Marias Lied in Luthers Deutung: Der Kommentar zum Magnifikat (Lk 1,46b-55) aus den Jahren 1520/21 9783161490668, 9783161585487, 3161490665

Martin Luthers Übersetzung und Deutung des Magnifikat ist ein hervorragendes Beispiel der Bemühungen von spätmittelalter

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German Pages 209 [223] Year 2007

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Luther als Exeget der vorkritischen Phase
1.2. Nur mit den Augen des Glaubens ist zu erkennen, wie Gott im Verborgenen tätig ist
1.3. Medizinischer Kenntnisstand und theologische Aussage
1.4. Differenzen in der Anschauung vom Wert des menschlichen Lebens zwischen Luthers Zeit und der Gegenwart
1.5. Einordnung von Luthers Schrift in ihren historischen Kontext: Die Situation des Autors Luther zu dieser Zeit
1.6. Der Adressat des Widmungsbriefs und des Schlußworts, Herzog Johann Friedrich von Sachsen
1.7. Die ‚Einfältigen‘ als Adressaten des Hauptteils von Luthers Schrift
1.8. Der Aufbau der Schrift im Überblick
1.9. Huldrych Zwingli und Thomas Müntzer über das erste Kapitel des Lukasevangeliums
1.10. Luthers Kommentar zum Magnifikat – eine Brücke zwischen der römisch-katholischen und den evangelisch-lutherischen Kirchen?
1.11. Zur Benutzung dieses Kommentars
2. Kommentar
2.1. Der Widmungsbrief (StuA 1, 314, 2–316, 11)
2.2. Die Gesamtübertragung (StuA 1, 316, 12–30)
2.3. Die Vorrede (StuA 1, 317, 1–319, 32)
2.4. Lk 1, 46b: „Meine Seele erhebt Gott, den Herrn“ (StuA 1, 319, 33–325, 26)
2.4.1. „Meine Seele“ (StuA 1, 320, 10–323, 5)
2.4.2. „Magnificat“ (StuA 1, 323, 7–324, 32)
2.4.3. Zwei gefährdete Menschengruppen
2.4.3.1. Menschen, die Gott nur dann und nur so lange loben, wie die Güte Gottes sich darin äußert, daß sie Güter schenkt
2.4.3.2. Menschen, die Gott weder lieben noch loben, weil sie sich Gottes Gaben selbst anmaßen
2.4.4 „Gott, den Herrn“ (StuA 1, 324, 32–325, 26)
2.5. Lk 1, 47: „Vnd meyn Geist frewet sich yn Got meynen heyland“ (StuA 1, 325, 27–328, 33)
2.5.1. „meynen heyland“ (StuA 1, 325, 29–326, 10)
2.5.2. David als positives Gegenbeispiel für die erste der gefährdeten Gruppen von Menschen
2.5.3. Maria als positives Gegenbeispiel für die zweite der gefährdeten Gruppen von Menschen
2.5.4. Das negative Beispiel: Grobe und subtilere falsche Prediger und Heilige
2.6. Lk 1, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magd. Dauon werden mich selig preyssen alle kinds kind“ (StuA 1, 328, 34–338, 4)
2.6.1. ‚Tapeinosis‘ darf man nicht mit ‚Demut‘ übersetzen (StuA 1, 328, 37–329, 12)
2.6.2. Das Reden von ‚humiliare‘ in der Bibel (StuA 1, 329, 13–27)
2.6.3. Marias ‚humilitas‘ ist ‚Nichtigkeit‘, ‚unansehnliches Wesen‘ (StuA 1, 329, 28–330, 12)
2.6.4. Exkurs: Maria erwirbt nicht etwa durch die Tugend der Demut Verdienst und wird dadurch zum unerreichbaren Vorbild, sondern muß gerade in ihrer Niedrigkeit und Nichtigkeit betrachtet werden (StuA 1, 330, 13–337, 25)
2.6.4.1. Abgelehntes Verhalten: Demut spielen (StuA 1, 330, 18–31)
2.6.4.2. Empfohlenes Verhalten: Wirklich bescheiden sein (StuA 1, 330, 32–331, 4)
2.6.4.3. Empfohlenes Verhalten: Rechte Demut (StuA 1, 331, 5–16)
2.6.4.4. Abgelehntes Verhalten: Falsche Demut (StuA 1, 331, 17–24)
2.6.4.5. Gott selbst verwandelt die Blickrichtung. Lebensumstände sind nicht entscheidend (StuA 1, 331, 25–42)
2.6.4.6. Weil wahre Demut mit Seligkeit belohnt wird, darf sie auf Erden ihrer selbst nicht ansichtig werden (StuA 1, 332, 1–17)
2.6.4.7. Lk 1, 48 lehrt Gott recht erkennen (StuA 1, 332, 18–33)
2.6.4.8. Hat man zuerst die Güte Gottes gelobt, dann ist es angemessen, die Güter zu loben, die er schenkt (StuA 1, 332, 34–333, 2)
2.6.4.9. Maria lehrt damit zum ersten: Jeder lobe Gott zunächst für das, was er mit ihm wirkt (StuA 1, 333, 3–15)
2.6.4.10. Exkurs innerhalb des Exkurses über Demut: Vermessene verführte Verführer verschenken vermeintlich gute Werke (StuA 1, 333, 16–32)
2.6.4.11. Rückkehr zum Hauptthema des Exkurses: Jeder lobe Gott zunächst für das, was er mit ihm wirkt (StuA 1, 333, 32–334, 4)
2.6.4.12. Maria lehrt damit zum zweiten: Jeder soll sich darum bemühen, der erste zu sein, wenn es darum geht, Gottes Güte zu loben, die sich in Werken an ihm und an anderen erweist (StuA 1, 334, 5–19)
2.6.4.13. Undankbarkeit für unerkannte Güter Gottes (StuA 1, 334, 20–335, 14)
2.6.4.14. Maria lobt Gottes An-Sehen (StuA 1, 335, 15–28)
2.6.4.15. Maria lehrt, wie wir sie ehren sollen (StuA 1, 335, 28–336, 21)
2.6.4.16. Maria recht ehren I: Anreiz zur Liebe und zum Lobe Gottes (StuA 1, 336, 22–33)
2.6.4.17. Maria recht ehren II: Furcht vor der Hoheit, die Menschen erstreben (StuA 1, 336, 34–337, 11)
2.6.4.18. Maria recht ehren III: Ziel aller Heiligenleben ist es, zum Glauben zu führen (StuA 1, 337, 12–337, 25)
2.6.5. „Omnes generationes“ (StuA 1, 337, 26–37)
2.6.6. „Makariousi“ (StuA 1, 337, 38–338, 4)
2.7. Lk 1, 49: „Den er hat mir gethan grosz ding Der do ist mechtig / vnd heylig ist sein name“ (StuA 1, 338, 5–342, 39)
2.7.1. „Den er hat mir gethan grosz ding“ (StuA 1, 338, 7–340, 23)
2.7.2. „Der do mechtig ist“ (StuA 1, 340, 24–341, 22)
2.7.3. „Vnnd heylig ist sein name“ (StuA 1, 341, 23–342, 39)
2.7.3.1. Maria heiligt Gottes Namen (StuA 1, 341, 23–342, 3)
2.7.3.2. Definitionen von ‚Name‘, ‚heilig‘, ‚Gottes Namen heiligen‘ (StuA 1, 342, 4–342, 20)
2.7.3.3. Applikation: Ehre und Lob recht gebrauchen (StuA 1, 342, 21–39)
2.8. Lk 1, 50: „Vnd seyne barmhertzickeit weret von einem geschlecht ynsz ander / Denen die yhn furchten“ (StuA 1, 343, 1–349, 30)
2.9. „Das erst werck gottis / die Barmhertzickeit“ (StuA 1, 344, 25–349, 30)
Exkurs: Sich zum Recht bekennen. Recht durchsetzen
2.10. Lk 1, 51: „Das ander werck gottis / Geistliche hoffart zestoren. Er hat gewalt vbet mit seynem arm: Vnd zurstrewet die hoffertigen ym gemut yhres hertzen“ (StuA 1, 349, 31–352, 40)
2.10.1. „Er hat Gewalt vbet mit seynem arm“ (Lk 1, 51a) (StuA 1, 349, 40–351, 25)
2.10.2. „Er zustoret die hoffertig sind“ (Lk 1, 51b) (StuA 1, 351, 26–352, 9)
2.10.3. „ym gemut yhres hertzen“ (StuA 1, 352, 10–40)
2.11. Lk 1, 52a: „Das dritte werck / Nydrigen die hohen. Er hat abgesetzt die gewaltigen von yhren stuelen“ (StuA 1, 353, 1–354, 17)
2.12. Lk 1, 52b: „Das Vierd werck / Erhohung der nydrigen. Vnd er hat erhaben die nydrigen“ (StuA 1, 354, 18–31)
2.13. Lk 1, 53: „Das Funfft vnd Sechst werck. Er hat die hungrigen gesettiget mit guttern / Vnd die reichen hat er leer gelassen.“ (StuA 1, 355, 1–357, 44)
2.13.1. „die hungrigen“ (StuA 1, 355, 4–357, 14)
2.13.2. „Er hat... gesettiget mit guttern“ (StuA 1, 357, 15–32)
2.13.3. „Vnd die reichen hat er leer gelassen“ (StuA 1, 357, 33–44)
2.14. Lk 1, 54: „Er hat auffgenommen Israel seinenn diener / Nach dem er gedacht an seine barmhertzickeit“ (StuA 1, 358, 1–359, 29)
2.15. Lk 1, 55: „Vuie er gered hat zu vnsern vettern Abraham vnd seinem samen in ewickeit“ (StuA 1, 359, 30–362, 26)
2.16. Schlußwort an Herzog Johann Friedrich von Sachsen (StuA 1, 362, 27–364, 15)
2.17. Die Übersetzung des Gebets Salomos (StuA 1, 364, 16–43) und die Gebete in der Magnifikat-Auslegung
3. Charakteristika von Luthers Übersetzung und Auslegung des Magnifikat
3.1. Gottes Art, anzusehen und zu handeln
3.2. Luthers Gliederung des Magnifikat und seine besondere Akzentsetzung: Hochmütige vertrauen auf sich selbst statt auf Gott und verweigern ihm dadurch Glauben und Lob
3.3. Gottes Weise, zu erniedrigen und zu erhöhen
3.4. Maria recht ehren
3.5. Die Neubewertung der Vokabel ‚humilitas‘
3.6. Das Magnifikat als Fürstenspiegel
Quellen- und Literaturverzeichnis
Bibelstellenregister
Personenregister
Sachregister
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Marias Lied in Luthers Deutung: Der Kommentar zum Magnifikat (Lk 1,46b-55) aus den Jahren 1520/21
 9783161490668, 9783161585487, 3161490665

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Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe begründet von Heiko A. Oberman herausgegeben von Berndt Hamm in Verbindung mit Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling 34

Christoph Burger

Marias Lied in Luthers Deutung Der Kommentar zum Magnifikat (Lk 1, 46b-55) aus den Jahren 1520/21

Mohr Siebeck

CHRISTOPH BURGER, geboren 1945, Professor für Kirchengeschichte (Theologische Fakultät der Vrije Universiteit Amsterdam).

978-3-16-158548-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

ISBN 978-3-16-149066-8 ISSN 0937-5740 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Minion belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Martin Luther hat im Laufe seines Lebens Marias Lied, das Magnifikat, oft gebetet. Er hat Predigten über diesen biblischen Text gehalten, und er hat ihn in den für seinen Werdegang entscheidenden Jahren 1520/21 ins Deutsche übersetzt und ausgelegt. Diese Übersetzung und Exegese des Magnifikat hat in der Lutherforschung jedoch bisher nicht die Beachtung gefunden, die sie verdient. Andere Schriften aus diesen Jahren wie der ,Sermon von den guten Werken', ,An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung', ,De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium', ,Von der Freiheit eines Christenmenschen' und ,De votis monasticis iudicium' sind weit intensiver erforscht worden. Dazu hat beigetragen, daß Wilhelm Maurer Luthers Übersetzung und Auslegung des Magnifikat als .Erbauungsschrift' bezeichnet und von Werken, die er der .eigentlichen', thetischen Theologie zurechnete, unterschieden hat. Seine Einordnung erwies sich als folgenreich, weil die Worte ,Erbauung' und erst recht ,erbaulich' im allgemeinen Sprachgebrauch einen negativen Klang hatten und haben. Das führte dazu, daß der inhaltliche Reichtum von Luthers Übersetzung und Exegese des Magnifikat bisher nicht angemessen wahrgenommen worden ist. Die Arbeit an kritischen Editionen zweier Schriften von Luthers älterem Erfurter Ordensbruder Johannes von Paltz OESA (um 1445-1511) und an einer Monographie über den Pariser Theologieprofessor und Universitätskanzler Jean Gerson (13631429) hat mein Interesse für das Bemühen spätmittelalterlicher und reformationszeitlicher Theologen geweckt, Ergebnisse ihrer akademischen Tätigkeit in den Volkssprachen einem breiteren Kreis von Lesefähigen und durch deren Vermittlung auch Gesprächspartnern und Hörern nahezubringen. Weitaus angemessener als Maurers Bezeichnung von Luthers Übersetzung und Exegese des Magnifikat als ,Erbauungsschrift' scheint es mir denn auch zu sein, sie im Rahmen des Bemühens spätmittelalterlicher und reformatorischer Theologen zu verstehen, Ergebnisse der eigenen theologischen Arbeit für die Frömmigkeit breiterer Schichten fruchtbar zu machen. Berndt Hamm hat dafür die Bezeichnung ,Frömmigkeitstheologie' geprägt. Mein besonderer Dank gilt dem Herausgeber der Reihe .Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe' Berndt Hamm und seinen Mitherausgebern Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling für die Aufnahme meines Buches in ihre Reihe. Mit Berndt Hamm verbindet mich seit den Jahren unserer gemeinsamen Arbeit im Sonderforschungsbereich 8 der Deutschen Forschungsgemeinschaft ,Spätmittelalter und Reformation' 1975-1981 eine Freundschaft, die über das gemeinsame Interesse an der .Frömmigkeitstheologie' hinausreicht. Dankbar denke ich auch an die Anregungen

VI

Vorwort

aus meiner Zeit als Leiter der Arbeit an den Registern zur Hauptabteilung Schriften der Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers, an die Besuche der Kommission zur Herausgabe der Werke Martin Luthers unter Leitung von Gerhard Ebeling ( t ) , an die Direktoren des Instituts für Spätmittalter und Reformation, meinen zweiten Lehrer Heiko Augustinus Oberman ( t ) u n d seinen Nachfolger Ulrich Köpf, und an die Kolleginnen und Kollegen, die auf der Basis ihrer profunden Kenntnis der Schriften Luthers die Artikel für die Register verfaßten. Danken möchte ich auch dem Direktor, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ,Netherlands Institute for Advanced Study in the Humanities and Social Sciences', als dessen fellow ich in der inspirierenden Gesellschaft der anderen fellows an diesem Buch habe arbeiten können, und dem derzeitigen Dekan der Faculteit der Godgeleerdheid, Tjitze Baarda, der mich auf die Möglichkeit hinwies, mich u m diese fellowship zu bewerben. Ebenso dankbar bin ich Frau Petra Seegets, Habilitandin am Lehrstuhl für Neuere Kirchengeschichte der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg, die sich mein Typoscript zur Vorbereitung einer Lehrveranstaltung auslieh und es mir mit einer Fülle hilfreicher Hinweise versehen zurückgab, sowie Frau Julia Schnizlein, die mir - damals noch als studentische Hilfskraft - zahlreiche Tips zur Verbesserung von Text und Anmerkungen gab. Wertvolle kritische Anmerkungen zu Vorträgen, die aus der Arbeit an diesem Buch erwachsen sind, haben die Kollegen vom Leitungskreis der interkonfessionellen Arbeitsgruppe Lutherforschung in den Niederlanden' Dick Akerboom, Theo Bell u n d Klaas Zwanepol, mein Vorgänger auf dem Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der theologischen Fakultät der Vrije Universiteit Amsterdam Cornelis Augustijn, meine Kollegin und meine Kollegen in der Fachgruppe Kirchengeschichte Mirjam van Veen, Jasper Vree, Frans R van Stam, August den Hollander und Wim Janse beigesteuert. Die Kollegen Jacques Berlioz, Michael Beyer, J. Kremer, Y.G. Vellenga u n d viele andere haben mir wertvolle Anregungen gegeben. Für hilfreiche Hinweise u n d für gute Zusammenarbeit bei der Herstellung des Buches danke ich Herrn Henning Ziebritzki u n d Frau Jana Trispel im Verlag Mohr Siebeck. Amsterdam,

30. April 2006

Christoph Burger

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

1. Einleitung

1

1.1. Luther als Exeget der vorkritischen Phase

1

1.2. Nur mit den Augen des Glaubens ist zu erkennen, wie Gott im Verborgenen tätig ist

3

1.3. Medizinischer Kenntnisstand und theologische Aussage

5

1.4. Differenzen in der Anschauung vom Wert des menschlichen Lebens zwischen Luthers Zeit und der Gegenwart

7

1.5. Einordnung von Luthers Schrift in ihren historischen Kontext: Die Situation des Autors Luther zu dieser Zeit

7

1.6. Der Adressat des Widmungsbriefs und des Schlußworts, Herzog Johann Friedrich von Sachsen

9

1.7. Die ,Einfältigen'als Adressaten des Hauptteils von Luthers Schrift . .

10

1.8. Der Aufbau der Schrift im Überblick 1.9. Huldrych Zwingli und Thomas Müntzer über das erste Kapitel des Lukasevangeliums

14 15

1.10. Luthers Kommentar zum Magnifikat - eine Brücke zwischen der römisch-katholischen und den evangelisch-lutherischen Kirchen? . .

19

1.11. Zur Benutzung dieses Kommentars

20

2. Kommentar

23

2.1. Der Widmungsbrief (StuA 1,314, 2-316, 11)

23

2.2. Die Gesamtübertragung (StuA 1, 316, 12-30)

28

2.3. Die Vorrede (StuA 1, 317, 1-319, 32)

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2.4. Lk 1, 46b: „Meine Seele erhebt Gott, den Herrn" (StuA 1, 319, 33-325, 26) 2.4.1. „Meine Seele" (StuA 1, 320, 10-323, 5) 2.4.2. „Magnificat" (StuA 1, 323, 7-324, 32)

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Vili

Inhaltsverzeich

n is

2.4.3. Zwei gefährdete Menschengruppen 2.4.3.1. Menschen, die Gott nur dann und nur so lange loben, wie die Güte Gottes sich darin äußert, daß sie Güter schenkt 2.4.3.2. Menschen, die Gott weder lieben noch loben, weil sie sich Gottes Gaben selbst anmaßen 2.4.4 „Gott, den Herrn" (StuA 1, 324, 32-325, 26)

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50 50 51

2.5. Lk 1, 47: „Vnd meyn Geist frewet sich yn Got meynen heyland" (StuA 1,325,27-328,33) 2.5.1. „meynen heyland" (StuA 1, 325, 29-326, 10) 2.5.2. David als positives Gegenbeispiel für die erste der gefährdeten Gruppen von Menschen 2.5.3. Maria als positives Gegenbeispiel für die zweite der gefährdeten Gruppen von Menschen 2.5.4. Das negative Beispiel: Grobe und subtilere falsche Prediger und Heilige 2.6. Lk 1, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magd. Dauon werden mich selig preyssen alle kinds kind" (StuA 1,328, 34-338,4) 2.6.1. ,Tapeinosis' darf man nicht mit,Demut* übersetzen (StuA 1, 328, 37-329, 12) 2.6.2. Das Reden von .humiliare'in der Bibel (StuA 1, 329, 13-27) . 2.6.3. Marias ,humilitas' ist .Nichtigkeit', .unansehnliches Wesen' (StuA 1, 329, 28-330, 12) 2.6.4. Exkurs: Maria erwirbt nicht etwa durch die Tugend der Demut Verdienst und wird dadurch zum unerreichbaren Vorbild, sondern m u ß gerade in ihrer Niedrigkeit und Nichtigkeit betrachtet werden (StuA 1,330, 13-337, 25) . . . 2.6.4.1. Abgelehntes Verhalten: Demut spielen (StuA 1, 330, 18-31) 2.6.4.2. Empfohlenes Verhalten: Wirklich bescheiden sein (StuA 1,330,32-331,4) 2.6.4.3. Empfohlenes Verhalten: Rechte Demut (StuA 1,331,5-16) 2.6.4.4. Abgelehntes Verhalten: Falsche Demut (StuA 1, 331, 17-24) 2.6.4.5. Gott selbst verwandelt die Blickrichtung. Lebensumstände sind nicht entscheidend (StuA 1,331,25-42) 2.6.4.6. Weil wahre Demut mit Seligkeit belohnt wird, darf sie auf Erden ihrer selbst nicht ansichtig werden (StuA 1, 332, 1-17) 2.6.4.7. Lk 1, 48 lehrt Gott recht erkennen (StuA 1,332, 18-33)

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Inhaltsverzeichnis

2.6.4.8. Hat man zuerst die Güte Gottes gelobt, dann ist es angemessen, die Güter zu loben, die er schenkt (StuA 1, 332, 34-333, 2) 2.6.4.9. Maria lehrt damit zum ersten: Jeder lobe Gott zunächst für das, was er mit ihm wirkt (StuA 1, 333, 3-15) 2.6.4.10. Exkurs innerhalb des Exkurses über Demut: Vermessene verführte Verführer verschenken vermeintlich gute Werke (StuA 1, 333, 16-32) . . . . 2.6.4.11. Rückkehr zum Hauptthema des Exkurses: Jeder lobe Gott zunächst für das, was er mit ihm wirkt (StuA 1,333,32-334,4) 2.6.4.12. Maria lehrt damit zum zweiten: Jeder soll sich darum bemühen, der erste zu sein, wenn es darum geht, Gottes Güte zu loben, die sich in Werken an ihm und an anderen erweist (StuA 1, 334, 5-19) 2.6.4.13. Undankbarkeit für unerkannte Güter Gottes (StuA 1, 334, 20-335, 14) 2.6.4.14. Maria lobt Gottes An-Sehen (StuA 1, 335, 15-28) . . 2.6.4.15. Maria lehrt, wie wir sie ehren sollen (StuA 1,335, 28-336, 21) 2.6.4.16. Maria recht ehren I: Anreiz zur Liebe und zum Lobe Gottes (StuA 1, 336, 22-33) 2.6.4.17. Maria recht ehren II: Furcht vor der Hoheit, die Menschenerstreben (StuA 1, 336, 34-337, 11) . . . . 2.6.4.18. Maria recht ehren III: Ziel aller Heiligenleben ist es, zum Glauben zu führen (StuA 1, 337, 12-337, 25) . . 2.6.5. „Omnes generationes" (StuA 1, 337, 26-37) 2.6.6. „Makariousi" (StuA 1, 337, 38-338, 4) 2.7. Lk 1, 49: „Den er hat mir gethan grosz ding Der do ist mechtig / vnd heylig ist sein name" (StuA 1, 338, 5-342, 39) 2.7.1. „Den er hat mir gethan grosz ding" (StuA 1,338, 7-340, 23) . 2.7.2. „Der do mechtig ist" (StuA 1, 340, 24-341, 22) 2.7.3. „Vnnd heylig ist sein name" (StuA 1,341, 23-342, 39) . . . . 2.7.3.1. Maria heiligt Gottes Namen (StuA 1, 341, 23-342, 3) 2.7.3.2. Definitionen von ,Name',,heilig', .Gottes Namen heiligen (StuA 1,342, 4-342, 20) 2.7.3.3. Applikation: Ehre und Lob recht gebrauchen (StuA 1, 342, 21-39) 2.8. Lk 1, 50: „Vnd seyne barmhertzickeit weret von einem geschlecht ynsz ander / Denen die yhn furchten" (StuA 1, 343, 1-349, 30) . . . 2.9. „Das erst werck gottis / die Barmhertzickeit" (StuA 1, 344, 25-349, 30)

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Inhaltsverzeichnis

Exkurs: Sich zum Recht bekennen. Recht durchsetzen

118

2.10. Lk 1, 51: „Das ander werck gottis / Geistliche hoffart zestoren. Er hat gewalt vbet mit seynem arm: Vnd zurstrewet die hoffertigen ym gemut yhres hertzen" (StuA 1, 349, 31-352, 40) 2.10.1. „Er hat Gewalt vbet mit seynem arm" (Lk 1, 51a) (StuA 1,349, 40-351, 25) 2.10.2. „Er zustoret die hoffertig sind" (Lk 1, 51b) (StuA 1,351,26-352,9) 2.10.3. „ym gemut yhres hertzen" (StuA 1, 352, 10-40)

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2.11. Lk 1, 52a: „Das dritte werck / Nydrigen die hohen. Er hat abgesetzt die gewaltigen von yhren stuelen" (StuA 1, 353, 1-354, 17)

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2.12. Lk 1, 52b: „Das Vierd werck / Erhöhung der nydrigen. Vnd er hat erhaben die nydrigen" (StuA 1, 354, 18-31)

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2.13. Lk 1, 53: „Das Funfft vnd Sechst werck. Er hat die hungrigen gesettiget mit guttern / Vnd die reichen hat er leer gelassen." (StuA 1, 355, 1-357, 44) 2.13.1. „die hungrigen" (StuA 1, 355, 4-357, 14) 2.13.2. „Er hat...gesettiget mit guttern" (StuA 1,357, 15-32) . . . . 2.13.3. „Vnd die reichen hat er leer gelassen" (StuA 1, 357, 33-44) .

151 151 158 159

2.14. Lk 1, 54: „Er hat auffgenommen Israel seinenn diener / Nach dem er gedacht an seine barmhertzickeit" (StuA 1, 358, 1-359, 29)

160

2.15. Lk 1, 55: „Vuie er gered hat zu vnsern vettern Abraham vnd seinem samen in ewickeit" (StuA 1, 359, 30-362, 26)

166

2.16. Schlußwort an Herzog Johann Friedrich von Sachsen (StuA 1, 362, 27-364, 15)

172

2.17. Die Übersetzung des Gebets Salomos (StuA 1, 364, 16-43) und die Gebete in der Magnifikat-Auslegung

176

3. Charakteristika von Luthers Übersetzung und Auslegung des Magnifikat 3.1. Gottes Art, anzusehen und zu handeln

.

179 179

3.2. Luthers Gliederung des Magnifikat und seine besondere Akzentsetzung: Hochmütige vertrauen auf sich selbst statt auf Gott und verweigern ihm dadurch Glauben und Lob

180

3.3. Gottes Weise, zu erniedrigen und zu erhöhen

181

3.4. Maria recht ehren

182

3.5. Die Neubewertung der Vokabel ,humilitas'

182

3.6. Das Magnifikat als Fürstenspiegel

184

Quellen-und Literaturverzeichnis Bibelstellenregister Personenregister Sachregister

187 199 203 205

1. Einleitung 1.1. Luther als Exeget der vorkritischen Phase Dieses Buch verfolgt zwei Ziele: Es will eine wichtige Schrift Luthers durchgehend kommentieren, und es will diese Schrift in den Zusammenhang der Aktivitäten des Theologieprofessors Luther für Laien stellen. Luthers Magnifikat-Auslegung ist bereits 1525 ins Lateinische übersetzt worden. Das beweist, daß diese ursprünglich für einen breiteren volkssprachigen Leserkreis bestimmte Schrift gehaltvoll genug gefunden wurde, auch Lateinkundige anzusprechen. Luthers Exegese geht sowohl vom griechischen Urtext als auch von einer lateinischen Übersetzung aus. Einerseits bezieht sich Luther auf griechische Vokabeln wie ,tapeinophrosyne l oder ,makariousi 1 .' Andererseits aber beweisen seine Aussagen über ,humiliare', 2 ,humilitas' 3 und ,omnes generationes', 4 daß Luther öfters auch vom lateinischen Text ausgeht. Der biblische Text, den Luther auslegte, das Magnifikat, nahm in der Liturgie einen zentralen Platz ein. Es war Bestandteil des mönchischen Stundengebets und des Priesterbreviers. Im täglichen Vespergottesdienst hatte Luther es als Mönch zu dem Zeitpunkt, zu dem er seinen Kommentar schrieb, ungefähr 5500 mal gebetet. Er hatte auch bereits mehrfach darüber gepredigt. 5 In den beiden Schritten des ,verdeutschens' und des ,auslegens', die im Titel der Schrift genannt werden, sind zwei selbständige Leistungen Luthers zu sehen. Freilich sind sie eng miteinander verzahnt. Bestimmt doch die Auslegung eines Texts stets auch schon dessen Übersetzung. 6 Niemand übersetzt ja neutral. Jede Übersetzung deutet, sei es nun bewußt oder unbewußt. Das gilt erst recht von jeder Exegese. Luthers Übersetzung und Auslegung sind deutlich von seinem theologischen Standort bestimmt. Mit großer Schärfe hat Franz Overbeck das Problem der ,Eisegese' formuliert: „Es ist das 1

Vgl. StuA 1, 330, 16 und StuA 1, 337, 38. Vgl. StuA 1, 329, 13. 3 Vgl. StuA 1, 329, 16. 4 Vgl. StuA 1,337,26. 5 Vgl. dazu Burger: Luthers Predigten über das Magnifikat (Le. 1, 46-55) (1990), und von dems.: Maria m u ß ermutigen! Luthers Kritik an spätmittelalterlicher Frömmigkeit und sein Gegenentwurf in seiner Auslegung des,Magnificat' (Lukas 1, 46b-55) aus den Jahren 1520/21 (2002), sowie von dems.: La polémique de Luther contre la vénération de Marie (2006). 6 Speziell zur Übersetzungsleistung Luthers bei seiner Auslegung des Magnificat liegt seit 1995 die Zürcher germanistische Dissertation von Frech vor. Deren Ergebnisse hier zusammenzufassen erübrigt sich. 2

2

1.

Einleitung

größte Unglück, das einem Text passiren kann, ausgelegt zu werden, und je eifriger man sich seiner in diesem Sinne annimmt [je eifriger man ihn also deutet], um so größer ist das Unglück." 7 Es ist unausweichlich, daß Leser auch über Luthers Exegese des Magnifikat zu vollkommen verschiedenen Urteilen gelangt sind und noch stets gelangen. Gleich zu Beginn der Beschäftigung mit Luthers Schrift gilt es sich ausdrücklich bewußt zu machen, daß Luthers Exegese der vorkritischen Phase angehört. Der grundlegende Wandel der Bibelexegese hin zur historischen Kritik hat sich erst im ausgehenden 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzogen. Nun erst wurde die Methode, die Texte historisch rekonstruierte und interpretierte, auch auf biblische Texte angewandt. Bei aller Kritik im einzelnen, die Luther übt, gehört er doch der Phase der Exegese an, die noch nicht historisch-kritisch arbeitet. 8 Übersetzung und Exegese gehen denn auch bei Luther manchmal ineinander über. In manchen Fällen ist ganz klar, daß der Exeget nun interpretiert, so etwa dann, wenn er seine Auslegung mit dem deutschen Sätzchen „als sollt' er sagen" beginnt. Darin ist das lateinische „quasi diceret" erkennbar. Der Ausleger beansprucht damit, sagen zu können, was der Autor gemeint hat. In anderen Fällen ist es minder augenscheinlich, daß Luther seine eigene Deutung gibt. Gerade dann ist es wichtig, sich klar zu machen, wie er schon durch die Übersetzung Weichen stellt. Wenn Luther beispielsweise in Lk 1, 52b das griechische Wort ,tapeinous', das in der Biblia Vulgata als ,humiles' übersetzt wird, mit ,nydrige' ins Deutsche überträgt und sich ausdrücklich dagegen verwahrt, daß man darunter,demutige' Menschen verstehe, so hat er das zwar bereits ausführlich begründet, aber er steuert das Verstehen der Leser oder Hörer mit dieser Übersetzung natürlich massiv. Sie ist nicht theologisch neutral und will es auch nicht sein. Anfechtbarer und auch in seiner eigenen Zeit schon lebhaft kritisiert worden ist sein Vorgehen dann, wenn Luther ergänzt, was ein bestimmter Text seiner Meinung nach sagen will. Der Lutherverehrer wird hier von seinem Freimut sprechen, der Lutherkritiker von seiner Willkür. So behauptet Luther in seiner Auslegung des Magnifikat beispielsweise, die ,Hoffärtigen', die er in seiner eigenen Zeit vor allem im „Papst und seinem Haufen" sieht, würden in der Heiligen Schrift durch Tiere benannt. Doch fehlt eben der Hinweis auf Hoffart an den Stellen, die er als Belege anführt. 9 Die Bibelstellen belegen lediglich, daß Feinde als Tiere bezeichnet werden. Übersetzung und theologischer Kommentar verschränken sich manchmal miteinander. Dann ist die Übersetzung ganz von theologischen Erwägungen bestimmt: Weil nun einmal in Wirklichkeit nicht alle Menschen Maria selig preisen, darf beispielsweise „omnes generationes" nach Luthers Überzeugung nicht im Sinne von „alle Menschen aller aufeinander folgenden Generationen" übersetzt werden. Sonst hätte ja Maria et7 Franz Overbeck: Art. Theologie (Wissenschaft) Exegese. Allgemeines, in: Ders., Werke u n d Nachlass, Band 5: Kirchenlexicon Texte. Ausgewählte Artikel J-Z, hg. von B. von Reibnitz, 1995, 593-597, hier: 596. Hier zitiert nach: Jüngel: Besinnung auf 50 Jahre theologische Existenz, Sp. 473-474. 8 Vgl. Köpf: Dogmengeschichte oder Theologiegeschichte?, S. 471. 9 Vgl. StuA 1, 345, 13-16. 27.

Gott wirkt im Verborgenen

3

was geweissagt, was nicht eingetroffen wäre, und das kann Luther mit seinem Verständnis der Heiligen Schrift nicht vereinbaren. 10 Manchmal verkürzt Luther in einer Weise, die zu Mißverständnissen führen kann. So etwa, wenn er schreibt, Gott erweise den ,Furchtsamen' Barmherzigkeit. Man m u ß sich dann daran erinnern, daß er darunter die Gottesfurchtigen versteht." Wenn Luther von .Weisen' redet, setzt er oft voraus, daß der Leser in Erinnerung hat, daß er unter ,Weisen' in diesem Zusammenhang Hoffärtige versteht. Aussagen über die ,Welt' m u ß man oft in Häkchen setzen, um sich deutlich zu machen, daß Luther die widergöttliche Welt meint: mit Paulus gesprochen den ,widergöttlichen Kosmos', nicht einfach die Welt, in der jeder Mensch lebt. Dasselbe gilt für Aussagen über ,die Menschen': oft genug geht es dabei um Aussagen über Menschen im Aufstand gegen Gott. Ähnlich ist es, wenn Luther schreibt, je tiefer jemand stehe, desto besser sehe ihn Gott. 12 Nur wer gründlich liest, merkt, daß er damit nicht meint, daß Gott sozial Hochstehende nicht in Gnaden .ansähe', nennt er doch als Gegenbeispiele den wohlhabenden Abraham und König David. Gerade darin liegt ein entscheidender Unterschied zwischen Luthers Exegese des Magnifikat und der beinahe gleichzeitigen Auslegung Thomas Müntzers, die sozialkritisch ausgerichtet ist. Für den Geschmack moderner Leser deutet Luther oft genug die Wirklichkeit allzu sicher. Wie andere Theologen ist auch er in Gefahr, zu genau wissen zu wollen, weshalb etwas so ist, wie es ist, in seiner Sichtweise: weshalb Gott etwas so tut, wie es geschieht. So meint er beispielsweise zu wissen, weshalb Gott die Christen in schwere Not gelangen läßt: um sie daraus wieder retten zu können. 13 Am Ende seiner Schrift hat Luther gesagt, was er zu sagen hatte. Deshalb wird er nicht ausführlicher, wie viele Autoren es gegen Ende eines Werkes werden, sondern knapper. Das hat natürlich auch damit zu tun, daß er überall im Text das Hauptthema vorfindet, das ihn so umtreibt, das der gnädigen Verheißung Gottes und des Glaubens als der einzig angemessenen Weise, darauf zu reagieren. Sobald er dieses Anliegen zu seiner Zufriedenheit verdeutlicht hat, kann er sich kürzer fassen.

1.2. Nur mit den Augen des Glaubens ist zu erkennen, wie Gott im Verborgenen tätig ist Das Hauptthema der Magnifikat-Auslegung ist wie so oft bei Luther ,glaubendes Vertrauen': Nur wer glaubt, erkennt Gottes heimliches Wirken kraft seines ,Arms'. Dem Leser der Psalmenauslegung Luthers ist dieser Gedanke vertraut. Luthers Grundgedanke bei seiner Auslegung des Magnifikat kann etwa so zusammengefaßt werden: Gott sieht die gesellschaftlich niedrige, arme und deswegen verachtete Maria an und erhöht 10 11 12 13

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

StuA 1, 337, 26-37. StuA 1, 351, 13f. StuA 1,317, 29 f. etwa StuA 1, 318, 22-34; 356, 25-41.

4

1.

Einleitung

sie. Das kann jedem Christen, der bereit ist, sich von Gott beschenken zu lassen, Mut machen. Denn Gott hat nicht allein an Maria so gehandelt, sondern das ist seine Art des Wirkens. Maria erfährt Gottes Hin-Sehen im Wort des Engels, der ihr verkündet, daß sie schwanger ist und Gottes Sohn gebären wird. Das wirkende Wort Gottes, das der Engel verkündigt, macht Maria zur Mutter, noch ehe ihr Kind geboren ist.14 Daher liebt sie Gott. Daher lobt sie Gott. In diese Begegnung will das Magnifikat nach Luthers Auffassung hineinnehmen: weg von Anmaßung, Hoffart, Vermessenheit, hin zum Glauben an Gott. Denn Hochmütige akzeptieren ja nicht, daß sie auf Gottes Güte und Gnade angewiesen sind. Sie meinen, selbst Besitzer ihrer guten Eigenschaften zu sein und danken deswegen Gott nicht dafür. In rechter Weise Demütige dagegen akzeptieren ihre Niedrigkeit. Aus dieser Lage kann Gott durch An-Sehen erhöhen. Für Menschen, die einige Grundüberzeugungen der europäischen Aufklärung akzeptieren, problematisch ist die Art, in der Luther Gott und Mensch als Konkurrenten betrachtet. Was Gott zugeschrieben wird, scheint dem Menschen aberkannt werden zu müssen. Was umgekehrt dem Menschen zugeschrieben wird, scheint nicht mehr mit Gott in Verbindung gebracht werden zu können. Alles kommt von Gott und alles läuft auf ein Ende zu, das wiederum in Gottes Händen steht. Wenn Luther die Situation des Menschen vor Gott beschreibt, dann sieht er den Menschen als Untergebenen oder als Kind an. 15 Von einem auch nur halbwegs ausgewogenen Verhältnis kann keine Rede sein. Alle Ehre, die der Mensch sich gibt, nimmt er Gott. Gottes Kraft und menschliche Kraft sind nicht miteinander kompatibel. 16 Es kann nach Luthers Ansicht nur entweder Gott dem Menschen helfen oder der Mensch sich selbst beziehungsweise ein Mensch dem anderen. 17 Luther steht mit diesem Denken in einer Alternative ,Gott oder Mensch' in seiner Zeit keineswegs allein. 18 Entschlossen lehnt er den Versuch ab, unterhalb der theologischen Tugenden menschliche Tugenden als solche anzuerkennen. Auch damit stellt er Weichen. Ein nachaufklärerischer Westeuropäer wird sich die Frage stellen, ob Luther in seiner Gottes-Begeisterung durchschnittliche Christen nicht überfordere. Man kann dafür beispielsweise darauf verweisen, daß Luther fordert, die 14 Vgl. Zur Mühlen, Mystische Erfahrung u n d Wort Gottes bei Martin Luther, S. 52: „Dieses Wort ist f ü r Luther aber nicht eine bloße Information oder Theorie, sondern ein den Menschen in das Leben Gottes geradezu hineinreißendes Wort, ein Wort, das wirkt, was es sagt, ein Wort, das nicht leer ausgeht, wenn es sich ereignet." 15 Vgl. etwa StuA 1, 357, 36f. 16 Vgl. StuA 1,350, 31 f. 17 Vgl. StuA 1, 356, 25-28. 18 Vgl. dazu Brinkman: Het d r a m a van de menselijke vrijheid, bearbeitet u n d übersetzt unter dem Titel: The Tragedy of H u m a n Freedom, besonders das siebente Kapitel: .Freiheit als Selbstverwirklichung'. Brinkman verweist darauf, d a ß fast stets n u r entweder von .Freiheit von..." oder von,Freiheit zu ...' die Rede ist, k a u m aber von .Freiheit für ...'. Von Gottes Wille sei jahrhundertelang in den Kategorien der Kausalität u n d der Finalität Gottes gesprochen worden: Gott sei der, von d e m alles k o m m e u n d zu dem alles gehe (niederländische Fassung: S. 267). Er schlägt vor, von der Möglichkeit einer echten Erneuerung des Lebens durch die inspirierende Wirkung des göttlichen Geistes auszugehen (S. 269) u n d Gott zu erfahren als das Kraftzentrum von Verbindungen des Ich mit der das Ich u m r i n g e n d e n Wirklichkeit (S.274).

Medizinischer

Kenntnisstand

und theologische Aussage

5

anerkennende Ehre, ohne die ein Mensch nicht leben könne, dennoch nicht sich selbst zuzueignen, sondern sie stets Gottes sein zu lassen, dem sie zukomme. 19 Wer kann das leisten, ohne seine Selbstachtung verkümmern zu lassen, mag sich ein nachaufklärerischer Westeuropäer fragen. Liebe zu Gott über alles zu setzen, fordert Luther nicht allein von Mönchen, Nonnen oder Theologen, sondern von allen Christen. Er .demokratisiert', was Mystiker(innen) wie Ruusbroec oder Marguerite Porete sagen. Von einer Demokratisierung der Mystik' spricht Heiko Oberman in dem Sinne, daß spirituelle Ideale, die zunächst einer Heiligkeitselite vorbehalten gewesen waren, nun einer breiten Gruppe von Christen als erstrebenswertes und erreichbares Ziel vorgehalten werden. 20 Aber verlangt Luther damit nicht zu viel? Er fordert, allein an Gott zu hängen. 21 Er behauptet, Gott sei um seiner selbst willen zu lieben. 22 Zugleich sagt er, Gott führe in Versuchung. 23 Ist so viel Glaubenskraft einem durchschnittlichen ,einfachen Christen', um in Luthers Ausdrucksweise zu formulieren, zuzumuten? Erwartet Luther nicht zu viel, wenn er sagt: „Gottes Willen und seine Ehre in allen Dingen wollen und für sich nichts wünschen, weder für dieses noch für das zukünftige Leben", sei Seligkeit?24 Heutzutage sagt auch der systematische Theologe Eberhard Jüngel, es werde als gewagt empfunden, wenn ein alttestamentlicher Frommer sagt: „Wenn ich nur Dich habe, frage ich nichts nach Himmel und Erde." 25 Zu Luthers Stilmitteln gehört auch die Polemik. Polemisch verdeutlicht er, was er positiv aussagen will.26 Allerdings beschränkt sich Luther bei seiner Darstellung für ein Publikum, das er in der Volkssprache anspricht, auf deutlich positive und deutlich negative Aussagen. Dialektische Aussagen mutet er diesem Leser- und Hörerkreis nicht zu.

1.3. Medizinischer Kenntnisstand und theologische Aussage Immer wieder bezeichnet Luther Maria als ,Mutter Gottes'. Er betrachtet sie als solche schon zu dem Zeitpunkt, zu dem sie das Magnifikat spricht, also kurz nach der Verkün19

Vgl. StuA 1,342, 21-39. Vgl. O b e r m a n : Der Herbst der mittelalterlichen Theologie, S. 318-322. 21 Vgl. StuA 1, 346, 12-14. 39; 347, 13. 31. 22 Vgl. „vmb seynen willen" (StuA 1,346,12); „szo es got haben wil" (StuA 1,346,39); „vmb seinen willenn" (StuA 1, 347, 12). 23 Vgl. StuA 1, 346, 12-14. 347, 11-13. 24 Vgl. Z u r Mühlen: Mystische Erfahrung u n d Wort Gottes bei Martin Luther, S. 58. Der Autor übersetzt einen Satz aus Luthers Römerbriefvorlesung (WA 56, 391, 4 - 6 ) . 25 Psalm 73, 25, angeführt bei Jüngel: Besinnung auf 50 Jahre theologische Existenz, Sp.472. 26 Normalerweise geht die probatio oder confirmatio der refutatio voran. Doch ist auch die umgekehrte Abfolge nicht ungebräuchlich. Vgl. Lausberg: H a n d b u c h der literarischen Rhetorik, S. 88 f. 129131. 236. 423, u n d Martin: Antike Rhetorik, S. 125. - Zu Luthers Theologie- u n d Kirchenkritik in den Operationes in Psalmos, der akademischen Vorlesung, die der Auslegung des Magnifikat zugrund liegt, vgl. H a m m e r : Historisch-theologische Einleitung zur Edition der Operationes in Psalmos, S. 431—439. 20

6

1.

Einleitung

digung des Engels. Ihm liegt jedoch daran, hervorzuheben, daß aller Ruhm für die Geburt des Sohnes Gottes im Fleisch Gott zukommt und nicht etwa Maria. Gott allein wirkt. Luther hat deshalb Interesse daran, Marias Rolle als bescheiden darzustellen. Er betont denn auch, daß Maria lediglich, Werkstatt Gottes' habe sein wollen. Wenn sie lediglich ,Werkstatt' ist, dann bewirkt Gott allein das Zustandekommen seines Sohnes in ihr. Bei dem Stand der medizinischen Kenntnis in seiner Zeit kann Luther meinen, Maria brüte sozusagen den kleinen Menschen nur aus, den das verheißende Wort des Engels in sie gesät habe. Es drängt sich die Frage auf, welche Kenntnis der biologischen Vorgänge Zeugung, Heranreifen eines Embryos im Mutterleib und Geburt Luther denn in seiner Zeit und Umgebung hat haben können. 27 Erst 1651 wird Harvey beschreiben, daß er in der Gebärmutter von Muttertieren, die während der Jagdsaison im Herbst geschossen worden waren, kleine Bläschen gefunden habe. Diese Fruchtsäckchen junger Embryos wird er als Eier von Säugetieren betrachten. 1671 beschreibt dann der Arzt Reinier de Graaf in den Eierstöcken der Frau mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen. Die Bezeichnung der Bläschen als ,Eier' übernimmt er von seinem Lehrmeister Van Hörne. De Graaf ist davon überzeugt, daß in jedem Follikel ein menschlicher Keim in Gestalt eines sehr kleinen, vollständig ausgebildeten Menschleins vorhanden sei. Sobald der Samen eines Mannes dieses Menschlein erreicht habe, verlasse es den Follikel, erreiche durch den Eileiter die Gebärmutter und wachse dort heran. Für Theologen ist dabei von Interesse, daß die Anhänger seiner Lehre, die Ovulisten, voraussetzen, daß die Keimchen in den Eiern der Frauen auch ihrerseits wieder Eier mit vorgeformten Menschlein enthielten. Die sogenannte ,Präformationstheorie' behauptet, in den Eierstöcken Evas sei die ganze Menschheit vorhanden gewesen, Generation verpackt in Generation. Bei dieser Sicht der Vererbung liegt es nahe, die Übertragung der Erbsünde einseitig bei den Frauen zu suchen. 1677 entdeckt der Student Johannes Ham mit seinem primitiven Mikroskop kleine Wesen, Kaulquappen vergleichbar, die sich im Sperma bewegen, und macht den Linsenschleifer Antoni van Leeuwenhoek darauf aufmerksam. Viele Zeitgenossen, unter ihnen Christiaan Huygens und Boerhaave, betrachten diese im Sperma schwimmenden Wesen als präformierte Menschlein. Als ,Animalculisten' bestreiten sie die .Ovulisten'. Erst 1875 entdeckt dann Hertwig das Verschmelzen der Samenzelle mit dem Kern des Eizelle. Erst damit ist deutlich, daß weder die Frau noch der Mann die Kinder vorgeformt in sich tragen. Macht man sich klar, daß die hier im Vogelflug skizzierten Erkenntnisse erst nach Luthers Zeit gewonnen worden sind, so wird deutlicher, weshalb er Marias Rolle als die einer bloßen , Werkstatt Gottes' hat betrachten können.

27 Die folgende Übersicht über die Entdeckung der Eizelle der Frau verdanke ich d e m Gynäkologen J. Kremer, der mich auf seine im Druck erschienene Antrittsvorlesung als Hochschullehrer aufmerksam machte: Vruchtbaarheid en ouderschap, hier: S. 3 - 5 , sowie d e m Hausarzt Y.G. Vellenga aus Enkhuizen, der die medizingeschichtlichen Ausführungen in d e m Lehrbuch der Physiologie von Luigi Luciani für mich kopierte. Beiden danke ich auch an dieser Stelle herzlich.

Einordnung

von Luthers Schrift in ihren historischen

Kontext

7

1.4. Differenzen in der Anschauung vom Wert des menschlichen Lebens zwischen Luthers Zeit und der Gegenwart Im westlichen Europa des beginnenden 21. lahrhunderts ist - trotz aller Verstöße dagegen im einzelnen beispielsweise durch Kriege, Morde oder lebensfeindliche Lebensumstände - die Überzeugung weit verbreitet, daß das menschliche Leben einen sehr hohen Wert habe. Einer der Gründe dafür ist, daß europäische Aufklärer gegenüber der zuvor gebräuchlichen Höherschätzung des Geistes und der Seele den Wert des Körpers hervorgehoben haben. Es ist nicht länger plausibel, wenn jemand die Forderung erhebt, das eigene Leben oder das Leben anderer aufs Spiel zu setzen, um eben dadurch den Geist oder die Seele zu befreien. Ein weiterer Grund für Mißtrauen gegenüber einer solchen Forderung sind die negativen Erfahrungen mit totalitären Regimes, die, gestützt auf ihre jeweiligen Ideologien, umfassende Ansprüche auf das Leben der Untertanen erhoben und unter Berufung auf diese Ideologien das Leben von Millionen Menschen geopfert haben. Das schreckt ab und verstärkt das Empfinden vom hohen Wert des irdischen Lebens. Doch darf man diese aufgeklärte, moderne und postmoderne Überzeugung vom hohen Wert menschlichen Lebens nicht mit allzu großer Selbstverständlichkeit ins sechzehnte lahrhundert zurückprojizieren. Es ist nützlich, sich vor Augen zu führen, daß Luther einen recht anderen Bezugsrahmen gehabt hat. Er konnte ohne weiteres fordern, daß ein Christ sein Leben riskieren solle, um Recht und Wahrheit zu verteidigen, 28 und daß er eher den Tod auf sich nehmen als zugestehen solle, die gute, rechte Sache sei unrecht oder böse. War er doch der festen Überzeugung, nach diesem irdischen Leben warte auf jeden Menschen eine Auferweckung, ein Urteil und ein ewiges Leben entweder in der Gottesnähe oder eben in der Gottesferne. Auf dieser Grundlage konnte er Lesern und Hörern, die als Christen anzureden er Grund hatte, empfehlen, dieses ewige Leben als das wichtigere zu betrachten und sich entsprechend zu verhalten. 29

1.5. Einordnung von Luthers Schrift in ihren historischen Kontext: Die Situation des Autors Luther zu dieser Zeit Luther hat in dieser Schrift fast nichts über seine Situation geschrieben. Das ist auch durch ihr Genus bedingt, autobiographische Bemerkungen passen nicht dazu. Aufgrund von Luthers Korrespondenz kann festgestellt werden, daß der Plan, das Magniflkat auszulegen, zwar schon im Oktober 1520 entstanden sein muß, daß Luther sich aber erst Anfang Februar 1521 ernsthaft ans Schreiben gesetzt hat. Luthers erste Mittei28

StuA 1,345, 33 f. Vgl. StuA 1 , 3 4 7 , 3 - 5 . Frau Dr. Petra Seegets, z u m Zeitpunkt der Arbeit an diesem Buch Inhaberin einer post-doc-Stelle a m Lehrstuhl für Neuere Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg, danke ich für die Aufforderung, auf diese Differenz in der Anschauung v o m Wert des menschlichen Lebens hinzuweisen. 29

8

1.

Einleitung

lung, daß er tatsächlich mit dieser Auslegung beschäftigt sei, datiert vom 27. Februar 1521. In einem Brief schrieb er an Spalatin, seinen festen Korrespondenten am Hofe des Kurfürsten von Sachsen, er sei mit dem Magnifikat beschäftigt, um mit dieser kleinen Schrift endlich einmal auf die Briefe des jungen Herzogs Johann Friedrich zu antworten. Das könnte zu der Datierung der Widmung passen, die der eigentlichen Auslegung vorangeht: 10. März 1521. Luthers Lage war zu dieser Zeit aufs Äußerste bedroht. Kardinal Cajetan hatte schon im Dezember 1518 von Kurfürst Friedrich von Sachsen gefordert, ihn auszuliefern oder des Landes zu verweisen. 30 Im Jahr darauf, 1519, hatten die Universitäten Köln und Löwen seine Theologie verurteilt. 31 Am 10. Oktober 1520 war ihm die Bannandrohungsbulle ,Exsurge Domine' zugestellt worden. 32 In ihr war ihm die strengere Stufe des Ausschlusses aus der Kirche, die ,excommunicatio maior', angedroht worden. Kirchenrechtlich gilt, daß ein Mitglied der Kirche sich durch Widerruf der getadelten Ansichten reinigen muß, denn sonst tritt der Ausschluß von selbst ein. Eine kirchenrechtliche Prozedur ist nicht mehr erforderlich. Im Regelfall m u ß dann im Heiligen Römischen Reich der deutschen Nation dem kirchlichen Bann die kaiserliche Acht folgen. In dieser bedrängten Lage ermutigte es den gefährdeten Mönch und Professor, daß der Neffe des Kurfürsten, Herzog Johann Friedrich, sich bei diesem für ihn einsetzte und Luther zwei ermunternde Briefe schrieb. 33 Für diese Unterstützung und Aufmunterung bedankte sich Luther dadurch, daß er dem jungen Herzog seine Auslegung des Magnifikat widmete. 34 Weiß er doch, wie er in der Vorrede schreibt, keinen Text, der einen Herrscher besser dazu anleiten könnte, Gott zu fürchten, ihn und seine Werke zu erkennen, 35 um recht regieren zu lernen. Er sandte dem jungen Herzog die ersten drei Druckbögen mit einem Begleitbrief vom 31. März 1521, dem Ostersonntag. Erst nach seiner Rückkehr vom Reichstag zu Worms konnte Luther während seiner Schutzhaft auf der Wartburg die Übersetzung und Auslegung des Magnifikat vollenden. Am 10. Juni 1521 sandte er den Rest seiner Druckvorlage nach Wittenberg. Ende August oder Anfang September 1521 erschien die Schrift im Druck. Als er diesen Kommentar zu schreiben begann, hatte sich Luther schon drei Jahre lang im Übersetzen geübt. Seit 1517 hatte er einzelne Psalmen, Abschnitte aus den Sprüchen Salomonis und einige neutestamentliche Perikopentexte ins Deutsche über30

Vgl. O b e r m a n : Luther, S. 369. Vgl. O b e r m a n : Luther, S. 369, u n d H a m m e r : Historisch-theologische Einleitung zur Neuedition der Operationes in Psalmos, S. 228. 32 Vgl. O b e r m a n : Luther, S. 369. 33 A m 20. Dezember 1520 berichtete er Luther, sein Brief habe beim Kurfürsten günstige A u f n a h m e gefunden. Da die Person des Herzogs hier nicht im Vordergrund steht, wurde die dreibändige Biographie von Georg Mentz: Johann Friedrich der Großmütige, Jena 1903-1908, von mir nicht herangezogen. Über das Verhältnis Luthers zu Johann Friedrich von 1526 an unterrichtet Wartenberg: Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten. 34 Vgl. Luthers Brief an Spalatin vom 27. Februar 1521 (WABr 2, Nr. 378, S. 270-272, hier: S. 2 7 0 , 1 8 20): „Accingor iam Cantico Mariano dicando Iuniori principi, vt t a n d e m libello ipso respondeam literis suis nouissimis 8( gratiosis ad m e datis." 35 Vgl. StuA 1, 315, 22. 31

Der Adressat des Widmungsbriefs

und des Schlußworts

9

tragen. Im Frühjahr 1517 erschien seine Auslegung der sieben Bußpsalmen. Im Spätsommer folgten Auslegungen des Psalms 110 und während des Wartburgaufenthalts außer der Übersetzung des Magnifikat solche der Psalmen 68, 119 und 37.36 Wenige Wochen nach Abschluß seiner Übersetzung und Auslegung des Magnifikat übersetzte Luther dann in nur elf Wochen das gesamte Neue Testament.

1.6. Der Adressat des Widmungsbriefs und des Schlußworts, Herzog Johann Friedrich von Sachsen Der Adressat, Herzog Johann Friedrich von Sachsen aus dem ernestinischen Zweig des Wettiner Herrscherhauses, war im Jahre 1520 gerade 17 Jahre alt. Regierungsverantwortung trug er lediglich mit seinem Vater Johann gemeinsam. Doch war zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich, daß er aufgrund der geltenden dynastischen Regelung nach seinem Onkel Friedrich, der keine legitimen Erben hatte, und nach seinem Vater Johann einmal Kurfürst von Sachsen werden sollte. Die Titel, die dem jungen Herzog zustanden und die Luther nannte, weisen darauf hin, welche Territorien der ernestinische Zweig der fürstlichen Dynastie Wettin beherrschte. Die Wettiner gehörten mit den Habsburgern, Wittelsbachern und Hohenzollern zu den mächtigsten Fürstendynastien des Reiches. Jeder Wettiner war Herzog von Sachsen. Außer über ihr angestammtes Gebiet Sachsen regierten die Wettiner zu Luthers Zeit auch über die Gebiete, die vor ihnen die Landgrafen von Thüringen und die Markgrafen von Meißen beherrscht hatten. Der sächsische Kurfürst war einer der vier weltlichen Kurfürsten des,Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation'. Gemeinsam mit den drei geistlichen Kurfürsten, den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier, hatten die Kurfürsten das Vorrecht, nach dem Tode eines Amtsinhabers den Römischen König zu wählen und bei Reichstagen im höchsten Ratsgremium, der Kurfürstenkurie, zu beraten. Der Kurfürst von Sachsen bekleidete die Würde eines Erzmarschalls des Reiches. Von Fürsten erwartete Luther viel. Während er einfache Christen ohne obrigkeitliche Funktion dazu aufforderte, dann auf die Durchsetzung ihres Rechts zu verzichten, wenn sie es nicht ohne Gewalt erlangen könnten, 37 verlangte er von Fürsten, die Geltung des Rechts zu gewährleisten. Sie sollten allen denen die nötige Furcht einflößen, die ihre Nächsten ihrerseits nicht in Ruhe und Frieden leben lassen.38 Freilich muß ein Vertreter der weltlichen Obrigkeit auch dann, wenn er sein Schwertamt ausübt, das Vgl. Volz: Martin Luthers deutsche Bibel, S. 32. Vgl. zum Verzicht auf Gottes den Menschen geliehene Gaben StuA 1, 346, 10-30, zum Verzicht auf gewaltsame Durchsetzung des Rechts StuA 1, 347, 1-19. Zur Interpretation vgl. Maron: Niemand soll sein eigener Richter sein, Ludolphy: Friedrich der Weise, Kunst: Evangelischer Glaube und politische Verantwortung, und Schulze: Fürsten und Reformation. Geistliche Reformpolitik weltlicher Fürsten. 38 Vgl. StuA 1, 348, 5-10. 36 37

10

1.

Einleitung

ihm Gott verliehen hat, nach Luthers Ansicht Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren. 39 Auch von einem Fürsten kann gefordert werden, daß er auf die Durchsetzung seines Rechts verzichtet, falls er durch Beharren auf seinem Recht mehr zerstören als ordnen würde. Bei Gott sah Luther das Recht in guter Hand: Zwar läßt Gottes Rache manchmal lange auf sich warten, doch darauf, daß sie eintreten wird, kann sich jeder, dem sein Recht vorenthalten wird, getrost verlassen. Gott wird Rache üben. Er wird jedem Rechenschaft darüber abverlangen, was er getan oder versäumt hat. Nur deswegen konnte Luther die Untertanen so strikt zum Gehorsam gegenüber der gottgesetzten Obrigkeit ermahnen, weil er andererseits so gewiß war, daß Gott die Träger obrigkeitlicher Ämter bei ihrer Verantwortung behalten und Übertretungen nicht ungestraft lassen werde. Luther gab seiner Schrift von Anfang an auch die Funktion eines ,Fürstenspiegels'. Das gilt, obwohl es sich dabei zugleich um eine ,Erbauungsschrift' handelt. Mitten in der Auslegung des Magnifikat schreibt er beispielsweise: „das nit vmbsonst ynn der schrifft szo wenig kunig vnd Fürsten frum beschrieben sein." 40 Zweifellos war ihm bewußt, wie brisant eine solche Aussage in einer Schrift wirken mußte, die er einem jungen Herzog zueignete. Von den Pflichten eines Fürsten spricht Luther nicht nur in Widmung und Nachwort, sondern auch innerhalb seiner Auslegung.

1.7. Die ,Einfältigen' als Adressaten des Hauptteils v o n Luthers Schrift Wilhelm Maurer hat bereits 1949 daraufhingewiesen, daß sowohl die von ihm sogenannten ,Erbauungsschriften' Luthers als auch dessen polemische Schriften nur recht zu verstehen seien, wenn man sie gemeinsam mit den exegetischen Arbeiten bedenke: „erst in dieser Verbindung mit der eigentlichen, thetischen Theologie findet Luthers Polemik ihren rechten Sinn, ihren Ursprung und ihre Grenze. Von hier aus können auch seine erbaulichen Schriften erst richtig erfaßt werden." 41 Maurers Anliegen ist vollkommen berechtigt. Die Art jedoch, in der er Luthers Schriftstellerei für einen weiteren Personenkreis in der Einleitung wertet, ist mißverständlich. Ohne die Begriffe zu definieren, deren er sich bedient, spricht er von .volkspädagogische [r] Wirksamkeit', ,Erbauungsschriftstellerei', Erbauungsliteratur', ,erbauliche[r] Abzweckung', ,erbauliche[m] Schrifttum'. 42 Diese Schriften Luthers neh-

39

Vgl. StuA 1, 348, 10-31. StuA 1,318,1 f. - Darauf, d a ß auch Luthers Kommentare zum Prediger Salomos u n d z u m Hohen Lied die Funktion von Fürstenspiegeln erfüllen, wies mich Herr Kollege Dr. Dick Akerboom (Universität Tilburg) hin. 41 Maurer: Von der Freiheit eines Christenmenschen, Einleitung, S.8f. 42 Maurer steht damit in einer Tradition. Schon Von Loewenichs Übertragung von Luthers Schrift ins Deutsche aus dem Jahre 1929 eröffnet eine Reihe mit dem Titel: „Klassische Erbauungsschriften des Protestantismus". 40

Die,Einfältigen'

als Adressaten des Hauptteils von Luthers

Schrift

11

men nach Maurers Meinung Bezug „auf die seelische Lage des Einzelnen" und greifen doch hinein „in die großen Fragen, die die kirchliche Öffentlichkeit bewegen".43 Er stellt diese .erbaulichen Schriften' Luthers, wie im Zitat verdeutlicht, der eigentlichen, thetischen Theologie' gegenüber. Dadurch wertet er die Schriften für einen breiteren Leserkreis ab. Haben doch sowohl das Substantiv,Erbauung' als auch erst recht das Adjektiv ,erbaulich', die er verwendet, auch im Jahr 1949, in dem Maurer seinen Beitrag publiziert, schon längst einen negativen Klang bekommen. 44 Dadurch, daß Maurer Luthers ,erbauliche Schriften' von seiner .eigentlichen' Theologie unterscheidet, bezeichnet er sie darüber hinaus implicite als .uneigentliche' Theologie. Sie sind .Publizistik', sie sind in einer „volkstümlich einprägsame[n] Form" geschrieben, hämmern bestimmte leichter verständliche Motive von Luthers Theologie „durch dauernd variierende Wiederholung gleichsam ein", heben „manche Spitzen in polemischer oder pädagogischer Abzweckung scharf hervor", proklamieren „die dogmatischen Grundgedanken der reformatorischen Theologie diktatorisch" und lassen dabei die „feinen Fäden" nicht stets deutlich werden, die diese Grundgedanken miteinander verbinden. 45 Das sogenannte „publizistische Schaffen" des Reformators erscheint in Maurers Wertung lediglich als Derivat des „wissenschaftlich theologischen Schaffens". Maurer will das „innerlich tragende Element" herausarbeiten. Diese Schriften sind für ihn lediglich „in der theologischen Motivation verkürzter Ausdruck" von Luthers Theologie. 46 Maurers Wertung entspricht nicht Luthers eigener Sicht. Luther verfaßte seine Übersetzung und Auslegung des Magnifikat nicht auf Latein für Gebildete, sondern in der Volkssprache für,Einfältige'. Einfalt wertete er positiv, obwohl es ihm zusätzliche Mühe abverlangte, für einfältige Menschen verständlich zu schreiben. 47 Von einfältigen Laien erwartete er viel, während er manche Theologen als Lügenprediger und Schwätzer bezeichnete, weil sie seiner Meinung nach ganz elementar versagten. 48 Diese positive Wertung der Einfalt stützt sich beispielsweise auf Mt 6, 22f. (Vulgata), wo „oculus simplex" positiver Gegenbegriff zum „oculus nequam" 4 9 ist. Gerade in den volks43

Maurer (wie Anm. 41), Einleitung, S. 9. Vgl. Brückner: Thesen zur literarischen Struktur des sogenannt Erbaulichen, S. 500: „heutige Wertungen [zählen] vornehmlich .einseitig volkstümliche Legenden, kitschige, leichtgläubige, abergläubische oder mystizistische Andachtsbücher' zur Erbauuungsliteratur." Vgl. zur Wertung von .Erb a u u n g ' u n d Erbauungsliteratur ferner die Lexikonartikel von Krummacher, Krause u n d Mohr. 45 Maurer (wie A n m . 4 1 ) , Einleitung, S.9. 46 Maurer (wie Anm. 41), Einleitung, S. 10. Vgl. auch die Einleitung z u m zweiten Hauptteil („Schöpfungswerk u n d Erlösungswerk, in besonderer Beziehung zur Auslegung des Magníficat"), S. 82: „Aus den Vorlesungen des Wittenberger Professors ist seine Publizistik erwachsen." 47 Luther denkt ausdrücklich an .einfältige' Leser: „Vnnd das wirs für die äugen bilden vmb der einfeltigen willen." (StuA 1 , 3 1 8 , 4 3 / 319,1). Er singt das Lob der ,einfeltigen' Herzen: „Da hebet sich den einn gemeyn freud vnd lob zu got / da ein yglicher des andern gnad v n n d doch sein am ersten preysset /ob sie auch gleich geringer sey den des andern ... szo gar feynn einfeltig ist yhr hertz." (StuA 1, 334, 9-11. 14). Zur positiven Bewertung der .Einfältigen' schon in der spätmittelalterlichen Frömmigkeitstheologie vgl. Chr. Burger: Direkte Zuwendung zu den .Laien' u n d Rückgriff auf Vermittler in spätmittelalterlicher katechetischer Literatur. 48 Ein Beispiel dieses Versagens ist, d a ß sie Maria derart loben, d a ß sie beinahe zur Abgöttin wird. 49 Luther übersetzt .nequam' (untauglich, verdorben) mit .schalckhafftig'. 44

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1.

Einleitung

sprachlichen Schriften nimmt Luther Bezug auf die Lebensbedingungen der Adressaten und Adressatinnen, während solche Bezugnahmen in seinen Texten für Angehörige der Universität viel seltener vorkommen. 50 Im Vergleich zur Forschungssituation zu Maurers Zeit gilt mittlerweile Menschen, die nicht zu den Eliten ihrer Völker gehören, viel mehr Aufmerksamkeit der Germanisten, der Allgemein- und Kirchenhistoriker. Das hat sich für die Bestimmung des Rahmens ausgewirkt, in dem Luthers Auslegung des Magnifikat zu sehen ist. Anstelle eines umfassenden Forschungsberichts sei hier nur auf Arbeiten dreier Kirchenhistoriker hingewiesen. Die Neuedition der Zweiten Psalmenvorlesung Luthers, der Operationes in Psalmos, die in erster Linie Gerhard Hammer zu verdanken ist, hat es entscheidend vereinfacht, zu vergleichen, wo Luther für seine Auslegung des Magnifikat Anleihen bei seiner akademischen Vorlesung macht. In seiner historisch-theologischen Einleitung geht Hammer auch auf Luthers erste Psalmenauslegungen in der Volkssprache ein. 51 Er ordnet Luthers Bemühen um die ,einfachen Christen' in vielfältige Bestrebungen der Zeit ein, die unter dem oft wiederholten Motto standen: „Für die einfältigen Laien, nicht für die Gelehrten." 52 Er deutet ferner an, daß die ausführlichen Exkurse in der Zweiten Psalmenvorlesung, den .Operationes in Psalmos', von Luther selbst zu Schriften für ein breiteres Publikum umgearbeitet worden sind. 53 Berndt Hamm hat diese Bemühungen von Theologen für Laien im Spätmittelalter und in der Reformationszeit unter dem Forschungsparadigma ,Frömmigkeitstheologie' zusammengefaßt. 54 Er hat auch darauf hingewiesen, welche Konzentration der Inhalte damit Hand in Hand ging. 55 Wenn es darum geht, die Ergebnisse der Universitätstheologie Menschen zu vermitteln, die lesefähig sind oder zum Zuhören bereit sind, aber nicht studiert haben oder studieren, so bedarf es einer speziellen Umsetzung auf deren Verstehensmöglichkeiten, die man als Transformation bezeichnen kann. Daraufhabe ich selbst hingewiesen. Gilt es doch, solche Leser oder Hörer nicht zu überfordern, sondern sie so anzusprechen, daß sie das Gebotene aufnehmen und gegebenenfalls auch weitergeben können. 56 Diese Arbeiten haben es möglich gemacht, auch Luthers Übersetzung und 50 Diesen Hinweis verdanke ich Frau Dr. Petra Seegets, Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg. 51 Vgl. H a m m e r : Historisch-theologische Einleitung zur Neuedition der Operationes in Psalmos, Teil 2, Kap. 4: Martin Luthers erste Psalmenauslegungen in der deutschen Volkssprache, S. 62-66. 52 H a m m e r (wie Anm. 51), S. 65. - Zu den polemischen Aussagen, die die .Gelehrten' als die .Verkehrten' ablehnen, vgl. die Aufsätze von Gilly (1987), O b e r m a n (1989), erneut Gilly (1991) u n d Trapm a n (1997), die auch unten zur Exegese von Lk 1, 52a genannt werden. 53 Vgl. H a m m e r (wie Anm. 51), S.444. 54 Vgl., eigene ältere Beiträge zusammenfassend, H a m m : Was ist Frömmigkeitstheologie? 55 Vgl. H a m m : Reformation als normative Zentrierung von Religion u n d Gesellschaft, u n d von dems.: Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation: der Prozess normativer Zentrierung von Religion u n d Gesellschaft in Deutschland. 56 Vgl. Burger: Theologie u n d Laienfrömmigkeit. Transformationsversuche im Spätmittelalter, u n d von dems.: Transformation theologischer Ergebnisse f ü r Laien im späten Mittelalter u n d bei Martin Luther, sowie: Direkte Zuwendung zu den ,Laien' u n d Rückgriff auf Vermittler in spätmittelalterlicher katechetischer Literatur.

Die,Einfältigen'

als Adressaten des Hauptteils von Luthers

Schrift

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Auslegung des Magnifikat adäquater einzuordnen, als das zu Maurers Zeit möglich gewesen ist. Luther betrachtet es als Teil des Auftrags jedes Theologen, Frömmigkeit zu fördern. Im frühen 16. Jahrhundert ist die Forderung ja unbekannt, Theologie an der Universität müsse als wissenschaftliche Disziplin Distanz zur Predigt wahren. Die Universitäten der Frühen Neuzeit wurden ja nicht wie heutzutage finanziert von Steuerzahlern, zu denen auch Atheisten gehören, die verlangen können, daß an den von ihren Geldern mit finanzierten Universitäten Theologie auf eine .neutrale' Weise getrieben wird. Vielmehr bezahlte der Landesherr die Universität oder ließ sie beispielsweise aus Stiftsvermögen bezahlen. Ein spätmittelalterlicher Landesherr konnte es als gottgefälliges gutes Werk betrachten, eine theologische Fakultät zu finanzieren. Danach hatten sich die Hochschullehrer der Theologie zu richten. Der ungleichmäßige Aufbau der Schrift ist unter anderem durch den Adressatenkreis, für den Luther schreibt, bedingt. Weil Luther den ,einfältigen' Laien dienen will, kann er wenig voraussetzen. Deshalb schreibt er beispielsweise innerhalb seiner Auslegung des Magnifikat einen langen Exkurs zur Anthropologie oder zur Demut. Luther setzt hier theologische Ergebnisse für einfache Christen, für,Laien', um. Für den Leserkreis der sozial wie intellektuell einfachen Christen ist nach Luthers Überzeugung gerade dieser Text besonders geeignet. Luther verficht die Meinung, Maria sei ein gesellschaftlich niedrig stehendes Mädchen gewesen. Und auch die, die Gott fürchten, die Niedrigen und Hungrigen betrachtet Luther als Glaubende, die in aller Regel nicht zur Elite gehören: mit dem im Magnifikat und in Jer. 9, 23 und 24 (Verszählung nach der Biblia Vulgata) verwendeten Begriffen gesprochen weder, was die Bildung angeht (also sind sie weniger gefährdet, hochmütige ,verkehrte Gelehrte' zu werden) noch was die Herrschergewalt angeht (also liegt die Gefahr des Machtmißbrauchs weniger nahe) noch was den Reichtum angeht (also sind sie weniger gefährdet, sich an Besitz zu halten statt an Gott). Luther interpretiert den Text des Magnifikat ja mit Hilfe von Jeremia 9, 23 und 24, wie unten gezeigt werden soll. Die Grenze zur Predigt ist in diesem Kommentar für einen breiteren Leserkreis manchmal fließend. Nicht selten schließt Luther sich mit den Adressaten durch ein ,wir' oder ,uns' zusammen. Er ist dann sowohl Autor als auch Adressat und kann auch durchaus den Ton der Predigt wählen, die er im Kommentar weiterführt. In den Fällen, in denen Luther im ,wir'-Stil spricht, meint er die vorfindlichen Christen, nicht die Christen, wie sie sein sollten. Den so umschriebenen Christen fehlt beispielsweise der Glaube. 57 Sie sind nicht etwa einfach identisch mit den,Frommen', die Luther den,Bösen' gegenüberstellen kann. 58 ,Wir' Christen haben keinen Glauben, kann Luther sagen. 59 Falls ein Christ wirklich demütig ist, dann m u ß Gott dafür sorgen, daß er das 57

„Wir glaubloszen tappen mit der faust nach der barmhertzickeit vnd nach dem a r m gottis / vnd wen wir nit fulen / szo meynen wir / es sey mit vns vorloren / v n n d mit d e n f e y n d e n g e w o n n e n . . . " (StuA 1, 351, 15-17). 58 Vgl. StuA 1, 350, 18. 59 Vgl. StuA 1, 351, 15.

14

J.

Einleitung

nicht merkt. Gott selbst m u ß ihn davon ablenken, auf sich selbst zu sehen und über sich zu reflektieren. Dazu kann es dienen, daß einem Christen Leid widerfährt. 60 Im Stil einer exegetischen Vorlesung legt Luther Wörter auf die Goldwaage. Er legt beispielsweise großen Wert auf die Abfolge der Wörter innerhalb biblischer Sätze. Aus ihr zieht er wiederholt Schlüsse.61

1.8. Der Aufbau der Schrift im Überblick Der Aufbau der Schrift ist nur dann klar, wenn man von den Exkursen absieht. Widmungsbrief und Schlußgruß an den jungen Herzog Johann Friedrich rahmen die Auslegung. In diesen Teilen ist ganz besonders von der Gottesfurcht die Rede, derer nach Luthers Überzeugung besonders Herrscher dringend bedürfen. Dieses Thema klingt ferner in der Auslegung von Lukas 1, 50 („denen, die ihn fürchten") an. Die erste Übersetzung des gesamten Texts des Magnifikat und die Vorrede dienen der Einführung und bringen das Interesse zur Geltung, das Luther leitet: zum Lobe Gottes anzuspornen. Dieses Lob Gottes kann seiner Auffassung nach nur aus der Liebe zu Gott wachsen. Diese Liebe zu Gott entspringt bei Maria daraus, daß er ihre Niedrigkeit rettend ansieht. Andere Menschen können daraus schließen, daß Gott folglich dazu geneigt ist, auch sie rettend anzusehen. Seine Satz-für-Satz-Auslegung beginnt und beendet Luther mit einem Lobpreis der Inkarnation Jesu Christi. Dazwischen fügt er einen Lobpreis des Eingreifens Gottes ein zugunsten derer, die auf seine Kraft vertrauen und gegen die, die sich auf ihre eigene Kraft verlassen (Lk 1, 50-53). 62 Maria lobpreist nach Luthers Auffassung Gott deswegen, weil er sie, seine geringe Magd, in ihrer Nichtigkeit angesehen hat. Sie lobpreist Gott, weil er stets denen, die ihm vertrauen, gegen jene beisteht, die im Vertrauen auf ihre eigene Kraft seinen Geboten zuwiderhandeln. Maria lobpreist Gott schließlich deswegen, weil sie das Vorrecht hat, den,Samen Abrahams', den Gottessohn, getreu der Verheißung zu gebären. Unübersichtlich wird Luthers Kommentar dadurch, daß er immer dann, wenn er einer gegenteiligen Ansicht entgegentreten oder eine eigene Auffassung einprägen will, längere Exkurse einschiebt. Die Rezeption der Schrift belegen die Drucke. 63 Noch im Jahre 1521 erschienen drei Wittenberger Ausgaben und vier Nachdrucke. Darunter waren zwei Basler Drucke. 1525 wurde die Schrift ins Lateinische übersetzt. Entweder auf der Grundlage des deutschen Originals oder dieser Übersetzung erschienen wohl bereits im gleichen Jahr zwei Ausgaben einer Übersetzung ins Französische. Higman hat sie mit aller Vorsicht 60 61 62

Vgl. StuA 1,332, 10-17. Vgl. beispielsweise StuA 1, 320, 2 - 9 . Vgl. Luthers programmatische Aussage z u m Aufbau des Magnifikat in seiner Sicht in StuA 1,358,

3-5. 63

Vgl. dazu Benzing / Claus: Lutherbibliographie I, von Nr. 856 an.

Huldrych Zwingli und Thomas Müntzer über das erste Kapitel des Lukasevangeliums

15

den Druckern Martin Lempereur in Antwerpen und Simon Du Bois in Paris zugewiesen. 64 Am 1. März 1531 wurde sie auf den Index gesetzt.65

1.9. Huldrych Zwingli und Thomas Müntzer über das erste Kapitel des Lukasevangeliums Um die Eigenart von Luthers Deutung klar herauszuarbeiten, lohnt es sich, einen Blick auf etwa gleichzeitig entstandene Auslegungen des ersten Kapitels des Lukasevangeliums der Reformatoren Zwingli und Müntzer zu werfen. 66 Der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli hat 1522 eine Predigt über das erste Kapitel des Lukasevangeliums gehalten. Weil Lukas 1, 39-50 am Fest der Himmelfahrt Marias, dem 15. August, die Evangelienperikope ist, liegt es am nächsten, daß er seine Predigt an diesem Tag gehalten hat. Danach hat er sie für den Druck bearbeitet und veröffentlicht. Am 16. Oktober des Jahres bedankte sich ein Luzerner für die ihm zugesandte gedruckte Schrift. 67 Gewidmet hat Zwingli die gedruckte Predigt seinen Brüdern im heimatlichen Wildhaus. 68 In seinem Widmungsbrief schreibt er, er wolle damit Verleumdungen entgegentreten, die man gegen ihn verbreitet habe. 69 Im Text der Predigt differenziert er zwischen Vorwürfen auf sittlichem und auf theologischem Gebiet. Er sei bereit, zu verzeihen, daß man behauptet hatte, er habe uneheliche Kinder und er habe sowohl vom Papst als auch vom französischen König Jahrgelder erhalten. Doch den Vorwurf, er habe dadurch, daß er die Mutter Jesu Christi beleidigt habe, Gott selbst gelästert, könne er nicht auf sich sitzen lassen.70 Er habe differenzierend erläu64

Higman, Piety and the People, S. 291. Higman: Censorship and the Sorbonne, S. 83. 66 Zeitlich weniger nahe bei Luthers Auslegung stehen beispielsweise Erasmus u n d Bullinger. Zu Erasmus vgl. Halkin: La mariologie d'Erasme. Die Marienpredigt Bullingers ist in einer Übersetzung in modernes Deutsch b e q u e m zugänglich bei Tappolet/Ebneter, Das Marienlob der Reformatoren, (S. 274-275: Einleitung), S. 275-302. 67 Vgl. Schneider: Zwingiis Marienpredigt u n d Luthers Magnifikat-Auslegung, S. 110 (zur Datierung) u n d S. 112, Anm. 63 (zur Reaktion des Empfängers, mit Hinweis auf Zwingiis Werke Bd. 7, 597, 1-3). 68 Die Vorrede ist in m o d e r n e m Hochdeutsch abgedruckt bei Campi: Zwingli u n d Maria, S. 101— 109. Vgl. z u m Kontext der Predigt Schneider (wie A n m . 6 7 ) , S. 106-113 u n d Campi: aaO., S. 15-23. Schneider bezeichnet den v o r n e h m e n Zürcher Militär Jakob Stapfer als den, der auf der Durchreise in Chur Vorwürfe gegen Zwingli erhoben habe (S. 110-111). C a m p i sieht den C h o r h e r r n am Zürcher Großmünsterstift Konrad H o f m a n n als den Autor der S c h m ä h u n g an u n d verweist dafür auf dessen ,Klagschrift' (S. 101, Anm. 3). Stapfer ist seiner Meinung nach n u r der Verbreiter der Vorwürfe gewesen (S. 119, Anm. 42). 69 Zwingli: Vorrede zur Marienpredigt (in modernes Deutsch übersetzt bei Campi, S. 107): „Wenn m a n euch sagt, ich lästerte Gott u n d die Jungfrau Maria oder ich verfälschte die Lehre Gottes, so glaubt es nicht." 70 Zwingli (ed. Corpus R e f o r m a t o r u m Bd. 88 = Z 1,405,5-7): „Rede ein yeder uff m i n e sitten, was er welle, sye im verzigen, aber kein gotzlesterung wil ich immer lyden." (In m o d e r n e s Deutsch übersetzt bei Campi, S. 118-119: „Jeder möge über meine Sitten reden, was er wolle, so sei ihm verziehen, doch Gotteslästerungen ertrage ich nicht.") 65

16

1. Einleitung

tert, das an Maria gerichtete ,Ave, Maria' sei ein Gruß oder ein Lob, aber kein Gebet. Doch man habe ihm das Wort im Munde herumgedreht und behauptet, er habe gesagt, mit einem ,Ave, Maria' sage ein Christ nicht mehr als: „Gott grüße dich, junges Fräulein!"71 Auffallend ist, wie christozentrisch Zwingli seine Marienpredigt formuliert hat. An einer Stelle sagt er geradezu, wenn es nicht seine eigentliche Absicht wäre, auf das Lob Marias einzugehen, dann könnte er seinen eben formulierten kurzen Abriß der Soteriologie mit Bibelstellen belegen. 72 Wiederholt greift er, um seine Argumentation zu unterbauen, auf den griechischen Urtext zurück. So betont er beispielsweise, Maria vermöge nicht etwa aus eigener Kraft Gnade zu geben, sondern sei Empfängerin der Gnade Gottes. 73 Ansprechend ist Schneiders Vermutung, Zwingli könne in seiner Marienpredigt deswegen ausgerechnet die Verse des Magnifikat innerhalb des ersten Kapitels des Lukasevangeliums nicht behandelt haben, weil ihm Luthers Kommentar aus dem Vorjahr bereits vorlag. 74 Sollte das richtig sein, dann bleibt freilich die Frage offen, ob Zwingli deswegen nichts zur Auslegung des Magnifikat geschrieben hat, weil er seinen Lesern nicht hat mitteilen wollen, was er als aus Luthers Auslegung ohnehin bekannt voraussetzen konnte, oder ob er gerade umgekehrt vor allem seine Selbständigkeit gegenüber Luther hat betonen wollen. Kennzeichnend für den Unterschied zwischen Luthers und Zwingiis Auslegung des ersten Kapitels des Lukasevangeliums ist es beispielsweise, daß Zwingli weniger Sorge hegt als Luther, die Marienverehrung könnte zu Lasten der Verehrung Jesu Christi gehen. Das zeigt sich beispielsweise an der folgenden Aussage Zwingiis: „Und je mehr die Ehre und die Liebe zu Christus Jesus unter den Menschen wachsen, desto mehr wachsen auch die Wertschätzung und Ehre Marias, eben weil sie uns den erhabenen und dennoch barmherzigen Herrn und Erlöser geboren hat." 75 Luther kann zwar auch sagen, daß Maria deswegen wertgeschätzt werde, weil sie die Mutter Jesu Christi gewesen sei. Doch er warnt dann sofort davor, daß zu seinem Bedauern die Realität so aussehe, daß die Verehrung Marias die Jesu Christi beeeinträchtige: „den szouiel wirdigs vordienst man yhr zulegt / szo vil man der gotlich gnaden abbricht / vnd des Magnificat warheit mindert." 76 71 Vgl. Zwingli: Marienpredigt (ed. Corpus Reformatorum Bd. 88 = Z 1, 4 0 8 ^ 0 9 , übersetzt bei Campi, 124). 72 Zwingli: Marienpredigt (übersetzt bei Campi, S. 112). 73 Zwingli: Marienpredigt (ed. Corpus Reformatorum Bd. 88 = Z 1,406,16-26, übersetzt bei Campi, S. 120-121): „Daraus [[aus dem griechischen Wort kecharitomene]] lernen wir, daß das Wort .voller Gnaden' nicht in dem Sinne verstanden werden soll, daß sie von sich aus voller Gnaden gewesen sei, sondern daß alle Gnade, an der sie reich und mit der sie erfüllt war, von Gott gekommen ist." Weitere Bezugnahmen auf den griechischen Text: Z 1,402,22ff. [[/¡eoos]] und Z 1,407, 7-13 [[eulogoumene]]. 74 Vgl. Schneider: Zwingiis Marienpredigt und Luthers Magnifikat-Auslegung, S. 121 mit Anm. 138 und S. 129-130. 75 Zwingli: Marienpredigt (ed. Corpus Reformatorum Bd. 88 = Z 1,426,19-20, übersetzt bei Campi, S. 144). 76 Luther: Magnifikat-Auslegung (StuA 1, 336,14-15). Ein .Würdigkeitsverdienst' ist ein .meritum

Huldrych Zwingli und Thomas Müntzer über das erste Kapitel des Lukasevangeliums

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Thomas Müntzer hat drei Jahre nach Luther und zwei Jahre nach Zwingli, genauer gesagt in der zweiten Hälfte des Juli 1524, das erste Kapitel des Lukasevangeliums ausgelegt. Von Müntzers Schrift sind zwei Fassungen erhalten geblieben. Die längere von beiden enthält seine ungekürzte Auslegung, die andere ist entschärft, um der Zensur der sächsischen Herrscher keinen Anstoß zu geben. 77 Im Auftrag des Täufers Hans Hut wurde die Langfassung in einer Auflage von 500 Exemplaren in Nürnberg gedruckt. 100 davon wurden in Augsburg verkauft, den Rest ließ der Rat von Nürnberg konfiszieren. Zum Zeitpunkt, zu dem er seine Auslegung des ersten Kapitels des Lukasevangeliums schrieb, hatte Müntzer ähnlich wie Luther bereits eine lange Erfahrung in seiner persönlichen Frömmigkeit mit dem Text des Magnifikat. Denn als Priester war er ja dazu verpflichtet, es täglich zu beten, gehört es doch zu den Texten des Priesterbreviers. Aber daneben hatte er diesem biblischen Text bereits vor Ostern des Jahres 1523 in seiner deutschen Gottesdienstordnung einen Platz in jedem Abendgottesdienst gegeben. Ferner soll laut Müntzers Gottesdienstordnung in der Adventszeit das dem Magnifikat der Maria verwandte Lied der Hanna (1. Sam. 2, 1-10) gebraucht werden. Darin kommt in den Versen 4-10 Gottes Eingreifen für die Schwachen gegen die Starken zur Sprache: Gott der Herr zerbricht den Bogen der Starken und stärkt die Schwachen, läßt die Satten Hunger leiden und sättigt die Hungerleider, schenkt der unfruchtbaren Frau gleich sieben Kinder, Kinder in Fülle also, und läßt die Mutter vieler Kinder dahinwelken. Gott tötet und macht lebendig, macht arm und reich, erniedrigt und erhöht, erhebt den Geringen aus dem Staube. Der Schwerpunkt liegt in Hannas Lied deutlich auf Gottes umwälzendem Eingreifen. Zwar werden (in Vers 9) auch die .Heiligen Gottes' den .Gottlosen' gegenübergestellt, so daß durchaus auch eine Interpretation von Hannas Lied nach dem Schema .Gottesfürchtige versus Gottlose' möglich ist. Doch verglichen mit der Vielzahl der Aussagen über Erniedrigen und Erhöhen tritt diese eine Aussage nicht in den Vordergrund. Im Unterschied zu Luther, der in erster Linie das wirkungsvolle Hinsehen Gottes auf die sozial niedrig stehende Maria betont und daraus ableitet, vertrauender Glaube sei die angemessene Antwort auf Gottes Tun, 78 interpretiert Müntzer auch das Magnifikat in erster Linie so, wie es sich bei Hannas Lied nahelegt: Gott erniedrigt und erhöht. In seinem Deutschen Kirchenamt und in seiner Deutsch-Evangelischen Messe faßt Müntzer 1523 noch die päpstliche Kirche als den wichtigsten Widersacher ins Auge und nicht etwa Luther und seine Anhänger. Die päpstliche Kirche hindert seiner Überzeude condigno'. Wer von einem solchen positiv spricht, der setzt voraus, daß ein Mensch vor Gott wirkich etwas verdienen könne. 77 Die Langfassung trägt den Titel .Aussgedrückte Entblössung des falschen Glaubens'. Die für die Zensur bearbeitete Fassung heißt .Gezeugnus des ersten capitels des evangelions Luce'. Günther Franz hat beide Fassungen in Form einer Synopse ediert in: Thomas Müntzer: Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe. Eine dieser Ausgabe gegenüber verbesserte Edition wird zur Zeit von Gottfried Seebass und Eike Wolgast in der von Helmar Junghans betreuten Müntzer-Ausgabe vorbereitet. 78 Vgl. Luthers eigene Zusammenfassung des Magnifikat im Wittenberger Gemeindegesangbuch des Jahres 1529, zitiert bei Markus Jenny: Luthers Gesangbuch, S. 306.

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1.

Einleitung

gung nach durch einen ,arglistigen Deckel' das Licht der Welt daran, in Lobgesängen und Psalmen zu leuchten. Formal gesehen verdunkelt die päpstliche Kirche das göttliche Licht durch den Gebrauch des Lateinischen im Gottesdienst, dem Müntzer nun durch sein Deutsches Kirchenamt ein Ende machen will. Inhaltlich besteht das Hindernis in der Betrachtung der Messe als eines Opfers. 79 Im Jahr darauf ist es nicht mehr in erster Linie die päpstliche Kirche, gegen die sich Müntzer wendet, sondern nun sind es Luther und seine Anhänger. Sie haben nach Müntzers Auffassung eine verkehrte Art des Glaubens. Vergleichbar der Art, in der Luther Jeremia 9, 23 und 24 (Verszählung nach der Biblia Vulgata) zur Interpretation des Magnifikat heranzieht, gebraucht Müntzer drei alttestamentliche Texte, um seine eigene Aufgabe und seine Auslegung des ersten Kapitels des Evangeliums nach Lukas zu deuten. Der Prophet Hesekiel erhielt laut Kap. 8, 7-8 des Buches den Auftrag, ein Loch in eine Mauer zu brechen, um sehen zu können, wie das Volk Israel sich der Verehrung anderer Götter hingab. Müntzer hält sich für beauftragt, sichtbar zu machen, wer in seiner eigenen Zeit die großen Männer seien, die Gott lästerten und ihn zu einem gemalten Männlein' zu reduzieren versuchten. 80 Die Legitimation seines Auftretens leitet Müntzer ferner aus Jer 23, 29 ab: „Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?" Zum dritten zieht er, um seinen Auftrag zu begründen, Jer 1,18-19 heran: „Denn ich will dich heute zur festen Stadt,... zur ehernen Mauer machen ... daß, wenn sie auch wider dich streiten, sie dir dennoch nichts anhaben können; denn ich bin bei dir, spricht der Herr, daß ich dich errette." Durch die Wahl dieser Texte aus dem Alten Testament machte Müntzer unter anderem auch deutlich, wie er das erste Kapitel des Lukasevangeliums interpretierte. Er verstand das Magnifikat auf dieselbe Weise wie das Loblied der Hanna. Sich selbst sah er als Werkzeug Gottes bei diesem umstürzenden Tun, als den zerschmetternden Hammer und als den, der das Loch in der Mauer vergrößern muß, damit der Götzendienst sichtbar wird. Mit Luther wollte er nicht an der Universität hinter geschlossenen Türen diskutieren, sondern öffentlich. Luther und seine Kumpanen wollen über den Glauben urteilen. Doch sie finden keinen Glauben, weder bei Gott noch bei Menschen. Sie stehlen die Heilige Schrift und wollen dem ,gemeinen Mann' nicht zugestehen, daß er ebenso gut wie sie beurteilen könne, was die Bibel sage. Sie trachten nach Ehre und nach Besitz - und auf dem Hintergrund der Aussagen des Magnifikat, wie Müntzer es versteht, ist ihnen damit bereits das Urteil gesprochen. Ohne Beben und Gottesfurcht

79 Vgl. den Beginn des Titels des Deutschen Kirchenamts: Deutzsch kirchen a m p t / vorordnet, auffzuheben den hinterlisti // gen deckel unter welchem das Liecht // der weit / vorhalten w a r . . . (Müntzer, ed. Franz, S. 25), u n d den Titel des Erstdrucks von Müntzers Schrift: Deutsch Euangelisch Messze etw a n n // durch die Bepstischen pfaffen im latein zu grossem // nachteyl des Christen glaubens vor ein opffer // gehandelt / u n d itzdt vorordent in dieser / ferlichen // zeyt zu entdecken den grewel // aller abgötterey durch solche // missbreuche der Messen // langezeit getriben. / / T h o m a s Müntzer // Alstedt // 1524 (Müntzer, ed. Franz, S. 157). 80 Vgl. Müntzer: Ausgedrückte Entblössung (ed. Franz, S. 267, 10-13): „wer unser grosse hansen sind, die Got also lesterlich zum gemalten mendleyn gemacht haben."

Eine ökumenische

Schrift?

19

gibt es keinen Glauben. 81 Wenn Luther etwas anderes behauptet, dann führt er in die Irre! Wer sich das Glauben zu leicht macht, der ist zutiefst, in seinem,Herzen', leichtfertig.82 Erst Gottesfurcht schafft Raum für den Heiligen Geist. Diese Entwicklung m u ß ein Mensch durchmachen. 83 Im,Herzen' entscheidet sich ja, wie ein Mensch eingestellt ist. Luther und seine Anhänger sind noch schlimmer als der Papst. Sie predigen auf ihre unverschämte Weise, die armen Christen müßten sich durch die Tyrannen aussaugen lassen.84 Müntzer liest das Magnifikat in erster Linie als einen sozialkritischen Text, der dazu ermutigt, Mißstände zu beseitigen. Luther dagegen mahnt, zu warten, bis Gott selbst den Frevel der Mächtigen strafe. Alttestamentliche Fromme wie Abraham, David und Esther beweisen seiner Meinung nach, daß Reichtum und Macht nicht schon an sich zu verdammenswertem Hochmut führen müssen, sondern erst die Selbstüberschätzung, die nur allzu leicht die Folge einer hervorragenden gesellschaftlichen Position werden kann. Während ein Christ nach Müntzers Auffassung nur durchs Leiden hindurch zum ,Glauben' kommen kann, ist für Luther Glaube die Antwort auf Gottes rettendes Hinsehen und Eingreifen.

1.10. Luthers K o m m e n t a r z u m Magnifikat - eine Brücke zwischen der römisch-katholischen u n d d e n evangelisch-lutherischen Kirchen? Die Tatsache, daß Luther in seinem Kommentar Maria anruft, hat immer wieder dazu geführt, daß dieser Schrift eine besondere Rolle im Gespräch zwischen der römisch-katholischen und den evangelisch-lutherischen Kirchen zugewiesen worden ist. Einige Hinweise müssen hier genügen. Schon 1587 versuchte eine anonym erschienene römisch-katholische Schrift Lutheranern zu demonstrieren, im Gegensatz zu seinen Schülern sei Luther noch altgläubig gewesen, und zog dazu seine Auslegung des Magnifikat heran. 85 Wurde hier versucht, Luther zu vereinnahmen und erst die Lutheraner als die Abweichler zu schildern, so empfanden andererseits manche Lutheraner es als Problem, daß Luther in seiner Schrift Maria anrief. So schrieb beispielsweise Veit Ludwig von Seckendorf 1692: „Überbleibsel seiner früheren Überzeugung finden sich darin, daß er von der Jungfrau Maria heilbringendes Verständnis dieses Liedes [des Magnifikat] erbittet." 86 Johann Georg Walch sprach in seiner Edition der Werke Luthers von

81

Vgl. Müntzer: Ausgedrückte Entblössung (ed. Franz, S. 272, 18-22. 30-33). Vgl. Müntzer: Ausgedrückte Entblössung (ed. Franz, S.273, 30-32). 83 Vgl. Müntzer: Ausgedrückte Entblössung (ed. Franz, S. 273, 39-41. S. 274, 1- 3. 10-12). 84 Vgl. Müntzer: Ausgedrückte Entblössung (ed. Franz, S.275, 30-33). 85 Vgl. Düfel: Luthers Stellung zur Marienverehrung, S. 18 f. 86 „In hac veteris persuasionis reliquiae sunt, d u m a Maria virgine sibi procurari petit salutarem huius cantici intellectum." Veit Ludwig von Seckendorf: C o m m e n t a r i u s historicus et apologeticus de Lutheranismo seu de Reformatione, hier zitiert nach: Düfel: Luthers Stellung zur Marienverehrung, S. 20, Anm. 17. 82

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1.

Einleitung

„Schwachheiten, die dem seligen Luthero beim Anfang und in den ersten Jahren der Reformation aus dem Papsttum noch angehangen." 87 Als Brücke zur Verständigung zwischen römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Kirche verstand Luthers Schrift E. Krebs im Jahre 1917. Er schrieb zu Luthers Auslegung: „mit katholischem Vertrauen in Marias Fürbitte erhofft er von ihr die Erleuchtung und Stärkung, die ihm das heilige Lied zu verstehen und seine Mahnung zu befolgen helfen soll, und echt katholisch hofft er ,dadurch', d.h. durch heilsames Verständnis und .löbliches Leben', also nicht nur durch den Glauben allein, das ewige Leben zu erlangen." 88 In dieser ökumenischen Ausrichtung wurden im deutschen Sprachraum die Übersetzungen von Luthers Auslegung des Magnifikat in modernes Deutsch 1964 mit Begleitworten katholischer Gelehrter (Albert Brandenburg) und 1982 (Helmut Riedlinger) besonders wirkungsreich. Vergleichbar in Anspruch und Wirkung ist im niederländischen Sprachgebiet 1966 die Übersetzung von Luthers Schrift ins Niederländische mit erklärendem Nachwort der Augustinermönche Anno Lampe O.S.A. und Samuel IJsseling O.S.A. Zu Versuchen, das Gespräch zwischen römisch-katholischen und evangelisch-lutherischen Christen dadurch zu fördern, daß man Luthers Auslegung des Magnifikat heranzieht, ist zusammenfassend zu sagen, daß die Verehrung Marias, die Luther in dieser Schrift propagiert, nicht von der in anderen Schriften abweicht. Bei allen ehrenvollen Beinamen, mit denen er sie auszeichnet, bleibt sie doch stets eine Gefährtin im Glauben. Nie rückt sie auf eine Weise in die Nähe ihres Sohnes, die ihre Verehrung irgendwie mit der Christi konkurrieren lassen könnte.

1.11. Z u r B e n u t z u n g dieses K o m m e n t a r s Der Kommentar legt als Text den der Martin Luther-Studienausgabe (StuA) zugrunde, der vor allem durch die beigegebenen Erläuterungen einen Fortschritt gegenüber der Edition von Luthers Schrift in der Weimarer Ausgabe bedeutet. Ohne stets den Namen des Autors Luther zu wiederholen, werden Zitate aus dieser Edition durch ,StuA 1' und Angabe der Seiten- und Zeilenzahl gekennzeichnet. Zitate werden im frühneuhochdeutschen Original geboten. Im Unterschied zur Martin Luther-Studienausgabe werden freilich in den Zitaten aufgelöste Kürzel nicht eigens in Klammern gesetzt. Normalisiert wird nicht, auch nicht der vokalische und konsonantische Gebrauch von u und v

87

Zitiert bei Düfel (wie Anm. 86), S. 22, Anm. 19. Zitiert nach Düfel (wie Anm. 86), S. 131, Anm. en 74 u n d 75. Der Artikel von E. Krebs mit d e m Titel „Luthers Magnifikat-Auslegung u n d die katholische Marienverehrung", erschienen im Oberrheinischen Pastoralblatt 1917, war mir in Amsterdam nicht zugänglich. Laut Düfel steht das Zitat auf S. 127. - Zu Krebs' Aussage ist freilich kritisch anzumerken, d a ß für Luther die Aussage .durch den Glauben allein' keineswegs die aus d e m Glauben folgende Lebensgestaltung ausschließt. Es mag an dieser Stelle genügen, dafür auf die Lutherstudie von Gerta Scharffenorth: „Den Glauben ins Leben ziehen" hinzuweisen. 88

Zur Benutzung dieses Kommentars

21

bzw. von i und j. Der ganze Bibelabschnitt Lk 1,46b-55 wird bewußt statt mit der lateinischen Verbform ,magnificat' mit dem deutschen Fremdwort ,Magnifikat' bezeichnet. Die Gliederung von Luthers Schrift soll deren Aufbau verdeutlichen. Ist dieser doch durch die beiden Exkurse zur rechten Verehrung Marias und zum Unterschied zwischen dem Bekenntnis zum Recht und der Durchsetzung des Rechts nicht eben leicht erkennbar. Es erschwert die Übersichtlichkeit des Aufbaus von Luthers Auslegung auch, daß ihn in manchen Fällen eine aktuelle Auseinandersetzung so sehr beschäftigt, daß er seine eigene Gliederung umstößt. So beginnt er beispielweise seine Auslegung zu Lk 1,50 statt mit Aussagen über Gottes Barmherzigkeit mit solchen über die Hoffärtigen, weil ihn der Streit mit dem Papst und der Kurie so beschäftigt. Von Hoffärtigen sollte eigentlich laut Luthers eigener Gliederung erst zu Lk 1, 51 die Rede sein. Der Benutzer soll in diesem Kommentar ferner auf Luthers sprachliche Souveränität hingewiesen werden. So gelingt es Luther beispielsweise stets von neuem, sein Leitmotiv anklingen zu lassen: Gott sieht gnädig an. So nennt er etwa Maria unansehnlich'. So spricht er davon, daß es ,nicht anzusehen' war, daß Maria als Jungfrau die Mutter eines solchen Kindes werden würde, daß noch einmal ein Sproß aus dem Geschlecht Davids zu .Ansehen' kommen würde, daß die ,Welt' unfähig dazu sei,,anzusehen', was in ihrer Nähe vorgeht, weil sie sich stets nach oben hin orientiere. An manchen Stellen wird andererseits darauf aufmerksam gemacht, daß Luthers Wortwahl zu Mißverständnissen Anlaß geben kann. So etwa dann, wenn er statt von gewalttätig' von ,gewaltig' spricht, statt von ,hochmütig' von ,weise' oder statt von ,gottesfürchtig' von ,furchtsam'. Da Luther in dieser Schrift in der Volkssprache für ein breiteres Publikum aus seiner akademischen Tätigkeit schöpft, werden Hinweise auf andere Werke Luthers gegeben, aber auch auf spätmittelalterliche Formen der Frömmigkeit und theologische Positionen, gegen die er sich absetzt.

2. Kommentar 2.1. Der W i d m u n g s b r i e f (StuA 1,314, 2 - 3 1 6 , 11) Oben war bereits davon die Rede, daß Luther annehmen konnte, daß der Adressat des Widmungsbriefes, Herzog Johann Friedrich aus dem Geschlecht der Wettiner, einmal zu den mächtigsten Männern des Reiches gehören sollte. Es ist also berechtigt, daß Luther ihn zu den „grossen Fürsten" 1 , „grossen herren" 2 und „vberherrn" 3 rechnet. Weil er als Schriftbeweis Sprüche 21,1 verwenden will: „Das Herz des Königs ist in Gottes Hand, der kann es wenden, wohin er will", nennt Luther Fürsten sogar mit Königen in einem Atemzug, was der gesellschaftlichen Realität seiner Zeit nicht entspricht. 4 Auf dem Hintergrund der Geschichte seiner Zeit ist auch Luthers Behauptung nicht recht verständlich, ein solcher Souverän habe Menschen nicht zu fürchten. 5 Nicht einmal der Kaiser war in einer solch beneidenswerten Lage, geschweige denn ein junger Herzog von Sachsen.6 Wenn selbst der regierende Kaiser Menschen fürchten mußte, um wieviel mehr dann ein Herzog, auch wenn er einmal Kurfürst von Sachsen werden sollte! Der Beginn der Widmungsvorrede ist auf den Ton der Ergebenheit und der Dankbarkeit Luthers dem mächtigen jungen Gönner gegenüber gestimmt. 7 Doch erst an deren Ende schlägt Luther erneut den ehrfurchtsvollen Ton an, der in seiner Zeit einem Herzog gegenüber geboten war.8 Im Hauptteil der Widmungsvorrede dagegen ermahnt und warnt der doch immerhin mit dem Kirchenbann bedrohte Luther den jungen Herzog, als wäre nicht er selbst in Gefahr, sondern der künftige Herrscher. Das ist in der feudalen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts am ehesten dann verständlich, wenn man sich vor Augen hält, daß ein Geistlicher auch einem Fürsten gegenüber ein Wächteramt in Anspruch nehmen konnte und gerade für einen jüngeren Fürsten eine Art 1

StuA 1, 314, 24. StuA 1, 315, 4. 3 StuA 1, 315, 21. 4 StuA 1,315, 1-6. 5 Vgl. StuA 1, 315, 21. 6 Luther begründet seine Aussage so: „die unterthanen thuren [,dürfen' im Sinne von: wagen] nit erausz faren für furcht der vberkeit..." (StuA 1, 315,20). Gegen die Behauptung Luthers sprechen freilich, historisch gesehen, beispielsweise die Kriege, die Kaiser Karl V. gegen unzufriedene spanische Granden führen mußte, und die Begrenzung seiner Macht im Reich durch die Rechte der Kurfürsten. 7 StuA 1,314, 11-20. 8 StuA 1,316,8-10. 2

24

2.

Kommentar

von Fürstenspiegel schreiben durfte. Luther richtet die Aufmerksamkeit Johann Friedrichs auf das Verfahren, in dem Gott sein Leben bewerten wird und entwirft eine knappe Standesdidaxe. Schaut man nach den inhaltlichen Aussagen und bedenkt dabei das Geschlecht und die soziale Position des jungen Herzogs einerseits, der von Luther skizzierten Maria andererseits, so wird deutlich, daß Luther erstens dem Herzog und künftigen Kurfürsten, einem Mann, eine Frau als Vorbild vor Augen stellt, zweitens noch dazu eine Frau ganz vom unteren Ende der sozialen Leiter als Vorbild für den sozial hochstehenden Herzog. Ein Herr in seiner hohen Funktion kann Heil 9 oder Verderben 10 für viele Menschen bedeuten, Nutzen 11 oder Schaden. 12 Das Reden vom ,Heil' zieht sich als roter Faden durch Luthers Widmungsvorrede. Sowohl der negative Gegenbegriff,Verderben' 13 als auch ,Heil' können irdisches Zugrundegehen oder Wohlergehen meinen, aber auch ewiges Verderben oder ewiges Heil. 14 Nur dann kann ein Herrscher seinen Untertanen zum Heil gereichen, nur dann kann sein Regieren Wohlergehen spenden, wenn Gott selbst ihm Gottesfurcht ins ,Herz' legt. Das Herz ist für Luther das Zentrum der Person, in dem die Entscheidungen fallen. 15 Von Natur ist das Herz „fleisch vnd blut" und demnach nicht vom Geist Gottes regiert. 16 Wird es sich selbst überlassen, so neigt es zur Vermessenheit. 17 Ist ein Herz nicht auf Gott ausgerichtet, sondern auf die Güter, die Gott schenken kann, so wird es hoffärtig und selbstgefällig.18 Es liegt am,Herzen 1 eines Herrschers, wie er regiert. Es hängt davon ab, ob ein Herrscher bereit ist, sich von der Furcht Gottes regieren zu lassen und dadurch wohl zu regieren und auf eine heilbringende Weise Herr zu sein.19 Eben deswegen, weil ein Regent über große Macht verfügt, darf sein Herz nicht eigenen Eingebungen und Neigungen überlassen bleiben. Wird ein Herrscher der eigenen Leitung entzogen, so bedeutet das, daß er von Gott in Gnaden 9

StuA 1, 314, 24. StuA 1, 314, 25. 11 „frummen": 315, 6f. 12 StuA 1, 315, 7. 13 StuA 1, 314, 25. 14 Vgl. dazu etwa StuA 1,326,21: Hier tadelt Luther Menschen, die mehr Lust am (irdischen) ,Heil' haben als am,Heiland'. Doch verwendet Luther .heilsam' auch im Sinn von ,zum ewigem Heil führend' (StuA 1, 316, 2. 6) und ,Heil' im Sinn von .Heiland' (StuA 1, 327, 42). 15 Ebeling formuliert: „Die res ipsa, die vor Gott zu Tage tritt, so daß der Mensch demaskiert dasteht, heißt in biblischer Sprache ,Herz'." (Lutherstudien, Bd. 2: Disputatio de homine, Bd. 3, S. 197). Vgl. auch Birgit Stolt, „Herzlich lieb habe ich dich, Herr, meine Stärke" (Ps. 18, 2), vor allem S. 407-409 (,Der Begriff Herz'). - In dem Abriß der biblischen Anthropologie, den Luther aus Anlaß der Auslegung von „meine Seele" bietet (StuA 1,320, 10-321,17), erhält das ,Herz' keinen Platz. Das kann man so erklären, daß Luther hier von I Thess. 5, 23 ausgeht und daß in diesem Vers die Vokabel ,Herz' nicht vorkommt. Doch kann es auch daran liegen, daß Luther an dieser Stelle nicht so sehr von biblischer Redeweise bestimmt ist als von der gebräuchlichen Einteilung des Menschen in Geist, Seele und Leib, wie sie in der (durch aristotelische Schriften geprägten) Schultheologie üblich war. 16 StuA 1, 315, 13. 17 StuA 1, 315, 13. 18 StuA 1,324, 31f. 19 StuA 1,315, 25f. 10

Der Widmungsbrief

25

regiert wird. Bleibt er dagegen sich selbst überlassen, so wird er gerade in Ungnade regiert. 2 0 Luther nennt an dieser Stelle kein Subjekt, das einen M a c h t h a b e r in Ungnade beherrschen kann. Er kann G o t t meinen, aber als ausführende Organe Gottes k o m m e n auch der Teufel oder der durch den Sündenfall geschädigte Eigenwille des Herrschers in Frage. Wenn Luther dem jungen Herzog Gottes Gnade und Beistand 2 1 wünscht, so meint er damit nicht b l o ß eine Unterstützung durch Gott, die dessen eigene Fähigkeiten lediglich fördern m ü ß t e , sondern ein Regiertwerden durch Gott. 2 2 Verwiesen sei auf die Bemerkungen zu Luthers Denken in schroffen Gegensätzen weiter oben in der Einleitung: Heil erfährt ein Mensch, der sich von Gott regieren läßt, nicht aber einer, der sein Leben selbst b e s t i m m e n will und dadurch in die Irre geht. Nach Luthers Überzeugung will Gott die Menschen, die M a c h t ausüben, dazu zwingen, ihm ehrfürchtig zu begegnen. Sie müssen erkennen, daß er allein durch besondere Eingebung ihr Denken b e s t i m m e n soll. 2 3 I m Unterschied zu Menschen o h n e obrigkeitliche Funktionen, die nur sich selbst nützen oder schaden, schaden oder nützen Herren, denen Gott selbst ihr A m t zugewiesen hat, vielen Menschen. Schon durch die Abfolge der W ö r t e r will Luther an dieser Stelle seinen Adressaten als einen künftigen Herrscher warnen: Bei Menschen o h n e obrigkeitliche Funktionen erwähnt er zuerst den Nutzen ( , f r u m m e n ' ) und dann erst den Schaden (,schadenn'), den sie anrichten können. W e n n er dagegen von den großen Herren spricht, dreht er die Reihenfolge u m und erwähnt den Schaden vor dem Nutzen. Je m e h r M a c h t j e m a n d hat, desto m e h r Schaden vermag er anzurichten. 2 4 Luther beschränkt an dieser Stelle die Machtposition von Herrschern, die seiner Überzeugung nach von G o t t selbst verliehen ist, darauf, daß ihr Tun für viele M e n schen Folgen hat. Sie sind Funktionsträger. 2 5 Weil Gott sie ausschließlich dazu eingesetzt hat, müssen sie ihrem eigenen Wollen entzogen und von Gott gnädig regiert werden. Fürsten k ö n n e n nach dieser Formulierung nur entweder ,frum' und ,gotfurchtig' sein oder ,schedlich'. 2 6 Luther setzt voraus, daß das Herz jedes Menschen, also auch das eines Fürsten, zur Vermessenheit neigt. Hat ein Mensch M a c h t und wird nicht von G o t -

20

StuA 1 , 3 1 4 , 2 4 - 3 1 5 , 1.

21

S t u A l , 314, 23.

22

Zu denken ist dabei an das Bild v o m Menschen als von einem Reittier entweder Gottes oder des

Teufels, das Luther etwa gleichzeitig in „Von der Freiheit eines Christenmenschen" gebrauchte. Fünf Jahre später wird Luther in „De servo arbitrio" deutlich machen, daß für ihn noch nicht einmal ein Mitwirken des menschlichen Willens unter der Leitung des Willens Gottes akzeptabel ist. 23

Vgl. StuA 1,315,4—6: „das sie leren sollen / wie gar nichts sie gedencken mugen / das got nit szon-

derlich yhn ein gibt." Luther geht an dieser Stelle nicht darauf ein, wie er sich diese ,revelatio specialis' vorstellt: durch Lektüre eines biblischen Texts wie beispielsweise des Magnifikat, durch das Hören einer Predigt oder auf welche andere Weise. 24

StuA 1 , 3 1 5 , 6 - 8 : „Anderer menschen thun / bringt nur yhn selb/ oder gar wenigen leutten frum-

men odder schadenn. Aber herrnn sein nur datzu gesetzt / das sie ander leutten schedlich oder nutzlich seynn / szo viel mehr / szo viel weitter sie regieren . . . " 25

„herrnn sein nur datzu gesetzt / das sie ander leutten schedlich oder nutzlich seyn . . . " (StuA 1,

315, 7f.). 26

StuA 1, 315, 9f.

26

2.

Kommentar

tes Geist gelenkt, dann wird sich diese Macht in bösen Taten äußern. 27 Gerade weil mächtige Menschen andere Menschen nicht zu fürchten brauchen, von anderen Menschen nicht in ihre Schranken gewiesen werden, müssen sie desto mehr Gott fürchten. Sie müssen versuchen, Gottes Wesen und die aus dessen Wesen entspringenden Werke Gottes zu erkennen, um ihrer Funktion so gerecht werden zu können, wie Gott es will.28 Dazu soll Marias Lobgesang Herzog Johann Friedrich anleiten. Immer wieder fordert Luther Furcht Gottes. Anhalt für diese Forderung im Text des Magnifikat bietet Lk 1, 50 f. Wird dort doch gesagt, daß Gott denen über Generationen Barmherzigkeit erweise, die ihn fürchten, während er die Hoffärtigen zerstreue. Luther leitet daraus ab, daß die Furcht Gottes das einzige Mittel ist, das vor der verfehlten hoffärtigen Einstellung bewahren kann. 29 Im Widmungsbrief spricht Luther allerdings nicht von,Hoffart', sondern von deren Synonymen,Vermessenheit' und,allzu freier Sicherheit'. 30 Jedes Menschenherz sieht er als von Natur aus dazu geneigt an, vermessen und überheblich zu sein.31 Das Herz eines Herrschers ist dadurch doppelt gefährdet, daß ihm im Unterschied zu den Herzen anderer Menschen auch noch,Gewalt, Gut und Ehre' 32 verliehen sind: durch die Wahl dieser drei Begriffe spielt Luther auf die g e w a l tigen', 33 ,Reichen' und,Hoffärtigen' 3 4 aus seiner Übersetzung von Lk 1, 51-53 an. Weil das Herz eines Herrschers über Gewalt, Gut und Ehre verfügt, läßt es sich noch viel eher dazu hinreißen als das eines gewöhnlichen Menschen, vermessen zu werden. 35 Luther setzt durch die Formulierung „in die Hand gegeben" 36 voraus, daß Macht, Besitz und die daraus folgende Anerkennung jedem Herrscher von Gott verliehen worden sind. Vermessene Herrscher aber vergessen das und betrachten als Errungenschaften 27 Vgl. StuA 1, 315, 12-19. Zur Interpretation vgl. Ebeling: Theologie zwischen reformatorischem Sündenverständnis und heutiger Einstellung zum Bösen, II. Sünde in Luthers Verständnis (1.-2.), S. 179-190. Vgl. auch Luthers 13. These für die Heidelberger Disputation (1518): „Liberum arbitrium post peccatum res est de solo titulo, et dum facit quod in se est, peccat mortaliter." (WA 1, 354, 5f.). 28 Vgl. StuA 315, 22f. - Zu der Frage, ob Luther hier die Souveränität eines deutschen Kaisers, Kurfürsten oder gar nur Herzogs nicht zu stark betont, vgl. oben bei den Anm. 4 bis 6. 29 StuA 1,315,12-19 und 2 1 - 2 3 . - Z u r Funktion der Forderung nach Furcht Gottes in Luthers Kleinem Katechismus auf dem Hintergrund spätmittelalterlicher Theologie vgl. Burger: ,Wir sollen Gott über alle Ding fürchten, lieben und vertrauen'. Das Reden von Gottesfurcht bei einigen spätmittelalterlichen Theologen und in Luthers Kleinem Katechismus. 30 StuA 1, 315, 15. ,Vermessenheit' darf deswegen als Synonym für ,Hochmut' betrachtet werden, weil Luther beide Begriffe an anderer Stelle in dieser Schrift aneinander reiht (StuA 1, 329, 7f.). 31 StuA 1, 315, 12f. 32 StuA 1, 315, 14. 33 So übersetzt Luther vor der Einzelauslegung des Verses Lk 1,52a (StuA 1, 353,2). In der Übersetzung ganz zu Beginn seiner Schrift übersetzt er stattdessen mit: „groszen herrnn" (StuA 1,316, 23). 34 Hoffart kann nach Luthers Überzeugung leicht daraus folgen, daß die Geehrten den Grund der ihnen gezollten Ehre in ihrer eigenen Vorzüglichkeit statt in Gottes Gabe sehen. Vgl. dazu beispielsweise: „wollen dauon geehret vnd gehaltenn sein für ander menschen" (StuA 1, 324,28) und weiter unten die Erläuterungen zu StuA 1, 323, 28f. 29f. und zu StuA 1, 324, 31 f. 35 Wenn schon das Herz des gewöhnlichen Menschen, „von natur fleisch vnd blut / ausz ihm selb" geneigt ist, vermessen zu werden, u m wieviel mehr dann das Herz dessen, dem „gewalt / gut / vnd ehre datzu" gegeben sind! (StuA 1, 315, 12-14). 36 StuA 1,315, 14.

Der

Widmungsbrief

27

ihrer eigenen Vortrefflichkeit, worüber sie verfügen können. Aus der Gottvergessenheit eines solchen Herrschers folgt, daß er sich nicht um seine Untertanen kümmert. Ein gottvergessener Herrscher fürchtet ja keinen, der ihn strafen kann. Er meint sich vor niemandem verantworten zu müssen. 37 Er wird zum Tier, das allein tut, was seine Gelüste es zu tun heißen. 38 Luthers theologische Argumentation läuft darauf hinaus, daß nur die Gnade Gottes das Herz eines Herrschers vor Vermessenheit bewahren kann. Eine willkommene Bestätigung, die freilich im Grunde nur einen Teil seiner Aussage deckt, findet Luther in einem Satz heidnischer Lebensweisheit, den er auf den sprichwörtlich weisen Bias39 zurückführt: „Die Art, in der jemand herrscht, erweist, was für ein Mann er ist". Er findet dieses dictum so gewichtig, daß er mitten im deutschen Text seiner Übersetzung den lateinischen Wortlaut voranstellt. 40 Luther zieht das Fazit, ein Herrscher, der Menschen nicht fürchten müsse, bedürfe der Gottesfurcht noch mehr als andere Menschen. Bestätigt findet er diese Ansicht in Römer 12, 8: „Wer regiert, sei sorgfältig." Da nun gerade das Magnifikat zur Gottesfurcht aufruft, ist dessen Lektüre dem jungen Herzog Johann Friedrich besonders zu empfehlen. Das Lied der züchtigen Jungfrau [Maria] ist geistlich und rein. Dadurch, daß es zur Gottesfurcht aufruft und vor Vermessenheit bewahrt, erweist es sich für einen Herrscher, der es beherzigt, (und durch ihn für seine Untertanen) als ein heilbringendes Lied.41 Deshalb ist es der Funktion Johann Friedrichs als der eines Fürsten und Herren förderlicher, Maria zuzuhören, wenn auch ein anderer junger Fürst sich stattdessen von seiner Freundin ein weltliches Lied vorsingen lassen mag. Luther macht damit deutlich, daß er sich dessen bewußt ist, daß seine Schrift nicht selbstverständlich mit Aufmerksamkeit rechnen kann. Sie wird vielmehr mit andersartigen Beschäftigungen des siebzehnjährigen Herzogs, dem Hören von Liebesliedern oder dem Lesen von Liebeslyrik, konkurrieren müssen. 42 Doch das Magnifikat verdient die Aufmerksamkeit eines künftigen Herrschers mehr als Liebeslieder. Leitet es doch zur Gottesfurcht 43

37

Das Herz des gottvergessenen Herrschers, der weder Gottes Strafe noch Menschen (die hier bei Luther nur als Untertanen in den Blick kommen) fürchtet, hat „rawm... on straff vbel zuthun..." (StuA 1,315, 16f.). 38 „wirt ein thier / thut nur was yhm gelüstet" (StuA 1, 315, 17). 39 Vgl. die Angaben des Herausgebers Seils in der Studienausgabe S. 315, Anm. 17: Bias lebte in Priene in Ionien etwa von 620-540 v. Chr. und galt als einer der .Sieben Weisen'. 40 Vgl. die hilfreichen Hinweise des Herausgebers Seils, StuA 1, 315 in Anm. 18. 41 Im Unterschied zu Luthers Reden von ,Heil' im Sinn von sowohl irdischem als auch seelischem Wohlergehen (StuA 1, 314, 24) gebraucht er ,Heil' an dieser Stelle (StuA 1, 316, 2) vor allem in geistlichem Sinn, wenn auch nach Luthers Argumentation die Untertanen des Herrschers davon Nutzen haben werden. 42 Zum Vergleich kann man beispielsweise die Aussage des österreichischen Theologen am Wiener Hof Ulrich von Pottenstein heranziehen, der die Sagen über Dietrich von Bern als Konkurrenten seiner katechetischen Summe empfindet und empfiehlt, die kurze Lebenszeit nicht mit dergleichen Lektüre zu vergeuden. Vgl. dazu Burger: Theologie und Laienfrömmigkeit. Transformationsversuche im Spätmittelalter, hier S. 407-408. 43 „von der gottis forcht / vnd was er für ein herr sey" (StuA 1,315, 27f.).

2.

28

Kommentar

und zur Kenntnis der großen Taten Gottes an und legt es doch dadurch Grundlagen für den Glauben. Das Magnifikat hat es nach Luthers Meinung verdient, daß es täglich im nachmittäglichen Vespergottesdienst auf eine besondere Melodie gesungen wird. 44 Marias Magnifikat kann nur dann heilbringende Kraft entwickeln, wenn Johann Friedrich es in sein Herz aufnimmt. Luther schließt seine Widmungsvorrede mit einer Bitte um Fürbitte: Maria, die ,zarte Mutter Gottes' 45 , möge ihm von Gott den [Heiligen] Geist erbitten, dessen er bedarf, um das Magnifikat so auszulegen, daß es Nutzen bringt. Dieser Nutzen soll daraus bestehen, daß der Empfänger der Widmung und andere Leser, unter die Luther sich mit einschließt, es so verstehen, daß es zum Erlangen des ewigen Heils und zu einem lobenswerten irdischen Lebenswandel dient. 46 Johann Friedrich, Luther und andere Leser (und des Lesens nicht kundige Hörer, darf man wohl ergänzen) sollen also Marias Lob Gottes in ihr Herz aufnehmen, wie Luther in der Widmungsvorrede ausgeführt hat, und ihr ,Herz' dadurch bestimmen lassen. Daraus kann eine Art der Lebensführung folgen, die Lob verdient. 47 Denn wenn sie unter solcher Leitung des Heiligen Geistes Gott angemessen verstehen, 48 dann führt das dazu, daß sie dadurch im ewigen Leben Gott ewig mit den Worten des Magnifikat loben dürfen. 49 Rechtes Verstehen Gottes führt zur Seligkeit. Selbst im Himmel wird das Magnifikat noch gesungen werden, so vollkommen ist es. In der Form eines Stoßgebets bittet Luther Gott um ewiges Leben. Abschließend empfiehlt Luther sich dem Adressaten, bittet ihn um günstige Aufnahme des Büchleins, betont, wie es sich ziemt, seine geistigen Grenzen, 50 und datiert seine Widmungsvorrede auf den 10. März 1521.51

2.2. Die Gesamtübertragung (StuA 1,316, 12-30) Der eigentliche Kommentar Luthers beginnt mit einer Übersetzung des gesamten Magnifikat. Von dieser ersten Übertragung weicht er in vielen Fällen wieder ab, sobald er 44

Vgl. die Erläuterungen des Herausgebers Seils in der Studienausgabe 1, S. 316, Anm.en 22 und 23. Diesen Ehrentitel verwendet Luther in seiner Auslegung des Magnifikat häufig. Er spricht nur selten von ihr als von der „Mutter des Gottessohnes". Die Bezeichnung Marias als „Mutter Gottes" zeigt, daß göttliche und menschliche Natur Christi für Luther schon zu diesem Zeitpunkt - und nicht etwa erst im Abendmahlsstreit - eng zusammengehören. 46 „heylsamen vorstand / vnnd loblichs lebenn" (StuA 1, 316, 6). Zur Funktion der Fürbitte Marias bei Gott in Luthers Auslegung des Magnifikat vgl. auch StuA 1,341,20-21: „Anruffen sol man sie / das got durch yhren willen gebe vnd thu / was wir bitten ..." 47 StuA 1, 316, 4-7. 48 Aus derartigem heilbringenden Verstehen (StuA 1,316,6) würden Liebe und Lob Gottes fließen, wie Luther ausführen wird. 49 StuA 1, 316, 7-8. 50 StuA 1,316,9-10. 51 Die Reise zum Reichstag nach Worms hat Luther wohl am 2. April angetreten, vgl. Brecht: Martin Luther. Sein Weg zur Reformation, S.427. 45

Die Vorrede

29

Vers für Vers erläutert. Die Akzentverschiebungen, die sich dadurch ergeben, sollen jeweils bei der Darstellung von Luthers Einzelexegese vermerkt werden. Auf der Wartburg vollendet Luther nicht nur die Auslegung des Magnifikat, sondern hier übersetzt er auch den biblischen Text erneut im Zusammenhang der Übersetzung des gesamten Neuen Testaments, des sogenannten Septembertestaments. Inhaltlich wichtige Differenzen der Übersetzung im Septembertestament im Vergleich zu den beiden Übersetzungen im Kommentar sollen ebenfalls verzeichnet werden.

2.3. Die Vorrede (StuA 1,317, 1 - 3 1 9 , 3 2 ) In der Vorrede stellt Luther die Weichen für die Auslegung. Aussagen über die Erfahrung, die Maria mit Gott gemacht hat, weitet er generalisierend aus. Besonders wichtig sind ihm dabei die Verse 50-52. Gott,wirkt' (Lk 1,51) aus der Höhe durch sein .ansehen' (Lk 1,48), erhöht die Niedrigen (Lk 1,52) und erniedrigt die Hohen (Lk 1, 52). So gelangt Luther zu der Aussage, Gott preisen werde nur der, der die Erfahrung gemacht habe, aus Niedrigkeit gerettet worden zu sein. Recht verstehen wird jedoch Gottes rettendes Eingreifen nur der, der glaubt. Demnach m u ß ein Christ zunächst glauben, um die Erfahrungen, die er mit Gott macht, richtig einordnen zu können. Man wird erinnert an den berühmten Satz des Anselm von Canterbury: „Nam qui non crediderit, non experietur, et qui expertus non fuerit, non cognoscet." 52 Von den Versen Lk 1, 50-52 her interpretiert Luther die Verse Lk 1, 46b-49. Durch zwei Bezugnahmen auf Maria verbindet er seine Thesen mit dem ausgelegten biblischen Text.53 Er betont, Maria formuliere ihren Lobgesang aus der Erfahrung heraus, daß Gott sie, das geringe Mädchen, dazu ausersehen habe, die Mutter des Gottessohnes zu werden. In dieser Erfahrung sei sie durch den Heiligen Geist erleuchtet und belehrt worden. Nicht allein für Maria, sondern generell gilt: Nur wer sein Verständnis Gottes oder des Wortes Gottes unmittelbar vom Heiligen Geist empfängt, kann recht verstehen. Luther sagt ganz ungeschützt: „Denn es mag [= kann] niemant got noch gottes wort recht vorstehen / er habs denn on mittel von dem heyligen geyst."54 Das ist eine anstößige Aussage. Das kirchliche Amt wird in ihr praktisch für überflüssig erklärt, wenn es um das rechte Verstehen Gottes und seines Wortes geht. Die Bedeutung von Predigt und Sakramenten, wenn man Sakramente als mit einem Zeichen verbundene Worte versteht, scheint hier in Frage gestellt zu werden. Es liegt nahe, dieses Zitat späteren Aussagen Luthers gegenüberzustellen. Luther wird beispielsweise zehn 52 Anselm von Canterbury: Epistola de incarnatione verbi, 1 (Opera omnia, ed. Schmitt, tomus I, volumen 2, S.9, Z. 5-6). 53 „Alszo die heylig Junckfraw..." (StuA 1,317,9), und: „Alszo thut auch hie die zartte Mutter Christi ..." (StuA 1, 318, 39). 54 StuA 1, 317, 4f.

30

2.

Kommentar

Jahre später in seinem ,Schönen Confitemini' schreiben: „Denn wir müssen nicht wie die rotten geister uns furnemen, das uns Gott on mittel und on sein wort ym hertzen tröste, Es gehet on eusserlich wort nicht zu, Welches der heilige geist wol weis ym hertzen zu erynnern unnd auffzublasen, obs gleich für zehen iaren gehöret were." 55 Heinrich Bornkamm harmonisiert beide Aussagen folgendermaßen miteinander: „,Nicht ohne Mittel', das heißt: es hat Gott gefallen, seinen Geist an das geschriebene und gesprochene Wort zu binden. Und ,ohne Mittel', das heißt: Gott hat die Wirkung des Geistes im Wort seinem ungebundenen, souveränen Willen vorbehalten." 56 Luther sagt jedoch in der Auslegung des Magnifikat nichts von der Wirkung des Heiligen Geistes im Wort, sondern er spricht lediglich davon, daß Maria selbst die Erfahrung gemacht habe, daß Gott in ihr große Dinge 57 wirke. Luther äußert sich zu diesem Zeitpunkt noch ungeschützter als nach seinen Erfahrungen mit den Gegnern, die er ,Schwärmer' nennt, zehn Jahre später. Denselben Einwand wie gegen Heinrich Bornkamms Deutung kann man gegen Zur Mühlens Zusammenfassung vorbringen, wenn er schreibt: „Wo Tauler vom inneren Wort redet, spricht Luther vom äußeren, gepredigten Wort, das allein das innere Wort mit sich bringt.. ."58 Bornkamm wie Zur Mühlen gehen von späteren Aussagen Luthers aus und erwähnen dessen ungeschütztere frühere Thesen nicht. Im Zusammenhang dargestellt ist Luthers Sichtweise „vor der Konfrontation mit einem innerreformatorischen Spiritualismus" in Berndt Hamms Darstellung des pneumatologischen Antiklerikalismus' Luthers. 59 In dieser Erfahrungsschule des Heiligen Geistes wird „erfahren, versucht [ausprobiert] und empfunden", „gefühlt und erfahren". 60 Derartige Erfahrung führt zu adäquater Erkenntnis Gottes, aus der Liebe und Lob erwachsen. 61 Außerhalb dieser Erfahrungsschule des Heiligen Geistes ist [über Gott] nichts anderes zu lernen als trügerische Worte und Geschwätz.62 Maria hat erfahren, daß Gott sie zur Mutter des Gottessohnes gemacht hat, obwohl sie gering, unansehnlich, arm und verachtet war. 63 An dieser Stelle soll kurz dargestellt werden, wie Luther von Gottes Handeln „in, an, mit Menschen" spricht. Luther formuliert seine Aussagen über Gottes Handeln verschieden: Gott handelt 55

Luther: Das schöne Confitemini (WA 31', 99, 16f.; 100, 1-3). Heinrich Bornkamm: Das Wort Gottes bei Luther, S. 152. 57 ,Dinge' ist für Luther eine Sammelbezeichnung, die vielerlei einschließen kann (vgl. etwa StuA 1, 330, 17-20, wo Luther „Kleider, Personen, Gebärden, Orte und Worte" unter „Dinge" subsumiert). 58 Vgl. Zur Mühlen: Mystik des Wortes, S.44, vom Autor erneut zitiert in: Zur Mühlen: Luthers Frömmigkeit und die Mystik, S. 59. 59 Hamm: Geistbegabte gegen Geistlose, V. Luthers pneumatologischer Antiklerikalismus (1520— 1524), S. 386-398, hier: S. 391. Dort S. 392: „Es ist die Argumentation mit dem ,Geist allein', der unabhängig von allen Ansprüchen hierarchisch-klerikaler Lehr- und Gnadenvermittlung die Herzen in seine Schule n i m m t . . . " 60 StuA 1,317, 6f. 318, 17. 61 Ausgesagt über Christus (StuA l,318,33f.) und über Maria, die ihrerseits die Christen lehrt (StuA 1,318, 39f.). 62 StuA 1, 317, 7-9. 63 Wie er zu seinen Ausagen über Marias soziale Position kommt, belegt Luther erst weiter unten (StuA 1,318, 39-43). 56

Die Vorrede

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„in" Menschen, „an" Menschen, „mit" Menschen. Maria macht „ynn yhr selb" 6 4 die Erfahrung, daß Gott „ynn yhr szo grosz dingk wircket" 6 5 . Gottes Werk geschieht in ihr: „gottis werck ynn ihr beschehen". 6 6 Maria „lessit got ynn yhr wirckenn nach seinen [sie !] willenn". 67 Diese Erfahrung bleibt nicht Maria allein vorbehalten: Auch Christen machen die Erfahrung, daß Gott „in" ihnen wirkt: Er wird ihnen bekannt „durch seine werck ynn vnsz erzeygt / gefuelet vnnd erfaren ...". 68 O h n e Bedeutungsveränderung gegenüber seinem Reden von „wirken in" kann Luther auch von Gottes „wirken an" sprechen: Maria lehrt Gott recht zu erkennen „an vnnd in yhr selbs". 69 „An" Christus zeigt Gott, wie er wirkt. 7 0 Schließlich wirkt Gott „mit" Menschen. Damit ist nicht etwa gemeint, d a ß diese dabei m e h r beitrügen als die, „in" denen oder „an" denen Gott handelt: „Ein iglicher sol drauff acht habenn / was got mit y h m wirckt / für allen wercken / die er mit andernn thut / denn es wirt keinsz selickeit darinnen stehen / was er mit einem andernn / szondernn was er mit dir wirckt.. .". 71 Auch die Verb i n d u n g des Verbums „tun" mit dem Dativ verwendet Luther in gleicher Bedeutung: Maria „singt was er yhr gethan hat ,.." 7 2

Diese Erfahrung mit Gott hat Maria die Erkenntnis vermittelt, daß Gott nicht allein ihr gegenüber, sondern überhaupt ein Herr ist, der erhöht, was niedrig ist, und erniedrigt, was hoch steht. 73 Sie hat also gelernt, daß generell gilt, was sie am eigenen Leibe erfahren hat. Gottes Wirken besteht darin, zu erhöhen, was niedrig ist, und zu erniedrigen, was hoch ist. Luther verstärkt diese Aussage dadurch, daß er sie in umgekehrter Reihenfolge wiederholt und anstelle von „oben" und „unten" nun von „zerbrechen" und von „[heil] machen" spricht: Gottes Wirken besteht darin, zu zerbrechen, was gemacht ist, und [heil] zu machen, was zerbrochen ist.74 Nun schiebt Luther in seine Bündelung der Aussagen Marias ein, was sich seiner Meinung nach aus Marias Erfahrung über Gottes Wesen lernen läßt. 75 Dabei wechselt er immer wieder von nüchtern konstatierenden Aussagen zur Betonung des „pro nobis" und begreift seine Leser und sich selbst durch „uns" mit ein. Wenn Luther vom Menschen redet, so ist meistens der Christ gemeint, der sich alles Gute von Gott erwartet.

64

StuA 1,317,9. StuA 1, 317, 9f. 66 StuA 1, 326,1 f. In StuA 1,340,9 f. heißt es, Marias .Erfahrung' beruhe auf dem Vertrauen auf das ihr zugesprochene Wort: „solt sie ein mutter gottis sein / must sie ... der Englischen botschaft glewben 65

67

StuA 1, 325, 24. StuA 1,318, 16f. 69 StuA 1, 343, 25. 70 StuA 1, 318, 32. 71 StuA 1, 333, 4-7. 72 StuA 1,333, 3. 73 StuA 1, 317, 9-14. 74 StuA 1,317, 13 f. Die Stilfigur des Chiasmus erhöht die Aufmerksamkeit des Lesers. 75 StuA 1,317, 15-318, 38. Der Kommentar zu Luthers Bündelung der Aussagen Marias wird erst nach einem langen Einschub unten (StuA 1, 318, 39) fortgesetzt. 68

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2.

Kommentar

1. Als Schöpfer aus dem Nichts erwies sich Gott nicht allein bei der Erschaffung der Welt, sondern als solcher erweist er sich bleibend. 76 Er schafft ständig aus dem Nichts, wozu kein Geschöpf imstande ist, behauptet Luther. 77 Andererseits aber macht Gott auch ständig zunichte, was in Geltung steht: „was etwas / kostlich / ehrlich / selig / lebendig ist / zu nichte / gering / voracht / elend / und sterbend ,.." 78 Luther betont hier, daß Gott nicht nur erhöht, sondern auch erniedrigt. Er erweckt mit diesen Aussagen zunächst den Eindruck, sagen zu wollen, Gottes Wirken bestehe darin, umzukehren: unten nach oben und oben nach unten zu kehren, zu zerbrechen und heil zu machen. Der Leser gewinnt den Eindruck, Luther wolle lediglich über die Tatsache sprechen, daß Gott in der Geschichte Aufstieg und Niedergang bewirke. Um es mit den Begriffen zu sagen, die Luther selbst später in seiner Auslegung einführen wird: er wolle hier nur über Gottes uneigentliches Wirken ,mit seiner linken Hand' sprechen. Es folgt an dieser Stelle keine Aussage der Art, daß Gott das, was er erniedrige, auch wieder aufrichte. Demnach kann hier nicht gemeint sein, was Luther an anderer Stelle behauptet: daß Gott gerade seine geliebten Christen zeitweilig in die Tiefe führt, um sich ihrer desto besser erbarmen zu können. Gemeint sein m u ß hier vielmehr, daß Gott das, was er erniedrigt, auf Dauer und endgültig erniedrigt. Luther zählt in der Vorrede zunächst einfach auf, was Geltung besitzt und doch von Gott zunichte gemacht wird. Er macht nicht deutlich, weshalb Gott erniedrigt, zerbricht und vernichtet, und bedient sich zur Bezeichnung derer, die in Geltung stehen, nicht der Begriffe des Magnifikat. 79 Luther wertet hier Gottes Eingreifen in die Geschichte zunächst nicht theologisch. Das erschwert es seinen Lesern an dieser Stelle, seine Intention zu verstehen. Die Vorrede folgt auf die erste Übersetzung. Der Leser darf also davon ausgehen, daß auch ihre Aussagen sich auf den Text des Magnifikat beziehen. Doch nur der erste der drei Begriffe, die Luther in der ersten Übersetzung gebraucht hat, ,Hoffärtige, große Herren (oder: Gewaltige), Reiche' ist deutlich negativ qualifiziert. Es ist verständlich, daß Gott Hoffärtige,zerstört'80 oder,zerstreut' 81 , weil ihre Selbstüberhebung seine Hoheit leugnet. Doch weshalb Gott,große Herren (oder: Gewaltige)' und .Reiche' erniedrigen muß, warum er oben nach unten und unten nach oben kehrt, das leuchtet nicht recht ein. Erst später präzisiert Luther diese Aussagen. Dann macht er deutlich, daß er darauf hinaus will, daß es Gottes eigentliches Werk ,mit seiner rechten Hand' ist, wirkungsvoll 76 StuA 1, 317, 15-19. Zu Aussagen Luthers in seinen späteren Jahren über Gottes schöpferisches Wirken aus dem Nichts vgl. Schwanke: Creatio ex nihilo. Studien zu Luthers Schöpfungslehre in der Großen Genesisvorlesung (1535-1545). Auf Luthers Auslegung des Magnifikat verweist Schwanke auf S. 162-163 in Anm. 155. 77 StuA 1, 317, 21. Eine Aussage darüber, daß auch ein Geschöpf zerstören kann, unterläßt Luther. 78 StuA 1, 317, 19f. 79 In seiner ersten Übersetzung der Verse Lk 1, 51-53 lauten sie:,Hoffärtige, große Herren, Reiche', vor der Einzelexegese:,Hoffärtige, Gewaltige, Reiche'. 80 So lautet es in der ersten Übersetzung (StuA 1, 316, 21). 81 So lautet es vor der Einzelexegese (StuA 1, 349, 31).

Die Vorrede

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in die Tiefe auf die Niedrigen hinzusehen. .Sehen' heißt, wenn Luther es von Gott aussagt, zugleich ,kraftvoll eingreifen'. Lobt Maria Gott doch dafür, daß er sie, die Jungfrau, durch sein An-Sehen zur Mutter des Gottessohnes gemacht hat. Das belegt Luther durch mehrere Schriftzitate. 82 ,Höhe' und ,Tiefe' erscheinen dabei zunächst nicht allein als theologische Kategorien, sondern auch als räumliche. Luther zieht das Fazit,83 die Augen Gottes als des Höchsten sähen nur in die Tiefe, nicht in die Höhe. Es erscheint geradezu als Notwendigkeit, daß Gott nach unten sieht. Denn auf der Höhe, auf der Gott steht, ist eben nichts anderes anzuschauen. 84 Gott schaut auf die Niedrigen und sieht desto besser, je tiefer jemand unter ihm steht. 85 Erst weiter unten wird deutlich werden, worauf der Exeget eigentlich hinaus will:86 Der Unterschied liegt nicht darin, daß Gott nur nach unten schauen kann, weil es eben auf seinem Niveau nichts außer ihm selbst gibt, daß Menschen dagegen sich nach oben orientieren, sondern darin, daß Gott liebt, während Menschen es häufig an Liebe fehlen lassen.87 Schon hier ist vorauszusetzen, obwohl Luther es an dieser Stelle nicht explizit erwähnt, daß Gott nach Luthers Ansicht nicht einfach deswegen, weil es eben nichts gibt, was so hoch stünde wie er selbst, sondern aus eigenem Entschluß auf die Niedrigen sieht. 2. In eine ganz andere Richtung als Gott sehen „die weit vnd menschen äugen." 88 Sie verfahren „widdersinnisch": entgegengesetzt, gegenteilig zu Gottes Blickrichtung. 89 Unter der ,Welt' kann hier nicht der Lebensraum von Menschen verstanden sein. Gemeint sein müssen in dem Sinne, in dem etwa der Apostel Paulus von der Welt als von dem widergöttlichen ,kosmos' spricht, alle Menschen, die ihr Leben ,welt'-förmig und also nicht nach Gottes Willen gestalten. Da Luther generalisierend von „den Menschen" spricht, ist keiner ausgenommen. Das Sehen von Menschen unterscheidet sich vom Sehen des Schöpfers grundlegend. Das Sehen von Menschen bringt im Gegensatz zu Gottes Hinsehen nichts zustande. Die Mahnung des Apostels Paulus, die er zitiert: „lieben bruder / achtet nit die hohen dinge / szondernn fugt euch zu den nidrigenn" (Rom 12, 16) fruchtet offenbar nicht. 90

82

Es geht u m Daniel 3, 55 [Vulgata], der Vers gehört zu dem apokryphen „Gesang der drei Männer im Feuerofen"; u m Psalm 138, 6 und u m Psalm 113, 5f. (StuA 1, 317, 22-27). 83 An der Formulierung „Alszo daß" (StuA 1,317, 22) ist zu erkennen, daß er hier seine Aussagen bündeln will. 84 „Denn die weil er der aller hohist / vnd nichts vber yhn ist / mag [kann] er nit vber sich sehen / mag auch nit neben sich sehen / die weil yhm niemant gleich ist / musz er von not ynn sich selb / vnnd vnter sich sehen ..." (StuA 1, 317, 27-29). 85 StuA 1, 317, 22-30. 86 Vgl. unten zu StuA 1, 318, 11-22 und dann vor allem zu StuA 1, 329, 13-21. 23-27 (Tiefe) und 329,21-23 (Höhe). 87 Vgl. Wilhelm Maurer: Von der Freiheit eines Christenmenschen, S. 86. 88 StuA 1, 317, 31. 89 Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 14/1/2, 1960, Sp. 1213-1216. 90 Über das Unschöpferische menschlichen Sehens spricht Luther unmittelbar vor dem Pauluszitat (StuA 1, 318, 7-10).

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2.

Kommentar

Tägliche Erfahrung lehrt nach Luthers Ansicht, daß jeder seine Augen auf „Ehre, Gewalt, Reichtum, Fähigkeit und Wohlleben" 91 richtet und sich bemüht, diese Güter zu gewinnen. In dieser Aufzählung sind zumindest der zweite und der dritte Begriff aus Lukas 1, 52 f. entlehnt. Beim ersten Begriff, der ,Ehre', ist sehr wahrscheinlich, daß Luther auch damit auf Lk 1,51 anspielt. Das Bestreben, geehrt zu werden, kann ja nach seiner Sicht gefährlich werden. Denn die Bewunderung derer, die selbst gerne „grosz vnnd hoch" 9 2 wären, 93 verleitet nach Luthers Ansicht die, die wirklich „grosz vnnd hoch" sind, die Könige und Fürsten, zum Hochmut. Weil ihnen zu viel Ehre erwiesen wird, unterlassen sie es, Gott zu fürchten, was ihnen zum Heil gereichen würde. 9 4 Die Heilige Schrift kann nur ganz wenige Könige oder Fürsten als gerecht (,frum 1 ) 9 5 bezeichnen, weil fast alle der Gefahr der Hoffart erlegen sind. Die Kehrseite dieser Vergötzung all' derer, die über „Ehre, Gewalt, Reichtum, Fähigkeit u n d Wohlleben" verfügen, ist die gebräuchliche Abkehr von Menschen, die in „Armut, Schmach, Not, Jammer u n d Angst" leben. Das Verhalten gegenüber den Geringen ist gerade das Gegenteil des Verhaltens gegenüber den Hohen: Während man den einen anhängt, meidet man die anderen. Um die Hohen drängt man sich, die Niedrigen flieht man. Den Großen dient man gerne, die Nähe der Geringen aber scheut man. Um Anteil an ihrer Hoheit zu gewinnen, will man in der Nähe der Mächtigen sein. Die Geringen aber verläßt man. Den Machtlosen will man nicht helfen u n d beistehen, u m auch sie zur Geltung zu bringen. 9 6 Deshalb müssen sie in der Tiefe bleiben. Hatte Luther kurz zuvor konstatiert, kein Geschöpf vermöge aus dem Nichts etwas zu machen, 9 7 so stellt er nun fest, daß sich unter Menschen kein Schöpfer befindet, der aus dem Nichts etwas machen wolle.9S Aus dem totalen Nichts etwas schaffen können Menschen nicht. Wohl aber wären sie imstande, aus dem sozialen Nichts zu erheben. Luther verweist darauf, daß Paulus eben dies im Römerbrief von Christen fordert. 9 9 3. Weil die Menschen sich stets am Erstrebenswerten orientieren, ist Gott der einzige, der in die Tiefe, die Not und die jammervolle Lage, in der die Betroffenen sich befinden, schaut u n d denen nahe ist, die sich darin befinden. Luther zitiert dazu 1. Petr. 5,5: Gott widersteht den Hohen, den Niedrigen gibt er seine Gnade. Erstaunlich genug ist 91 StuA 1,317,34f. - Die Vokabel .Kunst' hat ihre Bedeutung im Laufe der Sprachgeschichte gewandelt. Zu Luthers Zeit bedeutete sie: ,Fähigkeit'. Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, 1873, Sp. 2667-2680. 92 StuA 1,317, 35. 93 StuA 1, 318, 1: „der hohe teilhafftig werden". 94 Vgl. StuA 1, 315, 27 und 316, 2: „Gottesfurcht" ist für einen Fürsten und Herrn „heilbringend". 95 StuA 1,318,2. Vgl. Matsuura: Zu „fromm" bei Luther, S. 124. Zu Luthers Zeit hatte,fromm' auch die Bedeutung von .zuverlässig'. Vgl. auch Wunder: .iusticia, Teutonice fromkeyt', sowie Moser: .Fromm' bei Luther und Melanchthon. 96 Die Schilderung der gebräuchlichen Verehrung der Hohen (StuA 1, 317, 33-318, 1) korrespondiert der Darstellung der üblichen Vernachlässigung der Niedrigen (StuA 1,318, 2-6). 97 „vormag nit ausz nicht / machen icht." (StuA 1, 317, 21). 98 „Es ist hie kein schepffer vnter den menschen / der ausz dem nicht wolle etwas machen..." (StuA 1, 318, 7f.). 99 Rom 12, 16, von Luther zitiert in StuA 1, 318, 8-10.

Die Vorrede

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es, daß er an dieser Stelle v o n , H o h e n ' u n d nicht von Hoffärtigen spricht: steht doch im griechischen Text von 1. Petr. 5, 5 dieselbe Vokabel ,[[grie.]] hyperephanous' wie im Magnifikat (Lk 1,51). Auch im lateinischen Text ist beide Male von ,superbi' die Rede (,superbis resistit', .dispersit superbos'). Schritt für Schritt entwickelt Luther eine Theorie, wie es zum Lob Gottes kommen könne. Wer Gott als Helfer aus Not kennen lerne, der werde ihn loben. Wen der Heilige Geist lehrt, erfahren, fühlen und erkennen läßt, daß Gott aus der Tiefe rettet, der wird Gott lieben und deshalb loben. .Bekannt' (vom Verbum,bekennen') wird Gott nur von dem, dem er als Helfer positiv ,bekannt' (im Sinne von,vertraut') u n d dadurch zu einem Gegenüber geworden ist, zu dem er sich bekennen kann. 1 0 0 Die in den Vokabeln ,bekentlich„ ¡lieblich' und .löblich1101 enthaltene Silbe ,-lich' weist d a r a u f h i n , daß Bekennen, Lieben und Loben Gottes nach dieser Theorie Luthers nicht aufgrund einer menschlichen Willensentscheidung, sondern nur durch positive Erfahrungen möglich werden. 102 Luther erklärt zunächst die Liebe zu Gott zur Voraussetzung des Lobens Gottes. Gott zu lieben vermag nur, wer mit ihm die allerbesten Erfahrungen gemacht hat. Solche Erfahrungen machen Menschen mit Gott ausschließlich aufgrund der Werke, die er an ihnen wirkt und die diese Menschen auch als Werke Gottes fühlen u n d erfahren. 103 Gott allein sieht in die Tiefe. Nun wird deutlich, worauf schon Luthers frühere Aussagen zielten. Gott sieht nicht einfach deswegen in die Tiefe, weil es über ihm oder auf seiner Ebene nichts anzuschauen gibt, sondern weil es seine Art ist, so und nicht anders zu wirken. Nach dieser Herleitung des Lobes aus der Erfahrung der Rettung schreitet Luther nochmals den umgekehrten Weg ab: Wer Rettung erfährt, wird Gott als Retter loben. Wer an sich selbst erfährt, daß Gott nur „Arme, Verachtete, Elende, Jämmerliche, Verlassene u n d solche, die garnichts darstellen" aus der Tiefe rettet, wird diesen Gott lieben. Das Herz eines Menschen, der solche Rettung erfahren hat, m u ß seiner Freude Ausdruck geben, es hüpft u n d springt vor Freude. 104 Auf diese Weise lehrt der Heilige Geist durch Erfahrung. 4. Aus Marias niedriger sozialer Stellung läßt sich noch mehr über Gottes Wesen lernen: Gott, der rechte Schöpfer, läßt „seine allerliebsten Kinder und Christen" leiden, 100

„Es mag yhe niemant got loben / er hab ihn dann zuuor lieb / szo mag yhn niemant lieben / er sey ym dann auffs lieblichst vnd aller best bekant. Szo mag er nit alszo bekant werden / denn durch seine werck ynn vnsz erzeygt / gefuelet vnnd erfaren ..." (StuA 1, 318,14-17). Seine Heiligen hat Gott hat in ihrer Tiefe angesehen und sich für sie dort „bekentlich, lieblich vnnd loblich gemacht" (StuA 1, 318, 38). 101 StuA 1, 318, 38. 102 Im heutigen Deutsch würde man das ,-lich' durch ,-bar' ausdrücken. .Bekenntlich' bezeichnet also .erkennbar', .bekannt' (Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band 1, 1854, Sp. 1417). .Lieblich' ist soviel wie .liebenswürdig' (lateinisch: amabilis; Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, 1885, Sp.967). l ö b lich' entspricht ungefähr dem lateinischen .laudabilis' (Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band 6, 1885, Sp. 1087). Luther spricht wenig später von der .empfindlichen' (spürbaren, fühlbaren) Süßigkeit Gottes (StuA 1, 320, 8). Marias Herz nennt er .wunderlich' (StuA 1, 325, 13) und meint damit .wunderbar', nicht nur .erstaunlich'. Von Marias .wunderbarem' Geist redet er weiter unten (StuA 1, 327, 34). 103 StuA 1, 318, 11-17. 104 StuA 1, 318, 17-21. Vgl. dazu die Äußerungen zu Marias Freude StuA 1, 319, 34-40.

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2.

Kommentar

um sie daraus wieder zu erretten und sie dadurch zu Liebe und Lob anzuspornen. Ausdrücklich qualifiziert Luther die Christen als Gottes „allerliebste Kinder".105 Gott hat ihnen deswegen Leiden und Nöte auferlegt, damit sie die Erfahrung machen können, daß er sie daraus rettet. Diese vierte Aussage führt die erste fort: Gott, der Schöpfer aus dem Nichts, schaut in die verachtete Tiefe. Aus der Aussage über Gottes tatkräftiges Schauen in die Tiefe leitet Luther eine Deutung menschlichen Leidens ab: Gott läßt seine ,Christenkinder' Leiden erfahren, damit er sich in der Not, die er ihnen zumutet, als wirklicher Schöpfer erweisen und sich ihrer erbarmen kann. Neben dem Tod als der Grenze jeden Menschenlebens steht in dieser Aufzählung das Kreuz Christi, das sich in unzähligen Leiden und Nöten äußern soll, unter denen zu leiden Gott gerade denen zumutet, die er am meisten liebt. Weiter unten nennt Luther eine ganze Reihe von Adjektiven, die man Christen deswegen beilegen kann. 106 Die Möglichkeit, daß Gott,seine Christen' sogar aktiv sündigen läßt, um daraus retten zu können, kennzeichnet Luther dabei gegenüber den Übeln, die Gott Christen passiv erleiden läßt, als Steigerung. 107 Er setzt dabei voraus, daß Glaubende Gott so sehr lieben, daß sie sogar lieber Leiden in Kauf nehmen als daß sie durch Sünde ihr Verhältnis zu ihrem Gott und ihren Mitgeschöpfen bedrohten. Die Errettung aus erlittenem und verübtem Übel, das hier nur als Durchgangsstadium erscheint, soll Christen Grund dazu geben, Gott zu lieben und deswegen zu loben. 5. Der zweiten Aussage (wir Menschen, die wir unser Leben ,welt'förmig gestalten, schauen nur in die erstrebenswerte Höhe) korrespondiert die fünfte: Die ,Welt' schaut nur in die Höhe. Sie ist stolz und anmaßend, unfähig dazu, anzusehen, was in ihrer Nähe vorgeht, besonders unfähig dazu, das Ergehen geringer Menschen wahrzunehmen. 108 Darin widerstrebt die ,Welt' Gott. Sie hindert Gott an seinem kraftvollen Sehen in die Tiefe. Dadurch kommt es nicht zur Erkenntnis, zur Liebe und zum Loben Gottes. Gott wird auf diese Weise die ihm gebührende Ehre vorenthalten. Zugleich beraubt die ,Welt' sich damit des Grundes ihrer Freude, ja sogar ihrer ewigen Seligkeit.109 6. Wie seine allerliebsten Kinder, die Christen, hat Gott auch Christus, seinen einzigen Sohn, in tiefes Leid geworfen. An ihm hat Gott besonders deutlich gezeigt, welches Ziel er mit seinem tatkräftigen Hin-Sehen verfolgt. Das einleitende ,Alszo'110 verweist zurück auf ,unsz alle'111: Was Gott seinen allerliebsten Kindern zumutet, hat er erst recht seinem „einigen liebsten sun Christu[s]" aufgebürdet. Ihn hat er die Tiefe, durch

105

StuA 1, 318, 24. Vgl. StuA 1, 329, 13-20. 107 Das hebt Luther durch „ia auch zu weilen" hervor (StuA 1, 318, 25). 108 „die weit / mit yhren vbersichtigen augenn..." (StuA 1,318,28). Zur Übersetzung von .vbersichtig' mit,stolz', .anmassend' vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 1 l/II, 1936, Sp. 554-555. 109 StuA 1, 318, 27-30. Es erscheint angesichts von Luthers Einschätzung der Macht Gottes wenig wahrscheinlich, daß er ernsthaft meinen sollte, die ,Welt' sei wirklich in der Lage, Gott an seinem Tun zu hindern, obwohl er hier so formuliert. 110 StuA 1,318,30. 111 StuA 1, 318, 23. 106

Die Vorrede

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Gott selbst verworfen zu sein, am heftigsten erfahren lassen.112 Weil er sich in solcher Tiefe befand, hat Christus denn auch die Rettung durch Gott besonders deutlich erfahren und liebt und lobt ihn in Ewigkeit. In Psalm 21,7 findet Luther das bestätigt: „du erquicktest ihn [den König] mit Freude vor deinem Angesicht." 113 Ferner verweist er auf Psalm 44, 9: „Gottes rühmen wir uns allezeit, und deinen Namen preisen wir immerdar" und deutet den Gehalt dieses Verses so, daß alle Heiligen im Himmel Gott dafür rühmten, daß er sie in ihrer Tiefe ,angesehen', also gerettet, habe. Durch diese Erfahrung hat er sich ihnen bekannt gemacht. Aufgrund dieser Erfahrung können sie ihn bekennen, lieben und loben. 114 Nach dieser langen Erläuterung dessen, was sich aus Marias Erfahrung über Gottes Wesen lernen läßt, 115 kommt Luther auf Maria selbst zurück. Sowohl durch das Beispiel der Erfahrung, die sie mit Gott gemacht hat, als auch durch ihren Lobgesang lehrt sie Gott zu erkennen, zu lieben und zu loben. 116 Da Maria Gott dafür lobt, daß er sie angesehen hat, m u ß sie die Erfahrung gemacht haben, in Niedrigkeit angesehen' worden zu sein. So belegt Luther, wie er weiter oben zu der Behauptung gekommen ist, Maria sei „gering, unansehnlich, arm und verachtet" 117 gewesen. Gott hat eben nicht ein mit allen denkbaren Vorzügen ausgestattetes Mädchen aus einer der vornehmsten Priesteroder Ratsherrenfamilien der Hauptstadt zur Mutter seines Sohnes erwählt, sondern ein schlichtes Mädchen aus einer der armen Familien von Nazareth. 118 Damit grenzt Luther sich von einer Tradition ab, Marias hohe Abkunft hervorzuheben, die bis in die Karolingerzeit zurückreicht 119 und auch im 15. Jahrhundert prominente Verfechter gehabt hat. 120 In Jes 11,1 f. findet Luther geweissagt, daß Maria in niedriger gesellschaftlicher Position sein werde: Mit dem „stam Jesse" und mit der „wurtzel" sind die Familie von Da112 „Alszo hat er auch seinen einigen liebsten sun Christum selbs / ynn die tiefte allisz iamers vorworffen." (StuA 1, 318, 30-32). 113 StuA 1,318, 35. Die falsche Angabe „in Psalm 15" [Vulgata-Zählung] rührt wohl daher, daß Luther auswendig zitiert und diesen Vers mit Psalm 16,11 „Fülle der Freuden vor deinem Angesicht" verwechselt hat. 114 StuA 1,318,36-38. 115 Diese Erläuterung erstreckt sich von StuA 1,317, 15 bis StuA 1,318, 38. 116 StuA 1,318, 39f. 117 StuA 1, 317, 10. 118 StuA 1, 318, 42-319, 9. 119 Otfried von Weißenburg hat Christi adelige Abkunft behauptet. Auf einer Synode in Frankfurt haben die fränkischen Bischöfe 794 betont, die lungfrau Maria sei aus königlichem Stamm. Auch Alkuin sieht in Maria den Abkömmling einer königlichen Familie. (Belege bei Schreiner, Sozial- und standesgeschichtliche Untersuchungen zu den Benediktinerkonventen im östlichen Schwarzwald, S. 97, Anm. 28). Als sich erst die Überzeugung in den Vordergrund geschoben hatte, Maria müsse aus einer reichen Familie gekommen sein, wurde Marias Vater, von dem man im Spätmittelalter zu wissen meinte, er habe Joachim geheissen, natürlich als reich betrachtet. 120 Der Pariser Kanzler Jean Gerson (1363-1429) betont in seiner Schrift „De nobilitate": „Aus königlichem Geschlecht geboren, erstrahlt Maria." Er weist daraufhin, daß Joseph laut Lk 2,4 ein Sproß des Hauses Davids war. „Gepriesen wird Christus samt seinen Eltern, weil sie durch Generationen von Vorfahren aus königlichem Stamme hervorgegangen sind." (Belege bei Schreiner ((wie Anm. 119)), S.96f. mit Anm. 27).

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Kommentar

vids Vater Isai, David selbst und vor allem Maria selbst gemeint, mit der „rutte" und „blume" Christus. 121 So wenig jemand je gesehen hat - und so wenig es deshalb zu erwarten ist -, 1 2 2 daß aus einer Wurzel oder aus einem Stamm, die verdorrt oder verfault sind, 123 noch ein gesunder Trieb wächst, so wenig konnte jemand voraussehen, 124 daß Maria als Jungfrau und Sproß des Hauses Davids zur Mutter eines solchen Kindes werden würde. Nur unvollkommen läßt sich in heutigem Deutsch nachahmen, wie Luther mit der Vokabel „ansehen" spielt. Er benutzt sie in positiver Bedeutung für das „Ansehen", die Geltung, in der die Töchter der führenden Familien Jerusalems im Unterschied zu Maria stehen. 125 Andererseits aber verwendet er ,,anseh[en]" auch in negativer Bedeutung als Bestandteil des Adjektivs „vnansehelich". Im Kontrast zum Augenschein steht, „vnansehelich / ia vnglewblich" 126 ist es, keiner kann es sich vorstellen, daß aus einem verdorrten oder verfaulten Stamm noch ein gesunder Zweig oder eine schöne Blüte sprießen könnte. Folglich war auch zu Marias Zeit nach menschlichem Ermessen nicht abzusehen, daß das ehemals königliche Geschlecht Davids noch einmal einen König hervorbringen werde, dem viel Ehre zuteil werden würde. 127 Luther verwendet sowohl negativ als auch positiv ,ansehen': positiv, daß Gott tatkräftig „ansieht", um zu helfen, negativ, daß es nicht vor Augen lag („nit anzusehen" 12S ) und daher nicht zu erwarten war, daß ausgerechnet die schlichte Maria so von Gott ausgezeichnet werden würde. Auf diese Weise macht Luther erneut deutlich, wie unterschiedlich seiner Meinung nach Gott (positiv) und Menschen (negativ) .ansehen'. 129 So wenig Menschenaugen noch einen Trieb oder eine Blüte an einem dürr gewordenen Stamm erwarten, so wenig erwarteten sie den Gottessohn von der unansehnlichen Bürgerstochter 130 Maria, die noch dazu Jungfrau war, also nach menschlichem Ermessen völlig außerstande, ein Kind zu gebären. Nach Luthers Auffassung m u ß Maria aus Isais Geschlecht stammen, weil er im Anschluß an die ihm geläufige exegetische Tradition Jesaja 11,1 und 10 so deutet. Maria wird laut Luther in der Weissagung Jesajas er121 Weil Luther Maria als jungfräuliche Mutter betrachtet, ist es für ihn nicht sinnvoll, Joseph als den Träger der Verheißung anzusehen, obwohl im Lukasevangelium von ihm als dem Mitglied des Hauses David die Rede ist. 122 „Nu wie es vnansehelich / ia vnglewblich ist..." (StuA 1, 319, 13-14). 123 Die Begründung dafür, daß er das Geschlecht Isais ,dürr' oder .verfault' nennt, liefert Luther erst etwas später (StuA 1, 319, 15-26). 124 „Szo waresz auch nit anzusehen ..." (StuA 1, 319, 15). Einmal mehr verwendet Luther hier ein Verbum des Sehens. 125 StuA 1, 319, 3. 126 StuA 1, 319, 14. 127 StuA 1,319,24-26. 128 StuA 1,319, 15. 129 Vgl. zum,Sehen' Gottes: StuA 1,317,22 [in Bibelzitaten: 23.24.26] 28-30; 318,11.18.25.29.32. 37. 42; 319, 30. Luther setzt es gleich mit dem „Wirken", „Schaffen" und „Helfen". - Vgl. zum ,Sehen' der .welt'förmig ausgerichteten Menschen: StuA 1,317,31 [im Bibelzitat: 32f.]; 318,3. 28; 319,3.6.25. 26. 30. 130 Vgl. StuA 1, 319, 6. - Frau Dr. Seegets, Universität Erlangen-Nürnberg, danke ich für den Hinweis darauf, daß Luther Maria doch immerhin als Tochter eines Menschen betrachtet, der das Bürgerrecht besaß, was auf die Steuerlisten in Lukas 2 zurückgehen könnte.

Lk 1, 46b: „Meine Seele erhebt Gott, den Herrn"

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stens deswegen als eine .Wurzel' bezeichnet, von der man sich nichts erwarten durfte, oder als ein ,Stamm', von dem daselbe gilt, weil sie ohne Zutun eines Mannes als Jungfrau Mutter geworden ist. Da sie nicht einmal verheiratet war, kam sie als Mutter des Messias eigentlich überhaupt nicht in Frage. Außerdem aber stand das früher einmal königliche Geschlecht Davids, dem sie (und nicht etwa Joseph) angehörte, bei den Zeitgenossen nicht mehr in,Ansehen'. Hatte es doch nicht mehr wie früher Ehre 131 , Gewalt und Reichtum inne, worauf menschliches Ansehen beruht. Es war arm: der Reichtum war ihm genommen. Es war verachtet, 132 denn die Ehre hatten die Priester an sich gebracht: 133 diese Aussage meint in Luthers Mund zu diesem Zeitpunkt nicht allein eine Mitteilung über die Zustände zur Zeit der Geburt Jesu. Damals hatten ,die Priester' dem Haus Davids die Ehre genommen. Luther polemisiert aber zugleich gegen die römische Kurie seiner eigenen Zeit, die er als hoffärtig betrachtet und die seiner Überzeugung nach Ehre für sich selbst usurpiert, statt Gott die Ehre zu geben. Eben weil Maria und das ganze Haus Davids so unansehnlich sind, sind sie nicht in Gefahr, sich selbst die Ehre anzumaßen. Gott kann sie deswegen gnädig ansehen und sie erhöhen. Luther bündelt seine Vorrede so: Gott sieht in die Tiefe und wirkt für die Unterdrückten. Menschen dagegen sehen nach oben und betätigen sich gerne nur für Höhergestellte, die ihnen nützen können und deren Status sie am liebsten selbst haben möchten.

2.4. Lk 1, 46b: „Meine Seele erhebt G o t t , d e n H e r r n " (StuA 1 , 3 1 9 , 3 3 - 3 2 5 , 26) Zur Übersetzung In den Fällen, in denen es inhaltlich etwas austrägt, sollen jeweils miteinander verglichen werden der griechische Text, den Erasmus in der Edition seines ,Novum Instrumentum' von 1519 bietet, sodann die lateinische Übersetzung des Erasmus, Luthers Gesamtübertragung vor Beginn seines Kommentars und die Übertragung jedes Verses vor der Einzelexegese. Zum Vergleich ziehe ich die Übersetzung Luthers aus dem Septembertestament 1522 heran. Gelegentlich verweise ich auf Calvins Übersetzung in seiner Evangelienharmonie. 134 131 Der Leser weiß aus d e m Widmungsbrief, wie leicht nach Luthers Überzeugung die Ehre, die ein e m Menschen erwiesen wird, diesen zur Hoffart verleiten kann. Das berechtigt dazu, an dieser Stelle ,Ehre' mit der leicht daraus folgenden ,Hoffart' zu verbinden. Tut m a n das, so sieht m a n unmittelbar den Kontrast der kümmerlichen Lage, in d e m sich die N a c h k o m m e n Davids zur Zeit Marias befinden, im Unterschied zu den drei Menschengruppen aus Luthers Übersetzung von Lk 1,51-53, den „hoffertige[n]", „gewaltige [n]", „reiche [n]". Gerade weil das Haus Davids in einer so .unansehnlichen' Situation ist, bietet es Gott Gelegenheit, ihm auf seine unverwechselbare Weise zu helfen. 132 StuA 1, 319, 24. 133 StuA 1, 319, 22f. 134 Durchgehend heranzuziehen ist f ü r Luthers Übersetzung die Züricher germanistische Dissertation von Frech: Magnificat u n d Benedictus Deutsch.

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2.

Kommentar

Der griechische Text von Lk 1, 46b lautet: [ [Megalynei he psyche mou kyrion] ] Die Vulgata übersetzt: „Magnificat anima mea Dominum". Erasmus weicht davon nicht ab. Luther übersetzt zu Beginn seines Kommentars: „Meyn Seel erhebt Gott den herrnn". 1 3 5 Luthers Übersetzung vor der Einzelexegese: „Meyn Seele erhebt Got den Herrenn" 1 3 6 weicht davon nicht ab. Im Septembertestament lautet der Halbvers: „Meyne seel erhebt den herrn". Luther läßt also dort das von ihm selbst in der Magnifikatauslegung zugefügte ,Gott' wieder weg. Nirgends versucht Luther, die Wortstellung des griechischen Texts oder der lateinischen Übersetzungen nachzuahmen und Magnificat' voran zu stellen. Zur Auslegung Die erste Frage, die Luther sich stellt, ist die, warum Maria von sich nicht in der ersten Person spricht, sondern in der dritten: „Meine Seele". Er gibt zur Antwort, daß nicht sie selbst sich dazu aufschwinge, Gott zu loben. Sie erlebe vielmehr in ihrer ganzen Person, 1 3 7 daß „ihr ganzes Gemüt und Leben" 1 3 8 von innen heraus in Inbrunst und Freude emporgerissen werden. Mit Worten, die Luther Maria in den Mund legt, ausgedrückt: „mein Leben und all meine Sinne". 1 3 9 Der Heilige Geist selbst verzückt sie derartig. 1 4 0 So lange Maria derartig in Liebe zu Gott schwebt, die sich im Lob Gottes äußert, ist sie nicht Herrin ihrer selbst. Luther spielt auf die Auffassung von der mystischen Ekstase an. Nach Auffassung mittelalterlicher Mystiker werden alle körperlichen und seelischen Funktionen eines Menschen stillgelegt, so lange die Ekstase währt. 1 4 1 Generalisierend sagt er: Wer so von göttlicher Süße 1 4 2 und göttlichem Geist durchströmt wird, fühlt mehr, als er sagen könnte. Auch damit spielt er auf das Erleben der Einheit mit Gott an. Für Luther ist die Ekstase eine von Gott erleuchtete Erkenntnis des Glaubens, kein affektives Entrücktwerden. 1 4 3

StuA 1, 316, 13. StuA 1, 319, 33. 137 Luther formuliert seine Überzeugung, daß Maria gänzlich hingerissen ist, mit „gantz yhr gemut vnd leben" (StuA 1, 319, 35) und mit „meinn leben / vnnd alle mein synn" (StuA 1, 319, 36f.). 1 3 8 StuA 1, 319, 35. 139 StuA 1 , 3 1 9 , 36f. 135 136

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„ymgeist" ( 3 1 9 , 3 5 ) meint nicht Marias Geist, sondern den Heiligen Geist, vgl. StuA 1 , 3 1 7 , 4 - 7 .

11. 141 Vgl. StuA 1, 324, 5f.: „alszo das sie gleich ynn yhn vorzuckt vnd empor erhebung fuelet ynn seinen gnedigen gutten willenn". Freilich will Luther nicht von einer Wesenseinigung zwischen Gott und Maria sprechen, sondern nur von einer Willenseinigung. - Zu der vergleichbaren Auffassung des Theologen Jean Gerson (1363-1429) über die Wirkung der unio mystica auf die Körperfunktionen eines Menschen vgl. Burger, Aedificatio, S. 6 9 - 7 0 und S. 140-142. 1 4 2 Vgl. zur ,Süße' etwas weiter unten das Zitat Ps 34,9. Zur Bedeutung von ,süß' im Zusammenhang mit Gott in mittelalterlichen Quellen vgl. Ohly: „Süße Nägel der Passion", Abschnitt B 2. Die Süße Gottes, S. 436-445. 143 „Die Ekstase ist ein Hineingerissenwerden des Geistes in die klare Erkenntnis des Glaubens.", formuliert Zur Mühlen: Mystik des Wortes, S. 47.

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Die Bewegung von der Liebe Gottes zum Lob Gottes im Inneren eines Menschen hat Luther bereits in der Vorrede aufgezeigt. Er wird mehrfach darauf zurückkommen, sowohl in Form des Tadels, daß Gott Lob vorenthalten wird, 144 als auch positiv. Gott freudig zu loben vermag kein Mensch aus eigener Kraft. Solches Gotteslob geschieht vielmehr in froher Passivität, als ein fröhliches ,An-sich-geschehen-Lassen'. 145 Gott wirkt es am Menschen. Nur durch eigene Erfahrung, nicht durch Worte kann man es lernen. 146 Aus der Abfolge von „schmecken" und „sehen" in Psalm 34, 9a leitet Luther ab, daß sich nur auf der Basis eigener Erfahrung und Empfindung (das Verbum „schmekken") erkennen lasse, wie „süß" Gott ist.147 Dabei deutet er das Verbum „sehen" aus Psalm 34, 9a als „erkennen". Solche Erfahrung macht freilich nur der, der mit seinem ganzen Herzen auf Gott vertrauen kann, wenn er sich in Tiefe und Not befindet. Im zweiten Halbvers von Psalm 34, 9 interpretiert Luther das „hoffen" 148 als „vertrauen".149 Macht doch das Vertrauen das Wesen des Glaubens aus, wie er bereits in seiner Schrift ,Von den guten Werken' (1520) dargelegt hat. Nur wer in Tiefe und Not zu vertrauen vermag, macht die Erfahrung, was Gott in ihm wirkt. Gott wird für ihn süß. Er lernt ihn verstehen und erkennen. 150 2.4.1. „Meine Seele" (StuA 1, 320, 10-323, 5) Marias Worte „meine Seele" nimmt Luther zum Anlaß, einen Abriß biblischer Anthropologie zu skizzieren. Für das Reden von Geist, Seele und Leib des Menschen in der Heiligen Schrift verweist er auf 1. Thess. 5, 23.151 Seine Exegese dieses Verses zielt freilich garnicht auf die Seele, sondern auf die Bedeutung des Geistes als des Sitzes des Glaubens. Das wird Luther nachträglich auch bewußt. Schließt er doch seine Auslegung von „Meyn seele" mit dem Satz: „Das sey disz mal gnug gesagt zuuorklerung / der zweyer wort / seel vnd geist ..." 152 Solches Reden von Geist, Seele und Leib des Menschen in der Bibel bezieht sich auf die Natur des Menschen. Andererseits aber wird in der Heiligen Schrift auch von dem

144 Er schreibt beispielsweise, daß falsche Prediger und falsche Heilige, Menschen, die nur auf ihren eigenen Nutzen sehen, die lediglich auf das Entgelt für ihre Mühen aus sind, sich Heil von Gottes Gütern erwarten, statt auf Gottes Güte zu verweisen. Sie werfen sich zu Abgöttern auf. Statt Gott zu lieben und zu loben, erwarten sie, daß Gott sie liebe und lobe (StuA 1, 328, 3f. 12-15). 145 StuA 1, 319, 40f. 146 StuA 1 , 3 1 9 , 4 0 - 3 2 0 , 2 . 147 StuA 1, 320, 2-5. Vgl. in der Einleitung StuA 1, 318, 11-22. 148 p s gb (Vulgata: 33, 9b): „Beatus vir qui sperat in eo." 149 „darumb setzt er [David, siehe StuA 1,320,2] behend drauff.,Selig ist der mensch der got trawet' ..." (StuA 1, 320, 6f.). 150 StuA 1, 320, 7-9. 151 Der Exkurs mit der Exegese von I Thess 5, 23 („Got der ein got des frids ist") reicht von StuA 1, 320, 14 bis StuA 1, 323, 5. Er nimmt also etwa 6% der Schrift Luthers in Anspruch. 152 StuA 1, 323, 6.

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2.

Kommentar

Geartetsein 153 dieser Teile des Menschen gesprochen. Sie können ,geistlich' oder aber .fleischlich' geartet sein. Das .geistlich' geartet sein bewertet Luther als gut, das .fleischlich' geartet sein als böse, ohne an dieser Stelle darauf näher eingehen zu wollen. 154 Der Mensch kann also nach Geist, Seele und Leib fleischlich und damit böse oder nach Geist, Seele und Leib geistlich und damit gut geartet sein. Im Geist kann der Glaube wirken, in der Seele die Vernunft. Der Geist ist des Menschen edelster Teil, der höchste und der tiefste zugleich. 155 Er allein ist, wenn Glaube in ihm tätig ist, in der Lage,,Dinge' zu fassen, die jenseits der Fassungskraft der Vernunft liegen (die in der Seele ihren Ort hat) und die nicht auf die Zeit beschränkt sind. 156 Der Glaube eines Christen richtet sich auf Inhalte, die er weder sehen noch fühlen noch begreifen kann. 157 Nur ein vom Glauben erleuchteter Geist, nicht aber das Licht der Vernunft kann göttliche Dinge erkennen. 158 Ziel der Tätigkeit der Seele ist Erkenntnis, 159 Ziel des Wirkens des Geistes ist Weisheit.160 Der Geist bedarf des Glaubens, eines höheren Lichtes als des Lichtes der Vernunft, das in der Seele leuchten kann. 161 Luther beabsichtigt anthropologische Aussagen über den Christen zu machen, nicht über den Menschen abgesehen vom Glauben oder Nicht-Glauben. 162 Das wird spätestens dann deutlich, wenn er das Reden von Dunkelheit und Am-Tage-Sein von Geist, Seele und Leib des Menschen an den Aussagen im biblischen Buch Exodus über die Stiftshütte exemplifiziert. 163 Sofern jemand glaubt, haben Glaube und Gottes Wort im Geist ihren Sitz. Wenn David in Psalm 51 um einen .rechten' Geist bittet, dann interpretiert Luther diese Bitte als die nach ei153

„teilung ... der eygenschafft" (StuA 1, 320, 16f.). StuA 1,320, 18f. 155 Joest: Ontologie der Person bei Luther, S. 185, formuliert zutreffend: „der Geist, als Ort des Glaubens verstanden, ist das beherrschende Zentrum, von dem aus das ganze Lebensverhalten regiert wird." 156 StuA 1, 320, 20-21 und erneut, diesmal zur Abgrenzung gegenüber der begrenzteren Leistungskraft der Seele: 320,31. 157 Der Geist geht mit ungreifbaren Dingen um (StuA 1,320,20), nicht mit greifbaren (StuA 1,321, 23). Er glaubt, was er wedersehen noch fühlen noch begreifen kann (StuA 1, 321,13-14). Er kann ungreifbare Dinge erfassen (wörtlich: fangen) StuA 1,325,29. Zu Recht schreibt Joest: Ontologie der Person bei Luther, S. 185: „Die unbegreiflichen, unsichtbaren, ewigen ,Dinge' sind Gott selbst in seinem Wort. Das,Fassen' dieser Wirklichkeit, wozu der Mensch in seinem Geist .geschickt' sein soll, ist der Glaube, mit dem er sich an dieses Wort hält." 158 StuA 1, 321, 1. 159 StuA 1,321,3. Luther spricht vom ,Werk' der Seele (StuA 1,320,27), davon, daß sie,wirke' (StuA 1, 320, 30) und .handele' (StuA 1, 1, 321, 1). 160 StuA 1, 321, 2. 161 StuA 1, 320, 33-34. 162 In der mittelalterlichen Exegese ist aus der Weissagung in Jes 11 die Lehre von den sieben Gaben des Heiligen Geistes entwickelt worden. Vom „Geist der Weisheit" ist beispielsweise die Rede in Jes 11, 2, in Dtn 34,9, in Weisheit Salomos 7,7 und in Eph 1,17. In Apg 6 , 3 lautet es: „voll des Heiligen Geistes und der Weisheit". 163 StuA 1, 321,11-12: „Inn der selben figur ist ein Christen mensch abgemalet..." Neben den Hinweisen des Herausgebers Seils auf biblische Belegstellen und auf die vergleichbare Aussage in Jean Gersons (1363-1429) ,Collectorium super Magnificat' in der Studienausgabe (StuA 1, 321, Anm. 58) ist auch hilfreich Zur Mühlen, Mystik des Wortes, S. 37, der auf den Unterschied zwischen der Verwendung des Bildes der Stiftshütte zu Ps 17, 12 bei Luther und bei Pseudo-Dionysius vom Areopag hinweist. 154

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nem durch Gott „auffgerichten stracken glawben".164 Bestätigt findet er seine Auffassung durch eine Aussage in Psalm 78 über die entgegengesetzte Haltung: Wessen Herz nicht,recht' auf Gott hin ausgerichtet ist, der glaubt nicht. 165 Ein solcher Mensch ist ,Fleisch', sein Geist geht dahin. 166 Dadurch, daß Luther seine Aussagen über den,Geist' durch Psalm 78, Vers 37 stützt, in dem nicht vom Geist, sondern vom,Herzen' die Rede ist, macht er deutlich, daß ein glaubender Geist und ein glaubendes Herz für ihn die gleiche Funktion haben. 167 Wenig später schreibt Luther, Heiligkeit des Geistes bestehe im „blossen lautternn glawben" 168 , also in nichts weiter als in Glauben. Was man als den ,Geist' des Menschen bezeichnet, kann man dann, wenn man sein Augenmerk darauf richtet, was denn den Leib lebendig macht und durch ihn wirkt, auch .Seele' nennen. 169 Die Seele bezeichnet in der Heiligen Schrift häufig das Leben. Nun könnte Luther darlegen, wie die Vokabel .Seele' für den ganzen Menschen in seinem Lebendig-Sein verwendet werden kann, wie er das später tun wird. 170 Doch an dieser Stelle begnügt er sich damit, die Seele unterhalb des Geistes einzuordnen, wie das bei Theologen üblich ist, die an Texten antiker Philosophie geschult sind. Die Seele beseelt den Leib, sie macht ihn lebendig. Sie erfaßt nicht ungreifbare, unsichtbare Dinge wie der Geist. Ihr ist (lediglich) das Licht der Vernunft gegeben. 171 Ihr Ziel soll Erkenntnis sein. 172 Wenn nicht ein vom Glauben erleuchteter Geist sie regiert, geht sie in göttlichen Dingen in die Irre. 173 In der Seele haben außer der Vernunft die Leidenschaften ihren Platz.174 Luthers Reden von der Seele bleibt an dieser Stelle eigentümlich blaß. Weil er hier die ihm aus der scholastischen Tradition vertraute Dreiteilung des Menschen in Geist, See164 StuA 1,320,22-24. Ps 51 (50), 12b: „spiritum rectum innova in visceribus meis." Die Bedeutung des Wortes ,strack' ist eigentlich ,gerade'. Hier aber meint Luther offenbar zugleich ,unbeugsam', ,fest und unbeirrbar auf Gott ausgerichtet'. 165 Ps 78 (77), 37: „Cor autem eorum non erat rectum cum eo, nec fideles habiti sunt in testamento eius." 166 Vgl. Ps 78 (77), 39: „Et recordatus est quia caro sunt, Spiritus vadens et non rediens." 167 Joest: Ontologie der Person bei Luther, S. 187, formuliert: „Der Geist, von dem hier die Rede ist, ist der Ort der Entscheidung über die Grundrichtung des ganzen Lebensaktes; das ihm gegenübergestellte Ganze von ratio, sensus und Leib ist der instrumentale Komplex, der Leben und Verhalten des Menschen in der Welt ermöglicht und darin der Auswirkung jener im Geist fallenden Entscheidungen dient." 168 StuA 1, 321, 23. 169 Vgl. dazu loest (wie Anm. 167), S. 186: „Es ist nicht ein,etwas' im Menschen, das glaubt, getrennt von einem anderen ,etwas', das das Leibes- und Weltleben besorgt. Sondern derselbe Mensch, der im Geiste glaubt, handelt und leidet mit Seele und Leib." 170 Vgl. StuA 1,324, 4f. 12. 171 Joest (wie Anm. 167), S. 185, spricht zu Recht von einer aktiven Erkenntnispotenz. 172 StuA 1,321,1-3. In Prov 2,10 heißt es: „Wenn Erkenntnis (scientia) deiner Seele gefällt", in Prov 19, 2: „Wo keine Erkenntnis (scientia) der Seele ist, ist nichts Gutes." 173 StuA 1, 320, 32-321, 1. 174 Luther beklagt nicht die Wirkungen der Affekte, wie es üblich ist. Zu Recht weist Joest (wie Anm. 167, S. 186) daraufhin, daß Luther der .Seele' sowohl die Fähigkeiten zuweist, die in der ihm vertrauten Tradition der höheren ,anima rationalis' zugeordnet werden, als auch die, die man gewöhnlich der niedrigeren ,anima sensualis' zurechnet.

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2.

Kommentar

le und Leib übernommen und nicht die Seele, sondern den Geist als die Wohnung des Glaubens bezeichnet hat, bleibt für die Seele lediglich die herkömmliche Rolle einer zwischen Geist und Leib vermittelnden Instanz. Ganz anders kann er von der Seele reden, sobald er sich wieder am biblischen Text orientiert und „Seele" als Ausdruck für den ganzen Menschen interpretiert: Dann steht sie für des Menschen ganzes „leben / weben / synn vnd krafft". 175 Der Leib führt lediglich aus, was der Geist glaubt und die Seele erkennt. Da Maria im Magnifikat nur von ihrer Seele und von ihrem Geist spricht, 176 erwähnt Luther den Leib in seinem knappen Abriß der Anthropologie lediglich der Vollständigkeit halber. Abschließend versucht Luther den Sinn des Redens von Geist, Seele und Leib des Christen zu verdeutlichen. Zu diesem Zweck vergleicht er die drei Teile, in die man den Menschen einteilen kann, mit drei Gebäuden: dem Allerheiligsten, dem Heiligen und dem Vorhof der Stiftshütte. Wie diese beherbergen die drei Teile des Menschen Inhalte abgestuften Wertes und sind deswegen auch selbst von unterschiedlichem Wert. Gott wohnt hier wie dort im Dunkel, nicht am Licht des Tages. Gerade das Gebäude der Stiftshütte, in dem kein Licht ist, das Allerheiligste, ist Gottes Haus. Ihm vergleichbar ist der Geist des Christen. Er bedarf der Erleuchtung durch den Glauben, er richtet sich auf nicht Sichtbares, nicht Fühlbares, nicht Begreifbares. Er ist das Haus des Glaubens. Wie das Heilige der Stiftshütte durch einen siebenarmigen Leuchter erhellt wurde, so wird die Seele des Menschen durch das Licht der Vernunft erleuchtet. Wie bei der Stiftshütte der von der Sonne beschienene Vorhof das geringste Bauwerk ist, so wirken auch in dem Teil des Menschen, den das irdische Auge sehen kann, dem Leib, die geringsten Kräfte. Hier fallen die Entscheidungen nicht, hier werden sie nur ausgeführt. 177 Den Vergleich mit der Stiftshütte hat Luther nicht erfunden. Ungewöhnlich ist aber, daß er ihn nicht auf Geist und Seele beschränkt, sondern auch auf den Leib ausdehnt. 178 Der Pariser Theologe Jean Gerson (1363-1429) beispielsweise, den Luther trotz gewisser Vorbehalte schätzte, hat die drei Gebäude der Stiftshütte mit ,mens',,ratio' und ,anima' verglichen, die er alle drei im menschlichen Herzen hat finden wollen. 179 Der Gehalt des Verses 1. Thessalonicher 5, 23, den Luther angeführt hat, um erläutern zu können, was Maria mit „meine Seele" aussagt, ist aber seiner Meinung nach noch nicht ausgeschöpft. Bisher hat er ausgeführt, welchen Sinn das Reden von Geist, Seele und Leib hat. Nun will er auch die Gebetsbitte um Heiligung des ganzen Menschen noch auslegen. 180 Ist es doch sehr umstritten, daß der Geist nur durch den „blos-

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StuA 1, 324, 4f.; vgl. 324, 12. Vgl. StuA 1, 323, 6. 177 Vgl. StuA 1, 321, 6-17. 178 Zu Recht bemerkt Joest (wie Anm. 255), S. 185: „In der Sache sind also hier die beiden verschiedenen Triaden: corpus - anima - spiritus und sensus - ratio - spiritus, ineinandergefügt." 179 Der Text aus Gersons ,Collectorium super Magnificat', tractatus 7, ist abgedruckt in StuA 1,321, Anm. 58. 180 StuA 1, 321, 18-323,5. 176

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sen lautternn glawben" .heilig', Luther erläutert: .fromm' wird. 181 Falsche Lehrer empfehlen dazu anstelle des Glaubens äußerliche Werke und Methoden. Wird nun der Geist eines Christen nicht (von Gott) bewahrt und vermag er nicht weise zu bleiben, worin doch laut der Heiligen Schrift seine Aufgabe besteht, 182 dann bleibt er nicht der zugleich höchste wie tiefste Teil des Menschen 183 , sondern dann läßt er sich herauslokken. 184 Er stülpt sich dann nach außen, statt, wie es seine Aufgabe ist, den Glauben und Gottes Wort zu fassen. 185 Er fällt nach außen 186 und folgt diesen falschen Lehrern. Wenn der Geist eines Menschen auf diese Weise verleitet worden ist, dann läßt er sich darauf ein, äußerliche Werke zu verrichten. Damit meint er .fromm' zu werden, ist aber in Wirklichkeit vor Gott tot. Für Luther liegt es vor der Hand, auf der Grundlage seiner eigenen Erfahrung das Streben nach Selbstheiligung in strengen beschaulichen Orden oder in observanten Richtungen der Bettelorden anzuführen. 187 Dadurch aber zerstört ein solcher Geist den Glauben, der damit unvereinbar ist, und wird vor Gott tot. 188 Statt den Glauben in sich wohnen zu lassen und nach Gottes Geboten zu handeln, bauen die, die verführen, und die, die sich von ihnen verführen lassen, 189 auf von Menschen erdachte Werke, um selig zu werden. 190 In diesen vermeintlich frommen Taten versuchen solche Menschen, die durch ihre Werke Heiligkeit erreichen wollen, andere zu überbieten. In 1. Thessalonicher 5,23: „Got der ein got des/Weis ist"191 findet Luther diese Zwietracht verurteilt. Er ergänzt interpretierend den Wortlaut des biblischen Textes: „... vnd der eimgkeit".192 Die un-eimgen und uri-friedfertigen Selbstheiliger haben untereinander nicht solchen einträchtigen Frieden. 193 Sie können ihn nur erreichen, wenn sie aufhören, ihr Heil von eigenen Werken zu erwarten 194 und sich stattdessen wieder auf die Heiligkeit besinnen, die allein darin liegt, daß im Geist eines Menschen Glaube an Gott

181 StuA 1, 321, 25. 27. Zur Bedeutung des Wortes .fromm' bei Luther vgl. die oben in Anm. 95 genannten Arbeiten von Matsuura, Wunder und Moser. 182 Vgl. StuA 1, 321, 1 - 3 mit 321, 25-26. 183 StuA 1, 320, 20. 184 StuA 1, 321, 24f. 185 Vgl. StuA 1, 320, 19-22. 186 Vgl. StuA 1,321,26. 187 Luther nennt als Beispiele für strenge Orden die kontemplativen Kartäuser, die Barfüßer (StuA 1, 321,30) und die Angehörigen der streng an der jeweiligen Regel festhaltenden Richtungen in den Bettelorden, die Observanten (StuA 1, 322, 5), zu denen auch er gehört hat. 188 StuA 1, 321, 27-28, vgl. 322, 2. 189 Zunächst ist von falschen Lehrern die Rede (StuA 1,321,24), danach von denen, die sich verführen lassen und Mönchsorden beitreten, schließlich wieder von scheinbar frommen Lehrern (StuA 1, 322,6). Deutlicher formuliert Luther weiter unten, daß er Verführer wie Verführte meint: „sich selb vnd yder man damit vorfuren." (StuA 1, 333, 21 f.) 190 StuA 1, 321, 29-322,4. 191 StuA 1, 320, 12. 192 StuA 1,322, 7. 193 StuA 1, 322, 7f. 194 Das „yhr dingk fallen lassen" (StuA 1,322,8) bezieht sich auf „ymmer an hynn auff die werck bawen" (StuA 1, 322, 3).

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2.

Kommentar

wohnt. 195 Der Glaube allein macht fromm, einig und friedfertig. Wird an seiner Stelle das Vertrauen auf Werke gesetzt, so folgen Sünde, Zwietracht und Unfriede. 196 Der Friede, den Paulus für die Thessalonicher erbittet, ist nur zu haben und zu bewahren, 197 wenn man im Gegensatz zu den „falschen Lehrern", „Werk-Heiligen" und lediglich „fromm scheinenden Lehrern" lehrt, daß allein der Glaube fromm, (vor Gott) gerecht und selig macht und eben nicht Werke. Den Glauben definiert Luther unter Verweis auf seine Schrift ,Von den guten Werken' als „gute Zuversicht auf die nicht sichtbare Gnade Gottes, die er den Christen versprochen hat". 198 Wo solcher Glaube nicht ist, da besteht nicht länger eine Beziehung zu Gott, da bleibt Gott nicht. 199 Wo dem Geist solcher Glaube fehlt, richtet der Mensch seine Zuversicht nach außen 200 auf selbsterwählte Werke und Lebensformen. 201 Darin läuft er fest. Daraus folgen Unfriede und Uneinigkeit 202 (im Gegensatz zur - von Luther durch das Wort ,einigkeit' ergänzten - Gebetsbitte in 1. Thess. 5, 23). Erneut kommt Luther auf diesen Bibelvers zurück. In der griechischen Vokabel ,holocleron', die er mit ,im Besitz des gesamten Erbes' (,gantzerbbesitzend') übersetzt, findet er ausgedrückt, daß ein vom Glauben erfüllter Geist die Fülle der Zuversicht auf Gott hat. Daraus leitet er das Recht ab, interpretierend zu ergänzen, 203 Paulus bitte Gott in diesem Vers, die Thessalonicher vor falscher Lehre zu behüten. Irrlehre würde die Glieder der Gemeinde von Thessaloniki dazu verleiten, ihre Zuversicht auf Werke zu gründen. Dann würden sie in ihren Gewissen irregeleitet werden. Zuversicht hat sich allein auf Gottes Gnade zu richten. Nur ein Mensch, dessen Geist in solchem Glauben ganz auf Gottes Gnade vertraut, kann seine Seele und seinen Leib vor Irrtum und bösen Werken bewahren. 204 Die Seele eines Menschen, in dessen Geist solcher Glaube nicht wohnt und regiert, muß in die Irre gehen. Ein solcher Mensch richtet sein ganzes Leben verkehrt ein. Wo die einzig richtige Grundlage fehlt, Zuversicht auf Gottes Gnade, da nützt einem Menschen auch gute Intention, 205 die gute Werke um Gottes willen tun will, nichts. Die Seele eines Menschen, dem solcher Glaube fehlt, geht in die Irre. Alle Werke, die sein Leib tut, sind (vor Gott)

195

StuA 1, 321, 22f. Vgl. auch 320, 21f. StuA 1, 322, lOf. Luther geht ganz selbstverständlich davon aus, es sei der Glaube und es seien eben nicht die Werke, der Eintracht stifte, obwohl der Wortlaut der Verse, die er zitiert, das nicht hergibt: Ps 68 (67), 7 (Vulgata: „Deus qui inhabitare facit unius moris in domo") und Ps 133(132),1 (Vulgata: „Ecce quam b o n u m et quam iucundum habitare fratres in unum!"). 197 StuA 1, 322, 8: „nit haben noch behalten". 198 StuA 1, 322,14-17. In der Schrift ,Von den guten Werken' definiert Luther den Glauben als .Zuversicht' und als ,Vertrauen'. 199 Vgl. „vnd alszo kein got mehr da bleibt" (StuA 1, 322, 18f.) mit „der geist... ist kurtzlich / das hausz da der glawbe vnd gottis wort innen wonet." (StuA 1, 320, 19. 21 f.) 200 „euszerliche weysze" (StuA 1, 322, 14f.). 201 „eygene erwelete werck vnd orden" (StuA 1, 322, 1). 202 „szo tieff dreyn kummen / das sie drob vneinisz werden" (StuA 1, 322, 3f.). 203 StuA 1,322,22: „alsz solt er sagen". 204 StuA 1,322,27-29. 205 Siehe die Anm. 71 des Editors Seils zur ,bona intentio' (StuA 1, S. 322). 196

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böse und verwerflich, mögen sie auch die Gestalt von Werken haben, die als Werke von Heiligen gelten. Luther bündelt seine Auslegung des „meine Seele", de facto eine Exegese von 1. Thessalonicher 5, 23, mit dem Hinweis, Gott müsse vor allem den Geist, in zweiter Linie auch die Seele und den Leib behüten. Denn nur auf diese Weise lebt ein Mensch nicht vergeblich. Nur so bleibt er nicht allein von offenkundigen Vergehen, sondern auch von der Gefahr, sich auf gute Werke zu verlassen, frei. 206 Nur wenn Glaube sein ,Haus' im Geist hat, erlangt ein Mensch Frieden und wird heilig. Wer sich von falschen Lehrern auf von Menschen erdachte Werke verweisen läßt, erntet Zwietracht. 2.4.2. (StuA

„Magnificat" 1, 323, 7-324,

32)

Dieses Wort betrachtet Luther als eine Art von Inhaltsangabe des Lobgesangs Marias.207 Er übersetzt „magnificare" als „groß machen, erheben, viel halten von" und erläutert, daß es nicht darum gehen kann, daß Menschen Gott groß machen. Ist Gott doch seiner Natur nach unwandelbar. 208 Es kommt vielmehr darauf an, daß sie selbst sowohl intellektuell als auch emotional viel von Gott halten, daß sie ihn für groß halten. 209 Etwas später erläutert Luther mit der geläufigen Wendung: „Oh, ich halte viel von ihm!", was er meint. 210 Menschen müssen von Gott erwarten, daß er weiß, welche vielfältigen Bedürfnisse sie haben, daß Gott sie erfüllen will und dazu imstande ist. 2 " Luther erwartet sich davon drei Wirkungen. Solches „viel von Gott halten" stärkt den Glauben, den Luther weiter oben inhaltlich als Zuversicht definiert hat. 212 Die zweite und dritte Wirkung differieren je nachdem, in welcher Lage man sich befindet. Ein Glaubender kann nur die zweite oder die dritte Wirkung erfahren. Alle geringen Menschen erfahren die Stärkung ihres Glaubens in Form der zweiten Wirkung: sie werden dadurch getröstet. Alle hoch stehenden Menschen dagegen erfahren die Stärkung ihres Glaubens in Form der dritten Wirkung: sie erschrecken darüber. 213 Freilich darf sich solche glaubende Zuversicht nicht auf die Feststellung beschränken, daß Gott anderen Menschen wie beispielsweise Maria Großes getan hat. Sie muß vielmehr die Erwartung einschließen, Gott werde auch mit dem jeweiligen Glaubenden selbst so handeln wie mit Maria. Sonst wäre solche Stärkung der Zuversicht denen keine Hilfe, die in Be-

206

StuA 1, 323, 1-5. StuA 1, 323, 11—12. 208 StuA 1, 323, 39. 209 „ynn vnszerm erkentnisz vnd empfindung" (StuA 1, 323, 40f.). 210 StuA 1, 324, 8 f. 211 StuA 1, 323,9. Das „wollen" definiert Luther näher durch „Liebe dazu haben" (StuA 1, 323, 20). Vgl. zu der Trias „wissen, wollen und vermögen" bei Augustin Burger: Der Augustinschüler gegen die modernen Pelagianer. 212 StuA 1,322, 15f. 213 StuA 1,323, 13f. 207

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drängnis kleinmütig und verzagt sind. 214 Umgekehrt wäre solche Intensivierung der Erwartung großer Taten Gottes (denn von positiver Zuversicht kann dieser Personenkreis kaum sprechen) 215 denen kein heilsamer Schrecken, die angesichts ihrer Machtfiille Gott nicht fürchten. 216 Ein auf diese Weise gestärkter Glaube darf weder wanken noch zweifeln. Er m u ß sich fest darauf richten, daß Gott auch mit dem, der glaubt, große Dinge tun werde, 217 die ihm dann Grund geben werden, aufgrund eigener Erfahrung Gott so zu loben, wie Maria es getan hat. Solcher Glaube verändert den, in dessen Geist er Wohnung nimmt. Er zwingt den (sozial) hoch Stehenden, (Gott) zu fürchten, und zwar um so mehr, je höher er steht. 218 Denn die Gefährdung, vor lauter Hoheit hoffärtig zu werden, wächst ja, je höher jemand steht. 219 Wer über Macht verfügt und wer die Rechtsprechung beeinflussen kann, der ist gefährdet, hochmütig zu werden. Weil Luther es als gefährlichen Fehler betrachtet, Gott nicht zu fürchten, betrachtet er es auch als heilsam, daß bei einem derart Gefährdeten die Stärkung des Glaubens zum Erschrecken führt. Gestärkter Glaube verändert andererseits auch den sozial niedrig Stehenden. Er gibt ihm Grund dazu, getrost zu sein, und zwar desto mehr, je weiter man ihn in die Tiefe gedrückt hat. 220 Ganz knapp verweist Luther darauf, daß ein Glaube, der sich auf Werke gründet, wie Menschen sie sich ausdenken, weder zu heilsamer Furcht noch zum Trost in Unterdrückung führt. 221 In der Todesstunde wird sich erweisen, ob jemand zuversichtlich erwartet, Gott könne und wisse nicht allein, wie er ihm helfen könne, sondern er werde es auch tun wollen. 222 Ein Sterbender muß darauf hoffen, Gott werde für ihn das unsäglich große Werk verrichten, ihn nach dem leiblichen Tod vom ewigen Tod zu erlösen und ewig selig zu machen. 223 Nur solcher Glaube vermag alle Dinge, hat Bestand und macht die Erfahrung, wie Gott wirkt. 224 Aus dessen Erfahrung der Taten Gottes folgt Liebe zu Gott und entspringt das Lob Gottes, in dem ein Glaubender ausdrückt, daß er viel von Gott hält. 225

214

Es geht hierbei u m die zweite Wirkung. Hierbei handelt es sich also u m die dritte Wirkung. 2,6 StuA 1, 323, 20-23. 217 StuA 1, 323, 25-27. 218 StuA 1, 323, 28-30. 219 Diese Aussage über die Gefahr, hoffärtig zu werden, bei denen, die sozial hoch stehen, erinnert daran, wie Luther bereits in seinem Widmungsbrief zu dieser Schrift den jungen Herzog Johann Friedrich warnt: Vgl. oben zu StuA 1, 315, 12-19. 220 StuA 1,323,29-31. 221 StuA 1,323, 31. 222 StuA 1,323,31-33. 223 Die Formulierung „gottes erbkind" (StuA 1, 323, 34) verweist zurück nach Luthers Auslegung des „Geistes, der das ganze Erbe besitzt" (I Thess 5, 23; vgl. StuA 1, 322, 21 f.). 224 StuA 1, 323, 35f. 225 „grosz von got helt" (StuA 1,323, 37), vgl. „viel von yhm halten" (StuA 1, 323,8). Den Weg von der Erfahrung der Werke Gottes zum Lob Gottes hat Luther bereits mehrfach dargestellt, vgl. StuA 1, 318, 33f. und 318, 39f. sowie StuA 1, 318, 14-22. 215

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Gott gilt es zu erheben. Aber nicht etwa deswegen, weil er es nötig hätte, von Menschen gelobt zu werden. Gott ist ja von Natur unwandelbar und hat es insofern nicht nötig, von Menschen erhoben zu werden. Doch es geht um des Menschen Erkenntnis und Empfinden. Beide verändern sich in Menschen, die ihm Lob sagen. 226 Solche hohe Achtung soll sich in erster Linie auf Gottes Güte und Gnade richten. 227 Erst danach darf es um seine Gaben gehen, um die Güter, die er in seiner Güte schenkt. 228 Luther stützt diese These dadurch, daß Maria sagt, ihre Seele lobe Gott. Hätte Maria doch auch sagen können, es lobe Gott bloß ein Körperteil wie der Mund oder die Hand oder eine Seelenkraft wie Denken oder Wille.229 Mit der Aussage, ihre Seele lobe Gott, will Maria nach Luthers Meinung darauf hinweisen, daß es um die Güte Gottes als des Gebers geht, die sich in den Gaben lediglich manifestiert. Polemisch grenzt Luther Marias Gotteslob von dem vieler Menschen ab, die Gott groß machen wollen, ohne ganz von seiner Güte durchdrungen zu sein. 230 Mit .meine Seele' will Maria ausdrücken, daß sie als ganze Person viel von Gott hält. 231 Mit den Vokabeln,vorzuckt' (verzückt) und,empor hebung' bedient Luther sich mystischer Terminologie. 232 Freilich bewirkt der ,raptus' oder die .extasis' nach Luthers Ansicht lediglich eine Erhebung von Marias Seele in Gottes Willen. Es findet keine Einigung ihrer Seele mit Gottes Wesen statt. 233 An der alltäglichen Erfahrungsweisheit, daß auch jeder seiner Leser einen anderen Menschen rühmen wird, wenn der ihm etwas besonders Gutes erwiesen hat, sucht Luther zu verdeutlichen, was Maria durch „meine Seele macht Gott, den Herren, groß" ausdrücken will.234 Luther spricht die Erwartung aus, daß diese Neigung, einen Wohltäter hoch zu schätzen und ihn deshalb auch zu rühmen, die sich schon im alltäglichen Leben einem menschlichen Wohltäter gegenüber äußert, erst recht Gott als dem größten Wohltäter gegenüber wirksam werden wird. Jeder seiner Leser wird Gott noch viel mehr als einen menschlichen Wohltäter rühmen wollen, wenn er Gottes Güte in dessen Werken erfährt. Gottes Güte äußert sich ja so überschwenglich, daß alle Worte und Gedanken nicht ausreichen, um Gott angemessen zu loben. Alles, was im Menschen lebt, m u ß da-

226

StuA 1,323,39-41. StuA 1, 323, 41. 228 Luther kommt auf dieses Thema erneut zu sprechen, wenn er darauf verweist, daß Maria Gott zuerst ihren Herrn nennt, dann ihren Heiland, und danach erst seine Werke rühmt (StuA 1, 326, 3f.). 229 StuA 1,323, 4 1 ^ 4 . 230 StuA 1, 323, 44-324, 3. Die Ablehnung wird in dem mehrfach wiederholten „nit" (StuA 1, 323, 42f.) und in dem „mit falscher andacht" (StuA 1, 324, 3) deutlich. 231 Wiederholt formuliert Luther „leben und weben", beispielsweise StuA 1, 323, 27; 324,4. Auf die Ganzheit verweisen „mein gantzes leben" (StuA 1,324,4) und im Beispiel aus der Alltagserfahrung „all unszer leben" (StuA 1,324, 8), „das gantz leben vnd Seele" (StuA 1, 324,12) und „allisz" (StuA 1, 324, 13). 227

232 Vgl. Oberman: Simul gemitus et raptus: Luther und die Mystik, ferner von dems., Die Bedeutung der Mystik von Meister Eckhart bis Martin Luther, sowie Zur Mühlen: Mystische Erfahrung und Wort Gottes bei Martin Luther. 233 Mystiker wie Meister Eckhart oder Ruusbroec, die es wagten, von einer Einigung des höchsten Seelenteils mit Gottes Wesen zu sprechen, stießen auf scharfe Kritik. 234 StuA 1, 324, 7-9.

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2.

Kommentar

zu in Lied u n d Wort in Bewegung kommen. Die Abfolge von „singen und sagen" ist angesichts der Sorgfalt, mit der Luther seine Worte wählt und eben auch innerhalb eines Satzes anordnet, gewiß nicht zufällig: Das Lied kann den Überschwang eher fassen als das Wort. 2.4.3. Zwei gefährdete

Menschengruppen

2.4.3.1. Menschen, die Gott nur dann und nur so lange lohen, wie die Güte Gottes sich darin äußert, daß sie Güter schenkt Wie so oft verdeutlicht Luther seine positive Aussage auch hier durch die Darstellung dessen, was er meint bekämpfen zu müssen. 235 Manche Menschen erweisen sich als „falsche Geister", als solche also, in deren Geist nicht der Glaube regiert. 236 Sie können das Magnifikat nur auf falsche Weise nachsingen. Manche Menschen scheuen die Situation der Unterdrückung und Tiefe. Deshalb erfahren sie Gottes „rechte Werke", 237 sein rettendes Eingreifen zu ihren Gunsten, nicht. Sie lernen Gott nie recht als Retter zu lieben noch auf der Basis solcher Liebe zu loben. Sie sind nur so lange bereit, Gott zu loben, wie er ihnen wohl tut. Bei solchen leidensscheuen Menschen klingen Gottesdienst u n d Gotteslob hohl, denn sie sind „ohne Kraft und Saft". 238 Luther geht von der Anklage zum Bekenntnis über und schließt durch „wir" die Leser oder Hörer u n d sich selbst in diese Gruppe der „falschen Geister" mit ein. 239 Auch Luther und seine Leser gehören zu denen, die Gott erst dann loben, wenn es ihnen wohl ergeht. Geht es ihnen übel, so halten auch sie nichts mehr von Gott (im Gegensatz zu dem spontanen Ausruf: „Oh, ich halte viel von ihm!" 240 ). Man meint dann, Gott könne oder wolle 241 nichts an einem wirken. 2.4.3.2. Menschen, die Gott weder lieben noch loben, weil sie sich Gottes Gaben selbst anmaßen Als eine noch gefährlichere (und gefährdetere) Gruppe von Lobrednern Gottes betrachtet Luther diejenigen, denen Gott viel verliehen hat, die aber diese Güter Gottes 235

StuA 1, 324, 14-32. Diejenigen Menschen, die Gott um seiner Güte willen und nicht lediglich um der ihnen zuteil gewordenen Güter willen lieben und loben, bezeichnet Luther als „reine Geister" (so beispielsweise StuA 1,327,24) oder als Menschen, die ihren Geist rein halten (StuA 1,327,28). Sie verwechseln nicht Gottes Güte mit ihrem Genuß. 237 Hier klingt bereits an, was Luther noch ausführen wird: Gott tut nicht nur solche besonderen, ihm eigentümlichen (,rechte') Werke, sondern auch Werke „mit seiner linken Hand". Sie sind jedem Menschen geläufig, nicht nur dem, der mit dem Auge des Glaubens sieht. Zu den Werken, die Gott mit seiner linken Hand wirkt, gehört es etwa, wenn ein stärkeres Heer ein schwächeres besiegt oder wenn ein Wolf ein Schaf frißt. 238 StuA 1, 324, 21-22; die gesamte Argumentation: 15-25. 239 „vnsz" (StuA 1,324,22); „wir" (StuA 1,324,22); man meint dann [zu Unrecht], Gott könne oder wolle nichts mit einem wirken (StuA 1, 324, 23); „vnsz" (StuA 1, 324, 24). 240 StuA 1, 324, 8f. 241 Das dritte Glied (wissen) hat Luther an dieser Stelle nicht erwähnt, vgl. StuA 1, 323, 19-21 und die Erläuterung dazu. 236

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nicht als Gaben seiner Güte betrachten, sondern als wohlverdienten Besitz. Durch das Sätzchen „die auff die ander seitten weichen" 242 macht er klar, daß es sich bei den Angehörigen dieser Gruppe nach seiner Meinung um Leute handelt, die in ein Fehlverhalten verfallen, das dem der Menschen, die zur ersten Gruppe gehören, entgegengesetzt ist. Statt durch Sucht nach Gütern wie die Angehörigen der erstgenannten Gruppe lassen sie sich durch die Güter, über die sie verfügen, davon abhalten, Gottes Güte zu lieben und zu loben. Sie wollen von anderen Menschen für das, was Gott durch sie getan hat, 243 geehrt werden. Sie setzen sich gegen die ab, die nicht so großes Gut besitzen, und halten sich für etwas Besonderes. Wer sich auf solche Weise Gottes Gaben selbst anmaßt, steht auf sehr gefährlichem Boden. 244 Wer sich auf die Güter Gottes verläßt, als gehörten sie ihm und als seien sie ihm nicht lediglich verliehen, ist bedroht von der Gefahr, hoffärtig und selbstgefällig zu werden. 245 Luther spricht von der geschädigten Natur des Menschen wie bereits in der Widmungsvorrede: Das Herz eines Menschen ist ,von Natur' Fleisch und Blut und dadurch zur Vermessenheit geneigt, hatte er in der Widmungsvorrede geschrieben. 246 Gottes Güter machen die Herzen derer, denen sie zuteil werden, ,von Natur' (naturlich) hoffärtig und selbstgefällig, heißt es hier.247 Diese Aussagen über die Gefahr der Überheblichkeit bei denen, denen viel gegeben ist, sind ferner vergleichbar mit den Warnungen, die Luther im Widmungsbrief an Herzog Johann Friedrich ausspricht. Dort heißt es, Herrscher seien besonders gefährdet, weil ihnen im Unterschied zu anderen Menschen auch noch „Gewalt, Gut und Ehre" verliehen seien. 248 Im Unterschied zu dieser Aussage bezeichnet Luther hier bei der Auslegung von Lk 1, 46 keinen gesellschaftlichen Stand als besonders gefährdet. 2.4.4 „Gott, den Herrn" (StuA 1, 324, 32-325, 26) Vor solcher Hoffart, behauptet Luther, warnt Marias Lob Gottes. Denn sie erhebt ja Gott, den Herrn. Also erhebt sie nicht sich selbst, hält nicht sich für die Person, die sich selbst besonders Gutes tun könnte, sie sagt nicht etwa über sich selbst: „Meine Seele hält viel von mir." 249 Daraus folgert Luther, daß Maria auch wünscht, daß nicht sie erhoben werde, sondern eben Gott. 250 Darauf kann er dann später bei seiner Polemik gegen die ihm geläufige Marienverehrung aufbauen. Gott hat Großes an Maria getan, daß sie „eyne gottes mutter vber alle menschen erhaben" 251 geworden ist. Maria aber maßt 242 243 244 245 246 247 248 249 250 251

StuA 1, 324, 26. „mit yhn gewirckt" (StuA 1, 324, 29). „ein glad schlupfericher stand" (StuA 1, 324, 31). StuA 1, 324, 31f. StuA 1, 315, 12-13. StuA 1,324, 31 f. Siehe oben zu StuA 1,315, 14. Vgl. auch die Ausführungen zu StuA 1, 323, 28f. 29f. StuA 1, 324, 34; vgl. 324, 8f.: „O ich halt viel von yhm!" StuA 1, 324, 34f. StuA 1, 325, 13f.

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2.

Kommentar

sich nicht an, daß sie selbst dadurch verehrungswürdig geworden sei. In ihrem Loblied „zieht sie sich aus". Diese Äußerung ist so knapp, daß die Herkunft des Gedankens mehrfach deutbar bleibt. Vielleicht ist an Philipper 2, 5 - 7 zu denken, die in Luthers Übersetzung so lauten: „Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesus Christus auch w a r . . . er entäußerte sich selbst." Darauf kann verweisen, daß Luther formuliert: „war sie doch vnd bleib alszo gesinnet".252 Möglich ist auch, daß der Gedanke im Hintergrund steht, es gelte dem nackten Jesus nackt Folge zu leisten. Besonders im Franziskanerorden wurde Christusnachfolge auf diese Weise propagiert. 253 Doch können auch mystische Gedanken eine Rolle spielen. Schließlich ist darauf zu verweisen, daß spätscholastische Theologen von der habituellen Gnade als von einem Kleid gesprochen haben, das man tragen muß, u m von Gott ins Paradies aufgenommen zu werden. 254 In ihrem Loblied verweist Maria von sich als der Begabten weg auf Gott als auf den Geber aller ihr verliehenen Würde. 2 5 5 Ihr war angekündigt, daß sie zur Mutter des Gottessohnes werden sollte. Das wäre Grund genug gewesen, der Natur ihres Herzens freien Lauf zu lassen 256 u n d hoffärtig zu werden. 257 Hätte sie dieser Versuchung nachgegeben, so hätte sie sich damit von Gott abgewandt und wäre zur Hölle gefahren wie Lucifer, der Fürst der Engel. 258 Sie aber erhob sich nicht einmal über den geringsten Menschen. Wie wenig Maria sich die Gabe Gottes anmaßt, entfaltet Luther in drei Stufen: 1. Jedem anderen Mädchen hätte sie gegönnt, was ihr zuteil geworden ist. 2. Sie blieb sogar derartig frei von der Versuchung, sich selbst für würdig zu halten, Gottes Güter zu empfangen, daß sie eher jedes andere Mädchen als gerade sich selbst für würdig gehalten hätte, Mutter des Gottessohnes zu werden. 3. Sie hätte sich sogar damit abgefunden, wenn Gott ihr diese größte mögliche Gabe, Mutter des Sohnes Gottes zu werden, wieder genommen u n d sie vor ihren Augen einem anderen Mädchen gegeben hätte. 259 Maria hat sich darauf beschränkt, als Mutter lediglich,Herberge' u n d , Wirtin' des Gottessohnes zu sein. An dieser Stelle gilt es sich daran zu erinnern, was Luther als Kind seiner

252

StuA 1, 324, 38. Ludolf von Sachsen schreibt beispielsweise in seiner viel gelesenen ,Vita Iesu Christi': Eine Gruppe von Menschen m u ß sich nicht einmal im Jüngsten Gericht verantworten: „Ex parte electorum quidam non judicabuntur, sed judicabunt et salvabuntur ... qui omnia relinquentes, nudi n u d u m Christum secuti s u n t . . . " (2, 87, 7; ed. Rigollot, Bd.3, S.299b). Vgl. dazu Constable: Nudus n u d u m Christum sequi and parallel formulas in the twelfth Century. A Supplementary Dossier. 254 Zur Gnadenlehre scholastischer Theologen, speziell zu Gottes Freiheit und Selbstbindung, vgl. Hamm: Promissio, Pactum, Ordinatio. 255 StuA 1, 324, 36f. 256 Da Maria ein Mensch ist, ist auch sie gefährdet. Vgl. StuA 1, 315, 12f.: „Die weil denn eyn menschlich hertz von natur fleisch vnd blut / ausz ihm selb sich leichtlich vormisset..." 257 Vgl. dazu die Beschreibung ihrer Würde in Luthers Augen: „eyne gottes mutter vber alle menschen erhaben" (StuA 1, 325, 13f.). 258 Vgl. zur Erläuterung der Bibelexegese, die hinter der Vorstellung steht, Lucifer, der Morgenstern, sei der gefallene Engelfürst, die Erläuterung des Herausgebers Seils (StuA 1, S. 324, Anm. 86). 259 StuA 1,325, 1-5. 253

Lk I, 46b: „Meine Seele erhebt Gott, den Herrn"

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Zeit über die biologische Rolle einer Frau bei Zeugung und Geburt eines Kindes hat wissen können. Die Rolle des Vaters galt als entscheidend. 260 Mit drei Adjektiven (frei, ledig, eigen) betont Luther, wie sehr Maria Gottes Güter sein Eigentum hat bleiben lassen.261 Gerade deswegen blieb sie in Ewigkeit Gottes Mutter. Hier entfaltet Luther am Beispiel Marias positiv, was es heißt, gerne niedrig zu sein. Später wird er diese Haltung der problematischen Demut gegenüberstellen, die seiner Überzeugung nach so leicht in Hochmut umschlägt, weil sie sich der eigenen Leistung so bewußt ist. Aufschlußreich ist ein Vergleich zwischen Luthers Reden von Marias bewußter Niedrigkeit und vergleichbaren Aussagen seines älteren Erfurter Ordensbruders Johannes von Paltz (etwa 1445-1511). Paltz legt Lukas 1,48 so aus, daß Maria gesagt habe, Gott habe hingesehen auf die Demut, in der sie stets seine Magd habe sein wollen. 262 Die Welt habe fast 5200 Jahre auf Christi Geburt warten müssen, weil sie Christi unwürdig gewesen sei. Erst als Maria ihre Demut angeboten habe, habe Gott auf diese hingesehen. 263 Maria habe Jungfrau bleiben wollen. Paltz zeichnet das Gespräch innerhalb der Trinität Gottes auf, in dessen Verlauf der Heilige Geist sagt, Maria habe die Trinität doch auf ihre Allmacht hingewiesen und insofern eine jungfräuliche Geburt empfohlen. 264 Das Wunder, daß Maria nicht hoffärtig geworden ist, ist nach Luthers Überzeugung nicht geringer als das, daß Gott sie mit solchen Gütern beschenkt hat. Ihr ,Herz' ist wunderbar. 265 Implicite sagt Luther mit diesem doppelten Hinweis auf ein Wunder, daß nicht Maria selbst, sondern Gott in ihr bewirkt hat, daß sie nicht hochmütig geworden ist. Hoffart, lateinisch ,superbia', ist für Luther wie für die theologische Tradition, in der er steht, die Wurzel der Trennung von Gott, der Sünde. 266 Maria aber bleibt im besten Sinne des Wortes,einfältig' und,gelassen'. 267 Damit unterscheidet sie sich zu 260 Vgl. StuA 1,325,7. - Z u r Kenntnis der Biologie in Luthers Zeit vgl. die Einleitung z u m Verhältnis zwischen medizinischem Kenntnisstand u n d theologischer Aussage. 261 StuA 1, 325, 6. 262 Vgl. Johannes von Paltz: S u p p l e m e n t u m Coelifodinae, S. 104, Z. 23-24: „respexit istam humilitatem, q u o d Semper desideravi esse ancilla sua." 263 Paltz: S u p p l e m e n t u m Coelifodina, S. 106, Z. 19-22: „Transierunt n a m q u e q u i n q u e milia ducenti anni, a n t e q u a m m u n d u s filium dei promissum reciperet. Quare? Quia fuit indignus. Postquam autem ista virgo benedicta oraret et humilitatem suam offerret, respexit deus humilitatem ancillae suae, ut ipsamet testatur in Magnificat." Wie der Herausgeber H a m m auf S. 103 in Anm. 10 vermerkt, e n t n i m m t Paltz die Zahlenangabe von 5199 Jahren Paulus Orosius: Historiae adversus paganos 1, 1, 5 - 6 (PL 31, 669-670; CSEL 5, 6, 3 - 1 2 ) . 264 Vgl. Paltz: S u p p l e m e n t u m Coelifodinae, S. 110, Z. 25 - S. 111, Z. 5. 265 „Meynstu nit / wie ein wunderlich hertz das sey?" (StuA 1, 325, 13).,Wunderlich' kann hier .erstaunlich' heißen, aber auch ,wunderbar'. Die Vokabel .wunderlich' ist erst seit etwa 1700 auf den Bedeutungsgehalt .sonderbar' reduziert worden (vgl. G r i m m : Deutsches W ö r t e r b u c h , Bd. 14/11, Spalte 1903). Weiter unten bezeichnet Luther Marias Geist als w u n d e r b a r rein (StuA 1, 327, 34). 266 Maria hat „ynn grosser vrsach zu fallen vnd sundigen ... gestandenn" (StuA 1, 325, 10f.). 267 Z u m Sprechen von ,Gelassenheit' in mystischer Tradition vgl. die A n m e r k u n g des Herausgebers Seils (StuA 1, S. 325, Anm. 90). - Welche Haltung Luther meint, f ü h r t er weiter unten aus (StuA 1,327, 8-16).

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2.

Kommentar

ihrem Vorteil von allen anderen Menschen - Luther schließt sich durch ein ,wir' wiederum mit ein

die arm sind an der Fähigkeit, anzuerkennen, daß Besitz, Macht und

Ehre 268 Güter Gottes sind. Selbst wenn sie bloß über ein wenig mehr Schönheit 269 verfügen, lassen sie sich dazu verleiten, sich über Menschen zu erheben, die ihnen in einem dieser Punkte nachstehen, und sich selbst des Besitzes dieser Güter zu rühmen, statt Gott als den Geber dafür zu loben. Welche Antwort Luther auf die rhetorische Frage erwartet, ob er und andere Menschen in der Lage wären, mit einem so großen Geschenk Gottes umzugehen, wie Maria es empfangen hat, ist deutlich. Luther legt nicht nur aus. Er ergänzt Marias Aussagen auch. Aussagen darüber, daß Gott aus der Niedrigkeit erhöht und daß er Maria in ihrer Nichtigkeit ansieht, findet er vor. Doch seiner Meinung nach sollen nicht nur die Gott loben, die erfahren haben, daß er aus dem Leid rettet, sondern auch die, die noch im Leid stecken. 270 Luther leitet daraus, daß Gott viele Menschen „arm und unselig" bleiben läßt, ab, daß sie eben außerstande sind, Gottes Gaben auch als solche anzusehen, wenn sie ihnen verliehen worden sind. 271 Die Zufügung von „und unselig" macht deutlich, daß Luther mit ,arm' nicht materielle Armut meint, sondern die Unfähigkeit, Gottes Güter zu genießen, ohne anmaßend zu werden. Zuwachs oder Schwinden der Güter lassen den Mut der allermeisten Menschen mit wachsen oder mit abnehmen. Maria dagegen bleibt in ihrem Herzen 272 gleich-mütig. Sie läßt Gott in sich wirken und eignet sich nicht mehr von diesem Wirken Gottes zu als Zuversicht auf Gott, also Glauben, der Trost und Freude erzeugt. 273 Maria darin nachzufolgen hieße das Magnifikat recht singen im Unterschied zum falschen Gesang derer, die Gott nur dann loben, wenn er ihnen wohl tut. 274

268 Trias „Gut, Gewalt oder Ehre" (StuA 1,325,16) hat Luther dem Text entnommen, den er auslegt, Lk 1, 51-53: Hoffart (Lk 1,51) entspringt laut der Widmungsvorrede leicht aus der ,Ehre', die einem hervorragenden Menschen gezollt wird. Von .Gewaltigen' spricht Luther in der Übersetzung von Lk 1, 52a (StuA 1,353,2). Von .Gütern' ist in der Übersetzung von Lk 1, 53 die Rede. Zu vergleichen ist die Aufzählung von ,Ehre, Gewalt, Reichtum, Glück', in denen das Geschlecht Davids zur Zeit Davids und Salomos nach Luthers Darstellung gestanden hat (StuA 1, 319, 20f.). 2 6 9 „ein wenig hubscher denn andere" (StuA 1, 325, 17). Luther spielt wiederholt darauf an, daß zu seiner Zeit blondes Haar als schön gilt. In einer Aufzählung in einer Predigt der Kirchenpostille von 1522 nennt er nach Weisheit, Gewalt, Adel und Reichtum auch ,gelbes [= blondes] Haar' (WA 10/1/1, 99, 16-17). Weitere Stellen verzeichnet das Register zur Hauptabteilung .Schriften' der Weimarer Lutherausgabe, WA 70, 369b, sub voce ,gelb\ 2 7 0 Vgl. StuA 1, 324, 14-25. 271 StuA 1, 325, 20-22. 2 7 2 Vgl. zu ,Herz' oben bei Anm. 15. 2 7 3 StuA 1 , 3 2 5 , 2 3 - 2 5 . 2 7 4 StuA 1, 325, 25f., vgl. zum negativen Gegenbeispiel StuA 1, 324, 20-25.

Lk 1, 47: „Vnd meyn Geistfrewet sichyn Got meynen heyland"

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2.5. Lk 1, 47: „ V n d m e y n Geist frewet sich yn G o t m e y n e n h e y l a n d " (StuA 1 , 3 2 5 , 2 7 - 3 2 8 , 33) Zur Übersetzung Der griechische Text von Lk 1,47 lautet: [ [kai egalliasen to pneuma mou epi to theo to soteri mou]] Die Biblia Vulgata übersetzt: „Et exultavit spiritus meus in deo salutari meo." Erasmus übersetzt diesen Vers nicht anders als die Biblia Vulgata. Luthers Übersetzungen dieses Verses vor Beginn der Einzelauslegung 275 und unmittelbar vor der Exegese dieses Verses276 unterscheiden sich voneinander nur in Kleinigkeiten, die vielleicht sogar dem Drucker zuzuschreiben sind. Zur Auslegung 2.5.1. „meynen heyland" (StuA 1, 325, 29-326, 10) Maria kann Gott ihren „Heiland" nennen. 277 Das kann nur ein Urteil ihres Glaubens sein, der eben auch ungreifbare Dinge erfaßt. Denn sie kann ja (noch) nicht sehen oder empfinden, daß Gott ihr Heiland ist. Dieser Glaube folgt aus dem ihr zugesagten Gotteswerk, das in ihr geschehen ist (daß sie Gottes Mutter geworden ist). Aus der Reihenfolge, in der Maria Gott zunächst ihren Herrn nennt (Lk 1, 46), sodann ihren Heiland (Lk 1, 47), und erst danach auf seine Werke zu sprechen kommt, leitet Luther ab, damit wolle Maria die Christen belehren, es gelte Gott „abgesehen von Egoismus [bloß] und auf die rechte Weise" zu lieben und zu loben. 278 Es geht darum, Gottes Güte zuallererst einmal an sich zu loben, abgesehen davon, wie sie sich äußert. Es gilt seine Lust und Freude an Gottes Güte als solcher zu haben, Gott deswegen zu loben, weil er gut ist. Die „bloße" Art des Lobs soll also der „bloßen" Güte Gottes entsprechen. 279 Hierbei geht es um eine hohe, reine, 280 zarte Weise, Gott zu lieben und zu loben, 281 die einem hohen, zarten Geist 282 wie dem der Jungfrau Maria angemessen ist. Zur Verdeutlichung folgt einmal mehr das negative Gegenbeispiel. Inhaltlich wiederholt Luther seine Anklage gegen die erste Gruppe der „falschen Geister", in die er 275

StuA 1, 316, 14. StuA 1, 325, 27f. 277 Gott ist für Maria ihr Heiland und ihre Seligkeit (StuA 1, 30-31,,Heiland' im Unterschied zum ,Heil', das hier irdisches Wohlergehen bezeichnet, vgl StuA 1,326,21). Anstelle von .Seligkeit' wäre eher - analog zu .Heiland' - ,Seligmacher' zu erwarten. 278 StuA 1, 326, 5 und 6. 279 Dasselbe Anliegen hat Luther auch schon bei der Auslegung von „magnificat" (Lk 1, 46) vertreten: es gilt, Gott zunächst einmal aufgrund seiner Güte und Gnade zu rühmen (StuA 1, 323, 41). 280 „Rein" ist dadurch qualifiziert, daß Gott u m seiner Güte willen und nicht lediglich um der aus dieser Güte fließenden Güter willen geliebt und gelobt wird. Die Gegenbegriffe sind „unrein" und „beschmeißen" (beflecken). 281 Dazu, daß aus Liebe Gottes Gotteslob folgt, vgl. oben die Ausführungen zu StuA 1,318, 14-17. 38. 282 Im Geist hat ja der Glaube seinen Ort, sofern jemand glaubt. 276

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auch sich selbst mit einbezogen hat. 283 Erneut führt er Psalm 49 (48), 19 (auf der Grundlage der Vulgata) an. Die, die das Ihre bei Gott suchen, 284 lieben Gott auf unreine, 285 verkehrte Weise. Sie schauen in erster Linie auf sich selbst und darauf, ob Gottes Tun ihnen Nutzen bringt. 286 Für sie ist nur wichtig, in welchem Maß Gott ihnen seine Güte spürbar erweist und ihnen wohl tut. 287 So lange sie spüren, Gott tue ihnen wohl, halten sie viel von ihm - nach Luthers Exegese von Lk 1,46 der geläufige Ausdruck für „ihre Seele macht ihn groß". 288 Verbirgt sich Gott aber, erweist er einmal seine bleibende Güte nicht, sind sie bloß 289 und elend, so haben ihre Liebe zu Gott und das Lob Gottes, das daraus fließen sollte, alsbald ein Ende. Sie sind außerstande, die Güte zu loben, die in Gott stets verborgen ist, ohne doch stets in Wohltaten spürbar zu werden. 290 Aus dieser Unfähigkeit wird deutlich, daß ihr Geist sich nicht an Gott als ihrem Heiland erfreut, daß sie Lukas 1, 47 also nicht von Herzen mitsprechen könnten. Sie haben sich an den Geschöpfen erfreut statt am Schöpfer, an den Gaben statt an deren Geber, an dem (vergänglichen) Heil291 statt am Heiland. Sie sind außerstande dazu, wie der Apostel Paulus im Vertrauen auf die gleichbleibende Güte Gottes bald Überfluß zu haben, bald Mangel zu leiden. 292 Oben hat Luther die Angehörigen dieser Gruppe bereits „falsche Geister" genannt, 293 Menschen also, in deren Geist nicht der Glaube wohnt, nun kennzeichnet er sie im Gegensatz zu der „hohen, reinen, zarten Weise, Gott zu lieben und zu loben" 294 erneut als „falsch"295 und als „unrein".296 Durch ihre verkehrte Orientierung auf die Güter Gottes statt auf dessen Güte beflecken diese Menschen alle Gaben Gottes. Weil sie Blöße, Elend, Armut und Mangel nicht annehmen, hindern sie Gott daran, sie zu beschenken. 283

Vgl. StuA 1, 324, 15-25. Als Warnung Luthers an sich selbst und seine Leser: „ia nichts das unszer an ihm suchen" (StuA 1, 326, 5f.), als Feststellung: „das yhre an got suchenn" (StuA 1, 326, 11 f.). 285 Un-rein, weil sie nicht bereit sind, Gottes Güte als solche zu lieben. 286 „Nieszlinge" (StuA 1, 326, 11; 334, 14), „gnieszuchtigen geyste" (StuA 1, 327, 2), „[eygen] geniesz" (StuA 1, 327, 6. 9), „genisz" (StuA 1, 327, 20). 287 StuA 1, 326, 13 f. 288 StuA 1, 326, 14f; vgl. 324, 8f. 289 Dieselbe Vokabel ,bloß', die kurz zuvor (StuA 1,326, 5. 7) in positiver Konnotation dazu gedient hat und gleich wieder dazu dienen wird (StuA 1,326,18), Gottes Güte an sich ohne ihre Manifestation in Gütern zu kennzeichnen, bezeichnet hier in negativer Konnotation die Blöße, das Entblößtsein (StuA 1, 326, 17). 290 StuA 1, 326, 17f. 291 „viel mehr haben sie lust gehabt ynn dem heyl / denn ym heyland" (StuA 1, 326, 20-21). So wie Luther die Vokabel hier verwendet, kann ,Heil' nur irdisches Wohlergehen meinen. Als Synonym zu .heyland' hat Luther zweimal .Seligkeit' verwendet (StuA 1,325,30f. 326,1). Andererseits wird er später auch wieder von Gott als von Marias .Heil" sprechen, das sie nur im Glauben erkennen könne (StuA 1, 327,42). Mit .heyland' bezeichnet Luther in der Auslegung des Magnifikat regelmäßig die erste Person der Trinität (326, 21. 328, 15f.). 292 StuA 1, 326, 22-25. 293 StuA 1, 324, 14. 294 StuA 1, 326, 8f. 295 StuA 1, 326, 30. 296 StuA 1, 326, 30, vgl. bereits Zeile 10 und weiter unten 327, 2. 284

Lk 1, 47: „Vnd meyn Geistfrewet

sich yn Got meynen

heyland"

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Im Gegensatz zu Maria, die Gott die Verfügung über seine Güter zu keinem Zeitpunkt streitig macht, 2 9 7 wollen sie über die Güter Gottes verfügen können und damit Gottes Willen lenken. Durch ein Exempel, wie es auch in Predigten verwendet wird, will Luther Lesern und Hörern nochmals einprägen, worum es geht: nicht u m die Wohltaten, sondern u m Gott als den Wohltäter. Auf den dritten u n d höchsten Grad des Glaubens kommt Luther an dieser Stelle nicht zu sprechen. Im Jahr 1520 hat er in seiner Schrift „Von den guten Werken" geschrieben, der höchste Grad des Glaubens sei dann erreicht, wenn einer Gott vertraue, der überzeugt sei, auf ewig verdammt zu sein. 298 Als nachahmenswert empfiehlt Luther die Haltung der dritten Jungfrau aus der Beispielerzählung. Sie wäre sogar bereit, darauf zu verzichten, Gottes Güte zu spüren. Luther ist freilich davon überzeugt, daß ihr das nicht zustoßen wird. 299 Sie liebt u n d lobt Gottes Güte unabhängig davon, ob sie als deren Äußerung Güter erhält. 300 Solche Konzentration auf Gott selbst unter Absehen davon, ob er Gutes oder Böses geben will, wird im Mittelalter vor allem von Mystikern und Mystikerinnen berichtet. 301 Wenn Luther sie von normalen Christen erwartet, so darf man mit Heiko Oberman von einer .Demokratisierung mystischen Gedankenguts' sprechen. 2.5.2. David als positives Gegenbeispiel für die erste der gefährdeten Gruppen von Menschen David ist beispielhaft durch seine Ergebenheit in Gottes Willen in höchster Not. Als er den Eindruck haben mußte, sein Sohn Absalom habe ihm den Thron genommen, hat er sich bereit erklärt, zu akzeptieren, was Gott mit ihm vorhabe. Luther verwendet hier starke Worte: Es sah aus, als sei David ewig verworfen, werde nie mehr König werden und nie mehr in Gottes Gunst kommen. Folgt man seiner eigenen Argumentation, so war David in der typischen Situation derer, die Gott in die Tiefe führt, u m sie daraus zu retten. David bestand diese Probe glanzvoll. Er hat nicht aufgehört, Gottes Güte zu lieben, zu loben und ihr zu folgen. 2.5.3. Maria als positives Gegenbeispiel für die zweite der gefährdeten Gruppen von Menschen Ergebenheit in Gottes Willen in höchstem Wohlergehen zeigt Maria. Angesichts der Erfahrung, daß sie Gottes Mutter werden soll, sucht sie nicht ihren Genuß, sondern be297

Vgl. StuA 1, 324, 35-325, 8. Luther, Von den guten Werken (StuA 2 , 2 2 , 2 2 - 2 8 ) . Dogmengeschichtlich wird auf diese Haltung der Terminus .resignatio ad i n f e r n u m ' angewendet. 299 StuA 1, 327, 10. 300 StuA 1, 327, 10-12. 301 Vgl. zu Äußerungen der Begine Marguerite Porete u n d des Jan van Ruusbroec Burger: De mysticus Ruusbroec en zijn kerk, S. 41 u n d S. 43. Eine derartige Ergebung in Gottes Willen wird im 21. Jahrh u n d e r t n u r noch von sehr wenigen Christen auch n u r verstanden, vgl. oben bei Anm. 24 u n d 25 der Einleitung. 298

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Kommentar

wahrt ihren Geist rein, weil sie ihn eben auf Gottes Güte konzentriert und nicht auf Gaben. 302 Sie wäre dazu bereit, Gott auch dann zu lieben und zu loben, wenn er ihr die überschwenglichen Güter, mit denen er sie beschenkt hat, wieder wegnehmen wollte. 303 Marias reiner Geist ist sehr zu preisen. 304 Denn es ist zwar schon nicht einfach, in Armut, Schande u n d Schwachheit nicht an Gottes Güte zu verzweifeln. 305 Aber noch schwieriger ist es, wenn man über Reichtum, Ehre oder Macht verfügt, 306 diese Güter nicht der eigenen Vorzüglichkeit zuzuschreiben. Marias Geist orientiert sich nicht an den ihr verliehenen Gütern, die sie spürt, sondern an der weder sichtbaren noch spürbaren Güte Gottes. 307 Damit sagt Luther implicite schon jetzt aus, daß Maria glaubt: Ihr Geist, in dem Glaube wohnt, kann „vnbegreiflich / vnsichtige / ewige ding" 308 fassen. Etwas später schreibt er gleich zweimal: „nur ym glawben". 309 Von ihrem Leben u n d ihren Sinnen hatte Luther zuvor gesagt, sie schwebten in Liebe und Lob zu Gott und hohen Freuden. 310 Nun sagt er, Marias Geist springe und hüpfe. 311 Wenn Luther von Marias Geist „wunderbar" 3 1 2 rein nennt, dann will er dadurch nicht bloß das „rein" steigern, sondern daraufhinweisen, daß Gott selbst auf wunderbare Weise Marias Geist mit solchem Glauben beschenkt hat. 313 Deswegen ist sie eben auch in der Lage, sich ihre Hoheit nicht selbst zuzuschreiben. Maria, die so zu preisen vermag, verdient ihrerseits gepriesen zu werden. 314 Im Gegensatz zu denen, die nur ihren Genuß suchen, bleibt sie gelassen. 315 Ihr Geist ist in der rechten Weise „ledig". 2.5.4. Das negative Beispiel: Grobe und subtilere falsche Prediger und Heilige Wie schon mehrfach 3 1 6 erläutert Luther auch nun wieder die vorbildliche Haltung Marias durch deren negatives Gegenbild. Besonders gefährlich ist, daß Irregeleitete ihrerseits irreleiten: Sie sind Prediger, die in eine falsche Richtung weisen, vermeintliche

302

StuA 1, 327, 28. StuA 1, 327, 25—30. Vgl. dazu oben StuA 1, 325, 1-15. 304 Luther nennt neben Maria kein weiteres biblisches Beispiel. Nahe liegt es, auch hier wieder an den „reinen Geist" Davids zu denken, der ja in Not an Gottes Güte festgehalten hat. 305 StuA 1,327, 31-35. 306 Einmal mehr verwendet Luther die drei Zentralbegriffe .Reichtum', ,Ehre' (die leicht zur Hoffart verführt) und ,Gewalt' aus Lk 1, 50-53. 307 StuA 1, 327, 36-38. 308 StuA 1, 320, 20f. 309 StuA 1, 327, 40. 42. 310 StuA 1,319,36-37. 311 StuA 1, 327, 40. 312 StuA 1, 327, 34. 313 w d t a oben hatte Luther bereits geschrieben, daß Marias Herz wunderbar sei (StuA 1, 325,13). 314 StuA 1, 327, 34. 315 StuA 1, 327, 37f.: „lesset faren die gutter szo sie empfindet". 316 Drei Beispiele: Falsche Lehrer, die lehren, Werke zu tun statt zu glauben (StuA 1, 321, 24-322, 19). Menschen, die Gott nur loben, so lange er ihnen wohl tut, oder meinen, die Gaben durch eigene Vortrefflichkeit verdient zu haben, die doch Gott ihnen verliehen hat (StuA 1, 324, 14-32). Menschen, die nicht Gottes Güte lieben und loben, sondern nur Gottes Güter (StuA 1, 326,10-32). 303

Lk 1, 47: „ Vnd meyn Geist frewet sich yn Got meynen heylanä"

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Heilige, die ein falsches Ideal vorleben. Manche mögen sogar beide Fehler in sich vereinigen. Unter diesen falschen Verkündigern predigt die Mehrzahl selbst erdachte Menschenlehre, die (nur) zu Menschenwerk leitet, das Gott nicht befohlen hat. Eine Minderheit unter den „falschen Predigern und Heiligen" führt weniger grob in die Irre. Diese Gruppe ist insofern ein wenig besser, als sie immerhin predigt, wie das „arme Volk"317 gute (von Gott befohlene, nicht von Menschen ersonnene) Werke tun soll. Doch auch die Angehörigen dieser Minderheit irren darin, daß sie nicht um der Güte Gottes willen gut zu leben lehren, sondern um damit das Himmelreich zu erwerben. Sie predigen also subtilen Eigennutz. Es geht ihnen darum, Gottes Güte im Himmel genießen zu können, zu vermeiden, daß sie und die, denen sie predigen, zur Strafe für Unterlassungen und böse Taten in die Hölle geworfen werden. 318 Da sie nur auf ihren Nutzen sehen, erweisen sie sich als Hirten, die ihre Aufgabe nur um des Lohns willen tun, während sie doch gute Hirten sein sollten. 319 Sie erweisen sich als Knechte statt als Kinder, weil sie Gott mit der angstvollen Furcht fürchten, die Knechte gegenüber einem strengen Herrn empfinden, statt mit der Ehrfurcht, die Kinder für einen guten Vater hegen. 320 Sie erweisen sich schließlich als Fremde statt als Kinder, die ja Erben sind. 321 Statt Gott in seiner Güte durch zuversichtlichen Glauben zu ehren, ist ihnen nichts wichtiger als ihr eigenes Wohlergehen. Auf diese Weise machen sie sich selbst zum Abgott. Statt Gott zu erweisen, was ihm zukommt, statt ihn für seine Güte zu lieben und dann auch zu loben, erwarten sie, daß Gott ihnen Liebe und Lob erweise.322 Weil in ihrem Geist nicht der Glaube regiert, behauptet Luther hier, sie hätten überhaupt keinen Geist!323 Wenn das so ist, dann fehlt ihnen nach der Definition, die Luther gegeben hat, der „hohste / [und zugleich] tieffiste / edliste teil," 324 der allein im Menschen imstande ist, „vnbegreiflich / vnsichtige / ewige ding zu fassen." 325 Den Vorwurf, solche Menschen hätten überhaupt keinen Geist, erhebt Luther freilich nur einmal. Mehrfach wiederholt er aber den Tadel, sie seien „falsche Geister".326 Anstelle von Gott selbst spielen Gottes Güter für sie die Rolle des Heilands. Diese Abwendung von Gott, dem Unvergänglichen und deshalb in der Ordnung des Seins viel höher Stehenden hin zum Ver-

317

,Arm' (StuA 1, 328, 4) ist das (Kirchen)volk, weil es irregeleitet wird. „Denn wo kein hymmel noch hell were / vnd wisten gotis gutte nit zu genieszen / szo Hessen sie seyn gutte wol faren vngeliebt vnnd vngelobt..." (StuA 1, 328, 11 f.). 319 Vgl. das Gleichnis vorn Guten Hirten (Joh 10, 1-16). 320 Vgl. Christoph Burger: Gottesliebe, Erstes Gebot und menschliche Autonomie bei spätmittelalterlichen Theologen und bei Martin Luther, und von dems.: ,Wir sollen Gott über alle Ding furchten, lieben und vertrauen'. Das Reden von Gottesfurcht bei einigen spätmittelalterlichen Theologen und in Luthers Kleinem Katechismus. 321 Etwas weiter unten (StuA 1,328,31-33) wird Luther breiter ausführen, was von einem Erben (im Unterschied zum Fremden) erwartet werden darf. 322 StuA 1, 328, 14f. 323 StuA 1, 328, 15. 324 StuA 1, 320, 19 f. 325 StuA 1, 320, 20f. 326 StuA 1, 324, 14; 326, 30f. Vom Wandeln im falschen Geist ist die Rede: StuA 1, 328, 20. 318

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Kommentar

gänglichen hat bereits Augustin als Verkehrung getadelt. 327 Gott soll ihnen dadurch dienen, daß er ihnen Güter heranschafft, als wäre er ihr Knecht. Sie sind wie die Kinder Israel, die des Manna vom Himmel überdrüssig sind. 328 Falsche Prediger und Heilige gibt es in Menge: Die Klöster sind voller Mönche und Nonnen, die Kirchen voller Kleriker, die irre leiten und in die Irre gehen. 329 Sie alle leben in der falschen, verkehrten, unrichtigen Einstellung. 330 Sie schärfen das falsche Ziel ein, 331 sie treiben die Christen in die verkehrte Richtung, 332 als gälte es durch gute Werke den Himmel zu verdienen. Dabei wäre doch Gottes Güte als solche vor allen Dingen zu predigen und zu erkennen. In einem Satz faßt Luther Rechtfertigungslehre und Grundlegung der Ethik zusammen: Gott macht aus lauter Güte selig, ohne verdienstliche Werke zu erwarten. Daraus folgt, 333 daß „wir" Gläubigen - Luther schließt sich wiederum mit ein - die Werke um der lauteren Güte Gottes willen tun sollten, ohne dafür, daß wir sie tun, Lohn oder Genuß zu erwarten. 334 Wir sollten lediglich begehren, daß die Werke Gott Wohlgefallen. Tun wir aus einer reinen, richtigen Einstellung 335 heraus - also aus Glauben - wohl, so findet sich der Lohn, ohne daß wir ihn suchen. Dagegen lehnt Gott die unreine Einstellung derer ab, 336 die nach Genuß streben, wenn sie ein gutes Werk tun, und verweigert ihr Lohn. Luther kommt erneut auf das Verhalten zu sprechen, das man von einem Kind erwarten darf. 337 Es wird das Erbe des Vaters antreten, das versteht sich. Doch hat der Vater auch ein Recht darauf, daß das Kind ihm aus Liebe (um des Vaters selbst willen) bereitwillig dient, ohne jetzt schon nach Lohn zu schielen 338 und ohne dann, wenn es dem Vater einen Dienst erweist, ständig an die Zukunft

327 Vgl. etwa Augustinus: De libero arbitrio liber I, cap. 16,34 (CChr. SL vol. 29, S. 234 / 235,15-16. 18.20): „utrumsit aliud male facerequam neglectis rebus aeternis... temporalia... sectari", und cap. 16, 35 (CChr. SL vol. 29, S. 235, 23-25): „adsentior peccata omnia hoc uno genere contineri, cum quisque auertitur a diuinis uereque manentibus et ad mutabilia atque incerta conuertitur." 328 StuA 1, 328, 17 f. Luther spielt a u f N u m 11, 4-6 an. 329 Luther hält seine Differenzierung zwischen einer größeren Gruppe von noch ärgeren Verführern, die Menschenlehre predigen, und der kleineren Gruppe der allerbesten unter ihnen, die doch auch noch eigensüchtig gute Werke zu tun lehrt, nicht durch, wenn er hier wiederholt, alle Welt sei voll von solchen Leuten (vgl. StuA 1, 328, 19 mit 328, 3-5). 330 An dieser Stelle (StuA 1, 328, 19-20) steht ,in einem falschen Geist wandeln' offenbar nicht für die entscheidende Instanz im Menschen, in der der Glaube wohnen kann, sondern für die Gesinnung, in der die falschen Prediger und Heiligen und die von ihnen Verführten gemeinsam irren. 331 .treiben' (StuA 1, 328, 20). 332 ,iagen' (StuA 1, 328, 20). 333 Wie unmittelbar die Grundlegung der Ethik für ihn aus der Rechtfertigung folgt, macht Luther durch „zu gleich" und „alszo ... widderumb" deutlich (StuA 1, 328, 23f.). 334 StuA 1, 328, 23-25. 335 Erneut bezeichnet,Geist' nicht den Sitz des Glaubens, sondern als Gegenbild zum „falschen, verkehrten, unrichtigen Geist" (StuA 1, 328, 20) eine Einstellung. 336 Erneut verwendet Luther die Vokabel ,geyst' (StuA 1, 328, 30). 337 Vgl. zu StuA 1, 328, 31 oben StuA 1, 328, 13. 338 StuA 1,328,31 f . - Z u der Forderung, ein Christsolle Gott um seiner selbst willen lieben (,dilectio dei propter se ipsum'), wie sie der spätmittelalterliche Augustinist Hugolin von Orvieto formuliert, vgl. Burger: Freiheit zur Liebe ist Geschenk Gottes.

Lk 1, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt"

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zu denken, in der ihm das Erbe zufallen wird. Dient das Kind dem Vater aus Besitzgier, so verdient es als feindselig betrachtet u n d verstoßen zu werden. 339

2.6. Lk 1, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt. Dauon werden mich selig preyssen alle kinds kind" (StuA 1,328, 34-338,4) Zur Übersetzung Bei der Übersetzung kommt es Luther darauf an, klar herauszuarbeiten, daß es u m Gottes Zuwendung geht u n d nicht etwa u m Qualitäten Marias, die diese Zuwendung Gottes hervorgerufen haben könnten. Deshalb darf seiner Überzeugung nach ,humilitas' nicht länger als ,Demut' übersetzt werden, wie es bisher oft geschehen ist. Es darf nicht der Eindruck geweckt werden, Maria habe sich ihrer Demut gerühmt. 3 4 0 Luther übersetzt zunächst in der Übertragung des gesamten Magnifikat so: „Denn er hat mich seine geringe magd angesehen." 341 Unmittelbar vor Beginn der Auslegung des Verses aber schreibt er: „Denn er hat angesehen die nichtickeyt seyner magt." 342 Damit will er gegen die Hochschätzung der Demut als einer Tugend, die auch er früher geteilt hatte, herausheben, daß es nicht u m verdienstliche Demut Marias geht, sondern u m Gottes Zuwendung. Seinen Widerspruch gegen die traditionelle Übersetzung von ,humilitas' m i t , D e m u t ' sichert Luther philologisch ab: Im Urtext ist nicht von Demut die Rede. 343 Dabei k o m m t Luther Erasmus von Rotterdam ganz nahe, der in seinen .Annotationes' geschrieben hat: „Hier steht ,tapeinosis', zu verstehen als ,Kleinheit', nicht als t u g e n d hafter Sinn'. Dafür gebrauchen die Griechen die Vokabel ,tapeinophrosyne'." 344 Freilich ist es möglich, daß Erasmus Luther mit dieser Aussage lediglich in der Auffassung bestärkt hat, die er unabhängig von ihm bereits als Ausleger der Psalmen gewonnen haben kann. Denn von den ,anawim', den Geringen, ist ja in den Psalmen oft genug die Rede. Luther bemüht sich ständig weiter darum, angemessen zu erfassen, welchen Sinn die griechische Vokabel ,tapeinosis' an dieser Stelle hat, welche Lage damit bezeichnet wer339

StuA 1,328, 32f. „alszhet die iunckfraw Maria / yhr demut anzogen/ vnd sich der berumet..." (StuA 1,328,37f.). 341 StuA 1, 316, 15. 342 StuA 1, 328, 34f. 343 „Demut heyssen wyr zu deutsch / das sanctus Paulus auff kriechisch nennet Tapinophrosyne / auff latinisch/ affectus vilitatis / seu sensus humilium rerum. Das ist eyn will vnnd gemut zu geringen vorachtenn dingenn." (StuA 1, 330, 15-18). 344 Desiderii Erasmi Roterodami in novum testamentum ab eodem denuo recognitum Annotationes, ingenti nuper accessione per autorem locupletate, Basel 1519, 119. In der modernen kritischen Edition: Bd.VI/5, Amsterdam etc. 2000, S.464, Z.516-520: „Humilitatem ancillae. [[Tapeinosin]] Vt intelligas paruitatem, non animi virtutem quam suo vocabulo Graeci vocant [[tapeinophrosynen]]. Nec est respexit humilitatem, sed ,aspexit ad humilitatem', ( [epeblepsen epi ten tapeinosin] ), vt sit contrarium ei quod est auersari, sitque sensus: et sim infima ancilla, tarnen non est auersatus a me." 340

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Kommentar

den soll. Im Septembertestament übersetzt er Lukas 1, 48 so: „Denn er hat die nydrickeyt seyner magd angesehen." 345 Und in der Fassung des Jahres 1546 wird es dann so lauten: „Denn er hat seine elende Magd angesehen." 346 Mit der Vokabel,elend' verbindet sich für den Leser des 16. Jahrhunderts, daß jemand ohne Heimat und ohne Recht ist.347 Maria lobt Gott, der sie als „seine geringe Magd" 348 in all ihrer „nichtickeyt" 349 angesehen hat. 350 Zur Auslegung 2.6.1. ,Tapeinosis' darf man nicht mit, Demut' übersetzen (StuA 1, 328, 37-329, 12) Von zentraler Bedeutung innerhalb des Verses Lk 1, 48 ist für Luther die richtige Deutung von ,tapeinosis'. Schon daran, wie breit er dieses Thema in seiner Exegese behandelt, wird deutlich, für wie wichtig er es hält: Es nimmt mehr als ein Fünftel der eigentlichen Auslegung ein. 351 Obwohl es ihm theologisch besonders wichtig ist, Gottes rettendes An-Sehen positiv herauszustellen, setzt Luther denn auch nicht mit der Erklärung von „Denn er hat angesehen" ein. 352 Vielmehr weist er gleich zu Beginn das Verständnis der griechischen Vokabel ,tapeinosis', in der Vulgata mit ,humilitas' übersetzt, als .Demut' ab. 353 Es wird behauptet, Maria habe sich auf ihre Demut berufen 354 und sich ihrer gerühmt. Sogleich bringt Luther das Fehlverhalten zur Sprache, das er in diesem Zusammenhang in der Kirche seiner Zeit tadelt: Prälaten bezeichnen sich selbst als .humiles', als demütig. 355 Luther lehnt einen derartigen Anspruch scharf ab. Er trifft nicht die Wahrheit. Was

345

WADB6, 212. WADB6, 212. 347 Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band 3, 1862, Spalte 410: „Elend" wird assoziiert mit „fremd, ausländisch, verlassen", mit „arm, armselig, bedürftig" und mit „beraubt, bloß, gering, schlecht" (die Einteilung in Bedeutungsgruppen stammt von mir). 348 StuA 1,316, 15. 349 StuA 1, 328, 34f. 350 StuA 1, 327, 25-30. 351 Nicht mitgerechnet sind hierbei Widmungsbrief, erste Übersetzung, Vorrede und Nachwort. 352 „darumb ligt die wage nit ynn dem worttle / humilitatem / szondern ynn dem wortle Respexit." (StuA 1,330, 9f.). 353 StuA 1, 328, 37. 354 „Das wortle humilitas habenn etlich hie / zur demut gemacht / alsz het die iunckfraw Maria / yhr demut anzogen / vnd sich der berumet..." (StuA 1,328,37-38). „Anziehen" kann „anführen" oder „zitieren" bedeuten, vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band 1, 1854, Spalte 528. Der Sinn wäre dann: „sich berufen auf'. Bedenkt man aber mit, daß Luther weiter oben geschrieben hat: „Zeucht sich ausz / vnd tregts allisz lauter wider auffzu got" (StuA 1,324,36), so kann auch gemeint sein: Es wird behauptet, Maria habe sich in ihre Demut gekleidet wie in ein Gewand. In spätmittelalterlichen Texten ist öfter davon die Rede, daß Gott nur Christen in die Seligkeit aufnehmen werde, die in Gottesliebe, die ihnen zur zweiten Natur (,habituell') geworden sei, gekleidet seien wie in Gewänder. 355 Vgl. die Kritik des Erasmus, Annotationes zu Apg 20,19: „O vocem dignam vere magno pontifice!" 346

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wahr sein soll, m u ß vor Gott Bestand haben. 356 Eine derartige verbale Selbstdemütigung aber ist verkappter Selbstruhm. Wer sich vor Gott einer positiven Eigenschaft rühmt, der trennt sich dadurch von ihm. Darin liegt Sünde. Der, der sich rühmt, beschwört Verderben über sich herauf. Vor Gott darf ein Mensch nicht sich selbst rühmen, sondern allein die reine 357 Güte und Gnade, die Gott Menschen erweist, ohne daß diese es verdient hätten. 358 In den Bibelversen Sprüche 25,6 und 7, nach moderner heutiger Exegese Worten durchaus weltlicher Weisheit, die vom rechten Verhalten vor dem König, den Großen und dem Fürsten reden, liest Luther die Forderung nach der Haltung, die ein Christ vor Gott einnehmen müsse: Nicht Eigenliebe und Eigenlob, sondern Liebe zu Gott und daraus entspringendes Lob Gottes sollen in Christen herrschen und sie erhalten. 359 Er postuliert, man dürfe nicht Maria solche Vermessenheit, solchen Hochmut, zuschreiben, daß sie sich der Demut, der allerhöchsten Tugend, rühmte. Sind doch nur die allerhochmütigsten Menschen der Meinung, sie besäßen diese Tugend, und rühmen sich ihrer. 360 Wer Maria (zu Recht) als reine, wahre Jungfrau betrachtet, darf sie nicht dadurch lästern, daß er ihr solchen Hochmut zutraute. Nicht ein Mensch, sondern allein Gott erkennt, wer demütig ist. Er allein richtet darüber und weist auf, daß ein Mensch wirklich demütig ist. Ein Mensch dagegen weiß nie weniger von Demut, als wenn er sie in der rechten Weise besitzt. 2.6.2.

Das Reden von ,humiliare'

(StuA 1, 329,

in der Bibel

13-27)

Seine Korrektur an der üblichen Übersetzung von ,tapeinosis' (,humilitas') m i t , D e mut' und der entsprechenden Interpretation als Tugend stützt Luther durch den Hinweis, daß ,humiliare' im biblischen Sprachgebrauch ,nydrigen, zu nicht machen' heißt. 361 Wenn von den Christen die Rede ist (und das ist nach Luthers Auffassung natürlich auch schon im Alten Testament der Fall, beispielsweise in den Psalmen), so werden sie als „arm / nichtige / vorworffene leut" 362 gekennzeichnet. Luther ist diese Be356 „wilchs gar weit von der warheit ist / denn für gottis äugen kan sich niemant eynesz gutten dings on sund vnnd vorterben rumen." (StuA 1, 328, 39-329, 2) „Vor Gottes Augen" geschieht jede Äußerung. Sich der eigenen Demut zu rühmen aber ist verfehlt. 357 Luther verwendt die Vokabel .lautternn' (StuA 1, 329, 2). 358 Einmal mehr schließt Luther sich selbst durch „vnsz" mit ein. 359 StuA 1, 329,4-7. - Von Maria hat Luther weiter oben bereits behauptet, in ihrem Lob Gottes sei der Verzicht auf Eigenlob enthalten: „Maria sagt nit / mein seele macht grosz sich selb / oder helt viel von mir." (StuA 1, 324, 33f.). 360 StuA 1,329,9-10. - Wer sich zutraut, durch seine Demut sündlos sein zu können, meint, er (oder sie) sei in der Lage, Gott als Gott gelten zu lassen. Der Mensch will jedoch sein wie Gott, das ist Folge der Erbsünde (Gen 3,5). Die Anmaßung, kraft eigener Demut sündlos sein zu können, beweist gerade tiefe Verstrickung in die Sünde. Ein sündiger Mensch kann eben nicht demütig sein. Er muss versuchen, sich selbst zum Abgott aufzuwerfen. (Vgl. dazu die Ausführungen über spätmittelalterliche Ausleger des Magnifikat.) 361 StuA 1, 329, 13. 362 StuA 1, 329, 15.

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weisführung so wichtig, daß er seinen Lesern, bei denen er gewiß nicht durchweg Kenntnis der lateinischen Sprache voraussetzt, die lateinischen Äquivalente zu seinen Übersetzungen nennt. Seine Übersetzung von ,humiliati' mit .nichtige' betont stärker das Ergebnis als den Vorgang. Nach Luthers eigener Argumentation wäre eher die Übersetzung ,erniedrigt, zu nichte gemacht' zu erwarten. 363 Schreibt Luther doch andernorts, Gott lasse seine Christen manchmal in Leiden und Not, ja sogar in Sünde fallen, um sie desto besser retten zu können. 364 Wenn Luther ,afflicti' mit ,vorworffene' übersetzt, dann kann damit gemeint sein, daß andere Menschen ihnen die Anerkennung verweigern, ohne die Menschen doch nicht leben können. Doch kann die ,afflictio' von Christen auch darin bestehen, daß Gott sie eine Zeit lang verwirft, wie er David eine Zeit lang verworfen hat, als ihm sein Sohn Absalom den Thron streitig machte, oder wie er „seinen einigen liebsten sun Christum selbs / ynn die tieffe allisz iamers vorworffen" hat. 365 ,Humilitas' soll also die Lebensweise oder den Zustand 366 von Menschen bezeichnen, die Mangel leiden (arm, krank, hungrig, durstig sind) oder auf andere Weise erheblich beeinträchtigt sind (gefangen sind, leiden, sterben). 367 Diese Liste expliziert, was Luther weiter oben unter den „vntzelichen leydenn vnnd notten" versteht. Dort hatte er den Tod, der allen Menschen bevorsteht, und die Sünde, in die Gott nach Luthers Ansicht manchmal auch seine geliebten Christenkinder fallen läßt, genannt, andere Leiden und Nöte dagegen nur pauschal erwähnt. 368 Diese Situation mußte Hiob erdulden, solange seine Anfechtung dauerte. So erging es David, als er zeitweilig vom Thron verdrängt war. So erging es Christus, und so ergeht es allen Christen in ihren jeweiligen Nöten. Ausdrücklich verweist Luther auf die Vorrede zurück. Nun habe er die ,Tiefe' geschildert, von der er schon dort geschrieben habe, daß Gottes Augen nur in die Tiefe sehen, Menschenaugen nur in die Höhe. 369 Auch die .Höhe' definiert er nun ausführlicher: erstrebenswerte Höhe hat in den Augen der Welt, was ,ansehnlich' ist. Schon in der Vorrede hat Luther das scheinbar Ansehnliche 370 gegen Gottes rettendes An-Sehen gestellt. Zur ,Höhe' gehört ferner, was ,scheint'. In diesem doppeldeutigen Wort klingt einerseits positiv an, daß es glänzt, andererseits aber negativ, daß die Großartigkeit, die vor Augen ist, nur Schein ist. Zur .Höhe' gehört schließlich, was prächtig ist. Die Christenheit liegt in der Tiefe und ist unansehnlich in den Augen der Welt,371 363

Siehe oben zu StuA 1, 329, 13. Vgl. StuA 1,318,23-27. 365 StuA 1, 318, 31 f. Die Aussage über Davids zeitweilige Verwerfung findt sich StuA 1, 327, 20-22. 366 „weszen odder stand" (StuA 1, 329, 17). 367 StuA 1, 329, 17f. 368 Vgl. StuA 1,318, 23-25. 369 Der Querverweis Luthers: StuA 1, 329, 20-21 bezieht sich auf StuA 1,317, 22-318, 38. 370 Dort handelte es sich um die Geltung, in der die Töchter der führenden Familien Jerusalems im Unterschied zu Maria stehen („ynn ansehen desgantzen lands": StuA 1,319,3). Dagegen stand das Geschlecht Davids nicht länger in Ansehen (StuA 1,319, 23-26). Vgl. auch oben die Anmerkung 129, in der die Belegstellen zum ,Sehen' Gottes denen zum .Sehen' der weltförmig ausgerichteten Menschen gegenübergestellt werden. 371 StuA 1,329, 25. 364

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im Gegensatz zur ansehnlichen ,Höhe', an der weltlich gesonnene Menschen sich orientieren. 372 Gerade weil sie in dieser Lage ist, sieht Gott sie wirkungsvoll an. Er greift nicht bloß zu Gunsten der Christenheit ein, sondern er behält sie im Auge, wie Luther mit einem Psalmvers bekräftigt. 373 2.6.3. Marias ,humilitas' ist,Nichtigkeit', (StuA 1, 329, 28-330, 12)

unansehnliches

Wesen

An I Kor 1,27f., einer Aussage des Paulus über die Glieder der Gemeinde in Korinth, erläutert Luther, wie Gott im Gegensatz zur widergöttlichen ,Welt' handelt. 374 In der Gemeinde von Korinth gibt es „nicht viele nach weltlichen Maßstäben Weise, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme". 375 In den Versen 27f. greift Paulus mit der Formulierung „[in den Augen] der Welt" die Wendung „nach dem Fleisch" in Vers 26 auf. In allen drei Fällen relativiert er durch „[in den Augen] der Welt" die negative Kennzeichnung der scheinbar nicht hervorragenden Gemeindeglieder. In Vers 29 folgert Paulus, das sei so, „damit sich kein Fleisch [Mensch] vor ihm [Gott] rühme." Luther füllt das Zitat einerseits auf u n d kürzt es andererseits. Vergleicht man Luthers Übersetzung mit dem griechischen Urtext und mit der Übersetzung in der Biblia Vulgata, so springen seine Zufügungen u n d Weglassungen ins Auge: „Got erwelet" allisz „was nerrisch für der weit ist / auff das er zu schänden mache" allisz was do „klug ist" vor der Welt / „vnd erwelet was da schwach" vnnd vntuchtig „ist [Luther läßt hier „für der weit" weg] / „auff das er zu schänden mache" / allisz was do „starck" vnd gewaltig „ist / Er erweit was do nichts ist für der weit [so bündelt Luther die Aussage: et ignobilia mundi et contemptibilia, et ea quae non sunt] / auf das er zunichte mach" / allisz „was etwas ist" für der weit. 376 Luther legt den Akzent auf zwei Stellen: auf das erste Glied der Aufzählung, das, was vor der Welt ,klug' ist, und auf das durch seine eigene Kürzung modifizierte und dadurch zugleich generalisierte dritte Glied der Aufzählung, das, ,was etwas ist'. Um „schwach" noch näher zu kennzeichnen, fügt er „vnnd vntuchtig" ein, zu „stark" ergänzt er „vnd gewaltig". Viermal erweitert Luther die Aussage des Paulus: Beim ersten und beim dritten Glied der Aufzählung derer, die Gott zuschanden macht, bei den Klugen einerseits, bei den Starken und Gewaltigen andererseits, fügt er jeweils „allisz" hinzu. Dasselbe „allisz" ergänzt er beim ersten u n d beim dritten Glied der Aufzählung derer, die Gott erwählt, die in den Augen der Welt närrisch sind und die nichts darstellen. Er erweitert dadurch, daß er viermal „alles" hinzufügt, die Aussage des Paulus, die zunächst einmal die gesell372 373 374

StuA 1, 329, 21-23. Ps 32 (31), 8b (StuA 1, 329, 25-27). Die Exegese des ganzen Abschnitts reicht bis StuA 1,330,8: Noch hier ist v o m „ R ü h m e n " die Re-

de. 375 Nach dem Text der Biblia Vulgata: „non multi sapientes s e c u n d u m carnem, non multi potentes, non multi nobiles." - Zur Rhetorik des Paulus vgl. Johan S. Vos: Die Kunst der Argumentation bei Paulus. Studien zur antiken Rhetorik. 376

StuA 1, 329, 28-32.

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Kommentar

schaftliche Geltung der Korinther Gemeindeglieder betrifft, ins Universelle. Ebenso fügt Luther beim ersten und beim dritten Glied der Aufzählung das „vor der Welt" ein. Auf diese Weise zieht er an diesen beiden Stellen sofort in Zweifel, daß die ,nach weltlichen Maßstäben Klugen und Bedeutenden' vor Gott Geltung beanspruchen dürfen. Aus der Aussage des Paulus ,gerade die Unweisen, Ohnmächtigen, wenig Vornehmen hat Gott erwählt, damit sich kein Mensch vor ihm rühme' 3 7 7 macht Luther den sehr viel generelleren Gegensatz ,was etwas ist [darstellt] - was vor der Welt nichts ist'. Er erreicht das dadurch, daß er fünf Wörter des ersten Halbsatzes (I Kor 1, 28a) 378 , der wieder auf die Vornehmen aus I Kor 1, 26 zu sprechen kommt, stark bündelt und sich auf die Aussage von I Kor 1, 28b konzentriert. Das dritte Glied der Aufzählung bündelt in Luthers Übersetzung eigentlich bereits die ganze Aussage. Luther zieht das Fazit, Gottes Erwählen verändere die Wirklichkeit radikal. Denn Gott mache die Art, in der die ,Welt' sehe und handle, mit all deren Weisheit 379 und Vermögen 380 zur Narrheit. Gott gebe eine Weisheit und ein Vermögen anderer Art. 381 Weil Luther es als Gottes Art betrachtet, in die Tiefe und auf Dinge, die des Ansehens nicht wert scheinen, zu sehen, kommt für ihn als deutsche Übersetzung von ,humilitas' nur ,Nichtigkeit' oder .unansehnliches Wesen' in Frage.382 Luther postuliert erneut, Maria müsse sich in einer niedrigen gesellschaftlichen Position befunden haben. Er setzt also voraus, daß Maria habe sagen wollen: Für die ehrenvolle Aufgabe, Mutter seines Sohnes zu werden, hätte Gott Töchter von Königen, Fürsten und großen Herren bereit finden können, statt auf mich zu verfallen. Wollte Gott eine Israelitin erwählen, so wäre am ehesten eine Tochter von Hannas oder Kaiphas in Betracht gekommen, 383 da nun einmal die Priester die Macht in Israel an sich gezogen haben. 384 Luther interpretiert Maria so,385 daß sie mit der Aussage, Gott habe auf ihre ,tapeinosis' (lateinisch: ,humilitas') hingesehen, habe sagen wollen, sie sei zumindest im Vergleich zu diesen Töchtern aus angesehenen Häusern arm, verachtet und unansehnlich. 386 Es legt sich nahe, diese Aufzählung mit zwei anderen zu vergleichen, 377

I Kor 1,26. 28. „ignobilia mundi et contemptibilia". 379 StuA 1,329,33. Bisher hatte er das lateinische Wort .sapientes' mit,kluge' übersetzt. Gebräuchlicher ist als Übersetzung für,sapientes' (I Kor 1, 26. 27),Weise', für ,sapientia' (1 Kor 1, 30),Weisheit'. Die Vokabel ,klug' wird meistens für das lateinische Äquivalent ,prudens' gewählt. 380 StuA 1,329,33. Mit dem Substantiv ,vormugen' nimmt Luther das Adjektiv .potentes' auf:,stark' [und, wie Luther hinzufügt, .gewaltig']. Da er hier nicht länger Adjektive verwendet, sondern Substantive, halte ich es auch für möglich, daß Luther an die oben bereits erwähnte Trias,Wissen - [Wollen] Vermögen' denkt. - Von der ,nobilitas' der Welt (vgl. ,nobiles' in I Kor 1,26) spricht Luther wohl deswegen nicht, weil er die ,ignobilia mundi' in I Kor 1, 28 unübersetzt gelassen hatte. 381 Als Empfänger dieser Gabe Gottes hat der Leser an die zu denken, auf die Gott tatkräftig hinsieht. 382 StuA 1, 329, 35f. 383 StuA 1, 329, 39. Die Hohenpriester Hannas und Kaiphas hat Luther auch bereits oben StuA 1, 319, 28 f. erwähnt. 384 Vgl. oben: „Aber am End da Christus kummen solt / hatten die Priester die selbe ehre vnter sich bracht / vnnd regierten allein ..." ( StuA 1, 319, 22f.). 385 „daß die meynung Marie sey die" (StuA 1, 329, 36). 386 StuA 1,329,36-38. 378

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um zu verdeutlichen, was Luther stets wiederholt und was er eher beiläufig nennt. Etwas weiter oben hat er .humilitas' als ein „voracht / vnansehelich / nidriges weszen odder stand" erläutert. 387 In der Vorrede lauten die Begriffe, mit denen Luther Marias Lage bezeichnet: „gering / vnansehlich / arm vnd voracht". 388 Vergleicht man die drei Aufzählungen miteinander, so kommt „unansehnlich" in allen dreien vor. Es ist Luther also besonders wichtig, darauf hinzuweisen, daß Gott in Maria einen Menschen erwählt hat, der Menschen nicht in die Augen gefallen wäre. Dreimal nennt er das Adjektiv, das die Folge davon bezeichnet:,verachtet'. Weil Maria des Hinschauens nicht wert zu sein schien, wurde ihr,Ansehen' verweigert. Das Adjektiv ,arm' nennt Luther zweimal, ,gering' beziehungsweise,niedrig' je einmal. Was vor der Welt in Betracht kommt, bezeichnet er hier als „reiche hohe / edle / mechtige", 389 etwas weiter oben spricht Luther von der gesellschaftlich angesehenen Position, der ,Höhe', nach der Menschenaugen Ausschau halten, als vom „ansehelichenn scheinenden / prachtigem weszen vnd standt." 390 Die deutlichsten Kontraste sind,reich - arm',,niedrig - hoch' und ansehnlich (scheinend [glänzend], prächtig) - unansehnlich'. Gottes Augen sind ganz und gar gütig, 391 legt Luther Maria in den Mund. Er spielt auf die Fortsetzung der bereits zitierten Verse aus I Kor 1 an, und zwar auf Vers 29: Maria bekennt durch die Verwendung der Vokabel ,humilitas', Gott habe sie, ein so geringes, verschmähtes Mädchen, gebraucht, damit - mit Paulus gesprochen - „niemand sich rühme", er sei Gottes Ansehens würdig gewesen oder sei es nun. Er habe sie gebraucht, damit sie aufgrund ihres geringen Standes bekennen müsse, daß ihre Erwählung ganz und gar 392 Gnade und Güte Gottes sei. Es läßt sich nicht aus einem Verdienst, das sich Maria erworben hätte, oder aus einer Würdigkeit, 393 die Maria etwa auszeichnete, erklären, daß Gott gerade sie dazu gebraucht hat, Mutter seines Sohnes zu werden. Luther ist der Meinung, bereits zur Genüge geschrieben zu haben, daß die ,zarte Jungfrau' Maria angesichts ihres unansehnlichen Wesens und Standes wider Erwarten zu der Ehre gekommen sei, daß Gott sie so übermäßig gnädig angesehen habe. 394 Die 387

StuA 1, 329, 17. StuA 1, 317, 10. 389 StuA 1,329, 37f. 390 StuA 1, 329, 22f. 391 StuA 1,329,40. 392 Luther läßt Maria verstärkend wiederholen: „lautter" (gnade vnnd gutte [Gottes]; StuA 1, 329, 42) korrespondiert dem „lautter" (guttige äugen [Gottes]; StuA 1, 329, 40). Wenig später bezeichnet Luther Gottes ,An-Sehen' Marias als „vbergnedig" (StuA 1, 330, 3). 393 „gar nichts mein vordienst odder wirdickeit" (StuA 1,329,43). Die Formulierung „ohn all' mein Verdienst und Würdigkeit" wird Luther 1529 dadurch berühmt machen, daß er sie in der Erklärung zum ersten Artikel des Credo im Kleinen Katechismus verwenden wird (BSLK 511, 5). 394 Vgl. dazu beispielsweise: „Szo waresz auch nit anzusehen / daß Maria die Junckfraw solt eynis solchen kinds mutter werden." (StuA 1, 319, 15f.) Ferner ,vnanseh[e]lich' im Sinne von ,nicht zu erwarten': StuA 1,319,14 (von der Wahrscheinlichkeit, daß ein dürr gewordener oder verfaulter Stamm noch einen gesunden Zweig oder eine schöne Blüte hervorbringt); StuA 1,319,26 (von dem Eindruck, den das Haus Davids auf Menschen zur Zeit der Geburt Jesu gemacht haben muß); StuA 1, 329,17. 37 (von Maria); StuA 1, 329, 25 (von der Christenheit); StuA 1, 329, 35 (von Dingen, nach denen Gott sieht). - Zum .Sehen' Gottes im Unterscheid zum .Sehen' der Welt vgl. oben Anm. 129. 388

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2.

Kommentar

Ehre, nach der Menschenaugen stets Ausschau halten, läßt G o t t also gerade der zugute k o m m e n , die in einer unansehnlichen Lage ist. Maria r ü h m t sich denn auch allein dessen, daß G o t t sie angesehen hat. Damit entspricht sie I Kor 1 , 3 1 : „Wer sich rühmt, der r ü h m e sich des H e r r n ! " Sie geht sowohl der naheliegenden Gefahr aus dem Wege, den G r u n d des Erwähltseins in eigener Würdigkeit zu suchen, 3 9 5 beispielsweise der ihres Jungfrau-Seins, 3 9 6 als auch der besonders bedrohlichen Versuchung, mit der Unwürdigkeit 3 9 7 oder gar mit der eigenen D e m u t 3 9 8 in der Weise zu kokettieren, daß sie sich derer r ü h m e n wollte. Vielmehr sieht Gott überaus gütig und überaus gnädig ein geringes Mädchen an. 3 9 9 Maria hat sich allein des gnädigen Ansehens Gottes gerühmt. Auf „Respexit" liegt denn auch nach Luthers Überzeugung eigentlich der Akzent in diesem Vers, nicht auf „humilitatem". Gottes An-Sehen gilt es zu loben, nicht Marias Nichtigkeit. 4 0 0 D o c h geht Luther hier nicht erneut auf Gottes schöpferisches Sehen ein. 4 0 1 Für ihn ist es vor allem wichtig, dem gefährlichen Irrtum entgegenzutreten, Maria habe sich ihrer D e m u t gerühmt.

2.6.4. Exkurs: Maria erwirbt nicht etwa durch die Tugend der Demut Verdienst und wird dadurch zum unerreichbaren Vorbild, sondern muß gerade in ihrer Niedrigkeit und Nichtigkeit betrachtet werden (StuA 1, 330, 13-337, 25)402 O b w o h l er eben erst daraufhingewiesen hat, daß der Schwerpunkt der Aussage von Lk 1, 4 8 eigentlich bei Gottes .Hinsehen' liege, sieht sich Luther veranlaßt, einen umfangreichen Exkurs zum angemessenen Verständnis von . D e m u t ' einzuschieben. 4 0 3 Dieser Exkurs sprengt eigentlich den R a h m e n seines Kommentars, denn er beansprucht ein Siebentel des gesamten Werkes. D o c h Luther hält es für sehr wichtig, der Auffassung entgegenzutreten, Maria habe sich ihrer D e m u t gerühmt. 4 0 4 Eine D e m u t , auf die m a n

395

Siehe oben (StuA 1 , 3 2 4 , 2 6 - 3 2 ) zu denen, die geehrt werden wollen für das große Gut, das ihnen

doch Gott in seiner Güte verliehen hat. 396

StuA 1, 330, 7. 8.

397

Vgl. zu „rumet siesich n i t . . . yhrer vnwirdickeit" (StuA 1 , 3 3 0 , 3 f . ) oben StuA 1 , 3 2 8 , 3 7 - 3 2 9 , 1 0 .

398

Luther lehnt die Auffassung entschieden ab, Maria „hab sich nit yhrer iunckfrawschafft / son-

dernn yhrer demut gerumet" (StuA 1, 330, 7). Er ist vielmehr überzeugt: „sie hat sich wedder Junckfrawschafft noch demut gerumet" (StuA 1, 330, 7 - 8 ) . 399

StuA 1, 330, 5 f.

400

StuA 1, 330, 9 - 1 1 .

401

Er hatte sich dazu bereits oben (siehe bei A n m . 129) geäußert.

402

Zur Funktion der Polemik Luthers vgl. Mostert: Die theologische Bedeutung von Luthers antirö-

mischer Polemik. 403

Wie wichtig das seiner Auffassung nach richtige Verständnis von ,humilitas' Luther ist, sieht m a n

schon daran, daß er, wie oben bereits angedeutet, mit seiner Auslegung von Lukas 1 , 4 8 etwas mehr als ein Fünftel der eigentlichen Textauslegung füllt (in der modernen Edition neuneindrittel von dreiundvierzig Druckseiten, StuA 1, 328, 3 4 - 3 3 8 , 4). Der Exkurs (StuA 1, 3 3 0 , 1 3 - 3 3 7 , 2 5 ) stört den gleichgewichtigen Aufbau des gesamten Kommentars erheblich, wenn m a n E b e n m a ß des Aufbaus einer Schrift als wünschenswert betrachtet. 404

„Das aber solcher falscher wahn vortrieben / vnd die rechte demut von der falschen erkant wer-

Lk I, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt"

69

reflektiert und deren man sich rühmt, ist nach Luthers Überzeugung keine echte Demut. Rechte Demut muß von falscher Demut unterschieden werden. In dieser Frage irren viele, und sie irren erheblich: Die Rechtfertigung allein aus Gnade steht auf dem Spiel. Wer durch Demut gerechtfertigt werden will, stellt sich ihr in den Weg. Denn er versucht sich vor den Menschen und vor Gott selbst zu rechtfertigen. Luther setzt philologisch an: Mit der Vokabel,Demut' benennen wir Deutschen, was der Apostel Paulus mit der griechischen Vokabel ,tapeinophrosyne' bezeichnet. Die lateinischen Äquivalente sind ,affectus vilitatis' oder ,sensus humilium rerum' - und eben nicht ,humilitas'. Gemeint ist eine Einstellung, 405 die sich auf geringe, [von anderen] verachtete Dinge richtet. 406 2.6.4.1.

Abgelehntes

(StuA 1, 130,

Verhalten:

Demut

spielen

18-31)

Statt nun, wie es naheläge, mit Erläuterungen der griechischen Vokabel ,tapeinosis' und der lateinischen und deutschen Äquivalente dazu fortzufahren, polemisiert Luther gegen Christen, die durch gespielte Demut Ehre einlegen wollen. Ihre „gemachte demut" 407 ist so überflüssig, als wollte man Wasser in einen Brunnen tragen. 408 Sie führen ein einfaches Leben: sie kleiden sich schlicht, sie halten sich auf, wo geringe Menschen sind, geben sich als solche und reden wie sie. Sie gehen also mit geringen Menschen um und denken an sie. Ihr Ziel ist dabei jedoch, von den Hohen, Reichen und Gelehrten 409 und von den [falschen] Heiligen 410 für ihre Herablassung geehrt zu werden. Durch ihre gespielte Schlichtheit wollen sie ferner Gottes Zuneigung erwerben. 411 Man darf wohl voraussetzen, obwohl er es nicht eigens sagt, daß Luther diese Abfolge (zuerst Menschen, dann erst Gott gefallen wollen) für verdreht und verrückt hält. 412 Als observanter Bettelmönch kann Luther über den Versuch mitreden, freiwillig arm sein zu Wol-

de" (StuA 1, 330, 13-14) bezieht sich zurück auf: „derhalben thun sie yhr unrecht / die do sagen / sie hab sich nit yhrer iunckfrawschafft / sondern yhrer demut gerumet..." (StuA 1,330,6f.). Schön formuliert Zur Mühlen: Luthers Frömmigkeit und die Mystik, S. 59: „In diesem Lobpreis wird Maria für Luther zum Exempel der Gnade und nicht mehr - wie in der Tradition vor ihm - zum Beispiel des homo religiosus, der der Gnade durch seine Frömmigkeit - in welchem Grad auch immer - würdig sein muß." 405 Luther spricht zunächst von „will vnnd gemut" (StuA 1, 330,17), dann von „willen vnnd hertz" (StuA 1, 330, 27). 406 StuA 1,330, 15-18. 407 StuA 1,330,24. 408 Zu „wasser ynn den brunn tragenn" (StuA 1,330,18) vgl. die Nachweise des Herausgebers Seils, StuA 1, 330, Anm. 127. Bei wirklich bescheidenen Menschen dagegen „quillet das wasser ausz dem brunn", wie es sich gehört (StuA 1, 330, 34). 409 Sollte „gelehrt" hier für „hoffärtig" stehen, so hätten wir es erneut mit den drei Personengruppen ausLk 1,50-53 zutun. Der Weg von der Bedeutung „gelehrt" führte dann über [für die Gelehrsamkeit] „geehrt" zu [auf Grund der Ehre] „hoffärtig". 410 Vgl. zur negativen Konnotation dieser Bezeichnung oben StuA 1,328, 3f.: „wie vol itzt die weit / falscher prediger vnnd heyligenn sein ..." 411 StuA 1,330, 21-22. 412 „für den hohen / reychen / gelereten / heyligen / ya auch für got" (StuA 1, 330, 21-22).

70

2.

Kommentar

len. 413 Solche Menschen möchten für ihre Demut Ansehen genießen. Gottes An-Sehen liegt ganz und gar nicht in der Verlängerung des Ansehens, das man vor den Leuten genießt, die die Maßstäbe der ,Welt' bestimmen. Gottes An-Sehen kann man nach Luthers Ansicht überhaupt nicht erarbeiten. Er ist davon überzeugt, daß es den ScheinDemütigen nur um den Lohn zu tun ist: Wüßten sie, daß die maßgeblichen Menschen und Gott davon nichts hielten, so würden sie sich nicht länger selbst erniedrigen. Ihre Demut ist nicht echt, sondern gespielt. Sie sind auf die Hoheit hin orientiert wie andere Menschen auch. Das ,Auge' ihres Herzens ist böse. 414 Es richtet sich allein auf den Lohn für diese vermeintlich demütige Einstellung und Lebensweise, nicht auf die geringen Dinge als solche. 415 Leuchtet kein Lohn der Mühe, so hat solche Schein-Demut ein Ende. 416 Diese Menschen haben nicht ihr Herz 417 bei den geringen Dingen, sondern nur ihre Gedanken, ihre Münder und Hände, 418 womöglich gar nur ihre Kleider und ihre Gebärden. 419 Nicht nach unten zu den „geringen dinge[n]", 420 sondern nach oben „zu hohen grossen dingen" orientieren sich diese nur scheinbar Demütigen: bei den sozial hochstehenden, reichen, gelehrten (und aufgrund davon angesehenen) und heiligen Menschen 421 möchten die geehrt werden, die so demütig tun. Sie reflektieren auf sich selbst als auf demütige heilige Menschen. Luthers Lebenserfahrung und die Beispiele, die er nennt, machen wahrscheinlich, daß er mit den ,gespielt Demütigen' in erster Linie Bettelmönche meint. Dafür spricht beispielsweise, daß er von „geringen kleydernn ... geperden" 422 spricht. Zum Bettelmönch gehört ja wesentlich, daß er in seiner Gestik und durch seine Kleidung Demut lebt und ausstrahlt. Luther macht jedoch offenbar nicht mehr die Erfahrung, daß sol-

413

Luther polemisiert an dieser Stelle freilich nicht ausdrücklich gegen einen bestimmten Personen-

kreis. 4,4 Mit „schalckhafiftig" (StuA 1, 330,24) meint Luther:,völlig verdorben'. Er übersetzt so das lateinische ,nequam' (Mt 6, 23). Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, 1893, Sp. 2078. Der positive Gegenbegriff zum bösen Auge ist ,oculus simplex'. Vgl. bereits oben bei Anm. 49, zur Einleitung. Luther überträgt ,simplex' ebenso wie schon spätmittelalterliche Theologen als ,einfältig' im guten Sinne. Aus dem Satz „das hertze aber sihet vber sich zu hohen grossen dingen" (StuA 1, 330, 29f.) wird klar, daß mit dem ,Auge' die Einstellung dieser Menschen gemeint ist. 415 StuA 1, 330, 24-25. 416 „Scheynett" (StuA 1, 330, 26) weist sowohl daraufhin, daß der Lohn der Leitstern solcher Menschen ist, als auch, daß er ein trügerischer Leitstern ist, vgl. Luthers Reden von einem „scheynenden / prachtigem weszen vnd standt" (StuA 1, 329, 22f.). 417 Vgl. das Psalmzitat: „Herr mein hertz ist nit erhaben / vnd mein äugen haben nit empohr gesehenn" (Ps 131 (130), 1; StuA 1, 330, 37f.). 418 Einmal mehr verwendet Luther diese drei Begriffe zusammen für d i e - m e h r oder w e n i g e r - n a c h außen tretenden Wirkungen des Herzens. 419 Luther geht in dieser Aufzählung (StuA 1, 330, 28f.) Schritt für Schritt nach außen. Weniger stringent aufgebaut ist die vorhergehende Aufzählung (StuA 1, 330, 19f.). Sie enthält keine Entsprechung zu „hand". Luther verdoppelt mit dem Wort „personen", was er kurz danach auch mit „vmbgahn" ausdrückt. „Stetten" steht zwischen „geperden" und „wortten" etwas unerwartet. 420 StuA 1, 330, 17f. 22. 25. 27f. 421 So faßt Luther zusammen (StuA 1, 330, 21). 422 StuA 1, 330, 19, vgl. StuA 1, 330, 29.

Lk i, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt"

71

che freiwillige Armut in seiner eigenen Zeit von unfreiwillig Armen als Solidarisierung empfunden wurde. 2.6.4.2.

Empfohlenes

(StuA 1, 330, 32-331,

Verhalten:

Wirklich

bescheiden

sein

4)

Während die nur scheinbar Demütigen „wasser ynn den brunn tragenn", 423 quillt es bei den wirklich Bescheidenen „ausz dem brunn". 424 Bei ihnen ist die Niedrigkeit echt. Ihre .Herzen' sind einfältig 425 auf die niedrigen Dinge gerichtet. Im Gegensatz zu den nur scheinbar Demütigen, deren .Herzen' durch gespielte Demut Ansehen als Lohn und dadurch eben doch eine Statuserhöhung erlangen wollen, 426 sind sie wirklich bescheiden. Sie reflektieren nicht über ihre Demut. 427 Sie leben durch und durch schlicht, ohne damit Nebenabsichten zu verbinden. 428 Die hohen und großen Dinge, wonach das Herz der nur scheinbar Demütigen steht, 429 meiden sie. Luther belegt diese Haltung mit zwei Bibelworten. 430 Das erste, ein Psalmzitat, bezeichnet er als Aussage Davids. Darin, daß Luther König David 431 als vorbildlich bescheidenen Menschen zitiert, kündigt sich bereits an, daß er nicht bei seiner Aussage bleiben wird, jeder, dessen sich Gott solle erbarmen können, müsse in einer niedrigen sozialen Position sein. Auf das erste dieser Bibelworte kann Luther seine Aussage stützen, daß das ,Herz' eines Christen sich nicht überheben darf. Bekennt David doch, bei ihm sei das nicht der Fall.432 Es belegt auch, daß David als exemplarischer Frommer seine ,Augen' nicht nach Ansehen Ausschau halten ließ. Das Wort Hiobs soll belegen, daß Gott die zu Ehren bringt, die gerne niedrig sind, und daß er die selig macht, die ihre ,Augen' nicht in die Höhe richten. Es ließe sich auch vorzüglich gegen Luthers Intention deuten, weil es ganz unbefangen den Frommen sich erniedrigen und seine Augen niederschlagen läßt und die (von Gott) erwartete Belohnung nennt.

423

StuA 1, 330, 18. StuA 1,330,34. 425 Wer im guten Sinne,einfältig' ist, dessen Herz weist nur eine Falte auf. Er hat nicht daneben noch weitere Herzensfalten, in denen er etwas verstecken könnte. Er ist nicht,doppelbödig', sondern verläßlich. Dieses positive Verständnis von ,einfältig' findet sich bereits bei Papst Gregor dem Großen in der ,Regula pastoralis' 3,11 (PL 77,66A/B), der die „veritatis simplicitas" der „duplicitatis perversitas" gegenüberstellt. Vgl. dazu Burger: Direkte Zuwendung zu den ,Laien' und Rückgriff auf Vermittler in spätmittelalterlicher katechetischer Literatur. Zur Bedeutung von ,Herz' bei Luther vgl. oben bei Anm. 15. 426 StuA 1, 330, 29f. 427 StuA 1, 330, 33f. 428 „gering / geperde / stett / person / kleyder" (StuA 1, 330, 35f.). Diese Reihung entspricht, wenn auch in anderer Wortfolge, der in StuA 1,330,19. Im Unterschied zur Reihung in StuA 1,330,28f. fehlen hier die „gedancken" und die „hand". 429 StuA 1, 330, 29f. 430 Psalm 131 (130), 1 und Hiob 22, 29. 431 David ist in der Magnifikatauslegung stets in seiner Rolle als König im Blick, wenn auch oft genug als in seiner Herrschaft bedrohter König. 432 Luther setzt natürlich voraus, daß David in seinem Gebet nicht auf seine Demut reflektierte. 424

72

2.

Kommentar

Weil die wirklich Bescheidenen gar nicht merken, daß sie demütig sind 433 und nicht danach suchen, 434 kommt für sie die Ehre, die Gott ihnen zuteil werden läßt, unerwartet. 435 Sie werden aus ihrer Niedrigkeit erhöht, ohne daß sie daran gedacht haben. 436 Im Unterschied zu ihnen wundern sich diejenigen, die nicht wirklich demütig sind, darüber, daß sie auf Ehre und Erhöhung so lange warten müssen. Meinen sie doch, beides stehe ihnen als Lohn ihrer Selbsterniedrigung zu. Ihre falsche Demut ist in Wirklichkeit falscher 437 Hochmut. Sie fallen also unter das Urteil von Lk 1, 51 gegen die Hoffärtigen. 2.6.4.3. Empfohlenes Verhalten: Rechte438 Demut (StuA 1, 331, 5-16) Luther knüpft zunächst an seine Aussagen über wahrhaft Demütige an, die er eben erst gemacht hat. Er zieht also in chiastischem Aufbau seiner Darstellung zunächst ein Fazit seiner Aussagen über das Verhalten wirklich demütiger Menschen, ehe er auf das unangemessene Verhalten nur scheinbar demütiger Menschen zurückkommt. Demut, die diesen Namen verdient, weiß niemals, daß sie demütig ist, denn Reflexion auf sich selbst würde Demut in Hochmut verwandeln. 439 Wirkliche Demut tritt geradezu als Subjekt auf, das selbst ein Herz, einen Mut und Sinne besitzt. 440 Sie richtet ihre,Augen' auf die geringen Dinge. Das sind die,Bilder', mit denen sie sich beschäftigt. Dadurch ist sie davor geschützt, sich auch nur zu sehen und sich ihrer selbst (als einer Tugend) bewußt zu werden, geschweige denn hohe Ziele ins ,Auge' zu fassen. 441 Das ist zu ihrem Heil. Deshalb also kommt der Demut Ehre und Erhöhung unversehens zu, 442 ohne daß sie danach Ausschau gehalten hätte. Belegen kann Luther diese Behauptung durch Lukas 1, 28 und 29: Für Marias, Augen' 443 , die sich nicht auf Rangerhöhung hin orientieren, kommt der Gruß des Engels völlig unerwartet. 444 Im Unterschied zu Maria hätte eine hochgestellte Person wie die Tochter des Hohenpriesters Kaiphas den Gruß des Engels als ihrer hohen Position adäquat bereitwillig akzeptiert.

433

StuA 1, 330, 34. StuA 1, 330, 35. 435 In .vnvorsehens' steckt einmal mehr das ,sehen'. 436 StuA 1, 330,41. 437 StuA 1, 331, 3. Luther setzt die Vokabel,falsch' innerhalb dieses Satzes in verschiedenen Bedeutungen ein: zuerst in der von ,unecht", dann in der von ,getarnt'. 438 Das „Rechte demut" (StuA 1, 331, 5) korrespondiert dem „Die waren demutigen" (StuA 1, 330, 32). 439 „Darumb wie ich gesagt habe" (StuA 1, 331, 5) verweist zurück auf: „für gottis äugen kan sich niemant eynesz gutten dings on sund vnnd vorterben rumen" (StuA 1, 328, 39-329, 2) und auf: „vnd niemant sich demutig achtet odder rumet / denn wer der aller hochmutigist ist" (StuA 1, 329, 9f.). 440 StuA 1, 331, 7. 441 StuA 1, 331, 9f. 442 StuA 1, 331, 10f„ vgl. bereits StuA 1, 330, 39-41. 443 StuA 1, 331, 13. 444 Der Gruß des Engels kam für Maria vollkommen unerwartet (StuA 1, 331, 12-13). Luther verwendet erneut die Vokabel,wunderlich': Er hatte ja weiter oben gesagt, Marias Herz sei .wunderlich' (StuA 1, 325, 13). Erneut kann die Bedeutung sowohl erstaunlich' als auch .wunderbar' sein. 434

Lk 1, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt"

73

2.6.4.4. Abgelehntes Verhalten: Falsche445 Demut (StuA 1, 331, 17-24) Während rechte Demut sich ihrer selbst nicht bewußt ist u n d dadurch der Versuchung entkommt, in Hochmut zu verfallen, ist falsche Demut sich nicht bewußt, daß sie der Versuchung längst erlegen ist und in Wirklichkeit Hochmut ist. 446 Wenn sie ihrer h ä ß lichen Untugend' ansichtig würde, so würde sie durch den eigenen Anblick gedemütigt. Ihre verfehlte Aktivität, sich selbst zu demütigen, die Gott nicht befohlen hat, würde zurechtgerückt werden. Ihre ,Augen 1 sind jedoch unablässig auf Rangerhöhung gerichtet. 447 ,Hohe Dinge' sind die ,Bilder' 448 , mit denen sich falsche Demut beschäftigt. Was Luther mit den ,hohen Dingen' meint, darf man aufgrund von Lk 1, 51-53 und aufgrund von Luthers Äußerungen ergänzen: Ehre, Reichtum und Macht. Weil die falsche Demut sich darauf so fixiert, kann sie sich selbst so wenig sehen wie die rechte Demut. Mit Ehre, die ihr zuteil wird, rechnet sie. Daran hat sie gedacht, das hat sie vorausgesehen. 449 Schande u n d Erniedrigung aber treffen die falsche Demut unvorbereitet. 2.6.4.5. Gott selbst verwandelt die Blickrichtung. Lebensumstände sind nicht entscheidend (StuA 1, 331, 25-42) Luther kann ein vorläufiges Fazit ziehen u n d ein mögliches Mißverständnis abwehren. Zugleich präzisiert er auch seine eigenen bisherigen Aussagen: Weder wird jemand dadurch demütig, daß er sich geringe u n d verachtete Dinge vor Augen stellt, noch wird jemand dadurch hochmütig, daß er sich ,hohe Dinge' wie Ehre, Reichtum und Macht (siehe etwas weiter oben) vor Augen stellt, die erstrebenswert scheinen. Es kommt auf die Betrachtungsweise an, nicht auf die .Bilder', mit denen sich jemand beschäftigt. 450 Luther belegt das durch den Hinweis auf mehrere Bibelstellen. 451 Christus selbst hat gesagt, ehe ein ,Auge' den ganzen Leib in die Hölle verführe u n d den Weg zum Leben versperre, müsse es ausgerissen werden. 452 Erst nach dem Sündenfall sahen die Voreltern, 445 Das „falsche d e m u t " (StuA 1, 331,17) korrespondiert dem „gemachte d e m u t " (StuA 1,330,24). Mit der Vokabel „ w i d d e r u m b " leitet Luther ein, d a ß er n u n auf das Gegenstück zur echten Demut zu sprechen k o m m e n will. 446 StuA 1,331, 17. Der Einleitungssatz ist parallel zum Einleitungssatz des Abschnitts über „rechte D e m u t " aufgebaut. Falsche D e m u t versteht sich nach Luthers Überzeugung ja als Selbst-Demütigung u n d als vor den Menschen u n d vor Gott hochansehnlich. 447 j j r e c h t e d e m u t " (StuA 1, 331, 5) erscheint auch die „falsche d e m u t " personifiziert, auch sie hat „hertz m u t vnd synn" (StuA 1,331,19). „Synn" erscheint bei der „falschen D e m u t " im Singular, bei der „rechten D e m u t " im Plural (StuA 1, 331, 7). 448 „Das sein yhr bilde da mit sie vmbgaht." (StuA 1, 331, 20). 449 StuA 1, 331, 22. Anders die wahren Demütigen: Für sie k o m m e n Ehre u n d E r h ö h u n g „vnuorsehens" u n d „vnbedacht" (StuA 1, 330, 40f.). 450 „Nit die bilde / szondernn das gesichte musz m a n abethun." (StuA 1, 331, 27f.). 451 Die Abfolge richtet sich nach dem Rang, den Luther den biblischen Worten beimißt: zuerst die Worte Christi, d a n n die Aussage aus der Sündenfallerzählung, d a n n erst der Beleg, der eigentlich a m besten ausdrückt, was Luther sagen will, aus d e m Schluß des Buches Esther. 452 Vgl. Mt 5, 29; 18, 9.

74

2.

Kommentar

daß sie nackt waren. 453 Die Königin Esther war umgeben von hohen .Bildern'. Sie hatte nicht einmal etwas Niedriges, das sie hätte anschauen können. Aber ihre Sehweise war „nidrig", wahrhaft demütig. 4 5 4 Darauf, wie das ,Herz' sieht, kommt es an. 455 Esthers ,Herz' und ihr ,Mut' 456 orientierten sich nicht an großen Dingen. Da Menschen nun einmal dazu geneigt sind, sich stets nach oben zu orientieren, 457 müssen sich nicht die Lebensumstände ändern, sondern ihr ,Gemüt' und ihr ,Sinn' müssen verwandelt werden. 458 Dann lernen sie von selbst, 459 hohe Dinge geradezu zu verachten und sich vor ihnen zu hüten, 4 6 0 geringe Dinge hoch zu achten und ihre Nähe zu suchen. Bei so veränderten Menschen wird die Demut von Grund auf gut sein, beständig gegen Gefährdungen, frei davon, auf sich selbst zu reflektieren. 461 Diese Verwandlung erfreut den Menschen, an dem sie sich vollzieht. 462 Ein derart verwandeltes ,Herz' bleibt so orientiert, ob n u n der Mensch in hohen oder niedrigen Umständen leben mag. 463 2.6.4.6. Weil wahre Demut mit Seligkeit belohnt wird, darf sie auf Erden ihrer selbst nicht ansichtig werden (StuA 1, 332, 1-17) Unter den scheinbar Demut bezeugenden Kleidern, Worten und Gebärden, die Luther umgeben, sieht er großen Hochmut verborgen. Die gespielt Demütigen wollen von kei453

Gen 3, 7. Aus Esthers Gebet: „Du kennst meine Not - daß ich das Zeichen des Hochmuts und meiner Herrlichkeit verabscheue, das auf meinem Haupte ist an den Tagen, an denen ich mich zeigen m u ß [in diebus ostentationis meae], und daß ich es verachte wie das Laken einer Frau, die ihre Monatsblutung hat [quasi p a n n u m menstruatae], und daß ich es nicht trage an den Tagen, an denen ich Ruhe finde." (Esther 14, 16; übersetzt nach der Vulgata) 455 Bei denen, die Demut heucheln, gilt: „das hertze aber sihet vber sich zu hohen grossen dingen" (StuA 1,330, 29f.). Als wahrhaft Demütiger kann David in Psalm 131 (130), 1 sagen: „Herr mein hertz ist nit erhaben..." (StuA 1,330, 37). Rechte Demut „hafftet mit hertz / mut / vnd allen sinnen / an den geringen dingen ..." (StuA 1, 331, 7f.). 456 „hertz vnnd mut" (StuA 1, 331, 36). ,Mut' kann die gesamte Haltung des menschlichen Inneren bezeichnen. Der Mut hat seinen Sitz im Herzen. Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band6, 1885, Sp. 2782-2783. 457 Vgl. oben die Erläuterungen zu StuA 1, 318, 2-10. 458 Die Verwendung des Passivs weist d a r a u f h i n , daß Luther die Verwandlung von Gott erwartet. 459 „als dann wirt sichs selb leren" (StuA 1,331,38) im Unterschied zu dem Versuch, dadurch zulernen, daß man sich geringe, verachtete Dinge vor Augen stellt (StuA 1, 331, 25-27). 460 Umgang m i t , h o h e n Dingen' birgt ja die Gefahr der Hoffart in sich. 461 StuA 1, 331, 39f. 462 StuA 1, 331, 40f. - Luther betrachtet ,Lust' (wie Haß und Liebe) als eine der Leidenschaften der Seele. Das Herz eines Menschen kann „freud vnd lust" an Gott dadurch gewinnen, daß es Marias Nichtigkeit und Gottes Gnade betrachtet (StuA 1, 338, lf.). Lust kann für Luther positiv und negativ sein. Der Heilige Geist kann überschwengliche Kunst und Lust erfahren lassen (StuA 1,318,21-22). Von verkehrter Lust ist die Rede bei denen, die sich statt an ihrem Heiland selbst lediglich an den Gaben orientieren, die er verleihen kann: „viel mehr haben sie lust gehabt ynn dem heyl / denn ym heyland" (StuA 1,326,20-21). Menschen, die nur Genuß suchen, haben viel mehr Lust am Heil als am Heiland, an den Gaben Gottes als an deren Geber, an Geschöpfen als am Schöpfer. 463 StuA 1, 331, 41f. 454

Lk 1, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt"

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nem verachtet, sondern geehrt werden. Sie wollen hohe Dinge meiden, aber so, daß ihre eigene Lebensform doch keinesfalls als die geringste angesehen werde. 464 Die Jungfrau Maria dagegen weist wirklich auf nichts anderes hin als auf ihre Nichtigkeit. 465 Sie ist gerne in dieser niedrigen Lage geblieben und hat sich weder nach einer hohen Position noch nach der damit verbundenen Ehre gesehnt. 466 Ihr war auch nicht bewußt, daß sie demütig war. 467 Demut ist ein so zartes und kostbares Gebilde, daß Gott allein sie sehen darf. Einen Beleg für diese Deutung findet Luther in Psalm 113 (112), 6: „Et humilia respicit in caelo et in terra" bezeugt. Freilich m u ß er in den Psalmtext eingreifen, um ihn als Stütze seiner Exegese des Magnifikat heranziehen zu können. Aus dem „was niedrig ist" (humilia) muß er „die Niedrigen" (humiles) machen. Seine deutende Übersetzung ist: „Er sihet an die nydrigen ym hymell vnnd erdenn", und er interpretiert diese Aussage so: ,Er [Gott] sieht, wer im Himmel und auf Erden [wirklich] niedrig ist.' Könnte ein Mensch von sich sagen, er sei demütig, so könnte er sich Gottes Gnade zusprechen. 468 Damit aber hätte er Gottes Gericht vorweggenommen, was nicht sein darf. Gott m u ß die Demut geradezu vor den Christen verbergen, denen er sie verleiht. Zu diesem Zweck stellt er ihnen geringe Dinge vor Augen und läßt sie sich darin üben, damit sie nicht hochmütig werden. 469 Solange Christen auf Erden sind, erlegt ihnen Gott nach Luthers Auffassung Leiden, Sterben und anderes Ungemach auf. Sie sollen gar keine Zeit dazu finden, darüber nachzudenken, ob sie nicht vielleicht demütig sind. Sie sollen „muhe vnnd arbeit" 470 damit haben, sich ihre falsche Sichtweise abzugewöhnen, die sich an ,hohen Dingen' orientiert. 471 Demut im Wohlergehen, wie sie Maria, Esther und David bewiesen haben, bleibt der Ausnahmefall.

464 StuA 1, 332, 1-5. Zur Illustration dessen, wie Bettelmönche in Luthers Umfeld auftraten, kann man beispielsweise die Thesen zu einer Disputation heranziehen, an der Luther 1519 teilgenommen hatte. Die Franziskaner betonten die Bedeutung ihres Ordens als die einer neuen Miliz Gottes in der hinfällig gewordenen Welt. Sie versuchten, durch die Formulierung der ganz besonderen Aufgabe, die Gott ihrer Meinung nach Franziskus und ihrem Orden gegeben habe, die auseinanderstrebenden Gruppen innerhalb des Ordens wieder zusammenzuführen. Vgl. dazu Gerhard Hammer: Militia Franciscana seu militia Christi..., sowie von dems. die nochmals revidierte Fassung der Edition und der Einleitung dazu: Franziskanerdisputation. 1519, in: WA 59, S. 606-697. 465 Vgl. Lk 1, 48 in Luthers Deutung. 466 StuA 1, 332, 5-7. 467 Vgl. zu „nit ynnen worden / das sie demutig geweszen sey" (StuA 1, 332, 7f.) oben StuA 1, 329, 7-10. Weil Reflexion auf Demut höchste Gefährdung bedeutet hätte, ist hier auch an StuA 1 , 3 2 4 , 3 7 ^ 0 zu erinnern. 468 Zu „die weil wyr wissenn / das got die demutigen gewiszlich selig macht" (StuA 1, 332, 12f.) könnte man beispielsweise 1 Petr 5,5c anfuhren: „Gott widerstehet den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade." 469 StuA 1, 332, 13-15. 470 Diesen vor allem aus Luthers Übersetzung von Psalm 90 (89), 10c („so ist's Mühe und Arbeit gewesen") berühmten, aber auch in seiner Übersetzung des Neuen Testaments öfter verwendeten Ausdruck hat Luther in seiner ersten Psalmenvorlesung, den Dictata super Psalterium, mit „difficilis et anxia vita" umschrieben (WA 55/11, S.694, Z.233). 471 StuA 1, 332, 15-17.

76 2.6.4.7.

2. Lk 1, 48 lehrt Gott recht

(StuA 1, 332,

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erkennen

18-33)

Marias Lob, Gott habe ihren geringen Stand, ihre humilitas, angesehen, beweist, daß sie ein verachtetes, geringes, (in den Augen von Menschen) nicht angesehenes Mädchen gewesen sein muß. 472 In dieser geringen Rolle diente sie Gott und wußte nicht, daß ihr (in den Augen von Menschen) unansehnlicher Stand vor Gott in so großem Ansehen stand, daß er sie zur Mutter seines Sohnes erwählte. 473 Das vermag die Christen zu trösten. Sie sollen eigentlich (nicht bloß bereitwillig, sondern geradezu) gern erniedrigt und verachtet sein. In dieser angefochtenen Situation sollen sie nicht meinen, darin erweise sich Gottes Zorn über sie, und verzagen. Im Gegenteil, sie sollen in der Hoffnung leben, daß Gott ihnen Gnade erweise.474 Die einzige Sorge der Christen soll die sein, ob sie auch bereitwillig genug in dieser Erniedrigung leben. Kann doch auch in der Erniedrigung die falsche Sichtweise vorherrschen, die sich an den „hohen (oder: grossen) dingen" 475 orientiert. 476 Sie kann sich entweder in dem versteckten Wunsch äußern, eben doch hoch zu sein, oder in Selbstgefälligkeit, die in aller Bedrängnis eben doch auf die eigene vortrefflich bescheidene Einstellung reflektiert und dadurch die von Gott geschenkte Demut 477 zerstört. Luther überbietet nun seine bisherigen Aussagen über David, dessen ,Herz' sich nicht überhob und dessen,Augen' nicht nach,hohen Dingen' trachteten, 478 obwohl er König war, und über Esther, die als Königin eine demütige Sichtweise behielt, 479 durch die Aussage: Unterdrückung als solche nützt nichts, solange man sie nicht gern 480 und bereitwillig erträgt. 481 Höchste Erhabenheit schadet nicht, solange man nicht mit falscher Lust482 daran klebt. Der Vers Lukas 1,48 bezeugt, daß Gott auf die Niedrigen und Verachteten hinsieht [und ihnen sei-

472 StuA 1,332,18 f. Siehe bereits oben in der Vorrede: „Musz man glewben / das sie arm / vorachte / geringe Eltern gehabt" (StuA 1, 318, 42f.), und: „Got hat auff mich armsz vorachtis vnansehelich megdlin gesehen" (StuA 1, 329,36 f.). Nochmals sei auf die völlig verschiedene Auslegung von Lk 1,48 bei Luthers älterem Erfurter Ordensbruder Johannes von Paltz verwiesen (vgl. oben bei den Anm.en 262-264). 473 StuA 1, 332, 19 f. 474 „darynnen ... hoffen / das er vnsz gnedig sey" (StuA 1, 332, 22f.) besagt, daß ein Christ schon in Erniedrigung und Verachtung darauf hoffen soll, daß Gott ihm gnädig sei, nicht erst dann, wenn ihn Gott daraus errettet hat. 475 StuA 1, 331, 19. 36. 476 StuA 1, 332, 24f. 477 Vgl. mit „eygen wolgefallensz / da mit die demut gar zu drummern gaht" (StuA 1, 332,25f.) die Beschreibung der gottgegebenen Demut (StuA 1, 331, 37-42). 478 Vgl. StuA 1, 330, 36-38. 479 Vgl. StuA 1, 331, 36. 480 Luther verwendet die Vokabel ,gern' innerhalb weniger Zeilen zum dritten Male (StuA 1,332,21. 24. 27). 481 StuA 1, 332, 26-28. 482 Neben dieser falschen ,Lust' gibt es „lust zu got" (StuA 1,338,2). - Zur Bedeutungsbreite der Vokabel ,Lust' in Luthers Übersetzung und Erläuterung des Magnifikat vgl. oben Anmerkung 462 zu StuA 1, 331, 40f.

Lk l, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt"

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ne Gnade gibt 483 ]. Dadurch lehrt er sie auf die richtige Weise erkennen, denn aus dieser Erkenntnis folgen Liebe und Vertrauen zu Gott. 484 Wer ihn so erkannt hat, wird sich bereitwillig seiner Leitung anvertrauen. 4 8 5 2.6.4.8. Hat man zuerst die Güte Gottes gelobt, dann ist es angemessen, die Güter zu loben, die er schenkt (StuA 1, 332, 34-333, 2) Als Schriftbeweis für die vorhergehenden Aussagen führt Luther Jer 9,23 (gekürzt) u n d 24 an (Verszählung nach der Biblia Vulgata). Diese Verse werden bei der Auslegung von Lk 1, 50-53 noch eine große Rolle spielen. Kommen doch auch in Jer 9, 23 „sterck / reychtumb I . . . weiszheyt" vor. 486 Hier dagegen geht es dem Exegeten u m die angemessene Erkenntnis und das daraus hervorgehende Rühmen Gottes. Auch II Kor. 10,17 belegt, daß es sich nicht der eigenen Vorzüge, sondern Gottes zu r ü h m e n gilt. 487 Luther hat die Argumentation bereits entfaltet und setzt sie hier voraus: Wessen man sich rühmt, darauf setzt man sein Vertrauen, daran glaubt man. Wer sein Vertrauen auf Güter setzt, die er vom Geber dieser Gaben trennt und sich selbst als Eigentum zurechnet, vergötzt Güter. Maria hat bisher Gottes Güte gelobt. Dabei ist ihr Geist frei (,nackt' 488 ) u n d rein (von der nahe liegenden Verschmutzung) geblieben, in eigener Vollkommenheit den Grund dafür zu suchen, daß Gott sie zur Mutter des Gottessohns gemacht hatte. 489 Nun kommt sie in ihrem Lobgesang auf seine Werke u n d Güter zu sprechen. Darin hat sie die rechte Reihenfolge in Acht genommen. Gilt es doch, sich nicht an die Güter zu hängen, die Gott schenkt, 490 sondern (durch deren Fülle hindurch oder aber trotz deren Fehlens) zunächst einmal durch sie hindurch hinauf 4 9 1 zum Geber durchzudringen, al483

Der Hinweis „wie droben gesagt ist" (StuA 1, 332,32) verweist zurück auf Sätze wie diese: „Daru m b bleibt got allein solchs ansehen / das ynn die tiefte not vnd iamer sihet / vnd ist nah allen den / die ynn der tieffe sein. Vnd als Petrus sagt den hohen widder steet er / den nidrigen gibt er seine gnade." (StuA 1, 318, 11—13). 484 Vgl. oben StuA 1, 318, 13-22. 485 StuA 1, 332, 32f. 486 StuA 1,332,34f. Hoffart ist eine Form verfehlten Sich-Verlassens auf eigene Weisheit, wie Luther wiederholt ausführt. 487 Es hätte nahe gelegen, dieselbe Aussage nach I Kor 1, 31 zu zitieren, da Luther weiter oben (StuA 1, 329, 41) I Kor 1, 29 zitiert hat. 488 Zu „mit blossem reynen geyst" (StuA 1,332, 37f.) vgl. oben die Aussage: „Zeucht sich ausz / vnd tregts allisz lauter wider auff zu got / von dem sie es empfangen hatte." (StuA 1, 324, 36f.). 489 Vgl. dazu Luthers Schilderung derer, die meinen, die ihnen von Gott verliehenen Gaben seien ihr Eigentum (StuA 1,324,26-32), und die Darlegung, inwiefern Maria nicht in diesen Fehler verfiel (StuA 1, 324, 32-40). Knapp resümiert Luther Marias Einstellung etwas weiter unten (330, 8f.). 490 Luther verweist zurück auf seine früheren Ausführungen (StuA 1,324,26f. 31 f.; 325,20-23; 326, 10-22; 328, l l f . mit 16. 22-25). 491 Diese Aufforderung, durch die Güter zu Gott hinauf durchzudringen, erinnert an die Aussage, der Geist, in dem Glaube wohnen könne, sei der „hohste" Teil des Menschen (StuA 1, 320, 20). Doch führt der Weg zur Erkenntnis Gottes auch in die Tiefe: „gotis gutter so tieff betracht vnd bedanckt" (StuA 1, 335,12f.). Ist doch der Geist nach Luthers Formulierung zugleich der „tieffiste" Teil des Menschen (StuA 1, 320, 20).

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lein an ihm zu hängen und „viel von" seiner Güte „zu halten". 492 Erst dann gilt es, ihn für seine Werke zu loben. Bieten sie doch Ursache dazu, seine Güte, die auch dann besteht, wenn sie nicht in Wohltaten erfahren wird, 493 zu lieben u n d zu loben. Luther verschiebt hier den Akzent. Wohl war bereits vielfach von Gottes,Werken' die Rede gewesen. Doch hatte Luther mehrfach Gottes ,Güte' u n d ,Güter' einander gegenübergestellt. Nun spricht er anstelle von Gottes .Gütern' vor allem von dessen .Werken', die dazu Anlaß geben, seine Güte zu lieben, ihr zu vertrauen u n d sie zu loben. 494 2.6.4.9. Maria lehrt damit zum ersten: Jeder lobe Gott zunächst für das, was er mit ihm wirkt (StuA 1, 333, 3-15) Aus der Tatsache, daß Maria Gott zunächst dafür lobt, was er an ihr getan hat, leitet Luther ab, daß jeder Christ sein Gotteslob damit beginnen soll, Gott dafür zu preisen, was er mit ihm getan hat. Daran, was Gott mit ihm tut, wird seine Seligkeit hängen, nicht an dem, was Gott mit anderen tut. 495 Damit ist eigentlich bereits die Versuchung abgewehrt, sich von Maria, den kirchlich anerkannten Heiligen oder denen, die als Mitglieder der irdischen Kirche im Ruf der Heiligkeit stehen, Vermittlung der Seligkeit zu erwarten. Doch Luther verstärkt diese Abweisung noch. 2.6.4.10. Exkurs innerhalb des Exkurses über Demut: Vermessene verführte Verführer verschenken vermeintlich gute Werke (StuA 1, 333, 16-32) An dieser Stelle schaltet Luther einen Ausfall gegen das mißbräuchliche Reden von,guten Werken' in der Kirche seiner Zeit 496 ein. Geleistete ,gute Werke' 497 werden ausge492 Diese Formulierung erinnert an Luthers Hinweis darauf, auf welche Weise im alltäglichen Leben von einem Menschen eine Art von alltäglichem .Magnificat' formuliert wird: „O ich halt viel von yhm." (StuA 1, 324, 8f.). 493 „blosze guttickeit" (StuA 1,333, lf.) verweist erneut auf die Differenz zwischen der, nackten' Güte als solcher und den Formen, in denen sie erfahrbar wird. - Luthers Reden von Gottes Güte als solcher darf als notwendige Ergänzung zu seinem Reden vom ,deus absconditus in maiestate sua' in ,De servo arbitrio' gelten. Dazu vgl. neuerdings Leppin: Deus absconditus und Deus revelatus. 494 StuA 1 , 3 3 2 , 4 3 - 3 3 3 , 2 . 495 Von Maria heißt es: „yhr getan" (StuA 1,333,3; der Dativ ist hier ohne „mit" gebildet), vom Christen: „was got mit yhm wirckt" (StuA 1, 333, 4f.). Auf diese Weise verschiebt sich der Akzent von der ausschließlichen Tätigkeit Gottes an Maria, dem Beginn ihrer Schwangerschaft, zu den Werken, die Gott durch Menschen tut. Luther drückt sich hier insofern mißverständlich aus, als man zu Unrecht annehmen könnte, er setze eben doch eine Mitwirkung des Menschen beim Erlangen des Heils voraus. Weiter unten wird Luther jedoch betonen, daß es auf den Glauben des Herzens ankomme, nicht auf Werke (StuA 1, 333,19-20). Außer in der Abfolge des Gotteslobs im Magnifikat findet Luther auch in Joh 21,21 f. ausgedrückt, daß es gelte, Gott zunächst dafür zu loben, was er mit einem selbst getan habe (StuA 1,333, 7-10). Vgl. dazu auch Luthers Predigt über Joh. 21 aus der Kirchenpostille 1522 (WA 101 1, S. 305-324). 496 Luther formuliert: „ynn der weit"! (StuA 1, 333, 11). 497 Luther selbst hat wenige Monate zuvor seine Schrift „Von den guten Werken" abgeschlossen. Er behauptet von sich, den Ehrennamen ,doctor b o n o r u m operum' verdient zu haben.

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teilt, ja sogar verkauft. Menschen, in deren Geist die Vermessenheit 498 regiert, 499 wollen anderen mit Werken aushelfen, von denen sie behaupten, sie seien Gott wohlgefällig. Dieses Angebot findet vor allem bei denen Gehör, die von sich behaupten, sie lebten und stürben, 500 ohne die Erfahrung gemacht zu haben, daß Gott an ihnen ein gutes Werk getan habe. 501 Die Verführer maßen sich mit ihrem Angebot an, über Gott wohlgefällige Werke zu verfügen, die sie selbst nicht nötig haben. 502 Luther gibt eine abgestufte Antwort. Sein erster Gegenbeweis ist I Kor 3, 8: Jeder wird seiner eigenen Mühe entsprechend Lohn empfangen, nicht entsprechend der von einem anderen getanen Arbeit. 503 Erträglicher wäre es, wollten die ,vermessenen Geister' Fürbitte für andere leisten oder die eigenen Werke als eine Art von Fürbitte vor Gott tragen. 504 Unannehmbar ist es, wenn sie ihre Werke wie ein Eigentum, über das sie verfügen können, verschenken. Als unerträglich betrachtet es Luther, daß sie Werke vergeben, von denen sie nicht einmal wissen können, welche Geltung sie vor Gott besitzen. Denn nach Luthers Überzeugung sieht Gott nicht die Werke eines Menschen an, sondern er urteilt danach, ob in dessen Herz Glaube wohnt. 505 Dadurch, daß er Glauben ins Herz gibt, wirkt Gott mit Menschen. 506 Luther hat den Kern der Argumentation formuliert. Er könnte seinen Exkurs beenden. Aber das aktuelle Problem beschäftigt ihn zu sehr, als daß er den Hauptstrang seiner Argumentation bereits wieder aufgreifen könnte. Auf den Glauben achten diese vermessenen Menschen gar nicht, sondern bauen auf die äußerlichen Werke.507 Dadurch verführen sie nicht nur sich selbst, sondern ,jeder498 Nach StuA 1,315,15 führt Vermessenheit dazu, Gott zu vergessen. Sie ist also eine Form der Hoffart, des Hochmuts. 499 „vormessene geister" (StuA 1, 333, 12). 500 In der Sterbestunde endet die Möglichkeit, Fehler und Versäumnisse gut zu machen und gute Werke zu tun. Vgl. zum Gericht, das schon in der Sterbestunde vollzogen wird, Hamm: Die „nahe Gnade" - innovative Züge der spätmittelalterlichen Theologie und Frömmigkeit, Anm. 13 auf S. 544. 501 Nach Luthers fester Überzeugung stirbt kein Christ, ohne daß Gott ihm Gnade erwiesen hat. Luther formuliert hier ironisch. 502 StuA 1,333,13. Gedacht ist dabei an eine Art von Ausgleich ihres Kontos vor Gott, vgl. beispielsweise die Aussagen des Kartäusers Ludolf von Sachsen: Christus wird als unfehlbarer Richter beim Jüngsten Gericht diejenigen Christen verurteilen, die ihren Glauben nicht durch Werke christlicher Liebe erwiesen haben: „Christianae fidei initiati mysteriis opera fidei exercere contemnunt." (Vita Iesu Christi 2, 87, 7; ed. Rigollot, Bd. 3, S.299b). Vgl. dazu Burger: Volksfrömmigkeit in Deutschland um 1500 im Spiegel der Schriften des Johannes von Paltz OESA, S. 316, mit Verweis auf die Interpretation der Aussagen Ludolfs bei Schwarz: Die spätmittelalterliche Vorstellung vom richtenden Christus - ein Ausdruck religiöser Mentalität. 503 Weil er sich so ausdrückt, könnte man zu Unrecht meinen, er erwarte zu diesem Zeitpunkt noch ein Gericht nach den Werken. Doch geht es ihm vorläufig nur darum, klarzustellen, daß Gottes Lohn nicht von Menschen verschenkt werden kann. Es geht Luther nicht u m Werke, sondern darum, daß Gott das Herz ansieht und prüft, ob Glaube darin wohnt (StuA 1, 333, 19f.). 504 StuA 1, 333, 16f. 505 StuA 1, 333, 18-20. 506 StuA 1, 333, 20. 507 StuA 1,333,21. Die biblische Wendung „auf etwas bauen, aufbauen (lat. aeäificare)" wird bereits von denjenigen spätmittelalterlichen Theologen, die es als ihre Aufgabe betrachten, einen Beitrag zur

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mann': So allgemein ist diese verfehlte Sichtweise verbreitet. Die Verfuhrer werden ihrerseits vom Teufel verführt. 508 Sie gehen so weit, Menschen einzureden, es bedürfe nicht einmal der Übereignung guter Werke, das rechte Sterbekleid genüge auch. Auf dem Totenbett solle man eine Mönchskappe tragen. 509 Sie versteigen sich zu der Behauptung, wer so sterbe, erlange Ablaß „von allen sunden". 510 Noch vermessener handeln sie, wenn sie versprechen, wer so sterbe, werde selig.511 Den Anspruch, im Vorgriff auf Gottes Urteil Seligkeit zusagen zu können, hat Luther schon weiter oben bekämpft. 512 Erbittert sagt er voraus, es werde noch so weit kommen, daß man Laien die Seligkeit dafür anbiete, daß sie sich klösterliche Speise, Behausung und Begräbnis gefallen lassen. 513 Wer so lehrt, erklärt den Glauben für überflüssig. 514 Luther wendet sich beschwörend an seinen Leser: Wer so lehrt, verführt 515 und zerreißt sein Opfer wie ein Wolf im Schafspelz.516 2.6.4.11. Rückkehr zum Hauptthema des Exkurses: Jeder lobe Gott zunächst für das, was er mit ihm wirkt (StuA 1, 333, 32-334, 4) Nach Abschluß des Exkurses im Exkurs wiederholt Luther in Form einer Paränese die Aussage, jeder solle - wie Maria in ihrem Loblied - zunächst einmal darauf achten, was Gott zu seiner Seligkeit mit ihm wirke, bevor er ins Auge fasse, was Gott mit anderen tue. Diese Wiederholung kann ihren Grund darin haben, daß er seine Exegese nach seiner Rückkehr vom Wormser Reichstag erneut zur Hand nimmt. 517 Ebenso wiederholt Frömmigkeit von Nichttheologen zu leisten, den ,Frömmigkeitstheologen' (Hamm), gerne benutzt. Vgl. Burger: Aedificatio, Sachregister S. 219 sub voce ,aedificatio, aedificare'. 508 Er ist der „bosze geist" (StuA 1, 333, 26). 509 Vgl. zu diesem bei Luther häufigen Vorwurf die Stellennachweise, die der Herausgeber Seils in seiner Edition zusammengestellt hat (StuA 1, 333, Anm. 155). 510 StuA 1, 333, 24. Das ist innerhalb einer korrekten Lehre vom Ablaß unzulässig. Denn der Ablaß bezieht sich ja nur auf den Erlaß der Bußleistungen nach der Absolution, auf die satisfactio operis. Er kann erst wirken, wenn der Beichtvater einem wahrhaft Reuigen (contritus) im Namen Gottes die Absolution zugesprochen hat. 511 StuA 1,333,24. Dieses Versprechen geht insofern über die Behauptung hinaus, alle Sünden seien dem erlassen, der so sterbe, als das Endurteil Christi als des endzeitlichen Richters vorweggenommen wird. Im Rahmen spätmittelalterlicher Lehre, wie sie beispielsweise Ludolf der Kartäuser vertritt, ist also außerdem vorausgesetzt, daß der Sterbende im Glauben stirbt und genug gute Werke vollbracht hat. 512 Vgl. oben „der kund sich selb vrteyllen zur selickeit / vnnd were gottes gericht schon ausz ..." (StuA 1, 332, 11 f.). 513 Was Luther hier als schreckliche Möglichkeit bezeichnet, ist zu seiner Zeit eigentlich bereits Wirklichkeit. Ein Beispiel für viele ist die Grablege der Herzöge von Burgund in der von ihnen gestifteten Kartause von Champmol bei Dijon. Die burgundischen Herzöge erhofften und versprachen sich von einer letzten Ruhestätte bei den Mönchen des strengen Ordens ewige Seligkeit. 514 StuA 1, 333, 29. 515 StuA 1, 333, 32. Siehe auch 333, 22. 516 StuA 1, 333, 31. Luther spielt auf Mt 7, 15 an. 517 Vgl. StuA 1, 333,4f. mit StuA 1, 333,32-34. Laut Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens, S. 19, war Luthers Auslegung des Magnifikat vor seiner Abreise nach Worms gedruckt bis zu

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er die Aussage aus seinem Exkurs, es sei nichts dagegen einzuwenden, andere um ihre Fürbitte zu bitten. 518 Kein Christ darf übersehen, was Gott mit ihm selbst wirkt, und sich stattdessen auf das Werk verlassen, das Gott mit anderen tut. Es gilt vielmehr, allen Fleiß darauf zu verwenden, sich selbst und Gott wahrzunehmen. 519 Methodisch gilt es zunächst so vorzugehen, als bestehe sonst niemand (und nichts) und als beschäftige sich Gott mit keinem anderen. Dann erst soll ein Christ darauf sehen, wie Gott an anderen Christen handelt. 520 Die Folge dieses Ratschlags für die Ekklesiologie ist deutlich: Der Christ steht zu allererst direkt vor Gott, dann erst in der Gemeinschaft der Glaubenden. 2.6.4.12. Maria lehrt damit zum zweiten: Jeder soll sich darum bemühen, der erste zu sein, wenn es darum geht, Gottes Güte zu loben, die sich in Werken an ihm und an anderen erweist (StuA 1, 334, 5-19) Als Schriftbeweise führt Luther Apg 15,4.12 und Lk 24,35 an. Wenn diese Mahnungen beherzigt werden, dann steigen gemeinsame Freude und gemeinsames Lob zu Gott auf. Denn dann preist jeder in erster Linie, worin er selbst Gottes Gnade erfahren hat, auch wenn sie bei ihm etwas Geringeres zustande gebracht haben mag als bei anderen. 521 Zu wetteifern gilt es nicht darum, am meisten Güter von Gott zu empfangen, sondern darum, sich in der Liebe Gottes und in dem Lob, das daraus fließt, von keinem übertreffen zu lassen.522 Wer so handelt, läßt sich an Gottes nackter Güte genügen, auch wenn sie sich nur in bescheidenen Gütern äußern mag. Er ist im guten Sinne einfältig. Das negative Gegenstück zu denjenigen Christen, die sich ganz auf Gottes Güte als solche konzentrieren, bilden die, die sich nur auf sich selbst und auf ihren Nutzen beziehen. 523 Wenn ihnen deutlich wird, daß Gott sie bei der Zuteilung von Gütern nicht zu den Höchsten und Besten gemacht hat, so werden sie neidisch: Sie „sehen krum vnd scheel".524 Einmal mehr ist es die verkehrte Sehweise, die Luther tadelt, in seiner Ausdrucksweise gesprochen das ,,gesicht[e]" 525 oder in seiner Paraphrase von Matthäus 5, 29 und 18, 9 das „aug".526 Statt Gott für die Güter zu loben, die er ihnen verliehen hat, dem Wort „haben", das in der Studienausgabe auf S. 333, 21 steht. Es erstaunt nicht, daß Luther seine Argumentation auf der Wartburg erneut aufgreift. 518 Vgl. StuA 1, 333, 16f. mit StuA 1, 333, 34f. 519 StuA 1,334, 2. Die Reihenfolge erstaunt. Vergleichbar ist - wenn auch hier die Gotteserkenntnis vor der Selbsterkentnis steht - die Aussage Augustins in seinen Soliloquia, lib. 1,2,7 (CSEL 89, S. 11,15— 17): „Deum et animam scire cupio. Nihilne plus? Nihil omnino." 520 StuA 1, 334, 2-4. 521 StuA 1,333,9-11. 522 StuA 1, 334, 11 f. 523 Vgl. zu den Aussagen über ,nieszlinge' in StuA 1, 334, 14-16 auch StuA 1, 326, 11. 524 StuA 1, 334, 14f. 525 StuA 1,331,28.36. 526 StuA 1,331,29.

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Kommentar

murren sie, weil sie anderen nur gleichrangig oder gar geringer sind als diese.527 Dieses Verhalten hat Jesus durch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gegeißelt, die darüber murrten, daß sie nicht mehr erhielten als den ihnen zugesagten Tagelohn. 528 2.6.4.13. Undankbarkeit für unerkannte Güter Gottes (StuA 1, 334, 20-335, 14) Solche Menschen gab es nicht allein zu Jesu Lebzeiten. Auch in seiner eigenen Zeit findet Luther sie häufig. Sie loben Gottes Güte nicht, weil sie dessen nicht ansichtig529 werden, daß sie ebenso viel empfangen haben wie der heilige Petrus 530 oder ein anderer (weniger prominenter, aber vielleicht ihnen persönlich noch näher stehender) Heiliger oder auch wie dieser oder jener noch lebende Mensch. Luther nennt neben Petrus sowohl Heilige531 als auch den oder jenen „auff erden" Lebenden. Er kann damit sagen wollen, daß man sowohl Angehörige der bereits in Gottes Nähe triumphierenden Kirche (Petrus) als auch Angehörige der noch auf Erden streitenden Kirche (diesen oder jenen auf Erden lebenden Menschen) beneiden kann. Doch kann er auch einerseits den Neid auf geistliche Gaben, andererseits den auf irdische Güter 532 anprangern wollen. Zu Unrecht meinen diese Christen, wenn ihnen so viel gegeben wäre wie Petrus, einem Heiligen oder einem anderen ihrer Meinung nach von Gott reich Beschenkten, dann würden sie Gott auch lieben und loben. 533 Daraus spricht Geringschätzung der Güter Gottes, mit denen sie überschüttet sind, ohne sie doch als solche zu erkennen. 534 Solche Leute würden nicht einmal dann Gott in den ihnen verliehenen Gaben erkennen 535 527

StuA 1, 334, 14-16. StuA 1, 334, 16-19. Vgl. Mt 20, 11-12. 529 Ein Beleg mehr für ihre verkehrte Sichtweise (StuA 1, 334, 20). 530 p e { r u s w i r d nach Luthers Deutung in Joh 21, 21 f. von Jesus daraufhingewiesen, er solle darauf achten, was Gott gerade mit ihm wirke (StuA 1, 333, 8-10; vgl. auch die oben in Anm. 495 genannte Predigt Luthers aus dem Jahre 1522). Darüber hinaus darf Luther voraussetzen, daß jeder seiner Leser die herausgehobene Rolle des Petrus unter den Aposteln (aus der darauf aufgebauten Propaganda der Päpste) kennt. 531 Luther schreibt nicht, ob es sich u m jemand handelt, der bereits gestorben und kirchenrechtlich gültig heilig gesprochen worden ist, oder u m jemand, der schon zu Lebzeiten als heilig gilt. 532 Sie gehen nach Luthers Ansicht von intellektuellen Fähigkeiten über Reichtum, Macht und Ehre bis zur Schönheit beispielsweise einer als attraktiv empfundenen Haarfarbe: Luther spricht wiederholt von schönem gelbem (blondem) Haar, vgl. oben Anm. 269. 533 StuA 1, 334, 22 f. 534 Luther stellt in seiner Aufzählung Grundbedingungen menschlicher Existenz (das für organische Wesen unerläßliche Scheinen der Sonne; die Dienste, die andere Geschöpfe den Menschen leisten; das Leib-Sein; Leben-Haben; über Vernunft verfügen) und darüber hinaus gehende Gaben Gottes (Besitz [„gut"], Anerkennung [„ehre"] und soziale Einbettung [„freund"]) nebeneinander (StuA 1,334,24f.). 535 Dieses „erkennen" (StuA 1,334,26) nimmt das „mit Gottes Gütern überschüttet, die sie nicht erkennen" (StuA 1,334,23f.) wieder auf: Menschen dieser Art erkennen die Gaben Gottes, die ihnen alltäglich und selbstverständlich geworden sind, nicht als Güter, an denen Gottes Güte erkennbar wird. Ihnen fehlt die Tiefen-Schau, die hinter dem Vorgefundenen des Gebers ansichtig wird. In den Gaben sehen sie nicht Gott am Werk. Daher lieben sie ihn nicht. Folglich bleibt auch das Lob aus. Dazu, von Tiefen-Schau zu sprechen, berechtigt Luthers Satz: „gotis gutter so tieff betracht vnd bedanckt" (StuA 1, 335, 12f.) 528

Lk 1, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt"

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und loben, wenn er ihnen alle Güter gäbe, die er Maria gab.536 Ihnen hat Christus in dem Logion, das das Gleichnis vom ungerechten Verwalter bündelt, 537 das Urteil gesprochen. Weil sie das Geringe und Wenige, das sie haben, verschmähen, sind sie nicht wert, das Viele und Große zu erhalten. Wenn sie Gott für die kleinen Gaben lobten, die er ihnen gegeben hat, so würde er ihnen große Gaben im Überfluß schenken. Ihre Sichtweise ist verkehrt. Sie orientieren sich nach oben statt nach unten. 538 Verhielten sie sich anders, so erhielten sie Anschauungsunterricht darin, daß es viele Menschen gibt, die weniger als die Hälfte von dem haben, worüber sie verfügen können, 539 und die Gott doch dafür loben. 540 Selbst Tiere sind fröhlich und dienen auf diese Weise Gott mit Liebe und Lob, obwohl Gott ihnen Redegabe und Vernunft vorenthalten hat. 541 Im Unterschied zu ihnen ist die durch und durch böse, 542 [allein] auf den eigenen Nutzen gerichtete Sehweise ,des' Menschen 543 unersättlich. Weil sie undankbar und hochmütig ist, hat sie nie das Empfinden der Fülle. Sie will,obenan sitzen' 544 im Leben. 545 Diese Lebensanschauung ist nicht bereit, Gott für seine Güte und die Güter, die er aus Güte schenkt, die Ehre zu geben, sondern sie will von Gott Ehre empfangen. 546 Die Haltung, die Luther für angemessen hält, verdeutlicht er durch ein Exempel. 547 Die erzählte Geschichte wird in die Zeit des Konstanzer Konzils datiert, das 1414-1418 stattfand: Ein einfacher Hirte kommt beim Anblick einer Kröte 548 zu der Erkenntnis, 549 daß er Gott

536

StuA 1,334, 25f. Lk 16, 10. 538 StuA 1 , 3 3 4 , 3 1 . 539 Es geht dabei nicht allein u m Besitz, sondern auch u m Geltung. Das geht hervor aus d e m „der erst odder federst [vorderste]" (StuA 1, 334, 11 f.) u n d vielleicht auch aus dem mehrfach deutbaren „yhn gleich" (StuA 1, 334, 32). 540 An dieser Stelle bezeichnet Luther nicht „lieben" als Grundlage des Lobs, sondern „mit got zufriden" sein (StuA 1, 334, 33). 541 StuA 1 , 3 3 4 , 3 3 - 3 6 . 542 Mit „schalckhafftig" (StuA 1, 334, 36) übersetzt Luther in Mt 6, 23 „nequam": „Si autem oculus tuus fuerit n e q u a m , t o t u m corpus t u u m tenebrosum erit." Der positive Gegenbegriff in Mt 6, 22 ist „simplex". Vgl. oben bei Anm. 49 zur Einleitung u n d Anm.414. 543 Luther meint hier offenbar ,den Menschen' abgesehen von Gottes Gnade. Gibt es doch die Ausn a h m e n wie Maria, David u n d Esther. 544 Vgl. dagegen Lk 14, 7-10. 545 StuA 1,334, 38. 546 Vgl. zu StuA 1, 334, 39 oben StuA 1, 326, 10-25 u n d StuA 1, 328, 14f. 547 StuA 1, 335, 1-11. 548 Zu „krotten" (StuA 1, 335, 5) paßt „ w o r m " (Zeile 7) eigentlich nicht. - Umfassend informiert über die Kröte in mittelalterlichen Exempeln der Artikel von Berlioz: Le crapaud, animal diabolique: u n e exemplaire construction médiévale. Vgl. etwa S. 274: Eine Kröte zu betrachten kann der Beginn heilsamer Meditation sein, sowie S. 275 in einem Zitat aus einem Werk des Hélinand de Froidmont OCist (+ nach 1129) die Überlegung: „ W a r u m hat Gott mich als Menschen erschaffen u n d nicht als Kröte, da er doch keinen Anlaß hatte, Verdienste meinerseits damit zu belohnen?", u n d S. 275-276 aus einer Schrift von Jean Gobi d e m Jüngeren (+ 1350): Gerade ein Hirte, der durch seine täglichen Verpflichtungen noch nie eine Predigt gehört hatte, stellte sich beim Anblick einer Kröte die Frage: „Hätte Gott nicht auch mich derartig häßlich erschaffen können? Die Kröte singt Gott Lob - u n d ich bete niemals!" Jean Gobi greift zurück auf einen Traktat mit Predigt material des Lyoner Dominikaners Etienne 537

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2.

Kommentar

bisher nie dafür gedankt und ihn gelobt habe, daß er ihn zu einem so viel vollkommeneren Geschöpf gemacht habe als diese. Tief betrübt weint er über sein Versäumnis. Ein zufällig vorbei reitender Kardinal erschrickt derartig darüber, daß ihn die ,Bekehrung' eines schlichten Hirten dazu bringen muß, sich selbst zu Lob Gottes und Dank 550 zu ,bekehren', daß er vom Maultier fällt.551 Er zitiert aus Augustins ,Confessiones' den erschütterten Satz, mit dem dieser auf die Nachricht reagiert hat, daß zwei Beamte des Kaisers in Trier in der Lage waren, ihre Verlöbnisse zu brechen und Asketen zu werden. 552 Bei Augustin markiert dieses Erlebnis einen Schritt hin zur ersten, bekannteren seiner beiden Bekehrungen: weg von der Orientierung an Karriere und damit verbundener Ehre hin zu einer asketischen Lebensweise.553 In dem Exempel hat er eine andere Funktion erhalten: Der Kardinal beklagt, daß ihm all' seine Gelehrsamkeit, die ihn über den Hirten erhebt, bisher nicht dazu genützt hat, zu erkennen, wieviel Lob und Dank er Gott schuldet. Luther kommt es nicht auf die Bekehrung des Kardinals an, sondern auf die des Hirten. Er vermutet, 554 dieser sei weder mit Reichtum noch mit Schönheit 555 noch mit Macht begabt gewesen. Demnach war er keinesfalls so hervorgehoben, daß es nahe gelegen hätte, daß gerade er zu der Erkenntnis gelangte, wie viel Grund er

de Bourbon (+ etwa 1260), der von einem Hirten berichtete, der beim Anblick einer Kröte über Gottes Güte zu meditieren begann (S. 276, Anm. 43). Herrn Kollegen Berlioz, Direktor der Ecole des chartes, Paris, möchte ich für seine freundliche und kompetente Hilfe auch an dieser Stelle herzlich danken. 549 „Erkennen" (StuA 1,335,7) ist, wie schon ausgeführt, nicht beschränkt auf das intellektuelle Erfassen eines Tatbestands, sondern umfaßt auch das .anerkennen', ,als wichtig erkennen'. 550 Diese Reihenfolge herrscht nach Aussage des Alttestamentiers Claus Westermann in den Psalmen vor, weil das Lob für einen Menschen der Antike näher liegt als ein Dank. 551 Der Kardinal wird in diesem Exempel außerordentlich positiv dargestellt: Er wird als „ein guttig man" bezeichnet (StuA 1,335,3), der sich - in Gesellschaft eines Standesgenossen! - die Zeit nimmt, einen einfachen Hirten zu trösten. Dieser hohe Prälat reitet auf einem schlichten Maultier, nicht, wie Polemiker gegen den Reichtum der verweltlichten Kirche an anderen Prälaten immer wieder geißeln, auf einem Streitroß. Er benutzt nicht einmal wie andere Kleriker oder wie Frauen einen Zelter, ein Pferd, das im Paßgang läuft und daher ihm als einem Kleriker eher anstünde. Er zitiert auswendig Augustin, hat also vermutlich Theologie studiert. - Das Exempel will erbauen. Zum tagtäglichen Verhalten der Familien, die zur Zeit des Großen Abendländischen Schismas, das dann durch das Konstanzer Konzil beendet wurde, die tonangebenden Kardinäle der Römischen Obödienz stellten, vgl. Esch: Das Papsttum unter der Herrschaft der Neapolitaner. Die führende Gruppe Neapolitaner Familien an der Kurie während des Schismas 1378-1415. 552 Augustin: Confessiones 8,8,19 (PL 32,757: CSEL 33,186): „exclamo...: .Surgunt indocti et caelum rapiunt, et nos cum doctrinis nostris sine corde ecce ubi uolutamur in carne et sanguine!'" Vgl. zur Verwendung diese Wortes Augustins Trapman: Surgunt indocti. Augustine's dictum (Confessiones VIII, 8) in the 16th and 17th centuries. 553 Eine kurze Schilderung des Ereignisses bietet Schindler: Augustin / Augustinismus I, hier: S. 649, 25 - S. 650, 16. Zur inneren Entwicklung Augustins vgl. ebenda 659, 46-660, 7. 554 Luthers Formulierung „acht ich" (StuA 1, 335, 11) läßt darauf schließen. 555 r e i c h oder mächtig ist (StuA 1, 335, 12), bleibt zu Luthers Zeit ohnehin nicht Hirte. Diese Adjektive hat Luther wohl einfach aus Lk 1, 52 übernommen, zu seinem Hirtenexempel passen sie nicht. Da es Luther darauf ankommt, zu erweisen, daß gerade wahrhaft Niedrige (wie Maria) Gott lieben und loben, setzt er voraus, der Hirte sei auch nicht „hübsch" gewesen (StuA 1, 335, 12). Gehört doch auch Schönheit zu den irdischen Gütern (siehe oben bei Anm. 269).

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zum Lob und Dank Gott gegenüber habe. 556 Und doch betrachtete gerade dieser einfache Hirte Gottes Güter so eindringlich, 557 daß er in seiner bescheidenen Person mehr fand, als er hätte übersehen können. 2.6.4.14.

Maria

(StuA 1, 335,

lobt Gottes

An-Sehen

15-28)

Nach diesem Tadel derer, die nicht erkennen, in wie vielen großen Gaben sich ihnen Gottes Güte erweist, kommt Luther auf den Hauptstrang seiner Aussage zurück. Er hatte ja als Gliederungshinweis gegeben, nach ihrem Lob der Güte Gottes komme Maria nun auf Gottes Werke und Güter zu sprechen. 558 Maria bekennt sich dazu, 559 das erste (und damit auch das wichtigste) 560 Werk, das Gott an ihr getan habe, sei es, daß er sie angesehen habe. Um die Bedeutung von Gottes gnädigem An-Sehen recht herauszustreichen, verwendet Luther zwei verschiedene Bilder: An Gottes An-Sehen hängen alle seine anderen Werke, 561 oder: aus ihm fließen sie.562 Die reine Gnade Gottes bedeutet für den, den Gott ansieht, reine Seligkeit.563 Wendet Gott jemandem sein Angesicht zu, so hat das zur Folge, daß dem, der angesehen wird, alle Gaben und Werke Gottes 564 zugute kommen. 565 Als Beleg dafür verweist Luther darauf, daß Gott Abel und dessen Opfer angesehen habe, Kain und sein Opfer aber nicht (Gen. 4, 4f.). Auf diese Bedeutung des An-Sehens Gottes führt Luther die Gebete im Psalter zurück, in denen positiv darum gebeten wird, daß Gott sein Angesicht zu den Betern wenden oder daß er sie erleuchten möge, in negativer Formulierung, daß er sein Angesicht nicht vor ihnen verbergen möge. 566 Aus der Formulierung Marias „vmb des ansehens willen / wirt mich selig sprechen kinds kind" leitet er ab, daß sie das An-Sehen Gottes für das größte Werk

556

StuA 1,335, 11 f. „gotis gutter so tieffbetracht" (StuA 1,335,12 f.). Luther hat weiter oben den Geist des Menschen als dessen tiefsten Teil bezeichnet (StuA 1,320,20). Die Betrachtung des Hirten geht in solche Tiefe. Er blickt tief durch die Güter auf Gottes Güte. Seine Bekehrung führt ihn zum Glauben, wovon sein Lob und Dank zeugen. 558 StuA 1, 332, 37-40. 559 StuA 1,335,15. Durch die Wahl der Vokabel,bekennen'drückt Luther aus, daß Marias Lob Gottes den Charaktereines (Glaubens-) Bekenntnisses hat. Da sie „viel" von Gott „hält" (StuA 1,324,4-9), bekennt sie sich zu ihm. 560 „grost" (StuA 1, 335, 15). 561 Das Bild, das dahinter steht, ist das der Glieder, die allesamt am Haupt .hängen'. 562 In diesem Bild ist Gottes Geschenk, gnädig anzusehen, als Quelle oder Brunnen vorgestellt. Dieselbe Kombination von Bildern wie hier benutzt Luther auch in seiner Schrift „Von den guten Werken", wo er vom ersten Gebot als von dem zentralen Gebot redet. 563 StuA 1, 335, 17f. 564 Weiter oben hatte Luther von „werck vnnd gutter" geredet (StuA 1, 332, 40), hier (StuA 1, 335, 18) spricht er anstelle von ,Gütern' von „gaben vnnd werck". 565 StuA 1,335, 16-18. 566 Luthers offene Formulierung „vnd der gleychen" (StuA 1, 335, 21) deutet an, daß es ihm nicht um die Formulierung geht, sondern um den Inhalt. Daher sind beispielsweise die Aussagen mit gemeint, an denen zwar die Vokabel .Angesicht' fehlt, aber um Zuwendung Gottes gebeten wird, sowie die Stellen, an denen Luther .Antlitz' übersetzen wird. 557

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2.

Kommentar

Gottes hält. 567 Luther setzt hier die Akzente sehr anders als die meisten Exegeten seiner Zeit, die Marias Zustimmung stark betonen. 5 6 8 Luther betont, daß Maria eben nicht von dem spricht, wovon Volksfrömmigkeit und Predigten spätmittelalterlicher Theologen voll sind: von ihren angeblichen Qualitäten, beispielsweise von ihrer Tugend, Jungfrauschaft, Demut oder ihrem Tun, 569 sondern sie redet ausschließlich davon, daß Gott sie angesehen hat. Damit gibt sie Gott die Ehre so rein, wie es möglich ist. 570 2.6.4.15. Maria lehrt, wie wir sie ehren sollen (StuA

1,335,28-336,21)

Maria verdeutlicht auch dadurch, daß sie allein Gottes Ehre und nicht ihre eigene im Auge hat, daß sie von sich sagt, sie werde selig genannt werden von dem Zeitpunkt an, zu dem Gott ihre Nichtigkeit angesehen habe beziehungsweise von ihr werde als von einer Seligen gesprochen. 571 Nicht ihr wird das Lob gelten, sagt Luther, sondern der Gnade Gottes, 572 stärker noch: Sie wird geradezu verachtet werden! 573 Maria verachtet sich selbst und fordert Verachtung dadurch geradezu heraus, daß sie von ihrer,Nichtigkeit' spricht, die Gott angesehen habe. Um Gott allein die Ehre zukommen zu lassen, 574 r ü h m t Maria zunächst Gottes Ansehen ihrer Nichtigkeit. Deretwegen wird man sie selig preisen. Erst dann lobt sie, welche Werke Gott an ihr getan hat. 575 Auf der Basis seiner Aussagen über Marias Gotteslob formuliert Luther in Form eines Gebets zu Maria, wie man sie angemessen ehren u n d ihr dienen soll. Im Gebet k o m m t Frömmigkeit zum Ausdruck. Nachdem er dem angestrebten Leserkreis eher theoretisch nahegebracht hat, in welchem Sinne es in Marias Loblied einzustimmen gilt, formuliert er n u n selbst ein Lehr-Gebet in diesem Geist. 576 Er spricht sie als ,selig',

567

StuA 1, 335, 22 f. Es geht Maria u m Gottes An-Sehen, sie ist nur die Begünstigte: StuA 1,335,15f. Zur Rolle der Zustimmung Marias vgl. Pelikan: Mary Through the Centuries, S. 84: „an obedience that is open to the future should be defined as supreme activity, not passivity." 569 StuA 1, 335, 24f. 570 StuA 1,335,27f. Vgl. oben: „Zeucht sich ausz / vnd tregts allisz lauter wider a u f f z u got" (StuA 1, 324, 36) und die von Luther abgelehnte Behauptung, Maria habe sich ihrer Demut gerühmt (StuA 1, 328, 37f.). 571 Sowohl in der Übersetzung, die dem Kommentar vorangeht, als auch bei der Auslegung von Vers 48 spricht Luther von „selig preyszen" (StuA 1,316,15f.) bzw., orthographisch leicht abweichend, von „selig preyssen" (StuA 1, 328, 36). Hier dagegen formuliert er: „wirt man sagen sie sey selig" (StuA 1, 335,26f.), „werden mich selig sagen" (StuA 1,335,29), „werd ich selig gesprochen werden" (StuA 1,335, 30). 572 StuA 1, 335, 30f. 573 Verachtung gehört für Luther zu ,Niedrigkeit' und ,Nichtigkeit', vgl. beispielsweise StuA 1, 329, 17.36. Eher aus dem Sprachfeld der Partnerwahl als aus dem der Soziologie geläufig ist die von ihm verwendete Vokabel ,verschmäht' (,vorschmecht'; StuA 1, 329, 40). 574 Luther bündelt erneut durch ein „Drumb" (StuA 1, 335, 32) wie bereits in Zeile 28. 575 StuA 1, 335, 32-34. 576 Luthers älterer Ordensbruder Johannes von Paltz OESA geht in seinem Traktat „Die Himmlische Fundgrube" formal ganz vergleichbar vor. Inhaltlich ist freilich die Frömmigkeit des Paltz völlig anders geprägt. Zum Lehrgebet als einer Bündelung dessen, was ein Theologe vermitteln will, vgl. Burger: Lu568

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als Jungfrau' und als,Gottesmutter' an. Doch läßt er die Hoheit nicht an Maria haften: Sie ist völlig bedeutungslos, 577 gering und verachtet gewesen. Gott aber 578 hat sie mit der Fülle seiner Gnade beschenkt (angesehen) und große Dinge in ihr gewirkt. 579 Als ob die Adjektive, mit denen er sie bisher belegt hat, nicht schon deutlich genug gewesen wären, betont Luther in diesem Gebet erneut, würdig gewesen sei Maria keiner dieser großen Taten Gottes. Über all' ihre Verdienste 580 erhaben sei die über alles Erwarten reiche 581 Gnade Gottes, die sich in ihr bezeugt habe. 582 Selig ist sie zu nennen, weil sie von Gott aus Gnaden angesehen worden ist. 583 Auf die Gebetsformulierung läßt Luther eine kurze Begründung folgen. Wer so zu Maria betet, m u ß keineswegs befürchten, Maria, die doch selbst ihre Unwürdigkeit und Nichtigkeit so stark betont hat, werde dieses Gebet ungerne hören. Sie hat ja nicht gelogen, als sie das sagte.584 Ungerne hört Maria gerade nicht ein solches in ihrem Geist gesprochenes Gebet, sondern die Schwätzer, die in ihren Predigten und Schriften keinen (ewigen) Nutzen 585 schaffen und damit die unwiderbringliche Lebenszeit vertun. Sie beabsichtigen in Wirklichkeit nicht, Marias Verdienst zu preisen, sondern ihr eigenes Können zu demonstrieren. Wer Maria ein ,meritum de condigno', ein „wirdigs vordienst", wie Luther wörtlich übersetzt, zuschreibt, tut der Gnade Gottes Abbruch. Denn damit behauptet er implicite, Maria habe der Gnade Gottes nicht bedurft. Ein ,meritum de condigno' setzt ja im Unterschied zu einem ,meritum de congruo', einem Angemessenheits-Verdienst, voraus, daß es seines Lohnes wert ist. Wer Maria ein Würdigkeitsverdienst zuschreibt, der behauptet, es sei wirklich dem Verdienst Marias angemessen gewesen, daß sie Gottes Mutter wurde. Wenn sie verdient hat, was ihr zuteil wurde, dann bedurfte sie der Gnade Gottes nicht. Doch nicht Maria hat gelogen, 586 als thers Gebetsvorschlag f ü r Herzog Johann Friedrich von Sachsen, S. 187, Literaturhinweise auf S. 186, Anm. 13. 577 Luther verwendet die Formulierung „gar nichts" (StuA 1,336,2). Er bezeichnet sowohl Maria als „nichtig" (StuA 1, 336, 25) als auch die Christen (StuA 1, 329, 15). 578 Das „doch" (StuA 1,336,3) erstaunt eher. Luther n i m m t damit in seiner Gebetsformulierung eine Position ein, die der Sichtweise der gottwidrigen Welt entspricht. Seine ganze Argumentation läuft doch darauf zu, d a ß Gott Maria .gerade deswegen' gnädig ansieht, weil sie so gar nichts darstellt, weil sie so gering u n d verachtet ist. 579 Luther meint damit, d a ß Maria als Jungfrau Mutter des Gottessohnes wurde. 580 „vbir alle dein vordienst" (StuA 1,336,5). Da Luther mit Nachdruck betont, d a ß es Gottes Hinsehen zu verdanken sei u n d eben nicht einem Verdienst Marias, d a ß sie Mutter des Gottessohns wurde, ist es inkonsequent von ihm, ü b e r h a u p t von Verdiensten Marias zu sprechen. 581 „reyche" (StuA 1, 336, 5). Von „reychlich" hat er eben erst gesprochen (StuA 1, 336, 3). 582 StuA 1, 336, 4 - 6 . 583 StuA 1, 336, 10. 584 StuA 1, 336, 7-9. Kein Verehrer Marias innerhalb der altgläubigen Kirche wird ihr vorwerfen, Maria habe gelogen, als sie von ihrer .tapeinosis' sprach. Strittig ist aber eben, wie ,tapeinosis' zu interpretieren ist. Luther behauptet, wer abstreite, d a ß sie sich zu Recht als niedrig u n d nichtig bezeichne, mache sie zur Lügnerin. Damit bereitet er zugleich seinen Vorwurf vor, Lügner seien vielmehr diejenigen, die Marias Verdienst betonten. 585 Z u r Betonung des .Nutzens' in theologischen Texten des Spätmittelalters vgl. Burger: Aedificatio, S. 40-42. 586 Vgl. StuA 1, 336, 8f.

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Kommentar

sie sich als unwürdig und nichtig bezeichnete. Es sind vielmehr ihre Lobredner, die ihrem Lobgesang Abbruch tun und die wahrhaft demütige Maria als Lügnerin erscheinen lassen, wenn sie behaupten, sie sei überhaupt nicht niedrig, sondern sie habe es verdient, Gottes Mutter zu werden. 587 In äußerster Knappheit deutet Luther die Verkündigung des Engels nach Lukas: Auch er hat Maria lediglich als ein Mädchen begrüßt, das von Gottes Gnade erfüllt sei, mit dem Gott sei. Dadurch sei sie gesegnet unter allen Frauen. 588 Da der Engel nichts von Verdienst hat verlauten lassen, ist es nicht berechtigt, davon zu sprechen. Wer also so viel Lob und Ehre auf Maria häuft und auf ihr ruhen läßt, 589 ist nicht weit davon entfernt, einen Abgott aus ihr zu machen. 590 Denn wer behauptet, sie bedürfe der Gnade Gottes nicht, sie habe vielmehr verdient, Gottes Mutter zu werden, lenkt von der Verehrung Gottes ab zur Verehrung Marias hin. Maria aber will gerade nicht selbst geehrt werden. Sie will nicht, daß man sich von ihr Gutes erwartet. 591 Sie weist das vielmehr von sich. Wenn jemand sie „selig preist", dann soll er das in dem Sinne tun, daß er Gott lobt, der an ihr gehandelt hat. Durch sie soll jeder zu guter Zuversicht 592 zur Gnade Gottes gelangen. 593 2.6.4.16. Maria recht ehren I: Anreiz zur Liebe und zum Lobe Gottes (StuA 1, 336, 22-33) Maria ehrt man nicht schon dadurch recht, daß man sie sich vor Augen stellt.594 Es gilt vielmehr, sie vor Gott zu stellen, den ungeheuren Unterschied zwischen Gott und ihr wahrzunehmen. Dann kommt sie auf den Platz, der ihr zukommt, weit unter Gott. Man muß ihr [die gebräuchlichen Ehrenprädikate] ausziehen 595 und zunächst ihre Nichtigkeit betrachten, von der sie spricht, um sich dann desto sachgemäßer über die überschwengliche, 596 reiche 597 Gnade Gottes wundern zu können: Gott hat dieses ge587

StuA 1, 336, 13. Vgl. Lk 1, 28. 589 Vgl. dagegen Luthers Aussage, Maria entblöße sich und trage alle Ehre zu Gott empor (StuA 1, 324, 35-37). 590 StuA 1, 336, 17-19. 591 Hier klingt bereits die Formulierung an, die Luther 1529 im Großen Katechismus benutzen wird: „Ein Gott heisset das, dazu man sich versehen sol alles guten und Zuflucht haben ynn allen nöten ..." (BSLK 560, 10-13; WA 301, 133, 1-2). Zitiert ist nach der WA-Fassung. 592 „Zuversicht" ist nach Luthers Schrift ,Von den guten Werken' die Form der Hoffnung, die zum Glauben, verstanden als glaubendes Vertrauen, gehört. Etwas weiter unten wird Luther beide Begriffe nebeneinanderstellen (StuA 1, 337, 14). 593 StuA 1, 336, 20f. 594 Aus dem Kontext geht hervor, was Luther befurchtet: Das würde daraufhinauslaufen, daß Christen sich Maria zum Vorbild nehmen mit der Folge, daß sie sie als ein unerreichbar vollkommenes Vorbild betrachten. Das würde diese Christen gerade nicht ermutigen, sondern entmutigen. Vgl. Burger: Maria m u ß ermutigen! 595 Vgl. oben die Aussage: „Zeucht sich ausz" (StuA 1, 324, 36). Etwas weiter unten spricht Luther von den „eytel grosz hohe ding", mit denen Maria gemalt zu werden pflege (StuA 1, 336, 37). 596 Nach StuA 1, 336, 5f. spricht Luther hier schon zum zweiten Male über die „überschwengliche" Gnade Gottes (StuA 1, 336, 24). 597 Auch „reych" bzw. „reychlich" hatte Luther kurz zuvor bereits zur Kennzeichnung der Gnade verwendet (StuA 1, 336, 3. 5. 25). 588

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ringe, nichtige Mädchen 598 angesehen, umarmt 5 9 9 und gesegnet. 600 Eine derartige Verehrung Marias scheint sie nur auf den ersten Blick gering zu achten. In Wirklichkeit bewegt eben eine solche Verehrung Marias den, der sie auf diese Weise betrachtet, dazu, Marias Erfahrung der Erhöhung mitzuerleben. Dadurch wird der Betrachter in Bewegung versetzt zu Liebe und Lob Gottes. Die Folge ist die, daß er dazu angereizt wird, sich alles Gute zu erwarten 601 von einem Gott, der ja offensichtlich geringe, verachtete und nichtige Menschen mit derartiger Gnade ansieht, statt sie zu verschmähen, wie Menschen tun. Luther setzt hier voraus, daß die Menschen, an die er sich wendet, von Gottes Existenz überzeugt sind. In Frage steht, ob dieser Gott sich um sie kümmert und in welcher Weise er gegebenenfalls verehrt werden will. Jemand, der Marias Lied ernst nimmt und ihre Erfahrung nachvollzieht, wird nach Luthers Überzeugung eine neue Erfahrung Gottes machen. 602 Gott, der die verachtete Maria so gnädig angesehen hat, wird dann die Stelle im Herzen des Betrachters einnehmen, die jeder Mensch der Person oder dem Ding einräumt, von dem er sich alles Gute erwartet. Ähnlich wie der Ausruf „Oh, ich halt' viel von ihm!" 603 schließt die Formulierung „sich alles Gute von jemandem erwarten" direkt an die Erfahrungen aller Menschen an, die überhaupt die Erfahrung von Zuwendung gemacht haben. Implicite hat Luther hier die acht Jahre später formulierte berühmt gewordene Definition des Großen Katechismus' schon vorweggenommen. Auf diese Weise wird das Herz eines Menschen stärker in Glaube, Liebe und Hoffnung, 604 die sich auf Gott richten. Nichts ist Maria willkommener, als daß jemand durch sie zu Gott gelangt, an ihrem Ergehen lernt, auf Gott zu vertrauen 605 und zu hoffen. Das soll nicht bloß für Menschen gelten, die wie Maria aus Niedrigkeit erhöht werden. Es gilt auch denen, die verachtet, ja vernichtet werden, sei es zu Lebzeiten oder in der Sterbestunde. 606 Maria will nicht Gegenstand der Verehrung sein, sondern Wegweiserin zu Gott.

598

„Mensch" (StuA 1, 336, 25) mit sächlichem Artikel (,das Mensch') bezeichnet das Mädchen. In d e m „vmbfehet" (StuA 1, 336, 26) kann eine Anspielung darauf gesehen werden, d a ß Maria durch den H a u c h des Heiligen Geistes schwanger ist. 600 Luther macht hierdurch deutlich, d a ß Gottes Segnen (benedicere) die Ursache dafür ist, d a ß Menschen Maria selig preisen (Lk 1, 48). 601 Vgl. dazu A n m e r k u n g 591 oben. 602 Luther drückt solche Erfahrung häufig durch „erkennen" aus. 603 StuA 1, 324, 8 - 9 . 604 Vgl. I Kor 13, 13. 605 Wie schon eher vermerkt worden ist, hat Luther „in got trawen" in seiner Schrift ,Von den guten Werken' zu einem Wechselbegriff für „glauben" erklärt. 606 StuA 1, 336, 32 f. 599

90

2.

Kommentar

2.6.4.17. Maria recht ehren II: Furcht vor der Hoheit, die Menschen erstreben (StuA 1, 336, 34-337, 11) Wer Maria in ihrer Nichtigkeit betrachtet, wird sich fürchten lernen vor der (durch Hochmut gefährdeten) Hoheit, nach der Menschen gewöhnlich ausschauen. 607 Hat doch Gott kein Mädchen zur Mutter erwählt, das bei Menschen in hohem An-Sehen stand. Wie öfter verfolgt Luther einen Nebengedanken. Er kritisiert die Maler, die auf ihren Bildern Maria mit allen Attributen der Hoheit ausstatten. Dadurch stellen sie sie den Betrachtern so vor Augen, 608 daß diese sich als Individuen mit Maria vergleichen statt Maria mit Gott, wie es angemessen wäre. 609 Dadurch machen diese Maler die Betrachter, zu denen Luther auch sich selbst rechnet, in einer unfruchtbaren Weise furchtsam. 610 Die armselige Maria, die durch ihre sozial niedrige Lage Anschauungsunterricht für Gottes Gnade bietet, wird dadurch zu einer augenverblendenden Schönheit, die es verdient hat, Gottes Mutter zu werden. Diese Verblendung verdeckt den Anblick der Gnade Gottes auf vergleichbare Weise, wie zur Fastenzeit die Rückseiten von Klappaltären die Darstellungen verdecken, die während der übrigen Zeiten des Kirchenjahrs Bilder von Gottes Gnade zeigen.611 Wenn sie so gemalt wird, dann wird Maria über alle anderen Vorbilder hinaus erhoben, stattt ein Beispiel für Gottes Gnade darzustellen. 612 Gerade das aber will sie sein. 613 Erneut wendet sich Luther in einem Gebet an Maria, in dem er den Ertrag seiner Darlegungen bündelt und seine Leser belehrt. 614 Dieses Gebet führt weiter als das vorige, denn diesmal betont Luther nicht allein Gottes Gnade und Marias Unwürdigkeit, sondern erwähnt auch ausdrücklich, welcher Trost und welche Aufmunterung darin enthalten sind: Wer die eigene Unvoll607

Mit dem gliedernden „Widdervmb" [andererseits] schließt Luther die erwartete gegenteilige Empfindung „das du lerest dich forchten" (StuA 1, 336, 34) an die im vorigen Abschnitt formulierten positiven Gefühle an: „das ... dw bewegt werdest... vnd dadurch gereytzt werdist" (StuA 1, 336, 26f.). 608 Das an dieser Stelle vom Darstellen der Maler gewählte Verb „furbilden" (StuA 1, 336, 37) verwendet Luther in übertragenem Sinne auch bereits weiter vorn im Text: „für sich bilden" (StuA 1,336, 22). 609 Ein Vergleich Marias mit Gott würde ja darauf hinauslaufen, daß auch die begnadete Maria weit unter Gott zu stehen kommt, vgl. den Gedankengang weiter oben (StuA 1, 336, 22-30). 610 Im Gegensatz dazu, daß es für einen Christen unumgänglich ist, sich zu „forchten" (StuA 1,336, 34), weil er lernen muß, sich vor Hochmut zu hüten, ist es kontraproduktiv, einen Christen „blod vnd vortzagt" zu machen (StuA 1, 337, 1). In eine solche resignierte Haltung verfällt, wer Maria für eine Heilige hält, die unerreichbar vollkommen und so tugendhaft ist, daß kein Mensch ihr nacheifern kann. 611 Vgl. StuA 1, 337, 2. 612 StuA 1,337,3f. „Exempel" hatte Luther weiter oben im Sinne von „Beispielerzählung" verwendet (StuA 1,326,32f.). Hier bezeichnet es sowohl das (aktive) Vorbild wie das (passive) Beispiel. Maria soll als Vorbild eigentlich (aktiv) zur Nachahmung anregen, entmutigt aber, wenn sie allzu vorbildlich gezeichnet wird. Als Beispiel dafür, daß sie (passiv) Gottes Gnade empfangen hat, ermutigt Maria den nichtigen Glaubenden. 613 Luther wählt hier die Abfolge: Zuversicht, Liebe, Lob (StuA 1, 337, 5f), setzt also die Zuversicht (als das Resultat) an die Stelle, an die er in seinen Ausführungen zur Genese von Liebe und Lob stets die Erfahrung der Rettung aus Not gesetzt hatte. 614 Vgl. mit der Gebetsformulierung StuA 1, 337, 7-11 die vorhergehende StuA 1, 336, 2-7.

Lk 1, 48: „Denn er hat angesehen die Nichtickeyt seyner magt"

91

kommenheit empfindet, wird getröstet, weil Gott ja auch die unwürdige, nichtige Maria in Gnaden angesehen hat. Die Aufmunterung besteht darin, daß der Beter, der sich als arm u n d nichtig erkennt, seine Zuversicht darauf setzen darf, Gott werde auch ihn nicht verachten, sondern in Gnade ansehen. 2.6.4.18. Maria recht ehren III: Ziel aller Heiligenleben ist es, zum Glauben (StuA 1, 337, 12-337, 25)

zuführen

Luther ordnet Maria in eine Reihe begnadeter Sünder ein, die am deutlichsten durch Maria Magdalena 615 definiert wird. Gott hat David, Petrus, Paulus und Maria Magdalena große Gnade verliehen, ohne daß sie dessen würdig gewesen wären. Das gereicht allen Menschen zum Trost. Der Leser kann ermessen, daß auch Maria gerne in diese Gruppe eingereiht werden möchte, die Zuversicht u n d Glauben stärkt. Ausgerechnet die Leute, die ihr Lob zu singen beanspruchen, erweisen sich als überflüssig 616 u n d als unnütz. Sie sind es gerade nicht, die Maria mit dem Geschwätz, mit dem sie ihre Predigten füllen, auf die rechte Weise „selig preisen" (Lk 1, 48). 617 Sie legen Lk 1, 48 nicht so aus, daß den Predigthörern klar wird, was Gott an Maria getan hat. Sie versäumen es, sein Tun adäquat zu beschreiben als Zusammentreffen von Gottes überschwenglichem 618 Reichtum 6 1 9 mit ihrer tiefen 620 Armut, Gottes Ehre 621 mit ihrer Nichtigkeit, Gottes Würde mit der Verachtung, die sie trifft, Gottes Größe mit ihrer Kleinheit, Gottes Güte mit ihrem Mangel an Verdienst 622 , Gottes Gnade mit ihrer Unwürdigkeit. 623 Die Verteilung ist überdeutlich: auf Seiten der Beschenkten Mangel, auf Seiten des Gebers Überfluß. Würden die Lobredner Marias das predigen, so würden Lust 624 u n d 615

In der Luther vertrauten Exegese wird Maria Magdalena mit der Sünderin von Lk 7,37 gleichge-

setzt. 616 Luther übersetzt so die lateinische Vokabel „superfluus", die heute längst nicht mehr so negativ besetzt ist wie zu seiner Zeit. „Superfluus" bedeutet nicht bloß „mehr als nötig", sondern (wie „vnnutz" auch): „vom Heil als von dem einen, das not tut, ablenkend". Vgl. beispielsweise zur Polemik Gersons gegen Überflüssiges Burger, Aedificatio, S. 120. 617

StuA 1, 337, 16f. Diese Vokabel hat Luther bereits wiederholt in Verbindung mit Gottes Gnade gebraucht und mit dem Adjektiv „reich" oder dem Adverb „reichlich" verbunden. 619 Gott, nicht den Reichen, die ihn sich nur anmaßen (vgl. Lk 1,53b), wird hier der [wahre] Reichtum zugeschrieben (StuA 1, 337, 18). 620 In „tief' liegt einmal mehr ein Hinweis auf Marias Niedrigkeit (StuA 1, 337, 18). 621 Aus der Verwendung von „ehre" als Gegenbegriff zu „nichtickeit" wird einmal mehr deutlich, daß Ehre der Hoheit zukommt (StuA 1, 337, 18). 622 „vnuordienst" (StuA 1, 337, 20). Daraus wird deutlich, daß Gottes Güte sich Maria zuwendet, ohne ein Verdienst bei ihr vorauszusetzen. Auch die Güter, die daraus fließen, schenkt Gott ihr ohne Vorbedingungen. 623 StuA 1, 337, 17-21. 624 Vgl. oben zu StuA 1, 331, 40f. und unten zu StuA 1, 338, 2. 618

2.

92

Kommentar

Liebe zu Gott daraus entstehen, eingebunden in Zuversicht. Das müßte stets deutlich werden, wenn das Leben von Heiligen beschrieben wird. Weil die gefährlichen Schwätzer jedoch anstelle von Gott Maria preisen, erwächst aus ihren Predigten, daß irregeleitete Menschen bei Maria Hilfe und Trost suchen, als wäre sie ein Gott, von dem man sich alles Gute erwarten darf, so daß die Abgötterei schlimmer ist als je. Damit schließt Luther den Exkurs zum angemessenen und unangemessenen Verständnis der Niedrigkeit.625 2.6.5. „Omnes

generationes"

(StuA 1, 337, 26-37) Luther begründet, daß er diese lateinischen Vokabeln mit „Kinds kind" übersetzt hat. „Generatio" bezeichnet, was das moderne Deutsch eben eine Generation nennt, 626 eine „folge der gelid naturlicher gepurd".627 Luther hätte natürlich wortwörtlich „generatio" mit „geschlecht" übersetzen können. Dann läge jedoch die Annahme nahe, Maria habe vorausgesagt, alle Menschen („samlungen der menschen" 628 ) würden sie selig preisen. Und das stimmt ja offenbar nicht: Juden, Heiden und viele ihrem Glauben abtrünnig gewordene Christen 629 gehen entweder so weit, Maria zu lästern, oder sie lehnen es doch mit Verachtung ab, sie selig zu nennen. 630 Die Versuche mancher Theologen, dennoch zu erweisen, daß alle Menschengruppen sie selig priesen, hält Luther nicht für gelungen.631 Folglich kann Maria nicht gemeint haben, alle Menschengruppen würden sie selig preisen. Denn sonst stünde ja eine Weissagung in der Heiligen Schrift, die nicht eingetroffen ist, und das ist nach Luthers Überzeugung unmöglich. Also muß „generationes" die Geschlechterfolge bezeichnen. 632 Maria muß gemeint haben, es werde im Lauf der Geschichte künftig keine menschliche Generation geben, in der sie nicht zumindest von einigen Christen gepriesen werden werde.633

625

Der Exkurs beginnt StuA 1, 330, 13.

626

Das W o r t , G e n e r a t i o n ' wird in der deutschen Sprache erst 1728 z u m ersten Male von Sperander

verwendet werden, vgl. Weigand/Hirt: Deutsches W ö r t e r b u c h , Bd. 1, Sp. 6 7 8 . 627

StuA 1, 3 3 7 , 31.

628

StuA 1, 3 3 7 , 30f.

629

„viel böser Christen": StuA 1, 3 3 7 , 2 9 . Luther hat i m m e r wieder Juden, Häretiker und Heiden in

e i n e m Atemzug genannt. So kann er beispielsweise schreiben: „Wenn H a ß a u f Juden, Häretiker und T ü r k e n einen z u m Christen macht, d a n n sind wir m i t unserem W ü t e n die allergrößten Christen." Luther, Auslegung von Psalm 13 ( 1 4 ) , Vers 7 (WA 2, 4 2 9 , 9 - 1 1 ) , hier zitiert nach O b e r m a n : Wurzeln des Antisemitismus, S. 145. 630

StuA 1 , 3 3 7 , 2 9 . Das Tun oder Unterlassen einer Tat aus Verachtung bezeichnet in der gestaffelten

Einstufung spätmittelalterlicher Sündenkataloge einen besonders h o h e n Grad der Sünde. 631

StuA 1, 3 3 7 , 27f.

632

Luther leitet den Übersetzungsvorschlag, den er bevorzugt, mit der Formulierung ein: „so es hie

m e h r heist" (StuA 1, 337, 31). 633

StuA 1, 3 3 7 , 34f.

Lk 1, 49: „Den er hat mirgethan

2.6.6.

grosz ding"

93

„Makariousi"

(StuA 1, 337, 38-338, 4) Ein „seligen" oder „selig machen", das diese Bezeichnung verdient, geschieht nach Luthers Verständnis nicht schon durch bloße Worte 634 noch lediglich durch Gebärden der Verehrung 635 noch durch das Anfertigen von Marienbildern oder den Bau von Kirchen, die Maria geweiht werden. Dies alles tun auch Menschen, die zugleich „böse" sind. 636 „Seligen" oder „selig machen" 6 3 7 können Maria nur diejenigen wirklich, die es aus allen Kräften 638 u n d mit einer Wahrheit tun, die aus dem Grund ihrer Herzen quillt. Damit sie das tun können, müssen ihre Herzen dadurch, daß sie Marias Nichtigkeit u n d Gottes Gnade ansehen, Freude 639 u n d Lust 640 an Gott gewinnen.

2.7. Lk 1, 49: „ D e n er h a t m i r g e t h a n grosz d i n g D e r d o ist m e c h t i g / v n d heylig ist sein n a m e " (StuA 1, 338, 5 - 3 4 2 , 39) Zur

Übersetzung

In der Gesamtübersetzung des Magnifikat hat Luther das „qui potens est" der Vulgata mit „der alle ding thuet" übersetzt. 641 Es kommt ihm auf Gottes wirkende Macht an, nicht aber auf die Macht, die er an sich hat u n d die er auch ruhen lassen könnte. Gott erweist sich ständig als der Schöpfer, der in die Tiefe herabsieht und kraftvoll Barmherzigkeit übt. Seine durch den Sündenfall verkehrten Menschengeschöpfe dagegen blikken stets nach oben, sehnen sich stets nach Hoheit. Zugleich sagt Luther damit aus: Gott ist der Herr aller Dinge überhaupt. Bevor er daran geht, diesen Vers auszulegen, übersetzt Luther anders: „der do ist mechtig". 642 Die Akzentsetzung verschiebt sich dadurch nicht. Diese Übersetzung bleibt jedoch sowohl näher am griechischen als auch am lateinischen Text.

634

StuA 1, 337, 38f. StuA 1, 337, 40. 636 StuA 1, 337,41. 637 StuA 1,337, 39. 638 Vgl. Dtn 6,5, zitiert in Mk 12,30 par. Mt 2 2 , 3 7 par. Lk 10,27. Zu den Interpretationen, die spätmittelalterliche Exegeten d e m „aus allen Kräften" durch ihre Übersetzungen geben, vgl. Burger: Gottesliebe, Erstes Gebot und menschliche Autonomie bei spätmittelalterlichen Theologen u n d bei Martin Luther, a m Ende der Ausführungen über spätmittelalterliche Exegeten. 639 W ä h r e n d aus der G r u n d e r f a h r u n g von Gottes Güte,Liebe' u n d ,Lob' folgen, antworten,Freude' u n d ,Lust' lediglich auf die Güter u n d Werke Gottes, die er in seiner Güte schenkt. 640 Zu ,Lust' vgl oben die Anm. zu StuA 1, 331, 40f. 641 StuA 1, 316, 17. 642 StuA 1 , 3 3 8 , 6 . 635

94

2.

Kommentar

Zur Auslegung 2.7.1. „Den er hat mirgethan grosz ding" (StuA 1, 338, 7-340, 23) Bei der Auslegung dieses Halbverses knüpft Luther an die schon eher gemachte Aussage an, n u n k o m m e Maria auf die Güter zu sprechen, die Gott in seiner Güte schenke. 643 Auch dort hatte er schon betont, daß Maria in rechter O r d n u n g vorgehe. 644 Doch statt n u n auch wirklich von Gütern zu reden, hatte er dort zunächst darauf verwiesen, daß sie erstens lehre, daß jeder zunächst einmal darauf achten solle, was Gott gerade mit ihm wirke. 645 Zum zweiten lehre sie, man solle Gott loben aufgrund der Werke, die er an anderen tue. 646 Dann erst hatte er Gottes An-Sehen das erste und größte Werk Gottes an Maria genannt. 6 4 7 Daran knüpft er nun mit der Aussage an, daß Gottes Gnade und An-Sehen ein ewig bleibendes Erbe sind, in dem Gott sich selbst schenkt, sein Herz, 648 seinen Geist, Mut und seinen gnädig gestimmten Willen, also unvergleichlich viel mehr als in den Gütern. Sind diese doch nur Geschenke von zeitlicher Dauer, in denen Gott lediglich gibt, was sein ist, seine Hand. 6 4 9 Gaben gibt Gott auch Engeln und Menschen, die er nicht an-sieht. 650 Luther erwähnt sogar Lucifer 651 und macht dadurch jedem seiner Leser klar, daß Gott selbst dem Teufel Güter gibt. 652 Mit dem Ausdruck „große Dinge" bündelt Maria n u n Gottes Werke u n d Gaben. Bestätigt findet Luther seine Exegese in Gen. 25,5 f. Erhält doch Isaak, der Sohn der legitimen Frau, das ganze Erbe, 653 die Kinder der Nebenfrauen dagegen werden mit Geschenken abgefunden. Das bestätigt ihm einmal mehr, daß Menschen, die wirklich Christen sein wollen, Gottes ,rechte Kinder' (eine Anspielung auf Isaak), ihren Trost nicht in Gottes Gütern und Geschenken suchen sol-

643

StuA 1, 332, 37-333, 2. StuA 1, 332, 39: „ordenlich". 645 StuA 1, 333, 4 f. 646 StuA 1, 334, 5-7. 647 StuA 1,335, 15f. 648 StuA 1, 338, 16. Es sei ausdrücklich daraufhingewiesen, daß Luther auch hier, wo er von Gottes An-Sehen spricht, das Herz an erster Stelle nennt. Das bestätigt die zentrale Stellung, die er dem Herzen auch beim Menschen einräumt. 649 StuA 1, 338, 12-17. 650 Ein ähnlicher Unterschied wird auch von scholastischen Theologen gemacht: Gott läßt Tugend nicht unbelohnt. Doch er findet manche Menschen mit Belohnungen ab. Er belohnt also zwar ihre guten Taten, aber eben nicht mit der ewigen Seligkeit. Vgl. dazu Burger: Der Augustinschüler gegen die modernen Pelagianer: Das ,auxilium speciale dei' in der Gnadenlehre Gregors von Rimini. 651 StuA 1,338, 11. 652 Vgl. bereits oben Anm. 258. - In Jes 14,12a heißt es in einem Text, den die moderne alttestamentliche Forschung als ein Triumphlied über den Sturz eines Weltherrschers betrachtet: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!" Schließt man sich Origenes an und verbindet man diesen Vers aus dem Jesajabuch mit Lk 10, 18: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz", dann liegt es nahe, in dem .Morgenstern' Lucifer, den gefallenen Fürsten der Engel, zu sehen. 653 Vgl. zu „ganzes Erbe" außer StuA 1,338, 13 „das erbe / wilchs ewig bleybt" auch bereits Luthers Ausführungen zu demjenigen Geist, der das ganze Erbe besitzt (I Thess 5, 23), in StuA 1, 322, 20-25. 644

Lk 1, 49: „Den er hat mirgethan

grosz ding"

95

len, so wenig sie sie andererseits verachten dürfen, sondern in Gott selbst und in seiner Gnade. 654 Durch die Kürze ihrer Worte: „große Dinge" lehrt Maria, daß Andacht zu desto knapperer Ausdrucksweise führt, je intensiver sie ist.655 Fühlt ein derart Andächtiger doch, wie inadäquat Worte sind. 656 Die wenigen Worte, die ein Glaubender „im Geist" formuliert, sind so gefüllt und tief, 657 daß sie nur der versteht, der wenigstens zum Teil die Erfahrung des „Geistes" macht. 658 Es kann sich bei diesem „Geist" nicht um den Geist des Glaubenden handeln. Gemeint sein m u ß vielmehr der Heilige Geist. Diesen Heiligen Geist, kraft dessen Maria redet, können auch andere - zumindest zum Teil fühlen. 659 Wie schon oben 660 redet Luther auch hier wieder ungeschützt davon, daß der Geist erforderlich sei, um Glaubensaussagen zu verstehen. Es wird erneut deutlich, daß er zu diesem Zeitpunkt noch keine negativen Erfahrungen mit Spiritualisten gemacht hat, die sich für ihre Aussagen auf den Heiligen Geist berufen und nicht bereit sind, diese Behauptungen an der Heiligen Schrift prüfen zu lassen. Im Gegensatz zu denen, deren Geist vom Heiligen Geist erfüllt ist, sehen die Geistlosen, in deren Geist eben nicht der Glaube regiert, diese wenigen großen, tiefen Worte661 als gering an. 662 Sie setzen viele Worte und großes Geschrei ein. Diesen Unterschied zwischen wenigen Worten, mit denen Gott wirklich gelobt wird, und dem Wortschwall der Geist-losen bezeugen sowohl das Gebot Christi, beim Beten nicht viele Worte zu machen, 663 als auch die beklagenswerte Erfahrung in .allen' Kirchen. Luther ist besorgt, daß in ihnen trotz vieler Laute, die als Äußerungen von Frömmigkeit gelten, 664 wenig Lob Gottes „in Geist und Wahrheit" 665 laut wird. Wirkt es doch auch in der alltäglichen Erfahrung eher verdächtig als glaubwürdig, wenn man Menschen mit

654

StuA 1 , 3 3 8 , 2 5 - 2 7 . StuA 1, 338, 30f. 656 Luther schließt damit an Erfahrungen mancher Mystiker an, die Aussagen über Gott entweder garnicht (apophatische Mystik) oder n u r auf dem Weg des Sprechens über das Gegenteil (via negativa) zu machen wagen. 657 Vgl. zur .Tiefe' des glaubenden Geistes die Aussage: „der geist / ist das hohste / tieffiste / edliste teil des menschen ... kurtzlich / das hausz da der glawbe vnd gottis wort innen wonet." (StuA 1, 320, 19f. 21 f.). 658 StuA 1, 338, 32-34. 659 StuA 1, 338, 34. 660 Vgl. oben: „es mag niemant got noch gottes wort recht vorstehen / er habs denn on mittel von dem heyligen geyst" (StuA 1,317, 4f.). 661 StuA 1, 338, 33. 662 Einmal m e h r stellt Luther das „An-Sehen" von Menschen d e m An-Sehen Gottes gegenüber (StuA 1,338, 34f.). 663 StuA 1, 338, 36-38 mit Verweis auf M t 6, 7. 664 Nicht umsonst nennt Luther das Lesen erst nach dem Läuten der Glocken, dem Pfeifen der Blasinstrumente u n d dem Singen, das er durch das darauf folgende Verbum „schreyen" abwertet (StuA 1, 338,38-41). Damit soll gesagt sein, d a ß das Lesen des Gotteswortes zurücksteht hinter einer Musik, die Gott bei allem Getöne nicht wirklich lobt. 665 StuA 1, 338, 4 0 - 4 1 mit Hinweis auf Joh 4, 24. 655

96

2.

Kommentar

viel Geschrei lobt. 666 Was im täglichen Leben gilt - dick aufgetragenes Lob weckt Verdacht - gilt auch für das Loben Gottes. Macht man viele Worte, Geschrei 667 und Geräusch, 668 so tastet man Gottes Würde an, schmäht und entehrt ihn: 669 verhält man sich doch, als wäre er taub oder müßte aus dem Schlaf aufgeweckt werden 670 oder als wüßte er nicht Bescheid und brauchte Belehrung. 671 Wer Gott „im Geist und in der Wahrheit" 672 loben will, der m u ß Gottes Taten in der Tiefe seines Herzens bedacht haben. 673 Das wird dann dazu führen, daß er staunt und auf inbrünstige [,brunst'] Weise für sie dankt. Er wird eher seufzen als artikuliert formulieren. 674 Aus einem Menschen, der derartig ergriffen ist, brechen die Worte geradezu heraus, als wollte sein Geist mit ihnen aus dem Munde heraus schäumen. 675 Worte, die so aus dem Innersten kommen, leben, sie haben Hand und Fuß. Der ganze Körper eines solchen Menschen mit allen seinen Gliedern, alles, was in ihm Leben hat, möchte gerne Lob Gottes ausdrücken. 676 Solche Worte sind im Gegensatz zum bloßen Geschrei durch und durch Feuer 677 , Licht und Leben. 678 Von dieser spontanen Art sind die wenigen, aber großen, tiefen Worte 679 Marias, der seligen Jungfrau, im Magnifikat. So sollen 666 Luther erläutert Prov 27,14 dadurch, daß er auch das Gegenbeispiel dessen ausführt, der sich viel Mühe gibt, jemanden wortreich und mit großem Einsatz zu schmähen (StuA 1, 339, 1-8). 667 Den Wert der „viel wortte" (StuA 1,339, 8) hat Luther bereits zweimal in Zweifel gezogen: er hat neben „viel wortte" „grosz geschrey" (StuA 1, 338, 36) beziehungsweise „schreyen" gestellt (StuA 1, 338, 39). 668 Das „klang" (StuA 1, 339, 9) korrespondiert dem „pfeyffen / singen" (StuA 1, 338, 39). 669 StuA 1, 339, lOf. 670 Luther mag an den Spott des Propheten Elia über die Verehrer Baals (1 Reg 18,27) gedacht haben: „Ruft laut!... er [Baal] ... schläft vielleicht, daß er aufwache." 671 StuA 1, 339, 8-10. 672 Luthers Formulierung hier (StuA 1, 339, 16f.) und bereits eher (StuA 1, 338, 40f.) verweist auf Joh 4, 24. 673 StuA 1,339,11 f. Vgl. dazu die Aussage, der Geist sei sowohl der höchste als auch der tiefste Teil eines Menschen (StuA 1, 320, 20). Kurz zuvor hat Luther „Haß und böses Herz" nebeneinander gestellt (StuA 1, 339, 7). Etwas weiter unten wird er schreiben, aus einem, der von Herzen lobe, schäume der Geist gleichsam heraus (StuA 1,339,14). Das ,Herz'bestimmt das Denken, Planen und Tun eines Menschen also nach Luthers Sicht sowohl in positiver als auch in negativer Richtung. 674 StuA 1, 339, 11-13. 675 Als biblischen Beleg nennt Luther Ps 119 (118), 171a, der in der Biblia Vulgata lautet: „Eructabunt labia mea hymnum." StuA 1, 339, 14. 18-19. 676 Vergleichbare Aussagen über die Wirkung der mystischen Einigung (unio mystica) auf den Körper dessen, der eine solche Erfahrung macht, finden sich bei Mystikern und Theoretikern mystischer Erfahrung, beispielsweise bei Gerson: De mystica theologia speculative conscripta, pars 8, consideratio 41, 19 (ed. Combes 112, 116-118): „Sic ergo spiritus noster tractus a Deo trahit consequenter ea, que corporis sunt, ac proinde resultat unio mirabilis spiritus ad Deum et corporis ad spiritum." Vgl. dazu Burger: Aedificatio, S. 69. 677 Die Vokabel „Brunst" ist im Deutschen heute nur noch in „Inbrunst" und in „Feuersbrunst" gebräuchlich. „Brunst" allein drückt heutzutage das Brennen nicht mehr für jedermann verständlich aus. 678 Luther bezieht sich auf Ps 119(118), 140a, der in der Vulgata lautet: „Ignitum eloquium tuum vehementer". 679 Luther wiederholt mit „wenig", „tieff vnd grosz" (StuA 1,339,21 f.) seine Aussage „weniger wort" (StuA 1,338,31) und „grosz vnd tieff' (StuA 1,338,33). Er zielt auf die knappe Aussage „grosz ding" in Lk 1,49.

Lk 1, 49: „Den er hat mir gethan grosz ding"

97

die Christen Gott loben, sagt Paulus 680 , sie sollen im Geiste brennen 681 (und schäumen). 682 „Alle werck die yhr got gethan hat", 683 die Werke Gottes, die Maria mit „grosz ding" 684 „alle auff einen hauffen [fasset]" 685 , bestehen darin, daß sie Gottes Mutter geworden ist. Da Luther voraussetzt, daß Gottes Wort wirkt, was es verheißt, ist Maria (als Jungfrau) nicht erst nach der Geburt Jesu, sondern bereits seit der Verkündigung des Engels Gottes Mutter. 686 Dadurch sind ihr so viele und so große Güter gegeben, daß kein Mensch imstande ist, sie alle wahrzunehmen. Gott hat sie durch sein An-Sehen sowohl innerhalb des ganzen Menschengeschlechts 687 als auch zugleich als eine Frau, die darüber erhaben ist,688 zu einer einzigartigen Person gemacht, der niemand gleichkommt. Daraus folgt die Ehre, 689 die Maria gebührt und wirklich gezollt wird, daß man sie, wie ihr Lied es ankündigt, selig preist. 690 Weil Gottes Handeln an ihr so groß ist, kann Maria es nach Luthers Ansicht nicht adäquater benennen als eben mit „grosz ding". Sie kann nur mit solcher Inbrunst, als ob ihr Lob aus ihrem Munde schäumte, Gott preisen. 691 Weder über Maria noch dann, wenn man sich an sie wendet, kann man Größeres sagen als eben „Gottes Mutter", 692 selbst dann nicht, wenn man unzählige Zungen hätte. Es gilt, diesen Ehrentitel auch mit dem Herzen zu bedenken. 693 Einmal mehr betont Luther, daß Maria es nicht verdient hat, Gottes Mutter zu werden. Ganz beiläufig erwähnt er, Maria habe keine Sünden begangen. Die Konsequenzen von Luthers Konzeption der Marienverehrung für die Ekklesiologie können an dieser Stelle nur angedeutet werden. Luthers Sicht Marias macht es für diejenigen, die sie überzeugend finden, unmöglich, die Mutter des Erlösers dafür zu be-

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R o m 12, I I b in der Formulierung der Vulgata: „spiritu ferventes". Vgl. zu „geystlich b r u n s t e n " (StuA 1, 339, 23) bereits „für brunst erausz feret" (StuA 1,339, 13). 682 Von „schäumen" steht bei Paulus nichts. Luther ü b e r n i m m t das Verb aus Ps 119 (118), 171a (Vulgata), auf den er bereits kurz zuvor (StuA 1,339,14) angespielt hatte: „Eructabunt labia mea hymnum." 683 StuA 1,338, 7. 684 Lk 1, 49 in Luthers Übersetzung vor der Einzelexegese (StuA 1, 338, 5). 685 StuA 1, 338, 28 f. 686 Luther hat das bereits oben StuA 1, 336, 2 formuliert. 687 „ym gantzen menschlichem geschlecht" (StuA 1, 339, 26f.). 688 „vbir alle" (StuA 1, 339, 27). 689 StuA 1, 339, 26. 690 Lk 1, 48. 691 Luther greift hier (StuA 1,339,30) zurück auf seine Aussagen über „brunst" (StuA 1,339,13, gestützt a u f P s . 119 [118], 140 [Vulgata] u n d Rom 12, 11), u n d „schwewmen" (StuA 1, 339, 14, gestützt auf Psalm 119 [118], 171a [Vulgata]). 692 StuA 1,339, 31 f. 693 Luther polemisiert hier (StuA 1 , 3 3 9 , 3 2 - 3 4 ) nicht ausdrücklich gegen andere Benennungen, die Maria gegeben werden, als eben „Gottes Mutter". Er korrigiert durch das „auch" (StuA 1, 339, 34) n u r implizit: Ehrentitel Marias zu nennen genügt nicht. Das Z e n t r u m der Person dessen, der Maria selig preist, sein Herz, m u ß angerührt sein. 681

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Kommentar

anspruchen, die vorfindliche Gestalt der von Rom aus geleiteten Kirche zu rechtfertigen. 694 Die Gnade, die Gott Maria damit erweist, daß er sie zu seiner Mutter macht, kann nicht verdient werden, behauptet Luther. Den Beweis liefert er durch den Verweis darauf, daß Maria gesagt hat, Gott habe ihre Nichtigkeit angesehen und ihr große Dinge getan. Folglich kann er nicht einen Dienst belohnt haben, den Maria ihm zuvor erweisen hätte. 695 Luther will Maria Glauben schenken, nicht irgendwelchen Schreiberlingen, deren Namen er nicht nennt. Sie behaupten zu Unrecht, Maria habe die Würde, Mutter Gottes zu werden, verdient. 696 Sie hat nie daran gedacht, geschweige denn sich darauf vorbereitet und sich dafür qualifiziert. 697 Sonst wäre ihr die Botschaft des Engels nicht ganz unerwartet gekommen, sie wäre nicht erschrocken. 698 Weiter vorne hat Luther bereits geschrieben: Hätte der Engel die gesellschaftlich hoch stehende Tochter des Hohenpriesters Kaiphas mit den Worten gegrüßt, die er Maria gegenüber gebrauchte, so hätte diese sich gewiß nicht gewundert, sondern diesen Gruß für ganz angemessen gehalten. 699 Wer Verdienst erwirbt, denkt sehr wohl an Lohn und erwartet ihn. 700 Das Gegenteil läßt sich nicht etwa daraus beweisen, daß in Kirchenliedern gesungen wird, Maria habe es „verdient" oder sie sei „würdig" gewesen, Christus zur Welt zu bringen. Luther tritt diesem möglichen Einwand dadurch entgegen, daß er Marias „Würdigkeit" von der des Kreuzesholzes her interpretiert. Auch von diesem wird ja gesungen, es sei „würdig" gewesen, das „Lösegeld für die Welt" zu tragen. Als Gegenstand aus Holz war es aber außerstande, Verdienst zu erwerben. 701 „Verdienst" und „Würdigkeit" des Kreuzes lagen nur einerseits darin, daß seine Balken und seine Verbindungen dazu tauglich waren, 702 den Erfordernissen zu genügen. Vergleichbares gilt auch von Maria: Um Mutter Gottes werden zu können, mußte sie die Voraussetzung erfüllen, eine Frau zu sein, 703 genauer gesagt: eine Jungfrau aus dem Stamm Juda. 704 Das genügte, um für die Aufgabe tauglich zu sein, die Gott ihr zugedacht hatte. Ihre Qualifikation

6 9 4 Für die Anregung, die ekklesiologischen Konsequenzen von Luthers Sicht Marias anzudeuten, danke ich Herrn Kollegen Dr. Michael Beyer, Universität Leipzig. 6 9 5 StuA 1, 339, 39f. 6 9 6 Vgl. dazu Burger: Maria muß ermutigen!, vor allem 1.4.: Der dritte Interpretationsstrang: Die Deutung Marias als einer gerade durch ihre Demut erhabenen Gottesmutter. Maria als Antitypos der Eva (S. 19-21). 6 9 7 StuA 1, 339, 41-340, 2. 6 9 8 StuA 1,340, 2. Vgl. Lk 1,29. 6 9 9 StuA 1, 331, 14-16. 7 0 0 StuA 1, 340, 3 f. 701 StuA 1, 340, 7 f. Zur ,Süße' des Kreuzes vgl. Ohly: „Süße Nägel der Passion", S.413-419. 7 0 2 Luther bestreitet eine im Kreuzesholz vorausgesetzte ,Würde' mit dem Argument: Das Kreuz mußte weiter nichts als tragfähig sein. Die Balken mußten die Stärke haben, die erforderlich war, um einen Körper zu tragen. 7 0 3 Um zu bestreiten, daß Maria aufgrund von eigenem Verdienst Gottes Mutter geworden sei, reduziert Luther ihren eigenen Beitrag hier geradezu auf die Gebärfähigkeit, analog zur Tragfähigkeit des Kreuzes. 7 0 4 StuA 1, 340, 9 f.

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für diese Mutterschaft ist keine andere gewesen als die, daß sie als Frau dafür tauglich war, Mutter zu werden. Andererseits lagen .Verdienst' und,Würdigkeit' des Kreuzes darin, daß Gott gerade dieses Exemplar einer Vorrichtung zur Hinrichtung eines Verbrechers dazu bestimmt hatte, daß sein Sohn an ihm sterben sollte.705 Damit vergleichbar ist, daß Maria der Botschaft des Engels Glauben schenken mußte. Dazu war sie „verordnet". 706 Durch die Wahl dieser Vokabel macht Luther bereits deutlich, daß er es als Gabe Gottes betrachtet und nicht als Verdienst, daß Maria den Worten des Engels Glauben schenkte. Es ist als Gnade zu betrachten, nicht als Belohnung, daß Gott sie als Mutter Gottes aus-ersehen hat. 707 Wenn man Maria zu viel Verdienst zuweist, verkürzt man dadurch das Lob und die Ehre, die der Gnade Gottes zustehen. 708 Da sie ein Geschöpf ist, das der Schöpfer aus dem Nichts erschaffen hat, 709 kann man ihr gar nicht zu wenig Ehre erweisen. 710 Denn wie kann man zugunsten eines Wesens, das aus dem Nichts gemacht wurde, der Gnade des Schöpfers Lob und Ehrung vorenthalten? Und doch geschieht eben das leicht. Es ist gefährlich. 711 Keiner, der - vermeintlich Maria zuliebe - Gottes Ehre zu ihren Gunsten Abbruch tut, tut wirklich etwas, was sie will.712 Es gilt Maß zu halten mit den Ehrentiteln Marias. Wohl ist sie eine „Königin der Himmel". Doch steht sie deswegen noch nicht neben Gott. Sie ist keine Abgöttin, die aus eigener Machtvollkommenheit geben oder helfen könnte. 713 Das meinen manche Christen, die ihre Bitten mehr an sie richten als an Gott selbst und eher bei ihr als bei ihm Zuflucht suchen. Allein Gott gibt, sie gibt nichts. 714 2.7.2.

„Der do mechtig

(StuA 1, 340, 24-341,

ist" 22)

Hatte Luther in der Übersetzung zu Beginn der Einzelexegese noch geschrieben: „Der do ist mechtig", so dreht er nun die Reihenfolge um: „Der do mechtig ist". Eine Sinnveränderung ergibt sich daraus nicht. Luther ergänzt zur Aussage des Texts die Vokabel „allein".715 In seinem ,Sendbrief vom Dolmetschen' hat Luther es gerechtfertigt, daß er 705

StuA 1, 340, 11-13. StuA 1, 340, 14. 707 StuA 1, 340, 14 f. 708 Wenn Gott nicht Marias Nichtigkeit angesehen', sondern, Würde' und,Verdienst' von ihrer Seite belohnt hätte, dann hätte er sich bei seiner Auswahl von Maßstäben leiten lassen, wie sie auch Menschen vertraut sind, die sich stets nach ,oben' hin orientieren und die den jeweils Besten auszeichnen. 709 Vgl. zur Schöpfung aus dem Nichts in Luthers Auslegung des Magnifikat bereits oben StuA 1, 317, 15-21, zu Aussagen Luthers in späteren Jahren Schwanke: Creatio ex nihilo. 710 StuA 1, 340,16f. Das Verb „abbrechen" existiert in dieser Bedeutung heute nicht mehr, sondern allenfalls noch der Ausdruck „Abbruch tun". 711 StuA 1,340, 18. 712 StuA 1,340, 18f. 713 StuA 1, 340, 21. 714 StuA 1,340, 22f. 715 „Damit nympt sie doch alle macht vnd krafft allen creaturn / vnd gibts allein gotte." (StuA 1,340, 24f.). 706

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2.

Kommentar

ein ,allein' einträgt, um den gemeinten Sinn adäquat auszudrücken. 716 Wenn Maria von Gott nach Luthers Überzeugung aussagt, er [allein] sei mächtig, allmächtig, 717 dann kommt keinem Geschöpf Macht und Kraft zu. Luther stellt Maria den auf Erden Bedeutenden gegenüber als ein junges, kleines Mädchen, das mit großer Kühnheit einen Raub an ihnen begehe. 718 Mit einem einzigen Satz719 trifft sie drei Gruppen. Durch die Wahl der Vokabel „[zu schänden] machen" drückt Luther aus, Maria behaupte nicht nur, sondern bewirke, was sie sage. Durch die Aussage „der do mechtig ist" wagt sie es,720 alle Mächtigen als schwach 721 zu erklären und tatsächlich zu entmachten. 722 Mit „er [allein] hat mir gethan grosz ding" ,macht' Maria alle die, die große Taten tun, kraftlos. Mit „heylig ist [allein] sein name" ,macht' Maria alle Weisen 723 zu Narren und all' jene, die Ruhm genießen, zuschanden. Maßen sie sich doch Ehre an, die Gott zukommt. Die Kehrseite ihres wirkungskräftigen Ab-Sprechens ist es, daß das junge, kleine Mädchen Maria 724 es wagt, allein dem Einzigen [, der] Gott [zu heißen verdient,] alle Macht, Tat(kraft), Weisheit und Ruhm zuzueignen, 725 die sich die nur scheinbar Mächtigen, Täter großer Taten, Weisen und Berühmten anmaßen. Denn Marias Aussage „der do mechtig ist" sagt so viel wie: Keiner tut etwas [aus eigener Kraft]. Der Verfasser des Epheserbriefes hat es zutreffend gesagt: Allein Gott wirkt alles,726 Luther ergänzt: Gott wirkt alles in allem. Die Werke aller Geschöpfe sind Werke Gottes, ihres Schöpfers. 727 Dazu bekennt sich jeder Christ, der im Apostolischen Glaubensbekenntnis sagt, er glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen.,Allmacht' versteht Luther so, daß in allen Menschen nichts anderes wirkt als Gottes Macht, sich durch aller Menschen Macht 716 „Das ist aber die art unser deutschen spräche, wenn sie ein rede begibt von zweyen dingen, der man eins bekennet, und das ander verneinet, so braucht man des worts ,solum' [allein] neben dem wort ,nicht' oder ,kein'... In disen reden allen, obs gleich die lateinische oder kriechische sprach nicht tut, so thuts doch die deutsche, und ist yhr art, das sie das wort .allein' hinzu setzt, auff das das wort,nicht' oder ,kein' deste völliger und deutlicher sey." (WA 30 II, 637, 4-14). Vgl. dazu auch Schilling: Martin Luthers deutsche Bibel, hier: ,IV. Übersetzen als theologische Aufgabe', S. 23-28. 717 StuA 1,340,32. 718 StuA 1, 340, 25 f. 719 Luther bezieht hier wohl den ganzen Satz Lk 1, 49 ein. Denn „alle grosztettigen krafftlosz" paßt besser zu „grosz ding" als zu der von Luther hier allein zitierten Aussage „der do mechtig ist". Das „alle weyszen narren / alle berumpten zu schänden" dürfte vorgreifen auf „vnd heylig ist [allein] sein name." Dahinter stünde dann der Gedanke: Die Ehre kommt allein Gott zu, nicht denen, die sie sich aufgrund von (Welt-) Weisheit anmaßen. 720 StuA 1, 340, 26. „Dürfen" bedeutet hier „wagen". In der niederländischen Sprache ist diese Bedeutung erhalten geblieben. 721 „kranck" heißt hier „schwach", vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, 1873, Spalte 2023. 722 StuA 1, 340, 27. 723 Sinngemäß ist vorauszusetzen: die ihre Weisheit nicht von Gott haben. 724 StuA 1, 340, 25 f. 725 StuA 1, 340, 28. 726 Eph 1, 11. 727 Durch solche Aussagen zieht sich Luther natürlich Kritik zu, wie sie beispielsweise Erasmus von Rotterdam 1524 in „De libero arbitrio diatribe sive collatio" formulieren wird: Damit leugne er den freien Willen und mache Gott zum Urheber auch des Bösen.

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oder Ohnmacht durchsetzt, aber auch über sie herrscht. 728 Damit lehnt Luther implicite scholastische Entwürfe ab, die Gottes Führung mit menschlicher Souveränität harmonisieren wollen. 729 Als Schriftbeweis kann Luther dafür neben der Stelle aus dem Epheserbrief eine Aussage aus dem Lied Hannas, die er ganz selbstverständlich heilig nennt, heranziehen: Kein Mann hat die Macht, etwas aus eigenem Vermögen zu tun. 730 Ferner nennt er II Kor 3, 5: „Wir sind nicht in der Lage, etwas aus eigener Kraft zu planen (cogitare), sondern wozu wir in der Lage sind, das haben wir von Gott." 731 Luther qualifiziert diese Aussage als erhaben und inhaltsreich. 732 Sie stürzt alle Hoffart und Vermessenheit, 733 allen Frevel, allen [Selbst-] Ruhm, 734 alles nicht auf Gott gerichtete Vertrauen 735 und erhebt Gott allein. Mehr noch: Sie begründet, weshalb Gott allein geehrt werden soll. Gott ist Urheber aller Dinge. 736 Weil Hochmut und Vermessenheit eben diese Begründung aller menschlichen Leistung in Gott leugnen, polemisiert Luther so scharf dagegen. Aussprechen läßt sich leicht, daß man an Gott als an den Allmächtigen glaube. Es jedoch zu glauben und im Leben zu bewähren ist schwer.737 Christen, die ihren Glauben an Gottes Allmacht in ihrer Lebensgestaltung einüben wollen, müssen friedfertige, gelassene und einfältige Menschen sein. 738 Sie wissen, daß in letzter Instanz Gott alles verursacht. Deshalb maßen sie sich nicht an, etwas aus eigener Macht ins Werk gesetzt zu haben. 739 728

StuA 1, 340, 32f. Vgl. Santos Noya: Die Sünden- und Gnadenlehre des Gregor von Rimini, S. 26 mit den Anmerkungen 98-100. Santos Noya weist auf den Theologen Gabriel Vazquez hin, der in kritischer Auseinandersetzung mit Gregor von Rimini das Naturrecht weitgehend von seiner theonomen Basis gelöst habe. 730 I Sam 2, 9 (Vulgata): „Quia non in fortitudine sua roborabitur vir." 731 II Kor 3,5 spielt eine wichtige Rolle in der Grundlegung der Ethik in der scholastischen Theologie. Mit diesem Vers belegen Anhänger Augustins das erste Glied ihrer Beweiskette, daß cogitare, velle und perficere des Guten von Gott geschenkt werden müssen: „non quod sufficientes simus cogitare aliquid a nobis, quasi ex nobis, sed sufficientia nostra ex Deo est." Vgl. beispielsweise zu Gregor von Rimini OESA (+ 1358) Burger: Der Augustinschüler gegen die modernen Pelagianer, sowie zu Hugolin von Orvieto OESA (+ 1373) Burger: Freiheit zur Liebe ist Geschenk Gottes. 732 StuA 1, 341, 2 f. 733 Vgl. Lk 1, 51b. .Vermessenheit' hat Luther schon oben (StuA 1, 315, 15) als Wechselbegriff für Hoffart verwendet. 734 Gemeint sein m u ß nach dem Zusammenhang ein Ruhm, der sich nicht Gottes rühmt. Luther hat weiter oben (StuA 1, 332, 36f.) II Kor 10, 17 zitiert: „ Wer sich rumet der rume sich von got." 735 Im Großen Katechismus wird Luther 1529 formulieren: „Worauff du (sage ich) dein hertz hengest und verlessest, das ist eygentlich dein Gott." (BSLK 560, 22-24; WA 301,133,8-9). Zitiert ist nach dem Wortlaut der WA. 736 StuA 1, 341, 4f. 737 StuA 1, 341, 5 f. 738 Alle drei Adjektive hat Luther in seiner Auslegung des Magnifikat bereits in positiver Bedeutung verwendet. Über Friedfertigkeit spricht Luther vor allem bei der Auslegung von I Thess 5,23, beispielsweise StuA 1,322,14-17. - Dazu, daß Maria,gelassen' [und,einfältig'] ist, obwohl sie als Mutter Gottes über alle Menschen erhoben worden ist, vgl. StuA 1,325,14. Ein Christ soll im Streit u m Güter gelassen bleiben (StuA 1, 346, 42; 347, 31). - Luther schreibt für .Einfältige' als Leser (StuA 1, 319, 1). 739 Sie beanspruchen nichts verbissen und klammern sich an kein Ding derart, als wäre es letzter Grund ihres Daseins. Diese Interpretation von „nemen sich keynisz dings an" verweist vor auf Luthers Aussagen weiter unten StuA 1, 346, 37-347, 31. 729

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2.

Kommentar

Zu den wenigen Christen, denen die als ,hoch' qualifizierte Fähigkeit 740 gegeben ist, Gottes Allmacht zu glauben und zu leben, gehört Maria. Sie will nach Luthers Überzeugung durch die Aussage „der do mechtig ist" ausdrücken, daß ihr Gottesmutter-Sein nicht ihr Besitz ist, sondern von Gott herrührt, der doch allein alle Dinge tut und dessen Macht allein in allen Dingen wirkt. 741 Mit „mechtig" preist Maria ja nicht etwa eine Macht Gottes, die zwar vorhanden ist, aber nicht wirkt, sondern eine unablässig wirkende Macht, eine stetige Tätigkeit. 742 Das belegt Luther durch zwei Schriftzitate. 743 Das zweite erläutert er knapp, ohne diese Aussage auszuführen: Gott tut seiner Art nach stets mehr, als worum ihn die Christen bitten. 744 Weil Maria in dem, was an ihr geschehen ist, in dem Wunder, daß sie - als Jungfrau Mutter des in ihr werdenden Gottessohnes ist, Gott am Werk sieht, will sie ausdrücklich nicht, daß man sie verehre und dadurch Gott die Ehre vorenthalte. Sie will keine Abgöttin sein. 745 Nicht sie kann Gebete erfüllen, sondern allein Gott. Maria wie alle anderen Heiligen gilt es also lediglich mit der Intention anzurufen, Gott um ihretwillen etwas zu bitten. 746 2.7.3. „Vnnd heylig ist sein name." (StuA 1, 341, 23-342,

39)

2.7.3.1. Maria heiligt Gottes Namen (StuA 1, 341, 23-342,

3)

Maria setzt nach Luthers Deutung den Satz: „Vnnd heylig ist sein name" hinzu, um ganz klar zu machen, daß Gott allein die Ehre zukommt. Luther verdeutlicht nun zunächst, welche Rolle Maria im Verhältnis zum Tun Gottes spielt. Hatte sie in ihrem Lied bisher schon betont, daß Gott allein allmächtig ist und daß er die große Tat an ihr getan hat, sie zur Mutter des Gottessohns zu machen, so läßt Luther sie nun auch ausdrücklich daraufhinweisen, daß der [große] Name und die Ehre dem zukommen, der dieses Werk getan hat. 747 Sie betrachtet sich nur als die Werkstatt, in der Gott wirkt. 748 Sie selbst hat nichts dazu getan, Gottes Mutter zu werden. 749 Da dem der [große] Name und die Ehre zukommt, der das Werk getan hat, soll niemand sie loben oder ihr die Eh-

7 4 0 StuA 1, 341, 5. Vorauszusetzen ist aufgrund der Aussage, an Gottes Allmacht zu glauben sei „höh" (StuA 1, 341, 5), daß derart gelassene Christen nach Luthers Meinung selten sind. 741 StuA 1 , 3 4 1 , 9 - 1 1 . 7 4 2 StuA 1 , 3 4 1 , 1 2 - 1 5 . In moderner physikalischer Nomenklatur könnte man von dem Unterschied zwischen potentieller und kinetischer Energie sprechen. 7 4 3 Joh 5,17 und Eph 3,20 (Vulgata): „qui potensest omnia faceresuperabundanterquam petimus". 7 4 4 StuA 1,341, 18. 7 4 5 StuA 1, 341, 19, vgl. bereits StuA 1, 340, 21. 7 4 6 StuA 1, 341, 20-22. 747 StuA 1 , 3 4 1 , 2 3 - 2 5 . 7 4 8 StuA 1,341, 27. 7 4 9 Nach dem Kenntnisstand der Gynäkologie, den wir bei Luther voraussetzen dürfen, wußte er nichts von einer weiblichen Eizelle.

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re geben, sondern Gott und sein Werk, das er in ihr gewirkt hat. 750 Luthers Maria nimmt Genügen daran, daß Gott sie dazu gebraucht hat, derartige Werke in ihr zu tun. Einmal mehr nennt er sie ,rein' und meint damit „ohne Nebengedanken". 751 Maria maßt sich weder eine Tat noch Ehre noch Ruhm an, die Gott zustehen. Sie bleibt ebenso bescheiden, wie sie war, ehe die Botschaft des Engels sie zur Mutter Gottes machte. 752 Luther nennt häusliche Verrichtungen, die Maria seiner Meinung nach auch weiter getan haben muß, da ihr die ungeheure Rangerhöhung, die ihr zuteil geworden ist, nicht zu Kopfe gestiegen ist: Hausarbeit, Kühe melken, kochen, Schüsseln auswaschen, kehren. 753 Es sind alltägliche Pflichten, wie sie Luther auch einfallen, wenn er aufzählt, wodurch ein Christ Gott im irdischen Beruf dienen kann. 754 Es ist nicht recht konsequent, daß Luther diese Tätigkeiten nun sowohl als die einer,Hausmagd' als auch als die einer .Hausmutter' bezeichnet. 755 Besteht doch zu seiner Zeit zwischen einer Magd und einer Ehefrau ein erheblicher sozialer Unterschied, der desto größer ist, je wohlhabender eine Familie ist. Wer heiratet, m u ß damit rechnen, Kinder zu bekommen. Heiraten wird also in der Regel nur, wer sich in der Lage sieht, Kinder zu ernähren. Deshalb darf Luther eigentlich die Positionen von Magd und Hausherrin nicht einfach aneinanderreihen, sondern muß sich zwischen beiden entscheiden. Zu Beginn seiner Auslegung hat Luther betonen wollen, daß Gott durch die Wahl der sozial niedrig stehenden Maria eine in Menschenaugen ganz unmögliche Wahl getroffen hat, um die Gnade von dessen An-Sehen desto größer sein zu lassen. Dort, wo es ihm um Marias soziale Position in der Zeit vor der Verkündigung des Engels ging, kam nur die Bezeichnung als Magd in Frage.756 Nach der Verkündigung des Engels dagegen betrachtet Luther Maria als schwanger. So ist es wohl zu erklären, daß er ihr Tun nun so sozial unpräzise als das Tun einer,Hausmagd oder Ehefrau' bezeichnet. Jedenfalls aber ist sie sich seiner Auffassung nach nicht zu gut, auch weiterhin „geringe verachtete" Werke zu tun. 757 Weder haben andere Frauen und Männer der Nachbarschaft sie nun für etwas Höheres gehalten noch hat sie das begehrt. Sie blieb eine „arme" Bürgerin mitten im geringen Volk.758 750

StuA 1,341,29. StuA 1, 341, 31. Luther will damit nichts über ihre Jungfräulichkeit sagen, die für ihn ohnehin feststeht, sondern meint ,auf reine Weise' wie im lateinischen Adverb pure: lauter, ohne Zufügung. 752 StuA 1,341,31-33. 753 StuA 1, 341, 35f. 754 Vgl. Luthers Aussagen über die erste Mauer, die die Kurialisten [Romanisten] aufrichteten, in seiner Schrift ,An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung' (1520). In Wirklichkeit, schreibt er dort, seien alle Christen durch die Taufe geistlichen Standes, was auch immer sie täten (WA 6, 406, 23-26 = StuA 2, 98, 22-25 und WA 6, 407, 9-411,7 = StuA 2, 99, 15-104, 5). 755 „hauszmackt odder hauszmutter" (StuA 1, 341, 36). 756 „ein schlechts megdlin / das des fihes vnd hausz gewart" (StuA 1, 319, 7f.), „nit mehr geweszen / denn itzt sein mag / ein arm hawsz magt / die da thu was sieym hausz zu thun heisse" (StuA 1,319,8f.), „von dem geringen armen dyrnleynn geporn" (StuA 1,319, 27), „person / wilch Her Annas vnd Cayphas tochter / nit hett wirdig geachtet / die ihr solt yhr geringste magd seyn" (StuA 1,319, 28f.). 757 StuA 1,341,37. Die Kombination von,gering' und .verachtet' hat Luther weiter oben wiederholt benutzt, um zu charakterisieren, in welche un-ansehnliche Niedrigkeit Gottes gnädiges An-Sehen reiche. 758 StuA 1, 341, 39. Für die Vokabel ,arm' gilt dasselbe wie für ,gering' und .verachtet'. 751

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2.

Kommentar

Durch ihr Verhalten erweist sich Maria als ein Mensch mit einem im guten Sinne einfältigen und reinen Herzen. Sie ist ein wunderbarer Mensch. 759 Luther benutzt wohl absichtlich eine so schillernde Vokabel, die ,staunenerregend' und ,wunderbar' ausdrücken kann: wer ihr Verhalten bedenkt, staunt 760 und sieht darin ein Wunder, das kein anderer als Gott gewirkt haben kann. 761 Unter Marias „geringer" (un-ansehnlicher) Gestalt sind „grosz ding" verborgen - mit dieser Formulierung nimmt Luther seine Übersetzung von Lk 1,49 auf. 762 Noch ist es ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern nicht deutlich, daß Maria schwanger ist und Gottes Sohn zur Welt bringen wird. Viele wagen es, Maria zu berühren, mit ihr zu sprechen, zu essen und zu trinken. Sie halten sie ja für eine normale, arme, schlichte Bürgerin, ja ärger noch, sie verachten sie sogar.763 Wüßten sie, wer sie - durch Gottes An-Sehen - ist, so würden sie vor lauter Ehrfurcht nicht mehr so vertraulich mit ihr umzugehen wagen. 764 2.7.3.2. Definitionen von ,Name',,heilig',,Gottes (StuA 1, 342, 4-342, 20)

Namen heiligen

Bisher hat Luther ausgiebig hervorgehoben, wie Maria Gottes Namen geheiligt habe. Maria hat vorbildlich gezeigt, wie Gottes Name geheiligt werden muß. Nun erst definiert Luther die Vokabeln „heilig" und „name". Er erläutert, wie Christen Gottes Namen heiligen sollen. Unter „heylig" ist zu verstehen, daß etwas Gott allein vorbehalten sein soll.765 Niemand darf es besudeln. Es gilt vielmehr, es in Ehren zu halten. Mit einem (guten) „Namen" sind ein guter Ruf und dessen Folgen Ruhm, Lob und Ehre gemeint. 766 Aus der Heiligkeit des ,Namens' Gottes folgt, daß keiner versuchen darf, sich selbst dadurch einen ,Namen' zu machen, daß er probiert, etwas von dem Ruhm, dem Lob und der Ehre, die Gott zustehen, für den eigenen,Namen' zu vereinnahmen. 767 Für dieses Verbot, das Heilige menschlichen Zwecken dienstbar zu machen, verweist Luther auf eine Erzählung im Alten Testament, deren geistlicher Sinn nach Luthers Meinung der ist, daß keiner die Gott zustehende Ehre für sich selbst beanspruchen soll: Mose ließ nach Gottes Befehl eine Salbe herstellen und streng verbieten, daß ein Mensch seinen Leib damit sal-

759 StuA 1, 341, 40-41. Zur Bedeutung von ,wunderlich' zu Luthers Zeit (ungewöhnlich, bemerkenswert, interessant, verwunderlich, erstaunlich) vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 14/11, 1960, Spalte 1907. 760 Dabei geht es u m ,wunderlich' im Sinne von erstaunlich'. 761 .Wunderlich' im Sinne von ,wunderbar'. 762 StuA 1, 341, 41. 763 StuA 1, 342, lf. - Luther geht es mehr darum, Marias auch nach der Verkündigung des Engels gleich bleibende Bescheidenheit zu betonen, als um Plausibilität. Mit jemandem, den man verachtete, aß und trank man zu Luthers Zeit überhaupt nicht. Eine Ausnahme könnte man allenfalls gemacht haben, wenn man dazu genötigt war, weil man beispielsweise in derselben Herberge abgestiegen war. Die Worter „gemeyn" und „schlecht" können sowohl neutral als auch negativ gewertet werden. 764 „Sich entsetzen" heisst hier: „[vor Ehrfurcht] erschrecken" (StuA 1, 342, 3). 765 „heylig heyst / das abgesondert / got zugeeygent ist" (StuA 1, 342, 4-5). 766 StuA 1, 342, 4-6. 767 StuA 1, 342, 6f.

Lk I, 49: „Den er hat mir gethan grosz ding"

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be. 768 Gegen dieses Verbot verstoßen Christen - Luther verwendet erneut das „wir" - , die sich wegen der Werke, die sie getan haben und tun, und wegen der (geistigen und materiellen) Güter, über die sie verfügen, entweder von anderen Menschen rühmen und ehren lassen oder aber sich selbst rühmen und hochzufrieden mit sich sind. 769 ,Die Welt', Menschen, die im Aufruhr gegen Gott leben, verfahren ohnehin ständig so. Sie entziehen Gott unablässig die ihm zukommende Ehre, weil sie ihn nicht als den Allmächtigen anerkennen. Dadurch machen sie seinen ,Namen' aus einem heiligen, abgesonderten Namen unheilig und entweihen ihn: Sie schreiben sich die Werke zu, die Gott sie tun läßt, und die Güter, die er ihnen verleiht. 770 Angemessen ist es vielmehr, 771 Gott seinen ,Namen' zu lassen. Christen, die seinen ,Namen' dadurch heiligen, vor falscher Vermengung bewahren, daß sie Ehre und Ruhm für sich selbst abweisen, halten Gott auf die angemessene Weise in Ehren. Deshalb werden sie dadurch ihrerseits geheiligt. Um diese These zu belegen, greift Luther erneut auf den geistlichen Sinn der angeführten Stelle im Buch Exodus zurück: Die kostbare Salbe war derartig (aktiv) heilig, daß sie alles, was mit ihr in Berührung kam, ,heiligte', das heißt: für den Dienst an Gott bestimmte. 772 Analog dazu rührt der ,Name' Gottes diejenigen Christen an und heiligt sie, die ihn dadurch heiligen, daß sie sich nichts anmaßen, was seiner Allmacht zuzuschreiben ist.773 2.7.3.3. Applikation: Ehre und Lob recht gebrauchen (StuA 1, 342, 21-39) Gott enthält keinem Menschen Güter vor. Sie bringen dem so Begabten einen,Namen' ein, er wird dafür geehrt. 774 Christen sollen dann, wenn jemand sie lobt und ihnen aufgrund der ihnen von Gott verliehenen Güter einen [ehrenvollen],Namen' gibt, Marias Vorbild nachahmen, ihren Satz nachsprechen: „heylig ist sein name." 775 Sie sollen von der Ehre und dem Lob, die ihnen gezollt werden, angemessenen Gebrauch machen. 776 768

Ex 30, 22-33, das Verbot steht in Vers 32 (StuA 1, 342, 8 - 1 0 ) . StuA 1, 342, 10-12. 770 StuA 1, 342, 12 f. 771 Das gliedernde „Szondern" weist bereits d a r a u f h i n , d a ß Luther n u n darlegen will, welche Haltung seiner Auffassung nach angemessen wäre (StuA 1, 342, 13). 772 Vgl. Ex 30, 29 (StuA 1, 342, 16-17). 773 StuA 1, 342,17-20. - Luther kann hier deswegen kurz sein, weil er oben (StuA 1 , 3 4 2 , 1 0 - 1 3 ) relativ breit das negative Gegenbeispiel skizziert hat, auf welche Weise Gottes ,Name' entheiligt werde. Dort hat er zwischen eigentlich unverdienter Ehrung durch andere u n d Selbstgefälligkeit sowie zwischen Ehrung aufgrund von Werken oder a u f g r u n d von Gütern unterschieden. 774 Luther f ü h r t an dieser Stelle das negative Gegenbeispiel nicht aus, wie Menschen, die im Aufruhr gegen Gott leben u n d daher als ,Welt' zu bezeichnen sind, der Verlockung erliegen, sich diese Ehre zuzueignen. 775 StuA 1, 342, 23f. 776 Das Reden v o n , r e c h t e m Gebrauch' ist kennzeichnend für die Theologie der Frömmigkeitstheologen des späten Mittelalters u n d der Reformationszeit, die Ergebnisse theologischen Nachdenkens für die Frömmigkeit von Laien fruchtbar machten. Vgl. beispielsweise innerhalb des Traktats des Johannes von Paltz OESA: ,Die himmlische Fundgrube' die Ausarbeitung seiner dritten Predigt für den Druck: „Die drit s e r m o n ist von der wollgebrauchung des todes" (Paltz: Opuscula, S. 239, 1 - S. 248, 23). 769

106

2.

Kommentar

Das geschieht dadurch, daß sie entweder für die, die das Lob hören, vernehmbar aussprechen oder in ihren Herzen sagen, daß Gott der Täter des Werks ist, das gelobt und gerühmt wird, und daß daher auch ihm der ,Name' zukommt, der dem Täter dieses Werks zuerkannt wird. 777 Das kurze Gebet, das Luther als Muster formuliert, ist biblisch gesättigt: aus Lk 1, 49 stammt „mechtig", „vnd heylig ist [d]ein name" und „alle ding", das auch in dem von Luther herangezogenen Vers Eph. 1,11 anklingt. 778 Christen sollen also Lob und Ehre, die ihnen zuteil werden, nicht abwehren, als kämen sie ihnen zu Unrecht zu. Sie sollen sie auch nicht verachten, als hätten sie keinen Wert. 779 Sie sollen Lob und Ehre vielmehr annehmen. Aber sie sollen sie als etwas, das allzu edel und kostbar ist, als daß sie es verdient hätten, nicht für sich vereinnahmen. Sie sollen vielmehr deutlich machen, daß die Ehre eigentlich Gott gebührt. Auf diese Weise sollen sie Ehre und Lob Gott zuerkennen, dem sie zustehen. 780 Luther hat jetzt deutlich gemacht, wie ein Christ mit der ihm erwiesenen Ehre umgehen soll. Nun wendet er sich kurz der Frage zu, ob ein Mensch den anderen aktiv ehren solle, und bejaht sie. Sagt doch Paulus sogar, die Christen sollten darum wetteifern, einander zu ehren. 781 Er schärft durch Wiederholung ein: ein Christ soll die Ehre, die ihm widerfährt, „heiligen".782 Er soll bezeugen, daß sie ebenso Gott zusteht 783 wie das, wofür er geehrt wird, das Gut, mit dem er begabt worden ist, und das Werk, das ja aus einer gottgegebenen Begabung fließt.784 Vom Christen ist zu fordern, daß er ein ehrbares Leben führt. Gelingt ihm das, so ist es von Gott gegeben und bewirkt. Der gute Ruf, der Name, den ein solcher Christ genießt, gebührt denn auch Gott. Wem verliehen ist, ehrbar zu leben, der soll sich nicht durch Selbstgefälligkeit besudeln. Luther verweist als Beleg für die Richtigkeit seiner Argumentation abschließend auf die Vaterunserbitte: „Dein Name werde geheiligt." Nicht umsonst, setzt er dabei voraus, steht hier nicht: Dein und unser Name.

777

StuA 1, 342, 25 f. StuA 1, 342, 25-27. Vgl. zu Eph 1, 11 oben StuA 1, 340, 30. 779 StuA 1, 342, 28f. - ,Verachtung' bedeutet nach der Interpretation spätmittelalterlicher Theologen besonders entschiedene Abweisung. 780 „heym tragen" (StuA 1,342,30) kann darauf verweisen, daß Christen ihre eigentliche Heimat bei ihrem Vater im Himmel haben. Es kann jedoch auch einfach heißen: „erstatten". Vgl. das ähnlich verwendete Verbum „auftragen" (StuA 1, 324, 36): Maria „tregts allisz lauter wider auff zu got". 781 Rom 12, 10 (StuA 1, 342, 31-33). 782 StuA 1, 342, 34. .Heiligen' heißt ja nach der Definition oben StuA 1, 342,4f.: „abgesondert / got zugeeygent". Der Christ soll also die ihm erwiesene Ehre von dem unterscheiden, was ihm selbst zukommt und gehört. 783 Erneut verwendet Luther die Wendung „nachhause tragen". 784 StuA 1, 342, 34f. 778

Lk l, 50: „Vttd seyne barmhertzickeit

weret von einem geschlechtynsz

ander"

107

2.8. Lk 1, 50: „Vnd seyne barmhertzickeit weret von einem geschlecht ynsz ander / Denen die yhn furchten" (StuA 1,343, 1-349, 30) Zur

Übersetzung

Das Lehnwort,Generation' gehört, wie oben bereits ausgeführt worden ist, zu Luthers Zeit noch nicht zum eingebürgerten Wortschatz. Die lateinische Vokabel „generationes" hat er bei der Übersetzung von Lk 1,48b mit „kinds kind" übersetzt. 785 Luther hat erwogen, auch „a progenie in progenies" mit „von kind zu kind" zu übertragen. 786 Doch er hat sich anders entschieden. Recht umständlich erklärt er, daß er mangels eines passenden Wortes mit der Übersetzung .Geschlechter' an dieser Stelle nicht Großfamilien oder Sippen meint, sondern das, was eben im moderneren Deutsch Generationen' heißt. 787 Zu einem,Geschlecht' in diesem Sinne, zu einer Generation, wie man in heutigem Deutsch sagen würde, gehören Gleichaltrige. 788 Auf die Erzählung von der Übermittlung des Dekalogs verweist Luther, um zu belegen, daß wiederholt in der Heiligen Schrift von Generationen gesprochen wird. 789 Zum

Aufbau

von Luthers

Auslegung

der Verse

50-53

Luther stellt der Exegese eine Erläuterung voran, in der er begründet, weshalb er es für sachgerecht hält, diesen Abschnitt zusammenzunehmen. Nach Luthers Ansicht beginnt Maria nach dem Lob Gottes für das, was er an ihr getan hat, mit Lk 1, 50 etwas Neues: 790 Nun geht sie die Werke durch, die Gott überhaupt an allen Menschen wirkt, und singt ihm dafür Lob.791 Auf diese Weise lehrt sie die Christen Gott angemessen erkennen. 792 Luther weicht innerhalb dieses Satzes von der Reihenfolge ab, die er immer wieder eingeschärft hat, es gelte zuerst von Gottes Wesen und dann erst von dessen Äußerungen in Gaben, Gütern oder Werken zu sprechen. 793 Er will an dieser Stelle deshalb zuerst von den Werken Gottes sprechen, weil der, der Gott erkennen will, aus ih785 So vor der Einzelexegese (StuA 1, 328,36), in der Gesamtübersetzung zu Beginn: „kyndsz kynd" (StuA 1, 316, 16). 786 StuA 1, 343, 11. 787 StuA 1, 343, 4-10. 788 StuA 1, 343, 9. 789 StuA 1,343,11-16: Ex 20, 5f. u n d Dtn 5 , 9 f . Hier steht allerdings im Text der Vulgata jeweils ,generatio', nicht wie in Lk 1, 50 .progenies'. 790 StuA 1, 343, 17-20. 791 StuA 1, 343, 17-19. 792 StuA 1, 343, 19f. - „Erkennen" meint bei Luther eine Einsicht, die nicht auf intellektuelles ZurKenntnis-Nehmen beschränkt bleibt, sondern aus d e m Erkannten Folgerungen für die Begründung der eigenen Existenz im Herzen u n d für die darauf aufbauende Lebensgestaltung zieht. 793 Luther verwendet diese Vokabeln abwechselnd. Am umfassendsten ist der Begriff,Werke'. Wenn es ihm d a r u m geht, deutlich zu machen, d a ß die .Güter', die Gott in seiner Güte schenkt, nicht verfügbares Eigentum der Beschenkten werden, verwendet er .Gaben'. Anreihend spricht er von: „geystliche gutter vnd hohe gaben" (StuA 1, 344, 12).

108

2.

Kommentar

nen auf Gottes Art, Natur u n d Willen schließen kann. Viele sehr verständige Menschen u n d Philosophen haben zwar versucht, Wissen darüber zu erlangen, was Gott sei. 794 Sie haben zahlreiche Bücher darüber geschrieben, doch ihre Ergebnisse differieren. Alle sind verblendet. Keiner hat die angemessene Weise gefunden, Gott anzusehen. 7 9 5 Gott angemessen zu erkennen ist denn auch das Größte, was einem Menschen zuteil werden kann, nicht bloß auf Erden, sondern auch im Himmel. Da Luther auch „in hymel" schreibt, setzt er voraus, daß auch für Menschen im Paradies nichts höher steht als die Erkenntnis Gottes. Maria, die Mutter Gottes, lehrt diese höchste mögliche Erkenntnis. Freilich m u ß m a n sie verstehen wollen. Wie sie diese Erkenntnis in Bezug auf das, was Gott an ihr getan hat, in den Versen 4 6 b - 4 9 vermittelt hat, so fährt sie n u n von Vers 50 an ebenso vortrefflich fort: N u n geht es u m Gottes Werke an allen Menschen. 7 9 6 Am besten erkennt m a n Gott aus seinen ,eigenen' Werken. 7 9 7 Da Luther behauptet, wer Gottes ,eigene' Werke recht erkenne, der werde sich über dessen Natur, Willen, Herz u n d Mut nicht täuschen, 7 9 8 kann es nicht u m ein Erkennen gehen, wie es auch einem Menschen möglich ist, der nicht glaubt. Es m u ß sich vielmehr u m ein Erkennen des Glaubens a u f g r u n d der Werke handeln, die Gott mit seiner .rechten H a n d ' tut. Was es damit auf sich hat, wird Luther erst weiter unten erläutern. 7 9 9 Schon jetzt ist jedoch festzuhalten, d a ß dieses Wirken Gottes zwar sehr effizient, aber nicht spektakulär ist. Die Entscheidung darüber, wie er die Verse 50 bis 53 exegesieren will, trifft Luther in einem gliedernden Vorspann mit dem folgenden Satz: „Vnnd das wirsz fassenn / sechsz gotliche werck / in sechszerley menschen zelet sie durch diese vier verszen nacheinander / vnd teylet die weit in zwey teyl / auff ygliche seytten drey werck vnd dreyerley m e n schen / vnd ist ein teyl ymer widder das ander / da weyszet sie / was got auff beyden seytten thu / malet y h n alszo abe / das er nit basz m o c h t abgemalet werden." 8 0 0 Als Interpretationsgrundlage f ü r die Verse Lukas 1, 5 0 - 5 3 wählt Luther Jer 9, 23-24a (Verszählung nach der Biblia Vulgata) u n d übersetzt diese beiden Verse so: „Es prange kein weyszer mensch auff seine weyszheit / Es prange kein geweitiger auff seine gewalt / Es prange kein reycher auff sein reychthumb / sondern darauff prange wer do prangen wil / das er mich erkenne vnd wisse / wie ich ein got byn / der do barmhertzickeit / gericht / vnd gerechtickeit auff erden mache." 8 0 1 Luther findet in diesen Versen ein sechsfältiges Werk Gottes beschrieben. Aber es geht ihm nicht n u r d a r u m , daß sich der Inhalt dem Gedächtnis gut einprägt, es geht 794 StuA 1, 343, 20-21. Wie beide genannten Gruppen (,sehr verständige Menschen' und .Philosophen') sich nach Luthers Meinung zueinander verhalten, macht er hier nicht deutlich. 795 StuA 1,343,22f. Luther könnte an Jes 44,18 denken: „Obliti enim sunt ne videant oculi eorum, Et ne intelligant corde suo." 796 StuA 1, 343, 24f. 797 Die zweite Aufzählung (StuA 1, 343, 27) ist vollständiger als die erste (StuA 1, 343, 19f.): „Art" fehlt zwar, aber zu „natur" und „willen" Gottes treten nun „hertz" und „mut". 798 StuA 1, 343, 26f. 799 Vgl. unten StuA 1, 349, 40-351, 25. 800 StuA 1, 343, 28-32. 801 StuA 1, 343, 34-38.

Lk 1, 50: „Vnd seyne barmhertzickeit weret von einem geschlechtynsz

ander"

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nicht nur um Mnemotechnik. Vielmehr sieht Luther die Aussagen im Magnifikat im Lichte seiner Deutung des Jeremiazitats. Das Verbum,prangen', das man heute in positiver Bedeutung etwa mit ,sich rühmen', in negativer mit ,mit etwas protzen' übersetzen könnte, erhält zentrale Bedeutung. Dadurch gibt Luther dem Abschnitt Lukas 1, 50-53 eine Stoßrichtung gegen eine ,Weisheit', die sich als Hoffart äußert. Zugleich mildert er auf diese Weise die sozialkritische Stoßrichtung der biblischen Verse ab. Hier schlägt sein Herz ganz offensichtlich weniger. Mit den Weisen, Gewaltigen und Reichen seiner Übersetzung des Jeremiaworts setzt Luther die Hoffärtigen, großen Herren und Reichen seiner Übersetzung des Magnifikat gleich. Hätte er stattdessen wie Müntzer aus dem Loblied der Hanna (I Sam 2) die Verse 4-8a zur Interpretation herangezogen, dann käme eine ganz andere Akzentsetzung zustande. Innerhalb des selbst gesetzten Rahmens bewährt Luther seine Fähigkeit zu kraftvoller Zuspitzung. Exegeten vor ihm haben liebevoll nachgezeichnet, welche großen Taten Gottes Maria rühme. Luther dagegen bringt Marias Lobpreis entschlossen auf einen Nenner: Gott wirkt zugunsten der Glaubenden, die auf Gottes Kraft vertrauen und niedrig sind, gegen die, die auf eigene Kraft vertrauen und Glauben verweigern. Solche Menschen finden sich besonders unter denen, denen ihre sozial herausgehobene Position Grund zur Hoffart bietet. Luther meint aufweisen zu können, auf welche Weise Maria Gott so gut wie überhaupt möglich darstellt. 802 Um so verständlich wie möglich zu sein, 803 gliedere Maria in Lk 1, 50-53 die Welt in zwei einander entgegengesetzte Teile. Jedem von beiden ordne sie drei Personengruppen zu. Jede Personengruppe handle jeweils auf eine bestimmte Weise. Um diese mnemotechnisch günstige Gliederung zu erreichen und um herausarbeiten zu können, worauf es ihm ankommt, setzt Luther sich darüber hinweg, daß die Verse 50 und 51 einander nicht so zugeordnet sind wie die Teilverse 52a zu 52b und 53a zu 53b. Es ist ihm gewiß auch nicht entgangen, daß Vers 51 zwei Verben enthält. Die Einteilung, die er Lk 1,50-53 gegeben hat, sei in der Heiligen Schrift nicht singulär, behauptet Luther, 804 und er verweist als Beweis auf Jer 9, 23-24 (Verszählung nach der Biblia Vulgata). Er hatte diese Verse bereits weiter oben paraphrasiert. 805 Dort war es ihm in erster Linie darauf angekommen, zu betonen, wer sich rühmen wolle, der müsse sich Gottes rühmen. 806 Nun setzt er diese beiden Verse zu einem anderen Zweck ein. Maria lehrt ja nach seiner Exegese hier, wie man Gott aufgrund seiner Werke an allen Menschen erkennen kann. Daher geht es Luther nun auch darum, daß in Jer 9, 23802

StuA 1, 343, 32. „das wirsz fassenn" (StuA 1, 343, 28). In Werken spätmittelalterlicher Theologen wird im Anschluß an Augustin häufig daraufhingewiesen, dergleichen Erinnerungsstützen seien vor dem Sündenfall nicht nötig gewesen. Erst der Sündenfall habe das Erinnerungsvermögen (memoria) der Menschen beschädigt. 804 StuA 1, 343, 33-34. 805 Siehe StuA 1,332, 34-36. 806 Es versteht sich, daß der, der sich Gottes rühmt, sein Vertrauen auf Gott setzt, während der, der sich einer Gabe Gottes in einer Weise rühmt, als könne er über diese Gabe Gottes souverän verfügen als über sein Eigentum, sein Vertrauen auf sich selbst, ein bloßes Geschöpf, setzt. 803

110

2.

Kommentar

24 verboten wird, sich der eigenen Weisheit, Macht (Gewalt) oder des eigenen Reichtums zu rühmen. 807 Im Magnifikat ist die Rede von Hoffärtigen, Gewaltigen 808 und Reichen. 809 Wenn man einen Menschen, der sich (gegen Jer 9, 23 Vulgata) eben doch der eigenen Weisheit rühmt, mit Lk 1, 51 ,hoffärtig' nennen will, ist die Parallelität zwischen beiden Bibelstellen offenkundig. Kann man doch auch Gottes Einschreiten gegen die Gewaltigen und die Reichen (Lk 1, 51b. 52a. 53b), wenn man will, als „Gericht und Gerechtigkeit auf Erden schaffen" (Jer 9, 24) bezeichnen. Ist doch auch von Gottes Barmherzigkeit sowohl in Jer 9,24 als auch in Lk 1,50.54 die Rede. Luther zieht die Verse Jer 9,23-24 (Verszählung der Biblia Vulgata) zur Interpretation von Lk 1,50-53 heran, 810 weil er davon durchdrungen ist, daß die Aussagen beider Bibeltexte auf derselben Linie liegen.811 Er betrachtet die Aufzählung der drei im Jeremiazitat genannten Güter Weisheit, Gewalt und Reichtum als erschöpfend: Hiermit ist alles genannt, was die Welt zu bieten hat. 812 Doch weil es in Jer 9, 23 heißt, man solle sich dieser Güter auch dann, wenn man sie besitze, nicht rühmen, entwertet [.zerbricht'] dieser „edle text" 813 diese Güter zugleich. 814 In Weisheit, Gewalt und Reichtum wird man Gott nicht finden, und er hat an ihnen kein Gefallen. Nicht in diesen Gütern, sondern in Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit ist Gott zu finden. 815 Er bewirkt diese drei Güter „auff erden". 816 Er ist also nahe, er läßt sich finden. Wer ihn als einen Gott erkennt, der sich nicht in Weisheit, Gewalt und Reichtum manifestiert, sondern in Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit, darf auf diese Erkenntnis Gottes 817 eine Zuversicht bauen, die auch Anfeindungen standhält, 818 und sich ihrer rühmen. 819 Luther setzt voraus, daß solche Erkenntnis sich nicht auf ein Zur-Kenntnis-Nehmen beschränkt. Wer Gott so erkennt, der macht auch die Erfahrung, daß er ihm hilft. Die Gegenbegriffe zu ,weise', ,gewaltig' und,reich', die er hier einführt, bildet Luther selbst. Es hätte nahe gelegen, sie aus seiner Übersetzung von Jer 9, 23 zu nehmen. 820 Dem, der nicht „weysze" ist, son807 Hatte Luther oben StuA 1,332, 34f. die lateinische Vokabel „gloriari" aus Jer 9, 23f. mit „sich rumen" übersetzt, so bevorzugt er nun (StuA 1, 343, 34-37) „prangen". 808 So vor der Einzelexegese (StuA 1,353,2). Von „groszen herrn" spricht Luther in der Übersetzung zu Beginn (StuA 1, 316, 23). 809 Lk 1,51b. 52a. 53b. 810 Vgl. auch Maurer: Von der Freiheit eines Christenmenschen, S. 85. Maurers Schema suggeriert freilich zu Unrecht, daß Luther bei der Exegese von Lk 1,52 f. konsequent,Gericht' und,Gerechtigkeit' aus Jer 9, 23f. als Leitbegriffe benutzt habe. 8,1 „stympt mit dieszem gesang der mutter gottis" (StuA 1, 344, 1). 812 „das er allis was die weit hat teylet in drey teyl" (StuA 1, 344, 2). 813 StuA 1, 344, 1. 814 StuA 1, 344, 3. 815 „Da byn ich " (StuA 1, 344, 5). 816 StuA 1, 344, 6f. 817 Vgl. Jer 9, 23: „der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich kenne..." 818 „trotzen" (StuA 1, 344, 7) enthält neben dem Element der Zuversicht auch das des Widerstands gegen Anfeindungen. 819 „prangen" (StuA 1, 344, 8). 820 Um deutlich zu machen, wie Luther Zitate und Interpretation miteinander verwebt, setze ich die wörtlich übernommenen Begriffe in Anführungszeichen.

Lk 1, 50: „Vnd seyne barmhertzickeit

weretvon

einem geschlechtynsz

ander"

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dem armen Geistes,821 sagt Gott seine „barmherzickeit" zu.822 Den, der nicht „geweitig" ist, sondern unterdrückt, rettet Gott durch sein „gericht".823 Bei dem, der nicht „reych" ist, sondern arm und bedürftig, ist Gottes „gerechtickeit" um so mehr. 824 Anschließend führt Luther näher aus, was er zunächst nur kurz behauptet hatte: die Begriffe Weisheit, Gewalt und Reichtum in Jer 9, 23 stehen für alles, dessen sich ein Mensch rühmen kann. 825 Es fällt auf, wieviel ausführlicher und intensiver Luther über ,weyszheit' spricht als über ,gewalt' oder gar über .reichtumb'. Bei der ,weyszheit' geht es um das, „was in der seelen ist".826 Sich dessen zu rühmen hält Luther für viel gefährlicher als darauf zu,prangen', daß man über Menschen oder über Güter herrscht 827 oder gar sein Vertrauen darauf zu setzen, „was dem leyb euserlich guttis begegen mag." 828 Unter die Gabe der ,weyszheit' subsumiert Luther sowohl geistige Fähigkeiten wie Verstand, Vernunft, Scharfsinn und Fähigkeit als auch deren Bewährung in Zuverlässigkeit,829 Tugend und einer als gut anerkannten Lebensweise. All' das weist er der Seele zu. Man nennt diese Güter göttlich und geistlich. Gott verleiht diese Geistesgaben, das macht Luther dadurch deutlich, daß er in diesem kurzen Abschnitt zweimal von „hohe[n]/hoch gaben" spricht. 830 Nennt er sie an der ersten Stelle ohne Einschränkung ,hoch', so grenzt er an der zweiten ab: Gott selbst schenkt sich in diesen Gaben nicht. 831 Wer über Gaben verfügt, die man zur Weisheit rechnet, darf Anerkennung, Ruhm und Ansehen erwarten. 832 Zur Gabe der ,gewalt' rechnet Luther die Ausübung obrigkeitlicher Funktionen, Zugehörigkeit zum Adel, Unterstützung durch mächtige Freunde, Würde und Ehrbarkeit. Gewalt ausüben kann man über irdische Güter 833 und über Untertanen, deren weltlicher Herr man ist, oder über geistliche Güter 834 und Untertanen, deren kirchlicher Herr man ist. Luther formuliert sofort den Vorbehalt, daß die Heilige Schrift keine geistliche Obrigkeit kenne, sondern nur ,Unterkeit', keine geistliche Gewaltausübung, sondern nur Dienstbarkeit, 835 obwohl er damit den Gedankengang empfindlich unter-

821 Luther wählt die Formulierung, die vor allem aus Mt 5,3 bekannt ist, anstelle des Ausdrucks „die, die ihn fürchten" aus Lk 1, 50. 822 StuA 1, 344, 8 f. 823 StuA 1, 344, 9 f. 824 StuA 1, 344, lOf. 825 Die Passage StuA 1, 344, 12-22 liefert die Argumente für die These in StuA 1, 344, 2 f. 826 StuA 1, 344, 15. 827 StuA 1, 344, 16-18. 828 StuA 1, 344, 21 f. 829 „frumkeit" (StuA 1, 344, 14). 830 StuA 1, 344, 12. 16. 831 StuA 1, 344, 15f. 832 StuA 1,344, 13. Die Erläuterung des Herausgebers Seils auf S. 344, Anm. 233 der Studienausgabe f ü h r t irre: .gutdunckel' ist hier positiv zu werten u n d eben nicht als ,Einbildung' zu übersetzen. 833 „zeitlich ... gutter" (StuA 1, 344, 18). Der lateinische terminus technicus d a f ü r lautet: .temporalia'. 834 „ geistlich gutter" (StuA 1, 344, 128). Der lateinische terminus technicus lautet: .spiritualia'. 835 StuA 1, 344, 18-19. Vgl. dazu beispielsweise Mt 20, 26 par. M k 10, 43.

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2.

Kommentar

bricht. Wer über solche ,gewalt' verfügt, hat Rechte, Freiheiten und Vorteile, die andere nicht besitzen. 836 Zur Gabe des ,reichtumbs' schließlich rechnet Luther alles, was dem Leib von außen her an Gutem begegnen kann: Gesundheit und Körperkraft, Wohlgestalt und Lustempfinden. 837 Gott wirkt gegen die, die ihr Vertrauen auf ihre eigene Weisheit setzen oder auf Gewalt und Reichtum, zugunsten der geistlich Armen, der Unterdrückten und derer, denen sogar fehlt, was sie brauchen, um ihr Leben zu fristen. 838 Das Schema ist fertig. Luther hat es nicht an Lk 1,50-53 entwickelt, sondern an Jer 9, 23-24 (Vulgata-Zählung). Nun fügt er die sechs Aussagen, die er in Marias Lob der Werke Gottes an allen Menschen findet, in dieses Schema ein.

2.9. „Das erst werck gottis / die Barmhertzickeit" (StuA 1,344, 25-349, 30) Luther hat sich vorgenommen, die sechs umfassenden Werke Gottes, die er in Jer 9 , 2 3 24 (Verszählung der Biblia Vulgata) genannt findet, der Reihe nach in guter Ordnung darzustellen. 839 Doch das gelingt ihm nicht. Er beginnt zwar damit, daß Maria zuerst von den höchsten und größten, den geistlichen, inwendigen Gütern rede. Nun wäre von Gottes Barmherzigkeit zu sprechen, die er nach Luthers Formulierung aus seiner Exegese von Jer 9, 23 (Vulgata) den geistlich Armen, 840 nach Lk 1, 50 denen, die ihn fürchten, erweist. 841 Doch statt zunächst einmal wirklich über das Eingreifen Gottes zugunsten dieser Gruppe von Menschen zu reden, springt Luther hier nun sehr schnell zu Aussagen über Gottes Handeln gegen die, die Gott nicht fürchten, die sich vielmehr auf ihre eigene Weisheit verlassen und daher als hoffärtig zu tadeln sind. Er greift also ungeachtet der Abfolge in den Versen Lk 1, 50f., in denen zuerst von Gottes Barmherzigkeit die Rede ist und dann erst davon, daß er Gewalt übt, und ohne Rücksicht auf die von ihm selbst gewählte Überschrift „Das erst werck gottis / die Barmhertzickeit" auf Lk 1, 51b vor. Die „geistlichen inwendigen gutter[n]", 842 die Gott verleiht und derer es sich laut Jer 9, 23 nicht zu rühmen gilt, als wären sie eigenes Verdienst, verleiten nach Luthers Ansicht am stärksten. Weder Reichtum noch Macht sind gleich gefährlich. 843 Damit ist Luther aber auch schon von der Darstellung der von Maria gemachten positiven Aussage über Gottes Barmherzigkeit (Lk 1, 50, vgl. Jer 9, 24: „der Herr ..., der 836 837 838 839

StuA 1, 344, 19f. StuA 1, 344, 20-22. StuA 1, 344, 22 f. „Nu wollen wir wir die sechs werck vnnd stuck ordenlich sehen nacheinander." (StuA 1, 344,

23f.) 840 841 842 843

Vgl. StuA 1, StuA 1, 343, StuA 1, 344, StuA 1, 344,

344, 8f. 3 und 344, 26-27. 27-28. 29-30.

,Das erst werck gottis / die

Barmhertzickeit"

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Barmherzigkeit ... übt") bei Aussagen über die Hoffärtigen. Die Begründung dafür, daß er die Darstellung von Gottes barmherzigem Handeln so verkürzt, ist wohl in dem Satz zu finden: „Ein solch volck zu vnsern zeytten für allen andern / ist der Bapst mit seinem hauffen ...".844 Die Auseinandersetzung mit seinen Gegnern an der Kurie beschäftigt Luther offenbar derartig, daß er nicht wartet, bis ihm sein Text Gelegenheit bietet, sie mit den .Hoffärtigen' zu identifizieren. Er entfaltet deswegen gegen seine eigene Ankündigung nicht, wie Gottes Barmherzigkeit in den „geystliche gutter vnd hohe gaben", 845 die er aufgezählt hat, zur Geltung kommt. 846 Stattdessen greift er die Gegner an der Kurie als Menschen an, die sich zu rühmen wagen, Gott sei auf ihrer Seite. Erst dadurch, daß er ihnen Gottesfurcht abspricht, schlägt er die Brücke zu Lk 1, 50. Die Polemik gegen die ,Hoffärtigen' schiebt sich in den Vordergrund, gegen die, die von, Weisheit der Welt' erfüllt sind, die (in seiner Formulierung) auf das,Gemüt des eigenen Herzens' vertrauen und dadurch Gottes größte Tat, die Rettung durch seinen Sohn, als unnötig abweisen. Hier sieht Luther die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders gefährdet. 847 Zur gleichen Zeit wie die Auslegung des Magnifikat entsteht Luthers Schrift gegen Ambrosius Catharinus. In ihr möchte er aufdecken, daß das Amt des Papstes eine endzeitliche Struktur aufweist. 848 Daran wird deutlich, weshalb Luther zu dieser Zeit so auf die päpstliche Kurie fixiert ist. Höchst gefährlich ist eine verfehlte Einstellung zu den geistlichen Gütern. 849 Eigentlich sind es die höchsten Güter, die Gott vergibt. 850 Die falsche Einstellung zu ihnen aber macht die, die sich solche Güter selbst zurechnen, statt sie als verliehene Gaben zu betrachten, zu den hoffärtigsten Menschen, die leben. 851 Die beiden anderen Güter, Reichtum und Macht, verleiten nicht zu derartiger Aufgeblasenheit und zu derartigem Übermut. 852 Nur Menschen, die sich geistliche Güter nicht selbst zurechnen, fürchten 844 StuA 1,345,27. - Bei diesem negativen Urteil über den regierenden Papst haben gewiß die Erfahrungen eine Rolle gespielt, die Luther und viele Zeitgenossen mit Papst Leo X. gesammelt haben. Er war ein Sohn des Mediceers Lorenzo il Magnifico und regierte als Papst 1513-1521. 845 StuA 1, 344, 12. 846 Vgl. StuA 1, 344, 12-16. 847 Vgl. dazu Mostert, Die theologische Bedeutung, S. 75: „Polemik ist nötig, nicht weil die Wahrheit des Glaubens begründet und verteidigt werden müßte, sondern weil der Wahrheit des Glaubens, also dem Wort Gottes, ins Wort gefallen wird." 848 Vgl. Luther: Ad librum Eximii Magistri Nostri Magistri Ambrosii Catharini, Defensoris Silvestri Prieriatis acerrimi, Responsio Martini Lutheri. Cum expósita visione Danielis VIII. De Antichristo (WA 7, Einleitung: 698-704, Text: 705-778). Vgl. dazu Selge, La Chiesa in Lutero, S. 18, und RieskeBraun: Duellum mirabile. Zu Luthers Einstellung zum Papsttum und zu den Inhabern des Papstamts vgl. Kirchner: Luther und das Papsttum. 849 Im Text steht freilich nur, daß der Besitz geistlicher, inwendiger Güter Menschen am hoffärtigsten, stolzesten und halsstarrigsten mache (StuA 1,344,27-29). Doch versteht sich, daß es nicht an den Gütern als solchen liegt, sondern an der Einstellung zu diesen Gütern. 850 Vgl. oben die Aussage: „der geist / ist das hohste / tieffiste / edliste teil des menschen / damit er geschickt ist / vnbegreiflich / vnsichtige / ewige ding zu fassen." (StuA 1, 320, 19-21). Im Geist können Gottes Wort und Glaube wohnen. 851 StuA 1, 344, 28-29, vgl. Lk 1, 51b. 852 StuA 1, 344, 29 f.

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2.

Kommentar

Gott. 853 Wer sich anders verhält, ist demnach nicht wirklich weise, sondern ein ,Klügler',854 der sich lediglich einbildet, weiser zu sein als andere Menschen. 855 Wenn so jemand eingestehen soll, daß er Unrecht habe, so zeigt sich sein völliger Mangel an Furcht Gottes 856 darin, daß er sich zu rühmen wagt, er könne nicht irren. 857 Wer die Weisheit gepachtet zu haben meint, behauptet im Konfliktfall, Gott sei auf seiner Seite, die Gegner seien des Teufels. So jemand wagt es, Aussagen über Gottes Gericht zu machen, 858 während Gottes Gericht nach Luthers Interpretation von Jer 9, 24 doch gerade den Unterdrückten zugute kommt. 859 Wenn jemand von dieser Art Verfügungsgewalt 860 und weltliche Macht in die Hände bekommt, dann kennt er keine Gnade mit seinen Widersachern. Er verdirbt deren Ruf, 861 urteilt sie ab und verfolgt sie: er trachtet ihnen nach dem Leben, 862 treibt sie aus dem Lande 863 oder richtet sie zugrunde. 864 Nicht genug damit, daß er solche bösen Taten verübt, er rechtfertigt sie auch noch damit, daß er sie getan habe, um Gott zu dienen 865 und ihn zu ehren: 866 Damit erklärt er seine Gegner zu Feinden Gottes. Polemisch fügt Luther hinzu: So jemand ist fast gewisser, vor Gott Verdienst erworben zu haben, als die Engel im Himmel. Meint er doch, Gott schulde ihm Dank, weil er dessen Feinde bekämpft habe. Hoffärtige Menschen sind aufgeblasen wie eine einzige große Blase, die zwar eindrucksvoll wirken mag, aber eben nur mit Luft gefüllt ist.867 Die Heilige Schrift droht solchen Leuten oft und heftig, aber sie beziehen es nicht auf sich. Obwohl sie vernunftbegabte Menschen sind, die sich diese Drohungen gesagt sein lassen sollten, erweisen

853

Vgl. StuA 1, 349, 19-25. StuA 1, 344, 30. 855 StuA 1, 344, 30-31. 856 Dadurch, daß Luther Gottesfurcht thematisiert, kommt er auf den Vers zu sprechen, den er auslegt, Lk 1, 50. Über,Furcht Gottes' hat Luther sich innerhalb der Auslegung des Magnifikat besonders im Widmungsbrief an Herzog Johann Friedrich geäußert. Er hat sie dort als vor allem für Oberherren nötig bezeichnet, die Menschen nicht fürchten müssen (StuA 1, 315, 21 f.). 857 Petrus Johannis Olivi hatte 1280 erstmals die Lehre vertreten, der Papst sei in Fragen des Glaubens und der Sitten unfehlbar. Aegidius Romanus OESA (ca. 1243-1316) entwarf eine ganz auf das Papstamt zugespitzte Ekklesiologie. Die Infallibilität des Papstes wurde von Papalisten ganz besonders in der Auseinandersetzung mit Theologen behauptet, die - gerade auch im Zusammenhang mit dem Großen Abendländischen Schisma - die Theorie von der Überordnung des Generalkonzils über das Amt des Papstes vertraten, den Konziliaristen. 858 StuA 1, 344, 34. 859 Vgl. StuA 1, 344, 9f. 860 „fug" (StuA 1, 344, 34). 861 „lestert" (StuA 1, 344, 36). 862 „würget" (StuA 1, 344, 36). 863 „voriagt" (StuA 1, 344, 36). 864 „vorstoret" (StuA 1, 344, 36). 865 Vgl. in Luthers Schriftbeweis Joh 16,2: „werden meynen/ siethun gotteein grossen dinst." (StuA 1,345, 1) 866 StuA 1, 344, 36f. 867 StuA 1, 344, 39: „O wie eine grosz blasze ist das." Vgl. auch weiter oben „szo auffgeblaszen vnd mutig" (StuA 1, 344, 29f.). 854

„Das erst werck gottis / die

Barmhertzickeit"

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sie sich als noch weniger sensibel als ein Amboß, der nicht spürt, wie der Schmied mit dem schweren Hammer auf ihn schlägt.868 Die Haltung dieser Menschen ist in der Heiligen Schrift prophezeit. In seinem Schriftbeweis führt Luther Belege für recht unterschiedliche Vorwürfe an die Adresse seiner Gegner an. Für die Nachstellungen verweist er darauf, daß Christus seinen Jüngern geweissagt hat, daß ihre Gegner einmal meinen würden, Gott einen Dienst zu erweisen, wenn sie sie töteten. 869 Den „Bapst mit seinem hauffen" 870 will er auch in den Feinden der Frommen von Ps 10,5f. 871 geweissagt finden.872 Da in Lk 1,51b Hoffart getadelt wird, findet Luther seine Gegner auch in den Weissagungen gegen das Volk der Moabiter wieder: Übertrifft doch dessen Hochmut, Arroganz und Zorn nach Aussage Jesajas seine Macht, 873 brandmarkt Jeremia die Moabiter doch als hochmütig. 874 Luther betrachtet diese Weissagungen als bereits innerhalb der Heiligen Schrift zum Teil erfüllt, und zwar durch die Feindschaft der Juden gegen Christus und die Apostel. 875 Doch bleiben diese Weissagungen seiner Meinung nach aktuell: Zu seiner eigenen, Luthers, Zeit sind der Papst und sein Anhang gemeint. Schon seit langem sind sie derartig hoffärtig. 876 Die Freunde Hiobs nahmen sich heraus, Gott hoch zu loben und im gleichen Atemzug ihre vermeintliche Weisheit 877 gegen Hiob zu wenden. Generell gilt, daß Menschen dieser Art sich nicht zurechtweisen lassen. Sie halten es für unmöglich, daß sie es sein sollten, die irren oder nachgeben müssen. 878 Sie wollen sich durchsetzen selbst um den Preis, daß die ganze Welt darüber zugrunde gehen müßte. Luther betrachtet sie als einen »verlorenen Haufen', 879 als Menschen, die in der Heiligen Schrift vielerorts getadelt werden. Wenn man die biblischen Belegstellen überprüft, die er in seinem Schriftbeweis anführt, so stellt man fest, daß Luther sich die Freiheit nimmt, bei den Gegnern der From868

StuA 1, 344, 40 f. Joh 16,2. Luthers Ergänzung: „vnd voriagen" (StuA 1,345,1) bündelt entweder die Aussage, die Jünger würden aus den Synagogen getrieben werden, oder sie ist Interpretation. 870 StuA 1, 345, 27. 871 Nach der Zählung der Biblia Vulgata Psalm 9B, Verse 5 f. Luther läßt sich hier den Hinweis darauf entgehen, d a ß die Verfolger [zu Unrecht] Dauer erwarten „a generatione in generationem", wie Maria [in Lk 1, 50, nach Luthers Aufassung zu Recht] sagt: „a progenie in progeniem". 872 Luther füllt die Aussage dieser Verse auf, wenn er schreibt: „als solt er sagenn. Ich hab recht / ich thu wol / got wirt mir grosz lohn d r u m b geben etcetera." (StuA 1, 345, 3f.) Von der Erwartung eines Lohns f ü r die Verfolgung der wahrhaft Gottesfürchtigen ist in diesen Psalmversen keine Rede. 873 Jes 16, 6. Luther leitet daraus ab, d a ß Menschen dieser Art generell gerne m e h r ausrichten würden, als in ihrer Macht steht. 874 Jer48, 29. 875 StuA 1, 345, 8 f. 876 Vgl. „Einsolchs volck waren die J u d e n . . . " (StuA 1,345,8) mit „Ein solch volck zu vnsern zeytten für allen andern / ist der Bapst mit seinem hauffen / vnd lange zeyt gewesen ..." (StuA 1, 345, 27f.). 877 „weyszlich redten" (StuA 1,345,10), zu Luthers Polemik gegen solche Weisheit vgl. bereits StuA 1, 343, 34-35 (Jer 9, 23) u n d StuA 1, 344, 8f. 878 StuA 1,345, 11 f. 879 In der Sprache der Landsknechte zu Luthers Zeit bezeichnet der,verlorene Haufe' eine Schar von Freiwilligen, die im Kampf eine besonders riskante Aufgabe ü b e r n i m m t . 869

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2.

Kommentar

men Hoffart einfach vorauszusetzen. Mit einer Schlange, die sich nichts sagen läßt, werden nicht ,Hoffärtige', sondern .Sünder' verglichen. 880 Einhörner, deren Hörner den Frommen bedrohen, symbolisieren nicht .Hoffärtige', sondern .Übeltäter'. 881 Als Löwen erscheinen .Verfolger',882 .Gottlose', ,Sünder', .Ungerechte', 883 .gottlose Feinde',884 als,raubende und brüllende' Löwen,Übeltäter', die den Beter verlachen, 885 .boshafte Schädiger' 886 und,Zermalmer'. 887 Die Verhärtung der Bewohner Jerusalems wird mit der von Felsen verglichen. 888 Hochmütige ,Gegner' lassen sich mit Meeresdrachen vergleichen. 889 Wenn Luther bei all' diesen Frevlern ,Hoffart' einfach voraussetzt, so wird deutlich, daß er die Überzeugung teilt, daß Hoffart die Wurzel aller Empörung gegen Gott ist.890 In der Beschreibung des Behemoth im Buch Hiob 891 sieht Luther die hoffärtigen Gegner besonders zutreffend charakterisiert. Dabei geht er davon aus, daß hinter dem Literalsinn dieser Aussagen ein geistlicher Sinn verborgen sei.892 Nicht umsonst gebraucht Gott für dieses eine Ungeheuer, den Behemoth, eine Vokabel, die eine Mehrzahl bezeichnet! 893 Gott will mit .behemoth' (nach Luthers Etymologie: .Tiere') Menschen bezeichnen, deren Verstand dem von Tieren gleicht, Menschen, die Gottes Geist nicht in sich regieren lassen. 894 Offenbar ohne nachzuschlagen fügt Luther Aussa-

880

Schlange: Ps 58 (57), 5; Sünder (peccatores): Ps 58 (57), 4. Einhörner: Ps 22 (21), 22; Übeltäter (malignantes): Ps 22 (21), 17. An Lk 1,48 (humilitatem) und Lk 1, 52 (humiles) klingt in Ps 22 (21), 22 an: „Salva ... humilitatem meam." 882 Löwe: Ps 7, 3; .Verfolger' (persequentes): Ps 7, 2. 883 Löwe: Ps 10 (9), 9; .Gottloser' (impius): Ps 10 (9), 2; .Sünder': Ps 10 (9), 3f.; .Ungerechter' (iniquus): Ps 10 (9), 3. - Löwe: Ps 58 (57), 7; .Sünder', näher qualifiziert durch .iniquitates' und .iniustitiae': Ps 58 (57), 3. 884 Löwe: Ps 17 (16), 12; .Gottlose' (impii) = .meine Feinde' (inimici mei): Ps 17 (16), 9. 885 Löwe (leo rapiens et rugiens): Ps 22 (21), 14. Löwe ohne Attribut: Ps 22 (21), 22; Spott: Ps 22, 8; Übeltäter (malignantes): Ps 22, 17. 886 Löwen: Ps 35 (34), 17; .Bosheit' (malignitas): Ps 35 (34), 17; .Schädiger' (nocentes): Ps 35 (34), 1. 887 Junge Löwen: Ps 57 (56), 5; .Zermalmer' (conculcantes): Ps 57 (56), 4. 888 Verhärtung: Vgl. Jer 5, 3; die kritisierte Gruppe: Jer 5, 1. 889 Meeresdrache: Ps 74 (73), 13 f.; .Gegner' (inimicus, adversarius): Ps 74 (73), 3 (hier ist wirklich die Rede von Erweisen des Hochmuts [superbiae]). 10. 890 p e t r u s Lombardus hat den Universitätstheologen des Hohen und Späten Mittelalters auf der Grundlage von Kirchenväterzitaten eingeprägt, der Hochmut sei die Wurzel der Ursprungssünde. Vgl. etwa zum Ursprung des peccatum originale Sent. lib. 2, dist. 22, cap. 1, 8 (ed. Quaracchi Bd. I/II, S. 440, 28-29): „in mente eius [= mulieris] orta est elatio, quam peccatum operis secutum est et poena peccati." Und unter Berufung auf Augustins ,De Genesi ad litteram' und auf Gregors des Grossen .Moralia' Sent. lib. 2, dist. 42, cap. 7,265 (ed. Quaracchi Bd. I/II, S. 571,4-5): „Initium omnis peccati est superbia, quae est amor propriae excellentiae." 891 Hiob 40. Die Verszählung der Biblia Vulgata weicht ab. 892 Die Verbindung zwischen dem Vorwurf des Hochmuts und dem Leviathan wird beispielsweise in Hiob 41, 25 (Vulgata) hergestellt: „Er [der Leviathan] ist König über alle Kinder des Hochmuts." 893 Im hebräischen Wörterbuch von Koehler-Baumgartner wird immerhin erwogen, dass .behemoth' pluralis extensionis von .behema' sein könne. Luthers Deutung ist also immerhin möglich. Eigentlich ist allerdings schon .behema' ein pluraletantum und bezeichnet Tiere (anders Luther: StuA 1, 345, 18). 894 Vgl. zu Luthers Erwartung, gut regiert werde nur der, der von Gott regiert werde, oben: „von got gnediggeregiert" (StuA 1,314,25),Gegensatz: „vngnedig regiert" (StuA 1,315, l);„wadergeyst nit mit 881

,Das erst werck gottis / die

Barmhertzickeit"

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gen an, die sich innerhalb der Gottesrede im Hiobbuch nicht mehr auf den Behemoth, sondern auf den Leviathan beziehen: Gott sagt zu Hiob, dessen Augen seien wie die Wimpern der Morgenröte. 895 Nach Luthers Deutung will Gott damit tadeln, daß die [vermeintliche] Klugheit dieser Menschen kein Maß kennt. 896 Gott sagt [vom Leviathan], seine Haut sei so hart, daß er darüber spotten könne, wenn jemand versuche, sie durch Schießen oder Stechen zu durchlöchern. 897 Damit prangert Gott nach Luthers Interpretation an, daß diese Menschen so gewiß sind, daß ihr Recht keiner höheren Instanz unterliegt, daß sie nur lachen, wenn man sie in einer Predigt tadelt. 898 Mit der Aussage, die Schuppen [des Leviathan] schützten ihn derart lückenlos, daß nicht einmal ein Luithauch hindurchdringe, 899 soll nach Luthers Deutung ausgesagt sein, diese Menschen verhinderten, daß der Geist Gottes in sie kommen könne. 900 Wenn es innerhalb der Gottesrede im Hiobbuch heißt, das Herz des Leviathan sei so hart wie der Amboß eines Schmieds, 901 dann macht Luthers Übersetzung mit „verhärtet" schon die Kritik deutlich: diese Menschen haben völlig verhärtete Herzen.902 Gott schildert nach Luthers Überzeugung im Leviathan den Körper des Teufels!903 Wen anders als den Teufel kann Gott meinen mit der Aussage im Hiobbuch: „Er ist König über alle Kinder des Hochmuts"? 904 Diese abschließende Aussage rechtfertigt es Luthers Meinung nach, den ganzen Abschnitt über den Behemoth [und den Leviathan] auf die Hoffärtigen zu beziehen, von denen Maria in Lk 1, 51b spricht. Diese „hoffertigisten ... leut auff erden" 905 sieht Luther zu seiner eigenen Zeit und schon seit langem 906 im jeweiligen Papst mit denen, die zu ihm halten. Sie stehen schon lange unter der Drohung, Gott werde sie zerstören oder zerstreuen. 907 Gegenwärtig treiben sie es schlimmer als je zuvor. 908 Sie hören nicht zu, lenken nicht ein, sie lassen sich weder etwas sagen noch raten, weder auf freundliches Bitten noch auf Drohen hin dem glawben / als mit eynem h o h e m Hecht erleucht / disz liecht der vornunfft regiert / so m a g sie n i m mer on y r t h u m sein." (StuA 1, 320, 33f. 321, 1). 895 Hiob 41, 9 (Vulgata). 896 StuA 1, 345, 20f. 897 Vgl. Hiob 40, 21. 25f. 41, 17-20 (Vulgata). 898 Luther tadelt hier papalistische Sätze wie beispielsweise: „Papa a nemine iudicetur" oder die Zwei-Schwerter-Theorie. Vgl. Luthers Aussagen von der ersten der drei Mauern, mit denen sich die Kurie in Rom gegen Kritik zu schützen wisse, in: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, 1520 (WA 6 , 4 0 6 , 2 3 - 2 6 = StuA 2, 98, 2 2 - 2 5 u n d WA 6, 407, 9 - 4 1 1 , 7 = StuA 2, 99, 15-104, 5). Auf diese Polemik wurde bereits oben in A n m . 754 hingewiesen. - Am 10.12. 1520 verbrennt Luther a m Elstertor in Wittenberg ein Exemplar des Kanonischen Rechts. Zusammenfassend: Kirchner: Luther u n d das Papsttum, ferner Hendrix: Luther and the papacy. 899 Vgl. Hiob 41, 6f. (Vulgata). 900 StuA 1, 345, 23-25. 901 Vgl. Hiob 41, 15 (Vulgata). 902 StuA 1, 345, 25. 903 StuA 1, 345, 25f. 904 Hiob 41, 25 (Vulgata). 905 StuA 1, 344, 28 f. 906 StuA 1, 345, 27f. 907 Lk 1, 51b nach den beiden Übersetzungen dieses Verses in Luthers Magnifikatauslegung. 908 StuA 1,345, 28.

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2.

Kommentar

ändern sie sich. Luther faßt ihre Haltung in eigenen Worten zusammen: ,Wir haben Recht. 909 Und wenn die ganze Welt910 uns Unrecht gäbe, dabei soll es bleiben!'

Exkurs: Sich zum Recht bekennen. Recht durchsetzen. Die Gliederung des Kommentars wird nun unübersichtlich. Nicht genug damit, daß Luther statt von Gottes Barmherzigkeit (Lk 1, 50) von den Hoffärtigen (Lk 1, 51) redet: er schiebt in diesen Vorgriff einen dreistufigen Exkurs ein. 911 Hält er es doch für nötig, sich über die Durchsetzung des Rechts zu äußern. Wiederholt hat er die Einstellung des Papsts und der Kurie zum Recht getadelt, zunächst, daß sie es nicht einmal für möglich halten, daß sie im Unrecht sein könnten, 912 dann, daß sie ihr Recht absolut setzen. 913 Erst später verknüpft er diesen Exkurs dadurch mit Lk 1, 50, daß er die Haltung, die er fordert, als Furcht Gottes bezeichnet, 914 der Gott Barmherzigkeit erweise. Luther schreibt diesen Exkurs während seiner Schutzhaft auf der Wartburg im kirchlichen Bann und in der kaiserlichen Acht. Das verleiht seinen Aussagen besondere Glaubwürdigkeit. Er formuliert seine Auffassung davon, was die Heilige Schrift zur Haltung eines Christen im Streit um sein Recht sage. Es geht um das Bekenntnis zum Recht und um dessen Durchsetzung. Wann m u ß er darauf verzichten? Wessen muß ein Christ gewiß sein, um für die Durchsetzung des eigenen Rechts streiten zu dürfen? 915 Um die Brisanz dieser Erörterungen hervorzuheben, genügt es, daran zu erinnern, wie brennend im Großen Deutschen Bauernkrieg die Frage werden wird, ob die Bauern ihrer Obrigkeit widerstehen dürfen. Wenn sich nachweisen ließe, daß die Bauernkriegsführer, die erwarteten, daß Luther ihre Art der Argumentation mit der christlichen Freiheit unterstützen werde, Luthers Auslegung des Magnifikat gekannt haben, so wäre bewiesen, daß sie im Grunde wußten, daß sie von Luther keine Unterstützung erhoffen durften und lediglich versucht hätten, ihn doch noch zu einer Änderung seiner Stellungnahme zu bewegen. Ergiebig ist dieser Exkurs zum Streit ums Recht auch für die Frage, ob die Anhänger der Reformation nach Luthers Auffassung Kaiser Karl V. Widerstand leisten durften. 909

Vgl. den Satz: „yhr recht sol nit strefflich sein" (StuA 1, 345, 22f.). Die ,Welt' erscheint hier ausnahmsweise nicht im theologisch qualifizierten Sinn als gegen Gott stehende Größe, sondern als Masse, der sich der Papst mit seinem Anhang notfalls entgegenstellt, u m den eigenen Standpunkt durchzusetzen. 911 Die drei Stufen: 1. Die Einstellung, die ein Christ in einem Rechtsstreit einnehmen soll (StuA 1, 346,10-42). 2. Bekenntnis zum Recht und gelassenes Warten auf Gottes Urteil (StuA 1, 347,1-348,4). [Exkurs im Exkurs: Rechtspflege und Rechtsverzicht des Landesherrn (StuA 1,348,5-32)]. 3. Des Christen Bekenntnis zum Evangelium und Rechtsverzicht (StuA 1, 348, 33-349, 18). 912 StuA 1,345, 11 f. 913 StuA 1,345, 30 f. 914 StuA 1, 346, 3. 22. 31; 349, 21. 915 Vgl. Maron: „Niemand soll sein eigener Richter sein". Eine Bemerkung zu Luthers Haltung im Bauernkrieg. 910

Exkurs: Sich zum Recht bekennen

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Der Exkurs bezieht ferner Stellung zur Frage, ob ein Herr zugunsten seiner Untertanen auf andere Weise tätig werden müsse als dann, wenn es um sein eigenes Recht gehe, womit ein Teil des Problems angerührt ist, das Luther später mit seinen Aussagen über Gottes zwei Reiche und zwei Weisen des Regierens behandeln wird. Luther formuliert vorbereitend sechs Einwürfe. 916 Als Wechselbegriff für ,Recht' setzt er dabei .Wahrheit' ein. Die Wahrheit schlechthin ist das Evangelium. Eintreten für Recht und Wahrheit, gar für das Evangelium, fordert notfalls sogar den Einsatz des Lebens.917 Auch Christus selbst hat doch darauf bestanden, Recht zu haben. Was ist also tadelnswert am Anspruch des Papstes und seiner Kurie, im Recht zu sein? Können sie nicht auch einmal Recht haben und entsprechend handeln, 918 vor Menschen 919 und ihrem eigenen Geplärr 920 nach sogar vor Gott? Luther erkennt an, daß es nicht einfach ist, diese Fragen zu beantworten. Man m u ß rechten Unterricht über das Recht [erteilen und] erhalten. 921 Recht und Wahrheit soll man nicht verleugnen, und wenn es auch nur ums Geringste ginge. Luther stimmt auch dem Einwand zu, daß Papst und Kurie zuweilen im Recht sein mögen. Doch verderben sie ihre in diesen Fällen gerechte Sache dann dadurch, daß sie ihr Recht nicht rechtlich durchsetzen. Sein Recht rechtlich durchsetzen kann nach Luthers Auffassung nur, wer in Gottesfurcht handelt. 922 Es gilt, sich dabei stets Gott vor Augen zu stellen. 923 Papst und Kurie aber meinen, im Recht zu sein genüge. In ihrer eigenen Macht liege es nun, ihr Recht durchzusetzen. Aus eigener Macht meinen sie handeln zu sollen, und aus eigener Macht wollen sie das auch tun. 924 Bei der Durchsetzung ihres Rechts spielt Gott für sie nach Luthers Meinung keine Rolle. Damit setzen sie sich selbst dann ins Unrecht, wenn sie Recht haben. 925 Luther will das an einem leicht verstehbaren Beispiel aus dem menschlichen Recht deutlich machen. Gleich doppelt betont er, daß das menschliche Recht einfach (grob) sei und daß deshalb auch das Beispiel einfach (grob) sein könne. Doch weist er schon jetzt daraufhin, daß es für den Papst und die Kurie noch viel gefährlicher wird, wenn es nicht um die einfachen Fragen menschlichen Rechts geht, sondern um die erhabenen Fragen, die sich mit Gott und seinem Recht beschäftigen. 926 Dann sind sie eben nicht 916

StuA 1, 345, 32-35. StuA 1, 345, 33f. 918 „Es geschieht yhe / das solch leut etwa öffentlich < v n d wie sie plerren für g o t > recht haben" (StuA 1,345,35-36). Das trifft freilich nicht den Kern von Luthers Vorwurf, daß Papst und Kurie es für unmöglich halten, jemals Unrecht zu haben (StuA 1, 345, 11. 30f.). 919 „öffentlich" (StuA 1, 345, 36). 920 Mit der Vokabel „plerren" fällt Luther aus dem sachlichen Ton der Anfragen heraus. 921 StuA 1, 345, 38. 922 Damit ist wieder daraufhingewiesen, daß eigentlich Lk 1,50 ausgelegt werden soll: Gottes Barmherzigkeit gilt denen, die ihn fürchten. 923 StuA 1,346,3 f. Vgl. zur Konsequenz solcher Gedanken für Luthers Haltung im Bauernkrieg Maron: „Niemand soll sein eigener Richter sein". Eine Bemerkung zu Luthers Haltung im Bauernkrieg. 924 StuA 1, 346, 4f. 925 StuA 1, 346, 5f. 926 Oberhalb des menschlichen Rechts (ius humanuni, auch als ((von Menschen)) gesetztes Recht 917

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2.

Kommentar

gewiß, ob sie im Recht sind, sondern es scheint ihnen nur so zu sein. Wenn sie in solchen erhabenen Fragen ihr vermeintliches Recht ohne Gottesfurcht durchsetzen wollen, ist das noch gefährlicher, als wenn sie in einer Frage nur menschlichen Rechts Recht haben, es aber ohne Gottesfurcht durchsetzen. Es geht im ersten Argumentationsgang um vergängliche Güter (wozu selbst das Leben gehört), im zweiten um das Recht und „andere Güter der Vernunft oder Weisheit", im dritten um geistliche Güter. Nun folgt das angekündigte einfache Beispiel menschlichen Rechts. Fügt ein Feind einem Menschen Schaden zu, so darf sich der Geschädigte sein Recht weder ungeduldig noch mit Gewalt verschaffen. Die Darstellung des konstruierten Falls ist alles andere als so einfach (,grob'), wie Luther behauptet. Sie enthält in Wirklichkeit mehrere theologische Implikationen. Luther geht erstens davon aus, daß gute Dinge, 927 die Gott schafft und einem Christen 928 als Gaben verleiht 929 - sei es nun dessen Leben, das Leben ihm nahe stehender Menschen, Einfluß, wie ihn Freunde vermitteln, oder Habe - doch eben Leihgaben Gottes bleiben und nicht Eigentum werden, über das der Christ nach Belieben verfügen darf. Zweitens setzt Luther voraus, daß es Gott frei stehe, einen Christen in Versuchung zu führen. Damit wolle Gott erproben, ob die Anhänglichkeit des Beschenkten ihm als solchem gilt oder vielmehr den von ihm verliehenen Gütern. Luther setzt drittens sogar voraus, daß seine Leser der Forderung zustimmen, es gelte Gott um Gottes willen mehr zu lieben als alle seine Gaben. 930 In einer solchen Versuchung müsse sich diese Liebe zu Gott um Gottes selbst willen erweisen. Diese drei Voraussetzungen stellen in Frage, daß es sich hier wirklich lediglich um ein „grob greyfflich exempel" des „groben menschlichen recht[s]" handelt. 931 Gott kann zugestehen, daß ein Feind einem Christen die diesem von Gott geliehenen Gaben beschädigt oder gar raubt. 932 Wenn ihm das zustößt, dann soll der Christ das als eine Probe darauf verstehen, ob er in der Lage ist, aus Liebe zu Gott um Gottes willen 933 die Güter preiszugeben. Luther stellt nun einen der möglichen Fälle ausführlicher

bezeichnet: ius positivum) kennt beispielsweise der spätmittelalterliche Theologe Gerson (1363-1429) das Naturrecht (ius naturale, allen Menschen von Gott gegeben) und oberhalb dieses Rechts wiederum das göttliche Recht (ius divinum). Vgl. dazu Burger: Aedificatio, vor allem S. 96-98, und Sachregister sub voce .Recht'. 927 Andernorts hat Luther stattdessen von ,Gütern' gesprochen. 928 Nur Christen spricht Luther mit „du" an („deyn": StuA 1, 346, 12). 929 Die Liste göttlicher Gaben (StuA 1,346,10) erinnert an die in Luthers Lied „Ein feste Burg ist unser Gott": „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr', Kind und Weib..." Sie enthält zusätzlich ,gelt' und .freund'. 930 Nicht nur kurz angedeutet, sondern breit entfaltet wird die Forderung, Gott u m seiner selbst willen zu lieben, bei dem Pariser Hochschullehrer der Theologie Hugolin von Orvieto (+ 1373). Vgl. dazu Burger: Freiheit zur Liebe, S. 27: „Unter ,Gott genießen' versteht Hugolin die Liebe, kraft derer ein Mensch Gott mehr liebt als alles andere ...". 931 StuA 1,346, 9. 932 StuA 1, 346, 14f. 933 „vmb seynen willen" (StuA 1, 346, 12). Vorausgesetzt ist dabei, daß Luther an dieser Stelle auf dem Katheder die lateinische Wendung „propter deum ipsum" (um Gottes selbst willen) verwenden würde und nicht „propter dei voluntatem" (weil Gott es so will).

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dar. 934 Er geht davon aus, daß dem so von Gott versuchten Christen weder das Leben genommen worden ist noch Frau oder Kinder erschlagen worden sind, sondern daß etwas zurückzuerobert werden kann. 935 Es kann sich kaum um ,Geld und Gut' handeln, denn davon läßt sich nicht gut behaupten, es handle sich um ,Gottes Kreatur, die er selbst geschaffen hat'. 936 Übrig bleibt, daß Frau, Kinder oder Freunde geraubt worden sind. Luthers Auffassung nach steht es einem Christen, den Gott auf diese Weise versucht, nicht zu, 937 sie sich mit Toben, Wüten, Sturm oder Gewalt zurück zu holen. Sind doch alle diese Geschöpfe einem Christen von Gott nur geliehen. Luther will dem Geschädigten nicht einmal zugestehen, bei seinem Bemühen um Wiedergewinn der Geraubten die Geduld zu verlieren. 938 Der Christ hat selbst in solchem Verlust Gelassenheit zu bewahren. 939 Es wäre nur ein Vorwand, 940 wollte der in Versuchung geführte Christ damit argumentieren, daß es sich bei den ihm nahe stehenden Menschen schließlich um ,gute Dinge' handle, um von Gott selbst geschaffene Geschöpfe, 941 die er mit Einsatz seines Lebens wiedergewinnen 942 und in deren Verlust er nicht geduldig einwilligen wolle. 943 Auf die rechte Weise verhielte sich in einer solchen Versuchung durch Gott nur der Christ, der aus Gottesfurcht heraus eben nicht mit dem Kopf durch die Wand fahren wollte. 944 Einmal mehr formuliert Luther ein Gebet, um deutlich zu machen, aus welcher inneren Einstellung heraus ein Christ seiner Meinung nach handeln muß. Entscheidend hat zu sein, was in der gegebenen Situation Gottes Willen ist. Wüßte der Beraubte, daß er verzichten muß, so hätte er sich danach zu richten. Wüßte er dagegen, daß er das Seine zurückerobern soll, so hätte er Leib und Gut dafür einzusetzen. Da er nicht wissen kann, was Gott will, soll der Beraubte warten, was Gott ihm zu tun gebieten wird, und bereit sein, zu verzichten oder aber zurückzuerobern. Wodurch er Gewißheit erlangen wird, was zu tun Gott von ihm erwartet, und wann das sein wird, schreibt Luther in diesem Zusammenhang nicht. 945

934 Ich setze voraus, daß Luther nicht einfach aus dem Auge verliert, in welchen Fällen überhaupt von „creatur" (StuA 1, 346, 18) und von „widderholen" (StuA 1, 346, 20) die Rede sein kann. 935 Als Mann richtet Luther sich offenbar mit völliger Selbstverständlichkeit an männliche Leser (oder Hörer, sofern seine Schrift vorgelesen wird). Ähnlich wie in dem Lied „Ein feste Burg ist unser Gott" (kritische Edition bei Markus Jenny in AWA 4, 247-249) ist der Mann im Blick als der, dessen Leib beschädigt oder getötet werden kann, dem Ehre, Weib, Kind und Freunde geraubt werden können. 936 StuA 1, 346, 10 und 18. 937 Es ist ihm nicht zuzubilligen, es ist nicht „billich" = aequum (StuA 1, 346, 16). 938 Vgl. StuA 1, 346, 15-17. 939 Vgl. weiter unten: „du solt der selben gelassen stehen" (StuA 1, 346, 42). 940 „feyner scheyn" (StuA 1, 346, 21). 941 StuA 1, 346, 17f. Luther steigert innerhalb der fingierten Argumentation: Zunächst läßt er den beraubten Christen behaupten, die geraubten,Dinge' seien gut, dann läßt er ihn sagen, es seien schließlich Gottes Geschöpfe, zuletzt läßt er ihn auf die Heilige Schrift verweisen. 942 StuA 1, 346, 19f. 943 „nit mit willen emperen / noch mit gedult sie faren lassen" (StuA 1, 346, 20f.). 944 StuA 1, 346, 22. Wieder taucht das eigentliche Thema von Lk 1, 50 auf: Gottes erweist denen Barmherzigkeit, die ihn fürchten. 945 Der Leser erfährt es erst unten nach der Darstellung des Streits u m das Recht, auf die es Luther ei-

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2.

Kommentar

Luther kommt zur Auswertung des Beispiels. Ein Christ, der sich in einer Versuchung so verhält, erweist sich als „rechte seel",946 als auf Gott ausgerichtet. 947 Er fürchtet Gott, daher wird ihm nach Marias Aussage Barmherzigkeit zuteil werden. 948 Nach Luthers Meinung gibt es neben gottgewolltem geduldigen Warten durchaus auch gottgewollte Gewalt. Das zeigen seine biblischen Beispiele: Abraham, David und das Volk Israel kämpften und töteten, sobald Gott das wollte. 949 Sie kämpften in Gottesfurcht, nicht um des Besitzes willen, sondern weil Gott von ihnen wollte, daß sie kämpfen sollten. Um das deutlich zu machen, werde in der Heiligen Schrift denn auch in der Regel daraufhingewiesen, daß Gott den Kampf befohlen habe. 950 Die Wahrheit, wie sie in der Heiligen Schrift zur Sprache kommt, 951 wird also nicht verleugnet: Es handelt sich bei dem, was einem Christen geraubt werden kann, um gute Dinge, die Gott geschaffen hat. 952 Doch sagt dieselbe Wahrheit, ein Christ müsse sich dann, wenn Gott es so wolle, allein an Gott halten und sich diese guten Dinge wegnehmen lassen. Jederzeit müsse er bereit sein, sie zu entbehren. 953 Die Wahrheit verlangt, daß ein Christ bekennt, daß es gute und nicht etwa böse Dinge sind. 954 Sie fordert keineswegs, daß ein Christ ihr GutSein abstreite. 955 Damit lehnt Luther einen Dualismus ab, der irdische Güter geringachtet und radikal weltflüchtig wird. Doch daraus, daß die Wahrheit sagt, die von Gott verliehenen Güter seien gut, kann der Christ nicht die Berechtigung dazu ableiten, sie (mit Gewalt und in Ungeduld) zurückzuerobern. Er m u ß vielmehr Gott allein in einer Weise anhängen, die zu den von diesem geschenkten Gütern die Distanz der Gelassenheit schafft. 956 Durch die Erörterung, in welcher Haltung ein Christ es ertragen soll, daß wertvolle Güter, körperliche Unversehrtheit, ihm sehr nahe oder doch zumindest nahe stehende Menschen gefährdet werden, hat Luther eine Grundlage geschaffen. 957 Nun will er zu gentlich ankommt: Wenn der Christ, den Gott in die Versuchung geführt hat, den Rechtsstreit gewinnen soll, dann wird Gott selbst ihn auch dabei führen (StuA 1, 347, 24—27). 946 StuA 1,346, 31. 947 Vgl. dazu: „Dauon Dauid psal. I. sagt. Her mach ynn meinem ynnewendigisten ein richtigen geist / das ist einen auffgerichten stracken glawben." (StuA 1,320,22f. Luther verweist auf Ps 51 ((50)), 12). 948 Luther formuliert: „da ist barmhertzickeit bey" (StuA 1,346,31). Doch kann es, wenn man nach Luthers sonstigen Ausführungen in diesem Werk urteilt, nur Gott sein, der die Barmherzigkeit erweist. 949 StuA 1, 346, 32-34. 950 StuA 1, 346, 35f. Luther bleibt seinen Lesern freilich eine Mitteilung darüber schuldig, woraus seine Zeitgenossen gegebenenfalls entnehmen können, Gott befehle ihnen, ihre Güter zurückzuerobern. 951 Vgl. zur Erwähnung der Wahrheit an dieser Stelle (StuA 1, 346, 36-38) auch die Eingangsfrage des fingierten Gesprächspartners: „sol man die warheit lassen? Ists nit gepotten man sol vmbs rechts vnd der warheit willen sterben? Haben nit die heyligen Marterer vmbs Euangelium willen gelittenn?" (StuA 1, 345, 33f.). 952 Vgl. oben StuA 1, 346, lOf. 953 StuA 1, 346, 37-39. 954 StuA 1,346,42. 955 StuA 1,346,41. 956 Zur,Gelassenheit' vgl. bereits oben Anm. 267 und bei Anm. 939. 957 Vgl. StuA 1, 346, lOf.

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der Darstellung des Problems fortschreiten, in welcher Haltung ein Christ für das Recht selbst (oder für verschiedene Güter der Vernunft oder Weisheit) 958 einzustehen habe. Darauf verweisen auch die Begriffe „erkentnisz" und „meynung", die Luther weiter unten ergänzt. 959 Es geht hier jedoch noch nicht um das Recht, dem Evangelium zu glauben, wie auf der dritten und höchsten Stufe. 960 Bei dieser zweiten Stufe des Streits um das Recht geht es im Unterschied zur ersten und dritten Stufe nicht um ein handgreifliches Objekt. Das macht diese zweite Stufe so unanschaulich. Luther wird in seiner Exegese von Lk 1,51 die Hoffärtigen als die bezeichnen, die ihre eigene Meinung als die berechtigtste betrachten und das Recht derer unterdrücken, die Gott fürchten. 961 Von ihnen wird er behaupten, daß sie die Wahrheit als solche auslöschen. 962 Doch untergraben sie eben sowohl das Recht als solches als auch das Recht, dem Evangelium Glauben zu schenken. Die Heilige Schrift bezeugt, daß Recht gut sei.963 Folglich ist es gut und eine Gabe Gottes. Es ist den Einsatz des Lebens 964 und aller ,Dinge' mit Ausnahme Gottes wert. Wollte man das nicht bekennen, so würde man damit Gott und dessen Wort verleugnen, in dem doch - wie eben gesagt - steht, Recht sei gut und nicht böse. Das Bekenntnis zum Recht soll sich ein Christ also notfalls sogar das Leben kosten lassen. Anders steht es aber, wenn es darum geht, das eigene Recht durchzusetzen. Ein Christ darf nicht ungestüm und um den Preis, mehr Unheil anzurichten, als ihm angetan worden ist, sein Recht erkämpfen. 965 Die Aufzählung der Verhaltensweisen, die Luther tadelt, deckt sich nur teilweise mit derjenigen Liste, die er weiter oben in seinem Beispiel geboten hat. Anstelle von „vngedultig sein" 966 heißt es hier „schreyen" und „in den hymel ruffen". 967 Warnte Luther oben davor, die von Gott verliehenen Güter „mit stürm vnd gewalt... widder [zu] holen", 968 so prangert er nun an, daß manche Leute „alle weit er-

958

Von dieser Kombination „Recht - Vernunft - Weisheit" spricht Luther erneut unten StuA 1,353,

30. 959

StuA 1, 347, 18 f. Vgl. dazu unten StuA 1, 348, 33-349, 18. 961 Vgl. StuA 1, 351, 30-34. 962 StuA 1, 352, 26-40. 963 Vgl. beispielsweise Ps 37 (36), 28: „Quia Dominus amat iudicium ...", und Ps 99 (98), 4: „Et honor regis iudicium diligit. Tu parasti directiones; Iudicium et iustitiam in Iacob tu fecisti." 964 StuA 1, 347, 2-4. Zum Einsatz des Lebens für die Wahrung des Rechts vgl. oben den Abschnitt 1.4. zu Luthers Bewertung des irdischen Lebens. 965 In seiner Erzählung .Michael Kohlhaas' hat Heinrich von Kleist 1804 unverhältnismäßiges Verhalten, u m sein Recht durchzusetzen, mit dem Namen dieses Mannes verbunden. Seitdem ist Michael Kohlhaas im deutschen Bildungsbürgertum geradezu sprichwörtlich geworden als jemand, der sein Recht ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzt. Doch das Ereignis, das Kleist darstellt, wird sich erst 1532 abspielen, elf Jahre nach Luthers Abfassung der Auslegung des Magnifikat. In diesem Jahr beschlagnahmt der sächsische Adelige Günter von Zaschwitz zwei Pferde des Kaufmann Hans Kohlhase. Von 1534 an führt Kohlhase deswegen eine Fehde, 1540 wird er in Berlin gerädert. 966 StuA 1, 346, 17. 967 StuA 1, 347, 6. 8. 968 StuA 1, 346, 16f. 960

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würgen", „alle iamer anrichten / land vnd leut vorterben / mit kriegen vnd blut vorgissen die weit erfüllen." 969 Die Gabe des Rechts bleibt Gottes Eigentum. 970 Wird einem Christen sein Recht vorenthalten, so soll er das als Versuchung Gottes deuten, der erproben will, ob er an ihm allein hänge. Solches Hängen an Gott müßte sich darin äußern, daß er um Gottes willen bereit wäre, statt Recht Unrecht zu haben, zu leiden und Schande zu ertragen. 971 Die Argumentation ist dem Leser der Magnifikatauslegung bereits vertraut. Hat Luther weiter oben doch wiederholt gegen Menschen polemisiert, die über den Gütern Gottes die Güte Gottes vergessen. Er hat sie als bloße Nießlinge getadelt. Wer einstimmen kann in das Stoßgebet, das Luther formuliert, wer sich dazu bereit erklärt, aufzugeben, wovon er nicht weiß, ob Gott es ihm gönnen will, erweist sich dadurch als gottesfürchtig.972 Auf ihn trifft der Vers Lk 1, 50 zu: Gott erweist denen Barmherzigkeit, die ihn fürchten. Luther paraphrasiert den Teilsatz „die yhn furchten" mit: „die nichts thun wollen / on [gegen] seinen willen." 973 Wie in dem vorbereitenden Beispiel läßt er auch diesmal seine Leser zunächst darüber im Ungewissen, auf welche Weise sie erfahren können, ob es nun Gottes Wille ist, daß sie auf ihr Recht verzichten oder daß sie es erkämpfen. 974 Auch dort hatte er dem Beter in den Mund gelegt, er wisse nicht, was Gott von ihm haben wolle. 975 Der Hinweis auf Abraham, David und das Volk Israel, die nach Luthers Meinung ausdrückliche Befehle Gottes hatten, 976 hilft seinen Zeitgenossen ja nicht dazu, eine Entscheidung in ihren Fragen zu finden. Wer Gott so fürchtet, der bekennt sich nach Gottes Befehl einerseits dazu, daß er im Recht sei,977 daß er [das Evangelium] recht erkenne. 978 Andererseits aber hält er Gottes Wort auch darin, daß er um Gottes willen gerne bereit ist, auf die Anerkennung seines Rechts zu verzichten, zu Unrecht zugrunde gerichtet und nach weltlichen Maßstäben zu Schanden zu werden. 979 Er läßt es sich genug sein, zu bekennen, daß seine Sache gut

969

StuA 1, 347, 7. 8f. StuA 1, 347,9-11. 971 StuA 1,347, 11-13. 972 StuA 1, 347, 13-15. 973 StuA 1,16f. Das „on seinen willen" korrespondiert dem „vmb seynen willen [n]" (StuA 1, 346,12 und StuA 1, 347, 12). 974 Seine Lösung bietet er erst weiter unten an (StuA 1, 347, 24-27). 975 Vgl. zu „ich wils nit haben / ich wisse denn / das du myrsz gönnen wilt" (StuA 1,347,14f.) „weyl ich aber der keynisz weysz" (StuA 1, 346, 27f.). 976 Vgl. StuA 1,346,32-36. 977 „Zum ersten / das du bekennist das recht / dein vornunfft / dein erkentnisz / dein weyszheit / vnd alle dein meynung sey recht vnnd gut. wie gottis wort selb dauon redet." (StuA 1, 347, 18-19). Vgl. zu „gottis wort" beispielsweise Jesus Sirach (Ecclesiasticus) 4, 24: „Pro anima tua ne confundaris dicere verum." 978 Weiter oben hat Luther als denjenigen Inhalt der „erkentnisz" (StuA 1,347, 18), um dessentwillen man für die Durchsetzung des Rechts kämpfen soll, das „Euangelium" benannt (StuA 1, 345, 34). 979 StuA 1, 347, 20 f. 970

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sei, daß er im Recht sei.980 Es kann sein, daß der Christ den Rechtsstreit nicht gewinnen kann. Er soll Gott seine Sache anbefehlen. 981 Falls Gott will, daß der in die Versuchung geführte Christ den Rechtsstreit gewinnt, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wird Gott das Recht selbst durchsetzen, oder er wird dem Christen eine Lösung vorlegen, auf die er selbst nicht gekommen wäre.982 Damit nicht genug, der Christ wird die Sache danach anpacken und gewinnen müssen auf eine Weise, auf die weder seine Gedanken noch seine Wünsche gezielt hätten. 983 Er gewinnt den Rechtsstreit in diesem Fall als Instrument Gottes. Der Gottesfürchtige, den Gott seinen Rechtsstreit verlieren läßt, soll sich an dessen Barmherzigkeit genug sein lassen.984 Christen sollen in der Weise allein an Gott hängen, daß sie in keinem Fall - als Sieger oder Verlierer des Rechtsstreits - an Gottes Gütern kleben. 985 Sie müssen nicht auf Gottes Güter verzichten. Doch sie sollen sie in der Haltung der Gelassenheit entbehren oder gebrauchen können. 986 Davon müßten nach Luthers Meinung vor allem diejenigen Fürsten und sonstigen Träger obrigkeitlicher Ämter etwas wissen, die sich nicht damit begnügen, das Recht zu bekennen, sondern die ganz ohne Gottesfurcht ihren Rechtsstreit auch umgehend gewinnen wollen. 987 Sie erfüllen die Welt mit Blut und Jammer in der Meinung, recht zu handeln, weil sie im Recht sind oder doch im Recht zu sein meinen. 988 Das Verhalten solcher Träger obrigkeitlicher Ämter tadelt die Heilige Schrift, wo sie von übermütigen Moabitern spricht, die Gott nicht fürchten, weil sie hochmütig sind. 989 Sie halten sich für würdig, Gottes Gabe, das Recht, zu haben. Sähen sie sich selbst recht, 990 wie Gott sie sieht, so würden sie erkennen müssen, daß sie um ihrer Sünde willen nicht einmal würdig sind, das Leben zu haben und sich von Brotrinden zu ernähren. 991 980 Vgl. auch unten: „Nympt man dyr den sieg des rechten szo kan man doch das bekennen / dyr nit nehmenn." (StuA 1, 347, 28-29). 981 StuA 1,347, 21-24. 982 StuA 1, 347, 24-26. 983 StuA 1, 347, 26f. Luther betont deswegen zweimal „on deynn gedancken" (StuA 1,347, 25) und „auff die weysz du nymmer gedacht noch begerd hettist" (StuA 1,347,26f.), weil er sowohl das Bedenken der Lösung wie die Kraft dazu, sie zum Sieg zu führen, Gott zuschreiben will. Gott, der in die Versuchung hineingeführt hat, führt den Christen, wenn er nach seinem Willen gewinnen soll, siegreich aus dem Rechtsstreit wieder hinaus. 984 StuA 1, 347, 27. 985 StuA 1, 347, 29f. 986 Von Maria hatte Luther bereits weiter oben gesagt, sie sei,gelassen' (StuA 1, 325, 13-15). Als ein gelassener Mensch eignet sie sich Gottes Güter nicht zu (StuA 1, 324, 35-40). 987 Vgl. StuA 1,347, 31-33. 988 Diesen Vorbehalt hatte Luther weiter oben, wo es u m das Bekennen des Rechts ging, nicht formuliert. Dort hatte er vorausgesetzt, daß der, der behauptet, im Recht zu sein, es wirklich ist. Vgl. StuA 1, 347, 2 - 6 und StuA 1, 347, 18f. 989 StuA 1,347,35f. Vgl. dazu oben StuA 1,345,5-7 ([er 48,29). Weiter unten wird Luther resümierend erneut auf solche .Moabiter' zu sprechen kommen, die über ihre nur zeitlichen Güter klagen und sich dafür abmühen, sie zurück zu gewinnen (StuA 1, 349, 8f.). 990 Luther verwendet „recht" sowohl als Substantiv als auch in adjektivischer Bedeutung im Sinne von „angemessen, richtig": „wen er sich recht ansehe für gottis äugen" (StuA 1, 347, 37f.). 991 StuA 1, 347, 37-39.

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Luther wechselt vom Tadel derjenigen Träger obrigkeitlicher Ämter, die ihr [vermeintliches] Recht mit Gewalt durchsetzen wollen, 992 zu einer generellen Anklage der Christen, in die er sich durch die Formulierung im ,wir'-Stil mit einbezieht. Ausgelöst ist dieser Wechsel von der Anklage zum Schuldbekenntnis wohl durch den Satz: „wen er sich recht ansehe fur gottis äugen". 993 So besehen kommt es auch zur Selbstanklage: Nicht nur die Fürsten und sonstigen Träger obrigkeitlicher Ämter, sondern ,wir Christen' sind allesamt blind. Nicht einmal das kleinste Geschöpf Gottes zu haben, sind wir würdig. Und doch wollen wir Gottes höchste Geschöpfe, das Recht, die Weisheit 994 und die Ehre, die aus dem Besitz dieser Geschöpfe Gottes folgt, besitzen. Luther setzt dabei voraus: wir wollen sie besitzen, als wären wir ihrer würdig, als wären sie uns nicht von Gott geliehen, sondern unser Eigentum. Denn sonst würden wir sie nicht, falls sie uns streitig gemacht werden, verteidigen 995 und uns zurückholen wollen selbst um den Preis, daß unser Wüten zu Blutvergießen und zu ,allem' Unglück führt, das in keinem Verhältnis mehr steht zu dem Recht, das zu haben und verteidigen zu dürfen wir vorgeben. 996 Und dann haben wir auch noch die Frechheit, mit dieser Einstellung, deren Wüten und Raserei zu Blutvergießen führt, Werke zu tun, die als Äußerungen von Frömmigkeit gelten: zu beten, zu fasten, dem Meßgottesdienst beizuwohnen und Kirchen zu stiften. Es wäre nicht verwunderlich, wenn [Gott in seinem Zorn darüber] die Steine zerspringen [ließe].997 Wenn ein Christ aber abwarten muß, was Gottes Wille ist, wenn ihm sein Recht genommen wird, 998 dann stellt sich die Frage, ob auch ein Träger obrigkeitlicher Macht keine Gewalt anwenden solle, um Land und Leuten gegen erlittenes Unrecht Schutz zu bieten. Fordert er nicht seine Gegner geradezu heraus, ihm alles zu rauben, wenn er stille hält? Luther kennzeichnet seine Antwort auf diese Frage ausdrücklich als seine Meinung, nimmt also dafür nicht die Autorität der Heiligen Schrift in Anspruch wie für zuvor gemachte Ausführungen. Es geht um seine Auffassung über die Pflichten weltlicher Obrigkeit. Träger der weltlichen Gewalt schulden ihren Untertanen Schutz. 999 Sie sollen in Gottes Auftrag das Schwert führen. 1000 Mit ihm sollen sie diejenigen in der Furcht ihres weltlichen Herrn halten, 1001 die ihren himmlischen Herrn 992

Vgl. StuA 1, 347, 31-35. StuA 1, 347, 37f. Gemeint ist ein Christ, wie er in den Aussagen der Heiligen Schrift über die hochmütigen Moabiter gemeint ist. 994 Luther hat ,Weisheit' in Verbindung mit ,Recht' bereits oben StuA 1,347,2 und StuA 1, 347,18f. erwähnt. 995 „behalten" (StuA 1, 348, 2) im Unterschied zu „haben" (StuA 1, 348, 1). 996 StuA 1, 348, lf. 997 StuA 1, 348, 3 f. Nah 1, 6 bringt das Zerspringen von Felsen mit Gottes Zorn in Verbindung. 998 Vgl. oben StuA 1, 347, 24-27. 999 StuA 1, 348, 7-8. Man vergleiche dazu, was Luther schon im Widmungsbrief geschrieben hat: Gott habe Herren nur zu dem Zweck eingesetzt, anderen Leuten zu schaden oder zu nützen (StuA 1, 315, 7f.). 1000 34g> gf yg[ [j^ 4 ¡ n Luthers Übersetzung (in heutigem Deutsch): „Tust du aber Böses, so furchte dich, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst." 1001 „in der furcht behalte" (StuA 1, 348, 9f.). 993

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nicht fürchten. Wer sich nicht an Gottes Lehre hält, m u ß im Zaum gehalten werden. 1002 Solche Leute bezeichnet Luther wenig später bündig als die „boszen". 1003 Wer Gott nicht fürchtet, soll doch das Schwert des jeweiligen Herrn fürchten müssen, damit er anderen Untertanen Friede und Ruhe läßt. Träger der weltlichen Gewalt suchen in der Wahrung des Rechts (wenn es nach Luthers Ideal geht) nicht ihren eigenen Nutzen, sondern Gottes Ehre und den Nutzen des Nächsten. 1004 Ein gottesfiirchtiger Herr müßte gerne darauf verzichten, das Schwert zu führen, wenn Gott ihn nicht damit beauftragt hätte, den Bösen zu wehren. Luther verweilt nicht lange bei dieser Schilderung dessen, was er als Gottes Auftrag an Träger der weltlichen Gewalt betrachtet. Er kehrt vielmehr zu seiner Sicht der täglichen Realität zurück und warnt davor, Unrecht abstellen zu wollen auf die Gefahr hin, durch Wahrung des Rechts mehr Schaden anzurichten, als geschehen ist.1005 Ein Untertan m u ß gegebenenfalls Unrecht leiden. Er darf nicht wünschen, daß alle anderen Untertanen seines Herrn mehr Schaden leiden, nur damit das ihm geschehene Unrecht gerächt wird. 1006 Ein Herr darf nur dann unverhältnismäßig auftreten, wenn er dafür einen ausdrücklichen Befehl Gottes hat, wie er früher manchmal ergangen ist.1007 Luther nennt aus dem Alten Testament König David als Vorbild für einen Landesherrn, der nicht strafte, wenn er es nicht tun konnte, ohne mehr Schaden anzurichten. Aus dem Neuen Testament beruft er sich auf Jesu Wort vom Unkraut, das man zwischen Weizenhalmen dulden müsse, um nicht die Ernte zu gefährden. 1008 Kann ein Inhaber obrigkeitlicher Macht das Unrecht strafen, das einem seiner Untertanen angetan worden ist, ohne anderen Untertanen zu schaden, so wird er das tun. 1009 Kann er es nicht, so m u ß er mehr darauf sehen, was seinen Untertanen insgesamt dient. 1010 Am offenbar bekannten Beispiel eines Menschen, dem seine Gans nichts mehr bedeutet, weil ihr jemand die Federn ausgerissen hat, benennt Luther erneut das Problem einer Überreaktion auf die Erfahrung erlittenen Unrechts. 1011 In seinem Dreischritt ist Luther nun auf der höchsten Stufe angelangt: Das Bekenntnis zum Evangelium als zu der Wahrheit schlechthin, Äußerung des Glaubens, 1012 und 1002 „solch gotliche lere" (StuA 1,348,9) verweist zurück auf Luthers Ausführungen von Beginn des Exkurses (StuA 1, 345, 32) an. 1003 StuA 1, 348, 12. 1004 StuA 1,348,11. Hat Gott sie doch, wie Luther im Widmungsbrief schreibt (StuA 1,315,7 f.) u n d wie eben schon erwähnt, n u r zu diesem Zweck in ihr Amt eingesetzt! Luther läßt hier (StuA 1, 3 4 8 , 1 0 14) durch die Formulierung im Indikativ nicht recht deutlich werden, d a ß er ein Ideal skizziert, nicht die Realität. 1005 StuA 1, 348, 13-16. 1006 StuA 1, 348, 22f. 1007 Luther kann deswegen so ungeschützt formulieren, weil er zu diesem Zeitpunkt noch keine Erfahrungen mit Menschen gemacht hat, die sich auf ihnen speziell zuteil gewordene Offenbarungen berufen. 1008 v g l M t 1 3 ) 29 (StuA 1, 348, 23f.). 1009 StuA 1, 348, 27f. 1010 StuA 1, 348, 28-30. 1011 StuA 1, 348, 30 f. 1012 StuA 1,348,33. Von Glauben war oben StuA 1,345,34 n u r in der Weise die Rede, d a ß die Märtyrer genannt wurden.

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2.

Kommentar

die Durchsetzung dieses höchsten Gutes im Rechtsstreit. Vorbereitet ist diese höchste Stufe des Streits um Recht bereits durch die fingierten Fragen zu Beginn, ob ein Christ nicht um des Rechts und um der Wahrheit willen zu sterben bereit sein müsse, ob denn nicht die Märtyrer um des Evangeliums willen gelitten hätten. 1013 Es geht also jetzt darum, wie sich der Christ zu verhalten hat, wenn er das Evangelium bedroht sieht. Wieder gilt Luthers Meinung nach dasselbe wie auf den beiden niedrigeren Stufen: Das Bekenntnis zum Recht steht dem Christen frei, die Durchsetzung soll er Gott anheimstellen. Auf das Bekenntnis 1014 zu den höchsten Gütern, zum Evangelium und zum Glauben ans Evangelium, m u ß niemand verzichten. 1015 Doch m u ß der Christ es Gott anheimstellen, 1016 ob er ihm für sein Bekenntnis zum Evangelium und für seinen Glauben Recht, Anerkennung (Gunst), gar Ehre zuteil werden lassen will. Die Sorgfalt des Christen soll dem Bekennen gelten, nicht der Durchsetzung. 1017 Er soll es geradezu gerne erleiden, wenn er für sein Bekenntnis zum Evangelium vor den Augen aller Welt geschmäht und verfolgt wird, wenn er (ausgerechnet für sein Bekenntnis zum höchsten Recht) ungerecht genannt wird, (als Bekenner der Wahrheit) Verführer, (als Glaubender) Ketzer, Irrgläubiger und Frevler, wenn es ihm Exil einbringt, den Feuertod oder eine andere Todesart. 1018 Gerne soll er all' das erleiden, weil er gerade darin Gottes Barmherzigkeit erfährt. 1019 Im Glauben ans Evangelium erweist ein Christ nach Luthers Auffassung offenbar Gottesfurcht, nur dann ist Lk 1, 50 auf ihn anwendbar. Das Leben kann man ihm nehmen, den Glauben so wenig wie die Wahrheit [des Evangeliums] . Während beim Rechtsstreit um irdisches Gut viele ganz außer sich geraten, weil sie in ihm die Oberhand gewinnen wollen, sind es beim Rechtsstreit ums Evangelium nur wenige. 1020 Wie könnten auch viele (zu Unrecht) ungestüm für die Durchsetzung ihres Rechts auf Glauben ans Evangelium eintreten! Es sind ja überhaupt nur wenige, die das Evangelium ,recht' und aus Herzensgrund bekennen. 1021 Wer zu diesen wenigen gehört, soll sich nun aber nach Luthers Meinung nicht trotz aller äußeren Anfeindung innerlich gelassen seines Glaubens erfreuen, sondern für die leiden und zu Gott klagen, die daran gehindert werden, Seligkeit ihrer Seelen zu erlangen, weil das Evangelium unterliegt. Mag er auch vor aller Welt geschmäht werden, 1022 er steht doch zugleich vor Gottes Augen. 1023 Das erinnert daran, daß Gott kraftvoll an-sehen kann. Der Glaubende soll also zu Gott klagen und sich viel mehr abmühen, 1024 diesem Schaden

1013 10,4 1015 1016 1017 1018 10,9 1020 1021 1022 1023 1024

Vgl. StuA 1, 345, 32-34. StuA 1, 348, 36. StuA 1, 348, 33f. „in die wage legen / vnd got damit walden lassen" (StuA 1, 348, 35f.). Vgl. StuA 1, 348, 33-37. StuA 1, 348, 36-38. Vgl. StuA 1,349, 1. StuA 1, 349, 3 f. StuA 1, 349, 4f. StuA 1, 348, 38. StuA 1,349,7. „erbeyten" (StuA 1, 349, 8).

Exkurs: Sich zum Recht bekennen

129

der Seelen anderer abzuhelfen, als diejenigen sich im Rechtsstreit um ihre eigenen zeitlichen Güter abmühen, die deswegen,Moabiter' genannt zu werden verdienen. 1025 Die Klage wendet sich an Gott und erbittet sein Erbarmen. Ist es doch zum Gotterbarmen beklagenswert, 1026 wenn Gottes Wort den Rechtsstreit nicht gewinnt. Nicht um des Bekenners willen, der dann sein Recht siegen sähe, sondern um derer willen, die dann selig werden würden, müßte Gottes Wort den Sieg behalten. 1027 Die Propheten, Christus und die Apostel haben vorgelebt, wie man alles Unrecht und allen Schaden fröhlich erleidet, soweit Unrecht und Schaden einem selbst zugefügt werden. Andererseits haben sie vorgelebt, wie man der Unterdrückung des Wortes Gottes mit großem Leid und bewegter Klage entgegenzutreten hat. 1028 Dieser Rechtsstreit um das Evangelium hat eine andere Ursache als alle anderen Rechtsstreitigkeiten. In ihm geht es um die höchsten Güter. Dennoch darf nicht einmal in diesem Streit jemand gewaltsam verfahren, 1029 das Recht des Evangeliums im Sturm 1030 und in Unvernunft 1031 schützen oder erkämpfen wollen. Wer dem Evangelium Glauben entgegenbringt, muß vielmehr in demütiger Bitte und Klage den Rechtsstreit um die Durchsetzung des Evangeliums der Barmherzigkeit Gottes anheim stellen. - Ende des Exkurses. Nach diesem langen Exkurs kommt Luther auf Lk 1, 50 zurück. Gottes erstes (und damit zugleich vornehmstes) Werk ist es, denen barmherzig zu sein, die gerne auf geistliche Güter wie Selbstsicherheit [„dunckel"], 1032 Recht und Weisheit verzichten und bereitwillig geistlich arm bleiben. 1033 In ihnen sieht Luther die rechten Gottesfürchtigen. Darüber, wieviele solche Gottesfürchtige es überhaupt gibt, äußert Luther sich hier nicht. Sie maßen sich selbst nicht an, einer noch so geringen ihnen verliehenen geistlichen Gabe Gottes würdig zu sein. Nicht nur vor Gott, auch vor der Welt sind sie bereit,

1025

Vgl. oben StuA 1, 347, 35-39 (sowie bereits 345, 4-7). „erbermlich" (StuA 1,349,9) heißt hier zunächst nur soviel wie,kläglich'. Adressat der Klage ist wohl in erster Linie Gott selbst: der Christ soll „klag haben" (StuA 1, 349, 6), „klagen" [als Verbum] (StuA 1,349,7), mit „klagen" [als Substantiv] (StuA 1,349,18) alles der Barmherzigkeit Gottes anheim stellen. 1027 StuA 1, 349, lOf. 1028 StuA 1, 349, 11-13. Auch dieser Schriftbeweis in nuce stützt sich aufs Alte wie aufs Neue Testament. 1029 StuA 1, 349, 14f. 1030 „mit dem stürm" (StuA 1, 349, 15f.), vgl. „mit Sturm vnd gewalt" (StuA 1, 346, 16). 1031 Leidenschaft beeinträchtigt die Vernunft. Das darf nicht geschehen. Ist doch die Vernunft das Licht der Seele (StuA 1, 320, 32-321, 1), nennt Luther doch ihre und der Weisheit Gaben in einem Atemzug mit dem Recht (StuA 1, 347, lf.). 1032 Vgl. StuA 1, 349, 19. Wem Gott „geistliche inwendige gutter" (StuA 1, 344, 27f.) verliehen hat, der wird nur zu leicht geneigt sein, sich zu überheben. Einem solchen Menschen „dunckt das er recht habe" (StuA 1, 344, 30). 1033 StuA 1, 349, 19-21. Die Seligpreisung der ,geistlich Armen' steht in Mt 5, 3. 1026

130

2.

Kommentar

nackt und bloß zu sein. 1034 Die geistlichen Gaben, die sie haben, betrachten sie als Leihgaben Gottes, die er ihnen aus lauter Gnade ohne ihr Verdienst geliehen hat. 1035 Wenn sie sich dieser ihnen geliehenen Gaben bedienen, dann loben und danken sie Gott, sie bleiben in seiner Furcht, als wären es die Güter Fremder, nicht ihre geistlichen Gaben. Weil ihre geistlichen Gaben ja nach wie vor Gott als dem Leihgeber gehören, fragen sie dabei nach dessen Willen, Lust, Lob und Ehre, nicht nach ihrem eigenen. 1036 Maria singt, Gott erweise denen, die ihn fürchten, ohne Ende von Generation zu Generation Barmherzigkeit. 1037 Dagegen vergilt Gott die Missetat der Väter an den Kindern nur bis in die dritte oder vierte Generation. 1038 In Lk 1, 51 wird keine zeitliche Begrenzung der Frist genannt, in der Gott geistliche Hoffart zerstören wird. 1039 Aus dem Vergleich der Zusage, Gott werde Generation auf Generation barmherzig sein, mit der Drohung, Gott werde zwar strafen, doch (höchstens) bis in die vierte Generation, leitet Luther ab, Gott habe viel mehr Lust an seinem edelsten Werk, Barmherzigkeit zu üben, als daran, seine Stärke zu erweisen. 1040 In dieser Differenzierung kündigt sich bereits an, was Luther zu Gottes Tun mit seiner rechten und mit seiner linken Hand, zu Gottes opus proprium und opus alienum, ausführen wird.

2.10. Lk 1, 51: „Das a n d e r werck gottis / Geistliche h o f f a r t zestoren. Er hat gewalt vbet m i t seynem a r m : V n d zurstrewet die hoffertigen y m g e m u t yhres h e r t z e n " (StuA 1, 349, 3 1 - 3 5 2 , 40) Zur Übersetzung der Verbform (StuA 1, 349, 31-40) Luther gibt hier ausdrücklich Rechenschaft darüber, weshalb seine Übersetzung dieses Verses hier vor Beginn der Exegese von der ersten Übersetzung, die er geboten hat, abweicht. 1041 Hatte er zur Übersetzung des griechischen „epoiesen" beziehungsweise der

1034 Vgl. zu Marias vorbildlichem Verhalten: „Zeucht sich ausz / vnd tregts allisz lauter wider auff zu got" (StuA 1, 324, 36). 1035 StuA 1, 349, 22 f. 1036 StuA 1,349,24f. Luther erwartet hier viel von den Lesern (und Leserinnen) seiner Schrift. Denn den eigenen Willen ganz und gar auf den Willen Gottes auszurichten, ist in mittelalterlichen theologischen Texten wenigen vorbehalten. So soll beispielsweise der Mystiker Ruusbroec zu seinem Besucher Geert Grote gesagt haben, er fürchte Gottes Gericht nicht, weil ihm alles recht sei, was Gott mit ihm zu tun vorhabe. Vgl. Burger, De mysticus Ruusbroec en zijn kerk, S. 41 und 43. Zu der Haltung, die Luther hier empfiehlt, siehe auch bereits oben im Text bei und in den Anm. 298 und 301. 1037 StuA 1, 349, 27f„ vgl. Lk 1, 50. 1038 Luther spielt auf die Drohung aus dem Verbot des Dekalogs an, Götterbilder zu machen und anzubeten, Ex 20, 5 par. Dtn 5, 9 (StuA 1, 349, 28f.). 1039 StuA 1, 349, 29f. 1040 StuA 1, 349, 25-27. 1041 Diese erste Übersetzung lag gedruckt vor, ehe Luther nach Worms aufbrach. Selbst dann, wenn

Lk 1, 51: „Das ander werckgottis / Geistliche hoffart

zestoren"

131

lateinischen Verbform „fecit" 1042 anfangs die präsentische Verbform „wircket" gewählt: „Er wircket geweltiglich mit seinem arm...", 1043 so übersetzt er nun durch eine Perfektform: „Er hat gewalt übet". 1044 Durch diesen Wechsel der Tempora will Luther, wie er schreibt, daraufhinweisen, daß Maria etwas von Gott aussagt, was zu dessen Art gehört. Deshalb ist diese Art zu handeln nicht an eine bestimmte Zeit gebunden, sondern von solcher Beschränkung frei. Luther will durch die Wahl der Perfektform daraufhinweisen, daß Gott nach Ausweis aller Werke, die er in der Vergangenheit getan hat, aber auch jetzt tut und künftig tun wird, verläßlich die Hoffärtigen zerstört (beziehungsweise: verstreut' ). Darin liegt zugleich der Trost für die, die,armen Geistes" 1045 sind und sich nicht aus eigener Kraft gegen die,Weltweisen' wehren können. Dieses Wirken Gottes äußert sich von Ewigkeit zu Ewigkeit1046 in seinen Werken. Um ja recht verstanden zu werden, paraphrasiert Luther die Aussage, auf die es ihm in Lk 1,50f. ankommt, auch noch: Gott treibt Hochmütige kraftvoll auseinander und erweist Furchtsamen Barmherzigkeit. 1047 2.10.1. „Er hat Gewalt vbet mit seynem arm" (Lk 1, 51a) (StuA 1, 349, 40-351, 25) Zur Übersetzung Im Vulgatatext von Vers 51b („Dispersit superbos mente cordis sui") kann das ,mente cordis sui' auf das Subjekt des ,dispersit' bezogen werden. Versteht man den Satz so, dann ist von Gottes Entschluß die Rede: Gott hat die Hochmütigen durch seinen Willensentschluß zerstreut (als stünde da: mente cordis dei). Man kann das ,cordis sui' aber auch auf die ,superbi' beziehen. Dann bezeichnet es die Gestimmtheit der Hochmütigen: Gott hat die zerstreut, die in ihrem Sinn hochmütig sind. Hugo von St. Viktor hat die erste Möglichkeit gewählt. Er reflektiert über die Unerforschlichkeit des Ratschlusses Gottes. Die Juden, die doch Söhne seines Reiches zu sein meinten, hat Gott zur Verdammnis bestimmt. Die Heiden aber hat er dazu ausersehen, gerettet zu werden, obwohl sie ursprünglich nicht Adressaten der Verheißung an Abraham gewesen waren. 1048 Für Luther dagegen verbietet es sich, ,mente cordis sui' auf ,dispersit' zu beziehen und es als Aussage über Gottes Absicht zu verstehen. Der griechische Text der Stelle im Novum Instrumentum des Erasmus, dessen Übersetzung er das gewollt haben sollte, konnte Luther bei der Weiterarbeit auf der Wartburg daran nichts m e h r verändern. 1042 Die Verbform im griechischen Original steht im Aorist, die Verbform in der Übersetzung der Biblia Vulgata im Perfekt. 1043 StuA 1 , 3 1 6 , 2 1 . 1044 StuA 1, 349, 32. 1045 StuA 1, 344, 8. 1046 Luther wiederholt „al[l]tzeit" dreimal, er fügt es jedem Tempus bei. 1047 Diese Vokabel ist mehrdeutig. Man wird sie aus d e m Kontext so zu interpretieren haben, d a ß Gott nicht Furchtsamen a u f g r u n d ihrer furchtsamen Einstellung Barmherzigkeit erweist, sondern allein denen, die ihn fürchten. M a n braucht n u r zu vergleichen, was Luther andernorts über Macht als solche u n d über Reichtum als solchen etwa bei Abraham, David u n d Esther sagt. 1048 Hugo von St. Victor: Explanatio in Canticum Beatae Mariae (PL 175, 429B-430B).

132

2.

Kommentar

„cogitatione cordis ipsorum" und dessen Annotatio zur Stelle1049 machen ihm klar, daß eine Deutung, wie sie Hugo vorträgt, verfehlt ist. Es m u ß hier vielmehr um Menschen gehen, die in ihrem Personzentrum, im Kern ihres Herzens, hoffärtig sind. Zur Auslegung Nach Luthers Auffassung wirkt Gott sowohl direkt ohne Vermittlung von Geschöpfen als auch vermittelt durch diese. Wenn in der Heiligen Schrift von,Gottes Arm' die Rede ist, dann ist gemeint, daß Gott seine Kraft 1050 ohne Vermittlung 1051 ausübt. Dieses Wirken von Gottes Arm nimmt keiner wahr, ehe das Geschehen sein Ziel erreicht hat. 1052 Es geschieht zu still, zu sehr im Geheimen, als daß es für die sichtbar sein könnte, die nicht mit den Augen des Glaubens sehen. 1053 Nur der Glaube kann dieses Wirken von Gottes Kraft, seinem ,Arm',,verstehen' und ,erkennen'. 1054 Die Gottesfürchtigen, denen Gott seine Barmherzigkeit zusagt, sind durch ihren Glauben in der Lage, zu verstehen, daß Gott gerade da, wo er durch seinen eigenen Arm wirkt und nicht bloß durch die Vermittlung von Geschöpfen, paradoxerweise gerade sie, die Frommen, kraftlos werden läßt, während die Gottlosen an Kraft zuzunehmen scheinen. Jesaja klagt ja bereits, daß so wenige ihr Vertrauen auf Gottes ,Arm', sein Tun im Verborgenen, setzen, weil diese Art von Handeln Gottes sich als Ohnmacht zeigt.1055 Habakuk sagt einerseits, in Gottes Händen seien Hörner, Symbole der Stärke, und andererseits, Gottes Stärke sei verborgen. 1056 Das bedarf der Erklärung. Wenn Gott durch Kreaturen vermittelt wirkt, dann sieht man öffentlich,1057 wie Kraft und Schwäche verteilt sind. Luther zitiert zustimmend das Sprichwort: „Got hilfft dem sterckisten." 1058 So betrachtet schlägt Gott die Armee eines Fürsten durch die eines anderen und bewirkt, daß ein Mensch durch einen Wolf gefressen wird oder sonst zu 1049 Erasmus: Annotationes in Lucam 1, 51 (Bd. VI/5, ed. Hovingh, S.467, 606-608): „Cordis sui. [[Kardiasauton]]. Graeca vox indicat sui non esse referendum ad Deum, sed ad superbos. Nec est mente proprie, sed [[dianoia]], cogitatione, vt intelligas superbos suis ipsorum consiliis dispergi." 1050 Luther verwendet in diesem Zusammenhang „gewalt", „sterck" und „krafft" synonym und meint stets eine wirkende, nicht bloß eine im Ruhezustand vorhandene Kraft. 1051 Luther bedient sich hier (StuA 1,350,1) desselben Ausdrucks „on mittel", den er oben gebraucht hat, u m auszudrücken, daß nur derjenige Gott und dessen Wort recht verstehen kann, der dieses Verständnis ohne Vermittlung vom Heiligen Geist hat (StuA 1, 317, 5). 1052 So kann beispielsweise Unterdrückung ihr Ende finden (StuA 1, 350, 23f.). Vgl. auch StuA 1, 350, 29. 1053 StuA 1, 350, 2f. 1054 StuA 1,350, 3f. Das Verstehen und Erkennen des Glaubens ist kein,Sehen'. Betont Luther doch wenig später erneut: „niemant sihet" (StuA 1, 350, 17). Auf das Erkennen Gottes, wie es allein dem Glauben möglich ist, kommt Luther weiter unten (StuA 1, 352, 4-9) zurück. 1055 Vgl. Jes 53, 1-3. 1056 Hab 3,4 in der Übersetzung der Biblia Vulgata: „Cornua in manibus eius; ibi abscondita est fortitudo eius." 1057 Das Gegenstück zu diesem Wirken Gottes, das „öffentlich" (StuA 1, 350, 10) für jedermann sichtbar ist, ist sein Wirken kraft seines ,Arms\ Es geschieht „Stil vnd heymlich" (StuA 1, 350,2), „vorporgen vnd heymlich" (StuA 1, 350, 20f.). 1058 StuA 1, 350, l l f .

Lk 1, 51: „Das ander werck gottis / Geistliche hoffart zestoren"

133

Schaden k o m m t . Gerade wo Gottes eigener Arm nicht am Werk ist, liegt das Geschehen vor aller Augen. Anders geht es zu, wenn Gott selbst - ohne Vermittlung durch Kreaturen - seinen ,Arm' wirken läßt. 1059 Ehe m a n sich eine Meinung gebildet hat, ist zerstört oder umgekehrt erbaut: keiner sieht es. Auf diese Weise wirkt Gott nur zugunsten der Frommen 1 0 6 0 gegen die Bösen beziehungsweise Gottlosen. 1 0 6 1 Einer der beiden G r u p p e n gehört jeder Mensch an. 1062 Luther schildert n u n zuerst Gottes Eintreten für die Frommen, dann sein Wirken gegen die Bösen. Gerade die F r o m m e n läßt Gott so kraftlos werden u n d läßt sie derart unterdrücken, daß j e d e r m a n n meint, 1 0 6 3 es sei aus mit ihnen, sie seien a m Ende. Das ist aber noch nicht das Ende, das wirklich eintritt. 1 0 6 4 Das Ende, das „yderman" f ü r die Frommen erwartet, „es sey mit yhn ausz", trifft in Wirklichkeit die Bösen. Mit ihnen ist es, freilich erst a m Ende, „gar ausz". 1065 Ausgerechnet in der Kraftlosigkeit u n d Unterdrückung der F r o m m e n ist Gott am stärksten bei ihnen. 1 0 6 6 Aufgrund des Glaubens vermögen die F r o m m e n geduldig zu warten, bis die menschliche Stärke zerstiebt u n d die unter menschlicher Schwäche verborgene Kraft Gottes siegreich hervortritt. 1 0 6 7 Die ganze Stärke Gottes, sein ,Arm', steht ihnen bei. Freilich geschieht das auf eine so verborgene u n d heimliche 1 0 6 8 Weise, daß nicht einmal die F r o m m e n selbst, die unter der Unterdrückung leiden, es fühlen. Sie glauben es lediglich. Gottes Art, mit seinem Arm Gewalt zu üben, ist nicht spektakulär. Wenn die F r o m m e n im Glauben darauf warten, tritt an die Stelle ihrer versagenden Menschenkraft Gottes Kraft. Findet die Unterdrükkung ein Ende, so bricht hervor, welche Stärke (Gottes) unter der Schwachheit (der Frommen) verborgen gewesen ist. 1069 Auf diese Weise war Christus am Kreuz (für menschliche Augen) kraftlos u n d überwand doch gerade dort alle Mächte des Bö-

1059

StuA 1, 350, 15f. 1060 L u ther hat erheblich dazu beigetragen, dem Begriff „frum" neben der Bedeutung „zuverlässig" die von „gläubig" zu geben. Vgl. Matsuura: Zu ,fromm' bei Luther. Anders jedoch Wunder: ,iusticia, Teutonice fromkeyt.' Den Hinweis auf den Beitrag von Wunder verdanke ich Frau Dr. Petra Seegets, Universität Erlangen-Nürnberg. 1061 ,Böse' und ,Gottlose' bilden für Luther eine und dieselbe Gruppe, vgl. (in der Übersetzung von Bibelversen) StuA 1, 351, 2. 9. 1062 StuA 1, 350, 17f. 1063 Menschliche Meinung (opinio) und menschliches .meinen' erfassen eben nicht die Tiefendimension, die allein der Glaube erkennt (vgl. zu StuA 1, 350, 19 StuA 1, 350,16f. 33). Sie urteilen nach dem Augenschein. 1064 Vgl. StuA 1, 350, 29. 1065 StuA 1, 350, 35. 1066 StuA 1,350, 21f. 1067 StuA 1, 350, 22-24. 1068 Vgl. oben „Stil vnd heymlich" (StuA 1,350,2). In seinem Lied „Nun freut euch, lieben Christen g'mein" wird Luther 1523 in der sechsten Strophe so formulieren: „Gar haymlich fürt er [Gottes Sohn] sein gewalt" (ed. Jenny, S. 156). 1069 Zu Unrecht behauptet Maurer, Gottes eigentliches Werk geschehe „nur innerlich in den Herzen der Menschen, nur in der geistlichen, nicht in der äußerlich sichtbaren Welt." (Von der Freiheit eines Christenmenschen, S. 89)

134

2.

Kommentar

1070 A u f d i e s e Weise waren alle Märtyrer (an menschlicher Kraft schwach, an Gottes Kraft) stark und trugen den Sieg davon. Auf diese Weise siegen bis in die Gegenwart die (Glaubenden), die leiden und unterdrückt sind. Deswegen kann Joel sagen, der Kraftlose dürfe sich kraftvoll nennen. 1071 Das gilt jedoch nur im Glauben, und auch der Glaubende kann es erst fühlen, wenn das Ende es ausweist. sen

Ganz im Gegensatz dazu, wie er es den Frommen ergehen läßt, bewirkt Gott, daß die Bösen sich groß und mächtig erheben. 1072 Sie meinen zwar groß und mächtig zu sein. Doch das täuscht. Gott ist es, der sie sich aus ihrer eigenen Kraft aufblasen läßt. Der aufmerksame Leser hat im Gedächtnis, daß Luther von den Gottlosen gesagt hat, sie glichen einer bloß mit Luft gefüllten Blase. Hier spricht Luther von einer mit Wasser gefüllten Blase. Gott entzieht den Bösen seine Kraft. Denn wo Menschenkraft sich breit macht, verschwindet Gottes Kraft. 1073 Da er das Ergehen derer, die sich auf ihre eigene Kraft verlassen, so einschätzt, macht er zugleich eine Aussage darüber, zu welchem Zeitpunkt er ihren Zusammenbruch erwartet: Sobald ihre Aufgeblasenheit vollkommen ist.1074 Dann meint nicht bloß jeder Außenstehende, 1075 sie hätten die Oberhand und hätten gewonnen, sondern auch sie selbst sind sich dessen sicher. Luthers Formulierung läßt keinen Zweifel an ihrem vermeintlichen Erfolg: Sie haben ihre Sache zum guten Ende geführt. Zweifellos absichtlich schreibt Luther nicht etwa: „meinen, sie hätten ihre Sache zu einem guten Ende gebracht", so wie er geschrieben hat: „yderman meynet sie liegen oben." In der Formulierung, die er wählt: „habensz ansz ende bracht" tritt die vermeinte Sicherheit derer, die sich auf ihre eigene Kraft verlassen, stärker hervor. Das „habensz ansz ende bracht" korrespondiert dem „bisz das ansz end kumpt". Es ist eben nach Luthers fester Überzeugung Gott, der bestimmt, wann etwas zu Ende ist, nicht Menschen. 1076 Gerade dann läßt Gott ihre ganze Aufgeblasenheit in sich zusammenfallen. Sie sind dann völlig am Ende. 1077 Sie sind als die Narren erwiesen, die sie 1070 StuA 1, 350, 24-26. Zur Theologie des Kreuzes vgl. Von Loewenich: Luthers Theologia crucis, und Blaumeiser: Martin Luthers Kreuzestheologie. 1071 Joel 3, 10 Vulgata (= 4, 5): „Infirmus dicat: Quia fortis ego sum." 1072 Das Ergehen der Frommen ist zunächst kläglich (StuA 1,350,18f.), das der Gottlosen zunächst glanzvoll (StuA 1, 350, 30). 1073 Vgl. zu StuA 1,350,30f. das Gegenstück StuA 1,350,22f. Luther unterläßt es, in StuA 1,350,32 ein negatives Gegenstück zum Glauben (StuA 1, 350, 23) zu nennen. Zu ergänzen ist sinngemäß etwa: Denn Gottes Kraft verläßt die Menschen, wenn sie statt auf Gottes Kraft auf ihre eigene Kraft vertrauen und sich dadurch als ungläubig erweisen. 1074 In seiner Darstellung des Ergehens der Glaubenden hatte Luther keine vergleichbare Prognose gegeben. 1075 Vgl. zu „meynet" (StuA 1, 350, 33) bereits dieselbe Vokabel StuA 1, 350, 16. 17. 19 sowie unten S. 351,16. Was „yderman meynet", erweist sich sowohl bei den Frommen als auch bei den Bösen als verkehrt. 1076 Vgl. „bisz das ansz end kumpt" (StuA 1,350,29: durch das Wirken Gottes mit seinem Arm) mit „habensz ansz ende bracht" (StuA 1, 350, 34: durch die menschliche Kraft der Gottlosen). 1077 StuA 1, 350,34f. Frau Dr. Petra Seegets danke ich für den Hinweis darauf, daß Luther zunächst vom Sich-Aufblasen einer Gruppe von Menschen spricht (StuA 1, 350, 31) und hier wohl davon ausgeht, dass die von menschlichem Dünkel gefüllte Blase (zu Luthers Zeit wohl von einem geschlachteten Tier) mit Luft gefüllt ist. Wenig später dagegen spricht er von einer Wasserblase (StuA 1, 351, 1).

Lk 1, 51: „Das ander werck gottis / Geistliche hoffart

zestoren"

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sind, weil sie nicht wissen, daß sie gerade im Aufstieg und Erstarken aus eigener Kraft von Gott verlassen sind, dessen Wirken mit seinem Arm eben gerade nicht Leuten wie ihnen hilft. Ihre Übermacht 1078 hat ihre Zeit, verschwindet danach aber spurlos wie eine Wasserblase und erweist dadurch ihren Unwert. 1079 Diese Deutung von Lk 1, 51 findet Luther bestätigt in Ps 73: Dem Psalmbeter wird ein Blick in Gottes Geheimnis 1080 ermöglicht, er nimmt wahr, daß die Bösen ein Ende mit Schrecken nehmen. Das erweist, daß ihre Erhebung durch Reichtum, Sicherheit und Macht 1081 sie nur zum Selbstbetrug 1082 verführt hat. Worin sie erhoben waren, darin werden sie erniedrigt. Sie werden so schnell „vorstoret", 1083 mit ihnen ist es so schnell aus, 1084 wie ein Traum beim Erwachen verfliegt. 1085 Als zweiten Schriftbeleg zitiert Luther Ps 37 (36), 35f.: Der Gottlose, der eben noch erhaben 1086 war wie eine Zeder auf dem Libanon, ist schnell dahin und vergessen. Dann kommt er zurück auf seine Aussage, daß das Wirken Gottes mit seinem ,Arm' allein durch den Glauben erkannt werden könne. 1087 Er konstatiert, daß es den Christen am Glauben mangelt. 1088 Sie haben keine Geduld. Hätten sie Glauben, so könnten sie ein wenig ausharren. Dann würden sie sehen, wie Gott denen, die ihn fürchten, kraftvoll 1089 Barmherzigkeit erweist (Lk 1, 50) und mit seinem ,Arm' in allem Ernst und mit aller ihm zur Verfügung stehenden Gewalt die Hoffärtigen zerstreut. 1090 Doch der Mangel an Glaube macht nicht allein ungeduldig. Er macht auch ungeschickt. Weil ihnen das Sensorium des Glaubens fehlt, tasten die Christen statt mit den Fingerkuppen so tolpatschig wie mit einer geballten Faust nach der Barmherzigkeit, wie sie den Gottesfürchtigen verheißen ist, und nach Gottes ,Arm', wie er den Hoffärtigen angedroht ist.1091 Wenn sie dann (verständlicherweise) nichts fühlen, meinen sie, ihre Sache sei verloren und die ihrer Feinde (der,Bösen') sei gewonnen. Selbstsicher schätzen sich

1078

„yderman meynet sie liegen oben / haben gewunnen" (StuA 1, 350, 33). StuA 1 , 3 5 0 , 3 6 - 3 5 1 , 2 . 1080 „bisz ich in die heymlickeit gottis sah" (StuA 1, 351,4): „Donec intrem in sanctuarium Dei" (Ps 73 [72], 17). 1081 StuA 1,351, 3. 1082 StuA 1 , 3 5 1 , 5 . 1083 StuA 1, 351, 7. Durch die Wahl der Vokabel „vorstoren" spielt Luther auf „zurstoret" (StuA 1, 316, 21), „zestoren" (StuA 1, 349, 31) u n d „zurstrewet" (StuA 1, 349, 33) in seiner Übersetzung u n d Auslegung von Lk 1, 51 an. 1084 Vgl. zu „wie schnei ists ausz mit yhn worden" (StuA 1, 351, 7) weiter oben „szo ists gar ausz" (StuA 1, 350, 34f.). 1079

1085 V g l

Ps 7 3

(72), i9f.

1086 Auch wenn die Drucke mit einer einzigen Ausnahme .auffgewachen' bieten, m u ß es doch wohl .aufgewachsen' heißen. Der Sinn ist dann: ,hoch emporgewachsen'. Zu dieser Konjektur vgl. die Anm e r k u n g des Herausgebers in WA 7, 587, Anm. 1. 1087 StuA 1, 351, 12-21. Vgl. weiter oben StuA 1, 350, 3f. 1088 StuA 1,351, 12. 1089 StuA 1,351, 14. 1090 StuA 1,351, 13-15. 1091 StuA 1,351, 15f.

136

2.

Kommentar

die ,Bösen' ein: „sie selb nu auch sicher sind / vnd habensz ansz ende bracht". 1092 Die Christen meinen, Gottes Gnade und Barmherzigkeit hätten sie verlassen, ja Gottes ,Arm' habe sich geradezu gegen sie gerichtet. 1093 Das rührt daher, daß die Christen nicht erkennen, was Gottes ureigenste Werke sind im Unterschied zu den Werken, die er durch Vermittlung der Kreaturen tut. Darum kennen sie Gott nicht, der derart wirkt, weder seine Barmherzigkeit zu ihren Gunsten (Lk 1,50) noch seinen ,Arm', der sich gegen ihre Feinde, die Hoffärtigen, wendet (Lk 1, 51). Gott ist nicht anders zu erkennen als mit den Augen des Glaubens. Er will auf andere Weise nicht erkannt werden. 1094 Das ,Auge' der Sinne und der Vernunft muß zu diesem Zweck geschlossen werden. Die Informationen, die die Sinne liefern, und die Folgerungen, die die Vernunft daraus zieht, reichen ja nur bis zu dem Satz: „Got hilfft dem sterckisten." 1095 Sinne und Vernunft stehen damit der Sichtweise des Glaubens im Wege. Nur sie erkennt, wie Gott durch scheinbare Schwäche hindurch heimlich seinen Weg verfolgt. Deshalb m u ß diese Sichtweise, die Glauben verhindert, 1096 weichen, mit Mt 5,29 gesprochen: Dieses Auge muß, bildhaft gesprochen, ausgestochen werden. Lernen die Christen mit dem Auge des Glaubens erkennen, daß Gott den [scheinbar] Weisen und Klugen fern steht und ihrer Hoffart entgegentritt (Lk 1, 51), und daß er andererseits den [scheinbar] Unweisen nahe steht, die auf ihr Recht verzichten müssen, so lernen sie Gott lieben und loben, wie Luther oben ausgeführt hat. Der Trost beschränkt sich dann nicht auf den Sitz des Glaubens im Geist, sondern dringt von ihm aus durch zur Seele, von ihr in den Leib, den die Seele regiert, und zu allen Seelen- und Leibeskräften. Die Erwartung, daß die Seele, deren höchster Teil Berührung mit Gott gehabt habe, den Leib nach sich ausrichten werde, findet sich auch bei Mystikern. Freilich benutzt Luther lediglich mystische Aussageformen, sein Denken unterscheidet sich recht tiefgreifend von deren Ansprüchen auf Gottesnähe. 1097

1092 StuA 1,350,33f. Von der Selbsteinschätzung der ,frumen' hat Luther weiter oben nichts gesagt, er hat sich damit begnügt, zu schreiben, was jedermann meine (StuA 1, 350, 19). 1093 StuA 1,351, 17f. 1094 StuA 1,351,20. 1095 StuA 1,350, 11 f. 1096 StuA 1, 20-21. Das „ergert unsz" (StuA 1, 351, 21) m u ß in diesem Kontext verstanden werden als „hindert uns daran, Gott zu vertrauen". 1097 StuA 1, 351,24f. Zur Mühlen ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Im Unterschied zur romanischen Mystik, die eine mystisch-ekstatische Vereinigung mit dem ungeschaffenen ewigen Wort kennt und die - wenn auch nur momentan und punktuell - das fleischgewordene Wort Gottes hinter sich lassen kann, kennt Luther nur noch eine Vereinigung mit Gott, die strikt auf die Beziehung des Glaubens auf das fleischgewordene und gepredigte Wort Gottes bezogen ist." Zur Mühlen: Mystische Erfahrung und Wort Gottes bei Martin Luther, S. 56. Auch von der Mystik Taulers ist Luther hier getrennt. Denn nach seiner Auffassung vermag ein Mensch „von sich aus sein Gottesverhältnis durch den Weg nach innen nicht einfach zu aktualisieren." Zur Mühlen: Luthers Frömmigkeit und die Mystik, S. 58.

Lk 1, 51: „Das ander werckgottis / Geistliche hoffart zestoren"

137

2.10.2. „Er zustoret'098 die hoffertig sind" (Lk 1, 51b) (StuA 1, 351, 26-352, 9) Gott zerstört stets dann, wenn die Hoffärtigen „am aller klugisten" sind. 1099 Die Ergänzung „voll eygener weyszheit" verdeutlicht, daß es sich um eine Art von Klugheit handelt, die Gottes Weisheit ausschließt. Da Luther in derselben Weise von den Hoffärtigen redet wie kurz zuvor von den Gottlosen oder Bösen, geht es für ihn offenbar um dieselbe Gruppe von Menschen. Gott verstört 1100 dadurch, daß er den Hochfahrenden seine Weisheit entzieht, die ewig ist, und sie sich mit ihrer zeitlichen, schnell vergänglichen Weisheit füllen läßt, die diesen Namen nicht verdient. 1101 Die Strafe folgt nicht erst (wie bei den Bösen, die sich aufblasen), sondern liegt schon darin, daß die Hoffärtigen erreichen, was sie anstreben. 1102 Nach Luthers Auffassung sind die Hoffärtigen Menschen, die Gefallen haben an ihrer eigenen Meinung, ihrem Gutdünken, ihrem Verstehen, wie sie nicht Gott verleiht, sondern ihr eigenes Herz. 1103 Durch das Verb „wolgefellet" drückt Luther aus, daß diese Menschen sich bewußt entscheiden. Diese Entscheidung für die Selbstgenügsamkeit macht ihre Hoffart so unentschuldbar. 1104 Die Hoffärtigen halten die eigene Meinung, ihr Gutdünken und ihr Verstehen für die allerberec/irigtsten,1105 besten und weisesten. Damit nur ja ihre Sache recht ist und sich durchsetzt, erheben sie sich 1106 gegen1107 die Gottesfürchtigen. Zugunsten der eigenen Meinung unterdrücken sie deren Meinung, 1108 zugunsten der eigenen vermeintlich al-

1098 So StuA 1, 351, 26. Dagegen zu Beginn der Einzelexegese dieses Verses: „Vnd zurstrewet ..." (StuA 1, 349, 33). 1099 StuA 1, 351, 27. Einmal mehr formuliert Luther so, als anerkenne er die getadelte Position. 1100 „zustoret" (StuA 1,351,26) und „vorstoren" (StuA 1, 351,29) verwendet Luther synonym miteinander. 1101 StuA 1, 351, 26-28. 1102 Vgl. dazu auch, was Luther über den Erfolg derer schreibt, die sich mit eigener Kraft aufblasen (StuA 1, 350, 30-32). 1103 \ y ; e oben bereits gesagt, bestimmt das ,Herz' nach Luthers Ansicht Denken, Planen und Tun eines Menschen in positiver wie in negativer Ausrichtung. - Schon im Widmungsbrief hat Luther geschrieben, ein menschliches Herz neige zur Vermessenheit (vgl. StuA 1,315, 12-15). 1104 Auch in der spätmittelalterlichen Theologie ist es die bewußte Zustimmung zur Sünde, die selbst aus einem vergleichsweise harmlosen Vergehen Sünde zum Tode macht. Vgl. etwa Johannes von Paltz OESA: Coelifodina, der im Abschnitt De cavendo quintuplici consensu (140, 12-144, 3) vor allem Thomas von Aquin, aber auch Bonaventura, Jean Gerson und eine Erzählung aus den Vitae patrum heranzieht. 1105 Die Vokabel „rechtist" (StuA 1,351,32) erinnert an den Exkurs über das Bekenntnis zum Recht und das Erkämpfen des Rechts. Sie macht einmal mehr deutlich, daß Luther den Anspruch ablehnt, Recht anders zu begründen als in Gott. In diesem Zusammenhang verwendet Luther mehrere Male „Recht" oder „recht" als Bestandteil eines Wortes. H06 w i e di e Hochfahrenden (Hoffärtigen) (StuA 1, 351, 33) .erheben' sich in Luthers Auslegung auch die ,Bösen', und Gott läßt es geschehen: „Widderumb das ander teyl lessit got / grosz vnd mechtig sich erheben." (StuA 1, 350, 30). 1107 Es genügt den Hoffärtigen offenbar nicht, sich ,über' die Gottesfürchtigen zu erheben. Sie erheben sich ,gegen' (widder) sie. 1108 StuA 1,351,33-34.

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2.

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lerberecfoiigtsten Ansicht deren Recht.1109 Sie ruinieren das Recht der Gottesfürchtigen und verfolgen es aufs Äußerste. 1110 Haben sie damit Erfolg, so rühmen sie sich und erheben sich selbst.1111 So verhielten sich schon die Juden Christus gegenüber. 1112 Sie sahen nicht, daß [Gott] 1113 gerade dadurch ihre Sache zerstörte und zuschanden machte und Christus zu allen Ehren erhob. Da Luther die Hoffärtigen aller Zeiten mit den jüdischen Gegnern Christi identifiziert, 1114 die gegen den Sohn Gottes selbst stritten, geht es seiner Überzeugung nach in Lk 1, 51b um die höchsten Güter überhaupt, um die geistlichen Güter: Die Hoffart der Hoffärtigen aller Zeiten richtet sich gegen das Evangelium! Es geht in Lk 1, 51b ferner darum, Gottes Tun zu erkennen, das sich in doppelter Weise äußert, als Barmherzigkeit gegenüber denen, die ihn fürchten, und als Zerstreuen der Hoffärtigen. Christen, die darauf vertrauen können, sollen gerne geistlich arm sein, ihre Gegner recht haben lassen und es ertragen, daß sie (nach außen hin) Unrecht haben. 1115 Ist doch gewiß, daß dieser Zustand nicht lange dauern wird. Zu stark ist die Zusage, daß sie dem verborgenen Wirken Gottes durch seinen ,Arm' nicht entrinnen werden. Die Gegner werden ebenso weit unter das normale menschliche Maß gestürzt werden, wie sie sich darüber erhoben haben. 1116 Freilich wird Gottes ,Arm' das nur tun, wenn die Christen wirklich glaubend darauf vertrauen. Fehlt der Glaube, so nimmt man nur wahr, wie Gott auf die Weise wirkt, wie es vor aller Augen und jedem vertraut ist. 1117 Durch Werke dieser Art kann man Gott freilich nicht erkennen. Spielen doch hier auch Kräfte der Geschöpfe mit, und zwar, darf man sicher ergänzen, sowohl im Guten als auch im Bösen. Begabungen und Grenzen der Geschöpfe können sowohl aufbauen als auch stören. Im Glauben erkennen kann man Gott vielmehr aus seinen eigenen Werken, in denen er allein tätig wird. Für diese als ,edel' qualifizierten Werke ist kennzeichnend, daß die Christen kraftlos werden, daß ihnen Unrecht geschieht oder daß sie auf andere Weise unterdrückt werden. Gerade darin wirkt Gottes Kraft in ihnen. Luther denkt an Gottes und des Geschöpfs Tun als miteinander konkurrierend. Diese Sichtweise erzeugt gerade dann Schwierigkeiten, wenn es um Gottes Souveränität und menschliche Freiheit geht. 1118 1109

StuA 1, 351, 32. 34. StuA 1, 351, 34. 1111 Zur hochfahrenden Selbstüberhebung der Hoffärtigen: „erheben sich hoch" (StuA 1, 351, 36) vgl. die Schilderung dessen, daß Gott den Gottlosen erlaubt, sich zu erheben: „lessit got / grosz vnd mechtig sich erheben" (StuA 1, 350, 30) und „darüber sie sich erheben" (StuA 1, 351, 33). 1112 Dieser Hinweis auf das Verhalten der Juden zur Lebenszeit Jesu Christi schließt für Luther nicht aus, daß beispielsweise in seiner eigenen Zeit auch der Papst und seine Anhänger wieder solche Hoffärtigen sein können. 1113 Luther formuliert: „sahen aber nit damit yhr dinck zustoret vnd zuschanden" (StuA 1, 351, 36f.). In ihrem Nicht - Sehen manifestiert sich, daß ihnen der Glaube fehlt. 1114 Das „Alszo" (StuA 1, 351, 38) zieht diese weitgehende Folgerung. 1115 StuA 1, 351, 39f. 1116 StuA 1,352, lf. 1117 Zum Gegensatz zwischen Gottes Tun, das „öffentlich" geschieht (StuA 1,350,10), und dem, das er „vorporgen vnd heymlich" (StuA 1, 350, 20f.) mit seinem Arm tut, siehe weiter oben. 1118 StuA 1, 352, 7-9. - Vgl. zum Problem der Souveränität Gottes und der menschlichen Freiheit 1110

Lk 1, 51: „Das ander werckgottis / Geistliche hoffart zestoren" 2.10.3. (StuA

„ym gemutyhres 1, 352,

hertzen

139

"

10-40)

Maria charakterisiert die Hochfahrenden, die nur scheinbar Glanz verbreiten, deswegen so treffend, weil sie in deren Herzen schaut statt lediglich auf ihre Taten oder auf ihre Erscheinung. 1119 Mit ihrer Charakterisierung „ym gemut yhres hertzen" charakterisiert sie unter den vielen Hochmütigen, die es gibt, vor allem die Feinde der Wahrheit Gottes. Als solche erwiesen sich einerseits die Juden, die Christus anfeindeten, andererseits zu Luthers eigener Zeit der Papst und seine Anhänger. 1120 Diese Gelehrten und Heiligen sind nicht in der Weise hoffärtig, daß sie teure Kleider trügen oder sich arrogant gäben: wären sie auf so grobe Weise hochfahrend, dann würde es genügen, auf ihre Taten oder auf ihre Erscheinung 1121 zu achten. Nein, im Gegenteil, sie weisen alle äußeren Merkmale von Frömmigkeit auf. 1122 Sie treiben keinen Kleiderluxus und tragen ihre Nase nicht hoch. 1123 Sie sind sogar davon überzeugt, die entschiedensten Feinde von Hoffart, Unrecht und trügerischem Glanz zu sein, die entschiedensten Freunde der Wahrheit und Gottes, der personifizierten Wahrheit. Sie vermögen eben darum der Wahrheit des Evangeliums so zu schaden, weil sie dann, wenn man nicht wie Maria auf das Herz sieht, dem Anschein nach heilige, fromme, gelehrte Menschen sind. 1124 Ihre Art, sich zu geben, verleiht ihnen den Anschein der Demut. Sie glänzt, sie rührt den großen Haufen der Menschen. Dem Schein nach meinen sie es von Herzen gut. Sie erdreisten sich, sich über den,armen Jesus' zu erbarmen, 1125 der so unrecht tut, so hoffärtig ist und nicht so fromm wie sie.1126 Ihnen antwortet er: Ich, der ich die göttliche Weisheit selbst bin, m u ß mich schulmeistern lassen von denen, die von mir lernen soll-

neuerdings Brinkman, Het drama van de menselijke vrijheid (in englischer Bearbeitung: The Tragedy of Human Freedom. The Ambivalent Role of the Christian Concept of Freedom in Western Culture). Was Gott zugeschrieben wird, scheint stets die Freiheit des Menschen zu begrenzen. Umgekehrt scheint alles, was dem Menschen zugeschrieben wird, nicht mehr mit Gott in Verbindung gebracht werden zu können. 1119 StuA 1, 352, 10-12. 1120 Die Berechtigung dazu, den Papst und seine Anhänger als „die feind gotlicher warheit... itzt" zu betrachten, ergibt sich für Luther daraus, daß er weiter oben bereits die Juden als die Feinde der Wahrheit Gottes in früherer Zeit, den Papst und seine Anhänger als die Feinde der Wahrheit Gottes jetzt (und schon seit einiger Zeit) beschrieben hat: „Ein solchs volck waren die Juden..." (StuA 1,345,8) und: „Ein solch volck zu vnsern zeytten für allen andern / ist der bapst mit seinem häuften / vnd lange zeyt gewesen ..." (StuA 1,345,27 f.). Die Moabiter (StuA 1,345,4-7) und die Freunde Hiobs (StuA 1,345,9) erwähnt Luther nicht erneut: Mit ihnen m u ß er sich nicht auseinandersetzen. 1121 Vgl. StuA 1,352, 13f. 1122 StuA 1,352, 14f. 1123 StuA 1, 352, 15. 1124 StuA 1, 352, 18 f. 1125 StuA 1,352,20f. Solches,Erbarmen' von Menschen über Gottes Sohn ist natürlich eine zu Gott dem Vater schreiende Unverschämtheit derer, die als Hoffärtige dessen Zorn auf sich herabrufen, während Gott denen barmherzig ist, die ihn fürchten (Lk 1, 50). 1126 Um Luthers Vorwurf historisch einordnen zu können, kann man etwa an Mt 11, 19 denken: „Siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Geselle!"

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ten. Sie wollen gerechter und weiser sein als ich, sie wollen sich zu meinen Lehrern aufwerfen. 1127 Solche Menschen, die im Herzen hoffärtig sind, sind mehr als alle anderen von Gift erfüllt. Sie richten mehr Schaden an als sonst jemand. 1128 Ihre Hoffart wurzelt im Herzen, also so tief im Grund des Wesens der Hoffärtigen, daß ihr sehr schwer beizukommen ist. Deren Urheber ist der Teufel selbst. Sie nehmen keinen Rat an. Mahnungen hören sie nicht an: Können sie sie doch nicht betreffen. 1129 Sie bedürfen ihrer nicht. Sie beziehen Mahnungen auf die armen Sünder, die ihrer Meinung nach im Gegensatz zu ihnen der Lehre bedürfen. Johannes der Täufer und Jesus haben solche Hoffärtigen denn auch als Schlangenbrut bezeichnet. 1130 Sie sind wirklich schuldig. 1131 Fürchten sie doch Gott nicht (und verstoßen damit unter anderem gegen Lk 1, 50). Sie erfüllen keine weitere Funktion, 1132 als daß Gott sie im Vollbesitz ihrer Hoffart zerstreut. 1133 Denn niemand verfolgt Recht und Wahrheit mehr als sie - und das empörenderweise auch noch unter dem Vorwand, sie täten es um Gottes und um der Gerechtigkeit willen! Darum verdienen sie den ersten Rang unter den drei Gruppen von Feinden Gottes, den sie in der Abfolge der Nennungen einnehmen. Mit ihnen verglichen sind die,Reichen' die geringsten Feinde. Viel mehr Schaden richten schon die ,Gewaltigen' an. Doch die ,Gelehrten' übertreffen die beiden anderen Gruppen. Luther identifiziert also die .Hoffärtigen' rundheraus mit den,Gelehrten' wie schon weiter oben bei der Exegese von Lk 1, 50.1134 Die ,Reichen', die Maria nennt, sperren nur sich selbst gegen Gottes Wahr-

1127

StuA 1,352,23-25. StuA 1, 352, 26. 1129 Aus dem Kontext ergibt sich, daß mit dem ,Rat', der erteilt wird (StuA 1, 352, 27), und mit der .Lehre' (StuA 1, 352, 28) eine biblisch begründete Mahnung zur Umkehr gemeint sein muß. 1130 StuA 1,352,29. Lk 3, 7: .Ottern gezichte'; Mt 23, 33: .schlangen, Ottern Gezichte' [Übersetzung nach Luther in der Fassung von 1545]. 1131 Sie sind deshalb die „rechtschuldigen" (StuA 1,352,30), weil niemand „recht vnd warheit mehr vorfolget denn sie" (StuA 1, 352, 31f.). 1132 „nur datzu dienen" (StuA 1,352,30) verweist darauf, daß sie keinen weiteren Nutzen für Gottes Plan mit den Christen haben. 1,33 Luther verwendet (StuA 1, 352,31) das Verb „zustrewen", das er auch bereits in seiner Übersetzung vor Beginn der Einzelexegese (StuA 1,349,33; hier: zurstrewen) und in seiner Erklärung zur Wahl der Tempora (StuA 1,349,39: ebenfalls: zurstrewen) gebraucht hat. Dagegen schreibt er „zurstoren" in seiner Übersetzung des Magnifikat vor Beginn der Vorrede (StuA 1,316,21), in seiner eigenen Formulierung von Gottes Tun vor Beginn der Einzelexegese (StuA 1,349,31; hier: zestoren) und zu Beginn des Abschnitts (StuA 1,351,26; hier: zustoren). Etwas weiter hinten im Text wird er erneut „zustoren" verwenden (StuA 1, 353,4. 7). Diese synonyme Verwendung beider Verben erstaunt auf den ersten Blick. Scheint doch für den modernen Leser „zerstreuen" nur „auseinandertreiben", nicht aber „vernichten" zu bedeuten. Frau Dr. Petra Seegets verdanke ich die Hinweise darauf, daß zum ersten ein Durchgang durch die alttestamentliche Verwendung von „zerstreuen" (gerade in den Psalmen, die Luther als Mönch wie als Exeget besonders gut kannte) lehrt, daß ,zerstreuen' in den Psalmen keineswegs als harmlos betrachtet worden ist, und daß zum zweiten ein frühneuzeitlicher Mensch, der beispielsweise aus seinem Wohnort verwiesen wurde, damit oft genug vollkommen entwurzelt wurde, alle sozialen und wirtschaftlichen Bindungen verlor, gesellschaftlich geächtet wurde. 1134 Vgl. StuA 1, 344, 27-345, 31. 1128

Lk 1, 52a: „Das dritte werck / Nydrigen die hohen"

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heit. 1135 Die,Gewaltigen' hindern außer sich selbst auch noch andere Menschen daran, Gottes Wahrheit Glauben zu schenken. Die ,Gelehrten' aber sind deswegen am schlimmsten, weil sie Gottes Wahrheit als solche auslöschen und sie durch das Gutdünken ihres eigenen Herzens verdrängen, so daß sie in ihren eigenen Herzen u n d in denen anderer Christen nicht wieder Wurzeln schlagen kann. Die Gelehrten sind ebenso [unermeßlich] viel schlimmer als die Gewaltigen, geschweige denn als die Reichen, wie Gottes Wahrheit [unermeßlich] viel besser ist als die Menschen, in denen sie Wohnung nimmt. 1 1 3 6 Es ist nur recht und billig, daß Gott in ganz besonderer Weise den hochmütigen verkehrten Gelehrten 1137 als Feind entgegen tritt.

2.11. Lk 1, 52a: „Das dritte werck / Nydrigen die hohen. Er hat abgesetzt die gewaltigen von yhren stuelen" (StuA 1, 353, 1-354, 17) Zur Übersetzung In der ersten Übersetzung zu Beginn seiner Schrift hat Luther so übertragen: „Er absetzet die groszen herrnn von yhrer herschafft". Mit der Formulierung im Präsens will er auch hier (wie bei der ersten Übertragung von Lk 1, 51) daraufhinweisen, daß Gott nicht allein in der Vergangenheit so gehandelt hat, sondern daß er beständig so handelt." 3 8 Die sprachliche Leistung der Entsprechung zwischen „herrnn" und „herschafft" liegt darin, daß sie besonders deutlich macht, wie Gott oft die Macht entzieht, die Herren zu Herren macht. In der Übersetzung vor der Einzelexegese dagegen spricht Luther nun von den „gewaltigen" und schließt damit an die Formulierung „Er hat gewalt vbet" 1139 beziehungsweise „Er wircket geweltiglich" 1140 in der Übersetzung von Lk 1,51 an. Da Gott sich gegen sie wendet, sind die,Gewaltigen' in deutlich negativ besetzter Benennung als .Gewalttätige' zu betrachten. Luther kommt damit der Entsprechung „fecit potentiam - deposuit potentes" der Biblia Vulgata näher. In ein- und derselben Übersetzung ist nicht beides - der Hinweis auf Herrschaft und auf Gewalt - zu haben. Luther m u ß sich für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden. Er kann nur entweder wie zu Beginn der Schrift die Herrschaft betonen oder aber n u n vor der Ein1,35 Vgl. dazu, d a ß Gott selbst die ,Wahrheit' gewährleistet, oben: „kein grosser freund der warheit vnd gottis" (StuA 1, 352, 17). 1136 StuA 1, 352, 38—40. 1137 Vgl. zu dieser Polemik gegen Gelehrte Gilly: Das Sprichwort ,Die Gelehrten die Verkehrten' in der Toleranzliteratur des 16. lahrhunderts (1987), O b e r m a n : Die Gelehrten die Verkehrten: Populär Response to Learned Culture in the Renaissance and Reformation (1989), Gilly: Das Sprichwort ,Die Gelehrten die Verkehrten' oder der Verrat der Intellektuellen im Zeitalter der Glaubensspaltung (1991), Trapman: Surgunt indocti (1997). 1138 Vgl. zur Präsensform „absetzet" (StuA 1,316, 23) die Präsensform „wircket" (StuA 1, 316, 21) u n d die Erklärung, die Luther dazu gibt (StuA 1, 349, 34-40). 1139 StuA 1 , 3 4 9 , 3 2 . 1140 StuA 1, 316, 21.

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zelexegese Gottes gewaltiges Eingreifen gegen Gewaltige. Hier vor der Einzelexegese entscheidet Luther sich gegen die Korrelation .Herren aus der Herrschaft entsetzen 1 zugunsten der Korrelation .Gewalt üben gegen Gewalttätige'. Von .Gewaltigen' hat Luther auch in seiner Übersetzung von Jer 9, 23 (Verszählung der Biblia Vulgata) gesprochen. 1141 Im Gegensatz zu den .Niedrigen' von Lk 1,52b, zu den „vnteren", 1142 kann Luther sie auch die .Hohen' nennen. 1 1 4 3 Sie sind auch die „groszen [herrnn]" , die „grossen" im Gegensatz zu den Kleinen. Zur Auslegung Analog zu Gottes erstem u n d zweitem Werk will Luther auch dessen folgende Werke verstehen. Er formuliert hier sehr dicht. Es empfiehlt sich deshalb, seine Aussagen nach Gegenständen zu gliedern. Gottes Eingreifen kraft seines ,eigenen' Werks: Wie Gott als zweites Werk die [scheinbar] ,Weisen' und ,Klügler', die Luther mit den Hoffärtigen identifiziert, zerstört (Lk 1, 51), so zerstört er als drittes Werk auch die Gewaltigen u n d Großen und setzt sie ab (Lk 1, 52a). 1 ' 44 Das Verb ,zerstören' fungiert als Oberbegriff für Gottes Eingreifen gegen Hoffärtige und Gewaltige. Wie Gott andererseits als sein erstes Werk die tröstet, die von den Hoffärtigen ins Unrecht gesetzt und zu Schanden gemacht werden (Lk 1, 50), so ist es sein viertes Werk, die zu trösten, die [als Niedrige] Schaden u n d Übel leiden müssen. Das Verb ,trösten' verwendet Luther hier also als Oberbegriff für ,Barmherzigkeit [üben]' (Lk 1, 50) und ,erheben' (Lk 1, 52b). Schon mit der Wahl dieses Verbs gibt Luther einen Hinweis darauf, daß er Gottes Eingreifen nicht als revolutionär in dem Sinn versteht, als ob Gott die Niedrigen auf die Stühle der Gewaltigen setze. So wie er die Gottesfürchtigen tröstet, erschreckt er die Gottvergessenen. 1145 Während sich die drei Gruppen der Feinde voneinander unterscheiden lassen, ist die Gruppe derer, die verfolgt werden, nicht so gut zu differenzieren. 1146 Auf diese Weise durchkreuzt Gott menschliche Werke. Die .Weisen' u n d ,Klügler' verlassen sich auf ihren eigenen Sinn und auf ihr Gutdünken statt auf Gott, der allein Gegenstand menschlichen Vertrauens sein sollte. Ihr Hochmut, der daraus folgt, richtet sich gegen die Gottesfürchtigen, die sie ins Unrecht setzen, deren Ansinnen u n d deren Recht sie verdammen. Sie unterdrücken sie am häufigsten u m des Wortes Gottes willen: In den meisten Fällen wollen sie ihnen zugleich das wichtigste Gut nehmen, das sie ihnen bestreiten können. 1 1 4 7 Die Gewaltigen u n d Großen verlassen sich (statt auf Gott) auf ihre Macht und ihre Würde als Obrigkeitspersonen. Der Übermut, der dar-

1141

„Es prange kein geweitiger auff seine gewalt" (StuA 1, 343, 35). StuA 1, 353, 9. 1143 StuA 1,353, 1. 1144 StuA 1, 353, 4. 7f. 1145 StuA 1,353, 13. 1146 Vgl. Luthers Versuch, doch zu einer Unterscheidung zu kommen, weiter oben: „ander drey / Geist armen / vnterdruckten / vnd durfftigen an leibs notdurfft" (StuA 1, 344, 22f.). 1147 StuA 1,353,4-7. 1142

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aus folgt, 1148 richtet sich gegen diejenigen Untertanen, die fromm und demütig sind. 1149 Diese erleiden von solchen Gewalthabern Schaden (an ihrem Besitz), Pein (an ihrem Leibe), ja sogar den Tod und weitere Übel. 1150 Freilich wird deutlich, daß die g e waltigen' nicht die höchsten Güter gefährden: Sie löschen nicht wie die ,Weisen' die Wahrheit selbst aus, 1151 sie suchen nicht wie diese das Gotteswort zu vernichten. 1152 Deshalb bilden sie zu Recht nur die Feinde zweiter Ordnung. 1153 Gott kommt den Leidenden zur Hilfe. Unter den .Weisen' haben die Gottesfürchtigen zu leiden, die um ihres Rechts, der Wahrheit und des Gottesworts willen Unrecht und Schande 1154 ertragen müssen, wie Luther eben schon zum Vergehen der .Weisen' ausgeführt hatte. 1155 Unter den,Gewaltigen' haben die zu leiden, die Schaden und Übel leiden müssen. 1156 Vergleicht man auch nur, wie viel ausführlicher Luther die Übergriffe der ,Weisen' tadelt, so wird bereits deutlich, daß er die geistliche Vergewaltigung als viel schlimmer bewertet als die an Leib und Gut. Wie Gottes Eingreifen gegen die Hoffärtigen gilt es auch sein Wirken gegen die Gewaltigen im Glauben abzuwarten. 1157 Gott vernichtet die Gewaltigen nicht gleich dann, wenn sie es verdienen. 1158 Er läßt ihnen vielmehr eine Weile1159 ihren Lauf, bis ihre Gewalt ihren Gipfel erreicht hat. Dann aber hält er sie nicht aufrecht. Das genügt. Denn dann vermag ihre Gewalt sich selbst nicht zu halten. Sie fällt in sich selbst zusammen, sie vergeht. Sie hat so wenig Gehalt, daß sie dabei nicht einmal viel Getöse macht. 1160 Die Unterdrückten kommen empor, ebenfalls ohne jedes Getöse, denn in ihnen ist ja Gottes Kraft, wie er sie mit seinem eigenen Arm wirkt, und deren Kennzeichen ist Stille.1161 Gottes Kraft allein hat Bestand, wenn die Gewalt der Gewaltigen untergegangen

1148 Zu beachten ist die Parallele zwischen dem „vbirmut" (StuA 1, 353,9) der Gewaltigen und dem „hohmut" (StuA 1, 353, 5) der [scheinbar] Weisen. 1149 Das „vnd" im Satz „die vnteren vnd frumen demutigen" (StuA 1, 353,9) führt irre: Es geht Luther u m diejenigen Untertanen, die fromm und demütig sind. 1150 StuA 1,353,7-10. 1151 StuA 1, 352, 36f. 1152 StuA 1, 353, 6f. 1153 StuA 1, 352, 34f. 1154 Zu „schand" (StuA 1, 353, 11) vgl. weiter oben „vordampt sein" (StuA 1, 353, 6). 1155 Vgl. auch StuA 1, 353, 5-7. 1156 In dieser Bündelung (StuA 1, 353, 12) entfallen die weiter oben genannten „pein" und „tod" (StuA 1, 353, 10). 1157 Vgl. zu Luthers Mahnung zum geduldigen Warten auf Gottes Eingreifen gegen die Gewaltigen (StuA 1, 353, 13f.) seine Aussage über das geduldige Warten auf Gottes Eingreifen gegen die Hoffärtigen (StuA 1, 351, 12-15). 1158 Von einem „zustoren" der Gewaltigen (StuA 1, 353,14) ist im Text des Magnifikat nicht die Rede. Luther hat allerdings, wie eben bereits vermerkt, das Verb „zustoren" aus seiner Übersetzung von Lk 1, 51 (Gottes Eingreifen gegen Hoffärtige) auch zum Oberbegriff für dessen Wirken gegen Gewaltige gemacht (vgl. StuA 1, 353, 4. 7). 1159 Vgl. zur Zeitangabe „ein weyl" (StuA 1, 353, 15) auch „nit lange" (StuA 1, 353, 26). 1160 StuA 1, 353, 14-17. 1161 Vgl. zu „on alles rumor / denn gottis krafft ist in yhnen ..." (StuA 1, 353, 18f.): „geht stil vnd heymlich zu" (StuA 1, 350, 2).

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2.

Kommentar

ist.1162 Der Untergang der Gewalt der Gewaltigen ist gegenläufig zum Emporkommen der Unterdrückten. Luther macht ausdrücklich darauf aufmerksam, daß Maria formuliert, Gott setze die Gewaltigen von ihren Stühlen ab, er werfe sie heraus, nicht aber, Gott zerbreche die Stühle. Andererseits sagt Maria auch nicht, Gott lasse die Niedrigen unten, sondern sie sagt, er erhebe sie.1163 Das sagt Maria nach Luthers Deutung deswegen, weil die Funktionen der Obrigkeit, der Regierung, der Gewaltausübung, also die .Stühle', bestehen bleiben müssen, so lange die Welt noch besteht. 1164 Aufruhr ist Luther zutiefst zuwider. Doch läßt Gott es „nicht lange" zu, daß Gewaltige diese notwendigen Machtsfunktionen mißbrauchen. Das geschieht dann, wenn sie sie gegen die Zielsetzung gebrauchen, die Gott damit verfolgt. Dann gebrauchen sie sie gegen Gott. 1165 Gott will, daß Machtsfunktionen in Ehrfurcht ihm gegenüber gebraucht werden. Solche Ehrfurcht schließt ein, daß man Gottes Strafe fürchtet, die man sich zuzöge, wenn man diese Gewalt mißbrauchen würde. 1166 Wahrnehmung obrigkeitlicher Funktionen in diesem Geist würde Gott zum Lob und den Untertanen zum Schutz der Gerechtigkeit dienen. Obrigkeitsfunktionen mißbraucht, wer als Herr Frommen Unrecht und Gewalt antut, wer sein Amt im Bewußtsein der eigenen Würde (statt im Bewußtsein hoher Verpflichtung Gott gegenüber) wahrnimmt 1 1 6 7 und überheblich wird, weil er so hoch steht. Beweise für diese Behauptung findet Luther für Christen, die mit dem Auge des Glaubens sehen, in allen Geschichtserzählungen und in der Erfahrung. 1168 Gott ist „Stil vnd heymlich" 1169 am Werk. Er läßt ein Reich aufsteigen und wirft das andere zu Boden, erhebt ein Fürstentum und drückt ein anderes darnieder, läßt ein Volk an Zahl zunehmen und vertilgt ein anderes. Die Herrscher der Weltreiche meinten allesamt, ihre Herrschaft werde kein Ende finden.1170 Innerhalb der Erklärung von Lk 1, 52a blickt Luther nun zurück auf die von Lk 1,51: So wenig wie die Funktion der Obrigkeit als solche zerstört Gott Vernunft, Weisheit und Recht 1171 als solche. Solange die Welt noch steht, bedürfen Menschen ihrer. Gott zerstört lediglich den Hochmut derer und mit ihrem Hochmut die, die mit diesen Ga1162

StuA 1,353, 17-19. StuA 1,353, 21. 1164 StuA 1, 353, 20-22. Heute würde man formulieren, Luther anerkenne ein Gewaltmonopol der Regierung. 1165 StuA 1, 353, 23 f. 25 f. 1166 £)j e s e beiden Funktionen hat „furcht gottis" (StuA 1, 353, 25). 1167 „ein wolgefallen drynnen habenn" (StuA 1, 353, 24). i 168 Darauf daß nur Glaubende in den auch ganz anders deutbaren Geschehnissen Gottes Arm am Werk sehen werden, macht das „wir [Glaubenden]" aufmerksam (StuA 1, 353, 26). 1169 Vgl. StuA 1,350,2. 1170 StuA 1,353,26-29. Zum Vergleich heranziehen kann man sowohl das Traumgesicht des babylonischen Königs Nebukadnezar nach Daniel 2 als auch die Weltaltervorstellung, nach denen auf eine .Goldene Zeit' mehrere mindere folgen. Vgl. zur Vorstellung von einer .Goldenen Zeit' Gatz: Weltalter, goldene Zeit und sinnverwandte Vorstellungen. 1171 Diese drei Begriffe hat Luther wie hier (StuA 1, 353, 30) auch weiter oben (StuA 1, 347, lf.) schon miteinander verknüpft. 1163

Lk 1, 52a: „Das dritte werck / Nydrigen die hohen"

145

ben Gottes nur sich selbst dienen [statt anderen], die im Bewußtsein der eigenen Vernunft, Weisheit und juristischen Kenntnis überheblich werden, Gott die Ehrfurcht und Furcht vor seiner Strafe versagen und die die Frommen verfolgen, die das Recht wahrnehmen wollen, Gottes Evangelium anzuhängen. 1172 Durch solchen Mißbrauch der ihnen nur geliehenen schönen Gaben Gottes stellen sie sich gegen Gott. 1173 Wenn es um Gottes Sachen geht, 1174 dann verbünden sich die Klügler, die sich hoffärtig überheben, in der Regel1175 mit den Gewaltigen und stacheln diese gegen Gottes Wahrheit auf. Den Erfolg ihrer Hetze belegt Psalm 2, Vers 2: die Machthaber der Erde haben sich gegen Gott und gegen dessen Gesalbten zusammengerottet. Gottes Recht 1176 und Wahrheit haben also nicht nur in der Regel, sondern stets die Weisen, Gewaltigen und Reichen gegen sich. Diese drei Gruppen verkörpern die gottfeindliche Welt mit ihrem größten, höchsten Potential. 1177 Weil das so ist, tröstet der Heilige Geist die Frommen, die sich ans göttliche Recht halten, 1178 durch Marias Mund, damit sie sich nicht derart in Schrecken versetzen lassen, daß sie [an Gottes Eingreifen] irre werden. Wer Gott nicht fürchtet, dessen Weisheit, Macht und Reichtum haben keinen Bestand. 1179 Glänzende Heilige und Gelehrte, 1180 die gefährlichste Gruppe von Feinden, treten im Bunde mit Gewaltigen, Herren, Mächtigen und Großen, 1181 der zweiten Gruppe, und mit den Reichen, 1182 der dritten Gruppe, gegen (und nicht etwa für) Recht und Wahrheit ein. Wäre es anders, so müßten die Frommen 1183 ja nicht Unrecht und Böses leiden. 1184 Doch damit dürfen sie nicht rechnen, solange sie auf der Welt leben. Die Eli1172 Diese Deutung von „die frumen vnd das gotlich recht" (StuA 1,353,33) stützt sich einmal mehr auf die Differenz, die Luther zwischen ,bloß menschlichem Recht' (StuA 1,346,9) einerseits, .Recht' in Verbindung mit,Vernunft' und .Weisheit' andererseits (StuA 1, 347, lf.) und .Recht in Gottes Sachen' (StuA 1, 348, 33-36) macht. 1173 StuA 1, 353, 31-34. Der Aufbau entspricht dem von StuA 1, 353, 23-25. 1174 StuA 1, 353, 35. 1175 Luther steigert dieses „gemeiniglich" (StuA 1,353,35f.) gleich darauf zu „alletzeit" (StuA 1,353, 38f.). 1176 .Recht' in Verbindung mit .Wahrheit' meint auch hier wie weiter oben (StuA 1,348,33-36) wieder das Recht dazu, dem Evangelium zu glauben. 1177 StuA 1, 353, 38-41. Vgl. auch StuA 1, 354, 4f. 1178 „die selben" (StuA 1,353,41) greift zurück auf „die frumen vnd das gotlich recht" (StuA 1,353, 33). 1179 StuA 1 , 3 5 3 , 4 2 / 354, 1. 1180 StuA 1, 354, 1. 3-5. 8f. Durch die Bezeichnung der Gelehrten und ,Heiligen' als „gleyszner" (StuA 1, 354, 8) macht Luther deutlich, daß sie nur den Schein ausstrahlen, heilig zu sein. 1181 StuA 1, 354, 1. 4. 8. 1182 StuA 1,354,2. 4.9. - Im Unterschied zu den ersten beiden Gruppen von Feinden der Frommen wird diese dritte Gruppe stets nur mit diesem einen Substantiv bezeichnet: Die Reichen sind als Gegner am ungefährlichsten (vgl. oben: „die reychen sind die geringsten feynd", StuA 1,352,34) und deswegen am wenigsten interessant. 1183 Diejenigen, nach denen das „wer" (StuA 1, 354, 3) in der rhetorischen Frage sich erkundigt, können nur die Gottesfürchtigen sein, die Luther zuletzt wiederholt „die f r u m [ m ] e n " genannt hat (StuA 1,353,24. 33). 1184 StuA 1,354,3.

146

2.

Kommentar

te der Welt 1185 muß nach Luthers Ansicht gegen Gott und gegen das Recht streiten. Sie m u ß dem Teufel gehören, dem Fürsten dieser Welt. Das findet Luther beim Propheten Habakuk belegt, der schreibt, die Speise des Gottlosen sei auserwählt. 1186 Diesen Satz legt er so aus, daß der Gottesgegner schlechthin, der ,böse Geist', sich die hervorragendsten Menschen aussuche, um sie seinem Machtbereich einzuverleiben. Gott dagegen erwählt die Menschen, die die Welt verwerfe, wie Paulus bezeugt. 1187 Gott bewirkt, daß diese Geringsten unter der vom Teufel beherrschten Elite der Welt leiden müssen. 1188 Will er doch, daß die Glaubenden 1189 erkennen, daß sie sich Heil überhaupt nicht von Menschen zu erwarten haben, sondern allein von Gottes Kraft, die sich in entsprechenden Taten äußert. 1190 Auch das bezeugt Paulus. 1191 Im scholastischen Beweis müßten nun Aussagen von Kirchenvätern und Theologen folgen. Luther läßt dieses Glied der Kette weg, nicht aber den Beweis aus der Erfahrung. Drei Sprichwörter machen klar, daß auch die alltägliche Erfahrung ausweist, daß Gelehrte, Gewaltige und Reiche sich gegen Gott stellen: „Die Gelehrten - die Verkehrten": 1192 Lassen doch die Gelehrten nicht ab von dem Hochmut, der ihre Herzen beherrscht und also ganz und gar Besitz von ihnen ergrifffen hat. „Ein Fürst ist Wiltpret im Himmel" - die Hoheit eines Fürsten verleitet so sehr zum Mißbrauch seiner Macht, daß es ebenso unwahrscheinlich ist, daß ein Fürst selig wird, wie daß ein armer Mensch Wild zu essen bekommt. 1193 „Hier [auf Erden] reich - dort [im Jenseits] arm." 1194 Die Reichen lassen nicht ab von ihrer Lust 1195 - einmal mehr wird deutlich, daß sie nach Luthers Auffassung im Unterschied zu den beiden ersten Gruppen von Feinden der Glaubenden nur sich selbst schaden. 1196 1185 Vgl. zu „das beste an der weit" (StuA l,354,4f.) „die weit mit yhrem grasten vnnd höchsten vormugen" (StuA 1, 353, 40f.). 1186 Hab 1,13.16 (Vulgata): „Quare... taces devorante impio iustiorem se?... Et cibus eius electus." 1187 Vgl. aus I Kor 1, 27 f. die Bezeichnungen: stulta, infirma, ignobilia, contemptibilia mundi, ea quae non sunt. Luther übersetzt nicht die Begriffe aus diesem Bibelvers, sondern nennt Bezeichnungen für den Personenkreis, dem nach seiner Auslegung der Trost des Magnifikat gilt: Arme, Niedrige, Geringe, Verachtete. Die Kennzeichnung als .Einfältige' fällt heraus. Sie findet sich auch als die einer der Adressatengruppen seiner Auslegung. 1188 StuA 1,354, l l f . 1189 Luther geht innerhalb des Satzes von der Beschreibung: „auff das ia erkennet werde" (StuA 1, 354, 12) zum Predigtstil über: „vnser heyl" (StuA 1, 354, 13). 1190 StuA 1,354, 12f. 1191 Vgl. etwa I Kor 2,5: „Auff das ewer glaube bestehe / nicht auff Menschen Weisheit / sondern auff Gottes krafft." oder I Kor 3,7: „So ist nu weder der da pflantzet / noch der da begeusset etwas / sondern Gott der das gedeien gibt." 1192 yg] j a z u ¿je 0 b e n j n Anm. 1137 genannten Beiträge. 1193 StuA 1,354,14-15. Hier weist Luther auf die Gefahr hin, daß Gewaltige unterdrücken. Im Widmungsbrief dagegen hat er davon gesprochen, daß besonders Fürsten nur zu leicht überheblich werden (besonders StuA 1, 315, 1-23). 1194 StuA 1,354,15. Dieses Sprichwort kann sich beispielsweise auf die biblische Erzählung vom reichen Mann und vom armen Lazarus berufen (Lk 16, 19-31). Beispiele aus der Volkserzählung bietet Röhrich, S. 420-424. 1195 StuA 1,354, 16f. H96 vgl. oben: „Die reychen vortilgen die warheit bey yhn selbs..." (StuA 1, 352, 35f.).

Lk 1, 52b: „Das Vierd werck / Erhöhung der nydrigen"

147

2.12. Lk 1, 52b: „Das Vierd werck / Erhöhung der nydrigen. Vnd er hat erhaben die nydrigen" (StuA 1, 354, 18-31) Zur

Übersetzung

Luther weist ausdrücklich daraufhin, daß mit den „nydrigen" nicht Menschen gemeint sind, die die Tugend der Demut besitzen. 1197 Angemessen ist vielmehr, unter den „nydrigen" alle die zu verstehen, die vor den Augen der ,Welt' „vnansehelich" sind: 1198 die die Mühe nicht zu lohnen scheinen, sich nach ihnen umzusehen. Der Leser von Luthers Auslegung weiß längst, daß Gott gerade sie wirksam ansieht. Im Urteil der ,Welt' zählen sie nicht mit, sie sind „gantz nichtig". Luther weist d a r a u f h i n , daß hier im griechischen Text das Adjektiv ,tapeinos' steht, das zu dem Substantiv ,tapeinosis' (Lk 1, 48) gehört. Wie Maria Gott dafür lobt, daß er auf ihre ,tapeinosis l , ihren niedrigen Stand, 1199 ihre,Nichtigkeit' wirksam hingesehen hat, 1200 so preist sie ihn hier dafür, daß er die erhebt, die vor den Augen der ,Welt',nichtig' sind. In der ersten Übertragung vor Beginn der Einzelexegese hat Luther „humiles" mit „nydrig vnd nichts" 1201 übersetzt, hier bietet er stattdessen nur einen der beiden Begriffe, „nydrig", als Übersetzung an und interpretiert diesen dann durch den zweiten, „nichtig" (StuA 1, 354, 23). Erneut kritisiert Luther, daß man die Demut als Tugend betrachtet: Wirklich demütig sind die, die bereitwillig gesellschaftlich niedrig stehen, im Grunde ihres Herzens ,nichtig' sind und nicht danach streben, eine herausgehobene Position zu erringen. 1202 Hat er in der ersten Übertragung übersetzt: „vnd erhöhet", 1203 so schreibt er n u n vor der Einzelexegese: „er hat erhaben". Er setzt dabei voraus, daß dem Leser seine Ausführungen zu Lk 1, 51 noch in Erinnerung sind. Dort war er ja analog verfahren. 1204 Zur Auslegung Luther betrachtet das Magnifikat nicht als ein Loblied darauf, daß Gott sozial Geringe an die Stelle sozial Hochstehender setzte. Wenn Luther von ,Geringen' u n d von ,Hohen' spricht, dann handelt es sich u m Gruppen von Menschen, die nicht sozial, sondern theologisch voneinander unterschieden werden müssen. ,Geringe' sind die, die im Glauben annehmen, daß sie auf Gott angewiesen sind. Das können durchaus auch einmal Menschen sein, die eine sozial hohe Position innehaben. ,Hohe' in negativer Be-

1197

Das anzunehmen legt die Vokabel „humiles" in der Biblia Vulgata nahe. StuA 1,354, 20f. 1199 Vgl. Luthers Übersetzungsversuche des Gehalts von ,tapeinosis' (StuA 1, 329,16f. 35f.) und seine Abgrenzung gegenüber dem Gehalt von,tapeinophrosyne' (StuA 1, 330, 15-18). 1200 StuA 1, 354, 21 f. 1201 StuA 1, 316, 24. 1202 Über wahre und falsche Demut hat Luther sich in einem Exkurs ausfuhrlich geäußert (StuA 1, 330, 13-337, 25). 1203 StuA 1, 316,23. 1204 Vgl. StuA 1,349,34-40. 1198

148

2.

Kommentar

deutung sind solche, die in Hoffart weise zu sein meinen, statt sich der Lenkung des göttlichen Geistes zu überlassen. Für Leser verwirrend kann es sich auswirken, daß nach Luthers Überzeugung sozial hoch Stehende in besonderer Weise in Gefahr sind, in diesem theologischen Sinne ,Hohe' zu werden. Aber sie müssen es nicht werden. Umgekehrt schützt ein sozial niedriger Stand nicht unbedingt vor Hoffart. Es kann leicht auf eine falsche Fährte führen, daß Luther schreibt: Maria singt ihren Lobgesang, „zu trösten alle geringe / vnd zu schrecken alle hohe menschen auff erdenn." 1205 Wenn Luther den Fürsten ankündigt, Gott werde sie „absetzen von ihren Stühlen", falls sie im Hochmut verharren, legt sich die Vermutung nahe, nach Luthers Überzeugung würden dann die sozial Niedrigen deren Plätze einnehmen. Schreibt Luther doch: Maria „spricht auch nit/ Er lest die nydrigen hie nyden/ szondern erhebt sie." 1206 Eine Zusammenfassung, wie sie Heinrich Bornkamm formuliert hat: „Die Geschichte besteht aus einem unaufhörlichen Wechsel der Macht, ausgelöst durch ihren Mißbrauch von Seiten der jeweils Mächtigen", liegt nahe. 1207 Luther kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis: „Das erheben ist nu nit zuvorstehen / das er sie in die stuel vnd an die Stadt setze der die er abgesetzt hat... szondern gibt yhn viel mehr das sie in got vnnd geistlich erhaben vbir stuel vnd gewalt / vnnd alle kunst richter werden hie und dort / denn sie mehr wissen wen alle gelerten und geweitige."1208 Es geht Luther also nicht um sozialen Umsturz, wenn er das Magnifikat als ein Lied versteht, das aus Marias Glauben heraus Gottes Handeln in der Geschichte deutet. Es ist seiner Überzeugung nach den sozial Niedrigen nicht verheißen, daß sie Herrschaftspositionen erhalten werden - auch dann nicht, wenn die Gewaltigen versagen und von Gott abgesetzt werden. Vor einem solchen Verständnis des ,Erhebens der Niedrigen' hat Luther gewarnt. Doch hat er nicht verhindern können, daß das Magnifikat auch vollkommen anders gelesen worden ist. Wie viele Exegeten, die davon durchdrungen sind, einen Text angemessen gedeutet zu haben, konnte auch Luther Deutungen, die von der seinigen abwichen, nicht akzeptieren. Zahlreiche Zeitgenossen Luthers haben das von Luther verdeutschte und ausgelegte Magnifikat freilich gegen dessen Intention verstanden, ob sie Luthers Deutung nun kannten oder nicht. Sie wollten oder konnten Luthers Differenzierung nicht mitvollziehen, daß es nur Gott selbst zustehe, Herrscher abzusetzen, die ihr Amt mißbrauchen, daß Gott aber nicht die .Niedrigen' in deren Amt einsetzt, sondern in aller Regel die Kinder derer, die ihr Amt schlecht verwaltet haben. Neuere Forschungen zum Lukasevangelium haben übrigens herausgestellt, wie sehr es gerade diesem Evangelisten auf die reale, weltliche Armut und deren Bezug zum Himmelreich ankommt. 1209 1205

StuA 1,323, 13f. StuA 1,353,21. 1207 Heinrich Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens, S. 20. 1208 StuA 1, 354, 24-29. 1209 yg[ e t w a Schottroff / Stegemann: Jesus von Nazareth - Hoffnung der Armen, S. 41-43; hier: S. 43: „Hier [im Magnifikat] treten arme Juden auf und behaupten, jetzt seien Gottes Verheissungen an Israel erfüllt und das Elend der Gegenwart - die Not der Armut - sei zu Ende." 1206

Lk 1, 52b: „Das Vierd werck / Erhöhung der nydrigen"

149

Besonders verständlich wird eine sozialkritische Deutung des Magnifikat, wenn man sich vor Augen hält, daß auch Luthers Schriften selbst Ansätze dazu aufweisen. Mehrfach hat er ja den Psalmvers zitiert: „Verachtung schüttet er aus über Edle." 1210 Wer weiterliest oder wer den nächsten Vers auswendig weiß, hört ihn mit: „Da erhöhte er den Armen aus dem Elend." Den ersten Psalmvers wird Luther im Jahre 1523 in seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit" zitieren und so fortfahren: „Man wird nicht, man kann nicht, man will nicht eure Tyrannei und Mutwillen auf die Dauer leiden. Liebe Fürsten und Herren, danach wisset euch zu richten, Gott will's nicht länger haben." 1211 Im Jahre 1525 wird er diesen Vers aus dem Psalm, in dem auch eine Aussage gemacht wird, die sehr nahe anklingt an „Hungrige hat er mit Gütern erfüllt" (Lk 1, 53), in seiner „Ermahnung zum Frieden" erneut zitieren. 1212 Es bleibt nicht ohne Folgen, daß Luther diesen Psalmvers immer wieder hervorhebt. Nach einem Aufruhr in Halle reicht ein Bürger dem Stadtherrn, Erzbischof Albrecht, einen Zettel, auf den er diesen Vers geschrieben hat. Als er deswegen festgenommen und verhört wird, verteidigt er sich damit, das habe er bei Luther gelesen.1213 So steht neben der Wirkungsgeschichte von Luthers Aufforderung, der Obrigkeit keinesfalls Widerstand zu leisten, die Wirkungsgeschichte seiner Warnungen oder eben Drohungen mit Psalm 107 (106), 40. Als Warnungen gelesen sagen sie, Luther habe die Herren warnen wollen, verzweifelte Untertanen könnten sich eines Tages gegen Gottes Gebot als Werkzeuge göttlicher Rache aufwerfen. Als Drohungen gelesen zeigen sie das Bild eines zumindest vor dem Bauernkrieg erstaunlich kühnen Luther. 1214 Auf den ersten Blick scheint Luther immer wieder Armut und verachtete gesellschaftliche Stellung geradezu zu Bedingungen dafür zu machen, daß Gott sich eines Menschen erbarmen und ihn in seiner Tiefe ansehen kann. 1215 Doch dann führt er Esther, Abraham, Isaak, Jakob, David und Daniel als Beispiele dafür an, daß Macht und äußerer Wohlstand nicht daran hindern müssen, auf Gott zu vertrauen. 1216 Nicht einmal Engeln schade ihre übermenschliche Hoheit als solche, behauptet er.1217 Maria ist, als sie das Magnifikat spricht, in „übermäßigen Ehren", und doch schadet ihr diese Eh-

1210

Ps 107 (106), 40. Martin Luther: Von weltlicher Obrigkeit. 1523 (hier in der Übersetzung von Knuth, Insel-Ausgabe, Bd. 4, S. 71. Originaltext: StuA 3, 61, 15-17). 1212 Martin Luther: E r m a h n u n g zum Frieden ... 1526. (StuA 3,114, 24f.). „Animam esurientem satiavit bonis": Ps 107 (106), 9. 1213 Mündliche Mitteilung von Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer, Erziehungswissenschaftliche Hochschule, Heidelberg. 1214 Zu vergleichen ist auch Luthers Predigt, die er a m 2. Juli 1523 halten sollte, über Psalm 113, 5 - 8 („Gott sieht auf das Niedrige in H i m m e l u n d Erde. Er erhebt den Geringen, den Armen, aus d e m Kot, u m ihm seinen Platz anzuweisen unter den Fürsten, unter den Fürsten seines Volkes"): „,Pauperem erigit etc.' Tota scriptura h u n c h o n o r e m dat deo, qui n o n scientiam, h o n o r e m patitur, ita das sich einer drauff verlassen wolt, et se praeferre alteri." (WA 11, 142, 30-32). 1215 StuA 1, 329, 16-43. 1216 StuA 1, 331, 32-42. 355, 15-21. 1217 StuA 1,332, 28f. 1211

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2.

Kommentar

re nicht. 1218 Luther möchte herausstellen, daß das Heil allein aus Gottes Kraft und nicht von menschlichen Taten zu erwarten ist. 1219 Deshalb geht jeder in die Irre, der auf seine eigene Kraft vertraut. Folgerichtig stellt Luther einer falschen Demut, die sich ihrer selbst als einer Tugend bewußt ist und dafür Lohn erwartet, 1220 echte Demut gegenüber, die weiter nichts als gerne niedrig ist, ohne auf sich selbst zu reflektieren. Demut, die Niedrigkeit willig erträgt, schaut in Gottes eigener Blickrichtung, nach unten. Sie schielt nicht nach oben, um Hoheit zu erlangen. Alle Demut, die sich ihrer selbst bewußt ist, ist auch schon zerstört. 1221 Gott wird die wirklich Demütigen ohne Zweifel selig machen. 1222 Weil Gott aber die Seligkeit nicht für Werke schenkt, sondern aus Gnade, 1223 m u ß wirkliche Demut Geschenk sein und kann nicht Tugend sein. Luther ist sich sicher, daß Maria mit „erheben" nicht meint, daß Gott die gesellschaftlich Nichtigen in die Obrigkeitsfunktionen einsetze, aus denen er die „geweltigenn" entfernt hat. 1224 Er begründet diese weitgehende Entscheidung nicht. Er trägt vielmehr an dieser Stelle nach, daß Gottes Barmherzigkeit gegenüber den Gottesfürchtigen - er formuliert mißverständlich: „furchtsamen" 1 2 2 5 - in Lk 1, 50 auch nicht bedeutet, daß er sie an die Stelle der Hochgelehrten setze. Lk 1,50 hat er vor der Einzelexegese so übersetzt: „Vnd seyne barmhertzickeit weret...",1226 innerhalb der Gesamtübersetzung des Magnifikat zu Beginn „Vnd seine barmhertzickeit langet".1227 Die Verben in Luthers Übersetzung von Lk 1, 50 ,währen' (andauern) und ,langen' (sich erstrekken) machen tatsächlich keine Aussage über eine umstürzende Tat Gottes. Wohl aber erwartet der Leser hier in Lk 1, 52 Aussagen über Gottes Eingreifen gegen die Hohen zugunsten der Erniedrigten. Heißt es doch mit einander korrespondierenden Verben in Lk 1,52 „er hat abgesetzt" 1228 - „er hat erhaben (erhoben)". 1229 Die Bemerkung über Lk 1, 50, Gottes Barmherzigkeit bedeute keine Einsetzung der Gottesfürchtigen in die Positionen der Hochgelehrten, begründet Luthers Exegese von Lk 1, 52b ja nicht, sondern stellt einfach eine weiter nicht begründete Entscheidung dar. In seiner Vorrede hat Luther betont, Gott schaffe aus dem Nichts und vernichte andererseits, was etwas gelte. Das konnte Leser auf die Erwartung einstimmen, er werde Lk 1, 52b so deuten, daß 1218

StuA 1, 327, 33-39. Vgl. auch bereits StuA 1, 327, 25-30. StuA 1,354,12f.: „auffdas ia erkennet werde / wie nit in menschenn / szondern allein gottis vormugen vnd wercken vnser heyl bestehe." 1220 StuA 1,330, 18-25. 1221 StuA 1,332, 8-10. 1222 StuA 1,332, 12 f. 1223 StuA 1, 333, 32-34, vgl. StuA 1, 354, 12f. 1224 Vgl. zu „Das erheben ist nu nit zuuorstehen / das er sie in die stuel vnd an die Stadt setze der die er abgesetzt hat" (StuA 1,354,24f.) die Erläuterung zu Lk 1,52a: „sie spricht nit / das er die stuel zubreche / szondern wirfft die geweltigenn erausz." (StuA 1, 353, 20f.). 1225 StuA 1, 354, 25. Weiter oben hat Luther formuliert: „die gotlichen furchtsamen" (StuA 1, 353, 5f.). 1226 StuA 1, 343, 1. 1227 StuA 1, 316, 19. 1228 StuA 1, 353, 3. 1229 StuA 1, 354, 19. 1219

Lk 1, 53: „Das Funfft vnd Sechst werck"

151

Gott die Niedrigen an die Stelle derer setze, die er laut Lk 1, 52a abgesetzt hatte. Diese Erwartung erfüllt Luther nicht. Gott setzt die Gottesfürchtigen nicht an die Stelle der Hochgelehrten, der Hoffärtigen. Luther sagt es nicht ausdrücklich, doch kann der Leser ergänzen: Die, die ihn fürchten, wären sonst ja sehr gefährdet, ebenfalls hoffärtig zu werden. Gott setzt die Gottesfürchtigen vielmehr auf Erden wie im Himmel 1230 zu Richtern ein. Das geschieht freilich „in Gott" und im Geist:1231 Gott selbst herrscht im Geist solcher Gottesfürchtigen. Wenn sie richten, dann wirkt sich das nicht so aus, daß sie einen Hoffärtigen oder Gewaltigen beurteilen und gegebenenfalls verurteilen, sondern sie setzen durch die Ausrichtung ihrer Herzen die Maßstäbe. Insofern ,wissen' sie mehr als alle Gelehrten mit ihrer Gelehrsamkeit 1232 und als alle Gewaltigen in ihren Machtpositionen: 1233 sie beherrschen nicht mehr Wissensstoff, sondern sie wissen, worauf es ankommt. Luther meint das schon in seinen Ausführungen zu Gottes erstem Werk zur Genüge ausgelegt zu haben. 1234 Er macht hier keinen Unterschied zwischen Gottesfürchtigen (Lk 1, 50) und Niedrigen (Lk 1, 52b). Es scheint sich vielmehr um denselben Personenkreis zu handeln. Marias Aussagen über Gottes Handeln kraft seines Arms sollen die Leidenden trösten und die Tyrannen schrecken. Freilich werden nur diejenigen sie als Wahrheit anerkennen, deren Vertrauen auf Gott dazu ausreichend ist: einmal mehr redet Luther im „wir"-Stil. 1235

2.13. Lk 1, 53: „Das Funfit vnd Sechst werck. Er hat die hungrigen gesettiget mit guttern / Vnd die reichen hat er leer gelassen." (StuA 1,355, 1-357, 44) 2.13.1.

„die

hungrigen"

(StuA 1, 355, 4-357,

14)

Luther definiert zunächst, wer seiner Überzeugung nach die .Hungrigen' sind, denen nach Marias Worten diese Verheißung Gottes gilt. Er bezieht sich dafür zurück auf seine Aussagen über die ,Niedrigen': Nicht allen, die in einer verachteten gesellschaftlichen Position 1236 sind, gilt die Verheißung, Gott werde sie kraft seines verborgen wirkenden Arms erhöhen. Sie gilt nur denen, die entweder diesen Zustand gerne ertragen 1237 oder doch bereit wären, ihn zu akzeptieren, wenn sie - vor allem um des Wortes 1230 1231 1232 1233 1234 1235 1236 1237

„hie vnd dort" (StuA 1, 354, 28). „geistlich": StuA 1, 354, 27. „alle gelerten" (StuA 1, 354, 28f.), „alle kunst" (StuA 1, 354, 28). „geweitige" (StuA 1, 354, 29), „stuel vnd gewalt" (StuA 1, 354, 27). „ist nit not widertzuholen" (StuA 1, 354, 29f.). Vgl. StuA 1, 345, 32-349, 18. StuA 1, 354, 30f. „in nichtiger vorachter form" (StuA 1, 355, 4f.). Vgl. oben StuA 1, 330, 32-36. 354, 22-24.

152

2.

Kommentar

Gottes willen, 1238 aber auch schon um des Rechts willen 1239 - in diese Lage kämen. 1240 Analog dazu gilt Marias Loblied des Handelns Gottes zugunsten der .Hungrigen' nicht allen, die wenig oder nichts zu essen haben. Vielmehr müssen die hier gemeinten .Hungrigen' - vor allem um Gottes willen, und wenn das nicht, so doch um der Wahrheit willen - bereitwillig Mangel leiden. 1241 Ginge es nur um Niedrigkeit, Nichtigkeit, Bedürftigkeit als solche, dann hätten der Teufel und die von Gott Verdammten von ,Gottes Arm' am meisten zu hoffen. Auch Verbrecher, die gemartert werden, die durch Hunger oder auf andere Weise zu Tode gebracht werden, sind nach Luthers Ansicht im Magnifikat nicht gemeint, wenn Maria von .Hungrigen' spricht, so wenig wie alle die, die niedrig und bedürftig sind, ohne ihre Lage zu bejahen. Ihnen allen hilft ihre unfreiwillige Nichtigkeit nicht, im Gegenteil, ihr Unwille vermehrt ihren kläglichen Zustand und macht ihn noch schwerer erträglich. Nach Luthers Ansicht meint Maria, die Mutter Gottes, mit den ,Hungrigen' vielmehr die, die an Gott glauben und ihm vertrauen, die mit Gott eins sind und Gott mit ihnen: 1242 eine knappe Formulierung der Einstimmung des menschlichen Willens in Gottes Plan, die von einem der kirchentreuen Mystiker des 15. Jahrhunderts stammen könnte. Wie öfter, wenn es ihm darauf ankommt, einen schwierigen Sachverhalt deutlich zu machen, leitet Luther mit der Vokabel „widderumb" eine Darstellung des entgegengesetzten Falls ein. Er führt dadurch vom Hauptstrang seiner Argumentation weg. Denn eigentlich kommt es ihm darauf an, Gottes Verheißung für die zu erklären, die gerne Mangel leiden, vor allem dann, wenn sie um Gottes oder der Wahrheit willen mit Gewalt dazu gezwungen werden. Luther führt wenig später einen langen Schriftbeweis dafür, daß Gott keinen Glaubenden verhungern läßt. Nun aber will er zur Sicherheit auch noch sagen, daß Reichtum als solcher nicht dazu führen muß, Gott Vertrauen zu verweigern. Die Tatsache, daß sie reich gewesen sind, hat ja die Erzväter nicht daran gehindert, an Gott zu glauben und ihm zu vertrauen. 1243 Ebensowenig haben David seine Königswürde und Daniel seine Macht im babylonischen Reich gehindert. 1244 Luther wagt hier sogar die Aussage, das gelte für alle, die in Vergangenheit oder Gegenwart gesellschaftlich hoch stehen oder sehr reich sind. Es darf nur nicht dazu kommen, daß sie ihr Vertrauen auf ihre gesellschaftliche Position oder auf ihren Reichtum setzen statt auf 1238 Vgl. StuA 1,348,33-349,18. Das Wort Gottes (StuA 1,349,9f. 12) steht auf der höchsten Dringlichkeitsstufe. 1239 ygi StuA 1, 347,1-348,4. Das Recht steht auf der zweiten Stufe und damit höher als Geld und Gut, körperliche Unversehrtheit, Ehre, Frau, Kinder und Freunde (StuA 1, 346, 10f.). 1240 „odder sein wollenn" (StuA 1, 355, 5). Luther denkt dabei an Menschen wie Königin Esther in seiner Darstellung (StuA 1, 331, 32-37). 1241 StuA 1,355,6-9. - Von „gewalt" (StuA 1,355,8), die den Hunger verursacht hätte, ist in Lk 1,53 nicht die Rede. Luther hat aus seiner Exegese von Lk 1,52a in diesen Zusammenhang eingetragen, daß der Mangel, den die ,Hungrigen' leiden, durch Gewalt erzwungen werde. 1242 StuA 1, 355, 13. 1243 Luther spricht im Präsens: die,heiligen Väter' sind für ihn nicht Gestalten einer fernen Vergangenheit, sondern in der Gegenwart für jeden Glaubenden relevante Vorbilder. 1244 Vgl. Dan 2, 48; 5, 29; 6, 3 nach der Zählung in Luthers Übersetzung von 1545.

Lk 1, 53: „Das Funfft vnd Sechst werck"

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Gott. 1245 Es darf ferner nicht dazu kommen, daß sie aufgrund dessen ihre eigene Ehre und ihren Vorteil suchen. 1246 Hier behauptet Luther, daß „alle"1247 Regenten und Reichen die Chance haben, ihre Herzen allein an Gott zu hängen. Doch geht aus seinen früheren Ausführungen über die gesellschaftliche Elite hervor, daß er erwartet, daß nur wenige diese Chance nutzen werden. 1248 So hat er beispielsweise schon in seinem Widmungsbrief betont, wie groß die Gefahr ist, daß ein Fürst vermessen wird. 1249 Am Ende seiner Exegese von Lk 1, 52a hat er daraufhingewiesen, daß Gelehrten, Mächtigen und Reichen die Gefahren der Überheblichkeit, des Machtmißbrauchs und der Lust drohen. 1250 Doch wie in der Heiligen Schrift bezeugt wird, wägt Gott die Ausrichtung des Geistes jedes Einzelnen. 1251 Auch wer durch seine herausgehobene Position gefährdet ist, m u ß der Versuchung nicht nachgeben, vermessen zu werden. Gott läßt sein Urteil davon abhängen, wie der Geist eines Menschen gesonnen ist.1252 In seiner Exegese von „meine Seele" hatte Luther bereits hervorgehoben, daß es darauf ankomme, daß Glaube im Geist eines Menschen wohne. 1253 Hier äußert er die Überzeugung, daß es zwischen Menschen, die auf Erden leben, stets Unterschiede zwischen hoch und niedrig, reich und arm geben werde. Es komme jedoch darauf an, daß das Herz sich nicht an Hohe und Reiche hänge, den Kontakt mit Niedrigen und Armen nicht zu vermeiden suche. 1254 Schon in der Vorrede hat Luther getadelt, daß ,jeder' sich um Kontakt mit denen bemühe, die über ihm stehen, Berührung mit denen, die unter ihm stehen, dagegen scheue. 1255 Er ergänzt seinen Schriftbeweis noch durch die Aussage, daß Gott Herz und,Nieren' -also das, was dem menschlichen Auge verborgen ist - erforscht und aufgrund seines Befundes als ein gerechter Richter sein Urteil fällt.1256 In diesem Zusammenhang bedeutet das, daß Gott erkennt, ob jemand - er sei hohen oder niederen Standes - an ihm oder an sich selbst hängt. Menschen dagegen richten sich nur nach dem Augenschein und irren deswegen oft.

1245

„so yhr hertz nit drauff gibt / noch das seine dryn sucht" (StuA 1, 355, 17f.). „das seine" (StuA 1, 355, 18). 1247 StuA 1, 355, 17. 1248 Vgl. StuA 1,354, 1-9. 1249 Vgl. StuA 1,315, 12-19. 1250 StuA 1, 354, 15-17. 1251 Prov 16, 2 (Vulgata): „Spirituum ponderator est Dominus." 1252 StuA 1, 355, 19-21. 1253 StuA 1, 320, 19-25. 1254 StuA 1,355,21-23. Von ,geist' ist die Rede in Z. 20, von,hertz' inZ. 22. Eine gewichtige Verschiebung gilt es zu beachten: etwas weiter oben (StuA 1,355,4-14) war von der Bereitschaft von Menschen die Rede gewesen, selbst niedrig zu sein beziehungsweise Mangel zu leiden. Hier dagegen ist wieder wie schon öfter davon die Rede, dass Christen sich nicht an gesellschaftlich Hochstehende hängen und Niedrigstehende und Arme nicht meiden sollen. 1255 StuA 1,317,33-318, 10. 1256 Paraphrase der Psalmverse: StuA 1, 355, 24. Ps 7,10b: „Denn du gerechter Gott prüfest hertzen vnd nieren." Ps 7, 12a: „Gott ist ein rechter Richter." (Zitiert nach Luthers Ubersetzung von 1545) 1246

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Wie bei den bisher behandelten vier Werken Gottes 1257 wirkt Gott auch zugunsten derer, die nach ihm hungern und zuungunsten derer, die sich selbst genügen,,heimlich'.1258 ,Fühlen' kann man das Ergebnis seines Handelns erst, wenn dessen Effekt eingetreten ist: am Ende.,Fühlen' kann man erst viel später, was der Glaube dann schon längst erkannt hat. 1259 Wer, statt auf Gott zu vertrauen, an seinem Reichtum klebt, 1260 merkt erst dann, wenn er ,am end' ist,1261 sei es nun, daß er sterben m u ß oder daß er auf andere Weise ,am Ende ist', daß er „leer" und von seinem Gott entfremdet 1262 gelebt hat. Andere Dinge, auf die er vertraut hat (etwa seine Habe), erweisen sich in dieser Situation als ganz und gar nichtig. 1263 Auch für diese Aussage findet Luther biblische Belege. Wenn es in einem Psalm heißt, daß reiche Männer, die sich auf ihren Reichtum verließen, ihren Schlaf schliefen und ihre Hände leer fanden, so deutet er das als Aussage über ihr Sterben. 1264 Als ergänzendes Gegenstück 1265 zur Erfahrung der Reichen weist er auf die Verheißungen für die ,Hungrigen' hin. Sie sind sich nicht bewußt, wie sehr Gott ihre Hände gefüllt hat, bis sich am Ende erweist, daß,Hungrige' [und Durstige] gesättigt werden, 1266 wie Christus verheißen hat, und daß Gott die Mägen der .Hungrigen' mit Gütern füllt, wie Marias Loblied sagt. 1267 Luther ist davon überzeugt, daß Gott keinen Menschen, der sein Vertrauen auf ihn setzt, verhungern läßt, und wenn er alle Engel aufbieten müßte, um den Glaubenden zu ernähren. Wurde doch Elia zuerst von Raben gespeist und danach lange Zeit von einer einzigen Hand voll Mehl ernährt. 1268 Weil Elia so vor dem Hungertod bewahrt worden ist, darf jeder Glaubende das auch für sich erwarten. Gott kann die, die ihm vertrauen, nicht verlassen. 1269 Denn wer auf Gott vertraut, ist gerecht. 1270 Für Gerechte aber gilt die Aussage Davids im Psalm, er habe in seinem langen Leben noch nie einen Gerechten (verlassen gesehen) oder dessen Kinder hungern sehen. 1271 Für sie trifft ferner zu, daß es denen, die Gott suchen, an keinem Gute fehlen soll, während die 1257

„wie die droben" (StuA 1, 355, 26). 1258 ygi z u „heimlich das sie niemand fulet" (StuA 1, 355, 26) oben „Stil vnd heymlich ... / das sein niemant gewar wirf" (StuA 1, 350, 2). Da Gott im Verborgenen wirkt, geschieht es mit seinem ,Arm'. 1259 Vgl. dazu „das die auch selb nit fulen / die da leyden das drucken / sondern glawbens" (StuA 1, 350, 21); „ym glauben vnd vngefulet" (StuA 1, 350, 29). 1260 „ankleben" (StuA 1, 355, 22). 1261 StuA 1, 355, 27. 1262 „elend" (StuA 1, 355, 27) bedeutet ursprünglich „in der Fremde". 1263 „wie gar es allis nichts geweszenn ist" (StuA 1, 355, 28). 1264 p s yg (75), 6 (Vulgata): „Dormierunt somnum suum. Et nihil invenerunt omnes viri divitiarum in manibus suis." 1265 Vgl. zur gliedernden Funktion des „widderumb" (StuA 1, 355, 30f.) in Texten Luthers den Text nach Anm. 1242. 1266 StuA 1,355, 32. Die in Lk 6, 21 nicht erwähnten ,Durstigen' hat Luther wohl aus Mt 5,6 (Beati qui esuriunt et sitiunt iustitiam) ergänzt. 1267 Lk 1, 53. 1268 Vgl. I Reg 17, 4-6. 11-16. 1269 StuA 1, 355, 37 f. 1270 StuA 1,355,40. 1271 Ps 37 (36), 25.

Lk 1, 53: „Das Funfft vnd Sechst

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Reichen bedürftig und hungrig geblieben sind. 1272 Schließlich gilt ihnen die Verheißung im Loblied der Hanna, daß die, die früher in Fülle zu essen hatten, sich haben „lagern" 1273 müssen, um an Brot zu kommen, die Hungrigen dagegen gesättigt worden sind. Luther hat bereits weiter oben sich und anderen Christen den Vorwurf gemacht, daß sie nicht glauben, sondern so tolpatschig wie mit geballter Faust statt vorsichtig mit den Fingerkuppen nach Erweisen der Barmherzigkeit Gottes tasten. Wenn sie dann nichts ,fühlen', halten sie sich für verloren. 1274 Auch hier kommt er darauf zu sprechen. Der Unglaube bewirkt nicht bloß, daß Christen Gottes Werke nicht erfahren und als solche erkennen können, sondern sogar, daß Gott solche Werke in ihnen nicht zuwege bringen kann. 1275 Sie möchten sich gegen Hunger und Mangel 1276 so eindecken, daß sie nicht angewiesen sind: Nicht bloß nicht auf Gottes Hilfe, sondern zutiefst nicht auf Gott. 1277 Hinter diesen Versuchen, sich zu sichern, sieht Luther das Bestreben, sich von Gott selbst unabhängig zu machen. Mangel an Gottvertrauen, Unglaube, zeigt sich vordergründig daran, daß Christen ihr Vertrauen statt auf Gott auf den Vorrat setzen, den sie angelegt haben, um nicht Hunger leiden zu müssen. Er zeigt sich - minder vordergründig - daran, daß sie nicht zu protestieren wagen, wenn das Unrecht sich gegen Gottes Wort, die Wahrheit und das Recht durchsetzt. 1278 Fürchten sie doch, falls sie das Unrecht beim Namen nennen würden, von denen, die Unrecht tun, angegriffen zu werden. Sie haben Angst davor, womöglich selbst in Armut zu geraten, gar zu verhungern, ,ewig' erniedrigt zu werden: 1279 Es versteht sich für Leser von Luthers Auslegung des Magnifikat, daß die Täter des Unrechts gar nicht ,ewig' erniedrigen können. Nein, Menschen, die aus Furcht nicht gegen Unrecht protestieren, achten vergängliches Gut höher als Gott, das unvergängliche Gut. Sie setzen es an die Stelle Gottes und machen es zum Abgott. Dadurch werden sie unwürdig, Gottes Zusage zu hören, geschweige denn zu verstehen, daß er die Niedrigen erhebt, die Hohen erniedrigt, die Armen reich und die Reichen arm macht. 1280 Wenn sie aber Gottes heimliches Wirken nicht erkennen, 1272 p s 34 (33), n . Luthers Übersetzung geht v o m Wortlaut der Vulgata Divites eguerunt et esurierunt aus. Sie m a c h t nicht recht deutlich, w a n n bei den Reichen Mangel eingetreten sein soll: „Die reychen sind d u r f f t i g v n d h u n g r i g blieben ..." (StuA 1, 355, 41). 1273

In I Sam 2 , 5 übersetzt die Vulgata: „se locaverunt". Der Herausgeber von Luthers K o m m e n t a r in der Studienausgabe, M a r t i n Seils, weist d a r a u f h i n , d a ß die Vulgata hier den Sinn des Urtexts nicht gut wiedergibt. G e m e i n t ist: „Sie h a b e n sich als Knechte verdingen m ü s s e n . " 1274 StuA 1,351, 15-17. 1275 StuA 1, 356, 4 f. 1276 Luther konkretisiert seine Forderung, Gottes Hilfe zu erwarten, beispielsweise d a d u r c h , d a ß er dazu ermutigt, auch d a n n zu heiraten u n d Kinder zu b e k o m m e n , w e n n die wirtschaftliche G r u n d l a g e das nicht zu erlauben scheint. Vgl. etwa „Vom ehelichen Leben" (1522), WA 10/2, 302-303. Z u r Warn u n g Jesu vor falscher Sorge n a c h d e m Evangelium des Lukas vgl. Lk 12, 2 2 - 3 2 . 1277 StuA 1, 356, 7f. 1278 StuA 1, 356, 9 - 1 2 . 1279 StuA 1, 356, 12f. 1280 W e n n Luther Lk 1,52 f. so verkürzt wiedergibt, setzt er voraus, d a ß die Leser sich gemerkt h a b e n , wie er Reichtum u n d H o h e i t als solche einerseits, A r m u t u n d Niedrigkeit als solche andererseits relativiert hat.

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Kommentar

werden sie nicht selig und folglich ewig verdammt werden. Luther setzt hier offenbar voraus, was er früher geschrieben hat: Christi Sterben am Kreuz ist das wichtigste ,heimliche' Werk Gottes. 1281 Wer dessen Bedeutung nicht mit allen Konsequenzen für sich selbst ,erkennt', bleibt Gott fern. Luther stützt seine Behauptung mit einem Schriftbeweis, in dem zwar nicht vom Wirken des ,Armes' Gottes im Unterschied zu seinem Wirken durch Kreaturen, 1282 wohl aber von Werken seiner ,Hände' die Rede ist.1283 Luther wechselt vom ,wir' zum ,sie'. Er hat sich in die Zahl derer eingeschlossen, die er wegen mangelnden Glaubens angeklagt hat. Zu den Verdammten aber mag er sich denn doch nicht rechnen. 1284 Menschen, die statt auf Gott auf Vorräte vertrauen oder dem Unrecht nicht zu widerstehen wagen, 1285 die auf Gottes Worte hin nichts wagen noch beginnen, schenken Gottes Zusagen keinen Glauben. 1286 Ihre Einstellung läßt darauf schließen, wie wenig sie von Gott erwarten. Ihrem Verhalten nach schätzen sie Gott entweder als einen ,Gott' ein, der Versprechen leichtfertig ausstreut, ohne diejenigen wirklich zu stützen, die sich daran halten, oder gar als einen lügenhaften ,Gott', der bewußt täuscht. Es ist angemessen, 1287 daß Menschen verdammt werden, die Gott nicht vertrauen. Andererseits gilt, daß die Zusagen des Handelns Gottes, die Maria formuliert, in Wagnisse hineinführen. 1288 Sie versprechen nicht, Wohlbehagen zu steigern. 1289 Hier und im Folgenden geht Luther vom Reden von ,Hungrigen' in Lk 1, 53 aus und generalisiert es im gleichen Atemzug. 1290 Er behauptet, daß nur der Gott vertrauen werde, der auf ihn angewiesen sei, und versichert dem Leser, den er hier ausnahmsweise direkt mit „du" anredet, um sich auf Gott verlassen zu können, müsse er (laut Lk 1, 53) die Erfahrung gemacht haben, hungrig zu sein und weder über eigene Vorräte zu verfügen noch von anderen Menschen gesättigt werden zu können. 1291 Um sich auf Gott verlassen zu können, müsse er (generell) erfahren haben, was es heißt, angewiesen zu sein, ohne Hilfe von sich selbst oder von anderen Menschen erwarten zu können. Nur wenn Gott

1281 yg[ beispielsweise diesen Satz: „Sihe alszo wart Christus krafftlosz am Creutz / vnd eben da selb thet er die groste macht / vbirwand die sund / tod / weit / helle / teuffei vnd allis vbel." (StuA 1,350,2426). 1282

Vgl. dazu StuA 1, 349, 40-350, 22. Ps 28 (27), 5. 1284 Vgl. die Verwendung der 1. Pers. Plur. (StuA 1,356,4-20) mit der Verwendung der 3. Pers. Plur. (StuA 1,356, 21-23). 1285 Vgl. oben StuA 1, 356, 8-14. 1286 StuA 1, 356, 21. 1287 „billich" (StuA 1,356,21). 1288 p a s e m p f 0 h l e n e „Es musz yhe vorsucht vnd gewagt sein" (StuA 1, 356, 23f.) korrespondiert dem verurteilten „nichts wagen noch anfahen" (StuA 1, 356, 22f.). 1289 „sie [Maria] spricht nit / Er hat die vollen erfüllet / die hohen erhaben ..." (StuA 1, 356, 24f.). 1290 Von „die hungrigen" (Lk 1,53) verweist er auf „die nydern" (Lk 1, 52) (beides StuA 1, 356, 25), neben dem „hunger" (StuA 1,356,26), dem kein „vorrahd" (StuA 1,356,27) abhelfen kann, erwähnt er die „durfft" (StuA 1, 356, 26. 27), aus der Menschen keine „hulff (StuA 1, 356, 27) bieten können. 1291 StuA 1,356, 25-27. 1283

Lk 1, 53: „Das Vunfft vnd Sechst werck"

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der einzige ist, der ein rettendes Werk tun kann, entsteht Glaube. Die Situation muß so verfahren sein, daß es für Menschen unmöglich ist, dem auf Rettung Angewiesenen zu helfen. 1292 Wer sein Vertrauen auf Gott soll setzen können, muß in die Erniedrigung geraten und so tief darin stecken, daß ihm kein Mensch helfen kann, sondern Gott allein. 1293 Nachdenken über Erniedrigung und Sprechen davon genügen nicht. 1294 Freilich bietet sich nicht jedem Menschen Gelegenheit, solche Erniedrigung zu erleiden. Diese nachgetragene Absicherung ist dringend erforderlich, hat doch Luther an anderer Stelle die reichen Erzväter, König David, Königin Esther und Daniel als Glaubende bezeichnet. 1295 Doch hat er stets daraufhingewiesen, daß es vor allem auf die innere Haltung ankomme. Auch jetzt wieder kann er darauf zurückkommen, wenn auch diesmal nur als auf einen Notbehelf: Wer keine Erniedrigung erfährt, m u ß sie geradezu wünschen, scheuen darf er sie jedenfalls nicht. 1296 Nach den Aussagen über die Verdammten und der Applikation auf den einzelnen Leser kehrt Luther zur ,Wir'-Aussage zurück: Es kann seiner Ansicht nach nicht anders sein, als Christen es nun einmal erfahren: Der Teufel und als seine Agenten ,die Menschen' (im Sinn von widergöttlicher ,Welt') können es nicht ertragen, daß es Christen gibt, die sich ans Evangelium halten. Sie verfolgen die Christen, die auf diese Weise in Mangel und Erniedrigung geraten können. Dadurch kann auch Gott in den Christen seine verborgenen Werke tun. 1297 Aus der Wahl des Verbs ,können' [mugen] geht hervor, daß Luther es um des Ziels willen als erforderlich betrachtet, daß Christen Mangel und Erniedrigung durchleben. 1298 Gott würde, einem Jahrmarktszauberer vergleichbar, nur scheinbar helfen, wenn er sättigte, ehe einer hungert, 1299 oder wenn er erhöhte, ehe einer erniedrigt wäre. 1300 Schlimmer noch: Er könnte nicht tun, was er verhieße. Zu Recht würde man über seine Werke spotten. 1301 Doch belegt die Heilige Schrift, daß die Werke der Hände Gottes „warheit vnd ernst" sind. 1302 Weil Gott so groß ist, muß es den Glaubenden wirklich schlecht gehen, damit er ihnen aus dieser schlechten Lage heraushelfen kann. Die gewaltige Macht und erhabene Majestät Gottes setzen voraus, daß er

1292

StuA 1, 356, 27-28. StuA 1, 356, 29-30. 1294 Luther setzt offenbar voraus, d a ß sie die Erfahrung der Rettung nicht vermitteln, vgl. „erfaren" (StuA 1, 356, 26). 1295 Vgl. zu den Erzvätern, David u n d Daniel: StuA 1, 355, 15-18. Zu Esther: StuA 1, 331, 32-37. 1296 StuA 1,356, 31 f. 1297 StuA 1,356, 32-34. i ms Nur so erleben sie Errettung durch Gott, lernen ihn lieben, loben u n d ihm vertrauen, wie Luther weiter oben ausgeführt hat. 1293

1299

StuA 1, 356, 34f„ vgl. bereits oben 24f. StuA 1, 356, 35, vgl. bereits oben StuA 1, 356, 25. 1301 Luther generalisiert hier stark. Erstellt es so dar, als ob Gottes Glaubwürdigkeit bei jedem Glaubenden erschüttert würde, der nicht Erniedrigung u n d Rettung erfährt (oder zumindest bereit ist, beides an sich geschehen zu lassen). 1302 StuA 1, 356, 38. Vgl. Ps 111 (110), 7 (Vulgata): „Opera m a n u u m eius veritas et iudicium." 1300

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Kommentar

große Werke tut. Folglich ist es nicht angemessen, daß er hilft, wenn Mangel und Erniedrigung eben erst begonnen haben oder wenn sie nur wenig drückend sind. 1303 Nachdenken über das Ergehen derer, die Gott nicht vertrauen, bestätigt Luther die Richtigkeit seiner Ansicht. Gott darf auch gegen die Hohen und die Reichen 1 3 0 4 erst dann vorgehen, wenn sie wirklich den Gipfel ihrer Hoheit und ihres Reichtums erreicht haben. Es m u ß so weit gekommen sein, daß nicht bloß sie selbst und jedermann (außer den Glaubenden) meinen, sie könne niemand mehr zerbrechen, niemand ihrem Handeln wehren, sondern daß sie selbst und die Meinung aller damit auch recht haben: sie müssen für eine Züchtigung durch Menschen unerreichbar geworden sein, damit es sich lohnt, daß Gott sie züchtigt. 1305 Wie Gott aus schwer erträglicher Tiefe rettet, so straft er scheinbar unerreichbar Hohe. Die Hohen und Reichen müssen sich ihrer Sache so sicher sein und so hochfahrend reden, wie Babylonien sich in der Weissagung Jesajas aufbläht. 1 3 0 6 Jesajas Weissagung gilt - über ihre erste Erfüllung an Babylonien hinaus - auch den scheinbar unerreichbar Hohen. 1 3 0 7 Auch Gottes Wort über den Pharao bestätigt, daß Gott seine Feinde sich zunächst erheben läßt, um sie dann zu bestrafen und aufgrund dessen von den Glaubenden gelobt zu werden. 1308 Die Aussage der beiden Beispiele generalisierend sagt Luther, die Bibel lehre Gottes Werk und Wort, verwerfe dagegen der Menschen Werk und Wort.

2.13.2. „Er hat... gesettiget mit guttern" (StuA 1, 357, 15-32) Den „Hungrigen", die Luther bisher beschrieben hat, gibt Gott selbst, und zwar so viel, daß sie gesättigt (Luther ergänzt: erfüllt und gesättigt) werden. Freilich müssen sie aufnahmebereit sein: sie dürfen nicht schon zuvor Güter besitzen. Mangel m u ß sie geradezu .erfüllen'. 1309 In der Vokabel „guttern" findet Luther ausgedrückt, daß die Fülle, mit der Gott sättigt, „unschedlich" ist. Wer von Gott gesättigt wird, läuft demnach nicht Gefahr, selbst einer der gefährdeten .Reichen' zu werden. Die „gutter" sind vielmehr „nutzlich", ja „seliglich": 1310 sie führen zur Seligkeit hin. Die Gaben Gottes tun nicht al-

StuA 1, 356, 38-40. Vgl. Lk 1, 52 f. 1305 Luther hat eben erst angekündigt, daß Gott sie „zubrechen" (StuA 1 , 3 5 7 , 1 ) werde. Nun stellt er dagegen: „das sie selbs vnd yderman dunck / ia auch ym grund alszo sey / das sie niemant brechen / niemant yhn weren muge" (StuA 1, 357, 3 - 4 ) . 1303

1304

1306 Vgl. J e s 4 7 , 8 f . Um seinen Lesern die Situation einer Witwe oder kinderlosen Frau zu Jesajas Zeit deutlich zu machen, fügt Luther in Form einer Interlinearglosse ein: „das ist on sterck vnd beystand" (StuA 1, 357, 8). 1307 StuA 1, 357, 5. 1308 Luther übersetzt so, daß der Vers in den Duktus seiner Auslegung des Magnifikat paßt. Er interpretiert das „posui te" (Ex 9 , 1 6 , Vulgata) als „hab ich dich erhaben [erhoben]" (StuA 1, 3 5 7 , 1 1 ) . Statt von Gottes Stärke (fortitudo) spricht er von dessen „tadt", weil es ihm um Gottes heimliches Wirken geht. „Narretur nomen meum" wird zu „dauon mein lob werd vorkundiget". 1309 „vol alles mangels" (StuA 1, 357, 19). 1310 StuA 1, 357, 17: „vnschedlich / nutzlich / vnd seliglich."

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lein dem Leib, sondern auch der Seele samt allen Seelenvermögen 1311 wohl. Unter „reichtumb" sollen ja, wie Luther schon weiter oben definierte, 1312 vergängliche Güter verschiedener Art verstanden werden, an denen sich auch die Seele erfreut. Wenn hier von „hunger" die Rede ist, soll das analog dazu einen Mangel nicht bloß an Speisen, sondern an allen vergänglichen Gütern bezeichnen. 1313 Der Bedarf an Nahrung ist besonders geeignet, das Angewiesensein auf vergängliche Güter zusammenzufassen, weil ein Mensch auf Speise im Unterschied zu anderen vergänglichen Gütern nicht verzichten kann, weil ein Mangel an Essen ganz besonders wenig erträglich ist.1314 Einige Schriftstellen bestätigen, daß auch andernorts in der Bibel Nahrung für zeitliche Güter überhaupt steht. Heißen doch Habsüchtige ,Bauchdiener', 1315 nennt doch Paulus den Bauch ihren Gott. 1316 Zur Bereitschaft, Hunger und Armut dann bereitwillig auf sich zu nehmen, wenn es erforderlich ist, 1317 ermutigen am stärksten und am tröstlichsten die Worte der Mutter Gottes, Gott wolle alle [,recht' 1318 ] Hungrigen mit Gütern füllen. Einem Christen, den diese Worte, die die Armut [vor Gott] ehren und preisen, nicht dazu anreizen, sich um diese Haltung zu bemühen, fehlen Glaube und Vertrauen zu Gott in gleichem Maße wie einem Heiden. 1319 2.13.3.

„Vnd die reichen hat er leer

(StuA 1, 357,

gelassen"

33-44)

Während Gott die,Hungrigen' mit Gütern sättigt, läßt er die Reichen leer. Sein Verhalten ihnen gegenüber ist das folgerichtige Gegenstück zu seinem Handeln an den ,Hungrigen'. 1320 Maria spricht mit der Prophezeiung, Gott werde die Reichen leer lassen, die schärfste Warnung vor den Gefahren aus, die im Reichtum liegen,1321 und jagt den Reichen solchen Schrecken ein, daß ihnen grauen müßte. Wenn Gott erfüllt und wenn Gott vorenthält, dann handelt es sich um so überschwenglich große Taten, daß kein Geschöpf mit Rat oder Hilfe dagegen irgendetwas ausrichten kann. Einmal mehr grenzt Luther Gottes Wirken vom Tun von Geschöpfen scharf ab. Er zieht einen Schluß 1311

StuA 1, 357, 18: „leyb vnd seel mit allen krefften". Spätmittelalterliche Theologen haben eine ausgefeilte Lehre von den verschiedenen Seelenvermögen (vires animae) entwickelt. Johannes Gerson (1363-1429) beispielsweise unterscheidet affektive von kognitiven Kräften. Vgl. Burger, Aedificatio, Sachregister sub voce „Seelenkräfte", und Wilfried Joest: Ontologie der Person bei Luther. 1312 StuA 1,344,20-22.-Gottgegebener Reichtum bringt offenbar keine Gefahren mit sich (StuA 1, 357, 19-21). 1313 Einmal mehr verwendet Luther die Vokabel „widderumb" (StuA 1, 357, 21). 1314 StuA 1, 357, 21-25. 26. 1315 Vgl. Prov 13, 25b (Übersetzung von 1545): „Der Gottlosen bauch aber hat nimer gnug." Rom 16, 18 (1545): „Denn solche dienen nicht dem HErrn Jhesu Christo / sondern jrem Bauche ..." 1316 Phil 3, 18f.: „Die Feinde des creutzes Christi... welchen der Bauch jr Gott ist..." 1317 Vgl. zu „willigem hunger" (StuA 1, 357, 29) StuA 1, 356, 31 f.: dem Mangel nicht ausweichen. 1318 Oben hat Luther daraufhingewiesen, daß Mangel als solcher nicht dazu berechtigt, die im Loblied Marias gegebene Verheißung auf s^ch zu beziehen (StuA 1, 355, 6-14). 1319 StuA 1, 357, 30-32. 1320 Das deutet Luther wie so oft durch „widderumb" an (StuA 1, 357, 33). 1321 „Widderumb wie mocht einer den reichtumb hoher vorsprechen" (StuA 1, 357, 33).

160

2.

Kommentar

,a minori ad maius': Ein Kind erschrickt schon dann, wenn sein Vater sich von ihm lossagt. Ein Untergebener erschrickt schon dann, wenn er hört, daß er bei seinem Herrn in Ungnade gefallen ist. Wenn das schon in Verhältnissen gilt, die mit dem leiblichen Tod ihr Ende finden, wie können ,wir' - Luther wechselt einmal mehr in den Predigtton - , die wir hoch und reich (und deshalb höchst gefährdet) sind, dann nicht erschrecken, wenn wir hören, daß unser Gott sich von uns lossagt?1322 Luther setzt voraus: Das Verhältnis zu Gott, auf den sich all,unser' Vertrauen richtet, müßte ,uns' ungleich wichtiger sein als einem Kind das Verhältnis zu seinem Vater oder einem Untergebenen das Verhältnis zu seinem Herrn. Schlimmer noch: Gott droht, uns zu zerbrechen und zu erniedrigen, 1323 sofern wir hoch stehen. Er droht, uns leer zu machen, wenn wir reich sind. Umgekehrt ist es eine Freude für ein Kind, wenn sein Vater ihm gut gesonnen ist.1324 Ein Untergebener freut sich, wenn sein Herr ihm gnädig gesonnen ist. Manchem Menschen ist die Gnade seines Herrn so wichtig, daß er Leib und Gut dafür zu opfern bereit ist. ,Wir' Christen aber haben hier in Marias Aussagen von Gottes verborgenem Tun eine derartige Zusage Gottes [, die zur Freude Anlaß geben sollte,] und einen so starken Trost [, der über Widrigkeiten hinweghelfen könnte,] und doch gebrauchen wir weder den Trost und nutzen ihn, noch danken wir Gott für seine Zusage und freuen uns! 1325 Der Grund für diese doppelte Unfähigkeit liegt im Unglauben. Er macht die Herzen von Menschen hart wie Stöcke, dürr wie Steine,1326 so daß sie selbst so große Dinge, wie Gott sie heimlich tut, nicht fühlen können. Mit der gliedernden Aussage: „Das sey von den sechs wercken gottis gnug gesagt", schließt Luther seine Aussagen über Gottes sechs Werke, die er in Lk 1, 50-53 beschrieben findet, ausdrücklich ab. 1327

2.14. Lk 1, 54: „Er hat a u f f g e n o m m e n Israel seinenn diener / N a c h d e m er gedacht an seine b a r m h e r t z i c k e i t " (StuA 1, 358, 1 - 3 5 9 , 29) Luther setzt mit einem gliedernden Vermerk ein, der noch deutlicher als solcher erkennbar wird, wenn man eine Zählung einfügt: „Nach den gottis wercken [ 1 ] in yhr 1322 StuA 1,36—39. Bei Luthers Wahl der Prädikate fällt auf, daß er sich selbst und seine Leser immerhin nicht als hochmütig bezeichnet. 1323 StuA 1, 357, 38f. 1324 StuA 1, 357, 39. Einmal mehr leitet Luther seine Aussagen über das Gegenstück durch „widderumb" ein. 1325 StuA 1, 357, 41 f. 1326 StuA 1,357,42-43: „O du leydiger vnglaub/ wie stockhart / wie steyn dürre bistu..." Luther will mit diesen ungewöhnlichen Wortkombinationen wohl die Aufmerksamkeit seiner Leser wecken. Zu erwarten wäre ja eher das Umgekehrte: der Unglaube macht das Herz eines Menschen hart wie einen Stein, dürr wie einen Stock. Kann doch ein Stein nicht verdorren, ist doch ein Stein härter als ein Stock. 1327 StuA 1,357,44. Die Gliederung in sechs Werke Gottes entfaltet Luther oben StuA 1,343,28-32.

Lk 1, 54: „Er hat aujfgenommen Israel seinenn diener"

161

vnd [2] allen menschen kumpt sie [3] widder auff den anfang und das erste [zurück] / vnnd beschleussit das Magnificat / mit dem heubtgrossenn werck aller werck gottis / das ist / die vormenschung gottis sunsz." 1328 In Lukas 1, 54 hört Luther Maria erneut vom Mensch-Werden des Gottessohns als von Gottes größtem Werk reden. 1329 Erneut betont er in diesem Abschnitt, daß Gott seinen Sohn aus Barmherzigkeit für die Menschen geboren werden läßt, nicht etwa aufgrund ihrer Würdigkeit. Durch Christus vereint Gott die Christenheit derart mit sich selbst, daß ein Verhältnis entsteht wie dasjenige zwischen Bräutigam und Braut. Wie diese einer des anderen Willen tun, so tut durch den Glauben der Mensch, was Gott will, und Gott, was der Mensch will.1330 Diesen Vergleich hat Luther auch bereits 1520 in seiner Freiheitsschrift verwendet. Luther erinnert an die Grobeinteilung, die Maria seiner Meinung nach ihrem Lobpreis zugrunde legt: Zuerst spricht sie davon, was Gott an ihr getan hat, dann von den sechs Werken, die er verborgen an allen Menschen wirkt. Nun kommt sie wieder auf das Hauptwerk, das größte von allen Werken Gottes, zurück. Gott hat sie ja zu seiner Mutter gemacht, insofern verweist das Lob der Menschwerdung des Sohnes Gottes auf den Anfang zurück. Das ,suscepit' interpretiert Luther also als Annahme .Israels'.1331 Maria bekennt, das Werk, das Gott in ihr vollbracht habe, sei nicht ihr allein, sondern „dem gantzenn Israel zu gut" geschehen. 1332 Freilich relativiert Luther sein ,gantz[enn], gleich wieder. Wenn Maria Israel als „seinenn [Gottes] diener" bezeichnet, dann ist das nicht bloße Apposition. Vielmehr schränkt sie damit ein und qualifiziert näher. Sie kennzeichnet nicht einfach das Volk Israel, sondern sie unterscheidet durch diese Spezifizierung zwischen .Israel' und ,Israel': Angenommen hat Gott allein den Teil Israels, der ihm dient. 1333 Gott dient, wer ihn [durch glaubendes Vertrauen] als seinen Gott anerkennt und damit einverstanden ist, daß Gott seine Werke an ihm tut. 1334 Luther polemisiert zunächst gegen das geltende falsche Verständnis von Gottesdienst' 1335 und die ihm entsprechende Praxis.1336 Wer Gott auf die falsche Weise dient, gehört nicht zu dem Israel, das Gottes Diener ist. Wenn von,Gottesdienst' die Rede ist, dann wird bloß an damit zusammenhängende Gegenstände und an Äußerungen der

1328

StuA 1, 358, 3-5. Die Vokabel .Inkarnation' stand Luther noch nicht zur Verfügung. 1330 StuA 1, 359, 18-23. 1331 „auffgenommen" (StuA 1, 358, 1) bezeichnet „angenommen". 1332 StuA 1, 358, 7. 1333 Luther setzt also voraus: „Gott hat den Teil Israels angenommen, der ihm dient". „Den Israel" (StuA 1, 358, 8) bezeichnet nicht etwa die historische Person Jakob allein, sondern auch das Volk Gottes. 1334 StuA 1,358,9f. Luther verweist mit „dauon droben gesagt ist" (StuA 1,358, 10) zurück auf seine früheren Ausführungen, beispielsweise in StuA 1, 340, 24-341, 22. 1335 Luther beginnt seine Polemik mit dem verallgemeinernden „man" (StuA 1, 358, 10), wechselt dann aber zur Selbstanklage: „wir" (StuA 1, 358, 18). 1336 „in einen frembden vorstand vnnd brauch hat bracht" (StuA 1, 358, 11). 1329

162

2.

Kommentar

Frömmigkeitspraxis gedacht. 1337 Ein Indiz dafür ist es, daß das Magnifikat zwar täglich auf eine besondere Melodie prachtvoll gesungen wird, daß aber der rechte Ton, der in ihm klingt, das angemessene Verständnis, zunehmend verschwiegen wird. 1338 Aus der Formulierung: „Israel, seinen [Gottes] Diener" 1339 zieht Luther sehr weitgehende Schlüsse. Er ist davon überzeugt, daß daraus gefolgert werden müsse, daß ohne Erkenntnis dieser [heimlichen] Werke Gottes im Glauben 1340 und ohne die Bereitschaft dazu, sie an sich geschehen zu lassen,1341 kein .Gottesdienst' stattfinde. Niemand würde dann die Bezeichnung,Israel' verdienen. Gelte doch die Verheißung nur dem Teil Israels, der Gott dient. 1342 Gott werde dann keine Gnade und keine Barmherzigkeit 1343 geben. Die äußerste Steigerung folgt aber erst noch: Es wird kein Gott da sein!1344 Wo der Glaube fehlt, ,ist' kein Gott. Gegen Glaubensmangel helfen Singen und Klingen in Kirchengebäuden nicht, selbst dann nicht, wenn sie bis zur völligen - gar: tödlichen - Erschöpfung betrieben würden. Gegen Glaubensmangel hilft nicht einmal eine Spendefreude, die selbst dazu bereit wäre, alles Gut der Welt zu opfern. 1345 Luther zweifelt nicht daran, daß der Maßstab dafür, woran Gott Gefallen hat, nicht menschliche Aufopferung ist, sondern Gottes Gebot. 1346 Hat er bisher ein Verständnis von .Gottesdienst' abgewiesen, das nicht vom Glauben ausgeht, 1347 so kommt er nun wieder auf die Verheißung zurück, die nach seiner Deutung in Lk 1, 54 für angemessenen ,Gottesdienst' ausgesprochen wird. 1348 Demjenigen ,Israel', der Gott dient, kommt die Menschwerdung Gottes zugute. Um seines Volkes willen ist er überhaupt Mensch geworden. Maria meint mit „aufnehmen": Gott hat die Angehörigen seines Volkes aus der Gewalt des Teufels, der Sünde, des Todes und damit der Verdammnis zur Hölle erlöst. Er hat sie stattdessen in Gerechtigkeit, ewiges Leben und Seligkeit versetzt. 1349 In solchen bekenntnisartigen Formulierungen faßt Luther immer wieder seine Sicht der Heilsbedeutung des Todes und der Auferstehung Christi 1337 StuA 1 , 3 5 8 , 1 0 - 1 7 . - Z u r Definition von Frömmigkeit vgl. Hamm, Frömmigkeit als Gegenstand theologiegeschichtlicher Forschung, S. 464-473. 1338 StuA 1, 358,18-20. Das Magnificat wurde in der Kirche des westlichen Teils des ehemaligen römischen Reiches seit dem 5. Jahrhundert täglich innerhalb der Vesper gesungen. Vgl. dazu die Anmerkungen 22 und 23 des Herausgebers Seils in der Studienausgabe, S. 316. 1339 Lk 1, 54. 1340 „wo wir disse werck gottis nit leren" (StuA 1, 358, 20f.), vgl. dazu bereits oben „wer yhn lessit sein got sein" (StuA 1, 358, 9). 1341 „vndleydenn" (StuA 1,358,21), vgl. die Fortsetzung des eben angeführten Satzes „[wer yhn lessit sein got sein] / vnd seine werck in yhm wircken" (StuA 1, 358, 9f.). 1342 Vgl. zu „keingottis dienst... / kein Israel" (StuA 1,358,21) oben „scheydet sieden Israel in zwey stuck / vnd zeugt allein das teyl erfur das got dienet" (StuA 1, 358, 8f.). 1343 Lk 1, 54b. 1344 „kein got" (StuA 1, 358, 22). 1345 StuA 1, 358, 22f. 1346 StuA 1,358, 23f. 1347 StuA 1, 358, 10-24. 1348 Vgl. zu „solchem Israel der got dienet" (StuA 1,358,25) oben „das teil... das got dienet" (StuA 1, 358, 8f.). 1349 StuA 1,358,27-29.

Lk 1, 54: „Er hat auffgenommen

Israel seinenn

diener"

163

zusammen. 1350 Er liefert dafür, daß die Glaubenden Gott gehören, 1351 einen kurzen Schriftbeweis: Die Aussage von Titus 2,14 spitzt er darauf zu, daß Christus sich dahingegeben habe, um ein Volk zu reinigen, das ihm dauerhaft 1352 gehören solle. In 1 Petr. 2, 9 findet er ausgesagt, daß Gott selbst sein heiliges Volk erworben habe. Darin findet Luther die ,Barmherzigkeit' Gottes, von der in Lk 1, 54 die Rede ist. Er ergänzt, sie sei „grundlosz": nicht aufgrund von Verdiensten, sondern aufgrund reiner Gnade sei Gott denen barmherzig, die er als sein Volk erwählt hat. 1353 Einmal mehr benutzt Luther ein argumentum e silentio': 1354 Ganz ausdrücklich hat Maria nicht sagen wollen, Gott habe (statt an seine Barmherzigkeit) an Verdienst und Würdigkeit der Glaubenden gedacht! 1355 Die Adressaten, mit denen Luther sich durch das ,wir' zusammenschließt, erfüllen zwar durch ihre Bedürftigkeit eine der Bedingungen für Gottes Gnade. Doch sind sie ihrer zugleich ganz unwürdig. Allein aufgrund von Gottes Barmherzigkeit sind sie, was in den genannten beiden Bibelstellen von ihnen ausgesagt wird, Gottes eigenes, heiliges Volk, von ihm erworben, Könige und Priester. Weil sie ganz unwürdig sind, können sie sich nicht rühmen und dürfen nicht vermessen sein. Lob und Ehre kommen folglich, nicht getrübt durch Selbstruhm, Gott allein zu. 1356 Gott findet in denen, die ihm dienen, keine Eigenschaft vor, die ihn dazu bewegen könnte, sie in Gnade anzusehen. Dazu konnte ihn nur seine eigene Barmherzigkeit bewegen und der Wunsch, sie bekannt zu machen. 1357 Auffallend häufig spricht Luther in diesem Abschnitt vom t a rnen': Gott wollte sich unter dem Namen des Barmherzigen bekannt machen. 1358 Er hat dem Anspruch auf Segen genügt, den Israel aufgrund dieses Namens hatte. 1359 Jakob erhielt den Namen Israel,1360 einen hohen, heiligen Namen. 1361 Luther stellt sich die rhetorische Frage, weswegen es in Lk 1, 54 nicht heiße, Gott habe seine eigene Barmherzigkeit ,angesehen', sondern vielmehr, er habe ihrer „gedacht". Er sieht die Wahl dieser Vokabel darin begründet, daß Gott barmherzig zu sein versprochen hatte, wie Lk 1, 55 sagt. Nach menschlichem Beurteilungsvermögen (.Ansehen') konnte es 1350 y g ] beispielsweise die Formulierung in „Wilchs die rechten vnd edlisten Bucher des Newen Testaments sind" in Luthers ,September-Testament' von 1522 : „Du findist aber gar meysterlich außgestrichen / wie der glawbe an Christum / sund / tod vnd helle vberwindet / vnd das leben / gerechtigkeyt vnnd seligkeyt gibt / wilchs die rechte artt ist des Euangeli / wie du gehöret hast." (Luther: Die gantze Heilige Schrifft Deudsch, hg. von Volz / Blanke, Anhang, S. 241*, Zeilen 10-13). 1351

„sein eygen liebs volck" (StuA 1, 358, 26) u n d „ein erblich eygen volck" (StuA 1, 358, 30). „erblich" (StuA 1, 358, 30). 1353 Erneut spricht Luther im wir-Stil: zunächst in der Applikation von Tit 2, 14 (StuA 1, 358, 29), dann wieder in der Erklärung von 1 Petr 2, 9 (StuA 1, 358, 33). 1354 Er schließt also daraus, d a ß von Verdienst u n d Würdigkeit nichts im Text steht, darauf, d a ß Maria beides bewußt habe ausschließen wollen. 1355 StuA 1, 358, 34f. 1356 StuA 1,358, 36. Zu Luthers Sprechen vom Königtum u n d Priestertum Christi vgl. Karin Bornk a m m : Christus - König u n d Priester. 1357 StuA 1, 358, 37-359, 1. 1358 StuA 1, 359, 1. 1359 StuA 1, 359, 9. 1360 StuA 1, 359, 13. 1361 StuA 1,359, 16. 1352

164

2.

Kommentar

den Anschein haben, als hätte Gott vergessen, die versprochene Barmherzigkeit zu üben, weil er so lange mit ihr in Verzug geblieben war.1362 Luther betont einmal mehr, was der aufmerksame Leser längst weiß: alle [,heimlichen'] Werke Gottes, die er mit seiner rechten Hand tut, erwecken den Anschein, Gott vergesse die, die an ihn glauben. 1363 Doch als Gott Mensch wurde, erkannten diejenigen, die Gott und seinen Verheißungen glaubten, daß Gott seine Verheißungen keineswegs vergessen hatte, sondern unaufhörlich daran „gedacht" (Lk 1, 54) hatte, sie zu erfüllen. 1364 Die Verheißung Gottes an „Israel seinenn diener" gilt an sich allein den Juden, nicht den Heiden. Doch wollten ,die Juden' in ihrer Gesamtheit den menschgewordenen Gott nicht haben. Die präzise Aussage „Israel seinenn diener" grenzt also außer gegenüber den Christen, die Gott auf die falsche Weise dienen, auch gegenüber den Juden ab, die zur leiblichen Nachkommenschaft des Erzvaters Jakob gehören und schon deswegen wahre Diener Gottes zu sein meinen. Nur gegen deren Widerstreben 1365 hat Gott einige Juden erwählt [und ihnen Glauben an sich verliehen]. 1366 Auf diese Weise hat er seine Verheißung erfüllt: es gibt im Volk Israel Glaubende. Doch fortan hat sich Gott ein .geistliches Israel' geschaffen, er hat Menschen zum Glauben verholfen, 1367 die nicht dem jüdischen Volk angehörten. Eine heidenchristliche Kirche sieht Luther in der Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok gleich doppelt prophezeit. 1368 Wenn der Engel Jakob derart auf die Hüfte schlug, daß sie lahm wurde, 1369 so wollte er damit darauf hinweisen, daß sich Jakobs Kinder nicht ihrer leiblichen Abkunft von dem Träger der Verheißung rühmen sollten. 1370 Es ist verfehlt, daß die Juden, Jakobs leibliche Nachfahren, sich eben dieser Abkunft rühmen [und wegen ihrer leiblichen Abstammung von Jakob der Verheißung Gottes gewiß zu sein meinen]. 1371 Wenn Jakob nach diesem Kampf den Ehrennamen „Israel" erhielt, 1372 dann sollte damit ausgesagt werden, er sei nicht allein - als Jakob - der Vater seiner leiblichen Kinder, sondern auch - als Israel der Vater geistlicher Kinder. 1373 Der ,hohe, heilige' neue Name Israel schließlich, den Jakob erhielt, bedeutet nach Luthers Etymologie, die er bei Hieronymus gelesen haben kann, „herr gottis".1374 Er versteht den Sinn dieses Namens so: Gottes Gnade gibt einem 1362

StuA 1, 359, 3 f. StuA 1, 359, 4 f. 1364 StuA 1, 359, 5 f. 1365 Das Widerstreben ist ausgedrückt in dem doppelten „doch" (StuA 1, 359, 8). 1366 StuA 1, 359, 8f. 1367 Aus dem „gemacht" (StuA 1, 359, 10) läßt sich ableiten, daß Gott sich dieses Volk schuf. 1368 Vgl. Gen 32, 25-32. 1369 Luther setzt voraus, daß Jakob durch diese Lähmung zeugungsunfähig geworden sei. 1370 Vorauszusetzen ist als nicht formulierte Fortsetzung: Sie sollten sich vielmehr der unverdienten Erwählung durch Gott rühmen. 1371 StuA 1, 359, 12. 1372 Gen 32, 28-29. 1373 StuA 1,359, 13-15. 1374 StuA 1, 359, 15. Die Übersetzung bietet Luther etwas später (StuA 1, 359, 24f.). Ausführlicher schreibt er 1545 in einer Randglosse zu Gen 32, 28 in seiner Bibelübersetzung [Fassung von 1545]: „Jsrael kommt von Sara / das heisset kempffen oder vberweldigen / Da her auch Sar ein Fürst oder Herr 1363

Lk 1, 54: „Er hat auffgenommen

Israel seinenn

diener"

165

Menschen geradezu Macht über Gott. Gott tut, was ein Mensch will, dem er seine Gnade geschenkt hat. Die ganze Christenheit 1375 ist durch Christus so eng mit Gott vereinigt wie eine Braut mit ihrem Bräutigam. Eine Braut aber hat ein Recht auf Geschlechtsverkehr mit ihrem Bräutigam und kann insofern sogar über seinen Leib und über seine Habe verfügen. 1376 Dieses Bildes hat sich Luther bereits 1520 in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" bedient. 1377 Zu einer so engen Verbindung kommt es durch den Glauben. Hatte Luther eben noch formuliert, „durch die gotlich gnade" 1378 werde ein Mensch Gottes mächtig, so schreibt er nun, das geschehe „durch den glauben". 1379 Daraus darf geschlossen werden, daß Gottes Gnade sich in der Weise äußert, daß sie Glauben verleiht. Die enge Verbindung zwischen Gott und Mensch, die Christus zustande bringt, äußert sich darin, daß ein derart mit Gott verbundener Mensch tut, was Gott will. Das Gegenstück dazu ist, wie Luther schon gesagt hat, daß Gott tut, was ein glaubender Mensch will.1380 Ein Mensch, der in diesem Sinne ,Israel, sein Diener' (Lk 1, 54) genannt zu werden verdient, ist durch Gott geprägt und Gottes mächtig. Er ist so sehr in Gott und in Gottes Kraft eingeleibt, so sehr mit Gott verbunden, daß er dadurch ein Herr wird, der alle Dinge zu tun vermag. 1381 Erneut fällt die Nähe zu der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" ins Auge. Formuliert Luther doch dort in der ersten Hälfte seiner Doppelthese: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem Untertan." 1382 Ein derart durch den Glauben mit ihm verbundenes Israel will Gott haben. Während der Name,Israel' in der Erzählung von Jakobs Kampf am Jabbok auf den überstandenen Kampf gedeutet wird: „Denn du hast mit Gott vnd mit Menschen gekempfft / vnd bist obgelegen",1383 liest Luther in ihm eine Verheißung kommender Taten: „so du mechtig bist mit got / szo wirstu auch mit den menschen mechtig sein".1384 So sehr Luther in seiner Erklärung von Lk 1, 54 auch auf,Israel, seinen Diener' eingegangen ist, er endet doch mit dem Hinweis darauf, daß über das,seltsame, hohe Myste-

/ vnd Sara ein Fürstin oder Fraw heisst / vnd Jsrael ein Fürst oder Kempffer Gottes / das ist / der mit Gott ringet vnd angewinnet. Weichs geschieht durch den glauben ..." (Luther: Die gantze Heilige Schrifft Deudsch, hg. von Volz / Blanke, Bd.I, S.86). 1375 Bemerkenswert ist, d a ß Luther hier nicht n u r vom jeweils einzelnen Christen spricht, sondern das Gottesverhältnis des Einzelnen in das der ganzen Christenheit einbettet. In den folgenden Sätzen hält er jedoch diese Eingliederung nicht durch, sondern spricht wieder allein vom Gottesverhältnis des Einzelnen. 1376 StuA 1, 359, 18-20. 1377 Vgl. zu StuA 359,18-23. Das wurde weiter oben in der Übersicht über den gesamten Abschnitt (bei Anm. 1330) bereits vermerkt. 1378 StuA 1, 359, 17. 1379 StuA 1, 359, 20f. 1380 StuA 1, 359, 21 f., vgl. bereits StuA 1, 359, 17f. 1381 StuA 1, 359, 22 f. 1382 Vgl. Luther: Von der Freiheit eines Christenmenschen, hier sprachlich modernisiert. Originaltext: StuA 2, 265, 6 - 7 . 1383 Luthers Bibelübersetzung von 1545 (edd. Volz / Blanke, S. 86). 1384 StuA 1, 359, 27 f.

166

2.

Kommentar

rium' Israel viel zu sagen ist, daß er es also hier alles andere als umfassend hat erklären können.

2.15. Lk 1, 55: „Vuie er gered hat zu v n s e r n vettern A b r a h a m v n d seinem s a m e n in ewickeit" (StuA 1,359, 3 0 - 3 6 2 , 2 6 ) Zur

Übersetzung

Das „et semini eius" übersetzt Luther zu Beginn seiner Schrift mit: „und seinen kinden". 1385 Sobald er aber an die Erläuterung geht, bevorzugt er die Übersetzung: „vnd seinem samen". 1386 Schon durch die Übertragung will Luther herausstellen, daß Jesus Christus der Same Abrahams schlechthin ist, in dem sich Gottes Verheißung an den Stammvater Abraham erfüllt. Innerhalb der zahlreichen Nachkommen des Stammvaters Abraham ist es Jesus Christus, auf den die Verheißung wirklich zuläuft. Auf diese Weise bindet Luther den Anfang und das Ende seiner Magnifikat-Erklärung zusammen: Konzentriert er sich anfangs auf Maria, so steht am Ende Abraham im Mittelpunkt. Gott sieht Maria an, um durch sie seine Verheißung an Abraham zu erfüllen. Zur

Auslegung

Gott gedenkt seiner Barmherzigkeit deswegen und nimmt seinen Diener Israel deshalb auf, weil er es Abraham und seinen Nachkommen, den Vätern, für ewige Zeiten zugesagt hat. Deshalb ist alles Pochen auf Verdienst, das zur Vermessenheit verleitet, ausgeschlossen: es liegt am Boden. 1387 Durch diesen Hinweis darauf, daß die Menschwerdung des Gottessohnes die Erfüllung der Verheißungen ist, wird dagegen die mit menschlicher Leistung nicht verquickte Gnade und Barmherzigkeit Gottes erhoben. 1388 Weil er sein eigenes Versprechen erfüllen wollte, hat Gott sein Volk Israel, das ihm [durch Glauben] dient, angenommen, nicht etwa deswegen, weil es ein Verdienst aufzuweisen hätte. Sowohl das Versprechen als auch dessen Erfüllung beruhen auf reiner Gnade. 1389 Paulus hat daraufhingewiesen, daß Gott seinen Bund mit Abraham vierhundert Jahre eher schloß, als er Mose das Gesetz gab. Sollte doch niemand sagen können, er habe Gottes Gnade und Zusage dadurch verdient, daß er das Gesetz befolgt habe. 1390 Ebenso wie Paulus das im Brief an die Galater tut, preist und erhebt die Mutter Gottes hier im ,Magnifikat' Gottes Zusage über alles, was sonst Geltung beanspruchen kann. Sie bezeichnet Gottes Menschwerdung ganz und gar als Erfüllung seiner 1385

StuA 1, 316, 29f. StuA 1, 359, 31. 1387 StuA 1, 359, 32: „Da ligt ernyder aller vordienst..." 1388 StuA 1, 359, 32f. 1389 StuA 1, 359, 34f: „Ausz lautter gnad hat er sich vorsprochenn / ausz lautter gnadenn het ersz auch erfüllet..." 1390 StuA 1, 359, 35-39. Vgl. Gal 3, 16-18. 1386

Lk l, 55: „ Vuie er gered hat zu vnsern vettern "

167

gnädigen, unverdienten Zusage an Abraham. 1391 Dieses Versprechen wird in der Heiligen Schrift oft genannt, ausdrücklich formuliert ist es vor allem in Genesis 12 und in Genesis 22. Die Formulierung Luthers verbindet denn auch beide Stellen miteinander: „,Ich hab geschworn bey mir selbs' (Gen 22,16) / ,In deinem samen sollen gebenedeyet werden' (Gen 22, 18) ,alle geschlecht' (Gen 12, 3) odder ,volcker der erden' (Gen 22, 18)."1392 Mit Recht heben Paulus und alle Propheten 1393 diese Worte Gottes hervor. 1394 Diese Verheißung, sie sollten im .Samen' Abrahams selig werden, bewahrte Abraham samt allen seinen Nachkommen 1395 und nahm sie in die Gemeinschaft mit Gott auf. 1396 Auch die gegenwärtig lebenden Heidenchristen, zu denen Luther sich rechnet, können auf keinem anderen Wege selig werden als im Vertrauen auf diese Worte. 1397 Wenn Luther hier von ,müssen' spricht, dann in dem Sinne, daß er keinen anderen Weg sieht, Gemeinschaft mit Gott zu haben. Ist doch mit der Zusage, in Abrahams Same sollten alle Völker der Erde gesegnet werden, 1398 Christus aller Welt als Heiland zugesagt. 1399 Diese Verheißung Gottes an Abraham ist,Abrahams Schoß', 1400 in dem alle die verbleiben, die schon vor Christi Geburt selig geworden sind. 1401 Auf Gottes Verheißung konnte man sich ja schon vor Christi Geburt verlassen. Wer hingegen dieser Verheißung Gottes keinen Glauben schenkt, wer also nicht an Christus, den ,Samen Abrahams' schlechthin, glaubt, kann selbst dann nicht selig werden, wenn er alle guten Werke verrichten würde. 1402 Luther entfaltet das in mehreren Schritten. Der erste ist der Aufweis der Erlösungsbedürftigkeit aller Menschen. Wenn alle Völker der Erde, die Menschen aller Zeiten überall auf der Erde also, in Christus, dem t a rnen Abrahams', gesegnet werden sollten, dann m u ß alle Welt samt all' ihrem Tun und Wissen und trotz all' ihres Tuns und Wissens außerstande sein, aus eigener Kraft selig zu werden. 1403 Luther setzt nicht umsonst hier anstelle von ,Geschlechter oder Völker der Erde' die Vokabel ,Welt' ein, um die Menschheit zu bezeichnen. 1404 Bezeichnet sie doch bei ihm oft die widergöttlichen Kräfte. Die ,Welt' in diesem Sinne steckt in Sün1391 1392

StuA 1,360, lf. StuA 1,360,3f. Luther hebt unter den biblischen Belegen Gen 12 (2f.) und Gen 22 (16-18) her-

vor. 1393 Die Reihenfolge (zuerst Paulus, dann erst die Propheten) belegt die überragende Bedeutung des Apostels Paulus für Luther. 1394 Wörtlich: „hebt... hoch" (StuA 1, 360, 6). Luther spielt mit dieser Wortwahl wohl auf,erhebt [magnificat]' an. 1395 Dazu sind nach Luthers Ansicht sowohl Juden- wie Heidenchristen zu rechnen. 1396 StuA 1, 360, 7 f. 1397 „auch noch wir alle" (StuA 1, 360, 8). 1398 Gen 22, 18; StuA 1, 360, 5. 1399 StuA 1, 360, 8 f. 1400 Vgl. zur Vorstellung von Abrahams Schoß Lk 16, 22 f. 1401 StuA 1, 360, 9—11. 1402 StuA 1, 360, 11-12. 1403 StuA 1,360,13f. In der Vokabel „mit" in der Formulierung „mit allem yhren thun vnd wissen" (StuA 1, 360, 14) steckt sinngemäß sowohl ein ,mitsamt' (im Vollbesitz von) als auch ein ,trotz', .Undanks'. 1404 Vgl. die Wortwahl in StuA 1, 360, 13 mit der in StuA 1, 360, 5 f.

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den und ist verdammt. Luthers Begründung geht von dem ,alle' in Genesis 22, 18 aus. Wenn Gott nicht bloß einige, sondern alle Völker in Abrahams ,Samen' segnen wollte, dann bedeutet das, daß er ausschließlich durch diesen .Samen' Abrahams allen Völkern Segen zukommen lassen wollte. 1405 Luther ergänzt also zum Wortlaut von Gottes Segen über Abraham implicite ein .allein':, [Allein] in deinem Samen, Abraham,...' Er schließt implicite von Gottes Versprechen, Segen zu geben, auf eine enorme Bedürftigkeit aller Völker, wenn er argumentiert: Dürfte Gott es wagen, mit solchem Ernst und mit einem derartig gewichtigen Eid Segen erst noch zu versprechen, wenn schon Segen vorhanden wäre? Muß die Situation ,aller Welt' dann nicht vielmehr durch und durch Fluch sein?1406 Dieser Segensverheißung Gottes haben nach Luthers Auffassung die Propheten viel entnommen und erhebliche Folgerungen aus ihr gezogen. So kamen sie dazu, alle Menschen als böse, nichtig, verlogen, falsch und blind zu bezeichnen, zusammengefaßt: als ohne Gott, als gottlos. 1407 Weil die Heilige Schrift den Menschen stets in seiner Beziehung zu Gott betrachtet, 1408 bedeutet es keine große Ehre, ein Mensch zu heißen. Denn vor Gott bedeutet ,Mensch' so viel, wie es vor der Welt bedeutet, wenn einer ein ,Lügner' oder ein .Unzuverlässiger [Treuloser]', genannt wird. Die Menschen sind durch Adams Fall so gänzlich verdorben, daß ihnen der angeborene Fluch 1409 geradezu zur Natur und zum Wesen wird. 1410 Die Verheißung des Segens, den Christus allein bringen soll, setzt nach Luthers Überzeugung tiefste Verderbnis aller Menschen voraus. Der zweite Schritt in Luthers Darstellung der Segenswirkung von Christi Inkarnation ist eine Beweisführung, weshalb nur auf diese Weisung Versöhnung zwischen Gott und Menschen möglich gewesen sei. Christus, der ,Same Abrahams', durfte nicht auf natürliche Weise aus der geschlechtlichen Verbindung eines Mannes mit einer Frau geboren werden. Denn auf dieser Fortpflanzung ruht seit Adams Fall Fluch. Aus ihr kann nur verfluchte Nachkommenschaft hervorgehen. Nun sollte laut Gottes Worten und Eid alle Welt durch diesen ,Samen' Abrahams, Christus, von diesem Fluch erlöst und dadurch zugleich gesegnet werden. Voraussetzung dafür war es, daß der ,Same' selbst gesegnet war. Er durfte von diesem Fluch, der seit Adams Fall auf alle auf natürliche Weise geborene Menschen übergeht, nicht berührt sein, denn das hätte Befleckung bedeutet und hätte ihn als Segensträger ungeeignet gemacht. Er mußte, um Gottes Verheißung erfüllen zu können, durch und durch Segen sein, „voller Gnade und Wahrheit".1411 1405

StuA 1, 360, 15-17. StuA 1,360, 17f. 1407 StuA 1, 360, 18-20. 1408 „ f u r g o t " (StuA 1, 360, 22). 1409 Anstelle von „gebenedeyung" m u ß es [gegen die Drucke] im Text „vormaledeyung" heißen, wie bereits WA, BoA und StuA interpolieren. 1410 StuA 1,360,23-24. Vgl. zur Sichtweise auch Lazarus Spenglers Lied: „Durch Adams Fall ist ganz verderbt menschlich Natur und Wesen", ediert in: Lazarus Spengler: Schriften, Bd. 1, S. 398-405. h u p j e Wendung „voller Gnaden und Wahrheit" gebraucht Luther wiederholt in seiner Übersetzung der Psalmen. - Zur Entwicklung der Erbsündenlehre vgl. Alfred Schindler: Gnade und Freiheit. 1406

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Andererseits jedoch mußte der ,Same' Abrahams ein wirklicher, natürlicher Mensch sein, und zwar vom Fleisch und Blut des Abraham, dem die Verheißung zuteil geworden war. 1412 Hatte doch Gott zugesagt und beschworen, 1413 der Segen solle durch Abrahams natürlichen ,Samen' vermittelt werden, durch ein natürliches, echtes Kind von seinem Fleisch und Blut. 1414 Und da Gott nicht lügen kann, 1415 mußte das eintreffen. Freiheit von den Folgen von Adams Fall einerseits, natürliche Geburt andererseits scheinen einander auszuschließen. Luther betont es noch einmal ausdrücklich. 1416 Deshalb kann auch nicht die Vernunft, sondern nur freier, reiner Glaube dem Wort und Werk Gottes vertrauen. 1417 Die Geburt Christi aus dem Heiligen Geist ohne Zutun eines Mannes hat verhindert, daß auch er vom Fluch getroffen worden wäre. 1418 Wer an diesen ,Samen Abrahams' glaubt, der ist allem Fluch entzogen und dem ist aller Segen verliehen. 1419 Segen kommt freilich auch ausschließlich durch diesen ,Samen Abrahams'. Vergeblich erwarteten die Juden den ,Samen Abrahams' als den Sohn eines der Söhne Abrahams: es war eine der Töchter Abrahams, aus der er geboren wurde. 1420 Das wollte Maria mit den beiden Versen Lukas 1, 54 und 55 sagen, behauptet Luther. 1421 Weil Gott an seine Barmherzigkeit gedacht habe, habe er sein Wort erfüllt. An den gesegneten .Samen Abrahams', Christus, habe sich der Glaube zu halten. Luther steigert die Betonung mit der verdichtenden Aussage, die ganze Bibel hänge an dieser Zusage Gottes an Abraham. Handle doch die ganze Bibel von Christus. 1422 Auch die Väter des Alten Testaments hätten bereits den Glauben an den ,Samen' und das Evangelium gehabt wie die Christen, nur eben an den erst noch versprochenen, zukünftigen, während die Christen bereits an den erschienenen Christus glauben könnten. 1423

Zum Vergleich zwischen den griechischen und lateinischen Kirchenvätern; Julius Gross: Geschichte des Erbsündendogmas; Kurt Flasch: Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo. De diversis quaestionibus ad Simplicianum I 2; Volker Henning Drecoll: Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins. 1412 StuA 1, 360, 33f. 1413 Vgl. zu „geredt vnnd schweret" (StuA 1,360, 31) weiter oben „die wort vnd eyd gottis" (StuA 1, 360, 28f.). Luther geht wohl von Gen 22, 16 aus: „vnd sprach: Jch habe bey mir selbs geschworen / spricht der HERR ..." (Luthers Übersetzung von 1545). 1414 Luther wiederholt sowohl „naturlich" als auch „fleisch vnd blut" (StuA 1, 360, 32-35). Wenig später begründet er diese Betonung damit, daß nicht von „kind", sondern ganz ausdrücklich von „same" die Rede sei (StuA 1, 360, 36-38). In den von Luther hervorgehobenen biblischen Verheißungen Gen 12 und Gen 22 wird leibliche Abkunft des .Samens' nicht eigens betont. Luther kann diesen Sinn jedoch aus Gen 15, 2-4 ableiten. 1415 StuA 1, 360, 31. 1416 StuA 1, 360, 34-36. 1417 StuA 1, 360,41-43. 1418 StuA 1, 360, 44-361,4. 1419 StuA 1, 361, 5-7. 1420 StuA 1, 361, 10-12. 1421 StuA 1,361, 13-15. 1422 StuA 1, 361, 21. - Luther hat ein stark christozentrisches Bibelverständnis. Vgl. dazu beispielsweise Lohse: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang. 1423 StuA 1, 361, 22-27.

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2.

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Die Verläßlichkeit der Zusage wie der Glaube, der sich darauf verläßt, sind aber dieselben. 1424 Obwohl der Text dazu keinen Anlaß bietet, findet Luther es sinnvoll, einmal mehr seine Sicht der Funktion des Gesetzes zu erläutern, um einer Verwechslung zwischen Zusage und Gesetz vorzubeugen. Weit höheren Rang hat Gottes Zusage, das macht nach Luthers Ansicht schon die geschichtliche Abfolge Abraham - Mose deutlich: „Das aber hernach den Juden das gesetz geben wart ist dieser zusagung nit gleich / vnd darumb geschehen / das sie durch das licht des gesetzes yhr vormaledeyet natur deste basz erkenneten / vnd nach dieszem zugesagten samen der gebenedeyung deste hitziger vnd begirlicher vorlangen solten / darinnen sie ein forteil für den heyden aller weit gehabt." 1423 ,Die Juden', wie Luther undifferenziert formuliert, nahmen aber ihren Vorteil gegenüber allen Heiden nicht wahr, sondern machten einen Nachteil daraus. Sie ließen sich durch das Licht des Gesetzes nicht in dem Sinne erleuchten, daß sie erkannt hätten, wie sehr sie aufgrund von Adams Fall verdammt [vermaledeit] und auf die Verheißung [Benedeiung] angewiesen waren. Stattdessen mißbrauchten sie das Gesetz zum Versuch der Rechtfertigung aus eigener Kraft. Damit stießen sie die Tür zu, und der ,Same Abrahams', Christus, mußte an ihnen vorüber gehen. 1426 Luther hat freilich diese Erfahrungsaussage, daß die [Mehrzahl der] Juden in Jesus von Nazareth nicht den erwarteten Messias sieht, nicht mit seiner andernorts formulierten Überzeugung ausgeglichen, daß Gottes Gnade unwiderstehlich wirke, daß der Mensch also überhaupt nicht in der Lage sei, ihr die Tür zu verschließen. 1427 Schon hier, zwei Jahre bevor er seine erste Judenschrift verfaßt, flicht Luther das Stoßgebet ein, Gott möge geben, daß die Juden sich Christus gegenüber nicht mehr lange verschlössen. 1428 Die Propheten verstanden im Unterschied zu ,den Juden', was Gott mit dem Gesetz eigentlich beabsichtigt hatte, „des gesetzs meynung". 1429 Ihnen war klar, daß die Menschen - einmal mehr formuliert Luther im ,wir'-Stil - an ihrer Unfähigkeit, das Gesetz im Sinne Gottes zu erfüllen, erkennen sollten, daß ihre natürlichen Kräfte durch die Folgen des Sündenfalls verflucht seien, und vielmehr Jesus um Hilfe anrufen sollten. 1430 Er setzt bei den Propheten voraus, sie hätten „alle gutte werck vnd leben der Juden / wilchs in dieszem weg nit gienck",1431 als verkehrte Versuche, sich selbst vor Gott zu rechtfertigen, verworfen. Die Juden aber seien über die Propheten zornig geworden 1424

StuA 1, 361, 27. StuA 1, 361, 30-34. 1426 StuA 1, 361, 34-37. 1427 Vgl. dazu das Sachregister zur Hauptabteilung Schriften der Weimarer Ausgabe der Schriften Martin Luthers sub voce ,obex' (WA 67, S.4b / 5a). 1428 StuA 1, 361, 37-38: „vnd bleiben noch also / got gebe nit lange Amen." Die chronologisch erste Judenschrift Luthers trägt den Titel: „Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei." Zu Luthers Haltung den Juden gegenüber vgl. beispielsweise Oberman: Wurzeln des Antisemitismus, sowie von dems.: Luthers Stellung zu den Juden: Ahnen und Geahndete. 1429 StuA 1, 361, 39. 1430 StuA 1, 361, 39-362, 1. 1431 StuA 1,362, 2. 1425

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und hätten sie getötet aufgrund der Anklage, sie seien Gegner des Gottesdienstes, guter Werke und guter Lebensführung. So verhielten sich nach Luthers Ansicht die Scheinheiligen [,Gleisner'] und gnadenlosen [selbsternannten] Heiligen stets. Einmal mehr kommt Luther hier auf seine eigenen Gegner zu sprechen. In dem ,in ewickeit' sieht Luther eine Prophezeiung Marias, daß Gottes Gnade den Nachkommen Abrahams, den Juden, zugesagt sei von der Verheißung Gottes an Abraham bis zum Jüngsten Tag.1432 Trotz aller Kritik an den Juden, die in Christus nicht ihren Heiland erkennen wollen, hebt er hervor, daß sie es sind, die leiblich von Abraham abstammen. Hatte er bisher global von ,den Juden' geredet, so spricht er nun differenzierter von der überwiegenden Mehrzahl, dem ,großen Haufen' einerseits, der verstockt sei (wobei offen bleibt, ob Gott diese VerStockung gewirkt hat oder ob Luther sie als Schuld der Mehrheit der Juden betrachtet), und einigen wenigen Juden, die sich zu Christus bekehrten und an ihn glaubten. 1433 Wenn es keine Juden gäbe, die an Christus glaubten, dann wäre Gottes Verheißung an Abraham und seine Nachkommen nicht erfüllt worden: eine Unmöglichkeit. Weil Luther erwartet, daß stets Juden für den Glauben an Christus gewonnen werden sollen, fordert er andere Christen dazu auf, nicht so unfreundlich mit Juden umzuspringen. 1434 Denn täglich werden Juden Christen, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Allein den Juden, nicht den Heiden, gilt die Zusage Gottes, unter Abrahams leiblichen Nachkommen solle es stets solche geben, die den gesegneten,Samen', Christus, als solchen anerkennen. Die Heiden haben eine solche Zusage nicht, insofern kann die heidenchristliche Kirche auch einmal ein Ende finden. Sie beruht auf Gottes Gnade, kann sich aber im Unterschied zu den Juden nicht auf eine Zusage Gottes berufen. 1435 Nach dem Einschub über Judenchristen, denen Gottes Zusage gilt, und Heidenchristen, die nur aufgrund von Gottes Gnade zum Glauben berufen werden, nimmt der Exeget den Faden im Wir-Stil erneut auf: Wir Christen würden dann das rechte Maß halten, wenn wir durch einen Lebenswandel, der christlich genannt zu werden verdiente, und durch Güte zumindest manche Juden zu Christus brächten. Luther stellt die rhetorische Frage: Wer wollte (als Jude) Christ werden, wenn er sähe, wie unchristlich Christen mit Menschen umgehen? 1436 Er mahnt seine Leser, den Juden in Güte die Wahrheit [über Christus] auszurichten. Wenn die Juden freilich nicht glauben wollten, solle man sie ihres Weges gehen lassen.1437 Er plädiert unmißverständlich für den Ver1432

StuA 1, 362, 6-8. StuA 1, 362, 8-10. 1434 StuA 1,362,10-16. Einen knappen Abriß der Judenvertreibungen in Europa im späten Mittelalter bietet Oberman: Wurzeln des Antisemitismus, S. 126-128. 1435 StuA 1, 362, 16-17. 1436 Das .unchristlich' (StuA 1, 362, 19) korrespondiert dem ,unfreundlich' einige Zeilen weiter oben (StuA 1,362,13). Frau Dr. Petra Seegets verdanke ich die Erinnerung daran, wie stark Philipp Jakob Spener in seinen Pia Desiäeria dieses Motiv aufnehmen wird. 1437 StuA 1, 362, 20: „wollen sie nit / lasz sie faren." Auch hier geht Luther wie weiter oben (StuA 1, 362, 8-10) ganz selbstverständlich von der Entscheidungsfreiheit der Juden aus, zu glauben oder eben nicht. Von der unwiderstehlichen Kraft der Gnade, sich durchzusetzen, ist nicht die Rede. 1433

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2.

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zieht auf gewaltsame Judenbekehrung. Denke doch auch kein Christ daran, Namenschristen lästig zu fallen, die Christus nicht achteten, sein Wort nicht hörten und insofern ärger seien als Heiden und Juden. 1438 Offenbar stehen ihm dann, wenn er von falschen Christen' spricht, in erster Linie Prälaten vor Augen, denn er kritisiert, ,wir' Christen fielen solchen Namenschristen zu Füßen und beteten sie an wie Abgötter. 1439 Luther schließt seinen Kommentar mit der Bitte an Gott um das rechte Verständnis des Magnifikat ab. Solches Verständnis müßte seiner Meinung nach nicht nur leuchten, sondern in Leib und Seele brennen, es müßte nicht nur reden, sondern lebendig sein. 1440 Ein solches Verständnis erbittet er von Gott durch Christus auf Fürbitte seiner lieben Mutter Maria. Einmal mehr macht er damit deutlich, daß er Maria innerhalb der Christenheit eine ganz besondere Stellung einräumt.

2.16. Schlußwort an Herzog Johann Friedrich von Sachsen (StuA 1, 362, 27-364, 15) So wie er den eigentlichen Kommentar zum Magnifikat mit einer Vorrede an den jungen Herzog eingeleitet hatte, so beendet Luther seine Schrift nun durch ein Schlußwort an denselben Adressaten. Diesem Schlußwort fügt er dann noch eine Übersetzung des Gebets Salomos (I Reg 3,5-14) an. Er ist sich dessen bewußt, daß es eine gewisse Kühnheit darstellt, wenn er dem jungen Herzog seine Auslegung des Magnifikat als einen Fürstenspiegel vor Augen hält. Was berechtigt ihn dazu, an die Pflicht eines Herrschers zu erinnern, Gottesfurcht die wichtigste Richtschnur seines Handelns sein zu lassen? Hat Johann Friedrich doch guten Unterricht, der auch Mahnung zum Guten einschließt, im Überfluß. Dennoch fühlt Luther sich veranlaßt, gerade als Mahner seine Pflicht als treuer Untertan zu tun. 1441 Wird Gott Johann Friedrich doch als den voraussichtlichen Nachfolger seines Onkels Friedrich, der keine legitimen Söhne hat, und danach seines Vaters Johann in absehbarer Zeit zum Kurfürsten von Sachsen machen. Wie alle großen Aufgaben kann auch dieses Regierungsamt sehr wohl geraten oder jämmerlich scheitern. 1442 Hierfür wie allgemein gilt es das Beste zu erhoffen und [Gott] darum zu bitten. Doch enthebt das den jungen Herzog und seinen Untertan Luther 1443 1438 Heiden, Juden und .falsche Christen' stellt Luther in seinen Schriften oft nebeneinander als die drei Gruppen derer, die den Glauben an Christus verweigern. Vgl. dazu Oberman: Wurzeln des Antisemitismus, S. 139: „Im Rückblick auf die Anfänge zeigt sich, daß die Reihung von Juden, Häretikern und Abtrünnigen, ein Grundmotiv der Theologie bereits des jungen Luther ist." Oberman verweist dafür auf ein Werk seines Schülers Scott H. Hendrix: Ecclesia in Via, S. 249-256. 1439 StuA 1,362,22-23. 1440 StuA 1,362,23-25. 1441 StuA 1, 362, 28-32. 1442 Einmal mehr setzt Luther das ,widderumb' ein, u m einen Gegensatz zu bezeichnen (StuA 1,362, 34). 1443 Luther schließt sich mit seinem Adressaten durch ein ,wir' [Christen] zusammen (StuA 1, 362, 35).

Schlußwort an Herzog Johann Friedrich von Sachsen

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nicht der Verpflichtung, auch das Ärgste zu fürchten und darum Sorge zu tragen. Furcht ist in Luthers dialektischem Denken das nötige Korrelat zur Hoffnung. 1444 Es wird für Johann Friedrich ungeheuer schwer sein, als Fürst gottgefällig zu leben. Hat doch Gott in der Heiligen Schrift keinen einzigen heidnischen König oder Fürsten loben lassen. 1445 Schon das sollte alle Herrscher (Oberherren) zur Gottesfurcht anregen. 1446 Mehr noch, nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift hat Gott keinen König des Reiches Israel als lobenswert und unsträflich beurteilt. Nur sechs Könige von Juda, dem erwählten Volk, verdienten Lob. Selbst ein David, dem doch nach Luthers Überzeugung keiner jemals als Herrscher gleichkam, 1447 der doch wahrhaftig voller Gottesfurcht und Weisheit war, der sich nach Gottes Befehl und nicht nach seiner eigenen Vernunft gerichtet hat, ist einige Male gestrauchelt. 1448 Das daraus entstehende Dilemma, den ansonsten tadelsfreien Herrscher David tadeln zu müssen, bezeugt die Heilige Schrift in der Form, daß sie die Verfehlung Davids, eine Volkszählung anzuordnen, auf Gottes Zorn über das Volk Israel zurückfuhrt. Weil Gott dem Volk zürnte, ließ er den Teufel David diesen Befehl geben, der ein Gebot Gottes übertrat, und strafte dann das Volk Israel. Diese äußerste Zurückhaltung der Heiligen Schrift im Loben von Herrschern kann nach Luthers Ansicht nur darin begründet sein, daß Gott alle Menschen, die obrigkeitliche Ämter bekleiden, angesichts der Gefahr, die ihre Regierungsverantwortung für sie mit sich bringt, erschrecken und in steter Furcht halten will.1449 Verfügen sie doch über viel Macht und Gut, werden sie doch hoch geehrt, stehen sie doch bei anderen in Gunst, 1450 sind sie doch umgeben von Schmeichlern. Diese gefährlichen Güter bestürmen ihr Herz. 1451 Die Wertung von Hoffart, Herrschaftsgewalt und Reichtum in den Versen Lk 1, 51-53 des Magnifikat klingen hier deutlich mit. Bedenkt man die Bedeutung, die Luther in der Auslegung des Magnifikat dem Herzen als dem Ort des Glaubens oder Unglaubens beilegt, so wird klar, für wie gefährlich er es hält, wenn das Herz eines Herrschers, belagert von diesen Gütern, für die Mahnung zur Gottesfurcht unerreichbar wird. Unausgesprochen bleibt: Wenn nun auch noch die Heilige Schrift Herr1444 Vgl. Burger: Gottesliebe, erstes Gebot und menschliche Autonomie bei spätmittelalterlichen Theologen und bei Martin Luther; ders., ,Wir sollen Gott über alle Ding fürchten, lieben und vertrauen'. Das Reden von Gottesfurcht bei einigen spätmittelalterlichen Theologen und in Luthers Kleinem Katechismus; Beutel: ,Gott furchten und lieben'. Luthers Katechismusformel - Genese und Gehalt. 1445 Luther verwendet hier ein argumentum e silentio: Hätte Gott Grund gehabt, einen heidnischen Herrscher zu loben, dann müßte dessen Lob in der Heiligen Schrift auffindbar sein. Da dies nicht der Fall ist, hat keiner Lob verdient. 1446 StuA 1, 362, 37-40. 1447 StuA 1, 363, 1. 1448 StuA 1, 362, 44-363, 9. 1449 StuA 1, 363, 10-11. Hier ist nur von ,furcht' die Rede, etwas weiter unten von .forcht gottis' (StuA 1, 363, 17). Gemeint sein dürfte schon beim ersten Male Gottesfurcht. 1450 StuA 1, 363, 12. Eigentlich ist zu erwarten, daß ein Herrscher Gunst erweist, nicht aber, daß er sich darüber freut, bei jemandem in Gunst zu stehen. Allenfalls wäre daran zu denken, daß ein Herzog oder gar Kurfürst beim Kaiser in Gunst steht. 1451 „sind gleich vmb einisz fursten hertz gelegt" (StuA 1, 363, 12-13).

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2.

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scher häufig gelobt hätte, dann läge die Gefahr der Selbstüberschätzung für diese noch näher. Die erste Gefahr, die Luther nennt, ist die Hoffart. Damit n i m m t er Lk 1, 51 auf. Die Auslegungstradition, die die Ursache des Sündenfalls in der superbia sieht, mag dabei auch eine Rolle spielen. Hoffart verleitet dazu, über der eigenen Hoheit Gott zu vergessen, 1452 die Untertanen, für die ein Herrscher verantwortlich ist, den Gemeinen Nutzen. 1453 Es folgt ein Lasterkatalog, in dem ,Vermessenheit' deutlich an .Hoffart' erinnert. Vor dem Ansturm aller dieser gefährlichen Güter besteht ein Herrscher nur, wenn er sich hinter der Furcht Gottes verschanzt. 1454 Sein vordringliches Ziel darf es nicht sein, sein Leben zu genießen, sondern sein Volk zu bessern. Wenn ein Fürst diese zentrale Aufgabe seines Amts versäumt, dann hat er sich u m sein Seelenheil regiert. 1455 Denn Gott wird im Jüngsten Gericht, wenn er Rechenschaft fordern wird, keine vermeintlich noch so fromme Stiftung gegen ein Versagen in dieser zentralen Frage aufzurechnen bereit sein. 1456 Ein Fürst wird Rechenschaft ablegen müssen für sein Wirken in seinem Stand und Amt. Gott wird von ihm Rechenschaft darüber fordern, wie er sein hohes Amt verwaltet hat. Trotz aller Hoheit, die Gott ihm zur Wahrnehmung seines Amtes zubilligt, m u ß sich ein Herrscher in Furcht Gottes vor Hochmut hüten. Der herausgehobenen sozialen Stellung, dem Hoch-Sein, soll nicht ein Bewußtsein entsprechen, das den Wert der eigenen Person ungebührlich erhöht. Andere Menschen dürfen einem Fürsten nicht verächtlich erscheinen. Die gefährlichste Versuchung gerade der Herrscher ist die Grundsünde der superbia, des Hochmuts, der Hoffart. 1 4 5 7 Erneut wendet sich Luther direkt an Herzog Johann Friedrich. 1458 Weil sich der künftige Herrscher vor nichts so sehr in Acht nehmen soll wie davor, den eigenen Willen alleinigen Maßstab sein zu lassen, legt Luther ihm ganz besonders seine Erklärung der zentralen Verse des Magnifikat Lukas 1, 50 und 51 ans Herz. 1459 Zentral kann er sie deswegen nennen, weil sie nach Luthers Einteilung die Mitte bilden: die vier Verse Lk 1, 46b-49 gehen ihnen voraus, die vier Verse Lk 1, 52-55 folgen ihnen. 1460

1452

StuA 1,363, 13-14. StuA 1, 363, 14. 1454 StuA 1, 363, 16-18. 1455 StuA 1, 363, 21. 1456 Vgl. StuA 1, 363, 21-24. 1457 Vgl. dazu bereits These 8 der Heidelberger Disputation (1518) und die Erläuterung dazu: „Multomagis hominum opera sunt mortalia, cum et sine timore fiant in mera et mala securitate. Patet necessaria consequentia ex praecedente. Nam ubi non est timor, ibi nulla humilitas, ubi nulla humilitas, ibi superbia, ibi ira et iudicium Dei: deus enim superbis resistit..., Imo cesset superbia, et nullum peccatum uspiam erit." (WA 1,358,28-32). Jesus Sirach (Ecclesiasticus) 10,15 nennt die Hoffart, die superbia, den Anfang aller Sünden: „initium omnis peccati est superbia." Dort heißt es in Vers 17f.: „Sedes ducum superborum destruxit Deus, Et sedere fecit mites pro eis. Radices gentium superbarum arefecit Deus, Et plantavit humiles ex ipsis gentibus." Vers 21 stellt den,superbi' die ,humiles sensu' gegenüber. 1458 StuA 1, 363, 25, vgl. bereits 362, 27-28. 1459 Vgl. StuA 1, 363, 25-29. 1460 Vgl. die erste Übersetzung vor Beginn der Einzelexegse (StuA 1, 316, 13-30). 1453

Schlußwort an Herzog Johann Friedrich von Sachsen

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Hat er weiter oben geschrieben, man könne es für Vermessenheit halten, wenn er es wage, den jungen Herzog zu unterweisen und zu vermahnen, 1461 so bittet und vermahnt er ihn nun eben doch. 1462 Nichts auf Erden, ja nicht einmal die ewige Verdammnis soll er so fürchten wie der ,mens cordis sui' (Lk 1, 51) zu folgen, [ohne den Vorbehalt der Furcht Gottes zu machen]. 1463 Vorausgesetzt ist unausgesprochen, daß der Sündenfall das menschliche Herz verdorben hat. Mitten in seinem deutschen Text zitiert Luther den Wortlaut der lateinischen Bibel, um seinen Worten besonderen Nachdruck zu verleihen: es ist Maria selbst, die davor warnt, sich rückhaltlos auf das Sinnen des eigenen Herzens zu verlassen. Nur in stetem Mißtrauen gegen die eigene Vernunft und in Gottes Furcht darf Johann Friedrich seiner eigenen Vernunft, seiner Intention, seinem eigenen Gutdünken folgen, aus dem doch alle Pläne und Regierungsbeschlüsse resultieren sollen. 1464 Auch für alle seine Ratgeber gilt, daß auf den Rat keines einzigen vorbehaltlos zu vertrauen ist, so wenig er andererseits auch zu verachten ist. 1465 In die Tat umzusetzen ist dieser Rat zum Mißtrauen gegenüber der eigenen Vernunft und der Vernunft der Ratgeber auf die Weise, daß der junge Herzog nicht Mönche oder Priester bitten soll, stellvertretend für ihn zu Gott zu bitten. Im Gebet darf man sich nicht vertreten lassen. 1466 Luther ruft Johann Friedrich dazu auf, freien freudigen Mut 1467 zu schöpfen, nicht länger schüchtern 1468 zu sein, sondern selbst mit Gott zu reden. Die Schüchternheit, von der solcher Mut befreien soll, kann daher rühren, daß der Adressat es nicht wagen könnte, Gott ohne kirchliche Vermittlung unmittelbar anzusprechen, aber auch daher, daß er es verwegen fände, Gott gegenüber so fordernd aufzutreten, wie Luther es ihm gleich nahelegen wird. Dieses Gebet soll im Herzen oder an geheimen Orten stattfinden, also nicht im Gottesdienst. 1469 In einem solchen Gebet soll er Gott die Schlüssel [zu seinem Herzen] vor die Füße werfen und bei Gott aufgrund von dessen eigener Verordnung dringlich Hilfe anfordern. 1470 Luther formuliert selbst ein Gebet, wie es der junge Herzog an Gott richten könnte. Johann Friedrich kann sich darauf berufen, daß er in den Stand eines sächsischen Kurprinzen geboren, ja daß er dazu von Gott selbst geschaffen worden ist. 1471 Das verpflichtet Gott, seinen

1461 1462 1463

StuA 1, 362, 27-32. StuA 1 , 3 6 3 , 2 7 . StuA 1, 363, 27-29. Luther zitiert aus Lk 1, 51 in lateinischer Sprache „mens cordis sui" (363,

29). 1 4 6 4 „vornunfft / gutte meynung / odder gut dunckel" (StuA 1,363, 30-31). Das lateinische Äquivalent für ,gutte meynung' ist ,bona intentio'. 1 4 6 5 StuA 1, 363, 33-36. 1 4 6 6 StuA 1 , 3 6 3 , 3 7 - 3 9 . 1467 Nach Luthers Sicht befreit also gerade die Gottesfurcht zur Freude und zur Freiheit. 1 4 6 8 ,blodickeit' (StuA 1, 363, 40): Schüchternheit. 1 4 6 9 StuA 1, 364, 1. 1 4 7 0 StuA 1, 364, 2: „yhn [Gott] mit seiner eygen ordenung dringen": In dem deutschen Wort .eindringlich' wird noch deutlich, daß .dringen' neben den im modernen Deutsch allein noch verwendeten Worten .drängen' und .eindringlich' einmal im Sinne von .nötigen' gebräuchlich war. 1471 StuA 1 , 3 6 4 , 3 - 4 . - Luther setzt dabei voraus, daß es Gottes Wille sein muß, daß Kurfürst Friedrich keinen legitimen Sohn hat.

176

2.

Kommentar

Schöpfer. Es tut nichts zur Sache, ob er nun dieses hohen Amtes würdig oder unwürdig ist. Deshalb kann er zuversichtlich darum bitten, seine Regierungsaufgabe zu Gottes Lob und zum Nutzen seiner Untertanen, [einem Teil] des Volkes Gottes, erfüllen zu können. 1472 Dazu gehört dann allerdings auch die Bitte, Gott selbst möge seine Vernunft sein und möge ihn nicht seiner eigenen Vernunft folgen lassen.1473 Wie eine Richtung innerhalb der Mystik Gottes Willen ganz den eigenen Willen sein lassen möchte, so legt Luther es hier nahe, die eigene Vernunft ganz Gott zu unterstellen. Wenn er in dieser Intention 1474 regiert, dann kann Johann Friedrich sicher sein, daß er sich dem Befehl Gottes unterstellt hat. Wie gut eine solche Haltung 1475 Gott gefällt, erweist Gott an Salomo, der auch ein solches Gebet an Gott gerichtet hat. 1476 Luther übersetzt es ins Deutsche als ein Beispiel für die,Predigt', 1477 als die er die Erklärung des Magnifikat hier bezeichnet. Hat er dem jungen Herzog bisher vor allem die Notwendigkeit der Furcht Gottes vor Augen gehalten, so möchte er durch die Übersetzung des Gebets Salomos daneben tröstende Zuversicht auf Gottes Gnade in ihm erwecken, wie ja auch der fünfte Vers des Magnifikat (Lk 1, 50) Furcht Gottes und Gottes Barmherzigkeit nebeneinander nennt. Luther empfiehlt sich der Gunst des künftigen Landesherrn und fügt dem den durch ein Amen abgeschlossenen Gebetswunsch an, Gott selbst wolle sich (als Regent des Regenten) 1478 anbefohlen sein lassen, diesen auf selige Weise zu regieren.

2.17. Die Ü b e r s e t z u n g des Gebets Salomos (StuA 1, 364, 16-43) u n d die Gebete in der Magnifikat-Auslegung 1 4 7 9 Luther schließt sein Schlußwort an den jungen Herzog mit einer Übersetzung des Gebets Salomos nach I Reg 3, 5-14. Freilich übersetzt er nicht wortgetreu, sondern er paraphrasiert. So läßt er etwa Salomo Gott in Vers 6 nicht einfach mit ,Du' anreden, sondern fügt „mein Gott" hinzu: „Mein got / du". 1480 In Vers 7 ergänzt er die Anrede „Herr, mein Gott" durch das Adjektiv „lieb": „lieber got mein herr". In Vers 9 ergänzt er zu „gehorsames Herz": „ein hörend < d a s yhm lest sagen vnd gehorcht> hertz" 1481 . Die 1472

StuA 1, 364, 6-7. StuA 1, 364, 7-8. 1474 Vgl. als Gegenstück zu .solch meynung' (StuA 1, 364, 9) weiter oben die, wie sich aus dem Zusammenhang erschließen läßt, rein aus menschlicher Kraft gespeiste ,gutte meynung' (StuA 1,363,31). 1475 Die empfohlene Geisteshaltung bezeichnet Luther hier durch ,gmuet' (StuA 1, 364, 10). 1476 Luther basiert sein Urteil wohl auf I Reg 3,10: „Das gefiehl dem Herrn gut, daß Salomo darum bat." 1477 StuA 1, 364, 12. 1478 Das ,regiren' (StuA 1,364, 14-15) Gottes korrespondiert dem ,regirn' (StuA 1, 364, 4), zu dem Gott den jungen Herzog geschaffen hat. 1479 Vgl. zu diesem Gebet Burger: Luthers Gebetsvorschlag für Herzog Johann Friedrich von Sachsen. 1480 StuA 1, 364, 21-22. ,48i StuA 1, 364, 31-32. 1473

Die Übersetzung des Gebets Solomos (StuA 1, 364,

16-43)

177

Zusage in Vers 13: „so daß deinesgleichen keiner unter den Königen ist zu deinen Zeiten" steigert er: „das dein gleich vnter den kunigen nit is gewest keyne zeyt."1482 Solche Gebete hat Luther im Laufe seiner Auslegung wiederholt formuliert, um seinen Lesern die erwartete innere Einstellung oder das erhoffte äußere Verhalten desto eindrücklicher nahe zu legen. Eine gewisse Parallele dazu findet sich heute beispielsweise in vorformulierten Schreiben an Regierungschefs, mit denen die Freilassung politischer Gefangener oder die Aufhebung bestimmter Mißstände erbeten werden soll. Luther formuliert, was er seinen Leser bei Gott, dem höchsten Regenten, zu bitten empfiehlt. 1483 Luther beginnt seine Übersetzung und Auslegung des Magnifikat mit dem Wort: „Jesus". Schon mit dieser Anrufung erbittet er für seine Schrift Jesu Geist. Zwei MusterGebete richtet er an Maria. 1484 Die Textauslegung schließt er mit einer Bitte, Gott wolle rechtes Verstehen des Magnifikat schenken. 1485 Und auch den abschließenden Brief an den jungen Herzog Johann Friedrich beendet er damit, daß er seinen Adressaten Gott befiehlt. 1486 Auf diese Weise wird einmal mehr deutlich, daß die Übersetzung und Auslegung des Magnifikat mit Recht als .Frömmigkeitstheologie' bezeichnet werden kann. Der Universitätslehrer Luther übersetzt und legt auf der Basis seiner Exegese der alttestamentlichen Psalmen ein neutestamentliches Lied für Nichttheologen in der Volkssprache so aus, daß er damit in erster Linie die Gott gegenüber seiner Auffassung nach einzig angemessene Haltung fördert: vertrauensvollen Glauben.

1482

StuA 1, 364, 41. Bei Luthers älterem Ordensbruder Johannes von Paltz findet sich Vergleichbares in dessen aus Predigten erarbeitetem Traktat „Die Himmlische Fundgrube". 1484 Vgl. StuA 1, 336, 2 - 7 u n d StuA 1, 337, 7-11. 1485 Vgl. StuA 1, 362, 23-26. 1486 Vgl. StuA 1, 364, 14-15. 1483

3. Charakteristika von Luthers Übersetzung und Auslegung des Magnifikat Der Ertrag der Analyse im Kommentar soll kurz zusammengefaßt werden, auch wenn jede Auswahl subjektive Züge trägt. Einige Charakteristika der Übersetzung und Auslegung Luthers werden herausgearbeitet.

3.1. Gottes Art, anzusehen und zu handeln Für Luther legt Maria auf vorbildliche Weise Zeugnis davon ab, wie Gott als der Allerhöchste wirkungsvoll ,in die Tiefe' sieht und erhöht. Gott ist der, der aus dem Nichts schaffen kann. Sein An-Sehen ruft aus dem Nichts ins Dasein und rettet aus Not. Gottes Art ist es, für ihn ist kennzeichnend, daß er gerade diejenigen Menschen ,an-sieht' und gerade denen hilft, die in der Tiefe sind. Wenn Gott auf seine ihm eigene Art wirkt, dann gerade so, wie er durch den Tod seines Sohnes am Kreuz in scheinbar äußerster Schwäche Erlösung bewirkt hat. Das kennzeichnet Gottes Wirken mit seinem eigenen ,Arm', mit seiner,rechten Hand'. Freilich erkennt diese Art göttlichen Wirkens nur der, der Gott vertraut. Es gilt ,mit den Augen des Glaubens' zu schauen, um sie wahrzunehmen. Denn solches Wirken Gottes ist zwar sehr effizient, aber wenig spektakulär. Ohne in dieser Schrift ausdrücklich von einem Gegensatz zwischen einer .Theologie der Herrlichkeit' und einer ,Theologie des Kreuzes' zu sprechen, bringt Luther in seine Auslegung des Magnifikat Gedanken ein, die er besonders deutlich 1518 in der Heidelberger Disputation entfaltet hat. Dagegen ist es im täglichen Leben für jedermann sichtbar, wenn Gott durch Kreaturen wirkt. Dazu bedarf es des Glaubens nicht. So überwindet beispielsweise ein stärkeres Heer ein schwächeres. So frißt ein Wolf ein Schaf. Auch diese Vorgänge gehen zwar auf Gott zurück. Aber solche Ereignisse kennzeichnen eben nicht Gottes eigene Art, mit seiner ,rechten Hand' oder mit seinem ,Arm' zu wirken.

180

3. Charakteristika

von Luthers Übersetzung

und Auslegung

des

Magnifikat

3.2. Luthers Gliederung des Magnifikat und seine besondere Akzentsetzung: Hochmütige vertrauen auf sich selbst statt auf Gott und verweigern ihm dadurch Glauben und Lob Luther unterscheidet in Marias Magnifikat nacheinander Aussagen Marias über Gottes Handeln an ihr selbst (Lk 1,46b - 4 9 ) , über Gottes Art zu handeln überhaupt (Lk 1,5053) und über seine Art, dasjenige Volk Israel, das ihm wirklich dient, anzunehmen (Lk 1,54-55). Besonders wirkungsreich ist es, daß Luther die Verse 50-53 von Jeremia 9,23 und 24 her interpretiert. In seiner Übersetzung dieser Jeremiaverse fällt besonders das fünfmal verwendete Verbum ,prangen' auf, für das im Text des Magnifikat keine Entsprechung zu finden ist. Wählt man als Synonym für das ungebräuchlich gewordene Verbum,prangen' im heutigen Deutsch ,sich rühmen', dann kann man die Jeremiaverse beispielsweise so übersetzen: „Wer weise ist, soll sich nicht seiner Weisheit rühmen. Wer Macht hat, soll sich nicht seiner Macht rühmen. Wer reich ist, soll sich nicht seines Reichtums rühmen. Sondern wer sich rühmen will, der soll sich dessen rühmen, daß er Gott erkennt: daß er (also) weiß, daß Gott ein Gott ist, der Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit auf der Erde wirkt." Da die Verse 50-53 nach Luthers Ansicht nicht umsonst die Mitte von Marias Lobgesang bilden, sondern sehr bewußt gerade diesen zentralen Platz erhalten haben, macht Maria seiner Überzeugung nach gerade hier die zentralen Aussagen über Gottes Handeln: Gott handelt auf sechsfache Weise zugunsten dreier Gruppen von Menschen und gegen drei andere Gruppen von Menschen. Je ein Eintreten Gottes gegen eine Gruppe von Gegnern sowohl seiner selbst als auch erniedrigter Menschen gehört mit einem Eintreten Gottes zugunsten einer Gruppe zusammen, die er gegen seine und ihre Gegner beschirmt. Gottes Handeln auf sechsfache Weise besteht also in drei Doppelaktionen. Die, die von der Weisheit der ,Welt' erfüllt sind, vertrauen auf sich selbst statt auf Gott. Sie weisen deswegen denn auch Gottes größte Tat ab, die Erlösung durch seinen Sohn, als bedürften sie ihrer nicht. Gegen die, die sich selbst rühmen, statt Gott die Ehre zu geben, übt Gott Gewalt (Lk 1,51). Er macht sie zunichte (zerstört) und vertreibt (zerstreut) sie von dort, wo sie sicher sein konnten. Auf diese Weise übt Gott Barmherzigkeit an denen, die ihn fürchten und die von denen, die sich selbst rühmen, unterdrückt werden (Lk 1, 50). Dieses erste Gegensatzpaar ist es, auf das es Luther ankommt. Hier schlägt sein Herz. Sieht er doch in seiner eigenen Zeit im Papst und in dessen Anhängern solche Hochmütigen, die Gott die Ehre vorenthalten, die ihm zukommt, und sie für sich beanspruchen. Sie nehmen Gottes Verheißung für sich selbst nicht an und stehen der Predigt des Evangeliums für die .Niedrigen' im Wege. Dadurch machen sie sich eines weit schlimmeren Verbrechens schuldig als alle Machthaber und Reichen, die Angehörigen der beiden anderen Gruppen, gegen die Gott nach Luthers Ansicht einschreitet. Das wird ganz besonders deutlich in Luthers Exkurs zum Unterschied zwischen einem Bekenntnis zum Recht einerseits und der Durchsetzung des Rechts andererseits: Es ist das höchste Vergehen überhaupt, schreibt er dort, jemanden am Glauben an das Evangelium

Gottes Weise, zu erniedrigen und zu erhöhen

181

hindern zu wollen. Luther schließt sich damit an den wirkungsreichen Strang der Exegese der Sündenfallerzählung an, der im Hochmut des ersten Menschenpaares, wie Gott sein zu wollen, die Ursünde sah. Schon am Umfang seiner Auslegung wird deutlich, wie wichtig Luther dieses Eintreten Gottes gegen die geistlich Hoffärtigen zugunsten der Gottesfürchtigen ist: die Exegese von Lukas 1, 50 und 51 nimmt in der modernen Edition der Studienausgabe achteinhalb Seiten ein. Seine Aussagen darüber, daß Gott Gewaltige absetzt und Niedrige erhöht, handelt er dagegen auf nur zwei Seiten ab. Und Gottes fünftes und sechstes Werk, die Hungrigen zu sättigen und die Reichen leer ausgehen zu lassen, nimmt er überhaupt zusammen: Seine Auslegung des Wirkens Gottes zugunsten der Hungrigen und gegen die Reichen füllt zusammengenommen sogar nur drei Seiten der modernen Ausgabe, auf Gottes Eintreten gegen die Reichen verwendet Luther also nur etwa anderthalb Seiten. Die drei Gruppen der unterdrückten Gottesfürchtigen, der Niedrigen und der Hungrigen unterscheidet Luther denn auch nicht recht voneinander. Sein Interesse gilt eindeutig den Hoffärtigen, den Hochmütigen, die Gott den Glauben verweigern.

3.3. Gottes Weise, zu erniedrigen u n d zu e r h ö h e n Dadurch, daß Luther Gottes Eintreten zugunsten derer, die ihre eigene Niedrigkeit annehmen, gegen die, die geistlich hochmütig sind, so stark betont, fällt er zugleich eine Entscheidung gegen eine konsequent sozialkritische Auslegung des Magnifikat. Thomas Müntzer betont ja beispielsweise in seiner Deutung des Magnifikat Gottes erniedrigendes und erhöhendes Handeln weit stärker als Luther. Dieser stützt seine Akzentsetzung auf Jeremia 9, 23 und 24 (Zählung der Biblia Vulgata). In diesen beiden Versen wird der Eigenruhm stark abgelehnt und dazu aufgefordert, sich der Erkenntnis Gottes zu rühmen. Stattdessen hätte Luther zur Interpretation des Magnifikat beispielsweise das Loblied der Hanna nach 1 Sam 2, 1-10 heranziehen können. Die Parallelen zwischen diesen beiden biblischen Lobliedern von Frauen sind vom Anlaß - beide Frauen sollen Mutter werden - bis ins Vokabular hinein noch überzeugender als die zwischen dem Jeremiatext und dem Magnifikat. Luther aber ist strikt gegen ein sozialrevolutionäres Handeln der Untertanen, das er nur als Aufstand und Empörung bewerten kann. Er plädiert dafür, abzuwarten, bis Gott selbst schlechte Herrscher absetzt. Seiner Auffassung nach sind die Nachfolger von Fürsten, die abgesetzt werden, in der Regel nicht etwa sozial niedrig Stehende, sondern die Söhne derer, die versagt haben. Ferner beweisen für Luther der Reichtum Abrahams, die Macht König Davids und die gesellschaftliche hervorragende Position der Königin Esther, daß beileibe nicht jeder Mensch, der eine große Rolle spielt, der Versuchung erliegen muß, sich zu überheben. Nicht jeder, der hoch steht, m u ß der eigenen Vorzüglichkeit zuschreiben, was Gottes Geschenk ist, und deswegen von Gott abgesetzt werden. Wenn diese biblischen Gestalten der Versuchung widerstanden haben, dann kann ein Herrscher, der sich von Gott leiten läßt, durchaus auf dem rechten Wege bleiben.

182

3. Charakteristika

von Luthers Übersetzung und Auslegung des

Magnifikat

3.4. Maria recht ehren Nach Luthers Überzeugung kommt es im Magnifikat auf Gottes kraftvolles und wirkungsreiches ,An-sehen' an, nicht etwa auf eine Eigenschaft Marias. Um das einzuprägen, unterbricht Luther seine Übersetzung und Auslegung des Texts durch einen langen Exkurs. Er betont darin, Maria verdiene nicht etwa durch die ihr zugedichtete Tugend der Demut, die Mutter des Gottessohnes zu werden. Sie sei nicht etwa ein Vorbild an Vollkommenheit. Wäre es so, dann würde sie durch ihre Vorzüglichkeit eher entmutigen, als daß sie ermutigen könnte. Eben so, als Beispiel für die Zuwendung Gottes zu einem niedrig stehenden, nicht .ansehnlichen' Menschen, wolle Maria selbst geehrt werden. Wer in der rechten Weise bedenkt, was Gott an Maria getan hat, der wird sich darüber wundern, wie überschwenglich Gott in seiner Gnade an ihr gehandelt hat. Das wird ihn dazu bewegen, Gottes Zuwendung zu ihm selbst zu erkennen, Gott lieb zu gewinnen, zu loben und sich auch künftig alles Gute von Gott zu erwarten. Achtet man auf die Adjektive, mit denen Luther die ,Gottesmutter' Maria charakterisiert, so preist er sie stets wieder als ,rein' und ,zart'. Es kommt ihm eben nur darauf an, abzuweisen, daß sie es verdient haben könnte, Gottes Mutter zu werden. 1

3.5. Die Neubewertung der Vokabel ,humilitas' Johannes Ficker hat die Vermutung geäußert, die Annotationes des Erasmus von Rotterdam zu dessen lateinischer Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen hätten Luther den Anstoß dazu gegeben, schon in seiner Vorlesung über den Römerbrief ,humilitas' neu zu verstehen. Doch hatte Luther auch zuvor schon über die Bedeutung von ,humilitas' nachgedacht. Insofern kann, was Erasmus schrieb, für ihn auch nur eine Bestätigung des Ergebnisses gewesen sein, zu dem er auch selbständig gelangt war. Luther selbst hatte schon in seiner ersten Vorlesung über die Psalmen seinen Studenten zu Psalm 71,1 diktiert, Schein-Demut sei zu verdammen. Es komme darauf an, sich selbst als verächtlich und verdammenswert zu betrachten. 2

1

Aussagen Luthers, vor allem aber in lutherischen Predigten des 16. Jahrhunderts, über Maria sind n u n dargestellt bei Kreitzer: Reforming Mary. Changing Images of the Virgin Mary in Lutheran Serm o n s of the Sixteenth Century. 2 „deus c o n d e m n a t et c o n d e m n a r e facit, quicquid ex nobis habemus, t o t u m veterem h o m i n e m cum actibus suis (etiam iustitias nostras Isaie 64). Et est proprie humilitas i m m o humiliatio. Quia n o n qui se h u m i l e m putat, iustus est, sed qui se detestabilem et damnabilem reputat in oculis suis (et sua peccata d a m n a t , vindicat etc.), hie est iustus." (WA 3 , 4 6 5 , 2 - 8 ) . Luther legt hier j u d i c i u m dei' nach dem sensus tropologicus, dem moralischen Schriftsinn, aus. Vgl. zu Luthers Erläuterungen der Psalmen in seiner ersten Vorlesung über die Psalmen Raeder: Das Hebräische bei Luther untersucht bis z u m Ende der ersten Psalmenvorlesung. Zu Luthers Betonung wahrer Demut in der ersten Psalmenvorlesung vgl. H a m m : W a r u m wurde der Glaube für Luther z u m Zentralbegriff des christlichen Lebens?, sowie Schwarz: Vorgeschichte der reformatorischen Bußtheologie.

Die Neubewertung der Vokabel ,humilitas'

183

Erasmus interpretierte den Halbsatz Lukas 1,48a so: „Und wenn ich, Maria, auch die niedrigste Magd bin, so hat er, Gott, sich doch nicht von mir abgewandt." Im Gegensatz zur mittelalterlichen Exegese, die das „respexit humilitatem" der Biblia Vulgata als maßgeblichen Text betrachtete und sinngemäß mit „er hat meine Demut angesehen" übersetzte, übersetzte Erasmus aus dem Griechischen: „respexit ad humilitatem". Der Sinn wird dadurch ein anderer: „er hat hingesehen auf meine Niedrigkeit". 3 Mittelalterliche Ausleger des Magnifikat haben ihre Aussagen in Predigten weder streng exegetisch behandelt noch dogmatisch abgesichert. So wie heute in einer Predigt ungeschützter geredet werden darf als in einer Vorlesung, so galt es auch zu dieser Zeit. Alle diese Ausleger waren sich darüber einig, daß Tugenden des Menschen - und also auch Marias Tugend der Demut - letzten Endes nichts anderes sind als Geschenke Gottes. Alle stimmten in der Auffassung überein, daß Gottes Gnade dem Menschen stets zuvorkommen muß, damit er Gottes Gebote überhaupt erfüllen kann. Aber gerade weil sie sich durch diese gemeinsamen Grundüberzeugungen auch schon gegen die Gefahr geschützt glaubten, Marias Fähigkeiten zum Tun des göttlichen Willens zu überschätzen, konnten sie die Demut der Gottesmutter in einer Weise rühmen, die ihr übermenschliche Vollkommenheit zuschrieb. So konnte etwa Hugo von St. Viktor ( t 1141) schreiben, Gott habe gerade Maria zur Mutter seines Sohnes erwählt, weil sie es durch ihre Demut verdient habe. Bernhard von Clairvaux ( t 1153) schrieb in einem Predigtzyklus zu Ehren Marias, wäre Maria nicht demütig gewesen, so hätte der Heilige Geist nicht auf ihr geruht und sie geschwängert. 4 Und Johannes Gerson ( t 1429) sagte von Maria, in ihr habe Gott das Wort aus der Weisheit Salomos bewahrheitet: Wo Demut ist, da ist Weisheit.5 Für einflußreiche, viel gelesene Ausleger vor Luther war mit den Vokabeln humilitatem' (Lk 1, 48) beziehungsweise ,superbos' (Lk 1, 51) der Grundakkord der Heilsgeschichte angeschlagen gewesen. Im Hochmut sahen sie das Laster Evas, das ,wie Gott sein wollen', aus dem der Fall der Voreltern in die Sünde hervorgegangen war. Wie Christus als der neue Adam am Holz des Kreuzes wiederhergestellt hatte, was die Voreltern am Holz des verbotenen Baumes gefrevelt hatten, so sahen diese Ausleger in Maria die neue Eva, die durch ihre Demut wiederherstellte, was Eva durch Hochmut zerstört hatte. Sie waren überzeugt davon, daß Gott selbst der Maria ihre Demut verliehen und sie zur Mutter seines Sohnes erwählt hatte. Wie sollte man also die neue Eva nicht verehren? Wie konnte man versäumen, das Gottesgeschenk der Demut, das Maria zugleich als Tugend vervollkommnet hatte, den Christinnen und Christen zur Verehrung

3 Erasmus betont, es gehe u m Marias .parvitas', nicht um ihre ,virtus animi'. Zum Folgenden vgl. Burger: Maria m u ß ermutigen!, und von dems.: La polémique de Luther contre la vénération de Marie. 4 Bernhard von Clairvaux: In laudibus virginis matris, homilia I (Ed. Cist. IV, 18, 5-7). 5 Bernhard von Clairvaux: In laudibus virginis matris, homilia I (Ed. Cist. IV, 18, 5-7). - Johannes Gerson: Collectorium super Magnificat (ed. Glorieux Bd. 8, 204): „Verificavit idcirco Deus in ea verb u m Sapientis: ubi humilitas, ibi sapientia, d u m collocavit per Incarnationis mysterium sapientiam in humilitate sua." Verkürzt zitiert ist Proverbia 11,2: „Ubi fuerit superbia, ibi erit contumelia. Ubi autem est humilitas, ibi et sapientia."

184

3. Charakteristika

von Luthers Übersetzung und Auslegung des

Magnifikat

und Nachahmung vor die Augen zu malen? In dem Maße, in dem Christus statt als barmherziger Heiland mehr und mehr als wiederkommender Richter betrachtet wurde, wurde Maria diejenige, von der man sich Barmherzigkeit erhoffte. Luther dagegen lehnt es völlig ab, Marias Demut als vorbildlich zu preisen. Wenn man das tut, dann macht man sie seiner Meinung nach zu einem erdrückenden Vorbild. 6 Er fordert vielmehr dazu auf, Maria als Geschöpf zu betrachten und sie dem Schöpfer gegenüberzustellen, der in die Tiefe sieht. Dann wäre Maria als der schlichte Mensch erkannt, an deren Ergehen Christen sich aufrichten können, statt angesichts der allzu vorbildlichen Maria ängstlich und verzagt sein zu müssen. Man ehrt Maria damit recht, daß man sie als Beispiel der göttlichen Gnade betrachtet. Dann kann sie allen Christen Zuversicht zu dieser Gnade und Liebe einflößen und sie zum Lob reizen. Wer Gottes Ehre mit Marias Nichtigkeit vergleicht, 7 der gewinnt Mut und Zuversicht dazu, daß auch ihm selbst Gnade geschenkt werden kann. Maria wird dann recht verehrt, wenn nicht ihre Demut oder ihre bleibende Jungfräulichkeit gepriesen werden, sondern der Gott, als dessen Magd sie sich bekennt. Auf Gottes tatkräftiges An-Sehen zum Heil der Menschen kommt es Luther an, das sich vor allem darin äußert, daß er seinen Sohn für sie Mensch werden läßt, um sie zu erlösen. Gott handelt Tag für Tag auf offenbare und auf verborgene Weise. Das Geschöpf, das ihn als den Schöpfer lobt, findet dadurch zu seinem eigenen Besten seinen eigenen Ort in der ,'Tiefe', in die Gott sieht. Es gewinnt glaubendes Vertrauen und heilsame Furcht vor Gott als dem Herrn aller Herren zugleich. Wer Maria recht ehren will, der soll beten: „vnd ist vbir alle dein vordienst / weyt vnd hoch / die reiche vbirschwencklich gnade gotis in dyr." 8 Rechte Marienverehrung soll nach Luthers Überzeugung diese Bewegung von der Erkenntnis, von Gott begnadet zu sein, über die Liebe zum Lob Gottes nachvollziehen. 9

3.6. Das Magnifikat als Fürstenspiegel Luther betrachtet das Magnifikat unter anderem auch als einen biblischen Text, der sehr dazu geeignet ist, einem zukünftigen Herrscher die zentrale Bedeutung der angemessenen Ehrfurcht vor Gott einzuprägen. Ist doch seiner Überzeugung nach ein Herrscher ganz besonders bedroht, sich zu überheben, weil er bewundert wird und von Schmeichlern umgeben ist. Auch wenn er bei der Auslegung von Lk 1, 51 als die Hochmütigen seiner eigenen Zeit vor allem den Papst und dessen Anhang sieht, ist ein künftiger Herrscher seiner Meinung nach nicht nur in der Gefahr, ein Gewaltiger im negativen Sinne, ein Gewalttätiger, zu werden. Auch und noch mehr sieht Luther einen Her6

Vgl. StuA 1 , 3 3 6 , 3 6 - 3 3 7 , 11. Vgl. StuA 1, 337, 16-23. 8 StuA 1, 336, 5f. 9 Wer in der rechten Weise bedenkt, was Gott an Maria getan hat, wird sich darüber w u n d e r n , wie überschwenglich Gottes Gnade an ihr gehandelt hat. Das wird ihn dazu bewegen, Gott zu lieben, zu loben u n d sich auch seinerseits alles Gute von Gott zu erwarten: StuA 1, 336, 22-30. 7

Das Magnifikat

als

Fürstenspiegel

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scher in der Gefahr, sich die eigene Hoheit selbst zuzuschreiben, statt sie dankbar aus Gottes Hand entgegenzunehmen und die Herrschaft als Leihgabe und als Auftrag zu betrachten, über den Gott Rechenschaft fordern wird. Luthers Übersetzung und Auslegung des Magnifikat ist aus einem Guß. Für den Adressatenkreis der,Einfältigen' hebt er dieselben Inhalte heraus, die er in seiner zweiten Vorlesung über die Psalmen seinen Studenten darstellt: Gottes gnädige Zuwendung und die einzige Antwort, die angemessen ist: Gottesliebe, Gotteslob, vertrauensvoller Glaube.

Quellen- und Literaturverzeichnis Verzeichnis der Quellen und der herangezogenen Sekundärliteratur

Zeitschriften und Serien sind abgekürzt nach: Siegfried M. Schwertner: Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin / New York 1994.

Quellen Anselm von Canterbury: Epistola de incarnatione verbi, in: S. Anselmi Cantuarensis archiepiscopi opera omnia, tomus primus, volumen secundum, recensuit Franciscus Salesius Schmitt, ['Seckau / Rom / Edinburgh 1938-1961], Nachdruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1968, S. 1-35 Augustinus: De libero arbitrio libri tres. Cura et studio W.M. Green. In: CChr. SL, Bd. 29, Turnhout 1970, S. 209-321 Augustinus: Soliloquiorum libri duo. Recensuit Wolfgangus Hörmann, in: CSEL, Bd. 89, Wien 1986, S. 3-98 Bernhard von Clairvaux (Bernardus Claravallensis): Opera omnia. Editiones Cistercienses, hg. von lean Leclercq / H.M. Rochais u.a., 8 B.de, Rom 1957-1977 Bibel: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Nach der deutschen Übersetzung Martin Luthers (Revidierte Fassung von 1964), Stuttgart 1965 Biblia hebraica, ed. Rudolf Kittel, 3. Auflage, Stuttgart 1962 Biblia sacra iuxta Vulgatam Clementinam, edd. Alberto Colunga et Laurentio Turrado, quinta editio, Madrid 1977 Bullinger, Heinrich: Marienpredigt, in: Walter Tappolet / Albert Ebneter (Hgg.): Das Marienlob der Reformatoren, (S. 274-275: Einleitung), S.275-302 Erasmus, Desiderius, von Rotterdam: Novum Instrumentum omne, diligenter ab Erasmo Roterodamo recognitum et emendatum ..., Basel 1516 Erasmus, Desiderius, von Rotterdam: Desiderii Erasmi Roterodami in novum testamentum ab eodem denuo recognitum Annotationes, ingenti nuper accessione per autorem locupletate, Basel 1519 Erasmus, Desiderius, von Rotterdam: Erasmus' Annotations on the New Testament. Edited by Anne Reeve. The Gospels: facsimile of the final Latin text (1535) with all earlier variants (1516, 1519, 1522 and 1527), London 1986 Erasmus, Desiderius, von Rotterdam: Erasmus' Annotations on the New Testament. Edited by Anne Reeve and Michael A. Screech. Acts - II Corinthians, Leiden / New York 1990

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Quellen- und

Literaturverzeichnis

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emplössung des falschen

Glaubens; S. 265-266: Einleitung) S. 267-319, jeweils Spalte a, u n d : ,Gezeugnus des ersten capitels des evangelions Luce' (S. 265-266: Einleitung) S. 267-319, jeweils Spalte b, in: T h o m a s Müntzer: Schriften u n d Briefe. Kritische Gesamtausgabe, u n t e r Mitarbeit von Paul Kirn hg. von G ü n t h e r Franz, Gütersloh 1968 (= QFRG 33) Paltz, Johannes von: Coelifodina (= Werke I). Hg. u n d bearb. von Christoph Burger u n d Fried-

Übersetzungen

von Luthers Schrift und Ausgaben

chronologisch

geordnet

189

heim Stasch unter Mitarbeit von Berndt Hamm und Venicio Marcolino, Berlin/ New York 1983 (= SuR 2) Paltz, Johannes von: Supplementum Coelifodinae (= Werke II). Hg. und bearb. von Berndt Hamm unter Mitarbeit von Christoph Burger und Friedhelm Stasch und Venicio Marcolino, Berlin/ New York 1983 (= SuR 3) Paltz, Johannes von: Die Himmlische Fundgrube. Hg. von Horst Laubner, Wolfgang Urban u.a., in: Ders: Werke III. Opuscula, hg. von Christoph Burger u.a., Berlin / New York 1989 (= SuR 4), (S. 155-200: Einleitung) S. 201-253 Petrus Lombardus: Sententiae in IV libris distinctae. Editio tertia. Bd. I, Teil II: liber I et II. Grottaferrata 1971 Spengler, Lazarus: Schriften. Bd. 1: Schriften der Jahre 1509-1525. Herausgegeben und bearbeitet von Berndt Hamm und Wolfgang Huber unter Mitarbeit von Claus Bachmann und Katrin Berger, Gütersloh 1995 (= QFRG 61) Zwingli, Huldrych: Eine Predigt über die ewigreine Jungfrau Maria, die Mutter Jesu Christi, unseres Erlösers. In: Huldreich Zwingiis sämtliche Werke, Bd. 1 (= CR 88), Berlin / Leipzig / Zürich 1905, S. 3 9 1 ^ 2 8 Zwingli, Huldrych: Eine Predigt über die ewigreine Jungfrau Maria, die Mutter Jesu Christi, unseres Erlösers. In: Emidio Campi: Zwingli und Maria. Eine reformationsgeschichtliche Studie, Zürich 1997, S. 99-146 [in modernes Hochdeutsch übersetzt von Dr. Martin Hirzel, siehe S. 8, mit Erläuterungen des Herausgebers]

Übersetzungen von Luthers Schrift und Ausgaben für ein breiteres Publikum, chronologisch geordnet Luther, Martin: Das Magnifikat, hg. von Walther von Loewenich: München 1929 (Klassische Erbauungsschriften des Protestantismus I) Luther, Martin: Das Magnificat, hg. von Walther von Loewenich, durchgesehen von Wilhelm Heinsius, in: Martin Luther. Ausgewählte Werke. Hg. von H.H. Borcherdt und Georg Merz. Zweite veränderte Auflage, Sechster Bd.: Bibelübersetzung. Schriftauslegung. Predigt, München 1938, S. 224-293 (Anmerkungen S. 555-557) [Luther, Martin:] Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt durch D. Martin Luther, Freiburg / Br. 1964, darin: Albert Brandenburg: Luthers Auslegung des Magnifikat, S. 9-28 [Luther, Martin:] Het Magnificat vertaald en uitgelegd door Maarten Luther 1520-1521, met een verklärend nawoord van Dr. Samuel IJsseling O.S.A. [S. 98—110], Hilversum / Antwerpen 1966 [Luther, Martin:] Das Magnificat verdeutscht und ausgelegt durch D. Martin Luther. Mit einer Einführung von Helmut Riedlinger [S. 1-29], Freiburg / Basel / Wien 1982 Luther, Martin: Das Magnificat verdeutscht und ausgelegt, hg. von Eberhard Leppin, in: Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Frankfurt / Main 1982, Bd. 2, S. 115-196

190

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Darstellungen,

Sammel-

und

Nachschlagewerke

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Sammel-

und

Nachschlagewerke

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Darstellungen,

Samtnel-

und

Nachschlagewerke

195

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196

Quellen- und

Literaturverzeichnis

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Darstellungen,

Sammel-

und

Nachschlagewerke

197

Schaft. Vierte, völlig n e u b e a r b e i t e t e Auflage, hg. v o n H a n s Dieter Betz u.a., T ü b i n g e n 1998 ... Riedlinger, H e l m u t : E r w ä g u n g e n z u m h e r m e n e u t i s c h e n W i r k e n des Heiligen Geistes n a c h d e r M a g n i f i c a t - A u s l e g u n g M a r t i n Luthers, in: Ecclesia militans. S t u d i e n z u r Konzilien- u n d R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e . R e m i g i u s B ä u m e r z u m 70. G e b u r t s t a g g e w i d m e t , hg. v o n Walter B r a n d m ü l l e r u n d H e r b e r t I m m e n k ö t t e r , 2 Bde., P a d e r b o r n etc. 1988, hier: Bd. 2, S. 8 7 - 1 0 8 Rieske-Braun, Uwe: Duellum

mirabile.

S t u d i e n z u m K a m p f m o t i v in M a r t i n Luthers T h e o l o g i e ,

G ö t t i n g e n 1999 (= F K D G 73) R ö h r i c h , Lutz: Religiöse Stoffe des Mittelalters i m v o l k s t ü m l i c h e n Erzähl- u n d Liedgut d e r Geg e n w a r t , in: Volksreligion i m h o h e n u n d s p ä t e n Mittelalter, hg. v o n Peter D i n z e l b a c h e r u n d Dieter R. Bauer, P a d e r b o r n etc. 1990, S. 4 1 9 - 4 6 5 Santos Noya, M a n u e l : D i e S ü n d e n - u n d G n a d e n l e h r e des G r e g o r v o n R i m i n i . F r a n k f u r t a . M . / Bern/ N e w York/ Paris 1990 (= E H S . T 388) S c h a r f f e n o r t h , G e r d a : D e n G l a u b e n ins Leben ziehen. S t u d i e n z u Luthers T h e o l o g i e , M ü n c h e n 1982 Schilling, J o h a n n e s : M a r t i n Luthers d e u t s c h e Bibel, in: D i e t r i c h Korsch / J o h a n n e s Schilling: D i e Bibel — W o r t d e r Freiheit. Zwei Passauer Vorträge, Passau 1993, S. 7—33 Schilling, J o h a n n e s (Hg.): Mystik. Religion der Z u k u n f t - Z u k u n f t der Religion?, Leipzig 2003 S c h i m m e l p f e n n i g , R e i n t r a u d : Die Geschichte d e r M a r i e n v e r e h r u n g i m d e u t s c h e n Protestantism u s , P a d e r b o r n 1952 Schindler, Alfred: A u g u s t i n / A u g u s t i n i s m u s I, in: T R E 4, Berlin / N e w York 1979, S. 6 4 5 - 6 9 8 Schindler, Alfred: G n a d e u n d Freiheit. Z u m Vergleich zwischen d e n griechischen u n d lateinis c h e n K i r c h e n v ä t e r n , in: Z T h K 62 (1965), S. 1 7 8 - 1 9 5 Schneider, H a n s : Zwingiis M a r i e n p r e d i g t u n d Luthers M a g n i f i k a t - A u s l e g u n g . Ein Beitrag z u m Verhältnis Zwingiis z u Luther, in: Z w i n g . 23 (1996), S. 1 0 5 - 1 4 1 Schöpfer, J o h a n n e s : E i n ü b u n g u n d W e i s u n g . D e r C h r i s t steht v o r G o t t . A l b e r t u s M a g n u s u n d M a r t i n L u t h e r k o m m e n t i e r e n das M a g n i f i c a t , in: Geist u n d Leben 58 (1985), S . 4 6 0 - 4 6 6 S c h o t t r o f f , Luise/Wolfgang S t e g e m a n n : Jesus v o n N a z a r e t h - H o f f n u n g der A r m e n , S t u t t g a r t etc. 1978 Schreiner, Klaus: Sozial- u n d standesgeschichtliche U n t e r s u c h u n g e n zu d e n B e n e d i k t i n e r k o n v e n t e n i m östlichen Schwarzwald, S t u t t g a r t 1964 ( V e r ö f f e n t l i c h u n g e n der K o m m i s s i o n f ü r geschichtliche L a n d e s k u n d e in B a d e n - W ü r t t e m b e r g . Reihe B: F o r s c h u n g e n , 31. Bd.) Schreiner, Klaus: Z u r biblischen L e g i t i m a t i o n des Adels. Auslegungsgeschichtliche S t u d i e n z u 1. Kor. 1, 2 6 - 2 9 , in: ZKG 85 (1974), S . 3 1 7 - 3 5 7 Schulze, M a n f r e d : F ü r s t e n u n d R e f o r m a t i o n . Geistliche R e f o r m p o l i t i k weltlicher F ü r s t e n v o r d e r R e f o r m a t i o n , T ü b i n g e n 1991 (= S p ä t m i t t e l a l t e r u n d R e f o r m a t i o n . N e u e Reihe 2) Schwanke, J o h a n n e s : C r e a t i o ex nihilo. S t u d i e n z u Luthers S c h ö p f u n g s l e h r e in d e r G r o ß e n G e n e sisvorlesung ( 1 5 3 5 - 1 5 4 5 ) , Berlin / N e w York 2004 ( = T B T 126) Schwarz, R e i n h a r d : Vorgeschichte der r e f o r m a t o r i s c h e n B u ß t h e o l o g i e , Berlin 1968 (= AKG 41) Schwarz, R e i n h a r d : D i e spätmittelalterliche Vorstellung v o m r i c h t e n d e n C h r i s t u s - ein A u s d r u c k religiöser M e n t a l i t ä t , in: G W U 32 (1981), S . 5 2 6 - 5 5 3 Seils, M a r t i n : E i n l e i t u n g u n d F u ß n o t e n z u r E d i t i o n v o n : Luther, M a r t i n : D a s M a g n i f i c a t verd e u t s c h t u n d ausgelegt (1520/1521), in: M a r t i n L u t h e r : S t u d i e n a u s g a b e , hg. v o n H a n s - U l r i c h Delius, Bd. 1, Berlin 1979, (S. 3 1 2 - 3 1 3 : Einleitung) S. 3 1 4 - 3 6 4 Selge, Kurt Victor: La C h i e s a in Lutero, in: M a r t i n Lutero. Vita e Pensiero, M i l a n o 1984, S. 1 3 - 3 3 Spitzlei, Sabine B.: E r f a h r u n g s r a u m Herz. Z u r Mystik des Z i s t e r z i e n s e r i n n e n k l o s t e r s H e l f t a i m 13. J a h r h u n d e r t , S t u t t g a r t - B a d C a n n s t a t t 1991 (= M y G G . Abt. I. Bd. 9)

198

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Erst nach der Drucklegung erschienen: Leppin, Volker; Georg Schmidt; Sabine Weiers (Hgg.): Johann Friedrich I. - der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2006 (= SVRG 2004) Simon, Wolfgang: Luther und der Aufruhr. Das Konzept eines ,seligen geistlichen Aufruhrs' in der Schrift Treue Vermahnung (1521), in: Luther-Bulletin. Tijdschrift voor Interconfessioneel Lutheronderzoek, Jahrgang 15 (2006), S.80-98

Bibelstellenregister D u r c h K u r s i v i e r u n g h e r v o r g e h o b e n s i n d die Seiten, a u f d e n e n ein einzelner Vers i m Z u s a m m e n h a n g thematisiert wird.

Genesis (Gen) 3,7 4, 4f. 12, 2 f. 15,2-4 22, 16 22, 16-18 22, 18 25, 5f. 32, 25-32 32, 28

74 85 167, 169 169 169 167, 169 168 94 164 164

Exodus(Ex) 9, 16 20,5 20, 5 f. 30, 22-33

158 130 107 105

Numeri (Num) 11,4-6

60

Deuteronomium (Dtn) 5,9 130 5, 9 f. 107 93 6,5 34,9 42 Erstes Buch Samuel (I Sam) 2, 1-10 17, 181 2,5 155 2,4-8 109 Erstes Buch der Könige (I Reg) 172, 176f. 3, 5-14 17,4-6 154

17, 11-16 18,27

154 96

Esther 14, 16

73 f.

Hiob 22, 29 40, 10 (Vulgata) 40, 21 (Vulgata) 40, 25f. (Vulgata) 41, 6f. (Vulgata) 41, 9 (Vulgata) 41, 15 (Vulgata) 41, 17-20 (Vulgata) 41, 25 (Vulgata)

71 116 117 117 117 117 117 117 116f.

Psalmen 2,2 7, 2f. 7, 10 7, 12 10 (9B), 2 10 (9B), 3f. 10 (9B), 5f. 10 (9B), 9 14(13), 7 16(15), 11 17 (16), 9 17 (16), 12 18 (17), 12 21 (20), 7 22 (21), 8 22 (21), 14 22 (21), 17

145 116 153 153 116 116 115 116 92 37 116 116 42 37 116 116 116

200

Bibelstellenregister

22 (21 , 2 2

116

25, 6f.

63

28 (27 , 5 32 (31 , 8 34 (33 , 1

156

27, 14

96

65 155

Weisheit Salomos

34(33 , 9

40,41

7,7

35 (34 , 1

116

35 (34 , 17 37 (36 , 2 5

116 154

4, 24

124

37(36 ,28

123

10, 15

174

37 (36 , 35 f.

135

10, 17f.

174

44 (43 , 9

37

10,21

174

49 (48 , 19 51 (50 , 12

56 42 f., 122

Jesaja (Jes)

57 (56 , 4f.

116

11, 1

38

58 (57 , 3

116

11, lf.

37

58 (57 , 4

116

11,2

42

58 (57 , 7

116

11, 10

38

68 (67 , 7

46

14, 12

94

71 (70 , 1

182

16,6

115

73 (72 , 17 73 (72 , 19f.

135

44, 18

108

135

47, 8f.

158

73 (72 , 2 5

5

53, 1 - 3

132

64,5

182

42

Jesus Sirach (Ecclesiasticus)

74(73 , 3

116

7 4 ( 7 3 , io 7 4 ( 7 3 , 13f.

116

76 (75 , 6

154

1, 18f.

18

78 (77 , 3 7

43

116 116

116

Jeremia (Jer)

78 (77 , 3 9

43

5, 1 5,3

99 (98 , 4

123

9, 23 (Vulgata)

115,142

107 (106), 9

149

9, 23f. (Vulgata)

18,77, 108,

107 (106), 40

149

111 (1 0), 7

157

9, 24

114

113 (1 2), 5f. 113,5- 8

33

23,29

18

149

48, 29

115

113 (1 2), 6

75

119 (1 8), 140

96 f.

Hesekiel

119 (1 8), 171

96 f.

8, 7f.

131 (130), 1

70 f., 74

133 (132), 1

46

Daniel

138 (137), 6

33

2

180f.

18

144

2, 48

152

Spriiche Salomos (Prov)

3, 55 (Vulgata)

33

2, 10

43

5,29

152

11,2

183

6, 3

152

13,25

159

16,2

153

Joel (Ioel)

19, 2

43

3, 10 (Vulgata)

21, 1

23

134

201

Bibelstellenregister

N a h u m (Nah) 1,6 Habakuk (Hab) 1, 13 (Vulgata) I, 16 (Vulgata) 3,4 Matthäus (Mt) 5,3 5.6 5, 29 6.7 6, 22 6, 22 f. 6, 23 I I , 19 13, 29 18,9 20, 11 f. 20, 26 22,37 23,33 Markus (Mk) 10, 43 12, 30 Lukas (Lk) 1,28 1, 28f. 1,29 1,39-50 1.46 1, 46-49 1.47 1.48

126 1.51-53 1,52 146 146 132

141-151,

1.52 f. 1.52-55 1,51-53 1.53

111, 129 154 73,81, 136 95 83 11 83 139 127 73,81 82 111 93

55f.

29, 108, 174, 180 55-61 29, 53, 61-93,

107,

1,51

180 37 140 154 91 94 93 155 83 83 146 167 81

95, 96 102 59 114f. 78,82

Apostelgeschichte (Apg) 6,3 42 15,4 81 15, 12 81 20, 19 62

93-106 21,

107-118,129f„

131, 135f., 139f„ 142, 150f., 176 1, 50f. 1, 50-52 1, 50-53

163,166-172

5, 17 10, 1-16 16,2 21, 21 f.

116, 147, 183 1.49 1.50

1.55 2,4 3,7 6,21 7,37

Johannes (Joh) 4, 24

72 98 15

54,91, 109, 149, 151160 110, 160-166,

10, 27 12, 22-32 14, 7 - 1 0 16, 10 16, 19-31 16, 22 f. 24, 35

111 93

26, 109, 112, 174, 181 29 58,77, 107, 108, 109, 112, 160, 180 21,34, 35, 54, 72, 101, 110, 113, 117 f., 123,

152 f., 156

34, 155, 158 174 32

1.54 l,54f.

10, 18

140

39-54,

130-141, 142-144, 147, 175, 183 f. 26, 39, 73, 110, 173 2, 54, 84, 109, 116,

Römerbrief 12,8 12, 10 12, 11

12, 16 13,4 16, 18

27 106 97 33 f. 126 159

169

202

Bibelstellenregister

Erster Brief an die Korinther (I Kor)

1, 17

42

1, 2 6 - 2 8

66

3, 20

102

1, 27 f.

146

1,29

65, 67, 77

1,31

68, 77

2,5-7

52

2,5

146

3,18f.

159

3,8

79

13, 13

89

Philipperbrief

Erster Brief an die Thessalonicher (I Thess) 5,23

24, 41, 44-48, 94, 101

Zweiter Brief an die Korinther (II Kor) 10, 17

77, 101

Titusbrief (Tit) 2, 14

163

Galaterbrief (Gal) 3, 16-18 Epheserbrief 1, 11

166

100, 106

Erster Petrusbrief ( I Petr) 2,9

163

5, 5

34f„ 75

Personenregister Durch Kursivierung hervorgehoben sind die Seiten, auf denen eine Person im Zusammenhang behandelt wird. Abel 85 Abraham 3, 14, 19, 122, 124, 131, 149, 166170, 181 Absalom 64 Adam 168-170 Adam, der neue A. = Christus 183 Aegidius Romanus O.E.S.A. ( t 1316) 114 Albrecht, Erzbischof von Mainz 149 Alkuin 37 Ambrosius Catharinus O.P. ( t 1553) 113 Anselm von Canterbury 29 Aristoteles 24 Augustin 47, 60, 81, 84, 101, 109, 116 Bernhard von Clairvaux 183 Bias, einer der Sieben Weisen 27 Boerhaave, Herman (1668-1738, niederländischer Arzt, Anatom und Botaniker) 6 Bonaventura 137 Bullinger, Heinrich 15 Cajetan (Thomas de Vio) O.P. 8 Calvin, Johannes 39 Daniel 149, 152, 157 David 3, 19, 21, 37-39, 42, 54, 57, 64, 71, 7476, 91, 122, 124, 127, 131, 149, 152, 154, 157, 173, 181 Dietrich von Bern (Theoderich) 27 Eckhart (Meister Eckhart) 49 Elia 96, 154 Erasmus, Desiderius, von Rotterdam 15, 39f., 55, 61 f., 100, 131 f., 182f.

Esther 19, 74f„ 131, 149, 152, 157, 181 Etienne de Bourbon O.P. (tetwa 1260) 83 Eva 98, 183 - die ,neue E . ' = Maria 183 Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen 8f„ 172, 175 Gabriel Vázquez S.J. (t 1604) 101 Geert Grote 130 Gerson, Jean (1363-1429) 37, 40, 44, 96, 120, 137, 159, 183 Graaf, Reinier de (1641-1673, niederländischer Arzt und Anatom) 6 Gregor der Große 71,116 Gregor von Rimini O.E.S.A. (f 1358) 101 Habakuk 132, 146 Hanna, Mutter Samuels 17f., 101, 109, 155, 181 Hannas, Hoherpriester 66 Harvey, William (1578-1657, britischer Biologe und Arzt) 6 Hélinand de Froidmont O. Cist. 83 Herzöge von Burgund 80 Hiob 64,71, 115 Hofmann, Konrad, Domherr 15 Hugo von St. Viktor 131f., 183 Hugolin von Orvieto O.E.S.A. ( t 1373) 60, 101, 120 Hut, Hans 17 Huygens, Christiaan (t 1695, niederländischer Astronom, Mathematiker und Physiker) 6

204

Personenregister

Isaak 94, 149 Isai 38

Müntzer, Thomas 3, 15, 17-19, 181 Nebukadezar 144

Jakob (Israel) 149, 161, 163-165 Jean Gobi der Jüngere ( t 1350) 83 Jesaja 132, 158 Johann der Beständige, Herzog von Sachsen 9 Johann Friedrich I. der Großmütige, Herzog, später Kurfürst von Sachsen 9, 14, 23-28, 48,51, 172, 173, 174-177 Johannes von Paltz OESA siehe: Paltz, Johannes von Johannes der Täufer 140 Joseph 38f. Juda 98 Kain 85 Kaiphas 66, 72, 98 Karl V. 23,118 Leo X., Papst (Giovanni de' Medici) 113 Lucifer (siehe auch: Teufel) 52, 94 Ludolf von Sachsen O. Carth. 52, 79 f. Marguerite Porete 5, 57 Maria 2-4, 6, 13-21, 24, 26, 28-31, 33, 35, 37-41, 44, 47, 48f„ 51-58, 61-64, 66-68, 72, 75-78, 83, 85-104, 108f„ 112, 139f„ 144f., 148-152, 159-163, 166, 169, 171f., 177, 179 f., 182f., 184 Maria Magdalena 91

Origenes 94 Otfried von Weißenburg 37 Paltz, Johannes von, O.E.S.A. 53, 76, 86, 105, 137, 177 Paulus 3, 33f., 46, 56, 65, 69, 91, 97, 106, 146, 159, 166 f. Petrus, Apostel 82,91 Petrus Johannis Olivi O.F.M. (t 1298) 114 Petrus Lombardus 116 Pseudo-Dionysius Areopagita 42 Ruusbroec, Jan van 5, 49, 57, 130 Salomo 54, 172, 176 Sara 165 Seckendorf, Veit Ludwig von 19 Simon Du Bois, Drucker in Paris 15 Spalatin 8 Spener, Philipp Jakob 171 Spengler, Lazarus 168 Stapfer, Jakob, Zürcher Militär 15 Tauler 136 Teufel (siehe auch: Lucifer) 117, 140, 152, 157, 173 Thomas von Aquin 137

Martin Lempereur (Martinus de Keysere), Drucker in Antwerpen 15 Michael Kohlhaas 123 Moabiter (siehe auch: Sachregister s.v. ,Hochmut') 115 Mose 104, 166, 170

Ulrich von Pottenstein 27 Walch, Johann Georg 19 Zwingli, Huldrych 15f.

Sachregister Griechische Vokabeln werden in Umschrift geboten. Abgott, Abgöttin 88,92, 102, 155 Acht als Folge des Kirchenbanns 8 Angewiesensein auf Gott 156 Animalculisten (siehe auch: Fortpflanzung, menschliche) 6 Anmaßung 51 Anpassung an den Leserkreis 12 f. Anthropologie - biblische 41,44 - philosophische 43 - scholastische 43 f. - Stiftshütte als Bild des Menschen 44 Barfüßer 45 Bettelmönche 70 Braut Gottes (Christenheit) 161, 165 Christenheit als Braut Gottes 161, 165 Christi - unbefleckte Empfängnis 169 - Kreuzestod (Heilsbedeutung) 162 - Auferstehung (Heilsbedeutung) 162 .Demokratisierung' der Mystik 5 Demut 53, 61 f. - gespielte (falsche) 69f„ 73f„ 139, 182 - als Tugend 63, 68, 147, 182-184 - als Verdienst 69 - wahre (echte, rechte) D. 63,69,71-75,88, 150 Deutsch (als Sprache) 69 Deutung menschlichen Geschicks 3 Einfalt 53,71 - Wortwert 11 Ekstase, mystische 40,49

Eliten und Massen 12 erbaulich, Wortwert 11 Erbauung, Wortwert 11 Erbauungsschrift 10 Erfahrung - enttäuschende E. in Kirchen 95 - mit,verkehrten Gelehrten' 146 - des Wirkens Gottes 2 9 , 3 5 - 3 7 , 4 1 , 8 9 - des Wirkens des Heiligen Geistes 30, 35 Erfahrung Luthers als Übersetzer 8f. Erkenntnis Gottes 110,138 Ernestiner (Haus Wettin) 9, 23 Erscheinungsdatum der Schrift 8 Erwartung alles Guten von Gott 89 Exegese der vorkritischen Phase 2, 116 Exempel 83 f. Fortpflanzung, menschliche 6 Frömmigkeitstheologie 12 fromm 45 f. Fürstenspiegel 10, 23f., 172 Furcht (auch: Ehrfurcht) - eines Kindes (,timor filialis') 59 - knechtische (,timor servilis') 59 Gebet - bedarf kirchlicher Vermittlung nicht 175 Geist - als Sitz des Glaubens 41 f., 42, 44, 45-47 - als Sitz des Gotteswortes 42 - als edelster Teil des Menschen 42 - Mangel an G. 59,95 - veräußerlicht 45 - Ziel: Weisheit 42 Gelassenheit 53, 58, 121f„ 125 Gesetz, Funktion des G.s 170

206

Sachregister

Gewalt (= Macht) 111 Glaube 28, 47f„ 79f„ 91, 128, 132, 138, 154, 157, 162, 169, 177, 179, 184f. - als Erkenntnis 40 - als Geschenk Gottes 58 - erfaßt ungreifbare Dinge 55 - fühlt 135 - von Gottes Gnade bewirkt 165 - sieht 136 - als Vertrauen 3,159 - wird verweigert 181 - als Zuversicht 59 Glaubende von Gott selbst ernährt 154 Gott allein die Ehre geben 5, 39, 106 Gottes Allmacht 100-102 Gottes An-Sehen 3, 4, 14, 38, 62, 67f„ 70, 85-87, 94, 97, 104, 128, 182, 184 - Quelle aller seiner Werke 85 Gottes Hin-Sehen 4, 33, 36, 61, 64f„ 179 Gottes Barmherzigkeit im Leiden erfahren 128 Gott als Geber aller Gaben 52, 54, Gotteserkenntnis 8, 30, 108, 136, 181 Gottes .Erschaffen' aus dem Nichts der Not 36 Gottes Erwählung 66 Gottesfurcht 8, 19, 24-27, 34, 48, 90, 114, 119-122, 124, 128, 130, 172-174, 176, 184 Gottesfürchtige 13 Gottes Gaben 26, 54, 91, 111 - sich selbst zueignen 58 - nur geliehen 120, 126, 130 Gottes Gnade 88, 90, 95, 166, 184 Gottes Güte 49, 55-60, 63, 67, 78, 81 Gottes Güter 56, 77, 82, 93f„ 125, 158 Gottes Handeln (siehe auch: G.s Wirken) 65 - ,in', ,an', ,mit' Menschen 30f. Gottes Herz 94, 108 Gottes Liebe 33 Gottesliebe (Liebe zu Gott) 41, 48, 56, 63, 120 Gotteslob 14, 29f„ 35, 37, 41, 48f., 57, 63, 77f„ 81 f., 84, 89, 95-97, 99, 107, 176, 182, 184 f. Gottes Namen heiligen 104 f. Gottes Rache 10 Gottes Regieren 25 Gottes rettendes Eingreifen 29, 36

Gott rühmen 49 Gottes Verheißung 166 f. Gottes Versuchung 120 Gottvertrauen bei Mächtigen 149 Gottes Werke 107 Gottes Wirken - kraft seines ,Arms' 3, 132f., 135, 138, 142144, 154, 179 - an den Bösen 134f. - als Erhöhen 31 - als Erniedrigen 31 - als Erschaffen aus dem Nichts 32 - gegen die, die Glauben verweigern 109 - für jedermann erkennbar 32 - durch Kreaturen 132 - ,pro me' 78, 81 - mit seiner .linken Hand' 130 - mit seiner .rechten Hand' 32f., 108, 130, 164 - als Rettung 35 - sechsfältig 108 - unansehnlich 133 - im Verborgenen 133 f. - vollkommen anders als das der Geschöpfe 159 - als Zerstreuen (Zerstören) der Hoffärtigen 131 - zugunsten der Glaubenden 109 - als zunichte machen 32 Gottes Wort wirkt 97 Güter, geistliche 113 Gute Werke 45-47, 59f„ 78-80, 126, 167, 171 - nicht übertragbar 79 - Gottes Urteil darüber von Menschen nicht erkennbar 79 Heidenchristen 164, 167 Heil - ewiges (siehe auch: Seligkeit) 24, 27f. - irdisches 24, 56 Heiligung 44 f. Heilsbedeutung der Auferstehung Christi 162 Heilsbedeutung des Todes Christi 162 Herrscher - stehen in Gottes Dienst 25 - erfüllen eine Funktion 185

Sachregister

- schaden 25 - nützen 25 Herz 25, 28, 51,53 f., 70-72, 74, 79, 89, 96, 153, 173, 175 - als Zentrum der Person 24 - dessen Ausrichtung 43 - irregeleitet 137 Hirte (= einfacher Mensch) als Vorbild SSSS Hochmut (siehe auch: Hoffart, Vermessenheit) 48, 125, 142, 146, 181, 183 Hoffart (siehe auch: Hochmut, Vermessenheit), Hoffärtige 34, 39, 51-53, 101, 109f„ 112-117, 137-141, 148, 173f. Hungrige, Definition 151 f. ,humilitas' 1 Inkarnation Christi 161, 168 Interpretation durch Ergänzung 2 Irrtumslosigkeit - Anspruch auf 114 Israel, wahres 161 f. Juden in ihrer Mehrheit 171 Judenchristen 171 Jüngstes Gericht 174 Kartäuser 45 Konkurrenz zwischen Gott und Mensch 4, 138 Kreuz Christi 98f. Kreuzestod Christi als ,heimliches' Wirken Gottes 156 Kurfürsten von Sachsen 9 Laien 1 lateinische Vokabeln im deutschen Text 64 Leben, biologisches, Wert des L.s 7 Lebensgestaltung 28 Leiden, Deutung 14, 19, 35f., 75, 157f. Leidensscheu 50 Liebe zu Gott um seiner selbst willen 5, 36 Lied der Hanna 17 f. Lied - Eignung zum Gotteslob 50 - weltliches, nicht heilsrelevant 27 Lukasevangelium, Kapitel 1, in Müntzers Deutung 17

207

- Deutung der eigenen Rolle 18 - Deutung gegen die päpstliche Kirche 17f. - Deutung gegen Luther und dessen Anhänger 18 Luthers Auslegung des Magnifikat, Funktion im ökumenischen Gespräch 19 f. Luthers Sprachkraft 21 .magnificare' = ,viel halten von' 47 Marias - Abkunft sozial hoch 37 sozial niedrig 37 - alltägliche Verrichtungen 103 - als Hausmagd 103 - als .Hausmutter' 103 - Angewiesenheit auf Gottes Gnade 87 - Darstellung auf Gemälden 90 - Ehrentitel einfältig 104 Gottesmutter 87 Herberge des Gottessohnes 52 junges Mädchen 100 Jungfrau 87,96 kleines Mädchen 100 Königin der Himmel 99 rein 103 reinen Herzens 104 - - selig 86, 96 sündenfrei 97 Wegweiserin zu Gott hin 89 Werkstatt Gottes 6, 102 - Fürbitte 172 - Funktion, Gott erkennen zu lehren 108 - Funktion, Mut zu machen 91 - Geschöpflichkeit 99 - Lobpreis verdient 58 - Nichtigkeit 86,98 - Niedrigkeit 87, 90 - Selbstentäußerung 52 - Tauglichkeit 98 - unbefleckte Empfängnis 169 - UnanseMichkeit 38,90,182 - Verachtetsein 87, 104 - Verehrung von Generation zu Generation 92 - Verzückung 40

208

Sachregister

- Vorbildfunktion 24

Recht

- Zustimmung 86

- Bekenntnis zum Evangelium 127 f.

Marienpredigt Zwingiis 16

- Bekenntnis zum R. 118,123f., 180

- Verehrung Marias und Verehrung Christi

- Durchsetzung des R.s 1 1 8 , 1 2 0 , 1 8 0

16 - Verhältnis zu Luthers Auslegung des Magnifikat 16

- von Gott nur verliehen 124 - Gottes Wort unterdrückt 129 - als großes Gut 7

Massen und Eliten 12

- Handhabung des R.s 9 f.

Menschen

- durch die Obrigkeit 126f.

- Ansehen genießen bei M. 67

- durch Hoffärtige unterdrückt 137f.

- Erfahrung mit M.en 34

- Verhältnismäßigkeit der Mittel 123

- Furcht vor M. 23, 26f.

- verfolgt 140

- geistlose 95

- Verzicht auf das Recht 122

- von Gott anvertraut 121

- Wahrung des R.s 127

- Selbstruhm (.prangen 1 ) 109

- zum Widerstand 118

- ihre Sichtweise (ihr An-Sehen, ihr Hin-Sehen) 33, 38f„ 67, 70, 72, 76, 81, 83, 113,

Rechtfertigung 60, 113

163

Reichtum

- Verhalten gegenüber Geringen 34 Mißbrauch obrigkeitlicher Macht von Gott gestraft 144f., 181 Mönchskappe tragen auf dem Totenbett 80

- Definition 112 - nicht in jedem Falle gefährlich 152 Seele

Naturen Christi 28

- biblischer Sprachgebrauch 44

Neid 82

- deren Kräfte (,vires animae') 111

Niedrige

- als Sitz der Vernunft 4 2 , 4 4

- geistlich, nicht aber sozial erhoben 148

- als Ausdruck für die ganze Person 49

- deren ,Wissen' 151

- Ziel: Erkenntnis 42

Niedrigkeit (sozial und geistlich) 53, 61-64,

Selbstheiligung 45, 47

6 6 , 7 1 , 153, 183 - Einstellung zur N. 76

Selbstrechtfertigung 170 Selbstruhm 63, 109, 180f.

Nutzen (,utilitas') 8 7 , 1 7 6

Seligkeit (siehe auch: Heil, ewiges) 28

Obrigkeit notwendig 144

Sündenfall 175

Obrigkeit kritisiert 149

,tapeinophrosyne' 1

Observanten 45

,tapeinosis' 6 1 - 6 3 , 66, 87, 147

,Operationes in Psalmos' 12

Theologie, Rahmenbedingungen universitä-

Orientierung nach ,oben' 76, 93

Standesdidaxe 24

rer Th. im 16. Jahrhundert 13

Ovulisten (siehe auch: Fortpflanzung, menschliche) 6

Übersetzung als Deutung 2, 65f., 75, 93, 99, 107, 117, 130f., 140-142, 147, 166, 168,

Papst, dessen Anhänger, Kurie in Rom 39, 113, 115-119, 139, 180 - usurpieren Ehre, statt sie Gott zu geben 39

176 Übersetzungen Luthers, Differenzen 29 Unglaube - hindert Gottes Wirken 155

Polemik 5

- verhärtet 160

Predigtton 13

Unmittelbarkeit des Geistwirkens 29, 95

Psalmenexegese 61

- dem .äußeren Wort' gegenübergestellt 30

Sachregister

- ungeschützte Ausdrucksweise 30 Unterdrückte 48 Unvereinbarkeit der Kraft Gottes mit menschlicher Kraft 4 Verdienst 163, 166 Vergewaltigung, geistliche 143 Verheißung Gottes 166f., 170 verkürzte Ausdrucksweise 3 Vernunft, Grenzen der V. 175 Vermessenheit (siehe auch: Hoffart, Hochmut) 26 f., 101 Vertrauen - auf Gott (siehe auch: Glaube) 41,142, 152, 157, 159, 184 - auf Macht 142

209

- V. auf eigene Kraft verfehlt 150 Weisheit 111 ,Welt' (widergöttliche) 3, 36, 64,105,145f., 167 f., 180 - ihre Sichtweise (ihr An-Sehen) 64 Widmung, Datierung der 8 ,Wir'-Stil 13, 31, 50, 60, 105, 126, 157, 160, 163, 170-172 Wortwahl, mißverständliche 21,35 Zuversicht - auf Gott ausgerichtet 46f., 88,91 f., 110, 176 - auf Werke ausgerichtet 46 Zwei-Reiche-Lehre 119

Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe Begründet von Heiko A. Oberman herausgegeben von Berndt Hamm (Erlangen-Nürnberg) in Verbindung mit Johannes Helmrath (Berlin), Jürgen Miethke (Heidelberg) und Heinz Schilling (Berlin)

Arnold, Matthieu: siehe Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli. Atkinson, Catherine: Inventing Inventors in Renaissance Europe. 2007. Band 33. Ballweg, Jan: Konziliare oder päpstliche Reform. 200 I.Band 17. Benad, Matthias: Domus und Religion in Montaillou. 1990. Band 1. Burger, Christoph: Marias Lied in Luthers Deutung. 2007. Band 34. Faix, Gerhard: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben. 1999. Band 11. Flachmann, Holger: Martin Luther und das Buch. 1996. Band 6. Freedman, Joseph S.: siehe Späthumanismus und reformierte Konfession. Gause, Ute: Paracelsus (1493-1541). \993. Band4. Hamm, Berndt: Lazarus Spengler (1479-1534). 2004. Band25. - : siehe Martin Bucer zwischen Lutherund Zwingli. - : siehe Spätmittelalterliche Frömmigkeit. Hinz, Ulrich: Die Brüder vom Gemeinsamen Leben im Jahrhundert der Reformation. 1997. Band 9. Hohenberger, Thomas: Lutherische Rechtfertigungslehre in den reformatorischen Flugschriften der Jahre 1521-22.1996. Band 6. Holtz, Sabine: Theologie und Alltag. 1993. Band 3. Johannes a Lasco (1499-1560) - Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. Beiträge zum internationalen Symposium vom 14. bis 17. Oktober 1999 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Herausgegeben von Christoph Strohm. 2000. Band 14. Jürgens, Henning P.: Johannes a Lasco in Ostfriesland. 2002. Band 18. Kaufmann, Thomas: Konfession und Kultur. 2006. Band 29. Kleinöder-Strobel, Susanne: Die Verfolgung von Zauberei und Hexerei in den fränkischen Markgraftümern im 16. Jahrhundert. 2002. Band 20.

Spätmittelalter

und

Reformation

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