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German Pages X, 139 [146] Year 2020
Mario Donick
Let‘s Play! Was wir aus Computerspielen über das Leben lernen können
Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter
Reihe herausgegeben von Mario Donick Magdeburg, Deutschland Uta Buttkewitz Universität Rostock Rostock, Deutschland
Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft – das ist nicht bloß eine Behauptung von Wissenschaft und Medien, sondern wir alle erleben das jeden Tag. Daraus ergeben sich wichtige Fragen für unseren Alltag: Wie verändern sich menschliche Beziehungen? Welchen Stellenwert hat heutzutage noch das ‚alte‘ Analoge? Wie können wir mit Künstlicher Intelligenz leben? Wo bleibt der weibliche Blick auf die Digitalisierung? Wie verändern sich Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse? Was heißen Inklusion und Diversität in einer ‚smarten‘ globalen Gesellschaft? Die Texte dieser Reihe laden die Leser*innen ein, ihre persönliche Betroffenheit von der Digitalisierung zu erkennen, über den eigenen Umgang damit nachzudenken und am Ende einen eigenen Standpunkt zu entwickeln. Dazu geben Autor*innen verschiedener Wissenschaftsdisziplinen den Leser*innen gut verständliche Hintergrundinformationen zu den einzelnen Themen. Leser*innen erhalten nützliche Hinweise für ihren Alltag. Es werden Wege durch das Dickicht der ständig neuen technologischen Entwicklungen aufgezeigt, um Leser*innen zu unterstützen, souverän und selbstbestimmt durchs Leben zu gehen – ohne sich durch die digital entstandene neue Komplexität der Welt aus der Ruhe bringen zu lassen. Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16387
Mario Donick
Let’s Play! Was wir aus Computerspielen über das Leben lernen können
Mario Donick Magdeburg, Deutschland
ISSN 2662-3560 ISSN 2662-3579 (electronic) Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter ISBN 978-3-658-30214-6 ISBN 978-3-658-30215-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung: Sybille Thelen Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
VORWORT
selbst nicht zu beunruhigen. „Spiel' nicht wieder so lange!“ ist eine typische Bie besorgter Eltern und Lebenspartner*in‐ nen, die zwar durchaus Berechtigung ha‐ ben kann, aber o doch nur in diffuser Sorge geäußert wird, während das die Sorge auslösende Objekt gar nicht be‐ kannt ist. Dieses Buch trägt den Titel „Let's Play!“ und heißt damit so wie die Kate‐ gorie von Videos auf YouTube & Co., in denen wir Spieler*innen beim Spielen zu‐ schauen können. Das Buch ist eine Einla‐ dung und Aufforderung zum Selber-Spie‐ len und damit ein Versuch, Vorurteilen zu begegnen. Das Buch will Sie dazu ver‐ ühren, selbst zu spielen, damit Sie wis‐ sen, wovor Sie sich, Ihre Kinder, ihre*n Partner*in oder Ihre Freund*innen schüt‐ zen wollen, oder was Sie verpassen. Aber es geht diesem Buch nicht dar‐ um, Spielen um jeden Preis zu verherrli‐ chen. Im Gegenteil gibt es durchaus frag‐ Aspekte, ich an würdige die entsprechender Stelle klar benenne und
Auch im bald ausgehenden zweiten Jahr‐ zehnt des 21. Jahrhunderts haben Com‐ puterspiele und die intensive Beschäi‐ künstlich virtuellen, mit gung hergestellten Welten einen unverdient schlechten Ruf. Nicht selten hört man immer noch Aussagen wie die folgende: „Ich spiele keine Computerspiele, und meine Kinder halte ich davon auch fern.“ Menschen, die diese Medien nicht selbst nutzen, sind besorgt um das Wohl‐ ergehen derjenigen, die spielen – die scheinbar zu viel spielen, das Falsche spielen oder auf die falsche Weise spie‐ len. Publikumswirksam warnen meist äl‐ tere Wissenschaler vor der angeblichen Verdummung durch digitale Medien, auf eine populistische Weise, die ihrer eige‐ nen Ausbildung nicht würdig ist. Aktio‐ nistisch wird immer noch die KillerspielDebae hervorgeholt, wenn es irgendwo eine Gewalat gibt, zu deren Klärung man lieber nicht zu tief in die wirklichen Probleme der diese Tat ördernden Ge‐ sellscha eindringen möchte, um sich V
kritisiere, etwa unhinterfragte kapitalis‐ tische Wachstumsvorstellungen (vgl. Ka‐ pitel 8.1), Krieg und Gewalt als ema und Aktivität (vgl. Kapitel 8.2 und 8.3) oder struktureller Sexismus und Rassis‐ mus (vgl. Kapitel 2.4). Ich schließe mich auch nicht jenen an, die jedes Computerspiel unbedingt als Kunstwerk begreifen wollen. Die meisten Computerspiele sind als Unter‐ haltungsprodukte gedacht. Als solche sind sie zwar o herausragendes Kunst‐ handwerk (sie sehen toll aus, klingen gut, haben eine spannende Handlung, und idealerweise eine interessante Spielmechanik), aber ohne die Mehrdeutigkeit und Offenheit, die Kunst ausmachen. Ich möchte jedoch zeigen, welche Möglich‐ keiten wir verschenken, wenn wir Com‐ puterspiele als festen Bestandteil unserer Kultur ignorieren, als bloßes Kinderspiel‐ zeug abtun oder grundsätzlich als Gefahr missverstehen. Ich will zeigen, dass Spielen an PC und Spielekonsole uns Erkenntnisse über unser Leben und unsere Wirklichkeit auf eine Weise vermieln kann, wie es ande‐ re Medien nicht können, und dass wir et‐ was Wertvolles verpassen, wenn wir Spiele nicht ernstnehmen. Die Geschich‐ ten, die in Spielen erzählt werden, die Darstellungsformen, mit denen die Ge‐ schichten gezeigt werden und die Spiel‐ mechaniken, mit denen die Formen be‐ nutzt und erkundet werden, sind Ausdruck der Menschen in der Gesell‐ scha, in der sie erdacht, produziert und rezipiert werden. Hieraus lässt sich viel über diese Gesellscha und deren Um‐ gang mit der Wirklichkeit lernen. Dies muss nicht immer ein erwünschtes Ge‐ sellschasbild sein. Indem Spiele existie‐ ren, reproduzieren sie Sichtweisen, die in der Gesellscha vorhanden sind. Dies gilt vor allem ür den kommerziellen Main‐ stream, der auf wirtschalichen Erolg angewiesen ist. Dagegen sind sogenannte Kritische Spiele (vgl. Kapitel 6.5), die Missstände anprangern, noch selten oder relativ unbekannt. VI
Im Einzelnen behandeln wir folgende emen: • SPIELEN ALS HANDELN: Wie verhält sich unser Handeln als Spieler*in zu den Regeln eines Computerspiels? Und sind wir, mit Erich Fromm gespro‐ chen, beim Computerspielen nicht bloß ‚geschäig‘ sta in einem nach‐ haltigeren Sinne ‚tätig‘? • SPIELEN ALS KREATIVES PROBLEMLÖSEN: Welche Art von Problemen stellen Computerspiele uns oder stellen wir uns in Spielen? Warum macht es in Computerspielen Spaß, immer wie‐ derkehrende, o ähnliche, Probleme zu lösen? Und wie verändern Spie‐ ler*innen Spiele, um sie an ihre eige‐ nen spielerischen und gesellschali‐ chen Bedürfnisse anzupassen? • SPIELE UND KOMMUNIKATION: Wie hängt die Benutzung von Spielen mit Kom‐ munikation zusammen? Was ist das Besondere bei der Kommunikation von Spieler*innen untereinander, wenn sie gemeinschalich Abenteuer erleben? Und können Spiele Kommen‐ tar zu unserer Gesellscha sein? • SPIELEN UND WAHRNEHMUNG: Welche Bedeutung haben Raum und Ort ür die Wahrnehmung von Atmosphäre im Spiel? Welche leiblichen Regungen können Spiele hervorrufen? • SPIELE UND WIR SELBST: Wie finden wir uns selbst in einem Computerspiel wieder? Was sagen uns Spiele über uns selbst, und wie lassen Spiele uns hinterher, nach dem Spielen, zurück? • TRÄUME AUSLEBEN: Welche Möglichkei‐ ten gibt es in Spielen, Dinge zu tun, von denen wir sonst o nur träumen können – von der Traumreise über den Traumberuf bis zum Traum von einer besseren Welt? • ALBTRÄUME ERLEBEN: Welche Szenarien erleben wir in Computerspielen, die wir sonst eigentlich sicher in das Reich der Albträume verbannt haben? Wie erleben wir dies leiblich und atmosphärisch?
• WACHSTUM, GEWALT UND K RIEG: Welche Fragen werfen Szenarien auf, in denen wir des Spielziels wegen Handlungen vollziehen, die in der echten Welt längst als schädlich ür Gesellscha und Umwelt gelten – angefangen bei kapitalistischer der Verstetigung Wachstumsideale, über die Idealisie‐ rung klimaschädlichen Verhaltens wie dem Fliegen bis hin zur häufig vor‐ handenen Gewalt in Computerspie‐ len? • SPIELE UND DIE ‚CONDITIO HUMANA‘: Was also lernen wir aus Computerspielen über den Zustand der Menschheit ins‐ gesamt, wie sie sich uns als spielende Individuuen präsentiert? All diese emen diskutiere ich anhand zahlreicher konkreter Spiele. Wir wan‐ dern durch herrliche Landschaen und betreten düstere Gemäuer. Wir fliegen mit dem Flugzeug und erkunden den Weltraum. Wir schreiben Weltgeschichte um und reisen in die Zukun. Das Pan‐ orama, das sich dabei ergibt, ist bunt und weitläufig. Dieses Buch ist daher auch ein Reiseührer durch die Welt der Spiele. Aber wie bei jeder Reise können wir nicht jede Sehenswürdigkeit besuchen. Die emen, Motive und Geschichten in Computerspielen sind zu zahlreich, als dass ich auf alles eingehen könnte, denn der Umfang dieses Buchs ist begrenzt. Die Auswahl der Spiele ist zudem subjek‐ tiv. Ich schreibe vor allem über Titel, die ich entweder selbst seit langer Zeit spie‐ le, oder die erst kürzlich großen Eindruck auf mich gemacht haben. Es geht also nicht darum, so etwas wie einen Kanon festzulegen und auch nicht darum, so et‐ was wie ‚die 50 besten‘ Spiele zu küren. Alle aufgenommenen Titel stehen stell‐ vertretend ür einen riesigen Markt zwi‐ schen Kommerz und (vielleicht, das ist wie erwähnt umstrien) Kunst. Dabei ällt mit Sicherheit der eine oder andere Titel unter den Tisch, den Sie, ihre Kin‐ der oder Ihre Freund*innen selbst gerne spielen. Und wenn dieses Buch erscheint, VII
sind wahrscheinlich schon wieder neue bemerkenswerte Titel erschienen, die es wert wären, diskutiert zu werden. Für diese subjektive Perspektive und die Ent‐ scheidung, nicht krampa den gerade aktuellen Hype um ein Spiel mitgehen zu wollen, bie ich um Verständnis. Ich denke, dass die Grundaussagen des Bu‐ ches in ähnlicher Weise auch auf andere als die diskutierten Beispiele angewandt werden können. Das Buch häe seinen Zweck erüllt, wenn skeptische Leser*in‐ nen am Ende einmal selbst mit Neugier in Spiele hineinschnuppern, und diejeni‐ gen, die Spiele bisher als reine Unterhal‐ tung angesehen haben, sich auf die tiefere Bedeutung dieses Mediums ein‐ lassen.
Danksagung Diese Reise wäre nicht möglich ohne die vielen Spiele-Entwickler*innen der letz‐ ten gut dreißig Jahre. Dieses Buch soll auch meine Wertschätzung ihnen gegen‐ über zum Ausdruck bringen. Sybille elen vom Springer-Verlag danke ich ür die unkomplizierte Zusam‐ menarbeit und ihre Geduld. der Co-Herausgeberin Meiner Buchreihe und Zeitschri Über/Strom (ueberstrom.net) Uta Bukewitz danke ich ür ihr Feedback zu teilweise im Stundentakt übersandten Kapitelentwür‐ fen. Ganz besonders aber danke ich Wiebke Schwelgengräber ür Motivation, Lob, Kritik und Lektorat. Mario Donick Magdeburg, Juli 2020
INHALT
1 Spielen als Handeln......................................................................................................1 1.1 Spielregeln und Spielmeanik...............................................................................1 1.2 Gesäigkeit oder Tätig-sein?..............................................................................7 1.3 Wandern statt Probleme lösen?............................................................................10
2 Kreatives Problemlösen.............................................................................................15 2.1 Aufbauen, Verwalten und Wasen.....................................................................15 2.2 Konflikte als spielerises Problem......................................................................18 2.3 Von New York na Miami: Flugsimulation als Planumsetzung.......................24 2.4 Kreative Erweiterung dur Mods.......................................................................29 2.4.1 Das Potenzial.................................................................................................................29 2.4.2 Mods und Gesellschaskritik....................................................................................30 3 Kommunikation..........................................................................................................35 3.1 Mens-Soware-Kommunikation.......................................................................36 3.2 Konstruktion der Wirklikeit..............................................................................40 3.3 Kommunikation für Kooperation.........................................................................43 3.4 Kommunikation als Selbstzwe..........................................................................47 3.5 Spiele als Kommentar.............................................................................................51 4 Wahrnehmung.............................................................................................................53 4.1 Räume und Orte......................................................................................................53 4.2 Atmosphäre und Leib.............................................................................................58 4.3 Der Leib in Raum und Situation...........................................................................60 4.3.1 Ein-/Ausleibung und Bewegung...............................................................................60 4.3.2 Situation und Immersion............................................................................................64 5 Spiele und wir selbst...................................................................................................67 5.1 Wie erleben wir uns beim Spielen?......................................................................67 5.2 Wie lassen Spiele uns zurü?...............................................................................70 5.3 Aufnehmend oder söpferis?..........................................................................72
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6 Träume ausleben.........................................................................................................75 6.1 Die Stadt meiner Träume.......................................................................................75 6.2 Traumberuf..............................................................................................................78 6.3 Der Traum vom Fliegen.........................................................................................78 6.4 Traumurlaub............................................................................................................81 6.5 Der Traum von einer besseren Welt.....................................................................84 7 Albträume (üb)erleben...............................................................................................91 7.1 Vergessen.................................................................................................................92 7.2 Verdrängt.................................................................................................................94 7.3 Verstört....................................................................................................................98 8 Wachstum, Gewalt und Krieg.................................................................................101 8.1 Wastum und Nahaltigkeit............................................................................102 8.1.1 Unendliches Wachstum?...........................................................................................102 8.1.2 Grenzenlos über den Wolken?.................................................................................105 8.2 Gewalt in Spielen..................................................................................................106 8.2.1 Gewalt als Natur des Menschen?............................................................................106 8.2.2 Symbol ür echte Gewalt?........................................................................................107 8.3 Krieg als Szenario.................................................................................................110 8.3.1 Hintergrund.................................................................................................................110 8.3.2 Eine verborgene, ‚dunkle‘ Seite?.............................................................................114 8.3.3 Neue fragwürdige Einstellungen?..........................................................................116 9 Spiele und die ‚Conditio Humana‘........................................................................119 9.1 Leitdifferenzen......................................................................................................119 9.2 Lust am Spiel?.......................................................................................................121 9.3 Ete Held*innen?................................................................................................123 9.4 Menssein............................................................................................................126 9.5 Anders spielen......................................................................................................131 Literatur.........................................................................................................................133 Spiele...............................................................................................................................137 X
1 SPIELEN ALS HANDELN
1.1 Spielregeln und Spielmechanik Wenn wir über Spiele reden, dann müs‐ sen wir über Spielregeln sprechen. Die Regeln umgrenzen den „Zauber‐ kreis“ (Huizanga 2009, 20) des Spiels – sie definieren, was zum Spiel gehört und was nicht. Sie setzen den Rahmen, der erlaubte von unerlaubten Handlungen trennt. Spielregeln können spontan aus‐ gehandelt werden, was wir gut bei spie‐ lenden Kindern beobachten können. Bei sehr alten oder in einer Gesellscha sehr verbreiteten oder bedeutsamen Spielen wurden die ausgehandelten Regeln ir‐ gendwann kodifiziert, sodass die Regeln in ihrer Bedeutung fast an Gesetzestexte heranreichen können. Wir alle kennen Spiele, die wir sehr ernst nehmen. Bei Spielen, die von professionellen Spieleentwickler*innen hergestellt wer‐ den, sind die Regeln von diesen festge‐ legt. Bei nichtdigitalen Spielen kann man diese Regeln leicht umgehen, verändern oder ersetzen. Bei Computer- und Video‐
spielen liegt diese Freiheit in der Hand ihrer Entwickler*innen. Spielregeln sind Teil der Spielmechanik. Sie sind in pro‐ grammierte Algorithmen gleichsam ein‐ geschrieben oder sie ergeben sich logisch zwingend aus bestimmten Programmpa‐ rametern. Wenn Entwickler*innen hier nicht selbst verschiedene Spiel- oder Re‐ gelmodi anbieten, kann es als Spieler*in aufwendig sein, den vorgegebenen Regel‐ rahmen zu verlassen (vgl. hierzu Kapitel 2.4 zur Kreativität des ‚Moddens‘). Die im Vergleich zum Alltagsleben sehr klar abgegrenzten Regeln eines Spiels stellen sicher, dass jede*r weiß, welche Handlungen erlaubt und verboten sind. Die eine Handlung ist ein gültiger Spielzug, die andere Handlung ist ‚schummeln‘ oder ‚cheaten‘. So etwas kennen wir auch im normalen Alltag. Manche Handlungen sind verboten, weil sie anderen Menschen, individuell oder als Gesellscha, schaden (oder weil sie von einer im Vergleich zur einzelnen Per‐ son mächtigen Instanz als schädlich defi‐
1 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_1
interessant, weil sie die Frage berührt, wie wir uns zu dem Stück Soware, die ein Spiel ja darstellt, positionieren. Plaka‐ tiv gefragt: Steuern wir die Soware oder steuert die Soware uns? Macht uns ein Spiel abhängig, weil wir darin nur mög‐ lichst viel Geld ausgeben sollen? Macht uns ein Egoshooter zu Mördern, weil er in uns niederste Instinkte weckt? Bildet uns eine Militärsimulation oder ein Stra‐ tegiespiel zu Soldat*innen aus, die sich vom Staat bereitwillig ür Kriege ein‐ spannen lassen? Werden wir durch Wirt‐ schassimulationen zu überzeugten Ka‐ pitalist*innen? Fragen wie diese sind fast schon Klischees und wir werden sicher nicht einfach zu Gewalätern werden, nur weil wir etwa ein Kriegs- oder Hor‐ rorspiel spielen (vgl. Kapitel 8). Dennoch kann man darüber sprechen, ob die Art des konkreten Umgangs mit einem Com‐ puterspiel ein im Regelrahmen freies Handeln erlaubt oder ob es sich doch eher um ein (von außen betrachtet wo‐ möglich irritierendes) Verhalten handelt.
niert werden). Wer verbotene Handlun‐ gen begeht, bewegt sich außerhalb des allgemein akzeptierten Rahmens und ist Sanktionen ausgesetzt. Wenn ich hier vom „Handeln“ schrei‐ be, dann grenze ich es gedanklich von bloßem Verhalten ab. Ganz grob kann man Handeln als beabsichtigtes (inten‐ tionales) Verhalten beschreiben. Wenn ich morgens nach dem Aufwachen gäh‐ ne, dann verhalte ich mich. Wenn ich mir fast automatisiert, ohne viel Nachdenken, die Zähne putze, bin ich an der Grenze von Verhalten und Handeln. Wenn ich aktiv beschließe, diesen Morgen gar nicht aufzustehen, handle ich. Die Gren‐ ze ist fließend und wird nicht allein durch uns selbst bestimmt. Andere Men‐ schen können bloßem Verhalten auch Absichten unterstellen, und man kann versuchen, bewusstes Handeln als verse‐ hentliches (Fehl)verhalten zu kaschieren, wenn es zu Schwierigkeiten ührt. Bei Computerspielen ist die Unter‐ scheidung von Handeln und Verhalten
DER MENSCH ALS HOMO LUDENS
Sie vollziehen Handlungen, die dem Spielen ähneln, aber sie spielen nicht.
In „Homo Ludens“ beschreibt Johan Huizinga (1872-1945) Menschen als spielende Wesen: „Die großen ursprünglichen Betätigungen des menschlichen Zusammenlebens sind alle bereits vom Spiel durchwoben“ (Huizinga 2009, 12). Das sind Sprache, Mythen und Kulte (ebd., 13), die Grundlage von „Recht und Ordnung, Verkehr, Erwerb, Handwerk und Kunst, Dichtung, Gelehrsamkeit und Wissenscha “ (ebd.) seien.
Zweitens steht das Spiel außerhalb des normalen Alltags. Es dient nicht der Befriedigung unserer Grundbedürfnisse (ebd., 17f). Es ist daher drittens durch Zeit und Raum vom Alltag abgegrenzt (ebd., 18). Insbesondere dem „Spielplatz“ (ebd., 19) misst Huizinga große Bedeutung zu. In ihm „herrscht eine eigene und unbedingte Ordnung“ (ebd.), die wir in den Spielregeln finden. Wenn wir die Regeln nicht akzeptieren, „stürzt die Spielwelt zusammen“ (ebd., 20).
Spiel ist immer „freies Handeln“ (ebd., 16). Sobald man zum Spiel gezwungen wird, ist es kein Spiel mehr. Heute können wir an sogenannte Goldfarmer*innen denken, die dafür bezahlt werden, in Online-Spielen wie World of Warcra virtuelle Währung und Güter zu erwirtscha en.
Daher sind Spielverderber*innen so unbeliebt. Sie „enthüll[en] die Relativität und Sprödigkeit der Spielwelt“ (ebd.) und „bedroh[en] die Spielgemeinscha “ (ebd.) 2
Abb. 1.1 In der Civilization-Serie (seit 1991, im Bild Civilization V, 2010) lenken wir die Geschicke eines Volkes von der Antike bis in die nahe Zukun . Die komplexen Regeln verschwinden hinter einfachen Benutzeroberflächen. So konzentrieren wir uns auf die gespielte Rolle: Wir entdecken neues Land, gründen Städte, forschen, treiben Handel und sind Diplomaten oder Krieger – seit Jahren immer wieder „nur noch eine Runde“ …
Darauf können die Spieler*innen dann wieder erzählerisch reagieren. In Computerspiel-Versionen von Rol‐ lenspielen werden andere Personen und die Erzählerrolle vom Computer darge‐ stellt. Sta sich die Landscha vorzustel‐ len oder in Papierform auf Landkarten vor sich zu sehen, bewegt man als Spie‐ ler*in eine grafische Darstellung der Spielfigur(en) durch eine o hochdetail‐ lierte Darstellung der Spielwelt. Sta sprachlich auszudrücken, welche Hand‐ lungen die eigene Spielfigur in einer Si‐ tuation vollührt, steuert man die sicht‐ bare Spielfigur durch eine begrenzte Zahl von Eingabemöglichkeiten, zum Beispiel Tasten auf der Tastatur oder Maus, oder Knöpfen auf einem Gamepad/Controller. Obwohl im Hintergrund dieselben Spiel‐ regeln wie im traditionellen Rollenspiel wirken können, bekommt man als Spie‐ ler*in davon kaum etwas mit, weil die Darstellung und Bedienung das nicht er‐ fordern (ein bekanntes Beispiel daür ist die Baldur’s Gate-Serie). Diese Spiele be‐
Neben den eigentlichen Spielregeln sind daür in vielen Fällen auch die Darstel‐ lung des Spiels und seine Bedienung wichtig. Während ein traditionelles Brespiel wie Dame oder Schach noch relativ einfach umsetzbar ist – man zeigt das Spielbre und die Figuren, und er‐ laubt es den Spieler*innen, die Figuren zu bewegen – erfordern komplexere Spiele mehr Aufwand. Nehmen wir beispiels‐ weise ein Pen and Paper-Rollenspiel wie Dungeons and Dragons. Das wird norma‐ lerweise von mehreren Menschen ge‐ spielt, die sich persönlich treffen, um in einer Fantasywelt gemeinsam Abenteuer zu erleben. Dabei wird einerseits viel Fantasie benötigt, denn Handeln in ei‐ nem Rollenspiel wird vor allem erzählt – in gewisser Weise ähnelt dies Improvisa‐ tionstheater. Damit es aber nicht willkür‐ lich wird, werden bestimmte Situationen durch komplexe Kampf- und Magieregeln kontrolliert. Dabei werden Zahlenwerte berechnet, verglichen und durch einen würfelbasierten Zufallsfaktor beeinflusst. 3
SPIEL ODER FILM?
sind (vgl. Bogost 2017). Denn das prägt die Erwartungen der Spieler*innen.
Bei manchen Spielen stehen zu lösende Probleme im Fokus. Andere wollen eine mitreißende Geschichte erzählen. Letztere ist o linear, unser Einfluss als Spieler*in begrenzt. Zwar können Spiele mit linearer Story zu einigen der nachhaltigsten emotionalen Erfahrungen führen – bei mir selbst war das unter anderem bei Final Fantasy 7 (1997), Life is Strange (2015) und Eliza (2019) so. Aber manchmal ist das so interaktionsarm, dass man es kaum Spiel nennen kann.
Wenn vor allem Spiele erfolgreich sind, die eigentlich lieber Filme wäre, glauben wir, das wäre normal und sehen gar nicht, was Spiele eigentlich könnten. Der Designer und Blogger Fabian Fischer drückt das so aus: „Indem sie ihr Dasein als Spiel gewissermaßen ganz und gar aufgeben, bringen sie den Spieler dazu, die Erwartung der eigentlichen Kerneigenscha – zumindest unbewusst – ebenfalls abzulegen. Das Spiel wird zum Film und sein qualitatives Potenzial steigt daher nun mit sinkender Interaktivität“ (Fischer 2013). Die Kritik geht letztlich dahin, dass das Besondere des Mediums Spiels verloren geht (oder gar nicht erst entdeckt und entwickelt wird), wenn Spiele wie Filme gemacht werden.
Einige Spieldesigner*innen und Forscher*innen fordern, dass sich Spiele auf ihren Kern konzentrieren sollten, nämlich die Interaktivität, statt sich an Erzählungen zu versuchen, die im Vergleich zu Film und Roman bestenfalls mittelmäßig
ßen, ich könnte eine schlagende Figur dramatisch von oben einfliegen lassen, ich könnte mit den Figuren Gesten voll‐ ühren, die meine*n Gegner*in verhöh‐ nen oder ich könnte gefangene Figuren scheinbar nervös in der Hand rollen, um meine*n Gegner*in in falscher Sicherheit zu wiegen – in einer Computerumset‐ zung kann ich die Figuren in der Regel nur auf einem exakt vorgegebenen Bewe‐ gungspfad von A nach B bewegen, und wenn eine Figur geschlagen wird, wird sie in immer derselben Weise automa‐ tisch vom Spielbre entfernt. Man könn‐ te sagen: Effizienz schlägt Spielerei. Je nach Genre kann der Effizienzge‐ danke ins Extrem gehen, sodass ich ei‐ gentlich gar nichts mehr tue: Es gibt Handyspiele, die spielerisch so simpel ge‐ strickt sind, dass das ‚Spielen‘ darin be‐ steht, die immer selben Klicks oder Ges‐ ten auszuühren, auf die dann automatisch irgendwelche ‚Belohnungen‘ erfolgen (und die es o umso schneller gibt, je mehr echtes Geld ich investiere).
sitzen an sich sehr komplexe Regeln, sind aber sehr ‚massenkompatibel‘ gestaltet. Man kann sie spielen und mit ihnen Spaß haben, ohne die Regeln im Detail zu ken‐ nen. Dabei verschwimmt aber die Grenze von bewusstem Handeln (Was will ich tun? Wie will ich es tun?) und intuitivem Verhalten (ich tue es einfach) – man „in‐ ternalisiert die Logik des Programms“, wie es Ted Friedman einmal in Bezug auf das Strategiespiel Civilization (Abb. 1.1) formulierte (Friedman 1998). Dies tri zwar auf jedes Spiel zu (auch im Schach gibt es Momente, die gleichsam automa‐ tisiert stafinden), aber Computerspiele sind davon besonders betroffen. Ihre Lo‐ gik sind eben nicht nur die Spielregeln. Auch ihre Darstellung und Bedienele‐ mente sind programmiert und diesen Rahmen kann ich regulär nicht verlassen, obwohl ich es im ‚echten‘ (Nicht-Com‐ puterspiel) könnte. In einem echten Schachspiel etwa könnte ich, wenn ich wollte, geschlagene Spielfiguren umsto‐ 4
Auffassungsgabe und Reaktionsähigkeit. Ein beliebtes Beispiel ist StarCra, das auch professionell als E-Sport betrieben wird. Selbst ein Shooter muss nicht stumpfes ‚Geballer‘ sein, sondern kann planvolles Vorgehen verlangen, beispiels‐ weise das Spiel ArmA 3, das mehrere Spieler*innen gemeinsam spielen. Ist eine der Seiten (Denksport oder Reaktions‐ test) grundsätzlich besser als die andere? Die Antwort auf diese Frage hängt von der Perspektive ab, die wir einneh‐ men. Wenigstens drei davon möchte ich unterscheiden:
Meine Aktivität ist in solchen Spielen mechanisiert, wie bei einem simplen Reiz-Reaktions-Experiment: ein blinken‐ des Symbol – eine Berührung (aber auch, etwa in einfacheren Shootern: ein Geg‐ ner – ein Schuss). Das kann kurzzeitig ablenken und ähnelt in seiner Wirkung vielleicht einer anspruchslosen Fernseh‐ serie, ühlt sich aber auf Dauer sehr schal an. In einem Strategiespiel hingegen den‐ ke ich mitunter minutenlang über den nächsten Zug nach. Auf solche Spiele kann man den vom Schach bekannten Begriff ‚Denksport‘ anwenden. Computerspiele decken also eine Spannbreite zwischen beiden Extremen ab. Rundenweise gespielte Strategie- und Taktikspiele mit Kriegsthematiken von Antike bis Moderne stellen anspruchs‐ volle Denkaufgaben bereit. Sie erinnern mitunter an eine Mischung aus Risiko und Schach. Echtzeitstrategiespiele um‐ fassen ebenfalls Denksportformen, ver‐ langen aber wegen des schnellen Spiel‐ tempos auch eine sehr gute
• Man kann die Frage direkt als sinnlos ablehnen, wenn man davon ausgeht, dass Spiele vor allem unterhalten sol‐ len: Solange sie Spaß machen, ist es egal, ob die beim Spiel genutzten Denkleistungen und Handlungsfor‐ men einfach oder komplex sind. In dieser Perspektive ist ein Spiel ein gu‐ tes Spiel, wenn es Spaß macht, und ob es das tut, ist letztlich subjektiv.
Abb. 1.2 Spiele mit historischem Schauplatz werden o mit Hintergrundinformationen ausgestattet, die wir uns während (oder statt) des Spieles anschauen können. Sehr atmosphärisch ist das in Assassin‘s Creed: Odyssey (2018). In zahlreichen geführten Touren erkunden wir wichtige historische Schauplätze, erfahren eine Menge historische Fakten und beantworten anschließend Quizfragen zu den vermittelten Inhalten.
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• Man kann die Frage auch einfach nach einem Nützlichkeitseffekt beurteilen: Lernt man etwas bei dem Spiel, das auch außerhalb des Spiels hilfreich ist? Gerade ein Begriff wie Denksport suggeriert so etwas, wenn man davon ausgeht, dass die Fähigkeit zur strate‐ gischen Planung oder zum logischen Schließen generell erstrebenswert ist. Manche kommerziellen Spiele, etwa das erfolgreiche Assassins Creed: Odyssey (2018, Abb. 1.2), haben einen speziellen Modus zur Vermilung his‐ torischen und kulturellen Hinter‐ grundwissens. Und es gibt spezielle Lernspiele, die etwa schulische oder universitäre Lerninhalte vermieln sollen (Game Based Learning). In die‐ ser Perspektive ist ein Spiel ein gutes Spiel, wenn es uns etwas Nützliches beibringt. • Man kann die Frage aber auch disku‐ tieren hinsichtlich der Weltflucht, die Spiele erlauben (Eskapismus). Eine es‐ kapistische Beschäigung mit einem Computerspiel erlaubt es, dass wir uns nicht uns selbst, unserem Inneren, zuwenden müssen, ähnlich wie es der Psychoanalytiker Erich Fromm vor langer Zeit ür die moderne Gesell‐ scha festgestellt hat. Menschen häen, so Fromm in einem 1976 ge‐ haltenen Radiovortrag, heute „Angst vor allem möglichen: vor sich, vor der Sinnlosigkeit des Lebens, vor der Kon‐ kurrenz“ (Fromm 2016). Diesen Ängs‐ ten wollen sich die Menschen nicht stellen, weswegen sie sich ablenken, vor allem mit Arbeit, aber auch mit Freizeitbeschäigungen: „man muss nur geschäig sein; nur keinen stillen Moment haben, denn dann kommt die Angst zum Vorschein“ (ebd.) In dieser Perspektive ist ein Spiel ein gutes Spiel, wenn es uns von diesen Proble‐ men ablenkt.
nen Gesellschaen der ‚westlichen‘ Staa‐ ten (die der Soziologie Dirk Baecker ein‐ mal treffend als „Computergesellscha“ bezeichnet hat, Baecker 2007). In diesen Gesellschaen ist vieles offen und ver‐ handelbar, früher gültige Gewissheiten hinsichtlich Berufsleben, Familienbild, politischen Ausrichtungen und anderer Faktoren sind heute im Fluss. Dement‐ sprechend sind auch die Regeln des Zu‐ sammenlebens nicht immer eindeutig er‐ kennbar und es ist ür viele Menschen unklar, was auch nur die mielfristige Zukun bringt, etwa in Bezug auf den ei‐ genen Job und die eigene Familie. Das Regelwerk eines Computerspiels ist gegenüber dem der Gesellscha über‐ schaubar, und die möglichen Entwicklun‐ gen innerhalb des Spielrahmens sind be‐ grenzt. Eine Gesellscha hat neben den offiziellen Regeln auch viele ungeschrie‐ bene Gesetze, die man kennen muss, die aber heute je nach Kontext sehr vielältig bis widersprüchlich sein können. Man muss o auch ihre Geschichte kennen, um ihren Sinn völlig erfassen zu können. Die Regeln, Erzählungen und Kontexte eines Spiels sind im Vergleich leicht ver‐ stehbar. Entweder gibt es gar keine Er‐ zählung im Spiel, sondern nur das eigent‐ liche Spiel, oder es gibt klare Heldenfiguren und Erzählungen, die das spielerische Handeln in einen überschau‐ baren Kontext been, in dem es o ein Richtig und Falsch gibt, ein Gut und Bö‐ se. Auf jeden Fall aber gibt es klare Ziele und das Erreichen dieser Ziele ühlt sich befriedigend an. Beim Spielen kann man daher das Geühl entwickeln, ‚die Dinge‘ unter Kontrolle zu haben, man kann Selbstwirksamkeit erleben. Wenn es ei‐ nem Spiel gelingt, dass wir uns selbstwirk‐ sam erleben, ist es – in dieser Perspektive – ein gutes Spiel. Das spielerische Erleben von Selbst‐ wirksamkeit kann uns Selbstvertrauen ür Situationen außerhalb des Spiels ge‐ Der letzte Punkt gilt heute umso mehr ben. Aber es kann uns in seiner Ge‐ ür die von viel größeren Ungewissheiten schäigkeit auch vom Wesentlichen des als früher gekennzeichneten postmoder‐ Menschseins ablenken. 6
– Sid Meier, bekannter Spieleentwickler (u.a. Civilization)
„DIE FREUDE AM ENTDECKEN IST EINE DER FUNDAMENTALSTEN FREUDEN DES SPIELENS SELBST.“ – Derek Yu, Entwickler von Spelunky
„DIE VIELZAHL DER OPTIONEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN MODERNER COMPUTERSPIELE ERZEUGT STRENGE REGELGEFÄNGNISSE.“ – Christian Huberts, Kulturwissenscha ler und Autor (Huberts 2010)
Zwischen Arbeit und Freiheit
„EIN SPIEL IST EINE REIHE BEDEUTSAMER ENTSCHEIDUNGEN.“
„SPIELE MACHEN UNS GLÜCKLICH, WEIL SIE HARTE ARBEIT SIND, DIE WIR UNS SELBST AUSSUCHEN.“ – Jane McGonigal, Spieleentwicklerin und Autorin
1.2 Geschä igkeit oder Tätig-sein?
den Reihen Civilization und Europa Universalis; und in unzähligen weite‐ ren Globalstrategiespiele) oder das Wir erleben uns als selbstwirksam, wenn Ende einer nach Drehbuch ablaufen‐ wir merken, dass wir in der Lage sind, den Geschichte erreichen (etwa in erfolgreich Probleme zu lösen. Das ist ei‐ Shootern wie Call of Duty, in Horrorner der Gründe, warum Spiele Spaß ma‐ Adventures wie Resident Evil oder in chen. In den meisten Spielen lösen wir – Rollenspielen wie der Witcher-Serie spielerisch – Probleme. Spiele präsentie‐ oder der Elder Scrolls-Reihe) ren uns einen Ausgangszustand, den wir mit Hilfe verschiedener erlaubter Aktio‐ • MITTELFRISTIGE SPIELZIELE ERREICHEN, die als Transformationsschrie vom nen in einen erwünschten Endzustand Ausgangs- zum Endzustand fungieren, transformieren müssen (vgl. Dörner 1984, zum Beispiel das Level eines Shooters 11). überstehen, einen von mehreren Geg‐ Die Probleme, die wir beim Compu‐ nern besiegen, ein Kapitel abschlie‐ terspielen lösen, können vielältig sein: ßen, eine est beenden, eine Flug‐ phase erfolgreich bewältigen usw. • DAS SPIEL VERSTEHEN UND BEDIENEN – Regeln und Benutzerührung erlernen • KURZFRISTIGE SPIELZIELE ERREICHEN, zum Beispiel einzelne Gegner abwehren, und verinnerlichen, sodass sie uns in einzelne Schlachten gewinnen, einzel‐ Fleisch und Blut übergehen und wir ne Fußball-Spiele gewinnen, einzelne nicht darüber nachdenken müssen. Rätsel lösen, den Start eines Flugzeugs • DAS LANGFRISTIGE SPIELZIEL ERREICHEN, erfolgreich bewältigen, eine Runde im zum Beispiel eine erfolgreiche Stadt Autorennen anühren, ein neues bauen (etwa in Sim City oder Cities: Stadtviertel errichten, und so weiter. Skyline), die Welt erobern (etwa in 7
sinnvoll gespielt oder fortgesetzt werden können. Viele Spiele sind entweder auf Dauer (im Sinne einer langen durchge‐ henden Zeitdauer) oder auf dauernde Wiederholung (immer noch ein Versuch, noch eine Runde, usw.) angelegt. Gerade komplexere Taktik- und Strategiespiele, Wirtschassimulationen, Auauspiele, Managerspiele oder Flugsimulationen brauchen Zeit zur Einstimmung, Zeit zum Nachdenken, Zeit zur Umsetzung der Spielzüge und Zeit, um die Auswir‐ kungen kontrollieren und nachsteuern zu können. Bei Online-Spielen kommen o noch soziale Kontakte zu anderen Spie‐ ler*innen dazu. Komplexe Spiele sind ‚Zeitfresser‘, an dieser Erkenntnis ührt kein Weg vorbei. Das wir die Frage auf, ob solche ‚Zeitfresser‘ nicht auch Zeitverschwen‐ dung sind. Wenn man von vielleicht vor‐ handenen positiven Effekten auf indivi‐ duelle logische Fähigkeiten, Problemlösekompetenzen oder Reaktionsähigkeit absieht: Sorgen Spiele nicht vor allem ür
Computerspiele bilden o ein komplexes Geüge der kurz-, miel- und langfristi‐ gen Spielziele. Das große Spielziel wird in bearbeitbaren Dosen angegangen, wobei das teilweise durch das Spieldesign vor‐ gegeben wird (wenn zum Beispiel ein Shooter mehrere Gegnerwellen auf die Spieler*innen loslässt), aber o auch durch die Spieler*innen selbst struktu‐ riert werden muss (wenn die Aufgabe et‐ wa darin besteht, mehrere strategisch wichtige Punkte auf einer Karte einzu‐ nehmen, ohne dass das Spiel über das Vorgehen Vorgaben macht). In der Regel lässt man sich im Spiel‐ verlauf sehr auf solche Problemszenarien ein. Stunden können wie im Fluge verge‐ hen. Manchmal legen Eltern ür ihre spielenden Kinder fest, dass „höchstens eine Stunde“ gespielt werden soll und sind irritiert, wenn das auf Widerwillen tri. Das hat nicht nur mit dem kindli‐ chen oder jugendlichen Austesten von Grenzen zu tun, sondern damit, dass vie‐ le Spiele in so kurzer Zeit einfach nicht
Abb. 1.3 Fortnite (2017) ist eine Mischung aus Shooter und Survival-Spiel. Es hat verschiedene Spielmodi. Beliebt ist vor allem der Kampf gegen bis zu 100 andere Spieler*innen, bei dem am Ende nur eine*r überlebt. Das Spiel kam mehrfach in die Schlagzeilen, weil dem Hersteller suchterzeugende Methoden im Spieldesign vorgeworfen wurden. (Foto: Hedda Werner, pixabay.com / freie kommerzielle Nutzung)
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ÜBER GENRES In Rollenspielen schlüpfen wir in die Rolle einer anderen Figur. Deren Eigenscha en entwickeln sich im Spielverlauf. In Strategiespielen lösen wir strategische (oder taktische) Problemstellungen, o militärischer Art. In Aufbauspielen und Wirtscha simulationen bauen wir Städte oder Unternehmen auf. In Fahrzeugsimulationen steuern wir Flugzeug, Bahn oder Bus. In Berufssimulationen probieren wir uns in einem anderen Job aus. In Sportspielen führen wir unsere Mannscha an die Spitze der Tabelle oder steigen selbst aufs Siegertreppchen. In Shootern kämpfen wir mit der Waffe in der Hand. In Survivalspielen nutzen wir Ressourcen, um am Leben zu bleiben. In Adventures rätseln wir uns wie im Krimi durch eine Geschichte.
So wie man auch Bücher, Filme und Serien in unterschiedliche Genres einteilen kann (beispielsweise Krimi, Liebesfilm, Science-Fiction-Roman, Biografie, Fantasy-Serie oder Historiendrama), so treten uns auch Computerspiele in unterschiedlichen Genres gegenüber. Und genauso wie bei anderen Medien sind die Grenzen dabei o fließend. Einige grobe Linien lassen sich jedoch ausmachen. Dabei orientieren wir uns erstens an der grundsätzlichen Spielmechanik, zweitens am Setting oder der Erzählung (sofern eine Story vorhanden ist) und drittens an der Zahl der Spieler*innen, die von einer Person (uns selbst) bis zu hunderten in sogenannten „Massively Multiplayer Online“-Spielen (MMOs) reichen kann.
Rollenspiel Adventure Aufbau Simulation Strategie Survival Shooter Sport
Wirtscha Alltag Militär Geschichte Fantasy ScienceFiction
In der Tat erüllen Spiele eine Ablen‐ kungsfunktion, ähnlich wie das Fernse‐ hen. Gerade Spiele, die keine komplexen Denkleistungen verlangen, dienen eher dem ‚Abschalten‘ (und können nach ei‐ ner Weile tatsächlich einen gewissen ‚Se‐ dierungseffekt‘ haben, nach dem man sich nicht unbedingt erholt ühlt, son‐
Weltflucht (Eskapismus), während der wir uns vor den wirklich wichtigen Pro‐ blemen des echten Lebens verstecken? Macht uns die Lösung von spielbasierten Problemsituationen (in Anlehnung an Erich Fromms Unterscheidung) zwar sehr ‚geschäig‘, verhindert damit aber ein reflektiertes ‚tätig sein‘? 9
dern dumpf und müde). Andere Spiele, in denen die zu lösenden Probleme komplex und vielältig sind, können ein großes Geühl der Befriedigung hinterlassen (das Erleben von Selbstwirksamkeit wur‐ de schon erwähnt), uns aber danach in ein ‚Loch‘ fallen lassen, das wir mit dem nächsten Spiel ausüllen. Und dann gibt es, etwa beim zurzeit sehr beliebten Fort‐ nite (2017, Abb. 1.3), auch den Vorwurf, dass manche Spiele bewusst so gestaltet würden, dass meist jüngere Spieler*innen von ihnen abhängig werden, um viel echtes Geld in sie zu investieren. Bloße Ablenkung vom echten Leben, das Fallen in ein Loch, weil die im Spiel gelösten Probleme ür das echte Leben nicht bedeutsam seien, sowie die Gefahr der Abhängigkeit: Das sind mögliche ne‐ gative Effekte, wenn Spieler*innen diese nicht erkennen und reflektieren können, weil sie etwa noch sehr jung sind oder aus anderen Gründen wenig Erfahrung mit den Mechanismen von Spielentwick‐ lung, Werbung und Kapitalismus haben.
Dennoch ist die ese dieses Bues, dass wir mit Computerspielen durchaus unser eigenes Tätig-sein entdecken kön‐ nen. Wir können Spiele dazu nutzen, mehr über uns selbst herauszufinden. Allerdings, und das ist die Aufforde‐ rung dieses Bues, heißt dies, anders zu spielen als von Herstellern, von Freund*innen oder uns selbst erwartet.
1.3 Wandern statt Probleme lösen? Es gibt Spiele, bei denen das Problemlö‐ sen nicht im Vordergrund steht. Etwas abschätzig spricht man zum Beispiel von „Wandersimulatoren“, in denen man nur durch eine virtuelle Landscha läu und sonst nichts weiter tut. Da gibt es keine Gegner, die man umbringen; keine Rätsel, die man lösen muss. Da ist nur die Land‐ scha, ihre Atmosphäre, vielleicht ein paar wenige, meist dezent eingestreute narrative Elemente, und mehr nicht. ‚Für
In The Talos Principle (2015) sind wir ein neu erwachter Roboter. Unser Abb. 1.4 Schöpfer schickt uns durch einen langen Rätselparcours, um unsere geistigen Fähigkeiten zu testen. An sich geht es in dem Spiel um Problemlösen in reinster Form. Doch die atmosphärischen Umgebungen und die Musik verführen zum entspannten Wandern. O halten wir inne und erfreuen uns einfach an den Nachbildungen antiker Landscha en.
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Abb. 1.5 In manchen Spielen geht es um wenig mehr als ums Spazierengehen. Manchmal nennt man dies abwertend „Walking Simulator“. Das drückt den Anspruch aus, den wir an Spiele meist haben: Wir wollen Probleme lösen, etwas ‚Sinnvolles‘ tun, nicht bloß gehen oder schauen. Spiele wie Dear Esther (2012/2017) laufen diesem Anspruch bewusst zuwider – der Titel ist mehr illustriertes Hörbuch denn ‚richtiges‘ Spiel.
sowas brauche ich keinen Computer, da kann ich auch in die echte Natur gehen‘, wird solchen Spielen mitunter entgegen‐ gehalten, aber das verkennt, dass solche Spiele nicht einfach ‚echte‘ Natur nach‐ bilden, sondern in der Regel ein ‚Mehr‘ aufweisen, das wir beim echten Wandern so nicht erleben können. O sind dies surreale Momente, unwirkliche Situatio‐ nen, die eher an nächtliche Träume erin‐ nern und die mit unserem Bild der Wirk‐ lichkeit spielen. Beispiele sind die menschenleere Insel in Dear Esther (2012, Abb. 1.5), das ebenso einsame Red Creek Valley in e Vanishing of Ethan Carter (2014) oder das verlassene Bürogebäude in e Stanley Parable (2011). Die beson‐ dere Atmosphäre solcher von Geheim‐ nissen umwierten Umgebungen stellt sich bei einem echten Spaziergang eher selten ein. Ein Spiel, das vordergründig aus Pro‐ blemlösen besteht, aber uns hintergrün‐ dig über die Natur des Menschen nach‐ denken lässt, ist e Talos Principle (2014, 11
Abb 1.4). Wir spielen einen gerade ‚er‐ wachten‘ Roboter, der in einer ür ihn si‐ mulierten Umgebung seine Intelligenz entwickelt und testet. Die Umgebungen wirken paradiesisch. Sie sind angelehnt an das antike Griechenland, das antike Ägypten und das europäische Mielalter. Es sind Parklandschaen, in denen sich Ruinen prächtiger Bauwerke und natur‐ nahe Bereiche ergänzen. In den Parks gibt es zahlreiche, in sich geschlossene Logikrätsel, die wir als der Roboter lösen müssen. Diese Rätsel sind das offensicht‐ lich zu lösende Problem. Aber wir kön‐ nen es dabei sehr langsam angehen las‐ sen und auch einfach durch die Landscha wandern, die Atmosphäre auf uns wirken lassen. Spielen wir das Spiel wie vorgesehen, widmen wir uns den Rätseln, eines nach dem anderen. Anfangs werden wir dabei noch von einer goähnlichen Stimme be‐ gleitet – dem Schöpfer des Roboters, der begrüßt, ermutigt und korrigiert. Im wei‐ teren Verlauf – wenn wir als Spieler*in
das Grundprinzip des Spiels verinnerlicht haben und uns auf das Lösen der Rätsel konzentrieren können – tri diese Stim‐ me in den Hintergrund. Daür jedoch be‐ gegnen wir einer anderen Intelligenz, die über in den Parks verteilte, altertümliche Computerterminals in Textform Kontakt aufnimmt – und uns am Sinn des ganzen Szenarios zweifeln lässt: Sollen wir als treuer Roboter unserem Schöpfer gehor‐ chen? Oder sollen wir aus dessen Vorga‐ ben ausbrechen und damit über uns selbst hinauswachsen? In den Umgebun‐ gen wie willkürlich verteilte QR-Codes, die von früheren Versionen der RoboterKI stammen, die den ‚Rätselparcours‘ schon einmal absolviert haben, säen zu‐ sätzlich Zweifel. Am Ende steht die Ent‐ scheidung, ob wir die Rätsel wie vom Schöpfer vorgesehen abarbeiten oder ob wir uns dessen eindeutiger Weisung wi‐ dersetzen, nicht auf den schier endlos wirkenden Turm im Schnipunkt der drei Landschaen zu steigen. Je nach‐ dem, wie wir uns entscheiden, entwickelt sich die Geschichte auf andere Weise. Das Spannungsfeld zwischen Pro‐ blemlösen und Wandern lässt sich mit ei‐ nem Vorschlag fassen, den der Kultur‐ wissenschaler Christian Huberts macht. In seinem noch immer grandiosen Essay „Raumtemperatur“ spricht Huberts (2010) von ‚heißen‘ und ‚kalten‘ Compu‐ terspielen. Huberts bezieht sich dabei auf den Medienwissenschaler Marshall McLuhan, der die Kategorisierung ‚hei‐ ßer‘ (sehr detailreicher) und ‚kalter‘ (we‐ niger detailreicher) Medien einührte. Mit Huberts ist ein ‚heißes‘ Computer‐ spiel dann eines, in dem unsere Aktionen vor dem Hintergrund der Spielregeln, der Spielmechanik und der computertechni‐ schen Realisierung von Regeln und Me‐ chanik deutliche Auswirkungen haben und diese auch zum Zwecke der Auswer‐ tung und Vergleichbarkeit gespeichert werden (Huberts 2010, 24); hier lässt sich von einem hohen Detailgrad sprechen. Solche ‚heißen‘ Medien verlangen zwar ständige, sofortige Reaktion (vgl. Buke‐ 12
witz 2020, 26), haben aber kaum Leerstel‐ len, die wir durch unsere eigene Konzen‐ tration ausüllen müssten. In einem ‚heißen‘ Spiel sind sehr viele Faktoren als Programmcode, Modell, Algorithmen und so weiter implementiert. Wir bekommen Punkte, befolgen klare Regeln und sam‐ meln Belohnungen. Es bietet viele An‐ lässe zur Geschäigkeit im Sinne Erich Fromms. O gibt es auch Spielhilfen, dank derer wir nichts falsch machen können, wie Tutorials, automatisch ak‐ tualisierte Landkarten, einen Kompass oder einblendbare Tipps. Die Reise durch ein ‚heißes‘ Spiel ist wie die Erkundung einer Stadt, in der wir sta auf altmodi‐ sche Wegweiser und eine Papierlandkar‐ te auf das Navigationssystem unseres Handys starren: Wir können uns kaum verirren; die Stadt wird leicht erschließ‐ bar und wir können alle relevanten Se‐ henswürdigkeiten effizient abarbeiten. Die Reise durch ein ‚kaltes‘ Spiel ähnelt mehr einem spontanen Flanieren, bei dem wir uns auch verlaufen können. Ein ‚kaltes‘ Spiel versetzt uns zum Beispiel in eine offene Landscha, in der wir selbst sehen müssen, was wir da eigentlich wollen (vgl. Abb. 1.6). Ein eher ‚kaltes‘ Computerspiel ist auch eines, in dem un‐ sere Aktionen wenig konkrete, messbare Auswirkungen haben – von Anfang an oder weil die vorgefertigten Elemente des Spiels alle abgearbeitet sind. Die Temperaturen ‚warm‘ und ‚kalt‘ treten in Spielen nie als absolute Pole auf – eher sind Spiele „lauwarm“, wie Hu‐ berts schreibt, und die tatsächliche Tem‐ peratur erkennen wir erst beim Spielen (Huberts 2010, 25). Dasselbe Spiel kann mal ‚heißer‘, mal ‚kälter‘ wahrgenommen werden: „Hat man ein Spiel wie Grand e Auto IV (2008) […] vollständig durchgespielt, bleibt eine Welt ohne Auf‐ gaben zurück. Das freie Wandern durch die Datenbank des Spiels bleibt als einzi‐ ge Beschäigung“ (ebd., 176). Ob ein Spiel also als eher ‚heiß‘ oder ‚kalt‘ er‐ scheint, ist auch eine Frage der Spielwei‐ se. Geben wir uns ganz der Implementie‐
rung hin, oder lassen wir, abseits von Re‐ geln und Mechanik, die Atmosphäre auf uns wirken (vgl. Kapitel 4)? Gerade dies kann reizvoll sein. Das dahingehend Besondere am erwähnten e Talos Principle ist, dass das Spiel sei‐ ne eigene Form reflektiert. Computer‐ spiele sind Soware, und damit ein ge‐ staltetes Form-Funktions-Geüge, das man verstehen und dem man sich anpas‐ sen muss, um das Spiel zu nutzen. Grundsätzlich tun wir früher oder später meist das, was die Entwickler*innen von uns verlangen. Wir hören auf, spazieren zu gehen und fangen an, die Rätsel zu lö‐ sen. Wir sind wie der Roboter in e Ta‐ los Principle, der vorgegebene Teilproble‐ me löst und immer weiter vorankommt, bis das Spiel insgesamt gelöst ist. In e Talos Principle spielen wir einen Roboter, der selbst ein Spiel spielt und dessen Re‐ geln gehorcht – quasi ein Spiel im Spiel. Bis die erwähnte andere Intelligenz auf ihn tri und ihn (uns) dazu verührt, die Regeln zu missachten.
Wie der Roboter können auch wir als Spieler*innen etwas Ähnliches tun. Es gibt Wege, sich den Regeln eines Compu‐ terspiels zu entziehen. Teilweise lassen sich vorgegebene Formen und Funktio‐ nen auch verändern oder erweitern. In der Kreativität im Umgang mit Spielen ist es möglich, über das Spiel hinaus zu wachsen und unsere eigenen Perspekti‐ ven zu entdecken und auszudrücken.
Abb. 1.6 An langjährigen Spielreihen wie den Elder Scrolls (seit 1994) sieht man, dass sich Spiele immer mehr in Richtung ‚heißer‘ Medien entwickeln, also bequemerer Rezipierbarkeit. Das alte The Elder Scrolls 2: Daggerfall (1996, unten mit der Freeware-Engine Daggerfall Unity, 2019) hatte eine riesige Welt und ausgedehnte labyrinthartige Dungeons (Verliese, Festungen und Höhlen). Das war zwar monoton, aber spielerisch herausfordernd.
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2 KREATIVES PROBLEMLÖSEN
Computerspiele bieten zahlreiche Mög‐ lichkeiten ür kreativen Umgang. Falls Sie Computerspielen skeptisch gegen‐ überstehen, mag Sie das überraschen. Viele Spiele wirken auf Nichtbeteiligte manchmal wie simple Reiz-ReaktionsExperimente: Spiele erscheinen wie ReizProduktions-Mechanismen, und manche Eltern sind besorgt, dass ihre Kinder auf ebenso mechanische Reaktion trainiert werden. Dabei kann beim Spielen ein komplexer Problemlöseprozess ablaufen, der einen kreativen Umgang mit der Spielsituation verlangt. Manche Spiele verlangen Kreativität, weil man in ihnen etwas auaut – etwa eine Stadt gründet und zur Blüte ührt, ein Raumschiff ent‐ wickelt und in den Weltraum schickt, oder eine virtuelle Landscha erscha. Und dann gibt es natürlich die Möglich‐ keit, die vorgegebenen Spielregeln und -grenzen zu verlassen: Spiele lassen sich häufig um neue Szenarien erweitern, sie lassen sich modifizieren und sie lassen sich zweckentfremden. Stellvertretend
ür andere Möglichkeiten gehe ich im Folgenden auf vier Beispiele ein, wie man als Spieler*in kreativ Probleme löst, wäh‐ rend man ein Spiel spielt oder ein Spiel verändert.
2.1 Aufbauen, Verwalten & Wachsen Eine friedliche Form des Problemlösens wird in Auau- und Managerspielen ver‐ folgt: Ob wir eine ganze Stadt bauen (wie in der bekannten Sim City-Serie, in Cities: Skylines oder in Citystate), als Diktator ür ein tropisches Inselparadies Sorge tragen (wie in der satirischen Tropico-Se‐ rie), einen Wolkenkratzer managen (wie in dem alten Spiel Sim Tower oder im neuen Project Highrise), ein Transportun‐ ternehmen auauen (wie im Klassiker Transport Tycoon, dessen asi-Nachfol‐ ger Locomotion, im Freeware-Nachbau Si‐ mutrans oder im aktuellen Transport Fe‐ ver 2), ein Krankenhaus leiten (wie in den
15 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_2
satirischen Titeln eme Hospital und Two Point Hospital oder im ernsthaeren Project Hospital) oder Fabriken im Welt‐ raum bauen und beliefern (X4: Foundati‐ ons) – es gibt unzählige solcher Auau‐ spiele und Wirtschassimulationen, denen übrigens fast immer ein kapitalis‐ tisches Wachstumsideal zugrunde liegt: Wir müssen uns (unser Unternehmen, unsere Stadt, unser Krankenhaus, usw.) ausdehnen, um mehr Geld einzunehmen, um weiter wachsen zu können. Die zu lösenden Probleme werden in Auauspielen teils als vorgegebene Sze‐ narien gestellt. In Sim City 3000 gab es etwa die Aufgabe, aus Ost- und Westber‐ lin nach der deutschen Wiedervereini‐ gung eine funktionierende, zusammenge‐ hörige Stadt zu machen. In der Einührungsmission von Transport Fever 2 baut man im 19. Jahrhundert eine erste Eisenbahnverbindung zwischen den im amerikanischen Westen gelegenen Städ‐ ten Carson City und Reno. Und in eme Hospital und Two Point Hospital muss
man regelmäßig eine bestimmte Menge Patient*innen von fiktiven, o sehr hu‐ morvoll dargestellten Krankheiten heilen. Solche vorgegebenen Aufgaben werden im Spielverlauf komplexer und können ür sich schon mehrere Stunden der Be‐ schäigung mit dem Spiel erfordern. Der wahre Kern solcher Auauspiele ist in der Regel aber ein freier Endlosmo‐ dus, in dem man mit nichts beginnt als etwas Geld und einer Landkarte, die man nach Belieben nach eigener Vorstellung üllen kann. Blicken wir dazu einmal auf den Klassiker Locomotion (Abb. 2.1). Hier managen wir ein (hoffentlich) lukratives Transportunternehmen. In Städten sor‐ gen wir ür Nahverkehr, entfernte Städte binden wir per Eisenbahn, Schiff oder Flugzeug an, und zwischen Industrien sorgen wir ür die nötigen Lieferkeen. Ein freies Spiel beginnt auf einer zufalls‐ generierten Landkarte, in der Städte und Industrie verteilt sind. Die erste Aufgabe muss daher sein, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Wo
In Spielen wie Transport Tycoon (1994), Chris Sawyer‘s Locomotion (2004, Abb. 2.1 unten) oder Transport Fever 2 (2019) managen wir ein Transportunternehmen. Wir verlegen Schienen, platzieren Haltestellen, kaufen Fahrzeuge, legen Fahrpläne und Transportketten fest und helfen so der von uns (anders als in Spielen wie Sim City oder Cities: Skylines) nicht direkt kontrollierten Stadt dabei, zu wachsen – und uns ebenso.
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Das hier gezeigte Cities: Skylines (2015) ist ein aktueller Vertreter eines Abb. 2.2 Genres, dessen Urahn Sim City (1989) war. Die Probleme, die wir in solchen Spielen lösen, entstammen dem Alltag der Lokalpolitik: Wir legen Wohngebiete fest, locken Unternehmen an, sorgen für Infrastruktur, legen Steuern fest und kümmern uns um Bildung, Sicherheit und Gesundheit. Meist gibt es dabei nur den Weg des Wachstums – bis die Karte ‚voll‘ ist.
gibt es Bevölkerungszentren? Wo gibt es die Möglichkeit, mit möglichst wenig Ressourceneinsatz lukrative Lieferkeen aufzubauen? In einer Partie habe ich in einem Tal zwei relativ nah beieinander liegende Städte namens Waterwood und Mickelstone entdeckt, etwas abseits der Städte befand sich das Dorf Furstoke. Als selbstgestelltes Problem nahm ich mir vor, die Städte und das Dorf zu verbin‐ den, damit Furstoke irgendwann einge‐ meindet wird und sich später alle drei Orte zu einer größeren Metropole ver‐ binden. Anders als in Städtebauspielen wie Sim City oder Cities Skylines (Abb. 2.2) erweitern wir in Spielen dieses Typs Orte nicht direkt, indem wir Gebäude er‐ richten, sondern wir schaffen lediglich die Verkehrsinfrastruktur, damit sich die Orte selbstständig entwickeln. Dies wird durch den Computer gesteuert. Das zu‐ grunde liegende Paradigma ist, dass eine gute Verkehrsanbindung zur Ansiedlung von Firmen ührt, dass dies neue Ein‐ wohner anlockt und dass dadurch die 17
Orte wachsen. Im Endlosspiel von Auauspielen (ei‐ nem Spielmodus, in dem wir kein vorge‐ gebenes Spielziel erreichen müssen) können wir so endlich die Stadt unserer Träume anlegen (vgl. Kapitel 6), das per‐ fekte U-Bahn-Streckennetz auauen und optimieren, oder das beste Krankenhaus der Region erschaffen. Hier stellen wir uns die zu lösenden Probleme selbst und werden auf dem Weg dahin mit vielen kleinen, aus der Simulation selbst emer‐ gierenden Teilproblemen konfrontiert, ohne dass wir explizit vorgegebenen Auf‐ gaben folgen würden. Wir wollen ein neues Stadtviertel hochziehen, damit mehr gut ausgebildete Wohlhabende in unsere Stadt ziehen? Dann brauchen wir dort auch Polizei, Feuerwehr, Schulen – dabei haben wir gerade erst deren Budget gesenkt, weil wir ür das neue Fußballstadion Schulden machen mussten. Ohne das Stadion wä‐ ren unsere Arbeiter*innen aber unglück‐ lich geworden – was also tun?
Bei einem guten Auau- oder Wirt‐ schasspiel greifen solche, hier nur bei‐ spielha genannten Einzelteile plausibel ineinander und es entsteht ein Spielfluss, in dem es zwar immer etwas zu tun gibt, in dem aber auch stets nachvollziehbare Lösungen gefunden werden können. Ge‐ lingt dies, erlebt man Selbstwirksamkeit: das eigene Planen und Handeln wird mit Erfolg belohnt. Dies macht einen großen Teil des Spielspaßes aus. Dazu kommt bei Auauspielen aber noch etwas: Es ist einfach schön, die Früchte der eigenen ‚Arbeit‘ zu sehen, wenn etwa das neu Wohngebiet ausgewiesene besiedelt wird, oder die neue Bahnlinie viele Pas‐ sagiere beördert, zumal dies grafisch meist ansprechend dargestellt wird. Hier kommt zum bloßen Lösen von Problemen auch ein Aspekt hinzu, der durchaus an den kindlichen Spaß an einer Modell‐ bahnanlage oder – auch wenn das man‐ che*r vielleicht nicht zugeben würde – Puppenstube erinnert.
2.2 Konflikte als spielerisches Problem Manche Spielprinzipien kann man immer wieder hervorholen, ähnlich wie wir seit Jahrhunderten Schach oder Go spielen. Beide Spiele symbolisieren den Krieg zweier Armeen. Während Go ein eher in‐ tuitives Vorgehen verlangt, um möglichst viel Fläche auf dem Spielbre zu beset‐ zen, stellen Schach, Shogi (Japan) und Xi‐ angqi (China) im Grunde komplexe Logi‐ krätsel dar – wie kann ich meine Figuren in der gegebenen Situation so einsetzen, dass der Gegner besiegt wird? So etwas lässt sich sehr gut am Computer darstel‐ len; digitale Schachspiele gibt es seit vie‐ len Jahren. Neben Schach sind auch wesentlich komplexere, mehr oder weniger abstrakt dargestellte Taktik- und Strategiespiele sehr beliebt. In ihnen stellt man meist konkrete Kriege der menschlichen Ge‐ schichte nach. Es gibt sie in unterschied‐ 18
lichsten Formaten. Bei einigen ist eine Landkarte in unregelmäßige Abschnie unterteilt, etwa in der Hearts of Iron-Serie oder der Europa Universalis-Reihe – das sieht so ähnlich aus wie das bekannte Brespiel Risiko, auch wenn die Regeln viel komplexer sind. Bei den genannten Serien finden Partien in sogenannter Echtzeit sta, das heißt alle Gegner (Menschen und Computer) ziehen ohne Pause gleichzeitig. Bei anderen Spielen – und darauf konzentriere ich mich im Folgenden – ist die Karte in gleichmäßige hexagonale Felder unterteilt (also in ein SechseckRaster) und man zieht rundenweise (wo‐ bei das wiederum tatsächlich nacheinan‐ der sein kann oder alle Spieler legen ihre Züge fest und sie werden am Rundenen‐ de gemeinsam ausgeührt). Das Spielziel ist in der Regel, bestimmte „Siegfel‐ der“ (Victory Hexes) einzunehmen, zu halten und/oder gegnerische Spielfiguren zu schlagen. O ist daür eine Rundenbe‐ grenzung vorgesehen. Stellvertretend ür viele andere Spiele sei als Beispiel die 5-Star-General-Serie aus den 1990er Jahren genannt. Diese Reihe des Herstellers SSI war damals sehr be‐ liebt und wirkt bis heute nach: Ihre Spie‐ le werden immer noch gespielt, Fans entwickeln neue Szenarien daür oder programmieren ganze Remakes. Die bekanntesten Teile der Serie wa‐ ren die Spiele Panzer General (1994), Al‐ lied General (1995), Panzer General 2 (1997) und Pacific General (1997). Diese Spiele stellten verschiedene militärische Perspektiven auf den Zweiten Weltkrieg dar. Während man in Allied General auf Seiten der Alliierten gegen Nazideutsch‐ land und Italien in den Krieg zog und man in Pacific General den Pazifikkrieg der USA und Japans nachspielte, über‐ nahm man in den Panzer General-Teilen die Rolle der Deutschen. Deshalb machte insbesondere das erste Spiel der Reihe in Deutschland Negativschlagzeilen: Auf Antrag einer Muer wurde das Spiel von
Das Spiel Fantasy General 2 (2019) steht in einer Tradition, die bis zum Abb. 2.3 preußischen Kriegsspiel (1824) zurückgeht. Zug um Zug versuchen wir, den Gegner zu schlagen. Das ist dem Schach (13. Jhd.) nicht unähnlich, aber die Regeln sind komplexer und der Spielaufbau ist freier und variabler. Thematisch nutzt FG2 typische Fantasymotive, die wir aus Literatur und Film kennen; ähnliche Spiele setzen auf realistischere Szenarien.
der Bundesprüfstelle ür jugendgeähr‐ dende Medien indiziert. Es wurde als kriegsverherrlichend eingestu, weil man darin einen Angriffskrieg einübe und weil das Handbuch des Spiels völlig unkritisch mit dem ema umgehe. Spätere Teile der Serie wurden nicht mehr indiziert und milerweile werden kaum noch kritische Stimmen gegen sol‐ che Spiele laut. Heutige Spiele wie Pan‐ zer Corps, Panzer Corps 2 und Or‐ der of Bale: World War II sind Mainstream, sie gehören zum spieleri‐ schen Alltag. Hunderte andere Spiele mit derselben ematik sind verügbar. Und so übernehmen immer noch Tausende von Spieler*innen auf der ganzen Welt die Rolle von Deutschen, Amerikanern oder Russen, um dieselben alten Schlach‐ ten in neuen Variationen zu schlagen. Das kann man auch heute noch durchaus kritisch sehen; zur moralischen Fragwür‐ digkeit solcher Spielszenarien komme ich in Kapitel 8.3 dieses Buches. Das Spiel Open General (Abb. 2.4, ein 19
seit 2012 weiterentwickelter Open-Sour‐ ce-Nachbau von Panzer General 2) ent‐ hält 155 Kampagnen aus verschiedensten Zeiträumen, beispielsweise zum Sieben‐ jährigen Krieg, zum Spartakus-Aufstand im antiken Rom, zur kommunistischen Revolution in China 1927-58 oder zum Ungarischen Unabhängigkeitskrieg 1848/49. Diese schiere Masse zeigt nicht nur, wie beliebt dieses Spielprinzip nach wie vor ist, sondern auch, wie kreativ Spie‐ ler*innen auf einer Metaebene mit Spie‐ len umgehen, indem sie diese um neue Regeln, Szenarien, Erzählungen und Gra‐ fiken erweitern bzw. daür sorgen, dass die Spiele auch auf heutigen Computern funktionieren (diese Art des Umgangs mit Spielen gibt es freilich auch in ande‐ ren beliebten Genres). Wer der Realität entstammenden Kriegsszenarien nichts abgewinnen kann, aber das Hexfeld-Spielprinzip als solches mag, findet Alternativen in Fantasy Ge‐ neral (1996), dem Nachfolger Fantasy Ge‐
neral 2 (2019, Abb. 2.3) sowie im Freewa‐ re-Spiel e Bale for Wesnoth (seit 2005). Sta Panzern, Flugzeugen und Soldaten kämpfen hier an Märchen und FantasyRomane erinnernde Rier und Magier, Drachen und Dämonen, Geister und Orks. Auch ür Science-Fiction-Fans gibt es Alternativen, etwa Star General (1996) oder Szenarien ür Open General, die auf Frank Herberts weltbekannten Roman Dune („Der Wüstenplanet“) basieren. Unabhängig vom ema und Unterschie‐ den im Detail ist die Spielmechanik all dieser Variationen ähnlich: Es gibt ein Spielbre (die Landkarte eines Landes, eines Kontinents oder eines Planeten), es gibt Figuren (die Truppen, seien es Pan‐ zer, Soldaten, Magier oder Raumschiffe) und es gibt Zugregeln (wie sich die Figu‐ ren bewegen und andere ‚schlagen‘, das heißt angreifen dürfen). Auch auf weni‐ ger bekannte, meist komplexere Vertreter des Genres tri das zu. In diesem Sinne ähneln Hexfeld-Spiele Schach, unter‐
scheiden sich aber aufgrund der Größe und Variabilität der Spielfelder sowie der o an echten militärischen Eigenschaen orientierten Regeln. Ihren Ursprung haben Hexfeld-Spiele im Kriegsspiel des preußischen Militärs des 19. Jahrhunderts (vgl. Arnaudo 2018, 44). Dabei handelte es sich um ein militä‐ risches Planspiel, das auf Schachbreern oder Landkarten ausgeührt wurde. Kriegsspiel diente der Planung und der Ausbildung, nicht dem Spaß, und Varian‐ ten davon verbreiteten sich im Laufe der Zeit in vielen Armeen (ebd.). Obwohl der Autor H. G. Wells bereits 1913 ein Spiel namens Lile Wars vorstellte, das sich ei‐ niger Bekanntheit erfreute, werden sol‐ che Spiele erst seit den 1950er Jahren auch in größerer Zahl zum Vergnügen gespielt. Daür war die Publikation des Spiels Tactics im Jahr 1954 ausschlagge‐ bend (ebd.). Das Spiel des Herstellers Avalon Hill ührte zahlreiche noch heute genutzte Spielmechaniken ein, fand aber noch auf quadratischen Spielfeldern sta.
Abb. 2.4 Manche Spiele sagen uns, in wie vielen Runden wir ein Problem lösen müssen. Das unten gezeigte Szenario in Open General (2012) stellt eine Schlacht im Siebenjährigen Krieg (1756-1762) dar. Für einen „entscheidenden“ Sieg müssen unsere preußischen Truppen (links) die Zielfelder (Sachsen, rechts) in 16 Runden einnehmen; für einen „normalen“ Sieg reichen 20 Runden und für einen „knappen“ Sieg 24 Runden.
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Zeitlich etwa parallel zu Tactics arbeitete der US-amerikanische ink Tank RAND Corporation ebenfalls mit Kriegssimula‐ tionsspielen, um das US-Militär zu bera‐ ten. Der Legende nach sah der AvalonHill-Gründer Charles Roberts in einer Ausgabe des Life-Magazins ein Foto ei‐ nes RAND-Spiels, bei dem die simulier‐ ten Konflikte auf hexagonalen Feldern ausgetragen wurden. Der große Vorteil des Sechseckrasters gegenüber adra‐ ten liegt in der besseren Ablesbarkeit von Entfernungen, was zum Beispiel ür die Berechnung der Reichweite von Waffen wichtig ist. In der Folge verwen‐ deten alle weiteren Spiele von Avalon Hill ebenfalls Hexfelder. Computervaria‐ tionen des genannten Spielprinzips gibt es mindestens seit Anfang der 1980er Jahre (etwa Nobunaga's Ambition, 1983, über die Eroberung Japans während der Sengoku-Zeit 1467-1603). Der Kern solcher Spiele ist je nach dargestelltem Maßstab das Lösen takti‐ scher Puzzles oder das Beherrschen komplexer strategischer Situationen. In manchen, eher strategischen Spielen symbolisiert ein Hexfeld mehrere Kilo‐ meter, beispielsweise in der Strate‐ gic Command-Serie. Andere, eher takti‐ sche Spiele haben einen kleineren Maßstab, beispielsweise 100 Meter pro Feld in Campaign Leipzig (das in über 400 Szenarien die Kämpfe französischer und preußischer Truppen im Jahr 1813 um die Städte Leipzig, Dresden und Um‐ gebung thematisiert). Das Spielziel be‐ stimmt, welcher Maßstab zweckmäßig ist – ob es überhaupt einen echten Maß‐ stab gibt, oder ob er eher ‚gleitend‘ ist, das heißt, ob manche Teile einer Karte detaillierter, anderer gröber aufgelöst sind. Auf jeden Fall bestimmt die Größe des Spiels auch den geistigen und zeitli‐ chen Aufwand, den wir zu seiner Lösung erbringen müssen. In manchen Spielen kann sich eine Partie über mehrere Wo‐ chen hinziehen, besonders, wenn wir ge‐ gen einen anderen Menschen antreten. Dabei zu gewinnen, ist sehr befriedigend.
EINIGE HEXFELD-SPIELE
Pacific General (1997) stellt berühmte Schlachten des Pazifikkriegs zwischen USA und Japan 1941-1945 nach. WinSPMBT (2001) thematisiert modernere Armeen. Es hat einen kleineren Maßstab und komplexere Regeln.
Campaign Gettsyburg (2004) ist ein umfangreiches Spiel zu einer Schlacht im amerikanischen Bürgerkrieg. Unity of Command II (2019) sieht aus wie ein Brettspiel. Wir spielen die Alliierten im Kampf gegen Nazideutschland.
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Abb. 2.5 In der Einführung von Battle for Wesnoth befinden wir uns auf der linken Seite und müssen den Fluss überequeren. Über den Fluss führen zwei Brücken und eine bewachte Insel in der Mitte sowie eine Furt am oberen Ende der Karte. Um das Problem zu lösen, zerlegen wir es in einfachere Teilprobleme. Im Bild: Wie kommen unsere Elfenkrieger und -bogenschützen (rot) an dem Ork (blau) vorbei auf die Insel und ans andere Flussufer?
Beispiel für ein Taktikpuzzle Schauen wir uns zur Demonstration einmal ein kleines taktisches Puzzle aus einem Fantasyszenario an. Die Ab‐ bildung 2.5 zeigt den Beginn eines Ein‐ ührungsszenarios im Spiel Bale for Wesnoth. Das FreewareSpiel ist im niedlichen Comicstil gehal‐ ten und erzählt eine typische Fantasy‐ geschichte um Königreiche, Zauberer und böse Monster, aber die Spielme‐ chanik steht dennoch in der Tradition der genannten Kriegssimulationsspiele. Im Einzelspieler-Modus spielt man Kampagnen, die aus einzelnen Karten bestehen. Ist eine Karte gelöst, geht es zur nächsten Karte und man erlebt den Fortgang der Geschichte. Die Spielfigu‐ ren sammeln durch Kämpfe Erfahrung und werden stärker; überlebende Figu‐ ren kann man auf die nächste Karte mitnehmen. So bauen wir eine gewisse emotionale Bindung an ‚unsere Trup‐ pen‘ auf (übrigens ein Prinzip, dass es 22
so schon bei Panzer General & Co. gab, was dessen ohnehin problematisches ema noch schwieriger macht, vgl. Kapitel 8). Das Taktikpuzzle im Einührungs‐ szenario besteht darin, dass wir (Elfen, links) die bösen gegnerischen Monster (Orks, rechts) schlagen müssen (Elfen und Orks gehören seit J. R. R. Tolkiens Fantasytrilogie Der Herr der Ringe zum Standardinventar der Fantasy). Um das Ziel zu erreichen, müssen wir einen Fluss überqueren, was am besten an der Brücke in der Mie der Karte geht, die aber von einem weiteren Geg‐ ner verteidigt wird. Dies ist das kon‐ krete Problem, das wir hier lösen müssen. Der Ausgangszustand muss in den erwünschten Endzustand transfor‐ miert werden. Dazu müssen wir unsere Ressourcen, das Gelände und die Fä‐ higkeiten unserer Einheiten nutzen. Dieses Grundprinzip gilt ür fast jedes Hexfeld-Spiel, unabhängig vom ema und seiner Komplexität.
Unser zu lösendes Problem kann schriweise angegangen werden. Zu‐ erst muss (darauf weist auch die Ein‐ ührung des Spiels hin) der Ork auf der Insel bekämp werden. Erst dann ist der Weg ür die Elfen frei, zum ande‐ ren Flussufer gelangen zu können. Dies ist nicht nur ein erzählerischer Aspekt, sondern spielmechanisch dadurch aus‐ gedrückt, dass jede Figur eine Kontroll‐ zone um sich herum erzeugt. Das heißt, die sechs Felder um den Ork her‐ um können nicht einfach durchquert werden – er muss bekämp werden, wenn der Weg über die Brücke gewählt wird. Die Erklärtexte des Einührungs‐ szenarios legen uns nahe, dass wir den Weg über die Brücke gehen und gleich‐ zeitig die Furt am oberen Ende der Karte im Auge behalten sollten. Es ist davon auszugehen, dass viele Spie‐ ler*innen dies auch so tun werden, denn das Szenario dient dazu, die Grundlagen des Spiels zu erlernen. Es ist hier schwer, wirkliche Fehler zu machen; am Ende stehen unsere eige‐ nen Elfenkrieger und -bogenschützen vor dem gegnerischen Schloss und be‐ siegen den gegnerischen Hauptmann. Bei dem Beispielszenario ist es schwierig, einen anderen als den nahegelegten Weg zu gehen, denn die Karte ist so gestaltet, dass sie eine Lösung deutlich bevorzugt. Dies ist typisch ür Spiele dieser Art, die mit überschaubaren Figurenzahlen und Kartengrößen fast schachartige Situatio‐ nen darbieten. Es gibt Raum zum Experi‐ mentieren, aber o auch eine beste Lösung. In Spielen wie Panzer General, Panzer Corps oder Open General zeigen bereits die Szenariobeschreibungen, in wie vielen Runden ein Sieg möglich ist – hier den jeweils schnellsten zu erreichen, ist die besondere Herausforderung. Es kann auch den weiteren Verlauf einer Kampagne beeinflussen: Bei schnellen Siegen erhält man mehr „Prestige“ oder Gold, mit dem man sich bessere Figuren 23
kaufen kann. An manchen Stellen gibt es alternative Kampagnenverläufe, das heißt je nach Leistung spielt man eine andere Karte und erlebt damit eine andere Ge‐ schichte. Als Spieler*in kreativ ist man in sol‐ chen Hexfeld-Taktikspielen, weil man aus den gegebenen Umständen den best‐ möglichen Weg zum Ziel ableitet – auch wenn die kreative Leistung eher darin besteht, die von den Entwickler*innen angedachten Lösungswege nachzuentde‐ cken, ansta völlig neue Lösungen zu finden. Denn gerade im Kampagnenspiel, in dem das Ergebnis der einen Partie die Ausgangssituation der folgenden Partie bestimmt, kann allzu freies Vorgehen zu Startbedingungen der Folgepartie ühren, mit denen kein Gewinn mehr möglich ist. Das grundlegende Spielprinzip von Hexfeld-Spielen lässt sich beliebig variie‐ ren. Das Spiel WinSPMBT (das ein leicht modernisierter Abkömmling von SSIs Steel Panthers-Serie aus den 1990ern ist) bietet hunderte Szenarien, die moderne militärische Streitkräe zum ema ha‐ ben. Dargestellt werden aktuelle Konflik‐ te wie Afghanistan und Syrien, histori‐ sche Situationen wie Korea, Vietnam, Irak und Jugoslawien, sowie fiktive Plan‐ spiele, etwa ein Überfall der früheren So‐ wjetunion und DDR auf die Bundesrepu‐ blik Deutschland. Der Maßstab von WinSPMBT ist wesentlich kleiner als in Panzer General & Co.: Ortschaen wer‐ den mit einzelnen Gebäuden dargestellt, einzelne Soldaten werden mit Namen be‐ nannt. Wegen dieser Kleinteiligkeit kön‐ nen einzelne Partien sehr lange dauern. Ebenfalls lange ist man im Spiel Strategic Command WWII: World at War be‐ schäigt. Dort ist der Maßstab wesent‐ lich größer, die Kämpfe sind weniger kleinteilig und die Truppen anonymer, aber daür ist man auf der gesamten Welt unterwegs. Je nach Maßstab unterscheiden sich also die zu lösenden Probleme der Spiele im Detail und damit der Weg zum Ge‐ winn. Zwar ist ein Ziel vorgegeben (Fel‐
Missionen erüllen, aber in der Regel gibt es kein Spielziel – es geht wirklich allein um das Fliegen, die Beherrschung des Flugzeugs und seiner Abläufe. Wenn wir mit der einfachen Darstel‐ lung auf dem PC nicht zufrieden sind, können wir auch mehrere Bildschirme und spezielle Eingabehardware anschlie‐ ßen (wie Ruderpedale, Steuerhörner, bis hin zu lebensechten großen Nachbildun‐ gen von Airbus- und Boeing-Cockpiei‐ len) – die Grenzen sind hier nur das persönliche Budget, das handwerkliche Geschick und der Platz in der Garage oder auf dem Dachboden. Auch sowareseitig lassen sich solche Spiele erweitern. Im Standardumfang ei‐ nes Simulators ist eine Auswahl beliebter Flugzeuge enthalten, deren echte Kom‐ plexität so vereinfacht wurde, dass man sie ohne große Vorkenntnisse spielen kann. Aber es gibt einen großen Markt ür Zusatzprodukte, und einige davon 2.3 Flugsimulation als Planumsetzung stellen Flugzeuge dar, die in der Tat tief‐ Der Traum vom Fliegen (vgl. Kapitel 6) gehende echte Simulationen ihrer Vorbil‐ lässt sich als Computerspiel in vielälti‐ der sind – da verschwimmt die Grenze ger Weise erleben. Die Spanne reicht von zwischen Spiel und professioneller An‐ einfachen Flugspielen (die dennoch eine wendung. Zumindest Cockpitverfahren ansprechende Illusion von Bewegung, (die Abläufe zur Lösung bestimmter Pro‐ Weite und Geschwindigkeit vermieln) bleme) lassen sich dann tatsächlich trai‐ über Flugkampfspiele und -simulationen nieren, selbst wenn das Fluggeühl am (in denen komplexe Flug- und Waffen‐ Schreibtisch fehlt. technik erlernt und verwendet wird, et‐ wa DCS World) über komplexe zivile Gesite der PC-Flugsimulation Flugsimulationen (in denen vom Rund‐ flug mit dem kleinen Sportflugzeug bis Das Genre der zivilen PC-Flugsimula‐ zum kompleen Langstreckenflug im tionen wird am ehesten durch den Mi‐ großen Verkehrsflugzeug alles möglich croso Flight Simulator (MSFS) ist). Auf letzteres möchte ich nun einge‐ repräsentiert. Der Urahn des MSFS er‐ hen, da wir daran gut sehen können, wie schien schon 1979 als FS1 Flight Simu‐ komplex ein zu lösendes Problem sein lator auf dem Apple II. Microso kann – und was Menschen tun, wenn erhielt die Lizenz, das Spiel ür PCs Pläne nicht mehr zur erlebten Wirklich‐ umzusetzen. Der Flight Simulator 1.0 keit passen. erschien im November 1982. In der Fol‐ Im einfachsten Fall wird auf dem ge erschienen immer neue Versionen Computerbildschirm ein Flugzeugcockpit mit mehr und komplexeren Flugzeugen und die Umgebung angezeigt. Mit Hilfe und detaillierteren Landschaen. Im von Joystick, Maus und Tastatur starten, Jahr 2006 wurde mit dem Microso fliegen und landen wir das Flugzeug. Flight Simulator X die bis dato letzte Manchmal können wir bestimmte
der einnehmen, Gegner besiegen), aber es ist nötig, sich je nach Spiel selbst Teil‐ ziele zu setzen, das heißt Teilprobleme zu identifizieren und ür diese Lösungen zu finden, die gleichzeitig zur Lösung des Gesamtproblems beitragen. Die Denk‐ leistungen, die solche Spiele verlangen, können enorm sein, die Selbstwirksam‐ keitserfahrung bei erfolgreichem Gewinn sehr hoch. Dies ist letztlich die Befriedi‐ gung, die man beim erfolgreichen Spielen einer mitunter mehrere Tage echter Spielzeit dauernden Kampagne empfin‐ det. Darum machen diese Spiele Spaß – zumindest wenn man den, wie schon be‐ tont, fragwürdigen Hintergrund vieler Szenarien ignoriert, oder sich auf weni‐ ger realistische Fantasy- und Science-Fic‐ tion-Szenarien beschränkt.
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Version veröffentlicht; dann wurde das Entwicklungsteam aufgelöst und es kam zu einer langen Pause. Doch wenn vorliegendes Buch erscheint, ist der neue Microso Flight Simulator 2020 bereits veröffentlicht. Wie schon in der allerersten Version (die einem PC, wenn sie denn darauf lief, das Label „100% IBM PC kompatibel“ verlieh) düre auch die neue Version wieder ein Test ür die Leistungsähigkeit der eigenen Hardware sein. Die Pause in der Entwicklung des MSFS wurde durch andere Hersteller geüllt. Für Ausbildungs- und Lehr‐ zwecke entwickelte der amerikanische Rüstungskonzern Lockheed Martin auf Basis des MSFS die Simulation Pre‐ par3D, die zum Zeitpunkt des Schrei‐ bens dieses Buches der De-FactoStandard ür semiprofessionelle Flugsi‐ mulation ist. Schon 1993 erschien die erste Versi‐ on von Laminar Researchs X-Plane. Sehr lange ein funktional begrenzter Außenseiter, hat dessen aktuellste Ver‐ sion X-Plane 11 (2016) in Grafik, Um‐ fang, Komplexität und Unterstützung durch Drianbieter mit dem MSFS gleichgezogen. X-Plane läu nicht nur unter Windows, sondern ist auch eine Alternative ür Computer mit den Be‐ triebssystemen Linux oder macOS. Auch AeroflyFS 2 (2014) des Tü‐ binger Herstellers IPACS wird langsam zu einer ernstzunehmenden Alternati‐ ve. Zwar sind Szenerie- und Flugzeug‐ auswahl im Vergleich begrenzt und es fehlen noch die Möglichkeit, echtes Weer einzustellen, eine Flugverkehrs‐ kontrolle oder wirklich tiefgehend si‐ mulierte Flugzeugmodelle. Dennoch ist AeroflyFS 2 ür einen schnellen Flug zwischendurch und einen Einstieg ins Hobby eine ausgezeichnete Wahl – ins‐ besondere die Nutzung von VirtualReality-Brillen ist mit AeroflyFS 2 un‐ übertroffen. Das Geühl des Fliegens (vgl. Kapitel 6) kommt unter Virtual Reality besonders gut zum Tragen. 25
Da es in diesem Kapitel um das Lösen von Problemen in Spielen geht, konzen‐ triere ich mich hier nicht auf das Flugge‐ ühl, sondern auf die Planung eines Fluges und die anschließende navigatori‐ sche Umsetzung. Das ist ja auch eine der Fragen, die man sich als Laie beim Ur‐ laubsflug mitunter stellt: Woher wissen die Pilot*innen, wohin sie fliegen müs‐ sen? Wie schaffen sie es, so ein riesiges technisches Gebilde punktgenau auf ei‐ ner doch recht schmalen Landebahn auf‐ zusetzen? Entzaubern wir also dieses Mysterium ein Stück: Fliegen Sie mit mir von New York City nach Miami. Beide Städte sind Ikonen der Popkultur – zahlreiche Filme, Fernsehserien und Computerspiele haben uns glorifizierte Versionen dieser Städte nähergebracht. Spielerisch wurden die‐ sen Städten unter anderem in der Grand e Auto-Serie (GTA) Denkmäler gesetzt – GTA 3 und GTA 4 stellen New York als frei erkundbares, comicha überzeichnetes „Liberty City“ dar; Miami findet sich ähnlich überzogen in GTA Vi‐ ce City wieder. In GTA ährt man vor al‐ lem Auto – aber heute setzen wir uns in den Flugsimulator X-Plane 11 und reisen aus dem Großstadtmoloch in das Urlaub‐ sparadies. Ich beschreibe den Flug im Folgenden relativ ausührlich, um zu zei‐ gen, worin dabei das kreative Problemlö‐ sen besteht. Das Flugzeug, das wir verwenden, ist eine Boeing 737-300. Das Modell wurde Mie der 1980er Jahre eingeührt, zu ei‐ ner Zeit, als die 737 noch als robust und zuverlässig galt – das war lange vor dem Desaster, das der amerikanische Flug‐ zeughersteller Boeing seit 2018 mit der neuesten Variante 737 Max erlebt. Wir starten vom Flughafen La Guardia aus, der relativ nah an typischen New Yorker Postkartenmotiven liegt – insbesondere diverse Brücken, Manhaan sowie der Central Park. Von La Guardia fliegt in der Realität nur die Fluggesellscha Ameri‐ can Airways nach Miami, also suchen wir uns ür unser Flugzeug eine entspre‐
TEILPROBLEME EINES FLUGES
chende Bemalung im Internet (da die 737-300 über viel Retrocharme verügt, suchen wir uns eine ältere Variante her‐ aus, die den Aluminiumrumpf des Flug‐ zeugs zur Geltung bringt). Das ist eigent‐ lich nicht wichtig, aber es trägt zum Eintauchen in die Spielsituation bei. Ge‐ nauso wie die Auswahl des richtigen Terminals: American Airlines fliegt in La Guardia von Terminal B ab, also begin‐ nen auch wir dort unseren Flug. Er ist ür 14:29 Uhr Ortszeit angesetzt. Aber wie kommen wir überhaupt von New York nach Miami? Nun beginnt der spannende Teil – die Planung. Für alles in der Lufahrt gibt es festgelegte Abläufe und Verfahren, und dazu gehören auch An- und Abflugpro‐ zeduren an Flughäfen sowie sogenannte Lustraßen (Airways), die bestimmte Punkte am Himmel miteinander verbin‐ den. Diese Straßen sieht man natürlich nicht – es sind einfach festgelegte Rou‐ ten, die man zu fliegen hat (nicht immer gilt das – bei einem Sonntagsausflug mit einem Ultraleichtflugzeug von einem ländlich gelegenen Grasflugplatz zum nächsten hat man mehr Freiheiten und es gibt einfachere Regeln). Wir brauchen also Karten, aus denen hervorgeht, wo wir langfliegen können, und wir müssen uns überlegen, wie wir New York La Guardia verlassen und auf dem Miami International Airport ankommen. Glücklicherweise gibt es ür Flugsi‐ mulations-Fans mehrere kostenlose und kommerzielle Angebote, die im Wesent‐ lichen auf realen Lufahrtkarten und Navigationsdaten beruhen. Außerdem gibt es Websites und Programme, die uns automatisch Routen vorschlagen (Abb. 2.6). Die können wir abspeichern und danach direkt in den sogenannten Flight Management Computer (FMC) unseres Flugzeugs laden. Obwohl das übrigens eher der Realität einer kommerziellen Fluggesellscha entspricht (wo auch nicht jede*r Pilot*in jeden Flug selbst plant, sondern sich auf entsprechende Abteilungen des Arbeitgebers verlässt),
Der Plan: Realistischerweise halten wir uns an die richtigen Lu straßen und An-/ Abflugrouten.
Der Start: Das ist eine der kritischsten Phasen eines Fluges, denn falls etwas schiefgeht, müssen wir schnell handeln.
Im Reiseflug fliegt der Autopilot. Das kann ermüden, aber bei Problemen müssen wir trotzdem schnell ‚da‘ sein.
Anflug und Landung gehören zu den befriedigensten Momenten, wenn alles wie geplant ineinandergrei . 26
Abb. 2.6 Für (fast) professionelle Flugplanung gibt es Zusatzso ware, die auf echten Navigationsdaten und Karten basiert. Anbieter wie Navigraph (oben) und Aeroso bieten Abonnements an, damit die Daten stets auf dem aktuellen Stand sind. Das sorgt nicht nur für ein plausibleres Simulationsgefühl, sondern ist wichtig, wenn man gemeinsam mit anderen Spieler*innen online im Internet im gleichen virtuellen Lu raum unterwegs ist. Eine damit geplante Flugroute sieht für Uneingeweihte ziemlich kryptisch aus, so auch unser Flug von New York nach Miami: KLGA BIGGY J75 GSO Q75 SLOJO Q83 JEVED Q97 KENLL OMN HILEY7 KMIA. Alles klar? Das Schöne daran ist, dass das alles eine Bedeutung hat: KLGA und KMIA sind unsere beiden Flughäfen: KLGA steht für La Guardia und KMIA für Miami International (ähnliche Flughafenkürzel kennen Sie auch aus dem Urlaub von dem Gepäckanhänger an Ihrem Koffer). BIGGY, GSO, SLOJO, JEVED, KENLL und OMN sind Wegpunkte auf unserer Route. Dort wechseln wir von einer Lu straße auf die andere. Wir sind zuerst auf Airway J75 unterwegs, bis wir bei GSO auf Q75 wechseln. Bei SLOJO geht es dann mit Q83 weiter, bis wir bei JEVED auf Q97 wechseln. Man kann sich das wirklich ein wenig wie Autobahnabfahrten vorstellen. Die Airways fassen mehrere Wegpunkte zusammen, sodass wir in den FMC nur die Airways eingeben müssen. HILEY7 schließlich ist ein sogenannter STAR, was für Standard Arrival steht. Ein STAR führt uns von unserer Reiseroute zu unserem Flughafen; wieder besteht er aus mehreren Wegpunkten. Am Ende eines STAR folgt gegebenenfalls noch ein Approach (Anflug), der uns in den Endanflug auf die Landebahn bringt.
gibt es auch Simulator-Spieler*innen, die den Flug komple selbst planen. Ich per‐ sönlich gehe meist einen Mielweg – ich lasse mir Flugrouten automatisch gene‐ rieren, gebe die einzelnen Wegpunkte und die Performancedaten aber per Hand in den FMC ein. So weiß ich genau, auf welchen Plan ich mich da verlasse (echte 27
Pilot*innen überprüfen natürlich eben‐ falls genau den ür sie erstellten Flugplan – immerhin sind sie am Ende in der Ver‐ antwortung). In unserem Beispielflug rollen wir nach dem Tanken und Beladen von Ter‐ minal B zur Startbahn, das ist in unserem Fall Runway 31. Nach dem Abheben stei‐
gen wir weiter und drehen bald auf den ersten Wegpunkt mit dem schönen Na‐ men BIGGY zu. Ab da werden wir auch den Autopiloten anschalten – er wird unser Flugzeug die meiste Zeit der nächsten knapp dreieinhalb Stunden auf Kurs und in der Lu halten (dazu nutzt er die Daten, die wir vorher im FMC ab‐ gespeichert haben). Der Steigflug bietet uns einen grandiosen Ausblick auf New York City (Abb. 2.7) – vor allem, wenn wir unseren Simulator so erweitert ha‐ ben, dass die Stadt fast 1:1 wiederzuer‐ kennen ist. Das ist einer der Gründe, warum Flugsimulation Spaß macht: Das virtuelle Nacherleben vergangener Ur‐ laube (oder auch die Vorwegnahme von Reisen, die man vielleicht einmal machen möchte). Wir beschränken uns im weiteren Verlauf darauf, die Instrumente zu über‐ wachen – funktionieren die Triebwerke richtig? Stimmen Kurs und Geschwin‐ digkeit? Reicht der Treibstoff wie ge‐ plant? Ist draußen etwas Ungewöhnli‐
ches zu sehen (zum Beispiel andere Flugzeuge, die da nicht hingehören)? Wenn wir nicht die Simulatorzeit be‐ schleunigen (was technisch möglich ist), sitzen wir also knapp drei Stunden vor unserem Computer und betrachten kon‐ zentriert den Bildschirm. Von außen be‐ trachtet mag es so aussehen, als täten wir gar nichts. Aber wir sind stets wachsam, und wir bereiten uns auch auf die zu er‐ wartende Situation am Zielflughafen vor – wie ist das Weer dort? Welche Lande‐ bahn wird entsprechend verwendet? In meinem Beispielflug geschah nun etwas Unvorhergesehenes. Wegen eines Soware-Fehlers in der Simulation fiel der FMC aus, sodass der Autopilot nicht mehr durch den FMC gesteuert werden konnte. Der im wahrsten Sinne des Wor‐ tes programmierte Ablauf konnte nicht wie geplant ausgeührt werden. Was soll‐ te ich tun? Zuerst wollte ich dem spiele‐ rischen Impuls nachgeben, einfach von Hand zu fliegen. Aber an sich funktio‐ nierte der Autopilot ja. Ich entschied
Abb. 2.7 Flugsimulation (unten: X-Plane 11, 2016) bietet Ausblicke, die wir in der echten Welt nur selten – oder gar nicht – zu Gesicht bekommen. Ein Abflug von der Runway 31 am Flughafen La Guardia in New York City gehört dazu. Er führt uns vorbei an Central Park, Upper Westside und Manhattan. Mit einer Wasserlandung im Hudson River rettete 2009 Captain Chesley Sullenberger nach einem Vogelschlag alle Insassen seines Airbus.
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mich also daür, dem Autopiloten einfach konkrete Befehle geben, indem ich an Drehknöpfen die Richtungen und Höhen einstellte, wohin das Flugzeug fliegen sollte. Da der Blick aus dem Fenster wol‐ kenverhangen war, musste ich mich an den Karten orientieren. Glücklicherweise hae ich die Anflugrouten genau studiert und wusste, wo ich in welcher Höhe sein musste und wann ich in welche Richtung zu drehen hae. Trotzdem war der bis dato fast langweilige Flug auf einmal sehr aufregend, denn je näher ich dem Flughafen kam, desto mehr war zu erle‐ digen. Kurz vor Landung schaltete ich den Autopiloten aus und brachte meine virtuellen Passagiere sicher runter. In der echten Verkehrslufahrt arbei‐ ten zwei gut ausgebildete Menschen im Cockpit zusammen. In der Simulation am PC ist das in der Regel nicht der Fall. Deswegen ist die Antwort auf die manchmal gestellte Frage, ob ein*e Flug‐ simulations-Spieler*in ohne Ausbildung im Notfall ein echtes Flugzeug landen könnte, auch ein klares Nein. Doch trotz der vereinfachten und gefahrlosen Situa‐ tion ist es ein großes Erfolgserlebnis, das Flugzeug am Ende sicher auf der Lande‐ bahn aufzusetzen. Da ist wieder dieses besondere Selbstwirksamkeitserleben, das uns in dieser Form nur Computer‐ spiele geben können. Und das bei man‐ cher Person sogar dazu geührt hat, ei‐ nen echten Flugschein zu erwerben.
Insbesondere ür Strategie- und Taktik‐ spiele entwickeln Fans zahlreiche neue Szenarien, die dann von ihnen selbst oder von anderen Spieler*innen gelöst werden können. Vielleicht ist ein*e Spieler*in auch damit unzufrieden, wie die Ent‐ wickler*innen bestimmte Probleme und Handlungsmöglichkeiten modelliert ha‐ ben – wenn das Spiel leicht modifizierbar ist, lässt sich schnell Abhilfe schaffen. Oder ein*e Spieler*in möchte die vorge‐ gebene Spielwelt realistischer oder ab‐ wechslungsreicher gestalten – etwa die im Spiel sichtbare Welt so anpassen, dass sie der erzählten Beschreibung der Spiel‐ welt genauer entspricht. In solchen Fäl‐ len stellt sich das Spiel selbst als Problem dar. Die Rollenspielreihe e Elder Scrolls ist daür ein prominentes Beispiel (vgl. zu der Reihe auch Kapitel 6.4 und Kapitel 9). Auf narrativer Ebene wird uns mitgeteilt, dass die Spielwelt sehr weitläufig ist und einige sehr große Städte umfasst. Doch die Städte, die wir in den Elder-ScrollsSpielen tatsächlich besuchen, bestehen bestenfalls aus ein paar Häusern und sind vielleicht von einem Dutzend computer‐ gesteuerter Figuren (Non Playing Cha‐ racters, NPCs) bewohnt. Das ist zunächst nichts besonders Enäuschendes. Schon aus rein technischen, wirtschalichen, spielmechanischen und narrativen Grün‐ den sind Spielwelten nicht als plausible Simulation einer echten Welt gedacht. Eine wirklich realistische Simulation ei‐ ner Spielwelt müsste so groß und umfas‐ send sein, dass sie an technische Grenzen stieße und auch gar nicht mit genug 2.4 Kreative Erweiterung durch Mods sinnvollen Inhalten geüllt werden könn‐ te (vgl. Kapitel 4.1). Eine Spielumgebung 2.4.1 Das Potenzial ähnelt daher eher einem Diorama. Diora‐ Eine beliebte Beschäigung im Zusam‐ men sind diese erstaunlich echt wirken‐ menhang mit Computerspielen ist es, sie den Schaukästen, mit denen der französi‐ zu verändern. Solche von Spieler*innen sche Maler Louis Daguerre (1787-1851) erstellten Modifikationen (Mods) können zuerst bekannt wurde, bevor er später sich auf Spielmechanik und Regeln bezie‐ mit der Daguerreotypie die erste weit hen, aber auch die im Spiel dargestellte verbreitete Fotografie-Technik entwickel‐ virtuelle Welt verändern. O geht es um te. Ein gut gemachte dioramaartige Spiel‐ das Schaffen neuer zu lösender Probleme. welt kann sehr atmosphärisch sein. 29
Das Besondere an der Elder-ScrollsReihe ist, dass diese Spiele von vornher‐ ein auf leichte Modifizierbarkeit ausge‐ legt sind. Von harten technischen Be‐ schränkungen abgesehen, gibt es daür kaum Grenzen. Dies ist ein Hauptgrund ür den Erfolg dieser Reihe. Selbst Jahre nach Erscheinen eines Spiels wie e El‐ der Scrolls 5: Skyrim (2011) können wir uns im Internet noch neue Modifikatio‐ nen ür das Spiel herunterladen. Einige Mods erweitern die Spielwelt im wörtlichen Sinne – sie vergrößern gleichsam die Dimensionen des Diora‐ mas, sie stellen neue Landschaen, neue Szenen dar, die wir mit unserer Spielfigur erkunden. Dies kann erstens den Versuch darstellen, die im Spiel sichtbare Welt der erzählten Spielwelt anzugleichen – die Städte zu vergrößern, fehlende Ort‐ schaen hinzuzuügen oder vorhandene Gebiete landschalich anzupassen. Zweitens gibt es Erweiterungen, in denen die Welt eines Einzelspiels der Reihe um Gebiete aus anderen Spielen der Reihe ergänzt wird – dann können wir aus der Region Skyrim im gleichna‐ migen Spiel auch in die Region Cyrodiil (aus e Elder Scrolls 4) oder nach Morro‐ wind (aus e Elder Scrolls 3) reisen. Driens gibt es Mods, mit denen Spieler*innen solche Regionen und Orte einbauen, die noch nie von offizieller Entwickler*innen-Seite umgesetzt wur‐ den, obwohl sie zur erzählten Welt gehö‐ ren. Viertens schließlich gibt es komple neue Länder, die vielleicht gar nichts mehr mit der erzählten Welt zu tun ha‐ ben müssen. Alle vier Formen sind ein kreativer Ausdruck der Spieler*innen, die nicht bei der bloßen Rezeption von Spielen ste‐ henbleiben. Es kommt hier gar nicht so sehr auf eine irgendwie ‚objektive‘ a‐ lität an; so eine Wertung würde sich nor‐ mativ an Spieldesign, narrativer alität, Grafik oder Klang orientieren. Wichtig ist, dass Modder*innen eine aktivere Auseinandersetzung mit den Spielen su‐ 30
chen als bloße Spieler*innen es tun. Manche Modder*innen verlassen da‐ bei die sicheren Wege des Grundspiels komple. Die Skyrim-Mod Enderal (2016) bietet eine komple neue offene Welt, die mit dem Ursprungsspiel nichts zu tun hat. In jahrelanger Arbeit hat das Enderal-Team eine komplexe Geschichte erschaffen, die vor allem in psychologi‐ scher Hinsicht ungewöhnlich ist. Sie ver‐ strömt eine ernsthae, manchmal an‐ strengend hoffnungslose Atmosphäre und regt zum Nachdenken an. Enderal kühlt das ‚heiße‘, leicht konsumierbare Skyrim ab (um nochmal Christian Hu‐ berts‘ auf McLuhan basierende Unter‐ scheidung aufzugreifen, vgl. Kapitel 1). Der Erfolg der Mod zeigt, dass in Spieler*innen mehr steckt als bloßes Un‐ terhaltungsinteresse: Spieler*innen wollen mehr als Geschäigkeit. Das sollte eigent‐ lich nicht überraschen, doch kommerziel‐ le Spiele müssen sich eben o auf den vermuteten kleinsten gemeinsamen Nen‐ ner Spieler*innen-Ge‐ hinsichtlich schmack einigen. Kommerzielle Spiele erwecken so den Eindruck, als wäre auch nur dies gewollt. Mods können hier viel weiter gehen. 2.4.2 Mods und Gesellscha skritik Modder*innen konstruieren und dekon‐ struieren Spielwelten – im wörtlichen und erkenntnistheoretischen Sinne. Das klingt gut und spielt sich o auch gut – und ist manches Mal gesellschaspoli‐ tisch aufschlussreich. Ich will hier an‐ hand der Elder Scrolls kurz auf die emen Sexismus und Rassismus in Be‐ zug auf Mods eingehen, insofern Mods einen Kommentar zu den im Spiel imple‐ mentierten Sichtweisen darstellen kön‐ nen. Wie die meisten Fantasy-Rollenspiele zeigen auch die Elder Scrolls grundsätz‐ lich eine patriarchalische, heteronormati‐ ve Gesellscha. Als Spieler*in können wir unsere Spielfigur zwar zwischen
Mann und Frau wählen und die Wahl hat keinen Einfluss auf die Spielmechanik; selbst eine gleichgeschlechtliche Hoch‐ zeit ist möglich. Aber das sind lediglich Cassidy Oberflächenmerkmale (vgl. 2016). Computerspiele wagen sich aus kommerziellen Gründen in der Hinsicht meist nicht weit vor. Modifikationen von Spieler*innen, die keinen inhaltlichen und kommerziellen Einschränkungen unterliegen, häen ei‐ gentlich das Potenzial, über unsere übli‐ chen gesellschalichen Vorannahmen und über Genrekonventionen hinauszu‐ gehen; bei den Elder Scrolls etwa die trotz spielmechanischer Gleichberechtigung doch erkennbare patriarchalische Gesell‐ scha zu hinterfragen. Doch stadessen weisen manche Mods sogar in die entge‐ gengesetzte Richtung. Das gibt es einerseits ganz plump: Zu den beliebtesten Elder Scrolls-Mods gehö‐ ren solche, die weibliche Spielfiguren mit unrealistischen körperlichen Aributen und knapper Kleidung ausstaen (vgl. Prell 2012). Auch die Herstellung solcher Mods hat sicher irgendwo ein kreatives Moment – aber sie zeigen doch eher als Symptom, an welchen Einstellungen eine Gesellscha noch arbeiten muss, um Se‐ xismus zu überwinden. Denn der sitzt tiefer, als solche einfachen Grafikmods zeigen. Für Skyrim gibt es beispielsweise eine Modifikation namens GABI („Genders Are Boringly Indistinct“), die spielme‐ chanische Unterschiede ür Männer- und Frauencharaktere hinzuügt. Das Grund‐ konzept dieser Mod ist, dass sich männli‐ che Spielfiguren stärker auf das Erlernen bestimmter Fertigkeiten fokussieren kön‐ nen, während bei weiblichen Figuren nur der allgemeine Stufenaufstieg schneller geht. Offenbar sind es also Männer, die etwas schnell gut können (die konkreten Fertigkeiten im Rahmen der Spielmecha‐ nik), während Frauen eine unspezifische (vielleicht müerliche?) Lebenserfahrung besitzen (die durch die Stufe der Figur symbolisiert wird). Es ist unklar, ob sol‐ 31
che Überlegungen bei der Entwicklung der Mod eine Rolle spielten, sie drängen sich aber auf. Die Mod ügt auch neue Eigen‐ schaen ür die verügbaren Spezies hin‐ zu. Eine Veränderung sticht besonders ins Auge: Spielen wir einen Mann aus dem Kaiserreich, erhalten wir einen zehnprozentigen Bonus auf die Chance, weibliche Figuren einzuschüchtern. Als Frau haben wir hingegen gegenüber männlichen Figuren zehn Prozent gerin‐ gere Bestechungskosten. Offenbar kom‐ men Männer also vor allem bedrohlich rüber, während Frauen besonders gut die Männer becircen können. Ein Kommen‐ tar auf der Downloadseite der Modifika‐ tion drückte dies so aus: „Also sind Frau‐ en Prostituierte und Männer sind häusliche Vergewaltiger“. Es ist nicht er‐ kennbar, ob der Kommentar als Kritik ge‐ meint war, aber der Entwickler der Modi‐ dass fikation entgegnete, diese Interpretation in keinster Weise beab‐ sichtigt wäre, er sie jedoch nachvollzie‐ hen könne. Die geschilderte Mod gehört zu den unbekannteren, aber im Zusammenhang mit anderen fragwürdigen Mods, dem Mangel an progressiven Mods sowie im‐ mer wieder auommenden Diskussionen unter Spieler*innen, ob die Reihe nicht sogar zu ‚politisch korrekt‘ wäre, zeich‐ net sich doch das Bild einer patriarcha‐ lisch eingestellten Spielerscha ab. Die Autorin und Modderin Amy Josuweit fragte 2017: „Modden wird durch Ange‐ bot und Nachfrage bestimmt: Die Leute erstellen und laden die Mods herunter, die sie spielen wollen. Was sagt es über die Gaming-Community und unsere Ge‐ sellscha insgesamt aus, wenn [sexisti‐ sche] Mods die am meisten heruntergela‐ denen sind?" (Josuweit 2017). Auch struktureller Rassismus ist ein Pro‐ blem in Spielen, das durch Mods in die eine oder die andere Richtung beeinflusst werden kann. Viele Fantasy-Rollenspiele bieten die Möglichkeit, die Spielfigur aus
einer von mehreren Spezies auszuwäh‐ len, die als ‚Rassen‘ bezeichnet werden. Dieser Begriff wird nicht hinterfragt. Das ist typisch ür das Fantasygenre, wie es sich in westlichen Ländern seit Tolkiens Roman Der Herr der Ringe und dem Rol‐ lenspiel Dungeons & Dragons etabliert hat. Da gibt es zum Beispiel Menschen, Zwerge, Elfen oder Orks, mitunter je‐ weils in verschiedenen Varianten und mit rassenspezifischen Auswirkungen auf die Spielmechanik. Der Historiker Paul B. Sturtevant be‐ zeichnet das als „Erbsünde“ des Genres. Er schreibt: „Der Kern des Problems ist, dass Tolkien Rasse, Kultur und Fähigkei‐ ten zusammenfließen lässt. Hobbits, sagt er, sind eine Rasse, und basierend auf ei‐ ner Kombination ihrer ererbten Merkma‐ le und kulturellen Praxis können sie besser stehlen als andere Rassen.“ (Stur‐ tevant 2017). Spiele wie Dungeons & Dragons und andere erfolgreiche Fantasy-Rollenspiele schreiben diese veraltete Sichtweise fort.
Dies, so Sturtevant, „ist ein großes Pro‐ blem, denn es sagt den Kindern und Er‐ wachsenen, die [so ein Spiel] spielen, dass Rassenunterschiede gleichbedeutend mit Unterschieden in den Fähigkeiten und sogar der Moral sind“ (ebd.). In der Elder Scrolls-Reihe können die eher hellhäutigen Bretonen besonders gut zaubern (Magie ist in der Serie objek‐ tiv vorhanden und entspricht in gewisser Weise unserer Wissenscha). Die dun‐ kelhäutigen Rothwardonen (Abb. 2.8) können beim Kampf zwar in einen Ad‐ renalinrausch geraten, haben aber in den Serienteilen Daggerfall und Oblivion ge‐ ringere Intelligenz und Willenskra (wo‐ durch sie nicht schlau genug sind, um zu zaubern, vgl. Jansen 2018). Die Kultur der katzenartigen Khajiit erscheint als diffuse Mischung nicht-europäischer, menschli‐ cher Elemente: Manche Spieler*innen ühlen sich an Persien erinnert, andere an arabische Kulturen, wieder andere se‐ hen in den Khajiit Sinti und Roma. Die Khajiit sind gute Diebe, handeln mit
Abb. 2.8 In Fantasy-Rollenspielen wirken sich o ‚natürliche‘ Eigenscha en auf Fähigkeiten aus. Die dunkelhäutigen Rothwardonen (Redguard) in The Elder Scrolls sind durch die Fähigkeit „Adrenalinschub“ gute Kämpfer*innen. In Teil 2 und 4 der Reihe wurden sie zudem mit 10% niedrigerer Intelligenz und Willenskra als andere Spezies gezeigt. Sie wären also unbeherrscht und dumm. Dies wurde mehrfach als rassistisch kritisiert.
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Hehlerware und Drogen, und besonders in Oblivion traten sie als Straßenräuber in Erscheinung. Die Spielwelt zeigt also eine Norm, die im Internet immer wieder als strukturell rassistisch kritisiert wird: Hellhäutige Menschen sind scheinbar ür Kultur und Magie (= Bildung) zuständig; dunkelhäutige Menschen oder Spezies, die sich an realen nicht-weißen Kulturen orientieren, erscheinen wild, fremdartig und tendenziell kriminell. Dass die Spiele erzählerisch Rassisismus durchaus kriti‐ sieren, wirkt vor diesem Hintergrund mindestens inkonsistent (Abb. 2.9). In einem verwandten Zusammenhang wird auch auf das Konzept der kulturel‐ len Aneignung in Fantasy-Rollenspielen hingewiesen, nach dem Menschen in Machtpositionen (hier mehrheitlich wei‐ ße Spielentwickler*innen) sich bei Ele‐ menten anderer Kulturen bedienen, um Fremdartigkeit zu vermieln (Jayemanne 2017, 176). Sturtevant ru die Er‐ schaffer*innen von Fantasywelten dazu auf, die überkommenen Klischees abzule‐
gen: „Besteht darauf, dass People of Co‐ lor und nichteuropäische Kulturen ein lebendiger und gleichberechtigter Teil eurer erdachten Welt sind.“ (ebd.). An dieser Stelle nun können Mods in Spiel kommen. Das kann klein beginnen und muss technisch gar nicht kompliziert sein. Beispielsweise geht die Modifikati‐ on Diverse Skyrim vom Widerspruch aus, dass die fiktionale Welt der Reihe zwar ein großes Kaiserreich mit vielen Provin‐ zen ist und verschiedene Bevölkerungs‐ gruppen umfasst (Menschen, Elfen, Khajiit und andere), dass aber im konkre‐ ten Spiel vor allem hellhäutige Menschen zu sehen seien, selbst in den kaiserlichen Legionen. Dies wäre selbst ür die nord‐ europäisch wirkende Provinz Skyrim un‐ plausibel. Durch eine technisch einfache Veränderung von spielinternen Listen sorgt die Mod überall im Spiel ür größe‐ re Diversität, sowohl hinsichtlich Spezies als auch Geschlecht. Die Mod passt so die implementierte Spielwelt der erzählten Spielwelt an und sorgt an der Oberfläche
Abb. 2.9 Im Kontrast zu strukturellen Rassismen, die in der Spielmechanik aufscheinen (Abb. 2.8), positionieren sich mehrere Elder-Scrolls-Teile auf erzählerischer Ebene deutlich gegen Nationalismus und Rassismus. In Skyrim wird Rassismus gegen Flüchtlinge thematisiert (vgl. Kapitel 9.3); in The Elder Scrolls Online der politische und gesellscha liche Umgang mit Immigration. Hier liegt ein Widerspruch zwischen Struktur und Worten vor.
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Abb. 2.10 Die Mod Diverse Stardew Valley erlaubt es, die Spielfiguren in Stardew Valley (2016) diverser zu gestalten. Hervorzuheben ist, dass nicht einfach mehr Personen hinzugefügt werden, sondern dass bestehende Figuren modifiziert werden, ohne dass deren Namen oder Berufe verändert werden. Die Mod hält unseren unhinterfragten Vorannahmen damit einen Spiegel vor. (Foto: nexusmods.com/stardewvalley/mods/4079)
ür mehr visuelle Abwechslung. Dies mag sogar der Hauptgrund ür ihren recht großen Erfolg sein (gemessen an der sechsstelligen Downloadzahl). Aber die Mod zeigt eben auch, dass Fähigkei‐ ten und Berufe durch entspechend aus‐ gebildete Personen jeder Herkun und jeden Geschlechts ausgeübt werden kön‐ nen. Diversitätsmods gibt es auch ür an‐ dere Spiele, was den Bedarf daran ver‐ deutlicht. In Stardew Valley (2016) erben wir einen Bauernhof, bewirtschaen ihn und gehen sozialen Aktivitäten nach. Die Mod Diverse Stardew Valley bietet ür dieselbe Person mehrere Hautfarben, Fri‐ suren und Kleidungsstile. Mit ihr zeigt das Spiel ein positives Bild von Diversität (Abb. 2.10): Ein Arzt namens Harvey (ein Name, der auf bretonische und keltische 34
Ursprünge zurückgeht) muss nicht weiß sein, sondern kann dunklere Haut haben oder Turban tragen. Eine Frau namens Jodi (der Name ist eine Variante der eng‐ lischen Koseform von Judith, ein Name aus der Bibel) kann auch Muslimin sein und Kopuch tragen. Das mit Diverse Stardew Valley veränderte Spiel ist Statement und Vor‐ bild zugleich. Die Mod zeigt, dass Spie‐ ler*innen mit der üblichen, vom Spiel vorgegebenen, primär weißen Perspekti‐ ve nicht zufrieden sind, da die echte Welt diverser ist als im unmodifizierten Spiel. Mit der Mod passt sich das Spiel der Welt an.
3 KOMMUNIKATION
Wenn wir als Unbeteiligte*r eine andere Person beobachten, wie sie in ein Com‐ puterspiel versunken ist, erscheint das im ersten Moment nicht sehr kommunikativ. Das stundenlange Spielen eines Einzel‐ spieler-Titels mag auf skeptische Men‐ schen antisozial wirken – ist mein Sohn, meine Tochter jetzt etwa spielsüchtig ge‐ worden? Auch das Engagement in einem Online-Spiel kann doch wohl nichts mit ‚echter‘ Kommunikation zu tun zu haben – und wer weiß, was das ür Leute sind! Solche teils aus Sorgen, teils aus Vorur‐ teilen geborenen Ansichten übersehen einige Punkte: Erstens konsumieren wir Spiele nicht im luleeren Raum. Selbst wenn der ei‐ gentliche Akt des Spielens zu Hause vor einem Schreibtisch oder auf der Couch stafindet, teilen wir unsere Erlebnisse doch mit anderen Menschen. Wir reden über das Spiel, wir schreiben darüber, wir fragen andere Menschen um Rat, wir schauen uns auf YouTube oder Twitch an, wie andere Personen spielen und hin‐
terlassen dort unsere Kommentare. Ist ein neuer Titel angekündigt, den man in der Filmwelt als Blockbuster bezeichnen würde, fiebern wir mit Gleichgesinnten darauf hin, freuen uns, wenn es endlich losgeht, oder regen uns gemeinsam dar‐ über auf, wenn ein Spiel wegen techni‐ vernünig scher Probleme nicht funktioniert. Selbst ein Einzelspieler-Titel dockt also an ein verzweigtes Netzwerk sozialer Bezüge an. Zweitens konsumieren wir ja gar nicht nur. Mehr noch als bei Literatur und Film setzen wir uns mit Spielen aktiv auseinander. Wir erkunden die Möglich‐ keiten eines Spiels. Dabei erkennen wir, dass Spiele Erzeugnisse anderer Men‐ schen sind: Hinter jedem Spiel stehen dessen Entwickler*innen, die zumindest indirekt beeinflussen, wie wir mit dem Spiel umgehen. Insofern Computerspiele auch Soware sind und wir uns beim Umgang mit Soware o die Absichten der Entwickler*innen antizipieren müs‐ sen (vgl. Donick 2020), kann der Umgang
35 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_3
mit dem Spiel nicht völlig von anderen Menschen gelöst werden. Wenn wir uns bei einem Buch fragen: „Was will uns der*die Autor*in damit sagen?“ so fragen wir uns bei einem Spiel: „Was will der*die Entwickler*in hier von mir?“ Ei‐ nerseits geht es hier um das konkrete Spiel an sich – bis hin zu seiner Bedie‐ nung. Andererseits geht es aber auch um Weltbilder, die in Spielen manifestiert sind. In welche kulturellen und interme‐ dialen Kontexte ist ein Spiel eingebeet? Welche kommunikativen Praktiken, wel‐ che Symbole schreibt ein Spiel fort bzw. ratifizieren wir selbst durch das Spielen eines Spiels? Wie trägt das Spiel dadurch zum Entstehen und zum Erhalt bestimm‐ ter Wirklichkeitskontruktionen bei oder wo bietet es Alternativen an? Auch hier verweist also selbst ein Einzelspieler-Ti‐ tel auf eine soziale Ebene. Das Spiel tut es, auch ohne dass wir uns auf einer Me‐ taebene die genannten Fragen stellen. Driens schließlich weiß die Sozial‐ psychologie seit vielen Jahren, dass Kom‐ munikation im Internet echte soziale Erfahrungen ermöglichen kann (vgl. Dö‐ ring 2003, 424ff.). Es ist die Unerwartbar‐ keit, die Kommunikation ausmacht. Der Soziologe Niklas Luhmann sprach von Unwahrscheinlichkeit und Kontingenz. Wir haben bestimmte Erwartungen an unsere Kommunikationspartner*innen, die (wertfrei) erüllt oder enäuscht wer‐ den können. Es gibt einen gewissen Raum an Wahrscheinlichem, aus dem wir mit jeder kommunikativen Äußerung auswählen. Sta der dann tatsächlich realisierten Äußerung häe es aber auch anders sein können. Dieses kommunika‐ tive Spiel von Erwartung, Erüllung und Enäuschung gibt es auch bei computer‐ vermielter Kommunikation und damit auch in Onlinespielen. Das gemeinsame Lösen von Problemen, die ür eine*n ein‐ zelne*n Spieler*in zu komplex wären, verlangt gemeinsame Planung und Um‐ setzung, das heißt also Absprachen vor und während des Spiels. Man kann in ei‐ nem Online-Rollenspiel wie World of 36
Warcra oder e Elder Scrolls Online na‐ türlich mit einer zuällig zusammenge‐ würfelten Gruppe versuchen, einen Raid (das heißt einen Angriff mehrerer Spie‐ ler*innen auf einen besonders geährli‐ chen Ort voller Monster) erfolgreich zu überstehen, oder in einer Militärsimulati‐ on wie ArmA 3 ungeplant drauflos zie‐ hen. Aber das wird nur selten von Erfolg gekrönt sein. Von außen betrachtet mö‐ gen Online-Spiele mitunter bunt und hektisch wirken, oder umgekehrt so komplex, dass man sie ohne Einarbeitung kaum durchschaut. Aber wie in guten Einzelspieler-Spielen geht es um Pro‐ blemlöseprozesse, nur dass wir diesmal nicht allein (oder mit Freund*innen zu zweit vor einem Bildschirm) wie an ei‐ nem Puzzle knobeln, sondern gemeinsam mit anderen im Internet die Situation durchdenken und dann entsprechend umsetzen (oder den Plan gegebenfalls an‐ passen). Mitunter werden daür spezielle Kommunikationsformen verwendet, die sich an vergleichbaren wirklichen Situa‐ tionen orientieren (vgl. Kapitel 3.3). Dass dabei durch die sozialen Faktoren zusätz‐ lich eine Atmosphäre entsteht, die das gemeinsame Erlebnis noch intensiver werden lässt, ist ein weiterer Reiz: Letzt‐ lich haben wir hier gemeinsam mit Freund*innen eine gute, abenteuerliche Zeit.
3.1 Mensch-So ware-Kommunikation Wenn wir ein Computerspiel spielen, nutzen wir Soware, die von anderen Menschen entwickelt wurde. Bei der Ent‐ wicklung haen die Entwickler*innen bestimmte Annahmen über das Nut‐ zungsziel, die Nutzungssituation und uns selbst. In vielen Fällen werden sie ver‐ sucht haben, ihr Produkt so gut wie mög‐ lich an diesen Annahmen auszurichten, sodass uns der Sowarecharakter nicht negativ stört: Wenn wir ein simuliertes Rennen fahren, eine düstere Burgruine
Abb. 3.1 In Event[0] (2016) nutzen wir mehrere altmodische Textterminals, um mit der Künstlichen Intelligenz eines verlassenen Raumschiffs zu kommunizieren. Wir können völlig frei formulieren, aber nicht jede unserer Eingaben wird verstanden. Denn unser echter Computer, auf dem wir spielen, hat nicht die KI-Fähigkeiten des fiktiven Computers im Spiel. Der Titel erinnert darum auch sehr an Textadventures der 1980er Jahre.
erkunden, uns im U-Boot heimlich einer gegnerischen Floe nähern oder als De‐ tektiv in einem Mordfall ermieln, dann wollen wir genau das erleben, und nicht durch schlechte Benutzerührung oder auällige Fehler (Bugs) daran erinnert werden, dass wir eine Soware verwen‐ den, denn das reißt uns aus dem Spiel. Die Soware muss so gestrickt sein, dass sie unsere willing suspension of disbelief – unsere absichtliche zeitweilige Ausset‐ zung unseres Unglaubens an das im Spiel Gezeigte (vgl. Kapitel 4) – nicht stört, sondern ördert. In der Regel kennen Entwickler*innen Wege, dies zu gewähr‐ leisten (wie man das aus kommunikati‐ Sicht onswissenschalicher ördern kann, zeige ich in meinem Fachbuch „Nutzerverhalten verstehen – Soware‐ nutzen optimieren“, Donick 2020), aber wie bei jedem Plan wird es in der tat‐ sächlichen Nutzungssituation zu Abwei‐ chungen kommen. Als Spieler*in sind wir dann vielleicht frustriert, wir fragen uns, was sich die Entwickler*innen nur ge‐ 37
dacht haben, oder wir empfinden, wie der Soziologe Hartmut Rosa schrieb, die Soware als „geradezu niederträch‐ tig“ (Rosa 2019, 55). Bedienkonzepte von Spielen sind heute o standardisiert. Am PC, wo Tas‐ tatur und Maus zur Verügung stehen, bewegen wir uns meist mit den Tasten W, A, S und D vorwärts, nach links, nach rechts und rückwärts; das Bewegen der Maus ändert den Blickwinkel, und das Drücken der linken Maustaste löst eine Aktion aus, etwa das Abfeuern einer Waffe oder das Öffnen einer Tür. In Stra‐ tegiespielen zoomen wir mit dem Maus‐ rad in die Kartenansicht rein oder aus ihr raus, oder können die Karte mit gedrück‐ ter Maustaste verschieben. Wenn es Aus‐ nahmen von diesen Formen gibt, müssen sie gut begründet sein, sonst irritieren sie. Im Spiel Event[0], das an sich in einer normalen Egoperspektive dargestellt wird, bewegen wir uns anders. Sta mit W und S vor und zurück zu gehen,
Abb. 3.2 Das Spiel Adventure (1976, hier eine moderne Umsetzung) legte den Grundstein für das Genre der Textadventures, die heute als Interactive Fiction bekannt sind. Der für das Verständnis der Spieler*in-Eingaben zuständige Programmteil (der Parser) war in Adventure noch sehr einfach; spätere Titel ‚verstanden‘ komplexere Eingaben. Das Genre wurde spätestens Anfang der 1990er Jahre durch Grafikadventures verdrängt.
drücken wir daür die linke und rechte Maustaste. Das widerspricht jeder eta‐ blierten Konvention (und kann auch ge‐ ändert werden). Allerdings erkennen wir schnell, warum diese Methode verwen‐ det wird. In dem Spiel erkunden wir ein Raumschiff – eine Touristenyacht, die in der Nähe des Planeten Jupiters leer zu‐ rückgelassen wurde. Wir finden dieses Schiff, nachdem in der Einleitung des Spiels unser eigenes Schiff zerstört wurde und wir in einer Reungskapsel entkom‐ men sind. Spielziel ist es, dass wir die Künstliche Intelligenz (KI) des Schiffes dazu bewegen, uns zu helfen, nach Hause zu kommen. Nun hat die Technologie in Event[0] einen gewissen retrofuturistischen Char‐ me, der an Filme wie Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968) erin‐ nert. Während aber die Protagonisten des Films mit ihrer eigenen KI namens HAL 9000 mündlich kommunizieren konnten, ist die KI auf unserer Yacht nur über im Schiff verteilte Computerterminals er‐ 38
reichbar. Mit diesen Terminals reden wir in Textform mit der KI: Wie in einem Textadventure der 1980er tippen wir Fra‐ gen und Befehle ein und hoffen, dass die KI versteht, was wir von ihr wollen (oder dass das Spiel uns zumindest so ein Ge‐ ühl gibt, denn natürlich wissen wir, dass es unmöglich ist, dass jede denkbare Ein‐ gabe verstanden wird). Wenn wir vor ei‐ nes der Terminals treten, können wir auf unserer eigenen (echten) Tastatur einfach drauflosschreiben, ohne vorher erst das Terminal anklicken oder anderweitig in den Fokus nehmen zu müssen. Würden wir uns mit dem konventionellen WASDInterface durch das Spiel bewegen, wäre das nicht möglich; wir müssten dem Spiel erst auf andere Weise mieilen, dass wir unsere Tastatur jetzt zum Schreiben an dem Terminal sta zur Fortbewegung nutzen wollen. Dies wäre ein Bruch, es würde unser Eintauchen in die Spielwelt stören. Da wir uns aber mit den Maustas‐ ten bewegen, tri das Interface des Spiels in den Hintergrund, sodass wir direkter
mit der fiktiven KI des Raumschiff inter‐ agieren können. Event[0] ist kein sehr umfangreiches Spiel; es gibt gute, aber wenige Rätsel. Es bleibt in Erinnerung vor allem durch die einsame Weltraumatmosphäre und die fast haptischen Eindrücke, die uns die altmodischen Computerterminals be‐ scheren. Die Terminals erinnern uns an eine Zeit, als viele Spiele auf diese Weise bedient wurden: die Textadventures. Das Genre der Textadventures, das bis heute als Interactive Fiction weiterlebt (ein Beispiel zeige ich in Kapitel 7), hae seine Blütezeit in den 1980er Jahren. Beim Spielen eines Textadventures lesen wir die Beschreibung von Orten, Gegen‐ ständen und Personen. Ähnlich wie mit der KI in Event[0] interagieren wir in ei‐ nem klassischen Textadventure ebenfalls durch Tastatureingaben. Im einfachsten Fall sind das Befehle wie „gehe nach Norden“ oder „öffne die Tür“, aber mit‐ unter ist der Parser (der Teil des Spiels,
der unsere Eingaben auswertet) komplex genug, auch variantenreichere Eingaben zu verstehen – dann ist er nicht nur ein Miel zum Zweck, sondern der Umgang mit ihm ein Spiel ür sich. Es macht Spaß, eine neue funktionierende Formulierung zu entdecken. Das wohl erste Textadventure trug den Titel Adventure (Abb. 3.2). Es lief im Jahre 1976 auf einem IBM PDP-10-Com‐ puter. Es wurde vom Programmierer und Hobby-Höhlenforscher Will Crowther geschrieben. Dank der Interactive-Ficti‐ on-Community, die ein umfangreiches Archiv fast aller je veröffentlichten Wer‐ ke pflegt, ist das Spiel noch heute verüg‐ bar. Das Spiel stellte die um FantasyElemente angereicherte Erkundung einer Höhle nach, ähnlich derer, die Crowther bis vor kurzem selbst erforschte. Crow‐ ther machte zu dem Zeitpunkt gerade ei‐ ne Scheidung durch und schrieb das Spiel auch ür seine ünf und sieben Jahre al‐ ten Töchter (Montfort 2003, 85ff.) Adventure verbreitete sich schnell auf
In den 1980er Jahren wurden einfache Textadventures auch als QuellcoAbb. 3.3 de in Computerzeitschri en abgedruckt. Wer die Mühe auf sich nahm, sie abzutippen, konnte sie auf dem eigenen Heimcomputer spielen. Das Spiel Niemandsland erschien 1985 in der Zeitschri Happy Computer. Es fand sogar seinen Weg in die ehemalige DDR, wie das Bildschirmfoto unten zeigt (Version für den ostdeutschen „Kleincomputer KC85/3“).
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alle möglichen Computersysteme und brachte viele Varianten hervor. Das Spiel legte damit auch den Grundstein ür die ersten kommerziellen Abenteuerspiele. Insbesondere die Firma Infocom stellte zwischen 1979 und 1989 zahlreiche Spiele her. Zu Infocoms erfolgreichsten Titeln gehört die Zork-Trilogie (Marc Blank und Dave Lebling, 1980 bis 1983), die typische Fantasythemen bedient und teils komple‐ xe Puzzles und Rätsel bietet. Die Spiele A Mind Forever Voyaging (Steve Meretzky, 1985) und Trinity (Brian Moriarty, 1986) behandeln ernsthaere hingegen Science-Fiction-emen; sie sind stre‐ ckenweise mehr Literatur als Spiel und werden von Kritiker*innen o mit Al‐ dous Huxleys Brave New World und Ge‐ orge Orwells 1984 verglichen. Nicht zu vergessen ist auch Infocoms Textadven‐ ture-Adaption der bekannten ScienceFiction-Parodie Per Anhalter durch die Galaxis (Douglas Adams und Steve Me‐ retzky, 1986). Da sich die Computertechnik rasant ent‐ wickelte, kamen parallel zu den Textad‐ ventures auch Grafikadventures auf. Ansta die Umgebungen als Texte zu be‐ schreiben, wurden sie mehr oder minder detailliert visualisiert. Anfangs, wie im ersten Grafikadventure Mystery House (1980), dienten die Bilder nur als Illustra‐ tion von weiterhin vorhandenem Erzähl‐ text. grafische Als später sich Benutzeroberflächen mit Mausbedienung durchsetzten, passten sich auch die Spie‐ le an. Ansta Befehle (an die man sich vielleicht erstmal erinnern musste) per Hand einzugeben, konnte man sie aus vorgegebenen Menüs auswählen. Man‐ che Fans von Textadventures bedauerten, dass das Spiel im Spiel mit dem Parser nun durch eine viel einfachere Bedien‐ weise ersetzt wurde, aber Textadventures wurden von Grafikadventures bald ver‐ drängt. Deren Grafik- und Klangqualität wurde immer besser; die Bedienweisen immer einfacher (bald brauchte man auch keine Befehle mehr in Menüs wäh‐ 40
len). Als Klassiker des Genres gelten Déjà Vu (1985), Maniac Mansion (1987), e Se‐ cret of Monkey Island (1990), e 7th Guest (1993), Myst (1993), Baphomets Fluch (1996) und Grim Fandango (1998); viele weitere gute und schlechte Spiele existieren. Einen gewissen Niedergang erlebte das Genre um das Jahr 2000 her‐ um, was unter anderem an der Verbrei‐ tung immer realistischerer, in Echtzeit berechneter 3D-Grafik lag. Es entwickel‐ ten sich die eingangs erwähnten, stan‐ dardisierten Eingabemethoden, bei denen ür komplexere Interaktionsformen kein Platz mehr war – Ausnahmen wie Event[0] bestätigen in ihrer anachronisti‐ schen Natur nur diese Regel.
3.2 Konstruktion der Wirklichkeit Was wir als Gemeinscha von unserer Welt wissen, wird durch Kommunikation bestimmt. Menschen untereinander eini‐ gen sich darauf, was als wahr, gültig oder brauchbar anerkannt ist und was nicht. Sie legen Regeln fest, nach denen dies ge‐ schieht und die wir als gesellschaliche Funktionssysteme beobachten können: das Wissenschassystem, das politische System, das Wirtschassystem, das reli‐ giöse System usw. Insbesondere Spiele mit komplexeren Interaktionsmöglichkei‐ ten können diese Vorgänge verdeutli‐ chen. Die Welt des Spiels ist dort nicht einfach ‚da‘ und ‚as is‘ rezipierbar, son‐ dern wir müssen sie uns aktiv erschlie‐ ßen. Wir müssen durch Kommunikation herausfinden, was eigentlich vorhanden ist und wie wir damit umgehen können – welche Probleme das Spiel uns überhaupt stellt und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. In einem Strategiespiel wie Civilization decken wir rundenweise die Weltkarte auf und erfahren so schriwei‐ se etwas über unsere Möglichkeiten. In einem Taktikspiel wie Open General er‐ kunden unsere Truppen dank unserer
Eingaben das Gelände und spüren Geg‐ ner auf. In der Horror-Reihe Silent Hill (vgl. Kapitel 7) lernen wir die Schauplät‐ ze der Stadt kennen und machen den fremden, weiten, gruseligen Raum lang‐ sam zum konkreten Ort, an dem wir trotz des Grauens handlungsähig bleiben. Be‐ sonders aber zeigt sich der „ergodi‐ sche“ (vgl. Aarseth 1997) Charakter von Spielen in den erwähnten Textadventu‐ res bzw. in Interactive Fiction. Denn dort sind unsere spielerischen Akte stets Textrezeptions- und Textproduktionsakte – wir lesen und wir schreiben, um die Welt zu entdecken und sie zu gestalten: Am Anfang und am Ende steht das Wort – schriliche Kommunikation mit dem Spiel, um die Ideen aufzuspüren, die die Entwickler*innen in ihre Spiele imple‐ mentiert haben. Zur Verdeutlichung begleiten Sie mich in die Stadt Anchorhead, aus Michael Gen‐ trys gleichnamigem Spiel. Anchorhead ist eine fiktive Küstenstadt in Massachu‐ ses. Stilistisch ist Anchorhead ein klassi‐ sches Parser-Textadventure, das zuerst 1998 erschien und 2017 eine Neuauflage mit einigen Verbesserungen sowie hüb‐ schen Illustrationen erhielt. Inhaltlich lehnt sich das Spiel an die Werke des Horrorautors H. P. Lovecra (1890-1937) an. Das Spiel beginnt mit einer Alltagssi‐ tuation. Wir sind mit unserem Ehemann Michael nach Anchorhead gekommen, um uns mit einer Maklerin zu treffen. Während sich Michael zu Studien in die Bibliothek der kleinen Universität zu‐ rückgezogen hat, stehen wir vor dem Bü‐ ro der Maklerin, um Schlüssel abzuholen. Aber das Büro ist verschlossen, die Mak‐ lerin ist nicht da und es regnet. Die ganze Zeit. Dies ist der Ausgangspunkt. Durch die Eingabe von Befehlen kön‐ nen wir uns nun durch die Stadt bewe‐ gen, mit Dingen interagieren oder mit anderen Menschen (so wir denn welche treffen) sprechen. Dabei teilt uns das Spiel nicht sofort alle möglichen Infor‐ mationen mit, sondern wir müssen sie 41
schriweise selbst herausfinden. Wenn wir etwa genauer die Tür in Augenschein nehmen wollen, müssen wir dies dem Spiel mieilen, indem wir „look at door“, „examine the door“ oder einfach „x door“ eingeben. Wenn wir uns bewegen wollen, sagen wir zum Beispiel „go southeast“ oder „se“ (southeast). Das Spiel wertet unsere Eingabe aus und teilt uns an‐ schließend das Ergebnis mit – wieder als Text, auf den wir erneut mit einer Einga‐ be antworten. So erschließen wir uns nach und nach die Umgebung und finden heraus, was wir da eigentlich tun sollen – das Offensichtliche ist es, die Maklerin zu suchen. Wir können dazu zum Beispiel in der Kneipe nachfragen, die wir nicht weit entfernt entdecken: „ask bartender about agent“. Der teilt uns mit, dass er die Mak‐ lerin zwar kenne, aber sie vermutlich den Ort verlassen habe. „Manchmal sind die Leute einfach auf und davon“, sagt er gleichgültig (Gentry 2017, Übersetzung M.D.) Ein klassisches, parser-gesteuertes Textadventure wie Anchorhead ist mehr als ein Hypertext. Auch in einem Hyper‐ text setzen wir den in einer Zeitspanne tatsächlich rezipierten Text relativ frei durch Anklicken seiner Links zusammen. Die Gestalt des rezipierten Texts entsteht durch Auswahl aus einem Möglichkeits‐ raum, und je nach Kontext der Rezepti‐ onssituation – unser Interesse, unser Vorwissen und anderes – werden man‐ che Selektionen wahrscheinlicher als an‐ dere. Aber in einem Parserspiel ist dieser Prozess komplexer. Die einzelnen Textab‐ schnie, durch die wir uns bewegen, ge‐ ben nicht durch sichtbare Links mögliche Wege vor, sondern orientieren uns höchstens mit Hinweisen auf Optionen. Die Ausdehnung spatialer Räume, das heißt letztlich unsere Bewegungsmög‐ lichkeiten, sind meist noch am deutlichs‐ ten markiert. Auf einen Hinweis wie: „Im Süden ührt ein Ausgang zurück auf die Straße“ (ebd.) geben wir „s“ (Süden) ein und erhalten den nächsten Textabschni, der nun die Straße beschreibt. Aber nicht
immer ist es so einfach. Beispielsweise gibt es in südöstlicher Richtung von dem Maklerbüro eine enge Gasse (Abb 3.4). In der Gasse finden wir alte Kartons, Mülltonnen und eine Feuer‐ leiter, die an der Wand des Gebäudes im Norden in etwa zehn Fuß (drei Metern) Höhe über einer der Mülltonnen hängt – zu hoch ür uns, aber gerade das drängt sich als zu lösendes Problem auf. Da die Ausgangssituation des Spiels ja darin be‐ steht, dass wir auf die Maklerin warten
und ihr Büro verschlossen ist, wirkt diese Leiter vielleicht wie eine Einladung, auf diesem Weg in das Gebäude zu gelangen. Wenn wir erfahrene Spieler*innen sind, werden wir diese Erwartung auch des‐ halb haben, weil diese Art einfacher Rät‐ sel typisch ür Textadventures ist. Nun ist es an uns, mit Hilfe von Eingaben her‐ auszufinden, was wir tun können. Wir können zum Beispiel versuchen, auf die Mülltonne unter der Leiter zu steigen: „climb on can“. Das Spiel informiert uns,
Anchorhead (1998/2017) ist ein aktuellerer Vertreter des TextadventureAbb. 3.4 Genres. Es zeigt beispielha , dass sich die narrative Qualität und spielmechanische Komplexität seit den Anfängen des Genres stark weiterentwickelt haben. Interactive Fiction ist heute kein Mainstream-Genre mehr wie noch in den 1980er Jahren, hat aber eine treue Fangemeinde. Einen Überblick bietet die Interactive Fiction Database auf ifdb.tads.org.
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dass die Leiter jetzt nur noch wenige Fuß über uns hängt. „go up“, geben wir selbstbewusst ein, um dann jedoch zu er‐ fahren, dass wir immer noch nicht ganz an die Leiter herankommen. Versuchen wir es also mit einem der Kartons: „put box on can“. Wir wollen den Karton auf die Mülltonne stellen, um den letzten Abstand zu überwinden. Aber das Spiel teilt uns mit, dass der Karton so durchge‐ weicht ist (ach ja, es regnet, jetzt erin‐ nern wir uns wieder), dass er noch in unseren Händen auseinanderällt. Was nun? Können wir zwei Mülltonnen über‐ einanderstellen? „put can on can“ geben wir ein, aber die Tonnen sind zu schwer, wir können sie nicht hochheben. An dem kleinen Beispiel wird deut‐ lich, wie wir durch das Lesen und Schrei‐ ben von Text schriweise die Welt entdecken, die der Autor Michael Gentry erschaffen hat. Wir erkennen Teile der Beschreibungen als mehr oder weniger relevant ür die Situation und machen daran fest, welche Probleme es gerade zu lösen gilt und wie wir das anstellen kön‐ nen. Das Prinzip entspricht Problemlöse‐ prozessen generell, aber die schriliche Ausdrucksform – der variable Text eines Textadventures – ist ein schönes Symbol daür, dass wir auch in unserer echten Welt viele Probleme vor allem durch den Gebrauch von Sprache erkennen und be‐ arbeiten, und dass sprachliche Kommu‐ nikation dazu beiträgt, unsere Welt ür uns zu definieren.
3.3 Kommunikation für Kooperation Formal mit Textadventures verwandt waren in den 1980er bis 2000er Jahren auch die sogenannten Multi User Dunge‐ ons (MUDs). Das waren textbasierte On‐ line-Spiele, in denen sich mehrere Spieler*innen im Internet trafen und ge‐ meinsam Abenteuer erlebten. MUDs wa‐ weniger literarisch ren als Textadventures, sondern ähnelten mehr 43
Rollenspielen, in denen Helden gegen Monster kämpfen. Andere MUDs beton‐ ten vor allem soziale Aspekte. MUDs kann man als Vorläufer heutiger OnlineRollenspiele (Massively Multiplayer Onli‐ ne Role Playing Game, MMORPG) be‐ trachten, wenngleich sie aufgrund des Zwangs zur Textrezeption und -produkti‐ on eher wie ein besserer Chatraum wirk‐ ten, als die actionreichen Spiele heutiger Tage. MUDs zeigten aber schon, dass Menschen gemeinsam in einer virtuellen Welt viel Zeit verbringen können. Heute gibt es eine Vielzahl entspre‐ chender Möglichkeiten und entsprechen‐ der sozialer Formen, die das organisieren. In einem MMORPG wie World of War‐ cra oder Elder Scrolls Online verkörpern wir zunächst eine bestimmte Spielfigur. Die haben wir uns zu Spielbeginn selbst ausgedacht, ihr Aussehen und ihre Fähig‐ keiten in Grundzügen festgelegt, und ihr einen Namen gegeben. Diese Figur steu‐ ern wir mit den heute üblichen Bedien‐ standards (die im letzten Abschni angesprochen wurden) durch eine o sehr weitläufige Welt. Wir lösen Aufga‐ ben (ests), besiegen Monster, finden Schätze, sammeln Blümchen, Kräuter und andere Ressourcen, craen (erzeu‐ gen) ür das Spiel nützliche Gegenstände (Tränke, Nahrung, Waffen, Rüstung …) und richten uns ein eigenes Haus ein, in dem wir uns zum Beispiel mit anderen Spieler*innen treffen können. Das ist heute grafisch alles sehr schön darge‐ stellt, aber gab es alles schon in den alten MUDs. Was an einem MMORPG anders ist, sind die teils sehr schwierigen Aufgaben, die wir nicht mehr allein bewältigen kön‐ nen, sondern die Zusammenarbeit zwi‐ schen mehreren Personen erfordern. In der Regel sind das vor allem schwierige Kämpfe, die in Echtzeit stafinden, also neben schneller Reaktion und Koordina‐ tion und damit Kommunikation unter‐ einander verlangen. Eine typische Gruppe kann zum Beispiel aus vier (El‐ oder ünf der Scrolls Online)
(World of Warcra) Personen bestehen, von denen zwei besonders offensive Kämpfer sind (Damage Dealer oder ‚Schadensausteiler‘), eine den gegneri‐ schen Schaden auf sich zieht (Tank, ‚Pan‐ zer‘) und eine die drei anderen heilt, wenn sie zu viel Schaden eingesteckt ha‐ ben (Healer, Heiler). In einer erfolgrei‐ chen Gruppe wissen die Einzelpersonen, wie sie ihre Figur möglichst effizient spielen (= sie kennen ihre Fähigkeiten, Stärken und Schwächen), haben sie ent‐ sprechend des zu lösenden Problems (= des bevorstehenden Kampfes) bestmög‐ lich ausgerüstet (das heißt auch, durch andere Aktivitäten vorher im Spiel vor‐ bereitet) und wissen, was sie in einer konkreten Situation tun müssen (wann ist anzugreifen, wann ist zu heilen, usw.) Im besten Fall können diese Teams über lange Zeit bestehen und zwischen den Spieler*innen Freundschaen und sogar Liebesbeziehungen entstehen, die den Spielkontext verlassen und ins ‚echte‘ Leben eingehen. Allerdings kommt es
heute auch o zu Zufallsgruppen, bei de‐ nen man mit Menschen zusammenspielt, die man nicht gut kennt und in der dann auch Kommunikationsprobleme aure‐ ten. Nicht immer werden die sinnvoll ge‐ löst, was zu Frustration bei den Spieler*innen ühren kann. Dieses Problem gibt es nicht nur in Fan‐ tasy-MMORPGs. Auch der MehrspielerModus eines Taktik-Shooters wie ArmA 3 (Abb. 3.5), das zumindest teilweise als komplexe und realistische Militärsimula‐ tion zu werten ist, verlangt systematische Zusammenarbeit zwischen den Spie‐ ler*innen. Anders als in MMORPGs sind die Spieler*innen in ArmA 3 leicht ver‐ letztbar, man hält nur wenige Treffer ei‐ ner Waffe aus, bevor man stirbt, und man kann auch nicht auf magische Weise ge‐ heilt werden. Daher ist ein noch effizien‐ bei einem teres Vorgehen als Fantasyrollenspiel nötig. In weiser Vor‐ aussicht hat der Hersteller des Spiels da‐ frühzeitig einige her schon
Militärsimulationen wie ArmA 3 (2013) versetzen uns in komplexe KampfAbb. 3.5 situationen. Anders als in einfachen Egoshootern müssen wir in ArmA ruhig, planvoll und koordiniert vorgehen, um die gestellten Aufgaben zu bewältigen. Die nötige Kommunikation und Kooperation unter den Spieler*innen kann sehr befriedigende Selbstwirksamkeitserfahrungen erzeugen (aber gerade deshalb ist Krieg als Thema kritikwürdig, vgl. Kapitel 8).
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YouTube-Videos veröffentlicht, in denen sinnvolle Kommunikations- und Koope‐ rationswege aufgezeigt wurden. Von Spieler*innen selbst gebildete und ver‐ waltete Clans (Gruppen von Spieler*in‐ nen) geben sich teils weitere Regeln, um gutes Zusammenspiel sicherzustellen – wann etwa der Textchat erlaubt ist und wann man nur über Audiochat (TeamS‐ peak) miteinander sprechen darf; wer die Befehlsgewalt hat und also Anweisungen an die anderen Spieler*innen geben darf; wann und in welcher Art Fragen über das zu lösende Problem (die Mission) ge‐ stellt werden dürfen, und so weiter. Solche Faktoren stellen einerseits Effizienz und damit Erfolg im Spiel si‐ cher, sie sind aber andererseits auch eine spezifisch militärisch wirkende Weise der Kommunikation, die zu dieser Art Spiel passt und damit die schon erwähnte Sus‐ pension of Disbelief ördert. Das Spieler‐ lebnis, seine Atmosphäre, wird so intensiver. Gleichzeitig ratifiziert man damit natürlich auch bestimmte militäri‐ sche kulturelle Codes und Konstrukte, was man aus antimilitärischer Sicht durchaus kritisieren kann (vgl. Kapitel 8). Auch in Flugsimulationen wie X-Plane 11 (vgl. Kapitel 2 und Kapitel 6) kann Kom‐ munikation zwischen online fliegenden Spieler*innen den Realitätsgrad erhöhen und das Geühl steigern, wirklich ein Flugzeug zu steuern. Ein Flugzeug fliegt man ja nicht ür sich allein; außer in wirklich menschenleeren Gebieten steigt man nicht einfach ein und fliegt los, son‐ dern man steht in Kontakt mit Flughäfen und anderen Flugzeugen. Dies dient in der Realität der Sicherheit und im Spiel der größeren Realitätsnähe. Man meldet sich auf dem Flugplatz an; gibt an, wohin der Flug gehen wird; verkündet das Ver‐ lassen eines Platzes; meldet sich beim Zielflughafen an; man biet auch mal um Informationen zu Navigation und Weer; und anderes. Diese Art der Kommunika‐ tion ist standardisiert, in den jeweiligen Sprachen gibt es sogenannte Sprechfunk‐ 45
gruppen ür verschiedene Arten von Pi‐ lot*innen, ür zahlreiche Situationen, Flughafentypen und Anliegen. Die Funk‐ gruppen sind Formulierungsmuster, de‐ ren wichtigste man auswendig kennen sollte. Hierzu gebe ich nun ein ausührli‐ ches Beispiel, das man in der Form so‐ wohl im echten Flugzeug als auch beim Onlinefliegen in der Flugsimulation am Computer durchühren kann. Steige ich zum Beispiel an meinem Wohnort Magdeburg in ein Ultraleicht‐ flugzeug des Typs C42 mit der Kennung D-MYSF (Abb. 3.6), um nach Sichtflug‐ regeln ins ca. 60 km entfernte Stendal zu fliegen, könnte ich noch auf dem Boden vor dem Hangar folgendes sagen: „Mag‐ deburg Information, Delta Mike Yankee Sierra Foxtro, Guten Morgen!“ Damit melde ich mich bei dem Startflugplatz und allen in der Umgebung fliegenden Flugzeugen. Magdeburg hat einen soge‐ nannten unkontrollierten Flugplatz, so‐ dass es besonders wichtig ist, dass andere Pilot*innen wissen, was man vorhat. Ob‐ wohl die anderen Flugzeuge scheinbar weit entfernt von einem selbst sind, ist Kommunikation wichtig, um sich nicht in die ere zu kommen und keine ge‐ ährlichen Situationen entstehen zu las‐ sen. Falls es eine Flugleitung am Platz gibt, wird sie mir antworten: „Delta Sier‐ ra Fox, Magdeburg, Hallo“. Damit ist der Kommunikationskanal sozusagen geöff‐ net. Das Wiederholen der vollen oder ab‐ gekürzten Kennung ist wichtig, damit alle wissen, wer gerade mit wem spricht. Das ist wichtig, weil im Funk auf einer Frequenz nur jeweils ein Sender aktiv sein kann. Es gilt darum der Grundsatz, dass man wartet, bis zwischen zwei an‐ deren Parteien wirklich Stille ist, bevor man seine eigene Meldung abgibt. Durch die Kennung weiß man, ür wen eine Nachricht gedacht ist. Nun bin ich wieder dran. Ich gebe be‐ kannt, wo ich bin, wer ich bin, womit ich fliege und wohin ich will: „Delta Sierra Fox, C42, an der Tankstelle, VFR-Flug nach Stendal, erbie Roll- und Startinfor‐
mationen“. Nun wissen alle, dass ich eine C42 fliege (und können daran auch Er‐ wartungen bilden, wie schnell ich zum Beispiel bin, was ür das Einhalten ge‐ wisser Sicherheitsabstände sinnvoll ist), von der Tankstelle gleich zur Startbahn rollen werde und dass ich den Flugplatz nach dem Start vermutlich Richtung Norden verlassen werde. Die Flugleitung kann mir nun mieilen, wo die Startbahn ist und wie gerade die Windverhältnisse sind (an einem unkontrollierten Flugplatz könnte ich diese Informationen auch an‐ hand des im Wind flaernden Windsacks selbst ermieln; die Flugleitung hat keine Weisungsbefugnis, sondern dient der In‐ formation und unterstützt bei der Koor‐ dination). Und so geht es weiter. Ich rolle vor die Startbahn, mache dort einige letz‐ te Überprüfungen am Flugzeug und wenn alles in Ordnung ist und gerade niemand anderes startet, landet oder auf der Bahn unterwegs ist, geht es los: „Del‐ ta Sierra Fox, am Rollhalt der Piste 09, abflugbereit“. Eine Startfreigabe gibt es
an einem unkontrollierten Platz nicht. Am ehesten sagt die Flugleitung noch: „Start nach eigenem Ermessen“, aber falls sie sich gerade einen Kaffee holen würde, wäre das auch nicht schlimm – auf einem unkontrollierten Platz würde ich dann trotzdem starten. Auf einem großen kon‐ trollierten Flughafen wäre das hingegen ein absolutes No Go (und häe saige Strafen zur Folge). Würde ich in Magdeburg Richtung Osten starten, dann würde ich ungeähr über der Elbe Richtung Norden drehen, weiter steigen und mich verabschieden: „Delta Sierra Fox, verlasse den Platz Richtung Norden, tschüß und vielen Dank“. Dann bleibe ich noch eine Weile auf der Frequenz meines Startplatzes, wechsle dann aber irgendwann auf die meines Zielflugplatzes, wo es ähnlich weitergeht: „Stendal Info, Delta Mike Yankee Sierra Foxtro, Hallo“. Antwort: „Delta Sierra Fox, Stendal Info, Hallo“. Wieder ist ein Kommunikationskanal aufgebaut. Weiter: „Delta Sierra Fox, C42,
Abb. 3.6 Der Flug in einem echten Ultraleicht-Flugzeug wie der C42 (unten) von einem Grasplatz zum anderen ist vergleichsweise unkompliziert. Dennoch sind dabei bestimmte Kommunikationsweisen zu beachten, damit es am Himmel und auf dem Flugplatz nicht zu Durcheinander kommt. Beim Online-Fliegen am Computer im Internet mit anderen Flugsimulations-Spieler*innen lässt sich dies in gewissem Rahmen üben und trainieren.
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3000 Fuß, ca. 5 Minuten südöstlich des Platzes, zur Landung.“ Damit wissen die Flugleitung am Zielflugplatz und andere Flugzeuge in der Gegend, dass ich da bin, wo ich bin, mit was ich unterwegs bin, was ich vorhabe und damit auch, wo ich in Kürze sein werde. Dass ich übrigens in Magdeburg zu Beginn „Information“ sag‐ te und in Stendal nur „Info“, hat mit be‐ beider Besonderheiten stimmten Flugplätze zu tun. Die Flugleitung wird mir nun miei‐ len, auf welcher Bahn ich landen kann. Ich fliege weiter Richtung Platz und ord‐ ne mich in die festgelegte Platzrunde ein. Die habe ich mir vorher aus speziellen Landkarten rausgesucht. Wahrscheinlich sage ich auch: „Delta Sierra Fox dreht jetzt in den Gegenanflug zur Piste 08“ (dabei fliegt man entlang der langen Seite der Landebahn entgegen der späte‐ ren Landerichtung), kurz darauf „Delta Sierra Fox, eranflug 08, zur Lan‐ dung“ (dabei fliegt man quer zur kurzen Seite der Bahn) und am Ende vielleicht auch „Delta Sierra Fox, Endanflug 08, zur Landung“ (dabei ist man so auf die Bahn ausgerichtet, dass man nur noch sinken muss und dann möglichst auf dem Mielstreifen aufsetzt). Nach der Lan‐ dung sollten wir die Bahn schnell verlas‐ sen, damit mögliche andere landende und startende Flugzeuge nicht durch uns aufgehalten werden: „Delta Sierra Fox, habe die Bahn verlassen“. Die Flugleitung wird mir dann möglicherweise noch sa‐ gen, auf welchem Weg ich zur Parkposi‐ tion rollen soll und wo ich anschließend meine Landegebühr bezahlen darf. (Viel‐ leicht ist jetzt auch schon etwas Zeit ür Entspannung, wenn ich etwa frage, ob das Flugplatzrestaurant geöffnet hat. Da‐ ür gibt es allerdings keine Funkgrup‐ pe …) Der Sinn solch normierter Kommuni‐ kationsweisen ist natürlich wieder Effizi‐ enz, die wir vielleicht eher als Relevanz und Prägnanz übersetzen können: Die zu einem Zeitpunkt relevanten Informatio‐ nen sollen so klar wie möglich vermielt 47
werden. Das hat nicht nur mit der ange‐ sprochenen technischen Beschränkung auf nur einen gleichzeitig möglichen Sprecher/Sender pro Frequenz zu tun, sondern auch damit, andere Pilot*innen nicht mit zu viel unnötiger Kommunika‐ tion zu belasten. Wenn an einem ruhigen Platz nur ein, zwei Flugzeuge unterwegs sind, ist das kein großes Problem, aber wenn sich in einer engen Platzrunde ünf, sechs oder noch mehr Flugzeuge tummeln, muss der Fokus auf dem alten Grundsatz: „Flieg‘ das Flugzeug“ (bevor du etwas anderes machst) liegen. Zu viel oder zu umständliche Kommunikation ist da hinderlich. Die Funkgruppen sind ein Weg, die nötige Prägnanz zu schaffen. Wenn wir am Computer und gemeinsam mit anderen Spieler*innen online Flüge nachspielen – simulieren –, gilt dasselbe. Doch auch hier hat Kommunikation neben ihrer konkreten praktischen Funk‐ tion wieder die Aufgabe, uns als kompe‐ tente Person in einem Handlungsfeld zu inszenerien und dieses Handlungsfeld dadurch erst mit zu konstruieren (ähn‐ lich, wie ich das schon ür MMORPGs so‐ wie am Beispiel ArmA 3 benannt hae). Durch die Nutzung der richtigen kom‐ munikativen Codes inszenieren wir uns als Pilot*in. Wir bestätigen und konstru‐ ieren das Wirklichkeitsfeld, das wir spie‐ lerisch nachbilden. Wieder verstärkt das die Intensität des Spiels und trägt zur At‐ mosphäre bei.
3.4 Kommunikation als Selbstzweck Kommunikation kann auch ema eines Spiels sein. Sie dient dann nicht als Miel zum Zweck, um erfolgreich im Spiel zu sein, sondern sie steht selbst im Mielpunkt. Ich habe in Kapitel 3.1 schon über Interactive Fiction geschrieben – in‐ teraktive Erzählungen in Textform, deren Fortgang wir in einem bestimmten Um‐ fang selbst bestimmen können. Der Au‐ tor Mahew S. Burns hat diese Form ür
Wie gehen wir mit Kommunikationstechnologien um, die auf Künstliche Abb. 3.7 Intelligenz setzen, dabei unsere persönlichen Daten als Basis für Maschinelles Lernen nutzen und uns darauf basierend Lebensratschläge geben? Matthew S. Burns lässt uns in seiner Visual Novel Eliza (2019) diese Fragen durchdenken, ohne einen moralischen Zeigefinger zu erheben. Denn wir selbst entscheiden, in welcher Welt wir leben wollen.
seinen Apology Simulator gewählt. In dem kurzen Spiel klicken wir uns aus ei‐ ner Reihe vorgegebener Textbausteine Entschuldigungs-E-Mails zusammen. Dies geschieht Zeile ür Zeile, und so ah‐ nen wir erst nach und nach, woür wir uns überhaupt entschuldigen. Die fertige Entschuldigung ‚senden‘ wir ab. Im nächsten Schri wechseln wir die Per‐ spektive – wir sind nun Empänger*in der Entschuldigung und lesen die eben versendete Mail. Anschließend können wir entscheiden, ob wir die Entschuldi‐ gung annehmen oder nicht. In klassischen Kategorien ist das kein ‚echtes‘ Spiel, und schon gar nicht ist es ein Simulator im ingenieurwissenscha‐ lichen Sinne, aber inhaltlich dennoch ei‐ ne interessante Erfahrung. Denn Apology Simulator lässt uns über die Effekte von Kommunikation nachdenken. Das zeilen‐ weise Zusammenklicken von Entschuldi‐ gungen gibt erstens gut wieder, dass auch eine Person, die sich entschuldigen will, von der Situation irritiert sein kann 48
und nicht genau weiß, ob sie den Anlass der Entschuldigung – die Verletztheit der anderen Person – überhaupt richtig ver‐ standen hat. Weswegen zweitens die Auswahl der passenden Formulierung nicht einfach ist. Wir kennen das Phäno‐ men von E-Mails, die wir mal eben schnell schreiben und abschicken – und hinterher bereuen. Der anschließende Perspektivwechsel, bei dem die Entschul‐ digung als zusammenhängender Text präsentiert und auch optisch anders dar‐ gestellt wird, macht deutlich, dass die Nachricht in dieser Form noch einmal ganz anders wirken kann als während ih‐ rer Produktion. Während Apology Simulator als kurzes li‐ terarisch-kommunikatives Experiment erscheint, ist ein anderes Spiel desselben Autors, Eliza, ein umfangreicher Kom‐ mentar zur derzeitigen Entwicklungen in der Computertechnik. Eliza (Abb. 3.7) ist eine Visual Novel. Eine Visual Novel ist ähnlich wie Interactive Fiction eher lite‐
rarisches Werk denn ‚echtes‘ Spiel, aber im Gegensatz zur Interactive Fiction durchgehend illustriert. In Eliza werden die Texte durch verschiedene sehr gute Sprecher*innen wiedergegeben und de‐ zente, von Burns selbst geschriebene elektronische Musik untermalt das Erleb‐ nis – im Prinzip ist Eliza damit ein illus‐ triertes Hörbuch, in dem wir an Schlüsselstellen Entscheidungen über den weiteren Verlauf treffen können. In Eliza begleiten wir Evelyn, die in Seale als neue Angestellte beim fiktiven Technologiekonzern Skandha arbeitet. Evelyns ist Job Als einfach: „Proxy“ (Stellvertreterin) sitzt sie Kli‐ ent*innen gegenüber, die in einer Art erapiesitzung ihre Probleme ausbrei‐ ten. Doch nicht Evelyn selbst leitet die Sitzung, sondern das Computerpro‐ gramm „Eliza“, eine Künstliche Intelli‐ genz (KI) und neuester Erfolg Skandhas. Basierend auf Machine-Learning-Verfah‐ ren, analysiert Eliza die Äußerungen der Klient*innen und formuliert Antworten, die Evelyn genau wie vorgegeben vortra‐ gen muss – die Proxys sind nicht mehr als menschliche Stimme und Antlitz der KI, was die Akzeptanz bei den Klient*in‐ nen (und damit den Umsatz Skandhas) steigern soll. Diese erapiesitzungen nehmen einen Großteil der Spielzeit ein – wir hören uns die vollständig geskrip‐ teten Probleme der Klient*innen an, aber ansta selbst eine Antwort auszuwählen, die wir Evelyn geben lassen wollen, kli‐ cken wir auf die einzig erlaubte, von Eli‐ za erstellte Antwortmöglichkeit. Die fiktive Eliza-KI in dem Spiel wur‐ de benannt nach Joseph Weizenbaums ELIZA-Programm aus dem Jahr 1966. Weizenbaum simulierte damit auf ver‐ einfachte Weise ein psychotherapeuti‐ Gespräch. Bestimmte sches Schlüsselworte der Äußerungen wurden durch das Programm erkannt und in Antworten des Programms eingebaut. Das funktionierte eigentlich erstaunlich schlecht, aber erstaunlich viele Men‐ schen haen trotzdem den Eindruck, sie 49
würden mit einem echten erapeuten reden. Weizenbaum selbst war er‐ schüert darüber und hat sich später sehr kritisch über „Die Macht der Com‐ puter und die Ohnmacht der Ver‐ nun“ (Weizenbaum 1978) geäußert. Genau diese alte, aber immer noch aktu‐ elle Problematik nimmt im Laufe der Er‐ zählung im Spiel Eliza immer größeren Raum ein. Wir stellen fest, dass Elizas Antworten sehr schablonenha sind und nicht auf die detailliert geschilderten Probleme der Klient*innen passen. Eliza versteht eben nicht, worum es geht. Sehr schnell erfahren wir auch, dass Evelyn nicht einfach irgendeine beliebige Angestellte ist. Im Gegenteil – vor drei Jahren war sie als Informatikerin maß‐ geblich an der Entwicklung Elizas betei‐ ligt, hat den Job dann aber aus persönlichen Gründen beendet und li lange Zeit selbst an einer Depression. Die Tätigkeit als Proxy ist damit ihr erster Schri zurück in ein ‚normales‘ Arbeits‐ leben. Zu Beginn können wir uns mit Evelyn noch vorstellen, diesen Job eine ganze Weile auszuüben, denn er ist be‐ quem, bringt zwar wenig, aber ausrei‐ chend Geld und ühlt sich mitunter fast meditativ an. Doch schnell kommen alte Bekannte auf Evelyn zu. In der Technolo‐ gieszene kennt man sich, und Evelyns Talente sind nicht vergessen. Frühere Vorgesetzte bemühen sich intensiv um sie – der Skandha-CEO will Evelyn zu‐ rück als Technologiechefin, um Eliza noch viel weiter auszubauen. Soren hin‐ gegen, der im Streit von Skandha gegan‐ gene frühere psychologische Leiter des Elizaprojekts, will Evelyn ür sein neues Startup. Evelyns frühere Arbeitskollegin Nora, die der Szene den Rücken gekehrt hat, will Evelyn dazu bringen, es ihr gleichzutun. Und Rae, Evelyns direkte Vorgesetzte, will eigentlich nur mit Eve‐ lyn befreundet sein und sich mit ihr abends zum Kuchenbacken treffen. Und so geht es am Ende ür uns und Evelyn nicht mehr um die erapiesit‐ zungen. Vielmehr geht es darum, wie wir
uns zu Technologien wie Eliza verhalten, welche Gesellscha uns vorschwebt – und vor allem, was wir mit Mie Dreißig aus unserem Leben machen wollen. Wenn es ein zu lösendes Problem, eine wichtige Spielentscheidung in Eliza gibt, dann ist es diese. Alle Erlebnisse im Spiel, alle erapiesitzungen, alle fiktiven EMails und Messenger-Verläufe auf Eve‐ lyns Smartphone und alle Dialoge mit anderen Figuren bereiten uns darauf vor. Entsprechend nachdenklich lässt uns Eli‐ za zurück. Der ganz normale Alltag, menschliche Kommunikation, psychische Gesundheit und Künstliche Intelligenz – Mahew S. Burns behandelt in Eliza all dies in einer Erzählweise, die ihre e‐ men, Protagonist*innen und Spieler*in‐ nen ernst nimmt. Das im Grunde nur wenig interaktive Format der Visual No‐ vel mit seinen Standbildern ist perfekt geeignet ür die ematik der KI, der wir uns machtlos unterordnen müssen. Sel‐ ten kommen Erzählung und Spielmecha‐ nik in einem Titel so sinnvoll zusammen.
Während in Eliza Kommunikation und Technologie in einer spannenden Ge‐ schichte thematisiert werden, besteht das gesamte Spielerlebnis in Kind Words (Abb. 3.8) aus Kommunikation mit echten anderen Menschen. Wir senden anonym „requests“ (Anfragen) an andere Spie‐ ler*innen und bekommen ebenfalls an‐ onym Antworten darauf. Das Spiel zeigt ein rosafarbenes Zimmer, die Briefe wer‐ den von einem Rentier gebracht, im Hin‐ tergrund spielt entspannende Musik. ematisch geht es in den Anfragen je‐ doch um ernsthae Probleme, die die meist jungen Spieler*innen gerade pla‐ gen. Kind Words funktioniert wie der Kummerkasten einer Zeitschri, der Be‐ such der Beichte oder das Erstellen und Bearbeiten von Support-Tickets im tech‐ nischen Kundendienst: Ein längerer Aus‐ tausch zwischen zwei Personen ist nicht möglich. Die einzige messbare Beloh‐ nung ür die antwortenden Spieler*innen sind Sticker, die man durch das Bearbei‐ ten der requests sammeln kann; ansons‐
In Kind Words (2019) lesen wir Fragen anonymer anderer Menschen und Abb. 3.8 antworten darauf – ein Kommunikationssystem für kurze Kontakte hinter der Fassade eines Spiels. Hinter vielen Anfragen stehen echte Sorgen und Probleme, und darauf angemessen zu reagieren, kann schwierig sein. Kind Words erinnert uns daher daran, dass es manchmal eher darauf ankommt, zuzuhören, statt gleich nach Lösungen zu suchen.
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ten wird Kind Words nur wegen der titel‐ gebenden „freundlichen Worte“ gespielt. Die Befriedigung beim Spielen entsteht entweder, weil man etwas loswerden kann, das einem auf der Seele liegt, oder weil man anderen Menschen durch die eigene Antwort hil – wobei es ür letz‐ teres keine Garantie gibt, denn eine nochmalige Rückmeldung auf eine Ant‐ wort gibt es nicht. Man sollte annehmen, dass dies auch ‚Trollen‘ Tür und Tor öffnen würde – al‐ so Menschen, die mit Absicht beleidigen‐ de oder obszöne Nachrichten senden; Antworten, die bewusst nicht freundlich, sondern im Gegenteil verletzend gemeint sind. Aber offenbar hält sich die Anzahl entsprechend gemeldeter Beiträge bisher in Grenzen. Doch dies ührt zu einer Kri‐ tik, die zu Kind Words mitunter geäußert wird: dass das Leben nicht nur aus Freundlichkeit bestehe bzw. dass ledig‐ lich freundliche Antworten nicht immer das sind, was eine Person in einer Pro‐ blemsituation wirklich braucht. Und dass dies insbesondere jüngeren Spieler*innen unter Umständen ein falsches Bild vom Menschen vermieln würde. Und so ist Kind Words am ehesten als anonymes, auf Kurzzeitkontakte ausge‐ legtes virtuelles Gruppenkuscheln zu be‐ schreiben. Eine Sequenz aus Anfrage – Antwort mit der Anforderung, nur freundliche Worte enthalten zu dürfen, ist am Ende nicht mehr als der kurze, Smiley-geschönte, aber letztlich inhalts‐ leere und damit folgenlose Kontakt (Bukewitz 2020, 8), den die Kommuni‐ kationswissenschalerin Uta Bukewitz als fragwürdiges Merkmal unseres „Zeit‐ alter[s] des Verschwindens“ (ebd., 71) be‐ schreibt. Das kann ür diejenigen, die auf ernstgemeinte verzweifelte Anfragen aufmunternde Antworten erhalten, zwar eine ür den Moment positive Erfahrung sein – aber wie dann weiter? In Kind Words sind wir zwar nicht der Proxy ei‐ ner KI, und wir schreiben wirklich mit anderen echten Menschen, aber eine Rückfrage, wie etwa eine Antwort ge‐ 51
meint war oder ob man etwas näher er‐ klären kann, ist nicht möglich, und so ist der langfristige Effekt einer Antwort dennoch fragwürdig Auf Dauer kann dies ür die antwor‐ tenden Personen anstrengend sein. Man arbeitet sich an den echten Problemen anderer Menschen ab, ohne einen Fort‐ schri zu sehen (das Spiel belohnt einen, wie erwähnt, lediglich mit virtuellen Sti‐ ckern, die man sammeln kann). Auch darum hat Kind Words mit echten Spielen wenig zu tun. Eher ist es eine verklausu‐ lierte Form der Gamification, dem Einzug bestimmter spielerischer Elemente ins Arbeitsleben, ganz so wie in dem fiktiven Szenario, das in Eliza dargestellt wird. Die Medienwissenschalerin Marlen Hobrack beurteilt Kind Words in einer Rezension in der Wochenzeitung der Freitag daher eher skeptisch: „Ehrlich ge‐ sagt, kann ich mir nicht vorstellen, nach Feierabend an meinem PC zu sitzen und andere Menschen psychologisch zu bera‐ ten […] So viel Verantwortung erzeugt einen Modus der Ernsthaigkeit […] man muss schon einen größeren Helferkom‐ plex haben, um dieses ‚Spiel‘ mit Gewinn zu spielen“ (Hobrack 2020, 14).
3.5 Spiele als Kommentar Genauso wie bei Literatur, Film und Fernsehen kann es eine kommunikative Funktion von Spielen sein, einen Beitrag zu gesellschalichen Debaen zu leisten. Ich meine in diesem Abschni nicht, dass grundsätzlich jedes Medium Produkt und Symptom einer Gesellscha ist und be‐ reits dadurch einen Blick auf die Gesell‐ scha erlaubt. Es geht mir um Spiele, die explizit ein virulentes ema aufgreifen und sich dazu positionieren. Durch ihre interaktive Form können diese Beiträge eindringlicher und individuell berühren‐ der sein als rein rezeptive ältere Medien‐ formen. Dabei kommt es nicht darauf an, als Spieler*in permanent komplexe Pro‐
bleme lösen zu müssen. Bereits das Steu‐ ern von Spielfiguren und das punktuelle Treffen von Entscheidungen ür diese Fi‐ guren bringt uns ihren Geschichten nä‐ her. Ich schreibe diesen Abschni unter dem Eindruck der ersten Stunde im Spiel Life is Strange 2 (2018-2019), das ich heu‐ te begonnen habe. Es ist Juni 2020, die mediale Diskussion dreht sich seit eini‐ gen Wochen um Polizeigewalt gegen People of Color bzw. Menschen, denen eine fremde Herkun zugeschrieben wird. Ein ema, das auch in dem Spiel Auslöser der Handlung ist. Das Spiel be‐ ginnt an einem ganz normalen Nach‐ miag. Der Teenager Sean Diaz kommt von der Schule nach Hause, wo er mit seinem kleinen Bruder Daniel und sei‐ nem Vater lebt. Sie sind mexikanische Einwander, ‚gut integriert‘, der Vater Au‐ tomechaniker, die Kinder kommen in der Schule zurecht. Sean denkt an jenem Tag vor allem an die Party, die am Abend steigen soll und auf der er seine Mitschü‐ lerin Jenn (Seans heimlicher Schwarm) ansprechen möchte. Als Spieler*in steu‐ ern wir Sean. Wir suchen Sachen ür die Party zusammen, reden mit dem Vater, skypen mit unserer besten Freundin Lyla. Da bemerken wir, wie unser kleiner Bru‐ der im Vorgarten in Streit mit dem älte‐ ren Nachbarsjungen gerät, es geht um eine Banalität, ein verschmutztes T-Shirt. Als guter großer Bruder verteidigen wir Daniel. Der Streit eskaliert zu einer Prü‐ gelei (ab da läu das Spiel als Film ab und wir sind handlungsunähig). Der Nachbar geht zu Boden. Ein vorbeifah‐ render Polizist bemerkt den Streit und zwingt die Kinder mit der Waffe zu Bo‐ den. Jetzt kommt auch der Vater herbei‐ gelaufen, der vorher in der Garage war. Er versucht, den Polizisten zu beruhigen; er ügt sich nicht der Anweisung, sich auf den Boden zu legen. Der Polizist schießt, tri den Vater tödlich – Daniel stößt einen schrillen Schrei aus, eine Art Druckwelle, die den Polizisten weg‐ schleudert, das Polizeifahrzeug umwir 52
und alle bewusstlos macht. Als Sean kurz darauf wieder erwacht und die Situation begrei, beschließt er, mit Daniel zu flie‐ hen. Der Prolog endet zwei Tage später, wenn beide erschöp eine einsame Land‐ straße entlanggehen. Ein Blick in Seans Handy zeigt Text‐ nachrichten: vom Chef von Seans Neben‐ job; von Lyla; sogar von Seans Schwarm Jenn. Wir können die Nachrichten in be‐ liebiger Folge lesen und so schriweise die zunehmende Irritation, die Besorgnis und schließlich den Schock der Nebenfi‐ guren nachempfinden. Das verstärkt die Dramatik der Situation: Gegen das Ereig‐ nis konnten wir als Spieler*in nichts ma‐ chen, es lief als Film ab, wodurch wir ihm ausgeliefert waren, so wie diskriminierte Menschen Polizeigewalt ausgeliefert sind. Die Textnachrichten heben die Katastro‐ phe aus dem Alltag heraus, bieten einen Außenblick auf die Situation und eine Reflexionsmöglichkeit. Klar wird, dass Seans und Daniels Leben jetzt komple aus den Fugen geraten sind. Auf der Landstraße sagt Sean zum quengelnden Daniel, dass sie nur auf einem Camping‐ ausflug wären und ihr Vater leider nicht mitkommen könne. Noch glaubt Daniel dies, aber als Spieler*in wissen wir, dass das nicht lange gutgehen wird. Wir spü‐ ren es atmosphärisch. An der Stelle habe ich das Spiel un‐ terbrochen. Unsere Ohnmacht als Spie‐ ler*in und die Atmosphäre vermielten einen intensiveren Eindruck von der Ge‐ walt der Ereignisse als es etwa Nachrich‐ ten könnten, aber waren vor dem Hintergrund der realen Ereignisse nicht aushaltbar. Freilich ist so eine Unterbrechung ein Privileg, das wirklich Betroffene nicht besitzen. Spiele können uns auf solche emen stoßen, sie können Kommentar ihrer Entwickler*innen zu diesen emen sein, und sie können uns zum Nachden‐ ken anregen, aber sie ersetzen kein Han‐ deln in der Wirklichkeit (vgl. Kapitel 9).
4 WAHRNEHMUNG
Viele Computerspiele versetzen uns in andere Welten. Von unserem Sofa aus wechseln wir ins Fußballstadion, in eine mysteriöse Geistervilla oder in endlose unterirdische Höhlenlabyrinthe. Wäh‐ rend wir vor unserem Schreibtisch sitzen, sind wir gleichzeitig im antiken Grie‐ chenland unterwegs, durchkreuzen die Weiten der Meere oder wandern durch einsame Berglandschaen. Sehr häufig sehen wir diese virtuellen Welten vor uns. Manchmal lesen wir nur von ihnen. Und doch vermieln gute Spiele uns das Geühl, als wären wir dort, als würden wir diese Welten erleben. Die Spiele er‐ zeugen eine besondere Atmosphäre, in die wir manchmal stundenlang eintau‐ chen – an die wir sogar noch denken, wenn wir sie wieder verlassen haben – und nach denen wir sogar Fernweh, nein, Heimweh haben können. Wie ist so et‐ was möglich? In diesem Kapitel gehe ich zunächst auf zwei Begriffe ein, die wir zur Klärung dieser Frage brauchen: Was sind Räume
und was sind Orte? Anschließend be‐ schreibe ich, wie Spiele Atmosphären entstehen lassen. Wie wir die Atmosphä‐ ren eines Spielorts erleben können, hängt auch mit den Bewegungen zusammen, die wir an einem Ort wahrnehmen oder selbst erzeugen, und sie verändert sich, wenn wir nicht allein dort sind, sondern in die Gesichter anderer Bewohner – echt oder virtuell – blicken. Auch auf diese beiden Aspekte komme ich in die‐ sem Kapitel zu sprechen.
4.1 Räume und Orte Eine grundlegende Unterscheidung, die uns hil, die Wahrnehmung virtueller Spielwelten besser zu verstehen, ist die Unterscheidung zwischen Raum und Ort. Beides ist nicht dasselbe. Ein Raum – hier nicht gleichzusetzen mit einem Zimmer, einem Abstellraum oder ähnlichem – be‐ schreibt zunächst nur eine Ausdehnung.
53 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_4
Obwohl man den Raumbegriff manchmal auch in metaphorischem Sinne gebraucht (wenn man zum Beispiel von einem Möglichkeitsraum spricht, oder einem Sinnhorizont, oder einem Wahrschein‐ lichkeitsraum), meine ich im Folgenden einen ‚gewöhnlichen‘ spatialen Raum, der durch Raumdimensionen bestimmt ist, also durch Länge, Breite und Höhe. Der Raum hat damit eine Fläche und ein Volumen. Es ist möglich, die Position ei‐ nes Lebewesens oder eines Dinges im Raum anzugeben und allerlei Berechnun‐ gen dazu anzustellen. Der Raum ist also messbar. Aber: Der Raum ist bedeutungslos, das heißt, ihm wohnt kein Sinn inne. Be‐ deutung wird einem Raum erst durch Menschen verliehen, die sich in ihm aualten oder ihn von außen als Raum wahrnehmen.. Der Raum, der in unserem Haus vom Abstellraum eingenommen wird, trägt diese Funktion nicht inhärent in sich, sondern Menschen haben be‐ schlossen, dass diese spezifische messba‐ re Ausdehnung an ihrer spezifischen messbaren Position als Abstellraum ver‐ wendet werden soll. Auch das Haus selbst nimmt Raum ein, der erst durch die Entscheidung von Menschen diese Funktion erhalten hat – indem der Raum zu einer Stadt zugehörig definiert wurde, die Stadt vielleicht in einem Raumord‐ nungsplan beschlossen hat, dass er ür den Bau von Häusern dienen soll (die vielleicht auch bestimmte Eigenschaen haben müssen), ein*e Bauherr*in den Bau des Hauses beauragt hat, Bauunterneh‐ men und Bauerbeiter*innen das Haus er‐ richtet haben, die Bauaufsicht das Gebäude abgenommen hat, und Men‐ schen in es eingezogen sind. All diese Schrie haben aus dem Raum, der vor‐ mals nur eine messbare, aber bestenfalls mit abstraktem Sinnhorizont versehene Ausdehnung war, etwas Konkretes ge‐ macht. Sie haben dem Raum Bedeutung verliehen. Durch ihre Handlungen ist der Raum zum Ort geworden. Ein Ort ist also ein Raum, dem Men‐ 54
schen Sinn zuschreiben. Das können wir nachvollziehen, wenn wir in eine fremde Stadt umziehen. Am Anfang kennen wir uns noch nicht gut aus. Wir halten uns an wenigen Fixpunkten fest: die Arbeits‐ stelle, die Universität, Schule und Kinder‐ und Einkaufsmöglichkeiten garten, selbstverständlich auch die eigene Woh‐ nung. Doch selbst die müssen wir uns erst wieder einrichten. Sicher werden wir Teile unserer früheren Wohnungen über‐ nehmen, manches ähnlich einrichten, aber bis aus dem Wohnraum ein zu Hau‐ se geworden ist, vergeht eine Weile. Ähnlich ist es mit dem Ortsgeühl ür ei‐ ne Stadt. Erst im Laufe der Zeit erschlie‐ ßen wir uns die Wege zwischen den Fixpunkten, unterscheiden Lieblingsorte von Gegenden, in denen wir uns lieber nicht aualten wollen, und haben Erleb‐ nisse mit anderen Menschen an Orten, denen dadurch erst Bedeutung verliehen wird. Ähnlich ist es mit virtuellen Welten in Computerspielen. Jedes Spiel ist erst‐ mal nur ein Angebot von Entwickler*in‐ nen. Es bietet bestimmte Möglichkeiten und funktioniert nach bestimmten Re‐ geln, die wir uns erstmal erschließen müssen. Der Raum der virtuellen Welt ist nichts anderes. Um die Welt, die das Spiel uns bietet, anzunehmen, müssen wir sie als Raum wahrnehmen, wir müssen die‐ sen Raum durchmessen, durchschreiten, und wir müssen in diesem Raum etwas erleben, das es wert ist, erinnert zu wer‐ den. Konkret kann das alles Mögliche hei‐ ßen. Um ein Beispiel zu geben, an das ich mich noch nach über zwanzig Jahren er‐ innere: Als Jugendlicher hae ich auf meiner PlayStation ein Autorennspiel na‐ mens Porsche Challenge (1997). Das Spiel hae zwar ein ‚cooles‘ Auto, aber nur wenige Strecken und relativ langweilige Spielvarianten. Es war also nicht beson‐ ders gut. Aber es hae eine Strecke, die es mir sehr angetan hae. Sie stellte eine US-amerikanische Stadt dar, mit allen Klischees, die dazugehören, von der Bap‐
tistenkirche (aus der Orgelmusik drang) über typische Einfamilienhäuser bis zur aus San Francisco entsprungenen Cable Car. Aus heutiger Sicht war die Gestal‐ tung der Strecke ziemlich einfach, kein Vergleich etwa zur virtuellen Welt eines nur wenige Jahre später auf der PlaySta‐ tion 2 erschienenen Grand e Auto 3 (2001). Aber trotzdem ‚hae‘ sie etwas. Sie machte ein positives USA-Bild, das mir andere Medien (Fernsehserien, Bü‐ cher) bereits nahegelegt haen, im wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar. Und die Strecke erinnerte mich an eine damalige Mitschülerin, die zu der Zeit gerade ür einen Auslandsaufenthalt in den USA war und die ich, eher einseitig, sehr vermisste. Weil also die Spielwelt mit Kontexten angereichert wurde, die von außerhalb der Spielwelt stammten, wurde aus einer klischeebefrachteten Konstellation einzelner Elemente ein vir‐ tueller, mir konsistent erscheinender Ort, in den ich immer wieder zurückkehrte und den ich selbst heute noch nicht ver‐ gessen habe. Ist ein Raum erstmal zum bedeu‐ tungsvollen Ort geworden, können wir diesen Ort vermissen, wenn wir uns nicht an ihm befinden. Das kennen wir als Heimweh oder, ortsspezifisches, Fern‐ weh. Dies gibt es auch hinsichtlich nicht verügbarer virtueller Orte: diesen Wunsch, an den Ort eines Computer‐ spiels oder einer Virtual-Reality-Erfah‐ rung zurückzukehren, weil wir den Ort mit positiven Erlebnissen oder Geühlen verbinden und uns das Aufsuchen des Ortes an diese Erlebnisse erinnert bzw. dieselben Geühle hervorru. Dies ist in‐ dividuell ganz unterschiedlich; ich per‐ sönlich ühle mich seit Jahren immer wieder an bestimmte Orte in der Fanta‐ sywelt Tamriel aus der Rollenspielserie e Elder Scrolls gerufen. „Ich wäre jetzt wirklich gerne in Balmora“, spüre ich dann beispielsweise ganz unvermielt ei‐ ne Sehnsucht nach der fremdartigen Welt von e Elder Scrolls 3: Morrowind. Oder ich möchte an einem grauen, ver‐ 55
regneten Wintertag wirklich unglaublich gerne einen virtuellen Kurzurlaub in der Stadt Anvil aus e Elder Scrolls 4: Oblivi‐ on verbringen (denn dort scheint o die Sonne und es herrscht Mielmeerflair). Und während der Reise mit dem Post‐ schiff an Norwegens Küste erinnert mich vor allem der nördlichere Teil doch sehr an e Elder Scrolls 5: Skyrim, eine ür manche*n sicher beunruhigende Vermi‐ schung von Spiel und Realität. Spiele-Entwickler*innen und deren Publisher (die Verleger) rechnen natür‐ lich mit solchen Sehnsüchten. Sie wissen, welche virtuellen Welten bei Spieler*in‐ nen beliebt sind und kommerziell erfolg‐ reich waren. So versuchen sie, aus diesem Erfolg auch künig Profit zu schlagen. Es ist zum Beispiel kein Zufall, dass e Elder Scrolls Online bereits zwei Erweiterungen erhalten hat, in denen man mit Morrowind und Skryim aus frü‐ heren Spielen bekannte Orte erneut auf‐ sucht. Für Spieler*innen kann dies einerseits reizvoll sein: Was hat sich in der fiktionalen Historie der Spielwelt in den Jahren zwischen den Spielen getan? Wie haben sich bekannte Orte verändert – was ist gleich geblieben, was ist ver‐ schwunden, und was ist neu? Das weckt nostalgische Geühle und kann spannend sein, gerade in einer Spielreihe wie e Elder Scrolls, deren fiktionale Historie wirklich sehr reichhaltig ist und deren fiktiv-historische Dokumente konsequent aus der Perspektive unzuverlässigen Er‐ zählens verfasst sind. Andererseits kann die Wiederaufnahme beliebter Schauplät‐ ze auch wie ‚Recycling‘ wirken, wie ein schaler und schematischer Neuaufguss, weil die Entwickler*innen oder Publisher Risken scheuen. Dieselben virtuellen Räume in mehreren Spiele zu verwenden, kann also eine schwierige Gratwande‐ rung sein, und man sollte daür mehr gu‐ te Gründe haben als nur den erhoen finanziellen Erfolg. Spiele wie die Elder Scrolls-Reihe sind sogenannte Open-World-Spiele, das heißt die virtuelle Spielwelt ist im Wesentli‐
chen frei begehbar. Sie wird dreidimen‐ sional dargestellt, das heißt also, wir können fast beliebige Perspektiven in ihr einnehmen. Wir können Straßen ent‐ langgehen und Städte besuchen; wir kön‐ nen auf Berge steigen oder unter Wasser tauchen. Das Ortsgeühl entsteht bei sol‐ chen Spielen aus einer Kombination mehrerer Elemente: DER GESAMTANLAGE DER 3D-UMGEBUNG (der Gestaltung und Verteilung der einzelnen, von Designer*innen und Grafiker*innen gestalteten Objekte) • DER K LANGUMGEBUNG (welche Töne es in der Spielwelt gibt und wie sie in dem dreidimensionalen Raum positio‐ niert werden) • DEN BEWEGUNGS- UND HANDLUNGSMÖG‐ LICHKEITEN, die durch die Spielregeln bzw. die Spielmechanik des Spiels be‐ stimmt werden • DEN NARRATIVEN ELEMENTEN des Spiels, das heißt den Geschichten und Erzäh‐ lungen, die wir in dem Spiel erleben und die uns durch computergesteuerte sogenannte „Non Playing Charac‐ ters“ (NPCs) nähergebracht werden oder die wir, bei Onlinespielen, ge‐ meinsam mit anderen menschlichen Mitspieler*innen entdecken
•
Die Welten eines Open-World-Spiels sind o an tatächliche Umgebungen der ech‐ ten Welt angelehnt, Skyrim etwa sieht sehr skandinavisch aus. Dadurch ällt es uns leichter, der Welt Plausibilität zu un‐ terstellen. Doch gerade in Fantasywelten müssen auch Elemente enthalten sein, die zumindest aus Sicht der antizipierten Spieler*innengruppen, fremdartig genug sind, um den Fantasycharakter zu unter‐ streichen. O werden daür Versatz‐ stücke aus menschlichen Kulturen vermengt oder verfremdet. Mitunter hat man daher beim Wandern durch solche Welten den Eindruck, dass man sich durch eine Aneinanderreihung von Post‐ kartenmotiven bewegt – dann haben wir hier den dramatischen Ausblick in ein 56
Tal und dort steht die monumentale Rui‐ ne einer alten Kultur, die uns in einer Art Überwältigungsgeste (die wir im Moment der Wahrnehmung gar nicht bemerken, sondern erst in der kritischen Reflexion hinterher erkennen) kurz erstarren lässt. Die messbaren Dimensionen solcher Spielwelten sind meist winzig – legt man die Körpergrößen der von uns gesteuer‐ ten menschlichen oder menschenähnli‐ chen Figuren zugrunde, umfasst der begehbare Raum meist nur wenige a‐ dratkilometer. Durch geschickte Gestal‐ tung und zeitliche Kompression (Tag und Nacht wechseln innerhalb weniger ech‐ ter Minuten) wird dennoch der Eindruck erweckt, wir bewegen uns durch endlose Weiten – als wären zwei große Städte hunderte Kilometer voneinander ent‐ fernt, ansta nur wenige hundert Meter. Aus demselben Grund wirkt der fiktive Bundesstaat San Andreas im gleichnami‐ gen Grand e Auto-Teil wirklich wie eine Nachbildung Kaliforniens und Neva‐ das, inklusive parodistischer Versionen von Los Angeles, San Francisco und Las Vegas. Auch das Liberty City aus Grand e Auto 4 wirkt gerade wegen der Komprimierung wie ein sehr genauer Nachbau des echten New York City. Solche Komprimierung ist schon aus entwicklungs- und spielpragmatischen Gründen nötig. Es ist schlicht nicht leist‐ bar, eine Welt realistischer Größe plausi‐ bel zu gestalten und mit Möglichkeiten ür interessante Erlebnisse zu üllen. Spiele, die realistische Weltgrößen anbie‐ ten, wirken o leer. Der messbare Raum im alten e Elder Scrolls 2: Daggerfall (1996) hae zwar die Größe Englands, aber ihn ‚zu Fuß‘ zu durchqueren, wäre nicht nur aufgrund der Ausdehnung nicht sinnvoll gewesen. Denn es sah alles gleich aus. Auch die ‚Ortschaen‘ und Aufgaben waren fast alle generisch, aus‐ tauschbar, das Gegenteil echter sinn‐ haer Orte. Der Taktik-Shooter ArmA 3 (2013) bietet ebenfalls realistische Welt‐ größen, aber obwohl es sich dabei nur um relativ kleine Inseln handelt, sind
diese nur landschalich abwechslungs‐ reich gestaltet; Erlebnisse gibt es dort ab‐ seits der Kampfmissionen (allein oder im Mehrspielermodus) oder einzelner Ge‐ schichten keine. Zusammengefasst kön‐ nen wir festhalten, dass eine gute Open World genug Platz bietet, um Weite zu simulieren, aber eng genug ist, um jeder‐ zeit spannende Erlebnisse zu bescheren, die aus dem weiten Raum erinnerungs‐ würdige Orte machen. Eine gewisse Ausnahme von dieser Weltraumspiele wie Regel sind X4: Foundations (2018), Elite Dangerous (2014), Star Citizen (in Entwicklung seit 2012) oder auch Evochron Legacy (2016). In diesen Spielen ist die messbare Aus‐ dehnung des Raumes so groß, dass ein glaubhaes Weltraumgeühl entsteht. Wenn wir uns in der Außenansicht selbst ansehen – als im Vergleich winziger Mensch in einem Raumanzug –, dann können wir uns ganz schön verloren vor‐ kommen, vor dem Hintergrund riesiger Raumstationen und noch größerer Plane‐
ten. Um uns da wieder zu ‚erden‘, landen wir auf diesen Orten. In X4 sind dies nur Raumstationen (da die Planeten spielme‐ chanisch nicht erreichbar sind); in den anderen genannten Titeln können wir auch auf (manchen) Planeten landen. Auf den Stationen und Planeten laufen wir rum (Abb. 4.1), treffen andere Spielfigu‐ ren und treiben Handel. Mit dem Anthro‐ pologen Marc Augé müssten wir solche Plätze eigentlich als „Nicht-Orte“ be‐ zeichnen (vgl. Augé 2014), als Durch‐ gangsstationen, die rein zweckgebunden sind. Aber sie sind eben die einzigen ür Menschen geeigneten Plätze in diesen virtuellen Universen, und so ühlen wir uns in der einen oder anderen Station dann vielleicht doch zu Hause – „home away from home“, wie es im Vorspann der US-Science Fiction-Serie Babylon 5 (1994-1998) einst hieß. Bisher habe ich über heute übliche grafi‐ sche Spiele gesprochen. Aber auch die im letzten Kapitel erwähnten Textadventu‐
Das virtuelle All von X4: Foundations (2018) ist riesengroß, ein Welt-Raum Abb. 4.1 im wahrsten Sinn des Wortes. Weil die Planeten unerreichbar sind, gewinnt der Raum nur durch die Raumstationen und Raumschiffe, in denen wir uns aufhalten und die wir besuchen, Kontur. Unser Raumschiffcockpit wird zum Ort, der sich durch seine spielmechanische Bedeutung und durch die darin erlebten Abenteuer vom Raum abhebt.
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res bzw. Interactive Fiction stehen vor der Herausforderung, ihren Spieler*innen einen Raum zu vermieln und ein Orts‐ geühl entstehen zu lassen. Entwick‐ ler*innen solcher Spiele haben daür nur ihre eigene Sprache zur Verügung und ähneln dahingehend erstmal Schristel‐ ler*innen, die ebenfalls durch Prosa Räu‐ me zu lebendigen Orten werden lassen. Anders als Schristeller*innen müs‐ sen die Autor*innen von Interactive Fic‐ tion jedoch den Spieler*innen die Möglichkeit geben, den geschriebenen Ort zu entdecken. Ein Textadventure wie Anchorhead (vgl. Kapitel 3) lesen wir nicht linear, sondern wir bewegen uns mehr oder weniger frei durch einzelne Textabschnie. Diese Abschnie müssen einerseits ür sich stehen, aber anderer‐ seits ein konsistentes Ganzes ergeben, auch dann, wenn wir sie nicht in der vorgesehenen Reihenfolge besuchen. Wird wie in Anchorhead eine Stadt geschildert, müssen die einzelnen Gebäu‐ de- und Straßenschilderungen beim Le‐ sen Sinn ergeben, das heißt, sie sollten in unserer Vorstellung als erinnerungswür‐ dige Orte erscheinen. Und wenn wir uns von Schilderung zu Schilderung bewe‐ gen, darf es nicht wirken, als würden wir nur Textabschnie lesen – es muss uns erscheinen, als würden wir uns wirklich durch die geschilderten Straßen und Häuser bewegen. Es muss, kurz gesagt, eine immersive Atmosphäre entstehen, eine Stimmung, die uns in die geschilder‐ te Welt hineinzieht.
4.2 Atmosphäre und Leib Wenn es um die Wahrnehmung be‐ stimmter Stimmungen in Literatur, ea‐ ter, Musik, Film, Fernsehen und Spielen geht, reden wir gerne von Atmosphären. Diese oder jene Merkmale würden dem Film eine ‚dichte‘ Atmosphäre geben, sa‐ gen wir zum Beispiel. Eine Komödie habe eine ‚ausgelassene, heitere‘ Atmosphäre. 58
Die Atmosphäre eines rillers wäre ‚be‐ drohlich‘, die Atmosphäre am Ende eines Dramas ‚schwermütig‘. Über das Spiel Hellblade: Senua's Sacrifice (2017) schrieb ich einmal, es häe eine „verschlingende Atmosphäre tiefer Traurigkeit“ (Donick 2018, 38). Dem Spiel Life is Strange (2015) aestierte ich an gleicher Stelle eine „zie‐ hende Atmosphäre süßer Melancho‐ lie“ (ebd.) Was aber ist eine Atmosphäre über‐ haupt? Hat ein Medienprodukt, wie ein Spiel, eine Atmosphäre? Wird sie von den Entwickler*innen kontrolliert er‐ zeugt? Nehmen wir eine ‚objektiv‘ vor‐ handene Atmosphäre wahr? Oder ist Atmosphäre etwas, das wir einem Medi‐ um zuschreiben, wenn wir uns als Le‐ ser*innen, oder Zuschauer*innen Spieler*innen aktiv dem Medium zuwen‐ den? Es ist vor allem die Phänomenologie (als Richtung der Philosophie), die sich um ein tieferes Verständnis des Atmo‐ sphärebegriffs bemüht. Die Phänomeno‐ logie, wörtlich die Lehre vom Sichtbaren oder allgemeiner: von den Erscheinungen (die wir wahrnehmen), geht auf den Phi‐ losophen Edmund Husserl (1859-1938) zurück. Für die Erforschung von Compu‐ terspielen besonders relevant ist derzeit der Philosoph Gernot Böhme, auf den in diesem Zusammenhang häufig verwiesen wird. Nach Böhme gehen Atmosphären nicht einzig von den wahrgenommenen Dingen aus und sie werden nicht von al‐ len Menschen identisch wahrgenommen (Böhme 1995, 34). Die Atmosphäre ent‐ steht eher im Wechselspiel aus Erschei‐ nung und wahrnehmender Person. Das kennen wir, wenn wir uns über Atmo‐ sphären unterhalten: Was der einen Per‐ son als ausgelassene und heitere Atmosphäre erscheint, wirkt auf die an‐ dere vielleicht nur gekünstelt und ange‐ spannt. Es sind daher zum einen unsere individuellen Hintergründe, unsere Er‐ fahrungen, die unsere Wahrnehmung von Atmosphären beeinflussen. Zum anderen jedoch ist die Wahrneh‐
mung von Atmosphären nicht nur eine bloße Sache der Sinnesorgane. Man un‐ terscheidet in der Phänomenologie den ‚objektiv‘ messbaren Körper mit seinen Sinnen (Sehen, Hören, Riechen, Schme‐ cken, Tasten) von dem Leib, der ‚subjek‐ tiv‘ ein Mehr wahrnehmen kann. Mit ‚Mehr‘ meine ich, dass eine Wahrneh‐ mung nicht auf die einzelnen Sinnesda‐ ten beschränkt ist oder sich nur aus diesen zusammensetzt. Wenn wir ein Zimmer betreten oder einen Film an‐ schauen oder ein Spiel spielen, dann neh‐ men wir zwar mit unseren Sinnen Eindrücke auf. Aber die Atmosphäre, die wir in dem Moment spüren, lässt sich nicht allein darauf zurückühren. Wenn wir in einem Zimmer eine angespannte Atmosphäre wahrnehmen, dann kommt zu den Sinneswahrnehmungen (wir se‐ hen, hören, riechen das Zimmer, die Ge‐ genstände und die Menschen darin) etwas hinzu, das nicht allein auf dieser körperlichen Ebene liegt. Es ist ganz sub‐ til und kaum greiar, und die Verbalisie‐ rung als „angespannt“ nur der Versuch, diese leibliche Wahrnehmung in Worte zu fassen. Ein anderer Phänomenologe, Her‐ mann Schmitz, hat sich sehr intensiv mit der leiblichen Seite der Wahrnehmung beschäigt. Schmitz‘ Unterscheidung von Körper und Leib wirkt auf den ersten Blick strikter als bei anderen Phänome‐ nologen, aber Schmitz spricht vorwie‐ gend von leiblichen Regungen; ‚der‘ Leib ist kein messbarer Bereich, sondern „das Ganze der leiblichen Regungen“ (Schmitz 2011, 5). Spürbar ist ‚der Leib‘ ür uns in Form sogenannter „Leibesinseln“ (ebd., 8). Beispielsweise können wir einen menschlichen Fuß natürlich rein körper‐ lich beschreiben: Er ist so und so lang und breit, die Zehen so und so geformt, die Farbe der Haut so und so, und so weiter. Leiblich aber spricht Schmitz von „mehrere[n] Inseln in den Gegenden des Gelenks, der Knöchel und der Soh‐ len“ (ebd.) – diese Bereiche sind das, was wir im Alltag wesentlich vom Fuß wahr‐ 59
nehmen. Als Gesamtheit jedoch würde der Fuß uns erst erscheinen, „wenn die‐ ser, etwa nach ermüdender Wanderung, als diffuse, müde, dumpfe Masse gespürt wird“ (ebd.). Körperlich ist der Fuß nach wie vor so messbar wie vor der Wande‐ rung, aber die leibliche Wahrnehmung des Fußes hat sich verändert. Leibesin‐ seln sind also veränderlich, abhängig von den Umständen und nicht immer auf die‐ selbe Weise spürbar. Schmitz leugnet nicht, dass leibliche Regungen letztlich auch auf körperliche Prozesse zurückgehen – vielmehr klam‐ mert Schmitz solche Erklärungsversuche ganz aus. Denn Schmitz kritisiert gerade, dass sich die abendländische Wissen‐ scha und Philosophie seit der Aulä‐ rung so sehr auf den Körper fixiert haben und dabei andere, ebenso ernstzuneh‐ mende Aspekte menschlichen Lebens un‐ ter den Tisch gefallen sind. Schmitz‘ ganze philosophische Tätigkeit kann man als Rehabilitierung des Leibes ansehen. Schon in unserem Alltag finden sich ür leibliche Aspekte von Wahrnehmung Belege. Wenn wir etwa ein Fahrzeug steuern, sind wir in der Lage, dies ohne Berührung angrenzender Objekte zu tun. Selbstverständlich liegt dies auch daran, dass wir die Positionen aller beteiligten Objekte im Raum relativ zueinander sinnlich erfassen, aber o reicht ein ein‐ zelner Abgleich daür aus, um uns eine innere Vorstellung davon zu verschaffen und uns in die Lage zu versetzen, das Fahrzeug ohne ständigen weiteren Ab‐ gleich sicher zu steuern. O ist es sogar so, dass gar kein bewusster Abgleich stafindet – wir steuern das Fahrzeug einfach, ganz natürlich, ohne die relative Position des Körpers zu ermieln. Der Ort leiblicher Wahrnehmung ist absolut in uns, nicht relativ zur Umwelt. Die Unterscheidung relativer und ab‐ soluter Orte bzw. körperlicher und leibli‐ cher Wahrnehmung kann mit einem Beispiel verdeutlicht werden, das Robert Gugutzer gibt. Er schreibt über die Umar‐ mung zweier Menschen. Eine Umarmung
kann man einerseits als Position der Kör‐ per dieser Menschen relativ zueinander beschreiben. Aber das innere Empfinden einer Person während der Umarmung ist „absolut und damit leiblich, da es von der betroffenen Person unmielbar – im Sin‐ ne von ‚un-abhängig von den äußeren Sinnen‘ – erlebt und eindeutig als zu ihr gehörig empfunden wird.“ (Gugutzer 2004, 154). Interessanterweise klappt dies auch in Spielumgebungen, in denen wir nur so tun als würden wir beispielsweise ein Fahrzeug steuern. Fahren wir etwa mit hohem Tempo durch die virtuellen Stra‐ ßen Liberty Citys (Grand e Auto 4), geraten wir erst in einen Geschwindig‐ keitsrausch, in dem wir in diffuser Weise in der Stadtumgebung aufgehen. Bis die Fahrt ein jähes Ende nimmt, wenn wir bei einem Unfall gegen ein anderes Fahr‐ zeug oder ein Gebäude stoßen. Der eben noch rauschha verschwommene urbane Raum wird zu einem einzelnen UnfallOrt konkretisiert. Leiblich können wir diesen Schlag als jähe Engung unserer Wahrnehmung auf einen Punkt in etwa vor unserem Gesicht spüren. Die Atmosphäre, die wir bei einem Computerspiel wahrnehmen, wird also zwar ermöglicht durch die Gestaltung des Spiels, entsteht aber erst, wenn wir Gestaltungselemente wahrnehmen und dabei leibliche Regungen verspüren – wenn wir sozusagen mit unserem Leib den Raum des Spiels ‚betreten‘.
dene Leibesinsel ohne zugehörigen Kör‐ perteil“ (Schmitz 2011, 9). Davon ausgehend erscheint es denkbar, dass wir auch andere Vorgänge außerhalb unseres Körpers als trotzdem zu unserem Leib (das heißt: dem Ganzen der wahrgenom‐ menen leiblichen Regungen) zugehörig wahrnehmen. Dies ließe sich mit Schmitz‘ Begriffen der „Einleibung“ und „Ausleibung“ beschreiben.
4.3 Der Leib in Raum und Situation
Schmitz spricht vom „vitalen An‐ trieb“ (ebd., 16), der sich in der Wahrneh‐ mung von Engung und Weitung zeigt (ebd., 31) bzw. „leiblicher Kommunikati‐ on“ (ebd., 29-53). Auch Bewegungen sind hierür von Bedeutung; Schmitz spricht von Bewegungssuggestionen. Das sind „Vorzeichnungen einer Bewegung“ (ebd., 33), die wir an anderen Lebewesen, aber auch an Objekten wahrnehmen und die uns selbst Bewegungen nahelegen. Ge‐
4.3.1 Ein-/Ausleibung und Bewegung Die erwähnten Leibesinseln können wir nach Schmitz auch außerhalb der mess‐ wahrnehmen. baren Körpergrenzen Schmitz nennt das Beispiel des Phantom‐ schmerzes (ebd.), den Schmitz als echte Wahrnehmung ernstnimmst: „[D]as Phantomglied [ist] eine wirklich vorhan‐ 60
Einleibung und Ausleibung Schmitz unterscheidet die antagonisti‐ sche Einleibung (Schmitz 2011, 29), die auf einen Partner bezogen ist und die einseitig (ebd., 38) oder wechselseitig (ebd., 40) sein kann; sowie die solidari‐ sche Einleibung, bei der wir zum Bei‐ spiel Teil einer Menschenmasse sind (ebd., 47f.). Einleibungen können sich auf den Leib selbst beziehen oder über den Leib hinaus verweisen (ebd., 30f.). Sie können zudem patent (auf einzelne Leibesinseln beschränkt) oder latent sein (ebd., 44). Das Gegenstück zur Einleibung ist die Ausleibung. Sie ist ein Versinken in Weite, die wir zum Beispiel bei langen, eintönigen Reisen erfahren, oder dem handlungslosen, nicht besonders ge‐ richteten Blick in die Weite, während wir nach Feierabend auf dem Balkon ausspannen, oder bei religiösen oder mystischen Erfahrungen des Einsseins mit der Welt (ebd., 50ff.).
In Hellblade: Senua's Sacrifice (2017) steuern wir die Kriegerprinzessin Abb. 4.2 Senua auf dem Weg nach Helheim, Sitz der Todesgöttin Hela. Senua ist das, was wir heute als psychisch krank bezeichnen würden: Sie (und wir) hören Stimmen, die uns warnen, verspotten oder motivieren. Senua wurde von Melina Jürgens verkörpert, wodurch insbesondere der Blick Senuas ein leiblich bedeutsamer Faktor für eine intensive Atmosphäre ist.
hen wir beispielsweise durch eine Stadt und kommen an einem Kirchturm vorbei, legt dessen Betonung der Vertikalen uns nahe, den Kopf zu heben und mit unse‐ rem Blick seiner Ausdehnung zu folgen. Der Verlauf der Straße hingegen legt uns nahe, ihr zu folgen. Streckt eine Person die Hand zu uns aus, legt uns die Bewe‐ gung nahe, die Hand zu ergreifen. All diese und ähnliche Wahrnehmungen können wir auch in Medien wie Compu‐ terspielen machen. Wenn wir nun Computerspiele spie‐ len, kann es zu den eben beschriebenen leiblichen Regungen kommen. Beispiels‐ weise kann der um Hilfe flehende, unse‐ ren Fokus auf sich einengende Blick der Protagonistin in Hellblade: Senua's Sacri‐ fice als Einleibung spürbar werden (Abb. 4.2). Die Zudringlichkeit der Figur er‐ weckt ins uns überhaupt erst den Wunsch, ihr helfen zu wollen (und be‐ gründet damit eine außerhalb der Narra‐ tion und Mechanik des Spiels liegende Motivation, das Spiel weiter zu spielen). 61
Hellblade ist hierür ein besonders präg‐ nantes Beispiel, weil die Titelfigur Senua von einer Schauspielerin verkörpert wur‐ de. Die Mimik und Gestik, die Melina Jürgens der Figur Senua verleiht, wirkt dadurch besonders eindringlich. Aber auch der Blick vollständig com‐ puteranimierter Figuren kann ähnlich wirken. Zum Beispiel bin ich bei e El‐ der Scrolls 4: Oblivion immer wieder überrascht, dass die NPCs (die computer‐ gesteuerten anderen Figuren) trotz ihrer nach technischen Maßstäben nicht be‐ sonders guten Darstellung auf mich den‐ noch fast lebendig wirken, zumindest während Gesprächen. Das liegt erstens an dem dichten Heranzoomen an das Ge‐ sicht während der Gespräche und zwei‐ tens an einem dann sichtbaren Funkeln in den Augen, das an sich nur ein einfa‐ cher grafischer Effekt ist. Doch der da‐ durch seltsam lebendige, mitunter intensive Blick der Figuren erzeugt eine leibliche Regung, die zu ihrer Glaubwür‐ digkeit beiträgt; dadurch gewinnen die
Aufgaben, die uns die Figuren in den Ge‐ sprächen o geben, eine größere Ver‐ bindlichkeit und ein größeres Gewicht. Besonders stark sind solche Näheer‐ fahrungen bei Nutzung von Virtual Rea‐ lity spürbar. Insbesondere extreme Nähe ührt dann auch zu leiblichen Wahrneh‐ mungen. Kommt uns etwa eine im Spiel gezeigte Figur oder ein Objekt sehr nahe, dann kann es einen Moment geben, in dem wir nicht mehr nur auf Figur oder Objekt als grafische Darstellung blicken, sondern wir dem Eindruck erliegen, als wären Figur oder Objekt tatsächlich da. Besonders bei der Engung der Wahrneh‐ mung kann dies sehr intensiv sein, etwa wenn der drängende Blick einer Figur uns auf sie fokussiert (wie bei Hellblade), wenn Gegner in Spielen ihre Waffen auf uns richten oder wenn in scheinbar we‐ nigen Zentimetern Abstand vom eigenen Gesicht blutige Nahkämpfe ausgefochten werden (wie in Resident Evil 7, das aus diesem Grund schon auf einem flachen Bildschirm mitunter nicht auszuhalten ist, geschweige denn unter einer VR-Bril‐ le, vgl. Kapitel 7.3). Die leibliche Erfah‐ rung kann dann eine körperliche Reaktion zur Folge haben, etwa indem wir als Spieler*in spontane Ausweichbe‐ wegungen machen (wir selbst – nicht die von uns gesteuerte Figur), die Augen schließen oder, wenn es allzu intensiv wird, die virtuelle Umgebung verlassen, indem wir die VR-Brille abnehmen. Auch Beispiele ür Ausleibungen las‐ sen sich in Spielen finden. So kann eine scheinbar endlose Wanderung durch die menschenleeren Weiten von e Elder Scrolls 5: Skyrim zu entspre‐ chenden Erfahrungen ühren (was dann erst Recht den Eindruck von landschali‐ cher Weite verstärkt, die in dem Spiel ja ‚objektiv‘ gesehen, wie schon angespro‐ chen, gar nicht existiert). Auch die zeit‐ aufwendige Reise in einer historischen U-Boot-Simulation wie der Silent HunterSerie, womöglich bei Nebel und Sturm, kann sich auf Dauer so zeigen (die öde Langeweile solcher Fahrten, von der uns 62
Bücher wie Lothar-Günther Buchheims Das Boot berichtet haben, lässt sich dann auf diese Weise im Spiel nachempfinden). Selbst abstrakte Strategie- und Taktik‐ spiele können einen solchen Effekt haben – wenn die bespielte Landkarte vielleicht so groß ist, und mit so vielen Figuren versehen, dass wir die auf der Karte dar‐ gestellte Situation nicht mehr in konkret bearbeitbare Teilprobleme zerlegen kön‐ nen, sondern sie uns nur noch als diffuse, kaum lösbare Gemengelage erscheint. In Hinblick auf Bewegungssuggestio‐ nen kann Hellblade wieder als Beispiel dienen. Wir steuern Senua durch eine nordisch-mythologische Landscha, die auf den ersten Blick natürlich aussieht, aber eigentlich arenaähnlich organisiert ist. Wir bewegen uns zwar frei in einzel‐ nen Abschnien, folgen insgesamt aber einer linearen Abfolge (abwertend spricht man hier von Schlauchleveln). Dabei wechseln sich Rätselpassagen mit Kampfgebieten ab. Bei einem Rätseltyp werden wir dazu angehalten, durch Durchgänge zu treten. Der Durchgang legt uns durch seine bloße Gestalt (eben als Durch-Gang) nahe, dies zu tun. Nach dem Durchschreiten verändert sich der Auau der Spielumgebung, sodass vor‐ her unzugängliche Bereiche zugänglich werden. Hier besteht das zu lösende Pro‐ blem vor allem darin, entsprechende Durchgänge zu finden und ihre Wirkung zu erkennen, aber Bewegungssuggestio‐ nen tragen dazu bei, dass dieser Rätseltyp intuitiv funktioniert. Bei einem anderen Rätseltyp versuchen wir, Muster in der Landscha zu erkennen, mit denen wir vorgegebene Motive nachbilden. Das Mo‐ tiv ist meist auf einer verschlossenen Tür, hinter der der nächste Abschni wartet. In der Landscha suchen wir nach Ob‐ jekten und Objektkombinationen, die dieses Motiv nachbilden können (Abb. 4.3). Gelingt uns dies, öffnet sich die ver‐ schlossene Tür. Motive und Objekte legen uns be‐ stimmte Bewegungen nahe, um die ent‐ sprechenden Kombinationen im letzten
Abb. 4.3 Viele Rätsel in Hellblade beruhen auf dem Erkennen von Mustern. Verschlossene Türen zeigen bestimmte, mehr oder weniger abstrakte Abbildungen und Runenzeichen, die wir in der Landscha erkennen müssen. Dazu müssen wir die Landscha genau beobachten und aus verschiedenen Perspektiven wahrnehmen. Nur eine bestimmte Perspektive erlaubt es, die richtige Kombination zu finden, deren Erkennen die Tür öffnet.
Schri dann durch die Fokussierung des könnten wir spekulieren, ist das Leibliche Blicks hervorzuheben. Kommt es zu das, was Senua ihre Reise überhaupt Kämpfen, grenzen einerseits die Arenen durchstehen lässt. die Bewegungsmöglichkeiten ein. Ande‐ rerseits reagieren wir auf die Bewegung Die Rolle der Musik der Gegner – wir greifen an oder wir weichen aus. Aus Film und Fernsehen wissen wir um In der Kombination aus Bewegungs‐ die Bedeutung des Soundtracks ür die suggestionen und Einleibung in RätselAtmosphäre. Ein bestimmter Stil oder und Kampfabschnien ist die Spielme‐ eine in mehreren Teilen einer Serie chanik von Hellblade leiblich sehr dyna‐ wiederkehrende Titelmelodie ist Wie‐ misch. Vor dem Hintergrund der dererkennungsmerkmal und mit der Erzählung des Spiels ist das besonders passenden Hintergrundmusik erscheint interessant, denn in dem Spiel ist Senua eine Szene emotional viel intensiver. auf der Reise nach Helheim, dem Reich Das ist bei Computerspielen nicht an‐ der nordischen Totengöin Hel. Nichts ders. Die Musikwissenschalerin Yvon‐ Lebendiges sollten wir an so einem Ort ne Stingel-Voigt konstatiert: „Die erwarten. „Nach dieser wird es keine Klangräume, in denen der Spieler Geschichten mehr geben“, erfahren wir agiert, lassen die virtuelle Welt auditiv am Anfang des Spiels. Dass ausgerechnet nachvollziehbar werden“ (Stingel-Voigt diese Reise in ein Totenreich, mit einem 2014, 241). Totenschädel am Gürtel baumelnd, voller Damit kann Musik zum allgemei‐ Momente ist, in denen wir den „vitalen nen Raum- und Ortsgeühl und zur Antrieb“ (Schmitz) in Aktion erleben, ist Wahrnehmung von Atmosphären bei‐ durchaus bemerkenswert. Vielleicht, so 63
tragen. Sie kann Weite und Ausdeh‐ nung anzeigen, aber auch Enge und Einschränkung. Sie baut Bedrohungen auf und löst später die entstandene Anspannung. Als „Soundmap“ (ebd.) schafft sie Orientierung, räumlich, er‐ zählerisch und spielmechanisch. Im Weltraumspiel X4: Foundations etwa spielt die meiste Zeit ein ruhiger, zurückhaltender elektronischer So‐ undtrack, der eine gewisse träumeri‐ sche Melancholie ausstrahlt – eine gute Begleitung während längerer, ent‐ spannter Handels- oder Erkundungs‐ reisen. Entfernen wir uns allzu sehr von bewohnten Gebieten, werden die eher melodischen Stücke durch Klang‐ muster ersetzt, die die Leere des Alls ausdrücken. Kommt es zu einem Kampf, wech‐ selt die Musik zu einem schnelleren, dramatischeren Stil, der actionreiche Handlungen nicht nur illustriert, son‐ dern zu ihnen antreibt. Dies ist nicht nur kulturell gelernt. Wir vollziehen diese Handlungen zwar auch, weil wir wissen, dass das im Rahmen des Spiels nun nötig ist, aber unsere Handlungen sind auch eine Folge leiblicher Be‐ troffenheit. Das plötzliche Lauterwer‐ den der Musik erschrickt uns und engt uns dabei leiblich ein, was wir aber durch Kampf weitend nach außen wenden können. Denn unsere Bewegungen werden uns auch durch die Musik nahegelegt, wie Musik generell eine wichtige Rolle ür Bewegungssuggestionen spielt (Schmitz 2011, 36). Dies lässt sich ein‐ drucksvoll erleben, wenn wir in Fahr‐ zeugsimulationen mit Kameraeinstellungen und Außenansichten spie‐ len. Der Rhythmus der Musik, die Be‐ wegungsmöglichkeiten des Raumschiffs (oder in anderen Spielen: des Flug‐ zeugs, des Autos, des LKWs, des U‑Boots, usw.) und die verschiedenen möglichen Blickwinkel erlauben den Ausdruck eines Bewegungsbedürfnis‐ ses, das uns die Musik nahelegt. 64
4.3.2 Situation und Immersion Eine Spielsituation zeigt o eine fiktiona‐ le Welt. Um in ihr handeln zu können, müssen wir uns ür die Dauer des Spiels auf ihre Gültigkeit einlassen. Der Begriff suspension of disbelief, also die „Ausset‐ zung des Unglaubens“ beschreibt das Phänomen, dass wir den fiktionalen, ‚un‐ glaublichen‘ Charakter von Büchern, Fil‐ men und Computerspielen während der Rezeption bzw. während des Spielens ausblenden, zumindest wenn es sich um ein naive Rezeption handelt, die nicht an Reflexion gekoppelt ist. Dann waren wir vielleicht ehrlich geschockt und traurig, als im sechsten Teil der Harry Poer-Ro‐ manreihe Prof. Dumbledore gestorben ist. Wir sind sauer auf einen besonders fies und gemein dargestellten Bösewicht, der unsere Lieblingsfiguren bedroht. Oder wir gehörten zu denjenigen, die beim Tod von Aeris Gainsborough in Final Fantasy 7 vor Trauer geweint haben. Es sind nur sogenannte parasoziale Beziehungen, die wir zu solchen fiktiona‐ len Charakteren auauen, und wir wis‐ sen auch um die Künstlichkeit von Filmkulissen und virtuellen Welten. Aber ür den Moment der Rezeption ist das egal. Wir akzeptieren die gezeigte oder aktiv erlebte Welt und ihre Regeln als gültig. O tun wir das unhinterfragt, ins‐ besondere wenn die gezeigte Welt eine stimmige „Zweitschöpfung“ (wie es J. R. R. Tolkien mal ausdrückte) ist. Aber wir können uns auch einfach dazu ent‐ schließen. Selbst wenn wir mit unserem Intellekt auf Handlungslücken, Logiklö‐ cher, Inkonsistenzen und andere Unzu‐ länglichkeiten stoßen, können wir das ür den Moment ignorieren und uns trotzdem in die gezeigte Welt fallenlas‐ sen. Darum spricht man auch von willing suspension of disbelief, also der willentli‐ chen Aussetzung des Unglaubens. Das Eintauchen in eine fiktive, virtuelle Welt bezeichnet man als Immersion. Aus phä‐ nomenologischer Perspektive (wenn man von unserer Wahrnehmung ausgeht)
SO SORGTE EIN KLEINES PROBLEM MIT EINEM VERSORGUNGSSCHIFF DAFÜR, DASS EINE EINZIGE STATION NIEMALS DIE VON IHR GEWÜNSCHTEN RESOURCEN ERHALTEN KONNTE. DAS SPIEL HAT VERZWEIFELT VERSUCHT, DIESEN WARENBEDARF ZU DECKEN, INDEM ZUNÄCHST MEHR TRANSPORTSCHIFFE UND SCHLIESSLICH MEHR FABRIKEN GEBAUT WURDEN. NACH VIELEN HUNDERT STUNDEN SIND DABEI ZAHLLOSE NEUE STATIONEN ERRICHTET WORDEN UND NOCHMAL MEHR, UM WIEDERRUM DEREN PRODUKTIONEN ZU VERSORGEN – AM ENDE WAREN ES ÜBER 500 UND ES SAH AUF DER KARTE AUS WIE IN EINER PETRISCHALE MIT LEBENDEN KULTUREN.“
Dynamische Situationen simulieren
„JEDE SIMULATION VERLÄUFT ANDERS, MAL MEHR, MAL WENIGER, INSOFERN GIBT ES IMMER EINE ÜBERRASCHUNG, WENN ES ANS AUSWERTEN GEHT. ES IST DURCHAUS SPANNEND ZU SEHEN, WIE SICH DIE FRAKTIONEN IM SPIEL ENTWICKELN UND TEILWEISE UNGEAHNT EXPANDIEREN – ODER NAHEZU AUSGELÖSCHT WERDEN. IN DER ENTWICKLUNG SIND NATÜRLICH DIE EXTREMSTEN ERGEBNISSE OFT AUF FEHLER ZURÜCKZUFÜHREN, ABER GERADE DABEI WIRD EINEM DER ‚BUTTERFLY EFFECT‘ RECHT DEUTLICH VOR AUGEN GEFÜHRT.
– Egoso zu X4: Foundations, im Interview mit dem Autor
kann man dann von gelungener Immersi‐ on sprechen, wenn wir die Einzelteile, die uns das Medium präsentiert, nicht mehr als Teile wahrnehmen, die irgend‐ wie zusammengestellt sind (der Philo‐ soph Hermann Schmitz würde von „Konstellationen“ sprechen), sondern wir uns im Zusammenhang einer umfassen‐ deren „Situation“ finden. Nach Schmitz ist eine Situation durch drei Aspekte ge‐ kennzeichnet: Sachverhalte (das, was ist), Programme (das, was werden soll) und Probleme (das, was noch nicht ist). Das Entscheidende ist, dass wir diese Aspek‐ te nicht einzeln oder nacheinander, son‐ dern als Ganzheit wahrnehmen. In Computerspielen können Situationen einerseits wie von selbst emergieren, wenn ein Spiel als dynami‐ sche Simulation ausgelegt ist. Dann ken‐ nen die Entwickler*innen selbst nicht alle möglichen Kombinationen und gera‐ de die Überrraschung durch unerwartete Ereignisse ist als Situation schlagartig wahrnehmbar. Dies können wir etwa im 65
Weltraumspiel X4: Foundations beobach‐ ten, wo es vor allem die Spielwelt im Großen betri (vgl. Kasten oben). Anderserseits können kleinere Aspekte der Spielwelt mehr oder weniger situativ wirken. Beispielsweise können wir uns, ebenfalls in X4: Foundations, Raumschiffe kaufen. Wie bei einem Auto haben wir die Auswahl zwischen ver‐ schiedenen Modellen und Ausstaungen. Um das Schiff zu kaufen, können wir ent‐ weder eine abstrakte Weltraumkarte be‐ nutzen, darin auf eine Schiffswer klicken und dann das Schiff aus einer Liste wählen. Das ist zwar nicht sehr im‐ mersiv, wenn man das Spiel als virtuelle Umgebung versteht, aber betrachten wir X4: Foundations eher als Strategiespiel, in dem wir ganze Floen kontrollieren, ist das trotzdem als Situation zu bezeichnen. Denn Sachverhalte (Schiffe mit konkre‐ ten Eigenschaen wie Preis, Geschwin‐ digkeit, Laderaum, Waffenleistung usw.), Programme (was die Schiffe tun können) und Probleme (welchen künigen Endzu‐
stand wir anstreben und mit den Schiffen erreichen wollen) erscheinen uns ge‐ meinsam und sind zu etwas Größerem vereint (etwa dem Geühl, ein Wirt‐ schasmagnat oder Floenadmiral zu sein, mit dem Empfinden von Macht, wenn unsere Handlungen einen Einfluss auf das virtuelle Universum zeigen). Al‐ ternativ zum Kauf per Karte und Mausklick können wir auf der Schiffs‐ wer landen und dort selbst in einen Verkaufsraum gehen (Abb. 4.4). Der erin‐ nert an den Showroom eines Autohänd‐ ler. Der Sachverhalt – das Raumschiff – ist derselbe, aber Programm und Problem präsentieren sich uns auf ganz andere, atmosphärische und immersive Weise. Sachverhalte, Programme und Proble‐ me könnte man zwar auch einzeln, kon‐ stellativ herausgreifen und erklären. Man könnte sie in Designhinsicht als abge‐ grenztes Form-Funktions-Verhältnis be‐ schreiben (Sachverhalte zeigten sich uns dann als Formen, Programme verwiesen auf Funktionen, und Probleme wären
zum Lösen da, wozu das designte FormFunktions-Verhältnis benutzt würde). Aber so ein konstellatives Verständnis ist verkürzt, wenn es um unsere Wahrneh‐ mung geht. Die Sachverhalte, die wir in Computerspielen wahrnehmen, sind sich nicht selbst genug, sondern erwecken in uns den Eindruck, wir würden etwas tun, was wir in Wahrheit gar nicht tun. Die Probleme, die wir in einem Spiel lösen, sind nicht nur zum Lösen da. Es gibt im‐ mer einen Hintergrund, vor dem sie sich abheben. Wir sind nicht bloß Spieler*in‐ nen am Schreibtisch, die in einem Computerprogramm Zahlenwerte mani‐ pulieren, die (im Beispiel) nur optisch als Raumschiffe angezeigt werden. Nein – ür den Zeitraum des Spielens sind wir Schiffskapitän, Wirtschasmagnat oder Floenadmiral. Ein auf allen Ebenen ge‐ lungenes Spiel ist eines, in dem dieses Mehr wahrnehmbar ist – es ist eines, das deshalb Immersion ördert; eines, in dem die suspension of disbelief wie von selbst eintri.
X4: Foundations erzeugt sowohl dynamische Situationen, die uns durch Abb. 4.4 unerwartete Ereignisse überraschen können, etwa unerwartete ökonomische, politische oder taktische Situationen, als auch kleine atmosphärische Momente, wie die Möglichkeit, neue Raumschiffe persönlich im Showroom eines Raumschiffhändlers zu kaufen (unten). Letzteres ist spielmechanisch eigentlich unnötig, trägt aber viel zur Immersion bei.
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5 SPIELE UND WIR SELBST
Der Mensch an sich ist immer auch spie‐ lend. Er ist der Homo Ludens, wie Johan Huizanga das schon 1938 in seinem be‐ rühmten gleichnamigen Buch ausdrückte (vgl. Huizanga 2009). Die im letzten Ka‐ pitel angesprochene leibliche Dynamik, die sich in Computerspielen spiegelt, steht daher nicht ür sich, oder ist unab‐ hängig von unserem sonstigen Leben. Spiele sind zwar vom Alltag abgegrenzt, durch Spielregeln und einen Spielplatz, aber dennoch haben Spiele Auswirkun‐ gen auf uns als Spieler*innen – nicht nur im direkten leiblichen Erleben während des Spielens, sondern im Nachgang auch in der Reflexion der Erlebnisse. Spiele lassen uns hinterher in einer bestimmten Lage zurück und haben uns damit etwas mitzuteilen über uns selbst als spielende Menschen. Manche Spiele gehen dabei so weit, unsere Rolle in sich aufgreifen. Zu diesen Aspekten kommen wir nun. Dabei ist dies ein sehr persönliches Kapitel. Die besprochenen Spiele und meine Haltung zu ihnen sind Beispiele; ür Sie kann sich
das alles ganz anders gestalten. Dennoch hoffe ich, dass mein Hauptgedanke deut‐ lich wird: Spiele sind nicht nur belanglo‐ se Unterhaltung. Spiele können uns verändern.
5.1 Wie erleben wir uns beim Spielen? Wie wir als Spieler*in uns selbst und das Spielen erleben, kann uns darüber Aus‐ kun geben, welche Persönlichkeits‐ merkmale in uns stecken. Ich möchte dazu zunächst einige Beispiele in den Raum werfen: • die Lösung komplexer Rätsel, das Be‐ siegen schwieriger Gegner, die Umset‐ zung eines Plans, das erzeugt Selbstwirksamkeit – das habe ich in diesem Buch schon angesprochen. Wir erleben uns selbst als aktiv handelnd und unser Handeln als erfolgreich, um eine Problemstellung zu lösen.
67 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_5
• das Leiden einer Spielfigur löst unser Mitleid aus – siehe die Darstellung der Figur Senua in Hellblade: Senua's Sa‐ crifice (2017), der man jede physische Wunde nach einem Kampf genauso abnimmt wie ihre psychischen Verlet‐ zungen. • die Erlösung einer Spielfigur von ih‐ rem Leid lässt auch uns befreit aufat‐ men – siehe wiederum Senua, deren Leidensweg mit wahrhaiger Kathar‐ sis endet und auch uns als Spieler*in ein ähnliches Geühl verscha: all die Kämpfe, all die albtraumhaen Rätsel haben sich gelohnt, denn Senua hat ihr Ziel erreicht, wenn auch anders als zu Spielbeginn gedacht. • der Tod einer Spielfigur bringt uns zum Weinen – siehe etwa das beliebte japanische Rollenspiel Final Fantasy 7 (1997), bei dem der plötzliche Tod ei‐ ner wichtigen Nebenfigur überra‐ schend kam und viele Spieler*innen emotional sehr berührt hat. • das Spielen einer Rolle, die mit unse‐ rem Selbstbild wenig zu tun hat, ührt uns bislang unerkannte Seiten in uns vor Augen – im Guten wie im Schlechten. Wenn wir uns selbst im Allgemeinen als sensibel, empathisch, verständnisvoll, kooperativ erleben, sind wir vielleicht überrascht, wie es sich anühlt, eine harte, kompromiss‐ lose Rolle zu spielen. Sehen wir uns sonst als kühl und rational, dann kann uns emotionale Ergriffenheit, uner‐ wartetes Mitleid oder ein Entscheiden aus dem Bauch heraus überraschen. Mit allen genannten Beispielen, aber dem letzten ganz besonders, ist die Frage an‐ gesprochen, wer wir als Spieler*in ei‐ gentlich sind. Spiele erlauben uns, unterschiedliche Seiten in uns zu entde‐ cken und zu erkunden. In einem Spiel können wir alles sein – ähnlich wie ein*e Schauspieler*in in einem eaterstück: gestern Verbrecher*in, heute Held*in, morgen Herrscher*in. Heute Frau, mor‐ gen Mann, oder eine Identität, die da 68
nicht genau festgelegt ist. Sind wir Mensch oder Maschine? Killer*in oder Cop? In Computerspielen und beim Spielen können wir uns auf dreierlei Wegen als spezifische Form von Spieler*in und Rolle inszenieren: • durch unser außersprachliches Han‐ deln (a) mit dem Spiel und (b) im Spiel • durch unsere Kommunikation (a) spielbegleitend und (b) im Spiel • manchmal: durch die Gestaltung un‐ serer Spielfigur (Avatar) Wir können also die spielende Person ei‐ nerseits unterscheiden von der gespielten Rolle. Sprachliche und außersprachliche Handlungen betreffen mal die spielende Person, mal die gespielte Rolle, aber nicht immer gibt es dazwischen eine klare Ab‐ grenzung. Dazu ein Beispiel: Ein bekann‐ tes Rollenspiel ist e Witcher 3 (2015), das auf den Fantasyromanen des polni‐ schen Autors Andrzej Sapkowski basiert. Das Spiel ist bereits der drie Teil einer Serie. Es bietet eine ausgedehnte, frei be‐ gehbare Welt, in der man sich wochen‐ lang verlieren kann. Die Hauptfigur von Romanen und Spielen ist Geralt von Riva, ein Hexer, der durch genetische Mutatio‐ nen besondere Fähigkeiten besitzt, aber daür auch von den meisten Menschen verachtet wird. Geralt ist groß, kräig, hat schneeweißes langes Haar, ist trotz (oder wegen?) seiner Schweigsamkeit ein Frauenheld und kämp mit seinen zwei Schwertern ür Geld gegen weltliche und übernatürliche Gegner. Geralt hat also so gut wie gar nichts mit mir zu tun (und wohl nur wenig mit allen anderen Spie‐ ler*innen, die begeistert dieses Spiel ge‐ spielt haben). Als Spieler bin ich einerseits mit der Bedienung der Soware befasst: Ich steuere Geralt mit Maus und Tastatur oder einem Controller durch die Welt; ich betätige bestimmte Knöpfe, um be‐ stimmte Funktionen der Soware zu ver‐ wenden. Aber dies tue ich nicht als
Selbstzweck, und auch nicht als Arbeit (außer, ich schaue mal kurz in dem Spiel etwas nach, weil ich das ür mein Buch‐ kapitel wissen muss), sondern ich benut‐ ze die Soware, um dadurch die Rolle Geralts einzunehmen. Dies ist übrigens bei jeder Sowarenutzung so. Soware ermöglicht uns, bestimmte Probleme zu lösen, und sofern es nicht gerade techni‐ sche Schwierigkeiten gibt, sollte die So‐ ware im Hintergrund bleiben und einfach nur funktionieren (mehr dazu in Donick 2019 und Donick 2020). Ich nehme also die Spielfigur, die an‐ deren Figuren, die Gegner, die Land‐ Gegenstände die scha, und Zaubereffekte optisch und akustisch wahr, und an vielen Stellen bin ich auch leiblich (vgl. Kapitel 4) von dem Spiel be‐ troffen. Ich bin ins Spiel eingetaucht (Im‐ mersion) und von seiner Atmosphäre umgeben. Nun kann etwas geschehen, das ür Außenstehende, die noch nie so ein immersiv-atmosphärisches Spiel er‐ lebt haben, seltsam erscheinen mag, aber ganz natürlich ist: Unsere Handlungen und Äußerungen, die wir vor dem Com‐ puter sitzend vollziehen, können sich auf den Spielinhalt in einer Weise beziehen, als wären wir selbst in dem Spiel. Ich kämpfe etwa gegen einen riesigen Greifen. Als Computernutzer nehme ich nur einige Eingaben vor: ich drücke Tas‐ ten auf der Tastatur oder bewege den Stick eines Controllers – aber als Spieler bin ich ‚voll dabei‘. Fast körperlich gehe ich Geralts Kampf- und Ausweichbewe‐ gungen mit, spüre die Anstrengung, die seine magischen Fähigkeiten verursa‐ chen, produziere unwillkürlich Ge‐ diese Anstrengung räusche, die ausdrücken, fluche, verspoe und be‐ schimpfe den Gegner auf eine Weise, wie ich es im echten Leben niemals tun wür‐ de. Aber – würde ich das wirklich nicht? Offensichtlich ist ja etwas in mir, das un‐ ter den passenden Umständen zum Vor‐ schein kommt: das nicht hinterfragte Bekämpfen einer ‚Bestie‘, die zwar ge‐ 69
ährlich ür die virtuellen Dorewohner der Fantasywelt in e Witcher 3 sein mag, aber mir eigentlich nichts getan hat. Und dabei eine kampetonte, und das Kampfgeühl verstärkende, Kommunika‐ tionsweise, so als würde ich selbst um mein Leben kämpfen und nicht nur eine virtuelle Spielfigur auf einem Computer‐ bildschirm steuern. Ich müsste ja nicht so reagieren – ich könnte auch ganz sach‐ lich die nötigen Eingaben vornehmen, di‐ stanziert, unbeeindruckt. Doch das Eintauchen in die Spielwelt holt offenbar Handlungs- und Kommunikationsweisen aus mir hervor, die ich sonst nicht zeige, die aber in diesem Moment wie selbst‐ verständlich hervortreten. Ein anderes Beispiel: das schon er‐ wähnte Hellblade: Senua‘s Sacrifice. Senua ist eine junge Frau, eine keltische Kriege‐ rin, deren Geliebter, Dillion, von Wikin‐ gern getötet wurde. Den Schädel Dillions an ihre Hüe gebunden, reist Senua nach Norden, um dort der Todesgöin Hela gegenüber zu treten und Dillion zurück‐ zufordern. Senuas Reise durch eine teils schöne und mystische, teils albtraum‐ ha-schreckliche Welt wäre eine einsa‐ me, würde Senua nicht seit ihrer Kindheit Stimmen hören. Manchmal sprechen die Stimmen Senua Mut zu, manchmal säen sie Zweifel, während Se‐ nua Rätsel löst und Gegner aus der nor‐ dischen Sagenwelt bekämp. Als Spieler*in sind wir oberflächlich betrachtet wieder Computernutzer*in: Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe. Und spielmechanisch sind zumindest die Kämpfe nichts Besonderes. Aber die At‐ mosphäre in Hellblade ist dank der grafi‐ schen Gestaltung, der surrealen Rätsel, der akustischen Untermalung – die Stim‐ men! – und vor allem der schauspieleri‐ schen Leistung von Senua-Darstellerin Melina Jürgens so dicht und intensiv, dass wir nicht anders können, als mit Se‐ nua mitzuleiden, sie vor den höllischen Gefahren beschützen zu wollen, und ihr zu wünschen, dass sie ihre Reise erfolg‐ reich zu Ende bringt. Neben dem Erleben
kämpferischer Aspekte an uns selbst, die ähnlich wie beim Witcher und anderen Spielen erscheinen können, ist es das Empfinden von Mit-Leid (im wahrsten Sinne des Wortes), das beim Spielen von Hellblade überraschen kann, insbesonde‐ re, wenn wir im echten Leben bisher von größeren persönlichen Tragödien ver‐ schont geblieben sind. Mitleid, vielleicht gepaart mit zeitweiser Hilflosigkeit, Ver‐ zweiflung, Trauer, bis hin zu Tränen. Wir kennen so etwas natürlich von Filmen. Dass sogenannte parasoziale (einseitig nur von uns aus aufgebaute) Beziehun‐ gen zu Filmfiguren zu emotionaler Er‐ griffenheit ühren können, wenn diesen Figuren etwas passiert, haben schon viele Menschen erlebt. Aber bei einem Com‐ puterspiel sind wir selbst ür unsere Fi‐ gur verantwortlich – es ist unsere Aufgabe, sie bei ihrer Heldenreise zu be‐ gleiten, und die Bindung zu der Figur kann daher ungleich größer sein. Wenn Senua uns anblickt, in ihrer einzigartigen Mischung aus Angst, Staunen und Wut, dann ru das einen Beschützerinstinkt hervor, der so im echten Leben vielleicht noch nicht zum Tragen kam. Das ist auch eine interessante Beob‐ achtung, wenn wir in Spielen Figuren steuern, die selbst eine Beschützer*in‐ nenrolle einnehmen: In Life is Strange 2 (vgl. Kapitel 3.5) kontrollieren wir einen Teenager, der mit seinem kleinen Bruder eine unfreiwillige Reise durch die USA antri. In A Plague Tale: Innocence (2019) fliehen wir als große Schwester mit un‐ serem kleinen Bruder durch von der Pest befallene, albtraumartige Gebiete vor ei‐ ner feindlichen Armee. In Detroit: Beco‐ me Human (2018) steuern wir in einem der Handlungsstränge eine Androidin, die ür die kleine Tochter eines drogen‐ abhängigen, gewalätigen Vaters die Muerrolle übernimmt. In diesen Situa‐ tionen überkommt uns unweigerlich ein Geühl der Verantwortung. Wir tragen daür Sorge, dass ‚unser‘ Kind nicht ver‐ lorengeht, dass es etwas zu Essen und einen Unterschlupf hat. Und wir müssen 70
uns entscheiden, welches Vorbild wir ihm sein wollen – ist etwa Stehlen in ei‐ ner Notlage erlaubt? Und wie beeinflusst das die Entwicklung unseres Kinds? In Detroit: Become Human ist diese Frage angedeutet; in Life is Strange 2 ist sie ein wesentliches Spielelement. Auf jeden Fall bringen uns solche Spiele durch die emo‐ tionale Bindung an die Figuren in inten‐ sives Nachdenken über ethische Fragen. Wenn wir solche Situationen nicht allein spielen, sondern zusammen mit Freund*innen, kann das besonders loh‐ nend sein. Möglicherweise bleiben wir nach solchen Spielen als ein*e Andere*r zurück.
5.2 Wie lassen Spiele uns zurück? Wie Bücher, Gedichte, Fotografien, Ge‐ mälde, Filme, Musik und weitere Formen menschlichen Ausdrucks, können uns auch Spiele am Ende verändert zurück‐ lassen. Irgendetwas in ihnen spricht zu uns, berührt uns auf einer emotionalen Ebene, lässt uns über ein ema oder uns selbst noch lange nachdenken, oder eine Atmosphäre noch lange nachspüren oder uns sehnsüchtig daran zurückdenken. Ich persönlich hae dies zuletzt bei der Visual Novel Eliza, auf die ich schon in Kapitel 3.4 eingegangen bin. Obwohl mich Eliza auch auf einer emotionalen Ebene ansprach, stand diese, gerade im Vergleich zum dahingehend intensiveren Erlebnis Hellblade, im Hintergrund. Warum ich noch Tage nach Beenden des Spiels über es nachdachte, und sogar nachts deswegen wach lag, lag einerseits an der drängenden ematik (wie posi‐ tionieren wir uns als Menschen zu Künstlicher Intelligenz und einer immer technischeren Umwelt?), andererseits an der Hauptfrage des Spiels, die wir als Spieler*in ür die Figur Evelyn am Ende beantworten müssen: Was wollen wir mit unserem Leben tun – welchen Bei‐ trag wollen wir angesichts der techni‐
Die grübelnde Evelyn fragt sich in Eliza (2019), ob das Geheimnis eines Abb. 5.1 gelungenen Lebens ist, sich beschä igt zu halten. Neben der KI-Thematik ist dies die Frage, um die eigentlich in dem Spiel geht: Was wollen wir mit unserem Leben anfangen? Sind wir uns selbst genug oder wollen wir einen Beitrag zur Gesellscha leisten? Das ist letztlich Erich Fromms Unterscheidung von Geschä igkeit und Tätig-sein (vgl. Kapitel 1 und 9).
schen Entwicklung ür die Gesellscha leisten, und wollen wir das überhaupt (Abb. 5.1)? Vielleicht ist es einer nahenden Mid‐ life Crisis geschuldet, dass mich diese Frage so ansprach, oder es liegt daran, dass Evelyn mit Mie Dreißig ungeähr so alt ist wie ich selbst; entscheidend ist, dass Eliza mich selbst aus einer gewissen Bequemlichkeit geholt hat, indem das Spiel mich daran erinnert hat, was ich ei‐ gentlich mit meinen Texten und meinen Studien zur Kommunikation erreichen möchte (etwa ein transparentes Verhält‐ nis von Computertechnik zu den Men‐ schen, vgl. Donick 2020). Ähnlich wie Evelyn hae ich mich auf einer beque‐ men, potenziell endlos ausdehnbaren Warteposition geparkt. Ähnlich wie Eve‐ lyn hae ich das schöpferische Potenzial meiner Ausbildung beiseite geschoben und mich mit der Rolle eines Beobachters zufrieden gegeben. Und ähnlich wie Eve‐ lyn habe ich mich am Ende von Eliza ge‐ fragt, ob das so bleiben soll oder ob ich 71
eine aktivere Rolle spielen möchte – nicht, weil das andere Leute erwarten oder mir das irgendeine Vorstellung von ‚Status‘ nahelegt, sondern weil es gesell‐ schalich geboten erscheint. Ich war sehr überrascht, dass ausgerechnet Eliza (ein Spiel, das ich mir eigentlich nur der Voll‐ ständigkeit halber ür dieses Buch ange‐ schaut hae) so eine Wirkung auf mich hae. Ein Faktor, der in Eliza dazu beigetra‐ gen haben mag, ist die Verschränkung von Spielmechanik und Erzählung. Als Visual Novel ist Eliza nur begrenzt inter‐ aktiv. An Schlüsselstellen der Handlung treffen wir einige Entscheidungen, aber die wesentliche Entscheidung geschieht erst am Ende. Ansonsten erleben wir eine zwar segmentiert dargestellte, aber weit‐ gehend lineare Geschichte. Diese spiel‐ mechanische Linearität spiegelt die Erzählung auf inhaltlicher Ebene. Evelyn ist selbst in einen monotonen, stets iden‐ tischen Arbeitsablauf eingebunden. Sie geht zur Arbeit, tri sich nach Feier‐
Abb. 5.2 Was ist eine Person? Was ist freier Wille? Besitzen wir diesen? Diese Fragen stellen wir uns aus der Perspektive einer Künstlichen Intelligenz, während wir in The Talos Principle (2014) Rätsel lösen und mit dem geheimnisvollen Milton kommunizieren. Am Ende steht die Entscheidung, ob wir tun, was man uns sagt, oder ob wir über uns selbst hinauswachsen.
abend eventuell mit Bekannten, geht schlafen, und am nächsten Tag geht es von vorn los. Ihr Job selbst ist genauso li‐ near. Als „Proxy“, die nur die Äußerun‐ eines Computerprogramms gen vortragen darf, ohne eigene Entscheidun‐ gen zu treffen, tut Evelyn genau das, was auch wir als Spieler*in tun. Irgendwann fragen wir uns selbst: ‚Was tun wir hier eigentlich?‘ Und entweder empfinden wir Langeweile, oder wir geraten selbst in diesen meditativen Zustand, von dem Evelyns Chefin Rae einmal spricht. Gera‐ de dieser Zustand aber, die Langeweile oder die innere Distanzierung, ist der Hintergrund, vor dem sich der Konflikt der Erzählung erst richtig entfalten kann. Und beides erinnert eben auch an ein normales Arbeitsleben. Auch wir gehen zur Arbeit und fragen uns manchmal, wozu wir das eigentlich machen. Eliza gelingt es, dieses mitunter gern ver‐ drängte Unbehagen an die Oberfläche zu spülen und uns als Entscheidungspro‐ blem zu präsentieren. Und wenn wir ür 72
Evelyn eine ehrliche Entscheidung treffen – wie können wir dann ür uns selbst eine weniger ehrliche Wahl treffen?
5.3 Aufnehmend oder schöpferisch? Das bis hier Beschriebene betraf die Fra‐ ge, wer wir selbst sind und wie unabhän‐ gig unsere Entscheidungen ausfallen. In manchen Spielen scheint diese Frage nicht nur als Konsequenz aus Spielme‐ chanik und Erzählung auf, sondern wird explizit thematisiert. Das Puzzlespiel e Talos Principle ist ein Beispiel daür; in Kapitel 1 bin ich schon einmal kurz auf das Spiel zu sprechen gekommen. In e Talos Principle spielen wir einen Roboter mit künstlicher Intelligenz. Zu Spielbeginn erwachen wir in einer Art Paradies, einer virtuellen Umgebung, in der wir zahlreiche Rätsel lösen müs‐ sen. Eine körperlose, gogleiche Stimme
begrüßt uns und begleitet uns durch die ersten Spielminuten, hält sich aber bald zurück. Nur eine Regel gibt Elohim (so der passende Name des Computerpro‐ gramms hinter der Stimme) uns mit: Steige nicht auf den Turm! Natürlich ist es genau das, was das Spiel uns damit als Entscheidung abverlangt: Gehorchen wir der Anweisung Elohims oder widerset‐ zen wir uns ihm? Wir spielen einen Ro‐ boter, sind also eine künstliche Lebensform – ist es da plausibler, ihn auch roboterha zu spielen, indem wir wie angewiesen einfach ein Rätsel nach dem anderen erledigen? Oder handeln wir als Spieler*in und lassen uns in unse‐ rer Willensfreiheit nicht bremsen – stei‐ gen wir auf den Turm? Diese Entscheidung treffen wir als Spieler*in, setzen sie aber mit der Spielfigur um. Ganz allein sind wir mit der Entschei‐ dung nicht. In den virtuellen Umgebun‐ gen, die wir als Roboter wie einen Rätselparcours durchlaufen, stehen im‐ mer wieder altmodische Computertermi‐ nals (Abb. 5.2). Das sind Bibliothekscomputer, mit denen wir Aus‐ schnie aus Dokumenten von Menschen – offenbar Wissenschaler, die an unse‐ rer eigenen Erschaffung beteiligt waren – lesen können, meist E-Mails und Tage‐ bucheinträge, in denen technische und philosophische Fragen angerissen wer‐ den – und mit denen wir auch entde‐ cken, was hier eigentlich los ist: Wir sind eine von vielen KI-Iterationen, die im Laufe der Zeit erwacht sind. Wir wurden erschaffen als letzter verzweifelter Akt der Menschheit, die durch ein unbekann‐ tes Virus ausgelöscht wurde. Ein For‐ scherteam hat die Bibliothek erschaffen, um das Wissen der Menschheit zu si‐ chern, damit es einmal von einer anderen intelligenten Spezies entdeckt wird. Da‐ neben sollen Roboter wie wir bis dahin als eine Art Erbe der Menschheit fungie‐ ren, aber daür müssen wir erst den Test bestehen, den diese künstliche Welt uns stellt. Der Test, so scheint es, besteht aus den Logikrätseln, die wir lösen. 73
Nach einer Weile jedenfalls werden wir über die Bibliotheksterminals von ei‐ ner Entität namens Milton kontaktiert. Milton (der offensichtlich nach dem eng‐ lischen Aulärer John Milton, 1608-1674, benannt wurde) lädt uns dazu ein, unsere von Elohim auferlegten Begrenzungen hinter uns zu lassen. Während Elohim mit seiner altväterlichen Stimme ür un‐ seren Roboter die Rolle des Schöpfer‐ goes einnimmt, ist dieser nur als Textbotscha sichtbare Kontakt wohl als Verührer, ähnlich wie in der biblischen Schöpfungsgeschichte, anzusehen. Am Ende des Spiels, wenn alle Rätsel‐ aufgaben gelöst sind, stehen wir vor der Entscheidung, ob wir uns Elohim an‐ schließen wollen. Dann häen wir ihm von Anfang bis Ende gehorcht, eine treue Schöpfung. Doch wenn wir dies tun, wird das ganze System neu gestartet und wir erwachen erneut am Anfang des Spiels. Denn wir haben trotz aller Rätsel und Verührungen keinen freien Willen gezeigt. Dies, so vermielt uns das Spiel, macht uns ungeeignet, der angestrebte Erbe der Menschheit zu sein. Nicht allein das gehorsame Lösen von Logikrätseln war das Ziel – das kann jeder Computer. Es ging um die Entwicklung und Akzep‐ tanz unseres freien Willens. Ähnlich wie das Spiel Eliza ist auch die Erzählung von e Talos Principle ein Widerhall seiner spielmechanischen Form und reflektiert unseren Umgang damit. Normalerweise tun wir als Spie‐ ler*in das, was ein Spiel uns aurägt. Die Entwickler*innen nehmen dabei die Rolle der Schöpfer*innen von Welten ein. Und wir, die Spieler*innen, lösen wie der Ro‐ boter die Probleme, die die Entwick‐ ler*innen uns stellen. Wir sind aufnehmend und nach-entdeckend, aber nicht schöpferisch tätig. Je wichtiger die Erzählung in einem Spiel ist, umso weniger echten Einfluss haben wir in der Regel. Selbst Spiele, in denen wir vor allem narrative Entschei‐ dungen treffen müssen ansta abstrak‐ tere Probleme zu lösen, wie in der Life is
Strange-Reihe oder in Detroit: Become Human, ähneln eher Filmen. Auch wenn sie wichtige emen auf ernsthae Wei‐ se behandeln und dabei teils sehr viele Variationen bieten, die am Ende ganz un‐ terschiedliche Geschichten erzeugen können, sind solche Medien doch eher interaktive Rezeptionserlebnisse, nicht Spielerlebnisse im engeren Sinne. In sol‐ chen Titeln erkennen wir deutlich: „Jetzt steht wieder eine Entscheidung an, hier verzweigt sich die Geschichte in mehrere Optionen.“ Manchmal wirkt das etwas aufgesetzt. In e Talos Principle sind narrative Auswirkungen viel subtiler umgesetzt. Im Zentrum des Titels stehen
die Rätsel als echte Problemstellungen; das erzählerische Problem hingegen er‐ öffnet sich uns en passant, im wortwörtli‐ chen Vorübergehen. Daher ist e Talos Principle meiner Ansicht nach auch eher als gelungenes Beispiel ür Computer‐ spiele als Kunstwerk zu verstehen als die anderen genannten Beispiele, die trotz ihrer vielen anderen guten alitäten ih‐ ren filmischen Charakter nicht abstreifen können und daher zwar ansprechende, vielleicht sogar wichtige Erlebnisse bereiten, aber dem Medium Computer‐ spiel nicht vollends gerecht werden (vgl. Kasten „Spiel oder Film?“ in Kapitel 1).
COMPUTERSPIELE ALS KUNST In den letzten Jahren hört man ö er, dass Computerspiele Kunst seien. Ein naives Kunstverständnis stützt sich dabei auf Form und Erzählung eines Spiels: Die Grafik eines Spiels ist fotorealistisch, der Soundtrack erinnert an Hollywood-Filme, die Geschichte behandelt ‚erwachsene‘ Themen? Das muss doch einfach Kunst sein, denn es zeugt von handwerklichem Können, großem Aufwand und Bedeutungsschwere! Spiele als ernstha es Medium! Aber so einfach ist es nicht. Der Philosoph Daniel Martin Feige behauptet, „[d]er Witz von Computerspielen als Kunstwerken besteht darin, dass sich der Spieler im Spielen dieser Computerspiele selbst durchspielt. Als Kunstwerke gelungene Computerspiele ermöglichen ein je eigenständiges Durchspielen wesentlicher Bewegtheiten des Spielers“ (Feige 2015, 173; Hervorh. M.D.). Feige kommt es darauf an, dass wir uns selbst in einem Spiel wiederfinden, aber nicht nur wie in Film oder Roman als Rezipient*in.
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Wir können sagen, dass unsere Handlungen und die Handlung des Spiels konsistent sein sollten. Wenn ein Spiel wie Tomb Raider (2013) eine verletzliche Protagonistin zeigt, der auf erzählerischer Ebene große Schwierigkeiten mit dem Ausüben von Gewalt unterstellt werden, aber wir auf spielmechanischer Ebene beim Steuern der Protagonistin dutzendfach Gegner umbringen müssen, dann verfehlt das Spiel seinen narrativ gesetzten Anspruch und ist nach Feige keine gelungene Kunst (ebd., 170). Auch Life is Strange und Detroit: Become Human berühren mit ihrem visuellen Stil, ihrer Musik, den schauspielerischen Leistungen und der Erzählung. Doch spielmechanisch beschränken sie sich darauf, herumzulaufen, Handlungsverläufe auszuwählen und ab und zu Reaktionstests zu absolvieren. Spielmechanik und Erzählung ergeben kein konsistentes Ganzes; Handlungen und Handlung entsprechen sich nicht. Die Titel sind daher vielleicht Kunst als interaktive Filme, aber nicht als Computerspiele.
6 TRÄUME AUSLEBEN
6.1 Die Stadt meiner Träume Wir (der Autor und wohl die meisten Le‐ ser*innen dieses Buches) leben in einem demokratischen Staat, der eigentlich nur gut funktionieren kann, wenn wir seine Möglichkeiten zur Teilhabe aktiv nutzen. Aber wenn wir ehrlich sind, beschränken sich die meisten von uns auf das Wählen. Nur wenige Menschen engagieren sich aktiv politisch, und die, die das tun, sind eher der Kritik der ‚Regierten‘ ausgesetzt ansta dass sie Wertschätzung erfahren. Früher am Stammtisch, heute in Inter‐ netforen und Kommentarbereichen sind wir Kritiker*innen und Expert*innen. Ein Miel, um ein Gespür ür die mitunter komplexen Zusammenhänge politischer Entscheidungen und deren Auswirkun‐ gen zu entwickeln, ist der spielerische Umgang damit. Computerspiele sind eine Option dazu, beispielsweise Auauspie‐ le, in denen wir unsere eigene Stadt er‐ schaffen. Die bekannteste Spielreihe zu dieser ematik war jahrelang Sim City,
aber milerweile gibt es auch weitere Spiele, die teils andere Akzente setzen. Citystate (2018) etwa bietet die Möglich‐ keit, zu manchen Zeitpunkten Entschei‐ dungen zu treffen, die in einem Spektrum von kommunistisch bis libertär liegen. Cities: Skylines hat zahlreiche Möglich‐ keiten, über Verordnungen das Leben der virtuellen Einwohner stadtund stadeilweit zu beeinflussen. Diesen Spielen liegt in der Regel das Ideal wirt‐ schalichen Wachstums zugrunde, das mit Konsum gekoppelt ist. Wie sieht das konkret aus? Wenn wir in Sim City oder in Cities: Skylines eine neue Stadt gründen, legen wir in der Regel erstmal Infrastruktur an. Neben Strom- und Wasserversorgung sind das auch Verbindungen nach außen – Straßen oder Bahnlinien, mit denen unsere neue Stadt erst erreichbar wird. Ebenfalls mit Straßen legen wir den ‚Grundriss‘ der Stadt an, auf dem wir an‐ schließend Wohn-, Gewerbe- und Indus‐ triegebiete ausweisen. Dann warten wir.
75 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_6
Nach kurzer Zeit siedeln sich die ersten Menschen an, das Spiel generiert Wohn‐ gebäude, Handel, Dienstleistungen und Fabriken. Das Spiel informiert uns, ob ge‐ rade ein Mangel an bestimmten Gebiets‐ arten herrscht, entsprechend können wir nachjustieren. Dies heißt in der Regel Wachstum: Entweder bebauen wir ein Stadtviertel dichter als zuvor, wachsen also in die Höhe. Oder wir legen neue Stadeile an, wachsen also in die Breite. Beides hat Vor- und Nachteile. Eine hö‐ here Dichte bedeutet mehr Menschen auf selbem Raum, was Auswirkungen auf die sonstige vorhandene Infrastruktur und Dienstleistungen hat: Öffentliche Ver‐ kehrssysteme könnten überlastet, Stra‐ ßen von Staus geplagt oder Schulen und Krankenhäuser überüllt sein; die Krimi‐ nalitätsrate steigt ebenso wie der Stromund Wasserbedarf – wieder ist Wachs‐ tum nötig, um diese Bedürfnisse zu erül‐ len. Ein neues Krawerk muss her, neue Wasserpumpstationen, mehr Abwasser‐ systeme. Die Auswirkungen des Wachs‐ tums auf die Umwelt werden teilweise simuliert. So wird Wasser durch Indus‐ trie und Abwasser verschmutzt. Auch die Luqualität wird schnell schlecht. Beides senkt erst die Gesundheit und dann die Zufriedenheit der Bevölkerung. Wir ha‐ ben also einen Anreiz, zumindest miel‐ fristig auf saubere Industrien und Ökostrom zu setzen. Allerdings will in Cities: Skylines kein*e Bürger*in ein Windkrawerk vor der Nase haben, wir müssen sie also weiter entfernt errichten und Stromleitungen durch die Land‐ schri ziehen. Für diese Schneisen wer‐ den Bäume abgeholzt, wie überhaupt die natürlichen Ressourcen der simulierten Landscha begrenzt sind: Irgendwann ist die Karte ‚voll‘. Dann ist kein weiteres Wachstum in die Breite möglich, nur noch Verdichtung und Optimierung des Bestehenden. Es ist auch möglich, eine kleine Stadt zu errichten, die ‚funktioniert‘, aber diese würde eher einem Dorf ähneln und häe mit der Realität wenig zu tun. Abgesehen 76
davon, wäre das Spiel schnell langweilig, wenn man sich damit zufrieden gäbe. Al‐ so setzt das Spiel uns konkrete Ziele, die wir erreichen können, oder wir setzen uns selbst welche. Ich persönlich habe beispielsweise eine große Freude an öffentlichen Verkehrssystemen. Insbe‐ sondere U-Bahn- und Hochbahnsysteme interessieren mich sowohl im realen Le‐ ben als auch in der Simulation. Wenn ich also in Sim City oder Cities: Skylines eine neue Stadt anlege, dann immer schon mit dem Hintergedanken, dass ich ein ausge‐ dehntes U-Bahn-System bauen will (das geht bei mir so weit, dass ich dann auch außerhalb des Spiels Streckennetzpläne zeichne und mich an deren optischer Ge‐ staltung erfreue). Die Stadt hat mehrere Stadeile, die teilweise durch breite Flüs‐ se getrennt und große Brücken verbun‐ den sind. Die Stadt meiner Träume war in dem Fall also meist eine Art fiktionales New York, das gar nicht mal perfekt war, sondern laut, hektisch, dreckig, mit ‚Pro‐ blemvierteln‘ und Stadeilen ür ‚Reiche‘. Heute zunehmend diskutierte, und ange‐ sichts des realen Klimawandels nötige, wachstumskritische Perspektiven spiel‐ ten ür mich keine Rolle (vgl. zu dem ema Kapitel 8.1). Das schon kurz erwähnte, eher unbe‐ kannte Spiel Citystate geht einen etwas anderen Weg. In dem Spiel sind wir we‐ niger konkret stadtplanerisch tätig, son‐ dern verkörpern eine Regierung. Dies beeinflusst die Entwicklung der Stadt auf eine etwas indirektere Weise als bei den anderen Spielen. Zu Beginn eines Spiels legen wir Verfassungsgrundsätze fest, beispielsweise unser Verständnis von Ei‐ gentum: Wird Privateigentum streng durchgesetzt oder streben wir Kollek‐ tiveigentum an? Liegt unserem Wirt‐ schasverständnis größtmögliche individuelle Freiheit zugrunde oder wer‐ den Produktionsmiel gemeinschalich kontrolliert? Wollen wir eine starke Re‐ gierung oder liegt die Verantwortung bei den einzelnen Menschen? Bei diesen und ähnlichen Entscheidungen sind jeweils
auch Mielwege möglich. Nach dem Festlegen der Grundsätze entscheiden wir uns noch ür ein wirtschaspoliti‐ sches Beraterteam, das im Spielverlauf Tipps gibt. Hier haben wir nur die Wahl zwischen „den Österreichern“ und „den Keynesianern“. Erstere sind am freien Markt interessiert, weil dadurch Wohl‐ stand ür alle sichergestellt sei; sie leh‐ nen staatliche Eingriffe ab. Letztere halten staatliche Eingriffe in den freien Markt ür sinnvoll, damit alle Menschen profitieren können. Im weiteren Spielverlauf ähnelt das Spiel zunächst den anderen Vertretern. Wir bauen Straßen und legen Wohn- und Gewerbegebiete an. Aber bald gibt es den nächsten Unterschied: Wir benötigen Rohstoffe, um Geld ür weiteres Wachs‐ tum zu verdienen. Dazu beuten wir Res‐ sourcen der Umgebung aus, indem wir etwa ein Bergwerk errichten. Dieses Bergwerk kann dem Staat gehören (pro‐ duziert weniger, aber bietet mehr Ar‐ beitsplätze) oder privatwirtschalich
organisiert sein (beutet die Ressourcen schneller aus). Und immer wieder wer‐ den wir aufgefordert, politische Entschei‐ dungen zu treffen (Abb. 6.1): Müssen Taxiunternehmen eine Lizenz haben, dürfen sie frei operieren oder gibt es gar nur staatliche Taxis? Sind genmanipu‐ lierte Lebensmiel verboten oder erlaubt, und falls ja, unter welchen Bedingungen? Werden die Rechte von Arbeitneh‐ mer*innen gewährleistet? Werden Dro‐ gen legalisiert? Insgesamt gibt es im Spiel 160 solcher Einzelälle zu beurteilen; wel‐ che Regierungsform unser Stadtstaat hat – etwa eine „sozialistische Demokratie“ oder ein „liberaler Wohlfahrtsstaat“ –, wird vom Spiel automatisch basierend auf unseren Entscheidungen angezeigt. Jede Entscheidung wirkt sich auf die Zu‐ stimmungsrate bei Bevölkerungsgruppen und die staatlichen Einnahmen aus und bestimmt damit indirekt das weitere Wachstum der Stadt. Auch Citystate ist also ein Spiel, das dem Wachstumsideal frönt, wenngleich man mehr politische
Im Spiel Citystate (2018) haben wir nur grundlegende stadtplanerische Abb. 6.1 Aufgaben zu erledigen, müssen aber dafür die politischen Rahmenbedingungen steuern. Insbesondere müssen wir wirtscha spolitische Entscheidungen treffen, die auf einer Skala von absolut freiem Markt bis zu starker staatlicher Regulierung bzw. Kontrolle liegen. So können wir die Entwicklung unseres Stadtstaates beeinflussen.
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Gestaltungsmöglichkeiten hat als bei den dahingehend eingeschränkteren anderen Spielen. In Computerspielen die Stadt unserer Träume zu kreieren, gelingt also nur, wenn wir bestimmte wirtschaspoliti‐ sche Grundsätze als gegeben hinnehmen. Für das Spielgeühl, den Spielfluss und die Atmosphäre scheint der Wachstums‐ grundsatz auch wie geschaffen: Es gibt immer etwas zu tun, immer etwas zu op‐ timieren, und so gibt es auch häufig Er‐ folgserlebnisse. Es macht Spaß, unserer Großstadt ein beschauliches Seebad am Meer zu spendieren, ein effizientes Ver‐ kehrssystem zu planen oder ein herun‐ tergekommenes Stadtviertel zu neuer Blüte zu ühren. Dass in der Realität so etwas mit Problemen, etwa sozialer Ab‐ grenzung oder der Vertreibung alteinge‐ sessener Menschen durch zu hoch gewordene Mieten (Gentrifizierung) ein‐ hergeht, erleben wir im Spiel höchstens indirekt.
mulator. Wer schon immer mal mit der Keensäge Bäume ällen wollte, kann das in Lumberjack’s Dynasty versuchen und sie anschließend als Fernfahrer*in im American Truck Simulator transportieren Und falls dabei ein Unfall geschieht, kein Problem: In 112 Operator können wir Notrufe und Reungseinsätze koordinie‐ ren. Aus dieser kurzen, bei weitem nicht vollständigen Aufzählung wird eines deutlich: So gut wie jedes Berufsfeld wurde schon in mehr oder weniger tief‐ gehenden Simulationsspielen umgesetzt. Das bietet ganz andere Arten von Proble‐ men, als wir sonst in Spielen bearbeiten. Wir reen zwar nicht die Welt, aber sind doch ‚Held*innen des Alltags‘. Es sind zwar ‚nur‘ Spiele, und sie geben die Kom‐ plexität der Wirklichkeit nicht vollstän‐ dig wieder. Insbesondere kann man sie als Romantisierung betrachten, die nega‐ tive Aspekte der gezeigten Berufe aus‐ blendet und ein geschöntes Bild vermielt (beispielsweise zeigt der sonst recht detailreiche Landwirtschas-Simu‐ der mit lator keine Massentierhaltung verbundenen Probleme). 6.2 Traumberuf Dennoch bieten solche Spiele Einblick in Einmal mit dem Mähdrescher das Feld Bereiche, die uns sonst verschlossen blei‐ bestellen, die Hühnereier auf dem Markt ben. Ihre Existenz zeigt Wertschätzung verkaufen oder mit dem Pferd ausreiten? ür die gezeigten Tätigkeiten. Und sie All das erlaubt der Landwirtschas-Simu‐ vermieln uns, dass Berufe, an die wir im lator. Was vor einigen Jahren als Kuriosi‐ Alltag o keinen Gedanken verschwen‐ tät begann, ist heute eines der den, ür unsere Gesellscha wichtig sind. beliebtesten Simulationsspiele auf dem Markt. Oder wollen wir doch lieber König*in der Landstraßen und Autobahnen sein? 6.3 Der Traum vom Fliegen Dann sind vielleicht der Euro Truck Si‐ mulator bzw. sein USA-Pendant Ameri‐ Auch Flugsimulationen gehören in das can Truck Simulator etwas ür uns. Genre der Berufssimulationen. In Kapitel Natürlich können wir uns stadessen 2.3 ging ich schon auf Flugsimulation als auch im öffentlichen Personenverkehr ein Beispiel ür Problemlöseprozesse ein verdingen – als Lokührer*in im Train Si‐ und in Kapitel 3.3 schrieb ich zur Kom‐ mulator, als Busfahrer*in in OMSI oder munikation zwischen Flugzeug und Bo‐ als U-Bahn-Fahrer*in in der World of den. Ein nach realen Verfahren von A Subways-Reihe. Automechaniker*in spie‐ nach B durchgeplanter und erfolgreich len wir im Car Mechanic Simulator, PC- durchgeührter Flug, das erfolgreiches Techniker*in sind wir im PC Building Si‐ Eingehen auf unerwartete Ereignisse 78
während des Fluges sowie die begleiten‐ de erfolgreiche Kommunikation sind ins‐ sehr Aber gesamt befriedigend. Flugsimulation wird nicht allein deswe‐ gen gespielt. Erster Zugangspunkt ist o einfach der Gedanke: ‚Ich will auch mal fliegen.‘ Dahinter steht mal eine Faszina‐ tion ür das Fliegen als solches, mal ein Interesse an der daür nötigen Technik. Es ist der sprichwörtliche Traum vom Fliegen. Die spielerische Simulation er‐ laubt es, solche und ähnliche Träume zu verfolgen und auszutesten, ob nicht so‐ gar eine Realisierung des Traumes denk‐ bar ist. Nicht wenige echte Hobbypiloten haben vorher auf dem Computer Fliegen gespielt. Meine erste eigene spielerische Flug‐ erfahrung hae ich auf einem alten Computer aus DDR-Produktion, der Mie der 1980er Jahre gebaut wurde. Nach der Wende wurde er ausgemustert und landete in meinen jugendlichen Händen. Mit seiner niedrigen Auflösung von 320×256 Pixeln, lediglich 16 Farben, einem zweistimmigen Soundchip und 32 KB Arbeitsspeicher war er im Vergleich zu den damals üblichen westlichen Gerä‐ ten nicht konkurrenzähig, aber das war mir egal. Ich erhielt ihn mit einer als Da‐ tenspeicher genutzten Musikkassee, auf der sich eine ganze Menge Spiele befan‐ den. Eines der Spiele hieß Cockpit (1986) und lief ganz lange nicht, weil sich das Magnetband der Kassee an der Stelle nicht richtig lesen ließ. Aber irgendwann klappte es. Ich musste zu einer Insel flie‐ gen und ein Paket abwerfen. Cockpit war ein simples Geschicklichkeitsspiel, das mit fliegerischen Abläufen nichts und mit Fluggeühl nur minimal zu tun hae, aber ich fand es trotzdem unheimlich aufregend, als die Landebahn das erste Mal unter mir verschwand. Flugzeugspiele und Flugsimulationen hae ich ab da immer auf dem Schirm. In Radar Lock auf dem (noch viel älteren, aber kurz nach der Wende in den Neuen Bundesländern trotzdem noch gut ver‐ kauen) Atari 2600 oder in Ace of Aces 79
auf dem Sega Master System ging es um Lukämpfe; zumindest Radar Lock hae dabei auch ein dynamisches, schnelles Spielgeühl. Ernsthaer und realistischer wurde es ür mich später mit dem Micro‐ so Flight Simulator und X-Plane. Aber wie ist es denn nun, zu fliegen? Was meine ich, wenn ich von „Fluggeühl“ schreibe, oder von „dynamisch“? Das ist am besten wieder in Kategorien leiblicher Wahrnehmung (vgl. Kap. 4) zu beschrei‐ ben. Dabei ist das Cockpit wichtig. Das Cockpit als Ort steht in Kontrast zur Raumausdehnung der Außenwelt. Solan‐ ge wir uns am Boden befinden – also zur Startbahn rollen oder nach der Landung zurück zum Vorfeld oder zu einem Han‐ gar –, ist es nicht viel anders als das Ge‐ ühl beim Autofahren. Der Verlauf der Rollwege, die sich optisch nach hinten verjüngen oder um Kurven ühren, sowie deren Markierungen am Rand und in der Mie lenken uns schon leiblich in gewis‐ se Richtungen (Bewegungssuggestionen), noch bevor wir darüber bewusst reflek‐ tieren (wenngleich in der Praxis o be‐ stimmte dieser Wege vorgeschrieben sind, die wir Karten entnehmen oder per Funk erfahren). Interessant wird es wäh‐ rend Start und Landung. Zunächst der Start: Aufgereiht stehen wir auf der Markierung in der Mie der Bahn. Unser Blick ist vor allem nach vorn gerichtet, aber die Bahngrenzen links und rechts neben uns sind durch die Fenster zu sehen, am Rande unseres Blickfelds. Ruhig, aber stetig geben wir Gas. Das Flugzeug beschleunigt und wir ‚fahren‘ in immer schnellerem Tempo die Bahn entlang. Schnell wird es anders als beim Auto: Denn von selbst hebt sich die ‚Nase‘ des Flugzeugs in die Höhe und wir müssen nur durch leichtes Ziehen am Steuerhorn oder Stick nachhelfen, um abzuheben – das bisherige Rollgeühl, das ‚Fahren‘, wird ersetzt durch das Geühl, in die Lu gehoben zu werden, wie bei einem Fahrstuhl, der sich aber nicht nur
hoch, sondern gleichzeitig vorwärts be‐ wegt. Die Bahn ist immer noch sichtbar, wenn wir nach unten schauen, aber sie wird schmaler, und irgendwann liegt sie hinter und unter uns. Während der Raum um uns eben noch durch die klaren Grenzen der Rollwege und der Startbahn bestimmt war (und dadurch auch als Ort ‚Flugplatz‘ definiert war), hat sich der Raum während des Starts kontinuierlich ausgeweitet und ist nun wortwörtlich zum Luraum geworden. Das Cockpit ist der Ort, an dem wir diesen Raum um uns herum erkunden können. Kehren wir nach einem Flug zum Flugplatz zurück, wird der weite Raum um uns wieder eingeengt. Aus dem Rei‐ seflug heraus fokussieren wir uns auf den Ort des Flugplatzes, wir identifizie‐ ren ihn in der mitunter gleichörmigen Landscha und fliegen ihn auf bestimmte Weise an. Bei der Landung, im Endanflug auf eine Landebahn, haben wir diese di‐ rekt vor uns und sinken kontrolliert auf
eine Weise, dass wir möglichst am Bahn‐ anfang in der gewünschten Geschwin‐ digkeit aufsetzen. Das Sinken darf nicht zu schnell sein, aber auch nicht zu lang‐ sam (denn wenn wir zu langsam sinken, überschießen wir die Bahn, und wenn wir insgesamt zu langsam fliegen, hört die Luströmung um die Flügel auf, was in geringer Höhe schnell zum Absturz ührt). Beim Anflug ist die ‚Nase‘ nach unten gesenkt, bei Seitenwind hängt viel‐ leicht auch ein Flügel im Wind, sodass wir ‚schie‘ anfliegen. Schnell kommt die Landebahn näher – sie üllt immer mehr von unserem Sichtfeld aus, die Weite von Himmel und Erde wird verdrängt durch immer mehr Grau von Asphalt oder Be‐ ton, dem Grün einer Grasbahn oder dem Braun-Grau einer Schoerpiste. In dieser Engung kehren wir zum Boden zurück, bis wir in der Bahnmie aufsetzen und die Bahn rings um uns herumhaben. Langsam senkt sich die Nase, und wir lassen uns vom Bahnverlauf zum Vorfeld oder Hangar ühren.
Abb. 6.2 Im Gegensatz zum echten Fliegen können wir in einem Flugsimulator wie X-Plane 11 (2016) auch die Außenperspektive einnehmen. Damit bekommen wir nicht nur ungewohnte Ausblicke auf die Landscha (hier in der Nähe von Palm Springs, Kalifornien), sondern können auch interessante leibliche Wahrnehmungen von Bewegung und Räumlichkeit machen. In dieser Form ist das nur im Spiel möglich.
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Was ich bis hierher beschrieben habe, beruht auf meinen echten Flugerfahrun‐ gen, aber die können wir ganz ähnlich auch am Computer erleben – das Geühl des Starts und der Landung ist zwar sinnlich ein anderes (da wir am Schreib‐ tisch natürlich keine echte Bewegung spüren), aber aufgrund der visuellen Ein‐ drücke und des Klangs können wir die genannten leiblichen Regungen der Wei‐ tung und Engung trotzdem nachempfin‐ den. Und wir können etwas tun, was wir beim echten Fliegen nicht machen kön‐ nen: Wir können den ‚Luraum‘, der in der echten Welt genau unterteilt ist und strengen Verkehrsregeln unterliegt, be‐ liebig frei erkunden, ungeachtet anderer Flugzeuge, auf die wir sonst achten müssten. Außerdem können wir uns selbst in der Außenperspektive betrach‐ ten, wenn wir entsprechende Kamera‐ perspektiven wählen (Abb. 6.2). Bei einem Fly-by spüren wir die Schnellig‐ keit des Flugzeugs; bei einer langsam kreisenden Kamerafahrt während eines Kurvenflugs scheinen wir mit dem Flug‐ zeug zu schweben; bei einem langen Herauszoomen vom Flugzeug, immer weiter weg, merken wir, wie klein das Flugzeug doch eigentlich ist und dass wir in ihm in einer Weite aufgehen.
6.4 Traumurlaub Der Traum vom Fliegen, bei dem wir in der Flugsimulation jedes beliebige Gebiet der Welt erkunden können, verweist auf das noch breitere ema des Traumur‐ laubs. Hier bieten insbesondere OpenWorld-Computerspiele ein schier uner‐ schöpfliches Potenzial, da sie voller postkartenreifer Motive sind. Ob es Traumstrände sind oder riesige Gebirge, pulsierende Großstädte oder tiefe Wäl‐ der, all das wurde schon mehrfach als frei begehbare Open World umgesetzt. Ei‐ gentlich dienen solche Welten als Hinter‐ 81
grund, vor dem Aufgaben zu lösen sind, die Spiel bzw. Entwickler*innen uns stel‐ len. Das Griechenland in Assassin’s Creed: Odyssey (2018) erkunden wir, um unseren virtuellen Freunden und Be‐ kannten bei ihren Problemen zu helfen; die Tundras, Wälder und Gebirge in Skyrim durchstreifen wir, um unser Schicksal als auserwähltes „Drachenblut“ zu erüllen und einen schlimmen Bürger‐ krieg zwischen den Bewohner*innen Skyrims zu entscheiden; die Metropolen Liberty City und San Andreas in der Grand e Auto-Reihe erleben wir aus von Kriminellen; im der Sicht American Truck Simulator spüren wir das Fernfahrerdasein zwischen Termindruck und Finanzen, und so weiter. Und doch: Wenn wir uns auf die Stimmung und Atmosphäre der Spielwel‐ ten dieser und anderer Spiele einlassen und die Problemlösung hintenan stellen, dann können wir die Welten auch ein‐ fach als Orte der Entspannung erleben. Dann machen wir ein paar Minuten Ur‐ laub vom Alltag, ohne uns gleich neue Aufgaben aufzuhalsen. Wir spazieren barfuß am Mielmeerstrand durchs Was‐ ser – wir lassen Skyrims Bergpanorama auf uns wirken – wir kümmern uns nicht um den anstehenden Drogendeal, son‐ dern tauchen in die Atmosphäre des New Yorker, pardon, von Liberty Citys Nacht‐ leben ein – wir lassen den Truck am Straßenrand stehen und die Weite der Wüste Nevadas auf uns wirken, und so weiter. In manchen Situationen kann dies ähnlich entspannen wie eine echte Reise. Als es 2020 zu großflächigen Beschrän‐ kungen kam, um die Ausbreitung der Krankheit COVID19 (Corona-Virus) zu verhindern, war der Besuch virtueller Welten ür viele Menschen eine willkom‐ mene Abwechslung. Wenn wir durch Spielwelten flanie‐ ren, werden wir feststellen, dass wir mit unterschiedlichen Spielen auch unter‐ schiedliche Atmosphären spüren, und dass wir manche davon bewusst wegen der Atmosphäre aufsuchen, weniger we‐
Die „Kaiserstadt“ in The Elder Scrolls 4: Oblivion (2006) nutzt Elemente Abb. 6.3 echter Monumentalarchitektur (Säulen, Bögen, Kuppeln, Statuen), um eine Atmosphäre von Macht und Überwältigung zu erzeugen, die dem Namen der – im Spiel ansonsten ziemlich leblosen – Stadt entspricht. Weil uns die sichtbaren Formen an tatsächlich erlebte Architektur erinnern, können sie auch ähnliche Empfindungen hervorrufen.
gen der spielmechanischen Herausforde‐ rungen. Der folgende Einschub „Rund‐ gang durch die Kaiserstadt“ beschreibt einen Spaziergang durch die Hauptstadt des Kaiserreiches von Tamriel, dem Schauplatz der Rollenspielserie e Elder Scrolls. Der Rundgang fand im vierten Teil der Serie, Oblivion, sta. Die Ent‐ wickler*innen nutzten ür die kaiserli‐ chen Bauten bekannte Elemente irdischer Architektur: monumentale Säu‐ len, Rundbögen, hohe Steinmauern. Die in der Stadt verteilten Statuen sind nicht nur Dekoration, sondern beziehen sich auf die umfangreiche Hintergrundge‐ schichte der Spielreihe, der wir so durch den Spaziergang nachspüren können – ganz wie bei einem Besuch einer echten Stadt. Wenn wir wollten, könnten wir in vielen fiktiven historischen Texten im Spiel und im Internet mehr über diese Geschichte erfahren, aber während des Spaziergangs hält uns die Atmosphäre im Bann. Es ist dieses typische Überwälti‐ 82
gungsgeühl, das wir auch bei echten Monumentalbauten verspüren (Abb. 6.3), und hinterher der Eindruck, als Tourist wichtige Sehenswürdigkeiten abgehakt zu haben. Rundgang dur die Kaiserstadt Als du erwachst, befindest du dich in einer kleinen Holzhüe, die aus einem einzelnen Raum besteht. Von einer Wand zur anderen sind es gerade mal sechs Schrie. Du besitzt offenbar nicht viel, aber im Kamin lodert ein Feuer, einige Wandteppiche sorgen ür Ge‐ mütlichkeit, und auf dem kleinen run‐ den Tisch steht eine Schale mit Obst. In einer Ecke steht dein Be. Du besitzt etwas Geschirr, in einer Kommode fin‐ dest du einfache Leinenkleidung. In ei‐ nem Schrank ist etwas billiger Wein, ein wenig Gemüse. Es ist der Monat Letzte Saat, ein Spätsommervormiag, und es ist dein Geburtstag.
Du trist vor die Tür und atmest tief ein. Ah, die laue Seelu, die vom Hafen herüberweht, und die sich vermischt mit dem Du hoher Laubbäume und der umliegenden Wiesen! Heute wirst du nicht arbeiten gehen. Du willst den Vormiag genießen und die Stadt er‐ kunden. Du lebst am Rande der Kaiser‐ stadt, und du hast vielleicht nicht viel, aber du bist doch ein Bürger dieser Stadt. So steigst du die Stufen zur Ha‐ fenpromenade hoch und tauchst ein in das Großstadtleben. Viele Stimmen re‐ den durcheinander – Matrosen, Hafen‐ arbeiter, Händler, du schnappst hier ein Gerücht auf, dort eine Lästerei. Manch einer schaut dich böse an. Das Holz der Segelschiffe knarrt, seichte Wellen schlagen an die Schiffsrümpfe. Die Hafenpromenade ist wie ein Halb‐ kreis angelegt, in dessen Mie eine Steinbrücke wie die Nabe einer Speiche zur eigentlichen Stadt ührt. Ihre Be‐ zirke sind ebenfalls als Kreissegmente gestaltet, sodass auch die meisten Stra‐ ßen rund sind. Über die Brücke gelangst du in den Tempelbezirk – in dessen Zentrum steht der imposante Tempel des Einen, eine große runde Halle mit hohen Säu‐ len und Fenstern. Hier wird Akatosh gedacht, dem höchsten der Göer. Rund um den Tempel befinden sich große Stadthäuser, in denen sehr wohl‐ habende Menschen leben. Einmal konntest du einen Blick in eines werfen – deine kleine Holzhüe würde drei Mal, vier Mal allein in die Eingangs‐ halle so eines Hauses passen. Du folgst der Hauptstraße nach Nordwesten und gelangst durch ein großes Tor zum Talos Platz-Bezirk. Der Stadeil wurde benannt nach Talos, dem Go, zu dem Kaiser Tiber Septim wurde. Die Grundanlage ähnelt dem Tempelbezirk, aber sta des Tempels erwartet Besucher im Zentrum eine von Säulen und Blumen umrahmte Statue eines Drachen. Gleich daneben liegt das „Tiber-Septim-Hotel“, das bes‐ 83
te Haus am Platze, und überhaupt in der ganzen Provinz. Nur die reichsten Bürger leben in diesem Bezirk. Weiter folgst du der Straße. Das Tor im Nordosten ührt dich in den Elfen‐ garten-Bezirk, der nicht ganz so idyl‐ lisch ist wie sein Name suggeriert. Es ist ein Stadeil, der durch Wohnhäuser dominiert ist, wenngleich es einige schöne Hinterhöfe gibt. Außerdem la‐ den gleich zwei Gasthäuser müde Rei‐ sende zu Speis‘, Trank und Nachtlager ein. Besonders in der „Taverne zu Kö‐ nig und Königin“ ist immer etwas los. Die Straße ührt dich zum Osor. Dich fröstelt leicht; die Sonne hat sich hinter einigen Wolken versteckt. Durch das Tor kommst du in den Marktbezirk – neben dem Hafen ganz klar das wirtschaliche Zentrum der Kaiserstadt. Hier gibt es alles, ür jeden Geschmack und Geldbeutel. Bücher und Zaubersprüche – alchimistische Zutaten und fertige Tränke – Schild und Schwert – Zeitungen und elegante Kleidung. Wo in den anderen Bezirken Wohnhäuser stehen, befinden sich im Marktdistrikt zwei beeindruckende offene Säulenhallen, in denen Handels‐ ware lagert und um die sich die einzel‐ nen Läden verteilen. Eine riesige Statue Uriel Septims III. wacht über die eine Halle; über die andere die fast ebenso große Statue von Pelagius IV., des Soh‐ nes Tiber Septims. Nur vor dem Regen, der seit einiger Zeit auf dich nieder‐ prasselt, schützen sie dich nicht. Am Ende der Hauptstraße gelangst du durch das Südtor in den Arenabe‐ zirk. Die Arena ist viele tausend Jahre alt und wird noch immer ür Gladiato‐ renkämpfe genutzt. Schon o hast du hier auf Kämpfer geweet – und verlo‐ ren. Vielleicht ist das auch der Grund, warum du immer noch in deiner be‐ scheidenen Hüe am Stadtrand haust … aber wer hart arbeitet, soll sich auch vergnügen, sagen die Leute, „Brot und Spiele“, sagen sie, „Brot und Spiele“. Schnell gehst du weiter; ür die Kämp‐
fer, die in den Säulengängen außerhalb der Arena üben, hast du nur einen kur‐ zen Blick übrig. Durch das Südwesor kommst du ins Arboretum, einen großen Park, der durch Statuen der neun Göer domi‐ niert ist, die alle kreisörmig um das Zentrum des Bezirks angeordnet sind. Im Zentrum, wiederum von Säulen umgeben, befindet sich eine große Sta‐ tue Tiber Septims. Durch das Wesor geht es zurück in den Tempelbezirk. Fast ünf Stunden bist du nun schon unterwegs – die Stadt ist groß, und sich alles anzuschauen, braucht seine Zeit. Du beschließt, zum Schluss dem Palastbezirk einen Besuch abzu‐ staen. Nach all den Statuen, die in den anderen Bezirken von einer glor‐ reichen Vergangenheit oder der göli‐ chen Wirklichkeit künden, möchtest du auch den Ort sehen, wo echte Herrscher sitzen und wo die Politik gemacht wird, die Wohlstand und Frieden im Kaiserreich sichert. Der Palastbezirk ist wie ein Ring angelegt, in dessen Zen‐ trum sich der Weißgoldturm befindet, uralt, der höchste Turm der Welt und Sitz des Kaisers. Angestrengt hebst du den Kopf und kneifst die Augen zu‐ sammen, um die Spitze des Turms zu erkennen. Nur mit Mühe kannst du seine Ausmaße erfassen – welch ein Kontrast zu deiner kleinen Holzhüe!
sphäre zu spüren, die uns in eine andere Stimmung versetzt. Einen echten Waldspaziergang oder Strandbesuch, die wir mit all unseren Sinnen erleben, kann der Urlaub in der virtuellen Welt nicht ersetzen. Aber weil uns die sicht- und hörbaren Elemente so‐ wie die leiblich spürbaren Faktoren (vgl. Kapitel 4: Bewegungssuggestionen, Einund Ausleibungen, Atmosphären) an schon einmal ähnlich erlebte, vergleich‐ bare echte Situationen erinnern, kann trotzdem ein ähnliches Geühl entstehen. Bezogen auf Fotografie, zeigt der Phä‐ nomenologe Jürgen Hasse dies an einer Schwarz-Weiß-Abbildung der Stadt Hong Kong. Hasse weist darauf hin, dass das Bild auf „einen Erlebniskontext“ (Hasse 2011, 180) verweist. Dieser Kontext kann zwar in dem Foto selbst nicht wahrge‐ nommen werden, aber „im eigenen Mit‐ sein gespürt“ (ebd.) werden. Darum muss Fotografie wie Spiel nicht vollständig sein, weder was Sinnesdaten angeht noch leibliche Regungen. Es reicht, „einen ir‐ gendwann und -wo vital erlebten Ein‐ druck“ (ebd.) erneut hervorzurufen. Das geht im Schwarz-Weiß-Foto genauso wie in einem mehr oder minder realistisch oder abstrakt dargestellten Computer‐ spiel. Selbst wenn das Spiel in Bezug auf Sinnesdaten nur eingeschränkt ist, kann es in uns dennoch Regungen wieder her‐ vorholen, die wir schon einmal erlebt ha‐ ben – das gilt ür die fotorealistischen Strände Griechenlands in Assassin’s Kennen wir die subjektive Wirkung von Creed: Odyssey (Mielmeerurlaub) ge‐ Spielen mit bestimmten Atmosphären nauso wie ür die eher comicha visuali‐ auf uns, dann können diese Spiele auch sierte in Kleinstadtatmosphäre bewusst eingesetzt werden, um uns in ei‐ Life is Strange (Urlaub im US-amerikani‐ ne bestimmte Stimmung zu versetzen, schen Nordwesten). zum Beispiel, um einen kurzfristigen Entspannungseffekt zu erzielen. Nach ei‐ nem anstrengenden Arbeitstag reisen wir dann vielleicht ür eine halbe Stunde in 6.5 Der Traum von einer besseren Welt unsere bevorzugte virtuelle Welt, nicht um dort lange Erzählungen zu erleben In gewisser Weise spielen wir in Compu‐ oder schwierige Kämpfe auszufechten, terspielen unsere Welt nach. Die zu lö‐ die uns auf andere Gedanken bringen, senden Probleme orientieren sich an sondern einfach um eine andere Atmo‐ historischen, aktuellen oder potenziell 84
zukünigen Problemlagen. In Spielen können wir zwar testen, ob wir ein Pro‐ blem ‚besser‘ lösen können als die histo‐ rischen oder aktuellen Vorbilder, aber nur selten bieten uns Spiele echte Alter‐ nativen zu bekannten Lösungen an. Grundannahmen werden meist nicht in Frage gestellt: Offenbar gab es immer Kriege und wird es immer Kriege geben, und scheinbar war der Kapitalismus schon immer das beste Wirtschassys‐ tem, und wird es immer bleiben (vgl. zu beiden emen auch Kapitel 8). Es gibt immer das Böse, das besiegt werden will, und daür wird immer ein*e Held*in mit besonderen benötigt. Eigenschaen Computerspiele erzählen also letztlich die selben alten Geschichten, die die Menschheit schon seit Jahrtausenden kennt, mit dem Unterschied, dass wir selbst mitwirken sta nur zuzuhören. Aber was ist mit Visionen einer wirklich anderen, positiveren Zukun? Können Spiele nicht auch ein Testfeld sein ür ei‐ ne Welt ohne Gewalt, ür Nachhaltigkeit, und echte Gleichberechtigung? Solche emen fallen unter das Feld des sogenannten Kritischen Spielens (Critical Play). Den Begriff verwende ich nach Mary Flanagan: „Kritisches Spielen bedeutet, Spielumgebungen zu erschaffen oder zu besetzen, die eine oder mehr Fra‐ gen zu Aspekten des menschlichen Le‐ bens repräsentieren“ (Flanagan 2013, 6). Kritisches Spielen sei gekennzeichnet durch „sorgältige Untersuchung sozialer, kultureller, politischer oder sogar per‐ sönlicher emen“ (ebd.; Übersetzung der Zitate: M.D.) In ihrem Buch sowie in einem weite‐ ren Band mit Helen Nissenbaum disku‐ tiert Flanagan zahlreiche Spiele und kritischere Alternativen, beispielsweise eine Schach-Variante ür drei Spieler*in‐ nen (Flanagan/Nissenbaum 2016, 41f.) Schach wird üblicherweise als Abstrakti‐ on der Schlacht zweier Armeen angese‐ hen. Es gibt verschiedene SchachVarianten ür mehr als zwei Personen, aber die von Flanagan und Nissenbaum 85
diskutierte Form ree Player Chess hat eine Besonderheit: Die drei Spieler*innen spielen nicht alle gegeneinander, sondern ein*e Spieler*in hat die explizite Aufgabe, Frieden zwischen den beiden anderen zu schaffen. Dazu werden die jahrhunderte‐ lang tradierten Spielregeln verändert. Die üblichen Farben schwarz und weiß bein‐ halten jeweils nur König, Dame, Springer und Turm. Die drie Person kontrolliert alle Bauern und versucht, die beiden an‐ deren daran zu hindern, Figuren zu schlagen. Gelingt es über längere Zeit nicht, Figuren zu schlagen, wächst Gras auf dem Spielbre (ebd.), was das Spiel‐ feld – das Schlachtfeld – am Ende un‐ brauchbar macht. ree Player Chess war von seiner Entwicklerin Ruth Catlow 2003 als Kommentar zum damaligen Irakkrieg gedacht (ebd.) Dass ausgerech‐ net die schwächsten Figuren des Schach‐ spiels diejenigen sind, die sich subversiv dem Kampf verweigern, in den sie nor‐ malerweise wie einfache Soldat*innen geschickt werden, sollte die Frage auf‐ werfen, unter welchen Bedingungen sich sonst machtlose Menschen gegen mäch‐ tigere Akteure wehren können (ebd.) Im Irakkrieg waren das friedliche Demons‐ trationen pazifistisch eingestellter Men‐ schen, ür die die Bauern als Symbol stehen. Bei einem anderen von Flanagan und Beispiel, Nissenbaum besprochenen Spent, müssen wir entscheiden, woür wir ein Monatsbudget von 1.000 US-Dol‐ lar ausgeben (Abb. 6.4). Das Spiel basiert auf echten statistischen Daten einer Stadt in North Carolina im Jahr 2011 und sollte die problematische ökonomische Lage vieler Menschen in der Region abbilden (ebd., 47f.). Ziel ist es, am Ende des Mo‐ nats Geld übrig zu haben (ebd.), spielme‐ chanisch geht es also um das Management von Ressourcen. Allerdings verbreitet das Spiel nicht die sonst übli‐ chen Wachstumsideale. Es entlarvt die idealisierte Vorstellung, dass man einer benachteiligten Lage einfach entkommen könnte, wenn man nur hart genug arbei‐
ten würde, als Märchen. Sozialer Aufstieg ist in Spent eine Illusion – der Traum ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘ wird immer ein Traum bleiben. Eher wird es noch schlimmer, denn alle in Spent zu treffenden Entscheidungen machen die Lage noch schwieriger. Die zur Auswahl stehenden Jobs sind zeitlich befristet oder im Niedriglohnsektor; es sind uner‐ wartete Arztrechnungen zu begleichen; Arbeitskleidung müssen wir selbst be‐ zahlen; und so weiter (ebd.). Kritische Spiele wie die beiden genann‐ ten dienen nicht der Unterhaltung. Sie sind Bildungs- oder Kunstprojekte. Da‐ her schaffen sie es leider selten in die Hände ‚normaler‘ Spieler*innen, weil sie abseits akademischer, künstlerischer oder pädagogischer Kontexte nicht viel Auf‐ merksamkeit erhalten. Manchmal erscheinen aber auch Spiele, die kritisch und erfolgreich sind. Ein Beispiel ist is War of Mine (2014), in dem wir die schwierige Lage von
Menschen in einer Bürgerkriegsregion erleben. Spielmechanisch handelt es sich um eine Überlebenssimulation bzw. ein Survival-Spiel. In unserem Haus (das eine halbe Ruine ist), auf unserem Grundstück und später bei Einbrüchen in andere Häuser sammeln wir Rohmaterialien ein und erzeugen daraus andere Gegenstän‐ de, um einen weiteren Tag zu überleben. Nahrungsmangel und Krankheit sind ständige Begleiter ür unsere drei gesteu‐ erten Charaktere, die vor dem Krieg alle ein ‚normales‘ bürgerliches Leben ühr‐ ten und eine vielversprechende Zukun vor sich haen. Anders als Spent, das re‐ gelmäßig einordnende Informationen an‐ zeigt, verzichtet is War of Mine darauf, moralische Fragen explizit zu diskutieren. Die Gesellschaskritik in dem Spiel besteht darin, dass es bei den Spieler*in‐ nen ein Bewusstsein ür den Schrecken von Krieg und Bürgerkrieg schaffen kann, ür die Probleme des Überlebens unter diesen Bedingungen, Empathie ür das Leid der Bevölkerung, Verständnis
Abb. 6.4 Spent (2011) ist ein sogenanntes Kritisches Spiel, das nicht der Unterhaltung dient, sondern die Form des Computerspiels nutzt, um gesellscha liche Phänomene zu kommentieren bzw. zu kritisieren. Mit einem Budget von 1.000 US-Dollar müssen wir bis zum Monatsende überleben. Das Spiel zeigt uns schnell, dass das nur unter größten Mühen möglich ist, wenn überhaupt.
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ür Fluchtursachen und am Ende ür eine Politik, die sich ür Solidarität und eine friedlichere Welt einsetzt. Zukun im Weltraum? Andere, womöglich ‚bessere‘ Gesell‐ schassysteme auszuprobieren und kritisch zu hinterfragen, ist eine Spe‐ zialität ernstzunehmender Science-Fic‐ tion. Der Autor Isaac Asimov (19201992) – der vor allem ür seine Robo‐ tergesetze bekannt ist, nach denen kein Roboter je einem Menschen schaden darf – diskutiert in seinen mehrere zehntausend Jahre umspannenden Ro‐ manen verschiedene Gesellschasfor‐ men, mit ihren je eigenen Vor- und Nachteilen. Aus heutiger Sicht wirken Asimovs Texte, die zwischen 1940 und 1990 entstanden, etwas anachronis‐ tisch; sehr deutlich scheinen doch die Technologien, Probleme und Ansichten seiner Zeit durch: Beispielsweise wird Atomkra offenbar auch im 30. Jahr‐ hundert noch die Methode der Wahl zur Energieerzeugung sein, während Frauen scheinbar auch dann immer noch vorwiegend am Herd stehen. An diesen Stellen sind Asimovs Romane heute nicht mehr ohne Bauchschmer‐ zen zu ertragen. An anderen Stellen jedoch sprechen Asimovs Werke noch immer wichtige emen an, vor allem bezüglich des Umgangs mit Künstlicher Intelligenz oder zur Frage, wie eine immer stärker wachsende Bevölkerung so zusammen‐ leben kann, sodass es allen Menschen gut geht. Die erwähnten Robotergesetze werden heute noch als wichtige Grund‐ lage zitiert, wenn es um die Ethik Künstlicher Intelligenz geht. Eine Lö‐ sung ür das Bevölkerungs- und Res‐ sourcenproblem ist bei Asimov zunächst die ständige Ausdehnung des menschlichen Wachstums auf das Weltall, sodass irgendwann „Millio‐ 87
nen“ Welten durch Menschen besiedelt sind. Dieses Wachstum aber – und da ist Asimov ebenfalls noch aktuell – wird nicht als dauerhae Lösung präsen‐ tiert. Stadessen grei Asimov die zu seiner Zeit beliebte Gaia-Hypothese Ja‐ mes Lovelocks auf. Die Erde wird darin in systemtheoretischer Perspektive wie ein zusammenhängender Organismus betrachtet. Diese ursprünglich streng naturwissenschaliche eorie mit ei‐ ner sehr klaren Definition von Leben als sich selbst organisierendes System wurde im Zuge der New-Age-Bewe‐ gung der 1970er bis 1980er Jahre esote‐ risch missverstanden, sodass manche Menschen in pseudoreligiöser Weise annehmen, auch unbelebte Objekte, et‐ wa Steine, wären ‚beseelt‘. Lovelock hat solche Interpretationen abgelehnt, aber gerade dadurch ist die Gaia-Hypothese erst außerhalb naturwissenschalicher Kreise bekannt geworden. Auch Asi‐ mov grei die Gaia-Hypothese in die‐ ser populären Weise auf. In seinem Roman Die Rückkehr zur Erde (1986), in der Asimov seine ‚Zukunsgeschich‐ te‘ zu Ende ührt, wird sogar die Gala‐ xis selbst als Lebensform betrachtet (dann „Galaxia“ sta Gaia). Diese ge‐ botene Lösung ür das Wachstumspro‐ blem ist zwar eine faszinierende Lektüre, aber verlässt doch den harten Boden wissenschalicher Science Ficti‐ on und bewegt sich eher in Richtung Fantasy. Die Zukun der Menschheit jedenfalls liegt, so scheint es, im Welt‐ raum. Zahlreiche Spiele bringen uns utopische wie dystopische Visionen einer Erobe‐ rung des Weltraums näher. Insbesondere Strategiespiele wie Master of Orion (1993; Remake 2016), Sid Meier’s Alpha Centauri (1999; Remake 2014 als Civilization: Beyond Earth), und Stellaris (2016) greifen die Sehnsucht nach Kolonien im All auf oder schreiben dieses Narrativ weiter
fort. Ausgehend von einem Heimatplane‐ ten oder einer kleinen Basis kolonisieren wir andere Welten. Spielmechanisch geht es in solchen Spielen wieder darum, einen vorgegebenen Raum zu besiedeln und daür Ressourcen zu nutzen. Dies geschieht rundenbasiert oder in Echtzeit. Wir legen politische Ausrichtung und Forschungsziele fest, erheben Steuern, und in der Regel kommt es irgendwann auch zum Krieg gegen andere Fraktionen – dann kämpfen wir gegen andere Staa‐ ten, die mit uns um Ressourcen konkur‐ rieren, oder gegen Außerirdische. Soweit ist das also dasselbe Spielprinzip, das auch in anderen Auau- und Strategie‐ spielen verfolgt wird, unabhängig von den Science-Fiction-Motiven, die eher Dekoration sind. Wenn wir in Stellaris zu Spielbeginn die ideologische Ausrichtung unserer Zivilisation bestimmen, dann be‐ einflusst das einige ür die Spielmechanik wichtige Parameter, aber inhaltlich wird das nicht weiter diskutiert oder einge‐ ordnet. Die Auswahl mag zwar unser Vorgehen als ‚Herrscher*in‘ bestimmen – wenn wir uns zu Beginn entscheiden, ei‐ ne Demokratie zu sein, werden wir an‐ ders agieren, als wenn wir eine interstellare absolutistische eokratie errichten. Aber dieses Handeln ist dann von unserem Wissen oder unseren Vor‐ stellungen zu ähnlichen Regierungsfor‐ men auf der uns bekannten Erde bestimmt; inwiefern dies auch utopische Ideale beinhaltet, hängt von uns selbst ab, nicht vom Spiel. Etwas expliziter und insgesamt auch konsistenter mit der Spielmechanik ver‐ zahnt gelang die ematisierung politi‐ scher Ideologien im älteren Alpha Centauri. Dort gibt es zwar eine Reihe vorgegebener Fraktionen (wir haben also anfangs weniger Wahlfreiheit als in Stel‐ laris), aber jede Fraktion hat klare ideolo‐ gische Vorstellungen, die nicht nur zu Spielbeginn nachzulesen sind, sondern auch immer wieder in fiktionalen Zitaten der Fraktionsanührer zur Sprache kom‐ 88
men und das gesamte Spielerlebnis ein‐ Die Fraktionen ordnen. sind verschiedene Gruppierungen, die alle von der Erde aufgebrochen sind, um einen Planeten um den Stern Alpha Centauri zu kolonisieren. Wir und unsere Gegner*innen errich‐ ten also auf dem Planeten verteilte Kolo‐ nien und breiten uns aus. Schri ür Schri erforschen wir neue Technologien (wozu auch gesellschaliche und politi‐ sche Möglichkeiten gehören, ganz im Sinne eines breiten Technikbegriffs, der sich nicht nur auf Sachtechnik als greiare Gegenstände beschränkt, vgl. Donick 2020, 4f.). Über sogenannte „Sozi‐ altechniken“ legen wir unsere Politik im Rahmen der ideologischen Vorgaben der gewählten Fraktion fest, was bestimmte numerische Parameter modifiziert, uns bei anderen Fraktionen Sympathien und Antipathien verscha und was vor allem mit kurzen erklärenden Texten eingeord‐ net wird. Mit diesen Texten erscha das Spiel ein über die Mechanik hinausge‐ hendes Reflexionsangebot zu emen wie Wirtscha, Ökologie und Technologie. Schauen wir uns ür ein Beispiel ein‐ mal die Sozialtechnik „Eudaimonie“ an (Abb. 6.5). Der Begriff eudaimonía ent‐ stammt der antiken griechischen Philo‐ sophie Aristoteles‘ und bezieht sich auf eine gelungene, glückliche Lebensüh‐ rung, bei der, sehr vereinfacht gesagt, menschliche Vernun und menschliche Sinneserfahrung im Einklang stehen (vgl. Schupp 2003, 309). Im Spiel wird die Eu‐ daimonie nach einer langen Reihe ande‐ rer Forschungsfortschrie verügbar, wir können sie dann als eine von mehreren Möglichkeiten auswählen, um unsere Gesellscha zu formen. Als direkte Vor‐ bedingungen ür die Eudaimonie müssen im Spiel zwei Technologien erforscht sein: (1) „Sentient Econometrics“ (wört‐ lich: „empfindungsähige Ökonometrie“, wobei Ökonometrie ein Teilgebiet der Wirtschaswissenscha ist, das sich mit der Untersuchung theoretischer Modelle befasst, und sich die Empfindungsähig‐
keit auf das Kollektivbewusstsein der fik‐ tiven einheimischen Lebensform des Pla‐ neten bezieht); und (2) „e Will to Power“ (der Wille zur Macht, in direktem Bezug zu dem gleichnamigen Buch des Philosophen Friedrich Nietzsche). Ob‐ wohl (1) und (2) im Spiel linear zu Eudai‐ monie und dies ühren, man missverstehen könnte als bloße Kombi‐ nation beider Vorbedingungen, macht das Spiel in Texten klar, dass dies gerade nicht der Fall ist. Das Spiel erklärt uns, dass (1) ür ökonomische Gerechtigkeit sorgt und dass die Eudaimonie als Ge‐ gengewicht zu den „Exzessen des Willens zur Macht“ (2) gemeint ist – als Gesell‐ scha müssen wir sozusagen erst diese negativen Auswüchse erfahren haben (in der Spielmechanik: ‚erforscht‘ haben), um darüber hinauswachsen zu können. Solche und weitere teils fiktiven, teils historisch belegten Konzepte verleihen Alpha Centauri eine Ernsthaigkeit, die das Spiel über seine spielmechanischen Verwandten (vor allem Civilization des
selben Herstellers) hinaushebt – wenn wir uns denn die Zeit nehmen, die Texte zu lesen und deren Zusammenhänge zu ergründen. Freilich ist fraglich, wie viele Spieler*innen dies wirklich tun, sta nur nach spielmechanischen Aspekten vor‐ zugehen (sich also nur fragen, welche Technik die meisten Vorteile bringt, um Gegner*innen leichter zu besiegen).
Abb. 6.5 In Sid Meier‘s Alpha Centauri (1999) werden auch philosopische Konzepte als „Technologie“ behandelt, etwa die „Eudaimonie“, die ein gelungenes Leben beschreibt. Genauso wie Sachtechnik, etwa Waffen oder Fahrzeuge, lassen sich Philosophien und gesellscha lich-politische Entwicklungen im Spielverlauf in einem Technologiebaum freischalten und ermöglichen dann vorher nicht mögliche Handlungen.
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7 ALBTRÄUME (ÜB)ERLEBEN
Die Popkultur lehrt uns so manche Le‐ bensweisheit. „Nachts um zwei passiert nichts Gutes“, ist eine davon, wie wir aus der Sitcom How I Met Your Mother (20072017) wissen. Nachts um zwei, das ist „die Stunde des Wolfes“, ergänzte Mie der 1990er Jahre die Science-Fiction-Serie Babylon 5. In der Tat ist die Atmosphäre dieser Stunde eigentümlich. Alles ist still. Der Lärm der Stadt hat aufgehört. Die oder der Lebenspartner*in schlä fried‐ lich neben einem im Be, doch man selbst liegt wach. Es sind irgendwelche Sorgen, die einen plagen – Alltagsdinge, beruflich vielleicht, oder finanzielle Sor‐ gen, oder es sind ganz existenzielle Ängste, die in der Stille der tiefen Nacht aus dem Schaen unserer Aufmerksam‐ keit hervorkriechen – die Endlichkeit des Lebens, die Frage nach seinem Sinn, und all die anderen Dinge, über die wir uns tagsüber nur selten Gedanken machen. Dann scheint die Zeit stillzustehen. Die Minuten vergehen langsam und zähflüs‐ sig, und gleichzeitig wünschen wir uns,
schnell wieder einzuschlafen, einerseits, um die Sorgen zu vergessen, andererseits, weil in vier Stunden schon der Wecker klingelt. Während man wartet, gleitet man in eine irritierende Zwischenwelt zwischen Wachsein und Traum, bevor man hoffentlich wieder ganz vom Schlaf umarmt wird. Sie werden jetzt fragen: Was hat das mit Computerspielen zu tun, einmal da‐ von abgesehen, dass auch die zur Popkul‐ tur gehören? Nun, ähnlich wie die nächtlichen Stunden, in denen wir auf uns selbst zurückgeworfen sind, haben auch Spiele das Potenzial, bedrückende Erfahrungen auszulösen und uns auf vergleichbare Weise zum Nachdenken zu bringen. Es gibt Spiele, die psychologisch geschickt mit unseren Ängsten spielen – sie hervorholen, sie ansprechen und die, wenn wir diese Spiele einmal überstan‐ den haben, einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Sie sind nicht unbedingt ei‐ ne angenehme Erfahrung, sie machen nicht unbedingt „Spaß“ in dem Sinne wie
91 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_7
die anderen Beispiele in diesem Buch, aber ihre Atmosphäre nimmt uns gefan‐ gen. Solche Spiele sind mehr als Spielme‐ chanik und Unterhaltung, sie wirken subjektiv genauso bedeutsam wie ein Buch, ein eaterstück oder ein Film – anerkannte Medien, von denen wir eher noch sagen, sie häen unser Leben ver‐ ändert. Bei Computerspielen ist so etwas noch selten, aber es kommt vor. Insbe‐ sondere Spiele mit Mystery- und/oder Horror-ematiken stechen hier hervor, insofern sie hinter ihren Oberflächen voller Symbole sind, ähnlich wie nächtli‐ che Träume und Albträume. Sie laden uns ein, existenzielle Fragen zu stellen, die denen gleichen, die uns beim Wach‐ liegen nachts um zwei aufsuchen.
7.1 Vergessen Wie ühlt es sich an, alles zu vergessen? Jede Kompetenz und Handlungsähigkeit zu verlieren? Wie denkt es sich, wenn man unter Altersdemenz leidet? Und wie kann man diese Problematik anderen Menschen vermieln, die selbst noch nicht betroffen sind? Diese Fragen ver‐ handelt der Physiker und Autor Stephen Granade in Will Not Let Me Go (2017). Es handelt sich hierbei weniger um ein Spiel, sondern um eine Hypertext-Ge‐ schichte – einen Prosatext, dessen Fort‐ gang man in begrenztem Rahmen durch Anklicken von im Text hervorgehobenen Links bestimmen kann. Der Titel gehört damit zur schon erwähnten Interactive Fiction (vgl. Kapitel 3). In kurzen Textabschnien, in denen wir direkt angesprochen werden, erleben wir einige Jahre im Leben eines älteren Mannes namens Fred, der Buchhalter ist. Die Geschichte beginnt auf einer Beerdi‐ gung, die schon subtil deutlich macht, dass alles nicht mehr so klar ist, wie es einmal gewesen sein muss – einzelne Worte fehlen oder fallen falsch aus; an‐ dere Menschen wirken wie Hintergrund‐ 92
rauschen, das man nicht recht einordnen kann. Manche Links, die wir anklicken, um den nächsten Abschni der Ge‐ schichte zu erreichen, haben nach dem Anklicken einen anderen Text, weil wir uns jetzt doch anders erinnern. Später frühstücken wir mit Freunden – Small Talk. Aber der ällt uns nicht mehr so leicht wie früher. Unser Freund Dick, der be‐ reits länger in Rente ist, verkündet voller Stolz, dass er endlich die Arbeiten an sei‐ ner Küche beendet hat. „Wird auch Zeit“, antworten wir mit einem Grinsen, „Du warst mit dem Umbau seit… nun, ich kann mich nichtmal mehr erinnern, wie lange du damit beschäigt warst.“ (Gra‐ nade 2017, Übersetzung M.D.). Wir tun so, als wäre dies ein Scherz, aber Will Not Let Me Go gibt uns zu verstehen, dass wir uns wirklich nicht erinnern können. Noch lässt sich das überspielen. „Ich bin schon seit einer Weile auf drei Tage die Woche runter“, kommen wir dann zum ema zurück. „Und da habe ich mir ge‐ dacht, naja, wieso nicht auf gar keine Ta‐ ge die Woche runtergehen?“ Wieder ein Scherz. Und wieder sagt uns das Spiel, worum es eigentlich geht: Wir sind lang‐ samer als früher, wir kommen mit den langen Spalten aus Zahlen nicht mehr gut zurecht, keine Eigenscha, die Leute von ihrem Buchhalter erwarten würden (ebd.). Schon zu Beginn macht die Geschich‐ te deutlich, dass Alzheimer diagnostiziert wurde. Als Leser*in hat man da jedoch noch das Geühl, dass man damit irgend‐ wie umgehen kann – unsere Versuche, die kleinen Vergesslichkeiten zu über‐ spielen oder die vom Arzt verordnete ge‐ sunde Diät auch mal bewusst zu ‚vergessen‘, weil das ungesunde Essen halt besser schmeckt – das ist beunruhi‐ gend, aber auch sympathisch. Fred könn‐ te auf diese Weise noch lange ein akzeptables Leben ühren. Aber die Krankheit macht dabei nicht Halt. Schnell zeigt Will Not Let Me Go, dass es mit Überspielen und Scherzen nicht mehr
Abb. 7.1 Will Not Let Me Go (2017) nutzt unzuverlässiges Erzählen und reflektiert seine eigene Form, um die fortschreitende Demenz des Protagonisten Fred näherzubringen. Dabei werden wir selbst als Fred adressiert. Die Mausklicks, mit denen wir die Geschichte voranbringen, führen immer weniger zum erwarteten Ergebnis, denn das haben wir o schon wieder vergessen. Am Ende können wir nicht einmal an der Struktur der Sprache festhalten. Die Hypertextstruktur des Spiels zerfasert in unzusammenhängende Fetzen.
getan ist. Dass generell überhaupt nichts getan werden kann. Der Autor zeigt die Überforderung des Umfelds mit der Si‐ tuation aus der Perspektive Freds. Als Fred empfinden wir Verwirrung, Scham und Schuld. Wir wissen, dass wir irgend‐ wie die Ursache ür die Frustration unse‐ rer Ehefrau sind und ür die Sorge unserer – Freunde? Bekannten? Aber wir wissen nicht genau, wieso. „Es gibt diese Grube, die jetzt immer bei dir ist. Du weißt nie, wenn sie gerade geöffnet ist, Momente verschluckt und Erinnerungen, und jetzt offenbar auch ganze Men‐ schen“ (ebd.). Da es sich um eine Geschichte zum Lesen handelt, setzt der Autor nur weni‐ ge visuelle Akzente. Es gibt offenbar eine Einteilung in Kapitel, deren Beginn wir an kleinen Zeichnungen und einem Wechsel der Hintergrundfarbe erkennen. Bald schon gibt es kein gemeinsames Frühstück im Restaurant mehr. Stades‐ sen wachen wir morgens im Sessel vor dem Fernseher auf, verwirrt, ob wir am 93
Abend zuvor ferngesehen oder gelesen haben, und unsere Brille ist auch weg. Unser Freund Gerald besucht uns – wir beschuldigen ihn, unsere Brille gestohlen zu haben. Will Not Let Me Go zeigt unse‐ ren zunehmenden geistigen Verfall lako‐ nisch, ohne übermäßige Dramatisierung, aber gerade deshalb empfindet man beim Lesen und Spielen zunehmende Traurig‐ keit. Die Suche nach der Brille ist ein All‐ tagsproblem, das wir normalerweise systematisch lösen würden, und als Spie‐ ler*in versuchen wir das zunächst auch. Aber das Spiel lässt es nicht zu. Immer wieder werden wir abgelenkt. Finden uns plötzlich vor unserem Brieasten wieder und fragen uns, ob wir die Briefe in un‐ serer Hand gerade rausgeholt haben oder wegbringen wollten. Und stellen am Ran‐ de fest, dass wir gar nicht mehr vor un‐ serem Haus stehen. So, wie wir als Fred auch nicht immer wahrhaben wollen, dass es uns nicht mehr gut geht, so fragen wir uns auch beim Lesen und Spielen: Geht das wirk‐
lich so schnell? Sind das nicht nur Kli‐ schees, diese Vorwürfe, andere Men‐ schen würden verlegte Dinge stehlen, oder das Nichterkennen der eigenen Kin‐ der? Aber das sind sie nicht, und Stephen Granades interaktive Geschichte ist eine kluge, gut geschriebene Methode, uns zu‐ mindest ansatzweise das Erleben aus Sicht einer von Demenz betroffenen Per‐ son nachempfinden zu lassen.
7.2 Verdrängt Es war 1999. Damals hae ich eine Play‐ Station – die erste Generation der Spiele‐ konsole, die heute, über zwanzig Jahre später, immer noch existiert. Für die PlayStation hae ich einige Spiele, aber ich las auch gerne Zeitschrien, in denen neue Spiele rezensiert wurden. In einer dieser Zeitschrien war eine CD-ROM mit Demoversionen neuer Spiele enthal‐ ten, manchmal waren auch Videos dar‐ unter. Eines dieser Videos hae es mir mit der bis heute ikonischen Musik Akira Yamaokas besonders angetan: Es war der Vorspann eines neuen Survival-HorrorSpieles, das eine ganze Reihe begründen sollte. Dieses Spiel, Silent Hill, war anders als bis dahin übliche Horror-Spiele. An‐ ders als das damals schon existierende Spiel Resident Evil, dessen Horror auf eher klischeehae Zombies setzte, ging Silent Hill psychologisch geschickter vor. Auch in den Straßen der gleichnamigen Kleinstadt gab es Monster, sie waren aber nicht das Ergebnis missglückter biologi‐ scher Experimente, sondern ziemlich schnell als Ausgeburten der Psyche des Protagonisten erkennbar. Dieser Protagonist, Harry Mason, ährt mit seiner Tochter Cheryl in den Urlaub nach Silent Hill. Durch einen nächtlichen Autounfall wird Harry be‐ wusstlos. Als er wieder aufwacht, ist Cheryl verschwunden. Als Harry durch‐ streifen wir fortan die Stadt auf der Su‐ che nach Cheryl und geraten dabei 94
immer tiefer in eine Welt, die wir nicht verlassen können (alle Wege aus der Stadt sind versperrt) und die zwischen verschiedenen Zuständen wechselt. Da ist die scheinbar ‚normale‘ Welt, die aber durch steten Nebel und Ascheregen schon schlimm genug ist. Und da ist eine rostig-verfallene Version der normalen Welt, die zu bestimmten Zeiten über uns hineinbricht – o angekündigt durch das enervierende Heulen einer Sirene. Es sind solche Momente, in denen wirkli‐ cher Schrecken hereinbricht. Das stati‐ sche Rauschen unseres Radios kündigt an, dass Gegner in der Nähe sind, und lieber schalten wir die Taschenlampe aus, damit die Gegner hoffentlich nicht auf uns aufmerksam werden. Doch irgend‐ wann sind sie da, und mehr schlecht als recht wehren wir uns. Als gewöhnlicher Mann ist Harry kein guter Schütze, und das Spiel Si‐ lent Hill kein Egoshooter. Dadurch wird eine konstant bedrohliche, anstrengende Atmosphäre aufrechterhalten, die zwar nur selten hektisch wird, aber uns see‐ lisch nicht zur Ruhe kommen lässt. Ge‐ gen Ende des Spiels wird aufgedeckt, warum das Schicksal Cheryls mit dieser seltsamen Stadt verbunden ist; es geht, etwas klischeeha, um eine Sekte, die ei‐ ne böse Goheit verehrt und diese erwe‐ unseren will. cken Je nach Entscheidungen im Spielverlauf steuert die Geschichte auf eines von vier Enden hin. Obwohl der Plot nicht herausragend ist – die Atmosphäre, die durch ein ganz spezifisches Art- und Sounddesign er‐ zeugt wird, ist es. Silent Hill legte den Grundstein ür eine umfangreiche Serie, die bis 2012 zwölf Teile hervorgebracht hat. Der drie Teil setzt die Geschichte aus Teil eins fort; beide Teile wurden mit leicht veränderter Geschichte auch verfilmt (und sowohl ür das Genre der Horrorfilme als auch die eher obskure Kunst der Computerspiel‐ verfilmungen ist vor allem der erste Film durchaus gelungen). Dennoch ist es der
Abb. 7.2 Der Beginn von Silent Hill 2 (2001). Verloren blicken wir als James Sunderland auf den See am Rande der fiktiven amerikanischen Kleinstadt. James wurde durch einen Brief seiner toten Frau an diesen Ort zurückgerufen. James‘ Reise ist im Grund eine Reise zu sich selbst, eine Rückkehr zu verdrängten Teilen seiner Erinnerung und seines Unbewussten. Fast alles im Spiel kann dahingehend als Symbol interpretiert werden.
2001 erschienene zweite Teil der Spielrei‐ he, der bei Fans bis heute am beliebtesten ist und der auch immer wieder von der Kritik und Medienforschung positiv be‐ sprochen wird. Das hat Gründe, auf die wir gleich kommen, doch zunächst eine kurze Zusammenfassung der Ausgangs‐ lage. In Silent Hill 2 werden wir als James Sunderland in eine neue Version der Alb‐ traumstadt gesogen. Das Spiel beginnt auf der heruntergekommenen Toilee ei‐ nes Parkplatzes, in der Nähe eines Sees, durch den die Stadt einst ein beliebtes Erholungsgebiet gewesen sein musste. Bis hierher ist James mit dem Auto ge‐ kommen; nun muss er zu Fuß weiter, weil die Straße in die Stadt gesperrt ist. Nachdem wir als James das WC verlas‐ sen haben, fasst James in einer kurzen Einührungssequenz den Grund seines Besuchs zusammen. Er hat einen Brief seiner Frau Mary erhalten – ein Brief, der gar nicht möglich ist, denn Mary ist vor drei Jahren an einer schlimmen Krank‐ 95
heit gestorben. Nun wäre sie aber in Si‐ lent Hill, wo James und Mary früher gern Urlaub gemacht haben. James vermutet Mary bei einem Park, an dem sie früher o zusammen waren. Miels eines Stadt‐ plans, den wir zu Spielbeginn in James‘ Auto finden, machen wir uns auf die Su‐ che. Das Seeufer entlang folgen wir einem Wanderweg durch den Nebel (vgl. Ein‐ schub „Willkommen in Silent Hill“), bis wir zu einer kleinen Kirche mit Friedhof gelangen. Dort treffen wir eine junge Frau, die offenbar ebenso derangiert ist wie wir – sie sucht nach ihrer Muer, ih‐ rem Vater und ihrem Bruder. Wirklich helfen können wir ihr nicht, aber immer‐ hin sagt sie uns, dass wir auf dem richti‐ gen Weg zur Stadt sind. Wir gehen also weiter. Die Straßen werden breiter, typi‐ sche US-Kleinstadt-Häuser, verlassene Fahrzeuge, Parkplätze und ähnliche Re‐ quisiten zeigen uns: Wir sind da, wir sind in Silent Hill. Der Nebel scheint noch stärker ge‐
worden zu sein. Wenn wir in der Mie der Fahrbahn stehen, können wir nicht sehen, was links und rechts der Bürger‐ steige ist. Das erzeugt eine gewisse Ori‐ entierungslosigkeit, eine diffuse Weite, in der es schwerällt, Halt zu finden. Musik und Klangeffekte tragen ebenfalls zu der beunruhigenden Stimmung bei, doch bis‐ her ist nichts geschehen. Allerdings wird sich das schnell ändern – wir finden Blutspuren auf der Straße und eine Art Schaen bewegt sich davon fort. James beschließt, dem Schaen zu folgen (und das Spiel zwingt uns, ihm diesen Wunsch zu erüllen). Ein Albtraum beginnt, der uns die nächsten gut zehn Stunden nicht verlassen wird. Willkommen in Silent Hill Nachdenklich blickst du vom Aus‐ sichtspunkt zum Tolucasee herunter. Der Anblick ist das Wirklichkeit ge‐ wordene Klischee eines Postkartenmo‐ tivs. Früher waren hier viel mehr Leute – Touristen, Parkmitarbeiter, und so weiter, aber heute bist du allein. Schon auf der Hinfahrt bist du kaum anderen Menschen begegnet, und je näher du dem Ort kamst, desto einsamer wurde es. Nun bist du ganz allein. Über dem See und an seinem Ufer wabert Nebel, die Lu ist feucht und schmeckt nach abgestandenem Süßwasser. Sollst du wirklich weiter in die Stadt gehen? Der Tunnel ist wegen Bauarbeiten gesperrt, du müsstest zu Fuß weitergehen, das Seeufer entlang. Willst du wirklich herausfinden, was James Sunderland hier vor Jahren widerfahren ist? Die Anfahrt war lang genug und du hast extra Urlaub genommen … Du atmest tief ein und aus, dann beschließt du, zu tun, weswegen du hergekommen bist. Ein kleiner Wanderweg ührt vom Parkplatz herunter zum See. Der Boden ist aufgeweicht, aber du kommst gut voran. Rhythmisch knirscht der Sand unter deinen Schrien. Der Nebel ist 96
sehr dicht, es ühlt sich bedrückend an, von ihm umgeben zu sein – du kannst weder vor noch hinter dir viel erken‐ nen. Der Wanderweg jedoch lässt sich nicht verfehlen, er ührt direkt … – du schrickst auf! Was war das? Ein … Knurren? Wie ein wilder Hund? Es kam aus dem Gebüsch über dir. Du bleibst kurz stehen, lauschst. Nichts. Kopfschüelnd gehst du weiter. Nach einer Weile kommst du zu dem Friedhof mit der Kirche, von der du gelesen hast. Hier war Sunderland Angela begegnet, was eine ziemlich surreale Situation gewesen sein musste: eine junge Frau, die an einem Grab‐ stein knieend ihre Muer suchte. James hae ihr nicht helfen können. Angela hae James davor gewarnt, weiter in die Stadt zu gehen, aber er hae ihren Rat ignoriert. Was letzten Endes der Grund ist, warum du jetzt Jahre später ebenfalls an diesen eigenartigen Ort gereist bist. Silent Hill … welchen Alb‐ traum diese Stadt wohl ür dich bereit‐ halten mag…? Obwohl Silent Hill 2 seinem Vorgänger spielmechanisch sehr ähnelt, ist die Ge‐ schichte weniger plakativ, da sie ein per‐ sönliches Schicksal aufgrei. Darum sind die Monster, denen wir als James begeg‐ nen, auch symbolischer. Die Kranken‐ schwestern zum Beispiel sind ein Verweis auf Marys Krankheit, und der ikonische Gegner Pyramid Head (sta eines Kopfes hat er eine Metallpyramide und er zieht ein riesiges Schwert hinter sich her, vgl. Abb. 7.3) verweist auf Ja‐ mes‘ eigene Schuldgeühle, denen wir im Laufe der Handlung auf den Grund ge‐ hen. Ich will die Handlung nicht spoilern und daher hier keine Interpretation ab‐ liefern (davon gibt es im Internet sowieso genügend, vgl. etwa Brion 2016, der das Spiel als frühe Kritik an toxischer Männ‐ lichkeit begrei). Wichtig ist, dass wir während des Spiels erkennen, dass die Schrecken, die
wir in der Stadt erleben, durch menschli‐ che Traumata ausgelöst werden. Men‐ schen, die das Glück haen, bisher unbelastet durchs Leben zu gehen, sehen in Silent Hill nur eine normale, wenn auch verlassene Kleinstadt. Für alle an‐ deren aber manifestiert die Stadt in über‐ steigerter Form die Ängste, Begierden und verdrängten Erlebnisse ihrer Ein‐ wohner*innen und Besucher*innen. Die anderen Menschen erscheinen uns in ihr gefangen, aber als Spieler*in haben wir die Möglichkeit, James dabei zu helfen, seine ‚inneren Dämonen‘ zu besiegen. Silent Hill 2 erschöp sich dabei nicht in seiner Horror-Ästhetik oder in inter‐ medialen Verweisen (wie den nach Buch‐ benannten autoren Straßennamen). Geschichte, Gestaltung und Spielmecha‐ nik ergänzen sich und obwohl die daraus entstehende Atmosphäre psychisch an‐ strengend ist, lässt uns das Spiel beein‐ druckt nachdenklich zurück: und interpretierend (was bedeutet das alles?), zweifelnd (was würden wir in James‘ La‐
ge tun?) und fragend, welche Form wohl unser eigenes Silent Hill annehmen wür‐ de. Trotz seines Alters und einiger, zu‐ mindest aus heutiger Sicht, Ecken und Kanten ist Silent Hill 2 daher ein wirkli‐ cher Meilenstein in der Entwicklung der Computerspiele. Und es ist eines der we‐ nigen Beispiele ür Computerspiele, das den heute öer geäußerten Anspruch, dass Spiele Kunst seien (vgl. Kasten in Kapitel 5.3), gerecht wird. Der Philosoph Daniel Martin Feige, der ein relativ spezi‐ fisches Verständnis des Kunstbegriffs in Bezug auf Computerspiele vertri, schreibt: „Der Witz von Computerspielen als Kunstwerken besteht darin, dass sich der Spieler im Spielen dieser Computer‐ spiele selbst durchspielt“ (Feige 2015, Handeln die Unser 173). und Spielhandlung müssen zusammenpassen. Insofern unsere Handlungen in Silent Hill 2 Ausdruck einer konsistenten subjektiven Betroffenheit sind, die von der Spielhandlung und der wahrgenom‐
Abb. 7.3 Figuren aus Computerspielen sind beliebte Motive für Verkleidungen im Cosplay (von costume play), eine Anfang der 1980er Jahre in Japan entstandene Szene, die mittlerweile auch in Europa viele Fans hat. Das Foto zeigt einen Cosplayer, der sich als Pyramid Head verkleidet hat, einen wichtigen Gegner aus Silent Hill 2, neben den ebenfalls ikonischen Krankenschwestern des Spiels. (Foto: Johnson Wen / Wikimedia, cc-by-sa-2.0)
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menen Spielatmosphäre angeregt wird, der nächsten Ecke? Was war dieses Ge‐ tri Feiges Kriterium auf Silent Hill 2 räusch? Es ist alles so dunkel…‘), Erschre‐ cken (in einem ruhigen Moment springt durchaus zu. plötzlich die Tür au) und Panik (‚oh Go, er kommt immer näher, ich muss … weglaufen … nein, schießen‘) kommt bei Resident Evil 7 noch eine fast körperlich 7.3 Verstört spürbare Gewalt dazu. Die Gegner, die Die Horror-Erfahrungen in Silent Hill 2 uns angreifen, sind immer noch als Men‐ sind auf allen Ebenen psychologisch. Die schen erkennbar – verändert zwar, gna‐ Monster und schrecklichen Umgebungen denlos, ohne Rücksicht, aber Menschen. sind nur ür die Betroffenen wirklich; ‚ei‐ Sie wollen uns umbringen und um zu gentlich‘ sind sie gar nicht da. Das hil überleben (und im Spiel voranzukom‐ auch uns als Spieler*in, die belastende men), müssen wir gegen sie kämpfen Atmosphäre auszuhalten. Wir steuern (denn die Taktik, sich zu verstecken oder Harry oder James oder eine*n ander*e Fi‐ wegzulaufen, wird vom Spiel nur zeit‐ gur, und wir wissen, dass die Figur sich weise ermöglicht). Aber um das zu tun, da gerade durch die Abgründe ihrer Seele müssen wir Barrieren überwinden, die es kämp. Das scha eine gewisse Distan‐ in anderen Spielen so nicht gibt. Erstens müssen wir trotz des realisti‐ zierung. Wir fiebern mit, gruseln und er‐ schrecken uns, aber wir sind nicht direkt schen menschlichen Aussehens der Geg‐ betroffen. Eine andere beliebte Spielreihe, ner, trotz der mitunter fast pornografisch wirkenden körperlichen Nähe, die wir zu Resident Evil, geht anders vor. Zum einen ist der Horror dort ‚objek‐ ihnen auauen, den Gedanken an tiv‘ vorhanden. Die Zombies früherer Menschlichkeit aufgeben. Wenn wir Teile waren keine Ausgeburt der Psyche nicht mit den zur Verügung stehenden der Einwohner*innen einer Stadt, son‐ Mieln zuschlagen oder schießen, ster‐ dern wirkliches Ergebnis biologischer ben wir. Die Atmosphäre des Spiels ist so Experimente. Und wer das Pech hat, sich dicht, dass sie uns leicht in seine Welt in das einsame, aber von einer offenbar hineinzieht und wir dann instinktiv das psychisch gestörten Familie bewohnte Notwendige tun – nicht nur, weil wir es Farmhaus in Resident Evil 7 zu verirren, von anderen Spielen gewohnt sind, Geg‐ ist ‚wirklich‘ in Gefahr. Zum anderen ner umzubringen, sondern weil es spezi‐ werden die Spiele seit einiger Zeit aus ell diesem Spiel gelingt, seine Gegner als der Ich-Perspektive dargestellt. Wie in echte Bedrohung ür uns selbst darzu‐ einem Egoshooter sehen wir die Spielfi‐ stellen. Zweitens müssen wir uns, wenn wir gur in Resident Evil 7 (sowie aktuellen Remakes der ersten drei Teile) nicht eine der Bedrohungen erfolgreich abge‐ mehr von außen, sondern wir ‚sind‘ die wehrt haben, aktiv daür entscheiden, Spielfigur. Alles, was das Spiel der Figur uns weiter dieser Situation auszusetzen. antut, ühlt sich leiblich so an, als würde Wir könnten auch einfach auören, zu es uns angetan. Aufgrund der realisti‐ spielen, wenn wir den Schrecken psy‐ schen Grafik ist das schon am normalen chisch nicht aushalten oder den Zwang Bildschirm nur schwer aushaltbar – Resi‐ zur Gewaltausübung gegen Menschen dent Evil 7 können wir aber auch mit ei‐ moralisch nicht vertreten können. Aber ner Virtual Reality-Brille spielen, sodass nun haben wir das Spiel gekau, es war uns die Atmosphäre des Spiels völlig ver‐ nicht gerade günstig, und alle sagen, wie grandios Resident Evil 7 sei. Im Internet einnahmt. Neben den gewöhnlichen Gruselfak‐ konnte man kurz nach Veröffentlichung toren Ungewissheit (‚Was lauert hinter des Spiels Tipps finden, wie sich das Spiel 98
Abb. 7.3 In Resident Evil 7 (2017) kommen uns die Körper unserer eigenen Figur und unserer Gegner in Kämpfen teilweise extrem nah. Durch die Gewalt, die Perspektive, den Grafikstil und die realistische Grafikqualität können die Kämpfe verstören. Im Internet gibt es etwas paradoxe Tipps, wie man die Eindrücke abmildern kann, etwa im Hellen spielen oder nebenbei fernsehen. (Pressefoto, igdb.com/games/resident-evil-7-biohazard/presskit)
HORROR UND LEIBLICHKEIT Leibliche Aspekte der Wahrnehmung (vgl. Kapitel 4) kommen in Horrorspielen besonders gut zum Tragen. Die Dynamik aus Engung und Weitung sorgt für intensive Erlebnisse. Sie wird durch mehrere Stilmittel erreicht, wie die Architektur der Spielumgebung, durch die wir uns bewegen; schlechte Sichtverhältnisse wie Nebel und Dunkelheit; Musik und Klang; und plötzliche erschreckende Einbrüche in eine vorher ruhige Situation (sogenannte jump scares). Für ein effektives Reinziehen in den Schrecken müssen sich die Mittel ergänzen. Nebel etwa nimmt uns unsere Orientierung: Obwohl wir in Silent Hill auf einer breiten Straße unterwegs sind, gehen wir angespannt vorwärts, denn der Klang kündigt uns schon Schrecken an. 99
Wenn wir uns durch ein Horrorhaus, eine nebelverhangene Stadt oder durch einen nächtlichen Wald bewegen, rechnen wir mit Gefahren. Wir sind körperlich unwillkürlich angespannt und auch leiblich beengt-fokussiert. Dies kann minutenlang so gehen, ohne dass eine Gefahr au aucht. Womöglich entspannen wir uns, weiten unsere Wahrnehmung – und gerade dann lässt das Spiel seine Schrecken auf uns los. Wir zucken zusammen, schreien, verharren vielleicht kurz in beengter Position, bevor wir wegrennen oder zu unserer Waffe greifen, um das Monster zu bekämpfen. Im Kampf wenden wir unsere Anspannung wieder nach außen; in der Flucht bleiben wir angespannt, bis wir einen sicheren Ort erreicht haben.
aushalten lässt. Manche Spieler*innen schaffen sich daür außerhalb des Spiels eine positive Gegenwelt: Sie spielen bei Tageslicht. Sie drehen auch im Spiel die Helligkeit hoch. Sie machen im Hinter‐ grund das Radio oder den Fernseher an. Sta auf dem ganzen Bildschirm spielen sie das Spiel in einem kleineren Fenster, was deutlich macht, dass es nur ein Computerprogramm ist. Das alles sind Wege der Distanzierung, um die Spielsi‐ tuation nicht mehr so nah an sich heran zu lassen. So können wir die Geschichte des Spiels erleben, ohne dass die psychi‐ sche und körperliche Gewalt uns über‐ wältigt. Vielleicht aber ist diese Distanzierung der falsche Weg, mit so einem intensiven Spiel umzugehen. Die Distanzierung re‐ duziert das Spiel in gewisser Weise auf seine narrativen (die Geschichte aufde‐ cken) und spielmechanischen (Rätsel lö‐ sen, Gegner besiegen) Aspekte; die besondere Atmosphäre des Spiels wird zweitrangig. Das ist natürlich legitim – genauso wie bei Büchern und Filmen wird der Sinn eines Spiels nicht allein durch die Autor*innen festgelegt, son‐ dern entsteht in unserer Auseinanderset‐ zung mit den Inhalten. So wie bei einem Buch ür zwei Personen jeweils andere Aspekte bedeutsam sind, ist das auch in einem Spiel möglich. Aber es ist gerade die Atmosphäre, die Resident Evil 7 so besonders macht und von anderen Genrevertretern abhebt. Spielmechanisch und narrativ ist das al‐ les schon o dagewesen, aber wie die Einzelteile zusammengeügt und präsen‐ tiert werden, sodass eine leiblich spürba‐ re Situation geschaffen wird sta nur einer Konstellation aus Versatzstücken – das lässt sich am besten bei voller Fokus‐ sierung auf das Spiel erleben – wenn schon nicht unter der VR-Brille, dann mindestens in Dunkelheit, im Vollbild und bei voller Lautstärke. Dann erst er‐ fahren wir, was das Spiel mit uns macht. Wenn wir dann feststellen, dass wir es nicht aushalten oder moralisch fragwür‐
dig finden, ist es auch in Ordnung; wir müssen es dann gar nicht um den Preis seiner Reduzierung krampa durch‐ spielen, denn eine Wirkung, die wir nicht schnell vergessen werden, hat es schon dann entfaltet.
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8 WACHSTUM, GEWALT UND KRIEG
In diesem Kapitel erscheine ich vielleicht als SPIELVERDERBER – als jemand, der die Regeln des Spiels nicht zu akzeptieren scheint und dadurch „die Spielgemein‐ scha in ihrem Bestand [bedroht]“ (Hui‐ zinga 2009, 20). Aber Spielverderber bin ich nicht auf die Regeln eines konkreten Spiels bezogen, sondern in Hinblick auf die emen und Motive, die in den übli‐ chen Computerspielen aufscheinen. Die Illusion endlosen Wachstums und die Anwendung von Gewalt und Krieg zur Problemlösung treten regelmäßig in Spie‐ len auf. Darin reproduzieren wir symbo‐ lisch Verhaltensweisen, die gesellschalich schädlich sind. Kritischen Leser*in‐ nen ist das sicher schon sauer aufgesto‐ ßen. Da sind Städte- und Hochhaussimula‐ tionen, in denen wir um des Spielziels willen unbebautes Land zupflastern, oh‐ ne mit der Wimper zu zucken Wohnge‐ biete abreißen, um Einkaufszentren zu errichten, oder Mieter*innen kündigen, um an besser zahlende Anwaltskanzleien
zu vermieten. Da sind Flugsimulationen, in denen wir munter weiter den Traum des Fliegens verfolgen, der angesichts seines Einflusses auf das Klima von man‐ chen Aktivist*innen wohl eher als Alb‐ traum angesehen wird. Und da sind die vielen, vielen Spiele, in denen wir sym‐ bolisch Gewalt gegen andere Menschen nachspielen, um das Spielziel zu errei‐ chen, ob nun durch den simulierten Ge‐ brauch einer Waffe in einem Egoshooter, oder indem wir Militärfahrzeuge und Soldat*innen als abstrakte Spielsteine auf einer Weltkarte verschieben. Obwohl ich solche Spiele seit Jahren spiele und häufig daran Spaß habe, kann es nicht nur um Unterhaltung gehen. Denn auch die Spiele, die wir kaufen, spielen, streamen oder darüber schreiben, haben eine politische Komponente. Wie jede Kommunikationsform setzen auch Spielinhalte bestimmte Narrative und schreiben sie fort, und blenden dabei Al‐ ternativen aus. Das ist ganz normal. Doch der sich gerade deshalb intuitiv
101 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_8
Konsequenzen haben und dadurch die Spielwelt beeinflussen; auch das Ausse‐ hen der gesteuerten Spielfigur verändert sich je nach unseren Aktionen. Auf der Regel- und Implementierungsseite wirkt das Spiel also sehr detailliert und scheint wenig Leerstellen ür uns zu lassen. Das Essen von Fleisch durch unsere Spielfigur wird beispielsweise als ‚böse‘ vermerkt (Huberts 2010, 35). Weil sich ‚böse‘ Handlungen in Stirnrunzeln niederschla‐ gen, kann der vermehrte Konsum von Fleisch das Gesicht unser Spielfigur in Falten legen (ebd., 38). Mit Tofu wäre das nicht passiert (ebd., 35). Was auf den ersten Blick wie eine be‐ eindruckende Reaktionsweise des Spiels auf Spielerhandeln klingt, wurde vielfach kritisiert. Gerade weil das Spiel zu viel modelliert, in Zahlen ausdrückt und visu‐ ell widerspiegelt, aber die gut-böse-e‐ matik doch nur binär ist, ohne Zwischentöne, werden erst die Grenzen des Modells deutlich – viel mehr, als wenn das Spiel ür unwichtige Details Leerstellen ließe, die wir mit unserer Fantasie üllen. In einem Film beispiels‐ weise sieht man schließlich auch kaum Menschen, die erstmal eine Viertelstunde auf die Toilee gehen, bevor die Hand‐ lung weitergeht. Doch „[d]ie Mechanik von Fable“, so Huberts, „legt zu nach‐ drücklich nahe, dass der Held Falten al‐ lein vom exzessiven Furzen hat“ (ebd., 38). Doch Huberts geht es in seiner detail‐ lierten Kritik um mehr. Eine Folge der Modellierungen ist nämlich das Gegenteil dessen, was der Entwickler von Fable, Peter Molyneux, eigentlich mit seinem Spiel erreichen wollte: dass wir wirklich 8.1 Wachstum und Nachhaltigkeit unser eigenes Abenteuer spielen, sta den Vorgaben der Entwickler*innen zu 8.1.1 Unendliches Wachstum? folgen. Dies, so muss man Huberts Kritik In seinem Essay „Raumtemperatur“ ana‐ zusammenfassen, ist gründlich misslun‐ lysiert Christian Huberts das Rollenspiel gen. Denn indem so viele Parameter nu‐ in modelliert und Fable (2004) als ‚heißes‘ Medium im Sin‐ merisch ne McLuhans (vgl. Kapitel 1.3). Das Spiel Feedbackschleifen umgesetzt wurden, zeichnet sich dadurch aus, dass auch muss man, um im Spiel erfolgreich zu kleinste Handlungen im Spiel moralische sein – also in der Handlung voranzukom‐
aufdrängende Gedanke: „Es ist doch nur ein Spiel“ würde es sich zu einfach ma‐ chen. In diesem Sinne stelle ich im Folgen‐ den zwei Problemfelder ausührlicher dar: zum einen die Frage nach Wachstum und Nachhaltigkeit (Kapitel 8.1), zum an‐ deren die Frage nach Gewalt in Spielen im Allgemeinen (Kapitel 8.2) und Krieg als Szenario im Besonderen (Kapitel 8.3). Aber ich bin kein Philosoph. Mir geht es daher hier in einem ersten Schri nur um ein Bewusstmachen der Probleme, nicht um deren Lösung und auch nicht um eine philosophische Einordnung im akademischen Sinne (vgl. aber Ostritsch 2015 ür einen ausührlichen Überblick über mögliche moralphilosophische Posi‐ tionen und Zusammenhänge). Genausowenig will ich irgendwen vom Spielen abhalten. Trotz oder viel‐ leicht sogar wegen der folgenden Gedan‐ ken spiele ich Flugweiterhin simulationen, militärische Strategiespiele oder Shooter. Doch das Bewusstmachen der Problemfelder halte ich ür nötig, wenn wir nicht nur blind Medien konsu‐ mieren, sondern uns mit ihnen reflektiert auseinandersetzen wollen – wenn wir aus Spielen etwas über uns selbst und die Gesellscha, in der Spiele produziert und gespielt werden, lernen wollen, das über Unterhaltung hinausgeht. Oder wenn wir beim Spielen nicht nur in Fromms Sinne ‚geschäig‘ sein wollen, sondern uns durch Spiele zum ‚tätig sein‘ ermutigen lassen.
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men –, doch auf eine bestimmte Weise spielen: „Der Held kämp nur auf Dauer effektiv, wenn seine Variablen ür Stärke, Geschick und Wille stetig wachsen. Aber seine Variablen ür Stärke, Geschick und Wille wachsen nur stetig, wenn wir im‐ mer effektiver kämpfen“ (ebd.). Dass ge‐ rade Fable hier so schlecht wegkommt, liegt wohl an den letztlich haltlosen Ver‐ sprechen, die Peter Molyneux ür das Spiel gemacht hae. Aber Huberts‘ Beobachtung tri auf fast alle Rollenspiele zu. Stärkere Gegner verlangen immer auch bessere Fähigkei‐ ten und stärkere Waffen, und all das ist letztlich numerisch repräsentiert. Das hat eine lange Tradition. Bevor es Computer‐ rollenspiele gab, zog man mit Würfel, Bleisti und Regelbuch bewaffnet durch imaginierte Lande. Schon in diesen soge‐ nannten „Pen & Paper“-Rollenspielen wurden Charaktereigenschaen und de‐ ren Auswirkungen mathematisch model‐ liert – Gesundheit, Stärke, Magie, soziale Fertigkeiten, und vieles andere. Dieser Ansatz war wie geschaffen ür Computer und hält sich bis heute. Von manchen Spielgenres wird der ‚heiße‘ Flow aus „Kampf – Belohnung durch bessere Wer‐ te – Kamp“ zur spielmechanischen ‚Kunstform‘ erhoben. Die sogenannte Itemspirale ist etwa in der beliebten Dia‐ blo-Reihe ein Hauptfaktor, warum wir ‚dranbleiben‘. Gewonnene Kämpfe wer‐ den mit Gegenständen (Items) und Er‐ fahrungspunkten belohnt. Mit mehr Erfahrung können wir bestimmte Fertig‐ keiten (numerisch) verbessern. Mit hö‐ und Items besseren herwertigen Fertigkeiten können wir härtere Kämpfe bestehen. Das bringt uns noch bessere Items und noch mehr Erfahrungspunkte ein – ad infinitum (oder zumindest so lange, bis wir dieses eigentlich billigen Belohnungskonzepts überdrüssig werden und auören, oder bis den Entwick‐ ler*innen keine plausiblen Anlässe ür immer weitere Kämpfe mehr einfallen). Die ständige Verbesserung von Cha‐ rakterwerten, die Itemspirale – das ist
nur ein Beispiel ür die Leistungs- und Wachstumsideale, die vielen Spielen ein‐ geschrieben sind. Folgen wir der vorge‐ gebenen Narration und Spielmechanik eines Spiels, wollen wir also die gestell‐ ten Probleme lösen sta nur die Welt zu durchwandern, dann müssen wir Leis‐ tung zeigen. Es muss immer weitergehen und es muss dabei immer besser, größer oder mehr werden. Besonders in Zusam‐ menhang mit Auauspielen bin ich schon auf das Wachstumsideal eingegan‐ gen (vgl. Kapitel 6). In Civilization ein be‐ deutendes Weltreich zu errichten; in Sim City oder Cities Skylines erfolgreich eine Stadt zu bauen; in Locomotion oder X4: Foundations ein erfolgreiches Trans‐ port- oder Handelsunternehmen zu üh‐ ren; oder in eme Hospital oder Two Point Hospital ein effizientes Kran‐ kenhaus zu leiten – all das zwingt uns ir‐ gendwann zur räumlichen Ausdehnung und zur Eroberung und Nutzung weiterer Ressourcen. Geht das auch anders? Für die britische Zeitung „Guardian“ hat der Londoner Stadtplaner Finn Wil‐ liams das vor einigen Jahren ausprobiert. In Cities Skylines legte Williams eine kreisörmige Stadt an, um das Breiten‐ wachstum von vornherein zu begrenzen. Die Stromversorgung kam vollständig aus erneuerbaren Energien, Arbeitsplätze sollten im Bildungs- und Gesundheitswe‐ sen sowie im öffentlichen Dienst liegen. Es gab keine Geschäe und Büros. Indus‐ trie beschränkte sich auf Land- und Forstwirtscha (Williams 2015). Nach ei‐ ner anänglichen ermutigenden Phase – die Leute waren gesund, es gab keine Kriminalität – teilte das Spiel Williams mit, dass die Leute unzufrieden seien: Sie häen an Wochenenden nichts zu tun und sie würden Einkaufs- und Freizeit‐ möglichkeiten vermissen (ebd.). Williams versuchte das durch den Bau öffentlicher Plätze und Parks sowie eines gut ausge‐ bauten öffentlichen Verkehrssystems auszugleichen, aber das erhöhte nur sei‐ ne Kosten. Um den Betrieb der Stadt zu decken, musste er die Steuern erhöhen,
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einer Zivilisation mit Städten und Indus‐ trie. Man kann das Spiel allein spielen, aber besonders interessant wird es onli‐ ne. Dann sind wir zusammen mit ande‐ ren Spieler*innen auf derselben, anfangs idyllischen Welt aktiv, die auf einem Ser‐ ver simuliert wird. Die Welt ist durch ei‐ ne drohende Katastrophe geährdet, die nach einigen Wochen realer Spielzeit eintreffen wird, wie ein Asteroidenein‐ schlag, der abgewehrt werden muss. Bis es soweit ist, können wir wie in einem typischen Auauspiel Siedlungen errich‐ ten und Industrie entwickeln. Aber an‐ ders als in Spielen des Typus Civilization oder Sim City wirken sich die Eingriffe aller Spieler*innen in die Welt auf den Zustand der gemeinsam bewohnten Welt aus. Seinem Namen entsprechend, simu‐ liert Eco ein komplexes Ökosystem. Bei‐ spielsweise müssen Ressourcen ür den Bau eines Dorfes aus der sichtbaren Um‐ welt abgebaut werden, was Auswirkun‐ gen auf das Ökosystem hat. Das gilt auch ür Industrie. Dies müssen wir in unse‐ rem Handeln berücksichtigen, wenn auch nur eine*r von uns erfolgreich sein will. Wir spielen also nicht als allmächtige Herrscher*innen im eigenen Sandkasten. Zusammenarbeit ist nötig, wenn wir den gemeinsam bespielten Planeten vor der Katastrophe bewahren wollen, ohne ihn beim Versuch der Reung zu geährden. Nicht immer klappt das. In den Re‐ zensionen im Spieleshop Steam, wo Eco verkau wird, gibt es dazu auch kritische Stimmen. Ein Rezensent merkte an, dass Eco auf dem Papier gut klinge, aber in der Praxis nicht funktioniere: die anderen Dass es bei Spieler*innen durchaus Inter‐ Spieler*innen würden einfach nicht so esse an Auauspielen gibt, die über nai‐ kooperativ spielen, wie es das Spiel ver‐ ve ‚Wachstum = Wohlstand‘-Szenarien langt, sondern seien doch vorwiegend an hinausgehen, und dass diese Spiele mehr ihrem eigenen Fortschri interessiert. Ein als nur trockene Experimente Kritischen Entwickler von Eco antwortete darauf, Spielens (vgl. Kap. 6.5) sein können, zeigt dass genau diese Beobachtung Teil der das Spiel Eco (seit 2018). Das Spiel wird intendierten Erfahrung sei. Es gäbe Ser‐ über die Crowd-Funding-Plaform Kick‐ ver, die von der Community verwaltet starter von mehreren tausend Menschen seien, wo die Zusammenarbeit gut funk‐ tioniere. Aber, so der Entwickler, „dies finanziert und laufend fortentwickelt. Auch in Eco geht es um den Auau geht mit Einschränkungen der Freiheit
was zu massiver Abwanderung ührte (ebd.). Das Spiel sieht offenbar nicht vor, dass Menschen auch ohne Shoppingmalls und Unterhaltungs- und Freizeitindustrie ein erülltes Leben ühren können. In einem weiteren Artikel zum glei‐ chen Spiel ließ der „Guardian“ den Um‐ weltjournalisten Karl Mathiesen testen, ob sich eine Stadt von etwa 78000 Men‐ schen komple durch erneuerbare Ener‐ gien, öffentliche Verkehrsmiel und gute bezahlte Arbeitsplätze in sauberen Indus‐ trien und im Hochtechnologiesektor auf‐ rechterhalten lässt (Mathiesen 2015). Der Autor ließ sich dabei von der dänischen Hauptstadt Kopenhagen inspirieren, die als sehr ‚grüne‘ Stadt gilt. Mathiesens Experiment liest sich erfolgreicher als Williams‘ Postwachstumstest. Da Cities: Skylines mit Wind- und Solarkrawerken entsprechende Möglichkeiten der Ener‐ gieversorgung bietet, und auch viele Möglichkeiten ür öffentliche Verkehrs‐ miel bestehen, kommt Mathiesen am Ende zum Ergebnis, dass seine Modell‐ stadt mit Kopenhagen mithalten könne. Milerweile düre dieses Fazit noch mehr gelten, da das Spiel seit Erscheinen des Artikels zahlreiche Zusatzinhalte er‐ halten hat, u.a. die Erweiterungen Green Cities (2017), Mass Transit (2017) und Parklife (2018). Dadurch sind weit‐ reichende Entwicklungen in Richtung Umweltschutz und autofreier Stadt mög‐ lich. Jedoch: An der grundlegenden Wachstumsvision ändert dies nichts. Es gilt der Grundsatz: Mehr ist immer bes‐ ser.
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einher, denn Planung und Organisation bedeuten auch Regulierungen. Und ver‐ ständlicherweise versuchen viele Spie‐ ler*innen, das Ziel ohne diese Dinge zu erreichen. Das kann funktionieren, tut es aber meistens nicht. Dies zu erfahren, ist ein wichtiger Teil des Spiels“. 8.1.2 Grenzenlos über den Wolken? In einer Zeit, in der Menschen sich über die klimaschädlichen Folgen des Fliegens bewusster werden, in der von „Flug‐ scham“ die Rede ist und in der Akti‐ vist*innengruppen wie das Netzwerk „Stay Grounded“ verlangen, die Werbung ür das Fliegen zu verbieten, können Flugspiele und Flugsimulationen als un‐ zeitgemäß erscheinen. Sie erlauben nicht nur, dass wir uns einem bereits vorhan‐ denen Traum vom Fliegen spielerisch an‐ nähern, sondern sie schreiben diesen Traum auch fort. Fliegen wird als etwas Positives dargestellt. Unbesorgt von Ressourcenabbau, Fluglärm und Emissionen klimaschädli‐ cher Abgase können wir stundenlang unseren Urlaubsflug nachstellen oder einfach frei durch die Gegend fliegen. Hundertfach teilen begeisterte Spie‐ ler*innen Fotos, Videos und Livestreams davon im Internet. Das ist nicht anders als bei anderen Spielen, düre aber so ziemlich das Gegenteil dessen sein, was sich Flugkritiker*innen vorstellen, zeigt es doch: Fliegen fasziniert, Fliegen scheint erstrebenswert. Gern werden be‐ kannte Flugzeuge und Strecken simuliert, sicher auch, weil dies Anknüpfungs‐ punkte zum eigenen Erleben aus dem Ur‐ laub oder von Besuchen auf Flughäfen bietet. Auch ür mich war das vor Jahren ein Grund, mich das erste Mal ernst‐ haer mit Flugsimulation zu befassen. Dabei könnten wir mit Flugsimulatio‐ nen auch alternative Techniken des Flie‐ gens erkunden – es muss nicht immer der vollbesetzte Airbus nach Mallorca oder die 747 nach New York sein. Wie
wäre es beispielsweise mit einem Segel‐ flugzeug, das nicht durch motorbetriebe‐ ne Schleppflugzeuge oder Winden in die Lu gebracht wird, sondern durch einen kleinen elektrisch betriebenen Hilfsmo‐ tor? Wie sieht es mit solargetriebenen Antriebskonzepten aus? Oder gar einem Flugzeug, das seine Energievorräte wäh‐ rend des Fluges erneuert? Letzteres wurde im Projekt Contra‐ ventus umgesetzt, das als Zusatzmodell ür den Simulator X-Plane 11 angeboten wird. Dieses Flugzeug gibt es in der Rea‐ lität nicht, ist aber plausibel. Sein Auau orientiert sich am „Daedalus“-Projekt des Massachuses Institute of Technology (MIT). Die Daedalus 88 flog 1988 allein durch Muskelkra betrieben in knapp vier Stunden von Kreta nach Santorin (wo sie allerdings kurz vor der Landung wegen einer Windböe zerbrach; der Pilot, ein Radrennfahrer, fiel ins Wasser und musste die letzten Meter an den Strand schwimmen). Die Daedalus 88 wurde wie ein Fahrrad mit Pedalen und einer Kee angetrieben; durch das Treten des Pilo‐ ten, der wie in einem Liegerad im Cock‐ pit lag, drehte sich der Propeller. Die erreichte Flughöhe überstieg keine zehn Meter, aber die zurückgelegte Strecke von ca. 115 km ist bis heute unerreicht. Die fiktive Contraventus steigt etwas komfortabler mit einem elektrisch betrie‐ benen Propellerantrieb möglichst hoch auf, wo das Flugzeug dann längere Zeit im Segelflug verbringt. Dabei verliert es an Höhe, lädt aber durch den Windmüh‐ leneffekt seiner Propeller die Baerien auf. Dadurch kann es später erneut an Höhe gewinnen. Aufsehen erregte 2015 bis 2016 die Weltreise der Schweizer Bertrand Piccard und Andre Borschberg in der Solar Im‐ pulse 2. Das Flugzeug war an der Ober‐ seite mit Solarzellen bedeckt, die Strom ür die elektrisch betriebenen Propeller‐ antriebe erzeugten. Das Projekt sollte die Aufmerksamkeit auf erneuerbare Energi‐ en lenken. Elektroflugzeuge sind freilich kein Ersatz ür übliche Verkehrsflugzeu‐
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ge; sie werfen selbst Fragen auf, etwa hinsichtlich der Seltenen Erden, die zur Produktion von Akkus gebraucht wer‐ den, und der kurzen Haltbarkeit dieser Akkus. Aber die Beschäigung mit alternati‐ ven Antriebsmodellen kann doch die Einstellung ändern, die wir zum Fliegen haben – es zeigt zumindest, dass es nicht weitergehen kann wie bisher und dass an Alternativen geforscht wird, weil sie nö‐ tig sind, wenn wir das Fliegen nicht eines Tages ganz aufgeben wollen. Das Nach‐ spielen und Entdecken neuer Konzepte in einem Flugsimulator kann die Chancen und Probleme neuer Konzepte direkter vermieln als es Nachrichtenartikel, Werbevideos oder Fernsehdokumentatio‐ nen können. Das Teilen von Fotos und Videos simulierter alternativer Konzepte kann daür auch eine gewisse Öffentlich‐ keit schaffen.
8.2 Gewalt in Spielen 8.2.1 Gewalt als Natur des Menschen? Huizinga spricht davon, dass „der geord‐ nete Kampf […] ein Spiel“ (ebd., 101) und in diesem Sinne Krieg eine „Kulturfunk‐ tion“ (ebd., 102) sei, zumindest wenn „er innerhalb eines Kreises geührt wird, in dem die einzelnen Glieder einander als gleichberechtigt anerkennen“ (ebd.) oder „sich die Gruppe um ihrer eigenen Ehre willen selbst gewisse Beschränkungen auferlegt“ (ebd.), beispielsweise durch die staatenübergreifende Akzeptanz rechtli‐ cher Grundlagen (in dem Sinne wäre et‐ wa das Völkerrecht die Spielregel; vgl. ebd. 114). Huizinga erkennt, dass die Selbstbe‐ schränkung in der Praxis ein unrealisti‐ sches Ideal ist. Deswegen würden als romantisierende Ersatzform Spiele ge‐ schaffen: „Darum sucht der Geist der Ge‐ meinscha immer wieder einen Ausweg in schöne Phantasien von einem Helden‐
leben, das in edlem Wekampf, in der idealen Sphäre von Ehre, Tugend und Schönheit verläu.“ (ebd., 115). Huizinga schrieb das 1938, der Zweite Weltkrieg hae noch nicht begonnen, aber der Ers‐ te Weltkrieg hae bereits gezeigt, welche neue schreckliche alität moderner Krieg nun hae. Huizinga weist darauf hin, dass dieser moderne Krieg mit dem Verzicht auf beschränkende Regeln nichts mehr mit Spiel zu tun häe (ebd., 114) und damit auch die Kultur ver‐ schwinde (ebd.). Aber dennoch betont Huizinga: „Die Idee des edlen Kampfes bleibt nun einmal einer der kräigsten Impulse der Kultur“ (ebd. 155). Wenn wir den heutigen Spielemarkt anschauen, scheint Huizingas Beobachtung zu stim‐ men. Gewalt und Krieg stehen im Zen‐ trum sehr vieler Produkte. Sie verkaufen sich und sie machen Spaß. Es ist befriedi‐ gend, als Sieger*in aus einem spieleri‐ schen Kampf hervorzugehen. Psychologen sind der Ansicht, dass Gewalt zum natürlichen Verhalten des Menschen gehört – und zwar nicht nur zur Selbstverteidigung, sondern auch, weil Gewalt Lust bereite. Der Psychologe Roland Weierstall bezeichnet dies als „appetitive Aggression“ (Weierstall u.a. 2012). Weierstall und seine Kolleg*innen haben dazu Teilnehmer*innen des Bür‐ gerkriegs in der Demokratischen Repu‐ blik Kongo befragt. Sie ziehen das Fazit: „Allen Hollywood-Klischees zum Trotz sind diejenigen, die töten, in der Regel nicht psychisch krank. Planen und Aus‐ üben von Gewalt als ‚appetitiv‘, also als angenehm zu erleben, gehört zum Menschsein dazu“ (ebd.). Ähnliches ha‐ ben die Forscher*innen auch über die Massaker in Ruanda 1994 herausgefun‐ den. Damals wurden ca. 75% der in Ruan‐ lebenden Tutsi-Minderheit da umgebracht, insgesamt geht man von 800.000 bis 1.000.000 Opfern aus. Dieser Genozid wurde in manchen Regionen durch die Mehrheit der Bevölkerung aus‐ geührt (Weierstall u.a. 2011). Die Studie belege laut den Autor*innen, dass das Er‐
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leben von Lust bei der Gewaltausübung sich positiv auf spätere posraumatische Belastungsstörungen auswirke (ebd.). Um die bei den meisten Menschen vorhandene Tötungshemmung zu über‐ winden, habe vor den eigentlichen Ge‐ walaten eine Dehumanisierung des Kriegsgegners durch Medienpropaganda stagefunden (ebd.). Die Tutsi wurden entmenschlicht und bei den Hutu wurde Hass gegen die Tutsi aufgebaut (ebd.). Dies war eine nötige Voraussetzung ür die folgenden Schrecken, denn „die vom Menschen geschaffene kulturelle Ord‐ nung definiert, wer zur eigenen Gruppe zählt und damit durch eine verinnerlich‐ te Tötungshemmung vor eskalierender Aggression geschützt ist“ (Weierstall u.a. 2012). All dies klingt so, als könnten wir un‐ serer auf Gewalt beruhenden Natur nicht entkommen, wenn unsere aggressiven Neigungen nur entsprechend angespro‐ chen werden. Spiele verweisen dann ein‐ fach nur auf diese Natur und sind ein Weg, aggressive Neigungen ohne Gefahr ür andere Menschen zu bearbeiten. Aber die sehr große Mehrheit von uns grei nie zu Gewalt als Miel der Problemlö‐ sung und kann sich das auch kaum vor‐ stellen. Erich Fromm war sogar der Ansicht, dass Aggression kein unver‐ meidbarer Teil von uns ist, sondern erst entstand, als die Menschen im Lauf ihrer Entwicklungsgeschichte sessha wurden. Mit der Gründung von Städten entstan‐ den Besitz-, Klassen- und Machtverhält‐ nisse und damit auch der Wunsch, zu erobern und die Notwendigkeit, Besitz zu verteidigen. Fromm belegt dies an meh‐ reren Beispielen alter Kulturen (vgl. Fromm 2015a). Im Kontext Fromms anderer Arbeiten geht es hier letztlich um die Existenzweisen des Habens und des Seins, von denen Fromm ganz klar die besitzorientierte Existenzweise des Habens als schädlich ür die menschliche Gesellscha und die menschlichen Indi‐ viduen ansieht (vgl. Fromm 2015b, vgl. Kapitel 9).
8.2.2 Symbol für echte Gewalt? In sehr vielen Computerspielen üben wir als Spieler*innen Gewalt aus. Das Erobern oder Verteidigen von Land und Ressourcen sowie das Vernichten von Gegnern gehört dazu. Um zu gewinnen, müssen wir töten oder zerstören. Im ein‐ fachsten Fall, weil das Punkte bringt; in komplexeren Fällen, weil es in einer Er‐ zählung eingebunden ist, die den schein‐ baren Sinn der Tat erklärt oder, im Idealfall, auch deren Unsinn kritisch hin‐ terfragt. Dabei haben auch Menschen, die im echten Leben Gewalt und Kriege kri‐ tisieren, Spaß an Spielen mit entspre‐ chender ematik. Im Jahr 1913 veröffentlichte etwa der englische Schristeller H. G. Wells das Spiel Lile Wars, das an damals in Mili‐ tärs zur Ausbildung genutzte Planspiele erinnerte und die auf das preußische Kriegsspiel zurückgehen. Wells verstand sich als Pazifist, aber sein Spiel war nicht als Kritik gedacht. Obwohl Wells später notierte, dass der Erste Weltkrieg (1914 bis 1918) in ihm den Gedanken auslöste, dass er wohl lieber als Erwachsener über das ema nachdenken sollte, sta wei‐ ter mit Spielzeugsoldaten zu spielen, be‐ richtet der britische Autor John Middleton Murry Jr. von seinem Besuch bei Wells im Jahr 1930, in dem Wells große Begeisterung an seinem Spiel ge‐ zeigt habe. Das zeigt den bis heute zu be‐ obachtenden Widerspruch zwischen eigentlich friedliebender Einstellung und trotzdem vorhandenem Vergnügen an Kriegsspielen. Das Paradoxon, dass selbst ein Mensch, der in der echten Welt gegen Kriege und Gewalt eingestellt ist, an Spielen mit gewalätiger ematik Spaß haben kann, bedarf der näheren Betrach‐ tung, wenn wir nicht nur blind Medien konsumieren möchten. Um das etwas einzugrenzen, möchte ich zunächst eine ese äußern, die mir sicher Kritik von Seiten begeisterter Spieler*innen einbrin‐ gen wird:
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(1) Töten in Computerspielen ist immer fragwürdig – „es ist nur ein Spiel“ gilt nicht.
(1A) Töten in Spielen ist fragwürdig, weil die spielerische Handlung ein Symbol ür die Vorstellung ist, dass unter bestimmten Umständen Gewalt gerechtfertigt sein könnte.
Um direkt danach eine weitere ese zu äußern, die mir die soeben erheischte Zustimmung besorgter Eltern und kriti‐ Die spielerische Handlung symbolisiert scher Spielegegner*innen gleich wieder also den Gedanken, dass das absichtsvol‐ le gewaltsame Umbringen eines anderen entziehen wird: Lebewesens nicht nur denkbar ist (also (2) Trotzdem dürfen wir auch Computer‐ im Vorstellungsvermögen eines Men‐ spiele, in denen wir töten, spielen und so‐ schen vorhanden), sondern unter be‐ gar daran Spaß haben. stimmten Umständen auch nötig sein könnte – wenn zum Beispiel das eigene Wenn wir uns diesen Widerspruch ein‐ Leben in Gefahr ist, oder das der eigenen mal bewusstmachen, können wir daraus Familie, oder wenn es darum geht, ein anderes größeres Unrecht zu verhindern. auch etwas über uns selbst erfahren. Zunächst zur ersten ese: Warum ist Diese Denkweise ist nicht unüblich – Töten in Spielen „immer fragwürdig“? dass es Instanzen wie Polizei und Armee Das Wort „fragwürdig“, ür das ich in ei‐ gibt, hängt direkt damit zusammen. Doch Gewalt erzeugt Leid, egal nem ersten Impuls eigentlich „schlimm“ schreiben wollte, heißt zunächst einmal warum, egal gegen wen, und egal ob man nur, dass ein Sachverhalt es wert ist, hin‐ sie als gerechtfertigt ansieht. Leid ist terfragt zu werden: Warum gibt es so a priori schlimm und sollte nicht absicht‐ viele Computerspiele, in denen wir tö‐ lich erzeugt werden. Eine aufgeklärte ten? Welches Bild vom Menschen und Weltgesellscha müsste eigentlich daran von der Gesellscha reproduzieren wir, interessiert sein, Leid zu vermeiden und wenn wir in Computerspielen töten? sich von Verhaltensweisen und Medien‐ Gibt es einen Einfluss vom Spiel auf die inhalten verabschieden, die den Gedan‐ ken reproduzieren, dass das Erzeugen Wirklichkeit? Umgekehrt kann man aber ebenso von Leid manchmal gerechtfertigt ist. Aber dieser Wunsch muss naiv er‐ fragen: Ist ein Computerspiel eben nicht bloß ein Spiel, wo niemand zu Schaden scheinen. Vielleicht sogar absurd, wenn kommt? Ist es nicht besser, zu spielen als wir täglich in die Nachrichten schauen. echte Gewalt auszuüben? Und ist es So lange ein Teil der Menschen Gewalt nicht sowieso längst erwiesen, dass wir ausübt, so lange werden andere Men‐ durch Computerspiele nicht zu echten schen, die Gewalt eigentlich ablehnen, Gewalätern und Mördern werden (Kil‐ sich gezwungen sehen, in manchen Si‐ lerspiel-Debae)? Ist es nicht ein Unter‐ tuationen dennoch Gewalt anzuwenden schied, ob in einem Spiel überzeichnete oder sich auf jene Instanzen zu verlassen, Comicfiguren gezeigt werden oder realis‐ die das stellvertretend tun (Polizei, Ar‐ tisch dargestellte Menschen? Und ist es mee). Denn das Bedürfnis nach Sicher‐ nicht auch etwas ganz anderes, ob der heit ist eines der grundlegendsten Tötungsakt selbst ausgeührt wird und Bedürfnisse (vgl. Maslow 1943). Im Fall sichtbar ist (wie in einem Shooter), oder der Fälle wäre wohl auch ich selbst froh, ob nur dessen Folgen durch abstrakte wenn mich die Polizei notfalls mit Ge‐ Spielsteine oder Zahlen symbolisiert walt aus einer geährlichen Situation werden (wie in einem komplexen Strate‐ reen würde. Ich sehe es auch als ge‐ giespiel)? Da solche Fragen berechtigt rechtfertigt an, dass im Zweiten Welt‐ sind, präzisiere ich diese ese: krieg die Alliierten gegen Deutschland 108
vorgegangen sind. Wenn ich also aus meiner privilegierten Zuschauerposition behaupte, dass Leid immer schlimm sei, ist die Gefahr der Hybris groß. Es ist sehr bequem ür mich, dass ich die unange‐ nehmen praktischen Aspekte des emas auf die Instanzen auslagern kann, die da‐ ür zuständig sind. Ich formuliere die ese daher erneut um: (1B) Fragwürdig ist, ob man zusätzlich zur im echten Leben vorhandenen Gewalt auch noch Gewalt zu Unterhaltungszwe‐ cken nachstellen muss. Es ist, in anderen Worten, traurig genug, dass Gewalt manchmal nötig erscheint – muss man sie aber noch zusätzlich nach‐ spielen? Nun erzeugt es natürlich kein direktes Leid, wenn wir in Computer‐ spielen Gegner töten. Sie sind nicht le‐ bendig. Sie nehmen nichts wahr, sie ühlen nicht. Es sind Symbole, die manchmal nicht mal ür echte Lebewe‐ sen stehen, sondern psychologisch aufge‐ laden sind. Wenn wir beispielsweise in Hellblade: Senua’s Sacrifice oder in eini‐ gen Teilen der Silent Hill-Reihe einen Gegner umbringen, dann symbolisiert das eher den Kampf unserer Spielfigur gegen ihre inneren psychischen Dämo‐ nen als dass es echte Kampfsituationen nachstellt. Aber in den meisten Spielen fehlt so eine Ebene. Da stehen die Gegner schlicht ür Menschen, die uns am Errei‐ chen des Spielziels hindern. Weil wir uns dem Spielziel unterordnen (denn um das Ziel zu erreichen bzw. die gestellten Pro‐ bleme zu lösen, spielen wir ein Spiel ja), akzeptieren wir, dass Töten zur Errei‐ chung des Ziels notwendig ist. Diese Ak‐ zeptanz ratifiziert den Symbolcharakter des virtuellen Tötens, das auf eine Wirk‐ lichkeit verweist, in der echtes Töten als mitunter nötig angesehen wird. Beim Spielen konstruieren wir diese Wirklich‐ keit mit, auch wenn wir im echten Leben nie selbst töten würden.
Grundsätzlich ist es dabei egal, ob die zu vernichtenden Gegner eines Spiels als abstrakte Icons, niedliche Comicfiguren, unerkennbare Pixelhäufchen oder als fo‐ torealistische Menschen dargestellt sind. Selbst ein als Kulturgut akzeptiertes Spiel wie Schach verweist symbolisch auf ech‐ tes Töten, wenn etwa ein Bauer (der ür einfache Fußsoldaten steht) vom gegneri‐ schen Springer (der ür beriene Trup‐ pen steht) geschlagen wird. Schon dies symbolisiert gewaltsames Töten und ver‐ weist auf dahinterstehendes Leid. Ganz ähnlich die Spielmarken oder Counter in Strategie- und Taktikspielen, wo etwa NATO-Symbole ür verschiedene Trup‐ pengaungen stehen. Und natürlich die lebensechte Darstellung von Menschen, die erschossen, erschlagen oder ander‐ weitig umgebracht werden, nicht selten mit expliziter visueller Darstellung der Gewalt. Das alles mit „es ist doch nur ein Spiel“ abzuwiegeln, reicht nicht aus. Freilich macht es ür das subjektive Erleben und unsere Wahrnehmung einen Unterschied, in welcher Form die Symbo‐ le auauchen und reproduziert werden. Ein Schachspiel ist nicht mit einem Welt‐ kriegs-Shooter zu vergleichen. Es ist ür unser konkretes Erleben auch nicht das‐ selbe, gegnerische Roboter auszuschalten sta feindlicher Soldaten. Und es mag ür die eigene Rechtfertigung einen Unter‐ schied machen, ob man als amerikani‐ scher Soldat im Zweiten Weltkrieg an der Befreiung Frankreichs von der Naziherr‐ scha beteiligt ist oder ob man in einem Grand e Auto kriminelle Überälle be‐ geht. Die verschiedenen Formen und Er‐ zählungen, die Spiele uns darbieten, bringen den Aspekt des Tötens unter‐ schiedlich nah an uns heran. In manchen Formen, wie Schach, ällt er kaum auf, und allein mein Hinweis darauf, dass selbst Schach in der genannten Weise symbolisch ist, wird ür viele Menschen übertrieben wirken. In anderen Formen, etwa in einem Horrorspiel wie Resi‐ dent Evil 7, ist er so dominant und im wahrsten Sinne des Wortes schrecklich
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erfahrbar, dass das Spielen so eines Spie‐ les ür manche nicht auszuhalten ist (vgl. Kapitel 5). Trotz allem – und damit komme ich zur zweiten ese – halte ich nichts da‐ von, Computerspiele, in denen man Ge‐ walt ausübt, pauschal zu verdammen. Das möchte ich wie folgt präzisieren:
sicht der Autor*innen abhängt, können auch Spiele einen größeren Sinngehalt haben, als von den Entwickler*innen ge‐ dacht bzw. vom Spielziel vorgegeben. Sie können uns etwas über Anteile unserer Persönlichkeit sagen, die wir sonst gerne verdrängen (ein Beispiel daür gebe ich in Kapitel 8.3.2).
(2A) Gerade weil wir in Computerspielen auch Dinge tun, die wir im realen Leben verurteilen, nicht tun würden oder zumin‐ 8.3 Krieg als Szenario dest bequem ausblenden, können wir dar‐ aus etwas über uns selbst lernen. 8.3.1 Hintergrund Wenn wir ein Computerspiel spielen, in dem wir töten müssen, dann reproduzie‐ ren wir damit zwar, wie beschrieben, ge‐ sellschaliche Formen, die das Töten unter Umständen als gerechtfertigt er‐ scheinen lassen. Aber wenn wir dabei ins Nachdenken kommen – oder auch nur ein ungutes Geühl haben –, kann daraus ein kritisches Bewusstsein entstehen. In einem ersten Schri können wir zu einem intensiveren Spielerlebnis gelan‐ gen, das nicht einfach beim Problemlösen und Erreichen des Ziels stehen bleibt, sondern bei dem wir erkennen, warum wir eigentlich spielen – bei dem wir her‐ ausfinden, was das Spielen und die At‐ mosphäre eines Spiels mit uns als Individuum machen. Wir können zum Beispiel reflektieren, was wir ühlen, wenn der Gegner zu Boden geht oder un‐ sere Truppen in eine Stadt einmarschie‐ ren. Was ühlen wir dabei? Fühlen wir Befriedigung, eine virtuelle Bedrohung ausgeschaltet und quasi überlebt zu ha‐ ben? Oder ist es Freude, ein spielerisches Problem gelöst zu haben, und wir sind ganz distanziert von der ematik? Viele Erkenntnisse sind möglich, wenn wir uns darauf einlassen. Es geht hier um sachli‐ che Selbstbeobachtung. In einem zweiten Schri können wir so auf eine Bedeutung des Spiels stoßen, die über seine Oberfläche hinausgeht. So wie auch die Bedeutung eines Textes oder eines Films nicht allein von der Ab‐
Die Problematik des Tötens ist auch Kern der Taktik- und Strategiespiele, auf die ich in Kapitel 2 nur unter dem Aspekt des kreativen Lösens von Problemen ein‐ gegangen bin. Diese Probleme sind meist Puzzles, aber es sind Puzzles, die das Tö‐ ten von Menschen symbolisieren. Dass der Spaß, den wir heute beim Spielen kriegerischer Taktik- und Strategiespiele haben („a simple joy to play“, wie eine Rezension zum Spiel Unity of Command 2 euphorisch bemerkt), an der Erfahrung von Selbstwirksamkeit liegt, habe ich in Kapitel 2 erläutert. Dass dazu auch eine spannende Atmosphäre beiträgt, haben wir in Kapitel 5 erfahren. Doch Taktik- und Strategiespielen fehlt in der Regel jede kritische Reflexion ihrer eigenen ematik. Anders als in an‐ deren Genres (selbst in manchen Shoo‐ tern, in denen wir zwar aktiv den Abzug einer virtuellen Waffe ziehen, aber mit‐ unter eine Erzählung erleben, die ganz deutlich als Anti-Kriegserzählung er‐ kennbar ist) wird in Taktik- und Strate‐ giespielen nicht hinterfragt, welches Leid Kämpfe ür alle Beteiligten verursachen, welcher Wahnsinn eine Kampfsituation darstellen kann und welche Intentionen in Kriegen verfolgt wurden. Die Puzzles stehen ür Schlachten, die man als Gene‐ ral oder Admiral koordiniert und in de‐ nen man befiehlt. Menschen sind darin im wahrsten Sinne des Wortes Spielfigu‐ ren, die man auf einem Spielbre ver‐
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schiebt – o nicht mal als Menschen dar‐ gestellt, sondern als Spielmarken (Coun‐ ter) mit militärischen Symbolen, die den menschlichen Bezug verbergen. Verluste unter den eigenen oder gegnerischen Truppen sind allein unter dem Aspekt des Spielziels von Bedeutung und nicht, weil hinter der verlorenen Figur in einem echten Krieg ein Mensch stehen würde. Insbesondere in Deutschland stand man solchen Spielen lange skeptisch ge‐ genüber. Zu deutlich war die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Noch 1996 wurde das Spiel Panzer General von der Bundesprüfstelle ür jugendgeährdende Medien auf den Index gesetzt, da insbe‐ sondere das Handbuch zum Spiel kriegs‐ verherrlichend gewesen sei und man im Spiel einen Angriffskrieg eingeübt häe. Diese kritische Sicht wird heute kaum noch geäußert, ähnliche Spiele gibt es heute überall im Internet oder in App Stores zu kaufen oder kostenfrei herun‐ terzuladen. Aber man kann sich mit Recht fragen, ob die Indizierung nicht
doch angemessen war und ob das nicht auch heute weiterhin so gehandhabt werden sollte, zumindest wenn man dar‐ an interessiert ist, Krieg nicht als normal, nicht als spielerisches Kräemessen zu verstehen, unabhängig von der simplen visuellen Darstellung in Taktik- und Strategiespielen. Während Schach hinrei‐ chend abstrakt ist, dass seine kriegeri‐ schen Wurzeln kaum zum Tragen kommen (und selbst da nicht vergessen werden sollten), und während sogar manche Shooter kritisch gegenüber ihren eigenen Kriegsszenarien sind (zum Bei‐ spiel Spec Ops: e Line), fehlt bei belieb‐ ten Taktik- und Strategiespielen nach wie vor jede moralische Reflexion. Wegen ihrer Abstammung von militä‐ risch genutzten „Wargames“ (vgl. Kapitel 2) entstehen sie meist in einer Szene, in der man Kriegsührung nach wie vor als respektable Kunst begrei. In den USA etwa, aus denen die meisten dieser Spiele kommen, scheint das Militär ein selbst‐ verständlicher Teil der Gesellscha zu
Abb. 8.1 Command: Modern Operations (2019) wird in Armeen auch zur realen Ausbildung genutzt. Der Werbetext betont, dass eine Kriegsmaschinerie durch menschliche Wesen kontrolliert sei, die „die meiste Zeit eine rationale Entscheidung treffen, manchmal eine brilliante Eingebung haben oder einen Fehler machen“. Klingt spannend. Und ist es als Spiel auch. Dass aber in Kämpfen echte Menschen leiden, thematisiert kaum ein Spiel.
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ALTERSFREIGABEN VON SPIELEN Die Alterseinstufung von Spielen ist international nicht eindeutig. Beispielsweise macht die deutsche USK (Unterhaltungsso ware Selbstkontrolle) zum Spiel Panzer Corps eine klare Aussage: „ab 18 – keine Jugendfreigabe gemäß § 14 JuSchG“. Andere, ähnliche Spiele verfügen über keine USK-Einstufung. Vielleicht haben die Hersteller auf die gebührenpflichtige Prüfung des Spiels bei der USK verzichtet, oder das Spiel gibt es nur als Download im Internet (in dem Fall müssen sich die Anbieter an den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag halten). Falls das Spiel gemäß § 15 Absatz 2 Nr. 2 JuSchG „den Krieg verherrlich[t]“ oder gemäß § 15 Absatz 2 Nr. 5 JuSchG „offensichtlich geeignet [ist], die Entwicklung
sein, den man nicht misstrauisch als bes‐ tenfalls notwendiges Übel toleriert, son‐ dern den man selbst bei persönlicher Betroffenheit von Verlusten grundsätz‐ lich unterstützt und respektiert. Das Mi‐ litär wirkt wie Garant und Symbol ür die vor Jahrhunderten hart erkämpe Unabhängigkeit der Nation (1775 bis 1783). Auch die innenpolitische Entwick‐ lung der frühen USA ist durch Militär ge‐ Britischder prägt; insbesondere Amerikanische Krieg (1812 bis 1815), der Mexikanisch-Amerikanische Krieg (1846 bis 1848) und vor allem der Amerikani‐ sche Bürgerkrieg (1861 bis 1865) haben das Staatsgebilde geschaffen, das bis heu‐ te Bestand hat. Entsprechend wird dieser Historie bis heute regelmäßig gedacht, eben auch spielerisch in Reenactments (sogenannte „Living History“), in Bre‐ spielen und am Computer. Der traumati‐ sche Angriff Japans auf Pearl Harbor (1941), der damit verbundene Eintri der USA in den Zweiten Weltkrieg und die dadurch letztlich ermöglichte Befreiung
von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinscha sfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden“ (Jugendschutzgesetz), darf das Spiel grundsätzlich nicht in Deutschland verkau werden. Gerade für Eltern ist Aufmerksamkeit geboten, wenn ein Spiel außerhalb Deutschlands gekau wird (im Urlaub etwa). Dort gibt es o Bewertungen der PEGI (Pan European Game Information), die vom Niederländischen Institut für die Klassifizierung Audiovisueller Medien (NICAM) vorgenommen werden. Das Beispiel Panzer Corps hat die PEGI-Einstufung „ab 7“. Man kann es also außerhalb Deutschlands ganz offen in Geschä en kaufen. Eltern sollten daher besonders auf den Inhalt eines Spiels achten, nicht nur auf die Einstufung.
des von Nazideutschland besetzten West‐ europas (1945) tragen zusätzlich zu einem positiven Bild des US-Militärs bei. Daher sind Pazifik und Westeuropa ebenfalls beliebte Schauplätze von Taktik- und Strategiespielen; die Schlacht in der Nor‐ mandie lässt sich ebenso detailliert nach‐ spielen wie Flugzeugträger-Kämpfe im Pazifik. Die Kriege seit Mie des 20. Jahr‐ hunderts (Korea, Vietnam, Irak, Afgha‐ nistan) kratzen am positiven Bild der USA, doch deren Szenarien werden eben‐ falls unkritisch in Taktik- und Strategie‐ spielen thematisiert. Wenn man Militär und Krieg als ‚normal‘ akzeptiert hat, kann man offenbar auch andere Szenarien ohne schlechtes Gewis‐ sen umsetzen. Bei Spieler*innen weltweit besonders beliebt sind offenbar lange Kampagnen, die die Aktivitäten der deut‐ schen Wehrmacht darstellen. Kommerzi‐ ell besonders erfolgreich waren Mie der 1990er Jahre das schon genannte Panzer General und seine Nachfolger; heute sind
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es dessen Remakes Panzer Corps und Panzer Corps 2, sowie das insgesamt ähnliche recht Order of Bale: World War II. Diese Spiele haben relativ einfache Regeln und sind auch von Per‐ sonen ohne detailliertes Wissen über Mi‐ litärgeschichte und -technik leicht erlernbar – auch von Kindern und Ju‐ gendlichen, was besondere Fragen auf‐ wir (vgl. Kasten „Altersfreigaben von Spielen“). Insbesondere bei Spielen, Kampagnen und Szenarien, die einen Sieg Nazi‐ deutschlands im Zweiten Weltkrieg zum Ziel haben, ist zu fragen, warum man zum Vergnügen unbedingt diese Per‐ spektive einnehmen muss. Es gibt in vie‐ die Spielen auch len natürlich Möglichkeit, auf Seiten der Alliierten ge‐ gen Nazideutschland in den Krieg zu zie‐ hen, aber eindeutig beliebter ist die deutsche Seite. Das sieht man immer dann, wenn ein neues Spiel einmal nur die Seite der Alliierten darstellt – schnell wird dann von Seiten der Spieler*innen der Ruf nach einer Berücksichtigung der Achsenmächte laut. Beürworter solcher Szenarien argu‐ mentieren mitunter, dass es um das Stu‐ dium historischer Ereignisse oder um die Simulation alternativer historischer Ver‐ läufe gehe, sodass man die tatsächliche Geschichte besser verstehen kann: ‚Was wäre gewesen, wenn?‘ Solche Alternate History kann in der Tat eine manchmal erhellende Ergänzung zu traditionellen Formen der Geschichtswissenscha sein. Manche Spiele, etwa die zahlreichen Pro‐ dukte von John Tiller Soware, aber auch das bekannte Command: Modern Operations (Abb. 8.1) werden auch tat‐ sächlich zu Ausbildungszwecken beim US-Militär eingesetzt (und stehen damit in direkter Tradition des schon erwähn‐ ten preußischen Kriegsspiel). Obwohl das Simulationsargument aus professioneller militärischer sowie mili‐ tärhistorischer Sicht also eine gewisse Plausibilität hat, wird dies selten der Grund sein, warum diese Spiele in allen
Altersgruppen erfolgreich sind. Warum stellt man – nicht als Forscher*in oder als Offizier*in, sondern als Spieler*in – in Panzer Corps bereitwillig den deutschen Einmarsch in Polen nach? Warum mar‐ schiert man in Gary Grigsby’s War in the West ohne kritisches Nachfragen in Frankreich ein? Warum versucht man, in Panzer Campaigns: Stalingrad ‘42 Gold die Schlacht von Stalingrad siegreich zu überstehen (und ist vielleicht nicht ein‐ mal irritiert über den fast zynischen Na‐ menszusatz „Gold“ des Produkts)? Wohlgemerkt: Das sind alles keine ob‐ skuren Titel, die es nur auf düsteren Na‐ zi-Internetseiten gäbe. Diese und andere Spiele kann man problemlos im Internet kaufen, unbehelligt von USK oder PEGIEinstufungen. Sie sind beliebt, werden in Rezensionen positiv besprochen und sind als ganz normal akzeptiert. Ein gewisses historisches Interesse bei den Spieler*innen kann auch auf‐ grund der Komplexität mancher Titel si‐ cher vorausgesetzt werden. Aber letztlich geht es nicht um wissenschaliche Studi‐ en, ür die diese Spiele Werkzeug wären, sondern um den Spielspaß, der im Lösen taktischer Puzzles und strategisch an‐ spruchsvoller Situationen liegt. Diesen Spielspaß könnte man auch mit ganz abstrakten Spielelementen ha‐ ben, bei denen keinerlei menschliche Ge‐ walt erkennbar wäre (etwa: abstrakte geometrische Formen sta konkreter Panzer, Soldaten und Flugzeuge), aber offenbar hil ein historisches Szenario dabei, die Regeln zu begreifen und trägt zur intensiveren Atmosphäre eines Spiels bei. Es mag auch ‚Geschichte lebendig werden‘ lassen, etwa die ür manche Per‐ sonen zu trockenen historischen Darstel‐ lungen in Geschichtsbüchern. Und speziell bei Kindern und Jugend‐ lichen kommt noch der Reiz des Verbote‐ nen dazu – ich selbst erinnere mich an eine Szene auf dem Schulhof, es war wohl 1997, als verstohlen und etwas ehr‐ ürchtig über das verbotene Spiel Panzer General gesprochen wurde.
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Wenn eine Grenze erreit ist Als wären Weltkriegsszenarien, die die Aktivitäten der deutschen Wehrmacht zeigen, nicht schon fragwürdig genug, gibt es ür einige Spiele auch Kampa‐ gnen, die Einsätze der Waffen-SS nach‐ stellen – mitunter versehen mit einem Texthinweis, dass die Autoren der Kampagnen diese Taten nicht guthei‐ ßen würden, sie aber die militärischen Leistungen beeindruckend änden. So ein Hinweis findet sich etwa in einer die im kostenlosen Kampagne, Open General enthalten ist. Auf diese Trennung von militäri‐ scher ‚Leistung‘ einerseits von Ideologie und (Un)moral andererseits trifft man o, wenn man sich mit Kriegsspielen beschäigt. Diese Trennung ist ohne‐ hin künstlich, denn militärische ‚Leis‐ tungen‘ sind direkt mit politischen Zielen und Ideologien verknüp und können davon nicht losgelöst betrach‐ tet werden. Sie sind kein Sport. Das gilt grundsätzlich. Aber spätestens, wenn ein Spiel oh‐ ne jede kritische Reflexion und Einord‐ nung SS-Kampagnen oder auch einzelne SS-Einheiten anbietet (wie im relativ beliebten, kommerziellen Or‐ der of Bale: World War II), ist aus meiner Sicht eine Grenze erreicht. So etwas muss man wirklich nicht spielen. 8.3.2 Eine verborgene ‚dunkle‘ Seite? Der Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz schreibt auf Filme bezogen: „Ein Demokrat darf sich nur der nennen, der auch seine dunkle Seite kennt und zu regulieren gelernt hat“ (Maaz 2019, 291). Dies können wir auch auf Spiele beziehen, vielleicht mehr noch als beim Film, denn bei Spielen sind wir aktiv involviert und müssen mit un‐ seren eigenen ‚dunklen‘ Taten umgehen. Aus skeptischer Sicht liegt vielleicht die Frage nahe, ob die Entscheidung ür
ein kriegerisches Spiel etwas über die spielende Person aussagt? Ist beispiels‐ weise jemand, der ein Weltkriegs-Strate‐ giespiel oder eine taktische Simulation heutiger militärischer Konflikte kau und spielt, zumindest unbewusst bereits mili‐ taristisch eingestellt, steht Befehlshierar‐ chien mit ihren klaren sozialen Verhältnissen positiv gegenüber und ist fasziniert von Technik, die zwar in sich komplex ist, aber eben das möglichst effi‐ ziente Töten anderer Menschen zum Ziel hat? Leben wir in solchen Spielen also vielleicht eine ‚geheime‘ oder ‚verdräng‐ te‘ Seite der Persönlichkeit aus, wie sie mit Hilfe einer der verschiedenen Spiel‐ arten der Psychoanalyse aufdeckbar wäre – das „Unbewusste“ (Freud) oder den „Schaen“ (C. G. Jung)? Dann ginge es um Persönlichkeitsan‐ teile, die wir normalerweise verdrängen, weil sie etwa einer erlernten, gesell‐ schalich akzeptierten Moralvorstellung widersprechen würden, oder sie dem Ausleben eines Tabus gleichkämen. Denn heute wird Krieg viel weniger akzeptiert als zu Huizingas Zeit, als Militarismus noch als normal und der Dienst in einer Armee als erstrebenswert galten (vgl. Ka‐ pitel 8.2). Und doch spielen wir heute im‐ mer noch Kriegsspiele. Diesen möglichen Widerspruch durch Analyse zu identifi‐ zieren und zu reflektieren, könnte uns zu vollständigeren Persönlichkeiten oder, in Anlehnung an Maaz' Behauptung, zu besseren Demokrat*innen machen. Wenn wir die Grundannahme der Existenz ei‐ nes Unbewussten akzeptieren, dann soll‐ te man das Potenzial von Spielen, uns auf den „Schaen“ zu stoßen, nicht verken‐ nen. Allerdings sei angemerkt, dass die Annahme eines Unbewussten seit Freud zwar sehr populär ist, dass dies aber nicht selbstverständlich sein muss. Der amerikanische Verhaltensforscher Nick Chater etwa geht von einer ‚Flachheit‘ des Geistes aus: Unser Gehirn würde nur von Moment zu Moment prozessieren und sich dabei zwar aus Erinnerungen,
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aber keineswegs einem in der ‚Tiefe‘ ver‐ borgenem Unbewussten speisen. Dies würde uns vom Zwang zu ständiger Selbstsuche und Selbsterkenntnis entlas‐ ten (vgl. Chater 2018). Es geht an dieser Stelle nicht um eine Diskussion psychoanalytischer eorien und diesen eorien entgegengesetzter Modelle des menschlichen Geistes. Ent‐ scheidend ist die Beobachtung, dass wir abseits spielmechanischer Befriedigung und Spielspaßes vielleicht ein ‚seltsames‘, ein ‚ungutes‘ oder ein ‚skeptisches‘ Ge‐ ühl beim oder nach dem Spielen verspü‐ ren – sei es Beunruhigung, sei es Irritation, sei es sogar ein schlechtes Ge‐ wissen, weil das im Spiel erlebte den er‐ lernten und akzeptierten Normen widerspricht. Wir haben eindeutig Spaß an einem Spiel und ziehen Befriedigung daraus – und wissen doch, dass wir das vor dem Hintergrund irgendwelcher ge‐ rade geltender Normen nicht sollten. Ei‐ ne Person, die viele Taktik- und Strategiespiele mit Bezug zu militärhisto‐ rischen emen spielt, könnte irgend‐ wann feststellen, dass es einen Teil in ihr gibt, der klare militärische Strukturen zu schätzen weiß. Eine andere Person mag erkennen, dass sie eine diffuse Vorstel‐ lung militärischer Ehre reizvoll findet. Wieder eine andere Person sieht viel‐ leicht, dass sie im Einzelfall das Töten eines Erreichung ‚höheren zur Wohls‘ (wie der Vermeidung größeren Leides an anderer Stelle) ür gerechtfer‐ tigt hält. So etwas zu erkennen, kann ür diese Personen erschreckend sein, wenn sie sich eigentlich selbst als demokra‐ tisch, antimilitärisch oder friedliebend sehen wollen. In der Folge ist zu fragen, was die Personen tun, wenn sie erkannt haben, dass sie auch eine andere, ‚dunklere‘ Sei‐ te haben, die ihrem Wunsch-Selbstbild widerspricht. Wie gehen sie mit ihrem „Schaen“ um? Akzeptieren sie ihn als Teil von sich und können gerade deshalb ihr eigentlich erwünschtes Selbstbild besser definieren und stärken? Dann hil
das Bewusstsein über die vorhandenen, aber verdrängten Persönlichkeitsanteile, die Grenze zwischen Spiel und Wirklich‐ keit schärfer zu ziehen und gerade, weil sie um diese Anteile wissen, ‚vollständi‐ gere‘ Persönlichkeiten zu werden, die auch in schwierigen Situationen an ihren bewussten, als positiv erachteten morali‐ schen Idealen festhalten können. Dann häe die Beschäigung mit dem Spiel ür diese Personen einen positiven Effekt. Psychoanalytisch könnte man an der Stelle in die Tiefe gehen. Wie das gelin‐ gen kann, zeigt Katharina Milböck in ihrer Dissertation „Persönlichkeitsent‐ wicklung und Digitales Rollenspiel“, wo‐ bei sie dem ema gemäß von der Gültigkeit psychoanalytischer Grundan‐ nahmen ausgeht. Milböck zeigt Ge‐ meinsamkeiten von psychoanalytischen erapiesituationen und ComputerspielSituationen, wobei sie von einem spezifi‐ schen Verständnis von Psychotherapie als kooperatives Spiel ausgeht (Milböck 2020, 40). In erapie und Computerspiel würden sogenannte „intermediäre Räu‐ me“ (Milböck 2020, 38) konstruiert, in denen Prozesse der Symbolbildung erlebt werden könnten. Die daür nötige „Immersion“, das heißt die „Hingabe“ an oder das Eintau‐ chen in ein „Chaos“ (ebd., 41) würden in der erapiesituation durch era‐ peut*innen strukturiert und geordnet (ebd., 42); im Computerspiel geschähe dies durch bestimmte spielmechanische Elemente (ebd. 48ff.). Im Wechselspiel von Immersionserleben und Reflexion ließen sich Lern- und Entwicklungspro‐ zesse ördern (ebd., 52), in unserem Bei‐ spiel eben zum Widerspruch zwischen einem friedfertigen Alltagsleben und dem Vergnügen daran, in Computerspielen kriegerische oder gewalätige Handlun‐ gen zu vollziehen (schon Freud sprach von „Friedens-Ich“ und „Krieger-Ich“, um innere Konflikte von Soldaten im Ersten Weltkrieg auszudrücken, vgl. Auchter 2018, 118). „Wenn die Psyche nicht gut genug gerüstet ist“ (Milböck, 138), sei
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das Entdecken solcher Zusammenhänge nicht ganz gefahrlos. Spieler*innen müssten die Stärke haben, zwischen Im‐ mersion und Reflexion zu wechseln (ebd., 136). Milböck konstatiert daher, „dass wenn die im Spiel erfahrene Irritation als überwältigendes Chaos erlebt wird, dem die Psyche keine chaosordnenden Kräe entgegenzusetzen hat, das Spielen Digi‐ taler Rollenspiele zu einem geährlichen Akt werden kann“ (ebd. 138). Allerdings geht Milböck doch davon aus, dass bei den gemeinhin gespielten Spielen „die Psyche der Spielenden […] eine gewisse Reife erlangt hat“ (ebd., 49), wodurch am Ende doch die Chancen des Spiels zur Selbsterkundung überwiegen. Was der Philosoph Daniel Martin Feige als das „Durchspielen des Selbst“ (Feige 2015, 165ff.) bezeichnet hat (womit er auf die Frage antwortet, wann Computer‐ spiele gelungene Kunstwerke wären), wäre ohne Reife und Reflexionsähigkeit wohl auch nicht denkbar.
NORMALISIERUNG VON KRIEG? Spiele mit militärischem Hintergrund stützen, o unabsichtlich, auch eine gewisse Einstellungsänderung, die in den letzten Jahren in Bezug auf Militäreinsätze in der deutschen Politik sichtbar wird. Auslandseinsätze gehören für die Bundeswehr mittlerweile zum Alltag. Seit 2008 werden besondere militärische Leistungen mit einem „Ehrenkreuz für Tapferkeit“ geehrt, das nach wie vor das alte Symbol des Eisernen Kreuzes nutzt (das, wie Befürworter*innen betonen, schon 1813-1815 in den Befreiungskriegen gegen Napoleon genutzt wurde, aber, wie anzumerken ist, eben heute doch eher mit den zwei Weltkriegen verbunden wird). Und es gibt wieder ‚Gefallene‘.
8.3.3 Neue fragwürdige Einstellungen? Der Verhaltensforscher Nick Chater, der wie erwähnt nicht davon ausgeht, dass es ein Unbewusstes gibt, dem wir auf den Grund gehen könnten, würde zu der Not‐ wendigkeit der ematisierung wider‐ sprüchlicher Selbsterfahrung beim Spielen wie in unserem Beispiel wohl achselzuckend feststellen, dass Wider‐ sprüche natürlich sind, und dass daran nichts Schlimmes und nichts erapiebe‐ düriges ist. Chater sagte 2019 in einem Interview: „Wer eine erapie mit dem Ziel beginnt, der Sache mit sich selbst auf den Grund zu gehen, begibt sich auf eine hoffnungs- und sinnlose Suche. […] Wir ühlen o auf eine Weise, denken aber, dass wir anders ühlen sollten, und ver‐ urteilen uns daür. […] Das ist unnötige Plagerei“ (Chater 2019). Laut Chater wür‐ de unser Gehirn spontan Erklärungen er‐ finden ür das, was es gerade erlebt. Wenn wir dies auf Computerspiele
Anstatt Krieg und Militär bestenfalls als notwendiges Übel zu begreifen, werden sie politisch zunehmend akzeptiert. Dazu tragen auch Computerspiele ihren Teil bei, und Taktik- und Strategiespiele im Besonderen. Gerade weil dieses Genre komplexe Denkaufgaben bietet und teils zur Ausbildung genutzt wird, wirken diese Spiele eher wie ein ‚seriöser‘ Zeitvertreib und ‚adeln‘ ihre Themen daher. In einem Shooter sehen wir zumindest noch, wen wir virtuell umbringen, aber in einem Taktik- und Strategiespiel wird auf visuelle Gewaltdarstellung in der Regel verzichtet. Solche Spiele stehen damit für die moderne Art der Kriegsführung, die gekennzeichnet ist durch „die Entfremdung, die technische Distanzierung vom Opfer“ (Auchter 2018, 120).
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anwenden, dann würden uns Spiele nicht in quasi-therapeutischer Weise das Ent‐ decken und Ordnen eines chaotischen Symbolraums erlauben, sondern wir würden das Spielerlebnis lediglich von Moment zu Moment interpretieren. An‐ sta verdrängte Persönlichkeitsanteile zu ‚entdecken‘, sollten wir beim Erleben wi‐ dersprüchlicher Spielerfahrungen daher vielleicht eher von der Möglichkeit der Entwicklung neuer Einstellungen spre‐ chen, insofern wir spontan individuelle Erklärungen ür diese Erfahrungen fin‐ den. In Bezug auf das ema dieses Kapi‐ tels – Spiele mit kriegerischem oder gewalätigem Inhalt, die wir trotz ihrer ematik mit Befriedigung und Spaß spielen – würde dies beispielsweise die schleichende Entstehung von zuerst nicht vorhandenen pro-militärischen Einstellungen meinen, weil wir diese als Erklärungsmuster ür unser Handeln entwickeln. Wenn man spielerisch erlernt, dass und wie militärische Strukturen ‚funktio‐ nieren‘, sich also aktiv mit dem ema befasst, kann das eine veränderte Sicht auf das ema begünstigen. Dies ist nichts anderes als das Schreckgespenst des ‚Killerspiels‘, das regelmäßig hervor‐ geholt wird, wenn wieder eine Gewalat begangen wurde durch eine Person, die vorher gewalägige Computerspiele ge‐ spielt hat, aber das ist hier nicht auf ein ‚gestörtes‘ Individuum bezogen, sondern auf größere politische Zusammenhänge, wie der Rolle, der man Militär und Krieg in einer Gesellscha beimisst. Denken wir hier aber nicht an das plumpe ‚Abstumpfen‘ beim Spielen eines Egoshooters (dem Sinnbild des ‚Killer‐ spiels‘), sondern wieder an größere Denkleistungen abverlangende taktische oder strategische Spiele: Ganz subtil, ganz langsam, entwickelt man während solcher Spiele vielleicht Verständnis ür die Erfordernisse der beteiligten Parteien; man glaubt vielleicht, militärische Not‐ wendigkeiten zu erkennen, Alternativlo‐ sigkeiten: ‚Es gab ja keine andere Wahl!‘
Man handelt sozusagen rein situationsge‐ mäß, um das jeweils gestellte taktische oder strategische Problem zu lösen, und erklärt sich sein Handeln entsprechend. Die rationalen Erklärungen wären, wenn wir Chater glauben, nicht vorgeschoben, um irgendwelche unbewussten Aspekte unserer Person zu verschleiern, sondern sind die ür die Person im Moment tat‐ sächlich sinnvollsten Erklärungsmuster. Am Spiel erklärt sich der spielenden Per‐ son sozusagen die Sinnhaigkeit kriege‐ rischen Planens und Handelns. Vielleicht sieht man in diesem Pro‐ zess die konkret beteiligten Soldaten ei‐ nes Krieges bald weniger als Individuen, die durch ihr willentliches Handeln den Krieg aktiv beördern, sondern nur als Opfer, die von ihrer Regierung miss‐ braucht wurden und ‚doch nur Befehle befolgt‘ haben, um nicht bestra oder hingerichtet zu werden – eine Verschie‐ bung weg vom selbstbestimmten Einzel‐ nen hin zur anonymen fremdbestimmten Masse, ganz so wie man als Spieler*in den Spielfiguren, die als abstrakte Coun‐ ter und Zahlen erscheinen, Befehle er‐ teilt, die klaglos ausgeührt werden. Man erkennt im Spiel, dass der einzelne Mensch in einer Zahl untergeht, und, falls so ein Perspektivwechsel überhaupt stafindet, sieht den echten einzelnen Menschen als ebenso machtlos gegen‐ über der Situation an. Der Mensch, der sich auch gegen den Gehorsam häe ent‐ scheiden können, erscheint im Spiel als nicht selbstständig handlungsähig. So löst man die Verantwortung der einzel‐ nen Person aus der Gesamtsituation: ‚Krieg ist eben so.‘ Letztlich droht am En‐ de solcher Erklärungsprozesse, dass man Krieg auf rationaler Ebene als manchmal unvermeidlich hinnimmt, ansta ihn konsequent zu verurteilen. Freilich: Genauso wenig, wie eine gefes‐ tigte Persönlichkeit mit demokratischen, friedlichen Werten zum Amokläufer wird, nur weil sie ein paar Runden Coun‐ terstrike spielt, wird sie nicht gleich zum
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Militaristen, wenn sie in Civilzation mili‐ tärisch die Welt erobert. Sie wird nicht zum Beürworter von Sklaverei, wenn sie in einem Spiel über den amerikanischen Bürgerkrieg die Seite der Südstaaten übernimmt, und auch nicht gleich zum Nazi, nur weil sie mal etwas Panzer Corps spielt. Ich bin daher auch nicht daür, Spiele mit Kriegsthematik zu verbieten. Ich schätze sehr die individuelle Freiheit und habe ein (mitunter vielleicht zu positi‐ ves?) Bild von mündigen Menschen, die darüber nachdenken, was sie tun und was ihr Tun ür die Gesellscha bedeu‐ tet. Daher kann ich auch den im letzten Abschni geschilderten Ideen Milböcks zum Wechselspiel aus Immersion und Reflexion als Form des Umgangs mit Computerspielen viel abgewinnen. Und ich könnte nicht so viel über Taktik- und Strategiespiele schreiben, wenn ich sie nicht selbst spielen würde – Selbstwirk‐ samkeitserfahrungen und Atmosphäre funktionieren auch bei mir (und was weiß ich schon über meinen „Schaen“?) Aber aus gesellschaskritischer Sicht ist eben doch anzumerken, dass Spiele mit kriegerischem Inhalt Militarismus als normalen Aspekt der Politik darstellen (vgl. Kasten). Man sollte sich darüber klar sein, dass man mit der Nutzung solcher Spiele in kleinen Schrien dazu beiträgt, militärische Aktivität als ‚normal‘ zu empfinden, wie in dem alten ClausewitzZitat vom Krieg als „Fortsetzung der Po‐ litik mit anderen Mieln“ oder auch, wenn wir nicht soweit zurückgehen wol‐ len, nach dem unter Gamern bekannten bleibt immer Zitat: „Krieg gleich“ (Fallout-Serie). Letzteres Zitat sagt eben nicht nur, dass Krieg in sich gleich bleibt, sondern auch, dass Krieg an sich ‚bleibt‘, dass er immer wieder‐ kommt, als gehörte er, quasi konstitutiv, zum Menschsein dazu, als wäre er ‚Handwerk‘ wie jedes andere, und als könnte man nichts dagegen tun. Das ist eine sehr deprimierende Vor‐ stellung, der man eigentlich entgegentre‐
ten muss. Stadessen spielen wir auf dem Sofa oder am Schreibtisch Kriege nach, als wären sie eine reizvolle Frei‐ zeitbeschäigung. Taktik- und Strategie‐ spiele, so spannend sie auch sind, vermieln den Eindruck, als wäre Krieg nur ein sportliches Kräemessen und be‐ stünde nicht in der Vernichtung von mit‐ unter Millionen unschuldiger Menschen. Das wird wegabstrahiert. An das Leid, das echte Menschen an‐ deren Menschen in Kriegen angetan ha‐ ben und immer noch antun, sollten wir stets denken, wenn wir eine kleine Spiel‐ figur oder einen Counter auf einer Land‐ karte verschieben. Es sind wir selbst, die uns daran erin‐ nern müssen, denn die Spiele tun dies nicht.
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9 SPIELE UND DIE CONDITIO HUMANA
9.1 Leitdifferenzen Huizinga sagt, dass letztlich alle wesent‐ lichen menschlichen Tätigkeiten auf das Spiel zurückgehen (vgl. Huizinga 2009, 12). Das menschliche Leben ist ganz we‐ sentlich durch Spiel geprägt. Und so steht am Ende unserer Reise durch die Welt der Spiele die Frage, was wir aus Spielen ür unser Leben lernen können. Aber diese Frage verstehe ich nicht (so viel wurde sicher schon deutlich) als Gewinn an Faktenwissen und Kompetenzen, son‐ dern viel grundsätzlicher: Was bringen uns Spiele über uns selbst bei? Davon ausgehend: Was können uns Spiele sagen über die Bedingungen des Menschseins – die Beschaffenheit des Menschen – kurz: die ‚conditio humana‘? Gibt es sie über‐ haupt, oder ist sie nur ein Mythos, wie der Semiotiker Roland Barthes in seinem berühmten Essay über eine Fotoausstel‐ lung bekundete (vgl. Barthes 2016a, 227), und ist sie damit ein Kommunikations‐ system (ebd., 251)? Bevor wir uns dieser
großen Frage widmen – einer zu großen vielleicht –, möchte ich einige Leitdiffe‐ renzen auühren, um unseren derzeiti‐ gen Aufenthaltsort im weiten Raum von eorie und Erfahrung abzusichern. Die Differenzen wurden auf den einzelnen Stationen unserer Reise schon erwähnt. Sie haben unsere Reise eingeordnet. In der Gesamtschau zeigen sie, aus welchen zwei grundsätzlichen Perspektiven Spiele uns erscheinen bzw. wie wir uns mit ih‐ nen befassen können (Tab. 1). Am Anfang des Buches habe ich die ese geäußert, dass wir mit Computer‐ spielen unser eigenes Tätig-sein entde‐ cken können und dass wir durch das Spielen mehr über uns selbst erfahren können. Ich schrieb aber auch, dass wir dazu auf andere Weise spielen müssen als es Spieleentwickler*innen, unsere Freund*innen und vielleicht wir selbst von uns erwarten. Die Leitdifferenzen bringen dieses ‚anders spielen‘ auf den Punkt. Die erste Spalte ührt auf, wie wir gemeinhin mit Computerspielen umge‐
119 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3_9
System
Subjekt
Stehen wir in einem technischen Nutzer-So ware-Verhältnis zu dem Spiel (vgl. Donick 2020) oder können wir uns als ‚ganzes‘ Subjekt entdecken?
Heiß
Kalt
Ist also das Spielen durch Regeln und Mechanik dominiert, oder bleiben Leerstellen offen, die durch uns gefüllt werden können (vgl. Huberts 2010)?
Lust
Wollust
Können wir daher einfach über die Freude reden, die wir am Spielen haben (Lust) oder bleibt sie unsagbar (Wollust), weil sie diffus ist? (vgl. Barthes 2016b)
Probleme lösen
Wandern
Lösen wir Probleme wie im Beruf, was zwar Befriedigung verscha , aber am Ende schal ist, oder wandern wir ziellos, verunsichert, umher, aber lernen wir dabei etwas über uns?
Geschä igkeit Tätig-sein
‚Betäubt‘ uns ein Spiel also mit Aktivität, oder lässt es uns reflektieren und schöpferisch sein – können wir „uns selbst durchspielen“ (Feige 2015)?
Konstellation
Situation
Erscheint das Spiel mithin wie eine Konstellation aus Einzelteilen, oder nehmen wir es als ganzheitliche Situation wahr (vgl. Schmitz 2011)?
Haben
Sein
Und als Konsequenz aus den vorigen Punkten: Welches Gesellscha smodell schreibt ein Spiel damit implizit oder explizit fort (vgl. Fromm 2015)?
Tab. 1
Leitdifferenzen in system- und subjektorientierter Perspektive
hen. Anders als das unschuldige Spiel, das wir vor allem im Kindesalter einfach spontan vollziehen, lernen wir Compu‐ terspiele meist zunächst als Konsumpro‐ dukte kennen, weil uns andere Menschen, andere Medien oder die Wer‐ bung sagen, dass dieses oder jenes Spiel lohnend sei. Und wenn wir nicht schon sehr medienkritisch eingestellt sind, dann lassen wir uns auf ein Computer‐ spiel meist erstmal so ein, wie es von den Herstellern intendiert ist – wir lernen seine Regeln, verinnerlichen seine Steue‐ rung, folgen seiner Geschichte, lösen die vorgegebenen Probleme, machen Fort‐ schrie und erleben – je nach Umfang der implementierten, spielbaren Inhalte – irgendwann das Ende des Spiels oder verlieren uns in seiner Fülle. Und vielleicht wechseln wir dann in
den anderen Modus der Betrachtung: Wir erkennen die Begrenzungen, die uns die Implementierung des Spiels auferlegt und wir beginnen, darüber und über un‐ sere bisherige Aktivität mit dem Spiel zu reflektieren. Wir entwickeln einen ‚Ge‐ schmack‘. Wir entwickeln eine Kompe‐ tenz, die alität eines Spiels nach anderen Kriterien als allein audiovisuel‐ ler Gestaltung, Erzählung, Umfang und Mechanik zu beurteilen. Vielleicht lassen wir die vorgegebenen Spielweisen hinter uns, und vielleicht beginnen wir sogar, Kra unserer eigenen kreativen Schöp‐ ferkra das vorgegebene Spiel zu verän‐ dern – es gleichsam zu dekonstruieren, sowohl wortwörtlich im technischen Sin‐ ne als auch im übertragenen, etwa se‐ miotischen Sinne – und so ganz zu unserem zu machen. Wir entwickeln eine
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Lust am Spiel, die mehr mit Roland Bar‐ thes „Lust am Text“ (Barthes 2016b) zu tun hat, als dem Alltagsverständnis von Computerspielen – und gerade dadurch unserer menschlichen Natur entgegen‐ kommt. Um das zu verdeutlichen, möchte ich noch einmal auf die Spielreihe e El‐ der Scrolls eingehen, die ich seit gut sieb‐ zehn Jahren immer noch regelmäßig spiele – ständig hin und her gerissen zwischen geschäigem Abarbeiten von Aufgaben und stillem wandernden Pro‐ test gegen die nie endende Aufgabenül‐ le.
9.2 Lust am Spiel? Während ich dieses letzte Kapitel schrei‐ be, kommt Greymoor heraus, die neueste Erweiterung ür das Spiel e Elder Scrolls Online (2014). Das ist der Mehr‐ spieler-Ableger der Elder-Scrolls-Reihe, die ich in diesem Buch schon o ange‐ sprochen habe. In allen Teilen der Reihe erkunden wir Tamriel, eine offene Spiel‐ welt, und lösen darin zahlreiche, mehr oder minder dramatische Aufgaben. In‐ haltlich hängen die Spiele zusammen, weil sie in derselben Welt spielen; jedes Spiel zeigt eine bestimmte Region der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt. In jedem Spiel finden wir Unmengen von Texten, die uns die fiktionale Historie Tamriels näherbringen Heute also erscheint die neueste Er‐ weiterung, und ich freue mich wie ein kleines Kind. Den „Vorbestellen“-Buon habe ich schon lange gedrückt, das Geld daür schon vor Wochen bezahlt. Und ich habe das getan in vollem Bewusstsein, dass die neue Erweiterung lediglich die aus Skyrim bekannte gleichnamige Regi‐ on Tamriels wieder aufwärmt, und dass die zu erwartenden neuen Geschichten und Problemstellungen nur mehr vom Gleichen sein werden – spielmechanisch und narrativ überraschend ist an e El‐ der Scrolls schon seit Jahren nichts mehr.
Und doch ist dieses ‚Mehr vom Gleichen‘ genau das, was ich mir von der Reihe er‐ hoffe, denn es bringt eine geruhsame Vertrautheit mit sich. Sie befriedigt allein durch ihre Existenz und die Möglichkeit zu Aktivität. Aber ich muss den ‚Content‘ nicht durchspielen. Der Ehrgeiz, in einem Rollenspiel alle Aufgaben zu lösen, die beste Ausrüstung zu finden und viele, optimal verteilte Skillpunkte zu haben, um in irgendwelchen Kämpfen mithalten zu können, war bei mir schon immer nur gering ausgeprägt – milerweile habe ich ihn ganz hinter mir gelassen. Aber warum spiele ich diese Reihe dann? Die Elder Scrolls-Spiele sind ja nur schwerlich als Kunstwerke anzusehen, wenn wir an den Kunstbegriff die schon erwähnte De‐ finition von Daniel Martin Feige anlegen, nach der ein Spiel dann Kunst wäre, wenn wir uns darin selbst durchspielen können (Feige 2015, 173; vgl. Kasten in Kapitel 5). Letztlich ist es einfach: Die re‐ gelmäßige Rückkehr nach Tamriel ist wie die Reise an die Ostsee, in den Schwarz‐ wald oder ans Mielmeer – Urlaub vom Alltag, mit schönen Landschaen, ent‐ spannenden Atmosphären, teils amüsan‐ skurrilen, manchmal ten, teils philosophisch interessanten Texten, und in der Regel bedeutungslosen Kontakten (vgl. Bukewitz 2020, 8) zu anderen Spielfiguren und Mitspieler*innen. Diese Spiele, die man eigentlich als ‚heiße‘ Ge‐ neratoren zu lösender Problemkonstella‐ tionen ansehen müsste, sind ür mich ‚kalt‘ geworden. ‚Heiße‘ Problemkonstellationsgenera‐ toren – was ür ein Begriff, der schon in Klang und Form die Assoziation an die „unsichtbare Maschine im Compu‐ ter“ (wie der Soziologe Niklas Luhmann das einst ausdrückte) erweckt, und die von Christian Huberts (2010) anhand von Fable so schön durchdekliniert wurde (vgl. Kapitel 8.1). Was heißt das bei unse‐ rem Beispiel konkret? Nehmen wir einmal meinen ‚Charak‐ ter‘ oder ‚Avatar‘, das heißt die von mir erstellte Figur in e Elder Scrolls Online.
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Ich weiß gerade ehrlich gesagt gar nicht, wo ich mich in Tamriel derzeit befinde, denn ich habe das Spiel mehrere Monate nicht mehr benutzt. Aber irgendwo wer‐ de ich schon sein, und ich weiß, dass ich beim nächsten Einloggen nur kurz auf die Landkarte schauen muss, um mir die nächste Aufgabe herauszusuchen. Be‐ stimmt muss ich irgendeinen dunklen Kult verjagen, irgendwen aus der Gewalt von Piraten befreien oder irgendwo ein‐ brechen, um Informationen ür irgendei‐ ne*n Herrscher*in zu beschaffen – irgendetwas in dieser Art wird es wohl sein. Irgendetwas. Das Spiel hält mich ga‐ rantiert beschäigt. Obwohl das Spiel da‐ bei immer wieder kleine, ür sich gesehen unterhaltsame, manchmal sogar emotional berührende, Geschichten er‐ zählt, sind diese doch nur austauschbare, sich stets ähnelnde Anlässe ür Ge‐ schäigkeit, die sich am Ende in Form numerischer Repräsentationen nieder‐ schlagen. Ist eine Aufgabe gelöst – herrscht endlich Friede in einem Dorf oder ist der gerade aktuelle Dämon be‐ siegt –, dann wartet um die Ecke schon die nächste est, und immer neue Er‐ weiterungen lassen die Arbeit nie enden. Im normalen Spielalltag bleibt da kaum Zeit, die Atmosphäre des Spiels aufzu‐ nehmen. Wir sind ständig mit Einzel‐ schrien von Problemlösungen beschäigt; das große Ganze tri in den Hintergrund. Bis wir uns entschließen, dass es nicht so sein muss. Anders als im echten Alltag, in dem wir uns o nur schwer Verpflichtungen entziehen können, kön‐ nen wir im Spiel die bewusste Entschei‐ dung treffen, „einfach mal die Landscha [zu] genießen“ (Klager 2013) – und in diesem Modus verbleiben. Ich will also Greymoor spielen. Aber der Server lässt mich nicht. Wie so o am ersten Tag mit einer neuen Erweite‐ rung, was ich häe ahnen müssen. Und doch bin ich enäuscht, denn ich hae wirklich Lust darauf. Ich wollte neue alte Landschaen erkunden, Bekanntes an‐
ders interpretiert wiederentdecken, aber dabei die Gewissheit bestätigt sehen, dass sich nichts radikal geändert hat. Ein „Text der Lust“ ist mit Barthes „an eine behagliche Praxis der Lektüre gebun‐ den“ (Barthes 2016b, 22). Wir können ‚Text‘ durch ‚Medium‘ verallgemeinern oder durch ‚Spiel‘ präzisieren, ‚Lektüre‘ durch ‚Rezeption‘ oder ‚Interaktivität‘. Die Lust am Spiel (am Text, am Film, am Song, …) verscha Befriedigung, gerade weil es an Bekanntes anknüp und nichts Neues versucht. Wir erfreuen uns an mechanischen, audiovisuellen und narrativen Bezügen zu einer Spieltraditi‐ on (Rezeptionstradition), vor der wir uns als Kenner*in selbst bestätigen. Dem „Text der Lust“ stellt Barthes den „Text der Wollust“ gegenüber (ebd.), und wieder können wir Text durch ‚Me‐ dium‘ verallgemeinern oder durch ‚Spiel‘ präzisieren. Der „Text der Wollust“ berei‐ tet „Unbehagen“ (ebd.), kann sogar lang‐ weilen (ebd.), hat aber das Potenzial, unsere „Vorlieben […] Werte und […] Er‐ innerungen [zu] erschüer[n]“ (ebd.). Wir können uns in ihm verlieren (ebd.). Es ist nicht schwer, Lust mit dem ‚hei‐ ßen‘ Spiel zu identifizieren, Wollust mit dem ‚kalten‘ Spiel. Im ‚heißen‘ Spiel erle‐ ben wir uns als Nutzer*innen, die mühe‐ los den Anforderungen genügen, welche die Regel- und Codesysteme an uns stel‐ len. Weil unser Handeln reglementiert ist, und wir diese Regeln kennen, glauben wir, Kontrolle zu haben. Wir sind spiele‐ risches Subjekt, das „die Beständigkeit seines Ich [genießt] (das ist seine Lust)“ (ebd.). Vom ‚kalten‘ Spiel hinge‐ gen, dessen Offenheit und Leerstellen wir uns stellen, die wir aushalten müssen, wenn wir es spielen wollen, werden wir verunsichert. Welche Regeln gelten, was ist möglich und erlaubt, und was wollen wir überhaupt? Im ‚kalten‘ Spiel sucht das spielerische Subjekt „seinen Verlust (das ist seine Wollust)“ (ebd.) oder muss sich wenigstens erst finden. Während wir das ‚heiße‘ Spiel genau analysieren können, ällt dies beim ‚kal‐
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ten‘ Spiel schwer. Eine Situation würde zerlegt in Einzelteile, sie zerfiele zur blo‐ ßen Konstellation: „die Lust ist sagbar, die Wollust nicht“ (ebd., 32). Darum fiel es der professionellen Spielkritik, etwa in Fachzeitschrien, lange Zeit so schwer, etwas Substanzielles zu jenen Spielen zu sagen, die sich von vornherein den übli‐ chen ‚heißen‘ Erwartungen widersetzen. Der Text der Wollust ist „außerhalb der Kritik“ (ebd., 33), dies gilt auch ür das ‚kalte‘ Spiel.
9.3 Echte Held*innen? In Rollenspielen wie den Elder Scrolls sind wir Held*in – nicht nur im Sinne von ‚Protagonist*in einer Geschichte‘, sondern im wörtlichen Sinne als die eine Person, die in der fiktionalen Spielwelt als Ausnahme in Erscheinung tri und die großen und kleinen Probleme aller anderen Menschen löst. Wir sammeln Kräuter und bekämpfen Drachen. Wir bringen verhinderte Liebespaare zusam‐ men und befreien ein Land vom Joch ei‐ nes bösartigen Königs. Wir sind offenbar die einzige Person, die überhaupt in der Lage ist, das Leben der anderen Leute zu regeln. Darin liegt eine gewisse Ironie, schaut man sich einmal an, was wir in so einem Spiel eigentlich tun, wie das Spiel dies aufgrei und was ein*e Held*in ei‐ gentlich ist. Mit Hannah Arendt ist das ganz spezifisch ein Mensch, die*der sich im politischen Raum als handelnde Per‐ son zeigt bzw. durch Drie so wahrge‐ nommen wird (Hild 2015, 153). Handeln ist eine Form von Tätigkeit, die Arendt speziell auf den politischen Raum bezieht und von Arbeit und Herstellen abgrenzt (ebd., 154; vgl. hierzu auch Kap. 9.4). Dar‐ um, so die Philosophin Anja Kathrin Hild über Arendt, „[müssen] vor allem Sicht‐ barkeit und Hörbarkeit [gegeben sein], damit jemand handelnd und sprechend erscheinen kann“ (ebd., 157). In einem Aufsatz zu moralischen Ent‐
scheidungen in e Elder Scrolls 5: Skyrim (Donick 2018) kritisiere ich, dass in dem Spiel zwar auf narrativer Ebene große politische Probleme angesprochen wer‐ den, wir aber als Spieler*in kaum Mög‐ lichkeit haben, handelnd, im politischen Sinne, in Erscheinung zu treten. Skyrim als fiktionales Land gehört zum Kaiser‐ reich Tamriel. Es ist vorwiegend vom Volk der Nord bewohnt, meist relativ große, stämmige, blonde, eben „nord“isch aussehende Menschen. Der große Bür‐ gerkrieg, der das Land zu zerreißen droht, wird im Spiel in geskripteten Dia‐ logen zwischen Nichtspielerfiguren (NP‐ Cs), fiktional-historischen Texten sowie kontextualisierenden ests dargestellt. Auslöser des Bürgerkriegs war ein Frie‐ densvertrag, den das Kaiserreich mit ei‐ nem anderen großen Reich, dem Aldmeri Dominion, schließen musste. Darin wur‐ de die Verehrung des Goes Talos verbo‐ ten. Talos war in der Spielreihe ursprünglich der menschliche Kaiser Ti‐ ber Septim und wurde später vergölicht (vgl. Kapitel 6.4). Diese Gölichkeit wur‐ de von den Aldmer nicht anerkannt, aber ür die Nord ist Talos der wichtigste der neun Göer. Dessen Verbot im Kaiser‐ reich war letztlich Anlass ür den Bür‐ gerkrieg. Die geschilderte Ausgangssituation böte eigentlich großes Potenzial, Fragen politischer und religiöser Freiheit sowie der individuellen Rolle in einer Kriegssi‐ tuation zu erkunden. Doch ür uns stellt sich der Krieg vor allem als Entscheidung ür die eine oder die andere Kriegspartei dar. Wir können uns den nationalisti‐ schen Sturmmänteln (Stormcloaks) an‐ schließen, die ür die Unabhängigkeit Skyrims vom Kaiserreich, die Verehrung Talos‘ und eine Rückkehr zu älteren, vor‐ geblich besseren Zeiten kämpfen. Alter‐ nativ stellen wir uns auf die Seite des Kaiserreichs, um dessen Einheit sicherzu‐ stellen und gegen den Rassismus der Stormcloaks anzugehen. Oder (auch dies ist möglich), wir mischen uns nicht wei‐ ter in den Krieg ein, sind nur am Rande
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betroffene Zuschauer*in, während wir anderen Aufgaben nachgehen (zu tun gibt es wie immer genug). Die Entschei‐ dung ür eine der beiden Seiten des Bür‐ gerkriegs ührt dazu, dass bestimmte Aufgaben erüllt werden müssen, vor al‐ lem die Teilnahme an Schlachten, in de‐ nen Kaiserliche gegen Stormcloaks kämpfen. Am Ende gibt es dann ein Er‐ gebnis, bei dem idealerweise die Seite ge‐ winnt, ür die wir uns entschieden haben. Eine Möglichkeit, außerhalb die‐ ser Entscheidung einen Beitrag zu der politischen Situation zu leisten, gibt es nicht. Entweder wir kämpfen mit, oder wir ignorieren diesen Teil des Spiels. Wir können keine politische Lösung ür den Konflikt anstreben, wir können nicht di‐ plomatisch intervenieren, wir können auch nicht einzelne Individuen dazu bringen, den Krieg einfach ausfallen zu lassen. Ein Ausbrechen aus dem festge‐ legten Ablauf von Spielmechanik und Narration ist nicht möglich, dies aber wäre nötig, wenn wir etwa das Spiel da‐ zu nutzen wollten, unser eigenes Han‐ deln – im politischen Sinne – zu erkunden. Der Bürgerkrieg in Skyrim ist immer ‚heiß‘ in Huberts‘ Sinne: Wenn wir diesen Teil des Spiels spielen, dann nur auf den vorgegebenen Bahnen, als narrativ detailreiche, aber bequem kon‐ sumierbare interaktive Erzählung. Spiel‐ begleitend und außerhalb des Spiels können wir natürlich darüber reflektie‐ ren, aber innerhalb des Computerpro‐ gramms können wir keinen Unterschied machen. Wir können kein*e Held*in sein. Auch im kleinen Rahmen geht dies in Skyrim nicht – auch ‚Held*in des Alltags‘ können wir nicht werden. Dies liegt dar‐ an, dass wir uns nicht entschließen müs‐ sen, als Held*in in Erscheinung zu treten. Die im Spiel gestellten Probleme nehmen uns die Entscheidung ab. Alles im Spiel dreht sich um uns, wir werden von den anderen Figuren stets aktiv um Hilfe ge‐ beten. Die im echten Leben nötige, o schwierige Entscheidung zum Handeln, wenn es gesellschalich geboten er‐
scheint, auch gegen Widerstände und im Angesicht der Ablehnung oder gar der Gefahr – diese Entscheidung wird uns im Spiel nicht abverlangt, sondern abge‐ nommen. Es ist leicht, Held*in zu spielen, und das eigentlich vorhandene Potenzial des Spieles, uns die Notwendigkeit und die Schwierigkeit von Handeln (im politi‐ schen Sinne) nahezulegen (und uns so auch Reflexionspotenzial anzubieten, das über das Spiel hinaus verweist), ist ver‐ schenkt. Wie aber sieht es aus, wenn wir ent‐ gegen der Spielmechanik handeln wollen, weil das Spiel uns beispielsweise narrativ Situationen darbietet, in denen wir – wä‐ ren sie real – auf jeden Fall eingreifen müssten? In der Stadt Windhelm (Haupt‐ stadt der Stormcloak-Rebellion in Sky‐ rim) wird eine als Flüchtling nach Windhelm gekommene Dunmer (eine ‚Dunkelelfin‘) von einem Nord rassistisch belästigt, als Spion des Kaiserreichs be‐ schimp und verbal bedroht. Wir bekom‐ men das mit, kurz nachdem wir die Stadt das erste Mal betreten. Erzählerisch baut das eine bedrückende Atmosphäre auf, gegen die ich eigentlich etwas tun wollte. Dahingehend vielversprechend war die folgende Aussage des rassistischen Nord: ‘Every night I wander around the Gray arter and let them gray-skins know what I think of them’. Als ich das hörte, wollte ich den Nord des Nachts abpassen und ihn bekämpfen, damit er künig nie‐ manden mehr beleidigen und bedrohen kann. Ich wollte mich also von den pro‐ grammseitig implementierten Möglich‐ keiten lösen und selbstständig handeln, in dem politischen Kontext, den das Spiel selbst erst aufmachte. Dass ich hier zu Gewalt greifen wollte, lag daran, dass ein sinnvolles Gespräch mit dem Nord nicht möglich war. Doch nicht einmal Gewalt war eine Lösung. Denn der Nord war un‐ besiegbar, und das nicht etwa, weil das Spiel damit eine politische Aussage ma‐ chen wollte (zum Beispiel: ‚Der Kampf gegen Rassismus endet nie‘ oder ‚Gewalt ist keine Lösung‘), sondern weil die Figur
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rein spielmechanisch noch als eines von vielen Opfern einer Taschendiebstahlest gebraucht wurde. So können wir zwar immer wieder und wieder gegen den Nord kämpfen, ihn aber nicht besie‐ gen und nichts an seinen rassistischen Einstellungen und Verhaltensweisen än‐ dern, weil das eben in der Implementie‐ rung nicht vorgesehen ist. Und weil wir gegen die Implementierung nicht ankom‐ men, können wir wieder kein*e Held*in sein. Nun spielen wir Skyrim aber sowieso allein. Es lässt sich dort keine politische Öffentlichkeit aus anderen Menschen herstellen; selbst wenn wir in der ge‐ schilderten Szene etwas gegen den ras‐ sistischen Nord häen unternehmen können, oder den Bürgerkrieg anders als geplant beeinflussen, wären es doch kei‐ ne echten Handlungen in Arendts Sinne gewesen, sondern bestenfalls symboli‐ sche Simulationen solcher Handlungen. Aber wie sieht es in einem MehrspielerTitel wie e Elder Scrolls Online aus (das ich hier auch stellvertretend ür andere MMOs wie World of Warcra nenne)? In so einem Spiel sind hunderte bis tausen‐ de Spieler*innen gleichzeitig in derselben Spielwelt unterwegs, aber grundsätzlich lösen sie alle dieselben Aufgaben. Gerade bei e Elder Scrolls Online ällt dies auf, weil das Spiel zwar ein MMO ist, aber doch sehr viele Einzelspielerinhalte bie‐ tet. Jede*r einzelne der Spieler*innen wird vom Spiel als Held*in angesprochen, als gäbe es all die anderen nicht. So kommt es immer wieder zu dem nicht sehr at‐ mosphärischen Phänomen, dass wir qua‐ si in der Schlange stehen, bis wir dran sind, den gerade relevanten Endgegner zu besiegen, oder dass große Mengen von Spieler*innen um ein*e Auraggeber*in versammelt sind, um sich die nächste Aufgabe oder die Belohnung abzuholen. In solchen Momenten werden andere Spieler*innen eher als Störung empfun‐ den – nicht nur optisch (weil es teilweise sehr eigenartige Geschmäcker bezüglich
der eigenen Avatargestaltung gibt) und namentlich (weil dieselben eigenartigen Geschmäcker auch zu manch auälligen Avatarnamen ühren), sondern vor allem, weil sie den Held*innenstatus, den uns das Spiel narrativ ständig weismachen will, ad absurdum ühren. Das Spiel ist voll mit anderen Spieler*innen, aber die sind kein öffentlicher Raum, in dem wir als Held*in der Spielwelt in Erscheinung treten können. Die anderen Spieler*innen nehmen uns nicht als Held*in wahr, weil sie selbst ebenfalls Held*in sein wollen. Der Begriff ‚Held*in' wird in OpenWorld-Spielen und MMOs entwertet, so‐ wohl in narrativem Sinne, aber gesell‐ schalich sowieso. Die Aktivität in einem MMO wird erst dann zu Handeln in Arendts politischem Sinne, wenn es nicht mehr die fiktiven Spielinhalte betri, sondern sich direkt auf die spielenden Menschen bezieht. Spieler*innen sehen sich, können miteinander reden und schreiben, wobei jegliche Inhalte möglich sind, wie bei anderen Formen computer‐ vermielter Kommunikation auch. Kom‐ muniziert wird außer in speziellen Rollenspielgruppen oder auf Rollenspiel‐ servern in der Regel ‚out of character‘, das heißt, man spricht als Spieler*in, nicht in der gespielten Rolle. Würden wir etwa beobachten, wie ein*e Mitspieler*in im Chat oder im TeamSpeak gemobbt wird, könnten wir eingreifen, genauso wie wir gegen zweifelhae politische Meinungen und Verschwörungstheorien unser Wort erheben könnten – auf die‐ selbe Weise, wie wir das auch in der Schule, der Universität, dem Supermarkt, im Büro oder im Sportverein tun können und sollten. Solche Interventionen wären im vir‐ tuellen Rahmen eines MMOs zwar relativ risikolos ür uns, aber sie wären doch Handeln im gesellschalich relevanten, politischen Sinne. Dann wären wir sogar ein bisschen echte Held*innen.
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9.4 Menschsein Während ich weiter an diesem Kapitel schreibe, wurde, mal wieder, Weltraum‐ geschichte geschrieben. Die Raumfahrt war lange Zeit eine Domäne staatlicher Aktivität, aber am 31.05.2020 hat das ers‐ te Mal ein privatwirtschalich geplantes und gebautes Raumfahrzeug an der In‐ ternationalen Raumstation (ISS) ange‐ dockt. Gebaut wurde die Raumkapsel Crew Dragon von der Firma SpaceX des US-amerikanischen Unternehmers Elon Musk. Nüchtern betrachtet, ist SpaceX damit nichts anderes gelungen als etwas, das schon seit Jahrzehnten praktiziert wird – ein paar Menschen werden an der Spitze einer Rakete, gefangen in einer engen Kapsel ohne Bewegungsfreiheit, vollautomatisiert an einen Ort gebracht, um dort vor allem wissenschaliche Ex‐ perimente in der Schwerelosigkeit vorzu‐ nehmen (oder die Voraussetzungen daür sicherzustellen). Aufsehen erregend war allein, dass dieses Mal ein privates Unternehmen fe‐ derührend war und dass sehr viel Wert auf Optik gelegt wurde. Sta klobiger unörmiger Raumanzüge trugen die bei‐ den Astronauten vergleichsweise elegan‐ te weiß-graue Raumanzüge, die auch aus einem Science-Fiction-Film wie 2001: Odyssee im Weltraum (1968) oder Inter‐ stellar (2016) stammen könnten. Zur Startrampe fuhren sie in einem farblich abgestimmten Elektroauto von Musks anderer Firma Tesla. Und das Innere der Raumkapsel, mit ihren glaen abgerun‐ deten Flächen, der indirekten Beleuch‐ tung und den blauen Touchscreens ähnelte eher dem Inneren eines kleines Business-Jets als den immer etwas im‐ provisiert wirkenden Raumschiffen frü‐ herer Tage. Der Astronaut Christopher J. Cassidy, der seine beiden Kollegen an Bord der ISS in Empfang nahm, sagte ei‐ nige Stunden nach dem Andocken in ei‐ ner Fragestunde, dass das Innere der Crew Dragon wie ein brandneues Auto riechen würde. So schließt sich der Kreis
zu Elon Musks wirtschalichen Unter‐ nehmungen und es wird deutlich, auf welche Ebene hier Raumfahrtgeschichte geschrieben wurde. Menschen ins All zu bringen – we‐ nigstens in einen erdnahen Orbit – ist heute nicht mehr das große Problem. Dies aber auf eine Weise zu tun, die so‐ wohl Science-Fiction-Visionen aufgrei als auch an moderne Alltagstechnologie erinnert, ist neu. Die Botscha der Reise der Crew Dragon ist, dass die Privatwirt‐ scha Raumfahrt mindestens genauso gut kann wie staatliche Organisationen, und das günstiger, komfortabler und araktiver. Und das wiederum stellt Raumfahrt nicht mehr als eher abstrakte, nur wissenschalich oder militärisch be‐ deutsame Unternehmung dar, sondern lässt sie auch ür wirtschaliche Zwecke erreichbar erscheinen. In ihrem Buch „Vita Activa“ (1958) verbindet die Philosophin Hannah Arendt die Gebundenheit der Menschen an den Planeten Erde mit der „conditio humana“, den Bedingungen des Mensch‐ seins. Arendt geht vom ersten menschli‐ chen künstlichen Satelliten Sputnik aus, der 1957 von der ehemaligen Sowjetuni‐ on ins All geschossen wurde – ein Ereig‐ nis, das Arendt ür so bedeutsam wie kein zweites in der Menschheitsgeschich‐ te einschätzte (Arendt 2018, Pos. 423). Die Erde, so Arendt, sei die intes‐ senz der Bedingungen des Menschseins (ebd., Pos. 440), denn nur auf der Erde können Menschen sich ohne Aufwand bewegen und atmen (ebd.). Und doch strebe der Mensch danach, diese Bedin‐ gungen hinter sich zu lassen – die Erde selbst und die Natürlichkeit des Lebens (ebd.). Der „künige Mensch“ (ebd.) sei von einer „Rebellion gegen die menschli‐ che Existenz“ (ebd.) besessen. Er wolle sie austauschen gegen etwas, das er selbst erschaffen hae. Aber die daür nötigen wissenschalichen Entwicklungen ließen sich kaum noch ausdrücken. Sie könnten zwar in mathematischen Formeln de‐ monstriert oder technologisch bewiesen
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werden (ebd.), seien aber so komplex, dass wir erdgebundene Wesen sie kaum noch nachvollziehen oder darüber spre‐ chen könnten. Arendt vermutet, dass wir uns daür künstliche Maschinen er‐ schaffen würden, die unser Denken und Sprechen übernehmen (ebd., Pos. 461). Arendts Überlegungen erinnern uns heu‐ te an die aktuellen Entwicklungen Künstlicher Intelligenz (KI). Mit dem Begriff „Vita Activa“ be‐ zeichnet Arendt drei Formen menschli‐ Aktivität: cher Arbeit („labor“), Herstellen („work“) und Handlung („acti‐ on“), die alle zu je spezifischen Kontexten gehören (ebd., Pos. 513). Die Arbeit be‐ zieht sich auf das biologische Leben des menschlichen Körpers (ebd.). Das Her‐ stellen bezieht sich auf die Künstlichkeit der Welt der Dinge, die die Menschen sich schaffen (ebd.). Das Handeln bezieht sich auf das Zusammenleben der Men‐ schen miteinander, auf der Erde, und da‐ mit auf das politische Leben (ebd.). Die drei Formen der Aktivität hängen eng zusammen, insofern sie alle mit Geburt und Tod verknüp sind (ebd., Pos. 533). Arbeit sorge ür das Überleben von Indi‐ viduum und Spezies (ebd.); das Herstel‐ len (von dauerhaen Dingen) wirke der Sinnlosigkeit des vergänglichen Lebens entgegen (ebd.); die Handlung lege die Bedingungen des Erinnerns fest (ebd.). Dies sind die grundlegenden Bedingun‐ gen, denen das Menschsein unterliegt, wenngleich die Menschen sich durch die Arbeit, das Herstellen und die Handlun‐ gen laufend weitere Bedingungen schaffen (ebd.). Deswegen sei, so Arendt, die Konsumgesellscha, die man schon zu Arendts Zeit postuliert hae, in Wahrheit eine Arbeitsgesellscha (denn Arbeit und Konsum sind zwei Stufen desselben Prozesses, ebd., Pos. 2134). Doch nicht der sprichwörtliche „ho‐ mo faber“, der herstellende Mensch, der die Dinge auch um ihrer selbst wert‐ schätzt, nähme die höchste Position in der Vita Activa ein. Stadessen sei er nach seinem Aufstieg in der Moderne
bald durch das „animal laborans“, das „arbeitende Tier“, verdrängt worden (ebd., Pos. 4800), dessen Aktivität sich auf die Sicherung seiner Existenz beschränkt (ebd.); der herstellende Mensch schaffe daür nur die Werkzeuge, und ihr Wert werde danach bemessen, ob diese nütz‐ lich seien – ob sie Produktivität ördern und Schmerz und Aufwand reduzieren (ebd.). Der „ultimative“ Maßstab daür sei Glück („happiness“) als Menge von Schmerz und Vergnügen, den wir bei der Produktion oder dem Konsum von Din‐ gen erfahren (ebd.). Obwohl der visuelle Stil, den das Un‐ ternehmen SpaceX pflegt, an Science-Fic‐ tion-Visionen erinnert, fehlt dabei doch der handelnde Aspekt. In Romanen wie 2001: Odyssee im Weltraum oder im Film Interstellar geht es neben der technolo‐ Entwicklung gisch-wissenschalichen auch um das Menschsein an sich – in 2001, wenn sich der Astronaut Dave Bowman erst mit HAL, der Künstlichen Intelligenz des Bordcomputers auseinan‐ dersetzen muss und am Ende des Romans als „Sternenkind“ frei durch das All reist (im gleichnamigen Film ist das etwas an‐ ders gelöst); in Interstellar, wo nicht nur die Frage zu klären ist, was die Mensch‐ heit tut, wenn die Erde als Grundbedin‐ gung des Menschseins nicht mehr in Frage kommt, sondern wo auch physika‐ lische eorien der Multidimensionalität thematisiert werden (die ja ebenfalls eine völlig andere Perspektive als unsere All‐ tagswahrnehmung bieten). Wie gesagt: Der Stil, den das Unternehmen SpaceX in seiner Demonstration im Mai 2020 zeigte, erinnert an den visuellen Stil der genann‐ ten Medien. Aber eine tiefere, die Welt als Ganzes umspannende Handlung ist nicht erkennbar. Letztlich ging es darum, der Welt zu zeigen, dass die USA ‚wieder da‘ sind („Launch America“) und um die selbstsynergetische Inszenierung der Wirtschasunternehmen eines Unter‐ nehmers. Wenn wir allein nach der Spielme‐ chanik und der Erzählung urteilen, dann
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Einsam schwebt das kathedralenha e Mutterschiff in Homeworld (1999, Abb. 9.1 im Bild das Remaster von 2015) durch das All. Knapp 3.000 Jahre lebten die Menschen auf dem Wüstenplaneten Kharak, bis sie dank wiederentdeckter Raumfahrt feststellen, dass sie eigentlich aus einem anderen Teil des All stammen, von Hiigara (Heimat). Das Mutterschiff beschützt die Menschen auf ihrem folgenden, langen Exodus.
wirken Computerspiele mit Weltraumt‐ hematik in dieser Hinsicht zunächst ähn‐ lich seicht. Der Traum von einer besseren Welt (vgl. Kapitel 6.5) ist vor allem der von Wachstum, Eroberung und Siche‐ rung des Eroberten – in Arendts Katego‐ rien betri das Arbeit und Herstellen, nicht (politische) Handlung. Wenn wir in X4: Foundations (Abb. 9.1) Raumschiffe und Raumstationen bauen und damit Handel treiben, dann arbeiten wir am materiellen Glück unseres virtuellen Al‐ ter Ego. Ähnlich ist es, wenn wir im Weltraum-MMO Eve Online in gewalti‐ gen Massenschlachten mit und gegen an‐ dere Spieler*innen kämpfen. Oder wenn wir im Strategiespiel Stellaris eine Welt nach der anderen kolonisieren. Die Rolle des Menschen als erdgebundenes Wesen wird kaum reflektiert bzw. laden die Spiele nur wenig zu dieser Reflexion ein. Doch zwei Ausnahmen sehe ich. Da ist zum einen No Man’s Sky (2016), das schon durch seinen Titel ausdrückt, dass der Weltraum kein Ort ür Men‐
schen, Niemandsland, ist. In dem Spiel werden wir zu Beginn auf einem zuällig generierten Planeten ausgesetzt und müssen unter harschen Umweltbedin‐ gungen um unser Überleben kämpfen – es geht um Sauerstoff, Wasser, Nahrung, Unterschlupf. Bis auf einige außerirdischfremdartige Pflanzen und Tiere sind wir die meiste Zeit allein. Visuell ist das Spiel zwar quietschbunt gestaltet, aber doch entsteht eine Atmosphäre von Einsam‐ keit, Verlorenheit und Gefahr – nicht we‐ gen irgendwelcher Feinde, sondern wegen der menschenabweisenden Umge‐ bung. Auch hier fehlt das politische Han‐ deln, aber immerhin kommt uns der Faktor ‚Planet‘ als Grundbedingung menschlicher Existenz sehr nahe. Es ühlt sich eigentümlich an, einem Sauerstoff‐ mangel oder einer zu starken schädlichen Strahlung gerade so zu entkommen, in‐ dem wir uns in das kleine Cockpit unse‐ res eigenen Raumschiffs reen. Die andere bemerkenswerte Ausnah‐ me sehe ich im Strategiespiel Homeworld
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(1999, Abb. 9.1). In einer offensichtlichen Referenz an die biblische Geschichte vom Exodus sowie an die Science-Fiction-Se‐ rie Balestar Galactica (1978; 2004-2009) geht es in dem Spiel um den Exodus un‐ seres Volkes von Kharak, einem Wüsten‐ planeten, auf dem wir seit tausenden Jahren leben. Dieser Planet ist nicht un‐ sere Heimat, aber das haben wir verges‐ sen. Die Menschen leben in vielen, teils miteinander verfeindeten Stämmen, auf dieser kargen Welt, die eigentlich gar nicht wie geschaffen ür sie erscheint – sie existieren, aber außerhalb ihrer ei‐ gentlichen conditio humana. Dank der Wiederentdeckung der Raumfahrt und daraus folgender archäologischer Entde‐ ckungen wird den Menschen jedoch klar, dass sie in Wahrheit von einem anderen Planeten im tiefen Weltraum stammen, von Hiigara, übersetzt schlicht: Heimat. Also vereinen sich die einzelnen Stämme und bereiten eine Reise nach Hiigara vor. Zu Spielbeginn machen wir uns mit un‐ seren Schiffen auf und erwehren uns da‐ bei diverser Gegner. Spielmechanisch ist das als eine Reihe von Kampfszenarien ausgeührt, bei denen unsere Raum‐ schifffloe gegen computergesteuerte gegnerische Floen kämpfen, während wir uns Hyperraumsprung ür Hyper‐ raumsprung langsam Hiigara nähern. Beim Spielen von Homeworld ist eine wehmütige und zugleich hoffnungsvolle Atmosphäre wahrzunehmen. Beim Vor‐ spann des Spiels, der den Test und Start des riesigen Muerschiffs zeigt, wird Sa‐ muel Barbers Musikstück Adagio for Strings (1938) gespielt, was gleicherma‐ ßen Auruchstimmung und Einsamkeit des Alls ausdrückt. Indem wir das Muerschiff und die Floe der Mensch‐ heit steuern, bringen wir sie zurück nach Hause – wir erlösen sie von einer Jahr‐ tausende alten Verirrung.
Sein“ (1976) erkennen. Fromm beurteilte uns als „eine Gesellscha notorisch un‐ glücklicher Menschen: einsam, von Ängsten gequält, deprimiert, destruktiv, abhängig“ (Fromm 2015b, Pos. 165-181). Laut Fromm „ühren [wir] gegenwärtig das größte je unternommene gesell‐ schaliche Experiment zur Beantwor‐ tung der Frage durch, ob Vergnügen (als passiver Affekt im Gegensatz zu den ak‐ tiven Affekten Wohl-Sein und Freude) ei‐ des befriedigende Lösung ne menschlichen Existenzproblems sein kann“ (ebd., Pos. 181). Obwohl diese Beschreibung immer noch Gültigkeit beanspruchen kann, stellte Fromm schon damals fest: „Das Experiment hat die Frage bereits mit nein beantwortet.“ (ebd.) In seinem Buch stell‐ te Fromm zwei menschliche Existenzwei‐ sen gegenüber, die sich in konkreten Gesellschaen manifestieren, die Exis‐ tenzweise des Habens und die Existenz‐ des Seins. Erstere misst weise persönlichem Eigentum höchsten Stel‐ lenwert bei – nicht nur auf materiellen Besitz bezogen, sondern auch in Bezug auf persönliche Identität (unser eigener Körper, unser Name, unser Status, unser Wissen und Können), auf die Beziehung zu anderen Menschen (mein Arzt, mein Anlageberater, meine Ehefrau) und auf Ideen, Überzeugungen und Gewohnhei‐ ten (ebd., Pos. 1142-1213). Die Besitzbe‐ ziehung bezeichnete Fromm als „tot, nicht lebendig“ (ebd., Pos. 1285). Entspre‐ chend „[erfordert] der Besitz von Pri‐ vateigentum Macht, um es vor jenen zu schützen, die es uns wegnehmen wol‐ len“ (ebd., Pos. 1339). Dazu „ist Gewalt‐ anwendung nötig“ (ebd.). Daher „[findet] in der Existenzweise des Habens der Mensch sein Glück […] in seiner Fähig‐ keit, zu erobern, zu rauben und zu tö‐ ten“ (ebd.). Die in Kapitel 8 erwähnten Compu‐ Was Arendts Beobachtungen zu Konsum terspiele, in denen Wachstumsideale und Arbeit ganz praktisch bedeuten, fortgeschrieben werden, sind Ausdruck können wir mit mit Erich Fromms be‐ der Existenzweise des Habens und stellen kanntestem Werk „Haben oder diese Existenzweise als normal und er‐ 129
strebenswert dar; Spiele kriegerischen Inhalts verweisen auf die Gewaltanwen‐ dung, die zur Existenzweise des Habens gehört. In solchen Spielen sind wir ‚ge‐ schäig‘ in Fromms Sinne, wir vollziehen viele Aktivitäten, die dem Wachstum, der Ausbreitung oder der Verteidigung des Erarbeiteten dienen. Fromm bezeichnet Geschäigkeit auch als „entfremdet[e] Aktivität“ (ebd., 1488), bei der wir vor allem das Ergebnis der Tätigkeit erfahren, aber nicht uns selbst als tätiges Subjekt wahrnehmen würden (ebd.). Dies zeigt sich etwa, wenn wir uns in einem Auauspiel von seiner Spielmechanik treiben lassen, beispiels‐ weise in Cities Skylines einen neuen Stadeil errichten, nicht weil wir damit bestimmte Vorstellungen von Stadtpla‐ nung verbinden, sondern weil das Spiel uns mieilt, dass bestimmte Parameter nicht gut aussehen und wir durch mehr Wachstum versuchen, diese wieder in den grünen Bereich zu bekommen. Hier sind wir von der Spielmechanik getrie‐ ben; wir tun mehr oder weniger mecha‐ nisch das, was sie von uns verlangt, ansta selbstwirksam ein Problem zu lö‐ sen: „äußere Kräe handeln durch mich“, wie Fromm schreibt (ebd.). In seinem Buch stellt Fromm der Existenzweise des Habens als positive Alternative die Existenzweise des Seins gegenüber, in der wir unser Glück nicht im Besitz, sondern im Erlebnis (ebd., Pos. 1433) von „Lieben, Teilen, Geben“ (ebd., Pos. 1339) finden. Dies sei kaum be‐ schreibbar, und ein Ich nie in Gänze ür eine andere Person erfassbar. Nur durch erlebte gegenseitig Kommunikation (Fromm schreibt: „durch den Prozess le‐ bendigen Aufeinander-Bezogenseins“, ebd., Pos. 1433) könne es eine Annähe‐ rung geben. Alles, was man über eine be‐ stimmte an konkreten Person Beschreibungen geben kann, drückt doch nicht aus, wer diese Person wirklich ist. Und kein Erlebnis kann man adäquat mit Worten wiedergeben. „Sein [ist] nicht mit Worten beschreibbar“ (ebd.). Mit dem
Phänomenologen Hermann Schmitz: Wir würden durch Beschreibungen nur Ele‐ mente einer Konstellation ausmachen, aber die individuelle Situation der Person trotzdem nicht greifen. Dies ist ganz an‐ ders als beim Haben, wo wir unseren Be‐ sitz in konkrete, zähl- und messbare Posten aufschlüsseln und bewerten kön‐ nen, was aber „das tote Wort“ (ebd.) sei. Der entfremdeten Geschäigkeit der Existenzweise des Habens stellt Fromm das innere Tätigsein gegenüber (ebd., Pos. 1450). Fromm gibt eine Umschrei‐ bung: „Tätigsein heißt, seinen Anlagen, seinen Talenten, dem Reichtum mensch‐ licher Gaben Ausdruck zu verlei‐ hen“ (ebd.) „Es bedeutet, sich selbst zu erneuern, zu wachsen, sich zu verströ‐ men, zu lieben, das Geängnis des eige‐ nen isolierten Ichs zu transzendieren, sich zu interessieren, zu lauschen, zu ge‐ ben.“ (ebd.) Das nicht-entfremdete, „pro‐ „eine sei Tätigsein“ duktive Manifestation meiner Kräe und Fähig‐ keiten“ (ebd.). Wenn wir produktiv tätig sind, erleben wir das Ergebnis der Aktivi‐ tät als Folge unserer eigenen Entschei‐ dungen und Handlungen, nicht als von außen auferlegt. Im Beispiel Cities Skylines wäre dies etwa das bewusste Planen und Umsetzen städtebaulicher Konzepte, wobei spielme‐ chanische Parameter zweitrangig wären; unsere eigene Vorstellung und deren kreativer Ausdruck ständen im Zentrum (genau das ist ja auch ein Reiz von Auauspielen). Für Fromm ist produkti‐ ves Tätigsein aber nicht auf die Er‐ schaffung von Dingen beschränkt. Wir können auch produktiv sein, wenn wir zum Beispiel beim Lesen eines Gedichts die Geühle nachempfinden, die darin ausgedrückt werden (ebd., Pos. 1508). Auf Computerspiele übertragen, können wir beim Erleben einer Interactive Fiction wie Will Not Let Me Go (vgl. Kapitel 7.1) produktiver sein, als beim Spiel mit ei‐ nem Auauspiel. Letztlich geht es hier wieder um die Möglichkeit, uns beim Spielen selbst nä‐
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her zu kommen; uns selbst als Menschen zu erleben oder (nochmal Feige) uns selbst durchzuspielen.
9.5 Anders spielen
• Nehmen Sie sich ein Spiel, das Sie be‐ reits gut kennen und spielen Sie es einmal anders als vorgesehen: Wer‐ den Sie zu einem dieser Leute, die in Online-Rollenspielen Blümen sam‐ meln, sta in großen Kämpfen mitzu‐ mischen; lassen Sie vorgegebene Aufgaben links liegen; schauen Sie sich die Schönheit abseits der Renn‐ strecke an, sta nach Bestzeiten zu ja‐ gen; schalten Sie Landkarten, Wegweiser und Zielmarkierungen aus und verlaufen Sie sich; optimieren Sie Ihre virtuelle Stadt, Ihr Krankenhaus, Ihr Transportunternehmen, Ihr Hoch‐ haus und so weiter nicht auf Gewinn und Effizienz, sondern auf Schönheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit; und so weiter. Kurz: Widersetzen Sie si der in Spielen o angelegten Existen‐ zweise des Habens. Sie werden dabei häufig ‚verlieren‘, aber der Weg dahin kann ür Sie gewinnbringend sein. • Spielen Sie Einzelspieler-Titel, die Sie son kennen, mit Freund*innen. Die anderen Personen neben Ihnen können Reflexionsinstanzen sein, und in der Kommunikation fallen Ihnen Aspekte am Spiel und Ihrer Rezeptionsweise auf, die Sie vorher übersehen haben. • Besorgen Sie si Modifikationen (Mods), um zu sehen, was andere Spieler*innen aus einer vorgegebenen Spielwelt und -mechanik gemacht ha‐ ben, und um zu erleben, wie veränder‐ lich ein Spiel ist oder nicht.
Computerspiele zeigen uns die ganze Bandbreite menschlichen Lebens, wie es sich uns heute darstellt oder wie wir es aus heutiger Perspektive verstehen und beurteilen. Im einfachsten Fall schreiben Spiele gegebene Perspektiven fort und lassen sie uns, o romantisierend, nach‐ spielen. Immer häufiger regen uns Spiele auch zum Nachdenken über problemati‐ sche Aspekte unseres Lebens an. Und als Kritische Spiele gibt es sogar Formen, die als aktivistisch verstanden werden kön‐ nen; die gegebene Zustände nicht bestä‐ tigen oder nur in Zweifel ziehen, sondern zum Handeln aufzufordern. Alle diese Formen haben ihre Berechtigung, denn aus allen diesen Formen können wir et‐ was über uns selbst erfahren. Die Voraussetzung daür ist, dass wir ab und an einmal anders spielen als vor‐ gesehen. Damit meine ich, dass wir Spie‐ le nicht einfach als gegeben hinnehmen und nur das tun, was das Spiel von uns verlangt, sondern dass wir auch einmal entgegen der Erwartungen aktiv werden, Fragen an das Spiel richten und das Spiel als Ressource ür die Weiterentwicklung des eigenen Urteilsvermögens und der ei‐ genen Wahrnehmungsähigkeit betrach‐ ten. Hierzu möchte ich abschließend Sie werden im Laufe dieser Schrie fest‐ einige Anregungen geben. stellen, dass Sie einen eigenen Ge‐ • Einen Unterschied kann man erst ma‐ schmack und Spielstil entwickeln und chen, wenn man einen Hintergrund Spiele nicht mehr nur als bloßes Kon‐ hat, vor dem der Unterschied sich ab‐ sumprodukt betrachten. Sie werden be‐ hebt. Gerade, wenn Sie Spielen ge‐ wusster spielen, mehr wahrnehmen und genüber skeptis eingestellt sind: spüren, was Spiele mit Ihnen machen. Spielen Sie! Und zwar so, wie vorge‐ Das arbeitsame ‚heiße‘ Spielen (Huberts) sehen. Nehmen Sie die Spiele körper‐ kühlt sich dabei ab, aber aus der bloßen lich und leiblich wahr. Seien Sie ür Lust des Spiels wird Wollust (Barthes), in den Moment unkritisch. Haben Sie der wir vom Haben-wollen zum Sein (Fromm) finden. einfach Spaß und lassen sich ein. 131
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SPIELE
Dieses Verzeichnis enthält Spiele, die in diesem Buch genannt werden oder die in Bildzitaten besprochen werden. Aufgeührt sind ENTWICKLER, Titel, Jahr und Seiten‐ zahlen in diesem Buch. Halbfett gedruckte Titel werden ausührlicher besprochen. Bei Spielen, zu denen es mehrere Teile gibt (Serien), wird entweder die Serie oder ein ein‐ zelner Titel aufgeührt, je nachdem, was im Text benannt oder besprochen wird. 2X2 GAMES / CROTEAM: Unity of Command II, 2019.........................................................21, 110 ACTIVISION: Call of Duty (Serie, seit 2003)...................................................................................7 ARTECH: Ace of the Aces, 1986......................................................................................................79 ASOBO: A Plague Tale: Innocence, 2019.......................................................................................70 ATARI: Radar Lock, 1989.................................................................................................................79 BARONE, Eric: Stardew Valley, 2016.............................................................................................34 BETHESDA: e Elder Scrolls (Serie, seit 1994)......7, 19, 29ff., 36, 43, 55f., 61f., 82ff., 121ff. BIG BLUE BOX STUDIOS: Fable, 2004........................................................................................102f. BIOWARE: Baldur's Gate, 1998..........................................................................................................3 BLACK ISLE STUDIOS / BETHESDA: Fallout (Serie, seit 1997)....................................................118 BLANK, Marc / LEBLING, David: Zork (Serie, seit 1980)............................................................40 BLIZZARD ENTERTAINMENT: Diablo (Serie, seit 1997)...............................................................103 BLIZZARD ENTERTAINMENT: Starcra, 1998....................................................................................5 BLIZZARD ENTERTAINMENT: World of Warcra, 2004...........................................2, 36, 43f., 125 BOHEMIA INTERACTIVE: ArmA 3, 2013..............................................................5, 36, 44f., 47, 55f. BÖTTNER, Bernhard: Cockpit, 1986..............................................................................................79 BULLFROG: eme Hospital, 1997..........................................................................................16, 103 BURNS, Mahew S.: Apology Simulator..................................................................................48 CAMO WORKSHOP: winSPMBT, 2001......................................................................................21, 23 137 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Donick, Let’s Play!, Über/Strom: Wegweiser durchs digitale Zeitalter, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30215-3
CAPCOM: Resident Evil (Serie, seit 1996).....................................................7, 62, 94, 98ff., 109 CATLOW, Ruth: ree Player Chess, 2003................................................................................85 CD P ROJEKT RED: e Witer (Serie, seit 2007)...............................................................7, 68f. CLOUD IMPERIUM GAMES: Star Citizen (in Entwicklung)..........................................................57 COLOSSAL ORDER: Cities Skylines...................................................................7, 15ff., 75f., 103f. CROTEAM: e Talos Principle, 2014.....................................................................10ff., 13, 72ff. CROWTHER, William: Adventure, 1976.....................................................................................38ff. CRYSTAL DYNAMICS: Tomb Raider, 2013.......................................................................................74 CYAN WORLDS: Myst, 1993.............................................................................................................40 DONTNOD: Life is Strange (Serie, seit 2015)...............................................4, 52, 58, 70, 73, 84 EAGLE DYNAMICS: Digital Combat Simulator World, 2008.......................................................24 EGOSOFT: X4: Foundations, 2018...............................................................16, 57, 64ff., 103, 128 EPIC GAMES: Fortnite, 2017............................................................................................................8f. F IRAXIS: Alpha Centauri, 1999...............................................................................................87ff. F IRAXIS: Civilization (Serie, seit 1991)......................................................3, 7, 40, 89, 103f., 128 F IRAXIS: Civilization: Beyond Earth, 2014..................................................................................87 F RONTIER DEVELOPMENTS: Elite Dangerous, 2014.......................................................................57 F URY SOFTWARE: Strategic Command WWII: World at War, 2018...................................21, 23 GENTRY, Michael: Anorhead, 1998...............................................................................41ff., 58 GIANTS SOFTWARE: Landwirtschas-Simulator (Serie, seit 2008)...........................................78 GRANADE, Stephen: Will Not Let Me Go, 2017...........................................................92ff., 130 GUZMÁN, Luis u.a.: Open General, 2012..............................................................19f., 23, 40, 114 HAGESTEDT, André: Niemandsland, 1985...................................................................................39 HELLO GAMES: No Man's Sky, 2016..........................................................................................128 ICOM SIMULATIONS: Déjà Vu: A Nightmare Comes True, 1985..............................................40 IPACS: Aerofly FS 2, 2014..............................................................................................................25 JOHN TILLER SOFTWARE: Campaign Geysburg, 2004...............................................................21 JOHN TILLER SOFTWARE: Campaign Leipzig, 2011......................................................................21 JOHN TILLER SOFTWARE: Panzer Campaign Stalingrad '42 Gold, 2017.................................113 JUTSU GAMES: 112 Operator, 2020.................................................................................................78 KOEI: Nobunaga's Ambition, 1983................................................................................................21 LAMINAR RESEARCH: X-Plane (Serie, seit 1993).................................................25ff., 45ff., 79ff. LUCASARTS: Grim Fandango, 1998...............................................................................................40 LUCASARTS: Maniac Mansion, 1987.............................................................................................40 LUCASARTS: e Secret of Monkey Island, 1990.........................................................................40 MCK INNEY: Spent, 2011...............................................................................................................85f. MAXIS: Sim City (Serie, seit 1989)............................................................7, 15ff., 75f., 103f., 105 MERETZKY, Steve: A Mind Forever Voyaging, 1985...................................................................40 MERETZKY, Steve / ADAMS, Douglas: Per Anhalter durch die Galaxis...................................40 MICROSOFT: Flight Simulator (Serie, seit 1982).................................................................24f., 79 MIECHOWSKI, Pawel: is War of Mine, 2014..........................................................................86f. MORIARTY, Brian: Trinity, 1986.....................................................................................................40 M-R-SOFTWARE: OMSI – Der Omnibussimulator, 2011............................................................78 NINJA THEORY: Hellblade: Senua's Sacrifice, 2017...................................58, 61ff., 68ff., 109 OCELOT SOCIETY: Event[0], 2016........................................................................................37ff., 40 OP ENBOOK: Sim Tower, 1994........................................................................................................15 OWNED BY GRAVITY: Fantasy General 2, 2019.............................................................................19 OXYMORON GAMES: Project Hospital, 2018..................................................................................16 PARADOX: Europa Universalis (Serie, seit 2000)....................................................................7, 18 PARADOX: Hearts of Iron (Serie, seit 2002)..................................................................................18 138
PARADOX: Stellaris, 2016..............................................................................................................87f. POPCANNIBAL: Kind Words, 2019.............................................................................................50f. POPTOP SOFTWARE / HAEMIMONT GAMES: Tropico (Serie, seit 2001).......................................15 RED DOT GAMES: Car Mechanic Simulator 2018, 2017.............................................................78 RELIC ENTERTAINMENT: Homeworld, 1997.............................................................................128f. REVOLUTION SOFTWARE: Baphomets Fluch, 1996.........................................................................40 ROCKSTAR GAMES: Grand e Auto (Serie, seit 1997)........................12, 25, 55f., 60, 81, 109 QUANTIC DREAMS: Detroit: Become Human, 2018..........................................................70, 74 SAWYER, Chris: Locomotion, 2004.....................................................................................15ff., 103 SCS STUDIOS: American Truck Simulator, 2016..................................................................78, 81 SCS STUDIOS: Euro Truck Simulator (Serie, seit 2008).............................................................78 SIERRA ENTERTAINMENT: Mystery House, 1980............................................................................40 SIMTEX: Master of Orion, 1993......................................................................................................87 SOMASIM: Project Highrise, 2016...................................................................................................15 SQUARE ENIX: Final Fantasy 7, 1997...................................................................................4, 64, 68 SSI: Allied General, 1995...............................................................................................................18 SSI: Fantasy General, 1996............................................................................................................19 SSI: Pacific General, 1997........................................................................................................18, 21 SSI: Panzer General, 1994.......................................................................................18f., 22f., 111ff. SSI: Star General, 1996...................................................................................................................20 SSI: Steel Panthers, 1995................................................................................................................23 SSI / UBISOFT: Silent Hunter (Serie, seit 1995)...........................................................................62 STARWRAITH: Evochron Legacy, 2016...........................................................................................57 STRANGE LOOP GAMES: Eco, 2018.............................................................................................104f. SUBLOGIC: FS1 Flight Simulator, 1979..........................................................................................24 SUREAI: Enderal, 2016..................................................................................................................30 SZTARK, Andy: Citystate, 2018............................................................................................15, 75ff. TEAM SILENT: Silent Hill, 1999................................................................................................61, 94 TEAM SILENT: Silent Hill 2, 2001.....................................................................................95ff., 109 TEAM SOHO: Porsche Challenge, 1997........................................................................................54f. THE ARTISTOCRATS: Order of Bale: World War II, 2015.........................................19, 112, 114 THE ASTRONAUTS: e Vanishing of Ethan Carter, 2014..........................................................11 THE CHINESE ROOM: Dear Esther, 2012........................................................................................11 THE IRREGULAR CORPORATION: PC Building Simulator, 2018...................................................78 THE LORDZ GAMES STUDIO: Panzer Corps, 2011................................................19, 23, 112f., 118 THE SIMUTRANS TEAM: Simutrans, 1999......................................................................................15 TML STUDIOS: World of Subways (Serie, seit 2008)..................................................................78 TOPLITZ PRODUCTIONS: Lumberjack's Dynasty, 2020................................................................78 TRILOBYTE: e 7th Guest, 1993.....................................................................................................40 TWO POINT STUDIOS: Two Point Hospital, 2018.................................................................16, 103 UBISOFT: Assassin's Creed Odyssey, 2018.......................................................................5f., 81, 84 URBAN GAMES: Transport Fever (Serie, seit 2016)...................................................................15f. VALVE CORPORATION: Counter-Strike, 1999...............................................................................117 WARFARESIMS: Command: Modern Operations, 2019......................................................111, 113 WHITE, David u.a.: Battle for Wesnoth, 2005................................................................20, 22f. WREDEN, Davey: e Stanley Parable, 2011...............................................................................11 YAGER DEVELOPMENT: Spec Ops: e Line, 2012.......................................................................111 ZACHTRONICS: Eliza, 2019............................................................................................4, 48ff., 70ff.
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