Lern- und Übungsbuch zur Theoretischen Physik 1.: Klassische Mechanik 9783486858426, 9783486754612

Optimale Prüfungsvorbereitung eine der größten Hürden in den ersten Semestern des Physikstudiums stellt das Pflichtfac

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German Pages 266 [267] Year 2013

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Table of contents :
Vorwort
1. Newtonsche Gesetze
1.1 Einführung
1.2 Erstes Newtonsches Gesetz
1.3 Zweites Newtonsches Gesetz
1.4 Drittes Newtonsches Gesetz
1.5 Superpositionsprinzip
2. Raumkurven und Kinematik
2.1 Parametrisierung von Raumkurven
2.1.1 Bewegung auf einer Geraden
2.1.2 Bewegung auf einem Kreis
2.1.3 Bewegung entlang einer Schraubenlinie
2.1.4 Abrollkurven
2.2 Geschwindigkeit und Beschleunigung
2.3 Bogenlänge
2.3.1 Bogenlänge des Graphen einer Funktion
2.4 Begleitendes Dreibein
2.5 Raumkurven in Polarkoordinaten
2.5.1 Die Basisvektoren der Polarkoordinaten
2.5.2 Bewegung einer Punktmasse in Polarkoordinaten
2.6 Raumkurven in Kugelkoordinaten
2.6.1 Bewegung einer Punktmasse in Kugelkoordinaten
3. Fundamentale Größen in der Mechanik
3.1 Arbeit und Energie
3.2 Potenzielle Energie
3.3 Kinetische Energie
3.4 Drehimpuls
3.5 Drehmoment
3.6 Kinetische Energie und Drehimpuls in krummlinigen Koordinatensystemen
3.6.1 Rotationsenergie einer Punktmasse
3.6.2 Vektorielle Winkelgeschwindigkeit
4. Bezugssysteme in der klassischen Mechanik
4.1 Inertialsysteme
4.2 Galilei-Transformation
4.3 Rotierende Bezugssysteme
4.3.1 Beschreibung von Drehungen
4.3.2 Scheinkräfte in rotierenden Bezugssystemen
4.3.3 Die Bedeutung der Corioliskraft
4.4 Von der Beschleunigung zum Orts-Zeit-Gesetz
5. Klassische Ein-Teilchen-Systeme
5.1 Schiefer Wurf
5.1.1 Das Orts-Zeit-Gesetz des schiefen Wurfs
5.2 Harmonischer Oszillator
5.2.1 Differenzialgleichungen und deren Lösung
5.2.2 Lösung der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators
5.2.3 Physikalische Interpretation der Lösung des harmonischen Oszillators
5.2.4 Anfangsbedingungen für den harmonischen Oszillator
5.3 Gedämpfter harmonischer Oszillator
5.3.1 Starke Reibung
5.3.2 Schwache Reibung
5.3.3 Kritische Reibung
5.4 Kepler-Problem als Einkörperproblem
5.4.1 Die Bewegung eines Planeten entlang einer Ellipse
5.4.2 Wichtigstes zu Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln
5.4.3 Die Lösung der Bewegungsgleichung
5.4.4 Effektives Potenzial
6. Erhaltungsgrößen und Erhaltungssätze
6.1 Gesamtimpuls und Impulserhaltung
6.2 Drehimpulserhaltung
6.3 Energieerhaltung
6.4 Bedeutung von Erhaltungsgrößen
6.5 Anzahl von Erhaltungsgrößen
6.5.1 Symmetrien als Ursache von Erhaltungsgrößen
7. Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme
7.1 Zweikörperproblem, Schwerpunkts- und Relativkoordinaten
7.1.1 Physikalische Diskussion des Zweikörperproblems
7.2 Stoßprozesse
7.2.1 Elastische Stöße zweier Punktmassen
7.2.2 Inelastische Stöße zweier Punktmassen
7.3 Gekoppelte Schwingungen
7.3.1 Gekoppelte Schwingungen in zwei Dimensionen
8. Mechanik ausgedehnter Körper
8.1 Von der Punktmasse zum starren Körper
8.2 Schwerpunkt und Trägheitsmoment eines starren Körpers
8.2.1 Verallgemeinerung des Trägheitsmoments
8.3 Steinerscher Satz
8.4 Energie eines rotierenden starren Körpers
8.5 Eulersche Winkel
8.6 Kreisel
8.6.1 Der kräftefreie Kreisel
8.6.2 Bewegung des Kreisels unter Einwirkung einer Kraft
8.7 Von der Schwingung zur Welle
Lösungen der Übungsaufgaben
Index
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Lern- und Übungsbuch zur Theoretischen Physik 1.: Klassische Mechanik
 9783486858426, 9783486754612

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Lern- und Übungsbuch zur Theoretischen Physik 1 Klassische Mechanik von

Karsten Kirchgessner Marco Schreck

Oldenbourg Verlag München

Lektorat: Kristin Berber-Nerlinger Herstellung: Tina Bonertz Titelbild: Dr. Marco Schreck Einbandgestaltung: hauser lacour Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2014 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 143, 81671 München, Deutschland www.degruyter.com/oldenbourg Ein Unternehmen von De Gruyter Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

ISBN 978-3-486-75461-2 eISBN 978-3-486-85842-6

Vorwort Die klassische Mechanik stellt einen der Grundpfeiler der Physik dar, weshalb sie zum Lehrkanon eines jeden technischen Studiengangs geh¨ort. Sie gliedert sich in die beiden Bereiche Statik und Dynamik. Die Statik besch¨aftigt sich mit den physikalischen Gesetzen ruhender K¨ orper, die miteinander in Wechselwirkung treten. Dies k¨onnen z.B. Kr¨ afte sein, wie sie innerhalb eines Mauerwerks auftreten. Im Gegensatz dazu beschreibt die Dynamik die Bewegung von K¨ orpern ohne oder unter ¨außeren Einfl¨ ussen. Die Statik spielt in den angewandten Ingenieurwissenschaften eine entscheidende Rolle. F¨ ur jeden Ingenieur, der eine Br¨ ucke entwirft, ist es wichtig, die auftretenden Kr¨afte zwischen den Stahltr¨ agern zu verstehen. Schließlich legen diese fest, ob die Br¨ ucke stabil ist oder die Gefahr droht, dass sie in sich zusammenbricht. In der Physik selbst spielt die Statik jedoch eine untergeordnete Rolle. Der Schwerpunkt liegt hier eindeutig auf der Dynamik. Der Grund ist, dass die Dynamik ein Fundament schaffen soll f¨ ur weiterf¨ uhrende Bereiche der Physik wie der Elektrodynamik oder der Thermodynamik. Es ist so, dass es f¨ ur gewisse physikalische Gesetzm¨aßigkeiten oder Systeme aus der klassischen Mechanik Analogien in den anderen Gebieten gibt. Deshalb setzt sich das Ihnen vorliegende Buch vor allem mit Problemstellungen der Dynamik auseinander. Dabei stehen eher theoretische Konzepte als Experimente im Vordergrund, was es zu einem Buch u ¨ber theoretische Mechanik macht. Die Grundlage der klassischen Mechanik sind Gesetze, deren Entdeckung und Untersuchung auf den Physiker Isaac Newton zur¨ uckgehen. Eingef¨ uhrt werden diese im ersten Kapitel. Im zweiten Kapitel wird Ihnen das notwendige R¨ ustzeug zur Verf¨ ugung gestellt, welches ein Verst¨andnis der Bewegung von punktf¨ormigen K¨orpern erm¨oglicht. Dazu geh¨ oren die mathematische Beschreibung von Kurven im Raum und die Einf¨ uhrung verschiedener Koordinatensysteme. Das dritte Kapitel er¨offnet die wichtigsten Gr¨oßen der klassischen Mechanik (Arbeit, Energie, Impuls, Drehimpuls usw.) und demonstriert Ihnen einige der Eigenschaften dieser Gr¨ oßen. Im vierten Kapitel lernen Sie, was man beachten muss, wenn mechanische Vorg¨ ange in bewegten Koordinatensystemen stattfinden. Danach ist der Ausgangspunkt geschaffen, um sich die zentralen Systeme der Mechanik im f¨ unften Kapitel anzuschauen. Dazu geh¨ort der schiefe Wurf, der harmonische Oszillator und das Kepler-Problem. Die meisten Physiker werden zustimmen, dass der harmonische Oszillator das bedeutendste physikalische System darstellt. Dieser wird Ihnen sowohl innerhalb der Mechanik als auch in anderen Bereichen der Physik immer wieder begegnen. Aus dem Grund finden Sie in den darauf folgenden Kapiteln verstreut weitere Anwendungen dieses wichtigen Systems. Wenn sich ein K¨ orper bewegt, ¨ andert sich auf jeden Fall dessen Ort. Andere Gr¨oßen wie Energie oder Drehimpuls k¨ onnen sich ebenso ¨andern, m¨ ussen es jedoch nicht. Im

VI

Vorwort

sechsten Kapitel geht es darum, ein Verst¨ andnis daf¨ ur zu entwickeln, welche der physikalischen Gr¨ oßen unter welchen Umst¨ anden w¨ahrend eines Bewegungsvorgangs gleich bleiben. Derartige Gr¨ oßen sind wesentlich, denn sie k¨onnen die L¨osung von Problemen erheblich vereinfachen. Da in den bisherigen Kapiteln nur die Bewegung eines einzigen punktf¨ ormigen K¨ orpers untersucht wurde, geht es im siebten Kapitel darum, die Bewegung zweier oder mehrerer miteinander wechselwirkender K¨orper zu beschreiben. Schließlich werden diese Betrachtungen im letzten Kapitel verallgemeinert, um zu verstehen, wie sich ausgedehnte K¨ orper verhalten. Sie besitzen im Vergleich zu punktf¨ormigen K¨ orpern zus¨ atzliche Eigenschaften, wodurch sich ihr physikalisches Verhalten ihnen gegen¨ uber unterscheidet. Wir, die Autoren dieses Buchs, blicken auf eine langj¨ahrige Erfahrung als Tutoren an der Universit¨ at zur¨ uck. Wir wissen, wo der Schuh dr¨ uckt, wenn man z.B. im Rahmen eines Physikstudiums mit der theoretischen Mechanik in Ber¨ uhrung kommt. Das Buch beschr¨ ankt sich deshalb nicht allein auf allgemeine Herangehensweisen, sondern stellt ¨ eine F¨ ulle von Ubungsaufgaben zur Verf¨ ugung, die teilweise sofort oder am Ende des Buchs gel¨ ost werden. Dass Herleitungen oder Berechnungen in der theoretischen Mechanik nicht ohne ein gewisses Maß an mathematischem Wissen oder Werkzeugen m¨oglich sind, liegt in der Natur der Sache. Jedoch bem¨ uhen wir uns besonders, alle Berechnungen mit einem vern¨ unftigen Maß an verst¨ andlichen Zwischenschritten zu pr¨asentieren. Die meisten Rechnungen k¨ onnen Sie auf einem Blatt Papier nachvollziehen. An wenigen Stellen erweist sich die Verwendung eines Computers als sinnvoll. Gewisse Grundlagen der h¨ oheren Mathematik wie die Definition von Skalar- und Vektorprodukt oder die Bestimmung einfacher Integrale werden vorausgesetzt. Wir empfehlen Ihnen aus eigener ¨ Erfahrung, die gegebenen L¨ osungen der Ubungsaufgaben nicht einfach nur durchzulesen. Stattdessen sollten Sie in Eigenregie versuchen, diese Aufgaben zu l¨osen, denn ¨ Ubung macht bekanntlich den Meister. Im Buch verstreut werden Sie auf verschiedene Icons stoßen, die besondere Stellen kennzeichnen. In vielen Abschnitten werden Ihnen systematische L¨osungsans¨atze und Rechenkniffe zur Verf¨ ugung gestellt. Halten Sie nach dem Icon Sprechblase“ Ausschau! ” Das Icon Stift“ markiert Aufgaben, deren L¨osungen erst am Ende des Buchs abge” druckt sind. Kernaussagen werden an gegebener Stelle getrennt aufgef¨ uhrt und mit dem Icon Ausrufezeichen“ kenntlich gemacht. Wichtige Definitionen sind mit einem ” hellen Raster hinterlegt und wesentliche Formeln mit einem dunklen. So kann das Buch auch nach dem Durcharbeiten als Nachschlagewerk dienen. Bloomington Frankfurt

M. Schreck K. Kirchgessner

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

1

Newtonsche Gesetze

1

1.1

Einf¨ uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1.2

Erstes Newtonsches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

1.3

Zweites Newtonsches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

1.4

Drittes Newtonsches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

1.5

Superpositionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

2

Raumkurven und Kinematik

7

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4

Parametrisierung von Raumkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Bewegung auf einer Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Bewegung auf einem Kreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Bewegung entlang einer Schraubenlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Abrollkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.2

Geschwindigkeit und Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2.3 Bogenl¨ ange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.3.1 Bogenl¨ ange des Graphen einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.4

Begleitendes Dreibein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.5 Raumkurven in Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.5.1 Die Basisvektoren der Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.5.2 Bewegung einer Punktmasse in Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.6 Raumkurven in Kugelkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.6.1 Bewegung einer Punktmasse in Kugelkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3

Fundamentale Gr¨ oßen in der Mechanik

41

3.1

Arbeit und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

3.2

Potenzielle Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

3.3

Kinetische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

3.4

Drehimpuls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

VIII 3.5

Inhaltsverzeichnis Drehmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

3.6 Kinetische Energie und Drehimpuls in krummlinigen Koordinatensystemen 61 3.6.1 Rotationsenergie einer Punktmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.6.2 Vektorielle Winkelgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4

Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

65

4.1

Inertialsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

4.2

Galilei-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3

Rotierende Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung von Drehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheinkr¨afte in rotierenden Bezugssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Corioliskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.4

Von der Beschleunigung zum Orts-Zeit-Gesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

5

Klassische Ein-Teilchen-Systeme

73 76 77 79

87

5.1 Schiefer Wurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 5.1.1 Das Orts-Zeit-Gesetz des schiefen Wurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3

Harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzialgleichungen und deren L¨ osung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L¨ osung der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators . . . . . . . . . . . . . Physikalische Interpretation der L¨ osung des harmonischen Oszillators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Anfangsbedingungen f¨ ur den harmonischen Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92 94 96 99 99

5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3

Ged¨ ampfter harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Starke Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwache Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Reibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 106 108 109

5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4

Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bewegung eines Planeten entlang einer Ellipse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtigstes zu Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die L¨ osung der Bewegungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Effektives Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 112 115 116 123

6

Erhaltungsgr¨ oßen und Erhaltungss¨ atze

129

6.1

Gesamtimpuls und Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

6.2

Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

6.3

Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

6.4

Bedeutung von Erhaltungsgr¨ oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

6.5 Anzahl von Erhaltungsgr¨ oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6.5.1 Symmetrien als Ursache von Erhaltungsgr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

Inhaltsverzeichnis 7

Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

IX 149

7.1 Zweik¨ orperproblem, Schwerpunkts- und Relativkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . 149 7.1.1 Physikalische Diskussion des Zweik¨ orperproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7.2 Stoßprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7.2.1 Elastische St¨ oße zweier Punktmassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 7.2.2 Inelastische St¨ oße zweier Punktmassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 7.3 Gekoppelte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 7.3.1 Gekoppelte Schwingungen in zwei Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 8

Mechanik ausgedehnter K¨ orper

175

8.1

Von der Punktmasse zum starren K¨ orper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

8.2 Schwerpunkt und Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 8.2.1 Verallgemeinerung des Tr¨ agheitsmoments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 8.3

Steinerscher Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

8.4

Energie eines rotierenden starren K¨ orpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

8.5

Eulersche Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

8.6 Kreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.6.1 Der kr¨ aftefreie Kreisel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 8.6.2 Bewegung des Kreisels unter Einwirkung einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 8.7

Von der Schwingung zur Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

223

Index

255

Erkl¨ arung der Icons Selbstst¨ andig u ¨ ben Die L¨ osung dieser Aufgabe finden Sie am Ende des Buchs.

Merken Achtung, wichtige Kernaussage.

Hinweis der Autoren Hier lernen Sie einen systematischen L¨ osungsansatz oder Rechenkniff kennen.

1

Newtonsche Gesetze

1.1

Einfu¨hrung

Als Isaac Newton im Jahre 1687 sein umfangreiches Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (deutsch: Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie) ver¨offentlichte, lag seine Absicht darin, ein Ger¨ ust der mathematischen Grunds¨atze der Naturphilosophie bereitzustellen. Jene Naturphilosophie entsprach damals dem, was man heute als Naturwissenschaft bezeichnet. Ihr Ziel war es, aus der Beobachtung der Bewegung von K¨ orpern die grundlegenden Naturgesetze abzuleiten, auf denen sich darauf aufbauend komplexere Naturgesetze herleiten ließen. Gegenstand dieser Wissenschaft waren alle Kr¨afte, die zu jener Zeit bekannt waren. Dazu geh¨ orte zu allererst die Schwerkraft, die daf¨ ur sorgt, dass sich K¨orper mit einer Masse gegenseitig anziehen. Wenn tats¨ achlich jemals ein Apfel von einem Baum auf Newtons Kopf fiel, war daf¨ ur genauso die Schwerkraft verantwortlich wie sie es f¨ ur Ebbe und Flut ist. Ebenso wusste man von den Auftriebskr¨ aften in Fl¨ ussigkeiten und Gasen oder vom Luftwiderstand, der beispielsweise eine Vogelfeder nur langsam schwebend zu Boden fallen l¨ asst. Newton erw¨ ahnt dar¨ uber hinaus noch den Widerstand von Fl¨ ussigkeiten, der daf¨ ur sorgt, dass sich eine Fl¨ ussigkeit infolge einer a¨ußeren Einwirkung kaum komprimieren l¨ asst. Im ersten Teil seines wegbereitenden Werks definiert Newton einige Begriffe, die f¨ ur das Verst¨ andnis der klassischen Mechanik grundlegend sind. Das f¨ uhrt uns zur Masse, der wichtigsten Eigenschaft eines K¨ orpers in der Mechanik. Die Masse m eines K¨ orpers ergibt sich als das Produkt seiner Dichte % und seines Rauminhalts, also dem Volumen V : m=%·V .

(1.1)

Verschiedene K¨ orper, die denselben Rauminhalt einnehmen, k¨onnen eine vollkommen unterschiedliche Masse haben. Denken Sie z.B. an eine Flasche, die mit Luft, Wasser oder Centm¨ unzen gef¨ ullt ist. Das h¨ angt mit der Dichte der K¨orper zusammen. Je gr¨oßer die Dichte ist, umso gr¨ oßer ist auch die Masse bei gleichem Volumen. Die Dichte selbst ist eine Eigenschaft, die mit den Bausteinen der Natur, den sogenannten Atomen, zusammenh¨ angt. Je schwerer diese Bausteine sind und je n¨aher sie beieinander liegen, umso gr¨ oßer ist die Dichte eines K¨ orpers. In Luft besitzen diese kleinen Teilchen einen viel gr¨ oßeren Abstand zueinander als in Wasser oder gar Kupfer.

2

1 Newtonsche Gesetze

Zweitens f¨ uhrt Newton eine Gr¨ oße ein, die in der Mechanik noch eine sehr wichtige Rolle spielen wird: den Impuls. Der Impuls p eines K¨ orpers ist das Produkt seiner Masse m und seiner Geschwindigkeit v: p = m·v.

(1.2)

Die Geschwindigkeit wiederum ist ein Maß f¨ ur die Entfernung, die in einer bestimmten Zeit zur¨ uckgelegt wird.

Trifft ein Objekt mit dem Impuls p auf ein anderes, so ist der Impuls ein Maß f¨ ur die Wucht, die beim Aufprall w¨ ahrend einer bestimmten Zeitdauer wirkt. F¨ ur diese spielt sowohl die Masse als auch die Geschwindigkeit eine Rolle. Beispielsweise ist der Impuls eines ICEs, der aus zehn Wagons besteht und mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h dahinrast, gr¨ oßer als der Impuls einer kleinen Straßenbahn, die mit 40 km/h durch die Stadt bummelt. Das bekommt auch ein Baum zu sp¨ uren, der nach einem Blitzeinschlag umgefallen und auf den Schienen gelandet ist. Newton benutzt den Ausdruck Impuls u ¨brigens noch nicht direkt, sondern spricht in diesem Zusammenhang von Bewegung. Heutzutage meint man mit Bewegung eher den ¨ Vorgang der Anderung des Orts eines K¨ orpers in Abh¨angigkeit von der Zeit. Als n¨ achstes charakterisiert Newton eine wesentliche Eigenschaft, die allen K¨orpern innewohnt: die sogenannte Tr¨ agheit. Die Tr¨ agheit ist das Bestreben eines K¨ orpers, seinen gegenw¨artigen Bewegungszustand beizubehalten. Dabei ist es nicht wichtig, ob der K¨orper in Ruhe ist oder sich mit gleich bleibender Geschwindigkeit geradeaus bewegt.

Newton bezeichnet diese Eigenschaft auch als vis inertia, die Kraft zur Unt¨atigkeit“. Sie ” kommt nur dann zum Tragen, wenn etwas den Bewegungszustand des K¨orpers ¨andern m¨ ochte. Man kann die Tr¨ agheit sowohl als Widerstand als auch als Drang verstehen. Um einen Widerstand handelt es sich in dem Sinne, als es Ihnen große Probleme bereiten wird, einen schweren Schrank in Ihrer Wohnung zu verr¨ ucken. Als Drang l¨asst sie sich verstehen, wenn ein f¨ uhrerloses und ohne gezogene Handbremse abgestelltes Auto einen Abhang hinunter rollt und nur schwer aufzuhalten ist. Schlussendlich gelangt Newton zu seiner vierten Definition, welche die letzte ist, die im Rahmen dieser Einleitung aufgef¨ uhrt werden soll. Eine auf einen K¨ orper wirkende Kraft F ist ein ¨außerer Einfluss, um dessen Bewegungszustand zu ¨ andern.

1.2 Erstes Newtonsches Gesetz

3

Eine wirkende Kraft gibt es also nur solange, wie ein ¨außerer Einfluss besteht. Sie unterscheidet sich deshalb grundlegend von der Tr¨agheit, die jeder K¨orper von sich aus besitzt, ohne dass von außen etwas mit dem K¨orper passiert. Sie k¨onnen also den oben erw¨ ahnten Schrank in Ihrer Wohnung nur verschieben, wenn Sie Ihre Muskeln spielen lassen und eine Kraft auf ihn aus¨ uben. Andererseits wird ein aus dem Fenster geworfener Blumentopf erst stoppen, wenn er eine Kraft erf¨ahrt hoffentlich u ¨bt der Gehsteig diese Kraft aus und nicht der Kopf des unbeliebten Nachbarn! Die bisher eingef¨ uhrten Begriffe werden nun durch die folgenden Grundgesetze der Natur in einen Zusammenhang gebracht.

1.2

Erstes Newtonsches Gesetz

Die Newtonschen Gesetze bezeichnet man oft als Newtonsche Axiome. Ein Axiom stellt eine grundlegende Gegebenheit dar, die sich nicht weiter herleiten l¨asst. Auf ihnen basiert ein komplettes System ableitbarer Tatsachen. Im Prinzip beruht die klassische Mechanik auf diesen grundlegenden Naturgesetzen, die Newton durch Beobachtungen und genaue Experimente aufgestellt hat. Erstes Newtonsches Axiom: Jeder K¨ orper verharrt in seinem Bewegungszustand, sofern keine ¨ außere Kraft auf ihn wirkt. Befindet er sich in Ruhe, so bleibt er in Ruhe. Bewegt er sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit, so beh¨alt er die Geschwindigkeit und Richtung der Bewegung bei. Sein Zustand l¨asst sich nur durch eine wirkende Kraft ¨ andern. Newton hatte damals bereits richtig beobachtet und angemerkt, dass ein abgefeuertes Projektil, also z.B. eine Kanonenkugel, so lange geradeaus fliegt, bis sie irgendwo einschl¨ agt. Ansonsten wird die Kanonenkugel langsam durch den Widerstand der Luft abgebremst und durch die Schwerkraft in Richtung des Erdbodens gezogen. Ein angestoßener Kreisel wird von sich aus nicht aufh¨ oren sich zu drehen, sondern nur durch Einwirkung der umgebenden Luft. Newton wusste, dass Planeten und Kometen sich mit viel weniger Widerstand im luftleeren Raum bewegen und damit ihre kreisende Bewegung um die Sonne f¨ ur sehr lange Zeiten beibehalten.

1.3

Zweites Newtonsches Gesetz

Das zweite Axiom von Newton stellt eine Formel zur Verf¨ ugung, die Grundlage aller Berechnungen ist, wie sie in der klassischen Mechanik durchgef¨ uhrt werden.

4

1 Newtonsche Gesetze

¨ Zweites Newtonsches Axiom: Die zeitliche Anderung des Impulses p eines K¨ orpers ist gleich der wirkenden Kraft F: F=

dp . dt

(1.3)

¨ Die Anderung wirkt in dieselbe Richtung wie die wirkende Kraft. ¨ Die zeitliche Anderung des Impulses entspricht der ersten Ableitung des Impulses p nach der Zeit t. Sofern die Masse des K¨ orpers sich mit der Zeit nicht ¨andert, l¨asst sich das zweite Newtonsche Axiom auch umschreiben: F=

(mv) dp = = mv˙ = ma dt dt

(1.4)

¨ Dann ist die wirkende Kraft direkt proportional zur zeitlichen Anderung der Geschwin¨ digkeit v, wobei die Masse m der Proportionalit¨atsfaktor ist. Die zeitliche Anderung der Geschwindigkeit nennt man Beschleunigung a. Wie gesagt, gilt das zweite Newtonsche Axiom in der Form F = ma nur im Falle konstanter Masse. Das ist zwar meistens der Fall, aber nicht immer. Es gilt z.B. dann nicht, wenn man eine in den Weltraum fliegende Rakete betrachtet, die ihren Treibstoff verbrennt und ihre Stufen abwirft oder einen schwingenden Sandsack mit einem Loch, aus dem der Sand rieselt. Geschwindigkeit, Beschleunigung, Impuls und Kraft sind vektorielle Gr¨oßen, d.h., sie sind sowohl durch einen Betrag als auch eine Richtung charakterisiert. In diesem Buch werden Vektoren als fett gedruckte Buchstaben gekennzeichnet.

1.4

Drittes Newtonsches Gesetz

Bei den ersten beiden Newtonschen Axiomen spielt prinzipiell nur ein einziger K¨orper eine Rolle. Doch nat¨ urlich sind bei mechanischen Vorg¨angen in der Natur immer mehr als ein K¨ orper beteiligt. Deshalb ist noch ein weiteres Grundgesetz notwendig, das die Wechselwirkung zweier K¨ orper miteinander beschreibt. Drittes Newtonsches Axiom: Jede Aktion zieht immer eine entsprechende Gegenreaktion nach sich. Die gegenseitigen Wirkungen zweier K¨orper aufeinander sind immer gleich, aber in entgegengesetzte Richtungen gerichtet ( actio = reactio“). Es ” gilt F12 = −F21 ,

(1.5)

mit der Kraft F12 vom ersten auf den zweiten K¨orper und der Kraft F21 vom zweiten auf den ersten.

1.5 Superpositionsprinzip

5

Das Vorzeichen deutet an, dass beide Kr¨ afte in entgegengesetzter Richtung wirken, auch wenn sie vom Betrag her gleich groß sind. Prallt beim Billard also eine Kugel auf eine andere, so wirkt von der ersten Kugel ausgehend eine Kraft auf die zweite. Gleichzeitig wirkt jedoch dieselbe Kraft in entgegengesetzter Richtung von der zweiten auf die erste Kugel. Schließlich ¨ andert sich erfahrungsgem¨ aß der Bewegungszustand beider Kugeln. Dr¨ uckt man mit dem Finger auf einen Stein, so dr¨ uckt der Stein auch wiederum auf den Finger, und zieht ein Pferd einen Stein an einem Seil, so zieht der Stein ebenso an dem Pferd. Damit wurden die Newtonschen Axiome im aktuellen Kapitel eingef¨ uhrt. Wenn Sie sich nun fragen, wann und wo Sie diese in der Anwendung sehen, verweisen wir Sie auf den Rest des Buchs. Die Newtonschen Axiome bilden schließlich die Grundlage der klassischen Mechanik und werden deshalb in jedem Kapitel eine große Rolle spielen. Doch bevor sich dieses kurze einf¨ uhrende Kapitel dem Ende zuneigt, folgt noch ein abschließender Abschnitt dar¨ uber, wie sich mehrere auf einen K¨orper wirkende Kr¨afte kombinieren.

1.5

Superpositionsprinzip

Bereits Newton hatte beobachtet, dass sich n wirkende Kr¨afte Fi , die auf einen einzigen K¨ orper wirken, zu einer Gesamtkraft addieren, die auch resultierende Kraft genannt wird: Fres = F1 + F2 + · · · + Fn .

(1.6)

Gem¨ aß des zweiten Newtonschen Axioms addieren sich dann ebenso die zugeh¨origen ¨ Impuls¨ anderungen, woraus sich gewissermaßen die zeitliche Anderung eines Gesamtimpulses P ergibt: Fres =

dp1 dp2 dpn dP + + ··· + = . dt dt dt dt

(1.7)

Die Tatsache, dass dies gilt, ist ein weiteres wesentliches Gesetz der klassischen Mechanik. Man bezeichnet es als das Superpositionsprinzip. Es wird im weiteren Verlauf des Buchs noch eine wichtige Rolle spielen. Doch zun¨achst folgt zum besseren Verst¨andnis noch ein anschauliches Beispiel.

¨ Ubungsaufgabe 1.1: Zug eines Frachters In Abbildung 1.1 ist ein Kohlefrachter der Masse M dargestellt, der eine blockierte Schiffsschraube hat. Drei Schlepper werden eingesetzt, um den Frachter zur Reparatur in die Werft zu ziehen. Da die drei Schlepper unterschiedlich starke Motoren haben, unterscheiden sich die drei Kr¨ afte betragsm¨ aßig. Damit sich die Schlepper außerdem gegenseitig nicht behindern, ziehen sie in verschiedene Richtungen. Die Schlepper ziehen den Frachter nat¨ urlich nur entlang der Wasseroberfl¨ache, welche in die x-y-Ebene eines kartesischen Koordinatensystems gelegt wird. Deshalb lassen sich die Kr¨afte als

6

1 Newtonsche Gesetze

Abb. 1.1: Drei Schlepper sollen einen Kohlefrachter ziehen, wobei jeder Schlepper eine Kraft Fi wirkt. Das Ganze spielt sich in der x-y-Ebene ab. zweidimensionale Vektoren beschreiben. Angenommen, diese Kraftvektoren lauten       150 kN 400 kN 50 kN F1 = , F2 = , F3 = . (1.8) 100 kN −50 kN −50 kN Hierbei ist 1 N = 1 kg · m/s2 die nach Newton benannte Einheit der Kraft. Wie lautet dann die gesamte Kraft, mit der die Schlepper den Frachter ziehen?

L¨osung zu Aufgabe 1.1 Nach dem Superpositionsprinzip ergibt sich die gesamte Kraft auf den Frachter durch Addition der einzelnen Kraftvektoren:     150 kN + 400 kN + 50 kN 600 kN Fres = F1 + F2 + F3 = = . (1.9) 100 kN − 50 kN − 50 kN 0 kN Wie Sie sehen, verschwindet die y-Komponente der resultierenden Kraft. Das wurde nat¨ urlich von den Kapit¨ anen der Schlepper so geplant, denn schließlich soll der Frachter geradeaus und nicht zum Ufer hin gezogen werden.

2

Raumkurven und Kinematik

In diesem Kapitel werden Sie lernen, die Bewegung punktf¨ormiger K¨orper zu verstehen. Solche K¨ orper besitzen keine L¨ ange, Breite oder H¨ohe und sind daher eine starke Idealisierung; in Wirklichkeit gibt es derartige K¨orper nicht. Dennoch beschreiben solche Idealisierungen unter bestimmten Bedingungen die Natur hinreichend genau und bieten ein gutes Verh¨ altnis aus Nutzen und Aufwand. Im Folgenden werden punktf¨ ormige K¨ orper als Punktmasse, Teilchen oder manchmal auch einfach Masse bezeichnet. Man nennt diesen Teil der Mechanik, der sich mit solchen K¨ orpern befasst, auch Punktmechanik. Um die Bewegung einer Punktmasse zu beschreiben, ben¨ otigt man ein Koordinatensystem. Dann l¨asst sich der Ort P der Punktmasse durch einen Vektor r angeben, der vom Ursprung O des Koordinatensystems ausgeht. Solche Vektoren heißen Ortsvektoren: −−→ r := OP . (2.1) Bewegt sich die Punktmasse, so ¨ andert sich dieser Ortsvektor in Abh¨angigkeit von der Zeit: r = r(t). Die Pfeilspitzen der einzelnen Vektoren laufen somit einer Kurve im Koordinatensystem entlang. Oft nennt man r(t) auch das Orts-Zeit-Gesetz und den Betrag r(t) ≡ |r(t)| das Weg-Zeit-Gesetz der Punktmasse. Die grundlegende Problemstellung wird es zun¨ achst sein, Orts-Zeit-Gesetze f¨ ur Punktmassen aufzustellen. Da jedes Orts-Zeit-Gesetz r(t) eine Kurve im Raum beschreibt, l¨ asst es sich auch als Raumkurve auffassen. Es stellt sich dann die Frage, wie man eine solche Kurve mathematisch darstellt. Das soll im Folgenden anhand zahlreicher Beispiele demonstriert werden.

2.1

Parametrisierung von Raumkurven

Das einfachste Orts-Zeit-Gesetz ist das einer Punktmasse, die sich stets am selben Punkt befindet. Handelt es sich bei diesem Punkt z.B. um P = (1,2,3), dann lautet der zugeh¨ orige Ortsvektor r = (1,2,3)T , und das Orts-Zeit-Gesetz ist   1 r(t) = 2 . (2.2) 3 Wie Sie sehen, h¨ angen die einzelnen Komponenten nicht von der Zeit ab. Das ist klar, denn die Punktmasse befindet sich ja stets an ein und demselben Punkt.

8

2.1.1

2 Raumkurven und Kinematik

Bewegung auf einer Geraden

Die n¨ achste noch relativ einfache M¨ oglichkeit ist, dass sich eine Punktmasse entlang einer Geraden bewegt. Um eine Gerade vektoriell aufzustellen, ben¨otigt man einen Aufpunkt und ihren Richtungsvektor, wie das in Abbildung 2.1 dargestellt ist.

Abb. 2.1: Eine Gerade in einem dreidimensionalen kartesischen Koordinatensystem mit zwei Punkten P1 , P2 und deren Ortsvektoren r1 , r2 . Als Aufpunkt P1 kann ein beliebiger Punkt auf der Geraden dienen. Geschickterweise nimmt man am besten einen m¨ oglichst einfachen. Um den Richtungsvektor n der Geraden zu bestimmen, ben¨ otigt man einen zweiten Punkt P2 . Dann ist n nichts anderes als die Differenz der Ortsvektoren der beiden Punkte; nennen wir diese r1 und r2 . Zuletzt ist noch ein Parameter notwendig, dessen Wahl zu einem bestimmten Punkt auf der Geraden f¨ uhrt. Da es um Orts-Zeit-Gesetze geht, ist es zun¨achst sinnvoll, die Zeit t als diesen Parameter zu w¨ ahlen. Dann gilt f¨ ur das Orts-Zeit-Gesetz einer Punktmasse: r(t) = r1 + nt = r1 + (r2 − r1 )t .

(2.3)

Stellt man eine Kurve im Raum mittels eines Parameters in einer solchen Form dar, spricht man auch von der Parameterdarstellung der Kurve. Bewegt sich der Punkt speziell auf einer Geraden parallel zur x-Achse, welche die y-z-Ebene im Punkt P1 = (0,1,1) durchst¨ oßt, dann l¨ asst sich der Ortsvektor r1 = (0,1,1)T als Aufpunkt verwenden. Da der Richtungsvektor parallel zur x-Achse verl¨auft, handelt es sich dabei um den Basisvektor, der entlang der x-Achse zeigt: n = b ex = (1,0,0). Dann lautet die entsprechende Parameterdarstellung:       0 1 t r(t) = 1 + 0 t = 1 . (2.4) 1 0 1 Auf diese Weise l¨ asst sich eine Gerade im dreidimensionalen Raum mathematisch aufstellen. Einige der nun folgenden Betrachtungen sollen jedoch auf eine Ebene beschr¨ankt

2.1 Parametrisierung von Raumkurven

9

werden. F¨ ur viele Problemstellungen ist das auch sinnvoll, denn es gibt gen¨ ugend Beispiele f¨ ur physikalische Bewegungen in der Natur, die in einer Ebene ablaufen, weil die Bewegung durch bestimmte gegebene Bedingungen derart eingeschr¨ankt wird. Ein Beispiel daf¨ ur ist die Bewegung eines Planeten um das zugeh¨orige Zentralgestirn.

2.1.2

Bewegung auf einem Kreis

Bewegt sich eine Punktmasse auf einer kreisf¨ ormigen Bahn in der x-y-Ebene, so l¨asst sich mit Hilfe von Abbildung 2.2 die zugeh¨ orige Parameterdarstellung ermitteln. Der Kreis wird so in ein kartesisches Koordinatensystem gelegt, dass dessen Mittelpunkt gleich dem Ursprung ist. Dann kann man ein rechtwinkliges Dreieck einzeichnen, dessen waagerechte Kathete auf der x-Achse und dessen senkrechte Kathete parallel zur yAchse verl¨ auft. Die Hypotenuse des Dreiecks liegt auf dem Radiusvektor r, der vom Ursprung zu einem Punkt auf dem Kreis zeigt. Deren L¨ange entspricht außerdem dem Radius r des Kreises. Auf diese Weise l¨ asst sich der Kreis mit dem Winkel ϕ zwischen der positiven x-Achse und der Hypotenuse des Dreiecks parametrisieren. Nutzt man aus, dass die L¨ ange der waagerechten Kathete gleich r cos ϕ und die der senkrechten gleich r sin ϕ ist, so lautet der Radiusvektor in Abh¨angigkeit des Winkels ϕ:   cos ϕ r(ϕ) = r . (2.5) sin ϕ Hier ist man schon fast fertig. Das ist die Parameterdarstellung eines Kreises in kartesischen Koordinaten. In einer physikalischen Problemstellung interessiert man sich jedoch meistens f¨ ur die Parametrisierung in Abh¨ angigkeit von der Zeit. Das bringt jedoch gl¨ ucklicherweise keinerlei neue Probleme mit sich, da man den Winkel als zeitabh¨angige Funktion betrachten kann: ϕ = ϕ(t). Diese Funktion soll also den vom Radiusvektor

Abb. 2.2: Kreis in der x-y-Ebene mit Radiusvektor r und einem rechtwinkligen Dreieck.

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2 Raumkurven und Kinematik

zeitlich u ¨berstrichenen Winkel angeben. Man erh¨alt somit   cos ϕ(t) r(t) = r . sin ϕ(t)

(2.6)

Wie genau ϕ(t) aussieht, h¨ angt vom jeweiligen Problem ab. Oft ist es jedoch so, dass sich eine Punktmasse auf einem Kreis mit konstantem Betrag der Geschwindigkeit v bewegt. Dann ist der vom Radiusvektor u ¨berstrichene Winkel proportional zur Zeit; in der n-fachen Zeit wird also auch der n-fache Winkel u ¨berstrichen. Die zugeh¨orige Proportionalit¨ atskonstante ist die sogenannte Winkelgeschwindigkeit ω. Sie gibt an, welcher Winkel in einer bestimmten Zeitdauer erreicht wird. Meistens liegen Winkel im Bogenmaß vor, und damit besitzt ω die Einheit 1/s. Mit Hilfe der Winkelgeschwindigkeit l¨asst sich dann der nach einer bestimmten Zeit erhaltene Winkel u ¨ber ϕ(t) = ωt berechnen. Die Winkelgeschwindigkeit selbst ergibt sich aus der Zeitdauer T f¨ ur einen Umlauf, da nach dieser Zeitdauer der komplette Winkel 2π im Bogenmaß u ¨berstrichen wird. Nutzt man außerdem, dass der Kehrwert von T gleich der Anzahl der Uml¨aufe pro Zeiteinheit ist, was einer Umlauffrequenz (oder einfach Frequenz) ν entspricht, dann gelten die folgenden wichtigen Beziehungen: ω=

2π = 2πν . T

(2.7)

Wegen ϕ(t) = ωt ist die Winkelgeschwindigkeit außerdem nichts anderes als die erste zeitliche Ableitung der Funktion ϕ(t): ϕ˙ = ω. 2.1.2.1

Spiralen

Der Radius eines Kreises ist konstant, sonst w¨are es kein Kreis! Dennoch kann sich eine Punktmasse auch kreisend bewegen, ohne dass dies auf einem Kreis passieren muss. In diesem Falle ist die L¨ ange der Hypotenuse des Dreiecks in Abbildung 2.2 nicht mehr konstant, sondern h¨ angt vom Winkel ϕ ab. Was sich dann als Kurve ergibt, ist eine

Abb. 2.3: Spirale in der x-y-Ebene mit linear ansteigendem Radiusvektor r.

2.1 Parametrisierung von Raumkurven Spirale mit der Parameterdarstellung   cos ϕ(t) r(t) = r(t) . sin ϕ(t)

11

(2.8)

Der Betrag r(t) des Radiusvektors ¨ andert sich also im Laufe der Zeit. Dennoch besitzt die Winkelgeschwindigkeit auch in diesem Falle dieselbe Bedeutung wie beim Kreis. Steigt z.B. r(t) linear mit der Zeit gem¨ aß r(t) = v0 t und ist die Winkelgeschwindigkeit ω eine Konstante, dann ergibt sich eine sogenannte archimedische Spirale:   cos ωt r(t) = v0 t . (2.9) sin ωt Hierbei ist v0 eine konstante Geschwindigkeit, die beschreibt, wie schnell sich die Punktmasse radial nach außen bewegt. Dargestellt ist diese Spirale in Abbildung 2.3. 2.1.2.2

Ellipsen

Dr¨ uckt man einen Kreis in einer Richtung zusammen oder zieht ihn auseinander, dann entsteht daraus eine Ellipse. Eine solche ist in Abbildung 2.4 dargestellt. Der Betrag der Radiusfunktion einer Ellipse variiert ebenso mit dem Winkel ϕ. Der Unterschied zu einer Spirale ist jedoch, dass eine Punktmasse nach einem vollst¨andigen Umlauf wieder zum anf¨ anglichen Punkt zur¨ uckkehrt. Dahingegen entfernt sich die Punktmasse bei einer Spirale immer weiter vom Ursprung, sofern sie im Ursprung startet. Der Betrag von r(ϕ) nimmt w¨ ahrend eines Umlaufs einer Ellipse zweimal ein Maximum und zweimal ein Minimum an. Man nennt das Maximum große Halbachse und das Minimum kleine Halbachse. Bezeichnet man die große Halbachse mit a und die kleine mit b, so lautet die Parameterdarstellung der zugeh¨origen Ellipse:   a cos ϕ(t) r(t) = . (2.10) b sin ϕ(t) In diesem Falle zeigt die große Halbachse entlang der x-Achse und die kleine entlang der y-Achse. Das wird klar, wenn man f¨ ur den Winkel ϕ nacheinander die Werte ϕ ∈ {0, π/2, π,3π/2} einsetzt:     a 0 r|ϕ=0 = , r|ϕ=π/2 = , (2.11a) 0 b

Abb. 2.4: Ellipse in der x-y-Ebene mit großer Halbachse a und kleiner Halbachse b.

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2 Raumkurven und Kinematik

r|ϕ=π =

  −a , 0

 rϕ=3π/2 =

0 −b

 .

(2.11b)

Die Ellipse an sich besitzt eine große Bedeutung in der Himmelsmechanik, was Sie im Abschnitt 5.4 sehen werden.

2.1.3

Bewegung entlang einer Schraubenlinie

Aus den Parameterdarstellungen von Kreis und Spirale ergibt sich die Parameterdarstellung einer weiteren wichtigen Klasse von Kurven im Raum. Dazu wird eine dritte Komponente hinzugef¨ ugt, bei der es sich um eine monoton steigende oder fallende Funktion f (t) in Abh¨angigkeit von der Zeit handelt. Die hieraus entstehenden Kurven heißen Schraubenlinien. Im allgemeinsten Falle besitzen sie die folgende Parameterdarstellung:   r(t) cos ϕ(t) r(t) =  r(t) sin ϕ(t)  . (2.12) f (t) Man kann sich die Entstehungsgeschichte einer Schraubenlinie gewissermaßen so vorstellen, dass man den Kreis oder die Spirale in der x-y-Ebene in Richtung der z-Achse des dreidimensionalen kartesischen Koordinatensystems auseinanderzieht. Steigt die Funktion f (t) in Abh¨ angigkeit von der Zeit an, bewegt sich die Punktmasse in Richtung der positiven z-Achse. Im entgegengesetzten Fall geschieht die Bewegung in Richtung der negativen z-Achse. Speziell aus dem Kreis mit Radius r bzw. der archimedischen Spirale von zuvor ergeben sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω und f (t) = vt:     r cos ωt v0 t cos ωt r1 (t) =  r sin ωt  , r2 (t) =  v0 t sin ωt  . (2.13) vt vt Hierbei ist v die Geschwindigkeit, mit der sich die Punktmasse allein entlang der z-Achse bewegt. Beide Schraubenlinien sind in Abbildung 2.5 zeichnerisch dargestellt. Die erste Schraubenlinie ist ein Orts-Zeit-Gesetz, das so f¨ ur eine Punktmasse gelten kann, die sich durch ein magnetisches Feld bewegt. Es ist sinnvoll, sich die Parameterdarstellung von einfachen Kurven zu merken: • Gerade durch Punkte mit Ortsvektoren a1 und a2 : r(t) = a1 + (a2 − a1 )t • Kreis mit Radius r, Spirale und Ellipse:       cos ϕ(t) cos ϕ(t) a cos ϕ(t) r(t) = r , r(t) = r(t) , r(t) = . sin ϕ(t) sin ϕ(t) b sin ϕ(t) • Schraubenlinie: 

 r(t) cos ϕ(t) r(t) =  r(t) sin ϕ(t)  . f (t)

2.1 Parametrisierung von Raumkurven

13

Abb. 2.5: Bildliche Darstellung der Schraubenlinien aus Gleichung (2.13).

2.1.4

Abrollkurven

Nachdem bisher die Parameterdarstellung einfacher Kurven wie die des Kreises und der Spirale hergeleitet wurden, soll nun eine kompliziertere Klasse behandelt werden. Dadurch k¨ onnen Sie Ihre Fertigkeiten zur Bestimmung solcher Darstellungen verfeinern. Die Kurven, von denen die Rede ist, sind die sogenannten Abrollkurven, die man auch als Zykloiden bezeichnet. Wie der Name schon verr¨at, entstehen solche Kurven, indem man einen Punkt auf einem Rad betrachtet, das entlang einer anderen Kurve abgerollt wird. Die Abrollkurve ist f¨ ur den einfachsten Fall, bei dem die andere Kurve eine Gerade ist, in Abbildung 2.6 dargestellt.

Abb. 2.6: Abrollkurve, die beim Abrollen eines Rads entlang einer Geraden entsteht.

¨ Ubungsaufgabe 2.1: Die Kurve kommt ins Rollen Bestimmen Sie die Parameterdarstellung der ebenen Zykloide in Abbildung 2.6.

¨ Ubungsaufgabe 2.2: Zykloide entlang eines Kreises Bestimmen Sie die Parameterdarstellung der Zykloide eines Rads, das auf der Innenseite eines Kreises abrollt, wobei R1 der Radius des Kreises und R2 der Radius des Rads sei, dessen Mittelpunkt sich anfangs im Punkt (0, −(R1 −R2 )) befinde (siehe Abbildung 2.7).

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2 Raumkurven und Kinematik

Abb. 2.7: Abrollen eines Rads auf dem Inneren eines Kreises.

2.2

Geschwindigkeit und Beschleunigung

Bereits Newton verwendete den Begriff der Geschwindigkeit f¨ ur seine Definition des Impulses, ohne jedoch zu sagen, was die Geschwindigkeit u ¨berhaupt ist. Dies zeigt, dass bereits Ende des 17. Jahrhunderts die Geschwindigkeit als so allt¨aglicher Begriff im Sprachgebrauch benutzt wurde, dass er nach Newtons Meinung keine eigene Definition ben¨ otigte. Dennoch l¨ asst sich die Geschwindigkeit sauber aus dem Orts-Zeit-Gesetz herleiten. Dazu u ¨berlegt man sich, dass die Differenz zweier Ortsvektoren r(t0 ) und r(t) zu verschiedenen Zeitpunkten t0 und t einen neuen Vektor ∆r ergibt, der wie in Abbildung 2.8 dargestellt entlang der geraden Verbindungslinie zwischen den beiden Punkten liegt: ∆r(t) ≡ r(t) − r(t0 ) .

(2.14)

Sofern beide Punkte nicht zu weit voneinander entfernt sind, stellt der Betrag des Vektors ∆r(t) einen N¨ aherungswert f¨ ur die zur¨ uckgelegte Entfernung der Punktmasse zwischen den beiden Zeitpunkten t0 und t dar. Dividiert man anschließend durch die Differenz der Zeitpunkte ∆t ≡ t − t0 , so folgt daraus eine grobe N¨aherung f¨ ur die Geschwindigkeit: v(t) ≈

∆r(t) . ∆t

(2.15)

N¨ ahert sich t0 dem Zeitpunkt t an, dann beschreibt die geradlinige Verbindung immer besser das Orts-Zeit-Gesetz zwischen r(t0 ) und r(t). Somit l¨asst sich durch Bilden des Grenzwertes t0 7→ t, was ∆t 7→ 0 entspricht, exakt die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t berechnen: v(t) = lim

t7→t0

r(t) − r(t0 ) ∆r(t) dr = lim = = r˙ (t) . ∆t7→0 ∆t t − t0 dt

(2.16)

2.2 Geschwindigkeit und Beschleunigung

15

Abb. 2.8: Konstruktion eines Tangentenvektors an r(t0 ) als Grenz¨ ubergang ∆t 7→ 0. Im Limes ∆t 7→ 0 entspricht die Geschwindigkeit also der ersten Ableitung des OrtsZeit-Gesetzes. Die zeitliche Ableitung eines Vektors, dessen Komponenten von der Zeit abh¨ angen, ist wieder ein Vektor. Dieser ergibt sich durch Ableiten der einzelnen Komponenten nach der Zeit. Erinnern Sie sich daran, dass die erste Ableitung f 0 (x0 ) einer eindimensionalen Funktion f (x) am Punkt x0 die Steigung der Tangente angibt, welche die Funktion an x0 ber¨ uhrt? Das gilt ebenso f¨ ur die komponentenweise Ableitung eines Vektors nach einer Variablen; also ber¨ uhrt der Geschwindigkeitsvektor v(t) das Orts-Zeit-Gesetz bei r(t). Dieser ist nichts anderes als der Tangentenvektor an r(t). Zeitliche Ableitungen in der Physik schreibt man oft mit einem Punkt anstelle des in der Mathematik u ¨blichen Strichs, was auch hier so gemacht werden soll. Oft bewegt sich ein K¨ orper nicht mit gleichbleibender Geschwindigkeit. Das kann einerseits daran liegen, dass ¨ außere Kr¨ afte die Geschwindigkeit des K¨orpers verringern oder dass auf der anderen Seite ein Antrieb die Geschwindigkeit erh¨oht. Wie sich die Geschwindigkeit zeitlich ¨ andert, wird durch die erste Ableitung des Geschwindigkeitsvektors beschrieben; wie im vorherigen Kapitel bereits erw¨ahnt, bezeichnet man diese als Beschleunigung a(t): a(t) = lim

t7→t0

v(t) − v(t0 ) ∆v(t) dv ˙ = lim = = v(t) = ¨r(t) . ∆t7→0 ∆t t − t0 dt

(2.17)

Da die Beschleunigung der ersten zeitlichen Ableitung der Geschwindigkeit entspricht, ist sie gleich der zweiten Ableitung des Orts-Zeit-Gesetzes. Analog zum Ort und der Geschwindigkeit handelt es sich ebenso bei der Beschleunigung allgemein um einen Vektor, dessen Spitze entlang einer Kurve im Koordinatensystem l¨auft. Sie ist wiederum ein Tangentenvektor an die Kurve, welche durch die Geschwindigkeit v(t) beschrieben wird. Die Geschwindigkeit v(t) berechnet sich als erste Ableitung des Orts-Zeit-Gesetzes und die Beschleunigung a(t) u ¨ber die zweite Ableitung: v(t) = r˙ (t) ,

a(t) = ¨r(t) .

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2 Raumkurven und Kinematik

¨ Ubungsaufgabe 2.3: Geschwindigkeit und Beschleunigung Bestimmen Sie das Orts-Zeit-Gesetz, die Geschwindigkeit und die Beschleunigung f¨ ur die folgenden F¨alle der Bewegung einer Punktmasse.

a) Die Punktmasse befinde sich dauerhaft am Punkt P = (1,2,3). b) Betrachten Sie nun eine Punktmasse, die sich entlang einer Geraden parallel zur x-Achse bewegt. Diese Gerade soll die y-z-Ebene im Punkt (0,1,1) durchstoßen. 2 c) Eine Punktmasse beschreibe eine Parabel z(t) √ = at /2, deren Projektion auf die xy-Ebene der Geraden y(x) = x mit x = t/ 2 entspricht. Hier sei a eine konstante Beschleunigung in Richtung der z-Achse.

L¨osung zu Aufgabe 2.3 Allgemein folgt die Geschwindigkeit durch einmaliges Ableiten des Orts-Zeit-Gesetzes nach der Zeit und die Beschleunigung durch zweimaliges Ableiten. a) Da sich die Punktmasse dauerhaft am Punkt P im Raum befindet, wird das Orts-Zeit-Gesetz durch einen zeitlich konstanten Ortsvektor beschrieben: r(t) = (1,2,3)T . Die Geschwindigkeit ergibt sich durch einmaliges und die Beschleunigung durch zweimaliges Ableiten nach der Zeit:     0 0 ˙ v(t) = r˙ (t) = 0 , a(t) = v(t) = 0 . (2.18) 0 0 Da sich die Punktmasse nicht bewegt, verschwindet nat¨ urlich auch deren Geschwindigkeit und sowieso die Beschleunigung. b) Der Durchstoßpunkt der x-y-Ebene kann als Aufpunkt der Geraden dienen, wobei der Richtungsvektor dem Basisvektor ebx = (1,0,0) entspricht. Somit sieht das zugeh¨ orige Orts-Zeit-Gesetz folgendermaßen aus:       0 1 t r(t) = 1 + 0 t = 1 . (2.19) 1 0 1 Die Geschwindigkeit und die Beschleunigung ergeben sich wieder durch komponentenweises Ableiten:     1 0 ˙ v(t) = r˙ (t) = 0 , a(t) = v(t) = 0 . (2.20) 0 0 Der Betrag der Geschwindigkeit ist zeitlich konstant: v(t) = |v(t)| = 1. Ersichtlicherweise verschwindet dann die Beschleunigung. Man bezeichnet eine solche Bewegung als gleichf¨ ormig.

2.3 Bogenl¨ ange

17

c) Das Orts-Zeit-Gesetz l¨ asst sich aus den gegebenen Annahmen wie folgt zusammensetzen:  √  t/√2 r(t) =  t/ 2  . (2.21) at2 /2 Die Geschwindigkeit und Beschleunigung lauten damit:  √    1/√2 0 ˙ v(t) = r˙ (t) = 1/ 2 , a(t) = v(t) = 0 . a at

(2.22)

Die Beschleunigung ist ein Vektor (ungleich dem Nullvektor) mit konstanten Komponenten. Derartige Bewegungen heißen gleichm¨ aßig beschleunigt. Bewegungen mit konstanter Geschwindigkeit v nennt man gleichf¨ormig. Das WegZeit-Gesetz f¨ ur eine gleichf¨ ormige Bewegung ist r(t) = vt. Bewegt sich eine Masse mit einer konstanten Beschleunigung, dann ist von einer gleichm¨aßig beschleunigten Bewegung die Rede. Diese haben das Weg-Zeit-Gesetz r(t) = at2 /2.

2.3

Bogenl¨ange

Bisher wurden Orts-Zeit-Gesetze in Abh¨ angigkeit der verstrichenen Zeit t untersucht es wurde also der Ort r bestimmt, an dem sich ein betrachtetes Teilchen zur Zeit t befindet. Diese Art der Parametrisierung erweist sich als sinnvoll, sofern man sich als Beobachter in einem ortsfesten Koordinatensystem befindet und die Bahn des Teilchens von außen verfolgt. Jedoch gibt es auch andere Arten der Parametrisierung, die Vorteile gegen¨ uber der Parametrisierung nach der Zeit haben k¨ onnen. Angenommen, ein Teilchen bewege sich auf einer Raumkurve   x(t) r(t) = y(t) , (2.23) z(t) dann l¨ asst sich diese in einzelne St¨ uckchen unterteilen. Macht man diese St¨ uckchen klein genug, so kann man sie gut durch geradlinige Verbindungen zwischen den beiden Randpunkten n¨ ahern. Je feiner die Unterteilung wird, desto besser ergibt sich auf diese Weise die urspr¨ ungliche Kurve. Selbst wenn sich die Geschwindigkeit des Teilchens entlang der Kurve zeitlich ¨ andert, kann man dann annehmen, dass sich das Teilchen entlang eines St¨ uckchens betragsm¨ aßig mit konstanter Geschwindigkeit v(t) ≡ |v(t)| bewegt, sofern die St¨ uckchen hinreichend kurz gew¨ahlt sind. Man unterteile die Kurve zwischen zwei Zeitpunkten t0 und t in N gleiche St¨ uckchen, f¨ ur die das Teilchen jeweils die Zeit ∆t ≡ (t − t0 )/N ben¨otigt, um ein solches St¨ uck zu

18

2 Raumkurven und Kinematik

durchlaufen. Die Geschwindigkeit entlang eines St¨ ucks entspreche der Geschwindigkeit am Anfang des jeweiligen St¨ ucks und ¨ andere sich w¨ahrend der Zeitdauer ∆t nicht. Die Wegl¨ ange der einzelnen St¨ ucke folgt dann aus dem Gesetz der gleichf¨ormigen Bewegung. 1. St¨ uck f¨ ur t ∈ [t0 , t1 = t0 + ∆t]: ∆s0 = v(t0 )∆t, 2. St¨ uck f¨ ur t ∈ [t1 , t2 = t1 + ∆t]: ∆s1 = v(t1 )∆t, .. . N . St¨ uck f¨ ur t ∈ [tN −1 = tN −2 + ∆t, t = tN −1 + ∆t]: ∆sN −1 = v(tN −1 )∆t. Der insgesamt zur¨ uckgelegte Weg s l¨ asst sich dann berechnen, indem man alle diese kleinen Wegl¨ angen addiert. Im Grenzfalle einer unendlich kleiner Zeitdauer ∆t f¨ ur ein Wegst¨ uck geht diese Summe in ein Integral u ¨ber: Z t N −1 N −1 X X ∆t7→0 s= ∆sn = v(tn )∆t −−−−→ s(t) = v(t0 ) dt0 . (2.24) n=0

n=0

t0

Diese Art des Grenz¨ ubergangs, bei dem man eine diskrete Summe u ¨ber unendlich kleine Gr¨ oßen (in diesem Falle die Zeitintervalle ∆t) in ein Integral umschreibt, spielt in der klassischen Physik eine große Rolle. Sie werden darauf im Verlauf des Buchs noch o ¨fter stoßen. Summen aus vielen Gliedern kann man n¨amlich oft nur mit viel mehr Aufwand berechnen als ein Integral, obwohl Integrale an sich auch schnell kompliziert werden. Dennoch zieht man Integrale f¨ ur analytische Rechnungen vor, w¨ahrend man bei numerischen Rechnungen mit dem Computer oft wieder auf die Summe zur¨ uckgreift. Im Prinzip ist es nicht schwer, Gleichung (2.24) physikalisch zu verstehen. F¨ ur die zur¨ uckgelegte Wegl¨ ange eines Teilchens spielt nur der Betrag der Geschwindigkeit v(t) eine Rolle; die vektorielle Information wird nicht ben¨otigt. Da sich das Teilchen nicht notwendigerweise gleichf¨ ormig bewegen muss, teilt man den zur¨ uckgelegten Weg des Teilchens in einzelne St¨ ucke auf. Entlang derer kann man die Bewegung als n¨aherungsweise gleichf¨ ormig betrachten. Die obige Gleichung ist daher eine Verallgemeinerung des Gesetzes Weg = Geschwindigkeit × Zeit“ f¨ ur nicht gleichf¨ormige Bewegungen. Die ” endg¨ ultige Formel zur Berechnung der Bogenl¨ange f¨ ur das Intervall [t0 , t] lautet nun: Z tp s(t) = x(t ˙ 0 )2 + y(t ˙ 0 )2 + z(t ˙ 0 )2 dt0 . (2.25) t0

Man bezeichnet die zur¨ uckgelegte Wegl¨ ange s eines Teilchens entlang einer Kurve r(t) als die Bogenl¨ ange der Kurve. Auch die Bogenl¨ange ist eine Funktion der Zeit, da ein Teilchen nat¨ urlich einen weiteren Weg zur¨ ucklegt, sofern ihm mehr Zeit zur Verf¨ ugung steht. Warum ist man jedoch an der Bogenl¨ ange interessiert? Ist es m¨oglich, die Gleichung s = s(t) nach der Zeit aufzul¨ osen, dann folgt daraus eine neue Funktion t(s), welche die Zeit in Abh¨ angigkeit von der Bogenl¨ ange angibt. Auf diese Weise l¨asst sich also herausfinden, zu welchem Zeitpunkt das Teilchen eine bestimmte Bogenl¨ange zur¨ uckgelegt hat. Jetzt klingelt es vielleicht bereits bei Ihnen, denn man kann auf diese Weise den Parameter t im Orts-Zeit-Gesetz durch die Bogenl¨ange s ersetzen: t=t(s)

r(t) −−−−→ r(t(s)) = e r(s) ≡ r(s) .

(2.26)

2.3 Bogenl¨ ange

19

Man erh¨ alt so ein neues Orts-Zeit-Gesetz, das jedoch wieder mit der urspr¨ unglichen Variablen r bezeichnet werden soll. Damit l¨ asst sich nun die Position des Teilchens angeben, nachdem es eine gewisse Bogenl¨ ange zur¨ uckgelegt hat. Man nennt diese M¨oglichkeit der Parametrisierung einer Kurve auch Parametrisierung nach der Bogenl¨ ange.

¨ Ubungsaufgabe 2.4: Die gemeine Stubenfliege Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Fliege zur Zeit t0 = 0 mittels einer Klatsche getroffen, und diese trudelt entlang der folgenden Schraubenlinie in Richtung Fußboden:   R cos(ωt) (2.27) r(t) =  R sin(ωt)  , R > 0 , vz < 0 . vz t Die Fliege bewegt sich also kreisend um die z-Achse in Richtung einer kleiner werdenden z-Koordinate. Berechnen Sie die zur¨ uckgelegte Bogenl¨ange s und parametrisieren Sie anschließend die Schraubenlinie nach der Bogenl¨ange.

L¨osung zu Aufgabe 2.4 Einfaches Ableiten nach der Zeit f¨ uhrt zum Geschwindigkeitsvektor in Abh¨angigkeit von der Zeit:   −Rω sin(ωt) v(t) =  Rω cos(ωt)  . (2.28) vz Das interessante ist, dass der Betrag der Geschwindigkeit bei der Bewegung entlang einer solchen Schraubenlinie nicht von der Zeit abh¨angt: q v(t) = |v(t)| = (−Rω)2 sin2 (ωt) + (Rω)2 cos2 (ωt) + vz2 p = (Rω)2 + vz2 . (2.29) Die trudelnde Fliege bewegt sich also entlang der Schraubenlinie mit einer betragsm¨aßig konstanten Geschwindigkeit. Die Bogenl¨ ange folgt durch Integration von v(t) bez¨ uglich der Zeit. Da v zeitlich konstant ist, stellt dies kein Problem dar. Die Fliege beginne zum Zeitpunkt t0 = 0 mit dem Trudeln: Z t p s(t) = v(t0 ) dt0 = (Rω)2 + vz2 t . (2.30) 0

Die Gleichung s = s(t) l¨ asst sich ebenso problemlos nach t aufl¨osen: p s s = (Rω)2 + vz2 t ⇒ t(s) = p . (Rω)2 + vz2 Zum Schluss kann man so im Orts-Zeit-Gesetz t durch s ersetzen:   R cos ξ ω , ξ=p r(s) =  s. pR sin ξ 2 + v2 (Rω) 2 2 z vz s/ (Rω) + vz

(2.31)

(2.32)

20

2 Raumkurven und Kinematik

Das Symbol ξ wird verwendet, damit sich die ergebende Formel kompakter schreiben l¨ asst.

¨ Ubungsaufgabe 2.5: Parametrisierung nach der Bogenl¨ange Ein Teilchen bewege sich in Abh¨ angigkeit von der Zeit t ≥ 0 entlang der folgenden Kurve:   √ 2 2at 2 r(t) = (2.33) sin(ωt) − vt cos(ωt) , 3 cos(ωt) + vt sin(ωt) mit a = 1 m/s2 , v = 1 m/s und ω = 1/s. F¨ uhren Sie eine Parametrisierung der Kurve nach ihrer Bogenl¨ ange s durch. An welchem Punkt befindet sich das Teilchen, nachdem es die Wegl¨ ange s = 4π 2 m zur¨ uckgelegt hat?

L¨osung zu Aufgabe 2.5 ¨ Der Ubersichtlichkeit halber lassen wir die Einheiten weg und berechnen aus   √ 2 2t 2 r(t) = sin(t) − t cos(t) 3 cos(t) + t sin(t) den Geschwindigkeitsvektor durch einmaliges Ableiten nach der Zeit:    √  √ 2 2t 2 2t 2 2 v(t) =  cos(t) − cos(t) + t sin(t)  =  t sin(t)  . 3 − sin(t) + sin(t) + t cos(t) 3 t cos(t) Der Betrag der Geschwindigkeit lautet: r 2  √ 2 2 2t + t2 sin2 (t) + t2 cos2 (t) v(t) = |v(t)| = 3 2 √ 2 t≥0 2 = 9t = · 3t = 2t . 3 3

(2.34)

(2.35)

(2.36)

Eine Integration bez¨ uglich der Zeit f¨ uhrt zur Wegl¨ange s(t): Z s(t) =

t

2t0 dt0 = [t02 ]t0 = t2 .

(2.37)

0

Eine zur¨ uckgelegte Wegl¨ ange ist immer gr¨ oßer gleich null. Daher kann man auf beiden Seiten einfach die Wurzel ziehen und t durch die Bogenl¨ange ausdr¨ ucken: √ t(s) = s . (2.38)

2.4 Begleitendes Dreibein Einsetzen in das Orts-Zeit-Gesetz f¨ uhrt auf:   √ 2s √ √ √  2 r(s) = sin( s) − s cos( s) . 3 cos(√s) + √s sin(√s)

21

(2.39)

Die Position des Teilchens bei einer zur¨ uckgelegten Wegl¨ange von 4π 2 m gewinnt man 2 nun durch Einsetzen von s = 4π in das nach Bogenl¨ange parametrisieren Orts-ZeitGesetz:    √  √ 2 · 4π 2 4 2π 2 2 2 r(s = 4π 2 ) = sin(2π) − 2π cos(2π) =  −2π  . (2.40) 3 cos(2π) + 2π sin(2π) 3 1

2.3.1

Bogenl¨ange des Graphen einer Funktion

Aus der obigen Formel f¨ ur die Bogenl¨ ange einer Kurve kann man noch den Spezialfall der Bogenl¨ ange des Graphen einer Funktion y = f (x) herleiten, die in einem x-yKoordinatensystem aufgetragen ist. Dabei handelt es sich ebenso um eine Kurve, welche in Abh¨ angigkeit des Parameters x durchlaufen wird:   x r(x) = . (2.41) f (x) Dann ergibt sich mit der obigen Formel sofort die L¨ange dieser Kurve, was der L¨ange des Graphen der Funktion y = f (x) zwischen den Werten x0 und x entspricht: s 2 Z x  0 2  Z xp dx df (x0 ) 0 L= + dx = 1 + f 0 (x0 )2 dx0 . (2.42) dx0 dx0 x0 x0

¨ Ubungsaufgabe 2.6: Bogenl¨ange einer Funktion Betrachten Sie den Graphen der Funktion f (x) = (2/3)x3/2 von x0 = 0 bis x = 1. Berechnen Sie die Bogenl¨ ange des Graphen zwischen diesen beiden x-Werten.

2.4

Begleitendes Dreibein

Welchen Vorteil kann man aus der Parametrisierung einer Kurve nach der Bogenl¨ange ziehen? Um diese Frage zu beantworten, berechnet man die Ableitung der Kurve nach der Bogenl¨ ange. Analog zur zeitlichen Ableitung eines Orts-Zeit-Gesetzes entspricht auch diese einem Vektor, der am jeweiligen Punkt tangential die Kurve ber¨ uhrt. Dieser Tangentenvektor soll im Folgenden als T bezeichnet werden und lautet:   −R sin ξ ω  R cos ξ  . T ≡ r˙ (s) = p (2.43) (Rω)2 + vz2 vz /ω

22

2 Raumkurven und Kinematik

Das Betragsquadrat von T ist erstaunlicherweise gleich eins: |T|2 =

(Rω)2 vz2 (Rω)2 + vz2 2 2 (sin ξ +cos ξ)+ = = 1 . (2.44) (Rω)2 + vz2 (Rω)2 + vz2 (Rω)2 + vz2

Parametrisiert man eine Kurve nach der Bogenl¨ange, ist der zugeh¨orige Tangentenb Das gilt ganz allgemein, wie Sie mit Hilfe der vektor also ein Einheitsvektor: T = T. Kettenregel sehen:  −1 dr dr dt dr ds dr/dt b T= = = = . (2.45) ds dt ds dt dt |dr/dt| Hier wurde ausgenutzt, dass die Ableitung der Bogenl¨ange nach t wieder dem Betrag von r˙ (t) entspricht. Als n¨ achstes soll der Frage nachgegangen werden, wie sich der Tangenteneinheitsvektor b b nach s ableitet: T entlang der Kurve ¨ andert. Dass l¨ asst sich herausfinden, indem man T   cos ξ b dT Rω 2  sin ξ  . =− (2.46) ds (Rω)2 + vz2 0 b u Multipliziert man den erhaltenen Vektor mit T ¨ber das Skalarprodukt, so ergibt sich:     −R sin ξ cos ξ 3 b d T Rω b·  R cos ξ  ·  sin ξ  T =− 2 2 ds (R ω + vz2 )3/2 a 0 =−

R2 ω 3 (− sin ξ cos ξ + cos ξ sin ξ) = 0 . (R2 ω 2 + vz2 )3/2

(2.47)

Beide Vektoren stehen also senkrecht aufeinander! Auch das ist kein Zufall, sondern es b ein Einheitsvektor ist. Diese Tatsache gilt allgemein und l¨asst sich liegt daran, dass T b nach s schnell zeigen: durch Ableiten des Betragsquadrats von T b 2=1⇒ |T|

b b b d b2 d b b dT b +T b · dT = 2T b · dT = 0 . (2.48) |T| = (T · T) = ·T ds ds ds ds ds

Das ist eine sch¨ one Eigenschaft, denn man hat nun bereits zwei Vektoren, die entlang der b tangential Kurve definiert sind und senkrecht aufeinander sehen. Da der erste Vektor T zur Kurve zeigt, liegt der zweite automatisch senkrecht zu ihr. Man bezeichnet ihn daher als Normalenvektor N. Bereits an diesem Beispiel sehen Sie, dass N im Gegensatz zu b kein Einheitsvektor ist: T q Rω 2 Rω 2 cos2 ξ + sin2 ξ = |N| = − . (2.49) 2 2 (Rω) + vz (Rω)2 + vz2 b Wegen N = dT/ds beschreibt der Normalenvektor anschaulich, wie stark sich der Tangentenvektor in Abh¨ angigkeit von der Bogenl¨ange ¨andert. Der Betrag des Normalenvektors N heißt Kr¨ ummung κ der Kurve. Macht die Kurve eine große Biegung, ist sie

2.4 Begleitendes Dreibein

23

b ebenso stark. Somit ist auch die Kr¨ also stark gekr¨ ummt, dann ¨ andert sich T ummung κ groß. Hat man letztere bestimmt, l¨ asst sich N normieren. Der Normaleneinheitsvektor b der Kurve wird somit definiert als: N b ≡ 1N. N κ

(2.50)

b und N b senkrecht aufeinander stehen, sind sie linear unDa die beiden Vektoren T abh¨ angig und spannen eine Ebene auf. Letztere wird als Schmiegungsebene der Kurve bezeichnet. Speziell f¨ ur die Schraubenlinie lautet diese in Parameterdarstellung mit den Parametern p und q: b b E(p, q) : r(s) + pT(s) + q N(s) .

(2.51)

Die Schmiegungsebene h¨ angt vom jeweiligen Punkt auf der Kurve ab. Sie ¨andert sich also entlang der Kurve! b Der Normalenvektor B der Schmiegungsebene l¨asst sich u ¨ber das Kreuzprodukt von T b ausrechnen: und N b ×N b, B≡T

(2.52a) 

   −R sin ξ cos ξ  R cos ξ  ×  sin ξ  B = −p (Rω)2 + vz2 vz /ω 0   vz sin ξ 1 −vz cos ξ  . =p (Rω)2 + vz2 Rω ω

(2.52b)

b gilt: Man kann schnell nachpr¨ ufen, dass B wiederum ein Einheitsvektor ist, also B = B  2 2  1 vz sin ξ + vz2 cos2 ξ + (Rω)2 2 2 (Rω) + vz v 2 + (Rω)2 = z 2 = 1. (Rω) + vz2

|B|2 =

(2.53)

b und N b selbst orthogonale Einheitsvektoren sind, gilt das auch ganz allgemein: Da T   b × N| b 2 = |T| b 2 |N| b 2 sin2 ϕ = 1 · 1 · sin2 π = 1 . |B|2 = |T (2.54) 2 Im Fall der Schraubenlinie kann man die Normalenform der Schmiegungsebene kompakt wie folgt schreiben:   vz sin ξ E : [r − r(s)] · −vz cos ξ  = 0 . (2.55) Rω

24

2 Raumkurven und Kinematik

b dividiert. In dieser Gleichung ist Dabei wurde durch den konstanten Vorfaktor vor B r ein Punkt auf der Ebene und r(s) ein beliebiger Punkt entlang der Kurve. Man b der Schmiegungsebene auch Binormalenvektor. Da B b nennt den Normalenvektor B b b u ber das Kreuzprodukt aus T und N bestimmt wurde, bilden diese drei Vektoren in ¨ b N, b B} b ein Rechtssystem: das begleitende Dreibein der Kurve. Zeigt der Reihenfolge {T, b und der Zeigefinger entlang N, b dann gibt der Daumen der rechten Hand in Richtung T b der Mittelfinger die Richtung von B an. Letztlich wird auch noch dem Binormalenvektor eine Ableitung nach s spendiert, um zu untersuchen, wie sich dieser entlang der Kurve ¨andert:   cos ξ b dB ωvz  sin ξ  . = (2.56) ds (Rω)2 + vz2 0 b N b und B, b die bereits Werfen Sie jetzt bitte noch einmal einen Blick auf die Vektoren T, bestimmt wurden. Dann werden Sie bemerken, dass die obige Ableitung des Binormab Das Negative des Proportionalit¨atsfaktors lenvektors in dieselbe Richtung zeigt wie N. zwischen beiden Vektoren bezeichnet man als Torsion (Windung) τ : b dB b. ≡ −τ N ds

(2.57)

Im betrachteten Spezialfall der Schraubenlinie lautet diese τ=

ωvz . (Rω)2 + vz2

(2.58)

¨ Da die Torsion mit der Anderung des Binormalenvektors zusammenh¨angt, ist sie ein Maß daf¨ ur, wie stark sich die Lage der Schmiegungsebene entlang einer Raumkurve andert. Im Fall der Schraubenlinie verschwindet die Torsion f¨ ur vz = 0. Das ist klar, ¨ denn dann wird die Kurve auf einen Kreis in der x-y-Ebene zusammengedr¨ uckt. Sowohl Tangentenvektor als auch Normalenvektor des Kreises liegen in der x-y-Ebene und somit auch die Schmiegungsebene! Letztere ¨ andert sich also nicht, unabh¨angig davon, wie oft der Kreis durchlaufen wird. Manchmal ist in der Anwendung auch noch vom Darboux-Vektor, benannt nach dem franz¨ osischen Mathematiker Jean Gaston Darboux, die Rede: b + κB b. Ω = τT

(2.59)

Dieser Vektor ist charakteristisch daf¨ ur, wie schnell sich das begleitende Dreibein entlang der Raumkurve dreht. Er ist nicht notwendigerweise ein Einheitsvektor: b 2 + κ2 |B| b 2 + 2τ κ(T b · B) b = τ 2 + κ2 . |Ω|2 = τ 2 |T|

(2.60)

2.4 Begleitendes Dreibein

25

Das begleitende Dreibein ist ein Koordinatensystem bestehend aus drei orthogonalen Basisvektoren, das entlang einer nach Bogenl¨ange s parametrisierten Kurve r(s) definiert ist. Die normierten Basisvektoren lauten b = r˙ (s) , T

b = N

b 1 dT , b ds |dT/ds|

b =T b ×N b. B

In dieser Reihenfolge nennt man sie Tangenteneinheits-, Normaleneinheits- und Binormaleneinheitsvektor.

¨ Ubungsaufgabe 2.7: Berechnung des begleitenden Dreibeins Betrachten Sie die nach Bogenl¨ ange parametrisierte Kurve aus Aufgabe 2.5:   √ 2s √ √ √  2 r(s) = sin( s) − s cos( s) . 3 cos(√s) + √s sin(√s)

(2.61)

Berechnen Sie das begleitende Dreibein f¨ ur diese Kurve, und bestimmen Sie außerdem ihre Kr¨ ummung und die Torsion.

L¨osung zu Aufgabe 2.7 b dem NormaDas begleitende Dreibein setzt sich aus dem Tangenteneinheitsvektor T, b und dem Binormaleneinheitsvektor B b zusammen. Der Tangentenleneinheitsvektor N vektor folgt durch einmaliges Ableiten von r(s) nach der Bogenl¨ange s:  √  2 √2 dr 1 b= T =  sin( √s)  . (2.62) ds 3 cos( s) Dieser Vektor ist ein Einheitsvektor, so wie es auch sein muss: q √ √ √ √ √ b = 1 (2 2)2 + sin2 ( s) + cos2 ( s) = 1 8 + 1 = 1 9 = 1 . |T| 3 3 3 b nach s: Der Normalenvektor ergibt sich durch Ableiten von T   0√ b dT 1 N= = √  cos( √s)  . ds 6 s − sin( s)

(2.63)

(2.64)

Der Normalenvektor ist selbst nicht notwendigerweise ein Einheitsvektor; dessen Betrag liefert die Kr¨ ummung κ(s) der Kurve: q √ √ 1 1 κ(s) = |N| = √ cos2 ( s) + sin2 ( s) = √ . (2.65) 6 s 6 s

26

2 Raumkurven und Kinematik

Mit steigender Bogenl¨ ange geht die Kr¨ ummung der Kurve gegen null. Darauf wird am Ende noch n¨ aher eingegangen. Durch Normierung des Normalenvektors ergibt sich der b also der zweite Vektor des gesuchten Dreibeins: Einheitsvektor N,   0 b = 1 N =  cos(√s)  . N (2.66) √ κ(s) − sin( s) b und N: b Letztendlich folgt der Binormalenvektor aus dem Kreuzprodukt von T  √      0 2 2 √ −1 b =T b ×N b = 1  sin(√s)  ×  cos(√s)  = 1  2 2 sin(√s)  . (2.67) B √ √ √ 3 cos(√s) 3 − sin( s) 2 2 cos( s) b ein Einheitsvektor ist. Schnell l¨ asst sich nachpr¨ ufen, dass auch B q √ √ √ √ b = 1 (−1)2 + (2 2)2 sin2 ( s) + (2 2)2 cos2 ( s) |B| 3 1√ = 1 + 8 = 1. (2.68) 3 Derartige Gegenproben sind sehr n¨ utzlich, um Ergebnisse zu u ufen. Wenn man ¨berpr¨ den Binormalenvektor noch einmal ableitet und das Ergebnis mit dem Normaleneinheitsvektor vergleicht, kann man die Torsion τ (s) ablesen:     √ 0 0 b √ dB 2 ! b = −τ (s)  cos(√s)  , = √  cos( √s)  = −τ (s)N (2.69a) √ ds 3 s − sin( s) − sin( s) √ 2 ⇒ τ (s) = − √ . (2.69b) 3 s

Abb. 2.9: Darstellung der Schraubenlinie aus Gleichung (2.61).

2.5 Raumkurven in Polarkoordinaten

27

Eine graphische Darstellung der Kurve findet sich in Abbildung 2.9. Es handelt sich dabei um eine Schraubenlinie um die z-Achse, deren Durchmesser mit wachsender Bogenl¨ ange ansteigt. Das ist auch der Grund, warum die Kr¨ ummung der Kurve f¨ ur große Werte von s immer kleiner wird. Dann n¨ ahern sich die kreisf¨ormigen St¨ ucke f¨ ur kleine Ausschnitte immer mehr einer ungekr¨ ummten Geraden an. Derselbe Effekt sorgt daf¨ ur, dass wir Menschen die Erdoberfl¨ ache als gerade Fl¨ache und nicht als Oberfl¨ache einer Kugel wahrnehmen. Die Torsion geht ebenso gegen null, da sich weit außen auf der Schraubenlinie die Lage der Schmiegungsebene (mit dem Binormalenvektor als Normalenvektor) nur noch minimal in Abh¨ angigkeit von s ¨andert.

2.5

Raumkurven in Polarkoordinaten

Alle bisherigen Betrachtungen wurden im grundlegenden und einfachsten Koordinatensystem durchgef¨ uhrt: dem kartesischen, das durch paarweise senkrecht aufeinander stehende Koordinatenachsen charakterisiert ist. Das heißt jedoch nicht, dass dieses auch f¨ ur jede Situation am besten geeignet ist. Die Wahl des Koordinatensystems, in dem eine konkrete Aufgabenstellung mit dem geringsten Rechenaufwand bearbeitet werden kann, ist bereits ein signifikanter Teil des L¨ osungswegs. Das kartesische Koordinatensystem ist durch geradlinige Koordinatenachsen und Koordinatenlinien parallel zu den Achsen ausgezeichnet. Die Basisvektoren b ex , b ey und b ez zeigen jeweils entlang einer jeden Achse und sind unabh¨angig von der Wahl des Punkts im Koordinatensystem. Derartige Eigenschaften sind jedoch bei einer anderen u ¨beraus wichtigen Klasse von Koordinatensystemen, den krummlinigen Koordinatensystemen, nicht mehr vorhanden. Wie solche Systeme aussehen, wozu man sie ben¨otigt und wie man mit ihnen umgeht, lernen Sie in den folgenden Abschnitten. Das einfachste und wichtigste krummlinige Koordinatensystem ist das der ebenen Polarkoordinaten. Dieses Koordinatensystem ist zweidimensional und setzt sich aus einer horizontalen und einer vertikalen Koordinatenachse zusammen, die sich im Koordinatenursprung schneiden und aufeinander senkrecht stehen. Anstatt die Lage eines Punktes durch Koordinaten (x, y) anzugeben, also den abgetragenen Abst¨anden zum Koordinatenursprung entlang paralleler Linien zu den Koordinatenachsen, verwendet man eine andere Art von Koordinaten: (r, ϕ). Ist P ein Punkt innerhalb des Koordinatensys−−→ tems, so handelt es sich bei r um den Betrag des Vektors r = OP , also um den Abstand des Punkts P zum Ursprung. Der Winkel ϕ wird eingeschlossen von der positiven horizontalen Achse und dem Vektor r. Es ist u ¨beraus wichtig, dass dieser Winkel immer zur positiven horizontalen Achse gemessen wird. Nur dann ist die Lage eines Punkts eindeutig festgelegt. Die r-Koordinatenlinien sind konzentrische Kreise mit Radius r, deren gemeinsamer Mittelpunkt dem Koordinatenursprung entspricht. Bei den ϕ-Koordinatenlinien handelt es sich um Halbgeraden, die vom Ursprung ausgehen und strahlenf¨ormig nach außen laufen (siehe Abbildung 2.10a).

28

2 Raumkurven und Kinematik

Um einen Zusammenhang zwischen den kartesischen Koordinaten und den neuen Polarkoordinaten herzustellen, legt man beide Koordinatensysteme aufeinander wie in Abbildung 2.10b dargestellt. Dann betrachtet man einen speziellen Punkt und zeichnet wie gezeigt ein rechtwinkliges Dreieck ein, dessen Hypotenuse entlang des Abstandsvektors r des Punkts liegt. Wichtig ist dar¨ uber hinaus der Winkel ϕ. Die kartesische x-Koordinate des Punkts entspricht der L¨ ange der einen Kathete und die y-Koordinate die der anderen Kathete. Gem¨ aß der Zusammenh¨ ange x = r cos ϕ ,

y = r sin ϕ ,

(2.70)

kann man Polarkoordinaten (r, ϕ) in kartesische Koordinaten (x, y) umrechnen. Umgekehrt rechnet man mit den beiden folgenden Formeln kartesische Koordinaten in Polarkoordinaten um: y p r = x2 + y 2 , ϕ = arctan . (2.71) x Die Koordinate r erstreckt sich u ¨ber [0, ∞) und die Koordinate ϕ u ¨ber [0,2π).

Leider ist diese Umrechnung ein wenig komplizierter. Das liegt daran, dass man f¨ ur die Arkustangensfunktion unterscheiden muss, in welchem Quadranten sich der jeweilige Punkt befindet. Die Arkustangensfunktion liefert zun¨achst nur Winkel von ϕ = −π/2 bis ϕ = π/2; man muss sie daher auf den vollen Bereich [0,2π) fortsetzen. Wie das ¨ konkret funktioniert, wird in der folgenden Ubungsaufgabe demonstriert.

(a) Koordinatenlinien

(b) Vergleich zwischen kartesischen und Polarkoordinaten

Abb. 2.10: Eigenschaften der Polarkoordinaten.

2.5 Raumkurven in Polarkoordinaten

29

¨ Ubungsaufgabe 2.8: Umrechnung von kartesischen in Polarkoordinaten √ √ Betrachten Sie √ die vier Punkte P1 = ( 3,1), P2 = (−2,2 3), P3 = (−1, −1) und P4 = (2, −2 3) in kartesischen Koordinaten. Rechnen Sie diese in Polarkoordinaten um. Bei solchen Aufgaben macht man am besten eine Skizze, um die Punkte zusammen mit der Verbindungslinie vom Koordinatenursprung und dem Winkel zur positiven x-Achse in ihre jeweiligen Quadranten einzuzeichnen.

L¨osung zu Aufgabe 2.8 Die Berechnung der r-Koordinaten stellt keine Schwierigkeit dar. Um jedoch die ϕKoordinate bestimmen zu k¨ onnen, muss man wissen, in welchem Quadranten der jeweilige Punkt liegt.

√ (a) P1 = ( 3,1)

√ (b) P2 = (−2,2 3)

(c) P3 = (−1, −1)

√ (d) P4 = (2, −2 3)

Abb. 2.11: Umrechnung von kartesischen Koordinaten in Polarkoordinaten.

30

2 Raumkurven und Kinematik 1) Da sowohl die x- als auch die y-Koordinate positiv ist, liegt P1 im ersten Quadranten (siehe Abbildung 2.11a). Hier funktioniert die Berechnung des Winkels ϕ noch ohne Probleme:   q√ √ 1 π r1 = ( 3)2 + 1 = 4 = 2 , ϕ1 = arctan √ = . (2.72) 6 3 2) Da die x-Koordinate von P2 negativ ist, die y-Koordinate aber positiv, liegt dieser Punkt im zweiten Quadranten. Dann gilt: q √ √ √ r2 = (−2)2 + (2 3)2 = 4 + 12 = 16 = 4 , (2.73a) 0

ϕ = arctan

√ ! √ 2 3 π = arctan(− 3) = − . −2 3

(2.73b)

Was man hier u ¨ber den Arkustangens bestimmt, ist der Winkel ϕ0 des entsprechend eingezeichneten rechtwinkligen Dreiecks im zweiten Quadranten. Gezeigt ist dieses in Abbildung 2.11b. Dieser Winkel ist negativ, weil er von der negativen x-Achse aus im Uhrzeigersinn (also mathematisch negativen Sinn) gemessen wird. Der gesuchte Winkel ϕ2 der Polarkoordinaten ist jedoch der, welcher zwischen der Hypotenuse dieses rechtwinkligen Dreiecks und der positiven x-Achse liegt. Damit muss man zus¨ atzlich einen Winkel π addieren, und man erh¨alt: ϕ2 = π + ϕ0 = π −

π 2π = . 3 3

(2.74)

3) Hier sind beide Koordinaten negativ. Daher kann P3 nur im dritten Quadranten liegen. Der Radius und der Winkel lauten dann: p √ r3 = (−1)2 + (−1)2 = 2 , (2.75a)   −1 π ϕ00 = arctan = arctan(1) = . (2.75b) −1 4 Der Arkustangens f¨ uhrt hier zum Winkel ϕ00 in dem rechtwinkligen Dreieck, das sich im dritten Quadranten von Abbildung 2.11c befindet. Dieser Winkel ist positiv, da er im Gegenuhrzeigersinn zur negativen x-Achse hin gemessen wird. Er entspricht jedoch nur dann dem gesuchten Winkel ϕ3 zur positiven x-Achse, wenn man auch hier einen Beitrag von π addiert: ϕ3 = π + ϕ00 = π +

π 5π = . 4 4

(2.76)

4) Zu guter Letzt verbleibt P4 , der aufgrund der positiven x-Koordinate und der negativen y-Koordinate im vierten Quadranten liegt, wie in Abbildung 2.11d dargestellt. q √ √ √ r4 = 22 + (−2 3)2 = 4 + 12 = 16 = 4 , (2.77a)

2.5 Raumkurven in Polarkoordinaten

000

ϕ

= arctan

31

√ ! √ −2 3 π = arctan(− 3) = − . 2 3

(2.77b)

Der Winkel ϕ000 befindet sich im rechtwinkligen Dreieck des vierten Quadranten. Er ist negativ, weil er im Uhrzeigersinn zur positiven x-Achse hin gemessen wird. Um den gesuchten Winkel ϕ4 zu erhalten, muss der volle Winkel 2π addiert werden: ϕ4 = 2π + ϕ000 = 2π −

π 5π = . 3 3

(2.78)

¨ Die Berechnung des Winkels ϕ eines Punkts beim Ubergang von kartesischen Koordinaten (x, y) zu Polarkoordinaten (r, ϕ) l¨ asst sich wie folgt verallgemeinern:  arctan(y/x)     π/2 ϕ = π + arctan(y/x)     3π/2 2π + arctan(y/x)

2.5.1

f¨ ur f¨ ur f¨ ur f¨ ur f¨ ur

x > 0, y x = 0, y x < 0, x = 0, y x > 0, y

≥ 0, > 0, (2.79) < 0, < 0.

Die Basisvektoren der Polarkoordinaten

Nachdem Ihnen hiermit demonstriert wurde, wie Sie Punkte von kartesischen Koordinaten in eine entsprechende Darstellung der Polarkoordinaten umrechnen, ben¨otigen Sie noch eine weitere Zutat, um schließlich Raumkurven in Polarkoordinaten beschreiben zu k¨ onnen. Zur Darstellung eines Vektors ben¨otigt man schließlich nicht nur dessen Komponenten, sondern ebenso die zugeh¨ orige Basis, in der man den Vektor darstellt. Die Basisvektoren von krummlinigen Koordinatensystemen erh¨alt man aus dem Vektor −−→ OP , der vom Ursprung zu einem beliebigen Punkt zeigt. Dieser Vektor wird mit Hilfe der kartesischen Basisvektoren b ex , b ey dargestellt, jedoch werden bereits die Umrechnungsformeln f¨ ur die Koordinaten benutzt:   −−→ x OP ≡ r(x, y) = xb ex + yb ey = , (2.80a) y   r cos ϕ r(r, ϕ) = r cos ϕ b ex + r sin ϕ b ey = . r sin ϕ

(2.80b)

Die vektorielle Funktion r(r, ϕ) stellt f¨ ur konstante ϕ die ϕ-Koordinatenlinien dar, also die Halbgeraden, welche vom Ursprung ausgehen. Leitet man r(r, ϕ = const) nach r ab, so muss sich ein Vektor ergeben, der tangential zu diesen Halbgeraden liegt und damit radial nach außen zeigt. Dabei handelt es sich um den radialen Basisvektor b er . Betrachtet man ϕ bei der Ableitung als fest, dann entspricht diese Ableitung im Prinzip der partiellen Ableitung bez¨ uglich r. Leitet man eine Funktion mehrerer Unbekannter partiell nach einer Variablen ab, werden alle anderen Unbekannten als konstant betrachtet.

32

2 Raumkurven und Kinematik

Dann gilt: ∂r ∂ er = = ∂r ∂r

    r cos ϕ cos ϕ = . r sin ϕ sin ϕ

(2.81)

Unschwer sieht man, dass dieser Vektor bereits normiert und er deshalb ein Einheitsvektor ist. Andererseits handelt es sich bei r(r = const, ϕ) um die r-Koordinatenlinien, also um Kreise. Eine partielle Ableitung von r bez¨ uglich ϕ f¨ uhrt auf Vektoren, die tangential an diesen Kreisen liegen. Diese Vektoren nennt man eϕ :     ∂r ∂ r cos ϕ −r sin ϕ eϕ = = = . (2.82) r cos ϕ ∂ϕ ∂ϕ r sin ϕ Im Gegensatz zu er muss dieser Vektor noch normiert werden. Die beiden Vektoren, die aufeinander senkrecht stehen und in der Ebene somit als Basisvektoren der Polarkoordinaten dienen k¨onnen, lauten:     cos ϕ − sin ϕ b er = , b eϕ = , b er · b eϕ = 0 . (2.83) sin ϕ cos ϕ

Wie Sie sehen, h¨ angen die Einheitsvektoren b er , b eϕ vom Winkel ϕ ab; sie ¨andern sich, wenn man sie entlang eines Kreises bewegt. Dieses Verhalten tritt bei den kartesischen Einheitsvektoren b ex , b ey nicht auf, ist jedoch typisch f¨ ur die Einheitsvektoren krummliniger Koordinatensysteme.

2.5.2

Bewegung einer Punktmasse in Polarkoordinaten

Im Prinzip kann jede Bewegung einer Punktmasse in der Ebene, sofern sie nicht durch den Koordinatenursprung verl¨ auft, mit Hilfe von Polarkoordinaten behandelt werden. Der Koordinatenursprung selbst ist ein kritischer Punkt, da an diesem der Winkel ϕ nicht definiert ist. Ginge die Kurve, welche die Bewegung beschreibt, doch durch den Ursprung, so verschiebt man eben das Koordinatensystem so, dass dies nicht mehr der Fall ist. Das ist immer erlaubt. Eine Kurve in der Ebene l¨asst sich in Polarkoordinaten durch eine zeitabh¨ angige Abstandsfunktion r(t) und Winkelfunktion ϕ(t) beschreiben:   cos ϕ(t) r(t) = r(t)b er (t) , b er (t) = . (2.84) sin ϕ(t) Man ben¨ otigt hier nur den ersten Einheitsvektor b er , da r vom Koordinatenursprung ausgeht und damit immer radial nach außen zeigt. Berechnet werden sollen nun Geschwindigkeit und Beschleunigung durch Ableiten von r(t) nach der Zeit.

2.5 Raumkurven in Polarkoordinaten

33

Beim Ableiten von Orts-Zeit-Gesetzen in krummlinigen Koordinatensystemen muss man auch die Basisvektoren entsprechend ableiten, da diese im Gegensatz zu der kartesischen Standardbasis keine konstanten Komponenten besitzen. Die erste zeitliche Ableitung von r(t) f¨ uhrt zum Geschwindigkeitsvektor v(t). Da der Basisvektor b er selbst vom jeweiligen Punkt und damit von der Zeit abh¨angt, muss auch dieser nach der Zeit abgeleitet werden. Das erstaunliche und sch¨one ist, dass dessen Zeitableitung durch den anderen Basisvektor b eϕ ausgedr¨ uckt werden kann:     d cos ϕ(t) −ϕ(t) ˙ sin ϕ(t) b e˙ r (t) = = = ϕ(t)b ˙ eϕ (t) . (2.85) ϕ(t) ˙ cos ϕ(t) dt sin ϕ(t) Beachten Sie bitte die innere zeitliche Ableitung von ϕ(t). Mit diesem Intermezzo kann nun v(t) bestimmt werden: v(t) = r˙ (t) = r(t)b ˙ er (t) + r(t)b e˙ r (t) = r(t)b ˙ er (t) + r(t)ϕ(t)b ˙ eϕ (t) .

(2.86)

Beim Geschwindigkeitsvektor tritt nun bereits der Einheitsvektor b eϕ auf. Dies zeigt, dass sich die Geschwindigkeit aus zwei Anteilen zusammensetzt: ein radialer, der entlang von b er zeigt, und ein zirkularer entlang von b eϕ . Der allgemeine Geschwindigkeitsvektor zu einem Orts-Zeit-Gesetz r(t) = r(t)b er (t) in Polarkoordinaten setzt sich aus zwei Beitr¨agen zusammen, einer radialen Geschwindigkeit vr und einer zirkularen Geschwindigkeit vϕ : vr (t) = r(t) ˙ ,

vϕ (t) = r(t)ϕ(t) ˙ .

(2.87)

Aus der Geschwindigkeit soll anschließend die Beschleunigung ermittelt werden. Dazu ben¨ otigt man noch die zeitliche Ableitung des zweiten Basisvektors, also     d − sin ϕ(t) −ϕ(t) ˙ cos ϕ(t) ˙b eϕ (t) = = = −ϕ(t)b ˙ er (t) . (2.88) −ϕ(t) ˙ sin ϕ(t) dt cos ϕ(t) Damit l¨ asst sich letztere wieder durch den ersten Basisvektor ausdr¨ ucken, und es ergibt sich: d ˙ a(t) = v(t) = r¨(t)b er (t) + r(t) ˙ b e˙ r (t) + [r(t)ϕ(t)b ˙ eϕ (t)] dt d [ϕ(t)b ˙ eϕ (t)] dt = r¨(t)b er (t) + 2r(t) ˙ ϕ(t)b ˙ eϕ (t) + r(t)ϕ(t)b ¨ eϕ (t) + r(t)ϕ(t) ˙ b e˙ ϕ (t) = r¨(t)b er (t) + r(t) ˙ ϕ(t)b ˙ eϕ (t) + r(t) ˙ ϕ(t)b ˙ eϕ (t) + r(t)

b er (t) + [2r(t) ˙ ϕ(t) ˙ + r(t)ϕ(t)] ¨ eϕ (t) . = [¨ r(t) − r(t)ϕ(t) ˙ 2] b | {z } | {z } =ar (t)

=aϕ (t)

(2.89)

34

2 Raumkurven und Kinematik

Wie der Geschwindigkeitsvektor setzt sich auch der Beschleunigungsvektor in Polarkoordinaten aus einem radialen und einem zirkularen Anteil zusammen: ar (t) = r¨(t) − r(t)ϕ(t) ˙ 2,

aϕ (t) = 2r(t) ˙ ϕ(t) ˙ + r(t)ϕ(t) ¨ .

(2.90)

Man bezeichnet ar (t) als radiale Beschleunigung, und aϕ (t) heißt zirkulare Beschleunigung.

In jedem der Terme tritt eine entsprechende Anzahl von Ableitungen auf. Entweder handelt es sich um eine zweifache Ableitung oder um eine quadrierte erste Ableitung. Wie bereits anfangs festgestellt, gilt die obige Herleitung im Prinzip allgemein. Dennoch verwendet man Polarkoordinaten am besten, um kreisende Bewegungen in einer Ebene zu behandeln, wie sie z.B. f¨ ur die Bewegung einer Punktmasse entlang eines Kreises oder einer Spirale vorkommen. Ansonsten kann die radiale Funktion sehr kompliziert sein oder man muss sie st¨ uckweise f¨ ur jeden einzelnen Quadranten definieren. Erweitert man die Polarkoordinaten (r, ϕ) mit Hilfe der kartesischen Koordinaten z auf die dritte Raumdimension, dann ergeben sich die sogenannten Zylinderkoordinaten. Sie besitzen die Basisvektoren b er , b eϕ und b ez . Die ersten beiden folgen aus den Basisvektoren der Polarkoordinaten, indem man als dritte Komponente eine Null hinzuf¨ ugt; der dritte Basisvektor lautet b ez = (0,0,1)T . Diese Vektoren bilden ein Rechtssystem. Zeigt der Daumen der rechten Hand in Richtung von b er und der Zeigefinger parallel zu b eϕ , dann gibt der Mittelfinger die Richtung von b ez an. Mathematisch gilt dann b er × b eϕ = b ez , b eϕ × b ez = b er und b ez × b er = b eϕ .

¨ Ubungsaufgabe 2.9: Kreisende Massen Berechnen Sie den Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektor einer Punktmasse, die folgender Bewegung unterliegt: 1) auf einem Kreis mit Radius R mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω (an einem Seil angebunden) bzw. 2) auf einer Spirale mit zeitlich linear ansteigendem Radius r(t) = v0 t und zeitlich linear ansteigender Winkelgeschwindigkeit ω(t) = ωa t (mit der Winkelbeschleunigung ωa ).

L¨osung zu Aufgabe 2.9 ¨ Als Ubung empfiehlt es sich, die erste und zweite zeitliche Ableitung der Funktion r(t) noch einmal zu Fuß zu berechnen. Da dies jedoch bereits oben f¨ ur den allgemeinen Fall gemacht wurde, soll hier auf die Endergebnisse zur¨ uckgegriffen werden:

2.5 Raumkurven in Polarkoordinaten

35

1) Der Kreis l¨ asst sich am geschicktesten mit Hilfe von Polarkoordinaten darstellen:   cos(ωt) r(t) = R b er (t) , b er (t) = . (2.91) sin(ωt) Hier gilt somit speziell: r(t) = R , ϕ(t) = ωt ,

r(t) ˙ = 0, ϕ(t) ˙ = ω,

r¨(t) = 0 , ϕ(t) ¨ = 0.

(2.92a) (2.92b)

Daher lautet die Geschwindigkeit: v(t) = r(t) ˙ b er (t) + r(t)ϕ(t) ˙ b eϕ (t) = Rω b eϕ (t) .

(2.93)

Offensichtlich verschwindet die radiale Komponente der Geschwindigkeit. Das ist auch klar, denn schließlich bewegt sich die Punktmasse weder nach außen noch nach innen, sondern bleibt radial gesehen an derselben Position. Die zirkulare Geschwindigkeit ist stattdessen vr (t) = Rω. Sie ist zeitlich konstant und verschwindet nicht, da sie f¨ ur die kreisende Bewegung der Punktmasse verantwortlich ist. Kommen wir zur Beschleunigung: ar (t) = r¨(t) − r(t)ϕ(t) ˙ 2 = −Rω 2 ,

(2.94a)

aϕ (t) = 2r(t) ˙ ϕ(t) ˙ + r(t)ϕ(t) ¨ = 0,

(2.94b)

a = −Rω 2 b er (t) .

(2.94c)

womit

Es ist ersichtlich, dass die Beschleunigung nur eine radiale Komponente besitzt. Dabei handelt es sich um die Beschleunigung, welche die Punktmasse u ¨ber das Seil auf der Kreisbahn h¨ alt. Man nennt sie auch Zentripetalbeschleunigung. Das Minuszeichen sorgt daf¨ ur, dass sie nach innen gerichtet ist, zum Ursprung des Koordinatensystems hin. Die zirkulare Beschleunigung verschwindet, ansonsten w¨ urde sich die Punktmasse immer schneller drehen. 2) Bei der Spirale ¨ andert sich r(t) in Abh¨ angigkeit von der Zeit. Liegt eine Winkelbeschleunigung vor, gilt analog zum Weg-Zeit-Gesetz der gleichm¨aßig beschleunigten Bewegung f¨ ur den zeitlich u ¨berstrichenen Winkel: Z Z 1 ϕ(t) = ω(t0 ) dt0 = ωa t0 dt0 = ωa t2 + ϕ0 , (2.95) 2 mit einem anf¨ anglichen Winkel ϕ0 . Eine solche Spirale besitzt die Gestalt   1 cos ϕ(t) r(t) = v0 t b er (t) , b er (t) = , ϕ(t) = ωa t2 + ϕ0 . (2.96) sin ϕ(t) 2 Die Ableitungen der Radius- und der Winkelfunktion lauten: r(t) = v0 t ,

r(t) ˙ = v0 ,

r¨(t) = 0 ,

(2.97a)

36

2 Raumkurven und Kinematik 1 ωa t2 + ϕ0 , ϕ(t) ˙ = ωa t , ϕ(t) ¨ = ωa . 2 Damit folgt sofort der Geschwindigkeitsvektor: ϕ(t) =

v(t) = v0 b er (t) + v0 ωa t2 b eϕ (t) .

(2.97b)

(2.98)

Dieses mal ist sowohl die radiale als auch die zirkulare Komponente der Geschwindigkeit ungleich null. Die radiale Geschwindigkeit ist konstant. Schließlich vergr¨ oßert sich der Abstand zum Ursprung ja linear mit der Zeit. Dagegen erh¨oht sich die zirkulare Geschwindigkeit, da die Winkelgeschwindigkeit ansteigt. Als n¨ achstes steht wieder die Beschleunigung auf dem Plan: ar (t) = −v0 ωa2 t3 ,

aϕ (t) = 3v0 ωa t ,

a(t) = −v0 ωa2 t3 b er (t) + 3v0 ωa t b eϕ (t) .

(2.99a) (2.99b)

Es gibt eine radiale Beschleunigung, die nach innen wirkt und zeitlich kubisch ansteigt. Das sagt Ihnen, dass sich ohne diese Beschleunigung die Punktmasse schneller als linear nach außen bewegen m¨ usste. Die zirkulare Beschleunigung w¨ achst ebenso und f¨ uhrt zu einer quadratisch ansteigenden zirkularen Geschwindigkeit.

2.6

Raumkurven in Kugelkoordinaten

Das letzte wichtige krummlinige Koordinatensystem, das im aktuellen Kapitel eingef¨ uhrt werden soll, ist das der Kugelkoordinaten. Dabei handelt es sich um ein dreidimensionales Koordinatensystem, mit drei paarweise aufeinander senkrecht stehenden Koordinatenachsen, die sich im Koordinatenursprung O schneiden. Wie bei den Polarkoordinaten macht es einem das Leben einfacher, in dieses Koordinatensystem ein dreidimensionales kartesisches System zu legen, dessen Achsen mit den bereits genannten zusammenfallen. Die Position eines Punktes P ist durch die Angabe der drei Koordinaten (r, ϑ, ϕ) festgelegt. Dabei ist r der Abstand des Punkts zum Ursprung, also der Betrag des Ab−−→ standsvektors r ≡ OP . Bei ϑ und ϕ handelt es sich um zwei Winkel. Der Polarwinkel ϑ ist der Winkel zwischen r und der z-Achse. Der Azimutalwinkel ϕ entspricht dem Winkel zwischen der Projektion von r auf die x-y-Ebene und der positiven x-Achse. Veranschaulicht ist das Ganze in Abbildung 2.12a. Die Umrechnungsformeln von Kugelkoordinaten zu kartesischen Koordinaten lassen sich mit Hilfe der Trigonometrie ebenso aus dieser Abbildung gewinnen. Mit Hilfe von x = r sin ϑ cos ϕ ,

y = r sin ϑ sin ϕ ,

z = r cos ϑ ,

(2.100)

2.6 Raumkurven in Kugelkoordinaten

(a) Vergleich zwischen kartesischen und Kugelkoordinaten

37

(b) Basisvektoren der Kugelkoordinaten

Abb. 2.12: Eigenschaften der Kugelkoordinaten.

werden Kugelkoordinaten (r, ϑ, ϕ) in kartesische Koordinaten (x, y, z) umgerechnet. Die Umrechnungsformeln f¨ ur den Abstand r und den Winkel ϑ der Kugelkoordinaten gewinnt man ebenso schnell aus diesen Gleichungen: ! p z 2 2 2 r = x + y + z , ϑ = arccos p . (2.101) x2 + y 2 + z 2 Hierbei l¨ auft r u ¨ber [0, ∞), ϑ u ¨ber (−π, π) und ϕ u ¨ber [0,2π).

Die Umrechnung f¨ ur den Winkel ϕ ist wie bei den Polarkoordinaten wieder ein bisschen komplizierter. Der Vorteil jedoch ist, dass sich Kugelkoordinaten in der x-y-Ebene zu den ebenen Polarkoordinaten reduzieren. Aus diesem Grund bezeichnet man Kugelkoordinaten manchmal auch als r¨ aumliche Polarkoordinaten. Dann ergibt sich der Winkel ϕ so wie bei den gew¨ ohnlichen Polarkoordinaten, also wie durch Gleichung (2.79) beschrieben. Die Einheitsvektoren der Kugelkoordinaten folgen wieder aus der partiellen Ableitung des Abstandsvektors r eines beliebigen Punkts nach jeweils jeder der Koordinaten r, ϑ und ϕ:     ∂ r sin ϑ cos ϕ sin ϑ cos ϕ r sin ϑ sin ϕ = sin ϑ sin ϕ , er = (2.102a) ∂r r cos ϑ cos ϑ     ∂ r sin ϑ cos ϕ r cos ϑ cos ϕ r sin ϑ sin ϕ = r cos ϑ sin ϕ , eϑ = ∂ϑ r cos ϑ −r sin ϑ

(2.102b)

38

2 Raumkurven und Kinematik     ∂ r sin ϑ cos ϕ −r sin ϑ sin ϕ r sin ϑ sin ϕ = r sin ϑ cos ϕ eϕ = . ∂ϕ r cos ϑ 0

(2.102c)

Eine anschließende Normierung f¨ uhrt auf die Basisvektoren der Kugelkoordinaten. Die normierten Basisvektoren der Kugelkoordinaten stehen paarweise senkrecht aufeinander und lauten:       sin ϑ cos ϕ cos ϑ cos ϕ − sin ϕ b er =  sin ϑ sin ϕ  , b eϑ =  cos ϑ sin ϕ  , b eϕ =  cos ϕ  . cos ϑ − sin ϑ 0 Sie bilden ein Rechtssystem: b er × b eϑ = b eϕ , b eϑ × b eϕ = b er und b eϕ × b er = b eϑ . Der erste Basisvektor b er zeigt vom Koordinatenursprung radial nach außen. Der Basisvektor b eϑ liegt tangential an den L¨ angenkreisen einer Kugel, deren Mittelpunkt im Ursprung liegt. Der letzte Basisvektor b eϕ liegt tangential an den Breitenkreisen einer solchen Kugel. Dargestellt sind die Einheitsvektoren in Abbildung 2.12b.

2.6.1

Bewegung einer Punktmasse in Kugelkoordinaten

Letztendlich interessiert man sich im Rahmen der Punktmechanik daf¨ ur, die Bewegung einer Punktmasse m¨ oglichst geschickt beschreiben zu k¨onnen. Deshalb soll auch hier sowohl der Geschwindigkeits- als auch der Beschleunigungsvektor in Kugelkoordinaten ermittelt werden. Zur Beschreibung einer zeitabh¨angigen Bewegung gehen r, ϑ und ϕ u angige Funktionen, also r(t), ϑ(t) und ϕ(t). Da das Vorgehen von den ¨ber in zeitabh¨ Polarkoordinaten vom Prinzip her klar ist, wird diese Rechnung etwas abgek¨ urzt. Auch hier ben¨ otigt man wieder die zeitliche Ableitung jedes einzelnen Basisvektors.     ϑ˙ cos ϑ cos ϕ − ϕ˙ sin ϑ sin ϕ sin ϑ cos ϕ d  sin ϑ sin ϕ  = ϑ˙ cos ϑ sin ϕ + ϕ˙ sin ϑ cos ϕ b e˙ r = dt cos ϑ −ϑ˙ sin ϑ     cos ϑ cos ϕ − sin ϕ = ϑ˙  cos ϑ sin ϕ  + ϕ˙ sin ϑ  cos ϕ  = ϑ˙ b eϑ + ϕ˙ sin ϑ b eϕ , (2.103a) − sin ϑ 0     −ϑ˙ sin ϑ cos ϕ − ϕ˙ cos ϑ sin ϕ cos ϑ cos ϕ d  cos ϑ sin ϕ  = −ϑ˙ sin ϑ sin ϕ + ϕ˙ cos ϑ cos ϕ b e˙ ϑ = dt − sin ϑ −ϑ˙ cos ϑ     sin ϑ cos ϕ − sin ϕ = −ϑ˙  sin ϑ sin ϕ  + ϕ˙ cos ϑ  cos ϕ  cos ϑ 0 = −ϑ˙ b er + ϕ˙ cos ϑ b eϕ ,

(2.103b)

2.6 Raumkurven in Kugelkoordinaten

39

      − sin ϕ −ϕ˙ cos ϕ cos ϕ d  cos ϕ  =  −ϕ˙ sin ϕ  = −ϕ˙  sin ϕ  b e˙ ϕ = dt 0 0 0 = −ϕ(sin ˙ ϑb er + cos ϑ b eϑ ) .

(2.103c)

Wie bei den Polarkoordinaten l¨ asst sich die Ableitung eines jeden Basisvektors wieder durch die anderen Basisvektoren ausdr¨ ucken. Nun wird eine Bewegung entlang einer beliebigen Kurve in einem dreidimensionalen Koordinatensystem betrachtet. Die einzige Einschr¨ ankung ist wiederum, dass die Kurve nicht durch den Koordinatenursprung verl¨ auft. Dann kann das Orts-Zeit-Gesetz wie folgt dargestellt werden: r(t) = r(t)b er (t) .

(2.104)

Da der Vektor vom Ursprung ausgeht und zu einem Punkt auf der Kurve zeigt, reicht wiederum einzig und allein der radial nach außen zeigende Basisvektor b er aus. Die zeitliche Ableitung von r(t) f¨ uhrt auf den Geschwindigkeitsvektor: v(t) = r˙ (t) = rb ˙ er + rb e˙ r = r˙ b er + rϑ˙ b eϑ + r sin ϑϕ˙ b eϕ ,

(2.105)

Bei der Geschwindigkeit gibt es also drei Beitr¨ age. Jeder einzelne zeigt in Richtung einer der drei Basisvektoren. Der Geschwindigkeitsvektor in Kugelkoordinaten besteht aus drei Anteilen: einer radialen Geschwindigkeit, einer polaren und einer azimutalen Geschwindigkeit. vr (t) = r(t) ˙ ,

˙ , vϑ (t) = r(t)ϑ(t)

vϕ (t) = r(t) sin ϑ(t)ϕ(t) ˙ .

(2.106)

Die Beschleunigung folgt durch nochmaliges Ableiten. Dabei ist es jedoch geschickt, die Ableitung eines jeden einzelnen Terms getrennt zu betrachten, da ansonsten die Zwischenergebnisse u ¨beraus lang werden: d (r˙ b er ) = r¨ b er + r˙ b e˙ r = r¨ b er + r˙ ϑ˙ b eϑ + r˙ ϕ˙ sin ϑ b eϕ , dt

(2.107a)

d ˙ d (rϑ b eϑ ) = r˙ ϑ˙ b eϑ + r (ϑ˙ b eϑ ) = r˙ ϑ˙ b eϑ + rϑ¨ b eϑ + rϑ˙ b e˙ ϑ dt dt = r˙ ϑ˙ b eϑ + rϑ¨ b eϑ − rϑ˙ 2 b er + rϑ˙ ϕ˙ cos ϑ b eϕ 2 ˙ ¨ ˙ ˙ = (r˙ ϑ + rϑ) b eϑ − rϑ b er + rϑϕ˙ cos ϑ b eϕ , d d (r sin ϑϕ˙ b eϕ ) = r˙ ϕ˙ sin ϑ b eϕ + r (ϕ˙ sin ϑ b eϕ ) dt dt 

d = r˙ ϕ˙ sin ϑ b eϕ + r ϕ¨ sin ϑ b eϕ + ϕ˙ (sin ϑ b eϕ ) dt

(2.107b)



40

2 Raumkurven und Kinematik = r˙ ϕ˙ sin ϑ b eϕ + rϕ¨ sin ϑ b eϕ + rϕ˙ ϑ˙ cos ϑ b eϕ + rϕ˙ sin ϑ b e˙ ϕ = (r˙ ϕ˙ sin ϑ + rϕ¨ sin ϑ + rϑ˙ ϕ˙ cos ϑ)b eϕ − rϕ˙ 2 sin2 ϑ b er − rϕ˙ 2 sin ϑ cos ϑ b eϑ .

(2.107c)

Der Beschleunigungsvektor folgt durch Addition dieser drei Beitr¨age. Dabei wird nach jedem der drei Basisvektoren sortiert, wobei zus¨atzlich die Vereinfachung 2 sin ϑ cos ϑ = sin(2ϑ) sinnvoll ist:    h i 1 b a(t) = r¨ − r(ϑ˙ 2 + ϕ˙ 2 sin2 ϑ) b er + 2r˙ ϑ˙ + r ϑ¨ − ϕ˙ 2 sin(2ϑ) eϑ 2 h i + 2r˙ ϕ˙ sin ϑ + r(2ϑ˙ ϕ˙ cos ϑ + ϕ¨ sin ϑ) b eϕ . (2.108) Wie die Geschwindigkeit setzt sich auch die Beschleunigung aus drei Anteilen ar , aϑ und aϕ zusammen, die jeweils mit einem der drei Basisvektoren multipliziert werden. Jeder Term enth¨ alt entweder die zweite Ableitung einer Funktion oder ein Produkt von ersten Ableitungen. Es empfiehlt sich, diese Herleitungen einmal gr¨ undlich nachzuvollziehen und sp¨ ater, f¨ ur konkrete Anwendungen, auf die hergeleiteten Formeln zur¨ uckzugreifen. Der Beschleunigungsvektor in Kugelkoordinaten besteht aus drei Beitr¨agen: ˙ 2 + ϕ(t) ar (t) = r¨(t) − r(t)[ϑ(t) ˙ 2 sin2 ϑ(t)] ,   1 2 ˙ ¨ aϑ (t) = 2r(t) ˙ ϑ(t) + r(t) ϑ(t) − ϕ(t) ˙ sin[2ϑ(t)] , 2 aϕ (t) = 2r(t) ˙ ϕ(t) ˙ sin ϑ(t) h i ˙ ϕ(t) + r(t) 2ϑ(t) ˙ cos ϑ(t) + ϕ(t) ¨ sin ϑ(t) .

(2.109a) (2.109b)

(2.109c)

Der Anteil ar (t) heißt radiale Beschleunigung; aϑ (t) nennt man polare und aϕ (t) azimutale Beschleunigung.

¨ Ubungsaufgabe 2.10: Bewegung auf einer Kugeloberfl¨ache Betrachten Sie eine Punktmasse, die sich auf der folgenden Raumkurve in Abh¨angigkeit von der Zeit bewegt:   sin(Ωt) cos(ωt) r(t) = R  sin(Ωt) sin(ωt)  , Ω > 0 , ω > 0 . (2.110) cos(Ωt)

a) Vollziehen Sie nach, dass r(t) auf einer Kugeloberfl¨ache vom Radius R verl¨auft. b) Berechnen Sie mit Hilfe der ermittelten Formeln sowohl die Geschwindigkeit als auch die Beschleunigung.

3

Fundamentale Gro¨ßen in der Mechanik

Nachdem Sie nun Orts-Zeit-Gesetze parametrisieren k¨onnen und sich mit verschiedenen krummlinigen Koordinatensystemen auseinander gesetzt haben, geht es in diesem Kapitel darum, weitere grundlegende Begriffe der klassischen Mechanik einzuf¨ uhren. Außerdem m¨ ochten wir Ihnen demonstrieren, was diese Gr¨oßen physikalisch bedeuten und wie man mit ihnen umgeht. Da es sich hierbei um ein einf¨ uhrendes Kapitel handelt, werden die notwendigen Berechnungen von einfacherer Natur sein.

3.1

Arbeit und Energie

Der Herbst bricht herein und der Bau des Hauses muss vor dem Winter abgeschlossen sein. Da die Dachdecker im Verzug sind, m¨ ussen sie einen Zahn zulegen und die Ziegel vom Lastwagen schnell auf das Fließband schaffen, um sie auf dem Dach verlegen zu k¨ onnen. Zur gleichen Zeit m¨ uht sich eine junge Familie im ICE von Karlsruhe nach Kassel beim Verstauen von zwei schweren Koffern im reservierten Abteil ab. Wieder unabh¨ angig davon beschließt ein Tourist in Dresden, auf den Turm der Frauenkirche zu steigen, damit er die wundervolle Aussicht u ¨ber die Altstadt genießen kann. Das sind drei kleine Geschichten, die scheinbar zun¨achst u ¨berhaupt nichts miteinander zu tun haben. Eines haben die beteiligten Menschen jedoch gemeinsam: Sie f¨ uhren eine T¨ atigkeit durch, sprich, sie leisten Arbeit und f¨ uhlen sich danach angestrengt, vielleicht auch m¨ ude und mitunter hungrig. Vom physikalischen Standpunkt aus betrachtet ist es nicht wichtig, ob die T¨ atigkeit im Rahmen des Berufs oder als Freizeitaktivit¨at durchgef¨ uhrt wird sie ist m¨ uhsam. Das liegt daran, dass die obigen Leute eine Kraft auf einen K¨ orper aus¨ uben m¨ ussen, um diesen in eine andere Position zu bringen. Einmal sind es Ziegel, ein anderes mal schwere Koffer und im Falle des Touristen ist es sein eigener K¨ orper, den er auf die Spitze des Turms tragen muss. Angenommen, einer der Koffer im ICE hat eine Masse von 10 kg und muss 2 m hochgehoben werden, um ihn auf der Ablage im ICE-Abteil zu verstauen, dann muss daf¨ ur eine bestimmte Arbeit geleistet werden. Insgesamt macht es dabei keinen Unterschied, ob man nur einen Koffer hat, der aber das doppelte wiegt, oder zwei Koffer mit jeweils der oben genannten Masse. In beiden F¨ allen ist das Hochheben der Koffer mit derselben Anstrengung verkn¨ upft. Die doppelte Masse bedeutet also auch die doppelte geleistete Arbeit. Ebenso ist es nicht wichtig, ob man einen Koffer zun¨achst auf den Sitz abstellt und danach auf die Ablage hebt oder diesen mit einem Ruck auf der Ablage unterbringt. Beides mal muss dieselbe Arbeit geleistet werden. Wirkt die Kraft also entlang des doppelten Weges, so f¨ uhrt das auch zur doppelten Arbeit. Die physikalische Grundformel

42

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

zur Berechnung der Arbeit W , die man aufgrund dieser oder ¨ahnlicher Argumentationen erh¨ alt, ist W = F · x, wobei F der Betrag der Kraft und x die L¨ange des Wegs angibt, entlang dessen die Kraft wirkt. An diese Formel erinnern Sie sich sicherlich noch aus der Schulzeit. Da sowohl Kraft als auch der zur¨ uckgelegte Weg vektoriellen Charakter haben schließlich verbindet ein Weg ja zwei Punkte im Raum miteinander gilt diese einfache Formel nur dann, wenn die Kraft in Richtung zur Wegstrecke wirkt, entlang derer ein K¨ orper verschoben wird. Ist das nicht der Fall, so muss man die einfache Formel erweitern. Dann tr¨ agt nur der Anteil der Kraft entlang der Bewegungsrichtung des K¨ orpers bei. Dabei handelt es sich um die Projektion des Kraftvektors auf die Bewegungsrichtung. Wird die Kraft durch den Vektor F beschrieben und die Wegstrecke durch x, so h¨ angt der Betrag der Projektion Fα entlang des Wegs x vom Winkel α zwischen Kraft und Wegstrecke ab: Fα = |F| cos α. Die Arbeit ergibt sich dann durch Multiplikation dieser Projektion mit dem Betrag der Wegstrecke, was sich auch mittels des Skalarprodukts der beiden Vektoren F und x ausdr¨ ucken l¨asst: W = Fα |x| = |F||x| cos α = F · x .

(3.1)

Auch wenn die eingehenden Gr¨ oßen F und x Vektoren sind, handelt es sich bei der geleisteten Arbeit stets um einen Skalar. Wie Sie sehen, ist W > 0 f¨ ur 0 ≤ α < π/2. Greift die Kraft senkrecht auf der Bewegungsrichtung an, wird keine Arbeit geleistet. Schließlich ist W < 0 f¨ ur π/2 < α ≤ π. Wichtig ist, dass f¨ ur W > 0 am K¨ orper Arbeit geleistet wird, wohingegen f¨ ur W < 0 der K¨ orper selbst Arbeit leisten muss. Eine Eselsbr¨ ucke daf¨ ur ist, dass ersteres der K¨ orper als positiv empfindet, letzteres jedoch als negativ. Die Energie ist in der klassischen Mechanik ein Begriff, der eng mit der Arbeit verkn¨ upft ist. Hat ein K¨ orper eine bestimmte Energie, so meint man damit, dass in diesem K¨orper Arbeit auf Abruf“ bereitsteht. Was das bedeutet, soll mit dem Fallexperiment von ” Galileo Galilei veranschaulicht werden. Um den Fall von K¨orpern zu studieren, brachte Galilei der Legende nach eine Kanonenkugel zum schiefen Turm von Pisa und ließ diese von der h¨ ochsten zug¨ anglichen Stelle aus fallen. Um die Kugel auf den Turm zu tragen, musste Galilei zun¨ achst Arbeit entgegen der Schwerkraft der Erde leisten, was dazu f¨ uhrte, dass Galilei auf der Spitze des Turms sicher erst einmal durchatmen musste. Dass diese Arbeit dann in der Kanonenkugel gewissermaßen gespeichert ist, ¨außerte sich darin, dass die Kugel nach dem Fallenlassen und dem Auftreffen auf dem Boden am Fuße des Turms eine Bodenplatte regelrecht in kleine St¨ ucke zerschlug. H¨atte man die Kugel aus einem der niedrigeren Stockwerke fallen gelassen, w¨are die Platte weniger in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Energie der Kugel wird beim Auftreffen auf dem Boden frei und leistet dieselbe Arbeit, die ein Kraftprotz mit einem Steinmetzhammer aufbringen m¨ usste, um die Platte zu zerschlagen. Dass die Arbeit auf Abruf bereit steht, bedeutet, dass Galilei selbst entscheiden konnte, wann er die Kugel fallen ließ. Er h¨atte die Kanonenkugel auch im obersten Stockwerk einen Tag lang liegen lassen k¨onnen, um am n¨ achsten Tag wiederzukommen und sie dann erst fallenzulassen. Diese gespeicherte Arbeit verliert die Kugel ohne ¨ außeres Zutun nicht. Man muss hierbei bemerken, dass die Arbeit im Vergleich zur Energie eine ungeschickte

3.1 Arbeit und Energie

43

Gr¨ oße in der Physik ist. Das Problem an der Arbeit ist, dass sie vom Weg abh¨angt, entlang derer sie wirkt. Dies gilt jedoch nicht f¨ ur die Energie, die ein K¨orper besitzt. Um diesen Sachverhalt zu verstehen, ist es zun¨achst sinnvoll, Gleichung (3.1) weiter zu verallgemeinern. Alles in allem ist die wirkende Kraft entlang eines Wegs kein konstanter Vektor, sondern h¨ angt selbst vom jeweiligen Punkt entlang des Wegs ab, der betrachtet wird, also F = F(x). Die Kraft als vektorielle Gr¨ oße mit konstanten Komponenten geht auf diese Weise u ¨ber in ein Vektorfeld. Dabei handelt es sich um eine Verallgemeinerung des Funktionsbegriffs auf mehr als eine Raumdimension. Ein Vektorfeld ordnet jedem Vektor einen anderen Vektor zu, es ist also eine Abbildung von einem mehrdimensionalen in einen anderen mehrdimensionalen Vektorraum. Stellt das Vektorfeld Kraftvektoren dar, spricht man auch von einem Kraftfeld. In dem Fall ist die einfache Gleichung (3.1) nicht mehr g¨ ultig! Stattdessen muss man den Weg in kurze St¨ ucke ∆x unterteilen, entlang derer die Kraft sich praktisch nur unwesentlich ¨ andert. Dann gilt Gleichung (3.1) wieder f¨ ur das kurze Wegst¨ uck ∆x, und man kann den kleinen Beitrag ∆W der Arbeit ausrechnen, die entlang dieses Wegst¨ ucks geleistet wird: ∆W = F · ∆x. Eine allgemeine Raumkurve, so wie Sie diese in Kapitel 2 kennengelernt haben, kann man in viele solcher geradlinigen St¨ ucke unterteilen, was ja auch im Abschnitt 2.3 gemacht wurde, um die Bogenl¨ange einer solchen Kurve zu berechnen. Hier bedeutet dies, dass man einen beliebigen Punkt mit dem Ortsvektor xi entlang der Kurve betrachtet. Dort sei der Kraftvektor gegeben durch F(xi ) und soll sich entlang des geradlinigen St¨ ucks ∆x nur unwesentlich ¨andern. Betr¨agt die Anzahl der geradlinigen St¨ ucke N und entspricht x0 dem Ortsvektor xa des betrachteten Anfangspunkts der Kurve, dann ergibt sich die geleistete Arbeit entlang der Kurve als Summe u age entlang der geradlinigen St¨ ucke: ¨ber alle Beitr¨ ∆W ≈

N −1 X

∆Wi =

i=0

N −1 X

F(xi ) · ∆x .

(3.2)

i=0

Dabei handelt es sich eigentlich nur um eine N¨aherung, denn schließlich wird vernachl¨ assigt, dass sich die Kraft entlang der kleinen Wegst¨ ucke ja doch etwas ¨andert, wenn auch nur wenig. Ebenso hier besteht der Trick darin, nicht die Summe zu berechnen, sondern die geradlinigen St¨ ucke unendlich klein zu machen, womit ∆x in ein vektorielles Differenzial dx und die Summe in ein Integral u ¨bergeht. Die Arbeit, die ein K¨ orper in einem Kraftfeld F(x) leistet, wenn er sich entlang einer Kurve von einem Punkt zu einem anderen bewegt, berechnet sich gem¨aß des folgenden Integrals: ∆W = lim

∆x7→0

N −1 X i=0

Z

xe

F(xi ) · ∆x =

F(x) dx ,

(3.3)

xa

mit den Ortsvektoren xa bzw. xe f¨ ur den Anfangs- bzw. Endpunkt der Kurve im Raum.

44

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

Der betrachtete Grenzprozess f¨ uhrt dazu, dass man keine N¨aherung macht, denn nun liegt ein infinitesimal kleines Wegdifferenzial vor, und die Kraft entlang eines solchen Differenzials ist formal konstant. Die Formel ist so zu verstehen, dass die Kraft, die als Vektorfeld vom jeweiligen Ortsvektor x abh¨ angt, u ¨ber eine Kurve im Raum integriert wird. Man bezeichnet derartige Integrale als Wegintegrale. Gleichung (3.3) ist grundlegend, um zu verstehen, warum die Energie gegen¨ uber der Arbeit vorzuziehen ist. Den ¨ Anfang dazu liefert die folgende Ubungsaufgabe.

¨ Ubungsaufgabe 3.1: Berechnung der Arbeit in einem Kraftfeld Das Ziel dieser Aufgabe ist es, die geleistete Arbeit f¨ ur zwei verschiedene Kraftfelder entlang unterschiedlicher Wege zu berechnen, die jedoch dieselben Punkte verbinden.

a) Berechnen Sie W gem¨ aß Gleichung (3.3) f¨ ur das zweidimensionale Kraftfeld F1 = f0 (x, y)T entlang des geradlinigen Wegs r1 (t), der den Koordinatenursprung O mit dem Punkt P = (0, −4v0 T ) verbindet. Dieser Weg werde in der Zeitdauer T gleichf¨ ormig mit der Geschwindigkeit v0 durchlaufen. (Hierbei ist f0 eine Konstante mit der Einheit kg/s2 , so dass die Einheit der Komponenten des Kraftfelds der Einheit der Kraft entspricht.) Bestimmen Sie anschließend W f¨ ur die archimedische Spirale (siehe Abbildung 3.1a):   4 π cos(ω0 t) r2 (t) = − v0 t , ω0 = , t ∈ [0,5T ] . (3.4) sin(ω0 t) 5 2T b) Berechnen Sie erneut die geleistete Arbeit f¨ ur das Kraftfeld F2 = f0 (−y, x)T analog zu Aufgabenteil (a). c) Betrachten Sie nun f¨ ur beide Kraftfelder den Weg, der sich aus den drei Teilen r3 , r4 und r5 in Abbildung 3.1b zusammensetzt. Jeder der Wege werde gleichf¨ormig mit dem Betrag√v0 der Geschwindigkeit durchlaufen, und die Punkte S, R lauten: S = v0 T (1,1)/ 2, R = v0 T (0, −1). K¨onnen Sie anhand dieser Rechnung das Ergebnis aus den vorherigen Aufgabenteilen verstehen?

L¨osung zu Aufgabe 3.1 Zun¨ achst ben¨ otigt man eine Parametrisierung der genannten Wege (zuz¨ uglich ihrer Ableitungen), die nicht in der Aufgabe angegeben sind. Da es sich ausschließlich um Geraden- und Kreisst¨ ucke handelt, ergibt sich gem¨aß Kapitel 2:     0 0 r1 (t) = v0 t , r˙ 1 (t) = v0 , t ∈ [0,4T ] , (3.5a) −1 −1     4 cos(ω0 t) − sin(ω0 t) + ω0 t , t ∈ [0,5T ] , (3.5b) r˙ 2 (t) = − v0 sin(ω0 t) cos(ω0 t) 5     v0 t 1 v0 1 r3 (t) = √ , r˙ 3 (t) = √ , t ∈ [0, T ] , (3.5c) 2 1 2 1

3.1 Arbeit und Energie

45

(a) Kraftfeld F1 (x) mit den Wegen r1 und r2

(b) Kraftfeld F2 (x) mit den Wegen r3 , r4 und r5

Abb. 3.1: Zwei verschiedene Kraftfelder sollen anhand der beiden jeweils angezeichneten Wege integriert werden. 

     π 3π cos ϕ − sin ϕ , r˙ 4 (ϕ) = v0 T , ϕ∈ , , (3.5d) sin ϕ cos ϕ 4 2     0 0 r5 (t) = , r˙ 5 (t) = v0 , t ∈ [0,3T ] . (3.5e) −v0 (T + t) −1 r4 (ϕ) = v0 T

a) Nun kann man sich an die Bestimmung der Wegintegrale f¨ ur das Kraftfeld F1 (x) machen. Die geleistete Arbeit entlang des geradlinigen Wegs betr¨agt:     Z 4T Z 4T 0 0 W1 = F1 (r1 (t)) · r˙ 1 (t) dt = f0 v0 t · v0 dt −1 −1 0 0 4T Z 4T f0 v02 2 f0 v02 2 = f 0 v0 t dt = t = · (4T )2 = 8f0 v02 T 2 . (3.6a) 2 2 0 0 Die geleistete Arbeit f¨ ur die Spirale ergibt sich analog, ist nur mit ein bisschen

46

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik mehr Rechenaufwand verbunden: Z 5T W2 = F1 (r2 (t)) · r˙ 2 (t) dt 0

Z

5T

= 0

Z

 2   4 cos(ω0 t) f0 − v0 t sin(ω0 t) 5     cos(ω0 t) − sin(ω0 t) × v0 + ω0 t dt sin(ω0 t) cos(ω0 t)

5T

  16 f0 v02 t cos2 (ω0 t) + sin2 (ω0 t) dt 25 0 5T 16 2 2 = f0 v0 t = 8f0 v02 T 2 . 50 =

(3.6b)

0

Damit gilt W1 = W2 ; die Arbeit ist f¨ ur beide Wege dieselbe. b) Da die betrachteten Wege dieselben wie bei Aufgabenteil (a) sind, verbleibt die Berechnung der entsprechenden Wegintegrale u ¨ber das Kraftfeld F2 (x).     Z 4T Z 4T 1 0 W1 = F2 (r1 (t)) · r˙ 1 (t) dt = f0 v0 t · v0 dt 0 −1 0 0 Z 4T = 0 dt = 0 , (3.7a) 0

Z

5T

F2 (r2 (t)) · r˙ 2 (t) dt

W2 = 0

Z

5T

= 0

Z

 2   4 − sin(ω0 t) f0 − v0 t cos(ω0 t) 5     cos(ω0 t) − sin(ω0 t) × v0 + ω0 t dt sin(ω0 t) cos(ω0 t)

5T

  16 f0 v02 ω0 t2 sin2 (ω0 t) + cos2 (ω0 t) dt 25 0 5T 16 80 2 3 = f0 v0 ω0 t = f0 v02 ω0 T 3 . 75 3 =

(3.7b)

0

Die Arbeit verschwindet also f¨ ur den geradlinigen Weg, wohingegen sie f¨ ur die Spirale ungleich null ist. c) Abschließend soll die Arbeit entlang des Weges bestimmt werden, der sich abschnittsweise aus r3 , r4 und r5 (siehe Abbildung 3.1b) zusammensetzt. F¨ ur das erste Kraftfeld ergeben sich die folgenden Ergebnisse:     Z T Z T v0 t 1 v0 1 W3 = F1 (r3 (t)) · r˙ 3 (t) dt = f0 √ ·√ dt 2 1 2 1 0 0 T Z T f0 v02 2 f0 v02 f0 v02 T 2 2 t = · T2 = , (3.8a) = f0 v0 t dt = 2 2 2 0 0

3.1 Arbeit und Energie

47 Z

3π/2

F1 (r4 (ϕ)) · r˙ 4 (ϕ) dϕ

W4 = π/4

Z

3π/2

=

 f0 v0 T

π/4

Z

   cos ϕ − sin ϕ · v0 T dϕ sin ϕ cos ϕ

3π/2

=

0 dϕ = 0 ,

(3.8b)

π/4

3T

3T

   0 0 W5 = F1 (r5 (t)) · r˙ 5 (t) dt = f0 · v0 dt −v0 (T + t) −1 0 0   3T Z 3T 1 2 2 2 = f0 v0 (T + t) dt = f0 v0 T t + t 2 0 0   1 15 = f0 v02 3T 2 + · (3T )2 = f0 v02 T 2 . (3.8c) 2 2 Z

Z



Die Addition der einzelnen Beitr¨ age offenbart, dass W1 = W2 = W3 + W4 + W5 ist. So wie es aussieht, ist die geleistete Arbeit zwischen dem Koordinatenursprung und dem Punkt P unabh¨ angig vom Weg. Wie Sie sehen, liefert die Arbeit keinen Beitrag f¨ ur den kreisf¨ ormigen Abschnitt. Der Grund daf¨ ur ist, dass dieses Wegst¨ uck in allen Punkten des Kraftfelds orthogonal zu den Kraftvektoren verl¨ auft. F¨ ur die Spirale bzw. jeden Weg im Allgemeinen liefert die Integration also nur f¨ ur die Anteile des Wegs einen Beitrag, die parallel zu den Kraftvektoren zeigen. Daher ist es nicht wichtig, ob man den direkten geradlinigen Weg zum Punkt P l¨ auft oder einen umst¨ andlichen Weg. Zuletzt sind die analogen Berechnungen f¨ ur das zweite Kraftfeld an der Reihe:     Z T Z T v0 t −1 v0 1 W3 = F2 (r3 (t)) · r˙ 3 (t) dt = f0 √ ·√ dt 2 1 2 1 0 0 Z T = 0 dt = 0 , (3.9a) 0

Z

3π/2

F2 (r4 (ϕ)) · r˙ 4 (ϕ) dϕ

W4 = π/4

Z

3π/2

=

 f0 v0 T

π/4

= f0 v02 T 2

Z

   − sin ϕ − sin ϕ · v0 T dϕ cos ϕ cos ϕ

3π/2

(sin2 ϕ + cos2 ϕ) dϕ = f0 v02 T 2

π/4

3π/2 = f0 v02 T 2 ϕ π/4 = f0 v02 T 2

Z

3π/2

dϕ π/4



3π π − 2 4

 =

5π f0 v02 T 2 , 4

(3.9b)

48

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik Z

3T

Z F2 (r5 (t)) · r˙ 5 (t) dt =

W5 = 0

Z =

3T

f0 0

    v0 (T + t) 0 · v0 dt 0 −1

3T

0 dt = 0 .

(3.9c)

0

Im Gegensatz zum Kraftfeld F1 (x) ist hier W1 6= W2 6= W3 + W4 + W5 . Die geleistete Arbeit entlang der unterschiedlichen Wege ist somit nicht gleich. Es ist ersichtlich, dass bei diesem Kraftfeld die Beitr¨age der geradlinigen Wege verschwinden, da diese an jedem Punkt des Kraftfelds senkrecht zu den Kraftvektoren verlaufen. Dahingegen liefert der Kreisbogen einen nicht verschwindenden Beitrag. Die geleistete Arbeit entlang verschiedener Wege vom Koordinatenursprung aus kann somit nicht gleich sein, denn ein solcher Weg l¨asst sich immer aus geradlinigen St¨ ucken und Kreisb¨ ogen zusammensetzen. Die Integrale u ¨ber die Kreisb¨ogen h¨ angen von der L¨ ange der B¨ ogen ab und sind nicht f¨ ur alle B¨ogen dieselbe.

Aus Aufgabe 3.1 lernen Sie etwas sehr Wichtiges, das im folgenden Merksatz zusammengefasst wird. Die geleistete Arbeit in einem Kraftfeld F(x) kann muss aber nicht vom gew¨ahlten Weg zwischen zwei Punkten abh¨ angen. Ist die geleistete Arbeit f¨ ur alle m¨oglichen Wege zwischen zwei Punkten unabh¨ angig vom gew¨ahlten Weg, spricht man von einem konservativen Kraftfeld. Andernfalls ist es nicht konservativ. Nat¨ urlich reicht die Aufgabe nicht aus, um zu beweisen, dass F1 (x) tats¨achlich ein konservatives Kraftfeld ist. Man kann es zwar vermuten, doch um es letztendlich zu zeigen, m¨ usste man die Arbeit f¨ ur alle m¨ oglichen Paare aus Punkten und alle m¨oglichen Wege zwischen ihnen bestimmen. Das ist ein sinnloses Unterfangen, denn schließlich gibt es unendlich viele Punkte bzw. unendlich viele Wege, die zwei Punkte miteinander verbinden. Deshalb lernen Sie im Folgenden ein Vorgehen kennen, dass es Ihnen auf elegante Weise erlaubt, ein Kraftfeld auf Konservativit¨at zu untersuchen.

3.2

Potenzielle Energie

Im letzten Abschnitt haben Sie gesehen, dass es konservative Kraftfelder gibt, bei denen die Arbeit zwischen zwei Punkten nicht vom Weg abh¨angt, der die beiden Punkte miteinander verbindet. Gem¨ aß des Hauptsatzes der Differenzial- und Integralrechnung f¨ ur eine eindimensionale Funktion f (x) h¨ angt das Integral u ¨ber die Ableitung einer Funktion nur von den Werten der Funktion an den Integrationsgrenzen ab: Z a

b

f 0 (x) dx = f (b) − f (a) .

(3.10)

3.2 Potenzielle Energie

49

Dementsprechend u ur eine mehrdimensionale Funktion f (r) ¨berlegt man sich, dass f¨ analog   Z rb ∂f (r)/∂x ∇f (r) dr = f (rb ) − f (ra ) , ∇f (r) = ∂f (r)/∂y  (3.11) ra ∂f (r)/∂z gilt mit dem Gradienten ∇f (r) der Funktion, welcher die mehrdimensionale Verallgemeinerung der Ableitung darstellt. Ließe sich ein Kraftfeld F(r) in allen Punkten als Gradient eines Skalarfelds V (r) darstellen, also zum Beispiel F(r) = −∇V (r), dann w¨ urde gelten: Z rb Z rb F(r) dr = [−∇V (r)] dr = V (ra ) − V (rb ) . (3.12) ra

ra

Auch dann hinge das Integral u ¨ber das Kraftfeld zwischen zwei Punkten mit den Ortsvektoren ra und rb nur von den Werten des Skalarfelds V (r) an diesen Punkten ab. Es ist Konvention, in der Physik das Minuszeichen hinzuzuf¨ ugen; es besitzt an dieser Stelle keine tiefsinnige Bedeutung. Man bezeichnet ein solches Skalarfeld V (r) auch als Potenzial des Kraftfelds. Gleichung (3.12) besagt, dass ein Kraftfeld genau dann konservativ ist, wenn es in allen Punkten definiert ist und es sich als Gradient eines Potenzials schreiben l¨ asst: F(r) = −∇V (r). Es ist wichtig, dass die Existenz eines Potenzials alleine nicht ausreicht. So gibt es Beispiele f¨ ur Kraftfelder, die zwar ein solches Potenzial besitzen, aber nicht konservativ sind.

Der Gradient eines Skalarfelds f (r) l¨ asst sich auffassen als Nabla-Operator   ∂/∂x ∇ = ∂/∂y  , ∂/∂z

(3.13)

der auf f (r) wirkt. F¨ ur Vektorfelder f (r) = (f1 (r), f2 (r), f3 (r))T gibt es zwei weitere Verallgemeinerungen der Ableitung f¨ ur eindimensionale Funktionen: die Divergenz und die Rotation. Die Divergenz ist gegeben durch das Skalarprodukt des Nabla-Operators mit dem Vektorfeld und die Rotation als entsprechendes Vektorprodukt: ∂f1 ∂f2 ∂f3 + + , ∂x ∂y ∂z   ∂f3 /∂y − ∂f2 /∂z rot f ≡ ∇ × f (r) = ∂f1 /∂z − ∂f3 /∂x . ∂f2 /∂x − ∂f1 /∂y div f ≡ ∇ · f (r) =

(3.14a)

(3.14b)

Liegt ein Kraftfeld vor, so muss man nicht auf gut Gl¨ uck versuchen, das Potenzial zu

50

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

berechnen. Ber¨ ucksichtigt man, dass die Rotation eines Gradienten verschwindet  2  ∂ f /(∂z∂y) − ∂ 2 f /(∂y∂z) ∇ × [∇f (r)] = ∂ 2 f /(∂x∂z) − ∂ 2 f /(∂z∂x) , (3.15) ∂ 2 f /(∂y∂x) − ∂ 2 f /(∂x∂y) sofern die zweiten partiellen Ableitungen vertauschen, dann ergibt sich folgende notwendige Voraussetzung daf¨ ur, dass sich ein Kraftfeld u ¨berhaupt als Gradient eines Potenzials schreiben l¨ asst. Damit man ein Kraftfeld F(r) als F(r) = −∇V (r) schreiben kann, muss notwendigerweise die Rotation des Kraftfelds verschwinden: ∇ × F(r) = 0. Voraussetzung daf¨ ur ist, dass die zweiten Ableitungen von V (r) vertauschen. Das gilt, sofern V (r) zweimal stetig differenzierbar und das Kraftfeld deshalb einmal stetig differenzierbar ist.

¨ Ubungsaufgabe 3.2: Bestimmung des Potenzials eines Kraftfelds ¨ Uberpr¨ ufen Sie, ob die notwendigen Voraussetzungen daf¨ ur erf¨ ullt sind, dass das dreidimensionale Kraftfeld   x F(r) = f0 y  , (3.16) z sich als Gradient eines Potenzials V (r) schreiben l¨asst. Bestimmen Sie danach V (r).

L¨osung zu Aufgabe 3.2 Das Kraftfeld setzt sich an allen Punkten aus unendlich oft differenzierbaren Funktionen zusammen. Dar¨ uber hinaus folgt f¨ ur die Rotation:     ∂z/∂y − ∂y/∂z 0 ∇ × F(r) = f0 ∂x/∂z − ∂z/∂x = 0 . (3.17) ∂y/∂x − ∂x/∂y 0 Die Rotation des Kraftfelds verschwindet also, und die notwendigen Voraussetzungen f¨ ur die Existenz eines skalaren Potenzials sind erf¨ ullt. Das skalare Potenzial l¨asst sich direkt durch Integration der folgenden drei Gleichungen bestimmen:     ∂V /∂x x F(r) = −∇V (r) ⇔ ∂V /∂y  = −f0 y  . (3.18) ∂V /∂z z Die Integration der ersten Gleichung bez¨ uglich x f¨ uhrt auf: V (x, y, z) = −

f0 2 x + C1 (y, z) . 2

(3.19)

3.2 Potenzielle Energie

51

Beachten Sie, dass beim Integrieren Integrationskonstanten ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen, die von den jeweils anderen beiden Variablen abh¨angen, nach denen man nicht integriert hat. Danach leitet man die erhaltene Gleichung nach einer der anderen Variablen ab und bestimmt so schrittweise die Integrationskonstante.

In dieser Aufgabe ist es einerlei, nach welcher Variablen man nun ableitet. Entscheidet man sich f¨ ur y, dann ergibt sich durch Vergleich mit der zweiten Komponente von Gleichung (3.18): ∂V ∂C1 (y, z) ! = = −f0 y . ∂y ∂y

(3.20)

Durch eine anschließende Integration bestimmt man nun C1 (y, z) teilweise: C1 (y, z) = −

f0 2 y + C2 (z) . 2

(3.21)

Auch bei dieser Integration d¨ urfen Sie die Integrationskonstante nicht vergessen, die jetzt jedoch nur noch von der dritten Variablen z abh¨angt. Durch eine letztliche Ableitung nach z und Vergleich mit der dritten Komponente von Gleichung (3.18) l¨asst sich die letzte Integrationskonstante festlegen: ∂C2 (z) ! f0 = −f0 z ⇒ C2 (z) = − z 2 + C . ∂z 2

(3.22)

Was bleibt, ist eine Integrationskonstante C, die von keiner der Variablen mehr abh¨angt. Damit lautet das Potenzial: V (x, y, z) = −

f0 2 (x + y 2 + z 2 ) + C . 2

(3.23)

Nachdem Sie das Potenzial bestimmt haben, k¨onnen Sie eine Gegenprobe machen, ob sich durch Bildung des Gradienten wieder das Kraftfeld ergibt.

F¨ ur das obige Potenzial sieht man das sehr schnell, indem man die notwendigen partiellen Ableitungen bestimmt. Das Potenzial eines Kraftfelds hat sofern dieses existiert die Einheit der Energie. Man kann damit die geleistete Arbeit zwischen zwei Punkten ra und rb eines konservativen Kraftfelds als Differenz von Energien in diesen Punkten verstehen, die notwendig ist, um von einem Punkt zum anderen Punkt zu laufen. Deshalb l¨asst sich V (ra ) als Energie in ra und V (rb ) als Energie in rb auffassen.

52

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

Das Potenzial V (r) eines konservativen Kraftfelds entspricht der Energie, die ein K¨ orper in diesem Kraftfeld am jeweiligen Punkt mit Ortsvektor r besitzt. Man bezeichnet diese Energieform als potenzielle Energie.

¨ Ubungsaufgabe 3.3: Potenzielle Energie im Kraftfeld Betrachten Sie die Kraftfelder F1 (x, y) = f0 (x, y,0)T und F2 (x, y) = f0 (−y, x,0)T . a) Besitzen die Kraftfelder ein Potenzial? Falls ja, bestimmen Sie es! b) Was ist die potenzielle Energie eines K¨ orpers in F1 (x, y) im Koordinatenursprung O = (0,0,0) bzw. im Punkt P = (0, −4v0 T,0). Welche Arbeit m¨ ussen Sie leisten, um einen K¨ orper in diesem Kraftfeld vom Ursprung nach P zu bewegen? c) Warum ist die Frage nach der potenziellen Energie an einem bestimmten Punkt im Kraftfeld F2 (x, y) sinnlos?

L¨osung zu Aufgabe 3.3 Die beiden Kraftfelder sind die aus Aufgabe 3.1 mit dem einzigen Unterschied, dass eine verschwindende dritte Komponente hinzugef¨ ugt wurde. Das erste Kraftfeld F1 (x, y) ist dar¨ uber hinaus ein Spezialfall des Felds aus Aufgabe 3.2 f¨ ur z = 0. a) Aus Aufgabe 3.2 weiß man daher, dass F1 (x, y) ein Potenzial besitzt. Das ergibt sich aus dem in der Aufgabe bestimmten Potenzial, indem man z = 0 setzt: V1 (x, y) = −

f0 2 (x + y 2 ) + C . 2

(3.24)

Wie sieht es mit dem Kraftfeld F2 (x, y) aus? Zumindest setzt es sich aus unendlich oft differenzierbaren Komponenten zusammen. Verbleibt die Bestimmung der Rotation:     ∂x/∂z 0 ~ × F2 (x, y) = f0  = 0 . ∂(−y)/∂z ∇ (3.25) ∂x/∂x − ∂(−y)/∂y 2f0 Die Rotation verschwindet also nicht, und daher kann F2 (x, y) kein Potenzial haben. b) Die potenzielle Energie im Kraftfeld F1 (x, y) folgt durch Einsetzen der entsprechenden Ortsvektoren in das bestimmte Potenzial: f0 V1 (0,0) = − (02 + 02 ) + C = C , (3.26a) 2 f0 V1 (0, −4v0 T ) = − [02 + (−4v0 T )2 ] + C = −8f0 v02 T 2 + C . (3.26b) 2

3.2 Potenzielle Energie

53

Die potenzielle Energie an einem Punkt ist nur bis auf eine Konstante bestimmt. Diese Konstante bedeutet, dass nur Differenzen von potenziellen Energien, in denen diese Konstante immer herausf¨ allt, physikalisch messbar sind. Physikalisch ist die Angabe einer potenziellen Energie nur dann sinnvoll, wenn man diese bez¨ uglich eines anderen Punkts angibt. Dann verschwindet sie in diesem Bezugspunkt, den man deswegen auch Nullniveau nennt. Das Nullniveau ist frei w¨ahlbar und sollte sinnvollerweise so gew¨ ahlt werden, dass es eine Berechnung vereinfacht.

Um die ben¨otigte Arbeit W zu bestimmen f¨ ur die Bewegung eines K¨orpers vom Ursprung zum Punkt P , muss man gem¨ aß Gleichung (3.12) die potenzielle Energie am Endpunkt von der am Anfangspunkt abziehen: W = V1 (0,0) − V1 (0, −4v0 T ) = C − (−8f0 v02 T 2 + C) = 8f0 v02 T 2 .

(3.27)

Sie ist also gleich der in Aufgabe 3.1 bestimmten Arbeit, von der ja bereits in jener Aufgabe vermutet wurde, dass sie unabh¨angig vom gew¨ahlten Weg zwischen den beiden Punkten ist. Wie Sie sehen, f¨ allt die Konstante C heraus, was zeigt, dass W eine tats¨achliche Messgr¨ oße ist. Im Prinzip handelt es sich um die potenzielle Energie des Koordinatenursprungs bez¨ uglich des Punkts P . Schließlich ist die potenzielle Energie am Ursprung um 8f0 v02 T 2 h¨oher als im Punkt P . c) Da das Kraftfeld F2 (x, y) kein Potenzial besitzt und daher nicht konservativ ist, kann man auch keine potenzielle Energie angeben. Eine solche Angabe ist sinnlos, denn schließlich h¨ angt die potenzielle Energie, die ein K¨orper an einem bestimmten Punkt bez¨ uglich eines anderen Punkts besitzt, davon ab, auf welchem Weg sich der K¨ orper zwischen den beiden Punkten bewegt hat.

¨ Ubungsaufgabe 3.4: Spannenergie und H¨ohenenergie Das Ziel dieser Aufgabe ist die Bestimmung von Potenzialen einfacher Kraftfelder, die in der Physik eine große Rolle spielen. a) Bestimmen Sie das zum homogenen Schwerefeld F = −mgb ez geh¨orende Potenzial. Wie groß ist die potenzielle Energie, wenn man Punkte mit z = 0 als Nullniveau w¨ ahlt? b) Bestimmen Sie das zum Hookeschen Gesetz F = −Dr geh¨orende Potenzial einer Feder. Berechnen Sie die potenzielle Energie, wenn das Nullniveau im Koordinatenursprung liegt.

L¨osung zu Aufgabe 3.4 Die Bestimmung der Potenziale erfordert hier gl¨ ucklicherweise keinen großen Rechenaufwand.

54

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik a) Das Kraftfeld besitzt konstante Komponenten, womit die Rotation auf jeden Fall verschwindet. Damit hat das Feld ein Potenzial, das sich aus den folgenden Gleichungen ergibt:     ∂V /∂x 0 ! ∂V /∂y  = mg 0 . (3.28) ∂V /∂z 1 Aus der dritten Komponente folgt sofort durch Integration V = mgz +C(x, y). Da die Ableitung sowohl nach x als auch nach y verschwinden muss, darf C(x, y) nicht von x oder von y abh¨ angen und ist demnach eine reine Konstante. Also h¨angt das Potenzial nur von z ab: V (z) = mgz + C. Bewegt sich ein K¨orper vom Punkt z = 0 zu einem Punkt bei z = h, dann gilt f¨ ur die Arbeit W = V (0) − V (h) = C − (mgh + C) = −mgh. Da sie f¨ ur h > 0 negativ ist, muss der K¨orper diese Arbeit tats¨ achlich leisten und befindet sich danach auf einem h¨oheren Potenzial. Dann ist die potenzielle Energie bez¨ uglich z = 0 gegeben durch V (z) = mgz. Das Nullniveau liegt nun in Ebene z = 0. b) Das Federpotenzial ergibt sich ebenso aus den folgenden drei Gleichungen:     ∂V /∂x x ! ∂V /∂y  = D y  . (3.29) ∂V /∂z z Das Potenzial zum Kraftfeld F(r) = f0 (x, y, z)T wurde bereits bestimmt und ist gegeben durch Gleichung (3.23). Mit der Wahl f0 = −D erh¨alt man sofort das Potenzial f¨ ur die Feder: V (x, y, z) =

D 2 (x + y 2 + z 2 ) + C . 2

(3.30)

Spannt man die Feder vom Koordinatenursprung x = y = z = 0 ausgehend, dann f¨ uhrt einen das zur folgenden Arbeit: W = V (0,0,0) − V (x, y, z) = −

D 2 (x + y 2 + z 2 ) . 2

(3.31)

Da dieser Wert f¨ ur alle x, y und z negativ ist, muss auch hier der K¨orper Arbeit leisten und befindet sich danach auf einem h¨oheren Potenzial. Die zugeh¨orige potenzielle Energie mit dem Koordinatenursprung als Nullniveau lautet: V (x, y, z) =

D 2 (x + y 2 + z 2 ) . 2

(3.32)

Damit sind Sie bei den bereits aus dem Physikunterricht in der Mittelstufe bekannten Formeln f¨ ur die H¨ ohenenergie (Lageenergie) bzw. der Spannenergie einer Feder angekommen. Man spricht eigentlich nur dann von der Lageenergie, wenn die Schwerkraft durch ein homogenes Kraftfeld angen¨ ahert wird, dessen Vektorpfeile in allen Punkten denselben Betrag haben und in die gleiche Richtung zeigen. Eine solche N¨aherung ist sinnvoll f¨ ur alle Probleme der klassischen Mechanik, die sich in einem kleinen Ausschnitt im Vergleich zur Ausdehnung des Schwerefelds abspielen.

3.3 Kinetische Energie

3.3

55

Kinetische Energie

Im letzten Abschnitt wurde die potenzielle Energie eingef¨ uhrt als eine Energieform, die ein Teilchen an einem bestimmten Punkt in einem Potenzial besitzt. Dar¨ uber hinaus hat jedes Teilchen eine Energie ohne jegliches ¨ außere Kraftfeld, einfach nur, wenn es sich bewegt. Um diese Energieform zu verstehen, betrachten Sie Abbildung 3.2. Hier stoßen zwei Kugeln der Massen m1 und m2 aufeinander. Die linke Kugel u ¨be beim Aufeinandertreffen eine Kraft F12 auf die rechte Kugel aus. Gem¨aß des dritten Newtonschen Axioms wirkt dann von der rechten Kugel ausgehend eine gleich große, aber entgegengesetzt gerichtete Kraft F21 auf die linke Kugel: F21 = −F12 . Diese Kr¨afte beschleunigen beide Kugeln entgegen ihrer Bewegungsrichtung vor dem Stoß. Die Kraft F12 f¨ uhrt zu einer Beschleunigung a2 der zweiten Kugel nach rechts, wohingegen die Kraft F21 in einer Beschleunigung a1 = −a2 nach links resultiert: m1 a1 = −m2 a2 . Beide Beschleu¨ nigungen ergeben Anderungen der Geschwindigkeit in einer Zeitdauer ∆t, die f¨ ur beide Kugeln dieselbe ist. Diese Zeitdauer ist durch die Dauer der Einwirkung der Kr¨afte am Auftreffpunkt der Kugeln bestimmt, aber unbekannt. Das ist jedoch nicht weiter von Belang, denn schließlich l¨ asst sich ∆t auf beiden Seiten der Gleichung k¨ urzen: ∆v1 ∆v2 = −m2 ⇔ m1 ∆v1 = −m2 ∆v2 . (3.33) ∆t ∆t Dies zeigt, dass bei einem Kraft¨ ubertrag zwischen verschiedenen Teilchen der Impuls p = mv eine entscheidende Rolle spielt. Die Impuls¨anderung der einen Kugel ist genauso groß, aber entgegengesetzt gerichtet wie die Impuls¨anderung der anderen Kugel, also ∆p1 = −∆p2 . Weiterhin lernt man daraus, dass die Impuls¨anderung eines K¨orpers wie folgt mit dem Kraft¨ ubertrag F auf den K¨ orper zusammenh¨angt: m1

F=

∆p . ∆t

(3.34)

Im Falle infinitesimal kleiner Zeiten ist die Kraft gegeben durch die erste zeitliche Ableitung des Impulses: F(t) = lim

∆t7→0

∆p dp(t) = . ∆t dt

(3.35)

¨ Jede wirkende Kraft f¨ uhrt zu einer Anderung des Impulses, bzw. es ist eine Kraft n¨ otig, um den Impuls eines K¨ orpers zu ¨ andern.

Abb. 3.2: Zwei aufeinander treffende Kugeln mit den wirkenden Kr¨aften F12 und F21 .

56

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

¨ In jedem sich bewegenden K¨ orper steckt sowohl Impuls als auch Energie. Die Anderung ¨ der Geschwindigkeit des K¨ orpers ist mit einer Anderung seiner Energie verbunden. Die Geschwindigkeit kann sich gem¨ aß des ersten Newtonschen Axioms nur dann ¨andern, wenn eine ¨ außere Kraft F auf den K¨ orper einwirkt. Eine solche Kraft soll entlang eines infinitesimalen Wegst¨ ucks dr wirken. Dann ist mit einer derartigen Krafteinwirkung gem¨ aß Gleichung (3.35) die folgende infinitesimale Arbeit dW verkn¨ upft: dW = F dr =

dp dr = v dp . dt

(3.36)

Die infinitesimal zu leistende Arbeit h¨ angt daher mit der Geschwindigkeit und der infinitesimalen Impuls¨ anderung zusammen. Ein endlicher Impuls¨ ubertrag von einem anf¨ anglichen Impuls pa zu einem finalen Impuls pe (bzw. von einer Geschwindigkeit va zu ve ) f¨ uhrt zu folgender Arbeit. Hierbei gibt es zwei M¨oglichkeiten, diese durch Integration zu bestimmen: ve Z pe Z ve 1 1 1 2 W = v dp = m v dv = mv = mve2 − mva2 , (3.37a) 2 2 2 pa va va oder alternativ 1 W = m

Z

pe

pa

p p2 e p2e p2a p dp = = − . 2m pa 2m 2m

(3.37b)

Man kann also die Arbeit u angliche und finale Geschwindigkeit va bzw. ve ¨ber die anf¨ ausdr¨ ucken oder u ¨ber die entsprechenden Impulse. Wie Sie sehen, h¨angt die Arbeit als skalare Gr¨ oße nur von den Betr¨ agen der Vektoren ab. Außerdem ist es nicht wichtig, wie die Endgeschwindigkeit in Abh¨ angigkeit von der Zeit erreicht wurde. Von Bedeutung sind einzig und allein die Gr¨ oßen vor und nach dem Einwirken der Kraft. So gesehen ¨ hat das Ganze eine Ahnlichkeit mit der Berechnung der Arbeit in einem konservativen Kraftfeld. Diese ergab sich als Differenz der potenziellen Energien an den jeweiligen Punkten, zwischen denen sich der K¨ orper bewegt. Einem Bewegungszustand mit der Geschwindigkeit v bzw. dem Impuls p l¨asst sich eine Energie zuordnen, die man als Bewegungsenergie oder kinetische Energie Ekin bezeichnet: Ekin =

1 p2 mv 2 = . 2 2m

(3.38)

In der theoretischen Mechanik verwendet man auch oft die Bezeichnung T f¨ ur die kinetische Energie.

3.4

Drehimpuls

Bewegt sich ein K¨ orper mit konstanter Geschwindigkeit entlang einer geraden Linie im Raum, dann ist der Impulsvektor p = mv zeitlich konstant. In der klassischen Mechanik

3.4 Drehimpuls

57

l¨ asst sich eine zum Impuls analoge Gr¨ oße f¨ ur Drehbewegungen einf¨ uhren. Da eine Kreisbewegung die einfachste Drehbewegung ist, soll eine Punktmasse m betrachtet werden, die sich mit konstantem Geschwindigkeitsbetrag (also konstanter Winkelgeschwindigkeit ω) in der x-y-Ebene kreisend im Abstand R um den Koordinatenursprung bewegt. Das Orts-Zeit-Gesetz und der Geschwindigkeitsvektor lauten:     cos ωt − sin ωt r(t) = R  sin ωt  , v(t) = r˙ (t) = Rω  cos ωt  . (3.39) 0 0 Der Impulsvektor p(t) = mv(t) steht immer senkrecht auf dem Ortsvektor, der die Position der Punktmasse angibt: p(t) · r(t) = 0. Da die Bewegung in einer Ebene stattfindet, steht das Kreuzprodukt der beiden Vektoren immer senkrecht auf dieser Ebene. Außerdem ist auch dessen Betrag zeitlich konstant: π |p(t) × r(t)| = |p(t)||r(t)| sin = mRω · R = mR2 ω . (3.40) 2

Das Kreuzprodukt des Impuls- und des Ortsvektors, der die Position einer Punktmasse angibt, ist (analog zum Impulsvektor bei einer gleichf¨ormigen Bewegung) f¨ ur eine Kreisbewegung mit konstantem Betrag der Geschwindigkeit zeitlich erhalten. Man bezeichnet diesen Vektor als Drehimpuls L: L = r × p.

(3.41)

Der Drehimpuls steht senkrecht auf der Ebene, in der die Drehung stattfindet.

In Abbildung 3.3 ist der Drehimpulsvektor einer kreisenden Punktmasse veranschaulicht.

Abb. 3.3: Der Drehimpulsvektor L einer in der x-y-Ebene kreisenden Punktmasse mit Orts-Zeit-Gesetz r und Impuls p.

58

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

¨ Ubungsaufgabe 3.5: Drehimpuls einer Punktmasse Betrachten Sie eine Punktmasse, deren Bewegung auf die Gerade r(t) = (a, v0 t + b,0) eingeschr¨ ankt ist. a) Zeigen Sie, dass sich der Drehimpuls des Teilchens bez¨ uglich des Koordinatenursprungs zeitlich nicht ¨ andert. b) Ab jetzt soll eine Kraft mit dem Potenzial α V (x, y, z) = p (3.42) 2 x + y2 + z2 auf das Teilchen wirken. Berechnen Sie die Komponente der Kraft, die entlang seiner Bewegungsrichtung auf das Teilchen wirkt. Welche Gleichung folgt gem¨aß des zweiten Newtonschen Axioms f¨ ur die Bewegung des Teilchens? c) Berechnen Sie nun erneut den Drehimpuls unter Einwirkung der ¨außeren Kraft mit Hilfe des zweiten Newtonschen Axioms.

3.5

Drehmoment

Was passiert mit dem Drehimpuls, wenn sich ein K¨orper nicht mit konstantem Radius kreisend um den Ursprung bewegt, sondern der Abstand zum Ursprung zeitlich gr¨oßer wird? Wie Sie bereits wissen, bewegt sich der K¨orper dann auf einer Spirale. Steigt der Abstand linear mit der Zeit an, so lautet das Orts-Zeit-Gesetz des K¨orpers wie folgt:       cos ωt cos ωt − sin ωt r(t) = vr t  sin ωt  , v(t) = vr  sin ωt  + vr ωt  cos ωt  (3.43) 0 0 0 mit der konstanten radialen Geschwindigkeit vr und der Winkelgeschwindigkeit ω. Gem¨ aß Gleichung (3.41) ergibt sich der Drehimpuls des Teilchens, der jetzt von der Zeit abh¨ angt. Es erleichtert die Rechnung, auf die Einheitsvektoren der Polarkoordinaten zur¨ uckzugreifen: L(t) = r(t) × p(t) = mr(t) × v(t) = mvr t b er (t) × [vr b er (t) + vr ωt b eϕ (t)] = mvr2 t b er (t) × b er (t) + mvr2 ωt2 b er (t) × b eϕ (t) = mvr2 ωt2 b ez .

(3.44)

Da es sich bei den Zylinderkoordinaten um ein Rechtssystem handelt, f¨ uhrt das Kreuzprodukt der beiden Basisvektoren b er und b eϕ auf den dritten Basisvektor b ez , der nicht von der Zeit abh¨ angt. Versuchen Sie, vektorielle Ausdr¨ ucke durch passende Basisvektoren auszudr¨ ucken, um die Berechnung von Skalar- und Vektorprodukten schnell durchf¨ uhren zu k¨ onnen.

3.5 Drehmoment

59

Am Endergebnis von L(t) sehen Sie, dass der Drehimpuls auch f¨ ur diese Bewegung ein Vektor ist, der senkrecht auf der Ebene steht, in welcher die Drehung stattfindet. Jedoch steigt er in diesem Falle quadratisch mit der Zeit an. Die erste zeitliche Ableitung des Drehimpulses verschwindet nicht, sondern betr¨agt dL(t) = 2mvr2 ωt b ez . dt

(3.45)

Rechnet man im Vergleich dazu die zeitliche Ableitung nach der allgemeinen Formel f¨ ur den Drehimpuls aus, so hat man eine Vergleichsm¨oglichkeit mit dem eben erhaltenen Ergebnis. Beachten Sie, dass die Produktregel beim Ableiten nicht nur f¨ ur ein Produkt gew¨ ohnlicher Funktionen gilt, sondern auch f¨ ur das Skalar- bzw. Vektorprodukt von zeitabh¨ angigen Vektoren: d ˙ , ˙ [a(t) · b(t)] = a(t) · b(t) + a(t) · b(t) dt

(3.46a)

d ˙ . ˙ [a(t) × b(t)] = a(t) × b(t) + a(t) × b(t) dt

(3.46b)

Damit l¨ asst sich die zeitliche Ableitung ohne großen Aufwand berechnen: dL(t) d ˙ = [r(t) × p(t)] = r˙ (t) × [m˙r(t)] + r(t) × p(t) dt dt = r(t) × F(t) .

(3.47)

Im letzten Schritt wurde das zweite Newtonsche Axiom verwendet. Da die Kraft F(t) nicht bekannt ist, soll sie in der allgemeinen Form F(t) = Fr (t)b er (t) + Fϕ (t)b eϕ (t) + Fz (t)b ez (t) geschrieben und in Gleichung (3.47) eingesetzt werden: dL(t) = vr t b er (t) × [Fr (t)b er (t) + Fϕ (t)b eϕ (t) + Fz (t)b ez (t)] dt = Fr (t)vr t [b er (t) × b er (t)] + Fϕ (t)vr t [b er (t) × b eϕ (t)] + Fz (t)vr t [b er (t) × b ez (t)] = Fϕ (t)vr t b ez − Fz (t)vr t b eϕ (t) .

(3.48)

Da Gleichung (3.45) nur eine Komponente enth¨alt, die entlang der z-Richtung zeigt, muss Fz verschwinden. Eine m¨ ogliche Komponente Fr spielt f¨ ur die zeitliche Ableitung des Drehimpulses keine Rolle, weil sie von vorn herein herausf¨allt. Daher wird Fr = 0 gesetzt. Es bleibt einzig und allein die Komponente Fϕ u ¨brig, die man nun durch Vergleich bestimmen kann: Fϕ = 2mvr ω. Nimmt man an, eine Punktmasse werde durch eine konstante radial wirkende Kraft auf einer Kreisbahn gehalten, dann f¨ uhrt eine zus¨atzliche zirkulare Kraft dazu, dass sich das Orts-Zeit-Gesetz der Punktmasse zu einer Spirale ¨andert. Auf die gezeigte ¨ Weise sehen Sie, dass auch die zeitliche Anderung des Drehimpulses immer mit einer

60

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

¨ Abb. 3.4: Auf eine Punktmasse wirkendes Drehmoment, das zur Anderung des Drehimpulses f¨ uhrt.

wirkenden Kraft auf den K¨ orper einhergeht. Zwischen dem zweiten Newtonschen Axiom ¨ und Gleichung (3.47) besteht eine gewisse Ahnlichkeit. Eine direkte Gegen¨ uberstellung ˙ mit p(t) = F(t) offenbart diese Analogie. F¨ uhrt man den gebr¨ auchlichen Vektor M(t) = r(t) × F(t) ein, dann gilt ˙ L(t) = M(t) .

(3.49)

So wie beim zweiten Newtonschen Axiom die zeitliche Ableitung des gew¨ohnlichen Impulses mit der wirkenden Kraft verkn¨ upft ist, gibt es bei Drehungen einen neuen Zusammenhang zwischen der zeitlichen Ableitung des Drehimpulses und eines Vektors M(t). Letzterer h¨ angt ebenso mit der wirkenden Kraft zusammen, und man bezeichnet ihn als Drehmoment. Das Drehmoment ist ein Maß daf¨ ur, wie stark sich der Drehimpuls eines rotierenden K¨ orpers unter Einwirkung einer Kraft ¨ andert. Es ist ein Vektor, der senkrecht auf der wirkenden Kraft und der Verbindungslinie zwischen Drehpunkt und K¨orper steht. Gezeigt ist das in Abbildung 3.4. Verschwindet das Drehmoment, dann ist der Drehimpuls zeitlich erhalten. Handelt es sich bei M um einen Vektor mit großem Betrag, so ¨andert sich dementsprechend auch der Drehimpuls schnell. Ein großes Drehmoment kann durch die Einwirkung einer großen Kraft entstehen oder wenn der Abstand zwischen K¨orper und Drehpunkt sehr groß ist. Nat¨ urlich k¨ onnen sowohl Kraft als auch Abstand betragsm¨ aßig groß sein.

3.6 Kinetische Energie und Drehimpuls in krummlinigen Koordinatensystemen

3.6

61

Kinetische Energie und Drehimpuls in krummlinigen Koordinatensystemen

In Abschnitt 3.3 wurde die Formel f¨ ur die kinetische Energie einer Punktmasse m hergeleitet, die sich mit einer Geschwindigkeit v = r˙ bewegt. Sie betr¨agt 1 2 m˙r . (3.50) 2 Fasst man diese Gleichung so auf, dass der Geschwindigkeitsvektor in einem kartesischen Koordinatensystem angegeben ist, also r˙ = x˙ b ex + y˙ b ey + z˙ b ez , dann folgt aufgrund der Orthonormalit¨ at der Basisvektoren T =

r˙ 2 = x˙ 2 |b ex |2 + y˙ 2 |b ey |2 + z˙ 2 |b ez |2 + 2x˙ y˙ (b ex · b ey ) + 2x˙ z˙ (b ex · b ez ) + 2y˙ z˙ (b ey · b ez ) = x˙ 2 + y˙ 2 + z˙ 2

(3.51)

und damit: 1 m(x˙ 2 + y˙ 2 + z˙ 2 ) . (3.52) 2 Letzterer Zusammenhang gilt jedoch einzig und allein in einem kartesischen Koordinatensystem. In krummlinigen Koordinaten wie beispielsweise den Zylinder- oder Kugelkoordinaten muss die Formel entsprechend abgewandelt werden. Ausgehend von den Gleichungen (2.86) bzw. (2.105) f¨ ur Zylinder- und Kugelkoordinaten kann man r˙ 2 f¨ ur beide Koordinatensysteme berechnen. Auch hier l¨ asst sich die Orthonormalit¨at der jeweiligen Basisvektoren ausnutzen. Zun¨ achst ergibt sich f¨ ur die Zylinderkoordinaten folgendes: T =

r˙ 2 = (r˙ b er + rϕ˙ b eϕ )2 = r˙ 2 |b er |2 + 2rr˙ ϕ˙ (b er · b eϕ ) + r2 ϕ˙ 2 |b eϕ |2 = r˙ 2 + r2 ϕ˙ 2 .

(3.53)

Anschließend liefert eine analoge Rechnung f¨ ur die Kugelkoordinaten: r˙ 2 = (r˙ b er + rϑ˙ b eϑ + rϕ˙ sin ϑ b eϕ )2 = r˙ 2 |b er |2 + r2 ϑ˙ 2 |b eϑ |2 + r2 ϕ˙ 2 sin2 ϑ |b eϕ |2 + 2rr˙ ϑ˙ (b er · b eϑ ) + 2rr˙ ϕ˙ sin ϑ (b er · b eϕ ) + r2 ϑ˙ ϕ˙ sin ϑ (b eϑ · b eϕ ) = r˙ 2 + r2 ϑ˙ 2 + r2 ϕ˙ 2 sin2 ϑ .

(3.54)

Auf diese Weise findet man die Ausdr¨ ucke f¨ ur die kinetische Energie in beliebigen Koordinatensystemen. Die kinetische Energie T in kartesischen Koordinaten, Zylinder- und Kugelkoordinaten lautet wie folgt: Tkartesisch =

1 m(x˙ 2 + y˙ 2 + z˙ 2 ) , 2

(3.55a)

62

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

Abb. 3.5: Eine mit der Winkelgeschwindigkeit ϕ(t) ˙ im Abstand R um eine Achse rotierende Punktmasse m.

TZylinder = TKugel =

1 m(r˙ 2 + r2 ϕ˙ 2 ) , 2

1 m(r˙ 2 + r2 ϑ˙ 2 + r2 ϕ˙ 2 sin2 ϑ) . 2

(3.55b) (3.55c)

Bitte beachten Sie, dass in diesem und ¨ ahnlichen Zusammenh¨angen niemals Ausdr¨ ucke der Gestalt r˙ 2 + ϕ˙ 2 oder r˙2 + ϕ˙ 2 + ϑ˙ 2 auftreten k¨onnen, wenn krummlinige Koordinaten im Spiel sind! Das sind Fehlerquellen, die zumeist dann vorhanden sind, wenn man sich noch nie mit krummlinigen Koordinaten besch¨aftigt hat. Die Ursache davon ist, dass man meint, die kartesischen Ausdr¨ ucke einfach direkt u ¨bersetzen“ zu k¨onnen. Dabei ” vergisst man jedoch, dass krummlinige Basisvektoren im Allgemeinen von den Koor¨ dinaten selbst abh¨ angen und diese Abh¨ angigkeit bei einer Anderung der Koordinaten ber¨ ucksichtigt werden muss. Außerdem ist ein Ausdruck wie r˙ 2 + ϕ˙ 2 sinnlos, denn r˙ 2 besitzt die Einheit m2 /s2 , wohingegen ϕ˙ 2 die Einheit 1/s2 hat.

3.6.1

Rotationsenergie einer Punktmasse

Die Formel f¨ ur die kinetische Energie in Zylinderkoordinaten T =

1 m(r˙ 2 + r2 ϕ˙ 2 ) 2

(3.56)

l¨ asst sich sofort f¨ ur eine sch¨ one physikalische Anwendung nutzen. Betrachten Sie eine Punktmasse m, die sich kreisend um eine Achse im gleichbleibenden Abstand r = R bewegt. Veranschaulicht ist das in Abbildung 3.5. Ein solches Teilchen besitzt eine kinetische Energie, die physikalisch mit der Rotation des Teilchens zusammenh¨angt. Man bezeichnet die Form der Energie, die mit der Drehung einer Punktmasse m um eine Achse im gleichbleibenden Abstand R zusammenh¨angt, als Rotationsenergie. Damit unterscheidet man sie von der kinetischen Energie eines gleichf¨ormig

3.6 Kinetische Energie und Drehimpuls in krummlinigen Koordinatensystemen

63

bewegten Teilchens. Sie betr¨ agt in Abh¨ angigkeit von der Winkelgeschwindigkeit ϕ: ˙ Trot =

1 mR2 ϕ˙ 2 . 2

(3.57)

Auf diese Formel werden wir zur¨ uckgreifen, wenn es um die Drehung von ausgedehnten K¨ orpern geht.

3.6.2

Vektorielle Winkelgeschwindigkeit

Bisher haben Sie die Winkelgeschwindigkeit in der Beziehung v = ωr als skalare Gr¨oße kennengelernt. Jedoch wissen Sie, dass sowohl die Geschwindigkeit v als auch der Ortsvektor r eines Teilchens vektorielle Gr¨ oßen sind. Wie kann man deshalb die Gleichung v = ωr so umschreiben, dass sie mittels der entsprechenden Vektoren v und r ausgedr¨ uckt werden kann? Da mit v ein Vektor auf der linken Seite der Gleichung steht, muss auch das Produkt aus Winkelgeschwindigkeit und dem Vektor r wieder ein Vektor sein. Daf¨ ur gibt es eigentlich nur zwei M¨ oglichkeiten. Erstens k¨onnte man r mit der skalaren Winkelgeschwindigkeit multiplizieren, um einen Geschwindigkeitsvektor zu erhalten. Dann w¨ urden jedoch r und v in dieselbe Richtung zeigen, was z.B. f¨ ur eine Kreisbewegung keineswegs der Fall ist. Die einzige Alternative ist es, f¨ ur die Winkelgeschwindigkeit ebenso einen Vektor ω (mit |ω| = ω) einzuf¨ uhren und diesen u ¨ber das Kreuzprodukt mit r zu verkn¨ upfen: v = ω×r. Sinnvollerweise soll ω senkrecht auf r stehen. Ist das der Fall, dann liefert der Betrag der obigen Gleichung |v| = |ω × r| = |ω||r|, also die Ausgangsbeziehung v = ωr. Bildet man das Kreuzprodukt r × v, so l¨asst sich außerdem die Gleichung nach ω aufl¨ osen: r × v = r × (ω × r) = ω|r|2 − r(r · ω) = ωr2 .

(3.58)

Hierbei wurde die Graßmann-Identit¨ at ausgenutzt, um das doppelte Kreuzprodukt aufzul¨ osen: a × (b × c) = b(a · c) − c(a · b). Damit folgt also: ω=

r×v . r2

(3.59)

Der Vektor der Winkelgeschwindigkeit ist so orientiert, dass r, v und ω in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem sind. Zeigt der Daumen der rechten Hand in Richtung von r und der Zeigefinger entlang v, dann gibt der Mittelfinger die Richtung von ω an. Dreht sich ein Teilchen im Gegenuhrzeigersinn im Kreis, zeigt ω nach oben (siehe Abbildung 3.6).

F¨ ur die Winkelgeschwindigkeit ω l¨ asst sich ein Vektor ω einf¨ uhren, wobei |ω| = ω. Vor allem die erste der beiden Beziehungen v = ω × r,

ω=

r×v r2

(3.60)

64

3 Fundamentale Gr¨oßen in der Mechanik

Abb. 3.6: Winkelgeschwindigkeitsvektor ω f¨ ur die Kreisbewegung einer Punktmasse.

ist sehr n¨ utzlich. Der Winkelgeschwindigkeitsvektor zeigt in Richtung der Drehachse.

4

Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

Die F¨ ahigkeit zur Wahl eines geeigneten Koordinatensystems, um ein physikalisches Ph¨ anomen mathematisch zu beschreiben, ist ein zentrales R¨ ustzeug, das man sich als Naturwissenschaftler aneignen muss. Das Ziel einer solchen Wahl ist zum einen, die sich ergebenden Gleichungen m¨ oglichst geschickt darzustellen und zum anderen, das physikalische Verhalten einfach nachvollziehen zu k¨onnen. Im Kapitel 2 haben Sie bereits verschiedene Koordinatensysteme kennengelernt: kartesische Koordinaten, Polarkoordinaten usw. An diese denkt wahrscheinlich ein Mathematiker im Zusammenhang von Koordinatensystemen. Wie man als Physiker jedoch ein Koordinatensystem auffasst und wie einem das bei der L¨osung physikalischer Probleme hilft, lernen Sie in diesem Kapitel.

4.1

Inertialsysteme

Viele physikalische Vorg¨ ange laufen dynamisch ab, also in Abh¨angigkeit der Zeit. Betrachtet man die Zeit neben den r¨ aumlichen Koordinaten als weitere Koordinate, dann spricht ein Physiker oft nicht mehr von einem Koordinatensystem, sondern einem Bezugssystem. Ein hilfreiches anschauliches Bild, mit dem man sich ein Bezugssystem vorstellen kann, ist eine Raumkapsel mit einem Triebwerk, das von einem Piloten gesteuert wird. In der Kapsel befinde sich ein Experimentator, der eine Reihe von Ger¨atschaften bei sich hat, mit denen sich physikalische Versuche durchf¨ uhren lassen. Die Kapsel selbst habe kein Fenster, womit der Experimentator keinen visuellen Eindruck u ¨ber ihren aktuellen Bewegungszustand bekommt. Das sch¨one ist jedoch, dass er mit Hilfe seiner Ausr¨ ustung durch Experimente feststellen kann, ob die Kapsel stillsteht, sich bewegt und dar¨ uber hinaus, wie sie sich bewegt. Die Annahme ist, dass sich die Kapsel im Weltraum weit ab von jeglichen Himmelsk¨ orpern befindet. Stellen Sie sich vor, der Physiker in der Kapsel besitze eine Vorrichtung, an die er eine Feder befestigen kann, die dem Hookeschen Gesetz gen¨ ugt. Die Ausdehnung s der Feder aus ihrem entspannten Zustand soll also proportional zur Kraft F sein, die an der Feder angreift: F = −Ds. Die Federkonstante D sei dem Physiker bekannt. Außerdem findet er unter seinen Utensilien eine Kugel der Masse m1 , die er an der Feder befestigen kann. Die sich ergebende Auslenkung der Feder l¨ asst sich mit einem Maßband vermessen. Eine zweite Kugel der Masse m2 werde in eine gl¨aserne R¨ohre eingebracht und kann sich entlang dieser frei bewegen.

66

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

In der Physik umfasst ein Bezugssystem neben den r¨aumlichen Koordinaten auch die Zeit. Die wichtigste Klasse von Bezugssystemen in der klassischen Mechanik ist die, in welcher die Naturgesetze der klassischen Mechanik gelten. K¨orper sollen sich in diesen Systemen also gem¨ aß den Newtonschen Axiomen verhalten. Man bezeichnet Bezugssysteme, in denen dies der Fall ist, als Inertialsysteme.

Mit Hilfe der einfachen Apparatur bestehend aus Feder und Kugel kann der Experimentator feststellen, ob er sich in einem Inertialsystem befindet. Angenommen, die Kapsel ruhe (siehe Abbildung 4.1a). Dann ist zum ersten der Physiker schwerelos, weil auf ihn ja keinerlei Schwerkraft wirkt. Das gilt nat¨ urlich auch f¨ ur die Kugel an der Feder, womit diese nicht ausgelenkt wird. Außerdem r¨ uhrt sich die zweite Kugel in der R¨ohre nicht, und f¨ ur ihre Position gilt ¨r = 0. Genau dieses Verhalten erwartet man nach den Newtonschen Axiomen, also muss sich der Physiker in einem Inertialsystem befinden. Dieses werde S genannt. Nehmen wir nun an, der Pilot aktiviere das Triebwerk, womit die Raumkapsel in Richtung der positiven y-Achse beschleunigt wird (siehe Abbildung 4.1b). Dieser Vorgang entspricht einem Wechsel des Bezugssystems. Auch in dem beschleunigten Bezugssystem S 0 lassen sich gem¨ aß Abbildung 4.2 Koordinaten einf¨ uhren, mit denen man die Position und die Bewegung von K¨ orpern beschreiben kann. Heißen die neuen Ortsvektoren r0 , so kann man diese durch die vormaligen Ortsvektoren r ausdr¨ ucken, wenn man ausnutzt, wie sich der Koordinatenursprung von S 0 gegen¨ uber dem von S verschiebt. Sei die Beschleunigung der Kapsel a, dann h¨ angen die neuen Koordinaten bez¨ uglich der alten wie folgt von der Zeit t ab: 1 1 r = r0 + at2 b ey ⇔ r0 = r − at2 b ey , 2 2

(a) ruhende Kapsel

(b) gleichm¨ aßige Beschleunigung

¨r0 = ¨r − ab ey .

(c) gleichf¨ ormige Bewegung

Abb. 4.1: Verschiedene Bezugssysteme

(4.1)

(d) gleichm¨ aßige Abbremsung

jeweils als Raumkapseln dargestellt.

4.1 Inertialsysteme

67 Abb. 4.2: Bezugssysteme S und S 0 mit den Koordinaten (x, y) und (x0 , y 0 ). Das System S 0 bewege sich bez¨ uglich S entlang der positiven y-Achse von S. Die Koordinatenurspr¨ unge beider Bezugssysteme haben einen Abstand, der sich durch die Bewegung ergibt. Ein Punkt in S werde durch den Ortsvektor r angegeben. Derselbe Punkt habe in S 0 den Ortsvektor r0 .

Der Experimentator wird nun feststellen, dass er nicht mehr komplett schwerelos ist, je nach der Beschleunigung a. Der Boden der Kapsel u ey ¨bt auf ihn die Kraft F = M ab aus, wenn M die Masse des Physikers ist. Schließlich muss er ja mit der Kapsel beschleunigt werden. Das wirkt dann so, als ruhe der Physiker auf einem Himmelsk¨orper mit Fallbeschleunigung a. Besitzt der Physiker die Masse M , dann versp¨ urt dieser die Gewichtskraft FG = −M ab ey , die in entgegengesetzte Richtung wirkt. Außerdem l¨asst sich feststellen, dass die erste Kugel die Feder um s = m1 a/D in negative y-Richtung auslenkt. Dann wirkt gem¨ aß des Hookeschen Gesetzes eine Federkraft F = m1 a/D b ey in positive y-Richtung. Diese gleicht die Gewichtskraft aus, welche die erste Kugel sp¨ urt. Die zweite Kugel in der R¨ ohre unterliegt ebenso einer Beschleunigung in negativer yRichtung, womit sie sich gem¨ aß des Orts-Zeit-Gesetzes r(t) = −ab ey t2 /2 bewegt. Der wichtige Punkt hierbei ist nun, dass sich alle K¨orper nicht gem¨aß den Newtonschen Axiomen verhalten. Erinnern Sie sich daran, dass sich die Raumkapsel weit ab von jeglichen Himmelsk¨ orpern befindet, womit keinerlei Schwerkraft wirkt. Warum sollte dann die an der Feder befestigte Kugel eine Gewichtskraft besitzen? Die Kugel in der R¨ ohre wird von keinerlei physikalischem Vorgang in Bewegung gesetzt. Dann w¨ urde man f¨ ur ihr Orts-Zeit-Gesetz r(t) = r0 mit einem konstanten Ortsvektor r0 erwarten, da die Kugel zuvor ja in Ruhe war. Sie sollte eigentlich gem¨aß des ersten Newtonschen Axioms auch in Ruhe bleiben. Warum sich die Kugeln sowie der Physiker selbst so verhalten wie beobachtet, liegt einzig und allein am Bewegungszustand der Kapsel, also an ihrer gleichm¨ aßigen Beschleunigung. Sie k¨ onnen es sich so vorstellen, dass die K¨orper eigentlich in Ruhe verharren, sich die Kapsel aber mit einer konstanten Beschleunigung weiterbewegt. Da die Feder u ¨ber eine experimentelle Vorrichtung an der Wand der Kapsel befestigt ist, setzt sich auch die Feder in Bewegung und u ¨bt die Beschleunigung ab ey auf die an ihr befestigte Kugel aus. Diese Beschleunigung f¨ uhrt zu einer Kraft, die sich u ur den ¨ber die Auslenkung der Feder bemerkbar macht. Analog verh¨alt sich das f¨ Physiker selber. F¨ ur die zweite ruhende Kugel ist es so, dass sich die Kapsel gleichm¨aßig beschleunigt an dieser vorbei bewegt. Da der Experimentator nicht nach draußen sehen kann, wirkt es f¨ ur diesen so, als setze sich die Kugel ohne ¨außere Einfl¨ usse in Bewegung.

68

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

Infolgedessen kann es sich bei diesem gleichm¨aßig beschleunigten Bezugssystem um kein Inertialsystem handeln. Nach einer gewissen Zeit schaltet der Pilot das Triebwerk der Kapsel ab. Sie bewegt sich danach gem¨ aß des ersten Newtonschen Axioms gleichf¨ormig mit einer Geschwindigkeit v weiter und entspricht einem neuen Bezugssystem S 00 (siehe Abbildung 4.1c). Punkte werden gem¨ aß Abbildung 4.2 durch Ortsvektoren r00 beschrieben, die mit den Ortsvektoren r des Bezugssystems S wie folgt zusammenh¨angen: r = r00 + R0 + vt ⇔ r00 = r − R0 − vt ,

¨r00 = ¨r .

(4.2)

Die Zeitmessung werde zum Zeitpunkt t = 0 gestartet, wo das Triebwerk nach dem Beschleunigen abgeschaltet wird. Zu diesem Zeitpunkt befinde sich die Kapsel bez¨ uglich des urspr¨ unglichen Koordinatensystems an einem Punkt mit dem Ortsvektor R0 . Der Physiker wird nun feststellen, dass an der Feder keinerlei Auslenkung abzulesen ist. Die Kugel in der R¨ohre, die nach dem Beschleunigungsvorgang wieder in ihre urspr¨ ungliche Position gebracht wurde, r¨ uhrt sich nicht. Ebenso ist der Physiker selbst wieder schwerelos. Da keinerlei physikalische Kr¨ afte auf die K¨orper einwirken, verhalten sie sich so, wie man das von den Newtonschen Axiomen erwartet. Alle K¨orper in der Kapsel bewegen sich nun ohne ¨ außeres Zutun gleichf¨ormig mit der Geschwindigkeit v mit der Raumkapsel mit. Die sich gleichf¨ ormig mit einer Geschwindigkeit v bewegende Kapsel entspricht wieder einem Inertialsystem. Zum Schluss aktiviere der Pilot die Bremsd¨ usen der Kapsel (siehe Abbildung 4.1d), um sie wieder abzubremsen. Infolgedessen wird die Kapsel in Richtung der negativen y-Achse beschleunigt. Die Folge davon ist, dass die vordere Wand der Kapsel auf den Experimentator eine Kraft F = −M ab ey aus¨ ubt. Jener meint, auf ihn wirke nun die Gewichtskraft FG = M ab ey . Außerdem wird der Experimentator feststellen, dass nun die Feder um s = m1 a/D in Richtung der positiven y-Achse ausgelenkt wird. Die zweite Kugel bewegt sich gleichm¨ aßig beschleunigt in Richtung der positiven y-Achse. Gem¨aß Abbildung 4.2 sind Ortsvektoren r000 in dem neuen Bezugssystem S 000 bez¨ uglich den Koordinaten des Bezugssystems S 00 gegeben durch: 1 1 r00 = r000 − at2 b ey ⇔ r000 = r00 + at2 b ey , 2 2

¨r000 = ¨r00 + ab ey .

(4.3)

Das zeigt, dass alle K¨ orper in S 000 eine Beschleunigung in Richtung der positiven y-Achse ¨ erfahren. Ahnlich wie beim Bezugssystem S liegt jedoch hinter dieser Beschleunigung keinerlei physikalische Ursache. Sie r¨ uhrt daher, dass sich alle K¨orper aufgrund ihrer Tr¨ agheit mit der Geschwindigkeit v weiterbewegen wollen. Die Geschwindigkeit der Kapsel selbst verringert sich jedoch stetig aufgrund des eingeleiteten Bremsvorganges. Die Kugel an der Feder muss daher abgebremst werden und das geht nur, wenn eine Kraft entgegen ihrer Bewegungsrichtung auf sie wirkt, also entgegen der positiven y-Achse. Eine solche Kraft wird von der Feder erzeugt, wenn diese in Richtung der positiven y-Achse um die oben genannte L¨ ange s ausgelenkt wird. Die Kugel in der R¨ ohre wird durch nichts abgebremst; sie fliegt mit konstanter Geschwindigkeit weiter. Da dies jedoch die Wand der Kapsel nicht tut, wirkt es so, als werde die Kugel von einer unsichtbaren Kraft nach vorne beschleunigt. Die Newtonschen Axiome sind also in diesem Bezugssystem S 000 wieder nicht g¨ ultig, womit es sich um kein Inertialsystem handeln kann.

4.2 Galilei-Transformation

69

Inertialsysteme sind dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen keinerlei Kr¨afte auftreten, die von keiner physikalischen Ursache herr¨ uhren, sondern nur von der Bewegung des Bezugssystems. Man nennt solche Kr¨ afte auch Scheinkr¨ afte. Scheinkr¨afte gibt es nur in beschleunigten Bezugssystemen, aber nicht in solchen, die sich gleichf¨ormig mit konstanter Geschwindigkeit bewegen. Man kann also auch sagen, dass es sich bei Inertialsystemen um nichtbeschleunigte Bezugssysteme handelt.

4.2

Galilei-Transformation

Inertialsysteme stellen die zentralen Bezugssysteme dar, die bei Anwendungen eine Rolle spielen. Oft ist ein Wechsel des Bezugssystems u ¨beraus sinnvoll, um eine physikalische Berechnung zu vereinfachen. Meistens ist man jedoch an Transformationen von einem Inertialsystem in ein anderes interessiert, da ansonsten Scheinkr¨afte auftreten, wie Sie im letzten Abschnitt gesehen haben. Man bezeichnet einen Wechsel zwischen Inertialsystemen im Rahmen der klassischen Mechanik als Galilei-Transformation. Um die allgemeine Form einer solchen Transformation zu bestimmen, betrachten Sie Abbildung 4.3. Hier sind zwei Inertialsysteme S und S 0 mit den Koordinaten (x, y, z) bzw. (x0 , y 0 , z 0 ) ¨ veranschaulicht. Die dritte Dimension ist der Ubersichtlichkeit halber in der Skizze unterdr¨ uckt. Im System S lasse sich ein beliebiger Punkt durch den Ortsvektor r darstellen, im System S 0 durch den Ortsvektor r0 . Da es sich um Inertialsysteme handeln soll, entfernt sich der eine Koordinatenursprung von dem anderen gem¨aß des Orts-Zeit-Gesetzes einer gleichf¨ ormigen Bewegung: −−→0 OO = r0 + vt .

(4.4)

Abb. 4.3: Zwei in gleichf¨ ormiger Bewegung zueinander befindliche Inertialsysteme.

70

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

Hierbei sei r0 ein anf¨ anglicher Abstandsvektor der Koordinatenurspr¨ unge beider Bezugssysteme, die sich mit dem Geschwindigkeitsvektor v relativ zueinander bewegen. Aus der Skizze kann man nun sofort den Zusammenhang zwischen r und r0 ablesen: −−→ −−→ r = OO0 + r0 ⇔ r0 = r − OO0 = r − vt − r0 .

(4.5)

¨ Uber einen wichtigen Punkt wurde bisher noch kein Wort gesprochen: die Zeit t. Bei der Galilei-Transformation wird angenommen, dass die Zeit im Bezugssystem S 0 dieselbe ist wie die im Bezugssystem S, also t0 = t. Das ist einer der Punkte, in denen sich Einsteins spezielle Relativit¨ atstheorie von der einfachen Galilei-Transformation unterscheidet. In der speziellen Relativit¨ atstheorie ist die Zeit eine relative Gr¨oße, die vom Inertialsystem abh¨ angt. Das gilt bei der Galilei-Transformation nicht. Hier werden Zeit und Ort als voneinander losgel¨ ost betrachtet, und nur der Ort eines Punktes (und damit dessen Geschwindigkeit bzw. Beschleunigung) h¨ angen vom jeweiligen Bezugssystem ab. Eine Galilei-Transformation verkn¨ upft die Ortsvektoren r0 und r zweier Inertialsy0 steme S und S miteinander, die sich zueinander gleichf¨ormig mit dem Geschwindigkeitsvektor v bewegen: r0 (t) = r(t) − vt − r0 ,

t0 = t .

(4.6)

Die Zeit, die in beiden Inertialsystemen vergeht, ist dieselbe. Bewegt sich eine Punktmasse in einem Inertialsystem auf einer Geraden, so gilt das auch in jedem anderen Inertialsystem.

¨ Ubungsaufgabe 4.1: Anwendung von Galilei-Transformationen Betrachten Sie eine Rakete, die mit Geschwindigkeit v1 in den Weltraum fliegt. Eine zweite Rakete fliege parallel dazu zum Zeitpunkt t = 0 im Abstand d mit der Geschwindigkeit v2 > v1 an der Rakete vorbei. Ein Astronaut auf der ersten Rakete werfe einen Ball mit der Geschwindigkeit v waagerecht in Richtung auf die zweite Rakete. Auf den Ball wirke die Fallbeschleunigung g, die bei der Bewegung der Raketen vernachl¨assigt werden kann. Zu welchem Zeitpunkt t < 0 muss der Ball abgeworfen werden, damit die zweite Rakete genau beim Vorbeifliegen getroffen wird?

¨ Ubungsaufgabe 4.2: Gruppeneigenschaften der GalileiTransformationen Zeigen Sie, dass die Galilei-Transformationen mathematisch eine Gruppe bilden, dass also folgende Eigenschaften gelten: 1) Die Hintereinanderausf¨ uhrung zweier Galilei-Transformationen ist wieder eine Galilei-Transformation. 2) Es gibt eine neutrale Galilei-Transformation, die das Bezugssystem nicht ¨andert.

4.2 Galilei-Transformation

71

3) Es gibt eine inverse Galilei-Transformation, die nach Anwendung einer bestimmten Galilei-Transformation wieder zum urspr¨ unglichen Bezugssystem f¨ uhrt.

L¨osung zu Aufgabe 4.2 Grundlage ist die Galilei-Transformation r0 = r − vt − r0 ,

t0 = t ,

(4.7)

welche die Transformation vom Inertialsystem S zu einem Inertialsystem S 0 beschreibt. 1) F¨ uhrt man eine Galilei-Transformation von S nach S 0 (mit anf¨anglichem Ortsvektor r0,1 und der Geschwindigkeit v1 ) und danach eine weitere Transformation von S 0 nach S 00 (mit r0,2 und v2 ) durch, dann gilt: t00 = t0 = t ,

(4.8a)

r00 = r0 − v2 t0 − r0,2 = (r − v1 t − r0,1 ) − v2 t − r0,2 = r − (v1 + v2 )t − (r0,1 + r0,2 ) .

(4.8b)

Eine Galilei-Transformation von S u ¨ber S 0 nach S 00 kann also als eine GalileiTransformation von S direkt nach S 00 aufgefasst werden. Der anf¨angliche Ortsvektor dieser Transformation ist die Summe der Ortsvektoren der einzelnen Transformationen. Außerdem ist die Geschwindigkeit der direkten Transformation die Summe der Geschwindigkeiten beider Transformationen. 2) Eine neutrale Galilei-Transformation ist eine solche, die am Bezugssystem nichts andert: ¨ t0 = t ,

r0 = r .

(4.9)

Dann gilt v = 0 und r0 = 0. 3) F¨ uhrt die Galilei-Transformation r0 = r − vt − r0 vom System S nach S 0 , dann f¨ uhrt eine inverse Galilei-Transformation mit umgekehrtem anf¨anglichen Ortsund Geschwindigkeitsvektor vom System S 0 zum System S 00 . Letzteres entspricht wieder dem System S: t00 = t0 = t ,

r00 = r0 + vt + r0 = r − vt − r0 + vt + r0 = r .

(4.10)

Damit bilden die Galilei-Transformationen eine Gruppe, die man auch Galilei-Gruppe nennt.

¨ Ubungsaufgabe 4.3: Inertialsysteme Ein Teilchen bewege sich in einem Inertialsystem S gleichf¨ormig gem¨aß des Orts-ZeitGesetzes r(t) = b + vt mit der Geschwindigkeit v. Bestimmen Sie das Orts-Zeit-Gesetz in den folgenden Bezugssystemen S 0 . Bei welchen handelt es sich um Inertialsysteme?

72

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik 1) S 0 bewege sich bez¨ uglich S mit einer Geschwindigkeit V. 2) S 0 sei gegen¨ uber S gleichm¨ aßig beschleunigt mit der Beschleunigung g = gb ez . 3) Der Koordinatenursprung von S 0 befinde sich im Abstand R zum Ursprung von S. 4) Beide Koordinatensysteme sind mit einem konstanten Winkel α verdreht gegeneinander.

Lo¨sung zu Aufgabe 4.3 Das Teilchen bewege sich gem¨ aß r(t) = b+vt im System S, und dessen Orts-Zeit-Gesetz im System S 0 werde im Folgenden f¨ ur die einzelnen F¨alle bestimmt. 1) Mit Hilfe einer Galilei-Transformation folgt: r0 (t) = r(t) − Vt = b + (v − V)t .

(4.11)

Auch im System S 0 bewegt sich die Punktmasse entlang einer Geraden. Es handelt sich also um ein Inertialsystem. 2) Da S 0 gegen¨ uber S gleichm¨ aßig beschleunigt ist, kann es sich dabei um kein Inertialsystem handeln. Das Teilchen bewegt sich gem¨aß des folgenden Orts-ZeitGesetzes: 1 1 r0 (t) = r(t) − gt2 b ez = b + vt − gt2 b ez . 2 2

(4.12)

Wie Sie sehen, bewegt sich das Teilchen im System S 0 auf keiner Geraden mehr. Aufgrund der gleichm¨ aßigen Beschleunigung von S 0 gegen¨ uber S tritt eine Scheinkraft auf. 3) Hier sind beide Koordinatensysteme einfach gegeneinander verschoben. Wenn S ein Inertialsystem ist, handelt es sich bei S 0 dann auf jeden Fall auch um ein Inertialsystem. Eine Galilei-Transformation mit r0 = R und v = 0 f¨ uhrt auf das Orts-Zeit-Gesetz r0 (t) = r(t) − R = b − R + vt

(4.13)

des Teilchens, das immer noch eine Gerade ist. 4) Eine Drehung des Koordinatensystems um einen festen Winkel α l¨asst sich mit einer (2 × 2)-Drehmatrix D(α) durchf¨ uhren. Auch wenn man nicht weiß, wie diese aussieht, kann man die Drehung formal durchf¨ uhren: r0 (t) = D(α)r(t) = D(α)b + D(α)vt ≡ b0 + v0 t .

(4.14)

Das Ergebnis ist ein Orts-Zeit-Gesetz mit einem gedrehten anf¨anglichen Vektor und einem gedrehten Geschwindigkeitsvektor. Es handelt sich dabei immer noch um eine Gerade. Ein solches um einen konstanten Winkel verdrehtes Bezugsystem ist somit ein Inertialsystem.

4.3 Rotierende Bezugssysteme

4.3

73

Rotierende Bezugssysteme

Im letzten Kapitel wurde die Wichtigkeit von Inertialsystemen außerordentlich betont. Jedoch gibt es zumindest eine Klasse von Systemen, bei denen es sich um keine Inertialsysteme handelt und die dennoch in der Anwendung große Bedeutung haben: sich drehende Bezugssysteme. Um die physikalischen Gesetzm¨aßigkeiten in solchen Bezugssystemen zu verstehen, ben¨ otigt man eine Vorschrift, die eine Drehung mathematisch beschreibt. Es gibt zwei Klassen von Drehungen: aktive, welche die Drehung eines Vektors selbst beschreiben und passive, die das Koordinatensystem drehen und einen Vektor darin unangetastet lassen. Es sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass Drehungen im mathematisch positiven Sinne im Gegenuhrzeigersinn laufen. Bevor es an die physikalische Anwendung geht, werden im Folgenden zun¨achst die mathematischen Vorschriften von Drehungen hergeleitet.

¨ Ubungsaufgabe 4.4: Mathematische Beschreibung von Drehungen Betrachten Sie ein zweidimensionales kartesisches Koordinatensystem mit einem Vektor v.

a) Leiten Sie mit Hilfe von Abbildung 4.4 die mathematische Form einer Drehmatrix D(ϕ) her, die den Vektor v in den gedrehten Vektor gem¨aß v0 = D(ϕ)v u uhrt. ¨berf¨ Durch diese Drehmatrix wird eine zweidimensionale aktive Drehung in der x-yEbene, also eine Drehung um die z-Achse eines dreidimensionalen kartesischen Koordinatensystems, beschrieben. b) Bestimmen Sie aus Abbildung 4.5 die entsprechende Drehmatrix f¨ ur eine passive Drehung um den Winkel ϕ. c) Zeigen Sie, dass f¨ ur die bestimmten Drehmatrizen die folgenden Eigenschaften gelten: D(ϕ)D(ϕ)T = D(ϕ)T D(ϕ) = 1 ,

det[D(ϕ)] = 1 .

(4.15)

Hier ist D(ϕ)T die transponierte Drehmatrix, det[D(ϕ)] bezeichnet deren Determinante und 1 die Einheitsmatrix. Diese Eigenschaften sind charakteristisch f¨ ur eine jede Drehmatrix.

L¨osung zu Aufgabe 4.4 a) Sei α der Winkel, den der Vektor v mit der positiven x-Achse einschließt. Der Betrag von v ¨ andert sich bei der Drehung nicht; dieser werde als v bezeichnet. Dann lassen sich v und v0 in der folgenden Form darstellen:     cos α cos(α + ϕ) 0 v=v , v =v . (4.16) sin α sin(α + ϕ)

74

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

Abb. 4.4: Eine aktive Drehung des Vektors v um den Winkel ϕ.

Abb. 4.5: Eine passive Drehung des Koordinatensystems um den Winkel ϕ. Mit Hilfe der Additionstheoreme sin(α ± β) = sin α cos β ± cos α sin β ,

(4.17a)

cos(α ± β) = cos α cos β ∓ sin α sin β ,

(4.17b)

kann man die trigonometrischen Funktionen der beiden Argumente auseinanderziehen. Damit schreibt man den gedrehten Vektor v0 um, so dass man die Drehmatrix ablesen kann:       cos α cos ϕ − sin α sin ϕ cos ϕ − sin ϕ cos α v0 = v = ·v sin α cos ϕ + cos α sin ϕ sin ϕ cos ϕ sin α = D(ϕ)v .

(4.18)

Also lautet die Drehmatrix f¨ ur eine zweidimensionale aktive Drehung eines Vektors um den Winkel ϕ:   cos ϕ − sin ϕ (aktiv) D (ϕ) = . (4.19) sin ϕ cos ϕ b) Die urspr¨ unglichen Basisvektoren des zweidimensionalen kartesischen Koordinatensystems lauten:     1 0 b ex = , b ey = . (4.20) 0 1

4.3 Rotierende Bezugssysteme

75

Die gedrehten Einheitsvektoren lassen sich wie folgt mittels der urspr¨ unglichen ausdr¨ ucken: b e0x = b ex cos ϕ − b ey sin ϕ ,

(4.21a)

b e0y = b ex sin ϕ + b ey cos ϕ .

(4.21b)

Schreibt man die urspr¨ unglichen Basisvektoren mit Hilfe der neuen, dann ergibt sich: b ex = b e0x cos ϕ + b e0y sin ϕ ,

(4.22a)

b ey = −b e0x sin ϕ + b e0y cos ϕ .

(4.22b)

Letztere Gleichungen sind notwendig, um nun den Vektor v in der gedrehten Basis darzustellen. Beachten Sie bitte, dass im Gegensatz zur passiven Drehung der Vektor v hier mit keinem Strich bezeichnet wird. Schließlich ¨andert sich ja der Vektor nicht, sondern nur dessen Darstellung mittels der Basis! v=b ex v cos α + b ey v sin α 0 = (b ex cos ϕ + b e0y sin ϕ)v cos α + (−b e0x sin ϕ + b e0y cos ϕ)v sin α = v(cos α cos ϕ − sin α sin ϕ)b e0x + v(cos α sin ϕ + sin α cos ϕ)b e0y . In Matrixschreibweise lautet letztere Gleichung wie folgt:     cos ϕ − sin ϕ cos α v= ·v . sin ϕ cos ϕ sin α

(4.23)

(4.24)

Daraus l¨ asst sich die Drehmatrix einer passiven Drehung ablesen. Beachten Sie jedoch, dass gem¨ aß Abbildung 4.5 die Drehung um den Winkel ϕ im Uhrzeigersinn, also im mathematisch negativen Sinne, stattfindet. Deshalb stimmen auch die Drehmatrizen der aktiven und passiven Drehung in diesem Fall u ¨berein, denn beide f¨ uhren zum selben gedrehten Vektor. Die zweidimensionale Drehmatrix einer passiven Drehung um den Winkel ϕ im mathematisch positiven Sinne lautet:   cos ϕ sin ϕ D(passiv) (ϕ) = . (4.25) − sin ϕ cos ϕ c) Wir beschr¨ anken uns darauf, die Beziehungen f¨ ur die aktive Drehmatrix nachzuweisen. F¨ ur die passive Drehmatrix funktioniert das Ganze analog; man muss nur das Vorzeichen beim Winkel ¨ andern. Bezeichnet man die aktive Drehmatrix einfach als D(ϕ), dann gilt:     cos ϕ − sin ϕ cos ϕ sin ϕ T D(ϕ)D(ϕ) = · sin ϕ cos ϕ − sin ϕ cos ϕ  2    2 cos ϕ + sin ϕ 0 1 0 = = , (4.26a) 0 1 0 sin2 ϕ + cos2 ϕ

76

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik    cos ϕ sin ϕ cos ϕ − sin ϕ · − sin ϕ cos ϕ sin ϕ cos ϕ  2    cos ϕ + sin2 ϕ 0 1 0 = = , (4.26b) 0 1 0 sin2 ϕ + cos2 ϕ   cos ϕ − sin ϕ det[D(ϕ)] = det = cos2 ϕ + sin2 ϕ = 1 . (4.26c) sin ϕ cos ϕ D(ϕ)T D(ϕ) =

4.3.1



Beschreibung von Drehungen

Aus den Drehmatrizen von Aufgabe 4.4, die zweidimensionale Drehungen in der x-yEbene beschreiben, lassen sich dreidimensionale Drehmatrizen f¨ ur Drehungen um die x-, y- oder z-Achse konstruieren. Beachtet man, dass die jeweiligen Achsen sich nicht andern unter der entsprechenden Drehung, dann gilt folgendes. ¨ Die Drehmatrizen f¨ ur dreidimensionale aktive Drehungen um die x-, y- bzw. z-Achse lauten:     cos ϕ − sin ϕ 0 cos ϕ 0 sin ϕ 1 0 , D(x) (ϕ) =  sin ϕ cos ϕ 0 , D(y) (ϕ) =  0 0 0 1 − sin ϕ 0 cos ϕ   1 0 0 D(z) (ϕ) = 0 cos ϕ − sin ϕ . 0 sin ϕ cos ϕ

(4.27)

¨ Andert man das Vorzeichen des Winkels, ergeben sich die entsprechenden passiven Drehmatrizen. Beachten Sie die vertauschten Vorzeichen der Sinusfunktion bei der Matrix D(y) (ϕ). Diese kommen daher, dass die horizontale Achse nach links zeigt, wenn man von oben“ ” auf die x-z-Ebene blickt. Bei Drehungen um die x- bzw. z-Achse zeigt sie jedoch nach rechts. Die obigen Matrizen gelten f¨ ur Drehungen um spezielle Achsen eines Koordinatensystems. Nat¨ urlich l¨ asst sich auch eine Matrix f¨ ur die Drehung um eine beliebige Achse aufschreiben. Im Folgenden wird jedoch nicht die Matrix, sondern das Ergebnis des gedrehten Vektors betrachtet. Der Grund ist, dass sich diese Formel einfacher handhaben l¨ asst. Eine m¨ ogliche Beschreibung einer passiven Drehung um eine beliebige Achse lautet: b (b b (b b) . R(ϕ)r = ω ω · r) + cos ϕ [r − ω ω · r)] + sin ϕ (r × ω

(4.28)

¨ Hierdurch wird die Anderung eines Vektors r beschrieben, wenn sich das zugrundeb um liegende Koordinatensystem im Gegenuhrzeigersinn bez¨ uglich der Drehachse ω

4.3 Rotierende Bezugssysteme

77

b ein Einheitsvektor, der in Richtung der Drehachse den Winkel ϕ dreht. Hierbei ist ω zeigt. Bevor man sich der physikalischen Anwendung von drehenden Koordinatensystemen widmet, ist es sinnvoll, sich mit der allgemeinen Drehvorschrift aus Gleichung (4.28) vertraut zu machen. Das geschieht in der folgenden Aufgabe.

¨ Ubungsaufgabe 4.5: Drehvorschrift Zeigen Sie, dass durch Gleichung (4.28) tats¨ achlich eine passive Drehung des Koordinatensystems beschrieben wird. Die Hinweise im folgenden Kasten k¨onnen hilfreich sein! Anstelle Skalar- und Kreuzprodukte auszuschreiben, ist es sinnvoll, symbolisch mit ihnen zu rechnen und die folgenden Zusammenh¨ange zu nutzen: 1) Das Kreuzprodukt zweier Vektoren a und b steht senkrecht sowohl auf a als auch b. Damit gilt a · (a × b) = 0 ,

b · (a × b) = 0 .

(4.29)

2) Graßmann-Identit¨ at f¨ ur doppelte Kreuzprodukte (auch “bac-cab-Regel” genannt): a × (b × c) = b(a · c) − c(a · b) .

(4.30)

3) Jacobi-Identit¨ at f¨ ur das Skalarprodukt zweier Kreuzprodukte: (a × b) · (c × d) = (a · c)(b · d) − (b · c)(a · d) .

4.3.2

(4.31)

Scheinkra¨fte in rotierenden Bezugssystemen

Nun ist es an der Zeit, die physikalischen Gesetze in einem sich drehenden Bezugssystem zu verstehen. Betrachtet werden zwei Bezugssysteme, deren Koordinatenurspr¨ unge miteinander u uglich des anderen um ¨bereinstimmen sollen. Ein Bezugssystem soll sich bez¨ b so drehen, dass in Abh¨ die Drehachse ω angigkeit von der Zeit t Geraden durch und senkrecht zur Drehachse den Winkel ϕ(t) einschließen. Bewegt sich eine Punktmasse im ruhenden System gem¨ aß des Orts-Zeit-Gesetzes r(t), so ergibt sich das entsprechende Orts-Zeit-Gesetz im drehenden System mittels Gleichung (4.28): b (b b (b b) . r0 ≡ R(ϕ)r = ω ω · r) + cos ϕ [r − ω ω · r)] + sin ϕ (r × ω

(4.32)

Wird entsprechend das Orts-Zeit-Gesetz r0 (t) einer Punktmasse im drehenden System vom Inertialsystem aus betrachtet, dann besitzt dieses im Inertialsystem die Gestalt b (b b (b b) . r = r0 = ω ω · r0 ) + cos ϕ [r0 − ω ω · r0 )] − sin ϕ (r0 × ω

(4.33)

78

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

Diese Gleichung dr¨ uckt aus, dass die beiden Vektoren r und r0 gleich sind. Einzig und allein ihre Darstellung ist verschieden. W¨ ahrend es sinnvoll ist, r im Inertialsystem in der kartesischen Standardbasis darzustellen, wird der Vektor r0 in einer gedrehten Basis beschrieben. Die rechte Seite der Gleichung verr¨at Ihnen, um welche Basisvektoren es sich handelt. Der Vektor wird damit zerlegt in Anteile in Richtung der Basisvektoren b , r0 − ω b (b b , die senkrecht aufeinander stehen. ω ω · r0 ) und r0 × ω Das Interesse besteht nun darin, den Geschwindigkeitsvektor v und Beschleunigungsvektor a im Inertialsystem mittels der Vektoren im gedrehten System auszudr¨ ucken. Im ruhenden Bezugssystem lauten diese wie gewohnt v = r˙ und a = ¨r. Im gedrehten Bezugssystem gilt das jedoch nicht mehr. Der Grund daf¨ ur ist, dass die gedrehte Basis selbst von der Zeit abh¨ angt, wobei man diese Zeitabh¨angigkeit beim Ableiten ber¨ ucksichtigen muss. Der Geschwindigkeitsvektor folgt nun durch einmaliges Ableiten von r nach der Zeit: b (b b (b b (b v = r˙ = ω ω · r˙ 0 ) + cos ϕ [˙r0 − ω ω · r˙ 0 )] − ϕ˙ sin ϕ [r0 − ω ω · r0 )] b ) − ϕ˙ cos ϕ (r0 × ω b) − sin ϕ (˙r0 × ω 0 0 0 ˙ b b) , = r − ϕ˙ sin ϕ [r − ω (b ω · r )] − ϕ˙ cos ϕ (r0 × ω

(4.34a)

b (b b (b b) . r˙ 0 = ω ω · r˙ 0 ) + cos ϕ [˙r0 − ω ω · r˙ 0 )] − sin ϕ (˙r0 × ω

(4.34b)

mit

Beachten Sie die direkte Analogie der Gleichungen (4.33) und (4.34b). Letztere Beziehung stellt den Vektor r˙ 0 in der gedrehten Basis dar. Bei der zeitlichen Ableitung treten neben r˙ 0 weitere Terme auf, weil die gedrehten Basisvektoren ebenso von der Zeit abh¨ angen. Der n¨ achste Schritt ist es, den Beschleunigungsvektor im Inertialsystem zu berechnen, wobei dieser durch die entsprechenden Gr¨oßen im gedrehten System ausgedr¨ uckt wird. Hierbei nutzt man geschickterweise aus, dass analog zu Gleichung (4.34b) die zeitliche Ableitung von r˙ 0 gegeben ist durch: d 0 b (b b) . (˙r ) = ¨r0 − ϕ˙ sin ϕ [˙r0 − ω ω · r˙ 0 )] − ϕ˙ cos ϕ (˙r0 × ω dt

(4.35)

Die zeitliche Ableitung ist nicht einfach gleich ¨r0 wie man es naiv erwartet, sondern wieder ergeben sich zus¨ atzliche Terme aufgrund der Zeitabh¨angigkeit der gedrehten Basis. Damit erh¨ alt man f¨ ur die Beschleunigung a = ¨r im Inertialsystem: ¨r = ¨r0 − ϕ˙ sin ϕ [˙r0 − ω b (b b ) − ϕ˙ sin ϕ [˙r0 − ω b (b ω · r˙ 0 )] − ϕ˙ cos ϕ (˙r0 × ω ω · r˙ 0 )] b (b b ) + ϕ˙ 2 sin ϕ (r0 × ω b) − ϕ˙ 2 cos ϕ [r0 − ω ω · r0 )] − ϕ˙ cos ϕ (˙r0 × ω 0 0 0 0 b (b b) = ¨r − 2ϕ˙ sin ϕ [˙r − ω ω · r˙ )] − 2ϕ˙ cos ϕ (˙r × ω b (b b) . − ϕ˙ 2 cos ϕ [r0 − ω ω · r0 )] + ϕ˙ 2 sin ϕ (r0 × ω

(4.36)

Letztendlich kann man mit den Zusammenh¨ angen b ) − 2ϕ˙ sin ϕ [˙r0 − ω b (b 2ϕ(b ˙ ω × r˙ 0 ) = −2ϕ˙ cos ϕ (˙r0 × ω ω · r˙ 0 )] ,

(4.37a)

 b × (b b × cos ϕ (b b (b ϕ˙ 2 ω ω × r0 ) = ϕ˙ 2 ω ω × r0 ) − sin ϕ [r0 − ω ω · r0 )] b (b b) , = −ϕ˙ 2 cos ϕ [r0 − ω ω · r0 )] + ϕ˙ 2 sin ϕ (r0 × ω

(4.37b)

4.3 Rotierende Bezugssysteme

79

die mit Hilfe der Gleichungen (4.33) und (4.34b) folgen, den Beschleunigungsvektor kurz wie folgt aufschreiben: ¨r = ¨r0 + 2ϕ(b b × (b ˙ ω × r˙ 0 ) + ϕ˙ 2 ω ω × r0 ) .

(4.38)

Bewegt sich eine Punktmasse in einem Inertialsystem gem¨aß des Orts-Zeit-Gesetzes r und besitzt diese die Geschwindigkeit r˙ , dann wirkt in einem System, das sich bez¨ uglich des Inertialsystems gem¨ aß des zeitabh¨angigen Winkels ϕ(t) dreht, die folgende Beschleunigung: ¨r0 = ¨r − 2ϕ(b b × (b ˙ ω × r˙ 0 ) − ϕ˙ 2 ω ω × r0 ) .

(4.39)

Der erste Term in Gleichung (4.39) r¨ uhrt direkt von der Beschleunigung ¨r her, welche auf die Punktmasse im Inertialsystem wirkt. Bewegt sich die Punktmasse im Inertialsystem kr¨ aftefrei, dann verschwindet nach dem zweiten Newtonschen Axiom die Beschleunigung in diesem System, also ist ¨r = 0. Unabh¨ angig davon gibt es jedoch zwei zus¨atzliche Terme der Beschleunigung, die nur im drehenden System, nicht jedoch im Inertialsystem auftreten. Der zweite Term ist proportional zum Betrag der Winkelgeschwindigkeit ϕ. ˙ Es hanb und der delt sich um eine Beschleunigung, die senkrecht steht auf der Drehachse ω Geschwindigkeit r˙ 0 im drehenden System. Man bezeichnet diesen Beitrag als Coriolisbeschleunigung. Die mit der Beschleunigung einhergehende Kraft heißt Corioliskraft. Der dritte Term is proportional zum Quadrat der Winkelgeschwindigkeit. Aufgrund des b und doppelten Kreuzprodukts steht die Beschleunigung senkrecht auf der Drehachse ω dem sich drehenden Vektor r0 . Dieser Beitrag heißt Zentrifugalbeschleunigung und die entsprechende Kraft Zentrifugalkraft. Da diese mit einem weiteren Faktor der Winkelgeschwindigkeit multipliziert wird, ist sie f¨ ur kleine Winkelgeschwindigkeiten gegen¨ uber der Corioliskraft unterdr¨ uckt und u ¨bernimmt bei großen Winkelgeschwindigkeiten die dominante Rolle. Sowohl die Corioliskraft als auch die Zentrifugalkraft treten nicht in Inertialsystemen auf, sondern sind charakteristisch f¨ ur drehende Systeme. Da sie nicht zur Beschleunigung einer Punktmasse im Inertialsystem beitragen, handelt es sich um Scheinkr¨ afte.

4.3.3

Die Bedeutung der Corioliskraft

Da sich die Erde um ihre eigene Achse dreht, befinden wir Menschen uns an der Erdoberfl¨ ache streng genommen nicht in einem Inertialsystem. Infolgedessen m¨ ussen sowohl die Corioliskraft als auch die Zentrifugalkraft eine Rolle spielen. Wie bereits im letzten Abschnitt angemerkt, ist die Zentrifugalkraft gegen¨ uber der Corioliskraft um einen Faktor der Winkelgeschwindigkeit ω der Erde unterdr¨ uckt. Die Corioliskraft jedoch spielt f¨ ur bestimmte Prozesse auf der Erde eine große Rolle wie z.B. beim Wetter. Betrachtet werden soll das Koordinatensystem aus Abbildung 4.6, dessen x-Achse tangential eines L¨ angenkreises zum Nordpol, die y-Achse tangential eines Breitenkreises

80

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

nach Westen und die z-Achse radial in den Weltraum zeigt. Dabei handelt es sich um ein lokales kartesisches Koordinatensystem, das in jedem Punkt der Erde eingezeichnet werden kann. Die Winkelgeschwindigkeit ω ist ein Vektor, der parallel zur Erdachse liegt. Im veranschaulichten Koordinatensystem besitzt sie eine x- und eine z-Komponente, aber keine y-Komponente:     ωx cos θ ω =  0  = ω 0  . (4.40) ωz sin θ Angenommen, eine Luftstr¨ omung bewege sich auf der Nordhalbkugel (θ ∈ [0, π/2]) mit der Geschwindigkeit v in Richtung der positiven x-Achse des Koordinatensystems. Die Coriolisbeschleunigung ac ist in diesem Falle gegeben durch:       cos θ v 0 ac = −2ω  0  × 0 = −2ωv sin θ 1 . (4.41) sin θ 0 0 Die Str¨ omung wird in Richtung der negativen y-Achse, also nach Osten, beschleunigt. Physikalisch liegt dies daran, dass sich die Erde von Westen nach Osten dreht und die B¨ o in Richtung abnehmender Winkelgeschwindigkeit weht. Schließlich dreht sich ¨ ein Punkt am Aquator am schnellsten, wohingegen ein Punkt direkt an einem der Pole stillsteht. Infolgedessen l¨ auft die Luftstr¨omung der Erddrehung voraus, was zu einer Ablenkung nach Osten f¨ uhrt. Anders ist es, wenn sich eine Str¨omung von Norden nach S¨ uden bewegt. Dann dreht sich das Vorzeichen des Geschwindigkeitsvektors um und damit auch die Coriolisbeschleunigung. Deswegen wird der Wind nach Westen beschleunigt, hinkt also der schnelleren Drehung der Erde f¨ ur zunehmende geographische Breiten hinterher. Die geographische Breite auf der S¨ udhalbkugel l¨auft im Intervall [−π/2,0). Wegen sin(−θ) = − sin θ ist das physikalische Verhalten des Windes unter Einwirkung der Corioliskraft genau entgegengesetzt zu dem auf der Nordhalbkugel. Die Einwirkung der Corioliskraft auf das Windsystem ist verantwortlich f¨ ur die Passatwinde in den tropischen Breiten, die wiederum mit dem Monsunregen diese Gebiete der Erde pr¨agen.

Abb. 4.6: Lokales kartesisches Koordinatensystem an der Erdoberfl¨ache.

4.4 Von der Beschleunigung zum Orts-Zeit-Gesetz

81

¨ Ubungsaufgabe 4.6: Corioliskraft in der Badewanne Oft wird behauptet, dass sich Wasser beim Ausfließen aus einer Badewanne oder einem Waschbecken entlang des sich bildenden Strudels auf der Nordhalbkugel in entgegengesetzter Richtung als auf der S¨ udhalbkugel bewegt. Als Ursache davon gelte die Corioliskraft. Diese Tatsache spielt sogar in einer Folge Akte X eine Rolle, wo sich Special Agent Mulder u ¨ber die falsche“ Fließrichtung von Wasser in einem Becken wundert. Sch¨atzen ” Sie den Einfluss der Corioliskraft auf einen Wassertropfen der Masse m = 1,0 g ab, wenn dieser sich in einem Wasserbecken mit einer Geschwindigkeit von v = 1,0 m/s entlang einer Strecke von 10 cm bewegt. Die Fallbeschleunigung sei g = 9,81 m/s2 , θ = 43◦ (Milford, New Hampshire, USA), und die Dauer der Erdrotation betrage T = 86164 s. Nehmen Sie f¨ ur die grobe Absch¨ atzung an, dass sich der Wassertropfen entlang einer geraden Linie bewegt (in Richtung der x-Achse des Koordinatensystems aus Abbildung 4.6) und sich der Geschwindigkeitsvektor nicht ¨ andert. Was sagen Sie zum Ergebnis?

4.4

Von der Beschleunigung zum Orts-Zeit-Gesetz

Im zweiten Kapitel war es so, dass aus einem vorgegebenen Orts-Zeit-Gesetz die Geschwindigkeit und die Beschleunigung durch Ableiten bestimmt wurden. Im aktuellen Intermezzo soll der umgekehrte Fall behandelt werden, da er in den folgenden Anwendungen (sowie den weiteren Kapiteln) ben¨ otigt wird. Dieser ist in der Regel schwieriger. Das liegt zum einen daran, dass die Berechnung von Ableitungen Handwerkszeug ist, die Berechnung eines Integrals jedoch in vielen F¨ allen Kunst. Zum anderen muss man bei jeder unbestimmten Integration (ohne Integrationsgrenzen) eine Integrationskonstante ber¨ ucksichtigen, die in physikalischen Problemstellungen dementsprechend angepasst werden muss. Man umgeht das Problem mit den Integrationskonstanten am geschicktesten, indem allen Integrationen passende Integrationsgrenzen zugeteilt werden. Man integriert dann ˙ v(t) = a(t) von einem anf¨ anglichen Zeitpunkt t0 bis zu einem beliebigen Zeitpunkt t. Um die Geschwindigkeit und das Orts-Zeit-Gesetz aus einer gegebenen Beschleunigung in zwei oder drei Raumdimensionen zu bestimmen, arbeitet man am besten mit Vektoren und f¨ uhrt die Integrationen komponentenweise durch. Dabei spart man sich Schreibarbeit im Vergleich dazu, wenn man jede einzelne Komponente nacheinander f¨ ur sich getrennt betrachtet.

Die Integration eines Vektors bedeutet also, dass man jede einzelne seiner Komponenten integriert. Z t Z t 0 0 ˙ ) dt = v(t a(t0 ) dt0 . (4.42a) t0

t0

82

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

Da der Integrand auf der linken Seite eine zeitliche Ableitung ist, kann diese sofort integriert werden. Die Stammfunktion ist dann die Geschwindigkeit v(t) selbst: [v(t0 )]tt0 = v(t) − v(t0 ) =

Z

t

a(t0 ) dt0 .

(4.42b)

t0

Bringt man schließlich noch v(t0 ) auf die rechte Seite, dann ergibt sich auf diese Weise eine Vorschrift zur Berechnung der Geschwindigkeit. Der zeitabh¨ angige Geschwindigkeitsvektor v(t) ergibt sich durch Integration des Beschleunigungsvektors a(t) bez¨ uglich der Zeit: t

Z

a(t0 ) dt0 .

v(t) = v(t0 ) +

(4.43)

t0

Dasselbe Vorgehen auf r˙ (t) = v(t) angewendet, f¨ uhrt von der Geschwindigkeit zum Orts-Zeit-Gesetz: Z t Z t 0 0 r˙ (t ) dt = v(t0 ) dt0 , (4.44a) t0

[r(t

t0 0

)]tt0

Z

t

= r(t) − r(t0 ) =

v(t0 ) dt0 .

(4.44b)

t0

Verschiebt man r(t0 ) auf die rechte Seite, so folgt die Vorschrift zur Bestimmung des Orts-Zeit-Gesetzes aus der Geschwindigkeit. Das zeitabh¨ angige Orts-Zeit-Gesetz r(t) ergibt sich durch Integration des Geschwindigkeitsvektors v(t) bez¨ uglich der Zeit: Z

t

r(t) = r(t0 ) +

v(t0 ) dt0 .

(4.45)

t0

¨ Sowohl Gleichung (4.43) als auch Gleichung (4.45) werden in den folgenden Ubungsaufgaben ben¨ otigt.

¨ Ubungsaufgabe 4.7: Bewegung auf drehender Scheibe Betrachten Sie eine Punktmasse m, die sich in einem Inertialsystem gem¨aß des OrtsZeit-Gesetzes r(t) = (0, −vt,0)T mit konstanter Geschwindigkeit v gleichf¨ormig entlang der negativen y-Achse bewegt. Bestimmen Sie die Geschwindigkeit v0 (t) und das Orts-Zeit-Gesetz r0 (t) der Punktmasse, wie dieses ein Beobachter von einer rotierenden

4.4 Von der Beschleunigung zum Orts-Zeit-Gesetz

83

b = (0,0,1)T , und die WinkelScheibe aus sieht. Die Drehachse dieser Scheibe sei ω geschwindigkeit werde ω genannt. Die Punktmasse starte zum Zeitpunkt t = 0 vom Koordinatenursprung, durch den die Drehachse der Scheibe geht; also ist r0 (t = 0) = 0. Da sowohl Coriolis- als auch Zentrifugalkraft im Koordinatenursprung noch nicht wirken, sei außerdem v0 (t = 0) = (0, −v,0)T . Skizzieren Sie die resultierende Bahnkurve r0 (t) im rotierenden System.

Lo¨sung zu Aufgabe 4.7 Um die Beschleunigung im drehenden System zu bestimmen, ben¨otigt man zun¨achst die direkte Transformation des Orts- und Geschwindigkeitsvektors vom Inertialsystem in das drehende System. M¨ ochte man sich die direkte Berechnung von Kreuzprodukten sparen, kann man alle Vektoren mittels Basisvektoren ausdr¨ ucken und ausnutzen, dass es sich bei den Basisvektoren um ein Rechtssystem handelt. Im Falle der kartesischen Basisvektoren gilt dann b ex × b ey = b ez , b ey × b ez = b ex und b ez × b ex = b ey . Außerdem ist b ex × b ey = −b ey × b ex usw. Das Vorgehen ist vor allem dann sinnvoll, wenn viele Komponenten der beteiligten Vektoren gleich null sind.

Die genannte Rechentechnik f¨ uhrt auf die folgenden Ergebnisse:    r0 = b ez b ez · (−vtb ey ) + cos(ωt) − vtb ey − b ez [b ez · (−vtb ey )] + sin(ωt)(−vtb ey × b ez ) = −vt cos(ωt)b ey − vt sin(ωt)b ex , r˙ 0 = v[ωt sin(ωt) − cos(ωt)]b ey − v[ωt cos(ωt) + sin(ωt)]b ex .

(4.46) (4.47)

Unter Verwendung dieser Zusammenh¨ ange ergibt sich f¨ ur die Beschleunigung im drehenden System gem¨ aß Gleichung (4.39): b × (b a0 (t) = −2ω(b ω × r˙ 0 ) − ω 2 ω ω × r0 )      = −2ω b ez × v ωt sin(ωt) − cos(ωt) b ey − v ωt cos(ωt) + sin(ωt) b ex    2 −ω b ez × b ez × − vt cos(ωt)b ey − vt sin(ωt)b ex  2   2  = 2ω vt sin(ωt) − 2ωv cos(ωt) b ex + 2ω vt cos(ωt) + 2ωv sin(ωt) b ey − ω 2 vt cos(ωt)b ey − ω 2 vt sin(ωt)b ex   ωt sin(ωt) − 2 cos(ωt) = ωv ωt cos(ωt) + 2 sin(ωt) . 0

(4.48)

Eine einmalige Integration der Beschleunigung f¨ uhrt nach Gleichung (4.43) auf den Geschwindigkeitsvektor. In der Praxis muss man dabei den anf¨anglichen Zeitpunkt t0 geeignet w¨ ahlen und eine Anfangsbedingung ber¨ ucksichtigen, die den Geschwindigkeitsvektor zu diesem Zeitpunkt angibt. Da laut Aufgabenstellung die Geschwindigkeit bei t = 0

84

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

bekannt ist, erweist sich die Anfangsbedingung v(t = 0) = (0, −v,0)T als zweckm¨aßige Wahl: Z t 0 0 v (t) = v (t = 0) + a0 (t0 ) dt0 0 t =0     Z ωt x sin(x) − 2 cos(x) 0 x cos(x) + 2 sin(x) dx = −v  + v x=0 0 0     ωt 0 sin(x) − x cos(x) − 2 sin(x) = −v  + v cos(x) + x sin(x) − 2 cos(x) 0 0     0 0 − sin(ωt) − ωt cos(ωt) = −v  + v − cos(ωt) + ωt sin(ωt) + 1 0 0   sin(ωt) + ωt cos(ωt) = −v cos(ωt) − ωt sin(ωt) . (4.49) 0 Eine weitere Integration f¨ uhrt mittels Gleichung (4.45) auf das Orts-Zeit-Gesetz im drehenden System. Da die Punktmasse zum Zeitpunkt t = 0 vom Koordinatenursprung los l¨ auft, ist die Anfangsbedingung r0 (t = 0) = 0 sinnvoll:   Z t Z x=ωt sin(x) + x cos(x) v cos(x) − x sin(x) dx r0 (t) = r0 (t = 0) + v0 (t0 ) dt0 = − ω x=0 t0 =0 0   ωt v − cos(x) + cos(x) + x sin(x) = −  sin(x) − sin(x) + x cos(x)  ω 0    0 sin(ωt) v ωt sin(ωt) = − ωt cos(ωt) = −vt cos(ωt) . (4.50) ω 0 0 Wie Sie sehen, handelt es sich dabei um eine archimedische Spirale. Obwohl sich das Teilchen im Inertialsystem kr¨ aftefrei und damit gleichf¨ormig bewegt, beschreibt es im drehenden Koordinatensystem diese Spirale. Dieses Ergebnis zeigt besonders sch¨on, dass sowohl die Corioliskraft als auch die Zentrifugalkraft Scheinkr¨afte sind, die nur in einem drehenden Koordinatensystem auftreten und in Inertialsystemen keine physikalische Ursache haben.

¨ Ubungsaufgabe 4.8: Corioliskraft beim freien Fall Auf der Erde werde an einem Punkt mit der geographischen Breite θ ein als punktf¨ormig angenommenes Geschoss zum Zeitpunkt t = 0 senkrecht nach oben abgeschossen. Die Abschussrichtung entspricht also der positiven z-Achse des Koordinatensystems gem¨aß

4.4 Von der Beschleunigung zum Orts-Zeit-Gesetz

85

Abbildung 4.6, dessen Ursprung sich im Abschusspunkt befindet. Der Betrag der Winkelgeschwindigkeit der Erde sei ω, und die Anfangsgeschwindigkeit des Projektils betrage v0 . In welche Richtung und um welchen Betrag wird das Geschoss aufgrund der wirkenden Corioliskraft abgelenkt? Der Einfluss der umgebenden Luft sowie die Zentrifugalkraft sollen vernachl¨ assigt werden. Nehmen Sie außerdem zur Vereinfachung der Rechnung an, die Corioliskraft sei so gering, dass beim zweiten Newtonschen Axiom nur die zKomponente der Geschwindigkeit eine Rolle spielt. Vernachl¨assigen Sie hier also die Geschwindigkeitskomponente, die sich aufgrund der Einwirkung der Corioliskraft ergibt. Wie groß ist die Ablenkung speziell f¨ ur g = 9,81 m/s2 , die Anfangsgeschwindigkeit v0 = 1000 m/s und die geographische Breite θ = 49◦ (Standort: Karlsruhe)? Die Periodendauer einer Erdrotation betr¨ agt T = 86164 s. Vergleichen Sie mit der Ablenkung f¨ ur einen geworfenen Ball mit v0 = 10 m/s.

L¨osung zu Aufgabe 4.8 Im eingezeichneten Koordinatensystem in Abbildung 4.6 ist der Vektor der Winkelgeschwindigkeit gegeben durch ω = ω(cos θ,0, sin θ)T mit dem Betrag ω der Winkelgeschwindigkeit. Laut Aufgabenstellung soll die N¨aherung verwendet werden, dass die Richtung des Geschwindigkeitsvektors durch die Corioliskraft sich nicht ¨andert. Dann zeigt der Geschwindigkeitsvektor einzig in z-Richtung des Koordinatensystems und sei v(t) = (0,0, v(t))T . Die Coriolisbeschleunigung lautet somit   0 a(t) = −2ω × v(t) = 2ω cos θ v(t) . (4.51) 0 F¨ ur die Corioliskraft spielt also allein die auf die x-Achse projizierte Komponente der Winkelgeschwindigkeit eine Rolle. Diese Komponente wird umso kleiner je mehr man ¨ sich in Richtung Aquator, also θ = π/2 bewegt. Vernachl¨assigt man sowohl Einfl¨ usse der Luft als auch die Zentrifugalkraft, so ergibt sich gem¨aß des zweiten Newtonschen Axioms: x ¨(t) = 0 ,

y¨(t) = 2ω cos θz(t) ˙ ,

z¨(t) = −g .

(4.52)

Was Sie hier sehen, ist ein Satz von drei Differenzialgleichungen. Eine Differenzialgleichung bringt eine Funktion mit deren Ableitungen in Zusammenhang. Wichtig werden solche Gleichungen und deren L¨ osung vor allem ab Abschnitt 5.2. An dieser Stelle machen wir uns das Leben einfach, denn man kann zun¨achst z(t) wie gewohnt bestimmen, indem man die dritte der Gleichungen zweimal integriert. Dabei nutzt man die Anfangsbedingungen z(t = 0) = 0 und z(t ˙ = 0) = vz (t = 0) = v0 aus und erh¨alt: Z t Z t vz (t) = vz (t = 0) + az (t0 ) dt0 = v0 − g dt0 = v0 − gt , (4.53a) 0

Z z(t) = z(t = 0) + 0

t

vz (t0 ) dt0 =

0

Z 0

t

1 (v0 − gt0 ) dt0 = v0 t − gt2 . 2

(4.53b)

86

4 Bezugssysteme in der klassischen Mechanik

Einsetzen von z(t) in die zweite Differenzialgleichung ergibt: y¨(t) = 2ω cos θz(t) ˙ = 2ω cos θ(v0 − gt) .

(4.54)

Auch diese l¨ asst sich nun ebenso direkt integrieren, wobei die Anfangsbedingungen y(t = 0) = 0 und y(t ˙ = 0) = vy (t = 0) = 0 verwendet werden: Z

t

vy (t) = vy (t = 0) + 2ω cos θ (v0 − gt0 ) dt0 0   1 = 2ω cos θ v0 t − gt2 , 2 Z t y(t) = y(t = 0) + 2ω cos θ 0   1 = ω cos θ v0 t2 − gt3 . 3

1 v0 t − gt02 2 0



(4.55a)

dt0 (4.55b)

In x-Richtung wirken unter den gemachten Annahmen keinerlei Kr¨afte, woraufhin sofort x(t) = 0 folgt. Aufgrund der Corioliskraft bewegt sich das Geschoss also zus¨atzlich in y-Richtung des Koordinatensystems. Eine solche Bewegung wird vernachl¨assigt, wenn man die Corioliskraft nicht ber¨ ucksichtigt. Die Zeit tf , in der sich das Geschoss in der Luft befindet, ergibt sich aus der L¨ osung der Gleichung z(tf ) = 0: 1 2v0 ! v0 tf − gt2f = 0 ⇒ tf = . 2 g

(4.56)

Die alternative L¨ osung tf = 0 spielt keine Rolle. Einsetzen in die y-Komponente liefert dann die gesamte Ablenkung des Geschosses in y-Richtung w¨ahrend der Flugzeit:   1 2v0 4v02 4 v03 y(tf ) = ω cos θ v0 − g · = ω cos θ . (4.57) 3 g g2 3 g2 Die Ablenkung ist auf der Nordhalbkugel (θ ∈ [0, π/2]) und der S¨ udhalbkugel (θ ∈ [−π/2,0)) gleich. Sie ist außerdem positiv, was im betrachteten Koordinatensystem einer Ablenkung nach Westen entspricht. Einsetzen der Zahlenwerte f¨ uhrt auf den folgenden Wert: yProjektil =

4 2π (1000 m/s)3 · · cos(49◦ ) · ≈ 663 m . 3 86164/s (9,81 m/s2 )2

(4.58a)

Das sieht nach sehr viel aus. Bedenken Sie jedoch die hohe Abschussgeschwindigkeit des Projektils! Im Falle des langsamen Balls folgt yBall =

4 2π (10 m/s)3 · · cos(49◦ ) · ≈ 0,7 mm , 3 86164/s (9,81 m/s2 )2

(4.58b)

also eine Ablenkung, die im Rahmen einer Freizeitaktivit¨at kaum feststellbar ist.

5

Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Im aktuellen Kapitel geht es darum, mechanische Systeme zu beschreiben, in denen sich die Bewegung im Wesentlichen auf die einer einzelnen Punktmasse beschr¨anken l¨ asst. Es gibt eine Reihe solcher prominenter Systeme, die in einem Buch u ¨ber Mechanik nicht fehlen sollten; man bezeichnet diese deshalb auch als klassisch. Zu ihnen geh¨ ort der schiefe Wurf, der harmonische Oszillator und das Kepler-Problem. Um derartige Probleme zu l¨osen, macht man sich zun¨ achst Gedanken dar¨ uber, welche physikalischen Gesetzm¨ aßigkeiten gelten, vor allem, welche Kr¨afte wirken. F¨ ur ein grundlegendes Verst¨ andnis versucht man, diese soweit zu vereinfachen, dass sie sich ohne zu großen mathematischen Aufwand (z.B. numerische Berechnungen auf dem Computer) l¨osen lassen. Dazu muss man in der Regel bestimmte Voraussetzungen schaffen, also unter anderem kleine Kr¨ afte gegen¨ uber den dominierenden Kr¨aften vernachl¨assigen.

5.1

Schiefer Wurf

Erinnern Sie sich noch an die Disziplin Ballwurf“ im Sportunterricht in der Schule? Das ” Ziel f¨ ur eine sehr gute Note war es, einen kleinen Ball so weit wie m¨oglich durch die Luft zu werfen. Dabei nimmt man den Ball in die Wurfhand, holt aus und l¨asst zu einem geeigneten Zeitpunkt los. Das ist dann der Fall, wenn der Ball die gr¨oßtm¨ogliche anf¨angliche Geschwindigkeit besitzt. Der zugeh¨ orige Geschwindigkeitsvektor schließt dann einen bestimmten Wurfwinkel α mit der Horizontalen ein. Das Koordinatensystem wird am geschicktesten so gelegt, dass dessen Ursprung sich in dem Punkt befindet, an dem die Hand zum Zeitpunkt t = 0 den Ball gerade losl¨asst. Die horizontale Achse soll mit x und die vertikale mit z bezeichnet werden. Dann besitzt der Geschwindigkeitsvektor die x-Komponente vx = v cos α und die z-Komponente vz = v sin α. Das sich ergebende physikalische Problem heißt schiefer Wurf und ist in Abbildung 5.1 veranschaulicht. Aus der Erfahrung weiß jeder, dass der abgeworfene Ball sowohl nach oben als auch nach vorne fliegen wird. Irgendwann erreicht er eine maximale H¨ohe und f¨allt dann wieder abw¨ arts, so dass er auf den Boden auftrifft. Das liegt nat¨ urlich daran, dass w¨ ahrend des Flugs auf den Ball die Schwerkraft FG wirkt. W¨ urde ein Astronaut in einem Raumanzug weit ab von allen Himmelsk¨ orpern einen Ball werfen, so w¨ urde sich dieser nach dem ersten Newtonschen Axiom mit gleich bleibender Geschwindigkeit immer weiter vom Astronauten entfernen, ohne irgendwie zu fallen. Auf der Erde ben¨otigt man zwar keinen Raumanzug, daf¨ ur wirkt aber eine weitere Kraft auf den Ball, die von der umgebenden Luft verursacht wird. Fliegt der Ball durch die Luft, so trifft er auf Stickstoff-, Sauerstoff- und andere Molek¨ ule. Jene sind zwar sehr klein (in der Gr¨ oßenordnung 10−10 m), da es aber sehr viele sind, bremsen sie den Ball sp¨ urbar ab. Diese sogenannte Luftwiderstandskraft, oder einfach nur der Luftwiderstand, wird an

88

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Abb. 5.1: Flugbahn beim schiefen Wurf mit der Geschwindigkeit v und dem Winkel α. Zus¨ atzlich sind die Wurfh¨ ohe h und die Wurfweite w eingezeichnet.

der aktuellen Stelle vernachl¨ assigt, da er die Behandlung des schiefen Wurfs u ¨beraus kompliziert macht. Dann kann man den Ball als punktf¨ormiges Teilchen der Masse m betrachten. Die Aufgabe besteht nun darin, das Weg-Zeit-Gesetz f¨ ur den schiefen Wurf unter den genannten Voraussetzungen zu bestimmen. Hat man das geschafft, so weiß man, wo sich der Ball zu welchem Zeitpunkt befindet. Die Schwerkraft l¨asst sich durch einen dreidimensionalen Vektor FG beschreiben, der in Richtung der negativen z-Achse zeigt. Gem¨ aß des zweiten Newtonschen Axioms steht die auf den Ball wirkende Kraft FG in direktem Zusammenhang mit der Beschleunigung a(t) des Balls:         0 ax (t) x ¨(t) 0 FG =  0  = ma(t) = m ay (t) ⇔ y¨(t) =  0  . (5.1) −mg az (t) z¨(t) −g Man bezeichnet diesen Satz von Differenzialgleichungen f¨ ur das Orts-Zeit-Gesetz der Bewegung eines Teilchens, die sich aus dem zweiten Newtonschen Axiom ergeben, als Bewegungsgleichungen. In diesem Fall liegen drei solcher Gleichungen vor, also eine f¨ ur jede der drei Raumdimensionen. Wie Sie sehen, f¨allt die Masse m des Balls heraus. Die Bewegung h¨ angt somit nicht von der Masse ab, sofern man den Luftwiderstand vernachl¨ assigt. Das sch¨ one beim schiefen Wurf ist, dass eine Seite der Bewegungsgleichung nicht von der Zeit abh¨ angt. Das liegt daran, dass die Fallbeschleunigung zeitlich konstant ist. Dann muss man kein Verfahren zur L¨osung einer Differenzialgleichung anwenden, sondern gewinnt die Geschwindigkeit und das Orts-Zeit-Gesetz durch Integration bez¨ uglich der Zeit.

5.1.1

Das Orts-Zeit-Gesetz des schiefen Wurfs

Gleichung (4.43) und Gleichung (4.45) von Abschnitt 4.4 finden nun ihre spezielle Anwendung zur Bestimmung des Orts-Zeit-Gesetzes des schiefen Wurfs. Die Integration

5.1 Schiefer Wurf

89

soll beim Zeitpunkt t0 = 0 beginnen:     ax (t) 0 ay (t) = −g 0 , az (t) 1

(5.2a)

         t Z t 0 vx (t) vx (0) vx 0 0 0 dt =  0  − g  0  ⇒ vy (t) = vy (0) − g 0 vz (t) vz (0) 1 vz t0 0     vx 0 =  0  − g 0 . vz t 

(5.2b)

Das Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz lautet also komponentenweise: vx (t) = vx ,

vy (t) = 0 ,

vz (t) = vz − gt .

(5.3)

Die Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung bleibt somit konstant, und die in yRichtung ist immer gleich null, da die Bewegung vollst¨andig in der x-z-Ebene stattfindet. Die Geschwindigkeit in z-Richtung verringert sich, bis sie verschwindet und danach wieder zunimmt. Das Orts-Zeit-Gesetz bestimmt man mittels einer weiteren Integration bez¨ uglich der Zeit. Auch hier werden die Grenzen wieder so gew¨ahlt wie zuvor:     vx (t) vx vy (t) =  0  , (5.4a) vz (t) vz − gt          t Zt vx t 0 x(t) x(0) vx 0 0           vy 0 ⇒ y(t) = y(0) + dt = 0 + 0 0 02 z(t) z(0) v − gt 0 v t − gt /2 z z 0 0       vx t vx t 0  −  vy  =  . vy 0 = (5.4b) 2 2 0 vz t − gt /2 vz t − gt /2 

Komponentenweise lautet das Orts-Zeit-Gesetz: x(t) = vx t ,

y(t) = 0 ,

1 z(t) = vz t − gt2 . 2

(5.5)

In x-Richtung handelt es sich dabei um eine gleichf¨ormige Bewegung mit der Geschwindigkeit vx , und in y-Richtung findet keinerlei Bewegung statt. In z-Richtung ist eine gleichf¨ ormige Bewegung in positive z-Richtung mit einer gleichm¨aßig beschleunigten Bewegung in negative z-Richtung u ¨berlagert.

90

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

¨ Ubungsaufgabe 5.1: Wurfh¨ohe und Wurfweite Betrachten Sie eine Punktmasse, die mit der Geschwindigkeit v im Winkel α zur horizontalen Achse geworfen wird. Der Ursprung des Koordinatensystems befinde sich am Abwurfpunkt. a) Bestimmen Sie die maximale H¨ ohe, welche die Punktmasse erreicht, also die sogenannte Steigh¨ ohe h. b) Wie weit fliegt die Punktmasse, also wie groß ist die Wurfweite w? c) Unter welchem Winkel α muss die Punktmasse geworfen werden, damit w maximal wird?

Lo¨sung zu Aufgabe 5.1 Mit Hilfe des zuvor hergeleiteten Weg-Zeit-Gesetzes lassen sich die geforderten Gr¨oßen h und w schnell bestimmen. Wie zuvor wird die horizontale Achse als z und die vertikale als x bezeichnet. Die Bewegung l¨ auft einzig und allein in der x-z-Ebene ab. Daher wird die y-Komponente nicht betrachtet.

a) Aus der Geschwindigkeit v(t) l¨ asst sich der Zeitpunkt th bestimmen, bei dem die Punktmasse den obersten Punkt erreicht (Steigzeit). Dies ist dann der Fall, wenn die z-Komponente der Geschwindigkeit verschwindet, weil die Geschwindigkeit stetig abnimmt und am obersten Punkt schließlich ihre Richtung umkehrt: !

vz (th ) = 0 ⇔ vz − gth = 0 ⇒ th =

vz . g

(5.6)

Die zugeh¨ origen Koordinaten, an denen sich die Punktmasse befindet, ergeben sich durch Einsetzen von th in das Orts-Zeit-Gesetz. Die Steigh¨ohe h ist die zKomponente zu diesem Zeitpunkt:  2 vx vz vz2 g vz v2 x(th ) = , h = z(th ) = − = z . (5.7) g g 2 g 2g b) Nach der doppelten Steigzeit t = 2th = 2vz /g hat sich die Richtung der Geschwindigkeitskomponente in z-Richtung komplett umgekehrt: vz (2th ) = vz − g ·

2vz = −vz . g

(5.8)

Ist das der Fall, so trifft die Punktmasse auf den Boden auf. Die Wurfweite folgt als x-Komponente der doppelten Steigzeit: 2vx vz 2v 2 sin α cos α v 2 sin(2α) = = , g g g  2 2vz g 2vz 2v 2 2v 2 z(2th ) = vz · − = z − z = 0. g 2 g g g w = x(2th ) =

(5.9a)

(5.9b)

5.1 Schiefer Wurf

91

Damit trifft die Punktmasse zum Zeitpunkt t = 2th tats¨achlich wieder auf die Erde auf. Die Steigh¨ ohe wird nach der halben insgesamt zur¨ uckgelegten Wegl¨ange w erreicht, was zeigt, dass die Kurve symmetrisch ist. c) Da die Sinusfunktion ihren maximalen Wert eins im Intervall [0, π/2] beim Argument π/2 annimmt, wird die Wurfweite genau f¨ ur 2α = π/2 maximal. Daraus folgt dann ein Winkel von α = π/4, was 45◦ entspricht.

¨ Ubungsaufgabe 5.2: Kurve des schiefen Wurfs Zeigen Sie, dass sich eine Punktmasse beim schiefen Wurf auf einer Parabel bewegt.

L¨osung zu Aufgabe 5.2 Aus einer vektoriellen Darstellung   x(t) r(t) =  0  , x(t) = vx t , z(t)

g z(t) = vz t − t2 , 2

(5.10)

erh¨ alt man die funktionale Darstellung z = z(x) durch Aufl¨osen der ersten Komponente nach t und Einsetzen in z(t):  2 x x g x g vz t(x) = ⇒ z(x) = vz · − = − 2 x2 + x vx vx 2 vx 2vx vx  2 g vx vz v2 =− 2 x− + z . (5.11) 2vx g 2g Dabei handelt es sich um eine Parabel. Der Scheitel befindet sich bei den Koordinaten, welche der halben Wurfweite und der Wurfh¨ ohe entsprechen (siehe Aufgabe 5.1).

¨ Ubungsaufgabe 5.3: Kanonenschuss Captain Jack Sparrow feuert seine Kanone von einem Plateau der H¨ohe h aus unter dem Winkel α mit 0 < α < π/2 zur Horizontalen mit einer M¨ undungsgeschwindigkeit v auf das offene Meer. In welcher Entfernung und unter welchem Winkel trifft die Kugel auf das Wasser? Geben Sie zun¨ achst die allgemeinen Ergebnisse an, und betrachten Sie anschließend den speziellen Fall v = 300 m/s, h = 40 m und α = 38◦ , wobei g = 9,81 m/s2 .

L¨osung zu Aufgabe 5.3 Der Geschwindigkeitsvektor der Kanonenkugel kann zu Beginn der Bewegung in eine horizontale Komponente vx = v cos α in Richtung der x-Achse und in eine vertikale Komponente vz = v sin α in Richtung der z-Achse zerlegt werden. Man erh¨alt die Reichweite des Geschosses, indem man die Zeit bis zu seinem Einschlag ins Wasser berechnet

92

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

und dann ermittelt, wie weit sich die Kugel in dieser Zeit in Richtung der x-Achse wegbewegt hat. Da sich die gleichf¨ ormige Bewegung mit der Geschwindigkeitskomponente vz nach oben mit der gleichm¨ aßig beschleunigten Fallbewegung nach unten u ¨berlagert, lautet die H¨ ohe z der Kanonenkugel in Abh¨ angigkeit von der Zeit t wie folgt: 1 z = h + (v sin α)t − gt2 . 2

(5.12)

Diese soll f¨ ur den Zeitpunkt te des Einschlags auf dem Wasser gleich null sein, womit man f¨ ur te das folgende Ergebnis erh¨ alt: s ! r v v2 2h v 2gh 2 te = sin α ± sin α + = sin α 1 ± 1 + 2 2 . (5.13) g g2 g g v sin α Da die vergangene Zeit nicht negativ sein kann, w¨ahlt man die L¨osung von den beiden, bei der die Terme addiert werden. Die Reichweite xe der Kanonenkugel l¨asst sich somit zu ! r v2 2gh xe = (v cos α)te = sin α cos α 1 + 1 + 2 2 (5.14) g v sin α bestimmen. Sie wird f¨ ur den in der Aufgabenstellung ausgeschlossenen Fall (Captain Sparrow zuliebe) von α = π/2 minimal, n¨ amlich exakt gleich null, wie eine Untersuchung des Grenzwertespoffenbaren w¨ urde. In allen erlaubten F¨allen trifft die Kugel in einer Entfernung von h2 + x2e ins Wasser unter dem Winkel β, f¨ ur den tan β =

|vz (te )| , vx (te )

(5.15)

gilt, also  β = arctan

|vz (te )| vx (te )



 = arctan

|v sin α − gte | v cos α

 .

(5.16)

Einsetzen der Zahlenwerte liefert te ≈ 38 s, xe ≈ 9,0 km und β ≈ 38,3◦ . Die Kanonenkugel fliegt u ohe der Klippe, weshalb der Winkel, in dem ¨beraus weit im Vergleich zur H¨ die Kugel auf das Wasser auftrifft, sehr wenig vom Abschusswinkel abweicht. Bleibt zu hoffen, dass Jack Sparrow auf diese Weise Davy Jones’ Schiff versenken kann!

5.2

Harmonischer Oszillator

Schwingungen einer Punktmasse, also deren periodische Bewegungen um eine Ruhelage, sind das klassische Problem schlechthin. Sie treten stets dann auf, wenn Kr¨afte wirken, die mit der Auslenkung eines K¨ orpers aus einer bestimmten Lage ansteigen und entgegengesetzt zu dieser Auslenkung wirken. Derartige Kr¨afte nennt man auch R¨ uckstellkr¨ afte. In diesem Abschnitt geht es darum, die Gleichung aufzustellen, die eine solche

5.2 Harmonischer Oszillator

93

Abb. 5.2: K¨ orper der Masse m, der an einer Feder mit der Federkonstanten D befestigt ist und aus der Ruhelage x = 0 ausgelenkt wird.

Bewegung beschreibt. Danach soll aus dieser das Orts-Zeit-Gesetz bestimmt werden. Schwingungen sind jedem aus dem Alltag bekannt; betrachten Sie dazu Abbildung 5.2. Hier sehen Sie einen K¨ orper der Masse m, der zun¨achst auf einer Unterlage ruht. An diesem ist eine Feder mit der Federkonstanten D befestigt, wobei die Feder selbst an einer Wand angebracht ist. Ein kartesisches Koordinatensystem wird am geschicktesten so gelegt, dass dessen Ursprung mit der Ruhelage des K¨orpers u ¨bereinstimmt; die horizontale Achse heiße x und zeige entlang der Oberfl¨ache der Unterlage. Zum Zeitpunkt t = 0 wird der K¨orper aus der Ruhelage bei x = 0 um die Wegl¨ange x0 nach rechts ausgelenkt. Dies spannt die Feder, woraufhin nach links eine R¨ uckstellkraft FR wirkt. Zun¨ achst werden die folgenden Annahmen getroffen: • Der K¨ orper bewege sich reibungsfrei, sowohl was die Unterlage betrifft als auch den Luftwiderstand. Infolgedessen wird die Ausdehnung des K¨orpers vernachl¨assigt und dieser als punktf¨ ormig betrachtet. • Die R¨ uckstellkraft der Feder sei nach dem Hookeschen Gesetz proportional zur Auslenkung, wirke aber in entgegengesetzte Richtung: FR = −Dx0 . • Die Masse der Feder selbst werde vernachl¨assigt. Das ist sinnvoll, sofern der Klotz viel schwerer ist als die Feder selbst. Zum Zeitpunkt t werde der K¨ orper losgelassen, womit er sich infolge der R¨ uckstellkraft der Feder in seine Ruhelage zur¨ uck bewegt. W¨ ahrend sich der K¨orper bewegt, nimmt die Auslenkung und damit die R¨ uckstellkraft dementsprechend ab. In der Ruhelage wurde

94

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

die anf¨ angliche Spannenergie der Feder vollst¨andig in kinetische Energie des K¨orpers umgewandelt: Espann = Ekin ⇔

1 1 Dx20 = mv 2 . 2 2

(5.17)

Jener besitzt dann eine bestimmte Geschwindigkeit v und bewegt sich aufgrund seiner Tr¨ agheit gem¨ aß des ersten Newtonschen Axioms u ¨ber die Gleichgewichtslage hinaus. Danach bewegt sich der K¨ orper weiter, woraufhin die Auslenkung links von der Gleichgewichtslage so lange zunimmt, bis die kinetische Energie wieder vollst¨andig in Spannenergie umgewandelt ist. Die Feder besitzt dann die Auslenkung −x0 , die betragsm¨ aßig der anf¨ anglichen Auslenkung nach rechts entspricht. Schließlich wird Reibung vernachl¨ assigt, und damit wird keine Energie in W¨arme umgewandelt. Das Minuszeichen kommt daher, dass der K¨ orper sich nun links von der Gleichgewichtslage x = 0 befindet. Danach wiederholt sich die Bewegung auf dieselbe Art; der K¨orper bewegt sich also gleichm¨ aßig hin und her. Solche Bewegungen bezeichnet man als periodisch. Sowohl die Auslenkung als auch die Geschwindigkeit sind zeitabh¨angige Gr¨oßen: x = x(t) und v = v(t). Das Hauptziel wird es nun sein, diese zeitliche Abh¨angigkeit zu bestimmen. Dabei ist das zweite Newtonsche Axiom behilflich, das einen Zusammenhang herstellt zwischen der Beschleunigung des K¨ orpers und der R¨ uckstellkraft, die auf ihn wirkt. Letztlich ist auch die R¨ uckstellkraft zeitlich abh¨ angig, da sie ja mit der Position des K¨orpers zusammenh¨ angt, also FR (t) = −Dx(t). In diesem Falle f¨ uhrt das zweite Newtonsche Axiom auf die folgende Gesetzm¨ aßigkeit: m¨ x(t) = FR = −Dx(t) .

(5.18)

Dabei handelt es sich um die Bewegungsgleichung des schwingenden K¨orpers. Sie sehen, dass im Gegensatz zum freien Fall die rechte Seite dieser Gleichung nicht konstant ist, sondern von der Zeit abh¨ angt. Damit erh¨ alt man das Orts-Zeit-Gesetz nicht einfach durch zweifache Integration. Stattdessen liegt nun eine Differenzialgleichung vor, die sich auch auf die folgende Form bringen l¨ asst: m¨ x(t) + Dx(t) = 0 .

(5.19)

Ein physikalisches System, dessen Bewegung einer solchen Differentialgleichung gen¨ ugt, heißt unged¨ ampfter harmonischer Oszillator. Der Begriff harmonisch bedeutet in dem Zusammenhang, dass die R¨ uckstellkraft linear von der Auslenkung des K¨orpers aus der Ruhelage abh¨ angt. Der Oszillator ist dar¨ uber hinaus unged¨ ampft, weil Reibung vernachl¨ assigt wird. Wenn es m¨ oglich ist, die Funktion x(t) zu bestimmen, welche diese Differenzialgleichung erf¨ ullt, ist das Problem des unged¨ampften harmonischen Oszillators gel¨ ost. Dann weiß man, wo sich der K¨ orper in Abh¨angigkeit von der Zeit befindet. Um zu verstehen, wie solche Gleichungen gel¨ost werden, folgt ein kleiner thematischer Einschub.

5.2.1

Differenzialgleichungen und deren L¨osung

Eine Differenzialgleichung (DGL) bringt eine Funktion mit ihren Ableitungen in Zusammenhang. Sofern die Funktion nur von einer Variablen abh¨angt, bezeichnet man

5.2 Harmonischer Oszillator

95

eine DGL als gew¨ ohnlich. Beispiele f¨ ur gew¨ ohnliche DGLen f¨ ur eine Funktion y = y(x) sind y 0 (x) + 3y(x) = 0 ,

(5.20a)

y 000 (x) − 10x3 y 00 (x) + y(x) = x2 ,

(5.20b)

(y

(5) 2

0

) + y (x) − xy(x) = sin(x) .

(5.20c)

(n)

Hierbei wird die Schreibweise y (x) f¨ ur die n-te Ableitung von y(x) benutzt. Diese Notation ist ab der vierten Ableitung in Gebrauch. Die h¨ochste vorkommende Ableitung in einer DGL heißt Ordnung, und die Potenz dieser Ableitung nennt man Grad. Die Ordnungen der obigen DGLen sind nacheinander 1, 3 und 5. Der Grad ist gleich eins f¨ ur die ersten beiden DGLen und zwei f¨ ur die dritte DGL. Eine DGL wird als linear bezeichnet, sofern die gesuchte Funktion y(x) und ihre Ableitungen h¨ochstens zur ersten Potenz vorkommen. Demnach sind die ersten beiden Gleichungen linear, wohingegen die dritte nichtlinear ist. In letzterer kommt ja schließlich die f¨ unfte Ableitung quadratisch vor. Bitte beachten Sie, dass Gleichung (5.20b) linear ist, obwohl die nichtlinearen Funktionen x2 und x3 in ihr auftauchen. Wichtig f¨ ur die Bezeichnung linear sind hier einzig und allein die Potenzen der gesuchten Funktion y(x) und nicht die der Variablen x. Die L¨ osung einer DGL besteht darin, die Funktion y(x) zu finden, die ihr gen¨ ugt. Dies kann im Allgemeinen sehr schwierig oder analytisch u ¨berhaupt nicht m¨oglich sein. Zur analytischen L¨ osung von DGLen gibt es kein Verfahren, das f¨ ur alle Gleichungen gleichermaßen funktioniert. Stattdessen muss man sich auf Methoden verlassen, die nur auf eine bestimmte Klasse von DGLen angewendet werden k¨onnen. Eine der wichtigsten Klassen im Anwendungsbereich sind die linearen Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten. Dabei handelt es sich um DGLen der folgenden Gestalt: an y (n) (x) + an−1 y (n−1) (x) + · · · + a1 y 0 (x) + a0 y(x) = f (x) ,

(5.21)

mit a0 , a1 , . . . , an ∈ R und einer weiteren Funktion f (x). Von den obigen drei Beispielen ist einzig Gleichung (5.20a) eine DGL von diesem Typ. Zun¨ achst soll die Betrachtung auf homogene DGLen beschr¨ankt werden, bei denen die Funktion f (x) auf der rechten Seite verschwindet. Solche DGLen werden gel¨ost, indem man die Funktion y(x) geschickt r¨ at. Dabei spricht man von einem Ansatz, den man f¨ ur die Funktion macht. Das sch¨ one an den DGLen dieser Klasse ist, dass ein relativ einfacher Ansatz immer zum Ziel f¨ uhrt! Lineare, homogene Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten an y (n) (x) + an−1 y (n−1) (x) + · · · + a1 y 0 (x) + a0 y(x) = 0 ,

(5.22)

wobei a0 , . . . an ∈ R, l¨ ost man mit dem Ansatz y(x) = c exp(λt) mit c, λ ∈ C. Einsetzen f¨ uhrt auf der linken Seite auf das charakteristische Polynom in λ. Das Problem, die DGL zu l¨ osen, wird somit auf die Bestimmung der Nullstellen eines Polynoms reduziert. Im Bereich der komplexen Zahlen besitzt dieses n Nullstellen

96

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

λ1 , . . . , λn . Sofern die Nullstellen sich unterschieden, entspricht jede einzelne einer L¨ osung der DGL und zwar y1 (x) = c1 exp(λ1 x), . . . , yn (x) = cn exp(λn x). Die gesamte L¨ osung folgt durch Addition der einzelnen L¨osungen. Stimmen Nullstellen miteinander u ¨berein, sind weitere Dinge zu beachten.

¨ Ubungsaufgabe 5.4: L¨osen einer Differenzialgleichung 1. Ordnung L¨ osen Sie mit der eben vorgestellten Methode die DGL aus Gleichung (5.20a): y 0 (x) + 3y(x) = 0 .

(5.23)

Lo¨sung zu Aufgabe 5.4 Da es sich um eine lineare Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten handelt, funktioniert der Ansatz y(x) = c exp(λx) mit den (im Allgemeinen komplexen) Konstanten c und λ. Einsetzen von y(x) und der Ableitung y 0 (x) = cλ exp(λx) f¨ uhrt auf cλ exp(λx) + 3c exp(λx) = 0 .

(5.24)

Nun kann man durch exp(λx) dividieren. Die Exponentialfunktion ist f¨ ur alle x gr¨oßer als null, also gibt es bei der Division keine Probleme. Dar¨ uber hinaus ist es m¨oglich, durch c zu dividieren, sofern c 6= 0 angenommen wird. Letzteres ist vern¨ unftig, denn f¨ ur c = 0 entspr¨ ache der Ansatz der Funktion y(x) = 0, die immer eine triviale L¨osung einer solchen DGL darstellt. Daraus folgt dann eine algebraische Gleichung f¨ ur die zun¨achst noch unbekannte Konstante λ, woraus sich λ bestimmen l¨asst: λ + 3 = 0 ⇒ λ = −3 .

(5.25)

Der gemachte Ansatz f¨ uhrt beim Einsetzen in die DGL auf keinerlei Widerspr¨ uche, was zeigt, dass er funktioniert. Damit ergibt sich die folgende L¨osung der DGL: y(x) = c exp(−3x) .

(5.26)

Bitte beachten Sie, dass die Konstante c immer noch unbestimmt ist. Sie l¨asst sich erst dann festlegen, wenn in einer Aufgabenstellung zus¨atzliche Forderungen an die Funktion oder ihre Ableitungen an einem bestimmten Funktionswert gestellt werden.

5.2.2

L¨osung der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators

Die Methode zur L¨ osung linearer DGLen mit konstanten Koeffizienten wurde eingef¨ uhrt, weil es sich bei der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators um eine solche DGL handelt: m¨ x(t) + Dx(t) = 0 .

(5.27)

5.2 Harmonischer Oszillator

97

Man macht also auch hier einen Ansatz der Form x(t) = c exp(λt) und setzt diesen in die Bewegungsgleichung ein. Der Unterschied zum vorherigen Beispiel ist, dass nun weitere allgemeine Parameter vorkommen und die DGL eine 2. Ordnung ist. Mit den Ableitungen x(t) ˙ = cλ exp(λt) ,

x ¨(t) = cλ2 exp(λt)

(5.28)

folgt: mcλ2 exp(λt) + Dc exp(λt) = 0 ,

(5.29a) r

D D ⇒ λ1/2 = ±i . (5.29b) m m Sowohl die Federkonstante D als auch die Masse m sind positiv. Aus diesem Grund sind die so bestimmten Werte f¨ ur λ rein imagin¨ ar. Damit ergeben sich die beiden einzelnen komplexen L¨ osungen der DGL: r ! r ! D D x e1 (t) = e c1 exp i t , x2 (t) = e c2 exp −i t (5.30) m m ⇒ mλ2 + D = 0 ⇒ λ2 = −

mit den komplexen Konstanten e c1 und e c2 . Jede f¨ ur sich genommen stellt eine L¨osung der Bewegungsgleichung dar. Da diese linear ist, erh¨alt man durch Addition solcher L¨ osungen wieder eine L¨ osung. Somit lautet die allgemeine komplexe L¨osung der Bewegungsgleichung: r ! r ! D D x e(t) = x e1 (t) + x e2 (t) = e c1 exp i t +e c2 exp −i t . (5.31) m m Im Prinzip ist man hier fertig. Jetzt ist es jedoch leider so, dass Gleichung (5.31) zur physikalischen Interpretation ziemlich undurchsichtig ist. Schließlich setzt sie sich sowohl aus komplexen Konstanten e c1 , e c2 sowie komplexen Exponentialfunktionen zusammen. Physikalisch kann jedoch die zeitabh¨ angige Auslenkung x(t) keine komplexe Gr¨oße sein, da man sie ja schließlich messen kann. Damit ist klar, dass man sich als Physiker zun¨ achst nur f¨ ur den reellen Anteil der eben bestimmten L¨osung der Bewegungsgleichung interessiert. Um den Realteil von Gleichung (5.31) zu bestimmen, erweist sich die folgende Formel als u ¨beraus hilfreich. Die Eulersche Formel stellt einen Zusammenhang her zwischen der Exponentialfunktion und den trigonometrischen Funktionen im Komplexen: exp(iϕ) = cos ϕ + i sin ϕ .

(5.32)

98

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

¨ Ubungsaufgabe 5.5: Darstellung der L¨osung einer Differenzialgleichung durch trigonometrische Funktionen Betrachten Sie die DGL y 00 + 25y = 0. a) Bestimmen Sie die L¨ osung der Differenzialgleichung. b) Sortieren Sie die L¨ osung nach Real- und Imagin¨arteil.

L¨osung zu Aufgabe 5.5 Die Gleichung ist eine lineare DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Damit funktioniert der Ansatz y(x) = c exp(λx) mit c, λ ∈ C. a) Einsetzen des bew¨ ahrten Ansatzes f¨ uhrt auf: cλ2 exp(λx) + 25c exp(λx) = 0 .

(5.33)

Die Gleichung ist trivial erf¨ ullt f¨ ur c = 0. F¨ ur c 6= 0 kann durch c exp(λx) dividiert werden, was auf die gew¨ ohnliche Gleichung λ2 + 25 = 0 f¨ uhrt. Deren L¨osungen sind komplex und zwar λ1 = 5i, λ2 = −5i. Damit folgen die beiden L¨osungen y1 (x) = e c1 exp(5ix), y2 (x) = e c2 exp(−5ix) und die gesamte L¨osung: y(x) = e c1 exp(5ix) + e c2 exp(−5ix) ,

(5.34)

mit den komplexen Konstanten e c1 und e c2 . b) Die L¨ osung setzt sich aus komplexen Exponentialfunktionen zusammen. Sie soll nun einzig und allein mit trigonometrischen Funktionen dargestellt werden. Um eine komplexe Funktion in Real- und Imagin¨arteil zu zerlegen, stellt man am besten alle komplexen Anteile in der Form z = x + iy dar, wobei x, y ∈ R. Danach multipliziert man alles aus, nutzt die Definition i2 = −1 der imagin¨aren Einheit und sortiert zum Schluss nach Termen, in denen keine imagin¨are Einheit bzw. die letztere einfach vorkommt.

So soll nun vorgegangen werden. Mit e c1 = α + iβ und e c2 = γ + iδ (wobei α, β, γ, δ ∈ R) und der Eulerschen Formel ergibt sich: y(x) = (α + iβ)[cos(5x) + i sin(5x)] + (γ + iδ)[cos(5x) − i sin(5x)] = α cos(5x) + iβ cos(5x) + iα sin(5x) − β sin(5x) + γ cos(5x) + iδ cos(5x) − iγ sin(5x) + δ sin(5x) = (α + γ) cos(5x) + (δ − β) sin(5x) + i(β + δ) cos(5x) + i(α − γ) sin(5x) . (5.35) So wurde also die L¨ osung y(x) der DGL nach Real- und Imagin¨arteil sortiert.

5.2 Harmonischer Oszillator

5.2.3

99

Physikalische Interpretation der L¨osung des harmonischen Oszillators

¨ Die Lehre aus der vorherigen Ubungsaufgabe ist, dass der Realteil der L¨osung der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators folgendermaßen durch trigonometrische Funktionen ausgedr¨ uckt werden kann: r ! r ! D D Re[x(t)] = c1 sin t + c2 cos t , (5.36) m m mit nun reellen Konstanten c1 und c2 . Die Rechnung funktioniert vollkommen analog zur Aufgabe. An den trigonometrischen Funktionen sieht man, dass die Auslenkung in Abh¨ angigkeit von der Zeit periodisch gr¨ oßer und wieder kleiner wird. Die Punktmasse schwingt also um die Ruhelage hin und her sie oszilliert. Derartige Schwingungen unter einer R¨ uckstellkraft, die linear zur Auslenkung des K¨orpers ist, heißen harmonische Schwingungen. Nach wie vor ist nicht gekl¨ art, welche Bedeutung die noch unbekannten Konstanten c1 und c2 haben. Das folgt im n¨ achsten Abschnitt. Ab sofort wird Re[x(t)] wieder einfach x(t) genannt, da dies einfacher ist und man sowieso nur am Realteil der L¨ osung interessiert ist.

5.2.4

Anfangsbedingungen fu ¨r den harmonischen Oszillator

Bisher haben Sie gelernt, wie man die Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators l¨ ost und das Orts-Zeit-Gesetz erh¨ alt. Dabei wurde keinerlei Kenntnis u ¨ber etwaige Anfangsbedingungen vorausgesetzt, die besagen, welche Auslenkung oder Geschwindigkeit der schwingende Klotz zum Anfangszeitpunkt besitzt. Genau solche Aussagen sind notwendig, um letztlich auch noch die unbekannten Konstanten c1 und c2 aus Gleichung (5.36) festzulegen. Dazu wird im Folgenden angenommen, dass der harmonische Oszillator zum Zeitpunkt t = 0 die Auslenkung x(t = 0) = x0 und die Geschwindigkeit v(t = 0) = 0 besitzen soll. Dann wird er losgelassen. Das ist ein Anfangswertproblem zur Bestimmung von c1 und c2 . ! ! r r D D ! x(t = 0) = c1 sin · 0 + c2 cos · 0 = c2 = x0 , (5.37a) m m

r

D cos m

r

D ! = 0. m

x(t ˙ = 0) = c1 = c1

r

! ! r r D D D · 0 − c2 sin ·0 m m m (5.37b)

100

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Abb. 5.3: Zeitlicher Verlauf der Auslenkung eines harmonischen Oszillators mit den Anfangsbedingungen x(t = 0) = x0 und v(t = 0) = 0. Also folgt sofort c2 = x0 und c1 = 0, und damit lautet die L¨osung des Anfangswertproblems: r ! D x(t) = x0 cos t . (5.38) m Diese Gleichung beschreibt die zeitabh¨ angige Auslenkung eines harmonischen Oszillators, wenn zum Zeitpunkt t = 0 die Auslenkung x0 und die Geschwindigkeit gleich null ist (wenn der schwingende K¨ orper am Anfang also festgehalten wird). In Abbildung 5.3 ist diese Funktion in Abh¨ angigkeit von der Zeit dargestellt. Die Funktion besitzt bei t = 0 eine waagerechte Tangente, was anzeigt, dass die Geschwindigkeit des Klotzes am Anfang verschwindet, so wie es gefordert wurde. Nach einer vollst¨andigen Periode der Kosinusfunktion befindet sich der Klotz wieder da, wo er gestartet ist. Dies ist der Fall nach der Zeit 2π T =p , (5.39) D/m welche somit der Dauer einer Periode entspricht. Der Kehrwert der Periodendauer ist die Frequenz ν, die angibt, wie viele Perioden der Klotz in einer Sekunde durchl¨auft. Je h¨ oher die Frequenz ist, umso schneller schwingt der Klotz hin und her. Die Kreisfrequenz ω ≡ 2πν ist die Gr¨ oße, welche in den Argumenten der trigonometrischen Funktionen auftritt. Die Periodendauer T , die Frequenz ν und die Kreisfrequenz ω eines harmonischen Oszillators mit Masse m und Federkonstante D lauten: r r 1 1 D D ν= = , ω = 2πν = . (5.40) T 2π m m Man nennt ω auch die Eigenfrequenz des harmonischen Oszillators.

5.2 Harmonischer Oszillator

101

¨ Ubungsaufgabe 5.6: Mathematisches Pendel Betrachten Sie einen K¨ orper der Masse m, der an einer Schnur der L¨ange R aufgeh¨angt ist. Dieser K¨ orper werde um einen Winkel ϕ . 5◦ aus der Ruhelage ausgelenkt, so dass die Schnur weiterhin gespannt ist. Die Ausdehnung des K¨orpers und die Masse der Schnur werde vernachl¨ assigt sowie jedwede Reibung bzw. der Luftwiderstand. Ein solches mechanisches System heißt mathematisches Pendel. a) Bestimmen Sie die Differenzialgleichung, welcher der zeitabh¨angige Winkel ϕ(t) gen¨ ugt. b) Diese Differenzialgleichung ist nichtlinear, denn sie enth¨alt eine Sinusfunktion, deren Argument die gesuchte Funktion ϕ(t) ist. Verwenden Sie, dass f¨ ur ϕ . 5◦ in guter N¨ aherung sin x ≈ x gilt. Begr¨ unden Sie, dass es sich in diesem Falle um einen harmonischen Oszillator handelt. L¨osen Sie danach die resultierende Differenzialgleichung und bestimmen die Eigenfrequenz des harmonischen Oszillators. c) L¨ osen Sie das Anfangswertproblem ϕ(t = 0) = ϕ0 und ϕ(t ˙ = 0) = Ω. d) Welche Arbeit Z W = F dx . (5.41) leistet das Gravitationsfeld der Erde an der Masse u ¨ber eine volle Periode der Schwingung? e) K¨ onnen Sie das Ergebnis aus Aufgabenteil (d) physikalisch verstehen?

L¨osung zu Aufgabe 5.6 Am besten beginnt man Aufgaben, die auf einer bestimmten Anordnung von K¨ orpern basieren, mit einer Skizze. Diese finden Sie in Abbildung 5.4.

a) Wenn die Schnur gespannt bleibt, bewegt sich die Masse m auf dem Abschnitt eines Kreises mit Radius R. Gem¨ aß des zweiten Newtonschen Axioms gilt   − sin ϕ FR = m¨ x(t)b eϕ = mRϕ(t)b ¨ eϕ , b eϕ = (5.42) cos ϕ mit dem zweiten Basisvektor b eϕ der Polarkoordinaten. Die R¨ uckstellkraft r¨ uhrt von der Gravitationskraft her und zeigt entgegen der Auslenkung, also entgegen des Basisvektors b eϕ . FR = −(mg sin ϕ) b eϕ .

(5.43)

Man kann damit eine eindimensionale Differenzialgleichung f¨ ur den Winkel ϕ(t) aufstellen: mRϕ(t) ¨ = −mg sin ϕ(t) ⇔ Rϕ(t) ¨ + g sin ϕ(t) = 0 .

(5.44)

102

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Abb. 5.4: Schwingung eines mathematischen Pendels der Masse m, das um den Winkel ϕ ausgelenkt wird. Eingezeichnet sind dar¨ uber hinaus die Kraftvektoren der Gewichtskraft und der R¨ uckstellkraft FR . Wie Sie sehen, f¨ allt hier bereits die Masse m des K¨orpers heraus. Die Bewegung verl¨ auft unter den geforderten Annahmen also unabh¨angig von der Masse des K¨ orpers. b) Die obige Differenzialgleichung ist nichtlinear und kann f¨ ur allgemeine Winkel nur durch numerische Verfahren gel¨ ost werden. F¨ ur kleine Winkel ist jedoch sin ϕ(t) ≈ ϕ(t) eine sehr gute N¨ aherung, womit die Differenzialgleichung linear wird: Rϕ(t) ¨ + gϕ(t) = 0 .

(5.45)

Da in dieser N¨ aherung die Kraft im Prinzip proportional zur Auslenkung ist, handelt es sich nun um einen harmonischen Oszillator. Die Differenzialgleichung ist eine mit konstanten Koeffizienten, womit der Ansatz ϕ(t) = c exp(λt) funktioniert. Dieser f¨ uhrt auf das charakteristische Polynom r g 2 Rλ + g = 0 , λ1/2 = ±i . (5.46) R Die Gesamtl¨ osung ist daher r ϕ(t) = c1 cos(ω0 t) + c2 sin(ω0 t) ,

ω0 =

g R

(5.47)

mit der Eigenfrequenz ω0 des harmonischen Oszillators. Versuchen Sie, nichtlineare Differenzialgleichungen zu linearisieren, indem Sie vereinfachende physikalische Annahmen treffen, z.B. kleine Auslenkungen.

5.2 Harmonischer Oszillator

103

c) Das zu l¨ osende Anfangswertproblem f¨ uhrt auf ein lineares Gleichungssystem: !

ϕ(t = 0) = c1 = ϕ0 ,

(5.48a)

ϕ(t ˙ = 0) = −c1 ω0 sin(ω0 t) + c2 ω0 cos(ω0 t)

t=0

!

= c2 ω0 = Ω .

(5.48b)

Daraus folgt sofort c1 = ϕ0 und c2 = Ω/ω0 , also wird das Anfangswertproblem durch die folgende Funktion gel¨ ost: ϕ(t) = ϕ0 cos(ω0 t) +

Ω sin(ω0 t) . ω0

(5.49)

d) Zur Berechnung der Arbeit muss das angegebene Integral u ¨ber die Kraft ausgewertet werden, da die Kraft nicht konstant ist, sondern vom Ort der Masse, also vom Winkel ϕ abh¨ angt. Das Integral u ¨ber den Ort wandelt man am besten wie folgt in ein Integral u ¨ber die Zeit um: Z Z 2π/ω0 ˙ dt W = F(x) dx = F(ϕ(t)) · x(t) 0 2π/ω0

Z

F(ϕ(t)) · Rϕ(t)b ˙ eϕ (t) dt

= 0

Z =−

2π/ω0

mgRϕ(t)ϕ(t) ˙ dt .

(5.50)

0

Nun muss das Produkt ϕ(t)ϕ(t) ˙ im Integranden bestimmt werden:   Ω ϕ(t)ϕ(t) ˙ = ϕ0 cos(ω0 t) + sin(ω0 t) [−ϕ0 ω0 sin(ω0 t) + Ω cos(ω0 t)] ω0  2  Ω = − ϕ20 ω0 sin(ω0 t) cos(ω0 t) ω0 + ϕ0 Ω[cos2 (ω0 t) − sin2 (ω0 t)]   1 Ω2 2 = − ϕ0 ω0 sin(2ω0 t) + ϕ0 Ω cos(2ω0 t) . 2 ω0

(5.51)

Mit diesem Zwischenergebnis l¨ asst sich das Integral schnell auswerten:  Z 2π/ω0  2 1 Ω W = −mgR − ϕ20 ω0 sin(2ω0 t) + ϕ0 Ω cos(2ω0 t) dt 2 ω0 0 ( "  # ) 2π/ω0 2 1 Ω ϕ0 Ω 2 = −mgR − − ϕ0 cos(2ω0 t) + sin(2ω0 t) 4 ω0 2ω0 0 ( "  # "  #) 2 2 1 Ω 1 Ω = −mgR − − ϕ20 + − ϕ20 = 0 . (5.52) 4 ω0 4 ω0

104

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Vereinfachen Sie Integranden soweit wie m¨ oglich, bevor Sie das zugeh¨orige Integral berechnen. Bei trigonometrischen Funktionen erweisen sich die Additionstheoreme mit den Spezialf¨ allen sin(2x) = 2 sin(x) cos(x), cos(2x) = cos2 (x) − sin2 (x) und cos(2x) = 1 − 2 sin2 (x) als u ¨beraus hilfreich.

e) Physikalische Erkl¨ arung: Bei der Aufw¨ artsbewegung wird Energie vom Schwerefeld der Erde entzogen, die bei der Abw¨ artsbewegung wieder in das Schwerefeld gesteckt wird. W¨ ahrend einer Periode bewegt sich das Pendel gleichermaßen auf- und abw¨ arts. Damit hebt sich der Beitrag, bei dem das Schwerefeld Energie bekommt genau mit dem Beitrag weg, der dem Schwerefeld Energie entzieht. W¨ahrenddessen wurde außerdem angenommen, dass keine Reibung wirkt, die Energie in W¨ arme umwandelt. Mathematische Erkl¨ arung: Kr¨ afte, die linear von der Auslenkung abh¨angen, besitzen ein einfach anzugebendes Potenzial. Wird eine Feder mit der Federkonstanten D um x ausgelenkt, lautet dieses: V (x) =

1 Dx2 , 2

(5.53)

denn −V 0 (x) = −Dx. Die geleistete Arbeit zwischen zwei Auslenkungen x0 und x1 entspricht der Differenz der zugeh¨ origen Potenziale. Durch Vergleich der Eigenfrequenzen des schwingenden Systems mit der Feder und dem mathematischen Pendel l¨ asst sich auch letzterem formal eine Federkonstante“ zuweisen, auch wenn ” keine Feder beteiligt ist: r r D g mg = ⇒D= . (5.54) m R R Damit lautet das Potenzial beim mathematischen Pendel in Abh¨angigkeit vom Winkel: V (ϕ) =

mg mgR 2 (Rϕ)2 = ϕ . 2R 2

(5.55)

Die Differenz der Potenziale u ¨ber eine volle Periode hinweg verschwindet, da der Winkel zu Beginn und am Ende einer Periode der Schwingung u ¨bereinstimmen.

¨ Ubungsaufgabe 5.7: Longitudinale und transversale Schwingungen Eine Punktmasse m sei zwischen zwei Federn mit der Federkonstante D und der L¨ange L eingespannt (siehe Abbildung 5.5). Die Masse wird um x nach rechts und um y nach oben ausgelenkt. Bestimmen Sie die Bewegungsgleichungen f¨ ur longitudinale (y ≡ 0) und transversale (x ≡ 0) Schwingungen. Dabei sei sowohl x  L als auch y  L.

5.3 Ged¨ ampfter harmonischer Oszillator

105

Abb. 5.5: Transversale Schwingung einer zwischen zwei Federn mit Federkonstante D eingespannten Punktmasse m.

5.3

Ged¨ampfter harmonischer Oszillator

Reibung spielt im allt¨ aglichen Leben eine große Rolle, denn keine Bewegung l¨auft ohne sie ab. Ihre Ursache liegt zum einen in der mikroskopischen Oberfl¨achenbeschaffenheit von K¨ orpern. Oberfl¨ achen sind nie perfekt glatt, womit sich sogar Unebenheiten im Mikrometerbereich ineinander verzahnen k¨ onnen, wenn sich diese Fl¨achen aneinander vorbei bewegen. Selbst wenn man in der Zukunft durch ausgekl¨ ugelte Fertigungsverfahren perfekt glatte Fl¨ achen herstellen k¨ onnte, l¨asst sich dadurch die Reibung zwar verringern, aber nicht vollst¨ andig vermeiden. Der Grund ist, dass sie zum anderen von grundlegenden physikalischen Gesetzen herr¨ uhrt, n¨amlich der elektrostatischen Anziehungskraft der Atome, aus denen sich die Oberfl¨ache zusammensetzt. In der Regel muss man somit davon ausgehen, dass zwischen dem schwingenden Klotz aus dem vorherigen Kapitel und der Unterlage eine Reibungskraft herrscht. Die Reibungskraft bei sich bewegenden Teilen in Maschinen versucht man heutzutage durch Einsatz von Schmiermitteln zu verringern. Bei einem Schmiermittel handelt es sich um eine Fl¨ ussigkeit, in der die hydrodynamische Reibung eine Rolle spielt. Diese Art der Reibung l¨ asst sich anhand der Stribeck-Kurve beschreiben (siehe Abbildung 5.6a). Letztere setzt die Reibungskraft FReib mit der Geschwindigkeit v in Verbindung, mit der sich eine Fl¨ ache entlang des Schmiermittels bewegt. F¨ ur kleine Geschwindigkeiten ist die Reibungskraft n¨ aherungsweise konstant, f¨ allt dann ab und steigt ab einem gewissen Punkt linear mit der Geschwindigkeit an. Bringt man auf die Unterlage ein Schmiermittel auf (siehe Abbildung 5.6b), so kann man annehmen, dass die Reibungskraft zwischen Klotz und dem Schmiermittel proportional zur Geschwindigkeit des Klotzes ist, sofern die Geschwindigkeit nicht zu klein ist. Weil das Problem ansonsten sehr kompliziert wird, macht man die Annahme, dass diese Proportionalit¨ at f¨ ur alle m¨ oglichen Geschwindigkeiten aufrechterhalten wird. Mathematisch wird die Reibung so eingef¨ uhrt, dass man zur Bewegungsgleichung des unged¨ampften harmonischen Oszillators einen zus¨ atzlichen Term hinzuf¨ ugt, der die Reibung modelliert. Gem¨ aß der vorherigen Annahme soll dieser linear von der Geschwindigkeit x(t) ˙ abh¨ angen. Man schreibt ihn gew¨ ohnlich in der Form 2Γx˙ mit einem Reibungskoeffizienten Γ, der nicht von der Zeit abh¨ angt. Dann lautet die Differenzialgleichung f¨ ur den ged¨ ampften harmonischen Oszillator wie folgt: m¨ x(t) + 2Γx(t) ˙ + Dx(t) = 0 . Eine Division durch m und die Ersetzungen γ ≡ Γ/m und x ¨(t) + 2γ x(t) ˙ + ω 2 x(t) = 0 .

(5.56) p

D/m = ω f¨ uhren zu: (5.57)

106

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

(a) Stribeck-Kurve, welche die Abh¨ angigkeit der hydrodynamischen Reibungskraft von der Geschwindigkeit v angibt

(b) Schwingender Klotz, der sich u ¨ber ein Schmiermittel entlang der Unterlage bewegt

Abb. 5.6: Reibung beim harmonischen Oszillator unter Ber¨ ucksichtigung der StribeckKurve. Auch dies ist wieder eine gew¨ ohnliche homogene lineare Differenzialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Im Gegensatz zu vorher kommt jetzt auch die erste Ableitung der zeitabh¨ angigen Funktion x(t) vor, was die Gleichung etwas komplizierter macht. Zur L¨ osung funktioniert jedoch der Ansatz x(t) = c exp(λt) wie gehabt: cλ2 exp(λt) + 2γcλ exp(λt) + ω 2 c exp(λt) = 0 ,

(5.58a)

⇒ λ2 + 2γλ + ω 2 = 0 .

(5.58b)

Die Mitternachtsformel f¨ uhrt zu den L¨ osungen f¨ ur λ: p p −2γ ± 4γ 2 − 4ω 2 λ1/2 = = −γ ± γ 2 − ω 2 . 2

(5.59)

Da es außer γ ≥ 0 und ω ≥ 0 keinerlei Einschr¨ankungen f¨ ur γ und ω gibt, kann der Ausdruck unter der Wurzel positiv, null oder negativ sein. Deshalb muss man hier eine Fallunterscheidung machen.

5.3.1

Starke Reibung

Im Falle γ > ω ist der Radikand gr¨ oßer als null und die Wurzel daher reell. Dann lauten die beiden L¨ osungen der Schwingungsgleichung:   p x1 (t) = c1 exp −γt + γ 2 − ω 2 t , (5.60a)   p x2 (t) = c2 exp −γt − γ 2 − ω 2 t .

(5.60b)

Da die Differenzialgleichung linear ist, werden beide L¨osungen addiert, um die gesamte L¨ osung zu erhalten: x(t) = x1 (t) + x2 (t) h p   p i = exp(−γt) c1 exp γ 2 − ω 2 t + c2 exp − γ 2 − ω 2 t .

(5.61)

5.3 Ged¨ ampfter harmonischer Oszillator

107

Der Faktor exp(−γt) kommt ja bei beiden Einzell¨osungen vor und kann daher vor die eckige Klammer gezogen werden. Die L¨ osung setzt sich in diesem Falle aus einer exponentiell ansteigenden Funktion und einer exponentiell abfallenden Funktion zusammen. Beide werden mit exp(−γt) multipliziert, also f¨allt die L¨osung f¨ ur große Zeiten immer exponentiell ab. Um die L¨ osung zu veranschaulichen, soll das Anfangswertproblem x(0) = 0 und v(0) = x(0) ˙ = v0 betrachtet werden. Der Oszillator bekommt also aus seiner Ruhelage heraus einen Schubs mit der Geschwindigkeit v0 . Daraus ergibt sich das folgende lineare Gleichungssystem f¨ ur die Parameter c1 und c2 : !

x(0) = c1 + c2 = 0 ,

(5.62a)

    p p v(0) = c1 −γ + γ 2 − ω 2 exp −γt + γ 2 − ω 2 t     p p + c2 −γ − γ 2 − ω 2 exp −γt − γ 2 − ω 2 t t=0     p p ! = c1 −γ + γ 2 − ω 2 + c2 −γ − γ 2 − ω 2 = v0 .

(5.62b)

Aus der ersten Gleichung folgt sofort c2 = −c1 und aus der zweiten p v0 2c1 γ 2 − ω 2 = v0 ⇒ c1 = p . 2 γ 2 − ω2

(5.63)

Damit ergibt sich dann: v0 x(t) = p exp(−γt) 2 γ 2 − ω2 h p   p i × exp γ 2 − ω 2 t − exp − γ 2 − ω 2 t .

(5.64)

Mit den Zahlenwerten γ = 3/s, ω = 0,5/s und v0 = 1 m/s folgt der zeitliche Verlauf von x(t), der in Abbildung 5.7 dargestellt ist. Wie man sieht, steigt x zun¨achst an, um nach einer kurzen Zeitdauer einen maximalen Wert zu erreichen. Danach f¨allt die Auslenkung kontinuierlich ab. Das geschieht jedoch relativ langsam. Nach t = 20 s liegt die Auslenkung immer noch bei etwa der H¨ alfte ihres maximalen Werts. Da der harmonische Oszillator gewissermaßen langsam wieder in seine Ruhelage zur¨ uck kriecht“, ” nennt man diesen Fall auch den Kriechfall.

Abb. 5.7: Zeitlicher Verlauf der Auslenkung im Fall γ > ω.

108

5.3.2

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Schwache Reibung

F¨ ur γ < ω ist der Radikand negativ und daher wird die Wurzel imagin¨ar. Die beiden komplexen L¨ osungen der Schwingungsgleichung lauten dann   p x e1 (t) = e c1 exp −γt + i ω 2 − γ 2 t , (5.65a)   p x e2 (t) = e c2 exp −γt − i ω 2 − γ 2 t ,

(5.65b)

mit e c1 , e c2 ∈ C. Das f¨ uhrt zu der folgenden komplexen Gesamtl¨osung: x e(t) = x e1 (t) + x e2 (t) h p   p i = exp(−γt) e c1 exp i ω 2 − γ 2 t + e c2 exp −i ω 2 − γ 2 t .

(5.66)

Sie haben beim harmonischen Oszillator ohne D¨ampfung bereits gesehen, dass man physikalisch nur den Realteil der komplexen L¨osung ben¨otigt. Dieser l¨asst sich mit Hilfe von Sinus- und Kosinusfunktionen schreiben als: Re[e x(t)] ≡ x(t) h p  p i = exp(−γt) c1 sin ω 2 − γ 2 t + c2 cos ω2 − γ 2 t ,

(5.67)

mit c1 , c2 ∈ R. Betrachtet man hier dasselbe Anfangswertproblem, also x(0) = 0 und v(0) = v0 , dann folgt: !

x(0) = c2 = 0 ,

(5.68a)

h p  p p i v(0) = c1 exp(−γt) −γ sin ω 2 − γ 2 t + ω 2 − γ 2 cos ω2 − γ 2 t + c2 exp(−γt) h p  p p i × −γ cos ω 2 − γ 2 t − ω 2 − γ 2 sin ω2 − γ 2 t t=0 p ! = c1 ω 2 − γ 2 − γc2 = v0 . (5.68b)

Abb. 5.8: Zeitlicher Verlauf der Auslenkung im Fall γ < ω.

5.3 Ged¨ ampfter harmonischer Oszillator

109

Auspder ersten Gleichung resultiert sofort c2 = 0 und aus der zweiten Gleichung c1 = v0 / ω 2 − γ 2 . Die L¨ osung des Anfangswertproblems lautet somit p  v0 exp(−γt) sin ω2 − γ 2 t . (5.69) x(t) = p ω2 − γ 2 Dargestellt ist sie f¨ ur die Werte ω = 3/s, γ = 0,5/s und v0 = 1 m/s in Abbildung 5.8. Man erkennt eine Oszillation der Auslenkung um die Ruhelage, wobei im Gegensatz zum unged¨ ampften harmonischen Oszillator ihre Amplitude in Abh¨angigkeit von der Zeit immer weiter abnimmt. Anders als beim Kriechfall f¨ uhrt der Oszillator jedoch zumindest einige Schwingungen durch, weshalb man diesen Fall als Schwingfall bezeichnet.

5.3.3

Kritische Reibung

Der letzte Fall ist durch ω = γ charakterisiert. Dann verschwindet der Wurzelausdruck komplett, und die beiden Werte f¨ ur λ fallen zusammen, also λ1/2 = −γ. Man k¨onnte denken, dass es in diesem Falle nur eine einzige L¨osung der Differenzialgleichung gibt und zwar x1 (t) = c1 exp(−γt) ,

(5.70)

mit c1 ∈ R. Wenn das charakteristische Polynom mehrere Nullstellen hat, die zusammenfallen, gibt es jedoch noch weitere L¨ osungen der zugrundeliegenden Differenzialgleichung! Diese sind aus dem gew¨ ahlten Ansatz zuerst nicht ersichtlich. Im Allgemeinen ist speziell f¨ ur eine doppelte Nullstelle λ des charakteristischen Polynoms auch y(x) = x exp(λx) eine L¨ osung der Differenzialgleichung ay 00 (x) + by 0 (x) + cy(x) = 0 .

(5.71)

Das liegt daran, dass sich die Ableitungen von y(x) zumindest teilweise wieder durch y(x) darstellen lassen: y 0 (x) = exp(λx) + λx exp(λx) = exp(λx) + λy(x) ,

(5.72a)

y 00 (x) = λ exp(λx) + λ exp(λx) + λ2 x exp(λx) = 2λ exp(λx) + λ2 x exp(λx) = 2λ exp(λx) + λ2 y(x) .

(5.72b)

Einsetzen f¨ uhrt dann auf (2aλ + b) exp(λx) + (aλ2 + bλ + c)y(x) = 0 .

(5.73)

Man sieht sofort, dass der Ausdruck in der zweiten Klammer verschwindet, wenn λ eine Nullstelle des charakteristischen Polynoms f (x) = ax2 + bx + c ist. Der Term in der ersten Klammer verschwindet, wenn λ eine Nullstelle der ersten Ableitung des charakteristischen Polynoms ist, also eine Nullstelle von f 0 (x) = 2ax + b. Dann handelt es sich um eine doppelte Nullstelle von f (x).1 1 Jedes Polynom l¨ asst sich auf der Menge der komplexen Zahlen in seine Linearfaktoren zerlegen. Hat das Polynom f (x) eine doppelte Nullstelle, dann kann man dieses in der Form f (x) = a(x − λ)2 schreiben. Die Ableitung lautet dann f 0 (x) = 2a(x − λ). Daher ist λ sowohl eine doppelte Nullstelle des Polynoms als auch eine einfache Nullstelle der ersten Ableitung.

110

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

¨ Durch diese Uberlegung ergibt sich eine zweite L¨osung der Differenzialgleichung, also x2 (t) = c2 t exp(−γt). Dann ist die gesamte L¨osung x(t) = x1 (t) + x2 (t) = exp(−γt)(c1 + c2 t) .

(5.74)

Betrachten wir auch hier das Anfangswertproblem x(0) = 0 und v(0) = v0 , was auf das folgende lineare Gleichungssystem f¨ uhrt: !

x(0) = c1 = 0 ,

(5.75a)

x(0) ˙ = −γ exp(−γt)(c1 + c2 t) + c2 exp(−γt)|t=0 !

= −c1 γ + c2 = v0 .

(5.75b)

Die L¨ osung der ersten Gleichung ist c1 = 0 und die der zweiten somit c2 = v0 , also: x(t) = v0 t exp(−γt) .

(5.76)

F¨ ur die Zahlenwerte γ = 3/s und v0 = 1 m/s ist diese L¨osung in Abbildung 5.9 skizziert. Wie Sie sehen, steigt die Auslenkung auch hier zun¨achst auf einen maximalen Wert an, um danach wieder abzufallen. Man erkennt, dass der Abfall der Auslenkung besonders im Gegensatz zum Kriechfall sehr schnell vonstatten geht. Man nennt diese L¨osung den aperiodischen Grenzfall des harmonischen Oszillators. Praktisch ist dieser sehr wichtig. Wenn man m¨ ochte, dass ein schwingendes System bei einer Auslenkung so schnell wie m¨ oglich wieder in die Ruhelage zur¨ uckkehrt, w¨ahlt man die Parameter so, dass sich das System gem¨ aß des aperiodischen Grenzfalls verh¨alt. Beim ged¨ ampften harmonischen Oszillator muss man drei F¨alle unterscheiden, je nachdem wie sich der Reibungskoeffizient γ zur Eigenfrequenz ω verh¨alt. Die zugeh¨ origen physikalischen L¨ osungen f¨ ur das Weg-Zeit-Gesetz lauten: 1) Kriechfall: γ > ω h p   p i γ 2 − ω 2 t + c2 exp − γ 2 − ω 2 t . x(t) = exp(−γt) c1 exp (5.77)

Abb. 5.9: Zeitlicher Verlauf der Auslenkung im Fall γ = ω.

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

111

2) Schwingfall: γ < ω h p  p i x(t) = exp(−γt) c1 sin ω 2 − γ 2 t + c2 cos ω2 − γ 2 t . (5.78) 3) Aperiodischer Grenzfall: γ = ω x(t) = exp(−γt)(c1 + c2 t) .

(5.79)

Alle L¨ osungen sind rein reell mit Konstanten c1 , c2 ∈ R, die aus gegebenen Anfangsbedingungen bestimmt werden m¨ ussen.

¨ Ubungsaufgabe 5.8: Schwingende radioaktive Masse Betrachten Sie ein mathematisches Pendel mit der zeitabh¨angigen Masse m(t), die aus einer radioaktiven Substanz gefertigt ist. Die Masse nehme aufgrund des radioaktiven Zerfalls gem¨ aß m(t) = m0 exp(−γt) ab, wobei γ mit der Halbwertszeit der Substanz zusammenh¨ angt. a) Zeigen Sie, dass die Differenzialgleichung f¨ ur die Schwingung der Masse der des ged¨ ampften harmonischen Oszillators ¨ ahnelt. Worin liegt der Unterschied? b) L¨ osen Sie die Differenzialgleichung f¨ ur den Fall g = 10 m/s2 , R = 8 m und γ = 2/s. Physikalisch ist nur der Realteil der L¨ osung von Interesse. c) L¨ osen Sie das Anfangswertproblem, wenn das Pendel zum Zeitpunkt t = 0 um einen Winkel ϕ0 ausgelenkt und dann losgelassen wird. d) Gem¨ aß der L¨ osung aus Aufgabenteil (c) steigt die Amplitude immer weiter an. Begr¨ unden Sie, warum das in der realen Welt so nicht passieren wird.

5.4

Kepler-Problem als Einko¨rperproblem

An dieser Stelle ist sowohl der schiefe Wurf als auch der harmonische Oszillator f¨ urs erste abgehakt. Kommen wir nun zum dritten der klassischen mechanischen Systeme, welches im aktuellen Kapitel betrachtet wird: dem Kepler-Problem. Beim Kepler-Problem handelt es sich um die grundlegende Problemstellung, die Bewegung eines Planeten um sein Zentralgestirn physikalisch zu verstehen. Historisch f¨ uhrte der Astronom Johannes Kepler genaue Beobachtungen der Planetenbewegung durch und bestimmte experimentell die nach ihm benannten Gesetze.

1) Ein Planet bewegt sich um sein Zentralgestirn auf einer Ellipse, in deren Brennpunkt sich das Zentralgestirn befindet. 2) Die Verbindungslinie zwischen dem Zentralgestirn und dem Planeten der soge-

112

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

nannte Fahrstrahl u ¨berstreicht in gleichen Zeiten gleiche Fl¨achen. 3) Die Quadrate der Umlaufzeiten sind proportional zu den dritten Potenzen der großen Halbachse der Ellipse.

Newton wiederum leitete in der Philosophiae Naturalis Principia Mathematica aus dem ersten Keplerschen Gesetz die Tatsache ab, dass die Kraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands r zwischen Planet und Zentralgestirn sein muss. Die daf¨ ur not¨ wendigen Uberlegungen waren rein geometrischer Natur. Die Proportionalit¨at zum Produkt der Masse M des Zentralgestirns und der Masse m des Planeten folgt aus dem Superpositionsprinzip der Kraft. Unbekannt war zun¨achst einzig die zugeh¨orige Proportionalit¨ atskonstante: die Gravitationskonstante G∗ . Diese wurde sp¨ater von Henry Cavendish experimentell bestimmt. Damit lautet das Gravitationsgesetz, das die Kraft vom Zentralk¨ orper der Masse M auf den Planeten der Masse m angibt, wobei sich beide im Abstand r zueinander befinden, wie folgt: F = −G∗

Mm b r, r2

b r=

r . r

(5.80)

Der Einheitsvektor b r gibt die Richtung der Kraft an; er zeigt also in Richtung der Verbindungslinie zwischen beiden Massen. Liegt die Masse M im Koordinatenursprung, so zeigt die Kraft radial auf den Ursprung zu. Man nennt eine solche Kraft auch Zentralkraft. Die Ursache daf¨ ur, dass zuerst die Keplerschen Gesetze und daraus das Gravitationsgesetz bestimmt wurde, liegt an den Schwierigkeiten, experimentelle Messungen zum Gravitationsgesetz mit hinreichender Pr¨ azision durchzuf¨ uhren. Schließlich ließ sich auch schon vor vielen Jahrhunderten die Bewegung von Planeten mit Hilfe eines Teleskops mit guter Genauigkeit verfolgen, wohingegen sich die Kraft zwischen zwei K¨orpern in Abh¨ angigkeit ihres Abstands auch gegenw¨ artig noch schwer bestimmen l¨asst. Newtons Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica erschien im Jahre 1687. Schließlich dauerte es jedoch mehr als hundert Jahre, bis Cavendish 1798 seinen Artikel Experiments to determine the Density of the Earth ver¨offentlichte, in dem er mittels einer pr¨ azisen Apparatur die Dichte der Erde auf 5,48 g/cm3 bestimmte. Dieser Wert weicht nur geringf¨ ugig vom heutig verwendeten 5,515 g/cm3 ab, was zeigt, dass Cavendishs Messung bereits u azise war. ¨beraus pr¨ In diesem Abschnitt wird das Gravitationsgesetz als bekannt vorausgesetzt, und daraus werden die Keplerschen Gesetze bestimmt. Das ist als Einstieg in das Thema der Himmelsmechanik u ¨beraus sinnvoll, denn man gewinnt dadurch eine große Zahl physikalischer Einsichten.

5.4.1

Die Bewegung eines Planeten entlang einer Ellipse

Die Gelehrten vor Kepler und Newton hatten die Planetenbewegung nicht genau verstanden. Sie nahmen an, dass sich Planeten im Rahmen des geozentrischen Weltbildes kreisf¨ ormig um die Erde bewegen. Dieser Drehung sollte eine weitere kleinere kreisf¨ormige Bewegung u ¨berlagert sein, womit sich als Bahnkurve eine sogenannte Epizykloide ergibt. Dadurch versuchte man, gewisse astronomische Beobachtungen zu deuten.

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

113

Grundlage dieser Epizykeltheorie war die Tatsache, dass einzig und allein der Kreis als vollkommene geometrische Figur betrachtet wurde. Die Epizykeltheorie wurde durch die Keplerschen Gesetze und die Newtonsche Gravitationstheorie abgel¨ost, welche Ellipsen zum Gegenstand der Planetenbewegung machten. Eine Ellipse ist gewissermaßen ein zusammengedr¨ uckter (deformierter) Kreis. So wie ein Kreis durch Angabe seines Mittelpunkts und seines Radius bestimmt ist, l¨asst sich eine Ellipse durch Lage ihrer Halbachsen charakterisieren. Die große Halbachse a ist der maximale Abstand, den ein Punkt auf der Ellipse zu ihrem Mittelpunkt annimmt. Die kleine Halbachse b ist dementsprechend der minimale Abstand. Dargestellt ist eine solche Ellipse in Abbildung 5.10. G¨ artner wissen, wie sie zur Anlegung ellipsenf¨ormiger Blumenbeete eine Ellipse konstruieren k¨ onnen. Sie knoten dazu ein Seil an beiden Enden zusammen, so dass die entstehende Schleife eine L¨ ange l besetzt. Danach werden zwei Pfl¨ocke im Abstand 2e in den Boden gesteckt, und mit einem dritten Pflock kann bei gespanntem Seil eine Ellipse auf den Boden gezeichnet werden. Man nennt diese Art der Konstruktion deswegen auch G¨ artnerkonstruktion. Die Position der beiden Pfl¨ocke innerhalb der Ellipse sind die Brennpunkte; deren Abstand e zur kleinen Halbachse nennt man die lineare Exzentrizit¨ at.

¨ Ubungsaufgabe 5.9: Gartnerkonstruktion ¨ und lineare Exzentrizitat ¨ In welchem Zusammenhang steht die lineare Exzentrizit¨at e mit den Halbachsen a und b einer Ellipse? Zeigen Sie, dass sich mittels der G¨artnerkonstruktion tats¨achlich eine Ellipse ergibt.

¨ Ubungsaufgabe 5.10: Ellipse, Hyperbel, Parabel und numerische Exzentrizitat ¨ In der aktuellen Aufgabe geht es darum, eine wichtige Gr¨oße f¨ ur Ellipsen einzuf¨ uhren und einen Zusammenhang zu weiteren Kurven herzustellen, die mit Ellipsen verwandt sind.

Abb. 5.10: G¨ artnerkonstruktion einer Ellipse mit den Halbachsen a und b.

114

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

a) Betrachten Sie eine Ellipse r(ϕ) mit großer Halbachse a und kleiner Halbachse b, sowie eine Gerade l2,el im Abstand a2 /e zur kleinen Halbachse:    2  p a cos ϕ a /e rell (ϕ) = , l2,ell (t) = , e = a2 − b2 . (5.81) a sin ϕ t Die Brennpunkte lauten F1 = (−e,0) und F2 = (e,0). Zeigen Sie, dass f¨ ur alle Punkte auf der Ellipse das Verh¨ altnis εell ≡

Abstand zum Brennpunkt F2 , Abstand zur Geraden l2

(5.82)

eine Konstante ist, also nicht vom Winkel ϕ abh¨angt. Eine Gerade mit dieser Eigenschaft heißt Leitlinie (siehe Abbildung 5.11a). ¨ b) Eine Hyperbel setzt sich aus zwei Asten zusammen. Befindet sich der Mittelpunkt ¨ zwischen diesen beiden Asten im Koordinatenursprung, lautet deren Parameterdarstellung:     −a cosh ϕ a cosh ϕ r1,hyp (ϕ) = , r2,hyp (ϕ) = , (5.83) b sinh ϕ b sinh ϕ wobei die unterschiedlichen Vorzeichen in der ersten Komponente die beiden Zweige der Hyperbel beschreiben. Eine Hyperbel besitzt ebenso wie eine Ellipse zwei Brennpunkte und eine lineare Exzentrizit¨at ehyp , die jedoch anders definiert ist: F1,hyp = (−ehyp ,0) und F2,hyp = (ehyp ,0). Eine Leitlinie l2,hyp der Hyperbel lautet  2  p a /ehyp l2,hyp (t) = , ehyp = a2 + b2 . (5.84) t Berechnen Sie dasselbe Verh¨ altnis f¨ ur alle Punkte des rechten Zweiges der Hyperbel, also εhyp ≡

Abstand zum Brennpunkt F2,hyp . Abstand zur Geraden l2,hyp

(5.85)

Alle Gr¨ oßen sind in Abbildung 5.11b veranschaulicht.

(a) Ellipse mit den beiden Brennpunkten F1 , F2 , den beiden Leitlinien l1 , l2 und den Abst¨ anden aus Gleichung (5.82).

(b) Beide Zweige der Hyperbel mit Brennpunkten F1,hyp , F2,hyp , den beiden Leitlinien l1,hyp , l2,hyp und den Abst¨ anden aus Gleichung (5.85).

Abb. 5.11: Definition der numerischen Exzentrizit¨at f¨ ur die Ellipse und Hyperbel.

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

115

Abb. 5.12: Parabel mit Brennpunkt Fpar , Leitlinie lpar und den Abst¨anden aus Gleichung (5.87), die zur Definition der numerischen Exzentrizit¨at f¨ ur die Parabel dienen.

c) Schauen Sie sich zum Schluss eine Parabel y(x) = x2 /(2p) mit p ∈ R an. Im Gegensatz zu einer Normalparabel ist diese um einen Faktor 1/(2p) gestreckt. Sie besitzt nur einen Brennpunkt Fpar = (0, p/2). Der andere Brennpunkt liegt im Unendlichen und ist an dieser Stelle nicht weiter von Interesse. Die Leitlinie lpar der Parabel ist   t lpar (t) = . (5.86) −p/2 Bestimmen Sie das folgende Verh¨ altnis f¨ ur alle Punkte der Parabel: εpar ≡

Abstand zum Brennpunkt Fpar . Abstand zur Geraden lpar

(5.87)

In Abbildung 5.12 ist die Parabel zusammen mit der Leitlinie und den obigen Abst¨ anden skizziert. d) Zeigen Sie, dass Ellipse, Hyperbel und Parabel in der folgenden Darstellung (in Polarkoordinaten) stecken: r(ϕ) =

p . 1 + ε cos ϕ

(5.88)

Hierbei ist ε die numerische Exzentrizit¨ at und p eine reelle Gr¨oße. Welche Bedeutung hat p?

F¨ ur die Ellipse und Hyperbel k¨ onnen Sie r2 = x2 + y 2 , x = r cos ϕ ausnutzen und die sich ergebende Gleichung nach x aufl¨ osen. Die Parabel finden Sie, indem Sie am Anfang ε = 1 setzen.

5.4.2

Wichtigstes zu Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln

Aus der vorherigen Aufgabe lernen Sie einige wichtige Eigenschaften von Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln kennen. Dabei spielt die eingef¨ uhrte numerische Exzentrizit¨ at als konstantes Verh¨ altnis gewisser Abst¨ ande eine große Rolle.

116

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln sind durch ihre numerische Exzentrizit¨at ε charakterisiert und lassen sich durch die folgende Darstellung in Polarkoordinaten beschreiben: p r(ϕ) = . (5.89) 1 + ε cos ϕ In der Darstellung liegt der zweite Brennpunkt der Ellipse bzw. der erste Brennpunkt der Hyperbel im Koordinatenursprung. Zeichnet man von einem der Brennpunkte ausgehend eine Linie parallel zur vertikalen Achse, so schneidet diese die jeweilige Kurve in einem Punkt. Der Abstand zwischen Brennpunkt und eben diesem Schnittpunkt entspricht p. F¨ ur die Ellipse gilt ε < 1, f¨ ur die Parabel ε = 1 und f¨ ur die Hyperbel ε > 1.

Die numerische Exzentrizit¨ at ε einer Ellipse ist ein Maß daf¨ ur, wie stark ihre Form von der eines Kreises abweicht. F¨ ur a = b, also im Falle eines Kreises, verschwindet ε. F¨ ur a  b weicht ε dagegen stark von null ab und geht gegen eins. Die Tatsache, dass Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln durch dieselbe Darstellung beschrieben werden k¨onnen, zeigt, dass diese Kurven miteinander verwandt sind. Es handelt sich um sogenannte Kegelschnitte. Diese entstehen, wenn eine Ebene mit einem Doppelkegel geschnitten wird. Schließt die Ebene mit der Kegelachse einen Winkel ein, der kleiner ist als der ¨ halbe Offnungswinkel des Kegels, entsteht eine Ellipse. Ist der Winkel gleich groß, ist die Schnittfigur eine Parabel. Im Falle eines gr¨ oßeren Winkels entstehen die beiden Zweige einer Hyperbel. Abschließend sind alle Kegelschnitte mit einer gemeinsamen Leitlinie in Abbildung 5.13 dargestellt.

5.4.3

Die L¨osung der Bewegungsgleichung

Himmelsk¨ orper sind zwar sehr groß, dennoch ist ihre Ausdehnung im Vergleich zur Gr¨ oße des Sonnensystems verschwindend klein. Deshalb sollen sowohl Sonne als auch Planeten im Folgenden als Punktmassen gen¨ahert werden. Ausgehend vom Gravitati-

Abb. 5.13: Darstellung einer Ellipse, Parabel und Hyperbel, die entsprechend verschoben wurden, so dass sie eine gemeinsame Leitlinie haben. Hier sieht man sehr gut, dass diese Kurven miteinander verwandt sind.

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

117

onsgesetz F = −γ

r , r3

γ = G∗ M m

(5.90)

mit r ≡ |r| lautet die Newtonsche Bewegungsgleichung f¨ ur einen Planeten: ¨r(t) = −γ

r(t) . r(t)3

(5.91)

Dabei handelt es sich um drei Differenzialgleichungen zweiter Ordnung, n¨amlich eine f¨ ur jede der drei Komponenten. Diese sind nur sehr schwer direkt l¨osbar. Wie kann man dennoch die Bahnkurve eines Planeten rechnerisch bestimmen? Das Vakuum im Weltall enth¨ alt durchschnittlich ein Atom oder Molek¨ ul pro Kubikzentimeter; außerdem tritt kosmische Strahlung auf. Dennoch kann man derartige Einfl¨ usse auf die Bewegung eines so großen K¨ orpers wie eines Planeten getrost vernachl¨assigen. Die Energie ist somit eine Erhaltungsgr¨ oße.2 Wie wichtig solche Erhaltungsgr¨ oßen in der Physik sind, zeigt die nun folgende Betrachtung. Mit Hilfe einer Erhaltungsgr¨ oße l¨ asst sich die Ordnung der Bewegungsgleichung um eins verringern. Dazu stellt man die Gesamtenergie E f¨ ur die Bewegung eines Planeten als Summe aus kinetischer und potenzieller Energie dar. Die Rechnung soll in Polarkoordinaten erfolgen. Damit lautet die kinetische Energie (siehe Gleichung (3.55b)): T =

1 2 1 2 2 mr˙ + mr ϕ˙ . 2 2

(5.92)

Zur Bestimmung der potenziellen Energie ben¨ otigt man das zur Kraft geh¨orige Gravitationspotenzial V (r). Das Potenzial ist so definiert, dass sich die Kraft u ¨ber F = −∇V ergibt. Eine (zu der in Abschnitt 3.2 vorgestellten alternative) Methode zur Bestimmung des Potenzials V (r) eines Vektorfelds besteht darin, das Vektorfeld entlang eines geradlinigen Wegs von einem gew¨ ahlten Anfangspunkt zu einem allgemeinen Endpunkt mit dem Ortsvektor r zu integrieren. Aufgrund des Minuszeichens muss jedoch f¨ ur physikalische Anwendungen bei r mit der Integration begonnen werden, die dann zu einem gew¨ ahlten Endpunkt l¨ auft. Als Endpunkt bietet sich ein Punkt im Unendlichen an, da dort die Kraft verschwindet. Die Integration soll somit u ¨ber die Gerade   x r(t) = rt , r = y  , t ∈ [1, ∞) (5.93) z durchgef¨ uhrt werden: Z V (r) =



Z F(r(t)) · r˙ (t) dt = −γ

1

= 2 Man

γ ∞ γ =− . rt 1 r

1



rt · r dt = −γ r 3 t3

Z 1



1 dt rt2 (5.94)

nennt eine solche Gr¨ oße auch Bewegungsintegral, Integral der Bewegung oder erstes Integral.

118

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Das Potenzial h¨angt damit nur vom Abstand r zum Koordinatenursprung ab: V (r) = V (r). Ein derartiges Potenzial V (r) heißt auch Zentralpotenzial. Die Gesamtenergie l¨asst sich deshalb in der folgenden Form aufschreiben: 1 2 1 2 2 mr˙ + mr ϕ˙ + V (r) . (5.95) 2 2 Im Prinzip k¨ onnte man nun diese Gleichung nach r˙ aufl¨osen. Das Problem ist jedoch, dass auch noch die zeitliche Ableitung des Winkels ϕ vorkommt. Diese l¨asst sich jedoch gl¨ ucklicherweise eliminieren, wenn man sich das zeitliche Verhalten des Drehimpulses L der Punktmasse m anschaut: dL d γ = (r × p) = m˙r × r˙ + r × F = − 3 r × r = 0 . (5.96) dt dt r E =T +V =

Der Drehimpuls L ist bei der Bewegung eines K¨orpers unter Einfluss einer Zentralkraft eine Erhaltungsgr¨ oße. Das ist sehr vorteilhaft, denn nun kann man die Winkelgeschwindigkeit ϕ˙ mit Hilfe des zeitlich konstanten Drehimpulses ausdr¨ ucken: L = mr2 ϕ˙ ⇒ ϕ˙ =

L . mr2

(5.97)

Die Gesamtenergie E eines Teilchens der Masse m in einem Zentralpotenzial V (r) mit dem konstanten Drehimpuls L l¨ asst sich einzig und allein in Abh¨angigkeit der radialen Koordinaten r wie folgt schreiben: E=

1 2 L2 mr˙ + + V (r) . 2 2mr2

(5.98)

Der Anteil L2 /(2mr2 ) der Gesamtenergie heißt Zentrifugalpotenzial.

Die Aufl¨ osung der Gesamtenergie nach r˙ f¨ uhrt zu einer Differenzialgleichung erster Ordnung f¨ ur das Orts-Zeit-Gesetz des Kepler-Problems: 1 2 L2 2E L2 2γ 2 mr˙ = E − − V (r) ⇒ r ˙ = − + , 2 2 2 2 2mr m m r mr r dr 2E L2 2γ ⇒ = − 2 2+ . dt m m r mr Diese kann im Prinzip durch Trennung der Ver¨anderlichen gel¨ost werden: Z r Z t dr0 r = dt0 = t − t0 . 2 r0 t0 2E L 2γ − 2 02 + m m r mr0

(5.99a) (5.99b)

(5.100)

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

119

Leider ist es so, dass das auftretende Integral schwierig zu l¨osen ist. Man muss jedoch nicht notwendigerweise das Orts-Zeit-Gesetz bestimmen, um die L¨osung des KeplerProblems physikalisch zu verstehen. Was an dieser Stelle gen¨ ugen soll, ist die Form der Raumkurve in Abh¨ angigkeit des Winkels, also r = r(ϕ). Mit Hilfe der Kettenregel gilt dr dr L = ϕ˙ = r0 (ϕ) 2 . dt dϕ mr

(5.101)

Die Differenzialgleichung f¨ ur das Orts-Zeit-Gesetz geht damit in die folgende Differenzialgleichung f¨ ur die Form der Raumkurve u ¨ber: r 2mE 1 2mγ 0 2 r (ϕ) = r − 2+ 2 , (5.102) L2 r L r und Trennung der Ver¨ anderlichen f¨ uhrt in diesem Fall auf: Z r Z ϕ dr0 r = = ϕ − ϕ0 . 2mE 2mγ 1 r0 ϕ0 r02 + 2 0 − 02 L2 L r r

(5.103)

Dieses Integral ist zwar immer noch kompliziert, aber einfacher als das vorherige. Mit der Substitution u=

1 , r0

dr0 = −r02 du = −

du , u2

(5.104)

= ϕ − ϕ0 .

(5.105)

erh¨ alt man: Z

u

− u0

du r

2mE 2mγ + 2 u − u2 2 L L

Allgemein besitzt das auftretende Integral auf der linken Seite von Gleichung (5.105) die folgende Form: Z dx √ , (5.106a) 2 ax + bx + c 2mγ 2mE , c= . (5.106b) 2 L L2 Dessen L¨ osung muss f¨ ur a < 0 und b2 − 4ac = b2 + 4c > 0 bestimmt werden, was ¨ im Rahmen der Ubungsaufgabe 5.11 am Ende des Abschnitts geschehen soll. Mit der L¨ osung kann man die linke Seite von Gleichung (5.103) auf die folgende Form bringen:   r   r 2 L 1  2 2mγ  1 − 0   − r0 + L2    = arccos  s mγ r  . arccos  (5.107)   r 2 2  2  4m γ 8mE  2EL + 1+ L4 L2 r0 mγ 2 a = −1 ,

b=

r0

120

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Da r0 = r(ϕ0 ), w¨ ahlt man ϕ0 am geschicktesten so, dass r(ϕ0 ) verschwindet. Dann kommt man schließlich auf s L2 1 2EL2 1− = 1+ cos(ϕ − ϕ0 ) , (5.108) mγ r mγ 2 was mit der Umdefinition ϕ0 ≡ ϕ00 − π auf das folgende Endergebnis f¨ uhrt: s p L2 2EL2 r(ϕ) = , p = , ε= 1+ . 0 1 + ε cos(ϕ − ϕ0 ) mγ mγ 2

(5.109)

Gem¨ aß Gleichung (5.89) handelt es sich dabei um die Darstellung eines Kegelschnitts. Himmelsk¨ orper k¨ onnen sich also nicht nur entlang von Ellipsen bewegen, sondern auch entlang von Parabeln und Hyperbeln, je nachdem, wie groß die numerische Exzentrizit¨at ε ist. Das Quadrat von L bzw. γ sowie die Masse m sind immer gr¨oßer als null, jedoch kann die Gesamtenergie E als Summe einer positiven kinetischen Energie und einer negativen potenziellen Energie positiv, negativ oder gleich null sein. Je nachdem ergeben sich unterschiedliche Bahnkurven der Himmelsk¨orper. Die Bahnkurve eines Himmelsk¨ orpers h¨ angt von der Gesamtenergie E ab: • F¨ ur Ekin < V , also E < 0, ist die numerische Exzentrizit¨at 0 < ε < 1 und der Himmelsk¨ orper bewegt sich auf einer Ellipse. • F¨ ur Ekin = V (E = 0) ist ε = 1, und die Bahn ist eine Parabel. • F¨ ur Ekin > V (E > 0) ist ε > 1, und der Himmelsk¨orper bewegt sich auf einer Hyperbel.

Damit wurde die G¨ ultigkeit des ersten Keplerschen Gesetzes gezeigt. Die beiden letzten Keplerschen Gesetze k¨ onnen schneller hergeleitet werden, und man lernt dabei einiges an Physik. Die Tatsache, dass der Drehimpuls eine Erhaltungsgr¨oße ist, zeigt sofort, dass die Planetenbewegung in einer Ebene stattfindet: L · x = (x × p) · x = 0 ⇔ Lx x + Ly y + Lz z = 0 .

(5.110)

Sofern die Komponenten des Drehimpulses nicht von den Koordinaten abh¨angen, was aufgrund der Drehimpulserhaltung der Fall ist, handelt es sich bei der letzten Gleichung um die Normalenform einer Ebene, wobei der Drehimpulsvektor als Normalenvektor dient. Im Prinzip ist das aus der vorherigen Rechnung klar, denn eine Ellipse liegt nun einmal in einer Ebene. Beachten Sie jedoch, dass diese Tatsache bereits ohne langwierige Rechnung direkt aus der Drehimpulserhaltung folgt! Anschließend soll ein infinitesimal kleines Fl¨achenst¨ uck der Ellipse berechnet werden (siehe Abbildung 5.14), um die Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der eine Verbin-

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

121

Abb. 5.14: Von der Verbindungslinie zwischen Brennpunkt und Ellipsenpunkt nach der Zeit ∆t u ache ∆A. ¨berstrichene Fl¨ dungslinie zwischen Planet und Zentralk¨ orper die Ellipsenfl¨ache u ¨berstreicht: 1 [x(t) × x(t + ∆t)] 2   1 ˙ = lim x(t) × x(t) + x(t)∆t + O(∆t2 ) ∆t7→0 2   1 ˙ = lim x(t) × x(t) + x(t) × x(t) ∆t + O(∆t2 ) ∆t7→0 2  1 1 L ˙ = x(t) × x(t) dt = [x(t) × p(t)] dt = dt . 2 2m 2m

dA = lim

∆t7→0

(5.111)

Damit sieht man sofort, dass die zeitlich u ¨berstrichene Fl¨ache eine Konstante ist: dA L = . dt 2m

(5.112)

Das zweite Keplersche Gesetz, also die Tatsache, dass der Fahrstrahl in gleichen Zeiten gleiche Fl¨ achen u ¨berstreicht, resultiert physikalisch einzig und allein aus der Erhaltung des Drehimpulses.

Das dritte Keplersche Gesetz ist eine Folge des ersten und des zweiten, wenn man beachtet, dass die gesamte Fl¨ ache A = πab der Ellipse (mit der großen Halbachse a und der kleinen Halbachse b) nach der Umlaufdauer T u ¨berstrichen wird: A=

L ! T = πab . 2m

(5.113)

Gem¨ aß Aufgabe 5.10 h¨ angen große und kleine Halbachse der Ellipse u ¨ber die numerische Exzentrizit¨ at ε wie folgt zusammen: p b = 1 − ε2 . a

(5.114)

Dar¨ uber hinaus folgt aus Gleichung (5.109), die sich aus der Bestimmung der Bahnkurve ergab, ein weiterer Zusammenhang zwischen L2 , der großen Halbachse a und der

122

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

numerischen Exzentrizit¨ at ε der Ellipse: L2 = pmγ = amγ(1 − ε2 ) . Damit l¨ asst sich die Umlaufzeit T berechnen: 2m 2 p T = πa 1 − ε2 L 4m2 2 4 1 π a (1 − ε2 ) = 4m2 · · π 2 a4 (1 − ε2 ) L2 amγ(1 − ε2 ) 4π 2 m 3 4π 2 = a = ∗ a3 . γ G M

(5.115)

(5.116a)

⇒ T2 =

(5.116b)

Das Quadrat der Umlaufzeit ist proportional zur dritten Potenz der großen Halbachse der Ellipse, was das dritte Keplersche Gesetz besagt. Die Proportionalit¨atskonstante setzt sich einzig aus Naturkonstanten und der Masse des Zentralk¨orpers zusammen: T2 =

4π 2 3 a . G∗ M

(5.117)

¨ Ubungsaufgabe 5.11: Bestimmung eines Integrals beim KeplerProblem Berechnen Sie das unbestimmte Integral Z dx √ I≡ , 2 ax + bx + c

(5.118)

mit a < 0 f¨ ur den Fall b2 − 4ac > 0. Treten in Integralen gemischt quadratische Funktionen ax2 + bx + c auf, so ist es oft sinnvoll, diese durch eine Substitution y = x − x0 mit einem geeignet gew¨ahlten x0 auf rein quadratische Gestalt zu bringen. F¨ ur das obige Integral bedeutet das: Z 1 dy p I=√ , (5.119) 2 −a y0 − y 2 wobei y0 > 0 ebenso bestimmt werden muss. Danach erweist sich eine weitere Substitution y = y0 cos φ als sinnvoll, um das Integral endg¨ ultig zu l¨osen.

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

5.4.4

123

Effektives Potenzial

An dieser Stelle geht es darum, die Bewegung von Himmelsk¨orpern aus einer anderen Sichtweise zu betrachten und qualitativ besser zu verstehen. Ausgehend von Gleichung (5.98) kann man die Gesamtenergie E auch wie folgt schreiben. Da der Zentrifugalterm nur von r abh¨ angt, l¨asst er sich zusammen mit dem Newtonschen Potenzial zu einem effektiven Potenzial Veff zusammenfassen. E=

1 2 mr˙ + Veff (r) , 2

Veff (r) =

L2 L2 γ + V (r) = − . (5.120) 2 2mr 2mr2 r

Man kann die Bewegung des Himmelsk¨ orpers mit der Geschwindigkeit r˙ also in diesem effektiven Potenzial betrachten. Wegen 1 2 mr˙ = E − Veff (r) ≥ 0 , 2

(5.121)

l¨ asst sich die Bewegung qualitativ in Abh¨ angigkeit von der Gesamtenergie betrachten.

¨ Ubungsaufgabe 5.12: Bewegung im effektiven Potenzial In der aktuellen Aufgabe geht es darum, das physikalische Verst¨andnis der Bewegungen von Himmelsk¨ orpern im Rahmen des Kepler-Problems zu verfeinern. Die Betrachtungsweise, die hier eingef¨ uhrt wird, leistet auch jenseits der klassischen Mechanik (z.B. in der Quantenmechanik) gute Dienste.

a) Skizzieren Sie das effektive Potenzial aus Gleichung (5.120) in Abh¨angigkeit von r. b) Da die Gesamtenergie E dieselbe Einheit wie Veff besitzt, kann man diese ebenso in das Schaubild einzeichnen. Sie ist eine Erhaltungsgr¨oße und verl¨auft somit im Schaubild parallel zur r-Achse. Zeichnen Sie die Gesamtenergie f¨ ur die drei F¨alle E > 0, E = 0 und E < 0 ein. Auf was f¨ ur einer Kurve bewegt sich der Himmelsk¨ orper qualitativ in jedem der drei F¨alle? K¨onnen Sie die drei F¨alle anhand des Schaubilds verstehen? c) Bestimmen Sie das Minimum des effektiven Potenzials. Auf welcher Kurve bewegt sich ein Himmelsk¨ orper, dessen Gesamtenergie genau diesem Minimum entspricht?

L¨osung zu Aufgabe 5.12 Die Aufgabenteile (a) und (b) werden zusammen behandelt: a,b) Das effektive Potenzial ist zusammen mit den drei geforderten F¨allen f¨ ur die Gesamtenergie in Abbildung 5.15 dargestellt. Bei r = 0 befindet sich der Zentralk¨ orper, also im Falle unseres Sonnensystems die Sonne. An den Stellen, wo

124

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

Abb. 5.15: Effektives Potenzial beim KeplerProblem in Abh¨angigkeit von r. Drei Beispiele f¨ ur m¨ogliche Gesamtenergien E < 0, E = 0 und E > 0 wurden eingezeichnet.

eine Gerade der Gesamtenergie das effektive Potenzial schneidet, ist E = Veff , und damit verschwindet dort die kinetische Energie des Himmelsk¨orpers. Das bedeutet wiederum auch, dass ein K¨ orper dann das effektive Potenzial nicht weiter erklimmen kann, womit er sich wieder vom entsprechenden Punkt entfernen muss. Man nennt diese Schnittpunkte deshalb auch (klassische) Umkehrpunkte. Offensichtlich divergiert f¨ ur r 7→ 0 das effektive Potenzial. Physikalisch bedeutet dies, dass ein Himmelsk¨ orper bei erhaltenem Drehimpuls L > 0 nie auf den Zentralk¨orper st¨ urzen kann. Der Drehimpuls verhindert das, womit man den Anteil L2 /(2mr2 ) von Veff auch als Zentrifugalbarriere bezeichnet. F¨ ur r 7→ ∞ n¨ahert sich Veff dem Gravitationspotenzial V (r) = −γ/r an. Damit spielt der Zentrifugalterm keine große Rolle mehr, da er schneller abf¨ allt als V (r). F¨ ur E < 0 gibt es zwei Umkehrpunkte. In dem Fall bewegt sich ein Himmelsk¨orper zwischen einem minimalen Abstand (Perihel) und einem maximalen Abstand (Aphel) zum Zentralk¨ orper periodisch hin und her. Hierin spiegelt sich die Bewegung entlang einer ellipsenf¨ ormigen Bahn wider. F¨ ur E = 0 kann sich ein Himmelsk¨ orper bis zu einem minimalen Abstand dem Zentralk¨orper n¨ahern und entfernt sich danach wieder, ohne jemals zur¨ uckzukehren. Der Himmelsk¨orper besitzt gerade genug Energie, um sich wieder aus dem Gravitationspotenzial zu entfernen. Dabei handelt es sich um den Grenzfall einer Parabel, der periodische Bewegungen auf Ellipsen von nicht-periodischen Bewegungen auf Hyperbeln trennt. Letzterer Fall wird von E > 0 beschrieben. Hier besitzt ein Himmelsk¨orper genug Energie, um sich dem Zentralk¨ orper st¨ arker anzun¨ahern als in den beiden vorherigen F¨ allen. Auch diese Begegnung ist jedoch einmalig und der K¨orper entfernt sich danach wieder f¨ ur alle Zeiten.

Im Schaubild des effektiven Potenzials Veff (r) ist die erhaltene Energie eine Parallele zur r-Achse. Die verschiedenen Bahnkurven beim Kepler-Problem besitzen dann die folgenden Eigenschaften: 1) Die Bewegung entlang einer Ellipse ist dadurch charakterisiert, dass die Gerade, welche die Energie darstellt, das effektive Potenzial in zwei Punkten

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

125

schneidet. Diese beiden Punkte entsprechen dem fernsten Punkt (Aphel) zum Zentralk¨ orper bzw. dem n¨ achsten Punkt (Perihel). 2) Ist die Bahnkurve eine Parabel, gibt es genau einen Schnittpunkt, wobei die Gerade der Energie mit der r-Achse zusammenf¨allt. 3) Im Falle einer Hyperbel gibt es ebenso nur einem Schnittpunkt mit der Kurve des effektiven Potenzials. Dieser liegt jedoch n¨aher am Zentralk¨orper als bei einer Parabel.

c) Das Minimum von Veff bestimmt man mit Hilfe der ersten und zweiten Ableitung: dVeff L2 γ =− 3 + 2, dr mr r

d2 Veff 3L2 2γ = − 3 . 4 dr mr r

(5.122)

Die Nullstelle der ersten Ableitung lautet: 0 Veff (r) = −

⇒r=

L2 γ ! + 2 = 0, 3 mr r

L2 ≡ rmin , mγ

Veff (rmin ) = −

(5.123a) mγ 2 . 2L2

(5.123b)

Dabei handelt es sich um ein Minimum, da 00 Veff (rmin ) =

m3 γ 4 > 0. L6

(5.124)

Es ist ein absoluter Sonderfall, dass die Gesamtenergie genau diesem Minimum entspricht. Dann verharrt ein Himmelsk¨ orper im Minimum von Veff , was bedeutet, dass er den Abstand rmin zum Zentralk¨ orper beibeh¨alt. Das kann nur dann so sein, wenn er sich entlang einer Kreisbahn bewegt. Die Kreisbahn gibt es also auch beim Kepler-Problem, doch m¨ ussen Gesamtenergie, Drehimpuls, die Massen der K¨orper und die Gravitationskonstante genau aufeinander abgestimmt sein, damit dieser Fall in der Natur auftritt.

¨ Ubungsaufgabe 5.13: Kometen In Tabelle 5.1 finden Sie einige charakteristische Werte f¨ ur die Bahnen zweier Kometen. Die Gravitationskonstante betr¨ agt G∗ = 6,67384 · 10−11 m3 /(kg · s2 ), und die Sonnenmasse ist M = 1,989 · 1030 kg.

a) Bestimmen Sie von C/1996 B2 aus der numerischen Exzentrizit¨at ε und dem Perihel die L¨ ange der großen Halbachse a. Berechnen Sie daraus die Umlaufzeit T des Kometen.

126

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme

b) Berechnen Sie a und T nicht unter Verwendung des Perihels, sondern mit der Geschwindigkeit vper = 87,83 km/s des Kometen im Perihel. c) Warum ist f¨ ur den Kometen C/1980 E1 keine Umlaufdauer angegeben? Bestim¨ men Sie aus der numerischen Exzentrizit¨at und dem Perihel das Aquivalent a zur großen Halbachse der Hyperbel.

Name des Kometen

Exzentrizit¨ at ε

Perihel rper [AU]

a [AU]

T [J]

C/1996 B2 (Hyakutake) C/1980 E1 (Bowell)

0,999899 1,057500

0,230229 3,363942

2279,99 58,5033

108870

Tabelle 5.1: Einige der Bahnparameter f¨ ur zwei Kometen. Das K¨ urzel AU“ steht f¨ ur ” die astronomische Einheit (astronomical unit), die eine gebr¨auchliche Einheit ist, um Entfernungen im Sonnensystem anzugeben. Sie entspricht dem mittleren Abstand zwischen Sonne und Erde und betr¨ agt etwa 149,598 · 106 km. Die Daten stammen von http://ssd.jpl.nasa.gov/sbdb.cgi.

L¨osung zu Aufgabe 5.13 F¨ ur Aufgabenteil (a) und (c) ben¨ otigt man einzig geometrische Kenntnisse. In Aufgabenteil (b) fließt außerdem Physik mit ein. Auch wenn es nicht darum geht, Zahlenwerte einzusetzen, empfiehlt es sich immer, die Einheiten von Termen in einer Formel nachzupr¨ ufen. Beispielsweise muss das Argument einer Exponential-, Sinus-, Kosinusfunktion usw. immer einheitenlos sein. Auch ergibt es keinen Sinn, Terme mit verschiedenen Einheiten zu addieren. Wenn man als Ergebnis eine L¨ ange erwartet, muss der entsprechende Ausdruck auch diese Einheit haben und nicht etwa die Einheit der Zeit. Auf diese Weise lassen sich Fehler vermeiden. Sind Zahlenwerte gefragt, sollte man sowieso eine Einheitenrechnung durchf¨ uhren.

a) Aus den beiden Gleichungen ε = e/a und a − e = rper mit der linearen Exzentri√ zit¨ at e = a2 − b2 l¨ asst sich a bestimmen. Aufl¨osen der zweiten Gleichung nach b f¨ uhrt auf q 2 , b = 2arper − rper (5.125) was in die erste Gleichung eingesetzt werden kann und somit a ergibt: 2 a2 ε2 = a2 − b2 = a2 − 2arper + rper = (a − rper )2 .

(5.126)

Da auf jeden Fall a > rper ist, kann man auf beiden Seiten die Wurzel ziehen und

5.4 Kepler-Problem als Eink¨ orperproblem

127

muss keine Betragsstriche ber¨ ucksichtigen: Daraus folgt dann a: a(1 − ε) = rper ⇒ a =

rper 0,230229 AU = ≈ 2279,50 AU . (5.127) 1−ε 1 − 0,999899

Nun kann man u ¨ber das dritte Keplersche Gesetz die Umlaufdauer berechnen: 2π T =p a3/2 G∗ M 2π =p 6,67384 · 10−11 m3 /(kg · s2 ) · 1,989 · 1030 kg J × (2279,99 · 149,598 · 109 m)3/2 · 3600 · 24 · 365 s ≈ 108932 J .

(5.128)

b) Zur Bestimmung der großen Halbachse mittels der Geschwindigkeit des Kometen dient Gleichung (5.115). Aufgel¨ ost nach a ergibt sich: a=

L2 (rper vper )2 = . G∗ M m2 (1 − ε2 ) G∗ M (1 − ε2 )

(5.129)

Wie Sie sehen, f¨ allt die Masse m des Kometen heraus. Einsetzen der Zahlenwerte f¨ uhrt auf: (0,230229 · 149,598 · 109 m · 8,783 · 104 m/s)2 6,67384 · 10−11 m3 /(kg · s2 ) · 1,989 · 1030 kg · (1 − 0,9998992 ) ≈ 2281,35 AU . (5.130)

a=

Mit dem dritten Keplerschen Gesetz ergibt sich hier die Umlaufzeit von etwa 109065 Jahren. Die Werte f¨ ur a und T aus den Aufgabenteilen (a) und (b) entsprechen einander gut. Die Umlaufzeit des Kometen ist u ¨beraus groß ebenso wie a, was zeigt, dass es sich um eine ausgesprochen langgestreckte Ellipse handelt. Der Komet C/1996 B2 geh¨ ort zu den langperiodischen Kometen, was außerdem durch das große C im Namen angezeigt wird. Das sieht man auch an der numerischen Exzentrizit¨ at, die fast gleich eins ist. c) Die numerische Exzentrizit¨ at des Kometen C/1980 E1 ist gr¨oßer als eins. Daher ist bereits ohne Rechnung klar, dass sich dieser auf einer Hyperbelbahn bewegt. Der Komet wurde einmal beobachtet und wird nicht mehr wiederkehren es sei denn, er wird dementsprechend von einem anderen Himmelsk¨orper abgelenkt. Deshalb ist die Angabe einer Periodendauer sinnlos. Es handelt sich um einen aperiodischen Kometen. Aus den Gleichungen p ehyp = εhyp , ehyp − a = rper , ehyp = a2 + b2 (5.131) a ergibt sich analog zu Aufgabenteil (a) zun¨achst q 2 b = 2arper + rper

(5.132)

128

5 Klassische Ein-Teilchen-Systeme und dann a=

rper 3,363942 AU = ≈ 58,5033 AU . ε−1 1,057500 − 1

(5.133)

Wie Sie sehen, stimmen die berechneten Werte sehr gut mit den angegebenen Werten in Tabelle 5.1 u ¨berein.

6

Erhaltungsgro¨ßen und Erhaltungssa¨tze

In den bisherigen Kapiteln spielten physikalische Systeme eine Rolle, welche auf die Bewegung eines einzelnen Teilchens beschr¨ ankt werden konnten. Ab jetzt werden auch solche Systeme betrachtet, die sich aus zwei oder mehreren Teilchen zusammensetzen. Speziell im aktuellen Kapitel liegt der Schwerpunkt auf den Erhaltungsgr¨oßen. Diese wurden bereits in den vorigen Teilen des Buchs rege bei Berechnungen ausgenutzt. Hier geht es darum, sie systematisch besser zu verstehen und einordnen zu k¨onnen, warum sie bei einem gegebenen mechanischen System auftreten.

6.1

Gesamtimpuls und Impulserhaltung

In diesem Abschnitt wird von einem mechanischen System bestehend aus N Punktmassen mi ausgegangen. Die i-te Punktmasse bewege sich gem¨aß eines Orts-Zeit-Gesetzes ri (t), also mit der Geschwindigkeit vi (t) = r˙ i (t). Damit besitzt sie den Impuls pi = mi r˙ i . Einem derartigen Mehrteilchen-System l¨asst sich ein Gesamtimpuls P(t) zuordnen, der sich als Summe der einzelnen Impulse ergibt: P(t) =

N X i=1

pi (t) =

N X

mi r˙ i (t) .

(6.1)

i=1

Auf eine Anordnung von Punktmassen k¨ onnen ¨ außere (externe) Kr¨ afte wirken oder innere (interne) Kr¨ afte, also solche, die von den Massen selbst ausgehen. Gem¨aß des zweiten Newtonschen Axioms gilt f¨ ur das i-te Teilchen: p˙ i =

N X

Fji + Fext . i

(6.2)

j=1 j6=i

Hier ist Fint ji eine (interne) Kraft, die vom j-ten auf das i-te Teilchen wirkt. Auf jedes der N Teilchen wirken N − 1 solcher Kr¨ afte. Schließlich kann eine Punktmasse auf sich selbst keine Kraft aus¨ uben, womit der Summationsindex in der obigen Summe nicht dem Index des betrachteten Teilchens entsprechen darf. Die ¨außeren Kr¨afte, die auf das i-te Teilchen wirken, werden im Vektor Fext zusammengefasst. Sofern die internen i ¨ als auch die externen Kr¨ afte verschwinden, ist die zeitliche Anderung des Impulses pi gleich null.

130

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze

Der Impuls p = m˙r eines Teilchens ist genau dann eine Erhaltungsgr¨oße, wenn auf das Teilchen keinerlei Kr¨ afte einwirken. Wendet man nun das zweite Newtonsche Axiom auf den Gesamtimpuls an, macht man eine wichtige Beobachtung: ˙ = P

N X

p˙ i =

i=1

N X N X

Fji +

i=1 j=1 j6=i

N X

Fext i

i=1

  N N X X X X  = Fji + Fji  + Fext i . i=1

ji

(6.3)

i=1

Aufgrund des dritten Newtonschen Axioms ( actio gleich ractio“) ist die Kraft Fji , die ” das j-te auf das i-te Teilchen aus¨ ubt, betragsm¨aßig genauso groß und entgegengesetzt gerichtet wie die Kraft Fij vom i-ten auf das j-te Teilchen: Fji = −Fij . Dann l¨asst sich die Summe in der eckigen Klammer wie folgt umformen: ˙ = P

=

N X X

Fji +

N X N X X (−Fij ) + Fext i

i=1 ji

N X X

N X X

Fji −

i=1 jj

N X i=1

Fext = i

N X

Fext i

(6.4)

i=1

Die ersten beiden Doppelsummen heben sich weg. Zur¨ uck bleiben einzig und allein ¨ die externen Kr¨ afte. Die Anderung des Gesamtimpulses eines mechanischen Systems von Punktmassen kann daher nur von ¨ außeren Kr¨aften verursacht werden. Das ist die physikalische Entlarvung der Geschichte des Barons von M¨ unchhausens als L¨ uge, in der er sich an den eigenen Haaren aus einem Sumpf herauszieht. PN Der Gesamtimpuls P = i=1 mi r˙ i eines Systems aus N Punktmassen mi ist eine Erhaltungsgr¨oße, sofern keine externen Kr¨ afte auf die Punktmassen wirken. Kr¨afte zwischen den Punktmassen untereinander spielen keine Rolle.

Nebenbei bemerkt handelt es sich beim Gesamtimpuls um das Produkt aus zeitlicher Ableitung des Schwerpunkts S und der Gesamtmasse M des Systems aus N Punktmassen: P = M S˙ ,

M=

N X i=1

mi ,

S=

N 1 X mi ri . M i=1

(6.5)

Man kann sich die gesamte Masse M des Systems als im Schwerpunkt vereint vorstellen. Ist der Gesamtimpuls erhalten, dann bewegt sich der Schwerpunkt gleichf¨ormig.

6.1 Gesamtimpuls und Impulserhaltung

131

Abb. 6.1: Zwei Kugeln der Massen m1 und m2 , die an einer gestauchten Feder mit Federkonstante D anliegen.

¨ Ubungsaufgabe 6.1: Gesamtimpuls, interne und externe Kr¨afte Betrachtet werden zwei Kugeln der Massen m1 und m2 , die auf einer reibungsfreien waagerechten Unterlage an einer nach innen gespannten Feder mit Federkonstante D anliegen, aber nicht an dieser befestigt sind. Die Feder sei masselos und um die L¨ange x0 bez¨ uglich ihrer L¨ ange im entspannten Zustand verk¨ urzt (siehe Abbildung 6.1). Zum Zeitpunkt t = 0 werden beide Massen losgelassen, womit sich die Feder entspannt und die Massen in entgegengesetzte Richtungen katapultiert.

a) Ist der Gesamtimpuls P der Anordnung eine Erhaltungsgr¨oße und warum? Bestimmen Sie damit die Geschwindigkeiten der beiden Kugeln direkt nachdem sich die Feder entspannt hat. b) Wie groß ist die potenzielle Energie f¨ ur jede der Kugeln im gespannten Zustand der Feder? Bestimmen Sie daraus erneut die Geschwindigkeiten der Kugeln nach dem Entspannen der Feder. Benutzen Sie hierzu die L¨osung der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators und die Tatsache, dass die zeitliche Ableitung der Kraft dem Impuls entspricht. c) Nun werde zus¨ atzlich die Wirkung des Luftwiderstands auf die beiden Kugeln ber¨ ucksichtigt, die Rollreibung auf der Oberfl¨ache werde jedoch immer noch vernachl¨ assigt. Bestimmen Sie erneut den Gesamtimpuls P . Ist P jetzt immer noch erhalten, und warum ist das so? Skizzieren Sie P in Abh¨angigkeit von der Zeit. Nehmen Sie dazu an, die Kugeln seien aus Eisen mit der Dichte %Fe = 7,86 g/cm3 . Die Radien der Kugeln seien r1 = 1,0 cm bzw. r2 = 3,0 cm. Gehen Sie aus von einer Luftdichte %l = 1,2 · 10−3 g/cm3 und einem Luftwiderstandsbeiwert cw = 0,45 der Kugeln. Die Feder habe die Federkonstante D = 1 N/m und sei anf¨anglich um x0 = 5,0 cm gestaucht. Sie k¨ onnen die folgende Formel f¨ ur die Luftwiderstandskraft ohne Herleitung verwenden: Fl =

1 cw %l Av 2 2

(6.6)

mit der Querschnittsfl¨ ache A des sich bewegenden K¨orpers und dessen Geschwindigkeit v.

132

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze

L¨osung zu Aufgabe 6.1 Bei der betrachteten Anordnung handelt es sich um ein mechanisches System bestehend aus einer masselosen Feder und den beiden Kugeln mit den Massen m1 und m2 . Vor dem Entspannen der Feder verschwinden die Impulse der beiden Kugeln und damit auch der Gesamtimpuls.

a) Die Kraft, welche die Feder auf jeweils jede Kugel aus¨ ubt, ist eine innere Kraft, und es treten keine weiteren Kr¨ afte auf. Damit ist der Gesamtimpuls eine Erhaltungsgr¨ oße und auch nach dem Entspannen der Feder immer noch gleich null. Der Schwerpunkt bewegt sich in diesem Fall u ¨berhaupt nicht, und der Gesamtimpuls lautet: !

P = m1 v1 + m2 v2 = 0 ⇒ v2 = −

m1 v1 . m2

(6.7)

Aus dieser Bedingung l¨ asst sich bereits schließen, dass sich die Geschwindigkeiten umgekehrt verhalten zu den Massen der Kugeln. Außerdem sind sie entgegengesetzt gerichtet. Die gesamte kinetische Energie T ist die Summe der kinetischen Energien T1 bzw. T2 der einzelnen Kugeln:  2 1 1 1 1 m1 2 2 2 T = T1 + T2 = m1 v1 + m2 v2 = m1 v1 + m2 − v1 2 2 2 2 m2   1 1 m21 2 1 m1 = m1 v12 + v = m1 v12 1 + . (6.8) 2 2 m2 1 2 m2 Die kinetische Energie T entspricht der potenziellen Energie der gespannten Feder, woraus sich v1 bestimmen l¨ asst: s Dm Dm2 ! 1 2 T = Dx20 ⇔ v12 = 2 x20 ⇒ |v1 | = x0 . (6.9) 2 2 m1 + m1 m2 m1 + m1 m2 Da sich die erste Kugel nach rechts bewegt, muss deren Geschwindigkeit gr¨oßer als null sein. Die Geschwindigkeit der zweiten Kugel ist dann automatisch negativ, weil sich diese nach links bewegt: s s Dm2 Dm1 v1 = x 0 , v2 = −x0 . (6.10) m21 + m1 m2 m22 + m1 m2 b) Die potenziellen Energien jeder der beiden Kugeln vor dem Entspannen der Feder ergeben sich aus den Auslenkungen x1 bzw. x2 , welche diesen Kugeln zugeordnet werden k¨ onnen. Diese beiden Auslenkungen sind nicht notwendigerweise gleich, entsprechen aber in ihrer Summe der gesamten Stauchung x0 der Feder. Damit ist V1 =

1 Dx21 , 2

V2 =

1 D(x0 − x1 )2 . 2

(6.11)

6.1 Gesamtimpuls und Impulserhaltung

133

Da beispielsweise die kinetische Energie T1 der ersten Kugel der potenziellen Energie V1 entsprechen muss, l¨ asst sich x1 bestimmen: 1 D m2 m2 ! D m1 v12 = x20 = x21 ⇔ x21 = x20 , 2 2 m1 + m2 2 m1 + m2 r m2 ⇒ |x1 | = x0 . m1 + m2

(6.12a) (6.12b)

Die allgemeine L¨ osung der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators f¨ ur die erste Kugel lautet nun: r D x(t) = a sin(ω1 t) + b cos(ω1 t) , ω1 = . (6.13) m1 Die Anfangsbedingungen x(0) = −|x1 | und x(0) ˙ = 0 f¨ uhren auf die Gleichungen b = −|x1 | und aω1 = 0, also die L¨ osung x(t) = −|x1 | cos(ω1 t) ,

T =

2π 2π =p ω1 D/m1

(6.14)

mit der Periodendauer T . Nach dem Loslassen der Feder durchquert sie bei t = T /4 zum ersten mal die Gleichgewichtslage. Hierbei ist die Geschwindigkeit der Kugeln maximal. Die Kugeln entfernen sich also f¨ ur t > T /4 von der Feder. Der u ¨bertragene Impuls auf die erste Kugel folgt durch Integration der wirkenden Kraft vom Zeitpunkt des Loslassens der Feder bis zu t = T /4: Z

T /4

Z

T /4

F (t) dt = −D

p1 = 0

x(t) dt 0

T /4

D|x1 | D|x1 | t=T /4 [sin(ω1 t)]t=0 = ω ω1 1 0 r r D m2 Dm1 m2 = x0 p = x0 . m + m m D/m1 1 2 1 + m2 Z

= D|x1 |

cos(ω1 t) dt =

(6.15)

Das entspricht der Gr¨ oße m1 v1 , also ist die Rechnung widerspruchsfrei. c) Der Luftwiderstand ist proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit und wirkt der Bewegungsrichtung entgegen. Damit ergibt sich f¨ ur die Bewegung der ersten Kugel die folgende Differenzialgleichung: m1 v˙ 1 = −ξ1 v12 ,

ξ1 =

1 cw %l A1 , 2

(6.16)

mit dem Luftwiderstandsbeiwert cw einer Kugel, der Dichte %l der Luft und der Querschnittsfl¨ ache A1 der Kugel. Diese Bewegungsgleichung ist eine homogene Differenzialgleichung 1. Ordnung. Sie kann durch Trennung der Ver¨anderlichen und anschließende Integration gel¨ ost werden. Letztere Methode wurde bisher nicht besprochen; sie ist aber unkompliziert. Im Prinzip schreibt man die erste Ableitung der Funktion mit Hilfe der entsprechenden Differenziale. Danach bringt man

134

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze alles, was mit der zu bestimmenden Funktion (hier die Geschwindigkeit) zusammenh¨ angt, auf die linke Seite und alles, das mit der Funktionsvariable (in diesem Fall die Zeit) zu tun hat, auf die andere Seite. dv1 ξ1 2 dv1 ξ1 =− v ⇔ 2 =− dt . dt m1 1 v1 m1

(6.17)

Mit der Anfangsgeschwindigkeit v1 (t = 0) = v1 ergibt sich: Z

v1 (t)

v1

dv1 ξ1 =− 2 v1 m1

Z 0

t

 v (t) 1 1 ξ1 dt ⇒ − =− t, v1 v 1 m1

1 1 ξ1 1 1 ξ1 m1 + ξ1 v1 t + =− t⇔ = + t= , v1 (t) v1 m1 v1 (t) v1 m1 m1 v1 m1 v1 ⇔ v1 (t) = . m1 + ξ1 v1 t −

(6.18a)

(6.18b) (6.18c)

Ein entsprechendes Ergebnis folgt f¨ ur v2 (t). Auch wenn anf¨anglich m1 v1 +m2 v2 = 0 gilt, ist das f¨ ur t > 0 nicht der Fall: m21 v1 m22 v2 + m1 + ξ1 v1 t m2 + ξ2 |v2 |t m21 v1 m1 m2 v1 = − m1 + ξ1 v1 t m2 + ξ2 |v2 |t   m1 m2 = m1 v1 − m1 + ξ1 v1 t m2 + ξ2 |v2 |t   1 1 = m1 v1 − . 1 + (ξ1 v1 /m1 )t 1 + (ξ2 |v2 |/m2 )t

P = m1 v1 (t) + m2 v2 (t) =

(6.19)

Somit ist der Gesamtimpuls nicht mehr erhalten, sondern verschiebt sich abh¨angig von der Zeit. Das liegt daran, dass mit dem Luftwiderstand eine externe Kraft auf das mechanische System der beiden Kugeln wirkt. Einsetzen der Zahlenwerte liefert f¨ ur die Massen der Kugeln: 4 3 4 kg πr1 %Fe = π(1,0 · 10−2 m)3 · 7,86 · 103 3 3 3 m ≈ 3,3 · 10−2 kg ,

m1 = %Fe V1 =

4 kg π(3,0 · 10−2 m)3 · 7,86 · 103 3 ≈ 0,89 kg . 3 m Die Proportionalit¨ atskonstante des Luftwiderstands lautet: m2 =

1 1 kg cw %l A1 = · 0,45 · 1,2 3 · π(1,0 · 10−2 m)2 2 2 m kg ≈ 8,5 · 10−5 , m

(6.20a) (6.20b)

ξ1 =

(6.21a)

6.1 Gesamtimpuls und Impulserhaltung 1 kg kg · 0,45 · 1,2 3 · π(3,0 · 10−2 m)2 ≈ 7,6 · 10−4 . 2 m m Schließlich betragen die Anfangsgeschwindigkeiten der beiden Kugeln: s 1 N/m · 0,89 kg v1 = 5,0 · 10−2 m −2 (3,3 · 10 kg)2 + 3,3 · 10−2 kg · 0,89 kg m ≈ 0,27 , s ξ2 =

m . s Mit diesen Zahlenwerten folgt: |v2 | ≈ 1,0 · 10−2

ξ1 v1 1 ξ2 v2 1 ≈ 7,0 · 10−4  ≈ 8,6 · 10−6 . m1 s m2 s

135

(6.21b)

(6.22a) (6.22b)

(6.23)

In Gleichung (6.19) kann man damit die Zeitabh¨angigkeit im Nenner des zweiten Terms vernachl¨ assigen und erh¨ alt folgende N¨aherung:     1 (ξ1 v1 /m1 )t P ' m 1 v1 − 1 = −m1 v1 1 + (ξ1 v1 /m1 )t 1 + (ξ1 v1 /m1 )t ξ 1 v1 ' −m1 v1 · t = −ξ1 v12 t . (6.24) m1 Unter den gemachten N¨ aherungen beschreibt der Gesamtimpuls in Abh¨angigkeit der Zeit eine Gerade mit der negativen Steigung −6,2·10−6 kg · m/s2 . Wie man an Abbildung 6.2 sieht, verschiebt sich aufgrund des Minuszeichens der Schwerpunkt in Richtung der zweiten Kugel, die sich nach links bewegt. Diese Verschiebung ist zwar aufgrund des geringen Luftwiderstands der Kugeln u ¨beraus klein, aber dennoch vorhanden.

Abb. 6.2: Zeitlicher Verlauf des Gesamtimpulses P der beiden Kugeln unter Ber¨ ucksichtigung des Luftwiderstands.

136

6.2

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze

Drehimpulserhaltung

In diesem Abschnitt geht es darum, zu untersuchen, unter welchen Bedingungen der Drehimpuls zeitlich erhalten ist. Dazu bildet man dessen zeitliche Ableitung und verwendet das zweite Newtonsche Axiom p˙ = F: dL d = (r × p) = r˙ × p + r × p˙ = r × F . dt dt

(6.25)

Hier wurde ausgenutzt, dass die Geschwindigkeit r˙ immer parallel zum Impulsvektor p liegt, womit deren Kreuzprodukt verschwindet. Die zeitliche Ableitung des Drehimpulses L verschwindet, sofern der Kraftvektor in dieselbe Richtung zeigt wie r(t). Da man r(t) immer in der Form r(t) = r(t)b er schreiben kann mit einem radial vom Koordinatenursprung nach außen zeigenden Basisvektor b er (z.B. jener der Kugelkoordinaten), ist dies f¨ ur F = F b er der Fall. Dann handelt es sich um eine Zentralkraft. Gesehen haben Sie das bereits beim Kepler-Problem im Kapitel 5. Da es sich bei der Gravitationskraft eines Himmelsk¨ orpers um eine Zentralkraft handelt, ist der Drehimpuls beim Kepler-Problem eine Erhaltungsgr¨ oße. Der Drehimpuls ist in einem physikalischen System eine Erhaltungsgr¨oße, sofern es sich bei den auftretenden Kr¨ aften um Zentralkr¨afte handelt.

6.3

Energieerhaltung

In diesem Abschnitt soll untersucht werden, unter welchen Bedingungen sich die Energie eines mechanischen Systems zeitlich nicht ¨andert. Dazu betrachtet man das zweite Newtonsche Axiom angewendet auf ein Teilchen der konstanten Masse m, auf das eine Kraft F wirkt: p˙ = m¨r = F .

(6.26)

Multipliziert man beide Seiten der Gleichung mit der Geschwindigkeit r˙ , dann folgt: m˙r · ¨r = r˙ · F .

(6.27)

Die rechte Seite verschwindet genau dann, wenn die Geschwindigkeit senkrecht auf der Kraft steht. Wenn Sie dar¨ uber hinaus an die Kettenregel denken, sehen Sie, dass sich die linke Seite der Gleichung als totale zeitliche Ableitung schreiben l¨asst:   d 1 2 dT m˙r = 0 ⇔ = 0. (6.28) dt 2 dt In diesem Fall ist die kinetische Energie T = r˙ 2 /(2m) zeitlich erhalten.

6.4 Bedeutung von Erhaltungsgr¨ oßen

137

Die kinetische Energie einer Punktmasse ist eine Erhaltungsgr¨oße, sofern die Geschwindigkeit der Punktmasse senkrecht auf der angreifenden Kraft steht. Damit wird klar, dass sich die Energie eines elektrisch geladenen Teilchens in einem Magnetfeld nicht ¨andert. Die Lorentzkraft besitzt schließlich die Form FL = q r˙ × B mit der Ladung q des Teilchens und dem Vektor B, der das Magnetfeld beschreibt. Sie steht also immer senkrecht auf der Geschwindigkeit und der Bewegungsrichtung eines Teilchens. Wirkt auf eine Punktmasse eine Kraft, die sich als Gradient eines skalaren Potenzials schreiben l¨ asst, also F = −∇V , dann lautet das zweite Newtonsche Axiom: p˙ = −∇V .

(6.29)

Beachtet man, dass gem¨ aß der Kettenregel     ∂V /∂x x˙ dV (r(t)) ∂V ∂x(t) ∂V ∂y(t) ∂V ∂z(t)  = + + = ∂V /∂y  · y˙  dt ∂x ∂t ∂y ∂t ∂z ∂t ∂V /∂z z˙ = r˙ · ∇V gilt, dann folgt wieder aus Gleichung (6.27):     d 1 2 dV (r) d 1 2 m˙r = −˙r · ∇V = − ⇔ m˙r + V (r) = 0 . dt 2 dt dt 2

(6.30)

(6.31)

Der Ausdruck in der großen runden Klammer ist nichts anderes als die Gesamtenergie E, also die Summe aus kinetischer und potenzieller Energie. Wirkt auf eine Punktmasse m eine Kraft F, die sich gem¨aß F = −∇V als Gradient eines skalaren Potenzials schreiben l¨ asst, dann ist die Gesamtenergie E =T +V =

1 2 m˙r + V (r) 2

(6.32)

eine Erhaltungsgr¨ oße.

6.4

Bedeutung von Erhaltungsgr¨oßen

Nachdem in den letzten Abschnitten einige allgemeine Kriterien f¨ ur die Erhaltung bestimmter physikalischer Gr¨ oßen wie der Energie oder des Drehimpulses aufgestellt wurden, soll Ihnen hier die große Bedeutung von Erhaltungsgr¨oßen in der Physik klar werden. Das motiviert man am besten mit einer konkreten Anwendung, die in Form der ¨ folgenden Ubungsaufgabe pr¨ asentiert wird. Diese Aufgabe k¨onnen Sie mit Ihrem bisherigen physikalischem Wissen und etwas h¨ oherer Mathematik l¨osen. Danach werden die wichtigsten Punkte zu Erhaltungsgr¨ oßen allgemein zusammengefasst.

138

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze

¨ Ubungsaufgabe 6.2: Erhaltungsgr¨oßen machen das Leben einfacher Zwei Kugeln derselben Massen m sind u ¨ber einen Faden miteinander verbunden und kreisen mit konstanter Geschwindigkeit um den Mittelpunkt des Fadens, so dass dieser gespannt bleibt (siehe Abbildung 6.3). Zum Zeitpunkt t = 0, wenn der Faden entlang der horizontalen Achse verl¨ auft, werde dieser durchgeschnitten. Reibung und Luftwiderstand seien vernachl¨ assigbar.

a) Betrachten Sie die Bewegung der Masse auf der rechten Seite des Koordinatensystems. Warum k¨ onnen Sie von einem erhaltenden Drehimpuls und einer erhaltenen Energie ausgehen? Bestimmen Sie aus der Energieerhaltung die Differenzialgleichung, welche die Bewegung der Punktmasse beschreibt. Gebrauchen Sie dazu Polarkoordinaten. b) Wenn Sie richtig gerechnet haben, sollten Sie auf die folgende Bewegungsgleichung kommen: r β 2E L2 r˙ = α − 2 , α = , β= 2. (6.33) r m m Bestimmen Sie das Orts-Zeit-Gesetz der Kugel durch L¨osen dieser Differenzialgleichung mittels Trennung der Ver¨ anderlichen p (siehe dazu z.B. Aufgabe 6.1). Verwenden Sie die Anfangsbedingung r(0) = β/α. . c) Leiten Sie die Bewegungsgleichung der Kugel f¨ ur die radiale Koordinate r(t) ohne Ausnutzung der Energieerhaltung her. Setzen Sie die in (b) bestimmte L¨osung ein, und zeigen Sie somit, dass es sich ebenso um eine L¨osung dieser Gleichung handelt. d) Bestimmen Sie aus der Drehimpulserhaltung den Winkel ϕ(t), den die Verbindungslinie zwischen Koordinatenursprung und der Kugel mit der positiven xAchse einschließt. Die Anfangsbedingung sei ϕ(0) = 0. Was ergibt sich f¨ ur t 7→ ∞?

Abb. 6.3: Zwei Kugeln der Massen m, die mit einem Faden verbunden sind und um den Koordinatenursprung kreisen.

6.4 Bedeutung von Erhaltungsgr¨ oßen

139

e) Wie lautet die Bewegungsgleichung f¨ ur den Winkel ϕ(t), wenn Sie die Drehimpulserhaltung nicht ber¨ ucksichtigen? Zeigen Sie durch Einsetzen, dass die in (d) bestimmte Funktion auch dieser Differenzialgleichung gen¨ ugt. f) K¨ onnen Sie die erhaltenen Ergebnisse auch ohne die L¨osung der Bewegungsgleichung verstehen?

L¨osung zu Aufgabe 6.2 Wie gefordert, wird das Problem in Polarkoordinaten behandelt. a) Sowohl Energie als auch Drehimpuls ist erhalten, da sich nach Durchschneiden des Fadens die beiden Kugeln kr¨ aftefrei bewegen und keine Reibung auftritt. Die Gesamtenergie E setzt sich einzig aus der kinetischen Energie zusammen: E=T =

m 2 m (r˙ + r2 ϕ˙ 2 ) = (r˙ 2 + r2 ω 2 ) . 2 2

(6.34)

Da der Drehimpuls erhalten ist, kann man u ¨ber L = mr2 ω die Winkelgeschwindigkeit ω durch den Drehimpuls L ersetzen:  2 m m L m L2 E = r˙ 2 + r2 = r˙ 2 + . (6.35) 2 2 2 mr 2 2mr2 L¨ ost man diese Gleichung nach r˙ auf, dann ergibt sich eine Differenzialgleichung erster Ordnung: r m 2 L2 2E L2 2E L2 2 r˙ = E − ⇔ r˙ = − 2 2 ⇒ r˙ = − 2 2 . (6.36) 2 2 2mr m m r m m r Da sich der Abstand der Kugel zum Koordinatenursprung nach Durchschneiden des Fadens auf jeden Fall vergr¨ oßern muss, gilt auch r˙ ≥ 0. Damit spielt physikalisch nur das Pluszeichen eine Rolle. Letztendlich erh¨alt man folgende Bewegungsgleichung: r β 2E L2 r˙ = α − 2 , α = , β= 2. (6.37) r m m b) Die Bewegungsgleichung ist eine homogene Differenzialgleichung 1. Ordnung, die durch Trennung der Ver¨ anderlichen gel¨ ost werden kann: r β dr dr = α− 2 ⇒ p = dt . (6.38) r˙ = dt r α − β/r2 Eine anschließende Integration f¨ uhrt auf: Z

r(t)

r(0)

dr p = α − β/r2

Z 0

t

dt0 = t .

(6.39)

140

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze Zu bestimmen bleibt letztendlich das Integral I1 (α, β) auf der linken Seite. Obwohl es kompliziert aussieht, erweist es sich nach einiger Umformung als unproblematisch: Z Z 1 1 p p I1 (α, β) = dr = dr 2 2 α − β/r (αr − β)/r2 Z r r≥0 p = dr . (6.40) αr2 − β Mit der Substitution u = αr2 − β, du = 2αr dr ergibt sich weiter: p √ Z √ 1 1 1 u αr2 − β √ du = I(α, β) = ·2 u= = . 2α 2α α α u Einsetzen der Integrationsgrenzen liefert r(t) p αr2 − β = t, α

(6.41)

(6.42a)

r(0)

p

p αr(t)2 − β αr(0)2 − β ⇒ =t+ . (6.42b) α α Mit der geforderten Anfangsbedingung verschwindet der zweite Term auf der rechten Seite der letzten Gleichung: p p αr(0)2 − β α · β/α − β = = 0. (6.43) α α Man erh¨ alt also auf diese Weise eine gew¨ohnliche Gleichung, die man letztendlich noch nach der Zeit t aufl¨ osen muss, um das Orts-Zeit-Gesetz zu bestimmen: αr(t)2 − β = t2 , α2

(6.44a)

r r β β 2E 2 L2 2 r(t) = αt + ⇒ r(t) = αt + = t + . (6.44b) α α m 2mE c) Gleichung (2.90) gibt die radiale und zirkulare Beschleunigung in Polarkoordinaten an. Da sich die Kugel nach Durchtrennen des Fadens kr¨aftefrei bewegt, muss die radiale Beschleunigung verschwinden: 2  L2 L ! ar (t) = 0 ⇔ r¨ − rω 2 = r¨ − r = r¨ − 2 3 = 0 . (6.45) 2 mr m r 2

2

Damit kommt man auf die folgende Differenzialgleichung 2. Ordnung, sofern man keinen Gebrauch von der Energieerhaltung macht: r¨ =

L2 . m2 r 3

(6.46)

6.4 Bedeutung von Erhaltungsgr¨ oßen

141

Um zu zeigen, dass Gleichung (6.44b) ebenso eine L¨osung dieser Bewegungsgleichung ist, ben¨ otigt man die zweite zeitliche Ableitung von Gleichung (6.44b): r˙ = p

αt αt2

+ β/α

r α

αt2 +

r¨ =

=

(αt2

,

(6.47a)

β α 2 t2 −p α αt2 + β/α α(αt2 + β/α) − α2 t2 = β (αt2 + β/α)3/2 αt2 + α

β . + β/α)3/2

(6.47b)

Nutzt man Gleichung (6.44b) und β = L2 /m aus, dann erf¨ ullt das in Aufgabenteil (b) mit Hilfe der Energieerhaltung bestimmte Orts-Zeit-Gesetz auch die Bewegungsgleichung, welche man zun¨ achst ohne die Energieerhaltung erh¨alt. d) Aus L = mr2 ϕ˙ folgt sofort die Bewegungsgleichung f¨ ur ϕ(t): √ L dϕ β ϕ˙ = ⇔ = 2 . (6.48) mr2 dt αt + β/α Auch diese Differenzialgleichung 1. Ordnung kann durch Trennung der Ver¨anderlichen und anschließende Integration gel¨ ost werden: √

β dϕ = 2 dt ⇒ αt + β/α

Z

ϕ(t)

p Z dϕ = β

t

1 dt0 . (6.49) 02 + β/α αt 0 0 √ √ Das auftretende Integral f¨ uhrt man mit der Substitution (α/ β)t = v, (α/ β) dt = dv auf ein bekanntes Integral zur¨ uck: Z Z 1 α 1 I2 (α, β) = dt = dt αt2 + β/α β (α2 /β)t2 + 1 Z 1 1 1 =√ dv = √ arctan(v) 2 v +1 β β   1 α = √ arctan √ t . (6.50) β β Damit gilt schließlich f¨ ur den mit der positiven x-Achse eingeschlossenen Winkel in Abh¨ angigkeit von der Zeit:   2E ϕ(t) = arctan t . (6.51) L Der Grenzwert f¨ ur t 7→ ∞ ist ϕ = π/2.

142

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze

e) Da nach Durchtrennen des Fadens keine Beschleunigung auf die Kugel wirkt, muss auch die zirkulare Beschleunigung verschwinden. Das f¨ uhrt mit Gleichung (2.90) auf eine Differenzialgleichung f¨ ur ϕ(t): !

aϕ = 0 ⇔ 2r˙ ϕ˙ + rϕ¨ = 0 .

(6.52)

Diese Bewegungsgleichung ist zweiter Ordnung, und sie ist gekoppelt mit r(t). Man kann sie also nicht l¨ osen, ohne r(t) zu kennen. Verwendet man r β αt r = αt2 + , r˙ = p , (6.53a) 2 α αt + β/α   α ϕ = arctan √ t , (6.53b) β √ 1 α α β ϕ˙ = ·√ = , (6.53c) 2 2 1 + (α /β)t β + α2 t2 β √ 2α3 β t , (6.53d) ϕ¨ = − (β + α2 t2 )2 so ergibt sich durch Einsetzen: r √ √   2α β t α β 2α3 β t 2+ 2r˙ ϕ˙ + rϕ¨ = p · + αt · − α (β + α2 t2 )2 αt2 + β/α β + α2 t2 √ √ 2α5/2 β t 2α5/2 β t = − = 0. (6.54) (β + α2 t2 )3/2 (β + α2 t2 )3/2 Die bestimmten L¨ osungen gen¨ ugen also auch der Bewegungsgleichung f¨ ur ϕ(t), die man erh¨ alt, ohne die Erhaltung des Drehimpulses ausdr¨ ucklich auszunutzen. f) Nach Durchschneiden des Fadens bewegen sich beide Kugeln kr¨aftefrei. Nach dem ersten Newtonschen Axiom muss daher die erste Kugel in Richtung der positiven y-Achse und die zweite Kugel in Richtung der negativen y-Achse weiterfliegen. Der Abstand der Kugeln zur y-Achse entspricht jeweils dem Radius R der anf¨anglichen Kreisbahn. Dieser ist verkn¨ upft mit dem Drehimpuls: L = mRv ⇒ R =

L L L = p =√ . mv 2mE m 2E/m

(6.55)

Die Bewegung der Kugel verl¨ auft gleichf¨ormig mit der Geschwindigkeit v parallel zur y-Achse, womit der Abstand zum Koordinatenursprung gegeben ist durch: r p 2E 2 L2 r(t) = v 2 t2 + R2 = t + . (6.56) m 2mE Auf diese Weise ergibt sich dann auch schnell der Winkel: ! r √   vt 2E 2mE ϕ(t) = arctan = arctan · t R m L   2E t . (6.57) = arctan L

6.4 Bedeutung von Erhaltungsgr¨ oßen

143

Aus der betrachteten Beispielaufgabe resultiert eines der wichtigsten Fazits der klassischen Mechanik. Das Auftreten einer Erhaltungsgr¨ oße bei einem physikalischen Problem reduziert die maximal vorkommende Ableitung einer Koordinate in den Bewegungsgleichungen um eins. Jede Erhaltungsgr¨ oße vereinfacht also die zu l¨osenden Bewegungsgleichungen drastisch. ¨ Die n¨ achsten beiden Ubungsaufgaben vor allem Aufgabe 6.4 sollen Ihnen weitere Eigenschaften von Erhaltungsgr¨ oßen demonstrieren. Wieder k¨onnen Sie diese Aufgaben mit Ihrem bisherigen Wissen l¨ osen. Es geht zum einen um den harmonischen Oszillator und zum anderen um das Kepler-Problem, die beide bereits in Kapitel 5 behandelt wurden.

¨ Ubungsaufgabe 6.3: Harmonischer Oszillator mit Energieerhaltung Betrachtet wird ein sich auf einer Unterlage befindender Klotz der Masse m, der an einer Feder h¨ angend aus der Ruhelage nach rechts um x0 ausgelenkt wird. Zum Zeitpunkt t = 0 werde er losgelassen. Die Reibung und der Luftwiderstand werde vernachl¨assigt. Die Feder besitze die Federkonstante D und verhalte sich gem¨aß des Hookeschen Gesetzes. Begr¨ unden Sie, warum die Energie erhalten ist. Bestimmen Sie aus der Energieerhaltung die L¨ osung der Bewegungsgleichung des Klotzes.

¨ Ubungsaufgabe 6.4: Lenz-Runge-Vektor Gegenstand der aktuellen Aufgabe ist der Lenz-Runge-Vektor r Λ = r˙ × L − γ , γ = G∗ M m , r

(6.58)

der beim Kepler-Problem eine große Rolle spielt. Hierbei ist G∗ die Gravitationskonstante, M die Masse des Zentralk¨ orpers und m die Masse des sich um den Zentralk¨orper drehenden K¨ orpers. Der Drehimpuls des sich drehenden K¨orpers sei L.

a) Zeigen Sie, dass der Lenz-Runge-Vektor eine Erhaltungsgr¨oße ist. b) Berechnen Sie das Skalarprodukt von Λ und L. c) Bestimmen Sie den Betrag von Λ, und dr¨ ucken Sie diesen durch die Energie und den Drehimpuls aus. Das Ergebnis ist: s 2EL2 . (6.59) |Λ| = γε , ε = 1 + mγ 2 d) Zeigen Sie, dass Λ in Richtung des Perihels zeigt, also des Punkts, der dem Zentralk¨ orper am n¨ achsten liegt.

144

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze

e) Bestimmen Sie allein aus dem Lenz-Runge-Vektor unter Zuhilfenahme der Ergebnisse aus (d) und (e) das Orts-Zeit-Gesetz beim Kepler-Problem.

6.5

Anzahl von Erhaltungsgr¨oßen

Wenn Sie sich die vorangegangenen Beispiele gut angeschaut haben, kristallisieren sich daraus einige allgemein g¨ ultige Aussagen, die im Folgenden zusammengefasst werden sollen. Ein mechanisches System bestehend aus N Punktmassen in d Raumdimensionen wird durch N d Differenzialgleichungen zweiter Ordnung beschrieben. F¨ ur jedes Teilchen und jede Raumdimension gibt es eine solche Bewegungsgleichung. Die L¨osung einer Differenzialgleichung zweiter Ordnung weist zwei Konstanten auf, die durch jeweilige Anfangsbedingungen festgelegt werden. Damit gibt es beim betrachteten mechanischen System 2N d solcher Konstanten. Jede dieser Konstanten kann muss jedoch nicht mit einer Erhaltungsgr¨ oße in Verbindung stehen. Beim unged¨ ampften harmonischen Oszillator h¨angt zum Beispiel die anf¨angliche Auslenkung des Oszillators direkt mit der erhaltenen Energie zusammen (siehe Aufgabe 6.3). In Aufgabe 6.2 kann der anf¨ angliche Winkel mit dem Drehimpuls in Verbindung gebracht werden. Ohne Ausnahme ist es so, dass der betrachtete Anfangszeitpunkt t0 in einem Orts-Zeit-Gesetz nie mit einer Erhaltungsgr¨oße zu tun hat. Ein mechanisches System aus N Punktmassen in d Raumdimensionen weist maximal 2N d − 1 Erhaltungsgr¨ oßen auf. Wichtig ist, dass so viele Erhaltungsgr¨oßen vorhanden sein k¨ onnen, aber nicht notwendigerweise m¨ ussen.

Gelernt haben Sie bereits zum Beispiel aus Aufgabe 6.2, dass durch Ausnutzen einer jeden Erhaltungsgr¨ oße die Ordnung einer Bewegungsgleichung um eins verringert wird. Weist das System genau 2N d − 1 Erhaltungsgr¨oßen auf, nennt man es maximal superintegrabel. Das ist eine sehr sch¨ one Eigenschaft, denn in diesem Falle l¨asst sich das Orts-Zeit-Gesetz einzig und allein aus den Erhaltungsgr¨oßen bestimmen, ohne eine einzige Bewegungsgleichung l¨ osen zu m¨ ussen. Zum Beispiel ist das Kepler-Problem maximal superintegrabel. Betrachtet man nur die ¨ sich drehende Masse, dann kann es gem¨ aß der obigen Uberlegungen 2·1·3−1 = 5 Erhaltungsgr¨ oßen geben. Die gibt es tats¨ achlich, n¨amlich Energie, Drehimpuls und der Lenz-Runge-Vektor. Die Energie liefert eine Erhaltungsgr¨oße, der Drehimpulsvektor drei und der Lenz-Runge-Vektor auch drei. Damit w¨aren es auf den ersten Blick sieben. Beachten Sie jedoch, dass gem¨ aß Aufgabe 6.4 der Lenz-Runge-Vektor u ¨ber zwei Gleichungen sowohl mit dem Drehimpuls als auch der Energie zusammenh¨angt. Infolge dieser beiden Abh¨ angigkeiten gibt es also nur f¨ unf unabh¨angige Erhaltungsgr¨oßen. Im letzten Teil der zuvor genannten Aufgabe haben Sie gesehen, dass sich das OrtsZeit-Gesetz direkt aus dem Lenz-Runge-Vektor bestimmen l¨asst. Dabei musste keinerlei Differenzialgleichung gel¨ ost werden. Sicherlich ist es jedoch auch so, dass es im Allgemeinen nicht einfach ist, alle Erhaltungsgr¨ oßen eines physikalischen Systems zu finden, ohne eine Bewegungsgleichung zu l¨ osen.

6.5 Anzahl von Erhaltungsgr¨ oßen

145

Besitzt ein physikalisches System aus N Punktmassen in d Raumdimensionen genau 2N d − 1 Erhaltungsgr¨ oßen, dann nennt man es maximal superintegrabel. Die zugeh¨ origen Orts-Zeit-Gesetze der Punktmassen lassen sich dann direkt aus den Erhaltungsgr¨ oßen berechnen, ohne auch nur eine Differenzialgleichung l¨osen zu m¨ ussen. Das Kepler-Problem ist beispielsweise maximal superintegrabel.

6.5.1

Symmetrien als Ursache von Erhaltungsgro¨ßen

Jede Erhaltungsgr¨oße besitzt immer eine tiefsinnige physikalische Ursache und ist mit einer bestimmten Symmetrie der zugrundeliegenden Bewegungsgleichungen verkn¨ upft. Unter einer Symmetrie versteht man die Unver¨anderlichkeit der Bewegungsgleichungen eines physikalischen Systems in Bezug auf eine Transformation der verwendeten Koordinaten, die das System beschreiben. Solche Transformationen haben Sie bereits z.B. in Abschnitt 4.2 oder Abschnitt 4.3 kennengelernt: Verschiebungen des Koordinatenursprungs, Drehungen des Koordinatensystems um eine bestimmte Achse usw. Sofern sich die Bewegungsgleichungen unter einer Transformation nicht a¨ndern, nennt man sie invariant. Die entsprechende Transformation heißt dann Symmetrietransformation oder oft auch einfach nur Symmetrie. Im Folgenden werden wir Ihnen eine Reihe wichtiger Transformationen vorstellen und wie diese mit Erhaltungsgr¨ oßen zusammenh¨ angen. Die jeweiligen Aussagen werden nicht allgemein bewiesen, sondern anhand des Kepler-Problems (siehe Abschnitt 5.4) veranschaulicht. In diesem Zusammenhang sind infinitesimale Transformationen von Bedeutung, also derartige, bei denen die Parameter der Transformation als unendlich klein angenommen werden. Die Tatsache, dass die Parameter infinitesimal sind, erlauben Taylor-Entwicklungen bez¨ uglich der Parameter, die nach dem linearen Glied abgebrochen werden k¨ onnen. Im Folgenden werden bei allen derartigen Entwicklungen Terme ab der quadratischen Ordnung vernachl¨ assigt, ohne das ausdr¨ ucklich kenntlich zu machen (beispielsweise durch ein Landau-Symbol O(•)). Durch eine Transformation gehen Koordinaten x in neue Koordinaten x0 u ¨ber. Formal schreibt man in der Physik eine Transformation oft in der Form x 7→ x0 = f (x), wobei der Pfeil geht u ¨ber in“ bedeu” tet. Auf der rechten Seite des Gleichheitszeichens steht die eigentliche Transformation in Abh¨ angigkeit der urspr¨ unglichen Koordinaten x. Die erste Transformation, die betrachtet werden soll, ist eine infinitesimale Verschiebung der Zeit: t 7→ t0 = t + δt. Hierbei ist δt der infinitesimale (konstante) Parameter, der die Verschiebung beschreibt. Prinzipiell kann δt gr¨oßer oder auch kleiner als null sein. Sind die Bewegungsgleichungen invariant bez¨ uglich einer infinitesimalen Verschiebung der Zeit, also bez¨ uglich der Transformation t 7→ t0 = t + δt, dann ist die Energie eine Erhaltungsgr¨ oße (sofern außerdem nur Kr¨afte auftreten, die sich als Gradient eines skalaren Potenzials schreiben lassen).

146

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze

Beim Kepler-Problem tritt die Gravitationskraft auf, die ein skalares Potenzial besitzt. Die Bewegungsgleichung ¨r(t) = γ

r(t) r(t)3

(6.60)

soll nun bez¨ uglich t 7→ t + δt mit einem infinitesimalen δt untersucht werden. Dabei vernachl¨ assigt man wie oben bereits bemerkt alle nichtlinearen Terme in δt. Sowohl das Argument des Orts-Zeit-Gesetzes als auch die Zeitableitung muss dementsprechend transformiert werden: r(t0 ) = r(t + δt) = r(t) + δt˙r(t) ,

dt0 = d(t + δt) = dt ,

d d = . (6.61) dt0 dt

Das Zeitdifferenzial a ur Ableitungen ¨ndert sich somit nicht. Dasselbe gilt deswegen auch f¨ nach der Zeit. Damit ist d [¨r(t)] , dt   r(t0 ) r(t) d r(t) = + δt , r(t0 )3 r(t)3 dt r(t)3

¨r(t0 ) = ¨r(t) + δt

(6.62a) (6.62b)

und die Bewegungsgleichung des Kepler-Problems geht bez¨ uglich der Transformation t 7→ t0 = t + δt u ¨ber in:   r(t) d r(t) ¨r(t) − γ ¨r(t) − γ + δt = 0. (6.63) r(t)3 dt r(t)3 Wie Sie sehen, ergibt sich die urspr¨ ungliche Differenzialgleichung zuz¨ uglich eines Terms proportional zu δt, bei dem es sich um die Zeitableitung der urspr¨ unglichen Bewegungsgleichung handelt. Diese neue Differenzialgleichung ist genau dann erf¨ ullt, wenn die unver¨ anderte Bewegungsgleichung des Kepler-Problems (Gleichung (6.60)) gilt und der Term in der großen eckigen Klammer verschwindet. Letzterer stellt jedoch eine genaue Kopie von Gleichung (6.60) dar. Damit ist die Energie beim Kepler-Problem eine Erhaltungsgr¨ oße. Eine Verschiebung der Zeit um ein infinitesimales δt ist hier eine Symmetrietransformation. Als n¨ achstes soll der Drehimpuls betrachtet werden, der direkt mit Drehungen zusammenh¨ angt. Dabei ist es unwichtig, ob man eine aktive oder passive Drehung anschaut. Ohne Grund entscheiden wir uns f¨ ur eine passive Drehung; die folgende Betrachtung kann jedoch vollkommen analog f¨ ur eine aktive Drehung durchgef¨ uhrt werden. Gem¨aß b mit dem infinitesimalen Gleichung (4.28) ist eine passive Drehung um die Drehachse ω Drehwinkel δϕ gegeben durch: b (b b (b b) r 7→ r0 = R(δϕ)r = ω ω · r) + [r − ω ω · r)] + δϕ(r × ω b) . = r + δϕ(r × ω

(6.64)

6.5 Anzahl von Erhaltungsgr¨ oßen

147

Der Drehimpuls ist eine Erhaltungsgr¨ oße, wenn die Bewegungsgleichungen invariant b , also sind bez¨ uglich einer infinitesimalen Drehung um eine beliebige Drehachse ω b ). der folgenden Transformation der Koordinaten: r 7→ r0 = r + δϕ(r × ω Unter einer infinitesimalen Drehung ergibt sich f¨ ur das Kepler-Problem: ¨r0 = ¨r + δϕ(¨r × ω b) , (6.65a) √ √ p p b )]2 = r2 + δϕ r · [r × ω b ] = r2 = r . (6.65b) r0 = r02 = [r + δϕ(r × ω Also geht Gleichung (6.60) bez¨ uglich dieser Transformation u ¨ber in:   r(t) r(t) ¨r − γ b. + δϕ ¨r − γ ×ω r(t)3 r(t)3

(6.66)

Nun liegt dieselbe Situation vor wie in Gleichung (6.63). Ist die original Bewegungsgleichung erf¨ ullt, so auch die transformierte. Sie ist daher invariant bez¨ uglich infinitesimaler Drehungen. Aus diesem Grund muss der Drehimpuls eine Erhaltungsgr¨oße sein. Die Drehung um einen infinitesimalen Winkel ist beim Kepler-Problem eine Symmetrietransformation. Auch die verbleibende Erhaltungsgr¨ oße beim Kepler-Problem, also der Lenz-RungeVektor, ist Folge einer Symmetrie des physikalischen Systems. Diese ist jedoch u ¨beraus ausgekl¨ ugelt und nur u ¨ber Umwege im vierdimensionalen Raum ersichtlich. Die Erschließung der Symmetrie sprengt den Rahmen der abschließenden Darstellungen in diesem Abschnitt. Damit wurden alle Erhaltungsgr¨ oßen des Kepler-Problems abgehandelt. Was im Umfeld dieser abschließenden Beschreibung noch fehlt, ist der Impuls. Der Impuls ist eine Erhaltungsgr¨ oße, sofern die Bewegungsgleichung sich bez¨ uglich einer infinitesimalen Verschiebung von r nicht ¨andert, also unter der Transformation r 7→ r0 = r + δr. Wie Sie wissen, ist dieser beim Kepler-Problem nicht erhalten. Schauen wir uns also das Verhalten der Bewegungsgleichung des Kepler-Problems in Bezug auf die genannte Transformation an. Zun¨ achst gilt: ¨r0 = ¨r , 1 1 1 1 = 02 3/2 = = 2 r03 (r ) [(r + δr) · (r + δr)]3/2 (r + 2r · δr)3/2   1 1 3 2r · δr 1 = 2 3/2 = 1 − · r3 2 r2 (r ) (1 + 2r · δr/r2 )3/2   1 r · δr , = 3 1−3 2 r r

(6.67a)

(6.67b)

148

6 Erhaltungsgr¨oßen und Erhaltungss¨atze r0 r + δr = 03 r r3

 1−3

r · δr r2

 =

r 1 + 3 3 r r

 δr − 3

r(r · δr) r2

 .

(6.67c)

Die Bewegungsgleichung des Kepler-Problems geht unter dieser Transformation somit u ¨ber in:   r 1 r(r · δr) ¨r − γ 3 = 3 δr − 3 . (6.68) r r r2 Es ist ersichtlich, dass auf der rechten Seite der Gleichung ein neuer Term proportional zum infinitesimalen Verschiebungsvektor δr auftritt, der nicht verschwinden kann. Daher ist die Transformation r0 = r + δr keine Symmetrietransformation beim KeplerProblem. Die Bewegungsgleichung ist nicht symmetrisch unter infinitesimalen Verschiebungen der r¨ aumlichen Koordinaten. Deshalb kann der Impuls keine Erhaltungsgr¨oße sein.

7

Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

Klassische Systeme der Mechanik wie der harmonische Oszillator und das KeplerProblem bildeten die Grundlage von Kapitel 5. Diese Problemstellungen wurden klas” sisch“ genannt, weil sie eine zentrale Rolle in der Mechanik einnehmen. An ihnen lassen sich eine Menge grundlegender physikalischer Konzepte demonstrieren und verstehen. Manche dieser Systeme spielen sogar u ¨ber die gew¨ohnliche Mechanik hinaus eine entscheidende Rolle in anderen Gebieten wie der Elektrodynamik oder der Atomphysik. Das prominenteste Beispiel daf¨ ur ist der harmonische Oszillator. In den bisher betrachteten klassischen Problemen wurde ausschließlich die Bewegung einer einzigen Masse betrachtet. Das ¨ andert sich im aktuellen Kapitel. Hier geht es um klassische Systeme, bei denen die Kinematik auf der Bewegung zweier (order mehrerer) Massen beruht. Dieses Kapitel dient als Steigb¨ ugel zum abschließenden Kapitel des Buchs, in dem die Bewegung ausgedehnter K¨ orper im Blickpunkt steht. Im Prinzip sind bei jedem mechanischen Problem in der Realit¨at immer mindestens zwei K¨ orper beteiligt. Beim Kepler-Problem in Kapitel 5 war es eine Idealisierung, sich ausschließlich auf die Bewegung einer einzelnen Masse zu beschr¨anken. Schließlich haben am Kepler-Problem zwei K¨ orper Anteil: der Zentralk¨orper und der sich um diesen drehende. Dass nur der sich drehende K¨ orper betrachtet wurde, lag einfach daran, dass der Zentralk¨ orper in der Regel eine vielfach h¨ ohere Masse besitzt und dementsprechend als ruhend angenommen werden kann. Bedenken Sie außerdem, dass beim harmonischen Oszillator nicht nur ein Teilchen schwingt, sondern auch noch die Feder oder das Seil, an dem das Teilchen befestigt ist. Auch hier vernachl¨assigt man diese Bewegungen nur, weil man die Masse der Feder bzw. des Seils gegen¨ uber der des schwingenden K¨orpers als klein annimmt.

7.1

Zweiko¨rperproblem, Schwerpunkts- und Relativkoordinaten

Im aktuellen Abschnitt geht es darum, die Bewegung zweier Massen m1 und m2 zu verstehen, die auf sich gegenseitig eine Kraft aus¨ uben. Das kann zum Beispiel das System Erde Mond sein oder auch (als ungl¨ ucklicheres Beispiel) ein System zweier Autos, die aufgrund einer u ¨bersehenen roten Ampel zusammenprallen. Wie das bisher der Fall war, werden auch hier die beteiligten Massen der Einfachheit halber zun¨ achst als punktf¨ ormig angenommen. Ist r1 (t) das Orts-Zeit-Gesetz der ersten und r2 (t) das Orts-Zeit-Gesetz der zweiten Punktmasse, dann wirkt die Kraft entlang

150

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

des Differenzvektors r1 − r2 , welcher von der zweiten auf die erste Punktmasse zeigt (siehe Abbildung 7.1). Die Newtonschen Bewegungsgleichungen f¨ ur die beiden Punktmassen lauten: p˙ 1 = m1 ¨r1 = F21 ,

p˙ 2 = m2 ¨r2 = F12 = −F21 .

(7.1)

Dieses Zweik¨ orperproblem soll im Folgenden untersucht und verstanden werden. Dazu erweisen sich die beiden Ortsvektoren r1 und r2 als ungeschickt. Das Ziel ist es deshalb, zwei geeignetere Vektoren einzuf¨ uhren, um die Bewegung der beiden Massen zu beschreiben. Es wird angenommen, die Kraft zwischen beiden Massen l¨asst sich aus einem Potenzial V herleiten. Dieses h¨ angt dann ausschließlich vom Differenzvektor r ≡ r1 − r2 ab: V = V (r). Aus dem Grund erscheint es sinnvoll, die Relativkoordinate r als erste Koordinate zu verwenden. Um die zweite Koordinate zu finden, betrachten Sie den Gesamtimpuls P ≡ p1 + p2 des Zweik¨ orperproblems. Gem¨ aß des dritten Newtonschen Axioms ist dieser erhalten. Gesehen haben Sie das bereits in Abschnitt 6.1. Der Gesamtimpuls h¨angt mit der Gesamtmasse M ≡ m1 + m2 wie folgt zusammen: ˙ ⇔ m1 r˙ 1 + m2 r˙ 2 = M R ˙ . P = MR

(7.2)

Schaut man sich letztere Gleichung an, erweist sich die Einf¨ uhrung der Schwerpunktskoordinate R als sinnvoll: m1 r1 + m2 r2 m1 m2 R= = r1 + r2 . (7.3) M M M Die Umrechnungsformeln zwischen den alten Koordinaten r1 , r2 und den neuen r, R ergeben sich durch Einsetzen von r1 = r + r2 bzw. r2 = r1 − r in Gleichung (7.3): m m1 m2  m1 1 R= r+ + r2 = r + r2 , (7.4a) M M M M

Abb. 7.1: Bewegung zweier Massen m1 und m2 mit den Ortsvektoren r1 und r2 .

7.1 Zweik¨ orperproblem, Schwerpunkts- und Relativkoordinaten m2  m2 m2 r1 − r = r1 − r, M M M M m2 m1 ⇒ r1 = R + r , r2 = R − r. M M R=

m

151

1

+

(7.4b) (7.4c)

Beim Zweik¨ orperproblem, also der Beschreibung der Bewegung zweier Massen m1 , m2 unter Einfluss einer Kraft zwischen den beiden K¨orpern ist die Einf¨ uhrung einer Schwerpunktskoordinate R und einer Relativkoordinate r vorteilhaft. Ist r1 die Koordinate des ersten und r2 die des zweiten K¨orpers, dann gilt: R=

m1 m2 r1 + r2 , M M

r = r1 − r2 ,

(7.5)

mit der Gesamtmasse M = m1 + m2 .

¨ Ubungsaufgabe 7.1: Bewegungsgleichungen in den neuen Koordinaten In der aktuellen Aufgabe geht es darum, den Umgang mit den Transformationen aus Gleichung (7.4c) zu u ¨ben. a) Bestimmen Sie aus den Bewegungsgleichungen des Zweik¨orperproblems m1 ¨r1 = F(r1 − r2 ) ,

m2 ¨r2 = −F(r1 − r2 )

(7.6)

die Bewegungsgleichungen in Abh¨ angigkeit der Schwerpunkts- bzw. der Relativkoordinate. F¨ uhren Sie dabei die effektive Masse µ ≡ m1 m2 /(m1 + m2 ) ein. b) Dr¨ ucken Sie sowohl die Energie als auch den Drehimpuls der beiden Massen in den neuen Koordinaten aus.

7.1.1

Physikalische Diskussion des Zweik¨orperproblems

Aus der L¨ osung der vorherigen Aufgabe ergeben sich die folgenden Bewegungsgleichungen in Schwerpunkts- und Relativkoordinaten: ¨ = 0, MR

µ¨r = F(r) .

(7.7)

Die Schwerpunktskoordinate R ist dem Schwerpunkt zugeordnet, in dem die beiden Massen als eine einzige Masse vereint betrachtet werden k¨onnen. Wie Sie sehen, verschwindet gem¨ aß der ersten Bewegungsgleichung die Kraft, welche auf den Schwerpunkt wirkt. Das ist wiederum verkn¨ upft mit der Betrachtung aus Abschnitt 6.1. Sofern nur interne Kr¨ afte wirken – was hier da Fall ist – handelt es sich beim Schwerpunktsimpuls ˙ = const. um eine Erhaltungsgr¨ oße: P = M R Die interne Kraft F(r) zwischen den beiden Massen tritt einzig und allein in der Bewegungsgleichung f¨ ur die Relativkoordinate auf. Diese Gleichung beschreibt also die Bewegung der beiden Massen bez¨ uglich zueinander.

152

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

Eine Bewegung des Schwerpunkts wird oft außer Acht gelassen. Sofern keine externen Kr¨ afte wirken, kann sich dieser h¨ ochstens gleichf¨ormig bewegen gem¨aß R(t) = R0 + Vt ˙ Man kann mit einem anf¨ anglichen Ortsvektor R0 und einer Geschwindigkeit V = R. also eine Galilei-Transformation in den Schwerpunkt durchf¨ uhren, womit er sich im transformierten System u ¨berhaupt nicht mehr bewegt. Dann spielt einzig und allein die Relativbewegung eine Rolle. In diesem Fall wurde das Zweik¨orperproblem auf die Bewegung einer einzigen Masse und zwar der effektiven Masse µ zur¨ uckgef¨ uhrt. Aus Aufgabe 7.1 ergibt sich der folgende Ausdruck der Gesamtenergie beim Zweik¨orperproblem: E=

M ˙2 µ 2 R + r˙ + V (r) . 2 2

(7.8)

Auch die Gesamtenergie wurde somit in zwei Anteile zerlegt: einen, der nur die Schwerpunktskoordinate enth¨ alt und einen anderen, der ausschließlich von der Relativkoordinate abh¨ angt. Zudem sieht man hier, dass auf den Schwerpunkt keinerlei Kraft wirkt. Schließlich h¨ angt das Potenzial einzig und allein von der Relativkoordinate ab. Der Schwerpunkt besitzt nur kinetische, aber keinerlei potenzielle Energie. Ebenso setzt sich der Drehimpuls beim Zweik¨orperproblem aus zwei Anteilen zusammen: L = R × P + r × p.

(7.9)

Sowohl der Gesamtmasse als auch der effektiven Masse l¨asst sich ein Drehimpuls zuordnen. Gem¨ aß Abschnitt 6.5 besitzt das Zweik¨orperproblem maximal 2 · (2 · 3) − 1 = 11 Erhaltungsgr¨ oßen. Z¨ ahlen wir diese! Gesehen haben Sie bereits, dass man Schwerpunktsund Relativbewegung als voneinander entkoppelt betrachten kann. Jeder einzelnen der beiden Bewegungen lassen sich somit jeweils f¨ unf Erhaltungsgr¨oßen zuordnen. F¨ ur die Schwerpunktsbewegung liefert der Gesamtimpuls drei Erhaltungsgr¨oßen, die Schwerpunktsenergie eine und der Drehimpuls des Schwerpunkts noch einmal drei. Da jedoch der im Drehimpuls vorkommende Gesamtimpuls bereits zu den Erhaltungsgr¨oßen gez¨ ahlt wird und dieser außerdem in der Schwerpunktsenergie auftritt, bleiben aufgrund dieser beiden Nebenbedingungen nur f¨ unf Erhaltungsgr¨oßen f¨ ur die Bewegung des Schwerpunkts u ¨brig. Im Falle der Relativbewegung gibt es mit dem Drehimpuls drei Erhaltungsgr¨oßen, mit der Energie eine und mit dem Lenz-Runge-Vektor nochmal eine, was auf f¨ unf Erhaltungsgr¨ oßen f¨ uhrt. Beachten Sie, dass gem¨ aß Aufgabe 6.4 der Lenz-Runge-Vektor sowohl mit der Energie als auch dem Drehimpuls verkn¨ upft ist. Aufgrund dieser beiden Nebenbedingungen verbleibt von den urspr¨ unglichen drei Komponenten des Lenz-RungeVektors, die als Erhaltungsgr¨ oßen in Frage kommen, nur eine einzige. Insgesamt ergeben sich auf diese Weise zehn Erhaltungsgr¨ oßen. Die verbleibende elfte Erhaltungsgr¨oße ist der Zeitnullpunkt, der f¨ ur die Bewegung des Schwerpunkts als auch die Relativbewegung u ahlt werden muss. ¨bereinstimmend gew¨

7.2 Stoßprozesse

153

Die Bewegung zweier K¨ orper der Massen m1 und m2 , die auf sich gegenseitig eine Kraft aus¨ uben, l¨ asst sich in zwei einzelne Bewegungen zerlegen: eine Bewegung des Schwerpunkts mit der Gesamtmasse M = m1 + m2 und eine Relativbewegung der effektiven Masse µ = m1 m2 /(m1 + m2 ). Beide Bewegungen sind voneinander entkoppelt. Dies bedeutet, dass die Bewegungsgleichung f¨ ur die Bewegung des Schwerpunkts bzw. f¨ ur die Relativbewegung getrennt voneinander gel¨ost werden k¨ onnen. Es gibt sowohl f¨ ur Energie als auch Drehimpuls einen Anteil, welcher ausschließlich der Schwerpunktsbewegung zugeordnet werden kann und einen Anteil, der nur mit der Relativbewegung zusammenh¨angt.

7.2

Stoßprozesse

Eine wichtige Anwendung der Behandlung des Zweik¨orperproblems aus den vorherigen Abschnitten stellt die Untersuchung dar, wie sich die Geschwindigkeit und die Richtung zweier Massen ¨ andert, nachdem diese miteinander in Wechselwirkung getreten sind. Einen derartigen physikalischen Vorgang bezeichnet man gemeinhin als Stoßprozess oder einfach Stoß. Es gibt viele M¨ oglichkeiten, wie solche St¨oße ablaufen k¨onnen, je nachdem welche Annahmen man trifft. Der einfachste Stoß ist der zweier Punktmassen, zwischen denen keine Kraft wirkt, außer in dem Zeitpunkt, wenn die beiden Massen aufeinander treffen. Hierbei verschwindet die Kraft: F(r) = 0 (außer f¨ ur den Zeitpunkt, bei dem sich die Massen ber¨ uhren). Dieser Fall soll als erstes untersucht werden.

7.2.1

Elastische St¨oße zweier Punktmassen

St¨ oße zweier Punktmassen, bei denen sich die Massen nach dem Stoß unabh¨angig voneinander weiterbewegen, nennt man elastisch. Um die physikalischen Gesetzm¨aßigkeiten eines solchen Stoßes zu verstehen, werden die Erhaltungsgr¨oßen beim Zweik¨orperproblem ausgenutzt. Im Prinzip k¨ onnte man mit den Koordinaten r1 und r2 der einzelnen Punktmassen arbeiten. Dennoch ist es sinnvoll, zun¨achst Schwerpunkts- und Relativkoordinaten zu gebrauchen, um mit diesen vertraut zu werden. Aus der Erhaltung des Schwerpunktsimpulses folgt sofort, dass die Summe der Impulse der einzelnen Punktmassen erhalten ist: ! ˙ = 0 ⇒ P = m1 r˙ 1 + m2 r˙ 2 = P P0 .

(7.10)

Die Tatsache, dass der erhaltene Schwerpunktsimpuls P0 nicht bekannt ist, st¨ort an dieser Stelle nicht. Schließlich kann man wegen der Erhaltung von P die Summe der Impulse vor dem Stoß mit der Summe nach dem Stoß gleichsetzen und erh¨alt so folgenden Zusammenhang: m1 r˙ 1,i + m2 r˙ 2,i = m1 r˙ 1,f + m2 r˙ 2,f .

(7.11)

Hierbei steht der Index i f¨ ur vor dem Stoß“ (initial) und der Index f f¨ ur nach dem ” ” Stoß“ (final). Als n¨ achstes kann man sich die Erhaltung der Energie der Schwerpunkts-

154

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

bewegung und die der Relativbewegung n¨ aher anschauen. F¨ ur die Schwerpunktsbewegung ergibt sich durch Ausmultiplizieren:   d 1 ˙2 MR = 0 , (7.12a) dt 2  2 2 1 m1 r˙ 1 + m2 r˙ 2 (m1 r˙ 1 + m2 r˙ 2 ) ⇒ M = = E0,S , (7.12b) 2 M 2M m21 2 m1 m2 m2 r˙ 1 + r˙ 1 · r˙ 2 + 2 r˙ 22 = E0,S , (7.12c) 2M M 2M wobei E0,S die erhaltene Energie des Schwerpunkts sein soll. Ebenso kann man die erhaltene Energie E0,r der Relativbewegung ausmultiplizieren und erh¨alt auf diese Weise:   d 1 2 1 µ˙r = 0 ⇒ µ(˙r1 − r˙ 2 )2 = E0,r . (7.13a) dt 2 2 1 2 1 µ˙r − µ˙r1 · r˙ 2 + µ˙r22 = E0,r . (7.13b) 2 1 2 Addition der erhaltenden Schwerpunktsenergie und der Energie f¨ ur die Relativbewegung eliminiert den gemischten Term, der das Skalarprodukt r˙ 1 · r˙ 2 enth¨alt. Die restlichen Terme lassen sich dann geschickt zusammenfassen: m21 2 1 2 m2 1 r˙ 1 + µ˙r1 + 2 r˙ 22 + µ˙r22 = E0,S + E0,r ≡ E0 , (7.14a) 2M 2 2M 2 m1 (m1 + m2 ) 2 m2 (m1 + m2 ) 2 r˙ 1 + r˙ 2 = E0 , (7.14b) 2M 2M 1 1 m1 r˙ 21 + m2 r˙ 22 = E0 . (7.14c) 2 2 Hierbei ist E0 die erhaltene kinetische Energie der beiden Bewegungsanteile. Damit kann man die Summe aus den kinetischen Energien beider Punktmassen vor und nach dem Stoß miteinander in Verbindung setzen: 1 1 1 1 m1 r˙ 21,i + m2 r˙ 22,i = m1 r˙ 21,f + m2 r˙ 22,f . (7.15) 2 2 2 2 Beim Stoß zweier Punktmassen m1 und m2 , zwischen denen (außer zum Zeitpunkt des Aufeinandertreffens) keinerlei Kr¨ afte wirken, ist die Summe der einzelnen Impulse und kinetischen Energien erhalten. Dies f¨ uhrt auf die folgenden beiden Gleichungen, welche die entsprechenden Geschwindigkeitsvektoren vor (i) und nach dem Stoß (f ) miteinander verkn¨ upfen: m1 r˙ 1,i + m2 r˙ 2,i = m1 r˙ 1,f + m2 r˙ 2,f , 1 1 1 1 m1 r˙ 21,i + m2 r˙ 22,i = m1 r˙ 21,f + m2 r˙ 22,f . 2 2 2 2

(7.16a) (7.16b)

Mit Hilfe der Gleichungen lassen sich aus beliebigen Geschwindigkeitsvektoren vor dem Stoß die entsprechenden Geschwindigkeiten nach dem Stoß ermitteln.

7.2 Stoßprozesse

155

¨ Ubungsaufgabe 7.2: Spielen mit Glaskugeln Eine Glaskugel der Masse m treffe mit der Geschwindigkeit v auf eine zweite ruhende Glaskugel der Masse M . Der Stoß sei vollkommen elastisch, und die Ausdehnung der Kugeln werde vernachl¨ assigt. 1) Bestimmen Sie die Geschwindigkeiten der beiden Kugeln nach dem Stoß. 2) Was passiert f¨ ur die beiden Grenzf¨ alle M  m und m  M ?

L¨osung zu Aufgabe 7.2 Da der Stoß laut Voraussetzung elastisch abl¨ auft, ist sowohl die Summe der Impulse als auch die Summe der Energien beider Kugeln erhalten. a) Damit kann man die folgenden Gleichungen aufstellen: mv = mv1,f + M v2,f ,

(7.17a)

m 2 m 2 M 2 v = v1,f + v . (7.17b) 2 2 2 2,f Die erste Gleichung l¨ asst sich problemlos nach v2,f aufl¨osen und in die zweite Gleichung einsetzen: m v2,f = (v − v1,f ) , (7.18) M m 2 m 2 M m2 v = v1,f + · (v − v1,f )2 2 2 2 M2 m 2 m2 2 2 = v1,f + (v − 2vv1,f + v1,f ) 2 2M m m 2 m2 m2 2 = 1+ v1,f − vv1,f + v . (7.19) 2 M M 2M Letztere Gleichung ist quadratisch. Mit Hilfe der Mitternachtsformel kann sie gel¨ ost werden: √ −b ± b2 − 4ac (1,2) v1,f = , (7.20a) 2a  m m m2 mm a= 1+ , b=− v, c = − 1 v2 . (7.20b) 2 M M 2 M Berechnen wir zun¨ achst den Radikanden unter der Wurzel:   m4 m mm b2 − 4ac = 2 v 2 − 2m 1 + · − 1 v2 M M 2 M  m4 2 m  m 2 2 = 2v + m 1 + 1− v M M  M  m4 m2 (7.21) = 2 v 2 + m2 1 − 2 v 2 = m2 v 2 . M M

156

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme Damit folgt als L¨ osung: (1)

m2 v/M + mv mv(m/M + 1) = = v, m(1 + m/M ) m(m/M + 1)   v(m/M − 1) 2v 2M = =v− =v 1− . m/M + 1 1 + m/M m+M

v1,f = (2)

v1,f

(7.22a)

(7.22b)

Die erste L¨ osung f¨ uhrt nach Einsetzen in Gleichung (7.18) auf v2,f = 0. Mit Hilfe der Ausgangsgleichungen erkennt man, dass es sich dabei nur f¨ ur m = M um eine L¨ osung handelt. Es kann nicht die allgemeine L¨osung sein, und von daher kann nur die L¨ osung aus Gleichung (7.22b) in Frage kommen. Letztendlich folgt mit Gleichung (7.18):    2M m 2M v 2mv m v2,f = v 1− 1− = · = . (7.23) M m+M M m+M m+M Also bewegen sich die Glaskugeln nach dem Stoß mit den Geschwindigkeiten   2M 2mv v1,f = v 1 − , v2,f = . (7.24) m+M m+M b) Um zu verstehen, was f¨ ur M  m passiert, bildet man am besten den Grenzwert M 7→ ∞ der beiden Ausdr¨ ucke:   2M v1,f |M m = lim v 1 − = −v , (7.25a) M 7→∞ m+M 2mv = 0. (7.25b) m+M Das sieht sinnvoll aus. Die erste Glaskugel wird nach dem Stoß mit einer ruhenden unendlich schweren Kugel in entgegengesetzte Richtung reflektiert. Das ist so, als ob die erste Kugel auf eine Wand tr¨ afe und mit derselben Geschwindigkeit in umgekehrter Richtung zur¨ uck rollt. Im Falle m  M passiert folgendes:   2M v1,f |mM = lim v 1 − = v, (7.26a) m7→∞ m+M v2,f |M m = lim

M 7→∞

2mv = 2v . (7.26b) m+M Auch das ergibt physikalisch Sinn. Ist die erste Kugel sehr schwer, rollt sie nach dem Auftreffen auf die zweite Kugel unbeeindruckt mit derselben Geschwindigkeit weiter. Die zweite Kugel wird so stark getroffen, dass sie sich mit der doppelten Geschwindigkeit der ersten Kugel in dieselbe Richtung bewegt. v2,f |mM = lim

m7→∞

7.2 Stoßprozesse

157

Bei derartigen Aufgaben ist es immer sinnvoll (sofern Sie Zeit haben), die berechneten Formeln anhand von Extremf¨ allen zu u ufen, auch wenn das nicht ¨berpr¨ ausdr¨ ucklich verlangt ist. Extremf¨ alle kann man aus der Alltagserfahrung oft gut nachvollziehen. Wenn sich in einem solchen Falle ein erkennbar unsinniges Ergebnis ergibt, dann k¨ onnen auch die allgemeinen Formeln nicht richtig sein, und die ¨ Rechnung bedarf einer Uberpr¨ ufung.

7.2.2

Inelastische St¨oße zweier Punktmassen

Neben den elastischen St¨ oßen gibt es auch solche, bei denen sich die Punktmassen nach dem Aufeinandertreffen nicht mehr wieder voneinander trennen, sondern sich als eine einzige Masse weiterbewegen. Solche St¨ oße bezeichnet man als inelastisch. Im Gegensatz zu den elastischen St¨ oßen u ¨ben hier die Massen auch nach der Kollision eine Kraft aufeinander aus, die weder von der Zeit noch vom Ort abh¨angt. Sie sorgt einfach daf¨ ur, dass die beiden zusammen bleiben. Damit entspricht die Relativkoordinate nach dem Stoß dem Nullvektor: r = 0. Das zur Kraft geh¨orende Potenzial sei V (r). Es muss so gestrickt sein, dass die Kraft zwischen den beiden Massen nach dem Stoß ausschließlich f¨ ur r = 0 auftritt. Dann gilt: 1 µ(˙r1 − r˙ 2 )2 = E0,r 2

(7.27)

vor dem Stoß und V (0) = E0,r nach dem Stoß. Die kinetische Energie der Relativbewegung vor dem Stoß steckt nach dem Stoß vollst¨andig in der potenziellen Energie. Da nicht klar ist, wie die wirkende Kraft aussieht (geschweige denn das Potenzial), handelt es sich bei den letzten beiden Gleichungen um keinerlei hilfreiche Aussagen, um das Problem zu l¨ osen. Man weiß jedoch, dass sich nach dem Stoß beide Massen zusammen mit derselben Geschwindigkeit r˙ f bewegen. Aus der Erhaltung des Gesamtimpulses ergibt sich dann folgender Zusammenhang: m1 r˙ 1 + m2 r˙ 2 = M r˙ f ,

M = m1 + m2 .

(7.28)

Die Erhaltung der Schwerpunktsenergie folgt aus Gleichung (7.28) durch Quadrieren und Division durch 2M : M r˙ 2f (m1 r˙ 1 + m2 r˙ 2 )2 = . 2M 2

(7.29)

Darin steckt folglich keinerlei neue Information, die weiterhilft. Stoßen zwei Punktmassen m1 und m2 aufeinander, dann trennen sie sich nach dem Stoß nicht mehr voneinander, sondern bewegen sich zusammen mit der Geschwindigkeit r˙ f . Nur der Schwerpunktsimpuls ist dann erhalten. Aus den anf¨anglichen

158

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

Geschwindigkeiten r˙ 1 und r˙ 2 ergibt sich gem¨aß der folgenden Formel die Geschwindigkeit nach dem Stoß: m1 r˙ 1 + m2 r˙ 2 = M r˙ f ,

M = m1 + m2 .

(7.30)

¨ Ubungsaufgabe 7.3: Spielen mit Knetmasse Zwei Kugeln der Masse m bzw. M aus Knete bewegen sich mit den Geschwindigkeitsvektoren     1 −1 v1 = v , v2 = v . (7.31) −1 0 Die Kugeln treffen aufeinander und bleiben nach dem Stoß aneinander haften. Der Stoß werde also als inelastisch angenommen, und die Ausdehnung der Kugeln werde vernachl¨ assigt. a) Bestimmen Sie die Geschwindigkeit des zusammengeklebten Objekts nach dem Stoß. b) Diskutieren Sie die Grenzf¨ alle M  m und m  M .

L¨osung zu Aufgabe 7.3 Bei diesem inelastischen Stoß ist nur die Summe aus den Impulsen der beteiligten Kugeln erhalten. a) Man erh¨ alt damit die folgende Gleichung:     1 −1 mv + Mv = (m + M )vf . −1 0

(7.32)

Sie kann problemlos nach vf , also der Geschwindigkeit des Objekts nach dem Stoß, aufgel¨ ost werden:   v m−M vf = . (7.33) −m m+M b) F¨ ur die beiden Extremf¨ alle ergeben sich die folgenden Geschwindigkeiten:     v m−M −1 vf |M m = lim =v . (7.34) −m 0 M 7→∞ m + M     v m−M 1 vf |mM = lim =v (7.35) −m −1 m7→∞ m + M F¨ ur M  m bewegt sich das Objekt nach dem Stoß im Wesentlichen mit der Geschwindigkeit der zweiten Kugel weiter, ohne von der ersten Kugel beeinflusst zu werden. F¨ ur m  M verh¨ alt sich das Ganze umgekehrt.

7.3 Gekoppelte Schwingungen

7.3

159

Gekoppelte Schwingungen

Der harmonische Oszillator aus Abschnitt 5.2 stellt eines der wichtigsten Systeme der klassischen Mechanik dar. Die Einf¨ uhrung in Kapitel 5 liefert die Grundlagen daf¨ ur, im Folgenden Schwingungen von zwei oder mehreren Teilchen zu betrachten. Schauen Sie sich dazu Abbildung 7.2 an. Die gezeigte Anordnung setzt sich aus zwei gleichen Punktmassen m und drei Federn zusammen, von denen die innere die Federkonstante D1 und die beiden ¨ außeren die Federkonstanten D2 besitzen sollen. Die ¨außeren Federn seien an einer Wand befestigt. Die Gewichtskraft werde außer Acht gelassen, denn das Interesse liegt einzig und allein auf der Schwingung der Massen. In Analogie zu Abschnitt 5.2 k¨ onnen Sie sich auch vorstellen, dass die Massen reibungsfrei auf einer Unterlage gleiten. Wie lauten nun die Bewegungsgleichungen f¨ ur die beiden Teilchen? Es ist sinnvoll, den Ursprung des Koordinatensystems in eine der Massen zu legen; die Entscheidung f¨ allt auf das linke der beiden Teilchen. Ist x1 die Auslenkung der linken Punktmasse und x2 die Auslenkung der rechten, dann bewegen sich beide gem¨aß Abschnitt 3.2 jeweils in folgenden Potenzialen: V1 (x1 ) =

1 1 D1 x21 + D2 (x1 − x2 )2 , 2 2

(7.36a)

1 1 D2 (x1 − x2 )2 + D1 x22 . (7.36b) 2 2 Die Kr¨ afte auf die Teilchen ergeben sich mittels des negativen Gradienten, was im eindimensionalen Fall der Ableitung nach x1 bzw. x2 entspricht: V2 (x2 ) =

F1 (x1 ) = −V10 (x1 ) = −D1 x1 − D2 (x1 − x2 ) , F2 (x2 ) =

−V20 (x2 )

= D2 (x1 − x2 ) − D1 x2 .

(7.37a) (7.37b)

Die Bewegungsgleichungen lauten damit: m¨ x1 = −D1 x1 − D2 (x1 − x2 ) = −(D1 + D2 )x1 + D2 x2 ,

(7.38a)

m¨ x2 = D2 (x1 − x2 ) − D1 x2 = D2 x1 − (D1 + D2 )x2 .

(7.38b)

Wie Sie sehen, sind diese Differenzialgleichungen nun miteinander gekoppelt; in beiden Gleichungen treten sowohl x1 als auch x2 auf. Das ist charakteristisch f¨ ur die Bewegungsgleichungen mehrerer harmonischer Oszillatoren, die miteinander verbunden sind.

Abb. 7.2: Zwei Massen m, die jeweils an einer Feder der Federkonstante D1 bzw. D2 befestigt sind. Der Nullpunkt der horizontalen Achse entspreche der Ruhelage der linken Masse.

160

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

In diesem Fall ist die Feder in der Mitte, an welcher beide Teilchen befestigt sind, f¨ ur die Kopplung verantwortlich. An den Bewegungsgleichungen sieht man das daran, dass nur die Federkonstante D2 zusammen mit der jeweils anderen Koordinaten vorkommt. Wie l¨ ost man diese gekoppelten Bewegungsgleichungen? Zun¨achst macht man zur L¨osung einen Ansatz. Da es sich um harmonische Oszillatoren handelt, ist auf jeden Fall ein Ansatz der Form exp(iωt) sinnvoll. Es stellt sich dann jedoch die Frage, ob man ω f¨ ur beide Massen als gleich oder unterschiedlich w¨ahlt. Ist ω gleich, dann schwingen beide Massen mit derselben Frequenz. Anfangs ist es sinnvoll, diese Annahme zu machen und deshalb mit folgendem Ansatz zu versuchen, die Bewegungsgleichungen zu l¨osen: x1 (t) = a1 exp(iωt) ,

x2 (t) = a2 exp(iωt) .

(7.39)

Einsetzen in Gleichung (7.38) und eine anschließende Division durch exp(iωt) liefert dann: −mω 2 a1 = −(D1 + D2 )a1 + D2 a2 ,

(7.40a)

−mω 2 a2 = D2 a1 − (D1 + D2 )a2 .

(7.40b)

Dabei handelt es sich nun um ein gew¨ ohnliches lineares Gleichungssystem f¨ ur die Amplituden a1 und a2 der Schwingungen der beiden Massen aus dem gemachten Ansatz. Werfen Sie nochmal einen Blick in Kapitel 5.2, so sehen Sie, dass die Amplitude des Ansatzes aus der Bewegungsgleichung des einfachen harmonischen Oszillators herausf¨allt. Hier ist das nicht der Fall, da die Amplituden der Teilchen nicht notwendigerweise gleich sind. Beachten Sie außerdem, dass ebenso die Frequenz ω noch nicht bekannt ist. Lineare Gleichungssysteme schreibt man sinnvollerweise in Matrixform. Es ergibt sich dann f¨ ur Gleichung (7.40):      mω 2 − (D1 + D2 ) D2 a1 0 = . (7.41) a2 0 D2 mω 2 − (D1 + D2 ) Unschwer erkennt man, dass es sich um ein homogenes Gleichungssystem handelt. Ein wichtiges Ergebnis der linearen Algebra ist, dass ein solches nur dann eine nichttriviale L¨ osung (in diesem Falle f¨ ur die Amplituden a1 und a2 ) besitzt, sofern die Determinante der Koeffizientenmatrix verschwindet:   mω 2 − (D1 + D2 ) D2 ! det = 0. (7.42) D2 mω 2 − (D1 + D2 )

Abb. 7.3: Miteinander schwingende gekoppelte Massen.

7.3 Gekoppelte Schwingungen

161

Abb. 7.4: Gegeneinander schwingende gekoppelte Massen.

Da m, D1 und D2 die Parameter des Systems sind, l¨asst sich aus dieser Bedingung die Kreisfrequenz ω bestimmen, ohne Kenntnis u ¨ber die Amplituden a1 und a2 zu haben. Es folgt: !

[mω 2 − (D1 + D2 )]2 − D22 = 0 ,

(7.43)

woraus sich die beiden folgenden Gleichungen ergeben: mω 2 − (D1 + D2 ) = D2 ,

mω 2 − (D1 + D2 ) = −D2 .

(7.44)

Jede dieser Gleichungen kann nach ω aufgel¨ ost werden. Insgesamt erh¨alt man somit vier L¨ osungen f¨ ur ω: r r D1 + 2D2 D1 ± ± ω1 = ± , ω2 = ± . (7.45) m m Um zu verstehen, was diese L¨ osungen physikalisch bedeuten, bestimmt man nun die L¨ osung von Gleichung (7.41) f¨ ur die jeweiligen ω. Diese gibt die Amplituden a1 und a2 an, die f¨ ur die jeweils gegebene Kreisfrequenz ω m¨oglich sind. Einsetzen von ω1± f¨ uhrt zun¨ achst auf:           D2 D2 a1 0 11 a1 0 = ⇔ = . (7.46) D2 D2 a2 0 00 a2 0 Beide Zeilen der Koeffizientenmatrix sind linear abh¨angig, womit es unendlich viele L¨ osungen gibt. Diese sind charakterisiert durch a1 = −a2 . Daher sind die Amplituden der beiden Massen betragsm¨ aßig gleich groß, aber entgegengesetzt gerichtet. Wenn sich die erste Masse nach rechts bewegt, muss sich die zweite Masse gleichzeitig nach links bewegen und umgekehrt. Beide Massen schwingen also in diesem Fall gegeneinander (siehe Abbildung 7.3). F¨ ur die Kreisfrequenzen ω2± ergibt sich dementsprechend:           −D2 D2 a1 0 −1 1 a1 0 = ⇔ = . D2 −D2 a2 0 0 0 a2 0

(7.47)

162

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

Auch dieses System besitzt unendlich viele L¨osungen, die jedoch hier durch die Bedingung a1 = a2 gekennzeichnet sind. Hier sind also beide Amplituden sowohl vom Betrag als auch von der Richtung her gleich. Bewegt sich die erste Masse nach rechts, so auch die zweite Masse. Beide schwingen dann miteinander, und die Feder in der Mitte spielt keine Rolle (siehe Abbildung 7.4). Das sieht man auch daran, dass in ω2± die Federkonstante D2 nicht vorkommt. Wie bisher ergibt sich die allgemeine (komplexe) L¨osung der linearen Bewegungsgleichung durch Linearkombination der einzelnen L¨osungen. Es gibt eine solche L¨osung f¨ ur die Koordinate z1 (t) der ersten Masse und eine f¨ ur die Koordinate z2 (t) der zweiten Masse. Um die Gesamtl¨ osung zu bestimmen, ben¨otigt man jeweils vier komplexe Konstanten. F¨ ur z1 (t) seien diese e ci± mit i ∈ {1,2}. Dann gilt: z1 (t) = =

4 X

e ci exp(iωi t) i=1 e c1+ exp(iω1+ ) + e c1− exp(−iω1+ ) +e c2+ exp(iω2+ ) + e c2− exp(−iω2+ ) .

(7.48)

Die L¨ osung f¨ ur z2 (t) sieht analog aus, enth¨ alt jedoch andere Konstanten de± i ∈ {1,2}. Da es sich bei den Bewegungsgleichungen um Differenzialgleichungen zweiter Ordnung handelt und zwei Massen im Spiel sind, kann es jedoch nur 2 · 2 = 4 Konstanten geben, die durch Anfangsbedingungen festgelegt werden m¨ ussen. Dieser vermeintliche Widerspruch l¨ ost sich auf, indem man die beiden obigen Nebenbedingungen a1 = −a2 bzw. a1 = a2 f¨ ur die jeweiligen Kreisfrequenzen beachtet. Damit sind bestimmte Konstanten abh¨ angig voneinander. Betrachtet man nur den Teil der L¨osung, welcher die Frequenzen ω1± beinhaltet, so ergibt sich aus a1 = −a2 sofort e c1± = −de± ur den anderen Teil, der 1 . F¨ ± sich ausschließlich aus ω2 zusammensetzt, folgt aus a1 = a2 die Gleichheit von e c2± und ± e d2 . Setzt man r r D1 + 2D2 D1 + + ω1 ≡ ω1 = , ω2 ≡ ω2 = , (7.49) m m dann l¨ asst sich letztendlich die allgemeine reelle L¨osung der Bewegungsgleichungen dieses gekoppelten harmonischen Oszillators wie folgt schreiben: − x1 (t) ≡ Re[z1 (t)] = − c+ 1 cos(ω1 t) − c1 sin(ω1 t) − + c+ 2 cos(ω2 t) + c2 sin(ω2 t) ,

(7.50a)

− x2 (t) ≡ Re[z2 (t)] = c+ 1 cos(ω1 t) + c1 sin(ω1 t) − + c+ 2 cos(ω2 t) + c2 sin(ω2 t)

(7.50b)

mit den vier Konstanten c± ur i ∈ {1,2}. Man kann diese L¨osung auch in Vektornoi ∈ R f¨ tation darstellen. Nutzt man dazu außerdem die M¨oglichkeit, eine Amplitude und eine

7.3 Gekoppelte Schwingungen

163

Phasenverschiebung als freie Konstanten einer Teill¨osung zu benutzen,1 erh¨alt man:   x1 (t) = [c1 cos(ω1 t + ϕ1 )]a1 + [c2 cos(ω2 t + ϕ2 )]a2 , (7.51a) x2 (t)     −1 1 a1 = , a2 = . (7.51b) 1 1 Die eben definierten Vektoren a1 und a2 sind charakteristisch f¨ ur die L¨osungen, welche die Schwingung der Massen gegeneinander bzw. miteinander beschreiben. Beide L¨osungen spannen einen zweidimensionalen Vektorraum auf, denn Linearkombinationen der L¨ osungen sind wieder L¨ osungen. Außerdem kann man die zwei Arten von L¨osungen als orthogonal zueinander auffassen. Schließlich gilt ja a1 · a2 = 0. Man nennt deshalb die beiden durch die Kreisfrequenzen von Gleichung (7.49) definierten L¨osungen Normalmoden der Schwingung. Beachten Sie, dass man die erste der beiden Normalmoden auch in folgender Form schreiben kann:     −1 − cos(ω1 t + ϕ1 ) [c1 cos(ω1 t + ϕ1 )] = c1 1 cos(ω1 t + ϕ1 )   cos(ω1 t + ϕ1 + π) = c1 . (7.52) cos(ω1 t + ϕ1 ) Hier wurde in der ersten Zeile das Minuszeichen mit Hilfe des Additionstheorems als zus¨ atzliche Phasenverschiebung von π in die Kosinusfunktion gesteckt. Das ist m¨oglich, denn cos(x + π) = cos(x) cos(π) − sin(x) sin(π) = − cos(x) .

(7.53)

Diese Phasenverschiebung von π deutet an, dass in dieser Normalmode beide Massen gegeneinander schwingen. Bewegt sich die eine Masse durch die Ruhelage nach rechts, so befindet sie sich in einem Maximum der zugeh¨origen Kosinusfunktion. Die Phase der anderen Masse ist um π verschoben; sie befindet sich somit in einem Minimum und bewegt sich daher nach links. In der zweiten Normalmode tritt kein Minuszeichen und daher auch keine Phasenverschiebung auf. Man spricht im ersten Fall von einer gegenphasigen Bewegung und im letzteren von einer gleichphasigen. Zwei harmonische Oszillatoren der Masse m und Federkonstante D1 , die durch eine Federkonstante D2 miteinander gekoppelt sind, gen¨ ugen dem Orts-Zeit-Gesetz von Gleichung (7.51). Die gesamte L¨ osung ist eine Linearkombination zweier Normalmoden, welche durch die Kreisfrequenzen r r D1 + 2D2 D1 ω1 = , ω2 = (7.54) m m charakterisiert sind. In der ersten Normalmode schwingen die Massen gegenphasig, in der zweiten Normalmode gleichphasig. 1 Es

− wird also c+ i cos(ωi t) + ci sin(ωi t) durch ci cos(ωi t + ϕi ) ersetzt, was gleichwertig ist.

164

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

Welche weiteren Eigenschaften besitzt die allgemeine L¨osung in Gleichung (7.51)? F¨ ur c1 6= 0 und c2 = 0 tritt nur die gegenphasige Normalmode auf, f¨ ur c1 = 0 und c2 6= 0 nur ¨ die gleichphasige. Wenn sowohl c1 als auch c2 ungleich null ist, dann liegt eine Uberlagerung beider Normalmoden vor. Um zu sehen, welche Bewegung beide Massen in diesem Falle vollziehen, ist analog zu Abschnitt 5.2 die Betrachtung eines Anfangswertproblems sinnvoll. Dabei m¨ ussen Ort und Geschwindigkeit jeder der beiden Massen zu einem bestimmten Zeitpunkt festgelegt werden. Dies f¨ uhrt auf vier Gleichungen, mit denen sich die vier ben¨ otigten Konstanten bestimmen lassen. Betrachtet werden soll das Anfangswertproblem x1 (0) = 0, x2 (0) = 2, x˙ 1 (0) = 0 und x˙ 2 (0) = 0. Aus Gleichung (7.51) erh¨ alt man folgendes Gleichungssystem: !

x1 (0) = −c1 cos ϕ1 + c2 cos ϕ2 = 0 ,

(7.55a)

!

x2 (0) = c1 cos ϕ1 + c2 cos ϕ2 = 2 ,

(7.55b) !

x˙ 1 (0) = c1 ω1 sin ϕ1 − c2 ω2 sin ϕ2 = 0 , !

(7.55c)

x˙ 2 (0) = −c1 ω1 sin ϕ1 − c2 ω2 sin ϕ2 = 0 .

(7.55d)

Addition der ersten beiden Gleichungen f¨ uhrt auf c2 cos ϕ2 = 1. Durch Addition der dritten und vierten Gleichung erh¨ alt man c2 ω2 sin ϕ2 = 0. Im Prinzip kann man die beiden Gleichungen durcheinander dividieren, woraus tan ϕ2 = 0 folgt. Damit ist ϕ2 = 0 bereits festgelegt.2 Aus c2 cos ϕ2 = 1 resultiert weiterhin sofort c2 = 1. Subtrahiert man

(a) Orts-Zeit-Gesetz der ersten Masse

(b) Orts-Zeit-Gesetz der zweiten Masse

Abb. 7.5: Darstellung der Orts-Zeit-Gesetze der beiden gekoppelten harmonischen Oszillatoren aus Gleichung (7.58) in Abh¨ angigkeit von der Zeit f¨ ur D1 = 1,00 N/m, D2 = 0,105 N/m und m = 1,00 kg. Die Orts-Zeit-Gesetze sind in blau gezeigt, wohingegen die Einh¨ ullende als rote, gestrichene Kurve dargestellt ist. 2 Die Gleichung besitzt durch t = nπ mit n ∈ Z unendlich viele L¨ osungen. Die Kenntnis einer einzigen reicht jedoch aus.

7.3 Gekoppelte Schwingungen

165

wiederum die ersten beiden Gleichungen bzw. die letzten beiden, dann ist c1 cos ϕ1 = 1 bzw. c1 ω1 sin ϕ1 = 0. Auch hier erweist sich eine Division dieser Gleichungen als sinnvoll, denn sie f¨ uhrt auf tan ϕ1 = 0 und somit ϕ1 = 0. Aus c1 cos ϕ1 = 1 ergibt sich so c1 = 1. Alle vier zu bestimmenden freien Konstanten sind auf diese Weise festgelegt. Die L¨osung des Anfangswertproblems lautet:     x1 (t) − cos(ω1 t) + cos(ω2 t) = cos(ω1 t) a1 + cos(ω2 t) a2 = . (7.56) x2 (t) cos(ω1 t) + cos(ω2 t) Um diese L¨ osung physikalisch zu verstehen, ist eine alternative Darstellung hilfreich. Dazu sind die folgenden beiden Umformungen trigonometrischer Funktionen dienlich:     x−y x+y cos(x) + cos(y) = 2 cos cos , (7.57a) 2 2     x−y x+y cos(x) − cos(y) = −2 sin sin . (7.57b) 2 2 Mit diesen Beziehungen l¨ asst sich x1 (t) bzw. x2 (t) auf eine Form bringen, die sich anstelle aus der Summe zweier trigonometrischer Funktionen aus einem Produkt zusammensetzt:     ω2 − ω1 ω2 + ω1 x1 (t) = −2 sin t sin t , (7.58a) 2 2     ω2 − ω1 ω2 + ω1 x2 (t) = 2 cos t cos t . (7.58b) 2 2 Jede der L¨ osungen beinhaltet eine trigonometrische Funktion, die mit der halben Differenz der Kreisfrequenzen beider Normalmoden schwingt und eine, die mit der halben Summe beider Kreisfrequenzen schwingt. Skizziert sind die L¨osungen in Abbildung 7.5 f¨ ur eine spezielle Wahl der Masse und der Federkonstanten. Bei einem derartigen Produkt aus zwei trigonometrischen Funktionen mit unterschiedlichen Frequenzen beschreibt ¨ die mit der niedrigeren Frequenz schwingende Funktion die Anderung der Amplitude der mit der h¨ oheren Frequenz schwingenden Funktion. Man spricht dabei auch von einer Modulation der Amplitude und nennt die mit der niedrigen Frequenz schwingende Funktion die Einh¨ ullende. Schwingt die erste Masse mit der maximalen Amplitude, so ruht die zweite Masse. W¨ ahrend die Amplitude der Schwingung der ersten Masse nach Durchlaufen des Maximums abnimmt, steigt die Amplitude der Schwingung der zweiten Masse entsprechend an und umgekehrt. Eine gekoppelte Schwingung zweier Massen mit den Schwingungsfrequenzen ω1 und ω2 (ω2 > ω1 ) der Normalmoden, bei denen die Amplituden der Schwingung der Massen abwechselnd zu- und abnehmen, nennt man Schwebung. Die Periodendauer TS der Schwebung ist die Zeitdauer zwischen den Zeitpunkten, an denen die Amplitude einer der beiden Massen ihren maximalen Wert annimmt. Die Schwebungsfrequenz ist dann ωS = 2π/TS = (ω2 − ω1 )/2, wohingegen die Frequenz der gekoppelten Schwingung an sich durch (ω2 + ω1 )/2 gegeben ist.

166

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

¨ Ubungsaufgabe 7.4: Schwerpunktskoordinaten beim harmonischen Oszillator Gegeben seien zwei Massen m1 und m2 , die u ¨ber eine Feder mit der Federkonstanten D und der L¨ ange a verbunden sind (siehe Abbildung 7.6). a) Wie lauten die Bewegungsgleichungen f¨ ur die Koordinaten x1 und x2 ? b) F¨ uhren Sie Schwerpunkts- und Relativkoordinaten ein. Wie groß ist die Eigenfrequenz ω0 des Systems? c) Bestimmen Sie das Verh¨ altnis m1 /m2 , f¨ ur welches ω0 minimal wird.

Abb. 7.6: Zwei Massen m1 und m2 , verbunden u ¨ber eine Feder mit Federkonstante D.

¨ Ubungsaufgabe 7.5: Gekoppelte Schwingung mit drei Massen Betrachten Sie drei gleiche Massen m, von denen jeweils zwei u ¨ber eine Feder der Federkonstante D und der L¨ ange L miteinander verbunden sind. a) Wie lauten die Bewegungsgleichungen jeder Masse? b) Bestimmen Sie die Eigenfrequenzen des gekoppelten Systems. c) K¨ onnen Sie die Bewegung mit der Eigenfrequenz ω = 0 interpretieren?

Abb. 7.7: Drei gleiche Massen m, die u ¨ber zwei gleiche Federn mit Federkonstante D miteinander verbunden sind.

7.3.1

Gekoppelte Schwingungen in zwei Dimensionen

Bisher wurden (gekoppelte) Schwingungen ausschließlich in einer Dimension betrachtet. Auch die Schwingung eines mathematischen Pendels, die im Prinzip in der Ebene stattfindet, konnte auf eine zeitabh¨ angige Funktion des Auslenkwinkels, also eine eindimensionale Funktion, zur¨ uckgef¨ uhrt werden. Im Folgenden geht es darum, ein Beispiel

7.3 Gekoppelte Schwingungen

167

f¨ ur eine Schwingung zu untersuchen, bei denen Auslenkungen entlang der beiden Achsen eines kartesischen Koordinatensystems eine Rolle spielen (siehe auch Aufgabe 5.7). Schwingungen in mehr als einer Dimension sind immer nichtlinear, auch wenn man das Hookesche Gesetz annimmt. Das liegt daran, dass Abst¨ande zwischen Punkten betrachtet werden, die gem¨ aß des Satzes des Pythagoras nichtlineare Funktionen sind. Demonstriert werden soll das Vorgehen in der folgenden Beispielaufgabe. Es l¨asst sich so auf ¨ ahnliche Probleme f¨ ur Schwingungen in zwei Dimensionen anwenden.

¨ Ubungsaufgabe 7.6: Schwingendes Dreieck Grundlage der aktuellen Aufgabe sind drei Punktmassen m, die zusammen ein gleichseitiges Dreieck der Seitenl¨ ange L bilden. Die Massen seien paarweise mit einer Feder der Federkonstante D verbunden (siehe Abbildung 7.8). a) Bestimmen Sie gem¨ aß Abbildung 7.8 die Potenziale, in denen sich jeweils jede der drei Massen bewegt. Im Gegensatz zu den bisher betrachteten eindimensionalen Schwingungen h¨ angen hier die Potenziale nichtlinear von den Auslenkungen der Massen ab. Linearisieren Sie die Potenziale, indem Sie eine Taylorentwicklung der auftretenden Funktionen f¨ ur kleine Auslenkungen (im Vergleich zur Federl¨ange L) durchf¨ uhren. b) Stellen Sie die linearisierten Bewegungsgleichungen f¨ ur alle drei Massen auf. Verwenden Sie die Ans¨ atze xi (t) = xi,0 exp(iωt) und yi (t) = yi,0 exp(iωt), um ein lineares Gleichungssystem f¨ ur die Amplituden xi,0 und yi,0 herzuleiten. Bis hierher k¨ onnen Sie die Berechnungen von Hand durchf¨ uhren.

Abb. 7.8: Drei gleiche Punktmassen m, die u ¨ber drei Federn der Federkonstante D und der L¨ ange L miteinander verbunden sind.

168

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

c) Ermitteln Sie aus dem linearen Gleichungssystem eine Bedingung f¨ ur eine nichttriviale L¨osung der Bewegungsgleichungen. Ab hier sind die Berechnungen von Hand aufwendig. Sie k¨ onnen daher gerne den Computer3 zu Hilfe nehmen. d) Bestimmen Sie aus der Bedingung von Aufgabenteil (c) die Normalmoden des schwingenden Dreiecks und die L¨ osungen des Gleichungssystems zu jeder der Normalmoden. K¨ onnen Sie die L¨ osungen physikalisch verstehen?

Lo¨sung zu Aufgabe 7.6 Im Folgenden werden die Auslenkungen der i-ten Masse in x-Richtung als xi und in y-Richtung als yi bezeichnet (f¨ ur i ∈ {1,2,3}). a) In der Ruhelage liegen die Massen an den Eckpunkten des gleichseitigen Dreiecks mit der Seitenl¨ ange L. Sofern die i-te Masse aus ihrer jeweiligen Ruhelage ausgelenkt wird, befindet sie sich an einem Punkt Pi mit dem Ortsvektor ri . Diese Ortsvektoren lauten:     L 1 x1 r1 = + , (7.59a) y1 2 0     L 1 x2 r2 = − + , (7.59b) y2 2 0     L√ 0 x3 r3 = − 3 + . (7.59c) 1 y3 2 Um die Potenziale zu berechnen, ben¨ otigt man die Abst¨ande zwischen jeweils zwei der Massen in Abh¨ angigkeit der Auslenkungen. Anstelle der Abst¨ande werden im Folgenden die Abstandsquadrate angegeben, weil man sich auf diese Weise die Wurzel spart. Hier ist es bereits sinnvoll, die Ausdr¨ ucke so umzuformen, dass Terme auftreten, die invers zur L¨ ange L unterdr¨ uckt sind.  2 L + x1 − x2 = (L + x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 y1 − y2  2 x1 − x2 = L2 1 + + (y1 − y2 )2 , L

−−−→ |P1 P2 |2 =

2 L/2 √ + x1 − x3 L 3/2 + y1 − y3  2  2 L L√ = + x1 − x3 + 3 + y1 − y3 2 2    2 2 L2 2(x1 − x3 ) 3L2 2(y1 − y3 ) √ = 1+ + 1+ , 4 L 4 3L

−−−→ |P1 P3 |2 =

3 Als

(7.60a)



hilfreich erweisen sich Computeralgebrasysteme wie Mathematica oder Maple.

(7.60b)

7.3 Gekoppelte Schwingungen

169

2  2 L L√ + x3 − x2 + 3 + y2 − y3 2 2  2  2 L2 2(x3 − x2 ) 3L2 2(y2 − y3 ) √ = 1+ + 1+ . 4 L 4 3L

−−−→ |P2 P3 |2 =



(7.60c)

An dieser Stelle entwickelt man am besten bereits bez¨ uglich Quotienten der Auslenkungen xi , yi und der L¨ ange L der Federn. F¨ ur kleine Auslenkungen gilt xi /L  1 und yi /L  1. Die Entwicklung soll nach der linearen Ordnung abgebrochen werden. −−−→ |P1 P2 |2 = L2 + 2L(x1 − x2 ) ,

(7.61a) √

−−−→ |P1 P3 |2 = L2 + L(x1 − x3 ) + 3L(y1 − y3 ) , √ −−−→ |P2 P3 |2 = L2 + L(x3 − x2 ) + 3L(y2 − y3 ) .

(7.61b) (7.61c)

Die R¨ uckstellkraft und damit die Potenziale werden durch die Differenz zwischen der gedehnten/gestauchten Federl¨ ange und der urspr¨ unglichen L¨ange L bestimmt. √ Die Wurzelfunktion kann gem¨ aß 1 + x ≈ 1 + x/2 entwickelt werden. r p −−−→ 2(x1 − x2 ) 2 |P1 P2 | − L = L + 2L(x1 − x2 ) − L = L 1 + −L L   x1 − x2 ≈L 1+ − L = x1 − x2 , (7.62a) L s √ −−−→ x1 − x3 3(y1 − y3 ) |P1 P3 | − L = L 1 + + −L L L i √ 1h ≈ x1 − x3 + 3(y1 − y3 ) , 2 s √ −−−→ x3 − x2 3(y2 − y3 ) |P2 P3 | − L = L 1 + + −L L L i √ 1h ≈ x3 − x2 + 3(y2 − y3 ) . 2

(7.62b)

(7.62c)

Auf diese Weise ergeben sich schließlich die folgenden Potenziale f¨ ur die Feder zwischen den Massen (1), (2), den Massen (1), (3) und den Massen (2), (3): i2 D h −−−→ D |P1 P2 | − L = (x1 − x2 )2 , 2 2 i2 h i 2 √ D −−−→ Dh V2 = | P1 P3 | − L = x1 − x3 + 3(y1 − y3 ) , 2 8 h i i2 2 √ D −−−→ Dh V3 = | P2 P3 | − L = x3 − x2 + 3(y2 − y3 ) . 2 8 V1 =

(7.63a) (7.63b) (7.63c)

170

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme Auf die i-te Masse wirke die Kraft Fi . Hierbei m¨ ussen f¨ ur jede Masse die Potenziale der beiden Federn ber¨ ucksichtigt werden, die an den jeweiligen Massen befestigt sind. Die Kr¨ afte ergeben sich auch hier durch Bildung des negativen Gradienten bez¨ uglich der Paare aus Koordinaten (xi , yi ).   ∂/∂x1 F1 = − (V1 + V2 ) ∂/∂y1   h i2  √ D ∂/∂x1 2 =− 4(x1 − x2 ) + x1 − x3 + 3(y1 − y3 ) 8 ∂/∂y1 √   D 5x1 − 4x2 − x3 + 3(y1 − y3 ) √ =− , (7.64a) 3(x1 − x3 ) + 3(y1 − y3 ) 4   ∂/∂x2 (V1 + V3 ) ∂/∂y2   h i2  √ D ∂/∂x2 2 =− 4(x1 − x2 ) + x3 − x2 + 3(y2 − y3 ) 8 ∂/∂y2 √   D 5x2 − 4x1 − x3 + 3(y3 − y2 ) √ =− , (7.64b) 3(x3 − x2 ) + 3(y2 − y3 ) 4

F2 = −

  ∂/∂x3 (V2 + V3 ) ∂/∂y3   h i2 √ D ∂/∂x3 =− (x1 − x3 ) + 3(y1 − y3 ) 8 ∂/∂y3 h i2  √ + x3 − x2 + 3(y2 − y3 ) √   D 2x3 − x1 − x2 + 3(y2 − y1 ) √ =− . 3(x2 − x1 ) + 3(2y3 − y1 − y2 ) 4

F3 = −

(7.64c)

Schwingungen in zwei Dimensionen werden linearisiert, indem man die Abst¨ande zwischen den einzelnen Massen f¨ ur kleine Auslenkungen in eine Taylor-Reihe entwickelt. Dabei ist es geschickt, die auftretenden Funktionen so umzuformen, dass in ihnen Terme auftreten, die mit der L¨ ange der Federn in Ruhelage unterdr¨ uckt sind. Danach lassen sich Taylor-Entwicklungen nach diesen Termen durchf¨ uhren, die klein sind f¨ ur kleine Auslenkungen.

b) Mit Hilfe des zweiten Newtonschen Axioms lassen sich aus den Kr¨aften die Bewegungsgleichungen f¨ ur die drei Massen gewinnen. Hierbei handelt es sich um sechs Differenzialgleichungen: jeweils eine pro Masse und Koordinate xi bzw. yi .

7.3 Gekoppelte Schwingungen

171

In Matrixform lauten diese: √    3 −4 0 x ¨1 √5  3 3 0 0  y¨1  √   D  −4 ¨2  0 5 − 3 x √ m  +   y¨2  0 0 − 3 3 4   √ √ x  −1 − 3 −1 ¨3  3 √ √ y¨3 − 3 −3 3 −3

−1 √ − 3 −1 √ 3 2 0

√  − 3 x1  0 −3  y  0  √  1   3 x  0   2 = . y 0   −3  2    0 0  x3 y3 0 6 (7.65)

c) Wie gefordert wird zur L¨ osung der Bewegungsgleichungen wieder der altbekannte komplexe Exponentialansatz verwendet: xi (t) = xi,0 exp(iωt) und yi (t) = yi,0 exp(iωt). Die zweite Ableitung dieser Funktionen liefert ein −ω 2 . Außerdem ist es geschickt, alle Gleichungen mit 4/D zu multiplizieren, um sie zu vereinfachen. Danach kann man außerdem noch durch exp(iωt) dividieren und wird so alle Exponentialfunktionen los. Letztendlich folgt auf diese Weise ein gew¨ohnliches lineares Gleichungssystem aus sechs Gleichungen mit den Amplituden xi,0 und yi,0 des Ansatzes als Unbekannte: √ √      5√ −Q 3 −4 0 −1 x1,0 0 √ − 3  3 3−Q 0  0 − 3 −3    y  √ √   1,0  0   −4 0 5 − Q − 3 −1 3  x  0   √ √  2,0  =   , (7.66)  0  0 − 3 3√ −Q 3 −3   y2,0  0  √   0  −1 − 3 −1 3 2 − Q 0  x3,0 √ √ y3,0 0 − 3 −3 3 −3 0 6−Q wobei Q ≡ 4mω 2 /D. c) Das lineare Gleichungssystem, das sich aus den Bewegungsgleichungen ergibt, ist homogen. Es besitzt nur dann eine nichttriviale L¨osung, wenn die Koeffizientendeterminante verschwindet. Wie gesagt, ist die weitere Rechnung von Hand (unter anderem die Bestimmung der Determinante der Koeffizientenmatrix) sehr m¨ uhsam. Deshalb greift man hier am besten auf ein Computerprogramm zur¨ uck, um die Determinante dieser (6 × 6)-Matrix zu bestimmen. Seien Sie beruhigt; Aufgaben mit einem derartigen Rechenaufwand kommen sicherlich nicht in einer Klausur dran. Wenn Sie die Muße haben, k¨onnen Sie die folgenden Berechnungen nat¨ urlich auch von Hand durchf¨ uhren; unm¨oglich ist das nicht. Die Determinante kann man in Linearfaktoren zerlegen, und man erh¨alt damit die folgende Bedingung f¨ ur nichttriviale L¨osungen der Amplituden:  m 3 ! det(M ) = 1024 ω 6 (2mω 2 − 3D)2 (mω 2 − 3D) = 0 . (7.67) 2 D d) Aus der Bedingung f¨ ur die Determinante der Koeffizientenmatrix kann man sofort die Kreisfrequenzen f¨ ur die Normalmoden ablesen: r r 3D 3D ω1 = 0 , ω2 = , ω3 = . (7.68) m 2m

172

7 Klassische Zwei- und Mehr-Teilchen-Systeme

(a) einfache Verschiebung im Raum

(b) atmende“ Normalm” ode

(c) gegenl¨ aufige Normalmode

Abb. 7.9: Interpretation der drei Moden aus Gleichung (7.69), (7.70) und (7.71). Es gibt also genau drei Normalmoden f¨ ur das schwingende Dreieck aus miteinander verbundenen Massen. Um nachvollziehen zu k¨onnen, wie die Massen bei jeder der Normalmoden miteinander schwingen, muss f¨ ur jede einzelne Mode das lineare Gleichungssystem f¨ ur die Amplituden gel¨ost werden. Man ersetzt also in Gleichung (7.66) die Kreisfrequenz ω durch die jeweilige Normalmode und bestimmt die L¨ osung. Bei einem System aus sechs Gleichungen und Unbekannten erweist sich das als großer Rechenaufwand. Mit dem Computer geht das Ganze jedoch sehr schnell, und man erh¨ alt: x1,0 = x2,0 = x3,0 = 0 ,

y1,0 = y2,0 = y3,0 = 1

(7.69)

f¨ ur die erste Mode, √ x1,0 = −x2,0 = x3,0 = 0 ,

3 , 2

y1,0 = y2,0 =

1 , 2

y3,0 = −1

(7.70a) (7.70b)

f¨ ur die zweite und √ x1,0 = −x2,0 = x3,0 = 0 ,

3 , 2

y3,0 = 1

1 y1,0 = y2,0 = − , 2

(7.71a) (7.71b)

f¨ ur die dritte. e) Bildlich darstellen lassen sich die gefundenen Moden, indem man die zu den Amplituden geh¨ orenden Vektorpfeile zu der jeweils passenden Masse in Abbildung 7.8 einzeichnet. Dargestellt sind die Ergebnisse in Abbildung 7.9. Bei der ersten Normalmode mit ω1 = 0 (Abbildung 7.9a) zeigen alle Vektorpfeile in die y-Richtung. Sie kann daher keiner Schwingung der Massen entsprechen, sondern es handelt sich dabei um die einfache gleichzeitige Verschiebung aller drei Massen im Raum. Das ist ja auch verst¨ andlich, denn es m¨ usste ω 6= 0 sein, damit eine Schwingung stattfindet. Bei der zweiten Normalmode (Abbildung 7.9b) vergr¨oßert und verringert sich der Abstand zwischen jeweils zwei Massen gleichartig f¨ ur alle drei Federn. Damit

7.3 Gekoppelte Schwingungen

173

andert sich bei dieser Art der Schwingung die Gr¨oße des Dreiecks periodisch so, ¨ dass alle seine Winkel erhalten bleiben. Bei der dritten Normalmode (Abbildung 7.9c) bewegt sich eine der drei Massen periodisch auf die anderen zu, die dann diesem N¨aherkommen durch eine periodische Bewegung ihrerseits ausweichen. Entfernt sich die Masse wieder, dann neigen auch die verbleibenden beiden Massen dazu, in ihre Gleichgewichtslage zur¨ uckzukehren. Diese letzte Art der Schwingung l¨asst sich als gegenphasige Schwingung einer Masse gegen¨ uber den beiden anderen auffassen.

Die Normalmoden einer Schwingung lassen sich verstehen, indem man die zugeh¨origen L¨ osungen f¨ ur die Amplituden als Vektoren an den Positionen der beteiligten Massen einzeichnet.

8

Mechanik ausgedehnter Ko¨rper

Angefangen hat das Buch mit den Grundlagen der Bewegung einer einzelnen Punktmasse. Sie haben gelernt, die Bewegung einer Punktmasse im Raum mittels Vektoren zu beschreiben. Danach ging es darum, die grundlegenden Gr¨oßen der klassischen Mechanik (sowie der ganzen Physik) einzuf¨ uhren und zu verstehen: Energie, Impuls und Drehimpuls. In den letzten beiden Kapiteln wurden die Gesetze der Mechanik der Punktmasse dazu genutzt, um die Bewegung von zwei oder einer kleinen Anzahl von Massen zu untersuchen. Im abschließenden Kapitel des Buchs soll von der Bewegung einzelner Massen zur Bewegung ausgedehnter K¨ orper u ¨bergegangen werden. In der Realit¨at gibt es keine Punktmassen, denn jeder K¨ orper besitzt eine gewisse L¨ange, Breite und H¨ohe. Einzig und allein bestimmte subatomare Teilchen wie das Elektron werden im derzeitigen physikalischen Weltbild als punktf¨ ormig betrachtet. Erstens ist es jedoch so, dass f¨ ur solche Teilchen in vielen F¨ allen mehr als die klassische Mechanik notwendig ist, um sie physikalisch zu beschreiben. Zweitens ist streng genommen nicht einmal das Elektron punktf¨ ormig, wenn man Effekte aus der Quantenmechanik in Betracht zieht. Letztere sind jedoch nicht Teil dieses Buchs u ¨ber klassische Mechanik. Stattdessen denken Sie lieber an einen Ziegel, der durch einen m¨achtigen Windstoß von einem Dach geweht wird und hoffentlich niemandem auf den Kopf f¨allt! Man wird diesen zwar n¨ aherungsweise oft als Punktmasse auffassen; in manchen F¨allen kann jedoch die Ausdehnung des Ziegels von Bedeutung sein. Im aktuellen Kapitel sollen Sie deshalb lernen, wie man sich von der N¨ aherung der Punktmasse l¨ost und die Ausdehnung von K¨ orpern in ihren Bewegungsgleichungen in Betracht zieht.

8.1

Von der Punktmasse zum starren K¨orper

Die Dynamik von allgemeinen ausgedehnten K¨orpern kann u ¨beraus kompliziert sein. Ein solcher K¨ orper muss nicht notwendigerweise aus einem festen Material bestehen. Denken Sie z.B. an einen Wassertropfen, der sich an einem tropfenden Wasserhahn bildet. Nicht nur das Ger¨ ausch, das ein solcher Hahn in der Nacht verursacht, kann einem Physiker den Schlaf rauben. Das kann seinerseits ebenso das Vorhaben leisten, beschreiben zu wollen, wie sich ein solcher Tropfen bildet und sich schließlich von der metallischen Oberfl¨ ache l¨ ost. Stellen Sie sich vor, dass sich ein solcher Tropfen aus sehr vielen Wassermolek¨ ulen zusammensetzt. Bei einer Fl¨ ussigkeit befinden sich die Molek¨ ule nicht an festen Stellen, d.h., sie k¨ onnen sich gegeneinander verschieben und ihre Abst¨ ande ¨ andern. Diese Tatsache ist der Grund daf¨ ur, warum derartige Probleme u ¨beraus komplex sind.

176

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Um Berechnungen f¨ ur ausgedehnte K¨ orper ohne allzu großen Rechenaufwand l¨osbar zu machen, beschr¨ ankt man sich zun¨ achst auf eine Klasse von K¨orpern, die relativ einfach behandelt werden kann: die starren K¨ orper. Ein ausgedehnter K¨orper heißt genau dann starr, wenn sich die Abst¨ ande zwischen den einzelnen Teilchen nicht ¨andern. Zum Beispiel verh¨ alt sich ein Ziegel oder ein St¨ uck Holz in der Mechanik wie ein starrer K¨ orper, ein Wassertropfen oder ein ungekochtes Ei dagegen nicht. Eine Punktmasse besitzt drei Freiheitsgrade, also drei voneinander unabh¨angige M¨oglichkeiten, in welche deren Bewegung stattfinden kann. Es handelt sich jeweils um einen Freiheitsgrad f¨ ur die Verschiebung (Translation) in eine der drei Raumrichtungen. Man spricht deswegen auch von Translationsfreiheitsgraden. Im Allgemeinen hat daher ein System aus N Punktmassen 3N Freiheitsgrade. Durch jede Zwangsbedingung,1 die zwischen den Massen gilt, wird die Anzahl der Freiheitsgrade um eins verringert. Der einfachste starre K¨ orper ist einer aus zwei Punktmassen, die w¨ahrend der Bewegung ihren Abstand beibehalten. Die Bedingung des konstanten Abstands ist eine Zwangsbedingung, woraus sich 3·2−1 = 5 Freiheitsgrade ergeben. Drei davon kann man wieder als Translationsfreiheitsgrade auffassen. Was bedeuten jedoch die beiden anderen? Denken Sie sich eine Achse durch das System der beiden Massen. Dann l¨asst es sich jeweils um jede der beiden Achsen drehen, die zueinander senkrecht stehen und senkrecht auf der Verbindungslinie der Massen. Das entspricht zwei Winkeln, die man einf¨ uhren muss, um diese Drehungen zu beschreiben. Dabei handelt es sich um die gesuchten Freiheitsgrade, die man deshalb auch Rotationsfreiheitsgrade nennt. Sie k¨onnen die beiden betrachteten Massen als Teil eines langen starren K¨ orpers (beispielsweise eines Stabs) auffassen, dessen L¨ ange viel gr¨ oßer ist als dessen Durchmesser. Nehmen Sie zu den beiden Massen eine weitere Punktmasse hinzu, die nicht in ihrer Verbindungslinie liegt. Zwischen jeweils zwei dieser Massen soll der Abstand gleich bleiben, was auf drei Zwangsbedingungen f¨ uhrt.2 Somit hat ein solcher einfacher starrer K¨ orper 3 · 3 − 3 = 6 Freiheitsgrade. Dabei handelt es sich wiederum um drei Translationsfreiheitsgrade. Liegen die Massen nicht auf einer Geraden, gibt es daher drei Rotationsfreiheitsgrade. Es lassen sich dann Rotationen um die Achse senkrecht zur Ebene der drei Punktmassen durchf¨ uhren sowie jeweils zwei weitere um zwei zueinander senkrechte Achsen, die ihrerseits in der Ebene liegen. Drei solche Massen kann man als Bestandteil eines allgemeinen starren K¨ orpers auffassen, der in allen drei Raumrichtungen eine Ausdehnung besitzt. Aus diesem Grund besitzt ein solcher starrer K¨orper im Allgemeinen sechs Freiheitsgrade. Ein eindimensionaler starrer K¨ orper besitzt f¨ unf Freiheitsgrade: drei Translationsund zwei Rotationsfreiheitsgrade. Ein zwei- und dreidimensionaler starrer K¨orper hat einen zus¨atzlichen Rotationsfreiheitsgrad, also insgesamt sechs Freiheitsgrade.

1 siehe 2 Der

bleiben.

Aufgabe 3.5

Abstand zwischen Masse (1), (2) und Masse (1), (3) und schließlich Masse (2), (3) soll konstant

8.2 Schwerpunkt und Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers

8.2

177

Schwerpunkt und Tra¨gheitsmoment eines starren K¨orpers

Aufgrund der Rotationsfreiheitsgrade, die bei einer einfachen Punktmasse nicht vorhanden sind, k¨ onnen starre K¨ orper eine gr¨ oßere Vielfalt an Bewegungen durchf¨ uhren. Sie k¨ onnen sich deshalb vollkommen anders verhalten. Zur Beschreibung ihrer Bewegung muss eine Reihe neuer Gr¨ oßen definiert werden. Um welche Gr¨oßen es sich dabei handelt und welche Rolle diese spielen, soll bei der L¨osung des folgenden Problems veranschaulicht werden. Betrachtet wird ein starrer K¨ orper, der gem¨ aß Abbildung 8.1 an einem Stab aufgeh¨angt ist. Die Anordnung befindet sich so in einem kartesischen Koordinatensystem, dass der Stab in Richtung der z-Achse zeigt. Die x-Achse verlaufe parallel zum Vektor der Schwerkraft. Der K¨ orper wird aus seiner Gleichgewichtslage um den Winkel ϕ ausgelenkt und danach losgelassen. Wie bewegt er sich anschließend? Um die Frage zu beantworten, wird der K¨ orper in N kleine Teilchen3 der Masse ∆mi und des Volumens ∆Vi unterteilt. Jedes dieser Teilchen besitze die Koordinaten (xi , yi , zi ). Da es sich um einen starren K¨ orper handelt, dreht sich jedes einzelne Teilchen auf einem Kreis in Ebenen, welche die z-Achse als Normalenvektor haben. Der Radiusvektor dieser Kreise ist   q cos ϕ ri (ϕ) = ri , ri = x2i + yi2 , (8.1) sin ϕ mit dem Abstand ri der Position des i-ten Teilchens zum Drehpunkt und dem Winkel ϕ zur x-Achse. Um die Bewegungsgleichung eines einzelnen Teilchens zu bestimmen, ben¨ otigt man das Drehmoment, das auf dieses Teilchen wirkt. Letzteres ergibt sich mit Hilfe des Radiusvektors ri und der Gewichtskraft Fg = mg: Mi = ri × Fg = ∆mi ri × g = %i ∆Vi ri × g .

(8.2)

Abb. 8.1: Starrer K¨ orper, der aus seiner Gleichgewichtslage ausgelenkt wird. 3 In diesem Zusammenhang ist ein Teilchen“ nicht punktf¨ ormig, sondern wird als winzig kleiner ” Bestandteil eines starren K¨ orpers betrachtet.

178

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Hierbei sei %i die Dichte f¨ ur ein einzelnes Teilchen, die f¨ ur eben dieses Teilchen als konstant angenommen wird: ∆mi = %i ∆Vi . Dahingegen muss sie f¨ ur den ganzen K¨orper nicht notwendigerweise konstant sein, sondern kann vom Ort abh¨angen. Das gesamte Drehmoment folgt durch Summation u ¨ber alle Teilchen: M=

N X

Mi =

i=1

N X

∆Vi %i ri × g .

(8.3)

i=1

Die Summe kann man weiter nicht vereinfachen. Aus diesem Grund macht man die einzelnen Teilchen infinitesimal klein und bildet den Grenz¨ ubergang ∆Vi 7→ 0 bzw. ∆mi 7→ 0, so dass lim

∆mi 7→0 ∆Vi 7→0

∆mi = %(x) . ∆Vi

(8.4)

Damit geht die Summe u ur das Drehmoment des gesamten ¨ber ∆Vi in Gleichung (8.3) f¨ starren K¨ orpers u ¨ber in ein dreidimensionales Integral u ¨ber das Volumen des starren K¨ orpers. Aus dem kleinen Volumen ∆Vi eines einzelnen Teilchens wird dann ein Volumendifferenzial dV . Der Vektor des Drehmoments lautet nun: Z  Z M = dV %(x) r × g = dV %(x) r × g ≡ m S × g (8.5a) mit dem Ortsvektor S des Schwerpunkts des starren K¨orpers: Z 1 S≡ dV %(x) r . m

(8.5b)

Wie Sie sehen, l¨ asst sich die Translation eines starren K¨orpers einzig durch dessen Schwerpunkt beschreiben. Der Ausdehnung des K¨orpers kommt hierbei keinerlei Bedeutung zu. Man kann sich den K¨ orper dann so vorstellen, als w¨are dessen gesamte Masse im Schwerpunkt vereint. Dieser spielt daher eine zentrale Rolle bei der Beschreibung der Bewegung von starren K¨ orpern. Nun l¨ asst sich das Drehmoment M auch noch auf andere Weise berechnen. Der Geschwindigkeitsvektor vi = r˙ i eines Teilchens steht bei einer Kreisbewegung senkrecht auf dem Radiusvektor ri . Damit gilt f¨ ur den Drehimpuls eines Teilchens: Li = ri ×pi = ∆mi ri ×vi = ∆mi ri vi b ez = ∆mi ri2 ω b ez = ∆mi ri2 ϕ˙ b ez . (8.6) Es ist vorteilhaft, die Winkelgeschwindigkeit ω zu benutzen, da diese f¨ ur alle einzelnen Teilchen gleich ist. Gem¨ aß Abschnitt 3.5 ist die zeitliche Ableitung des Drehimpulses verkn¨ upft mit dem Drehmoment: Mi =

dLi d d = (ri × pi ) = (∆mi ri2 ϕ˙ b ez ) = ∆mi ri2 ϕ¨ b ez . dt dt dt

(8.7)

Die Summe u uhrt wieder auf das gesamte Drehmoment: ¨ber alle Teilchen f¨ M=

N X i=1

Mi =

N X i=1

∆mi ri2 ϕ¨ b ez =

N X i=1

∆Vi %ri2 ϕ¨ b ez .

(8.8)

8.2 Schwerpunkt und Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers

179

Auch an der Stelle erweist sich ein Grenz¨ ubergang ∆Vi 7→ 0 und ∆mi 7→ 0 als sinnvoll. Das Volumenelement ∆Vi geht abermals in ein dreidimensionales Volumendifferenzial u ¨ber. Im Zuge dessen wird eine weitere wichtige Gr¨oße im Zusammenhang von starren K¨ orpern eingef¨ uhrt. Es gilt dann: Z M= dV %(x)r2 ϕ¨ b ez ≡ Jz ϕ¨ b ez (8.9a) V

mit dem Tr¨ agheitsmoment J: Z Jz ≡ dV %(x)r2 ,

r 2 = x2 + y 2 .

(8.9b)

V

Der Schwerpunkt S eines starren K¨ orpers ist der Punkt, in dem man sich dessen gesamte Masse vereinigt denken kann. Sein Ortsvektor l¨asst sich gem¨aß Z 1 S= dV %(x)r (8.10) m berechnen mit der Dichte %(x) des starren K¨orpers. Das Integral l¨auft u ¨ber das Volumen des K¨ orpers. Geht eine Achse durch den Schwerpunkt und wirkt eine konstante Kraft auf den K¨ orper, so verschwindet das gesamte Drehmoment. Das Tr¨ agheitsmoment J eines starren K¨ orpers verkn¨ upft die Winkelgeschwindigkeit bei einer Drehung des K¨ orpers mit dem Drehmoment.

¨ Ubungsaufgabe 8.1: Berechnung von Schwerpunkten und deren Eigenschaften In der aktuellen Aufgabe geht es darum, die Berechnung des Ortsvektors S des Schwerpunkts zu u achst f¨ ur eine Fl¨ache und danach f¨ ur einen r¨aumlichen ¨ben. Das soll zun¨ starren K¨ orper geschehen. a) Betrachten Sie eine beliebig geformte Fl¨ache, deren Dicke im Vergleich zu den sonstigen Abmessungen vernachl¨ assigt werden kann. Die Fl¨achendichte (Masse pro Fl¨ ache) sei %(x, y), wobei die Fl¨ ache in der x-y-Ebene eines kartesischen Koordinatensystems liege. Dann kann man sich bei der Bestimmung von S eine Integration sparen. Er ergibt sich u ¨ber folgendes zweidimensionales Integral Z 1 dF %(x, y)r (8.11) S≡ m F u ache, wobei m deren Masse ist. Betrachten Sie ein d¨ unnes rechteckiges ¨ber die Fl¨ Eisenblech mit den Seitenl¨ angen a, b und der konstanten Fl¨achendichte %0 . Wie lautet der Schwerpunkt?

180

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

b) Die in Abbildung 8.2 dargestellte Fl¨ ache sei die Oberseite eines starren K¨orpers in der x-y-Ebene. Der Querschnitt sehe in jeder Ebene parallel zur x-y-Ebene genauso aus; die Unterseite liege bei der Koordinate z = −2. Die Dichte des K¨ orpers sei konstant. Bestimmen Sie die Lage des Schwerpunkts. Was beobachten Sie?

Abb. 8.2: Oberseite eines starren K¨ orpers in der x-y-Ebene, der sich entlang der negativen z-Achse bis z = −2 fortsetzt.

L¨osung zu Aufgabe 8.1 Bei beiden Aufgabenteilen sind kartesische Koordinaten sinnvoll, da ausschließlich gerade Linienst¨ ucke und ebene Fl¨ achen vorkommen. a) Mit Hilfe von Gleichung (8.11) kann man den Schwerpunktsvektor durch Integration bestimmen:    b Z Z b Z a xy x 1 a 1 S= dx dy y  %0 = dx y 2 /2 m 0 ab 0 0 0 0    2 a  20  Z a bx bx /2 1 1  2 1 ba2 /2 b x/2 = ab /2 = dx b2 /2 = ab 0 ab ab 0 0 0 0   1 a = b . (8.12) 2 0 Damit liegt der Schwerpunkt im Mittelpunkt der rechteckigen Fl¨ache, was Ihnen sicherlich bereits vor der Berechnung klar war. Der Mittelpunkt ist der Schnittpunkt der beiden Symmetrieachsen des Rechtecks, bez¨ uglich derer die Fl¨ache spiegelsymmetrisch ist.

8.2 Schwerpunkt und Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers

181

b) Zun¨ achst muss der Bereich bestimmt werden, in dem die Koordinaten laufen:   2   x + 2, x + 3 f¨ ur x < 0 ,    3 x ∈ [−3,3] , y ∈  (8.13)    2   ur x ≥ 0 ,  − x + 2, −x + 3 f¨ 3 und z ∈ [−2,0]. Jetzt kann man sich der Berechnung des Schwerpunkts widmen:   Z Z 0 Z x+3 Z 0 x 1 1 S= d3 r %(r)r = dx dy dz y  m V V −3 2x/3+2 −2 z   Z Z −x+3 Z 0 x 1 3 + dx dy dz y  (8.14) V 0 −2x/3+2 −2 z Die Rechnung ist in diesem Fall etwas aufwendiger, weshalb jede Komponente des Schwerpunktsvektors f¨ ur sich betrachtet wird:     Z 0 Z 1 2 2 1 3 2 2 S1 = dx x + 2x + dx − x + 2x V −3 3 V 0 3   0   3 1 1 2 3 2 = x + x2 + − x3 + x2 V 9 V 9 −3 0 3 3 =− + = 0, (8.15a) V V 2 # 2 dx (x + 3)2 − x+2 3 −3 "  2 # Z 1 3 2 2 + dx (−x + 3) − − x + 2 V 0 3 0 3 1 5 1 5 5 5 10 = (x + 3)3 + (x − 3)3 = + = , V 27 V 27 V V V −3 0

1 S2 = V

Z

"

0

   Z 2 1 3 2 − x−2 + dx x−2 3 V 0 3 −3   0   3 1 1 2 1 1 2 = − x − 2x + x − 2x V 3 V 3 −3 0 3 3 6 =− − =− . V V V

S3 =

1 V

Z

0



(8.15b)



dx

(8.15c)

182

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper Das Volumen des starren K¨ orpers folgt mittels elementarer Geometrie als Differenz zweier Prismen mit jeweils einer dreieckigen Grundfl¨ache:   1 1 V = · 6 · 3 − · 6 · 2 · 2 = 6. (8.16) 2 2 Damit ist der Ortsvektor des Schwerpunkts:   0 S = 5/3 . −1

(8.17)

Der Schwerpunkt liegt also außerhalb der Fl¨ache! Der Schwerpunkt eines starren K¨ orpers mit konstanter Dichte besitzt folgende Eigenschaften: a) Bei symmetrischen K¨ orpern liegt der Schwerpunkt im Schnittpunkt der Symmetrieachsen des K¨ orpers. b) Der Schwerpunkt kann außerhalb eines K¨orpers liegen. Ein solcher K¨orper kippt nach dem Aufh¨ angen im Schwerefeld zur Seite.

¨ Ubungsaufgabe 8.2: Berechnung des Tra¨gheitsmoments einer Fl¨ache In der aktuellen Aufgabe geht es darum, das Tr¨agheitsmoment einer Fl¨ache zu bestimmen, deren Dicke gegen¨ uber ihren sonstigen Abmessungen vernachl¨assigt werden kann. Die Fl¨ ache besitze eine Fl¨ achendichte %(x, y). Dann ist das Tr¨agheitsmoment bez¨ uglich einer Achse senkrecht zur Fl¨ ache gegeben durch: Z Jz ≡ dF (x2 + y 2 )%(x, y) , (8.18) F

wobei das Integral u ache l¨ auft. Bestimmen Sie das Tr¨agheitsmoment f¨ ur ein ¨ber die Fl¨ rechteckiges Blech mit den Seitenl¨ angen a und b bez¨ uglich einer zum Blech senkrechten Achse, welche durch die Mitte der Fl¨ ache geht. Die Fl¨achendichte %0 sei konstant.

L¨osung zu Aufgabe 8.2 Auch hier erweisen sich kartesische Koordinaten als sinnvoll, um die Integration durchzuf¨ uhren. Die Bestimmung des Integrals u uhrt auf: ¨ber y f¨ Z

a/2

Jz =

Z

0

dx −a/2

−b

dy (x2 + y 2 )%0 = %0

 0 1 dx x2 y + y 3 3 −a/2 −b

Z

a/2

8.2 Schwerpunkt und Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers Z

a/2

= %0

 dx

−a/2

1 x b + b3 3 2

183

 .

(8.19)

Anschließend ergibt die Berechnung des Integrals u ¨ber x das Endergebnis:    a/2 Z a/2 1 1 1 J z = %0 dx x2 b + b3 = %0 bx3 + b3 x 3 3 3 −a/2 −a/2   1 3 1 3 1 3 1 3 = %0 a b + ab + a b + ab 24 6 24 6 1 m = %0 (a3 b + 4ab3 ) = (a2 + 4b2 ) , 12 12

(8.20)

wobei zuletzt m = %0 ab mit der Fl¨ ache F = ab des Rechtecks ausgenutzt wurde.

8.2.1

Verallgemeinerung des Tra¨gheitsmoments

Im Abschnitt 8.2 wurde das Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers f¨ ur die Drehung um die z-Achse hergeleitet. Es ist durch Gleichung (8.9b) gegeben und wird mit einem Index z gekennzeichnet: Z Jz ≡ dV (x2 + y 2 )%(x) . (8.21) V

Nun kann man einen starren K¨ orper nicht nur um die z-Achse drehen, sondern auch um die x- oder y-Achse. Da man in der durchgef¨ uhrten Betrachtung die Namen der Achsen bzw. der Koordinaten einfach vertauschen kann, lassen sich wie folgt Tr¨agheitsmomente f¨ ur die Drehung um die x- bzw. y-Achse definieren: Z Z 2 2 Jx ≡ dV (y + z )%(x) , Jy ≡ dV (x2 + z 2 )%(x) . (8.22) V

V

Dies zeigt, dass es bei einem starren K¨ orper nicht nur ein einziges Tr¨agheitsmoment gibt. Stattdessen h¨ angt das Tr¨ agheitsmoment davon ab, um welche Achse gedreht wird. Betrachtet man die Drehung eines starren K¨ orpers um eine beliebige Achse, dann handelt es sich bei der Winkelgeschwindigkeit um einen Vektor mit drei nichtverschwindenden Komponenten: ω = (ωx , ωy , ωz )T . Ein einzelnes Teilchen der Masse ∆m besitzt nun den Drehimpuls   ∆L = r × p = ∆mr × r˙ = ∆mr × (ω × r) = ∆m ωr2 − r(r · ω) . (8.23) Eine bestimmte Komponente des Drehimpulsvektors lautet mit r2 = r2 : h i hX i X X ∆Li = ∆m ωi r2 − ri rj ωj = ∆m δij ωj r2 − ri rj ωj j

= ∆m

X

2

j



r δij − ri rj ωj .

j

(8.24)

j

Hier wurde das neue Symbol δij verwendet, dessen Bedeutung im Weiteren erkl¨art wird.

184

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Bei δij handelt es sich um das Kronecker-δ. Es ist wie folgt definiert:  1 f¨ ur i = j , δij = 0 f¨ ur i 6= j . Jedes Kronecker-δ eliminiert ein Summenzeichen: X δij aj = ai .

(8.25)

(8.26)

j

Der Index des Vektors a wird dann dementsprechend umbenannt. Deshalb gilt ωi =

P

j

δij ωj , wovon in Gleichung (8.24) Gebrauch gemacht wurde.

Eine Summation der Drehimpulse aller Teilchen, die f¨ ur ∆m 7→ 0 wiederum einer Integration u orpers entspricht, f¨ uhrt auf die i-te Komponente des ¨ber das Volumen des K¨ Drehimpulses des vollst¨ andigen starren K¨ orpers:  Z X X Z   Li = dV %(x) r2 δij − ri rj ωj = dV %(x) r2 δij − ri rj ωj j



X

j

Jij ωj ,

(8.27a)

 dV %(x) r2 δij − ri rj .

(8.27b)

j

mit Z Jij ≡

Versuchen Sie an dieser Stelle, die Bedeutung von Gleichung (8.27) zu verstehen. Der Ausdruck Jij besitzt zwei Indizes, wohingegen die Winkelgeschwindigkeit ωj als Vektor nur einen Index aufweist. Summiert wird u ¨ber den doppelt vorkommenden Index j, und der Index i ist frei. Bei der Gleichung handelt es sich um nichts anderes als die ausdr¨ uckliche Schreibweise einer Matrixmultiplikation. Der Ausdruck Jij ist eine (3×3)Matrix. Er ist das verallgemeinerte Tr¨ agheitsmoment, das man Tr¨ agheitstensor nennt. Betrachtet man die Drehung eines starren K¨orpers mit einer beliebigen Winkelgeschwindigkeit ω, dann ist das Tr¨ agheitsmoment keine einfache Zahl mehr. Es handelt sich stattdessen um eine Matrix mit neun Komponenten: den Tr¨agheitstensor Jij . Ausgeschrieben sieht dieser wie folgt aus:  2  Z y + z 2 −xy −xz J = dV %(x)  −xy x2 + z 2 −yz  . (8.28) −xz −yz x2 + y 2 Die Integration ist so zu verstehen, dass sie f¨ ur jede einzelne Komponente durchgef¨ uhrt werden muss. Man bezeichnet die Elemente auf der Hauptdiagonalen als Haupttr¨ agheitsmomente und die restlichen als Deviationsmomente.

8.2 Schwerpunkt und Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers

185

Der Tr¨ agheitstensor ist eine symmetrische Matrix. Wie jede symmetrische Matrix kann man ihn auf Diagonalgestalt bringen. Er l¨ asst sich also durch eine Transformation in eine geeignete Basis die Hauptachsentransformation so umformen, dass die Deviationsmomente verschwinden. Die neuen Einheitsvektoren zeigen dann in Richtung der sogenannten Hauptachsen. Die Hauptachsen gehen durch den Schwerpunkt des starren K¨ orpers; bei einem symmetrischen K¨ orper mit konstanter Dichte wie z.B. einem Quader stimmen sie mit dessen Symmetrieachsen u ¨berein. Dann l¨asst sich geschickt zeigen, dass die Deviationsmomente f¨ ur solche Achsen verschwinden. Stellen Sie sich einen Quader mit den Seitenl¨ angen a, b und c vor. Dessen drei Symmetrieachsen stehen jeweils senkrecht auf den Fl¨ achen des Quaders und schneiden die entsprechenden Fl¨achen in ihren Mittelpunkten. Beispielsweise ist das Deviationsmoment J12 gegeben durch: Z Z a Z b Z c J12 = − dV %(x)xy = −%0 dx dy dz xy . (8.29) −a 0

−b

−c

0

Transformiert man x = −x und dx = −dx , so folgt: Z −a Z b Z c J12 = −%0 dx0 dy dz x0 y Z

−b

a a

= %0 −a

dx0

Z

b

−c

Z

c

dy −b

dz x0 y = −J12 .

(8.30)

−c

Die Gleichung J12 = −J12 kann nur f¨ ur J12 = 0 erf¨ ullt sein. Analog l¨asst sich diese Argumentation f¨ ur alle anderen Deviationsmomente durchf¨ uhren. Deshalb berechnet man bei einem symmetrischen K¨ orper von vorn herein die Tr¨agheitsmomente bez¨ uglich der Symmetrieachsen.

¨ Ubungsaufgabe 8.3: Berechnung von Tra¨gheitsmomenten Berechnen Sie die Tr¨ agheitsmomente . . . a) . . . eines Zylindermantels mit den Radien r1 , r2 und der L¨ange l bez¨ uglich seiner Mittelachse. Bestimmen Sie hieraus außerdem das Tr¨agheitsmoment eines Vollzylinders und eines Zylindermantels mit infinitesimaler Wandst¨arke. b) . . . eines Vollzylinders mit Radius R und L¨ange l um eine Schwerpunktsachse senkrecht zur Mantelfl¨ ache. c) . . . einer Kugel mit Radius R bez¨ uglich einer beliebigen Achse durch den Schwerpunkt. d) . . . einer Pyramide mit Seitenl¨ ange l und H¨ohe h in Bezug einer Achse senkrecht zur Grundfl¨ ache, welche durch die Spitze verl¨auft. e) . . . eines Torus bez¨ uglich einer Achse, die senkrecht durch den Mittelpunkt des Lochs verl¨ auft. f) . . . eines Kegelstumpfs mit den Radien r1 , r2 und der H¨ohe h bez¨ uglich der Mittelachse. Gezeigt sind diese starren K¨ orper und die zugeh¨origen Achsen in Abbildung 8.3.

186

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

(a) Zylindermantel

(b) Vollzylinder

(c) Kugel

(d) Pyramide

(e) Torus (Donut)

(f) Kegelstumpf

Abb. 8.3: Verschiedene starre K¨ orper mit Achsen, bez¨ uglich derer die Tr¨agheitsmomente berechnet werden sollen.

Die folgenden Tipps k¨ onnen bei der Berechnung des Tr¨agheitstensors (bzw. von allgemeinen Volumenintegralen u ¨ber starre K¨orper) sehr hilfreich sein: 1) Verwenden Sie bei der Berechnung von Volumenintegralen geeignete Koordinaten, die auf die Form des betrachteten Volumens zugeschnitten sind. Zum Beispiel sind das bei einem zylinderf¨ ormigen K¨orper die Zylinderkoordinaten oder bei einer Kugel die Kugelkoordinaten. ¨ 2) Uberlegen Sie sich vor Berechnung eines Volumenintegrals, in welchen Bereichen die einzelnen Variablen laufen. 3) Geeignete Koordinaten zur Integration u ¨ber einen K¨orper erh¨alt man geschickt aus dessen Parameterdarstellung. Transformiert man die Koordinaten zur Berechnung eines Volumenintegrals, darf man die Funktionaldeterminante nicht vergessen. Bekanntlich ist deren Wert bei Zylinderkoordinaten gegeben durch die radiale Koordinate r oder bei Kugelkoordinaten durch r2 sin ϑ mit dem Polarwinkel ϑ. Das Volumen des entsprechenden K¨orpers ergibt sich durch Integration der Funktionaldeterminante u ¨ber die Bereiche der Koordinaten, mit denen alle Punkte des K¨orpers abgedeckt werden.

8.2 Schwerpunkt und Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers

187

4) Setzt man einen starren K¨ orper aus zwei kleineren K¨orpern zusammen, dann ist ihr Tr¨ agheitsmoment die Summe beider Tr¨agheitsmomente. Schneidet man im Gegensatz dazu von einem K¨orper ein St¨ uckchen ab, dann ergibt sich das Tr¨ agheitsmoment des neuen K¨orpers als Differenz des urspr¨ unglichen Tr¨ agheitsmoments und dem des abgeschnittenen Teils.

Die Teile von Aufgabe 8.3 unterscheiden sich in der Art der Berechnung der Tr¨agheitsmomente voneinander. Die Ergebnisse werden in Tabelle 8.1 zusammengefasst. Hohlzylinder

Vollzylinder

Zylindermantel

Kugel

mR2

m 2 R 2

m 2 (r + r22 ) 2 1

2 mR2 5

Pyramide

Torus

Kegel

Kegelstumpf

m 2 l 10

3 mr12 + mr22 4

3 mR2 10

3 r15 − r25 m 10 r13 − r23

Tabelle 8.1: Tr¨ agheitsmomente f¨ ur einige starre K¨orper bez¨ uglich deren mittleren Symmetrieachse durch den Schwerpunkt (siehe Abbildung 8.3).

¨ Ubungsaufgabe 8.4: Tragheitstensor eines dreiatomigen ¨ Molekuls ¨ Ein Molek¨ ul bestehe aus drei Atomen mit jeweils derselben Masse m an Positionen, die durch folgende Ortsvektoren gegeben sind:       −a/2 a/2 0 √ a r(1) =  0  , r(2) =  0  , r(3) = 3 1 . (8.31) 2 0 0 1 a) Bestimmen Sie den Tr¨ agheitstensor des Molek¨ uls. Warum handelt es sich dabei um keine Diagonalmatrix? b) Bringen Sie den Tr¨ agheitstensor durch eine Hauptachsentransformation auf Diagonalgestalt. Wie lauten die Hauptachsen?

Lo¨sung zu Aufgabe 8.4 F¨ ur den Fall eines ausgedehnten K¨ orpers, der sich aus einzelnen Punktmassen ma zusammensetzt, bestimmt man den Tr¨ agheitstensor am besten gem¨aß:   3  2 X (a) (a) (a) Jij = ma δij r − ri rj . (8.32) a=1

188

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Die Summe deckt die Ortsvektoren einer jeden Masse ab. Man muss nicht jede einzelne Komponente des Tr¨agheitstensors getrennt ausrechnen. Stattdessen l¨ asst sich die zugeh¨ orige Matrix gem¨aß der folgenden Formel auf einmal bestimmen:   3 2  T  X (a) (a) (a) J= ma 13 r −r · r . (8.33) a=1

Hierbei steht 13 f¨ ur die (3 × 3)-Einheitsmatrix und T“ f¨ ur den transponierten ” Vektor r(a) , der ein Zeilenvektor ist. Der zweite Term ist als Matrixprodukt eines Spalten- und eines Zeilenvektors zu sehen, dessen Ergebnis eine (3 × 3)-Matrix ist.

Gleichung (8.33) wird im Folgenden auf das dreiatomige Molek¨ ul angewendet. a) Der gesamte Tr¨ agheitstensor ergibt sich als Summe von drei Beitr¨agen J (1) , J (2) (3) und J . Jeder einzelne bezieht sich auf ein bestimmtes Atom. Die Nummerierung ist gem¨ aß Gleichung (8.31) gew¨ ahlt.       100 1 2 2 a a 0 · (1,0,0) J (1) = m  0 1 0 − 4 001 4 0       ma2 1 0 0 1 0 0 ma2 0 0 0 010 − 0 00 0 1 0 , = = (8.34) 4 4 001 0 00 0 0 1 

J (2)

      100 1 0 0 0 0 0 2 2 2 a a ma 0 0 0 =  0 1 0 = m   0 1 0 − 4 001 4 0 0 0 4 0 0 1 = J (2) , 

J

(3)

 10 2 3a 0 1 = m 2 00  3ma2 2 0 0 1 = 4 0 −1

(8.35)    0 0 0 0 2 3a 0 1 1 0 − 4 1 0 1 1  0 −1 . 1

(8.36)

8.2 Schwerpunkt und Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨orpers

189

Der Tr¨ agheitstensor des vollst¨ andigen Molek¨ uls lautet somit:     0 0 0 2 0 0 2 2 ma 3ma 0 1 0 + 0 1 −1 J = J (1) + J (2) + J (3) = 2 4 0 0 1 0 −1 1   ma2 6 0 0  0 5 −3 . = (8.37) 4 0 −3 5 Offensichtlich ist dieser nicht diagonal. Der Grund ist, dass die kartesische Standardbasis, welche der Matrixdarstellung zugrunde liegt, nicht den Hauptachsen des Molek¨ uls entspricht. Die Ausnahme bildet der erste Einheitsvektor b ex , der entlang einer Hauptachse zeigt. Schließlich ist ja nur die (2 × 2)-Untermatrix, die mit der y- und z-Komponente zusammenh¨angt, nicht diagonal. b) Um den Tr¨ agheitstensor in Diagonalgestalt zu bringen, muss man eine Hauptachsentransformation durchf¨ uhren. Diese besteht darin, eine neue Basis zu finden, deren Vektoren jeweils entlang einer der Hauptachsen zeigen. Liegt diese Basis vor, so kann man die Matrix des Tr¨ agheitstensors damit darstellen. Sie muss dann notwendigerweise diagonal sein. Der erste Schritt einer Hauptachsentransformation ist die Bestimmung der Eigenwerte der Matrix J. Hierbei wird ma2 /4 ≡ q gesetzt, um Schreibarbeit zu sparen:     λ 0 0 6 0 0 det(λ13 − J) = det  0 λ 0  − q 0 5 −3 0 0 λ 0 −3 5   λ − 6q 0 0 λ − 5q 3q  = det  0 0 3q λ − 5q   = (λ − 6q) (λ − 5q)2 − 9q 2   ! = (λ − 6q) λ2 − 10qλ + 16q 2 = 0 . (8.38) Der erste Eigenwert ist λ1 = 6q, was dem oberen linken Eintrag von J entspricht. Die anderen beiden sind die Nullstellen des quadratischen Polynoms in eckigen Klammern: p 10q ± 100q 2 − 64q 2 1p 2 λ2/3 = = 5q ± 36q = 5q ± 3q . (8.39) 2 2 Die Haupttr¨ agheitsmomente sind daher 3 1 ma2 , J2 = 2ma2 , J3 = ma2 . (8.40) 2 2 Die Hauptachsen sind die Eigenvektoren von J. Diese bestimmt man als Kern der linearen Abbildung, welche durch die Matrix   λ − 6q 0 0  0 λ − 5q 3q  (8.41) 0 3q λ − 5q J1 =

190

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper vermittelt wird. Das muss f¨ ur jeden einzelnen Eigenwert gemacht werden. F¨ ur λ1 = 6q ergibt sich das lineare Gleichungssystem      0 0 0 a1 0 0 q 3q  a2  = 0 . (8.42) 0 3q q a3 0 Die zweite und dritte Zeile sind linear unabh¨angig. Deshalb muss a2 = a3 = 0 sein. Man sieht dann schnell, dass der zugeh¨ orige Eigenvektor durch λ1 = b ex = (1,0,0)T gegeben ist. Auch das war von vorn herein klar, da J vor der Hauptachsentransformation ja teilweise schon diagonal war. F¨ ur λ2 = 8q muss folgendes lineares Gleichungssystem gel¨ ost werden:      2q 0 0 b1 0  0 3q 3q  b2  = 0 . (8.43) 0 3q 3q b3 0 Die letzten beiden Zeilen sind linear abh¨angig. Damit folgt sofort b3 = −b2 . Aus der ersten Zeile ergibt sich b1 = 0. Also lautet der zugeh¨orige Eigenvektor λ2 = (0,1, −1)T . Letztendlich ist f¨ ur λ3 = 2q das verbleibende Gleichungssystem zu untersuchen:       −4q 0 0 c1 0  0 −3q 3q  · c2  = 0 . (8.44) 0 3q −3q c3 0 Auch hier sind die letzten beiden Zeilen linear abh¨angig. F¨ ur allgemeine Werte von c3 folgt c2 = c3 . Aufgrund der ersten Gleichung ist wieder c1 = 0. Also lautet der Eigenvektor λ3 = (0,1,1)T . Zusammenfassend sind die drei normierten Hauptachsen somit gegeben durch:       1 0 0 b 1 = 0 , λ b 2 = √1  1  , λ b 3 = √1 1 . λ (8.45) 2 −1 2 1 0 Das Hauptachsensystem ist ein Orthonormalsystem; die Hauptachsen stehen paarweise senkrecht aufeinander. In der obigen Basis ist J diagonal, und die Haupttr¨ agheitsmomente aus Gleichung (8.40) befinden sich auf der Diagonalen.

8.3

Steinerscher Satz

Bisher wurden Tr¨ agheitsmomente immer bez¨ uglich von Achsen berechnet, die durch den Schwerpunkt des K¨ orpers verliefen. Interessiert man sich f¨ ur das Tr¨agheitsmoment einer Achse, die nicht durch den Schwerpunkt geht, muss man das bisherige Vorgehen ein bisschen ¨ andern. Dazu dient der aktuelle Abschnitt. Als Startpunkt soll das Tr¨ agheitsmoment eines Quaders mit konstanter Dichte % und den Seitenl¨angen a, b

8.3 Steinerscher Satz

191

und c berechnet werden bez¨ uglich der Schwerpunktsachse, welche die Fl¨ache in der x-y-Ebene senkrecht durchst¨ oßt (siehe Abbildung 8.4a): a/2

Z

Z

Jz |(a/2,b/2) =

b/2

−b/2

a/2 2

=%

b/2

Z

−b/2

b/2

+% 

Z

c/2

dy

−a/2

=

−c/2

dx x Z

dz %(x2 + y 2 )

dy

−a/2

Z

c/2

Z

dx

dy y

2

−b/2 3

Z

dz 1 −c/2

a/2

Z

c/2

dx −a/2 3

dz 1 −c/2

 1 a 1 b m m 2 · · bc + · · ac = (a + b2 ) . 3 4 3 4 abc 12

(8.46)

Wie ¨ andert sich dieses Ergebnis nun f¨ ur eine Achse, die parallel zur betrachteten Schwerpunktsachse in einem bestimmten Abstand zu dieser verl¨auft? Betrachtet wird beispielhaft eine Achse, welche durch die obere rechte Ecke geht, also im Punkt (a, b) die x-y-Ebene durchst¨ oßt. Bez¨ uglich dieser Achse ist das Tr¨agheitsmoment: Z a Z b Z c/2 Jz |(a,b) = dx dy dz %(x2 + y 2 ) 0

=% 0

 =

−c/2

0

Z

a

dx x2

Z

b

Z

c/2

dy 0

Z dz 1 + %

−c/2

b

dy y 2

Z

0

 1 3 1 m m a · bc + b3 · ac = (a2 + b2 ) . 3 3 abc 3

a

Z

c/2

dx 0

dz 1 −c/2

(8.47)

Das Tr¨ agheitsmoment bez¨ uglich der Achse durch (a, b) unterscheidet sich vom Ergebnis aus Gleichung (8.46) durch einen weiteren Anteil proportional zur Summe a2 + b2 :  2 m 2 a/2 2 Jz |(a,b) = Jz |(a/2,b/2) + (a + b ) = Jz |(a/2,b/2) + m . (8.48) b/2 4 Werfen Sie auf den zus¨ atzlichen Term einen genauen Blick, dann sehen Sie, dass es sich dabei um das Tr¨ agheitsmoment einer Punktmasse bez¨ uglich der Schwerpunktsachse handelt. In dieser Punktmasse ist die gesamte Masse m des Quaders zusammengefasst. Der Abstand der Punktmasse zur Schwerpunktsachse entspricht genau dem Abstand der beiden betrachteten Achsen. Ist das Zufall? Mit den Substitutionen x = x0 +a/2 und y 0 = y +b/2 l¨asst sich das Integrationsgebiet in Gleichung (8.47) in das Gebiet von Gleichung (8.46) transformieren. Dann ¨andert sich der Integrand: "  2 # Z a/2 Z b/2 Z c/2  a 2 b 0 0 0 0 Jz |(a,b) = dx dy dz % x + + y + 2 2 −a/2 −b/2 −c/2   Z a/2 Z 2 b/2  a 2 b = %bc dx0 x0 + + %ac dy 0 y 0 + 2 2 −a/2 −b/2

192

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

(a) Zur Berechnung des Tr¨ agheitsmoments eines Quaders bez¨ uglich verschiedener zueinander paralleler Achsen

(b) Starrer K¨ orper mit Schwerpunktsachse und einer Achse parallel dazu mit dem Abstandsvektor r0

Abb. 8.4: Tr¨ agheitsmomente bez¨ uglich zur Schwerpunktsachse parallel verlaufender Achsen. "Z

# Z a2 a/2 0 = %bc dx x + a dx x + dx 1 4 −a/2 −a/2 −a/2 "Z # Z b/2 Z b/2 b2 b/2 0 0 02 0 0 + %ac dy y + b dy y + dy 1 . 4 −b/2 −b/2 −b/2 a/2

0

02

Z

a/2

0

0

(8.49)

Interpretieren wir dieses Ergebnis. Die jeweils ersten beiden Terme in den eckigen Klammern besitzen eine Analogie zu den Termen, die im urspr¨ unglichen Tr¨agheitsmoment aus Gleichung (8.46) auftraten. Die mittleren beiden verschwinden aus Symmetriegr¨ unden (sie entsprechen den Koordinaten des Schwerpunkts, der im Ursprung liegt). Die beiden letzten Terme f¨ uhren exakt auf den zus¨ atzlichen Ausdruck in Gleichung (8.48). Um das Ganze f¨ ur einen beliebigen starren K¨orper zu verstehen, schauen Sie sich Abbildung 8.4b an. Betrachtet wird hier das Problem von der allgemeinen Warte aus. Das Tr¨ agheitsmoment eines starren K¨ orpers soll einmal bez¨ uglich einer Schwerpunktsachse senkrecht zur x-y-Ebene berechnet werden und ein anderes mal bez¨ uglich einer Achse parallel zu dieser Schwerpunktsachse mit dem Abstandsvektor r0 . Im ersten Fall ergibt sich: Z Z p Jz(S) = d3 r %(r)(x2 + y 2 ) = d3 r %(r)r2 , r = x2 + y 2 , (8.50) V

V

gem¨ aß der Definition. Im zweiten Fall erfolgt die Integration u ¨ber den Vektor r0 , welcher alle Punkte des K¨ orpers ausgehend von der verschobenen Achse abdeckt: Z Jz = d3 r0 %(r0 )r02 . (8.51) V0

Eine Substitution r0 = r − r0 erweist sich als sinnvoll, um das neue Tr¨agheitsmoment mittels des alten auszudr¨ ucken. Bei einer Verschiebung um einen konstanten Vektor

8.3 Steinerscher Satz

193

r0 ¨ andert sich das Integral u ¨ber die Dichte des K¨orpers nicht. Der Grund ist, dass dieses als Limes einer Summe u ¨ber infinitesimale Teilchen behandelt werden kann (siehe Abschnitt 8.2), der bei einer solchen Verschiebung gleich bleibt: N X

r=r0 −r

0 ∆mi −−−−−→

i=1

Z

N X

∆mi ,

(8.52a)

i=1 r=r0 −r

0 d3 r %(r) −−−−−→

Z

d3 r0 %(r) =

V0

V

Z

d3 r %(r) .

(8.52b)

V

Damit l¨ asst sich das Tr¨ agheitsmoment bez¨ uglich der zur Schwerpunktsachse parallelen Achse aus Gleichung (8.51) mittels des Tr¨ agheitsmoment bez¨ uglich der Schwerpunktsachse ausdr¨ ucken: Z Jz = d3 r %(r)(r − r0 )2 V Z Z Z = d3 r %(r)r2 − 2r0 · d3 r %(r)r + r20 d3 r %(r) . (8.53) V

V

V (S)

Der erste Term auf der rechten Seite ist das Tr¨agheitsmoment Jz bez¨ uglich der Schwerpunktsachse. Das Integral des zweiten Terms ist nichts anderes als der Schwerpunkt in den alten Koordinaten, der in diesen Koordinaten im Koordinatenursprung liegt. Damit ist der Term gegeben durch 2r0 · S = 2r0 · 0 = 0. Im dritten Ausdruck wird u orpers integriert, was auf dessen Masse f¨ uhrt. ¨ber die gesamte Dichte des starren K¨ Infolgedessen ergibt sich das Ergebnis, das man anhand des vorherigen Beispiels mit dem Quader schon erwartet hatte. Das Tr¨ agheitsmoment Jz eines starren K¨ orpers bez¨ uglich einer Achse, die parallel zur Schwerpunktsachse mit dem Abstandsvektor r0 verl¨auft, ist die Summe zweier Beitr¨ age: (S)

1) dem Tr¨ agheitsmoment Jz bez¨ uglich der Schwerpunktsachse 2) und dem Tr¨ agheitsmoment der im Schwerpunkt (mit Abstandsvektor r0 von der parallelen Achse aus) vereinigt gedachten Masse M des K¨orpers. Es gilt also: Jz = Jz(S) + M r20 .

(8.54)

Diesen Zusammenhang nennt man den Steinerschen Satz, der auf den Mathematiker Jakob Steiner zur¨ uckgeht. Er gilt so auch f¨ ur die anderen Haupttr¨agheitsmomente.

Anwendungen des Steinerschen Satzes werden auf den folgenden Seiten verstreut auftauchen.

194

8.4

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Energie eines rotierenden starren Ko¨rpers

Nun haben Sie mit dem Wissen u ¨ber die Berechnung der Schwerpunkte und Tr¨agheitsmomente von starren K¨ orpern das technische R¨ ustzeug in der Hand, um die Physik des starren K¨ orpers nachvollziehen zu k¨ onnen. Als leicht verdauliche Vorspeise gilt der Energiebegriff f¨ ur die Bewegung eines starren K¨orpers. Im Gegensatz zu einer Punktmasse kann ein ausgedehnter K¨ orper auch dann kinetische Energie besitzen, wenn dessen Schwerpunkt stillsteht. Jeder starre K¨ orper kann sich drehen, und in einer solchen Drehung steckt ebenso kinetische Energie. Denken Sie sich auch hier den K¨orper wieder in viele kleine Teilchen zerlegt, und erinnern Sie sich an das Ende von Kapitel 3. Hier wurde die Rotationsenergie einer Punktmasse berechnet, die sich mit der Winkelgeschwindigkeit ϕ˙ im Abstand R um eine Achse dreht. Das Ergebnis ist durch Gleichung (3.57) gegeben und wird hier nochmals wiederholt: Trot =

1 mR2 ϕ˙ 2 . 2

(8.55)

Gem¨ aß der Vorgehensweise in Abschnitt 8.2 l¨asst sich dieses Resultat verwenden, um die Rotationsenergie eines starren K¨ orpers zu bestimmen, wenn dieser sich um eine bestimmte Achse dreht. Jedes Teilchen der Masse ∆mi , das im Abstand ri zur Achse rotiert, besitzt eine solche kinetische Energie. Die gesamte kinetische Energie des sich drehenden K¨ orpers ist die Summe der Energien aller dieser Teilchen, die im Grenz¨ ubergang ∆mi 7→ 0 wieder als Integral geschrieben werden kann. Dabei ist die Winkelgeschwindigkeit ϕ˙ = ω f¨ ur alle Teilchen dieselbe: Trot

Z N 1 2X 1 2 ∆mi 7→0 1 2 = ϕ˙ ∆mi ri −−−−−→ ϕ˙ d3 r %(r)r2 = Jω 2 . 2 i=1 2 2 V

(8.56)

An dieser Stelle k¨ onnen Sie sich nochmal die Analogie zur kinetischen Energie einer Punktmasse (oder zur Translation des Schwerpunkts eines starren K¨orpers) klar machen. Die Geschwindigkeit entspricht bei der Rotation der Winkelgeschwindigkeit, und die Masse entspricht dem Tr¨ agheitsmoment. So wie die Tr¨agheit aufgrund der Masse einen Widerstand darstellt, wenn man den Bewegungszustand eines punktf¨ormigen K¨ orpers ¨ andern m¨ ochte, stellt das Tr¨ agheitsmoment einen ¨ahnlichen Widerstand dar, wenn man einen starren K¨ orper schneller oder langsamer rotieren lassen m¨ochte. Das merken Sie selbst, wenn Sie versuchen, eine an einem Seil ruhend aufgeh¨angte Kugel oder Pyramide in eine Drehbewegung zu versetzen. Die Rotationsenergie eines starren K¨ orpers mit Tr¨agheitsmoment J, welcher mit der Winkelgeschwindigkeit ω um eine Haupttr¨agheitsachse (oder eine Achse parallel dazu) rotiert, betr¨ agt Trot =

1 2 Jω . 2

(8.57)

Wenn sich der K¨ orper nicht um eine seiner Haupttr¨agheitsachsen (oder um eine Achse parallel dazu) dreht, so handelt es sich bei der Winkelgeschwindigkeit

8.4 Energie eines rotierenden starren K¨ orpers

195

um einen dreidimensionalen Vektor. Dann muss man diesen Ausdruck mit dem Tr¨ agheitstensor aus Gleichung (8.27b) verallgemeinern: Trot =

3 1 X Jij ωi ωj . 2 i,j=1

(8.58)

¨ Ubungsaufgabe 8.5: Rollbewegung eines Zylinders In dieser Aufgabe geht es um einen Vollzylinder mit Masse m und Radius r, welcher in der Innenseite eines gr¨ oßeren Hohlzylinders mit Radius R abrollt (siehe Abbildung 8.5). a) Bestimmen Sie die kinetische und potenzielle Energie des rollenden Zylinders. b) Wie lautet dessen Bewegungsgleichung f¨ ur den Auslenkwinkel θ = θ(t)? Zeigen Sie, dass es sich f¨ ur θ . 5◦ um einen harmonischen Oszillator handelt. Bestimmen Sie dessen Eigenfrequenz ω0 . c) Pr¨ ufen Sie nach, dass L˙ z = Mz gilt f¨ ur den Ber¨ uhrungspunkt des kleinen und großen Zylinders.

Abb. 8.5: Kleiner Vollzylinder mit Radius r, der auf der Innenseite eines großen Hohlzylinders mit Radius R abrollt.

L¨osung zu Aufgabe 8.5 Da sich der kleine Zylinder stets auf der Innenseite des großen Zylinders bewegt, lautet dessen Orts-Zeit-Gesetz:   sin θ r(t) = (R − r) . (8.59) − cos θ Ausgehend davon lassen sich alle weiteren Gr¨ oßen bestimmen.

196

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

a) Aus dem Orts-Zeit-Gesetz folgt durch Ableiten der Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektor: v(t) = r˙ (t) = (R − r)θ˙ b eθ ,

(8.60a)

a(t) = ¨r(t) = (R − r)θ¨ b eθ + (R − r)θ˙2 b er ,

(8.60b)

mit dem radial nach außen zeigenden Einheitsvektor b er und dem tangential zum großen Zylinder liegenden Einheitsvektor b eθ :     − sin θ cos θ b er = , b eθ = . (8.60c) cos θ sin θ Analog zu Gleichung (2.90) gibt es eine radiale und eine zirkulare Beschleunigung. Dreht sich der kleine Zylinder ohne Schlupf, d.h., er dreht nicht durch, dann gilt die Rollbedingung (siehe auch Aufgabe 2.1): v = rω. Damit ergibt sich die Winkelgeschwindigkeit des kleinen Zylinders zu: ω=

v R−r ˙ = θ. r r

(8.61)

Die gesamte kinetische Energie des rollenden Zylinders setzt sich aus der kinetischen Energie f¨ ur die Bewegung des Schwerpunkts und der Rotationsenergie zusammen: 1 2 1 2 1 1 1 (R − r)2 ˙2 m˙r + Jω = m(R − r)2 θ˙2 + · mr2 · θ 2 2 2 2 2 r2 3 = m(R − r)2 θ˙2 . (8.62) 4

T =

Legt man das Nullniveau an den untersten Punkt des großen Zylinders, resultiert daraus die potenzielle Energie mit Hilfe von Abbildung 8.5: V = mgh = mg [R − (R − r) cos θ] .

(8.63)

b) Aus dem Potenzial gewinnt man durch Ableiten nach der Auslenkung s = (R−r)θ die Kraft. Sie zeigt tangential zum großen Zylinder, aber entgegengesetzt zum Vektor b eθ : F =−

∂V b eθ = −mg sin θ b eθ . ∂s

(8.64)

Um die Bewegungsgleichung aufzustellen, muss man nun sowohl die Beschleunigung a = ¨r des Schwerpunkts als auch die Winkelbeschleunigung ω˙ = α ber¨ uck¨ sichtigen. F¨ ur die zeitliche Anderung des Winkels θ spielt einzig der zirkulare Anteil eine Rolle, also der erste Term in Gleichung (8.60b). Die radiale Beschleunigung h¨ alt nur den Schwerpunkt des Zylinders auf der Kreisbahn. aθ = (R − r)θ¨ ,

α=

aθ R−r¨ = θ. r r

(8.65)

8.4 Energie eines rotierenden starren K¨ orpers

197

Damit lautet die gesamte Kraft in zirkularer Richtung, die sich aus der Kraft auf den Schwerpunkt und dem angreifenden Drehmoment zusammensetzt: Mθ Jα 1 R−r¨ = maθ + = m(R − r)θ¨ + mr2 · θ r r 2 r2 3 = m(R − r)θ¨ . (8.66) 2

Fges = Fθ +

Das f¨ uhrt uns somit letztendlich auf die Bewegungsgleichung: 3 (R − r)θ¨ = −g sin θ . 2

(8.67)

F¨ ur Winkel θ . 5◦ kann man die Gleichung linearisieren, d.h., die N¨aherung sin θ ≈ θ ist sinnvoll. Dann handelt es sich um einen harmonischen Oszillator, weil die R¨ uckstellkraft linear vom Auslenkwinkel θ abh¨angt. Einsetzen des u ¨blichen Ansatzes θ(t) = θ0 exp(iωt) in die linearisierte Bewegungsgleichung 3 (R − r)θ¨ = −gθ 2

(8.68)

f¨ uhrt auf die Eigenfrequenz ω0 des harmonischen Oszillators: s 3 2g 2 (R − r)ω0 = g ⇒ ω0 = . 2 3(R − r)

(8.69)

c) Die Drehimpulskomponente Lz folgt aus dem Tr¨agheitsmoment Jz und der Winkelgeschwindigkeit des kleinen Zylinders. Man muss jedoch beachten, dass man das Tr¨ agheitsmoment bez¨ uglich des Verbindungspunkts des großen und kleinen Zylinders ben¨ otigt. Dabei handelt es sich im Prinzip um das Tr¨agheitsmoment des Vollzylinders bez¨ uglich einer zur Schwerpunktsachse im Abstand r parallel verlaufenden Achse. Da hilft der Steinersche Satz weiter: Jz = Jz(S) + mr2 =

1 2 3 mr + mr2 = mr2 . 2 2

(8.70)

Dann l¨ asst sich der Drehimpuls und dessen zeitliche Ableitung mit Hilfe der Bewegungsgleichung auf die folgende Form bringen: Lz = Jz ω =

3 mr(R−r)θ˙ , 2

3 L˙ z = mr(R−r)θ¨ = −mgr sin θ . (8.71) 2

Das Drehmoment folgt aus der u ¨blichen Definition:       r sin θ 0 0 Mz = r × F = −r cos θ × −mg  = −mgr sin θ 0 . 0 0 1

(8.72)

Hier liest man Mz = −mgr sin θ ab, was mit Gleichung (8.71) u ¨bereinstimmt. Folglich ist die G¨ ultigkeit von L˙ z = Mz nachgewiesen.

198

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

¨ Ubungsaufgabe 8.6: Physikalisches Pendel Gegenstand dieser Aufgabe ist ein zylinderf¨ ormiger Stab der L¨ange l, dessen Durchmesser gegen¨ uber seiner L¨ ange vernachl¨ assigt wird. Der Stab sei an einem Ende senkrecht aufgeh¨ angt und werde aus seiner Ruhelage um den Winkel ϕ ausgelenkt. Danach wird er losgelassen. a) Stellen Sie die Bewegungsgleichung f¨ ur den Auslenkwinkel ϕ = ϕ(t) auf. b) F¨ ur kleine Winkel schwingt der Stab wie ein harmonischer Oszillator. Linearisieren Sie die Bewegungsgleichung f¨ ur ϕ . 5◦ , und l¨osen Sie sie. Berechnen Sie die Eigenfrequenz ω0 f¨ ur g = 9,81 m/s2 und l = 1,0 m. Man nennt ein solches System physikalisches Pendel. Der Name kommt daher, dass im Gegensatz zum mathematischen Pendel (siehe Aufgaben 5.6 und 5.8) die physikalische Ausdehnung des schwingenden K¨ orpers ber¨ ucksichtigt wird, die jedem starren K¨orper innewohnt.

L¨osung zu Aufgabe 8.6 Der Ursprung des Koordinatensystems befinde sich im Schwerpunkt des Stabs. Nach dem Loslassen des Stabs schwingt dieser um den Aufh¨angepunkt. Das entspricht einer Schwingung bez¨ uglich einer Drehachse senkrecht zur Mantelfl¨ache. Da der Durchmesser gegen¨ uber der L¨ ange l des Stabs vernachl¨assigt wird, lautet das Tr¨agheitsmoment bez¨ uglich einer solchen Schwerpunktsachse wie folgt: Jz =

1 ml2 . 12

(8.73)

Mit Hilfe des Steinerschen Satzes berechnet man das Tr¨agheitsmoment in Bezug auf das Stabende, das einen Abstand von l/2 zum Schwerpunkt besitzt: Jz0

 2 l 1 1 1 = Jz + m = ml2 + ml2 = ml2 . 2 12 4 3

(8.74)

a) Mittels des Tr¨ agheitsmoments und den Betrachtungen aus Abschnitt 8.2 kann man sofort die Bewegungsgleichung des schwingenden Stabs aufstellen: l Jz0 ϕ¨ b ez = − mg sin ϕ b ez . 2

(8.75)

Es gen¨ ugt, sich auf die z-Komponente der Gleichung zu beschr¨anken; die restlichen Komponenten enthalten die Aussage 0 = 0, die zwar richtig ist, aber einem nicht weiterhilft: 1 2 l 3g ml ϕ¨ = − mg sin ϕ ⇔ ϕ¨ = − sin ϕ . 3 2 2l

(8.76)

8.5 Eulersche Winkel

199

b) F¨ ur Winkel ϕ . 5◦ stellt das physikalische Pendel einen harmonischen Oszillator dar, denn dann h¨ angt die R¨ uckstellkraft linear von der Auslenkung ab. Die Bewegungsgleichung lautet unter dieser N¨aherung: ϕ¨ = −

3g ϕ. 2l

(8.77)

Die allgemeine L¨ osung f¨ ur den zeitabh¨ angigen Auslenkwinkel betr¨agt somit r 3g (8.78) ϕ(t) = a sin(ω0 t) + b cos(ω0 t) , ω0 = 2l mit der Eigenfrequenz ω0 . Der Stab schwingt mit dieser Frequenz, die nur von dessen L¨ ange und der Fallbeschleunigung abh¨angt. Mit den Werten l = 1,0 m und g = 9,81 m/s2 ergibt sich ω ≈ 3,8/s.

8.5

Eulersche Winkel

In den bisherigen Abschnitten war es m¨ oglich, einfache Drehbewegungen von starren K¨ orpern zu beschreiben und zu verstehen. Die betrachteten Bewegungen waren derart gestrickt, dass sich der K¨ orper um eine seiner Hauptachsen (oder um eine Achse parallel dazu) drehte. Ab jetzt soll das Vorgehen zum Verst¨andnis der Dynamik etwas systematisiert werden. Der Grund ist, dass sich ein K¨orper nat¨ urlich nicht notwendigerweise um eine seiner Hauptachsen drehen muss. Im Allgemeinen kann die Drehung um eine beliebige Achse stattfinden, die absolut nichts mit einer Schwerpunktsachse zu tun hat. Sie werden sehen, dass solche Bewegungen mitunter sehr kompliziert sein k¨onnen. Doch um dar¨ uber etwas aussagen zu k¨ onnen, muss man zun¨achst etwas Vorarbeit leisten, was in den nun folgenden Abschnitten geschehen soll. Zur Beschreibung der Bewegung eines starren K¨orpers sind zwei unterschiedliche Klassen von Koordinatensystemen n¨ utzlich. Die erste Klasse umfasst solche Systeme, deren Koordinatenachsen unabh¨ angig von der Bewegung des K¨orpers gleich bleiben; man bezeichnet diese als raumfest. Die zweite Klasse beinhaltet Koordinatensysteme, deren Achsen sich mit dem K¨ orper bewegen; letztere heißen k¨ orperfest. Im n¨achsten Abschnitt sehen Sie, warum k¨ orperfeste Koordinatensysteme zur Betrachtung der Bewegung von starren K¨ orpern den raumfesten Systemen bevorzugt werden sollten. Da alle bisherig betrachteten Koordinatensysteme raumfest waren, geht es im aktuellen Abschnitt darum, k¨ orperfeste Systeme zu verstehen. Ein Großteil dieser Arbeit geht auf den Mathematiker und Physiker Leonard Euler zur¨ uck. Betrachten Sie in Abbildung 8.6 ein raumfestes System S und ein k¨orperfestes System S 0 . Die Koordinatenurspr¨ unge beider Systeme entsprechen einander, und S 0 soll gegen¨ uber S beliebig verdreht sein. Man ben¨ otigt eine Abbildung, mit der ein im raumfesten System gegebener beliebiger Punkt auf einen beliebigen Punkt im k¨orperfesten System abgebildet werden kann. Die gesuchte Abbildung l¨asst sich durch drei hintereinander ausgef¨ uhrte Drehungen zusammenbauen. Eine M¨oglichkeit ist es, diese Drehungen wie folgt zu w¨ ahlen:

200

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Abb. 8.6: Drehung des k¨ orperfesten Systems bez¨ uglich des raumfesten um die Winkel φ, θ und ψ. Das erste Bild zeigt beide deckungsgleiche Systeme, und jedes weitere Bild stellt eine der drei Drehungen dar.

1) Anfangs sollen beide Systeme deckungsgleich sein. Man f¨ uhrt als erstes eine Drehung um die z-Achse des raumfesten Systems mit dem Winkel φ durch. Danach unterscheiden sich die x- und y-Achse von denen des raumfesten Systems, wohingegen die z-Achsen beider Systeme noch u ¨bereinstimmen. Die neuen Achsen sollen mit einem Strich gekennzeichnet werden. 2) Man dreht das k¨ orperfeste System um dessen neue x0 -Achse um einen Winkel θ. Ab jetzt unterscheiden sich alle drei Achsen beider Systeme. Die aus dieser Drehung hervorgehenden Achsen werden mit zwei Strichen bezeichnet. 3) Zum Schluss wird eine Drehung um die z 00 -Achse des k¨orperfesten Systems mit dem Winkel ψ durchgef¨ uhrt. Man bezeichnet die Winkel φ, θ und ψ als die Eulerschen Winkel. Sicherlich k¨onnen die meisten Physiker nicht auf Anhieb eine anschauliche Vorstellung der Eulerschen Winkel liefern. Das ist auch eher f¨ ur solche Leute wesentlich, die jeden Tag mit diesen Winkeln hantieren m¨ ussen. Als Grundlage gen¨ ugt es zu wissen, dass mit den Eulerschen Winkeln eine m¨ ogliche Parametrisierung der beliebigen Drehung eines k¨orperfesten Koordinatensystems m¨ oglich ist. Mit diesem Wissen sind Sie in der Lage, eine solche Drehung mathematisch zu erfassen. Das geschieht mittels der Drehmatrizen aus Abschnitt 4.3.

8.5 Eulersche Winkel

201

Da die erste Drehung mit dem Winkel φ um die z-Achse, die zweite mit dem Winkel θ um die neue x-Achse und die dritte mit ψ um die wiederum neue z-Achse erfolgt, wird die gesamte Drehung des k¨ orperfesten Koordinatensystems durch die Multiplikation der folgenden drei (passiven) Drehmatrizen beschrieben:   cos φ sin φ 0 D(z) = − sin φ cos φ 0 , (8.79a) 0 0 1   1 0 0 0 D(x ) = 0 cos θ sin θ  , (8.79b) 0 − sin θ cos θ   cos ψ sin ψ 0 00 D(z ) = − sin ψ cos ψ 0 . (8.79c) 0 0 1 Diese Matrizen m¨ ussen so miteinander multipliziert werden, dass die erste Drehung ganz rechts steht, da sie ja auch als erste auf einen Vektor des zu drehenden Koordinatensystems wirken soll. Dann lautet die gesamte Drehmatrix:   D11 D12 D13 00 0 D(φ, θ, ψ) = D(z ) D(x ) D(z) = D21 D22 D23  (8.80a) D31 D32 D33 mit D11 = cos φ cos ψ − sin φ cos θ sin ψ , D12 = sin φ cos ψ + cos φ cos θ sin ψ ,

(8.80b) D13 = sin θ sin ψ ,

D21 = − sin φ cos θ cos ψ − cos φ sin ψ , D22 = cos φ cos θ cos ψ − sin φ sin ψ , D31 = sin φ sin θ ,

(8.80c) (8.80d)

D23 = sin θ cos ψ ,

D32 = − cos φ sin θ ,

D33 = cos θ .

(8.80e) (8.80f)

Zu jeder einzelnen Drehung mit einem der Eulerschen Winkel φ, θ und ψ geh¨ort ein Winkelgeschwindigkeitsvektor ω φ , ω θ und ω ψ . Er zeigt in Richtung der jeweiligen Drehachse. Also zeigt ω φ entlang der z-Achse, ω θ in Richtung der x0 -Achse und ω ψ entlang der z 00 -Achse. Das soll mit einem zus¨ atzlichen Index kenntlich gemacht werden:       ˙ 0 0 θ(t) 0 00 (z) (x ) (z ) ωφ =  0  , ωθ =  0  , ωψ =  0  . (8.81) ˙ ˙ φ(t) 0 ψ(t) Diese drei Winkelgeschwindigkeitsvektoren sind also nicht im selben Koordinatensystem dargestellt, sondern jeweils mit einer anderen Basis. Um sie in das endg¨ ultige Koordinatensystem (nach Anwendung der Drehungen um die drei Eulerschen Winkel) zu bringen, muss man passende Drehmatrizen auf sie anwenden. Da der erste Winkelgeschwindigkeitsvektor mit der Drehung um die z-Achse zusammenh¨angt, muss er um

202

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

die x0 - und anschließend um die z 00 -Achse gedreht werden. Auf den zweiten Winkelgeschwindigkeitsvektor wirkt die Drehung um die z 00 -Achse. Dahingegen bleibt der dritte Winkelgeschwindigkeitsvektor so wie er ist, da er entlang der Drehachse der dritten Drehung zeigt und sich nicht ¨ andert. Um den Drehimpulsvektor Ω f¨ ur die vollst¨andige Drehung zu erhalten, m¨ ussen diese drei Beitr¨age addiert werden:   φ˙ sin θ sin ψ + θ˙ cos ψ 0 00 00 0 00 (z) (x ) (z ) Ω ≡ D(z ) D(x ) ω φ + D(z ) ω θ + ω ψ = φ˙ sin θ cos ψ − θ˙ sin ψ  . φ˙ cos θ + ψ˙ (8.82) Damit l¨ asst sich die Winkelgeschwindigkeit bez¨ uglich der vollst¨andigen Drehung in ¨ G¨ anze durch die zeitlichen Anderungen der drei Eulerschen Winkel ausdr¨ ucken. Eine beliebige Drehung des k¨ orperfesten Koordinatensystems kann also erfolgen, indem man festlegt, wie sich die Winkel φ, θ und ψ in Abh¨angigkeit von der Zeit ¨andern.

¨ Ubungsaufgabe 8.7: Eulersche Winkel Die Basisvektoren des k¨ orperfesten Koordinatensystems a¨ndern sich bei einer Drehung mit der Winkelgeschwindigkeit Ω gem¨ aß der Differenzialgleichung b e˙ i (t) = Ω(t) × b ei (t) .

(8.83)

Weiterhin kann man mit Hilfe der Drehmatrix D einer allgemeinen Drehung die Basisvektoren b ei des k¨ orperfesten Koordinatensystems folgendermaßen aus den Basisvektob i des raumfesten Koordinatensystems erhalten: ren n b ei =

3 X

Dik (t)b nk .

(8.84)

k=1

a) Begr¨ unden Sie Gleichung (8.83). b) Vollziehen Sie die G¨ ultigkeit von Gleichung (8.84) nach anhand des Spezialfalls b1 = b b2 = b D = D(φ, θ = 0, ψ = 0) mit der kartesischen Standardbasis n ex , n ey , b2 = b n ez . c) Multiplizieren Sie Gleichung (8.83) mit einem Einheitsvektor b ej (t) des k¨orperfesten Systems. Nutzen Sie Gleichung (8.84), und zeigen Sie, dass sich f¨ ur die Wahl (i, j) ∈ {(2,3), (3,1), (1,2)} die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit Ω wie folgt bestimmen lassen: Ω3 =

3 X

D2k (t)D˙ 1k (t) ,

(8.85a)

D1k (t)D˙ 3k (t) ,

(8.85b)

D3k (t)D˙ 2k (t) .

(8.85c)

k=1

Ω2 =

3 X k=1

Ω1 =

3 X k=1

8.5 Eulersche Winkel

203

c) Berechnen Sie Ω2 mit der allgemeinen Drehmatrix des k¨orperfesten Systems. Vergleichen Sie das Ergebnis mit der zweiten Komponente von Gleichung (8.82). (Optional: Berechnen Sie ebenso Ω1 und Ω3 . Deren Berechnung ist jedoch ziemlich aufwendig und ohne großen zus¨ atzlichen Lerneffekt.)

L¨osung zu Aufgabe 8.7 a) Im Prinzip l¨asst sich Gleichung (8.83) einfach als v = Ω×r verstehen, wobei v = r˙ und f¨ ur r der i-te Basisvektor des k¨ orperfesten Koordinatensystems gew¨ahlt wird. b) Aus Gleichung (8.80) ergibt sich folgender Spezialfall f¨ ur die Drehmatrix:   cos φ sin φ 0 D(φ, θ = 0, ψ = 0) = − sin φ cos φ 0 . (8.86) 0 0 1 Dabei handelt es sich um die (passive) Drehmatrix einer Drehung um die z-Achse, so wie es sein muss. Einsetzen in Gleichung (8.84) liefert dann:   cos φ b e1 = D11 b ex + D12 b ey + D13 b ez =  sin φ  , (8.87) 0   − sin φ b e2 = D21 b ex + D22 b ey + D23 b ez =  cos φ  , (8.88) 0   0 b e3 = D31 b ex + D32 b ey + D33 b ez = 0 . (8.89) 1 Die Vektoren b e1 und b e2 sind tats¨ achlich die Basisvektoren, die aus einer Drehung der ersten beiden Vektoren der kartesischen Standardbasis um die z-Achse hervorgehen. Der dritte Vektor entlang der z-Achse bleibt von der Drehung unber¨ uhrt, so wie man es erwartet. c) Durch Multiplikation mit b ej geht Gleichung (8.83) u ¨ber in: b ej (t) · b e˙ i (t) = b ej (t) · [Ω(t) × b ei (t)] " 3 # X =b ej (t) · Ωk b ek (t) × b ei (t) .

(8.90)

k=1

b i lautet die linke Seite: Mit Gleichung (8.84) und der Orthonormalit¨at der n b ej (t) · b e˙ i (t) =

3 X

Djk (t)b nk ·

k=1

=

3 X k,l=1

3 X

D˙ il (t)b nl =

l=1

δkl Djk (t)D˙ il (t) =

3 X

b l )Djk (t)D˙ il (t) (b nk · n

k,l=1 3 X k=1

Djk (t)D˙ ik (t) .

(8.91)

204

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper Durch eine Drehung bleiben die Eigenschaften eines Orthonormalsystems und eines Rechtssystems erhalten, also ist: b ei · b ej = δij , b e1 × b e2 = b e3 ,

(8.92a) b e2 × b e3 = b e1 ,

b e3 × b e1 = b e2 .

(8.92b)

Die rechte Seite l¨ asst sich nun f¨ ur die verschiedenen F¨alle auswerten. F¨ ur (i, j) ∈ {(2,3), (3,1), (1,2)} folgt nacheinander: b e3 · [Ω1 b e1 + Ω3 b e3 ] × b e2 = b e3 · [Ω1 b e3 − Ω3 b e1 ] = Ω1 ,

(8.93a)

b e1 · [Ω1 b e1 + Ω2 b e2 ] × b e3 = b e1 · [−Ω1 b e2 + Ω 2 b e1 ] = Ω2 ,

(8.93b)

b e2 · [Ω2 b e2 + Ω3 b e3 ] × b e1 = b e2 · [−Ω2 b e3 + Ω3 b e2 ] = Ω3 .

(8.93c)

Durch Einsetzen der entsprechenden Werte f¨ ur i und j in Gleichung (8.91) ergeben sich die drei Zusammenh¨ ange von Gleichung (8.85). d) Berechnet wird an dieser Stelle nur Ω2 : h i D11 D˙ 31 = [cos φ cos ψ − sin φ cos θ sin ψ] · φ˙ cos φ sin θ + θ˙ sin φ cos θ = φ˙ cos2 φ sin θ cos ψ + θ˙ sin φ cos φ cos θ cos ψ − φ˙ sin φ cos φ sin θ cos θ sin ψ − θ˙ sin2 φ cos2 θ sin ψ ,

(8.94a)

h i D12 D˙ 32 = [sin φ cos ψ + cos φ cos θ sin ψ] · φ˙ sin φ sin θ − θ˙ cos φ cos θ = φ˙ sin2 φ sin θ cos ψ − θ˙ sin φ cos φ cos θ cos ψ + φ˙ sin φ cos φ sin θ cos θ sin ψ − θ˙ cos2 φ cos2 θ sin ψ , D13 D˙ 33 = sin θ sin ψ · (−θ˙ sin θ) = −θ˙ sin2 θ sin ψ .

(8.94b) (8.94c)

Somit folgt: Ω2 =

3 X

D1k (t)D˙ 3k (t) = D11 D˙ 31 + D12 D˙ 32 + D13 D˙ 33

k=1

= φ˙ sin θ cos ψ − θ˙ cos2 θ sin ψ − θ˙ sin2 θ sin ψ = φ˙ sin θ cos ψ − θ˙ sin ψ .

(8.95)

Ein Vergleich mit Gleichung (8.82) offenbart, dass beide Ergebnisse u ¨bereinstimmen. Die Berechnung von Ω1 und Ω3 durch dieses Verfahren ersparen wir Ihnen. Bis auf die Tatsache, dass man die Produktregel f¨ ur Ableitungen auf ein Produkt von drei Funktionen anwenden muss, ist die Rechnung nur“ einiges mehr ” an Arbeit ohne zus¨ atzlichen Tiefsinn.

8.6 Kreisel

205

Im Gegensatz zu einem raumfesten Koordinatensystem bewegt sich ein k¨orperfestes Koordinatensystem mit einem starren K¨ orper mit, sofern dieser rotiert. Eine allgemeine Drehung des k¨ orperfesten Systems wird durch Hintereinanderausf¨ uhrung von drei Drehungen mit den Eulerschen Winkeln φ, θ und ψ beschrieben. Durch die Angabe, wie sich die Eulerschen Winkel in Abh¨angigkeit von der Zeit ¨andern, kann man dieser Drehung den folgenden Winkelgeschwindigkeitsvektor Ω zuordnen:   φ˙ sin θ sin ψ + θ˙ cos ψ Ω = φ˙ sin θ cos ψ − θ˙ sin ψ  . (8.96) ˙ ˙ φ cos θ + ψ

Vielleicht stellen Sie sich an dieser Stelle die Frage, wie Ihnen das Tohuwabohu mit dem k¨ orperfesten Koordinatensystem und den Eulerschen Winkeln konkret weiterhilft. Die Beantwortung der Frage ist unter anderem verkn¨ upft mit Kindheitserinnerungen und erfolgt im kommenden Abschnitt.

8.6

Kreisel

Das ber¨ uhmte Spielzeug aus Kindertagen ist vom physikalischen Standpunkt aus nichts anderes als ein starrer K¨ orper. Wenn Sie mit Kreiseln gespielt haben, erinnern Sie sich sicherlich daran, welche seltsame Bewegungen er imstande war durchzuf¨ uhren. Deshalb wirkt er nicht nur auf Kinderaugen u ¨beraus faszinierend, sondern findet auch seinen Platz in diesem Buch u ¨ber klassische Mechanik. Jeder sich irgendwie drehende starre K¨ orper ist im Prinzip ein Kreisel. Um seine Bewegungsgleichungen aufzustellen, muss ein geeignetes Koordinatensystem gew¨ ahlt werden. Wenn sich die Drehachse bei der Bewegung ¨ andert, ist das raumfeste System keine gute Wahl, denn dann h¨angen auch die Komponenten des Tr¨ agheitstensors von der Zeit ab. Deshalb ist es geschickter, im k¨ orperfesten System aus Abschnitt 8.5 zu rechnen, jedoch muss darin gem¨aß Gleichung (4.39) die Zentrifugalkraft als Scheinkraft ber¨ ucksichtigt werden. Das ist weniger schlimm, als zeitabh¨ angige Tr¨ agheitsmomente betrachten zu m¨ ussen. Sicherlich kann deren Berechnung als Integral u ¨ber das Volumen des starren K¨orpers je nach Drehachse sehr kompliziert oder sogar nicht analytisch durchf¨ uhrbar sein. Das k¨ orperfeste System wird so gew¨ ahlt, dass dessen Basisvektoren jeweils entlang der Hauptachsen des Kreisels zeigen, womit der Tr¨agheitstensor diagonal ist. Hier spielt im k¨ orperfesten System nur die Zentrifugalkraft eine Rolle. Gem¨aß Gleichung (4.39) lautet sie: Fs = −m [Ω × (Ω × r)] = −m(Ω × v) ,

(8.97)

wobei Ω die Winkelgeschwindigkeit und v die Geschwindigkeit ist, mit der sich das Koordinatensystem am jeweiligen Punkt bewegt. Da das Koordinatensystem der Bewegung aller Punkte folgt, entspricht diese ebenso der Geschwindigkeit, die ein bestimmter Punkt des starren K¨ orpers besitzt. Aus diesem Grund tritt auch die Corioliskraft als

206

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Scheinkraft nicht zu Tage. Sie zeigt sich nur dann, wenn sich ein Teilchen losgel¨ost von der Drehung des Koordinatensystems bewegt (z.B. eine B¨o auf der Erdoberfl¨ache, siehe Abschnitt 4.3.3). Die Scheinkraft f¨ uhrt in diesem System zu einem Drehmoment Ms . Im Drehmoment Ms tritt ein doppeltes Kreuzprodukt auf, das auf eine andere Form gebracht werden muss. F¨ ur ein doppeltes Kreuzprodukt aus drei Vektoren a, b und c ∈ R3 gilt die JacobiIdentit¨ at: a × (b × c) + b × (c × a) + c × (a × b) = 0 .

(8.98)

Die Summe aus allen drei zyklischen Permutationen der Vektoren a, b und c verschwindet also. Mit Hilfe der Jacobi-Identit¨ at l¨ asst sich das doppelte Kreuzprodukt mittels zwei anderer doppelter Kreuzprodukte ausdr¨ ucken, die geeigneter f¨ ur weitere Umformungen sind: Ms = r×Fs = −m [r × (Ω × v)] = m [Ω × (v × r) + v × (r × Ω)] . (8.99) Mit v = Ω × r sieht man, dass der zweite Term gleich dem Nullvektor ist, da das Kreuzprodukt eines Vektors mit sich selbst verschwindet. Im ersten Kreuzprodukt l¨asst sich der Drehimpuls einf¨ uhren: Ms = −Ω × (r × p) − (r × Ω) × (r × Ω) = −Ω × L .

(8.100)

Die zeitliche Ableitung des Drehimpulses entspricht dem angreifenden Drehmoment. Letzteres setzt sich zusammen aus dem Drehmoment M, welches durch ¨außere Kr¨afte verursacht wird, und dem Drehmoment Ms , das auf die Scheinkr¨afte zur¨ uckzuf¨ uhren ist: L˙ = M + Ms = M − Ω × L .

(8.101)

Isoliert man in diesen Gleichungen das ¨ außere Drehmoment M und nutzt außerdem Li = Ji Ωi im Hauptachsensystem,4 dann erh¨ alt man: M = L˙ + Ω × L

(8.102a)

L = J 1 Ω1 b e1 + J2 Ω2 b e2 + J3 Ω3 b e3 .

(8.102b)

mit

4 Beachten

Sie, dass hier u ¨ber den Index i nicht summiert wird.

8.6 Kreisel

207

Die Bewegungsgleichungen f¨ ur einen Kreisel lauten im k¨orperfesten Koordinatensystem, das als Hauptachsensystem gew¨ ahlt wird, wie folgt: ˙ 1 + (J3 − J2 )Ω2 Ω3 , M1 = J1 Ω

(8.103a)

˙ 2 + (J1 − J3 )Ω1 Ω3 , M2 = J2 Ω

(8.103b)

˙ 3 + (J2 − J1 )Ω1 Ω2 . M3 = J3 Ω

(8.103c)

Hierbei sind J1 , J2 , J3 die Haupttr¨ agheitsmomente und Ω1 , Ω2 , Ω3 die Komponenten des Winkelgeschwindigkeitsvektors entlang der jeweiligen Hauptachsen. Man nennt diesen Satz aus Gleichungen auch Kreiselgleichungen.

Die Kreiselgleichungen sind gekoppelte nichtlineare Differenzialgleichungen erster Ordnung bez¨ uglich der Winkelgeschwindigkeitskomponenten. Sie sind nichtlinear, weil Produkte dieser Komponenten auftreten. Aus dem Grund sind die Gleichungen im Allgemeinen nicht einfach zu l¨ osen. Es ist jedoch m¨ oglich f¨ ur bestimmte Spezialf¨alle, womit sich auch ein Großteil der Physik eines Kreisels ohne aufwendige Rechnungen verstehen l¨ asst.

8.6.1

Der kr¨aftefreie Kreisel

In diesem Abschnitt wird die Dynamik eines kr¨ aftefreien Kreisels gem¨aß der Kreiselgleichungen untersucht. Einen Kreisel kann man z.B. als kr¨aftefrei betrachten, wenn sich dieser weit ab von allen Himmelsk¨ orpern befindet. Es gibt jedoch auch M¨oglichkeiten, einen kr¨ aftefreien Kreisel im Schwerefeld der Erde zu realisieren. Dazu kann man z.B. einen starren K¨ orper an seinem Schwerpunkt aufh¨angen. Dann wirkt auf ihn durch die Schwerkraft der Erde keinerlei Drehmoment: M = 0. Kr¨aftefrei“ bedeutet hier, dass ” außere Kr¨ afte keine Rolle spielen. Scheinkr¨ afte k¨onnen jedoch nach wie vor auftreten. ¨ Um die Rechnung zu vereinfachen, soll außerdem ein Kreisel betrachtet werden, welcher in der von b e1 und b e2 aufgespannten Ebene rotationssymmetrisch ist. Dies f¨ uhrt dazu, dass die entsprechenden Haupttr¨ agheitsmomente gleich sind J1 = J2 = J. Die Bewegungsgleichungen dieses Kreisels gem¨ aß Gleichung (8.103) lauten dann: J Ω˙ 1 + (J3 − J)Ω2 Ω3 = 0 ,

J Ω˙ 2 + (J − J3 )Ω1 Ω3 = 0 ,

J3 Ω˙ 3 = 0 . (8.104)

Aus der dritten Gleichung folgt sofort Ω˙ 3 = 0, also Ω3 = const. Die dritte Komponente des Winkelgeschwindigkeitsvektors ist somit eine Erhaltungsgr¨oße. Als netter Nebeneffekt sieht man durch Multiplikation der ersten Gleichung mit Ω1 , der zweiten mit Ω2 und anschließender Addition der Gleichungen sofort, dass auch die Rotationsenergie erhalten ist: JΩ1 Ω˙ 1 + (J3 − J)Ω1 Ω2 Ω3 + JΩ2 Ω˙ 2 + (J − J3 )Ω1 Ω2 Ω3 h i = J Ω1 Ω˙ 1 + Ω2 Ω˙ 2 = 0 ,

(8.105a)

208

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

also  d J 2 d Ω1 + Ω22 + Ω23 = dt 2 dt



J 2 Ω 2

 =

dTrot = 0. dt

(8.105b)

Die verbleibenden zwei Bewegungsgleichungen l¨ost man durch einen Trick. Systeme gekoppelter Differenzialgleichungen lassen sich manchmal l¨osen, indem man eine Gleichung ableitet und in eine der anderen Gleichungen einsetzt. Ableiten der ersten Gleichung produziert eine erste Ableitung von Ω2 , die auch in der zweiten Gleichung vorkommt. Damit l¨ asst sich anschließend die zweite in die erste Gleichung einsetzen: ¨ 1 + (J3 − J)Ω ˙ 2 Ω3 = J Ω ¨ 1 + (J3 − J) · J3 − J Ω1 Ω2 JΩ 3 J 2 ¨ 1 + (J3 − J) Ω23 Ω1 = 0 . = JΩ J

(8.106)

Letztendlich ergibt sich auf diese Weise wieder die altbekannte Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators mit der Eigenfrequenz ω0 : ¨ 1 + ω 2 Ω1 = 0 , Ω 0

ω0 =

|J3 − J| Ω3 . J

(8.107)

Im Prinzip kann J3 > J oder J3 < J sein. Deshalb muss man zun¨achst die Betragsstriche ber¨ ucksichtigen. Im Falle J3 = J, wenn also alle drei Haupttr¨agheitsmomente gleich sind (was beispielsweise f¨ ur einen W¨ urfel oder eine Kugel der Fall ist), gen¨ ugt Ω1 dem Gesetz einer gleichf¨ ormigen Bewegung. F¨ ur J3 6= J handelt es sich um eine Schwingung: Ω1 = Ω⊥ sin(ω0 t + ϕ0 ) .

(8.108)

Aus der zweiten Bewegungsgleichung dieses kr¨aftefreien Kreisels folgt dann sofort: J3 − J Ω˙ 2 = Ω3 Ω1 = sign(J3 − J)ω0 Ω⊥ sin(ω0 t + ϕ0 ) J mit der Vorzeichenfunktion (Signumfunktion)  ur J3 > J ,  1 f¨ 0 f¨ ur J3 = J , sign(J3 − J) =  −1 f¨ ur J3 < J .

(8.109a)

(8.109b)

Die Vorzeichenfunktion wurde wegen des Betrags in Gleichung (8.107) eingef¨ uhrt, denn es gilt x = sign(x)|x| f¨ ur x ∈ R. Durch Integration ergibt sich nun: Ω2 = −sign(J3 − J)Ω⊥ cos(ω0 t + ϕ0 ) .

(8.110)

Eine Integrationskonstante muss man bei dieser Integration nicht ber¨ ucksichtigen, da ja schon eine Konstante in der Kosinusfunktion steckt. In der Tat ben¨otigt man keine zwei

8.6 Kreisel

209

Abb. 8.7: Bewegung des Winkelgeschwindigkeitsvektors Ω im k¨orperfesten System, wobei Ω3 konstant bleibt. davon. Aus Gleichung (8.108) und (8.110) sieht man sofort, dass Ω21 + Ω22 = Ω2⊥ . Damit ist sowohl Ω3 konstant als auch der Betrag der Projektion von Ω in die b e1 -b e2 -Ebene. Anhand von Abbildung 8.7 macht man sich dann klar, dass sich Ω auf der Oberfl¨ache eines Kegels bewegt mit der H¨ ohe Ω3 und dem Radius Ω⊥ des Kreises der Grundfl¨ache. ¨ Der halbe Offnungswinkel dieses sogenannten Gangpolkegels ist   Ω⊥ α = arctan . (8.111) Ω3 Der Drehsinn von Ω h¨ angt davon ab, wie groß J gegen¨ uber J3 ist, was die Vorzeichenfunktion in Gleichung (8.110) zeigt. Da keine ¨ außeren Drehmomente wirken, ist der Drehimpuls im raumfesten Koordinatensystem erhalten. Man kann daher das raumfeste System so w¨ ahlen, dass eines seiner Achsen in Richtung des erhaltenen Drehimpulses zeigt. Es ist Konvention, daf¨ ur die z-Achse zu w¨ahlen. Da die dritte Komponente L3 = J3 Ω3 des Drehimpulses auch im k¨ orperfesten System erhalten ist, bewegt sich L3 im k¨ orperfesten System ebenso auf einem Kegel und zwar dieses mal um die z-Achse des raumfesten Systems. Dieser Kegel heißt Nutationskegel, und er besitzt den halben ¨ Offnungswinkel     L⊥ JΩ⊥ ϑ = arctan = arctan . (8.112) L3 J 3 Ω3 Anhand von Gleichung (8.105) haben Sie gesehen, dass die Rotationsenergie erhalten ist. Aus dem allgemeinen Ausdruck f¨ ur die Rotationsenergie von Gleichung (8.58) folgt somit, da der Tr¨ agheitstensor nur Eintr¨ age auf seiner Hauptdiagonalen hat (also ist Jij = Jij δij ): Trot = =

3 3 3 1 X 1X 1X Jij δij Ωi Ωj = (Jii Ωi )Ωi = (Ji Ωi )Ωi 2 i,j=1 2 i=1 2 i=1

1 1 L · Ω = LΩz , 2 2

(8.113)

210

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

(a) J > J3

(b) J < J3

Abb. 8.8: Nutations-, Gangpol- und Rastpolkegel f¨ ur die Bewegung eines kr¨aftefreien Kreisels. Im Allgemeinen sind b e3 -Achse, Drehimpulsvektor und Winkelgeschwindigkeitsvektor verschieden.

und Ωz muss konstant sein. Damit bewegt sich Ω auf der Oberfl¨ache eines Kegels um die z-Achse. Diesen dritten Kegel nennt man Rastpolkegel. Außerdem kann man zeigen, dass die Vektoren L, Ω und b e3 w¨ ahrend der Bewegung des Kreisels immer in einer Ebene liegen. Aus einer geeigneten Linearkombination zweier dieser Vektoren muss sich also der dritte ergeben: JΩ + (J3 − J)Ω3 b e3 = JΩ1 b e1 + JΩ2 b e2 + JΩ3 b e3 + (J3 − J)Ω3 b e3 = J(Ω1 b e1 + Ω 2 b e2 ) + J3 Ω3 b e3 = L .

(8.114)

Aus dem Grund rollt der Gangpolkegel w¨ ahrend der Bewegung des Kreisels auf dem Rastpolkegel ab. Durch Vergleich von Gleichung (8.111) mit Gleichung (8.112) sehen Sie, dass die Lage der Kegel von der Gr¨ oße der Haupttr¨agheitsmomente abh¨angig ist. F¨ ur J > J3 ist ϑ > α und die Außenseite des Gangpolkegels l¨auft gem¨aß Abbildung 8.8a ¨ auf der Oberfl¨ ache des Rastpolkegels. F¨ ur J 7→ J3 n¨ahern sich die Offnungswinkel ¨ von Gangpolkegel und Nutationskegel an, was bedeutet, dass der Offnungswinkel des Rastpolkegels gegen null geht. Das ist klar, denn im Fall J = J3 zeigt der Vektor Ω der Winkelgeschwindigkeit entlang des raumfesten Drehimpulsvektors. F¨ ur J < J3 ist ϑ < α und die Innenseite des Gangpolkegels rollt auf der Oberfl¨ache des Rastpolkegels ab (siehe Abbildung 8.8b). Da die b e3 -Achse (also die Achse mit dem Tr¨agheitsmoment J3 ) nicht entlang des Winkelgeschwindigkeitsvektors zeigt, f¨ uhrt der Kreisel im raumfesten Koordinatensystem eine Kippbewegung durch; die Nutation entspricht diesem Kippen des Kreisels. Beim kr¨ aftefreien Kreisel ist der Drehimpuls im raumfesten System erhalten; gem¨aß Konvention zeigt er in Richtung der z-Achse. Die b e3 -Achse und der Winkelgeschwindigkeitsvektor Ω bewegen sich im k¨ orperfesten System auf Kegeln um die raumfeste Drehimpulsachse. Ebenso bewegt sich Ω auf einem Kegel um die b e3 -Achse. Da im Allgemeinen Ω nicht in Richtung der b e3 -Achse zeigt, kippt der Kreisel bei seiner Bewegung im raumfesten System. Dieses Kippen heißt Nutation.

8.6 Kreisel

8.6.2

211

Bewegung des Kreisels unter Einwirkung einer Kraft

Im letzten Abschnitt ging es darum, die Bewegung eines Kreisels zu verstehen, wenn auf diesen keinerlei Kr¨ afte wirken. Im aktuellen Abschnitt wird untersucht, wie sich ein Kreisel unter Einwirkung von ¨ außeren Kr¨ aften (nicht Scheinkr¨aften!) verh¨alt. Dazu soll wieder ein symmetrischer Kreisel mit J1 = J2 = J und J3 6= J betrachtet werden, dessen b e3 -Achse entlang der y-Achse des raumfesten Koordinatensystems ausgerichtet ist. Zus¨ atzlich zeige der Winkelgeschwindigkeitsvektor Ω entlang der b e3 -Achse, der Kreisel drehe sich also in der x-z-Ebene. Dann ist Ω = (0,0, Ω3 ), und die raumfesten b i h¨ Basisvektoren n angen mit den k¨ orperfesten Basisvektoren b ei wie folgt zusammen:       b bx e1 cos(Ω3 t) sin(Ω3 t) n = · . (8.115) b bz e2 − sin(Ω3 t) cos(Ω3 t) n Der Kreisel sei im Gegensatz zum kr¨ aftefreien Fall nicht in seinem Schwerpunkt aufgeh¨ angt. Daher muss man die Gewichtskraft ber¨ ucksichtigen, die in Richtung der negativen z-Achse wirke: Fg = mg = −mgb nz . Das Drehmoment ist dann M = l × Fg = lb ny × (−mgb nz ) = −mglb nx

(8.116)

mit dem Vektor l, der vom Punkt der Aufh¨ angung zum Schwerpunkt zeige. Der zugeh¨ orige Abstand sei |l| ≡ l. Um nachvollziehen zu k¨onnen, wie dieses Drehmoment auf den Kreisel wirkt, muss es in das k¨ orperfeste System transformiert werden. Dazu b x und n b y auf. Das gel¨ ost man Gleichung (8.115) nach den raumfesten Basisvektoren n schieht hier durch Invertieren der Drehmatrix, was einzig das Vorzeichen von Ω3 (und damit der Sinusfunktion ¨ andert):       bx b n cos(Ω3 t) − sin(Ω3 t) e = · 1 . (8.117) bz b n sin(Ω3 t) cos(Ω3 t) e2 Einsetzen der ersten der beiden Gleichungen liefert das Drehmoment im k¨orperfesten System: M = −mgl [cos(Ω3 t)b e1 − sin(Ω3 t)b e2 ] .

(8.118)

Da M3 = 0 und J1 = J2 ist, folgt aus der dritten Eulerschen Gleichung sofort Ω˙ 3 = 0, also Ω3 = const. Die dritte Komponente der Winkelgeschwindigkeit ist somit erhalten. Dar¨ uber hinaus gilt: ˙ 1 + (J3 − J)Ω3 δΩ2 = −mgl cos(Ω3 t) , J δΩ

(8.119a)

˙ 2 + (J − J3 )Ω3 δΩ1 = mgl sin(Ω3 t) . J δΩ

(8.119b)

Dieses System gekoppelter Differenzialgleichungen wird in Aufgabe 8.8 gel¨ost. Die L¨osung lautet: δΩ1 (t) = −C sin(Ω3 t) ,

δΩ2 (t) = −C cos(Ω3 t) ,

C=

mgl . J3 Ω3

(8.120)

212

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Abb. 8.9: Kreisel, der kr¨ aftefrei einen Winkelgeschwindigkeitsvektor Ω besitzt und um die y-Achse des raumfesten Systems rotiert. Eine ¨außere Kraft f¨ uhrt zu einer zus¨atzlichen kleinen Komponente δΩ der Winkelgeschwindigkeit.

Damit ergibt sich neben des konstanten Winkelgeschwindigkeitsvektors Ω = (0,0, Ω3 ) des kr¨ aftefreien Kreisels ein weiterer Anteil der Winkelgeschwindigkeit: δΩ(t) = δΩ1 (t)b e1 + δΩ2 (t)b e2 = −C [sin(Ω3 t)b e1 + cos(Ω3 t)b e2 ] .

(8.121)

Mit Hilfe von Gleichung (8.117) l¨ asst sich dieser wieder ins raumfeste System zur¨ uck transformieren: bz . δΩ(t) = −C n

(8.122)

Der zus¨ atzliche Anteil der Winkelgeschwindigkeit zeigt im raumfesten System in Richtung der negativen z-Achse. Dies bedeutet, dass der Kreisel (neben der Rotation um die b e3 -Achse) eine weitere Rotation um die z-Achse durchf¨ uhrt (siehe Abbildung 8.9). Letztere Rotation ist im Vergleich zur urspr¨ unglichen eine kleine St¨orung. Der Betrag von δΩ(t) ist n¨amlich mit Ω3 unterdr¨ uckt. Entgegen der Erwartung, dass die nach unten gerichtete Schwerkraft einfach den Kreisel etwas kippt, f¨ uhrt sie zu einer weiteren Drehung des Kreisels. Das liegt daran, dass nicht einfach nur der Kraftvektor eine Rolle spielt, sondern das auftretende Drehmoment, dessen Vektor in der x-y-Ebene liegt. Die Rotation des Kreisels um die z-Achse bezeichnet man als Pr¨ azession. Wirkt auf einen Kreisel eine ¨ außere Kraft, so f¨ uhrt er eine Pr¨azession durch. Neben einer Bewegung aufgrund einer nichtverschwindenden Winkelgeschwindigkeit Ω3 im kr¨ aftefreien Fall dreht sich der Winkelgeschwindigkeitsvektor im raumfesten System zus¨ atzlich auf einem Kegel. Dieser heißt Pr¨ azessionskegel. Entspricht die ¨ außere Kraft der Schwerkraft, findet diese Drehung mit der Kreisfrequenz δΩ = mgl/(J3 Ω3 ) statt. Hierbei ist m die Masse und J3 das Tr¨agheitsmoment des Kreisels. Die Fallbeschleunigung ist g und l der Abstand des Schwerpunkts von der Aufh¨ angung des Kreisels.

¨ Ubungsaufgabe 8.8: L¨osen gekoppelter Differenzialgleichungen L¨ osen Sie das gekoppelte Differenzialgleichungssystem 8.119.

8.7 Von der Schwingung zur Welle

213

Bei inhomogenen Differenzialgleichungen kann die Wahl eines Ansatzes, welcher an den inhomogenen Anteil angepasst ist, hilfreich sein. Da sich in diesem Fall die Inhomogenit¨ aten aus Sinus- und Kosinusfunktionen zusammensetzen, w¨ahlen Sie

8.7

δΩ1 = c1 sin(Ω3 t) + c2 cos(Ω3 t) ,

(8.123a)

δΩ2 = c3 sin(Ω3 t) + c4 cos(Ω3 t) .

(8.123b)

Von der Schwingung zur Welle

Der erste gr¨ oßere Teil des achten Kapitels war dem starren K¨orper und seiner Dynamik gewidmet. Im nun folgenden zweiten Teil m¨ ussen Sie sich vom starren K¨orper verabschieden. Das Buch wird mit einem Blick u ¨ber den Zaun abgerundet, was die Bewegung von ausgedehnten K¨ orpern betrifft, die nicht starr sind. Der Abstand zwischen einzelnen Teilchen eines solchen K¨ orpers ist damit nicht mehr notwendigerweise konstant. Ist das der Fall, ergeben sich wiederum neue Ph¨anomene, die bei starren K¨orpern nicht auftreten. Ein sehr wichtiges soll im Folgenden betrachtet werden; aufgrund seiner Komplexit¨ at beschr¨ anken wir uns auf eine r¨ aumliche Dimension. Es geht um die Untersuchung von Schwingungsvorg¨angen eines Systems aus vielen einzelnen Massen, zwischen denen Kr¨ afte herrschen und die gegeneinander verschiebbar sind. Der Einfachheit halber werden diese Kr¨ afte durch Federn zwischen den Massen simuliert, wobei die Federn selbst als masselos angenommen werden. Stellen Sie sich vor, Sie lenken eine einzige der Massen aus ihrer Ruhelage nach links aus und lassen sie los. Was danach passiert, ist qualitativ in Abbildung 8.10 dargestellt. Gezeigt sind von oben nach unten Schnappsch¨ usse des zeitlichen Verlaufs der Bewegungen. Zun¨achst bewegt sich die ausgelenkte Masse nach rechts und dr¨ uckt daher die Feder zusammen, die sich rechts von ihr befindet. Das hat Auswirkung auf alle weiteren Massen und Federn rechts davon, wobei diese umso geringer sind, je weiter die jeweiligen Massen bzw. Federn entfernt sind. Das Zusammendr¨ ucken der Feder, die sich am n¨achsten bei der zuerst ausgelenkten Masse befindet, versetzt die benachbarte Masse ebenso in Schwingung. Im Zuge dessen wird die benachbarte Feder ausgedehnt und die sich wieder nach links bewegende erste Masse in ihrer Bewegung abgebremst. Gleichzeitig bewegt sich die zweite Masse nach rechts und dasselbe wiederholt sich von Neuem f¨ ur die dritte Masse. So werden alle weiteren Massen rechts von der urspr¨ unglichen Masse nacheinander zu Schwingungen angeregt. Jede einzelne Masse schwingt nur kurz, weil sie sofort die Masse rechts von ihr zum Schwingen bringt und damit ihre Energie an diese weitergibt. Man kann das Ganze so sehen, dass eine St¨ orung der Gleichgewichtslage einer jeden Masse durch die Kette von Massen wandert. Eine solche St¨orung nennt man Welle. Wie beschreibt man diese nun mathematisch? Eine Welle setzt sich aus vielen Schwingungen zusammen, die an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden. Eine Schwingung konnte mit einer Funktion x(t) beschrieben werden, welche die Auslenkung x zu einem Zeitpunkt t angibt. Da eine Welle eine fortlaufende St¨ orung ist, die durch eine Kette von Massen l¨auft, h¨angt die

214

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Abb. 8.10: Schwingung vieler gleicher Massen m, die u ¨ber gleiche Federn mit Federkonstante D miteinander gekoppelt sind. Von oben nach unten stellen die einzelnen Bilder zeitliche Schnappsch¨ usse der Auslenkungen der einzelnen Massen dar, wobei die Zeit dabei zunimmt. Auslenkung einer jeden Masse sowohl von deren Ort entlang der Kette als auch der Zeit ab; sie ist somit eine Funktion zweier Ver¨anderlicher. Bezeichnet werden soll sie als ψ = ψ(x, t). Beachten Sie, dass hier das Argument x nicht mehr die Auslenkung ist, sondern den Ort angibt, an welchem man die Auslenkung ψ der Welle betrachtet. Schauen Sie sich nun nochmal die Kette aus gekoppelten Massen in Abbildung 8.10 an. Stellvertretend f¨ ur alle Massen der Kette wird die n-te Masse betrachtet. Diese bewegt sich im folgenden Potenzial: V (xn ) =

1 1 D(xn−1 − xn )2 + D(xn − xn+1 )2 . 2 2

(8.124)

F¨ ur das Potenzial spielen einzig die Positionen der beiden benachbarten Punktmassen eine Rolle. Daraus l¨ asst sich die Bewegungsgleichung f¨ ur die n-te Punktmasse bestimmen: m¨ xn = −

∂V (xn ) = D(xn−1 − xn ) − D(xn − xn+1 ) . ∂xn

(8.125)

Bisher lief im Prinzip alles wie gehabt. Es soll jetzt jedoch nicht nur die Schwingung der n-ten Punktmasse erfasst werden, sondern eine St¨orung, die durch diese Kette aus harmonischen Oszillatoren l¨ auft, also eine Welle. In Gleichung (8.125) werden die beteiligten Punktmassen durch ihren Index nummeriert. Dieser Index soll nun durch die

8.7 Von der Schwingung zur Welle

215

Position der Punktmasse entlang der Kette ersetzt werden. Dann wird die Rolle der Auslenkung durch die neue Funktion ψ(x, t) u ¨bernommen. W¨ahlt man die Position der n-ten Punktmasse als Bezugspunkt, so f¨ uhrt das auf die folgenden Ersetzungen, wenn der Abstand zwischen den Massen in Ruhe gleich L ist: xn−1 (t) 7→ ψ(x − L, t) ,

xn (t) 7→ ψ(x, t) ,

xn+1 (t) 7→ ψ(x + L, t) .

(8.126a) (8.126b)

Aus Gleichung (8.125) ergibt sich die Bewegungsgleichung f¨ ur die neue eingef¨ uhrte Funktion ψ(x, t): ¨ t) = D [ψ(x + L, t) − ψ(x, t)] − D [ψ(x, t) − ψ(x − L, t)] . mψ(x,

(8.127)

Das Interesse besteht nun darin, den Abstand L zwischen den sich bewegenden Punktmassen infinitesimal klein zu machen. Dies entspricht der realen Situation z.B. bei einer Wasserwelle, in der die einzelnen Wassermolek¨ ule einen mikroskopischen Abstand besitzen. Eine Division der obigen Gleichung durch L2 mit einem anschließenden Grenz¨ ubergang f¨ ur L 7→ 0 f¨ uhrt auf:  m ¨ 1 ψ(x + L, t) − ψ(x, t) lim ψ(x, t) = lim L7→0 DL2 L7→0 L L  ψ(x, t) − ψ(x − L, t) − . (8.128) L Die beiden Terme auf der rechten Seite der Gleichung lassen sich mit Hilfe der Definition des Differenzialquotienten als erste Ableitung schreiben. Danach kann man mit einer nochmaligen Anwendung der Definition eine zweite Ortsableitung einf¨ uhren: lim

ψ(x + L, t) − ψ(x, t) = ψ 0 (x + L/2, t) , L

(8.129a)

lim

ψ(x, t) − ψ(x − L, t) = ψ 0 (x − L/2, t) , L

(8.129b)

L7→0

L7→0

ψ 0 (x + L/2, t) − ψ 0 (x − L/2, t) = ψ 00 (x, t) . (8.129c) L7→0 L Beachten Sie, dass man die erste Ableitung einer Funktion auch u ¨ber einen zentralen Differenzialquotienten definieren kann: lim

f 0 (z) ≡ lim

h7→0

f (z + h/2) − f (z − h/2) . h

(8.130)

Die Gleichungen (8.129a) und (8.129b) sind so zu verstehen, dass eben diese Definition auf die Werte z = x + L/2 bzw. z = x − L/2 angewendet wird. Damit ist die rechte Seite von Gleichung (8.128) nichts anderes als die zweite Ableitung der Auslenkung bez¨ uglich des Orts. Es verbleibt zu kl¨aren, wie man die linke Seite der

216

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

Gleichung interpretieren kann. Die zweite Zeitableitung ψ¨ h¨angt nicht von L ab. Daher kann man sie aus dem Grenzwert herausziehen: m ¨ ¨ t) lim m . lim ψ(x, t) = ψ(x, (8.131) L7→0 DL2 L7→0 DL2 Es geht also einzig und allein um die Bedeutung der Konstanten m/(DL2 ) im Grenzfalle eines infinitesimalen Abstands L zwischen den Massen. Jede der Massen f¨ uhrt beim Wandern der St¨ orung durch die Kette eine Schwingung um die Gleichgewichtslage durch. Nimmt man an, dass sich p eine jede Masse gem¨aß des Orts-Zeit-Gesetzes x(t) = x0 sin(ω0 t) bewegt mit ω0 = D/m, dann betr¨agt deren Geschwindigkeit v(t) = x(t) ˙ = x0 ω0 cos(ω0 t) .

(8.132)

Nun soll die mittlere Geschwindigkeit v u ¨ber eine halbe Periode (also z.B. von t = 0 bis t = π/ω0 ) bestimmt werden. Welche Definition man f¨ ur den Mittelwert benutzt, ist an dieser Stelle von minderer Bedeutung. Wir entscheiden uns f¨ ur den quadratischen Mittelwert, bei dem man das Integral des Quadrats der Geschwindigkeit u ¨ber eine halbe Periode bestimmt und dieses durch die halbe Periode dividiert: Z 2 2 Z π x2 ω 2 π/ω0 x=ω t x ω v2 ≡ 0 0 cos2 (ω0 t) dt = 0 0 0 cos2 (x) dx π/ω0 0 π 0  π Z x20 ω02 π 1 x20 ω02 1 = [1 + cos(2x)] dx = x + sin(2x) π 2π 2 0 2 0 =

x20 ω02 x2 ω 2 ·π = 0 0 . 2π 2

(8.133)

Also kann die mittlere Geschwindigkeit z.B. als r 1 1 D v = √ x0 ω0 = √ x0 (8.134) m 2 2 √ berechnet werden. Der Vorfaktor 1/ 2 spielt f¨ ur das physikalische Verst¨andnis keine Rolle. Er kommt aus der Definition des Mittelwerts, die verwendet wurde. Was pphysikalisch wichtig ist, ist die Proportionalit¨ at der mittleren Geschwindigkeit zu x0 D/m. Diese N¨ aherung einer mittleren Geschwindigkeit, mit der sich die einzelnen Punktmassen bewegen, wird umso besser, je kleiner die Auslenkung x0 ist. Erstens kann man dann annehmen, dass die Proportionalit¨ at zwischen der Kraft und der Auslenkung (also die G¨ ultigkeit des Hookeschen Gesetzes) bei diesem einfachen Modell auf jeden Fall gew¨ ahrleistet ist. Zweitens l¨ auft die Beschleunigung einer jeden Punktmasse auf u ¨beraus kleinen Zeitskalen ab, so dass man von einer konstanten Geschwindigkeit v reden kann, mit der sich eine St¨ orung entlang der Kette ausbreitet. Daher kann man schließen, dass der Grenzwert von Gleichung (8.131) wie folgt mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit v zusammenh¨ angt, mit der die Welle der Kette entlangl¨auft: lim

L7→0

m 1 = 2. DL2 v

(8.135)

8.7 Von der Schwingung zur Welle

217

So erh¨ alt man schließlich eine Gleichung, welche die zeitliche Entwicklung der St¨orung beschreibt: ¨ t) = v 2 ψ 00 (x, t) . ψ(x,

(8.136)

Diese Gleichung setzt die zweite zeitliche Ableitung einer Punktmasse der Kette mit der zweiten Ortsableitung in Verbindung. Die Proportionalit¨atskonstante ist das Quadrat der Ausbreitungsgeschwindigkeit der St¨ orung. Man bezeichnet Gleichung (8.136) als Wellengleichung. F¨ ur L 7→ 0 kann man die Gr¨oße m/L als Linienmassendichte % interpretieren und DL als R¨ uckstellkraft F . Die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle h¨ angt im Allgemeinen von diesen beiden Gr¨ oßen ab: s F . (8.137) v= % Je gr¨ oßer die Kraft und damit die Kopplung zwischen den Punktmassen bei gleicher Dichte % ist, umso schneller breitet sich die Welle aus. Man kann eine jede Welle bildlich darstellen. Im Falle einer Welle entlang einer eindimensionalen Kette geht das besonders gut. Lenkt man die anf¨anglich betrachtete Masse einmal aus, so entsteht eine einmalige St¨orung, welche durch die Kette wandert. Schließlich gibt dabei die Masse ihre Energie an die anderen Massen ab, was ihre eigene Schwingung d¨ ampft. Stellen Sie sich deshalb vor, dass die Masse nach einer Periode ihrer Schwingung wieder von neuem ausgelenkt wird. So entstehen periodisch gleichartige St¨ orungen, die sich nacheinander entlang der Kette bewegen. Tr¨agt man die Auslenkung einer Masse u ¨ber der Position der Masse entlang der Kette zu einem bestimmten Zeitpunkt t = t0 auf, dann ergibt sich ein Bild ¨ahnlich zu Abbildung 8.11. Mathematisch gesehen handelt es sich dabei um eine periodische Funktion, die Minima und Maxima aufweist. Erstere heißen Wellent¨ aler und letztere Wellenberge. Den Abstand zwischen zwei benachbarten Wellent¨ alern oder Wellenbergen nennt man Wellenl¨ ange; man bezeichnet diese oft mit dem griechischen Buchstaben λ. In der Periodizit¨ at der Funktion spiegelt sich die Tatsache wider, dass eine bestimmte Masse nach einer Schwingungsperiode wieder erneut ausgelenkt wird und die anderen Massen zu weiteren gleichartigen Schwingungen anregt. Erinnern Sie sich daran, dass Abbildung 8.11 ein zeitlicher Schnappschuss ist. Das Bild ver¨andert sich in Abh¨angigkeit der Zeit und zwar derart, dass sich die Positionen der Wellenberge, Wellent¨aler und aller

Abb. 8.11: Auslenkung ψ u ¨ber der Position x der Massen zu einem Zeitpunkt t = t0 .

218

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper

anderen Punkte nach rechts bewegen. Schließlich wird z.B. die maximale Auslenkung mit fortschreitender Zeit auf das zweite, dritte usw. Teilchen rechts von der anf¨anglich ausgelenkten Masse u ¨bertragen. Wie einer Schwingung kann man einer Welle eine Periodendauer T und Frequenz ν = 1/T zuordnen. Die Periodendauer einer Welle ist die Zeit, die z.B. ein Wellenberg mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit v ben¨ otigt, um eine Strecke der Wellenl¨ange λ zur¨ uckzulegen: T = λ/v. Aufl¨ osen nach v f¨ uhrt zu folgendem wichtigen Zusammenhang, der f¨ ur jede Welle g¨ ultig ist: v=

λ = νλ . T

(8.138)

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle folgt also auch als Produkt ihrer Frequenz und Wellenl¨ ange. H¨ angt die Ausbreitungsgeschwindigkeit nicht von der Frequenz ab, dann muss sich die Wellenl¨ ange verkleinern, wenn die Frequenz gr¨oßer wird und umgekehrt. Auf die Tatsache, dass die Geschwindigkeit einer Welle von ihrer Frequenz abh¨ angen kann, wird weiter unten eingegangen. M¨ ochte man die Wellengleichung l¨ osen, kann wiederum ein Ansatz hilfreich sein. Beim harmonischen Oszillator hat x(t) = exp(iωt) gut funktioniert. Um Gleichung (8.136) zu l¨ osen, ben¨ otigt man außer eines zeitabh¨ angigen Teils noch einen ortsabh¨angigen Teil im Ansatz. In Analogie zum zeitabh¨ angigen Anteil ist der folgende erweiterte Ansatz zur L¨ osung der Wellengleichung sinnvoll: ψ(x, t) = exp(i[ωt − kx]) .

(8.139)

Hier ist ω = 2πν die Kreisfrequenz der Welle und k eine Gr¨oße mit der Einheit 1/m, um das Argument der Exponentialfunktion dimensionslos zu halten. Einsetzen von ¨ t) = −ω 2 exp(i[ωt − kx]) , ψ(x,

ψ 00 (x, t) = −k 2 exp(i[ωt − kx]) ,

(8.140)

f¨ uhrt zu einem Zusammenhang zwischen der Kreisfrequenz ω und dem eingef¨ uhrten k: −ω 2 = v 2 (−k 2 ) ⇒ ω = vk .

(8.141)

Vergleicht man dieses Ergebnis mit der bereits bekannten Formel (8.138), dann erkennt man, dass k sich u ange λ der Welle ausdr¨ ucken l¨asst: ¨ber die Wellenl¨ k=

ω 2πν 2π = = . v νλ λ

(8.142)

Die Gr¨ oße k gibt die Anzahl einzelner Wellenl¨angen pro Meter an (multipliziert mit 2π). Sie heißt deshalb auch Wellenzahl. Eine Welle ist eine St¨ orung, die sich entlang einer Kette aus vielen einzelnen Punktmassen ausbreitet. Diese St¨ orung f¨ uhrt zu einer Auslenkung der einzelnen Massen, die von ihrer Position x und der Zeit t abh¨ angt. Mathematisch wird die Auslenkung durch eine Funktion ψ(x, t) beschrieben, die eine L¨osung der Wellengleichung ist: ¨ t) = v 2 ψ 00 (x, t) ψ(x,

(8.143)

8.7 Von der Schwingung zur Welle

219

mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit v der Welle. Letztere h¨angt mit der Frequenz ν und der Wellenl¨ ange λ gem¨ aß v = νλ zusammen. Das schreibt man oft auch mit der Kreisfrequenz ω = 2πν und der Wellenzahl k = 2π/λ als ω = vk. Diese Beziehung heißt Dispersionsrelation der Welle. Die Funktion ψ(x, t) = exp(i[ωt − kx]) ,

ω = vk

(8.144)

ist eine L¨ osung der Wellengleichung. Man bezeichnet sie als ebene Welle.

Im Lichte der bisher betrachteten Dispersionsrelation ω = vk muss angemerkt werden, dass sie einen linearen Zusammenhang zwischen der Kreisfrequenz und der Wellenzahl darstellt, wobei die Geschwindigkeit v der Welle der Proportionalit¨atsfaktor ist. Im Allgemeinen muss die Kreisfrequenz jedoch nicht notwendigerweise linear von der Wellenzahl abh¨ angen. Die Abh¨ angigkeit k¨ onnte stattdessen durch eine komplizierte Funktion beschrieben werden, also ω(k) = f (k). Ist letzteres der Fall, so spricht man davon, dass ¨ Dispersion auftritt. Die nun folgende Ubungsaufgabe stellt ein Beispiel dar, in dem eine nichtlineare Dispersionsrelation eine Rolle spielt.

¨ Ubungsaufgabe 8.9: Kette gekoppelter harmonischer Oszillatoren Betrachten Sie eine Kette von N Punktmassen m, die u ¨ber Federn miteinander verbunden sind. Jede der Massen h¨ ange an einer Feder der Federkonstanten D1 und einer der Federkonstanten D2 . Die L¨ ange einer Feder sei L. Dargestellt ist dieser Aufbau in Abbildung 8.12. Im Gegensatz zum vorherigen Abschnitt soll L als endlich betrachtet werden. Es wird somit wieder die Auslenkung einer Masse in Abh¨angigkeit der Zeit betrachtet, also das Orts-Zeit-Gesetz x = x(t). a) Stellen Sie die Bewegungsgleichung f¨ ur die (2n)-te und (2n + 1)-te Punktmasse auf, wenn diese aus ihrer Gleichgewichtslage ausgelenkt werden. b) Nach Auslenkung und Loslassen einer der Punktmassen l¨auft eine St¨orung durch die Kette aus gekoppelten harmonischen Oszillatoren. Bei einer solchen Kette muss die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer St¨orung ber¨ ucksichtigt werden, wenn

Abb. 8.12: Unendlich ausgedehnte Kette von Punktmassen m, die an Federn der Federkonstanten D1 bzw. D2 h¨ angen.

220

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper man die Bewegungsgleichungen l¨ ost. Diese wird erfasst durch den Ansatz    L 2π x2n (t) = a exp i ωt − 2nk , k= (8.145) 2 λ

f¨ ur das Orts-Zeit-Gesetz der (2n)-ten Punktmasse bzw. einer mit geradzahligem Index. Hierbei ist k die Wellenzahl der laufenden St¨orung, und a ist die Amplitude. (Einen analogen Ansatz mit einer anderen Amplitude muss man f¨ ur Punktmassen mit einem ungeradzahligen Index w¨ ahlen.) Begr¨ unden Sie diesen Ansatz. c) Setzen Sie nun den Ansatz in die Bewegungsgleichungen aus Aufgabenteil (a) ein. Sie erhalten daraus ein lineares Gleichungssystem f¨ ur die Amplituden der beiden betrachteten Punktmassen. Welche Dispersionsrelationen m¨ ussen zwischen der Kreisfrequenz ω und der Wellenzahl k gelten, damit dieses eine nichttriviale L¨ osung f¨ ur die Amplituden besitzt?

L¨osung zu Aufgabe 8.9 Wird die (2n)-te Punktmasse aus ihrer Ruhelage ausgelenkt (ohne sie loszulassen), dann entsteht in der Kette eine St¨ orung, welche u ¨ber die Federn die Position aller anderen Punktmassen beeinflusst. Ber¨ ucksichtigt man die Auslenkungen der jeweils benachbarten Punktmassen, dann werden die Auslenkungen aller anderen Punktmassen mit ber¨ ucksichtigt. Die (2n)-te bzw. (2n + 1)-te Punktmasse bewegt sich in den Potenzialen V2n (x2n ) =

1 1 D2 (x2n − x2n−1 )2 + D1 (x2n+1 − x2n )2 , 2 2

V2n+1 (x2n+1 ) =

1 1 D2 (x2n+2 − x2n+1 )2 + D1 (x2n+1 − x2n )2 . 2 2

(8.146a) (8.146b)

a) Aus den Potenzialen kann man die folgenden Bewegungsgleichungen herleiten: 0 m¨ x2n = −V2n (x2n ) = −D2 (x2n − x2n−1 ) + D1 (x2n+1 − x2n ) ,

(8.147a)

0 m¨ x2n+1 = −V2n+1 (x2n+1 ) = D2 (x2n+2 − x2n+1 ) − D1 (x2n+1 − x2n ) .

(8.147b)

Also erh¨ alt man, wenn man nach den Federkonstanten sortiert: m¨ x2n = D1 (x2n+1 − x2n ) + D2 (x2n−1 − x2n ) ,

(8.148a)

m¨ x2n+1 = D1 (x2n − x2n+1 ) + D2 (x2n+2 − x2n+1 ) .

(8.148b)

b) Der Ansatz l¨ asst sich auch auf die folgende Form bringen: x2n (t) = a exp (iω[t − t0 ]) ,

t0 =

k L. ω

(8.149)

8.7 Von der Schwingung zur Welle

221

Die Gr¨ oße t0 besitzt die Einheit der Zeit. Man kann den Ansatz also so verstehen, dass an einem Punkt der Kette mit dem Abstand L zur (2n)-ten Punktmasse die Auslenkung um die Zeitdauer t0 verz¨ ogert ist. Diese Zeitdauer sollte der Zeit entsprechen, welche die St¨ orung ben¨ otigt, um eine Strecke der L¨ange L zur¨ uckzulegen. Ber¨ ucksichtigt man t0 =

k 2π 1 L L L= · L= = ω λ 2πν λν v

(8.150)

mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit v der St¨orung, die sich als Produkt der Wellenl¨ ange und Frequenz ergibt, so sieht man, dass dies genau der Fall ist. Der Ansatz ist somit sinnvoll und gerechtfertigt. c) Nun ist man so weit, den Ansatz aus Aufgabenteil (b) in Gleichung (8.148) einzusetzen. Dabei sei die Amplitude f¨ ur alle Teilchen mit einer geradzahligen Nummer gleich a und f¨ ur alle Teilchen mit einer ungeradzahligen Nummer gleich b. Die zweite Ableitung des Ansatzes f¨ ur x2n (t) bzw. x2n+1 (t) l¨asst sich wieder durch die Funktion darstellen. Damit folgt: −mω 2 x2n (t) = D1 [x2n+1 (t)−x2n (t)]+D2 [x2n−1 (t)−x2n (t)] , (8.151a) −mω 2 x2n+1 (t) = D1 [x2n (t) − x2n+1 (t)] + D2 [x2n+2 (t) − x2n+1 (t)] .

(8.151b)

Da jetzt nur noch Funktionen x2n (t), x2n+1 (t) usw. auftreten und keine Ableitungen mehr, kann man durch die passenden Funktionen dividieren, um diese aus den Gleichungen zu entfernen. Eine Division von Gleichung (8.151a) durch x2n (t)/a bzw. von Gleichung (8.151b) durch x2n+1 (t)/b liefert ein gew¨ohnliches lineares Gleichungssystem f¨ ur die unbekannten Amplituden a und b:     L 2 −mω a = D1 b exp −ik −a 2     L + D2 b exp ik −a , (8.152a) 2     L −mω b = D1 a exp ik −b 2     L + D2 a exp −ik −b . 2 2

(8.152b)

Bei den Divisionen bleiben also einige Exponentialfunktionen u ¨brig, welche von der Wellenzahl und der Federl¨ ange L abh¨angen. Letztendlich sortiert man alle Terme nach den Amplituden a und b. In Matrixform lautet dann das lineare Gleichungssystem wie folgt:      0 mω 2 − D1 − D2 f1 (kL) a = , (8.153a) 0 b f2 (kL) mω 2 − D1 − D2

222

8 Mechanik ausgedehnter K¨orper     L L f1 (kL) ≡ D1 exp −ik + D2 exp ik , 2 2     L L f2 (kL) ≡ D1 exp ik + D2 exp −ik . 2 2

(8.153b) (8.153c)

Dieses Gleichungssystem ist homogen und besitzt nur eine L¨osung, wenn die Koeffizientendeterminante verschwindet. Bestimmen wir diese also!   mω 2 − D1 − D2 f1 (kL) det f2 (kL) mω 2 − D1 − D2 !

= (mω 2 − D1 − D2 )2 − f1 (kL)f2 (kL) = 0 .

(8.154)



    L L f1 (kL)f2 (kL) = D1 exp −ik + D2 exp ik 2 2      L L × D1 exp ik + D2 exp −ik 2 2 = D12 + D1 D2 [exp(−ikL) + exp(ikL)] + D22 = D12 + D22 + 2D1 D2 cos(kL) = (D1 + D2 )2 − 2D1 D2 [1 − cos(kL)] .

(8.155)

Damit erh¨ alt man durch Ziehen der Wurzel zwei m¨ogliche L¨osungen f¨ ur ω 2 : p 2 mω1/2 − D1 − D2 = ± f1 (kL)f2 (kL) p = ± (D1 + D2 )2 − 2D1 D2 [1 − cos(kL)] . (8.156) Schlussendlich treten folgende beiden Dispersionsrelationen auf: r ω1/2 =

i p 1 h D1 + D2 ± (D1 + D2 )2 − 2D1 D2 [1 − cos(kL)] . m (8.157)

Das Minuszeichen vor der Wurzel muss nicht betrachtet werden, da Frequenzen immer gr¨ oßer gleich null sind.

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben L¨osung zu Aufgabe 2.1 Eine systematische Vorgehensweise, um die Form von komplizierten Kurven zu bestimmen, ist, die Bewegung des Punkts in Teilbewegungen zu unterteilen, deren Form bekannt ist. Im Fall der ebenen Zykloide aus Abbildung 2.6 besteht die Bewegung des Rads aus zwei Komponenten: einer Bewegung des Radmittelpunkts entlang der x-Achse und einer Drehung des Rads um seinen Mittelpunkt. Das Rad rolle gleichf¨ormig mit der Geschwindigkeit v entlang der x-Achse nach rechts und habe den Radius R. Zur mathematischen Beschreibung der Kurve w¨ahlt man als Parameter die Zeit t. Ein bestimmter Punkt l¨ auft also in Abh¨ angigkeit von t die Kurve entlang. Der Mittelpunkt M des Rads beschreibt eine zur x-Achse parallele Gerade im Abstand R:   vt M(t) = . (1) R Ein Punkt P ganz außen am Rad l¨ auft bei der Drehung auf einem Kreis mit Radius R. Sie wissen bereits, wie ein solcher Kreis in Vektorschreibweise aussieht. Hier muss man jedoch beachten, dass das Rad sich im Uhrzeigersinn dreht, womit der Winkel ϕ so eingezeichnet wird wie in Abbildung 1 gezeigt.

Abb. 1: Kreisbewegung bei der ebenen Zykloide.

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

224

Jetzt muss noch klar werden, wie der Winkel ϕ, der im Folgenden immer im Bogenmaß angegeben sein soll, vom Parameter t abh¨ angt. Dreht das Rad nicht durch, dann gilt die Rollbedingung, die den zeitlich u ¨berstrichenen Winkel mit der Geschwindigkeit des Radmittelpunkts in Verbindung setzt: v ϕ(t) = t . (2) R ¨ Die Winkelgeschwindigkeit beschreibt die Anderung des Winkels in Abh¨angigkeit von der Zeit: ω=

dϕ(t) v = . dt R

(3)

−−→ Der Winkel zwischen dem Vektor OP und der negativen y-Achse in Abbildung 1 ist also ϕ(t) = ωt. Die Rollbedingung selbst stellt einen Zusammenhang her zwischen der Geschwindigkeit v des Radmittelpunkts und der Winkelgeschwindigkeit, mit der sich das Rad selbst dreht:     −R sin ϕ sin(vt/R) P(t) = = −R . (4) −R cos ϕ cos(vt/R) Die Kurve l¨ asst sich auf eine einfachere Form bringen, indem man vt/R durch den Winkel ϕ selbst ersetzt. Damit ergibt sich f¨ ur eine ebene Abrollkurve:   ϕ − sin ϕ r(ϕ) = R . (5) 1 − cos ϕ

L¨osung zu Aufgabe 2.2 Wie in Aufgabe 2.1 zerlegt man die Bewegung in zwei einzelne Bewegungen: die Bewegung des Radmittelpunkts auf einem Kreis vom Radius R1 − R2 und die Drehung des Rads selbst um seinen Mittelpunkt. F¨ ur eine Bewegung im Gegenuhrzeigersinn gilt in Abh¨ angigkeit vom Winkel ϕ:   sin ϕ(t) M(ϕ) = (R1 − R2 ) , ϕ(t) = ω1 t (1) − cos ϕ(t) mit der Winkelgeschwindigkeit ω1 = v/(R1 − R2) f¨ ur die Drehung des Radmittelpunkts um den Mittelpunkt des großen Kreises. F¨ ur die Drehung eines Punkts P des Rads benutzt man die in der vorherigen Aufgabe abgeleitete Darstellung   sin(ω2 t) P(t) = −R2 , (2) cos(ω2 t) wobei man beachten muss, dass ω1 6= ω2 ist. Der Radmittelpunkt dreht sich mit einer anderen Winkelgeschwindigkeit um den Mittelpunkt des großen Kreises als sich das Rad selbst dreht. Mittels der Rollbedingung l¨ asst sich jedoch ein Zusammenhang zwischen ω1 und ω2 herstellen: ω2 =

v R1 − R2 = ω1 . R2 R2

(3)

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

225

Damit gilt: 



 R1 − R2 ω1 t   sin  R2  . P(t) = −R2    R1 − R2 cos ω1 t R2

(4)

Ersetzt man schließlich ω1 t durch ϕ und addiert beide Ausdr¨ ucke, erh¨alt man folgende Darstellung der Abrollkurve: r(ϕ) = M(ϕ) + P(ϕ) 

  R1 − R2 sin ϕ   sin ϕ  R2  . = (R1 − R2 ) − R2    R1 − R2 − cos ϕ cos ϕ R2 



(5)

Man bezeichnet den speziellen Fall als Hypozykloide. An diesen Beispielen haben Sie nun eine m¨ achtige Vorgehensweise kennengelernt, die es Ihnen erm¨oglicht, die Parameterdarstellung auch aufwendigerer Kurven herzuleiten.

L¨osung zu Aufgabe 2.6 Mit f 0 (x) =



x und Gleichung (2.42) ergibt sich: Z

L(x = 1) = 0

1



1 + x0 dx0 =



2 (1 + x0 )3/2 3

2 √ = (2 2 − 1) ≈ 1,22 . 3

1 = 0

 2  3/2 2 −1 3

Dargestellt ist die Funktion in Abbildung 2.

Abb. 2: Graph der Funktion f (x) = (2/3)x3/2 .

(1)

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

226

L¨osung zu Aufgabe 2.10 Zur L¨ osung schauen Sie sich am besten nochmal die Formeln f¨ ur die Kugelkoordinaten aus Abschnitt 2.6 an. a) Erinnert man sich an die Gestalt des radialen Basisvektors   sin ϑ cos ϕ b er =  sin ϑ sin ϕ  , cos ϑ

(1)

so erkennt man diesen im entsprechenden Orts-Zeit-Gesetz wieder. Da die Spitze dieses Vektors in Abh¨ angigkeit des Polarwinkels ϑ und des Azimutalwinkels ϕ immer vom Koordinatenursprung zu einer Kugeloberfl¨ache mit Radius eins zeigt, verl¨ auft die Kurve auf einer Kugeloberfl¨ache vom Radius R, da b er zus¨atzlich mit dem Faktor R gestreckt wird. Dabei liest man ϑ(t) = Ωt und ϕ(t) = ωt ab. Abbildung 3 zeigt eine Skizze dieser Kurve.

Abb. 3: Darstellung der Raumkurve aus Gleichung (2.110). b) Die Ableitungen der zeitlich ver¨ anderlichen Winkel entsprechen den Kreisfrequenzen: ϑ˙ = Ω ,

ϕ˙ = ω .

(2)

F¨ ur die Radiusfunktion gilt r(t) = R, da die Bewegung auf der Kugeloberfl¨ache stattfindet. Die Beschleunigungen ar , aϑ und aϕ in Richtung der Basisvektoren b er , b eϑ und b eϕ folgen nun aus Gleichung (2.109):   ar = r¨ − r(ϑ˙ 2 + ϕ˙ 2 sin2 ϑ) = −R Ω2 + ω 2 sin2 (Ωt) ,   1 1 aϑ = 2r˙ ϑ˙ + r ϑ¨ − ϕ˙ 2 sin(2ϑ) = − Rω 2 sin(2Ωt) , 2 2 aϕ = 2r˙ ϕ˙ sin ϑ + r(2ϑ˙ ϕ˙ cos ϑ + ϕ¨ sin ϑ) = 2RΩω cos(Ωt) .

(3a) (3b) (3c)

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

227

Die radiale Beschleunigung ar setzt sich aus einem konstanten und einem oszillatorischen Anteil zusammen, w¨ ahrend die anderen Beitr¨age aϑ und aϕ ausschließlich von oszillatorischer Natur sind. In allen Ausdr¨ ucken spielen beide Frequenzen ω und Ω eine Rolle, wohingegen in den Argumenten der Sinus- und Kosinusfunktion, welche die periodische Bewegung beschreiben, nur Ω vorkommt. Dabei schwingt aϑ mit der doppelten Frequenz 2Ω im Vergleich zu aϕ . Die Beschleunigung ar ist negativ, was zeigt, dass sie zum Koordinatenursprung hin gerichtet ist. Andernfalls k¨ onnte die Punktmasse nicht auf der Kugeloberfl¨ache gehalten werden.

L¨osung zu Aufgabe 3.5 a) Gem¨ aß der Definition gilt f¨ ur den Drehimpuls des Teilchens bez¨ uglich des Koordinatenursprungs:       a 0 0 L = r × p = mr × r˙ = m v0 t + b × v0  = amv0 0 . (1) 0 0 1 Damit folgt dL/dt = (0,0,0)T . Somit bleibt der Drehimpuls des Teilchens zeitlich gleich. b) Die Kraft folgt aus dem Potenzial durch Bilden des (negativen) Gradienten:   ∂/∂x α F(x, y, z) = −∇V (x, y, z) = − ∂/∂y  p 2 x + y2 + z2 ∂/∂z   x α y  . = 2 (2) (x + y 2 + z 2 )3/2 z Die Bewegung der Punktmasse ist entlang des Einheitsvektors b ey eingeschr¨ankt. Damit ergibt sich f¨ ur die Kraft entlang der Bewegungsrichtung: Fk = F · b ey =

(x2

αy . + y 2 + z 2 )3/2

Aus dem zweiten Newtonschen Gesetz resultiert somit: αy m¨ y= 2 . (a + y 2 )3/2

(3)

(4)

Man bezeichnet eine Einschr¨ ankung der Bewegung einer Punktmasse als Zwangsbedingung. Bei wirkenden Kr¨ aften m¨ ussen solche Zwangsbedingungen ber¨ ucksichtigt werden. Das ¨ außert sich beispielsweise darin, dass keine Kraft senkrecht zu einer Richtung wirken kann, wenn die Bewegung einer Punktmasse entlang dieser Richtung eingeschr¨ ankt ist.

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

228

c) Berechnet man die erste zeitliche Ableitung des Drehimpulses, dann ergibt sich: dL = r˙ × (m˙r) + r × p˙ = r × F = [ab ex + (v0 t + b)b ey ] × Fk b ey dt = aFk (b ex × b ey ) = aFk b ez .

(5)

Also ¨ andert sich im Falle der ¨ außeren Krafteinwirkung der Drehimpuls mit der Zeit.

Kreuzprodukte berechnen sich schnell, indem man die beteiligten Vektoren in ihre Komponenten und Basisvektoren zerlegt.

d) Die Summe der kinetischen und potenziellen Energie betr¨agt: 1 2 m˙r + V (r) . 2 Deren zeitliche Ableitung ist: E=

dE = m˙r · ¨r + ∇V · r˙ = r˙ · (m¨r) − F · r˙ = r˙ · F − F · r˙ = 0 , dt womit die Energie erhalten bleibt.

(6)

(7)

L¨osung zu Aufgabe 4.1 Die Raketen bewegen sich gem¨ aß der Orts-Zeit-Gesetze     0 d r1 (t) =  0  , r2 (t) =  0  . v1 t v2 t Eine Galilei-Transformation in das Bezugssystem der ersten Rakete liefert:   d . 0 r02 (t) = r2 (t) − v1 t =  (v2 − v1 )t

(1)

(2)

Der Ball wird mit der Geschwindigkeit v horizontal geworfen. Damit legt er in der Zeit t = d/v die Strecke zwischen den beiden Raketen zur¨ uck und f¨allt dabei um  2 1 1 d gd2 z = − gt2 = − g =− 2, (3) 2 2 v 2v nach unten. Man muss den Ball also zur Zeit z gd2 t= = 2 1 ist es die implizite Darstellung einer um x0 verschobenen Hyperbel: 1=

(x − x0 )2 y2 − 2, 2 a b

x0 =

pε , ε2 − 1

a=

p , ε2 − 1

(14a) b= √

p . −1

ε2

(14b)

Es ist ersichtlich, dass beide Hyperbelzweige mit den Parameterdarstellungen (±a cosh ϕ + x0 , b sinh ϕ) die Gleichung erf¨ ullen. Weiterhin gilt x0 = aε = e > 0. Die Hyperbel wurde also nach links verschoben, so dass sich deren erster Brennpunkt im Koordinatenursprung befindet. Allgemein ist r = p f¨ ur ϕ = π/2, was zeigt, dass p die y-Koordinate des zweiten Brennpunkts der Ellipse bzw. des ersten Brennpunkts der Hyperbel oder des Brennpunkts der Parabel ist.

L¨osung zu Aufgabe 5.11 Am besten bringt man den Radikanden durch quadratische Erg¨anzung auf eine reinquadratische Form:   b b2 b2 c ax2 + bx + c = a x2 + x + 2 − 2 + a 4a 4a a " # 2 2 b 4ac − b =a x+ + . (1) 2a 4a2

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

238

Da laut Aufgabenstellung a < 0 ist, ergibt es Sinn, den Ausdruck so umzuformen, dass vor a ein Minuszeichen steht. Mit der Substitution y = x + b/(2a) folgt dann weiter: "  # 2 b b2 − 4ac 2 ax + bx + c = −a − x + + = −a(y02 − y 2 ) , (2a) 2a 4a2 √ y0 =

b2 − 4ac = 2|a|



b2 − 4ac . −2a

Das f¨ uhrt uns zum folgenden Integral: Z Z dy 1 dy p p I= =√ . 2 2 2 −a −a(y0 − y ) y0 − y 2

(2b)

(3)

Bei Wurzeltermen ist Vorsicht geboten, was das Vorzeichen des Radikanden angeht. Wenn man weiß, dass ein Radikand auf jeden Fall negativ ist, kann man versuchen, diesen mit einem Minuszeichen zu kombinieren (so wie hier geschehen), damit das Ergebnis reell bleibt.

Die Substitution y = y0 cos φ mit y0 > 0 hilft aufgrund der G¨ ultigkeit des trigonometrischen Satzes des Pythagoras weiter: Z Z 1 −y0 sin φ 1 1 I=√ dφ p = −√ dφ = − √ φ + c , (4) 2 −a −a −a y0 1 − cos φ Die R¨ ucksubstitution liefert zusammen mit arccos(−x) = π − arccos(x) das Ergebnis:     1 y 1 x + b/(2a) I = −√ arccos + c = −√ arccos √ (−2a) + c y0 −a −a b2 − 4ac   1 −2ax − b = −√ arccos √ +c −a b2 − 4ac   1 2ax + b 1 =√ arccos √ − √ π+c −a −a b2 − 4ac   1 2ax + b =√ arccos √ + c0 (5) −a b2 − 4ac mit einer neuen Integrationskonstanten c0 ∈ R.

L¨osung zu Aufgabe 6.3 Die Energie ist erhalten, weil sich die auftretenden Kr¨afte durch ein Potenzial beschreiben lassen: V (x) =

1 Dx2 , 2

(1)

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

239

wobei x die Auslenkung des Klotzes aus der Ruhelage ist. Dies ist ¨aquivalent zur Aussage, dass keine Reibungsverluste auftreten. Schließlich ist es nicht m¨oglich, eine Reibungskraft als Gradient eines Potenzials zu schreiben. Mit der Gesamtenergie E gilt dann: 1 1 1 E = mx˙ 2 + V (x) = mx˙ 2 + Dx2 . (2) 2 2 2 Aufl¨ osen nach x˙ liefert eine Differenzialgleichung erster Ordnung: r 1 1 2E D 2 2E D 2 2 2 mx˙ = E − Dx ⇔ x˙ = − x ⇒ x˙ = − x2 . (3) 2 2 m m m m Es folgt durch Trennung der Ver¨ anderlichen: r dx 2E D dx = − x2 ⇔ p = dt . (4) dt m m 2E/m − (D/m)x2 Eine Integration mit der Anfangsbedingung x(t = 0) = x0 f¨ uhrt dann auf: Z x(t) Z t dx p = dt = t . 2E/m − (D/m)x2 x0 0

(5)

Das Integral I(x) auf der linken Seite f¨ uhrt man mit einer Substitution auf ein bekanntes Integral zur¨ uck, das man in der Formelsammlung findet: r Z Z 1 m 1 p p I(x) = dx = dx 2 2E 2E/m − (D/m)x 1 − D/(2E)x2 r r r Z m 2E 1 m √ = · du = arcsin(u) 2 2E D D 1−u ! r r m D = arcsin x . (6) D 2E Ab dieser Stelle ist es sinnvoll, die Gesamtenergie E durch die anf¨angliche Auslenkung x0 > 0 zu ersetzen. Ist die Feder vollst¨ andig gespannt, steckt die gesamte Energie in der Feder. Also gilt E = Dx20 /2. Einsetzen der Ergebnisse f¨ uhrt auf: r     m x arcsin − arcsin(1) = t . (7) D x0 Diese Gleichung l¨ asst sich schließlich nach x aufl¨osen:   r x D π arcsin = t+ , x0 m 2 ! r r ! D π D ⇒ x(t) = x0 sin t+ = x0 cos t . m 2 m

(8a) (8b)

Ausnutzen der Energieerhaltung reduziert also die Ordnung der Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators um eins. Auch hier erweisen sich Erhaltungsgr¨oßen als hilfreich, denn im Allgemeinen l¨ asst sich eine Differenzialgleichung erster Ordnung einfacher l¨ osen als eine zweiter Ordnung.

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

240

L¨osung zu Aufgabe 6.4 Betrachtet wird der Lenz-Runge-Vektor Λ beim Kepler-Problem: r Λ = r˙ × L − γ , γ = G∗ M m . r

(1)

a) Um zu u ufen, ob es sich beim Lenz-Runge-Vektor Λ tats¨achlich um eine ¨berpr¨ Erhaltungsgr¨ oße handelt, muss dessen Zeitableitung berechnet werden: dΛ d r = ¨r × L + r˙ × L˙ − γ . (2) dt dt r Bekannt ist, dass der Drehimpuls beim Kepler-Problem erhalten ist, da die Gravitationskraft eine Zentralkraft ist: L˙ = 0. Somit verschwindet der zweite Summand. Der erste l¨ asst sich wie folgt umschreiben: hr i 1 ¨r × L = (F × L) = −γ 3 × (r × r˙ ) m   r     r  r · r˙ r˙ r˙ ˙ b b = −γ r − r · r = −γ r · r − (3) r3 r3 r r wobei b r ≡ r/r. F¨ ur die Zeitableitung des dritten Terms muss eine Nebenrechnung durchgef¨ uhrt werden. Bereits in Abschnitt 6.3 wurde benutzt, dass wegen der Kettenregel df (r) = r˙ · ∇f (r) dt

(4)

gilt. Somit folgt hier aus einer Kombination dieser Regel und der Produktregel:     d r d 1 r˙ 1 r˙ = r + = r˙ · ∇ r+ . (5) dt r dt r r r r p Den Gradienten einer Funktion mit dem Argument r = x2 + y 2 + z 2 bestimmt man mit Hilfe der Kettenregel wie folgt:   ∂/∂x ∇f (r) = ∂/∂y  f (r)|r=√x2 +y2 +z2 ∂/∂z    ∂f ∂/∂x p 2 ∂/∂y = x + y2 + z2 ∂r ∂/∂z   x ∂f 1 y  = f 0 (r) r . p = (6) ∂r x2 + y 2 + z 2 z r

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

Der Gradient einer Funktion f (r) mit r = der Formel: r ∇f (r) = f 0 (r) . r

241

p

x2 + y 2 + z 2 berechnet sich gem¨aß (7)

Damit folgt weiter:   1 1 r r ∇ =− 2 =− 3, (8a) r r r r      d r r · r˙ r˙ r˙ r˙ b b −γ =γ r − = γ r · r − . (8b) dt r r3 r r r Schlussendlich sieht man, dass die zeitliche Ableitung des Lenz-Runge-Vektors verschwindet. Er ist somit eine Erhaltungsgr¨oße.       dΛ r˙ r˙ r˙ r˙ b b = −γ b r· r− +γ b r· r− = 0. (9) dt r r r r b) Das Skalarprodukt des Lenz-Runge-Vektors und des Drehimpulsvektors ist: r·L = 0. (10) r Der erste Term verschwindet, weil r˙ × L auf L senkrecht steht. Der zweite Term ist gleich null, da beim Kepler-Problem der Drehimpuls senkrecht auf der Ebene steht, in der die Bahnkurve r verl¨ auft (siehe Abschnitt 5.4.3). c) Anstelle des Betrags des Lenz-Runge-Vektors berechnet man besser das Betragsquadrat. Λ · L = (˙r × L) · L − γ

Den Betrag eines Vektors a, der sich m¨ oglicherweise aus komplizierten Funktionen zusammensetzt, bestimmt man am besten als Wurzel des Skalarprodukts des Vektors mit sich selbst: √ |a| = a · a . (11)

Genauso wird nun f¨ ur den Lenz-Runge-Vektor vorgegangen:  γr   γr  |Λ|2 = r˙ × L − · r˙ × L − r r γr γ 2 r2 = (˙r × L)2 − 2(˙r × L) · + 2 r r γ = r˙ 2 L2 − 2(r × r˙ ) · L + γ 2 . r

(12)

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

242

Hierbei wurde beim ersten Schritt ausgenutzt, dass r˙ beim Kepler-Problem ebenso senkrecht auf L steht, da r˙ in der Bahnebene liegt. Beim zweiten Schritt spielt die Zyklizit¨ at des Spatprodukts eine Rolle.

Die Zyklizit¨ at des Spatprodukts ist eine hilfreiche Formel f¨ ur Kreuzprodukte: (a × b) · c = (b × c) · a = (c × a) · b .

(13)

Dies gilt f¨ ur alle Vektoren a, b, c ∈ R3 .

Zuletzt ergibt sich unter Verwendung von r˙ 2 = r˙ 2 + r2 ϕ˙ 2 = r˙ 2 + r2



L mr2

2

= r˙ 2 +

L2 m2 r2

(14)

das folgende Ergebnis: |Λ|2 = r˙ 2 L2 +

L4 2γ 2 − L + γ2 . m2 r2 mr

(15)

Beachten Sie, dass f¨ ur Polarkoordinaten r˙ 2 = r˙ 2 + r2 ϕ˙ 2 gilt!

Nun l¨ asst sich r˙ durch die Gesamtenergie ausdr¨ ucken: E=

m 2 L2 γ 2E L2 2γ 2 r˙ + − ⇒ r ˙ = − + . 2 2mr2 r m m2 r 2 mr

(16)

Einsetzen in Gleichung (15) liefert das Ergebnis: 2E 2 L4 2γ 2 L4 2γ 2 L − 2 2+ L + 2 2− L + γ2 m m r mr m r mr 2E 2 = L + γ2 . m

|Λ|2 =

(17)

Damit lautet dessen Betrag: r |Λ| =

2EL2 γ2 + =γ m

s 1+

2EL2 ≡ γε . mγ 2

(18)

Der Betrag des gem¨ aß Gleichung (1) definierten Lenz-Runge-Vektors entspricht bis auf den Faktor γ der numerischen Exzentrizit¨at ε des Kegelschnitts beim Kepler-Problem, wie sie in Gleichung (5.109) auftritt.

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

243

d) Dazu multipliziert man Λ mit r und erh¨ alt mit dem Ergebnis von Aufgabenteil (c): Λ · r = |Λ||r| cos ϕ = γεr cos ϕ = γεx .

(19)

Durch das Skalarprodukt wird der allgemeine Vektor r auf Λ projiziert. Nach dieser Projektion bleibt nur dessen x-Komponente u ¨brig, womit Λ in Richtung der positiven x-Achse zeigt, also in Richtung des Perihels. e) Hier wird das Skalarprodukt Λ · r direkt mit Gleichung (1) bestimmt: Λ · r = (˙r × L) · r − γ

r2 1 L2 = (r × p) · L − γr = − γr . r m m

(20)

Gleichsetzen mit dem in (d) errechneten Ergebnis aus Gleichung (19) liefert: L2 L2 − γr ⇔ rγ(ε cos ϕ + 1) = , m m Als Endergebnis folgt schließlich: s p L2 2EL2 r= , p= , ε= 1+ , 1 + ε cos ϕ γm mγ 2 γεr cos ϕ =

(21)

(22)

was dem Kegelschnitt aus Gleichung (5.109) mit ϕ00 = 0 entspricht. Dabei handelt es sich um das Orts-Zeit-Gesetz des Kepler-Problems.

L¨osung zu Aufgabe 7.1 Die Berechnungen k¨ onnen mit Hilfe von Gleichung (7.4c) und einigen weiteren Umformungen durchgef¨ uhrt werden.

a) Die Bewegungsgleichungen in den neuen Koordinaten lauten:     ¨ + m2 ¨r = F(r) , m2 R ¨ − m1 ¨r = −F(r) . m1 R (1) M M Durch Addition dieser beiden Gleichungen f¨allt die gesamte Abh¨angigkeit von der Relativkoordinaten r heraus, ebenso wie die Kraft auf der rechten Seite: ¨ = 0 ⇔ MR ¨ = 0. (m1 + m2 )R

(2)

Durch Multiplikation der ersten Gleichung mit m2 , der zweiten mit m1 und anschließender Subtraktion der Ergebnisse f¨allt wiederum die Abh¨angigkeit von der Schwerpunktskoordinaten heraus: m1 m2 ¨r = F(r) ⇔ µ¨r = F(r) , (3a) M  −1 m1 m2 m1 + m2 1 µ= = = −1 . (3b) m1 + m2 m1 m2 m1 + m−1 2 Hierbei wurde wie gefordert die effektive Masse µ eingef¨ uhrt.

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

244

b) Zun¨ achst soll die kinetische Energie T mit Hilfe der Schwerpunkts- und der Relativkoordinaten ausgedr¨ uckt werden: m1 2 m2 2 m1  ˙ m2 2 m2  ˙ m1 2 T = r˙ 1 + r˙ 2 = R+ r˙ + R− r˙ 2  2 2 M 2 M m1 ˙ 2 m2 ˙ m2 = R +2 R · r˙ + 22 r˙ 2 2 M M   m2 ˙ 2 m1 ˙ m21 2 + R −2 R · r˙ + 2 r˙ 2 M M m1 + m2 ˙ 2 1 m1 m2 (m1 + m2 ) 2 M ˙2 µ 2 = R + r˙ = R + r˙ , (4) 2 2 (m1 + m2 )2 2 2 mit der effektiven Masse µ. Damit ergibt sich f¨ ur die Gesamtenergie: E = T + V (r1 − r2 ) =

M ˙2 µ 2 R + r˙ + V (r) . 2 2

(5)

Zuletzt wird der Drehimpuls der beiden Massen in den neuen Koordinaten dargestellt: L = r1 × p1 + r2 × p2 = m1 r1 × r˙ 1 + m2 r2 × r˙ 2  m2   ˙ m2  = m1 R + r × R+ r˙  Mm   Mm  1 ˙ − 1 r˙ + m2 R − r × R M M   m m m22 2 2 ˙ ˙ = m1 R × R + R × r˙ + r × R + 2 r × r˙ M M M   m m m21 1 1 ˙ ˙ + m2 R × R − R × r˙ − r × R + 2 r × r˙ M M M m m (m + m ) 2 ˙ + 1 2 1 = (m1 + m2 )R × R r × r˙ (m1 + m2 )2 ˙ + µr × r˙ = R × P + r × p . = MR × R

(6)

Man kann Kreuzprodukte von Summen aus Vektoren genauso ausmultiplizieren wie gew¨ ohnliche Produkte: (a + b) × (c + d) = a × c + a × d + b × c + b × d .

(7)

F¨ ur das Kreuzprodukt gilt also ebenso das Distributivgesetz.

L¨osung zu Aufgabe 7.4 Gem¨ aß Abbildung 7.6 sei x2 > x1 ≥ 0. In der Ruhelage beider Massen, wenn also die Differenz x2 − x1 der L¨ ange a der Feder entspricht, wirken keine Kr¨afte auf die Massen.

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

245

Ist x2 − x1 gr¨ oßer als a, dann treibt die Feder beide Massen zusammen. Auf die erste Masse wirkt dann eine Kraft nach rechts und auf die zweite Masse eine Kraft nach links.

a) Damit gelten die folgenden Bewegungsgleichungen: m1 x ¨1 = F1 = D(x2 − x1 − a) ,

m2 x ¨2 = −D(x2 − x1 − a) .

(1)

b) Um die Eigenfrequenz des Systems beider Massen zu bestimmen, werden Schwerpunkts- und Relativkoordinaten eingef¨ uhrt. Sei XS die Koordinate des Schwerpunkts und XR die Relativkoordinate: XS =

m1 x1 + m2 x2 , M

XR = |x1 − x2 | = x2 − x1

(2)

mit der Gesamtmasse M = m1 + m2 des Systems. Um die Transformation zu bewerkstelligen, muss man Gleichung (2) nach x1 und x2 aufl¨osen, um diese Variablen in Gleichung (1) ersetzen zu k¨ onnen: x1 =

(m1 + m2 )XS − m2 XR , M

(m1 + m2 )XS + m1 XR . M Damit kommt man auf die folgenden Differenzialgleichungen: x2 =

¨ S − m2 X ¨R = (m1 + m2 )X

DM (XR − a) , m1

¨ S + m1 X ¨ R = − DM (XR − a) . (m1 + m2 )X m2 Subtraktion der ersten von der zweiten Gleichung f¨ uhrt zu   1 1 ¨ R = −DM (m1 + m2 )X + (XR − a) , m1 m2 ¨R = − ⇔X

D (XR − a) , µ

(3a) (3b)

(4a) (4b)

(5a) (5b)

mit der effektiven Masse µ = (m1 + m2 )/(m1 m2 ). Anschließend kann man noch eine Verschiebung der Relativkoordinate XR um a durchf¨ uhren, also die neue 0 0 Koordinate XR u = XR − a einf¨ uhren. Dann gilt die Differenzialgleichung ¨ber XR ¨ 0 = −(D/µ)X 0 . Damit verh¨ X alt sich das System in Relativkoordinaten wie R R ein unged¨ ampfter p harmonischer Oszillator. Die Eigenfrequenz ergibt sich hieraus sofort zu ω0 = D/µ. c) Die Eigenfrequenz wird genau dann minimal, wenn die effektive Masse µ maximal wird. Dazu ersetzt man in µ die Masse m2 durch M − m1 und bestimmt das Maximum: µ=

m1 m2 (M − m1 )m1 dµ 2m1 ! = ⇒ =1− = 0. m1 + m2 M dm1 M

(6)

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

246 Dies f¨ uhrt auf m1 = M/2, also: µ=

M , 4

m1 = 1. m2

(7)

Wenn beide Massen gleich groß sind, wird ω0 minimal.

Lo¨sung zu Aufgabe 7.5 Die erste, zweite und dritte Masse bewegen sich jeweils in den folgenden Potenzialen: V1 (x1 ) =

1 D(x1 − x2 )2 , 2

1 1 D(x1 − x2 )2 + D(x2 − x3 )2 , 2 2 1 V3 (x3 ) = D(x2 − x3 )2 . 2 V2 (x2 ) =

(1a) (1b) (1c)

a) Aus den Potenzialen folgen wieder sofort die Bewegungsgleichungen: m¨ x1 = −

∂V1 = −D(x1 − x2 ) , ∂x1

m¨ x2 = −

∂V2 = D(x1 − x2 ) − D(x2 − x3 ) = −D(2x2 − x1 − x3 ) , (2b) ∂x2

m¨ x3 = −

∂V3 = D(x2 − x3 ) . ∂x3

(2a)

(2c)

b) Wie gewohnt macht man zur L¨ osung dieses Systems aus linearen Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten einen komplexen Exponentialansatz, also z.B. x1 (t) = a exp(iωt) f¨ ur die erste Masse (und mit den Amplituden b, c bei der zweiten bzw. dritten Masse). Dies liefert folgendes gew¨ohnliches Gleichungssystem f¨ ur die Amplituden: −ω 2 ma = −D(a − b) ,

(3a)

−ω 2 mb = −D(2b − a − c) ,

(3b)

−ω 2 mc = D(b − c) .

(3c)

In Matrixform lautet das Gleichungssystem      D − ω2 m −D 0 a 0  −D 2D − ω 2 m −D   b  = 0 . c 0 0 −D D − ω2 m

(4)

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

247

Die Eigenfrequenzen folgen wieder aus der Bedingung, dass die Koeffizientendeterminante verschwindet:   D − ω2 m −D 0 ! 2D − ω 2 m −D  = 0 . det  −D (5) 2 0 −D D−ω m Eine Entwicklung der Determinante nach der ersten Zeile liefert:     −D −D 2D − ω 2 m −D (D − ω 2 m) det + D det = 0 D − ω2 m −D D − ω2 m = (D − ω 2 m)(D2 − 3Dω 2 m + ω 4 m2 ) + D(−D2 + Dω 2 m) = !

= −mω 2 (m2 ω 4 − 4Dmω 2 + 3D2 ) = 0 .

(6)

Eine L¨ osung l¨ asst sich sofort ablesen: ω1 = 0. Die anderen beiden ergeben sich durch L¨ osung einer biquadratischen Gleichung: p 4Dm ± (4Dm)2 − 12D2 m2 4Dm ± 2Dm 2 ω2/3 = = 2m2 2m2 2D D = ± . (7) m m Da Frequenzen stets positiv sind, braucht man die negativen L¨osungen nicht weiter zu beachten und erh¨ alt: r r D 3D ω2 = , ω3 = . (8) m m c) Die Bewegung mit ω1 = 0 entspricht einer Bewegung aller drei Massen entlang der x-Achse jeweils mit derselben Geschwindigkeit, ohne dass diese gegeneinander schwingen.

L¨osung zu Aufgabe 8.3 a) Bei einem Zylinder erweisen sich nat¨ urlich Zylinderkoordinaten als sehr hilfreich. Z 2π Z l Z r1 J= dϕ dz dr r %(x2 + y 2 ) 0

0

Z = 2π%

l

r2

Z

r1

dz 0

r2

dr r3 = 2π%l

r r4 1 4 r2

π π m m = l(r14 − r24 )% = l(r14 − r24 ) · = (r12 + r22 ) . 2 2 2 2 π(r1 − r2 )l 2

(9)

Das Tr¨ agheitsmoment eines Vollzylinders ergibt sich f¨ ur r1 = R und r2 = 0: m JVollzylinder = R2 (10) 2

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

248

Das Tr¨ agheitsmoment eines Hohlzylinders mit infinitesimaler Wandst¨arke folgt mit r1 = r2 = R: JHohlzylinder = mR2 .

(11)

Wie Sie sehen, ist das Tr¨ agheitsmoment eines Hohlzylinders doppelt so groß wie das eines Vollzylinders. b) Auch wenn nun das Tr¨ agheitsmoment eines Zylinders nicht bez¨ uglich seiner Mittelachse, sondern einer anderen Achse berechnet werden soll, handelt es sich immer noch um einen Zylinder. Der Gebrauch von Zylinderkoordinaten ist nach wie vor hilfreich: Z 2π Z l/2 Z R J= dϕ dz dr %r(r2 sin2 ϕ + z 2 ) −l/2

0

0



Z

dϕ sin2 ϕ

= %l

R

Z

0

dr r3 + 2π%

0

Z

R

Z

l/2

dr r

dz z 2

−l/2

0

 2π 4 R 2 R 3 l/2 r ϕ 1 + 2π% r z − sin(2ϕ) 2 4 4 0 2 0 3 −l/2 0 π  π m m m = lR4 + l3 R2 · = R2 + l 2 . 2 4 12 πR l 4 12 

= %l

(12)

Lassen sich die Abh¨ angigkeiten des Integranden von den einzelnen Variablen vollst¨ andig trennen, ist das Volumenintegral das Produkt der eindimensionalen Integrale: Z Z Z Z f (x)g(y)h(z) = dx f (x) dy g(y) dz h(z) . (13) V

c) Bei einer Kugel verwendet man nat¨ urlich Kugelkoordinaten: Z 2π Z π Z R J= dϕ dϑ sin ϑ dr %r4 sin2 ϑ 0

0

Z = 2π%

0

π 3

Z

R

dϑ sin ϑ 0

0

R5 dr r = 2π% 5 4

Z

π

dϑ sin3 ϑ .

(14)

0

Ein Integral u ¨ber eine ungerade Potenz von Sinusfunktionen berechnet man mit der Substitution x = cos ϑ, dx = − sin ϑ dϑ: Z π Z π Z 1 3 2 dϑ sin ϑ = dϑ sin ϑ(1 − cos ϑ) = dx (1 − x2 ) 0

−1

0

= x−

3 1

x 4 = . 3 −1 3

(15)

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

249

Damit folgt weiter: J=

2π 4 m 2 · R5 · · = mR2 . 5 3 4π/3R3 5

(16)

d) Bei einer Pyramide benutzt man kartesische Koordinaten. Man muss jedoch beachten, dass die maximalen x- und y-Koordinaten selbst von der z-Koordinaten abh¨ angen:     l l l l x ∈ − z, z , y ∈ − z, z . (17) 2h 2h 2h 2h Damit kann das Tr¨ agheitsmoment bez¨ uglich der Mittelachse wie folgt bestimmt werden: Z h Z lz/(2h) Z lz/(2h) J= dz dy dx %(x2 + y 2 ) −lz/(2h)

0

Z

h

=%

Z

−lz/(2h)

lz/(2h)

dz

Z

−lz/(2h)

0

Z +%

h

Z

dx x2

−lz/(2h)

lz/(2h)

dz 0

lz/(2h)

dy Z

lz/(2h)

dx −lz/(2h)

dy y 2

−lz/(2h)

lz/(2h) lz/(2h) Z h lz x3 lz y 3 =% dz +% dz h 3 −lz/(2h) h 3 −lz/(2h) 0 0 Z 1 l4 h 1 l4 5 m m 2 4 = 2% · dz z = h · 2 = l . 12 h4 0 30 h4 l h/3 10 Z

h

(18)

e) Zur Berechnung des Tr¨ agheitsmoments eines Torus bez¨ uglich der Symmetrieachse, die durch die Mitte des Lochs l¨ auft, ben¨ otigt man die Parameterdarstellung des Torus. Diese holt man sich aus einem Buch u ¨ber h¨ohere Mathematik:   (r1 + r cos ϕ) cos ϑ r(r, ϑ, ϕ) =  (r1 + r cos ϕ) sin ϑ  (19) r sin ϕ mit r ∈ [0, r2 ], ϑ ∈ [0,2π] und ϕ ∈ [0,2π]. Das Tr¨agheitsmoment berechnet man dann wie folgt: Z Z 3 2 2 J= d x %(x + y ) = % d3 x (x2 + y 2 ) . (20) V

V

Dabei ist u ¨ber das Volumen des Torus zu integrieren. Das kann man am besten dadurch bewerkstelligen, indem man von kartesischen Koordinaten x, y, z in neue Koordinaten u ¨bergeht, welche den Torus erzeugen. Diese sind durch die obige Parameterdarstellung gegeben: x = (r1 + r cos ϕ) cos ϑ ,

(21a)

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

250 y = (r1 + r cos ϕ) sin ϑ ,

(21b)

z = r sin ϕ .

(21c)

Die neuen Koordinaten aus Gleichung (21) k¨onnte man als Toruskoordinaten bezeichnen. Da diese in der Anwendung eher eine untergeordnete Rolle spielen, ist die Funktionaldeterminante nicht notwendigerweise einfach in mathematischer Literatur zu finden (im Gegensatz zu den Zylinder- oder Kugelkoordinaten). Deshalb wird sie hier berechnet:   ∂x/∂r ∂x/∂ϑ ∂x/∂ϕ det ∂y/∂r ∂y/∂ϑ ∂y/∂ϕ ∂z/∂r ∂z/∂ϑ ∂z/∂ϕ   cos ϕ cos ϑ −(r1 + r cos ϕ) sin ϑ −r sin ϕ cos ϑ = det  cos ϕ sin ϑ (r1 + r cos ϕ) cos ϑ −r sin ϕ sin ϑ  sin ϕ 0 r cos ϕ   −(r1 + r cos ϕ) sin ϑ −r sin ϕ cos ϑ = sin ϕ det (r1 + r cos ϕ) cos ϑ −r sin ϕ sin ϑ   cos ϕ cos ϑ −(r1 + r cos ϕ) sin ϑ + r cos ϕ det cos ϕ sin ϑ (r1 + r cos ϕ) cos ϑ = sin ϕ · r(r1 + r cos ϕ) sin ϕ + r cos ϕ · (r1 + r cos ϕ) cos ϕ = r(r1 + r cos ϕ) .

(22)

Damit kann man nun das obige Volumenintegral ausrechnen: Z 2π Z 2π Z r2 J =% dϕ dϑ dr r(r1 + r cos ϕ)[r1 + r cos ϕ]2 0

0 2π

Z =%

Z dϕ

0 2π

Z dϑ

0

0

r2

dr r(r1 + r cos ϕ)3 .

(23)

0

Am besten f¨ uhrt man die Integration u ¨ber den Winkel ϑ sofort durch. Dazu wird die Klammer ausmultipliziert: Z 2π dϕ (r13 + 3r12 r cos ϕ + 3r1 r2 cos2 ϕ + r3 cos3 ϕ) 0

2π 1 = 2πr13 + 3r12 r sin ϕ 0 + 3r1 r2 · 2 Z 2π + r3 dϕ cos3 ϕ

Z



dϕ [1 + cos(2ϕ)] 0

0

=

2πr13

  2π   2π 1 1 3 2 3 3 + r1 r ϕ + sin(2ϕ) + r sin ϕ − sin ϕ 2 2 3 0 0

= 2πr13 + 3πr1 r2 = πr1 (2r12 + 3r2 ) .

(24)

Das letzte der Integrale wurde analog zu Gleichung (15), jedoch hier mit der Substitution x = sin ϕ, berechnet. Damit kann man die verbleibenden Integrale

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben

251

u ¨ber r und ϑ schnell bestimmen:  r2 Z r2  3 J = 2π 2 %r1 dr 2r12 r + 3r3 = 2π 2 %r1 r12 r2 + r4 4 0 0   3 2 2 2 2 = 2π %r1 r2 r1 + r2 . 4

(25)

Schließlich ist noch die Dichte des Torus und damit dessen Volumen notwendig: Z 2π Z 2π Z r2 V = dϕ dϑ dr r(r1 + r cos ϕ) 0 0 0   Z r2 Z r2 Z 2π 2 = 2π 2πr1 dr r + dr r dϕ cos ϕ 0

0

0

= 2π · πr1 r22 = 2π 2 r1 r22 .

(26)

Damit folgt m = 2π 2 r1 r22 % und letztendlich das Tr¨agheitsmoment 3 J = mr12 + mr22 . 4

(27)

f) Zun¨ achst soll das Tr¨ agheitsmoment eines Kegels der H¨ohe H und mit dem Radius R der Grundfl¨ ache berechnet werden und zwar bez¨ uglich der Symmetrieachse. Hier erweisen sich Zylinderkoordinaten x = r cos ϕ, y = r sin ϕ als hilfreich, wobei r im Intervall [0, (R/H)z] in Abh¨ angigkeit von z variiert. Z Z 2π Z H Z (R/H)z 3 2 2 J = d x %(x + y ) = % dϕ dz dr r3 0

Z = 2π%

H

dz 0

1 4



R H

4

z4 =

0 4

0

πR 1 5 m H · 2 H4 5 πR2 H/3

3 = mR2 . 10

(28)

Ein Kegelstumpf mit den Radien r1 , r2 und der H¨ohe h entsteht, indem man von einem Kegel mit dem Radius r1 und der H¨ohe h1 ≡ hr1 /(r1 − r2 ) einen kleineren Kegel mit Radius r2 und H¨ ohe h2 ≡ hr2 /(r1 − r2 ) abschneidet: hr1 hr2 h(r1 − r2 ) − = = h. r1 − r2 r1 − r2 r1 − r2

(29)

Damit ist es sinnvoll, die Tr¨ agheitsmomente dieser beiden Kegel zu bestimmen. Dazu l¨ asst sich das Ergebnis vor dem letzten Gleichheitszeichen von Gleichung (28) verwenden. Der Grund ist, dass man die Dichte % des K¨orpers zun¨achst allgemein stehen lassen sollte, damit man sie am Ende durch die Dichte des Kegelstumpfs ersetzen kann. Schließlich soll das Tr¨ agheitsmoment des Kegelstumpfs ja auch in Abh¨ angigkeit von dessen Masse angegeben werden. J1 =

π 4 π hr1 πr15 h r1 h1 % = · r14 · %= %, 10 10 r1 − r2 10(r1 − r2 )

(30a)

¨ L¨osungen der Ubungsaufgaben

252

J2 =

π 4 πr25 h r2 h2 % = %. 10 10(r1 − r2 )

(30b)

Mit der Dichte des Kegelstumpfs %=

3m 3(r1 − r2 ) = m πh(r13 − r23 )/(r1 − r2 ) πh(r13 − r23 )

(31)

liefert die Subtraktion der beiden Tr¨ agheitsmomente aus Gleichung (30) schließlich das Tr¨ agheitsmoment des Kegelstumpfs: J = J1 − J2 =

πh 3 r15 − r25 (r15 − r25 )% = m . 10(r1 − r2 ) 10 r13 − r23

(32)

L¨osung zu Aufgabe 8.8 Versucht wird, das System aus Differenzialgleichungen mittels des folgenden Ansatzes zu l¨ osen, der zum Teil die inhomogenen Anteile widerspiegelt: δΩ1 = c1 sin(Ω3 t) + c2 cos(Ω3 t) ,

δΩ2 = c3 sin(Ω3 t) + c4 cos(Ω3 t) .

(33)

Einsetzen liefert dann: J [c1 Ω3 cos(Ω3 t) − c2 Ω3 sin(Ω3 t)] + (J3 − J)Ω3 [c3 sin(Ω3 t) + c4 cos(Ω3 t)] = −mgl cos(Ω3 t) ,

(34a)

J [c3 Ω3 cos(Ω3 t) − c4 Ω3 sin(Ω3 t)] + (J − J3 )Ω3 [c1 sin(Ω3 t) + c2 cos(Ω3 t)] = mgl sin(Ω3 t) .

(34b)

Sortieren nach Sinus- und Kosinusfunktionen f¨ uhrt zu: [−c2 J + c3 (J3 − J)] Ω3 sin(Ω3 t)   mgl + c1 J + c4 (J3 − J) + Ω3 cos(Ω3 t) = 0 , Ω3   mgl −c4 J + c1 (J − J3 ) − Ω3 sin(Ω3 t) Ω3 + [c3 J + c2 (J − J3 )] Ω3 cos(Ω3 t) = 0 .

(35a)

(35b)

Da die Sinus- und Kosinusfunktion linear unabh¨angig sind, k¨onnen die obigen algebraischen Gleichungen nur dann erf¨ ullt sein, sofern die Anteile in den eckigen Klammern alle verschwinden. Damit liegt ein lineares Gleichungssystem aus vier Gleichungen und vier Unbekannten vor: −c2 J + c3 (J3 − J) = 0 ,

c1 J + c4 (J3 − J) +

mgl = 0, Ω3

(36a)

¨ L¨ osungen der Ubungsaufgaben −c4 J + c1 (J − J3 ) −

253 mgl = 0, Ω3

c3 J + c2 (J − J3 ) = 0 .

(36b)

Aufl¨ osen der vierten Gleichung nach c3 und Einsetzen in die erste Gleichung liefert:   J3 − J (J3 − J)2 −c2 J + · (J3 − J)c2 = 0 ⇔ c2 −J + = 0. (37) J J Hieraus folgt sofort c2 = 0 und damit auch c3 = 0. Addiert man die zweite und dritte Gleichung, so ergibt sich: c1 (2J − J3 ) + c4 (J3 − 2J) = 0 ⇔ (c1 − c4 )(2J − J3 ) = 0 ,

(38)

woraus man c1 = c4 ablesen kann. Aus der zweiten Gleichung folgt dann schnell c1 J3 = −

mgl mgl ⇔ c1 = − . Ω3 J 3 Ω3

(39)

Damit hat der Ansatz funktioniert, und die L¨osung des gekoppelten Differenzialgleichungssystems lautet: δΩ1 (t) = −

mgl sin(Ω3 t) , J3 Ω3

δΩ2 (t) = −

mgl cos(Ω3 t) . J3 Ω3

(40)

Index aperiodischer Grenzfall, 110, 111 Aphel, 124, 125 Aufpunkt, 8, 16 Azimutalwinkel, 36 Beschleunigung, 4, 13, 15–17, 33–36, 38– 40, 66–68, 70, 81, 94 azimutale, 40 polare, 40 radiale, 34, 36, 40, 140, 196, 227 zirkulare, 34, 36, 140, 142, 196 Bewegungsgleichung, 104, 138, 139, 143– 145, 147, 150, 177, 196–198, 205, 215, 230, 231 ged¨ ampfter harmonischer Oszillator, 105, 111, 231 gekoppelte Oszillatoren, 159, 160, 162, 167, 214, 246 harmonischer Oszillator, 94, 96, 99, 239 Kepler-Problem, 116–119, 146–148 Kreisel, 207, 208 schiefer Wurf, 88 Zweik¨ orperproblem, 151, 153, 243, 245 Bezugssystem, 65–71, 73, 77, 78, 228 Binormalenvektor, 24, 26 Bogenl¨ ange, 17–22, 25, 26, 43 Brennpunkt, 111, 113–116, 121 Corioliskraft, 79–81, 84–86, 229 Darboux-Vektor, 24 Deviationsmoment, 184, 185 Dichte, 1, 178–180, 182, 185, 193, 217, 251, 252 Differenzialgleichung, 85, 88, 94, 95 1. Ordnung, 96, 118, 133, 138, 139, 141, 207, 239 2. Ordnung, 98, 106, 117, 140, 142, 144, 162

gekoppelte, 159, 170, 208, 211, 212, 252 lineare, mit konstanten Koeffizienten, 95, 96, 98, 102, 106, 109, 110, 246 nichtlineare, 101, 102, 207 Dispersion, 219 Dispersionsrelation, 219, 220, 222 Divergenz, 49 Drehimpuls, 56–61, 118, 142, 146 -erhaltung, 136, 138, 139, 144, 147, 152 Kepler-Problem, 118, 120, 121, 124, 125, 136, 143, 144, 240, 241 Kreisel, 206, 209, 210 starrer K¨orper, 178, 183, 184, 197 Zweik¨orperproblem, 151–153, 244 Drehmoment, 58, 60 Kreisel, 206, 207, 209, 211, 212 starrer K¨orper, 177–179, 197 Drehung, 72, 73, 76, 146, 183, 184, 194, 199–205 aktive, 73, 74, 76 dreidimensionale, 76 infinitesimale, 147 passive, 73–75, 77 zweidimensionale, 73–75 Eigenfrequenz, 100, 102, 104, 110 Kreisel, 208 Einh¨ ullende, 165 Ellipse, 11, 12, 111–116, 120–122, 124, 127, 233–237 Energie kinetische, 55, 56, 61, 62, 94, 117, 120, 124, 136, 137, 152, 154, 157, 194, 244 potenzielle, 48, 52–56, 117, 120, 137, 152, 157

256 Erhaltungsgr¨ oße, 117, 118, 120, 123, 129– 132, 136–138, 143–148, 151–153, 207, 239–241 Eulersche Formel, 97, 232 Eulersche Winkel, 199, 202 Exzentrizit¨ at lineare, 113, 114, 126, 233, 235 numerische, 113–116, 120–122, 125, 234–236, 242 Fahrstrahl, 112, 121 Frequenz, 10, 100 einer Welle, 218, 219, 221 G¨ artnerkonstruktion, 113, 233, 234 Galilei-Gruppe, 71 Galilei-Transformation, 69–72, 152, 228 Gangpolkegel, 209, 210 gekr¨ ummt, 23, 26 Gesamtimpuls, 5, 129–132, 134, 135, 150, 152, 157 Geschwindigkeit, 2–4, 13–20, 33, 34, 38, 39, 56, 57, 61, 68–71, 81, 82, 88, 94, 105, 136, 137, 154, 157, 158, 194, 218, 219, 224 azimutale, 39 polare, 39 radiale, 33, 35, 36, 39, 58 zirkulare, 33, 35, 36 gleichf¨ ormige Bewegung, 18, 89, 92 Halbachse, 113 große, 11, 112–114, 121, 122, 126, 127, 233, 235 kleine, 11, 113, 114, 121, 233 harmonischer Oszillator, 92, 94, 96, 99– 102, 144, 195, 197–199, 208, 214 ged¨ ampfter, 105, 107, 110, 111 gekoppelter, 159, 162–164, 219 Hauptachse, 185, 189, 190, 205 Hauptachsentransformation, 185, 187, 189 Haupttr¨ agheitsmoment, 184, 189, 190, 193, 207, 208, 210 H¨ ohenenergie, 53, 54 Impuls, 2, 4, 5, 13, 55–57, 60, 129, 130, 136 -erhaltung, 147, 148

Index Inertialsystem, 65, 68–73, 77–79, 82–84 invariant, 145, 147 Jacobi-Identit¨at, 77, 206 Kegelschnitt, 116, 120, 242, 243 Kepler-Problem, 111, 124, 125 klassische Mechanik, 3 klassischer Umkehrpunkt, 124 Komet aperiodischer, 127 langperiodischer, 127 Koordinatensystem, 5, 7 k¨orperfestes, 199–202, 205–211 raumfestes, 199, 200, 202, 205, 209– 212 Kraft, 2–5, 41–44, 55, 56, 60, 67, 68, 103, 112, 129, 130, 136, 137, 149–153, 157, 179, 211, 217, 231 ¨außere, 3, 56, 134, 212 innere, 129, 132, 151 resultierende, 5 Kraftfeld, 43, 44, 48–52 homogenes, 54 konservatives, 48, 49 Kreiselgleichungen, 207 Kriechfall, 107, 109, 110 Kronecker-Delta, 184 Kr¨ ummung, 22, 23, 25, 26 Kugelkoordinaten, 36–40, 61, 136, 186, 226, 248, 250 Lageenergie, 54 Leitlinie, 114–116 Lenz-Runge-Vektor, 143, 144, 147, 152, 240–242 Luftwiderstand, 1, 87, 88, 93, 101, 131, 133–135, 138, 143, 233 Masse, 1, 2, 4, 41, 88, 100, 102, 111, 112, 179, 193, 194, 231, 233 effektive, 151–153, 243–245 mathematisches Pendel, 101, 102, 104 maximal superintegrabel, 144, 145 Modulation, 165 Nabla-Operator, 49

Index Newtonsches Axiom, 66–68 drittes, 4, 55, 130, 150 erstes, 3, 56, 68, 87, 94, 142 zweites, 4, 60, 79, 88, 94, 101, 129, 130, 136, 137, 170, 231 Normalenvektor, 22–26, 120 Normalmode, 163–165, 168, 171–173 Nullniveau, 53, 54 Nutation, 210 Nutationskegel, 209, 210 partielle Ableitung, 32, 37 Perihel, 124–126, 143, 243 physikalisches Pendel, 198, 199 Polarkoordinaten, 26–32, 34, 35, 115–117, 242 r¨ aumliche, 37 Polarwinkel, 36, 226 Potenzial, 104, 117, 137, 145, 146 effektives, 123–125 eines Kraftfelds, 49–53, 55, 104 Gravitations-, 117, 124 Pr¨ azession, 212 Pr¨ azessionskegel, 212 Punktmasse, 7, 38 Punktmechanik, 7, 38 Rastpolkegel, 210 Raumkurve, 7, 17, 24, 26, 31, 36, 40 Reibung, 94, 104–106, 108, 109, 233 Relativkoordinate, 149–153, 157, 166, 243–245 Richtungsvektor, 8, 16 Rotation, 49, 50, 52, 54 Rotationsenergie, 62, 194, 196, 207, 209 Rotationsfreiheitsgrad, 176, 177 Scheinkraft, 72, 205 schiefer Wurf, 87 Schmiegungsebene, 23, 24, 26 Schraubenlinie, 12, 13, 19, 23, 24, 26, 27 Schwebung, 165 Schwebungsfrequenz, 165 Schwerpunkt, 135, 151, 152, 177–179, 182, 185, 190, 193, 194, 207 Schwerpunktsimpuls, 151, 153, 157 Schwerpunktskoordinate, 150–152, 166 Schwingfall, 109, 111

257 Schwingung gegenphasige, 163, 164, 173 gleichphasige, 163, 164 harmonische, 99, 102, 104, 111 longitudinale, 104 transversale, 104 Spirale, 10–13, 34, 35, 44–47, 58, 59, 84 starrer K¨orper, 176, 193, 194, 198, 199, 205, 207 Steinerscher Satz, 190, 197 Stoß, 153 elastisch, 153, 154 inelastisch, 157, 158 Stribeck-Kurve, 105, 106 Superpositionsprinzip, 5, 6, 112 Symmetrie, 145, 147 Symmetrieachse, 180, 182, 185, 187 Symmetrietransformation, 145–148 Tangentenvektor, 15, 21, 22, 24, 25 Torsion, 24–26 Tr¨agheit, 2, 3, 68, 94 Tr¨agheitsmoment, 177, 179, 182–187, 190–194, 197, 198, 205, 210, 212, 247–249, 251, 252 Tr¨agheitstensor, 184–189, 195, 205 Translation, 178 Translationsfreiheitsgrad, 176 Vektorfeld, 43, 44, 49, 117 Wegintegral, 44–46 Welle, 213, 214, 216–219 ebene, 219 Wellengleichung, 217–219 Wellenl¨ange, 217–219, 221 Wellenzahl, 218–221 Winkelgeschwindigkeit, 10, 63, 79, 85 Zentralkraft, 112, 118, 136, 240 Zentralpotenzial, 118 Zentrifugalbarriere, 124 Zentrifugalkraft, 79, 83–85, 205 Zentrifugalpotenzial, 118 Zentripetalbeschleunigung, 35 Zweik¨orperproblem, 149–153 Zykloide, 13, 223