiteren Kreisen diskutiert wurde und jeweils mit eigenen Akzenten versehen wurde. Die grundsätzliche Strategie, zum Zweck der Unterscheidung des ersten und zweiten Prinzips verschiedene Seinsbegriffe zu differenzieren ist allen gemeinsam. Jeder definiert diese Begriffe allerdings verschieden und setzt sie unterschiedlich
S. dazu auch unten S. 283 f. Vgl. Zostr NHC VIII,1 p. 20,16 – 21.68,3 – 6.78,4 f.79,5 – 9. Vgl. Allog NHC XI,3 p. 55,26 – 30.61,32– 39. Vgl. zum ganzen Abschnitt auch die Einleitung von Turner in BCNH.T 24,81– 94. Turner folgt S 88 f. aber Hadot und spricht ebenfalls von einer Identifikation von ὕπαρξις und τὸ εἶναι im Turiner Parmenideskommentar.
3 Der Sohn als Offenbarung des verborgenen Wesens des Vaters
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ein. Der entscheidende Unterschied zu platonischen wie gnostischen Entwürfen besteht darin, dass Victorinus grundlegend vom Axiom der Homousie her denkt und auf dieser Grundlage zwischen Vater und Sohn differenzieren und sie zugleich paradox zusammendenken kann.
3 Der Sohn als Offenbarung des verborgenen Wesens des Vaters Die Bedeutung der Homousie von Vater und Sohn liegt für Victorinus darin, dass sie begründet, wie der eigentlich unerkennbare und absolut transzendente Vater durch den Sohn erkannt werden kann. Die immer weitere Übersteigerung der Transzendenz des Vaters führt zu dem Problem, dass Gott dem menschlichen Erkennen immer weiter enthoben wird. Durch die paradoxe Verbindung des Sohnes und des Vaters bei Victorinus wird aber das Wesen des eigentlich unerkennbaren Vaters durch seinen Sohn erkennbar. Nur die Einheit der Substanz von Vater und Sohn garantiert für ihn, dass der Vater vollumfänglich im Sohn erkannt werden kann. Alle anderen Verhältnisbestimmungen ließen Raum dafür, dass der Vater nur zum Teil und unvollständig erkannt werden könnte. Da Victorinus die vollständige Erkenntnis Gottes aber als heilsnotwendig erachtet, muss sie durch den Sohn möglich sein. Diese Grundentscheidung bringt Victorinus konzeptionell auf verschiedene Weisen zur Geltung. Anknüpfend an die biblische Sprache betrachtet er den Sohn als Abbild der väterlichen Substanz und löst sich dabei von einem platonischen Bildverständnis, das immer mit einer ontologischen Deterioration verbunden ist. Im gleichen Sinne beschreibt Victorinus das Verhältnis zwischen Vater und Sohn als ein komplexes Verhältnis von Potenzialität und Aktualität, womit er an philosophische Diskussionen des sog. Neupythagoreismus, des Neuplatonismus, möglicherweise an gnostische Texte und an die trinitarischen Debatte des 4. Jh. anknüpft. Dabei versteht Victorinus den Sohn stets als ein Nach-Außen-Treten und eine Manifestation dessen, was im Vater noch unerkennbar, transzendent und verborgen ruht. In dieser Funktion nennt Victorinus den Sohn auch die Form, durch die das unerkennbare Sein des Vaters erkennbar wird und die untrennbar mit seinem Sein verbunden ist.
3.1 Umdeutung des Bildbegriffs auf der Grundlage der Homousie In der Ausdeutung der biblischen Rede vom Sohn als Bild Gottes kann Victorinus nicht einfach den Bildbegriff der platonischen Philosophie übernehmen, da dieser
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immer mit der Vorstellung einer ontologischen Abstufung verbunden ist.⁸⁶ Platon beschreibt mit dem Bildbegriff stets das Verhältnis eines sinnlich wahrnehmbaren Dinges zu den intelligiblen Ideen. Der Bildbegriff dient ihm einerseits dazu, die sinnlich wahrnehmbare Welt eng mit dem wahren Sein der intelligiblen Welt zu verbinden, andererseits dazu, eine klare Abstufung vorzunehmen. Durch ihre Teilhabe am Sein der Ideenwelt haben die Sinnendinge ihre Form und ihr Sein und spiegeln damit etwas von der Welt des wirklichen Seins wieder. Als bloße Abbilder sind sie aber dem wahren Sein der Ideen nachrangig und ontologisch wie axiologisch deutlich herabgesetzt.⁸⁷ In den neutestamentlichen Schriften wird bereits ein spiritualisierter Bildbegriff auf Christus angewandt, wenn er etwa als Bild Gottes oder Abdruck der Hypostase des Vaters bezeichnet wird.⁸⁸ Die alexandrinischen Theologen greifen diese Bezeichnung des Sohnes auf und interpretieren sie im Sinne eines spiritualisierten platonischen Bildbegriffes: Als Bild des Vaters ist der präexistente Sohn der bestmögliche Ausdruck des väterlichen Wesens, steht aber auf einer ontologisch niedrigeren Ebene, da das Bild niemals vollständig das Sein des Urbildes darstellt.⁸⁹ In dieser Weise verwendet auch Origenes in seiner Trinitätstheologie den Begriff des Bildes. Er dient ihm dazu, eine gestufte Hierarchie des Seins zu entfalten, durch die die Distanz zwischen dem transzendenten Vater und den Menschen geschlossen wird. Durch die Abstufung ist dem Menschen ein Weg geebnet, auf dem er nach oben steigen kann. Origenes setzt die Bildhaftigkeit des Sohnes ins Verhältnis zur Bildhaftigkeit des Menschen: Wie sich nämlich Gott an sich und der wahre Gott, der Vater zu dem Bild und zu den Bildern des Bildes verhält, (deswegen werden die Menschen nach dem Bilde Gottes, nicht Bild Gottes genannt), so verhält sich der Logos an sich zum Logos in jedem Einzelwesen.⁹⁰
Vgl. dazu und zum Bildbegriff bei Victorinus insgesamt Boersma, Image, 51– 86. Vgl. ferner Vasiliu, l’argument de l’image, Les Études philosophiques 101 (2012), 191– 216. Vgl knapp dazu Crouzel, Théologie de l’image, 34. Vgl. 2Kor 4,4; Kol 1,15, Hebr 1,3; Phil 2,6; Röm 8,29; die neutestamentlichen Schriften greifen dabei auf jüdische Weisheitstheologie zurück, vgl. nur Weish 7,26. Zum Logos als Bild Gottes bei Philo vgl. Crouzel, Théologie de l’image, 52– 57. Vgl. zur Verwendung des Bildbegriffs bei Irenäus von Lyon und Clemens von Alexandrien Crouzel, Théologie de l’image, 64– 69: Bei Irenäus ist der Bildbegriff jedoch noch stärker mit der sinnlichen Wahrnehmbarkeit verbunden, da in seiner Auslegung auch der Leib des Menschen nach dem Bilde Gottes im Logos ist, s. dazu unten S. 405 – 410. Or. Jo. II 20: […] ὡς γὰρ αὐτόθεος καὶ ἀληθινὸς θεὸς ὁ πατὴρ πρὸς εἰκόνα καὶ εἰκόνας τῆς εἰκόνος, (διὸ καὶ κατ’ εἰκόνα λέγονται εἶναι οἱ ἄνθρωποι, οὐκ εἰκόνες) οὕτως ὁ αὐτόλογος πρὸς τὸν ἐν ἑκάστῳ λόγον. (55,17– 20 Preuschen)
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Der Logos ist das Abbild des Vaters und die vernünftige Natur der geschaffenen Wesen wiederum das Abbild des Logos. Dieser nimmt eine vermittelnde Stellung zwischen dem Vater und den Geschöpfen ein, die den Vater daher auch nur durch den Sohn erkennen können. Hieronymus fasst den Gedanken in seiner Parallelüberlieferung zu Rufins Übersetzung von De principiis so zusammen: Der Sohn sei, da er das Bild des unsichtbaren Vaters sei, verglichen mit dem Vater nicht die Wahrheit; bei uns aber, die wir die Wahrheit des allmächtigen Gottes nicht erfassen können, erscheine er als eine abbildhafte Wahrheit, sodass die Erhabenheit und Größe dessen, der größer ist, gewissermaßen definiert erkannt werden kann im Sohn.⁹¹
Der Bildbegriff erfüllt also eine doppelte Funktion für Origenes: Er bestimmt den Vater als den Ursprung des Sohnes und als vermittelnde Instanz, die die Erkenntnis des Vaters ermöglicht.⁹² Origenes kann im dritten Jahrhundert noch problemlos einen platonisch gefärbten Bildbegriff übernehmen, mit dem immer eine gewisse Abstufung verbunden ist. Im Zuge der Diskussionen des 4. Jh. wird aber auch über die Bezeichnung des Sohnes als Bild wieder neu gestritten. Für alle, die eine möglichst enge Verbindung zwischen Vater und Sohn sehen wollen, stellt das allgemein übliche platonische Verständnis des Bildbegriffes ein Problem dar. Diese Theologen sind herausgefordert, die Bildhaftigkeit des Sohnes so zu interpretieren, dass damit keine ontologische Herabminderung verbunden ist. Dafür werden ganz unterschiedliche Lösungen angeboten: Athanasius von Alexandrien versucht, den Bildbegriff mit der Homousie in Einklang zu bringen, offenbart bei seinen Interpretationen aber die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten. Er betrachtet die biblischen Bezeichnungen des Sohnes als Bild, Abglanz, Abdruck,Wahrheit und Weisheit als Synonyme und versucht sie so Vgl. Or. princ. I 2,6 (36 Koetschau, in app. ad l. 7– 10) = Hier. epist. 124,2 (CSEL 56, 97,10 – 14): Filium, qui sit imago invisibilis patris, comparatum patri non esse veritatem; apud nos autem, qui dei omnipotentis non possumus recipere veritatem, imaginariam veritatem videri, ut maiestas ac magnitudo maioris quodammodo circumscripta sentiatur in Filio.Vgl. ferner Or. princ. fr. 4 Görgemanns/Karpp = Or. princ. I 2,6; 36,10 – 13 Koetschau = ACO III 209,24– 27: Γενόμενοι τοίνυν ἡμεῖς κατ’ εἰκόνα τὸν υἱὸν πρωτότυπον ὡς ἀλήθειαν ἔχομεν τῶν ἐν ἡμῖν καλῶν τύπων· αὐτὸς δὲ ὅπερ ἡμεῖς ἐσμὲν πρὸς αὐτόν, τοιοῦτός ἐστι πρὸς τὸν πατέρα ἀλήθειαν τυγχάνοντα. Die Bewertung der Unterschiede zwischen Hieronymus und Rufin ist freilich immer schwierig, doch scheint die Einschätzung von Koetschau, 36, in app. ad l. 7– 10 plausibel: „von Rufin absichtlich geändert.“ Dem folgen auch Görgemanns/ Karpp 136 f. und übersetzen an dieser Stelle nach der Überlieferung des Hieronymus. Crouzel, Théologie de l’image, 78 nennt die Übersetzung des Hieronymus „nicht falsch, aber tendenziös aufgrund ihrer Zweideutigkeit“, da imaginarius sowohl „bildhaft“, als auch „falsch, eingebildet“ heißen kann. Vgl. Crouzel, Théologie de l’image, 78.84 f.
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zu deuten, dass sie keinen Wesensunterschied des Sohnes zum Vater ausdrücken. Der Bildbegriff bringt funktional genauso wie bei Origenes zum Ausdruck, dass der Vater durch den Sohn erkannt werden kann und dass der Vater die Ursache des Sohnes ist. Damit soll aber für Athanasius gerade kein Wesensunterschied ausgedrückt werden. Ferner betont er in polemischer Abgrenzung zu Arius, dass es auch keine zeitliche Abstufung zwischen Vater und Sohn gebe: So wie das Licht immer existiere, existiere immer auch der Abglanz, so wie das Wesen des Vaters immer existiere, existiere auch immer der Abdruck seines Wesens, der Vater sei nie ohne Wahrheit und ohne seine Weisheit. Da das Bild den Vater vollkommen abbildet, sehe er sich selbst in seinem Bild.⁹³ In der Bestimmung des Sohnes als der wesenshaften Wahrheit des Vaters zeigt sich gut der Unterschied zum Bildbegriff des Origenes: Zwischen Vater und Sohn besteht kein Urbild-Abbild-Verhältnis mehr im platonischen Sinne, sodass der Vater die vollkommene Wahrheit wäre und der Sohn ein abgestuftes Abbild davon. Sondern der Sohn gehört wesenhaft zum Vater und ist seine Wahrheit. Daher sagt Athanasius auch gerne, der Sohn sei das ununterscheidbare Bild des Vaters (ἀπαράλλακτος εἰκών).⁹⁴ Das Problem bei den Versuchen des Athanasius, den Bildbegriff in Einklang mit einer möglichst engen Verbindung von Vater und Sohn zu bringen, liegt darin, dass die biblischen Metaphern von Christus als Abglanz oder Abdruck ebenso wie der Bildbegriff an sich gerade eine subordinatianische Deutung zulassen oder sogar nahelegen.⁹⁵ Die in dieser Hinsicht konsequenteste Auslegung des Bildbegriffes findet sich bei Markell von Ankyra, der wieder an den ursprünglichen Charakter des platonischen Bildes als eines sinnlich wahrnehmbaren Objektes anknüpft. Markell bezieht nämlich die Bezeichnung „Bild Gottes“ nie auf den präexistenten Logos, sondern stets auf den inkarnierten Sohn, da erst dieser durch die Annahme eines Körpers sichtbar geworden ist.⁹⁶ Damit bleiben die Momente der hierarchischen
Vgl. Ath. Ar. I 20,3 – 7 (AW I/1/2, 130). Außerdem knapper in Ath. Ar. I 58,5: […] καὶ αὐτὸς μὲν ἀπαύγασμα καὶ λόγος καὶ εἰκὼν καὶ σοφία τοῦ πατρός ἐστι, τὰ δὲ γενητὰ κάτω που τῆς τριάδος ἐστὶ παραστήσοντα καὶ δουλεύοντα, ἑτερογενὴς ἄρα και ἑτεροούσιος ἐστιν ὁ υἱὸς τῶν γενητῶν καὶ μᾶλλον τῆς τοῦ πατρὸς οὐσίας ἴδιος καὶ ὁμοφυὴς τυγχάνει. (AW I/1/2 169,19 – 23) Zahlreiche weitere Belege zum Bildbegriff des Athanasius bei Seibt, Markell von Ankyra, 340 Anm. 382. Vgl. z. B. Ath. Ar. I 26,4 (AW I/1/2 136,18).Weitere Belege bei Seibt, Markell von Ankyra, 443 Anm. 789. Zum subordinatianischen Verständnis des Bildes bei Asterius vgl. Markell von Ankyra, fr. 90 Klostermann (=fr. 51 Seibt = Asterius, fr. 11 Vinzent). Dazu auch Vinzent, Asterius von Kappadokien, 44– 46. Vgl. zur Unterscheidung von Logos und Bild fr. 91 Klostermann (=fr. 52 Seibt): … πότε γένομενος εἰκὼν ἤ ὁπηνίκα τὸ „κατ’ εἰκόνα καὶ καθ’ ὁμοίωσιν“ ἀνείληφεν πλασμα; Πρότερον γὰρ, ὥσπερ πολλάκις ἔφην, οὐδὲν ἕτερον ἦν ἤ λόγος. Zum sinnlich wahrnehmbaren Charakter bes. fr. 92 Klostermann (= fr. 53 Seibt): οὐκοῦν πρόδηλον, ὅτι πρὸ τῆς τοῦ ἡμετέρου σώματος ἀναλήψεως ὁ λόγος
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Abstufung und der sinnlichen Wahrnehmbarkeit des Bildes gewahrt, ohne die Wesenseinheit des präexistenten Sohnes mit dem Vater zu gefährden. Der Versuch des Victorinus, den Bildbegriff in Einklang mit der Homousie zu bringen, unterscheiden sich davon noch einmal deutlich. Die Exegese des Athanasius ist für das philosophische Denken des Victorinus noch nicht subtil genug, da hier noch nicht ausreichend geklärt wird, wie ein Bild wesenseins mit seinem Urbild sein kann und dessen Wesen vollkommen abbilden kann. Anders als Markell schließt er sich aber der Auffassung an, dass der präexistente Logos, nicht der Inkarnierte als Bild bezeichnet wird. So versucht Victorinus, zwischen der vergleichsweise schlichten Lösung des Athanasius und der radikalen Neudeutung Markells einen Mittelweg zu gehen und den Bildbegriff philosophisch umzudefinieren. Grundsätzlich stellt Victorinus die Bezeichnung des Sohnes als Bild unter denselben Vorbehalt wie jegliche Gottesrede: Die menschlichen Begriffe sind nur Annäherungen an das göttliche Wesen und können es nicht adäquat ausdrücken, da sie dem göttlichen Wesen nicht inhärent, sondern sekundäre Bezeichnungen sind.⁹⁷ Wie vom Vater als Substanz im Sinne von subiectum nur unter dem Vorbehalt gesprochen werden kann, dass im ewigen Bereich alles ganz anders gemeint sei als im irdischen Bereich, so kann vom Sohn als Bild gesprochen werden mit dem Wissen, dass Bild im intelligiblen Bereich etwas anderes bedeutet als im irdischen. Sein Bildbegriff ist ebenfalls von den zwei Dimensionen geprägt, dass ein Bild etwas vorher Unerkennbares erkennbar macht und dass eine kausale Verhältnisbeziehung zwischen Urbild und Abbild besteht. Anlässlich einer Exegese zu 2Kor 4,4 unternimmt Victorinus eine philosophische Neudefinition dessen, was „Bild“ im intelligiblen Bereich bezeichne. Zunächst beginnt er damit, die Bildhaftigkeit des Sohnes als eine kausale Beziehung zwischen Vater und Sohn zu deuten: Wenn Christus das Bild Gottes ist, bedeutet das, dass er von Gott als dem Urbild abstammt und ihm gegenüber sekundär ist. Dem her-
καθ’ ἑαυτὸν οὐκ ἦν εἰκὼν τοῦ ἀοράτου θεοῦ. Τὴν γὰρ εἰκόνα ὁρᾶσθαι προσήκει, ἵνα διὰ τῆς ἐικόνος τὸ τέως μὴ ὁρώμενον ὁρᾶσθαι δύνηται. Zum Bildkonzept des Markell vgl. insges. frr. 90 – 97 Klostermann (=frr. 51– 56.113 f. Seibt) mit Kommentar und Interpretation bei Seibt, Markell von Ankyra, 336 – 347.442– 445.480 – 484. Vgl. Adv. Ar. IV 23: Omnia enim, quae voces nominant, post ipsum sunt […]. (156,18 Locher) Zu ähnlichen Aussagen Plotins vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 80 f. Zum Bild-Begriff bei Victorinus vgl. auch Benz, Marius Victorinus, 86 – 89. Die von Benz S. 89 erkannte Parallele zu Ambrosius, der den Sohn als imago invisibilis Dei bezeichnet, beruht natürlich auf Kol 1,15. Die Gleichsetzung mit dem Abglanz des Lichtes ist auch vor dem Hintergrund von Hebr 1,3 und aus den Bekenntnisformeln lumen de lumine zu erklären und nicht nur eine Anleihe aus der neuplatonischen Lichtmetaphysik, wie Benz vermutet.
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kömmlichen Bildbegriff nach brächte dies auch einen substantiellen Unterschied zwischen Urbild und Abbild mit sich: Wenn Christus das Bild Gottes ist, ist Christus von Gott. Denn ein Bild ist Bild eines Urbildes. Das Urbild ist Gott, also ist das Bild Christus. Aber das Bild ist Bild eines Urbildes. Und was urbildlich ist, ist vorrangig. Das Bild ist dagegen etwas zweites und unterscheidet sich hinsichtlich der Substanz vom Urbild.⁹⁸
Da Victorinus diese letzte Konsequenz im Falle Christi nicht ziehen möchte, führt er einen Unterschied zwischen dem physikalischen Bildbegriff und dem göttlichen Bildbegriff ein: Aber wir verstehen „Bild“ dort nicht so wie im sinnlich Wahrnehmbaren. Hier verstehen wir nämlich unter einem Bild keine Substanz. Es ist nämlich wie ein Schatten in der Luft oder im Wasser, der vermittelt durch ein körperliches Licht durch die Widerspiegelung eines körperlichen Ausflusses [Abglanzes?] Gestalt gewinnt; dieser Schatten ist für sich genommen nichts, hat keine eigene Bewegung (das Urbild allein ist Substanz), hat keinen Körper, keine Sinneswahrnehmung und kein Denkvermögen, und sobald das, worin es abgebildet ist, entfernt oder aufgewühlt wurde, existiert es überhaupt nicht mehr und nirgends mehr.⁹⁹
Ein Bild im physikalischen Sinne zeichne sich dadurch aus, dass materielles Licht einen materiellen Ausfluss (corporalis effluentia) eines Objektes transportiere und sich dieser im Wasser oder auf einem Spiegel widerspiegele.¹⁰⁰ Es fällt auf, dass Victorinus einen materiellen Ausfluss für die Sichtbarkeit der Wahrnehmungsobjekte verantwortlich macht, da dies ganz den Vorstellungen der epikureischen
Adv. Ar. I 19: Si imago dei Christus, de deo Christus. Imago enim imaginalis imago. Imaginalis autem deus. Imago ergo Christus. Sed imago imaginalis imago est. Et quod imaginale, est principale. Imago autem secunda et aliud secundum substantiam ab eo, quod imaginale est. (49,15 – 19 Locher) In dieser Bedeutung wird imaginalis nur von Victorinus gebraucht, vgl. ThlL 7,1,401,68 – 73 s.v. imaginalis: quod est exemplaris, archetypi, fere i. q. παϱαδειγματιϰός. Gegen Baltes, Marius Victorinus, 110 muss betont werden, dass es sich hier nicht um ein neuplatonisches Bildkonzept handelt, sondern nur um eine kausale Bestimmung von primär und sekundär. Daraus folgt für Victorinus gerade nicht automatisch, dass der Sohn substantiell inferior ist. Adv. Ar. I 19: Sed non sic intellegimus ibi imaginem sicuti in sensibilibus. Hic enim nec substantiam intellegimus imaginem. Umbra enim quaedam est in aere aut in aqua per quoddam corporale lumen corporalis effluentiae [an effulgentiae legendum? s. Anm. 101] per reflexionem figurata, ipsa per semet nihil nec proprii motus (imaginalis solum substantia) neque corpus neque sensum neque intellegentiam habens, et ablato aut turbato, in quo figuratum est, omnino nihil et nusquam est. (49,19 – 25 Locher) Victorinus vertritt anders als etwa Plotin die naturphilosophische Ansicht, dass das Licht materiell ist. Vgl. zu dieser Diskussion der antiken Philosophie die Texte bei Sorabij, Philosophy of the Commentators II, 275 – 284.
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Physik entspricht und mit den sonstigen Ansichten des Victorinus nicht kompatibel scheint. Man sollte daher in Erwägung ziehen, ob es sich um eine Verschreibung handelt und man besser effulgentia für effluentia lesen sollte.¹⁰¹ Akzeptiert man diese Konjektur, so spricht Victorinus davon, dass materielles Licht auf eine Reflexionsfläche trifft, wodurch ein ebenso materieller Abglanz entsteht. Diese Reflexion ist nur deswegen materiell, weil sie auch durch das Licht transportiert wird, das Victorinus für materiell hält. Das dabei auf der Reflexionsfläche entstehende Spiegelbild hat aber keine eigene Substanz oder materielle Beschaffenheit. Das Schattenbild hat seine Substanz im Wasser oder auf der Oberfläche, auf der es gespiegelt wird. Das wird dadurch einsichtig, dass das Spiegelbild verschwindet, wenn man das Wasser aufwühlt. Allein das Urbild hat also eine eigene Substanz, das Bild ist ein bloßer Schatten und eine Reflexion des Urbildes. In einer anderen Erklärung des Bildbegriffes versucht Victorinus, das intelligible Bild, die imago auch sprachlich von den physikalischen Scheinbildern, den simulamenta oder simulacra zu unterscheiden.¹⁰² Diesen Versuch, eine neue Terminologie zu schaffen, hält Victorinus aber selbst nicht durch. Im Anschluss an die naturphilosophische Erklärung der Entstehung von Spiegelbildern in Adv. Ar. I 19
Die Epikureer vertreten die Ansicht, dass sich von jedem Objekt materielle Bilder lösen, die auf das Auge treffen und so die Objekte sichtbar machen, vgl. Epikur, Epistula ad Herodotum 46 (9 f. Usener). Epikur kann diese ausströmenden Bilder auch als ἀπόρροιαι bezeichnen, vgl. Epistula ad Herodotum 46,2 (9,16 Usener). Victorinus gebraucht effluentia sonst nur an drei Stellen, an denen er den Brief Eusebs von Nikomedien an Paulinus von Tyrus zitiert, vgl. den Brief Eusebs in Cand. II 2 (31,20 Locher): […] sicuti pars eius aut ex effluentia substantiae […]. (=Urk. 8,5 AW III/1/1 (16,12 f.) = Dok. 4,5 AW III/1/3 (83): […] ὡς ἂν μέρος αὐτοῦ ἢ ἐξ ἀπορροίας τῆς οὐσίας […]) mit Adv. Ar. I 1 (33,5 f.,7,21 f. Locher). Dort lehnt er in Übereinstimmung mit Euseb die Bezeichnung Christi als ἀπόρροια ab, da dies eine Verminderung des Vaters bedeuten würde: nam neque pars patris filius neque effluentia, quae manando inde minus fecerit, unde manarit. (33,6 – 8 Locher) Vor dem Hintergrund dieser Kritik am effluentia-Begriff scheint es mir nicht plausibel, dass Victorinus ihn auf physikalische Phänomene angewandt hätte. Besser fügt sich effulgentia in den gesamten Kontext ein: Körperlich ist im gesamten Vorgang nur das Licht als Medium des Sehprozesses. Es transportiert ein Bild eines Objekts, wenn dieses Licht auf die Wasseroberfläche trifft, wird die Reflexion zurückgeworfen. Diese ist, da sie auch Licht ist, ebenso körperlich. Wirkliche Substanz hat in dem ganzen Geschehen aber nur das ursprüngliche Objekt. Im Gegensatz dazu bringt das göttliche Licht einen ebenso substantiellen wie göttlichen Abglanz hervor. Auffällig ist, dass auch in unmittelbarer Nähe in der Handschrift A eine Verschreibung von substantia zu substia auftaucht (49,1 Locher). Vasiliu, l’argument de l’image, Les Études philosophiques 101 (2012), 209 f. bemerkt die ungewöhnliche Formulierung und versucht verschiedene Quellen für diese Vorstellung aufzutun, kann aber keine überzeugende Erklärung geben. Vgl. Adv. Ar. III 1: At in natura sensuali non imagines, sed magis simulacra ac simulamenta dicenda. (114,8 f Locher)
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legt er dar, dass Christus als Bild sich grundlegend von diesen Scheinbildern unterscheidet: Auf andere Weise sprechen wir folglich davon, dass Christus das Bild Gottes sei. Wir sprechen davon, dass er das erste Sein und für sich selbst genommen Sein ist, das auch denkendes Sein ist, und dass er ein lebendiges und lebensspendendes Bild ist und der Same alles Seienden. Er ist nämlich der λόγος, durch den alles ist und ohne den nichts ist. Aber das alles wird auch Gott zugeschrieben. Daher sind Gott und der λόγος ὁμοούσιον.¹⁰³
Der entscheidende Unterschied zwischen einem sinnlich wahrnehmbaren Bild und Christus besteht also darin, dass Christus als Bild selbst auch eine eigene Substanz hat und nicht in einem anderen Substrat widergespiegelt wird. Als schöpfungsmittelnder λόγος hat er Sein, Leben und Denken, mithin dieselben substantiellen Eigenschaften wie der Vater und ist darum mit ihm wesenseins. Auf diese Feststellung hin füllt Victorinus dann den Bildbegriff philosophisch neu aus und erklärt, inwiefern der Logos das Bild Gottes ist: Und warum ist der λόγος das Bild Gottes? Weil Gott im Verborgenen (in occulto) ist, nämlich im Vermögen (in potentia), der λόγος dagegen im Offenbaren (in manifesto), nämlich als Tätigkeit (actio). Da diese Tätigkeit alles hat, was im Vermögen ist, bringt sie durch Leben und Erkenntnis in der Bewegung alles auch offenbar hervor. Daher ist die Tätigkeit das Bild all dessen, was im Vermögen ist, verleiht jedem, das im Vermögen ist, eine Gestalt (species) und existiert für sich selbst genommen. Denn aus Nichts entsteht keine Substanz. Denn alles Sein (esse) hat eine untrennbare Gestalt, besser: die Gestalt ist die Substanz (substantia), nicht in dem Sinne, dass die Gestalt dem Sein (quod est esse) vorangeht, sondern in dem Sinne, dass die Gestalt das Sein (illud, quod est esse) definiert. Denn das Sein (quod est esse) ist für die Gestalt die Ursache, dass sie im Sein ist (in eo, quod est esse), und daher ist das Sein (quod est esse) der Vater und die Gestalt der Sohn. Da wiederum das Sein (ipsum, quod est esse) der Gestalt das Sein (ipsum, quod est esse) verleiht, das Sein (esse) der Gestalt aber ein Bild des Seins (eius, quod est esse) ist, das als Ursache das erste Sein (primum, quod est esse) ist, ist für die beiden das Sein (esse) ὁμοούσιον und das zweite Sein (secundum esse) ist ein Bild des ersten Seins (primi esse). Ich spreche ohne zeitliches Verständnis von erstem und zweitem, nur insofern, dass sie voneinander verschieden sind hinsichtlich der Ursache des Seins, sind sie Vater und Sohn. Da die Ursächlichkeit nicht umgekehrt werden kann, ist der Vater Vater und der Sohn Sohn. Im Sein aber sind sie beide zugleich und immer beide zusammen ὁμοούσιον hinsichtlich des Seins. Hinsichtlich dessen aber, dass es im Vermögen und in der Tätigkeit ist, ist der Vater im Vermögen, der Sohn in der Tätigkeit.
Adv. Ar. I 19: Alio igitur modo dicimus Christum imaginem dei esse. Primum esse et per semet esse et quae sit intellegens esse et viventem dicimus imaginem et vivefacientem et semen omnium, quae sunt. Λόγος enim, per quem omnia et sine isto nihil. Sed ista omnia etiam deo adtributa sunt. Ergo ὁμοούσιον deus et λόγος. (49,25 – 30 Locher)
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Der Sohn ist also geboren und hat in Tätigkeit das potenzielle Sein, so wie das potenzielle Sein auch das Tätigkeit-Sein in sich selbst hat, das das potenzielle Sein ist. Den Ausdruck „hat“ soll man aber sinngemäß verstehen: Er „hat“ nicht, sondern „ist“ es selbst. Dort ist nämlich alles einfach. Aber ich habe das dem Evangelium folgend gesagt: „Dasselbe, was der Vater hat, hat auch der Sohn.“ (vgl. Joh 16,15) Nach diesem Verhältnis ist der Vater im Sohn und der Sohn im Vater, und beide zusammen sind ὁμοούσιον, und zugleich ist der Sohn das Bild des Vaters. Das Sein der beiden ist nämlich ὁμοούσιον. Insofern aber der eine vom anderen stammt, sind sie Urbild und Abbild. Und wiederum weil sie voneinander unterschieden sind, sind sie Vater und Sohn. Und weil der eine vom anderen stammt, ist der eine ungezeugt, der andere gezeugt. Aber dies ist alles ohne zeitliche Abfolge, weil es im Anfang ist und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Unter dieser Betrachtungsweise haben hier also weder diejenigen Platz, die Christus einen Menschen nennen, noch die, die sagen, er sei aus Nichts, noch die, die sagen, er sei in der Zeit entstanden, noch alle anderen, die etwas derartiges vertreten.¹⁰⁴
Victorinus folgt in den grundlegenden theologischen Bahnen der Argumentation, die Athanasius anstellt: Weil der Sohn aus dem Vater gezeugt ist, ist er substanziell identisch mit ihm und zugleich sind Vater und Sohn als Ursache und Verursachtes voneinander verschieden. Der Bildbegriff bringe diese wesenhafte Einheit genauso zum Ausdruck wie die Immanenzaussagen in Joh 14,10 oder die Aussage Jesu in Joh 16,15, dass er alles habe, was der Vater habe.¹⁰⁵
Adv. Ar. I 19: Et quare imago dei λόγος? Quoniam deus in occulto, in potentia enim, λόγος autem in manifesto, actio enim. Quae actio habens omnia, quae sunt in potentia, vita et cognoscentia secundum motum producit[,] et manifesta omnia. Propter quod omnium, quae sunt in potentia, imago est actio unicuique eorum, quae in potentia sunt, speciem perficiens et exsistens per semet. a nihilo enim nulla substantia. Omne enim esse inseparabilem speciem habet, magis autem ipsa species ipsa substantia est, non quo prius sit ab eo, quod est esse, species, sed quod definitum facit species illud, quod est esse. Etenim quod est esse, causa est speciei esse in eo, quod est esse, et ideo, quod est esse, pater est, quod species, filius. Rursus quod ipsum, quod est esse, praestat speciei ipsum, quod est esse, esse autem speciei imago est eius, quod est esse, quod est iuxta causam primum, quod est esse, ὁμοούσιον ergo esse ipsis duobus et secundum esse imago est primi esse. sine tempore primum et secundum dico, iuxta causam aliud alio ad ipsum, quod est esse, pater et filius. Quod autem non retrorsum causa, idcirco pater pater et filius filius. In eo autem, quod esse est, ambo simul sunt et semper ambo ὁμοούσιον iuxta quod est esse. Secundum autem quod est potentia et actione, potentia pater, actione filius. Natus igitur filius habens in actione et potentialiter esse, sicuti potentialiter esse habet ipsum actionem esse in semet ipso, quod est potentialiter esse. Ipsum autem ’habet’ secundum intellectum accipe: non enim habet, sed ipsum est. simplicia enim ibi omnia. sed dixi secundum evangelium: quaecumque habet pater, eadem habet filius. (vgl. Joh 16,15) Secundum istam rationem et pater in filio est et filius in patre, et ὁμοούσιον ambo, et imago filius patris. Ipsum enim esse duorum ὁμοούσιον. Quod autem alterum ab altero, imaginale et imago. Et rursus quod aliud ab alio, pater et filius. Et rursus quod alter ab altero, unum ingenitum, aliud genitum. Sine tempore autem ista, quod in principio ista et ab aeterno in aeternum. Neque igitur qui hominem dicunt Christum neque qui ex nihilo neque qui ex aliquo tempore nec alii huius modi in ista perspectione locum habent. (49,30 – 50,27 Locher) Vgl. z. B. Ath. Ar. III 4 f. mit denselben Belegstellen wie bei Victorinus.
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Jedoch füllt Victorinus diesen Bildbegriff nun philosophisch aus: Der Sohn macht als Abbild des Vaters dessen eigentlich unerkennbares Wesen der Erkenntnis zugänglich. Er bildet nach außen und offenbar (in manifesto) das ab, was der Vater im Inneren verborgen ist (in occulto). Dies verbindet Victorinus mit der für sein Denken bestimmenden Unterscheidung, dass der Sohn als actio das sei, was der Vater in potentia ist. Der Unterschied ist also, dass der Vater alles noch unentfaltet, unerkennbar und nur dem Vermögen nach ist, der Sohn dagegen entfaltet, erkennbar als Akt. Mit dieser Unterscheidung erklärt Victorinus in Adversus Arium III 1 auch die Aussage in Ex 33,20, dass man Gott nicht sehen und am Leben bleiben kann: Das Leben und die Erkenntnis des Vaters ruhen potentiell ganz in sich, während der Sohn als aktuelles Leben und aktuelle Erkenntnis nach außen tritt. Daher ist den Menschen diese noch nicht aktualisierte Potenz im Inneren Gottes nicht zugänglich, da auch ihr Leben außerhalb des Vaters ist. Deswegen kann das potentielle Wesen des Vaters nur durch den ihm eigenen Akt erkannt werden. Die Grundprämisse lautet, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann: Nur der Sohn, der schon immer im Inneren des Vaters ist, kann daher das Innere des Vaters erkennen. Die Menschen können nur das äußere Leben erkennen, das ihnen selbst zu eigen ist. Daher muss der Sohn vollkommen wesenseins mit dem Vater sein, wenn durch ihn wirklich vollkommenes Wissen über den Vater erlangt werden soll.¹⁰⁶ Dass der Sohn den Vater erst erkennbar macht, drückt Victorinus durch die Wechselbeziehung von Sein und Gestalt aus. Jedes Sein hat eine Gestalt, die es erst definiert und der Erkenntnis zugänglich macht. Der Sohn ist die vom Sein des Vaters nicht zu trennende Gestalt, die dieses Sein definiert und nach außen erkennbar macht. Dies vergleicht Victorinus mit dem „So-Sein“ (ita esse), also der Qualität von Sinnendingen. Eine sinnlich wahrnehmbare Substanz wird auch erst durch ihre Qualitäten für den Menschen wahrnehmbar. Im Unterschied zur Sinnenwelt ist bei Gott allerdings die Substanz nicht von der Qualität zu trennen, die sie bestimmt.¹⁰⁷
Vgl. Adv. Ar. III 1: Et quia effulgentia declaratur lumen, vel actio declaratur potentia, idcirco, qui me vidit, vidit patrem. Et quia potentiam ipsam solam nemo videt, deum nemo vidit umquam. Et quoniam potentia cessans vita est et cessans intellegentia, haec autem vita et intellegentia actio est, si quis deum viderit, moriatur necesse est, quia dei vita et intellegentia in semet ipsa est, non in actu, omnis autem actus foris est, hoc vero est nostrum vivere, quod foris est vivere. Ergo et mors deum videre. Nemo, inquit, umquam deum vidit et vixit. Simili enim simile videtur. Omittenda igitur vita foris, omittenda intellegentia, si deum videre volumus, et hoc nobis mors est. (115,8 – 17 Locher) Vgl. Adv. Ar. III 1: Omne autem, quod est unicuique suum esse, substantia est. Sed hoc esse, quod dicimus, aliud intellegi debet in eo, quod est esse, aliud vero in eo, quod est ita esse, ut unum sit substantiae, aliud qualitatis. Sed ista istic in sensibilibus et in mundo. At in divinis et aeternis ista duo unum. (114,13 – 17 Locher)
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Victorinus verbindet also verschiedene philosophische Konzepte miteinander, um den Bildbegriff zu definieren: Ein Manifestationsmodell, ein platonisiertes Potenz-Akt-Modell und ein Sein-Gestalt-Modell. All diese Konzepte drücken letztlich dasselbe aus: Der Sohn bringt nichts anderes zum Vorschein als das innerste und an sich verborgene Wesen des Vaters. Die Gestalt, der Akt, und das Offenbare sind aber bei Gott wesenseins mit dem Sein, der Potenz und dem Verborgenen. Daher kann der Sohn das Wesen des Vaters vollständig abbilden und stellt kein ontologisch nachrangiges Bild dar, durch das der Vater nur teilweise erfasst werden könnte. Das unterscheidet Victorinus vom Bildbegriff des Neuplatonismus. Plotin nennt den Intellekt das Bild des Einen, ohne die beiden ontologisch gleichzusetzen.¹⁰⁸ Genauso kann er die Seele als Bild des Intellekts bezeichnen und ihre Entstehung als Hervorgehen einer äußeren Aktivität aus der inneren Aktivität des Intellekts charakterisieren und sie gerade deshalb als ontologisch inferior ansehen.¹⁰⁹ In aller Knappheit bietet Victorinus alle zentralen Grundanschauungen seiner Trinitätstheologie auf, um den Bildbegriff im Sinne der Homousie mit einer neuen Definition zu versehen. Das zeigt, welche Aufgabe er hierin gesehen hat und mit welchem Aufwand er bereit war, sie zu lösen. Sein Bildbegriff erfüllt letztlich dieselben Funktionen wie bei Athanasius, die philosophische Durchdringung, mit der er sich an der traditionellen platonischen Bildvorstellung abarbeitet, sucht aber ihresgleichen.
3.2 Der Sohn als forma bzw. species des unerkennbaren Seins des Vaters 3.2.1 Der Sohn als Bestimmung des väterlichen Seins Victorinus schließt sich der Gleichsetzung der biblischen Bezeichnungen des Sohnes als Gestalt und als Bild Gottes an, wie sie vorher auch bei Athanasius von Alexandrien zu finden ist.¹¹⁰ Beides drückt für ihn der Sache nach aus, dass der Sohn dem unerkennbaren Wesen des Vaters Ausdruck verleiht und so den Vater der Erkenntnis zugänglich macht. Diese Gleichsetzung von species und imago ist ihm bereits in seinem Cicerokommentar geläufig. Dort vertritt er die Ansicht, dass jedes
Vgl. z. B. den Vergleich mit dem Götterbild und dem Allerheiligsten in Plot. enn.VI 9 (9) 11,17– 19: […] ὥσπερ τις εἰς τὸ εἴσω τοῦ ἀδύτου εἰσδὺς εἰς τοὐπίσω καταλίπων τὰ ἐν τῷ νεῲ ἀγάλματα […], ebenso Plot. enn. V 1 (10) 6,12– 15, vgl. aber auch Plot. enn. VI 7 (38) 35,7– 12, wo ἀγάλματα auf den Hausbesitzer hinweisen. Ebenso wird der Intellekt als εἰκών des Einen bezeichnet, vgl. z. B. Plot. enn. V 1 (10) 7,1. Zur doppelten Aktivität s.u. S. 299 – 302. Für die Seele als Bild des Intellekts vgl. z. B. Plot. enn.V 1 (10) 3,7; enn. V 3 (49) 4,20 f. Ath. Ar. III 5,3 – 6. Zum forma-Begriff bei Victorinus vgl. auch Benz, Marius Victorinus, 83 – 86.
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vollkommene Gut aus einer res und einer species bzw. imago bestehe. Die res ist der innere Wesenskern, der durch die äußere Gestalt (species, imago) zugänglich wird. Dies illustriert Victorinus mit einigen Beispielen: Die res des Honigs sei der süße Geschmack, seine species oder imago die Farbe und das Aussehen. Die virtus sei die res des tapferen Mannes, die in der species eines schönen Körpers ihren Ausdruck finde. Die res eines Kleidungsstückes sei die Nützlichkeit des Gewandes, seine species sei eine dem Auge angenehme äußere Gestalt.¹¹¹ Schon hier ist der grundlegende Gedanke, dass das Wesen einer Sache untrennbar mit einer äußeren Gestalt verbunden ist, die es der Sinneswahrnehmung ermöglicht auf diesen eigentlich unsichtbaren Kern zu schließen. Die Tapferkeit eines Mannes ist den Sinnen nicht zugänglich, sieht man aber seine äußere Schönheit, könne man auf die innere Tugend schließen. Sieht man aber, dass er verwachsene Glieder hat, könne man darauf schließen, dass diese innere virtus fehlt. Freilich ist der sichere Rückschluss nur bei einem perfectum bonum möglich, da nur hier die völlige Entsprechung von Sein und Gestalt gegeben ist. Diese philosophische Grundeinsicht wendet Victorinus in seinen trinitätstheologischen Schriften auch auf die Beziehung von Vater und Sohn an: Der Vater ist das unerkennbare Sein Gottes, der Sohn die zugehörige Form und Gestalt, die untrennbar mit dem Sein verbunden ist und dieses zugänglich macht. Der biblische Grundlagentext hierfür ist die Bezeichnung Christi als forma dei in Phil 2,6.¹¹² Da der Vater absolut unbestimmtes und formloses Sein ist, ist sein Wesen nicht erkennbar.¹¹³ Daher heißt es im Johannesevangelium, dass niemand den Vater sieht, denn man kann den Vater nur durch Christus als seine Form erkennen. Bei sinnlich Mar. Victorin. rhet. I 2: Omne perfectum bonum, id est, quo natura humanas res nullo adiuncto incommodo munerata est, duobus ad plenum constat, re ipsa et specie atque imagine sui. Ut puta, mel habet rem, scilicet dulcedinem; habet speciem, id est colorem atque aspectum, quo quasi facie, ita ut est, dulce credatur. Ita vir fortis habet rem, virtutem scilicet; habet speciem, id est pulchritudinem corporis. In distorta enim membra neque iuxta naturam sui competenter apposita virtus non potest cadere, ut Vergilius et ceteri quoscumque fortes et pulchros etiam fuisse dixerunt. Sic vestis etiam habet rem, utilitatem texturae; habet speciem, gratam scilicet circa aspectus faciem. (16,11– 19 Riesenweber) Die Wendung ἐν μορφῇ θεοῦ lautet in den verschiedenen Übersetzungen, die Victorinus für Phil 2,6 kennt, immer in forma dei, vgl. Adv. Ar. I 9.21.26 (39,18; 53,16; 59,18 Locher), IV 8.29 f.32 (142,9; 162,7.21; 165,19 f. Locher), in Phil. 2,6,1.42. Nur in Adv. Ar. I 21 (53,11 Locher) zitiert er im Nominativ forma dei exsistens. Diese Formulierung kommt dem Sinn, den Victorinus der Stelle gibt, zwar viel näher, angesichts der zahlreichen anderen Belege könnte man an dieser Stelle aber auch an die Konjektur in forma dei exsistens denken. Dafür spricht, dass schon wenige Zeilen später das Zitat in der richtigen Form mit Präposition angeführt wird. Möglicherweise ist forma dei exsistens aber auch als Ablativ zu deuten. Vgl. z. B. Adv. Ar. Ib 49: […] sine specie, sine forma, omnibus formis carens, neque quod sit ipsa forma, qua formantur omnia […] (85,12 f. Locher)
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wahrnehmbaren Dingen sei die Form nur die äußere Gestalt der Substanz, also nicht selbst substantiell, wie auch in den Beispielen im Cicerokommentar. Dagegen sei Christus als Form Gottes eine eigene Substanz, in der das verborgene Wesen des Vaters seinen Ausdruck findet. Daher werde der Vater nur durch den Sohn gesehen.¹¹⁴ Wenn in der Bibel davon gesprochen wird, dass Gott gesehen oder nicht gesehen wird, deutet Victorinus dies anders als Origenes immer im Sinne eines intellektuellen Erkenntnisvorgangs und nicht als Akt der Sinneswahrnehmung.¹¹⁵ Die Unsichtbarkeit Gottes ist daher für Victorinus nicht vorrangig ein Ausdruck der Immaterialität Gottes, sondern drückt weit darüber hinaus seine Unerkennbarkeit aus.¹¹⁶ Das Konzept der forma als einer mit der Substanz untrennbar verbundenen Gestalt hat auch Auswirkungen auf das Verständnis der Inkarnation.Wenn es in Phil 2,7 weiter heißt, Christus habe die forma servi angenommen, ist dies nicht doketisch als die Annahme eines Scheinleibes zu verstehen. Sondern mit der äußeren Gestalt des Menschen nimmt Christus auch die Substanz des Menschen an.¹¹⁷ Victorinus übersetzt an anderer Stelle μορφὴ δούλου auch als persona servi, woraus ersichtlich wird, warum er den persona-Begriff zum Ausdruck der Unterschiedenheit der göttlichen Hypostasen für unangemessen hält.¹¹⁸ Wenn persona im Sinne von forma Vgl. Adv. Ar. Ib 53: Si quis me vidit, vidit et patrem. (Joh 14,9) Propter hoc enim dictum est, quoniam filius forma est patris. (vgl. Phil 2,6) Non autem nunc forma extra substantiam intellegitur neque ut in nobis adiacens substantiae facies, sed substantia quaedam subsistens, in qua apparet et demonstratur, quod occultatum et velatum est in alio. Deus autem ut velatum quiddam est. Nemo enim videt deum. (vgl. Joh 1,18; 6,46) Forma igitur filius, in qua videtur deus. (89,11– 16 Locher) Die Vorstellung, dass Gott velatum quiddam ist, erinnert an Macr. somn. I 3,18 (s.o. S. 85, Anm. 140), man kann aber auch an christliche Interpretationen des zerrissenen Tempelvorhanges in Mk 15,38 par. denken, vgl. z. B. EvPhil Logion 125a (NHC II,3 p. 84,21– 85,21), wo das Zerreißen als vollständige Offenbarung der Wahrheit interpretiert wird. Oder HA NHC II,4 p. 94,9.11, wo der Vorhang als Grenze zwischen dem göttlichen Pleroma und der materiellen Welt interpretiert wird. Im Koptischen ist jeweils καταπέτασμα beibehalten, wodurch der Bezug zur biblischen Passionsgeschichte eindeutig ist. Vgl. aber auch Or. Cant. II p. 161,25 – 162,5 Baehrens. Vgl. für die Unsichtbarkeit Gottes als Aussage über seine Immaterialität Or. princ. I 1,8, bes.: Aliud est videre, aliud cognoscere: videri et videre corporum res est, cognosci et cognoscere intellectualis naturae est. (26,2– 4 Koetschau) Vgl. etwa Adv. Ar. IV 8 (142,2– 17 Locher). Vgl. Adv. Ar. I 22: Numquid enim formam solum accepit hominis, non et substantiam hominis? […] non igitur assumpsit hominem, sed factus est homo. Est igitur forma substantia cum substantia, in qua est forma. (54,7 f.17– 20 Locher) Ausführlich zur antidoketischen Christologie s.u. S. 414– 417. Vgl. Adv. Ar. IV 31: […] ut se exinaniret, ut personam servi susciperet. (164,22 f. Locher) mit Adv. Ar. I 11: Non oportet igitur dicere: duae personae, una substantia, sed: duo, pater et filius, ex una substantia dante patre a substantia filio substantiam in hoc, in quo genuit filium, et ex hoc ὁμοούσιοι ambo. (41,12– 15 Locher); Adv. Ar. I 41: Non enim oportet dicere nec fas est dicere unam esse substantiam, tres esse personas. (76,15 – 17 Locher) Diese Verwendung des Personenbegriffes dürfte
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verstanden wird, ist die Rede von drei Personen missverständlich. Gott hat nur ein Sein und eine Form, drei Formen oder Personen bedeuteten entweder, dass man den persona-Begriff modalistisch als bloße Maske verstehen müsste oder in einem tritheistischen Sinne von drei unabhängigen Substanzen mit je eigener Form sprechen müsste. Die Vorstellung, dass der Sohn das Sein des Vaters näher bestimmt, ist in der zeitgenössischen Debatte nicht unumstritten: Eusebius von Caesarea kritisiert die enge Einheit von Vater und Sohn bei Markell mit dem Vorwurf, Gott werde bei Markell etwas Zusammengesetztes aus Vater und Sohn und damit etwas Körperliches. Wenn Markell mit Joh 1,1 betone, der Logos sei in Gott gewesen, lege das nahe, der Sohn sei wie ein Akzidens in einer zugrundliegenden Substanz gewesen.¹¹⁹ Diese Sichtweise greift Victorinus bereites im Candidusbrief auf und formuliert sie zu einer grundlegende Kritik an der Substanzterminologie um, um sie anschließend wieder zu rechtfertigen.¹²⁰ Victorinus hält daran fest, in gewisser Weise die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz in der Theologie anzuwenden, jedoch mit der entscheidenden Bemerkung, dass dies gerade nicht im Sinne einer Körperlichkeit Gottes missverstanden werden darf.¹²¹ Daher versteht er den Sohn als die Form die untrennbar zur väterlichen Substanz gehört und diese bestimmt, ohne selbst nur eine existenzlose Eigenschaft zu sein. Damit soll die Rolle des Sohnes als substantieller Form des Vaters verteidigt werden, in der Victorinus ein Schlüsselkonzept zur Erklärung der Erkennbarkeit
Victorinus von Tertullian kennen. Anders Abramwoski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), 544. Unter den Zeitgenossen hat aber besonders Apollinaris von Laodicea πρόσωπον für die Unterscheidung von Vater, Sohn und Heiligem Geist verwendet, vgl. z. B. Apoll. fid. sec. pt. 1: ἀλλότριοι δὲ οὐχ ἧττον καὶ οἱ τὴν τριάδα μὴ κατὰ ἀλήθειαν ἐκ τριῶν προσώπων ὁμολογοῦντες […]. (167,17 f. Lietzmann) Vielleicht hat Victorinus auch ihn im Blick. Vergara, Teología, 81 verweist außerdem auf die Verwendung des Begriffs persona in Gal. 3,28,3; in Eph. 6,14 [statt 4,14 wie dort Anm. 60]. Dort meint Victorinus allerdings nicht allgemein „personas humanas“, sondern soziale Rollen der Menschen: Jude, Heide, Mann, Frau, Sklave, Herr usw. meinen die gesellschaftliche Funktion. In diesem Sinne benutzt z. B. auch Lact. ira 24,2 den Personenbegriff zur Bezeichnung der Aspekte Gottes als Vater und Herr. Vgl. Eus. e. th. II 14,4 εἰ γὰρ εἰρήκει· καὶ ὁ λόγος ἦν ἐν τῷ θεῷ, ὡς ἐν ὑποκειμένῳ συμβεβηκὸς καὶ ὡς ἕτερον ἐν ἑτέρῳ δούς, σύνθετον ὥσπερ εἰσῆγεν τὸν θεόν, οὐσίαν μὲν αὐτὸν ὑποτιθέμενος δίχα λόγου συμβεβηκὸς δὲ τῇ οὐσίᾳ τὸν λόγον. (115,6 – 9 Klostermann/Hansen) Zur Gleichsetzung von Körperlichkeit und Zusammengesetztheit verweist Vinzent, Pseudo-Athanasius, 161 Anm. 89 auf Eus. e. th. III 3 (157,3 – 8 Klostermann/Hansen). Ps.-Ath., Ar. IV 1 f. nimmt diese Argumentation Eusebs auf und entwickelt sie eigenständig weiter. Vgl. dazu Vinzent, Pseudo-Athanasius, 101– 104.161– 167. Aber auch Athanasius macht seinen Gegnern den Vorwurf, sie unterschieden Substanz und Akzidenz in Gott, wenn sie den Sohn wandelbar nennen, vgl. Ath. Ar. I 36,4 f. S. dazu oben S. 249 f. S. oben S. 249 f.
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Gottes sieht. Ferner will Victorinus aber dem Fehler entgehen, den Vater als eigenschaftslose Substanz zu charakterisieren, der Weisheit, Leben und Kraft fehlten, wenn diese erst durch den Sohn als Eigenschaften zu ihm hinzuträten. Zugleich betont Victorinus die Rolle des Vaters als Ursache des Sohnes: Das Sein des Vaters ist selbst schon lebendig, denkend und in gewisser Weise auch schon Logos und darin die Ursache des Sohnes als Leben, Denken und Logos. Der Vater wird nicht erst dadurch denkend oder lebendig, dass er einen Sohn hat, sondern sein inneres Denken und Leben bringen den Sohn hervor, der aufgrund seiner substantiellen Einheit mit dem Vater dessen unendliches Sein definiert und bestimmt. Vor diesem Hintergrund entwickelt Victorinus auch sein Modell vom Sohn als der inneren und äußeren Form des Vaters. 3.2.2 Der Sohn als innere und äußere Form in der Auslegung von Joh 5,26; 6,57 durch die „Methode der Paronyme“ In der Schrift Adversus Arium IV entwickelt Victorinus ein noch wesentlich komplexeres Modell vom Sohn als der forma dei, indem er eine innere Form und eine äußere Form voneinander unterscheidet. In dieser Schrift drückt Victorinus den Unterschied zwischen Vater und Sohn mit einer sprachlichen Unterscheidung zwischen infiniten oder verbalen Begriffen und entsprechenden Substantiven aus. Diese Herangehensweise hat Hadot in Anlehnung an die Kategorienschrift des Aristoteles treffend die „Methode der Paronyme“ genannt.¹²² Der Vater kann als „Sein“ (esse, τὸ εἶναι) und „leben“ bzw. „er lebt“ (vivere/vivit) beschrieben werden, der Sohn dagegen als das definierte Sein (τὸ ὄν) und Leben (vita). „Sein“ und „leben“ des Vaters sind infinit, indeterminiert und daher unerkennbar, das Sein und Leben des Sohnes dagegen determiniert und erkennbar. Der Logos ist das erste definierte Sein und begrenzt zugleich als definitor das unbestimmte Sein des Vaters und macht es dadurch der Erkenntnis zugänglich.¹²³ Diese Unterscheidung zwischen verbalen und substantivischen Ausdrücken ist als ein Beitrag des Victorinus zur zeitgenössischen Debatte um das richtige Verständnis von Stellen wie Joh 5,26¹²⁴ und Joh 6,57¹²⁵ zu verstehen.¹²⁶ Dort stellt Jesus jeweils eine Korrespondenz zwischen dem Leben des Vaters und seinem Leben her
Vgl. Hadot, Porphyre I, 353.356. S. 365 f. vermutet er einen stoischen Hintergrund der Methode. Vgl. bes. Adv. Ar. IV 19. Joh 5,26: ὥσπερ γὰρ ὁ πατὴρ ἔχει ζωὴν ἐν ἑαυτῷ, οὕτως καὶ τῷ υἱῷ ἔδωκεν ζωὴν ἔχειν ἐν ἑαυτῷ Joh 6,57a: καθὼς ἀπέστειλέν με ὁ ζῶν πατὴρ κἀγὼ ζῶ διὰ τὸν πατέρα […]. Joh Victorinus variiert in der Übersetzung von ὁ ζῶν πατὴρ in Joh 6,57 zwischen vivus pater (124,21; 140,14; 173,42 Locher) vivens pater (37,20; 38,1 f.; 44,26; 78,1 Locher) und vivit pater (107,25; 127,29; 147,10 Locher). Einmal scheint er diese Stelle auch mit vita pater est wiederzugeben (120,19 f. Locher).
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und variiert dabei verschiedene grammatische Formen von Leben (ζωή) und leben (ζῆν). Diese Bibelstellen waren in den 350er-Jahren Gegenstand intensiver Debatten zwischen den verschiedenen theologischen Gruppierungen. Das können wir anhand der Dokumente der Homöusianer nachvollziehen, die selbst in diesen Stellen die Gleichheit zwischen Vater und Sohn auch in Bezug auf das Wesen ausgedrückt sehen. Jedoch unterscheiden sich ihrer Ansicht nach Vater und Sohn darin, dass der Vater das Leben auf eine ungezeugte, der Sohn auf gezeugte Weise habe.¹²⁷ Zugleich verurteilen sie sowohl diejenigen, die aus diesen Stellen eine Identifikation von Vater und Sohn ableiten, als auch diejenigen, die trotzdem von der Unähnlichkeit des Wesens sprechen.¹²⁸ Damit grenzen sie sich sowohl von der Auslegung dieser Stellen durch die Anhomöer ab als auch von der Exegese der Homousianer.¹²⁹ Victorinus knüpft in seiner Auslegung an die bestehenden exegetischen Ansätze an, bemüht sich aber, noch deutlicher die Wesenseinheit von Vater und Sohn bei gleichzeitiger Differenzierung der beiden herauszuarbeiten. Wie Athanasius und auch die Homöusianer betont er zum einen gegen eine identifikatorische Auslegung der Stellen, dass dem Sohn das Leben vom Vater gegeben wird. Auch seiner Meinung nach wird hier ein Relationsverhältnis zwischen Vater und Sohn ausgedrückt, wonach der Vater die Ursache des Sohnes ist. Diese Auslegung macht es aber schwer, gleichzeitig für die Wesenseinheit der beiden zu argumentieren. Diese Schwäche der bisherigen Auslegungen aus dem homousianischen Lager erkennt Victorinus und versucht diesem Problem mithilfe der Methode der Paronyme beizukommen. Wenn er den Traktat Adversus Arium IV also mit der Frage beginnt, inwiefern „er lebt“ und „das Leben“ verschieden und identisch zugleich sind, ist dies keine ab-
Für die homöusianische Auslegung von Joh 5,26 vgl. den Brief der Synode von Ankyra 358, Dok. 55,22 AW III/1/4 (400 f.). Vgl. den Brief der Synode von Ankyra 358, Dok. 55,22 AW III/1/4, Anathematismen 8 f. (405) mit Zitaten aus Joh 5,26; 6,57. Diese Verurteilungen wurden wieder aufgenommen in den Anathematismen der Synode von Sirmium 358, vgl. Dok. 56.3, anath. 2.4 (AW III/1/4 412 f.). Zu dieser Auslegung vgl. auch Eus. e. th. I 20,31– 36 (86,10 – 87,5 Klostermann/Hansen) Von dieser Debatte völlig abweichend werden diese Stellen von Ps.-Ath. inc. et c. Ar. 2, PG 26, 988 A auf das angenommene Fleisch Christi bezogen, da er als Logos selbst bereits substantiell Leben ist und es nicht mehr empfangen muss. Seibt, Markell, 84– 11 verteidigt die Inanspruchnahme dieser pseudathanasianischen Schrift für Markell von Ankyra. Vgl. für die Auslegung der Anhomöer auch die in einem homöusianischen Traktat überlieferten Fragmente, die vielleicht von Aëtius stammen, Dok. 56.5,4 (AW III/1/4 418 f.) mit Anspielung auf Joh 5,26. Für eine Auslegung im Sinne der größtmöglichen Ähnlichkeit von Vater und Sohn vgl. Ath. Ar. III 36 (AW I/1/3 347 f.).
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strakte philosophische Diskussion, sondern sein philosophischer Zugang zur zeitgenössischen Debatte um die entsprechenden Stellen im Johannesevangelium.¹³⁰ Auch mit der Methode der Paronyme greift Victorinus augenscheinlich die theologische Debatte der Zeit auf. Die Homöusianer um Basilius von Ankyra arbeiten im Brief der Synode von Ankyra von 358 in ähnlicher Weise mit der Gegenüberstellung des Vaters als weise (σοφός) und dem Sohn als Weisheit (σοφία) und setzen sich mit einer anhomöischen Interpretation dieses Gegensatzes auseinander: Den Unterschied zwischen dem Adjektiv zur Bezeichnung des Vaters und dem Substantiv zur Bezeichnung des Sohnes dürfe man nicht im Sinne eines Wesensunterschiedes verstehen, sondern so, dass der weise Vater die Weisheit ohne Leiden als sein Bild hervorbringe.¹³¹ In einem weiteren homöusianischen Traktat wird ein Traditionsargument aus der synodalen Verurteilung Pauls von Samosata abgeleitet: Die Väter hätten gegen Paul entschieden, vom Vater als dem Seienden (ὁ ὤν) und vom Sohn als Substanz (οὐσία) zu sprechen, um sicherzustellen, dass der Sohne eine wirkliche Existenz hat und nicht mit dem Vater identisch ist.¹³² Diese Methode zur gleichzeitigen Unterscheidung und Verbindung von Vater und Sohn konnten die Homöusianer schon in den Schriften des Origenes finden.¹³³ Victorinus knüpft an diese Unterscheidungen an, durchdringt sie aber philosophisch tiefer und versucht, gegen die Homöusianer die Wesenseinheit von Vater und Sohn zu beweisen, ohne sie miteinander zu identifizieren. Dabei systematisiert er die verschiedenen grammatischen Formen von Leben im Johannesevangelium und unterscheidet zwischen dem vivens pater aus Joh 6,57 und dem Sohn als vita.
Gegen Hadot, SC 69, 978 ad 1,4– 3,38: „C’est un développement purement philosophique […].“ Dass es sich um eine Auslegung von Joh 5,26; 6,57 handelt, zeigt schon die erste Diskussion der Stellen in Adv. Ar. I 6, die bereits die Grundlagen der Schrift Adv. Ar. IV enthält: Si vita filius, vivens pater, filius in patre. Sicuti enim quale prius est, deinde qualitas, sic vivens primus deus, sic vita. Qui enim genuit vitam, vivens est. Vivit vita a vivente patre. Non enim ante vita et sic deus vivens, sed deus vivens prior, sic vita et sic vivens vita. (37,20 – 24 Locher) Vor diesem Hintergrund muss man die Eingangsfrage von Adv. Ar. IV auch nicht mehr als „énigmatique“ betrachten, wie Hadot, Porphyre I, 346 formuliert. In Hadots komplexer Deutung seiner dritten Gruppe an Texten ist das Ganze ein Kommentar zu Pl. Ti 39e, vgl. Porphyre I, 429 f. Vgl. Dok. 55,16 AW III/1/4 (396,33 – 397,15) und anath. 2 f. (404). Vgl. Dok. 58,2 AW III/1/4 (428,18 – 429,7). Vgl. z. B. Or. Jo. Fr. 2 Preuschen: οὐ γὰρ μετουσίᾳ ζωῆς ὁ πατὴρ ζῇ, ἀλλὰ ζωὴ θεὸς ὢν γεννᾷ ζωήν, ὡς καὶ σοφὸς σοφίαν καὶ δυνατὸς δύναμιν. (486,5 – 7 Preuschen) In Or. princ. I 2,13 unterscheidet Origenes zwischen dem „allein guten“ Vater (Mk 10,18) und der Güte des Sohnes als dem „Bild seiner Güte“ (Weish 7,26), die aber nichtsdestoweniger aus der Güte des Vaters abgeleitet ist. Ähnliche Differenzierungen auch bei Ps.-Ath., Ar. IV 1 Ὥσπερ γὰρ μία οὐσία ἡ ἀρχή, οὕτως εἷς οὐσιώδης καὶ ὑφεστὼς ὁ ταύτης λόγος καὶ ἡ σοφία. Ὡς γὰρ ἐκ θεοῦ θεός ἐστι καὶ ἐκ σοφοῦ σοφία καὶ ἐκ λογικοῦ λόγος καὶ ἐκ πατρὸς υἱός, οὕτως ἐξ ὑποστάσεως ὑπόστατος καὶ ἐξ οὐσίας οὐσιώδης καὶ ἐνούσιος καὶ ἐξ ὄντος ὤν. (44,22,–45,4 Stegmann)
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Gleichzeitig definiert er das Substantiv vita als die Form des infiniten „leben“ des Vaters und kann daher zugleich mit der Unterscheidung auch die untrennbare Wesenseinheit der beiden festhalten. Dass das Johannesevangelium die verbale und nominale Bezeichnung jeweils unterschiedslos auf Vater und Sohn bezieht, muss für Victorinus gerade kein Problem darstellen, sondern er kann darin wieder eine spezielle Pointe der Homousie sehen¹³⁴: Gerade weil der Vater und der Sohn eines Wesens sind, kann von beiden dasselbe über ihr Wesen ausgesagt werden. Auch hier wird die Unterscheidung von Ursache und Verursachtem durch die paradoxe Austauschbarkeit der Bezeichnungen unterlaufen. Victorinus benennt jedoch als Problem seiner Interpretation selbst, dass dann der Logos etwas Zweites neben dem Vater wäre und dieser sensu stricto als indeterminiertes Sein keinen Logos hätte. Da dies mit der Gleichewigkeit und Homousie des Logos aber nicht verträglich ist, kommt Victorinus zu dem Schluss, dass bereits in dem ersten, reinen Sein des Vaters der Logos verborgen enthalten ist und mit diesem Sein identisch ist.¹³⁵ Der Logos ist bereits im Inneren die Form des unbestimmten Seins des Vaters, der daher zwar nicht von anderen, aber von sich selbst immer erkannt wird.¹³⁶ Im Akt der Selbsterkenntnis tritt die Form nach außen und wird zu einer äußeren Form, durch die es nun auch anderen möglich wird, das unbestimmte Sein des Vaters zu erkennen.¹³⁷ Die Vorstellung einer Korrespondenz von innerer und äußerer Form hat drei Funktionen: Sie erklärt erstens, wie der Vater ohne einen differenzierenden Erkenntnisakt sich selbst schon immer erkennt. Das ist möglich, weil sein Sein mit seiner inneren Form identisch ist, durch die er sich selbst erkennt. Zweitens stellt sie sicher, dass die exteriorisierte Form wirklich vollumfänglich den Vater abbildet, da sie im Inneren seines Wesens bereits seine untrennbare Form ist.¹³⁸ Und drittens vermeidet das Konzept der inneren Form die Vorstellung, dass der Vater von außen definiert wird und damit etwas erleidet oder dass er dadurch in Substanz und Qualität geteilt wäre.
S.o. S. 244– 251. Vgl. Adv. Ar. IV 20: Hoc cum ita sit, videamus, an illius primi, quod est esse, sit λόγος. Si diximus infinitum, si dicimus inmensum, indiscretum, res, quibus eius esse consistit, non capimus, non tenemus. Ergo λόγος eius nullus est. Sed quoniam fieri non potest, ut sit quoquo modo et sine λόγῳ suo sit hoc ipsum exsistens, quod est infinitus, est sine dubio ei λόγος suus, est, sed latitans et occultus, ut sit in eo, quod est esse, ipsum λόγον esse, vel potius ipsum λόγον nihil aliud esse quam ipsum esse. (153,15 – 22 Locher) Vgl. die Bestimmung des Vaters in IV 19: infinitum, interminatum, sed aliis omnibus, non sibi, et idcirco sine forma. (152,28 f. Locher) Der Sohn wird IV 20 (154,6 f. Locher) als forma, quae intus est bezeichnet. Vgl. Adv. Ar. IV 24.28. S. dazu unten Anm. 141.
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Auch verschiedene gnostische Texte stellen Überlegungen an, die sich entfernt mit dem Konzept der inneren Form bei Victorinus vergleichen lassen. In den sethianischen Texten deutet manches auf eine solche Vorstellung einer Selbstdefinition der unbegrenzten Aktivität des ersten Prinzips hin. Der Zostrianus nennt das erste Prinzip etwa Logos seiner selbst und schreibt ihm eine aktive Rolle in der Begrenzung seines eigenen unendlichen Seins zu.¹³⁹ Der Tractatus Tripartitus geht in ähnlicher Weise wie Victorinus davon aus, dass der Vater zwar für alles Nachgeordnete unerkennbar ist, für sich selbst aber immer schon eine Form besitzt, durch die er sich selbst erkennt.¹⁴⁰ Damit versuchen auch solche gnostischen Texte, die Offenbarung des eigentlich unerkennbaren Wesens Gottes philosophisch als eine innere Selbstdefinition seines Wesens zum Ausdruck zu bringen.
Vgl. Zostr NHC VIII,1 p.16,5 – 11: „He imposed a [limit] upon Being, lest it become endless and formless; instead, it was truly delimited while it was a new entity in order that [it] might become something having its own [dwelling] […].“ (Übersetzung von John Turner, in BCNH.T 24, 523) Vgl. zur Entstehung des Barbelo-Äons als Determination des zuvor indeterminierten, potentiellen Zustands im Unsichtbaren Geist den Kommentar von Turner, BCNH.T 24, 519 f. Die Vorstellung in Adv. Ar. Ib 49, dass der Vater sibi et discernibile et definitium sei (85,9 Locher) könnte dem Zostrianus entnommen sein vgl. NHC VIII,1 p. 64,22 f. mit dem Kommentar von Turner, BCNH.T. 24, 587 mit dem bedenkenswerten Vorschlag hinter dem Koptischen griechisch διαπεραίνειν zu vermuten und zu übersetzen „It is he alone who delimits himself“ (S. 580), ähnlich Tardieu, Recherches, 49: „Lui [Seul] étant accessible à lui-même […].“ Auf hermetische Parallelen hierzu weist Tommasi, viae negationis, 137 mit Anm. 94 hin. Für die Bezeichnung als sein eigener Logos und seine eigene Idee vgl. NHC VIII,1 p. 66,20 f.74,8 – 10. Vgl. z. B. TractTri NHC I,5 p. 55,3 – 14: „Und sofern er vermag, sich zu begreifen, sich zu sehen, sich zu benennen, sich zu fühlen, ist er es, der existiert als Verstand für sich selbst, als Auge für sich selbst, als Mund für sich selbst, als Gestalt [*μορφή; F.Z.] für sich selbst. Und (er ist zugleich) das, was er erkennt, was er sieht, was er spricht, was er fühlt sich selbst der Unbegreifliche, der Unaussprechliche, der Unfaßbare, der Unveränderliche […].“ (Übersetzung von Hans-Martin Schenke NHD I, 59; Koptischer Text in BNCH.T 19, 61.) In p. 55,8 f. ist mit Thomassen, Le traité tripartite, 276 ad loc. μορφή zu lesen.Vielleicht ist die Formulierung NHC I,5 p. 75,13 – 17 auch im Sinne einer gewissen Selbstdefinition des Pleroma zu verstehen: „Es gibt eine Grenze (Horos) des Sprechens, die in (dem Reich) der Fülle zu dem Zweck gezogen ist, daß sie wohl schweigen über die Unerreichbarkeit des Vaters, aber doch sprechen über den, den sie erreichen wollen.“ (NHD I, 67) Der ὅρος des Wortes in p. 75,13 f. grenzt nach unten ab, da der Vater unerreichbar ist, ermöglicht aber immerhin eine gewisse Sprachfähigkeit. Vielleicht ist damit auch ein gewisser Grad an Selbstdefinition gemeint. Der Logos als eine Selbstdefinition des unaussprechlichen Vaters spielt auch schon bei Marcus Magus eine Rolle, vgl. Iren. haer. I 14,1: ὅτε τὸ πρῶτον ὁ πατὴρ […] ἠθέλησεν αὐτοῦ τὸ ἄρρητον ῥητὸν γενέσθαι καὶ τὸ ἀόρατον μορφωθῆναι, ἤνοιξε τὸ στόμα καὶ προήκατο Λόγον ὅμοιον αὐτῷ· παραστὰς ἐπέδειξεν αὐτῷ ὅ ἦν, αὐτὸς τοῦ ἀοράτου μορφὴ φανείς. (FC 8/1 226,16 – 22) Angesichts der Herleitung der Selbstdefinition Gottes durch den Logos aus Phil 2,6 bei Victorinus lässt sich die Einschätzung von Förster, Marcus Magus, 192 kritisch hinterfragen, der meint, dass „[d]ie gestaltbildende und zur göttlichen Selbsterkenntnis führende Funktion des Logos […] unbiblisch“ sei und auf ägyptische Einflüsse zurückzuführen sei.
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E Die Trinitätslehre des Victorinus
Victorinus und die gnostischen Texte teilen damit zwar das Anliegen, mit dem Konzept der inneren Selbstdefinition Gottes zu erklären, wie Gottes unbegrenztes, unerkennbares Wesen für die Menschen erkennbar wird. Die Konzeption des Victorinus geht über diese vorsichtigen Ansätze aber deutlich hinaus. Er arbeitet diese Vorstellung konsequent aus und stellt sie unter das Vorzeichen der Homousie des Vaters und des Sohnes. So stellt er die absolute Identität des inneren Wesens mit der äußeren Form sicher, durch die die Menschen Gott erkennen können. Durch die Form wird wirklich der Wesenskern Gottes erkannt, ohne die Einheit und Unwandelbarkeit Gottes dadurch zu gefährden, dass ihm eine Form erst sekundär oder als von außen kommend zugeschrieben würde. Sollte Victorinus solche Konzepte aus gnostischen Texten oder Diskussionen über solche Texte gekannt haben, hätte er sie also noch einmal entschieden im Sinne der Homousie modifiziert und weitergedacht. Eine direkte Bezugnahme auf gnostische Texte liegt an dieser Stelle aber nicht auf der Hand. Als soteriologische Konsequenz ergibt sich bei Victorinus, dass die Gläubigen Gott in Christus genauso erkennen, wie der dreieinige Gott sich selbst erkennt. Christus vermittelt als innere und äußere Form des göttlichen Seins also die vollkommene Gotteskenntnis, die zur Erlangung des Heils notwendig ist.
3.3 Der Sohn als manifestatio des im Vater Verborgenen 3.3.1 Der Embryo-Vergleich in Ad Cand. 14 vor dem Hintergrund der Debatte zwischen Athanasius, Markell und Asterius und Vergleich mit gnostischen Texten Ein weiteres grundlegendes Modell, mit dem Victorinus die Zeugung des Sohnes aus dem Vater erklärt, kann als Manifestations- oder Exteriorisationsmodell bezeichnet werden.¹⁴¹ Bestimmend ist dabei der Gedanke, dass der Sohn als zweites Prinzip ewig in verborgener Weise im Wesen des Vaters existiert und seine Zeugung nur als
Vgl. z. B. Hadot, Porphyre I, 297– 304, der angelehnt an den Sprachgebrauch bei Victorinus von „manifestation“ (297.304) oder „extériorisation“ (299) spricht. Das folgt den Formulierungen wie in manifesto u. ä. bei Victorinus und dem Gegensatz intus – foris. Hadot, Porphyre I, 306 Anm. 4 führt diese Manifestationsvorstellung auf orphische Wurzeln zurück, betont aber deren weite Verbreitung in der antiken Philosophie. Vgl. dazu auch Thomassen, Le traité tripartite, 293 f. Typisch sind in diesen Zusammenhängen Gegenüberstellungen von Varianten von κρύφιος und (ἐκ‐)φαίνειν. Auch Or. Jo. I 277 sagt z. B., dass der Sohn τὰ κρύφια τοῦ πατρός offenbare (49,4 f. Preuschen). Gr. Nyss. Apoll. p. 173,14 Müller unterscheidet die menschliche Natur des Inkarnierten als τὸ φαινόμενον von der göttlichen Natur als τὸ κρυπτόν. Origenes und Gregor verbinden den Gegensatz also auch in unterschiedlicher Weise mit der Offenbarung durch den Sohn.
3 Der Sohn als Offenbarung des verborgenen Wesens des Vaters
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eine Offenbarung des inneren Wesens des Vaters nach außen zu verstehen ist. Offenbarung hat dabei den doppelten Sinn, dass dadurch offenbar nach außen tritt, was vorher verborgen war, und dadurch den Menschen der Zugang zum Vater offenbart wird.¹⁴² Der Ansatzpunkt dieses Erklärungsmodells liegt in der Definition des Vaters als Nichtsein im Sinne des Noch-nicht-Seins (nondum esse, quod futurum est et potest esse).¹⁴³ Victorinus bestimmt den Vater als den unentfalteten Urgrund des Seins, der die Ursache all dessen, was nach ihm kommt, bereits verborgen in sich trägt. Diese für sein Denken so wichtige Vorstellung illustriert er in der Schrift Ad Candidum, indem er den Zustand des Logos im Vater mit einem Embryo vergleicht: Was ist nun dieses Nichtseiende über dem Seienden? Es ist weder als Seiendes noch als Nichtseiendes zu denken, sondern wie ein in Nichtwissen Denkbares, dass es seiend ist und dass es nichtseiend ist, da es aus seinem eigenen Vermögen heraus das Seiende zur Manifestation geführt und gezeugt hat. Was sich so verhält, ist der λόγος.¹⁴⁴ Was aber? Hat Gott, der über dem Seienden ist, aus dem, was er selbst ist und wie er selbst ist, etwas hervorgebracht oder aus etwas anderem oder aus dem Nichts? Aus welchem anderen denn? Es gab ja nichts vor Gott und nichts, was aus etwas anderem kommt, ist, als wäre es Gott gleich.¹⁴⁵ Also aus dem
Vgl. dazu auch Benz, Marius Victorinus, 145 f. Vgl. Ad Cand. 4 (12,23 f. Locher). Ziegenaus, Seinsfülle, 211 erklärt die Stelle so: „Es gibt einen Logos, demzufolge das Vor- oder Nicht-Seiende das Seiende hervorbringt.“ Er versteht λόγος also im Sinne von „Erklärung“. Dagegen fassen Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 95 die Wendung als Gräzismus auf: „Es ist folgerichtig, daß sich dies so verhält.“ Es ist aber festzuhalten, dass Victorinus λόγος ausschließlich als nicht-übersetzbaren Fachterminus verwendet und damit fast nur den Sohn bezeichnet, einzige Ausnahme ist die Bezeichnung des universellen Seelen- und Leibprinzips, das der Sohn annimmt, s.u. S. 414– 417, 513 – 520. Daher sollte das Wort auch hier auf den Sohn als λόγος bezogen werden. Die Aussage ist dann zu vergleichen mit der späteren Definition von λόγος als das Vermögen im Vater, das sich selbst aktivieren kann, vgl. Ad Cand. 17: Videamus aliud rursus: si λόγος est Iesus, quid est λόγος? Dico, quoniam patrica activa quaedam potentia et quae in motu sit et quae se ipsa constituat, ut sit in actu, non in potentia. (20,23 – 25 Locher) Hier ist Lochers Interpunktion vorzuziehen gegen Henry/Hadot Ad Cand. 17,1 f.: Videamus aliud rursus, si λόγος est Iesus. Quid est λόγος? (CSEL 83/1 35). Die Frage ob Christus der λόγος ist, stellt sich für Victorinus nie und ist auch nicht Thema des folgenden Abschnittes, sondern der Fokus liegt auf der Definition des λόγος unter der Voraussetzung, dass der präexistente Christus als λόγος bekannt wird. Denkbar ist auch die Übersetzung von Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 95: „[…] noch entspricht es Gott, aus einem anderem zu kommen.“ So verstanden ist der zweite Halbsatz eine Variation des ersten Halbsatzes und betont die Rolle Gottes als erster Ursache aller Dinge vor der es keine andere Ursache geben kann.Victorinus bevorzugt sonst zum Ausdruck, dass etwas Gott (nicht) angemessen ist, aber andere Formulierungen, etwa mit incongruum, vgl. Ad Cand. 30 (27,1 Locher), Adv. Ar. I 23 (55,21 Locher) oder (non) convenire, vgl. z. B. Adv. Ar. II 4 (105,20 Locher), in Eph. 3,9,40. Meinem Verständnis nach liegt der Fokus des zweiten Halbsatzes auf dem Produkt der Zeugung Gottes und rekurriert auf das Axiom, dass etwas, was von Gott gezeugt wird, ihm wesenseins sein
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E Die Trinitätslehre des Victorinus
Nichts? Und wie das? Wenn er nämlich das Seiende hervorgebracht hat, ist es eher wahr zu sagen, dass er das Seiende aus sich selbst, der er über dem Seienden ist, gezeugt hat als aus dem Nichts. Was nämlich über dem Seienden ist, ist verborgenes Seiendes. Die Manifestation des Verborgenen aber ist Zeugung, wenn ja das in Potenz Seiende das in Tätigkeit Seiende zeugt. Nichts geschieht nämlich ohne Ursache bei einer Zeugung. Und wenn Gott die Ursache von allem ist, ist er auch die Ursache für die Zeugung des Seienden, da er ja über dem Seienden ist und da er dem Seienden benachbart ist als sein Vater und Erzeuger. Denn eine Schwangere hat auch schon in sich verborgen, was sie gebären wird. Denn der Fetus ist vor der Niederkunft nicht inexistent, sondern er ist im Verborgenen und kommt durch die Geburt zur Manifestation als in Tätigkeit Seiendes, was vorher in Potenz Seiendes war, und um die Wahrheit zu sagen, als Seiendes, das durch die Tätigkeit des Seienden hervorgebracht wurde. Die Tätigkeit zeugt nämlich außen. Was aber zeugt sie? Das, was innen war. Was war also im Inneren in Gott? Nichts anderes als das Seiende, das wahre Seiende, vielmehr das Vorherseiende, das über dem Seienden als eine Gattung der Gattung liegt, das über dem wirklich Seienden ist, das Seiende, das die bereits wirkende Potenz ist. Das ist Jesus Christus. Er sprach nämlich: „Wenn sie fragen¹⁴⁶: ‚Wer schickt Dich?‘, so antworte: ‚der Seiende‘.“ Denn allein das Seiende, das immer Seiendes ist, ist der Seiende.¹⁴⁷
Victorinus erklärt gegen die arianische Lehre von der Schöpfung des Sohnes aus dem Nichts, wie der Sohn aus dem Vater gezeugt wird bzw. sich selbst zeugt. Da der Vater als transzendentes Nichtsein auch das potentielle Sein ist, liegt in ihm verborgen das entfaltete und definierte Sein des Sohnes. Dieses verborgene, potentielle Sein ist aber nicht potentia im aristotelischen Sinne, also kein völlig passives Prinzip, das von außen aktiviert werden müsste. Sondern es aktiviert sich durch
muss, vgl. z. B. Cand. I 6 (5,12 Locher). Victorinus benutzt par auch sonst für die Gleichrangigkeit des Sohnes mit dem Vater, vgl. z. B. Adv. Ar. IV 10 (143,13 Locher): […] par, eadem, aequalis ac simul […] Der Singular interrogaverit lässt sich nicht ohne Weiteres erklären, vielleicht ist das gedachte Subjekt Israel oder wie bei Aug. in psalm. 121,5,18 (CCSL 40, 1805) populus. Ad Cand. 14: Quid autem istud τὸ μὴ ὂν super τὸ ὂν est? Quod non intellegatur ut ὂν neque ut μὴ ὄν, sed ut in ignoratione intellegibile, quoniam ὂν et quoniam non ὄν, quod sua ipsius potentia τὸ ὂν in manifestationem adduxit et genuit. Est autem λόγος istud sic se habere. Quid vero? Deus, qui supra ὂν est, ab eo quod ipse est, sicut ipse est, produxit an ab alio an a nullo? Ab alio? Et quo alio? Nihil enim ante deum fuit neque ut deo ex altero par. A nullo igitur. Et quomodo? Si enim τὸ ὂν produxit, verum est dicere, quoniam a semet ipso, qui super τὸ ὂν est, τὸ ὂν generavit quam de nihilo. Quod enim supra ὂν est, absconditum ὂν est. Absconditi vero manifestatio generatio est, siquidem et potentia ὂν operatione ὂν generat. Nihil enim sine causa in generatione. Et si deus causa est omnium, causa est et τοῦ ὄντος in generationem, quippe cum super τὸ ὂν sit, vicinus cum sit τῷ ὄντι et ut pater eius et genitor. Etenim gravida occultum habet quod paritura est. Non enim fetus non est ante partum, sed in occulto est et generatione provenit in manifestationem ὂν operatione quod fuit ὂν potentia, et ut quod verum est dicam, ὂν operatione τοῦ ὄντος. etenim foris operatio generat. Quid autem generat? Quod fuit intus. Quid igitur fuit intus in deo? Nihil aliud quam τὸ ὄν, verum τὸ ὄν, magis autem προόν, quod est supra generale ὄν genus, quod supra ὄντως ὄντα, ὂν iam operante potentia. Hic est Iesus Christus. Dixit enim ipse: si interrogaverit: quis te misit?, dicito ὁ ὤν. Solum enim illud ὄν semper ὄν ὁ ὢν est.
3 Der Sohn als Offenbarung des verborgenen Wesens des Vaters
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sein eigenes Wirken nach außen und wird so vom Vater gezeugt und zeugt sich zugleich selbst.¹⁴⁸ Die Geburt des Sohnes aus dem Vater veranschaulicht Victorinus durch den Vergleich mit der menschlichen Schwangerschaft. Angesichts der Diskussionslage des 4. Jh. handelt es sich dabei zunächst um ein sehr krasses Beispiel, da die zeitgenössische Kritik an der Rede von einer Zeugung oder Geburt des Sohnes sich gerade gegen ein anthropomorphistisches und körperliches Verständnis von Gott richtet.¹⁴⁹ Doch bei aller Ablehnung eines körperlichen Gottesbildes spielt der Vergleich mit menschlicher Elternschaft in der Diskussion des 4. Jh. doch eine erstaunlich prominente Rolle. Denn auch Athanasius verwendet in seinen Arianerreden die menschliche Elternschaft als Vergleichspunkt, aber zuerst nur zögerlich und offenbar nur deshalb, weil seine Gegner mit diesem Vergleich operieren. Er berichtet, dass seine Widersacher Frauen fragen würden: „Hattest Du einen Sohn, bevor Du gebarst?“¹⁵⁰ Durch diese einfache Analogie wollen die Gegner beweisen, dass die Zeugung des Sohnes einen Anfang darstellt und er nicht gleichewig mit dem Vater ist, so wie die Frau kein Kind hatte, bevor sie gebar. Dieses Argument, das Athanasius nur sehr vage Arianern und Eusebianern zuschreibt, ist ziemlich sicher auf Asterius von Kappadokien zurückzuführen.¹⁵¹ Athanasius antwortet darauf, dass man die Geburt des Sohnes zwar eigentlich nicht auf anthropomorphe Weise verstehen dürfe, akzeptiere man den Vergleich aber, müsse man zu einem ganz anderen Ergebnis kommen: Auch bei einem menschlichen Vater stamme der Sohn aus der οὐσία des Vaters und sei eine
Zum Verständnis der Potenz s.u. S. 298 f. Vgl. nur Hil. c. Const. 13,1– 8, der eine Äußerung des Eudoxius von Antiochien auf der Synode von Seleukia 359 zitiert: Loquor autem vobis quod ego ipse recitari in conventu publice audivi, quod praedicatum episcopo Antiochiae exceptum habebatur. Haec ego ita dicta esse ab eo commemorabantur: Erat Deus quod est, pater non erat quia neque ei filius: nam si filius, necesse est ut et femina sit et conloquium sermonis et coniunctio coniugalis et verbi blandimentum et postremum ad generandum naturalis machinula. (SC 334 194– 196) Vgl. dazu auch die Einleitung zu Dokk. 60 (AW III/1/4 484). Vgl. auch die Kritik am wörtlichen Verständnis der Bezeichnung Vater bei Eun. apol. 16 f. Und auch Origenes grenzt in Jo. XX 157 die Zeugung des Sohnes von einer menschlichen Schwangerschaft und Geburt ab. Auch der erste Candidusbrief ist in diese Tradition einzuordnen. Dagegen kann Tertullian auf der Grundlage seiner körperlichen Auffassung von der Seele und von Gott die Schwangerschaft völlig problemlos zur Veranschaulichung heranziehen, vgl. etwa Tert. anim. 6,8 f. (CCSL 2, 789 f.); adv. Prax. 8,7 (CCSL 2, 1168). Ath. Ar. I 22,5: εἶτα καὶ εἰσερχόμενοι πρὸς γυναικάρια πάλιν αὐταῖς ἐκτεθηλυμένα ῥημάτια φθέγγονται· „εἰ εἶχες υἱὸν πρὶν τέκῃς; ὥσπερ δὲ οὐκ εἶχες, οὕτως καὶ ὁ τοῦ θεοῦ υἱὸς οὐκ ἦν πρὶν γεννηθῇ“. (AW I/1/2 132,21– 23) Vgl. Asterius fr. 44 Vinzent mit dem Kommentar bei Vinzent, Asterius von Kappadokien, 250 – 252 zur Zuschreibung an Asterius. Vgl. ferner die frr. 52– 56.75 Vinzent mit ähnlichen Argumenten.
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ἀπαράλλακτος εἰκών seines Vaters und auch der menschliche Vater sei in seinem Sohn und bleibe doch selbst, was er sei.¹⁵² Man kann den Vergleich des Victorinus als eine ausführliche Explikation der Antwort des Athanasius verstehen. Er erklärt damit am konkreten Beispiel, wie ein Kind aus der οὐσία der Mutter stammt und nicht aus dem Nichts kommt. Die Antwort auf die Frage des Asterius lautet also nicht, dass eine Mutter vor der Geburt noch kein Kind hatte, sondern dass sie es bereits im Verborgenen existent in sich trug. Der Fetus ist potentiell das, was er nach der Geburt als Kind aktuell ist, und zuvor nicht inexistent.¹⁵³ Weiterhin kann sich Victorinus die Ansicht der antiken Medizin zunutze machen, die dem Embryo eine entscheidende aktive Rolle bei der Einleitung des Geburtsvorganges zuschreibt.¹⁵⁴ Wie der Embryo also trotz seiner nur potentiellen Existenz bereits Aktivität ausüben kann, kann auch der Logos in Gott als potentielle und verborgene Existenz schon aktiv gedacht werden.¹⁵⁵ Als Begründung dafür, dass der Logos schon in seiner potentiellen Verborgenheit im Vater existiert, führt Victorinus zum Schluss Ex 3,14 an. Nur wenn der Sohn ewig seiend ist, also schon in seinem potentiellen Zustand existiert hat, kann er sich selbst zurecht als der Seiende bezeichnen. Die exegetische Frage, wer der Sprecher der Aussage in Ex 3,14 ist, wird im Trinitarischen Streit intensiv diskutiert und ist eng mit der Debatte um den menschlichen Elternvergleich verquickt. Für Victorinus ist die Antwort eindeutig: Der Seiende, der hier zu Moses spricht, ist der präexistente Christus. Die Stelle ist also für ihn nicht, wie Asterius von Kappadokien meint, allein auf den Vater zu beziehen, als wäre dieser allein das ewige und wahre Sein, sondern
Vgl. Ath. Ar. I I 26,3 – 6 (AW I/1/2 136). Vgl. ferner Ar. III 67,3 f. (AW I/1/3 381) dort argumentiert Athanasius anhand der leiblichen Elternschaft, dass Kinder κατὰ φύσιν, nicht κατὰ βούλησιν aus ihren Eltern stammen. Die Ansicht, dass ein Vater als Vater in seinem Sohn sei und umgekehrt, präzisiert Victorinus in Adv. Ar. II 11 (111,27– 29 Locher) Sie sind zwar hinsichtlich ihrer Substanz ineinander, Vater und Sohn sind aber als Ursache und Verursachtes voneinander zu trennen. Porphyrius lehnt es in seiner Schrift Ad Gaurum ab, den Embryo als δυνάμει ζῷον oder ἐνεργείᾳ ζῷον zu bezeichnen, da die Empfindungs- und Vernunftseele erst nach der Geburt in den Körper eingehen. Der Embryo sei vielmehr nur dafür geeignet, nach der Geburt eine Seele aufzunehmen. Vgl. Porph. Gaur. p. 34,11– 20 Kalbfleisch. Auch Gregor von Nyssa hebt mit einem EmbryoVergleich darauf ab, dass man den Embryo gerade noch nicht als Menschen bezeichnen kann, vgl. Gr. Nyss. Adversus Macedonios de spiritu sancto (GNO 3,1 101,11– 14): ὥσπερ γὰρ ἄνθρωπον οὐκ ἄν τις προσείποι τὸ ἀτελεσφόρητον ἔμβρυον, ἀλλὰ δυνάμενον εἴπερ ἐτελεσφορήθη εἰς ἀνθρώπου γένεσιν προελθεῖν, ἕως δ’ ἂν ἐν τῷ ἀτελεῖ ᾖ, ἄλλο τί ἐστι καὶ οὐκ ἄνθρωπος. Vgl. Diepgen, Frauenheilkunde, 164 f. Vgl. die Formulierung in Ad Cand. 14: Non enim fetus non est ante partum, sed in occulto est et generatione provenit in manifestationem ὂν operatione quod fuit ὂν potentia, et ut quod verum est dicam, ὂν operatione τοῦ ὄντος. (19,7– 9 Locher)
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auch auf den Sohn, der wie der Vater das immer Seiende ist.¹⁵⁶ Asterius hat seine Auslegung von Ex 3,14 ebenfalls mit einem Vergleich mit der menschlichen VaterSohn-Beziehung verbunden.¹⁵⁷ Das legt auch der Argumentationszusammenhang nahe, in dem sich Markell von Ankyra gegen diese Auslegung wendet. Markell interpretiert Ex 3,14 als eine Aussage des Vaters durch seinen Logos, womit der Vater und der Logos beide gleichermaßen als „der Seiende“ anzusprechen seien. Man könne in der göttlichen Vater-Sohn-Beziehung das Sein des Sohnes daher gerade nicht vom Sein des Vaters trennen.¹⁵⁸ An diese Diskussion knüpft Victorinus hier offensichtlich an: Auch er verbindet den Vergleich mit der menschlichen Schwangerschaft mit der Auslegung von Ex 3,14. Das lässt darauf schließen, dass er den Argumentationszusammenhang vermutlich aus Markells Werk kannte. Dabei baut er in seiner Antwort auf die Frage des Asterius auch ein von Athanasius angedeutetes Argument noch weiter aus und illustriert mit dem Bild von der Schwangerschaft, in welcher Weise der Sohn aus der οὐσία des Vaters stammt. Victorinus hat also wahrscheinlich auch die in Rom abgefassten Arianerreden des Athanasius gekannt.¹⁵⁹ Hier zeigt sich wieder bei-
Zur Auslegung von Ex 3,14 durch Asterius vgl. fr. 52 Vinzent, mit Kommentar bei Vinzent, Asterius von Kappadokien, 267– 269. Zur Bezeichnung des Vaters als dem seienden Gott und ewig Seienden bei Asterius vgl. z. B. fr. 2.73,7 f. Vinzent. Ähnlich bezieht auch Aëtius im Syntagmation die Aussage allein auf den ungezeugten Vater, vgl. Dok. 61.1,38 (AW III/1/4 518,20 f.). Vgl. den gesamten Zusammenhang der frr. 52– 56 Vinzent. Vgl. dazu insges. Frr. 85 – 89 Seibt (=63 f.61.59.62 Klostermann) mit dem Kommentar bei Seibt, Markell von Ankyra, 399 – 402. Diese Auslegung wurde im westlichen Serdicense übernommen, wo der Logos als ὁ πάντοτε ὤν bezeichnet wird, vgl. Dok. 43.2,5 (AW III/1/3 208,15). Auch Ps.-Ath. Ar. IV 1 (44,12– 14 Stegmann) schließt sich der Auslegung Markells an und sieht hier die eine Substanz und Hypostase Gottes ausgedrückt. Athanasius hat die beiden ersten Arianerreden vermutlich während seines Romaufenthalts 340 verfasst und sie auch für ein westliches Publikum intendiert, vgl. dazu die Anmerkung in AW I/1/2 109 in app., ferner Vinzent, Orationes contra Arianos I-III, 197– 200. Auch Dîncă, SC 598, 25 folgt dieser Datierung. In Rom war die Schrift also vermutlich auch zur Zeit des Victorinus bekannt. In seinem Kommentar weist Hadot auf zahlreiche Parallelen hin, die freilich meist nicht mehr als das sind, vgl. für die Stellen das Register in SC 69, 1227 f. Es ist möglich, dass Victorinus einige „arianische“ Argumente bei Athanasius für die Komposition des Candidusbriefes herangezogen hat und auch antiarianische Argumente des Athanasius übernommen hat. Ein deutlicher Bezug auf die erste Arianerrede liegt in Ad Cand. 29 vor. Auf die arianische Auslegung des Wortes factus in verschiedenen Bibelstellen als Ausdruck für die Geschöpflichkeit des Sohne antwortet Victorinus: […] ista omnia dicuntur non in eius exsistentiam, sed in actus et in ministrationem eius potentiae atque virtutis. (26,14– 16 Locher) Vgl. mit Ath. Ar. I 62,2: […] τίνι πάλιν οὐκ ἔστι φανερὸν ὅτι οὐκ ἐπὶ τῆς οὐσίας τοῦ λόγου ἔλεγε τὸ „γενόμενος“, ἀλλ’ ἐπὶ τῆς δι’αὐτοῦ γενομένης διακονίας; (AW I/1/2 173,8 – 10) Vgl. dazu und für weitere Belege bei Ath. auch Hadot, SC 69,728 ad 29,1– 22. Gegenüber Athanasius fügt Victorinus noch verdeutlichend potentiae atque virtutis hinzu, um den Gegensatz zur exsistentia noch zu betonen und jeden subordinatianischen Verdacht auszuschließen.Victorinus
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spielhaft, wie Victorinus zeitgenössische Diskussionen aufnimmt und ihnen durch eine weitergehende philosophische Reflexion eine tiefere Ebene verleiht. Mit seiner Bestimmung des embryonalen Seins als verborgenes, noch nicht aktualisiertes Sein nimmt er philosophische Modelle auf, um eine schlichtere Lösung, wie sie sich bei Athanasius findet, auszubauen und diese einsichtig zu machen. Er schließt sich Athanasius und Markell in der Auseinandersetzung gegen Asterius an und trägt mit dem Embryo-Vergleich ein neues Element in die Debatte ein, das das gemeinsame Anliegen weiter untermauert. In gnostischen Texten wird der Embryo-Vergleich zur Illustration der Entfaltung der intelligiblen Welt benutzt. Im Tractatus Tripartitus findet sich eine ähnliche Vorstellung, dass das Sein in Gott wie ein Embryo präexistiert: Solange sie [sc. die Äonen] in dem Gedanken des Vaters sind, das heißt: (solange) sie in der verborgenen Tiefe [βάθος; F.Z.] sind, kannte die Tiefe zwar sie, vermochten sie aber nicht die Tiefe, in der sie waren, zu erkennen, und vermochten sie auch nicht, sich selbst zu erkennen, auch nicht etwas anderes zu erkennen. Das heißt: sie waren zwar bei dem Vater, sie waren aber nicht für sich (selbst) da. Sondern sie hatten ihr Sein nur wie ein Same [σπέρμα; F.Z], (das wird gesagt), damit deutlich wird, daß sie existierten wie ein Embryo. Wie das Wort [λόγος; F.Z.] hat er sie gezeugt: es ist vorhanden wie ein Same, ehe die, die er zeugen sollte, entstanden.¹⁶⁰
Die intelligiblen Äonen des Pleroma befinden sich nach der Ansicht des TractTrip zunächst verborgen in der Tiefe des Vaters. Dieser präexistente Zustand lässt sich mit einem Embryo oder dem seminalen λόγος vergleichen. Die Bildsprache ist ganz ähnlich wie bei Victorinus, inhaltlich wird aber eine andere Aussage transportiert: Im TractTrip präexistiert das intelligible Sein verborgen und gewissermaßen embryonal im Vater, aber dieser Zustand ist ein defektiver, da die Äonen in ihm noch nicht den Vater erkennen können. Dies wird ihnen erst durch ihre Manifestation nach außen ermöglicht. Dagegen betont Victorinus den Charakter der Selbstaktualisierung des präexistenten Logos aus dem Sein des Vaters heraus. Der Sohn ist in seiner Präexistenz im Vater nicht in einem geringeren Zustand als nach seiner Aktualisierung. Er ist schon vorher immer das, was er nach der Geburt ist, und ist wie der Vater „der Seiende“ aus Ex 3,14. Hierin entwickelt Victorinus den EmbryoVergleich auf der Grundlage des medizinischen Wissens seiner Zeit fort und betont die Selbstaktualisierung des Sohnes.
benutzt nur hier das seltene Wort ministratio für das ökonomische Handeln des Sohnes, der Gedanke findet sich anders ausgedrückt aber öfter, z. B. Adv. Ar. I 18: ministerium domini (49,2 Locher), Adv. Ar. Ib 52: ministrante hoc, quod est vitam esse (88,7 f. Locher), hymn. III 10: minister. Hanson, Search, 539 hält das Argument in Ad Cand. 29 dagegen für einen eigenständigen Gedanken des Victorinus, da er ihn grundsätzlich als isolierten Denker ansieht (S. 555). TractTri NHC I,5 p. 60,16 – 37 (BCNH.T 19, 75), deutsche Übersetzung Hans-Martin Schenke, NHD I, 61.
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Victorinus zeigt an anderen Stellen eine gewisse Nähe zum Tractatus Tripartitus, vor allem verbindet beide eine ähnliche Sicht auf die Welt als einem von Gott eingerichteten Lernort für die Vernunftwesen.¹⁶¹ Er kann auch in Anlehnung an Eph 3,18 den Vater als die unbegreifliche Tiefe ansprechen, die vom Sohn der Welt offenbart wird, wie es der TractTrip und viele valentinianische Texte tun.¹⁶² Thomassen führt den Embryo-Vergleich im TractTrip auf einen neupythagoreischen Ursprung zurück.¹⁶³ Jedoch kann ich nicht erkennen, wo im Zusammenhang mit der neupythagoreischen Zahlenspekulation davon gesprochen wird, die Monas enthalte die anderen Zahlen wie Embryonen. Vielmehr ist der Vergleichspunkt hier immer der λόγος σπερματικός. Der gedankliche Gehalt ist bei beiden Vergleichsgrößen zwar ähnlich, die neupythagoreischen Texte nutzen aber auffälliger Weise nur den Vergleich mit dem Samen, nicht aber mit dem Embryo. Ein solcher Vergleich würde auch nicht zur gängigen Geschlechtermetaphorik der Zahlentheologie passen. In der Regel gilt die Monas als väterliches, männliches Prinzip, während die Dyas als mütterliches, weibliches Prinzip angesehen wird.¹⁶⁴ Hätte man die in der Monas verborgenen Zahlen mit einem Embryo verglichen, wäre die Monas in Fortführung dieses Bildes zu einem weiblichen Prinzip geworden. Das wäre mit der Vollkommenheit der Monas nicht vereinbar. Die pseudo-jamblichische arithmetische Theologie differenziert dagegen sogar ausdrücklich zwischen dem Vergleich mit dem Samen und dem Embryo: Die Monas ist nur mit dem Samen vergleichbar, da dieser alles undifferenziert und potentiell in sich enthält.¹⁶⁵ Dagegen ist die Entstehung des Embryos aus dem Samen schon ein weiterer Schritt hin zur Formung und Aktualisierung der anderen Zahlen und
S. dazu unten S. 429 – 432. Vgl. insbes. Mar. Victorin. hymn. I 71 f.: Hinc Christus apparens saeculis ad profundum docendum idque arcanum et intimum […] (174 Locher) (= 1,72 f. CSEL 83/1 288). In SC 68, 626 stellt Hadot den Text anders wieder her: Hinc Christus apparens saeculis id profundum doctum idque arcanum et intimum. A und Σ haben übereinstimmend doctum, das als Supin gedeutet werden kann, vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus 446 Anm. 597, daher konjizieren sie id für das überlieferte ad. Das Supin auf -um steht bei Verben der Bewegung im weitesten Sinne, vgl. Kühner-Stegmann II/1, §128. Möglicherweise impliziert apparere eine Bewegung, man könnte aber auch für das überlieferte ad konjizieren: […] it profundum doctum […]. Vgl. Thomassen, Le traité tripartite, 295 mit den angeführten Beispielen, die alle mit dem Bild des Samens und des seminalen Logos arbeiten. Vgl. dafür nur Hipp. ref. I 2,6 (58,22– 59,24 Marcovich). Ähnlich bei Procl. Theol. Plat. 4 p. 81,14– 16 Saffrey/Westerink. In Theol. Ar. p. 5 Ast (4,1 de Falco/Klein) wird die Monas dagegen als androgyn bezeichnet. Plot. enn. V 9 (5) 6 vergleicht in diesem Sinne den νοῦς mit dem Samen.
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entspricht nicht dem ungeformten, rein potentiellen Zustand der Zahlen in der Monas.¹⁶⁶ Der nächstliegende Vergleichspunkt für den Embryo-Vergleich bei Victorinus liegt daher in den gnostischen Texten. Im Gegensatz zur Verwendung in der gnostischen Metaphysik betont Victorinus bei diesem Vergleich allerdings die Vollkommenheit des im Vater präexistierenden Logos und seine Selbstaktualisierung. Mit seiner Konzeption knüpft Victorinus also zunächst an die zeitgenössische Diskussion zwischen Athanasius, Markell und Asterius an. Mit Athanasius und Markell nimmt er den Vergleich Gottvaters mit menschlichen Eltern positiv auf und führt deren Argumente gegen Asterius weiter, indem er mit dem Beispiel vom Embryo eine weitere Dimension hinzufügt. Mit dem Embryo-Vergleich bringt Victorinus das soteriologische Anliegen zum Ausdruck, dass der Sohn das innere Wesen des Vaters offenbart. Dafür setzt er den Vergleich des in Gott präexistenten Seins mit dem Embryo anders ein als der gnostische TractTrip und betont damit gerade die Gleichrangigkeit und Vollkommenheit des verborgenen Sohnes mit dem Vater. 3.3.2 Der Vater als Vorbegriff des Seins bei Victorinus, Jamblich und in der Gnosis In der arithmetischen Theologie wird die Vorstellung entwickelt, dass alle Zahlen ihre Ursache in der Monas haben. Die Monas enthält alle anderen Zahlen auf verborgene und potentielle Weise in sich.¹⁶⁷ Davon ausgehend werden in der platonischen Philosophie auch Spekulationen über das Eine in diese Richtung angestellt, wie Proclus in seinem Kommentar zum Parmenides berichtet. Da er seine Gewährsmänner kaum namentlich zitiert, ist an vielen Stellen umstritten, auf wen die angeführten Lehren jeweils zurückgehen. An den hier in Frage kommenden Vergleichsstellen spricht aber einiges dafür, dass diese Überlegungen Jamblich zuzuschreiben sind. Er steht hier aber auch stellvertretend für die als neupythagoreisch charakterisierte Richtung des Neuplatonismus, die offensichtlich auch starken Einfluss auf gnostische Texte, die christliche Theologie und auch auf Victorinus ausgeübt hat.
Theol. Ar. p. 5 f. Ast: ὡς δὲ σπέρμα συλλήβδην ἁπάντων ἄρσενά τε καὶ θήλειαν τὴν αὐτὴν τίθενται, οὐ μόνον ἐπεὶ τὸ μὲν περισσὸν ἄρσεν δυσδιαίρετον ὄν, τὸ δὲ ἄρτιον θῆλυ εὔλυτον ὂν ᾤοντο, ἀρτίαν δὲ καὶ περισσὴν μόνην αὐτήν, ἀλλὰ καὶ ὅτι πατὴρ καὶ μήτηρ, ὕλης καὶ εἴδους λόγον ἔχουσα, ἐπενοεῖτο, τεχνίτου καὶ τεχνητοῦ· καὶ δυάδος γὰρ παρεκτικὴ διφορηθεῖσα· ῥᾷον γὰρ τεχνίτῃ ὕλην ἑαυτῷ προσάγεσθαι ἢ τὸ ἔμπαλιν ὕλῃ τεχνίτην. τὸ δὲ σπέρμα καὶ θήλεων καὶ ἀρσένων ὅσον ἐπ’ αὐτῷ παρεκτικὸν ἀποσπαρὲν ἀδιάκριτόν τε τὴν ἀμφοῖν φύσιν παρέχει κἀν τῇ μέχρι τινὸς κινήσει, βρεφοῦσθαι δὲ ἀρχόμενον ἢ φυτοῦσθαι διάλλαξιν λοιπὸν ἐπὶ θάτερον καὶ ἐνάλλαξιν ἐπιδέχεται, μετιὸν ἀπὸ δυνάμεως εἰς ἐνέργειαν. (4,17– 5,10 de Falco/Klein) Vgl. etwa Theol. Ar. p. 3 Ast (1,4– 18 de Falco/Klein).
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Jamblich kann durch seinen speziellen Ansatz in der Metaphysik weitaus positivere Aussagen über das Eine treffen, als dies Plotin möglich ist. Dies gelingt ihm dadurch, dass er als erstes Prinzip ein vollkommen unsagbares und transzendentes Eines (πάντη ἄρρητος; ἁπλῶς ἔν) einführt, das vor dem zweiten Einen liegt, welches wiederum als Ursache der Prinzipien des seienden Einen (ἕν ὄν) fungiert.¹⁶⁸ Damit trennt Jamblich die paradoxen Aspekte des Einen bei Plotin und weist sie zwei unterschiedlichen Ebenen zu: Das unsagbare Eine ist nicht beschreibbar und unerkennbar, während das zweite Eine die transzendente Ursache alles Seins darstellt. Proclus berichtet nun von den Vertretern der Zahlentheologie, die der Monas zuschreiben, sie enthalte die Vielzahl bereits in verborgener Weise in sich und vereine in sich den paradoxen Gegensatz von Ruhe und Bewegung, da sie immer ruhig und bei sich bleibe, aber alles aus sich hervorbringe.¹⁶⁹ Ähnliches vertreten laut Proclus ungenannte andere Philosophen über das Eine: Als Ursache enthalte das Eine auf verborgene Weise die Ursachen der Triade Leben, Denken und Sein, sei aber selbst über diesen. Diese Ursachen enthalte es auf eine für uns Menschen unsagbare und unerkennbare Art und Weise, für sich selbst aber auf eine erkennbare Weise.¹⁷⁰
Wichtigstes Zeugnis für diese Lehre Dam. Pr. II 1,1– 11 Westerink/Combès (=43, I 86,2– 7 Ruelle). Für die Bezeichnung des absolut transzendenten Einen als ἁπλῶς ἕν vgl. Dam. Pr. II 14,1 Westerink/ Combès (= 47, I 93,23 Ruelle) Zur Mittelstellung des zweiten Einen als Ursache der Dyade von πέρας und ἄπειρον, die das ἕν ὄν hervorbringen, vgl. Dam. Pr. II 25,1– 6 Westerink/Combès (=50, I 101,11– 15 Ruelle). Vgl. grundlegend zur Prinzipienlehre Jamblichs Dillon, Iamblichus, ANRW II 36,2, 881– 885; Halfwassen, Das Eine, RhM 139 (1996), 60 – 63. Vgl. Procl. in Prm. VI, 1084,8 – 14 Steel ὅσοι δὲ ἐν τῇ μονάδι ταῦτα πάντα δεικνύειν ἐθέλουσι, πάντων εἰσὶ πιθανώτατοι· καὶ γὰρ πολλὰ ἡ μονὰς ἐγκρυφίως, καὶ ὅλον καὶ μέρη, καὶ σχημάτων περιεκτική, καὶ ἐν ἑαυτῇ καὶ ἐν ἄλλῳ καθὸ πᾶσι πάρεστι τοῖς ἐξ αὐτῆς, καὶ ἕστηκε καὶ κινεῖται, μένουσα ἅμα καὶ προϊοῦσα καὶ έν τῷ πολλαπλασιάζεσθαι μηδέποτε αὑτῆς ἐξισταμένη, καὶ τὸ ὅμοιον ἐπ’ αὐτῆς ἐστι δῆλον καὶ τὰ ἄλλα ὁμοίως. Steel vermutet eine Zuschreibung an Jamblich vgl. Steel, in app. ad l. 8. Dillon nimmt eher allgemein einen neupythagoreischen Hintergrund an, hält Jamblich aber nicht für ausgeschlossen,vgl. Morrow/Dillon, Commentary, 434 Anm. 60. Hadot, Porphyre I, 286 f. verweist auf die Vorstellung bei Favonius Eulogius, dass in der Monade bereits eine ruhende Bewegung enthalten sei, sodass die Dyade die zweite Bewegung aus dieser ersten Bewegung ist. Das lässt sich aber angesichts der weiteren Belege gut vor dem pythagoreischen Hintergrund verstehen und muss nicht auf die Chaldäischen Orakel zurückgeführt werden. Vgl. Procl. in Prm. VI 1107,8 – 16 Steel: Ἄλλοι τοίνυν εἰρήκασιν ὅτι πάντων αἴτιον ὄν τὸ πρῶτον ὑπὲρ ζωήν, ὑπὲρ νοῦν, ὑπὲρ αὐτὸ τὸ ὄν ἱδρυμένον, ἔχει πως τὰς τούτων αἰτίας ἁπάντων ἀφράστως καὶ ἀνεπινοήτως καὶ τὸν ἑνικώτατον τρόπον καὶ ἡμῖν μὲν ἀγνώστως, ἑαυτῷ δὲ γνωστῶς· καὶ ἔστι τὰ ἐν αὐτῷ κρύφια τῶν ὅλων αἴτια παραδείγματα παραδειγμάτων, καὶ τὸ πρῶτον αὐτοόλον πρὸ ὅλων, οὐ δεηθὲν μερῶν· τὸ μὲν γὰρ πρὸ τῶν μερῶν ὅλον δεῖσθαί πως τῶν μερῶν καὶ τοῦτο εἶναι ὅπερ ἀνεῖλεν ὁ Πλάτων· τὸ δὲ ὅλον πρὸ τῶν ὅλων οὐδὲν δεῖσθαι μερῶν. Zur Zuschreibung an Jamblich vgl. Steel in app. ad l. 8. Steel verweist auf Procl. in Prm. VI 1114,1– 5. Dort vertreten einige (τινες) die Lehre, das Eine habe auf verborgene Weise Anfang, Mitte und Ende. Das lässt sich durch eine von
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Halfwassen verweist in diesem Zusammenhang auf eine Passage in Adversus Arium IV 23¹⁷¹: Alles nämlich, was die Sprache bezeichnet, ist nach ihm, daher ist er nicht das Seiende, sondern eher das Vorseiende. Auf die gleiche Weise sind Vorexistenz, Vorleben, Vorerkenntnis das, was verursacht wird, er selbst ist vorexistierend, vorlebend, vorerkennend, aber all dies wurde erst erkannt und benannt, nachdem die sekundären Dinge erschienen waren. Nachdem nämlich die Erkenntnis erschienen war, ist die Vorerkenntnis erkannt und benannt worden. Auf die gleiche Weise auch die Vorexistenz und das Vorleben. Es gab sie zwar schon, aber sie waren noch nicht erkannt und noch nicht benannt. Daher ist auch alles unerkennbar, was Gott ist.¹⁷²
Wie das ursächliche Eine bei Jamblich enthält der Vater bei Victorinus auf unerkennbare und unaussprechliche Weise den Vorbegriff der Triade von Sein, Leben und Denken und ist selbst diesen doch transzendent. Erst wenn die Triade aus ihrer Ursache hervorgegangen ist, kann sie benannt werden und es kann rückschließend ihr verborgener Seinsmodus in der Ursache benannt werden. Halfwassen schließt aus diesen Parallelen, dass Victorinus hier Jamblich als Quelle nutzt. Jedoch finden sich ähnliche Gedanken auch in gnostischen Texten wie dem Tractatus Tripartitus. Auch dort wurde die Zahlenspekulation des Neupythagoreismus aufgegriffen, um metaphysische Sachverhalte zum Ausdruck zu bringen.
O’Meara entdeckte Parallele Jamblich zuschreiben, vgl. Iamb. De eth. theol. arith. 109v,70 – 73, ed. O’Meara, New Fragments, AJP 102 (1981), 39. Dazu auch Halfwassen, Das Eine, RhM 139 (1996), 52– 83. Ebenso hält Dillon Jamblich für einen möglichen Autor, vgl. Morrow/Dillon, Commentary, 452, Anm. 91. Dagegen schreibt Hadot die Position wie zwei zuvor referierte Positionen Porphyrius zu, vgl. Hadot, Porphyre I, 355 – 357.372 f. Das Problem an Hadots Zuweisung ist, dass drei ganz verschiedene Positionen von Porphyrius stammen sollen, obwohl Proclus sie deutlich jeweils so einführt, dass sie von unterschiedlichen Personen (ἄλλοι) vertreten werden. D’Ancona, Primo principio, Elenchos 12 (1991), 271– 302 sieht hier die Lehre Plotins wiedergegeben, auch Halfwassen verweist S. 74 f. auf die Parallelen seiner Rekonstruktion der jamblichischen Prinzipienlehre mit dem frühen Plotin. Gegen eine Zuschreibung an Porphyrius spricht auch die Beobachtung von O’Meara, Pythagoras Revived, 25 – 29, dass die pythagoreische Zahlentheologie in den erhaltenen Texten des Porphyrius keine Rolle spielt. Er preist Pythagoras hauptsächlich als idealen Philosophen und als ethisches Vorbild. Němec, Metaphysical Systems verhält sich kritisch zu Hadots Zuschreibung an Porphyrius und betont, dass es sich um drei verschiedene Autoren handeln muss, hält aber eine klare Zuschreibung nicht für möglich. Vgl. Halfwassen, Das Eine, RhM 139 (1996), 54. Adv. Ar. IV 23: Omnia enim, quae voces nominant, post ipsum sunt, unde nec ὄν, sed magis προόν. Eodem modo praeexsistentia, praeviventia, praecognoscentia haec, quae conficiuntur, ipse autem praeexsistens, praevivens, praecognoscens, sed haec omnia apparentibus secundis et intellecta sunt et nominata. Postquam enim apparuit cognoscentia, et intellecta et appellata est praecognoscentia. Eodem modo et praeexsistentia et praeviventia. Erant quidem haec, sed nondum animadversa, nondum nominata. Unde et incognoscibile omne, quod deus est. (156,18 – 25 Locher)
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Daher muss Victorinus für diese Gedanken nicht zwingend auf Jamblich zurückgegriffen haben. Vielmehr zeigen diese verschiedenen Beispiele, dass die neupythagoreischen Spekulationen in ganz verschiedenen Kontexten genutzt wurden. Der TractTrip vertritt etwa auf ähnlichen Voraussetzungen die anders gelagerte Lehre, dass die Äonen im Vater in einer verborgen Art und Weise präexistieren, sodass nur der Vater sie, sie aber nicht den Vater erkennen können.¹⁷³ Auch das Evangelium Veritatis entwickelt in diesem Punkt ähnliche Anschauungen wie Victorinus und der TractTrip: Er ließ in Erscheinung treten, was an ihm verborgen ist, und erklärte es. Denn wer ist es, der erfaßt, wenn nicht der Vater allein? Alle Wege sind Gaben von ihm. Sie haben erkannt, daß sie aus ihm hervorgegangen sind wie Kinder, die in einem erwachsenen Menschen sind und wußten, daß sie noch keine Gestalt empfangen hatten und noch nicht mit Namen versehen waren. Der Vater gebiert jeden (von ihnen erst) dann, wenn sie die Form seiner Erkenntnis empfangen. Sonst können sie, obgleich sie in ihm sind, ihn nicht erkennen. Der Vater aber ist vollkommen, sofern er jeden Weg, der sich in ihm befindet, kennt.Wenn er will, läßt er das, was er will, erscheinen, indem er ihm Gestalt gibt und ihn mit einem Namen versieht. Ja, er gibt ihm einen Namen und läßt (so) solche, die, bevor sie entstanden, in Unkenntnis über den sind, der sie geschaffen hat, entstehen. Ich meine allerdings nicht, daß solche, die noch nicht entstanden sind, gar nichts sind. Sie befinden sich vielmehr in dem, der wollen wird, daß sie entstehen, sobald er es will und die Zeit dazu kommt. Bevor alle Dinge in Erscheinung getreten sind, weiß er aber, was er hervorbringen wird. Die Frucht [καρπός; F.Z.] aber, die noch nicht in Erscheinung getreten ist, weiß nichts und tut auch nichts. So stammen alle Wege, die selbst in dem Vater sind, aus dem Seienden, der sich selbst aufgerichtet hat aus dem Nichtseienden. […] Deswegen wird das, was überhaupt nicht war, auch nicht entstehen.¹⁷⁴
Auch das Evangelium Veritatis betrachtet den Vater als den Ursprung alles Seins, der alles, was er hervorbringen wird, bereits potentiell in sich trägt. Ein wirkliches Nichtsein gibt es nicht, da alles, was entstehen soll, schon vorher im Vater war. Für den Vater ist das, was er umfasst, auch erkennbar, während die Dinge für sich selbst und für andere erst nach ihrer Entstehung und Formung benennbar und erkennbar werden. Das Nachaußentreten und Offenbarwerden des Seins aus dem Vater ist vergleichbar mit einer Frucht, die zuvor verborgen ist und offenbar wird. Das erinnert stark an Victorinus, der ebenfalls betont, dass das, was in Erscheinung tritt, bereits im Verborgenen existiert und vorher kein absolutes Nichts war. Im verborgenen Zustand ist das Sein noch nicht benennbar, sondern kann erst durch die Formung und Manifestation, d. h. durch die Geburt des Sohnes erkannt
S. oben S. 290. EV NHC I,3 p. 27,9 – 28,24 (CoptGnL 1, 96 – 98) Übersetzung Hans-Martin Schenke, NHD I, 38. Auf die Parallele zu TractTrip und Victorinus verweist Thomassen, Le traité tripartite, 294.
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und mit Namen versehen werden.¹⁷⁵ Es fällt ferner auf, dass das EV auch einen Vergleich mit Kindern anstellt, die in einem erwachsenen Menschen sind, und sich erst erkennen können, wenn sie geboren sind und Form empfangen haben. Das erinnert wiederum an das Schwangerschaftsgleichnis bei Victorinus. In die gleiche Richtung weist der Vergleich mit einer Frucht im EV, da auch eine Frucht vor ihrem Heraustreten nicht nichtexistent ist, sondern im Verborgenen bereits vorhanden.¹⁷⁶ Die Frucht-Metaphorik spielt in valentinianischen Texten insgesamt eine wichtige Rolle und wurde – wie auch der Vergleich mit dem Embryo – schon von Valentin selbst gebraucht.¹⁷⁷ Die philosophische Tiefe bei Victorinus besteht im Vergleich mit den gnostischen Texten darin, dass er mit der Triade Sein-Leben-Denken operiert und durch die Methode der Paronyme den Zusammenhang zwischen dem inneren, verborgenen Wesen und dem nach außen tretenden Verursachten herstellt. Für das Evangelium Veritatis und Victorinus ist erst ein Wesen, das einen Namen hat, erkennbar. Daher kann erst mit der Entstehung des manifesten Seins aus dem Vater etwas bezeichnet werden. Die Gleichsetzung von Namen und Erkenntnis spielt im Evangelium Veritatis eine zentrale Rolle, da der Sohn als der Name des Vaters Zugang zum verborgenen und unerkennbaren Wesen des Vaters gibt. Mit dem Hervorgehen des Sohnes gibt es erst Bezeichnungen und vor allem die eine Bezeichnung für den Vater, durch die dieser erkannt werden kann.¹⁷⁸ Genauso ist
Vgl. dazu auch Ad Cand. 2: Hic est filius hic omnis λόγος, hic, qui apud deum et in deo λόγος, hic Iesus Christus, ante omnia, quae sunt et quae vere sunt, prima et omnis exsistentia, prima et omnis intellegentia, primum et omnimodis perfectum ὄν, ipsum ὄν, primum nomen ante omnia nomina. Ab isto etenim omnia nomina, sicuti declarabitur. (12,8 – 12 Locher); Ad Cand. 16: Non dicimus Iesum τὸ ὄν primum, ante omnia ὄν, per quem omnia, quae sunt. Hoc est enim nomen supra omne nomen. Principium enim nominum τὸ ὄν et principium substantiarum, sicuti frequenter et in multis declaravi. (19,26 – 20,2 Locher); Vgl. auch EV NHC I,3 p. 23,33 – 24,2 (CoptGnL 1,92): „So geht das Wort des Vaters aus im All als die Frucht seines Herzens und als die Gestalt seines Willens.“ (Übersetzung Hans-Martin Schenke, NHD I, 37) Zur Metapher der Frucht in valentinianischen Texten vgl. Lettieri, Il frutto valentiniano, 347– 367. Lettieri deutet S. 363 die Erwähnung der Frucht und des Embryos in dem Valentinfragment bei Hipp. ref. VI 37,7 als Metapher für die Zeugung des Sohnes. Vgl. dagegen aber auch die Deutung von Markschies, Valentinus, 245 – 255. Vgl. dazu insgesamt NHC I,3 p. 38,7– 41,3 (CoptGnL 1,110 – 114); deutsche Übersetzung NHD I, 42 f. Vgl. dazu auch Arai, Christologie, 66 – 72, der diese Vorstellung überzeugend aus dem Johannesevangelium ableitet. Skeptisch dazu Röhl, Rezeption, 124 f., der nur eine einzige Bezugnahme auf Joh im EV bestehen lässt, vgl. 102– 130. Dies ist nur vor der Voraussetzung verstehbar, dass er S. 95 – 98 das EV im Kern einer vorchristlichen Gnosis zuweist, deren Erlöserkonzept erst sekundär christianisiert worden sei. Zwangloser lässt sich das EV aber vor dem Hintergrund von Joh verstehen.Vgl. dazu auch den Exkurs bei Weiss, Frühe Gnosis und Christentum, 344– 351.
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bei Victorinus die Erkennbarkeit des verborgenen Vaters durch den offenbaren Sohn das entscheidende Thema der Trinitätstheologie. Diesen Gedanken kann er auch dadurch ausdrücken, dass er den Sohn in Anlehnung an Phil 2,9 den ersten Namen vor allen anderen Namen nennt, da er der Inbegriff des Seienden ist. Alles Nachrangige kann nur deswegen benannt werden, weil es vom Sohn her das Sein und damit einen Namen hat. Aber auch das verborgene Wesen des Vaters kann so erst mit Namen bezeichnet werden, da erst nach dem Erscheinen der praeexsistentia, praeviventia und praecognoscentia im Sohn auf die darüberliegende Ursache geschlossen werden kann. Victorinus legt auch Joh 17,12 so aus, dass der Sohn alles, auch den Namen des Vaters hat. Hierin sieht er die vollkommene Homousie zwischen Vater und Sohn ausgedrückt.¹⁷⁹ Die Übereinstimmung des Namens meint, dass der Sohn das unnennbare Wesen des Vaters bezeichnet und so dessen Erkenntnis möglich macht. Auch das EV stützt sich für seine Namenschristologie oft auf Joh 17,12.¹⁸⁰ Auch hier zeigt sich, dass die Quellenfrage nicht so eindeutig zu beantworten ist, wie dies in der bisherigen Forschung oft versucht wurde. Die Ähnlichkeiten zu gnostischen Texten eröffnet die Möglichkeit, dass Victorinus solche Gedanken auch aus gnostischer Literatur kannte. Gnostische Theologen zeigen schon früh ein großes Interesse für die neupythagoreische Richtung platonischer Philosophie und nehmen Anregungen aus der Zahlentheologie für ihre theologischen Spekulationen auf.¹⁸¹ Ähnlichkeiten zwischen gnostischen Texten und der Philosophie Jamblichs sind also nicht zufälliger Natur, sondern beruhen auf demselben philosophischen Interesse. Offensichtlich erkennt auch Victorinus in dieser Art Philosophie einen Gewinn für seine Trinitätstheologie und teilt Anliegen, die auch bei Jamblich und in gnostischen Spekulationen zur Metaphysik ausgedrückt werden. Die gnostischen Texte stellen schon eine frühe Form der christlich-philosophischen Durchdringung der Metaphysik vor dem Hintergrund der Zahlentheologie dar. Wenn Victorinus solche Texte gekannt hat, stellt seine Theologie doch auch wieder keine bloße Übernahme
Vgl. Adv. Ar. I 14,36 – 15,2: Quod omnia tradidit pater filio, si et nomen dedit; dicit enim: custodivi eos in nomine tuo, quo˻d˼ mihi dedisti. Habemus ergo, quod Christus habet nomen patris et quod vita est et habet potestatem dare vivere. (CSEL 83/1, 75) Das Zitat aus Joh 17,12 ist mit Wöhrer und Hadot gegen A und Σ zu korrigieren und quod mihi dedisti zu lesen, gegen Locher 44,23. Der Argumentationszusammenhang bei Victorinus ist nur sinnvoll, wenn sich der Relativsatz auf nomen bezieht. Zu Joh 17,12 existiert die varia lectio οὕς δέδωκας μοι, die auch in altlateinischen Übersetzung und der Vulgata zugrunde gelegt wird. Daher lässt sich der Fehler leicht erklären. Vgl. Arai, Christologie, 70. Er weist auf vielfache Bezugnahmen des EV zu Joh 17,12 zur Begründung der speziellen Namenschristologie hin: NHC I,3 p. 38,7 f.10 f.; 39,7.18.23. Vgl. dazu Kalvesmaki, Theology of Arithmetic, 27– 102.
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dieser Gedanken dar. Im Gegensatz zu den gnostischen Texten betont er vielmehr immer die gleichrangige Existenz des Sohnes mit dem Vater. Diese volle Homousie kommt ihm auch schon in seiner inneren Existenz im Vater zu. Dass Victorinus einen Text wie das Evangelium Veritatis gekannt hat, ist durchaus möglich. Mark Edwards hat gezeigt, dass eine pseudo-priscillianische Schrift über die Trinität das Evangelium Veritatis in einer lateinischen Fassung als Quelle benutzt hat.¹⁸² Daraus kann geschlossen werden, dass dieser Text gegen Ende des 4. Jh. im lateinischen Westen verfügbar war und benutzt wurde. Es ist also denkbar, dass auch Victorinus Zugang zu solchen oder ähnlichen Texten hatte. Letztlich lässt sich dies aber nicht mit Sicherheit behaupten, da die Ähnlichkeiten auch ausreichend über die gemeinsame philosophische und theologische Basis erklärbar sind, während sich gewichtige Unterschiede zwischen Victorinus und den gnostischen Texten erkennen lassen. Man muss also in diesem Falle vorsichtiger davon sprechen, dass sich bei Victorinus und in gnostischen Texten ähnliche philosophische und theologische Interessen treffen, ohne dass eine klare Abhängigkeit zu konstatieren wäre.
3.4 Das Potenz-Akt-Modell zur Bestimmung des Vater-Sohn-Verhältnisses 3.4.1 Das Potenz-Akt-Modell vor dem Hintergrund der neuplatonischen Philosophie Als einen weiteren wichtigen Zugang zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn nutzt Victorinus ein Potenz-Akt-Modell.¹⁸³ Der Schwangerschaftsvergleich zeigte bereits, dass dieses Schema die gleiche Funktion wie das Manifestationsmodell hat. Es geht Victorinus auch hier darum zu zeigen, dass der Vater den Sohn schon immer in sich enthält und er deswegen gleichewig mit dem Vater ist. Dieses Erklärungsmodell ist in der christlichen Theologie in rudimentären Formen schon lange etabliert, da bereits die Apologeten die vergleichbare stoische Unterscheidung zwischen dem λόγος ἐνδιάθετος und dem λόγος προφορικός nutzten, um die Zeugung des Sohnes zu veranschaulichen.¹⁸⁴ Entscheidend ist dabei das korrekte Verständnis des Begriffes potentia im Denken des Victorinus. Er benutzt potentia nicht im aristotelischen Sinne eines passiven Prinzips, das der Aktivierung von außen durch ein anderes Prinzip harrt, sondern er wendet einen neuplatonisch transformierten δύναμις-Begriff an. Das
Vgl. Edwards, Pseudo-Priscillian, VigChr 70 (2016), 355 – 372. Zum Sohn als Akt vgl. Benz, Marius Victorinus, 89 – 92. Vgl. Löhr, Art. „Logos“, RAC 23 (2010), 337 f. S. auch o. S. 92.
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Problem für die Theologie, das sich bei einem aristotelischen Verständnis von potentia ergibt, formuliert Victorinus im Candidusbrief: Wäre das erste Prinzip eine passive Potenz, entstünde aus ihm gar nichts, da eine Potenz in diesem Sinne immer in ihrem eigenen potentiellen Zustand verharrt, wenn sie nicht von außen aktiviert wird.¹⁸⁵ Der potentia-Begriff des Victorinus muss daher vor dem Hintergrund der Überlegungen Plotins verstanden werden: Im selben Sinne wie Candidus kritisiert Plotin die stoische Annahme, die Materie sei das Prinzip des Seins, und bezeichnet dennoch selbst das Eine häufig als eine δύναμις.¹⁸⁶ Er transformiert den Potenzbegriff wesentlich, um mithilfe eines Potenz-Akts-Schemas die Entstehung des Intellekts aus dem Einen zu erklären.¹⁸⁷ Plotin unterscheidet in seiner Enneade II 5 (25) systematisch zwischen τὸ δυνάμει εἶναι und δύναμις: Das erste bezeichnet die rein passive Potenz in der sinnlich wahrnehmbaren Welt, etwas anderes zu werden, dagegen bezeichnet das zweite ein aktives Prinzip, das im intelligiblen Bereich zu finden ist. Da es im Intelligiblen kein zeitliches Fortschreiten gibt, kann es dort auch keine Entwicklung von einem potentiellen Sein zu einem aktualisierten Sein geben. Daher ist dort alles immer schon aktuell.¹⁸⁸ Eine δύναμις bezeichnet demnach die Fähigkeit, die Aktualisierung selbst herbeizuführen und nicht auf ein weiteres aktives Prinzip angewiesen zu sein. Sie ist insofern mit der aristotelischen ἕξις als zweiter Möglichkeitsstufe vergleichbar.¹⁸⁹ In seiner Funktion als Ursache von allem kann Plotin daher das Eine häufig als δύναμις πάντων bezeichnen und in diesem Sinne mit einer Quelle oder der Lebenskraft in der Wurzel eines Baumes vergleichen.¹⁹⁰ Gerade und nur weil das Eine nichts von allem ist, kann es die übermächtige Ursache aller Dinge sein.¹⁹¹ Plotin
Vgl. Cand. I 1: Primo quidem antiquius dicitur ab omni, quod sit, potentia. Sed in ipsum esse aliquid sine actu et operatione non pervenit potentia ipsa per semet, ipsa cum sit potentia, non actio, non potentificata potentia, in generationem alicuius, nedum die. Manet enim potentia in eo, quod est potentialiter esse, sine actione. (1,19 – 2,4 Locher Vgl. auch Adv. Ar. IV 13. Quies enim nihil gignit. Motus vero et agendi operatio format sibi ex se, quod sit, vel potius, quonam modo sit. (146,20 – 22 Locher) Vgl. die Verweise bei Hadot, SC 69, 670 f. ad Cand. 1,26 – 32: Plot. enn. VI 1 (42) 26,1– 6 und Arist. met. IX 8 1049b für die Priorität des Akts vor der Potenz. Vgl. dazu insgesamt die grundlegende Studie von Buchner, Möglichkeitslehre. Vgl. Plot. enn. II 5 (25) 1. Arruzza, Ennead II.5, 78 f. verweist darauf, dass eine solche Unterscheidung schon bei Aristoteles angelegt ist, dieser aber noch nicht die klare terminologische Differenzierung vornimmt wie Plotin. Vgl. Plot. enn. II 5 (25) 2,33 – 35: τὸ μὲν γὰρ δυνάμει τὸ ἐνεργείᾳ ἔχειν παρ ἄλλου, τῇ δὲ δυνάμει ὅ δυναται παρ’ αὐτῆς ἡ ἐνέργεια· οἷον ἕξις καὶ ἡ κατ’ αὐτὴν λεγομένη ἐνέργεια, ἀνδρία καὶ τὸ ἀνδριάζεσθαι. Vgl. Plot. enn. III 8 (30) 10,5 – 12. Vgl. dazu ausführlich Halfwassen, Aufstieg zum Einen, 114– 130.Vgl. z. B. Plot. enn.V 4 (7) 1,5 – 26.
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kann aufgrund des absoluten Charakters des Einen aber nur bedingt erklären, wie und warum es überhaupt den Intellekt als zweite Hypostase aus sich hervorbringt. Alles teile sich selbst mit, Feuer gebe Wärme ab, Schnee Kälte, Arzneistoffe entfalteten ihre Wirkung. Dann müsse auch das Eine als das vollkommenste und erste Gute etwas hervorbringen und könne nicht missgünstig nur bei sich selbst verharren.¹⁹² Knappen Ausdruck verleiht Plotin dieser Ansicht in den zwei Grundaxiomen seines Denkens, dass alles Vollkommene etwas zeugt und dass das Erzeugnis stets geringer ist als seine Ursache.¹⁹³ Eine rechte Erklärung für dieses Phänomen, dass alles sich selbst mitteilt und etwas hervorbringt, kann Plotin erst ab der Stufe des Intellekts geben. Dazu entwickelt er die Theorie einer doppelten ἐνέργεια, die den Zusammenhang zwischen Ursache und Verursachtem erklären soll.¹⁹⁴ Jedes Sein wird durch eine Aktivität konstituiert, die im Inneren auf dieses Sein bezogen wirkt. Aus dieser inneren ἐνέργεια ergibt sich automatisch, ohne eine weitere Wirkungsabsicht stets eine äußere ἐνέργεια, die einen Effekt nach außen produziert. In der sinnlich wahrnehmbaren Welt erklärt Plotin dies mit den genannten Beispielen von Feuer, Schnee, Duft oder Arzneistoffen. Die innere Aktivität des Feuers bewirkt, dass es im Inneren warm ist und konstituiert so das Sein des Feuers. Von dieser inneren Aktivität geht eine Aktivität nach außen aus, die Wärme nach außen abgibt. Das Feuer fühlt sich warm an, weil es als Ausdruck seiner inneren ἐνέργεια diese Wärme nach außen abgibt. Es erzeugt die Wärme nicht absichtsvoll, sondern als notwendiges Produkt seiner eigenen Selbstkonstitution.¹⁹⁵ Der Unterschied zwischen der intelligiblen zur sinnlich wahrnehmbaren Welt besteht darin, dass hier die äußere Aktivität eines Seins etwas hervorbringt, das selbst wieder ein eigenes Sein besitzt. Während die abgegebene Wärme des Feuers verpufft, bringen das Eine und der Intellekt jeweils eigene Hypostasen hervor.¹⁹⁶ Andeutungsweise spricht Plotin davon, dass auch der Intellekt als eine ἐνέργεια des Einen aufgefasst werden kann. Er stellt aber immer wieder klar, dass das Eine
Vgl. Plot. enn. V 4 (7) 1,27– 41. Plot. enn.V 1 (10) 6,37– 39: καὶ πάντα δὲ ὅσα ἤδη τέλεια γεννᾷ· τὸ δὲ ἀεὶ τέλειον καὶ ἀίδιον γεννᾷ· καὶ ἔλαττον δὲ ἑαυτοῦ γεννᾷ. Vgl. dazu Emilsson, Plotinus on Intellect, 22– 34. Vgl. Plot. enn. V 4 (7) 2,26 – 33: ᾿Aλλὰ πῶς μένοντος ἐκείνου γίνεται; Ἐνέργεια ἡ μέν ἐστι τῆς οὐσίας, ἡ δ’ ἐκ τῆς οὐσίας ἑκάστου· καὶ ἡ μὲν τῆς οὐσίας αὐτό ἐστιν ἐνέργεια ἕκαστον, ἡ δὲ ἀπ’ ἐκείνης, ἣν δεῖ παντὶ ἕπεσθαι ἐξ ἀνάγκης ἑτέραν οὖσαν αὐτοῦ· οἷον καὶ ἐπὶ τοῦ πυρὸς ἡ μέν τίς ἐστι συμπληροῦσα τὴν οὐσίαν θερμότης, ἡ δὲ ἀπ’ ἐκείνης ἤδη γινομένη ἐνεργοῦντος ἐκείνου τὴν σύμφυτον τῇ οὐσίᾳ ἐν τῷ μένειν πῦρ. Vgl. auch Plot. enn. V 1 (10) 3,10 – 12.6,27– 39. Vgl. Plot. enn. V 4 (7) 2,33 – 37.
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jenseits des Seins und auch jenseits der Aktivität liegt.¹⁹⁷ Emilsson sammelt aber in seiner Untersuchung zum Intellekt bei Plotin Indizien, die darauf hindeuten, dass Plotin zumindest ansatzweise das Eine auch als eine Art absolute Aktivität auffasst.¹⁹⁸ Eine absolute Aktivität (ἀπόλυτος ἐνέργεια) richtet sich nicht auf das Effizieren oder Affizieren eines Objektes, sondern ist lediglich auf sich selbst bezogen. Als Beispiel einer absoluten Aktivität dient Plotin ein Läufer: Das Laufen ist eine Aktivität, die nur auf sich selbst gerichtet ist, die weder etwas bewirken noch auf etwas anderes einwirken will. Und doch hinterlässt der Läufer Fußspuren als zwangsläufiges, aber zufälliges Produkt seiner Tätigkeit.¹⁹⁹ Emilsson überträgt diese Vorstellung einer absoluten Tätigkeit auf die Konzeption des Einen bei Plotin, da dieser den Intellekt auch als eine Spur des Einen bezeichnen kann.²⁰⁰ So zeigt sich, dass zumindest in Ansätzen eine Theorie des Einen als absoluter Aktivität bei Plotin angelegt ist. Damit ist das Eine als größte δύναμις alles Seins auch eine Aktivität, die, ohne es zu beabsichtigen und darauf angelegt zu sein, den Intellekt als den Inbegriff des Seins hervorbringt. In seinem Traktat VI 8 (39) geht Plotin ungewöhnlich weit in der kataphatischen Darstellung des Einen, betont aber stets, dass es sich dabei nur um Gedankenspiele handelt und die Äußerungen keineswegs wörtlich verstanden werden dürfen, da das Eine absolut jenseitig sei.²⁰¹ In diesem Traktat will Plotin erklären, dass das Eine absolut frei ist und von keiner Seite Zwang erfährt. Für diesen Zweck schreibt er dem Einen eine Aktivität, eine Substanz und einen Willen zu. Um wirklich frei und selbstbestimmt zu sein, müssen diese Größen im Einen alle in eins fallen: „Seine Aktivitäten sind identisch mit seiner Substanz, sein Wille ist identisch mit der Substanz. Wenn dies der Fall ist, dann ist es so, wie es sein will.“²⁰²
Vgl. Plot enn.V 4 (7) 2,26 – 43; Plot. enn.V 1 (10) 6,45 f.: οἷον καὶ ἡ ψυχὴ λόγος νοῦ καὶ ἐνέργειά τις, ὥσπερ αὐτὸς ἐκείνου. Vgl. dazu knapp Emilsson, Remarks, 274– 283. Vgl. Plot. enn.VI 1 (42) 22,29 – 32: εἰ βαδίζων ἴχνη εἰργάσατο, οὐ λέγομεν πεποιηκέναι; ἀλλ’ ἐκ τοῦ εἶναι αὐτὸν ἄλλο τι. ἤ ποιεῖν κατὰ συμβεβηκὸς καὶ τὴν ἐνέργειαν κατὰ συμβεβηκός, ὅτι μὴ πρὸς τοῦτο ἑώρα. Vgl. dazu Emilsson, Plotinus on Intellect, 42– 48. Vgl. z. B. Plot. enn. III 8 (30) 11,19: ἴχνος τοῦ ἀγαθοῦ, Plot. enn.V 5 (32) 5,14: ἴχνος ἑνός, Plot. enn. VI 8 (39) 18,15: ἀμυδρὰ δὲ καὶ ἴχνη ἐκείνου. Vgl. dazu Emilsson, Remarks, 279; ders., Plotinus on Intellect, 44. Vgl. Plot. enn. VI 8 (39), 13,1– 5.47– 50: ᾿Aλλ’ εἰ καὶ τὰ ὀνόματα ταῦτα ἐπάγειν δεῖ οὐκ ὀρθῶς τοῦ ζητουμένου, πάλιν αὖ λεγέσθω, ὡς τὰ μὲν ὀρθῶς εἴρηται, ὅτι οὐ ποιητέον οὐδ’ ὡς εἰς ἐπίνοιαν δύο, τὰ δὲ νῦν τῆς πειθοῦς χάριν καί τι παρανοητέον ἐν τοῖς λόγοις. […] Δεῖ δὲ συγχωρεῖν τοῖς ὀνόμασιν, εἴ τις περὶ ἐκείνου λέγων ἐξ ἀνάγκης ἐνδείξεως ἕνεκα αὐτοῖς χρῆται, ἃ ἀκριβείᾳ οὐκ ἐῶμεν λέγεσθαι· λαμβανέτω δὲ καὶ τὸ οἷον ἐφ’ ἑκάστου. Plot. enn.VI 8 (39) 13,6 – 9: […] αἱ δὲ ἐνέργειαι ἡ οἷον οὐσία αὐτοῦ, ἡ βούλησις αὐτοῦ καὶ ἡ οὐσία ταὐτὸν ἔσται. Εἰ δὲ τοῦτο, ὡς ἄρα ἐβούλετο, οὕτω καὶ ἔστιν.
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In diesem Zusammenhang beschreibt Plotin das Eine versuchsweise als eine Aktivität, die nach innen wirkt und das Wesen des Einen konstituiert.²⁰³ Aus dieser absoluten Aktivität kann dann der Intellekt als ein zufälliges Produkt hervorgehen. Anders als Plotin hat der anonyme Turiner Parmenides-Kommentator diesen Ansatz konsequent durchgeführt. Für ihn ist das infinite Sein des ersten Einen eine höhere Form der Aktivität, die das seiende Eine hervorbringt.²⁰⁴ Victorinus füllt seinen Begriff der ewigen potentiellen Präexistenz des Sohnes ähnlich aus: Das Sein des Sohnes in der potentia des Vaters ist nicht als passiver Zustand zu verstehen, der auf eine Aktivierung von außen wartet, sondern als das Vermögen des Sohnes zu seiner Selbstaktivierung und Selbstzeugung. Victorinus kann unterschiedlich argumentieren, je nachdem, welchen Aspekt er gerade betonen möchte. An einigen Stellen betont er einerseits, dass der Vater trotz dieser Zeugung unbewegt und ruhend bleibt.²⁰⁵ Dies dient dazu, den Verdacht der Wandelbarkeit Gottes abzuwehren, wie er ausführlich im Candidusbrief formuliert wird. Der Vater erleidet keine Veränderung von der Ruhe zur Bewegung, wenn er den Sohn zeugt, und verliert nichts von seinem Wesen, sondern er bleibt immer, was er war. Andererseits kann er aber auch den Vater schon als aktiv oder den potentiellen Status des Sohnes schon als eine innere Aktivität im Vater beschreiben.²⁰⁶ Damit soll
Auch wenn diese Enneade freilich nicht den Kern des plotinischen Denkens darstellt, ist doch mit Nachdruck auf diese Ansätze bei Plotin hinzuweisen. Hadot, Porphyre I, 291 f. sieht diese Form der Selbstbezüglichkeit des Einen dagegen erst in seiner Rekonstruktion des Porphyrius gegeben. Er deutet sie als eine Transposition der stoischen οἰκείωσις-Lehre und zieht von da aus die Linie zu Augustinus. Vgl. dagegen die hohe Bedeutung dieser Enneade bei Benz, Marius Victorinus, 290 – 309. Nur an einer umstrittenen Stelle bei Plotin sieht Hadot einen Selbstbezug des Einen gegeben, vgl. Porphyre I, 320 f. Anm. 4. S. 355 führt er die Konzeption, dass eine reine Aktivität im Einen vor dem Seienden liegt ebenfalls wieder auf den Versuch des Porphyrius zurück, Plotins Gedanken mit den Chaldäischen Orakeln zu verbinden. S.o S. 261– 263. Vgl. z. B. Adv. Ar. I 3: Unde filius distabit hoc, quod movetur et operatur in manifestationem, propter magnam divinitatem nobis incogniscibiliter operante patre. Supra enim beatitudinem est pater et idcirco ipsum requiescere. Operari enim, etiamsi in perfectionem operetur, in molestia motus. Ista beatitudo est, secundum quod est operari, perfecta. (35,17– 22 Locher) Oder Adv. Ar. III 7: Illud igitur, primum quod esse diximus, quod deus est, et silentium dictum et quies atque cessatio. (121,13 – 15 Locher) Vgl. z. B. Adv. Ar. I 4: Quod est esse, pater est, quod est operari, λόγος. Et prius est, quod est esse, secundum, quod est operari. Habet quidem ipsum, quod est esse, intus insitam operationem. Sine enim motu, hoc est operatione, aut quae vita aut qui intellectus est? Ergo non est solum esse, sed ipsum, quod primum est esse, propter quod est ei quiescere, solum ipsum esse est. Isto modo et, quod est operari, quod est secundum, quoniam non intus, sed foris operatur, operari dicitur. Apparente enim operatione et est et nominatur operatio, et ut generatio sui ipsius et aestimatur et est. Sic igitur id
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zum einen das Missverständnis vermieden werden, den potentiellen Zustand des Sohnes als eine rein passive Potenz zu verstehen, aus der nichts ohne äußere Einwirkung hervorgehen könnte. Der Sohn ist vielmehr die innere Aktivität des Vaters, die sich selbst nach außen aktualisiert. Zum anderen wird so das Wesen des Sohnes so eng wie möglich an den Vater gebunden, da er die im Inneren des Vaters wirkende Aktivität ist, die ihn wesenhaft bestimmt. 3.4.2 Vergleich mit gnostischen Texten Die besondere Verbindung des Manifestationsmodells mit einem solchen PotenzAkt-Modell findet sich nicht allein bei Victorinus. Auch gnostische Texte kennen eine solche Explikation des Manifestationsmodells durch die Konzeption einer inneren und äußeren Aktivität. Das Manifestationsmodell ist insgesamt in gnostischen Texten sehr verbreitet, gerade auch in solchen, die unter dem Schlagwort der sethianischen Gnosis zusammengefasst werden können.²⁰⁷ Die metaphysischen Systeme der sethianischen Texte sind zwar untereinander nicht deckungsgleich, weisen aber einige wichtige Gemeinsamkeiten auf. Insbesondere der Vergleich mit den Grundlinien des metaphysischen Systems des Zostrianus ist geeignet, um die Position des Victorinus zu profilieren.²⁰⁸ Der Zostrianus formuliert als entscheidende Problemstellung der Metaphysik ebenfalls die Frage, wie und warum aus einem transzendenten ersten Prinzip überhaupt die Vielheit entstanden ist.²⁰⁹ Als Antwort auf diese Frage wird die Vorstellung entwickelt, dass das Sein in der ersten Ursache potenziell präexistiert. Die erste Ursache, der unsichtbare Geist, wird in dem Teil, der sich in ähnlicher Weise auch in Adversus Arium Ib findet, in seinem Doppelaspekt als absolut tran-
ipsum, quod est operari, et ipsum esse habet, magis autem non habet. Ipsum enim operari esse est. Simul enim et simplex et esse et operari. (35,23 – 33 Locher) Vgl. zur allgemeinen Verbreitung etwa EV NHC I,3 p. 27,9: „Er ließ in Erscheinung treten, was an ihm verborgen ist, und erklärte es.“ (Übersetzung Hans-Martin Schenke, NHD I, 38). Auch in der Simon Magus zugeschriebenen Apophasis Megale ist der Gedanke ausgedrückt, dass das erste Prinzip Feuer mit einem verborgenen und einem manifesten Wesen sei.Vgl. Hipp. ref.VI 9,5 f.: ἔστι δὲ ἡ ἀπέραντος δύναμις, τὸ πῦρ, κατὰ τὸν Σίμωνα οὐδὲν ἁπλοῦν, καθάπερ οἱ πολλοὶ ἁπλᾶ λέγοντες εἶναι τὰ τέσσαρα στοιχεῖα καὶ τὸ πῦρ ἁπλοῦν εἶναι νενομίκασιν, ἀλλὰ γὰρ εἶναι [τὴν] τοῦ πυρὸς διπλῆν τινα τὴν φύσιν· καὶ τῆς διπλῆς ταύτης καλεῖ τὸ μέν τι κρυπτόν, τὸ δέ τι φανερόν· κεκρύφθαι δὲ τὰ κρυπτὰ ἐν τοῖς φανεροῖς τοῦ πυρός, καὶ τὰ φανερὰ τοῦ πυρὸς ὑπὸ τῶν κρυπτῶν γεγονέναι. (214,21– 27 Marcovich) Vgl. dazu und zum neupythagoreischen Hintergrund der Apophasis Megale bei Hippolyt Aland, Gnosis und Philosophie. Dazu auch Kalvesmaki, The Theology of Arithmetic, 94– 102. S.o. S. 260 – 265. Vgl. Zostr NHC VIII,1 p. 2,24– 3,13.
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szendent und eminent dargestellt.²¹⁰ In seiner Funktion als Ursache des Seins wird der unsichtbare Geist dann als die Potenz der Triade von Sein, Leben und Seligkeit beschrieben, die sich aus ihm heraus aktualisiert und das wahre Sein darstellt.²¹¹ Der Zostrianus identifiziert dabei die Seligkeit mit der Erkenntnis.²¹² Dieser Prozess der Aktualisierung wird dann als ein Heraustreten der inneren Aktivität des unsichtbaren Geistes dargestellt. Obwohl der Geist selbst substanzlos ist, besitzt er bereits ein inneres Wirken, das Leben. Der Zostrianus beschreibt das Sein des unsichtbaren Geistes als eine substanzlose Existenz, die im Koptischen beibehaltenen griechischen Begriffe weisen eindeutig darauf hin, dass in der Vorlage von einer ἀνούσιος ὕπαρξις gesprochen wurde.²¹³ Der Begriff der Existenz wird also im Zostrianus so definiert, wie ihn auch Victorinus an einigen Stellen verstehen kann, nämlich als ein noch nicht geformtes Sein, das die Ursache des geformten Seins darstellt, das mit dem Begriff der Substanz bezeichnet wird. Im Inneren des unsichtbaren Geistes befindet sich bereits potenziell die Triade von Sein, Leben und Denken, die sich aus der inneren Aktivität nach außen aktualisiert.²¹⁴ Während im Ursprung die Triade noch unentfaltet enthalten ist, stellt erst das zweite Prinzip die entfaltete und offenbare Form der Triade dar. Dieser sog. Barbelo-
Vgl. Zostr. NHC VIII,1 p. 64,11– 66,14 mit Adv. Ar. Ib 49 f. S. o. S. 260 – 265. Vgl. Zostr. NHC VIII,1 p. 66,14– 68,13. Vgl. Zostr. NHC VIII,1 p. 67,2– 4; 73,10 f. Vgl. Zostr. NHC VIII,1 p. 68,3 – 6.74,3 – 20: „Das Leben aber ist [eine] Wirksamkeit [ἐνέργεια; F.Z.] des substanzlosen [>*ἀνούσιος; F.Z.] Seins [ὕπαρξις; F.Z.]. […] Wegen aller [dieser] ist er es, der präexistiert, und zwar als ein reiner, als ein alleiniger und als ein einfacher [ἁπλοῦν; F.Z.], [ein] einziger Geist, [der unbenennbar] ist, und [die] Existenz [ὕπαρξις; F.Z.], das Urbild [ἰδέα; F.Z.], [das Wort] seiner selbst, und gemäß [der] Wirksamkeit [ἐνέργεια; F.Z], die das Leben [seiner selbst] ist, und gemäß der Vollkommenheit [τέλειος; F.Z.], die die verständige [νοερός; F.Z.] Kraft ist, als ein Licht [der] drei, das [einer]seits seinen Stand hat und sich zugleich bewegt in jedem Ort und in keinem Ort, das allen [Kraft verleiht] und wirksam [ἐνεργεῖν; F.Z.] ist […].“ (Übersetzung HansMartin Schenke, NHD II, 653, leicht modifiziert; koptischer Text BCNH.T 24,369.373) Die Vorstellung einer inneren Aktivität findet sich vielleicht auch im Allogenes, aber die Stelle ist umstritten, vgl. Allog NHC XI,3 p. 61,32– 39. Turner und Scopello in BCNH.T 30 verstehen den Text im Sinne einer inneren Aktivität: „Or, il est quelque chose dans la mesure où il est, parce qu’il est et sera, ou (parce qu’il) agit ou (parce qu’il) connaît, alors qu’il vit sans avoir d’Intellect, ni de Vie, ni d’Existence, ni de Non-Existence, d’une façon (qui nous est) incompréhensible.“ (BCNH.T 30, 223) Im gleichen Sinne übersetzt Turner in seiner Einleitung S. 90.185. Skeptisch dazu im selben Band der Kommentar von Funk/Poirier, S. 251.Vgl. dagegen die Übersetzung von Funk, NHD II, 784: „Existiert er denn so wie etwas, das ‚existiert‘? Oder ist er etwa im Werden? Oder wirkt er? Oder begreift er, (oder) ‚lebt‘ er? Wo er doch weder Denken noch Leben noch Existenz aufweist, auch nicht das Nichtexistente, unfaßbarerweise.“ Ebenso King, Revelation, 154– 160 mit ausführlichem Kommentar zum Kontext. Vgl. ausführlich zu diesem Thema in den sethianischen Texten Turner, Sethian Gnosticism, 512– 531. Vgl. für diese Definition der exsistentia Adv. Ar. I 30, s. dazu oben 241– 244.
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Äon ist trotz seiner triadischen Struktur ebenfalls eine Einheit. Dieser Prozess der Selbstaktualisierung wird als dreistufig beschrieben: Von ihrem präexistenten Zustand im Vater ausgehend will Barbelo den Vater erkennen, was ihr als Abbild seines wahren Seins zunächst nicht möglich ist, sodass die Gefahr besteht, dass sie sich unendlich von ihrem Ursprung entfernt. Erst durch den Akt der Selbsterkenntnis gelangt der Barbelo-Äon zur Ruhe und erhält sein eigenes Sein.²¹⁵ Der Barbelo-Äon ist in den sethianischen Texten in drei Subäonen aufgegliedert, die die sprechenden Namen der Verborgene (Kalyptos), der Ersterschienene (Protophanes) und der Selbsterzeugte (Autogenes) tragen und mit dem Sein, der Erkenntnis und dem Leben identifiziert werden.²¹⁶ Hier ist entscheidend, dass sprachlich und gedanklich das Manifestationsmodell aufgenommen ist und eine erste verborgene Phase der Barbelo von einer offenbaren und herausgetretenen Phase unterschieden wird. Die sethianischen Texte haben also auf recht ähnliche Weise wie Victorinus die verborgene Präexistenz des Barbelo-Äons im unsichtbaren Geist philosophisch konzipiert: Die erste Ursache ist zwar transzendent, hat aber selbst eine Form der Existenz, die durch eine innere Aktivität konstituiert wird. In dieser Existenz des Geistes präexistiert in einer unentfalteten Weise die Triade von Sein, Leben und Denken, die sich in dem Verlangen, sich selbst und ihren Ursprung zu erkennen, nach außen manifestiert und so der selbstständige Barbelo-Äon wird. Dieser ist ein Offenbarung dessen, was er bereits zuvor in der verborgenen Potenz des Vaters war. Die Verbindung des plotinischen Dynamis-Begriffs mit der Vorstellung der Offenbarung des Verborgenen ist also auch in gnostischen Texten zu finden. Huber sieht in dieser Verbindung einen Rückschritt hinter Plotin, da so in den DynamisBegriff wieder gegen Plotins Abwehr der Gedanke der Potenzialität der Ursache aufgenommen werde.²¹⁷ Philosophiegeschichtlich ist dies besser nicht als Rückschritt hinter Plotin zu beschreiben. Vielmehr greifen die gnostischen Texte und Victorinus hier Konzepte der Zahlentheologie auf, um die Funktion des ersten Prinzips als Ursache alles Seins explizieren zu können. In der Zahlentheologie ist die Monas die Ursache und Dynamis aller Zahlen, aus der heraus sich die Zahlen und geometrischen Formen aktualisieren.²¹⁸ Solche neupythagoreischen Einflüsse
Vgl. Zostr. NHC VIII,1 p.75,21– 81,21 mit dem ausführlichen Kommentar von Turner, in BCNH.T 30, 608 – 618. Vgl. Zostr. NHC VIII,1 p. 15,2– 12. Vgl. Huber, Das Sein und das Absolute, 107. Vgl. dafür Theol. Ar. p. 3 Ast: πάντα γὰρ ἐκ τῆς πάντα δυνάμει περιεχούσης μονάδος διακεκόσμηται· αὕτη γὰρ καὶ εἰ μήπω ἐνεργείᾳ ἀλλ’ οὖν σπερματικῶς πάντας τοὺς ἐν πᾶσιν ἀριθμοῖς καὶ δὴ καὶ τοὺς ἐν δυάδι λόγους ἔχει, ἀρτία τε οὖσα καὶ περιττὴ καὶ ἀρτιοπέριττος καὶ γραμμὴ καὶ ἐπίπεδος καὶ στερεὰ κυβική τε καὶ σφαιρική […]. (1,8 – 13 de Falco/Klein)
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sind auch für die sethianische Gnosis bestimmend.²¹⁹ Der Zostrianus spricht etwa davon, dass die Barbelo sich aus dem Geist ausbreitet. Diese Vorstellung ist an die neupythagoreische Formulierung angelehnt, dass sich die Monas zur Trias ausbreite.²²⁰ Auch der Tractatus Tripartitus beschreibt die Entstehung des Pleroma aus dem Vater im Anschluss an die Zahlentheologie als eine Ausdehnung des Vaters.²²¹ Hier zeigt sich insgesamt wieder die große Rolle der Zahlentheologie für die gnostischen Schriften. In ihr sahen die gnostischen Autoren ein Konzept, das überzeugend die Einheit und Transzendenz des ersten Prinzips mit seiner Funktion als Ursache alles Seins verbindet. In ähnlicher Weise griff auch Victorinus solche Spekulationen einer neupythagoreischen Richtung des Platonismus auf. Auch hier ist nicht notwendigerweise von einem gnostischen Einfluss auf die Theologie des Victorinus auszugehen. Der Vergleich zeigt aber, dass seine grundlegenden Ansätze, das Verhältnis von Vater und Sohn zu denken, nicht völlig isoliert dastehen. 3.4.3 Das Potenz-Akt-Modell in der Theologie Markells von Ankyra Ein weiterer wichtiger Hintergrund für das Denken des Victorinus ist die Trinitätstheologie Markells von Ankyra.²²² Er ist in den Diskussionen des 4. Jh. ein prominenter Vertreter einer Potenz-Akt-Vorstellung zur Erklärung der Zeugung des Logos. Markells Theologie war im Westen seit den 340er-Jahren weit verbreitet und galt als authentische Interpretation des nizänischen Bekenntnisses. Daher ist es lohnenswert, die Theologie des Victorinus vor dem Hintergrund dieser bestimmenden theologischen Position weiter zu profilieren. Jörg Ulrich hat in seiner Studie zur Rezeption des Nizänums im Westen schlüssig zeigen können, dass der Text des Bekenntnisses von Nizäa für die westlichen Theologen lange Zeit praktisch keine Rolle spielte. Er führt den Nachweis, dass westliche Theologen bis in die 360er-Jahre hinein, wenn sie vom nizänischen Glauben sprechen, in der Regel das westliche Bekenntnis von Serdika vor Augen haben. Unter nizänischer Theologie begreifen sie also im Wesentlichen die Interpretation des Nizänums durch Markell von Ankyra.²²³ Dessen miahypostatische Auslegung von Nizäa ist der dominierende theologische Hintergrund im Westen zur Zeit des Marius Victorinus. Es ist daher erstaunlich, dass seine Theologie bisher Vgl. zur historischen Einordnung Turner, Sethian Gnosticism, 347– 355. Vgl. Zostr. NHC VIII,1 p. 81,12 f.; 83,2 mit Turners Kommentar in BCNH.T 30, 618.621. Zu neupythagoreischen Hintergründen auch Hadot, Porphyre I, 311 f., der im Neupythagoreismus aber nur ein loses Vorbild für Porphyrius’ Projekt der Transposition stoischer Ansichten in die Metaphysik sieht. Vgl. TractTri NHC I,5 p. 65,4– 6 mit dem Kommentar von Thomassen in BCNH.T 19, 305. Erste Ansätze aus diesem Kapitel habe ich bereits in Zacher, The Immanent and Economic Trinity, StPatr 128,25 (2021), 87– 107 vorgestellt. Vgl. Ulrich, Rezeption, passim, bes. die Zusammenfassung 281– 287.
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noch nicht ausführlich vor dieser Folie betrachtet worden ist. Dies liegt darin begründet, dass man Victorinus stets für einen theologischen Außenseiter gehalten hat, der über die wenigen Dokumente des Trinitarischen Streites hinaus nur wenig über die aktuellen Diskussionen informiert gewesen sei. Es fällt aber auf, dass Victorinus, obwohl er als erster die sog. neunizänische Unterscheidung zwischen οὐσία und ὑπόστασις zitiert, an der faktischen Gleichsetzung der beiden Begriffe festhält.²²⁴ Der Kern seiner Theologie besteht in der markellisch-abendländischen Gleichsetzung von Substanz und Hypostase, die die vollkommene Einheit von Vater und Sohn garantieren soll. Ferner ist die Unterscheidung eines potentiellen Zustandes des Logos im Vater und seiner Aktualisierung nach außen eine wesentliche Basis der Theologe Markells. Dieser nutzt das Potenz-Akt-Schema, um die Gleichewigkeit und gleichzeitige Unterschiedenheit von Vater und Sohn auszudrücken. Schon meine bisherige Darstellung hat gezeigt, dass Victorinus wesentlich besser über den aktuellen Diskurs informiert ist, als man ihm bisher oft zugetraut hat.Vergleicht man seine Theologie mit dem, was wir noch über die Theologie Markells von Ankyra wissen, eröffnet sich erstens ein Diskursraum, der die verschiedenen Ausprägungen eines Potenz-Akt-Modells in der Theologie des 4. Jh. aufzeigt, und zweitens wird deutlich, worin die spezifische Absicht der Theologie des Victorinus liegt, der an den großen Debatten seiner Zeitgenossen aktiv teilnimmt. Markell lehnt die Rede von verschiedenen göttlichen Hypostasen strikt ab, da er dies als eine Teilung des göttlichen Wesens ansieht. Seine Theologie baut auf dem Grundsatz auf, dass Gott eine einzige, ungeteilte Hypostase und Person ist.²²⁵ Er versteht Gott als eine anfängliche Monas, die sich zu einer Trias verbreitert und so eine ungetrennte Einheit bleibt.²²⁶ Gottes Potenz (δύναμις) und Sein (ὑπόστασις) sind untrennbar und ununterscheidbar, der Logos kann nur hinsichtlich der Aktivität (ἐνέργεια) vom Vater unterschieden werden. Im Anfangszustand ruht der Logos in der väterlichen Potenz und aktualisiert sich zum Zwecke des schöpferischen Handelns aus dem Vater heraus. Markell entwickelt sein Konzept vom potentiellen und aktualisierten Logos in einer Auslegung des Johannesprologs: … damit er zum einen mit den Worten „Im Anfang war der Logos“ zeige, daß der Logos als Kraft im Vater ist: denn der Ursprung alles Gewordenen ist Gott, „aus dem alles ist“; zum andern mit
Vgl. Adv. Ar. II 4. S. o. S. 244– 251. Vgl. fr. 61 Klostermann (196,20 – 22) = fr. 87 Seibt; fr. 63 Klostermann = fr. 85 Seibt, fr. 77 Klostermann = fr. 91 Seibt. Vgl. fr. 66 Klostermann (197,23 f.) = fr. 47 Seibt: ἀδύνατον γὰρ τρεῖς ὑποστάσεις οὔσας ἑνοῦσθαι μονάδι, εἰ μὴ πρότερον ἡ τριὰς τὴν ἀρχὴν ἀπὸ μονάδος ἔχοι. Fr. 67 Klostermann (197,32 f.) = fr. 48 Seibt: […] ἡ μονὰς φαίνεται, πλατυνομένη μὲν εἰς τριάδα, διαιρεῖσθαι δὲ μηδαμῶς ὑπομένουσα.
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„und der Logos war bei Gott“, daß der Logos in (tätiger) Wirksamkeit bei Gott ist: denn „alles ist durch ihn geworden und ohne ihn wurde auch nicht eines“ und schließlich mit der Aussage „Gott war der Logos“, daß man die Gottheit nicht zerteile, da ja der Logos in ihm und er selbst in dem Logos ist. Denn er sagt: „In mir ist der Vater und ich in dem Vater.“²²⁷
Markell bezieht die drei Aussagen in Joh 1,1 auf drei unterschiedliche Ebenen: Der Logos „im Anfang“ meint den Logos, der potentiell (δυνάμει) in Gott war, der Logos „bei Gott“ ist dagegen der Logos, der aktualisiert (ἐνεργείᾳ) aus dem Vater hervorgegangen ist. Durch die Aussage „Gott war der Logos“ sieht Markell die bleibende Einheit und Untrennbarkeit von Vater und Sohn ausgedrückt. Erst durch das tätige Hervorgehen des Sohnes kann die Welt erschaffen werden und das Heilshandeln des Sohnes im Fleisch vollzogen werden. Vor der Schöpfung verharrte Gott dagegen in vollkommener Ruhe, da er erst für sein schöpferisches Handeln den aktualisierten Logos als seine handelnde Aktivität (ἐνέργεια δραστική) benötigt.²²⁸ Aus 1Kor 15 schließt Markell, dass der Logos im Eschaton wieder in seinen ursprünglichen Status in der δύναμις Gottes zurückkehren wird und seine Aktivität wieder in der anfänglichen Ruhe aufgehoben wird.²²⁹ Markell betrachtet „Logos“ als den vorrangigen Titel des im Vater präexistierenden Christus, während die weiteren christologischen Hoheitstitel sich vor allem oder ausschließlich auf das Wirken Jesu im Fleische bezögen.²³⁰ Mit der Inkarnation
Fr. 52 Klostermann = fr. 70 Seibt: ἵν’ ἐν μὲν τῷ φῆσαι „ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος“ δείξῃ δυνάμει ἐν τῷ πατρὶ εἶναι τὸν λόγον (ἀρχὴ γὰρ ἁπάντων τῶν γεγονότων ὁ θεὸς, „ἐξ οὑ τὰ πάντα“), ἐν δὲ τῷ „καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεὸν“ ἐνεργείᾳ πρὸς τὸν θεὸν εἶναι τὸν λόγον („πάντα“ γάρ „δι’ αὐτοῦ ἐγένετο καὶ χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἕν“), ἐν δὲ τῷ θεὸν εἶναι τὸν λόγον εἰρηκέναι μὴ διαιρεῖν τὴν θεότητα, ἐπειδὴ ὁ λόγος τε ἐν αὐτῷ καὶ αὐτὸς ἐν τῷ λόγῳ· „ἐν ἐμοὶ γάρ φησιν ὁ πατήρ, κἀγὼ ἐν τῷ πατρί.“ Übersetzung Klaus Seibt, Markell von Ankyra, 358. Vgl. fr. 60 Klostermann (196,3 – 5) = fr. 110 Seibt: πρὸ γὰρ τοῦ τὸν κόσμον εἶναι ἦν ὁ λόγος ἐν τῷ πατρί. ὅτε δὲ ὁ παντοκράτωρ θεὸς πάντα τὰ ἐν οὐρανοῖς καὶ ἐπὶ τῆς γῆς ποιῆσαι προέθετο, ἐνεργείας ἡ τοῦ κόσμου γένεσις ἐδεῖτο δραστικῆς […] Zu Markells Konzept der Ökonomie im Fleisch (ἡ κατὰ σάρκα οἰκονομία) vgl. frr. 3 – 8 Seibt = 43.1.48.53.42.49 Klostermann. Vgl. dazu frr. 99 – 112 Seibt = frr. 111– 121.60.41.122 Klostermann. Insbesondere fr. 116 Klostermann (209,27– 29) = fr. 104 Seibt: οὐκοῦν ἐνεργείᾳ μόνῃ διὰ τῆν τῆς σαρκὸς πρόφασιν ἄχρι οὗ ἄν ὁ προσιὼν τῆς κρίσεως ἀναφανῇ καιρός […]. Πάντων γὰρ ἐν τῷ καιρῷ τοῦ τέλους ὑποτάσσεσθαι μελλόντων τῷ Χριστῷ, ὡς ὁ ἀπόστολος ἔφη, τηνικαῦτα „αὐτὸς ὑποταγήσεται τῷ ὑποτάξαντι αὐτῷ τὰ πάντα.“ Und fr. 121 Klostermann (212,9 – 12) = fr. 109 Seibt: […] ἵν’ οὕτως ᾖ ἐν θεῷ ὁ λόγος, ὥσπερ καὶ πρότερον ἦν πρὸ τοῦ κόσμον εἶναι. Οὐδενὸς γὰρ ὄντος πρότερον ἤ θεοῦ μόνου, πάντων δὲ διὰ τοῦ λόγου γίγνεσθαι μελλόντων, προῆλθεν ὁ λόγος δραστικῇ ἐνεργείᾳ, ὁ λόγος οὗτος τοῦ πατρὸς ὤν. Voelker, Exegetical Arguments, StPatr 38 (2001), 499 f. deutet für die Exegese von 1Kor 15 in Adv. Ar. I 37– 39 eine Auseinandersetzung mit Markell an. Zur Auslegung des Victorinus s.u. S. 432 f. Vgl. dazu frr. 3 – 8 Seibt (=43.1.48.53.42.49 Klostermann) mit dem Kommentar bei Seibt, Markell von Ankyra 262– 269. Gegen Seibts Argumentation, dass Markell auch den potentiellen Logos als Sohn bezeichne, wendet sich Vinzent, Pseudo-Athanasius, 281– 285.
3 Der Sohn als Offenbarung des verborgenen Wesens des Vaters
309
beginnt das ökonomische Handeln des Sohnes, der als Auferstandener über die Kirche herrscht. Markell unterscheidet zwischen dieser partiellen, vorübergehenden Herrschaft des Inkarnierten über die Kirche, die mit dem Gericht zu einem Ende kommt, und seiner ewigen Herrschaft als Logos mit dem Vater und dem Heiligen Geist zusammen.²³¹ Der Sohn nimmt das Fleisch nur unseretwegen an, wenn das Gericht vollzogen ist, ist sein Fleisch funktionslos geworden. Daher legt der Sohn das Fleisch und damit die Herrschaft über die Kirche am Ende der Zeit wieder ab.²³² Bereits Theodor von Zahn hat erkannt, dass Markell die Begriffe δύναμις und ἐνέργεια nicht in einem aristotelischen Sinne verwendet.²³³ Weder ist das Sein des Logos in der δύναμις des Vaters ein passiver oder existenzloser Zustand noch bedeutet das Sein in der ἐνέργεια, dass seine Existenz und Herrschaft nur transitorischen Charakter hätten. Vielmehr bezeichnen die beiden Zustände „zwei wirkliche Existenzweisen“²³⁴: Als Vermögen zur wirkenden Tätigkeit ruht der Sohn immer in der δύναμις des Vaters und ist ihm verbunden, als ἐνέργεια existiert er als die wirkende Kraft Gottes. Die Gleichzeitigkeit dieser beiden Seinsweisen des Logos fasst Zahn treffend zusammen: „Er führt ein Doppelleben, ein Gotte [!] und ein der Welt zugekehrtes.“²³⁵ Die Gegner Markells haben seine Lehre aber in vielerlei Hinsicht missverstanden: Man hat ihm vorgeworfen, dem Sohn Anfang und Ende zuzuschreiben, da er ihm vermeintlich erst mit der Geburt aus Maria eine eigene Existenz zuschreibe und seine Herrschaft mit dem Gericht enden lasse.²³⁶ Auch Markells Unterscheidung zwischen einer Existenz des Logos in der δύναμις und der ἐνέργεια hat reichen Anlass zu Fehlinterpretationen geboten. Diese Unterscheidung wird etwa in der Ekthesis makrostichos von 345 mit der stoischen Differenzierung eines inneren und eines ausgesprochenen Wortes gleichgesetzt, womit Markell unterstellt wird, er weise dem präexistenten Logos kein eigenes Sein zu.²³⁷
Vgl. dazu ausführlich Seibt, Markell von Ankyra, 418 – 41. Vgl. etwa fr. 117 Klostermann (210,23 – 25) = fr. 105 Seibt: οὐκοῦν ἐπειδὰν τοῦς ἐχθροὺς σχῇ ὑποπόδιον τῶν ποδῶν οὐκέτι χρῄζει τῆς ἐν ταύτης βασιλείας, πάντων καθόλου βασιλεὺς ὑπάρχων· συμβασιλεύει γὰρ τῷ θεῷ καὶ πατρί, οὗ ὁ λόγος ἦν τε καὶ ἐστίν. Vgl. fr. 104 f. Seibt = 116 f. Klostermann. Vgl. Zahn, Marcellus von Ancyra, 121– 130. Zahn, Marcellus von Ancyra, 123. Zahn, Marcellus von Ancyra, 128. Vgl. dazu z. B. das östliche Serdicense Dok. 43.12,3 AW III/1/3: […] cuius regnum sine cessatione permanet in inmensa saecula. sedet enim in dextera patris non solum in hoc saeculo, sed et in futuro. (274,11– 14) Oder die Ekthesis makrostichos Dok. 44,9 AW III/1/3 (283,22– 284,8). Vgl. Dok. 44,10 AW III/1/3 (284,9 – 285,4). Vgl. zu diesem Vorwurf auch Ps.-Ath. Ar. IV 8 (52,16 – 21 Stegmann).
310
E Die Trinitätslehre des Victorinus
Durch eine Einordnung in die Debatte des 4. Jh. kann Klaus Seibt der Theologie Markells manches von ihrem idiosynkratischen Charakter nehmen. Er führt die Spekulationen Markells über die Monas und Trias überzeugend auf einen neupythagoreischen Hintergrund zurück.²³⁸ Die Aktualität dieses Ansatzes erklärt Seibt damit, dass Markell sich gezielt an Kaiser Konstantin wende und dessen Vertrautheit mit der Zahlentheologie voraussetze. Das möchte Seibt mit einem Hinweis auf die von Euseb überlieferte Äußerung Konstantins auf der Synode von Nizäa plausibel machen: Der Kaiser habe auf kritische Nachfrage die Verurteilung der Aussage „Bevor er gezeugt wurde, gab es ihn nicht“ im Nizänum mit einem Rückgriff auf die Dynamis-Energeia-Lehre verteidigt, wonach der Sohn vor seiner aktuellen (ἐνεργείᾳ) Zeugung bereits dem Vermögen nach (δυνάμει) auf ungezeugte Weise im Vater existiert habe, da der Vater dem Vermögen nach (δυνάμει) alles sei.²³⁹ Seibts Einschätzung nach habe Konstantin selbst ein neues Interesse an einer pythagoreisch inspirierten Theologie bewirkt. Als weiteren Beleg für dieses Interesse wertet er ähnliche Spekulationen Eusebs von Caesarea in der Tricennatsrede für Konstantin. Dort setzt Euseb bei Konstantin ein entsprechendes Interesse an der Zahlentheologie voraus.²⁴⁰ Man muss die These Seibts, dass diese theologische Entwicklung von Konstantin angestoßen wurde, nicht zwingend teilen. Er zeigt mit dieser Einordnung aber, dass Konstantin zumindest rudimentäre Kenntnis einer neupythagoreischen Philosophie hat und dass Euseb in höherem Maße damit vertraut war. Das belegt zumindest, dass in dieser Zeit über solche Konzepte verstärkt diskutiert wurde. Gerade in dieser Zeit begann auch Victorinus, sich für christliche Theologie zu interessieren. Das besondere Profil seiner Theologie macht es wahrscheinlich, dass er dabei ein besonderes Interesse an solchen metaphysischen Spekulationen entwickelte, die Aspekte der neupythagoreisch-platonischen Philosophie aufgriffen. Es wäre vor diesem Hintergrund auch denkbar, dass gnostische Texte, die schon weit früher solche Tendenzen aufgenommen hatten, in intellektuellen Kreisen wieder auf erhöhtes Interesse stießen.²⁴¹ Mit Sicherheit hat die prägende Theologie Markells im Westen zumindest einen Raum für solche Spekulationen eröffnet und sie wieder oder überhaupt erst salonfähig machen können.
Vgl. Seibt, Markell von Ankyra, 460 – 476. Vgl. Urk. 22,16 AW III/1/2 (46,16 – 21) = Dok. 24,16 AW III/1/3. Vgl. bes. Eus. l.c. 6,11– 14 (209,27– 210,18 Heikel). Vgl. zur Rezeption in verschiedenen gnostischen Strömungen Kalvesmaki, Theology of Arithmetic, 27– 102.
4 Die soteriologische Pointe der Trinitätstheologie
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Man kann davon ausgehen, dass Victorinus mit der Theologie Markells vertrauter war, als seine pauschalen Verurteilungen Markells vermuten lassen.²⁴² Vor allem dürfte die Dominanz der Theologie Markells im Westen ihn aber auch dazu gebracht haben, sich intensiver mit ähnlichen Konzepten in gnostischen Texten auseinanderzusetzen. Ein weiterer Vergleich mit Markells Positionen soll zeigen, dass Victorinus die zeitgenössische Kritik an Markell kannte und sein Potenz-AktModell des Logos dementsprechend anders ausrichtete. In der Auseinandersetzung mit Markell betont Victorinus die ewige Aktualisierung des Sohnes im Inneren Gottes, die die Grundlage für die ökonomische Aktivität des Sohnes ist. Victorinus verknüpft in seiner Trinitätstheologie auf besondere Weise die immanente und die ökonomische Aktivität Gottes. Für diese Neuausrichtung der Potenz-Akt-Theologie orientiert er sich vielleicht auch an gnostischen Texten, die in einem ähnlichen philosophischen Milieu beheimatet sind. Victorinus setzt die Akzente seiner Trinitätslehre dabei so, dass sich deren soteriologische Relevanz erschließt.
4 Die soteriologische Pointe der Trinitätstheologie 4.1 Der Zusammenhang der immanenten und ökonomischen Trinität in Adv. Ar. Ib 4.1.1 Die Entfaltung des immanenten Wesens als Interaktion dreier Hypostasen Es hat sich bereits in der Untersuchung des Aufbaus von Adversus Arium Ib gezeigt, dass Victorinus in dieser Schrift seine Trinitätstheologie mit einer soteriologischen Pointe entfaltet.²⁴³ Es geht ihm darum zu zeigen, dass Gott aufgrund seines trinitarischen Wesens in der Lage und willens ist, die Menschheit zu erlösen, ohne dabei etwas von seinem eigenem Wesen einzubüßen. Dieses Anliegen drückt er mithilfe der Unterscheidung von Potenz und Akt im göttlichen Wesen aus: Während der Vater stets in sich ruht, können der Logos und der Heilige Geist als Aktivitäten ökonomisch handeln. Die spezifische Ausarbeitung dieses Potenz-Akt-Schemas bei Victorinus unterscheidet sich wesentlich von der Konzeption Markells von Ankyra. Dazu hat er die zeitgenössische Kritik an Markells Theologie berücksichtigt und sie eigenständig weiterentwickelt, möglicherweise hat er zusätzlich auch Anregungen gnostischer Texte aufgegriffen, um sein soteriologisches Anliegen zu transportieren. Schon Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 40 f. vermutet, dass Victorinus den Markell gerade deswegen so scharf verurteilt, weil er ihm in vielem so nahekommt. Auch Ziegenaus, Seinsfülle, 318 erkennt Parallelen zwischen beiden. S.o. S. 192– 201.
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E Die Trinitätslehre des Victorinus
In der Schrift Adversus Arium Ib behandelt Victorinus die Fragestellung, ob das Verhältnis der trinitarischen Hypostasen eher als „identisch in Verschiedenheit“ oder „verschieden in Identität“ zu bestimmen sei, wobei die erste Lösung die Alterität betont, die zweite dagegen die Identität.²⁴⁴ Als Antwort arbeitet er heraus, wie die drei Hypostasen substantiell identisch, aber hinsichtlich ihrer Aktivität verschieden sind.²⁴⁵ Anders als Markell entwickelt er dabei ein trinitarisches System, in dem die Aktualisierung des Sohnes weder transitorischen Charakter hat noch nur zum Zwecke der Schöpfung und Ökonomie stattfindet. Die Aktualisierung des Sohnes ist bei Victorinus vielmehr ein Konstitutivum der göttlichen Substanz. Der Sohn als die Aktivität im Inneren Gottes macht den Wesenskern der Substanz Gottes aus. In der Schrift Adversus Arium Ib entfaltet Victorinus die Trinitätslehre so, dass der Zusammenhang zwischen dem immanenten Wesen Gottes und seinem ökonomischen Handeln deutlich wird. Darin liegt die soteriologische Pointe seiner Trinitätstheologie.²⁴⁶ Zu Beginn der Abhandlung hält Victorinus seine Vorstellung fest, dass die Trinität als eine doppelte Dyade zu verstehen sei: Vater und Sohn seien „eines, das zwei ist“ (unum, quae duo) und Christus und der Heilige Geist seien „in einem zwei“ (in uno duo).²⁴⁷ Victorinus fasst die Beziehung zwischen Christus und dem Heiligem Geist als maximal eng auf, sodass es häufig schwer fällt, die beiden zu unterscheiden. Beide stellen eine einzige Aktualisierung aus dem Vater dar und beide sind zugleich der eingeborene Sohn Gottes, da sie in derselben Bewegung aus der väterlichen Potenz heraustreten.²⁴⁸ Dennoch haben beide unterschiedliche Aktivitäten, die innerhalb und außerhalb der Trinität je eigene Aufgaben erfüllen, und sind daher beide unverzichtbare Bestandteile der Trinität. So differenziert Victorinus Vgl. Adv. Ar. Ib 48: Sed si eadem in alteritate, magis in alteritatem vergunt, si autem altera in identitate, maxime identitas apparet. Quid igitur istis concinit, hinc perspiciendum. (84,19 – 21 Locher) Entsprechend dem Grundsatz, den Victorinus auch in IV 18 über Christus und den Heiligen Geist formuliert: Ex hoc ostenditur quodammodo idem Iesus, idem spiritus sanctus, actu scilicet agendi diversi, quod ille docet intellegentiam, iste dat vitam. (151,8 – 10 Locher) Auf diesen Aspekt im Denken des Victorinus weist auch schon Ziegenaus, Seinsfülle, 342– 355 hin. Vgl. Adv. Ar. Ib 49: De deo et λόγῳ, hoc est de patre et filio, dei permissu, sufficienter dictum, quoniam unum quae duo. Dictum et de λόγῳ, hoc est de filio et de sancto spiritu, quod in uno duo. (84,22– 24 Locher) Vgl. dazu Adv. Ar. III 2: Verum, quoniam vita atque intellegentia motus sunt, omnis autem vita vivificat, omne vero, quod vivificatur, foris est, itemque intellegentia, quod intellegit, foris est, et id, quod intellegit, intus, tracta vita et intellegentia vel effulgente vel illuminante intellegit, unde de deo atque ex eadem substantia est et substantia et vita et intellegentia, itemque motus, cum intus in se est, idem est quod substantia, qui, cum inde spectat et ut foras eminet, id es tut operetur atque agat, hic partus est, hic natalis et, quia motus unus est, unigenitus filius. (116,2– 10 Locher) Adv. Ar. III 1 f. knüpft inhaltlich deutlich an Adv. Ar. Ib an.
4 Die soteriologische Pointe der Trinitätstheologie
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zwar zwischen Logos und Heiligem Geist, betont aber viel stärker ihre Einheit. Daran zeigt sich beispielhaft, dass er im Kern der miahypostatischen Theologie Markells folgt, sie aber auch modifizieren möchte. In Adversus Arium Ib entfaltet Victorinus zum ersten Mal die Triade Sein-Leben-Denken systematisch und baut dabei auf seine Ausführungen im Opus ad Candidum auf. Nach der paradoxen Doppelbestimmung des Vaters als absolut transzendent und als kausaler Vorbegriff alles Seins geht Victorinus dazu über, den Hervorgang des Sohnes aus dem Vater zu schildern.²⁴⁹ Entsprechend der Relation des Vaters und des Sohnes als unum, quae duo sind die beiden ein Eines und doch zwei. Der Vater ist der transzendente Vorbegriff und die Potenz des Seins, der Sohn ist der Inbegriff und die Aktualisierung des Seins. In seinem Aspekt als Ursache vereint der Vater die Potenzen von Sein, Leben und Denken bzw. Seligkeit in einer einfachen, einheitlichen und undifferenzierten Weise. Der Vater ist in besonderem Maße esse, das die Potenzen des Lebens und Denkens in sich enthält, er ist aber selbst noch nicht das, was er als Ursache hervorbringt.²⁵⁰ Diese Unterscheidung bringt Victorinus mit dem Gegensatz von Potenz und Akt auf den Begriff. Das Ineinander von Vater und Sohn definiert er über den aktivisch aufgeladenen Potenzbegriff. Der Vater ist nicht passive Potenz, die etwas durch die Aktualisierung erlitte, sondern er ist bereits eine wirkende Potenz (agens potentia), aus der mühelos und ohne Leiden der Sohn als vermögender Akt (potens actio) hervorgeht.²⁵¹ Das heißt im Inneren des Vaters ist schon immer der Sohn als tätiges Wirken enthalten und im aktualisierten Sohn ist alles verwirklicht, was in der väterlichen Potenz angelegt ist. Vater und Sohn sind also ineinander, mit dem Unterschied, dass der Vater sich mehr durch die ruhende Transzendenz, der Sohn durch die aktive Vermittlung des väterlichen Seins auszeichnet.²⁵² Victorinus beschreibt den Hervorgang des Sohnes als Leben und Denken mit dem Dreischritt von Ruhe (μόνη), Hervorgang (πρόοδος) und Rückwendung (ἐπιστροφή).²⁵³ Das väterliche Sein ruht ungestört, das Leben ist das Moment der Alterität und geht aus dem Sein hervor, das Denken ist das einigende Moment und Vgl. Adv. Ar. Ib 49 – 52. Vgl. Adv. Ar. Ib 50: […] qui sit tres potentias couniens, exsistentiam omnem, vitam omnem et beatitudinem, sed ista omnia et unum et simplex unum, et maxime in potentia eius, quod est esse, hoc est exsistentiae, potentia vitae et beatitudinis. (86,1– 4 Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 50: […] quoniam potentia, cum actio actuosa fit, omnia est sine molestia et vere omnimodis, non egens quae sit ad hoc, ut sint omnia. Potentia enim, qua potens nata actio agit, agens ipsa. (86,17– 19 Locher) Dass der Vater im Inneren bereits eine Aktivität besitzt, widerspricht seiner ungestörten Ruhe dabei nicht. Darauf weist Emilsson, Remarks, 275 f. für Plotin hin: Die innere Aktivität der Prinzipien ist mühelos und verändert sie nicht. Vgl. zu diesem Zeugungsprinzip bei Plotin Hadot, Porphyre I, 319.
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E Die Trinitätslehre des Victorinus
wendet das Leben wieder zurück auf seine Ursache im Vater. Victorinus kann aber genauso das Denken als Ursache des Hervorgangs charakterisieren, wodurch die untrennbare Gemeinschaft von Heiligem Geist und Logos deutlich wird.²⁵⁴ Als die eine aktualisierte Bewegung, die nach außen tritt und sich wieder zurück nach innen wendet, sind beide in gewisser Weise zwei Seiten einer Medaille. Der Logos ist als Leben eine schon immer in der väterlichen Potenz befindliche und stets aktualisierte Bewegung, die sich aus dem Vater heraus bewegt, ohne die Ruhe der väterlichen Potenz zu stören.²⁵⁵ Victorinus charakterisiert das Leben als eine unendliche Bewegung, die nach außen treten muss, da das Leben immer danach strebt, etwas anderes zu beleben.²⁵⁶ Daher tritt der Sohn in dem Verlangen, das väterliche Leben weiterzugeben, aus dem Sein des Vaters heraus.²⁵⁷ Dabei handelt es sich aber nicht um etwas, was die väterliche Potenz erleidet, auch nicht um einen Vorgang, der bloß naturgemäß oder aus Zwang abläuft. Vielmehr ist es das Wesen dieser aktiven Potenz, dass sie sich selbst aktualisieren möchte. Der Sohn geht daher nach dem Willen des Vaters und als der Wille des Vaters aus ihm hervor.²⁵⁸ Das Heraustreten des Lebens aus der väterlichen Potenz stellt gegenüber dem Aufgehobensein in der Potenz einen defizienten Status dar, da das Leben sich anders als der Vater einem Objekt nach außen zuwendet und dieses für seine belebende Tätigkeit benötigt. Victorinus operiert dabei mit einer Geschlechtermetaphorik und nennt diese Phase wegen des Verlangens, das Leben weiterzugeben, und der daraus resultierenden Unvollkommenheit einen weiblichen Zustand.²⁵⁹ Allein für sich verlöre das Leben sich seinem unendlichen Wesen nach in der Unendlichkeit. Daher ist die Bewegung aus dem Vater heraus zweiphasig und wendet sich auch Vgl. Adv. Ar. Ib 58, dazu im Folgenden. Vgl. Adv. Ar. Ib 51 (86,21– 87,3 Locher). Zu ähnlichen Vorstellungen bei Plotin vgl. Hadot, Porphyre I, 221 f. Vgl. Adv. Ar. Ib 51 (86,22 Locher): motio infinita. Zur Notwendigkeit eines Objekts für das Leben Ib 51 (87,5 Locher), und Adv. Ar. I 32: Secundum vitam quidem passio, quod adhuc indiget alterius, quod vult vivefacere, et ideo, iuxta quod ei est particeps, et alias patitur passiones usque in mortem. (67,34– 68,3 Locher) Das muss gegen ein mögliches Missverständnis der Formulierung in Ib 51 (86,33 Locher) ausdrücklich festgehalten werden: Necessario igitur vita nata est. Das bedeutet nicht, dass es ein zwanghaftes oder automatisches Geschehen ist, sondern dem Wesen Gottes entspricht. Vgl. dazu bereits die deutliche Bemerkung in I 31: Est autem lumini et spiritui imago non a necessitate naturae, sed voluntate magnitudinis patris. (65,22 f. Locher) Ferner Adv. Ar. Ib 52: Et quoniam omnis potentia naturalis est voluntas, voluit vita movere semet ipsam insita iuxta substantiam motione impassibiliter erecta in id, quod est, naturalis enim voluntas, non passio. (88,11– 13 Locher) Zur Rolle des Willens s.u. S. 326 – 334. Gender- und Sexualitätsmetaphorik ist in dieser Schrift insgesamt zu beobachten, s. zur Seele und ihrem sexuellen Fehlverhalten in Adv. Ar. Ib ausführlich unten S. 457– 463. Vgl. auch in Gal. 4,3,72 f.: Quod omnia quae perfecta sunt vir dicitur, omnia quae inperfecta femina.
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wieder zu ihm zurück. Diese Funktion übernimmt der Heilige Geist als Weisheit, der das Leben wieder zum väterlichen Ursprung zurückführt und so metaphorisch vermännlicht, d. h. in einen vollkommenen Status überführt.²⁶⁰ Das Leben wird als eine Abwärtsbewegung (descensio), die Weisheit als eine Aufwärtsbewegung (ascensio) charakterisiert.²⁶¹ Das göttliche Wesen konstituiert sich demnach als eine Trinität aus ruhendem Sein, absteigendem Leben und aufsteigender Weisheit. Alle drei Hypostasen sind notwendig, um die Substanz Gottes zu konstituieren.Wäre der Vater nur aktionslose Ruhe, brächte er nichts hervor, träte nur der Logos aus dem Vater heraus, verlöre er sich im Unendlichen.²⁶² Erst die Interaktion dreier distinkter Hypostasen bringt das eine göttliche Wesen hervor und macht die göttliche Substanz aus.²⁶³ Im Unterschied zu Markells Theologie ist die Aktualisierung des Sohnes ein ewiger Prozess ohne Anfang und Ende. Die Aktualisierung aus dem Vater gehört zum ewigen Wesen Gottes und wird nicht dadurch motiviert, dass Gott die Welt schaffen will, sondern weil es dem inneren Wesen Gottes entspricht, sich triadisch zu entfalten.²⁶⁴ 4.1.2 Die Parallelisierung der immanenten und ökonomischen Aktivität Im weiteren Verlauf von Adversus Arium Ib macht Victorinus auch deutlich, warum es so bedeutsam ist, dass der Abstieg und Aufstieg des Sohnes zum immanenten Wesen Gottes gehören. Aufgrund der philosophischen Verbindung von Sein und Aktivität leitet Victorinus aus dem immanenten Sein Gottes seine ökonomische Aktivität ab.²⁶⁵ Dabei parallelisiert er die inneren Aktivitäten, den Abstieg und
Vgl. Adv. Ar. Ib 51 (87,3 – 19 Locher). In 87,9 stellt Hadot den Text zurecht mit virificata wieder her mit Verweis auf Adv. Ar. III 7 (121,7 f. Locher), wo A ebenfalls virificata liest. Auch die Verwendung von virtus im Sinne von potentia spielt mit der Geschlechtermetaphorik (87,18.22 Locher). Vgl. Ib 51 (87,9 f. Locher). Vgl. Adv. Ar. IV 13: Quies enim nihil gignit. (146,20 f. Locher). Die Unendlichkeit der Lebensbewegung betont Victorinus in Adv. Ar. Ib 51 fortwährend. Das betont auch Edwards, Marius Victorinus, StPatr 56 (2010), 113. Vgl. auch das Urteil von Ziegenaus, Seinsfülle, 126: „So behalten paradoxerweise beide Sätze ihre Gültigkeit: Die göttliche Monas ist in jeder Hinsicht vollkommen, und: Sie kann ihre Vollkommenheit nur in einer triadischen Explikation realisieren.“ Vgl. hierzu die deutliche Aussage in Adv. Ar. Ib 56: Ista igitur tria vera lumina, magis autem unum lumen verum, unus λόγος, una vox, unum verbum, hoc est una potentia activa, consonat antequam faciat esse quiddam. (91,12– 14 Locher). Zur Kritik an Markell s. oben S. 309 – 311.Vgl. ferner Ps.-Ath. Ar. IV 11 (54 f. Stegmann). Hierin sieht auch Ziegenaus, Seinsfülle, 318 den entscheidenden Unterschied zwischen Markell und Victorinus, ohne eine direkte Kenntnis der Theologie Markells bei Victorinus vorauszusetzen. Zu Plotins Traktat enn.VI 8 (39) s.o. S. 301 f.Victorinus trennt zugleich die reine Aktivität im Sein des Vaters vom Sohn und verbindet beide in einer Substanz, damit trifft ihn der Vorwurf nicht, den
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Aufstieg des Sohnes, mit dessen ökonomischer Aktivität und bezeichnet die immanente Entfaltung des göttlichen Wesens als Vorbild für das ökonomische Handeln Gottes: Da das Leben auf diese Weise als erste Existenz existierte, musste es in einen jungfräulichen Zustand eintreten²⁶⁶ und durch eine männliche²⁶⁷ Jungfrauengeburt als männlicher Sohn Gottes geboren werden (in der primären Bewegung – mit der primären Bewegung meine ich die, mit der das Leben in Erscheinung getreten ist – ist es gewissermaßen abgefallen vom Vermögen des Vaters und aufgrund der ihm innewohnenden Begierde zu beleben trat es, während es zwar schon im Inneren als Leben existierte, dann aber in einer Bewegung nach außen, ist wieder zu sich selbst zurückgekehrt und, auf sich selbst zurückgewandt, gelangte es in seine Existenz im Vater zurück, wurde ein Mann und vollkommen in seiner allmächtigen Männlichkeit²⁶⁸ und wurde ein vollkommener Geist, indem seine Neigung nach oben zurückgewandt worden ist, das heißt wieder nach innen); ebenso musste nach diesem Vorbild²⁶⁹ die Heilsgeschichte²⁷⁰ verlaufen, und wenn der Geist im Körper ist, das heißt im Sohn Christus, musste er gewissermaßen eine Verringerung erleiden und von einer Jungfrau geboren werden und in dieser Verringerung muss er, aufgrund seiner väterlichen Männlichkeit, das heißt seiner
Proclus gegen eine ähnliche Position ausspricht. Er kritisiert, dass die Aktivität der Substanz vorgeschaltet ist, wo doch die Aktivität aus der Dynamis und diese wiederum der Substanz entspringe, vgl. Procl. in Prm.VI, 1106,20 – 24 Steel. Dadurch dass der Vater zugleich auch Substanz und Dynamis ist, ist diese „platonische“ Reihe bei Victorinus wieder eingehalten. Zum Zusammenhang von potentia, substantia und actio bei Victorinus vgl. auch Voelker, Exegetical Arguments, StPatr 38 (2001), 496 – 502. Für die Bedeutung von subintrare an dieser Stelle sind erhellend Ambrosiast. in Rom. 5,20: subintrare igitur est, humiliter intrare et postea dominari. (Recens. αβ, CSEL 81/1 184,12 f.) und Rufin. Orig. in Rom. 5,6 (Rom 5,20 f.): subintrare namque hoc indicat cum alio ingresso alius obtentu illius ingreditur. (414,57 f. Hammond Bammel) Dagegen Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus 194: „bekleiden“. Vgl. auch Hadot, SC 69, 857 ad 51,29. Die Form masculari wird unterschiedlich interpretiert, da es sich in jedem Falle um ein Hapaxlegomenon handelt: Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus 194 verstehen es als Form eines Adjektivs mascularis, ebenso ThlL 8,425,25 – 28 s.v. mascularis, dagegen leitet Blaise es von einem Verb masculo ab, vgl. Dictionnaire, 517 s.v. masculo: „rendre mâle“. Ich übersetze virtus jeweils als Männlichkeit, um die Gendermetaphorik zu transportieren, die in der bewussten Wahl dieses Wortes statt etwa potentia zum Ausdruck kommt. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 194 übersetzen typus treffend als „Vorbild“, dagegen bringt Ziegenaus, Seinsfülle, 109 das Wort mit der generatio secundum typum in Cand. I 9 in Verbindung. Ähnlich Schiavolin, Lo spirito, 276 mit Anm. 54. Es handelt sich an dieser Stelle aber um die lateinische Entsprechung zu κατὰ τὸν τύπον (vgl. z. B. Ex 25,40 LXX; Apg 7,44), das auch von Rufin mit secundum typum übersetzt wird, vgl. Orig. Hom. in Num. XVII 4 (162,13 f. Baehrens). Hadot, SC 69, 858 ad 51,39 verweist für die Bedeutung von ordo im Sinne des ökonomischen Handelns Gottes auf eine ähnliche Formulierung in IV 32 (165,5 Locher).
4 Die soteriologische Pointe der Trinitätstheologie
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göttlicheren und ersten Existenz, wiederauferstehen, erneuert werden und zum Vater zurückkehren, das heißt in die Existenz und das Vermögen des Vaters.²⁷¹
Die Zeugung des Sohnes im Inneren Gottes ist das Vorbild für die Heilsgeschichte: Wie der Sohn zunächst das väterliche Sein verlässt, einen unvollkommenen Zustand durchlebt und durch seine Rückkehr zum Vater vervollkommnet wird, so ist die Inkarnation Christi eine Verminderung seiner göttlichen Macht, seine Auferstehung und Rückkehr zum Vater seine Vervollkommnung.²⁷² Nur weil sich der Sohn bereits im immanenten Wesen Gottes nach außen aktualisiert hat und durch seine Rückwendung zugleich völlig mit dem Vater verbunden bleibt, kann er überhaupt in die Welt hinabsteigen und das Heilsmysterium wirken. Die immanente Aktualisierung des Logos ist nicht vorübergehend, sondern die ewige Vorbedingung für das zeitliche Wirken Christi und des Heiligen Geistes an der Schöpfung. Anders als Markell unterscheidet Victorinus also die immanente Aktualisierung als ewiges Geschehen von der ökonomischen Aktualisierung als episodischem Geschehen. Damit nimmt er die zeitgenössische Kritik an Markell auf, die wir etwa beim Autor der vierten Arianerrede fassen können. Dieser kritisiert Markell für die Vorstellung, dass der Sohn nur zum Zwecke der Schöpfung und Ökonomie aktuell aus dem Vater hervorgeht. Es sei widersinnig anzunehmen, dass der Sohn erst durch einen äußeren Anlass aus seinem Zustand als tätiges Vermögen hervorgehe. Letztlich mache man so Gottes Handeln und Wesen von der Welt und den Menschen abhängig.²⁷³ Diese Kritik greift Victorinus auf und versteht den Logos dagegen als immer aktualisiertes Vermögen im göttlichen Sein. Das ökonomische Handeln ist
Adv. Ar. Ib 51: Et sicut exsistente vita prima exsistentia necessitas fuit in virginalem potentiam subintrare et masculari virginis partu virum generari filium dei (in prima enim motione, primam dico in apparentiam venientem, veluti defecit a potentia patris et in cupiditate insita ad vivefaciendum, intus quidem exsistens vita, motione autem foris exsistens, in semet ipsam recucurrit, rursus in semet ipsam conversa venit in suam patricam exsistentiam vir effecta et perfecta in omnipotentem virtutem effectus est perfectus spiritus nutu in superiora converso, hoc est intro), sic secundum typum oportuit ordinem esse et cum est in corpore spiritus, hoc est filio Christo, et quasi deminutionem pati et a virgine nasci et in ipsa veluti deminutione sua patrica virtute, hoc est exsistentia diviniore et prima, resurgere et renovari et reverti in patrem, hoc est in exsistentiam et potentiam patricam. (87,11– 24 Locher). Vgl. insgesamt auch die hilfreiche Übersetzung von Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 194. Die christologischen Formulierungen muten in diesem Abschnitt teilweise problematisch an. Die Vorstellung, dass der Geist im Körper sei klingt beinahe doketisch oder könnte zumindest den Verdacht eines „seelenlosen Christus“ nahelegen. Jedoch betont Victorinus schon in früheren Schriften die vollkommene und reale Menschwerdung Christi, s. dazu unten S. 414– 417. Vgl. Ps.-Ath. Ar. IV 11 f. (54– 57 Stegmann).Vgl. dazu ausführlich Vinzent, Pseudo-Athanasius, 247– 261.
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nicht der Anlass der Zeugung des Sohnes, sondern es ist die Folge der Zeugung und vom immanenten Geschehen abhängig. In einem zweiten Durchlauf betrachtet Victorinus diese Parallelisierung von immanentem Wesen und ökonomischen Handeln noch einmal aus einer anderen Perspektive. In dieser anderen Hinsicht ist der Heilige Geist als Denken die Ursache des Hervorganges und bringt damit auch das Leben hervor. Das zeigt, wie wichtig Victorinus die enge Verbindung von Christus und Heiligem Geist ist. Beide sind wirklich eine einzige Bewegung und man kann ihren gemeinsamen Hervorgang aus dem Vater so beschreiben, dass der Logos die Bewegung nach außen verursacht, aber auch so, dass der Heilige Geist dafür verantwortlich ist.²⁷⁴ Victorinus kann daher auch das Denken als Ursache der Alterität darstellen: Um sich selbst zu erkennen, muss das Denken sich selbst gegenübertreten und sich in ein Denksubjekt und -objekt differenzieren. Durch diesen Prozess der denkenden Selbstdifferenzierung des göttlichen Wesens wird auch das Leben mit hervorgebracht. Der Unterschied zur Beschreibung des Lebens als der Ursache der Differenzierung liegt darin, dass das Denken auch wieder als erkennende Rückwendung auf sich selbst die Ursache für die Wiederherstellung der Identität ist.²⁷⁵ In dieser zweiten Betrachtungsweise kann Victorinus den Heiligen Geist dann auch als Mutter Jesu bezeichnen und eine klare Parallele zwischen der immanenten Zeugung und der Inkarnation des Sohnes herstellen:
Die Voraussetzung für die Austauschbarkeit ist also die Homousie der Dyade. Hadot, Porphyre I, 276 hat dagegen sichtlich Mühe diese Vorstellung aus den Chaldäischen Orakeln abzuleiten. Diese Stelle muss auch gegen die Ansicht bei Ziegenaus, Seinsfülle, 351 angeführt werden. Er schreibt dort, dass bei Victorinus „immer die Aktivität des Lebens der des Geistes vorausgehen“ muss. Vgl. dazu Adv. Ar. Ib 57 (92,17– 93,8 Locher), bes: Omnis enim cognoscentia, secundum quod cognoscentia est, foris est ab illo, quod cupit cognoscere. Foris autem dico sicut in inspectione, secundum quod est videre semet ipsam, quod est scire vel videre potentiam illam praeexsistentem et patricam. In isto igitur sine intellectu temporis tempore ab eo, quod erat esse, veluti egrediens in inspiciendum ipsum, quod erat, quoniam ibi omnis motus substantia est, alteritas nata cito in identitatem revenit. (92,23 – 29 Locher) Diese Austauschbarkeit ist nachdrücklich zu betonen. Hadot, Porphyre I, 274 verbindet die beiden Modelle dagegen widerspruchslos miteinander: Das Denken sei der Motor der Bewegung nach außen, das Leben das unendliche Moment der Selbstentfaltung des Seins, das Denken die Rückwendung. Victorinus entfaltet aber zwei verschiedene Ansätze: Mal will das Leben nach außen treten, ist Motor der Bewegung und unendliches Moment, und wird vom Denken zurückgewendet, mal will das Denken nach außen treten, ist Motor, unendliches und zurückwendendes Moment in einem. Das Leben entsteht dabei gewissermaßen als „Nebenprodukt“. Dass das Denken ein Objekt benötigt führt Victorinus auch in der trinitarischen Darstellung des Wesens der Seele aus, vgl. Adv. Ar. I 32: Secundum autem intellegentiam, quoniam et ista indigens est eius, quod intellegibile est, ut intellegentia subsistat, magis passiones et infirmitates incurrit et vovlvitur in sensibilibus […]. (67,3 – 5 Locher)
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Man wird nicht fehlgehen, wenn man dabei das Verständnis gewinnt, dass der Heilige Geist die Mutter Jesu ist, sowohl oben als auch bei dem nach unten gerichteten Geschehen²⁷⁶: oben, wie ich es bereits dargelegt habe, bei dem nach unten gerichteten Geschehen aber folgendermaßen: Es war um der Befreiung willen nötig, dass alles Göttliche […] von der niedrigen Materie und aller Vergänglichkeit inkarniert wird²⁷⁷ zur Abtötung aller Vergänglichkeit und Sünde. Denn die Dunkelheit und das Unwissen der von den materiellen Mächten auseinandergerissenen Seele benötigten das ewige Licht zur Hilfe, damit der Logos der Seele und der Logos des Fleisches, nachdem durch das Mysterium des Todes die Vergänglichkeit vertrieben worden war, die Seelen und das Fleisch zu neuem Leben aufrichtet durch den Heiligen Geist als Vermittler zu göttlichen und lebensspendenden Erkenntnissen durch die Erkenntnis, den Glauben und die Liebe. Der Engel antwortete also Maria und sagte zu ihr: „Der Heilige Geist wird in Dich kommen und die Macht des Allerhöchsten wird Dich beschatten.“ Diese beiden in Bewegung, die der Logos und der Heilige Geist sind, kamen zusammen an, sodass Maria schwanger wurde und sodass als Fleisch vom Fleisch ein Tempel und Haus für Gott gebaut wurde […].²⁷⁸
Das immanente Geschehen, bei dem der Geist in der denkenden Selbstdifferenzierung zugleich das Leben aktualisiert, ist auch hier das Modell für die ökonomische Aktivität des Sohnes: Der Heilige Geist kommt über Maria und in derselben nach unten gerichteten Bewegung kommt auch Christus über sie, der durch sie inkarniert wird. Daher kann man den Heiligen Geist die Mutter Jesu nennen, sowohl in der immanenten Entfaltung des göttlichen Wesens als auch mit Blick auf die ökonomische Aktivität. Diese Vorstellung der Mütterlichkeit des Geistes lässt sich
Ich übersetze deorsum mit der Konnotation der nach unten gerichteten Bewegung, um den dynamischen Charakter des ökonomischen Geschehens zu betonen, dagegen übersetzen Hadot/ Brenke, Christlicher Platonismus, 203: „hier unten“ als Synonym zu infra, wodurch das Geschehen etwas statischer wirkt. Beide Übersetzungen sind möglich, vgl. für die beiden Varianten ThlL 5,1,559,41; 560,11 s.v. deorsum. Zur Bedeutung dieser passivischen Formulierung s.u. S. 368 f. Adv. Ar. I 58: Non falletur ergo, si quis subintellexerit sanctum spiritum matrem esse Iesu et supra et deorsum, supra quidem, ut dictum, deorsum autem isto modo. Necesse fuit liberationis gratia omne divinum […] ab inferiore hyle et corruptione omni incarnari in mortificationem omnis corruptionis et peccati. Tenebrae enim et ignoratio animae direptae ab hylicis potentiis eguerunt lumine aeterno in auxilium, ut λόγος animae et λόγος carnis, mysterio mortis detrusa corruptione, in reviviscentiam et animas et carnes per sanctum spiritum administratorem ad divinas et vivefacientes intellegentias erigerent cognoscentia, fide, amore. Respondit igitur angelus Mariae et dixit ipsi: spiritus sanctus adveniet in te et virtus altissimi inumbrabit tibi. Haec duo in motu quae sunt λόγος et spiritus sanctus, ad id ut gravida esset Maria, ut aedificaretur caro a carne, dei templum et domicilium, advenerunt […]. (93,17– 31 Locher) Die Bezeichnung des Leibes Christi als Tempel ist im 4. Jh. geläufig, wie schon Hadot, SC 69, 875 ad 58,28 bemerkt. Vgl. zusätzlich zu seinen Belegen auch noch Uthemann, Eusthatios von Antiochien, ZAC 10 (2006), 498 – 504.513 f. Sie ist noch nicht durch die späteren christologischen Diskussionen belastet. Vgl. dazu die Verwendung bei Diodor von Tarsus, fr. 20.35 Abramowski.
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gut vor dem Hintergrund christlicher Traditionen erklären, an die Victorinus anknüpft.²⁷⁹ Es handelt sich hier nicht um eine allegorische Deutung der Jungfrauengeburt, die hinter dem Mythos höhere Erkenntnisse über den intelligiblen Bereich erschließen möchte. Vielmehr handelt es sich um eine klare Parallelisierung des immanenten und ökonomischen Geschehens: Die Jungfrauengeburt ist für Victorinus kein Mythos, sondern ein reales historisches Geschehen. Der Heilige Geist und der Logos handeln ökonomisch und immanent zusammen, ihre substantielle Identität und gleichzeitige Verschiedenheit in der Aktivität sind die Voraussetzung dafür, dass sie gemeinsam ökonomisch handeln können.²⁸⁰ Eine Abwärts- und eine Aufwärtsbewegung zeichnen auch das ökonomische Handeln des Sohnes aus: Er bewegt sich in der Inkarnation nach unten und steigt dabei bis an den tiefsten Punkt der materiellen Welt in den Tod hinab, da er auch im Inneren eine unendliche Lebensbewegung ist. Der Sohn belebt als Lebensbewegung am Anfang alles und möchte im ökonomischen Geschehen diese Aktivität fortsetzen und vollenden und den Tod endgültig besiegen.²⁸¹ In der Auferstehung und Erhöhung findet eine Aufwärtsbewegung des Sohnes statt, er steigt wieder aus dem Hades heraus, steigt zum Vater auf und wird wieder erhöht.²⁸² Immanente Aktivität und ökonomische Aktivität entsprechen einander genau: Gott ist im Inneren, wie er
Man braucht nicht an eine Verbindung mit Gedanken aus den Chaldäischen Orakeln zu denken wie Hadot, SC 69, 874 f. ad 58,12. Ebenso führt Vollenweider, „Ein mittleres“, 190 f. die Bezeichnung des Geistes als Mutter bei Synes. hymn. II 101 auf die Orakel zurück. Ders., Synesios, 77– 79 verweist zwar auf „eine recht breite frühchristliche Tradition“, die den Heiligen Geist als Mutter bezeichnet, erklärt aber dann ohne weitere Begründung, dass Synesios „davon weitgehend unabhängig“ sei. Das Phänomen, dass der Geist als weiblich und mütterlich betrachtet wird, ist vor dem Hintergrund erklärbar, dass der Geist in den semitischen Sprachen feminin ist. Für weitere Belege zu diesem Phänomen vgl. Tommasi, L’androginia di Cristo-Logos, Cassiodorus 4 (1998), 23 Anm. 47. Im Lateinischen ist aber etwa auch sapientia feminin oder wie hier bei Victorinus cognoscentia. Überlegungen zu weiblichen Aspekten Christi und des Heiligen Geistes sind dabei keineswegs auf heterodoxe Strömungen begrenzt, vgl. zu diesem Thema bei Augustinus etwa van Bavel, Maternal Aspects, Aug(L) 47 (1997), bes. 263 f. (Christus als sapientia ist weiblich), 268 – 71 (mütterliche Aspekte des Heiligen Geistes). Für Victorinus ist als Vergleichspunkt besonders interessant, dass gerade in valentinianischen Texten der Heilige Geist als Mutter erscheint, vgl. z. B. Iren. haer. I 5,3 f., wo die Mutter auch als Heiliger Geist bezeichnet wird und eine Mittelstellung innehat. Weitere Belege in gnostischen Texten bei Vollenweider, Synesios, 78 f. Edwards, Homoousion, StPatr 46 (2010), 116 verweist für den mütterlichen Aspekt Gottes auch auf Clem. q.d.s. 37,2. Das ist gegen die Interpretation von Benz, Marius Victorinus, 106 – 118 zu betonen, der mit dem Vergleich zur Mythenallegorese Plotins eine solche Deutung des Victorinus nahelegt. Vgl. dazu auch unten S. 414– 417, 499 – 503. Zu den genauen Prozessen s.u. S. 505 – 513.
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handelt, und handelt an der Welt, wie es seinem inneren Wesen entspricht. Von seinem Wirken kann auf sein Wesen geschlossen werden und umgekehrt.²⁸³ Bedeutsam ist dabei, dass Victorinus den inneren Hervorgang des Sohnes bereits in der Sprache der Selbsterniederung beschreibt und dabei der Vorstellung eines innergöttlichen Erleidens sehr nahe kommt. Er streitet zwar immer wieder ab, dass das Heraustreten des Sohnes als eine passio zu verstehen sei, jedoch sagt er, dass das Leben „gewissermaßen von der väterlichen Potenz abfällt“, was mit einer „Verminderung“ seines Seins in der Inkarnation korrespondiert.²⁸⁴ Mit dieser Annäherung an die Vorstellung einer innergöttlichen passio operiert Victorinus auch, um den Ursprung der Materie zu erklären.²⁸⁵ Die Parallele zwischen dem immanenten und ökonomischen Geschehen dient Victorinus also dazu, das historische Erlösungsgeschehen zu fundieren und verstehbar zu machen. Die ökonomische Aktivität des Logos und des Geistes ist nur möglich, weil sie im Inneren dieselben Funktionen in Gott ausüben und mit dem Vater eines Wesens sind. Diese Parallelisierung von immanenter und ökonomischer Aktivität dient also gerade nicht einer Enthistorisierung des Christusgeschehens, wie die ältere Forschung sie bei Victorinus häufig beklagt.²⁸⁶
Den Hintergrund der Diskussion um den Zusammenhang von οὐσία, δύναμις und ἐνέργεια habe ich breiter ausgeleuchtet in Zacher, The Immanent and Economic Trinity, StPatr 128,25 (2021), 87– 107. Vgl. Adv. Ar. Ib 51: in prima enim motione […] veluti defecit a potentia patrica […]. (87,13 f. Locher) mit Ib 51: sic secundum typum oportuit ordinem esse, cum est in corpore spiritus, hoc est filio Christo, et quasi deminutionem pati […]. (87,19 – 21 Locher) Damit kommt Victorinus der in Sirm I verurteilten Position ziemlich nahe, wonach der Sohn aufgrund der Kreuzigung eine Verringerung an seiner Gottheit erlitten habe, vgl. Dok. 47.3, anath. 14 (AW III/1/4, 341). Abramowski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), 526 sieht die Funktion des innertrinitarischen Leidens in einer „innertrinitarischen Entlastung des Vaters vom Leiden des Sohnes“. Es ist fraglich, ob Victorinus zu diesem Zweck so weit gegangen ist, das Hervorgehen des Sohnes als Leiden zu beschreiben. Dagegen deutet Tommasi, L’androginia di Cristo-Logos, Cassiodorus 4 (1998), 35 f. den Passus ebenfalls als κένωσις in Analogie zum Philipperhymnus. S. dazu unten S. 357– 359. Gegen Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 56 f. und Benz, Marius Victorinus, 52 f.98.105.108 u. ö. Elert, Christologie, 92 bemerkt, dass ein ähnliches Urteil über die Christologie Kyrills von Alexandrien von falschen Prämissen ausgeht. Seine Feststellung lässt sich auch auf Victorinus übertragen, da auch für ihn das Johannesevangelium eine entscheidende Quelle seiner Theologie ist: „Sein Christusbild ist genauso geschichtlich oder ungeschichtlich wie das des Johannesevangeliums […].“ Zugleich zeigt das Beispiel des Victorinus ebenfalls, dass die Kategorisierung der Trinitätslehre in eine westliche, eher immanente und eine östliche, eher ökonomische Trinitätslehre nicht treffend ist. Zur Kritik an diesem vom de Régnon begründeten Forschungsparadigma, vgl. Kany, Augustins Trinitätsdenken, 324– 330.
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4.1.3 Verknüpfung von Ontogenese und Soteriologie in der Gnosis In der Schrift Adversus Arium Ib finden sich zahlreiche Elemente, die an gnostische Texte erinnern.²⁸⁷ So leuchtet etwa Tommasi den gnostischen Hintergrund der androgynen Dyade aus und weist auf die Möglichkeit hin, dass Victorinus dieses Konzept aus gnostischen Texten übernommen haben könnte.²⁸⁸ Mal kann Victorinus den Logos als Leben als weibliches Prinzip auffassen, da der Logos das Leben weitergeben will, und dagegen den Heiligen Geist als die vermännlichende Erkenntnis, mal kann er dem Heiligen Geist die Rolle der Mutter und dem Logos die Rolle des männlichen Sohnes zuweisen. Diese Androgynie der göttlichen Dyade bringt Victorinus ausdrücklich mit der zweigeschlechtlichen Schöpfung des Menschen in Zusammenhang: Da der Mensch als Bild Gottes ebenfalls männlich und weiblich erschaffen sei, könne man so auf die Androgynie des Logos schließen.²⁸⁹ Auch dieser Zusammenhang zwischen der Ebenbildlichkeit der Menschen und der Androgynie des Logos wird in gnostischen Texten hergestellt.²⁹⁰ Mit gnostischen Texten lässt sich auch die enge Verknüpfung der immanenten Zeugung des Sohnes mit der Soteriologie vergleichen: Sagnard arbeitet in seiner Analyse des valentinianischen Systems einen „Mechanismus“ der Gnosis heraus, der sich auf allen ontologischen Ebenen des Systems identifizieren lässt: Das erste Prinzip ist unerkennbar und unendlich, alle, die nach und aus diesem Prinzip entstanden sind, streben nach ihm, können es aber nicht erkennen. Sie geraten deswegen in einen bedrängten Zustand der Leidenschaft und Unruhe, finden aber durch Belehrung und Reinigung in einen Zustand der Ruhe und Stabilität zurück. Nach diesem „Mechanismus“ vollziehen sich die Befestigung des Pleroma, die Entstehung der materiellen Welt und die Erlösung der Pneumatiker aus der materiellen Welt.²⁹¹ Eine solche Verknüpfung ontogenetischer und soteriologischer Aspekte im protologischen Mythos ist ein wesentliches Merkmal vieler gnostischer Texte. Auch im Tractatus Tripartitus ist die Entfaltung des Pleroma zugleich als epistemologischer Prozess dargestellt: Die Seinswerdung der Äonen ist ein Vorgang, in dem sie zu Vgl. die Liste bei Tardieu, Recherches, 9 f. Die meisten von ihm als gnostisch identifizierten Stücke finden sich dabei in Adv. Ar. Ib. Vgl. Tommasi, L’androginia di Cristo-Logos, Cassiodorus 4 (1998), 11– 46. Vgl. auch dies., L’androginia divina, SCO 46 (1998), 973 – 998. Vgl. Adv. Ar. Ib 64 (99,2– 8 Locher). Zur Rolle der Genesisexegese für diese Vorstellung in der Gnosis vgl. Tommasi, L’androginia divina, SCO 46 (1998), 980 f. und ausführlicher Cazelais, masculoféminité, RB 114 (2007), 174– 188, zu Victorinus bes. 183 – 186. Vgl. Tommasi, L’androginia di Cristo-Logos, Cassiodorus 4 (1998), 42– 45. Vgl. aber auch die Auslegung von Gen 1,26 im Midrasch Bereschit Rabba 8,1 (55,3 Theodor), wonach Gott den Menschen zuerst androgyn ( )ַא ְנ ְדּרוֹ ִגינוֹסerschaffen habe. Vgl. Sagnard, La gnose valentinienne, 255 – 265.
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vollkommener Erkenntnis ihrer selbst und des Vaters geführt werden.²⁹² Thomassen verweist auf die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen dem Tractatus Tripartitus und Marius Victorinus, da hier wie dort ein Modell der Exteriorisation und Manifestation des zweiten Einen aus der Präexistenz im ersten Einen entworfen wird, wobei beide betonen, dass dies dem Willen des Vaters entspricht.²⁹³ Daran anschließend kann man auch in der Parallelisierung von immanentem Sein und ökonomischen Handeln Gottes bei Victorinus eine Ähnlichkeit zur Verquickung von Ontogenese und Soteriologie in den gnostischen Texten sehen. Thomassen betont in seiner Analyse des TractTrip, dass dieser soteriologische Fokus den Texten, die sonst der porphyrianischen Tradition zugeschrieben werden, gänzlich fehlt und darin ein spezifisches Interesse der gnostischen Autoren zu sehen ist.²⁹⁴ Diese Form der soteriologischen Durchdringung der Metaphysik lässt sich also nicht so sehr aus der platonischen Philosophie erklären, sondern ist als philosophische Reflexion des christlichen Heilsanliegens zu verstehen. Aus diesen Beobachtungen lässt sich schließen, dass dieses soteriologische Interesse auch bei Victorinus christlich motiviert ist.²⁹⁵ Jedoch lassen sich in der spezifischen Ausgestaltung wesentliche Unterschiede zwischen den gnostischen Texten und Victorinus feststellen. Im Unterschied zu den gnostischen Texten betont Victorinus die reale Fleischwerdung des Logos, sein Leiden in der Inkarnation und seinen Tod. Daraus folgt für ihn, dass die ökonomische Aktivität des Sohnes gerade auch der Errettung des Fleisches dient.²⁹⁶ Die Erlösung von Leib und Seele bleibt dann auch im letzten Teil der Schrift Adversus Arium Ib das bestimmende Thema.²⁹⁷ Ebenso betont Victorinus, dass auch die Schöpfung auf die direkte Aktivität Gottes zurückzuführen ist und grenzt sich von allen dualistischen Ansätzen ab. Damit ist auch eine starke Abgrenzung zu gnostischen Vorstellungen verbunden. Sollte Victorinus für seine Verknüpfung von im-
Vgl. TractTrip NHC I,5 p. 60,1– 75,17. Zur Verknüpfung der beiden Aspekte vgl. Thomassens Kommentar, in BCNH.T 19 ad p. 60,16 – 37, 295: „Il faut observer, d’autre part, que les notions présentées dans ce passage constituent non seulement une théorie de la génération, mais aussi un mythe sotériologique. La génération préfigure la régénération; l’état d’inconscience et de non-être dans la sein du Père exprime aussi la condition des spirituels qui n’ont pas encore atteint à la gnose. L’extériorisation et la manifestation signifient la formation et l’acquisition de l’être vrai sur le plan sotériologique. Cet aspect sotériologique est absent dans la tradition porphyrienne et paraît être proprement gnostique.“ Ferner Ders., The Structure, VigChr 34 (1980), 365. Vgl. Ders., The Structure, VigChr 34 (1980), 370 f. S.o. Anm. 292. S. dazu meine Bemerkungen zu Ziegenaus, Seinsfülle, 265.279 oben S. 31. Vgl. bes. die Betonung der Inkarnation und Rettung des Fleisches in Adv. Ar. Ib 58. S. unten S. 383 – 414.
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manenter und ökonomischer Trinität Anregungen aus gnostischen Texten erhalten haben, hat er sich damit zugleich deutlich von ihnen abgegrenzt. Der Charakter der Schrift Adversus Arium Ib ist damit mehrschichtig: Durch die Verbindung der immanenten Entfaltung Gottes mit seinem ökonomischen Handeln gestaltet Victorinus die Potenz-Akt-Vorstellung der Zeugung des Sohnes aus und zeigt gegen Markell die soteriologische Notwendigkeit der dauerhaften Aktualisierung des Sohnes aus dem Vater. Zugleich wendet er sich gegen gnostische Positionen, indem er die Heilsbedeutung der Realität der Inkarnation und die dadurch bewirkte Erlösung des Fleisches betont. Wenn ihn die Begegnung mit gnostischen Texten zur spezifischen Ausgestaltung seiner Metaphysik gebracht hat, dann kann man die Tendenz der Schrift Adversus Arium Ib so zusammenfassen, dass Victorinus einerseits mit gnostischen Texten gegen Markell, andererseits mit Markell gegen die Gnosis vorgeht. Auf jeden Fall zeigt sich aber, dass Victorinus in beiden Fällen jeweils ein spezifisches soteriologisches Interesse an den Tag legt: Er betont, dass der Logos und der Heilige Geist als Voraussetzung ihrer ökonomischen Aktivität ewig aktualisiert sein müssen. Und er betrachtet die reale Inkarnation, den Tod und die Auferstehung Christi als wesentliches Offenbarungs- und Heilshandeln Gottes.
4.2 Die Einheit von Wesen, Willen und Wirken bei der Schöpfung und Erlösung der Welt 4.2.1 Die „Metaphysik der Präpositionen“: Der Sohn als Schöpfungsmittler ist die effizierende, formale und finale Ursache der Schöpfung Victorinus entfaltet die Identität von Wesen, Willen und Wirken der Hypostasen mit einem besonderen Fokus auf das erlösende Handeln Gottes in der Inkarnation des Sohnes. Der Zusammenhang zwischen immanenter und ökonomischer Trinitätslehre ist auch die Grundlage der Schöpfungstheologie. Die Erschaffung der materiellen Welt ist die erste ökonomische Abwärtsbewegung des Sohnes, die die zweite Bewegung in der Inkarnation vorbereitet.²⁹⁸ Die Bezeichnung als Schöpfer kommt im eigentlichen Sinne dem Sohn zu, da der Vater durch ihn als Schöpfungsmittler alles erschafft und nicht direkt selbst tätig wird. Da Vater und Sohn aber eine substantielle Einheit bilden, kann auch der
Vgl. dafür nur das Bild, dass der Logos als Leben von oben herabfließt und so alles belebt in Adv. Ar. I 47 (83, 9 – 14 Locher) und IV 10 f. (144,8 – 145,12 Locher).Vgl. auch die Formulierung in Adv. Ar. Ib 61 (96,16 Locher), dass der Logos bei der Schöpfung in sein Eigentum hinabsteigt. S. dazu u. S. 375 – 382.
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Vater mittelbar als Schöpfer angesprochen werden.²⁹⁹ Durch diese pointierte Verbindung von Schöpfungsmittlerschaft und substantieller Identität des Sohnes mit dem Vater stellt Victorinus zweierlei sicher: Einerseits bleibt der Vater so in seiner transzendenten Ruhe ungestört, da er nicht selbst als Schöpfer tätig wird, andererseits ist die Schöpfung wirklich von Gott gewollt, da der Sohn als Schöpfungsmittler dasselbe ist, will und wirkt wie der ruhende Vater. Dadurch schließt Victorinus jede dualistische Erklärung der Weltschöpfung aus. Die herausragende Rolle des Sohnes als Schöpfungsmittler begründet Victorinus durch einen Vergleich von Bibelstellen wie Röm 11,36 und Kol 1,16 f. Er analysiert diese beiden Stellen mithilfe der „Metaphysik der Präpositionen“³⁰⁰ und untersucht, welche Aussagen nur dem Vater, welche nur dem Sohn und welche beiden zugeschrieben werden.Vom Vater allein heißt es, dass alles aus ihm (ex ipso) ist, da er die alleinige Ursache alles Seins, also auch des Sohnes ist.Vom Vater und vom Sohn kann gesagt werden, dass alles durch sie (per quem/ipsum) ist, da der Sohn im eigentlich Sinne das Vermögen aller Dinge ist und diese hervorbringt. Da aber beide ineinander sind, kann auch vom Vater übertragen gesagt werden, dass durch ihn alles ist. Nur über den Sohn wird gesagt, dass alles in ihm (in quo/ipso) ist, da er gewissermaßen der Ort der Schöpfung ist und diese umfasst. Wieder auf beide bezogen ist die Aussage, dass alles auf sie hin (in quem/ipsum) erschaffen ist, da beide das Ziel der Schöpfung sind, die am Ende zu einer Einheit mit Gott zurückgeführt wird.³⁰¹ Aus dieser vergleichenden Exegese gewinnt Victorinus die Berechtigung den Sohn zugleich als Wirk-, Formal- und Finalursache der Schöpfung zu verstehen. Da der Vater alles durch den Sohn erschafft, ist der Sohn auch die eigentliche causa efficiens der Schöpfung, da alles auf ihn hin erschaffen ist, ist der Sohn gemeinsam mit dem Vater auch die causa finalis der Schöpfung. Mit der Vorstellung, dass die Schöpfung sich im Sohn befindet, ist zugleich verbunden, dass er die causa formalis der Schöpfung darstellt. Da der Sohn aus dem Vater als erste Substanz und als Totalität des Seins hervortritt, ist in ihm schon das gesamte geschaffene Sein enthalten. Victorinus knüpft hier an die mittelplatonische Tradition an, nach der die Ideen als Gedanken Gottes in Gott lokalisiert werden.³⁰² Diese werden zugleich mit dem Sohn vom Vater gezeugt und sind die formale Ursache der materiellen
Vgl. in Eph. 3,9,38 – 42: Ergo creator licet deus accipiatur, sed per Christum tamen creator deus. Creator enim non convenit deo, sed convenit Christo et sic per Christum deo. Ille enim genuit Christum, Christus creavit omnia ipse deo operante et per se creante. Zum Begriff und seinem Hintergrund vgl. Theiler, Vorbereitung, 28 – 34. Vgl. auch Dörrie, Präpositionen und Metaphysik, MH 26 (1969), 217– 228. Vgl. Adv. Ar. I 37. Vgl. dazu Hadot, Porphyre I, 383.
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Schöpfung.³⁰³ Da der Sohn die Schöpfung in sich enthält, kann Victorinus ihn auch als das Behältnis (receptaculum) der Schöpfung bezeichnen. Zugleich ist er aber auch die Fülle (plenitudo), da er nicht eine passive Materie der Schöpfung ist, sondern sie selbst hervorbringt. So wie Gott sich selbst ausfüllt, füllt er damit auch die Schöpfung aus.³⁰⁴ 4.2.2 Der Sohn als Wille Gottes: Abgrenzung vom Neuplatonismus und Vermittlung zwischen Asterius und Athanasius in der Debatte um Joh 10,30.38; 14,10.28 Da der Sohn die unmittelbare Ursache der Schöpfung ist, ist es für Victorinus entscheidend, die Einheit von Vater und Sohn im Wesen, Willen und Wirken auch in diesem Punkt herauszuarbeiten. Victorinus möchte keinesfalls eine dualistische Position im Blick auf die Schöpfung einnehmen, sondern auch hier den Vater als die letzte Ursache von allem darstellen. Dafür entwickelt Victorinus das Konzept, dass der Sohn der substantielle Wille des Vaters ist. Da der Sohn wesenhaft der Wille des Vaters ist, tut er alles, was der Vater tut und will. Und umgekehrt ist alles, was der Sohn tut und will, Werk und Wille des Vaters. Während Victorinus sonst in der Regel das übernoetische Wesen des Vaters betont, setzt er den Vater in der Behandlung der Schöpfungstheologie auch mit dem Intellekt gleich, der den Sohn als sein schöpferisches Wort zeugt. Alles andere werde dann erst durch das gezeugte Wort erschaffen.³⁰⁵ Dieses noetische Gottesbild nutzt Victorinus auch, wenn er den Sohn als den Willen des Vaters bezeichnet, da der Wille aus dem Denken des Verstandes geboren werde.³⁰⁶ Victorinus entwickelt diese
Vgl. Adv. Ar. IV 5: […] deus, inquam, primo universalium universales exsistentias substantiasque progenuit. Has Plato ideas vocat […]. (138,24 f. Locher) Vgl. dazu Baltes, Marius Victorinus, 82 f. Vgl. z. B. Adv. Ar. I 13: Sed quoniam in ipso et in ipsum et per ipsum gignuntur omnia, semper plenitudo et semper receptaculum est. (43,4– 6 Locher); ähnlich I 24 (57,22– 26 Locher); I 37: Filio autem istud proprium in quo omnia, quod λόγος et locus est. Factorum enim et operum per semet ipsum ipse est receptaculum. […] ipse ergo et receptaculum et habitator. (72,18 – 20.24 f. Locher); Ib 50: ipse sibi et locus et habitator (85,31 Locher), dazu auch den Kommentar bei Tardieu, Recherches, 98 f. Vgl. Ad Cand. 30: Si autem per verbum fecit deus, ante fuit verbum quam facere. Si ante fuit verbum, iuxta generationem ante fuit. Generat enim νοῦς verbum. (27,10 – 12 Locher) Vgl. in Eph. 1,1,23 – 25: Non enim generatione nota, sed similitudo capienda est, quasi quodam partu mentis cogitatione prorumpit velle conceptum et effunditur. (s. dazu auch unten S. 455 mit Anm. 58) Vgl. dazu auch den Kommentar von Cooper, Metaphysics, 117– 119, ad „how the Son exists…“. Ferner sollte man Or. princ. I 1,6 beachten: Si enim omnia, quae facit pater, haec filius facit similiter, in eo quod omnia ita facit filius sicut pater, imago patris deformatur in filio, qui utique natus ex eo est velut quaedam voluntas eius ex mente procedens. (35,1– 4 Koetschau); vgl. auch princ. IV 4,1 (349,9 Koetschau). Zum Sohn als Willen vgl. Benz, Marius Victorinus, 78 – 83. Gegen Geiger, Marius Victorinus I, 46, der die Bedeutung des Willens bei Victorinus als oberflächliche Anleihe christlicher
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Vorstellung vom Sohn als dem substantiellen Willen und als der substantiellen Aktivität Gottes mit Blick auf die Schöpfungstheologie und die Soteriologie: Der Sohn ist der Wille des Vaters, weil er tut, was der Vater will.³⁰⁷ Der schöpferische Wille des Vaters wiederum ist, dass das All existiert. Victorinus kann sogar sagen, dass der Vater selbst die Vielheit sein will, da er seinen wesenseinen Sohn als die Totalität des Seins hervorbringt.³⁰⁸ Der erlösende Wille des Vaters ist es, den Menschen das ewige Leben zu verleihen und ihnen die dafür nötige Gotteskenntnis zu geben.³⁰⁹ All dies verwirklicht der Vater durch die Zeugung des Sohnes, der sein wesenhafter Wille ist und daher das Leben weitergibt, die Welt erschafft und die Menschen durch die Inkarnation und Auferstehung erlöst. Damit will Victorinus sicherstellen, dass der Gott, der die Welt erschafft, kein anderer ist als der, der die Welt erlöst.³¹⁰ Die substantielle Einheit des Sohnes als Aktivität und Wille mit dem väterlichen Sein garantiert damit zugleich, dass der Vater durch die Schöpfung und das ökonomische Handeln nicht verändert wird und dennoch die Ursache von allem sein kann.³¹¹ Er ruht weiterhin in seinem Sein, während der Sohn als Aktivität nach außen hervorgeht und das Sein und Leben aus Gott weitergibt. Die Identifikation des Sohnes mit dem Willen des Vaters stellt dabei sicher, dass nichts gegen den Theologie betrachtet. Auch Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 46 bestreitet, dass Gott bei Victorinus einen freien Willen habe. Vgl. in Eph. I prol. 33: Voluntas enim dei Christus est, quia ea facit, quae deus vult. Vgl. dazu Joh 6,38. Vgl. z. B. Ad Cand. 12.22: Cum sit enim unus et solus, etsi multa esse voluit, non illum ipsum unum, sed illud, quod est unum esse, hoc voluit multa esse. […] Deus igitur […] non ipsum illud solum, quod unum fuit et solum, sed et multa et omnia, quae potentia est esse, fuit et voluit esse omnia. (17,30 – 18,2.22,27– 23,3 Locher). Adv. Ar. III 10: […] Ideo dedit pater filio et motum, qui et, quod est esse, habet. Ergo motus esse est. Λόγος igitur, qui motus est, habet et esse. Esse autem vita est et scientia. Habet igitur omnia, quia patris habet esse. Ergo voluntatem patris implet filius. Quae autem voluntas, nisi quia, cum pater vita sit, motus est vita eius? Haec voluntas est vivere facere alia. Haec ergo et τοῦ λόγου, id est Christi. Quae est, inquit, voluntas patris qui me misit? Ut ex eo quod mihi dedit, nihil perdam, sed resurgere faciam id ipsum postrema die. Haec enim voluntas est patris mei, ut omnis, qui videt filium et in ipsum credit, habeat vitam aeternam et in die novissima resurgat. Videre autem est Christum, scire deum, dei filium, vitam et vitae deum, et hoc est accepisse spiritum sanctum. (125,6 – 17 Locher) Auch hier ist der Bezugstext Joh 6,38 – 40 (s. Anm. 307). Zur antimarkionitischen Tendenz, die hier auch im Hintergrund steht s.u. S. 380 – 382. Vgl. hierzu nur Ad Cand. 30: Quid deinde? Facere non est motus? Nihilo minus quam agere. Immutatio igitur et in faciendo, si motus in agendo. Agere autem facere est et quod facere agere. Ambobus in motu exsistentibus necessario consequitur immutatio, quod incongruum in deo, sicuti declaratum est. Confitendum igitur aut facere non esse motum aut non omnem motum esse immutationem. Sed enim facere motus est, et deus iuxta motum fecit, cui omnino non contingit quomodocumque mutari. Relinquitur ergo non omnem motum immutationem esse. (26,26 – 27,5 Locher)
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Willen des Vaters geschieht und sein Wesen durch die Aktivität des Sohnes keinen Zwang erfährt. Hier steht die Identifikation von Willen, Aktivität und Wesen des Einen bei Plotin im Hintergrund.³¹² Anders als Plotins Eines will der Vater sich aber nicht nur selbst und ist in seiner Aktivität nicht nur auf sich selbst bezogen, sondern sein Wille ist nach außen auf die Zeugung des Sohnes gerichtet, da der Sohn identisch mit seinem Willen ist und aus dem Inneren des Vaters hervorgehen will.³¹³ Da der Sohn zugleich die Totalität des Seins ist, will der Vater damit auch die Vielheit hervorbringen und will, dass der Sohn das Leben an die Schöpfung weitergibt. Dies stellt einen wichtigen Unterschied zwischen der christlichen Trinitätslehre des Victorinus und der neuplatonischen Philosophie dar. Ausgehend vom platonischen Timaios kann in der platonischen Philosophie zwar dem Demiurgen ein schöpferischer Wille zugeschrieben werden, nicht aber dem Einen.³¹⁴ Plotins Eines richtet seinen Willen nicht darauf, den Intellekt als die Totalität der Ideen hervorzubringen, sondern bringt ihn nicht-intentional aus seiner übermächtigen Dynamis hervor. Das Eine entspricht dem Läufer, der im Sand unbeabsichtigt Spuren hinterlässt.³¹⁵ Victorinus identifiziert dagegen die substantielle Bewegung des Sohnes im Inneren Sein des Vaters mit seinem Handeln und Wollen. Der Sohn ist als Willen mit der Substanz des Vaters identisch und der Sohn geht willentlich aus dem Vater hervor. Das betont Victorinus, um sich von einer unwillkürlichen Hervorbringung des Sohnes abzugrenzen. Er bezeichnet die Potenz im Vater daher als eine naturalis voluntas, als wesenhaften Willen, der sich nach außen bewegen will, sodass der Vater dadurch keine Veränderung erfährt.³¹⁶ Mit der Bezeichnung als naturalis voluntas stellt Victorinus zweierlei sicher: Zum einen, dass der Wille dem Wesen des S.o. S. 301 f. Auf diesen Unterschied weist auch Hadot, Porphyre I, 305 hin. Vgl. zum Willen des Demiurgen Pl. Ti. 29e-30a; 41ab. Gerade darin besteht für Plotin die Freiheit des Einen nach enn. VI 8 (39). Vgl. Adv. Ar. Ib 52: Et quoniam omnis potentia naturalis est voluntas, voluit vita movere semet ipsam insita iuxta substantiam motione impassibiliter erecta in id, quod est. Naturalis enim voluntas, non passio. (88,11– 13 Locher) Zum Leben als Willen auch Adv. Ar. Ib 51: concupivit vivificare (87,5 Locher). Aber auch das Denken hat einen Willen, vgl. Adv. Ar. Ib 57: cupit cognoscere. (92,24 Locher) Hadot, Porphyre I, 302– 310 konzentriert sich dagegen allein auf das Leben als Willen, da sich hier Parallelen zu Porphyrius und dem späteren Neuplatonismus aufzeigen lassen. Vgl. insbes. auch Hadots Hinweis auf De regressu animae (S. 310, Anm. 2), wo Hadot die Triade Vater-Dynamis-Intellekt erkennt, Dynamis mit Leben und Willen identifiziert und den Intellekt mit dem Selbstbewusstsein. S. 469.473 postuliert Hadot, dass Synesius und Victorinus auf dieselbe Quelle zurückgehen, allerdings ist für Synesius der Heilige Geist der Wille: Vgl. Synes. hymn. II 94– 100, wo die ἁγία πνοιά als zeugender Wille (γόνιμος βουλά) bezeichnet wird. Ausgehend von Hadot argumentiert auch Vollenweider, Synesios, 108 – 110 dafür, dass Porphyrius die wesentliche Quelle für das Willenskonzept des Synesius ist. Die Belegstellen dafür stammen alle aus Victorinus.
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Vaters inhärent ist und ihm nicht von außen aufgezwungen wird, sodass der Sohn nicht gegen seinen Willen gezeugt wird. Zum anderen, dass der Wille sich ohne einen deliberativen Prozess verwirklicht. Der Vater überlegt nicht, ob er den Sohn zeugen soll oder nicht, sondern es entspricht seinem wesenhaften Willen, dass er schon immer einen Sohn hat.³¹⁷ Mit dieser Konzeption kann Victorinus zwei widerstreitende Positionen zur willentlichen Zeugung des Sohnes miteinander verbinden, über die schon in der Frühphase des Trinitarischen Streits diskutiert wird. Euseb von Nikomedien lehnt etwa die Zeugung des Sohnes aus dem Wesen des Vaters ab, da dies eine Zerteilung des väterlichen Wesens bedeute. Der Sohn sei vielmehr wie alles andere aus dem Willen des Vaters entstanden.³¹⁸ Daran knüpft später Asterius an und kritisiert ebenfalls die Zeugung aus dem Wesen des Vaters, da sie ein Leiden des Vaters impliziere.³¹⁹ Wer die willentliche Zeugung des Sohnes ablehne, nimmt aus seiner Sicht in Kauf, dass auf den Vater ein Zwang ausgeübt werde. Man solle stattdessen von der Zeugung des Sohnes aus dem Willen (βουλήσει καὶ θελήσει) des Vaters sprechen, da er den Sohn nicht gegen seinen Willen aus Zwang hervorgebracht hat.³²⁰ Athanasius versteht diese Argumentation dagegen so, dass Asterius dem Sohn damit einen zeitlichen Anfang zuweise. Um dies auszuschließen und die Ewigkeit des Sohnes zu betonen, spricht er von einer naturgemäßen Zeugung des Sohnes (κατὰ φύσιν). Gott habe nicht überlegt, ob er den Sohn zeugen soll, sondern dieser gehe natürlich und ohne Abwägung aus ihm hervor, erst die Schöpfung entspringe dem willentlichen Entschluss Gottes.³²¹ Auf der Grundlage von Spr 8,14 identifiziert Athanasius dann auch den Sohn mit dem schöpferischen Willen des Vaters, der Sohn selbst ist der „lebendige Ratschluss des Vaters“ (ζῶσα βουλή).³²² Damit bereitet
Vgl. dazu die instruktive, wenn auch spätere Definition bei Maximus Confessor, Variae definitiones, PG 91, 153AB: Θέλημα φυσικόν ἐστιν οὐσιώδης τὼν κατὰ φύσιν συστατικῶν ἔφεσις. Θέλημα γνωμικόν ἐστιν, ἡ ἐφ’ ἑκατέρα τοῦ λογισμοῦ αὐθαίρετος ὁρμή τε καὶ κίνησις. Vgl. aber auch den Gegensatz von φύσις und βούλησις bzw. προαίρεσις in Ath. Ar. III 62. Vgl. den Brief Eusebs an Paulinus von Tyrus Urk. 8 AW III/1/1 (=Dok. 4 AW III/1/3): οὐδὲν γὰρ ἐστιν ἐκ τῆς οὐσίας αὐτοῦ, πάντα δὲ βουλήματι αὐτοῦ γενόμενα ἕκαστον, ὡς καὶ ἐγένετο, ἐστίν. (17,4 f.) Vgl. Asterius fr. 5 Vinzent. Zur Bezugnahme auf Urk. 8 AW III/1/1 vgl. den Kommentar von Vinzent, Asterius von Kappadokien, 157 f. Vgl. Asterius frr. 18 – 20 Vinzent. Auch in der Ekthesis makrostichos von 345 wird die Ablehnung der willentlichen Zeugung so verstanden, dass Gott dann einem Zwang unterliege.Vgl. Dok. 44,12 AW III/1/3. In Sirm I wird sowohl die Position verurteilt, der Sohn sei wie die anderen Geschöpfe aus dem Willen des Vaters entstanden, als auch die Ansicht, er sei gegen den Willen des Vaters entstanden, vgl. Dok. 47.3, anath. 25 f. (AW III/1/4 343 f.) Vgl. Ath. Ar. III 59 – 62. Ath. Ar. III 63,4 (AW I/1/3 376,21 f.) Vgl. dazu Benz, Marius Victorinus, 340 – 342.
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Athanasius am Rande eine Identifikation des Sohnes mit dem Willen Gottes schon vor, ohne sie selbst systematisch auszuarbeiten. Victorinus knüpft an solche Überlegungen an und kann die gegensätzlichen Argumente von Asterius und Athanasius miteinander verbinden. Weder will er wie Asterius von einer Zeugung aus einem deliberativen Willensentschluss heraus sprechen noch so stark wie Athanasius den rein natürlichen Vorgang betonen. Daher definiert er den potenziellen Zustand des Sohnes als eine naturalis voluntas, sodass der Sohn zugleich dem Willen und dem Wesen des Vaters entspringt und selbst dieser Wille ist. Er geht weder aufgrund eines natürlichen Zwangs aus dem Vater hervor noch ohne das Wissen des Vaters.³²³ Zugleich ist die Identifizierung des Sohnes mit dem Willen ein Beitrag zur Diskussion um Bibelstellen wie Joh 10,30.38; 14,10.28. Die Exegeten des Trinitarischen Streits sind gefordert, das Nebeneinander von Einheits- und Immanenzaussagen (Joh 10,30.38; 14,10) mit der Aussage in Einklang zu bringen, dass der Vater größer als der Sohn sei (Joh 14,28). Victorinus deutet die Einheitsaussage in Joh 10,30 als Ausdruck der substantiellen Identität von Vater und Sohn und lehnt damit die Position ab, die er im Candidusbrief formuliert, wonach Vater und Sohn nur hinsichtlich von Wollen und Wirken eins seien.³²⁴ Ein Problem für die Auslegung des Victorinus ist dann die Aussage Jesu in Joh 14,28, dass der Vater größer als er sei. Dieses exegetische Problem lösen Vertreter einer substantiellen Einheit von Vater und Sohn unterschiedlich. In der pseudathanasianischen Schrift De incarnatione Dei verbi et contra Arianos wird diese Aussage auf die Menschheit des Inkarnierten bezogen: Der Vater sei nur größer als die menschliche Natur Jesu, zwischen dem göttlichen Logos und dem Vater gebe es aber keinerlei Rangunterschied, wie etwa Joh 10,30 oder Phil 2,6 bewiesen.³²⁵ Demgegenüber schließt sich Victorinus der Deutung an, die Joh 14,28 durchaus auf das immanente Verhältnis zwischen Vater und Sohn bezieht. Der Vater sei als immanente Ursache des Sohnes auch größer als dieser.Victorinus schlussfolgert aus dieser Unterscheidung von Vater und Sohn als größer und kleiner paradoxerweise gerade ihre substantielle Identität: Der Sohn hätte die Aussage, dass der Vater
Vgl, Adv, Ar. I 31: […] non a necessitate naturae, sed voluntate magnitudinis patris. (65,22 f. Locher) und Adv. Ar. IV 21 (154,13 – 26 Locher). Vgl. Ad Cand. 10: […] secundum operationem et in patre est et in ipso est pater et ambo unum sunt. In quo autem non idem potest, ut alter accipitur. Non enim aliud omnimodis perfectum operari valet. Sed neque propria operatione operatur neque propria voluntate, sed eadem vult, quae pater, et ipse, etiamsi habet voluntatem, dicit tamen: sed non ut ego volo, sed ut tu. (8,24– 9,1 Locher) Vgl. Ps.-Ath. inc. et c. Ar. 4 (PG 26, 989BC).
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größer sei, nicht getroffen, wenn er nicht gleichzeitig mit dem Vater an Substanz, Macht und Würde eins wäre.³²⁶ Im Hintergrund steht ein philosophisches Argument, das Victorinus in der Auseinandersetzung mit den Homöusianern entfaltet. Deren Ansicht, Vater und Sohn seien von ähnlicher Substanz, lehnt Victorinus ab, da es unsinnig sei, hinsichtlich der Substanz von Gleichheit oder Ungleichheit zu sprechen. Das habe entweder eine Teilung der Substanz in zwei ähnliche oder unähnliche Teile zur Folge oder man müsse annehmen, beide stammten aus einer vorhergehenden Substanz. Die Rede von Gleichheit und Ungleichheit ist nur in Bezug auf die Eigenschaften sinnvoll, wenn beide Vergleichsgrößen derselben Substanz angehören.³²⁷ Diese Logik steht hinter der paradoxen Auslegung von Joh 14,28: Der Sohn kann sich hier nur deswegen sinnvollerweise mit dem Vater vergleichen, weil Vater und Sohn dieselbe Substanz haben. Die Aussage, dass der Vater größer ist, gibt also keinen substanziellen Unterschied an, sondern eine Relationsverhältnis zwischen Ursache und Verursachtem innerhalb derselben Substanz. Und weil der Sohn vom Vater hervorgebracht wird, hat er alles, was der Vater hat, und damit auch dieselbe Substanz. Victorinus nennt dabei den Sohn zugleich die Fülle der Gottheit und das „Behältnis“ (receptaculum) dieser Fülle.³²⁸ Der Sohn ist selbst die Fülle der Gottheit, da er dieselbe Substanz wie der Vater besitzt. Gleichzeitig gilt mit Joh 10,38 und ähnlichen Stellen die reziproke Immanenz von Vater und Sohn. Diese Immanenzaussagen müssen dann auch vor dem Hintergrund der substantiellen Identität verstanden werden, sodass das Wesen des Vaters im Wesen des Sohnes und umgekehrt enthalten ist. Daher ist der Sohn auch der „Aufbewahrungsort“ der Fülle Gottes. Victorinus zeigt hier Kenntnis der Diskussion zwischen Athanasius und Asterius um die richtige Auslegung dieser Stellen des Johannesevangeliums. Er folgt in
Vgl. Adv. Ar. I 13: Quod λόγος, hoc est Iesus vel Christus, et aequalis est patri et inferior: eo ad patrem, quoniam pater maior est me. Item dixit Paulus: non rapinam arbitratus est aequalia esse deo, et id, quod dictum est: ego et pater unum sumus, et quod operatio et pater et filius, et quod non diceret: me maior est pater, nisi fuisset aequalis. Accedit etiam: si totus ex toto et lumen ex lumine, et si omnia, quae habet pater, dedit filio, omnia autem sunt et substantia et potestas et dignitas, aequalis patri. Sed maior pater, quod ipse dedit ipsi omnia, et causa est ipsi filio, ut sit et isto modo sit. Adhuc autem maior, quod actio inactuosa. Beatior enim, quod sine molestia et impassibilis et fons omnium, quae sunt, requiescens, a se perfecta et nullius egens. Filius autem, ut esset, accepit et in id, quod est agere, ab actione procedens in perfectionem veniens motu efficitur plenitudo, factus omnia, quae sunt. Sed quoniam in ipso et in ipsum et per ipsum gignuntur omnia, semper plenitudo et semper receptaculum est. Qua ratione et impassibilis et passibilis. Ergo et aequalis et inaequalis. Maior igitur pater. (42,22– 43,7 Locher) Vgl. Adv. Ar. I 23 (55,28 – 56,19 Locher). Zur Anwendung auf den Sohn als Ort der Schöpfung s.o. S. 325 f.
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seiner Argumentation insgesamt deutlich Athanasius von Alexandrien, der in seinen Arianerreden die fraglichen Stellen in denselben Bahnen interpretiert. Auch Athanasius vertritt die Ansicht, dass die Aussage, dass der Vater größer sei, gerade die substanzielle Zugehörigkeit des Sohnes zum Vater anzeige und dass der Sohn aus dem Vater gezeugt sei.³²⁹ Athanasius hält also wie Victorinus diese Aussage nur für sinnvoll, wenn sie über das Verhältnis von Vater und Sohn unter Voraussetzung der substanziellen Einheit getroffen wird. In der dritten Arianerrede wendet sich Athanasius gegen die subordinatianische Auslegung von Joh 14,28 durch Asterius, indem er die Immanenzaussage in Joh 14,10 ebenfalls auf die Substanz von Vater und Sohn bezieht: Wenn Vater und Sohn substanziell ineinander sind, dann kann der Vater unmöglich der Substanz nach größer sein als der Sohn. Vielmehr seien beide vollkommen, die Fülle der Gottheit und als solche ineinander.³³⁰ Man dürfe sich aber, so Athanasius, diese reziproke Immanenz gerade nicht körperlich vorstellen, als wären Vater und Sohn zwei Gefäße, deren Inhalt ineinander geschüttet werde, sodass immer nur einer voll, der andere aber leer wäre. Damit reagiert Athanasius auf die Wortwahl des Asterius, die ein körperliches Gottesbild nahelegt. Asterius fragt in polemischer Absicht: „Wie kann dieser in jenem und jener in diesem Platz haben? Oder wie kann überhaupt der Vater, der größer ist, in dem Sohn, der kleiner ist, Platz haben?“³³¹ Mit der Verwendung des Verbs χωρεῖν in diesem Zusammenhang insinuiert Asterius absichtlich eine körperliche Vorstellung Gottes, um die Position der Gegner dadurch ad absurdum zu führen. Anders als Athanasius greift Victorinus diese Vorstellung aber positiv auf: Er kann den Sohn selbstverständlich als receptaculum bezeichnen, solange er gleichzeitig aber auch als die plenitudo bekannt wird. Asterius sieht dagegen das Moment der Einheit zwischen Vater und Sohn in der völligen Übereinstimmung von Worten, Wirken und Willen.³³² Darin ist die Einheit
Vgl. Ath. Ar. I 58,5 f. (AW I/1/2 169,21– 26); zur subordinatianischen Auslegung des Asterius vgl. fr. 42 Vinzent. Bergjan, Konkurrenz, 411f. verweist auf zwei spätere Stellen, an denen Athanasius dasselbe philosophische Argumente zugrunde legt wie in Ar. I und wie Victorinus.Vgl. die kurze Notiz in decr. 10,2: τὸ γὰρ πλέον καὶ ἔλαττον οὐ τὴν φύσιν ἄλλην δείκνυσιν· ἑκάστῳ γὰρ τῆς ἀρετῆς ἡ πρᾶξις τοῦτο προστίθησι. (AW II 1, 9,12f.) ausführlich dann in syn. 53,2: οἴδατε γὰρ καὶ ὑμεῖς καὶ οὐδ’ ἄν τις ἀμφιβάλλοι ὅτι τὸ ὅμοιον οὐκ ἐπὶ τῶν οὐσιῶν, ἀλλ’ ἐπὶ σχημάτων καὶ ποιοτήτων λέγεται ὅμοιον· ἐπὶ τῶν οὐσιῶν οὐχ ὁμοιότης, ἀλλὰ ταυτότης ἄν λέχθείη. (AW II 7, 276,24– 26) Die Argumentation in Ar. I 58,5 f. zeigt, dass Athanasius dieses Argument nicht erst in der Auseinandersetzung mit den Homöusianern entwickelt. Für Belege bei anderen Autoren in den 360er-Jahren vgl. Bergjan, Konkurrenz, 412f. Vgl. Ath. Ar. III 1,2 f.5 (AW I/1/3 306 f.) Asterius fr. 42,2– 5 Vinzent: πῶς δύναται οὗτος ἐν ἐκείνῳ, κἀκεῖνος ἐν τούτῳ χωρεῖν; ἢ πῶς ὅλως δύναται ὁ πατὴρ „μείζων“ ὢν ἐν τῷ υἱῷ ἐλάττονι ὄντι χωρεῖν; Übersetzung von Vinzent, Asterius von Kappadokien, 107. Vgl. Asterius frr. 38 – 40 Vinzent.
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zwischen Vater und Sohn das Vorbild für die Einheit, die auch die Menschen auf diese Weise mit Gott erlangen können.³³³ Für Asterius liegt gerade darin die Mittlerschaft Christi begründet, dass er ein Geschöpf ist und in vorbildlicher Weise die Einheit mit Gott erreicht. Nur dadurch ist es möglich, dass die Menschen ihre eigene Einheit mit Gott in Willen und Werken für erreichbar halten.³³⁴ Dagegen ist für Victorinus die substanzielle Einheit von Wesen, Wille und Wirken von Vater und Sohn die Grundlage für die Erlösung. Die Tatsache, dass der Sohn seine Ursache in der Substanz des Vaters hat, begründet für Victorinus im Anschluss an Athanasius die Paradoxie, dass der Sohn zugleich substanziell identisch mit dem Vater ist und von ihm als seiner Ursache verschieden ist. Er betont dabei stets die soteriologische Relevanz der wahren Sohnschaft Christi, die die Annahme der Menschen als Kinder Gottes erst ermögliche. Der Mittler muss für ihn vollkommen und wesenhaft Gott sein, nimmt aber in der Inkarnation ebenfalls einen vollkommenen Menschen an.³³⁵ Im Hintergrund steht hierbei die enge Verknüpfung von Substanz, Aktivität und Wille im Denken des Victorinus. Für ihn ist eine vollkommene Einheit von Willen und Werken nur möglich, wenn gleichzeitig die Substanz einheitlich ist, und umgekehrt.³³⁶ Die substanzielle Einheit von Vater und Sohn ist also die ontologische Voraussetzung dafür, dass der Sohn in der Inkarnation die gesamte Menschheit annehmen kann und allen Menschen den Weg zur Gotteskindschaft eröffnet.³³⁷ Darin folgt er der soteriologischen Ausdeutung der Trinitätslehre, wie sie sich auch bei Athanasius findet.³³⁸ Auch dieser betont, dass die Einheit im Wirken und im Reden auf die substanzielle Einheit verweise.³³⁹ Die
Vgl. Asterius frr. 41– 46 Vinzent. Vgl. zum Mittlerkonzept Vinzent, Asterius von Kappadokien, 52– 58. S. dazu unten 414– 417, 499 – 503, 515– 517. Vgl. z. B. Adv. Ar. III 10: Iustum, inquit, meum iudicium est, quia non quaero facere voluntatem meam, sed eius, qui me misit. Ergo una voluntas, unde una substantia, quia et ipsa voluntas substantia est. (124,29 – 125,1 Locher) Vgl. Ad Cand. 2: Quoniam deus caritate praedestinavit nos in adoptionem per Christum. Numquid et Christum per adoptionem filium deus habet? Nullus ausus est dicere, fortasse nec tu. Vide, qualis blasphemia ex isto dicto nascatur. Dicimus esse nos heredes deo patri et per Christum heredes per adoptionem exsistentes filii et Christum dicimus non esse filium, per quem nobis efficitur filios esse et coheredes fieri in Christo? (11,6 – 12 Locher); Ferner z. B. Ad Cand. 30 (27,14– 23 Locher); Adv. Ar. I 10 (40,11– 30 Locher) zur dortigen Auslegung von Ps 2,7 auf die menschliche Natur Christi s.u. S. 415, Anm. 242; in Eph. 1,4– 6,198 – 225, u. ö. Vgl. z. B. Ath. Ar. I 39,3: πῶς γὰρ ὅλως δύνανταί τινες ἐπιγνῶναι πατέρα τὸν θεόν; οὔτε γὰρ υἱοθεσία γένοιτ’ ἂν χωρὶς τοῦ ἀληθινοῦ υἱοῦ λέγοντος αὐτοῦ „οὐδεὶς ἐπιγινώσκει τὸν πατέρα, εἰ μὴ ὁ υἱὸς καὶ ᾧ ἂν ὁ υἱὸς ἀποκαλύψῃ“. πῶς δὲ καὶ θεοποίησις γένοιτ’ ἂν χωρὶς τοῦ λόγου […]; (AW I/1/2 149,9 – 12) Vgl. Ath. Ar. III 12– 14. Vgl. dazu auch Pollard, Exegesis of John X.30, 341– 344.
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reale Sohnschaft Christi und seine Inkarnation eröffneten den Menschen erst den Weg, ebenfalls Gotteskinder zu werden. Die Übereinstimmung von Wesen, Willen und Aktivität Gottes ist also ein zentraler Kern der Theologie des Victorinus. Der Sohn ist nur deswegen dem Willen und dem Wirken nach eins mit dem Vater, weil er auch dem Wesen nach eins mit ihm ist. Aus dieser Ansicht folgt auch die soteriologische Pointe, dass die Menschen nicht über ihren Willen zu einer Einheit mit Gott finden können. Dies wird durch einen Vergleich mit der pseudathanasianischen vierten Arianerrede deutlich: Der Autor lehnt die Interpretation des Asterius zu Joh 10,30 mit dem Argument ab, dass sich dann die Sohnschaft Christi nicht von der Einheit der Menschen mit Gott unterscheide. Die Menschen könnten sich dem Willen und Wirken nach an Gott angleichen, würde man dasselbe über den Sohn sagen, wäre er ein bloßer Mensch.³⁴⁰ Victorinus verbindet dagegen Wesen und Willen so eng, dass die Einheit der Menschen mit Gott nicht mehr mit der Einheit von Vater und Sohn verglichen werden kann. Die Menschen sind nicht „dem Wesen fremd“, aber über den Willen und das Wirken mit Gott verbunden, da dies für Victorinus automatisch auch eine wesenhafte Einheit zur Folge hätte. Die Menschen erreichen die Einheit mit Gott daher seiner Ansicht nach allein durch den Glauben an das in Christus gewirkte Heilsgeschehen.³⁴¹ Daher benutzt er auch gern die Redeweise von der Adoption der Glaubenden an Kindes statt, da hier die aktive Rolle Gottes im Erlösungsgeschehen betont wird.³⁴² Der paulinische Gedanke der Erlösung allein aus Glauben ist folglich eng mit der metaphysischen Spekulation verknüpft.³⁴³ 4.2.3 Das soteriologische Anliegen des Victorinus im Vergleich zu gnostischen Texten Victorinus betrachtet den Willen Gottes im Inneren als einen Willen zu seiner eigenen Selbstdefinition, wodurch Gott erst erkennbar wird. Da der Sohn die substantielle Form und der substantielle Wille des Vaters ist, begrenzt der Vater durch den Sohn sein eigenes Wesen selbst und kann so offenbar und erkannt werden.³⁴⁴ In
Ps.-Ath. Ar. IV 5, bes.: Ὁ μὲν γὰρ λόγος ὡς ἴδιος ἐν τῷ πατρί ἐστιν· τὰ δὲ γενητὰ ἔξωθεν ὄντα πρόσκειται ὡς τῇ μὲν φύσει ἀλλότρια, τῇ δὲ προαιρέσει προσκείμενα. Καὶ γὰρ καὶ υἱὸς μὲν ὁ φύσει ἕν ἐστι μετὰ τοῦ γεννῶντος· ὁ δὲ ἔξωθεν υἱοποιούμενος προσκείσεται τῷ γένει. (49,11– 15 Stegmann) S. dazu unten S. 414– 417 Belege siehe Anm. 337. Gegen Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 64.80. Vgl. Adv. Ar. I 31: Ipse enim se ipsum circumterminavit. Et idcirco dicitur: tu te ipsum intellegis. Sed et filio intellegibilis. Filius ergo in patre imago et forma et λόγος et voluntas patris. Iuxta quod voluntas patris, alter, iuxta quod voluntas patris, filius. Omnis enim voluntas progenies est. Iuxta quod universalis voluntas, unigenitus. Semel enim totius plenitudinis λόγος prosiluit potentia[m] dei. Ista
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der Inkarnation des Sohnes wird daher Gott in seiner Fülle für die Menschen erkennbar. Christus und der Heilige Geist sind der substantielle Wille Gottes, den Victorinus als Willen zur Schöpfung und zur Erlösung der geschaffenen Vielheit deutet. Weil Gott in seinem Inneren die Vielheit als seinen Sohn und Willen hervorbringt, erschafft er die sichtbare Welt. Und weil diese Vielheit in seinem Inneren wieder zur Einheit mit Gott zurückgebunden wird, führt er auch die sichtbare Schöpfung wieder zur Einheit mit sich zurück. Was in der Gotteslehre angelegt ist, wird in der Seelenlehre und der Lehre von der Materie und der materiellen Welt weiter ausgeführt.³⁴⁵ Diese Fokussierung auf den schöpferischen und erlösenden Willen lässt sich auch im Vergleich mit gnostischen Texten erhellen, die ein ähnliches Anliegen verfolgen.³⁴⁶ Im Tractatus Tripartitus und dem Evangelium Veritatis spielt der Wille Gottes eine zentrale Rolle. In diesen Texten ist auch die Erschaffung der materiellen Welt Teil des Planes des Vaters und kein Unfall, der gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen abgelaufen wäre.³⁴⁷ Der Vater will im Evangelium Veritatis vollständig erkannt werden, da die Erkenntnis die zentrale Voraussetzung der Erlösung der Welt ist.³⁴⁸ Damit dies möglich ist, musste der Wille des Vaters aus ihm heraustreten.
potentia λόγος exsistens genuit λόγον, hoc est in manifestationem et operationem adduxit. Sic igitur voluntate patris voluntas apparuit ipse λόγος filius. Est igitur dei voluntas λόγος, cum ipso qui semper est et ad ipsum, ipsa voluntas filietas est. Pater ergo, cuius est voluntas, filius autem voluntas est et voluntas ipse est λόγος. λόγος ergo filius. (65,23 – 66,2 Locher) Es ist unklar, aus welcher Quelle die Aussage tu te ipsum intellegis stammt. Auffällig ist aber, dass sich in einer äthiopischen Liturgie relativ ähnliche Gedanken finden, in denen die Unbegrenztheit und Unerkennbarkeit Gottes und seine gleichzeitige Selbsterkenntnis ausgesprochen werden. Vgl. die lateinische Übersetzung der Anaphora Ioannis Filii Tonitrui bei Hänggi/Pahl, Prex eucharistica I, 153,4– 6: Terminum non habes, neque habes limitem. Nemo est qui te invenerit, nemo qui te attingat, nemo qui te intellegat, et nemo qui possit te videre; tu te ipsum intellegis. Sollten wir es hier mit einem weiteren Zitat aus einer Liturgie zu tun haben, wie schon unmittelbar zuvor in Adv. Ar. I 30 (64,23 f. Locher) und später in Adv. Ar. II 8 (108,23 f. Locher)? Wenn dies so ist, haben wir es mit einem weiteren Hinweis auf die Liturgie zur Zeit des Victorinus zu tun, der noch weitere Probleme aufwirft, auch was die Frage der Liturgiesprache in Rom angeht. Dagegen sieht Ziegenaus, Seinsfülle, 119 mit Anm. 69 bei Victorinus nur die Selbstbezüglichkeit des Willens Gottes bei Victorinus. Zur Rolle des Willens in der Gnosis vgl. schon Benz, Marius Victorinus, 319 – 326. Tommasi, L’androginia di Cristo-Logos, Cassiodorus 4 (1998), 35 weist auf Ähnlichkeiten zwischen dem Verlangen des Lebens zu beleben in Adv. Ar. Ib 51 zur gnostischen ἐπιθυμία hin. S. dazu unten S. 429 f. Vgl. EV NHC I,3 p. 19,11– 17: „Wie bei einem, den welche (noch) nicht kennen und der (doch) will, daß sie ihn kennenlernen und liebgewinnen, so (ist es auch bei dem Vater). Denn was ist das, dessen das All bedurfte, wenn nicht die Erkenntnis in bezug auf den Vater.“ (Übersetzung von Hans-Martin Schenke, NHD I, 34.) Vgl. auch p. 21,8 – 26 für die Notwendigkeit der Erkenntnis und des Aufstiegs zum Vater.
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Hier ist angedeutet, dass der Logos als substantieller Wille des Vaters aufgefasst werden kann.³⁴⁹ Der Logos wird im EV auch als Form des väterlichen Willens bezeichnet, durch die der väterliche Wille zugänglich wird.³⁵⁰ In paradoxer Weise heißt es, dass der Wille des Vaters unfassbar sei, dass der Wille zugleich aber die „Spur“ des Vaters sei.³⁵¹ Das lässt sich wohl so verstehen, dass der unfassbare Vater in der Offenbarung seines Willens im Logos zugänglich und erkennbar wird.³⁵² Das EV entwickelt eine besondere Namenschristologie, wonach der Sohn der Name des Vaters ist, durch den der Vater erkennbar wird. Der Name des Vaters und des Sohnes ist identisch und lautet Erbarmen.³⁵³ Die Offenbarung des väterlichen Wesens im Sohn ist also ein Akt des Erbarmens Gottes und dieses Erbarmen macht das Wesen Gottes aus. Überhaupt legen die gnostischen Texte einen starken Fokus auf den gnadenhaften Willen Gottes, der den Menschen die Erlösung in Form von Gottes- und Selbsterkenntnis schenkt.³⁵⁴ Diese Texte teilen mit Victorinus das soteriologische Interesse in der Darstellung metaphysischer Vorgänge und deuten vieles an, das sich bei ihm deutlich stärker und tiefgehender reflektiert findet. Schon in diesen gnostischen Texten sind
Vgl. NHC I,3 p. 22,33 – 35: „Denn wenn sein Wille nicht aus ihm herausgetreten wäre .“ (Übersetzung Hans-Martin Schenke, NHD I, 36.) Auch in 2LogSeth wird an einer Stelle Christus mit dem Willen Gottes identifiziert, vgl. NHC VII,2 p. 59,17 f.: „Und deswegen habe ich den Willen des Vaters getan, der ich bin.“ So muss man die Stelle wohl besser verstehen, vgl. CoptGnL 4, 173. Gegen Pellegrini, NHD II, 585: „Und dementsprechend führte ich den Willen des Vaters aus, d. h. ich.“ Vgl. EV NCH I,3 p. 24,2. Zur Bedeutung von ϺΟΥΝ͞Γ ͞ΝϨΟ als „Form“ vgl. den Kommentar von Ménard in NHS 22, 118 ad loc. Vgl. ferner Fecht, Der erste Teil, Orientalia 32 (1963), 324, der es mit „Erscheinungsform“ wiedergibt und als wörtliche Bedeutung „‚Bildungen (Gestaltungen, Formungen o. ä.) des Gesichts‘ bzw. (mit der übertragenen Bedeutung von ho ‚Gesicht‘): – der Art, des Aussehens‘ o. ä.“ bestimmt. Vgl. EV NHC I,3 p. 37,24– 26: „Jedoch ist sein Wille unerreichbar. Der Wille ist seine Spur [*ἴχνος; F.Z.].“ (Übersetzung von Hans-Martin Schenke, NHD I, 42.) Für ιΔΝοϲ ist ιϫΝοϲ (ἴχνος) zu lesen, vgl. CoptGnL 1,110, in app. ad 37,25. Hierbei handelt es sich um eine Anspielung auf die Unergründlichkeit Gottes nach Röm 11,33, vgl. den Kommentar von Ménard in NHS 22, 176 ad loc. Der nach Röm 11,33 eigentlich unaufspürliche (ἀνεξιχνίαστος) Vater legt demnach in seinem Willen eine Spur, durch die seine Erkenntnis möglich wird. Zur Offenbarung des väterlichen Seins durch den Logos im EV s.o. S. 295 – 298. Auch Victorinus kann sagen, dass in Christus das göttliche Wesen offenbart wird, dieser aber selbst auch nur schwer oder gar nicht erkennbar sei. Vgl. Adv. Ar. I 18 (48,4 f. Locher). Vgl. NHC I,3 p. 39,24– 26: „Der Name ist also der des Vaters, wie der Name des Vaters der Sohn ist, das Erbarmen.“ (Übersetzung von Arai, Christologie, 63 f.) Vgl. dazu z. B. hymn. III 41– 48: Caritas, / gratia, / communicatio, / o beata trinitas. / Caritas deus est, / gratia Christus, / communicatio sanctus spiritus, / o beata trinitas. Dieses zentrale Anliegen gnostischer Texte arbeitet mit Nachdruck Barbara Aland heraus, vgl. z. B. Dies., Der unverzichtbare Beitrag der sogenannten Gnosis, 25 – 44. Dort zieht sie auch TractTrip und ExAn als Beispiele heran, die für den Vergleich mit Victorinus von Bedeutung sind.
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Versuche greifbar, den Sohn als den Willen des Vaters zu bestimmen, durch den das Wesen des Vaters offenbart wird. Victorinus kann diesem Anliegen aber auf der Grundlage der Homousie von Vater und Sohn viel stärkeren Ausdruck verleihen. Die deutliche Abstufung zwischen Vater und Logos, die sich in den gnostischen Texten findet, ist bei ihm durch die Homousie aufgehoben. Die Betonung der substantiellen Einheit von Vater und Sohn und die Identifizierung des Sohnes mit dem Willen des Vaters hat für Victorinus eine eminente Bedeutung für die Soteriologie. Wäre der Sohn nur hinsichtlich des Willens und der Aktivität eins mit dem Vater, würde er sich nicht von den Menschen unterscheiden. Seine reale und wesenshafte Sohnschaft ist die Voraussetzung für die Adoption der Gläubigen als Kinder Gottes.³⁵⁵ Und da für Victorinus Wesen, Wille und Aktivität nicht zu trennen sind, muss der Sohn mit der inneren Aktivität und dem Willen des Vaters identisch sein, um seine substantielle Identität zu garantieren. Nur so kann der Sohn vollständig Wesen, Wille und Aktivität Gottes offenbaren und nur so ist sichergestellt, dass die Schöpfung und die Erlösung der Welt durch den Sohn dem Willen des Vaters entspringen und die Schöpfung zu ihm zurückführen. Dabei ist aber die gleichzeitige Unterscheidung von Vater und Sohn die Voraussetzung dafür, dass der Sohn überhaupt Fleisch werden kann und Leid auf sich nehmen kann.³⁵⁶ In seinem Wesen im Inneren des Vaters ist der Sohn wie der Vater leidensunfähig, nur im Hervorgehen als Wirken ist er leidensfähig. Dies führt Victorinus zu den paradoxen Formulierungen, dass der Sohn auf leidensfähige Weise leidensunfähig sei (impassibilis passibiliter), bzw. dass er auf leidensunfähige Weise leidensfähig sei (passibilis impassibiliter).³⁵⁷ Die Unterscheidung des väterlichen Seins und des Wirkens des Sohnes dient also auch dazu, die ἀπάθεια des Vaters und der göttlichen Natur des Sohnes zu sichern. Die Paradoxie von Einheit und Verschiedenheit von Vater und Sohn hat also eine soteriologische Pointe. Diese zentrale Bedeutung für die Soteriologie, die Victorinus der Trinitätslehre zumisst, bestimmt seine Theologie insgesamt. Er ist bemüht, das innere Wesen des Vaters und sein ökonomisches Handeln so zu erfassen, dass durch die substanzielle Einheit von Vater und Sohn sichergestellt ist, dass das schöpferische und erlösende Wirken des Sohnes dem Willen und Wirken des Vaters entspringt. Dies ist für ihn nur durch eine substantielle Einheit der beiden garantiert. Der Sohn nimmt in der Inkarnation Leib und Seele der Menschen an, besiegt dadurch die Sünde und eröffnet so den Menschen den Weg zu einer Gotteskindschaft durch Adoption. Die zweite Voraussetzung für diese Annahme der Menschen Vgl. z. B. Ad Cand. 2 (11,5 – 12 Locher) und denselben Gedanken bei Ath. Ar. I 39,3 – 5; Ps.-Ath. Ar. IV 21 f. (68,13 – 69,7 Stegmann). Vgl. z. B. Adv. Ar. I 32; 47 (66,25 – 68,11; 83,2– 9 Locher). Vgl. hymn. III 82 f.
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ist die vollständige Kenntnis Gottes, die ebenfalls nur durch den Sohn aufgrund seiner substanziellen Einheit mit dem Vater ermöglicht wird. Auch in diesem Falle lassen sich also zwar Berührungspunkte zu gnostischen Spekulationen aufzeigen, ohne dass man eine klare Beziehung zwischen Victorinus und der Gnosis erkennen kann. Das soteriologische Anliegen ist bei beiden christlich motiviert und bei Victorinus deutlich anders und philosophisch tiefer ausgearbeitet.
4.3 Der Sohn als Dyade: Die Aktivitäten Christi und des Heiligen Geistes 4.3.1 Das dyadische Wesen des Sohnes als Grundanschauung des Victorinus Victorinus konzeptioniert den Sohn als eine Dyas aus Heiligem Geist und Logos, die immanent und ökonomisch zusammen agiert. Der Sohn ist eine einzige Bewegung mit einer Aufwärts- und einer Abwärtsphase, deren Doppelaspekt für die Selbstdifferenzierung Gottes und sein ökonomisches Handeln von grundlegender Bedeutung sind.³⁵⁸ Victorinus identifiziert den Heiligen Geist so stark mit Christus, dass ihre Unterscheidung oft sehr schwierig wird. Ihre ökonomische Unterscheidung besteht darin, dass Christus als Inkarnierter sichtbar handelt und Wunder vollbringt, jedoch in Gleichnissen predigt. Dagegen handelt der Heilige Geist nach der Erhöhung Christi im Verborgenen und unsichtbar, kommuniziert jedoch direkt und ohne Geheimnisse mit dem Geist der Gläubigen.³⁵⁹ Angesichts dieser engen Verbindung der beiden und der zentralen Rolle, die diese Verbindung für das Gottesbild des Victorinus spielt, wäre es erstaunlich, wenn er den Heiligen Geist als Thema der Trinitätstheologie erst spät entdeckt hätte. Auf diese Weise interpretiert nämlich Hadot das weitgehende Fehlen expliziter Reflexionen über den Heiligen Geist im Opus ad Candidum. ³⁶⁰ Victorinus habe zunächst – wie in der frühen Phase des Trinitarischen Streites allgemein üblich – nur das Verhältnis zwischen Vater und präexistentem Christus behandelt. Erst mit dem Auftreten der Tropiker und Pneumatomachen Ende der 350er-Jahre sei auch ihm die Pneumatologie ins Bewusstsein gerückt worden. Ziegenaus schließt sich dem an und geht dabei so weit, die wenigen expliziten Erwähnungen des Heiligen Geistes im Opus ad Candidum für spätere redaktionelle Erweiterungen des Victorinus zu er-
Vgl. Adv. Ar. III 8. Vgl. Adv. Ar. I 12. Vgl. Hadot, SC 69, 925.
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klären.³⁶¹ Das ist nicht nur methodisch problematisch, da Ziegenaus den textlichen Nachweis hierfür schuldig bleibt, sondern auch inhaltlich nicht sachgemäß. Das Fehlen ausführlicher Reflexionen über den Heiligen Geist in den früheren Schrift ist gut durch die Intention der Werke zu erklären: Im Opus ad Candidum konzentriert sich Victorinus auf die Frage nach der richtigen Verhältnisbestimmung von Vater und Sohn mit dem Ziel, die Grundlagen der homousianischen Theologie zu legen. Erst in Adversus Arium Ib entfaltet er dann, wie genau man sich den inneren Zeugungsprozess des dyadischen Sohnes vorzustellen habe, und führt weiter aus, welche soteriologische Relevanz dieses Thema hat. Da er Christus und den Heiligen Geist beide zusammen als den eingeborenen Sohn bezeichnet, ist klar, dass er den Heiligen Geist implizit schon immer mitbehandelt hat.³⁶² Diese Identifizierung stellt keinen späteren Notbehelf dar, um den Heiligen Geist noch in das System einzufügen, sondern ist eine zentrale Grundansicht des Victorinus.³⁶³ In Adversus Arium Ib demonstriert er, dass der Sohn notwendigerweise als Dyade konzipiert sein muss, da sich nur durch Abwärts- und Aufwärtsbewegung zusammen das innere Wesen Gottes konstituieren kann und nur durch das Interagieren von Logos und Heiligem Geist das Heilsmysterium vollendet werden kann. Das wäre für eine spontane Reaktion auf pneumatomachische Argumente eine sehr weitreichende Konsequenz für die Theologie des Victorinus. Auch der Vergleich mit anderen Modellen legt es nahe, dass Victorinus den Sohn auch in seinen frühen Schriften schon als eine Dyas aufgefasst hat. Die Dyas spielt schon in der neupythagoreischen und platonischen Diskussion zur Ableitung der Vielheit aus dem Einen eine entscheidende Rolle. Die Konzeption des Sohnes als Vgl. Ziegenaus, Seinsfülle, 71.115 – 117.138 mit Anm. 106;313.319 f. Vergara, Teología bietet die erste systematische Untersuchung der Pneumatologie des Victorinus. Leider unternimmt er im publizierten Teil der Arbeit keine historische Einordnung der Schriften und der Theologie, sodass unklar bleibt, ab wann sich Victorinus seiner Meinung nach mit dem Heiligen Geist befasst. Vergara deutet aber nirgends an, dass er von einer Entwicklung im Denken des Victorinus ausgeht und zieht zur Systematisierung alle Schriften gleichermaßen heran. Lietzmann, Geschichte III, 255 findet es angesichts der Entstehungszeit der Schriften „bemerkenswert, daß [Victorinus] nicht bloß das Verhältnis des Sohnes zum Vater, sondern grundsätzlich und ausführlich das Trinitätsproblem behandelt.“ Dass er auch den Heiligen Geist schon früh im Blick hat und für den Sohn hält, stellt Victorinus in der abschließenden Bemerkung in Ad Cand. 31 klar: Non enim audio dogma vestrum de spiritu sancto blasphemia plenum, quoniam iste spiritus in sanctificationem est et tantummodo qui doceat, et quoniam ipse factus est sicut omnia in creatura. qui quidem spiritus sanctus propria sua actione differt a filio, filius cum ipse sit, sicuti filius actione est differens a patre, ipse qui sit pater iuxta id, quod est esse. (27,25 – 28,6 Locher) Schon hier wird die paradoxe Unterschiedenheit und gleichzeitige Identität des Heiligen Geistes und des Logos deutlich. Auch Hadot, SC 69, 730 ad 31,7– 10 verweist darauf, dass Victorinus an dieser Ansicht im Laufe seines Schaffens festhält. So scheint Ziegenaus, Seinsfülle, 296 f.319 f. die Entwicklung der Pneumatologie zu deuten.
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Einheit von unbegrenztem Leben und begrenzendem Denken entspricht der Dyade aus Unbegrenztheit (ἄπειρον) und Grenze (πέρας), die aus dem platonischen Philebus gewonnen wurde. Dort konstituiert die Mischung dieser beiden Prinzipien das Sein.³⁶⁴ In diesem Sinne spielen die beiden Prinzipien auch bei Victorinus zusammen, um den Sohn als das Seiende nach außen zu zeugen. Solche Konzepte einer Dyas als zweitem Prinzip wurden auch in gnostischen Texten aufgegriffen, die in anderen Punkten eine gewisse Nähe zu Victorinus zeigen. Der Tractatus Tripartitus konzipiert etwa den Sohn und die Ekklesia als zwei Hypostasen, die eine dyadische Einheit bilden. Es heißt explizit, dass die Gleichewigkeit dieser beiden Hypostasen keinen Widerspruch dazu darstellt, dass der Sohn eingeboren ist. Diese dyadische Einheit aus Sohn und Ekklesia wird mit der Formel eingeführt, dass der Sohn „ein Bruder für sich selbst“ sei.³⁶⁵ Wenn Victorinus daher Christus und den Heiligen Geist in ihrer dyadischen Einheit als den eingeborenen Sohn bezeichnen kann, ist dies gut als Anknüpfung an ältere christliche und pagane Diskussionen erklärbar. Man muss hier keine spätere Reaktion auf die pneumatomachischen Vorwürfe sehen, dass im Falle der Homousie aller Hypostasen Christus und der Heilige Geist Brüder wären.³⁶⁶ Das bedeutet aber nicht, dass Victorinus keine Kenntnis aktueller Diskussionen um die Göttlichkeit des Heiligen Geistes hatte. An zwei Stellen verweist er ausdrücklich auf Positionen, die den Heiligen Geist als Geschöpf nennen oder als „irgendetwas anderes“ vom Vater und Sohn abtrennen.³⁶⁷
Zum Philebus vgl. Hadot, Porphyre I, 221 f., die Dyade in der Zahlentheologie wird z. B. in Theol. Ar. p. 7– 12 Ast (7– 14 de Falco/Klein) behandelt. Zur Zahlenmetaphorik bei Plotin vgl. etwa enn. V 1 (10) 5. Vgl. NHC I,5 p. 57,33 – 58,8: „Nicht nur der Sohn existiert von Anfang an; sondern auch die Kirche existiert von Anfang an. Wer sich nun denkt, daß die Erkenntnis, daß der Sohn eingeboren ist, der Behauptung widerspricht – wegen des Geheimnisses der Sache ist es aber nicht so. Denn wie der Vater ein einziger ist und sich offenbarte als Vater für sich selbst, so wurde auch der Sohn erfunden als Bruder für sich selbst in Ungezeugtheit und Anfangslosigkeit.“ (Übersetzung von Hans-Martin Schenke, NHD I, 60.) Vgl. den Kommentar von Thomassen in BCNH.T 19, ad p. 57,36 – 58,18, 287. Er weist auf das pneumatomachische Argument hin und vermutet, dass die Bezeichnung des Sohnes als „Bruder für sich selbst“ eine Reaktion auf eine Frühform dieser Kritik sein könnte, die dann schon deutlich vor den 350er-Jahren im Raum stand. Vgl. Ad Cand. 31 (27,25 – 28,6 Locher), Text s. Anm. 362. Und Adv. Ar. III 7: Nemo igitur separet spiritum sanctum et profana blasphemia nescio quid suspicetur, quia et ipse de patre est et filius, qui de patre est. (121,1– 3 Locher) Hadot, SC 69, 949 ad 7,7 verweist dafür auf die Darstellung der„Tropiker“ in Athanasius’ Brief an Serapion. Athanasius kritisiert diese dafür, dass sie einerseits den Geist als Geschöpf betrachteten, ihn andererseits mitsamt den Engeln in die Trinität einbezögen, vgl. Ath. ep. Serap. I 1,2.10,5 f. (AW I/1/4 450,8 – 13.478,32– 37). Wie Athanasius betrachtet Victorinus in Ad Cand. 31 die Pneumatomachen ebenfalls als Arianer, die auch die Göttlichkeit des Heiligen Geistes leugnen.
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4.3.2 Der Heilige Geist und der Logos als Wort und Offenbarung des väterlichen Wesens im Vergleich zu gnostischen Texten Die Bedeutung der dyadischen Einheit des Sohnes für die Soteriologie erörtert Victorinus nicht nur in Adversus Arium Ib, sondern macht sie immer wieder in seinem Werk deutlich. Bereits im Opus ad Candidum betont Victorinus die Rolle des göttlichen Geistes für die Erkenntnis des Menschen.³⁶⁸ Wenn Gott nur für den erkennbar wird, der den Heiligen Geist besitzt, muss der Heilige Geist für Victorinus eine enge Einheit mit Christus bilden. Wenn nämlich der Sohn die Form ist, die der alleinige Weg zur Erkenntnis des Vaters ist, muss auch der Heilige Geist mit dieser Form eine Einheit bilden, um sie wirklich der Erkenntnis des Menschen zugänglich zu machen. Bereits in Adversus Arium I unterscheidet Victorinus in Anlehnung an die Abschiedsreden des Johannesevangeliums die Art der Aktivität des Heiligen Geistes und Christi, die aber beide letztlich das gleiche Ziel verfolgen: Christus war leiblich auf Erden anwesend, sprach aber verhüllt in Gleichnissen, der Heilige Geist ist dagegen auf unsichtbare Weise anwesend, spricht aber direkt und ohne Geheimnisse zu den Gläubigen. Der Inhalt der Offenbarung des Sohnes und des Heiligen Geistes ist identisch, da beide das Wesen des Vaters offenbaren, nur die Art der Offenbarung unterscheidet sich.³⁶⁹ Die Differenzierung zwischen einem verborgenen Handeln des Sohnes und einem offenbaren Handeln des Heiligen Geistes bezieht sich auf die Ankündigung Jesu in Joh 16,25, dass er sich einmal keiner Gleichnisse mehr bedienen werde und offen mit den Jüngern sprechen werde. Daher ist der Heilige Geist für Victorinus praktisch nichts anderes als Christus, da er derjenige ist, der dann offen und ohne Geheimnisse über den Vater spricht.³⁷⁰ Vgl. Ad Cand. 1.32 (10,2– 8.28,10 – 17 Locher). S. zur Erkenntnistheorie ausführlich unten S. 441– 450 Vgl. Adv. Ar. I 13: Quod paraclitus a deo et a Christo: cum venerit paraclitus, quem ego mittam vobis a patre, spiritum veritatis, qui a patre adveniet. Quod duplex potentia τοῦ λόγου ad deum, una in manifesto, Christus in carne, alia in occulto, spiritus sanctus (in praesentia ergo cum erat λόγος, hoc est Christus, non poterat venire λόγος in occulto, hoc est spiritus sanctus): etenim si non discedo, paraclitus non veniet ad vos. Duo ergo et isti, ex alio alius, ex filio spiritus sanctus, sicuti ex deo filius, et conrationaliter et spiritus sanctus ex patre. (43,8 – 15 Locher) Victorinus zitiert Joh 16,25 nirgends direkt, dass er sich darauf bezieht ist aber der Wortwahl und dem Kontext nach eindeutig, da er in diesem Teil von Adversus Arium I insgesamt die Abschiedsreden des Johannesevangeliums auslegt. Es gibt Beispiele lateinischer Übersetzungen von Joh 16,25, in denen παρρησίᾳ mit manifeste wiedergegeben ist, was der Wendung in manifesto (43,10 Locher) bei Victorinus entspricht. Vgl. dafür z. B. Aug. trin. I 10,46 f.49 (CCSL 50, 58) oder Or. Cant. prol. p. 76,25 Baehrens. Der Gegensatz ἐν παροιμίαις heißt bei Victorinus in parabolis (42,5 Locher) bzw. verneinend in nulla figura (42,9 Locher). Für die Übersetzung in parabolis (Gegensatz: manifeste) findet sich ein später Beleg bei Facund. defens. IX 2,12,99 f. (CCSL 90 A, 269). παραβολή wird auffälliger Weise aber auch in koptisch-gnostischen Texten an dieser Stelle verwendet, s. die Belege in
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Diese Deutung von Joh 16,25 kann auch als implizite Ablehnung der Exegese in gnostischen Offenbarungsschriften gelesen werden, in denen Christus nach seiner Himmelfahrt noch einmal sichtbar einem besonderen Offenbarungsempfänger erscheint und ihn offen belehrt.³⁷¹ Damit entzieht Victorinus solchen Versuchen in gnostischen Texten, sich selbst eine besondere Autorität zuzuschreiben, den Boden. Die Legitimationsstrategien gnostischer Offenbarungsschriften wurden auch schon im Plotinkreis angegriffen, wie Porphyrius bezeugt.³⁷² Victorinus stellt in dieser Perspektive heraus, dass die Erkenntnisquellen christlicher Theologie die Schrift und der vom Heiligen Geist erleuchtete Verstand des Menschen sind.³⁷³ Am Beispiel des Paulus äußert Victorinus seine Einschätzung, dass solche besonderen Offenbarungen Christi zwar möglich sind, dass Paulus aber eine absolute Ausnahme sei und gerade daran seine besondere Autorität deutlich werde.³⁷⁴ Das Ineinander von substantieller Einheit und Unterschiedenheit in der Aktivität fasst Victorinus auch mit verschiedenen Dreierreihen zusammen. Wenn der Sohn λόγος ist, also eine Stimme, die den Vater verkündet, dann sind auch die anderen beiden Hypostasen substantiell Stimmen, da sie alle dieselbe Substanz besitzen, sie unterscheiden sich aber in der Art ihres Sprechens: Der Vater ist eine Stimme im Schweigen, der Sohn eine offenbare Stimme, da er das ausspricht, was im Vater verborgen ist, und der Heilige Geist ist die Stimme der Stimme, da er dasselbe ausspricht wie der Sohn nur in unsichtbarer Weise.³⁷⁵
der folgenden Anm. Dabei kann es sich aber jeweils unabhängig um eine Kontamination mit der in den Evangelien häufigeren Phrase ἐν παραβολαῖς λαλεῖν u. ä. handeln (vgl. Mt 13,3.10.33 f.; Mk 4,33 f.; 12,1); überhaupt ist παραβολή das übliche Wort für die Gleichnisse, παροιμία in dieser Bedeutung nur in Joh 10,6; 16.25.29. Vgl. z. B. EpJac NHC I,2 p.7,1– 6: „Früher habe [ich] zu euch in Gleichnissen [παραβολή; F.Z.] geredet und ihr habt’s nicht begriffen. Jetzt wiederum rede ich offen mit euch und ihr versteht (immer noch) nicht.“ (Übersetzung Judith Hartenstein/Uwe-Karsten Plisch NHD I, 21; koptischer Text CoptGnL 1,38). Oder Pistis Sophia, Kap. 6 p.8 f.: „Von heute nun ab werde ich mit euch in Offenheit (παῤῥησία) vom Anfang (ἀρχή) der Wahrheit (ἀλήθεια) bis zu ihrer Vollendung reden, und ich werde mit euch von Angesicht zu Angesicht ohne Gleichnis (παραβολή) reden.“ (5,33 – 36 Schmidt) Zur Funktion dieser erneuten Erscheinungen Jesu vor auserwählten Offenbarungsempfängern als Überbietung der neutestamentlichen Offenbarungen Jesu vgl. Hartenstein, Zweite Lehre, 295 f.317. Vgl. Porph. Plot. 16,14– 18. S. dazu ausführlich unten S. 441– 450. Vgl. in Eph. 3,3,30 – 34. Vgl. Adv. Ar. I 13: Quod omnia tria unum, pater non silens silentium, sed vox in silentio, filius iam vox, paraclitus vox vocis: cum venerit spiritus veritatis, praeibit vobis in veritate omni. Non autem verum dicet ab semet, [Christus enim veritas,] sed quaecumque audiet, loquetur et ventura dicet vobis. Ille me honorabit, quoniam ex meo accipiet et nuntiabit vobis. Deinde adiungit: omnia, quae habet pater, mea sunt. Dicit ergo: ex meo accipiet, quod una motio, hoc est actio agens, Christus est et spiritus sanctus. (43,15 – 22 Locher) Dabei ist vox vocis nicht als Echo zu übersetzen, da die Seele in Adv. Ar. Ib
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Victorinus spielt an einigen Stellen seines Werkes mit dieser kontrastierenden Bezeichnung aller Hypostasen als einer unterschiedlichen Art Wort.³⁷⁶ Tommasi vermutet, dass Victorinus diese Bildsprache aus gnostischen Texten übernommen haben könnte, da sie sich dort großer Beliebtheit erfreut, während sie bei großkirchlichen Autoren sonst kaum eine oder gar keine Rolle spiele.³⁷⁷ Das ist nicht unmöglich, lässt sich aber vor allem angesichts der Tatsache, dass die Metaphorik von Sprache und Stimme bereits im Johannesevangelium zu finden ist, nicht sicher beweisen.³⁷⁸ In der Systematisierung dieser Bildersprache im Unterschied zu den gnostischen Texten werden die theologischen Grundansichten des Victorinus deutlich. Die gnostischen Texte nutzen oft das Gegensatzpaar von Schweigen und Wort, wobei das erste unerkennbare und unnennbare Prinzip als Schweigen bezeichnet wird. Aus diesem anfänglichen Schweigen geht dann erst etwas hervor, das benannt und ausgesprochen werden kann und selbst ein Wort ist.³⁷⁹ Dieses einfache Gegensatzpaar zur Beschreibung von Vater und Sohn findet sich bei Victorinus nur an zwei Stellen in knapper Form.³⁸⁰ Ansonsten charakterisiert er den Vater immer als ein Schweigen, das potentiell das Wort in sich enthält, oder als ein Schweigen, das im Inneren spricht.³⁸¹ Diese Gegenüberstellung entspricht der Vorstellung, dass der 56 (91,16 Locher) als Echo von der Trinität unterschieden wird, gegen Schiavolin, Considerazioni, 5. S. dazu unten S. 466 – 469. Dreierreihen finden sich in Adv. Ar. Ib 55: […] pater quidem in silentio loquitur, filius in manifesto et in locutione, sanctus spiritus non in manifesto loquitur, sed quae loquitur, spiritaliter loquitur. (91,9 – 11 Locher); III 16: Est enim pater loquens silentium, Christus vox, paraclitus vox vocis. (131,15 f. Locher); III 10: […] silentium, sed apud se loquens silentium, verbum, verbi verbum. (124,25 f. Locher) Gegenüberstellung des Vaters mit dem dyadischen Sohn finden sich in Ad Cand. 17: […] cum deus ipse λόγος sit, sed silens et requiescens λόγος […]. (21,7 f. Locher); Adv. Ar. Ib 59: […] quod deus in potentia et in occulto movet et imperat omnia, ut in silentio, λόγος autem, filius qui est et sanctus spiritus, voce confabulatur […]. (94,13 – 15 Locher); III 7: Is actus, si silentium deus est, verbum dicitur, si cessatio, motus, si essentia, vita, quod, ut docuimus, in eo, quod est esse, et vivere, in eo, quod est silentium, est tacens verbum et in eo, quod est quies vel cessatio, inest vel occultus motus vel occulta actio. Necessario itaque et a cessatione natus motus et nata actio est vel a silentio verbum vel ab essentia vita. (121,19 – 25 Locher) Vgl. Tommasi, Silenzio, Voce, Annunzio, 521– 536. Zur Verwendung in der Gnosis vgl. Cosentino, Syghè e Logos, 175 – 186. Schon Orbe, Estudios Valentinianos I/1, 62.66 f. sieht Verbindungen zwischen Victorinus und dem Valentinianismus. Vgl. dazu Wucherpfennig, Heracleon, 222 f. Siehe auch unten meine Diskussion zur Bestimmung der Seele als Echo S. 466 – 469. Vgl. z. B. Iren. haer. I 1,1. Vgl. Adv. Ar. I 41.43 für das Gegensatzpaar silentium – effatum (77,3 f.; 78,14 f. Locher). Dass der Vater spricht und damit auch eine Art Logos ist, lässt sich leicht vor dem Hintergrund des Johannesevangeliums erklären, vgl. entsprechende Aussagen, in denen Christus sagt, er sage das, was er vom Vater höre, sein λόγος oder seine ῥήματα seien vom Vater, z. B. in Joh 14,10.24; 15,15 u. ö.
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Vater als Potenz eine innere Wirksamkeit besitzt, die sich im Sohn nach außen aktualisiert. Das zeigt die gleichbedeutende Bestimmung des Verhältnisses der Hypostasen, die Victorinus in der Exegese der Abschiedsreden des Johannesevangeliums gibt: Der Vater sei eine inoperans operatio, der Sohn eine operans operatio mit lebensspendender Funktion, der Heilige Geist eine operans operatio mit wiederbelebender Funktion.³⁸² Es finden sich zwar in den gnostischen Texten vereinzelt Ansätze zu der Vorstellung, dass das Schweigen eine Stimme in sich enthält oder einen aktiven Charakter besitzt, dieses Bild wird aber nirgends systematisch genutzt.³⁸³ Ansätze zu einem systematischeren Gebrauch dieser Metaphorik finden sich nur in der pseudathanasianischen vierten Arianerrede. Dort wird der Vater als λογικός bezeichnet, da er der Erzeuger des Logos ist.³⁸⁴ Der Autor lehnt ferner die Vorstellung Markells ab, dass Gott sich vor der Schöpfung in Ruhe und Schweigen befand und den Logos nur zum Zwecke der Schöpfung hervorgehen ließ.³⁸⁵ Pseudo-Athanasius stellt dazu den anthropologischen Vergleich an, dass Schweigen nicht gleichbedeutend mit Untätigkeit ist, sondern auch Denken eine Art von Wirksamkeit ist.³⁸⁶ Vor diesem Hintergrund lässt sich die Metaphorik auch bei Victorinus als Kritik an Markell verstehen. Wenn er den Vater als schweigendes Wort bezeichnet, verdeutlicht er damit dessen ruhende Aktivität, die im Sohn nach außen tritt. Er lehnt
Vgl. Adv. Ar. I 12: Pater inoperans operatio, filius operans operatio in id, quod est [re]generare, sanctus autem spiritus operans operatio in id, quod est regenerare. (42,19 – 21 Locher) Vgl. für eine Übersicht verschiedener solcher Bestimmungen Benz, Marius Victorinus, 131 f. Die verschiedenen Reihungen kategorisiert Benz, S. 138 in drei Gruppen: eine ontologische, eine teleologische und eine soteriologische Deutung der Trinität. Zur Bestimmung der drei als Wort Benz, S. 138 f.: Diese Reihung erklärt Benz einseitig als ontologische Deutung der Trinität, wobei die Reihe natürlich auch einen soteriologischen Charakter hat, da durch das Wort des Logos und des Heiligen Geistes das schweigende Wort des Vaters erst hörbar wird, d. h. sein Wesen erkennbar wird. Tommasi, Silenzio, Voce, Annunzio, 534 f. weist besonders auf die Bedeutung der Metaphorik von Schweigen und Reden in Protennoia NHC XIII,1 hin. Hier findet sich auch die Vorstellung, dass im Schweigen verborgen eine Stimme ist, vgl. p. 35,32– 36,3. ÄgEv NHC III,2 p. 41,10 spricht davon, dass der Vater ein lebendiges Schweigen ist, aus dem etwas hervorgeht. Vgl. Ps.-Ath. Ar. IV 1: […] ἐκ λογικοῦ λόγος […]. (45,3 Stegmann) Vgl. aber auch die paradoxe Anrufung des Vaters bei Synes. hymn. V 65: σὺ δὲ φωνά, σὺ δὲ σιγά. (106 Gruber/Strohm) Bereits Theodor von Zahn hat aber darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine missverständliche Interpretation Markells handelt. Dieser gebrauche die Vergleiche mit menschlichem Reden und Denken „mit beständigen Reservationen“, sie sind also nicht wörtlich zu interpretieren, wie dies insbesondere Euseb von Caesarea tut. Vgl. Zahn, Marcellus, 129 f.136. Vgl. Ps.-Ath. Ar. IV 11: Ἡμεῖς γὰρ πολλάκις καὶ σιωπῶντες μέν, ἐνθυμούμενοι δὲ ἐνεργοῦμεν, ὥστε τὰ ἐκ τῆς ἐνθυμήσεως καὶ εἰδωλοποιεῖσθαι· τὸν δὲ θεὸν σιωπῶντα μὲν ἀνενέργητον, λαλοῦντα δὲ ἰσχύειν αὐτὸν βούλονται, εἴγε σιωπῶν μὲν οὐκ ἠδύνατο ποιεῖν, λαλῶν δὲ κτίζειν ἤρξατο. (54,21– 55,4 Stegmann) Vgl. dazu Vinzent, Pseudo-Athanasius, 237– 247.
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damit wie Pseudo-Athanasius die Vorstellung eines untätigen Gottes ab, wie sie sich aus Markells Verwendung der Metapher vom Schweigen ergäbe. 4.3.3 Das heilsgeschichtliche Nacheinander und Miteinander des Logos und des Heiligen Geistes in der Auslegung des Johannes-Evangeliums In Joh 16,7 sagt Jesus, dass der Paraklet nur kommen könne, wenn er vorher weggehe. Aus dieser Aussage schließt Victorinus auf die dyadische Verbindung von Christus und dem Heiligen Geist. Erst nach dem Weggang Christi, der die manifeste Seite des Sohnes ist, kann der Heilige Geist gesandt werden, da er letztlich nur eine andere, verborgene Aktivitätsart des Sohnes darstellt.³⁸⁷ Die Inkarnation des Logos und die Sendung des Heiligen Geistes geschehen daher nacheinander und stellen einen heilsgeschichtlichen Fortschritt dar. Die Offenbarung des göttlichen Wesens geschieht in zwei Stufen: Zunächst offenbart der inkarnierte Christus durch Zeichen und Gleichnisse Gottes Wesen. Dies ist ein Handeln des Sohnes im Verborgenen, da die Wahrheit im Inneren der Zeichen und Gleichnisse verborgen liegt, wie auch im inkarnierten Christus seine wahre göttliche Natur im Inneren verborgen liegt. Der Heilige Geist lehrt dagegen alles in offenbarer Weise und spricht direkt mit dem Geist der Gläubigen.³⁸⁸ Hier zeigt sich eine chiastische Struktur in der Darstellung des ökonomischen Handelns Christi und des Heiligen Geistes: Christus ist zwar manifest, weil er im Fleisch sichtbar ist, handelt aber auf verborgene Weise in Zeichen und Gleichnissen. Dagegen ist der Heilige Geist verborgen, weil er unsichtbar ist, handelt aber direkt und offenbar an den Gläubigen.³⁸⁹ Diese beiden Phasen der Offenbarung sind einander zugeordnet und das Wirken des Heiligen Geistes gilt Victorinus als eine Fortführung des Wirkens Christi: Dieser hatte mit Wundern und seinen Geboten den Glauben gesät, der durch die erkenntnisstiftende Kraft des Geistes zur Vollendung gelangt und erst wirklich wirksam wird.³⁹⁰ Der
Vgl. Adv. Ar. I 13 (43,8 – 15 Locher) s. Anm. 369. Joh 16,7 dient Victorinus als Beweis für die Identität von Logos und Heiligem Geist, da beide nicht gleichzeitig wirken, sondern nacheinander. Dagegen dient die Stelle z. B. in Alterc. Heracl. p. 135 Caspari gerade als Beweis für die subordinierte Stellung des Heiligen Geistes, da er nicht aus eigener Kraft handele. Vgl. Adv. Ar. I 12: Manifestum ex his, quod in Christo deus et in sancto spiritu Christus. Primum paraclitus Christus, paraclitus sanctus spiritus. Deinde misit Christum deus. Quae locutus est Christus, ipsa loquitur sanctus spiritus. Sed Christus locutus est in parabolis et fecit signa. Ergo in occulto omnia, quod ipse in carne erat. Sicut ipse intus, sic et verum intus in parabolis et signis. Spiritus autem sanctus docet omnia. Etenim sanctus spiritus loquitur spiritui hominum. Ipsum, quod est, loquitur, et quod est, loquitur in nulla figura. Et ideo ipse docebit vos. (42,2– 9 Locher) Vgl. die Formulierungen in Adv. Ar. I 12 (42,5 – 9 Locher) mit I 13 (43,10 – 13 Locher). Vgl. Adv. Ar. IV 18: Venit ergo posterior, id est fides posterior operari coepit. Recedente enim Christo, qui per miracula et per praecepta seminaverat fidem, quod ipse dei filius esset et vitam in se
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Glaube wird erst wirksam, wenn das Heilsmysterium vollzogen ist und der Sohn auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist. Erst dann kann durch den Glauben das vollständige Wissen und die Erlösung erlangt werden.³⁹¹ Victorinus erklärt nicht ausdrücklich, wie dieses Nacheinander der Aktivitäten mit der Gabe des Heiligen Geistes durch den Auferstanden in Joh 20,22 zu vereinbaren ist. Denn dort haucht der anwesende Christus den Jüngern den Heiligen Geist ein.³⁹² Jedoch bezieht Victorinus die Aussagen Christi, dass er erst zum Vater aufsteigen müsse, nicht auf die Himmelfahrt Christi, sondern darauf, dass der auferstandene Leib geheiligt werden muss. Diese Heiligung vollzieht der Auferstandene selbst noch vor der Himmelfahrt.³⁹³ Hier zeigt sich, dass die gemeinsame Aktivität Christi und des Heiligen Geistes nicht nur für die Gläubigen und ihre Rettung bedeutsam ist, sondern auch für den Vollzug des Heilsmysteriums notwendig ist. Wie bei der Geburt des Sohnes aus Maria Heiliger Geist und Christus zusammenwirken, so auch bei der Auferstehung: Der auferstandene Leib benötigt nach seinem Hadesaufenthalt eine Heiligung. Diese Heiligung des Körpers ist eine Wirkung des Heiligen Geistes, sie wird aber laut Victorinus noch vor der Himmelfahrt vollzogen. Der Sohn heiligt durch seinen inneren Aufstieg zum Vater seinen angenommenen Leib selbst, auch hier agieren Logos und Heiliger Geist also zusammen.³⁹⁴ Mit der Heiligung des auferstandenen Leibes beginnt demnach das Wirken des Heiligen Geistes. Insofern dürfte Victorinus selbst das Einhauchen des Geistes in Joh 20,22 nicht als Widerspruch zum heilsgeschichtlichen Nacheinander der Aktivitäten Christi und des Heiligen Geistes empfunden haben. Die Wirksamkeit Christi gerät mit seiner Himmelfahrt auch nicht an ein Ende, sodass sichergestellt ist, dass Christus und der Heilige Geist beide in vollkommener Weise das Wesen des Vaters offenbaren und in ihrer Interaktion die Gläubigen zum Heil führen.³⁹⁵ Das unterschiedliche Wirken der beiden bedeutet nicht, dass die
credentibus daret, completa sunt spiritu omnia et fides cognitione in Christum adulta succrevit ipso Christo semper praesente. (150,26 – 30 Locher) So ist fides posterior operari coepit in Adv. Ar. IV 18 wohl zu verstehen. Dagegen sieht Hadot, SC 69, 1014 f. ad loc. analog zur Identifikation von Christus und fides eine Identifikation von Heiligem Geist und fides. Demnach bedeute die Aussage, dass der Heilige Geist später zu wirken begann. Im Nachfolgenden spricht Victorinus aber von einem Wachstum der fides, darauf ist die Aussage m. E. zu beziehen. Victorinus bezieht sich auf Joh 20,22 nur in Adv. Ar. I 15 und sagt dazu nur: Quod a Christo spiritus sanctus: insufflavit Christus et dixit: accipite spiritum sanctum. (45,3 f. Locher) Vgl. Adv. Ar. III 15 (129,15 – 27 Locher). Ausführlich zum Ganzen unten S. 510 – 513. Die bleibende Wirksamkeit Christi auch nach seinem Weggang leitet Victorinus etwa aus Joh 16,13 ab, vgl. Adv. Ar. Ib 55 (91,5 – 8 Locher), Adv. Ar. IV 18 (150,30 – 32 Locher). Vgl. aber auch die
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Erlösung durch den Kreuzestod Christi noch einer Ergänzung bedürfte. Vielmehr wirken beide auf ihre Weise an der Erlösung des Menschen mit und sind in diesem ökonomischen Handeln wie zwei Seiten einer Medaille.³⁹⁶ Beider Wirksamkeit ist nötig, da Leben und Erkenntnis die Voraussetzung zum Heil sind, da aber beide Aktivitäten eine Bewegung sind, schenkt der Heilige Geist den Gläubigen dasselbe wie Christus. Victorinus spricht davon, dass Christus das Heil durch das Mysterium des Kreuzes und das Leben wirke, der Heilige Geist durch das Mysterium der Erkenntnis. Diese Vorstellung, dass das ewige Leben mit der Erkenntnis Gottes verbunden ist, entnimmt Victorinus ebenfalls dem Johannesevangelium (Joh 17,3).³⁹⁷ Insgesamt lässt sich also zusammenfassen, dass die Einheit aus Heiligem Geist und Christus für Victorinus so eng ist, dass ihre Differenzierung oft schwer fällt, der
komplizierte Auslegung zu Joh 14,26 in Adv. Ar. I 12 (41,31– 42,13 Locher). Dort steht in der Bibelübersetzung des Victorinus […] ille vos docebit omnia, quae ego dixero. (42,1 f. Locher) In seiner Auslegung betont Victorinus die Bedeutung des Futurs II dixero und legt die Stelle so aus, dass der Heilige Geist das lehrt, was Christus nach seiner Himmelfahrt noch sprechen wird. Vgl. dagegen den griechischen Text: […] ὑπομνἠσει ὑμᾶς πάντα ἅ εἶπον ὑμῖν [ἐγώ]. In Adv. Ar. III 14 (129,16 Locher) ist die Übersetzung des Relativsatzes dagegen präsentisch: […] quaecumque dico. Dort legt Victorinus den Schwerpunkt der Exegese auf die Zusage der bleibenden Gegenwart Christi in Joh 14,25. Vgl. die Frage in Adv. Ar. III 15: Quid eligitur? De salute mysterium paracletus complet, et non completa Christus abscedit, an, quia idem ipse Christus est et spiritus sanctus, vel quia ipse eum mittit, vel quia spiritus habet omnia Christi, habet omnia, quae per Christum celebrantur? (130,30 – 131,3 Locher) Die gesamte Schrift dient dazu, die zweite Option als die richtige herauszuarbeiten. Für die Bedeutung von celebrare in diesem Kontext vgl. ThlL 3,745,53 s.v. celebro II i. q. exercere, saepius adhibere, facere. Vgl. zum Ganzen Adv. Ar. III 8: Ergo motus et unus est motus et a se motus, et cum in patre occultus sit atque inde hic motus apparens, a patre motus, et quia a motu motus, ideo a se motus et unus motus, unde unicus filius. […] unus ergo motus et unus filius et unicus, quia unica vita et una vita sola, quae aeterna. […] Nec enim vita, quae aliquando morietur. Numquam autem morietur, si se sciat. Scire autem se non poterit, nisi deum sciat et deum, qui vita est et vera vita est ac fons vitae. Hoc si ita est, deo cognito cognoscet omnia, quia a deo omnia et in omnibus deus et deus omnia. Hoc Iohannes clamat: haec est autem vita aeterna, ut cognoscant te solum et verum deum et quem misisti, Iesum Christum. Cognitio est vita. Porro autem sive vita sive cognitio, motus est unus et idem motus agens vitam et per vitam cognitionem et per cognitionem vitam. Idem ergo motus duo officia complens, vitam et cognoscentiam. Λόγος autem motus est et λόγος filius. Filius igitur unicus in eo, quod filius, in eo autem, quod λόγος, geminus. Ipse enim vita, ipse cognoscentia utroque operatus ad animarum salutem, mysterio crucis et vita, quia de morte liberandi fueramus, mysterio autem cognoscentiae per spiritum sanctum, quia is magister datus et ipse omnes docuit et testimonium de Christo dixit, quod est cognitionem, vitam agere et ex hoc deum cognoscere, quod est vitam veram fieri, et hoc est testimonium de Christo dicere. Ita dei filius Christus, id est λόγος, et filius vita, et quia idem motus, etiam et cognoscentia filius est opere, quo vita est, Iesus exsistens, opere autem, quo cognoscentia est, spiritus sanctus et ipse exsistens, ut sint exsistentiae duae Christi et spiritus sancti in uno motu, qui filius est. (122,3 – 5.16 – 123,4 Locher) In 122,20 – 22 zitiert Victorinus Joh 17,3 als grundlegende Stelle für den Zusammenhang von ewigem Leben und Gotteserkenntnis.
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Heilige Geist ist letztlich nicht mehr, aber eben auch nicht weniger als das „andere Selbst“ Christi.³⁹⁸ Anders als viele seiner Zeitgenossen hat Victorinus von Anfang an dem Heiligen Geist damit eine wichtige Rolle in seiner Theologie eingeräumt, im Vergleich zur späteren Diskussion kann man dabei freilich eine klare Differenzierung der beiden vermissen. 4.3.4 Der Logos und der Heilige Geist als Mitte der Trinität und das „filioque“ Victorinus kann sowohl den Heiligen Geist als auch den Logos in gewisser Weise als die Mitte der Trinität bezeichnen. Die Austauschbarkeit ist vor dem Hintergrund der besonderen Einheit der beiden Hypostasen gut verständlich. Dabei hängt es immer von der jeweiligen immanenten oder ökonomischen Aktivität ab, die Victorinus in den Blick nimmt, welche der beiden Hypostasen ihm als die mittlere gilt.³⁹⁹ Der Heilige Geist kann als „Mutter Jesu“ die Mittelrolle einnehmen, wenn Victorinus die Selbsterniedrigung Christi in den Blick nimmt: Er wird von der Jungfrau geboren, wird Mensch und bedarf deswegen der Heiligung.⁴⁰⁰ In dieser Hinsicht stellt der Heilige Geist das vermittelnde Glied zwischen Vater und Christus dar. In den Hymnen spricht Victorinus daher davon, dass der Geist Vater und Sohn verbindet, und nennt ihn das Band zwischen Vater und Sohn.⁴⁰¹ Darin prägt Victorinus einen wesentlichen Gedanken der Trinitätstheologie Augustins vor und knüpft damit unter Umständen auch an zeitgenössische Diskussionen an.⁴⁰²
Vgl. hymn. I 62: Sic Christus meus inter parentem et sese alterum. (=I 63 Hadot/Henry); hymn. III 215: Remeans victor ad patrem, salvandis nobis sese misit alterum. (=III 256 Hadot/Henry); Die Verheißung eines „alter paracletus“ im Johannesevangelium deutet Victorinus ebenfalls in diesem Sinne vgl. Adv. Ar. III 16: Ergo spiritus sanctus in isto actu alter paracletus, in salutis mysterio cooperator […]. (131,16 f. Locher); Adv. Ar. IV 17: Plene namque ipse dicit testimonium de Christo et docet omnia et est interior Christi virtus scientiam tribuens et ad salvationem proficiens, unde alter paracletus. (150,15 – 17 Locher).Vergara, Teología, 55 deutet diese Stellen zu stark im Lichte der römischkatholischen Theologie und sieht darin nur einen Ausdruck des filioque. Das hat schon Benz, Marius Victorinus, 128 f erkannt. Vgl. Adv. Ar. Ib 58 für den Geist als Mutter Jesu, dazu oben S. 318 – 320. Zur notwendigen Heiligung des Auferstandenen durch den Geist vgl. Adv. Ar. III 15, dazu unten S. 510 – 513. Vgl. hymn. I 3.5: Adesto, sancte spiritus, patris et filii copula. […] In unum qui cuncta nectis, tu es sanctus spiritus. Ferner hymn. III 205 – 207: Tu, spiritus sancte, connexio es; connexio autem est, quicquid connectit duo. / Ita ut connectas omnia, primo connectis duo; / Esque ipsa tertia complexio duorum atque ipsa complexio nihil distans uno, unum cum facis duo. Abramowski, Der Geist als „Band“, ZNW 81 (1996), 126 – 132 verortet den Ursprung der Idee in eusebianischen Kreisen und versucht zu zeigen, dass sich Athanasius in der dritten Arianerrede dagegen zur Wehr setzt. Sie hält es für möglich, dass Eusebius von Caesarea bereits eine solche Idee aus den Chaldäischen Orakeln entnommen habe. Verschiedene Ansätze der Augustinforschung versammelt Kany, Augustins Trinitätsdenken, 217– 220.
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Häufiger bezeichnet Victorinus aber Christus als die Mitte der Trinität, dessen Mittelstellung sich auf zwei Weisen erklären lässt: Erstens steht Christus zwischen dem Vater und dem Heiligen Geist, weil er im Johannesevangelium verspricht, den Geist vom Vater auszusenden. Da Christus den Heiligen Geist vom Vater aussendet, steht er in der Mitte zwischen Vater und Heiligem Geist.⁴⁰³ Das entspricht der Mittelstellung, die Victorinus dem immanenten Leben in Gott zuschreiben kann, durch dessen Selbstzeugung nach außen auch der Heilige Geist mit aus dem Vater hervorgeht. Zweitens ist Christus aber auch in soteriologischer Hinsicht der Mittler, weswegen Victorinus ihn häufiger als den Heiligen Geist als Mitte der Trinität bezeichnet.⁴⁰⁴ Christus ist medius und mediator zwischen Gott und den Gliedern der Kirche auf Erden.⁴⁰⁵ In seinem Epheserkommentar legt er auch die Bezeichnung Christi als Eckstein in Eph 2,20 im Sinne dieser Mittlerschaft aus.⁴⁰⁶ Diese Auslegung macht auch die ungewöhnliche Formulierung verständlich, dass Christus „der mittlere im Winkel der Trinität“ sei, „der den präexistenten Vater offenbart und den Heiligen Geist zur Vollkommenheit erfüllt.“⁴⁰⁷ Auch hier zieht Victorinus eine Parallele zwischen der immanenten und der ökonomischen Aktivität Gottes: So wie Christus in seinem ökonomischen Handeln als Eckstein eine verbindende Funktion einnimmt, ist er auch innerhalb der Trinität die verbindende Ecke zwischen Vater und Heiligem Geist.⁴⁰⁸ Da Victorinus einerseits Christus und den Heiligen Geist als dyadische Einheit auffasst, andererseits die Mittelstellung Christi im ökonomischen Handeln Gottes stark betont, kann er auch die Vorstellung formulieren, dass der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn ausgesandt wird. Denn letztlich ist für ihn die Mitteilung des Heiligen Geistes nur eine andere Art der Selbstmitteilung des Sohnes: So wie er sich in der Inkarnation selbst hingibt, am Kreuz die materiellen Mächte besiegt und das
Vgl. die Auslegung von Joh 15,26 in Adv. Ar. III 15: Ego mitto, a patre mitto, spiritum veritatis mitto. Medius ergo λόγος, id est Iesus, ipse mittit. (130,6 f. Locher) Darin unterscheidet sich Victorinus deutlich von Synesius von Kyrene, der stets den Heiligen Geist als Zentrum und Mitte der Trinität ansieht. Vgl. hymn. II 97– 116; III 53 f.64 f. Diese Differenz beachtet Vollenweider, „Ein mittleres“, 183 – 200 nicht, wenn er für Victorinus und Synesius Porphyrius als gemeinsame Quelle verteidigt. Vgl. in Eph. 2,14,4 f.: At medius Christus mysterio et passione reconciliavit nos in se. Zu seiner Rolle als mediator vgl. in Gal. 3,20, s. dazu auch unten S. 517– 519. Vgl. in Eph. 2,20,18 – 30, s.u. S. 517– 519. Adv. Ar. Ib 56: […] qui est medius in angulo trinitatis, patrem declarat praeexsistentem et complet sanctum spiritum in perfectionem. (91,26 – 28 Locher) Vgl. zur Verwendung von angulus für lapis angularis Thll 2,59,12, s.v. angulus V. Das macht die Annahme, dass das Bild aus den Chaldäischen Orakeln stamme, unnötig, gegen Hadot, SC 69, 869 ad 56,21.
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Fleisch heiligt, so teilt er sich selbst als Heiliger Geist mit und verleiht die Erkenntnis seiner Heilstat, durch die diese erst wirksam wird. Damit wird Victorinus in gewisser Weise auch zu einem Vorreiter der filioque-Theologie, ohne dass er diese bereits systematisch zur Grundlage seines Denkens gemacht hätte.⁴⁰⁹
5 Fazit Nach diesen Versuchen einer historischen Einordnung ergibt sich ein differenzierteres Bild der Theologie des Victorinus. Man versteht seine theologischen Traktate am besten, wenn man davon ausgeht, dass er über die theologischen Diskussionen in der Mitte des 4. Jh. gut informiert war und dazu einen Beitrag liefern wollte. Er kannte zumindest einige Werke des Athanasius von Alexandrien und Markells von Ankyra, von denen er viele Anregungen aufgenommen hat und deren Argumentationen er selbstständig weiterentwickelte. Für die Frage, wie weit er sich auch mit gnostischen Texten auseinander gesetzt hat, ergibt sich kein sicheres Bild. Im System Markells hat Victorinus den Versuch einer tiefergehenden philosophischen Reflexion der substantiellen Einheit von Vater und Sohn kennengelernt. Markell griff mit seinem Potenz-Akt-Schema Konzepte der arithmetischen Theologie des sog. Neupythagoreismus auf. Die Äußerungen Konstantins auf der Synode von Nizäa und Eusebs Tricennatsrede geben Hinweise darauf, dass solche Vorstellungen nach der Synode von Nizäa insgesamt stärker in die trinitarische Diskussion einbezogen wurden. In jedem Falle war die Theologie Markells im Westen zur Zeit des Victorinus dominierend und erweiterte den Diskursraum in diese Richtung. Daher ist es möglich, dass sich Victorinus vor diesem Hintergrund auch mit anderen christlich-philosophischen Texten befasste, die ein vergleichbares Grundanliegen teilen und dass er in diesem Zuge auch verschiedene gnostische Texte zur Kenntnis nahm. Diese gnostischen Traktate reflektieren gegenüber Markells Theologie die Metaphysik häufig tiefgehender und stellen einen größeren Zusammenhang zwischen der Gotteslehre, der Frage nach der menschlichen Seele und der Entstehung der materiellen Welt her. Das könnte für einen philosophisch interessierten Menschen wie Victorinus ansprechend gewirkt haben, da er auch den Gesamtzusam-
Vgl. Vergara, Teología, 33 f. und passim; Voelker, Filioque, StPatr 46 (2010), 125 – 129. Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 43 f. bestreitet das filioque bei Victorinus dagegen dezidiert. Ziegenaus, Seinsfülle, 306 f. interpretiert Victorinus so, dass der Heilige Geist nur dem Sohn entspringe und mittelbar aus dem Vater hervorgehe. Das beruht offenbar auf einem Missverständnis der trinitarischen Entfaltung in Adv. Ar. Ib 51, wo das heraustretende Leben den Geist mit hervorbringt. Dagegen macht Victorinus vielerorts klar, dass Logos und Geist in einer Bewegung aus dem Vater hervorgehen, vgl. Adv. Ar. I 13; II 2 (43,21 f.; 116,9 f. Locher)
5 Fazit
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menhang von Gott, Welt und Mensch im Blick hat. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeiten zu Markells Theologie musste er die gnostischen Texte auch nicht sofort als häretisch wahrnehmen, wenn dies für Victorinus zum Beginn seiner Beschäftigung mit der christlichen Theologie überhaupt eine relevante Kategorie war. Zudem sind einige der Texte, mit denen sich Victorinus gut vergleichen lässt, in inhaltlicher Hinsicht nicht so problematisch, wie das häresiologische Zerrbild der Gnosis oft nahelegt. Der Tractatus Tripartitus betont etwa auch, dass die Schöpfung auf den Willen des Vaters zurückgeht, und hat damit auch ein eindeutig monistisches Gottesbild. Solche gnostischen Texte waren ihm vielleicht auch schon in seiner intensiven Beschäftigung mit der neuplatonischen Philosophie zumindest indirekt in der argumentativen Auseinandersetzung begegnet. Dabei ist nicht nur an Plotins Enneade II 9 (33) „Gegen die Gnostiker“ zu denken, sondern auch an die ausführlichen Werke des Amelius und Porphyrius, in denen sie gegen gnostische Schriften vorgingen.⁴¹⁰ Amelius hatte eine Schrift mit dem Titel Zostrianus widerlegt, die mit dem Zostrianus des Nag-Hammadi-Corpus in Zusammenhang stehen dürfte und deren griechische Urfassung vielleicht auch Victorinus gelesen hat.⁴¹¹ So lässt sich aus zwei Richtungen erwägen, dass Victorinus auch ein Interesse für gnostische Texte entwickelte. Wenn er gnostische Texte gelesen hat, so ist er ihnen aber ebenso wenig blind gefolgt wie anderen Quellen. Vielmehr lassen sich dann viele Argumentationen gerade als antignostisch verstehen. Das zeigt sich schon daran, dass er wie der Plotinkreis den besonderen Autoritätsanspruch gnostischer Offenbarungsschriften ablehnte, die sich selbst als eine Überbietung der neutestamentlichen Schriften in Form einer erneuten Offenbarung Christi stilisierten. Man kann zusammenfassend das Unternehmen des Victorinus im Rom der 350er-Jahre so verstehen: Victorinus bewegt sich zunächst im Rahmen der theologischen Norm im Westen und folgt in seinen wesentlichen Voraussetzungen der Theologie Markells, bemüht sich aber um eine systematische Weiterentwicklung der miahypostatischen Potenz-Akt-Theologie Markells. Victorinus ist vertraut mit den Diskussionen zwischen Markell, Athanasius und Asterius und kennt insbesondere auch die zeitgenössische Kritik an der Theologie Markells, die er für die Ausgestaltung seiner Trinitätstheologie aufgreift. Daher ist es nicht nötig anzunehmen, dass Victorinus den Gedanken der Homousie der Trinität in gnostischen Texten gefunden hat, der sich in dieser Form dort auch nirgends nachweisen
Vgl. Porph. Plot. 16,12– 18. Vgl. Drecoll, The Greek Text, 209 – 212.
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lässt.⁴¹² Dieser Gedanke ist ihm vielmehr aus den trinitarischen Debatten der Zeit vertraut. Er entwickelte auf den Fundamenten, die Markell gelegt hatte, seine eigene Form einer nizänischen Potenz-Akt-Theologie des göttlichen Wesens. Bestimmend für seine Neuakzentuierung war dabei ein soteriologischer Impuls: Victorinus wollte zeigen, dass die Spekulationen über das innere Wesen Gottes Konsequenzen für die Erlösung des Menschen haben. Die ewige immanente Aktualisierung des Sohnes ist für Victorinus die Voraussetzung für die Schöpfung und die Erlösung der Welt. Daher kann für ihn die Aktualisierung des Sohnes keinen vorübergehenden Charakter haben, sondern muss ein ewiger immanenter Vorgang sein, der das ökonomische Handeln erst ermöglicht. Er teilt in seinem Gottesbild die Grundeinsicht der theologischen und philosophischen Strömungen seiner Zeit, dass Gott als erstes Prinzip völlig transzendent und daher für die Menschen völlig unerkennbar ist. Dieses Gottesbild ist in der theologischen Diskussion des 4. Jh. bereits fest etabliert und wird unter dem Eindruck der neuplatonischen Philosophie noch weiter gesteigert. Zugleich vertritt Victorinus die aus dem Johannesevangelium begründete Ansicht, dass zum ewigen Leben die vollkommene Erkenntnis Gottes nötig ist. Daher räumt er der gnadenhaften Offenbarung Gottes eine zentrale Stellung in seinem Denken ein, da nur so der Graben zwischen dem unerkennbaren, transzendenten Gott und den Menschen überbrückt werden kann. Er knüpft damit an Diskussionen der christlichen Theologie an, wonach das verborgene Wesen Gottes im Sohn offenbart wird und dass das Annehmen dieser offenbarten Erkenntnis im Glauben heilsnotwendig ist. Hier könnten auch gnostische Texte ein Bezugspunkt seiner Theologie gewesen sein, dies lässt sich aber nicht beweisen. Das besondere am Ansatz des Victorinus ist, dass er diese Überlegungen systematisch mit der nizänischen Lehre der Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen verbindet. Damit leistet er zweierlei: Erstens durchdringt er dadurch ältere theologische Vorstellungen der gnadenhaften Offenbarung Gottes in Christus weiter. Der inkarnierte Christus bringt den Menschen nur deswegen eine vollkommene Erkenntnis über den Vater, weil er mit diesem Vater wesenseins ist und so in ihm vollständig das Wesen Gottes erkennbar wird. Der Sohn ist für ihn in der immanenten Trinität Gottes Wille zu seiner eigenen Selbstdefinition und zugleich die Definition des Wesens Gottes, daher ist er auch nach außen der Wille des Vaters, zu beleben und sich selbst erkennbar zu machen. Zweitens verleiht er auch dem Diskurs über die Trinitätslehre eine größere Tiefe. In seinem Modell der willentlichen Selbstdefinition Gottes durch den Sohn
Gegen Abramowski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), bes. 549 – 562.
5 Fazit
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und der Parallelisierung der immanenten und ökonomischen Trinität kommt die soteriologische Pointe der nizänischen Trinitätslehre voll zum Tragen. Gottes Schöpfungs- und Heilshandeln ist für ihn Ausdruck des göttlichen Wesens: Gott kann und will die Welt erschaffen und erlösen, weil dies im Inneren seines Seins durch die Interaktion der drei wesenseinen Hypostasen so angelegt ist. Wesen, Wirken und Willen der drei Hypostasen bilden eine untrennbare Einheit. Daraus folgt für die Soteriologie, dass die Erlösung des Menschen nicht über eine willentliche Angleichung an Gott geschehen kann, da die Voraussetzung dafür die Wesenseinheit wäre. Daher bekommt der Glaube eine Schlüsselrolle im Denken des Victorinus: Die Glaubenden werden allein aufgrund ihres Glaubens zu Kindern Gottes adoptiert. Die genuine Leistung des Victorinus besteht darin, dass er die homousianische Theologie mit tiefgreifenden philosophischen Reflexionen über den Heilswillen Gottes und die Offenbarung des verborgenen Wesens des Vaters im Sohn zusammengedacht hat. Er übernimmt weder einfach die dominierende Theologie Markells noch gnostische oder andere Vorstellungen, sondern verbindet verschiedene Anliegen und Diskussionen miteinander und reichert sie um eigenständige philosophische und exegetische Reflexionen an. Sein Interesse gilt der philosophischen Durchdringung der Trinitätslehre unter dem Vorzeichen der Homousie mit dem Ziel, ihre soteriologische Relevanz herauszustellen: Seine Schriften zeigen, dass ihn die Frage, wie der transzendente Gott erkannt werden kann, intensiv beschäftigt hat. In der Homousie erkennt er die Möglichkeit, durch die paradoxe Vorstellung der Wesenseinheit von Vater und Sohn gleichzeitig an der absoluten Transzendenz Gottes festhalten zu können und eine Erklärung zu finden, wie der transzendente Gott von den Menschen vollkommen erkannt werden kann. Der Ausgangspunkt seiner trinitarischen Spekulation liegt damit in der christlichen Frage nach dem Heil des einzelnen Menschen. Seine weiteren Reflexionen über die Seele und die Materie deuten ebenfalls daraufhin, dass er reichhaltige Kenntnis exegetischer Traditionen und der zeitgenössischen Debatten besaß. Er setzt sich dabei auch immer wieder mit Positionen auseinander, die uns auch in gnostischen Texte begegnen. Diesen Texten begegnet er aber in einer kritischen Grundhaltung, da er jeglichen Anspruch einer überbietenden Offenbarung ablehnt. Die Offenbarung des göttlichen Wesens und Willens geschieht vollkommen in Christus und dem Heiligen Geist, darüber hinaus gibt es niemanden, der eine vergleichbare oder höhere Autorität beanspruchen könnte. Es gibt zwischen Victorinus und gnostischen Spekulationen zur Metaphysik meist nur geringfügige Berührungspunkte, die keine größere Beeinflussung durch die Gnosis nahelegen. Wenn man dennoch davon ausgehen möchte, dass Victorinus einige Gedanken gnostischer Texte positiv aufgegriffen hat, legt er diesen gegenüber eine ähnliche Strategie an den Tag wie gegenüber den Arianern und Homöusianern: Er
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teilt mit diesen jeweils wichtige theologische Grundeinsichten, definiert sie aber stets im Sinne seiner homousianischen Orthodoxie um: Er kann der arianischen Position zustimmen, dass der Sohn aus dem Nichts sei, wenn man unter dem Nichtseienden den Vater versteht. Mit den Homöusianern teilt er die Bekenntnisformeln, dass der Sohn Geist aus Geist, Licht aus Licht und Leben aus Leben sei, was für ihn gerade in der Konsequenz die Homousie nahelegt. In ähnlicher Weise teilt er die Einsicht der Homöusianer, dass der lebendige Vater die Ursache des Lebens des Sohnes ist, was für ihn neben der Differenzierung der beiden auch ihre Identität zur Folge hat. Nur in dieser Weise könnte er auch metaphysischen Ansätzen, wie sie sich in gnostischen Texte finden, zustimmen, hätte dann aber auch hieraus die Konsequenz der Homousie gezogen: Wenn der Sohn ewig im Inneren des Vaters verborgen liegt, dann muss er mit dem Vater eines Wesens sein und diesen vollständig offenbaren. Der Vorstellung gnostischer Texte, dass der verborgene Zustand im Vater defektiv ist, kann Victorinus definitiv nicht zustimmen. Auch die weitere Untersuchung seiner Prinzipienlehre wird zeigen, dass Victorinus das Erlösungshandeln Gottes auf Leib und Seele des Menschen bezieht. Damit setzt er sich ebenfalls kritisch mit gnostischen Erlösungsvorstellungen auseinander, die den Leib für nicht erlösungsfähig halten. Sicher zeigen lässt sich aber, dass er die Entwürfe und Diskussionen zeitgenössischer Theologen wie Markell von Ankyra, Asterius und Athanasius gekannt und kritisch durchdacht hat: Er folgt Markell und Athanasius zwar in wichtigen Grundlinien, korrigiert oder vertieft ihre Ansichten aber, wo er es für nötig erachtet. Im Vergleich zu den Positionen des Athanasius zeigt sich besonders, das tiefere philosophische Reflexionsvermögen des Victorinus. Wie Victorinus die zeitgenössische Kritik an den Widersprüchlichkeiten der homousianischen Trinitätslehre insgesamt positiv umwertet, macht er dies immer wieder im Kleinen: So kann er auch Kritikpunkte des Asterius positiv aufgreifen und als Argument für die Homousie bewerten. In dieser besonderen Verbindung philosophischer und homousianischer Konzepte und der Aufnahme und Umprägung kritischer Argumente gegen das Nizänum liegt die Leistung des Victorinus. Das lässt sich mit der Beobachtung Leppins zu den theologischen Synthesen Luthers vergleichen und man kann sagen, dass „das Zusammendenken von sonst nicht ohne Weiteres zusammen gedachten Gedanken die besondere Originalität“ des Victorinus ausmacht.⁴¹³
Vgl. Leppin, Luther, 133.
F Die Materie und der menschliche Leib im Denken des Victorinus 1 Das Materiekonzept und seine Bedeutung für die Prinzipienlehre des Victorinus Im Verhältnis zum Umfang des Gesamtwerkes nehmen die expliziten Überlegungen zur Rolle der Materie im Rahmen der Prinzipienlehre recht wenig Raum ein. Gewisse Formulierungen haben den Verdacht nahegelegt, Victorinus habe der Materie noch eine eigene Schrift gewidmet oder zumindest widmen wollen.¹ Um sich einem Verständnis der Materiekonzeption des Victorinus anzunähern, muss man daher die wenigen, aber voraussetzungsreichen Äußerungen zu diesem Thema sammeln und betrachten, in welchen Kontexten Victorinus von der Materie spricht. Eine genaue Analyse der Aussagen und eine Verortung im paganen und christlichen Materiediskurs machen eine Systematisierung möglich. Bei dieser Thematik tritt zudem offen die Problematik einer Betrachtungsweise zutage, die Victorinus bloß von seinen philosophischen Quellen her verstehen will. Damit geht häufig der Blick für die Innovationen und Unterschiede gegenüber platonischen Materiekonzepten verloren. Die Rolle der Materie ist ein eindeutiger Prüfstein für die Bewertung des Victorinus als dezidiert christlicher Philosoph, der von christlichen Fragestellungen und Problemen ausgeht.² Als wichtiger Vergleichspunkt erweist sich an vielen Stellen Origenes, den Victorinus sehr wahrscheinlich direkt rezipiert hat. Dabei zeigen sich deutliche Konvergenzen, aber auch deutliche Differenzen im Denken des Victorinus und des Origenes. Die Systematisierung soll zeigen, dass die Materie für Victorinus von Gott verursacht wird und die materielle Grundlage für das Schöpfungshandeln des Sohnes darstellt. Der Logos formt unter Beteiligung der Seele die Materie zu einem geordneten Kosmos, der allerdings aufgrund seiner materiellen Beschaffenheit auch ein Ort des Bösen ist. Die Materie ist für Victorinus sowohl notwendiger Grundstoff für die sichtbare Schöpfung als auch Ursache des Bösen für die Seele. Diese Bosheit erklärt sich dadurch, dass die Materie von Anfang an eine ungeordnete Eigenbewegung besitzt und zusätzlich durch die Belebung eine eigene Seele erhält. Der Besitz einer Seele ist die Voraussetzung dafür, dass die materiellen Mächte als Ur-
Vgl. Adv. Ar. IV 31 (164,24 f. Locher) S. dazu schon oben S. 103 f. Auf dieses Problem weist bündig Vanderjagt, Mysterium magnum, 130 – 134 hin. Er betont gegenüber Colish, The Neoplatonic Tradition, 63 f., dass Victorinus sehr wohl eine Auferstehung des Leibes vertritt und daher weder als reiner Platoniker noch als Gnostiker zu charakterisieren ist. https://doi.org/10.1515/9783110987577-006
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F Die Materie und der menschliche Leib im Denken des Victorinus
sache des Bösen willentlich schlecht handeln können. Die Welt wird für die Seele zu einem Gefängnis aufgrund der Bedrängung durch die materiellen Mächte. Allein Christus kann die Seele aus dieser Verstrickung mit der Materie befreien. Die materielle Welt erfüllt für Victorinus die Funktion eines pädagogisch notwendigen Durchgangsortes für die präexistenten, rationalen Seelen. Diese müssen sich in der materiellen Welt bewähren, die Erfahrung des Bösen machen und lernen, dass sie sich daraus nicht selbst befreien können, um am Ende Geist werden zu können. Victorinus betont aber auch gegen eine radikale Abwertung der materiellen Welt und des Leibes stark die leibliche Auferstehung, da das Ziel der Schöpfung die Erfüllung alles Seins durch Gott ist. In diese endzeitliche Vollkommenheit sind die Materie und der Leib miteingeschlossen.
2 Der Ursprung der Materie aus Gott und ihr ontologischer Status Victorinus äußert sich zwar nur an zwei Stellen zur Frage, woher die Materie ihren Ursprung hat, setzt dies aber andernorts auch implizit voraus. Seinem monistischen Ansatz folgend, dass alles seinen Ursprung aus Gott hat, schließt Victorinus alle dualistischen Erklärungsmodelle aus. Die Materie kann daher kein mit Gott gleichewiges Prinzip sein, sondern hat ihre Ursache auch in Gott: Aus dem ruhenden Sein des Vaters tritt der Sohn als die Totalität des geformten Seins hervor. Er ist die erste Substanz, das erste Seiende, d. h. er ist das erste determinierte Sein im Gegensatz zum formlosen Sein im Vater. Als diese erste Substanz ist er auch der Schöpfungsmittler, ja der eigentliche Schöpfer der das Sein vom ruhenden Vater an die gesamte Schöpfung weitergibt.³ In dieser Funktion ist er „die schaffende und erzeugende Substanz, der vorausgehende Ursprung der gesamten Substanz, der intelligiblen, der intellektuellen, der seelischen, der materiellen und der gesamten Substanz in der Materie.“⁴ Wie die gesamte Schöpfung hat also auch die Materie durch die Vermittlung des Sohnes ihren Ursprung aus Gott. Daher erklärt sich auch, warum Victorinus die Materie zwar das Nichtsein nennen kann, sie jedoch nicht als das absolute Nichts versteht. Gäbe es das absolute Nichts als Gegensatz zum Sein, dann gäbe es etwas, das der ursächlichen Wirkung Gottes entzogen wäre, mithin wäre die Materie ein gleichrangiges Prinzip zu Gottvater.⁵ Die Materie stellt viel Vgl. in Eph. 3,9,38 – 42. Adv. Ar. Ib 60: […] generatrix et effectrix substantia, praeprincipium universae substantiae, intellegibilis et intellectualis et animae et hylicae et universae substantiae in ὕλῃ. (95,8 – 10 Locher) Vgl. z. B. Ad Cand. 5 f., bes.: At illa, quae vere non sunt, non recepit esse plenitudo dei. (13,29 – 14,1 Locher)
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mehr die unterste Stufe der ontologischen Hierarchie dar, sie ist zwar form- und qualitätslos und somit kein determiniertes Seiendes, aber ihre Formlosigkeit ist eine Art der Existenz. Die Materie steht also ontologisch unterhalb des Seienden, aber nicht außerhalb der Existenz.⁶ Die Materie nimmt folglich bei Victorinus wie bei Plotin den untersten Rang in der ontologischen Hierarchie ein.⁷ Aufgrund ihrer Entfernung vom ersten Prinzip ist die Materie für beide durch eine Abwesenheit des Seins gekennzeichnet und kann deswegen auch als Nicht-Sein bezeichnet werden. Victorinus ist deutlich darum bemüht, diese Charakterisierung der Materie als Nicht-Sein zu relativieren. Dies liegt auch in seiner Argumentationsabsicht gegen die Arianer begründet. Er möchte zeigen, dass der Sohn nicht aus dem Nichts geschaffen worden ist. Dafür führt er den Nachweis, dass es ein echtes Nichts nicht gibt, da alles seinen Ursprung aus Gott hat und damit selbst die Materie, die als Nicht-Sein bezeichnet wird, eine gewisse Art der Existenz besitzt.⁸ Aus all dem kann bisher nur geschlossen werden, dass die Materie Gott als dem ersten und einzigen Prinzip nachgeordnet ist.Victorinus lässt an diesen Stellen aber offen, wie genau die Materie ihren Ursprung aus Gott nimmt. Dazu äußert er sich nur in einer Randnotiz gegen Ende der Schrift Adversus Arium IV. In dieser Schrift werden der Logos und der Heilige Geist als innere und äußere Form des Vaters charakterisiert, die das indeterminierte Sein des Vaters der menschlichen Erkenntnis erst zugänglich machen.⁹ Den Abschluss dieses Traktates bildet eine Exegese des Philipperhymnus, die noch einmal die soteriologischen Konsequenzen aus diesem Zugang zur Trinitätstheologie zieht. Der Sohn, der die Form Gottes ist und als solche mit dem Vater wesenseins, ist derjenige der inkarniert und die Form des Sklaven annimmt, um die Erlösung zu wirken. Damit ist die Schwierigkeit angesprochen, dass der wirklich und vollkommen göttliche Sohn im Rahmen der Inkarnation dem Leiden ausgesetzt ist, wo er doch als Gott nicht leidensfähig ist. Victorinus erklärt dies so, dass der Sohn nicht in seiner
Vgl. Ad Cand. 8: Ergo τὸ μὴ ὄν veluti exterminatio τοῦ ὄντος est. Exterminatio autem infiguratum quiddam est, sed tamen est, non tamen sicut ὄν est. Omne enim τὸ ὄν et in exsistentia et in qualitate figuratum et vultuatum est. Ergo τὸ μὴ ὄν infiguratum. Est autem aliquid, quod infiguratum est. Ergo τὸ μὴ ὄν est aliquid. (15,7– 11 Locher) Vgl. z. B. Plot. enn. III 6 (26) 7,7– 15: Οὔτε δὲ ψυχὴ οὖσα οὔτε νοῦς οὔτε ζωὴ οὔτε εἶδος οὔτε λόγος οὔτε πέρας – ἀπειρία γάρ – οὔτε δύναμις – τί γὰρ καὶ ποιεῖ; – ἀλλὰ ταῦτα ὑπερεκπεσοῦσα πάντα οὐδὲ τὴν τοῦ ὄντος προσηγορίαν ὀρθῶς ἂν δέχοιτο, μὴ ὂν δ’ ἂν εἰκότως λέγοιτο, καὶ οὐχ ὥσπερ κίνησις μὴ ὂν ἢ στάσις μὴ ὄν, ἀλλ’ ἀληθινῶς μὴ ὄν, εἴδωλον καὶ φάντασμα ὄγκου καὶ ὑποστάσεως ἔφεσις καὶ ἑστηκὸς οὐκ ἐν στάσει καὶ ἀόρατον καθ’ αὑτὸ καὶ φεῦγον τὸ βουλόμενον ἰδεῖν, […]. Zur Entstehung der Materie aus der Seele bei Plotin s.u. S. 360 f. Vgl. Ad Cand. 8 (s. Anm. 6). S. dazu oben S. 279 – 284.
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göttlichen Substanz leidet, sondern dass das Leiden nur sein Wirken betrifft. Die göttliche Substanz, die die drei Hypostasen eint, bleibt vom Leiden des Sohnes unberührt. In Adversus Arium IV 31 vergleicht Victorinus dieses Verständnis des Leidens mit einer Quelle und einem Fluss: Die Quelle wird in ihrer Ruhe und Reinheit nicht davon berührt, dass aus ihr ein Fluss entspringt. Der Fluss wird nicht hinsichtlich seiner Substanz verändert, die in der Quelle begründet liegt, sondern passt nur seinen Lauf dem Gelände an, durch das er fließt. So ergeht es auch dem Logos, der aus dem Vater austritt, um das Leben weiterzugeben, und dessen tiefster Punkt die Vollendung des Heilsmysteriums ist.¹⁰ In seiner Substanz, die ihre Ursache im Vater hat, ändert er sich also nicht, in seinem Handeln ist er aber leidensfähig. Jedoch spricht Victorinus nicht nur das ökonomische Handeln des Sohnes als Leiden an, sondern er geht noch einen Schritt weiter. Auch das immanente Hervortreten aus dem Vater ist ein Leiden und darin liege der Ursprung der Materie: So ist es auch in allem anderen, wo er Akt und Wirken ist, obwohl auch bereits im ersten Akt seiner Existenz, wie ich bereits in vielen Büchern gelehrt habe, ein Leiden aufgetreten ist, nämlich das Sich-Entfernen vom Vater. Daraus ist die Dunkelheit, das heißt die Materie, gefolgt und nicht erschaffen worden. Aber darüber mehr an anderer Stelle.¹¹
Victorinus bleibt hier sehr im Unklaren und scheint sich in zentralen Punkten selbst zu widersprechen. Er betont schließlich oft genug, dass der immanente Hervorgang des Sohnes im Unterschied zu seinem ökonomischen Handeln gerade nicht als Leiden zu verstehen ist.¹² Es könnte hier so scheinen, als habe Victorinus in einem entscheidenden Punkt seine Meinung geändert oder einen fremden Gedanken schlecht integriert. Wenn man den Verweis auf die Darstellung in „vielen Büchern“ hier ernstnimmt und weder als Ankündigung einer nie verfassten Schrift noch als Verweis auf Vgl. Adv. Ar. IV 31 (164,8 – 23 Locher). Adv. Ar. IV 31: Sic et reliqua, in quibus omnibus actus est et operatio, quamquam et in primo exsistentiae suae actu, sicuti in multis libris docuimus, passio exstiterit recessionis a patre. unde tenebrae, id est ὕλη, consecuta est, non creata. Sed haec plenius alibi. (164,23 – 26 Locher) Ich übersetze recessionis deutlicher als genitivus epexegeticus wie Hadot, SC 68, 595 gegenüber der etwas glättenden Übersetzung bei Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 314. Vgl. z. B. Adv. Ar. I 22: Illa enim passiones non dicuntur: generatio a patre, motus primus et creatorem esse omnium. Ista enim substantialia cum sint, magis autem substantiae. (55,7– 10 Locher) und Adv. Ar. Ib 55: Et quoniam omnis potentia naturalis est voluntas, voluit vita movere semet ipsam insita iuxta substantiam motione impassibiliter erecta in id, quod est. Naturalis enim voluntas, non passio. (88,11– 13 Locher) Die Aussage Adv. Ar. IV 32: Numquam separatum a patre ex aeterno et esse et fuisse et futurum esse. (164,30 f. Locher) ist kein Gegensatz zu dieser Stelle. Die recessio meint nur den immanenten Hervorgang des Sohnes, der keine zeitliche Dimension hat. Daher sind der Vater und der Sohn substanziell natürlich nie voneinander getrennt, anders Hadot, SC 69, 1048, ad 31,51.
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verlorene Schriften liest, muss man sich fragen, wo Victorinus bereits eine solche Position vertreten hat. Ähnliche Formulierungen lassen sich vor allem in der Schrift Adversus Arium Ib auftun, die alle eine Deutung des immanenten Vorgangs als Leiden oder als Minderung des ontologischen Status’ des Sohnes nahelegen.¹³ Konsequent gedacht ist jede Bewegung aus der Ruhe heraus eine Art passio, da der ruhende Zustand verlassen wird und in einen aktiven überführt wird.¹⁴ In dieser Hinsicht kann man also vielleicht den Hervorgang des Sohnes als eine passio verstehen. Freilich betont Victorinus ansonsten eindeutig, dass es sich nicht um ein wirkliches Leiden handelt, da ansonsten die Göttlichkeit des Sohnes und des Vaters aufgehoben wäre. Gerade in der Schrift Adversus Arium Ib wird aber deutlich, warum die recessio, der immanente Hervorgang des Sohnes, im übertragenen Sinne als Leiden oder Minderung des Sohnes verstanden werden kann. Dies hängt mit der Parallelisierung des immanenten und ökonomischen Geschehens zusammen: Der Sohn ist in der Ökonomie fähig zur Selbstentäußerung, d. h. zum totalen Abstieg bis in die Materie und den Tod, weil er sich bereits im immanenten Geschehen gewissermaßen selbstentäußert. Diese Analogie treibt Victorinus zwar nie auf die Spitze, um die Göttlichkeit der Trinität nicht zu gefährden, sie ist aber in seinen Überlegungen durchaus präsent.¹⁵ Victorinus vertritt in Adversus Arium IV die Auffassung, dass die Materie nicht das Produkt eines Schöpfungsprozesses ist, sondern eine Folgeerscheinung des immanenten Hervorgangs des Sohnes.¹⁶ In Adversus Arium I 26 äußert sich Victorinus noch weniger eindeutig über den Ursprung der Materie: „[…] effecta est materia mortua natura […]“.¹⁷ Er verwendet das Verb efficere in verschiedenen Bedeutungen und bezeichnet damit mal einen unspezifischen Entstehungsprozess, mal das Schöpfungshandeln des Logos.¹⁸ Es muss hier also kein Gegensatz zu den späteren Schriften gesehen werden, da auch hier die Materie vor der Schöpfungsaktivität des Logos hervorgebracht wird. Auf nicht näher definierte Weise bringt
S.o. S. 315 – 321. Den Zusammenhang zwischen Adv. Ar. Ib und Adv. Ar. IV 31 stellt schon Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 35 f. her. Vgl. dazu Cand. I 6 f., wo die generatio iuxta progressum et iuxta motum aus diesen Gründen abgelehnt wird. (5,14– 6,5 Locher) Diese Ansicht kritisiert Victorinus freilich in Ad Cand. 30 (26,20 – 27,6 Locher). S.o. S. 315 – 321. Vgl. neben dieser Stelle auch die Notiz in Adv. Ar. Ib 57: […] quae non sunt, quae consecutiones sunt. (93,8 Locher) Adv. Ar. I 26 (60,4 Locher). Vgl. für die unspezifische Bedeutung „entstehen“ z. B. Adv. Ar. IV 25: […] ex eo, quod est esse, efficitur non esse […]. (158,17 Locher), für das Schöpfungshandeln des Logos vgl. z. B. Adv. Ar. Ib 57: Hic est λόγος, qui vocatur Iesus Christus, per quem effecta sunt omnia […]. (93,5 f. Locher)
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Gott die Materie hervor, die dann dem Logos als Grundstoff für seine belebende Aktivität dient. Die Materie liegt der Schöpfung also voraus und wird im Zuge der Schöpfung dann durch den Logos geformt und geordnet. Da die Zeit als Abbild der Ewigkeit erst mit der Schöpfung beginnt, folgt aus der kausalen Ableitung der Materie aus Gott nicht, dass sie auch einen zeitlichen Anfang hat.¹⁹ Man kann vielmehr aus der Notiz in Adversus Arium IV 31 schließen, dass Victorinus von einer zwar kausal verursachten, aber ewigen Existenz der Materie ausgeht. Die Materie wird dabei von Gott verursacht, ist also eindeutig kein gleichewiges Prinzip, sie ist dadurch aber dem Schöpfungshandeln des Logos bereits vorgegeben. Auch Plotin argumentiert, dass die Materie eine notwendige Folgeerscheinung des Prozesses an „Emanationen“ ist. Wahrscheinlich betrachtet er die Materie als ein Produkt der vegetativen Seele, das selbst nicht mehr in der Lage ist, sich auf seine Ursache zurückzuwenden, um geformt zu werden.²⁰ Gegen die Gnostiker betont er, dass das Hervorbringen der Materie kein Fehlverhalten der Seele ist, sondern eine notwendige Folge der zeugenden Kraft der Prinzipien. Da die Materie notwendigerweise aus der Seele hervorgeht, kann sie auch nie zugrunde gehen, da ihre Verursachung durch die Seele nie endet.²¹ Die Seele begeht mit der Hervorbringung der Materie auch keinen Fehler, da sonst die Ursache des Übels in der Seele anzusetzen wäre. Eine solche Ansicht kann Plotin unmöglich teilen, da sonst die Ursache des Bösen im intelligiblen Bereich zu suchen wäre.²² Die Materie ist also eine notwendige Konsequenz aus der Reihe der „Emanationen“ und bildet den Abschluss der emanativen Kette. Da die Seele als Ursache der Materie ewig existiert, existiert auch die Materie ewig. Wenn Plotin die Materie als eine notwendige Folge Zum Verständnis der Zeit als imago aeternitatis vgl. Adv. Ar. IV 15 und die Analyse von Karfíková, Time, StPatr 46 (2010), 119 – 123, die die Verbindung einer stoischen und neuplatonischen Zeitkonzeption bei Victorinus herausarbeitet. Vgl. auch Mar. Victorin. in Eph. 1,4,30 – 33: Dort setzt Victorinus ante constitutionem mundi mit ex aeterno gleich. Das setzt ebenfalls voraus, dass die Zeit erst mit der Schöpfung der Welt beginnt. Zur Unterscheidung der kausalen und zeitlichen Verursachung vgl. Plot. enn. II 4 (12) 5,25 – 27: γενητὰ μὲν γὰρ τῷ ἀρχὴν ἔχει, ἀγένητα δὲ, ὅτι μὴ χρόνῳ τὴν ἀρχὴν ἔχει […]. Dort freilich in Bezug auf die intelligible Materie und die Ideen. Zur Entstehung der Materie aus der Seele vgl. Plot. enn. III 9 [13], 3 und enn. III 4 [15], 1.Vgl. dazu O’Brien, The Origin of Matter, 182– 191. Ergänzt um nicht immer ganz überzeugende weitere Aspekte von Corrigan, Generation, Phronesis 31 (1986), 167– 181. Vgl. zur Materie als notwendiger Konsequenz Plot. enn. II 9 (33) 3,17 f.: εἰ δὲ ἀναγκαῖον εἶναι φήσουσιν παρακολούθειν, καὶ νῦν ἀνάγκη. Vgl. zum Gedankengang hier Gertz, Ennead II.9, 133 f., ad loc. 3,15 – 21. Gegen Hadot, SC 69, 1048 ad 31,52 ist festzuhalten, dass die notwendige Existenz der Materie nicht als Position der Gnostiker zitiert wird, sondern dass Plotin die Gnostiker hier gerade von seiner eigenen Position überzeugen möchte, vgl. dazu ausführlich O’Brien, The Origin of Matter, 182– 191, bes. 186 mit Anm. 13. Vgl. O’Brien, The Origin of Matter, 191– 201.
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bezeichnet, beabsichtigt er damit, gegen die Gnostiker die Unvergänglichkeit der Materie nachzuweisen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Bezeichnung der Materie als Folgeerscheinung höherer Ursachen als Plädoyer für die Ewigkeit der Materie verstehen. Das kann für Victorinus gut zutreffen, auch wenn er von einer eschatologischen Transformation der Materie ausgeht. Denn durch die endzeitliche Vergeistigung wird die Materie nicht vernichtet, sondern nur verwandelt.²³ Indem Victorinus dezidiert die Ansicht vertritt, dass Gott selbst der Ursprung der Materie ist, widerspricht er aber klar Plotin und Porphyrius. Auch Porphyrius grenzt sich wie sein Lehrer Plotin klar von dualistischen Systemen ab, setzt aber den Ursprung der Materie nicht in der Seele, sondern im Demiurgen an. Dieser schafft aus seinem Sein heraus und benötigt deswegen keine ihm vorgegebene Materie, sondern bringt sie aus sich selbst hervor.²⁴ Erst Jamblich und seine Nachfolger leiten die Materie direkt aus dem ersten Prinzip ab.²⁵ Die völlig formlose Materie wird in dieser Strömung des Neuplatonismus aus dem Einen abgeleitet, weil es ebenso formlos ist.²⁶ Plotin vertritt allerdings zumindest für die intelligible Materie eine Ableitung aus dem ersten Prinzip. Anders als die sensible Materie, wird diese mit der ersten Bewegung aus dem Einen hervorgebracht, da diese Bewegung zugleich die Andersheit ist.²⁷ Victorinus kann in ganz ähnlicher Weise die Materie als eine Folge-
S.u. S. 411– 414. Vgl. Porph. fr. 51 Sodano (39,10 – 13) = Procl. in Plat. Tim. 30a, I 396,21– 23 Diehl und fr. 55 Sodano (41,19 f.) = Procl. in Tim. 31a, I 440,3 f. Diehl. Vgl. dazu knapp Tornau, Art. „Materie“, RAC 24 (2012), 365 f., ausführlich Köckert, Christliche Kosmologie, 195– 217. Corrigan, Positive and Negative Matter, 23 scheint aus Porph. fr. 40 Sodano = Procl. in Tim. 28c, I 300,1– 6 Diehl den Schluss zu ziehen, dass bereits Porphyrius die Materie aus dem ersten Prinzip ableite. Dort unterscheidet Porphyrius zwischen einem πατήρ, der alles aus sich selbst hervorbringt, und dem ποιητής, der auf eine vorgegebene Materie angewiesen ist. Das ist aber nicht so zu verstehen, dass das Eine als Vater die Materie hervorbringt, die dann vom Handwerker gestaltet wird. Vielmehr bereitet Porphyrius hier seine Konzeption vor, wonach der Demiurg die Materie selbst hervorbringt, und begründet seine Skepsis gegenüber dem Begriff ποιητής, der falsche Schlüsse nahelegen könnte. Für Jamblich vgl. in Ti. fr. 38 Dillon = Procl. in Plat. Tim. 30a, I 386,8 – 13 Diehl; myst. VIII 3. Vgl. zu den beiden Stellen auch Taormina, Due passi, Elenchos 35 (2014), 349 – 364. Vgl. Procl. Inst. 72. Vgl. Plot. enn. II 4 (12) 5,28 – 30: Καὶ γὰρ ἡ ἑτερότης ἡ ἐκεῖ ἀεί, ἣ τὴν ὕλην ποιεῖ· ἀρχὴ γὰρ ὕλης αὕτη, καὶ ἡ κίνησις ἡ πρώτη. Corrigan, Generation, Phronesis 31 (1986), 172 will hier wenig überzeugend auch die Entstehung der sensiblen Materie mitverhandelt sehen. In enn. II 4 (12) 5,32– 34 macht Plotin aber eindeutig klar, dass es sich hierbei um weitreichende Spekulationen über die intelligible Materie (περὶ […] τῆς ἐν νοητοῖς ὕλης […]) handelt. Vorher scheinen monistische Ableitungen der Materie aus dem ersten Prinzip nur im Kontext des sog. Neupythagoreismus vorzu-
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erscheinung der ersten Bewegung des Sohnes aus dem Vater bezeichnen. Im Unterschied zu Plotin bezieht Victorinus dies dann aber auf die Materie, aus der die sensible Welt erschaffen wird. Mit dem Hervorgehen des Sohnes als erster Bewegung nach außen wird nicht nur die Andersheit in Gott aktualisiert, sondern auch die materielle Grundlage der Schöpfung hervorgebracht. Die Materie ist damit die Grundlage des fortschreitenden Pluralisierungsprozesses aus der ersten Ursache heraus.²⁸ Die Begriffe consecutio und consequi können bei Victorinus aber auch gut vor dem Hintergrund der stoischen Vorsehungslehre verstanden werden. Die Stoiker unterscheiden zwischen einer primären Absicht der Vorsehung (προηγουμένως) und deren unvermeidlichen Begleiterscheinungen (κατ’ ἐπακολούθησιν).²⁹ Mit dieser Unterscheidung können Phänomene in der Welt erklärt werden, die schlecht oder sinnlos erscheinen, ohne den Glauben an eine allwirkende und gute Vorsehung aufgeben zu müssen. Solche Erscheinungen können dann so erklärt werden, dass sie sich als notwendige Konsequenz aus einem übergeordneten guten Plan der Vorsehung ergeben.³⁰ Wenn Victorinus consecutio als Entsprechung zum stoischen Konzept der ἐπακολούθησις versteht, ergibt sich daraus der Ansatz einer Theodizee. Wenn die materielle Welt als ein Übel erscheint, dann ist dies nur scheinbar so, da sich das vermeintliche Übel als sie die Folge einer höheren und guten Absicht Gottes erklären lässt. Das passt gut zur pädagogischen Begründung der Weltschöpfung bei Victorinus, wonach die materielle Welt als Lernort für die Seelen dient.³¹ Auf der dünnen Textgrundlage bei Victorinus lässt sich kaum eine Entscheidung für eine der Deutungsmöglichkeiten treffen. Beide, die plotinische und die stoische, scheinen plausibel und müssen sich auch nicht gegenseitig ausschließen. Denn auch Plotins Position lässt sich gut im Rahmen der stoischen Ursachenlehre verstehen
kommen, vgl. Tornau, Art. „Materie“, RAC 24 (2012), 361. Thomassen, The Derivation of Matter, 1– 17 vermutet von dort Einflüsse auf die Gnosis. Vgl. auch die knappen Überlegungen zur Entstehung der Andersheit bei Baltes, Marius Victorinus, 96 f. Karfíková, Semet ipsum exinanivit, 148 geht noch weiter und betrachtet vor dem Hintergrund Plotins die Materie als „eine Art Medium der Ungleichheit, die es ermöglicht, dass der Sohn vom Vater unterscheidbar wird.“ Vgl. zu diesem Konzept Pohlenz, Die Stoa, 100 f. Vgl. außerdem Long/Sedley 55 J-Q samt Kommentar, 342 f. Eindrückliche Beispiele dafür finden sich bei Mark Aurel, vgl. z. B. M. Ant. 6,44: Die Götter sorgen entweder für den einzelnen (κατ’ ἰδίαν περὶ ἐμοῦ) oder für das Allgemeine (περὶ γε τῶν κοινῶν), daher kann etwas manchmal für den einzelnen als Übel erscheinen, was sich dann aber nur als Folge aus einem größeren Gut für die Allgemeinheit ergibt. Für weitere Beispiele vgl. M. Ant. 3,2; 6,36; 7,75; 9,28. Vgl. dazu auch Pohlenz, Die Stoa, 348 f. S. dazu unten S. 417– 432.
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und es ist denkbar, dass Victorinus hier verschiedene Positionen miteinander verknüpft.³² Auffällig ist zudem, dass bereits Origenes die stoische Ursachenlehre für seine Kosmologie nutzt. Er bezeichnet die unsichtbare Schöpfung der Vernunftwesen als primär gegenüber der Schöpfung der materiellen Welt. Diese ist lediglich eine Folgeerscheinung des von Gott bereits vorhergesehenen Abfalls der Vernunftwesen.³³ Victorinus geht in ähnlicher Weise wie Origenes von einer Priorität der Schöpfung im Logos aus und weist der materiellen Welt auch eine pädagogische Funktion für die präexistenten Seelen zu. Daher liegt es nahe, dass ihm auch in der Frage nach dem Ursprung der Materie ähnliche Konzeptionen vor Augen stehen.³⁴ Der Logos ist für Victorinus die Totalität des Seins, in ihm ist bereits die gesamte Schöpfung ideenhaft vorhanden, die materielle Welt stellt dann bloß eine Folge dieser primären Schöpfung im Logos dar.³⁵ Mit der Bezeichnung der Materie als Folge ist dann ausgedrückt, dass die materielle Welt kein Unfall oder Fehler war, sondern eine notwendige Konsequenz aus dem Plan Gottes. Damit kann Victorinus ebenfalls den Mittelweg gehen, das Übel in der materiellen Welt nicht leugnen zu müssen und die Schöpfung zugleich für ein gutes Werk Gottes zu halten. Hadot vermutet dagegen hinter der Randnotiz in Adversus Arium IV 31 eine allegorische Exegese der Passionsberichte, die von der Dunkelheit im Zusammenhang mit der Verlassenheit Christi am Kreuz berichten.³⁶ Diese Deutung sollte man aber besser mit derselben Vorsicht behandeln, mit der sie auch Hadot bloß vermutungsweise ins Spiel bringt. Die textlichen Verhältnisse passen nämlich nicht ganz zu dieser Überlegung: In der Passionsgeschichte folgt auf die Finsternis der Verlassenheitsruf Jesu (Mk 15,33 f.; Mt 27,45 f.). Bei Victorinus folgt hingegen auf den immanenten Hervorgang des Logos die Dunkelheit, d. h. die Materie. Zum einen ist also die Reihenfolge umgekehrt, zum anderen lässt sich die immanente recessio des Sohnes kaum mit der Verlassenheit am Kreuz in Übereinstimmung bringen. Der Verlassenheitsruf bringt vielmehr zum Ausdruck, dass der Vater sich vom Sohn entfernt hat und nicht umgekehrt. Wir kennen zudem ganz anders gelagerte alle-
Mit dem Raster der stoischen Ursachenlehre könnte die Seele auch bei Plotin als προηγούμενον αἴτιον beschrieben werden, da sie der Materie vorausliegt. Nach Long/Sedley 55 I 2, wäre sie außerdem für die Materie ein συνεκτικὸν αἴτιον bzw. αὐτοτελὲς αἴτιον. Dieser Typ einer Ursache bezeichnet die Tatsache, dass die Wirkung nur so lange besteht, wie die Ursache andauert. Vgl. Or. princ. I 2,2 (30,2– 5 Koetschau), III 5,5.Vgl. dazu auch Köckert, Christliche Kosmologie, 265 f. S. dazu unten S. 417– 432. S. dazu S. 417– 432 und S. 324– 326. Vgl. Hadot, SC 69, 1047 f. ad 31,51 mit Verweis auf Mk 15,33 f. par. Karfíková, Semet ipsum exinanivit, 147 schließt sich vorsichtig an. Deutlich zustimmend und mit Bezugnahme auf weitere gnostische Spekulationen folgt dem Abramowski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), 528 f.
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gorische Auslegungen des Passionsbericht aus gnostischen Texten, in denen die Dunkelheit als Sieg über die bösen Archonten der Welt gedeutet wird.³⁷ Insgesamt lässt sich die These, dass die Materie direkt von Gott hervorgebracht wird, gut auf der Grundlage christlich-philosophischer Überlegungen erklären. Victorinus versteht die biblische Schöpfungserzählung analog zum platonischen Timaios als einen Vorgang der Ordnung einer dem Schöpfer bereits vorgegebenen Materie. Gleichzeitig soll zur Wahrung eines monotheistischen Systems aber ausgeschlossen sein, dass die Materie ein mit Gott gleichewiges Prinzip ist oder gegen den Willen Gottes entstanden sein könnte. Die Lösung besteht darin, die Materie beim Vorgang des Sohnes aus dem Vater entstehen zu lassen. Das lässt sich philosophisch mit der Entstehung der intelligiblen Materie bei Plotin plausibilisieren. Im Akt der Selbstdifferenzierung Gottes durch das Heraustreten des Logos aktualisiert sich nicht nur der Logos als Formursache der Pluralität des Seins, sondern es geht zugleich auch die Materialursache der geschaffenen Vielheit hervor. Es entsteht hier also die Andersheit in doppelter Hinsicht. Die Materie ist daher noch nicht Teil der Schöpfung, da diese erst durch den Sohn vorgenommen wird, der als Schöpfungsmittler zugleich auch die Wirkursache der Schöpfung darstellt. Der Sohn als Leben belebt und ordnet im Schöpfungshandeln alles, daher ist die Materie zunächst als „tote Natur“ entstanden, die ihr Leben erst sekundär erhält. Victorinus betrachtet die Materie als eine notwendige Konsequenz einer höheren Ursache, da aus der Bewegung des Sohnes aus dem Vater heraus notwendigerweise die Materie entstehe. Indem er die Materie und die materielle Welt als Folge bezeichnet, charakterisiert er sie als sekundär gegenüber der intelligiblen Schöpfung im Logos. Die materielle Welt mit ihren Übeln dient dazu, das höhere Ziel der Vervollkommnung der Seele zu erreichen. Das Entstehen der Materie ist daher kein Fehler oder die Folge eines Fehlverhaltens einer göttlichen Hypostase. Darin grenzt sich Victorinus wie Plotin und Origenes von gnostischen Erklärungen zur Entstehung der Materie ab. Das wird auch dadurch deutlich, dass er von der passio, die die Ursache der Entstehung der Materie darstellt, nicht auf eine moralische Schlechtigkeit dieser Materie schließt, wie dies in gnostischen Texten geschieht.³⁸ Victorinus kann mit seiner Erklärung des Ursprungs der Materie an eine längere christlich-philosophische Diskussion anknüpfen. Bereits Tatian geht davon aus, dass die Materie direkt von Gott hervorgebracht wird, um dann in einem zweiten Schritt vom Logos zur Welt ausdifferenziert zu werden. Er begründet die Herleitung
Vgl. 2LogSeth NHC VII,2 p.58,19 – 22 (CoptGnL 4,170); Noêma NHC VI,4 p. 42,13 – 19 (CoptGnL 3,308). Vgl. Iren. haer. I 2,2 f., bes. I 2,3: Ἐντεῦθεν λέγουσι πρώτην ἀρχὴν ἐσχηκέναι τὴν οὐσίαν τῆς ὕλης, ἐκ τῆς ἀγνοίας καὶ τῆς λύπης καὶ τοῦ φόβου καὶ τῆς ἐκπλήξεως. (FC 8/1 136,1– 4)
2 Der Ursprung der Materie aus Gott und ihr ontologischer Status
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der Materie aus dem Vater ausdrücklich damit, dass es kein mit Gott gleichrangiges Prinzip geben kann und die Materie also einen Anfang haben muss.³⁹ Auch Tatian orientiert sich am Schöpfungsmodell des Timaios, wonach der Demiurg eine ihm vorgegebene Materie ordnet. So liegt für ihn die Lösung nahe, die Materie aus dem Vater abzuleiten, sodass sie dem Sohn als Schöpfungsmittler dann zur Formung der Welt vorliegt. Vielleicht liegt in dieser zweistufigen Konzeption auch der Grund für die besondere Terminologie Tatians. Für das Hervorbringen der Materie verwendet er das sonst in gnostischen Zusammenhängen vorkommende Verb προβάλλειν, ansonsten auch das neutrale γίνεσθαι.⁴⁰ Die Erklärung könnte darin liegen, dass er hier einen Unterschied zum Schöpfungsakt durch den Sohn zum Ausdruck bringen möchte, den er etwa mit den Verben ποιεῖν oder δημιουργεῖν bezeichnet.⁴¹ Tatian gebraucht προβάλλειν sonst nur für das Hervorbringen von Wörtern und analog für das Hervorgehen des Logos aus dem Vater. Vermutlich bezeichnet also προβάλλειν eine Art und Weise des Hervorgehens aus dem Vater, das sachlich und terminologisch von der Schöpfung unterschieden werden soll.⁴² Victorinus verzichtet in ganz ähnlicher Weise auf eine eindeutige Schöpfungsterminologie im Zusammenhang der Entstehung der Materie und lehnt den Begriff creare für die Hervorbringung der Materie ausdrücklich ab. Victorinus lässt sich also vor dem Hintergrund einer langen christlich-philosophischen Tradition verstehen, da er dieselben Grundanliegen wie Tatian teilt. Einerseits muss die Materie aus Gott abgeleitet werden, um einen Dualismus zu vermeiden, andererseits bleibt die platonische Vorstellung bestimmend, dass der Schöpfer eine vorliegende Materie ordnet. Mit einer Konzeption zum Ursprung der Materie wie sie in ähnlicher Weise bereits Tatian entwickelt hat, können beide Voraussetzungen erfüllt werden. Mit diesen Beobachtungen ist freilich keine These über eine Abhängigkeit des Victorinus von Tatian verbunden. Es zeigt sich vielmehr, wie selbstverständlich er bestimmte Voraussetzungen teilt, die schon lange im christlichen Diskurs etabliert sind. Der Vergleich mit Tatian macht plausibel, dass die Konsequenz, die Victorinus zieht, für einen christlichen Philosophen nicht abwegig ist. Der fortgeschrittene Diskussionsstand bei Victorinus spiegelt sich dann darin wider, dass er genauere Überlegungen anstellt, wie die Materie aus Gott entsteht. Hierfür kann er auf die
Vgl. Tat. orat. 5,6 f.; 12,2. Vgl. zu Tatian Tornau, RAC, 24, 381– 383; Köckert, Art. Schöpfung, RAC 29 (2019), 1070 – 7072 und May, Schöpfung aus dem Nichts, 151– 157. Vgl. Tat. orat. 5,7; 12,2. Vgl. z. B. Tat. orat. 5,6: […] ὁ λόγος […] τὴν ὕλην δημιουργήσας […]. Tat. orat. 7,1: Λόγος […] τὸν ἄνθρωπον ἐποίησεν […]. Vgl. z. B. Tat. orat. 5,6
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stoische Ursachenlehre zurückgreifen, die bereits Origenes auf die materielle Schöpfung angewandt hat. Ferner zeigt sich ein höheres Reflexionsniveau darin, dass Victorinus die erste Bewegung des Sohnes aus dem Vater als Ursache der Materie betrachtet. Dies erinnert an Plotins Konzept, wonach die erste Bewegung aus dem ersten Prinzip heraus die Ursache für die Andersheit in formaler und materieller Hinsicht ist.
3 Die moralische Qualität der Materie und des Leibes 3.1 Neutrale und negative Wertung der Materie Überlegungen zur Materie sind vor dem Hintergrund der philosophischen Diskussion der Spätantike immer auch mit der Frage ihrer moralischen Bewertung verbunden. Auch Victorinus diskutiert die Materie mit Blick auf die Frage der Herkunft des Bösen. Dabei entwickelt er eine doppelte Perspektive auf die Materie: Sie ist einerseits notwendiges Substrat für die sichtbare Schöpfung, andererseits schreibt er ihr eindeutig negative Qualitäten zu. Der Logos ist substantielles Leben und als solches das aktive Schöpfungsprinzip. Er will das Leben und Sein, das er aus dem Vater hat, weitergeben.⁴³ Für die sichtbare Schöpfung ist die Materie als passives Prinzip, das belebt und geformt werden kann, unabdingbare Voraussetzung.⁴⁴ Daher kann Victorinus ihr auch die positive Bezeichnung „Amme des Alls“ verleihen, die an Platons Timaios angelehnt ist.⁴⁵ Als Gegenstück zum aktiven Lebensprinzip des Logos ist die Materie also zunächst ganz passiv und lässt sich vom aktiven Schöpfungsprinzip beleben. Daher kann Victorinus die Materie als Grundstoff der Schöpfung auch „tote Natur“ nennen.⁴⁶ Da in ihr keinerlei aktives Lebensprinzip enthalten ist, ist sie für sich genommen „unfruchtbar und dunkel“⁴⁷ und kann aus eigenem Vermögen nichts aus
Vgl. Adv. Ar. I 26: Potentia enim τοῦ λόγου iuxta suam substantiam vitae est semper substantia, secundum quod vita est, et vivefacit et revivefacit et non permittit esse in morte, quaecumque facit. (59,27– 29 Locher) vgl. auch Adv. Ar. Ib 51: Sed unum istud, quod esse dicimus unum unum, vita est, quae sit motio infinita, effectrix aliorum […]. (86,21 f Locher), Ib 60 (s. Anm. 4). Vgl. Adv. Ar. I 26: Et rursus quod non esset vivefacere, nisi esset materia ad potentiam vivefaciendi, effecta est materia mortua natura […]. (60,2– 4 Locher) Vgl. Ad Cand. 10: […] et ὕλη omnium nutrix […]. (17,12 Locher) mit Pl. Ti. 52d4– 5: [ἡ] γενέσεως τιθήνη[…]. Adv. Ar. I 26 (60,4 Locher, s. Anm. 44). Ad Cand. 10: ὕλη autem sine anima effeta et densa facta in aeternum manet animationem ab anima animam habens. Sunt igitur et dicuntur ista μὴ ὄντα. (17,13 – 16 Locher) Benz, Marius Victorinus, 48
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sich hervorbringen. Die Belebung der Materie geschieht erst durch die Seele, die als Bild des Logos selbst Leben ist und dieses an die Materie weitergeben kann. Die Materie bleibt aber stets mit dem Tod verbunden, sie wird nie in einer solchen Weise belebt, dass ihr Charakter als tote Natur völlig beseitigt wird. Das zeigt sich daran, dass Victorinus Materialität stets mit Vergänglichkeit und Sterblichkeit in Verbindung setzt. Der Mensch, der aus der Materie erschaffen wird, ist daher auch schon immer qua materieller Beschaffenheit sterblich.⁴⁸ Jedoch schreibt Victorinus der Materie auch eine aktive Dimension zu. So kann er am Ende einer Darstellung der Materie als rein passives Prinzip sagen, dass sie „in Ewigkeit der Beseelung harrt (manet animationem), da sie erst von der Seele her eine Seele hat.“⁴⁹ Das Verb manere wird sonst in transitiver Verwendung nur von persönlichen oder persönlich gedachten Subjekten ausgesagt, leblose Subjekte kommen hingegen nicht vor.⁵⁰ Victorinus schreibt der Materie damit ein regelrechtes Verlangen nach Beseelung zu. Diese Vorstellung, die sich bereits bei Aristoteles findet, macht sich auch Plotin zu eigen, um die Verbindung der Seele mit der Materie zu erklären. Die Ursache für den Fall der Seele ist demnach die Existenz der Materie und ihr Verlangen nach einer Verbindung mit der Seele. Gäbe es die Materie nicht, wäre die Seele auch nicht abgestiegen. Die Materie und ihr Verlangen nach Formung durch die Seele sind die Ursachen für den Fall der Seele.⁵¹ An einer anderen Stelle charakterisiert Victorinus das Wesen der Materie vor ihrer Formung durch die Lebenskraft als ungeordnete Bewegung: Denn aufgrund ihrer Natur des ungeordneten Hin- und Herfließens lässt das schwankende und unbeständige Wesen ein Zur-Ruhe-Kommen nicht zu und kann keine Form annehmen, sodass
deutet die Stelle aufgrund des Textes in PL 8, 1026 A als Beleg für die Ewigkeit der Materie. Dort ergibt sich der Zusammenhang: ἡ ὕλη […] in aeternum manet […]. Vgl. z. B. in Eph. 1,4,119 – 121: […] et quicquid materiale est et temporale est et caducum et corruptibile. Ferner in Phil. 2,6 – 8,107: […] esse in carne mortis est […]. Damit liegt Victorinus mit der Ansicht, dass Adam schon vor dem Fall sterblich war, mehr auf der Linie des Caelestius (vgl. Aug. Gest. Pelag. XXIII 57 (CSEL 42, 111,21 f.) Vgl. dagegen die heftige Kritik Augustins z. B. in pecc. mer. I 2,2– 8,8. Vgl. Ad Cand. 10 wie Anm. 47. Vgl. ThlL 8,291,12 f. s.v. maneo II A: „i.q. animo paratum esse ad aliquem (aliquid) excipiendum, exspectare, opperiri.“ Die Erläuterung macht deutlich, dass dem Subjekt dabei ein animus im weitesten Sinne zugeschrieben wird. Vgl. Arist. Ph. I 9 192a16 – 25; Plot. enn I 8 (51) 14,35 f.42 f.: ὕλη δὲ παροῦσα προσαιτεῖ καὶ οἷον ἐνοχλεῖ καὶ εἰς τὸ εἴσω παρελθεῖν θέλει. […] τὴν γένεσιν αὐτὴ παρασχοῦσα καὶ τὴν αἰτίαν τοῦ εἰς αὐτὴν ἐλθεῖν· οὐ γὰρ ἄν ἦλθε τῷ μὴ παρόντι.
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man sagen könnte, es sei etwas. Da es also kein etwas ist, kann es auch sein eigenes Sein nicht bewahren, sodass man zurecht sagt, es sei überhaupt kein Sein.⁵²
Das Nichtsein der Materie und das Tote an ihrer Natur ist gleichbedeutend mit einem Mangel an Form. Diese fehlende Bestimmtheit äußert sich in einer ungeordneten Bewegung und permanenten Unruhe der Materie. Erst als geformtes Sein ist sie fest umrissen, begrenzt und ruhig. Aufgrund dieser Unbegrenztheit ist die Materie an sich auch für den Menschen nicht erkennbar und nicht wahrnehmbar. Erst als geformtes Sein kann sie an den Körpern ein Objekt der Wahrnehmung werden.⁵³ Der menschliche Verstand kann sich der Materie nur durch den Umweg über das Sein annähern, indem er sie als Privation des Seins zu begreifen versucht.⁵⁴ Die Unordnung und schwankende Bewegung der Materie hängt mit ihrem Mangel an Form zusammen. An der Spitze der ontologischen Hierarchie steht Gottvater als erstes Prinzip, das für sich selbst schon immer determiniert und erkennbar ist. Da die Materie ontologisch am weitesten von ihm entfernt ist, liegt es nahe, sie als absolute Unordnung und Unruhe zu verstehen. Diese aktive Dimension der Materie gewinnt stärkere Konturen bei der Frage nach dem Ursprung des Bösen. Denn die Zuwendung der Seele zur Materie bleibt für die Seele nicht ohne negative Folgen. Die Verbindung mit der dunklen Materie schwächt das Lebenslicht aus dem oberen Bereich und die Seele ist nun in der Materie und im Fleisch wie in einem Gefängnis gefesselt, aus dem sie nicht mehr allein herauskommen kann. Die Materie ist gleichbedeutend mit Vergänglichkeit und Tod, mit denen die Seele sich verbunden hat und denen sie dadurch ausgesetzt wird. In der Materie walten gar„materielle Kräfte“, die die Seele „zerreißen“ und die
Adv. Ar. IV 10 f.: Fluendi enim ac refluendi natura incondite subsistendi non recipit vis lubrica inconstans nec formam recipit, ut aliquid esse dicatur; unde, carens eo, quod est aliquid esse, etiam esse suum non tenet, ut recte nullo modo esse dicatur. (144,10 – 14 Locher) Zur Konstruktion und Übersetzung vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 283 mit Anm. 501 und CSEL 83/1, 240,48 mit der Anm. in app. ad loc. Dort wird überzeugend begründet, warum die überlieferte Lesart natura gegenüber der Konjektur naturam in SC 69, 530, 48 gehalten werden kann. Vgl. Adv. IV 11: At nunc comprehensa et tota atque in partibus circumsistens et formata et hoc corporata et ad aliquid esse specie aliqua capta esse creditur, quia motu vitali ab infinito certis lineamentis saepta in sensus certissimos promovetur. (144,14– 17 Locher) Vgl. Ad Cand. 8: At vero alia duo, quae non vere non sunt et quae non sunt, ab istis intellegentiam sumunt per conversionem intellegentiae τοῦ ὄντος. Etenim non intellegit τὸ μὴ ὄν iuxta τὸ μὴ ὄν, sed iuxta τὸ ὄν τὸ μὴ ὄν accipit. (15,4– 7 Locher) Das entspricht ganz den erkenntnistheoretischen Erörterungen zur Materie bei Plotin, der im Anschluss an Pl. Ti. 52a8-b2 davon spricht, dass die Materie nur durch einen unechten Denkakt (νόθος λογισμός) erkannt werden kann. Gleiches kann nur durch Gleiches erkannt werden, daher müsste der Verstand die Unbegrenztheit der Materie annehmen, um sie direkt erkennen zu können. Vgl. Plot. enn. II 4 (12)10.
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Ursache für ihre Dunkelheit und ihr Unwissenheit sind.⁵⁵ Diese aktiv böse Dimension der Materie und des Fleisches bringt Victorinus auch durch eine sprachliche Auffälligkeit zum Ausdruck, wenn er über die Inkarnation des Logos sagt: „Es war nötig […], dass der universale Logos von der niederen Materie und der gesamten Vergänglichkeit inkarniert wurde […].“⁵⁶ Hier erscheint die Materie und Vergänglichkeit durch die passivische Verwendung von incarnari grammatisch als Agens. Der Logos hat sich in der Inkarnation diesen materiellen Mächten ausgesetzt und sie überwunden, sein Kampf gilt einem aktiven Gegner.
3.2 Die Formlosigkeit und die Beseelung der Materie als Ursache ihres bösen Charakters Wenn nun die Materie bei Victorinus ihren Ursprung aus Gott nimmt, ist seine Konzeption der Materie als Sitz böser Mächte erklärungsbedürftig. So liegt der Schluss nahe, dass Gott selbst die Ursache des Bösen in der Materie ist. Da diese Annahme für das Denken des Victorinus problematisch scheint, muss eine plausible Erklärung für die Bosheit der Materie gefunden werden, ohne Gott eine schlechte Absicht zu unterstellen. Schon vor ihrer Belebung durch die Seele ist die Materie aufgrund ihres infiniten Charakters mit einer ungeordneten Bewegung und einem unsteten Wesen ausgestattet. Sie erscheint damit wie die χώρα des platonischen Timaios, die in der Auslegungstradition mit der Materie identifiziert wird, als Chaos, das vom Schöpfer geordnet werden muss.⁵⁷ Im Gegensatz zum ebenso infiniten ersten Prinzip stellt die Unbegrenztheit der Materie einen Mangel dar. Um diesen Gegensatz zu verdeutlichen, entwickelt Victorinus in Adversus Arium IV auch das Konzept der inneren und äußeren Form Gottes. Dadurch kann er die Unbegrenztheit des Vaters anders fassen als die Unbegrenztheit der Materie, erstere ist eine Unbegrenztheit im Sinne der Überbietung, zweitere eine Unbegrenztheit im Sinne eines Mangels. Das Wesen des Vaters ist nur
Vgl. Adv. Ar. IV 11: Hinc [sc. anima] in ὕλην mersa et mundanis elementis et postremo carnalibus vinculis implicatα corruptioni atque ipsi morti sese miscens vivendi idolum materiae faecibus praestat. (144,26 – 28 Locher) und Adv. Ar. Ib 58: Tenebrae enim et ignoratio animae direptae ab hylicis potentiis eguerunt lumine aeterno in auxilium […]. (93,23 f. Locher) Die Vorstellung der zerrissenen Seele erinnert an die orphische Tradition, in der die Zerstückelung (διασπασμός) des Dionysos allegorisch ausgelegt wird, vgl. dazu Brisson, Orphée et l’Orphisme, ANRW II 63,4 (1990), 2884. Vgl. Ad. Ar. Ib 58: Necesse fuit […] universalem λόγον ab inferiore hyle et corruptione omni incarnari […]. (93,19 – 22 Locher) Vgl. Pl. Ti. 30a2– 5.
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nach außen unbestimmt und unerkennbar, während er in sich schon immer seinen Logos trägt, der sein Wesen bestimmt und definiert. Für sich selbst ist der Vater also nie im Sinne der Materie formlos und unendlich, da seine Formlosigkeit und Unendlichkeit für ihn selbst durch die seinem Wesen inhärente Form bestimmt ist.⁵⁸ Durch sein Heraustreten wird der Logos zur äußeren Form, durch die Gott auch für den Menschen erkennbar wird. Da die Materie am anderen Ende der ontologischen Hierarchie steht, ist ihre Formlosigkeit hingegen absolut, Form und Begrenzung kommen ihr vollständig von außen zu. Eine Ursache für die Bosheit der Materie liegt also bereits in ihrem ungeordneten und ungeformten Grundcharakter, der sich durch die Stellung der Materie als unterstes Glied in der ontologischen Hierarchie erklärt.⁵⁹ Diese Unordnung wird bei Victorinus im Anschluss an den platonischen Timaios bei der Belebung und Formung der Materie nicht vollkommen beseitigt.⁶⁰ Victorinus ist bemüht, eine Erklärung für dieses Phänomen zu liefern, da dies zunächst eine Schwäche oder einen Mangel des Schöpfers implizieren könnte. Dafür nutzt er das Konzept der ἐπιτηδειότης, wonach jede Seinsstufe im unterschiedlichen Grade dazu in der Lage ist, das Leben aufzunehmen.⁶¹ Der geringere Ordnungsgrad der Materie ist also nicht durch eine Schwäche des Schöpfers bedingt, sondern durch den ontologisch niederen Rang der Materie. Die Lebenskraft des Logos fließt zur Belebung des Alls durch alle Stufen des Seins nach unten und vermittelt Sein und Leben an alle Existenzen. Je nach der Stufe in der ontologischen Hierarchie nehmen diese Existenzen dabei aber mehr oder weniger von der Lebenskraft des Logos auf.⁶² Daher lebt das gesamte All durch Vermittlung des Logos, jedoch lebt alles in dem Grade, wie es seiner Natur angemessen ist.⁶³ Die Materie ist aufgrund Vgl. Adv. Ar. IV 19: Verum esse primum […] infinitum, interminatum, sed aliis omnibus, non sibi et idcirco sine forma. (152,25.28 f. Locher); für den Gegensatz der inneren und äußeren Form Adv. Ar. IV 20. S.o. S. 279 – 284. Vgl. auch Plot. enn. I 8 (51) 3 – 5. Vgl. Pl. Ti. 68e-69e für die Rolle der ἀνάγκη, die dem Handeln des Demiurgen gewisse Grenzen setzt. Victorinus spricht davon, dass den Elementen eine eigene Bewegung innewohnt, die nicht von der Seele verursacht wird. Dabei dürfte es sich um solche Überreste der chaotischen Bewegung der präkosmischen Materie handeln, vgl. in Gal. 5,17. Ausführlich dazu s.u. S. 398 f. Zu diesem Konzept s.u. S. 401 f. Vgl. Pl. Ti. 69b2– 5, Porph. sent. 10: πάντα μὲν ἐν πᾶσιν, ἀλλὰ οἰκείως τῇ ἑκάστου οὐσίᾳ· ἐν νῶ μὲν γὰρ νοερῶς, ἐν ψυχῇ δὲ λογικῶς, ἐν δὲ τοῖς φυτοῖς σπερματικῶς, ἐν δὲ σώμασιν εἰδωλικῶς, ἐν δὲ τῷ ἐπέκεινα ἀνεννοήτως τε καὶ ὑπερουσίως. (4,7– 10 Lamberz) Vgl. Adv. Ar. IV 11: […] vis potentiaque vitalis, quae defluens a λόγῳ illo, qui vita est, quem dicimus filium, per archangelos, angelos, thronos, glorias ceterasque, quae supra mundum sunt, primo in incorpora atque ἄυλα naturali sua substantia munda atque puriora cum currit ac labitur, lucem suam maiore sui communione partitur. (144,18 – 22 Locher) Vgl. Adv. Ar. IV 11: Ergo cum omnia haec enumerata vivant et nihil sit vel in aeternis vel in mundanis aut hylicis, quod non pro natura sua vivat […]. (145,7– 9 Locher)
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ihres niederen Ranges weniger in der Lage, das Leben aufzunehmen, als die immateriellen Wesen im intelligiblen Bereich. Victorinus kann sogar davon sprechen, dass alles Irdische „durch ein Lebenslicht, das durch die Verbindung mit der Materie verwundet ist,“⁶⁴ belebt wird. In ganz ähnlicher Weise verwendet auch Plotin die Lichtmetaphorik, um zum Ausdruck zu bringen, wie die Aktivität der Seele durch die Verbindung mit der Materie geschwächt wird.⁶⁵ Der Vergleich mit Plotin erhellt auch eine weitere Funktion der Lichtmetaphorik bei Victorinus: Sie bringt zum Ausdruck, dass die Seele sich durch die Verbindung mit der Materie nicht wesensmäßig verändert. Es kann zwar von einer Verdunklung und Schwächung ihrer Kraft gesprochen werden, jedoch verliert die Seele dabei nichts von ihrem Wesen.⁶⁶ Plotin und Victorinus sind beide darum bemüht, sowohl die Ursache des Übels möglichst von der rationalen Seele fernzuhalten als auch zu betonen, dass die Seele durch ihre Verbindung mit dem Körper nicht substantiell verändert wird. Die schwächere Partizipation der Materie am Leben hängt bei Victorinus auch damit zusammen, dass sie nicht direkt vom Logos belebt wird, sondern unter Vermittlung der Seele. Dadurch wird der göttliche Logos zusätzlich entlastet, da er zunächst nicht direkt auf die Materie einwirkt, sondern das Leben durch verschiedene Stufen zur Materie herabfließt und dabei immer weiter an Kraft verliert.⁶⁷ Die aktive Dimension der Materie steigert sich bei Victorinus aber nach dem Einwirken der Seele deutlich, denn „[…] nach ihrer Belebung sendet sie ihre Bosheiten aus aufgrund der göttlichen Belebung und verdirbt den Menschen.“⁶⁸ Hier schreibt er der Materie eindeutig ein willentliches Tun des Bösen zu und begründet dies mit der Belebung der toten Materie durch Gott.⁶⁹ Zwar ist durch die ontologische Abstufung schon klar, dass die Materie nur in schwächerem Maße Leben und
Adv. Ar. IV 11: Vivunt […] propter copulationem hylicam saucia luce vitali. (144,29 – 31 Locher) Es ist auch denkbar, dass saucius hier in der Bedeutung „angetrunken“ verwendet wird. S.u. S. 457– 463. Die Passage bei Victorinus handelt jedenfalls im Kontext von der Belebung des Alls, das verwundete Licht ist nicht der inkarnierte Logos, gegen Karfíková, Semet ipsum exinanivit, 147. Vgl. Plot. enn. I 8 (51) 14,38.40 – 42: Ἐλλάμπεται [sc. ἡ ὕλη] οὖν ὑποβάλλουσα ἑαυτὴν […]. Τὴν δὲ ἔλλαμψιν καὶ τὸ ἐκεῖθεν φῶς ἐσκότωσε τῇ μίξει καὶ ἀσθενὲς πεποίηκε […]. Vgl. Plot. enn. I 8 (51), 14,19 – 24. Die mittelnde Funktion der Seele in der Belebung der Materie hat eine ähnliche Funktion wie die Beteiligung der niederen Götter an der Menschenschöpfung bei Pl. Ti. 41a-d.42de.69c und die Beteiligung der Engel bei Philo, Opif. 74 f. Vgl. dazu Mazzanti, L’aggettivo μεθόριος, 36 f. Adv. Ar. I 26: […] quae vivefacta suas malitias emisit vivificatione divina et corrupit hominem. (60,4 f. Locher) Benz, Marius Victorinus, 98 spricht hier sehr pauschal von einer„Umbiegung der vita-Lehre“, die es Victorinus ermögliche, eine „blasse Anschauung von der Sünde festzuhalten.“
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Ordnung empfangen kann, das erklärt jedoch noch nicht, warum sie nun als aktiv böse charakterisiert wird. Die Ursache hierfür dürfte in der Art und Weise der Belebung der Materie liegen, durch die sie eine eigene Seele erhält, die die Voraussetzung für willentliches Handeln darstellt. Die Materie erhält ihr Leben durch die Seele, die ihr das Leben weitergibt, das sie vom Logos her hat. Die Belebung der Materie ist also gleichbedeutend mit einer Beseelung. Daher spricht Victorinus der Materie auch eine eigene Seele zu: Seine Definition der Materie als inanima ὕλη klingt zwar zunächst wie ein Synonym zu ihrer Beschreibung als materia mortua, da inanimus auch schlichtes Äquivalent zu mortuus sein kann.⁷⁰ Victorinus füllt aber diese Charakterisierung der Materie noch weiter und definiert, inwiefern die Materie leblos bzw. unbeseelt ist: „Seelenlos nenne ich dabei das, was ohne intellektuelle Seele ist.“⁷¹ Da Victorinus der Materie damit eine irrationale Seele zuschreibt, muss er damit eine Materie meinen, die bereits durch die Seele belebt wurde. Er unterscheidet also zwischen einer toten, ungeordneten Materie und einer bereits geordneten und mit einer irrationalen Seele versehenen Materie. Diese Ordnung erhält die Materie erst durch die Seele. Von der beseelten Materie kann dann auch erst gesagt werden, dass sie ihrer Natur gemäß lebt.⁷² Diese Materie ist nun in der Lage, aktiv und willentlich Böses zu tun, da die Voraussetzung hierfür eine Seele ist.⁷³ Man darf die Zuschreibung einer Seele an die Materie also nicht in einem dualistischen Sinne verstehen, vielmehr leitet Victorinus die irrationale Seele der Materie aus ihrer Belebung durch die Seele ab. Die Materie hat nicht schon wesensmäßig von Anfang an eine eigene Seele, die die Ursache ihrer ungeordneten Bewegung wäre. Damit schließt sich Victorinus zunächst einer Interpretation der Materie an, wie sie sich auch bei Plotin findet, und distanziert sich von dualistischen Konzeptionen des vorplotinischen Platonismus. Plotin betont gegen die Stoa, dass es einer Seele als Lebensprinzip des Alls bedürfe, da ansonsten alles nur im Fluss wäre und sich ungeordnet und planlos hin- und herbewegte. Die Materie und die Körper brauchen eine Seele, um in geordnete Bahnen gelenkt zu werden.⁷⁴ Daher spricht er der Materie eine Seele dezidiert ab.⁷⁵ Er stellt sich so gegen verschiedene dualisti-
Vgl. ThlL 7,1,820,9 s.v. inanimus, inanimis 1b: „i. q. mortuus, vita privatus“. Ad Cand. 10: Cum autem subintellegimus solam inanimam ὕλην (inanimum autem dico, quicquid sine intellectuali anima est) […]. (16,19 f. Locher) Vgl. Adv. Ar. IV 11: Ergo cum haec omnia enumerata vivant et nihil sit vel in aeternis vel in mundanis aut hylicis, quod non pro natura sua vivat […]. (145,7– 9 Locher) S. dazu unten S. 386 – 403. Vgl. Plot. enn. IV 7 (2) 3,15 – 35. Vgl. Plot. enn. III 6 (26) 7,7– 9 (s. Anm. 7). Dem schließt sich Porph. sent. 20 bis auf die Formulierung hin an.
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sche Ansätze mittelplatonischer Timaios-Ausleger, die eine böse Seele als Ursache der ungeordneten Bewegung der Materie annehmen.⁷⁶ Jedoch zeigt das Konzept des Victorinus auf einer zweiten Ebene auch eine gewisse Verwandtschaft zu diesen dualistischen Ansätzen. Plutarch geht etwa in seiner Timaios-Exegese davon aus, dass nur die Seele Ursache einer Bewegung sein kann. Wenn der Materie im Timaios eine ungeordnete Bewegung zugeschrieben wird, folgert er daraus, dass ihr eine irrationale Seele innewohnt, die er mit der bösen Seele aus Platons Nomoi identifiziert. Diese irrationale vorkosmische Urseele in der Materie werde dann durch den demiurgischen Intellekt geordnet.⁷⁷ Dabei will Plutarch aber gerade nicht nahelegen, dass die Materie an sich schlecht oder böse ist. Die Materie an sich ist völlig formlos und besitzt daher weder Eigenschaften noch ein Handlungsvermögen.⁷⁸ So kann Plutarch einen Mittelweg gehen und weiterhin die moralische Neutralität der Materie behaupten und gleichzeitig eine Erklärung für das vorkosmische Chaos finden, das die Ursache des Übels in der Welt ist. Die Unordnung dieser irrationalen Urseele wird nur zum Teil gebändigt und in Ordnung überführt, daher gibt es auch in der gestalteten Welt noch Übel.⁷⁹ Victorinus integriert in seiner Materiekonzeption den Vorteil dieser dualistischen Konzeption in sein monistisches Weltbild. Die Materie ist zunächst bereits von sich aus durch eine ungeordnete Bewegung gekennzeichnet und weist insofern Züge eines vorkosmischen Chaos auf. Diese ungeordnete Bewegung erklärt Victorinus allein durch die niedrige ontologische Stellung der Materie und führt sie nicht auf eine Seele zurück. In einem zweiten Schritt erhält diese Materie ausgehend vom Logos aber durch die Vermittlung der Seele eine eigene irrationale Seele. Dadurch wird die Materie einerseits vorbereitet, um als Grundstoff für die Schöpfung der Welt und des Menschen zu dienen, andererseits wächst ihr so aber die Fähigkeit zu willentlicher Bosheit zu. Für Victorinus reicht die Erklärung der Bosheit der Materie als Mangel an Gutem offenbar nicht aus. So kann nicht erklärt werden, warum im Rahmen des Schöpfungshandelns diese Bosheit nicht beseitigt wird. Er ist darum bemüht, die bleibende Sündhaftigkeit des Menschen zu erklären, die in der biblischen Sprache auf das Fleisch zurückgeführt wird, worunter er die materielle Be-
Vgl. den knappen Überblick bei Tornau, Art. „Materie“, RAC 24 (2012), 359 – 361. Ausführlicher zu den drei wichtigen Vertretern dualistischer Ansätze Plutarch, Atticus und Numenius vgl. insgesamt Deuse, Seelenlehre, 12– 80; Köckert, Christliche Kosmologie, 11– 52, bes. 11– 30.43 – 47.49 – 52 (zu Plutarch), bes. 78 – 81 (zu Atticus), bes. 104– 117 (zu Numenius). Vgl. nur Plu. An. procr. 7, Moralia 68 1015de (151,17– 23 Hubert/Drexler). Die Annahme zweier Seelen beruft sich auf Pl. Lg. X 896d5-e6, das Axiom, für die Seele als Ursache der Bewegung vgl. Pl. Phdr. 245c5 – 9. Vgl. Plu. An. procr. 6, Moralia 68 1014e-1015a (149,23 – 150,7 Hubert/Drexler). Vgl. Plu. An. procr. 28, Moralia 68 1026e-1027a (165,6 – 24 Hubert/Drexler).
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schaffenheit des Menschen versteht. Das Fleisch ist aber nicht eine bloße Hülle, sondern im Besitz einer eigenen Seele, die gegen Gott streiten und den Menschen in Sünde gefangen halten kann. Diese Konzeption wird sich in der Analyse seiner Anthropologie noch besser zeigen lassen.⁸⁰
3.3 „Bodensatz“ und „Spitze der Materie“ als Entsprechung zu toter Natur und beseelter Materie 3.3.1 Die Unterscheidung der Begriffe und ihre Bedeutung Die „tote“ Materie gibt es für Victorinus nur als gedachten Grundstoff, der von der Seele belebt wird. Erst die beseelte Materie ist der Ausgangspunkt für die Erschaffung der Welt. Ähnlich wie die Unbestimmtheit des Vaters dazu dient, die kausale Herleitung alles Seins aus dem ersten Prinzip zu erklären, dient die Vorstellung einer toten Materie dazu, die Materie als Grundstoff der Schöpfung vorzustellen. Der Vater ist in seiner Eigenheit unbestimmt und unendlich, durch seinen gleichewigen Logos aber immer schon determiniert und erkennbar. Ähnlich ist die tote Materie der theoretisch gedachte Grundstoff, der aber immer schon geformt vorliegt. Diese Unterscheidung zwischen der toten Natur der Materie und ihrem beseelten Zustand spiegelt sich auch in der Differenzierung zwischen einer „Spitze der Materie“ und dem „Bodensatz der Materie“ wider.⁸¹ Demnach ist der„Bodensatz der Materie“ ein anderer Ausdruck für die tote Natur, die „Spitze der Materie“ dann ein Ausdruck für die bereits beseelte Materie. Es liegt zumindest nahe, dass materiae faeces nicht einfach nur ein pleonastischer Ausdruck für die Materie insgesamt ist, sondern tatsächlich als Gegenbegriff zur „Spitze“ gedacht ist.⁸² Die Frage, was unter diesen Begriffen zu verstehen ist, ist deswegen von Bedeutung, da die „Spitze der Materie“ der Grundstoff für die Schöpfung des Menschen ist. Unterscheidet man die beiden Begriffe streng, dann nutzt der Logos eine bereits durch die Seele vorgeformte Materie zur Schöpfung und handelt nicht direkt an der toten, unbeseelten Natur der Materie.
S.u. S. 386 – 403. In Adv. Ar. Ib 61 (96,15 Locher) summitates τῆς ὕλης, in Adv. Ar. Ib 62 (96,30 Locher): summitates terrae et florem, in Adv. Ar. IV 11: materiae faeces (144,28 Locher). Vgl. die Erklärung bei Hadot, SC 69, 1003 ad loc.
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3.3.2 Philologische und interpretatorische Probleme in Adv. Ar. Ib 61 3.3.2.1 Die Interpretation Hadots und ihre Probleme An einer Stelle, an der Victorinus von der „Spitze der Materie“ spricht, ergeben sich interpretatorische Probleme, die eine ausführliche Behandlung erfordern: Das erste Mal verwendet Victorinus den Begriff der Spitze der Materie im Zusammenhang mit der belebenden Tätigkeit der Seele: Die Seele befindet sich in einer Mittelstellung zwischen intelligiblem Sein und der Materie. Sie neigt sich nach unten und belebt die Materie, was zu ihrer „Verdunkelung“ durch die Materie führt. In diesem verdunkelten Zustand wird die Seele nach unten gezogen, statt sich nach oben zu wenden, wie sie es eigentlich tun sollte.⁸³ Daran schließt Victorinus dann Äußerungen über die Spitze der Materie an, die in mehrfacher Hinsicht erklärungsbedürftig sind. Ich führe die Stelle zunächst im lateinischen Wortlaut der Editionen und in der Übersetzung von Hadot und Brenke an, um deren Interpretation herausarbeiten und die damit verbundenen Probleme aufzeigen zu können: Etenim summitates τῆς ὕλης puriores animandi vim habentes causa sunt lumini, vel ut in sua descenderet. Quare enim dictum est: et ista discernis. Dicit aliquis: si talis est anima, quomodo dictum est: faciamus hominem iuxta imaginem et similitudinem nostram? ⁸⁴ Die höchsten Bereiche der Materie sind nämlich die reinsten; sie besitzen die Kraft, belebt zu werden, und bieten dem Licht Gelegenheit, wie in sein eigenes Reich hinabzusteigen. Darum ist gesagt worden: „Du scheidest auch diese Dinge.“ Irgendeiner mag sagen: wenn das die Seele ist, was bedeutet dann „laßt uns den Menschen nach unserem Abbild und unserer Ähnlichkeit machen“?⁸⁵
Hadot verweist als Erklärung für die summitates τῆς ὕλης auf ähnliche Formulierungen in den Chaldäischen Orakeln. Dort sind mit der Spitze der Materie die Elemente Feuer und Luft gemeint.⁸⁶ In seinem Kommentar versteht Hadot die Stelle zunächst so, dass die oberen Elemente Luft und Feuer eher die Disposition besitzen, das Leben zu empfangen. Er deutet in dieser Interpretation die animandi vis also als eine passive Disposition dieser Elemente.⁸⁷ Daher werde die Seele von diesen Elementen stärker angezogen und dazu verleitet, sich nach unten zu begeben. Die mit
Vgl. Adv. Ar. Ib 61 (95,33 – 96 – 14 Locher) Adv. Ar. Ib 61 (96,14– 17 Locher). Locher schließt sich weitgehend Hadots Text an, vgl. Adv. Ar. Ib 61,24– 29 (CSEL 83/1 162), dort nur ein zusätzliches Komma nach puriores und habentes (61,25). Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 207. Vgl. Hadot, SC 69, 884 ad 61,24. Ferner Ders., Porphyre, 187 mit Anm. 2. Zur Einordnung dieses Begriffes in die jüdisch-christliche Genesisauslegung s.u. S. 384– 386. Vgl. Hadot, SC 69, 884 ad 61,25. Dieses Verständnis liegt auch der deutschen Übersetzung zugrunde, vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 400 Anm. 314. Ebenso Clark, Psychology, AugStud 5 (1974), 156.
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einer Zitatformel eingeleitete nachfolgende Bemerkung deutet er als sonst nicht nachweisbares Zitat aus den Chaldäischen Orakeln. Es könne dabei um die Trennung zwischen Bodensatz und Spitze der Materie gehen oder darum, dass die Seele sich sogar von diesen reinsten materiellen Hüllen lösen müsse.⁸⁸ Später präzisiert Hadot diese Interpretation weiter vor dem Hintergrund der Annahme, dass Victorinus diese Passage aus Porphyrius übernommen habe, und korrigiert dabei seine frühere Auslegung in Details⁸⁹: Feuer und Luft seien die Spitzen der Materie, die das πνεῦμα konstituierten. Dies ist in der Lehre des Porphyrius das materielle Gefährt, das die Seele bei ihrem Abstieg in die Welt annimmt. In jeder Planetensphäre kommt etwas zu diesem materiellen Seelengefährt hinzu, bis die Seele schließlich in den Körper gelangt. Das Seelenpneuma nimmt zudem bei Porphyrius die Funktion der vegetativen Seele ein, weswegen Hadot nun auch die animandi vis als eine aktive Fähigkeit dieser Materienspitze ansieht.⁹⁰ Die Verbindung der rationalen Seele mit den Spitzen der Materie entspreche ihrer Verbindung mit dem irrationalen Seelenteil. Das Zitat aus den Chaldäischen Orakeln halte schließlich fest, dass die Seele sich bei ihrem Wiederaufstieg durch die Planetensphären jeweils von einem Teil ihres Pneumas trenne und sich letztlich ganz von ihm löse.⁹¹ Gegen diese Deutung Hadots sprechen aber drei Beobachtungen: Erstens gebraucht Victorinus summitates nur wenige Sätze später in einer ganz anderen Bedeutung. Er gibt dort eine Auslegung des biblischen Schöpfungsberichts über die Erschaffung des Menschen. Demnach nimmt Gott in Gen 2,7 bereits geschaffene und geordnete Erde, um den Menschen zu erschaffen. Diesen schon geordneten Grundstoff, aus dem der Mensch geschaffen wird, bezeichnet Victorinus als „Spitze und Blüte der Erde“.⁹² Es liegt daher nahe, summitates τῆς ὕλης als synonym zu summitates terrae et flos zu verstehen. Der Mensch ist aber unmöglich nur aus Luft und Feuer erschaffen, sondern besitzt, so Victorinus im selben Kapitel, das Vermögen aller vier Elemente.⁹³
Vgl. die beiden verschiedenen Erklärungsansätze bei Hadot, SC 69, 885 ad 61,26 und Hadot/ Brenke, Christlicher Platonismus, 400 Anm. 315. Dagegen plädiert Tommasi, Once Again für einen gnostischen Ursprung des Zitates. Vgl. Hadot, Porphyre I, 187– 189. Vgl. Hadot, Porphyre I, 188 f. Vgl. zum Seelenpneuma ausführlicher Deuse, Seelenlehre, 218 – 230. Auch Stefani, La „discesa“, 111 hält es im Anschluss an Hadot für möglich, dass mit summitates entweder die oberen kosmischen Sphären, die oberen Elemente Feuer und Äther, das Seelenpneuma, die irrationale Seele oder alles zusammen gemeint sein könne. Vgl. Adv. Ar. Ib 62: Accepit enim pulverem deus et plasmavit Adam, hoc est fabricatam iam terram, summitates terrae et florem. (96,29 f. Locher) Vgl. dazu auch die spätere Bemerkung Adv. Ar. Ib 62: Homo ex anima et corpore confitendus. Ex corpore, quod a terra composita iam. (97,8 f. Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (96,27 f. Locher).
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Zweitens wäre ein direktes Zitat aus den Chaldäischen Orakeln als Legitimation einer Aussage für Victorinus absolut singulär. Die Formulierung dictum est taucht sonst fast ausnahmslos im Zusammenhang mit Selbstreferenzen oder Verweisen auf Bibelstellen auf. Soweit ich sehe, benutzt Victorinus die Formulierung nur an einer einzigen Stelle anders.⁹⁴ Damit verbunden ist drittens die Beobachtung, dass die Formulierung in sua descenderet als Anspielung auf Joh 1,11 verstanden werden kann und somit als Aussage über den Logos, nicht über die Seele zu deuten ist.⁹⁵ Hier befindet sich also in unmittelbarer Nähe eine Anspielung auf eine Bibelstelle, die in Zusammenhang mit der Zitatformel gebracht werden kann, mit der Victorinus üblicherweise auf Bibelstellen verweist. 3.3.2.2 Vorschlag einer anderen Interpunktion des Textes und Unterscheidung der Begriffe Eine Möglichkeit für ein anderes Textverständnis, das diesen Beobachtungen Rechnung trägt, ergibt sich bei einer anderen Interpunktion des Textes. Der Vergleich mit der editio princeps Sichards und der Edition Gallands von 1772, die der Patrologia Latina zugrunde liegt, zeigt, dass diese Stelle für die Editoren schon immer schwierig war. Sichard interpungiert die Stelle so: „Quare enim dictum est: et ista discernis, dicit aliquis, si talis est anima. Quomodo dictum est […] ?“⁹⁶ Galland folgt dieser Interpunktion und liest zudem für discernis die dritte Person Singular discernit, was vermutlich auf eine Konjektur zurückgeht.⁹⁷ Im Hintergrund steht wohl ein Bemühen um Konzinnität, die man durch den Personenwechsel hier gestört sehen könnte. Mit dieser Interpunktion ist der Text aber nicht verständlich: Das einleitende quare enim dictum est erscheint als eine störende Dopplung zum Einschub dicit
Vgl. Adv. Ar. II 4 (105,31 f. Locher), wo die Formel de una substantia tres subsistentias esse so als Zitat eingeleitet wird. Vgl. Adv. Ar. III 14 (128,32– 129,1 Locher): Sed et Christum nemo cognovit: in sua venit, et mundus eum non agnoscit. In sua venit als Übersetzung für εἰς τὰ ἴδια ἦλθεν findet sich im Lateinischen auch sonst, vgl. z. B. Novatian. trin. 13,11 (CCSL 4, 32), Aug. in epist. Ioh. 3,6,1 (CCSL 36, 23, dort: in propria venit, id est in sua), Hil. in psalm. 143,6 (CSEL 22, 817,1 f.). Der Wechsel zu descendere liegt vom Gedankengang der Schrift Adv. Ar. Ib nahe, wo das Thema des Abstiegs und der Selbstentäußerung des Logos vorherrschend ist. Es lässt sich auch als Kontamination etwa mit Joh 6,50 erklären. Bei Tertullian findet sich als gegensätzliche Aussage auch in aliena descendere, s. dazu Anm. 104. Die Konjektur zu vi sua (im Sinne von „freiwillig, ohne Zwang“), über die Hadot, Porphyre, 188 nachdenkt, ist daher unnötig. Vgl. Sichard, Antidotum, p. 57C. Vgl. Galland, Bibliotheca, p. 173E = PL 8, 1086C.
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aliquis. Worauf der Einwand des interlocutor fictus hinauslaufen soll, bleibt unklar. Demgegenüber ist Hadot bemüht, durch seine Interpunktion ein Verständnis des Textes überhaupt erst zu ermöglichen: Wie seine Vorgänger betrachtet er quare enim dictum est als Einleitung eines Zitates, was bei Victorinus auch gut belegt ist. Die folgende Aussage weist er daher noch nicht dem interlocutor zu. Bedingt durch seine Annahme, dass diese Passage ursprünglich von Porphyrius stamme, liegt der Verdacht für ihn nahe, dass mit quare enim dictum est ein Zitat eingeleitet wird, das sich schon bei Porphyrius fand. Die unmittelbare Nähe des chaldäischen Ausdrucks „Spitze der Materie“ verleitet ihn folglich zu der Annahme, dass dieses Zitat auch aus den Chaldäischen Orakeln stamme und den vorigen Gedankengang abschließt. Victorinus übernimmt demnach also noch ein Zitat aus Porphyrius und wechselt dann wieder zu einer eigenen Darstellung über. Daher fehlt in dieser Perspektive auch der weitere Kontext für das Zitat und seine Bedeutung bleibt etwas unklar, im originalen Zusammenhang bei Porphyrius hätte sich vielleicht ein eindeutigerer Sinn ergeben. Mit dicit aliquis leitet Hadot dann die Rückfrage durch den interlocutor fictus ein, deren Beantwortung zu einer Exegese des Schöpfungsberichtes führt, dieser Teil stamme dann nicht mehr aus Porphyrius. Will man dagegen aber meine Bedenken gegen dieses Verständnis berücksichtigen, ohne auf eine Konjektur zurückzugreifen, lässt sich ein sinnvolles Verständnis nur über die folgende Interpunktion herstellen: Etenim summitates τῆς ὕλης puriores animandi vim habentes causa sunt lumini, vel ut „in sua“ descenderet. „Quare enim dictum est et ista discernis?“, dicit aliquis, „Si talis est anima, quomodo dictum est: ‚faciamus hominem iuxta imaginem et similitudinem nostram‘?“ Weil nun aber die Spitze der Materie reiner ist und eine Fähigkeit zur Beseelung hat, ist das auch der Grund für das Licht, dass es gewissermaßen „in sein Eigentum“ hinabstieg. „Warum steht das nun so geschrieben und warum unterscheidest du dies?“, könnte da einer fragen, „Wenn die Seele so ist, wie ist dann ‚Lasst uns einen Menschen nach unserem Bild und unserer Ähnlichkeit machen‘ zu verstehen?“
Die Rückfrage des interlocutor fictus beginnt nach meiner Interpunktion also bereits mit quare, das hier als Interrogativpronomen und nicht als relativer Satzanschluss zu verstehen ist. Die Partikel enim wird häufig in solchen Zusammenhängen gebraucht, in denen der Autor eine Frage oder Aussage aus Sicht einer anderen Person wiedergibt. Es dient hier lediglich zur Markierung des fingierten Sprecherwechsels und hat keine begründende Funktion.⁹⁸
Vgl. ThlL 5,2,585,39.81– 83 s.v. enim I C 2b: „persona loquentis mutata […] in initiis dictorum orationumve, quas scriptores tamquam e persona et mente aliorum pronuntiant (itaque et loci laudati ab -m incipere possunt.“ Bei Victorinus in ähnlicher Funktion z. B. in Adv. Ar. I 9 (39,20 – 22 Locher), Adv.
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Die zweite Person Singular discernis ist demnach als Frage an Victorinus gerichtet und hängt noch von quare ab. Die scheinbare Inkonzinnität zwischen der passivischen Formulierung quare enim dictum est und der Anrede an die zweite Person löst sich auf, wenn sich die Fragen auf zwei unterschiedliche Bereiche beziehen. Dazu muss man den vorhergehenden Satz anders verstehen und die Anspielung auf Joh 1,11 dort ernstnehmen. Das Licht, das in sein Eigentum kommt, kann hier nur den Logos meinen, und nicht die Seele. Es kann schon deswegen nicht die Seele meinen, da Victorinus zuvor von der problematischen Verhaftung der Seele in der Materie spricht. Dieses Gefangensein der „verdunkelten“ Seele kann aber unmöglich im Sinne von Joh 1,11 als Eingehen der Seele in ihr Eigentum bezeichnet werden.⁹⁹ Man darf das satzeinleitende etenim hier ebenfalls nicht als Begründung des Vorhergehenden verstehen. Es ergibt sich ein glatterer Sinn, wenn es als Überleitung zu einem neuen Gedanken aufgefasst wird.¹⁰⁰ Victorinus erklärt damit, dass die „Spitzen der Materie“ durch die Belebung der Seele reiner sind, da sie jetzt auch selbst eine Seele besitzen, die sie weitergeben können (animandi vis). Erst mit dieser reineren Materie kann der Logos in Kontakt treten, der in diese beseelte Materie wie in sein Eigentum kommt. Diese ist sein Eigentum, da die Seele ontologisch von ihm abhängt und alles Beseelte zu ihm gehört, während die tote Materie seinem Handeln bereits vorausliegt. Der interlocutor stellt zwei Rückfragen, wobei die erste in zwei Teile zerfällt. Mit der Frage quare enim dictum est bezieht er sich erst allgemein auf die Anspielung auf Joh 1,11: Warum heißt es über den Logos, dass er in die beseelte Materie wie in sein Eigentum komme? Diese Frage spezifiziert er dann noch weiter, indem er sich nach der von Victorinus getroffenen Unterscheidung erkundigt. Damit zielt er auf den Unterschied ab, den Victorinus zwischen der Beseelung der Materie durch die Seele und das Eingehen des Logos in sein Eigentum macht. Die im Anschluss formulierte zweite Frage führt ihn weiter, wie mit dem hier dargestellten Wesen der Seele der Schöpfungsbericht in Gen 1,26 in Einklang zu bringen ist. Der ganze Kontext ist also am besten folgendermaßen zu begreifen: Victorinus wechselt bereits ab etenim das Thema: Weil die tote Materie bereits von der Seele das Leben und eine Seele erhalten hat, kann von einer „Spitze der Materie“ gesprochen werden. Diese Spitze ist reiner und hat eine animandi vis, wobei es sich um eine aktive Wesenszuschreibung handelt. Die reinere Spitze der Materie hat die Fähigkeit, die irrationale Seele, die sie bekommen hat, auch weiterzugeben, in
Ar. I 35 (70,23; 71,2 f. Locher) bei der Auslegung von Bibelstellen, bei einer Rückfrage allgemeiner Natur auch in Adv. Ar. I 26 (60,7 f. Locher). Anders Hadot, Porphyre I, 188, der aber auch die Konjektur vi sua erwägt, dazu Anm. 95. Vgl. ThlL 5,2,920,61 s.v. etenim III A: vi rationali evanida: adnectit aliquid novi.
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diesem Sinne hat sie eine Fähigkeit zur Beseelung.¹⁰¹ Daher kann sie auch als Eigentum des Logos bezeichnet werden, zu dem alles Lebendige gehört, und der in dieses Eigentum eingehen kann. Damit ist zunächst die erste ökonomische Abwärtsbewegung des Logos zur Weltschöpfung gemeint, später dann aber auch der zweite Abstieg des Logos in der Inkarnation.¹⁰² Die Rückfragen führen Victorinus dann dazu, eine ausführliche Exegese von Gen 1,26 zu unternehmen, um die Schöpfung und Erlösung des Menschen darzustellen. Der interlocutor muss sich wundern, warum Victorinus zwischen der toten Materie, die noch nicht Eigentum des Logos ist und von der Seele belebt wird, und den Spitzen der Materie unterscheidet, in die der Logos eingehen kann. Daran knüpft sich die bedeutende Frage an, wie dann noch Gen 1,26 verstanden werden kann, wenn dort nach dem traditionellen Verständnis erst die Seele des Menschen geschaffen wird. Die Frage nach dem Verhältnis der präexistenten Seele, die die Materie belebt und damit den Grundstoff der Schöpfung vorbereitet, und der menschlichen Seele, die in Gen 1,26; 2,7 dem Menschen gegeben wird, drängt sich für einen christlichen Leser auf.¹⁰³ Im folgenden Kapitel zeigt Victorinus dann, dass die Seele der Materie die irrationale Tierseele ist, die von der rationalen Seele unterschieden werden muss, die der Mensch erst durch das Einhauchen Gottes erhält. Hierin liegt der Unterschied zwischen der belebenden Aktivität der Seele, die nur die materielle Seele weitergibt, und dem Schöpfungshandeln des Logos, der den Menschen aus beseelter Materie formt und ihm dann erst die rationale Seele gibt, die nach dem Bild und der Ähnlichkeit geschaffen ist. Mit dieser Interpretation lässt sich dann eine systematische Unterscheidung zwischen dem „Bodensatz“ und der„Spitze der Materie“ ausmachen. Der Bodensatz kann als Synonym für die „tote Natur“ aufgefasst werden, die den ersten noch ungeordneten Grundstoff der Schöpfung darstellt. Die „Spitze der Materie“ ist demgegenüber die Materie, die bereits von der Seele geformt ist und so auch eine Seele erhalten hat. Sie ist reiner und höherwertiger als der Bodensatz. Erst diese belebte Materie kann als das Eigentum des Logos bezeichnet werden, in das er hinabsteigen kann, da sie erst Anteil am Leben hat, das der Logos selbst ist. 3.3.2.3 Antimarkionitische Pointe und philosophische Einordnung Victorinus bezieht damit Position in einer Debatte, die wir auch in der Auseinandersetzung zwischen Irenäus von Lyon und den Markioniten fassen können. Ihnen
S. dazu unten S. 386 – 388. S. dazu oben S. 311– 324. Ein wesentliches Verständnisproblem an dieser Stelle ist die unklare Differenzierung der Einzelseele und der Quellseele bei Victorinus, s. dazu unten S. 476 – 504.
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schreibt Irenäus die Lehre zu, dass der Logos im Widerspruch zu Joh 1,11 nicht in sein Eigentum, sondern in eine ihm fremde Welt kommt, weil er mit ihrer Schöpfung nichts zu tun hatte.¹⁰⁴ Im Gegensatz zu dieser dualistischen Ansicht ist die Materie für Victorinus das Eigentum des Logos, weil sie durch die Vermittlung der Seele Anteil an seinem Leben hat. Die Schöpfung und die Inkarnation sind für den Logos also wirklich ein Heruntersteigen in sein Eigentum. Ein direktes Handeln des Logos an der noch toten Materie scheint für Victorinus nicht denkbar.¹⁰⁵ Er unterscheidet deswegen zwischen der ersten belebenden Aktivität der Seele und dem Schöpfungshandeln des Logos. Die Koordination einer demiurgischen Aktivität der Seele und des Intellekts findet sich auch bei Plotin und Porphyrius.¹⁰⁶ Plotin setzt in der Seele als Mittlerin zwischen dem Intelligiblen und dem Sensiblen die Strukturprinzipien (λόγοι) an, die die Seele aus dem Intellekt hat und durch die die Materie geformt wird. Der Intellekt als eigentlicher Demiurg geht keinen direkten Kontakt mit der Materie ein, sondern gibt über die Seele die Formen an die Materie weiter. Dabei unterscheidet Plotin zwei Vorgänge in der Weitergabe dieser λόγοι an die Materie: Die stets transzendente Seele leuchtet zunächst in die Materie hinein und zeichnet dadurch Spuren in diese Materie hinein. Die Einzelseelen, die dann in die Materie hinabsteigen, zeichnen diese Spuren nach und verwirklichen die Strukturprinzipien, soweit es der vorgezeichnete Stoff erlaubt.¹⁰⁷
Vgl. Iren. haer. III 11,2: Secundum autem Marcionem et eos qui similes sunt neque mundus per eum factus est neque in sua venit, sed in aliena. Ebenso Iren. haer. V 2,1, ohne Angabe, gegen wen die Aussage gerichtet ist in Iren. epid. 11. Ähnliche Anklänge bei Tert. adv. Marc. IV 8,6: […] qui in aliena descenderat. (CCSL 1 557), adv. Marc. IV 29,7; V 14,9: […] qui in aliena descendit […]. (CCSL 1 625; 707), bei Tertullian immer mit der Konnotation des Diebstahls, was insbes. in IV 29,7 deutlich wird, wo er gegen Markions Auslegung von Lk 12,39 f. polemisiert, wonach der Schöpfer mit dem Dieb gleichzusetzen ist, da die Welt nicht sein Eigentum ist. Vgl. für die negative Konnotation ThlL 5,1,649,37 s.v. descendo I.B.3: „persaepe pertinet ad aliquid indignum, molestum, nefas.“ Der gedachte Gegensatz ist also auch bei Tertullian immer in sua descendere.Victorinus muss dafür also keine direkte Kenntnis Markions gehabt haben, er kann diese Positionen auch aus zweiter Hand gekannt haben. Schäfer, Die marcionitischen Prologe, RBen 80 (1970), 7– 16 führt den Nachweis, dass Victorinus die Prologe Markions zu den Paulusbriefen kannte, jedoch diese auch nur in einer bereits überarbeiteten Form. Vgl. zur Frage nach markionitischen Tendenzen in den Pauluskommentaren Erdt, Pauluskommentator, 198 – 208. S. dazu unten S. 400. Vgl. Früchtel, Weltentwurf, 54– 61; Deuse, Demiurg, 238 – 278. S. auch u. S. 467– 471. S. zu dieser Seelenspur auch unten S. 400 – 403.Vgl. Plot. enn.VI 7 (38) 7,6 – 16. Dort wird auch der Vergleich gezogen, die Seele wisse wie jeder Handwerker, was sie aus dem Stoff machen könne, der ihr vorliegt, oder sie sei wie ein Tänzer, der die Rolle spielt, die ihm zugewiesen wurde. In enn. IV 3 (27), 6,10 – 15 spricht Plotin davon, dass die Weltseele (freilich nicht identisch mit der Seelenhypostase) den Einzelseelen schon Behausungen vorbereitet habe.
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Im Anschluss an Plotin charakterisiert Porphyrius die Schöpfung der sichtbaren Welt als „einen kontinuierlichen Entfaltungsprozess des Geistes.“¹⁰⁸ Der Demiurg kann dabei zugleich als Intellekt und Seele betrachtet werden, als Intellekt trägt er das Vorbild der Schöpfung in sich und wendet sich diesem in seinem Denkakt zu, die Seele übernimmt die geordnete Zerteilung der Ideen in die Vielheit.¹⁰⁹ Dabei kann Porphyrius auch zwei Phasen in der eigentlich aber nichtzeitlichen Schöpfung unterscheiden: Voraussetzung für die Schöpfung des Kosmos sind die Elemente und das Körperliche, die aus Form und Materie geschaffen werden. Diese werden dann zum Kosmos geordnet. Diese ordnende Funktion der vorher entstandenen Grundelemente übernimmt die Seele als zweite demiurgische Stufe.¹¹⁰ Vergleicht man diese Konzeptionen Plotins und Porphyrius’ fallen die Ähnlichkeiten und Unterschiede zu Victorinus ins Auge: Auch bei Victorinus verläuft der eigentliche Schöpfungsprozess in zwei Phasen, wobei die Materie als Stoff der Schöpfung dabei schon durch den Hervorgang des Sohnes aus dem Vater vorliegt. Bei Porphyrius bringt der Schöpfer selbst den Stoff aus sich hervor, während bei Plotin die untere Stufe der Seele diesen erzeugt. Die tote Materie des Victorinus wird dann einer ersten Belebung durch die Seele unterzogen, sodass eine weitere Schöpfungsaktivität Gottes stattfinden kann. Die Rollen der Seele und Gottes sind im Vergleich zu Porphyrius dabei in gewisser Weise vertauscht: Die Seele übernimmt bei Victorinus eine logische primäre Aufgabe und formt die Materie, der Logos kann dann mit dieser vorgeformten Materie in Kontakt treten und das Schöpfungswerk weiterführen. Unklar bleibt, wie weit die Schöpfungsaktivität der Seele bei Victorinus geht.¹¹¹ Sicher ist nur, dass der Logos die Schöpfung des Menschen selbst ausübt.¹¹² Victorinus unterscheidet damit insgesamt drei Phasen der Schöpfung: Erstens die Entstehung der toten Materie aus dem Vater, zweitens die erste Formung der Materie durch die demiurgische Aktivität der Seele und drittens die demiurgische Aktivität des Logos selbst. Die primäre Formung der Materie durch die Seele ermöglicht es erst, dass der Logos mit der Materie als seinem Eigentum schöpferisch und dann in der Inkarnation in Verbindung tritt. Zudem entlastet die demiurgische Funktion der Seele den Logos, da die Materie durch die Seele lebendig und zu einem Ort böser Mächte wird.
Deuse, Demiurg, 251. Deuse, Demiurg, 251 f. Vgl. Deuse, Demiurg, 241.252. Vgl. bes. Porph. in Ti. fr. 47.49 Sodano (= Philop. de aet. mundi VI 14 p.164,18 – 165,6.7– 16 Rabe) S. zur Rolle der Seele hier auch unten S. 478 – 484, 495 – 499. S. unten S. 386 – 388.
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3.4 Zwischenfazit Die moralische Bewertung der Materie ist bei Victorinus zweischneidig: Sie ist einerseits neutral betrachtet der notwendige Grundstoff für die Schöpfung der Welt, andererseits ist sie aber auch der Sitz böser Mächte, die die Seele mit Vergessenheit schlagen und gefangen halten. Als „tote Natur“ oder „Bodensatz der Materie“ ist sie durch Unbestimmtheit gekennzeichnet, die sich in einer ungeordneten Bewegung ausdrückt. Zwei Gründe lassen sich wahrscheinlich machen, warum die Materie für Victorinus als Sitz des Bösen gelten kann: Erstens ist der ontologisch niedrige Status der Materie dafür verantwortlich. Auf der untersten Stufe stehend ist es ihr nur zu einem gewissen Maße möglich, das Leben aufzunehmen. Zudem bekommt sie dieses Leben von der Seele vermittelt und nicht direkt durch eine Einwirkung des Logos. Es bleibt somit etwas von der ursprünglichen Unordnung auch in der belebten Materie erhalten. Zweitens erhält die Materie durch die Seele eine irrationale Seele vermittelt. Diese irrationale Seele verleiht der Materie eine noch stärkere Aktivität, sodass sie als der Sitz materieller Mächte betrachtet werden kann. Durch diese wird die menschliche Seele gefangen und in Dunkelheit und Vergessen gestürzt. Positiv ist diese beseelte Materie aber auch die Spitze der Materie und die Grundlage der Schöpfung des Menschen. Dadurch wird dem Menschen diese irrationale Seele mitgegeben, die Ursache seiner Sündhaftigkeit ist, aber auch als sensitive Seele fungiert und ihn mit der Wahrnehmungsfähigkeit ausstattet.¹¹³
4 Erschaffung und Erlösung des menschlichen Leibes 4.1 Erschaffung des menschlichen Leibes und Anthropologie in Adv. Ar. Ib 62 – 64 4.1.1 Die Position des Victorinus als Beitrag zum christlich philosophischen Gespräch Victorinus vertritt die anthropologische Position, dass der Mensch eine doppelte Konstitution himmlischer und materieller Natur besitzt. Daraus folgt eine Pointe für die Soteriologie: Weil für Victorinus auch der Körper des Menschen beseelt ist, kann dieser in das Erlösungsgeschehen miteinbezogen werden. Die Materie und das Fleisch sind wie die rationale Seele in das Heilshandeln Gottes integriert. Pierre
S. dazu unten S. 386 – 388.
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Hadot versucht in seiner Interpretation der Darstellung der Menschenschöpfung, einen neuplatonischen und einen christlichen Teil voneinander zu trennen, deren verschiedene Aspekte Victorinus miteinander verbunden habe.¹¹⁴ Auch Stefani bemüht sich in seiner Analyse daran anschließend, Parallelen zu paganen Philosophen, insbesondere Porphyrius aufzuzeigen, die für ein Verständnis des Victorinus nicht immer hilfreich sind. Seine Einordnung des Victorinus in die alexandrinische exegetische Tradition erweist sich für die Interpretation als viel nützlicher.¹¹⁵ Eine genaue Interpretation soll zeigen, dass sich die aus der Menschenschöpfung abgeleitete Anthropologie des Victorinus sachlich wie terminologisch vor dem Hintergrund der christlich geprägten philosophischen Diskussion um den Menschen verstehen lässt. Freilich gibt es dabei Berührungspunkte zur neuplatonischen Philosophie, die aber nicht als eigentliche Quelle der christlichen Diskussion betrachtet werden muss. In beiden Diskursen stellen sich aufgrund ähnlicher Voraussetzungen auch vergleichbare Probleme, die wiederum zu vergleichbaren Lösungen führen. 4.1.2 Antignostische Betonung der Reinheit der Materie bei der Menschenschöpfung Der Körper des Menschen wird laut Victorinus „aus bereits geordneter Erde, der Spitze der Erde und ihrer Blüte“ geschaffen.¹¹⁶ Der Begriff „Spitze der Materie“ mag zwar auch an die chaldäischen Orakel erinnern, der Sache nach kommt diese Vorstellung aber aus der Genesisexegese.¹¹⁷ Schon Philo von Alexandrien begründet die besondere Vollkommenheit und Schönheit des ersten sichtbaren Menschen nicht nur mit der Güte des Schöpfers, sondern auch mit der besonderen Qualität der Materie, aus der der Mensch geschaffen wurde. Zum einen sei die gerade erst geschaffene Erde noch besonders rein, unverdorben und leicht zu bearbeiten gewesen und daher ein geeigneter Grundstoff für eine vollkommene und fehlerlose Schöpfung. Zum anderen habe Gott aber auch noch den besten Teil der Erde und den reinsten Teil der Materie sorgfältig ausgewählt, um daraus den Menschen zu formen.¹¹⁸
Vgl. Hadot, Porphyre I, 340 f. Anm 7. Vgl. Stefani, La „discesa“, 103 – 151. Adv. Ar. Ib 62 (96,30 Locher). Zur chaldäischen Terminologie vgl. Hadot, SC 69, 884 ad 61,24. Stefani, La „discesa“, 146 verweist pauschal auf die exegetische Tradition. Vgl. Philo, Opif. 136 f. vgl. bes. 137: δεύτερον δέ, οὐκ ἐκ τοῦ τυχόντος μέρους τῆς γῆς ἔοικεν ὁ θεὸς χοῦν λαβὼν τὸν ἀνθρωποειδῆ τοῦτον ἀνδριάντα πλάττειν ἐθελῆσαι μετὰ τῆς ἀνωτάτω σπουδῆς, ἀλλὰ διακρίνας ἐξ ἁπάσης τὸ βέλτιστον, ἐκ καθαρᾶς ὕλης τὸ καθαρώτατον καὶ διηθημένον ἄκρως, ὃ πρὸς τὴν κατασκευὴν μάλιστα ἥρμοζεν. (47,20 – 48,4 Cohn) Im Vergleich mit Victorinus fällt die
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Victorinus schließt sich einer solchen Vorstellung an und bezieht damit implizit gegen eine gnostische Exegese des Schöpfungsberichtes Stellung.¹¹⁹ Eine solche antignostische Ausrichtung zeichnet überhaupt den ganzen Abschnitt und die Schrift Adversus Arium Ib insgesamt aus. Erhellend ist hier, wie auch im Folgenden noch, der Vergleich mit den Excerpta ex Theodoto des Clemens von Alexandrien. In den Excerpta wird die Lehre vertreten, dass der Körper in Gen 2,7 nicht aus der sichtbaren, trockenen Erde aus Gen 1,10, sondern aus „einem Teil der vielteiligen und mannigfaltigen Materie“ geschaffen wird.¹²⁰ Davon unterschieden wird die Einkleidung des Menschen mit einem materiellen und sichtbaren Leib, die erst aus einer allegorischen Auslegung von Gen 3,21 geschlossen wird. Mit dieser Auslegung ist eine negative Deutung des irdischen Menschen und des materiellen Leibes verbunden: Der unsichtbare choische Mensch steht unter dem psychischen und pneumatischen Menschen, der materielle Leib ist völlig unbedeutend und wird am Ende zugrunde gehen.¹²¹ In einer genauen Umkehrung der philonischen Argumente wird die Minderwertigkeit des choischen Menschen nicht nur mit der mangelnden Qualität des Demiurgen, sondern auch mit der Minderwertigkeit des Stoffes begründet. Denn die Charakterisierung der Materie als „mannigfaltig“ (ποικίλη) und „vielteilig“ (πολυμερής) betont ihre fehlende Ordnung und Stabilität. In einem ganz
Wendung διηθημένον ἄκρως auf, was „auf vollkommene Weise gesiebt“ heißt. Jedoch legt sich im Vergleich der Gedanke nahe, die etymologische Herleitung von ἄκρος (an der Spitze) mitzuhören. Umgekehrt kann in der Genesisauslegung auch die Minderwertigkeit des Staubes betont werden, dann mit der Absicht, die Schöpfermacht Gottes noch stärker zu betonen, verbunden mit der moralischen Ermahnung, sich dieser Minderwertigkeit bewusst zu sein und sich deswegen nicht zu überheben. Vgl. dafür Ps. Gr. Nyss. or. 2 in Gen 1:26 p. 43,8 – 10 Hörner (Größe des Schöpfers) und p. 60,10 – 64,12 Hörner (Demutsparänese). Im Asclepius schafft Gott den Menschen aus einem vergänglicheren Teil der Welt (Ps. Apul. Ascl. 22 p. 323,24 f. Nock: ex parte corruptiore mundi) bzw. dem Bereich der Materie (NHC VI,8 p.67,1), während die Götter aus reiner Materie (NHC VI,8 p.67,13 f.18 f.; 69,13; jeweils ὕλη) bzw. dem reinsten Teil der Natur (Ps. Apul. Ascl. 22 p. 324,6 f. Nock: ex mundissima parte naturae) erschaffen sind. Daraus wird aber gerade eine Überlegenheit des Menschen über die Götter abgeleitet, da die Menschen deswegen mit einem freien Willen und Verstand ausgestattet wurden, um gegen die Übel ankämpfen zu können, die aus der Materie kommen. Der Mensch verdient sich seine Unsterblichkeit, während die Götter schon von Natur aus unsterblich sind und reiner Notwendigkeit unterworfen sind. Vgl. insges. Ps. Apul. Ascl. 22, p. 323 f. Nock und NHC VI,8 p.66,34– 68,12 (CoptGnL 3,406 – 410). Auch Tat. orat. 12,5 kennt die Unterscheidung eines reineren und eines niedrigeren Bereichs der Materie (τὸ καθαρώτερον bzw. τὸ ἔλαττον τῆς ὕλης). Auch Irenäus von Lyon argumentiert in antignostischer Absicht, dass der Mensch aus reinem und jungfräulichem Stoff erschaffen wird, vgl. Iren. epid. 11; haer. III 21,10.Vgl. dazu Jacobsen, Gen 1– 3 in the Theology of Irenaeus, 304 f. Clem. exc. Thdot. 50,1: ‘Λαβὼν χοῦν ἀπὸ τῆς γῆς‘, οὐ ἀπὸ τῆς ξηρᾶς, ἀλλὰ τῆς πολυμεροῦς καὶ ποικίλης ὕλης μέρος […]. (123,9 f. Stählin/Früchtel/Treu) Für die Hierarchisierung vgl. Clem. exc. Thdot. 54,1 f. für das Zugrundegehen der Materie: 56,3.
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ähnlich gelagerten Referat über die ptolemäische Lehre spricht Irenäus davon, dass der Mensch aus der „unsichtbaren Substanz“ und einem „diffusen und fließenden Teil der Materie“ geschaffen werde, womit ebenfalls deutlich auf die chaotischen Züge dieses Stoffes abgehoben wird.¹²² Victorinus besteht dagegen wie Philo darauf, dass der sichtbare Leib aus einem hochwertigem Grundstoff geschaffen wird. Dieser Grundstoff zeichnet sich dadurch aus, dass er eben nicht mehr fließend und ungeordnet ist, sondern bereits durch die Seele geordnete Erde ist. Damit geht eine Hochschätzung des Leibes gegenüber einer gnostischen Auslegung der Genesis einher, die zur Folge hat, dass Victorinus den Leib auch in das Erlösungsgeschehen miteinbezieht.¹²³ 4.1.3 Die doppelte Beseelung des Menschen mit der Tierseele und der rationalen Seele in der zweistufigen Anthropogonie nach Gen 2,7 Diese bereits durch die Seele geformte Materie ist für Victorinus der Träger der irrationalen Seele, die Mensch und Tier miteinander teilen. Für die Erschaffung der Tiere braucht es kein zusätzliches Handeln Gottes mehr, sondern nur noch einen Befehl. Dies geht aus einer kurzen Notiz zur Auslegung der Erschaffung der Tiere in Gen 1,24 hervor. Dort befiehlt Gott der Erde, sie solle eine „lebendige Seele“ hervorbringen.¹²⁴ Victorinus nimmt diese Aussage wörtlich und vertritt die Auffassung, dass die Tiere mitsamt ihrer Seele aus der Erde hervorspringen, die wiederum aus beseelter Materie entstanden ist.¹²⁵ In der beseelten Materie liegt also bereits alles beschlossen, was die Tiere ausmacht. Gott musste nur noch befehlen, dass sie aus der Erde hervorspringen. Das macht es plausibel, die animandi vis der Materie durchaus als ein aktives Vermögen zur Beseelung zu verstehen.¹²⁶ Denn nach ihrer primären Beseelung ist die Materie in der Lage, diese irrationale Seele weiterzugeben und die Tiere aus sich hervorzubringen, hat also selbst die Fähigkeit zur Beseelung.Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage des Victorinus zu verstehen,
Iren. haer. I 5,5: […] οὐκ ἀπὸ ταύτης δὲ τῆς ξηρᾶς γῆς, ἀλλ’ ἀπὸ τῆς ἀοράτου οὐσίας, ἀπὸ τοῦ κεχυμένου καὶ ῥευστοῦ τῆς ὕλης λαβόντα. Die Unsichtbarkeit der Materie verweist auf Gen 1,2 LXX. Vgl. außerdem TractTrip NHC I,5 p. 104,4 f., wo ebenfalls von der„flüssigen Materie“ gesprochen wird. Vgl. dazu den Kommentar von Thomassen, BCNH.T 19, 401, der hinter der koptischen Wendung griechisch ῥευστός vermutet. S. dazu unten S. 403 – 417. Gen 1,24 LXX: Καὶ εἶπεν ὁ θεός ᾿Εξαγαγέτω ἡ γῆ ψυχὴν ζῶσαν κατὰ γένος […]. Vgl. Adv. Ar. III 3: Ergo et corpus caroque nostra habet aliquid vitale, omnisque materia animata est, ut mundus exsisteret, unde eruperunt iussu dei animalia. (117,12– 14 Locher) und Adv. Ar. Ib 62: Habet ergo animam terra hylicam. (97,9 f. Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 61 (96,15 Locher), s.o. S. 376.
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dass der menschliche Leib und das Fleisch etwas Lebendiges haben.¹²⁷ Dabei wird bereits das Bestreben des Victorinus greifbar, eine rationale Erklärung für die Schöpfungsvorgänge zu geben und sich nicht einfach auf die Allmacht Gottes als Argument zu stützen.¹²⁸ Gott kann der Erde sinnvollerweise befehlen, eine lebendige Seele hervorzubringen, weil die Erde schon mit einer solchen ausgestattet ist.¹²⁹ Da auch der Körper des Menschen aus dieser bereits geformten und geordneten Materie gemacht ist, besitzt er auch diese irrationale Tierseele. Die materielle Seele (hylica anima) hat auch einen ihr zugehörigen materiellen Intellekt (hylicus νοῦς/ spiritus), wobei aber nicht an eine echte Rationalität der Materie zu denken ist. Vielmehr wird die materielle Seele mit dem Wahrnehmungsvermögen (potentia sensibilis) gleichgesetzt, während der materielle Intellekt eine ähnliche Funktion wie der aristotelische Gemeinsinn ausübt und für die Unterscheidung der Sinneseindrücke (discretio sensuum) zuständig ist.¹³⁰ Die Bezeichnungen „materielle Seele“ und „materieller Intellekt“ dürfen nicht zu dem Missverständnis führen, dass sie im Gegensatz zur rationalen Seele stofflich verfasst wären. Die materielle Seele ist die gleichfalls immaterielle Seele, die der Materie innewohnt.¹³¹
Anders Baltes, Marius Victorinus, 86 Anm. 465 zu Adv. Ar. III 3 (wie Anm. 125): „Gemeint ist wohl: nach dem Tod, wenn aus dem verfaulenden Körper Würmer und Maden hervorgehen.“ Vgl. dazu Ad Cand. 24 f. s. dazu ausführlich unten S. 411– 414. Vgl. als Kontrast dazu die Auslegung des Basilius zu Gen 1,24 in Bas. hex. 9,2 (148,12– 22 de Mendieta/Rudberg). Auch er deutet den Befehl in Gen 1,24 so, dass die Tiere aus der Erde entspringen, was man daran sehen könne, dass auch heute noch einige Tierarten aus der Erde hervorkommen. Anders als Victorinus betont Basilius jedoch, dass die Erde an sich unfruchtbar ist und nur durch Gottes Befehl etwas hervorbringt, vgl. dazu Köckert, Kosmologie, 370 f. Basilius fokussiert seine Auslegung also ganz auf die Allmacht Gottes als Schöpfer. Vgl. Adv. Ar. Ib 62: Ibi enim potentia sensibilis, cui adest νοῦς in discretionem sensuum. (97,12 f. Locher) Baltes, Marius Victorinus, 91 Anm. 494 verweist auf weitere philosophische Diskussionen zur engen Verknüpfung von Intellekt und Sinneswahrnehmung. Vgl. auch Hadot, SC 69, 889, ad 62,30. In Adv. Ar. III 5 nutzt Victorinus den Sehvorgang als Analogon für die Trinität und führt dabei aus, dass Sehen immer auch zugleich ein Beurteilen des Gesehenen ist: Ergo in eo, quod est videre, inest diiudicare. (119,25 Locher) Das erklärt, warum er die Sinneswahrnehmung eng mit einer Verstandesleistung verbindet. Koffmane, De Mario Victorino, 17 versteht potentia sensibilis dagegen als die Fähigkeit des Menschen zur Selbstwahrnehmung und Selbstunterscheidung von anderen Wesen. Geiger, C. Marius Victorinus II, 100 sieht darin die Fähigkeit zur Unterscheidung der intelligiblen Eigenschaften der Dinge und das logische Denken. Diese Interpretationen sind nur verständlich auf Grundlage des Textes in PL 8, 1086C: Insufflavit enim Deus in faciem ejus ibi omnem potentiam sensibilem, cui adest νοῦς in discretionem sensus. In dieser Konstitution des Textes wird die potentia sensibilis eingehaucht, weswegen Koffmane und Geiger sie als etwas Höheres als die bloße Sinneswahrnehmung deuten müssen. Die Bezeichnung „materielle Seele“ könnte das Missverständnis nahelegen, dass die Seele aus Materie bestehe. Vgl. die ähnliche begriffliche Problematik in der peripatetischen Seelenlehre des Alexander von Aphrodisias unten S.u. 447. Alexander zeigt, dass ihm das mögliche Missverständnis
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Der Mensch unterscheidet sich aber vom Tier dadurch, dass er noch eine himmlische Seele (anima divina) und einen himmlischen Intellekt (λόγος caelestis/ νοῦς/spiritus divinus) besitzt. Dies liegt darin begründet, dass der Mensch anders als die Tiere nicht nur eine materielle Konstitution von Gott erhält, sondern zusätzlich die himmlische Seele mit dem himmlischen Intellekt eingehaucht bekommt.¹³² Die Anthropogonie verläuft für Victorinus im Anschluss an Gen 2,7 also in zwei Stufen: Zunächst erschafft Gott aus der Erde den materiellen Menschen, der einen Leib und eine sensitive Seele besitzt. Dann haucht er ihm noch eine himmlische Seele und einen himmlischen Intellekt ein, versieht den Menschen also mit echter Rationalität.¹³³ Durch das, was dem Menschen eingehaucht wird, unterscheidet er sich grundlegend vom Tier. 4.1.4 Mt 24,39 – 41 und Lk 17,34 f. als exegetische Begründung der doppelten Seele des Menschen und ihre Tradition 4.1.4.1 Die Auslegung des Victorinus in Adv. Ar. Ib 62 Das Konzept einer doppelten Seele und eines doppelten Intellekts des Menschen leitet Victorinus aus einer allegorischen Auslegung der synoptischen Apokalypse ab. Er deutet die antithetischen Formulierungen in Mt 24,39 – 41 und Lk 17,34 f. auf diese Unterscheidung hin aus: Den doppelten Intellekt und die doppelte Seele verkündet uns darüber hinaus das Evangelium nach Matthäus und Lukas. Sie sagen nämlich: „So wird die Ankunft des Menschensohnes sein: Zwei werden dann auf dem Acker sein, einer wird angenommen, einer wird zurückgelassen. Zwei Frauen werden mahlen in der Mühle, eine wird angenommen, eine wird zurückgelassen.“ Lukas aber fügt hinzu, dass es auch mit Blick auf den Körper zwei sind: „In dieser Nacht werden zwei in einem Bette liegen, einer wird angenommen, einer wird zurückgelassen.“ Der
bewusst ist, behält aber die problematische Nomenklatur dennoch bei. Auch Victorinus bleibt bei einer problematischen Terminologie, sodass ich davon Abstand nehme, sie in der Übersetzung zu vereindeutigen. Für ihn scheint es so selbstverständlich, dass die Seele nicht stofflich ist, dass er anders als Alexander das mögliche Missverständnis nicht einmal klarstellt. Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,8 – 15 Locher). Aufgrund der Gleichsetzung mit der Sinneswahrnehmung kann Victorinus die materielle Seele und den materiellen Intellekt auch sensualis anima und sensualis νοῦς nennen, vgl. Adv. Ar. III 1 (114,2 Locher). Er begründet in Adv. Ar. Ib 62 die Tatsache, dass die Seele ins Gesicht eingehaucht wird damit, dass dort der Sitz der Sinneswahrnehmung ist.Vgl. für ähnliche Überlegungen Philo, Leg. I 39, Clem. str. V 94,3 f. Der göttliche Hauch ist ganz zwanglos aus dem biblischen Sprachgebrauch zu erklären, anders dagegen Hadot, Porphyre I, 406. Da Geiger unter dem materiellen Intellekt die Rationalität des Menschen versteht (s. Anm. 130), ist für ihn die göttliche Seele mit der Weltseele identisch, vgl. Geiger, C. Marius Victorinus II, 101. Victorinus lehnt also implizit wie etwa später Augustin die Auslegung ab, wonach Gott dem Menschen hier seinen Geist einhauche oder etwas, das mit dem Göttlichen wesenseins ist. Vgl. Aug. civ. XIII 24.
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Rest ist ähnlich. Die auf dem Acker sind, sind also zwei λόγοι oder Intellekte, ein himmlischer λόγος und der andere der materielle, und die mahlenden Frauen sind zwei Seelen, eine himmlische und eine materielle.¹³⁴
Victorinus deutet die Antithesen des Jesuswortes jeweils als Aussagen über einen materiellen und einen himmlischen Bestandteil innerhalb eines einzigen Menschen. Er versteht die zwei auf dem Acker nicht als zwei verschiedene Personen, sondern als den materiellen und himmlischen Intellekt in ein und demselben Menschen. Entsprechend deutet er die zwei mahlenden Frauen als zwei Seelen in einem Menschen, eine materielle und eine himmlische. Er formuliert dabei unmissverständlich, dass es im Menschen einen doppelten Intellekt (geminus νοῦς) und eine doppelte Seele (gemina anima) gebe, also keine zwei wirklich getrennten Größen im Sinne eines innermenschlichen Dualismus. Die himmlische Seele und ihr Intellekt haben ihren Sitz im materiellen Intellekt, dieser wiederum sitzt in der materiellen Seele, die im Körper des Menschen sitzt.¹³⁵ Es gibt also einerseits eine klare Hierarchie dieser Größen, sie sind aber eng miteinander verbunden. Von der materiellen Seele sagt Victorinus sogar, dass der ihr innewohnende Intellekt wesenseins (consubstantialis) mit ihr ist.¹³⁶ Victorinus versucht im Anschluss, diese nichtbiblische Terminologie mit paulinischen Ausdrücken zur Deckung zu bringen. Er versteht die paulinische Rede vom irdischen, seelischen und geistigen Menschen als analoge Konzepte. Dabei betont er gegen eine gnostische Anthropologie, die daraus verschiedene Menschenklassen ableiten könnte, dass dies alles in einem einzigen Menschen zu finden ist.¹³⁷ Jeder Mensch ist also zugleich irdisch, seelisch und geistig und diese grundlegende Konstitution sagt noch nichts über die Erlösungsfähigkeit des einzelnen Menschen aus. Schließlich verbindet Victorinus auch die Rede vom inneren und äußeren Menschen mit der materiell-himmlischen Doppelkonstitution des Menschen. Der äußere Mensch entspricht der materiellen Komponente, der innere der himmli-
Adv. Ar. Ib 62: Geminum etiam νοῦν, geminam animam declarat evangelium cata Matthaeum et cata Lucam. Sic enim dicunt: Sic erit et praesentia filii hominis, tunc duo erunt in agro, unus accipietur et unus relinquetur. Duae molentes in pistrino, una accipietur et una relinquetur. Lucas autem adiecit de corpore duo: ipsa nocte erunt duo in uno lectulo; unus accipietur et alter relinquetur. Alia autem similiter. Ergo qui in agro, λόγοι duo sunt vel νόες, λόγος caelestis et alius hylicus, et molentes duae animae, caelestis et hylica. (96,31– 97,6 Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,15 – 18 Locher) und Adv. Ar. III 1 (114,1– 3 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 62: Sensibilis enim potentia hylicus νοῦς est insitus et consubstantialis hylicae animae. (97,14 f. Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 63: Ut dicit Paulus, alius est terrenus, alius animalis, alius spiritalis, et ista omnia in uno homine […]. (97,22– 24 Locher) Vgl. dazu 1Kor 15,46 f.
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schen. Zunächst bezieht Victorinus die Ebenbildlichkeit nach Gen 1,26 nur auf den inneren Menschen, d. h. auf die himmlische Seele mit ihrem Intellekt.¹³⁸ Erst in einem zweiten Schritt weitet er die Ebenbildlichkeit dann auch auf den menschlichen Körper aus.¹³⁹ 4.1.4.2 Die Auslegungen im Matthäuskommentar des Origenes und im Lukaskommentar des Ambrosius Nachdem bereits Hadot in seinem Kommentar auf eine exegetische Tradition verwiesen hatte, in die sich Victorinus hier stellt, hat Stefani diese ausführlicher besprochen.¹⁴⁰ Origenes und Ambrosius deuten in ihren Kommentaren zu Matthäus und Lukas diese Stellen in ähnlicher Weise allegorisch aus, aber doch mit je anderen Pointen als Victorinus. Ein Vergleich mit solchen ähnlichen Konzeptionen zeigt, dass das Konzept der doppelten Seele bei Victorinus auch dazu dient, die Sündhaftigkeit des Menschen und die Existenz hylischer Mächte in der Materie zu erklären. Origenes deutet in seinem Matthäuskommentar die zwei mahlenden Frauen ebenfalls als zwei Seelen im menschlichen Körper bzw. auf der Erde, die zwei auf dem Feld als zwei Intellekte und die zwei in einem Bett als zwei Körper.¹⁴¹ Jeweils ein Part ist gut und einem gerechten Menschen zugehörig, der andere schlecht und einem ungerechten Menschen zugehörig. Origenes versteht die Stelle also so, dass es sich um zwei verschiedene Menschen handelt, die jeweils aus Leib, Seele und Vernunft bestehen und einander gegenübergestellt werden.¹⁴² Der gute und gerechte Mensch wird in seiner Gänze angenommen, der schlechte und ungerechte in seiner Gänze zurückgelassen. Die Stoßrichtung ist offensichtlich antignostisch, da Origenes betont, dass der ganze Mensch mitsamt seinem Leib angenommen oder zurückgelassen wird. Ebenso richtet sich Origenes explizit gegen die Annahme, dass der erlöste und der verworfene Mensch aus einer unterschiedlichen Materie be-
Vgl. Adv. Ar. Ib 63: […] sed maxime hominem interiorem frequenter dicit. Sic enim est anima. Colligit enim νοῦν et divinam animam et dicit caelestem hominem, reliquum autem terrenum hominem. Si istud est, anima nostra iuxta imaginem est dei et domini Iesu Christi. (97,24– 27 Locher) Für den Ausdruck caelestis homo vgl. 1Kor 15,47: […] ὁ δεύτερος ἄνθρωπος ἐξ οὐρανοῦ. Das wird erst in Adv. Ar. Ib 64 diskutiert, s.u. S. 405 – 410. Vgl. Hadot, SC 69, 887 f. ad 62,14– 25 und Stefani, La „discesa“, 136 – 151, der neben Origenes und Ambrosius noch auf Clemens von Alexandrien und Philo eingeht. Vgl. zum Ganzen Or. comm. ser. 57 f. in Mt. 24,40 – 41 (131– 133 Klostermann). Hinzu kommt bei Origenes noch der göttliche Geist (spiritus), der aber in jedem Falle unabhängig vom menschlichen Verhalten zu Gott zurückkehrt, vgl. Or. comm. ser. 57 (132,13 – 15 Klostermann). Zur Bedeutung von sensus im Sinne von νοῦς vgl. Klostermann, Kommentar, 194 Anm. 142.
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stehen könnten.¹⁴³ Anders als Victorinus sieht Origenes hier also keine Doppelstruktur innerhalb eines Menschen angedeutet, sondern zwei verschiedene Menschen.¹⁴⁴ Auch Ambrosius versteht in seinem Lukaskommentar diese Stelle allegorisch.¹⁴⁵ Er bietet für die kornmahlenden Frauen zwei Deutungsmöglichkeiten: Es handele sich entweder um eine Gegenüberstellung der Synagoge und der Kirche oder einer sündhaften und einer reinen Seele.¹⁴⁶ Die zwei auf dem Felde deutet er sodann als zwei Intellekte, die sich innerhalb eines Menschen befinden und die er jeweils dem inneren und dem äußeren Menschen zuschreibt. Er unterscheidet zwischen einer mens carnis, die dem Gesetz der Sünde folgt und dem göttlichen Gebot widerstreitet, und einer mens, die dem Gebot Gottes folgt. Er verdeutlicht aber, dass er nicht von einem echten Dualismus innerhalb des Menschen ausgeht. Vielmehr ist die mens, die dem fleischlichen Gesetz folgt, dieselbe mens, die auch dem göttlichen Gesetz folgen kann. Der Unterschied besteht darin, dass die mens carnis von der Sünde überwunden wurde, wodurch die an sich gute mens verdorben wurde. Unter Mitwirkung des Heiligen Geistes ist die mens eine höhere und bessere und folgt dem Gebot Gottes.¹⁴⁷ Die zwei mentes sind also eher zwei widerstreitende Ausrichtungen des menschlichen Willens auf die Sünde oder auf Gottes Gesetz. Victorinus steht also in der Tradition einer allegorischen Auslegung der synoptischen Apokalypse, unterscheidet sich aber im Einzelnen von den beiden anderen für uns fassbaren Beispielen. Während Origenes in der Zweizahl eindeutig stets zwei verschiedene Personen sieht, deutet Ambrosius dagegen eine Auslegung an, die eine Spannung im Inneren des Menschen sieht. Der Kampf zwischen einer mens carnis und einer mens, die dem Geist verbunden ist, findet innerhalb einer Person statt. Ambrosius setzt dabei voraus, dass die Sünde als willentliche Ablehnung des göttlichen Gesetzes ihren Ursprung in der mens als dem Handlungs- und
Vgl. Or. comm. ser. in Mt. 24,40 – 41 58: […] sunt duo corpora in una materia […] = Cluc Nr. 53 Or.: […] τὰ δύο ἐπὶ μιᾶς ὕλης σώματα […] (132, 24 f. Klostermann). Vgl. dazu Klostermann, Kommentar, 194 Anm. 141. Stefani, La „discesa“, 142 weist Origenes hier eine eher ethische, statt einer anthropologischen Absicht zu. Es ist aber fraglich, ob die Frontstellung gegen die Gnosis eine solche Trennung erlaubt, vielmehr hängen anthropologische und ethische Fragen hier zusammen. Die Unterschiede zwischen Victorinus und Origenes sprechen gegen Voelker, Marius Victorinus, 118, der für Origenes als direkte Quelle plädiert. Vgl. Ambr. in Luc. VIII 47– 50 (CCSL 14 314– 316). Vgl. Ambr. in Luc. VIII 48 (CCSL 14 315,534– 543). Vgl. bes. Ambr. in Luc. VIII 49: Duas ergo mentes esse demonstrat, unam, quae mens carnis efficitur victa peccato, alteram, quae spiritui copulata carnis abiurat illecebras. (CCSL 14 316,565 – 658), ähnlich Ambr. in Luc. VIII 50 (CCSL 14 316,583 – 588).
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Willenszentrum des Menschen haben muss.¹⁴⁸ Ursprünglich ist die mens aber gut, wird erst durch die Sünde überschattet und entscheidet sich dann für das Falsche.¹⁴⁹ Diese beiden mentes bringt Ambrosius dann wie Victorinus mit dem inneren und äußeren Menschen in Verbindung.¹⁵⁰ Mit dieser Deutung kommt Ambrosius dem Konzept des Victorinus schon deutlich näher, der eine Dopplung innerhalb eines Menschen annimmt und die Antithesen anders als Origenes deutet. Ambrosius versucht in seinem Kommentar, eine Erklärung für die willentliche Sündhaftigkeit des Menschen zu geben, die gleichzeitig die ursprünglich gute Natur des menschlichen Verstandes bewahrt. 4.1.4.3 Die Lehre von der doppelten Seele bei Origenes, De principiis III 4,2 Außerhalb des Matthäuskommentars diskutiert Origenes in De principiis eine vergleichbare Vorstellung wie Ambrosius. Unter der Fragestellung, wie eigentlich die Existenz von Trieben im Menschen zu erklären ist, die ihn zu bösem Tun veranlassen, erörtert er die Theorie einer doppelten Seele des Menschen. Wenn der Mensch aus Körper, Seele und Lebensgeist bestehe, müsse erklärt werden, wo diese Triebe ihren Ursprung hätten.¹⁵¹ Origenes schlägt drei mögliche Erklärungen dafür vor, eine davon ist die Ansicht, dass der Mensch eine zweifache Seele habe. Diese Ansicht hält Origenes durchaus für biblisch begründbar und erörtert sie daher ausführlicher. Dieser Theorie nach gibt es im Menschen „sozusagen zwei Seelen […] eine göttlichere und himmlische Seele und eine andere niedere […].“¹⁵² Die niedere oder irdische Seele (anima inferior et terrena) entstehe durch die körperliche Fortpflanzung, die gute und himmlische Seele (bona anima et caelestis) werde vom Himmel her eingesetzt.¹⁵³ In diesem Gegensatz zwischen zwei Seelen sieht Origenes die paulinische Rede vom Gegensatz von Fleisch und Geist und dem Gegensatz Vgl. zur Funktion der mens Ambr. Noe 11,38: […] ut hoc putemus vigorem mentis in anima esse et animam in corpore quod est pater familias in domo sua. Quod enim in anima mens, hoc anima in corpore. […] mens sobria passiones cohibet, sensus gubernat, sermonem regit. (CSEL 32/1,1 436,26 – 437,4) Dort nennt er die mens auch gubernaculum (CSEL 32/1,1 437,6). Vgl. Ambr. in Luc. VIII 50: Cum enim dicit Paulus se legi dei mente servire, utique mentem per se ipsam, nisi carne vincatur, bonam esse demonstrat et natura ita creatam, ut resistat errori. (CCSL 14 316,580 – 583) und Noe 11,38: Si enim nihil vitii mentem obumbret, sincerae cogitationes sunt. (CSEL 32/ 1,1 437,9 f.) Vgl. Ambr. in Luc. VIII 49: Fortasse enim ideo, quia altera exterioris est hominis, qui corrumpitur, altera interioris, qui per sacramenta renovatur. (CCSL 14 315,552– 554) Vgl. Or. princ. III 4,1 (263,19 – 23 Koetschau). Auf diesen Text verweist auch Baltes, Marius Victorinus, 91 Anm. 491. Or. princ. III 4,1 (264,1 f. Koetschau): […] velut duae animae […], una quaedam divinior et caelestis et alia inferior […]. Vgl. princ. III 4,2 (264,17– 24 Koetschau).
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zweier Gesetze ausgedrückt, die im Menschen gegeneinander kämpfen.¹⁵⁴ Wenn im Menschen ein anderer Wille stark ist, der gegen den Willen ankämpft, das göttliche Gesetz zu befolgen, dann muss dieser Wille auch einer Seele entspringen.¹⁵⁵ Daher scheint es für Origenes vor dem Hintergrund von Röm 7 und Gal 5,17 plausibel, von einer niederen Seele des Fleisches auszugehen, die die Ursache für die Affekte und Triebe ist, die den Geist an der Befolgung des göttlichen Gesetzes hindern. Diese Seele ist aber nicht von Natur aus und bleibend schlecht, sondern befindet sich in einer Mittelstellung zwischen Fleisch und Geist. Ihr Wille kann sich zum Fleisch neigen, dann spricht man vom fleischlichen Menschen, er kann sich aber auch zum Geist neigen, dann ist vom geistigen Menschen die Rede.¹⁵⁶ In De principiis entfaltet Origenes eine Lehre, die er für plausibel und biblisch hält, wonach der Mensch sich durch eine doppelte Seelenstruktur auszeichnet. Diese Dopplung soll begründen, wie es zum Kampf zweier Willen und Gesetze im Menschen kommen kann, ohne dass der Geist des Menschen als von Natur aus schwach oder fehlerhaft erscheint. Diese Ansicht hat Origenes aber weder in De principiis noch in seinem Matthäuskommentar mit einer allegorischen Auslegung von Mt 24,40 f. und Lk 17,34 f. verbunden. Ambrosius kennt aber offensichtlich eine solche Tradition und kommt sachlich der Vorstellung der zwei Seelen bei Origenes sehr nahe. Auch ihm geht es darum, eine Erklärung zu bieten, wie das willentliche Sündigen des Menschen zu erklären ist, ohne die Natur des Menschen als gänzlich verdorben zu charakterisieren. Ambrosius kennt also ähnlich wie Victorinus eine Auslegungstradition, die die Lehre von zwei Seelen zur Erklärung der Sündhaftigkeit mit der Auslegung der synoptischen Apokalypse verbindet. Origenes führt die Konzeption der zwei Seelen anonym als Fragestellung gewisser Leute (quidam) ein, sodass nicht ganz klar ist, woher er diese Position kennt oder ob er damit nur eine eigene Spekulation einführt.¹⁵⁷ Hadot und Stefani verweisen auf ähnliche Konzeptionen bei Philo und Clemens von Alexandrien, die zumindest zeigen, dass in Alexandria bereits seit Längerem solche Diskussionen geführt werden.¹⁵⁸ Vgl. princ. III 4,2 (265,1– 266,15 Koetschau). Die Existenz der niederen Seele wird insbesondere aus Gal 5,17 und Lev 17,11.14 LXX begründet (265,2.5 Koetschau). Vgl. princ. III 4,2 (266,15 – 27 Koetschau). Vgl. princ. III 4,2 (266,27– 267,7 Koetschau). Vgl. princ. III 4,2 (263,23 Koetschau). Vgl. Hadot, SC 69, 887 ad 62,10, Stefani, La „discesa“, 136 – 140. Philo unterscheidet den irdischen Menschen (γήϊνος ἄνθρωπος), der in Gen 2,7 geformt wird, vom himmlischen Menschen (οὐράνιος ἄνθρωπος), der in Gen 1,26 geschaffen wird, vgl. Leg. I 31. Mit diesen beiden Menschen sind zwei verschiedene Intellekte gemeint, ein mehr irdischer (νοῦς γεωδέστερος) und ein mehr immaterieller (νοῦς ἀυλότερος), vgl. Leg. I 88. Während der himmlische Intellekt vollkommen ist, hat der irdische Intellekt eine Mittelstellung inne, in der er sich frei für das Gute oder das Böse entscheiden
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4.1.4.4 Die Lehre von der doppelten Seele in den Excerpta ex Theodoto des Clemens von Alexandrien und die antignostische Ausrichtung des Victorinus Auch für verschiedene gnostische Theologen ist eine ähnliche Lehre nachweisbar. So kritisiert etwa Plotin in seiner Schrift gegen die Gnostiker deren Vorstellung von einer göttlichen und unsterblichen Seele, die sich von einer sterblichen und aus den Elementen zusammengesetzten Seele unterscheide.¹⁵⁹ Eine Variante dieser Lehre findet sich auch in den Excerpta ex Theodoto des Clemens von Alexandrien.¹⁶⁰ Sie weist einerseits große Nähe zur Darstellung in Origenes’ De principiis auf, andererseits zur Terminologie, die Victorinus benutzt, und hilft, die Position des Victorinus besser zu verstehen.¹⁶¹ Die Anthropologie der Excerpta ex Theodoto geht von der Unterscheidung eines hylischen, psychischen, pneumatischen und leiblichen Teils des Menschen aus, die aus der Genesisexegese gewonnen wird. Es wird nach Gen 1,26 zwischen einem Menschen nach dem Bilde und einem Menschen nach der Ähnlichkeit unterschieden. Der Demiurg erschafft den Menschen nach dem Bilde aus dem Staub der Erde, der mit der Materie gleichgesetzt wird. Dadurch bekommt der Mensch eine irdische, materielle und irrationale Seele, die er mit den Tieren gemeinsam hat (ψυχὴ γεώδης καὶ ὑλική […] ἄλογος καὶ τῇ τῶν θηρίων ὁμοούσιος).¹⁶² Anschließend haucht der Demiurg dem Menschen einen Lebenshauch ein, der aus seinem Wesen stammt und erschafft damit den Menschen nach der Ähnlichkeit.¹⁶³ Daher besteht der Mensch aus einem hylischen Teil und dem psychischen Teil, da er eine hylische Seele und eine eingehauchte Seele hat, und einem pneumatischen Teil, der ebenfalls durch das Einhauchen übertragen wird. Diese eingehauchte Seele, die den pneumatischen Samen enthält, wird als göttliche, rationale und himmlische Seele be-
kann, vgl. Leg. I 92– 95. Vgl. zu den Dimensionen des Konzeptes der Mittelstellung Mazzanti, L’aggettivo μεθόριος, 27– 42. Clemens von Alexandrien kann auch davon sprechen, dass es im Menschen einen doppelten Geist (δισσὰ πνεύματα) gibt, von denen der eine der rationalen Seele, der andere der vegetativen und sensitiven Seele entspricht. Dieses vitale Vermögen der Seele (ζωτικὴ δύναμις) kann Clemens unter dem Begriff körperlicher oder fleischlicher Geist bzw. körperliche Seele (πνεῦμα σαρκικόν, σωματικὸν πνεῦμα, σωματικὴ ψυχή) zusammenfassen, das rationale Vermögen bezeichnet er als die leitende Instanz (τὸ ἡγεμονικόν). Auch er nutzt dieses Konzept zur Erklärung des Widerstreites des Fleisches gegen den Geist nach Gal 5,17. Vgl. Clem. str. VI 134,1– 136,1; VII 79,6. Vgl. Plot. enn. II 9 (33) 5,8 – 11.16 – 18. Ähnliche Konzeptionen werden für die Anhänger des Basilides, Isidor und Valentin berichtet, vgl. Clem. str. II 112– 114. Zur Interpretation dieser Konzeptionen vgl. Aland, Gnosis und Kirchenväter, 158 – 215. Auf die Parallele verweist Hadot, SC 69, 888 ad 62,27. Vgl. für die Bezeichnungen Clem. exc. Thdot. 50,1 (123,10 f. Stählin/Früchtel/Treu). Vgl. zum Ganzen Clem. exc. Thdot. 50.
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zeichnet (ψυχὴ θεία, ἡ λογικὴ καὶ οὐρανία ψυχή).¹⁶⁴ Die austauschbare Terminologie in den Excerpta ist ein wichtiges Gegenargument gegen Hadots Versuch, die Passage bei Victorinus in einen christlichen und neuplatonischen Abschnitt zu teilen. Er weist die Rede von der himmlischen Seele dem christlichen Passus zu, die Rede von der göttlichen Seele dem neuplatonischen Teil.¹⁶⁵ Der Vergleich mit den Excerpta zeigt, dass im christlichen Kontext beide Terminologien austauschbar gebraucht werden können. Die materielle und himmlische Seele sind eng miteinander verbunden und durchdringen sich vollständig. Die materielle Seele dient als Körper und Fleisch für die himmlische Seele, eine allegorische Auslegung von Gen 2,23 illustriert diese enge Verbundenheit.¹⁶⁶ Der irdische, psychische und pneumatische Mensch sind dabei aber noch als immaterielle Größen verstanden. Einen materiellen Leib erhält der Mensch erst später. Dieser materielle Körper wird durch eine allegorische Auslegung von Gen 3,21 eingeführt.¹⁶⁷ Wie Ambrosius und Origenes verbinden auch die Excerpta ex Theodoto die Lehre von der doppelten Seele mit dem Kampf zweier Größen im Menschen nach Röm 7 oder Gal 5,17.¹⁶⁸ Auch hier dient diese Lehre dazu, den Ursprung der Sünde und den willentlichen Kampf gegen das göttliche Gesetz und den Geist zu erklären. Ziel des Menschen soll es sein, diese materielle Seele möglichst abzutöten und für ihre Auflösung zu sorgen.¹⁶⁹ Am Ende, so steht für die Excerpta ex Theodoto fest, geht das Materielle aufgrund seiner Wesensanlage zugrunde.¹⁷⁰ Wie die Excerpta betont Victorinus zugleich die hierarchische Ordnung und die enge Verbindung der materiellen und der himmlischen Seele. Die Formulierung des Victorinus, dass die Teile jeweils Wohnsitz und Körper (sedes et corpus) füreinander seien, lässt sich einerseits gut vor dem Hintergrund der Exegese von Gen 2,23 in den Excerpta verstehen, wonach die materielle Seele der Leib (σῶμα) der göttlichen Seele ist. Andererseits lässt sich die bildliche Bezeichnung, dass der Leib das Haus der Seele oder die Seele das Haus des Geistes ist, auch bei anderen paganen und
Vgl. für die Bezeichnungen Clem. exc. Thdot. 51,2 (123,20 Stählin/Früchtel/Treu) und 53,5 (124,26 f. Stählin/Früchtel/Treu). Vgl. Hadot, Porphyre I, 340 f., Anm 7. Vgl. Clem. exc. Thdot. 51,2. Vgl. auch hier die ähnliche Allegorie bei Philo, Leg. II 40 – 42 für die enge Verbindung der Sinneswahrnehmung mit dem Intellekt. Vgl. Clem. exc. Thdot. 51,2; 55,1. Vgl. Clem. exc. Thdot. 52,1. Vgl. Clem. exc. Thdot. 52. Das ist nur ein Beispiel, das gegen Lindemann, Paulus, 301 f. zeigt, dass in den Excerpta eine intensive Auseinandersetzung mit Paulus zu finden ist, die über „zufällige Ausnahmen“ hinausgeht (301). Vgl. Clem. exc. Thdot. 56,3: […] τὸ ὑλικὸν φύσει ἀπόλλυται. (125,20 f. Stählin/Früchtel/Treu)
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christlichen Autoren nachweisen.¹⁷¹ Daher ist es nicht notwendig, diese Ausdrücke mit Hadot als Anleihe bei Porphyrius zu deuten und als Bezeichnungen des Seelengefährtes zu interpretieren.¹⁷² Auffällig ist ferner, dass Victorinus und die Excerpta die Vorstellung einer Homousie der Seele äußern, jedoch in unterschiedlicher Weise: In den Excerpta ex Theodoto ist die materielle Seele des Menschen wesenseins mit den Seelen der Tiere und die himmlische Seele wesenseins mit dem Demiurgen.¹⁷³ Damit wird in der gnostischen Lehre erklärt, dass die höhere Seele des Menschen eigentlich göttlich ist und aus der Welt erlöst werden muss. Die Vorstellung einer Homousie der Seele mit Gott lehnt Victorinus dagegen ausdrücklich ab und bezeichnet deswegen nur den materiellen Intellekt als wesenseins mit der materiellen Seele.¹⁷⁴ Damit verbindet er die niedrigste Stufe der Seelenhierarchie eng mit den folgenden, um ihre Erlösungsfähigkeit zu betonen. Damit widerspricht Victorinus auch der Seelenlehre des Porphyrius, der eine Homousie verschiedenen Seelenstufen explizit ablehnt.¹⁷⁵ Im Vergleich mit den Excerpta fällt zudem auf, dass Victorinus davon spricht, dass das Materielle zurückgelassen wird, was an die Vergänglichkeit des Materiellen bei den Gnostikern erinnert, jedoch wird er diese Aussage – wie sich noch zeigen
Ps.-Justin kann vom Leib als Haus der Seele und von der Seele als Haus des Geistes sprechen, vgl. de resurrectione 10,3: οἶκος γὰρ τὸ σῶμα ψυχῆς, πνεύματος δὲ ψυχὴ οἶκος. (246 Otto II3) Heimgartner liest gegen CHA mit R πνεῦμα δὲ ψυχῆς οἴκος (126) und übersetzt: „[…] doch das [eigentliche] Haus der Seele ist der Geist.“ (127) In 10,4 heißt es aber, dass „diese drei“ erlöst werden, woraus deutlich wird, dass auch 10,3 als Hinweis auf die trichotomische Anthropologie verstanden werden muss. Daher ist dem Text Ottos zu folgen, so auch Justin fr. 109 Holl (48). Eine ähnliche Hierarchie findet sich bei Or. exp. in Pr. XVII (PG 17, 200 A): οἶκον ἐνταῦθά φησι τῆς μὲν ψυχῆς, τὸ σῶμα· τὴν δὲ ψυχὴν πάλιν, οἶκον τοῦ νοῦ. Hadot, Porphyre I, 340 Anm. 5 verweist auf Pl. Ti. 30b4– 5 als Ursprung der Hierarchie. Für den Leib als Haus der Seele auch: Plot. enn. II 9 (33) 18,14– 17; Procl. in Prm. I 661,2 f. Steel. Vgl. Hadot, Porphyre I, 340 – 342. S. 342 Anm. 1 verweist Hadot dafür auch auf Altheim/Stiehl, Porphyrius, 28. Altheim/Stiehl vermuten in einer arabischen Schrift von aš-Šahrastānī aus dem 12. Jh. viel Material aus der Philosophiegeschichte des Porphyrius. Dort wird Empedokles die Lehre einer gestuften Seele zugeschrieben, in der der niedrigere Teil jeweils die „Rinde“ oder der „Körper“ des höheren ist. Smith verhält sich zu dieser Quellenthese kritisch, vgl. Porph. 204– 205F in app. Er nimmt diese Passage daher auch nicht in seine Sammlung der Fragmente auf. Vgl. Clem. exc. Thdot. 50,1 f. Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,14 f. Locher). Zur Ablehnung der Homousie der Seele s.u. S. 463 – 475. Vgl. dazu Deuse, Seelenlehre, 184 f., der u. a. auf Porph. Gaur. p 42,18 – 22 Kalbfleisch verweist: ἀεὶ γὰρ κατ’ αὐτὸν τὰ ἀπὸ τῆς οὐσίας τινῶν γεννώμενα ὑποβέβηκε δυνάμεις καὶ οὐσίας †ἄξια τῶν γεγεννηκότων, καὶ ἀδύνατον μὲν ὁμοούσια εἶναι τοῖς γεγεννηκόσιν, ἐπιπειθῆ γέ πως τῶν τεκόντων γίγνεται καὶ ὑπ’ ἐκείνων τελειοῦται. Anders dagegen Hadot, Porphyre I, 337– 340 mit Überlegungen, welche Rolle die Homousie der Seele bei Porphyrius gespielt haben könnte. Allerdings fällt er kein Urteil, ob die Homousie der materiellen Seele und des materiellen Intellekts hier auf eine neuplatonische oder christliche Quelle zurückzuführen ist.
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wird – inhaltlich in ganz anderer Weise ausgestalten.¹⁷⁶ In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist auch die Aussage des Victorinus, dass man Lk 17,35 in ähnlicher Weise auf zwei Körper ausdeuten könne.¹⁷⁷ Dieser Gedanke passt nämlich überhaupt nicht zu seiner Aussageabsicht in diesem Abschnitt und er verfolgt ihn auch nicht weiter. Er müsste sonst die Konsequenz ziehen, dass es auch einen himmlischen und einen materiellen Körper in einem Menschen gäbe, was ihm offensichtlich fernliegt. Damit zeigt Victorinus, dass er eine solche Auslegung kennt, ohne sie konsequent durchzuführen. Für diese Auslegungstradition lässt sich vor dem Hintergrund der Excerpta ein gnostischer Ursprung wahrscheinlich machen. In einer gnostischen Auslegung von Lk 17,34 f. könnte damit der Dualismus eines immateriellen und eines materiellen Körpers begründet worden sein: Der hylische und psychische Mensch werden in den Excerpta als der immaterielle Körper für die himmlische Seele bezeichnet, während der materielle Körper erst in Gen 3,21 um den Menschen gelegt wird.¹⁷⁸ Das legt den Schluss nahe, dass Victorinus die Ansicht von der doppelten Seele und dem doppelten Intellekt auch aus gnostischen Texten kannte und sich gegen bestimmte Tendenzen dieser Auslegungstradition richtet. Seine Kritik an gnostischen Varianten dieser Lehre zeigt sich an seiner Betonung, dass der Leib ebenso wie die materielle Seele und die himmlische Seele erlöst werden.¹⁷⁹ 4.1.4.5 Die Funktion der Lehre der doppelten Seele zur Begründung der Sündhaftigkeit nach Röm 7 und Gal 5,17 Für den Moment ist es wichtig, die Intention des Konzeptes von der doppelten Seele festzuhalten, die sich aus diesen ausführlichen Vergleichen herleiten lässt. In allen Texten fällt eine Verbindung dieses Konzepts mit Röm 7 bzw. Gal 5,17 auf. Die materielle Seele, die niedere Seele oder die mens carnis dienen stets zur Erklärung, wie es zu einem Widerstreit innerhalb des Menschen zwischen dem göttlichen Gesetz
Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,7 f. Locher) mit Clem. exc. Thdot. 56,3 (s. Anm. 170). S. dazu u. S. 410 f. Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,3 Locher). Es ist nicht ganz eindeutig, ob auch Origenes eine solche Auslegung von Gen 3,21 vertreten hat. In Or. in Gen. comm. fr. D22 Metzler erklärt er sie vorsichtig für plausibel, ohne ihr voll zuzustimmen. Vgl. dazu Simonetti, Alcune osservazioni, Aevum 36 (1962), 370 – 381. Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,17– 20 Locher) und Ib 64. Dazu unten S. 403 – 414. Stefani, La „discesa“, 150 sieht hingegen in der Verbindung der ethischen und anthropologischen Dimension in der Auslegung von Mt 24 und Lk 17 eine originelle Leistung des Victorinus. Stefani scheint aber insgesamt Hemmungen zu haben, Victorinus zu sehr mit gnostischen Texten in Verbindung zu bringen. So konstatiert er zwar S. 149 eine große Nähe zu Theodot, möchte aber nicht von einer Abhängigkeit sprechen. Das weitere Verhältnis des Victorinus zu gnostischen Texten und Gedanken diskutiert er ansonsten nicht weiter und betont dagegen S. 139 f. stark die Parallelen zu Clemens von Alexandrien.
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und dem Gesetz des Fleisches kommen kann. Eine solche niedere Seele erklärt, wie es möglich ist, dass das Fleisch willentlich das Böse tun kann und der Mensch dennoch einen anderen Willen in sich verspüren kann, der das göttliche Gesetz befolgen will.¹⁸⁰ 4.1.4.6 Der Kommentar des Victorinus zu Gal 5,17 Leider bricht der Kommentar des Victorinus zu Gal 5,17 nach einigen anfänglichen Bemerkungen ab. An dieser Stelle hätte man sich weiterführende Hinweise für die Interpretation der Lehre von der doppelten Seele erhoffen können. Victorinus beginnt damit das Begehren des Fleisches gegen den Geist so zu erklären: Das Fleisch hat nämlich seine eigenen Bewegungen und Sinneswahrnehmungen und es wird nicht nur von der Seele in Bewegung gesetzt. Das kann man an den Dingen erkennen, die keine Seele haben, z. B. am Wasser, das seine Aufwallungen und Vermögen hat im Blick auf seinen Geschmack, seine Bewegung, seine Qualität und Quantität. Ebenso auch das Feuer und gleichermaßen die Erde und die übrigen Elemente, aus denen gewissermaßen eine Masse entsteht und das Fleisch gemacht wurde aus dem Feuchten ***.¹⁸¹
Der Grundsatz, dass das Fleisch an sich nicht sündigen kann, sondern nur eine Seele, findet sich auch bei Ps.-Justin, De resurrectione 7,10: ποῦ γὰρ καθ’ ἑαυτὴν ἁμαρτῆσαι σὰρξ δυνήσεται, ἐὰν μὴ τὴν ψυχὴν ἔχῃ προηγουμένην καὶ προκαλουμένην αὐτήν; (118,18 f. Heimgartner) In seiner Auslegung von Mt 26,39 zeigt Victorinus, dass der Wille für ihn auch in der Seele verankert ist, da er aus Jesu Wunsch, der Kelch möge an ihm vorübergehen, darauf schließt, dass er eine vollständige menschliche Seele angenommen hat, vgl. Adv. Ar. III 3 (117,29 f. Locher). S. dazu auch unten S. 515– 517. Indem Victorinus der materiellen Seele als Ursache der Sünde auch einen Intellekt zuschreibt, unterscheidet er sich auch von der späteren Position des Apollinaris von Laodicea. Auch dieser schließt aus Röm 7,23 darauf, dass das sündige Fleisch eine Seele besitzen muss, um gegen das Gesetz Gottes kämpfen zu können, vgl. fr. 22 Lietzman (209 f.) = Gr. Nyss. Apoll. p. 140,17– 19 Müller (GNO III/1) und fr. 88 Lietzmann (226,31– 227,3) = Gr. Nyss. Apoll. p. 209,9 – 12 Müller (GNO III/1). Ihm wirft Gregor von Nyssa vor, dass das Fleisch dann auch einen Intellekt besitzen müsse, der das Zentrum der Willensentscheidung ist, vgl. z. B. Gr. Nyss. Apoll. p. 212,26 – 213,3 Müller (GNO III/1). Vgl. in Gal. 5,17,6 – 12: Habet enim motus suos caro habetque sensus neque tantum ab anima suscitatur, quod intellegi licet etiam in his, quae animam non habent, ut in aqua, quae impetus suos habet et virtutes suas vel in sapore vel in motu vel in qualitate aut vel quantitate. Item ignis pariterque terra et cetera elementa, ex quibus quasi quaedam consparsio est et caro facta est ex humidis ***. consparsio kann eine Anspielung auf Röm 9,21 sein, wo als Variante für ex eadem massa auch ex eadem consparsione bezeugt ist, vgl. z. B. Aug. epist. 186,23 (CSEL 57 64,1– 4); divers. quaest. 68,3 (CCSL 44 A 177,64– 66). Es ist zumindest nach ThlL 4,494,83 s.v. conspersio nicht vor der Itala bezeugt und wird den Belegen nach fast nur als Anspielung auf verschiedene Bibelstellen benutzt. Da Röm 9,21 hier der passendste biblische Bezug scheint, übersetze ich mit „Masse“ und nicht allgemein mit „Mischung“ wie Cooper, Galatians, 336.
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Victorinus benennt hier zwei Ursachen für das Begehren des Fleisches wider den Geist: die dem Fleisch innewohnende Bewegung und die Sinneswahrnehmung. Die Sinneswahrnehmung wird als Eigentum des Fleisches beschrieben, was ganz zur Interpretation der anima hylica als dem Sinnesvermögen passt. Auch im Galaterkommentar scheint Victorinus diese Fähigkeit einer dem Fleisch innewohnenden Seele zuzuschreiben. Denn das Begehren des Fleisches aufgrund einer ihm eigenen Bewegung wird von dem Wirken der Seele unterschieden. Die Bewegung durch die Seele dürfte identisch sein mit dem Wirken der sinnlichen Wahrnehmung, für die die materielle Seele mit ihrem Intellekt zuständig ist. Daneben hat das Fleisch aber auch eine eigene Bewegung, die nicht von der materiellen Seele bedingt wird, was Victorinus am Beispiel des Wassers veranschaulicht.Wie Victorinus diese Bewegung aller Elemente, aus denen das Fleisch sich zusammensetzt, dann begründet, bleibt für uns unklar. Es lässt sich aber vermuten, dass wir es hier mit einem Rest der chaotischen Bewegung der Materie vor ihrer Ordnung durch die Seele und den Logos zu tun haben. Bei aller Ungewissheit über den verlorenen Textbestand fügt sich auch die Exegese von Gal 5,17 gut zur Interpretation der materiellen Seele als einer wesentlichen Ursache der menschlichen Sündhaftigkeit.¹⁸² Ein entscheidender Faktor für das Aufbegehren des Fleisches gegen den Geist ist die Verankerung der Sinneswahrnehmung in der materiellen Seele des Fleisches. Die Sinneswahrnehmung gibt dem Fleisch Impulse, die gegen die Befolgung des göttlichen Gesetzes stehen. Auch an anderen Stellen sieht Victorinus die fehlgeleitete Sinneswahrnehmung als eine Ursache für das Übel des Menschen.¹⁸³
Insofern können die Überlegungen zu Adv. Ar. Ib den von Cooper, Galatians, 336, Anm. 188 beklagten Verlust der Kommentierung zu Gal 5,17 und Röm 7 weniger schmerzlich erscheinen lassen. Piemonte, vitalismo, PaMe 7 (1986), 17 f. vermutet, dass sich Eriugena in seinem Johanneskommentar I,XXI (SC 180bis, 98,7– 10) und III,II (SC 180bis, 212,51– 54) von der Exegese des Victorinus zu Gal 5,17 abgrenzt. Eriugena lehnt ein Verständnis von Fleisch ab, in dem die Sünde nur vom Leib, nicht von der Seele ausgeht (III,II). Zuvor erwähnt er, dass es einige gebe, die den irrationabilis motus, durch den der Mensch im Fleisch geboren werde, nur auf das Fleisch, nicht auf die Seele beziehen. In diesem irrationabilis motus erkennt Piemonte die Formulierung des Victorinus Habet enim motus suos caro (s. Anm. 181) wieder. Wenn Eriugena hier wirklich Victorinus im Blick hat, hätte Victorinus zu Gal 5,17 wirklich nur von der Eigenbewegung des Fleisches gesprochen. Allerdings spricht er auch davon, dass das Fleisch seinen sensus hat. Das zeigt, dass er an das beseelte Fleisch gedacht haben muss. Zudem bleibt unklar, ob Eriugena, wenn er Victorinus gelesen haben sollte, an dieser Stelle einen vollständigeren Text als wir besaß, vgl. zu diesem Problem Piemonte, S. 18 Anm. 57. Vgl. nur in Eph. 1,4,60 – 72.
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4.1.4.7 Funktion der materiellen Seele als Anknüpfungspunkt für das göttliche Handeln Im Vergleich mit den Excerpta ex Theodoto wird aber noch eine andere Funktion der materiellen Seele deutlich: Sie dient als Körper der himmlischen Seele. Es ist für Victorinus offenbar nicht denkbar, dass sich die himmlische Seele direkt mit der Materie verbindet, sondern sie braucht die materielle Seele als eine Art Zwischeninstanz. Im Hintergrund dürfte der Gedanke stehen, dass es nicht der Würde des Göttlichen entspräche, sich direkt mit der Materie zu verbinden. Diese Bedenken meldet etwa Clemens von Alexandrien in seiner Auseinandersetzung mit der Stoa an.¹⁸⁴ Auch Origenes äußert diese Bedenken und zieht daraus Konsequenzen für die Christologie. Er schreibt der präexistenten Seele Christi in der Inkarnation eine vermittelnde Funktion zwischen Gott und Materie zu, da sich die göttliche Natur nicht direkt mit dem Leib verbinden könne.¹⁸⁵ Diese Bedenken gehen auf das platonische Axiom zurück, dass etwas nur dann einen Intellekt empfangen kann, wenn es eine Seele besitzt.¹⁸⁶ Vor diesem Hintergrund wird auch die zweistufige Gestaltung der Materie in der Schöpfung bei Victorinus verständlich. Der Logos gestaltet den Menschen erst aus der bereits durch die Seele geformten Materie, die schon Anteil am Leben hat. Er verbindet sich aber nicht direkt mit der toten Natur der Materie.¹⁸⁷ 4.1.4.8 Fazit und Vergleich mit der Seelenspur Plotins Nach diesem Vergleich ist es plausibel für Victorinus ganz ähnliche Intentionen anzunehmen. Auch ihm dient das Konzept der doppelten Seele als Erklärung für den Ursprung der Sünde im Menschen. Die Materie ist nicht an sich schlecht, sie hat zumindest an sich nicht die Kraft, den Menschen auf Erden gefangen zu halten. Diese Kraft hat sie erst durch die materielle Seele und den materiellen Intellekt, die ihr durch Vermittlung der Seele zuteil werden. Von ihr unterschieden ist aber die göttliche Seele mit ihrem Intellekt, die zugleich die materielle Seele als ihren Sitz
Vgl. Clem. str. I 51,1: ἀλλὰ καὶ οἱ Στωικοί […] σῶμα ὄντα τὸν θεὸν διὰ τῆς ἀτιμοτάτης ὕλης πεφοιτηκέναι λέγουσιν, οὐ καλῶς. (33,12– 14 Stählin/Früchtel/Treu) Ähnlich auch bei Tat. orat. 4,3: πνεῦμα ὁ θεός, οὐ διήκων διὰ τῆς ὕλης […]. Vgl. Or. princ. II 6,3: Haec ergo substantia animae inter deum carnemque mediante (non enim possibile era dei naturam corpori sine mediatore misceri) nascitur, ut diximus, deus-homo, illa substantia media existente, cui utique contra naturam non erat corpus assumere. (142,11– 14 Koetschau) Vgl. auch den ähnlichen Gedanken noch bei Gr. Naz. ep. 101,49. Vgl. Pl. Ti. 30b. S.o. S. 377– 380
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benötigt und von der materiellen Seele bedrängt wird. Sie wird dabei aber nie ganz zerstört, sondern bleibt nach wie vor als göttlicher Funken im Menschen intakt.¹⁸⁸ So bietet das Konzept der doppelten Seele eine überzeugende Erklärung dafür, warum die Materie, die kein aktiv böses Gegenprinzip zu Gott ist, trotzdem einen negativen Einfluss auf den Menschen haben kann, ohne dass dabei sein rationaler Intellekt substantiell in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Vergleich mit der verwandten und Victorinus sicher bekannten Theorie Plotins von der Seelenspur im Körper kann diese Analyse der Funktion der doppelten Seele noch weiter absichern und um zusätzliche Aspekte ergänzen.¹⁸⁹ Plotin vertritt die Ansicht, dass die Körper bereits vor ihrer Beseelung einen Schatten (οἷον σκία ψυχῆς)¹⁹⁰ oder eine Spur einer Seele (τι ἴχνος ψυχῆς)¹⁹¹ besitzen. Durch ihre Nähe zur Seele erhalten die Körper eine Seelenspur, die von der vegetativen, sensitiven und rationalen Seele verschieden ist. Plotin vergleicht dies mit Wärme oder Lichtstrahlen, die den Körper von der Seele her erreichen, bevor er eine richtige Seele aufnimmt.¹⁹² Dieses Konzept hat vor allem zwei Funktionen: Es erklärt erstens, warum die Körper in verschiedener Weise aufnahmefähig für die Seele sind, und zweitens, wie körperliche Affekte die Seele beeinflussen können: Erstens begründet Plotin mit dem Konzept der Seelenspur, warum sich die Seele überhaupt mit dem Körper verbindet und warum manche Körper Pflanzen, manche Tiere und manche Menschen werden können. Dies entscheidet sich je nach dem Grad der Seelenspur und der dadurch bedingten Aufnahmefähigkeit (ἐπιτηδειότης) eines Körpers für die Seele.¹⁹³ Dadurch kann Plotin weiterhin an der Einheit der Seele festhalten und erklären, wie sich die eine Seele in den Körpern verschieden ausprägt.¹⁹⁴
Vgl. Adv. Ar. Ib 61 (96,13 Locher); Ib 62 (97,15 – 19 Locher). Vgl. zu dieser Konzeption Plotins insgesamt Noble, How Plotinus’ Soul Animates his Body, Phronesis 58 (2013), 249 – 279 und Tornau, Kommentar, 277– 296 zu Plot. enn. VI 4 (22), 15. Plot. enn. IV 4 (28), 18,7. Plot. enn. VI 4 (22), 15,15. Vgl. Plot. enn. VI 4 (22) 15,8 – 16. In enn. IV 4 (28) 14.18,5 f. präzisiert Plotin den Vergleich mit Wärme und Licht. Demnach solle die Seelenspur im Körper eher wie erwärmte Luft, nicht wie erleuchtete Luft verstanden werden. Das zielt darauf ab, dass die Seelenspur den Zustand des Köpers wirklich verändert, wie Wärme die Luft, während Licht den Zustand der Luft nicht verändern würde, vgl. dazu Noble, How Plotinus‘ Soul Animates his Body, Phronesis 53 (2013), 268 – 271. Vgl. Plot. enn. VI 4 (22) 15,1– 8. Diesen Gedanken der unterschiedlichen ἐπιτηδειότης der Körper nutzt Victorinus auch in seinem Cicerokommentar als Erklärung, warum der Kulturheros seine natürliche Anlage besser entfalten kann als die übrigen Menschen, vgl. rhet. I 2,2 (10,1– 10 Riesenweber). Vgl. dazu Deuse, Seelenlehre, 117– 128.
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In analoger Weise erklärt Victorinus mithilfe des Konzepts der materiellen Seele, wie sich die rationale Seele mit dem Körper verbinden kann. Darüber hinausgehend nutzt Victorinus dieses Konzept aber auch als Erklärung dafür, wie der göttliche Logos in die Materie eingehen kann. Erst durch die vorläufige Beseelung durch die Seele wird die Materie das Eigentum des Logos, sodass er zuerst den Menschen schaffen kann und später in der Inkarnation hinabsteigen kann und das Heilshandeln vollenden kann. Victorinus begrenzt damit auch zugleich das Konzept der ἐπιτηδειότης. Zwar wird alles insoweit von Gottes Leben erfüllt, wie es seiner Aufnahmefähigkeit entspricht. Der Unterschied zwischen dem Menschen und den übrigen Lebewesen, liegt aber nicht einfach in der unterschiedlichen Beschaffenheit ihrer Körper, sondern im schöpferischen Willen Gottes begründet. Mensch und Tier teilen die gleiche sensitive Seele miteinander, die ihnen durch ihre materielle Beschaffenheit zukommt. Der Mensch erhält aber die besondere Auszeichnung der Rationalität durch das Einhauchen des Geistes in Gen 2,7. Die herausragende Rolle des Menschen liegt also in Gottes Willen begründet, nicht in der Konstitution des menschlichen Körpers. Victorinus und Plotin teilen auch die Ansicht, dass die Erde beseelt ist, da aus ihr Tiere und Pflanzen hervorgehen. Aber auch hier ist der charakteristische Unterschied, dass die Tiere laut Victorinus erst in Folge des göttlichen Schöpfungsbefehles aus der beseelten Erde entspringen.¹⁹⁵ Zweitens erklärt Plotins Seelenspur, wie bestimmte Affekte, die im Körper oder durch eine Einwirkung auf ihn entstehen, Auswirkungen auf die Seele haben können. Diese Frage stellt sich, da die Seele streng vom Körper zu trennen ist und ihre Substanz unabhängig von diesem ist. Als vermittelndes Moment zwischen Seele und Körper führt Plotin die Seelenspur ein, die dazu führen kann, dass sich die unteren Seelenteile an die Affekte des Körpers angleichen.¹⁹⁶ Damit kann Plotin begründen, dass leibliche Begierden und Affekte im Körper ihren Ursprung haben und trotzdem einen Einfluss auf die Seele nehmen können, ohne diese wirklich zu affizieren. Die Seele kümmert sich um ihren Leib, da sie eine Gemeinschaft mit ihm eingegangen ist und über die Seelenspur mit ihm verbunden ist, und bleibt doch von ihm getrennt.¹⁹⁷ Die rationale Seele muss dann darüber entscheiden, inwieweit diesen Affekten nachzugehen ist, muss sie kontrollieren und beherrschen. Diese Funktion hat auch das Konzept der materiellen Seele bei Victorinus wie der Vergleich mit den Konzeptionen der Excerpta ex Theodoto, des Origenes und des Ambrosius gezeigt hat. Die materielle Seele kann einen eigenen Willen formen und damit gegen den Willen der himmlischen Seele ankämpfen. So kann die Zerris Plot. enn. IV 4 (28) 22,14– 17 zieht den Schluss, dass die Erde eine eigene Seele hat, da aus ihr Pflanzen und Tiere hervorgehen können. Vgl. damit Adv. Ar. III 3 (117,13 f. Locher) mit Gen 1,24. Vgl. Plot. enn. VI 4 (22) 15,16 – 40; enn. IV 4 (28) 18 – 21.28,52– 55. Vgl. Plot. enn. IV 4 (28) 18,8 – 15.
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senheit des Menschen erklärt werden, eigentlich das göttliche Gesetz befolgen zu wollen und doch auch willentlich zu sündigen. Victorinus zieht aus der Lehre der materiellen Seele aber radikalere Konsequenzen als Plotin. Zwar beharrt er darauf, dass der rationale Intellekt nicht von der Sünde affiziert wird, jedoch kann dieser die materielle Seele nicht mehr aus eigener Kraft unter seine Kontrolle bringen. Die Seelenspur Plotins ist deutlich abgetrennter vom eigentlichen Selbst des Menschen, die Affekte, die hier entstehen, müssen erst an die richtige Seele weitervermittelt werden und können vom Intellekt kontrolliert werden. Dagegen ist die materielle Seele bei Victorinus identisch mit der Tierseele, der Wille zur Sünde sitzt also an deutlich höherer Stelle im Gesamtgefüge des Menschen und kann nicht mehr vom Intellekt beherrscht werden. Insgesamt zeigt sich also eine deutliche Verwandtschaft zwischen Plotins Seelenspur und der christlichen Diskussion um eine doppelte Seele. Die Annahme einer materiellen Seele erweist sich als Schlüsselkonzept für Victorinus, das die Ambivalenz der moralischen Beurteilung der Materie begründet: Die materielle Seele gibt dem Körper einerseits einen eigenen Willen, der die Macht der Sünde über den Menschen erklärt.¹⁹⁸ Andererseits ist sie aber die notwendige Voraussetzung für die Schöpfung des Menschen und das Erlösungshandeln Gottes. Die materielle Seele könnte darüber hinaus noch eine zentrale Rolle für die Erklärung der leiblichen Auferstehung einnehmen, was im Folgenden gezeigt werden soll.
4.2 Die Erlösung der Materie und des Körpers 4.2.1 Die Inkarnation als Fortsetzung des Schöpfungshandelns In der Art und Weise, wie Victorinus die eschatologische Erlösung konzipiert zeigt sich einerseits ein zentraler Gegensatz zur Gnosis, andererseits aber auch eine klare Distanz zu platonischen Vorstellungen. Victorinus integriert nämlich in seine Eschatologie auch die Erlösung des Leibes und der Materie.¹⁹⁹ Das zeigt, dass er an der philosophischen Durchdringung des christlichen Bekenntnisses interessiert ist.
Dies zeigt gegen Steinmann, Seelenmetaphysik, 64– 67, dass die Spekulation über die hylische Seele viel mehr über die Körperlichkeit des Menschen aussagt. Vgl. bes. 67: „Denn im Blick auf das körperliche Sein des Menschen kommt er über allgemeine Aussagen nicht hinaus, d. h. er gelangt zu nicht viel mehr als der Feststellung, daß der Mensch aus Seele und Körper besteht.“ Schiavolin, Lo spirito, 282 f. sieht hier einen wesentlichen Beweggrund der Hinwendung des Victorinus zum Christentum: Nur dieses ermöglicht es ihm, die Vergeistigung auch der materiellen Welt zu denken, was für den Platonismus eine „Torheit“ sei. Das muss freilich Spekulation bleiben, weist aber auf den zentralen Stellenwert hin, den die Vergeistigung der materiellen Schöpfung bei Victorinus besitzt.
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Die Integration des materiellen Leibes in das Erlösungshandeln Gottes liegt letztlich in der monistischen Rückführung alles Seins auf Gott als einziger Ursache begründet. Da die Materie von Gott stammt und vom Logos durch Vermittlung der Seele belebt wird, ist sie Gottes Eigentum. Der Logos ist als Leben Ursache alles Seins und alles Lebens, da alles, was er durchdringt, belebt wird. Daher gehört auch die Materie nach ihrer Beseelung zum Logos, hat Anteil am Leben und ist dem Tod entrissen: „Das Vermögen des Logos ist aufgrund seiner Substanz die Substanz des Lebens, und weil er Leben ist, belebt er, wiederbelebt er und lässt nicht zu, dass im Tode bleibt, was er belebt.“²⁰⁰ Schöpfung, Inkarnation und Erlösung des Menschen stehen für Victorinus in einem engen theologischen Zusammenhang. Die anfängliche Belebung alles Seins ist die Voraussetzung der Inkarnation des Logos, durch die die Seele und der Leib des Menschen angenommen werden und aus der Unterdrückung durch die materiellen Mächte befreit werden. Weil Seele und Leib einmal ihr Leben vom Logos empfangen haben, belässt er sie nicht im Tod, sondern vollendet durch seine Inkarnation und seinen Tod am Kreuz seine belebende Aktivität. Mit der Inkarnation und dem Kreuzestod beginnt die Vollendung der Schöpfung: Die Materie wurde zunächst durch die Seele belebt, der Leib hat daher nur in geringerem Maße Anteil am Leben. Durch ihre schöpferische Tätigkeit ist die Seele eine zu enge Verbindung mit der Materie eingegangen und ist nun im Leib von den materiellen Mächten bedrängt. Durch die Inkarnation wird der Schöpfungsprozess vervollkommnet. Der Logos steigt in die belebte Welt hinab, um im Fleisch die materiellen Mächte zu besiegen. Daher betont Victorinus immer wieder, dass Christus einen wirklichen menschlichen Leib angenommen habe, da die materiellen Mächte nur so besiegt werden könnten.²⁰¹ Durch den Sieg über die materiellen Mächte ist der Weg für eine endzeitliche Transformation der gesamten Schöpfung eröffnet. Nicht nur die Seele kann aufgrund ihrer Natur vergeistigt werden, sondern auch der Leib wird transformiert.²⁰² Victorinus zeichnet also eine klare Entwicklungslinie von der ersten Schöpfung über die Inkarnation zur endzeitlichen Vergeistigung der Schöpfung. Damit setzt er sich deutlich von dualistischen Ansätzen Markions oder der Gnostiker ab: Christus kommt in die Welt nicht als Fremder, sondern er erlöst die Welt gerade deswegen, weil sie sein Eigentum ist.
Adv. Ar. I 26: Potentia enim τοῦ λόγου iuxta suam substantiam vitae est semper substantia, secundum quod vita est, et vivefacit et revivefacit et non permittit esse in morte, quaecumque vivefacit. (59,27– 29 Locher) Vgl. dazu auch Benz, Marius Victorinus, 96.108. S.u. S. 414– 417. Vgl. z. B. Adv. Ar. Ib 64 (98,30 – 99,2 Locher); IV 7 (140,19 – 29 Locher); in Phil. 3,21,1– 46.
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4.2.2 Die Ebenbildlichkeit des Leibes in Adv. Ar. Ib 64 und die exegetische Tradition Victorinus schließt den Leib in Adversus Arium Ib 64 im Rahmen seiner Genesisauslegung ausdrücklich in die Ebenbildlichkeit mit ein, nachdem es zunächst so aussieht, als würde er nur die Seele als Ebenbild Gottes betrachten. Während er in Adv. Ar. I 20 Gen 1,26 allein auf die Seele bezieht und so seine Ausführungen in Adv. Ar. Ib 63 beginnt, weitet er die Diskussion in Adv. Ar. Ib 64 explizit auf den Leib aus. Jedoch weist er bereits bei seiner ersten Behandlung des Themas in Adv. Ar. I 20 darauf hin, dass es eine Streitfrage sei, ob sich Gen 1,26 nur auf die Seele oder auf Leib und Seele gemeinsam beziehe. Hier entscheidet er sich für den Moment dafür, allein die Exegese mit Bezug auf die Seele vorzuführen, da diese allein sowohl nach dem Bilde als auch nach der Ähnlichkeit geschaffen sei.²⁰³ Das bedeutet in seiner Auslegung, dass sowohl die Substanz der Seele nach dem Bild Gottes geschaffen ist als auch ihre Qualität.²⁰⁴ Da der verwesliche menschliche Leib sich dagegen qualitativ vom auferstandenen Leib Christi unterscheidet, kann über ihn zunächst nur gesagt werden, dass er nach dem Bilde geschaffen ist. Aus diesem Grund beschränkt sich Victorinus in dieser ersten Auslegung von Gen 1,26 auf die Seele, da er hier ihr trinitarisches Wesen als Beweis für die trinitarische Struktur Gottes nutzen möchte.²⁰⁵ Überlegungen zur Ebenbildlichkeit des Leibes hätten diesen argumentativen Zusammenhang nur gestört. Dieses exegetische Problem hat dagegen seinen Platz in den ausführlicheren Überlegungen zur Schöpfung des Menschen am Ende der Schrift Adversus Arium Ib. In Adv. Ar. Ib 62 fasst Victorinus Gen 1,26 und 2,7 zu einem Schöpfungsvorgang zusammen: Zunächst erschafft Gott nach Gen 2,7 den Leib aus der bereits geformten Materie, in den er dann die rationale Seele einhaucht.²⁰⁶ Diese rationale Seele setzt
Vgl. Adv. Ar. I 20: Multa cum sit quaestio, de quo dixerit faciamus hominem iuxta imaginem nostram, concedendum nunc, quod de anima hominis. Sive enim de ambobus, sive de sola anima, nihil aliud intellegitur, nisi de anima. Ipsa enim sola est iuxta imaginem dei et iuxta similitudinem. (51,16 – 20 Locher) Vgl. für den potentiell missverständlichen zweiten Satz die treffende Übersetzung von Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 139: „[…] sei es, daß es sich tatsächlich um beide oder daß es sich um die Seele allein handelt, der Satz kann nicht anders als von der Seele verstanden werden.“ Victorinus möchte damit nur zum Ausdruck bringen, dass alle darin übereinstimmen, Gen 1,26 auf die Seele zu beziehen, und dass nur die Frage umstritten ist, ob es sich auch auf den Körper bezieht. Missverständlich dagegen die Übersetzung von Clark, FoC 69, 118: „[…] for whether it refers to the composite or the soul alone, it has not been understood to refer to anything else except the soul.“ Vgl. Adv. Ar. I 20 (52,4– 15 Locher) Dazu ausführlich unten S. 463 – 475. Vgl. Adv. Ar. I 20 (52,20 – 53,4 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (96,28 – 97,15 Locher).
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Victorinus nach Gen 1,26 dann mit dem inneren Menschen gleich, der nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes geschaffen sei.²⁰⁷ Bei dieser Auslegung bleibt Victorinus aber nicht stehen, sondern führt seine Untersuchung dann explizit über die Frage fort, ob auch der Leib nach dem Bilde Gottes geschaffen ist.²⁰⁸ Er bietet zwei Erklärungen dafür an, wie man Gen 1,26 auch auf den menschlichen Körper beziehen kann. Er bringt zunächst eine Erklärung ungenannter anderer Theologen vor: Der menschliche Körper sei deswegen nach dem Bilde geschaffen, da Gott bereits gewusst habe, dass der Logos Fleisch annehmen werde. Nach dem Bilde dieses Fleisches, das der Inkarnierte annehmen sollte, sei dann der Mensch geschaffen worden.²⁰⁹ Eine solche Auslegung findet sich in Tertullians Schrift De resurrectione mortuorum. ²¹⁰ Victorinus widerspricht dieser Auslegung nicht, bietet aber zusätzlich noch eine eigene Erklärung an: Da der Logos alles hervorbringe und die Idee aller Dinge in sich enthalte, sei er auch der Logos, d. h. das universelle Prinzip des Fleisches. Dieses „höhere Fleisch des Logos“²¹¹ sei aber ein geistiges Fleisch, in das auch das menschliche Fleisch nach der Auferstehung verwandelt werde.²¹² Auch die Einteilung des Menschen in zwei Geschlechter erklärt Victorinus als Ergebnis der Schöpfung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes. Er versteht die beiden Teile des Verses Gen 1,27 als zusammenhängende Aussage und deutet die Trennung des Menschen in zwei Geschlechter als Ausdruck der Ebenbildlichkeit.²¹³ Im Bibeltext des Victorinus wird der erste Mensch als masculofemina bezeichnet, was eine Androgynie des Urmenschen nahezulegen scheint. Die Betonung liegt hier offenbar darauf, dass der Mensch in den zwei Erscheinungsformen Mann und Frau existiert, die beiden Geschlechter also keinen substantiellen Unterschied begrün Vgl. Adv. Ar. Ib 63 (97,21– 27.98,13 – 15 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 64: Videamus ergo, si et iuxta carnem. (98,26 Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 64: Quidam et iuxta carnem dicunt praedivinatione, quoniam futurum erat, ut Iesus indueret carnem. (98,26 f. Locher) Vgl. Tert. resurr. 6,3 – 6. Adv. Ar. Ib 64: car[o] superior[…] τοῦ λόγου (99,1 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 64 (98,27– 99,3 Locher). Dagegen trennt Gr. Nyss. opif. 16 (PG 44, 181 A-185 A) Gen 1,27a und b: Gregor versteht Gen 1,27 als Aussage über die mittlere Natur des Menschen zwischen dem Göttlichen und dem Tierischen. Die Ebenbildlichkeit in Gen 1,27a beziehe sich auf den Intellekt, während die Trennung in zwei Geschlechter in Gen 1,27b der tierischen Natur entspreche und keine Aussage mehr über die Gottebenbildlichkeit des Menschen enthalte. Vgl. z. B. Gr. Nyss. opif. 16 (PG 44, 181BC): Δύω τινῶν κατὰ τὸ ἀκρότατον πρὸς ἄλληλα διεστηκότων, μέσον ἐστὶ τὸ ἀνθρώπινον, τῆς τε θείας καὶ ἀσωμάτου φύσεως, καὶ τῆς ἀλόγου καῖ κτηνώδους ζωῆς. ἔξεστι γὰρ τῶν εἰρημένων ἐν τῷ ἀνθρωπίνῳ συγκρίματι θεωρῆσαι τὴν μοῖραν· τοῦ μὲν θείου τὸ λογικόν τε καὶ διανοητικὸν, ὅ τὴν κατὰ τὸ ἄῤῥεν καὶ θῆλυ διαφορὰν οὐ προσίεται· τοῦ δὲ ἀλόγου τῆν σωματικὴν κατασκευὴν καῖ διάπλασιν εἰς ἄῤῥεν τε καὶ θῆλυ μεμερισμένην.
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den. Das ist die Grundlage für den Analogieschluss zum Sohn, der ebenfalls eine substantielle Einheit ist, die sich in den zwei Aktivitäten des Heiligen Geistes und des Logos zeigt. Die zweigeschlechtliche Körperlichkeit des Menschen entspricht der immanenten und ökonomischen Rolle des Logos in Adv. Ar. Ib, der zugleich weiblich und männlich agiert.²¹⁴ Im Kommentar zu Eph 5,32 legt Victorinus dagegen den dortigen Verweis auf Gen 2,24 allegorisch aus und deutet die enge Verbindung von Adam und Eva als Verbindung von Geist und Seele.²¹⁵ Auch in Bezug auf diese Frage sind ihm also verschiedene exegetische Traditionen bekannt, zwischen denen er je nach Kontext auswählen kann.²¹⁶ Victorinus legt in Adv. Ar. Ib 64 großen Wert darauf, die Ebenbildlichkeit des Körpers so zu erklären, dass daraus nicht die Konsequenz einer körperlichen Gottesvorstellung gezogen werden kann. Keinesfalls möchte er dem Missverständnis Raum geben, dass der menschliche Leib einem göttlichen Leib nachempfunden wäre. Er zeigt hier Kenntnis der exegetischen Debatten über Gen 1,26 f. und Gen 2,7 und versucht, verschiedene Auslegungstraditionen zusammenzuführen: In der ersten Interpretationslinie, die etwa bei Philo von Alexandrien oder Origenes zu fassen ist, werden Gen 1,26 f. und Gen 2,7 als zwei getrennte Schöpfungsberichte gedeutet: Die Vertreter dieser Tradition verstehen Gen 1,26 als Bericht über die Schöpfung eines immateriellen Menschen, der nach dem Bilde Gottes ist, während der materielle Mensch erst in Gen 2,7 erschaffen wird und nicht in die Ebenbildlichkeit eingeschlossen ist. Als unsterblich gilt in dieser Auslegung nur der erste Mensch, der nach dem Bilde geschaffen wurde, während der zweite, materielle Mensch sterblich ist. Im Hintergrund dieses Verständnisses von Gen 1,26 f. und Gen 2,7 stehen Bedenken, dass andernfalls auf eine körperliche Existenz Gottes geschlossen werden könnte.²¹⁷ Das hat bei Origenes auch Konsequenzen für sein
Vgl. Adv. Ar. Ib 64: Si autem et istud dicit: fecit ipsum masculofeminam, et praedictum est: fecit hominem iuxta imaginem dei, manifestum, quoniam et iuxta corpus et carnem valde mystice τοῦ λόγου et mare et femina exsistente, quoniam sibimet filius erat in primo et secundo partu spiritaliter et carnaliter. (99,4– 8 Locher) Zur zweigeschlechtlichen Rolle vgl. Adv. Ar. Ib 51 (87,3– 24 Locher). S. o. S. 315 – 322. Vgl. in Eph. 5,32,8 – 12. Für die allegorische Auslegung vgl. schon Philo Opif. 165, der Adam mit dem Intellekt, Eva mit der Wahrnehmungsfähigkeit gleichsetzt. Ferner Or. in Gen. 1,15: Masculus spiritus dicitur, femina potest anima nuncupari. (30,12 Habermehl) Diese Tradition steht auch im Hintergrund der allegorischen Auslegung der synoptischen Apokalypse, nach der die weiblichen Personen sich auf die niedrigere, die männlichen auf die höhere Seele beziehen. Auch in Adv. Ar. Ib 64 hätte sich die Bezeichnung anders allegorisieren lassen, etwa im Anschluss an Or. Hom. in Ex. XIII 5 (277,11– 13) wonach die Frau für das Fleisch, der Mann für die Vernunftbegabung stehe. Vgl. z. B. Or. dial. 12.15 f.; Or. Cels. VI 63 und Philo, Opif. 134. Vgl. auch Ulrich, Peculiar, 2 f.
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Verständnis der leiblichen Auferstehung, die er als eine Transformation des materiellen Leibes zu einem pneumatischen Leib interpretiert.²¹⁸ Demgegenüber verstehen Vertreter der zweiten Interpretationslinie, wie Pseudo-Justin oder Irenäus von Lyon, Gen 1,26 f. und Gen 2,7 als einen Schöpfungsvorgang. Daher beziehen sie die Aussagen über die Ebenbildlichkeit auch auf den menschlichen Leib und können die Auferstehung des Leibes mit dem Argument rechtfertigen, dass auch er nach dem Bild Gottes erschaffen sei.²¹⁹ Das fortgeschrittene Diskussionsstadium bei Victorinus zeigt sich daran, dass er anders als Pseudo-Justin oder Irenäus den möglichen Vorwurf berücksichtigt, dass Gott nach dieser Auslegung ebenfalls ein körperliches Wesen sei. Er nimmt diese mögliche Kritik auf und umgeht sie, indem er Aspekte der beiden Traditionen verbindet. Irenäus und Pseudo-Justin nehmen anders als Origenes keinen Anstoß an der realen leiblichen Auferstehung und nutzen das Konzept der Ebenbildlichkeit als Erklärung, warum auch der Leib auferstehen wird. Victorinus versteht dagegen wie Origenes die leibliche Auferstehung als eine Transformation des ursprünglichen materiellen Leibes zu einer höheren geistigen Existenz. Daher argumentiert Victorinus auch mit der Annahme des ewigen Bestandes der materiellen Elemente anders als etwa Pseudo-Justin. Für diesen ist die platonische Prämisse, dass die Materie unvergänglich ist, ein Beweis dafür, dass die Auferstehung des Leibes philosophisch denkbar ist. Zwar sei das Gebilde vergänglich, der Grundstoff des Gebildes aber nicht. Daher könne das Gebilde von Gott auch wieder aus derselben Materie zusammengesetzt werden, auch wenn es zuvor aufgelöst worden sei.²²⁰ Victorinus teilt diese Vorstellung, dass der Tod nur die Auflösung der gegenwärtigen Gestalt der Materie bedeute, nicht aber die völlige Vernichtung der Bestandteile des Körpers. Jedoch nutzt er sie nicht dafür, um für die Auferstehung des materiellen Leibes zu argumentieren. Vielmehr dient ihm dieses Konzept dazu, die These zu widerlegen, dass Gegensätzliches aus Gegensätzlichem entstehe: Dass Leben aus dem Tod und der Tod aus dem Leben entstehen, sei nur insofern richtig, als die Elemente stets vorhanden bleiben und es für diese keinen richtigen Tod gebe. Daher gelte dann auch im göttlichen Bereich, dass der Logos als
Vgl. Or. princ. III 6,5 (287,11– 20 Koetschau). Vgl. Ps.-Justin, De resurrectione 7,3 – 6; Iren. haer. V 6,1; die Verbindung von Gen 1,26 und 2,7 auch in Iren. epid. 11.Weitere Belege bei Ulrich, Peculiar. Auch die Stoa weist dem menschlichen Leib eine herausgehobene Stellung in der Schöpfung zu, dabei stellt sie u. a. ein Zusammenhang zwischen der aufrechten Körperhaltung und der Fähigkeit zur Welt- und Gotteserkenntnis her, vgl. z. B. Cic. Leg. I 26. Daran knüpft etwa Lact. ira 7,3 – 6 an. Vgl. Ps.-Justin, De resurrectione 6,5 – 10.
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Leben nicht aus einer Ursache entstehen muss, die nicht lebendig ist.²²¹ Für sein Verständnis einer Vergeistigung des Leibes in der Auferstehung kann er diese Argumentation gerade nicht einsetzen. Victorinus verbindet in seiner Exegese also zwei verschiedene Auslegungstraditionen, wenn er einerseits Gen 1,26 f. und Gen 2,7 als einen einzigen Schöpfungsbericht liest, andererseits aber einen pneumatischen Auferstehungsleib lehrt, der sonst im Zusammenhang mit einer zweistufigen Auslegung des Schöpfungsberichtes verbunden ist. Jörg Ulrich untersucht, wie Gen 1,26 f. und Gen 2,7 als Argumente für die leibliche Auferstehung genutzt werden.²²² Schon früh gibt es dabei die zwei Traditionsstränge: Eine exegetische Richtung liest die beiden Schöpfungsberichte als Einheit und kann Gen 1,26 f. auch als Argument für die leibliche Auferstehung werten. Dagegen geht eine zweite Richtung von der Trennung der beiden Schöpfungsberichte aus und bezieht die Ebenbildlichkeit ausschließlich auf die Seele.²²³ Vor diesem Hintergrund lässt sich Victorinus als Vermittler zwischen den beiden Tra-
Vgl. Adv. Ar. IV 25 (158,30 – 159,16 Locher). Zum Argument, dass Gegensätze auseinander entstehen und somit auch das Leben aus dem Tod und umgekehrt, vgl. Pl. Phd. 70c-72a. Hadot, Porphyre I, 437 denkt dagegen an den Sophistes. Siehe zu Victorinus’ Argumentation auch unten S. 497 f. Vgl. Ulrich, Peculiar. Die Belege für die Kombination gehen dabei meist auf im Westen wirkende Theologen zurück. Zur Diskussion um die Verfasserschaft der ps.-justinischen Schrift De resurrectione vgl. Heimgartner, Pseudojustin, 199 – 221, der die Schrift in Alexandrien lokalisiert und Athenagoras zuweist. Dagegen plädiert Whealey, Pseudo-Justin’s De resurrectione, VigChr 60 (2006), 420 – 430 für Hippolyt als Verfasser. D’Anna, Sulla resurrezione, 277– 287 schreibt die Schrift dem Schülerkreis Justins in Rom zu und bezeichnet sie wegen der großen theologischen und sprachlichen Nähe als deuterojustinisch. D’Anna verweist auf die große Nähe zu Justin, die Verwendung der Schrift durch Irenäus und das Auftauchen eines Argumentes, das an Galen erinnert, um eine Lokalisierung in Rom zu plausibilisieren. Ulrich verweist zudem auf 1Clem 33,4 f. und Just. dial. 62,1– 3 als frühe Belege für eine kombinierte Exegese der beiden Schöpfungsberichte. Dort steht die Kombination noch nicht im Kontext der Debatte um die Auferstehung. Ulrich, Peculiar, 7.19 vermutet einen jüdischen Ursprung dieser exegetischen Tradition, da sie zwischen Justin und Tryphon nicht umstritten ist. Dattrino, Gen 1,26 – 27 e Gen 2,7, 196 – 198 führt die Kombination der beiden Schöpfungsberichte auf eine asiatische Tradition in Abgrenzung von einer alexandrinischen Tradition zurück. Er verweist auf eine Bemerkung des Origenes, wonach Melito von Sardes die Körperlichkeit Gottes gelehrt habe, vgl. Or. in Gen. comm. fr. D11 Metzler (158,19 – 28) = Collectio Coisliniana fr. 73 Petit (73,2– 15). Das wirft ihm auch Gennad. dogm. 4 (PL 58, 932B) vor. Den Zusammenhang zu Gen 1,26 stellt aber Origenes her, nicht Melito. Die Argumente Melitos, die Origenes referiert, gehen alle von Bibelstellen aus, die Gott Körperteile zuschreiben oder davon berichten, dass er von Menschen wie Abraham und Mose gesehen wurde. Vermutlich hat Melito auf Grundlage einer starken Identifikation von Vater und Sohn geschlossen, dass Gott insgesamt etwas Körperliches haben müsse, wenn der Sohn einen Körper hat. Der zweite Beleg für eine „asiatische Tradition“ ist für Dattrino Theophilus. Man wird die Traditionslinien angesichts der zahlreichen Belege aber kaum schematisieren können.
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ditionslinie begreifen. Er nimmt zwar mit der ersten Traditionslinie die Vorstellung von der Ebenbildlichkeit des Leibes auf, formt sie aber in einer Art und Weise um, dass sie mit der zweiten Tradition kompatibel wird und deren Bedenken gegen eine Identifizierung der Schöpfungshandlung in Gen 1,26 und Gen 2,7 aufgehoben werden. Dadurch kann er das starke Argument von Theologen wie Ps.-Justin oder Irenäus nutzen, dass auch der Leib in gewisser Weise nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist und deswegen erlöst wird. Diese leibliche Auferstehung versteht er dann aber ganz wie Origenes als Pneumatisierung des materiellen Leibes. 4.2.3 Übernahme gnostischer Gedanken zur Formulierung einer antignostischen Soteriologie Die Überlegungen des Victorinus zur leiblichen Auferstehung haben eine explizit antignostische Stoßrichtung, während er bestimmte Vorstellungen mit gnostischen Texten teilt. Wenn er auf gnostische Texte zurückgegriffen hat, geht er mit ihnen ähnlich um wie in Fragen der Trinitätslehre mit den Positionen der Arianer und Homöusianer. Er setzt bestimmte Elemente, die sich auch bei gnostischen Theologen finden, als richtig voraus und fügt sie so in seine Theologie ein, dass sich für die Soteriologie eine antignostische Pointe ergibt. Die Doppelstruktur der Seele dient in gnostischen Zusammenhängen dafür, einen Unterschied zwischen einem vergänglichen und gottfeindlichen Teil des Menschen und einem unvergänglichen göttlichen Teil aufzumachen. Die materielle Seele erklärt, warum der Mensch trotz einer göttlichen Seele von Trieben und Affekten heimgesucht wird. Ziel des Gnostikers ist die Abtötung dieser materiellen Seele und Stärkung der himmlischen Seele. Die himmlische Seele soll vom materiellen Teil gelöst werden, da dieser letztlich zugrunde gehen wird.²²⁴ Auch bei Victorinus verläuft die allegorische Interpretation von Mt 24,39 – 41 und Lk 17,34 zunächst ganz in diesen Bahnen: „Der himmlische νοῦς oder λόγος und die himmlische Seele werden also angenommen. Das Materielle hingegen, der λόγος und die Seele, wird zurückgelassen.“²²⁵ Jedoch schließt Victorinus direkt daran eine Aufforderung zum Hören an, die die Aufmerksamkeit des Lesers darauf lenken soll, wie diese Aussage genau zu verstehen ist.²²⁶ Im weiteren Verlauf der Darstellung zeigt sich dann, dass Victorinus es ganz anders als ein Gnostiker versteht, wenn er davon spricht, dass die Materie zurückgelassen wird. Dies bedeutet in seinen Augen nicht, dass das Materielle völlig zugrunde geht, sondern es wird insofern zurück-
S.o. S. 394– 397. Adv. Ar. Ib 62: Accipientur igitur caelestis νοῦς vel λόγος et caelestis anima. Hylica autem, λόγος et anima, relinquetur. (97,6 – 8 Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 62: Quomodo istud, audi: […] (97,8 Locher)
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gelassen, als es der Reinigung bedarf und schließlich nach der Auferstehung vergeistigt werden wird. Der Körper, die materielle Seele mit ihrem Intellekt und die himmlische Seele können nach der Reinigung am ewigen Leben partizipieren, der himmlische νοῦς hat eine Reinigung nicht nötig.²²⁷ Victorinus dehnt die Auferstehungshoffnung explizit auf die materielle Seite des Menschen aus, aber in dem Sinne, dass das Materielle vergeistigt wird.²²⁸ Diese Pointe der allegorischen Exegese versteht man nur, wenn man hier nicht zwischen christlichen und neuplatonischen Gedanken trennt. Nach Hadot bestehe ein Widerspruch zwischen einer christlichen Passage, die von einer eschatologischen Trennung der materiellen Aspekte des Menschen von den himmlischen spreche, während die Passage, die Victorinus aus seiner neuplatonischen Quelle übernommen habe, nur von einer Reinigung spreche.²²⁹ Dieser Widerspruch besteht für Victorinus aber nicht, sondern er möchte mit seiner Interpretation gerade darstellen, dass das „Zurücklassen“ der Materie als ein Reinigungsprozess und nicht als deren totale Vernichtung zu verstehen ist.Victorinus spricht überhaupt nur sehr selten von einer Reinigung der Welt, des Fleisches oder der Seele und bevorzugt stattdessen Ausdrücke wie Vergeistigung oder Heiligung. Mit diesen Formulierungen zielt Victorinus meist darauf ab, dass die Objekte sich passiv verhalten, also geheiligt oder vergeistigt werden. Damit deutet Victorinus eine Abgrenzung von theurgischen Strategien der Selbstreinigung an und legt den Fokus auf das göttliche Gnadenhandeln.²³⁰ 4.2.4 Die materielle Seele als philosophische Erklärung für die Vergeistigung der Materie Ich möchte die Vermutung aufstellen, dass diese eschatologische Spiritalisierung des Leibes einen weiteren Grund dafür liefert, warum Victorinus die Annahme einer materiellen Seele für philosophisch einleuchtend hält. Es drängt sich nämlich die
Vgl. Adv. Ar. Ib 62: Si igitur istud est, λόγος caelestis, hoc est νοῦς vel spiritus divinus, est in anima divina. Ipsa autem divina anima in hylico spiritu. Hylicus autem spiritus in hylica anima, hylica anima autem in carnali corpore, quod oportet purgari cum tribus omnibus, ut accipiat lumen aeternum et aeternam vitam. (97,15 – 19 Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 64 (98,30 – 34 Locher) für die Verwandlung in eine spiritalis caro im Anschluss an 1Kor 15. Vgl. Hadot, Porphyre, 341, Anm. 7. Victorinus verwendet purgare sonst nur noch dreimal: Zweimal in Adv. Ar. III 3 (117,5; 118,2 Locher), dort auch passivisch: alles wird gereinigt bzw. Seele und Leib der Menschheit werden durch Christus gereinigt. Nur in Eph. 5,18,10 f. gebraucht er es aktivisch: Sic enim ab omnibus vitiis peccatisque purgamus animam […]. Statt dessen spricht er häufiger von sanctificare oder benutzt verschiedene Wendungen mit spiritalis.Vgl. dazu auch unten die Auslegung von Joh 20,17 S. 510 – 513.
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Frage auf, wie diese Spiritalisierung der Materie zu erklären ist. Die himmlische Seele steht durch ihren Intellekt in enger Verbindung mit dem intelligiblen Bereich und kann sich diesem zuwenden. Wenn sich der Intellekt den intelligibilia zuwendet, wird die Seele von diesen geformt und dem Logos gleichförmig.²³¹ Die Möglichkeit der Seele, sich dem Logos anzugleichen, liegt also in ihrem ontologischen Rang begründet. Da der Materie dieser ontologische Rang gerade nicht zukommt, stellt sich die Frage, wie ihre endzeitliche Vergeistigung begründet werden kann. Die Vorstellung, dass die Materie eine Seele hat, bietet eine Erklärung dafür. Dadurch erhält die Materie auch Anteil am Leben und an der Seele, wenn auch nicht an der rationalen Seele. Jedoch kann die Sinneswahrnehmung, die ihren Sitz in der materiellen Seele hat, sich der rationalen Erkenntnis annähern, deren Abbild sie ist.²³² Daraus kann man schließen, dass auch die materielle Seele trotz fehlender Rationalität in die eschatologische Spiritalisierung einbezogen werden kann. Die materielle Seele bekommt mit dieser Erklärung eine weitere positive Funktion, die ihrer Rolle in der ersten Schöpfung entspricht: Wie sie in der Protologie den Anknüpfungspunkt dafür bietet, dass die himmlische Seele sich mit der Materie verbindet und dass der Logos in die Materie hinabsteigen kann, liefert sie für die Eschatologie den Ausgangspunkt der Spiritalisierung auch des materiellen Seins. Diese Erklärung löst ein Problem, das Origenes in seiner Auslegung von 1Kor 15,28 anspricht: Wenn Gott am Ende alles in allem sei, könne es eigentlich keine Körper mehr geben, da diese von Natur aus unbeseelt seien und man sonst die absurde Konsequenz ziehen müsse, dass Gott am Ende etwas Unbeseeltes sei.²³³ Wird der materielle Körper als beseelt vorausgesetzt, sind diese Bedenken ausgeräumt. Gott wird dann am Ende nichts Unbelebtes, sondern kann im Körper in ähnlicher Weise wie in der rationalen Seele sein. Diese Vermutung lässt sich durch zusätzliche Überlegungen plausibilisieren: Eine solche philosophische Begründung der Erlösungsfähigkeit der Materie passt zu einem Grundsatz des Victorinus, dass man sich nicht vorschnell mit der Allmacht Gottes als Argument zufrieden geben solle, die dieses Problem auch hier lösen könnte. Gottes Allmacht zeige sich nicht darin, dass er den Sohn aus dem Nichts
Vgl. Ad Cand. 7, Adv. Ar. Ib 61 (95,33 – 96,17 Locher). Vgl. Ad Cand. 9 (15,19 – 20,2 Locher). Vgl. Or. princ. III 6,2: λεγομένου τοῦ θεοῦ πάντα γίνεσθαι ἐν πᾶσιν, ὥσπερ οὐ δυνάμεθα κακίαν καταλιπεῖν, ὅτε θεὸς πάντα γίνεται ἐν πᾶσιν, οὐδὲ ἄλογα ζῷα, ἵνα μὴ καὶ ἐν κακίᾳ ὁ θεὸς γίνηται καὶ ἐν ἀλόγοις ζῴοις, ἀλλ’ οὐδὲ ἄψυχα, ἵνα μὴ καὶ ἐν αὐτοῖς ὁ θεός, ὅτε πάντα γίνεται, οὕτως οὐδὲ σώματα, ἅτινα τῇ ἰδίᾳ φύσει ἄψυχά ἐστιν. (282,21– 25 Koetschau) Dieser Einwand entspricht der Position, die Origenes in princ. III 4,1 neben der Lehre von der doppelten Seele als vertretbar charakterisiert. Demnach ist der Körper an sich unbeseelt und widerstreitet als solcher dem Geist. (264,2– 6 Koetschau).
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erschafft, sondern darin, dass er aus sich heraus das verwirkliche, dessen Vermögen er ist.²³⁴ In ähnlicher Weise ließe sich argumentieren, dass sich Gottes Allmacht auch in der Eschatologie nicht darin zeigt, dass er die geschaffene Ordnung sprengt, sondern darin, dass er die Potenz, die in der Schöpfung angelegt ist, zur vollständigen Aktualisierung bringt. Da sich in der Materie eine Seele befindet und diese potenziell vergeistigt werden kann, kann die endzeitliche Spiritalisierung der Materie als Verwirklichung dieser Potenz gedeutet werden. Das kann man als Reaktion des Victorinus auf eine philosophische Kritik am christlichen Auferstehungsglauben verstehen, wie sie Celsus formuliert hat.²³⁵ Es ist für Celsus schlicht nicht denkbar, dass ein völlig verwester Körper wieder seine ursprüngliche Gestalt annehmen könnte. Er lehnt es als Ausflucht der Christen ab, sich in diesem Falle auf die Allmacht Gottes zu berufen, durch die der Leib wiederhergestellt werden könnte. Denn das Konzept der Allmacht Gottes erfahre eine Beschränkung durch das, was Gott nicht angemessen ist: „Doch das Schändliche kann Gott überhaupt nicht tun und etwas Widernatürliches will er nicht tun.“²³⁶ Eine ganz ähnliche Argumentation findet sich auch bei Origenes. Er legt Wert darauf, dass die endzeitliche Transformation der Materie keine Zerstörung ihrer Substanz und Natur bedeutet. Gott vernichte am Ende nicht die Materie, die er selbst geschaffen hat.Vielmehr habe Gott die Materie qualitätslos erschaffen, sodass sie alle Qualitäten in sich aufnehmen könne, die Gott ihr nach seinem Willen zuweise. Wie sie am Anfang die Qualitäten eines verweslichen und sterblichen Körpers angenommen habe, könne sie am Ende nach Gottes Willen dann auch die Qualitäten eines unverweslichen, geistigen Leibes annehmen.²³⁷ Eine ähnliche Funktion könnte das Konzept der materiellen Seele für Victorinus haben. Die Substanz des Körpers müsste dann nicht vernichtet werden, sondern sie könnte aufgrund ihrer Seele von Gott zu einem geistigen Leib transformiert werden. Die endzeitliche Vergeistigung der Materie korrespondiert so mit ihrer Entstehung. Da sie vor der Zeit entstanden ist und somit zwar nicht ursachenlos, aber
Vgl. Ad Cand. 24 f. Vgl. Or. Cels. V 14. Or. Cels. V 14 (15,14 f. Koetschau): ἀλλ’ οὔτι γε τὰ αἰσχρὰ ὁ θεὸς δύναται οὐδὲ τὰ παρὰ φύσιν βούλεται. Für die Qualitätslosigkeit der Materie und ihre Fähigkeit, alle Formen anzunehmen, die Gott will, vgl. Or. princ. II 1,4 (109,22– 110,11 Koetschau). Darauf nimmt Origenes dann Bezug in den Diskussionen zur Auferstehung des Leibes in Or. princ. II 2,2 (112,22– 113,4 Koetschau), III 6,6 (289,4– 10 Koetschau). Ferner in der abschließenden Zusammenfassung Or. princ. IV 4,6 (357,16 – 28 Koetschau; vgl. für das richtige Verständnis des Textes aber den kritischen Anhang bei Görgemanns/Karpp, 849, ad 357,16) und Or. princ. IV 4,8 (360,10 – 361,6 Koetschau). Zum Materiebegriff des Origenes vgl. Köckert, Christliche Kosmologie, 289 – 293.
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doch ewig ist, geht sie am Ende nicht einfach zugrunde. Ihr ewiger Bestand bleibt gewahrt, sie wird aber in eine pneumatische Gestalt transformiert.
4.3 Die Annahme des λόγος carnis durch Christus Die Voraussetzung der endzeitlichen Erlösung des Leibes ist die Fleischwerdung des Logos. Entscheidend ist für Victorinus, dass Christus wirklich Mensch wird und einen realen menschlichen Leib hat, in dem er am Kreuz über die materiellen Mächte siegt.²³⁸ Dazu hält er erstens fest, dass der Sohn, der Logos und Christus derselbe sind und kein Unterschied zwischen dem Inkarniertem und dem Präexistenten besteht. Der angenommene Mensch sei nicht „etwas Viertes“ neben der Trinität.²³⁹ Zweitens betont Victorinus, dass es sich um eine reale und vollkommene Inkarnation handelt und dass der Logos keinen Scheinleib angenommen hat. Drittens ist ihm wichtig, dass Christus nicht bloß einen individuellen, sondern einen universellen Leib angenommen hat, sodass die Inkarnation Auswirkungen auf das gesamte Fleisch hat und nicht nur auf einen bestimmten Körper. Victorinus betont in einer polemischen Abgrenzung zu einer verzerrten Darstellung der Inkarnation bei Markell von Ankyra und Photin, dass der Sohn einen Körper nicht bloß annehme (assumere), sondern wirklich Fleisch werde (fieri).²⁴⁰ Markell und Photin werden entsprechend der zeitgenössischen Polemik zu Vertretern eines dynamistischen Adoptianismus, wonach Christus einen Leib bloß angenommen habe, ohne sich wirklich damit zu verbinden, da dies die reale Gottheit des Sohnes gefährde. Der Logos befähige dann nur wie durch eine göttliche Inspiration diesen Menschen zu besonderen Taten. Dieser Deutung folgend werde der Inkarnierte „etwas Viertes“ neben der Trinität.²⁴¹
Vgl. z. B. Adv. Ar. I 39 (74,18 f. Locher); III 3 (117,18 f. Locher); in Gal. 6,14,11– 20; in Phil. 3,19,41– 47. Adv. Ar. I 22.28.45 (54,12– 15; 62,7– 9; 80,32– 81,2 Locher). Vgl. dazu auch den Kommentar bei Hadot, SC 69, 771 ad 22,21. Hadot vermutet mit Blick auf den Kontext in Adv. Ar. I 28, dass der Vorwurf, der Inkarnierte sei bei Markell und Photin etwas Viertes neben der Trinität, aus homöusianischen Kreisen stammen könnte. Vinzent, Pseudo-Athanasius, 310 – 312 vermutet hingegen, dass Victorinus den Vorwurf aus Ps.-Ath., Ar. IV 21 f. übernehme.Vgl. bes. Ps.-Ath. Ar. IV 21 (67,26 – 68,1 Stegmann): οὐκ ἔτι δὲ οὐδὲ εἰς τριάδα κατ’ αὐτοὺς ἡ μονὰς πλατύνεται, ἀλλ’ εἰς τετράδα. Allerdings macht die standardmäßige Wiederholung des Vorwurfs bei Victorinus eher einen topischen Eindruck. Zur Betonung der realen Menschwerdung vgl. Adv. Ar. I 22: Quid est exinanivit se? Universalis λόγος non esse universalem, in eo, quod est esse, λόγος carnis et fieret caro. Non igitur assumpsit hominem, sed factus est homo. (54,17– 19 Locher) Vgl. Adv. Ar. I 22: Quare enim se exinanivit, si, ut dicis, o Marcelle aut Photine, assumpsit hominem, quasi quartum quod est? Oportebat enim λόγον, qui esset, manere, assumere hominem et modo quodam inspirare spiritum ad actiones. (54,12– 15 Locher) Vgl. zur Christologie Markells bes.
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Dagegen betont Victorinus die wirkliche und vollständige Menschwerdung des Logos. Daraus folgt aber für Victorinus keine strenge terminologische Unterscheidung zwischen assumere und fieri, da er in anderen Zusammenhängen durchaus von der Annahme des Menschen durch den Logos spricht und dafür z. B. assumere, accipere oder suscipere benutzt. Nur dort, wo er sich polemisch von Markell und Photin abgrenzen möchte, wertet er assumere als adoptianistische Vokabel ab.²⁴² In der Auslegung des Philipperhymnus argumentiert er gegen eine doketische Interpretation des Textes.²⁴³ Aus der Formulierung in Phil 2,7, Christus sei „zur Ähnlichkeit des Menschen geworden“ dürfe man nicht schließen, dass Christus ein phantasma gewesen sei, also nur einen Scheinleib gehabt habe. Paulus wolle hiermit nur ausdrücken, dass Christus unter allen möglichen Formen, die das Fleisch auf Erden habe, gerade das menschliche Fleisch, nicht das Fleisch eines anderen Lebewesens angenommen habe.²⁴⁴ Weiter betont er, dass Christus nicht etwa beispielhaft in einem Körper über die Mächte der Materie siege, sondern einen metaphysischen und universellen Sieg
frr. 99 – 112 Seibt mitsamt dem Kommentar von Seibt, Markell von Ankyra, 417– 429. Markell entfaltet dort den Gedanken, dass der Logos das Fleisch nur um unseretwillen annimmt und es im Eschaton wieder ablegt. Daraus erklärt sich der Vorwurf, dass es sich nicht um eine richtige Inkarnation handele. Zu den Vorwürfen gegen Photin vgl. die Anathematismen der ersten Sirmischen Formel von 351, Dok. 47.3 AW III/1/4. Vgl. für assumere z. B. Adv. Ar. III 3 (118,31 f. Locher) Für assumptio, accipere und suscipere vgl. in Phil. 2,6 – 8,65.67.70. In Adv. Ar. I 10 (40,12– 14 Locher) spricht Victorinus auch davon, dass auch der Inkarnierte im Blick auf sein Fleisch quadam adoptione Sohn Gottes sei und zitiert als Beleg dafür Ps 2,7. Hadot, SC 69, 749, ad 10,7 verweist darauf, dass dieser Vers in einigen Hss an Lk 3,22 angefügt wird und damit eine adoptianistische Interpretation der Taufe Jesu möglich macht. Damit schließt Victorinus sich der Exegese Markells an, die aus Ps.-Ath. Ar. IV 24 erschlossen werden kann, vgl. dazu Vinzent, Pseudo-Athanasius, 364– 369. Dagegen bezieht Ath. Ar. I 23,2 die Stelle auf die Zeugung des Sohnes aus Gott. In Adv. Ar. IV 7 verwendet Victorinus nebeneinander die Formulierungen, dass Christus Geist, Seele und Fleisch ist, und dass er es anzog: Omne ergo, quod Christus est, vita aeterna est vel spiritus vel anima vel caro. […] Ergo etiam ea, quae induit, vita sunt. (140,19 f.22 Locher) Dadurch will er ein doketisches Missverständnis von induere ausschließen. Eine solche Auslegung schreibt Tert. adv. Marc.V 20,3 f. den Markioniten zu. Mutzenbecher, Aug. Simpl., XVI Anm. 4 sieht eine manichäische Exegese im Hintergrund. Vgl. in Phil. 2,6 – 8,63 – 70: Non enim audiendi sunt illi, qui phantasma dicunt fuisse, quia dictum hic est: in similitudine hominis, sed ad deum refertur et λόγον ipsum formatum per carnis assumptionem in similitudine hominum. Etenim cum caro in terris diversas formas habeat, accepisse autem carnem Christum manifestum sit, sed in qua similitudine dictum? In similitudine hominis, id est cetera animalia, non quo hic similitudo hominum in Christo fuerit, non ipse homo susceptus. Auch Steinmann, Seelenmetaphysik, 170 Anm. 288; Karfíková, Semet ipsum exinanivit, 145; Gersh, Marius Victorinus, 1652 unterstreichen den antidoketischen Charakter der Auslegung von Phil 2. Gegen Benz, Marius Victorinus, 111 und Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 59, der auch schon von einem „versteckten Doketismus“ spricht.
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über diese Gewalten vollziehe, an dem das gesamte Fleisch Anteil bekommen kann. Der Mensch wird also nicht etwa dadurch erlöst, dass er dem Beispiel Christi nachfolgt und versucht, in seinem Körper über die Sünde zu siegen, sondern durch Anteilnahme an dem Sieg Christi.²⁴⁵ Daher betont Victorinus, dass Christus den λόγος carnis, also das universelle Prinzip des Fleisches annimmt und nicht nur einen individuellen Körper.²⁴⁶ Diesen von Christus angenommenen Leib kann Victorinus auch das catholicum corpus nennen, um zu betonen, dass sich die Inkarnation auf das gesamte Fleisch aller Menschen bezieht.²⁴⁷ Dementsprechend lehrt Victorinus auch, dass der Logos nicht nur eine individuelle Seele annimmt, sondern den λόγος animae, das universelle Prinzip der Seele, sodass auch alle Seelen Anteil am Heil bekommen können.²⁴⁸ So können alle Menschen an diesem metaphysischen Sieg Christi über die Sünde teilhaben, können diesen Sieg aber nicht in eigener Leistung vollbringen. Die Voraussetzung für die Teilhabe daran ist der Glaube an Christus und das von ihm gewirkte Heilsgeschehen.²⁴⁹ Erst für den Gläubigen ist es möglich, ein geistgemäßes Leben schon im Leib zu beginnen und sich von der Welt zu lösen.²⁵⁰
Zur Ablehnung der Werke s.o. S. 333 f. Vgl. dazu Adv. Ar. I 22 (s. Anm. 240); Adv. Ar. Ib 58: Tenebrae enim et ignoratio animae direptae ab hylicis potentiis eguerunt lumine aeterno in auxilium, ut λόγος animae et λόγος carnis mysterio mortis detrusa corruptione in reviviscentiam et animas et carnes per sanctum spiritum administatorem ad divinas et vivefacientes intellegentias erigerent cognoscentia, fide, amore. (93,23 – 28 Locher); Adv. Ar. III 3: In carne ergo inest vita, id est λόγος vitae, unde inest Christus, quare λόγος caro factus est. Unde non mirum, quod mysterio sumpsit carnem, ut et carni et homini subveniret. Sed cum carnem sumpsit, universalem λόγον carnis sumpsit. Nam idcirco omnis carnis potestates in carne triumphavit […]. Assumptus ergo homo totus et assumptus et liberatus est. In isto enim omnia universalia fuerunt, universalis caro, anima universalis, et haec in crucem sublata atque purgata sunt per salutarem deum, λόγον universalium omnium universalem […]. (117,15 – 19.31– 118,3 Locher) Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 240 übersetzen homo totus als „der ganze Mensch“ und sehen darin eine Betonung, dass Christus den ganzen Menschen aus Fleisch und Seele angenommen habe, was gut in den vorhergehenden Kontext passt. Dagegen übersetzt Scully, Physicalism, JECS 26 (2018), 240 f. mit Anm. 71 mit Blick auf den folgenden Satz „the whole humanity“ und sieht darin die universelle Konsequenz der Inkarnation Christi ausgedrückt. Dieses Verständnis ist möglich, jedoch spricht die Verwendung von homo totus in Eph. 1,4,103 für die Übersetzung bei Hadot/Brenke. Im Kontext in Eph. 1,4,93 – 104 begründet Victorinus, dass der gläubige Mensch bereits ganz geistig lebt, da die Seele sich bereits an den Geist anpasst, obwohl der Mensch noch im Fleisch ist. Mit homo totus ist also die Verbindung aus Leib und Seele gemeint. Vgl. in Gal. 6,14,15 – 18: Sed quoniam catholicum ille corpus ad omnem hominem habuit, omne, quod passus est, catholicum fecit, id est ut omnis caro in illo crucifixa sit. Ergo et ego cruci fixus sum et mundo fixus sum. S. dazu unten S. 515 – 517. S. dazu S. 333 f. Vgl. z. B. in Gal. 2,20,1– 17; in Eph. 1,4,81– 92; 2,10,16 – 25.
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Mit der Inkarnation Christi und seinem Sieg am Kreuz beginnt die Vollendung der Welt, die mit dem Jüngsten Gericht und der vollkommenen Vergeistigung der Schöpfung abgeschlossen wird.²⁵¹ Daher setzt Victorinus die Inkarnation in enge Beziehung zur Zeugung des Sohnes aus dem Vater und zur Schöpfung der Welt.²⁵²
5 Die Pädagogik Gottes und das Problem des Ausgangs des Gerichts bei Victorinus 5.1 Das Profil der Heilspädagogik bei Victorinus in Abgrenzung zu Origenes, zum Platonismus und zu gnostischen Schriften 5.1.1 Die Heilspädagogik im Epheserkommentar des Victorinus Aus all diesen Beobachtungen zur Materie ergibt sich eine drängende Frage, die Victorinus auch selbst formuliert. Die Materie ist bereits durch ihre chaotische Natur, die nur teilweise gebändigt wird, und durch ihre Beseelung die Ursache dafür, dass die rationale Seele in Bedrängnis gerät. Erst durch die Inkarnation, den Tod und die Auferstehung Christi hat der Mensch die Möglichkeit, vergeistigt zu werden. Am Ende soll die materielle Schöpfung mit samt der rationalen Seele vergeistigt werden und so eins mit Gott werden. Die Materie stammt dem monistischen Weltbild des Victorinus nach aber aus Gott. Warum war also eine materielle Schöpfung überhaupt möglich und nötig, wenn Gottes Absicht die Vergeistigung und Überwindung ebendieser materiellen Welt ist? Diese Theodizee-Frage formuliert Victorinus erst in seinem Epheserkommentar, während er sie in den dogmatischen Schriften nicht behandelt. Ich habe zwar zu zeigen versucht, dass die Belebung der Materie durch die Seele statt durch den Logos und ihre geringere Aufnahmefähigkeit für das Leben schon auf eine Entlastung des Schöpfers hinauslaufen, jedoch thematisiert Victorinus diese Problematik nicht explizit. Das erklärt sich durch die Intention und das Zielpublikum der dogmatischen Schriften: Dass der Mensch sündigt und durch Christus erlöst werden muss, ist eine unumstrittene Grundvoraussetzung für alle Beteiligten des Trinitarischen Streits. Die Frage ist nur, wie dieser Erlöser beschaffen sein muss, um das Heil wirken zu können. Die Frage, woher das Böse stammt und warum Gott es überhaupt zugelassen hat, muss in diesem Rahmen nicht besprochen werden. Im Epheserkommentar drängt sich Victorinus diese Frage allerdings durch den zu
S. dazu im Folgenden. S. zur Parallele von immanenter und ökonomischer Aktivität oben S. 311– 321.
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kommentierenden Textzusammenhang auf, sodass er sie ausführlicher bespricht.²⁵³ Der konkrete Anlass ist der Vers Eph 1,4: Ita ut elegit nos in ipso ante constitutionem mundi. Victorinus deutet den Vers so, dass Gott seine Heiligen bereits von Ewigkeit her in Christus erwählt hat, weil die menschliche Seele schon vor Erschaffung der materiellen Welt in Christus existiert hat. Da die Zeit erst mit der materiellen Schöpfung beginnt, muss die Erwählung in der Ewigkeit stattgefunden haben. Erwählt werden könne nur, was bereits existiert, also müssen die Seelen bereits als geistige Wesenheiten in Christus existent gewesen sein.²⁵⁴ Victorinus versteht diese geistige Präexistenz der Seelen und des gesamten Alls in Christus dabei ausdrücklich nicht als eine potentielle oder ideelle Existenz. Er besteht darauf, dass das All und die Seelen bereits substantialiter in Christus vorhanden waren. Damit grenzt sich Victorinus von anderen Auslegern ab, die den Vers so verstehen, dass die künftige Erwählung der Heiligen bereits vor deren Existenz von Gott vorhergewusst wurde.²⁵⁵ Dadurch ergibt sich für Victorinus das theologische Problem, warum dann überhaupt noch eine materielle Schöpfung nötig war: Wenn bereits alles in Christus eine ewige, geistige Existenz hatte, warum musste es dann eine materielle Schöpfung geben, deren Ziel es ist, wieder zu dieser geistigen Existenz in Christus zurückzukehren? Victorinus verfolgt die Absicht, die materielle Welt als eine gute Schöpfung Gottes zu verteidigen. Daher betrachtet er auch die Verstrickung der Seele in die Leiden und Fehler auf dieser Welt als eine notwendige Stufe in der Heilsgeschichte. Dafür macht er von einem regelrechten Oxymoron Gebrauch: Die Seelen seien zwar in Christus ewig präexistent, jedoch zeichneten sie sich dort noch durch eine per-
Erdt, Pauluskommentator, 130 erklärt den Unterschied durch die unterschiedliche Herangehensweise als eine „philosophische Behandlung“ und eine „exegetische Behandlung“ der Seelenmetaphysik. Vgl. insgesamt zur Seelenmetaphysik im Epheserkommentar, Erdt, Pauluskommentator, 129 – 138 und de Leusse, préexistence, RSR 29 (1939), 199 – 214. Anders als Erdt, Pauluskommentator, 129 braucht man aus dem Verweis in Eph. 1,4,181 f. nicht auf ein verlorenes Werk zur Präexistenz der Seele schließen.Vgl. dazu die Verweise auf vorliegende Schriften des Victorinus bei Gori, CSEL 83/2, 12 in apparatu. Victorinus selbst ist der Meinung, dass die Seelen bereits substantialiter in Christus existiert haben, vgl. in Eph. 1,4,41– 45.173 f. S. dazu genauer meine Auseinandersetzung mit der Interpretation bei Steinmann, Seelenmetaphysik, 26 – 38, unten S. 451– 457. Vgl. z. B. Hier. in Eph. 1,4 (PL 26, 446C): Quod autem electos nos, ut essemus sancti et immaculati coram ipso, hoc est, Deo, ante fabricam mundi testatus est, ad praescientiam Dei pertinet; cui omnia futura jam facta sunt, et antequam fiant universa sunt nota.
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fectio quaedam minor aus. Sie sind aufgrund ihrer Natur noch nicht wirklich Geist, sondern nur in der Lage, den Geist zu empfangen.²⁵⁶ Um wirkliche Vollkommenheit zu erlangen und Geist zu werden, müssen die Seelen erst ein sicheres Wissen über sich selbst und Gott, über das Gute und das Böse erlangen. Dies ist ihnen in ihrem präexistenten Zustand in Christus nicht möglich und daher erschafft Gott die materielle Welt. Dort ist die Seele durch die Verbindung mit dem Körper auf ihre Sinneswahrnehmung angewiesen, die sich leicht täuschen kann. So verstrickt sich die Seele in der Materie und gewinnt ein Erfahrungswissen über das Böse. Gott hat die Welt geschaffen, damit die Seele dies erfahren und lernen kann, und es entspricht seinem Heilsplan, dass die Seelen in die Welt eingehen.²⁵⁷ Die materielle Welt wird durch die unaufhaltsame Verstrickung durch die Sinneswahrnehmung ein Gefängnis für die Seele und das ist von Gott auch so intendiert.²⁵⁸ Insofern kann man Cooper nicht bedingungslos zustimmen, wenn er für Victorinus eine ganz platonische Antwort auf die Frage nach
In Adv. Ar. I 20 setzt Victorinus die Gottähnlichkeit der Seele nach Gen 1,26 mit der Vollkommenheit gleich, die erst eschatologisch durch den Glauben an Gott und Christus gewonnen wird. Jedoch scheint er hier noch von einer Entsprechung von Protologie und Eschatologie auszugehen, da die Seele vollkommen geblieben wäre, wenn Adam nicht gesündigt hätte: […] iuxta similitudinem perfectionis in deo perfectam esse dicimus animam. iuxta imaginem ergo nunc et in mundo, iuxta similitudinem autem postea fide in deum et in Iesum Christum, qualis esset futura, si Adam non peccasset. (52,10 – 13 Locher) Es ist also möglich, dass Victorinus eine ausführliche Theodizee erst im Laufe seiner theologischen Auseinandersetzung entwickelt hat. Vgl. in Eph. 1,4,3 – 6: quod ante mundum Christus et quod mundus factus et quod ante mundum animae et quod dei dispositione mundus et quod dei dispositione animae vel in mundum venerint vel de mundo liberentur […]. Vgl. in Eph. 1,4 (130,10 – 20 Locher): Sed cum victae animae sensualibus potentiis nihil nisi mundum, materiam et carnem et corpus in sensu haberent et haec vera sola crederent neque idoneae essent ad vincenda et rumpenda vincula, quae animam continerent dei potentia et voluntate, ut eas liberaret a sensibus et a fallaci mundo, misit filium suum dominum nostrum salvatorem Christum spiritum sanctum, uti mysterio patefacto doceret primum, quid pater esset, deinde quid esset spiritus et quid spiritaliter vivere et quid anima sequeretur et quid esset alienum […].“ Vgl. dagegen Gori (CSEL 83/2 9,80 – 89), der anders interpungiert: „[…] vincula quae animam continerent, dei potentia et voluntate […] misit filium suum […].“ (9,84– 86) Dieser Interpunktion folgt Cooper, Metaphysics, 49 in seiner Übersetzung. Nach diesem Verständnis des Textes bezieht sich dei potentia et voluntate auf misit, was folgendermaßen übersetzt werden müsste: „[…] er sandte aus Gottes Macht und Willen heraus […] seinen Sohn“. Grammatisch ist diese Lösung problematisch, da man analog zu filium suum auch sua potentia et voluntate erwarten würde. Gori selbst übersetzt so, als lese er deus sua potentia et voluntate […] misit filium suum […].Vgl. Gori, CorPat 8, 47: „[…] Dio con la sua potenza e la sua volontà […] ha mandato Cristo, figlio suo […].“ Ein besseres und grammatisch richtiges Verständnis ergibt sich, wenn man mit Locher dei potentia et voluntate noch in den Relativsatz zieht: „[…] die Fesseln, die die Seele aufgrund von Gottes Macht und Willen umgeben, […].“ So versteht schon Koffmane, De Mario Victorino, 18 die Stelle.
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der Herkunft des Bösen annimmt. Danach könnte Gott keinesfalls der Verursacher des Bösen sein, da er als das Gute nur die Quelle des Guten ist.²⁵⁹ Richtig ist, dass Victorinus Gott nicht als Verursacher des Bösen ansieht, aber Gott setzt die Seelen bewusst dem Bösen aus, aus dem sie sich selbst nicht befreien können. Das Böse spielt also eine Rolle in Gottes Heilsplan für die präexistenten Seelen. Gott hat laut der Epheser-Auslegung des Victorinus die materielle Welt geschaffen, damit die Seele einen Ort zum Lernen hat. Da Victorinus gleichzeitig an der Allwissenheit Gottes festhalten will, folgt für ihn, dass Gott damit auch wusste, dass diese materielle Welt für die Seele zu einem Gefängnis wird.²⁶⁰ Letzten Endes ist dieses vermeintliche oder zeitliche Übel aber tatsächlich etwas Gutes für die Seele. Das Übel in der materiellen Welt ist also eine sekundäre Folge der höheren guten Absicht des Schöpfers.²⁶¹ Aus dem Gefängnis der materiellen Welt kann die Seele nur durch die Hilfe des Logos erlöst werden, der in seiner Inkarnation sicheres Wissen über Gott, das Richtige und das Falsche lehrt und durch seinen Tod und seine Auferstehung auch für die Seelen die Möglichkeit eröffnet, vergeistigt zu werden. Dies geschieht durch den Glauben an Christus und die richtige Unterscheidung zwischen Richtigem und Falschem, die Christus gelehrt und ermöglicht hat.²⁶² Während Victorinus es anderswo als Fehler der Seele bezeichnet, sich zu sehr der Materie zuzuwenden, betrachtet er die materielle Schöpfung im Epheserkommentar von einer anderen Seite.²⁶³ Die Welt ist aus dieser Perspektive der Lernort, den die Seele braucht, um ihre wahre Vollkommenheit zu erlangen und am Ende Geist zu werden. Sie ist kein Produkt eines Unfalls, sondern von Gott geplant und gewollt. Die Weltschöpfung geschieht in pädagogischer Absicht Gottes, der der Seele volles Wissen über sich selbst und über Gott ermöglichen will, was nur über die
Vgl. in Eph. 1,3,23 – 29, bes. 1,3,27 f.: Quod si quid hic in mundo patimur malorum, si quid etiam extra, non adscribamus deo, sed nobis magis. Vgl. dazu den Kommentar von Cooper, Metaphysics, 121 f., der als Gegensatz zur platonischen Sicht auf biblische Aussagen wie Jes 45,7 hinweist. In Eph. 1,4,84 spricht Victorinus von vincula. Das ist auch bei Victorinus metonymischer Ausdruck für das Gefängnis, vgl. die Erwähnung des Gefängnisaufenthalts des Paulus in Phil. 1,30,8, wo Victorinus ihn mit den Begriffen catenae und carcer bezeichnet, während er in Eph. 4,1– 2,7 vincula als Synonym benutzt. Von den vincula carnalia, die die Seele umfangen, ist in Adv. Ar. IV 11 (144,27 Locher) die Rede. Ferner verwendet Victorinus durchgehend die Begriffe captivitas, captivus und capere, vgl. z. B. in Eph. 1,7,10 – 20. Die Gefängnismetaphorik ist also explizit vorhanden und muss nicht über Umwege erschlossen werden, wie es Steinmann, Seelenmetaphysik, 169 Anm. 286 tut. S. oben S. 362 f. Vgl. knapp auch Steinmann, Seelenmetaphysik, 46. Vgl. z. B. in Eph. 1,4,85 – 89. Zum Fall der Seele als Fehler s.u. S. 457– 463. Diese doppelte Perspektive ist nicht singulär, auch Plotin kann die Zuwendung der Seele zur Materie sowohl als normales Ergebnis der zeugenden Kraft der Hypostasen betrachten als auch als einen Fehler, vgl. knapp Dillon, Descent, 357 f.
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praktische Erfahrung in der materiellen Welt möglich ist. In ihrem präexistenten Zustand in Christus besteht keine Entscheidungsmöglichkeit für die Seele zwischen dem Guten und dem Bösen, dies ist erst durch die sichtbare Welt gegeben. Nur durch die täuschende Sinneswahrnehmung kann der Mensch sich dem Übel in der Materie zuwenden. Die Zuwendung der Seele zur Materie liegt in der pädagogischen Absicht Gottes begründet, als ihren Fehler kann man nur die übereilte und zu starke Verbindung bezeichnen, die die sichtbare Welt zu einem Gefängnis für die Seele werden lässt. 5.1.2 Die Position des Victorinus als kritische Fortführung der Heilspädadogik des Origenes Victorinus spricht an einer Stelle des Epheserkommentars davon, dass der subiectus mundus um der Seelen willen von Gott gemacht worden sei.²⁶⁴ Mit der „hinabgeworfenen Welt“ kann nur die materielle Welt als Gegensatz zur intelligiblen Schöpfung in Christus gemeint sein. Diese höhere Schöpfung in Christus, in der die Seelen präexistieren, nennt Victorinus im Gegensatz dazu superior mundus. ²⁶⁵ Dieses Detail ist in der Forschung erstaunlicherweise bisher unbeachtet geblieben, gibt dies doch einen deutlichen Hinweis darauf, dass Victorinus Kenntnis von der Epheserexegese des Origenes hatte.²⁶⁶ Die Aussage, dass die materielle Welt um der Seelen willen „hinabgeworfen“ wurde, lässt sich nur vor dem Hintergrund des griechischen Textes von Eph 1,4 verstehen, in dem für die Schöpfung der Welt der Terminus καταβολή gebraucht wird.²⁶⁷ Victorinus geht in seiner Auslegung von Eph 1,4 nicht weiter auf den Bedeutungsunterschied zwischen dem griechischen Wort καταβολή und seiner lateinischen Übersetzung constitutio ein, sondern verwendet ohne weitere Erklärung den lateinischen Begriff.²⁶⁸ In dieser späteren Bemerkung Vgl. in Eph. 1,20 – 23,25 – 28. Vgl. in Eph. 2,4,4 f. Vgl. dagegen Souter, The Earliest Latin Commentaries, 26 f., der eine Kenntnis der Epheserkommentierung des Origenes für Victorinus ausschließt. Ebenso de Leusse, préexistence, RSR 29 (1939), 228 – 230. Die Ähnlichkeiten seien auf die gemeinsame philosophische Prägung beider Autoren zurückzuführen. Karfíková, Elegit nos vergleicht Victorinus und Origenes feinsinnig miteinander, ohne eine direkte Kenntnis des Victorinus vorauszusetzen. Eph 1,4: καθὼς ἐξελέξατο ἡμᾶς ἐν αὐτῷ πρὸ καταβολῆς κόσμου εἶναι ἡμᾶς ἁγίους καὶ ἀμώμους κατενώπιον αὐτοῦ ἐν ἀγάπῃ. Im Gegensatz dazu weist z. B. Hieronymus auf diesen Unterschied hin und erklärt den griechischen Terminus im Sinne einer Grundsteinlegung, womit die creatio ex nihilo betont werden solle. Er grenzt sich dann deutlich von der Auslegung des Origenes ab, die er ohne Namensnennung einführt, vgl. Hier. in Eph. 1,4 (PL 26, 446 A-448 A). Dank der Auseinandersetzung des Hieronymus mit Rufin wissen wir aber sicher, dass es sich bei dem Anonymus um Origenes handelt, da Hieronymus dies in adv. Rufin. I 22 ausdrücklich sagt, vgl. dazu auch Heine, The Commentaries of Origen and
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zeigt sich aber, dass er sich des griechischen Textes und seiner Auslegung durch Origenes wohl bewusst ist. Origenes legt ausgehend vom Begriff καταβολή dar, dass es sich bei der Schöpfung der materiellen Welt um eine Versetzung der gefallenen Vernunftwesen in einen niedrigeren Zustand handelt. Die sichtbare Welt hat damit einen sekundären Charakter gegenüber der intelligiblen Schöpfung.²⁶⁹ Victorinus teilt diese Auslegung des Origenes bis zu einem gewissen Grad, ohne sie anhand des Begriffes καταβολή deutlich zu verhandeln. Das passt auch gut zu seiner Erklärung der Materie als einer sekundären Folge höherer Ursachen.²⁷⁰ Für Origenes ist es die höhere Absicht Gottes, die Vernunftwesen zu erschaffen. Da Gott deren Fall bereits vorhersieht, erschafft er die materielle Welt als Folge daraus. Ähnlich stellt sich die Situation bei Victorinus dar: Gott erschafft zunächst die Seelen in Christus, die materielle Welt und der Eingang der Seelen in diese sind demgegenüber sekundär. Jedoch zeigt ein Vergleich der pädagogischen Soteriologie der beiden, dass Victorinus nicht einfach Konzepte des Origenes übernimmt.²⁷¹ Laut Origenes sind die Vernunftwesen bereits vor der Schöpfung der materiellen Welt in unterschiedlichem Maße von Gott abgefallen. Die Schöpfung der sichtbaren Welt war nötig aufgrund eines Fehlverhaltens der Vernunftwesen.²⁷² Gott hat diesen Fall vorausgesehen und daher die Einrichtung einer sekundären materiellen Schöpfung geplant, die gewissermaßen als Besserungsanstalt für die gefallenen Vernunftwesen dienen soll.²⁷³ Gott gewährt ihnen so die Möglichkeit, sich nach Belehrung und
Jerome, 12 f. Vgl. für die Auslegung des Verses bei Origenes z. B. Or. Cant. II 8,4 Fürst/Strutwolf (= 157,13 – 19 Baehrens), wo Eph 1,4 zur Begründung der Präexistenz der Kirche dient. S. vorige Anm. Zur herausragenden Bedeutung von Eph 1,4 im Denken des Origenes vgl. Heine, The Commentaries of Origen and Jerome, 48 – 50; Köckert, Kosmologie, 264– 267. S.o. S. 362 f. Ähnliche Unterschiede arbeitet auch Karfíková, Elegit nos heraus. Vgl. Or. princ. III 3,5: Entscheidungen der Seele vor ihrem Eingang in einen Körper haben Auswirkungen auf das Leben des Menschen. In Or. Jo. XIX 182 wird der materielle Körper als Folge des Falls bezeichnet. In Or. princ. III 5,4 f. wird ausgehend von der biblischen Bezeichnung der Schöpfung als καταβολή der sekundäre Charakter der sichtbaren Schöpfung begründet. Die gefallenen Vernunftwesen werden in die sichtbare Welt hinein und damit in einen niedrigeren Zustand versetzt: Ex hoc ergo communiter omnium per hanc significantiam, id est per καταβολήν, a superioribus ad inferiora videtur indicari deductio. (275,14– 16 Koetschau). Vgl. zum Begriff der καταβολή bei Origenes Köckert, Kosmologie, 264 f. Den Charakter der Vorsehung betont Or. princ. III 5,5. Die sichtbare Welt als Ort der Übung für die Seelen erscheint z. B. in Or. princ. III 5,4: […] anima[e], quae in hoc mundo statutae sunt exerceri […] (275,21 f. Koetschau) Die göttliche Vorhersehung gestaltet den „Kampfplatz“ (agon) der Welt in pädagogischer Absicht so, dass jeder nach seinen Fähigkeiten versucht wird, vgl. Or. princ. III 2,3. In diesem Zusammenhang betont Origenes auch die Notwendigkeit des freien Willensentschlusses.
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Übung durch einen freien Willensentschluss dem Besseren zuzuwenden.²⁷⁴ Ihrem Verdienst entsprechend wird ihnen dadurch ein allmählicher Aufstieg möglich.²⁷⁵ Strafen haben in dieser Vorstellung keine vergeltende, sondern stets eine korrektive und läuternde Funktion.²⁷⁶ Gott erscheint als Lehrer und als Arzt der gefallenen Seelen, die mit viel Geduld wieder zu ihrem seligen Ursprung zurückgeführt werden.²⁷⁷ Origenes geht dabei von einer Abfolge mehrerer Welten aus, in denen jede Seele aufs Neue die Chance hat, sich zu bessern und fortzuentwickeln.²⁷⁸ Er grenzt sich dabei polemisch von der stoischen Lehre der παλιγγενεσία ab und stellt sie als eine Absurdität dar, da nach Meinung der Stoiker die Geschichte jeder neu entstandenen Welt vollkommen oder zumindest nahezu identisch verlaufe.²⁷⁹ Gegen diese deterministische Perspektive verteidigt Origenes die Bedeutung des freien Willens, der den Vernunftwesen wesenhaft zu eigen ist und ihnen in jeder neuen Welt eine Dass die pädagogische Soteriologie ihren Ansatzpunkt in der für Origenes zentralen Annahme eines freien Willens hat, erhellt eindrücklich auch aus Or. Cels. IV 3. Zur positiven Funktion der Welt und des Körpers als Strafort vgl. Jacobsen, Origen on the Human Body, 649 – 656. Diese Ansicht des Origenes spielt auch bei seiner Verurteilung durch Justinian eine Rolle, vgl. Justn. Or. (ACO 3 202,34– 203,1): ἦν, φησί, πρὸ σώματος ἡ ψυχὴ ἐν οὐρανοῖς προοῦσα, κἀκεῖσε, φησίν, ἁμαρτήσασαν ἐν φυλακῇ κατήγγισε, τούτεστιν ἐν τῷ σώματι κατέπεμψεν, εἰς καθαρισμόν, φησί, καὶ σωφρονισμὸν τῶν ἐν οὐρανοῖς αὐτῇ γεγενημένων ἁμαρτιῶν. In Or. princ. II 10,8 wird im Abschnitt über die Funktion der Strafen auf die Gefängnismetaphorik vermutlich unter Bezugnahme auf 1Petr 3,19 nur kurz angespielt: Similiter quoque etiam de carcere sentiendum est. (182,14 Koetschau) Vielleicht liegt hier eine Verkürzung Rufins vor, vgl. Görgemanns/Karpp, Kritischer Anhang, 840, ad 182,14. Gegen die Gnosis betont Origenes, dass höhere Wesen ihre Stellung aufgrund ihres eigenen Verdienstes haben und nicht, weil sie besser geschaffen wurde, vgl. Or. princ. I 5,3 (73,2– 6 Koetschau). Betonung des Verdienstes auch in Or. princ. I 6,2 (80,15 – 81,6) und I 8,4. Zur pädagogischen Funktion der Strafe vgl. Koch, Pronoia und Paideusis, 131– 138. Zur läuternden und heilenden Funktion der Strafen und dem Vergleich Gottes mit einem Arzt vgl. Or. princ. II 10,4– 8; Cels. V 15 f. Vgl. Or. princ. II 3,1– 5; III 5,3, wo Origenes argumentiert, dass Gott vor der Schöpfung dieser Welt nicht untätig war, sondern immer schöpferisch tätig war und es deswegen mehrere Welten gegeben hat. Or. princ. III 6,6 betont die lange Dauer des korrektiven Prozesses als Abfolge mehrerer Welten: Quod tamen non ad subitum fieri, sed paulatim et per partes intellegendum est, infinitis et immensis labentibus saeculis, cum sensim et per singulos emendatio fuerit et correctio prosecuta, praecurrentibus aliis et velociore cursu ad summa tendentibus, aliis vero proximo quoque spatio insequentibus, tum deinde aliis longe posterius: et sic per multos et innumeros ordines proficientium et deo se ex inimicis reconciliantium pervenitur usque ad novissimum inimicum, qui dicitur mors, ut etiam ipse destruatur, ne ultra sit inimicus. (287,23 – 288,4 Koetschau) Vgl. auch das Hieronymus-Referat aus epist. 124,3 zum Thema, das Görgemanns/Karpp in princ. I 6,2 einfügen (Görgemanns/Karpp 216 in apparatu) und Or. princ. I 6,3. Vgl. dazu auch Köckert, Gott, Welt, Zeit und Ewigkeit, 266 – 273. Zu dieser stoischen Lehre und den Differenzen innerhalb der Stoa in diesem Punkt vgl. die Fragmente Long/Sedley 52 samt dem Kommentar, 310 – 313.
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Entscheidung in beide Richtungen ermöglicht.²⁸⁰ Nach einem langen und schwierigen Erziehungs- und Läuterungsprozess kehren aber schließlich alle Vernunftwesen wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück.²⁸¹ Damit ist nach 1Kor 15,28 Gott am Ende wieder alles in allem, der Anfangs- und Endzustand der Heilsgeschichte entsprechen einander strikt.²⁸² Neben dieser zirkulären Entsprechung von Anfang und Ende findet sich bei Origenes aber in der Auslegung von Gen 1,26 auch die Vorstellung, dass der endzeitliche Zustand den urzeitlichen Zustand der Seele übertreffen wird.²⁸³ Dies leitet Origenes aus der Unterscheidung der beiden Wendungen „nach dem Bild“ und „nach der Ähnlichkeit“ ab. Die Seele sei von Anfang an nach dem Bild Gottes erschaffen, bekomme die Ähnlichkeit aber erst eschatologisch verliehen, wenn dem eigene Verdienste und Anstrengungen vorausgegangen sind.²⁸⁴ Diese knappe Skizze macht deutlich, dass sich Origenes’ Konzept der Welt als pädagogischer Besserungsanstalt in drei Punkten von dem des Victorinus unterscheidet: Erstens operiert Origenes oft mit der Vorstellung einer vollkommenen Entsprechung von Protologie und Eschatologie, zweitens betont er gegen gnostische und stoische Deterministen die Bedeutung des freien Willens der Vernunftwesen. Aus dieser Betonung des freien Willens heraus folgt drittens das besondere Konzept mehrerer aufeinanderfolgender Weltzyklen, in deren Ablauf sich allmählich alle Wesen zum Besseren entscheiden.
Vgl. die Polemik in Or. Cels. IV 68; V 20 und die Kritik am Determinismus in Or. princ. II 3,4. Umstritten ist dabei, ob die Vernunftwesen im Ur- und Endzustand körperlos sind, vgl. Or. princ. II 3,3, oder ob sie einen besonders reinen, ätherischen Körper haben, wobei Origenes Äther nicht im Sinne des Aristoteles verstanden wissen will, vgl. Or. princ. II 3,2; III 6,6 – 9. In Or. princ. II 3,7 stehen beide Möglichkeiten unvermittelt nebeneinander zur Wahl. Zu dieser Diskussion vgl. knapp Jacobsen, Origen on the Human Body, 650 mit Anm. 3. Köckert, Gott, Welt, Zeit und Ewigkeit, 273 – 296 macht in ihrer gründlichen Analyse der Texte die „zetetische Methode“ (275) des Origenes stark und kommt zu dem überzeugenden Schluss, dass Origenes bewusst keine Entscheidung zwischen den beiden philosophisch und biblisch begründbaren Modellen der Eschatologie treffe. In dieser Zurückhaltung spiegle sich vielmehr „das echtes Unwissen des Origenes in dieser Frage wider.“ (295). Zur Entsprechung von Protologie und Eschatologie vgl. Or. princ. I 6,2: Talem enim finem videntes, cum omnes inimici subiecti erunt Christo, et cum novissimus inimicus destruetur mors, et cum tradetur a Christo, cui omnia subiecta sunt, regnum deo et patri: ab isto, inquam, tali fine rerum contemplemur initia. Semper enim similis est finis initiis; et ideo sicut unus omnium finis, ita unum omnium intellegi debet initium; […] (79,19 – 80,2 Koetschau) Ähnlich Or. princ. III 5,4 (274,12– 275,6 Koetschau) Vgl. dazu mit weiteren Verweisen auf die Forschungsdiskussion übersichtlich Pierce, Apokatastasis, JECS 29 (2021), 169 – 191. Vgl. Or. princ. III 6,1 (280,6 – 281,5 Koetschau). Dazu auch unten S. 463 – 465.
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Victorinus betrachtet im Epheserkommentar die eschatologische Vergeistigung der Seelen als eine Überbietung ihres protologischen Zustandes.²⁸⁵ Dies lässt sich nicht mit der Idee der strikten Entsprechung von Protologie und Eschatologie bei Origenes vergleichen, aber gut mit dessen Vorstellung, dass die „Ähnlichkeit“ der Seele nach Gen 1,26 als eschatologische Vervollkommnung zu verstehen ist. Auch bei Victorinus gibt die sichtbare Schöpfung der Seele die Möglichkeit, ihre potentielle Veranlagung zur freien Willensentscheidung zu aktualisieren. Dabei entscheidet sie sich aber für das Falsche und wird durch diese Entscheidung in der Materie gefangen. Nur durch diese Aktualisierung und die konkrete, negative Erfahrung der materiellen Welt gelangt die Seele zu vollkommener Selbst- und Gotteserkenntnis. In ihrem protologischen Zustand ist sie noch nicht Geist, sondern nur in der Lage, Geist zu empfangen, in ihrem eschatologischen Zustand hat sich diese Potenz dann vollständig aktualisiert. Durch die Inkarnation des Sohnes wird nicht nur eine Befreiung der Seelen aus der materiellen Welt bewirkt, sondern sie werden dadurch zu Kindern Gottes adoptiert. Diese adoptio stellt einen höheren Zustand gegenüber der Präexistenz dar.²⁸⁶ Damit erfährt die sichtbare Welt insgesamt eine noch deutlichere Aufwertung gegenüber Origenes. Dieser ist bereits bemüht, die positive Bedeutung der materiellen Schöpfung gegenüber der Gnosis herauszustellen. Für Victorinus ist die materielle Welt nicht eine pädagogische Besserungsanstalt zur Wiederherstellung der Vollkommenheit, sondern der notwendige Lernort, um die wahre Vollkommenheit überhaupt erst zu erreichen.²⁸⁷ Damit ist die Schöpfung für Victorinus nicht nur ein episodisches Durchgangsstadium zwischen den beiden identischen Polen des Anfangs und des Endes, sondern es gibt eine dynamische, heilsgeschichtliche Entwicklung von der ersten intelligiblen Schöpfung in Christus zur bleibenden Ver-
Anders Steinmann, Seelenmetaphysik, 60 – 63, der Victorinus die Lehre einer ersten Präexistenz der Seele in Gottes Gedanken zuschreibt, in der die Seele in der Fülle Gottes wohnt. Die eschatologische Rückkehr der gläubigen Seele zu Gott ist dann die Rückkehr in diesen protologischen Zustand. S. dazu unten S. 452– 457. Im Sinne einer Überbietung des protologischen Zustands legt Victorinus in Adv. Ar. I 20 (52,11– 15 Locher) auch Gen 1,26 aus, indem er die imago auf die schon jetzt verwirklichte wesenhafte Ebenbildlichkeit der Seele, die similitudo dagegen auf ihre eschatologisch zu verwirklichende Vollkommenheit bezieht. Vgl. in Eph. 1,4– 6,207– 213: In laudem, inquit, gloriae gratiae suae, id est ut, cum magnum beneficium dat, praecipuam gloriam deus ex hoc potentiae suae ostendat, quando nos tales et in vitiis positos et in peccatis carnalibus et obligatos non solum liberat et donatis peccatis vacuos a criminibus reddit, sed etiam adoptat ut filios. Vgl. zum Unterschied zwischen Victorinus und Origenes schon Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 51.
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geistigung der materiellen Schöpfung am Ende.²⁸⁸ Eine Vorstellung von mehreren aufeinanderfolgenden Welten teilt Victorinus ebenfalls nicht.²⁸⁹ Gegenüber Origenes ist auch die Bedeutung des freien Willens bei Victorinus deutlich abgeschwächt. Die übereilte Zuwendung der Seele zur Materie ist auch bei ihm eine freie Entscheidung, die der Seele als Sünde und Schuld angerechnet wird. Jedoch ist der Fall der Seele und ihr Gefangensein in der materiellen Welt von vornherein auch ein Teil des göttlichen Heilsplans. Die materielle Welt ist ein notwendiger Lernort für die Seele und keine Besserungsanstalt in Folge eines Fehlverhaltens. Der inkarnierte Zustand der Seele zeichnet sich nämlich bei Victorinus gerade durch die Wirkungslosigkeit des freien Willens aus. Dieses Phänomen hat bereits Steinmann in eindringlicher Weise als zentrales Moment der Seelenmetaphysik des Victorinus herausgearbeitet.²⁹⁰ Steinmann interpretiert diese Pointe der der christlichen Seelenmetaphysik als Abgrenzung des Victorinus von der Philosophie des Porphyrius. Allerdings ist zu betonen, dass Victorinus damit auch innerhalb des christlichen Diskurses eine klare Position bezieht und sich deutlich von Origenes absetzt.²⁹¹ Die Seele ist so sehr in der Welt gefangen, dass sie sich durch ihre eigene Tätigkeit nicht mehr aus diesen Fesseln befreien kann. Diese Befreiung ist nur durch die Inkarnation Christi möglich, durch die der Tod und die Vergänglichkeit besiegt werden und der Seele die Möglichkeit zur Überwindung der Welt eröffnet wird. Diese Verschiebung gegenüber Origenes hat ihre Wurzel in der Paulus-Lektüre des Victorinus und in seinen metaphysischen Ansichten.²⁹² Der inkarnierte Christus ist für ihn nicht nur oder vor allem ein Lehrer, der über das Richtige und Falsche belehrt.²⁹³ Die Seele soll vielmehr lernen, dass sie sich Vgl. hierzu z. B. die Kritik an Markell von Ps.-Ath. Ar. IV 14, wonach die Schöpfung im Denken Markells eigentlich überflüssig sei, da bei ihm am Ende wieder alles wieder in die absoluter Ruhe des Anfangs in Gott zurückkehre. Die Schöpfung habe demnach ein Ende. Dagegen betont Victorinus die bleibende Vergeistigung der Schöpfung. Der episodische Charakter wird der Schöpfung durch die Funktion als notwendigem Lernort genommen. Vgl. dazu Vinzent, Pseudo-Athanasius, 259 – 261. Anders Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 49, der dies ohne Textbelege vermutet. Vgl. etwa Steinmann, Seelenmetaphysik, 121. Auch andere Bearbeitungen der Theodizee setzen wesentlich auf den freien Willen des Menschen, vgl. z. B. Lact. ira 13,13 – 1.15,2: Gott hat Übel und Güter in der Welt erschaffen, damit der Mensch in der richtigen Wahl der Güter seine Vernunft und Entscheidungskraft einsetzen lernt. Die Gegensätze Gut und Böse bedingen einander wie alle Gegensatzpaare. S. dazu oben S. 333 f. Der Vorrang der liberatio durch die Inkarnation Christi vor seinem Auftreten als Lehrer bei Victorinus geht z. B. aus in Eph. 1,4,81– 100 hervor: Der Sohn wird gesandt, um die Seelen aus der Verstrickung mit der Materie zu befreien. Das ist die grundlegende Hilfe, die er der Seele bringt. An dieses mysterium zu glauben, eröffnet schon den Weg zum geistigen Leben und zur Verbindung mit Gott. Der inkarnierte Sohn tritt aber auch als Lehrer auf, der die Seele darüber belehrt, woran sie
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allein nicht aus der Verstrickung mit der Materie befreien kann.²⁹⁴ Die Inkarnation Christi ist ein ontologisches Ereignis, durch das die materiellen Mächte besiegt werden und der Seele die Möglichkeit zu ihrer Vergeistigung eröffnet wird. Diesen Weg kann sie nun durch den Glauben an Christus und sein Erlösungshandeln weiter beschreiten. Die Inkarnation sorgt nicht automatisch für eine Erlösung, sondern erst der Glaube.²⁹⁵ Die Vergeistigung der Seele erfolgt also nicht aufgrund des Verdienstes, sondern aufgrund des Glaubens. Erdt arbeitet aus den Pauluskommentaren heraus, dass für Victorinus allein die Entscheidung zum Glauben eine freie Willensentscheidung des Menschen ist. Alle Werke der Liebe und Gerechtigkeit sind Folgen des Glaubens und durch Gott gewirkt.Victorinus bestreitet den freien Willen also nicht grundsätzlich, beschränkt ihn aber auf die Entscheidung zum Glauben.²⁹⁶ Damit verbunden ist auch eine deutliche Verschiebung im Gottesbild des Victorinus im Gegensatz zu Origenes: Der Fall der Seelen ist in der Konzeption des Victorinus von Gott ausdrücklich gewollt und folgt einem höheren Ziel. Demgegenüber betreibt Origenes allen theologischen Aufwand, um die Ursache des Übels ganz von Gott fernzuhalten und allein im freien Willen der Vernunftwesen zu verankern. Gott ist ihm nicht der Verursacher des Falls, sondern er reagiert nur auf die falsche Entscheidung der freien Vernunftwesen. Daher kann Gott die Sünde und das Übel auch als erzieherische Mittel verwenden, nachdem sie einmal durch den freien Willen hervorgebracht worden sind.²⁹⁷ 5.1.3 Heilspädagogik im Platonismus und der Gnosis Victorinus stimmt in vielen Punkten mit der pädagogischen Deutung der Heilsgeschichte des Origenes überein, unterscheidet sich aber auch deutlich von ihm. Die Vorstellung einer pädagogischen Funktion der sichtbaren Schöpfung wird darüber hinaus auch in platonisch-philosophischen und gnostischen Texten thematisiert, vor deren Hintergrund die Veränderungen bei Victorinus noch deutlicher werden.
sich halten soll. Der gläubige Christ hat die Gabe der rechten Unterscheidung dessen, was zum Heil führt, von dem, was zum Unheil führt. Christus ist also auch Lehrer, vorrangig ist aber das ontologische Ereignis der Inkarnation, das den Seelen, die daran glauben, erst die Freiheit zur Unterscheidung gibt. Vgl. in Eph. 1,4,126 – 145. Das betont nachdrücklich auch Scully, Physicalism, JECS 26 (2018), 228 f. Vgl. zum Glaubensbegriff und dem Verhältnis zum freien Willen ausführlich Erdt, Pauluskommentator, 139 – 173. Vgl. schon Schmid, Marius Victorinus Rhetor, 65: „Also ist der Glaube doch unsere Sache, wenn auch das Einzige, was wir von unserer Seite thun.“ Dagegen sieht Benz, Marius Victorinus 147 f. bei Victorinus schon ganz den späten Augustinus vorgeprägt. Vgl. dazu Koch, Pronoia und Paideusis, 113 – 131.
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Jamblich schreibt dem in der Mitte des 2. Jh. n.Chr. wirkenden Philosophen Calvenus Taurus die Lehre zu, dass die Seelen in einem göttlichen Auftrag auf die Erde gesandt werden, sodass die Verbindung mit dem Körper keine Strafe oder Folge eines Fehlers ist.²⁹⁸ Philo von Alexandrien vergleicht in De confusione linguarum die Seelen der Weisen mit Reisenden, die im Unterschied zu Kolonisten nicht ausgesandt werden, um in der Ferne eine neue Heimat zu finden, sondern sich dort nur für gewisse Zeit als Fremde aufhalten. Sie kommen freiwillig aus Freude am Schauen und Lernen in die Welt und kehren nach Betrachtung der sterblichen und sinnlichen Dinge wieder mit dem Wissen zurück, dass ihre wahre Heimat im Himmel ist.²⁹⁹ Die Verbindung der Seele der Weisen mit dem Körper verfolgt ein didaktisches Ziel, wird von Philo allerdings nicht auf den Willen Gottes zurückgeführt. Plotin argumentiert dann schon in ähnlicher Weise wie Victorinus, dass die Verbindung der Seelen mit der materiellen Welt einem pädagogischen Plan folge: Die Seele könne ein Erfahrungswissen über die Zustände hier erwerben, sodass sie sichereres Wissen darüber bekommt, dass das Leben in der oberen Welt besser ist.³⁰⁰ Diese Vorstellung ist für die Rechtfertigung der materiellen Schöpfung bei Plotin aber keineswegs bestimmend, während sie dann bei Origenes und Victorinus ins Zentrum ihres Denkens rückt. Auch Porphyrius übernimmt diesen Gedanken nach Augustins Zeugnis von Plotin und entwickelt ihn noch in einem Punkt weiter: Er rechnet offenbar mit der Möglichkeit, dass sich die völlig gereinigte Seele auch aus dem Kreislauf der Wiedergeburten befreien kann. Es ist angesichts der Quellenlage allerdings schwierig einzuschätzen, welche Stellung diese Ansicht im gesamten Denken des Porphyrius eingenommen hat.³⁰¹
Vgl. Tauros Text 28 Lakmann (2017) = Iamb. De anima 27 (54,20 – 26 Finamore/Dillon). Zu Calvenus Taurus vgl. Lakmann, Platonici minores, 238 – 248 mit knappem Kommentar zur Stelle, 244; etwas ausführlicher Finamore/Dillon, Iamblichus, De Anima,155 f. Vgl. Philo, Conf. 77 f. Vgl. dazu auch Dillon, Descent, 362 f. Vgl. Plot. enn. IV 8 (6) 7,11– 14: […] ἄλλως τε καὶ δυνατὸν αὐτῇ (sc. τῇ ψυχῇ) πάλιν ἐξαναδῦναι, ἱστορίαν ὧν ἐνταῦθα εἶδέ τε καὶ ἔπαθε προσλαβούσῃ καὶ μαθούσῃ, οἷον ἄρα ἐστὶν ἐκεῖ εἶναι, καὶ τῇ παραθέσει τῶν οἷον ἐναντίων οἷον σαφέστερον τὰ ἀμείνω μαθούσῃ. Vgl. 298F,1– 10 Smith = Aug. civ. X 30 (452,2– 10 Dombart/Kalb) = fr. 11,1 Bidez p.39,4– 13): Dicit etiam ad hoc deum animam mundo dedisse, ut materiae cognoscens mala ad patrem recurreret nec aliquando iam talium polluta contagione teneretur […] in eo tamen aliorum Platonicorum opinionem et non in re parva emendavit, quod mundatam ab omnibus malis animam et cum patre constitutam numquam iam mala mundi huius passuram esse confessus est. Der Text ist schwierig zu deuten: Dem Wortlaut nach spricht Augustinus hier von der Weltseele („Gott hat der Welt eine Seele gegeben […].“), dem Kontext nach muss er aber die Einzelseelen im Blick haben. Vgl. zu dieser Schwierigkeit auch den Kommentar von Bardy, in: La cité de dieu, 634 f. Anm. 91. Fraglich ist auch, wie sich dazu der Hinweis in civ. XXII 28 (622,27– 31 Dombart/Kalb) verhält, wonach einige Platoniker im Anschluss
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Auch in einigen gnostischen Texten findet sich die Vorstellung, dass der Fall der Seelen dem erzieherischen Plan und Willen des obersten Gottes entspringt. Die Gnostiker stimmen dabei insgesamt mit der Perspektive des Porphyrius überein, dass nur eine bestimmte geistige Elite aus den materiellen Übeln befreit wird, die pädagogische Antwort auf die Theodizee-Frage wird in gnostischen Texten aber ganz unterschiedlich ausgestaltet.³⁰² Der Authentikos Logos deutet die Welt als einen von Gott eingerichteten Kampfplatz, in dem sich die wissenden Seelen bewähren sollen, indem sie das Materielle hinter sich lassen und sich dem wahren Sein zuwenden. Die Übel der Welt sind ein pädagogisches Mittel des Vaters, der mit seiner Vorsehung alles bestimmt.³⁰³ Der Tractatus Tripartitus führt den Fall des Logos, der zur Entstehung der Materie führt, auf den Willen des Vaters zurück und sieht darin einen heilsökonomischen Plan Gottes.³⁰⁴ Der Fall der Seelen wird doppelt heilsökonomisch moti-
an Platon und Porphyrius zwar davon ausgehen, die reine Seele trete wieder in einen Körper ein, erleide aber kein Übel mehr: […] etiam sanctas animas ad corpora redituras, sicut ait Plato, nec tamen ad mala ulla redituras, sicut ait Porphyrius […]. (622,29 – 31 Dombart/Kalb) Auch Smith verweist auf die Schwierigkeit, die Gedanken des Porphyrius aus Augustins Darstellung zuverlässig zu rekonstruieren, vgl. Smith, Art. „Porphyrius“, AugL 4 (2016), 797 f. Vgl. zur Ansicht des Porphyrius 297F,1 f. Smith = Aug. civ. X 29 (448,6 – 8 Dombart/Kalb): Confiteris tamen gratiam, quandoquidem ad deum per virtutem intellegentiae pervenire paucis dicis esse concessum. Vgl. AuthLog NHC VI,3 p. 25,27– 26,33, bes. p.26,8 – 24: „Er nun, der Vater [gewillt], seinen [Reichtum] und seine Herrlichkeit zu offenbaren, setzte diesen großen Kampf [ἀγών; F.Z.] in dieser Welt ein, weil er wollte, daß alle Kämpfenden [ἀγωνιστής; F.Z.] durch eine erhabene, unfaßbare Erkenntnis das Entstandene hinter sich lassen und es verachten und sich in das Seiende flüchten sollen; und daß wir die Unwissenheit derer, die als gegen uns streitende Widersacher [ἀντικείμενος; F.Z.] mit uns kämpfen, durch unser Wissen besiegen sollen […].“ (Übersetzung von Wolf-Peter Funk, bearbeitet von Katharina Heyden und Cornelia Kulawik, NHD II, 476; koptischer Text in: CoptGnL 3, 268.) Vgl. dazu auch van den Broek, Authentikos Logos,VigChr 33 (1979), 266 – 273.Vgl. zur Beurteilung der Welt als ἀγών auch Or. princ. III 2,3. Vgl. TractTrip NHC I,5 p. 76,23 – 77,11: „Es ist nicht ohne den Willen des Vaters geschehen, daß dieser Logos hervorgebracht worden ist, noch wird er sich ohne ihn an sein Werk machen.Vielmehr hatte der Vater ihn hervorgebracht für die (Werke), von denen er weiß, daß sie entstehen müssen. […] Er stammt nicht aus dem Erreichen (?) der Unerreichbarkeit, sondern aus dem Willen des Vaters, und zwar damit auch die Werke entstünden, die entstanden sind in Bezug zu einer künftigen Heilsordnung [οἰκονομία, F.Z.] – wenn sie nötig gewesen , wäre sie nicht entstanden –, in der Offenbarung (des Reiches) der Fülle. Also deswegen dürfen (wir) nicht die Unruhe, die des Logos ist, anklagen, sondern wir müssen über [die] Unruhe des Logos sagen, daß sie der Anlaß einer Heilsordnung [οἰκονομία, F.Z.], die kommen soll, ist.“ (Übersetzung Hans-Martin Schenke, NHD I, 67 f.) Koptischer Text, in: BCNH.T 19, 112– 114. Vgl. auch den Kommentar von Thomassen, BCNH.T 19, 333 – 336 ad loc.
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viert: Die Seelen sollen zum einen ihr Leiden in der Welt erkennen, um ihr Begehren nach dem anzustacheln, der sie aus ihrer Schwachheit retten kann³⁰⁵, zum anderen sollen sie sich im Kampf gegen das Böse bewähren und sich üben.³⁰⁶ Vielleicht deutet auch der Zostrianus, den Victorinus gekannt haben könnte, in der uns erhaltenen koptischen Fassung einen solchen pädagogischen Heilsplan an. Der Zusammenhang ist allerdings ein wenig unklar und wird unterschiedlich interpretiert.³⁰⁷ Die Vorstellung der Welt als Übungs- und Kampfplatz für die Seelen wird also in verschiedenen Kreisen diskutiert und unterschiedlich konzeptioniert. In einigen gnostischen und platonischen Texten ist dabei der Gedanke leitend, dass die Existenz in einer mit Übel beladenen Welt von Anfang an zum Plan Gottes gehört, um die Seelen zur Erkenntnis des Guten und zur Übung der Tugend zu bringen. Victorinus kann damit an ganz verschiedene Traditionen anknüpfen: Zentrale Elemente seiner pädagogischen Theodizee erinnern an Origenes, andere an die Konzeptionen platonischer und gnostischer Texte. Victorinus dürfte die Vorstellung
Vgl. TractTrip NHC I,5 p. 98,27– 99,4: „Den (Kräften) der Erinnerung aber offenbarte er [sc. der Logos, F.Z.] den Gedanken, dessen er sich (selbst) entledigt hatte, mit der Absicht, daß (dies)er sie zur Teilhabe [κοινωνία; F.Z.] am Materiellen [ὑλικόν, F.Z.] zieht zum Zwecke einer Einrichtung [σύστασις, F.Z.] für sie und eines Wohnorts, damit sie auch einen Anlaß [ἀφορμή, F.Z.] zur Verminderung durch ihren Zug zum Bösen hervorbringen, damit sie sich nicht im Übermaß erfreuen an der Herrlichkeit in ihrer Umgebung und in der Verbannung bleiben müssen, sondern damit sie auf ihr Leiden blicken, an dem sie leiden, damit sie anhaltendes Begehren hervorbringen und Trachten nach dem, der sie von der Schwachheit heilen kann.“ (Übersetzung, Hans-Martin Schenke, NHD I, 57) Koptischer Text in: BCNH.T 19, 166 f.Vgl. auch den Kommentar von Thomassen BCNH.T 19, 391 f. ad loc. Ähnlich NHC I,5 p. 107,18 – 108,12. Vgl. TractTrip NHC I,5 p. 126,26 – 38: „Was diejenigen anbelangt, an die er im Voraus gedacht hatte, daß sie die Erkenntnis und die Güter, die in ihr sind, erlangen sollten, so war es der Plan der Weisheit des Vaters, daß sie der bösen Dinge nicht unerfahren [ἄπειρα; F.Z.] bleiben sollen und sich in (dem Kampf mit) ihnen üben [γυμνάζειν; F.Z.] sollten, nach Art einer kurzfristigen […, auf daß sie die guten Dinge] bis in [alle] Ewigkeit [genössen].“ (Übersetzung Hans-Martin Schenke, NHD I, 89; leicht modifiziert.) Koptischer Text: BCNH.T 19, 232. Ausführlicher zum TractTri und seiner Soteriologie vgl. Thomassen, Spiritual Seed, 46 – 58.166 – 187. Vgl. Zostr NHC VIII,1 p. 128,7– 14: „Alle anderen aber, die in der Materie existieren, sie alle blieben (dort). Und zum Zwecke der Erkenntnis [γνῶσις; F.Z.] einer Größe, eines Übermuts [τόλμη; F.Z.] und einer Kraft sind sie entstanden und haben sich geschmückt.“ (p. 128,7– 13, Übersetzung von Hans-Martin Schenke, NHD II, 661; leicht modifiziert. Koptischer Text in: BCNH.T 24, 472. Man kann den Text nur verstehen, wenn man wie Schenke in p. 128,10 etbe mit finaler Bedeutung übersetzt. Anders Turner, der in seinem Kommentar kausal übersetzt, vgl. BCNH.T 24, 650 ad p.28,7b-18: „It was because of their knowledge of majesty, their audacity and power, that they came into existence and adorned themselves.“ Dabei wird aber nicht klar, warum diese aufgrund ihres Wissens in eine materielle Existenz fallen.Vielmehr ist gemeint, dass sie durch ihren Fall die Größe der intelligiblen Äonen und den Fehler ihres Übermuts erkennen sollten.
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einer pädagogischen Heilsökonomie, die in so verschiedenen Kontexten virulent war, also vermutlich aus mehreren Quellen gekannt haben. Indem er sich aber der Vorstellung der materiellen Welt als sekundärer Folge der intelligiblen Schöpfung anschließt und an zahlreichen Stellen eine Allerlösungslehre formuliert, orientiert er sich deutlich an Origenes. Dessen Ideen rezipiert er aber im Lichte der Vorstellung, dass der Fall von Gott nicht nur vorgesehen, sondern sogar intendiert war, um der Seele ein Erfahrungswissen über das Böse in der materiellen Welt zukommen zu lassen. Vielleicht fand er auch eine solche Verbindung verschiedener Traditionen bereits vor. Thomassen nimmt etwa an, dass auch der Tractatus Tripartitus von der Theologie des Origenes beeinflusst war. Dabei bezieht sich Thomassen unter anderem auch auf die erstaunlichen Parallelen in der Sicht auf die materielle Welt als pädagogischem Lernort für die Seelen.³⁰⁸ Indem Victorinus mit anderen die sichtbare Schöpfung als einen Lernort, nicht aber als Straf- oder Besserungsort versteht, reagiert er zugleich auf Kritik, die an Origenes geübt wurde.³⁰⁹ Gregor von Nyssa etwa hält die Vorstellung des Origenes, die Seelen seien aufgrund eines Fehlverhaltens in Körper versetzt worden, für unsinnig:³¹⁰ Das körperliche Leben sei schlechter als ein unkörperliches, im Körper böten sich der Seele damit erst recht Möglichkeiten zur Sünde.³¹¹ Ein Kreislauf von mehreren Inkarnationen bedeute unweigerlich eine immer weitere Verschlechterung der Seele, bewirke also das exakte Gegenteil von Origenes’ Absicht.³¹² Diese Kritik umgeht Victorinus noch deutlicher als andere dadurch, dass seiner Meinung nach die Seele lernen soll, dass sie sich selbst nicht aus der Verstrickung mit der Materie befreien kann. Die Welt ist nicht der Ort, an dem die Seele sich durch richtiges Verhalten bessern kann, sondern der Ort, an dem sie erfährt, dass
Vgl. Thomassen, in: Le traité tripartite (BCNH.T 19), 18 f. Zur ähnlichen Argumentation für eine ewige Zeugung des Sohnes bei Origenes und im TractTrip vgl. auch Puech/Quispel, Quatrième Écrit, VigChr 9 (1955), 77– 81. Sie gehen S. 70 jedoch noch von einer umgekehrten Beeinflussung des Origenes durch gnostische Autoren aus und bringen die Schrift in Verbindung mit Herakleon. Diese frühe Datierung des TractTrip hat sich aber nicht durchgesetzt, vgl. die Einleitung von Schenke, NHD I, 54 f. Attridge und Pagels halten eine Datierung in der ersten Hälfte des 3. Jh. für wahrscheinlich, schließen aber einen Zeitraum bis ins frühe 4. Jh. nicht aus, vgl. Attridge/Pagels, The Tripartite Tractate (CoptGnL 1), 178. Die positivere Funktion der Welt bei Victorinus im Vergleich zu Origenes arbeitet auch Karfíková, Elegit nos heraus. Vgl. Gr. Nyss. Opif. 27 (PG 44, 225 A-233C). Gr. Nyss. Opif. 27 (PG 44, 232 B): […] ἐμπαθέστερος δὲ πάντως ὁ ἐν σαρκὶ βίος ὁμολογεῖται παρὰ τὸν ἀΐδιον καὶ ἀσώματον· ἀνάγκη πᾶσα τὴν ἐν τῷ τοιούτῳ γινομένην βίῳ, ἐν ᾧ πλείους αἱ πρὸς τὸ ἁμαρτάνειν εἰσὶν ἀφορμαὶ, ἐν πλείονί τε κακίᾳ γενέσθαι, καὶ ἐμπαθέστερον ἤ πρότερον διατεθῆναι. Vgl. Gr. Nyss. Opif. 27 (PG 44, 232 C): οὐκοῦν ἀεὶ πρὸς τὸ χεῖρον ἐξ ἀνάγκης ἀλλοιωθήσεται, πάντοτε πρὸς τὸ ἀτιμότερον προϊοῦσα, καὶ ἀεὶ τὸ χεῖρον τῆς ἐν ᾗ ἐστι φύσεως ἐξευρίσκουσα.
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sie voll und ganz auf Christus angewiesen ist. Durch die Betonung der gnadenhaften Zuwendung Gottes zum Menschen und des Glaubens als einziger Befreiung aus dem Übel der Welt unterscheidet sich Victorinus deutlich von anderen pädagogischen Heilskonzepten. Die Seele kann nicht von selbst zur Erkenntnis des Guten gelangen und verdient ihre Befreiung nicht durch ihr richtiges Verhalten, sondern allein durch die Entscheidung zum Glauben an Christus und das durch ihn gewirkte Heilsmysterium. Durch diese Fokussierung auf die Gnade und den Glauben spitzt Victorinus die Diskussionen um eine pädagogische Absicht Gottes zu. Der Tractatus Tripartitus äußert zwar auch bereits den Gedanken, dass die Seele lernen soll, dass sie allein durch den Erlöser und das Wissen gerettet werden kann, jedoch konkurriert diese Ansicht noch mit anderen Erklärungen des Bösen. Für Victorinus ist zudem der Gedanke bestimmend, dass nicht nur eine bestimmte wissende Elite durch das Kommen des Erlösers aus der Welt befreit wird, sondern dass dieser Weg allen Menschen offensteht.
5.2 Die Spannung zwischen der Allerlösung und einem doppelten Ausgang des Gerichtes Origenes hat durch das Konzept der Abfolge mehrerer Weltzyklen eine Leerstelle in seiner Theologie geschlossen, die es bei Victorinus so nicht gibt. Nur durch dieses Konzept ist es für Origenes möglich, zugleich an einer Rückkehr der gesamten Schöpfung zu Gott und dem freien Willen aller Vernunftwesen festzuhalten. Da Victorinus die Bedeutung des freien Willens deutlich einschränkt, ist eine solche Konzeption für ihn überflüssig. In seiner knappen Auslegung von 1Kor 15,25 – 28 legt er aber nahe, dass er ebenfalls mit einer eschatologischen Vergeistigung der gesamten Schöpfung rechnet: […] wenn er in der zweiten Ankunft als letzten Feind den Tod vernichtet, tut dies der Sohn λόγος, aber durch die väterliche Kraft. Er bewirkt also, dass alles Geist und geistig ist. Dann wird auch er Gott unterworfen, der ihm alles unterwirft.Wenn alle Feinde vernichtet sind, ruht die aktive Kraft und in ihm wird Gott sein nach der Art des Seins und des Ruhens, in allen anderen Dingen wird er aber auf geistige Weise sein nach seiner Kraft und seiner Substanz. Und das bedeutet, dass Gott alles in allem ist. Er ist nämlich nicht alles in jedem Einzelding, sondern alles in allem.³¹³ Alles bleibt also, aber so, dass Gott in allem ist, und alles wird Gott sein, weil alles von Gott erfüllt sein wird.³¹⁴
Vielleicht liegt hier eine Spitze gegen die Auslegung bei Or. princ. III 6,3 vor, der erklärt, dass in omnibus omnia esse bedeute in singulis eum omnia esse (283,14 f. Koetschau). Dies bedeute, dass jeder rationale Verstand völlig gereinigt sei und völlig auf Gott ausgerichtet sei (283,15 – 20 Koetschau).
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In der zweiten Parusie wird Christus alles vergeistigen und den Tod vernichten. Es scheint so, als würde am Ende nichts der vollkommenen Vernichtung anheimfallen, sondern alles in einer höheren und von Gott erfüllten Form weiterexistieren. Wenn aber alles weiterhin existiert und vergeistigt wird, muss dies eigentlich auch die Nichtgläubigen umfassen. Zu diesem Dilemma äußert sich Victorinus aber nicht. Das liegt zunächst daran, dass dieser Kommentar zu 1Kor 15 im Rahmen der trinitätstheologischen Diskussionen dem Nachweis der substantiellen Einheit von Vater und Sohn dient. Im Zentrum steht die Abwehr einer möglichen Auslegung von 1Kor 15 im Sinne einer Subordination des Sohnes.³¹⁵ Vielleicht hätte sich Victorinus in einem Kommentar zum Korintherbrief ausführlicher auch zu soteriologischen Fragen geäußert. Jedoch bleibt fraglich, ob Victorinus sich solche Gedanken bereits in ähnlicher Form wie Augustinus gemacht hat, der mit aller Schärfe die Konsequenzen aus seiner Gnadentheologie zieht. Nur in gewisser Hinsicht lässt sich Victorinus also als Augustinus ante Augustinum verstehen. Auch der späte Augustinus entfaltet seine Eschatologie als eine Überbietung des Urzustandes und auch er betont mit Paulus die Unmöglichkeit, sich durch den freien Willen zum Guten zu entscheiden.³¹⁶ Alle Ähnlichkeiten sollten aber nicht den Blick auf die Unterschiede verstellen: Augustinus lehnt die Vorstellung einer Präexistenz der Seelen deutlich ab und entwickelt später die Lehre, dass auch der Anfang des Glaubens der menschlichen Willensentscheidung entzogen ist.³¹⁷ Für Victorinus besteht hierin gerade noch die letzte Aufgabe des Menschen selbst. Zwar ist die Möglichkeit, sich zum Glauben zu entscheiden, ein Geschenk Gottes, der Mensch muss dieses Geschenk aber freiwillig ergreifen.³¹⁸
Vielleicht äußert Victorinus damit Bedenken gegen den Eindruck einer Verengung der endzeitlichen Vergeistigung auf den Intellekt, den man aus dieser Auslegung des Origenes gewinnen könnte. Adv. Ar. I 39: „[…] si in secunda praesentia novissimus inimicus evacuabitur mors, filius λόγος facit ista, sed potentia paterna. Facit igitur omnia spiritus et spiritalia. Et tunc et ipse subicietur deo subicienti ei omnia. evacuatis enim omnibus requiescit activa potentia, et erit in ipso deus secundum quod est esse et secundum quod est quiescere, in aliis autem omnibus spiritaliter secundum suam et potentiam et substantiam. Et hoc est: ut sit deus omnia in omnibus. Non enim omnia in unoquoque, sed omnia in omnibus. Manebunt igitur omnia, sed deo exsistente in omnibus, et ideo omnia erit deus, quod omnia erunt deo plena.“ (74,19 – 28 Locher) secundum suam et potentiam et substantiam ist nicht als „entsprechend ihrer Potenz und Substanz“ zu übersetzen, wie bei Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 174, da sich suus auf Gott als Subjekt des Satzes bezieht. Problematisch ist für die Auslegung 1Kor 15,28. Vgl. zur eschatologischen Überbietung des paradiesischen Zustandes nur Aug. civ. XXII 30 (632,16 – 21.30 – 33 Dombart/Kalb). Vgl. Aug. Simpl. I 2,7. Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 139 – 173.
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Im Unterschied zu Augustin bleibt bei Victorinus auch unklar, in welcher Form es einen doppelten Ausgang des Endgerichtes geben kann oder ob am Ende doch eine ἀποκατάστασις πάντων anzunehmen ist.³¹⁹ Nur an sehr wenigen Stellen spricht Victorinus vom Gericht oder von Christus als Richter.³²⁰ An einigen Stellen ist mit dem Gericht dabei nicht das zu erwartende Endgericht gemeint, sondern der durch Tod und Auferstehung Christi bereits vollzogene Sieg über den Teufel, der dadurch gerichtet ist.³²¹ Die Verweise auf das Endgericht sind recht allgemeiner Natur und finden sich meist in den Pauluskommentaren, wenn der Bibeltext selbst dies nahelegt. Meist bleiben diese Aussagen vage und beschränken sich auf die Feststellung, dass den Ungläubigen dann Strafe drohe. Damit orientiert sich Victorinus auch am biblischen Sprachgebrauch: In der Auslegung von Gal 5,10 betrachtet er die allgemein gehaltene Gerichtsdrohung des Paulus als wirkungsvolles Stilmittel, da schon bei der Erwähnung des Wortes Gericht klar sei, dass man mit Strafe zu rechnen habe. Konkretere Ausführungen seien für die Wirkabsicht des Apostels nicht nötig.³²² An wenigen Stellen spricht Victorinus etwas klarer vom Ausgang des Gerichtes. Im Philipperkommentar hebt er nur auf den heilvollen Ausgang des Gerichtes für die Gläubigen ab.³²³ Dagegen spricht er im Epheserkommentar davon, dass den Gläubigen das ewige Leben geschenkt werde, die Ungläubigen aber mit Strafe zu rechnen hätten und ihnen das ewige Leben vorenthalten bleibe.³²⁴ Im Galaterkommentar warnt Victorinus davor, dass einem Leben nach dem Fleische der entsprechende Lohn folge, wie auch ein geistiges Leben seinen Lohn erhalten werde.
Benz, Marius Victorinus, 114 blendet alle Hinweise darauf, dass es einen doppelten Ausgang geben könnte, in seiner Betrachtung aus. Seiner Ansicht nach vertritt Victorinus eine universelle Erlösungslehre, die den Gedanken der Prädestination ausschließt. Ebenso sieht Ramelli, Apokatastasis, 607– 616 Victorinus ganz auf der Linie des Origenes. Aber schon Gore, Art. „Victorinus (6)“, DCB 4 (1887), 1136 weist auf das Nebeneinander von Universalismus und doppeltem Ausgang hin. Ganz allgemein spricht er von iudicare oder iudex in Bezug auf Christus z. B. in Adv. Ar. I 17 (47,7 Locher); 47 (82,29 f.; 83,25 f. Locher). Vgl. Adv. Ar. III 13 (130,27– 30 Locher); III 17 (132,31– 133,5 Locher). Vgl. in Gal. 5,10,6 – 11: Et illos terruit, qui seducebant, et istos per minas iudicii futuri: Qui vos, inquit, perturbat, portabit iudicium. Sufficit autem iudicium nominasse, in quo utique non dici debuit quod poenam patientur, sed vero iudicium. Deinde praemisit quod iudicium futurum ab ipso [sc. Christo] est. Expressit autem iam metum poenae, cum dixit portabit. Vgl. dazu auch den Kommentar bei Cooper, Galatians, 332 mit Anm. 164. Vgl. in Phil. 3,20,13 – 16: […] quia inde et salutarem exspectamus dominum nostrum Iesum Christum, qui venturus est ad iudicium postremis temporibus et erit nobis salutaris quia in ipsum credimus et ipsum exspectamus. Vgl. z. B. in Eph. 5,6,8 – 10: Propter haec, inquit, habent etiam poenam ut et bonis aeternae vitae careant et in ipsos ira veniat, quos illos filios dixit diffidentiae.
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Das Ende eines fleischlichen Lebens seien Tod und Vergänglichkeit, ein geistiges Leben verdiene das ewige Leben.³²⁵ Damit scheint Victorinus an einigen Stellen durchaus an einen doppelten Ausgang des Gerichtes zu denken, ordnet diesen aber nicht systematisch ein und liefert keine exakte philosophische Argumentation dafür, was mit den Ungläubigen passiert. Vergeht nur ihr Körper, der aufgrund eines fleischlichen Lebens nicht vergeistigt werden kann? Oder ist auch ihre präexistente Seele und deren Intellekt davon betroffen? Dagegen steht seine Ansicht, dass alles, was von Gott geschaffen wurde, nicht im Tod belassen wird.³²⁶ Auch in seinen ekklesiologischen Äußerungen zeigt sich eine solche Spannung: Mal zählt er ausnahmslos alle Seelen zur Kirche und legt damit eine Allerlösung nahe, mal unterscheidet er zwischen Ungläubigen und Gläubigen.³²⁷ Diese beiden Pole hat Victorinus aber offensichtlich nicht systematisch zusammengedacht.³²⁸ Nur an einer Stelle erwägt Victorinus eine eindeutige Erklärung, die er aber aus naheliegenden Gründen nicht weiter nachverfolgt: Im exegetischen Teil der Schrift Adversus Arium I ist er um den Nachweis bemüht, dass Christus der präexistente und wesenseine Sohn Gottes ist. Dafür unterscheidet er den ewig gezeugten Logos immer wieder von den Menschen, die Geschöpfe sind und erst durch Christus zu Kindern Gottes angenommen werden. Für diesen Unterschied gebraucht er zwei unterschiedliche Präpositionalgefüge, nämlich, dass Christus aus Gott sei (ex deo), die Menschen hingegen nur von Gott (a deo). Diesen Unterschied sieht er auch in Joh 17,6 f. ausgedrückt: Dass die Menschen von Gott, nicht aber aus Gott sind: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir gegeben hast.“ (Joh 17,6) Daraus wird klar, dass es sich nicht um alle Menschen handelt. „Dein waren sie und mir hast du sie gegeben, und sie haben dein Wort gehalten. Nun erkenne ich, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist.“ (Joh 17,7 v.l.) Und was ist daran verwunderlich, wenn die Menschen von Gott sind, wenn sogar das Fleisch von
Vgl. in Gal. 6,8,9 – 18.21 f.: Etenim caro corrumpitur et hic est eius exitus ut corrumpatur, putrescat, pereat, intereat. Omnia ergo quae de carne sunt putrescunt, corruptionem habent. Nemo ergo de carne sperare debet nec seminare in carne, id est spem ponere de carne. Nam si ibi posuerit spem, habebit fructum de carne. Quem fructum? Interitum, corruptionem. Hic enim fructus est carnis. Ergo melius est spem habere in spiritu, ut possimus spem habere de spiritu, quae spes est de spiritu et qui fructus de spiritu, hoc est seminare in spiritu, id est vitam aeternam. […] et haec erit messis ei, ut hinc recedens accipiat vitam aeternam. Vgl. Adv. Ar. I 26 (59,27– 29 Locher). S. dazu unten S. 513 – 520. Schon Koffmane, De Mario Victorino, 24 konstatiert ein magnum […] silentium des Victorinus über die Frage, welches Schicksal die Verdammten ereile.
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Gott ist, wo er es doch selbst geformt hat? […] Die ganze Stelle stützt die Ansicht, dass die Menschen von Gott sind, aber nicht alle.“³²⁹
In dieser Randbemerkung geht Victorinus davon aus, dass nicht alle Menschen von Gott sind und dass nur diejenigen dem Sohn übergeben wurden, die von Gott stammen und zu ihm gehören. Es ist nicht ganz klar, wie Victorinus dies hier meint: Ohne weitere Erklärung wirken die Aussagen dualistisch, wonach manche Menschen von Gott erschaffen sind und daher erlöst werden, andere aber nicht. Ähnlich klingt eine Stelle im Epheserkommentar, wonach das Fremde, nicht zu Christus Gehörige nicht erlöst werde.³³⁰ Dort wird aber nicht erklärt, warum es etwas gibt, das nicht zum Schöpfer gehört und ihm fremd ist. Man müsste demnach konsequenterweise nach Art gnostischer Lehren von verschiedenen Schöpfern und verschiedenen Menschenklassen ausgehen, deren Schicksal schon durch ihre natürliche Beschaffenheit bestimmt ist. Ein solcher Gedanke hat im monistischen Denken des Victorinus aber eigentlich keinen rechten Platz, weswegen er ihn auch nirgends systematisch weiterverfolgt. Vielleicht handelt es sich auch nur um die missglückte Formulierung eines Gedankens, den Victorinus an anderer Stelle aus der Gegenperspektive formuliert. Die Wendung filii diffidentiae im Epheserbrief erklärt Victorinus so, dass diejenigen, die von den materiellen Mächten beherrscht werden und ein fleischliches Leben führen, Kinder des Teufels sind und den Zorn Gottes zu gewärtigen haben. Dabei schließt Victorinus in dieser Interpretation jeden dualistischen Verdacht explizit aus.³³¹ Vielleicht steckt also dieser Gedanke hinter der krassen Aussage, dass nicht Adv. Ar. I 14: Quod homines a deo, non tamen ex deo: mainfestavi nomen tuum hominibus, quos dedisti mihi. Ex isto manifestum, quod non omnes. Tui erant, et mihi eos dedisti, et verbum tuum custodierunt. Nunc cognovi, quoniam omnia, quae mihi dedisti, a te sunt. Et quid mirabile, si homines a deo, si et caro, quod ipse eam formavit? […] totus hic locus hoc struit, quod homines a deo, sed non omnes. (44,15 – 21 Locher) Die lateinische Übersetzung des Victorinus folgt der varia lectio in Joh 17,7 ἔγνωκα oder ἔγνων (=cognovi) für ἔγνωκαν (=cognoverunt). Entweder hat Victorinus erstaunlicherweise an dieser Übersetzung keinen Anstoß genommen oder er fand bei einer Überprüfung die varia lectio auch in seinem griechischen Text vor. Dem Beweisziel der Homousie von Vater und Sohn kommt diese Lesart nämlich nicht gerade entgegen. Vgl. dazu nur den Einwand, den Chrysostomos gegen diese Variante erhebt, hom. in Jo. 81: Τινὲς μὲν γὰρ λέγουσιν, ὅτι Νῦν ἔγνων ὅτι πάντα, ὅσα δέδωκάς μοι, παρὰ σοῦ ἐστιν· ἀλλ’ οὐκ ἂν ἔχοι τοῦτο λόγον. Πῶς γὰρ ἔμελλεν ἀγνοεῖν ὁ Υἱὸς τὰ τοῦ Πατρός; ᾿Aλλὰ περὶ τῶν μαθητῶν εἴρηται. (PG 59, 438) Bruce, Gospel Text äußert sich zu dieser Lesart von Joh 17,7 nicht. In Eph. 1,9 – 10,27– 29: Non enim omnia restaurantur in Christo, quae sunt […], sed in Christo quae sunt: sunt enim et alia atque aliena. Vgl. in Eph. 2,1– 2,34– 44: Cum duo sint lux et tenebrae, veritas et falsitas, bonum et malitia, non ita ut ex aequo sint (neque enim fas est aliquid deo vel per contrarium comparari), sic accipiamus et spiritus, unum fidei, alterum diffidentiae. Spiritus satanas et eius diabolus hic substantiam de aere
6 Fazit
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alle Menschen von Gott sind: Zwar sind alle von Gott geschaffen, aber nur die Gläubigen werden Kinder Gottes, die anderen sind Kinder des Teufels und insofern nicht von Gott. Es lässt sich also feststellen, dass Victorinus der Vorstellung einer ἀποκατάστασις πάντων ebenso Ausdruck verleihen kann wie der Vorstellung vom doppelten Ausgang des Gerichtes. Er koordiniert diese Konzepte nicht systematisch und liefert keine klare Erklärung für das Schicksal der Ungläubigen, die sich kohärent in sein Denken einfügt. Das unterscheidet ihn also in einem zentralen Punkt sowohl von Augustins klarer Konzeption eines doppelten Ausgangs des Gerichtes als auch von der klaren Vorstellung der Allererlösung bei Origenes.
6 Fazit Eine genaue Analyse und der Vergleich mit ähnlichen philosophischen und theologischen Konzepten zeigt die besondere Zuspitzung des Materiekonzepts des Victorinus. Die Materie stammt für Victorinus wie alles von Gott; sie wird als die materielle Andersheit durch die erste Bewegung des Logos aus dem Vater heraus hervorgebracht. Die innergöttliche Aktivität selbst ist also die Ursache für die Entstehung des Grundstoffes, aus dem dann die Schöpfung gestaltet wird. Diese materielle Grundlage ist als Folge des Hervorganges des Sohnes aus dem Vater gegenüber der intelligiblen Schöpfung im Logos sekundär, aber dennoch von Gott gewollt. Die sensible Schöpfung wird daher in Anlehnung an Eph 1,4 als mundus subiectus (καταβολή) bezeichnet gegenüber dem mundus superior der intelligiblen Schöpfung im Logos. Die analog zur platonischen χώρα chaotisch bewegte Materie wird zunächst von der Seele belebt und damit für die Formung durch den Logos vorbereitet, der dann die Schöpfung vollends ausgestaltet. Durch ihre Belebung erhält die Materie eine eigene materielle Seele, die die wichtigste Ursache für die Bosheit der Materie darstellt. Die materielle Seele dient aber auch als Sitz der rationalen Seele, die dadurch zwar vom Leib in ihrer rationalen Tätigkeit behindert wird, aber nicht ihr substantielles Wesen verliert. Die Materie kann die inkarnierte rationale Seele bedrängen und gefangen halten, indem sie sie durch Sinneswahrnehmungen täuscht und an der freien Entfaltung ihres Intellekts hindert. habet, id est de hyle atque materia, et potestatem in ipsa materia vel in eos, qui materialiter sentiunt. Est ergo ille princeps eius potestatis, quae in aere est, id est in materia, qui princeps spiritus est, sed, ut dixi, materiae atque in materiis nunc operatur, in filiis diffidentiae, id est eorum animos tenet et ibi dominatur. Und in Eph. 5,6,12– 15: […] diffidunt ergo et non credunt. Ergo in filios diffidentiae venit ira dei. Diffidentia autem est ille diabolus cui serviunt illi qui diffidunt et idcirco filii eius sunt.
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Die Welt wird so zu einem von Gott gewollten Gefängnis für die Seele, ohne dass die Seele dabei zerstört wird. Sie muss in der Materie lernen, dass sie sich durch ihre Sinneswahrnehmung täuschen kann und aus diesem Irrtum nicht selbst befreien kann. Die Befreiung der Seele aus dem Gefängnis der Materie kann nur durch den inkarnierten Logos geleistet werden, der über die materiellen Mächte triumphiert und die Seele darüber belehrt, was richtig und falsch ist. Dieses Angebot Gottes muss die Seele glaubend annehmen, um die Möglichkeit zu einem Aufstieg zum Geist zu bekommen. Durch den Sieg des inkarnierten Logos über die materiellen Mächte und durch die Annahme des Fleisches wird aber auch für den Leib die Möglichkeit einer Auferstehung geebnet. Die Materie vergeht im Eschaton nicht einfach, sondern wird transformiert und bleibt ebenso bestehen wie die Seele. Victorinus charakterisiert die materielle Welt also zwar als schlechten Ort, an dem die rationale Seele gefangen gehalten wird. Er sieht diesen Zustand aber als notwendige Voraussetzung dafür an, dass die Seele ihre volle Vollkommenheit entfalten kann. Er bewertet die Materie damit negativ, aber entlastet Gott als den Schöpfer der materiellen Welt durch diese Sicht zugleich. Victorinus denkt sein monistisches System konsequent zu Ende und lässt auch den materiellen Leib nicht vergehen, bezieht ihn vielmehr in die endzeitliche Transformation der gesamten Schöpfung ein. Damit vollzieht sich die Schöpfung als ein Stufenprozess hin zur Vollkommenheit alles Seins im Eschaton: Am Anfang wird die Welt als Lernort für die Seele geschaffen, die Inkarnation des Sohnes stellt den Sieg Gottes über die materiellen Mächte dar, wodurch den Seelen die Möglichkeit zum Aufstieg gegeben wurde. Am Ende wird dann alles Sein transformiert und vergeistigt und so die Schöpfung in ihren vollkommenen Zustand überführt. Im Gegensatz zu gnostischen, aber auch platonischen Ansätzen entwickelt Victorinus damit eine Soteriologie, deren Pointe nicht die „Erlösung aus der Schöpfung“, sondern „die Erlösung der Schöpfung“ ist.³³² Es zeigt sich also, wie Victorinus in vielfältiger Hinsicht an die philosophischen und theologischen Diskussionen seiner Zeit anknüpft, um ein christlich verantwortbares Konzept der Materie und der materiellen Schöpfung zu entwerfen. Zentrale Anliegen lassen sich als eine Weiterentwicklung der Konzeptionen des Origenes verstehen, wobei Victorinus die Kritik, die an dessen Denken geübt wurde, berücksichtigt und diese Positionen weiterentwickelt. Die Vorstellung, dass die materielle Welt nicht nur eine Folge des Vorherwissens Gottes ist, sondern dass der Fall der Seele in die Materie von ihm aus pädagogischen Gründen gewollt ist, verbindet Victorinus mit platonischen Philosophen wie Porphyrius, besonders aber mit den gnostischen Texten aus Nag Hammadi. Vielleicht
Den Gegensatz dieser beiden Modelle entnehme ich Schmid, Christen und Sethianer, 279.
6 Fazit
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liegt Victorinus auch bereits eine Verbindung gnostischer und origenischer Gedanken vor, wie wir sie im Tractatus Tripartitus greifen können. Aus solchen Kreisen könnte auch die Herleitung der Lehre von der doppelten Seele aus Mt 24 und Lk 17 stammen. Die Fokussierung auf Gnade und Glaube als Mittel der Befreiung aus der materiellen Welt unterscheidet Victorinus klar von allen ähnlich gelagerten Ansätzen. Einen Impuls in diese Richtung könnte er zwar von gnostischen Texten bekommen haben, die bereits die Bedeutung der Gnade betont haben. Jedoch radikalisiert Victorinus von seiner Pauluslektüre her diese Sicht noch einmal deutlich. Das dankbare Annehmen der Gnade Gottes im Glauben ist das einzige Werk, das Victorinus vom Menschen für die Erlösung verlangt.
G Die Seele im Denken des Victorinus 1 Themen und Probleme der Seelenlehre des Victorinus An der zentralen Stellung die das Wesen und Schicksal der Seele im Denken des Victorinus spielen, wird die soteriologische Pointe seiner Theologie deutlich. Er beschäftigt sich in seinen Schriften grundlegend mit der Frage, warum die Seele erlösungsbedürftig ist und wie sie erlöst werden kann. Die Seele ist ein präexistentes Geschöpf Gottes, das nach Gen 1,26 f. nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes geschaffen wurde. Durch ihre Ebenbildlichkeit erhält die Seele eine herausgehobene Position gegenüber der übrigen Schöpfung und wird zur Mittlerin des göttlichen Lebens an die materielle Welt. Die Seele hat so eine ontologische Mittelstellung zwischen Gott und Materie. Aus dieser ontologischen Position der Seele zieht Victorinus auch epistemologische Konsequenzen: Die Seele kann zunächst sich selbst erkennen, aber durch ihren mittleren Charakter sowohl indirekt Erkenntnis der Materie gewinnen als auch zur Erkenntnis des Göttlichen aufsteigen. Gott hat der Seele damit die Möglichkeit verliehen, durch die Erkenntnis selbst Geist zu werden und zu Höherem aufzusteigen. Jedoch muss die Seele diese Gottähnlichkeit erst noch erwerben und dafür Erfahrungen in der materiellen Welt machen. In der Auslegung von Eph 1,4 begründet Victorinus, dass die Seele präexistent ist und dass Gott mit ihrem Fall in die materielle Welt eine pädagogische Absicht verbunden hat. Die materielle Welt ist der Sitz böser Mächte, die die Seele gefangen halten. Die Seele muss so die Erfahrung des Bösen machen und lernen, dass sie sich nicht selbst aus dem Bösen befreien kann, sondern dafür auf die Hilfe Gottes angewiesen ist. Neben dieser pädagogischen Sicht auf den Fall der Seele entwickelt Victorinus aber auch die Perspektive, dass der Fall eine Verfehlung der Seele war, die ihr als Schuld angelastet werden muss. Zur Darstellung dieser schuldhaften Verfehlung nutzt er die platonische Metapher der Trunkenheit der Seele und aus christlichen Texten bekannten Metaphern, die der Seele ein sexuelles Fehlverhalten zuschreiben. Die Erlösung wird durch die Inkarnation des Logos gewirkt, der eine vollständige menschliche Seele annimmt und mit dieser die materiellen Mächte besiegt, die die Seele gefangen halten. Dies hat Auswirkungen auf alle Seelen, denen jetzt durch den Glauben an die Heilstat Christi der Weg zur Erlösung offen steht. Verbunden mit diesem universellen Ansatz der Erlösung ist bei Victorinus auch eine universelle Ekklesiologie. Ich beginne die Darstellung bei der philosophischen Argumentation des Victorinus in Ad Candidum, in der er die Stellung und Erkenntnismöglichkeit der Seele diskutiert. Dies erklärt sich durch den einleitenden Charakter, den diese Schrift für https://doi.org/10.1515/9783110987577-007
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sein Werk innehat. Dann will ich zeigen, dass dieselben Themen auch in der Auslegungen von Eph 1,4 und Gen 1,26 f. eine Rolle spielen, dass also philosophische Argumentation und exegetische Begründung bei Victorinus Hand in Hand gehen und keine getrennten Bereiche seines Denkens darstellen. Anschließend stellt sich die Frage nach verschiedenen Seelentypen, die Victorinus gelegentlich unterscheidet, und welche Funktion und Stellung sie in seinem Denken einnehmen. Dabei werde ich zeigen, dass Victorinus zwar wie Plotin eine transzendente Seele als Ursprung der Einzelseelen kennt, jedoch nicht die platonische Lehre der Weltseele vertritt. Dies hat seine Ursache insbesondere darin, dass Victorinus die Welt nicht als vollkommen geordnet betrachtet, sondern als erlösungsbedürftigen Ort. Die materiellen Mächte werden erst durch die Inkarnation besiegt. Diesem Thema ist der letzte Abschnitt des Kapitels gewidmet. Hier zeichne ich die Auslegung des Victorinus zu Texten insbesondere aus dem Johannes-Evangeliums nach, in denen er die Frage der Annahme einer Seele durch Christus thematisiert.
2 Erkenntnistheorie und Ontologie der Seele in Ad Candidum 2.1 Erkenntnistheoretische Grundhaltung In Ad Candidum entfaltet Victorinus als Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Arianismus seine Ontologie. Das hauptsächliche Ziel dieser Darstellung ist der Nachweis, dass es das Nichtsein im eigentlich Sinne nicht gibt. Dadurch will er die arianische Lehre, dass der Sohn aus dem Nichtsein geschaffen sei, ad absurdum führen. Im Zusammenhang dieser breiten Erörterung über das Sein und Nichtsein diskutiert Victorinus auch die Stellung der Seele in der ontologischen Hierarchie. Für diese Digression über die Seele gibt es zwei Gründe: Erstens nutzt Victorinus den philosophischen Zusammenhang, um die Grundlage für alle weiteren Überlegungen zur Seele und ihrem Schicksal zu schaffen. Diese setzt er in den späteren Schriften voraus und behandelt darauf aufbauend die Frage nach dem Fall und der Erlösung der Seele. Zweitens liefert er mit der ausführlichen Behandlung der Seele gleichzeitig auch eine Erkenntnistheorie und zeigt, welche Möglichkeiten für die menschliche Erkenntnis bestehen und welche Grenzen ihr gesetzt sind. Diese beiden Pole der Soteriologie und der Erkenntnistheorie sind für Victorinus untrennbar miteinander verknüpft. Die Seele erlangt dann Vollkommenheit, wenn sie vollkommenes Wissen über sich selbst und über Gott hat.¹ Das Wissen darum,
Vgl. in Eph. 1,4,54– 60.
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welche Möglichkeiten der Erkenntnis die Seele hat und wie sie zur Erkenntnis gelangt, ist notwendige Voraussetzung für das Heil.² Victorinus beginnt sein Nachdenken über die Erkenntnismöglichkeiten der Seele mit einer Kritik an der optimistischen Erkenntnistheorie des Candidus und verortet sich in einer Mittelposition³: Über Gott zu sprechen ist ein tollkühnes Unterfangen, das den Menschen übersteigt. Doch da in unsere Seele der väterliche Intellekt eingesenkt ist und da der Geist, der von oben herabgesandt wurde, die Erkenntnisbilder, die seit Ewigkeit in unsere Seele eingeschrieben sind, in Bewegung bringt, will der Hochmut unserer Seele zwar die unsagbaren Dinge und die unerforschlichen Geheimnisse der Willensentscheidungen oder Handlungen Gottes erkennen, doch ist jetzt, da die Seele sich in einem solchen Körper befindet, schon das Erkennen schwer, das Aussprechen aber unmöglich.⁴
Victorinus steigt bereits in den ersten Sätzen, die er in eigener Person spricht, mit einer komplexen dialektischen Position ein. Einerseits ist es vermessen, wenn der Mensch über Gott sprechen will und ihn erkennen will. Andererseits hat die Seele aber gewisse Voraussetzungen für eine solche erkennende Betrachtung, die auch noch weiter durch den väterlichen Intellekt (νοῦς πατρικὸς) und den Geist (spiritus) aktiviert werden. Dennoch ist es als Hochmut (audacia, mentis elatio) zu bezeichnen, wenn die Seele mit diesen Voraussetzungen nach einer Erkenntnis Gottes strebt: Im Körper ist ihre Erkenntnisfähigkeit eingeschränkt und, wäre es möglich, Gott zu erkennen, ist es der menschlichen Sprache nicht möglich, diese Erkenntnisse angemessen zu formulieren. Victorinus stellt in diesem Abschnitt also eindeutig positive Aussagen über die Möglichkeiten der Seele neben kritische Kommentare über das Streben nach Gotteserkenntnis. Dieser kritische Ton muss deutlich herausgestellt werden, da er in den bisherigen Übersetzungen nicht zu fassen ist: Sie übersetzen mentis elatio im Sinne eines geistigen Aufschwungs oder Sich-Emporhebens der Seele, interpretieren diese
Der Aufbau der Schrift erinnert daher etwas an Plot. enn. II 9 (33). Dort entfaltet Plotin auch zunächst Fragen der Erkenntnistheorie und der Position der Seele, um sich auf dieser Grundlage mit den Gnostikern auseinanderzusetzen. Von einer „mittleren Linie“ in der Erkenntnistheorie spricht auch Ziegenaus, Seinsfülle, 333 – 342. Ihm folgt Kirchner, Muße 178 – 181. Ad Cand. 1: De deo dicere super hominem audacia est. Sed quoniamsi inditus est animae nostrae νοῦς πατρικὸς et spiritus desuper missus figurationes intellegentiarum inscriptas ex aeterno in nostra anima movet, ineffabiles res et investigabilia mysteria dei voluntatum aut operationum quasi quaedam mentis elatio animae nostrae vult quidem videre, et etiam nunc in tali sita corpore difficile intellegere solum, edicere autem impossibile. (10,2– 8 Locher)
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Wendung also als den Akt, in dem die Seele sich zur Erkenntnis Gottes aufschwingt.⁵ Gegen eine solche Übersetzung spricht aber der Befund, dass die Verbindung mentis elatio bei allen christlichen Autoren durchgängig eine negative Konnotation besitzt und eine hochmütige Einstellung charakterisiert.⁶ Die Vielzahl an Belegstellen und die Tatsache, dass Victorinus auch sonst efferre verbal in dieser negativen Bedeutung benutzen kann, sprechen dafür, diese Wendung auch hier negativ als Hochmut zu deuten. Als Gegenteil von efferre nennt Victorinus an einer Stelle außerdem humilitas und definiert diese als deiectio animi. Diese Wendung stellt ein eindeutiges Antonym zu mentis elatio dar.⁷ Es geht Victorinus hier also nicht um ein erhabenes Emporschwingen der Seele in dem Versuch, Erkenntnis zu gewinnen, sondern um eine Kritik am menschlichem Streben nach Gotteserkenntnis aus eigener Kraft. So ist die positive Aussage über die Möglichkeiten der Seele von beiden Seiten mit kritischen Bemerkungen eingeschlossen: Über Gott sprechen und ihn erkennen zu wollen, ist ein tollkühnes Unterfangen (audacia) und ein Zeichen von Hochmut (mentis elatio).⁸ Dennoch verfällt Victorinus aber nicht in einen erkenntnistheoretischen Skeptizismus, da er der Seele durch die ihr innenwohnenden Ideen und das Wirken
Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 85: „[…] will unsere Seele in einem Aufschwung des Geistes […] sehen […]“, Hadot, SC 68, 131: „[…] notre âme, en une sorte de transport spirituel, veut voir […]“ , Clark, FoC 69, 59: „[…] our soul by a kind of spiritual elevation wishes to see […].“ Balido, Scritti cristiani, 107: „[…] uno slancio, per così dire, della nostra anima […]“. Ebenso Kirchner, Muße, 179. Vgl. zunächst ThlL 5,2,325,16 f. s.v. elatio IIA2aβ: in malam partem apud eccl., acced. notio vitii, fere i. q. superbia, inflatio. Der häufige Zusatz mentis macht die negative Bedeutung eindeutig und grenzt so von der neutralen Bedeutung ab, die elatio auch bei Victorin. Adv. Ar. Ib 52 (88,26 Locher) hat. Die Wendung wird meist in der Reihenfolge mentis elatio benutzt, was für einen geprägten Charakter der Genitivverbindung in diesem Sinne spricht.Victorinus scheint sie wie ein Wort wahrzunehmen, von dem er dann den zweiten Genitiv animae abhängig macht. Beispiele für die negative Verwendung von mentis elatio finden sich bei z. B. bei Arnob. nat. 2,3, wo es mit typhus gleichgesetzt wird (CSEL 4, 49,19 f.), Aug. epist. 140,80 (CSEL 44, 228,22), Iulian. in Iob 15,12 (CCSL 88, 44,46). Bei Ps.-Aug. (Ambrosiast.), quaest. test. 101,8 (CSEL 50, 197,10) als elatio mentis. Für die verbale Verwendung vgl. in Eph. 4,1,14 f.16 f.: ad tolerantiam multa ponit ne efferantur, ne superbi sint. […] Illa humilitas animi deiectio est […]. Negativer Gebrauch von efferre auch noch in Eph. 4,31,7 f.: indignatio est motus animi fervens et elatus ultra meritum. Für deiectio als Antonym zu elatio vgl. ThllL 5,1,402,19 f. s.v. deictio IIA: i. q. humiliatio, abiectio, repulsa, clades, iactura sim. (opp. elatio). Steinmann kommentiert die betreffende Stelle nicht, fasst aber die Gesamttendenz der Erkenntnistheorie treffend zusammen, vgl. Steinmann, Seelenmetaphysik, 42: „Es ist ein wesentliches Merkmal der christlichen Seelenmetaphysik Victorins, daß der im theoretisch-idealen Konzept mitschwingende Optimismus – was die Potenz der Seele zu wahrer Erkenntnis und der möglichen Rückbindung an göttliches Sein anbetrifft – unter dem Gesichtspunkt des konkret erfahrbaren Seins der Seele in der Körperwelt vollständig zerbricht.“
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des Geistes grundsätzlich die Möglichkeit zur Erkenntnis zubilligt. Er kritisiert den grenzenlosen Optimismus des Candidus nur insofern, als er auf die Bedeutung der Schrift und das Wirken des Geistes als wichtigste Quellen für die Erkenntnis Gottes verweist. Die Seele soll und kann nicht von sich aus vollständige Erkenntnis über sich und Gott gewinnen, sondern ist auf die Schrift verwiesen und auf den Geist angewiesen, der ihre potentielle Fähigkeit zur Erkenntnis aktiviert.⁹ Von diesem Mittelweg zwischen einer zu optimistischen Haltung, wie sie in der Candidus-Schrift vertreten wird, und einer zu pessimistischen Sicht, wie sie im Brief Eusebs von Nikomedien formuliert ist, ist die Schrift Ad Candidum insgesamt gerahmt.¹⁰ Am Schluss bittet Victorinus um Verzeihung für die weitreichenden Aussagen, die er in dieser Schrift getroffen hat, und formuliert die paradoxe Zwischenstellung des Gläubigen: Durch den Geist Gottes hat der Glaubende ein partikulares Wissen über Gott. Und obwohl er sich eigentlich in völliger Unwissenheit über Gott befindet, besitzt er dennoch durch den Glauben vollkommenes Wissen und kann Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist bekennen.¹¹
2.2 Die ontologische Verortung der Seele als bloßes Sein und ihre Möglichkeit zum Aufstieg Diese erkenntnistheoretische Position stellt Victorinus nicht nur thetisch auf, sondern nutzt die ontologischen Diskussionen in Ad Candidum, um sie argumentativ zu untermauern. In seinen späteren Schriften greift er auf diese Grundlagen zurück und baut sie weiter aus. An der Spitze der ontologischen Hierarchie steht Gott als Ursache alles Seins, es folgen an zweiter Stelle das wahre Sein (vere quae sunt, ὄντως ὄντα) der intelligiblen Welt und an dritter Stelle das bloß Seiende (quae sunt, solum
Vgl. Ad Cand. 1. Zur Rolle der Schrift bes.: Sed nomine Christianus necesse habes accipere atque venerari scripturas inclamantes dominum Iesum Christum. (10,12– 14 Locher). Benz, Marius Victorinus, 183 verweist schon auf die aktive Rolle des Geistes in Ad Cand. 1. Auch Kirchner, Muße, 182 f. verweist auf die Notwendigkeit der Geistgabe und die zentrale Rolle der Offenbarung, die es für Victorinus möglich machen, überhaupt etwas über Gott auszusagen. Vgl. die pessimistischen Aussagen mit Anspielung auf Jes 53,8 LXX in Eusebs Brief an Paulinus von Tyrus, Cand. II 2 (31,11– 14 Locher), s. zu Jes 53,8 LXX auch S. 119, Anm. 80. Vgl. Ad Cand. 32: Sed quoniam dedisti spiritum nobis, sancte omnipotens pater, partilem de te cognoscentiam et habemus et dicimus, omnigenus autem ignorantiam de te habentes cognoscentiam de te habemus et rursus per fidem perfectam de te cognoscentiam habemus te patrem deum et filium Iesum Christum dominum nostrum et sanctum spiritum in omni verbo semper confitentes. (28,12– 17 Locher) Die Vorstellung einer partilis cognoscentia speist sich bei Victorinus wohl aus 1Kor 13,9 f. worauf in den Testimonienapparaten der Ausgaben nicht verwiesen wird. Dagegen sieht Hadot, SC 69, 731 ad 32,5 Porph. sent. 22 im Hintergrund.
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ὄντα), die Ebene der Seele. Die Verbindung der Seele mit dem Körper konstituiert die vierte Ebene des nicht wirklichen Nichtseins (quae non vere non sunt, μὴ ὄντως μὴ ὄντα), da die Materie an sich als fünfte und letzte Stufe das Nichtsein darstellt (quae non sunt, μὴ ὄντα).¹² Die Seele hat also eine ontologische Mittelstellung zwischen dem intelligiblen wahren Sein und dem Nichtsein der Materie inne.¹³ Nach dem Grundsatz, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann, ist damit zugleich das Erkenntnisniveau der Seele benannt: Sie kann zunächst nur andere Seelen exakt erkennen.¹⁴ Der methodische Ausgangspunkt, um die gesamte Wirklichkeit zu erschließen, ist daher die Ebene des bloßen Seins. Von hier aus kann sich die menschliche Seele die höheren und niederen ontologischen Ebenen erschließen. Die niedrigere Ebene des Nichtseins, d. h. der Materie, erschließt sich die Seele über einen Umweg: Das Nichtsein kann im eigentlichen Sinne nicht erkannt werden, da die Materie formlos ist und daher der Erkenntnis nicht zugänglich ist. Dieses formlose Sein der Materie nennt Victorinus eine Entgrenzung des Seins (exterminatio τοῦ ὄντος), da der Materie die definierende Umgrenzung fehlt. Mittels einer Abstraktion kann sich die Seele aber eine Vorstellung von der Materie machen, indem sie alle Form vom Sein abzuziehen versucht und sich dadurch dem Nichtsein der Materie annähert.¹⁵ Auch die höhere Ebene des intelligiblen Seins ist der Seele aber nicht völlig verschlossen. Die Seele besitzt einen Intellekt, mit dessen Hilfe ihr der Weg zu diesem höheren Sein möglich ist. Die Erkenntnis des höheren Seins ist zugleich wie jeder Erkenntnisvorgang ein Prozess der Angleichung des Erkenntnissubjekts an das Objekt, ermöglicht der Seele also einen ontologischen Aufstieg.¹⁶ Jedoch kann die Seele diese Leistung nicht von sich aus vollziehen, da sie ihrem Wesen nach zwar potentiell Erkenntnis und Intellekt haben kann, diese Potenz aber erst von außen aktiviert werden muss. Erst nach seiner Aktivierung von außen kann der Intellekt die Seele als ganze nach oben führen und zur Erkenntnis bringen.¹⁷ Daher nenne
Vgl. Ad Cand. 7 f. Vgl. zum platonischen Hintergrund Dörrie/Baltes, Der Platonismus 6,1, Baustein 154,1 (= Porph. sent. 5); Dies., Der Platonismus 4, Bausteine 104.0a (= Pl. Ti. 35a1– 6), 104,1 (= Calcidius, Comm. 29, 79,6 – 23 Waszink), 104,2 (= Procl. in Ti. II 153,5 – 14,9 Diehl); ferner Plot. enn. IV 2 (4) 1. Den Grundsatz zitiert Victorinus in Adv. Ar. III 1: Simili enim simile videtur. (115,15 f. Locher) Vgl. Ad Cand. 8 (15,4– 11 Locher). Vgl. auch den Kommentar bei Hadot, SC 69, 707 f. ad 8,9 mit Verweisen auf die platonische Schultradition. S. auch oben. S. 368, Anm. 54. Vgl. dazu Arist. de An. II 5, 418a3 – 6; II 12, 424a17– 21. Ad Cand. 7: In ista noster νοῦς si recte ingreditur, comprehendit ista et ab his formatur et stat intellegentia iam non in confusione inquisitionis exsistens. (14,11– 13 Locher) Vgl. Ad Cand. 7: Excitatus enim in anima intellectualem potentiam animae illustrat et illuminat et invultuat ac figurat, et innascitur animae intellegentia et perfectio. (14,19 – 21 Locher)
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man die Seele zurecht eine zugrundeliegende Substanz, da die Seele das passive Zugrundeliegende für die Tätigkeit des Intellekts und des Geistes ist.¹⁸ Der metaphorische Sprachgebrauch, dass die Seele gewissermaßen als Materie für den Intellekt fungiere, findet sich auch bei Plotin.¹⁹ Er vergleicht die Seele dabei beispielsweise mit dem Sehvermögen: „Die Seele für sich muss wie das Sehvermögen sein und das Objekt ihres Sehens ist der Intellekt. Unbegrenzt ist sie, bevor sie sieht, sie ist aber von Natur aus fähig zum Denken: Sie ist also Materie in Bezug auf den Intellekt.“²⁰ Ihrem Wesen nach ist die Seele fähig zu intellektueller Betätigung (νοερά), dieses Potenzial wird aber erst vollständig aktiviert, wenn die Seele auf den Intellekt über ihr blickt und sich diesem angleicht. Das lässt sich mit der Formung und Vollendung der passiven Materie vergleichen.²¹ Diese Aktivierung des intellektuellen Potenzials in der Seele beginnt bei Plotin mit der Aktivität der Seele selbst: Sie blickt auf den Intellekt und in diesem Akt des Schauens gleicht sie sich an das Sehobjekt an. Ganz ähnlich beschreibt Victorinus den Vorgang, durch den die Seele das wahre Sein erkennt: Wenn der menschliche Intellekt zum wahren Sein schreitet, wird er von seinem Denkobjekt geformt und gleicht sich ihm an.²² Jedoch schaltet Victorinus dieser eigenen Erkenntnistätigkeit des menschlichen Intellekts eine Aktivierung von außen vor. Die Seele kann nicht schon durch ihre intellektuelle Veranlagung selbst zum Wissen über das wahre Sein voranschreiten, sondern der Intellekt in ihr muss geweckt werden, es kommt ihr ein Intellekt von außen zu, der ihr die Verwirklichung ihrer potentiellen Veranlagung ermöglicht.²³ Diese Erkenntnistheorie erinnert an die peripatetischen Diskussionen um das Verhältnis zwischen dem intellectus agens und dem intellectus possibilis, die Aristoteles in De anima III 4 f. voneinander unterscheidet.²⁴ Aristoteles unterscheidet auch innerhalb der Seele zwischen einer zugrundeliegenden passiven Materie und
Vgl. Ad Cand. 7: Et idcirco et substantia dicitur anima, quoniam omnis substantia subiectum est. Subiectum autem alteri alicui subiacet. Subiacet autem anima τῷ νῷ et spiritui. Substantia igitur anima. (14,21– 24 Locher) Der Hinweis darauf bei Hadot, SC 68, 707, ad 7,20. Plot. enn. ΙΙΙ 9 (13) 5: Τὴν ψυχὴν αὐτὴν δεῖ ὥσπερ ὄψιν εἶναι, ὁρατὸν δὲ αὐτῇ τὸν νοῦν εἶναι, ἀόριστον πρὶν ἰδεῖν, πεφυκυῖαν δὲ νοεῖν· ὕλην οὖν πρὸς νοῦν. Vgl. Plot. enn. V 1 (10) 3, 12– 25; vgl. auch enn. II 4 (12) 3,4 f.; V 9 (5) 4,10 – 12. Vgl. Ad Cand. 7 (14,11– 13 Locher), s. Anm.17. Vgl. Ad Cand. 7 (14,19 – 21 Locher) s. Anm. 17. Ad Cand. 8: Anima igitur nostra comprehendit, quae vere sunt, quoniam si ingreditur νοῦς in animam intellectualem […]. (14,26 f. Locher) Dagegen betont Clark, Psychology, StudAug 5 (1974), 153 f. nur die Kontinuität zu Plotin. Vgl. dazu Oeing-Hanhoff, Art. „Intellectus agens/possibilis“, HWPh 4 (1976), 432– 435. Zu den Problemen bei Aristoteles und der antiken Auslegungstradition, vgl. die Einleitung von Perkams in: Busche/Perkams (Hgg.), Antike Interpretationen zur aristotelischen Lehre vom Geist, 13 – 54.
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einer aktiven Wirkursache. Die Formen sind der Potentialität nach in der denkenden Seele als intellectus possibilis enthalten und müssen vom intellectus agens aktiviert werden.²⁵ Alexander von Aphrodisias entwickelt diese Lehre weiter, indem er den wirkenden Intellekt (νοῦς ποιητικός) klar von der Seele abgrenzt und mit dem ersten Intellekt und unbewegten Beweger identifiziert.²⁶ Die Menschen haben nach Alexander von Geburt an nur einen potentiellen Intellekt (δυνάμει νοῦς), der die Potentialität der Formen enthält. Diesen potentiellen Intellekt nennt Alexander in Anlehnung an Aristoteles auch den „materiellen Intellekt“ (νοῦς ὑλικός). Das bedeutet nicht, dass dieser Intellekt wirklich materiell ist, sondern dass er wie die Materie eine rein rezeptive und passive Funktion innehat.²⁷ Erst durch Belehrung und Übung entsteht allmählich ein habitueller Intellekt, also ein Intellekt, der die Formen abstrahiert hat und sie aktivieren kann. Dieser Intellekt wird durch Erfahrung und Unterricht erst „hinzuerworben“ (ἐπίκτητος).²⁸ Der wirkende Intellekt überführt den materiellen Intellekt in den Zustand der ἕξις, sodass die potentiell vorhandenen Formen aktiviert werden können und der Mensch Konzepte bilden kann.²⁹ Laut Alexander bedarf es also für den Erkenntnisprozess zweier kausaler
Vgl. Arist. de An. III 4 f. 429a-430a Zur Potentialität der Formen vgl. 3,4 (429a27– 29): καὶ εὖ δὴ οἱ λέγοντες τὴν ψυχὴν εἶναι τόπον εἰδῶν, πλὴν ὅτι οὔτε ὅλη ἀλλ’ ἡ νοητική, οὔτε ἐντελεχείᾳ ἀλλὰ δυνάμει τὰ εἴδη. Zur Unterscheidung von Materie und Wirkursache 3,5 (430a10 – 15): Ἐπεὶ δ’ [ὥσπερ] ἐν ἁπάσῃ τῇ φύσει ἐστὶ [τι] τὸ μὲν ὕλη ἑκάστῳ γένει (τοῦτο δὲ ὃ πάντα δυνάμει ἐκεῖνα), ἕτερον δὲ τὸ αἴτιον καὶ ποιητικόν, τῷ ποιεῖν πάντα,[…] ἀνάγκη καὶ ἐν τῇ ψυχῇ ὑπάρχειν ταύτας τὰς διαφοράς· καὶ ἔστιν ὁ μὲν τοιοῦτος νοῦς τῷ πάντα γίνεσθαι, ὁ δὲ τῷ πάντα ποιεῖν […]. Vgl. Alex. Aphr. de An. 89,9 – 19 Bruns. Papadis, Seelenlehre, 348 – 365 argumentiert gegen die Identifizierung des νοῦς ποιητικός mit dem göttlichen Intellekt, hat sich damit aber nicht durchsetzen können. Vgl. dagegen Alexandre d’Aphrodise, De l’âme, intr., trad. et ann. par Martin Bergeron et Richard Dufour, 50 – 55, und den Kommentar S. 346, ad 88,17– 89,21; S. 353, ad 89,11– 19. Ferner Alessandro di Afrodisia, L’anima, a.c. di Paolo Accattino e Pierluigi Donini, XXIV-XXX und den Kommentar S. 286 – 293, ad 88,17– 89,21. Zu Alexanders Leben, Werk und seiner Lehre vom Intellekt vgl. die Einleitung von Busche, in: Ders./Perkams (Hgg.), Antike Interpretationen zur aristotelischen Lehre vom Geist, 115 – 148. Das ist gerade vor dem Hintergrund der homonymen Bezeichnung des materiellen Intellekts bei Victorinus zu betonen. Dieser hat seine Bezeichnung wirklich von der Materie, zwar auch nicht weil er aus Materie bestünde, aber weil er sich in dieser befindet, s.o. S. 387. Vgl. dazu Alex. Aphr. de An. 81,22– 82,3 Bruns: ὁ δὲ δυνάμει νοῦς, ὃν ἔχοντες γινόμεθα, διττὸς ὢν καὶ αὐτός, ἑκάτερος ἑκατέρου δεκτικός, ὑλικὸς νοῦς καλεῖταί τε καὶ ἔστι (πᾶν γὰρ τὸ δεκτικόν τινος ὕλη ἐκείνου), ὁ δὲ διὰ διδασκαλίας τε καὶ ἐθῶν ἐγγινόμενος εἶδος ἐκείνου τε καὶ ἐντελέχεια. καὶ ὁ μὲν φυσικός τε καὶ ὑλικὸς ἐν πᾶσιν τοῖς μὴ πεπηρωμένοις, τὴν διαφορὰν ἔχων, καθόσον οἱ μέν εἰσιν εὐφυέστεροι τῶν ἀνθρώπων, οἱ δὲ ἀφυέστεροι (καθ’ ὃν καὶ λέγομεν πάντας ἀνθρώπους νοῦν ἔχειν), ὁ δὲ ἐπίκτητός τε καὶ ὕστερον ἐγγινόμενος, καὶ εἶδος καὶ ἕξις ὢν καὶ τελειότης τοῦ φυσικοῦ, οὐκέτ’ ἐν πᾶσιν, ἀλλ’ ἐν τοῖς ἀσκήσασίν τε καὶ μαθοῦσιν, ὃν τρόπον καὶ ἐπὶ τῶν ἐπιστημῶν ἔχει. Vgl. Alex. Aphr. de An. 88,23 f. Bruns: καὶ ἐπεί ἐστιν ὑλικός τις νοῦς, εἶναί τινα δεῖ καὶ ποιητικὸν νοῦν, ὃς αἴτιος τῆς ἕξεως τῆς τοῦ ὑλικοῦ νοῦ γίνεται. Zur Unterscheidung der zwei Möglichkeits-
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Prinzipen, eines passiven, formbaren Intellekts und eines aktivierenden Intellekts, der von außen auf den materiellen Intellekt einwirkt und sein Potential aktiviert. Eine vergleichbare Vorstellung steht im Hintergrund der Erkenntnistheorie des Victorinus, wenn er sie auch terminologisch nicht so präzise fasst: Jeder Mensch besitzt zwar von Geburt an eine Veranlagung, die die intellektuelle Erkenntnis des höheren Seins möglich macht, sie muss aber von außen aktiviert werden. Vergleichbar mit Alexanders Gleichsetzung des aktiven Intellekts mit dem unbewegten Beweger bezeichnet Victorinus den Geist Gottes als die Wirkursache für die Entfaltung des intellektuellen Potenzials der menschlichen Seele. Die Äußerungen des Victorinus im exordium von Ad Candidum zeigen, dass er den aktiven und potentiellen Intellekt nicht für dieselbe Größe hält.³⁰ Dort sagt er deutlich, dass Erkenntnis nur durch die Aktivierung der angeborenen Formen in der Seele durch den Geist Gottes möglich ist.³¹ Mit dieser Betonung der externen Aktivierung des Erkenntnispotentials der Seele unterscheidet sich Victorinus von der neuplatonischen Adaption des „materiellen Intellekts“ bei Porphyrius. Dieser greift in seinem Kommentar zu den Harmonica des Ptolemaios ebenfalls auf dieses aristotelische Konzept zurück.³² Jedoch entwickelt er eine Erkenntnistheorie, in der der potentielle Intellekt durch die Tätigkeit der Seele selbst, nicht von einer externen Größe aktiviert wird. Porphyrius entwirft einen Stufenprozess der menschlichen Erkenntnis, der bei der einzelnen Sinneswahrnehmung beginnt und zur Entstehung von bildlichen Repräsentationen (φαντασία) in der Seele und universellen Konzepten (ἔννοια) fortschreitet. Diese Konzepte erst sind die Grundlage sicheren Wissens (ἐπιστήμη), das schließlich zur Aktivierung des Intellekts (νοῦς) führt.³³ Das Potenzial in der Seele entfaltet sich also in einem fortschreitenden Prozess der Selbstaktivierung, der nur insofern von außen angestoßen wird, als die Sinneseindrücke von außen auf die Seele einwirken.³⁴
formen vgl. Papadis, Seelenlehre, 315 f. Alexander erklärt nicht, wie genau der νοῦς ποιητικός hier seine ursächliche Wirkung entfaltet. Zur Forschungsdiskussion dazu vgl. Alexandre d’Aphrodise, De l’âme, intr., trad. et ann. par Martin Bergeron et Richard Dufour, 50 – 55. Gegen Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 354, Anm. 46. Ad Cand. 1 (10,2– 4 Locher), s. Anm. 4. Zur Synonymie von Geist, λόγος und νοῦς vgl. Adv. Ar. Ib 55 f. (90,19. 91,24 Locher). Zum gleichen Ergebnis kommt Erdt, Pauluskommentator, 180 – 182 in der Untersuchung der Erkenntnistheorie der Pauluskommentare. Vgl. Porph. in Harm. p. 13,7– 9 Raffa Vgl. Porph. in Harm. p. 13,10 – 14,13 Raffa.Vgl. dazu auch Chase, Porphyry on the Cognitive Process, AnPh 30 (2010), 394– 397. Auch in dem arabisch überlieferten Fragment 436,19 – 24F Smith (504) wird Porphyrius in Übereinstimmung mit Aristoteles die Lehre eines materiellen Intellekts zugeschrieben. Als Form der der Seele wird hier allerdings ihre Erinnerung an die Ideenwelt bezeichnet, sodass die Aktivierung
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Es ist daher gegen Hadot nicht möglich, die Erkenntnistheorie des Victorinus auf Porphyrius zurückzuführen, da er auf die Aktivierung des Erkenntnispotenzials von außen durch den göttlichen Geist abhebt.³⁵ Diese Aktivierung beschreibt Victorinus auch mit dem Bild, dass der Intellekt in der Seele aufgeweckt werde.³⁶ Mit dem Gebrauch des Verbums excitare knüpft er dabei an die Metaphorik vom Schlaf und der Notwendigkeit des Aufwachens an, die in der Philosophie, insbesondere in der Protreptik weit verbreitet ist. So spielt das Wort excitare auch bei Augustinus eine zentrale Rolle, gerade auch im Zusammenhang mit der Schlafmetapher.³⁷ Demnach muss die grundsätzlich in der Seele vorhandene intellektuelle Kraft erst von außen aufgeweckt werden, da sie noch schläft. Diese passive Situation der Seele, in der ihr schlafender Intellekt erst geweckt werden muss, ist ein Kennzeichen ihres inkarnierten Zustandes. Victorinus macht an anderer Stelle deutlich, dass die Seele vor ihrem Eingang in die Materie die freie Entscheidung darüber hatte, ob sie sich dem intelligiblen Sein über ihr zuwendet oder dem Nichtsein der Materie. Die Seele hätte sich auch dem göttlichen Intellekt zuwenden können, ihn schauen können und sich durch diese Schau mit ihm vereinen können. Da die Seele sich aber dazu entschieden hat, sich zu sehr mit der Materie zu verbinden, ist ihre intellektuelle Fähigkeit getrübt. Ihr Intellekt ist aber nicht zerstört, sondern nur verdunkelt worden. Er ist in der Verbindung mit der Materie immer noch ein Funke, der sie nach oben ruft.³⁸ Die Vorstellung, dass der Intellekt aller Menschen schläft und erst vom Geist Gottes aktiviert werden muss, ist als eine deutliche Korrektur des Victorinus gegenüber den platonischen Diskussionen zu lesen: Jamblich gibt in De anima als allgemeine Sicht der Platoniker und Pythagoreer wieder, dass auch neugeborene
dieses passiven Intellekts ganz von innen bewerkstelligt wird: „[memory] is in the soul as a form of it, not it in itself but its effect. And he said that the affected intelligence [=νοὺς παθητικός, s. in app.], which falls under corruption, is presentiment [=φαντασία, s. S. 503 in app.]; and the material intelligence [=ὑλικὸς νοῦς, s. S. 504 in app.] is unable to comprehend a thing except by means of it, and it is like this only because of the body in which the soul dwells.“ Gegen Hadot, Porphyre I, 192– 194. Ad. Cand. 7 (14,19 Locher). Vgl. dazu Clark, Psychology, AugStud 5 (1974), 153. Allgemeiner gehalten ist die Übersetzung bei Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 90: „Denn wenn der Geist in der Seele hervorgerufen ist […]“. Vgl. insgesamt Kursawe, Bedeutung, 217– 230; für die Bedeutung in den Confessiones vgl. Reimer, Use, Augustiniana 63 (2013), 155 – 172. Für die Schlafmetaphorik vgl. bes. Aug. c. acad. I 3 (5,12– 15 Fuhrer/Adam).Vgl. ferner die Metapher vom Aufwachen z. B. in Aug. beat. vit. 35 (CCSL 29 85,287) oder Aug. soliloq. I 2 (CSEL 89 5,4). Zum philosophischen Hintergrund in der aristotelischen Unterscheidung von Potenz und Akt vgl. Köckert, Kosmologie, 160. Vgl. Adv. Ar. Ib 61 (95,33 – 96,16 Locher).
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Kinder bereits Verstand besitzen, er aber in ihnen noch verdunkelt sei und ruhe.³⁹ Proclus schließt sich dieser Ansicht an und fügt hinzu, dass auch bei unvernünftigen Erwachsenen der Verstand noch schlafe.⁴⁰ Platonische Philosophen teilen somit die Überzeugung, der Verstand der Menschen schlafe zunächst und betätige sich noch nicht. Prinzipiell können aber alle Menschen ihren Verstand selbst aufwecken und ihn zu seiner eigentlichen Aktivität führen, nur bei Unvernünftigen ruht der Verstand weiter. Demgegenüber betont Victorinus, dass der Intellekt jedes Menschen schläft und von außen durch den göttlichen Geist aufgeweckt werden muss. Der menschliche Intellekt ist nicht vorerst verdunkelt, sondern durch den Abstieg in die Materie überhaupt verdunkelt und kann aus eigener Kraft nicht zum Licht zurückkehren.
3 Präexistenz, Fall und Aufstieg der Seele 3.1 Der Unterschied zwischen präexistentem und inkarniertem Zustand der Seele Die Seele wurde von Gott als Mittelwesen erschaffen, das zwischen dem göttlichen Intellekt und der Materie steht. Sie ist selbst nicht Intellekt und Geist, besitzt aber einen ihr eigenen Intellekt. In der Präexistenz hatte die Seele die Möglichkeit, durch die richtige Betätigung ihres Intellekts den göttlichen Intellekt und Geist zu schauen und ihm so gleich zu werden.⁴¹ Sie hatte die freie Entscheidung darüber, sich nach oben oder unten zu wenden, und hat sich dafür entschieden, die Materie zu beleben.⁴² Im Epheserkommentar arbeitet Victorinus noch weiter aus, dass dieser
Vgl. Iamb. De anima 15: Οἱ δ’ ἀπὸ Πλάτωνος καὶ Πυθαγόρου παρεῖναι μὲν καὶ ἐν τοῖς ἀρτιγενέσι τὸν λόγον φασίν, ἐπισκοτεῖσθαί γε μὴν [ἐν] τοῖς ἔξωθεν καὶ μὴ ἐνεργεῖν τὴν οἰκείαν ἐνέργειαν, ἀλλ’ ἡσυχάζειν. (40,1– 3 Finamore/Dillon) Das richtet sich v. a. gegen die Annahme der Stoiker, wonach sich der Verstand erst mit 14 Jahren im Menschen bilde (39,23 – 26 Finamore/Dillon). Vgl. auch den Kommentar von Finamore/Dillon, S. 117– 119. Vgl. Procl. in Ti. III 348,6 – 20 Diehl, bes. 16 – 20: τί γὰρ διαφέρει νεαρὸν εἶναι κατὰ τὴν ἡλικίαν ἢ κατὰ τὴν ζωήν; ὥσπερ οὖν ἐν τοῖς ἀνοήτοις τῶν προβεβηκότων παρὼν ὁ λόγος ἡσυχάζει, τὸν αὐτὸν τρόπον καὶ ἐν τοῖς νέοις πάρεστι μέν, κρατούμενος δὲ ὑπὸ τῆς ἀνοίας ἀργός ἐστιν. Vgl. Adv. Ar. Ib 61: Anima autem cum suo νῷ ab eo, qui νοῦς est potentia vitae intellectualis est, non νοῦς est, ad νοῦν quidem respiciens quasi νοῦς est. Visio enim ibi unitio est. (95,33 – 96,3 Locher) vgl. damit in Eph. 1,4,50 – 53: Sunt vi sua et praepotentia sua animae; non hoc ipsum sunt quod spiritus, sed sunt ut recipere spiritum possint, non tamen in eo quod animae sunt iam spiritus sunt. Vgl. Adv. Ar. Ib 61: […] cumque in medio spirituum et intellegibilium et τῆς ὕλης proprio νῷ ad utraque conversa, aut divina fit aut incorporatur ad intellegentia. Etenim suae licentiae est […]. (96,10 – 12 Locher) Vgl. in Eph. 1,7,12 f.: Ergo fuimus liberi, id est ante mundum, sed mundus nos captivos
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Sündenfall aber zugleich auch notwendig für die Seele war. Das Ziel, ihren Intellekt frei zu betätigen und so selbst Geist zu werden, kann sie nur erreichen, indem sie die Täuschungen der Sinneswahrnehmung kennenlernt und dabei zur Einsicht kommt, dass allein Gott sie aus dieser Gefangenschaft befreien kann. Nur so kann sie das Vermögen eines intellektuellen Lebens aktualisieren, das ihr von Anfang wesenhaft innewohnt.⁴³ Erdt hat überzeugend herausgearbeitet, dass diese primordiale Fehlentscheidung der Seele bei Victorinus dem Theologumenon des Sündenfalls entspricht.⁴⁴ Der Fall bedeutet aber keine ontologische Minderung der Seele, sondern nur eine Behinderung ihrer Fähigkeiten. Durch den Glauben an Christus gelangt die Seele wieder in einen Zustand, in dem sie sich an das Göttliche angleichen kann. Präexistenz und Fall der Seele sind für Victorinus notwendige Voraussetzungen für den eschatologischen Aufstieg der Seele. Daraus resultieren zwei Perspektiven, die Victorinus auf den Fall der Seele einnehmen kann. Erstens ist der Fall eine notwendige und von Gott gewollte Stufe auf dem Weg zur Vollendung der Seele, zweitens ist der Fall aber auch ein Fehler, der der Seele als Schuld angerechnet wird, aus der sie sich selbst nicht befreien kann.
3.2 Die Präexistenz der Seele und ihr Aufstieg zum Geist im Kommentar zu Eph 1,4 Wie bereits in seinem Cicerokommentar setzt Victorinus auch in seinen theologischen Schriften die Präexistenz der Seele ganz selbstverständlich voraus. Eine biblische Begründung für diese Vorstellung liefert er erst in seinem Epheserkommentar. Die Präexistenz der Seele folgt in seinem Denken schon aus seiner Konzeption des Logos: Dieser stellt für Victorinus die Totalität des Seins dar und ist damit auch die Formalursache der Schöpfung, da er die Ideen alles Seins enthält. Daher ist die Seele schon immer im Logos präsent, auch bevor sie als selbstständige Existenz von Gott geschaffen wird. In der Interpretation des Epheserkommentars habe ich bereits gezeigt, dass die materielle Schöpfung für Victorinus einen sekundären Charakter gegenüber der Schöpfung im Logos besitzt.⁴⁵ Die Seele liegt der
fecit. Natura enim tali fuimus ut caderemus et capi possemus, sed haec captivitas ad utilitatem nostram provenit. Clark, FoC 69, 189 übersetzt etenim licentiae suae […] missverständlich: „Indeed, it is left to ist own license, […].“ licentia ist hier nicht negativ konnotiert, was die Übersetzung mit license nahelegen kann.Vgl. für die positive Verwendung auch das Zitat von Joh 10,18 in Adv. Ar. III 11 (126,8 f. Locher), wo licentia ἐξουσία wiedergibt und die freie Handlungsvollmacht meint. S.o. S. 417– 427. Vgl. Erdt, Pauluskommentator, 174– 180. S.o. S. 360 – 366, 417– 427.
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materiellen Schöpfung voraus, da sie die notwendige Vermittlerin des göttlichen Lebens an die Materie ist. Durch ihr Wirken als Lebensprinzip wird die gesamte Schöpfung belebt, bis hinunter zu den Steinen.⁴⁶ Im Kommentar zu Eph 1,4 führt Victorinus nun einen konkreten biblischen Nachweis für die Präexistenz der Seele, die er sonst ohne Begründung voraussetzt. Die Erwählung der Gläubigen hat nach Eph 1,4 vor der Schöpfung der Welt in Christus stattgefunden. Da für Victorinus die Zeit erst mit der Schöpfung beginnt, muss diese Erwählung für ihn folgerichtig in der Ewigkeit stattgefunden haben. Die Seelen müssen also schon vor der Erschaffung der Welt eine ewige Existenz in Christus besitzen. Aus pädagogischen Gründen müsse die präexistente Seele dann in die materielle Welt eingehen, um durch die Erfahrungen dort einen wirklich vollkommenen Zustand erreichen zu können.⁴⁷ Steinmann arbeitet in seiner Analyse des Epheserkommentares zwei verschiedene Präexistenzvorstellungen heraus und versucht damit, einen Widerspruch in der Kommentierung des Victorinus zu lösen: Erst schreibt Victorinus der präexistenten Seele eine geistige Existenz zu und bezeichnet sie als spiritalis, was genau ihrem vollkommenen eschatologischen Zustand entspricht. Dann begründet Victorinus aber die Inkarnation der Seele damit, dass sie einen Zustand geringerer Vollkommenheit (perfectio quaedam minor) besitze und erst durch das Erfahrungswissen in der Welt zur vollen Perfektion gelangen könne. Steinmann will diesen scheinbaren Widerspruch dadurch lösen, dass er eine erste und eine zweite Stufe der Präexistenz der Seele unterscheidet: Victorinus spreche von einer ersten Präexistenz der Seele in Gott, noch bevor der Logos aus Gott herausgetreten ist, und von einer zweiten Präexistenz nach der Aktualisierung des Logos, wodurch auch die Seele ihr Sein entfalte.⁴⁸ Die Seele existiere vor der Aktualisierung des Logos bereits geistig im Denken Gottes und sei
Vgl. Adv. Ar. Ib 61: […] vivere quae faciat et mundum et quae in mundo usque ad lapidem lapidum more […]. (96,8 f. Locher) Vgl. in Eph. 1,4,30 – 50: Primum igitur consideremus quod ita locutus est: elegit deus nos. Utique iam cum essemus elegit et elegit in Christo; ergo et nos et Christus ante. Et quid est ante ? Utique ex aeterno. Hoc enim dixit: ante constitutionem mundi. Non elegit, nisi de his qui erant, et deinde, cum dixit in Christo, id est in ipso, ergo et Christus fuerat et nos in Christo. Neque enim fieri potest ut Christus fuerit et nos non fuerimus si elegit nos in ipso Christo. Ergo spiritales fuimus, fuimus autem, ut postea subiungit, ante constitutionem mundi. Quid est causae ut huc veniremus et cur constitueretur mundus? Ergo erant omnia in Christo. An cur constitutus, an cur in mundum plurima huc venerunt? Animis et ceteris huiusmodi potentiis in Christo, ut dixi, positis perfectio quaedam minor est, nisi omnia quae esse possunt experiantur, cognoscant et sic quid sequendum, quid eligendum sit videant et sequantur in spiritu utique qui Christus est. Vgl. Steinmann, Seelenmetaphysik, 28 – 36.
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in diesem Zustand „in der ‚plenitudo‘ Gottes aufgehoben.“⁴⁹ Erst mit der Aktualisierung des Logos und der Entfaltung der Seele gehe sie in den Status der perfectio minor über, der die zweite Stufe der Präexistenz bezeichne. Am Ende steige die Seele nach ihrer Befreiung durch Christus und nach dem Tod des gläubigen Menschen wieder in den vollkommenen Zustand der ersten Präexistenz auf.⁵⁰ Steinmann leitet diese Interpretation aus einer Begründung des Victorinus ab, warum die Seele nach Eph 1,4 notwendigerweise präexistent sein müsse: Gott hat uns also auserwählt, „dass wir heilig seien“. Nun wird „er hat auserwählt“ nur über etwas Seiendes ausgesagt, sodass dadurch eine bestimmte Reihenfolge entsteht. Du sollst sehen, wie man das verstehen kann: Denn die Seelen existierten schon substantiell – das ist meine Ansicht und mein Glaube – oder sei es auch, dass sie nicht auf die Weise existierten, wie ich es glaube, nämlich in ihrer Substanz und Existenz, [so waren sie dennoch existent]. Denn, wenn sie im Denken Gottes waren, und da das Denken Gottes nicht nichts ist, sondern eine sichere Existenz, so muss man notwendigerweise zugeben, dass die Seelen in einer wahren und sicheren Existenz existierten. Denn unser Denken ist gewissermaßen inhaltslos, das Denken Gottes dagegen nicht.⁵¹
Steinmann beobachtet philologisch genau, welche Begriffe Victorinus in diesem Abschnitt benutzt, um die Existenz der Seele zu beschreiben, und vergleicht sie mit den Begrifflichkeit in den dogmatischen Schriften. Er bemerkt, dass Victorinus hier von einer vera certaque exsistentia der Seelen im Denken Gottes spricht. In seinen Traktaten unterscheidet Victorinus gelegentlich die Begriffe exsistentia und substantia systematisch, wobei exsistentia eine höhere Stufe des Seins darstellt, nämlich das reine Sein im Vergleich zum bereits geformten und determinierten Sein der substantia. ⁵² Steinmann schließt daraus, dass die exsistentia der Seele im Denken Gottes gleichbedeutend mit einer ersten potentiellen Präexistenz im Vater ist und einen Seinszustand der Seele noch vor der Aktualisierung des Logos darstellt. Erst mit der Aktualisierung des Logos nach außen komme es zu einer zweiten Präexistenz der Seele als substantia. Steinmanns Vorgehen ist methodisch zunächst sehr einleuchtend, scheitert aber an zwei Punkten: Erstens hält sich Victorinus nicht an eine systematische
Steinmann, Seelenmetaphysik, 31 f. Vgl. Steinmann, Seelenmetaphysik, 60 – 63. In Eph. 1,4,171– 179: Praedestinavit igitur deus ut essemus sancti. ‚Praedestinavit‘ ergo, non est nisi eorum quae sunt, ut quasi ordo quidam sit effectus. Videris enim quomodo quis accipiat. Iam enim substantialiter fuerant, sicuti et ego iudico et credo, sive non fuerant eo modo, quemadmodum credo, in sua substantia vel exsistentia. Etenim cum in dei cogitatione fuerant, cogitatio dei quoniam non nihil est, sed est certa exsistentia, necessario concedendum est ut animae fuerint in vera certaquae exsistentia. Etenim nostra cogitatio quasi inanis est, ita et dei. Vgl. für die Analyse Steinmann, Seelenmetaphysik, 148 f. Anm. 194. S. dazu oben 241– 251.
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Unterscheidung der Begriffe exsistentia und substantia, sondern vollzieht sie nur dort, wo sie für den aktuellen Argumentationsgang wichtig ist. Dann verweist er aber explizit auf diese Unterscheidung, da er diese bei seinem Leser nicht automatisch voraussetzt.⁵³ Steinmann verweist selbst darauf, dass Victorinus im Kontext des Epheserkommentars keine klare Unterscheidung der Begriffe durchhält.⁵⁴ Gerade angesichts des pädagogischen Charakters der Kommentare als einer expositio simplex darf man also nicht ohne Weiteres komplizierte terminologische Differenzierungen in diesen Abschnitt hineinlesen.⁵⁵ Victorinus hätte seinen Leser mit Sicherheit darauf aufmerksam gemacht, wenn er an dieser Stelle eine scharfe terminologische Distinktion voraussetzen würde. Zweitens fügt sich diese quasi-chronologische Abfolge zweier Präexistenzweisen der Seele auch nicht in den Argumentationszusammenhang. Victorinus macht zweimal explizit deutlich, dass seiner Meinung nach diejenige Ansicht richtig ist, nach der die Seele substantiell im Logos präexistiert.⁵⁶ Die Alternative, dass die Seele im Denken Gottes existiert, diskutiert Victorinus nicht in dem Sinne, dass er diese Existenz als höhere Form der Präexistenz betrachtet. Er möchte vielmehr zeigen, dass die Aussage „Er hat uns vor der Schöpfung der Welt erwählt.“ nur dann sinnvoll ist, wenn das erwählte Objekt zum Zeitpunkt der Erwählung bereits existiert hat. Aus dieser Bibelstelle will Victorinus also zunächst allein die Präexistenz der Seele begründen, ohne die konkrete Art und Weise ihrer Existenz näher zu beschreiben. Die Alternative, dass die Seele im Denken Gottes existiert habe, führt er dann für solche Leser an, die seine Ansicht, dass die Seele bereits substantiell im Logos präexistiert habe, nicht überzeugend finden. Egal, wie man sich der Frage nähere, ob man von einer substantiellen Existenz im Logos oder einer Präexistenz im Denken Gottes ausgehe, man komme am Ende immer zu dem Ergebnis, dass die Seele wirklich präexistiere und nur so Gegenstand einer Erwählung Gottes in der Ewigkeit werden konnte.⁵⁷
S. dazu oben 241– 251, bes. S. 250 f. Vgl. die Argumentation bei Steinmann, Seelenmetaphysik, 149 Anm. 194: In dem Abschnitt soll nach Steinmanns Ansicht das Bedeutungsspektrum von exsistentia und substantia innerhalb weniger Zeilen mehrfach zwischen einer Differenzierung und einer Gleichsetzung der Begriffe changieren. Das scheint wenig plausibel, da Textsignale für diese plötzlichen Bedeutungsverschiebungen fehlen. So charakterisiert Victorinus seinen Kommentar in Eph. 1,11,25 f. Vgl. dazu Erdt, Pauluskommentator, 93 – 97. Vgl. die Einschübe in Eph. 1,4,174 f.: […] sicuti et ego credo et iudico […] quemadmodum credo […]. Das betont schon nachdrücklich de Leusse, préexistence, RSR 29 (1939), 200 f. Auch Karfíková, Elegit nos spricht sich gegen Steinmanns Annahme einer doppelten Präexistenz aus.
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Aus dem größeren Zusammenhang im Epheserkommentar lässt sich zudem zeigen, dass die Präexistenz in der cogitatio dei für Victorinus letztlich identisch mit einer substantiellen Präexistenz im Logos ist. Denn in der Auslegung von Eph 1,1 argumentiert er, dass Christus der substantielle Wille Gottes ist, der zugleich untrennbar mit dem Vater verbunden ist und doch von ihm verschieden. Victorinus drückt diese Vater-Sohn-Beziehung mit der bildlichen Vorstellung aus, dass Christus als der Wille Gottes das Erzeugnis des Denkens Gottes ist: […] gewissermaßen durch eine Geburt aus dem Verstand bricht das Wollen als Leibesfrucht aus dem Denken hervor und wird geboren. Denn Gedanken der Seele sind sozusagen Kinder der Seele. Da Gott nun durch sein universales Denken nur einen einzigen Willen hat, gibt es darum auch nur einen einzigen Sohn. Gott denkt nämlich nicht erst das eine, dann etwas anderes oder etwas Verschiedenes und bald wieder das Gegenteil davon.⁵⁸
Daraus wird deutlich, dass gerade das Denken Gottes den Logos hervorbringt, in dem die Seele dann wiederum substantiell präexistiert. Die Seele wird nicht durch einen anderen Gedanken Gottes hervorgebracht, da es nur ein universelles Denken Gottes gibt, das den Sohn als die universelle Substanz hervorbringt. Steinmanns doppelte Präexistenzvorstellung hat also im Denken des Victorinus keinen Anhaltspunkt. Selbst wenn Victorinus die Existenz im Denken Gottes streng von einer substantiellen Präexistenz im Logos unterschiede, machte er sie sich im Epheserkommentar nicht zu eigen. Diese Alternative stellt nur ein Argumentationsangebot an diejenigen dar, die keine substantielle Präexistenz der Seele zugestehen wollen. Für Victorinus läuft aber innerhalb seines Denken beides auf dasselbe hinaus, da das Denken Gottes den Logos als Substanz aktualisiert, in dem die Seele präexistiert. Den Gedankengang in der Kommentierung von Eph 1,4 sollte man insgesamt also anders rekonstruieren: Victorinus stellt zunächst fest, dass in Eph 1,4 die Präexistenz der Seele vorausgesetzt werde, da nur erwählt werden könne, was schon existiere. Wenn die Seele aber noch vor der Schöpfung der Welt existiert habe, habe sie schon ohne Kontakt zur Materie und zum Fleisch existiert, war also insofern
In Eph. 1,1,24– 29: […] quasi quodam partu mentis cogitatione prorumpit velle conceptum et effunditur. Etenim cogitationes animae quasi filii sunt animae. Porro cum deus universali cogitatione unam voluntatem habeat, idcirco unus est filius et unicus. Non enim cogitavit prius aliquid et postea aliud vel diversum, non modo contrarium. Für die Übersetzung von effundere vgl. ThllL 5,2,222,18 s.v. 2. effundo I.B.3.a.ε: „fetum de utero, i. q. ēdere, parere,.“ Cooper, Metaphysics, 44 übersetzt wörtlich „poured out“, ebenso Gori, Commentari, 39: „si diffonde“. Das passt aber nicht zur Geburtsmetaphorik an dieser Stelle. Zur Bedeutung von porro als Einleitung des Untersatzes im Syllogismus, vgl. ThlL 10,1,2774,65 f. s.v. porro II.B.b.α.I.B.
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schon spiritalis. ⁵⁹ Dann stellt sich aber die Frage, warum die Seele überhaupt in Kontakt mit der Materie gekommen ist, wenn ihr Ziel darin besteht, sich vom Materiellen zu lösen. Die Antwort ist, dass diese körperlose Präexistenz in Christus noch nicht die vollkommene geistige Existenz darstellt, die die Seele nach ihrer Erfahrung mit der Materie erlangen kann.⁶⁰ Wenn Victorinus die präexistente Seele als spiritalis bezeichnet, schreibt er ihr also nicht schon in der Protologie eine absolute Vollkommenheit zu. Die folgenden Ausführungen dienen vielmehr der Klarstellung, dass es sich bei dieser körperlosen Existenz in Christus noch nicht um die zu erlangende Vollkommenheit im Eschaton handelt.⁶¹ Damit entsprechen sich Protologie und Eschatologie bei Victorinus entgegen der Analyse bei Steinmann gerade nicht.⁶² Seiner Ansicht nach bezeichne die erste Präexistenz einen vollkommenen Zustand der Seele in Gott, zu dem sie im Eschaton wieder zurückkehre.⁶³ Nur die zweite Präexistenz der Seele werde von Victorinus als ein Zustand der geringeren Vollkommenheit bezeichnet. Im Hintergrund dieser interpretatorischen Bemühungen scheinen Bedenken Steinmanns zu stehen, die sich gegen die Vorstellung einer geringeren Vollkommenheit der Seele vor ihrem Fall ergeben könnten: Die erste Existenz der Seele wäre damit nicht gänzlich vollkommen, Gott träfe dann der Vorwurf, dass er die Seele nicht perfekt erschaffen konnte. Victorinus hat die Frage aber nicht von dieser Seite betrachtet, sondern richtet sein Augenmerk nur auf die heilsgeschichtliche Dynamik, in der Gott die Seele zur Vollkommenheit führt. Die Interpretation der pädagogischen Soteriologie des Victorinus hat gezeigt, dass die Vervollkommnung der Seele verbunden ist mit einer Vervollkommnung der gesamten Schöpfung. Die materielle Schöpfung ist ein nötiges Durchgangsstadium für die Seele, in dem sie den Weg zur Vollkommenheit lernen und einüben kann. Die geringere Vollkommenheit der Seele am Anfang liegt nicht in einer Schwäche des Schöpfers begründet, sondern in dem Wesen, das Gott der Seele gegeben hat. Sie wurde von Gott mit der Gabe der freien Entscheidung versehen und muss die
Zu den Belegen für spiritalis als Gegenbegriff für die materielle Existenz s. S. 485 f., vgl. z. B. Adv. Ar. III 13 (128,3 Locher). Vgl. in Eph. 1,4,30 – 50, s. Anm. 47. Selbst wenn man die Bezeichnung als spiritalis mit der Vollkommenheit im Endzustand gleichsetzt, müsste daraus noch keine Abfolge zweier Präexistenzen folgen. Hengstermann, Naturund Geschichtsphilosophie, 60 Anm. 82 weist auch bei Origenes auf eine ungelöste Spannung hin: Origenes kann sowohl imago und similitudo voneinander unterscheiden und damit von einer noch zu erreichenden Vollkommenheit der Vernunftgeschöpfe sprechen als auch davon, dass die erste Schöpfung vollkommen und vom Logos durchdrungen war. Auch Ramelli, Apokatastasis, 613 sieht bei Victorinus wie bei Origenes eine vollkommene Entsprechung von Protologie und Eschatologie. Vgl. Steinmann, Seelenmetaphysik, 60 – 64.
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Konsequenzen einer falschen Entscheidung erfahren. Erst dann wird sie sich in Ewigkeit für das Richtige entscheiden und nie wieder von Gott abfallen. Sie hat damit ihr Wesen vollkommen entfaltet und ist zur Vollkommenheit gelangt. Gott hat die Seele nicht vollkommen erschaffen, sondern ihr die Möglichkeit zur Vervollkommnung gegeben. So lässt sich erklären, warum Gott ihren Fall nicht nur zulässt, sondern warum er sogar notwendig ist. Für Victorinus ist die Beantwortung der Theodizee-Frage hier gewichtiger als alle Einwände, die sich gegen eine perfectio minor der präexistenten Seele erheben könnten.
3.3 Der Fall der Seele als Fehler: Metaphern der Trunkenheit und Sexualität in Adv. Ar. Ib 61; Adv. Ar. IV 11 Victorinus betrachtet den Fall der Seele als notwendig für die materielle Schöpfung. Ohne die Zuwendung der Seele zur formlosen Materie könnte diese keinen Anteil am geformten Sein bekommen. Außerdem sieht er hinter dem Fall der Seele ein von Gott gewolltes pädagogisches Heilsprogramm. Dennoch betrachtet er den Fall auch als eine Verfehlung der Seele, die den ursprünglichen Fall des Menschen darstellt und dessen Gefangenschaft in der Welt begründet.⁶⁴ Diese Verfehlung der Seele charakterisiert Victorinus zum einen mit einer sexuell aufgeladenen Metaphorik, zum anderen mit der bildlichen Rede von der Trunkenheit der Seele. In Adversus Arium Ib 59 legt Victorinus das Gleichnis vom verlorenen Sohn als Allegorie über das Schicksal der Seele aus, die sich von Gott entfernt. Nach Lk 15,13.30 verprasst der Sohn den ihm überlassenen Anteil am Vermögen (substantia bzw. οὐσία) des Vaters auch bei Prostituierten. Das Verprassen des Vermögens interpretiert Victorinus so, dass eine Seele, die sich vom Vater entfernt hat, ihre ursprüngliche Kraft einbüßt. Der Wortlaut des Bibeltextes steht in einer gewissen Spannung zur Allegorese des Victorinus, da er weder den Sohn des Gleichnisses mit dem Logos identifizieren möchte noch das Wort substantia bzw. οὐσία auf das Wesen Gottes oder das Wesens der Seele beziehen will. Denn die Seele büßt für Victorinus durch den Fall nicht ihr ontologisches Wesen ein, sondern ist lediglich nicht mehr in der Lage, ihre ursprüngliche Kraft auszuüben.⁶⁵
Clark, Psychology, AugStud 5 (1974), 157 möchte dagegen in der Belebung der Materie noch nicht den Fall sehen. Dagegen spricht aber Adv. Ar. Ib 61 (96,12– 14 Locher), wo Victorinus die Belebung der Materie klar als den Fall der Seele beschreibt. Vgl Adv. Ar. Ib 59: In parabola Lucas: dixit iunior de filiis patri: da mihi congruam partem substantiae. Et rursus: ibi dissipavit substantiam suam. Quod enim inde descendit, potentias suas non tenuit. Istae animae sunt […]. (94,25 – 28 Locher). Vgl. etwas weniger klar auf die Seele bezogen die Auslegung in Adv. Ar. II 6 (106,22– 29 Locher) Dort spricht Victorinus allerdings von der ὑπόστασις
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Bei der Analyse der Gliederung von Adv. Ar. Ib zeigte sich bereits, dass Victorinus das unmoralische Verhalten des Sohnes im Gleichnis auch im Fortgang allegorisch auf die Seele bezieht. Das Verlangen der Seele, anderes zu beleben, ist so groß, dass sie sich in der Unendlichkeit verliert und zu tief in die Materie eintaucht. Dieses Verhalten der Seele charakterisiert Victorinus mit dem Adjektiv petulans, das eine eindeutig sexuelle Konnotation besitzt und seine Entsprechung in den sexuellen Ausschweifungen des Sohnes im ausgelegten Gleichnis hat.⁶⁶ Ferner spricht Victorinus in diesem Abschnitt davon, dass die Seele verdunkelt werde (tenebrata) und daher zur Materie hingezogen werde.⁶⁷ Hadot weist darauf hin, dass tenebratio entsprechend dem griechischen Begriff σκότωσις als medizinischer terminus technicus auch einen Schwindelanfall bezeichnen kann.⁶⁸ Dies bringt er in Zusammenhang mit der platonischen Rede von der Trunkenheit der Seele.⁶⁹ Das fügt sich gut in die negative Charakterisierung des Falls der Seele, allerdings scheint dieser Sprachgebrauch im Lateinischen wenig verbreitet zu sein.⁷⁰
statt von der οὐσία. Bruce, Gospel Text, 71 sieht dies als einen Beleg, dass Victorinus Bibeltexte häufig aus der Erinnerung zitiert. Zur Bedeutung des Gleichnisses für den Aufbau der Schrift Adv. Ar. Ib s.o. S. 197 f. Auch die Tatsache, dass die Seele hier schon mit dem Sohn identifiziert wird, fügt sich nicht in die Theologie des Victorinus ein, wonach die Adoption zum Kind Gottes ein eschatologisches Geschehen ist und nicht schon den protologischen Zustand der Seele charakterisiert. Vgl. Adv. Ar. Ib 61: Si vero in inferiora respicit, cum sit petulans, potentia vivificandi fit, vivere quae faciat et mundum et quae in mundo usque ad lapidem lapidum more ipsa cum νῷ facta. (96,6 – 9 Locher) S. dazu auch oben S. 197– 201. Der letzte Halbsatz des Zitates ipsa […] facta, wird besser mit Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 207 so verstanden, dass die Seele zur potentia vivificandi wird. Vgl. dagegen Baltes, Marius Victorinus, 93, der den Text so versteht, dass die Seele „mit ihrer Vernunft wie ein Stein wird.“ Gegen Hadot, Porphyre I, 185 f. wird der Fall der Seele in diesem Abschnitt durchaus mit einem negativen Urteil belegt. Hadot, Porphyre I, 404 paraphrasiert petulans mit „audace indiscrète et impudente“, bringt es also einerseits in die Nähe der platonischen τόλμα der Seele, erkennt andererseits aber, dass noch ein anderes Urteil in diesem Wort steckt. In der Übersetzung in SC 68, 379 drückt er diesen Aspekt durch das Hendiadyoin „pleine de désir et d’audace“ aus, vgl. dazu den Kommentar SC 68, 883 ad 61,15. Weniger deutlich dagegen in der deutschen Übersetzung bei Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 207: „[…] weil sie ungestüm ist.“ Ich verdanke den Hinweis, dass das Wort petulans interpretationsbedürftig ist, Gesprächen mit Stephen Cooper und Thomas Riesenweber auf der Victorinus-Tagung 2017 in Prag. Vgl. Adv. Ar. Ib 61: Tenebrata autem deorsum ducitur. (96,14 Locher) Vgl. Hadot, SC 68, 884 ad 61,23 mit Verweis auf Cael. Aur. chron. I 2,51 (CMLat VI,1 458,14). Hadot, SC 68, 884 ad 61,23 verweist auf Pl. Phd. 79c, wo von der Seele in der materiellen Welt gesagt wird, sie leide an einem Schwindel, als wäre sie betrunken, vgl. 79c7 f.: […] καὶ εἰλιγγιᾶ ὥσπερ μεθύουσα […]. Für σκότωσις verweist er auf Porph. sent. 29 (19,12 Lamberz). Auch Clark, Psychology, AugStud 5 (1974), 156 gibt das Wort doppelt als „darkened or dizzy“ wieder. Für tenebratio haben weder das OLD noch Blaise/Pascal einen Eintrag. Das Verb tenebrare taucht aber in einer solchen Bedeutung immerhin in der lateinischen Übersetzung von Hi 12,25 auf, die
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In der Beschreibung der Belebung der Materie in Adv. Ar. IV 11 kann man eine Verbindung der Sexualitäts- und Trunkenheitsmetaphorik erkennen. Dort spricht Victorinus davon, dass im Bereich unterhalb der Seele zwar alles lebt, verglichen mit dem intelligiblen Bereich aber nur in abgeschwächtem Maße aufgrund der Verbindung mit der Materie (copulatio hylica).⁷¹ Das Wort copulatio besitzt auch eine sexuelle Bedeutungsebene und kann den Geschlechtsakt bezeichnen.⁷² Diese Interpretation des Wortes gewinnt zusätzliche Plausibilität dadurch, dass Victorinus der Seele hier auch einen petulantior appetitus zuschreibt, einen sexuellen Drang, sich mit der Materie zu verbinden. Damit lässt sich der ganze Abschnitt als sexuelle Metapher deuten.⁷³ Im selben Kontext schreibt Victorinus, dass der irdische Bereich wegen der Verbindung mit der Materie nur noch durch eine saucia lux erleuchtet werde.⁷⁴ Das Lebenslicht, das vom Logos ausgeht, verliert im Laufe seines Abstiegs bis zur Materie an Kraft, wodurch die hierarchische Abstufung des Seins erklärt wird. Es ist durchaus möglich, dass Victorinus saucius hier mit der selteneren Bedeutung „betrunken“ verwendet und so die Verbindung der Seele mit der Materie als eine Trunkenheit bezeichnet.⁷⁵ Ein Vergleich dieser Metaphern bei anderen Autoren zeigt, dass sich die Trunkenheitsmetaphorik im Anschluss an den platonischen Phaidon öfter in platonisch inspirierten Texten findet. Im Phaidon vergleicht Platon die Seele, die sich zur Erkenntnis auf die Sinneswahrnehmung verlässt, mit einem Betrunkenen.⁷⁶ Daran knüpfen spätere Platoniker an und nutzen das Bild, um den Zustand der
Augustin verwendet, vgl. Aug. in Iob p. 536,25 f. Zycha (CSEL 28/2): quo errore tenebrati sunt tamquam ebrius. Vgl. Adv. Ar. IV 11: Vivunt ergo cuncta, terrena, humida, aerea, ignea, aetherea, caelestia, non λόγῳ illo priore nec vitae integro lumine, sed propter copulationem hylicam saucia luce vitali. (144,29 – 31 Locher) Vgl. dazu ThlL 4,919,33 – 55 s.v. copulatio 2c. Vgl. Adv. Ar. IV 11: […] et quia in animanda anima properat, fit ei in animanda eius petulantior appetitus. (144,25 f. Locher) Eine ähnliche, wenn auch nicht antike Formulierung findet sich bei Petrus Damiani, die die sexuelle Konnotation des petulantior appetitus offenlegt, vgl. Petrus Damiani, ep. 31 (MGH.B 4,1, 313,9 – 11): Numquam taurus taurum amore coeundi petulanter appetiit, numquam asinus stimulo concumbendi cum asino ruditus emisit. S. Anm. 71. Vgl. OLD 1696 s.v. saucius 4. Vgl. für diese Bedeutung im wörtlichen Sinne z. B. Auson. Periocha Odyssiae XXII 3 – 5 (353 f. Prete). Im übertragenen Sinne „trunken vor Irrtum“ als Gegensatz zur Nüchternheit, bei Ambrosiast. in 2Tim 1,7 (CSEL 81/3, 297,27 f.). Vgl. Pl. Phd. 79c.
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Seele zu beschreiben, die sich aufgrund ihrer Trunkenheit in der materiellen Welt nicht mehr an ihre ursprüngliche Heimat in der Ideenwelt erinnert.⁷⁷ Versteht man die Stellen bei Victorinus so, dass er von der Verdunkelung der Seele spricht, lässt sich dies auch als Ausdruck der Sündhaftigkeit der Seele deuten. Origenes bezeichnet in seinem Kommentar zu Hld 1,5 f. die sündige Seele als schwarz und dunkel.⁷⁸ Ambrosius greift diese Deutung auf und sagt ausdrücklich, dass die Seele aufgrund ihrer Verbindung mit dem Köper verdunkelt sei.⁷⁹ Auch vor diesem Hintergrund lässt sich die Charakterisierung des Falls der Seele bei Victorinus als sündhaftes Vergehen deuten. Die sexuelle Metaphorik zur Beschreibung des Falles der Seele findet bei platonischen Autoren keine Verwendung.⁸⁰ Sie findet sich aber bei christlichen Autoren, in gnostischen Texten auch häufig in der Verbindung mit der Trunkenheitsmetaphorik, die sich bei Victorinus feststellen lässt.⁸¹ Mit der Bezeichnung der Seele
Das Bild der Trunkenheit aus dem Phaidon greift z. B. Macr. somn. I 12,7 f. auf in seiner Darstellung des Abstiegs der Seele durch die verschiedenen Sternkreiszeichen. Das Sternbild des Crater des Dionysos stehe für das Vergessen der Seele bei ihrem Abstieg.Vgl. auch Boeth. cons. III 2,13 (CCSL 94, 39): Die Seele ist wie betrunken und findet ihren Heimweg nicht. Ferner Synes. hymn. I 678 – 683. Vgl. Or. Cant. II p. 125,6 – 9 Baeherens. Vgl. Ambr. Isaac 4,13 (CSEL 32/1, 651 f.): Eadem tamen anima cognoscens se corporis societate fuscatam […]. (651,20 f.) Hadot, SC 69, 883 ad 61,15 kann für diesen Aspekt nur auf Clem. str. III 93,3 verweisen. Dort führt Clemens die enkratitische Lehre des Julius Cassianus aus dessen Werk Περὶ ἐγκρατείας ἤ περὶ εὐνουχίας an (III 91,1). Er wirft er Julius vor, zu platonisch zu denken, wenn er behauptet, die Seele sei aufgrund ihrer Begierde weiblich geworden und so aus ihrer göttlichen Heimat in die Welt des Werdens und Vergehens gekommen: ἡγεῖται δὲ ὁ γενναῖος οὗτος Πλατωνικώτερον θείαν οὖσαν τὴν ψυχὴν ἄνωθεν ἐπιθυμίᾳ θηλυνθεῖσαν δεῦρο ἥκειν εἰς γένεσιν καὶ φθοράν. (239,5 – 7 Stählin/Früchtel/ Treu) In str. III 92,1 betont Clemens die Nähe zwischen Julius Cassianus und Tatian und bringt beide in die Nähe Valentinians, auch wenn unklar ist, auf wen von beiden sich die Aussage, er komme aus der Schule Valentinians, bezieht. Auf dieses grammatische Problem verweist Wyrwa, Art. „Julius Cassianus“, LACL, 409. Durch die Verwandtschaft ihrer Lehren trifft dieses Urteil dann aber wieder beide gleichermaßen. Nicht zu berücksichtigen ist hier der vermeintliche Hinweis auf Trunkenheit im Zostrianus, den Bentley/Sieber in Zostr NHC VIII,1 p. 73,15 sehen. Sie leiten ОΥϮϩϵ Πϵ von Ϯϩϵ ab und übersetzen den Kontext p.73,14– 17: „[…] but if he apprehends [two] or one, he is drunk, as having received [from] him.“ (CoptGnL 4,149) Für diese Bedeutung vgl. Crum, Coptic Dictionary, 456 f. s.v. ]he Dagegen leiten Barry u. a. die Wendung von he ab und übersetzen: „[Si], d’autre part, il participe de [deux] ou d’une, il s’assimile à [la] catégorie à laquelle il participe.“ (BCNH.T 24, 371) Zur Erklärung der Wendung vgl. die Einleitung dazu S. 227 mit Anm. 190. Ebenso versteht den Text auch Schenke, NHD II, 653: „[…] ist es so beschaffen, wie es empfängt.“ Bentley/Sieber deuten auch den einzigen weiteren Beleg von ϩϵ in Zostr. NHC VIII, 1 p. 25,10 anders, vgl. die Deutung in CoptGnL 4, 75 in app. Zu den Belegen für ϩϵ vgl. Funk, Concordance, 366. Allerdings fügt sich der Gedanke der Trunkenheit im Zostr nicht recht in den Kontext ein. Diese Auffassung teilen auch Prof. Matthias Westerhoff (Erlangen/Hof ) und Prof.
3 Präexistenz, Fall und Aufstieg der Seele
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als Prosituierte knüpfen christliche Autoren an die Metaphorik alttestamentlicher Schriften an, in denen die Verehrung anderer Götter durch Israel bildlich als Untreue und Hurerei bezeichnet wird.⁸² Im Anschluss daran kann etwa Origenes die ungläubige und sündige Seele als Prostituierte bezeichnen.⁸³ Die Verknüpfung der Metaphorik sexueller Laster mit dem Bild der Trunksucht, die sich in gnostischen Texten häufig findet, könnte auf neutestamentliche Lasterkataloge zurückgehen.⁸⁴ Der koptisch-gnostische Authentikos Logos verbindet die beiden Metaphernbereiche, wenn er die Hinwendung der Seele zur Materie bildhaft als Prostitution und ihr lasterhaftes Leben in der Welt als Weinsaufen bezeichnet.⁸⁵ In der Schrift „Erzählung über die Seele“ zieht sich die Vergewaltigungs-, Prostitutions- und Ehemetaphorik als bestimmendes Thema durch und wird punktuell mit der Trunkenheitsmetaphorik verbunden⁸⁶: Die gefallene Seele wird teils von den Mächten der Welt geschändet, teils gibt sie sich freiwillig hin und wird durch ihren Bräutigam Christus erlöst, der mit ihr eine himmlische Ehe eingeht, nachdem sie bereut hat.⁸⁷ Die „Erzählung über die Seele“ identifiziert die gefallene Seele auch mit der homerischen Helena und weist damit eine Verbindung zum simonianischen
Tonio Sebastian Richter (Berlin), denen ich für ihre Einschätzung der Stelle danke. Richter verweist für die Konstruktion ОΥϮϩϵ Πϵ auf Stern, Koptische Grammatik, §305 mit dem dort angeführten Beispiel Mt 1,10. Vgl. dazu Jost, Art. „Hure/Hurerei (AT) 2.2“, wibilex (Stand 10.10. 2017): https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/21670/ Vgl. z. B. Or. Hom. in Ex.VIII 5 (227,9 – 20 Baehrens); Cant. prol. p. 67,17– 25 Baehrens. Im Anschluss daran auch bei Ambr. Isaac 4,14. Zu beachten ist, dass Ambrosius die Trunkenheitsmetaphorik in derselben Schrift nicht in einem negativen, sondern einem positiven mystischen Sinne verwendet, vgl. Ambr. Isaac 5,49 – 6,50. Vgl. z. B. Röm 13,13; Gal 5,19 – 21. Vgl. dazu Allison, Art. „Drunkenness III. New Testament“, EBR 7 (2013), 32. Vgl. AuthLog NHC VI,3 p. 24,4– 10.14– 22: „[Wenn nun] eine Seele, [die unverständig ist,] sich einen Geist der [Prostitution [πορνεία; F.Z.] erwählt], so schließt er [sie] aus [und wirft] sie ins Bordell [πορνεῖον; F.Z.]. Denn [er brachte] ihr die [Lasterhaftigkeit], [weil sie] die Sittsamkeit [ablegte]. […] Jene (Seele) wird sich lasterhaft in Weinsaufen ergehen. Denn das Lasterhafte ist der Wein. [vgl. Eph 5,18] Sie kann sich ihrer Brüder und ihres Vaters nicht (mehr) erinnern, denn die Sinneslust [ἡδονή; F.Z.] und die süßen Gewinne täuschen sie. Nachdem sie die Erkenntnis hinter sich ließ, ist sie dem Tierischen verfallen.“ (Übersetzung von Wolf-Peter Funk, bearbeitet von Katharina Heyden und Cornelia Kulawik, NHD II, 475; koptischer Text in: BCHN.T 2, 12) Dazu und für weitere Belege zur Trunkenheit der Seele bei Philo, in hermetischen und koptisch-gnostischen Schriften vgl. den Kommentar von Ménard, in: L’Authentikos Logos (BCNH.T 2), 48. In ExAn NHC II,6 p. 129,22– 130,11 wird im Rahmen einer Exegese von Hos 2,4– 9 Wein als Lohn der sich prostituierenden Seele aufgeführt (p.130,4). Vgl. zur Einschätzung der Schrift aber auch Kulawik, Die Erzählung über die Seele, 7– 9, die die Schrift nicht als gnostisch einstuft. Vgl. ExAn NHC II,6 passim (CoptGnL 2, 144– 169).
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Helena-Mythos auf.⁸⁸ Nach dem Bericht des Irenäus von Lyon trat Simon mit einer Prostituierten namens Helena auf, die als seine mythologische Paargenossin fungierte: In seiner Rolle als Gott war diese Helena sein erster Gedanke (Ennoia), der aus ihm entsprang und weitere Engel und Kräfte zeugte. Sie wurde dann von diesen Mächten festgehalten und vergewaltigt, schließlich in einen Menschenleib eingeschlossen und mehrfach reinkarniert, bis sie schließlich in einem Bordell in Tyrus landete.⁸⁹ Diese Helena wurde laut Irenäus mit dem verlorenen Schaf des jesuanischen Gleichnisses identifiziert, das überhaupt eine wichtige Rolle in gnostischen Texten spielt.⁹⁰ Die allegorische Auslegung des Gleichnisses vom verlorenen Sohn bei Victorinus wird vor diesem Hintergrund verständlicher. Besonders wichtig ist auch die Tatsache, dass Irenäus von Lyon von den „Barbelo-Gnostikern“, die mit den Sethianern identifiziert werden, berichtet, dass sie in ihrem Mythos die fallende Sophia auch Προύνικος nennen. Dieses Adjektiv bezeichnet ein ungestümes, leidenschaftliches Verhalten und hat eine eindeutig sexuelle Konnotation.⁹¹ Die Prounikos bringt die Materie hervor und steigt in sie hinab, um ihr Bewegung zu verleihen. Dieses Hinabsteigen wird in der lateinischen Übersetzung des Irenäus-Referats mit dem Adverb petulanter näher bezeichnet.⁹² Es lässt sich also beobachten, dass christliche Autoren wie Origenes und Ambrosius die sündige Seele in Anlehnung an verschiedene biblische Motive metaphorisch als Prostituierte und als dunkel bezeichnen können. Allerdings ist es eine besondere Eigenart gnostischer Texte, den primordialen Fall der Seele mit einer Verknüpfung der Trunkenheitsmetaphorik mit Bildern aus dem Bereich sexueller Verfehlungen zu illustrieren. Die Bildersprache des Victorinus ist den gnostischen Texten hier recht nahe, aber deutlich zurückhaltender. Freilich kann das einschlägige Adjektiv petulans auch allgemein einen Übermut bezeichnen und als nichtsexuelles Synonym zu audax verwandt werden.⁹³ Es fällt aber auf, dass Victorinus sich im Zusammenhang des Falls der Seele beides Mal für das Adjektiv petulans
Vgl. . ExAn NHC II,6 p.136,36 – 137,11 (CoptGnL 2, 166 – 168). Zum Verhältnis zur simonianischen Gnosis vgl. Kulawik, Die Erzählung über die Seele, 288 – 291. Vgl. Iren. haer. I 23,2 f. Vgl. zu den anderen Quellen und ihrer Beurteilung Lüdemann, Untersuchungen, 55 – 78; Fossum/Quispel, Art. „Helena 1 (simonianisch), RAC 14 (1988), 345 – 355. Vgl. Iren. haer. I 23,2: et hanc esse perditam ovem. (FC 8,1, 292,4 f.) Zur Bedeutung des Gleichnisses in der Gnosis vgl. Beyschlag, Simon Magus, 128 – 135. Vgl. Iren. haer. I 29,4. Vgl. Lampe, PGL, 1190 f., s.v. *Προύνικος. Vgl. zur Herleitung der Bedeutung und zur Verwendung in gnostischer Literatur ausführlich Pasquier, Prouneikos, 47– 66 mit Meyer, Response to „Prouneikos“, 67– 70. Iren. haer. I 30,3 (FC 8,1, 334,4 f.). Vgl. die Angaben zur Synonymik in ThlL 2,1248,60 s.v. audax. audax/audacia entsprächen eher griechisch τολμηρός/τόλμα, vgl. ThlL 2,1244,4 und 2,1240,65 s.v. audacia.Vgl. dazu z. B. Plot. enn.V 1 (10) 1,4.
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entscheidet, während er audax oder audacia für das übermütige Erkenntnisstreben der inkarnierten Seele reserviert.⁹⁴ Möglicherweise kannte Victorinus also diese Bilder aus gnostischen Texten und hat sie in seine im Ganzen aber antignostisch Theologie integriert: Wenn Victorinus die copulatio der Seele mit der Materie als etwas Verwerfliches betrachtet, zielt er damit anders als gnostische Lehrer nicht auf eine Trennung der Seele von der Materie ab. Vielmehr betrachtet er diese Verbindung zum einen für den Lernerfolg der Seele als notwendig, zum anderen führt dieser ursprüngliche Sündenfall dazu, dass am Ende auch die Materie vergeistigt werden kann.⁹⁵
4 Die Seele als Abbild der Trinität 4.1 Gen 1,26 f. als Ausdruck der Mittelstellung der Seele und ihrer notwendigen Vervollkommnung Auch in der Exegese von Gen 1,26 f. arbeitet Victorinus heraus, dass die Seele ein von Gott in besonderer Weise herausgehobenes Mittelwesen ist. Er schließt sich der traditionellen Unterscheidung von Bild und Ähnlichkeit an und sieht darin ausgedrückt, dass die Seele als Bild Gottes immer eine unzerstörbare Gottgleichheit besitzt.⁹⁶ Ihre Schöpfung nach der Ähnlichkeit bezeichnet aber eine erst eschatologisch verwirklichte Angleichung an Gott durch einen Prozess der Vervollkommnung. Damit stellt Victorinus in seiner Genesisauslegung inhaltlich die gleiche Grundspannung in den Mittelpunkt, die er philosophisch in Ad Candidum und exegetisch in der Begründung der Präexistenz und des Falles der Seele im Epheserkommentar behandelt hat. Immer gilt ihm die Seele von Anfang an als von Gott mit einer besonderen Wesensanlage ausgezeichnet, die aber durch einen Prozess der Vervollkommnung erst noch verwirklicht werden muss.
4.2 Schöpfung nach dem Bilde und der Ähnlichkeit in Gen 1,26 f. Victorinus bezieht mit der exegetischen Tradition Gen 1,26 f. zunächst und vor allem auf die Seele und schreibt ihr damit eine besonderen ontologischen Rang zu.⁹⁷ In Vgl. Ad Cand. 1; Adv. Ar. I 1.3; IV 25 (10,2; 33,23; 35,6; 158,12 Locher). S. dazu oben S. 403 – 414. Vgl. zu diesem Thema insgesamt auch Hadot, l’image, StPatr 6, 409 – 424. Hadot übergeht in seiner Besprechung der Schöpfung der Seele in Adv. Ar. I 62 alle Hinweise auf die Geschöpflichkeit der Seele oder deutet sie automatisch im Sinne eines neuplatonischen Ema-
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der Auslegung von Gen 1,26 f. hebt Victorinus stets auf zwei wichtige Punkte ab: Einerseits hat die Seele eine herausgehobene Stellung gegenüber der übrigen Schöpfung, andererseits ist sie aber eindeutig auch von Gott verschieden. Mit dieser klaren Abgrenzung der Seele von Gott distanziert sich Victorinus von Positionen, die die Seele als göttlich einstufen. Er baut die klare Unterscheidung der Seele vom Logos auf den Formulierungen von Gen 1,26 auf.⁹⁸ Er folgert aus der Formulierung, dass die Seele „nach dem Bilde“ Gottes geschaffen ist den substanziellen Unterschied von Gott und Seele. Mit einer langen exegetischen Tradition betont er, dass die Seele nicht als Bild Gottes, sondern nach dem Bilde Gottes geschaffen sei. Im Anschluss an biblische Aussagen wie Kol 1,15 oder 2Kor 4,4 ist für ihn allein Christus das Bild Gottes, die Seele dagegen ist nach dem gemeinsamen Bild der Trinität geschaffen.⁹⁹ Damit ist sie substanziell verschieden von Gott, da nur der Logos als Bild Gottes der vollkommene Ausdruck der unerkennbaren Substanz des Vaters ist. Der Plural der Formulierung „nach unserem Bild“ belegt für Victorinus, dass die Seele nicht nach dem Abbild nur des Vaters oder nur des Sohnes geschaffen wurde, sondern nach dem Bild des trinitarischen Gottes. Daher ist das Wesen der Seele dem trinitarischen Gott zwar ähnlich, nicht aber identisch wie im Falle der trinitarischen Hypostasen untereinander. Victorinus kann daher die Seele als wesensähnlich mit Gott (ὁμοιούσιος) bezeichnen und so die Homöusianer um Basilius von Ankyra scharf kritisieren. Gegen ihre Position, dass Christus ein ähnliches Wesen wie der Vater habe, zeigt Victorinus, dass es nach Gen 1,26 vielmehr die Seele ist, die als ὁμοιούσιος bezeichnet werden muss. Wer dasselbe über den Sohn aussagt, bestreitet demnach die Göttlichkeit des Sohnes und stellt ihn auf eine Ebene mit der Seele.¹⁰⁰ Zugleich lehnt Victorinus damit alle Positionen ab, die der Seele eine Homousie mit Gott zuschreiben. So grenzt er sich sowohl gegen Plotin als auch gegen gnostische Lehren ab.¹⁰¹ Da die Seele selbst nur nach dem Bilde geschaffen ist, ist sie auch nicht von Haus aus Intellekt oder Geist, sondern nur vernunftbegabt: Non enim λόγος anima, nationsgedankens, vgl. dazu Porphyre I, 330 – 343. So spricht er etwa von einer „génération par mode de reflet“ (335). Wenn er die Schöpfungssprache aufgreift, dann ohne dies zu problematisieren, vgl. die Formulierung: „l’âme est créée par mode de reflet“ (340). Vgl. für das Folgende insgesamt Adv. Ar. I 20. Zur exegetischen Tradition seit Philo vgl. nur Crouzel, Théologie de l’image, 46 – 83. Vgl. Adv. Ar. I 20 (50,28 – 51,13 Locher), zur Kritik an den Homöusianern vgl. auch I 22 (53,27– 54,1 Locher). Vgl. Plot. enn. IV 7 (2) 10,13 – 19: Εἰ οὖν τοιοῦτον ἡ ψυχή, ὅταν ἐφ’ ἑαυτὴν ἀνέλθῃ, πῶς οὐ τῆς φύσεως ἐκείνης, οἵαν φαμὲν τὴν τοῦ θείου καὶ ἀιδίου παντὸς εἶναι; Φρόνησις γὰρ καὶ ἀρετὴ ἀληθὴς θεῖα ὄντα οὐκ ἂν ἐγγένοιτο φαύλῳ τινὶ καὶ θνητῷ πράγματι, ἀλλ’ ἀνάγκη θεῖον τὸ τοιοῦτον εἶναι, ἅτε θείων μετὸν αὐτῷ διὰ συγγένειαν καὶ τὸ ὁμοούσιον. Für die Gnosis vgl. z. B. Clem. exc. Thdot. 50,2.
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sed rationalis. ¹⁰² Aufgrund ihrer rationalen Wesensanlage besitzt sie die Potenz, ein intellektuelles Leben zu verwirklichen und sich damit Gott anzugleichen. Die Abbildhaftigkeit ihrer Substanz ist der Grund für ihren möglichen Aufstieg zum Geist und Intellekt. Im Lateinischen geht freilich der etymologische Bezug verloren, der hier im Hintergrund steht: rationalis hat seine Entsprechung im Griechischen λογικός. Die Seele hat aufgrund ihrer Abbildhaftigkeit Anteil am λόγος, im Sinne der Vernunft.¹⁰³ Dem entspricht die Auslegung des Victorinus zur Schöpfung des Menschen „nach der Ähnlichkeit“ in Gen 1,26 f.: Während sich die Schöpfung der Seele nach dem Bild auf die Substanz der Seele bezieht und ihre Homoiusie zu Gott begründet, bezieht sich die Schöpfung nach der Ähnlichkeit auf die Qualität der Seele. Sie ist der Qualität nach vollkommen und auf vollkommene Weise rational und so Gott auch in der qualitativen Bestimmung ähnlich. Jedoch stellt diese qualitative Bestimmung ein eschatologisch zu erreichendes Ziel der Seele dar, da sie durch den Fall diese Vollkommenheit verloren hat. Ihre rationale Substanz aber bleibt ihr erhalten.¹⁰⁴ Diese Ähnlichkeit kann der Mensch nicht aus eigener Anstrengung erlangen, sondern sie wird ihm durch den Glauben von Christus verliehen. Hierin unterscheidet sich Victorinus fundamental von der ähnlichen Auslegung des Origenes.¹⁰⁵ Die Voraussetzung dafür, dass der Mensch Gott ähnlich werden kann, ist die Inkarnation und Erhöhung Christi. In der Inkarnation nimmt Christus das unvollkommene Fleisch an und macht es sich durch das Heilsmysterium selbst gleich. Nach der Auferstehung besitzt der Inkarnierte den vollkommenen Geist und kann die Ähnlichkeit den Menschen weitergeben. Das heißt, dass Christus nach der Auferstehung diesen qualitativ vollkommenen Zustand des Menschen erreicht hat. Was den Menschen an der Vervollkommnung hindert, ist sein unvollkommenes Fleisch. Erst wenn die Widerstände des Fleisches durch Christi Tod und Auferstehung besiegt sind, kann auch die Seele die Gottähnlichkeit erwerben.¹⁰⁶
Adv. Ar. I 20 (51,22 Locher). Die Stelle kann damit als Beispiel dafür gelten, dass Victorinus dort den griechischen Terminus benutzt, wo ihm kein präzises lateinisches Äquivalent zur Verfügung steht. Dem Leser wird durch diese Gegenüberstellung von selbst deutlich, dass der hier angespielte Bedeutungsaspekt von λόγος als ratio gemeint ist. Vgl. Adv. Ar. I 20 (52,4– 16 Locher). Zum Problem, dass Victorinus hier von einer Vollkommenheit vor dem Fall spricht s. S. 419, Anm. 256. Vgl. Or. princ. III 6,1 (280,6 – 281,5 Koetschau). Origenes betont die Verdienstlichkeit der eigenen Vervollkommnung der Seele. S. dazu auch oben S. 417– 427. Vgl. in Gal. 4,3 – 4,73 – 87: Denique cum perfectis omnibus sanctificatisque et iustificatis concurrere in virum coeperimus (sic enim dictum est, intellegi licet: cum mundus vel nos in ipso mundo positi non perfecti simus, feminarum modo et mulierum exigimus vitam), ut igitur Christus salutem nobis
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4.3 Die Seele als Echo des Logos in der Allegorese von Joh 1,23 in Adv. Ar. Ib 56 Diese Dialektik aus Gottähnlichkeit und -verschiedenheit der Seele gehört zu den Grundanschauungen des Victorinus, die er in ganz unterschiedlicher Weise ausdrücken kann. In dieser Absicht bezeichnet er die Seele in einer allegorischen Exegese von Joh 1,23 in Adv. Ar. Ib 56 auch als ein „Echo“. Diese ungewöhnliche Exegese hat Anlass zu Spekulationen gegeben, dass Victorinus diese Position aus dem Johanneskommentar des Gnostikers Herakleon entnommen haben könnte.¹⁰⁷ Solche Herleitungen verdunkeln aber eher das Verständnis der Stelle, als sie zu erhellen. Im Kontext spricht Victorinus davon, dass man aufgrund der Homousie Vater, Sohn und Heiligen Geist alle drei als Stimme (vox), Wort (verbum) oder λόγος bezeichnen könnte. Diese Ansicht begründet er mit Verweis auf Joh 16,13.15: Diese Verse interpretiert Victorinus so, dass Christus dasselbe spricht, was auch der Vater spricht, und dass der Heilige Geist dasselbe spricht, was Christus spricht. Alle sprechen also und sind ihrem Wesen nach Wort, unterscheiden sich aber in der Art und Weise ihres Handelns: „Doch der Vater spricht freilich im Schweigen, der Sohn offenbar und in der Rede, der Heilige Geist spricht nicht offenbar, sondern was er spricht, spricht er auf geistige Art und Weise.“¹⁰⁸ In Joh 1,23 wird aber auch Johannes der Täufer als Stimme bezeichnet, die in der Wüste ruft. In seiner allegorischen Auslegung sieht Victorinus in Johannes das Sinnbild der Seele, die in der Welt wie in einer Wüste gefangen ist.¹⁰⁹ Er sieht die
praestans vel praestaturus ad nos veniret, natus est ex femina, id est accepit et illam partem quae inperfectum eum redderet et nobis cum se parem faceret, id est vel carnem vel mundum, in quo mundo vel in qua carne cum esset editus, utique ex femina, id est ex non perfectis, mysterio conpleto sanctificatus etiam post passionem et post resurrectionem vir effectus, id est perfectum spiritum habens atque recipiens similitudinem nobis daret ut et nos in virum consurgeremus ex femina, id est ex hac vita quae, cum corrupta est, merito vel femina vel mulier nominatur. Bereits Hadot, SC 69, 867 ad 56,4– 15.56,9 verweist auf Herakleon. Diese Hinweise werden von Voelker, Use of a Gnostic Commentary, 21– 28 zu der These ausgearbeitet, Victorinus habe den Kommentar des Herakleon gekannt und genutzt. Adv. Ar. Ib 55: Sed pater quidem in silentio loquitur, filius in manifesto et in locutione, sanctus spiritus non in manifesto loquitur, sed quae loquitur, spiritaliter loquitur. (91,9 – 11 Locher) Vgl. Adv. Ar. Ib 56: Et hoc est Iohannis: vox exclamantis in deserto: dirigite viam domini. Anima enim in deserto, hoc est in mundo, exclamat, quoniam scit dominum deum et vult mundari, ut domino fruatur deo. (91,17– 19 Locher) Gegen de Leusse, préexistence, RSR 29 (1939), 215 kann ich an dieser Stelle keine Erklärung für den Notwendigkeit des Falls der Seele erkennen. De Leusse versteht die Stelle so, dass es auf Erden eine Instanz geben müsse, die Zeugnis von Gott gibt, und daher habe die Seele fallen müssen. Hadot, SC 69,867 ad 56,9 verweist für die Auslegung der Wüste auf Herakleon, fr. 20 Brooke, vgl. dazu auch Wucherpfennig, Heracleon, 225 f. mit Anm. 21. Die Wüste als Sinnbild für
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Gefahr, dass aus dieser Allegorese die Göttlichkeit der Seele geschlussfolgert werden könnte: Wenn sie ebenso wie Vater, Sohn und Heiliger Geist substanzielles Wort oder substanzielle Stimme wäre, wäre auch sie wesenseins mit Gott. Dagegen hebt Victorinus mit der klaren Abgrenzung von Johannes und Jesus im Johannesprolog auf den Unterschied zwischen Gott und der Seele ab. Er leitet diese Auslegung daher mit der Bemerkung ein, die Seele sei „weder rein Stimme noch Wort, sondern wie ein Echo, sie hört, um dann zu reden, eher wie ein Abbild der Stimme als eine Stimme.“¹¹⁰ Victorinus scheint hier auf eine Exegese von Joh 1,23 zurückzugreifen, die seinen Lesern bereits bekannt ist. Das legt sich dadurch nahe, dass auch Augustinus ohne weitere Erklärung Johannes mit der Seele gleichsetzen kann. Auch er scheint diese Verknüpfung bei seinen Lesern als selbstverständlich vorauszusetzen.¹¹¹ Victorinus erkennt das mögliche Missverständnis, dass sich bei einem Leser ergeben könnte, der diese Auslegung von Joh 1,23 kennt. Daher erklärt er sie so, dass daraus nicht auf die Homousie der Seele geschlossen werden kann, sondern nur auf ihre Homoiusie. Daher bezeichnet Victorinus die Seele als Echo im Unterschied zum göttlichen Wort. Er verdeutlicht diese Absicht, indem er das griechische Wort auf Lateinisch übersetzt: Die Seele ist nicht wie die göttlichen Hypostasen selbst Stimme,Wort oder Logos, sondern sie ist ein Echo (ἠχώ), d. h. ein Bild der göttlichen Stimme (imago vocis). Das Wort imago zeichnet sich im Lateinischen dadurch aus, dass es sowohl Bild als auch Echo bedeuten kann.¹¹² Da das Wort λόγος ein weites akustisches Bedeutungsspektrum besitzt, prägt Victorinus auch für die Beziehung der Seele zu Gott eine akustische Metapher. Wenn Victorinus die Seele als Echo des Logos bezeichnet, drückt er damit inhaltlich dasselbe aus wie mit der Gottesebenbildlichkeit
die sündige Welt, in der die Seele gefangen ist, findet sich aber etwa auch in der Auslegung von Hld 3,6 in Or. Cant. fr. 37 Fürst/Strutwolf, im Anschluss daran bei Ambr. Isaac 5,44. Adv. Ar. Ib 56: […] neque pure vox neque verbum, sed sicut ἠχώ, audit, ut loquatur imago magis vocis quam vox. (91,15 – 17 Locher) Lavaud, Testimonium testimonii, RSPhTh 101 (2017), 51 f. meint dagegen, dass Victorinus die Stimme in Joh 1,23 mit Christus identifiziert. Ebenso Edwards, Marius Victorinus, StPatr 46 (2010), 114. Eine solche Interpretation „contre la lettre du texte“ (Lavaud, 52) kann ich allerdings hier nicht erkennen. Abramowski, Nicänismus und Gnosis, ZAC 8 (2005), 553 f. vermutet einen gnostischen Ursprung dieser Exegese. Sie verweist auf Aug. conf. VII 9,13 und führt diese Exegese bei Augustinus auf Simplician zurück, der wiederum Victorinus gekannt hat. Auch Cipriani, Le fonti, Aug. 34 (1994), 261 Anm. 29 plädiert für Victorinus als Quelle. Allerdings setzt Augustinus diese nicht gerade naheliegende Auslegung so selbstverständlich voraus, dass man sie für etabliert halten muss. Ebenso in Aug. civ. X 2. Vgl. für diese Bedeutung ThlL 7,1,408,45 s.v. imago IA1e: de voce repercussa. Der Thesaurus führt die Stelle bei Victorinus explizit für diese Bedeutung an vgl. ThlL 7,1,408,57 f.
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und ersetzt nur die visuelle durch eine akustische Metaphorik. Zugleich grenzt sich Victorinus damit auch implizit von der Bildsprache Plotins ab, der die Seele als „ausgesprochenes Wort“ des Intellekts bezeichnen kann und damit ausdrücken will, dass sie diesen wesenhaft abbildet.¹¹³ Diese Vorstellung einer Wesenseinheit von Seele und Logos lehnt Victorinus ab. Aufbauend auf Hadots Kommentar vermutet John Voelker, dass Victorinus in dieser Passage auf den Johannes-Kommentar des Gnostikers Herakleon zurückgreife.¹¹⁴ Herakleon rekurriert bei der Kommentierung von Joh 1,23 ebenfalls auf Termini der akustischen Theorie und spricht von einem gestuften Unterschied zwischen dem Logos (λόγος), der Stimme (φωνή) und dem Echo (ἦχος).¹¹⁵ Johannes der Täufer steht als Stimme zwischen dem erlösenden Logos und dem Echo, das mit der „prophetischen Ordnung“ identifiziert wird.¹¹⁶ Wucherpfennig zeigt in seinem Kommentar, dass Herakleon an dieser Stelle ein „gestuftes Offenbarungsmodell“ entwirft.¹¹⁷ Demnach steht an der Spitze der Logos selbst als reinste Form der göttlichen Offenbarung, während der Täufer als artikulierte Stimme dem Logos am nächsten kommt und damit einen höheren Rang als das bloße Echo der jüdischen Prophetie einnimmt.¹¹⁸ Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Herakleon und Victorinus besteht darin, dass beide das gestufte Modell der antiken Akustiktheorie metaphorisch für theologische Aussagen nutzen. Inhaltlich unterscheiden sich die Aussagen aber grundlegend und können nicht miteinander in Beziehung gebracht werden.¹¹⁹ Wucherpfennig verweist darauf, dass die Verwendung dieser akustischen Metapher in christlichen und anderen philosophischen und religiösen Texten noch häufiger zu finden ist und letztlich bereits im Johannesevangelium vorausgesetzt ist.¹²⁰
Vgl. Plot. enn. V 1 (10) 3,7 f.: […] εἰκών τις ἐστι νοῦ· οἷον λόγος ὁ έν προφορᾷ λόγου τοῦ ἐν ψυχῇ, οὕτω τοι καὶ αὐτὴ λόγος νοῦ […]. Vgl. Voelker, Use of a Gnostic Commentary, StPatr 96,22 (2017), 21– 28; erste Hinweise bei Hadot, SC 69, 867, ad 56,4– 15; 56,9. Vgl. Herakleon, fr. 5 Brooke (= Or. Jo. VI 108 – 118), vgl. auch Text und Übersetzung bei Wucherpfennig, Heracleon, 184– 189. Vgl. Herakleon, fr. 5,6 – 8 Brooke = Or. Jo. VI 108 (129,1– 3 Preuschen): ὁ λόγος μὲν ὁ Σωτήρ ἐστιν, φωνή δὲ ἡ ἐν τῇ ἐρήμῳ ἡ διὰ Ἰωάννου διανοουμένη, ἦχος δὲ πᾶσα προφητικὴ τάξις. Wucherpfennig, Heracleon, 230. Vgl. Wucherpfennig, Heracleon, 222– 234 für den ausführlichen Kommentar zu fr. 5 Brooke. Gegen Voelker, Use of a Gnostic Commentary, 25 – 27. Auch Lavaud, Testimonium testimonii, RSPhTh 101 (2017), 52 f. sieht keine Parallele zu Herakleon. Vgl. Wucherpfennig, Heracleon, 225.227 f. Augustinus greift beispielsweise auch auf die Unterscheidung zwischen Christus und Johannes als verbum und vox zurück, vgl. s. 293,3 Dolbeau (440,61– 442– 87).
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Gerade der Vergleich mit Herakleon zeigt, dass Victorinus diese Metapher ganz anders einsetzt.Victorinus kommt von der Bezeichnung der Seele als imago her und setzt in diesem Zusammenhang den Logos mit verbum und vox gleich, sodass die Seele ein Echo dieses Wortes oder dieser Stimme sein kann. Dadurch ergibt sich erst das exegetische Problem, dass in Joh 1,23 auch von einer Stimme gesprochen wird, die aber für Victorinus gerade nicht mit dem Logos identifiziert werden darf. Daher muss er mit Verweis auf den Kontext in Joh 1, in dem der Täufer und Christus klar voneinander unterschieden werden, die Stimme in Joh 1,23 als Echo erklären. Victorinus hält also anders als Herakleon die strenge Hierarchie der akustischen Begriffe nicht durch und entwickelt sie nicht ausgehend von Joh 1,23. Vielmehr überlagert die Rede von der Seele als imago des Logos den Deutungszusammenhang und ist der Ausgangspunkt für seine Überlegungen. Das zeigt, wie wichtig Victorinus diese Charakterisierung der Seele ist. In seinem Galaterkommentar knüpft Victorinus an diese akustische Verhältnisbestimmung von Seele und Logos wieder an: So wie die gläubige Seele erst durch den Empfang des Geistes ein Kind Gottes und damit vollkommen wird, wird sie durch den Empfang des Geistes selbst Wort und kann Gott erkennen.¹²¹
4.4 Die Seele als imago imaginis An einigen Stellen präzisiert Victorinus die substanzielle Abbildhaftigkeit der Seele, indem er sie als imago imaginis bezeichnet. Damit greift er die Unterscheidung auf zwischen Christus als der einzigen imago Dei und der Seele, die nur iuxta imaginem geschaffen ist.¹²²Allein Christus ist das Bild Gottes in dem Sinne, dass er das unsichtbare Wesen des Vaters substanziell abbildet und erkennbar macht. Da das Wesen des Vaters über der Form und der Begrenzung liegt, ist es jeder Erkenntnis entzogen. Weil das väterliche Sein aber eine substanziell zugehörige Form hat, die sein Wesen abbildet und als Logos begrenzt, wird er durch dieses Bild dem Er-
Vgl. insgesamt in Gal. 4,6, bes. 4,6,33 – 38: Inde fit ut et nos verbum simus et in Christum et in deum et idcirco clamemus cognitores. Cogntior autem cum est ipsius cogniti, fit ut cognitum pater sit, cognitor filius. Quod si ita est, merito, cum cognoscimus per Iesum patrem, ex cognitione verbum ipsius efficiamur ac propterea filii, inde clamamus: abba, pater. Vgl. Adv. Ar. I 20: Ergo homo non imago dei, sed secundum imaginem. Solus enim Iesus imago dei. Homo autem secundum imaginem, hoc est imago imaginis. (50,31– 32 Locher) Adv. Ar. Ib 61: […] exstitit iussione dei imago, iuxta imaginem et similitudinem dei imago imaginis, hoc est filii. Imago enim patris filius […]. (95,30 – 32 Locher) Ferner Adv. Ar. Ib 63 (98,5 Locher).
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kennen zugänglich. In diesem Sinne ist allein der Sohn das Bild Gottes, da nur er das Sein des Vaters zum Ausdruck bringt.¹²³ Davon grenzt Victorinus die Seele deutlich ab und versteht sie als Bild des Bildes. Sie bildet nicht wesenhaft das Sein des Vaters ab, sondern ist nach dem im Sohn sichtbaren Bild des Vaters und damit nach dem Bilde der gesamten Trinität geschaffen. Komplizierter wird die Lage in der Schrift Adversus Arium IV, in der Victorinus den Doppelzustand des Sohnes als innerer und äußerer Form des Vaters darstellt. Als innere Form bezeichnet Victorinus die Tatsache, dass der Sohn schon vor seiner Aktualisierung nach außen im Inneren das Wesen des Vaters formt und begrenzt, sodass Gott für sich selbst immer erkennbar ist und sich sein Wesen durch die Aktualisierung des Sohnes nicht ändert. Da der Sohn schon im Inneren das Bild Gottes ist, kann Victorinus ihn auch als imago imaginis bezeichnen, wenn er nach außen tritt und sich vollständig aktualisiert.¹²⁴ Das bedeutet, dass der Sohn sowohl im Innern als auch im Äußeren das Bild des väterlichen Wesens darstellt und das nach außen tretende Bild nichts anderes ist als das innere Bild. Die Bezeichnung des aktualisierten Sohnes als imago imaginis ist also ganz anders zu verstehen als die homonyme Bezeichnung der Seele. Koffmane vermutet, dass die Bezeichnung der Seele als Bild des Bildes bei Victorinus auf Origenes zurückzuführen sei.¹²⁵ Die Unterscheidung zwischen dem Sohn als dem Bild Gottes und dem Menschen als Bild des Bildes ist aber kein Spezifikum der Theologie des Origenes. Bereits Philo kann den menschlichen Intellekt als Bild oder Abdruck des Bildes von der Idee des Intellekts unterscheiden.¹²⁶ Vor dem Hintergrund paulinischer Aussagen, wonach der Sohn das Bild Gottes ist, greift auch Clemens von Alexandrien diese Unterscheidung auf. Für ihn ist der Logos das Bild Gottes, während der menschliche Intellekt das Bild dieses Bildes darstellt. Da der Mensch nach dem Bilde und der Ähnlichkeit des Logos geschaffen ist, ist er ein rationales Wesen.¹²⁷ Mit dieser Unterscheidung geht es Clemens und seinen Nachfolgern darum, einen klaren Abstand zwischen Gott und dem Menschen zu betonen.
S.o. S. 265 – 275. Adv. Ar. IV 28 (161,3 f. Locher) S. dazu oben S. 279 – 284. Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 31. Vgl. Philo, Her. 231 (52 Wendland). Vgl. Clem. prot. X 98,4: Εἰκὼν μὲν γὰρ τοῦ θεοῦ ὁ λόγος αὐτοῦ (καὶ υἱὸς τοῦ νοῦ γνήσιος ὁ θεῖος λόγος, φωτὸς ἀρχέτυπον φῶς), εἰκὼν δὲ τοῦ λόγου ὁ ἄνθρωπος ἀληθινός, ὁ νοῦς ὁ ἐν ἀνθρώπῳ, ὁ κατ’ εἰκόνα τοῦ θεοῦ καὶ καθ’ ὁμοίωσιν διὰ τοῦτο γεγενῆσθαι λεγόμενος, τῇ κατὰ καρδίαν φρονήσει τῷ θείῳ παρεικαζόμενος λόγῳ καὶ ταύτῃ λογικός. (71,24– 29 Stählin/Treu)
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Die Formulierung εἰκὼν εἰκόνος dient auch in anderen Zusammenhängen dazu, einen Abstand und ein hierarchisches Verhältnis zu betonen.¹²⁸ In einem solchen Sinne nutzt auch Victorinus diese Unterscheidung, um den Sohn und die Seele klar voneinander zu trennen. Die Seele hat aufgrund ihrer Abbildhaftigkeit eine ähnliche Substanz, nicht aber dieselbe Substanz wie Gott. Allerdings versteht Victorinus die Bildhaftigkeit des Sohnes ganz anders als Origenes. Origenes konstruiert mit dem Bildbegriff eine gestufte Hierarchie der Wirklichkeit, an deren Spitze der Vater steht, dessen Bild der Sohn ist, dessen Bild wiederum die Seele ist. Mit der Bezeichnung als Bild ist jeweils auch eine ontologische Minderung verbunden, jede Stufe ist wie ein weiteres Spiegelbild der höheren: Wie sich Gottvater zum Gott Logos verhält, so verhält sich der Logos zu den einzelnen rationalen Wesen.¹²⁹ Der Vater ist die Wahrheit, der Sohn ihr Bild, für uns wiederum ist der Sohn die abbildhafte Wahrheit, durch die wir uns der Erkenntnis Gottes annähern können.¹³⁰ Im Gegensatz dazu füllt Victorinus den Bildbegriff ganz anders aus, wenn er ihn auf den Sohn anwendet. Er betont damit die Homousie zwischen Vater und Sohn.¹³¹ Dadurch rückt aber auch die Seele ontologisch an eine deutlich höhere Position: Vater und Sohn sind bei Victorinus das gemeinsame Urbild, nach dem die Seele geschaffen wird, weil der Sohn als Bild des Vaters dieselbe Substanz wie der Vater hat. Die Nähe der Seele zu Gottvater ist bei Victorinus damit gegenüber Origenes deutlich gesteigert. Die Homousie als Grundlage seines Denkens bringt Victorinus zu einer Abkehr von der gestuften Hierarchie des Platonismus. Das hat zum einen Konsequenzen für die kosmologische Funktion, die Victorinus der Seele zuschreibt. Sie kann in seinem Denken an die Stelle des Logos im System des Origenes treten und erfüllt daher eine vermittelnde Funktion zwischen der Ideenwelt im Logos und der materiellen Welt.¹³² Zum anderen hat diese Stellung Konsequenzen für die Soteriologie des Victorinus. Die Erlösung der Seele vollzieht sich bei ihm nicht als gestufter Aufstieg zum Logos und über den Logos zum Vater. Für ihn wird die Erlösung durch das einmalige Mysterium der Inkarnation gewirkt, in dem Christus ontologisch den Sieg über die materiellen Mächte vollzieht. An diesem Mysterium
Vgl. Gr. Nyss. opif. 12 (PG 44, 164 A), der den Körper des Menschen als ein Bild des Intellekts bezeichnet, weil der Körper vom Intellekt zusammengehalten und verwaltet wird und so Anteil an der göttlichen Schönheit bekommt: ὁ δὲ νοῦς τῷ κατ’ εἰκόνα τοῦ καλοῦ γεγενῆσθαι, καὶ αὐτὸς ἔχει τὸ καλὸς εἶναι· ἡ δὲ φύσις ἡ ὑπὸ τοῦ νοῦ συνεχομένη, καθάπερ τις εἰκὼν εἰκόνος ἐστί […]. Vgl. dazu Or. in Ioh. II 20. Vgl. Or. princ. I 2,6 (36 Koetschau, in apparatu ad l. 7– 10) = Hier. ep. 124,2 (CSEL 56, 97,10 – 14). S. o. S. 257 f. S.o. S. 265 – 275. S. dazu unten S. 495 – 499.
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können die Menschen durch den Glauben an den Logos teilhaben. Der Glaube bewirkt die Einheit der Glaubenden mit dem Logos und damit auch zugleich mit dem Vater.¹³³
4.5 Die trinitarische Struktur der Seele als Ausdruck ihrer similitudo Da die Seele nach dem Bilde der Trinität geschaffen ist und ihr wesensähnlich ist, kann Victorinus das Wesen der Seele ebenfalls trinitarisch beschreiben: „So entfaltete die Seele als zweite einheitliche Trinität dieses Vorbild in der sensiblen Welt […].“¹³⁴ Diese grundsätzliche Erkenntnis demonstriert den engen Zusammenhang zwischen der Selbst- und Gotteserkenntnis der Seele. Aus Gen 1,26 f. lernt die Seele über ihr Wesen, dass auch sie trinitarisch strukturiert ist. Durch diese Selbsterkenntnis kann sich die Seele dann auch der Erkenntnis Gottes annähern.¹³⁵ Victorinus nennt seine Darstellung der Seele als Trinität ein Gleichnis (similitudo) für die göttliche Trinität.¹³⁶ Das ist im doppelten Sinne zu verstehen, da es sich einerseits um eine didaktische Veranschaulichung handelt, andererseits aber auch um eine echte similitudo nach Gen 1,26 f. Sachebene und Gleichnisebene sind nicht völlig verschieden voneinander, sondern stehen in einer ontologischen Verbindung. Es handelt sich in der rhetorischen Klassifikation um eine similitudo zusammenhängender Sachbereiche.¹³⁷ Mit der Definitionstheorie des Victorinus kann man auch von einer Definition in Form einer Analogie sprechen.¹³⁸ Als Beispiel einer
S. dazu S. 333 f. Adv. Ar. Ib 64: […] sic anima, trinitas unalis secunda, explicavit imaginationem in sensibili mundo […]. (98,22 f. Locher) Dies ist also nicht einseitig als eine analogia entis zu beschreiben, wie bei Benz, Marius Victorinus, 141 f. Der Gedankengang geht hier nicht von unten von der Seele aus, sondern von oben von Gott aus. Die Vorstellung der Seele als Bild und Ähnlichkeit ist die Voraussetzung dafür, dass dann auch ein Rückschluss von der Seele auf Gott möglich ist. Ohne dieses Wissen könnte die Seele nicht aus sich selbst heraus automatisch auch auf Gott schließen. Eingeleitet wird die Darstellung in Adv. Ar. I 32 (66,25 Locher) als Beispiel: Habemus exempli gratia istud quod ego nunc dico. Und abgeschlossen in Adv. Ar. I 33 (68,12 Locher) mit der Bezeichnung als Gleichnis: Sed ista sicut in similitudine. Vgl. Lausberg, Handbuch, § 423. In rhet. I 29 46 – 47 (115,10 – 33 Riesenweber) unterscheidet Victorinus drei Formen der similitudo. Hier ist die zweite Form per paria einschlägig, die von Natur aus ähnliche Gegenstände miteinander in Beziehung setzt (115,19 – 22 Riesenweber). Mar. Victorin. defin. p. 28,1– 7 Stangl: Tertia decima est species definitionis κατ’ ἀναλογίαν, id est iuxta rationem, quae proportio dicitur, cum aliquid quod disputari licet cum altero id esse dicitur, quod illud est alterum propter rationalem similitudinem. Sed hoc contingit, cum maioris rei nomine res definitur inferior et hoc additur quid sit inferior. Graeci sic definiunt: ἄνθρωπος μικρόκοσμος, id est homo minor mundus.
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solchen Definition κατ’ ἀναλογίαν führt Victorinus die Bestimmung des Menschen als Mikrokosmos an. Diese Definition des Menschen beruht auf der Annahme, dass der gesamte Kosmos und der Mensch als ein Teil des Kosmos nach ähnlichen Prinzipien organisiert sind und daher Analogieschlüsse zwischen den beiden Größen möglich sind.¹³⁹ Genauso verhält es sich bei der gleichnishaften Entfaltung der Seelenstruktur im Verhältnis zur Trinität: Weil die Seele als secunda trinitas ähnlich strukturiert ist wie die göttliche Trinität, kann a minore ad maius von ihrem Wesen auf das göttliche Wesen geschlossen werden und umgekehrt a maiore ad minus von der göttlichen Trinität auf die Substanz der Seele. Damit bringt Victorinus die Gottes- und Selbsterkenntnis der Seele in ein Wechselspiel: Die Seele kann zunächst nur ihre eigene ontologische Ebene erkennen. Da sie aber aus Gen 1,26 f. erfährt, dass sie eine gottähnliche Substanz besitzt, kann sie von ihrem eigenen Wesen auf Gottes Wesen schließen. Umgekehrt kann die Seele durch die Gotteserkenntnis Erkenntnis ihrer selbst gewinnen: Wenn sie Gottes Wesen als trinitarisch erkennt, kann sie aus Gen 1,26 f. schließen, dass auch ihr Wesen in ähnlicher Weise strukturiert ist. Die Erkenntnisbewegung lässt sich also in zwei Richtungen beschreiben. In Adversus Arium I 32 stellt Victorinus zum ersten Mal in seinen dogmatischen Schriften die trinitarische Substanz der Seele dar, um die göttliche Trinität zu veranschaulichen. Mit seiner Auslegung von Gen 1,26 f. als Ausdruck der Homoiusie der Seele in Adversus Arium I 20 hat er den Leser auf eine solche Darstellung bereits vorbereitet.¹⁴⁰ Wie alles Sein hat auch die immaterielle Substanz der Seele eine ihr zugehörige species oder Form, durch die sie definiert wird und durch die ihr Wesen erkannt werden kann.¹⁴¹ Ihr Sein wird durch das Vermögen zu beleben und zu denken bestimmt (vitalis potentia et intellegentialis), diese Fähigkeiten sind identisch mit ihrem Wesen. Daher sind ihr Sein, ihre belebende Aktivität und ihr Intellekt wesenseins (ὁμοούσια), wobei das Sein der Seele über diesen beiden Vermögen ruht und sie in sich umfasst. Durch eine einzige Bewegung können sie sich aus ihrem potenziellen Status im Sein der Seele nach außen aktualisieren. Das Leben ist das Vermögen, durch das das infinite Sein der Seele bestimmt wird. Diese Bewegung des Lebens nach außen ist zugleich das Denkvermögen, da das Sein der Seele, wenn es durch das Leben geformt und definiert wird, zugleich erkannt werden kann.¹⁴²
Vgl. Gatzemeier, Art. „Makrokosmos/Mikrokosmos“, HWPh 5, 640. Vgl. Adv. Ar. I 20. Auch hier werden „leben“ und rationale Betätigung bereits als die wesentlichen Aktivitäten der Seele benannt. Zum Zusammenhang von res und species s.o. S. 275 – 279. Adv. Ar. I 32: Quae duo una est motio, quae quidem prima potentia vita est. Forma enim eo quod est esse vita est. Definit enim infinitum esse quod est prima potentia motionis. Secunda autem potentia
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Victorinus entwickelt in Bezug auf die Seele also eine erste Analogie zur Trinität, indem er ihr eine trinitarische Substanz zuschreibt: Ihre Substanz ruht in ihrem Sein, das die zwei Vermögen leben und denken umfasst, die nach außen aktualisiert werden können, ohne das Sein der Seele zu zerteilen. In der Tatsache, dass das wesensbestimmendes Sein stets unaffiziert bleibt und nur die aktualisierten Vermögen leiden können, besteht eine zweite Analogie der Seele zur Trinität. Das Sein der Seele ruht über ihrem substantiellen Belebungs- und Denkvermögen, die erst als Aktivitäten durch ihre Bewegung nach außen affiziert werden können. Bereits diese Bewegung nach außen stellt eine passio dar, da hier ein Wechsel von Ruhe zur Bewegung und wieder zurück stattfindet.¹⁴³ Die beiden Aktivitäten werden ferner affiziert, da sie ein Objekt benötigen und keine absoluten Aktivitäten darstellen.¹⁴⁴ Durch diese Beschäftigung mit einem Objekt erfahren sie dann weitere Leiden: Das Leben leidet in den Substanzen, die an ihm teilhaben, bis hin zu deren Tod, das Denken verstrickt sich in die Sinnendinge und wird so durch falsche Eindrücke vom wahren Sein abgelenkt und zur Scheinexistenz der sinnlichen Welt verführt.¹⁴⁵ Die Seelensubstanz und ihre Ebenbildlichkeit wird von den passiones ihrer aktualisierten Vermögen also nicht betroffen, da sie weiterhin in sich ruht und keinen Anteil an diesen Erfahrungen nimmt. Analog wird das Sein Gottes nicht
ipsa motio, quoniam quod definitur et intellegentia comprehenditur […]. (67,22– 26 Locher) Henry/ Hadot (CSEL 83/1 114) konjizieren in Adv. Ar. I 32,53: Secunda autem potentia ipsa ⸤n⸥otio […]. Ausführlich begründet wird diese Überlegung bei Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 379 f. Anm. 187: Wenn das erste Vermögen mit dem Leben identifiziert wird, müsste das zweite Vermögen mit der Erkenntnis gleichgesetzt werden, daher wäre notio eigentlich passender. Die Übersetzung S. 163 behält aber die überlieferte Lesart bei: „Das zweite Vermögen ist die Bewegung selbst […].“ Clark, FoC 69, 143 folgt der Konjektur in ihrer Übersetzung: „But the second power is notion […].“ Die Überlegungen für die Konjektur werden aber hinfällig, wenn man anders übersetzt: „Das zweite Vermögen ist dieselbe Bewegung, weil das, was bestimmt wird, zugleich auch durch das Denken erfasst wird.“ So verstanden zielt Victorinus darauf ab, dass Leben und Denken mit ein und derselben Bewegung hervorgehen. Das passt auch gut zum Kontext. Der überlieferte Text kann also ohne Bedenken beibehalten werden. Vgl. Adv. Ar. I 32: Motio enim passio et motione passio. In motione enim motio et status. Statum autem esse in motione passio est et in motione esse a statu est passio; ergo et motio. Motione igitur omnis passio. (67,31– 34 Locher) Zur ἐνέργεια ἀπόλυτος s.o. S. 299 – 302. Vgl. Adv. Ar. I 32: Secundum vitam quidem passio, quod adhuc indiget alterius, quod vult vivefacere, et ideo, iuxta quod ei est particeps, et alias patitur passiones usque in mortem. Secundum autem intellegentiam, quoniam et ista indigens est eius, quod intelligibile est, ut intellegentia subsistat, magis passiones et infirmitates incurrit et volvitur in sensibilibus, et per phantasiam in falsam subsistentiam circumducitur. (67,34– 68,6 Locher) Zu den analogen Abläufen in der Trinität s.o. S. 311– 324.
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dadurch angegriffen, dass der Sohn in seiner aktualisierten und inkarnierten Form etwas erleidet. Nur der Sohn und der Heilige Geist sind leidensfähig, da sie sich in einer Bewegung nach außen aktualisieren, das Sein Gottes hingegen bleibt trotz aller passiones des Sohnes unaffiziert.
4.6 Fazit Victorinus misst in der Diskussion des Wesens der Seele und ihrer Fähigkeiten der Exegese von Gen 1,26 f. maßgebliche Bedeutung zu. Seine Psychologie erweist sich als philosophische Durchdringung der biblischen Rede von der Schöpfung des Menschen. Die Stellung der Seele ist durch eine Dialektik aus Nähe und Abstand zu Gott geprägt: Einerseits ist die Seele vor der übrigen Schöpfung besonders ausgezeichnet, andererseits ist sie von Gott deutlich unterschieden. Die Seele erhält ihren besonderen Rang, weil sie von Gott nach seinem Ebenbild und seiner Ähnlichkeit erschaffen wurde. Dadurch ist es ihr möglich, durch Selbsterkenntnis auch Kenntnis über Gottes Wesen zu gewinnen. Die Möglichkeit des ontologischen Aufstiegs zum Intellekt ist ihr von Gott wesensmäßig geschenkt. Die qualitative Vervollkommnung ihres Wesens beginnt mit dem Glauben, erfüllt sich aber erst eschatologisch. Mit dieser Ansicht schließt sich Victorinus der Auslegung von Gen 1,26 bei Origenes insofern an, als die Ähnlichkeit als eschatologische Kategorie bewertet wird. Er unterscheidet sich aber darin, dass er diese Ähnlichkeit nicht als Ergebnis verdienstvoller Werke versteht, sondern allein als Belohnung für den Glauben. Ferner betont Victorinus gegen alle Lehren, die die Seele als göttlich betrachten, deren Unterschiedenheit von Gott. Sie ist Gott nur ähnlich, hängt von ihm ab und empfängt alles, was sie ist, von ihm. So grenzt Victorinus sich zugleich von Plotins Vorstellung der göttlichen Seele ab als auch von gnostischen Vorstellungen einer mit Gott substantiell geeinten Seele. Die Seele ist nicht von Anfang an göttlich, erst die Inkarnation ebnet den Weg zu einer Vereinigung der Seele mit Gott. Aus dem Glauben folgt die Möglichkeit der Erkenntnis und damit beginnt der ontologische Aufstieg der Seele, der im Eschaton zum Ziel gelangt. Damit zeigt sich die enge Verbindung zwischen der philosophischen Seelenlehre in Ad Candidum und ihrer exegetischen Begründung in der Genesisauslegung. Victorinus bietet seinen Lesern in Ad Candidum eine zusammenhängende Darstellung der ontologischen Hierarchie und setzt diese im weiteren Verlauf des Werkes voraus. Dabei zeigt er, dass es sich nicht um eine bloße philosophische Spekulation handelt, sondern dass auch die Seelenlehre biblisch fundiert ist.
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5 Quellseele, Weltseele und Einzelseele bei Victorinus 5.1 Problemanzeige und Fragestellungen des Victorinus In aller Regel spricht Victorinus in seinem Werk ohne nähere Bestimmung von der Seele im Allgemeinen. An einigen wenigen Stellen spezifiziert er die Seele aber näher oder differenziert verschiedene Seelentypen voneinander. Er spricht dann von einer universalen Quellseele (anima universalis atque fontana, fons animae)¹⁴⁶, einer Seele, die immer oben ist (semper quae sursum sit)¹⁴⁷, einer Seele in der Welt (mundana anima)¹⁴⁸ und von Einzelseelen (unaquaeque anima)¹⁴⁹. Weder erklärt Victorinus diese Differenzierungen ausführlich noch koordiniert er die verschiedenen Seelentypen systematisch für seinen Leser. Bei der Interpretation muss jeweils aus dem Kontext erschlossen werden, was Victorinus mit den Bezeichnungen ausdrücken möchte und zu welchem Zweck er verschiedene Seelen voneinander unterscheidet. Diese Differenzierungen sind in der bisherigen Forschung nur unzureichend oder gar nicht diskutiert und eingeordnet worden.¹⁵⁰ Eine Interpretation der betreffenden Passagen im Vergleich mit der Seelenlehre Plotins kann zeigen, dass Victorinus wie Plotin eine transzendente Seelenhypostase von den Einzelseelen in der Welt unterscheidet. Die transzendente Seele bezeichnet er als Quellseele und als Seele, die sich immer oben befindet. Bei seinen Lesern setzt Victorinus diese Grundlagen der Seelenlehre Plotins voraus, ohne sie näher zu erörtern oder zu begründen. Geiger und Baltes gehen in ihren Arbeiten außerdem davon aus, dass Victorinus die platonische Lehre der Weltseele übernehme.¹⁵¹ Allerdings belegen sie diese
Adv. Ar. IV 5.11 (138,9; 144,23 Locher). Adv. Ar. Ib 64 (98,23 Locher). Adv. Ar. Ib 64; IV 6 (98,24; 139,28 Locher). Adv. Ar. IV 5 (138,8 Locher). De Leusse, préexistene, RSR 29 (1939), 221 erwähnt nur kurz, dass die Quellseele den Einzelseelen das Leben weitergibt. Clark, Psychology, AugStud 5 (1974), 149 – 166 geht auf die Differenzierungen nicht ein. Auch Steinmann bespricht sie in seiner sonst gründlichen Untersuchung der Seelenmetaphysik nicht und behandelt nur die Einzelseele. Steinmann, Seelenmetaphysik, 160 Anm. 244 zitiert zwar Adv. Ar. IV 11, wo Victorinus von der Quellseele spricht, geht aber nicht darauf ein, was darunter zu verstehen ist. Schiavolin, Mysterium, 11– 14 interpretiert Adv. Ar. Ib 64 ohne größere philosophiegeschichtliche Einordnung der Konzepte. Vgl. Geiger, C. Marius Victorinus II, 91: „Victorinus statuirt nemlich ebenso wie die Neuplatoniker überhaupt neben den Seelen der Einzelnwesen auch eine allgemeine Weltseele, was auch in seinem ganzen System begründet ist.“ Was Geiger, C. Marius Victorinus II, 91– 93 dann darstellt, ist im Wesentlichen aber die Quellseele und ihre Aktivität. Baltes, Marius Victorinus, 121 zu Adv. Ar. Ib 64
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Annahme nicht am Text, sondern leiten sie aus ihrer Vorannahme ab, dass hinter den Schriften des Victorinus ein voll ausgebildetes neuplatonisches System stehe. Ein gewisser Widerspruch zeigt sich darin, dass Baltes in seiner stärker aus den Texten gearbeiteten Zusammenschau der „verschiedene[n] Grade von Seelen“ die Weltseele nicht erwähnt.¹⁵² Als einziges textliches Indiz, dass Victorinus eine Weltseele voraussetzt, ließe sich die Erwähnung einer mundana anima in Adv. Ar. IV 5 werten.¹⁵³ Jedoch kann eine genaue Interpretation zeigen, dass darunter die individualisierte Einzelseele in der Welt im Unterschied zur transzendenten Seele gemeint ist. Es stellt sich daher die Aufgabe, zunächst die Stellen, an denen Victorinus verschiedene Seelentypen differenziert, gründlich zu untersuchen und herauszuarbeiten, welche Funktion diese Differenzierung in seinem Denken hat. Dabei wird sich zeigen, dass sich in den Texten mit Gewissheit nur eine Unterscheidung zwischen in der Welt befindlichen Einzelseelen und der Quellseele als deren transzendenten Ursprung klar herausarbeiten lässt. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass Victorinus das Konzept einer Weltseele nutzt, ohne diese terminologisch näher zu bezeichnen. Daher muss in einem zweiten Schritt danach gefragt werden, welche Funktionen die Weltseele in platonischen Systemen ausübt, wie diese Vorstellung von anderen christlichen Autoren rezipiert wird und ob sich Vergleichbares für Victorinus nachweisen lässt. Methodisch gilt es dabei zu bedenken, dass sich eine eindeutige Systematisierung als schwierig erweisen könnte. Blumenthal weist in seiner grundlegenden Untersuchung der Seelenlehre Plotins darauf hin, dass dessen gleichzeitige Annahme einer Homousie aller Seelen und die klare Unterscheidungen zwischen Ur-, Welt- und Einzelseele zu unlösbaren Inkohärenzen führt.¹⁵⁴ Das kann auch für die Seelenlehre des Victorinus als Warnung vor dem Versuch einer übermäßigen Systematisierung gelten. Daher müssen die einzelnen Aussagen immer in ihrer Funktion im Kontext betrachtet werden. Diese Erkenntnisse lassen sich dann aber nur sehr eingeschränkt auf das ganze Werk des Victorinus anwenden, in dem er meist ohne nähere Bestimmung von der Seele spricht. Insgesamt wird sich zeigen, dass Victorinus auch nur ein sehr begrenztes Interesse an einer systematischen Diffe-
(98,22– 24 Locher, s. Anm. 134): „Damit ist wahrscheinlich gemeint, daß die von ihr [sc. der Quellseele] hervorgebrachte Weltseele und alle vernünftigen Seelen eine ähnliche triadische Struktur aufweisen wie sie selbst […].“ Auch Cooper, Marius Victorinus, 549 f. schreibt die Aktivitäten der Quellseele der Weltseele zu und urteilt: „A more direct appropriation of the Platonist World Soul is hardly to be encountered in such an otherwise orthodox Latin Christian context.“ (550) Vgl. Baltes, Marius Victorinus, 89 – 95. So in der Übersetzung von Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 275. Vgl. Blumenthal, Soul, World-Soul, and Individual Soul in Plotinus, 55 f.
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renzierung verschiedener Seelentypen hat, da für ihn besonders die Frage nach dem Heil der individuellen Seele im Mittelpunkt steht. Damit verbunden ist vor allem die Frage, wie durch die Annahme einer einzelnen Seele durch Christus alle Seelen an der Erlösung partizipieren können. Zur Beantwortung dieser Frage dient das Konzept der Homousie aller Einzelseelen aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs in der Quellseele.
5.2 Die transzendente Quellseele als Vermittlerin des göttlichen Lebens und als Begründung der Homousie der Seelen An insgesamt drei Stellen erwähnt Victorinus die Vorstellung einer stets transzendenten Seele, die er auch als Quellseele bezeichnet. Diese Quellseele ist der Ursprung aller Einzelseelen, die aufgrund dieser gemeinsamen Herkunft eine einheitliche Substanz besitzen. In der Auslegung von Gen 1,26 f. in Adversus Arium Ib stellt Victorinus die Substanz der Seele als zweite Trinität nach der göttlichen Trinität dar. Seine Ausführungen schließt er mit einem Vergleich zwischen diesen beiden trinitarischen Wesen: Wie die göttlichere einheitliche Trinität entsprechend ihrem eigenen Sein die Seele als Abglanz in der intelligiblen Welt als Subsistenz und eigene Substanz geschaffen hat – wir sprechen hier im eigentlichen Sinne von Substanz – so entfaltet die Seele als zweite einheitliche Trinität dieses Vorbild in der sensiblen Welt, und zwar die Seele, die immer oben ist und die die Seelen in der Welt hervorbringt. Und das bedeutet also „nach dem Bild und der Ähnlichkeit“.¹⁵⁵
Hier spricht Victorinus davon, dass die Seele im intelligiblen Kosmos als Abbild der göttlichen Trinität erschaffen wird und aufgrund ihrer Abbildhaftigkeit eine ähn-
Adv. Ar. Ib 64: Sicuti divinior trinitas unalis, secundum quod per se, effulgenter fecit animam in mundo intellectibili in subsistentiam et propriam substantiam, quam proprie dicimus substantiam, sic anima, trinitas unalis secunda, explicavit imaginationem in sensibili mundo, ipsa anima, semper quae sursum sit, mundanas animas gignens. Et istud iuxta imaginem et similitudinem. (98, 19 – 25 Locher) Ich betrachte secundum quod per se nicht als Begründung für die Einheitlichkeit der Trinität, sondern beziehe es auf fecit. Vgl. dagegen die Übersetzung von Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 210: „So wie jene göttliche Trinität, die ganz eins ist, insofern sie durch sich selbst ist […].“ Zur Übersetzung von imaginationem explicavit vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 401, Anm. 326. Ausfühlich diskutiert Hadot, Porphyre I, 332– 335 verschiedene Möglichkeiten des Verständnisses. Ich fasse imaginatio als lateinisches Äquivalent zu ὑποτύπωσις auf. Diese Begriffe setzt Victorinus in defin. p. 25,16 f. Stangl gleich: Nona species definitionis est καθ’ ὑποτύπωσιν, id est per quandam imaginationem. Zur Bedeutung vgl. PGL, 1463, s.v. ὑποτύπωσις 4: „example, model, pattern.“
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liche Rolle gegenüber der sensiblen Welt einnimmt wie der trinitarische Gott im Verhältnis zu ihr. Diese Seele ist die Mittlerin zwischen der göttlichen Trinität und der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Victorinus charakterisiert sie als stets in der Transzendenz verharrend (semper quae sursum sit) und bezeichnet sie als Ursprung der Individualseelen in der sensiblen Welt (mundanae animae). Den Begriff Quellseele nutzt Victorinus dann erst in Adversus Arium IV, um die transzendente Seele von den Einzelseelen zu unterscheiden. Im weiteren Kontext möchte er zeigen, dass das Leben Gottes sich von dem Leben der Seele unterscheidet. Die Seele ist zwar als das Lebensprinzip unbewegt, selbstbewegt und stets in der Aktivität, jedoch hat sie dieses Leben von Gott als der Ursache alles Lebens her. Wie alles andere Lebendige hat sie ein von außen empfangenes Leben und ist nicht wie die Trinität ungezeugtes und ewiges Leben.¹⁵⁶ Damit grenzt sich Victorinus philosophisch von Plotin ab, der die Unsterblichkeit der Seele gerade damit begründet, dass sie kein von außen kommendes Leben besitze, sondern mit dem Leben identisch sei.¹⁵⁷ In dieser Unterscheidung des Lebens Gottes von allem übrigen Leben differenziert Victorinus beiläufig zwischen einer Quellseele und einer Einzelseele: Das Leben Gottes, das die Ursache alles übrigen Lebens ist, unterscheide sich kategorial von allem anderen Leben, auch von dem der Seele. Dabei sei es egal, ob man von der Einzelseele (unaquaeque anima) oder der universalen Quellseele spreche (universalis atque fontana anima).¹⁵⁸ In derselben Schrift nennt Victorinus letztere Seele auch den fons animae, der das Leben des Logos an die Welt weitergibt.¹⁵⁹
Vgl. Adv. Ar. IV 13: Nam et anima αὐτογόνῳ, id est suo et a sibi orto motu fertur et αὐτοκίνητος dicitur, unde et ἀκίνητος. Ergo et semper in motu est, quod est semper agere et esse ipsam ἐνέργειαν, ut sit ei substantia ipse ille motus. Dictum est enim: Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram. Habet ergot αὐτόγονον κίνησιν, id est motum a se ortum, ut deo est, ut Christo, sed quia non est ille prior spiritus, idcirco alia substantia et facta, no a se exsistens, sed facta, ut a se haberet motum, quippe anima aliud, aliud vita. (146,8 – 15 Locher). In Adv. Ar. IV 14 wird der Unterschied so bezeichnet, dass das göttliche Leben das selbstgezeugte Leben ist (vita a se genita), während alles andere ein von außen kommendes Leben habe (vivunt vitam habentia ἐπακτὸν, id est illatam). (147,21 f. Locher) Vgl. Plot. enn. IV 7 (2) 11. Dort betont Plotin im Gegensatz zu Adv. Ar. IV 14 (s. vorige Anm.), dass das Leben der Seele nicht von außen zukommt (11,5.14: ἐπακτός) oder hinzuerworben ist (11,3: ἐπίκτητος). Im Hintergrund steht eine Auseinandersetzung um Pl. Phd. 102d-105e, vgl. dazu Tornau, Aug. immort., 21– 25.67– 73. Zur christlichen Tradition dieser Abgrenzung vom Platonismus mit Belegen bei Justin und Tertullian, S. 91.93 f. Vgl. Adv. Ar. IV 5: […] non inquam illud vivere in deo est, hoc deus est, quod est vivere animae aut uniuscuiusque aut illius universalis atque fontanae […]. (138,7– 9 Locher) Vgl. Adv. Ar. IV 11: Mox in animam fontemque animae gradatim veniens, quia anima imago τοῦ λόγου est […]. (144,23 f. Locher)
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G Die Seele im Denken des Victorinus
Die Differenzierung der Seele in eine Quell- und viele Einzelseelen gehört also zunächst einmal in den Rahmen der Frage, wie das Leben aus dem Logos bis zur Materie nach unten weitergegeben wird. Dies drückt Victorinus mithilfe der Metaphorik von Quelle und Fluss aus: Während der Vater die unveränderliche und in sich ruhende Quelle alles Lebens darstellt, ist der Logos der Fluss, der aus dieser Quelle hervorgeht, nach unten fließt und so das Leben weitergibt. Dabei belebt er die unterschiedlichen ontologischen Stufen in unterschiedlicher Weise, je nach ihrem Fassungsvermögen.¹⁶⁰ Die Quellseele erfüllt dabei ähnlich wie Plotins dritte Hypostase eine vermittelnde Funktion zwischen der intelligiblen Einheit alles Seins im Logos und der realisierten Pluralität in der sichtbaren Schöpfung.¹⁶¹ Durch den spezifischen Bildbegriff des Victorinus rückt in seinem metaphysischen System die Seele deutlich stärker an die Stelle, die im Denken des Origenes der Logos einnimmt. Bei Origenes nimmt der Logos als ontologisch abgestuftes Abbild des Vaters die Mittlerposition zwischen intelligibler und sensibler Welt ein.¹⁶² Eine solche Funktion weist Victorinus dem Logos grundsätzlich auch zu, beschreibt ihn aber mehr als die totale Einheit der Vielheit der Ideen. Durch die Homousie mit dem Vater rückt er in der Hierarchie des Seins bildlich gesprochen eine Stufe nach oben. Dadurch gewinnt die Seele bei Victorinus eine stärkere Rolle als Mittlerin zwischen der Einheit des Seins im Logos und der realisierten Pluralität des Seins in der materiellen Welt. In der Forschung wird häufig darauf hingewiesen, dass der Begriff der Quellseele aus dem Milieu der Chaldäischen Orakel stamme.¹⁶³ Damit verbindet Hadot die These, dass Victorinus diesen Begriff aus den Kommentaren des Porphyrius zu den Orakeln übernimmt.¹⁶⁴ Jedoch weist Hadot auch darauf hin, dass der Begriff schon vor den Orakeln bei Apuleius belegt ist und sich eine vergleichbare Formu-
Vgl. zur Flussmetaphorik Adv. Ar. I 47 (83,5 – 12 Locher); Adv. Ar. IV 11 (144,17– 145,12 Locher). Vgl. für Gott als Quelle der Seele in Eph. 2,15,10: […] animae a dei fonte natae […]. Vgl. dazu knapp Blumenthal, Nous and Soul in Plotinus, 204: Der Intellekt ist als ἕν πολλά „Einheit in Vielheit“, während die Seele als ἕν καὶ πολλά „Vielheit in Einheit“ ist, vgl. Plot. enn.V 1 (10) 8,25 f., weitere Belege für ähnliche Ausdrücke bei Blumenthal, S. 204. Der Intellekt ist ewig und überzeitlich, die Seele existiert ewig, aber ist mit der Zeit verbunden, vgl. Plot. enn. IV 4 (28), 1,25 – 33 für die Zeitlosigkeit des Intellekts, III 7 (45) 11,20 – 43 für die Entstehung der Zeit durch die Aktivität der Seele. Vgl. ausführlich zur Mittelstellung der Seele bei Plotin, Ziebritzki, Heiliger Geist, 146 – 191. Vgl. Ziebritzki, Heiliger Geist, 141 f. Vgl. Hadot, SC 69, 987 ad 5,10. Zahlreiche Belege für den Begriff in chaldäischen Kontexten bei Seng, Seele und Kosmos bei Macrobius, 118 – 121. Vgl. die Zusammenstellung der Texte bei Hadot, Porpyhre II, 38.41.43: Gruppe II §60; Gruppe III §§64.66.
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lierung bei Tertullian findet.¹⁶⁵ Tertullian veranschaulicht seine traduzianistische Seelenlehre mit der Aussage, dass alle Seelen aus Adam stammten, der wie eine Quelle ihrer Natur sei (fons naturae).¹⁶⁶ Die Orakel scheinen also einen bereits bekannten Begriff aufzunehmen und ihm zu weiterer Popularität zu verhelfen. Diesen verbreiteten Terminus nimmt auch Victorinus auf, da er seinem Denken in doppelter Hinsicht sachlich angemessen ist¹⁶⁷: Erstens passt der Begriff zur metaphorischen Beschreibung des Vaters als Quelle alles Seins und beschreibt analog die lebensmittelnde Funktion der Seele für die Welt: Wie Gott die Quelle alles Lebens ist, so ist die transzendente Seele als Vermittlerin die Quelle des Lebens für die materielle Welt.¹⁶⁸ Zweitens kann Victorinus in Adv. Ar. II 2 die Vorstellung, dass alle Seelen aus einer einzigen Quelle stammen, wie Tertullian als veranschaulichendes Argument für ihre substantielle Einheit verwenden: Obwohl es eine Vielzahl an Einzelseelen in verschiedenen Körpern gibt, besitzen alle Einzelseelen eine identische Substanz, die sie aus der Quellseele her erhalten.¹⁶⁹ Diese Homousie der Seelen begründet Victorinus an dieser Stelle nicht, sondern setzt sie umgekehrt im argumentativen Kontext selbstverständlich als Vergleichspunkt für die Homousie der Trinität voraus: Die Substanzeinheit aller Seelen dient ihm als Argument gegen die homöusianische Polemik, dass die Homousie von Vater und Sohn voraussetze, dass es eine präexistierende und vorrangige Substanz geben müsse, die sich die göttlichen Hypostasen teilen müssten.¹⁷⁰ Dagegen führt Victorinus das Beispiel der Seelen ins Feld,
Vgl. Hadot, Porphyre I, 395 f. mit Anm. 1. Er verweist auf Apul. Plat I 9,199: Sed illam, fontem animarum omnium, caelestem animam optimam et sapientissimam virtute esse genetricem, subservire fabricatori deo et praesto esse ad omnia inventa eius pronuntiat. (98,1– 4 Moreschini) Für Tertullian s. nächste Anm. Hadot verweist auf hierfür auf Tert. anim. 20,6: fons naturae (CCSL 2 813, 45). Der gleiche Gedanke in anim. 27,9 (CCSL 2 824,52). Vgl. dazu auch den Kommentar von Waszink, 290, ad ut in fonte naturae mit weiteren Belegen. Damit zeigen sich zugleich die Grenzen des Versuchs, die Rezeption der Orakel bei Victorinus nachzuvollziehen, wie sie Huh/Pià, Pour un index, 195 – 218 auf der Basis der Quellenforschung Hadots versuchen. Schon Des Places, Oracles, StPatr 11,2 (1972), 29 – 31 sammelt einige Stellen bei Victorinus, die er auf die Orakel zurückführt. Gott als fons et origo in Adv. Ar. II 4; IV 3.22 (104,23 – 25; 137,3 f.; 155,23 – 25 Locher). Für Gott als Quelle des Lebens vgl. auch die Oden Salomos 14,44; die Metaphorik wird auch verwendet z. B. in Joh 4,10 – 14; Apk 21,6. Vgl. Adv. Ar. II 2: Deinde, quod multis docuimus, substantia in eo, quod substantia est, maxime si sit eiusdem generis, et haec in duobus pluribusve sit, haec eadem, non similis dicitur esse substantia. Ut anima substantia est, sint licet multae animae, in eo, quod animae sunt, una est illis eademque substantia, non quo praecesserit illa substantia et praeexstiterit, sed simul semper exstiterit, ita et in ceteris […]. (102,17– 22 Locher) Vgl. für den Vorwurf Adv. Ar. I 29 (62,18 – 20; 63.5 f. Locher) mit Dok. 56.2,2 AW III/1/3.
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G Die Seele im Denken des Victorinus
die als Angehörige desselben genus auch substanziell identisch seien, ohne dass es eine vorrangige und präexistente Substanz gebe. Daraus lässt sich schließen, dass Victorinus davon ausgeht, dass alle Einzelseelen schon aktuell in der Universalseele enthalten sind. Die Quellseele stellt keine vorrangige Substanz dar, die sich den Einzelseelen mitteilt, sondern die Substanz aller Einzelseelen existiert schon immer in der Quellseele. Die Einzelseelen erscheinen so als species eines gemeinsamen genus, das von der Quellseele repräsentiert wird. Victorinus setzt das Einverständnis seiner Leser mit der Lehre von der Homousie der Seelen implizit voraus. Innerhalb des christlichen Seelendiskurses positioniert sich Victorinus damit trotz der ganz unterschiedlichen Voraussetzungen ähnlich wie Tertullian. Die Lehre von der substantiellen Einheit der Seelen führt in der Soteriologie zu einer antignostischen Pointe. Die Frage, warum die einen erlöst werden, die anderen nicht, kann nicht durch einen substantiellen Unterschied zwischen den Menschen erklärt werden. So erfüllt die Lehre von der Präexistenz und der Homousie aller Seelen bei Victorinus die gleiche argumentative Funktion für die Soteriologie wie der Traduzianismus Tertullians.¹⁷¹ Die Homousie der Seelen hat zudem noch eine hamartiologische und damit verbunden eine weitere soteriologische Pointe: In der Hamartiologie kann die substantielle Identität aller Seelen erklären, warum aufgrund des einmaligen Fehlverhaltens der transzendenten Seele alle Einzelseelen die Folgen dieses Fehlers tragen müssen. Die transzendente Seele hat einmal entschieden, den Kontakt mit der Materie aufzunehmen, sodass nun alle Einzelseelen, die aus ihr hervorgehen, in der Materie gefangen sind. Auch Augustinus erwägt einmal, auf diesem Wege zu erklären, wie alle Menschen im ersten Menschen gesündigt haben könnten.¹⁷² Für die Soteriologie bietet sich analog dazu eine Erklärung, wie die Annahme einer einzelnen Seele durch Christus Auswirkungen auf alle Einzelseelen haben kann.¹⁷³ Innerhalb des philosophischen Seelendiskurses schließt sich Victorinus der Vorstellung Plotins von der substantiellen Einheit aller Seelen an.¹⁷⁴ Plotin ist ein
Vgl. Tertullians Ablehnung der verschiedenen Menschenklassen im Valentinianismus in Tert. anim. 21,1. Zur Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Gnosis für die Entwicklung von Tertullians Seelenlehre vgl. Kitzler, Nihil enim anima, WSt 122 (2009), 165 – 169. Zur traduzianistischen Lehre allgemein Ders., Art. „Traducianism“, EEC online. Vgl. Aug. lib. arb. III 20,56: Deinde si una anima facta est ex qua omnium hominum trahuntur nascentium, quis potest dicere non se peccasse cum primus ille peccavit? Dazu ausführlich unten S. 513 – 520. Vgl. für Plotin bes. enn. IV 9 (8). Jamblich bestreitet dagegen die substantielle Identität aller Seelen und teilt sie in verschiedene Seelenklassen auf. Vgl. Iamb. De anima 6.17 f.28 f. Diese Position diskutiert Victorinus überhaupt nicht, sondern folgt der Ansicht Plotins und Porphyrius’ von der Einheit der Seele. Iamb. De anima 17 (44,9 f. Finamore/Dillon) legt nahe, dass Porphyrius sich von Plotins Sicht unterscheide. Das scheint eine Übertreibung Jamblichs zu sein, da die erhaltenen
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entschiedener Verfechter der Homousie aller Seelen und zieht zur Erklärung des Verhältnisses der Seelenhypostase zu den Einzelseelen bereits die Analogie von Genus und Spezies heran, deren sich auch Victorinus bedient.¹⁷⁵ Plotin charakterisiert die Seelenhypostase als Genus, aus dem heraus sich sowohl die Weltseele als auch die menschlichen, tierischen und pflanzlichen Einzelseelen aktualisieren.¹⁷⁶ Er erklärt damit, wie alle Seelen zugleich eine Einheit darstellen und sich in verschiedenen Formen individualisieren können. Alle Einzelseelen entstehen zwar aus der Tätigkeit der Seelenhypostase, auf den verschiedenen Stufen werden die Seelenvermögen aber nur teilweise aktualisiert. Damit sind Pflanzen-, Tier- und Menschenseelen mit der Seelenhypostase substantiell identisch, verwirklichen aber die Vermögen der Seele in unterschiedlichem Grade. Jede Seele ist der Möglichkeit nach alle Seelenvermögen, aktual aber nur ein Teil davon. Dagegen existieren in der Gesamtseele alle Teile aktual. So kann die Seele insgesamt zugleich ungehindert im intelligiblen Bereich verharren, während ihre Aktualisierungen bis in die Materie hinunterreichen.¹⁷⁷ Victorinus erläutert nicht, wie man sich die Individualisierung der Seelen aus der einen Quellseele vorstellen soll. Durch den Vergleich mit Plotin lässt sich aber immerhin vermuten, dass Victorinus ebenfalls die Seele der Pflanzen, Tiere und Menschen auf denselben Ursprung zurückführt. Das entspricht ganz seinem monistischen Anliegen, alles auf Gott als der einen Ursache zurückzuführen. Dieser schafft eine Seele, die wiederum die Ursache für die verschiedenen Abstufungen des beseelten Lebens ist. Eine weiterer wichtiger Baustein in Plotins Lehre von der Seelenhypostase ist, dass diese Hypostase stets in der Transzendenz verharrt.¹⁷⁸ Daraus zieht Plotin die Konsequenz, dass auch die menschliche Seele in der Welt in ihrem obersten Teil stets unaffiziert ist und eine Verbindung zum intelligiblen Sein besitzt.¹⁷⁹ Auch diese
Schriften klar eine Übernahme von Plotins Lehre von der Einheit der Seelen zeigen, vgl. den Kommentar von Finamore/Dillon, S. 125 f. Vgl. Plot. enn.VI 2 (43) 22,28 – 33: Ψυχῆς δὲ ἐνεργούσης ὡς γένους ἢ εἴδους αἱ ἄλλαι ψυχαὶ ὡς εἴδη. Καὶ τούτων αἱ ἐνέργειαι διτταί· ἡ μὲν πρὸς τὸ ἄνω νοῦς, ἡ δὲ πρὸς τὸ κάτω αἱ ἄλλαι δυνάμεις κατὰ λόγον, ἡ δὲ ἐσχάτη ὕλης ἤδη ἐφαπτομένη καὶ μορφοῦσα. Καὶ τὸ κάτω αὐτῆς τὸ ἄλλο πᾶν οὐ κωλύει εἶναι ἄνω. Vgl. dazu Deuse, Seelenlehre, 115.122. Vgl. auch Gurtler, The Origin of Genera, Dionysius 12 (1988), 3 – 15. Gurtler behandelt hier den Intellekt und die Teilintellekte als Genus und Species, dies lässt sich dann analog aber auf die Seele beziehen. Zur Unterscheidung der Seelenhypostase, der Weltseele und der Einzelseele bei Plotin vgl. den grundlegenden Beitrag von Blumenthal, World-Soul and Individual Soul in Plotinus. Vgl. dazu insgesamt Deuse, Seelenlehre, 121– 126. Vgl. nur Plot. enn. VI 2 (43) 22,28 – 33 (s. Anm. 175). Daran übt Iamb. De anima 6 (30 Finamore/Dillon) Kritik, vgl. dazu und zum Vergleich mit Plotin den Kommentar von Finamore/Dillon, S. 89 – 91, ferner Dillon, Iamblichus, ANRW II 36,2, 893 f.
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Vorstellung teilt Victorinus, wenn er den menschlichen Intellekt als einen intakten Funken charakterisiert, der die gefallene Seele nach oben zurückruft, und diesen von der notwendigen Reinigung der übrigen Teile des Menschen ausnimmt.¹⁸⁰ Da der Ursprung der Seele stets im Transzendenten verharrt, bedeutet das Hinabsinken der Einzelseele in die Materie keine Veränderung ihrer Substanz. Sie bleibt auch nach dem Fall substantiell das Bild des dreieinen Gottes. Gegen die Aktualisierungstheorie Plotins betont Victorinus aber, dass die rationale Seele des Menschen sich nicht selbst in einem Körper aktualisiert hat, sondern durch Gott eingehaucht wurde.¹⁸¹ Nur von der Tierseele sagt Victorinus, dass sie aus der Erde hervorspringe, aber auch dies geht auf den Befehl Gottes zurück.¹⁸² Für diesen Unterschied kann die ἐπιτηδειότης der Körper als Erklärung dienen: Der menschliche Leib wird von Gott aus der „Spitze der Erde“ geformt und wird dann mit der rationalen Seele versehen.¹⁸³ Die Seele kann von sich aus keinen menschlichen Leib formen und ihn mit Rationalität begaben. Daher besitzen die Tiere auch nur einen „materiellen Intellekt“.¹⁸⁴
5.3 Die Frage nach einer Weltseele 5.3.1 Die anima mundana in Adv. Ar. IV 6 als in der Welt befindliche Einzelseele Es verbietet sich, Victorinus schlicht aus Systemzwängen die Lehre einer Weltseele zuzuschreiben.¹⁸⁵ Nur an einer Stelle spricht Victorinus von einer anima mundana, worunter man auch die Weltseele verstanden hat. Eine genaue Untersuchung des Sprachgebrauchs des Victorinus spricht jedoch dafür, darunter nicht eine Seele des Kosmos, sondern eine einzelne, in der Welt befindliche Seele im Unterschied zu ihrem körperlosen, präexistenten Zustand zu verstehen. In Adversus Arium IV sammelt Victorinus verschiedene biblische Belegstellen zum Beweis, dass der Sohn und die Trinität insgesamt als „Leben“ angesprochen werden, um über diese gemeinsame Bezeichnung die Homousie zu begründen. Im Rahmen dieser Schriftbelege leistet er auch eine kurze Exegese der Unterhaltung Jesu mit der Samaritanerin in Joh 4.¹⁸⁶ Er interessiert sich für diese Stelle, weil hier klar davon gesprochen wird, dass Christus der Zugang zum ewigen Leben ist. Dies
Vgl. Adv. Ar. Ib 61.62 (96,12– 14; 97,15 – 19 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 62; III 11 (97,12; 126,14 Locher). Vgl. Adv. Ar. III 3 (117,14 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (96,29 f. Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,8 – 11 Locher) S.o. S. 386 – 388. Zu den methodischen Problemen dieser Argumentation s.o. S. 93, Anm. 168. Vgl. Adv. Ar. IV 6 (139,25 – 30 Locher).
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wird in Joh 4,13 – 15 durch den Gegensatz zwischen dem Wasser im Brunnen und dem metaphorischen Wasser deutlich gemacht, das Christus spendet und das zum ewigen Leben führt. In seiner Auslegung folgt Victorinus insgesamt schlicht dem Wortlaut der biblischen Erzählung und stellt das Wasser im Brunnen dem metaphorischen, lebensspendenden Wasser Christi gegenüber. Nur an einer Stelle geht er in seiner Exegese über den Literalsinn des Textes hinaus, indem er das Wasser aus dem samaritanischen Brunnen mit der mundana anima identifiziert.¹⁸⁷ Die mundana anima spende ein Leben, das im Unterschied zu dem Leben, das Christus schenkt, nicht ewig sei. Damit reiht sich die Exegese von Joh 4 in den Abschnitt von Adversus Arium IV ein, in dem Victorinus das Leben Gottes als kategorial verschieden von dem der Seele und aller anderen Geschöpfe qualifiziert.¹⁸⁸ Jedoch bleibt im Kontext unklar, was Victorinus mit der mundana anima genau meint. Hadot/Brenke verstehen in ihrer Übersetzung darunter die Weltseele.¹⁸⁹ Der Gegensatz bestünde demnach zwischen Christus und der Seele, die die Welt belebt, aber kein ewiges Leben schenken kann. Diese Übersetzung kann sich auf die Belege bei Macrobius stützen, der die platonische Weltseele des Timaios im Lateinischen als mundana anima bezeichnet.¹⁹⁰ Betrachtet man allerdings den Sprachgebrauch des Adjektivs mundanus bei Victorinus, scheint diese Interpretation weniger wahrscheinlich. Bei ihm hat mundanus immer eine negative Konnotation als Antonym von aeternus oder spiritalis, wodurch er das Weltliche im Vergleich zum Ewigen und Geistigen herabstuft.¹⁹¹ Daher benutzt Victorinus mundanus auch als Synonym für die materielle Beschaffenheit und körperliche Existenz, oft in Form eines Hendiadyoins.¹⁹² Besonders in den Pauluskommentaren verwendet er es in Verbindungen wie mundana desideria, mundanae cupiditates, mundana sapientia. ¹⁹³ Dies sind alles Affekte und
Vgl. Adv. Ar. IV 6: Samaritana aqua mundana est anima. (139,28 Locher) S.o. S. 279 – 284. Vgl. Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 275. So auch Balido, Scritti cristiani, 341. Vgl. z. B. Macr. somn. I 6,2; 45; 47 u. ö. Vgl. z. B. Adv. Ar. I 30 (64,9 f. Locher): Gegensatz mundana – aeterna, III 13 (128,3 Locher): Gegensatz mundanum – spiritale. Damit orientiert sich Victorinus am biblischen und christlichen Sprachgebrauch, vgl. ThlL 8,1621,77 f. s.v. mundanus IB: aetate Christiana fere contemptim dictum i. q. saecularis, paganus sim. Hier zeigt sich die große Bedeutung des Johannesevangeliums für Victorinus. S. dazu auch Anm. 272. Vgl. z. B. Adv. Ar. IV 25 (158,28 f. Locher): in mundanis vero et hylicis; in Eph. 1,4,68: in mundanis et in materie; in Eph. 1,14,5 – 7 ut redimamur ab istis mundanis terrenisque et corporalibus et carnalibus malis. Vgl. für diese Bedeutung ThlL 8,1623,7 f. s.v. mundanus IIB2: speciatim in doctrinis philosophorum de materia prolatis. Vgl. z. B. in Eph. 1,4,113: mundanae cogitationes, mundani affectus; in Eph. 1,7,66: mundana sapientia; in Eph. 2,16,13 f.: desideria mundana.
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Regungen, die der materiellen Welt verhaftet sind und von denen sich ein Christ lösen soll, um stattdessen ein geistgemäßes Leben zu führen. Besonders aufschlussreich ist, dass Victorinus in Adv. Ar. Ib 64 von mundanae animae im Plural spricht und damit die Vielzahl der Individualseelen meint, die sich in der Welt befinden.¹⁹⁴ Sehr wahrscheinlich meint Victorinus daher auch in der Exegese von Joh 4 mit mundana anima eine inkarnierte Einzelseele. Dieses Verständnis liegt auch noch der französischen Übersetzung Hadots und daran anschließend der englischen Übersetzung Clarks zugrunde.¹⁹⁵ Es handelt sich nach diesem Verständnis um die Seele, die sich in der materiellen Welt befindet und in sie verstrickt ist. Sie kann aufgrund ihrer Gefangenschaft in der Materie kein ewiges Leben schenken. Alles mit der Materie Verbundene muss schließlich sterben. Der Gegensatz soll deutlich machen, dass der Mensch nicht auf seine eigene Seele vertrauen und so das ewige Leben erlangen kann, sondern dafür die Hilfe Christi benötigt. Diese Auslegung wird noch klarer, wenn man sie mit ähnlichen exegetischen Überlegungen des Origenes vergleicht. Origenes spürt in der Auslegung von Num 21,16 der allegorischen Bedeutung der Brunnen im Alten und Neuen Testament nach. Aus Spr 5,15 (LXX) schließt er, dass jeder Mensch in seinem Inneren viele Brunnen besitzt, die sich aber aus einer Quelle speisen.¹⁹⁶ Diese Brunnen identifiziert er mit der Erkenntnis des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, die der Seele durch den Glauben an Christus möglich wird. Als Quelle dieser Brunnen identifiziert er mit Joh 4,6; 7,38 Jesus Christus, der gemeinsam mit dem Vater und dem Heiligen Geist die eine Quelle der Erkenntnis ist.¹⁹⁷ Die Seele könne aufgrund ihrer Ebenbildlichkeit selbst Brunnen, Quellen und Flüsse hervorbringen, brauche dazu aber einen Brunnengräber, der die Quelle freilegt und reinigt. In der allegorischen Auslegung bedeutet dies, dass die Seele in sich die Kraft der Vernunft besitzt, mit der ihr die Erkenntnis Gottes möglich ist. Dies gelingt ihr aber nur durch das reinigende Wirken Christi und des Heiligen Geistes.¹⁹⁸
Vgl. Adv. Ar. Ib 64 (98,24 Locher). Vgl. Hadot, SC 68, 517: „C’est que l’eau de Samarie représente l’âme venue en ce monde.“ Und Clark, FoC 69, 261: „The water of Samaria denotes the soul in its earthly sojourn.“ Vgl. Or. Hom. in Num. XII 1 (93,26 – 94,9 Baehrens). Vgl. Or. Hom. in Num. XII 1 (94,17– 95,15 Baehrens). Vgl. Or. Hom. in Num. XII 1 (96,9 – 17 Baehrens): Sicut enim unus iste puteus, qui est sermo Dei, efficitur putei et fontes et flumina innumerabilia, ita et anima hominis, quae ‚ad imaginem est Dei‘, potest in se habere et producere ex se et puteos et fontes et flumina. Sed revera putei, qui sunt in anima nostra, indigent fodiente; debent enim mundari et omne, quod terrenum est, ab iis debet auferri, ut venae illae rationabilium sensuum, quas ei inseruit Deus, pura ac sincera fluenta producant. Donec enim terra tegit aquarum venas et obturat oculum fluenti, non potest puri laticis unda profluere.
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Ein ähnlicher Gedankengang steht bei Victorinus im Hintergrund der knapp angedeuteten Allegorese: Aufgrund ihrer Ebenbildlichkeit kann die Seele zwar als lebenspendendes Wasser bezeichnet werden, sie kann aber anders als der Logos kein ewiges Leben spenden. Erst durch die Erkenntnis und das Leben, die der Logos als das wirklich lebendige Wasser spendet, wird ihr das ewige Leben verlieren.¹⁹⁹ Dagegen verweist Hadot auch in seinem Kommentar zu Adv. Ar. IV 6 auf den Johanneskommentar des Herakleon, bei dem er eine ähnliche Auslegung des samaritanischen Wassers sieht.²⁰⁰ Im Anschluss daran wertet Voelker die Stelle als weiteren Beleg dafür, dass Victorinus den Johanneskommentar des Herakleon genutzt habe.²⁰¹ Herakleon interpretiert Joh 4 als Gegensatz zwischen einer κοσμικὴ ζωή, die vergänglich und mangelhaft ist, und dem Leben, das von Christus gespendet wird: [Herakleon] sagt, schwach, zeitlich und mangelhaft sei dieses Leben und die Herrlichkeit in ihm gewesen, denn, so sagt er, es war weltlich. […] Doch das Wasser, das der Heiland gibt, sagt er, sei aus seinem Geist und seiner Kraft. Das ist nicht gelogen.²⁰²
Ich kann keine besondere Verbindung zwischen der Auslegung des Herakleon und des Victorinus erkennen, da beide schlicht dem Gang der johanneischen Erzählung folgen. Daraus ergibt sich von selbst eine Gegenüberstellung von ewigem Leben, das von Christus geschenkt wird, und von zeitlicher, vergänglicher Existenz, die durch Ähnliche Auslegungen finden sich später bei Maximus Confessor und Johannes Scotus Eriugena. Maximus identifiziert die Samaritanerin mit der gesamten Natur der Menschen und der Einzelseele des Menschen: Max. qu. Thal. 41: Καὶ ἡ Σαμαρεῖτις γυνή […] καὶ τὴν τοῦ καθόλου τῶν ἀνθρώπων φύσιν καὶ τὴν τοῦ καθέκαστον ἀνθρώπου ψυχὴν δηλοῦσιν, ἑκάστη κατὰ τὴν ὑποκειμένην τοῦ πάθους διάθεσιν σημαίνουσα καὶ τὴν φύσιν καὶ τὴν ψυχὴν. (CCSG 7, 279,4– 10) Eriugena setzt ebenfalls die Samaritanerin mit der menschlichen Natur gleich, die versucht mit ihrer eigenen Vernunft den Schöpfer zu suchen, dies aber vor der Offenbarung in der Inkarnation nicht schaffen kann. Vgl. Commentarius in Iohannem IV,III (SC 180bis, 292,5 – 12): Item mulier de civitate egressa naturam indicat humanam quae naturaliter rationis fontem appetit, unde siti suae, hoc est, indito sibi verae cognitionis appetitui satisfacere valeat; quod ante incarnationem conditoris, qui est fons vitae, adimplere nequiverat. Bibebat tamen laboriose ex naturali fonte rationis sibi insitae naturam rerum physico motu vestigans ipsiusque naturae creatorem et causam. Piemonte, vitalismo, PaMe 7 (1986) führt den Nachweis, dass Eriugena auch die Werke des Victorinus gekannt und benutzt hat. Hier scheinen beide aber auf eine origenistische Tradition zurückzugreifen. Vgl. Hadot, SC 69, 990 ad 6,28. Vgl. Voelker, Use of a Gnostic Commentary, StPatr 96,22 (2017), 23 – 25. S. dazu schon oben S. 466 – 469. Herakleon fr. 17,1– 4.12– 14 Brooke (= Or. Jo. XIII 57.59 (234,7– 10.18 f. Preuschen)): ὅστις (sc. Herakleon) φησὶν ἄτονον καὶ πρόσκαιρον καὶ ἐπιλείπουσαν ἐκείνην γεγονέναι τὴν ζωὴν καὶ τὴν κατ’ αὐτὴν δόξαν· κοσμικὴ γάρ, φησίν, ἦν· […] Ὃ δὲ δίδωσιν ὕδωρ ὁ σωτήρ φησιν εἶναι ἐκ τοῦ πνεύματος καὶ τῆς δυνάμεως αὐτοῦ, οὐ ψευδόμενος.
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das sichtbare Wasser gewährt wird. Dieses vergängliche Leben bezeichnet Herakleon als „Leben in der Welt“ (κοσμικὴ ζωή), ein passender Gegensatz zum ewigen Leben.²⁰³ Auch Origenes äußert sich im zitierten Fragment zustimmend zu dieser Exegese des Herakleon, sieht in ihr also den Sinn des Textes getroffen.²⁰⁴ Victorinus legt die Stelle dann aber viel spezifischer aus und deutet das samaritanische Wasser als die Seele, die sich in der Welt befindet. Die Einzelseele ist das Lebensprinzip in dieser Welt: Was sie beseelt, das belebt sie, allerdings kann sie an die Körper nur ein vorübergehendes Leben weitergeben. Das unterscheidet sie kategorisch vom Leben des Sohnes. Damit fügt sich diese Exegese gut in den Kontext der Schrift ein, da Victorinus im Kapitel zuvor genau diesen Unterschied zwischen dem Leben Gottes und dem Leben der Seele postuliert und im Laufe der Schrift immer wieder darauf zurückkommt.²⁰⁵ Die Auslegung ergibt sich für Victorinus also ganz ungezwungen aus dem Bibeltext und aus seiner eigenen Argumentationsabsicht heraus. Ähnlichkeiten zeigen sich eher zur Auslegung der Brunnen bei Origenes: Wie dieser geht Victorinus von der Ebenbildlichkeit der Seele aus, aufgrund der sie wie der Logos als Wasser bezeichnet werden kann. Ebenfalls stellen beide ein hierarchisches Verhältnis zwischen dem höheren Wirken des Logos und dem davon abgeleiteten Wirken der Seele her, die der Hilfe des Logos bedarf und selbst keine vollständige Erkenntnis und kein vollständiges Leben spenden kann. 5.3.2 Die Funktion der Weltseele im Neuplatonismus, bei Origenes und Augustinus Der Begriff der Weltseele fehlt also in den Schriften des Victorinus. Das muss aber noch nicht bedeuten, dass das Konzept der Weltseele der Sache nach keinen Platz in seinem Denken hat. Es stellt sich daher die Frage, ob und wie Victorinus Funktionen diskutiert, welche die Weltseele in neuplatonischen Kontexten erfüllt. Ein Vergleich mit Überlegungen des Origenes und Augustinus soll aufzeigen, wie andere christliche Autoren Aspekte der Weltseele in ihr Denken integrieren und welche Funktionen diese erfüllen. Platon entwickelt die Vorstellung einer Weltseele in seinem Dialog Timaios. Nach dem Schöpfungsmythos, den der Sprecher Timaios in diesem Dialog darstellt, wollte der Demiurg aus seiner Güte heraus die Welt sich selbst so ähnlich wie möglich machen. Da das mit Vernunft Begabte immer schöner sei als das Vernunftlose, habe der Demiurg das All mit einer vernunftbegabten Seele ausgestat-
Dieser Gegensatz ist keine besondere Prägung Herakleons. „Das weltliche Leben“ als Gegensatz zu Gott findet sich z. B. auch in den Origenes zugeschriebenen sel. in Ps. 41,3 (PG 12, 1416 A). Vgl. Herakleon fr. 17,14 Brooke = Or. Jo. XIII 59 (234,19). S.o. S. 279 – 284.
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tet.²⁰⁶ Der Kosmos wurde vom Demiurgen als vollkommener Körper mit einer vernunftbegabten Seele im Zentrum erschaffen und kann daher auch als ein „glücklicher Gott“ bezeichnet werden.²⁰⁷ Ein weiterer wichtiger Anknüpfungspunkt der späteren Diskussionen findet sich im zehnten Buch der Nomoi. Dort argumentiert Platon, dass der gesamte Kosmos von der besten Seele als Bewegungs- und Ordnungsprinzip durchwaltet wird.²⁰⁸ In Plotins Philosophie kommt der Seele als Vermittlerin zwischen der intelligiblen und sensiblen Welt eine zentrale Rolle zu.²⁰⁹ Da die Seele die intelligiblen Formen aus dem Intellekt an die von ihr hervorgebrachte Materie weitergibt, hat sie eine schöpferische Funktion.²¹⁰ Sie trägt in sich alle Strukturprinzipien, die die Formen des Intellekts an die Materie übertragen.²¹¹ Die Weltseele stammt für Plotin ebenso wie die Einzelseele aus der transzendenten und präexistenten Gesamtseele und unterscheidet sich nur hinsichtlich des angenommenen Körpers von den menschlichen Einzelseelen.²¹² Im Gegensatz zur Einzelseele herrscht die Weltseele vollkommen über den von ihr angenommenen Körper, da das Weltall vollkommen ist und sich den Befehlen der Weltseele leichter fügt.²¹³ Dies liegt auch daran, weil die Weltseele ihren Körper im Unterschied zu den Einzelseelen selbst erschafft, während die Einzelseelen nur ihnen zugewiesene Teile dieses Körpers verwalten.²¹⁴ Die Weltseele leuchtet in die Materie und zeichnet in ihr Spuren vor, die die Einzelseelen in ihrer demiurgischen Aktivität dann nur noch nachzeichnen.²¹⁵ Nach der Mikro-Makrokosmos-Analogie erfüllt die Weltseele für das Weltall eine vergleichbare Funktion wie die Einzelseele für den menschlichen Körper: Sie Vgl. Pl. Ti 29d7– 30c1. Vgl. Pl. Ti. 34a8-b9. Das Zitat in 34b8 f.: διὰ πάντα δὴ ταῦτα εὐδαίμονα θεὸν αὐτὸν ἐγέννησατο. Vgl. bes. Pl. Lg. X 896e8 – 897c9. Vgl. zur Weltseele bei Plotin insgesamt Ziebritzki, Heiliger Geist und Weltseele, 146 – 191. Zur Entstehung der Materie aus der Seele s. S. 360, Anm. 20. Für die demiurgische Funktion der Seele vgl. Ziebritzki, Heiliger Geist und Weltseele, 174 f. Ausführlicher Andolfo, L’ipostasti della „Psyche“, 227– 269. S. 237– 41 verweist Andolfo auf die Koordination von Demiurgie als Tätigkeit des Intellekts, der der eigentliche Demiurg ist, und der Kosmopoiie als Aufgabe der Seele. Das Reden von einer „demiurgischen“ Funktion der Seele könnte vor dem Hintergrund von Plotins Kritik an der gnostischen Identifizierung der Seele mit dem Demiurgen missverständlich sein, vgl. Plot. enn. II 9 (33) 6,60 – 62. Vgl. insgesamt dazu Früchtel,Weltentwurf, 54– 61. Für die Tatsache, dass die Weltseele alle λόγοι zugleich enthält vgl. Plot. enn. IV 4 (28) 11,21– 28.16,4– 6. Vgl. Blumenthal, Soul, World Soul, Individual Soul, 58 – 60. Zu den Unterschieden der Körper und der Auswirkung auf die Seelen vgl. besonders Plot. enn. IV 8 (6) 2,7– 18. Vgl. Plot. enn. IV 3 (27) 4– 7. S.o. S. 400 – 403. Vgl. dafür Plot. enn. VI 7 (38) 7,6 – 16.
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hält den Körper zusammen, sorgt für seinen Bestand, bewegt und belebt ihn. Die Weltseele garantiert die ewige Existenz und Neuzusammensetzung der Elemente der Welt. Der Unterschied zwischen ihr und der Einzelseele besteht darin, dass sie stets auf den Intellekt ausgerichtet bleibt, nicht von körperlichen Affekten beeinträchtigt wird, sondern leidenschaftslos bleibt. Daher bleibt der Bestand des Alls auch ewig gesichert, während die Körper, die von Einzelseelen regiert werden, wieder in ihre Elemente zerfallen können.²¹⁶ Porphyrius folgt seinem Lehrer Plotin in der Seelenlehre weitgehend, wie Baltes entschieden und mit reichhaltigen Belegen gegen andere Interpretationen betont.²¹⁷ Er zeigt, dass Porphyrius klar zwischen der transzendenten Seele und der Weltseele unterscheidet. Die transzendente, überhimmlische oder überkosmische Seele übernimmt demiurgische Funktionen, während sich das Wirken der Weltseele auf den Bereich des Kosmos beschränkt. Es ist bei Porphyrius also die transzendente Hypostase der Seele, die die demiurgische Funktion übernimmt und die vorher geschaffenen Elemente zur Ordnung des Kosmos zusammenfügt.²¹⁸ Insofern stellt seine Aufteilung der Aktivitäten der unterschiedlichen Seelen eine Neuerung gegenüber Plotin dar, der allerdings oft auch nicht eindeutig zwischen den Seelen unterscheidet. Gerade dort, wo Plotin von der demiurgischen Funktion der Seele
Vgl. dafür Plot. enn. II 1 (40) 4,14– 33: Die Weltseele hält die Welt zusammen und garantiert den ewigen Bestand der Elemente. enn.V 1 (10) 2,1– 44: Die Seele ist Ursache alles Lebens im Kosmos.Vgl. dazu auch Andolfo, L’ipostasti della „Psyche“, 251– 254. Das betont Baltes bereits zur Verdeutlichung gegenüber Deuse, Demiurg, vgl. Baltes, Rez. Zintzen (Hg.), Neuplatonismus, Gnomon 51 (1979), 656. Wolfskeel, Weltseele Theta-Pi 1 (1972), 95 – 98 versucht dagegen aus Aug. civ. als typische Lehre des Porphyrius eine Vermischung der transzendenten Seelenhypostase und der Weltseele zu beweisen. Den Ursprung für diese Lehre sucht sie in der Interpretation der Orakel. Weitere Diskussionen dazu in Dörrie/Baltes, Der Platonismus 5, Baustein 128,4, bes. 276 f.; Der Platonismus 6,1, Baustein 161,2, bes. 302 mit Anm. 60. Die Seele als dritte Hypostase erwähnt Porphyrius z. B. in 222F Smith. Zur schöpferischen Funktion vgl. Porph. in Ti. fr. 53 Sodano (= Procl. in Ti. I 431,20 – 23 Diehl = Dörrie/Baltes, Der Platonismus 5, Baustein 131,6,9 – 12): […] ὁ Πορφύριος ὑφειμένην τῷ δημιουργῷ δίδωσι τάξιν παρὰ τὸ νοητόν· ψυχὴν γὰρ ὑπερουράνιον θέμενος τῷ κόσμῳ ποιητικὴν ἐν τῷ νῷ τὸ παράδειγμα τίθεται τῶν γιγνομένων. Dieselbe demiurgische Seele nennt Proclus in Porphyrius-Referaten ἀμέθεκτος (vgl. in Ti. I 322,1– 7, hier: 3) oder ὑπερκόσμιος (vgl. in Ti. I 306,31– 307,4, hier: 307,1). Das belegt zur Genüge die Transzendenz dieser Seele bei Porphyrius. Vgl. Deuse, Demiurg, 252 mit Verweis auf Porph. in Ti. fr. 69,13 – 20 Sodano = Procl. in Ti. II 214,4– 13 Diehl: Πορφύριος δὲ θαυμαστόν τινα τρόπον καίτοι τούτων προειρημένων ὅτι μὲν ἥρμοσται ἡ ψυχὴ καὶ ὅτι πάντα τὸν κόσμον ἁρμονίας πληροῖ, διὰ πολλῶν κατεσκεύασεν, ἔκ τε τοῦ πλῆθος εἶναι τὴν ψυχήν, πλῆθος δὲ οὖσαν ἢ ἀσύντακτον εἶναι ἢ ἡρμοσμένον, τοῦτο δὲ εἶναι ἀληθές, ἀλλ’ οὐκ ἐκεῖνό γε (δημιούργημα γὰρ οὖσα τοῦ νοῦ πῶς ἂν ἄτακτος εἴη καὶ ἀνάρμοστος), καὶ ἐκ τοῦ πάντα τὰ ἐγκόσμια κατὰ λόγους ἁρμονικοὺς ποδηγεῖν, τάς τε τῶν ζῴων γενέσεις καὶ τὴν μίαν αὐτῶν σύνταξιν πρὸς τὸ πᾶν.
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spricht, setzt er sie ontologisch direkt nach dem Intellekt an, um die Kontinuität in der Schöpfungstätigkeit zu betonen. Porphyrius kann sich daher mit gewissem Recht auf Plotin berufen.²¹⁹ Bei christlichen Autoren findet sich kaum eine direkte Rezeption des Konzeptes der Weltseele.²²⁰ Ausführlichere Überlegungen dazu finden sich aber bei Origenes und Augustinus. Origenes erwähnt die Vorstellung einer Weltseele nur selten und bietet damit ein „Verstehensmodell“ an, mit dessen Hilfe man sich die Rolle des Logos als instrumentaler und paradigmatischer Ursache des Kosmos vorstellen könne.²²¹ Er weist insgesamt die Funktionen der Weltseele vielfach dem Logos zu.²²² Der Logos hat dabei wesentlich die Aufgabe, zwischen der Einheit Gottes und der Vielheit der Welt zu vermitteln und die providentielle Sorge Gottes um die Welt zu garantieren. Damit hat der Vergleich des Logos mit der Weltseele eine soteriologische Pointe: Trotz dem Fall der Vernunftwesen garantiert der Logos als Mittler die bleibende Fürsorge Gottes.²²³ Hengstermann weist außerdem auf eine Stelle hin, an der Origenes dezidiert der Erde eine Seele zuspricht. Anlass dazu gibt ihm Ez 14,13 LXX, wo von der Erde (γῆ) als Sünderin gesprochen wird.²²⁴ Eine der möglichen Auslegungen des Origenes lautet, dass die Erde ein vernünftiges Lebewesen ist, daher sündigen kann und wegen ihrer Sünde gescholten und bestraft werden kann. Origenes wendet sich gegen eine metaphorische Erklärung der Stelle, wonach Erde für die menschlichen Sünder stehe, und sieht sich durch „sehr reichhaltiges Material aus der Schrift“ dazu
Vgl. zu dieser Uneinheitlichkeit bei Plotin vgl. Blumenthal, Soul, World Soul, Individual Soul, 58. Vgl. außerdem Köckert, Kosmologie, 209 f., die darauf verweist, dass Porphyrius hier „die verschiedenen intelligiblen Hypostasen in ihrer Funktion als Ursache des Kosmos als Einheit“ zusammenfast (209). Vgl. Zachhuber, Art. „Weltseele“, HWPh 12 (2004), 517.Vgl. aber auch ders.,World Soul, 17– 23. Dort zeichnet er in Anschluss an Bousset,Weltseele, ZNW 14 (1913), 273 – 285 einige Beispiele aus dem 2. Jh. nach, in denen ein Zusammenhang zwischen dem Kreuz und Pl. Ti. 36b hergestellt wird und indirekt das Konzept der Weltseele im Hintergrund steht. In diesen Beispielen übernimmt Christus Funktionen der Weltseele. Vgl. zur Weltseele bei christlichen Autoren auch knapp Markschies, Seele, 16 – 22. Zu verweisen ist außerdem auf Boeth. cons. III carm. 9,13 – 21 (CCSL 94, 52), der im Anschluss an den Timaios die Weltseele von Einzelseelen (animae minores) unterscheidet. Vgl. dazu Baltes, Gott, Welt, Mensch, VigChr 34 (1980), 315.321. Köckert, Kosmologie, 246 f. Köckert verweist insbes. auf Or. princ. II 1,3 (108,11– 16 Koetschau), wo Origenes vergleichend von der Welt als einem Lebewesen (velut animal) spricht, das wie von einer Seele (quasi ab una anima) von der Kraft und Vernunft Gottes erhalten wird. Vgl. Ziebritzki, Heiliger Geist und Weltseele, bes. 141– 143. Hengstermann, Geschichts- und Naturphilosophie, 47– 51. Vgl. Zachhuber, World Soul, 9.11. Or. Hom. in Ez. IV 1.
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veranlasst, in Erwägung zu ziehen, dass die Erde ein Lebewesen ist.²²⁵ Er hält es für möglich, dass die Erde wie viele andere Wesen mit Vernunft begabt ist und deswegen auch das Gericht zu gewärtigen hat.²²⁶ Diese Auslegung ist aber nur eine mögliche und kein klares Votum des Origenes dafür, die Welt als ein Lebewesen aufzufassen. Dabei handelt es sich auch nicht um eine Übernahme der platonischen Weltseele. Origenes zieht hier vielmehr die logische Konsequenz daraus, dass er den Ursprung der Sünde in einer freien Willensentscheidung eines Vernunftwesen sieht.²²⁷ Wenn die Erde also Sünderin genannt werden kann, dann müsste daraus folgen, dass sie ein rationales Wesen ist, das sich willentlich für das Böse entscheiden kann. Diese Auslegung dient also nur der Absicherung seiner Vorstellung von der Sünde als Ergebnis einer freien Willensentscheidung. Augustinus setzt in seinen Frühschriften eine Weltseele voraus, ohne dies zu problematisieren.²²⁸ In seinen späteren Schriften erörtert er dagegen explizit die Frage, ob sich die Weltseele mit der Schrift vereinbaren lasse, ohne zu einem klaren Ergebnis zu kommen. Besonders wichtig ist die frühe Schrift De immortalitate animae, da Augustinus hier ausdrücklich von der Weltseele und ihren Funktionen spricht.²²⁹ Einen ersten Hinweis auf die Weltseele hat man im Rahmen eines Schluss a minore ad maius zur Begründung der Unsterblichkeit der Seele gesehen. Augustinus will in diesem Abschnitt zeigen, dass die Seele auch dann, wenn sie sich von Gott und der Vernunft abwendet, zwar eine Minderung erfährt, aber niemals ihre Existenz verlieren kann.²³⁰ Seine Argumentation setzt auf der Ebene der Körper an und zeigt, dass selbst diese niemals völlig vergehen können, da sie ihre Form nie vollständig verlieren können. Daher könne die Seele erst recht nicht vernichtet werden. Dabei entfaltet Augustinus ein kosmologisches Argument: Der Weltkörper als ganzer sei abhängig von einer höheren schöpferischen Ursache, die in ihm präsent bleibe und so trotz allen Veränderungen dessen dauerhaften Bestand be-
Vgl. Or. Hom. in Ez. IV 1: Sed e contrario latissimam Scripturae silvam recensens coarctor ad suspicandum quia animalis sit terra ista, quam cernimus. (359,26 – 28 Baehrens) Vgl. Or. Hom. in Ez. IV 1 (360,11– 23 Baehrens). Vgl. etwa nur Or. princ. I 5,3. Die Stellen sind gesammelt und besprochen bei Bourke, Cosmic Soul, GMF 9 (1954), 431– 440 und Wolfskeel, Weltseele, Theta-Pi 1 (1972), 81– 103. Vgl. auch O’Daly, Art. „anima, animus“, AugL 1 (1986 – 1994), 334 f., ders., Mind, 62– 70. Zu den Stellen in Aug. immort. vgl. jetzt den Kommentar von Tornau, Aug. immort. mit weiterer Literatur. Nach Aug. retract. I 5,1 entstand die Schrift als Gedächtnisstütze im Zusammenhang mit den Soliloquia, die gegen Augustins Willen veröffentlicht wurde und von ihm selbst für unverständlich und unfertig erachtet wird. Vgl. dazu jetzt ausführlich Tornau, Aug. immort. 11– 58. Vgl. Aug. immort. 7,12. Zum Argumentationszusammenhang vgl. Tornau, Aug. immort, 44– 47.251– 254.
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wahre.²³¹ Er benennt in diesem Zusammenhang die demiurgische Ursache des Alls nur sehr vage als vis et natura potentior atque melior, vis et natura incorporea effectrix oder effectoria vis. ²³² Es liegt im Kontext der ganzen Schrift aber nahe, dass Augustinus Gott als den Schöpfer der Welt bezeichnet, und nicht die Weltseele.²³³ Jedoch steht auch im Hintergrund dieser Argumentation ein neuplatonisches Weltbild, in dem die Seele eine Mittelposition zwischen Gott und dem Weltkörper einnimmt. Dieses hierarchische Weltbild legt Augustinus erst am Ende der Schrift als Ergebnis der Gesamtargumentation offen.²³⁴ Durch die kausale Hierarchie von Gott, Seele und Welt sei die ewige Existenz der Seele gesichert: Die Seele erhält ihre Form und ihr Sein von Gott und teilt selbst wiederum dem Weltkörper seine Form zu. Die Einzelseele und die Weltseele haben die gleiche Funktion, jeweils ihrem Körper eine Form zu vermitteln und ihm dadurch Bestand zu verleihen. Dies geschieht dadurch, dass die Seele die Formen von Gott an das materielle Nichtsein vermittelt.²³⁵ Erst durch diese Vermittlung der Seele entsteht der Körper aus dem Sein der Formen und dem Nichtsein der Materie, die Seele erschafft also den Körper erst.²³⁶ Die Weltseele erschafft daher auch das All als ihren Körper und bleibt mit ihrer Macht in ihm anwesend.²³⁷ Daraus kann geschlossen werden, dass die vagen Formulierungen in immort. 8,14 so zu verstehen sind, dass Gott durch die Vermittlung der Weltseele den Weltkörper erhält und für ihn sorgt.²³⁸
Vgl. Aug. immort. 8,14. Tornau, Aug. immort., 85 – 87 erwägt, dass Augustinus hier eine anonyme neuplatonische Timaios-Erklärung als Quelle benutzt haben könnte, die in den von Victorinus übersetzten libri Platonicorum enthalten gewesen sein könnte. Vgl. immort. 8,14 (CSEL 89, 115,26; 116;5.10). S. Anm. 237. Vgl. zu dieser Diskussion Tornau, Aug. immort., 253 f., der die Ausdrücke auf Gott bezieht. Wolfskeel, Weltseele, Theta-Pi 1 (1972), 81 spricht sich für die Weltseele aus. Vgl. dazu Tornau, Aug. immort., 311– 316. Vgl. Aug. immort. 15,24: Hoc autem ordine intellegitur a summa essentia speciem corpori per animam tribui, qua est, in quantumcumque est. Per animam ergo corpus subsistit, et eo ipso est, quo animatur, sive universaliter, ut mundus, sive particulariter, ut unumquodque animal intra mundum. (CSEL 89, 125,20 – 126,3) Anders als Wolfskeel, Weltseele, Theta-Pi 1 (1972), 86 kann ich aber nicht erkennen, dass Augustin der Weltseele hier auch die Schöpfung der Materie zuschreibt. Es geht nur darum, dass die Seele die Materie zu einem Körper formt, aus eigener Kraft wäre das der Materie oder dem Körper nicht möglich. So auch Tornau, Aug. immort., 319. Vgl. Aug. immort. 8,14: Universum igitur corpus ab aliqua vi et natura potentiore atque meliore factum est, non utique corporea. […] Haec autem vis et natura incorporea effectrix corporis universi praesente potentia tenet universum. Non enim fecit, atque discessit effectumque deseruit. (CSEL 89, 115,25 – 116,1.5 – 7) Tornau, Aug. immort., 314– 316 zeigt, dass Augustinus sich mit dieser Konzeption eng an Plotin anschließt. Damit wendet er sich auch gegen Versuche, diese Passage wie die ganze Schrift als Exzerpt aus Porphyrius anzusehen, wie z. B.Wolfskeel,Weltseele, Theta-Pi 1 (1972), 95 – 102.Vgl. zu dieser
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Eine ähnliche Konzeption der Weltseele vertritt Augustin auch in De musica: Dort betrachtet er die Schönheit der sichtbaren Welt als eine Nachahmung der intelligiblen Schönheit, die durch die Seele vermittelt wird.²³⁹ Dies entspricht der Rolle der Weltseele in De immortalitate animae, die Formen an die Welt zu vermitteln und ihr Anteil am göttlichen Sein zu geben. In beiden Fällen schreibt Augustinus der Weltseele im Anschluss an den Neuplatonismus eine lebensspendende Funktion zu. In seinem späteren Werk spricht Augustinus nicht mehr so selbstverständlich von einer Weltseele, es finden sich aber damit vergleichbare Überlegungen. In seiner Auslegung von Gen 1,2 in De Genesi ad litteram liber imperfectus hält er es für möglich, unter dem Geist Gottes über dem Wasser in Gen 1,2b eine vitalis creatura unterhalb der Trinität zu verstehen, die die Welt zusammenhalte und bewege.²⁴⁰ Diese vitalis creatura erfüllt also eine ähnliche Funktion wie die Weltseele. In den Retractationes zu De immortalitate animae schreibt er diese Funktion den Engeln zu.²⁴¹ In seinen Retractationes kritisiert Augustinus seine frühen Äußerungen über die Weltseele in De immortalitate animae und De musica. Seine Aussagen in De immortalitate animae betrachtet er rückblickend als leichtfertig (temere).²⁴² Tornau verweist auf den skeptischen Ursprung dieser Formulierung und macht damit deutlich, dass Augustinus sich damit nicht für einen inhaltlichen Fehler kritisiert. Vielmehr bemängelt er an sich selbst, dass er vorschnell die Existenz der Weltseele behauptet hat, ohne es sicher zu wissen und begründen zu können.²⁴³ Das wird
Frage insgesamt Tornau, Aug. immort., 13 – 15.82– 85 mit dem wichtigen Ergebnis: „Von dem vielfach angenommenen Einfluss des Porphyrios auf das augustinische commonitorium bleibt bei näheren Hinsehen jedoch wenig oder nichts übrig.“ (85) Kritisch zu solchen Versuchen schon Drecoll, Entstehung, 64– 77. Vgl. Aug. mus. VI 14,44: Laboriosior est huius mundi amor: Quod enim in illo anima quaerit, constantiam scilicet aeternitatemque, non invenit, quoniam rerum transitu completur infima pulchritudo, et quod in illa imitatur constantiam a summo Deo per animam traicitur. (CSEL 102, 224,11– 225,14) Vgl. Aug. gen. ad litt. imperf. 4: Potest autem et aliter intellegi, ut spiritum dei vitalem creaturam, qua universus iste visibilis mundus atque omnia corporea contineantur et moventur, intellegamus, cui deus omnipotens tribuit vim quandam sibi serviendi ad operandum in his quae gignuntur. (CSEL 28/1 469,22– 26) Vgl. auch Simpl. II 1,5,197– 218: Dort lehnt Augustinus es ausdrücklich ab, aus Gen 1,2b auf eine Weltseele zu schließen, es sei möglich, dass dort vom Heiligen Geist gesprochen werde. Vgl. Aug. retract. I 11,4,62– 65: Esse tamen spiritalem vitalemque virtutem, etiam si non sit animal mundus, quae virtus in angelis sanctis ad decorandum atque administrandum mundum deo servit et a quibus non intellegitur, rectissime creditur. (CCSL 57, 35) Vgl. dazu O’Daly, Mind, 69 f. Vgl. Aug. retract. I 5,3,34– 38: Illud quoque temere dictum est: A summa essentia speciem corpori per animam tribui, qua est in quantumcumque est. Per animam ergo corpus subsistit, et eo ipso est quo animatur, sive universaliter ut mundus sive particulariter ut unumquodque animal intra mundum. Hoc totum prorsus temere dictum est. (CCSL 57 16 f.) Vgl. Tornau, Aug. immort, 317 f. mit Belegen.
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noch deutlicher in seiner Selbstkritik zu De musica: Dort bemerkt er, man könne weder mit sicheren Vernunftgründen noch mit der Schrift beweisen, dass die Welt ein Lebewesen sei. Er will diese Ansicht aber auch nicht explizit als falsch verurteilen.²⁴⁴ Augustinus hält also auch bei kritischer Prüfung die Lehre der Weltseele nicht grundsätzlich für unvereinbar mit dem christlichem Glauben. In einem entscheidenden Punkt müsse eine christliche Auffassung der Weltseele aber vom Platonismus abweichen: Die Welt könne niemals als Gott bezeichnet und verehrt werden.²⁴⁵ 5.3.3 Die lebensvermittelnde Funktion der Seele bei Victorinus Vor diesem Hintergrund gilt es nun zu untersuchen, welche Funktionen Victorinus der Seele zuschreibt und wie sich diese zu den Diskussionen im Neuplatonismus und bei den christlichen Autoren verhalten. Es hat sich bereits gezeigt, dass Victorinus von der Seele als Vermittlerin des göttlichen Lebens und der Formen an die materielle Welt sprechen kann. In Adversus Arium Ib 64 parallelisiert er das Verhältnis zwischen der göttlichen Trinität und der als Abbild erschaffenen Quellseele mit deren Verhältnis zur materiellen Welt.²⁴⁶ Das schließt seine Auslegung von Gen 1,26 f.; 2,7 in Adversus Arium Ib 61– 63 ab, in der er der Seele in der Schöpfung eine vermittelnde Rolle zwischen Materie und Gott zuschreibt.²⁴⁷ Die Seele neigt sich zu der schon vorher existierenden
Vgl. Aug. retract. I 11,4,53 – 58: Sed animal esse istum mundum, sicut Plato sensit aliique philosophi plurimi, nec ratione certa indagare potui, nec divinarum scripturarum auctoritate persuaderi posse cognovi. Unde tale aliquid a me dictum quo id accipi possit, etiam in libro de immortalitate animae temere dictum notavi, non quia hoc falsum esse confirmo, sed quia nec verum esse comprehendo, quod sit animal mundus. (CCSL 57 35) Vgl. Wolfskeel, Weltseele, Theta-Pi 1 (1972), 103. In seiner Polemik in De civitate Dei und den sermones wirft Augustinus Porphyrius einen Selbstwiderspruch vor und setzt dabei die platonische Lehre der Weltseele voraus: Es sei für jede Seele besser, den Körper zu verlassen, und zugleich verlasse die Weltseele ihren Körper nie. Die logische Konsequenz wäre, die Welt zu töten, vgl. Aug. s. 241,7: Tu qui dicis, Corpus est omne fugiendum, occide mundum. (PL 38, 1138 = Porph. 438F,18 f. Smith) Das gleiche Argument in civ. X 29,58 – 75 (449,28 – 450,7 Dombart/Kalb). Vgl. dazu Bochet, Résurrection et réincarnation, bes. 288 – 292. Das bedeutet aber nicht, dass Augustinus hier selbst die Lehre einer Weltseele vertritt, sondern er zeigt zunächst nur die inneren Widersprüche in der Argumentation des Porphyrius auf. Vgl. Aug. retract. I 11,4,58 – 62: Hoc sane inconcusse retinendum esse non dubito, deum nobis non esse istum mundum, sive anima eius ulla sive nulla sit, quia si ulla est, ille qui eam fecit est deus noster, si autem nulla est, nullorum deus potest iste, quanto minus noster. (CCSL 57, 35) Vgl. auch die Polemik gegen die Verehrung der Erde als Gottheit in civ.VII 23 (Anm. 252).Vgl. dazu auch O’Daly, Mind, 64– 66. Vgl. Adv. Ar. Ib 64 (98, 19 – 25 Locher). S.o. S. 374– 414.
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Materie hinab, gibt ihr Form und bereitet sie so für die Schöpfungstätigkeit Gottes vor.²⁴⁸ Durch die demiurgische Aktivität der Seele bekommt die Materie die materielle Seele mitgeteilt.²⁴⁹ Diese materielle Seele, die mit der Wahrnehmungsseele der Menschen und Tiere identisch ist, wird allein durch die Vermittlung der Seele an die Materie übertragen. Dagegen wird dem Menschen die rationale Seele direkt von Gott eingehaucht.²⁵⁰ Die Erde trägt durch die Vermittlung der Seele nur die vegetative und sensitive Seele der Pflanzen und Tiere in sich, eine rationale Seele dagegen nicht. Das wird deutlich in der Auslegung von Gen 1,24: Die Materie sei beseelt und daher können aus ihr die Tiere hervorspringen. Aber auch dafür ist der Befehl Gottes notwendig, die beseelte Erde wird nicht von sich aus schöpferisch tätig.²⁵¹ Anders als Plotin zieht Victorinus aus der Beobachtung, dass Tiere aus der Erde hervorgehen, nicht den Schluss, dass die Erde als ganze eine rationale Seele besitze.²⁵² Die Erde kann in der Genesisauslegung des Victorinus nur Tiere aus sich hervorgehen lassen, dagegen wird der menschliche Leib direkt vom Logos erschaffen und nicht durch die Vermittlung der Seele.²⁵³ Victorinus koordiniert die demiurgischen Aktivitäten Gottes und der Seele: Es gibt keinen direkten Kontakt zwischen Gott und der toten Materie, sondern beide werden durch die Seele voneinander getrennt. Die lebensvermittelnde Aktivität der Seele dient zur Absicherung des Gottesbildes, da Gott nicht mit dem vollkommenen Tod in der Materie in Kontakt treten soll.²⁵⁴ Eine solche Tendenz, den Intellekt bzw. Gott so weit als möglich von der Materie zu distanzieren zeigt sich auch bei Plotin und bei christlichen Autoren.²⁵⁵ In der Vgl. Adv. Ar. Ib 61 (96,3– 16 Locher), ähnlich Adv. Ar. IV 10 f. (144,8 – 31 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,8 – 10 Locher). Vgl. Adv. Ar. Ib 62 (97,11 f. Locher). Vgl. Adv. Ar. III 3 (117,12– 14 Locher). S. o. 386 – 388. In Plot. enn. IV 4 (28) 22, bes. 14– 18 argumentiert Plotin, dass man aus dem Wachstum der Pflanzen eine Pflanzenseele für die Erde annehmen könne und aus der Entstehung von Tieren aus der Erde, dass sie selbst ein Lebewesen sei. Dann liege der Schluss nahe, ihr auch einen Intellekt zuzuschreiben. Vgl. auch . enn. IV 4 (28) 27: Das Wachstumsvermögen wird nur vermittelt, wenn die Verbindung zur Erde besteht, was man an Steinen sehen könne, die wachsen, solange sie mit der Erde verbunden sind. Augustin lehnt ein solches Argument dezidiert ab: Man solle die Erde nicht deswegen eine Göttin nennen, weil sie fruchtbar ist, ansonsten müsste man die Menschen erst recht Götter nennen, da sie die Erde durch Ackerbau noch fruchtbarer machen, vgl. Aug. civ. VII 23: Cur eam (sc. terram) volunt deam? An quia fecunda est? Cur ergo non magis homines dii sunt, qui eam fecundiorem faciunt excolendo; sed cum arant, non cum adorant. (301,12– 15 Dombart/Kalb) Vgl. Adv. Ar. Ib 62. S.o. S. 400. Zu Plotin vgl. Köckert, Art. „Schöpfung“, RAC 29 (2019), 1027 mit Belegen. Zu ähnlichen Überlegungen bei christlichen Autoren s.o. S. 400.
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gleichen Absicht schreibt auch Porphyrius der transzendenten Seele die Funktion zu, die Elemente zum Kosmos zu ordnen und das Ganze des Alls zusammenzufügen.²⁵⁶ Aus der Darstellung des Victorinus in Adv. Ar. Ib 61 ergibt sich, dass auch er diese ordnende Funktion der transzendenten Seele zuschreibt. Daraus muss noch nicht folgen, dass er eine Weltseele lehrt. Victorinus ordnet die zwei Stufen des Schöpfungsprozesses aber umgekehrt an als Porphyrius: Während bei Porphyrius die Seele die bereits vorhandenen Elemente zum Kosmos anordnet, übernimmt bei Victorinus die Seele die Aufgabe, die tote Materie überhaupt erst zu formen. Aus diesem Stoff formt der Logos dann den menschlichen Körper, der das Vermögen der vier Elemente besitzt.²⁵⁷ Durch diese umgekehrte Anordnung im Vergleich zu Porphyrius erreicht Victorinus besser das Ziel, Gott und Materie voneinander zu trennen, da der Logos erst mit der geformten und beseelten Materie in Kontakt tritt, nicht mit dem toten Grundstoff. Eine vermittelnde Funktion schreibt Victorinus der Seele auch in Adversus Arium IV 24 f. zu. Victorinus spricht hier davon, dass die Seele eine vermittelnde Funktion zwischen Gott und der Welt ausübe, indem sie Bilder der göttlichen potentiae Sein, Leben und Denken an die Materie weitergebe. Im Kontext argumentiert er dafür, dass es sich nur scheinbar so verhalte, dass Gegensätze auseinander hervorgingen, dass Bewegung also nicht immer aus Ruhe, Leben nicht immer aus Tod oder umgekehrt hervorgehe. Damit möchte er beweisen, dass der Vater als Ursache des Sohnes nicht Tod oder absolute Ruhe ist, sondern bereits eine innere Aktivität besitzt. Als argumentum a minore ad maius dient ihm dafür der Vergleich mit der körperlichen Welt, in der es auch keinen vollkommenen Tod gebe. Vielmehr lösten sich die Körper nur in ihre elementaren Bestandteile auf, die dann wieder neu zusammengesetzt werden könnten.²⁵⁸ Selbst hier auf Erden entstehe neues Leben also nur aus einer erneuten Zusammensetzung bereits existenter Elemente. Daher brauche man erst recht für die Zeugung des Sohnes nicht annehmen, dass er aus absoluter Ruhe hervorgehe, da es sich bei den Vorgängen auf Erden um ein Abbild handele: Da es also in der Welt Materie gibt, die aus bestimmten Elementen bestehend immer existiert, und da die Bilder dieser drei [sc. des Seins, des Lebens und des Denkens] sich auch hier, das heißt in der Welt, zeigen, was soll da der Tod ausrichten, wenn diese drei sogar in ihren Bildern ewig sind? Bilder nenne ich die Kräfte, die mittels der Linienbewegung der Seele durch alles hindurch herabfließen.²⁵⁹
S.o. S. 381 f. Vgl. Adv. Ar. Ib 61 f. Vgl. Adv. Ar. IV 24 f. 158,3 – 159,16 Locher). Vgl. zu dieser Argumentation auch oben S. 408 f. Adv. Ar. IV 25: Etenim cum in mundo et hyle sit, quae elementis certis semper exsistit, et cum imagines illorum trium hic quoque, id est in mundo, se praebeant, quid mors agit, illa cum et in suis
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In der Welt finden sich die Bilder des Seins, Lebens und Denkens Gottes, weshalb ein Analogieschluss von den irdischen Zuständen auf Gott möglich sei. Dieses Abbild werde der materiellen Welt durch die Seele vermittelt. Sie stellt die Beziehung zwischen göttlichem Sein, Leben und Denken und der Materie her, indem sie dieser Anteil daran gibt. Die Formulierung, dass die Bilder dieser drei göttlichen Vermögen lineis animae durch alles hindurch bis zur materiellen Welt hinab flössen, ist nicht leicht zu interpretieren. Hadot/Brenke verstehen unter den lineae animae „die geradlinigen Wege, auf denen die Seele zur Welt hinabsteigt.“²⁶⁰ Damit sei der Abstieg der Einzelseele durch die verschiedenen Planetensphären gemeint. Man kann diese dunkle Formulierung aber auch mit Überlegungen bei Proclus zur Schöpfung der Weltseele im platonischen Timaios vergleichen. Der platonische Demiurg formt die Seele, indem er zunächst zwei Linien in Form eines Chi gestaltet, die dann jeweils zu einem Kreis umgebogen werden.²⁶¹ Das veranlasst Proclus zu Überlegungen, warum Platon die Seele zuerst als geradlinig und dann als kreisförmig beschreibt.²⁶² Dabei sind für ihn verschiedene Erklärungen denkbar: Eine mögliche Begründung für den Liniencharakter der Seele zeigt ihren Unterschied zum Intellekt an: Während dieser alle Formen gleichzeitig betrachtet, ist die Tätigkeit der Seele diskursiv, sie projiziert die Formen nacheinander und nicht gleichzeitig. Das gelte auch für die Weltseele.²⁶³ Als weitere Erklärung bietet Proclus an, dass die Seele hinsichtlich ihrer providentiellen Sorge um das ihr Nachgeordnete als Linie zu verstehen sei. Die selbstbewegte und aus sich selbst heraus lebende Seele ist Ursache der Bewegung und des Lebens dessen, was nach ihr kommt. Damit bilde sie wie eine Linie den Abstand zwischen zwei Punkten und sei eine Ausdehnung ihrer selbst.²⁶⁴ Die Seele vermittelt also zwischen dem intelligiblen Sein und dem, was nach ihr kommt, und ist damit eine Linie in doppelter Hinsicht: Sie
imaginibus aeterna sint? Imagines dico potentias per omnia lineis animae defluentes. (159,2– 6 Locher) Hadot/Brenke, Christlicher Platonismus, 437 Anm. 551 mit Verweis auf Macr. somn. I 12,5. Hadot widerruft hier seinen früheren Kommentar in SC 69, 1038 ad 25,32: „Peut-être les ὀχετοί les canaux qui, selon les Oracles chaldaïques […] conduisent le feu divin au monde ?“ Vgl. Pl. Ti. 36b-d. Vgl. insgesamt Procl. in Ti. II 242,22– 245,23 Diehl. Vgl. Procl. in Ti. II 243,17– 28 Diehl, bes. 20 – 23: ὅλον γὰρ ὁμοῦ θεᾶται τὸ νοητόν, αἰώνιον ζωὴν ἔχων περὶ τὰ αὐτὰ καὶ ἐν τῷ αὐτῷ καὶ κατὰ ταὐτὰ ἐνεργῶν· ψυχὴ δὲ μεταβατικήν· ἄλλοτε γὰρ ἄλλοις εἴδεσι προσβάλλει, κἂν τὴν τοῦ παντὸς εἴπῃς· […]. Vgl. Procl. in Ti. II 243,30 – 244,6 Diehl: ἐπεὶ τοίνυν ἡ ψυχὴ προνοεῖ τῶν ἑτεροκινήτων, πρὸ αὐτῶν οὖσα κατ’ οὐσίαν καὶ ὡς αὐτόζως τῶν τὴν ζωὴν ἐχόντων ἐπείσακτον ἀναβεβηκυῖα πάντων, ἔχει καὶ κατὰ τοῦτο τὸ γραμμοειδὲς ἐν τῇ προνοίᾳ τῇ ἑαυτῆς, ἑτέρων οὖσα κινητικὴ καὶ ἑτεροκινήτων συστατική, καθάπερ ἡ γραμμὴ διάστασίς ἐστιν ἄλλου πρὸς ἄλλο καὶ ἔκστασις ἑαυτῆς ἐξισταμένη.
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verbindet das Obere mit dem Unteren, und dehnt sich selbst in ihrer providentiellen Sorge nach unten aus. Es ist denkbar, dass die Linien der Seele bei Victorinus eine ähnliche Vorstellung bezeichnen.²⁶⁵ Dann wären darunter die nach unten gerichteten vermittelnden Aktivitäten der Seele zu verstehen und ihre Sorge um das von ihr Bewegte. Mit diesem Verständnis könnte man die Stelle als Indiz für die Vorstellung einer Weltseele bei Victorinus lesen. Es bleibt aber unklar, von welcher Seele Victorinus hier spricht, vielleicht ist nur an eine vermittelnde Funktion der Quellseele gedacht. Daraus müsste noch nicht folgen, dass der Kosmos eine rationale Seele besitzt. Victorinus schreibt der Seele insgesamt die Funktion zu, das Leben und Form an die materielle Welt zu vermitteln, und ähnelt darin dem frühen Augustinus. Anders als dieser spricht Victorinus aber nirgends davon, dass die Welt deswegen als beseelt gedacht werden müsse. Vielmehr spricht Victorinus explizit nur davon, dass die transzendente Quellseele der bereits vor ihr entstandenen Materie Anteil am Leben gibt, das sie selbst von Gott erhalten hat.²⁶⁶ Die Materie ist von sich aus nicht in der Lage, zur Bestimmung und Form zu gelangen, sondern benötigt hierfür die vermittelnde Tätigkeit der Seele. Der eigentliche Schöpfer ist immer noch Gott selbst, die Seele übernimmt nur gewisse demiurgische Funktionen, da ein direkter Kontakt zwischen der toten Materie und Gott für Victorinus nicht denkbar scheint. Hierin kann er sich an die Überlegungen Plotins anschließen, der der Seele ebenfalls stellvertretend für den Intellekt kosmopoietische Funktionen zuschreibt. Bei beiden ist damit eine Theodizee verbunden: Der Schöpfer wird von der Materie, in der Plotin wie Victorinus in unterschiedlicher Weise die Ursache für das Böse suchen, so weit wie möglich entfernt. 5.3.4 Die lebens- und erkenntnisvermittelnde Funktion des Logos und die Vervollkommnung des Kosmos durch den Logos Der platonische Timaios begründet die Beseeltheit der Welt auch damit, dass der Demiurg diese so gut wie möglich gestalten wollte. Die Weltseele garantiert und erhält die Ordnung und den Bestand der Welt, da sie mühelos über ihren Körper herrscht.²⁶⁷ Auf der Welt gibt es nur scheinbare Übel, die durch den Blick auf das
S.o. Anm. 220 zur Rezeption des Chi im Timaios bei christlichen Autoren des 2. Jh. Anders als diese hätte Victorinus demnach keine Verbindung zum Kreuz Christi gezogen. Cooper, Marius Victorinus, 549 f. schließt dagegen aus diesen Funktionen der Quellseele darauf, dass es sich um die Weltseele handele. Zur Affektlosigkeit der Weltseele dank der Vollkommenheit ihres Körpers und zur mühelosen Herrschaft der Weltseele im Unterschied zur Einzelseele vgl. Plot. enn. IV 8 (6) 2,14– 18.26 – 30.
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große Ganze des Kosmos relativiert werden oder durch eine zeitliche Betrachtung der Ereignisse erklärt werden können.²⁶⁸ Vergleicht man damit das Bild der Schöpfung bei Victorinus zeigen sich gewichtige Unterschiede, die es unwahrscheinlich machen, dass Victorinus die Lehre einer Weltseele vertritt. In seiner heilspädagogischen Konzeption der Schöpfung sind die Seelen in der Welt den materiellen Mächten ausgeliefert, die gegen sie ankämpfen und sie gefangen halten. Dabei handelt es sich nicht nur um ein scheinbares Übel, sondern um das tatsächliche Böse in der Welt. Die menschlichen Seelen können angesichts dessen keine objektive Perspektive einnehmen, die sie zur Erkenntnis bringt, sondern müssen in der Welt lernen, dass sie den materiellen Mächten schutzlos ausgeliefert sind und Hilfe nur von Christus erhalten können. Man kann also sagen, dass die Welt als ganze bei Victorinus ihren irrationalen Teil, d. h. die materiellen Mächte nicht vollkommen beherrscht und es damit keine vollständige Ordnung gibt. Diese Mächte nennt Victorinus in Anlehnung an den biblischen Sprachgebrauch auch die Herrscher, Mächte und Gewalten dieser Welt.²⁶⁹ Eine Befreiung aus dieser Situation gibt es allein durch die Inkarnation Christi und den Glauben an das durch ihn vollbrachte Heilswerk. Dabei betont Victorinus immer wieder, dass die Schöpfung noch nicht vollendet ist, sondern durch die Inkarnation des Sohnes deren Vervollkommnung erst begonnen hat. Ihren Abschluss findet diese Vervollkommnung am Ende der Zeit, wenn die gesamte Schöpfung vergeistigt wird. Da die Welt ihrer endgültigen Vervollkommnung noch harrt, kann Victorinus sagen, dass die Welt kein Leben und keine Erkenntnis hat, sondern dass der Logos und der Heilige Geist ihr dies geben.²⁷⁰ Es gibt keine lebensspendende, rationale Seele im All, die dies schon von sich aus bewerkstelligen könnte, zumindest keine, die das wahre Leben und die wahre Erkenntnis an die materielle Welt vermitteln
Plot. enn. IV 3 (27) 16: Das Unglück eines Unschuldigen ist entweder für das Ganze von Vorteil, oder kein Unrecht, weil es sich durch eine frühere Ursache erklären lässt. Ausführliche Abhandlungen dazu in Plot. enn. III 2 (47); III 3 (48). Vgl. z. B. Adv. Ar. III 3: carnis potestates (117,18 Locher); Adv. Ar. III15: adversae […] potestates (130,29 f. Locher); in Eph. 1,4,114 f.: carnales potestates; in Eph. 2,1,33: princeps potestatis aeris (sein Herrschaftsbereich ist die Materie, in Eph. 2,1,40 – 43); in Eph. 3,16,20: iniquissimae potestates; in Eph. 6,13,3 – 5: rectores huius mundi et tenebrarum harum et […] spiritalia nequitiae in caelis; Vgl. Adv. Ar. III 14: Et quoniam Christus vita est, de se adiunxit: quoniam vivo ego, et vos vivetis. Et quia spiritus sanctus intellegentia est, utraque autem mundus ipse caret, ideo adiecit: quoniam apud vos manet et in vobis est. (129,2– 5 Locher)
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könnte. Hier übernehmen der Logos und der Heilige Geist die Aufgaben der platonischen Weltseele.²⁷¹ Im Hintergrund dieser Sicht auf die Welt steht bei Victorinus der neutestamentliche, insbesondere johanneische Sprachgebrauch, nach dem „die Welt“ das Gottferne und -feindliche bezeichnen kann.²⁷² In diesem Sinne verwendet er das Wort mundus und seine Derivate in zahllosen Fällen.²⁷³ Daher kann er die Welt nicht im Sinne einer vollkommenen Ordnung verstehen, die von einer rationalen Seele durchwaltet wird. Die Welt ist vielmehr ein noch unvollkommener Ort, der erst im Laufe der Heilsgeschichte seiner Vervollkommnung entgegensieht. In der ersten Schöpfung ist der eigentlich Handelnde für Victorinus bereits der Sohn. Nur er ist im eigentlichen Sinne Schöpfer, da der Vater stets in Ruhe verharrt und sich des Logos als Schöpfungsmittlers bedient.²⁷⁴ Genauso kann Plotin davon sprechen, dass der Intellekt der Seele die Herrschaft über das All überlässt, da er selbst in der Ruhe verharrt.²⁷⁵ Victorinus schreibt also die stellvertretende schöpferische Funktionen der Seele Plotins hier dem Logos zu. Ein Teil der Schöpfungstätigkeit wird wiederum von der Seele übernommen. Seine Entsprechung und Fortsetzung findet das Handeln des Sohnes in der Schöpfung bei der Vervollkommnung der Schöpfung: Diese Vervollkommnung beginnt mit der Inkarnation des Sohnes, genauer mit der Annahme des universellen Seelenprinzips durch den Sohn. Wie bei der Schöpfung, so bedient sich der Logos auch für die Vervollkommnung der Welt der Seele. Das gibt Victorinus in einer Passage in Adversus Arium III 12 zu verstehen: „Wenn der Geist [sc. der Logos] also die Seele annimmt, dann überträgt er sein Vermögen und seine Tätigkeiten gewissermaßen nach unten, wenn er die Welt und das Weltliche vollendet.“²⁷⁶ Durch die Annahme der Seele in der Inkarnation vermittelt der Logos sein Vermögen und seine Aktivität an die Welt, um sie dadurch zu vervollkommnen. Für diese Tätigkeit des Übermittelns gebraucht Victorinus das Verb traicere, das Augustinus in De
Vgl. zu dieser Sicht auch Benz, Marius Victorinus, 94 f. Auch Schiavolin, Mysterium, 14 weist darauf hin, dass die vermittelnde Kraft der Seele zu schwach ist und daher die Inkarnation notwendig ist. Vgl. Sasse, Art. „κόσμος C.4.“, ThWNT 3 (1938), 889 – 896, zum johanneischen Sprachgebrauch bes. 894– 896. Johannes gilt Victorinus in Adv. Ar. I 36 (71,21 f. Locher) als primus evangelistes. Für Beispiele s.o. S. 485 mit Anm. 193. Vgl. in Eph. 3,9,38 – 42. Vgl. Plotins Mythenallegorese, in der er Kronos mit dem Intellekt und Zeus mit der Seele identifiziert, der von ihrem Vater die Herrschaft über das All überlassen wird: Plot. enn. V 8 (31), 13,1 f.: ὁ οὖν θεὸς ὁ εἰς τὸ μένειν ὡσαύτως δεδεμένος καὶ συγχωρήσας τῷ παιδὶ τοῦδε τοῦ παντὸς ἄρχειν […]. Adv. Ar. III 12: Animam igitur cum assumit spiritus, veluti ad inferiora traicit potentiam atque actiones, cum mundum et mundana complet. (127,5 – 7 Locher)
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musica bezeichnenderweise für die vermittelnde Tätigkeit der Weltseele benutzt.²⁷⁷ Die Seele dient dem inkarnierten Logos als Instrument, um die Vervollkommnung der Welt einzuleiten. Der Logos nimmt aber nicht die Weltseele oder eine Individualseele an, sondern das universelle Prinzip der Seele. Damit will Victorinus sicherstellen, dass die einmalige Inkarnation des Sohnes Auswirkungen auf alle Seelen haben kann. Wie dieses Seelenprinzip sich zur Quellseele verhält, bleibt aber unklar. In seinem Galaterkommentar lehnt Victorinus aber die Lehre der sog. Symmachianer ab, die Jesus mit der anima generalis identifizieren.²⁷⁸ Damit ist wohl die Seele als genus der vielen Einzelseelen gemeint, mithin also die transzendente Seelenhypostase.²⁷⁹ Da Victorinus diese Identifizierung ablehnt, nimmt Christus mit dem λόγος animae also nicht die Quellseele an, sondern eine davon noch unterschiedene Idee der Seele. Im Fokus steht für Victorinus dabei das Schicksal der menschlichen Einzelseele, die durch den Glauben an der durch Christus gewirkten Erlösung Anteil bekommt. Das zeigt sich besonders deutlich bei einer Bemerkung über die kosmische Dimension der Erlösung in seinem Kommentar zu Eph 2,17: „Denn die Ankunft des Herrn hat als Evangelium den Frieden verkündigt, das heißt, dass die Menschen versöhnt werden und die gesamte Welt, die durch die Seelen auf Gott blickt, nichts Widriges fühlt und Frieden hat.“²⁸⁰ Cooper macht darauf aufmerksam, dass die Seelen hier als Augen der Welt dargestellt werden, die auf Gott blicken.²⁸¹ Der Kosmos hat keine eigene Seele, durch die er auf Gott gerichtet wäre, sondern die vielen menschlichen Einzelseelen bilden den Kosmos.²⁸² Die Blickrichtung der Einzelseelen nach oben wird aber erst durch Christus hergestellt. Im Gegensatz Vgl. Aug. mus. VI 14,44 (s. Anm. 239). Vgl. in Gal. 1,19,4– 9, bes. 7– 9: Dicunt enim eum [sc. Christum] ipsum Adam esse et esse animam generalem et alia huiusmodi blasphemia. Vgl. Tardieu, Symmachiens, 324– 326. Daher ist der Übersetzung bei Cooper, Galatians, 265 f. zu folgen: „The say that he is Adam himself, and is the universal soul, and other blasphemies of this sort.“ Dagegen übersetzt Gori, CorPat 8, 206 f.: „Dicono infatti che egli è lo stesso Adam, che c’è un’anima universale ed altri simili bestemmie.“ Die Lehre einer anima generalis ist für Victorinus aber keine Blasphemie, sondern nur deren Identifikation mit Christus. In Eph. 2,17,3 – 6: Adventus enim domini evangelizavit pacem, id est ut reconciliarentur homines totusque mundus per animas in deum respiciens nihil adversi sentiret, haberet pacem. Vgl. Cooper, Metaphysics, 168 ad Eph. 2,17– 19. Cooper, Metaphysics, 168 verweist auf die ähnliche Aussage in Gal. 4,4,58 – 60: Sic enim mysterio suo Christus dei filius subvenit mundo nobisque omnibus. Nos enim mundus sumus. Vielleicht lässt sich diese Vorstellung am ehesten mit dem Diognetbrief vergleichen, in dem den Christen metaphorisch gewisse Funktionen der Weltseele zugeschrieben werden. Vgl. Diogn. 6, bes. 6,1: Ἁπλῶς δ’ εἰπεῖν, ὅπερ ἐστὶν ἐν σώματι ψυχή, τοῦτ’ εἰσὶν ἐν κόσμῳ Χριστιανοί. (SC 33bis,64) Für einen ausführlichen Kommentar vgl. Lona, An Diognet, 177– 210.
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dazu betont Plotin, dass die Weltseele mit ihrem Intellekt dauerhaft auf den Intellekt vor ihr ausgerichtet ist und darum die Welt mühelos beherrscht. Darin sollen die Einzelseelen ihr Vorbild sehen.²⁸³ In der Inkarnation siegt der Logos über die materiellen Mächte der Welt, deren endgültige Niederlage im Eschaton geschieht. In dieses Bild einer dynamischen Entfaltung der Schöpfung von der ersten Erschaffung der Seele bis hin zur eschatologischen Vervollkommnung von Seele und Materie fügt sich das Konzept einer Weltseele nicht ein. Gäbe es eine rationale Weltseele, die die Welt erhält, ordnet und lenkt, würde im Denken des Victorinus die Notwendigkeit der Inkarnation in Frage gestellt, deren Sinn es ist, die Welt zur Vollkommenheit zu bringen.²⁸⁴
5.4 Fazit Bei Victorinus lässt sich sicher die Unterscheidung der Quelleseele und der Einzelseelen feststellen. Die Quellseele erfüllt in seinem Denken ähnliche Funktionen wie Plotins dritte Hypostase. Sie ist erstens die Mittlerin zwischen der Einheit des intelligiblen Seins im Logos und der Vielheit in der materiellen Welt, da sie als Ursprung der vielen species der Einzelseelen die substantielle Einheit aller rationalen Seelen garantiert, die sich in den Körpern individualisieren. Zweitens übernimmt die Seele stellvertretend für den Logos bestimmte demiurgische Aufgaben wie die Seele bei Plotin stellvertretend für den Intellekt. Das gemeinsame Anliegen ist es, Gott möglichst weit von der Materie zu distanzieren, in der die Ursache für das Böse gesehen wird. Explizit schreibt Victorinus der Seele aber nur die Funktion zu, die tote Materie erstmalig zu formen und so für die Schöpfung vorzubereiten. Drittens haben alle menschlichen Einzelseelen einen unzerstörten Intellekt, da die Quellseele wie Plotins Seelenhypostase mit ihrem Intellekt stets in der Transzendenz verharrt. Diesen unzerstörten Intellekt kann Victorinus aber anders als Plotin nicht als Ausgangspunkt einer Selbstbefreiung der Seele aus der Welt ansehen. Die Unzerstörtheit des Intellekts stellt vielmehr sicher, dass die Seele auch nach
Vgl. Früchtel, Weltentwurf, 61– 63. Erhellend für die Frage der Weltseele bei Victorinus ist auch der Vergleich zwischen Adv. Ar. III 3 und Scotus Eriugena, Periphyseon III,4555 – 4570 (CCCM 163, 156 = 728AB) und Adv. Ar. IV 11 und Periphyseon III,4581– 4600 (CCCM 163, 157 f. = 728D-729 A) bei Piemonte, vitalismo, PaMe 7 (1986), 20 f.25 – 28: Eriugena scheint sich an beiden Stellen in der Darstellung der Kette des Lebens vom Logos bis zur Materie eng an Victorinus anzulehnen. Er fügt aber in diese Hierarchie des Lebens an beiden Stellen noch eine Bemerkung ein, dass die Platoniker eine Weltseele lehren. Eriugena hat hier offenbar eine Leerstelle bei Victorinus gesehen.
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dem Fall ihren ontologischen Status als Mittelwesen, das zum Geist aufsteigen kann, nicht grundsätzlich verloren hat. Der Aufstieg ist der Seele erst nach der Inkarnation Christi durch den Glauben möglich. Über Plotins Seelenlehre hinaus bietet die substantielle Einheit aller Seelen durch ihren gemeinsamen Ursprung in der Seele auch eine Erklärung dafür, warum der Fall der transzendenten Seele in die Materie Auswirkungen auf alle Einzelseelen hat. Ebenso erklärt sie, wie durch die Annahme einer Seele durch Christus alle Seelen an dem Heilsmysterium teilhaben können. Insgesamt stellt die Homousie der Seelen gegen gnostische Lehren sicher, dass es keine natürlichen Unterschiede zwischen den Menschen gibt, die Konsequenzen für die Erlösungsfähigkeit hätten. Für Victorinus können und sollen alle Seelen errettet werden, da sie eine Einheit bilden. Es lässt sich dagegen nicht nachweisen, dass Victorinus sich der platonischen Lehre der Weltseele anschließt. In seiner Weltsicht ist er stark dem von ihm besonders geschätzten Johannes-Evangelium verpflichtet, da er den mundus nicht als rationale Ordnung, sondern als das im Moment noch Gottferne versteht. Die Welt in ihrer jetzigen Gestalt ist für ihn ein Lernort für die Seelen, in dem die materiellen Mächte herrschen. Das passt nicht zur neuplatonischen Konzeption der Welt als rationaler Ordnung. Die Welt hat für Victorinus weder Erkenntnis noch Leben aus sich, sondern bekommt dies vom Logos und Heiligen Geist geschenkt. Besonders wichtig ist für ihn die Vorstellung, dass die Inkarnation eine Fortsetzung der ersten Schöpfung ist. Indem Christus eine Seele und einen Leib annimmt, teilt er der Welt Leben und Erkenntnis mit. Die Inkarnation ist damit der Beginn der Vervollkommnung der Schöpfung. Man darf also nicht automatisch aus Systemgründen darauf schließen, dass Victorinus die neuplatonische Vorstellung einer Weltseele teilt. Anders als Augustinus erwägt Victorinus aber nirgends explizit, ob die Weltseele mit der Schrift und Vernunft vereinbar ist. Das zeigt, dass es Victorinus nicht darum geht, das neuplatonische System zu christianisieren, sondern dass sein zentrales Interesse der Frage nach dem individuellen Schicksal der menschlichen Seele gilt. Victorinus versucht in seinen Schriften zu begründen, warum die menschliche Seele erlösungsbedürftig ist und warum diese Erlösung nur durch den Glauben an die Inkarnation Christi vollbracht werden kann. Alle seine Überlegungen fügen sich in diesen soteriologischen und christozentrischen Blickwinkel ein.
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6 Die Annahme und Erlösung der Seele durch den inkarnierten Logos 6.1 Annahme und Ablegen der Seele in der Exegese von Joh 10,17 f. in Adv. Ar. III 11 f. Die biblische Lehre der Ebenbildlichkeit führt Victorinus dazu, eine große Nähe zwischen der Seele und Gott anzunehmen, sodass er sie sogar als wesensähnlich bezeichnen kann. Gleichzeitig ist durch diese Bestimmung der Seele aber auch der klare Unterschied zum Logos markiert, der wesenseins mit dem Vater ist. Diese doppelte Bestimmung der Seele ist eine zentrale Voraussetzung für die Erlösung der Seele. Dies begründet Victorinus in einer Exegese von Joh 10,17 f., indem er darlegt, warum Christus die Verfügungsgewalt über die Seele besitzt.²⁸⁵ Er unterscheidet dabei in Joh 10,17 f. drei Handlungen des Sohnes: Das Annehmen einer Seele (Joh 10,18), das Aufgeben der Seele und das Wiederaufnehmen der Seele (Joh 10,17). Diese drei Tätigkeiten entsprechen der Inkarnation, dem Tod samt Hadesfahrt und der Auferstehung Christi.²⁸⁶ Im Rahmen der Schrift Adversus Arium III erfüllt diese Exegese einen doppelten Zweck: Erstens will Victorinus zeigen, dass alle Hypostasen der Trinität Leben sind und der Seele als Lebensprinzip der materiellen Welt überlegen sind, sodass der trinitarische Gott die Fähigkeit und Möglichkeit zur Erlösung besitzt.²⁸⁷ Und zweitens soll die substantielle Identität von Logos und Heiligem Geist bei gleichzeitiger Unterscheidung ihrer Aktivitäten gezeigt werden: Der Logos handelt sichtbar in der Welt, indem er die Seele annimmt, sie aufgibt und wieder annimmt. Der Heilige Geist dagegen handelt verborgen, indem er den Auf-
Vgl. Adv. Ar. III 11 f. (126,6 – 127,21 Locher). Vgl. Adv. Ar. III 12: Ergo spiritus, et maxime λόγος, spiritus, qui vita est, in potestate habet et sumere animam et ponere. Cum autem sumit, mundo veluti nascitur et potentia eius cum mundo colloquitur. Cum vero ponit, a mundo recedit et non operatur in mundo carnaliter, nec tamen spiritaliter. Hoc nos mortem eius nominamus, et tunc esse dicitur in inferno, non utique sine anima. Hinc petit, ne deus animam suam relinquat in inferno. Ergo eam, quia rediturus ad mundum est et ad eius actum, secum ab inferis ducit. Quasi resumit ergo animam, id est ad actus mundi iterum accipit. Et quia actus in mundo plenus ac totus λόγος agit et qui spiritus est et anima et corpus, rursus ergo sanctificandum fuit, quia rursus ista susceperat. (127,6 – 16 Locher). Vgl. Adv. Ar. III 11 f.: Ergo haec, λόγος, πνεῦμα, supra animam sunt sua superiore substantia longe alia substantia animae et inferiore, quippe a deo insufflata et genita et sola vere substantia dicta, quod subesset suis in se speciebus, et eodem pacto ut ὕλη. Huc accedit, quod vita deus, vita Christus et ex se vita utique, sed ut patre dante Christus habeat ex se vitam. Ergo vita superior ab anima. (126,12– 18 Locher)
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erstandenen heiligt und nach der Himmelfahrt Christi von diesem gesandt wird, um im Verborgenen das Werk Christi fortzusetzen.²⁸⁸ Der Logos kann in der Inkarnation eine Seele annehmen, da er der Seele überlegen ist und sie in seiner Verfügung steht. Victorinus begründet die Überlegenheit des Logos über die Seele auf zweifache Weise: Erstens werden der Logos und der Vater nirgends in der Schrift als Seele bezeichnet, sondern vielmehr als Geist.²⁸⁹ Daher ist die göttliche Substanz von der Substanz der Seele unterschieden.²⁹⁰ Zweitens ist die Seele nach Gen 1,26; 2,7 von Gott erschaffen worden und hat ihr Sein von Gott her. Sie ist daher nicht der Logos, sondern nur ein Logos (quidam λόγος), ihr Leben hat sie von dem göttlichen Leben her. Das göttliche Leben hat also ontologische Priorität vor der Seele als Lebensprinzip der Welt und daher Verfügungsgewalt über sie.²⁹¹ Durch die Schöpfung nach dem Bilde Gottes besteht aber eine wesensmäßige Ähnlichkeit zwischen der Substanz der Seele und der Substanz des Logos. Sie zeigt sich darin, dass die Seele substanziell selbstbewegte Bewegung ist und damit das Lebensprinzip der Welt. Da die Seele ein solches Wesen besitzt kann sie auch nur vom Logos angenommen werden und nicht vom Vater selbst. Dieser ist als in sich ruhendes Prinzip zwar die Ursache der Bewegung, aber selbst keine Bewegung. Die Ähnlichkeit zwischen Logos und Seele ist also Voraussetzung dafür, dass der Logos die Seele in der Inkarnation überhaupt annehmen kann. Der Logos hat die Annahme einer Seele aber nicht nötig, er gewinnt dadurch nichts hinzu. Die Seele hat ihr Leben von seinem Leben und kann ihm daher nichts hinzufügen. Durch die
Vgl. z. B. Adv. Ar. I 14: Sed Iesus spiritus apertus, quippe et in carne, spiritus autem sanctus occultus Iesus, quippe qui intellegentias infundat, non iam qui signa faciat aut per parabolas loquatur. (128,22 – 25 Locher) s.o. S. 338 – 348. Vgl. dagegen die ausführlichen Überlegungen bei Or. princ. II 8,2 f.5 (153,25 – 154,9.162,22– 163,11 Koetschau) über Bibelstellen, in denen Gott eine Seele zugeschrieben wird. Jedoch will Victorinus hier darauf hinaus, dass es keine zu Joh 4,24 analoge Aussage gibt, in der Gott mit der Seele identifiziert wird. Daraus muss man noch nicht auf Unkenntnis oder Desinteresse für die bei Origenes diskutierten Stellen des Alten Testaments schließen. Vgl. Adv. Ar. III 11: Christum numquam dictum esse animam satis manifestum est, sed nec deum dictum animam. Etenim pater deus dictus, spiritus dictus, item filius λόγος dictus, spiritus dictus et sine dubio deus, quippe cum ambo unus deus. (126,9 – 12 Locher) Vgl. auch in Gal. 1,19,4– 9, wo Victorinus die Identifikation Christi mit der anima generalis ablehnt, s.o. Anm. 278. Vgl. Adv. Ar. III 12: Etenim anima ad imaginem imaginis dei facta: faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram. Ergo inferior et a deo atque λόγῳ magis orta vel facta, numquam ipse deus aut λόγος, sed quidam λόγος, non ille, qui filius, generalis vel universalis atque omnium, quae per ipsum facta sunt, semen, origo, fons. (126,23 – 28 Locher)
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Annahme der Seele überträgt der Logos vielmehr gnadenhaft sein Vermögen nach unten an die Seele und dadurch auch an den Leib.²⁹² Mit der abschwächenden Formulierung, dass der Logos, wenn er die Seele annimmt, der Welt „gewissermaßen geboren wird (veluti nascitur)“ ²⁹³ hebt Victorinus darauf ab, dass der Sohn als Logos präexistent aus dem Vater gezeugt ist und ewig lebt. Er möchte sich mit dieser Formulierung gegen eine adoptianische Christologie absichern, wonach die Existenz des Sohnes erst mit seiner Geburt als Mensch beginne. Der Sohn wird in der Inkarnation nur „gewissermaßen“ geboren, weil er schon ewig aus dem Vater gezeugt ist. Die Aussage ist daher gegen Benz nicht als doketische Aussage über eine nur scheinbare Inkarnation des Logos zu verstehen.²⁹⁴ Anschließend legt Victorinus die Macht des Sohnes, die Seele aufzugeben, so aus, dass es sich dabei um seine freiwillige Entscheidung zum Tod handelt. Jedoch dürfe man das Aufgeben der Seele nicht so verstehen, als hätte sich Christus vollkommen von der Seele getrennt. Vielmehr bedeute dies nur, dass er nicht mehr in der sichtbaren Welt wirke. Der Sohn legt also gerade nicht „im Tode am Kreuz seine Menschennatur wieder ab“, wie Benz die Stelle interpretiert.²⁹⁵ Victorinus betont vielmehr eindeutig, dass der Sohn seine menschliche Seele auch in den Hades mitführt. Dabei deutet er animam ponere in Joh 10,17 gegen den Wortsinn als Ablegen des Körpers, den Christus anders als die Seele nicht mit sich in den Hades führt. Die Ursache für diese verklausulierte Exegese liegt darin, dass Victorinus verschiedene Glaubensaussagen miteinander kombinieren möchte. Im Anschluss an die Pfingstpredigt des Petrus in Apg 2,27 deutet er Ps 15,10 LXX als Aussage über den Tod und die Auferstehung Christi. Dieser sei mitsamt der von ihm angenommenen Seele in den Hades hinabgestiegen, die dort aber vom Vater nicht zurückgelassen wurde.²⁹⁶ In seinem Epheserkommentar macht Victorinus deutlich, welchen Zweck
Vgl. Adv. Ar. III 12: Ergo illa (sc. deus et λόγος) ὁμοούσια, anima vero ὁμοιούσιος. Haec cum assumitur a divinis, id est a λόγῳ (neque enim a deo, λόγος enim motus est et motus anima et motus a semet ipso motus, unde imago et similitudo anima τοῦ λόγου est), ergo cum assumitur, nihil adicitur vitae, quippe cum ex vita, id est ex vivendi potentia, animae vita sit. Animam igitur cum assumit spiritus, veluti ad inferiora traicit potentiam atque actiones, cum mundum et mundana complet. (126,32– 127,6 Locher) Bei Origenes findet sich ein verwandter Gedanke, dass die Ähnlichkeit zwischen Logos und Mensch nach Gen 1,26 eine Voraussetzung der Inkarnation darstellt. Der Logos hat Mitleid mit seinem gefallenen Bild und nimmt deswegen Menschengestalt an, um seinem Bild zu helfen. Vgl. Or. Hom. in Gen. I 13 (27,5 – 9 Habermehl). Adv. Ar. III 12: Cum autem assumit, mundo veluti nascitur […]. (127,8 Locher) Vgl. Benz, Marius Victorinus, 117 f.258 – 261. Benz, Marius Victorinus, 117. Vgl. Adv. Ar. III 12 (127,9 – 13 Locher).
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die Hadesfahrt Christi erfüllt: Es sollten alle Seelen und Glieder Christi erlöst werden, also auch die Seelen im Hades.²⁹⁷ Die Verbindung Christi mit der Seele darf also auch im Hades nicht gelöst werden, da sich auch dort Seelen befinden, die erlöst werden sollen. Daher kann animam ponere in Joh 10,17 für Victorinus nicht bedeuten, dass Christus die angenommene menschliche Seele wieder abgelegt hat. Hadot vermutet auch an dieser Stelle wieder einen Einfluss durch Porphyrius und verweist dafür auf dessen Erklärung, wie der Aufenthalt der Seele im Hades zu verstehen sei.²⁹⁸ Porphyrius spricht in einem übertragenem Sinne von einem Hadesaufenthalt der Seele: Die Seele bedient sich ihres πνεῦμα als Körper und Gefährt, wenn dieser Körper zu schwer ist, wird die Seele gewissermaßen nach unten in den Hades gezogen. Sie wechselt nicht wirklich ihren Ort, sondern zieht das Bild des dunklen und unterirdischen Hades an.²⁹⁹ Hier zeigt sich aber gerade ein entscheidender Unterschied zwischen Victorinus und Porphyrius: Ein Axiom des Porphyrius lautet, dass eine Seele nach ihrem Eintritt in die Welt immer einen Körper benötige. Bevor sie in den menschlichen Körper eintritt und nachdem sie aus ihm herausgetreten ist, dient dafür das πνεῦμα, das je nach Lebensführung schwerer oder leichter ist. Dieses πνεῦμα hat auch Auswirkungen auf das Leben der Seele nach der Trennung vom Körper. Victorinus setzt diese philosophische Position nicht voraus, da der Logos in seinem Denken keinen Körper benötigt, um mit seiner Seele im Hades zu sein.³⁰⁰
Vgl. in Eph. 4,9,19 – 21: Lectum est enim qui in infernum descendit salvator passione illa crucis ut omnem animam liberaret et ex omnibus locis redimeret membra sua. Die Formulierung lectum est verweist darauf, dass Victorinus die Hadesfahrt Christi aus der Bibelexegese gewinnt, da er so stets eine Ansicht aus der Schrift begründet, vgl. Adv. Ar. II 6 (107,3 f. Locher), hom. rec. 2 (168,27 Locher) zum Nachweis der Schriftgemäßheit der οὐσία-Terminologie, Adv. Ar. II 12 (112,16 Locher), hom. rec. 4 (171,4 Locher) zur Begründung der Formel lumen in lumine, in Eph. 3,5,7 f. mit Verweis auf Mt 1,1– 17, in Gal. 4,29,5 f. mit Verweis auf die Genesis. Daher liegt es nahe, dass Victorinus die Hadesfahrt Christi aus der exegetischen Tradition kennt. Sie ist bereits in Apg 2,27; 13,35 vorausgesetzt. Für einen Überblick zur exegetischen Tradition bis zum Anfang des 4. Jh. vgl. auf der Maur, Zur Deutung von Ps 15 (16) in der Alten Kirche, 401– 418. Vgl. auch weitere Hinweise auf die antike Exegese bei Cooper, Metaphysics, 190. Es dürfte zur Zeit des Victorinus noch kein römisches Bekenntnis gegeben haben, in dem die Hadesfahrt Christi eine Rolle gespielt hat, vgl. den Hinweis bei Rufin. symb.16,1. Auch in Markells Bekenntnis in seinem Brief an Julius fehlt der Passus, vgl. Dok. 41.7,11 (AW III/1/4, 154 f.). Zum Vorschlag hierin das Bekenntnis der zuvor abgehaltenen Synode in Rom zu sehen und somit im Kern für ein Romanum zu halten, vgl. Heil, Markell von Ancyra und das Romanum, 85 – 103, bes. 97– 100. Vgl. Hadot, SC 69, 964 ad 12,34. Vgl. Porph. sent. 29. Daneben gibt es ein rein metaphorisches Verständnis vom Hades in Porph. 377F Smith.Vgl. zu dieser unaufgelösten Spannung Smith, Porphyrian Studies, ANRW II 36,2, 723 – 725. Hadot, SC 69, 964 ad loc. 12,34 vermisst dann auch eine Erklärung, wie die Seele im Hades sein kann: „Victorinus n’explique pas comment l’âme du Christ est aux enfers […].“
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Vielleicht kannte Victorinus auch Schriften des Origenes, in denen dieser die Höllenfahrt Christi thematisiert. Denn Origenes begründet an einer Stelle ausdrücklich, dass der Logos nur mit seiner Seele, nicht aber mit seinem Körper in den Hades hinabsteige, da sich im Hades nur Seelen befänden und keine Körper.³⁰¹ Victorinus fügt sich mit seiner Deutung der Hadesfahrt Christi in diese exegetische Tradition ein.³⁰² Letztlich legt sich ein solches Verständnis aber auch schon durch den Wortlaut von Ps 15,10 LXX nahe, wo nur von der Seele im Hades gesprochen wird. Jedoch finden sich auch konkurrierende Auslegungen, wonach sich nur der Körper Christi im Hades befand.³⁰³ Jedenfalls stellt sich Victorinus im Anschluss an
Vgl. Or. Hom. in Ps. 15 II 8: Μόνη ἡ ψυχὴ εἰς ᾅδου καταβέβηκεν, ὅπου μόνον ψυχαὶ ἦσαν. Εἰ καὶ ἐνθάδε ψυχαὶ μόνον ἦσαν καὶ μὴ ἦν τὸ ζῷον σύνθετον, οὐκ ἄν ἐληλύθει ἐνθάδε σύνθετος. (108,2– 4 Perrone) Das ist die Konsequenz aus der Ansicht, dass sich der Logos im Laufe seines Abstiegs in je anderer Form zeigt: Den Engeln als Engel, den Thronen als Thron, usw. (109,5 – 13 Perrone). Vgl. zur Auslegung von Ps 15 LXX bei Origenes Perrone, Abstieg und Aufstieg, ThPh 89 (2014), 321– 340, hier bes. 337 f. Die Aussagen in dial. 6,7– 8,17 (SC 67, 68 – 72) gehen in dieselbe Richtung: Der Mensch besteht aus Geist, Seele und Leib: Der Geist Christi ist nach dem Tod in den Händen des Vaters, der Körper ruht im Grab und die Seele steigt in den Hades hinab. Nach der Auferstehung werden alle drei Teile wieder vereint, der Geist kommt aber erst nach der Himmelfahrt wieder hinzu (Für die Begründung mit Joh 20,17 s. S. 510 – 513.) Origenes möchte aber gegen gnostische Gegner ausdrücklich nicht behaupten, es sei unmöglich gewesen, dass Christus auch mit dem Leib oder dem Geist in den Hades hinabsteigt, vgl. dial. 7,11– 8,4 (SC 67, 72). Vgl. aber auch die Auslegung der Geschichte von Lazarus und dem Reichen in Lk 16,19 – 31 bei Iren. haer. II 34,1: Für Irenäus ist dies ein Beleg, dass die Seelen bereits vor dem Jüngsten Gericht ihren Platz in Himmel oder Hölle bekommen, bis dahin ist die Seele des Reichen körperlos im Hades. Auch in der Auseinandersetzung zwischen Faustus von Riez und Claudianus Mamertus spielt diese Stelle eine Rolle, Faust. epist. 5 (CSEL 21, 189,8 – 13) wertet die Geschichte als Argument für die Körperlichkeit der Seele, dagegen wendet sich Claud. Mam. anim. III 9 f. (CSEL 11, 168 – 172). Ausführlich zur Hadesfahrt bei Irenäus vgl. Orbe, El ‘descensus ad inferos’, Gr. 68 (1987), 485 – 522. Gegen Benz, Marius Victorinus, 117: „Diese Höllenfahrt findet auch im dritten Buch gegen die Arianer eine singuläre Deutung.“ So bei Gr. Nyss., De tridui spatio (GNO 9,1, 293,2– 294,4). Gregor ist bemüht das exegetische Problem zu lösen, wie der Hadesaufenthalt Jesu nach Ps 15 LXX mit dem Versprechen in Lk 23,43 vereinbar ist, dass der mit im Gekreuzigte noch heute mit ihm im Paradies sein werde. Gregor löst das Problem, indem er eine Trennung der Seele und des Körpers annimmt, ohne dass einer der Teile von der Gottheit Christi verlassen würde. So ruht nur der Körper im Hades und die Gottheit Christi bewirkt, dass er nicht verwest, während die Seele den Übeltäter ins Paradies begleitet. In der Auferstehung bewirkt die göttliche Natur Christi dann die Wiedervereinigung von Körper und Seele. Vgl. ausführlicher zu Gregors Lösung und zur Traditionsgeschichte den Kommentar von Drobner, Gregor von Nyssa, Die Drei Tage, 116 – 119. Dasselbe Problem diskutiert auch Origenes in Or. Jo. XXXII 394– 397 (479,28 – 480,12 Preuschen): Er bietet als einfachere Lösung an, dass Christus vielleicht zuerst den Übeltäter ins Paradies geführt hat und anschließend in den Hades gestiegen ist. Die tiefgehendere Lösung besteht darin, dass „heute“ sich an anderen Stellen der Schrift auf den gesamten gegenwärtigen Äon beziehe. Damit wäre dann nur gesagt, dass der Übeltäter noch in diesem
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die christliche Diskussion den Hades viel konkreter als einen Ort vor, an dem sich zu erlösende Seelen aufhalten. Metaphorische Deutungen, wie sie sich etwa bei Porphyrius finden, teilt er nicht.³⁰⁴ Die Macht des Sohnes, seine Seele wiederaufzunehmen, entspricht dann in der Auslegung des Victorinus der Rückkehr zur weltlichen und sichtbaren Aktivität Christi nach der Auferstehung. Nach seiner Rückkehr aus dem Hades agiert Christus wieder als ganzer Mensch auf der Welt und erscheint seinen Jüngern. An dieser Stelle wird die Pointe im Rahmen der Schrift Adversus Arium III deutlich: Nach seiner Auferstehung muss die gesamte menschliche Natur Christi vom Heiligen Geist geheiligt werden und kehrt zum Vater zurück. Die Aktivität des Heiligen Geistes ist nötig, um das Heilsmysterium zu vollenden. Nach der Himmelfahrt Christi wird der Heilige Geist dann gesandt, um in verborgener Weise das Werk des Sohnes fortzuführen.³⁰⁵ Victorinus will hier zeigen, dass sowohl die Aktivität des Logos als auch des Heiligen Geistes nötig ist, um die Erlösung der Menschen zu vollenden. Daher muss der Heilige Geist in seinem Wesen und Wirken selbst auch Gott sein.
6.2 Die Heiligung des Auferstandenen in der Exegese von Joh 20,17 in Adv. Ar. III 15 Was Victorinus in der Exegese von Joh 10,17 f. nur anklingen lässt, führt er in der Auslegung der noli-me-tangere-Szene in Joh 20,17 weiter aus: Weil der Logos erneut Leib und Seele angenommen hat, müssen diese noch geheiligt werden. Der Logos hat in seiner göttlichen Natur eine Heiligung nicht nötig, die angenommene Seele und der Leib müssen aber von Gott vollständig durchdrungen werden, um das Heilsmysterium zu vollenden. Der Auferstandene verbietet es Maria, ihn zu berühren, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht geheiligt wurde. Die Heiligung muss dann in kurzer Zeit geschehen sein, da Christus den Jüngern in derselben Nacht Äon im Paradies sei, nicht aber unbedingt noch am selben Tag. Im koptisch-manichäischen Psalm des Herakleides, der vielleicht in die zweite Hälfte des 4. Jh. datiert werden kann, wird von einem Scheinkörper (σχῆμα, προσωπεῖον) Christi gesprochen, der in den Hades fährt und über den der Tod deswegen keine Macht hat, weil er nur eine Maske ist und kein stofflicher realer Körper, vgl. dazu Westerhoff, Osterlachen, 323.326. Eine ähnliche Vorstellung findet sich auch in der koptisch-gnostischen Schrift Noêma, NHC VI,4 p. 41,26 – 42,11. Ähnliche Überlegungen zu einer dicho- bzw. trichotomischen Anthropologie kommen in der Auslegung von Lk 23,46 zum Tragen. Für einen knappen Überblick zur frühchristlichen Auslegung bis Origenes vgl. Dochhorn, „Vater in deine Hände…“, Early Christianity 2 (2011), 474– 478. Zu metaphorischen Deutungen des Hades vgl. Seng, Seele und Kosmos bei Macrobius, 121– 127. Vgl. Adv. Ar. III 12 (127,12– 21 Locher). S. dazu auch oben S. 345 – 348.
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seine Hände und seine Seite zeigte und Thomas später ausdrücklich auffordert, den Auferstanden zu berühren.³⁰⁶ Victorinus deutet die Aussage Christi, dass er zum Vater gehe, in diesem Sinne³⁰⁷: Da der Logos selbst immer in Gott ist, kann es sich nicht um eine Aussage über seine göttliche Natur handeln. Daher beziehe sich die Aussage auf die notwendige Heiligung der angenommenen Seele und des angenommenen Leibes.³⁰⁸ Origenes legt in seinem Johanneskommentar die Stelle Joh 20,17 in ganz ähnlicher Weise aus: Der Auferstandene verbietet Maria, ihn anzufassen, da er nach seinem blutigen Kampf gegen seine Feinde erst vom Vater gereinigt werden muss. Erst bei seiner Rückkehr zum Vater in der Himmelfahrt erhält er diese Reinigung in der vollkommenen Taufe, die er nach Lk 12,50 empfangen muss.³⁰⁹ Die Auferstehung ist für Origenes erst mit dieser Reinigung und der Rückkehr zum Vater komplett, noch nicht mit dem bloßen Aufstehen aus dem Grabe.³¹⁰ Eine zweite Möglichkeit der Auslegung bietet Origenes im Dialog mit Heraklides: Christus habe bei seinem Tod am Kreuz seinen Geist dem Vater anvertraut. Nach der Auferstehung vereinen sich zuerst Leib und Seele wieder, den Geist erhält Christus aber erst nach seinem Wiederaufstieg zum Vater. Daher verbiete der Auferstandene Maria, ihn anzufassen, da noch nicht alle drei Bestandteile des Menschen vereinigt waren und so noch keine vollständige Rettung für den Menschen gegeben war.³¹¹ Eine solche Auslegung findet sich, soweit ich sehe, nur bei Origenes. Andere Autoren legen die Stelle ganz anders aus, häufig sogar im gegenteiligen Sinne, dass hier gerade die besondere Reinheit des Auferstandenen betont werde.³¹² Freilich lässt sich nicht sicher be-
Vgl. zum Ganzen Adv. Ar. III 15 (129,15 – 34 Locher). Vgl. Joh 14,28; 20,17. Vgl. Adv. Ar. III 15 (129,15 – 17.33 f. Locher). Von der sanctificatio des Sohnes durch den Vater im Zuge der Auferstehung spricht Victorinus auch in Eph. 4,10,30 f.; in Gal. 4,3,82 f.; 4,6,6 f. Vgl. Or. Jo. VI 287– 292. Origenes spricht davon, dass Christus ein καθάρσιον benötige (Jo. VI 287, 164,23 Preuschen), während Victorinus von der sanctificatio spricht. Das entspricht ganz seiner grundsätzlichen Vermeidung der Reinigungssprache, s.o. S. 411 mit Anm. 230. Vgl. Or. Jo. X 245. Vgl. Or. dial. 8,5 – 17 (SC 67, 72). S. auch oben Anm. 301. Gregor von Nyssa deutet die Stelle so, dass Christus damit den Glauben auf seine göttliche und verherrlichte Existenz, nicht auf seine körperliche Existenz lenken wollte, vgl. Gr. Nyss., De tridui spatio (GNO 9,1, 304,15 – 20). Gregor von Nazianz liest die Stelle anders als Origenes gerade als Hinweis auf die Reinheit des Auferstandenen. Im Zusammenhang argumentiert er gegen Novatian und seine Härte im Umgang mit reuigen lapsi, da niemand von sich sagen könne, er sei rein. Dabei verbindet Gregor Joh 20,17 mit Jes 65,5a, vgl. Gr. Naz. or. 39,19 (SC 358 194,14– 16): Μή τις ὑμῶν εἰπεῖν τολμήσῃ, μηδὲ εἰ λίαν ἑαυτῷ τεθάῤῥηκε· Μή μου ἅπτου, καθαρὸς γάρ εἰμι […]; Es handelt sich dabei nicht um ein reines Zitat von Jes 65,5 wie SC 358, 194 in apparatu Anm. d angegeben. Die LXX Fassung von Jes 65,5a lautet: Πόρρω ἀπ᾽ ἐμοῦ, μὴ ἐγγίσῃς μου, ὅτι καθαρός εἰμι. In dem Mischzitat bei Gregor wird Jes 65,5a vielmehr die Begründung für das Verbot in Joh 20,17, sodass der Satz rechtmäßig nur
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weisen, dass Victorinus den Gedanken von Origenes übernimmt, es fällt aber auf, dass beide eine notwendige Reinigung oder Heiligung des Körpers voraussetzen, die durch den Gang zum Vater geschehen soll.³¹³ Wenn Victorinus die Auslegung des Origenes kannte, hat er sie in einem entscheidenden Punkt weiterentwickelt: Die Heiligung findet laut Victorinus zwischen der Erscheinung des Auferstandenen vor Maria und seiner Erscheinung vor den Aposteln statt. Dagegen geschieht die Reinigung bei Origenes in der Himmelfahrt. Victorinus hätte dann einen logischen Fehler in der Exegese des Origenes erkannt, der zumindest in seinem erhaltenen Werk nirgends begründet, warum es Thomas noch vor der reinigenden Himmelfahrt erlaubt war, Christus anzufassen.³¹⁴ Victorinus bemerkt dieses Problem und deutet die Worte „ich gehe zum Vater“ in Joh 14,28.; 20,17 daher metaphorisch: Christus meint damit kein reales Hinaufsteigen zum Vater in den Himmel, sondern ein Hinaufsteigen zu seinem eigenen göttlichen Wesen, das mit dem Vater wesenseins ist. Er hat also mit seiner göttlichen Natur den wiederaufgenommenen Leib und die wiederaufgenommene Seele geheiligt, bevor er sich von Thomas berühren ließ. Das zeigt für Victorinus, dass der Sohn und der Heilige Geist eine Einheit darstellen, da der Sohn damit ein Werk des Heiligen Geistes vollbracht hat. Diese Deutung ist Victorinus nur möglich vor dem Hintergrund der Homousie der drei Hypostasen: Der Sohn hat den Vater qua Homousie in sich selbst und muss nicht erst körperlich in den Himmel aufsteigen, um geheiligt zu werden. Und der Sohn kann diese Heiligung ohne äußere Hilfe vollziehen, da er mit dem Heiligen Geist eines Wesens ist und seine Handlungen ausüben kann.³¹⁵
von Christus gesprochen werden könnte, nicht aber von einem sündigen Menschen. Im gleichen Sinne und Argumentationszusammenhang gegen die rigide Bußauffassung der Novatianer greift Ambrosius das Argument Gregors in abgewandelter Form auf und bezieht Jes 65,5a explizit auf Joh 20,17, vgl. Ambr. paenit. 1,8,38: Dixit quidem dominus ad Magdalenam Mariam: noli me tangere, sed non dixit: quia mundus sum, qui mundus erat. (CSEL 73, 137,36 f.) Hadot, SC 69, 967 ad 15,15 – 25 verweist auf die „exégèse assez analogue“ im Dialogus des Origenes. Daniélou, Rez. SC 68 – 69 1960, RSR 52 (1964), 127 f. vermutet, dass Victorinus den Johanneskommentar kannte. Die Mehrheit der antiken Exegeten vertritt die Auffassung, dass Thomas den Auferstanden wirklich angefasst hat, obwohl dies nicht ausdrücklich im Text gesagt wird. Auch Origenes ist dieser Meinung, auch wenn er den Leib des Auferstanden in einer besonderen Weise charakterisiert, vgl. Or. Cels. II 61 f. Vgl. zur antiken Auslegung Schliesser, To Touch or not to Touch?, Early Christianity 8 (2017), 74– 78. Damit kommt Victorinus der Ansicht von Ps.-Ath. inc. et c. Ar. 12 (PG 26, 1004B) nahe: αὐτὸς οὖν ἑαυτῷ χαρίζεται ζωὴν, καὶ αὐτὸς ἑαυτὸν ἁγιάζει, καὶ αὐτὸς ἑαυτὸν ὑψοῖ. Ps.-Ath. vertritt die untrennbare Einheit von Vater und Sohn und Heiligem Geist und unterscheidet hier zwischen dem göttlichen Logos und dem angenommenen Fleisch. Dieses wird vom Logos selbst belebt, geheiligt und erhöht.
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Am Ende der Schrift Adversus Arium III äußert Victorinus, dass „Christus im Fleisch“ bereits in der Taufe vom Heiligen Geist geheiligt wurde.³¹⁶ Diesen Gedanken führt er an keiner Stelle weiter aus, der Kern der Aussage ist aber deutlich antiadoptianistisch: Die Taufe Christi versteht Victorinus nicht als eine Geistgabe, sondern als eine Heiligung des angenommen Leibes. Wie die göttliche Natur nach der Auferstehung keiner Heiligung bedarf, sondern nur der Leib, so wird auch in der Taufe nur der Leib geheiligt.
6.3 Ekklesiologie und Annahme des λόγος animae durch Christus Da Victorinus die Kirche im metaphysischen Sinne häufig als Gemeinschaft der Seelen deutet, nimmt auch seine Ekklesiologie ihren Ausgangspunkt in der Seelenlehre. Er erklärt im Rahmen dieses ekklesiologischen Verständnisses auch, wie durch die Annahme einer Seele durch Christus die gesamte Kirche erlöst wird. Benz handelt die Ekklesiologie des Victorinus in seiner Arbeit recht knapp ab und trägt damit der geringen Relevanz des Themas in den überlieferten Texten Rechnung.³¹⁷ Die Kirche als irdische Institution mit verfassten Ämtern und Riten spielt in den Schriften des Victorinus in der Tat nur eine nebensächliche Rolle. Benz führt dies auf die metaphysische Betrachtungsweise des Victorinus zurück, wegen der er keine konkrete geschichtliche Vorstellung von der Kirche entwickelt habe. Bestimmend sei für ihn „die Idee der pneumatischen Kirche der Wiedergeborenen“³¹⁸, die Kirche also als Gemeinschaft aller Glaubenden, die durch die Taufe in diese Gemeinschaft aufgenommen werden. Letztlich bleibe seine Vorstellung aber stark individualistisch geprägt. Daher sei es für Victorinus auch nicht in Frage gekommen ein Amt in der Kirche aufzunehmen.³¹⁹ In der Masse der Texte spricht Victorinus tatsächlich nicht über die Kirche, was sich mit Cooper aber auch gut durch die Textgattungen erklären lässt. In den trinitarischen Traktaten ist nicht der Raum dafür, in den exegetischen Schriften äußert er sich dort, wo ihn der Bibeltext dazu veranlasst.³²⁰ Dort gibt es einige bemerkenswerte ekklesiologische Äußerungen, die eine Weiterführung der Seelenlehre darstellen.
Vgl. Adv. Ar. III 18: Ex ipso concipitur Christus in carne, ex ipso sanctificatur in baptismo Christus in carne. (134,6 f. Locher) Vgl. Benz, Marius Victorinus, 184– 188. Benz, Marius Victorinus, 186. Aus seiner eigenen Sicht hat Victorinus natürlich das Amt eines Lehrers oder Propheten ausgeübt, wie oben S. 140 f. bereits gegen Benz bemerkt. Vgl. Cooper, Metaphyics, 193 ad loc. „that the [ministers] etc.“
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An einigen Stellen definiert Victorinus die Kirche als die Gesamtheit der Seelen, was besonders im Epheserkommentar deutlich wird: Viele sagen, „Kirche“ bedeute „alle Seelen“. Also ist Christus, der Geist ist – durch den die Seelen Gott erkennen, geistig werden und von der Qualität der Seele befreit werden, sodass sie nicht mehr versucht werden und sich verfehlen, da sie ja geistig gemacht wurden durch den Geist Christus, im Glauben an den sie geistig empfinden und so zur Erkenntnis Gottes kommen, – auf diese Weise ist Christus das Haupt und über der Gesamtheit der Kirche, die sein Leib ist. Die Gesamtheit der Kirche, das heißt die Gesamtheit der Seelen, aber die, die erlöst werden müssen und vom Ewigen her ihre Substanz haben, wodurch alles lebt, und so leben alle Seelen durch Christus, wie ich häufig gesagt habe. Also ist die Gesamtheit des Leibes Christi die Gesamtheit der Seelen, die sie die Kirche nennen.³²¹
Victorinus beruft sich darauf, dass es eine bekannte ekklesiologische Position gebe, die Kirche mit der Gesamtheit der Seelen zu identifizieren. Sie seien der Leib Christi, da sie ihre Substanz aus dem Ewigen haben und so durch die von Christus vermittelte Gotteserkenntnis vergeistigt werden können. Die Kirche sei die Menge der Seelen, die noch erlöst werden müssen (salvanda). Victorinus betrachtet die Kirche hier als eine unsichtbare Größe und identifiziert sie nicht mit der sichtbaren Institution. Jedoch steckt in dieser Ekklesiologie keine Kritik an der Institution Kirche und ihren Ämtern. Vielmehr können wirklich alle Seelen qua ihrer Substanz zur Kirche gehören und sollen durch Christus erlöst werden. Den Ämtern der sichtbaren Kirche schreibt Victorinus später im Epheserkommentar entsprechend die Aufgabe zu, durch die Verwaltung der Mysterien auch alle Seelen im Glauben zu stärken und den Leib Christi zu erbauen.³²² Es ist allerdings unklar, an welche Gewährsleute Victorinus für diese Definition der Kirche hier denkt. Cooper verweist in seinem Kommentar auf ähnliche Formulierungen bei Origenes.³²³ Jedoch ist der entscheidende Unterschied, dass Ori-
In Eph. 1,22– 23,142– 153: Multi ecclesiam omnes animas dicunt. Ergo Christus qui spiritus est, per quem animae deum cognoscunt et spiritales efficiuntur et liberantur a qualitate animae ut iam non temptentur neque ut labantur, quippe spiritales factae per spiritum Christum, in quem credentes spiritaliter sentiunt et sic in dei cognitionem veniunt, hoc modo Christus caput est super omnem ecclesiam, quae est corpus illius. Ecclesia omnis, id est omnis anima, sed salvanda et inde substantiam habens de aeternis per quam vigent omnia, et sic omnes animae per Christum, sicuti frequenter diximus. Ergo omne corpus Christi anima est omnis quam ecclesiam nominant. Vgl. in Eph. 4,12,48 – 52: Ergo illa omnibus (sc. ministeria) duabus de causis constituta ad duo effectus instituta sunt per donum Christi: ut praesint mysteriis, ut ipsi agant, ut ministri sint, quod supra, et aedificent corpus Christi, id est ecclesiam et omnes animas ad fidem confirment, hoc est enim corpus Christi. Vgl. Cooper, Metaphysics, 154 ad „many say etc.“. Ebenso Ramelli, Apokastasis, 613.
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genes stets die Gemeinschaft aller gläubigen Seelen als Kirche bezeichnet.³²⁴ Bestenfalls stellt das Verständnis des Victorinus dann eine Verkürzung der Positionen des Origenes dar, die zu einer Universalisierung des Kirchenverständnisses führt. Seine Ansicht, dass wirklich alle Seelen zu Christus und damit zur Kirche gehören, leitet Victorinus aus dem Halbvers Ez 18,4a ab, den er in Adversus Arium III 3 in diesem Sinne zitiert: Dass er aber den universalen λόγος der Seele angenommen hat, ist aus diesen Worten in Ezechiel deutlich: „Alle Seelen sind mein, wie die Seele des Vaters, so auch die des Sohnes.“ Dass er den universalen λόγος der Seele angenommen hat, zeigt sich ferner auch darin, dass er zürnt, wenn er den Feigenbaum verflucht und sagt: „Sodom und Gomorrha wird es besser gehen an jenem Tag als euch.“ So auch noch an vielen Stellen. Ebenso begehrt er auch etwas, wenn er sagt: „Vater, wenn es möglich ist, möge dieser Kelch an mir vorübergehen.“ Dort zieht er zudem den vernünftigen Schluss: „Aber es geschehe vielmehr Dein Wille.“ Diese und viele andere Stellen gibt es, an denen der universale λόγος der Seele sich zeigt.³²⁵
Victorinus leitet aus der Stelle bei Ezechiel ab, dass alle Seelen zu Gott gehören und dass der Sohn deswegen das universale Prinzip der Seele angenommen habe, um allen Seelen Anteil an der Erlösung zu geben. Dabei lässt Victorinus den entscheidenden zweiten Halbvers Ez 18,4b bewusst weg: „[…] Die Seele, die sündigt, wird sterben.“³²⁶ Erst diese Verkürzung ermöglicht es ihm, aus dieser Bibelstelle eine universale Erlösung abzuleiten, da er die Todesdrohung für die sündige Seele ausblendet. Für diese Auslegung kann ich kein Vorbild finden, es dürfte sich um eine eigene Leistung des Victorinus handeln. In aller Regel liegt der Fokus der antiken Exegeten nämlich gerade auf dem Halbvers Ez 18,4b. Origenes zieht die Stelle für verschie-
Vgl. Vogt, Kirchenverständnis, 210 – 225. Vgl. bei Origenes z. B. Cant. I 1,5 Fürst/Strutwolf = p.90,5 Baehrens: Ecclesiam autem coetum omnium adverte sanctorum. Cant. III 16,17 Fürst/Strutwolf = p. 232,20 – 22 Baehrens: Qualem ipse sibi exhibuit Christus ecclesiam, animas scilicet, quae ad perfectionem venerunt, quae omnes simul efficiunt corpus ecclesiae. Vgl. Adv. Ar. III 3: Quod autem sumpserit universalem λόγον animae, his manifestum in Ezechiele: omnes animae meae, ut patris sic et anima filii. Item universalis animae λόγος et ex hoc ostenditur, quod et irascitur, cum maledicit et arbori fici et dicit: Sodomis et Gomorris in illa die commodius erit quam vobis. Sic etiam multis locis. Item et cupit, cum dicit: pater, si fieri potest, transferatur a me hic calix. Ibi etiam ratiocinatur: Sed fiat potius voluntas tua. Haec et alia sunt, quibus ostenditur animae λόγος universalis. (117,24– 31 Locher) Vielleicht ist universalis am Schluss ἀπὸ κοινοῦ aufzufassen und auf animae und λόγος zu beziehen, da vorher die beiden Formulierungen universalis λόγος animae und universalis animae λόγος unterschieden werden. Die letzte Formulierung dürfte dann beides umfassen. Victorinus stellt hier Mt 10,15 versehentlich in den Kontext von Mt 21,18 f. Das spricht für ein Zitat aus dem Gedächtnis. Ez 18,4 LXX: ὅτι πᾶσαι αἱ ψυχαὶ ἐμαί εἰσιν· ὃν τρόπον ἡ ψυχὴ τοῦ πατρός, οὕτως καὶ ἡ ψυχὴ τοῦ υἱοῦ, ἐμαί εἰσιν· ἡ ψυχὴ ἡ ἁμαρτάνουσα, αὕτη ἀποθανεῖται.
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dene Fragestellungen heran: Zum einen sieht er sie als Beleg dafür, dass die Seele nicht sterblich ist, sondern dass die Sünde metaphorisch als Tod der Seele bezeichnet wird.³²⁷ Daneben dient ihm der Vers als Nachweis für den ontologisch niedrigeren Status der Seele nach ihrem Fall gegenüber dem Intellekt.³²⁸ Nur an einer Stelle legt Origenes den Fokus auf Ez 18,4a und schließt, dass die menschlichen Seelen nicht von den Eltern stammen, sondern dass allein Gott Schöpfer und Vater der Seele sei.³²⁹ Auch habe jede Seele ihre eigene Existenz, darum werde nicht die eine für die Sünden der anderen bestraft. Origenes sieht zwar Gott als den alleinigen Schöpfer der Seele, weist aber vor dem Hintergrund von Ez 18,4b jeder Seele ihre eigene Existenz und individuelle Verantwortung für ihr moralisches Verhalten zu. Victorinus legt den Fokus dagegen ganz auf die universale Zugehörigkeit der Seelen zu Gott und zieht die Verbindung zur Inkarnation Christi, in der Christus das universale Prinzip aller Seelen angenommen habe, weil alle Seelen zu ihm gehören. In der zitierten Stelle in Adversus Arium III 3 hebt Victorinus noch einen zweiten Aspekt der Inkarnation und ihrer Folge für die Seelen hervor. Das universale Seelenprinzip beschränkt sich nicht auf die rationale Seele, sondern umfasst auch die irrationalen Seelenteile. Das wird aus dem nachfolgenden Zitat aus Mt 10,15 klar: Hieran könne man sehen, dass der inkarnierte Christus auch die Regung des Zornes verspürt.³³⁰ Ferner könne aus dem Wunsch Jesu in Mt 26,39 erkannt werden, dass Christus einen menschlichen Willen und eine menschliche Vernunft besitze.³³¹ Der Wunsch, vom Leiden verschont zu bleiben, stellt ein irrationales Begehren
Vgl. z. B. Or. sel. in Ezech. 18,4 (PG 13, 816C): Ἡ ψυχὴ ἡ ἁμαρτάνουσα, αὐτὴ ἀποθανεῖται. Θνῆσιν τῆς ἁμαρτίας, κατὰ στέρησιν τοῦ εἰπόντος· Ἐγώ εἰμι ἡ ζωή. Ähnlich dial. 25,13 – 15 (SC 67,104). Dieser Auslegung schließt sich u. a. auch Hieronymus an, vgl. Hier. in Ez. 18,3 – 4 (PL 25, 170B): sed anima quae peccaverit, ipsa morietur: non abolitione substantiae, sed ex eius consortio, qui dicit: Ego sum vita. Vgl. Or. princ. II 8,3 (158,9 – 15 Koetschau). Vgl. Or. sel. in Ez. 18,10 (PG 13, 817B): Ἡ γένεσις ἡμῶν κατὰ σάρκα οὖσα· ταύτης καὶ πατέρας καὶ μητέρας ἔχομεν. Οὐ γάρ ἐστι ψυχῆς μήτηρ ἢ πατήρ· ταύτης γὰρ ὁ Θεὸς μόνος ἐστὶ ποιητὴς καὶ πατήρ, Καὶ τοῦτο διδάσκων ὁ Θεὸς λέγει, ὅτι, Πᾶσαι αἱ ψυχαὶ ἐμαί εἰσι· καὶ ἑκάστη ψυχὴ ἰδίαν ὑπόστασιν ἔχει, ἐν τῷ ἰδίῳ λόγῳ ἱσταμένη, καὶ οὐκ ἐν ἄλλῳ. Καὶ οὐκ ἔστιν εἰπεῖν ἄλλην ὑπὲρ ἄλλης τὰς ἁμαρτίας ἀποτίνειν. Die Betrübtheit der Seele Christi in Mt 26,38 dient zuvor zusammen mit Ps 15,10 LXX lediglich als Beweis, dass der Inkarnierte überhaupt eine Seele hat (117,21– 24 Locher). Mt 26,39 wird von Victorinus also selbstverständlich auf die menschliche Natur Christi bezogen. Diese Auslegung findet sich auch bei Athanasius in Abgrenzung zu Asterius, vgl. Ath. Ar. III 26.56 f. Für III 26 vgl. Asterius fr. 74 Vinzent. Ähnlich auch Ps.-Ath. inc. et c. Ar. 21 (PG 26, 1021B), der von δύο θελήματα im Inkarnierten spricht und Mt 26,39 dem „menschliche[n] Willen, d. h. der, der des Fleisches ist,“ zuordnet in Abgrenzung zum „göttliche[n] Willen, der, der Gottes ist.“ Vgl. zur Auslegung des Eustathius, der noch stärker als Athanasius die Realität der Todesangst Christi betont, Uthemann, Eustathios von Antiochien, ZAC 10 (2006), 512– 514 mit dem Vergleich zu Athanasius in Anm. 253.
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(cupere) dar, das von dem rationalen Schluss (ratiocinari) überwunden wird, dass der Wille Gottes die Oberhand behalten solle.³³² Christus nimmt also nicht nur die rationale Seele an, sondern die gesamte menschliche Seele, auch mit ihren irrationalen Teilen, und bringt so die Erlösung für die vollständige menschliche Seele. Damit positioniert sich Victorinus in zwei Richtungen: Gegen philosophische und christlich-theologische Spekulationen, die nur dem rationalen Seelenteil Unsterblichkeit zubilligen wollen, gibt er explizit der irrationalen Seele Anteil daran und verbindet beide eng miteinander.³³³ Und gegen verschiedene christologische Positionen, die in Frage stellen, dass Christus überhaupt eine oder eine vollständige und wirkliche menschliche Seele habe, betont Victorinus, dass Christus einen rationalen und irrationalen Seelenteil annehme.³³⁴ Aus der Zugehörigkeit aller Seelen zu Christus folgt für Victorinus als Aufgabe der kirchlichen Ämter auch die Fürsorge für alle Seelen. Durch ihren Dienst sollen alle Amtsträger die ganze Kirche, d. h. alle Seelen im Glauben stärken und so den Leib Christi erbauen.³³⁵ Die Kirche als Gemeinschaft aller Seelen ist zwar eine metaphysische Größe, dadurch wird aber die sichtbare Kirche nicht relativiert. Denn zur Kirche gehören gleichermaßen Seelen, die noch in der Welt sind, wie
Damit ist Christus auch ein Vorbild für ein geistgemäßes Leben. Affekte sind nicht an sich schlecht, müssen aber kontrolliert eingesetzt werden und auf das richtige Ziel ausgerichtet werden. Das wird an der Diskussion über den Zorn in Eph. 4,26,39 – 49 deutlich: Zorn ist gut, wenn er zeitlich begrenzt und auf die Besserung des Sünders ausgerichtet ist. Schlecht ist er, wenn er auf die Bestrafung des Sünders aus ist. Vgl. auch Plot. enn. IV 4 (28) 28; Lact. ira 17,12– 21. Zur innerplatonischen Diskussion über die Unsterblichkeit des irrationalen Seelenteils vgl. die Doxographie bei Procl. in Ti. III 234,8 – 235,9 Diehl: Albinus und Atticus schreiben allein dem vernünftigen Seelenteil Unsterblichkeit zu, Porphyrius vertritt die Ansicht, dass der irrationale Seelenteil und das Seelengefährt wieder in ihre Elemente aufgelöst werden, die dann zu den Planetensphären zurückkehren, von denen die Seele sie bei ihrem Abstieg aufgenommen hat. Sie haben also nur insofern dauernden Bestand, als die Elemente nicht vergehen, aus denen sie zusammengesetzt sind. Jamblich schließt dagegen den irrationalen Seelenteil und das Seelengefährt in die Unsterblichkeit mit ein, da diese auch von den Göttern ewig erschaffen sind, die beiden Teile existieren dann aber getrennt voneinander weiter. Vgl. auch Iamb. De anima 37 (661,–8 Finamore/ Dillon) mit dem Kommentar S. 181 f. Plotin betont, dass die Seele eine Einheit ist und jede Seelenstufe zum Intelligiblen gehört, auch die Wachstumsseele, vgl. Deuse, Seelenlehre, 117 mit Belegen. Für Porphyrius vgl. auch das arabisch überlieferte Fragment 436,6 – 10F Smith.Vgl. zur Diskussion um die Unsterblichkeit der Seelenteile insgesamt auch Dörrie/Baltes, Der Platonismus 6,1, Bausteine 167. Zu den innerchristlichen Diskussionen, die gegen gnostische Vorstellungen oder andere Gruppen in der Diskussion des 4. Jh. gerichtet sein können und sich nicht zwangsläufig auf Apollinaris von Laodicea beziehen müssen, s.o. S. 122– 125. Vgl. in Eph. 4,12.48 – 52: Ergo illa omnia [sc. ministeria] duabus de causis ad duo effectus instituta sunt per donum Christi: ut praesint mysteriis, ut ipsi agant, ut ministri sint, quod supra, et aedificent corpus Christi, id est ecclesiam et omnes animas ad fidem confirment, hoc est enim corpus Christi.
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Seelen, die sich „oben“ befinden. In seiner Mittlerfunktion verbindet Christus die oberen und unteren Seelen miteinander und bringt so die Kirche zur Einheit: Alles Mittlere ist immer zwischen zwei Dinge gestellt, diese zwei verbindet oder trennt es. Doch wo es eine Trennung für die Seelen gibt, da wird von der Welt als φραγμός gesprochen, d. h. Mauer. Wo es aber eine Verbindung für die Seelen gibt, da ist Christus und da wird er der Eckstein genannt, weil er wirklich der Eckstein ist und der, der als erster gelegt wurde. Und nachdem auf den wirklichen Eckstein das Fundament gelegt wurde, verbindet er die beiden Seiten. Diesen Stein nennt er ἀκρογωνιαῖον. Nämlich nicht nur Eckstein, sondern auch der der erste und wichtigste ist, auf dem das Fundament der Ecke beginnt, der zwei verbindet, vereinigt und zu einer Einheit macht. Denn zwei sind, wie gesagt, entweder die oberen Seelen, die auch mit Christus zusammen waren, und die Seelen, die hier heilig sind und durch die Mysterien Christus besitzen, oder es sind all jene Seelen Christi, auch die Seelen der Heiden, die durch diesen Eckstein Jesus Christus verbunden werden.³³⁶
Victorinus bietet zwei Möglichkeiten an, zwischen welchen Größen Christus eine mittlere Position einnimmt. Dabei ist für ihn beides Mal klar, dass es sich um verschiedene Seelen handelt, die durch Christus zu einer Einheit werden. Als erste Option hält er für denkbar, dass Christus die oberen Seelen mit den Seelen auf Erden verbindet. Die superiores animae sind näher bestimmt als solche, „die auch mit Christus zusammen waren“. Dabei dürfte es sich um bereits verstorbene Christinnen und Christen handeln, deren Seelen sich schon bei Christus befinden. Diese verbindet Christus zu einer Einheit mit den Glaubenden auf Erden, die durch Glauben und Sakramente die Teilhabe an Christus vermittelt bekommen. An anderen Stellen spricht Victorinus auch von „reineren Seelen“, die sich von der Verbindung mit der Materie zurückgezogen haben, und von Engeln, die aus Seelen sind. Bei diesen reineren Seelen könnte es sich um seelische Engel handeln, die noch nie mit der Materie verbunden waren, oder auch um verstorbene Gläubige, deren Verbindung zur Materie gelöst wurde.³³⁷ Auch die reineren Seelen und die Engel aus
In Eph. 2,20,19 – 31: Omnis medietas inter duo semper posita, haec duo aut iungit aut separat. Sed ubi separatio est animis, ibi mundus φραγμὸς dicitur, id est maceria. Ubi autem iunctio animis, Christus est et lapis dicitur angularis, quoniam vere angularis lapis et is est qui in primo conlocatus est, vere angulo fundamentum positum duobus lateribus iungit. Hunc lapidem ἀκρογωνιαῖον appellavit. Non enim tantum angularis, sed qui primus et summus est, unde incipit fundamentum anguli, qui duo iungit et copulat et unum reddit. Etenim duo, sicuti diximus, vel superiores animas quae etiam cum Christo fuerunt et istas quae hic sunt sanctae et mysteriis Christum habentes vel ipsas illas omnes Christi animas, etiam gentium animas, quae iunguntur illo angulari lapide Iesu Christo. Vgl. Adv. Ar. IV 11: Vivunt supracaelestia et vivunt, quae ab hyle et a corporeis nexibus recesserunt, ut puriores et throni et gloriae […]. (144,31– 145,1 Locher). Das Verständnis variiert mit der Bedeutung, die man recesserunt beimisst: Entweder handelt es sich um Lebewesen, die schon vor der Verbindung mit der Materie zurückgewichen sind, oder um solche, die nach einer Verbindung mit der Materie zurückgekehrt sind. Meistens verwendet Victorinus recedere im zweiten Sinne: Christus
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seelischer Substanz können unter die oberen Seelen subsumiert werden und gehören zur Kirche. Als zweite Auslegungsmöglichkeit erwägt Victorinus, dass Christus alle zu ihm gehörige Seelen verbindet, auch die der Heiden. Damit würde die Metapher vom Eckstein wohl die Verbindung von Juden- und Heidenchristen symbolisieren, wie es dem Kontext von Eph 2,11– 22 entspricht.³³⁸ In dieser Passage des Epheserkommentars und auch an vielen weiteren Stellen der Pauluskommentare spricht Victorinus wieder eindeutig davon, dass die Voraussetzung der Kirchenzugehörigkeit der Glaube und die Partizipation an den Mysterien ist. Häufig definiert Victorinus in diesem Sinne die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden und Getauften.³³⁹ Wie sich auch für die Frage der Erlösung des Leibes gezeigt hat, stehen auch bei der Annahme der Seelen durch Christus die beiden Konzepte einer prinzipiellen Allerlösung und eines Heilsexklusivimus für die Glaubenden nebeneinander. In der Auslegung von Ez 18,4 lässt Victorinus bewusst den Halbvers 18,4b weg, der ihn zu einer Reflexion über das Schicksal der sündigen Seele veranlassen hätte müssen, um die Zugehörigkeit aller Seelen zu Christus zu betonen. In diesem Sinne kann er alle Seelen als Teil der Kirche ansehen. Dem entgegen stehen die klaren Aussagen, dass Zugehörigkeit zur Kirche und zu Christus an den Glauben und die Sakramente, vor allem an die Taufe gebunden sind. Victorinus hat sich auch mit Blick auf die Erlösung der Seelen offenbar nicht genötigt gesehen, eine klare und endgültige Position zu beziehen. Er betont die prinzipielle Möglichkeit, dass alle Seelen in ihrer Gesamtheit aus rationalem und irrationalem Teil erlöst werden können, weil sie von Gott erschaffen und vom Logos war beim Vater und hat sich von ihm „zurückgezogen“ auf die Erde (Adv. Ar. II 6; 106,26 Locher), Christus war auf der Erde und hat sich von dort wieder zurückgezogen (Adv. Ar. III 12; 127,9 Locher; Adv. Ar. IV 18; 150,26 f. Locher). Das spricht eher dafür, dass es sich um Seelen von Verstorbenen handelt. Zu den seelischen Engeln vgl. Adv. Ar. IV 13: Item et anima et angeli ex animis et supra animas. (146,7 f. Locher) Anders als Hadot, Porphyre I, 392 f. kann ich hier keine substantielle Transformation der Seelen zu Engeln erkennen, sondern verstehe die Stelle so, dass es eine von Gott geschaffene Hierarchie an Engeln gibt, worunter sich Engel befinden, die eine seelische Substanz besitzen.Vgl. dazu auch Or. princ. II 8,1 (153,20 – 25 Koetschau). Origenes schneidet kurz die Frage an, ob Engel Seelen seien oder hätten, und enthält sich eines Urteils, da dies aus der Schrift nicht hervorgehe. Die meisten seien aber der Überzeugung, dass sie beseelt seien. Vgl. Eph 2,11– 22. Vgl. z. B. in Eph. 3,10,9 – 12: Et quod dixit per ecclesiam, id est per membra dei omnia, per membra Christi et per omnem animam mysteriis eius indutam et in ipsum spem habentem. In Eph. 4,25,15 f. Cuius ecclesiae? Id est omnium animarum fidem habentium in deum. In Eph. 5,25,12– 14: Utique accipiamus ecclesiam omnem fidelem et omnem qui baptisma accepit; in fide adsumitur, scilicet et lavacro aquae et invocatione verbi. In Eph. 5,30,1– 4: Et supra ita dictum quod ecclesia omnes sunt sancti fideles, quae membra sunt Christi et fit unum corpus Christi ecclesia, cui caput est Christus.
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angenommen sind. Voraussetzung für die Erlösung ist aber der Glaube an das Heilsmysterium und die Taufe. Was mit den eigentlich auch zu Christus gehörenden Seele derjenigen geschieht, die nicht glauben, bleibt offen.
7 Fazit: Erkenntnistheorie und Soteriologie als zentrale Anliegen Im Anschluss an die neuplatonische Psychologie charakterisiert Victorinus die Seele ontologisch als ein Mittelwesen zwischen Materie und dem göttlichen Intellekt. Dadurch erhält die Seele eine besondere Rolle im Vergleich zur übrigen Schöpfung, da es ihr möglich ist, sich an Gott anzugleichen und selbst Geist zu werden. Durch ihre Mittelstellung hat die Seele die Möglichkeit, mittels Abstraktion eine Vorstellung von der Materie zu bekommen und durch richtige intellektuelle Betätigung zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. Durch die Verbindung mit der Materie ist das intellektuelle Vermögen der Seele aber so weit geschwächt, dass sie nicht mehr aus eigener Kraft Gott erkennen kann. Jetzt ist die Seele darauf angewiesen, dass der ihr eigene Intellekt von außen durch den Geist Gottes erweckt wird. Dies geschieht durch den Glauben an Christus, durch den der Seele der Geist geschenkt wird. Hierin unterscheidet sich die Seelenlehre des Victorinus von neuplatonischen Denkern wie Plotin und Porphyrius, die der Seele die Fähigkeit zuschreiben, ihr Potenzial eigenständig zu entfalten. Die Seele in der Welt ist für Victorinus auf die Erlösung durch Christus und den Heiligen Geist angewiesen. Er begründet dies mit dem ursprünglichen Fall der transzendenten Seele, die ihren freien Willen dazu nutzte, die Materie zu beleben und sich mit ihr zu verbinden, statt ihren Intellekt auf Gott zu richten. Die damit verbundene Vorstellung der Präexistenz der Seele setzt Victorinus in seinen dogmatischen Schriften schlicht voraus, begründet sie dann aber exegetisch in seinem Epheserkommentar. Er schließt sich in der Exegese von Eph 1,4 der Auslegung des Origenes an und sieht den Vers als Beweis dafür, dass die Seelen bereits vor der Schöpfung substantiell in Christus präexistierten. Er begründet in einer großangelegten Theodizee, dass die Seelen aber trotzdem in die materielle Welt eingehen mussten, um hier die Erfahrung des Bösen zu machen. Die Seele soll erfahren, dass sie sich selbst von den materiellen Mächten nicht befreien kann, sondern ihre Hilfe nur von Gott kommen kann. Erst durch dieses Erfahrungswissen kann sie am Ende in den Zustand einer gänzlichen Vollkommenheit gelangen, der ihren protologischen Status der perfectio quaedam minor überbietet. Er schließt sich in diesem Punkt der Linie des Denkens des Origenes an, wonach die endzeitlich verwirklichte Gottähnlichkeit der Seele eine überbietende Vervollkommnung des Urzustandes ist. Er unter-
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scheidet sich aber klar von Origenes, da er die Rolle von Verdiensten und Werken für diese Vollkommenheit ablehnt, sondern sie stattdessen als Lohn für den Glauben sieht. Obwohl der Fall der Seele in die Materie einem Plan Gottes zu ihrer Vervollkommnung entspricht, nennt Victorinus ihn auch einen Fehler der Seele. Er nutzt dazu auch die metaphorische Rede von der Trunkenheit der Seele, die sich auch in platonischen Texten findet, und eine sexuelle Metaphorik, die in der christlichen Tradition verbreitet ist. Der Fall als schuldhafter Fehler der Seele führt zu ihrer Verstrickung in der Materie, aus der sie sich nicht mehr befreien kann. Dadurch bekommt der Fall der Seele den Charakter, den bei Augustinus die Lehre von der Ursünde einnimmt. In der Exegese von Gen 1,26 f. fundiert Victorinus zum einen seine philosophische Argumentation zur ontologischen Stellung der Seele in Ad Candidum. Zum anderen bringt er darin ein vergleichbares Konzept der heilspädagogischen Vervollkommnung der Seele zum Ausdruck wie im Epheserkommentar. Victorinus unterscheidet mit einer langen exegetischen Tradition zwischen der Ebenbildlichkeit und der Ähnlichkeit der Seele. In ihrer Substanz ist die Seele nach dem Ebenbild des trinitarischen Gottes geschaffen, hat daher selbst ein trinitarisches Wesen und kann gegenüber der Welt ähnliche Funktionen ausüben wie die Trinität. Gott erschafft die Seele damit als Mittelwesen, das sein Leben an die Materie weitergeben soll. Dagegen beschreibt die Ähnlichkeit der Seele ihre Wesensanlage, sich auch qualitativ an Gottes Vollkommenheit anzugleichen. Dies geschieht in einem Prozess, der zur eschatologischen Vergeistigung der Seele durch den Glauben führt. Auch durch den Fall verliert die Seele ihre Ebenbildlichkeit und die damit verbundene Möglichkeit der Vervollkommnung nicht. Ihr Intellekt bleibt unzerstört, bedarf aber nun der Hilfe durch den Geist, um seine Anlage entfalten zu können. Mit der Vorstellung der Homoiusie der Seele lehnt Victorinus platonische und gnostische Lehren ab, die die Seele als wesenseins mit dem Göttlichen ansehen. Das Interesse des Victorinus gilt damit wesentlich der Frage, warum die menschliche Seele in der Welt als erlösungsbedürftig angesehen werden muss und wie ihre Erlösung vonstatten geht. Jedoch setzt er an einigen Stellen voraus, dass es eine transzendente Quellseele gibt, die der Ursprung der Einzelseelen in der Welt ist. Durch diesen gemeinsamen Ursprung besitzen alle Seelen dasselbe Wesen. Victorinus schließt sich damit der Seelenlehre Plotins an, der die Homousie der Seelen ebenfalls durch ihre Aktualisierung aus der transzendenten Seelenhypostase erklärt. Diese Vorstellung setzt Victorinus in seinem Werk voraus, ohne sie zu begründen. Es lassen sich aber verschiedene Funktionen dieses Konzeptes in seinem Denken aufzeigen. Die transzendente Seelenhypostase erfüllt wie Plotins Seele eine mittelnde Rolle zwischen dem intelligiblen Sein im Logos und der Materie. Bei der
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Schöpfung übernimmt sie die Aufgabe, die Materie zu formen und so für die Schöpfung durch den Logos vorzubereiten. Die Transzendenz der Quellseele und die Homousie aller Seelen sichern zudem, dass die Seele nach dem Fall nicht in ihrem ontologischen Status herabgemindert wird. Ihr Intellekt und damit ihre Fähigkeit, sich an Gott anzugleichen bleiben erhalten. Anders als bei Plotin kann der Intellekt sich aber nicht mehr selbst aktivieren. Die Lehre von der Homousie der Seelen garantiert gegen gnostische Anthropologien, dass es keine verschiedenen Seelenklassen gibt, die erklären könnten, dass manche Menschen von Natur aus zur Erlösung bestimmt sind und andere nicht. Darüber hinaus kann durch die Wesenseinheit aller Seelen auch plausibel gemacht werden, warum alle Seelen durch den Fall der transzendenten Seele in Gefangenschaft geraten sind und erlösungsbedürftig sind. Analog dazu ermöglicht dieses Konzept eine Erklärung, wie das Annehmen einer Seele durch Christus Auswirkungen auf alle Einzelseelen haben kann. Da Victorinus die Welt als erlösungsbedürftigen Ort charakterisiert, an dem materielle Mächte herrschen und die Seelen bedrängen, hat die Lehre einer Weltseele in seinem Denken keinen Platz. Wahres Leben und wahre Erkenntnis vermitteln der Logos und der Heilige Geist in der Inkarnation und der Sendung des Geistes, nicht eine rationale Seele in der Welt. Mit der Inkarnation beginnt erst die allmähliche Vervollkommnung und Vergeistigung der Welt. Der Zielpunkt der Seelenlehre des Victorinus besteht in der Erlösung der Seele durch Gott. Er begründet dafür zunächst, dass Gott aufgrund seiner Überlegenheit über die Seele als ihr Schöpfer in der Lage ist, die Seele zu erlösen. Der Logos kann aufgrund der wesensmäßigen Ähnlichkeit der Seele eine vollständige menschliche Seele annehmen. Das bedeutet, dass er sowohl den rationalen als auch den irrationalen Teil der menschlichen Seele annimmt und damit die gesamte Seele erlöst. Am Kreuz siegt der Logos über die materiellen Mächte und fährt anschließend gemeinsam mit seiner Seele in den Hades, um auch die dortigen Seelen zu befreien. Nach der Auferstehung muss sein wiederangenommener Leib durch den Vater und den Heiligen Geist geheiligt werden. In seiner Auslegung von Joh 20,17 legt Victorinus dar, dass für die Erlösung des Menschen ein Zusammenwirken aller drei Hypostasen notwendig ist. Hierin zeigt sich wieder die soteriologische Pointe seiner Trinitätstheologie. Zudem wird im Einzelnen in den Auslegungen zentraler Stellen des Johannes-Evangeliums deutlich, dass Victorinus Kenntnis der exegetischen Diskussionen besitzt und dabei wahrscheinlich ebenfalls die Auslegungen des Origenes kritisch fortführt. Victorinus betont, dass Christus nicht nur eine individuelle Seele annimmt, sondern das universale Prinzip der Seele. Damit möchte er klarstellen, dass die Inkarnation ein ontologisches Ereignis ist, das Auswirkungen auf alle Seelen hat. Dies führt ihn an einigen Stellen auch zu einer universalen Ekklesiologie, nach der
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alle Seelen zur Kirche gehören. Seine exegetische Begründung dieses Kirchenverständnisses aus Ez 18,4a ist singulär und weitet den Kirchenbegriff gegenüber Origenes noch einmal deutlich aus. Jedoch finden sich daneben auch wieder einschränkende Äußerungen, in denen Victorinus analog zu Origenes die Kirche als Gemeinschaft aller gläubigen Seelen definiert. Die universelle Definition zeigt aber, wie wichtig ihm der Gedanke ist, dass durch die Inkarnation grundsätzlich allen Seelen der Weg zum Heil geöffnet ist. Die vielfältigen Äußerungen des Victorinus zur Seele dienen alle der Antwort auf die Frage, warum die Seele der Erlösung bedarf, warum sie vom trinitarischen Gott erlöst werden kann und wie diese Erlösung sich vollzieht. Der ursprüngliche Fall der Seele führt zu ihrer Gefangenschaft in der Materie, wodurch sie ihren herausgehobenen Status gegenüber der übrigen Schöpfung aber nicht verliert. Es werden lediglich ihre intellektuellen Kräfte geschwächt, weswegen sie den materiellen Kräften ausgeliefert ist. Durch die Inkarnation nimmt Christus alle Seelen an und siegt über diese Mächte. Wer an dieses Geschehen glaubt, dem wird der Geist geschenkt, durch den die intellektuelle Anlage der Seele wieder erweckt wird. Dadurch beginnt der individuelle Prozess der Vervollkommnung der Seele im Glauben, der im Eschaton mit der Adoption zum Kind Gottes endet. Entsprechend stellt die gesamte Heilsgeschichte einen Prozess der Vervollkommnung dar: Die präexistente Seele muss um ihrer Vervollkommnung willen die Erfahrung des Bösen in der materiellen Welt machen. Durch die Inkarnation des Logos beginnt die zweite Phase in der Schöpfung der Welt, der durch die Inkarnation Leben und Wissen durch den Logos und den Heiligen Geist geschenkt werden. Diese Vervollkommnung hat ihr Ziel in der eschatologischen Vergeistigung der Schöpfung.
H Ergebnisse 1 Die Biographie des Victorinus und ihre paradigmatischen Aspekte Die Lebenszeit des Victorinus fällt in eine Epoche der beginnenden Transformation des Imperium Romanum. Wahrscheinlich erlebte er noch in jungen Jahren die letzten Christenverfolgungen und die Anfänge der Toleranz gegenüber dem Christentum zum Beginn des 4. Jh. und war dann Augenzeuge der immer weitergehenden Förderung des Christentums unter Konstantin und dessen Söhnen. Es ist nicht sicher zu beantworten, wann er sich selbst mit dem Christentum intensiver auseinandersetzte. Jedoch zeigen seine theologischen Schriften eine solch breite Kenntnis theologischer und exegetischer Debatten, dass seiner späten Taufe im Laufe der 350er-Jahre eine sehr lange Phase der intellektuellen Aneignung christlicher Schriften und Gedanken vorangegangen sein muss. Aus seinen Schriften wird deutlich, dass für seine Theologie die Frage nach der Erlösung des Menschen mit Leib und Seele von zentraler Bedeutung war. Daher darf man annehmen, dass diese Frage auch für seine Bekehrung eine wichtige Rolle gespielt hat. Schon Augustinus gibt der Erzählung über die Hinwendung des Victorinus zum Christentum einen paradigmatischen Charakter. Seine Schilderung sollte vor allem die Macht der Gnade Gottes veranschaulichen, durch die ein Angehöriger der römischen Oberschicht sich dem Christentum zuwandte, obwohl dies den Bruch mit seinen bisherigen Überzeugungen und seinem sozialen Umfeld bedeutet habe. Damit wollte Augustin sein normatives Verständnis der Bekehrung zum Christentum und der christlichen Identität anhand eines exemplum darstellen. In Augustins Augen sollte das Zugehörigkeitsgefühl zum Christentum das bestimmende Merkmal christlicher Identität sein und eine Abkehr von allem Paganen und Weltlichen bedingen. Daher charakterisiert Augustinus die Bekehrung des Victorinus auch als starken Bruch mit dessen bisherigem sozialen Umfeld in der römischen Elite und ihren Wertvorstellungen. Auch die moderne Forschung, die Augustins Absichten schon kritisch hinterfragte, schrieb der Biographie des Victorinus eine beispielhafte Bedeutung zu. So betrachtete Ernst Benz das Leben und Werk des Victorinus als ein individuelles Beispiel der geistesgeschichtlichen Synthese von orientalischem und hellenistischem Denken, die das lateinische Mittelalter und die europäische Kultur geprägt hätten. Pierre Hadot galt Victorinus dagegen als der typische Vertreter einer skeptisch-toleranten römischen Oberschicht, die einerseits am mos maiorum festhalten wollte, andererseits aber auch prinzipiell offen für andere religiöse Anschauungen war. Werner Steinmann sah schließlich in der von ihm rekonstruierten doppelten https://doi.org/10.1515/9783110987577-008
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Bekehrung vom akademischen Skeptizismus zum Neuplatonismus und schließlich zum Christentum das Paradigma der Bekehrung eines Intellektuellen im 4. Jh. n.Chr. Auch ich habe in meiner Rekonstruktion versucht, paradigmatische Aspekte der Biographie des Victorinus herauszuarbeiten. Entscheidend ist, dass sich entgegen der normativen Absicht Augustins für Victorinus ein ganz anderes Verständnis christlicher Identität und des Verhältnisses zwischen Christen und Anhängern der traditionellen Kulte herausarbeiten lässt. Schon in seinem Cicerokommentar lässt sich zeigen, dass für Victorinus seine Religion nicht das entscheidende Merkmal seiner Identität ist, dem er alles andere unterordnet. Vielmehr war für ihn in diesem Zusammenhang seine Zugehörigkeit zur römischen Bildungselite und seine Rolle als Lehrer der zukünftigen Angehörigen dieser Elite wesentlich bedeutender. Es stellte für ihn daher auch kein Problem dar, als Christ weiterhin Rhetorik zu unterrichten. Die Rekonstruktion seines intellektuellen Milieus bestätigte diesen Befund: Victorinus tauschte sich bereits lange vor seiner Taufe mit christlichen Intellektuellen aus, denen ebenfalls der gemeinsame Bildungshorizont wichtiger war als die Frage der Zugehörigkeit zum Christentum. Das wird insbesondere an seiner Freundschaft mit Simplician deutlich, der selbst auch wiederum Kontakte zu weiteren nichtchristlichen Philosophen pflegte. Victorinus und Simplician stehen stellvertretend für einen Teil der römischen Elite, die sich vor allem über ihre gemeinsamen Interessen an philosophischen und theologischen Fragen definierten und einen offenen Austausch darüber pflegten. Als städtischer Rhetor war Victorinus Teil des senatorischen Netzwerks in Rom und unterhielt sicher auch darüber hinaus briefliche Kontakte zu ehemaligen Schülern oder intellektuell ähnlich interessierten Menschen. Für das senatorische Milieu Roms lässt sich insbesondere am Beispiel des nur etwas späteren Praetextatus ein breiteres Interesse an griechischer Literatur und Philosophie wahrscheinlich machen. All diese Überlegungen haben gezeigt, dass Victorinus sicher keine isolierte Figur war, sondern allein aufgrund seiner herausgehobenen Position in ein umfangreiches Netz der sozialen und intellektuellen Elite des Imperiums eingebunden gewesen sein muss. Dass Victorinus seine Taufe nicht als den Bruch verstand, als den Augustinus sie darstellte, zeigt sich auch in seinen theologischen Schriften. Er bediente sich hier weiterhin der argumentativen Methoden und zahlreicher Gedanken und Konzepte, die er in seiner langen Beschäftigung mit der paganen Philosophie kennengelernt hatte. Er gestaltete seine theologischen Traktate als christlich-philosophische Abhandlungen, in denen er Probleme der christlichen Theologie und der Bibelexegese philosophisch darstellte und diskutierte. Auch in den innerchristlichen Debatten hatte Victorinus weniger Berührungsängste mit vermeintlich häretischen Texten und Personen. Seine Schriften zur Trinitätstheologie sind von dem Bemühen geprägt, die gegnerischen Positionen
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H Ergebnisse
gedanklich ebenso zu durchdringen wie die eigenen und die Widersacher auf dieser Grundlage argumentativ zu überzeugen. Zu diesem Zweck arbeitet er die philosophischen Schwächen in der Argumentation der Gegner heraus und kritisiert ihre Auslegung der Schrift ausgehend von seiner eigenen Interpretation. Auch hier legt er also eine prinzipielle Offenheit an den Tag. Daher ist es auch prinzipiell denkbar, dass er sich in gleicher Weise mit der Theologie und Exegese gnostischer Texte kritisch auseinandersetzte.
2 Kontexte und Diskurse Aufgrund seiner langen Beschäftigung mit paganen philosophischen Texten und christlicher Literatur ist das Werk des Victorinus von ganz unterschiedlichen Kontexten und Diskursen geprägt. Besonders relevant sind verschiedene Strömungen der platonischen Philosophie, die Diskussionen des Trinitarischen Streites und verschiedene exegetische Diskussionen innerhalb der christlichen Tradition. Eine Auseinandersetzung mit gnostischen Positionen lässt sich punktuell wahrscheinlich machen. Kritik an gnostischen Erlösungsvorstellungen scheint insbesondere dort im Hintergrund zu stehen, wo Victorinus einen positiven Blick auf den menschlichen Leib und die leibliche Auferstehung philosophisch und exegetisch verteidigt. Das Gottes- und Weltbild des Victorinus ist unstreitig von der platonischen Philosophie geprägt: Seine Prinzipienlehre orientiert sich stark an der neuplatonischen Hierarchie des Seins mit dem transzendenten Gott an der Spitze des Seins gefolgt von der Seele, der Körperwelt und der Materie. Er teilt die grundlegenden Vorstellungen des Platonismus, dass der Schöpfungsprozess als Formung der Materie durch ein göttliches Prinzip zu verstehen ist und dass die Seele bereits vor dem materiellen Kosmos präexistiert. Jedoch übernimmt er solche platonisch-philosophischen Konzepte nicht einfach, sondern transformiert sie an entscheidenden Stellen. Der Maßstab dieses Transformationsprozesses sind die Bibel und das christliche Bekenntnis, insbesondere das Bekenntnis zur Homousie von Vater und Sohn. Dies führt dazu, dass Victorinus die gestufte Hierarchie im göttlichen Bereich nicht übernimmt, sondern Vater und Sohn in paradoxer Weise über die Wesenseinheit miteinander verbindet. Die Homousie ist die wichtigste Grundlage seines Denkens und ihrer philosophischen Begründung ist alles andere untergeordnet. Dabei zeigt sich Victorinus über die aktuellen Debatten des Trinitarischen Streites besser informiert, als bislang häufig angenommen. Er kennt die Debatten zwischen Markell, Athanasius und Asterius über die Frage, wie die Zeugung des Sohnes und die Einheit zwischen Vater und Sohn zu verstehen ist. Dabei schließt er sich
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grundsätzlich den Positionen Markells und Athanasius’ an, formuliert deren Ansätze aber vielfach weiter aus. So gelingt es ihm etwa durch den Vergleich der potentiellen Existenz des Logos im Vater mit einem Embryo in die Diskussionen eine philosophische Tiefendimension einzufügen. Ebenso gelingt es ihm, noch besser gegen die Position des Asterius zu argumentieren, wonach die Einheit zwischen Vater und Sohn nur als Übereinstimmung im Willen und Tun zu bewerten sei. Dagegen begründet Victorinus philosophisch, dass die Wesenseinheit die unabdingbare Voraussetzung der willentlichen und aktiven Übereinstimmung ist. Hierfür entwirft Victorinus ein Konzept der Trinität, wonach die immanenten Vorgänge bei der Zeugung des Logos und des Heiligen Geistes Vorbild und Voraussetzung für das ökonomische Handeln der trinitarischen Personen sind. Er begreift den Logos und den Heiligen Geist als hypostatische Aktualisierungen aus der potentiellen Existenz im Vater, ohne dass die Einheit der Substanz aufgehoben wird. Vielmehr konstituiert sich die göttliche Substanz erst durch das Zusammenwirken der drei verschiedenen Aktivitäten von Vater, Logos und Heiligem Geist. Daher ist auch im ökonomischen Handeln ein Zusammenwirken der Hypostasen möglich und nötig. Seine Trinitätstheologie weist mit ihrer miahypostatischen Tendenz und dem grundlegenden Potenz-Akt Schema eine große Nähe zur Theologie Markells von Ankyra auf. Allerdings hat Victorinus die zeitgenössische Kritik an Markell berücksichtigt und gestaltet seine Konzeption von der Aktualisierung des Sohnes entsprechend anders aus: Er betont, dass die Aktualisierung ein ewiger immanenter Vorgang in Gott ist und die Voraussetzung für das ökonomische Handeln darstellt. Damit grenzt er sich von Markell ab, dem der Vorwurf gemacht wurde, dass die Aktualisierung des Logos bei ihm nur episodischen Charakter zum Zwecke der Schöpfung und Erlösung habe und die trinitarische Entfaltung Gottes damit nur vorübergehend sei. Ferner nimmt Victorinus die zeitgenössische Kritik an der Homousie vonseiten der Homöer und Homöusianer zur Kenntnis. Er ist über diese Debatten nicht nur durch Synodaldokumente informiert, sondern besitzt darüber hinaus weitere Quellen, die vielleicht auf persönliche Kontakte zurückgehen. Für die Auseinandersetzung mit den Homöusianern liegt ihm in Adversus Arium I 28 – 32.45 ein Schreiben des Basilius von Ankyra vor, das mit keinem der uns bekannten Synodaldokumente identisch ist. Zudem sind seine Schriften die einzige Quelle für das Argument lateinischer Homöer, dass das Wort ὁμοούσιον unübersetzbar sei. Die Schrift Adversus Arium II bietet daher Hinweise für die Rekonstruktion eines spezifisch lateinischen Homöertums. Unklar sind seine Quellen für die arianische Position des Candidus, die er mit philosophischem Scharfsinn formuliert und widerlegt.
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In der Auseinandersetzung mit Arianern, Homöern und Homöusianern verfolgt Victorinus eine doppelte Strategie: Er knüpft zum einen an Argumentationen aus der trinitarischen Debatte an und entwickelt sie kritisch fort, zum anderen versucht er immer wieder den Nachweis zu führen, dass die Gegner auf der Grundlage ihrer eigenen Prämissen seine Überzeugung teilen müssten. In der Auseinandersetzung mit Candidus zeigt er, dass es das wirkliche Nichtsein nicht gibt, aus dem Christus nach arianischer Lehre geschaffen sein solle. Vielmehr sei Gottvater in einem höheren Sinne das Nichtsein, da er vor dem Sein liege und das Sein potentiell in sich enthalte. Insofern stamme der Sohn zwar aus dem Nichtsein, aber dieses Nichtsein ist mit dem Vater gleichzusetzen. Ebenso führt er gegen die Ansicht, dass die Einheit des Vaters und des Sohnes als willentliche Übereinstimmung zu verstehen sei, den Nachweis, dass dies nur möglich ist, wenn man die substantielle Einheit voraussetzt. Gegen die Homöusianer führt Victorinus immer wieder die philosophische Unsinnigkeit, von einer Gleichheit der Substanz zu sprechen, als Argument ins Feld. Gleichheit sei nur von Qualitäten, nicht von Substanzen aussagbar. Die Sorge der Homöusianer, dass das nizänische Bekenntnis dazu führe, dass man eine dem Vater und dem Sohn präexistente Substanz annehmen müsse, ergebe sich damit vielmehr als Konsequenz aus ihrer eigenen Theologie. Er greift in diesen Auseinandersetzungen auch auf ältere philosophische Argumente zurück: Ähnlich hatte schon Athanasius argumentiert, dass man den Vater nur dann sinnvollerweise größer nennen könne als den Sohn, wenn sie dieselbe Substanz haben, da solche Aussagen nicht über verschiedene Substanzen sinnvoll aussagbar seien. Die Trinitarische Debatte des 4. Jh. war mithin schon vor Victorinus stark philosophisch geprägt: Die meisten Beteiligten bedienten sich einer philosophischen Begriffssprache und philosophischer Methoden, um ihre Theologie darzustellen und die der Gegner anzugreifen. Victorinus führt diesen Zug der zeitgenössischen Diskussionen in seinen Werken nur konsequent fort und durchdringt die Probleme dadurch häufig tiefer als seine Vorgänger und Zeitgenossen. Insbesondere die sog. neupythagoreische Philosophie hatte bereits seit Längerem Einfluss auf die christlichen Debatten, wie sich an gnostischen metaphysischen Spekulationen und nicht zuletzt auch der Theologie Markells zeigt. Diesen Zug der philosophischen Behandlung christlicher Theologie setzt Victorinus deutlich fort. Über die aktuellen Diskussionen der Trinitätstheologie hinaus zeigt Victorinus reichhaltige Kenntnis verschiedener exegetischer und theologischer Debatten innerhalb des antiken Christentums: Er befasste sich mit den theologischen Problemen der Schöpfung, der Inkarnation Christi, der Seelen- und Erkenntnislehre und den damit verbundenen exegetischen Traditionen. Es ist insgesamt wahrscheinlich, dass Victorinus direkt oder indirekt Schriften des Origenes rezipierte. Lassen sich grundsätzliche Übereinstimmungen im Gottesund Weltbild noch gut über den gemeinsamen platonischen Horizont erklären, ist
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dies bei sehr ähnlichen Auslegungen von Bibelstellen schon weniger wahrscheinlich. Einige exegetische Kommentare des Victorinus lassen sich besser verstehen, wenn man sie vor dem Hintergrund der Exegese des Origenes interpretiert. Hierfür steht paradigmatisch zum einen die Auslegung von Joh 20,17: Die Exegese des Victorinus lässt sich am besten als kritische Fortführung der Auslegung des Origenes verstehen. Zum anderen zeigte sich eine Ähnlichkeit insbesondere im Verständnis der materiellen Welt als sekundärer Folge höherer Absichten Gottes. Victorinus stimmt der speziellen Auslegung von Eph 1,4 durch Origenes zu. Er interpretiert wie dieser das Wort καταβολή für die materielle Schöpfung als subiectus mundus und bringt damit ihren sekundären Charakter gegenüber der intelligiblen Schöpfung zum Ausdruck. Diese ist der eigentlich Anfangs- und Zielpunkt des Schöpfungshandelns Gottes, während die materielle Welt nur eine zwischenzeitliche Funktion als Lernort für die Seelen ausübt und am Ende ebenfalls in einen geistigen Zustand überführt werden soll. Victorinus knüpft dabei an die Unterscheidung des Origenes von Bild und Ähnlichkeit in Gen 1,26 an. Beide sehen die Vervollkommnung der menschlichen Seele als Aufgabe und Prozess, der eschatologisch abgeschlossen ist. Der gewichtige Unterschied besteht allerdings darin, dass Victorinus eine Rolle der Werke dafür ablehnt und stattdessen auf Grundlage seiner Pauluslektüre allein die Entscheidung zum Glauben in den Mittelpunkt rückt. Der Mensch soll erkennen, dass er sich nicht aus eigener Kraft aus der sündigen Welt retten kann, sondern dass dafür das Heilswerk Christi und der Glaube an Christus notwendig ist. Durch die Teilhabe im Glauben an Christi Sieg über die materiellen Mächte wird auch der Mensch aus den sündigen Zusammenhängen befreit und eschatologisch vervollkommnet. Anders als Origenes deutet er die materielle Welt auch nicht als Strafort als Folge eines Fehlers der präexistenten Seelen. Er weist ihr vielmehr von Anfang an die Rolle eines Lernortes zu, in den Gott die Seelen sendet, damit sie ihr Potenzial entfalten und geistig werden können. In diesen Punkten stellt seine Sicht auf den Kosmos und den Menschen eine kritische Fortführung der Theologie des Origenes dar. In seinen Überlegungen zur Schöpfung und Erlösung des Menschen und der Welt betont Victorinus stets, dass auch die materielle Schöpfung von Gott stammt und daher auch erlöst werde. In diesem Punkt positioniert er sich nicht nur gegen eine platonische Herabsetzung des Leibes, sondern insbesondere auch gegen gnostische und markionitische Strömungen innerhalb des Christentums. Diese Tendenz wird dadurch deutlich, dass er an verschiedenen Stellen auf die Exegese gnostischer Kreise reagiert und sich anderen Auslegungstraditionen anschließt. Er hält daran fest, dass die Materie aus Gott selbst stammt und zu Gott gehört, sodass Christus keine ihm fremde Schöpfung erlöst. Der Leib des Menschen ist für ihn aus einer besonders reinen Materie erschaffen und ebenfalls nach dem Ebenbild des Logos erschaffen und wird daher wie die Seele erlöst. Besonders interessant ist
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seine Lehre von der doppelten Seele des Menschen, die auch in gnostischen Kreisen als Begründung für die Sündhaftigkeit des Fleisches diskutiert wurde. Er kennt diese Lehre vermutlich auch aus gnostischen Texten und übernimmt sie für seine Anthropologie. Jedoch verleiht er dieser Ansicht in seiner Darstellung eine dezidiert antignostische Pointe, da in seinen Augen die Beseeltheit der Materie gerade ihre Zugehörigkeit zu Gott und ihre Erlösungsfähigkeit begründet. Das Materielle vergeht im Eschaton nicht, sondern wird ebenfalls in einen geistigen Zustand transformiert. In diesen Bereichen lässt sich eine punktuelle, aber stets kritische Auseinandersetzung mit gnostischen Texten und Positionen deutlich erkennen. Ob Victorinus auch in anderen Punkten gnostische Texte kannte, auf sie reagierte und sie rezipierte, muss Spekulation bleiben. Vielleicht kannte er neupythagoreisch inspirierte, gnostische Traktate, die das Verhältnis des ersten Prinzips zum Nachfolgenden bereits in einem Potenz-Akt-Schema und einem Schema der Manifestation darstellten. Solche Ansätze finden sich etwa im Tractatus Tripartitus und dem Evangelium Veritatis, aber auch in sethianischen Texten wie dem Zostrianus. Wenn er solche Texte gekannt hat, hätte er deren Positionen aber massiv weiterentwickelt, philosophisch und theologisch noch tiefer durchdrungen. Denn während die gnostischen Texte den potentiellen Zustand des zweiten Prinzips im ersten stets als defektiv betrachten, betont Victorinus mit der Vorstellung der Homousie, dass der Sohn auch in seinem potentiellen Zustand schon vollkommen wahrer Gott ist. Dieses Grundaxiom der Homousie kann Victorinus nicht aus gnostischen Texten übernommen haben, da die Homousie im metaphysischen Bereich dort nicht nur nie eine Rolle spielt, sondern dem Anliegen der Texte deutlich entgegensteht. Victorinus könnte höchstens punktuell auf metaphysische Spekulationen gnostischer Texte reagiert haben. Wenn er gnostische Texte gekannt hat, wäre sein Umgang mit diesen ähnlich zu beschreiben, wie sein Umgang mit den Positionen der Homöusianer oder Arianer: Er hätte dann gezeigt, wie man auf der Grundlage dieser metaphysischen Grundannahmen notwendigerweise zum Ergebnis kommen muss, dass Vater und Sohn wesenseins sind. Eine solche Stoßrichtung lässt sich aber nicht sicher herausarbeiten und muss daher spekulativ bleiben. Sein Interesse an der Erlösung des ganzen Menschen spiegelt sich auch in seinen Ausführungen zur Inkarnation Christi wider. Auch hier knüpft er an längere exegetische Debatten an und betont stets, dass Christus einen realen Leib angenommen habe und dies die Voraussetzung für die Erlösung von Leib und Seele sei. Nur so habe Christus am Kreuz über die materiellen Mächte im Fleisch siegen können und die Seele aus der Gefangenschaft in der materiellen Welt befreien können, aber auch den Weg zur Vergeistigung des Leibes eröffnen können. Er lehnt in diesen Zusammenhängen ausdrücklich doketische Interpretationen der Inkarnation ab, wie sie sich insbesondere in gnostischen Texten finden. Gleichermaßen begründet Victorinus die Ansicht, dass Christus eine vollständige menschliche Seele
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angenommen habe. Da er besonderen Wert darauf legt, dass diese Seele auch einen irrationalen Teil hatte, ist es unwahrscheinlich, dass er schon auf die späte Christologie des Apollinaris reagierte. Vielmehr knüpft er auch hier an ältere Debatten der christlichen Theologie an, aber auch an philosophische Diskussionen darüber, welche Seelenteile unsterblich sind. In diesen Diskussionen bezieht er deutlich Position für eine Erlösung der ganzen Seele mit allen ihren Teilen wie auch des ganzen Leibes. Insgesamt zeigt sich, dass Victorinus sich damit in ganz unterschiedlichen Kontexten bewegt. Stets verbindet er aber philosophische Argumentation und exegetische Begründung miteinander. Mal geschieht dies direkt, indem er bestimmte Bibelstellen mit philosophischen Methoden oder Überlegungen auslegt. So habe ich etwa für die Schrift Adversus Arium IV gezeigt, dass die Verhältnisbestimmung von vita und vivere als philosophische Exegese von Joh 5,26; 6,57 zu verstehen ist. Victorinus bedient sich in diesem Falle der philosophischen Methode der Paronyme, um gleichzeitig die Homousie und hypostatische Differenz von Vater und Sohn zum Ausdruck zu bringen. Auch für diesen scheinbar speziellen Umgang mit den biblischen Texten lässt sich aber zeigen, dass Victorinus damit an zeitgenössische Debatten anknüpft, diese aber wiederum tiefer durchdringt und systematischer reflektiert. Häufig trennt Victorinus aber auch philosophische und exegetische Überlegungen stärker in verschiedene Teile einer Schrift oder eines Werkes: So ist das Opus ad Candidum zweigeteilt in die Schrift Ad Candidum, die insbesondere philosophisch argumentiert, und in die Schrift Adversus Arium I, die in ihrem ersten Teil die exegetischen Begründungen für die Homousie liefert. Die beiden Argumentationszüge gehören für Victorinus aber untrennbar zusammen. Auch die Schrift Adversus Arium III zeigt in ihrer Grundstruktur eine Trennung des philosophischen und exegetischen Teils. In diesen Fällen dienen die philosophischen Teile der Entlastung der exegetischen Teile: Zunächst werden die Grundlagen reflektiert und dann in der Exegese der Texte noch einmal entfaltet und an das biblische Zeugnis rückgebunden. Dass philosophische Argumentation und exegetische Begründung untrennbar zusammengehören, ließ sich gut am Beispiel der Seelenlehre demonstrieren: Die stark philosophisch argumentierende Darstellung der Seele, ihrer ontologischen Position und ihrer epistemologischen Fähigkeiten in Ad Candidum hat ihre Entsprechung in der Auslegung von Gen 1,26 f. und Eph 1,4. In beiden Fällen stellt Victorinus die Seele als präexistentes Geschöpf dar, das von Gott so angelegt wurde, dass es am Ende der Zeit durch den Glauben an Christus vollkommener Geist werden kann. Dieser Hoffnung auf endzeitliche Vergeistigung kann Victorinus mal stärker philosophisch argumentierend, mal stärker exegetisch kommentierend Ausdruck verleihen.
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3 Grundlinien seines Denkens: Homousie und Soteriologie In meiner Arbeit habe ich verschiedentlich auf die methodischen Problemen hingewiesen, die eine Systematisierung der Gedanken des Victorinus aus seinen Schriften erschweren. Jede Systematisierung läuft Gefahr, bestimmte Aspekte auszublenden oder Widersprüche vorschnell aufzulösen. Als spezielles Problem bei Victorinus hat sich gezeigt, dass sein Denken in das Prokrustesbett eines vorausgesetzten Systems gepresst wurde. Dadurch wurde er zu stark als neuplatonischer Philosoph beurteilt, seine Gedanken wurden auf der Grundlage dieses vorausgesetzten Systems interpretiert und manchmal sogar ohne konkrete Belege in den Texten ergänzt. Dagegen ist zu betonen, dass Victorinus seine Argumentationen immer nach dem philosophischen und theologischen Kontext ausrichtet. Das ließ sich schon in der Analyse der philosophischen Gedanken des Cicerokommentars zeigen. Sicher habe auch ich in meiner Rekonstruktion viele Aspekte nicht ausführlich behandeln können, da es grundsätzlich schwierig ist, den vielschichtigen Argumentationen in ihren verschiedenen Kontexten gerecht zu werden. Ich habe mich aber darum bemüht, verschiedene Kontexte herauszuarbeiten, die für ein Verständnis der Theologie des Victorinus relevant sind, da er auf diese unterschiedlichen Diskurse direkt und indirekt Bezug nimmt. Bei aller philosophischer und theologischer Breite ließen sich aber auch bestimmte Grundlinien im Denken des Victorinus herausarbeiten, die unabhängig von der jeweiligen Argumentationssituation bestehen bleiben. Victorinus hat die gesamte Prinzipienlehre von einem christlich-philosophischen Standpunkt aus durchdacht. Er übernimmt weder pagan-philosophische noch christlich-theologische Gedanken unkritisch, sondern beurteilt sie nach dem Maßstab dessen, was er als christliche Orthodoxie erkennt. Die zentrale Frage seines theologischen Nachdenkens besteht darin, wie das unerkennbare Wesen Gottvaters der menschlichen Erkenntnis zugänglich werden kann. Diese Frage ist von so hoher Bedeutung, da er Gotteserkenntnis als notwendige Voraussetzung der Erlösung erachtet. Für diese soteriologische Grundansicht stützt sich Victorinus auf das von ihm besonders geschätzte Johannes-Evangelium. Er setzt mit einer langen philosophischen und christlich-theologischen Tradition die absolute Transzendenz Gottes voraus, die dessen Unerkennbarkeit zur Folge hat. Als fundamentaltheologische Prämisse leitet er aus diesem Gottesbild ab, dass Aussagen über Gott nicht zu banal und zu einfach verständlich sein dürfen, da dies der Unerkennbarkeit Gottes nicht gerecht würde. Daher stehen auch zwei Themen im Mittelpunkt seiner Schriften: Das Konzept der Homousie und die Frage nach der Stellung des Menschen im Verhältnis zu Gott. Gott hat den Menschen nach seinem Abbild und seiner Ähnlichkeit erschaffen und
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ihm so vor allen anderen Geschöpfen eine herausgehobene Position gegeben. Die Seele ist in ihrer Substanz Gott ähnlich und hat von Gott die Möglichkeit bekommen, zum Geist vervollkommnet zu werden. Für diesen Prozess der Vervollkommnung muss die menschliche Seele vollkommene Erkenntnis über das Gute und das Böse erlangen. Dies gelingt ihr nur, wenn sie in der materiellen Welt die Erfahrung des Bösen macht. Aus diesem Grunde hat Gott die Welt erschaffen als Ort, an dem die Seele dem Bösen in der Materie begegnet und vom Bösen gefangen gehalten wird. Dadurch kann die Seele lernen, dass ihre Rettung allein durch Gott kommen kann. Für diese Rettung und Befreiung des Menschen ist die Erkenntnis des göttlichen Wesens notwendig. Daher ist die Homousie von zentraler Bedeutung für die Erlösung des Menschen. Christus und der Heilige Geist können in der Inkarnation und nach der Geistgabe den Menschen perfektes Wissen über den eigentlich unerkennbaren Vater vermitteln, weil sie in Wesen,Willen und Wirken mit ihm identisch sind. Ergreift der Mensch dieses offenbarte Wissen im Glauben und nimmt das Rettungsangebot Gottes an, kann er von den Mächten des Bösen befreit werden und mit Leib und Seele am Ende der Zeit einen vollkommenen geistigen Zustand erreichen.Victorinus betreibt den größten philosophischen Aufwand, um das Konzept der Homousie zu verteidigen, da für ihn hierin der Schlüssel zur Erlösung des gesamten Menschen liegt. In diesen Grundlinien seines Denkens zeigt sich auch, dass seine Paulus-Exegese und seine philosophischen Traktate sich nicht getrennt gegenüberstehen. Vielmehr bilden die paulinischen Gedanken, dass die Erlösung allein durch den Glauben und die Gnade gewährt wird, die zentrale Voraussetzung seiner Metaphysik. Nicht nur in den Paulus-Kommentaren betont Victorinus, dass die Befreiung des Menschen vom Bösen durch den Glauben geschenkt wird. Diesen Gedanken drückt er auch in seinen metaphysischen Spekulationen aus: Weil der Vater, der Logos und der Heilige Geist in Wesen, Willen und Wirken identisch sind, kann die Einheit des Menschen mit Gott nicht mehr über das willentliche Tun des Guten hergestellt werden. Sondern es geht umgekehrt die Adoption der Glaubenden zu Kindern Gottes voraus, die sie wesensmäßig schon mit dem göttlichen Geist verbindet. Aus dieser wesensmäßigen Einheit mit Gott kann eine Übereinstimmung von Willen und Werken erst hervorgehen. Damit zeigt sich, dass Victorinus nicht als neuplatonischer Philosoph im christlichen Gewande verstanden werden kann. Seine Schriften gehen von der Grundfrage christlicher Theologie aus, wie der Mensch durch das Handeln Gottes erlöst wird. Er ist also vielmehr ein christlicher Philosoph, der sich zur Darstellung seiner Anliegen unter anderem auch platonischer Konzepte bedienen kann. Die philosophische Reflexion des christlichen Bekenntnisses und die Exegese der biblischen Schriften bilden eine untrennbare Einheit.
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4 Warum wurde Victorinus kaum rezipiert? In der Victorinus-Forschung wurde immer wieder die Frage diskutiert, warum seine Theologie kaum oder gar nicht rezipiert worden ist. Dafür lassen sich verschiedene Antworten finden: Erstens dürfte das kritische Urteil des Hieronymus über Victorinus großen Schaden für seine weitere Rezeption verursacht haben. Hieronymus hielt die Werke des Victorinus nicht nur für unverständlich, sondern bediente sich in seiner Kritik auch Formulierungen, die den Verdacht der Häresie nahelegen könnten. Die Nachwirkung dieses Urteils zeigte sich bis in die moderne Forschung. Zweitens enthält das Urteil des Hieronymus bei aller Polemik einen wahren Kern: Das Werk des Victorinus ist nur für Kundige verständlich. Seine Argumentationen sind so voraussetzungsreich, sprachlich und philosophisch komplex, dass sie nicht für ein breites Publikum verfasst sind. Victorinus bemühte sich als erster christlicher Autor der Antike um eine systematische Reflexion der Trinitätstheologie. Dabei hat er sich aber in der Darstellung eher an den Enneaden Plotins oder den Schriften des Origenes orientiert: Er handelt nicht der Reihe nach jeden Punkt einmal systematisch und vollständig ab, sondern betrachtet die Probleme immer wieder von einer neuen Seite und wählt immer wieder einen anderen Zugang zu den Themen. Dadurch erhält die Darstellung im Gegenteil wieder einen unsystematischeren Charakter. Ein systematisches Handbuch zu verfassen, lag Victorinus schon wegen seiner grundlegenden Einsicht fern, dass das Wesen Gottes eigentlich unerkennbar ist und theologische Aussagen dieser Schwierigkeit gerecht werden müssen. Drittens war die Trinitätstheologie des Victorinus zeitgebunden aktuell: Er stand trotz aller Kritik an Markell noch immer auf dem Boden der miahypostatischen Trinitätslehre, die im Westen bis in die 360er-Jahre dominierend war. Mit seinem Ansatz zu einer stärkeren Differenzierung der drei Hypostasen bewegte er sich zwar schon in Richtung einer neunizänischen Theologie, nimmt sie aber nicht wesentlich vorweg. Solche Versuche, im Rahmen der miahypostatischen Theologie die Differenz von Vater, Sohn und Heiligem Geist stärker zu betonen, verloren in den folgenden Jahren schnell an Bedeutung. So mussten spätere Leser über die Vorstellung, dass Christus und der Heilige Geist zusammen der eingeborene Sohn seien, wohl eher befremdet sein. Hinzu kommen weitere besondere Positionen des Victorinus, die von späteren Lesern auch vor dem Hintergrund der origenistischen Streitigkeiten als unorthodox wahrgenommen werden mussten. Insbesondere gilt das für seine Ansicht, dass die Seelen präexistent seien, und für seine starke Tendenz zu einer Allerlösungslehre. Als vierter und letzter Punkt ist zu nennen, dass Victorinus bald von anderen Autoren überschattet wurde. Die Trinitätstheologien des Ambrosius und Augustinus
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orientierten sich bereits am neunizänischen Standard der Orthodoxie und haben sicher dazu beigetragen, dass die Schriften des Victorinus noch weiter in Vergessenheit geraten sind. Inwieweit zumindest Augustinus von Victorinus beeinflusst wurde, ist seit Ende des 19. Jh. umstritten. Ich habe mich in meiner Arbeit möglichst ganz auf die Rekonstruktion des Denkens des Victorinus konzentriert, um den Blick nicht durch vorschnelle Vergleiche mit späteren Autoren zu verstellen. Ich hoffe aber dadurch eine neue Grundlage für die Untersuchung des Einflusses des Victorinus auf Augustinus gelegt zu haben.
5 Marius Victorinus christlicher Philosoph und biblischer Theologe „Sie bräuchten nur einige wenige Wörter und Sätze ihrer Lehre zu ändern, um als Christen gelten zu können, wie es in jüngerer und in unserer heutigen Zeit die meisten Platoniker ja auch tatsächlich getan haben.“¹ Augustinus schätzte das Verhältnis zwischen der neuplatonischen Philosophie und dem Christentum als sehr eng ein. Nur ein paar Wörter bräuchte man verändern, um von einem Platoniker zu einem Christen zu werden, und für dieses Vorgehen gebe es zahlreiche Beispiele.Vielleicht dachte Augustinus auch an Marius Victorinus, als er dieses Urteil niederschrieb.² Auch die moderne Forschung hat in aller Regel die Leistung des Victorinus so eingeschätzt, dass er ein im Wesentlichen neuplatonisches System mehr oder weniger stark christianisiert habe. Dagegen hoffe ich, dass es mir gelungen ist, ein anderes Bild von Victorinus zu zeichnen. Dem vielschichtigen und komplexen Werk des Victorinus wird man nur gerecht, wenn man ihn als eigenständigen christlichen Philosophen versteht. Man versteht seine Leistung nicht, wenn man nur nach den vermeintlichen philosophischen Quellen seines Denkens sucht. Sein Anliegen war es vielmehr, die Grundprobleme der christlichen Theologie philosophisch zu reflektieren und darzustellen und sich dadurch in zeitgenössische Debatten der Theologie und Exegese einzubringen. Sein Ausgangspunkt liegt nicht in einem neuplatonischen System, sondern in zentralen Fragen und Problemen der christlichen Prinzipienlehre. Dabei sucht er durchgängig, seine Positionen aus der Bibel zu begründen, exegetische Probleme zu reflektieren und in kritischer Auseinandersetzung mit der christlichen Tradition zu einem eigenen Urteil zu kommen. Seine metaphysische Spekulation
Aug. ver. rel. 7: […] et paucis mutatis verbis atque sententiis christiani fierent, sicut plerique recentiorum nostrorumque temporum Platonici fecerunt. Übersetzung von Josef Lössl, Aug. ver. rel., 97. Vgl. Josef Lössl, Aug. ver. rel., 96 Anm. 76.
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und die Schriftauslegung bilden eine komplementäre Einheit in seinen Schriften. Man kann ihn daher mit recht einen eigenständigen christlichen Philosophen und biblischen Theologen nennen.³
Vgl. Koffmane, De Mario Victorino, 5.
Verzeichnisse Abkürzungsverzeichnisse Die Abkürzungen von Lexika, Reihen und Zeitschriften richten sich nach: Schwertner, Siegfried, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/Boston 32014. Lateinische Autoren und ihre Werke werden abgekürzt nach: van Leijenhorst, C.G. / Krömer, D. (Hgg.), Thesaurus linguae Latinae. Index librorum, scriptorum, inscriptionum, ex quibus exempla afferuntur, Leipzig 21990, aktualisierte Fassung online: https://www.thesaurus.badw.de/tll-digital/ index/a.html. Pagane griechische Autoren und ihre Werke werden abgekürzt nach: A Greek-English Lexicon, compiled by Henry G. Liddell and Robert Scott, Revised and Augmented by Henry S. Jones With Assistance of Roderick McKenzie, Oxford 91996. Patristische griechische Autoren und ihre Werke werden abgekürzt nach: A Patristic Greek Lexicon, ed. by G.W.H. Lampe, Oxford 1968. Die Werke Plutarchs werden abgekürzt nach: Collins, Billie J. (Hg.), The SBL Handbook of Style: For Biblical Studies and Related Disciplines, Atlanta 22014. Die Werke Philos von Alexandrien werden abgekürzt nach: Philo of Alexandria, On the Creation of the Cosmos According to Moses. Introduction, Translation and Commentary by David T. Runia (Philo of Alexandria Commentary Series 1), Leiden/Boston/Köln 2001, XVII. Die Schriften aus dem Nag-Hammadi-Corpus werden abgekürzt nach: Nag Hammadi Deutsch, Band I: NHC I,1-V,1. Eingeleitet und übersetzt von Mitgliedern des Berliner Arbeitskreises für KoptischGnostische Schriften, hg. von Hans-Martin Schenke, Hans-Gebhard Bethge und Ursula Kaiser (GCS Koptisch-Gnostische Schriften II), Berlin/New York 2001, XIX-XXI.
Hilfsmittel Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, hg. von Raphael Kühner, Friedrich Blass, Bernhard Gerth, 2 Bde., Hannover/Leipzig 31898/1904. Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, hg. von Raphael Kühner, Carl Stegmann, durchges. von Andreas Thierfelder, 2 Bde., Darmstadt 41994. Concordance des textes de Nag Hammadi. Les codices VIII et IX par Wolf-Peter Funk (BCNH.C 5), Louvain/Paris 1997. Dictionnaire latin-français des auteurs chrétiens par Albert Blaise, revue spécialement pour le vocabulaire théologique par Henri Chirat, Turnhout 1954. Döpp, Siegmar / Geerlings, Wilhelm (Hgg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg i. Br. 3 1998. Evans, Craig A. / Webb, Robert L. / Wiebe, Richard A. (Hgg.), Nag Hammadi Texts and the Bible. A Synopsis and Index (NTTS 18), Leiden 1993. Haehling, Raban von, Die Religionszugehörigkeit der hohen Amtsträger des Römischen Reiches seit Constantins I. Alleinherrschaft bis zum Ende der Theodosianischen Dynastie: (324 – 450 bzw. 455 n. Chr.), Bonn 1978.
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540
Verzeichnisse
Athanasius Werke: Dritter Band. Erster Teil: Dokumente (Urkunden) zur Geschichte des Arianischen Streites: 3. Lieferung. Bis zur Ekthesis Makrostichos (AW III/1/3), hg. von Hanns Christof Brennecke u. a., Berlin/New York 2007. Athanasius Werke: Dritter Band. Erster Teil: Dokumente (Urkunden) zur Geschichte des Arianischen Streites: 4. Lieferung. Bis zur Synode von Alexandrien 362 (AW III/1/4), hg. von Hanns Christof Brennecke u. a., Berlin/New York 2014. Athanasius Werke: Dritter Band. Erster Teil: Dokumente (Urkunden) zur Geschichte des Arianischen Streites: 5. Lieferung. Bis zum Vorabend der Synode von Konstantinopel (381) (AW III/1/5), hg. von Hanns Christof Brennecke, Uta Heil, Annette von Stockhausen, Berlin/Boston 2020. Ps.-Athanasius, De incarnatione et contra Arianos, accurante J.-P. Migne, PG 26, 983 – 1028, Paris 1857. Ps.-Athanasius, Die pseudoathanasianische „IVte Rede gegen die Arianer“ als ‚κατὰ ᾿Aρειανῶν λόγος‘ ein Apollinarisgut, von Anton Stegmann, Rottenburg a.N. 1917. Ps.-Athanasius, Histoire „acéphale“ et index syriaque des lettres festales d’Athanase d’Alexandrie. Introduction, texte critique, traduction et notes par Annik Martin avec la collaboration de Micheline Albert (SC 317), Paris 1985. Auctor ad Herennium: Cornifici seu incerti auctoris Rhetorica ad Herennium, ed. Gualtiero Calboli, vol. 1: Prolegomena, testo e traduzione (Sammlung wissenschaftlicher Commentare), Berlin/ Boston 2020. Augustinus von Hippo, Abrégé de la grammaire de Saint Augustin. Texte établi, introduit et commenté par Guillaume Bonnet, traduit par Emmanuel Bermon et Guillaume Bonnet, Paris 2017. Augustinus von Hippo, Adnotationum in Iob liber unus, rec. Joseph Zycha (CSEL 28/2), Prag/Wien/ Leipzig 1895, 507 – 628. Augustinus von Hippo, Augstine’s Commentary on Galatians. Introduction, Text, Translation and Notes by Eric Plumer, Oxford 2005. Augustinus von Hippo, Confessionum libri XIII, ed. Martinus Skutella, editionem correctiorem curaverunt H. Juergens et W. Schaub, Stuttgart 1969. Augustinus von Hippo, Contra Academicos ed. William Green (CCSL 29), Turnhout 1970, 1 – 61. Augustinus von Hippo, Contra Academicos. De beata vita. De ordine, ed. Therese Fuhrer et Simone Adam, Berlin/Boston 2017. Augustinus von Hippo, De beata vita, ed. William Green (CCSL 29), Turnhout 1970, 62 – 85. Augustinus von Hippo, De civitate Dei libri XXII, vol. I: lib. I-XIII, rec. Bernardus Dombart et Alfonsus Kalb, Stuttgart/Leipzig 51993. Augustinus von Hippo, De civitate Dei libri XXII, vol. II: lib. XIV-XXII, rec. Bernardus Dombart et Alfonsus Kalb, Stuttgart/Leipzig 51981. Augustinus von Hippo, De diversis quaestionibus ad Simplicianum, ed. Alma Mutzenbecher (CCSL 44), Turnhout 1970. Augustinus von Hippo, De diversis quaestionibus octoginta tribus. De octo Dulcitii quaestionibus, ed. Almut Mutzenbecher (CCSL 44 A), Turnhout 1975. Augustinus von Hippo, De Genesi ad litteram. De Genesi ad litteram liber imperfectus. Locutiones in Heptateuchum, ed. Joseph Zycha (CSEL 28/1), Wien/Leipzig 1894. Augustinus von Hippo, De immortalitate animae / Die Unsterblichkeit der Seele. Zweisprachige Ausgabe, eingel. übers. und kommentiert von Christian Tornau (Augustinus Opera/Werke 7), Paderborn 2020. Augustinus von Hippo, De libero arbitrio / Der freie Wille. Zweisprachige Ausgabe, eingel., übers, und kommentiert von Johannes Brachtendorf (Augustinus Werke/Opera 9), Paderborn 2006.
Primärliteratur
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Augustinus von Hippo, De musica, ed. Martin Jacobsson. Introduction by Martin Jacobsson and Lukas J. Dorfbauer (CSEL 102), Berlin/Boston 2017. Augustinus von Hippo, De trinitate libri XV ed. W.J. Mountain auxiliante Fr. Glorie (CCSL 50 et 50 A), Turnhout 1968. Augustinus von Hippo, De vera religione – Die wahre Religion. Zweisprachige Ausgabe, eingel., übers. und hg. von Josef Lössl (Augustinus Opera / Werke 68), Paderborn 2007. Augustinus von Hippo, Ennarationes in Psalmos CI-CL, ed. Eligius Dekkers et Iohannes Fraipont (CCSL 40), Turnhout 21990. Augustinus von Hippo, Epistulae pars III. Ep. CXXIV-CLXXXIVA, rec. Alois Goldbacher (CSEL 44), Wien/ Leipzig 1904. Augustinus von Hippo, Epistulae pars IV. Ep. CLXXXV-CCLXX, rec. Alois Goldbacher (CSEL 57), Wien/ Leipzig 1911. Augustinus von Hippo, In Iohannis evangelium tractatus CXXIV, rec. D. Radbodus Willems (CCSL 36), Turnhout 21990. Augustinus von Hippo, La cité de dieu. Livres VI-X. Impuissance spirituelle du paganisme. Texte de la 4e édition de B. Dombart et A. Kalb, introduction générale et notes par G. Bardy, traduction française de G Combès (BAug 34), Paris, 1996. Augustinus von Hippo, Opera omnia. Tomus V, accurante J.-P. Migne, PL 38, Paris 1863. Augustinus von Hippo, Retractationum libri II, ed. Almut Mutzenbecher (CCSL 57), Turnhout 1984. Augustinus von Hippo, Sermo 293 Dolbeau, in: Dolbeau, François, Deux sermons d’Augustin pour les fêtes de Jean-Baptiste et de Pierre et Paul (s. 293 et 299), Aug. 57 (2017), 403 – 492, 432 – 466. Augustinus von Hippo, Soliloquiorum libri duo. De immortalitate animae. De quantitate animae, rec. Wolfgang Hörmann (CSEL 89), Wien 1986. Augustinus von Hippo / Hieronymus, Epistulae mutuae – Briefwechsel I, übers. und eingel. von Alfons Fürst (FC 41/1), Turnhout 2002. Ausonius, Periochae Illiadis et Odyssiae, in: Decimi Magni Ausonii Burdigalensis opuscula, ed. Sextus Prete, Leipzig 1978, 332 – 355. Ausonius, The Works of Ausonius. Edited with Introduction and Commentary by R.P.H. Green, Oxford 1991. Basilius von Caesarea, Homilien zum Hexaemeron, hg. von Emmanuel Amand de Mendieta und Stig Y. Rudberg (GCS), Berlin 1997. Bereschit Rabba, Mit kritischem Apparat und Kommentar, hg. von Julius Theodor, Berlin 1912. Boethius, In Isagogen Porphyrii Commenta, rec. Samuel Brandt (CSEL 48), Wien/Leipzig 1906. Boethius, Opera. Pars I: Philosophiae consolatio, iteratis curis ed. Ludwig Bieler (CCSL 94), Turnhout 1984. Caelius Aurelianus, Akute Krankheiten. Buch I-III. Chronische Krankheiten Buch I-V. Teil 1: Akute Krankheiten I-III. Chronische Krankheiten I-II, hg. von Gerhard Bendz, übers. von Ingeborg Pape (CMLat VI,1), Berlin 1990. Catenae graecae in Genesim et Exodum. II Collectio Coisliniana in Genesim, ed. Françoise Petit (CCSG 15), Turnhout 1986. Cicero, Academicorum Reliquiae cum Lucullo rec. O. Plasberg, Stuttgart 1922. Cicero, De natura deorum post O. Plasberg ed. Wolfram Ax, Stuttgart 1964. Cicero, De re publica librorum sex quae manserunt. Septimum rec. Konrat Ziegler, Berlin/New York 7 2009. Cicero, De re publica. De legibus. Cato Maior de senectute. Laelius de amicitia, ed. Jonathan G.F. Powell, Oxford 2006.
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Verzeichnisse
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Verzeichnisse
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Verzeichnisse
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Neues Testament Mk 15,33 f. 363 Mt 10,15 516 Mt 24,39 – 41 388 – 392, 410 Mt 26,39 398, 516 Mt 27,45 f. 363 Lk 3,22 415 Lk 12,8 f. 69 Lk 12,50 511 Lk 15,12 f. 198 Lk 15,13.30 457 Lk 17,34 410 Lk 17,34 f. 388 – 392 Lk 23,43 509 Lk 23,46 510 Joh 1,1 81, 108, 308 Joh 1,11 377, 379 – 382 Joh 1,23 466 – 469
https://doi.org/10.1515/9783110987577-010
Joh 4,6 486 Joh 4,10.13 – 14 488 Joh 4,24 506 Joh 5,26 212, 279 – 284 Joh 6,38 – 40 212, 284 Joh 6,57 212, 279 – 284 Joh 7,38 486 Joh 10,17 f 510 – 513 Joh 10,30.38; 14,10.28 330 – 332 Joh 14,9 236, 245, 276 Joh 14,10 273 Joh 14,25 347 Joh 14,26 108, 347 Joh 14,28 511 Joh 15,26 349 Joh 16,7 345 f. Joh 16,13 346
Bibelstellen
Joh 16,13.15 466 Joh 16,15 273 Joh 16,25 342 Joh 17,3 238, 347 Joh 17,6 f. 435 – 437 Joh 17,7 v.l. 435 Joh 17,12 297 Joh 20,17 209, 510 – 513 Joh 20,22 346 Joh 20,27 f. 209 Apg 2,27 507 Apg 7,44 316 Röm 1,16 206 Röm 4,17 178 Röm 7 393, 395, 397 – 399 Röm 9,16 105 Röm 9,21 398 Röm 11,33 336 Röm 11,36 325 Röm 13,13 461 1Kor 1,24 206 1Kor 1,31 106 1Kor 2,6 – 12 252 – 254 1Kor 8,6 259 1Kor 13,9 f. 444 1Kor 15,25 – 28 432 f. 1Kor 15,28 412, 424 1Kor 15,28 f. 107
1Kor 15,46 f. 389 1Kor 15,47 390 2Kor 4,4 269, 464 2Kor 4,18 254 2Kor 10,17 106 2Kor 12,2 107 Gal 5,10 434 Gal 5,17 393, 395, 398 f. Gal 5,19 – 21 461 Gal 6,3 f. 106 Gal 6,14 106 Eph 1,4 417 – 432, 451 – 457 Eph 2,2 107, 436 Eph 2,14 518 Eph 2,17 502 Eph 2,20 349, 517 – 519 Eph 3,18 291 Eph 4,11 f. 140 f. Eph 5,32 407 Phil 2,6 216 Phil 2,6 f. 276 – 278 Phil 2,7 188, 245, 415 Phil 2,9 297 Phil 3,21 107 Kol 1,15 184, 269, 464 Kol 1,16 f. 325 Hebr 1,3 269
575
Antike und mittelalterliche Autoren Alexander von Aphrodisias – de An. 81,22 – 82,3 Bruns 447 – de An. 88,23 f. Bruns 447 – de An. 89,9 – 19 Bruns 447 Ambrosiaster – in Rom 5,14 106 – in Rom. 5,20 316 – quaest. test. 101,8 443 Ambrosius – epist. 1 152 – epist. 2 149 – epist. 7,1 151 – in Luc. VIII 47 – 50 391 f. – Isaac 4,13 460 – Isaac 4,14 461 – Isaac 5,44 467 – Isaac 5,49 – 6,50 461 – Noe 11,38 392 – paenit. 1,8,38 512 Ammianus Marcellinus – XV 7,6 131 – XV 7,10 136 – XVI 10 134 Anaphora Ioannis Filii Tonitrui – Prex Eucharistica I 153,4 – 6 335 Apollinaris von Laodicea – cat. Jo. fr. 83,1 f. Reuss 125 – fid. sec. pt. 1 278 – fr. 22 Lietzmann 398 – fr. 74 Lietzmann 125 – fr. 88 Lietzmann 398 – fr. 127 Lietzmann 125 Apuleius – Plat I 9,199 481 Aristoteles – cat. 2, 1a20 – 1b9 249 – cat. 5, 3a7.b10 242 – de An. I 2 404b 176 – de An. II 5, 418a3 – 6 445 – de An. II 12, 424a17 – 21 445 – de An. III 4 f. 429a-430a 446 – met. VII 3 1028b35 299 – met. IX 8 1049b 242 https://doi.org/10.1515/9783110987577-011
– Ph. I 9 192a16 – 25 367 Arnobius Maior – nat. 2,3 443 Asterius von Kappadokien – fr. 2.73,7 f. Vinzent 289 – fr. 5 Vinzent 329 – fr. 11 Vinzent 268 – fr. 18 – 20 Vinzent 329 – fr. 38 – 40 Vinzent 332 – fr. 41 – 46 Vinzent 333 – fr. 42,2 – 5 Vinzent 332 – fr. 44 Vinzent 287 – fr. 52 – 56 Vinzent 289 – fr. 74 Vinzent 516 Athanasius von Alexandrien – apol. Const. 3,6 57 – apol. sec. 89,3 132 – Ar. I 20,3 – 7 268 – Ar. I 22,5.26,3 – 6 287 f. – Ar. I 23,2 415 – Ar. I 26,4 268 – Ar. I 36,4 f. 278 – Ar. I 39,3 337 – Ar. I 39,3 – 5 333 – Ar. I 58,5 268 – Ar. I 58,5 f. 332 – Ar. I 62,2 179, 289 – Ar. III 1,2 f.5 332 – Ar. III 4 f. 273 – Ar. III 12 – 14 333 – Ar. III 26.56 f. 516 – Ar. III 36 280 – Ar. III 59 – 62 329 – Ar. III 62 329 – Ar. III 63,4 329 – Ar. III 67,3 f. 288 – decr. 10,2 332 – ep. Afr. 1,3 183 – ep. Serap. I 1,2.10,5 f. 340 – Hist. Ar. 35,2 – 40,1 132 – Hist. Ar. 41,3 132 – Hist. Ar. 75,2 136 – syn. 53,2 332
Antike und mittelalterliche Autoren
– tom. 5 f. 123 – tom. 7 124 Auctor ad Herennium – Rhet. Her. I 7 90 – Rhet. Her. II 28 173 – Rhet. Her. II 30 173 Augustinus – beat. vit. 35 449 – c. acad. I 3 449 – c. acad. II 5,12 86 – civ. VII 23 495 f. – civ. X 2 467 – civ. X 29 65, 149, 429, 495 – civ. X 30 428 – civ. XIII 24 388 – civ. XIV 11 69 – civ. XXII 28 428 – civ. XXII 30 433 – c. litt. Pet. 3,30 145 – conf. II 3,7 f. 68 – conf. II 8,16 69 – conf. III 4,7 f. 69 – conf. III 6,10 67 – conf. III 7,13 86 – conf. IV 14,21 f. 147 – conf. V 3,3 67 – conf. V 6,10 67 – conf. V 8,14 52 – conf. V 10,19 152 – conf. V 13,23 51, 153 – conf. VI 6,9 145 – conf. VII 9,13 467 – conf. VII 9,14 153 – conf. VIII 1,1 148 – conf. VIII 2,3 52, 55, 82, 148 f. – conf. VIII 2,3 – 5,10 61 – 73 – conf. VIII 2,4 140 – conf. VIII 5,10 96 – conf. VIII 6,14 69 – conf. VIII 12,29 f. 69 – doctr. christ. II 40 68 – epist. 140,80 443 – gen. ad litt. imperf. 4 494 – Gest. Pelag. XXIII 57 367 – gramm. 76 239 – immort. 7,12 492 – immort. 8,14 492 f.
– immort. 15,24 493 – in. epist. Ioh. 3,6,1 377 – in Iob p. 536,25 f. Zycha 459 – in psalm. 121,5,18 286 – lib. arb. III 20,56 482 – mus. VI 14,44 494, 502 – pecc. mer. I 2,2 – 8,8 367 – retract. I 5,1 492 – retract. I 5,3,34 – 38 495 – retract. I 11,4,58 – 62 495 – retract. I 11,4,62 – 65 494 – s. 241,7 495 – Simpl. I 2,7 433 – Simpl. II 1,5,197 – 218 494 – soliloq. I 2 449 – trin. I 10,46 f.49 341 – ver. rel. 7 535 Basilius von Caesarea – hex. 9,2 387 Bereschit Rabba – 8,1 322 Boethius – cons. III 2,13 460 – cons. III carm. 9,13 – 21 – Porph. isag. 1,1 145 Caelius Aurelianus – chron. I 2,51 458 Calvenus Taurus – Text 28 Lakmann 428 Cicero – acad. I 44 86 – acad. I 45 86 – acad. II 122 86 – Brut. 121 80 – de orat. III 56 76 – de orat. III 61 76 – de orat. III 65 f. 83 – inv. I 29,44 79 – Leg. I 26 408 – nat. deor. I 101 67 – nat. deor. III 39 67 – partit. orat. 19 161 – rep. I 39 87 – tusc. I 57.59 91 – tusc. I 62.64 91
491
577
578
Antike und mittelalterliche Autoren
– tusc. I 80 93 Claudianus Mamertus – anim. III 9 f. 483, 509 Clemens von Alexandrien – exc. Thdot. 50,1 385 – exc. Thdot. 50,2 464 – exc. Thdot. 50 – 52 394 – 397 – exc. Thdot. 54,1 f. 385 – exc. Thdot. 56,3 385 – paed. I 71,1 257 – prot. X 98,4 470 – str. I 51,1 400 – str. III 93,3 460 – str. IV 162,5 257 – str. V 38,6 257 – str. V 94,3 f. 388 – str. VI 134,1 – 136,1 394 – str. VII 79,6 394 Codex Theodosianus – VI 21,1 66 – XIII 3,5 70 – XIV 9,1 52 – XVI 2,14 134 Collectio Avellana – 1,3 131, 133, 137 – 1,4 132, 137 Damascius – fr. E 201 Zintzen 95 – Pr. II 1,1 – 11 Westerink\Combès 293 – Pr. II 14,1 Westerink/Combès 293 – Pr. II 25,1 – 6 Westerink/Combès 293 Didymus der Blinde – Ps. 35,10 (PKöln Theol. 53 p. 240,1 – 4) 236 Diodor von Tarsus – fr. 20.35 Abramowski 319 Diognetbrief – Diogn. 6 502 Dokumente zum Arianischen Streit – Dok. 1,1 (Arius) 252 – Dok. 4 (Euseb von Nikomedien an Paulinus von Tyrus) 329 – Dok. 4,2 (Euseb von Nikomedien) 251 – Dok. 17,19 – 21 (Alexander von Alexandrien) 251 – Dok. 17,46 (Alexander von Alexandrien) 119 – Dok. 24,16 (Euseb von Caesarea) 310
– Dok. 41.4,1,1 f. (Ant II) 259 – Dok. 41.7,11 (Markell von Ankyra an Julius von Rom) 508 – Dok. 42,2 (Ant IV) 120 – Dok. 43.2,5 (Serdica West 343) 289 – Dok. 43.12,3 (Serdica Ost 343) 309 – Dok. 44,9 (Ekthesis makrostichos) 309 – Dok. 44,12 (Ekthesis makrostichos) 329 – Dok. 47.3 (Sirm I) 321, 329, 415 – Dok. 50.1,7 (Liberius von Rom, Obsecro) 143 – Dok. 50.5,2 f. (Mailand 355) 143 – Dok. 51,3 (Sirm II) 115, 252 – Dok 51,5 (Sirm II) 120 – Dok. 55 (Ankyra 358) 185, 253 – Dok. 55 anath. 8 f. (Synode von Ankyra 358) 280 – Dok. 55,16 (Synode von Ankyra 358) 281 – Dok. 55,22 (Synode von Ankyra 358) 280 – Dok. 56.2 (Epist. Sirmiensis) 111 – 113, 184 – Dok. 56.2,2 (Sirm III) 184 – Dok. 56.2,3 (Sirm III) 185 – Dok 56.3 (Sirm III) 280 – Dok. 56.2,4 (Sirm III) 184 – Dok. 57.2,3 (Sirm IV) 120 – Dok. 57.2,6 (Sirm IV) 113, 115, 116, 117 – Dok. 58,2 (Brief Georgs von Laodicea) 281 – Dok. 59.4 114 – Dok. 59.5 I,3 (Rimini 359) 183 – Dok. 59.9,1 (Nike) 120 – Dok. 59.9,4 (Nike) 115 – Dok. 59.10,2 (Rimini) 118 – Dok. 59.11,2 (Rimini) 120 – Dok. 61.1,38 (Aëtius, Syntagmation) 289 – Dok. 61.2 (Aëtius) 259 – Dok 62.1,4 (Konstantinopel 359/60) 259 – Dok. 62.1,7 (Konstantinopel 359/60) 135 – Dok. 69.2,3 (Tom. ad Ant.) 121 – Dok. 75.1,6 (Historia Acephala) 251 Epiphanius von Salamis – Pan. 76,54,17 251 Eunapius – VS X 1,2 Giangrande – VS X 1 f. Giangrande – VS X 7,4 Giangrande – VS X 8,1 Giangrande
71 98 58 58
Antike und mittelalterliche Autoren
Eunomius – apol. 16 f. 287 – apol. 20 251 Eusebius von Caesarea – e. th. I 20,31 – 36 280 – e. th. II 14,4 278 – e. th. III 3 278 – l.c. 6,11 – 14 310 Facundus von Hermiane – defens. IX 2,12,99 f. 341 Faustus von Riez – epist. 5 509 Gaudentius von Brescia – serm. 21,7 136 Gelasius von Caesarea – F25e Wallraff/Stutz/Marinides 136 Gennadius – dogm. 4 (PL 58, 932B) 409 Gregor von Nazianz – ep. 101,49 400 – ep. 101,73 71 – or. 5,23 98 – or. 7,13 98 – or. 39,19 511 Gregor von Nyssa – Adversus Macedonios de spiritu sancto (GNO 3,1 101,11 – 14) 288 – Apoll. p. 173,14 Müller 284 – Apoll. p. 212,26 – 213,3 Müller 398 – De tridui spatio (GNO 9,1, 293,2 – 294,4) 509 – De tridui spatio (GNO 9,1, 304,15 – 20) 511 – opif. 12 (PG 44, 164 A) 471 – opif. 16 (PG 44, 181 A-185 A) 406 – opif. 27 (PG 44, 225 A-233C) 431 Grillius – Rhet. I 2 92 Gunzo – Epist. ad Augienses (MGH.QG II 50,14 – 17) 80 Herakleon – fr. 5 Brooke 466 – 469 – fr. 17 Brooke 487 f. – fr. 20 Brooke 466 Heraklit – fr. DK 12B 123 86
579
Hieronymus – adv. Rufin. I 2 65 60 – adv. Rufin. I 16 59, 74 – adv. Rufin. I 22 421 – adv. Rufin. I 30 60 – chron. a Abr. 2365 (349 p. Chr.) 134, 133, 136, 137 – chron. a. Abr. 2369 (353 p. Chr.) 53 – chron. a. Abr. 2370 (354 p. Chr.) 54 – 59 – chron. a. Abr. 2379 (363 p. Chr.) 58, 70, 98 – chron. a. Abr. 2384 (368 p. Chr.) 55 – comm. in Gal. praef. 60 – epist. 22,30 60 – epist. 49,2 72 – epist. 66,9,2 53 – epist. 70 147 – epist. 112,4 128 – epist. 124,2 471 – epist. 124,3 423 – in Eph. 1,4 (PL 26, 446 A-448 A) 421 – in Eph. 1,4 (PL 26, 446C) 418 – in Ez. 18,3 – 4 516 – in Gal. praef. (PL 26, 309 A) 128 – in Is. III 7,1.2 60 – in Is. XII 44,6 – 20 60 – in Is. XIII 50,2.3 80, 83 – in Os. II 5,11 60 – vir. ill. 80 53 – vir. ill. 97,2 133 – vir. ill. 98,2 135 – vir. ill. 101 51 – 54, 73 – vir. ill. 102 73 Hilarius von Poitiers – c. Const. 11 133 – c. Const. 13,1 – 8 287 – c. Const. 26 113 – coll. antiar. B VII 9 133 – in psalm. 143,6 377 – syn. 91 (PL 10, 545) 142 – trin. I 5 126 – trin. I 18 126 – trin. II 4,9 – 18 154 – trin. II 4,28 – 32 154 – trin. II 24 126 – trin. III 1 f. 126 – trin. III 2 126 – trin. V 15,7 f. 154
580
Antike und mittelalterliche Autoren
– trin. VI 1,4 f. 154 – trin. VII 3,30 f. 154 – trin. VIII 1,26 – 37 154 – trin. X 51,1 – 4 154 Hippolyt – ref. I 2,6 291 – ref. VI 9,5 f. 303 – ref. VI 37,7 296 Inschriften – AE 1934, 159 (Flavius Taurus) 57, 66 – CIL VI 1721 (Flavius Eugenius) 57, 66 – CIL VI 1724 (Merobaudes) 57 – CIL VI 1779 (Praetextatus) 146 – CIL VI 31934 (Accia Maria Tulliana) 52, 66 – CIL VI 9858 (Flavius Magnus) 66 – ICUR NS. 9, 24831 (Bischof Felix von Rom 138 f. – ICUR NS. 9, 24831, 30 f. (Bischof Felix von Rom) 144 Irenäus von Lyon – epid. 11 381, 385, 408 – haer. I 1,1 343 – haer. I 2,2 f. 364 – haer. I 5,3 f. 320 – haer. I 5,5 386 – haer. I 14,1 283 – haer. I 23,2 f. 462 – haer. I 29,4 462 – haer. I 30,3 462 – haer. II 28,5 119 – haer. II 34,1 509 – haer. III 11,2 381 – haer. III 13,1 128 – haer. III 21,10 385 – haer. V 2,1 381 – haer. V 6,1 408 Isokrates – Or. III 5 – 7 92 Jamblich – De anima 6 483 – De anima 6.17 f.28 f. – De anima 15 449 – De anima 17 482 – De anima 27 428 – De anima 37 517
482
– in Ti. fr. 38 Dillon 361 – myst. VIII 3 361 Johannes Chrysostomus – hom. in Jo. 81 436 Johannes Scotus Eriugena – Johanneskommentar I,XXI 399 – Johanneskommentar III,I 487 – Johanneskommentar IV,III 399 – Periphyseon III,4555 – 4570 503 – Periphyseon III,4581 – 4600 503 Julian (Kaiser) – Ep. 55 (Weis) 70 – Ep. 55 (Weis) 423D 127 Julian von Aeclanum – in Iob 15,12 443 Justinian – Or. (ACO 3 202,34 – 203,1) 423 Juvenal – XV 1 f. 67 Laktanz – div. inst. II 10,16 80 – div. inst. IV 4,2 188 – ira 7,3 – 6 408 – ira 13,13 – 1.15,2 426 – ira 17,12 – 21 517 – ira 24,2 188, 278 Libanius – epist. 1493 72, 76 Liber pontificalis – 37,2 Duchesne I p. 207,3 – 37,6 Duchesne I p. 208,1 Lucifer von Calaris – athan. I 27 183 – non conv. 1 121 – non conv. 3 121
132 132
Macrobius – somn. I 3,18 85, 277 – somn. I 6,2 485 – somn. I 12,5 498 – somn. I 12,7 f. 460 Marius Victorinus – Ad Cand. 1 441 – 444, 463 – Ad Cand. 1.32 341 – Ad Cand. 1 f. 175 – Ad Cand. 2 102, 333, 337
Antike und mittelalterliche Autoren
– Ad Cand. 2 f. 175 – Ad Cand. 4 257 – 259, 285 – Ad Cand. 4 – 11 175 – 177 – Ad Cand. 5 f. 356 – Ad Cand. 7 412 – Ad Cand. 7 f. 444 – 450 – Ad Cand. 8 357 – Ad Cand. 8 f. 240 – Ad Cand. 9 258, 412 – Ad Cand. 10 330, 366 f., 372 – Ad Cand. 12.22 327 – Ad Cand. 12 – 16 177 – Ad Cand. 14 284 – 292 – Ad Cand. 16 102 – Ad Cand. 17 285, 343 – Ad Cand. 17 – 23 177 f. – Ad Cand. 20 81, 108 – Ad Cand. 24 – 30 178 – 180 – Ad Cand. 24 f. 412 – Ad Cand. 29 289 – Ad Cand. 30 285, 326 f., 333 – Ad Cand. 30 f. 103 – Ad Cand. 30 – 32 180 f. – Ad Cand. 31 339, 340 – Ad Cand. 32 59, 444 – Adv. Ar. I 1 115, 168 – 170, 271 – Adv. Ar. I 1 f. 181 f. – Adv. Ar. I 1.3 463 – Adv. Ar. I 3 302 – Adv. Ar. I 4 302 – Adv. Ar. I 3 – 27 182 – Adv. Ar. I 10 333 – Adv. Ar. I 12 108, 338, 344, 347 – Adv. Ar. I 12 f. 345 – Adv. Ar. I 13 236, 326, 330, 341 f. – Adv. Ar. I 14 297, 435 – 437, 506 – Adv. Ar. I 15 346 – Adv. Ar. I 17 59, 434 – Adv. Ar. I 18 118, 252 – 255, 290, 336 – Adv. Ar. I 19 269 – 275 – Adv. Ar. I 20 405, 419, 425, 463 – 465, 469, 473 – Adv. Ar. I 21 245 – Adv. Ar. I 22 277, 358, 416, 464 – Adv. Ar. I 22.28.45 414 – Adv. Ar. I 23 125, 184, 285, 331 – Adv. Ar. I 24 326 – Adv. Ar. I 26 360, 366, 371, 404, 435
581
– Adv. Ar. I 28 116, 135, 145 – Adv. Ar. I 28 – 32 111 – 113, 182 – 186 – Adv. Ar. I 29 481 – Adv. Ar. I 30 115, 241 – 244, 245, 335, 485 – Adv. Ar. I 31 121, 241, 314, 330, 334 – Adv. Ar. I 32 318, 473 – 475 – Adv. Ar. I 32 – 42 185 – 188 – Adv. Ar. I 36 128, 501 – Adv. Ar. I 37 325 – Adv. Ar. I 39 414, 432 f. – Adv. Ar. I 41 277, 343 – Adv. Ar. I 43 343 – Adv. Ar. I 43 – 47 188 f. – Adv. Ar. I 47 163, 434, 480 – Adv. Ar. Ib 48 194, 242, 312 – Adv. Ar. Ib 49 237, 260, 276, 283, 312 – Adv. Ar. Ib 49 – 53 194 – 196 – Adv. Ar. Ib 49 f. 260 f. – Adv. Ar. Ib 50 313 f. – Adv. Ar. Ib 51 315 – 318, 328, 366, 407 – Adv. Ar. Ib 52 238, 290, 328, 443 – Adv. Ar. Ib 53 2776 f. – Adv. Ar. Ib 54 163 – Adv. Ar. Ib 55 343, 346, 358, 466 – Adv. Ar. Ib 55 f. 240, 448 – Adv. Ar. Ib 55 – 59 196 – 198 – Adv. Ar. Ib 56 349,466 – 469 – Adv. Ar. Ib 57 318, 328, 359 – Adv. Ar. Ib 58 318 – 321, 348, 369, 416 – Adv. Ar. Ib 59 343, 457 – Adv. Ar. Ib 60 356, 366 – Adv. Ar. Ib 60 – 64 201 – Adv. Ar. Ib 61 374 – 382, 386, 412, 449 f., 452, 458 – 463, 469, 496 – Adv. Ar. Ib 61 f. 484 – Adv. Ar. Ib 62 376, 384, 405, 410 f., 496 – Adv. Ar. Ib 62 f. 388 – 403 – Adv. Ar. Ib 63 406, 469 – Adv. Ar. Ib 64 322, 403 – 410, 472, 476, 478 f., 486, 495 – Adv. Ar. II 1 121, 261 – Adv. Ar. II 1 f. 202 – Adv. Ar. II 2 481 – Adv. Ar. II 3.9 117 – Adv. Ar. II 3 – 11 202 f. – Adv. Ar. II 4 123, 244 – 250, 307, 377, 481 – Adv. Ar. II 6 457, 519
582
Antike und mittelalterliche Autoren
– Adv. Ar. II 8 142, 335 – Adv. Ar. II 9 116, 117, 154 – Adv. Ar. II 9 – 12 240 – Adv. Ar. II 10 f. 236 – Adv. Ar. II 11 288 – Adv. Ar. III 1 176, 249, 271, 274, 389, 445 – Adv. Ar. III 1 – 3 204 – 206 – Adv. Ar. III 2 312 – Adv. Ar. III 3 123, 237, 386, 398, 402, 411, 414 – 416, 484, 496, 500, 503, 515 – 517 – Adv. Ar. III 4 123 – Adv. Ar. III 4 – 17 206 – 210 – Adv. Ar. III 7 302, 340, 343 – Adv. Ar. III 8 238, 241, 338, 347 – Adv. Ar. III 10 327, 333 – Adv. Ar. III 11 484 – Adv. Ar. III 11 f. 505 – 510 – Adv. Ar. III 12 501, 519 – Adv. Ar. III 13 434, 456, 485 – Adv. Ar. III 14 347, 377, 500 – Adv. Ar. III 15 346, 347, 349, 510 – 513 – Adv. Ar. III 16 343, 348 – Adv. Ar. III 17 434 – Adv. Ar. III 17 f. 210 – Adv. Ar. III 18 513 – Adv. Ar. IV 1 279 f. – Adv. Ar. IV 1 – 15 211 – 215 – Adv. Ar. IV 3 326, 476, 479 – Adv. Ar. IV 5 326, 476, 479 – Adv. Ar. IV 6 484 – 488 – Adv. Ar. IV 7 404, 415 – Adv. Ar. IV 8 236 f., 277 – Adv. Ar. IV 9 370 – Adv. Ar. IV 10 286 – Adv. Ar. IV 10 f. 496 – Adv. Ar. IV 11 369 – 374, 420, 457 – 463, 476, 479, 480, 503, 518 – Adv. Ar. IV 13 299, 315, 479, 519 – Adv. Ar. IV 16 216 – Adv. Ar. IV 17 348 – Adv. Ar. IV 18 345, 346 – Adv. Ar. IV 19 103, 243, 244, 247, 279 – Adv. Ar. IV 20 282 – Adv. Ar. IV 21 330 – Adv. Ar. IV 22 481 – Adv. Ar. IV 23 269, 294 – Adv. Ar. IV 24 f. 497 – 499
– Adv. Ar. IV 25 359, 408, 463, 485 – Adv. Ar. IV 28 238, 470 – Adv. Ar. IV 30 – 33 217 – Adv. Ar. IV 31 103, 188, 277, 355, 360 – 364 – Adv. Ar. IV 32 358 – Cand. I 1 299 – Cand. I 1 – 3 172 – 174 – Cand. I 4 – 9 174 – Cand. I 6 286 – Cand. I 6 f. 359 – Cand. I 10 f. 174 – Cand. II 181 – Cand. II 2 115, 119, 271 – defin. p. 6,28 – 33 Stangl 77, 83 – defin. p. 18,3 – 19,3 Stangl 173 – defin. p. 21,12 – 22,6 Stangl 242 – defin. p. 25,16 f. Stangl 478 – defin. p. 28,1 – 7 Stangl 472 – defin. p. 29,13 – 28 Stangl 173 – homous. 1 120 – 122 – homous. 1 f. 217 – homous. 3 120 – homous. 3 f. 218 – homous. 4 119, 120 f., 236 – hymn. I 221 – hymn. I 3.5 348 – hymn. I 62 348 – hymn. I 71 f. 291 – hymn. II 73, 126, 221 – hymn. III 222 – hymn. III 10 290 – hymn. III 41 – 48 336 – hymn. III 82 f. 337 – hymn. III 205 – 207 348 – hymn. III 215 348 – in Eph. I prol. 1 – 5 110 f. – in Eph. I prol. 33 327 – in Eph. II prol. 16 71 – in Eph. 1,1 326, 455 – in Eph. 1,3 420 – in Eph. 1,4 105, 240, 360, 367, 399, 416, 420, 417 – 432, 441, 455 – 457, 485, 500 – In Eph. 1,4 – 6 333 – in Eph. 1,7 420, 450, 485 – in Eph. 1,9 – 10 436 – in Eph. 1,11 129, 454 – in Eph. 1,14 485
Antike und mittelalterliche Autoren
– in Eph. 1,20 – 23 421 – in Eph. 1,22 – 23 513 – 515 – in Eph. 2,1 240, 500 – in Eph. 2,1 – 2 94, 104, 436 – in Eph. 2,4 421 – in Eph. 2,10 416 – in Eph. 2,14 349 – in Eph. 2,15 480 – in Eph. 2,16 485 – in Eph. 2,17 502 – in Eph. 2,20 349, 517 – 519 – in Eph. 3,3 128, 342 – in Eph. 3,9 285, 325, 356, 501 – in Eph. 3,10 519 – in Eph. 3,16 500 – in Eph 4,1 443 – in Eph. 4,1 – 2 420 – in Eph. 4,9 507 – in Eph. 4,10 107, 511 – in Eph. 4,11 106 – in Eph. 4,11 – 12 140 f. – in Eph. 4,12 514, 517 – in Eph. 4,25 519 – in Eph. 4,26 517 – in Eph. 4,31 443 – in Eph. 5,6 434, 437 – in Eph. 5,18 411 – in Eph. 5,30 519 – in Eph. 5,32 407 – in Eph. 6,13 500 – in Eph. 6,14 278 – in Gal. I prol. 1 – 3 108 – in Gal. 1,1 – 2 128 – in Gal. 1,19 502, 506 – in Gal. 2,20 416 – in Gal. 3,28 278 – in Gal. 4,3 314, 511 – in Gal. 4,3 – 4 465 – in Gal. 4,4 72, 502 – in Gal. 4,6 469, 511 – in Gal. 4,7 105 – in Gal. 4,15 105 – in Gal. 4,17 105 – in Gal. 4,18 – 19 71 – in Gal. 5,8 106 – in Gal. 5,10 434 – in Gal. 5,17 398 f.
583
– in Gal. 6,8 434 – in Gal. 6,14 105, 106, 414, 416 – in Phil. 1,30 420 – in Phil. 2,6 – 8 94, 367, 415 – in Phil. 3,19 414 – in Phil. 3,20 434 – in Phil. 3,21 107, 404 – rhet. I praef. 75 – rhet. I praef. 1 – 2 88 – 90 – rhet. I 1,1 77 – rhet. I 1 – 2 145 – rhet. I 2 276 – rhet. I 2,2 80 – rhet. I 2,3 75 – rhet. I 5 77, 83 – rhet. I 6,8 89 – rhet. I 21,29 86 – rhet. I 24,34 – 35 80 – rhet. I 26,39 80 – rhet. I 29,44 78 – 86 – rhet. I 29,46 – 47 86 – rhet. I 43,80 81 f. – rhet. I 45,83 – 84 83 Mark Aurel – 6,44 362 Markell von Ankyra – fr. 47 Seibt 307 – fr. 48 Seibt 307 – fr. 51 Seibt 268 – fr. 52 f. Seibt 268 f. – fr. 70 Seibt 307 – fr. 85 Seibt 289 – fr. 85 – 89 Seibt 307 – fr. 87 Seibt 307 – fr. 91 Seibt 307 – fr. 99 – 112 Seibt 415 – fr. 104 Seibt 308 – fr. 105 Seibt 309 – fr. 109 Seibt 308 – fr. 110 Seibt 308 Maximus Confessor – qu. Thal. 41 487 – Variae definitiones (PG 91, 153AB) 329 Moderatus von Gades – apud Simpl. in phys. I 7 (230,36 – 231,1 Diels) 256
584
Antike und mittelalterliche Autoren
Nag Hammadi Codices – 2LogSeth NHC VII,2 p. 51,20 – 24 125 – 2LogSeth NHC VII,2 p.58,19 – 22 364 – 2LogSeth NHC VII,2 p. 59,17 f. 336 – ÄgEv NHC III,2 p. 41,10 344 – Allog NHC XI,3 p. 55,22 – 25 258 – Allog NHC XI,3 p. 55,26 – 30.61,32 – 39 264 – Allog NHC XI,3 p. 61,32 – 39 304 – Ascl NHC VI,8 p.67,1 385 – AuthLog NHC VI,3 p. 24,4 – 10.14 – 22 461 – AuthLog NHC VI,3 p. 25,27 – 26,33 429 – EpJac NHC I,2 p.7,1 – 6 342 – EV NHC I,3 p. 19,11 – 17 335 – EV NHC I,3 p. 22,33 – 35 336 – EV NHC I,3 p. 23,33 – 24,2 296 – EV NHC I,3 p. 27,9 303 – EV NHC I,3 p. 27,9 – 28,24 295 – EV NHC I,3 p. 37,24 – 26 336 – EV NHC I,3 p. 38,7 – 41,3 296 – EV NHC I,3 p. 39,24 – 26 336 – EvPhil Logion 125a NHC II,3 p. 84,21 – 85,21 277 – ExAn NHC II,6 p. 129,22 – 130,11 461 – ExAn NHC II,6 p.136,36 – 137,11 461 – HA NHC II,4 p. 94,9.11 277 – Noêma, NHC VI,4 p. 41,26 – 42,11 510 – Noêma NHC VI,4 p. 42,13 – 19 364 – TractTri NHC I,5 p. 55,3 – 14 283 – TractTrip NHC I,5 p. 57,33 – 58,8 340 – TractTrip NHC I,5 p. 60,1 – 75,17 322 – TractTrip NHC I,5 p. 60,16 – 37 290 – TractTri NHC I,5 p. 65,4 – 6 306 – TractTrip NHC I,5 p. 76,23 – 77,11 429 – TractTrip NHC I,5 p. 98,27 – 99,4 430 – TractTrip NHC I,5 p. 104,4 f. 386 – TractTrip NHC I,5 p. 126,26 – 38 430 – Zostr NHC VIII,1 p. 2,24 – 3,13 303 – Zostr. NHC VIII,1 p.16,5 – 11 283 – Zostr NHC VIII,1 p. 20,16 – 21.68,3 – 6.78,4 f79,5 – 9 264 – Zostr. NHC VIII,1 p. 64,11 – 66,14 303 – Zostr NHC VIII,1 p. 64,22 f. 283 – Zostr NHC VIII,1 p. 66,14 – 68,13 304 – Zostr NHC VIII,1 p. 67,2 – 4 304 – Zostr NHC VIII,1 p. 68,3 – 6.74,3 – 20 304 – Zostr. NHC VIII,1 p.75,21 – 81,21 305 – Zostr. NHC VIII,1 p. 81,12 f. 306
– Zostr NHC VIII,1 p. 83,2 306 – Zostr NHC VIII,1 p. 117,11 – 14 258 – Zostr NHC VIII,1 p. 128,7 – 14 430 Novatian – trin. 13,11 377 Optatus von Mileve – 2,4,1 – 4 51 Origenes – Cant. fr. 37 Fürst/Strutwolf 467 – Cant. prol. p. 67,17 – 25 Baehrens 461 – Cant. prol. p. 76,25 Baehrens 341 – Cant. I 1,5 p.90,5 Baehrens 515 – Cant. II p. 125,6 – 9 Baehrens 460 – Cant. II p. 157,13 – 19 Baehrens 422 – Cant. II p. 161,25 – 162,5 Baehrens 277 – Cant. III p. 218,28 – 30 Baehrens 140 – Cant. III 16,17 p. 232,20 – 22 Baehrens 515 – Cels. II 61 f. 512 – Cels. IV 3 423 – Cels. IV 68 424 – Cels. V 14 413 – Cels. V 15 f. 423 – Cels. V 20 424 – Cels. VI 63 407 – comm. ser. 57 f. in Mt 24,40 – 41 391 – dial. 6,7 – 8,17 509 – dial. 8,5 – 17 511 – dial. 12.15 f. 407 – dial. 25,13 – 15 516 – Hom. in Ex. IV 6 68 – Hom. in Ex. VIII 5 461 – Hom. in Ex. XIII 5 407 – Hom. in Ez. IV 1 491 – Hom. in Gen. I 13 507 – Hom. in Num. XII 1 486 – Hom. in Num. XVII 4 316 – Hom. in Ps. 15 II 8 509 – in Gen. comm. fr. D11 Metzler 409 – in Gen. comm. fr. D22 Metzler 397 – Jo. fr. 2 Preuschen 281 – Jo. I 277 284 – Jo. II 20 267 – Jo. VI 287 – 292 511 – Jo. X 245 511 – Jo. XIII 59 488 – Jo. XIX 182 422
Antike und mittelalterliche Autoren
– Jo. XXXII 394 – 397 509 – princ. I 1,6 326 – princ. I 1,8 277 – princ. I 2,2 363 – princ. I 2,6 267, 471 – princ. I 2,13 281 – princ. I 5,3 423, 492 – princ. I 6,2 423 f. – princ. I 6,3 423 – princ. II 1,3 491 – princ. II 1,4 413 – princ. II 2,2 413 – princ. II 3,1 – 5 423 – princ. II 3,2 424 – princ. II 3,3 424 – princ. II 3,4 424 – princ. II 3,7 424 – princ. II 6,3 400 – princ. II 8,1 519 – princ. II 8,2 f.5 506 – princ. II 8,3 516 – princ. II 10,4 – 8 423 – princ. II 10,8 423 – princ. III 2,3 422, 429 – princ. III 3,5 422 – princ. III 4,1 412 – princ. III 4,2 392 f. – princ. III 5,3 405, 423 – princ. III 5,4 422, 424 – princ. III 5,4 f. 422 – princ. III 5,5 363 – princ. III 6,1 424, 465 – princ. III 6,2 412 – princ. III 6,3 432 – princ. III 6,4 254 – princ. III 6,5 407 – princ. III 6,6 413, 423 – princ. III 6,6 – 9 424 – princ. IV 4,1 326 – princ. IV 4,6 413 – princ. IV 4,8 413 – sel. in Ez. 18,10 (PG 13, 817B) 516 – sel. in Ezech. 18,4 (PG 13, 816C) 515 Orosius – hist. VII 30 70
Petrus Damiani – ep. 31 459 Petrus-Akten – Act. Petr. 32 82 – Martyrium Petri 3 82 Philo von Alexandrien – Conf. 77 f. 428 – Her. 231 470 – Leg. I 31 393 – Leg. I 39 388 – Leg. I 88 393 – Leg. I 92 – 95 394 – Leg. II 40 – 42 395 – Opif. 134 407 – Opif. 136 f. 384 – Opif. 165 407 Philostorgius – h.e. 4,3 132, 133, 137 Phoebadius von Agen – c. Arian. 8,8 118 Pistis Sophia – 6 p. 8 f. 342 Platon – Lg. X 896d5-e6 373 – Lg. X 896e8 – 897c9 489 – Phd. 79c 458 – Phd. 102d-105e 479 – Phdr. 245c5 – 9 373 – Ti 29d7 – 30c1 488 – Ti. 29e-30a 328 – Ti. 30a2 – 5 369 – Ti. 30b 400 – Ti. 30b4 – 5 396 – Ti. 34a8-b9 489 – Ti. 35a1 – 6 445 – Ti. 36b-d 498 – Ti. 41ab 328 – Ti. 52a8-b2 368 – Ti. 52d4 – 5 366 – Ti. 68e-69e 370 – Ti. 69b2 – 5 370 Plotin – enn. I 8 (51) 3 – 5 370 – enn. I 8 (51) 14,19 – 24 371 – enn. I 8 (51) 14,35 f.42 f. 367 – enn. I 8 (51) 14,38.40 – 42 371 – enn. II 1 (40) 4,14 – 33 490
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Antike und mittelalterliche Autoren
– enn. II 4 (12) 3,4 f. 446 – enn. II 4 (12) 5,25 – 27 360 – enn. II 4 (12) 5,28 – 30 361 – enn. II 4 (12) 5,32 – 34 361 – enn. II 4 (12) 10 368 – enn. II 5 (25) 1 299 – enn. II 5 (25) 2,33 – 35 299 – enn. II 9 (33) 3,17 f. 360 – enn. II 9 (33) 5,8 – 11.16 – 18 394 – enn. II 9 (33) 6,60 – 62 489 – enn. II 9 (33) 18,14 – 17 396 – enn. III 6 (26) 7,7 – 9 372 – enn. III 6 (26) 7,7 – 15 357 – enn. III 8 (30) 10,5 – 12 480 – enn. III 8 (30) 11,19 299 – enn. III 7 (45) 11,20 – 43 301 – enn. ΙΙΙ 9 (13) 5 446 – enn. IV 2 (4) 1 445 – enn. IV 4 (28), 1,25 – 33 489 – enn. IV 3 (27) 4 – 7 500 – enn. IV 3 (27) 16 480 – enn. IV 4 (28) 11,21 – 28.16,4 – 6 489 – enn. IV 4 (28) 14.18 – 21.28 400 – 403 – enn. IV 4 (28) 22 496 – enn. IV 4 (28) 28 517 – enn. IV 7 (2) 3,15 – 35 372 – enn. IV 7 (2) 10,13 – 19 464 – enn. IV 7 (2) 11 479 – enn. IV 8 (6) 2,7 – 18 489 – enn. IV 8 (6) 7,11 – 14 499 – enn. IV 8 (6) 2,14 – 18.26 – 30 428 – enn. IV 9 (8) 482 – enn. V 1 (10) 1,4 462 – enn. V 1 (10) 2,1 – 44 490 – enn. V 1 (10) 3,7 275 – enn. V 1 (10) 3,7 f. 468 – enn. V 1 (10) 5 446 – enn. V 1 (10) 3, 12 – 25 340 – enn. V 1 (10) 6,12 – 15 275 – enn. V 1 (10) 6,37 – 39 300 – enn. V 1 (10) 6,45 f. 300 – enn. V 1 (10) 7,1 275 – enn. V 1 (10) 8,25 f. 480 – enn. V 3 (49) 4,20 f. 275 – enn. V 3 (49) 10,42 – 44 207 – enn. V 4 (7) 1,27 – 41 299 – enn. V 4 (7) 2,26 – 33 300
– enn. V 4 (7) 2,26 – 43 300 – enn. V 4 (7) 2,33 – 37 300 – enn. V 5 (32) 5,14 301 – enn. V 8 (31), 13,1 f. 501 – enn. V 9 (5) 4,10 – 12 446 – enn. V 9 (5) 6 291 – enn. VI 1 (42) 3,12 – 14 242 – enn. VI 1 (42) 22,29 – 32 301 – enn. VI 1 (42) 26,1 – 6 299 – enn. VI 2 (43) 22,28 – 33 482 – enn. VI 4 (22) 15 400 – 403 – enn. VI 7 (38) 7,6 – 16 381, 489 – enn. VI 7 (38) 35,7 – 12 275 – enn. VI 8 (39) 13,6 – 9 301 – enn. VI 8 (39) 18,15 301 – enn. VI 9 (9) 11,17 – 19 275 Plutarch – An. procr. 6, Moralia 68 1014e-1015a 373 – An. procr. 7, Moralia 68 1015de 373 – An. procr. 28, Moralia 68 1026e-1027a 373 Porphyrius – 222F Smith 490 – 297F,1 f. Smith 429 – 298F,1 – 10 Smith 428 – 377F Smith 508 – 406F Smith 85 – 436,6 – 10F Smith 517 – 436F Smith 448 – 438F,18 f. Smith 495 – abst. II 59 85 – Gaur. p. 34,11 – 20 Kalbfleisch 288 – Gaur. p 42,18 – 22 Kalbfleisch 396 – in Harm. p. 13,7 – 9 Raffa 448 – in Harm. p. 13,10 – 14,13 Raffa 448 – in Harm. p. 18,2 – 8 Düring (19 Raffa) 86 – in Ti. fr. 47.49 Sodano 382 – in Ti. fr. 51 Sodano (39,10 – 13) 361 – in Ti. fr. 53 Sodano 490 – in Ti. fr. 55 Sodano (41,19 f.) 361 – in Ti. fr. 69,13 – 20 Sodano 490 – Marc. 18 85 – Plot. 7,29 – 32 146 – Plot. 16,12 – 18 337 351 – Plot. 16,14 – 18 342 – sent. 5 445 – sent. 10 370 – sent. 29 458, 508
Antike und mittelalterliche Autoren
Proclus – in Prm. I 661,2 f. Steel 396 – in Prm. VI, 1084,8 – 14 Steel 293 – in Prm. VI, 1106,20 – 24 Steel 316 – in Prm. VI, 1107,8 – 16 Steel 293 – in Prm. VI 1114,1 – 5 Steel 293 – in Ti. I 80,8 – 11 Diehl 195 – in Ti. II 153,5 – 14,9 Diehl 445 – in Ti. II 242,22 – 245,23 Diehl 498 – in Ti. III 234,8 – 235,9 Diehl 517 – in Ti. III 348,6 – 20 Diehl 450 – Inst. 72 361 – Theol. Plat. 4 p. 81,14 – 16 Saffrey/Westerink Ps. Apuleius – Ascl. 22 385 Ps.-Athanasius – Ar. IV 1 281, 289, 344 – Ar. IV 1 f. 278 – Ar. IV 5 334 – Ar. IV 11 315, 344 – Ar. IV 11 f. 317 – Ar. IV 14 426 – Ar. IV 21 f. 337, 414 – Ar. IV 24 415 – inc. et c. Ar. 2 (PG 26, 988 A) 280 – inc. et c. Ar. 4 (PG 26, 989BC) 330 – inc. et c. Ar. 12 (PG 26, 1004B) 512 – inc. et c. Ar. 21 516 Ps.-Demetrius von Phaleron – eloc. 223 160 Ps.-Gregor von Nyssa – or. 2 in Gen 1,26 p. 43,8 – 10 Hörner 385 – or. 2 in Gen 1,26 p. 60,10 – 64,12 Hörner 385 Ps.-Jamblich – Theol. Ar. p. 3 Ast 292, 305 – Theol. Ar. p. 5 Ast 291 – Theol. Ar. p. 5 f. Ast 291 – Theol. Ar. p. 7 – 12 Ast 340 Ps.-Justin – De resurrectione 6,5 – 10 408 – De resurrectione 7,3 – 6 408 – De resurrectione 7,10 398 – De resurrectione 10,3 396 Quintilian – inst. I 1,1 92 – inst. II 16,11 – 19
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– inst. II 20,5 – 7 92 – inst. VI 1,2 224 – inst. XII 2,26 83 Rufin von Aquileja – hist. X 23 136 – Orig. in Rom. 5,6 – symb. 16,1 508
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Sidonius Apollinaris – carm. VIII 8 57 – ep. IX 16,25 – 28 57 Socrates Scholasticus – h.e. II 37,92 136 – h.e. II 46,2 71 – h.e. II 46,4 – 6 98 – h.e. III 7,1 – 10 125 – h.e. III 16 71 – h.e. III 25,3 135 – h.e. IV 26,6 98 Sozomenus – h.e. IV 11,11 136 – h.e. IV 11,12 132 – h.e. IV 15,5 137 – h.e. IV 15,5 f. 137 – h.e. IV 24,6 113 – h.e. VI 17,1 98 Sueton – Vesp. 18 52 Sulpicius Severus – chron. II 39 132 Symmachus – epist. I 79 52 – epist. IX 2 147 – rel. 3,10 84 – rel. 5 52 Synesius von Kyrene – hymn. I 428 – 495 73 – hymn. I 678 – 683 460 – hymn. II 94 – 100 328 – hymn. II 97 – 116 349 – hymn. II 101 320 – hymn. III 53 f.64 f. 349 – hymn. V 65 344 Tacitus – dial. 36 – 41
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Antike und mittelalterliche Autoren
Tatian – orat. 4,3 400 – orat. 5,6 364 f. – orat. 5,7 365 – orat. 12,2 364 f. – orat. 12,5 385 Tertullian – adv. Marc. III 5,4 128 – adv. Marc. IV 8,6 381 – adv. Marc. IV 29,7 381 – adv. Marc. V 14,9 381 – adv. Marc. V 20,3 f. 415 – adv. Prax. 8,7 287 – anim. 6,8 f. 287 – anim. 20,6 481 – anim. 21,1 482
– carn. 16 f. 128 – resurr. 6,3 – 6 406 – resurr. 26,7 254 Themistius – or. III 145 – or. V 68c-69a 85 – or. XVII 214b 145 Theodoret – h.e. II 16,1 – 26 132 – h.e. II 17,1 – 4 132 – h.e. II 17,3 136 Turiner Parmenideskommentar – in Prm. fr. 5 f. 263 Ulpian – dig. 1,1,1,1
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