Madame de Lafayettes "La Princesse de Clèves": Studien zur Form des klassischen Romans 9783111354002, 9783110998603


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German Pages 90 [92] Year 1959

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Table of contents :
VORWORT
I. Roman und geschiditliche Wirklichkeit im 17. Jahrhundert
II. Die psychologische Struktur der Princesse de Clèves
III. Die Charaktere
IV. Das Geständnis
V. Der Verzicht
VI. Die Form der Individuation
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INHALT
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Madame de Lafayettes "La Princesse de Clèves": Studien zur Form des klassischen Romans
 9783111354002, 9783110998603

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HAMBURGER ROMANISTISCHE STUDIEN

Α. Allgemeine Romanistische Reihe (Fortsetzung der Reihe „Hamburger Studien zu Volkstum und Kultur der Romanen") herausgegeben von Rudolf Grossmann und Hellmuth Petriconi Direktoren des Romanischen Seminars der Universität Hamburg Band 43

ERICH KÖHLER

MADAME DE LAFAYETTES LA PRINCESSE DE CLÈVES" Studien zur Form des klassischen Romans

KOMMISSIONSVERLAG: CRAM, DE GRUYTER & Co. HAMBURG 1959

Alle Redite vorbehalten Printed in Germany Drude von Ludwig Appel, Hamburg

WERNER KRAUSS und HELLMUTH PETRICONI in Dankbarkeit zugeeignet

VORWORT Als Madame de Lafayette im Jahre 1678 ihre Princesse de Cìèves veröffentlichte, waren sich die zeitgenössischen Kritiker in Lob und Tadel darüber einig, daß dieses Werk ein literarisches Ereignis darstellte. Diese Einschätzung hat die Nachwelt bestätigt. Sie rechtfertigt es, den Roman einmal mehr zum Gegenstand einer literarhistorisch-ästhetischen Untersuchung zu machen. Unsere Absicht ist dabei eine doppelte: einmal sollen die folgenden Kapitel die Voraussetzungen erhellen, die das künstlerische Gelingen dieses „klassischen" Romans ermöglichten, und somit ein Versuch mehr sein, das Verständnis für die große Leistung der Mme de Lafayette zu fördern und ihre Wertung als Kunstwerk auf einen festen Grund zu stellen; zum andern sollen sie mithelfen, das „lähmende Form — Inhalt — Schema" zu überwinden, an dem die Poetik bis heute krankt, und über die „Nußknackervorstellung von Kern und Schale" (M. Wehrli, Allgemeine Literaturwissenschaft, Bern 1951, S. 93) hinauszukommen. In diesem Sinne mögen die folgenden Betrachtungen auch als ein Beitrag zur Theorie des Romans angesehen werden.

I. Roman und geschiditliche Wirklichkeit im 17. Jahrhundert

Der Schein

selbst ist dem Wesen

wesentlich. Hegel

Wir erinnern den Leser dieser Studie, bei dem wir die Kenntnis der Princesse de Cleves erwarten dürfen, an die wichtigsten Elemente der Handlung. Ort und Zeit sind der französische Hof unter Heinrich II., Mitte des 16. Jahrhunderts, vorwiegend Paris. In die glänzende Hofgesellschaft wird Mlle de Chartres eingeführt, eine „beauté parfaite", erzogen in der „vertu" einer „honnête femme". Sie geht mit dem Prince de Clèves eine Vernunft- und Achtungsehe ein, wird jedoch von einer leidenschaftlichen, durchaus erwiderten Liebe zu dem Duc de Nemours erfaßt und gesteht sie schließlich ihrem Gatten ein, um so ihre Tugend abzusichern und den arg gestörten Frieden ihres Gefühlshaushaltes wiederzuerlangen. Die Folge dieses Geständnisses ist, daß der Gatte von quälender Eifersucht gepackt wird, an eine Schuld seiner Frau glaubt, daran krank wird und stirbt. Die Princesse könnte nun Nemours die Hand reichen. Nach langen inneren Kämpfen erklärt sie jedoch dem verzweifelt protestierenden Nemours ihren Entschluß, auf die Erfüllung ihrer Liebe zu verzichten, zieht sich aus der Welt zurück und stirbt wenige Jahre später. Diese Handlung zielt in allen ihren Teilen so sehr auf das Motiv der Entsagung in der Liebe hin, daß das Werk getrost auf die Formel „Roman des Liebesverzichts" gebracht werden könnte. Warum aber verzichtet die Heldin, obwohl sie nach dem Tod des Gatten frei wird für den Mann, den sie liebt? Jede Interpretation des Romans hängt an einer schlüssigen Beantwortung dieser Frage. Daß jemand sich die mögliche Erfüllung der großen, einzigen Liebe versagt, ist denkbar unwahrscheinlich1). Der Autor, der einen solchen Verzicht glaubhaft machen will, muß eine Fabel mit Charakteren und Situationen schaffen, deren prozeßhaftes Zusammenwirken mit Notwendigkeit diesen außer1) Einen interessanten Vergleich der Princesse de Clèves mit anderen „Romanen des Verzichts", der auf Grund einer vergleichenden Untersuchung der Motivationen die Sonderstellung des Lafayetteschen Werks herausarbeitet, bietet Dieter Beyerle, Die Princesse de Clèves als Roman des Verzichts, Diss. Hamburg 1956 (Masch.-Sehr.).

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ordentlichen Entschluß herbeiführt. Wie Mme de Lafayette diese Aufgabe gelöst hat, bleibt noch zu zeigen. Der Verzicht als Thema ist damit indessen noch nicht geklärt. Jeder aufmerksame Leser der Princesse de Cièves steht sogleich unter dem Eindruck, daß dieser Roman nur im 17. Jahrhundert, ja nur innerhalb der französischen Hochklassik geschrieben werden konnte. Daß der Liebesverzicht hic et nunc zum beherrschenden Thema eines Romans werden konnte, dafür waren in der Tat ganz bestimmte historische Bedingungen erforderlich. Stünde Mme de Lafayette mit ihrem Thema vereinzelt da und hätte sie es nicht in allen ihren erzählerischen Werken umkreist, so hätte ein Versuch, die Relevanz des Verzichtmotivs und seiner besonderen Gestaltung von einer bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit her zu deuten, es freilich ungleich schwerer. In allen Erzählungen der Mme de Lafayette ist die Fabel ähnlich; stets handelt es sich um die erste und einzige Liebe einer verheirateten Frau, die immer dem gleichen Typus zugehört. Ihre Werke erscheinen so als hartnäckig wiederholte Versuche, mit exemplarischen Typen, ähnlicher Fabel und gleichen Motiven so lange kompositorisch und psychologisch zu experimentieren, bis die geeignete Konstellation für die vollkommenste künstlerische Lösung des Problems gefunden war. Als beste „menschliche" Lösung des Problems erschien schließlich der Liebesverzicht. Nicht anders verhält es sich mit dem in der Princesse de Cièves den Verzicht mitbedingenden Geständnis. Seit Valincour, der noch im Jahre des Erscheinens der Princesse de Cièves gegen den Verfasser des Werks den Vorwurf erhob, er habe das Motiv des Geständnisses dem Roman Les désordres de l'amour der Mme de Villedieu entlehnt, ist die Erörterung dieser „Plagiats"-Frage nicht mehr zur Ruhe gekommen2). Wichtiger als dieses für die Wertung unergiebige Problem und wichtiger als die Erörterung weiterer möglicher Vorbilder scheint 2) J.-H. du Trousset de Valincour, Lettres à M adame la Marquise*** sur le sujet de la Princesse de Cleves. Ed. Albert Cazes (Coll. des chefs-d'œuvre méconnus, Paris 1925, S. 195 ff.) — Neueste gründliche Erörterung des verwickelten Problems bei Β. A. Morisette, The Life and Works of MarieCathérine Desjardins (Mme de Villedieu) 1632—1683. Washington Univ. Studies, New Series, Lang, and Lit. No. 17., Saint Louis 1947, S. 105 ff. Vgl. audi Charles Dédéyan, Madame de Lafayette, Paris, 1956, S. 143 ff. u. S. 100 ff. — Les désordres de l'amour erschien 1675. Mme de Lafayette müßte, was weder zu beweisen nodi zu widerlegen ist, die Geständnisszene also vier Jahre nach Beginn der Arbeit an der Princesse de Cièves nachträglich eingeführt haben, wenn sie diese Mme de Villedieu entliehen hätte. Unsere in den folgenden Kapiteln dargelegten Strukturuntersuchungen lassen eine solche Entlehnung als sehr unwahrscheinlich erscheinen, bestätigen vielmehr die Ansicht H. Ashtons (Madame de Lafayette, sa vie et ses œuvres, Cambridge 1922, S. 165): „II est de toute évidence que tout le roman de la Princesse de Cièves fut écrit en vue de l'aveu." 10

uns der Umstand, daß hier ganz offenbar ein bestimmtes Thema gleichzeitig für mehrere Autoren relevant wurde. Geständnis und Verzicht zeugen für eine unerhörte Vertiefung des Eheproblems. Noch niemals seit der Epoche der Tristandichtungen hatte der Roman die außereheliche Liebesleidenschaft einer Frau so ernst genommen. Jetzt beginnt die zu allen Zeiten im Roman in der Liebesproblematik verdichtete Kollision zwischen Sein und Bewußtsein da, wo sie bisher haltgemacht hatte: mit der Ehe. Das irrationale Erlebnis bricht zerstörend in eine Institution ein, deren Gefährdung bisher nicht empfunden bzw. ignoriert worden war. Die Ehe wird, ohne wirklichen Zusammenhang mit der Praxis im Leben, in der Literatur zu einem Inbegriff der Ordnungswelt. Der literarische Konflikt der außerehelichen Liebe stellt nur die künstlerisch legitime Übersetzung eines anderen, allgemeineren Problems in eine dichterische Fabel dar. Die irrationale Macht der Liebe, bisher im heroisch-galanten oder bukolischen Phantasieraum oder in Gestalt komisch-verharmloster Promiskuität abgefangen, dringt jetzt mit der ganzen Wucht der ihr innewohnenden Problematik in die Ehe ein: sie tritt damit aus dem Vorraum der Gesellschaft in deren Zentrum. In ihr steckt der individuelle Anspruch auf Freiheit von den Normen. Es wäre nun freilich ein Irrtum anzunehmen, daß dieser individuelle Lebensanspruch, den wir in transponierter Form in der Princesse de Clèves mit der zu eng gewordenen normativen Ordnung in Konflikt geraten sehen, ein völliges Novum in der Literatur des klassischen Jahrhunderts darstellt. Der idealistische Roman hatte dem subjektiven Bedürfnis jenseits der gesellschaftlichen Institutionen in dem universalistischen Gebaren seiner Helden den Ausweg in einen Fluchtraum gewiesen, dessen Phantastik den monoton gehäuften Kollisionen mit einem letztlich doch stets versöhnbaren Schicksal die Glaubwürdigkeit versagen mußte. Die imaginäre Dimension des Abenteuers wie diejenige der Bukolik, mit ihren unwirklichen Schauplätzen und mit Wundern, an denen die Lafayette'sche Heldin explizit zweifelt, ignorierte, zusammen mit der maßlosen Entgrenzung des Handlungsraums, das real-historische Problem der Ordnung. Zum mindesten war dies das Geheimnis ihrer Faszinationskraft. Wenn Sorel eine Gestalt seines Francion bei der Lektüre eines Schäferromans sagen läßt: „II fait bon voir ici l'ordre du monde renversé"®), so deckt er damit den tiefen utopischen und doch an der Realität orientierten Beweggrund der Vorliebe für diese Literatur auf. Die erstrangigen W e r k e dieser Art können sich freilich — und darin liegt ihre künstlerische Qualität mitbegründet — auch noch im berückendsten Idealreich der Macht der sorgsam distanzierten Wirklichkeit nicht entziehen. Aus dem arkadischen „Erlaubt ist, was gefällt", mit dem noch 3) Romanciers du XVIIe siècle. Textes prés, et ann. p. Antoine Adam, Bibl. de la Pléiade, Paris 1958, S. 381. 11

Tasso im Aminta (1573) die absolute Freiheit der Sdiäferwelt Sannazaros (1502) weiterführt, ist unter dem Eindruck der Gegenreformation in Guarinis Pastor lido (1585 aufgeführt, Erstdruck 1590) in ein „Es soll gefallen, was erlaubt ist", verkehrt4). Bei aufmerksamer Lektüre von Honoré d'Urfé's Astrée zeigt sich, daß seine Grundformel lauten könnte: „Es soll gefallen, was vorgeschrieben ist", denn in dem arkadischen Forez ist es mit der Freiheit in Wahrheit schlecht bestellt. Die Liebe, Inbegriff individueller Regungen, wird hier zu einer Zwangsinstitution, die nur deshalb nicht als solche erscheint, weil in diesem Arkadien Leben und Lieben als identisch hingestellt werden. Celadon ist ein Akrobat der Unterwerfung; er muß es sein, denn die Herrschaft der Liebe ist so absolut wie diejenige des absolutistischen Staates. Und wie für diesen Staat, so gilt auch für das Schäferparadies in Forez, daß die Unterordnung allein auch zur „natürlichen" Erfüllung der Einzelexistenz führt. Celadons Wünsche sind identisch mit den Dekreten des Liebesgotts, daher kommt letzterer ihm, als alles aussichtslos scheint, im letzten Augenblick wunderbarerweise zu Hilfe — nicht so sehr viel anders als der König am Schluß von Molières Tartuffe. Es ist kein Zufall, daß die Astrée zu einer Zeit geschrieben und begierig gelesen wurde, in welcher die französische Monarchie ihre glänzende absolutistische Epoche einleitete. Die strenge Disziplin ist in der Astrée entschärft, weil sie ausschließlich als Liebesgehorsam auftritt, ja sie spiegelt die Möglichkeit einer nahtlosen Kongruenz von Pflicht und Neigung vor. Aber der Widerspruch, der schon in Montemayors Diana dadurch zum Ausdruck gelangt, daß die Titelheldin in der Liebe (u. d. h. im Leben) leer ausgeht, weil sie tat, was sie wollte, anstatt sich dem Gebot zu fügen, dieser Widerspruch hat auch in der Astrée einen — freilich ebenfalls bestraften — Wortführer: Hylas. Lafontaine liebte die Astrée um dieser Gestalt willen, deren ganzes Reden und Handeln ein einziges Aufbegehren des individuellen Freiheitsdrangs gegen ein von Normen geregeltes Leben darstellt. Exemplarischen Anspruch erhob auch — in betonter Anlehnung an die ästhetische Würde des Epos — der heroisch-sentimentale Roman der La Calprenède, Gomberville und Scudéry. Während dieser einerseits im Hinblick auf seine erzieherischen Absichten zunächst durchaus im gleichen Sinne wirkt wie die Astrée, zieht er durch seine alle Begrenztheit der Wirklichkeit mißachtende Phantastik das Verdikt der Maßlosigkeit auf sich. „Romanesque" wird für ein halbes Jahrhundert zur Bezeichnung des Phantastischen, Illusorischen5). Die Entgrenzung 4) S. dazu den aufschlußreichen Aufsatz von Hellmuth Petriconi, Das neue Arkadien, in Antike und Abendland III (1948) S. 187 ff. 5) S. Werner Krauss, Zur Bedeutungsgeschichte von „romanesque" im 17. Jahrhundert, in: Gesammelte Aufsätze zur Literatur- und Sprachwissenschaft, Frankfurt a. M. 1948.

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von Raum und Gefühl, die er zum Ausdruck bringt, wird als unangemessene Überschreitung des Standorts verdächtig. Der Roman war, wie Werner Krauss formuliert, zunächst „dazu berufen, die Gesinnung der Elite in die Allgemeinheit zu tragen. Er gibt der sich zusammenfassenden Gesellschaft ein erstes Element der Bewußtseinsbildung, indem er den Anspruch der Norm an den überlegenen Formen einer fiktiven und doch allgemein zugänglichen Überwelt aufweist. Mit der Verdichtung der gesellschaftlichen Beziehungen mußte indessen diese Vorstellungswelt unhaltbar werden"'). Mit der Doppeldimension von heroischem Abenteuer und unüberwindlicher Liebe, mit der Verfügbarkeit über eine ganze Welt und einem letztlich immer zum Guten lenkenden Schicksal vermochte der heroisch-galante Roman eine zeitlang Möglichkeiten ritterlich-adliger Selbstbestimmung vorzuspiegeln, die sich durch die Politik des Königtums alsbald als ganz und gar illusorisch erweisen sollten. Als der Grand Cyius erschien, war die Fronde im Gange und standen die von seiner Verfasserin so geliebten und gepriesenen Condé und ihr eigener Bruder Georges im Kampf gegen die Monarchie. „Es ist kein Zufall, daß seine [des heroisch-galanten Romans] Blüte mit dem Zusammenbruch des adligen Widerstandes gegen den königlichen Absolutismus in der Fronde endet" 7 ). Der Roman, und mit ihm das Epos, durch das er seine imaginäre Welt legitimierte, schien damit seine ohnehin erborgte ästhetische Würde endgültig verloren zu haben 8 ). Dieser Entwicklung hatten inzwischen die Verfasser der bürgerlichen „Antiromane" zu begegnen versucht. Einem Sorel erschienen die idealistischen Romane nicht als exemplarische Überhöhung der Wirklichkeit, sondern als deren Verarmung. Im Rückgriff auf den gegenwartsnahen pikaresken Roman sucht der „realistische" Roman eine alle sozialen Bereiche einbegreifende Lebenswirklichkeit zu erfassen. Das „niedere" Leben freilich konnte, solange die Stiltrennung der Einzelgattungen Gültigkeit behielt, nur mittels des „Komischen" dargeboten werden. Das erste literarische Programm einer realistischen Erzählkunst hatte nur im Gewand des comique Aussicht, von einem gebildeten Publikum ernst genommen zu werden. Bei Sorel werden, wie nicht nur seine theoretischen Äußerungen erkennen lassen, sondern auch der volle Titel seines Francion (La vraie histoire comique de Francion) andeutet, vrai und comique nahezu bedeutungsgleich. Die „romans comiques" säkularisieren in polemischer Wendung gegen den idealistischen Roman Abenteuer und Liebe. Die wunderbaren Ereignisse und Be6) A.a.O. S. 414. 7) Gerhard Hess im Nachwort seiner deutschen Ausgabe der Princesse de Clèves, Wiesbaden 1949«, S. 222. 8) Boileaus 1664 geschriebener Dialog Les héros de roman war nur die Beerdigung einer bereits toten Romanart. 13

gegnungen, denen dort eine providentielle Fürsorge für eine zur Führung berufene Menschenklasse eignet, sind in den „realistischen" Romanen entidealisiert mit dem Blick auf eine Wirklichkeit, die keinen hohen Sinn mehr enthält und keinerlei apriorische Harmoniegewißheit zuläßt. Der Zufall, im heroisch-galanten Roman Instrument der Vorsehung, wird jetzt, gemäß dem Leben, als sinnfreies Begebnis reproduziert. Während nun Scarron und Sorel gleichwohl diese Zufälle zu wesentlichen Schnittpunkten eines noch geschlossenen Romangeschehens organisieren, entzieht Furetière um der Lebensnähe willen dem Zufall die Funktion der Strukturbildung und macht damit eine sinnvolle Romanfabel unmöglich. Dem Leser seines „tres-veritable et tressincere recit" wird erklärt, er dürfe im zweiten Teil nicht mit einer Fortführung der Handlung rechnen, weil eine solche Erwartung gegen die Wirklichkeit des Lebens verstoße8). Die Sorge, die von ihm erzählten „petites histoires [ . . . ] qui n'ont rien de commun ensemble", zu verbinden, will er dem Buchbinder überlassen. Furetière nimmt aus Protest gegen die alten Romane den Verzicht auf die epische Allwissenheit des Autors so ernst, daß dadurch der Roman selbst, der nur die Zusammenhanglosigkeit des Lebens kopieren soll, als Kunstform vernichtet wird. Die falsch verstandene Nachahmungstheorie macht den „realistischen" Roman des 17. Jahrhunderts unmöglich. Furetière findet keine Nachfolger mehr. Sein Problem wird — mit anderen Mitteln und anderer Lösung — erst Diderot wieder aufnehmen. Für den diskreditierten Roman war also aus dem ästhetisch in die Irre führenden „Realismus" nichts zu erwarten. Dem adligen Publikum vermochte er ohnehin keine Antwort auf die neue Situation zu geben. Der Roman konnte seinen Kredit nur zurückgewinnen, indem er von dem epischen Vorbildanspruch und Universalismus im Rückgang zu der Begrenztheit des Standorts in der absolutistischen Gesellschaft abrückte. Die neue Wendung, die durch die bedeutende Schrift Traité de l'origine des romans von Pierre-Daniel Huet bezeichnet wird, bringt die Trennung von Roman und Epos und fordert für den ersteren eigene Formgesetze10). Die Bestimmung, daß im Roman mehr von der Liebe als vom Krieg gehandelt werde im Gegensatz zum Epos, wo es umgekehrt sei, schließt für den neuen Roman den Verzicht auf jede eigene politische und militärische Weltgestaltung des adligen Helden ein, und sei jene noch so imaginär. Die Princesse de Clèves wird auch darin dem neuen Programm folgen. Parallel zu diesem Wandel in der Auffassung des Romans verändert sich auch das Bild der Geschichte. Die ihre eigenen Wunschbilder in den Roman projizierende Adelsgesellschaft hatte ohne Rücksicht auf 9) Romanciers du XVIIe siècle, S. 1025. 10) P.-D.Huet, Traité de l'origine des romans. Ed. crit. accomp. d'une introduction et de notes. Academisch Proefsdirift v. Arend Kok. Amsterdam 1942, S. 116. Vgl. dazu die Einleitung des Herausgebers S. 65. 14

historische Wahrheit gerade ferne und zugleich renommierte Epochen zum Schauplatz unerhörter Begebenheiten und idealer Lebenserfüllung gemacht und dabei ihren eigenen Begriff exemplarischen Verhaltens ins Universale ausgeweitet und praktisch mit der vraisemblance identifiziert. Daß die vraisemblance in der Dichtung die Geschichte korrigieren müsse, darüber waren sich alle Autoren und Theoretiker des 17. Jahrhunderts einig. Die entscheidende, vor allem den Roman betreffende Wendung in der Ästhetik der zweiten Jahrhunderthälfte lag nun darin, daß mit der sich jetzt erhebenden Forderung nach vérité der Begriff der vraisemblance nicht mehr allein von der völlig gesdiichtsfremden bienséance gedeckt schien11). Wenn der diskreditierte Roman jetzt mit Vorliebe unter den seinen Wahrheitsanspruch plakatierenden Bezeichnungen Histoire, Mémoire oder Nouvelle läuft, so läßt eine Definition Segrais' die Abwertung der bienséance gerade dadurch deutlich werden, daß sie mit der Willkür und der Phantasie der bisherigen „Roman"-Autoren zusammen gebracht wird. „ . . . il me semble que c'est la différence qu'il y a entre le Roman, et la Nouvelle, que le Roman écrit ces choses comme la bienséance le veut et à la manière du Poète; mais que la nouvelle doit un peu davantage tenir de l'histoire et s'attacher plustost à donner les images des choses comme d'ordinaire nous les voyons arriver, que comme notre imagination se les figure"12). Bienséance und vraisemblance geraten in einen Gegensatz zueinander. „La révolution consista à renverser la hiérarchie de l'esthétique classique et à préférer désormais la vraisemblance aux bienséances" 1 '). G. May, der diesen Wandel gerade am Verhältnis von Roman und Geschichte untersuchte, hat festgestellt, daß in keinem Roman der ersten Jahrhunderthälfte die Handlung nach dem Mittelalter spielt, von 1660 an der Schauplatz zeitlich jedoch immer näher an die Gegenwart heranrückt14). Selbst Mlle de Scudéry zog — zu spät und nur in der Theorie — die Konsequenz aus der neuen Lage, als sie im Interesse der vraisemblance den Autoren den Rat gab, sich als zeitlichen Rahmen eine Epoche auszusuchen, die der Gegenwart nicht so fern ist, daß man nichts Sicheres mehr von ihr wüßte, aber auch nicht so nah, daß man jedes Detail nachprüfen könnte 15 ). Den ersten Schritt hatte, wie Pierre Bayle bezeugt 1 '), Mme 11) S. René Bray, La formation de la doctrine classique en France, Paris 1957, S. 147 f. 12) Segraisiana, zit. nach Arnaldo Pizzorusso, La concezione dell'arte narrativa nella seconda metà del Seicento francese. In: Studi mediolatini e volgari III (1955) S. 120. 13) Georges May, L'histoire a-t-elle engendré le roman? Aspects français de la question au seuil du siècle des lumières, in Revue d'Hist. litt, de la France 55 (1955) S. 170. 14) A.a.O. S. 168 f. 15) Conversations sur divers sujets, Amsterdam 1682, II, S. 43. 16) Dictionnaire critique et historique, Art. Jardins. 15

de Villedieu mit ihren zahlreichen Romanen getan. Aber erst Mme de Lafayette zog die volle Konsequenz aus dieser Entwicklung. Die größere zeitliche Nähe des Schauplatzes bedingte eine erhebliche Modifikation des Wahrscheinlichkeitsbegriffs in Richtung auf die historische Wahrheit. Mme de Lafayette wollte ihr Werk nicht als roman, sondern als mémoires verstanden wissen, und ihr Verteidiger, der Abbé J.-A. de Chames, stellte es nodi entschiedener in Gegensatz zu den Romanen und Epen und gab es aus als „des copies simples et fidelies de la véritable histoire, souvent si ressemblantes, qu'on les prend pour l'Histoire mesme" 17 ). Bei Mme de Lafayette ist der ins Illusionär-Unverbindliche entlassene Drang der Roman-Individuen in einen einmaligen, und mit diesem einen Mal sogleich auch die ganze Existenz bedrohenden Liebeskonflikt hereingenommen, vor dem es kein Ausweichen mehr gab. Jeder Versuch der Protagonistin, sich durch einen Rückzug in die Einsamkeit der Entscheidung zu entziehen, wird von dem Gatten mit dem Hinweis auf die Pflicht, bei Hofe zu erscheinen, verhindert. Die Bannkraft des Hofes unterbindet nach der endgültigen politischen Zähmung des Hochadels jede die gesellschaftliche Realität ignorierende Vorspiegelung einer realen Geschichtsmächtigkeit. Die gleiche Verdichtung der Gesellschaft, die literarische Fluchträume von der Art der heroisch-galanten Romane ganz und gar unglaubwürdig werden läßt, wird zu einem Zwang, in dem sich die überpersönliche Gesetzlichkeit, der die Einzelperson ausgesetzt ist, gleichsam in den Hofpflichten der Mme de Clèves versachlicht, führt in der Princesse de Clèves immer wieder zu neuer Verschärfung des inneren Konflikts. Dabei wird deutlich, „wie die urbanisierten und sublimierten Rivalitäten in einer dauernd gedrängteren Gesellschaft, wie ein höchster und raffinierter Grad von Selbstbemeisterung nicht nur neue, sehr subtile Gefühlsverzweigungen, sondern auch das Selbstwissen und die Selbstforschung hervortreiben" 18 ). Das individuelle Sein ist jetzt direkt und unausweichlich mit den konkreten Lebensbedingungen des absolutistischen Staates konfrontiert. Die Princesse de Clèves ist nicht mehr jene romaneske Außenseiterin, in deren zeitentrückte Idealität das Publikum gefahrlos seine geheimen Sehnsüchte hineinprojizieren konnte. Mit ihr bekennt sich vielmehr der subjektive Anspruch jetzt zur realen Mitte des Lebens, zur Forderung nach Individualität in der Ordnung, nicht fern von ihr. Erst durch den Verzicht auf jene universalistische Abenteuerdimension, u. d. h. zugleich unter Verzicht auf die Schwellformen des Romans, kann das besondere Handeln des Helden 17) Conversations sur la critique de la Princesse de Clèves, Lyon 1679, S. 118. 18) Erich Kahler, Die Verinnerung des Erzählens, in: Die Neue Rundschau 68. Jg. 1957, 4. H., S. 520. 16

zu einem editen Konflikt führen. Diese Echtheit bezeugt sidi an der Unmöglichkeit eines Happy end: die Individualität, die weder in einen imaginären Raum flüchtet, noch sich rücksichtslos vereinzelt und vernichtet, muß versuchen, sich in der Unterwerfung zu bewahren. Und dies wiederum ist nur möglich durch den Verzicht auf ihre volle Entfaltung. Mit der Abkehr von der epischen Dimension der militärischen Aventure war nunmehr der Roman für die künstlerische Übersetzung des allgemeinen Themas auf die Liebe allein verwiesen. Und dabei mußte sich ganz natürlich der Konflikt der außerehelichen Liebe als poetischste Transposition der Kollision von Anspruch auf individuelle Lebenserfüllung und institutioneller Norm erweisen. Die Situation, in der Mme de Lafayette zu schreiben beginnt, wird am besten durch das Zeugnis eines zeitgenössischen Beobachters beleuchtet. Der Abbé de Villars, selbst Autor eines Romans, in dem sich eine der Princesse de Clèves vergleichbare Geständnisszene findet (Anne de Bretagne 1671), sieht in seinem Dialog De la Délicatesse die Ursache für das plötzliche Sinken des Romans in der Gunst des Publikums darin, daß die illegitime Liebe in ihr keinen Platz hat. Die mehrfach betonte Plötzlichkeit dieses Geschmackswandels wird mit dem unbewußten Bedürfnis des Lesers nach literarischer Rechtfertigung seiner Neigungen erklärt. Der alte Roman befriedigt das Verlangen nach individuellen Lebensansprüchen abseits der Norm nicht. Umso größeres Lob findet darum bei Villars Mme de Lafayettes Erstlingswerk, die Princesse de Montpensier, die das Problem der Princesse de Clève zum ersten Male stellt 1 '). Die Princesse de Montpensier von 1662 hat bereits das gleiche Grundthema wie die Princesse de Clèves. Die Protagonistin geht an ihrer leidenschaftlichen Liebe zu dem leichtsinnigen Duc de Guise zugrunde. Die Erzählung schließt mit den Worten: „Elle mourut en peu de jours, dans la fleur de son âge, une des plus belles princesses du monde et eût été sans doute la plus heureuse, si la vertu et la prudence 19) „C'est que les Romans comme on les a faits, ne prennent pas le tour du cœur, ils ne ménagent pas assez la pente qu'ont tous les hommes à l'amour déréglé, ils inventent une maniere d'amour que la seule imagination autorise, ceux qui n'aiment pas pour se marier n'y trouvent pas leur conte. Le mariage est un ouvrage de la raison toute seule. Le cœur n'a guere eu de part en cette invention. C'est pourquoi on a veu cesser tout à coup cette ardeur qu'on avoit pour les Romans: on y couroit, parce qu'on esperoit sans qu'on s'en aperceût d'y trouver ses faiblesses autorisées; et on les a quittez tout à coup sans sçavoir pourquoy; parce qu'on n'y a pas trouvé ce qu'on y cherchoit, et qu'on n'en a rapporté autre chose, si ce n'est qu'il faut brûler ou se marier, et le cœur ne cherche ny l'un ny l'autre." (De la Délicatesse, Amsterdam 1672', S. 5—6). 17 2 Köhler, Mme de L.

eussent conduit toutes ses actions" 10 ). Man kann diese Versicherung nur so verstehen, daß Mme de Lafayette zu dieser Zeit noch genug Vertrauen in die rationale Tugend hat, um die Harmonisierung von individuellem Glücksverlangen und institutioneller Norm für möglich zu halten. Was sie indessen hier an der Princesse de Montpensier aussetzt, wird von der Princesse de Clèves in ungeheurer Anstrengung geleistet, ohne daß die letztere darum glücklich geworden wäre. Das irrationale, vernunftwidrige Erlebnis der Liebe erweist sich als des Menschen Eigenstes, dessen Niederzwingung eine echte Sinnerfüllung des individuellen Daseins ausschließt. Mme de Lafayettes „Lösung" wird der Verzicht sein.

20) Mme de Lafayette, Romans et nouvelles. Textes revus sur les éditions originales avec une introduction, une bibliographie et des notes par Emile Magne. Paris 1948 (Classiques Garnier). — Die Seitenzahlen in unserem Text beziehen sich auf diese Aufgabe. 18

II. Die psydiologisdie Struktur der Princesse de Clèves

L'illusion dépend des i

circonstances Diderot

Surprise

Für den Einbruch des Vernunftwidrigen gibt es in den Werken der Lafayette ein Leitmotivdiarakter tragendes Indiz: die surprise, welche die Gestalten schockartig im Innersten trifft und erschüttert1). Die surprise ist Basis des psychologischen Motivgeriists, dessen Erstellung durch die Fabel besondere Aufmerksamkeit verdient. Die alte Vorstellung der „Liebe auf den ersten Blick" erhält durch die volle, eine allmähliche Entwicklung der Liebe ausschließende Intensität des überfallartigen Anfangserlebens das Pathos der Leidenschaft und das Zeugnis ihrer Authentizität. Schon in der Princesse de Montpensier heißt es: Iis [sc. le duc d'Anjou et le duc de Guise] ne furent pas moins s u r p r i s des charmes de son esprit qu'ils l'avaient été de sa beauté; et ils ne purent s'empêcher de lui faire connaître qu'ils en étaient e x t r a o r d i n a i r e m e n t s u r p r i s (11). Es scheint, als hätte Descartes' Traité des passions de l'âme die theoretische Grundlage geliefert, speziell seine Erörterung der admiration, die definiert wird als une subite s u r p r i s e de l'âme, qui fait qu'elle se porte à considérer avec attention les objets qui lui semblent rares et extraordinaires'). Auch die Gewalt, mit der die admiration infolge des Uberraschungseffektes auftritt und jeden Widerstand zu überspielen droht, findet sich bei Descartes erklärt: Et la force dépend de deux choses, à savoir, de la nouveauté, et de ce que le mouvement qu'elle cause a dès son commencement toute 1) Zur Bedeutimg von surprise vgl. bereits Rosemarie Burkart, Die Kunst des Maßes in Mme de Lafayettes Princesse de Clèves, Köln 1932, S. 88ff.¡ D. Beyerle a.a.O. S. 97, und Georges Poulet, Etudes sur le temps humain, Paris 1956, S. 123 f. 2) Art. 70. Ed. Bibl. de la Pléiade, Paris 1952, S. 728. 19 2·

sa force. Car il est certain qu'un tel mouvement a plus d'effet que ceux qui, étant faibles d'abord et ne croissant que peu à peu, peuvent être aisément détournés3). Die unmittelbar darauffolgende physiologische Erklärung Il est certain aussi que les objets des sens qui sont nouveaux t o u c h e n t le cerveau en certaines parties auxquelles il n'a point coûtume d'être t o u c h é ; ist noch spürbar in den Worten, die Mme de Lafayette einer der Gestalten ihrer Zalde in den Mund legt: J'ai été s u r p r i s de sa beauté [ . . . ] mais, encore que je croie qu'on ne puisse ê t r e t o u c h é s a n s ê t r e s u r p r i s , je ne crois pas qu'on ne puisse être s u r p r i s s a n s ê t r e t o u c h é (61).

Die ideale absolute Schönheit der Lafayetteschen Heldinnen ist, da sie jene plötzliche Erschütterung bewirken soll, die Konsequenz eines generellen Befundes der unvorhersehbaren Erschütterung durch das Irrationale: Gonsalve demeura s i s u r p r i s e t s i é b l o u i de l'éclatante beauté de cette princesse qu'il s'arrêta, et ne put s'empêcher de faire paraître son é t o n n e m e n t (Zaide, 220)4). Etonnement ist die äußerste Folge der surprise, die — wiederum nach Descartes — „fait que tout le corps demeure immobile comme une statue", und: ,,1'étonnement est un excès d'admiration" 5 ). Im étonnement erreicht die auch bei Mme de Lafayette stets durch ein „ne pouvoir s'empêcher" oder „ne pouvoir cacher" betonte Unwiderstehlichkeit des Betroffenseins durch die surprise den höchsten Grad, der die plötzlich erwachte passion unheilbar macht. Genau dies widerfährt dem Prince de Clèves bei seiner ersten Begegnung mit Mlle de Chartres: Il fut tellement s u r p r i s de sa beauté qu' i l n e p u t c a c h e r s a s u r p r i s e ; et Mlle de Chartres n e p u t s ' e m p ê c h e r de rougir en voyant l ' é t o n n e m e n t qu'elle lui avait donné (249). Auch dem Duc de Nemours, der selbst „était fait d'une sorte qu'il était difficile de n'être pas s u r p r i s e de le voir quand on ne l'avait jamais vu" ergeht es ähnlich: M. de Nemours fut tellement s u r p r i s de sa beauté que, lorsqu'il fut proche d'elle, et qu'elle lui fit la révérence, il n e p u t 3) Art. 72, S. 729. 4) Vgl. Za'ide, S. 43: „ [ . . . ] quel fut son é t o n n e m e n t quand il vit, au travers des horreurs de la mort, la plus grande beauté qu'il eût jamais vue? [ . . . ] Il fut s u r p r i s de la proportion de ses traits et de la délicatesse de son visage; il regarda avec é t o n n e m e n t la beauté de sa bouche..." 5) Traité des passions, Art. 73 (Ce que c'est que l'étonnement) S. 729. 20

s'empêcher (262)·).

de donner des marques de son

admiration

Der Vergleich mit dem Traité des passions erhellt nicht nur den Zusammenhang mit der Anthropologie des Descartes, sondern auch den Umstand, daß das Motiv der surprise bei Mme de Lafayette eine besondere funktionelle Relevanz erhält7). Er läßt zugleich die Folgerung zu, daß die Überzeugung Descartes' von der Beherrschbarkeit der Leidenschaften durch Vernunft und Willen bei Mme de Lafayette erschüttert ist. In der Princesse ist, wie G. Hess mit Recht betont, „die Macht der Vernunft nicht mit der großartigen Selbstverständlichkeit am Werke wie bei Corneille und Descartes. Die Idee des willensstarken Helden ist in der zeitgenössischen Anschauung vom Menschen, bei La Rochefoucauld und den Jansenisten, gebrochen"8). Die surprise vereinzelt den Betroffenen in dem Maße, als er ihrer Folgen nicht mehr Herr zu werden vermag, ja vereinsamt ihn schlagartig, weil mit der durch sie geweckten Leidenschaft nunmehr die Mitteilbarkeit des Wesentlichen aufhört und damit virtuell auch die umfassende Verbindlichkeit der Gesellschaft9). Surprise ist in unserem Roman das Schlüsselwort für die Erfahrung eines plötzlichen Überfalls unberechenbarer, irrationaler und schicksalhafter Kräfte auf die vermeintliche Geborgenheit in einer rationalen Lebensordnung. Wie wird die Princesse de Clèves mit dieser Bedrohung fertig? In dieser Frage gipfelt das um dieser Frage willen gestellte Thema des Werks. Und hinter dieser Frage des Romans steht eine umfassendere: wie wird die klassische Konzeption des Menschen auf dem Höhepunkt ihrer Ausbildung mit der Gefährdung ihrer rationalen Ordnungsprinzipien durch die irrationale, vereinzelnde Erfahrung der Individuen fertig? Bevor wir auf diese Frage eine Antwort zu geben versuchen, müssen wir die von der surprise ausgehenden psychologischen Entwicklungslinien und ihren Verlauf wie ihre Verknotung in den einzelnen Episoden betrachten. 6) Fast scheint es, als hätte Mme de Lafayette sich in der auf Clèves und Nemours angewandten Differenzierung von étonnement und admiration der cartesianisdien Unterscheidung zwischen der an sich positiven und korrigierbaren admiration und dem étonnement als dem „excès d'admiration qui ne peut jamais être que mauvais" erinnert. 7) Vgl. die Feststellung Burkarts a.a.O. S. 91: „ [ . . . ] nirgends findet sich .surprendre' von Gefühlsausdriicken so häufig gesagt wie in der Sprache Mme de Laf.'s; nirgends scheint mir die Art der Verwendung (z. B. oft in der Zweigliedrigkeit: .surprise et troublée' etc.) so sehr die E r s c h ü t t e r u n g e i n e s l a b i l e n s e e l i s c h e n G l e i c h g e w i c h t s zu verraten." 8) A.a.O. S. 238. 9) Hess, a.a.O. S. 246, möchte in der „Einsamkeit", der „Entfremdung", das „vielleicht gewichtigste, das eigentlich tragische Thema" des Werkes sehen, über diese Frage vgl. unten S. 40 u. 46.

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2. Passion Die surprise impliziert, wie wir sahen, fatale Unausweidilichkeit, ebenso aber die Vorstellung, daß die Liebe sogleich in der vollen Intensität einer passion einsetzt. Durch die surprise wird somit der die gesamte anthropologische Diskussion des Jahrhunderts durchziehende Antagonismus passion — raison bzw. cœur — esprit von Anbeginn an polarisiert und zu einer Auseinandersetzung getrieben, die sich erzählerisch in äußerster Schärfe nur an einem Ehekonflikt entzünden konnte. Indem die surprise spontan die Ubermacht der passion über die Seele erzeugt, wird sie auch zu einer Bedingung des Verzichts. Denn das Pathos, das dem Verzicht als dem spezifischen Thema des Werkes innewohnt, setzt das tiefste Erlebnis des Wertes voraus, auf den verzichtet werden soll. Aber dieses Erlebnis, soll es, wie der Verzicht als sein Bedingtes, glaubhaft sein, bedarf einer Ereignisfolge, in deren Verlauf die Anstrengungen zu seiner Bewältigung sich in ebensolcher Steigerung wiederholen wie die Rückfälle. Der historische Hintergrund erhält hier eine seiner wichtigsten Funktionen in einem doppelten Sinne: einmal erlauben turbulente Hofereignisse der Princesse, sich der Aufmerksamkeit zu entziehen oder sich überhaupt zu entfernen, dann wieder zwingen sie sie, die soeben in der Zurückgezogenheit gewonnene Sicherheit wieder aufs Spiel zu setzen. Die einseitige surprise Clèves' findet im Juwelierladen statt. Hier entflammt sogleich eine passion, die der leitmotivisch immer wiederkehrende Zusatz estime schon jetzt als eine legitime kennzeichnet: „ . . . on peut dire qu'il conçut pour elle dès ce moment une passion et une estime extraordinaires" (249)10). Die gegenseitige surprise Nemours' und der Princesse ereignet sich inmitten der glänzenden Hofgesellschaft, sie ist „fatal" für beide Beteiligten, wie der eifersüchtige Chevalier de Guise sofort und Mme de Chartres bei dem Bericht der Tochter erkennen11). Während Nemours' Gefühle sogleich als passion erscheinen, werden diejenigen der Princesse vom Standpunkt der jungen Frau her, die noch nicht weiß, daß, was sie fühlt, die Liebe ist, zunächst vorwiegend mit dem preziösen inclination benannt, das sachlich durchaus dasselbe meint wie passion. 10) Diese leitmotivische Doppelung passion — estime (bzw. amour — estime) ist andererseits eine Begründung für die unheilbare, zum Tode führende Eifersucht Clèves", nachdem das Geständnis seine passion verletzt und seine estime fragwürdig gemacht hat. Amour und estime des Gatten verloren zu haben, gehört zu den bittersten Selbstvorwürfen der Princesse (vgl. S. 352: „J'ai perdu le cœur et l'estime d'un mari qui devait faire ma félicité", vgl. auch S. 336). 11) „II [sc. le chevalier de Guise] (le) prit comme un présage que la fortune destinait M. de Nemours à être amoureux de Mme de Clèves" (262). „Elle [Mme de Clèves) loua M. de Nemours avec un certain air qui donna à Mme de Chartres la même pensée qu'avait eue le chevalier de Guise" (263).

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Das Motiv der passion wird, noch bevor sie der Princesse selbst bewußt wird, unmittelbar nach der zweiten Begegnung mit Nemours eingeführt in der Geschichte der Liebe Heinrichs zu Diana, die Mme de Clèves im Gespräch mit ihrer Tochter rekapituliert. Die öffentlichpolitische passion im höfischen Lebenszentrum präludiert so, ohne den Rahmen der historischen Situationsdarlegung zu verlassen, dem eigentlichen Beginn des Romankonflikts und verbindet das Motiv der passion zugleich mit dem der jalousie. An diese Geschichte und ihr Doppelmotiv schließt die zweite eingeschobene Erzählung an, nach deren Abschluß die Princesse, die nach der Warnung der Mutter und nach deren Tod aufs Land gezogen war, um Nemours' Gegenwart zu meiden, gefestigt wieder an den Hof zurückkehrt"). Warnung und Tod der Mutter hatten eine „suspension" ihrer Gefühle bewirkt, „qui lui faisait croire qu'ils étaient entièrement effacés" (289). Aber noch am Abend ihrer Ankunft erfährt sie durch die Dauphine von Nemours' Verzicht auf den englischen Thron um einer Frau willen, in der sie unschwer sich selbst erkennt. „Quel poison, pour Mme de Clèves, que le discours de Mme la Dauphine!" (291). Von nun an kann nicht mehr von einer Austilgung ihrer Liebe, sondern nur noch von ihrer Verheimlichung, vor allem auch vor Nemours selbst, die Rede sein. Einem erneuten Rückzug folgt eine neue Begegnung mit Nemours am Hof, in deren Verlauf die durch Schilderung der englischen Königin entzündete Eifersucht der Princesse ihre passion aufs neue entflammt. Die Entwendung ihres Porträts durch Nemours, erneute Selbstvorwürfe, weil sie bei Nemours' Verletzung während der Turniervorbereitungen ihre Gefühle nicht verbergen konnte, nähren ihre passion, bis sie schließlich der Brief, den Nemours angeblich verloren hat, in einer furchtbaren Erschütterung die ganze Macht ihrer passion und die Schrecknisse der Eifersucht erkennen läßt. Von diesem Ereignis an wird die Geschichte ihrer passion identisch mit der Geschichte ihrer jalousie, aus der entscheidende Antriebe für ihr weiteres Handeln kommen. 3. Jalousie Das Motiv wird eingeführt anläßlich der Rivalität zwischen Clèves und Guise (257) und derjenigen Guises und Nemours' (263). Von der seelischen Verfassung des soeben vermählten, aber ungeliebten Clèves wird gesagt, „[que] l a j a l o u s i e n'avait point de part à ce trouble" (260). Die Bedeutung, die der Eifersucht in der eigentlichen Handlung zuwachsen wird, läßt indessen erst die von Mme de Chartres erzählte Geschichte der Liebe Heinrichs und Dianas ahnen, deren Thema zu Beginn der Geschichte der Mme deTournon wieder aufgenommen wird. 12) Clèves beginnt seine Erzählung der Geschichte der Mme de Tournon mit dem Hinweis auf die passion des Königs für Diana und seine Eifersucht auf Brissac, also gerade die Themen, die audi Gegenstand der Erzählung Mme de Chartres' gewesen waren (vgl. S. 281).

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Erst nach dieser parallelistischen Vorbereitung wird das Motiv für die Haupthandlung selbst aktiviert. Die Princesse erhält von der Dauphine den angeblich von Nemours verlorenen Liebesbrief der Mme de Thémines. Zum ersten Mal in ihrem Leben erduldet sie eine Qual, die ihr ganz und gar unerträglich erscheint: „et ce mal qu'elle trouvait si insupportable, était la j a l o u s i e a v e c t o u t e s l e s h o r r e u r s dont elle peut être accompagnée" (310). Diese neue Erfahrung, an die sich die ersten ernstlichen Zweifel an der Liebe Nemours' schließen, verbindet sich mit der Erneuerung der Selbstvorwürfe, der Erinnerung an die Warnung der Mutter, dem verletzten Stolz und dem jetzt zum dritten Male auftauchenden Gedanken an ein Geständnis zu einem Seelenzustand, bei dem es nur noch einer geringen Steigerung und eines Anlasses bedarf, um eine folgenreiche Tat auszulösen. Nach einer schlaflosen Nacht, der Aufklärung des Mißverständnisses — in deren Gefolge bei der Darlegung der Briefangelegenheit mit der Beteiligung der Königin das Eifersuchtsmotiv weitergeführt wird (319—321) — nach der glücklichen Stunde der gemeinsamen Abfassung des falschen Briefs taucht die Erinnerung an die ausgestandene Qual in einer Stärke wieder auf, die sie in einen Zustand tiefster Ratlosigkeit versetzt und an der Zukunft verzweifeln läßt. . . . ce qu'elle pouvait moins supporter que tout le reste, était le souvenir de l'état où elle avait passé la nuit, et les cuisantes douleurs que lui avait causées la pensée que M. de Nemours aimait ailleurs et qu'elle était trompée. Elle avait ignoré jusqu'alors les i n q u i é t u d e s m o r t e l l e s d e l a d é f i a n c e e t d e l a j a l o u s i e ¡ (330)

Audi die Aufklärung der Briefangelegenheit ändert nichts an dieser Angst, die ihr Nemours' Charakter als nur zu gut begründet erscheinen läßt: Elle trouva qu'il était presque impossible qu'elle pût être contente de sa passion.

Unvermittelt geht jetzt die indirekte Rede in die direkte über, wird zum Monolog der Verzweiflung: Mais quand je le pourrais être, disait-elle, qu'en veux-je faire? Veux-je la souffrir? Veux-je y répondre? Veux-je m'engager dans une galanterie? Veux-je manquer à M. de Clèves? Veux-je manquer à moi-même? Et veux-je enfin m'exposer aux c r u e l s r e p e n t i r s et aux m o r t e l l e s d o u l e u r s que donne l'amour?

Den verzweifelten Fragen folgt das Eingeständnis der tiefsten Ratlosigkeit: Je suis vaincue et surmontée par tuie inclination qui m'entraîne malgré moi. Toutes mes résolutions sont inutiles; je pensai hier tout ce que je pense aujourd'hui et je fais aujourd'hui tout le contraire de ce que je résolus hier.

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Was sie bis dahin nach jedem Versuch, sich ihrer passion zu entziehen, erleben mußte, nämlich die Übermacht der Leidenschaft über jede Vernunftanstrengung, das wird jetzt, unter der bitteren Erfahrung der Eifersucht, zum Bewußtsein vom Ende aller Selbstbestimmung und Sicherheit über das Leben. Die Princesse erkennt, daß die bisherige Geschichte ihrer Liebe ein Prozeß des Autonomieverlusts war, in dessen Verlauf die Vernunft dazu verurteilt war, ohnmächtig die Etappen ihrer Abdankung vor der passion zu verzeichnen. Die als jederzeit erneut möglich erkannten „horreurs de la jalousie" stellen den Wert der Liebe selbst in Frage und besiegeln die Ohnmachtserklärung vor der passion. In diesem Zustand entschließt sich die Princesse, der Anarchie ihrer Gefühle durch ein äußerstes Mittel — „un remède si extraordinaire" (335, 337) — ein Ende zu bereiten. Wieder vereinigen sich in einer einzigen Szene die sorgsam vorbereiteten Motive, um in ihrer plötzlichen Verdichtung mit Notwendigkeit den außergewöhnlichen Entschluß zum Geständnis zu erzeugen: Die Ausweglosigkeit der passion, zum äußersten Schmerz, zur tiefsten Ratlosigkeit gesteigert durch die jalousie, vereint mit dem ersten Zweifel an Nemours. Als weiteres, ebenfalls im Verlauf vergeblicher Ausweichsversuche durchgeführtes Motiv, tritt der Rückzug in die Einsamkeit hinzu, den es — und damit ergibt sich die Notwendigkeit des Entschlusses aus einer Alternative — notfalls zu erzwingen gilt durch das Geständnis, an das die Princesse bereits dreimal als Ausweg gedacht und das sie jedesmal wieder verworfen hatte. Die Briefepisode hat also die Funktion, die thematisch längst eingeführte Eifersucht zum Katalysator der ebenfalls in sorgfältiger Steigerung vorbereiteten Beweggründe für einen entscheidenden Akt zu machen: Il faut m'arracher de la présence de M. de Nemours; il faut m'en aller à la campagne, quelque bizarre que puisse paraître mon voyage ¡ et si M. de Clèves s'opiniâtre à l'empêcher où à en vouloir savoir les raisons, peut-être lui ferai-je le mal, et à moi-même aussi, de les lui apprendre. Elle demeura dans cette résolution (331).

Noch einmal wird die Entscheidung aufgeschoben: Clèves stimmt der Reise nach Coulommiers zu. Als er jedoch auf Rückkehr drängt, führt die Princesse ihren Entschluß aus. Von nun an erfaßt die Eifersucht in doppelter Stärke den Gatten: J'ai tout ensemble la j a l o u s i e a m a n t (334).

d'un m a r i

et celle d'un

Die epische Funktion der jalousie ist von nun an, nachdem sie das Geständnis mit ausgelöst hat, eine doppelte: 1. muß sie den Tod Clèves verursachen, da ohne diesen Tod der Verzicht kein echter Verzicht wäre und der Motivierung des devoir ermangeln würde; 2. muß die Eifersucht, welche die Princesse für sich selbst fürchtet, 25

verstärkt um das erschreckende Beispiel des Gatten, neben devoir zum Hauptmotiv des Verzichts werden. Clèves Eifersucht ist eine direkte Folge des Geständnisses. Niciit zufällig stellt er selbst alsbald das Recht zu dieser Handlung seiner Frau in Frage. Audi daß seine Eifersucht binnen kürzester Zeit zu Krankheit und Tod führt, hat seine Ursache in der Geständnisszene: der von den zeitgenössischen Kritikern besonders beanstandete Umstand, daß Nemours heimlich das Geständnis mit anhört, dem befreundeten Vidame de Chartres davon erzählt, dieser das Vernommene über Mme de Martigues ins Hofgespräch bringt, führt nicht nur zu Streitigkeiten und wachsender Entfremdung zwischen den Gatten und zu neuen (für den Fortgang der Handlung überaus wichtigen) Zweifeln der Princesse an Nemours, sondern läßt auch Clèves schließlich in Nemours den glücklicheren Rivalen erraten und veranlaßt ihn, diesem nachzuspionieren und die Princesse für schuldig zu halten. Daran geht er zugrunde. Der Eifersucht, die als fatale Folge eines Geständnisses einen tödlichen Ausgang nimmt, hatte Mme de Lafayette schon in ihrer Zaide eine eigene Studie gewidmet in der Histoire d'Alphonse et de Bélasire. Alphonse dringt in Bélasire, ihm von der Liebe des verstorbenen Comte de Lare zu ihr zu erzählen und steigert sich in eine verhängnisvolle Eifersucht auf den Toten hinein, wendet diese „jalousie avec toutes les horreurs dont on la représente" (119) gegen den Freund Don Manrique, tötet ihn und verliert dadurch Bélasire endgültig. Obwohl sie Alphonse weiterhin liebt, zieht Bélasire sida für immer in ein Kloster zurück. Sie schließt den Brief, in dem sie Alphonse von ihrem Entschluß unterrichtet, mit den Worten: Adieu, Alphonse; souvenez-vous quelquefois de moi, et souhaitez, pour mon r e p o s , que je ne me souvienne jamais de vous (127).

Hier ist das übermächtige Bedürfnis nach Ruhe und seelischem Frieden in ein funktionales Verhältnis zur Eifersucht gebracht. Das gleiche gilt für die Princesse de Clèves, und zwar in einer so differenzierten und das Hauptthema mitbedingenden Weise, daß wir dabei verweilen müssen. 4. Repos Vor ihrer Begegnung mit Nemours hatte die Princesse „ni impatience, ni inquiétude, ni chagrin" gekannt. Jeder Versuch, in der Einsamkeit den Frieden ihrer Seele wiederzufinden, deutet das Motiv an, welches im Verlauf des Gesprächs mit Clèves, das dem Geständnis unmittelbar vorausgeht, erstmals beim Namen genannt wird. Uber die Ursachen ihres auffälligen „goût pour la solitude" befragt, antwortet die Princesse: . . . le tumulte de la com: est si grand et il y a toujours un si grand monde diez vous qu'il est impossible que le corps et l'esprit ne se lassent et que l'on ne cherche du r e p o s (332).

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Die ausweichende Antwort schützt die Gesellschaft allein vor, welche die Gegenwart Nemours einschließt1®). Der Leser jedoch ist im Bilde und gewinnt den Eindruck, daß dieses erste Auftauchen von repos nicht zufällig ist, sondern ebenso wie der Rüdezug nach Coulommiers und das Geständnis seine direkte Ursache in der von der Briefepisode veranlaßten ersten Erfahrung der „inquiétudes mortelles de la défiance et de la jalousie" (330) hat. Schon der Held der Histoire d'Alphonse et de Bélasire erklärte als Folge seiner Eifersucht: „Je ne lui donnais plus de r e p o s " , und aus dem gleichen Grunde zog sich Bélasire ins Kloster zurück. Der Zustand der völligen Ratlosigkeit, dem die jalousie mit ihrer Infragestellung der Liebe selbst die Princesse ausgeliefert hat, läßt in ihr die Sehnsucht nach Wiederherstellung ihres Seelenfriedens übermächtig werden, und das Geständnis ist, wie mit Recht schon bemerkt wurde, „zugleich eine egoistische Tat der Selbstbefreiung; es entlastet Mme de Clèves von einem unerträglichen seelischen Druck"14). Die Folge ist jedoch auch hier das Gegenteil des Erwarteten. Clèves' Eifersucht und Nemours' Nähe stürzen die Princesse in die Ausweglosigkeit zurück. Als kurz nach dem Gespräch, bei dem Clèves ihr mit List entlockt, daß Nemours sein Rivale ist, dieser selbst erscheint, bricht es aus ihrer Verzweiflung hervor: „Au nom de Dieu [ . . . ] laissez-moi en r e p o s ! " (341). Die Indiskretion Nemours' erweckt neue Zweifel an seinem Wert. Die Selbstvorwürfe beziehen sich jetzt auf das Geständnis, das dem Verlust von cœur und estime des Gatten, die Gefahr der Bloßstellung vor der Welt und Nemours' Kenntnis ihrer Leidenschaft zur Folge hatte — „et c'est pour éviter ces malheurs que j'ai hasardé tout mon r e p o s et même ma vie". Doch dieser Verlust, diese Qualen wären zu ertragen, wenn die Liebe Nemours', um deretwillen sie alles aufs Spiel setzte, eine vollkommene wäre: . . . elle sentait bien qu'elle aurait eu la force de les supporter si elle avait été satisfaite de M. de Nemours (352).

Repos (damit auch jalousie), Verlust von Achtung und Liebe des Gatten durch den Akt des Geständnisses, und Zweifel am Wert der Liebe Nemours' verbinden sich hier in einem Monolog erstmals zur gemeinsamen motivischen Vorbereitung des Verzichts. Nach dem Tod des Gatten, der das Gefühl einer Schuld auslöst und die Überzeugung von ihrem devoir verstärkt, folgt auf die innerliche und räumliche Entfernung von Nemours eine gewisse Beruhigung. Als sie aber nach einem Gespräch mit Mme Martigues, das sie erneut an die Liebe Nemours' erinnert, den Herzog selbst an einem Fenster erblickt, da ist es plötzlich wieder um ihre Ruhe geschehen: 13) Demzufolge wird sie auch von Clèves miß verstanden: „Le répliqua-t-il, n'est guère propre pour une personne de votre âge." 14) G. Hess a.a.O. S. 245.

repos,

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La pensée que c'était M. de Nemours changea entièrement la situation de son esprit ¡ elle ne se trouva plus dans un certain triste r e p o s qu'elle commençait à goûter, elle se sentait inquiète et agitée (379). Die unmittelbar folgende Begegnung im Garten bringt eine erneute Steigerung: „Quelle passion endormie se ralluma dans son cœur, et avec quelle violence!" Emeut verfällt sie jener Anarchie der Gefühle, in der, wie es einmal heißt, „eile ne se reconnaissait plus elle-même" (329). Wiederum droht der Verlust der Selbstbestimmung, den sie durch das Geständnis hatte abwenden wollen. Und nichts ist geeigneter, ihr die Sinnlosigkeit dieser folgenreichen Handlung deutlicher zu machen. Vergeblich ruft sie vertu, devoir, raison, die Sorge um ihren repos und die Angst vor den Qualen der Eifersucht zu Hilfe: Plus de d e v o i r , plus de v e r t u qui s'opposassent à ses sentiments; tous les obstacles étaient levés,... (380). Vergeblich bleibt die Erinnerung daran, daß ihre und Nemours' passio η die Ursache von ihres Gatten Tod war, daß eine Heirat mit Nemours ihr wie ein „Verbrechen" erschienen war (vgl. S. 375, 381): Elle s'abandonna à ces réflexions si contraires à son bonheur ι elle les fortifia encore de plusieurs raisons qui regardaient son r e p o s et les m a u x qu'elle prévoyait en épousant ce prince. Die Ruhe ist verloren. Wirkungslos bleibt die Einsicht, den Anblick Nemours' meiden zu müssen „comme une chose entièrement opposée à son d e v o i r . " Mais cette persuasion, qui était un effet de sa r a i s o n et de sa v e r t u , n'entraînait pas son c œ u r . Il demeurait attaché à M. de Nemours avec une violence qui la mettait dans un état digne de compassion, et qui ne lui laissa plus de r e ρ o s ¡ elle passa une des plus cruelles nuits qu'elle eût jamais passées (381). Man sieht leicht, daß Mme de Lafayette den Rückfall in die passion und in den chaotischen Widerspruch der Gefühle in dreistufiger Steigerung (Bericht vom Hof, Nemours am Fenster, Nemours im Garten) inszeniert hat, um jetzt mit der gesammelten Macht der ausschlaggebenden Motive die letzte Entscheidung vorzubereiten, in der das Thema des ganzen Romans gipfelt: den Verzicht. In dieser Verdichtung fällt das Gewicht von devoir auf, dem letzten der großen Motive, deren Entfaltung wir gesondert zu betrachten haben. 5.

Devoir

Vous êtes sur le bord du précipice: . . . songez ce que vous d e v e z à votre mari¡ songez ce que vous vous d e v e z à vous-même,... (278—9). So lautet die Warnung Mme de Chartres' auf dem Totenbett. Die „raisons de la vertu et du devoir" (S. 278), von denen sie mahnend spricht, sind damit nachdrücklich eingeführt, und von nun an folgt 28

jeder Situation der Handlung, welche die Princesse erneut der passion ausliefert, eine solche, die sie an ihr devoir erinnert. Ja, die Handlungsteile, die dieser Leidenschaft Auftrieb geben, erzeugen in ihren Folgen selbst neben der Sehnsucht nach repos in der gleichen Steigerung, wenn auch nicht mit der gleichen Wirkung für den endlichen Verzicht, das Bewußtsein ihres devoir. Es ist eine dreifache „Pflicht", welche die Princesse bindet: gegenüber dem Gatten, der Welt, und gegenüber sich selbst. Aber keine dieser „Pflichten" hielte der passion stand, würde die Princesse sich nicht mit dem Geständnis und dessen Folgen durch die Schaffung einer objektiven Schuld in einer viel festeren Weise binden als es raison und vertu je zu tun vermöchten. Das Geständnis war, wie sie sogleich ahnt, falsch, weil sie dem Gatten Unmögliches zugemutet hat, weil sie die Last auf ihn zu wälzen versucht und so seinen Tod mitverschuldet hat. Das Geständnis bringt, zunächst wie beabsichtigt, eine Bindung an die Pflicht, die sie ohne die Mitwisserschaft des Gatten nicht hätte. Clèves zieht daraus die richtige Konsequenz, bei welcher zu verharren er jedoch nicht die Kraft haben wird: . . . je ne me veux fier qu'à vous-même. [ . . . ] De l'humeur dont vous êtes, en vous laissant votre l i b e r t é , je vous donne des b o r n e s p l u s é t r o i t e s que je ne pourrais vous en prescrire. M. de Clèves ne se trompait pas: la confiance qu'il témoignait à sa femme la fortifiait d'avantage contre M. de Nemours et lui faisait prendre des résolutions plus austères qu'aucune contrainte n'aurait pu faire (340).

Auch Nemours steht unter dem Eindruck dieser Festlegung und muß fürchten, qu'il était impossible d'engager une personne qui avait recours à un remède si extraordinaire (337).

Die letzte Unterredung mit dem sterbenden Clèves nimmt dieses Motiv der Verpflichtung durch Freiheit wieder auf: . . . ma mort vous laissera en l i b e r t é , ajouta-t-il, et vous pourrez rendre M. de Nemours heureux, sans qu'il vous en coûte des crimes (375).

Der Tod Clèves', der Schmerz darüber, ihrer passion wegen die Ursache seines Todes zu sein, erfüllt die Princesse mit Abscheu vor sich selbst und Nemours: Quand elle commença d'avoir la force de l'envisager et qu'elle vit quel mari elle avait perdu, qu'elle considéra qu'elle était la c a u s e d e s a m o r t , et que c'était par la p a s s i o n qu'elle avait eue pour un autre qu'elle en était c a u s e , l'horreur qu'elle eut pour elle-même et pour M. de Nemours, ne se peut représenter (377).

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Diese Vorwürfe werden Nemours gegenüber den Verzicht mitmotivieren. Das Schuldbewußtsein steigert die Vorstellung einer Pflicht, die sie objektiv bereits verletzt hat: Ce mari mourant, et mourant à c a u s e d ' e l l e et avec tant de tendresse pour elle, ne lui sortait point de l'esprit. Elle repassait incessamment tout ce qu'elle lui d e v a i t , et elle se faisait un crime de n'avoir pas eu de la passion pour lui, comme si c'eût été une chose qui eût été en son pouvoir (377—8). Der Rückfall in die passion nach der Wiederbegegnung mit Nemours läßt das gleiche Schuldbewußtsein neu erstehen: . . . elle se souvint aussi que ce même homme, qu'elle regardait comme pouvant l'épouser, était celui qu'elle avait aimé du vivant de son mari et qui était la c a u s e de sa m o r t ; (380). Damit ist wiederum in dreistufiger Steigerung die gleiche seelische Situation und die gleiche Szene der Handlung erreicht, in denen wir oben die endgültige Verdichtung aller Motive feststellen konnten, die den Verzicht begründen. Der Verzicht selbst soll uns später beschäftigen. Das oben festgestellte Einmünden aller ausschlaggebenden Motive in die dem Verzicht unmittelbar vorausgehende, zum Zwecke dieses Einmündens geschaffene ereignishafte und psychische Situation deutet darauf hin, daß sowohl die verschiedene Wichtigkeit der Motive wie die Strukturierung ihres gegenseitigen Verhältnisses eine bestimmte Komposition des Ganzen voraussetzen. Der Inhalt, der durch die Vermittlung der Motive das Thema durchführt, wird erst durch die Form, die er zeugt, konstituiert. Das Thema des Verzichtes stellt, durch die adäquate Fabel hindurch, in dem besonderen Aspekt seiner geschichtlichen Verhaftung einschließlich der dem historischen Augenblick immanenten Antinomien, auch das spezifische Formproblem für unseren Roman. Diese Frage, die noch einer besonderen Behandlung bedarf, sei zunächst nur am Gegenstand dieses Kapitels aufgezeigt und provisorisch beantwortet, indem wir die wichtigsten Ereignisse der Handlung unter dem Gesichtspunkt der Motiv-Erzeugung, -Steigerung und -Proportionierung noch einmal zusammenfassend betrachten. Die folgende Ubersicht soll zugleich deutlich werden lassen, wie die in mit zu diesem Zweck geschaffenen und komponierten Einzelepisoden verknotete motivische Linienführung sich resultativ zu den dominierenden Akten schließt, dem Geständnis und dem Verzicht. Mlle de Chartres am Hof surprise (Vidame) Begegnung m. Clèves surprise (Clèves') 30

passton

Clèves' Werbung jalousie (auf Guise)

Begegnung m. Nemours surprise (Nemours') surprise (d. Princesse) jalousie (Guise's)

passion (inclination)

Gesch. Heinrichs II. u. Dianas jalousie (d. Königs)

passion (d. Königs)

Verhältnis Nemours — Dauphine jalousie (d. Princesse)

Warnung Mme de Chartres' vertu devoir

Entfernung vom Hof, Flucht (repos)

aveu (Anspielung Clèves')

Gesch. der Mme de Tournon jalousie (d. Königs)

passion

Verzicht Nemours auf engl. Thron passion

Entfernung vom Hof, Flucht (repos) aveu (1. Gedanke daran)

Rückkehr an den Hof

passion

Schilderung d. engl. Hofs, Elisabeths jalousie (d. Princesse)

passion 31

aveu (2. Gedanke daran)

(

devoir)

Portrait-Raub, Selbstvorwürfe (Erinnerung an Mutter, Mme de Tournon)

Brief-Affäre jalousie avec toutes les horreurs 1. Zweifel an Nemours Gesch. d. Mme Thémines jalousie (d. Königin)

aveu (3. Gedanke daran, Entschluß)

Monolog d. Princesse (Ratlosigkeit) jalousie (inquiétudes mortelles de la défiance et de la jalousie) 2. Zweifel an Nemours Rückzug nach Coulommiers

Geständnis aveu bindende jalousie (Clèves') Zweifel an liberté amant u. mari d. Richtigkeit (devoir) (estime u. passion Verlust) Flucht vor Nemours

Rührende Szene d. Gatten amant u. mari aveu (im Hofgespräch) Zweifel an d. Richtigkeit 32

Indiskretion Nemours 3. Zweifel an Nemours

repos repos

repos (laissez-moi en reposl)

Streit d. Gatten, Monolog d. Princesse Zweifel an Nemours estime u. amour (Verlust)

repos

Turnier, Hochzeit Tod des Königs, Meiden Nemours

repos)

passion

Nemours in Coulommiers

aveu (Aufklärung)

(Sdiuld) devoir bindende liberté

Letzte Unterredung d. Gatten Tod Clèves"

Wiederbegegnung m. Nemours jalousie

vertu raison devoir (Sdiuld)

aveu (sans suites)

(

Nemours' Besuch, Streit d. Gatten jalousie (Clèves')

aveu (Zweifel an Richtigkeit) (Schuld)

aveu (Zweifel an Richtigkeit)

passion

Letztes Gespräch m. Nemours Verzicht vertu surprise raison jalousie Schuld (certitude de (cause de la n'être plus mort de M. aimée) (horrible malheur) de Cl.) devoir repos ( raisons (raisons de mon d.) de mon

3 Köhler, Mme de L.

passion cœur

passion

r.) 33

Überprüfung der Gründe d. Verzichts deli. Princesse raison jalousie devoir (crainte de Sdiuld l'avenir) (scrupules du passé) Hof in Poitou raisons (jalousie) fortes du côté du devoir (mémoire de M. d. CI.)

(repos)

raisons insurmontables du côté du repos (malheur certain)

Krankheit, Gedanke an den Tod devoir (jalousie) (repos) (mémoire de die raisons des Verzichts M. de Cl.) Letzter Versuch Nemours

exemples de vertu inimitables

passion (Überwindung)

passion (Nemours' erloschen)

Tod der Princesse

Erst der Schluß einer Romanhandlung bringt die völlige Aufklärung über den Sinn der einzelnen Stationen. Diese Stationen müssen gleichwohl, soll der Schluß, auf den sie hinführen, wahrscheinlich im Sinne der künstlerischen Wahrheit sein, in sich selbst wahr und evident sein durch ihren funktionalen Charakter, der einen Prozeß aufzeigt und der die einzelnen Stadien nicht bloß als Resultate vorlegt, die nicht miterlebt werden. Dieser von den Einzelszenen vorangetriebene Prozeß erscheint in unserem obigen Schema als ein sinnvolles, auf ein Ziel — über das Geständnis zum Verzicht — gerichtetes Widerspiel differenzierter seelischer, d. h. im Bewußtsein der Gestalten zusammentretender normativ-ethischer und subjektiver Beweggründe. Dieses vom Thema inhaltlich bedingte Widerspiel in der Proportionalität seiner Momente bestimmt Struktur, Reihenfolge und gegenseitige Beziehung der Einzelszenen. 34

Es versteht sich, daß die Funktion dieser Szenen sich nicht oder meist nicht auf die Erzeugung dieser Motive, ihrer sich oft in ein und derselben Periode genetisch bedingenden Zusammenhänge, Wechseloder Gegenwirkung und Steigerung beschränkt, sondern darüber hinaus und innig damit verbunden auch die Ereignishandlung weitertreibt und deren weitere Etappen mitbestimmt. Gerade die Plurivalenz der wichtigsten Szenen ist charakteristisch für die dichte Gedrängtheit, in der sich die Motive ballen und zu außergewöhnlichen Lösungen drängen. Man könnte fast von einem dramatischen Konflikt der Motive sprechen, dessen Schauplatz die Seele der Protagonistin ist. Der überwältigende Einbruch der Leidenschaft in die von der surprise betroffene Seele bestimmt eine Ausgangskonstellation, die eine dramatische Handlung aus sich heraustreibt. Der Princesse, obwohl erzogen in der vertu einer „honnête femme" und vor der Liebe und der Treulosigkeit der Männer nachdrücklich gewarnt, wird durch die von der historischen und höfischen Wirklichkeit bedingte Geschehnisfolge keine Zeit gelassen, sich zur Abwehr gegen die passion zu wappnen. Die Gedrängtheit der Ereignisse, ihre psychischen Anlässe und Auswirkungen, konstituieren die in der Romanfabel verdichtete allgemeine und spezifische Bewußtseinsproblematik der hochklassischen, absolutistischen Zeit nach der Fronde und vor dem Beginn der Aufklärung. Der die ganze Epoche durchziehende, für ihre ganze Anthropologie grundlegende Kampf zwischen raison und passion, ihre durch jalousie, devoir und repos instrumentierte Dialektik konkretisiert die Dialektik von Sein und Bewußtsein in der besonderen Modifikation des historischen Augenblicks, dessen innerer Widerspruch mit seiner Unlösbarkeit sich in der Vorbereitung, Begründung und Notwendigkeit des Verzichts als sinnvolles Romangeschehen widerspiegelt. Die Eifersucht, deren Bedeutung in unserer obigen Ubersicht deutlich hervortritt, ist jene psychische Regung, in der sich fast symbolhaft die Ausweglosigkeit im Konflikt der irrationalen vereinzelnden Mächte mit der normativen Lebensordnung verdichtet. Sie stellt, zur äußersten Konsequenz getrieben, den Wert der Liebe grundsätzlich in Frage und bestätigt ihn zugleich allein durch ihr Vorhandensein und ihre Intensität. So enthält sie in sich schon den Widerspruch, den der ganze Roman zum Austrag bringt. Infolge der Eifersucht schlägt das Geständnis in die Katastrophe um. Durch die Eifersucht wird jeder Gedanke an ein „bonheur" illusorisch. Die Angst vor einer zum Dauerzustand werdenden „jalousie avec toutes les horreurs", schon für den Alphonse der Za'ide ein auswegloses Labyrinth (S. 112), für Clèves eine tödlich endende Krankheit, verdüstert jede Zukunftsperspektive. Die : Eifersucht mit ihrer Qual treibt zum Geständnis und wird so mit zui Voraussetzung von Schuldgefühl und devoir. Die gleiche Qual der\ Eifersucht löst die

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Zweifel an Nemours aus und entbindet das entscheidende Bedürfnis nach repos, schließlich die Idee einer Rettung der Liebe durch Verzicht auf ihre Erfüllung. So wird die Eifersucht, aus der individuellen passion selbst hervorgegangen, zu deren Widerspruch und Selbstaufhebung: jalousie ist der dominierende Beweggrund für den Verzicht auf Erfüllung der passion, und dieser Verzicht bringt alsbald die passion selbst zum Erlöschen. Das Wesentlichste des Lebens, das Persönlichste, unterliegt dem Grundwiderspruch der Zeit und seiner Unlösbarkeit, die sich psychologisch als vollendete Resignation niederschlägt. Die zentrale innere Rolle der Eifersucht, ihre nach allen Seiten hin auslösende Wirkung ist es auch, welche in die Princesse de Cleves die Zeit als einen konstitutiven Faktor einfügt, wie ihn weder der Sdiäferroman noch der heroisch-galante Roman kannten. Die Eifersucht mit allen ihren Folgen in der Ereignishandlung wie im Denken der Princesse erschließt die Erinnerung als Verpflichtung für einen zukünftigen devoir („scrupules du passé", „mémoire de M. de Clèves") und die ausgestandenen, jederzeit wieder möglichen, ja sicheren Qualen („crainte de l'avenir", „malheur certain") als Notwendigkeit eines zukünftigen repos. Durch den zur Gewißheit gewordenen Zweifel an der Beständigkeit von Nemours' Liebe und damit der Gewißheit zukünftiger Eifersuchtsqualen durch die Verbindlichkeit der Vergangenheit wird eine negative Zukunftsperspektive entworfen, durch welche der Faktor der Zeit konstitutiv wird für den die Handlung krönenden Verzicht, also für die Durchführung des zentralen Themas. Die Zukunft wird durch das Drama der psychisch-ethischen Motive verschlossen. Ihr Konflikt ist unlösbar. Die Dauer, die durch den Verzicht für die passion erschlossen werden sollte, bleibt nur der Resignation. Das „bonheur", das wie ein Irrlicht in der letzten Unterredung noch einmal am Horizont erscheint als ersehnte Vereinigung von Idee und Wirklichkeit, Wesen und Leben, könnte nur durch ein Wunder verwirklicht werden. Die Frage der Princesse: „Dois-je espérer un m i r a c l e en ma faveur.. ?" (S. 387) ist so gestellt, wie sie durch die ganze Handlung vorbereitet wurde. Sie läßt dem ernüchterten Menschen nicht mehr die Wahl der Antwort, die sich die Autoren der heroisch-galanten Romane und der Schäferromane für ihr Idealreich noch vorbehalten hatten.

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III. Die Charaktere

Le moyen d'être idéal c'est de faire vrai, et on ne peut faire vrai qu'en choisissant et en exagérant Flaubert Der die Wesenszüge der geschichtlichen Wirklichkeit vermittelnde und verdichtende Konflikt der Motive bliebe abstrakt und würde bestenfalls eine verkleidete Allegorie ergeben, wären ihre Träger bei allem exemplarischen Geltungsanspruch nicht lebendige, individuelle Charaktere. Hegel hat die für alle große Kunst grundlegende Beziehung zwischen Geschichte und Charakter der künstlerisch dargestellten Personen und Handlungen erkannt und formuliert: „Die allgemeinen, substantiellen Mächte des Handelns . . . " — gemeint sind die wesentlichen Bestimmungen des jeweiligen „Weltzustands" — „bedürfen zu ihrer Betätigung und Verwirklichung der menschlichen Individualität, in welcher sie als bewegendes Pathos erscheinen. Das Allgemeine nun aber jener Mächte muß sich in den besonderen Individuen zur Totalität und Einheit in sich zusammenschließen. Diese Totalität ist der Mensch in seiner konkreten Geistigkeit und deren Subjektivität, die menschliche totale Individualität als Charakter. Die Götter werden zum menschlichen Pathos, und das Pathos in konkreter Tätigkeit ist der menschliche Charakter" 1 ). Die „organische Totalität", in der sich das Allgemeine in Kunst umsetzt, kommt, wie Hegel an anderer Stelle expliziert, nur dadurch zustande, „daß der gewählte Inhalt nicht als abstraktes Allgemeines gefaßt wird, sondern als menschliches Handeln und Empfinden, als Zweck und Leidenschaft, welche dem Geist, dem Gemüt, dem Wollen bestimmter Individuen angehören und aus dem eigenen Boden dieser individuellen Natur selbst entspringen" 2 ). Der Charakter wird zum poesiefähigen Handlungsträger dadurch, daß er nach Hegel die Wesensmomente des Allgemeinen als „Momente seiner eigenen Totalität in sich vereinigt" und doch als ein ganz bestimmter Charakter in seinem „subjektiven Fürsichsein" auftritt. Seine ideale Darstellung erfährt 1) Ästhetik, hrsg. von Friedrich Bassenge, Berlin 1955, S. 251. 2) A.a.O. S. 884. 37

er dadurch, „daß sich die Allgemeinheit der Mächte mit der Besonderheit des Individuums durchdringt"3). Diese Forderungen meinen nichts anderes, als daß in den Charakteren Typus und Individualität zusammenfallen müssen unter Wahrung der geschichtlichen Bedingtheit. Das „Nicht-eingehen-Wollen der Sinnesimmanenz in das empirische Leben", in dem Georg Lukács in seiner Theorie des Romans die Grunddissonanz des Romans sieht, erhält seine Modifikationen durch die besondere geschichtliche Gegebenheit. „Alle Risse und Abgründe, die die geschichtliche Situation in sich trägt, müssen in die Gestaltung einbezogen werden und können und sollen nicht mit den Mitteln der Komposition verdeckt werden. So objektiviert sich die formbestimmende Grundgesinnung des Romans als Psychologie der Romanhelden: sie sind Suchende"4). Wenn diese Feststellungen Hegels und Lukács' die ästhetische Gesetzlichkeit richtig treffen, und wenn andererseits die Princesse de Clèves ein literarisches Kunstwerk ist — und wir zweifeln weder an dem einen noch an dem anderen — so muß sich der Zugang zu der künstlerischen Eigenart des Lafayetteschen Werks dadurch erschließen lassen, daß sowohl die Psychologie der Princesse wie ihr Handeln als Ausdrude des Zusammenfallens von Allgemein-Typischem und Persönlich-Individuellem erklärt werden können. Konkret heißt dies: die Heldin unseres Romans muß von den Menschen der gleichen geschichtlichen Wirklichkeit dadurch verschieden sein, daß sie die allgemeinen Probleme und Antinomien dieser Wirklichkeit in ihrem individuellen Schicksal und in ihrem Wesen zusammenfaßt und als Sinnfrage ihres Lebens empfindet5). Der spezifische Inhalt dessen, was die Princesse als raison, vertu und bienséance begreift, ist nicht schlechthin identisch mit allgemeinen inneren Werten des Menschen, auch wenn sie als solche verstanden und über den eigenen geschichtlichen und gesellschaftlichen Standort 3) A.a.O. S. 255. 4) Die Theorie des Romans. Ein geschiditsphilosophisdher Versuch über die Formen der großen Epik, Berlin 1920, S. 50. 5) Diesen Gesichtspunkt Hegelscher Herkunft hat Georg Lukács auch in seinen neueren ästhetischen Arbeiten zum Hauptprinzip eines „Realismus" erklärt, der weder mit dem Realismus als Epochenstil noch als naturgetreue „Abbild"kunst und schon gar nichts mit der Praxis des „sozialistischen Realismus" zu tun hat. Lukács ist in wesentlichen Zügen seiner ästhetischen und kritischen Theorien der konsequenteste moderne Fortführer der Hegeischen Ästhetik. Die Darstellung des Typus, die scharf von derjenigen des Durchschnitts unterschieden wird, vereinigt nach Lukács sowohl in den Charakteren wie in den Handlungen, Kollisionen und Situationen des Kunstwerks „das Konkrete und das Gesetzmäßige, das Bleibend-Menschliche und das geschichtlich Bestimmte, das Individuelle und das Gesellschaftlich-Allgemeine" (Beiträge zur Geschichte der Ästhetik, Berlin 1954, S. 207).

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hinaus generalisiert werden. „Das Widerspiel von Vernunft und Leidenschaft in der Anthropologie der Madame de Lafayette ist kein bloßer Gegensatz von Kräften innerhalb des einzelnen Menschen: es ist ein Gegensatz, der sich im Grunde aus der sozialen Natur des Menschen ergibt. Denn die Werte, welche die Vernunft gegen den Ansturm der Affekte verteidigt, sind gesellschaftlicher Ordnung"®). Weil dem so ist konnte auch ein Saint-Evremond, dem eine glückliche Veranlagung und die Distanz zum französischen Hof gestatteten, Neigung und Pflicht in seinem W e s e n zur Übereinstimmung zu bringen, diese Harmonie mit vollem Recht als „außergewöhnlich" und „wahr" zugleich bezeichnen: „Je puis dire de moi une chose assez extraordinaire et assez vraie; c'est que je n'ai presque jamais senti en moi-même ce combat intérieur de la passion et de la raison; la passion ne s'opposait point à ce que j'avais résolu de faire par devoir, et la raison consentait volontiers à ce que j'avais envie de faire pour un sentiment de plaisir"'). Dieser individuelle Glücksfall wäre als Romanthema untauglich, weil er den Grundwiderspruch der Epoche im Uberwundensein und dieses als Resultat, nicht aber im Prozeß darstellt. Die Heldin unseres Romans hat diesen Widerspruch zwischen der zeitbedingten normativen Gesittung und dem individuellen Anspruch in der Geschichte ihrer Liebe exemplarisch auszutragen. Eine Princesse, deren Gefühl nur gegen den äußeren Zwang der Gesellschaft sich durchsetzen müßte und die Kollision der feindlichen Kräfte nicht als Kampf in der eigenen Brust, nicht als Widerspruch zweier ihr gleichermaßen gehörenden Seelen erlebte, wäre nur typenhaft im Sinne einer abstrakten Durchschnittlichkeit. In ihrem Schicksal intensiviert sich eine Totalität ausschließlich dadurch, daß sie die rationale Norm nicht als solche, nicht als von außen Kommendes, sondern als eine Seite ihres eigenen Wesens empfindet, daß sie sich selbst durch den Widerspruch zum Problem wird, und weil ihr individuelles Schicksal als Versuch zur Lösung dieses Problems in seinem Verlauf dargestellt wird. Gerade dies läßt sich von den Heldinnen der anderen Erzählungen der Mme de Lafayette nicht sagen 8 ). Die ihr am nächsten stehende, die Princesse de Montpensier, kennt noch keinen inneren Kampf zwischen vertu und passion, wenn auch der Konflikt bereits deutlich spürbar ist. Der letztlich entscheidende Widerstand liegt hier nicht in der Heldin selbst, sondern kommt von Außen. Aufschlußreich ist es zu verfolgen, 6) G. Hess a.a.O. S. 242. 7) Pensées de Saint-Evremond sur toutes dioses dans sa vieillesse, in: Œuvres, éd. René de Planhol, Paris 1927, I, S. 132. 8) Burkart a.a.O. S. 128, hat gesehen, daß von allen Gestalten der Lafayettesdien Erzählungen einzig die Princesse de Clèves „sich selbst problematisch ist".

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wie Mme de Lafayette einzelne Motive und Situationen verschiebt, um dem Charakter ihrer Personen eine größere Komplexität zu verleihen. Die Princesse de Montpensier liebt den Duc de Guise schon vor ihrer Heirat. Wenn Mme de Lafayette die Princesse de Clèves den Duc de Nemours erst nach ihrer Heirat kennenlernen läßt, so geschieht dies, um den seelischen Konflikt im Sinne der Gattinnenpflidit zu vertiefen. Ein bewährter Anlaß, die unterdrückte Liebe wieder aufflammen zu lassen, wird indessen beibehalten, wenn Mme de Lafayette in der Princesse de Clèves den Verzicht des geliebten Mannes auf eine königliche Heirat um der Liebe zu der Heldin willen wiederholt. Guise verzichtet auf die Schwester des Königs, Nemours auf die Hand der zukünftigen Königin von England. In der Steigerung darf man vielleicht die Entsprechung zur größeren Charakterstärke der Princesse de Clèves sehen. Wenn Nemours zu Lebzeiten der Princesse n i c h t tut, was diese fürchtet und was für sie zu einem der Verzichtmotive wird, nämlich sie an der Seite anderer Frauen vergessen wie dies Guise in der Princesse de Montpensier getan hatte, so akzentuiert diese Verschiebung abermals die reflexive und voluntative Stärke der Princesse de Clèves. Die Norm, der Zwang des Außen, ist, so dürfen wir wiederholen, durch die differenziertesten, gerade im Vergleich mit dem früheren Werk aufweisbaren Mittel in den Charakter der Heldin hereingeholt. Von vielen Interpreten ist die innere Gespaltenheit der Princesse hervorgehoben worden, die sich gerade in dem an allen wesentlichen Punkten dargestellten Wechsel von Handeln und Reflexion, Widerstand und Nachgeben, mit der Notwendigkeit eines Prozesses manifestiert'). Der objektive Widerspruch der Realität ist mit allen seinen wesentlichen Bestimmungen als Kampf zwischen Norm und individuellem Lebensanspruch ins Innere der Protagonistin verlagert, und diese Verinnerlichung wird nicht bloß behauptet, sondern v o l l z i e h t sich in jedem Stadium, jeder Situation, jedem Geschehnis der Handlung aufs Neue. Darin eben ist der grundlegende Unterschied zu den anderen Versuchen der Lafayette, ihr Thema zu gestalten, zu sehen. Von der Princesse de Montpensier wird am Schluß gesagt: „Elle ne put résister à la douleur d'avoir perdu l'estime de son mari, le cœur de son amant et le plus parfait ami qui fut jamais." Was hier von der Heldin abschließend, als Resultat, a u s g e s a g t wird, das ist in der Princesse de Clèves — in anderer Konstellation — als Befürchtung, Erkenntnis und Antrieb zur Handlung d a r g e s t e l l t . Diese Verdichtung zu einem die Widersprüche in sich hineinnehmenden kom9) G. Hess a.a.O. S. 237: „Die Gespaltenheit ist das auffallendste Merkmal dieses Bildes vom Menschen" ¡ R. Burkart a.a.O. S. 120: Die Princesse ist „leidenschaftlich und tugendsam zugleich angelegt, ihre inneren Widerstände wachsen an der Leidenschaft selbst, und es vertieft sich nur eine in ihrem Wesen schon vorbereitete seelische Spaltung."

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plexen Charakter gilt nicht nur für die Protagonistin, sondern in geringerem Grad — weil jenem untergeordnet und zur Relevanz verhelfend — audi für die übrigen Figuren. R. Burkarts Auffassung, daß die Männergestalten der Mme de Lafayette „nicht Individuen" seien, sondern „einzig die Aufgabe" hätten, „'Gatte' oder 'Liebhaber' zu sein", führt in die Irre10). Gewiß haben sie im Sinne des Mme de Lafayette ständig beschäftigenden Problems ein „festes Rollenfach". Man vergleiche indessen nur den Prince de Montpensier mit dem Prince de Clèves, um der grundlegenden Unterschiede gewahr zu werden. Ersterer ist in der Tat nur als Gatte, nicht als individuelle Person gezeichnet; er ist nodi völlig der Eifersüchtige alter höfischer Art, notwendiges, spannungschaffendes Übel. Seine Entwicklung ist in der recht summarischen Bemerkung, daß die Heldin unter anderem auch die „Achtung ihres Gatten" verloren habe, erst angedeutet. Die Gestalt des ungeliebt liebenden treuen Freundes und Vertrauten, des Comte de Chabannes in der Princesse de Montpensier, erscheint in der Princesse de Clèves nicht wieder, weil sie mit der Figur des Gatten verschmolzen ist. Chabanes ist der verständnisvolle, immer hilfsbereite Freund, der sterben muß. Sein Tod ist zwar noch nicht unmittelbar von seiner Liebe oder Eifersucht verursacht, wird aber indirekt doch damit in Zusammenhang gebracht. Die Eingeständnisse ihrer Liebe zu Guise, welche die Princesse de Montpensier dem ihr in leidenschaftlicher Liebe ergebenen Chabanes macht und mit denen sie ihn zutiefst trifft, sind nicht sehr weit von dem „aveu" der Princesse de Clèves dem Gatten gegenüber entfernt. Ungeliebt liebender Freund und eifersüchtiger Gatte, im Erstlingswerk getrennt und kaum in einem inneren Konflikt der Heldin verbunden, sind in der Princesse de Clèves in einer Person, dem Prince de Clèves, zusammengezogen. Der Charakter Clèves' erhält erst dadurch seine Komplexität und seine jeden Leser ansprechende tragische Würde. Auch seine psychischen Reaktionen, sein Handeln und sein Tod, deren Notwendigkeit für die Erstellung der Fabel und für die Lösung des Themas wir kennen, sind glaubwürdig erst aus der potenzierten Psyche des Mannes, der eifersüchtiger Gatte, ungeliebter Liebhaber und verständnisvoller Freund zugleich ist. Letztere Rolle überfordert ihn, aber nur ihretwegen kann die Princesse überhaupt an ein Geständnis denken, und aus seiner Güte erwächst eine bedeutsame Verpflichtung. Der Prince de Clèves ist, obwohl sein Charakter wie sein Schicksal offensichtlich völlig den ästhetischen Erfordernissen unterworfen wurden, doch eine geschichtliche Figur. In dem Jahr, in welchem der Roman spielt, war er in Wahrheit freilich erst fünfzehn Jahre alt. Damit stellt sich für ihn wie für die restlichen Gestalten die Frage nach dem Verhältnis zur Geschichte. Die Protagonistin unseres Romans ist — neben ihrer Mutter — die einzige frei erfundene Gestalt. Alle anderen sind 10) A.a.O. S. 125. 41

geschichtliche Figuren mit größerer oder geringerer Wahrung ihrer Teilhabe am öffentlich-politischen Geschehen. Gerade diese Konstellation, bei der sich ein exemplarisches Thema als persönliches Schicksal an eine erfundene Hauptgestalt heftet, deren Schicksal sich jedoch im Beziehungsnetz historischer Personen und Ereignisse entscheidet, ermöglicht einen Musterfall der künstlerischen Konkretisierung des allgemeinen und typischen Wesens eines bestimmten geschichtlichen Zustande. Mme de Lafayette überwindet die Geschichtsvorstellung der heroisch-galanten Romane, „indem sie nicht die Personen, sondern die Gesellschaftsstruktur ihrer Epoche in die Vergangenheit hineindeutet"11). Die erschöpfenden Untersuchungen, die ihr Verhältnis zu den Quellen geklärt haben"), lassen erkennen, daß sie immer dann von ihrem Prinzip möglichster Nähe zur historischen Wahrheit bewußt abwich, wenn ihr Thema es erforderte. Sie wählte jene Elemente aus, die auch dem Hofleben des 17. Jahrhunderts eigen waren und die es ermöglichten, die Lebensformen, Sitten und Probleme ihrer Gegenwart auf dem höfischen Schauplatz des 16. Jahrhundert zu spiegeln. Die Eliminierung der heldischen, feldherrlich-machtvollen Züge in der Darstellung der Guise, Saint-André, Nemours u. a. erfolgt ganz im Sinne der domestizierten Adelsgesellschaft unter Ludwig XIV. Ebenso sind die religiösen Spannungen des 16. Jahrhunderts fast völlig aus dem Geschehen getilgt1'). Die historisch-politischen Ereignisse, mit denen Mme de Lafayette ihre Handlung organisch verknüpft, erfahren dort eine Verschiebung, wo die Komposition es erfordert. „Par le secours de l'histoire, Mme de Lafayette arrête ou déchaîne les passions. Par elle se fait l'accord ou le désaccord des sentiments fictifs"14). Mme de Lafayettes großes historisches Interesse bezeugt sich nicht nur an ihren intensiven Quellenstudien und an ihren eigenen Beiträgen zur Historiographie (Histoire de M adame Henriette d'Angleterre; Mémoires de la Cour de France pour les années 1688 et 1689) sondern auch an der — von R. Burkart untersuchten — stilistischen Annäherung an die Geschichtsschreibung. Gleichwohl hat durch die sowohl von Valincour wie vor allem von Bayle gerügte souveräne Art, in der sie historisches Geschehen und persönliche Schicksale miteinander verknüpft, die Geschichte ihre bisherige bloße Kulissenfunktion verloren. Audi von „Rahmen" zu sprechen wäre ein Mißverständnis, denn be11) G. Hess a.a.O. S. 832. 12) Grundlegend H. Chamard und G. Rudier, Les sources historiques de la Princesse de Clèves, in: Revue du XVTe siècle II (1914) S. 92 ff., 290 ff., V (1917) S. 1 ff. Speziell zu Brantôme vgl. Rolf Kodi, Brantôme als literarische Quelle. Diss. Hamburg 1949 (Masdi.sdir.). 13) Vgl. Koch a.a.O. S. 28 u. 55. 14) Charles Dédéyan, Madame de Lafayette, Paris 1956, S. 177.

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reits die historischen Porträts, mit denen Mme de Lafayette ihren Roman einleitet und bei denen sie sich sachlich ziemlich genau an Brantôme hält, sind in der Absicht, die spezifische Atmosphäre für ihre Handlung zu schaffen, modifiziert15). Die Änderungen, die Mme de Lafayette an den historisch überlieferten Zügen ihrer Nebenfiguren vornahm, beruhen im wesentlichen auf Auslassungen. Auf dieses Verfahren konnte sie sich sogar bei dem Partner ihrer Protagonistin beschränken, weil die zeitgenössischen Quellen ihr in dem Duc de Nemours eine durchaus geeignete Gestalt boten. Dem Bild eines nicht eben von Skrupeln geplagten erfolgreichen Schürzenjägers entnahm Mme de Lafayette gerade soviel an Zügen, wie sie brauchte: Nemours mußte begehrenswert, schön und edel genug sein, um die Gefühle der Heldin hervorzurufen und immer wieder zu steigern; und er mußte schwach genug sein, um ein wesentliches Argument für den Verzicht beisteuern zu können. Daß die Ehe die Liebe tötet, war ein geläufiger Gedanke. Daß die Princesse dies aber im Falle Nemours' mit Sicherheit voraussehen kann, dazu muß Nemours der für jeden weiblichen Reiz anfällige Don Juan des Hofes sein. Erst die auf diesem Umstand beruhende Gewißheit, Nemours" Liebe wieder zu verlieren, gibt der Princesse die Kraft zum Verzicht — und damit auch dem Thema des Verzichts die erforderliche Glaubwürdigkeit. Das Schwanken zwischen Eitelkeit, Indiskretion, Seelengröße und vornehmer Zurückhaltung, welches das Auf und Ab der Liebe und die inneren Kämpfe der Princesse mitartikuliert, wird erst durch den zwiespältig angelegten Charakter Nemours' ermöglicht. Das im Sinne der Fabel Notwendige ist von seiner Individualität bereitgestellt. So erweist sich an dieser Übernahme und leichten Verschiebung des Charakters einer historischen Gestalt abermals, wie jedes Einzelmoment in der Princesse de Cleves vom Sinnganzen diktiert wird und umgekehrt dieses Sinnganze mitkonstituiert. Zu den für die Struktur der Fabel wichtigsten Rollen gehört diejenige der Dauphine. Mit der durch die plötzlich erwachte passion verursachten Vereinsamung der sich bis dahin in Harmonie mit der gesellschaftlichen Umwelt wähnenden Princesse ist ihr diese Umwelt fremd geworden, bleibt aber nach wie vor bestimmende Form ihrer Existenz. Die Fabel mußte diesem entscheidenden Tatbestand Rechnung tragen: der Kreis der Dauphine ist Verbindungszentrum und Ort der Vermittlung. Als solcher wird er Schauplatz der Kollisionen, die, von der höfisch-gesellschaftlichen Lebensform provoziert, den thematischen Konflikt immer wieder vorantreiben. Völlig zu Recht hat selbst Valincour den Begegnungen der Liebenden bei der Dauphine seine Bewunderung gezollt. In ihrer Gegenwart und durch ihre, in ihrem Charakter wie in ihrer Stellung begründete Aktivität wird die Handlung immer 15) Vgl. hierzu Ashton a.a.O. S. 121 ¡ Dédéyan a.a.O. S. 119t Burkart a.a.O. S. 131.

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wieder ereignishaft wie erlebnismäßig zu neuen Höhepunkten geführt. Durch ihre Neugier, ihren Scharfsinn, ihre Vorliebe für Liebesintrigen und ihr politisch wohlbegründetes stetiges Informiertsein kann sie zur treibenden Kraft in der so wichtigen und erfolgreichen Angelegenheit des verlorenen Briefs werden — nachdem sie schon in der Porträtepisode die auslösende Rolle gespielt hat16). Mme de Lafayette brauchte der geschichtlichen Wahrheit im Hinblick auf die junge Maria Stuart keine Gewalt anzutun, um ihr diese bedeutsame Rolle in ihrer Fabel zu geben. Geschichte und fiktives Geschehen verbinden sich hier ohne Widerstand, ja lassen gerade die Wahl des vorausgegangenen Jahrhunderts als Schauplatz der Handlung vor einem Publikum gerechtfertigt erscheinen, das der Unverbindlichkeit der romanesken Geschichtsverfälschung überdrüssig geworden war. Das kritische zeitgenössische Publikum verlangte vom Roman eine Mischung von Geschichte und Fiktion, in welcher letztere die Lücken der ersteren auffüllt und sie verstehbar macht, sich aber sorgfältig allen bekannten Fakten anpaßt. Diese Ansicht äußert auch der professionelle Kritiker, den Valincour einführt"). Mme de Lafayette hat, freilich ohne Rücksicht auf die Strenge der Forderung nach Einhaltung der historischen Wahrheit auch im Detail, verwirklicht, was Desmarets de Saint-Sorlin schon 1639 im Anschluß an die italienischen Aristotelesausleger zum Ziel des Romanciers erklärt hatte: die Mischung von Fiktion und geschichtlicher Wahrheit, wobei die Fiktion die mit extravagances erfüllte Faktenwahrheit im Sinne der vraisemblance, bienséance und der raison korrigiert18). Während der heroisch-galante Roman durch seine phantastische Willkür im Umgang mit der Geschichte die Kluft zwischen bienséance und vraisemblance aufriß und ins Bewußtsein hob, konnten beide Forderungen noch einmal identisch erscheinen in dem Maße, als der historische Schauplatz näher an die Gegenwart heranrückte, die Autoren zu größerer Treue 16) Vgl. die gute Charakterisierung der Dauphine und ihrer Rolle bei Dédéyan a.a.O. S. 231 ff. 17) Um sich dann freilich von der Aussdiließlidikeit dieser Forderungen im Hinblick auf die Princesse de Clèves zu distanzieren. Lettres à la Marquise ·", S. 134 ff. 18) „C'est une chose asseurée qu'il n'y a rien de si utile que les livres ou la vérité et l'invention esclattent à l'envy l'une de l'autre, et que quand ils sont escrits par des hommes sages et ingenieux, il n'y a rien qui puisse tant servir pour enseigner les vertus morales, et plus ils sont pleins de feintes parmy la vérité, plus ils sont beaux et profitables, pour ce que la feinte vraysemblance est fondée sur la bienseance et sur la raison, et la vérité toute simple n'embrasse qu'un récit d'accidens humains qui le plus souvent ne sont pleins que d'extravagances." (Préface zu Rosane, zit. nach Maurice Magendie, Le roman irançais au XVIIe siècle de «L'Astrée» au «Grand Cyrus», Paris 1932, S. 132.)

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gegenüber den geschichtlichen Ereignissen zwang, und die betreffende Epoche selbst eine vergleichbare gesellschaftlich-politische Struktur aufwies. „Der ideale Stoff war derjenige, der aus der Geschichte selbst die Gesetze moderner Bienséance hervorzubilden schien. Die Fiktion hörte auf, wahrscheinlich zu sein, wenn sie gegen im Gemeinbewußtsein liegende GeschiditsWahrheiten verstieß" 18 ). Mme de Lafayette hat aus dieser Konstellation das denkbar Beste zu machen gewußt. Sie verlagerte die spezifische Problematik ihrer eigenen Zeit auf den historischen höfischen Schauplatz des 16. Jahrhunderts, der nicht fern genug war, um fremd und wesentlich andersartig zu sein, und der als ein ferngerückter doch viel durchsichtiger war als die eigene Wirklichkeit. Durch diese historische Einsenkung schaffte Mme de Lafayette die Voraussetzung dafür, daß ihre Gestalten keine beliebigen Privatpersonen sind, aber auch keine überdimensionalen Helden, wie sie zu allen Zeiten und überall und daher nirgends gelebt haben könnten. Der kleinere Schauplatz in der Fernperspektive erlaubt durch die Beschränkung der Personenzahl eine Konzentrierung der Fabel und damit eine unmittelbare Sinnfälligkeit des Themas. Mme de Lafayette tut also hier im Grunde bereits, was Balzac in seiner Kritik der Chartreuse de Par me an Stendhal rühmt 20 ). Sie läßt alle ihre Figuren sich in der exemplarischen höfischen Mitte des Lebens bewegen und verkettet damit die öffentlich-allgemeine Problematik so eng mit der privat-persönlichen, daß sich diese letztere mit hintergründiger Kausalität aus der ersteren ergibt. Die Einheit von Typus und Individuum in den handelnden Personen wird dadurch entscheidend mitbedingt. Das in Kap. II aufgezeigte Widerspiel der psychologischen und ethischen Motive in ihrer Verflechtung würde auch durch die Erfindung und Komposition adäquater Situationen und Geschehnisse nicht die für die Lösung erforderliche Evidenz gewinnen, wenn nicht die handlungstragenden Personen, vorab die Princesse, in ihrem Charakter entsprechend angelegt wären. Hier ergibt sich nun für die Interpretation eine doppelte Schwierigkeit, die einerseits auf der „Idealität" der Lafayetteschen Figuren und andererseits auf dem verbreiteten Miß19) Werner Krauss, Gesammelte Aufsätze, S. 427. 20) Etudes sur M. Beyle. Analyse de la Chartreuse de Parme. Genève, Editions Skira, s. d., passim. Vgl. bes. S. 37—38: „Enfin, ce livre vous explique admirablement tout ce que la camarilla de Louis XIII faisait souffrir à Richelieu. Cet ouvrage, appliqué à des intérêts vastes comme ceux du cabinet de Louis XIV, du cabinet Pitt, du cabinet de Napoléon ou du cabinet russe, eût été impossible à cause des longueurs et des explications qu'auraient voulues tant d'intérêts voilés; tandis que vous embrassez bien l'état de Parme; et Parme vous fait comprendre, mutato nomine, les intrigues de la cour la plus élevée." — Zur grundsätzlichen Bedeutung dieses Verfahrens vgl. G. Lukács, Der historische Roman, Berlin 1955, S. 37 f. 45

Verständnis beruht, der eigentliche Wert, ja das künstlerische Ziel der Princesses de Clèves sei die psychologische Analyse. R. Burkart hat mit Recht gegen die letztere Auffassung Einspruch erhoben, sie zur „landläufigen Etikette" erklärt, die „den Eigenwert der Dichtung verklebt", und die „dienende Stellung" der Psychologie in der Princesse de Clèves betont"). Man wird sogar noch weiter gehen dürfen. Es wird sich im weiteren Verlauf unserer Untersuchung zeigen, daß gerade die „außer-ordentlichen" Handlungen der Princesse, Geständnis und Verzicht, die zugleich individuellsten u n d typischsten Handlungen sind. Die Princesse führt darin genau das aus, was die objektive allgemeine Thematik erfordert, und was doch zugleich voll und ganz aus ihrem Charakter und aus ihrem persönlichen Erleben heraus motiviert ist. Die psychologische Vertiefung ist Resultat, nicht Zweck des Problems und des künstlerisch richtig dargestellten Themas der Princesse de Clèves, des in Handlung umgesetzten und zur „Lösung" des Verzichts führenden Konflikts zwischen passion und raison. Die Verschärfung des objektiven Konflikts zwischen Individuum und Norm zwingt in dem Augenblick, da an der Berechtigung der bereits fremd gewordenen Normen noch nicht gezweifelt wird, zum „se connaître", zur Introspektion. Gerade die richtige Stellung und Durchführung des Problems in der Princesse de Clèves brachte auch die erstaunliche psychologische Vertiefung mit, durch die der Roman im Gefolge des Lafayetteschen Werks nach dem Zeugnis Fontenelles so viel zur „science du cœur" beizutragen bestimmt war22). Führt diese „science du cœur" bei Mme de Lafayette nodi durch die Konsequenz ihrer der geschichtlichen Wirklichkeit adäquaten Gestaltung zur Erfahrung und Hinnahme der engen Begrenzung des menschlichen Ich, so enthält sie doch schon in der Problemstellung den Keim für eine Entwicklung, an deren Ende die Erkenntnis und Rechtfertigung der Individualität und Subjektivität stehen wird. Die resignierende Bescheidung, die sich im Verzicht der Princesse bekundet, ändert nichts an der Tatsache, daß sie sich in der Welt der normativen Ordnungen nicht mehr heimisch fühlt. Die sensible Seele und ihre fatale Kollision mit einer sinnfremden Außenwelt ist in der Princesse de Clèves zum kaum erst bewußten Zentralproblem gediehen. Der berechtigte Protest gegen die einseitige „psychologische" Wertung der Princesse de Clèves veranlaßte R. Burkart zu einer Behauptung, die ihrerseits wiederum geeignet ist, Mißverständnisse hervorzurufen. Aus dem „Hang zur Idealisierung des Menschentums, 21) A.a.O. S. 77 u. 79. 22) Vgl. zu dieser von Fontenelle in den Réflexions sur la poétique getroffenen Feststellung Max Freiherr von Waldberg, Der empfindsame Roman in Frankreich, Straßburg u. Berlin 1906, S.304. Ähnlich auch Valincour, Lettres, S. 159. 46

zum Beispielhaften neben allem Herzensrealismus und aller Erfahrungstreue" schließt sie, daß wir es in der Princesse de Clèves weniger mit einer „experimentell vorgehenden Individualpsychologie zu tun [haben] als vielmehr mit einer Art Idealtypologie"23). Sie begründet diese Ansicht damit, daß der Kampf zwischen „individueller Neigung und (gesellschaftlich und ethisch) geforderter Pflicht" exemplarisch gedacht sei. Diese Auffassung erscheint uns als völlig richtig insofern, als sie sich gegen die Versuchung wendet, in der Princesse de Clèves schon eine der Zeit nicht gemäße individuelle Psychologie zu entdecken. Es stellt sich indessen hier keineswegs die Alternative: „Individualpsychologie" oder „Idealtypologie"; der künstlerische Wert des Romans beruht vielmehr darauf, d a ß b e i d e z u s a m m e n f a l l e n . Daß Problem und Charaktere des Romans typisch sind, also gewissermaßen idealisierende Abstraktionen der Zeitwirklichkeit, das zeigt sich bereits an ihrer Wiederkehr in allen Werken der Lafayette. Daß sie exemplarisch gemeint sind, zeigt sich auch an dem gesellschaftlichen Rang der Personen, ihrer „condition", an der Einlagerung in die vorbildhafte höfische Mitte und in bedeutendes historisches Geschehen. Insofern haben wir es tatsächlich mit „Idealtypologie" zu tun. Diese Typologie bliebe aber rein abstrakt und unpoetisch, wenn die Typen nicht zugleich Personen mit in sich geschlossener Individualität wären. Burkart hat übersehen, daß der Rang der Lafayetteschen Personen nicht nur einem gesellschaftlichen Modellanspruch der Aristokratie entsprach, sondern zugleich auch einem bereits von Aristoteles und seiner gesamten Nachfolgeschaft vertretenen ästhetischen Prinzip. Die ästhetisch erforderliche „Mediokrität" des Helden in besonderen Situationen (— der Verstoß gegen dieses Prinzip wurde im 17. Jahrhundert für das Märtyrerdrama tödlich —) kann sich modellhaft nur unter den exponierenden Umständen mit Evidenz beweisen, die im 17. Jahrhundert allein im Bannkreis des Hofs gegeben waren. Wenn Mme de Lafayette im Vorwort zur Princesse de Montpensier sich gegen Schwierigkeiten von seiten ihrer hochmögenden Zeitgenossin gleichen Namens dadurch absichert, daß sie den fiktiven Charakter ihrer Erzählung betont, so läßt sich die Frage, warum sie trotzdem den Namen einer berühmten Familie wählt, nur mit dem Hinweis auf die Exemplarität öffentlicher und politischer Namen beantworten, deren Wahl in erster Linie von ästhetischen Bedürfnissen und dann — damit durchaus zusammenhängend und an sich legitim — von dem Bestreben nach Resonanz im Publikum bestimmt wird24). In der 23) A.a.O. S. 78. 24) „L'Auteur ayant voulu, pour son divertissement, écrire des aventures inventées à plaisir, a jugé plus à propos de prendre des noms connus dans nos histoires que de se servir de ceux que l'on trouve dans les romans, croyant bien que la réputation de Mme de Montpensier ne serait pas blessée par un récit effectivement fabuleux" (a.a.O. S. 4). Man vergleiche damit das

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intakten Ständegesellschaft ist die Wahl von Figuren aus den höchsten Rängen im Sinne der Einheit von Allgemeinem und Individuellem ästhetisch völlig konsequent, weil gerade das Evidentmadien der Gesetzlichkeit, der Sinn der Mimesis, am irrelevanten Einzelfall scheitern müßte. Die Anziehungskraft großer historischer wie mythologischer Figuren ist eine primär ästhetische, weil in ihren Lebensumständen die überall sonst im Leben verstreuten und verdeckten Grundtendenzen schon zusammengefaßt erscheinen. Die „parfaite imitation du monde de la cour", deren sich Mme de Lafayette rühmte, Schloß intensiv trotz der soziologischen Verengung die Totalität des „Weltzustandes" ein. Die universalistische Anthropologie, die bei Mme de Lafayette ebenso wirksam ist wie bei ihren Zeitgenossen, bedeutet eine Erschwerung der poetischen Individualisierung, aber sie entbindet nicht von ihr. Schon Chapelain hatte die Forderung formuliert, . . . que tout écrivain qui invente une fable dont les actions humaines font le sujet, ne doit représenter ses personnages, ni les faire agir que conformément aux mœurs et à la créance de son siècle"). Mme de Villedieu begründete die Ähnlichkeit zwischen den Gestalten und Handlungen ihrer historischen Erzählungen und den Menschen und Intrigen ihrer Epoche mit dem Hinweis auf die ewig gleiche Natur der Gefühle der Menschen, aus der sich auch die Gleichheit ihrer Handlungen ergebe28). Die neue Form des „historischen" Romans, die mit den Werken der Villedieu und der Lafayette einsetzt, stellt Vorwort Boursaults zu dessen Princesse de Condé (1675): ce n'est icy qu'un petit Roman a quoy l'on prete les Noms Illustres pour le faire recevoir plus favorablement parceque l'on est plus sensible aux aventures d'un prince que l'on connoist qu'à celles d'un héros qu'on ne connoist pas " (Zit. n. Georges May, Revue d'Hist. litt, de la France 55 [1955] S. 159). — Vgl. audi Mme de Villedieu in Calmante (1668): „II faut être un grand Prince, ou un grand Conquérant, pour remplir le titre d'une histoire dignement, et quand je voi un homme d'une naissance médiocre, et dont la vie est ordinaire, raconter avec emphase ce qui s'est passé entre lui et sa voisine, il me semble voir quelqu'un redire comme un prodige, qu'une brébis a fait un agneau . . . Philiston . . . fit une peinture fort plaisante de ceux qui faisaient un Roman de toutes sortes d'avantures, et qui mettaient en nombre d'incidens remarquables, les accidents ordinaires d'une vie obscure et triviale." (Œuvres de Mme de Villedieu, Paris 1741, Bd. III, S. 506). 25) De la lecture des vieux romans, in: Opuscules critiques, éd. A. C. Hunter, Paris 1936, S. 218. 26) „On est homme aujourd'hui, comme on l'étoit il y a six cens ans: les loix des Anciens sont les nôtres, et on s'aime comme on s'est aimé. Faut-il donc s'étonner si ce qui est arrivé dans les premiers siècles a quelque rapport avec ce qui arrive dans celui-ci? Il n'est pas plus extraordinaire de voir un Amant de 1669 faire l'amour comme on le faisoit en 950 que de voir un enfant, qui naît cette année, être composé des mêmes parties, 48

erfundene Schicksale von Menschen des 17. Jahrhunderts in eine möglichst getreue Historie, im Gegensatz zum heroisch-galanten Roman, der den historischen Anspruch zwar gestellt, sich aber um die historische Wahrheit überhaupt nicht gekümmert hatte. Die Geschichte wird aber jetzt erst recht zum Gegenstand einer „anatomie spirituelle des actions humaines", w i e der Abbé de Saint-Réal in seiner Schrift De ¡'Usage de l'Histoire programmatisch darlegt 27 ). Geschichte wird zum unerschöpflichen Arsenal für die Bestätigung des eigenen Menschenbildes als eines universell gültigen, in der menschlichen Natur verankerten und in der eigenen Zeit am hellsten ins Bewußtsein gerückten geistigen Struktur 28 ). Damit wird zwar, ganz im Sinne der partikulär-faktizistischen Geschichtsschreibung der absolutistischen Zeit, die Geschichte in Wahrheit enthistorisiert — weshalb diese „historischen" Romane auch für einen Pierre Bayle w i e noch für Diderot zum Ärgernis wurden 29 ) — zugleich aber wird, indem man die großen historischen Ereignisse durch die Leidenschaften und menschlichen Beziehungsarten der eigenen Zeit und Gesellschaft erklärt, die Illusion erzeugt, man sei der Geschichte noch mächtig 30 ). Das Pascalsche qui composoient les enfans d'Adam, et des patriarches." (Ies Annales galantes, Avant-propos, Œuvres de Mme de Villedieu, Paris 1720, Bd. IX, S. A III.) 27) Paris 1671, S. 138¡ Zit. nach Gustave Dulong, L'abbé de Saint-Réal. Etude sur les rapports de l'histoire et du roman au XVIIe siècle, Paris 1921, I, S. 105. 28) Vgl. Saint-Réal a.a.O. S. 4: „Savoir l'histoire, c'est connoître les hommes, qui en fournissent la matière, c'est juger de ces hommes sainement; étudier l'histoire, c'est étudier les motifs, les opinions et les passions des hommes, pour en connoître tous les ressorts, les tours et les détours, enfin toutes les illusions qu'elles savent faire aux esprits, et les surprises qu'elles font aux cœurs." (Zit. n. Dulong a.a.O. S. 105). 29) Vgl. Dictionnaire historique et critique, Art. Nidhard: „Les Libraires et les Auteurs font tout ce qu'ils peuvent, pour faire accroire que ces Histoires secrettes ont été puisées dans des Manuscrits anecdotes: ils savent bien que les Intrigues d'amour, et telles autres Aventures plaisent davantage quand on croit qu'elles sont réelles, que quand on se persuade que ce ne sont que des inventions. De là vient que l'on s'éloigne autant que l'on peut de l'air romanesque dans les nouveaux Romans; mais par là on répand mille ténèbres sur l'Histoire véritable, et je croi qu'enfin on contraindra les Puissances à donner ordre que ces nouveaux Romanistes aient à opter; qu'ils fassent, ou des Histoires toutes pures, ou des Romans touts purs; ou qu'au moins ils se servent de crochets pour séparer l'une de l'autre, la vérité et la fausseté." Vgl. nodi Nouvelles de la République des Lettres, oct. 1684. — Zu Diderots ablehnender Haltung s. Fritz Schalk, Diderots Essai über Claudius und Nero, Köln-Opladen (Arbeitsgemeinsch. f. Forschung d. Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswiss., H. 39) 1956, S. 18. 30) Die gleiche Uberzeugung läßt den Abbé de Chames über die Princesse de Cleves sagen, daß diese Art von histoires zeige, „qu'on peut souvent con49 4 Köhler, Mme de L.

Wort von derLiebesleidensdiaft, die unaufhörlich die Welt, die Fürsten und die Reiche erschüttere, erhält seine positiv-illusionistische Wendung in einer Generation, die sich für das endgültige politische Scheitern in der Fronde an der literarisch-ästhetischen Annexion der Gesamtgeschichte mittels einer universalistischen Anthropologie schadlos hält. Menschenbild und Geschichtsbild der Mme de Lafayette sind von der gleichen Art. „Darum ist es möglich, daß sie, die sich um dironistenhafte Treue in der Wiedergabe der Tatsachen und um Erkenntnis der Motivverflechtung einer vergangenen Epoche bemüht zeigt, doch die gesellschaftliche Gesamtlage ihrer eigenen Zeit auf den Hof Heinrichs II. überträgt, weil ihr diese Situation auf Grund ihres Bildes vom Menschen universal gültig erscheint"31). Wenn sie das — durchaus historische — Scheitern der politischen Ambitionen des Herzogs von Nemours mit der Leidenschaft zu einer fiktiven Heldin eigener zeitgenössischer Idealität begründet, so bildet dieser Umstand nur e i η Moment in der ideologischen Besitzergreifung der Geschichte durch die Generalisierung der eigenen gesellschaftlich bedingten Vorstellung vom Wesen der menschlichen Natur. Bei solcher tief im Weltbild verwurzelter Idealisierung bedurfte es freilich besonderer künstlerischer Gaben, um die Figuren trotzdem zu Individuen zu gestalten, umsomehr, als in diese „totalen" Individuen auch die spezifische universalistische Idealität als eine Grundtendenz der Zeit mit eingehen mußte.

sidérer les actions qu'elles contiennent comme les ressorts secrets des évenemens memorables que nous avons appris dans l'Histoire" (zit. n. G.May a.a.O. S. 172). Valincour, gegen dessen Kritik der Abbé de Chames — zweifellos im Auftrag Mme de Lafayettes — seine Conversations sur la critique de la Princesse de Clèves schrieb, drückt durch den Mund des von ihm eingeführten Sachverständigen die gleiche Auffassung aus: „Enfin, je voudrais que mes fictions eussent un rapport si juste et si nécessaire aux événements véritables de l'histoire, et que les événements parussent dépendre si naturellement de mes fictions, q u e m o n l i v r e n e p a r û t ê t r e a u t r e c h o s e q u e l ' h i s t o i r e s e c r è t e d e c e s i è c l e - l à , et que personne ne pût prouver la fausseté de ce que j'aurais écrit." (Lettres . . . , S. 142). Der Passus aus Castelvetro, dem diese Erklärung folgt, enthält die von uns gesperrte Einschaltung nicht. 31) G. Hess a.a.O. S. 232.

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IV. Das Geständnis

Le vrai roman est comme une autobiographie du possible. Thibaudet W i e sich die konkretisierende Zusammenfassung der Momente des Wesens in der Princesse de Clèves vollzieht und in welcher Weise sie formbestimmend wird, soll an der zentralen Szene des Romans deutlich werden: dem Geständnis. Das Geständnis wurde unmittelbar nach dem Erscheinen des Buchs zum Stein des Anstoßes für die Kritik. Bussy-Rabutin schrieb darüber an Mme de Sévigné: . . . l'aveu de Mme de Clèves à son mari est e x t r a v a g a n t , et ne peut se dire que dans une h i s t o i r e v é r i t a b l e ¡ mais quand on en fait une à plaisir, il est ridicule de donner à son héroïne un s e n t i m e n t s i e x t r a o r d i n a i r e . L'auteur, en le faisant a plus songé à ne pas ressembler aux autres romans qu'à suivre le bon sens. [ . . . ] La première a v e n t u r e des jardins de Coulommiers n'est p a s v r a i s e m b l a b l e , et s e n t l e roman1). Ebenso anstößig erschien Bussy-Rabutin der Umstand, daß Nemours das Geständnis heimlich mit anhört. Die gleiche Ansicht vertrat Valincour: „ . . . il me semble que ces manières d'incidents si e x t r a o r d i n a i r e s s e n t e n t trop l ' h i s t o i r e à dix volumes2). Selbst Fontenelle, der das Geständnis als solches bewunderte und rühmte, stimmt hinsichtlich Nemours' Anwesenheit mit Bussy-Rabutins und Valincours Meinung überein: Je suis ravy que Monsieur de Nemours sçache la conversation qu'elle a avec son Mary, mais je suis au desespoir qu'il l'écoute. Cela s e n t u n p e u l e s t r a i t s d e l ' A s t r é e * ) . 1) Brief vom 29. Juni 1648; Lettres de Mme de Sévigné, Ed. Grands Ecrivains, Paris 1862, Bd. V, S. 462. 2) Lettres à Mme La Marquise"*, S. 111. 3) Zit. n. J.-G. Prod'homme, Vingt chefs-d'œuvre jugés par leurs contemporains, Paris 1930, S. 64. Vermutlich dachte Fontenelle dabei an die Episode der Astrée, in welcher der von den Eltern ausgewählte Bräutigam 4·

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Demgegenüber behauptete die Verfasserin selbst von ihrem W e r k : . . . c'est une p a r f a i t e i m i t a t i o n , du monde de la cour et de la manière dont on y vit, il n'y a r i e n d e r o m a n e s q u e et de grimpé: a u s s i n ' e s t - c e p a s u n r o m a n : c ' e s t p r o p r e m e n t d e s m é m o i r e s et c'estoit, à ce que l'on m'a dit, le titre du livre, mais on l'a changé4). — W e r hat hier redit? Daß eine Frau dem Gatten aus freiem Entschluß ihre Liebe zu einem anderen Mann eingesteht, das mußte in der Tat als unwahrscheinlich empfunden werden, und die Tatsache, daß dieser andere dabei heimlich zuhört, machte dieses Geschehnis nicht gerade glaubwürdiger 5 ). Daß das Geständnis etwas ganz und gar Außergewöhnliches war, wußte jedoch Mme de Lafayette genau so wie ihre Kritiker. Ihre Heldin spricht wiederholt und mit Emphase von der „singularité d'un pareil aveu, dont elle ne trouvait point d'exemple" (337)®). Extraordinaire wird, wie R. Burkart notiert 7 ), zum „epitheton constane" für das Geständnis, wird mehrfach zur iolie gesteigert und das exzeptionelle Handeln somit direkt wieder auf die durch die surprise-Konzeption motivierte, heillose Leidenschaft zurückgeführt. Mme de Lafayette läßt ihre Protagonistin dieses Bewußtsein der Einzigartigkeit ihrer Handlung in Worten bekunden, hinter denen die Forschung sogar einen ausdrücklichen Anspruch der Autorin auf ihre Erfinderrechte sehen konnte 8 ). Sie scheint den Kritikern zuvorkommen zu wollen, wenn sie die Princesse selbst sagen läßt: „Cette histoire ne me paraît guère Beilindes, Ergaste, hinter einem Busch versteckt, das Gespräch Beilindes mit dem Hirten Celion belauscht (Honoré d'Urfé, L'Astrée. Nouv. éd. p. p. Hugues Vaganay, Lyon 1925—1928, I, S. 410 ff.). 4) Brief vom 13. April 1678 an Lescheraine. Correspondance, éditée d'après les travaux de André Beaunier, Paris, Gallimard, 1942, II, S. 63. 5) Bussy-Rabutin, der nicht einmal einsehen wollte, warum Nemours überhaupt von dem Geständnis erfährt, begründete seine Ablehnung mit dem Verweis auf die Wirklichkeit: „Une femme dit rarement à son mari qu'on est amoureux d'elle, mais jamais qu'elle ait de l'amour pour un autre que pour lui" (a.a.O. S. 464). — Uber die das Geständnis fast durchweg ablehnenden Leserzuschriften an den Mercure galant s. Emile Magne, Le cœur et l'esprit de Madame de Laiayette. Portraits et documents inédits, Paris 1927, S. 234 ff. 6) Vgl. S. 333: „ . . . je vais vous faire un aveu que l'on n'a jamais fait à son mari"; S. 385: „un remède si extraordinaire"; S. 343: „action extraordinaire" u. a. m. 7) A.a.O. S. 162. 8) „ . . . il n'y a pas dans le monde une autre aventure pareille à la mienne; il n'y a point une autre femme capable de la même chose. Le hasard ne peut l'avoir fait inventer; on ne l'a jamais imaginée et cette pensée n'est jamais tombée dans un autre esprit que le mien". (349). Die erwähnte Auffassung vertritt H. Ashton, Madame de Laiayette, sa vie et ses œuvres; vgl. dazu Burkart a.a.O. S. 56 f.

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vraisemblable" (345). Mit welchem Redit hält sie trotzdem an der Berechtigung dieser Szene fest? Wenn La Bruyère von dem Duc de Lauzun sagt: „Sa vie est un roman: non, il lui manque le vraisemblable"®), so verrät diese Formulierung, gegen die der idealistische Roman einer Scudéry und eines La Calprenède verstoßen hatte, die Auffassung: der Roman soll i m m e r vraisemblable sein, in erklärtem Gegensatz zum Leben, das es sehr oft n i c h t ist. Davon ging auch Bussy-Rabutins Kritik an der Geständnisszene aus10). Und Mlle de Scudéry, die zu bemerkenswerten theoretischen Einsichten gelangte, ohne sie in Praxis umsetzen zu können, erklärte in ihrem Dialog De la manière d'inventer une fable: . . . il faut presque toujours, que ce qu'on invente paroisse plus vray-semblable que la vérité. Car enfin, il est permis au hazard de faire des choses incroyables. Mais il n'est jamais permis à un Homme sage d'inventer des choses qu'on ne puisse croire 11 ).

Hatte Chapelain noch den romanceries summarisch die invérisimilìtude und irrégularité zugewiesen, den Roman durch diese Gattungsbestimmung endgültig mit diskreditieren helfen und mit dieser Definition vom Epos, auf das sich die großen Romane beriefen, unterschieden12), so basiert der Bischof Huet seine Apologie der Gattung gerade auf die Forderung nach vraisemblance: „... car les Romans sont des fictions de choses qui ont pû estre, et qui n'ont point esté"13). Die Unterscheidung vom Epos wird jetzt anders begründet: das Epos handelt mehr vom Krieg als von der Liebe, beim Roman verhält es sich umgekehrt. Damit war der Roman als ernstzunehmende, wenn auch im ästhetischen Kanon noch nicht gleichberechtigte Kunstgattung gerettet, zugleich aber auch ein Trennungsstrich zu der bisherigen Romanproduktion gezogen. Mit der Erklärung, die Romane seien „des fictions de choses qui ont pû estre, et qui n'ont point esté", war der Roman erneut, aber diesmal ohne die Last der Nähe des Epos, unter das Gesetz des Aristo9) De la cour, 96; Ed. Grands Ecrivains, Bd. II, S. 247. 10) S. o. Der gleiche Vorwurf, gegen die Monologe und den Brief der Princesse de Clèves gerichtet, fällt freilich in die Argumentation des realistischen Romans Sorels und Furetières zurück: „Cela sent encore bien le roman, de faire parler des gens tout seul; car outre que ce n'est pas l'usage de se parler à soi-même, c'est qu'on ne pourrait savoir ce qu'une personne se seroit dit, à moins qu'elle n'eût écrit son histoire; encore diroit-elle seulement ce qu'elle auroit pensé. La lettre au vidame de Chartres est encore du style des lettres de roman, obscure, trop longue et point du tout naturelle" (a.a.O. S. 464). 11) Conversations

sur divers sujets, Amsterdam 1682, t. II, S. 37.

12) Vgl. Préface de l'Adone du Marin, und Brief an Isaac Gruterus in Opuscules critiques, éd. Alfred C. Hunter, Paris, 1936, S. 94, 96 u. 486 f. 13) A.a.O. S. 115.

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telismus gestellt. Der Verruf, in den ihn seine heroisch-galanten und schäferlichen Vertreter gebracht hatten, zwang seine Autoren zur Verleugnung der Gattungstradition und zum Wechsel der Kennmarke. Aus diesem Grunde gab Mme de Lafayette die Princesse de Clèves für „Mémoires" aus und bestritt ihre Zugehörigkeit zum Roman. Angesichts der Forderung nach Wahrheit und des ästhetischen Strafgerichts über die ganze Gattung blieb nichts anderes übrig, als ihr Werk unter den Schutz des Memoiren-Titels zu stellen und — im Sinne der aristotelischen Mimesis-Lehre — es als „parfaite imitation du monde de la cour" vorzulegen. Nach diesen Überlegungen läßt sich als Postulat der zeitgenössischen Kritik bestimmen: Der Roman soll sinnfälliges Spiegelbild einer idealen Gesetzlichkeit sein, aber nicht mehr, wie bisher, aus der Norm herausfallende Einzelfälle — seien sie dem Zufall des Lebens abgesehen oder der Phantasie entlockt — zur Exemplarität erheben und durch deren Unverbindlichkeit der Illusion über das Leben Vorschub leisten. Geistliche und weltliche Kritik waren sich einig in der Verurteilung der Romane als Verführer der Phantasie, der guten Sitten und Förderer jedweder Lebensuntauglichkeit14). Descartes hatte im Discours de la méthode die extravagances der Romanhelden als einen ständigen Anreiz zu subjektiver Selbstüberschätzung bloßgelegt und vor der Wirklichkeitsverfälschung durch die histoires und fables gewarnt, die bewirkte, que ceux qui règlent leurs mœurs par les exemples qu'ils en tirent, sont sujets à tomber dans les extravagances des paladins de nos romans, et à concevoir des desseins qui passent leurs forces15).

Das typisch „romanhafte" Zufallsgeschehen vermag bereits als böses Omen aufzutreten. Als der Comte de Chabanes in Mme de Lafayettes Princesse de Montpensier die Princesse in Begleitung des Duc de Guise erscheinen sieht, ahnt er ein nahes Verhängnis: Ce que le hasard avait fait pour rassembler ces deux personnes lui semblait de si mauvaise augure, qu'il pronostiquait aisément que ce c o m m e n c e m e n t d e r o m a n ne serait pas sans suite (12).

Werner Krauss hat in seiner Studie Zur Bedeutungsgeschichte von „romanesque" im Î7. Jahrhundert die geschichtlichen Voraussetzungen der veränderten Einstellung zum Epos und zum Roman erhellt. „Die Fiktion des Romanes schmeichelte in unerlaubter Weise dem Verlangen eines über alle Bedingungen des menschlichen Verkehrs sich hinwegsetzenden Selbstgefühls. Die französische Gesellschaft, die ihre tiefsten Erfahrungen dem politischen Zusammenbruch der Fronde verdankte, 14) So muß Huet den Roman gegen folgende Vorwürfe in Schutz nehmen: „ . . . ils dessedient la dévotion, ils inspirent des passions déréglées, ils corrompent les mœurs" (a.a.O. S. 224). 15) Bibl. de la Pléiade, Paris 1953, S. 129.

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mußte gerade den Anspruch der Vorbildlichkeit ablehnen, der in der Scheinwelt des Romanes zur Erfüllung kam. Wurde nicht durch den Roman der Aufstand des Selbstgefühls gegen die schicksalhaften Ordnungen verewigt? Zugleich war in eine schlechte Unendlichkeit verworfen der Anteil an Freiheit, den der Einzelne durch die Anerkennung des Gegebenen im geistigen Austausch mit seinesgleichen gewinnen konnte"1®). Hinter dem Gebot der Begrenzung der literarischen Formen steckt die vom Leben selbst gewiesene Einsicht in die Notwendigkeit der Selbstbeschränkung des individuellen Standorts: „Qui ne sait se borner ne sut jamais écrire"17). Auch die Kritiker der Mme de Lafayette wenden sich gegen das „Romanhafte" der Geständnisszene als einen unerlaubten Ausbruch der Imagination aus einer anthropologisch und universell verbindlich erklärten, tatsächlich aber historisch-politisch verursachten Begrenztheit der Lebensordnung18). Das an sich erlaubte außergewöhnliche Geschehen (extraordinaire) erschien ihnen hier zum Abseitigen (extravagant) übersteigert und damit bar jeder Exemplarität. Das Abenteuer, das die heroisch-galanten Romane mit den Ritterromanen gemein hatten, war die Erlebnisform der außerordentlichen Existenz, in deren merveilleux sich die Leserschaft verliert, ohne über die Selbstidentifikation der Phantasie mit den großen Taten der Helden jemals eine wirkliche Beziehung zwischen Schein und Sein herstellen zu können. Den Abgrund zwischen Schein und Sein, Ideal und Wirklichkeit kraft der Befähigung zum Bestehen der Abenteuer zu überwinden, war das Abenteuer im Ritterroman seit der höfischen Zeit des Mittelalters bestimmt gewesen1"). Es war gerade der französischen Klassik vorbehalten, mit dieser Illusion nach einer letzten Anfälligkeit und nach dem Zusammenbruch des letzten Widerstandes gegen den Absolutismus in der Fronde endgültig zu brechen. Furetière entkleidet das Abenteuer schonungslos seines anspruchsvollen Sinngehaltes, wenn er es mit unmißverständlicher Parodie auf die Epopöe und die mit epischen Prätentionen auftretenden Romane in den Niederungen des kleinbürgerlichen Daseins aufzusuchen sich erbietet: Je chante les amours et les aventures de plusieurs bourgeois de Paris, de l'un et de l'autre sexe 20 ). 16) Gesammelte Aufsätze zur Literatur- und Sprachwissenschaft, S. 416. 17) Boileau, Art poétique, I, 63. 18) „Eine künstlich gefügte Gesellschaft wird immer danach streben, ihr Bewußtsein in den Tiefen der bleibenden Menschennatur zu verankern." (W. Krauss, M olière und das Problem des Verstehens in der Welt des 17. Jahrhunderts. In: Sinn und Form IV [1952] 4. Heft S. 118). 19) Vgl. das Kapitel „Aventure — Reintegration und Wesenssudie" bei E. Köhler, Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik. Studien zur Form der frühen Artus- und Graldichtung. Beih. 97 zur ZRPh. Tübingen 1956, S. 66 ff. 20) Erster Satz des Roman bourgeois. Vgl. noch: „ . . . je vous raconteray

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Die hier noch ironisch festgehaltene Doppelheit v o n Liebe und heroischem Abenteuer ist im W e r k der Mme de Lafayette völlig aufgegeben, das singulare Geschehen ganz auf die Liebe allein bezogen. Damit ist einerseits der gesamte, prinzipiell unendliche Fluchtraum d e s alten Romans aufgegeben, und andererseits alle Romanproblematik in das eine Erlebnis der Liebe hereingenommen"). Welche Folgen dieser entscheidende W a n d e l für die Formgeschichte des Romans hat, bleibt noch zu zeigen. Zunächst ist nur festzuhalten, daß das singulare Geschehen, welches das Antreffen und Bestehen des Abenteuers ausmacht und einen besonderen Glanz über s e i n e n Träger wirft, nach dem Verzicht auf die Dimension der heroisch-ritterlichen Bewährung erst recht der Kritik ausgesetzt ist, die ihre Kriterien aus vraisemblance und bienséance gewinnt. Extraordinaire bleibt auch jetzt noch das Kennzeichen für die Besonderheit, die dem Erlebnis der aventure die exemplarische Geltung verleiht"). Und w a s sich als extraordinaire vorstellt, kann auch jetzt noch als extravagance mißsincèrement et avec fidélité plusieurs historiettes ou galanteries arrivées entre des personnes qui ne seront ny héros ny héroïnes, qui ne dresseront point d'armées, ny ne renverseront point de royaumes, mais qui seront de ces bonnes gens de mediocre condition, qui vont tout doucement leur grand chemin, dont les uns seront beaux et les autres laids, les uns sages et les autres sots" (Bibl. de la Pléiade, S. 903—4). 21) In dieser wie überhaupt in mancher anderen Beziehung dürfen die Erzählungen von Mme de Villedieu zu den Werken gerechnet werden, die das Erscheinen eines Meisterwerks vorbereiten. In ihrer als „Nouvelle Galante" bezeichneten Cléonice ou le roman galant von 1669 schreibt Mme de Villedieu mit deutlicher Wendung gegen den idealistisch-heroischen Roman: „Vous ne verrez point de Trônes renversez, ni de Nations détruites: vous verrez seulement des résolutions surmontées, et des mérites triomphans; [. ..] Accomodez, s'il vous plaît, vos idées au vraisemblable, puisque c'est un ouvrage de ma main qui doit les remplir, et souffrez, que je m'éloigne de la Fable et du Prodige, puisque c'est une aventure de nos derniers siecles dont j'ai à vous faire le récit." (Zit. bei Bruce A. Morrissette, The Life and Works of Marie-Cathérine Desjardins (Mme de Villedieu) 1632—1683. Washington Univ. Studies. — New Series, Lang, and Lit. No. 17. Saint Louis 1947, S. 125.) 22) Vgl. W. Krauss a.a.O. S. 421 ff. Wie sehr „aventure" und Roman im Bewußtsein miteinander verkettet bleiben und zur Anwendung auf besondere Schicksale reizen, zeigt das bereits zitierte Wort La Bruyères über Lauzun: „Sa vie est un roman: non, il lui manque le vraisemblable. Il n'a point eu d'aventures; il a eu de beaux songes, il en a eu de mauvais: que dis-je? on ne rêve point comme il a vécu." (De la cour, 96). Uber den gleichen Lauzun, dessen tragikomisches Verhältnis zur Grande Mademoiselle den ganzen Hof beschäftigte, schrieb Mme de Sévigné: » . . . il n'a point ses anciennes entrées; on lui a ôté le romanesque et le merveilleux de son aventure; elle est devenue quasi toute unie: voilà le monde et le temps." (Lettres, Bibl. de la Pléiade, III, S. 318). Fälle wie der berühmte Lauzuns mußten jede Versuchung, alten Träumen nachzuhängen, unterbinden. 56

verstanden und als Rüdcfall in die Phantastik der alten Romane verurteilt werden. „Romanhaft" und extravagant lauten die Epitheta, mit denen die Kritiker das Geständnis der Princesse de Clèves belegen. Valincour glaubte sogar, dem Autor den Umstand vorwerfen zu müssen, daß die erste Begegnung zwischen Clèves und Mlle de Chartres in einem Juwelierladen stattfindet: „ . . . cela n'est p a s v r a i s e m b l a b l e [ . . . ] je n'ai pas laissé de trouver l ' a v e n t u r e e x t r a o r d i n a i r e " 2 3 ) . W e n n Valincour dann wünscht, der Autor hätte diese Begegnung in einer Kirche stattfinden lassen, so verrät er zwar seine Kenntnis einer langen literarischen Tradition, mit der engherzigen Anwendung der Wahrscheinlichkeitsforderung aber wenig Verständnis für diese Seite des Werks 84 ). Eine Begegnung in der Kirche hätte nach alter Tradition dem Verhältnis der beiden Beteiligten eine Weihe gegeben, die einem Paar, bei dem die Liebe nicht gegenseitig ist, nicht zukam. Daß die erste Begegnung mit Nemours, obwohl die Bedingung der spontanen und gegenseitigen Liebe erfüllt ist, nicht am geweihten Ort stattfindet, versteht sich in Anbetracht der Illegitimität dieser Liebe von selbst 15 ). Wohl aber gibt der Umstand, daß sie sich im Verlauf eines großen Balls am Hof vollzieht — demgegenüber die prosaische Begegnung im Juwelierladen wirkungsvoll abgesetzt erscheint. — ihr einen Rahmen, der seinen festlichen Glanz über die folgenreiche Begegnung wirft und der von der unvergleichlichen Schönheit beider ausgelösten „surprise" die funktionelle Relevanz ermöglicht, die ihr in der Fabel bestimmt ist. Jedenfalls verrät Mme de Lafayette in diesem Falle mehr délicatesse und Gefühl für bienséance als ihr Kritiker, und die „Nicht-Wahrscheinlichkeit" verkehrt sich bei näherem Zusehen zu einer vraisemblance, für deren Erkenntnis freilich der mißverstandene Aristotelismus Valincours nicht ausreicht. Als eine aventure im Sinne eines bedeutsamen und singulären Ereignisses erscheint die Begegnung im Juwelierladen nur dem Fürsten 23) Lettres à la Marquise *'*, S. 93. 24) „Enfin je pense que, la dévotion à part, j'aurais presque autant aimé les faire trouver à l'église que dans cette maison, où il semble que l'auteur les ait menés l'une et l'autre par la main" (a.a.O. S. 93—4). Auf die Begegnung in der Kirche als ein literarisches Thema mit bis in die Antike (Tempel) zurückreichender Tradition, die eine eigene Untersuchung verdiente, machte mich Herr Professor Hellmuth Petriconi freundlicherweise aufmerksam. 25) Überdies hatte bereits Furetière auch das Thema der Begegnung der Liebenden in der Kirche realistisch-parodistisch „entheiligt", als er im Roman bourgeois den Advokaten-„courtisan" Nicodème und die im Auftrag des Pfarrers Spenden sammelnde Bürgerstochter Javotte sich in der Kirche begegnen ließ. — Bei Marivaux werden erst recht andere Voraussetzungen vorliegen. Marianne hat die Kirche, in der sie Valville begegnet, nur aufgesucht, um in neuen Kleidern die Wirkung ihrer Reize zu erproben.

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von Clèves"), während die Ballbegegnung mit Nemours sogleich im Zeichen eines für beide Partner schicksalhaften Geschehens steht"). Mme de Lafayette war sich des Zusammenhangs ihres aventureBegriffs mit dem älteren Roman, speziell dem Ritterroman durchaus bewußt. In ihrem Erstlingswerk, der Princesse de Montpensier, ist dieser Zusammenhang noch in einer Situation und einer Formulierung angezeigt, die sogar ein mittelalterliches Vorbild vermuten lassen. Der Duc d'Anjou und der Duc de Guise verirren sich unterwegs und stoßen auf einen Fluß, in dessen Mitte sie ein Schiff gewahren, auf dem eine wunderschöne Frau zwei fischenden Männern zusieht: Cette a v e n t u r e donna une nouvelle joie à ces jeunes princes et à tous ceux de leur suite. Elle leur parut une c h o s e d e r o m a η [ . . . ] Enfin, voulant p o u s s e r l ' a v e n t u r e à b o u t , ils firent avancer dans la rivière de leurs gens à c h e v a l . . .

Von dem Duc d'Anjou heißt es wenig später in einer durch die Gralromane sanktionierten Wendung: „... et cette a v e n t u r e lui plaisant si fort, il se résolut de l ' a c h e v e r " (11). In der Princesse de Clèves ist dieser Zusammenhang aufgegeben, weil sich Mme de Lafayette offenbar über die praktisch bereits im ersten Werk vollzogene epische Funktionsänderung der aventure jetzt auch theoretisch völlig bewußt war. Die Princesse de Clèves kennt nur die eine große aventure der Leidenschaft zu Nemours, deren „effets bizarres" (338) in der Einzigartigkeit und Einmaligkeit des Geständnisses gipfeln: . . . il n'y a pas dans le monde une autre aventure pareille à la mienne; il n'y a point une autre femme capable de la même chose. Le hasard ne peut l'avoir fait inventer (349).

In diesen Worten, mit denen sich die Princesse gegen die Vorwürfe ihres Gatten verteidigt, ist nicht nur gesagt, d a ß dieses Geständnis etwas Exzeptionelles ist, sondern audi w a r u m es dies ist: 1. keine andere Frau ist zu einem solchen Versuch fähig, die Macht über ihr Schicksal zurückzugewinnen, und 2.: nicht der Zufall, sondern die Notwendigkeit, ihr Schicksal selbst, hat dazu geführt. Beide Erklärungen enthalten aber einen Widerspruch in sich, der das ganze Thema und die es ausführende Fabel trägt, und der, wie wir noch sehen werden, die Form des ganzen Romans ebenso bestimmt wie er die exzeptionelle Handlung des Geständnisses konstituiert und damit auch vom Thema her ästhetisch rechtfertigt. Bis zum Geständnis in Coulommiers ist die ganze Handlung darauf ausgerichtet, dieses Geständnis mit Notwendig26) „ L ' a v e n t u r e qui était arrivée à M. de Clèves, d'avoir vu le premier Mlle de Chartres, lui paraissait un heureux présage ..." (251). 27) Ausgesprochen durch den eifersüchtigen Chevalier de Guise: „ . . . il ne put s'empêcher de lui dire que M. de Nemours était bien heureux de commencer à être connu d'elle par une a v e n t u r e qui avait quelque chose de galant et d ' e x t r a o r d i n a i r e " (263).

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keit herbeizuführen, und zugleich, mit ebensolcher Notwendigkeit, den Akt, mit dem die Princesse diese fatale Notwendigkeit im Bewußtsein einer Entscheidungsfreiheit aufzuheben trachtet. In diesem Widerspruch, der sich in der Geständnis-aveniure in der Sache wie in der Formulierung aufs Äußerste zuspitzt, liegen zugleich alle Elemente für die zweite Hälfte und damit auch für die „Lösung" durch den Verzicht bereit, wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird. So ergibt sich vom Thema m i t seinem immanenten Widerspruch und seiner Lösung die Singularität der Geständnisszene mit jener Notwendigkeit, von der ausgehend Fontenelle — als einziger Zeitgenosse, wie es scheint — zu der Einsicht vordrang, daß es ein vraisemblable extraordinaire gebe, das als Zusammenfassung einer verdeckten Gesetzlichkeit seine ästhetische Legitimation und seinen Wert dadurch erhält, daß es von den dem Thema adäquaten Charakteren mit Notwendigkeit erzeugt wird. Für das Theater gesagt, gelten Fontenelles Feststellungen hier auch für den Roman: La perfection est de faire agir les personnages, de manière qu'ils n'aient pas pu agir autrement: leur caractère supposé, et cette nécessité qu'emportent les caractères pour les résolutions et pour les partis, n'exclut pas les délibérations et les combats, qui sont les plus beaux jeux du théâtre; au contraire, ces combats et ces délibérations mêmes deviennent nécessaires28). La vraisemblance qui se change en nécessité, ne permet au spectateur aucune incertitude sur la v é r i t é de ce qu'il voit; mais il en découvre trop aisément la f i c t i o n au travers d'une vraisemblance faible et douteuse29). Fontenelles erstaunlicher Vorstoß in Richtung auf ein echtes Verständnis der Poetik des Stagiriten blieb vereinzelt 30 ). Die Kritiker des Lafayettesdien Werks vermeinen zwar, im aristotelischen Sinne das Wahrscheinliche als Mimesis einer von der Kontingenz verdeckten 28) Réflexions sur la poétique, in: Œuvres de Fontenelle, Paris 1825, t. IV, S. 352. 29)A.a.O. S. 352—3. Fontenelle folgert, daß die gleiche „Notwendigkeit", welche die Handlungen der Personen von ihrem Charakter her aufweisen müssen, nicht für die Konstituierung der Situationen gilt, in denen sich die ersteren vollziehen: „Cette nécessité que nous souhaitons n'est que pour les événemens produits par les caractères des personnages; les autres événemens de la pièce ne doivent ni peuvent être sujets à cette loi" (a.a.O. S. 353). 30) Fontenelle hatte bereits im Erscheinungsjahr der Princesse de Cleves im „Mercure galant" seiner Bewunderung für die Geständnisszene Ausdruck gegeben und sowohl ihre Originalität wie ihre „Singularität" richtig eingeschätzt: „Nous voicy à ce t r a i t s i n o u v e a u e t s i s i n g u l i e r , qui est l'aveu que Madame de Clèves fait à son Mary de l'amour qu'elle a pour le Duc de Nemours. Qu'on raisonne tant qu'on voudra là-dessus, je trouve le trait admirable et t r è s b i e n p r é p a r é e . " (Prod'homme, a.a.O. S. 64). 59

Gesetzlichkeit des Lebens zu fordern, sie verfehlen jedoch mit ihrer Kritik an der Geständnisszene die fundamentale Einsicht des Aristoteles, daß der Dichter eher das Unmögliche, das wahrscheinlich ist, wählen müsse, als das Mögliche, das unglaubhaft scheint31). Dieses Mißverständnis gründet nicht, wie die Kritik Bussy-Rabutins zunächst glauben machen könnte, auf einer Abbildtheorie, wie sie die Vertreter des „realistischen" Romans aus der aristotelischen Lehre folgerten, sondern aus der spezifischen Funktion überhaupt, welche der Neo-Aristotelismus in der die ganze Gesellschaft durchdringenden Ästhetisierung des Menschenbildes zugewiesen erhielt. „Die neue Ästhetik kommt den Bestrebungen nach einer Festigung der aus der Umwälzung hervorgegangenen Gesellschaft entgegen, indem sie mithilft, die überständische, aus Adel und Bürgertum neu verschmolzene, führend gewordene Klasse, die höfische Gentry, auf eine normative Gesinnung zu verpflichten. Die neue Lehre ist auf den Sollstand und nicht auf den menschlichen Seinsbefund gerichtet. Auch sie will vollendete Dichtung nicht korrigieren, sondern der künftigen feste Bahnen erschließen. Man begreift den ganzen Abgrund zwischen dieser modernen Modellästhetik und der rein deskriptiven Kunstbetrachtung des Stagiriten" 38 ). So erklärt sich das Mißverständnis des Aristotelismus, das, wie wir sehen werden, gerade das Aristotelische im Werk der Lafayette verkennt, daraus, daß man nur in der normativen, an bienséance und raison orientierten Idealgesittung der absolutistischen Gesellschaft allein, nicht aber zugleich auch in ihrem imanenten Widerspruch die allgemeine Gesetzlichkeit des Lebens zu finden wähnt. Mit anderen Worten: Die Kritiker verfehlen, indem sie nur von der Norm ausgehen, die Totalität der Epoche. Gerade diese Totalität aber ist in die umstrittene Geständnisszene hereingenommen, und es gibt in der Literatur des 17. Jahrhunderts vielleicht nichts, was den ästhetischen Einsichten des Aristoteles gemäßer wäre als sie. Mme de Lafayette hat mit der aventure extraordinaire des Geständnisses von dem in den alten Romanen allerdings mißbrauchten Recht Gebrauch gemacht, das schon Aristoteles der Epopöe gegenüber der Tragödie eingeräumt hatte, daß nämlich in der ersteren das Außergewöhnliche bis zum ηλογόν getrieben werden könne 33 ). Der Charakter des Geständnisses als αδύνατον εικός entspricht 31) ΠροαιρεΙβ'&αί. τε δεί Αδύνατα εικότα μάλλον fj δννατά άπί&ανα (Poetik XXV, 7-, vgl. auch XXVI, 27). 32) Werner Krauss, Christlicher Ausklang in der klassischen Tragödie Frankreichs, in: Sinn und Form III (1951) 5. Heft, S. 88—9. 33) Poetik XXV, 3. Fontenelle sieht darin einen Wesensunterschied zwischen Drama und Roman, indem er den singulären Charakter dem Schauspiel, das singulare Ereignis aber dem Roman zuweist und für beide „Wahrscheinlichkeit" behauptet: „A l'égard des événemens comme à l'égard des caractères, il y a deux sortes de vraisemblable; l'un ordinaire, simple; l'autre

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ganz und gar der Einsicht, die Schiller im Verlauf seiner theoretischen Bemühungen um das Problem der „poetischen Fabel" gewann und in einem Brief an Goethe aussprach, daß nämlich „eine poetische Darstellung mit der Wirklichkeit eben darum, weil sie absolut wahr ist, niemals koinzidieren kann" 34 ). W e n n Aristoteles empfohlen hatte, die Elemente der Fabel um e i n e zentrale Handlung herum zu gruppieren — περί μίαν πρΰξιν (Vili, 3) — auf die alles Vorausgehende hinzielt und aus der sich alles Folgende herleitet, so scheint ihm Mme de Lafayette auch darin wiederum mit der Geständnisszene treulich gefolgt zu sein. Dieser Umstand bildet nun allerdings die ästhetische conditio sine qua non des Geständnisses: das exzeptionelle Geschehen muß dem Leser als eine notwendige Zuspitzung der Handlung einleuchten können, soll es sich nicht als rein zufällig und damit willkürlich und „unwahrscheinlich" darstellen. Der aristotelische Begriff vom „Wahrscheinlichen", in dessen Darstellung die Mimesis besteht, meint die notwendige Konsequenz einer bestimmten Konstellation der Wirklichkeit, eine Konsequenz freilich, die eben in der Wirklichkeit des Lebens sich leicht auch gar nicht manifestieren kann bzw. gar nicht vollzogen zu werden braucht. Daß einer existierenden Princesse oder Comtesse des 17. Jahrhunderts in ähnlicher Konflikt-Situation der Gedanke an ein Geständnis kommen konnte, hätte selbst Bussy-Rabutin nicht beetritten. Im Sinne der poetischen Zusammenfassung des „Allgemeinen" aber ist die Realisierung des Gedankens das „Wahrscheinliche", das „hätte sein können", das „wahrer" ist als die Nichtrealisierung in konkreten Fällen des Lebens. In der Dichtung muß das Außergewöhnliche als die Zusammenfassung und anschauliche Erscheinung einer Gesetzlichkeit zum Vorschein kommen, wie „unwahrscheinlich" sie an sich auch immer sein mag. Gerade der Singularität ihrer Manifestation wegen aber hat die dichterische Fabel ihr den Charakter der Notwendigkeit zu verleihen, und damit ist auch bereits die Funktion der Fabel und in allgemeinster Form das Gesetz der Struktur bestimmt in dem Sinne, daß kein Teil ohne Schaden für das Ganze fehlen oder verlagert sein könnte (vgl. Poetik VIII, 4). Die Folgerungen, die Aristoteles für Charakter der Personen, Handlungen und Verknüpfung der Ereignisse daraus gezogen hat, seien hier noch einmal angeführt, nicht nur, weil die Princesse de Clèves wie ihre praktische Anwendung erscheint, extraordinaire, singulier tel que les aventures de romans qui sont à la vérité possibles, mais qui n'arrivent jamais. Le singulier dans les caractères est excellent sur le théâtre; mais pour les événemens, c'est autre chose. Le singulier, du moins le singulier romanesque, ne convient pas bien à la tragédie" (a.a.O. S. 350—1). 34) 4. April 1797; Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, hrsg. von H. G. Graf und A. Leitzmann, Leipzig 1955, I, S. 310.

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sondern weil sich an der Inhalt-Form-Interpretation dieses Werks auch ihre unveränderte Gültigkeit und hermeneutische Tauglichkeit demonstrieren läßt: Χρη δε και εν τοις η&εοιν, ώσπερ και εν rf¡ των πραγμάτων σνστάοει, άεΐ ζητειν ή το άναγκάϊον η το εικός, ώστε τον τοιούτον τά τοιαύτη λέγειν ή πράττειν η άναγκάϊον r¡ εΙκός, και τοντό μετά τοϋτο γίγνεαϋαι η άναγκαϊον η εικός. (XV, 10) Mme de Lafayette hat, als sie in Anwendung dieser Regeln die „Notwendigkeit" ihrer Geständnisszene und deren Folgen herstellte, das Äußerste geleistet 35 ). So wie im ersten Teil alles das Geständnis vorbereitet, so setzt das Geständnis seinerseits alle Situationen in Szene, die ereignismäßig und psychologisch in den Verzicht einmünden. Die ganze Bedeutung des Geständnisses wird sich daher erst bei der Betrachtung der Rolle, die es für den Verzicht spielt, enthüllen.

35) Sie hat ja in allen ihren Erzählungen mit dem gleichen Thema experimentiert und sich dabei nicht nur der Ratschläge La Rochefoucaulds, sondern auch so hochgelehrter Freunde wie Ménage, Segrais und Huet versichert.

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V. Der VerziAt

L'amour, c'est l'espace el le temps rendus sensibles au cœur.

Marcel Proust In Kap. II haben wir zu zeigen versucht, wie die Kristallisierung der Motive der Leidenschaft, der Eifersucht, der Ohnmacht des Willens, des devoir und des repos sich in steigender Intensität durch die Reihenfolge der dafür bereitgestellten Episoden und Situationen hindurch vollzieht, ihre motivische Linienführung sich verknotet, und wie aus der — durdi die in Kap. VI noch zu betrachtende Funktion der „Digressionen" bestätigten — Parallelität von psychologischer Handlung und Ereignishandlung das Geständnis als völlig glaubhaftes, weil „notwendiges" Resultat des in der Fabel veranschaulichten Konflikts erzeugt wird. Daß dieses Geständnis zwar das notwendige Resultat des Konflikts, nicht aber dessen Lösung bedeutet, daß es vielmehr den ausgetragenen Widerspruch in seiner generellen Unlösbarkeit mitenthält, das wird an seinen Folgen sichtbar: an der Wendung zur Katastrophe. Das Geständnis ist, wie wir bereits feststellen konnten (Kap. IV), mit Notwendigkeit herbeigeführt, mit ebensolcher Notwendigkeit aber auch die psychologische Situation, in welcher die Princesse diesen Akt im Bewußtsein einer Entscheidungsfreiheit unternehmen kann. Mit diesem Widerspruch schließt die Geständnisszene die für den ganzen Roman grundlegende Dialektik von Notwendigkeit und Freiheit, von Sein und Bewußtsein in sich ein. Der Verlust der Autonomie wird offenbar im Augenblick des heroischsten Versuchs zu ihrer Wiedergewinnung. Die Tat, welche die tiefe, verzweifelte Einsamkeit aufheben sollte, läßt die Princesse, nunmehr des Vertrauens und der Achtung ihres Gatten beraubt, noch einsamer werden als zuvor. Die Geständnisszene konkretisiert, was La Rochefoucauld zur Maxime faßte: „L'homme est conduit, lorsqu'il croit se conduire"1). Das Geständnis ist notwendiges Ergebnis der bisherigen Handlung und freier Akt der Heldin zugleich. Die Princesse selbst ahnt das Unheil, das aus diesem Entschluß entsteht: Elle trouva qu'elle s'était ôté elle-même le cœur et l'estime de son mari et qu'elle s'était creusé un abîme dont elle ne sortirait 1) Maxime 43, Var. v. 1665. Ed. Grands Ecrivains I, S. 48. 63

jamais... La singularité d'un pareil aveu, dont elle ne trouvait point d'exemple, lui en faisait voir tout le péril. (336—7). Das Geständnis ist der zentrale menschliche Akt, der am Ende einer ersten Kausalkette steht. Dieser freie Willensakt als Vollzug eines notwendigen Geschehens bringt das Gegenteil von dem, was der Handelnde erwartet. Das entspricht genau der aristotelischen Bestimmung der Peripetie 2 ). Wüßten wir nicht bereits, daß Mme de Lafayette eine echte Schülerin des Aristoteles war, so läge dies jetzt offen zutage. Sie war es indessen noch in einem viel tieferen Sinne. Das Geständnis bewirkt in der Verquickung seiner Folgen den Tod Clèves' und erzeugt damit ein Schuldbewußtsein, welches, indem es das devoir über die Dauer der Ehe hinaus verlängert und sogar verstärkt, den Verzicht mitmotiviert. Es bedeutet aber zugleich die verzweifelte Vernunftanstrengung der vertu gegen den drohenden Untergang im Ansturm der irrationalen Leidenschaft. Vernunft und Tugend werden schuldig, indem sie sich gegen das Schuldigwerden wehren. Indem Mme de Lafayette der Geständnisszene eine Rolle gab (bzw. nach dem künstlerischen Gesetz ihres im Sinne der Wirklichkeit richtig gestellten Themas und der im Sinne des Themas richtig konstruierten Fabel geben mußte), in welcher sich Tugend und Vernunft selbst widerlegten, da tat sie etwas für ihr Publikum Unfaßbares und doch Faszinierendes. Dadurch, daß raison und vertu durch die höchste Willensanstrengung für ihren Sieg und für die Ordnung im menschlichen Lebensraum selber Leben und Ordnung zerstören, wurde der Roman zu einer beunruhigenden Infragestellung des klassisch-cartesianischen Menschenbilds, ja er enthüllte dessen Selbstwiderspruch als das Wesen des geschichtlichen Lebensgrundes. Jetzt verstehen wir auch, warum der Princesse de Clèves beim Publikum von la cour et la ville — und selbst in der Provinz — unmittelbar nach ihrem Erscheinen ein Echo beschieden war wie keinem anderen Roman zuvor. Die Tugend wird schuldig, weil sie Tugend bleiben will, die Vernunft erzeugt die Katastrophe, weil sie die Lebensordnung vor der Unvernunft der Leidenschaft schützen will. Die Geständnisszene ist der Angelpunkt dieser paradoxen Dialektik. Für die Princesse wird die katastrophenhafte Wendung der Tat, mit der sie der Anarchie ihrer Gefühle begegnen und die Richtung ihres Lebens bestimmen wollte, zu einer Desillusion, durch welche die Kluft zwischen Sein und Bewußtsein unüberbrückbar aufgerissen wird. Clèves' im Irrtum über den wahren Sachverhalt (— er glaubt seine Frau des Ehebruchs schuldig —) ausgesprochene Worte, in denen er die Täuschung der Wahrheit vorzieht, fügen zu diesem Erlebnis des hilflosen Ausgeliefertseins und der Ohnmacht der Vernunft eine groteske Evidenz: 2) Poetik XI, 1—3. 64

Je vous aimais jusqu'à être bien aise d'être trompé, je l'avoue à ma honte; j'ai regretté ce faux repos dont vous m'avez tiré. Que ne me laissiez-vous dans cet aveuglement tranquille dont jouissent tant de maris? (374). Der Verzicht der Princesse auf die Erfüllung ihrer Liebe ist bedingt durch die Erfahrung der Unmöglichkeit einer Kongruenz von Ideal und Wirklichkeit. Motiviert wird er wiederum durch die jetzt vom Geständnis erst recht verstärkten psychologischen Motive wie durch die vom Geständnis ausgelösten Ereignisse. Und wiederum erwächst die Stringenz des Resultats — und diesmal geht es um die „Lösung" des Themas — aus der Parallelität und Verschlingung von psychischer und ereignishafter Kausalität, die locker genug ist, um dem Zufall Raum für seinen konstitutiven Anteil am „wahrscheinlichen" Sinnfälligmachen des „Notwendigen" zu geben. Der Tod des Gatten ist im Hinblick: auf die „Lösung" des Verzichts eine epische Notwendigkeit. Daß er seine Hauptursache in einer Täuschung hat, unterstreicht den dialektischen Peripetiecharakter der Geständnisszene, welche die zur tödlichen Krankheit führende Eifersucht auslöst. Sie löst sie nicht nur aus, sondern bewirkt auch ereignismäßig den tödlichen Umschlag durch den umstrittenen Zufall, der Nemours das Geständnis mit anhören läßt. Da Nemours dem Vidame de Chartres in verschleierter Form davon erzählt, dieser die Neuigkeit seiner Geliebten weitergibt und diese sie ins Hofgespräch bringt, errät Clèves schließlich in Nemours den Nebenbuhler, läßt ihm nachspionieren, glaubt seine Frau schuldig und geht daran zugrunde. Der gleiche Umstand — die Indiskretion Nemours mit den daraus folgenden tiefen Mißverständnissen und der Entfremdung zwischen den Gatten — hat die Princesse schon vor dem Tod Clèves' an dem Wert ihrer Liebe und an ihrem Recht zum Wagnis des Geständnisses zweifeln lassen und sie in ein Chaos der Gefühle gestürzt, „(où) elle ne se reconnaissait plus elle-même" (329). Beide Folgen des Geständnisses entbinden die bereits im ersten Teil in sorgfältiger Intensivierung eingeführten Motive des Verzichts: Die Qual der das Ich bis zur Unkenntlichkeit auslösenden Leidenschaft erzeugt die Sehnsucht nach der tranquillité, dem repos, der Geborgenheit des Daseins. Aus dem Tod Clèves' erwächst das unabweisbare Gefühl einer Schuld und damit einer unerledigten Pflicht — devoir (vgl. Kap. II). In der entscheidenden Unterredung mit Nemours begründet die Princesse ihre Weigerung, ihn zu heiraten, mit den „raisons de mon repos" und den „raisons de mon devoir", erwachsen aus den „craintes de l'avenir" und den „scrupules du passé". Die Tatsache, daß ihr im Geständnis unternommener Versuch, die Einhaltung ihrer Pflicht zu gewährleisten, sich zur Katastrophe gewandt hat, läßt die durch den Tod des Gatten gewonnene Freiheit erst recht als Bindung erscheinen. Und für ihre Liebe hat sie bereits zuviel 65 5 Köhler, Mme de L.

geopfert, als daß sie sie durch eine Ehe, deren Gewohnheit Nemours' Leidenschaft nicht standhalten würde, aufs Spiel setzte. Es bedarf freilich der ganzen Stärke beider zu voller Bewußtseinsklarheit gelangten Gründe, um den drohenden Rückfall in die Leidenschaft und die Glückssehnsucht zu verhindern. Als sie Nemours erstmals wiedersieht, ist es plötzlich wieder aus mit dem repos: „plus de devoir, plus de vertu qui s'opposassent à ses sentiments; tous les obstacles étaient l é v é s . . . " (380). Sogleich aber regt sich der verletzte Tugendstolz, der indessen, um wirksam zu werden, der Unterstützung durch jene Überlegungen bedarf „qui regardaient son repos et les maux qu'elle prévoyait en épousant ce prince" (381). Die Princesse hat die Geschichte ihrer Liebe zu Nemours als einen fortschreitenden Verlust der Selbstbestimmung erlebt, als Abdankung der Vernunft vor der passion. Nemours heiraten würde bedeuten, sowohl ihr devoir zu verfehlen wie ihre Liebe zu gefährden und ihre innere Zerrissenheit zu verewigen. Die „Schrecken der Eifersucht", die sie als ebenso gewiß voraussieht wie das Absterben von Nemours' passion, erscheinen ihr als die zum Dauerzustand werdende Ausweglosigkeit. Nemours verzweifeltem Protest gegen das fantôme de devoir (385), das Mme de Clèves seinem und ihrem bonheur entgegenstellt, vermögen die Gründe der Princesse trotz des Schuldgefühls nicht standzuhalten. Umsomehr stützt die Princesse sich auf die „intérêts de son repos". An das „Wunder" einer die Ehe überdauernden Liebe des Mannes und damit an die Möglichkeit einer Dauer des eigenen Glücks vermag sie nicht zu glauben:

. . . les hommes conservent-ils de la passion dans ces engagements étemels? Dois-je espérer un miracle en ma faveur . . . ? M. de Clèves était peut-être l'unique homme du monde capable de conserver de l'amour dans le mariage... peut-être aussi que sa passion n'avait subsisté que parce qu'il n'en aurait pas trouvé en moi. Mais je n'aurais pas le même moyen de conserver la vôtre (387).

Der Verlust von Nemours' Liebe („horrible malheur") brachte ihr „tödlichen Schmerz" und die gleiche furchtbare Qual der Eifersucht („le plus grand de tous les maux"), an der Clèves starb und unter der sie selbst schon zu leiden hatte. Ihre größte Sehnsucht aber gilt jetzt einem Zustand der tranquillité, des repos, in dem sie sowohl ihr devoir zu erfüllen wie dem Erlebnis ihrer Liebe Dauer zu geben und in einer neuen Harmonie von Gefühl und Vernunft die einstige Sicherheit der Existenz wiederzugewinnen vermag. Das einzige wirksame Mittel aber, den weiteren verhängnisvollen Folgen der passion zu entgehen und zur „Ruhe" zu gelangen besteht — wie G. Poulet gesehen hat — darin, die Furcht vor dieser passion für eine abschließende rationale Handlung zu aktivieren: „ . . . donner à l'évidence rationnelle quelque chose de la violence ou de l'urgence du choc affectif; opposer le feu au feu et l'irrationnel à l'irrationnel; inventer des raisons passionnées"®). 3) Etudes sur Je temps humain, S. 129. 66

Nur so wird es möglich, daß dieses zweite Geständnis zu einem „aveu [qui] n'aura point de suite" (385) werden kann. Die Princesse ruft devoir und raison zu Hilfe, um ihre Liebe vor sich selbst, vor ihrer Selbstzerstörung zu retten, indem sie jene sie erhaltenden Hindernisse aufbaut, die ihr für die Beständigkeit einer Liebe notwendig erscheinen, und sie stützt sich auf diese „intérêts" der Liebe, um die Kraft zur Erfüllung ihres devoir aufzubringen: Ce que je crois devoir à la mémoire de M. de Clèves serait faible s'il n'était soutenu par l'intérêt de mon repos; et les raisons de mon repos ont besoin d'être soutenues de celle de mon devoir.

Die Vernunftanstrengung der Tugend bedarf der Kräfte, welche die Leidenschaft entbunden hat. Die raison wird in den Dienst der passion gestellt, die passion in den Dienst der raison. Erneut offenbart sich hier das Vorhandensein eines fatalen Widerspruchs, dessen Unlösbarkeit von der Princesse folgerichtig als undurchschaubares Schicksal erlebt wird: Pourquoi la destinée nous sépare-t-elle par un obstacle si invincible? (389).

Jetzt können wir die Frage wieder aufnehmen, mit der unsere Untersuchung einsetzte: warum verzichtet die Princesse? Warum hat Mme de Lafayette ihrer Heldin kein Happy end beschieden, wie es den Protagonisten aller vorausgehenden Romane zuteil wurde? Warum weicht sie von der allgemein geltenden „moralischen" Regel der zeitgenössischen Theoretiker ab, daß im Roman, so wie das Laster bestraft, die Tugend belohnt werden müsse4) — und dies, obwohl sie in der Princesse de Montpensier einer tugendhafteren Protagonistin eine solche Belohnung durchaus noch in Ausicht gestellt hatte (vgl. oben S. 17 f.)? Mme de Lafayette hätte ihre unvergleichliche Fähigkeit zur lückenlosen ereignishaften und psychologischen Motivation ja auch in den Dienst einer der Heldin letztlich die Erfüllung ihrer Liebe bringenden Endlösung stellen können. Warum überhaupt ist — wie C. Lugowski in einer bisher überhaupt nicht beachteten Studie mit Recht betont hat — die Princesse de Clèves weder moralisch, noch unmoralisch, sondern amoralisch?5). Vor der Begegnung mit Nemours hatte die Princesse „ni impatience, ni inquiétude, ni chagrin" gekannt. Mit der Leidenschaft bradi das Irrationale zerstörend in die Ordnung ihres Daseins ein. Gleichwohl wird dieses Irrationale von der Princesse als eine völlig neue und ganz persönliche, die Sicht auf ein bislang ungekanntes bonheur eröffnende Lebensdimension empfunden, in der sich das Indi4) Vgl. Mlle de Scudéry: „ . . . que le vice y soit blâmé et la vertu recompensée" (De la manière d'inventer une fable, in: Conversations sur divers sujets, Amsterdam 1682, II, S. 44). 5) Clemens Lugowski, Wirklichkeit und Dichtung, Frankfurt a. M. 1936, S. 32 S., bes. S. 45.



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viduum in der Besonderheit seines Wesens erkennt. Wie aber — so stellt sich das Problem — diesem neuen Wert Dauer verleihen, wie ihn vor der Gefährdung durch seine eigenen Impulse sichern? Das Unglück, das die Princesse im Falle einer Heirat mit Nemours voraussieht, bezieht sich weniger auf den Verstoß gegen ihr devoir als auf die Zerstörung der Liebe selbst. Hier ist der ausschlaggebende Grund für ihre Entscheidung zu suchen: Les raisons qu'elle avait de ne point épouser M. de Nemours lui paraissaient fortes du côté de son devoir et insurmontables du côté de son repos. La fin de l'amour de ce prince, et les maux de la jalousie qu'elle croyait infaillibles dans un mariage, lui montraient un malheur certain où elle s'allait jeter (392).

Die Vernichtung der durch die Liebe gewonnenen neuen Qualität der individuellen Wesenserfahrung durch die Selbstzerstörung der Liebe würde die Schuld bestätigen und vertiefen, mit der die Entdeckung dieser neuen Qualität erkauft werden mußte; und sie würde zugleich ein totales Scheitern unwiderruflich besiegeln"). Daß das Schicksal unbeeinflußbar ist insofern, als man seine Richtung auch bei größter Anstrengung nicht zu bestimmen vermag, ist die unausweichliche Erfahrung aus dem Geständnis. Die einzige Möglichkeit, die nach dieser Erfahrung noch bleibt, besteht darin, dem Schicksal durch einen Verzicht, der zugleich Verzicht auf die Welt ist, auszuweichen. Um den neuen Wert dem Zugriff des Schicksals zu entziehen, ringt sich die Princesse zu dem Entschluß durch, dem irrationalen Erlebnis durch den Verzicht rationalisierte Dauer zu geben. Aber die Absicht, passion in repos zu verwandeln, dem seiner Natur nach Vergänglichen Dauer verleihen zu wollen, enthält eine Aporie, an deren gleichwohl versuchter Überwindung sich die objektive Unlösbarkeit des von der Geschichte gestellten Konflikts zwischen überpersönlicher Norm und individuellem Lebensanspruch enthüllt. Die Princesse will ihrer Liebe Konstanz geben, indem sie auf ihre Erfüllung verzichtet. In der sich gerade in diesem Verzicht selbst offenbarenden Unvereinbarkeit von Dauer und Leidenschaft kommt der letzte jener die ganze Handlung der Princesse de Cleves bestimmenden und die Kollisionen bewirkenden Konflikte zum Vorschein, die den Grundwiderspruch der Zeit in einem besonderen Modus der Dialektik von Sein und Bewußtsein artikulieren. Die gegensätzlichen Lebensmächte von raison und cœur, raison und passion, devoir und passion, vertu und passion, Dauer und Leidenschaft, die im Verzicht — im Interesse des seine Vereinsamung gewahrenden Einzelmenschen — entschärft werden sollen, sind die poetischen Transpositionen des Konflikts zwischen Norm und individuellem Lebensanspruch. 6) Die traditionelle höfische Auffassimg von der Unmöglichkeit bzw. dem Absterben der Liebe in der Ehe, die Hellmuth Petriconi (Romanische Forschungen 62 [1950] S. 383) in der Princesse de Clèves wirksam sieht, erhält hier eine neue Signifikanz in einem weiterreichenden Sinnzusammenhang. 68

Das Irrationale, unabweisbar geworden, soll zu einem Element der Lebensordnung selbst werden. Dies ist der Sinn der Weigerung der Princesse, Nemours die Hand zu reichen. Sie will sich die letzte Niederlage, die Enttäuschung am nunmehr Wesentlichsten ihres Daseins, ersparen. Und so bleibt — so paradox es klingen mag — als einzige Chance für ihr individuelles Leben der Verzicht auf dessen Erfüllung. Dieser Widerspruch kann nicht aufgehoben werden. Er konstituiert — da alles auf den Verzicht hinführt, und alle Teile von ihm her ihren Sinn erhalten — als solcher die substantielle Dialektik des ganzen Romans. Der Liebesverzicht der Princesse ist die Lösung einer Handlung, die gerade in den äußersten Anstrengungen zur überbrückung der Kluft von Idee und Wirklichkeit deren Unvergleichbarkeit zu einem Abgrund aufgerissen hatte. Das Geständnis verwandelt sich aus einem Mittel, das widrige Schicksal zu korrigieren, in das unbarmherzigste Instrument dieses Schicksals selbst. An ihm wird die Handlung der Princesse de Cleves als Prozeß der Desillusionierung offenbar. Weil es jedoch für die Protagonistin ein Höchstmaß an Evidenz für die Unbeeinflußbarkeit eines gleichgültigen, ja bösen Schicksals bringt, beläßt es die Möglichkeit eines begrenzten autonomen Akts, nämlich diejenige, aus dieser Erfahrung die Konsequenz zu ziehen, sich aus dem Wirkungsbereich des Schicksals überhaupt zu entfernen durch den Rückzug von der Gesellschaft, welche für die Gestalten unseres Romans die „Welt" schlechthin darstellt. Die Freiheit zum Verzicht ist die einzige Freiheit, die dem Willen zur individuellen Selbstbestimmung offensteht. Die tiefe Resignation, die Folge einer nichts aussparenden Ernüchterung, bestimmt den Grundton der Erzählung von Anfang an. Die Liebe wird zum Inbegriff einer unerbittlichen Fatalität gerade dadurch, daß sie als neuer individueller, sinnverleihender Wert begriffen wird, und doch gerade auf diesen Wert Verzicht geleistet werden muß7). Die 7) Die Princesse de Clèves steht gleichsam in der Mitte einer geschichtlich bedingten Entwicklung der Liebesauffassung, die letztlich in die Romantik einmündet. In der Astrée hatte es nodi kategorisch geheißen: il est impossible d'aimer ce que l'on n'estime pas" (Ed. V a g a n e y I, S. 196). Die Liebe setzt Wertschätzung voraus, ist selber sekundär. Diese Auffassung findet sich auch bei Corneille und bei Descartes, der sie im Traité des passions de l'âme vertritt, aber sie gilt nicht mehr für Racine und für Mme de Lafayette. Während die preziose Literatur der Astrée folgt und es nie unterläßt, die Liebe ihrer Helden „raisonnable" zu nennen und sie durch diese Einordnung in einen normativen Sinnzusammenhang zu neutralisieren, wird bei Racine und bei Mme de Lafayette der Partner geschätzt, weil man ihn liebt, nicht umgekehrt. Der Mensch wird von der Liebe befallen und ist ihr ausgeliefert, nicht viel anders als in den gleichzeitigen Lettres portugaises. Den nächsten Schritt vollzieht dann eindeutig Prévosts Manon Lescaut: man liebt einen Menschen, obwohl man ihn verachten muß. 69

einzige Chance, diesem Schicksal auszuweichen, besteht in der sich jetzt als allein sinnvoll erweisenden Handlung, sich von nun an selbst jedes Handelns zu begeben. Nur ein tief pessimistisches Lebensgefühl konnte sich soldi konsequenten Ausdruck verschaffen. Nicht erst die Freundschaft mit La Rochefoucauld brachte diese Wendung zum Pessimismus8). Schon eine briefliche Äußerung der erst achtundzwanzig Jahre alten Mme de Lafayette, die findet, „daß man nichts Besseres tun kann als nichts zu tun" verrät eine Erfahrung, die ihrem Gesamtwerk den Grundton und der Princesse de Cleves die „Lösung" geben wird'). Eine letzte Handlung erspart weiteres Handelnmüssen. Das letzte Werk Mme de Lafayettes, die posthum erschienene Comtesse de Tende, ist nur die konsequenteste, unversöhnlichste und bedrückendste — freilich auch künstlerisch am wenigsten befriedigende — Gestaltung der immer stärker verdichteten Überzeugung, daß, was der Mensch auch immer tun mag für die Sinnerfüllung seines Lebens, jeder Versuch der Selbstbestimmung ihn nur noch mehr einem dem Individuum feindlichen Schicksal ausliefert. Gustave Reynier hat das Scheitern der Gestalten Mme de Lafayettes, ihren heroischen Aufschwung und ihren unvermeidlichen Sturz in die Desillusion gültig beschrieben: „Les qualités les plus rares, les sentiments les plus délicats n'assurent pas le bonheur; ce sont, au contraire, des supériorités qui s'expient. Des âmes d'élite, après s'être soulevées aux plus hauts sommets, redescendent insensiblement, sans éclat, au niveau des autres hommes. On se fait souffrir, on meurt ou on se sépare: tout finit dans le deuil et dans la désillusion"10). Die sublimier8) Die in fast jeder Abhandlung über Mme de Lafayette und in vielen Literaturgeschichten anzutreffende, sich auf eine Äußerung Mme de Lafayettes stützende Auffassung, nach der sie La Rochefoucauld wieder mit dem Leben ausgesöhnt und ihn von seinem bitteren Pessimismus geheilt hätte, halten wir für eine sentimentale Legende. Ihr Lebensgefühl war das gleiche, mit dem einzigen Unterschied vielleicht, daß der Mensch ihr unschuldiger erschien und sie mehr Mitleid mit ihm hatte als der Verfasser der „Maximen". 9) „Je fais une vie fort inutile. Elle n'en est pas moins agréable. Hors de travailler pour le ciel, je commence à trouver qu'il n'y a rien de meilleur à faire que de ne rien faire" (Brief an Huet v. 14. Nov. 1662¡ Correspondance, Ed. Beaunier, I, S. 183). G. Hess, der diese Briefstelle zitiert, hält Mme de Lafayettes Bild vom Menschen für „der Anthropologie von Port-Royal nicht weniger verpflichtet als die Gestalten Racines". In der „Entfremdung" der Menschen inmitten des Erlebnisses der größten Leidenschaft vermutet er „das gewichtigste, das eigentlich tragische Thema der Princesse de Clèves" (a.a.O. S. 225, 224, 246). 10) Le roman réaliste au XVIIe siècle, Paris 1914, S. 369. Vgl. auch Antoine Adam, Histoire de la littérature irançaise au XVII« siècle, Paris 1954, III, S. 187: „L'ensemble de l'œuvre était cruel, de la même cruauté qui avait marqué le livre des Maximes." 70

ten Qualitäten adliger Menschen verbrennen am Widerstand der Welt, werden in einem sinnlosen Kampf vertan. In der Princesse de Clèves gibt es keinen Gegenspieler, dessen persönlich gerichtetes böses Wirken prinzipiell die Möglichkeit eine glücklicheren Lösung offen gelassen hätte. Das Verhängnis ist anonym, total und unausweichlich. Wir können jetzt, dieses Kapitel beschließend, die zu Anfang gestellte Frage nach dem „Warum" des Verzichts vollständig beantworten. Der Liebesverzicht der Princesse de Clèves ist der einzige Weg, aus den Trümmern aller Hoffnungen auf Erfüllung des individuellen Wesens wenigstens die Idee dieses Wesens zu retten, indem ein letzter Willensakt sie dem Zugriff des Schicksals entzieht. Daß diese Lösung — obgleich ästhetisch „wahr" —• eine Scheinlösung ist, und daß sich das Schicksal schadlos hält, zeigt sich daran, daß sie mit der Abkehr von der Welt, der Flucht in die Einsamkeit und mit baldigem Tod erkauft wird. Die „Lösung" entlarvt sich damit selbst. Mme de Lafayette war sich dieses Umstandes wohl kaum bewußt. Ihre künstlerische Ehrlichkeit war indessen zu tief, als daß sie sich der Logik ihres Themas durch einen versöhnlicheren — und schließlich verfälschenden — Schluß hätte entziehen können.

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VI. Die Form der Individuation

Je tiens, qu'il est plus aisé d'écrire une belle histoire, que de composer une Fable parfaite. Mlle de Scudéry Hegel sah die „schlechthin angemessene Einheit von Inhalt und Form" darin, daß „zuerst das äußerliche Dasein keine Selbständigkeit mehr gegen die Bedeutung, die es ausdrücken soll, bewahrt, und das Innere umgekehrt in seiner für die Anschauung herausgearbeiteten Gestalt nur sich selber zeigt und in ihr sich affirmativ auf sich bezieht" 1 ). An der Princesse de Cleves läßt sich nun tatsächlich bis ins Detail zeigen, wie sich alles äußere Ereignen sofort in ein Inneres verwandelt, wie umgekehrt die Sorge um dieses Innere das Äußere in Art, Ablauf und Umfang dazu bestimmt, die Entscheidungen des Inneren als unumgänglich und doch als menschliche Willensakte evident zu machen. Im Kunstwerk ist die Form gleichsam das letzte, aber objektivste Kriterium für die Wahrheit des Inhalts. Indem Mme de Lafayette dem Beziehungsnetz der dem Thema adäquat geschaffenen Charaktere, Situationen und Akte durch die Komposition die richtigen Proportionen verleiht, wird die zwangsläufig bloß relative Vollständigkeit, die Aussdinitthaftigkeit des Roman-Geschehens, zum Brennspiegel für die Totalität des geschichtlichen Augenblicks. Alles Vordergründige im Handlungsablauf ist der Willkür der reinen Fiktion entkleidet und vom Kontext der Fabel her als Notwendigkeit bedingt. In die — selbst in dem Fall, da „Zufall" vorliegt (vgl. unten S. 80 ff) — vom Zufälligen befreite Konkretheit der Szenen mit ihrer äußersten quantitativen Beschränkung fallen die Schnittpunkte der in Psychologie, Situation und Handeln übersetzten wesensbestimmenden Züge der Eooche. Die Komposition ordnet sie konzentrisch um das Geständnis zur Erzeugung des vom Thema postulierten geschlossenen Sinnzusammenhangs, einschließlich der von der Peripetie her durch die Zweiteilung auch formal bestätigten Infragestellung der Lösung des Themas. W a r das Thema von der drängenden Wirklichkeit des geschichtlichen Augenblicks gestellt, so mußte es, um in ein literarisches Kunst1) Ästhetik, Ausg. Bassenge, S. 311. 72

werk verwandelt zu werden, mit allen wesentlichen Bestimmungen der historischen Situation in eine menschlich-individuelle Fabel übertragen und in deren Charakteren und Konflikten konkretisiert werden. Der Zwang zur Intensivierung unterwirft die Fabel einer quantitativen Reduktion, die sie, um gleichwohl eine Totalität wiederzuspiegeln, nur qualitativ, d. h. nur durdi das richtige Proportionieren ihrer bereits Allgemeines im Besonderen zusammenfassenden Charaktere und Geschehnisse kompensieren kann. Hier wird bereits deutlich, in welcher Weise das Inhaltsproblem zugleich auch das Formproblem ist. Der absolut geschlossene Sinnzusammenhang allein bewirkt, daß das exzeptionelle individuelle Geschehen als Zusammenfassung eines Allgemeinen erlebt werden kann, das Erfundene sich als das Notwendige präsentiert. Der allgemeine thematische Konflikt kann nur ernst genommen und künstlerisch gestaltet werden, wenn er die Evidenz eines notwendigen Geschehens aufweist. Das Wesen manifestiert sich am Notwendigen, und notwendig wird das Geschehen erst durch die adäquate Komposition seiner hauptsächlichen Momente. Inhalt und Form bedingen sich gegenseitig im Guten wie im Schlechten. Mme de Lafayette gab die falsche Unendlichkeit des alten Romans auf und damit auch das formale Prinzip der beliebigen Aggregation. Sie knüpfte eine gestraffte Fabel an ein kommensurables und zugleich überschaubares historisches Geschehen und führte dadurch das zur Selbstentfaltung drängende individuelle Gefühl vor die Schranken, die ihm die absolutistische Wirklichkeit setzte. Der objektive Konflikt trägt die Kollision der Fabel, in der sich ein allgemeiner Zustand in der Anschauung glaubwürdig manifestiert und der Geschichtsprozeß durch das Medium der Kunst eine noch unbekannte Möglichkeit des menschlichen Daseins aufdeckt. In der fast novellistischen Kürze des Lafayetteschen Werks zeigt sich gerade im Vergleich zu seinen idealistisch-heroischen Vorgängern die in ihrem ganzen Ernst ins Bewußtsein gedrungene Erfahrung der Begrenztheit des menschlichen Wesens. Die Form selbst, der nur mit Mühe, aber mit Erfolg rational gezähmte Gefühlsstil, die Struktur der Episoden, die Zweiteilung durch die Peripetie, all dies ist anschaulich dichterische Vermittlung der Kollision mit den Gesetzen einer noch als natürlich verstandenen, tatsächlich aber bereits entfremdeten Ordnung, auf welche der Impuls zur echten Sinnerfüllung des individuellen Wesens stoßen mußte. Nur Kraft der rigorosen Beschränkung der Form, welche die künstlerische Voraussetzung für die Fragestellung des Inhalts bildet, kann sich der subjektive Lebensanspruch als ein legitimer vorstellen — noch in seinem Scheitern selbst, das sich bei der Princesse im Rüdezug aus der Gesellschaft und im baldigen Tod mit unverkennbarer Folgerichtigkeit bekundet. Das Thema des Verzichts in dem besonderen Aspekt seiner geschichtlichen Verhaftung stellt das spezifische Formproblem. Dieses 73

gleiche Thema setzt, unabdingbar, eine minutiöse psychologische Motivierung voraus und damit eine Schicht der Strukturierung, deren wesentliche Züge sich mit der Ereignisstruktur decken müssen und mit ihr zusammen die Fabel konstituieren. So erweist sich die Fabel, einschließlich der Psychologie ihrer Handlungsträger, als konkrete Funktion des Themas. Um dieses Thema durch die Fabel hindurch wahrhaft künstlerisch durchzuführen, darf die der Fabel innewohnende Formkraft nicht durch eine zufällige und darum falsche Komposition verraten werden, da von der mangelhaften Form her auch das Thema verfälscht würde. Ist der Sachverhalt des Zusammenfallens von Typus und Individualität im Charakter der agierenden Personen, wie auch ihre Bedingtheit durch die Erfordernisse der Fabel einmal erkannt, dann wird die Gestaltung der fundamentalen Erfahrung der Begrenztheit des menschlichen Wesens in der Peripetie der Geständnisszene als eine geniale Leistung offenbar —· gerade im Hinblick auf ihre zentrale epische Funktion. In diesem persönlichsten menschlichen Akt — dem Geständnis — mit den durch ihn provozierten unbeeinflußbaren Folgen, kulminiert die Grunderfahrung der Zeit und „affirmiert" sich durch die Form. Bevor wir zu einer abschließenden Bestimmung der Inhalt-FormBeziehung in der Princesse de Clèves und damit zu einer definitiven Wertung der künstlerischen Leistung der Mme de Lafayette schreiten können, bleibt uns noch übrig, einige wesentliche, in den vorausgehenden Kapiteln noch nicht genügend berücksichtigte Aufbauelemente zu betrachten und zunächst das Problem der eingeschalteten Episoden zu erörtern. Die aristotelische Peripetie hat, wie wir zu zeigen versuchten (s. Kap. III), im Geständnis der Princesse eine so zentrale inhaltliche Funktionsverdichtung erfahren, daß allein durch ihre komplexe Konstituierung alle Teile der Handlung und zugleich auch die Orte dieser Teile im Aufbau bestimmt werden. Das gilt durchaus auch für die eingeschobenen Erzählungen bzw. Episoden. Mme de Lafayette konnte sich hier an den unmißverständlichen Regeln orientieren, die Huet 1670 — zu der Zeit also, da Mme de Lafayette ihr Werk konzipierte — in seinem Traité de l'origine des Romans aufstellte*). Weil die ganze inhaltliche 2) „S'il est v r a y . . . que le Roman doit ressembler à un corps parfait, et estre composé de plusieurs parties différentes et proportionnées sous un seul chef, il s'ensuit que l'action principale, qui est comme le chef du Roman, doit estre unique et illustre en comparaison des autres; et que les actions subordonnées, qui sont comme les membres, doivent se rapporter à ce chef, luy ceder en beauté et en dignité, l'orner, le soustenir, et l'accompagner avec dépendance: autrement ce sera un corps à plusieurs testes, monstrueux et difforme." (A.a.O. S. 169). Zur Bedeutung der hier zum Ausdruck kommenden Wendung vgl. Arnaldo Pizzorusso, La concezione dell'arte narrativa nella seconda metà del Seicento tráncese, in: Studi mediolatini e volgari III (1955) S. 102.

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und kompositorische Tragweite der Geständnisszene — trotz ihrer stets hervorgehobenen Bedeutung — und mit ihr das Geheimnis der Struktur des Romans nicht erkannt wurden, hat man jene Episoden oft voreilig als unorganische Einsciiübe bzw. als Rückfall in die alte Romantechnik abgetan 5 ). Erst in jüngerer Zeit beginnt eine einsichtigere Beurteilung sich durchzusetzen 4 ). Aber selbst der letzte und gründlichste Versuch, die „Digressionen" als organische Bestandteile des Ganzen zu deuten, läßt die Stringenz vermissen, die allein aus dem Nachweis der tektonischen Funktion der „Einschübe" erwachsen kann 5 ). W e n n gleich nach der ersten Begegnung zwischen der Princesse und Nemours die Geschichte der bewegten Liebe Heinrichs II. zu Diana von Poitiers eingeschaltet wird, so führt dieser der Protagonistin von ihrer Mutter gegebene Bericht nicht nur in nachdrücklicher Weise die zentralen Motive der Leidenschaft und der Eifersucht ein, sondern enthält — zumal durch ihre Verbindung mit der Ermahnung zu vertu und devoir der Mutter auf deren Totenbett — auch eine ernste Warnung und den Keim für den Verzichtgedanken. Und wenn der noch ahnungslose Clèves seiner Frau mit der Liebesgeschichte der Mme Tournon einen Fall erzählt, der ihrer eigenen Lage weitgehend entspricht und erneut die Themen jalousie und passion aufnimmt, so läßt er gleichzeitig auf natürliche Weise — natürlich, weil aus dem Charakter Clèves" bedingt — durch ein W o r t des Gatten selbst erstmals den Gedanken an die Möglichkeit eines „aveu" auftauchen. Die gleiche Erzählung entfesselt — nunmehr schon „notwendig" — den ersten großen Aufruhr in der Seele der Princesse. Als solcher mit struktureller Relevanz ermöglicht wird dieser Aufruhr durch seinen Ort im Handlungsverlauf: nach dem ersten Rückzug vom Hof und vor dem Verzicht Nemours' auf den englischen Thron, dem nach weiterer Steigerung der passion eine zweite Flucht vom Hof folgt. Clèves" Erzählung der Geschichte der Mme Tournon und sein Kommentar dazu lassen seine spätere Reaktion ahnen, motivieren seinen Tod mit und machen die besondere Haltung der Princesse verständlich. Die gleiche durch den „Einschub" ermöglichte Szene — wie auch die durch die anderen „Digressionen" geschaffenen Abschnitte — verleihen dem Charakterbild 3) Die erste — allerdings sehr zurückhaltende — Kritik dieser Art übte bereits Valincour. A. Pizzorusso macht (a.a.O. S. 141) unter Hinweis auf den Traité du poème épique des Père Le Bossu (1695) darauf aufmerksam, daß Valincours Einwände sich auf die Regeln der Epik und der Tragödie stützen und dadurch die Besonderheit der neuen Romanform verfehlen. 4) Vgl. Hess a.a.O. S. 355 f.; Dédéyan a.a.O. S. 110, sieht in dem Verfahren der „récits épisodiques" „un excellent moyen de compléter et d'annoncer l'action principale". 5) J. W. Scott, 'The Digressions' ol the Princesse de Clèves, in: French Studies XI (1957) S. 315—322. Vgl. auch Pizzorusso a.a.O. S. 136 ff. 75

der beiden Gatten Konturen, in welche die folgenden Ereignisse nur nodi die Farben einzutragen braudien. Die zunächst recht künstlich erscheinende Briefepisode ist bis zur Evidenz einer Notwendigkeit mit dem Handlungsverlauf verzahnt und wird selbst unmittelbar handlungschaffend. Sie ist, da sie die Princesse jetzt die Eifersucht „avec toutes les horreurs" kennenlernen und an Nemours zweifeln läßt, mit der vorübergehenden Glückserfahrung bei der gemeinsamen Abfassung des falschen Briefs ein Anstoß für das Geständnis und von ausschlaggebender Bedeutung für die sich in Richtung Verzicht wendenden Beziehungen zu Nemours. Der Monolog der tiefsten Ratlosigkeit („toutes mes résolutions sont inutiles"), der dem Rüdezug nach Coulommiers und dem Geständnis vorausgeht, erscheint als Folge der turbulenten Briefangelegenheit und der Gewissensvorwürfe, welche sich die Princesse macht, nachdem sie während der Turniervorbereitungen Nemours ihre Liebe hatte erkennen lassen. Letzteres ereignet sich bei der gleichen Gelegenheit, die den Verlust des Briefs und das folgenreiche Mißverständnis über den Verlierer ermöglicht. Das Turnier selbst, das den die Lieblingsfarben der Princesse tragenden Nemours nochmals im Strahlenglanz seiner Schönheit, Tüchtigkeit und eines Verhaltens zeigt, das die Princesse seine Indiskretion fast vergessen läßt, ist wiederum mit einer anderen „Digression" verbunden: mit der Prophezeiung vom Tod des Königs. Heinrichs frühere Erwähnung des Horoskops, das ihm den Tod im Duell verkündete, war von Nemours zu einer Anspielung auf die Zukunft seiner Liebe benutzt worden. Der nun eintretende Tod des Königs unterstreicht somit die Fatalität des privaten Geschehens; die Princesse kann nicht umhin, beide Voraussagen im Zusammenhang zu sehen. Diese Verwendung des tragisch-historischen Ereignisses liefert neben seiner „äußeren" Funktion also zugleich eines der Elemente im Motivierungszusammenhang des Verzichts. Die „Digression" von Prophezeiung und Erfüllung des Tods des Königs ist — aus einleuchtenden Gründen — der einzige der „Einschübe", der sich über das Geständnis hinwegzieht. Alle anderen fallen in den ersten der beiden Handlungsteile. Der Komplex an Beweggründen, Charakteren, Konstellationen der zwischenmenschlichen Beziehungen, den zu schaffen sie bestimmt sind, ist im Geständnis verdichtet, das sie begründen. Die den Verzicht tragenden Elemente sind, soweit sie nicht vom Akt des Geständnisses als solchem geschaffen werden, gleichfalls zum großen Teil durch die „Digressionen" eingeführt. Unsere Untersuchung der psychologischen Struktur ließ deutlich werden, in wie starkem Maße sie von den „Einsdiüben" getragen wird. Durch sie wird der Begründungszusammenhang für das „außerordentliche" Geschehen lückenlos. Ihr Anteil an der Individualisierung des Typischen in den Charakteren und Handlungen ist unentbehrlich, desgleichen ihre Funktion, historisch-gesellschaftliche und politische 76

Atmosphäre zu schaffen. Unter diesen eingeschalteten Episoden ist keine einzige, die nicht Wesentliches zum Ganzen beitrüge, keine einzige, die nicht mehrere Zwecke zugleich erfüllte. Ihr OrganischWerden hebt die „Digressionen" als solche auf. Man könnte die Frage stellen, ob die ihnen von der Autorin zugebilligte Länge in jedem Falle der Ökonomie des Ganzen angemessen ist — die qualitative Proportionalität jedenfalls steht auch für die „Einschübe" außer Frage. Ihnen allen eignet der von Huet mit Recht geforderte relative Wichtigkeits- und Dignitätsgrad. Sie sind wesentliche Voraussetzungen für die Konstituierung der Fabel und für die poetisch evidente „Lösung" des Themas. Selbst Valincour, der die „Digressionen" teilweise für unnötig, wenn auch für „des fautes agréables [...] qui donnent du plaisir" hält, muß seine Bewunderung für die Kunst des Autors eingestehen, der wie keiner sonst aus solchen „Fehlern" Nutzen ziehe und außerordentliche Ereignisse vorzubereiten verstehe"). Vermöge einer Komposition, die nie äußerlich ist, weil sie ihr Gesetz allein aus dem Inhalt bezieht, werden die extremen Fälle, Situationen, Zufälle und Handlungen aufeinander bezogen, zueinander in bedingende Beziehung gesetzt und dadurch ihrer extravagance enthoben. Den meisterhaft gehandhabten Dialogen kommt hier eine schon oft bemerkte Bedeutung zu. „In allen entscheidenden Augenblicken gipfelt die Handlung der Princesse de Clèves in der Wechselrede oder in einem monologisierenden Ansprechen des Partners. Die 6) Nach der Erörterung der Dummheit des von dem Prince de Clèves mit der Überwachung Nemours' beauftragten Edelmannes: „C'est ici, Madame, où j'admire plus que jamais l'auteur de 1' histoire. Il n'y a rien dont il ne fasse un bon usage, et ce qui embarrasserait les autres lui est une ressource merveilleuse. Il surprend toujours le lecteur par des oppositions tout à fait extraordinaires. Dès que quelqu'un des personnages de son histoire dit ou fait quelque chose qui nous paraît une faute, il ne la faut pas regarder comme dans les autres livres, c'est-à-dire comme une chose qu'il faudrait retrancher; au contraire, on peut s'assurer que cela est mis pour préparer quelque événement extraordinaire; et cela ne manque jamais d'arriver." A.a.O. S. 124—5). Ein bemerkenswerter kritischer Instinkt hat Valincour trotz seiner Verkennung der Bedeutung der Geständnisszene und der Notwendigkeit des Verzichts davor bewahrt, die „Digressionen" samt und sonders abzulehnen. Die Geschichte des Vidame de Chartres erscheint ihm „nécessaire" (a.a.O. S. 100). Gleichwohl spielt er etwas maliziös in diesem Zusammenhang auf die Willkür eines „génie qui préside aux aventures" (S. 102) an und hält die Indiskretion der Edelleute hinsichtlich des verlorenen Briefs wie audi diejenige Nemours' und des Vidame in bezug auf das belauschte Geständnis für „unmöglich" bzw. eines „héros de roman" unwürdig (S. 103, 113 f.). Beidemal setzt er bienséance für vraisemblance, urteilt allein von der Norm her, ohne deren immanenten Widerspruch einzubegreifen. Umso aufschlußreicher ist das kurz darauf folgende Geständnis (S. 115), daß er nach neuerlicher Lektüre dieses Abschnitts in Anbetracht dessen, was durch ihn vorbereitet wird, seine Kritik fast wieder gestrichen hätte. 77

Mahnung der Mutter, das Bekenntnis im Pavillon, die quälenden Fragen des eifersüchtigen Prinzen an seine Gattin, die Klage und Anklage des Sterbenden, das Gespräch der Liebenden, das die Trennung besiegelt: sie alle enthalten die gültigsten Aussagen und enthüllen im Verbergen und Offenbaren der Gefühle das Wesen der Menschen" 7 ). Der unvermittelte Übergang der Monologe von indirekter zu direkter Rede läßt den distanzierenden Stil plötzlich aufbrechen, enthüllt die tiefe Betroffenheit, die der äußersten rationalen Anstrengung zu ihrer Beherrschung bedarf®). Immer nach schwerwiegenden Ereignissen verwandeln Monologe das äußere Geschehen in ein inneres 8 ). Der erste der zwei unter den Monologen der Princesse, die in direkte Rede übergehen, ist bezeichnenderweise jener dem Geständnis unmittelbar vorausgehende Monolog der tiefsten Verzweiflung unter dem Eindruck der Selbstentfremdung und des Autonomieverlusts (S. 330). Die soeben entdeckte Heillosigkeit des Widerspruchs, in den das Individuum zum Außen geraten ist, wird durch die Interiorisierung in das Individuum selbst als dessen Gespaltenheit hineinprojiziert. Der zweite „innere" Monolog der Princesse folgt — nicht weniger signifikant — auf den Dialog der Gatten, der das Stadium der größten Entfremdung bezeichnet (S. 351 f). Der gleiche Wechsel von Hoffnung auf Beherrschung der passion und von Verzweiflung, der sich in den Monologen akzentuiert, bestimmt nun auch den Wechsel des Schauplatzes. Ch. Dédéyan hat richtig beobachtet, daß der Rhythmus von Begegnung der Liebenden und Vermeidung einer solchen Begegnung zusammenfällt mit dem räumlichen Wechsel zwischen Hof und Land, und daß dieser Wechsel die Teile des Romans rhythmisiert; „Le récit extérieur est donc constitué essentiellement par une série de va-et-vient entre deux points fixes, la Cour et la campagne" 9 ). Die exemplarische höfische Mitte, in der sich öffentliches und privates Geschehen verbinden, ist zugleich für die Princesse der Ort der Kollision mit der überindividuellen Norm. Ihre persönlichste Handlung, das Geständnis, erfolgt auf dem Lande, aber ausdrücklich ausgelöst durch den Zwang zur Rückkehr an den Hof. Dieser Zwang und die Rückzugsbewegung, der Versuch, dem Schicksal 7) G. Hess a.a.O. S. 248. 7a) Freilich sind audi diese Ausbrüche des Gefühls sogleich wieder von der analysierenden Reflexion beherrscht: „ . . . celles-ci s'ordonnent très vite en réflexions parfaitement déduites et seuls quelques points d'exclamation ou quelques apostrophes leur donnent une couleur lyrique. Dans le soliloque, comme dans le dialogue, l'analyse est souveraine maîtresse du parler" (Jean Fabre in seiner erhellenden Studie L'art de J'analyse dans la Princesse de Clèves, in: Publications de la Fac. des Lettres de l'Univ. de Strasbourg, Fase. 105. Mélanges 1945, II, Etudes littéraires. Paris 1946, S. 283. 8) Vgl. R. Burkart a.a.O. S. 127. 9) Madame de Lafayette, S. 109. 78

zu entrinnen, artikuliert strukturbildend den seelischen Rhythmus der Protagonistin. J e d e Flucht in die Einsamkeit wird durch die vom Gatten selbst geforderte Erfüllung der Pflicht, bei Hof zu erscheinen, zugunsten der erneuten Unterwerfung unter die fremd gewordene, überpersönliche Gesetzlichkeit abgebrochen. Mme de Lafayette hat gerade diese erzählerische Objektivierung der Norm als motorisches Element verwendet, das in stetiger Steigerung die Handlung zum Austrag des Konflikts vorantreibt. Es gibt kein Entrinnen, und die Hindernisse, die sich einer autonomen Bewältigung des Lebens entgegenstellen, sind nicht künstlich, nicht zufällig, sondern sind Momente der Existenzform der Personen selbst und daher echte Momente des Inhalts, die unmittelbare w a h r e Form mit sich bringen. Alle diese wesentlichen, aus dem „ausgewählten" Inhalt Form bildenden und aufeinander bezogenen Elemente intensivieren vermöge ihrer Signifikanz, und d. h. ihrer echten Beziehung zur Wirklichkeit diese letztere selbst. Das Experimentieren der M m e de Lafayette mit dem gleichen Thema, den gleichen Typen und ähnlicher Fabel w a r ein Suchen nach denjenigen unter den „Möglichkeiten" der zeitgenössischen Wirklichkeit, die im Sinne der echten Konkretisierung des Themas auf die geschlossene, „notwendige" Einheit der Fabel hin konvergieren. Die Konvergenz der W i r k u n g e n dieser Elemente artikuliert und konstituiert die substantielle Zweiteilung des Romans, deren tiefere Voraussetzungen wir im Folgenden zu erhellen versuchen. Die „Digressionen" spielen, wie wir oben gesehen haben, eine ausschlaggebende Rolle bei der Herstellung eines psychologischen und geschehnishaften Begründungszusammenhangs, der unausweichliche Entscheidungen im Sinne des Themas des Verzichts herbeiführt. Auf eine Kausalmotivierung waren, wie insbesondere Lugowski gezeigt hat 10 ), auch die Autoren des heroisch-galanten Romans bedacht. Bei ihnen aber handelt es sich um eine Kausalität von Fall zu Fall; der Begründungszusammenhang ist rein aggregativ. Alles Ereignen vollzieht sich durch eine sorgfältig im Detail, nicht aber im Gesamtzusamm e n h a n g begründete Einwirkung eines dadurch höchst unglaubwürdig strapazierten Außen, eines schicksalhaften Geschehens, das keinen a n d e r e n Bezug zu den Helden aufweist, als daß es sich der Idealität ihres Trachtens nach langer Malträtierung schließlich, sich selbst negierend, beugt. Die gehäuften Zufälle der heroisch-galanten Romane sind „Zufälligkeiten", die noch viel unglaubwürdiger sind als die des Lebens u n d der Geschichte 11 ). Diese Romane verfälschen die Wirklichkeit, indem sie sie zugleich überbieten und korrigieren. Die Charaktere ihrer Personen sind konstant, sie geben w e s e n h a f t nichts für die Motivierung der Handlung her. Für diese Literatur gilt in einem sehr 10) A.a.O. S. 20 ff. 11) Wir unterscheiden „Zufälligkeit" in der Verwendung Hegels Ed. Bassenge, S. 892 u. bes. 897) von „Zufall".

(Ästhetik,

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spezifischen Sinne die Feststellung Walter Benjamins, daß es „einen Begriff des Schicksals [gibt] — und es ist der echte, der einzige, der das Schicksal in der Tragödie in gleicher Weise trifft, wie die Absichten der Kartenlegerin — welcher vollkommen unabhängig von dem des Charakters ist und seine Begründung in einer ganz anderen Sphäre sucht"12). Verfolgen wir diesen Gedanken weiter, so hätten die heroischgalanten Romane (samt ihrem letztlichen „schicksalhaften" Happy end) beansprucht, was nur der Tragödie gebührt, und damit das Gattungsgesetz des Romans verfehlt. Wir dürfen Benjamins Feststellung erweitern durch die mit ihr übereinstimmende Auffassung Goethes, „daß man dem Zufall im Roman gar wohl sein Spiel erlauben könne, daß er aber immer durch die Gesinnungen der Personen gelenkt und geleitet werden müsse; daß hingegen das Schicksal, das die Menschen, ohne ihr Zutun, durch unzusammenhängende äußere Umstände zu einer unvorhergesehenen Katastrophe hindrängt, nur im Drama statthabe"13). Im Roman also sollen an sich unabhängiges Schicksal und Gesinnungen — d. h. Charaktere — in eine innere Beziehung treten. Der Charakter selbst soll Schicksal werden. Gerade diesen entscheidenden Schritt hat Mme de Lafayette über den Roman ihrer Zeit hinaus getan. „Neben die Kausalität als .fortune' tritt die Kausalität als .passion'"14). Weil erst der Charakter der Personen die um der Intensivierung willen auf die Spitze getriebenen Situationen und Entscheidungen glaubhaft macht, andererseits die psychischen Vorgänge sich nur am Ereignis zum Handeln entzünden, muß die Fabel so geschaffen sein, daß der bereits entsprechend organisierte Charakter der Personen auf dieses und jenes Geschehnis mit Notwendigkeit so oder so reagiert. Mit anderen Worten: seinem Individualcharakter gemäß und zugleich im Sinne der Allgemeinheit und Exemplarität des Themas. Die Kausalität des äußeren Schicksals und die Kausalität des Psychologischen verschlingen sich vermöge einer richtigen Fabel zur notwendigen Durchführung des Themas. Durch diese Verbindung von Schicksal und Charakter ist die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit als Grundf o r m " des Romans erst eigentlich entdeckt. Damit aber erhalten zwei für die Struktur des Romans überaus bedeutsame Elemente eine neue Relevanz: das Motiv der Schuld — von dem noch zu sprechen sein wird — und die Funktion des Zufalls. Nicht von ungefähr hat Goethe in seiner oben zitierten Äußerung dem vom Drama abgegrenzten Roman das „Spiel des Zufalls" zugeordnet. Dieser „immer durch die Gesinnungen der Personen gelenkte und geleitete Zufall" bringt im Roman dasselbe Moment der Freiheit 12) Schicksal und Charakter, in: Schritten, Frankfurt a. M. 1955, Bd. I S. 36. 13) Wilhelm Meisters Lehrjahre, V, 7. 14) Lugowski a.a.O. S. 37. 80

zum Ausdruck, das allein auch den Begriff der Schuld ermöglicht, gerade indem er andererseits als „gelenkter" psychologische und schicksalhafte Motivierung in zugespitzter Weise verbindet. Wie immer die Dichtung das Geschehen von den „Zufälligkeiten und gleichgültigen Beiwerken" der geschichtlichen Wirklichkeit zu befreien hat15), das Zufällige als solches gehört doch zu ihrem Wesen im Sinne des Betroffenseins durch das Schicksal. Im episch sinnerfüllten Zufall wird das Schicksal zum Komplizen der psychologischen Kausalität und zugleich Träger von Logik und Notwendigkeit der Fabel. Die Theoretiker des 17. Jahrhunderts waren sich durchaus klar darüber, daß die Willkür und die Zufälligkeit des geschichtlichen Geschehens nicht materiell in die Dichtung eingehen dürfen, aber sie verstanden die Absicht der Dichtung als Korrektur der Wirklichkeit im Sinne der bienséance oder, wie Segrais, als Verschönerung und Verbesserung"). In der Princesse de Cleves steht der Zufall von vornherein unter einem anderen Gesetz: die an sich unendliche Fülle seiner Möglichkeiten ist räumlich, zeitlich, historisch und gesellschaftlich eng begrenzt, der Geltungsbereich seiner Willkür so eng abgesteckt, daß sein Auftreten jeweils für diesen Bereich selbst von solcher Signifikanz ist, daß er ihn mitstiftet. Aus Zufälligkeiten werden Zufälle, an denen sich die Gesetzlichkeit der dargestellten Wirklichkeit manifestiert. Der Zufall wird zu einer Erscheinungsweise des Notwendigen. Wir sind in der glücklichen Lage, diesen Sachverhalt an der Verwendung von hasard bei Mme de Lafayette selbst belegen zu können. In der Krisensituation, die sie den endgültigen Entschluß zum Geständnis fassen läßt, wird die plötzlich gesehene Möglichkeit der späteren Enttäuschung ihrer Liebe und der „tödlichen" Eifersucht ausschlaggebend, obwohl der Anlaß zu dieser Befürchtung sich als Täuschung enthüllt hat: Quoique les soupçons que lui avait donnés cette lettre fussent effacés, ils ne laissèrent pas de lui ouvrir les yeux sur le h a s a r d d'être trompée et de lui donner des impressions de défiance et de 15) Hegel erweitert die berühmte Unterscheidung des Aristoteles zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung: Der Geschichtsschreiber hat nicht das Recht, das „Prosaische" der durch „Zufälligkeiten umhäuften, durch Willkürlichkeiten verunreinigten . . . unmittelbaren Wirklichkeit" zu verwandeln. „Das Geschäft dieser Umwandlung nun ist ein Hauptberuf der Dichtkunst... Sie h a t . . . den innersten Kern und Sinn einer Begebenheit... herauszufinden , die umherspielenden Zufälligkeiten aber und gleichgültigen Beiwerke des Geschehens, die nur relativen Umstände und Charakterzüge abzustreifen und dafür solche an die Stelle zu setzen, durch welche die innere Substanz der Sache klar herausscheinen kann ..." (Ästhetik, S. 897). 16) „Ne peut-on dire que notre fantaisie ne s'y laisse emporter que pour corriger, pour ainsi dire, les erreurs de l'histoire, dans laquelle pour le plus souvent les téméritez du hazard et les injustices de la fortune régnent avec tant d'empire!" (Les Nouvelles françaises, Paris 1657, S. 237). 81

jalousie qu'elle n'avait jamais eues . . . . Elle trouva qu'il était presque impossible qu'elle pût être contente de sa passion (330).

Nemours' Charakter im partikulären und die — gleich zu Eingang des Romans wie auch in den „Digressionen" so dicht geschilderte — geschichtlich und gesellschaftlich bedingte Moralität der Hofgesellschaft im totalen Sinne lassen die e i n e Möglichkeit als einzige „fast" gewisse erscheinen und bewirken den Versuch, das sonst unabänderliche Schicksal wenigstens in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen. Hasard ist „Möglichkeit", die unter dem Aspekt der Zukunft vermöge der geschichtlichen Umweltbedingtheit (die auch und betont als eine solche des Charakters konkret wird) als eine Quasi-Gewißheit fungiert, und, als ein „Mögliches", das ein Glück „fast unmöglich" erscheinen läßt, trotz seiner gegenwärtigen Irrealität doch die entscheidenden Entschlüsse auslöst, die sein Eintreten unmöglich machen sollen. Der hasard bestimmt sogar als nodi nicht eingetretenes Ereignis den Prozeß der Handlung und wird selbst in dieser Form für die Fabel konstitutiv. Bereits die beiden ersten auslösenden Zufälle stehen im Zeichen der Unausweichlichkeit. Der Prince de Clèves faßt den Zufall, der ihn als ersten Mlle de Chartres begegnen ließ, als glückliches Vorzeichen17). Als ein Vorzeichen des Schicksals erscheinen — in der Perspektive des eifersüchtigen Chevalier de Guise — die Umstände der ersten Begegnung zwischen Nemours und der Princesse18). Beide Begegnungen bewirken den schicksalhaften Einsatz der Handlung. Mme de Lafayette vermied hier das Wort „Zufall", mit dem sie noch die analoge Begegnung der Princesse de Montpensier und des Duc de Guise — ebenfalls in der Perspektive eines Dritten — bedacht hatte, weil sie alle „romanhafte" Zufälligkeit, die der Begegnung in der ersten Erzählung noch innewohnte, in der Princesse de Clèves getilgt wußte19). Die aventure hebt sowohl die bloße Zufälligkeit wie auch jeden providentiellen Charakter in einer unausweichlichen Fatalität auf, die vom äußeren Schicksal und vom Charakter der Personen gemeinsam konstituiert wird. Die hintergründige Funktion des Zufalls wird erhellt auch durch zwei weitere Stellen, an denen hasard erscheint. In der Auseinanderset17) „L'aventure qui était arrivée à M. de Cleves, d'avoir vu le premier Mlle de Chartres, lui paraissait un heureux p r é s a g e . . ( 2 5 1 ) . 18) „II prit comme un présage que la fortune destinait M. de Nemours à être amoureux de Mme de Clèves... et il ne put s'empêcher de lui dire que M. de Nemours était bien heureux de commencer à être connu d'elle par une aventure qui avait quelque chose de galant et d'extraordinaire" (262—3). 19) Der eifersüchtige Comte de Chabanes sieht die Folgen der zufälligen Begegnung voraus: „Ce que le hasard avait fait pour rassembler ces deux personnes lui semblait de si mauvaise augure, qu'il pronostiquait aisément que ce commencement de roman ne serait pas sans suite" (12).

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zung zwischen den Gatten, die dem Bekanntwerden des Geständnisses folgt, rechtfertigt die Princesse sich mit den Worten: . . . il n'y a pas dans le monde une a v e n t u r e pareille à la mienne; il n'y a point une autre femme capable de la même chose. Le h a s a r d ne peut l'avoir fait inventer; on ne l'a jamais imaginée et cette pensée n'est jamais tombée dans un autre esprit que le mien (349). Wir haben oben (S. 58) gesehen, daß diese Stelle, an der die Princesse die Singularität ihrer aventure im verletzten Stolz auf ihre besondere Individualität bezieht, den tragenden Widerspruch zwischen der einzigartigen, persönlichen Willenshandlung des Geständnisses und der schicksalhaften Notwendigkeit, die zu dieser Entscheidung führte, offenbart. Es handelt sich hier um den in der Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit konkretisierten Widerspruch von Bewußtsein und Sein. Wenn die Princesse dabei eine Mitwirkung des hasard explizit bestreitet, so bloß deshalb, weil das Zusammenfallen von Notwendigkeit und Freiheit im „Zufall" ihr nicht einsichtig werden kann. Noch ahnt sie nur, daß der freie Willensakt der Vollzug einer Notwendigkeit war, die unausweichlich in die Katastrophe führt. Der Zufall wird nur geleugnet, weil er nicht als Kontaktbereich, nicht als sinnfällige und wesenhafte Vermittlung von äußerlich-ereignishaftem Schicksal und psychologischer Kausalität begriffen werden kann. Wenn Nemours in der letzten Unterredung mit der Princesse seinem Glücksgefühl darüber Ausdruck gibt, daß die geliebte Frau ihre Liebe jetzt freiwillig ihm selbst gegenüber eingesteht und er nicht mehr bloß durch einen Zufall davon weiß — „Ah! madame, . . . quelle différence de le savoir par un effet du hasard ou de l'apprendre par vous-même, et de voir que vous voulez bien que je le sache!" (385) — so beleuchten seine Worte nur in grausamer Ironie die Täuschung über ein Schicksal, zu dessen Vollzug Wille und Zufall sich jetzt endgültig verbinden. Was den Personen der Handlung nicht klar sein kann, hat die Autorin an deren Schicksal demonstriert. Die Zufälle sind in der Princesse de Clèves durchweg konkretisierende Momente des Wesens, weil sie das Handeln der individuellen Charaktere und das unbeeinflußbare Geschehen, Freiheit und Notwendigkeit, zu dichten Kollisionen zusammenfassen, und weil sie die Kausalität durch das Hereinholen der Kontingenz vollenden. Durch den so verstandenen und verwendeten Zufall wird die tiefste Inhaltsschicht, das gleichsam abstrahierte Wesen der Wirklichkeit, unmittelbar formbestimmend. Valincours Vorwurf, die Verfasserin der Princesse de Clèves hätte willkürlich mit dem Zufall geschaltet, verkennt die durch die selbstgesteckten und gewahrten Grenzen legitimierte Freiheit des Autors. Der aristotelische Begriff des „Notwendigen" meint keine Kausalität in dem Sinne, daß die Folge jeweils schon im Voraus abzuleiten sei. Als „notwendig" offenbart jeder einzelne Handlungsteil sich erst β*

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retrospektiv. Im „notwendigen" Zufall ist die Freiheit der Entscheidung für die an sich unendlichen, von der Wirklichkeit wie von Stoff und Thema jedoch begrenzten Möglichkeiten gewahrt — eine vom Formgesetz reduzierte Freiheit des Autors, die durchaus dem Leben adäquat ist. Der Zufall ist — retrospektiv — notwendig, und doch unvorhersehbar in jedem Stadium des Verlaufs. Sein Daseinsrecht ist gebunden an die Doppelbestimmung, die Fontenelle als „vraisemblance qui se change en nécessité" formulierte. Die „unendliche Willkür der Notwendigkeit" (Hegel) der Realität muß in der Freiheit des Autors zur Entscheidung zwischen einer begrenzten Zahl von Möglichkeiten auch für die Dichtung gewahrt sein, soll ihre echte Beziehung zur Wirklichkeit nicht zerstört werden. Auch der Zufall unterliegt der aristotelischen Bestimmung, eher das „Unmögliche", das „wahrscheinlich" ist, zu wählen als das „Mögliche", das „unwahrscheinlich" ist. Nicht die häufige, ins Auge fallende Möglichkeit, sondern allein die signifikante, sinnkonstituierende Möglichkeit ist poetisch „wahr". An ihr kann der Zufall ansetzen. Valincours Tadel an dem „unnützen" bzw. willkürlichen Zufall, der Begegnung zwischen der Princesse und Nemours in einem Garten außerhalb des Faubourg, erscheint nach diesen Überlegungen ebenso gegenstandslos wie der Vorwurf gegen Nemours' Mitanhören des Geständnisses (vgl. oben S. 51). Dieser letztere Zufall sowie derjenige der — ebenfalls von Valincour ironisch getadelten — Unbedarftheit des von Clèves dem Rivalen nachgesandten Spions erweisen ihre „Notwendigkeit" noch durch eine andere Funktion: beide führen zum tiefsten Mißtrauen und zur völligen Entfremdung der Gatten10). Der Zufall bewirkt ein unaufhebbares Mißverstehen, in dem ein grundlegender Wesenszug des ganzen Romans zum Ausdruck gelangt und in Handlung umgesetzt wird. Dieses Mißverstehen ist von C. Lugowski mit Recht aus dem Zusammentreten von Kausalität des äußeren Schicksals und psychologischer Kausalität erklärt worden, das dem Menschen das Nächste undurchschaubar, ja ihn sich selbst fremd werden läßt. „Die Distanz, die es vorher zwischen ihm und der Umwelt gegeben hatte, schneidet nun ihn selbst auseinander in das (machtlos) urteilende Bewußtsein und eine Welt, die jenem so fremd ist, daß es nur mit Hilfe von indirekten Schlüssen einen Zugang dazu gewinnt"21). Diese Schlüsse aber verfangen sich ausweglos in der Fatalität des vom Zufall bewirkten Mißverstehens. Die Aufklärung zwischen den Gatten erfolgt zu spät, um Clèves retten zu können: „Vous m'avez éclairci trop tard" (376). 20) „Iis étaient si occupés l'un et l'autre de leurs pensées qu'ils furent longtemps sans parler, et ils ne sortirent de ce silence que pour redire les mêmes dioses qu'ils avaient déjà dites plusieurs fois, et demeurèrent le cœur et l'esprit plus éloignés et plus altérés qu'ils ne l'avaient encore eu" (350). 21) Lugowski a.a.O. S. 38. 84

Ein doppelter Zufall war es gewesen, der die Princesse zum erstenmal ratlos vor die eigene Selbstentfremdung gestellt hatte. Der Monolog der Verzweiflung, in dem sie sidi selbst nicht wiedererkennt, folgt dem Mißverständnis in der Angelegenheit des verlorenen Briefs und dem Vorfall, der beim gleichen Turnier die Princesse wider Willen veranlaßte, Nemours ihre Liebe erkennen zu lassen. Welche Folgen diese Zufälle und das aus ihnen resultierende Mißverständnis für die Entscheidungen der Princesse haben, wissen wir. Die psychologische Kette wird durch den Zufall als Funktion des undurchschaubaren Schicksals unlösbar geschlossen. Der durch das Mißverstehen unvermeidlich gewordene Tod Clèves' wird zum tragenden Glied der Kausalkette. Der Verzweiflung der Princesse („eile perdit quasi l'usage de la raison", 376) folgt die logischrationale Ergründung der Zusammenhänge: Quand... elle considéra qu'elle était la c a u s e de sa mort, et que c'était par la passion qu'elle avait eue pour un autre qu'elle en était c a u s e , l'horreur qu'elle eut pour elle-même et pour M. de Nemours ne se peut représenter (376—7).

Die Ursachen Verkettung konstituiert eine Schuld, die in Wahrheit keine persönliche, sondern eine solche des Schicksals ist. Wenn die Princesse es sidi jetzt „fast als ein Verbrechen" anrechnet, für ihren Gatten keine Liebe empfunden zu haben, so folgt der bezeichnende Zusatz: „comme si c'eût été une chose qui eût été en son pouvoir" (377—8). Die häufige Verwendung von cause ist revelatorisch für das Wesen dieser Schuld; sie reduziert die Schuld auf einen unbeeinflußbaren Ablaufsmechanismus118). In der bereits von uns herangezogenen Studie über „Schicksal und Charakter" von Walter Benjamin wird gesagt: „Der Charakter wird . . . gewöhnlich in einen ethischen, wie das Schicksal in einen religiösen Zusammenhang eingestellt. Aus beiden Bezirken sind sie durch die Aufdeckung des Irrtums, der sie dorthin versetzen konnte, zu verbannen. Dieser Irrtum ist mit Beziehung auf den Begriff des Schicksals durch dessen Verbindung mit dem Begriff der Schuld veranlaßt""). Die Princesse de Clèves erscheint wie ein Beleg für diese Feststellung insofern, als jener „Irrtum" als solcher zugleich durchschaut und als menschlich-gesellschaftliche Realität akzeptiert ist. Die Unschuld, die mit dem Begriff des Schicksals selbst gegeben wäre, hat in der menschlichen Gesellschaft keine reine Existenz, und ihre Verbannung selbst 21a) Dieser Umstand ist ausschlaggebend auch für den Stil der Princesse de Clèves, für die „armature de subordonnées", die J. Fabre (a.a.O. S. 286) mit Redit hervorgehoben hat. Vgl. noch Fabres Feststellung: „Le moyen d'expression typique est la longue phrase qui réunit en faisceau un ensemble de motivations dont le résultat est une démarche ou une décision" (a.a.O. S. 286). 22) A.a.O. S. 33.

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aus der sdiicksalsgemäßesten literarischen Deutung ist nur folgerichtig. „Das Schicksal zeigt sich also in der Betrachtung eines Lebens als eines verurteilten, im Grunde als eines, das erst verurteilt und darauf schuldig wurde . . . Das Recht verurteilt nicht zur Strafe, sondern zur Schuld. Schicksal ist der Schuldzusammenhang des Lebendigen" 23 ). Die Princesse de Clèves ist eine klassische Gestaltung dieser Problematik: bis zum Tage des Geständnisses ist die Protagonistin „verurteilt", mit dem Geständnis akzeptiert sie das Urteil, indem sie die Schuld auf sich nimmt. Sie weiß es nicht, aber sie ahnt es. Die Aporie des hier gestalteten Lebens lautet: die Schuld wird zur Strafe, über die allein das Schicksal verfügt ohne selbst eine Antwort auf die Frage nach dem Warum zu geben. Faßbar wird es für den Sinn suchenden Menschen erst, wenn der Charakter selbst als Moment des Schicksals verstanden wird. Und nur dem Bewußtsein der Entscheidungsfreiheit kann das Urteil des Schicksals als Schuld gelten und sich die Möglichkeit eröffnen, diese Schuld einzulösen. Der kausale Ablaufsmedianismus, dem die über die Ursachen ihres Schicksals reflektierende Princesse ihr Leben ausgesetzt sieht, ist das Fremdeste, was sich in bezug zum persönlichen Leben vorstellen läßt. Die nachträglich gefügte Kausalkette schließt, ohne daß die Princesse sich dessen klar bewußt werden kann, auch das Geständnis mit ein, allein schon insofern, als die Princesse das zufällige Mitanhören des aveu durch Nemours als ein Glied in die Kette der causes einsetzt. Weil, von dieser Seite gesehen, die Schuld der Princesse keine persönliche Schuld ist — und sie selbst muß dies im letzten Gespräch mit Nemours bestätigen — deshalb kann sie auch nicht auschlaggebendes Motiv für den Verzicht sein. Die Pflicht (devoir) ist nicht in echter Schuld begründet. Das entscheidende Motiv für den Verzicht ist die Furcht vor den Schrecken der Eifersucht bzw. die Sehnsucht nach „Ruhe". Die Princesse hat die Wahl zwischen kurzer Erfüllung und glückloserem repos. Sie trifft ihren Entschluß in ungleich größerer Freiheit als bei ihrem Geständnis, und sie kann ihn daher auch mit einem aveu verbinden, von dem sie gewiß ist, daß er „keine Folgen haben wird" (S. 385) und jetzt kein crime darstellt (S. 385), d. h. diesmal nicht zur „Schuld" werden kann. Die Freiheit der Entscheidung ist jetzt Freiheit vom Urteil des Schicksals, freilich schwer erkauft: der Entschluß, den diese Freiheit trifft, um überhaupt existent zu werden und dem individuellen Leben doch noch einen eigenen Sinn zu geben, fällt zusammen mit der Resignation. Er bedeutet Freiheit von der Welt der Gesellschaft, deren Schicksalscharakter keiner echten Freiheit Raum ließ. Die Princesse trifft in Freiheit die Wahl, die vom Thema her Notwendigkeit wurde. Mme de Lafayette hat dieses Thema nicht durch eine Anlehnung an die Religion entschärft. Wenn die Schuld der Princesse letztlich eine 23) Benjamin a.a.O. S. 35. 86

„schuldfreie" ist, so war künstlerisch damit die Konsequenz verbunden, daß auf jede religiöse bzw. christlich-moralische Sinngebung verzichtet wurde. Bei keinem ihrer Entschlüsse oder Selbstvorwürfe beruft sich die Princesse auf ein göttliches Gebot; nirgends wird auf eine andere Moral als die der ständischen Gesellschaft Bezug genommen84). Es ist kein Zufall, daß mit dem Geständnis und seinen Folgen jene Erkenntnis des Ausgeliefertseins zum Durchbruch kommt, die seit dem Beginn ihrer Liebe Gegenstand der Reflexionen der Princesse ist. Die fortschreitende Selbsterkenntnis bedeutet fortschreitenden Glücksverlust in dem Maße, als sie Einsicht in den Verlust an Autonomie ist; ein Prozeß der Desillusion, der schließlich auf die Ubermacht des Schicksals als Gesetz des menschlichen Daseins verweist25). Wir haben im Verlauf unserer Untersuchung gesehen, wie gerade an der größten Anstrengung zur Bewältigung des Schicksals die Machtlosigkeit offenbar wurde, wie das Wesentliche des Menschen seine Mitteilbarkeit verlor, weil es ganz individuell geworden war. Gerade der im Bewußtsein der Freiheit und der singulären persönlichen Tat durchgeführte Entschluß zum Geständnis, der die Entfremdung aufheben, die individuelle Wahrheit und mit ihr das nunmehr Wesentliche wieder mitteilbar machen sollte, bewirkt das Gegenteil: die Vertiefung von Mißverständnis, Entfremdung und Vereinzelung und ein Schuldigwerden durch den Versuch selbst, vor Schuld bewahrt zu bleiben. Wie wir schon feststellten: die Entdeckung der neuen Qualität, der Wahrheit des Individuums, wird mit Schuld erkauft. Der Roman gehorcht damit einer unentrinnbaren Wahrheit, die das tiefste Gesetz für seine Form enthält: im vereinzelnden Zusichselberkommen geht das Individuum eine Schuld gegenüber dem Andern ein. Dieser unaufhebbare, im Wesen des Menschen und der von ihm mitgebildeten Gemeinschaft gründende Widerspruch ist in unserem Roman moralisch in der „schuldfreien" Schuld der Princesse gegenüber dem Gatten und in ihrem Bewußtsein eines „freien" Beteiligtseins, episch in der Peripetie des Geständnisses und schließlich im Verzicht konkretisiert. Das Schicksal, das den Menschen besondert, indem es ihn seine individuelle 24) Daß die Princesse nicht den Geboten einer christlichen Ethik folgt, betont auch J. von Stackelberg in seinem Nachwort zu der jüngsten deutschen Ausgabe der Princesse de Cleves (Rowohlts Klassiker Bd. 28, Hamburg 1958, S. 163). Wenn er indessen den „zentralen Vorgang des Romans", um dessen aristokratischen Charakter zu unterstreichen, im „Verzicht auf das Glück zugunsten der Pflicht" sieht, so ist damit die Rolle des devoir bei der Verzichtentscheidung überschätzt. 25) Zutreffend sagt von Stackelberg: „DiePrinzessin von Cleve ist zugleich Subjekt und Objekt moralischer Beobachtung, erkennender und erkannter Mensch. Daß jeder Gewinn an Erkenntnis zugleich einen Verlust an Glück für sie bedeutet, führt zu der zunehmenden Verdüsterung dieses in seinem Anfang so heiteren Romans" (a.a.O. S. 166). Von einem „heiteren Anfang" würden wir freilich nicht sprechen. 87

Wahrheitsdimension entdecken läßt, verurteilt ihn damit zur Schuld. Individuation i s t Schuldigwerden — in Unschuld. Im Geständnis, dem freien Willensakt als Vollzug einer Notwendigkeit, erreicht die Verflechtung von Schicksal und Charakter ihre unüberbietbare Verdichtung; in ihm kulminiert die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit, indem es die „schuldfreie" Schuld Wirklichkeit werden läßt. Als Peripetie, die aus der tiefsten Allgemeinheit des Inhalts erwächst, bewirkt sie die Zweiteilung des Werks und reproduziert so bis in die äußerste „formale" Abstraktion hinein den Widerspruch, den die Fabel austrägt. Für einen Augenblick gleichsam wird daran die Formkraft des Inhalts als solche sichtbar, deren Wirken wir sonst nur aus dem Resultat erschließen können. Der Verzicht der Princesse, so fragwürdig er als Lösung bleiben muß (vgl. Kap. V), bedeutet doch zugleich den Verzicht auf einen falschen Sieg. Der Umstand, daß der Konflikt in der Fabel des Romans ebenso unlösbar bleibt wie in der geschichtlichen Wirklichkeit, deren Wesen die Fabel sinnfällig reproduziert, bildet das unanfechtbare Zeugnis für die künstlerische Ehrlichkeit der Mme de Lafayette und ergibt gleichzeitig ein wichtiges Kriterium für die Wertung ihres Werks. Der Verzicht der Princesse vollendet konsequent den zum Scheitern verurteilten Versuch, passion und raison, individuelles Wesenserlebnis und normativ-rationale Lebensordnung zu harmonisieren, anders gesagt: der alten, zu eng und fremd gewordenen und gleichwohl verbindlichen Vorstellungswelt zu genügen, ohne ihr die neue Erfahrung zu opfern. Damit gewinnt das Werk der Mme de Lafayette eine einzigartige Stellung auf dem Zenith der klassischen Literatur, die im Augenblick ihrer höchsten Entfaltung bereits die ersten, noch mehr geahnten als gewußten Einbrüche einer neuen Erlebniswelt abwehren muß. Diese historische Konstellation und das Genie der Verfasserin ermöglichten einen Roman, dessen Komposition sich nahezu restlos von der erstarrten Tradition gelöst hat und dessen Form allein vom innersten Strukturgesetz seines Inhalts bestimmt ist. Aus diesem Grunde ist die Princesse de Clèves in einer doppelten Weise „klassisch", ist über den Epochenbegriff hinaus „klassisch" in einem Sinne, den ich, Mißverständnisse in Kauf nehmend, zugleich „realistisch" nennen möchte, weil solche reine Adäquatheit von Inhalt und Form nur möglich ist als vollkommene intensivierende Transposition des Wesens der jeweiligen geschichtlichen Wirklichkeit. Eine echte Uberwindung des Widerspruchs, der das Thema stellte, konnte inhaltlich vom Roman damals so wenig wie zu anderen Zeiten geleistet werden. Sie fand allein in seiner wahrhaft künstlerischen Gestaltung statt. Und dieser Sieg ist allerdings jederzeit das einzigartige Vorrecht der Kunst.

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REGISTER (« verweist auf die FuBnoten)

Adam, Antoine 11*, 70* Aristoteles 47, 53, 54, 59, 60, 61, 64, 74, 81* Ashton, H. 10*, 43*, 52* Balzac, Honoré de 45 Bassenge, F. 37*, 72*, 79* Bayle, Pierre 15, 42, 49 Beaunier, A. 52*, 70* Beyerle, Dieter 9*, 19* Benjamin, Walter 80, 85, 86* Boileau, Nicolas 13*, 55* Boursault, Edme 48* Brantôme, Pierre de Bourdeille, Abbé de 42* Bray, René 15* Burkart, Rosemarie 19*, 21*, 39*, 40*, 41, 42, 43*, 46, 47, 52, 78* Bussy-Rabutin, Roger de 51, 52*, 53, 60, 61 Castelvetro, Ludovico 50* Cazes, Albert 10* Ghamard, H. 42* Chapelain, Jean 48, 53 Chames, Abbé J.-A. de 16, 49*, 50* Corneille, Pierre 21,69* Dédéyan, Charles 10*, 42*, 43*, 44*, 75*, 78 Descartes, René 19, 20, 21, 69* Desmarets de Saint-Sorlin 44 Diderot, Denis 14, 49 Dulong, Gustave 49* Fabre, Jean 78*, 85* Fontenelle, Bernard de 46,51,59,60* Furetiére, Antoine 14, 53*, 55, 57* Goethe, Johann Wolfgang von 61,80 Gomberville, Marin le Roy de 12 Graf, H. G. 61* Guarini, Battista 12 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 37, 72, 79*, 81*, 84 Hess, Gerhard 13*, 21, 27*, 39*, 40*, 42*, 50*, 70*, 75*, 78* Huet, Pierre-Daniel 14, 53, 54*, 62*, 74 Hunter, A.C. 48*, 53* Kahler, Erich 16* Koch, Rolf 42* Kok, Arend 14* Köhler, Erich 55* Krauss, Werner 12*, 13, 45*, 54, 56*, 60*

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La Bruyère, Jean de 53, 56* La Calprenède, Gauthier de Coste 12, 53 Lafayette, Marie Madeleine de 7 fi Lafontaine, Jean de 12 La Rochefoucauld, François de 21, 62*, 63, 70 Le Bossu, Père 75* Leitzmann, A. 61* Lugowski, Clemens 67, 79, 80*, 84 Lukács, Georg 38, 45* Magendie, Maurice 44* Magne, Emile 18*, 52* Marivaux, Pierre de 57* May, Georges 15, 48*, 50* Ménage, Gilles 62* Molière 12 Montemayor, Jorge de 12 Morrisette, B. A. 10*, 56* Pascal, Biaise 49 Petriconi, Hellmuth 12*, 57*, 68* Pizzorusso, Arnaldo 15*, 74*, 75* Planhol, René de 39* Poulet, Georges 19*, 66 Prévost, Antoine François P. d'Exilés 69* Prod'homme, J.-G. 51*, 59* Racine, Jean 69*, 70* Reynier, Gustave 70 Rudler, G. 42* Saint-Evremond, Charles de 39 Saint-Réal, Abbé de 49 Scarron, Paul 14 Scott, J. W. 75* Scudéry, Georges de 13 Scudéry, Madeleine de 12, 53, 67* Segrais, Jean de 15, 62*, 81 Sévigné, Marie de 51, 56* Sorel, Charles 11, 13, 53* Stackelberg, Jürgen von 87* Stendhal 45 Schalk, Fritz 49* Schiller, Friedrich von 61 Tasso, Torquato d'Urfé, Honoré

12 12, 52*

Valincour, J.-H. du Trousset de Villars, Abbé de 17

10, 42, 43, 44, 46*, 50*, 51, 57, 75*, 77, 83, 84

Villedieu, Mme de (Marie-Cathérine Desjardins) Waldberg, Max Frh. von 90

46*

10, 16, 48, 56*

INHALT Vorwort I. Roman und geschichtliche Wirklichkeit im 17. Jahrhundert . . . . II. Die psychologische Struktur der Princesse de Clèves III. Die Charaktere

7 9 19 37

IV. Das Geständnis

51

V. Der Verzicht

63

VI. Die Form der Individuation Register

72 89